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German Pages 828 Year 2011
Anne Schulz Essen und Trinken im Mittelalter (1000–1300)
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 74
De Gruyter
Anne Schulz
Essen und Trinken im Mittelalter (1000–1300) Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen
De Gruyter
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ISSN 1866-7678 ISBN 978-3-11-025515-7 e-ISBN 978-3-11-025516-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Schulz, Anne. Essen und trinken im mittelalter (1000-1300) : literarische, kunsthistorische und archäologische quellen / Anne Schulz. p. cm. -- (Reallexikon der Germanischen altertumskunde - Ergänzungsbände ; v.74) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025515-7 (hardcover : alk. paper) 1. Food habits--Europe--History--To 1500. 2. Drinking customs--Europe--History--To 1500. 3. Food in literature. 4. Drinking in literature. 5. Civilization, Medieval. 6. Europe--Antiquities. I. Title. GT2853.E8S38 2011 394.1’2--dc22 2011013929
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ÜGedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Prof. Dr. Klaus Düwel zu seinem 75. und Prof. Dr. Hans-Georg Stephan zum 60. Geburtstag zugeeignet
Trinkszene aus den ,Carmina burana‘, um 1230
Vorwort
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Vorwort Bei diesem Band handelt es sich um eine geringfügig ergänzte und in Teilen neu gegliederte Fassung meiner von der Georg-August-Universität Göttingen angenommenen Dissertationsschrift. Thema und Ansatz der Arbeit harrten seit mehr als 25 Jahren der weiteren Verfolgung. Beides habe ich im Studium erstmals auf Möglichkeiten hin untersucht, Bisheriges zu hinterfragen und ggf. Neues zu entdecken. Denn bereits damals fiel auf, wie sehr sich kulturhistorische Darstellungen über ‚das Leben im Mittelalter‘ – auch über das Essen und Trinken – dann, wenn andere schriftliche Quellen fehlen, vor allem auf die frühe volkssprachliche Dichtung stützen. Dies gilt im mittelhoch- bzw. mittelniederdeutschen Sprachraum besonders für die Zeit vor 1300, so in den bis heute viel zitierten Arbeiten von Moriz Heyne (1901), Alwin Schultz (1889 und 1903) oder Willi Pieth (1909). Auch jüngere Arbeiten wie etwa die von Renate Roos (1975) beleuchten insbesondere die höfische Dichtung des ausgehenden 12. und des 13. Jahrhunderts, ohne vertiefend der Frage nachzugehen, ob und in wiefern sie frühere Verhältnisse widerzuspiegeln vermögen. Überlieferungsbedingt prägt damit vor allem die höfische Sphäre auch neuere kulturhistorische – und vor allem verbreitete populärwissenschaftliche – Betrachtungen. Sie ist jedoch zum einen durch ein Interesse nach Selbstdarstellung und Inszenierung gekennzeichnet, zum andern eröffnet sie, wenn überhaupt, Einblicke in außerhöfische Welten lediglich aus der Perspektive des hohen Adels und des literaten hohen Klerus, damit einer sehr kleinen Gruppe der hochmittelalterlichen Gesellschaft. Es reizte daher der Versuch, auch andere Lebenssphären des Hochmittelalters in den Blick zu nehmen. Für eine solche Untersuchung war ein erweiterter Ansatz zu verfolgen, der über die bis dahin im Schwerpunkt betrachteten poetischen und chronikalischen Zeugnisse – und damit auch über fachlich definierte Grenzen – hinausweist. Beigezogen wurden zum einen Erkenntnisse der Archäologie des Mittelalters. Denn archäologisch erschlossene Funde vermögen oft bisherige Bilder dort zu ergänzen, teils auch zu korrigieren, zuweilen ein Bild erst entstehen zu lassen, wo schriftliche Quellen ungenau bleiben oder sogar ganz schweigen. Für den hier interessierenden Zeitraum liegen überdies Grabungsergebnisse von Burgen und Herrensitzen, aus städtischen und eini-
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Vorwort
gen dörflichen Siedlungen sowie aus Klosteranlagen in mittlerweile beachtlichem Umfang vor, besonders in Form von Tierknochen- und Pflanzenresten, daneben auch mit Tafel- und Küchengerät. Da zudem die meisten kulturhistorischen Abhandlungen Bildmaterial bieten, das aus dem Spätmittelalter stammt, sollte der hochmittelalterlichen schriftlichen Quellen entweder direkt entstammende, verbundene oder etwa zeitgleiche Bestand an Illuminationen gesichtet und in die vergleichende Betrachtung integriert werden. Nur so war eine synchrone Zusammenschau der Verhältnisse in einem definierten ‚Zeitfenster‘ möglich, die noch in jüngeren kulturhistorischen Arbeiten oft vernachlässigt wird. Bereits im Rahmen der früheren Untersuchung zeigte sich, dass der gewählte Ansatz dazu führte, manche gängige Vorstellung – etwa die von ‚mittelalterlichen Rittermählern‘ – infrage zu stellen. Ein transdisziplinärer Ansatz zum Thema wurde während des seitdem vergangenen Vierteljahrhunderts von verschiedenen Disziplinen aus zwar öfter angeregt, insbesondere in Deutschland jedoch nur selten tiefer reichend verfolgt. Daher schien es reizvoll, Thema und Ansatz – auf einer erweiterten Quellenbasis und auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse – erneut aufzugreifen. Eine Bestandsaufnahme zum Thema (allein) aus archäologischer Perspektive hätte sich durchaus in das erste nachchristliche Jahrtausend – und noch weiter zurück – ausweiten lassen. Dies hätte insbesondere die Zeitspanne, die das ‚Reallexikon der Germanischen Altertumskunde‘ repräsentiert, eingehender erfasst. Für eine zeitliche Begrenzung des Untersuchungszeitraums etwa von der Jahrtausendwende bis 1300 sprachen jedoch verschiedene Gründe. Zum einen, dass im Rahmen der fächerübergreifenden Betrachtung kunstgeschichtliche Quellen beigezogen werden sollten. Hier setzen etwa mitteleuropäische Handschriftenilluminationen, insbesondere mit Tafelszenen, erst ab dem 11. Jahrhundert ein. Auch (früh-)mittelhochdeutsche Sprachzeugnisse, die unser Thema berühren, werden erst mit aus dem 11. Jahrhundert stammenden Texten greifbar. Sollten also insbesondere volkssprachliche literarische sowie künstlerische Altertümer und archäologische Quellen, die manchmal lediglich auf ein- bis zwei Jahrhunderte genauer datierbar sind, neben- und übereinander gelegt und beleuchtet werden, bot sich die Jahrtausendwende als zeitlich untere Grenzmarke an. Die in einem historischen Prozess ebenfalls kaum belastbar fixierbare Jahreszahl ‚1300‘ wurde als obere Begrenzung gewählt, weil sich die schriftliche wie bildliche Quellenlage zu unserem Thema besonders im deutschen Sprachraum ab dem 14. Jahrhundert erheblich verbesserte, damit teils auch deutlich veränderte. Viele kulturhistorische Darstellungen beziehen sich, wenn sie über ‚das Mittelalter‘ handeln, besonders auf diese spätmittelalterlichen Belege, deren Aussagen oft – und zumeist ebenso ungeprüft wie un-
Vorwort
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kommentiert – analog auf weit frühere Zeiten rückprojiziert werden. Dies galt es zu vermeiden. Nur so kann sich nämlich herausstellen, ob und ggf. wie sich das ‚Essen und Trinken‘ im Hoch- und im Spätmittelalter unterschieden. Für den geographischen Raum, der in etwa durch die Grenzen des damaligen Deutschen Reiches gefasst wird, lässt sich demnach eine Bestandsaufnahme zum Thema ‚Essen und Trinken‘, die auf dem gewählten Vergleich von Quellen aus unterschiedlichen Disziplinen aufbaut, vor der ersten Jahrtausendwende nicht leisten. Die Herausgeber des ‚Reallexikons der Germanischen Altertumskunde‘ und ihrer Ergänzungsbände waren daher im vorliegenden Fall dankenswerterweise bereit, das Thema und insbesondere seine transdisziplinäre Untersuchung höher zu gewichten als den im Rahmen der wissenschaftlichen Reihe eher späten Zeitraum seiner Betrachtung. Dass dieser Band zustande kommen konnte, ist weiteren glücklichen Umständen zu verdanken. Hervorheben möchte ich die sehr aufmerksame und zugewandte Betreuung, die mein Anliegen und der Fortgang meiner Arbeit durch Prof. Dr. Klaus Düwel (Göttingen) und Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Halle) erfuhren. Über Jahre haben sie motiviert, auch diskutiert, Anregungen gegeben und Kontakte hergestellt, weit über das erwartbare Maß hinaus. Beide haben mir stets die Zuversicht vermittelt, dass die Bearbeitung des breit angelegten Arbeitsfeldes lohnend und auch realisierbar sei. Dafür und auch für das in mich gesetzte Vertrauen möchte ich beiden herzlich danken. Eine wichtige Rolle spielten daneben Dr. Rüdiger Huth und insbesondere Stefan Schäfer, im Zeitraum der Entstehung dieser Arbeit meine dienstlichen Vorgesetzten. Sie nahmen am Fortgang der Dinge, die inhaltlich von unseren beruflichen Belangen so weit entfernt liegen, großen Anteil, zeigten Interesse und Geduld, wenn es um Bibliotheksbesuche, die Teilnahme an Doktorandenkolloquien oder darum ging, im Gespräch Planungen und Reflexives zu dieser Arbeit zu erörtern. Dafür, dass sie mir stets Mut machten und oft auch erst ermöglichten, das Promotionsvorhaben weiter zu verfolgen und schließlich zu einem Ende zu bringen, schulde ich aufrichtigen Dank. Auf Anregungen, Hinweise und Unterstützung ist man während eines solchen Vorhabens vielfach angewiesen. Ein Anspruch darauf besteht jedoch nicht. Daher habe ich mich sehr über die Hinweise gefreut, die Dr. Monika Doll zu jüngeren Tierknochenfunden aus dem Mittelalter beisteuerte. Für die Gewährung mancher Sonderleistungen bin ich der Staatsbibliothek Berlin-Preußischer Kulturbesitz, der Bibliothek der HelmutSchmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg sowie der
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Vorwort
Bibliothek der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation sehr verbunden. Auch, dass Wolfgang Hampe im Dekanat der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen stets ansprechbar war und hilfreich wirkte, verdient, hier erwähnt zu werden. Dem Verlag de Gruyter ist für die engagierte Betreuung unter Leitung von Frau Dr. Gertrud Grünkorn Dank zu sagen, ebenso für das Interesse und die Entscheidung der Herausgeber, diese Arbeit in ihr Publikationsprogramm aufzunehmen. Große Anerkennung gebührt dem Verlag auch für den Aufwand, dessen es bedurfte, um ein umfängliches Manuskriptpaket in eine handliche Buchform zu überführen. So wenig selbstverständlich wie diese Hilfen waren das Verständnis und die Geduld, die mir im privaten Umfeld entgegengebracht wurden. Belastbare Grundlagen des Zutrauens und Willens, die erforderlich sind, um ein solches Unterfangen zu beginnen und es auch abzuschließen, wurden durch PD Dr. Manuel Schulz gefördert. Dr. Klaus Schulze begleitete den Fortgang der Arbeit mit gleichbleibend hoher Aufmerksamkeit und hilfreichen Anregungen, Dr. Thomas Richter unterzog sich der Mühe, das erste Manuskript kritisch durchzusehen. Die persönliche Anteilnahme, die Dr. Hansjoachim Mauch, Antje Riddering und Sabine Kohls dem Promotionsvorhaben über Jahre hinweg entgegenbrachten, war und ist für mich von großem Wert. Ohne die stete Aufmerksamkeit und Unterstützung, die mir meine Familie zukommen ließen, hätte das Projekt kaum zu einem guten Abschluss finden können. Herzlich dankbar bin ich Paul-Gerd Jürging, nicht nur für seine Übersetzungshilfen aus dem Lateinischen, meiner Mutter insbesondere für ihre Nachsicht mit so vielen, am Schreibtisch verbrachten Wochenenden und Urlaubszeiten sowie – last but not least – meiner Schwester Birgit Dechow. Sie stand mir über alle Höhen und Tiefen der Jahre jederzeit mit unerschütterlicher Solidarität bei. Berlin, im Januar 2011
Anne Schulz
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Redaktionelle Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . XVII 1 Causa operandi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2
Defizite vorliegender Darstellungen . . . . . . . . . Modus operandi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitlicher und räumlicher Rahmen . . . . . . . . . . Quellen und Vorüberlegungen zu ihrer Untersuchung
. . . .
1
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5 15 15 21
2 Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur . .
27
2.1
Mittelalterliche Erzählstoffe und ihre Tradition – wie weit wirkten die Vorlagen? . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Chrétien von Troyes: ‚Erec et Enide‘/ Hartmann von Aue: ‚Erec‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Zur Quellenfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.2 Vergleich der Texte Chrétiens und Hartmanns . . . . . . 2.1.2 Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das Fest bei Hofe: herrscherliche Repräsentation und ihre Inszenierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Heinrich von Veldeke und das Mainzer Hoffest von 1184 2.2.2 Zur Inszenierung eines Festmahls . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Speisen und Getränke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Tischzuchten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Bruch der Regeln – verdorbene Stimmung und Katastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Philologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Bilanz und Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 28 28 29 42 45 46 64 82 112 125 132 145 155
3 Die Tafel im Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.1
Komposition und ‚Programme‘ mittelalterlicher Tafelszenen . . . . . . . . . . . . . . . 167
XII 3.2 3.3 3.4
Inhaltsverzeichnis
„der chunich ze tische giench“ – Tafeldarstellungen in illuminierten Epenhandschriften Weitere zeitgenössische Darstellungen von Speiseszenen Die Bildkunst des Hochmittelalters als Informationsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 216 242
4 Ländliches Nahrungswesen im Spiegel der Dichtung . . . . . . .
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5 Das Leben in städtischen Siedlungen – ein Stiefkind literarischen Interesses . . . . . . . . . . . . . . .
271
6 Essen und Trinken in kirchlichen Kreisen . . . . . . . . . . . .
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6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3 6.3.1
Der ‚Weltklerus‘ und sein Speisen nach literarischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klösterliche Speisekultur . . . . . . . . . . . . . . . . . Was und wie aß und trank man im Kloster? . . . . . . . Ad fontes: die Regula Benedicti . . . . . . . . . . . . . . Die Klosterküche des Hochmittelalters im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel . . . . . . . . . . Signa loquendi: stumme Kommunikation in Refektorium und Küche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diätetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Passagen aus Hildegards ‚Secretum‘-Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel . . . . . . . . . . . 7.1 7.2 7.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.5
Funde von Burgen und Herrensitzen . . . . . . . . . . Reste von Tierknochen und Pflanzen aus städtischen Siedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funde von Tierknochen- und Pflanzenresten aus ländlichen Siedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tierknochen- und Pflanzenrestfunde aus klerikalen Siedlungskontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Herforder Damenstift und das Kanonissenstift Wetter als Beispiele für ‚weltgeistliche‘ Lebensbereiche Tier- und Pflanzenrestfunde aus Kloster-Grabungen: Schaffhausen, Hirsau und Corvey . . . . . . . . . . . Ein vorläufiges Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293 298 298 302 311 340 346 350 357
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360
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400
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436
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446 458
XIII
Inhaltsverzeichnis
8 „daz muosen tiure näphe sîn“ – Tischgerät und Küchenutensilien . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Keramik . . . . . . . . . . . . . . . . . Küchen- und Tafelgerät aus Holz . . . . Glasgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . Metallenes Gerät . . . . . . . . . . . . Sachkultur zwischen Mythos und Alltag
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469 485 497 507 520
9 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 10 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 I
II III IV
V VI VII VIII
Ekkeharts von Sankt Gallen ‚Benedictiones ad mensas‘: ein Beispiel für moderne Irrtümer . . . . . . . . . . . I.1 Benedictiones ad mensas – lateinischer Text und Übersetzung . . . . . . Um Herd und Ofen: Die Küche als Ort . . . . . . . . Konservierung von Lebensmitteln . . . . . . . . . . . Nahrungsmittelproduktion . . . . . . . . . . . . . . . IV.1 Gartenfrüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2 Honig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.3 Salz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hunger und Mangelernährung . . . . . . . . . . . . . Lebensmittelverfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . Hygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernährungsbedingte Erkrankungen . . . . . . . . . . . VIII.1 Ergotismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.2 Folgen der Kontamination von Getreide . . . VIII.3 Parasitenbefall . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII.4 Rachitis und Skorbut . . . . . . . . . . . . . VIII.5 Abrasion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 586 . . . . . . . . . . . . . . . .
594 618 634 645 654 660 666 675 706 719 736 736 741 745 748 752
Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . 783 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 797 Register der literarischen und künstlerischen Werke . . . . . . . 799 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801
XIV
Inhaltsverzeichnis
Redaktionelle Hinweise Grundsätzlich wird bei der Wiedergabe literarischer Texte den zitierten Ausgaben gefolgt; satztechnische Veränderungen werden, soweit es die verwendete Software erlaubt, vermieden. Zitate aus dem Mittelhochdeutschen, Altfranzösischen und Lateinischen werden hier in Kursive(n) wiedergegeben. Daher erscheinen die in den verwendeten Ausgaben kursiv gesetzten Ergänzungen/Rekonstruktionen im folgenden Text recte. Sonderzeichen, die im verwendeten Zeichensatz nicht vorhanden sind, werden in ihrer Grundform wiedergegeben, die betreffenden Wörter mit einer entsprechenden Anmerkung versehen. Bei Zitation literarischer Texte wird die Vers- oder Zeilenzählung angegeben, bei Strophen und Versen lediglich die jeweilige Nummerierung. Insbesondere innerhalb von Zitaten wurden Anmerkungen der Verfasserin in eckige Klammern und kursiv gesetzt.
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Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen Abb. Anm. ATB Bd. BMZ bzw. Cf. Cod. dass. ders. dies. DTM dtv ebd. et al. f./ff. Fig. ggf. Hg./hg. HRG Hs. HZ i. d. R. i.e. Jg./Jgg. Jh./Jhs. Kap. lat. Lex. LexdMA lt. MA mal. MGH
Abbildung(en) Anmerkung(en) Altdeutsche Textbibliothek Band Mittelhochdeutsches Wörterbuch beziehungsweise confer/vergleiche Codex dasselbe derselbe dieselbe Deutsche Texte des Mittelalters Deutscher Taschenbuch-Verlag ebendort, an derselben Stelle et alii – und andere folgende Figur(en) gegebenenfalls Herausgeber/herausgegeben Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Handschrift Historische Zeitschrift in der Regel id est – das ist Jahrgang/Jahrgänge Jahrhundert(s) Kapitel lateinisch Lexer, Matthias von: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch Lexikon der Mittelalters laut Mittelalter mittelalterlich Monumenta Germaniae Historica
XVIII mhd. mlat. mnd. N.F. N.N. o.S. PBB RDK RGA s. S. Sp. Str. s.v. Tab. u. a. u. ö. usw. UTB V. Verf. VL ZAM ZfDA ZfdPh z. B.
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen
mittelhochdeutsch mittellateinisch mittelniederdeutsch Neue Folge nomen nescio (Name unbekannt; ohne Verfasserangabe) ohne Seite(nangabe) Paul-Braunes Beiträge = Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte Reallexikon der Germanischen Altertumskunde siehe Seite(n) Spalte(n) Strophe(n) sub voce/unter dem Stichwort Tabelle unter anderem/und andere und öfter und so weiter Uni-Taschenbücher Vers(e) Verfasser(in) Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie zum Beispiel
Causa operandi
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1. Causa operandi „Rauhbeinige Rittersleute, die ihre Zähne mit gewaltigem Appetit in blutiges Wildbret schlagen, während die Bauern am Fuße ihrer Burgen hungernd dahinschmachten; dicke, schmerbäuchige Mönche, die über üppigen und reichlich mit Wein begossenen Mahlzeiten alle Pflichten ihres Amtes vergessen; Gäste, die verdorbenes Fleisch mit enormen Mengen von Gewürz überziehen, so daß jedes Gericht gleich schmeckt; unwissende Köche, die mit primitiven Gerätschaften hantieren – so sieht häufig das Bild aus, das man sich von der Ernährung im Mittelalter macht. Diese Klischees, weit verbreitet durch unzulängliche Bücher und schlecht recherchierende Filmemacher, beruhen im Grunde auf der Vorstellung, daß einer barbarischen Zeit auch nur eine barbarische Küche entsprechen kann.“1 Es steckt manches in diesen Sätzen, die einem der Bände vorangestellt sind, die während der letzten Jahre erschienen, um unser Bild von ‚dem‘ Mittelalter, hier besonders dessen typischer Nahrungsgewohnheiten und Trinksitten, zu erhellen. Rekurriert wird hier vor allem auf zwei Phänomene: zunächst eine – im Gegensatz zur eigenen, implizit offenbar als ‚kultiviert‘ verstandenen Lebenswelt – als ‚barbarisch‘ gekennzeichnete Vorstellung der Lebensformen im Mittelalter. Kritik wird auch daran geübt, dass diese Vorstellung durch stark kontrastierende und infolgedessen undifferenzierte Zeichnungen der zeitgenössischen Stände bedient wird: rücksichtsloser Adel gegen hungernde Bauern, daneben ein genusssüchtiger Klerus. Bemerkenswert ist, dass der Verfasser der eingangs zitierten Passage, Bruno Laurioux, in seiner anschließenden Zeichnung ‚mittelalterlicher‘ Tafelfreuden in bester aufklärerischer Absicht selbst recht großzügig mit dem Begriff ‚Mittelalter‘ umgeht, seine Darstellung ‚des‘ Mittelalters z. B. durch verschiedene, bis in das 16. Jahrhundert reichende Nachweise unterlegt und damit den Anschein erweckt, die Verhältnisse im Hochmittelalter seien dem vergleichbar gewesen.2 Mit dieser Vorgehensweise steht er auch im Vergleich zu anderen – 1
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Bruno Laurioux: Tafelfreuden im Mittelalter. Die Eßkultur der Ritter, Bürger und Bauersleut. Augsburg 1999, S. 7 Vgl. Laurioux (1999), passim; Analogieschlüsse werden besonders auch durch das von Laurioux herangezogene Bildmaterial herausgefordert; weniger an einer popu-
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Causa operandi
selbst wissenschaftlichen – Publikationen nicht allein, die unter Hinweis auf die historische Quellenlage ‚das Essen und Trinken im Mittelalter‘ mit Belegen vornehmlich aus der Zeit nach etwa 1300 zu erschließen suchen.3 Ob dies gerechtfertigt ist oder ob – und inwiefern – sich die Verhältnisse des Hochmittelalters von denen folgender Jahrhunderte unterschieden, kann nur ermittelt werden, wenn die Zeit vor 1300 gesondert betrachtet wird. Sie soll daher in dieser Arbeit untersucht werden. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund des Phänomens, dass das Mittelalter wieder in ein breiteres öffentliches Interesse gerückt ist. Es mag in Zusammenhang stehen mit einer gewissen Konjunktur, der sich sog. ‚Fantasy‘-Romane und -Filme erfreuen. Deren Stoffe verorten ihre historische Kulisse im Mittelalter und adaptieren teilweise auch den Kreis der Artus-Romane. Der kommerzielle Erfolg der Bücher zog verschiedene Verfilmungen nach sich.4 Eine andere Folge des gestiegenen Interesses an ‚dem‘ Mittelalter dürften auch die Ausstellungen sein, die während der vergangenen Jahrzehnte durch verschiedene Museen angeboten wurden und differenziertere Zugänge zur Epoche und ihren Besonderheiten ermöglichten.5
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lären Darstellung orientiert und daher erheblich differenzierter, jedoch durchweg auf das spätere Mittelalter bezogen arbeitet Bruno Laurioux in dem Band: Une Histoire Culinaire du Moyen Âge. (Sciences, Techniques et Civilisations du Moyen Âge à l’Aube des Lumières. Vol. 8). Paris 2005. Dort widmet er sich besonders der französischen, flämischen, italienischen und englischen, nur in wenigen Passagen auch der deutschen Küche des Spätmittelalters Vgl. als Beispiele weniger fachwissenschaftlich als populär orientierter Veröffentlichungen Gert von Paczensky/Anna Dünnebier: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München 19992; ähnlich Gunther Hirschfelder: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt/New York 2001 oder Günter Schiedlausky: Essen und Trinken. Tafelsitten bis zum Ausgang des Mittelalters. (Bibliothek des Germanischen National-Museums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte. Bd. 4). München 1956; bei Phyllis Pray Bober: Art, Culture and Cuisine. Ancient and Medieval Gastronomy. London 1999, schließt sich an das Kapitel ‚Early Middle Ages‘ (S. 195 ff.) bezeichnenderweise direkt eines über ‚Late Gothic International‘ (S. 220 ff.) an, das Hochmittelalter wird damit ausgelassen; als fachwissenschaftliche Monographie in Zielrichtung wie Argumentation differenzierter, in der historischen Eingrenzung des Themas jedoch ebenfalls mit sehr großzügigen Zeiträumen arbeitend vgl. die Monographie von Ernst Schubert: Essen und Trinken im Mittelalter. Darmstadt 2006 Genannt seien hier z. B. Titel wie Lanzelot, Der erste Ritter (Artus), Merlin, Die Nebel von Avalon, Excalibur, Camelot, aber auch Robin Hood, Robin und Marian oder Der Herr der Ringe. Im weiteren Sinne kann wohl auch die Harry-Potter-Serie dieser Gruppe zugeordnet werden Vgl. z. B. die jüngst in Magdeburg ausgetragene Ausstellung „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters“ oder die Ausstellung über den ‚Welfenkaiser‘ Otto IV. in Braun-
Causa operandi
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Eine weiterer Indikator für das wieder erwachte, vor allem populäre Interesse am Mittelalter sind verschiedene Festivals und Veranstaltungen, die mit Kostümen, Ritterspielen, ‚original‘ mittelalterlichem Marktgeschehen und auch ‚Rittertafeln‘ viele Besucher anziehen.6 Wie es dabei im Regelfall um die Erlebbarkeit vergangener Zeiten und Lebensumstände bestellt ist, welche Eindrücke und Erfahrungen die Besucher solcher ‚Events‘ mit sich nehmen, bleibt aus historischer Perspektive zweifelhaft. Betrachtet man unseren Themenkreis, gibt es im Angebot derartiger Veranstaltungen nämlich Entdeckungen wie „gegrilltes Wildschwein mit Barbecue-Saucen, Klostersuppe mit Kartoffeln, etc. Blickt man sich bei ‚mittelalterlichen‘ Gastmählern um, so stößt der Besucher bisweilen auf Pommes Frites als Beilage, die eben dann in ‚Ritterart‘ mit den Fingern verspeist werden. Zu trinken erhält man auf Wunsch Coca Cola in dazupassenden Industriegläsern serviert. ‚Ritterwochen bei McDonald’s‘ würden wohl einen ebenso hohen Grad an Mittelalter-Authentizität erreichen.“7 Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, warum ‚das Mittelalter‘ wieder mehr in den Gesichtskreis breiterer Bevölkerungskreise gerückt wird. Da sie den Kern des diese Arbeit leitenden Frageinteresses lediglich streift, sei es bei der These belassen, dass es vornehmlich zwei Motive sein mögen, die diese ‚Konjunktur‘ speisen, die zweifellos auch kommerzielle Züge trägt: In einer Welt und in einer Gesellschaft, die hochdifferenziert und für den Einzelnen in ihrer Komplexität zunehmend schwerer fassbar sind, gekennzeichnet überdies durch eine ebenfalls zunehmende Entwicklungsdynamik, bieten ‚Gegenwelten‘ offenbar eine reizvolle Folie. Diese ‚Gegenwelten‘, die in die weite Vergangenheit oder Zukunft projiziert werden, stehen unter der Herrschaft fest gefügter Ordnungen und Regeln. In
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schweig, ebenfalls im Spätsommer und Herbst des Jahres 2009. Bereits länger zurück liegen Ausstellungen wie „Die Zeit der Staufer: Geschichte, Kunst, Kultur“ in Stuttgart (1977), „Stadt und Handel im Mittelalter“ in Stade (1980), „Das Reich der Salier 1024–1125“ in Speyer (1992), „Heinrich der Löwe und seine Zeit: Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235“ in Braunschweig (1995) oder „Wege des Mittelalters“ in Münster (2004/2005) Beispiele nennt z. B. die Ausgabe April-Mai 2008 des im Zeitschriftenhandel erhältlichen Periodikums „Karfunkel. Zeitschrift für erlebbare Geschichte“ (selbst ein Beleg für das wieder erwachte und gleichzeitig auch angefachte Interesse am Mittelalter) auf den Seiten 85 ff. Dort werden für den Zeitraum Mitte April bis Ende Dezember 2008 mehrere hundert, im gesamten Bundesgebiet stattfindende Veranstaltungen, mehrheitlich mit Mittelalterbezug, angekündigt Christian Rohr: Mittelalter-Festivals. Erlebte Geschichte oder greller Kommerz? – In: Lothar Kolmer/Christian Rohr (Hg.): Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposions in Salzburg 29. April bis 1. Mai 1999. Paderborn/München/Wien/Zürich 2000, S. 263–274, hier: S. 263
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ihnen scheint die erfahrene Welt überschaubar, und Gut wie Böse gelten als leicht zu identifizieren und zu unterscheiden. Die individuelle Orientierung scheint in diesen fiktiven Sphären leicht zu sein. Die vorstehend skizzierten, holzschnittartigen Kulissen, die oft genutzt werden, um mit ‚dem‘ Mittelalter oder ‚mittelalterlichen Verhältnissen‘ einer solchen Gegenwelt einen schwarz-weiß gezeichneten und damit leicht eingängigen Rahmen zu verleihen, scheinen diesem Bedürfnis zu entsprechen: „Die kritische Auseinandersetzung mit der Erfahrbarkeit von Geschichte liegt … nicht im Interesse der Rezipienten: Vielen … geht es um die Bestätigung von Klischees. Daher muss das Mittelalter actionreich und grausam sein, romantisch, urtümlich, schmutzig – und natürlich dunkel.“8 Ein weiteres, mit dem ersten verbundenes und durchaus reflexiv auf dieses verweisendes Motiv, das ebenfalls auf ein gewisses ‚Unbehagen in der aktuellen Kultur‘ zurückgeführt werden mag, ist das des – auch historischen – Kontrasts, der Andersartigkeit, der Alterität der Verhältnisse. Die Perzeption vordergründig unwägbarer, fremder, krasser, ja ‚barbarischer‘ Lebensverhältnisse, ihrer Andersartigkeit und Gefahren hinterlässt beim Leser oder Betrachter wohl eine größere Zufriedenheit mit – und vielleicht das Gefühl einer leichteren Einrichtung in – unseren zwar komplexen, aber in Vielem eben auch ungleich sichereren heutigen Lebensumständen.9 Dass selbst verschiedene Wissenschaftszweige von diesem Phänomen beeinflusst scheinen, wird erst in den letzten Jahren vermehrt kritisch in den Blick genommen: „Das Interesse für die Ernährungslage erwacht … wieder für das Mittelalter, hauptsächlich … bei Wirtschaftshistorikern, durch überlieferte Schriftquellen mit selektiven Berichten über Klosteranlagen, bäuerliche Abgaben, Mißernten und Hungersnöte. Zusammen mit Beschreibungen der aus unserer heutigen, überflußgeprägten Sicht monoton und langweilig wirkenden Kost sowie Ausmalungen von Nahrungsverfälschungen und Notnahrung entsteht das Bild des finsteren Mittelalters und eines bis ins 19. Jahrhundert hungergeschüttelten Mitteleuropa, das erst
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Rohr (2000), S. 274 In diesen Kontext könnte z. B. die Titelgeschichte des SPIEGEL eingebettet werden, die im Herbst 2005 erschien und wegen ihrer historisch oft fragwürdigen und undifferenzierten Darstellung erheblicher Kritik unterzogen wurde. Tatsächlich werden in dem Beitrag einige der hier einleitend aufgeworfenen Motive gestreift, freilich ohne ihnen vertiefend nachzugehen; vgl. Matthias Schulz: Mythos Mittelalter, in: DER SPIEGEL Nr. 44 (31. 10. 2005), S. 168–182
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durch die Industrielle Revolution aus der Dauerkrise und Unterversorgung errettet wurde.“10 Dass die damit lediglich skizzierten, jüngst so populär gezeichneten Bilder ‚des‘ Mittelalters oft wenig differenziert und lückenhaft, ja zuweilen sogar schlicht falsch sind, kann leicht bemängelt werden. Dies wirft jedoch zugleich die Frage auf, wie es denn ‚wirklich‘ war – die Frage, was wir heute wissen oder wissen können über Leben und Lebensverhältnisse der Menschen in einer Epoche, die als ‚das‘ Mittelalter – genauer besehen – generalisierend und damit häufig schon wieder unzutreffend bezeichnet wird. Im Folgenden soll deshalb der Versuch gewagt werden, verschiedene Disziplinen auf ihre möglichen Beiträge zu Aspekten des Essens und Trinkens im Mittelalter – hier in der Zeit von 1000 bis 1300 – zu befragen und deren Erkenntnisse zusammenzuführen. Ein wesentliches Ziel ist es, Vorstellungen wie die von ‚raubeinigen Rittern‘, ‚schmerbäuchigen Mönchen‘, ‚hungernden Bauern‘ oder einer ‚barbarischen Küche‘11 zu hinterfragen und, wenn möglich, durch das zu revidieren, was auf der Grundlage der literarischen und der kunsthistorisch bedeutsamen Quellen sowie der archäologisch erschlossenen Hinterlassenschaften des Zeitalters nach heutigem Kenntnisstand ermittelt werden kann. Dabei sollte zunächst die kritische Beleuchtung verschiedener bisheriger Ansätze und Arbeiten zu unserem Thema verdeutlichen, welche Prämissen und Fragen im Laufe der Arbeit im Blick zu behalten sein werden.
1.1 Defizite vorhandener Darstellungen Die oben bereits skizzierten, in manchen Beiträgen bestehenden Schwierigkeiten, ‚das Mittelalter‘ in seinen Grundzügen und Besonderheiten als Epoche zu erfassen, resultieren nicht selten aus einer mangelnden Definition dessen, was der Begriff ‚Mittelalter‘ bezeichnen soll. Dies zeigt sich besonders auch in dem Themenkreis und Ausschnitt ‚Essen und Trinken‘, bei der Ernährung und ihren Grundlagen. Massimo Montanari, der sich diesem Komplex mit ähnlicher Fragestellung näherte, stellte fest: „Beim Aufspüren ihrer Grundzüge wurde ich in der – mittlerweile von vielen Gelehrten geteilten – Überzeugung bestärkt, daß das Mittelalter in seiner traditionellen chronologischen Bedeutung ein falsch verstandenes Phänomen von recht 10
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Miriam N. Haidle: Mangel – Krisen – Hungersnöte? Ernährungszustände in Süddeutschland und in der Nordschweiz vom Neolithikum bis ins 19. Jahrhundert. (Urgeschichtliche Materialhefte. Bd. 11). Tübingen 1997, S. 6 Vgl. oben S. 1
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geringer interpretatorischer Brauchbarkeit ist. Zu unterschiedlich und manchmal zu gegensätzlich sind die Ereignisse und Dinge, die man unter dem Begriff ‚Mittelalter‘ zu vereinen sucht, um ihnen historisch gleichartige Züge und Bedeutungen zusprechen zu können.“12 Ein erster, skizzenhafter Blick in populäre, aber auch in manche wissenschaftliche Publikationen der vergangenen Dekaden über unser Themenfeld legt Gründe für diese Kritik offen. Zum einen wird hier ‚das Mittelalter‘ oft gefasst mit einer Zeitspanne, die vom 6. bis 15., zuweilen bis ins 16. Jahrhundert reicht – eine Zeitspanne also von etwa 1000 Jahren. So zumindest legen es manche Autoren durch die Präsentation ihrer Quellen und Belege nahe.13 Wie bereits oben angesprochen, verheißen andere in den Titeln ihrer Beiträge, über das Mittelalter zu handeln, beziehen sich dann der besseren schriftlichen Quellenlage wegen jedoch auf die Zeit ab dem 14. Jahrhundert. Verhältnisse des Hochmittelalters werden hier vornehmlich anhand von Analogievermutungen erschlossen – eine aus wissenschaftlicher Perspektive wohl durchaus fragwürdige Vorgehensweise.14 Es wäre aus der Sicht historischer Disziplinen eigens zu beleuchten, ob etwa für das 12. Jahrhundert vorausgesetzt werden darf, was man im 14. Jahrhundert offenbar kannte, oder ob sich entsprechende Aussagen als ein die Jahrhunderte und 12
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Massimo Montanari: Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. (Europa bauen). München 1993, S. 10 Vgl. z. B. Gert von Paczensky/Anna Dünnebier: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens. München 19992; ähnlich Gunther Hirschfelder: Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute. Frankfurt/New York 2001; Schiedlausky (1956) und Roland Pauler: Leben im Mittelalter. Ein Lexikon. Darmstadt 2007, bes. S. 6; wenig trennscharf diesbezüglich auch Schubert (2006) So verspricht Bruno Laurioux zwar, über „Tafelfreuden im Mittelalter“ zu handeln, zieht dabei jedoch ganz überwiegend Quellen aus dem 14. bis 16. Jahrhundert heran, vgl. Laurioux (1999), passim; ähnlich auch Norman Foster: Schlemmen hinter Klostermauern. Die unbekannten Quellen europäischer Kochkunst. Hamburg 1980 sowie Dietrich W. H. Schwarz: Sachgüter und Lebensformen. Einführung in die materielle Kulturgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. (Grundlagen der Germanistik. Bd. 11). Berlin 1970, S. 129 ff.; auch die folgende wissenschaftliche Anthologie führt im Titel zwar ‚das‘ Mittelalter, handelt in ihren Beiträgen jedoch fast ausschließlich von Spätmittelalter und (früher) Neuzeit: Irmgard Bitsch/Trude Ehlert/Xenja von Ertzdorff (Hg.): Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10.–13. Juni 1987 an der JuliusLiebig-Universität Gießen. Sigmaringen 1987; unter Hinweis auf die problematische (schriftliche) Quellenlage wird ‚das Mittelalter‘ besonders in das 14./15. Jh. auch von Stephen Menell verlegt: Die Kultivierung des Appetits. Die Geschichte des Essens vom Mittelalter bis heute. Aus dem Englischen von Rainer von Savigny. Frankfurt 1988, S. 66 ff.
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sich darin vollziehende Entwicklungen verwischender ‚Etikettenschwindel‘ herausstellen. Ein weiterer Schwachpunkt vieler, nicht nur populärwissenschaftlicher Abhandlungen zu unserem Themenspektrum muss ebenfalls weitgehend auf die vielfach lückenhafte historische Quellenlage zurückgeführt werden. Eine Epoche, für die z. B. Handels- und Geschäftsdokumente, Zins- und Abgaberegister, Wirtschaftsbücher oder Inventarlisten selten in Schriftform abgefasst wurden und überdies nur in wenigen Ausnahmen überliefert sind, gerät angesichts derartiger dokumentarischer Lücken leicht in die Gefahr, auf der Grundlage oftmals nicht nur temporär, sondern auch geographisch sehr weit gestreuter Belege erfasst und betrachtet zu werden. So finden sich denn in manchen Publikationen Darstellungen zu Lebensformen und Ernährungsgewohnheiten ‚des Mittelalters‘, in denen überlieferte Verhältnisse aus dem kontinentaleuropäischen Raum direkt neben diejenigen des schottischen Hochlandes treten, auch diejenigen z. B. für oberitalienische Stadtrepubliken, französische oder deutsche Klöster nachgewiesenen werden gleichermaßen zur Erklärung verschiedener Lebensverhältnisse und -umstände der Menschen in ganz anderen, zumeist sehr großflächig interpretierten Regionen herangezogen.15 Hier legt allein der flüchtige Blick auf heutige Verhältnisse und Differenzen Skepsis nahe sowie an dieser Stelle zunächst den Verdacht, dass Produktion, Handel, Versorgungsstand und Ernährungsgewohnheiten z. B. des oberitalienischen Raumes nicht ohne Weiteres auf die norddeutsche Tiefebene, Küstenregionen, Mittelgebirge oder den Alpenraum übertragbar sein dürften. Sind verschiedene Darstellungen infolge dieser methodisch begründeten Unschärfen zu hinterfragen, lässt sich in anderen durchaus ein Problem wissenschaftlicher Tradierung nachvollziehen. So kann z. B. der am Beginn des vergangenen Jahrhunderts auf der Grundlage besonders auch literarischer und etymologischer Belege akribisch zusammengestellten Arbeit des Göttinger Altgermanisten Moriz Heyne über „Das deutsche Nahrungswesen“16 eine ausgesprochen nachhaltige Wirkung bescheinigt werden, da sie auch in jüngeren Publikationen noch als grundlegend zitiert und wiederholt herangezogen wird.17 Dabei werden verschiedene Probleme, vor die uns die 15
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Vgl. z. B. Reay Tannahill: Food in History. New, fully revised and updated Edition. London 1988, Menell (1988), Montanari (1993) oder Paczensky/Dünnebier (1999) Moriz Heyne: Das deutsche Nahrungswesen von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert in: ders.: Fünf Bücher deutscher Hausaltertümer von den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert. Bd. 2. Leipzig 1901 Vgl. z. B. Gerd Zimmermann: Ordensleben und Lebensstandard. Die Cura Corporis in den Ordensvorschriften des abendländischen Hochmittelalters. (Beiträge zur Ge-
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zweifellos verdienstvolle Arbeit Heynes heute stellt, außer Acht gelassen. Ihm galt ein schriftlicher Beleg mehrheitlich nicht nur als Nachweis, sondern als Beweis in historischem Sinne und von oft allgemeiner Gültigkeit, und auch wenn er in verschiedener Hinsicht die Aussagekraft mancher seiner literarischen – insbesondere der poetischen – Quellen durchaus infrage stellte, lag ihm eine im heutigen Verständnis quellenkritische Darstellung eher fern.18 So neigte er in manchen seiner Schlüsse zu Generalisierungen und Aussagen, die sich durch wiederholte Zitation über nun mehr als ein Jahrhundert hinweg fortpflanzten und somit gleichsam als gesicherte Aussage erscheinen lassen, was möglicherweise bereits durch die Quellen und
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schichte des Alten Mönchtums und des Benediktinerordens. Heft 32). Münster 1973; Irmgard Bitsch: Gesundheitsschädigung und Täuschung im mittelalterlichen Lebensmittelverkehr, in: Bitsch/Ehlert/Ertzdorff (1987), S. 191–200; Schubert beleuchtet die Arbeiten Heynes aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive zwar nicht ohne eine gewisse Distanz (Schubert [2006], S. 23), zieht sie folgend jedoch wiederholt bei seiner Belegführung heran, vgl. Schubert (2006), S. 310 ff.; eine kritische Würdigung der Arbeiten Heynes bietet Klaus Düwel: Moriz Heynes Werke zur deutschen Sprache und Altertumskunde, in: Göttinger Jahrbuch 54 (2006), S. 67–74. Düwel fasst ein wesentliches Forschungsinteresse Heynes folgendermaßen: „in die Sprache unserer Zeit übersetzt …: Dinge der Sachkultur, deren Herstellungs- und Verwendungsweise zu untersuchen und der sprachlichen Herkunft ihrer Benennungen nachzugehen und deren Bedeutungen aufzudecken. Das Phänomen der Benennungen oder Bezeichnungen ist Gegenstand der Onomasiologie, das der Bedeutungen hingegen und ihrer Veränderungen im Verlauf der Sprachgeschichte ist das Untersuchungsgebiet der Semiasologie. Dabei spielt die Etymologie, die Frage nach der Herkunft, nach den Wortwurzeln – häufig mit der sog. ursprünglichen Bedeutung nicht ganz in eins gesetzt – eine zentrale Rolle“, Düwel (2006), S. 71. Das vielschichtige Forschungsinteresse, das Heyne an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert umtrieb, war damals singulär. Es wurde in Ansatz und Bedeutung weder seinerzeit durch Fachkollegen noch durch die jüngere Wörter- und Sachenforschung angemessen gewürdigt, vgl. Düwel (2006), S. 72 Ein Historiker fasste seine Einschätzung Heynes gegen Ende des 20. Jhs. in folgende Worte: „Dennoch wird man sich Heyne heute nicht ohne weiteres anvertrauen dürfen. Das Verhältnis von Wörtern zu Sachen ist inzwischen problematisch geworden. Heyne glaubte augenscheinlich, der Geschichte der Sprache und der Wörter ohne weiteres auch die Kenntnis der mit Wörtern bezeichneten Sachen entnehmen zu können. Für ihn lagen wortgeschichtliche Befunde, literarische Zeugnisse, gegenständliche Relikte und abbildende Quellen sozusagen auf einer Ebene. Er setzte voraus, daß diese so unterschiedlichen Überlieferungen die einstige Realität in gleicher oder doch ähnlicher Weise repräsentierten, und er fügte ohne die nötige Quellenkritik, ohne die Frage nach der einstigen Funktion und nach der Aussagekraft der so verschiedenen Dokumente, eine Art von Mosaik zusammen – ohne beispielsweise zwischen normativen, politischen und pragmatischen Texten zu unterscheiden“, Hartmut Boockmann: Das Leben in städtischen Häusern um 1500, in: Herrmann (1987), S. 194–206, hier: S. 194
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die darauf bezogene Vorgehensweise des Autors aus heutiger Sicht so sicher wohl durchaus nicht sein dürfte.19 Die überlieferten Zeugnisse altdeutscher Literatur sichteten bezüglich unserer Themenstellung auch Alwin Schultz20 und Willy Pieth21, deren ebenfalls um die vorletzte Jahrhundertwende entstandene, breit angelegte Arbeiten bis in unsere Zeit für kulturgeschichtliche Publikationen herangezogen werden.22 Der positivistische Ansatz, dem beide aus heutiger Perspektive weitestgehend unkritisch folgen, wurde schon vor drei Jahrzehnten als problematisch erkannt: „Denn die meist enzyklopädisch ausgerichteten Werke ziehen literarisches, historisches und kunsthistorisches Quellenmaterial in recht unbekümmerter Weise heran und können, was die Auswertung der Fakten anbelangt, vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, kaum noch befriedigen.“23 Dies Urteil gründet u. a. auf Schultz’ und Pieths überwiegend vertretener Ansicht, dass die in den literarischen Texten beschriebenen Szenen die Realität ihrer Zeit exakt abbildeten. Ferner erlagen sie oft der Versuchung, gelegentlich Erwähntes und Einzelbelege als generell für alle Schichten der Gesellschaft und für das gesamte Mittelalter geltend zu werten.24 Joachim Bumke äußert sich noch anerkennend 19
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Vgl. hierzu Boockmann (1987), S. 194: „Solche Unterschiede machte Heyne nicht, und die ihm nachfolgende kulturgeschichtliche Literatur hat das ebenfalls nicht getan.“ – Als Beispiel mag an dieser Stelle die unter Hinweis auf eine spätmittelalterliche literarische Quelle (Des Teufels Netz) getroffene Aussage Heynes dienen, dass im Mittelalter „Schlachttag … zumal der Samstag (ist), um für den Tag des Herrn Fleisch zu haben“ (Heyne [1901], S. 286). Dies kann angesichts der besonders in Städten bestehenden Nachfrage nach Frischfleisch, der seinerzeit begrenzten Konservierungsmöglichkeiten und darauf bereits im Hochmittelalter abgestimmten Ordnungen für Schlachtung und Verkauf sicher nicht verallgemeinert werden, vgl. z. B. H.-P. Baum s.v. Fleisch, Fleischer in: LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 541 f. Alwin Schultz: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. Bd. I. Leipzig 18892 Willy Pieth: Essen und Trinken im mittelhochdeutschen Epos des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Leipzig 1909 So z. B. bei Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. (dtv 30170). München 200511, S. 824; Karl-Bernhard Knappe: Das Leben auf Burgen im Spiegel mittelalterlicher Literatur, Teil I und II, in: Burgen und Schlösser 15 (1974), S. 1–8 und S. 123–131; Hubert Speckner: Dichtung und Wahrheit im Mittelalter. Das Leben der höfischen Gesellschaft im Spiegel der höfischen Literatur. Wien 1995, passim Renate Roos: Begrüßung, Abschied, Mahlzeit. Studien zur Darstellung höfischer Lebensweise in den Werken der Zeit von 1150–1320. Bonn 1975, S. 14 Vgl. Roos (1975), S. 16 f. und S. 336 f.; wie zählebig sich das Verständnis von mittelalterlicher Dichtung als authentischer Quelle gesellschaftlicher und kultureller Strukturen bis in die jüngste Zeit hält, ist bei Speckner (1995) nachzuvollziehen. Obwohl er die Problematik von idealer und realer Darstellung in der höfischen Epik durchaus diskutiert, lassen Anlage und Ergebnisse seiner Arbeit erkennen, dass er
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über die durch Schultz zusammengetragene, umfangreiche Dokumentation literarischer Fundstellen, schließt dem jedoch an: „Was den Wert der Darstellung beeinträchtigt und was schließlich die Kulturgeschichte alten Stils in Mißkredit gebracht hat, ist die unkritische Interpretation des Belegmaterials. Zwei Verfahrensweisen sind besonders typisch für die methodischen Mängel der Quellenauswertung. Einmal wurde das, was von den Dichtern als merkwürdiger Ausnahmefall erzählt wurde, als etwas damals Übliches dargestellt und zum gesellschaftlichen Normalfall verallgemeinert. Zum anderen blieb der poetische Charakter der meisten Belege unberücksichtigt, so daß in naiver Weise als Wirklichkeit angesehen wurde, was in der Dichtung Teil eines idealisierten Gesellschaftsbildes war.“25 Dass das skizzierte, langlebige ‚Zitationsproblem‘ auch Arbeiten jüngerer Provenienz betreffen kann, lässt sich am Beispiel einer der Arbeiten des Göttinger Agrarhistorikers Wilhelm Abel verfolgen. Er versuchte vor etwa 40 Jahren, den durchschnittlichen Fleischverbrauch im Spätmittelalter zu berechnen. Dabei zog er u. a. bekannte Schätzungen für den Fleischverbrauch in Berlin gegen Ende des 14. Jahrhunderts heran sowie eine Berliner Verordnung vom Beginn des 16. Jahrhunderts, der zufolge Bäckergesellen, die zur Mühle geschickt wurden, vier Pfund Fleisch pro Tag mit auf den Weg gegeben werden sollten.26 Verschiedene Autoren beriefen sich nachfolgend auf Abels diesbezügliche Thesen und verbreiteten so die Ansicht weiter, dass der durchschnittliche Fleischverbrauch der Bevölkerung im ausgehenden Mittelalter sehr hoch gewesen sei.27 Zunehmende Skepsis regte sich diesen Aussagen gegenüber erst etwa zwei Jahrzehnte später,28 freilich ohne die Verbreitung der These nachhaltig eindämmen zu können: „Durch ein im Laufe der Zeit zunehmendes Zitieren von Sekundärquellen wie W. ABELS Arbeiten ohne Berücksichtigung der mageren Primärquellen und ihrer forschen Interpretation werden die hohen Verbrauchszahlen
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den aufgenommenen Beispielen der höfischen Epik (die Werke Heinrichs von Veldeke, Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach) einen uneingeschränkten Zeugniswert zukommen lässt Bumke (2005), S. 15 Vgl. Wilhelm Abel: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Hamburg/Berlin 19662, S. 73 So z. B. auch Montanari (1993), S. 91 und 126; auf S. 91 geht Montanari von einem täglichen Konsum von 400–500 Gramm aus an Tagen, an denen Fastengebote nicht galten; in Anlehnung an Abel auch Hirschfelder (2001), S. 118: „Diese Größenordnung könnte einigermaßen zutreffend sein … Zudem haftet all diesen Schätzungen für das Mittelalter noch ein sehr spekulativer Zug an“ (wie vor) Vgl. z. B. Ulf Dirlmeier: Die Ernährung als mögliche Determinante der Bevölkerungsentwicklung, in: Bernd Herrmann/Rolf Sprandel (Hg.): Determinanten der Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter. (Acta Humaniora). Weinheim 1987, S. 143–154, hier: S. 152 f.
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immer mehr als Realitätsbeschreibungen gewertet, denn als grobe und nicht unbedingt zutreffende Schätzungen, die sie in Wirklichkeit sind. Oftmals werden in einer Arbeit nebeneinander sowohl das im 16. Jahrhundert zunehmend ärmliche Auskommen der Bevölkerung wie auch gewaltige Alltagsmahlzeiten selbst der Tagelöhner, Fronleute und des Gesindes mit riesigen Fleischportionen geschildert, ohne die zwischen diesen beiden Aussagen bestehende Diskrepanz wahrzunehmen.“29 Überraschend ist ferner, dass bisher kaum allgemeinere, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht differenziertere Darstellungen vorliegen, die über zumeist besondere und damit partielle Interessen jeweiliger Fachdisziplinen hinausreichten. Hinsichtlich der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Erforschung des Mittelalters lassen sich zwischen der Bundesrepublik und z. B. Österreich oder der Schweiz bis in das letzte Jahrzehnt hinein durchaus unterschiedliche wissenschaftliche Gepflogenheiten ausmachen: „Wir teilen nicht die Auffassung deutscher Kolleginnen und Kollegen, die verschiedenen Disziplinen hätten je eigene, gesonderte Bereiche des Alltags und vergangener Lebenswelten zum Gegenstand. Denn Material ‚im Baukastensystem‘ einzelwissenschaftlich zu erarbeiten, führt nicht weiter und additives Separatvorgehen erschwert eine Synthese.“30 Zuweilen werden dabei die Interessen und Forschungsstände einzelner Disziplinen als durchaus begrenzt erkannt: „Die bisherige Auseinanderset29
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Haidle (1997), S. 10; vgl. Schubert (2006), S. 104 f., der diese Kritik ebenfalls ausführt und bestätigt: „Schon 1871 stellte Gustav Schmoller die These auf, daß die Menschen im Mittelalter 100kg [Fleisch] pro Kopf verzehrt hätten. Aber das galt ihm als ‚Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit‘, nicht als gesichertes Wissen. Erst durch die Autorität Wilhelm Abels, der nicht verschwieg, daß er kein neues, gesichertes Datenmaterial hatte beibringen können, gewann diese Wahrscheinlichkeit das Ansehen einer gesicherten Lehrmeinung.“ Marlu Kühn/Dorothee Rippmann: Pflanzen in der Ernährung interdisziplinär: Kontraste der Umwelten und sozialen Milieus, Kontraste der Methoden, in: Gerhard Jaritz (Hg.): Kontraste im Alltag des Mittelalters. (Forschungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Diskussionen und Materialien. Nr. 5). Wien 2000, S. 103–141, hier: S. 105 f.; in den vergangenen etwa zwei Jahrzehnten hat es in der deutschen Forschung durchaus verschiedene (kultur-)historische Projekte und Publikationen gegeben, in denen ein Thema aus der Perspektive verschiedener Fachdisziplinen beleuchtet wurde. Sie stellen jedoch nach wie vor eher Ausnahmen dar und können daher die oben zitierte Aussage generell kaum entkräften; vgl. zu interdisziplinären Arbeiten in der Bundesrepublik z. B. Bernd Herrmann (Hg.): Mensch und Umwelt im Mittelalter. Stuttgart 19873 oder Hans-Georg Stephan: Beiträge zur archäologischen Erforschung der materiellen Kultur des hohen und späten Mittelalters im Weserbergland. Funde aus zwei Kloaken in der Altstadt von Höxter, in: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 17 (1986), S. 219–308
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zung der Germanistik mit dem Thema Ernährung ist unbefriedigend. Entweder wurden nur einzelne Texte besprochen, oder es wurde zwar der Hintergrund von Kochbuchtexten durchleuchtet, was sich jedoch nur auf bestimmte Teilaspekte beschränkte … Ein anderes, bei Germanisten, Historikern und Kunstgeschichtlern gleichermaßen beliebtes Thema sind die Tischsitten. Andere Arbeiten wiederum beschränken sich auf eine rein deskriptive Behandlung der mittelalterlichen Ernährungsweise.“31 Auch verschiedene, in den vergangenen Jahrzehnten durch die Forschung unternommene Paradigmenwechsel erweisen sich oft nur bedingt als hilfreich, wenn es um die Erschließung des Lebens der Menschen im Mittelalter, seiner Facetten und seiner Vielfalt geht. Dadurch, dass die germanistische Mediävistik ab etwa Ende der 1960er Jahre vermehrt Fragen nach politischen, gesellschaftlichen und sozialen Kontexten der Literatur des Mittelalters in den Blick nahm, verstehen wir heute mehr über deren historisches Umfeld, Intentionen und manche ihrer Besonderheiten. So kann zur „Frage der Einbettung von Literatur ins geschichtliche Leben und auch zu der Frage, was denn eigentlich Literatur vom geschichtlichen Leben nachträglich erkennen läßt, … die Mediävistik heute womöglich am ehesten verlässliche, d. h. methodisch gesicherte Auskunft geben“.32 Letztlich sind jedoch auch folgend unternommene Versuche, die traditionelle ‚Kulturgeschichte‘ aus der Perspektive z. B. von ‚Lebensformen‘,33 ‚Mentalitätsgeschichte‘34 oder ‚Alltagsgeschichte‘35 neu zu beleben, mit Bezug auf die überlieferten literarischen Quellen des Mittelalters auch aktuell durch
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Doris Aichholzer: „Wildu machen ayn guet essen …“. Drei mittelhochdeutsche Kochbücher: Erstedition, Übersetzung, Kommentar. (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie. Bd. 35). Bern/Berlin/Frankfurt a.M./New York/Paris/Wien 1999, S. 31 f. Eberhard Lämmert: Einführung, in: Heinz Rupp (Hg.): Philologie und Geschichtswissenschaft. Demonstrationen literarischer Texte des Mittelalters. (medium literatur 5). Heidelberg 1977 Vgl. z. B. Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Mit zahlreichen Abbildungen und drei Karten. (Ullstein-Sachbuch Nr. 34004). Frankfurt/M./Berlin 1979 Vgl. z. B. Sabine Tanz: Mentalität und Gesellschaft im Mittelalter: Gedenkschrift für Ernst Werner. Frankfurt/M. 1993 und Peter Dinzelbacher: Europa im Hochmittelalter 1050–1250: eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Darmstadt 2003 Vgl. z. B. Robert Delort: Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie – Methoden – Bilanz der Forschung, in: Mensch und Objekt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Leben – Alltag – Kultur. Internationaler Kongress Krems an der Donau 27. bis 30. September 1988. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte. 568. Band). Wien 1990, S. 53–66 sowie Ernst Schubert: Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander. Darmstadt 2002
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eben deren Grenzen gekennzeichnet.36 Für eine große Zahl von Überblickspublikationen, die vor diesem Hintergrund entstanden, wird festgestellt: „Solche Überblickswerke, die offensichtlich auf Interesse bei Schreibern und Lesern stoßen, erfüllen einen wichtigen Zweck, indem sie das Spektrum alltagsgeschichtlicher Themen und möglicher Aussagen vor Augen führen, sind gleichwohl aber zumindest in der Gefahr, die … theoretischen und methodischen Postulate zu vernachlässigen (vielleicht auch bewußt sich einem solchen Anspruch zu entziehen), da sie sich einer wissenschaftlichen Kritik nur bedingt stellen (und den geforderten Ansprüchen teilweise auch gar nicht genügen wollen).“37 Dass sich überdies manche dieser Überblickspublikationen dort, wo die Quellenlage dürftig oder gar nicht vorhanden ist, bevorzugt des Analogieschlusses bedienen, wurde oben bereits als fragwürdig bezeichnet.38 Diese Bilanz ist mit Blick auf unser Thema insofern überraschend, als mit dem elementaren Bedürfnis der Nahrungsmittelaufnahme erste und die Menschheitsgeschichte stetig durchziehende Motive gezielten Denkens, Planens und Handelns verknüpft sind – vom Sammeln über die Jagd bis hin zum Anbau oder die Erschließung und Sicherung von Nahrungsquellen durch Handel oder gar durch Eroberung. Es tut sich für manche Epochen unserer Geschichte eine merkwürdige Kluft auf zwischen dem, was wir heute über die politischen und, damit oft verbunden, wirtschaftlichen Grundlagen und Entwicklungen verschiedenster Gesellschaften und Regionen weltweit wissen und dem, was Lebensvorstellungen und -wirklichkeiten der in ihnen lebenden Menschen direkt und elementar betraf. In einem Gegensatz scheinen dabei auch die – vordergründige – Banalität des Alltags, repräsentiert auch durch das Essen und Trinken, und die Bedeutung zu stehen, die manche Stimmen gerade diesem menschlichen Handlungs- und Erfahrungsbereich zusprechen: „Der Zwang, sich zu ernähren, also der Hunger, hat die Menschen erfinderischer gemacht, als alle anderen Geschöpfe auf der Erde waren. Der Wunsch, besser zu essen, also der Appetit, wurde zur entscheidenden Triebkraft, die ‚Zivilisation‘ schuf … Um gut essen und trinken zu können, hat sich die Menschheit vieles einfallen lassen. Diese gewaltige Geschichte ist eng mit der Weltgeschichte verknüpft. Es lohnt, sie zu kennen, auch ihre Schattenseiten. Gerade wegen dieser wäre es nützlich, wenn sich mehr Menschen bewußt wären, welche 36 37
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Vgl. dazu unten Abschnitt 2.3 Hans-Werner Goetz: Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorien – Methoden – Bilanz der Forschung, in: Mensch und Objekt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (1990), S. 67–101, hier: S. 92 f. Vgl. oben S. 1 f. mit Anm. 2 und 3
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Vorgeschichte das Essen auf ihrem Teller oder das Getränk in der Tasse oder im Glas hat.“39 Andernorts findet sich das Themenfeld ‚Nahrung‘ in seiner Bedeutung auch für die wissenschaftliche Betrachtung kurz, aber nicht weniger prägnant gefasst als „soziales Totalphänomen“.40 Vor eben diesem Hintergrund hat Ernst Schubert seine zuletzt erschienene Monographie über „Essen und Trinken im Mittelalter“ aus der Fragestellung heraus entwickelt, ob und inwiefern die Ernährungsgeschichte Zugänge zu einer ‚Gesellschaftsgeschichte‘ erst ermöglicht.41 Ihm sind durch seine grundsätzlich interdisziplinär angelegte Studie manche neue Einsichten zu verdanken. Ein besonderes Frageinteresse seiner Untersuchung liegt dabei in einer differenzierteren Darstellung der Ernährung auch des ‚gemeinen Mannes‘, der großen Mehrheit der mittelalterlichen Bevölkerung, die quellenbedingt bisher kaum in den Blick geriet. Diese Bedingtheit der Quellen ist es jedoch, die den Historiker Schubert mit Blick auf das Hochmittelalter oft ausweichen lässt auf Belege aus früheren und späteren Zeiten, so dass auch in seiner vielseitigen Arbeit ‚das Mittelalter‘ etwa vom 6./7. bis in das 16. Jahrhundert hinein reicht. Auch gibt es in seiner schwungvoll formulierten Argumentation einige Widersprüche und Fehlschlüsse, die auf den folgenden Seiten gelegentlich zu beleuchten sein werden. Auf dieser Grundlage rücken nicht nur Fragen nach dem Nahrungsmittel- und Getränkeangebot sowie ihrem Konsum während des Hochmittelalters in das Licht des Interesses. Über rein materielle Grundlagen der Ernährung hinaus gehören hierzu auch Themen wie laizistische Regeln und klerikale Normen, die Produktion, Verarbeitung, Zubereitung, und Konservierung von Lebensmitteln, Überfluss und Mangel, sowie, damit verbunden, mögliche Aussagen zu einer sozialen Differenzierung von Ernährung und Essgewohnheiten. Auch ‚der gedeckte Tisch‘ des Hochmittelalters und gesundheitliche Aspekte der Ernährung (u. a. diätetisches Schrifttum) sind dabei in den Blick zu nehmen. Auf welche Weise dieses vielschichtige ‚Totalphänomen‘ erschlossen werden soll, wird gleich anschließend vorzustellen sein.
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Paczensky/Dünnebier (1999), S. 9 Hirschfelder (2001), S. 17 Schubert (2006), S. 17 ff.
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1.2 Modus operandi Wenn es vorstehend als Defizit angesehen wurde, dass verschiedene Arbeiten zeitlich und räumlich (zu) weit voneinander entfernte Belege heranziehen, um Aspekte des Lebens in ‚dem‘ Mittelalter in ihren Grundzügen und Besonderheiten zu erfassen, bedarf es zunächst einer Definition, welcher Zeit- und welcher geographische Raum den Rahmen der folgenden Untersuchungen bilden. 1.2.1 Zeitlicher und räumlicher Rahmen Obwohl Setzungen in der Art eines ‚von … bis …‘ angesichts der Dynamik historischer Prozesse eine gewisse Willkür anhaftet, sofern die gewählte temporäre Limitierung eines Untersuchungszeitraumes nicht durch den Gegenstand selbst angezeigt ist (z. B. bei Viten, Regentschaften und Herrschaftssystemen, Kriegen, Rechtsformen oder Verträgen), lassen sich für die Betrachtung des Zeitraums von ca. 1000 bis etwa 1300 verschiedene Begründungen anführen. Hinsichtlich der grundlegenden Frage des Nahrungsmittelangebotes sind besonders zwei Faktoren von Bedeutung, die diesen Zeitraum prägen, so dass bei im Einzelnen durchaus möglichen Schwankungen über etwa drei Jahrhunderte hinweg von insgesamt einheitlichen Bedingungen ausgegangen werden darf. Der erste Faktor betrifft das Klima, das für den Zeitraum von etwa 1000 bis 1300 als vergleichsweise günstig, warm und stabil gewertet wird.42 Von den ersten beiden Dekaden des 14. Jahrhunderts an ist eine Verschlechterung der klimatischen Bedingungen in Mitteleuropa nachgewiesen, es wurde im Jahresmittel insgesamt feuchter und kälter, was dazu führte, dass 42
Nachweise dafür wurden u. a. durch die Auswertung aus dem Hochmittelalter stammender Pflanzenreste erbracht, deren Vorkommen und Vergesellschaftung zum einen von Bodenbedingungen, zum andern besonders auch von klimatischen Verhältnissen abhängt, vgl. hierzu Ulrich Willerding: Paläo-enthnobotanische Befunde an mittelalterlichen Pflanzenresten aus Süd-Niedersachsen, Nord-Hessen und dem östlichen Westfalen, in: Karl-Ernst Behre/Harald Lorenzen/Ulrich Willerding: Beiträge zur Paläo-Ethnobotanik von Europa. (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft. Bd. 91). Stuttgart/New York 1978, S. 129–160, hier: S. 146; vgl. auch Hirschfelder (2001), S. 115 sowie H. Jäger, der für die Zeit von 950/1000 bis 1300 von einem klimatischen Optimum ausgeht, das den Mitte des 20. Jhs. gegenüber geltenden Temperaturen eine durchschnittlich um 1°C höhere Temperatur aufwies, in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1214 f. s.v. Klima, hier: Sp. 1215
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sich die landwirtschaftliche Produktion schwieriger gestaltete und dass sich z. B. der zuvor bis weit in den Norden Mitteleuropas nachgewiesene Weinanbau deutlich auf südlicher gelegene Regionen konzentrierte.43 Überdurchschnittliche klimatische Schwankungen oder eine allgemeine Verschlechterung der klimatischen Verhältnisse hatten auf die agrarisch geprägten Gesellschaften der vorindustriellen Zeit erheblichen Einfluss, denn beides wirkte sich u. a. direkt auf deren Versorgungslage aus. Dass diese in der Zeit des Hochmittelalters vergleichsweise stabil war, belegt auch die Zahl zeitgenössischer Berichte über Versorgungskrisen: „Grob gesagt, liegen Krisenverdichtungen in der Zeit vor 1000 und nach 1300, während die dazwischen liegenden Jahrhunderte keine größeren Hungerkrisen gekannt zu haben scheinen.“44 Der zweite, die Zeit zwischen etwa 1000 und 1300 n. Chr. prägende Faktor ist die durch die Menschen in diesem Zeitraum vorgenommene, weit reichende Umgestaltung ihres natürlichen Umfeldes. Bereits vor der Jahrtausendwende begannen umfangreiche Rodungstätigkeiten in den bis dahin weite Teile Mitteleuropas bedeckenden Wäldern. Zum einen wurde Holz in großen Mengen als Baustoff und zur Wärmegewinnung benötigt,45 zum andern musste zur Versorgung einer wachsenden Bevölkerung mehr Ackerland gewonnen und bebaut werden.46 Gleichzeitig kam es zu Innovationen in der landwirtschaftlichen Produktionsweise, z. B. durch die Weiterentwicklung des Pfluges und zur Ausformung der bis weit in die Neuzeit beibehaltenen Dreifelderwirtschaft, durch die im Wechsel der Anbaufolge von Sommer- und Wintersaaten und Brache ein angesichts begrenzter Bodenverbesserungsmöglichkeiten größtmöglicher Ernteertrag erzielt werden konnte.47 Die Expansion der Anbauflächen blieb bis nach Mitte des 13. Jahrhunderts konstant: „Ungefähr ab 1270 kommt das europäische Wirtschaftswachstum zu einem besorgniserregenden Stillstand. Die landwirtschaft43
44 45
46 47
Vgl. Jäger (1991), Sp. 1215 s.v. Klima; siehe auch Regina Wunderer: Weinbau und Weinbereitung im Mittelalter. Unter besonderer Berücksichtigung der mittelhochdeutschen Pelz- und Weinbücher. (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie. Bd. 37). Bern/Berlin/Brüssel/Frankfurt a.M./New York/ Oxford/Wien 2001, S. 19 ff.; zu Folgen der klimatischen Verschlechterung vgl. auch Montanari (1993), S. 85 ff. Dirlmeier (1987b), S. 145 f. Beispiele z. B. für das Abholzen des Harzes und andere ökologische ‚Sünden‘ schon im Hochmittelalter bietet Herrmann (1987) Vgl. Montanari (1993), S. 51 Vgl. Werner Rösener, in: LexdMA Bd. III (1986), Sp. 1377–1381 s.v. Dreifelderwirtschaft
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liche Expansion verlangsamt sich, die Zahl der bebauten Böden nimmt ab“.48 Diese seit der Wende vom ersten zum zweiten Millenium unserer Zeitrechnung vermehrt aktive Gestaltung des Lebensraumes ist ursächlich auch auf politische Prozesse gegründet, die sich auf die Gestaltung von Herrschaft, Raum und Lebensformen auswirkten. Die vorher auf Expansion angelegte kaiserliche Politik wich zunehmend Vorstellungen, die auf eine Stabilisierung des Reiches ausgerichtet waren. Möglich wurde dies dadurch, dass der Norden und der Osten in das christliche Europa integriert wurden und dass der islamische Einfluss in Spanien und Süditalien zunehmend schwand. Da auch die Bedrohung Kontinentaleuropas durch die Normannen seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts kaum mehr bestand, richteten sich die kaiserlichen Aktivitäten nun mehr auf die Stärkung der inneren Strukturen des Reiches und die Sicherung sowie den Ausbau der Landesherrschaft aus.49 Damit ergab sich für den „Adel … die Perspektive, seine eigene Identität aus dem Bewusstsein einer ererbten Stellung in einem als langfristig stabil gedachten Reich zu entwickeln.“50 Dies wiederum bildete nicht nur die Voraussetzung für den Ausbau der adligen Landesherrschaft – und vermehrt auch der Adelssitze selbst –, sondern förderte auch die Entwicklung kultureller Aktivitäten, nicht zuletzt einer volkssprachigen Literatur und Überlieferung, deren Zeugnisse nachfolgend mit herangezogen werden sollen.51 48
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Montanari (1993), S. 85; zu den Folgen, die das labile Verhältnis von Bevölkerungswachstum und Anbaufläche besonders vom 14. Jahrhundert an zeigte, vgl. Wilhelm Abel: Stufen der Ernährung: eine historische Skizze. (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1467). Göttingen 1981, S. 7 ff. Vgl. Klaus van Eickels: Zeitenwende oder Mitte des Mittelalters? Lebensordnungen und Ordnungsvorstellungen im Umbruch des 11. Jahrhunderts, in: Achim Hubel/ Bernd Schneidmüller (Hg.): Aufbruch in das zweite Jahrtausend. Innovation und Kontinuität in der Mitte des Mittelalters. (Mittelalter-Forschungen. Bd. 16). Ostfildern 2004, S. 15–30, hier: S. 19 und 28 f. Eickels (2004), S. 29; die Reichsgeschichte der Zeit der Ottonen, Salier und Staufer bleibt bei den folgenden Betrachtungen weitgehend unberücksichtigt. Deren Entwicklung dürfte sich nämlich, wenn überhaupt, kaum direkt auf die hier interessierende Thematik ausgewirkt haben „Sofern sich die mediävistische Literaturwissenschaft ihrer Nachbardisziplin, der historischen Wissenschaft, geöffnet hat, konnte sie sich ein Verständnis erarbeiten, das den Aufschwung der deutschen (volkssprachigen) Literatur im 12. Jahrhundert im Zusammenhang mit jenem Prozeß begreift, den die Historiker als die Entwicklung zur Landesherrschaft und Territorialstaatlichkeit beschreiben“, Barbara Haupt: Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Epik. (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance. Bd. 14). Düsseldorf 1989, S. 12
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Eine weitere, bis in die heutige Zeit wirkende Entwicklung, die auch die folgenden Betrachtungen berührt, nahm nach der ersten Jahrtausendwende eine besondere Dynamik an: die der Gründung von Städten bzw. der zunehmenden Urbanisierung bestehender, zentraler Orte.52 Dabei wurden seit dem Beginn des 11. Jahrhunderts besonders Bischofsund auch weltliche Herrschaftssitze ausgebaut, oft verbunden mit umfangreicher Bautätigkeit an Kathedralen, Klöstern, Stiften und Hospitälern, in manchen Fällen auch bei der Ummauerung der Dombezirke, ab dem 12. Jahrhundert dann auch der städtischen Siedlungen.53 Innerhalb dieser neuen Siedlungsbereiche entstanden (überwiegend klein-) städtische Gemeinschaften, mit ihnen neue Käuferschichten, deren Bedarf zunehmend auch durch national und teils bereits auch international operierende Handelshäuser gedeckt wurde, und damit auch neue Versorgungsanforderungen. Ernst Schubert nennt neben der Entstehung der Städte und der Ostkolonisation die schon vor der ersten Jahrtausendwende fortgeschrittene Auflösung der Fronhofsverbände (Villikationsverfassung) und die damit einhergehende ‚Verdorfung‘ Mitteleuropas als ein die Geschichte der Ernährung im Mittelalter epochal prägendes Moment.54 Die für diese historischen Prozesse ursächlich entscheidenden Faktoren verortet er besonders in der wachsenden Bevölkerung, deren Ernährungsbedarf ökonomisch, technisch, rechtlich, politisch und auch gesellschaftlich innovative Entwicklungen erzwang. Für Schubert sind es entsprechend nicht vornehmlich die oben skizzierten, weltlichen wie kirchlichen, überstaatlichen oder reichspolitischen Entwicklungen und Entscheidungen, die die Voraussetzungen der die Gesellschaft des Mittelalters prägenden Prozesse bildeten. In eine Kurzformel gebracht, sind für ihn die Fragen nach der Produktion und Distribution von Nahrungsmitteln bei einer wachsenden Bevölkerung gleichsam Motor und Ziel der am Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrtau52
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Vgl. Frank G. Hirschmann: Der Ausbau der Kathedralstädte im frühen 11. Jahrhundert, in: Achim Hubel/Bernd Schneidmüller (2004), S. 73–116 Nachgewiesen ist eine Ummauerung u. a. für Straßburg, Würzburg, Speyer, wahrscheinlich auch Bremen, der Beginn neuer Kathedralbauten u. a. für Bremen, Hamburg, Verden, Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Basel, Salzburg, Würzburg, Magdeburg, Bamberg, Merseburg und Naumburg und der (Neu-)Bau von Klöstern, Stiften und Hospitälern u. a. für Hildesheim, Halberstadt, Minden, Köln, Trier, Würzburg, Eichstätt, Münster, Augsburg und Konstanz, vgl. Hirschmann (2004), S. 36 ff. Schon diese kurze Aufstellung weist darauf hin, dass diese Entwicklungen seinerzeit nicht flächendeckend synchron auftraten. Vielmehr lässt sich schon anhand dieser wenigen Beispiele ein gewisses Süd-Nord- und West-Ost-Gefälle ausmachen Vgl. Schubert (2006), S. 16 ff.
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sends in Mitteleuropa zu verzeichnenden Veränderungen.55 Vom 14. Jahrhundert an sind auch für Schubert verschiedene Zäsuren erkennbar. Zum einen ist es die dann vermehrt einsetzende schriftliche (nicht-poetische) Dokumentation verschiedener Vorgänge, die sich mit unserem Thema befassen und es dem quellenabhängigen Historiker differenzierter erschließbar machen. Zum andern konstatiert Schubert, dass nach 1300 nicht nur der Fernhandel z. B. mit Vieh und Fisch etabliert war,56 sondern auch ein Wandel im Repräsentationsbedürfnis der seinerzeit bereits „trendsetzenden“ höfischen Haushalte festzustellen sei, das sich zunehmend auf Prachtentfaltung konzentrierte.57 Dies brachte auch bisher führende Kreise in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass ab 1300 nachweisbar wird, dass hoch gestellte Persönlichkeiten infolge ihrer Hofhaltung, Prunkentfaltung und damit auch bestehender Verpflichtungen oft und tiefgreifend überschuldet waren.58 Die Folgen dieser Entwicklung erreichten alle soziologisch fassbaren Kreise: „Die Sackgasse am Ende des 13. Jahrhunderts, gekennzeichnet durch ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen Bevölkerung und Ressourcen und das Ende traditioneller extensiver Wachstumsmöglichkeiten führt zu sozialen Verteilungskonflikten auf allen Ebenen.“59 Von den zeitlichen zu räumlichen Abgrenzungen des Untersuchungsgegenstandes. Hier gäbe es Gründe für verschiedene Definitionen und Ansätze, etwa eine Begrenzung auf den südwestlichen Raum mit dem damaligen Herzogtum Schwaben, in dem es literarische Produktion sowie eine Reihe von Burgen, städtischen Siedlungen und Klöstern gab und für das auch verschiedene Ausgrabungsergebnisse vorliegen. Ein solcher Ausschnitt schränkt jedoch eine grundsätzlich für den genannten Zeitraum intendierte Bestandsaufnahme deutlich ein. Der Blick sollte demnach eher auf größer gefasste Räume gerichtet werden. Sie an politischen Grenzen, etwa dem Herrschaftsgebiet des damaligen deutschen Kaisertums festzumachen, wirft – nicht zuletzt wegen der transalpinen Besitzungen – ebenfalls Probleme auf. 55 56 57 58
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Vgl. Schubert (2006), S. 18 ff. Vgl. Schubert (2006), S. 109 ff., S. 131 ff. und passim Vgl. Schubert (2006), S. 276 ff. Vgl. Roger Sablonier: Zur wirtschaftlichen Situation des Adels im Spätmittelalter, in: Adlige Sachkultur des Spätmittelalters. Internationaler Kongress Krems an der Donau 22. bis 25. September 1980. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte. 400. Band). Wien 1982, S. 9–34, hier: S. 9 f.; vgl. auch Peter Uwe Hohendahl/Paul Michael Lützeler (Hg.): Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200–1900. (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 11). Stuttgart 1979 Sablonier (1982), S. 21
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Die hier vorgenommene räumliche Abgrenzung orientiert sich daher etwa an den Grenzen des (mittelhoch- bzw. mittelnieder-)deutschen Sprachgebietes im Hochmittelalter.60 Geographisch begrenzen lässt sich das Gebiet etwa mit den Grenzen des damaligen Herzogtums Sachsen und der späteren Mark Brandenburg im Norden. Im Osten umfasst es Thüringen, Franken, die Ostmark und die Thüringer Mark und die Markgrafschaft Nordgau. Im Süden bzw. Südosten gehören dazu das Herzogtum Bayern, die Mark Österreich und der nördliche Bereich des Herzogtums Kärnten, im Südwesten das Herzogtum Schwaben sowie die östlichen Teile der Herzogtümer Ober- und Niederlothringen. Böhmen und Mähren sowie die transalpinen Gebiete des deutschen Reiches bleiben dabei unberücksichtigt.61 Nach heutigen geographischen Orientierungspunkten wird damit in der Nord-Süd-Ausdehnung etwa das Gebiet zwischen Nordsee und Alpen (diese eingeschlossen) und in der West-Ost-Ausdehnung etwa der Raum vom unteren Rheinland (Niederlande), Lothringen, Luxemburg, dem Elsass, der deutschsprachigen Schweiz und Liechtenstein bis zur Oder erfasst. Damit wird der Untersuchungsbereich im Vergleich zu manchen vorliegenden Darstellungen zwar eingegrenzt, ist geographisch jedoch immer noch sehr ausgedehnt und beherbergte zudem eine Bevölkerung, die nicht nur dem germanischen, sondern – besonders im Nordosten und Osten – auch dem slawischen Kulturkreis angehörte. Es ist nicht zu verkennen, dass die Betrachtung dieses immer noch sehr ausgedehnten Raumes die Gefahr einiger Unschärfen bietet, zumal z. B. die im südwestdeutschen Raum herrschenden Verhältnisse kaum mit den zeitgleich im Oder-Spree-Raum vorfindlichen identisch gewesen sein dürften. Gleichwohl wird dieser Aspekt im Interesse der vorgesehenen Bestandsaufnahme folgend als nachrangig behandelt werden müssen.62
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Vgl. dazu die kartographische Darstellung bei Hermann Paul/Hugo Moser/Ingeborg Schröbler: Mittelhochdeutsche Grammatik. (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte. A. Hauptreihe Nr. 2). Tübingen 197521, Abb. 1 Vgl. hierzu die Karte ‚Mitteleuropa im 10. und 11. Jahrhundert‘ in: Walter Leisering (Hg.): Putzger. Historischer Weltatlas. Berlin/Bielefeld 1984100, S. 42 f. sowie die in demselben Band auf den S. 46 f. abgebildete Karte ‚Mittel- und Westeuropa vom 11. bis 13. Jahrhundert‘ Zu den vielschichtigen, sich auch nicht kontinuierlich vollziehenden Prozessen der Landnahme, des Landesausbaus und kultureller Entwicklungen zwischen Elbe und Oder vgl. ausführlicher z. B. Christian Lübke (Hg.): Struktur und Wandel im Frühund Hochmittelalter. Eine Bestandsaufnahme aktueller Forschungen zur Germania Slavica. (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa. Bd. 5). Stuttgart 1998
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1.2.2 Quellen und Vorüberlegungen zu ihrer Untersuchung Wie zuvor schon skizziert, diente die im Hochmittelalter aufblühende volkssprachliche Dichtung bereits vielen kulturhistorischen Arbeiten als Basis ihrer Darstellungen.63 Wenn auch oft geradezu als ‚Steinbruch‘ genutzt, bieten literarische – hier insbesondere epische – Quellen doch nicht nur Schilderungen dessen, wer im Rahmen einer Handlung was (und ggf. auch warum oder in welchem Kontext) speiste und trank, sondern geben durch Kommentare oder andere Wertungen auch Hinweise darauf, was als alltäglich oder besonders, standesgemäß, schicklich oder unziemlich, auch als geboten oder verboten angesehen wurde. Auch wenn sich nur wenige literarische Quellen ausführlicher mit den Nahrungsmitteln oder -grundlagen, dafür einige sich mehr mit dem Aufwand ihrer Bereitung und Präsentation sowie mit Fragen der Etikette bei Tisch befassen, sind sie schon ihrer Schilderung wegen und aufgrund der in ihnen genannten Speisen und Getränke von Interesse. Wer diese Werke las oder vorgetragen bekam, musste zudem eine Vorstellung von dem haben, was dort jeweils sprachlich wie poetisch gefasst wurde. Es ist daher anzunehmen, dass die realen Entsprechungen der sprachlichen Fassung einem Auditorium oder einer Leserschaft wohl weitgehend bekannt gewesen sein dürften. Vor diesem Hintergrund bilden literarische Quellen nach wie vor eine vielseitige Basis, die auch dieser Arbeit zugrunde gelegt werden soll. Dabei sollen verschiedene Werke der mittelhochdeutschen Dichtung bis 1300 beigezogen werden, die wiederum verschiedenen Gattungen zuzuordnen sind. So finden sich Speiseszenen und/oder Aussagen zum Essen in Trinken in den höfischen Romanen (u. a. in den Werken Hartmanns und besonders Wolframs), in der Heldenepik (z. B. dem Nibelungenlied), in der Maerendichtung (wie beim Stricker), in Kleindichtungen und Liedern (so z. B. des Marners und Neidharts) sowie in religiösen und in didaktischen Werken wie der sog. Tischzuchtenliteratur. Diese – in engerem Sinne poetischen – Quellen sollen, wo sich Bezüge ergeben, durch andere zeitgenössische Quellen ergänzt werden, z. B. durch Schriften der ‚Fachliteratur‘ – z. B. über Gartenbau oder medizinische Trak63
Auch die Dichtung ließe sich zur Begründung des Untersuchungszeitraums heranziehen, setzen (früh-)mittelhochdeutsch verfasste – und überlieferte – Werke doch etwa ab 1050 ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war ‚die‘ Sprache der Litterati – und damit auch dichterischer Produktion – das Lateinische, das als Schriftsprache noch lange überwog und das ganze Mittelalter hindurch in gebildeten Kreisen parallel verwendet wurde, vgl. Heinz Rupp: Deutsche religiöse Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Untersuchungen und Interpretationen. (Bibliotheca Germanica. Bd. 13). Bern/München 19712, S. 278 ff.
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tate –, durch städtische oder kirchliche Verordnungen, Predigten und andere historische Dokumente aus dem kirchlichen sowie aus dem weltlichen Bereich.64 Da das Lateinische in der Schriftsprache der Zeit generell eine wesentliche Rolle spielte, werden auch einschlägige, lateinisch gefasste Quellen berücksichtigt. Dabei wird auch zu beleuchten sein, ob und in wiefern diese Quellen die zeitgenössischen Verhältnisse tatsächlich wiederzugeben vermögen. Da im Hochmittelalter sowohl die Dichtung als auch die Historiographie und sogar Sachtexte darstellerischen Absichten folgen, die sich oftmals mehr an Idealen und einem entsprechenden ‚Soll‘ und weniger an einem vorhandenen ‚Ist-Zustand‘ orientieren, ist in der schriftlichen Darstellung mit verschiedenen Brechungen zu rechnen.65 Diese sollen, wo es belastbare An64
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Auch diese Quellen gehören zu den ‚literarischen‘. Eine belastbare Klassifizierung von mittelalterlichen Schriftzeugnissen gestaltet sich schwierig, denn bis in das 18. Jahrhundert hinein umfasste das Verständnis von Literatur „alle zusammenhängenden schriftlichen Äußerungen, die dem weiten Umkreis von ‚schönen und nützlichen Wissenschaften‘ zuzuordnen waren“, so Bernhard Dietrich Haage im Rahmen definitorischer Überlegungen in: Bernhard Dietrich Haage/Wolfgang Wegener: Deutsche Fachliteratur der Artes in Mittelalter und Früher Neuzeit. (Grundlagen der Germanistik. Bd. 43). Berlin 2007, S. 11. Wie dort weiter ausgeführt wird, ist eine eindeutige Zuordnung bzw. Trennung literarischer Gattungen ein bis heute nicht befriedigend gelöstes Desiderat. Ein Beispiel dafür bietet die frühmhd. ‚Kaiserchronik‘, wohl entstanden bis etwa 1147 in Regensburg und „das erste nach Umfang und Anspruch große deutsche Geschichtswerk. Die Volkssprache unternimmt damit den Versuch, sich einen Bereich zu erobern, der bis dahin allein dem gelehrten Latein vorbehalten war“, so Gisela Vollmann-Profe im Kommentar zu ausgewählten Textpassagen aus diesem Werk in: Frühmittelhochdeutsche Literatur. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Auswahl, Übersetzung und Kommentar von Gisela Vollmann-Profe. (Reclam. Universal-Bibliothek. Nr. 9438). Stuttgart 1996, S. 258. Die ‚Kaiserchronik‘ enthält Geschichte und Geschichten aus der römischen Antike, daneben führt sie aktuelle Ereignisse der Reichspolitik auf und weist dabei dem bestehenden, historisch-politischen Heiligen Römischen Reich eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Dieses Werk lässt sich daher als historiographisch bzw. chronikalisch, religiös sowie auch philologisch relevant aus den je verschiedenen Perspektiven der modernen Disziplinen betrachten. Vergleichbar trifft dies auf das auch um 1150 enstandene mhd. ‚Alexanderlied‘ des Pfaffen Lambrecht zu, das ein anderer Bearbeiter aus dem geistlichen Stand um 1170 fortführte und ergänzte. In diesem sog. ‚Straßburger Alexander‘ werden aus antiken Texten überlieferte historische Angaben zum Leben Alexanders des Großen mit religiösen, besonders auch mit heilsgeschichtlichen Deutungen verwoben und zusätzlich auch bereits in den Rahmen höfischer Formen eingebettet, vgl. hierzu Werner Schröder s.v. Der Pfaffe Lambrecht in: VL Bd. 5 (1985), Sp. 494–510, bes. Sp. 497 ff. Vgl. z. B. Rosemarie Marquardt: Das höfische Fest im Spiegel der mittelalterlichen Dichtung (1140–1240). (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Nr. 449). Göppingen 1985, S. 8 f.
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haltspunkte gibt, identifiziert und aufgezeigt werden. Hierzu bedarf es, da Texte und literarische Tradition zunächst auf sich verweisen, möglicher Vergleichsgrundlagen oder auch Korrektive. Diese bieten sich zunächst in der zeitgenössischen darstellenden Kunst an, die z. B. in illuminierten Handschriften Szenen aus dem Textkorpus in bildliche Darstellungen übersetzte. Wie direkt diese Illuminationen den Texten entsprechen, wie sie ggf. (nur) im Bild mögliche Ergänzungen oder Zusammenfassungen liefern, wird dabei ebenso zu betrachten sein wie Formen der Darstellung, die sich z. B. in typischen Mustern äußern können.66 Darüber hinaus sollen Bilddarstellungen berücksichtigt werden, die nicht in direktem Kontext mit der Illustration zeitgenössischer literarischer Werke standen, jedoch Hinweise u. a. auf die Sachkultur von Tisch und Küche geben können. Auch die plastische Kunst des Hochmittelalters soll hierzu auf Beispiele befragt und daher beigezogen werden. Die artifiziellen und damit immer bewusst gestalteten Darstellungen aus Literatur und bildender Kunst sollen in Beziehung zu den Funden gesetzt werden, die die besonders in den letzten Jahrzehnten aufblühende Archäologie des Mittelalters bei Grabungen in mittelalterlichen Siedlungen hervorbrachte. Das archäologische Fundgut besitzt den Vorteil, nicht bewusst oder etwa mit der Absicht, etwas über Lebensformen und -umstände der Urheber der historischen Hinterlassenschaften preiszugeben, in den Boden gelangt zu sein. Es besitzt damit den Charakter einer hohen Authentizität. Insofern lassen sich aus verschiedenen Befunden archäologischer Grabungen Aussagen dazu erwarten, womit Küchen, Keller und Tische im Hochmittelalter bestückt waren. Über die Nahrungsgrundlagen können dabei Tierknochen- und Pflanzenrestfunde Auskunft geben, über Küchen- und Tischgerät u. a. baukundliche Untersuchungen (die Aussagen z. B. über Herde und Öfen oder Fragen der Wasserversorgung versprechen) sowie besonders auch Sachfunde von Geschirr und Küchenutensilien. Funde von Skeletten, die in das Hochmittelalter datiert werden, können zudem auf pathologische Besonderheiten hin befragt werden, die Hinweise auf die allgemeine Versorgungslage der Bevölkerung und auch auf ernährungsbedingte Mangelerscheinungen geben. Dabei wird auch der Frage der Bewertung dieser Funde nachzugehen sein. Denn auch die genannten archäologischen Fundmaterialien können historische Verhältnisse vielfach nicht in einer ‚faktischen Relation‘ abbilden. So wird zu fragen sein, wo sich dichterische Schilderungen und ar66
Vgl. Sabine Felgenhauer-Schmiedt: Die Sachkultur des Mittelalters im Lichte der archäologischen Funde. (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXXXVIII. Archäologie. Bd. 42). Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993, S. 99ff.
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chäologische Funde entsprechen, wo sie sich ggf. ergänzen und auch, wo sie möglicherweise keine Deckungen aufweisen. Der ständisch gegliederten Gesellschaft des Hochmittelalters entsprechend, sollen dabei die Lebensbereiche des Adels, der ländlichen und städtischen Gesellschaften sowie des Klerus gesondert betrachtet werden. Denn nur so können mögliche Unterschiede in der Ernährung, aber auch in der Tischkultur ermittelt und aufgezeigt werden. Die (stets auch vergleichende) Gesamtschau der drei im Schwerpunkt herangezogenen historischen Quellenbereiche verfolgt das Ziel, ein vielfältigeres und damit möglichst differenzierteres Bild dessen zu entwerfen, was das Essen und Trinken der Bevölkerung des deutschen Sprachgebietes in der Zeit von 1000 bis 1300 ausmachte und kennzeichnete. Dass ein solches Bild kulturgeschichtlich nicht allein auf zeitgenössische poetische, auch nicht auf andere schriftliche Quellen abgestützt werden kann, wurde zuvor bereits skizziert. Daher soll im Folgenden versucht werden, eine Synthese der Ergebnisse verschiedener historischer Disziplinen zu entwickeln, die geleitet wird von einem interdisziplinären Ansatz, wie er etwa in folgender Passage gefasst wird: „Dazu stellt Moreland fest, daß Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte usw. künstliche Schubladen produzieren und ihrerseits Produkte der Geschichte und des modernen akademischen Betriebs sind. ‚They are not naturalisms and bear no relationship to the categories through which people constructed themselves in the past.‘ Nur ein wechselseitiger, ständiger Austausch in allen Phasen der Untersuchung, sozusagen eine verschränkte Arbeitsweise, verspricht einen Erkenntnisgewinn. Nur so werden wir etwa auf ‚Widersprüche in der Überlieferung zwischen Archäologie und Historie‘ aufmerksam, nur so gelingt es wenigstens ansatzweise, Dinge … in ihren Kontext zu stellen und ihre – je nach Situation – verschiedene Bedeutung zu erkennen.“67 Wenn sich die hier geäußerte Kritik dagegen wendet, dass im historischen Kontext Zusammengehöriges durch die verschieden gelagerten Frage- und Untersuchungsinteressen unterschiedlicher akademischer Disziplinen im Nachhinein ‚künstlich‘ zergliedert wurde (und teils auch immer noch wird), soll in dieser Arbeit versucht werden, deren Erkenntnisse so wieder zusammenzuführen, dass zum Thema ein möglichst vielseitiges, besonders jedoch auch ein für den gewählten räumlichen und zeitlichen Horizont zutreffenderes Gesamtbild entworfen werden kann als es viele bisherige Darstellungen zeichnen. Die hier dabei verfolgte Vorgehensweise ist in der kulturgeschichtlichen Forschung grundsätzlich nicht neu. Sie wurde beson-
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Kühn/Rippmann (2000), S. 106
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ders durch die während der letzten etwa drei Jahrzehnte in Österreich forcierte Sachkulturforschung favorisiert: „Nicht zuletzt ist es die Aufgabe der archäologischen Forschung, die Lebensumstände und die verschiedenen sozial bedingten Lebensmöglichkeiten einer bestimmten Zeit aufzudecken. Dies spricht vielleicht den Historiker, der den bewegten Ablauf der Geschichte vor Augen hat, weniger an, ist aber als Quelle zur allgemeinen Kulturgeschichte sicher von Bedeutung, besonders wenn mehrere solcher Zustandsbilder nebeneinander und übereinander gesetzt werden können.“68 Zum Themenkomplex ‚Essen und Trinken‘ liegen kulturgeschichtliche Arbeiten, die die hier gewählten Quellentypen auf einer breiteren Basis für die Zeit des Hochmittelalters gleichsam als Folien nebeneinander und übereinander legen, bisher jedoch nicht vor.69 Durch diese Arbeit soll daher ein Beitrag geleistet werden, diese Lücke zu schließen.
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Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 19 Diesen Anspruch erfüllt, obwohl ihr Titel es vermuten lässt, auch die umfänglich angelegte Publikation von Schubert (2006) nicht. Dort werden poetische Quellen des Hochmittelalters kaum beleuchtet, bildliche Quellen besonders des Spätmittelalters beigezogen, und manche seiner Blicke auf archäologische Quellen sind wie einige seiner Urteile über deren mögliche Aussagen eher flüchtig. In den folgenden Kapiteln wird auf entsprechende Beispiele näher einzugehen sein
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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2. Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur 2.1 Mittelalterliche Erzählstoffe und ihre Tradition – wie weit wirkten die Vorlagen? Gern gestalteten mittelalterliche Autoren ihre Texte nach dem Muster von (schon bestehenden) Vorlagen. Antike Erzählstoffe, biblische Motive, Heldensagen oder höfische Epik des romanischen Sprachraums: ganze Stoffe oder einzelne ihrer Motive wurden wieder oder neu aufgenommen und ins Mittelhochdeutsche übertragen. Wenn diese literarischen Stoffe auf ihre Darstellung von Szenen befragt werden sollen, die unser Thema betreffen, stellt sich angesichts dieser Erzähltradition die Frage, in welchem Grad der Abhängigkeit von Quellenvorgaben mittelalterliche Autoren ihre Werke gestalteten, in welcher Weise die Tradition der Vorlagen einer (kritischen?) Veränderung unterlag. Waren die Dichter bemüht, die Erzählung und ihren gestalterischen Rahmen unabhängig von ihren Vorlagen so zu entwickeln, dass sich in ihnen Aspekte der für ihre Zeitgenossen erfahrbaren Lebenswelt spiegelten? Oder übertrugen sie lediglich durch ihre Quellen determinierte Sachverhalte in die ihnen geläufige Sprache, so dass sich in ihren Werken letztlich der Ausdruck anderer Kulturen abgebildet findet, die aufgrund ihrer historischen und/oder geographischen Ferne kaum auf die den Zeitgenossen bekannten Umstände und Vorstellungen schließen lassen?1 1
Dies könnte vielleicht auf die Geschichte der ehren- und tugendhaften Lucretia zutreffen, die auf die Spätantike zurückgeht und wohl als Beispiel für eine vorbildliche Haltung in die frühmittelhochdeutsche ‚Kaiserchronik‘ aufgenommen wurde, vgl. Frühmittelhochdeutsche Literatur (1996), S. 104 ff. – Lucretia wird von ihrem Gatten, der seinem König beweisen will, dass sie über eine ausgesprochen noble Haltung verfügt, auf die Probe gestellt: der Gatte kommt – mit seinem inkognito reisenden König als Gast – heim, Lucretia bewirtet die beiden. Als ihr Gatte sie auf die Probe stellt und durch grobes Benehmen provoziert – er schüttet ihr absichtlich Wein ins Gesicht über über ihre Kleider – nimmt Lucretia dies ohne Regung hin, wechselt ihre Kleider und bedient ihren Gatten und seinen mitgebrachten Gefährten aufmerksam weiter. Als der Gast dieser Szene – der König – später selbst heim kommt und seine Königin bittet, ihm zu essen und zu trinken zu besorgen, wird er von ihr schroff abgewiesen, vgl. S. 114 ff., V. 4477 ff.
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Für den Bereich der mittelalterlichen Sach- und Fachliteratur lässt sich feststellen, dass sich dort Sachverhalte beschrieben finden, die ganz offensichtlich nicht einem realen Erfahrungsbereich entsprachen und deren Darstellung deshalb recht eindeutig auf den Einfluss der Quellen und auch besonderer Intentionen zurückzuführen ist, die auf die Autoren wirkten.2 Ob und in welchem Umfang dies auch für die Übersetzungen und Bearbeitungen erzählender Dichtung gilt, soll nachfolgend an einem ausgewählten Beispiel geprüft werden: an Hartmanns ‚Erec‘. 2.1.1 Chrétien von Troyes: ‚Erec et Enide‘ / Hartmann von Aue: ‚Erec‘ 2.1.1.1 Zur Quellenfrage Die Frage nach der Vorlage bzw. den Vorlagen des ‚Erec‘ Hartmanns von Aue wurde in der Fachwelt oft diskutiert.3 Demnach zeigt Hartmanns Fassung neben Übereinstimmungen mit dem chrétienschen Text auch deutliche Ähnlichkeiten mit dem in einer Fassung aus dem 14. Jahrhundert
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Stellvertretend für viele andere Beispiele finden sich z. B. in den Schriften Hildegards von Bingen aus dem 11. Jh. oder des Kölner Klerikers Albertus Magnus aus dem 13. Jh. Belege dafür, dass diese sonst geradezu wissenschaftlich vorgehenden Autoren gelegentlich ins Fiktionale abgleiten. So, wenn sowohl Hildegard als auch Albertus vom Löwen und vom Kamel sprechen. Beide dürften sie aus eigener Anschauung kaum gekannt haben; vgl. Car. Daremberg/F. A. Reuss (Hg.): S. Hildegardis Abbatissae Subtilitatum Diversarum Naturarum Creaturum Libri Novem, in: S. Hildegardis. Opera Omnia, Ad Optimorum Librorum Fidem Edita. (Migne Patrologiae Cursus Completus. Series Latina. Bd. 197). Paris 1855, S. 1117–1353, hier: De Camelo (S. 1313) und De Leone (S. 1314 ff.); ferner Peter Amelung (Hg.): Albertus Magnus / Daraus man alle Heimligkeit deß Weiblichen geschlechts erkennnen kann / Deßgleichen von ihrer Geburt / sampt mancherley artzney der Kreuter / auch von der tugendt der edlen Gestein und Thier / … Faksimileausgabe des Frankfurter Druckes von 1581 ‚Durch Johannem Schmidt in Verlegung Sigmund Feyerabends‘. Stuttgart 19772, Bl. 32v Kamel Thier und Bl. 33vf. Von dem Loewen Hier nur eine Auswahl von Arbeiten zu diesem Thema: Pentti Tilvis: Über die unmittelbaren Vorlagen von Hartmanns ‚Erec‘ und ‚Iwein‘, Ulrichs ‚Lanzelet‘ und Wolframs ‚Parzival‘, in: Neuphilologische Mitteilungen 60 (1959), S. 29–65 und S. 129–144; Siegfried Gutenbrunner: Über die Quellen der Erexsaga, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 190 (1954), S. 1–20; Herbert Drube: Zur Quellenfrage des Erec, in: ders.: Hartmann und Chrétien. (Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 2). Münster 1931, S. 103–114; Gustav Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. (Handbuch des deutschen Unterrichts an höheren Schulen. Bd. 6, Teil 2,2. 1. Hälfte). München 19542, S. 163–167 mit weiterer Literatur
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überlieferten kymrischen Mabinogi ‚Gereint‘ und der nordischen ‚Erexsaga‘.4 Den Ausführungen Herbert Drubes zufolge beziehen sich derartige Parallelen jedoch nicht auf die im Folgenden beleuchteten Szenen.5 Die Problematik einer möglicherweise rheinischen Überlieferung, die Hartmann bei der Abfassung seines Werkes zur Verfügung gestanden haben könnte, bleibt hier unberücksichtigt.6 Die Wolfenbütteler Fragmente aus dem 13. Jahrhundert, die einen möglicherweise vom hartmannschen Vorbild unabhängigen Text bilden, enthalten keine für die hier aufgeworfene Fragestellung relevanten Szenen.7 Demnach ist bei der Beleuchtung der Texte Chrétiens und Hartmanns Kurt Ruh in seiner Ansicht zu folgen, „daß wir Hartmanns höfische Epik nur an und mit Chrétien messen dürfen. Dessen ‚Erec‘ und ‚Yvain‘ sind nicht nur Stoffquellen gewesen, sondern auch Vorbilder.“8 Wie ging nun Hartmann mit seiner aus Frankreich stammenden Vorlage um, wenn er sie einem deutschen Publikum nahe bringen wollte? 2.1.1.2 Vergleich der Texte Chrétiens und Hartmanns Mit Blick auf die vorliegende Fragestellung werden folgend nur diejenigen Szenen betrachtet, die zum thematischen Bereich ‚Essen und Trinken‘ gerechnet werden können. Andere Schilderungen, die auf inhaltlich übereinstimmende oder differierende Bearbeitungen verweisen können, so z. B. die von Kleidung, Armierung oder Raumausstattung, werden hier nicht berücksichtigt. In der höfischen Epik, zu der der ‚Erec‘ rechnet, sind es besonders Festund Bewirtungsszenen, bei denen Speisen, Getränke, die Tafel und das Verhalten bei Tisch in den Blick von Autor und Zuhörer- oder Leserschaft 4
5 6
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Vgl. dazu Christoph Cormeau s.v. Hartmann von Aue. IV ‚Erec‘ in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 506–509, hier: Sp. 508 Vgl. Drube (1931), S. 103 ff. Vertreten wurde diese Möglichkeit vor allem von Gutenbrunner (1954), der eine um 1170 entstandene rheinische Fassung ansetzte, vgl. Kurt Ruh: Höfische Epik des deutschen Mittelalters. Teil 1: Von den Anfängen bis zu Hartmann von Aue. (Grundlagen der Germanistik 7). Berlin 19772, bes. S. 110; s. auch Cormeau (1981), Sp. 508 Die dort überlieferten Teilstücke der Galoein- und der Guivreiz-Episode schildern keine Speiseszenen, vgl. dazu den Textabdruck bei Kurt Gärtner: Der Text der Wolfenbütteler Erec-Fragmente und seine Bedeutung für die Erec-Forschung, in: PBB (W) 104 (1982), S. 207–230, bes. S. 212–225 und Fortsetzung in PBB (W) 104 (1982), S. 359–430, bes. S. 369 ff.; vgl. auch Eberhard Nellmann: Ein zweiter Erec-Roman? Zu den neugefundenen Wolfenbütteler Fragmenten, in: ZfdPh 101 (1982), S. 28–78 Ruh (1977), S. 111
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rücken.9 Die Ausgestaltung dieser Szenen bei Chrétien und durch Hartmann wird nun gegenübergestellt. Kurze Erläuterungen sollen dabei die Szenen mit dem Handlungsablauf verknüpfen. Am Beginn der Handlung steht ein Eklat am Artushof. Der Zwerg des Ritters Iders hat eine Hofdame der Königin Ginover geschlagen. Um für diese Beleidigung Genugtuung zu fordern, folgt Erec dem Ritter und seinem Zwerg. Er gelangt auf dieser Fahrt zum Haus des verarmten Edlen Koralus. Dort wird er ausgesprochen freundlich und mit allem, was das Haus zu bieten hat, empfangen. Bei Chrétien heißt es dazu:10 Li vavasors sergent n’avoit for un tot seul qui le servoit, ne chanberiere ne meschine; cil atornoit an la cuisine por le soper char et oisiax. De l’atorner fu molt isniax, bien sot aparellier et tost char cuire et an eve et an rost. Quant ot le mangier atorné tel con l’an li ot comandé, l’eve lor done an deus bacins; tables, et napes, et bacins, fu tost aparellié et mis, et cil sont au mangier asis; trestot quanque mestiers lor fu, ont a lor volanté eü.
(V. 485 ff.)
In der Übersetzung wird diese Passage wie folgt wiedergegeben: „Der Edelmann [i.e. Koralus, d.Verf.] verfügte nur über einen einzigen Diener für sich selbst [486] und über kein Kammermädchen und keine Zofe; der eine Diener bereitete in der Küche Fleisch und Geflügel für das Abendessen zu. Er war darin sehr gewandt [490] und verstand es wohl, Speisen anzurichten und schnell Fleisch in Wasser zu kochen oder zu braten. Als das Essen fertig war, wie man es ihm befohlen hatte, brachte er ihnen Wasser in zwei 9
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Vgl. Heinz Bodensohn: Die Festschilderungen in der mittelhochdeutschen Dichtung. (Forschungen zur deutschen Sprache und Dichtung 9). Münster 1936, bes. S. 1–4 und S. 15 ff.; vgl. grundlegend auch Roos (1975) Zitiert wird nach der Ausgabe mit der Übersetzung von Albert Gier: Chrétien de Troyes. Erec et Enide. Erec und Enide. Altfranzösisch/deutsch. (Reclam. UniversalBibliothek. Nr. 8360 [6]). Stuttgart 1987
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Becken; [495] Tische, Tischtücher und Platten waren rasch zur Hand und bereitgestellt, und die drei setzten sich zum Essen; sehr schnell erhielten sie wunschgemäß alles, was sie brauchten [500]“.11 In der Version Hartmanns liest sich diese Passage nach gleicher Vorgeschichte folgendermaßen:12 ouch was dâ ritters spîse: swes ein man vil wîse möhte in sînem muote erdenken ze guote, des heten si die überkraft und volleclîche wirtschaft, doch mans ûf den tisch niht truoc. in gap der reine wille genuoc den man dâ ze hûse vant.
(V. 386 ff.)
Dort (im Hause von Koralus) gab es auch ein eines Ritters würdiges Essen: all das, was sich ein sehr kluger Mensch in seiner Phantasie ausmalen könnte, das hatten sie in übergroßer Fülle13 und in völlig ausreichender Bewirtung.14 Jedoch trug man das alles nicht auf den Tisch. Der gute Wille, den man dort im Hause vorfand, gab ihnen vielmehr genug her.15 Zwar wird auch bei Chrétien der Hausstand des Koralus als ärmlich beschrieben,16 doch verfügt dieser verarmte Edelmann immerhin noch über einen Bedienten, der in der Küche schnell ein Abendessen bereitet,
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Gier (1987), S. 31 Zitiert wird nach der Ausgabe Erec von Hartmann von Aue. Herausgegeben von Albert Leitzmann, fortgeführt von Ludwig Wolff. Sechste Auflage besorgt von Christoph Cormeau und Kurt Gärtner. (ATB 39). Tübingen 1985 Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1634 s.v. überkraft: „überlegene kraft, übermacht, oberhand, übergrosse fülle“ Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 934 f. s.v. wirtschaft: „tätigkeit des hausherrn …, des wirtes, schenkwirtes, … bewirtung u. was zur bewirtung gehört, gastmahl, gasterei, schmaus, überh. fest, festl. freude“ Es wird hier nicht der ‚Erec‘-Übersetzung Cramers gefolgt, dessen hochdeutsche Wiedergabe an verschiedenen Stellen recht ungenau ist, vgl. Thomas Cramer: Hartmann von Aue. Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. (Fischer Taschenbuch. Bücher des Wissens 6017). Frankfurt/M. 1980 Bei ihm heißt es: un vavasor auques de jorz; mes molt estoit povre sa corz;
(V. 375 f.)
Erec sieht „einen schon bejahrten Edelmann auf der Treppe vor seinem Haus …; [375] sein Haushalt wirkte freilich sehr ärmlich“, Gier (1987), S. 25
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und zwar (Koch-/Kessel-)Fleisch und auf dem Rost gebratenes Geflügel. Auch an einem Tisch, Tischtüchern und an einer angemessenen Bedienung beim Mahl (Reichen von Wasserbecken zum Reinigen der Hände) fehlt es nicht. Chrétien vergisst nicht zu bemerken, dass von allem Nötigen so viel vorhanden gewesen sei wie die Tafelnden wollten. Auch wenn Koralus als ärmlich bezeichnet wird, finden sich in dieser Szene fast komplett diejenigen Merkmale, die für höfisches Speisen und Verhalten kennzeichnend sind. Auf diese Merkmale wird unten noch näher einzugehen sein.17 Ganz anders fasst Hartmann die Szene: ein Diener fehlt dort, und all das, was man sich an schönen Speisen ausdenken kann, kommt in seiner Version gerade nicht auf den Tisch. Hausherr und Gast müssen sich mit dem redlichen Willen des Gastgebers begnügen, seinen Besucher angemessen zu beköstigen. Ob überhaupt etwas hätte angeboten werden können, geht aus dieser Stelle nicht hervor, und eine gewisse Behaglichkeit, mit der Chrétien die Atmosphäre beschreibt, steht Hartmanns Ausführungen vollkommen fern. Für ihn ist es die besondere Haltung des Gastgebers, die den Gast für die fehlende Beköstigung offenbar vollkommen entschädigt. Nicht nur seiner Vorstellung des verarmten, aber edlen Koralus mag diese ‚Anstatt‘-Darstellung besser entsprochen haben.18 Die nächste Speiseszene findet sich im Zusammenhang der Hochzeitsfeierlichkeiten für Erec und Enite, Tochter des Koralus. Erec hat inzwischen den Ritter Iders besiegt und den im Turnier ausgesetzten Sperberpreis für Enite, seine Dame, gewonnen. Mit dem schönen Mädchen kehrt er darauf hin an König Artus’ Hof zurück, wo beide freundlich empfangen werden. Bald darauf wird ihr Hochzeitsfest prachtvoll ausgerichtet. Von allen Vergnügungen finden sich dort die ausgewähltesten. Bei Chrétien heißt es:
17 18
Vgl. unten Abschnitt 2.2.2 Es können sich hinter dieser Abweichung von Chrétiens Darstellung auch andere Motive verbergen, so etwa das dichterische Bestreben, der Situation von Koralus eine humorvolle Sicht zu verleihen oder sonst übliche Vorstellungen einer ritterlichen Bewirtung ironisch zu hinterfragen (und somit auch zu kritisieren?). Auch wäre es interessant zu beleuchten, ob es sich mit Bezug auf ritterliche Tugenden wie z. B. Bescheidenheit hier um ein bewusst zur Schau gestelltes ‚Understatement‘ handeln könnte. Da es an dieser Stelle jedoch besonders um den Vergleich der altfranzösischen Vorlage zu ihrer mittelhochdeutschen Übertragung geht, wird dem hier nicht weiter nachgegangen
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Li roi Artus ne fu pas chiches: bien comanda as penetiers et as queuz et aus botelliers qu’il livrassent a grant planté, chascun selonc sa volanté, et pain et vin et veneison; nus ne demanda livreison de rien nule que que ce fust qu’a sa volanté ne l’eüst.
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(V. 2006 ff.)
„König Artus war nicht geizig; er befahl denen, die das Brot brachten, den Köchen und den Kellermeistern, alles im Überfluß zu reichen, jedem soviel er wollte, [2010] Brot, Wein und Wildbret; niemand verlangte dort etwas, dem sein Wunsch nicht erfüllt worden wäre, was immer es auch sein mochte.“19 In Hartmanns ‚Erec‘ heißt es nach gleichem Handlungsvorlauf in den Versen 2129 ff.: dâ was sô manec ritter guot daz ich iu ze einer mâze wil sagen von ir vrâze: wan si ahten mêre ûf ander êre danne daz si vræzen vil. dâ von ich iu kurze wil gesagen von der wirtschaft. dâ was alles des diu überkraft des liute und ros solden leben: des wart in âne mâze gegeben, wan daz man des næme als es menneclîch zæme. bûhurt, tanzen huop sich hie, sô der imbîz ergie, unde werte unz an die naht. Es gab dort so viele vortreffliche Ritter, dass der Erzähler lediglich in beschränktem Umfang20 von ihrer Schlemmerei21 berichten will: denn sie ach19 20 21
Gier (1987), S. 115 und 117 Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 1036 f. s.v. ze, zuo Diese Übersetzung scheint die treffendste (vgl. dagegen Cramer [1980], Übersetzung zur Stelle), da die anderen Begriffe negativ konnotiert oder weder festlich noch ‚höfisch‘ scheinen; vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 492 s.v. vrâz: „das essen, fressen, gefrässigkeit, schlemmerei“
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teten mehr auf andere angemessene Verhaltensweisen als dass sie viel verzehrt22 hätten. Deshalb will ich euch (nur) kurz von der Bewirtung23 erzählen. Es gab dort von Gut und Vorräten aller Art24 alles, wovon Menschen und Pferde leben; davon gab man ihnen ohne Maß. Gewiss nahm man davon jedoch nur so viel,25 wie es sich für die ritterliche Verhaltensweise26 ziemte. Das Turnieren und das Tanzen begannen dann, als das Essen27 vorbei war, und dauerten bis zur Nacht an. Auch diese Szene wird von Hartmann anders beschrieben als in seiner Vorlage. Chrétien erwähnt, dass Brot, Wein und Wild in großen Mengen ausgeteilt wurden und geht auf die ‚höfischen‘ Verhaltensweisen auch insofern ein, als jede Bitte dem Wunsch gemäß aufmerksam und treulich erfüllt wurde. Hartmann hingegen lässt Beschreibungen dessen, was bei diesem Hochzeitsfest auf den Tisch kam, ganz fehlen. Er erwähnt lediglich, dass von allen guten Dingen viel vorhanden war und freigebig verteilt wurde (dass auch die Pferde dabei nicht vergessen werden, ist ein bemerkenswerter Zusatz). Hartmann kommt es mehr als auf Tafelfreuden wohl darauf an, dass Verhaltensweisen, die eine gesittete Gesellschaft charakterisieren, korrekt eingehalten werden. Gleich zweimal wird das in seiner Szene angesprochen. Den Gästen war mehr daran gelegen, gutes Betragen – hier Zurückhaltung oder Beherrschung (mâze) – zu zeigen, als dass sie sich ausgiebig an einer Schlemmerei beteiligt hätten (V. 2132 ff. und 2140 f.). Die nächste Textpassage, in der Speisen Erwähnung finden, steht im Zusammenhang der Galoein-Episode. Nachdem Erec durch die Selbstvorwürfe seiner Frau darauf aufmerksam wird, dass sein aktueller Lebenswandel – ein Zustand dauernder Flitterwochen – demjenigen eines Ritters nicht gemäß ist, brechen er selbst und Enite von seinem Königshof aus auf, um âventiure zu suchen. Während Erec und Enite bei Chrétien von Erecs Vater, König Lac, und der Hofgesellschaft verabschiedet werden (vgl. die V. 2742 ff.) und deutlich wird, dass die beiden wohl länger ausbleiben werden, hat ihr Ausritt bei Hartmann eher den Charakter eines Tagesausflugs. 22
23 24
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Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 107 s.v. verezzen, vrezzen: „aufessen, verzehren, fressen (von menschen und tieren)“ Vgl. oben S. 31 Anm. 14 Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1701 f. s.v. kraft: „menge, fülle, … als auch von gut und vorräten aller art …, oft nur einen gen. umschreibend od. verstärkend“ Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 667 s.v. wan: „adv. u. conj. … negat. beschränkung eines posit. satzes oder satzgliedes: ausgenommen, ausser, nur nicht“ Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 2033 s.v. man-, menlich: „männlich, … dem manne geziemend, mutig, tapfer“ Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1429 s.v. inbîz: „essen, imbiss, mahlzeit“
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35
Es gibt keine bei längerem Fortbleiben übliche Verabschiedung, und Erec lässt noch eine Botschaft in die Küche senden und den Köchen bestellen, sie möchten sich darauf einrichten, das Essen bereit zu halten, sobald er und seine Frau zurückkehrten: gein küchen sande er zestunt daz man den köchen tæte kunt daz si des war næmen, swie schiere daz si kæmen, daz in daz ezzen wære bereit.
(V. 3088 ff.)
Dieser Zug fehlt bei Chrétien. Nachdem Erec auf dem Ritt schon mehrere Gefechte siegreich bestritten hat (zunächst gegen drei, dann gegen fünf Räuber), treffen Enite und er auf einen Knappen, der sich auf dem Weg zu den Feldern des Ritters Galoein befindet. Chrétien lässt diesen Knappen in Begleitung zweier Diener erscheinen: o lui venoient dui vaslet qui portoient et pain et vin et cinc fromages de gaïn
(V. 3120 ff.),
„ihn begleiteten zwei Diener, [3120] die Brot, Wein und fünf Fettkäse trugen“.28 Der Knappe erkennt schnell, dass die beiden Reisenden, die ihm aus dem Wald entgegen kommen, hungrig und durstig sein dürften und bietet ihnen von den mitgeführten Vorräten an: De cest blanc gastel vos revest, s’il vos plest un po a mangier. Nel di pas por vos losangier; li gastiax est de boen fromant, ne rien nule ne vos demant; boen vin ai et fromage gras, blanche toaille et biax henas; s’il vos plest a desgeüner, ne vos covient aillors torner.
28
(V. 3140 ff.)
Gier (1987), S. 177; Hartmann dagegen sagt, dass er nicht wisse, für wen die Sendung des Knappen bestimmt sei: … wem diz wart gesant, des enist mir niht geseit.
(V. 3497 f.)
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„Diesen weißen Kuchen will ich Euch verehren, [3140] wenn Ihr gern etwas essen wollt. Ich sage das nicht, um Euch zu schmeicheln – der Kuchen ist aus gutem Weizen, und ich verlange nichts dafür. Ich habe guten Wein und fetten Käse, [3145] ein weißes Tischtuch und schöne Trinkschalen; wenn Ihr einen kleinen Imbiß nehmen wollt, braucht Ihr nicht weiter zu suchen.“29 Die Reisenden nehmen dankbar an und werden von dem Knappen aufmerksam bedient.30 Auch bei Hartmann erscheint der Knappe, jedoch allein. Die Vorräte, die er mit sich trägt, sind andere als bei Chrétien: gesoten schultern unde brôt, gewunden, als man im gebôt, und bewart ze vlîze in eine tweheln wîze: ein kandel vuorte er an der hant mit wîne …
(V. 3492 ff.)
Bei sich hat er einen gekochten Vorderschinken und Brot, wie man es ihm geboten hatte, eingewickelt und sorgfältig verwahrt in einem weißen Tuch. In der Hand trug er eine Kanne mit Wein. Auch bei Hartmann bietet der Knappe den Reisenden die mitgeführten Speisen an, die sie ebenfalls annehmen. Der Knappe bedient sie aufmerksam, und im Vergleich zu der Darstellung bei Chrétien vergisst er nicht, sich nach Wasser zum Reinigen der Hände umzusehen: sînen huot nam er in die hant und gienc dâ er wazzer vant. in beiden er sô vil truoc daz man die hende getwuoc. die tweheln leite er ûf daz gras, dar ûf die spîse diu dâ was, vleisch brôt unde wîn: es enmohte nie mêre sîn.
(V. 3548 ff.)
Danach breitet er das Tuch auf dem Gras aus und legt darauf das Fleisch, Brot, und auch der Wein wird dort platziert. Bemerkenswert ist Hartmanns Kommentar in der letzten Zeile: auf gar keinen Fall hätte es mehr geben können, eine bei höfischen Festtafeln gängige Floskel, die zu dieser Szene am Wegesrand nicht so ganz passen will, 29 30
Gier (1987), S. 179 Vgl. V. 3155 ff. sowie die Übersetzung Giers (1987), S. 179 und 181
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wenn er sich in seiner Version der Episode sonst deutlich von Chrétiens Darstellung absetzt. In der französischen Vorlage ist der Knappe, der unterwegs ist, gleichsam mit einer kompletten Picknick-Ausstattung versehen, die auch höheren Ansprüchen genügt. Dazu gehören Tischtücher und schöne Becher (jeweils in Mehrzahl!), und auch (feines) Gebäck31 aus Weizen (‚Herrenspeise‘), (fetter und damit gehaltvoller) Käse und Wein sind im Gepäck. Vielleicht lässt Chrétien den Knappen in Begleitung erscheinen, weil der Knappe allein diese Fracht wohl kaum hätte tragen können? Hartmanns Darstellung weist in Richtung einer durchaus angemessenen, jedoch eher zünftigen ‚Brotzeit‘ am Wegesrand. Entsprechend gestaltet er Personal, Kulisse und ‚Requisiten‘. Angesichts dieser deutlichen Änderung seiner Vorlage ins Schlichtere, gar Rustikale wirkt die abschließende, ganz in das höfische Umfeld weisende Formel merkwürdig. Nach einem unerfreulichen Zusammentreffen mit dem Ritter Galoein und einem erfreulicheren mit seinem Standesgenossen Guivret treffen Erec und Enite in einem Wald auf das Lager von König Artus, der sich auf der Jagd befindet. Erecs Wunden aus den vergangenen Kämpfen werden dort notdürftig versorgt. Anschließend lädt Artus zum Essen. In der altfranzösischen Version gestaltet sich dies folgendermaßen: ne remanroie en nule guise. Or lessiez la parole ester, et si comandez aprester le souper et les tables metre»; Li vaslet s’an vont antremetre; ce fu un samedi a nuit qu’il mangierent poissons et fruit, luz et perches, saumons et truites, et puis poires crües et cuites.
(V. 4232 ff.)
Erec lehnt die Einladung des Königs, länger zu bleiben, ab und sagt: „ … um keinen Preis würde ich bleiben. Hört jetzt auf, davon zu reden, und befehlt, das Abendessen zu bereiten und die Tische aufzustellen! [4235] Die Knappen gehen schon, sich darum zu kümmern; es war ein Samstagabend, als sie Fische und Früchte aßen, Hechte und Barsche, Lachse und Forellen, dann rohe und gekochte Birnen.“32 31
32
Dass unser heutiges Verständnis von ‚Kuchen‘ als Feingebäck für das Mittelalter nicht zutrifft, hat Annemarie Wurmbach deutlich gemacht, vgl. dies.: Kuchen – Fladen – Torte. Eine sachkundliche Untersuchung, in: Zeitschrift für Volkskunde 56 (1960), S. 20–40 Gier (1987), S. 239
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Hartmann dagegen lässt es hier an allen kulinarischen Ausführungen fehlen: doch handelten si die naht volleclîche nâch ir maht die werden geste und sô si kunden beste.
(V. 5256 ff.)
Doch bewirteten33 sie die vornehmen Gäste den ganzen Abend über nach ihrem besten Vermögen und wie sie es am besten konnten. Dafür lässt Hartmann den König, durch Erecs frühen Aufbruch am anderen Morgen bedingt, anders als Chrétien ein Frühstück einnehmen: nû enbeiz der künec durch in vruo.
(V. 5274, vgl. Chrétien V. 4253 ff.)
Erec und Enite brechen auf und bestehen ein weiteres Abenteuer, als ein übler Graf den ohnmächtigen Erec und die widerstrebende Enite auf seine Burg Limors bringt. Enite soll zur Heirat mit ihm gezwungen werden. Rechtzeitig jedoch erwacht Erec und kann seine Frau befreien. Sie verlassen das ungastliche Limors und treffen auf ihrem Weg ihren Bekannten Guivret (mhd. Guivreiz), der die beiden zur Erholung von den erlittenen Strapazen zunächst in sein Zeltlager, dann auf seine Burg einlädt. Dort werden Erecs Wunden versorgt, und Guivret kümmert sich um seine Speisung: Et puis li ont un cofre overt, s’an fist hors traire trois pastez: «Amis, fet il, or an tastez un petit de ces pastez froiz. Vin a eve meslé bevroiz; j’en ai de boen set barrilz plains, mes li purs ne vos est pas sains, car bleciez estes et plaiez.
(V. 5104 ff.)
„Dann öffneten sie für ihn einen Koffer, aus dem ließ Givret drei Pasteten nehmen: [5105] ‚Freund,‘ bat er, ‚kostet jetzt ein wenig von diesen kalten Pasteten! Trinkt auch Wein mit Wasser gemischt! Ich habe guten dabei, sieben Fässer voll; aber unvermischt ist er nicht gesund für Euch, [5110] Ihr seid ja verletzt und mit Wunden bedeckt.‘“34 Während Erecs Genesung lässt man ihm Krankenkost zukommen:
33
34
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1166 f. s.v. handeln: „tun, vollbringen, verrichten, betreiben, … behandeln, … bewirten“ Gier (1987), S. 289
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Chascun jor quatre foiz ou plus Le feisoient mangier et boivre, sel gardoient d’ail et de poivre.
39
(V. 5164 ff.)
„Jeden Tag ließen sie ihn viermal und öfter essen und trinken [5165] und bewahrten ihn vor Knoblauch und Pfeffer“.35 Derart detaillierte Beschreibungen fehlen in Hartmanns Version. In seinen Ausführungen zu den Annehmlichkeiten der Rast in Guivreiz’ Zeltlager ist von Mahlzeiten und Stärkung der Gesundheit nicht die Rede (vgl. V. 7040–7114). Auch die von Chrétien sorgfältig aufgezählte Krankenkost (verdünnter Wein, keine scharfen Gewürze, Verteilung der Mahlzeiten auf mehrere kleine statt auf wenige große)36 lässt Hartmann unerwähnt. Er schildert dagegen ausführlich die Annehmlichkeiten, die die Burg Penefrec zu bieten vermag. Sie ist an einem See gelegen, der die allerbesten Fische reichlich liefert, die jemals ein Mann auf den Tisch eines Königs brachte: der gap im genuoc und dannoch mê der aller besten vische die ie ze küneges tische dehein man gebrâhte, swelher hande man gedâhte.
(V. 7125 ff.)
Ferner gab es dort ein Wildgehege (einen eingezäunten Wald) mit allen Arten von jagdbarem Wild: Rotwild (V. 7142), Schwarzwild (V. 7143) und Kleinwild wie Füchse und Hasen (V. 7148). Der Erzähler lässt seine Ausführungen in einer an ein Schlaraffenland erinnernden Zusammenfassung gipfeln: Penefrec was diz hûs genant. dâ man dehein gebresten vant unde volleclîchen rât, vische unde wiltbrât, beide semeln unde wîn. swaz dâ mêre solde sîn, vil lützel des dâ gebrast.
35 36
(V. 7188 ff.)
Gier (1987), S. 291 Diese Maßnahmen entsprechen durchaus dem durch die Diätetik geprägten medizinischen Verständnis der Zeit, vgl. unten Abschnitt 6.3
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Die Burg, in der man keinen Mangel litt und reichlich Nahrungsmittel37 vorfand, hieß Penefrec. Fische und Wildbret38, kleine Weißbrote (semeln) und Wein und was es sonst mehr gibt, daran fehlte es dort nicht. Nach seiner Genesung macht sich Erec mit Enite auf, um auf der Burg Brandigan ein letztes Abenteuer zu bestehen. Auch dort werden sie den Regeln der Gastfreundschaft gemäß freundlich empfangen. Der auf Brandigan herrschende König Evrain gibt den Gästen zu Ehren ein Essen: quanque cuers et boche covoite orent plenieremant la nuit, oisiax et venison et fruit et vin de diverse meniere.
(V. 5536 ff.)
„Alles, was Herz und Mund begehren, hatten sie in dieser Nacht im Überfluß, Vögel, Wildbret und Früchte und verschiedene Weine.“39 Hartmann verallgemeinert wiederum und formuliert: der wirt vuorte si ezzen. nû enwart dâ niht vergezzen si enheten alles des die kraft daz man dâ heizet wirtschaft.
(V. 8360 ff.)
Der Gastgeber geleitete sie zu Tisch. Es wurde dort nichts ausgelassen, sie hatten von allem, was man Gasterei nennt, in Überfülle. Als Erec auch das joie de la court-Abenteuer auf Brandigan gemeistert hat, kehren er und Enite auf seinen Sitz Karnant zurück, wo sie mit so großem Aufwand empfangen und gefeiert werden, dass selbst Chrétien nur wenige Worte über das Essen verlieren kann. Ihm zufolge wurden dort in fünf aneinander gereihten Sälen fünfhundert Tische aufgestellt und Mil chevalier de pein servoient, et mil de vin, et mil de mes
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(V. 6873 f.),
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 346 f. s.v. rât, hier: Sp. 347: „zurüstung, vorrat, nahrungsmittel“ Hier kann sowohl das (frische) Fleisch von Wild als auch das bereits zubereitete gemeint sein, vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 894 s.v. wiltbrât, -braete: „zum braten bestimmtes od. gebratenes (auch gesottenes) wild, wildbret“ Gier (1987), S. 313
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41
„Tausend Ritter … servierten Brot, tausend Wein und tausend die verschiedenen Gerichte.“40 Bei Hartmann wird die ausgedehnte Festschilderung auf folgende Zeilen gekürzt: als in got heim gesande, ze vreuden sînem lande gebôt er ein hôchzît, daz vordes noch sît in dem selben lande nie dehein sô wünneclîche ergie und von herren alsô grôz.
(V. 10054 ff.)
Nachdem ihn Gott zur Freude (und zum Wohl) seines Landes nach Hause geführt hatte, befahl er, ein Fest auszurichten, wie es vorher und seitdem in diesem Lande nie so herrlich und von so ausgezeichneten Herren veranstaltet worden war. Zwar gibt es auch bei Hartmann in den folgenden Versen viele Gäste, die an dem sechs Wochen dauernden Fest teilnehmen (V. 10079). Sein darstellerischer Schwerpunkt liegt jedoch am Schluss des Epos auf den ritterlichen Tugenden, denen des Herrschers sowie bei Überlegungen zur Wohlfahrt von Mensch und Land. Einzelheiten zur Festgestaltung oder gar zu Festmählern treten dabei nicht auf. Dies korrespondiert mit der Bewertung, zu der Renate Roos bei der Untersuchung von Hartmanns Gestaltung von Fest- und Speiseszenen gelangt: „Hartmanns eher reserviert zu nennende Haltung gegenüber dem Essen drückt sich nicht nur mittelbar in den knappen Schilderungen aus, die er ihm widmet, sondern auch in direkter Polemik. Bezeichnend für seine Einstellung ist der einleitende Kommentar zu dem summarisch abgehandelten Hochzeitsmahl am Artushof … Für Hartmann ist … die übermäßige Hingabe an leibliche Genüsse nicht so recht vereinbar mit dem Streben nach der wahren ‚êre‘.“41 40
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Gier (1987), S. 387. Die genannten, überaus hohen Zahlen der bedienenden (nicht: bedienten) Ritter sind ebenso wie die Zahlen der Säle und Tische beim Fest eine rhetorische Spielerei, wie sie sich in mittelalterlichen Schilderungen häufig findet. Wir werden entsprechenden Übertreibungen, die grundsätzlich zur Vorsicht bei Zahlenund Mengenangaben mahnen, folgend noch in weiteren Beispielen begegnen Roos (1975), S. 354; ähnlich, in den Tendenz jedoch schärfer in der Trennung von höfischem und unhöfischem Verhalten, verfährt Hartmann auch im ‚Iwein‘, vgl. Roos (1975), S. 358 ff. Über die Intentionen und Motive, die Festschilderungen in der mittelhochdeutschen Literatur kennzeichnen, wird unten ausführlicher zu handeln sein, vgl. unten die Abschnitte 2.2 und 2.3
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
2.1.2 Bilanz Die vorstehend aufgeführten Beispiele, die sich auf Fest- und Speiseszenen beschränken, belegen, dass Hartmann seiner französischen Vorlage gegenüber einige Änderungen vornahm. Seine ‚Erec‘-Version ist nicht nur um einiges umfangreicher, sie weicht auch in anderen Aspekten vom Text Chrétiens ab.42 Was insgesamt für die ‚Erec‘-Bearbeitung Hartmans festzuhalten ist, gilt auch für die Passagen, in denen Feste, Gastmähler und Speisen beschrieben werden: Hartmann überträgt den Stoff recht frei und zeigt gewisse „Änderungstendenzen, … von denen m. E. eine sozialgeschichtliche Untersuchung des deutschen Erec auszugehen hat. Eine von Chrestien unabhängige kontingente Deutung des Stoffes, die eine eigenständige Intention Hartmanns erkennen ließe, ist zwar nicht festzustellen, Ansätze einer Problematisierung bzw. Umakzentuierung, die auf ein spezifisches Interesse des deutschen Autors hinweisen, sind jedoch nicht zu übersehen.“43 Es entsteht der Eindruck, dass Hartmann verschiedene Szenen konsequenter gestaltet und damit möglicherweise speziell auf ‚deutsche‘ Verhältnisse abzielt. Deutlich wird dies in der Koralus-Episode: beide Autoren beschreiben Enites Vater als verarmt. Jedoch versteht Chrétien unter povreté bei einem Edelmann offensichtlich etwas Anderes als der deutsche Bearbeiter unter armuot. In Frankreich gestaltete sich die soziale Differenzierung innerhalb der Ritterschaft weit homogener als in Deutschland.44 Vor diesem Hintergrund kann selbst ein ‚verarmter‘ Vertreter dieses Standes bei Chrétien seinem Gast ein angemessenes Mahl zukommen lassen (vgl. oben S. 30 ff.). Bei Hartmann jedoch ist Koralus derart mittellos, dass „die nicht ganz armselige Mahlzeit bei Chrétien … ironisch vorgespiegelt – und festgestellt (wird), daß sie nicht auf den Tisch kam …“.45
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Zu Änderungstendenzen, die das gesamte Epos betreffen, vgl. u. a. Drube (1931), bes. S. 58 ff.; Ursula Peters: Artusroman und Fürstenhof. Darstellung und Kritik neuerer sozialgeschichtlicher Untersuchungen zu Hartmanns ‚Erec‘, in: Euphorion 69 (1975), S. 175–196. und S. 103 ff.; Ruh (1977), S. 110 ff.; Wilhelm Kellermann: Die Bearbeitung des ‚Erec und Enide‘-Romans Chrestiens von Troyes durch Hartmann von Aue, in: Hugo Kuhn/Christoph Cormeau (Hg.): Hartmann von Aue. (Wege der Forschung 354). Darmstadt 1973, S. 511–531 Peters (1975), S. 190 Vgl. Peters (1975), S. 191; vgl. für die deutschen Verhältnisse auch Joachim Bumke: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung. München 1976, bes. S. 7 ff. und S. 14 ff. Ruh (1977), S. 115
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Die Ausgestaltung der Speiseszene in der Galoein-Episode weist in die selbe Richtung. Zwar übernimmt Hartmann den äußeren Aufbau der Handlung recht getreu, doch in Einzelheiten ändert er gegenüber seiner Vorlage: er ersetzt ‚Kuchen‘ (hier wohl eher: Feingebäck), Wein und Käse durch einen gekochten Vorderschinken und Brot.46 Berücksichtigt man darüber hinaus die Szenen, in denen Hartmann Chrétien gegenüber eindeutig kürzt bzw. eine generalisierende Darstellung ohne die Schilderung von Details bevorzugt, resultiert daraus die Feststellung, dass Hartmann an diesen Stellen durchaus zu einer selbstständigen Darstellung seines ‚Erec‘ gelangte.47 Möglicherweise sind derartige Änderungstendenzen nicht nur auf die Autoren zurückzuführen, unter deren Namen Werke der mittelalterlichen Literatur überliefert wurden. Besonders Joachim Bumke hat darauf hingewiesen, dass auch Gönner und Förderer der Autoren bzw. der damaligen literarischen Produktion durchaus Einfluss nicht nur auf die Thematik, sondern auch auf die Ausgestaltung der von ihnen in Auftrag gegebenen Werke nahmen.48 Dabei ging es nicht nur um die äußere Form der Ausführung, auch Stoff und Sinngebung wurden zuweilen von Mäzenen entscheidend beeinflusst.49 Freilich dürfte es kaum mehr möglich sein, anhand der hier und folgend besprochenen Szenen Anhaltspunkte dafür zu finden, in wieweit Mäzene „mit ihren Anregungen, vielleicht auch mit ihrem Geschmack den Dichter beeinflußten, wieweit durch dessen Werke ihre ästhetischen und künstlerischen Absichten verwirklicht“ wurden.50 46
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Michel Huby geht dennoch von einer starken Abhängigkeit Hartmanns von seiner Vorlage aus und äußert zu eben dieser Szene: „La scène se déroule de la même façon. Les additions ou les supressions décidées par Hartmann sont tout sécondaires: il a remplacé les gâteaux par le pain, les fromages par le jambon et gardé le vin. Les ‚tweheln‘ sont dus au mot ‚toaille‘ qui apparâit au vers 3154 du texte de Chrétien. Seuls les valets sont supprimés …“, ders.: L’Erec de Hartman et la tradition manuscrite du Roman de Chrétien, in: Michel Huby: L’adaption des Romans courtois en Allemagne au XIIe et au XIIIe siècle. (Publications de la faculté des lettres et sciences humaines de Paris-Nanterre). Paris 1968, S. 66–94, hier: S. 73 Dies betrifft jedoch nicht die höfischen Ideale und Verhaltensweisen, die bei Hartmann dem französischen Vorbild entsprechend dargestellt werden, vgl. Peters (1975), S. 195 f. Vgl. Bumke (2005), S. 654ff., bes. S. 659 f. und ders.: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150–1300. München 1979, S. 66 und passim Hierzu vgl. das von Bumke (1979), S. 67, gegebene Beispiel aus dem Vorwort des chrétienschen ‚Lancelot‘, bei dem seine Gräfin (und Gönnerin) matière et san des Werkes bestimmte Martin Lintzel: Die Mäzene der deutschen Literatur im 12. und 13. Jahrhundert, in: Joachim Bumke (Hg.): Literarisches Mäzenatentum. Ausgewählte Forschungen zur
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Festzuhalten bleibt, dass trotz einer gewissen Dominanz französischer Vorbilder – betreffend besonders die ethischen Werte der ritterlichen Kultur – die deutschsprachige Dichtung des Mittelalters durchaus zu einer eigenständigen Gestaltung gelangen konnte.51 Über mögliche Ursachen und Motive für vorgenommene Änderungen oder Abweichungen in Text und Darstellung lassen sich, da in dem gewählten Beispiel Hartmann seine Änderungen nicht kommentiert, letztlich nur Vermutungen anstellen. Für unseren Zusammenhang ist von besonderem Interesse, dass fremdsprachige Vorlagen nicht nur wortgetreu übertragen, sondern sprachlich und in der Darstellung von Szenen so ergänzt oder variierend ausgestaltet wurden, dass z. B. eine altfranzösische Ausgangsfassung durch ihren mittelhochdeutschen Bearbeiter deutliche Veränderungen erfahren konnte. Ob sie seinem eigenen Empfinden besser entsprachen, auf besondere Wünsche seines Auftraggebers zurückgehen, ob sich in ihnen (seinerzeit auch ausgesprochene?) Publikumserwartungen spiegeln oder ob Hartmann seinem Publikum im Vorgriff auf einen Vortrag durch eine dessen Gewohnheiten näher liegende Darstellung entgegenkommen wollte, bleibt offen. Durch die Übertragung fremdsprachiger Vorlagen in die mittelhochdeutsche Sprache wurde jedoch, wie das Beispiel Chrétiens und Hartmanns zeigt, deren Darstellung nicht unkritisch übernommen. Ob es sich damit um eine den deutschen Gewohnheiten und dem deutschen Publikum besonders entsprechende Bearbeitung handelt, lässt sich kaum ermitteln, auch wenn vereinzelte Hinweise in diese Richtung deuten. Ein direkter Transfer der (hier: französischen) Vorlage zeichnet sich damit ebenso wenig ab wie ein unvermittelter ‚kultureller Kolonialismus‘, um den es zunächst ja ging. Für den Themenbereich ‚Essen und Trinken‘ wird dieses Ergebnis Prämisse für die folgenden Betrachtungen bleiben.
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Rolle des Gönners und Auftraggebers in der mittelalterlichen Literatur. (Wege der Forschung 598). Darmstadt 1982, S. 33–67, hier: S. 34 Diese Tendenz lässt sich auch an einzelnen Motiven und ihrer poetischen Ausgestaltung nachvollziehen, so z.B bei den Festdarstellungen in der mhd. Literatur: „Auffällig ist der Befund, daß die umfängliche formale Ausprägung des Festmotivs erst sekundär ein Ergebnis literarischer Rezeption aus Frankreich ist: Die ersten Festdarstellungen finden sich in Texten, für die entweder eine unmittelbare französische Quelle nicht aufzuweisen ist … oder für die belegt werden kann, wie im Falle des Rolandsliedes des Pfaffen Konrad oder der Eneit Heinrichs von Veldeke, daß sie die Vorgabe durch das französische Werk beträchtlich erweitern“, Haupt (1989), S. 22 f.
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2.2 Das Fest bei Hofe: Herrscherliche Repräsentation und ihre Inszenierung Die mit Abstand meisten Erwähnungen, die sich in der mittelhochdeutschen Literatur zu Speise- und Trinkszenen finden, bewegen sich im Rahmen von Hoffesten oder aufwändigen Gastmählern, die für hochrangige Gäste mit festlichem Prunk ausgerichtet werden.52 Die bereits beleuchteten Episoden aus Hartmanns ‚Erec‘ bilden hierfür durchaus repräsentative Beispiele. Der zentrale Begriff, der das höfische Fest bezeichnet, lautet hôchgezît oder hôchzît.53 Durch ihn wird schon sprachlich der Charakter des Festzeitraums hervorgehoben, der das Besondere, das Außergerwöhnliche und Erhabene betont. Nur dieses besitzt für die Romanautoren des Mittelalters erzählerische Bedeutung,54 dies darf wohl auch für ihr Publikum angenommen werden. Denn der ihnen geläufige Alltag dürfte sich deutlich von dem unterschieden haben, was uns in den Festschilderungen der mittelalterlichen Literatur begegnet. Hierzu wird nachfolgend noch zu handeln sein. Zunächst gilt es jedoch, die literarische Darstellung von Hoffesten und Gastmählern näher zu betrachten, um von der allgemeinen Szenerie her auch die Gestaltung von Speise- und Trinkszenen besser kennen lernen und beurteilen zu können. Dabei ist interessant, dass in den poetischen Darstellungen Festschilderungen zwar in fiktive erzählerische Handlungen eingebaut wurden, deren Anlässe, in Teilen auch deren protokollarischer Rahmen jedoch mit historisch überlieferten Zeugnissen übereinstimmen: „Die Anlässe zur Veranstaltung großer Hoffeste waren in der Dichtung dieselben wie in der Wirklichkeit: Hochzeiten, Krönungsfeierlichkeiten, Schwertleiten, Friedensschlüsse und die Feier der Kirchenfeste.“55
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Dies belegt die Vielzahl von Quellen, die sich zum Thema zusammentragen lassen, dokumentiert z. B. durch Bodensohn (1936) und Roos (1975); einen vielseitigen historischen Überblick über Anlässe und Gestaltung von Festen im Mittelalter vermitteln Detlef Altenburg/Jörg Jarnut/Hans-Hugo Steinhoff (Hg.): Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes. Sigmaringen 1991; literaturwissenschaftlich grundlegend hierzu Haupt (1989) Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1319 s.v. hôchzît, -gezît: „hohes kirchl. oder weltl. fest, allgem. … bildl. höchste herrlichkeit, höchste freude“; das heute gebräuchliche, demgegenüber eingeschränkte Verständnis von ‚Hochzeit‘ entwickelte sich erst in späterer Zeit, vgl. Bumke (2005), S. 282 Vgl. Hans-Werner Goetz: Der kirchliche Festtag im frühmittelalterlichen Alltag, in: Altenburg/Jarnut/Steinhoff (1991), S. 53–63, hier: S. 53 und Marquardt (1985), passim Bumke (2005), S. 282
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Dass sich dabei die im heutigen Verständnis fiktive Erzählung und reale Erfahrung durchaus ergänzen und miteinander verschränken konnten, lässt sich am Beispiel des Mainzer Hoftages von 1184 verfolgen, dem hochmittelalterlichen Beispiel für die Verknüpfung von Politik, ritterlichem Selbstverständnis und Repräsentation: „Das Mainzer Pfingstfest von 1184 bezeichnet einen Höhepunkt nicht nur im Leben Kaiser Friedrich des Rothbarts, sondern in der Geschichte der deutschen Kaiserzeit, ja des Mittelalters überhaupt. Hier war eine Macht und Glanzfülle entfaltet, wie man sie noch nie auf einem deutschen Reichstag geschaut hatte und auch in Zukunft nicht mehr zu erblicken glaubte.“56 Das Mainzer Hoffest fand auch in der zeitgenössischen Dichtung seinen Niederschlag: im ‚Eneasroman‘ des wohl aus der (heute belgischen) Provinz Limburg stammenden Heinrich von Veldeke.57 2.2.1 Heinrich von Veldeke und das Mainzer Hoffest von 1184 Den äußeren Anlass des Mainzer Hoftages, zum dem der Stauferkaiser Friedrich I. (‚Barbarossa‘) 1184 die weltlichen und geistlichen Fürsten seines Reiches nach Mainz geladen hatte, bildete die Schwertleite seiner beiden Söhne. Der achtzehnjährige Heinrich VI. und der sechzehnjährige 56
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Wilhelm von Giesebrecht: Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Bd. 6: Die letzten Zeiten Kaiser Friedrich des Rothbarts. Hg. und fortgesetzt von Bernhard von Simson. Leipzig 1895, S. 71; vgl. Josef Fleckenstein: Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der großen Mainzer Hoftage von 1184 und 1188, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971. Zweiter Band. Hg. von den Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts für Geschichte. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. 36/II). Göttingen 1972, S. 1023–1041, hier bes. S. 1025 Vgl. Ludwig Wolff/W. Schröder, Heinrich von Veldeke, in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 899–918, hier: Sp. 899; vgl. Heinrich von Veldeke. Eneasroman. Die Berliner Bilderhandschrift mit Übersetzung und Kommentar. Herausgegeben von Hans Fromm. Mit den Miniaturen der Handschrift und einem Aufsatz von Dorothea und Peter Diemer. (Bibliothek des Mittelalters. Texte und Übersetzungen. Bd. 4). Frankfurt/M. 1992, S. 755; Dieter Kartschoke, Nachwort, in: Heinrich von Veldeke. Eneasroman. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke. (Reclam. Universal-Bibliothek Nr. 8303 [10]). Stuttgart 1986, S. 841 f.; Werner Schröder: Der Eneasroman Heinrichs von Veldeke deutsch. (Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bd. 32, Nr. 1). Stuttgart 1994, S. 5; beigezogen wird später auch: Heinrich von Veldeke. Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Wiesbaden 1992
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Friedrich, Herzog von Schwaben, sollten zu Pfingsten durch diesen Akt feierlich in den Kreis der Ritter aufgenommen werden.58 Im Zusammenhang der mittelalterlichen Herrschaftspraxis besaß ein Hoftag, unabhängig vom konkreten Anlass, eine wichtige Funktion: „Der König suchte in allen wichtigen Fragen den ‚Rat und Beistand‘ (consilium et auxilium) der Großen im Land, ohne deren Mitwirkung keine effektive Regierung möglich war. Ohne feste Residenz, versammelte der König die Fürsten und Herren an verschiedenen Orten um sich, hauptsächlich an hohen kirchlichen Feiertagen, die gemeinsam festlich begangen wurden.“59 Der Mainzer Hoftag von 1184 ist im Vergleich zu anderen Hoffesten des Hochmittelalters durch zeitgenössische Quellen recht breit dokumentiert.60 Die Organisation dieses Festes und dessen Vorbereitungen müssen selbst aus heutiger Perspektive als eine logistische Höchstleistung gewertet werden: „Außerhalb der Stadt waren zahlreiche Zelte aufgeschlagen und eine ganze Pfalz aus Holz erbaut worden, bestehend aus den Quartieren für den kaiserlichen Hof, einem großen ‚Festsaal‘ (aula), einer geräumigen Kirche und den ‚Häusern der Fürsten‘ (domus principum), die ‚aufs vornehmste in einem Kreis errichtet waren‘. Dazu gehörten auch die Wirtschaftsgebäude, unter anderem zwei große Hühnerhäuser, die von den Besuchern bestaunt wurden“.61 Der Aufwand war unvermeidlich, denn es galt, die Gäste und ihr zahlreiches Gefolge mehrere Tage lang zu beherbergen und zu versorgen. Die zeitgenössischen Angaben über die Zahl der Teilnehmer variieren: die Sächsische Weltchronik schätzt sie auf 40 000 Ritter („ohne das andere Volk“),62 Gislebert von Mons, der selbst in Mainz anwesend war, gibt 70 000 Ritter an, bei denen er Vertreter der Geistlichkeit und anderer Stände nicht mitzählte.63 „Die zusammenströmende Menge war so überwältigend, 58 59 60
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Vgl. Bumke (2005), S. 278; Fleckenstein (1972), S. 1029 ff. Bumke (2005), S. 276 Berichte liegen vor in der Hennegauer Chronik des Gislebert von Mons (1196), von Otto von St. Blasien (1209/1210), Arnold von Lübeck (1210), in den Kölner Annalen (1200) und der Sächsischen Weltchronik, vgl. Bumke (2005), S. 276 ff. Bumke (2005), S. 277 Dat was de groteste hochtit en, de ie an Dudischeme lande ward. Dar worden geachtet de riddere uppe viertich dusent ân ander volk, zit. nach Bumke (2005), S. 277, Anm. 3 Vgl. die Übersetzung seines Berichtes bei Borst (1979), S. 85–87, hier: S. 86: „Nun versammelten sich zum Hoftag aus dem ganzen Reich diesseits der Alpen Fürsten, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Herzöge, Markgrafen, Pfalzgrafen, andere Grafen, Edelherren und Ministerialen; nach wahrheitsgetreuer Schätzung waren bei diesem Hoftag die Ritter 70 000 an der Zahl, ohne Geistliche und Menschen anderer Stände.“ Auch Fleckenstein scheinen die angegebenen Teilnehmerzahlen zu hoch zu greifen, vgl. Fleckenstein (1972), S. 1025
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daß sogar der nüchterne Gislebert sie überschätzte.“64 Auch wenn die Teilnehmerzahl sich nicht exakt rekonstruieren lässt, dürfte sie in die tausende gegangen sein. Angesichts der Einwohnerzahlen hochmittelalterlicher Städte, von denen nur wenige mehr als 10 000 erreichten, wird deutlich, welche Herausforderungen die Beherbergung und Verpflegung einer so großen Versammlung mit sich brachten.65 Der Hoftag wurde mit einem klar gegliederten, mehrtägigen Programm angesetzt. Gislebert berichtet, dass am Pfingstsonntag zu Beginn des Hoftages wichtige protokollarische Fragen anstanden. Im Rahmen einer Festkrönung war zu bestimmen, wer von den anwesenden Reichsfürsten das Reichsschwert tragen dürfe.66 Mit einem solchen Akt ist auch die Klärung der Rangordnung unter den Großen des Reiches verbunden. Bei einem anschließenden Festmahl übernahmen Herzöge und Markgrafen die Hofämter des Truchsessen, Kämmerers, Schenken und Marschalls und damit die protokollarische Verantwortung für die Bewirtung und Verpflegung der Gäste.67 Am Pfingstmontag wurden die Söhne des Kaisers durch die Schwertleite zu Rittern geschlagen. Anschließend verteilten sie, die Fürsten und andere Gäste großzügig Geschenke „an Ritter, Gefangene, Kreuzfahrer, Gaukler und Gauklerinnen, nämlich Pferde, kostbare Gewänder, Gold und Silber. Denn die Fürsten und anderen Adligen gaben nicht nur zur Ehre ihres Herren, nämlich des Kaisers und seiner Söhne, sehr freigebig das Ihre aus, sondern auch zur Verbreitung ihres eigenen Ansehens und Ruhmes“.68 Am Pfingstmontag und am folgenden Tag fanden Schauturniere statt, an denen auch der Kaiser selbst teilnahm. Am Rande des Festes wurden (politische) Gespräche und Verhandlungen geführt, Verträge geschlossen und Urkunden ausgestellt.69 Besonders den Chronisten Arnold von Lübeck muss die Lebensmittelversorgung auf dem Mainzer Hoftag beeindruckt haben, denn er berichtet, 64 65
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Borst (1979), S. 88 Zur Unterbringung und Beköstigung von Festgästen weitere Beispiele bei Bumke (2005), S. 287; dass die Einquartierung von Gästen bei fürstlichen Großveranstaltungen in Städten oft zwangsweise erfolgte und wegen des damit verbundenen, immensen Aufwandes nicht überall willkommen war, wird mit Beipielen ausgeführt von Hans Conrad Peyer: Von der Gastfreundschaft zum Gasthaus. Studien zur Gastlichkeit im Mittelalter. (MGH. Schriften. Bd. 31). Hannover 1987, S. 146 ff. (Abschnitt 2.7: „Die herrschaftliche Gewaltgastung, insbesondere der Könige“) Gislebert von Mons, in: Borst (1979), S. 86 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1024 und Bumke (2005), S. 278 Gislebert von Mons, in: Borst (1979), S. 87 Vgl. Gislebert von Mons, in: Borst (1979), S. 87, vgl. Bumke (2005), S. 278 sowie Heinz Wolter: Der Mainzer Hoftag von 1184 als politisches Fest, in: Altenburg/Jarnut/Steinhoff (1991), S. 193–199
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„daß dort ein Überfluß an edlen Speisen und Getränken ‚aus allen Ländern‘ angehäuft worden sei. Außer den Hühnern erwähnte er noch besonders die Weinvorräte, die ‚rheinaufwärts und rheinabwärts herbeigeschafft wurden‘.“70 Die Freigebigkeit des Kaisers bei der Bewirtung, jedoch auch bei der Vergabe von Geschenken wurde besonders betont. Verschiedene Fürsten wollten dem nicht nachstehen, übernahmen einen Teil der Kosten und verteilten ebenfalls Geschenke.71 Unterhaltung und Kurzweil wurden auf dem Hoffest durch zahlreiche Dichter, Spielleute und Gaukler geboten. Ihre Anwesenheit und Darbietungen gehörten zum Angebot eines solchen, mit Prunk und Aufwand ausgestatteten Ereignisses.72 In besonderem Kontrast zu der dokumentierten Hochstimmung des Festes steht ein Zwischenfall, der den Mainzer Hoftag möglicherweise vorzeitig beendete. Ein plötzlich aufgekommener, heftiger Sturm brachte die hölzerne Kirche, andere Gebäude des Pfalzbereiches und viele Zelte zum Einsturz. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben.73 Das Mainzer Hoffest beeindruckte nicht nur die Zeitgenossen. Seinen bilanzierenden Kommentar zu Gisleberts Darstellung versieht noch Arno Borst mit pathetischen Anklängen: „Man hätte die drei Tage nicht besser planen können. Sie vereinen so gut wie alles, was sich als Kontrast zum gewöhnlichen Leben im Mittelalter ausdenken läßt. Anstelle der Vereinzelung von Sippen, Siedlungen und Ständen die Menschenmenge, die niemand zählen kann. Anstelle des kärglichen Lebensunterhalts Überfülle von Speis und Trank, kostbare Geschenke obendrein. Anstelle des grauen Alltags ein kirchliches Fest ohnegleichen, gesteigert durch den magischen Glanz der Kaiserkrone, durch die blühende Jugend der Kaisersöhne, eine heilige Verheißung. Anstelle eintöniger Arbeit Feier und Spiel, nicht immer heiter, doch stets stimulierend. In einem solchen Festtag ist die entgleitende Zeit festgemacht, der gebrechliche Mensch in einen Rausch von Kraft und Freiheit versetzt.“74 Die Bedeutung des Mainzer Hoffestes liegt jedoch nicht nur in der überwältigenden Stimmung, die es hinterließ. Bedeutend war auch, dass der 70 71 72 73
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Bumke (2005), S. 277 Vgl. Bumke (2005), S. 277 f. und Fleckenstein (1972), S. 1024 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1024 Die Zeugnisse der Chronisten lassen es nicht zu, den Tag dieses Ereignisses genau zu bestimmen. Manches könnte für den Dienstag sprechen, zumal ein anschließend von den Fürsten geplantes Turnier in Ingelheim nicht mehr stattfand, vgl. Bumke (2005), S. 279; ebenso Fleckenstein (1972), S. 1025, der annimmt, dass an Stelle der nach dem Unglück abgesagten Waffenspiele politische Geschäfte verhandelt wurden Borst (1979), S. 90
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Kaiser sich durch die feierliche Schwertleite seiner Söhne, denen er zuvor eine nach dem Verständnis seiner Zeit ‚ritterliche‘ Erziehung angedeihen ließ, selbst an die Spitze der Ritterschaft setzte.75 Er machte den ordo militaris ‚zu seiner Sache‘, was für seinen Herrschaftsbereich bedeutete, dass sich mit diesem Schritt die Spitzen seines Reiches von einer bisher adligen Gesellschaft zu einer ritterlichen Gesellschaft wandelten.76 Dies machte im zeitgenössischen Selbstverständnis zwischen Adel im Allgemeinen und Ritter (miles) im Speziellen einen großen Unterschied aus: „Erprobte Würdigkeit bildet die Voraussetzung seines Rittertums und zeichnet ihn zugleich aus.“77 Auch der von Geburt vornehmste Adlige war nicht per se Ritter, sondern musste dies erst durch Erziehung und Bewährung werden. Der Sohn Barbarossas, Heinrich VI., bietet ein Beispiel: er ist bereits König, als er auf dem Mainzer Hoffest zum Ritter geschlagen, quasi nochmals ‚erhoben‘ wird.78 Aus Frankreich waren zwar die Ideale des Rittertums durchaus bekannt. Sie wurden z. B. auf dem auch im deutschen Reich beachteten Hoftag in Besançon 1157 ähnlich mit Leben erfüllt wie etwa drei Jahrzehnte später in Mainz. Auch kannte man, nicht zuletzt durch zahlreiche Eheverbindungen zwischen deutschen und französischen Adelshäusern (auch Kaiser Friedrichs Gemahlin, Kaiserin Beatrix, stammte aus Burgund), die dortigen poetischen Stoffe und Formen einer höfisch geprägten Gesellschaft. Indem der Kaiser selbst nun seine Söhne durch Erziehung und die äußere Form der Schwertleite in den Ritterstand erhob, setzte er sich öffentlich an die Spitze einer nicht nur kulturellen Bewegung, die bei weiten Teilen des Reichsadels längst angekommen war.79 Bezeichnend ist, dass Chronisten bei früheren Hoftagen stets nur den führenden Adel, die principes, hervorhoben. Mit dem Mainzer Hoffest treten 1184 nun auch die milites, die Ritter, an deren Seite.80 Die Betonung des Rittertums durch den Kaiser ist ein auch politisch ausgesprochen bedeutender Zug, vermag doch die ritterliche Lebensform, damit 75 76
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Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1041 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1030; zu Entstehung und Geschichte des Begriffs ‚Ritter‘ vgl. Bumke (2005), S. 64 ff. Fleckenstein (1972), S. 1032 Dass ein Ritter, der sich trotz vorhandener Möglichkeiten nicht bewährt, das ideelle Verständnis seiner Existenz verfehlt, belegt die Episode im ‚Erec‘, in der sich der Protagonist nach seiner Hochzeit mit Enite auf seinen Stammsitz zurückzieht und für längere Zeit allein den Freuden des Ehestandes und seines Hofes hingibt (V. 2928 ff.). Ruhm und Ehre erlangt er erst wieder, als er sich mit Enite aufmacht und weitere Abenteuer und Kämpfe besteht Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1040 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1035
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ein ideologisches Moment, als verbindendes Element der seinerzeit erheblichen rechtlichen Unterschiede zwischen hohem und niederen Adel, Ministerialen, Freien und Unfreien zu fungieren.81 Bemerkenswert ist, dass die Bedeutung und der Ruhm des Mainzer Hoffestes von 1184 auch Eingang in die zeitgenössische Dichtung fanden. Seiner Bearbeitung des anglo-normannischen ‚Roman d’Eneas‘, einer mittelalterlichen Adaption der antiken ‚Aeneis‘ Vergils,82 fügte Heinrich von Veldeke über seine Vorlage hinaus der Schilderung der Hochzeits- und Krönungsfeierlichkeiten von Eneas und Lavinia die folgende Passage an: ichn enuernam uon hohzeiten in allen weilen mære, div als groz wære, alsam do het Eneas, wan div ze Meginze da was, die wir selbe sahen, des manige ueriahen, daz si wære vnmæzleich, da der chaiser Fridereich gab zwein seinen s˚unen swert, da manich tausint marche wert verzert wart vnd uergeben.
(347, 14/V. 13222 ff.)83
„Von keinem Fest habe ich je berichten hören, das so groß gewesen wäre wie das, das Eneas ausgerichtet hatte, außer dem, das in Mainz veranstaltet wurde, das wir mit eigenen Augen sahen und von dem viele zugestanden, es habe alles Maß überschritten, damals als Kaiser Friedrich zweien seiner Söhne das Schwert verlieh, wo viele tausend Mark verzehrt und verschenkt wurden.“84 Auf das Mainzer Hoffest bezogen, begegnet hier ein Element, das die Schilderung von Festen und Gastmählern in der mittelhochdeutschen Epik fast durchweg und topisch begleitet: die Einzigartigkeit, die Unvergleichlichkeit des Ereignisses werden hervorgehoben, begleitet von der Formel, 81 82 83
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Vgl Fleckenstein (1972), S. 1036; s. auch Bumke (2005), S. 65 Vgl. Edition Fromm (1992), S. 755 und 765 ff. Zitiert wird hier und folgend nach der von Hans Fromm besorgten Ausgabe (1992); vgl. auch die in der Textwiedergabe und -aufbereitung differierende Ausgabe von Ludwig Ettmüller mit der neuhochdeutschen Übersetzung durch Dieter Kartschoke (1986); die dort recte gesetzten (rekonstruierten) Passagen werden hier unverändert wiedergegeben Edition Fromm (1992), S. 723; vgl. den in zwei Zeilen abweichenden Text bei Ettmüller/Kartschoke (1986), S. 739, V. 13222 ff.
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dass es nie (zuvor und danach) Ähnliches gegeben habe oder dass davon etwa vernommen worden wäre. Das hier gebrauchte rhetorische Element, die Hyperbel,85 wird uns im Zusammenhang von Festen und Gastmählern noch bei anderen literarischen Belegen wiederholt begegnen. Stellvertretend für Einzelheiten oder Beispiele, die eine besondere Prachtentfaltung erzählerisch hätten füllen können, wird lediglich verallgemeinernd betont, dass das Fest ‚ganz unermesslich groß‘ gewesen sei. Bedeutung besitzt dabei, dass der Gastgeber – hier Kaiser Friedrich I. – jede erdenkliche Großzügigkeit walten lässt: zum Idealbild der ritterlichen Gesellschaft gehört es nämlich, Gäste bestmöglich zu bewirten und Festteilnehmer auch reichlich mit Geschenken zu versehen.86 Heinrich merkt an, dass sich Kaiser Friedrich dies habe viele tausend Mark kosten lassen, eine für die damalige Zeit riesige Summe. Ob der Autor wirklich selbst am Mainzer Hoffest teilnahm, wie die Textpassage (347, 19 bzw. V. 13227 die wir selbe sahen) nahe legt, ist übrigens nicht gesichert.87 Interessant ist seine Erwähnung des Mainzer Hoftages vielmehr, weil sie die Datierung seines ‚Eneasromans‘ erlaubt, dessen wohl unvollendetes Manuskript bis zu seiner Fertigstellung 1184 oder kurz danach eine durchaus abenteuerliche Geschichte durchlief.88 Die Passage über das Mainzer Hoffest fährt fort: 85
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Vgl. Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. Zweite, durch einen Nachtrag vermehrte Auflage. München 1973, S. 299 (§ 579) s.v. hyperbole: „Die Hyperbel ist eine extreme, im wörtlichen Sinne unglaubwürdige onomasiologische Überbietung des verbum proprium. Sie ist eine vertikal-graduelle Metapher und hat so … evozierend-poetische Wirkung, die in der Rhetorik im parteiischen Interesse …, in der Poesie als affektische Vorstellungshilfe benutzt wird. Wie die Metapher … ist die Hyperbel in der Form des Vergleichs auflösbar …“ Vgl. Bumke (2005), S. 278, 285 und passim; vgl. Günter Schopf: Fest und Geschenk in mittelhochdeutscher Epik. (Philologica Germanica. Bd. 18). Wien 1996 Für Bodensohn (1936), S. 11, steht dies fest, ebenso für Bumke (2005), S. 280; Fleckenstein (1972), S. 1033, bleibt diesbezüglich indifferent und bemerkt lediglich, dass Dichter wie Veldeke die Aufwertung des ritterlichen Ideals aufnahmen und ihr poetische Entsprechungen folgen ließen Die französische Romanvorlage, auf die Heinrich seine Bearbeitung gründete, soll um 1160 entstanden sein, vgl. Fromm (1992), S. 761 und Kartschoke (1986), S. 847. Heinrich könnte mit seiner Bearbeitung in der ersten Hälfte der 1170er Jahre begonnen haben. Das noch unvollendete, wohl etwa zu zwei Dritteln des Gesamttextes bearbeitete Manuskript wurde bei der Hochzeit des Landgrafen von Thüringen mit Margarete von Cleve durch den Bruder des Bräutigams entwendet und nach Thüringen mitgenommen. Heinrich erhielt es erst neun Jahre später wieder und konnte es erst dann in Thüringen auch beenden, vgl. Schröder (1994), S. 5 und Haupt (1989), S. 106
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ich wæne, alle, die nu leben daz si dehein grozer haben gesehen. ich enwaiz, waz noch sule geschehen, des chan ich ivch nicht bereiten. ich enuernam von swertleiten nie warleiche mære, da sa manich furste wære vnd aller slahte laute. ir lebent genuch noch hivte die es wizzen wærleiche. dem chaiser Fridereiche geschach so manich ere, daz man immer mere wunder da uon sagen mach vncz an den iungisten tach an lugene fur war. es wirt noch uber hundert iar von im gesaget vnd geschriben, daz noch allez ist beliben.
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(347, 26/V. 13234 ff.)
„Ich glaube, alle, die jetzt leben, haben kein größeres Fest gesehen. Freilich weiß ich nicht, was noch kommen wird, darüber kann ich euch nichts berichten. Indes habe ich von einer Schwertleite niemals berichten hören, wo so viele Fürsten und die verschiedensten Leute beisammen waren. Von ihnen sind heute noch genügend am Leben, die wissen, daß das wahr ist. Kaiser Friedrich wurde so viel Ehre erwiesen, daß man in alle Zukunft bis zum Jüngsten Tag ungelogen Staunenswertes davon erzählen kann. Noch in hundert Jahren wird man davon erzählen und schreiben, so wie man alles noch im Gedächtnis behalten hat.“89 Wieder wird die Besonderheit des Ereignisses sprachlich dadurch hervorgehoben, dass etwas Vergleichbares den Zeitgenossen nicht bekannt sei. Eine weitere hyperbolische Wendung ist die, dass ewig, immer, hier: bis 89
Edition Fromm (1992), S. 723 ff.; vgl. Übersetzung durch Kartschoke (1986), S. 739 und 741: „Ich glaube, daß alle Lebenden / kein größeres (Fest) gesehen haben. / Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird, / das kann ich euch nicht sagen. / Ich habe jedoch von einer Schwertleite / niemals glaubwürdig erzählen gehört, / bei der ebenso viele Fürsten // und Leute aller Stände zugegen gewesen wären. / Noch heute leben viele, / die es genau wissen. / Kaiser Friedrich wurde / so hoch geehrt, / daß man für alle Zeiten / Wundergeschichten davon erzählen kann / bis zum Jüngsten Tag, / das ist gewißlich wahr. / Es wird auch in hundert Jahren noch / von ihm erzählt und geschrieben werden, / was alles bisher noch nicht gesagt ist.“
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zum Jüngsten Tag von dem hervorragenden Ereignis berichtet werden wird. Für eine mittelalterliche Festschilderung kennzeichnend ist, dass sehr viele, auch sehr viele bedeutende Gäste anwesend waren. Ein Fest in ‚kleinem Rahmen‘, eine in heutigem Verständnis eher ‚private‘ Feier, war für die Autoren des Mittelalters kein Thema. Denn im Verständnis der Zeit ging es nicht nur um die prunkvolle Gestaltung, die Repräsentation in der großzügigen Ausstattung eines Festes, die Beherbergung, Bewirtung und Beschenkung von (möglichst vielen) Gästen, die dem Gastgeber (hier Kaiser Friedrich I.) zur Ehre gereichten und sein freigebiges Verhalten als vorbildlich wirken lassen. „Schon die Auswahl der Gäste ließ häufig den politischen Charakter des Festes hervortreten. Es gab zwar auch ganz märchenhafte Feste, zu denen in der ganzen Welt eingeladen wurde. Aber öfter richtete sich die Einladung in spezieller Weise an die Fürsten des Landes … oder, wenn der Einladende selber ein Fürst war, an den Adel, an ‚Barone und Landherren‘ oder an ‚Grafen, Freiherren und Ministerialen‘ … Die Veranstaltung von Hoffesten war ein Mittel, den Adel des Landes fester an den Herrscher zu binden. Als Fürst Wilhelm von Wenden den Entschluß gefasst hatte, heimlich als Pilger sein Land zu verlassen, rief er, auf Anraten seiner Frau, noch einmal den gesamten Adel seines Landes zu einem großen Fest zusammen mit dem erklärten Ziel, durch den Glanz seines Hofs und durch seine Freundlichkeit und Freigebigkeit die Bindung an das Herrscherhaus auch über die Zeit seiner Abwesenheit hinweg zu sichern. ‚Wir wollen keine Kosten scheuen. Wir wollen unseren Reichtum zeigen und sie mit Geschenken erfreuen und sie zu einer solchen Haltung anregen, daß sie sich an uns gebunden fühlen‘.“90 Hoffeste und die damit verbundenen Gastmähler haben im Mittelalter nicht nur einen geselligen, sozial bedeutsamen Charakter, sondern wirken auch politisch gemeinschaftsstiftend. Die politische Bedeutung, auch Macht und Einfluss eines Herrschers wurden daran gemessen, wie viele (und auch welche) Gäste seiner Einladung zu einem Fest folgten, sich damit auch als dem Hause freundlich gesonnen zeigten.91 Vor diesem Hintergrund werden die sicherlich übertriebenen Angaben verständlicher, die die zeitgenössischen Chronisten zur Teilnehmerzahl am Mainzer Hoftag machten, und auch Heinrichs Kommentar über die Anwesenden wird nachvollziehbar, galt es damit doch auch, die kaiserliche Machtposition zu charakterisieren. 90
91
Bumke (2005), S. 283 f.; zur gemeinschaftsstiftenden Funktion des Festes sowie zu seiner (politischen) Funktionalität im Rahmen des Auf- und Ausbaus von Herrschaft vgl. auch Haupt (1989), S. 26 f. und passim Über die Brüche, die diesbezüglich z. B. im Nibelungenlied zu verzeichnen sind, wird unten noch zu handeln sein, vgl. Abschnitt 2.2.5
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Interessant ist nun, dass sich die vom Mainzer Hoffest bekannten Elemente, um einzelne Ausschmückungen ergänzt, in Heinrichs poetischer Darstellung der Hochzeits- und Krönungsfeierlichkeiten von Eneas und Lavinia komplett wiederfinden. Deren Schilderung ist der eben behandelten Passage über den Mainzer Hoftag direkt vorangestellt. dar chomen in allen siten die fursten uil weiten mit scheffen vnd an der strazen vnd rittere a˚uzir mazen. Die spilman vnd die gernde diet die uers˚umden sich niet, die werltleichen laute. daz tæte sei noch hivte, da solich hochgezit wære. geurieschen si daz mære, si zugen allenthalben z˚u. also taten si ouch do, die es heten vernomen. si mochten gerne dar chomen vnde uil froleiche, wan si da wurden reiche, als daz billeich was.
(344, 15/V. 13103 ff.)
„Aus allen Richtungen strömten weither die Fürsten herbei, zu Schiff und auf der Straße, und Ritter, eine riesige Menge. Die Spielleute und das fahrende Volk, der weltfrohe Schwarm, verspätete sich nicht. Das täte er auch heute nicht bei einer solchen Hochzeit. Sowie sie Wind davon bekämen, würden sie von allen Seiten herbeiziehen. So machten es auch damals diejenigen, die davon gehört hatten. Sie konnten wohlgelitten und fröhlich herbeikommen, denn da wurden sie reich, wie es auch recht und billig war“.92 Betont werden wiederum der Rang (Fürsten) und die Zahl der vielen Gäste, die sich zu dem Fest einfinden. Zur Unterhaltung kommen Musikanten und Sänger hinzu, angezogen auch durch die Aussicht auf guten Lohn und reichliche Geschenke, deren Ausgabe für Gastgeber und auch vermögende Gäste obligatorisch war. Ihr Ausbleiben hätte der erwarteten Großzügigkeit widersprochen, wäre als kleinlich, wichtiger noch: als unehrenhaft aufgefasst worden: „Je wertvoller die Geschenke waren, umso deutlicher offenbarten sie Macht und Reichtum des Gastgebers und umso schöner bewies sich seine höfische Tugend der Freigebigkeit. Manchmal war 92
Edition Fromm (1992), S. 717; vgl. Kartschoke (1986), S. 733
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schon die Einladung zum Fest mit der Ankündigung verbunden, daß reiche Geschenke zu erwarten seien.“93 So beschreibt es auch Heinrich, wenn er Eneas dem Fest eine Einladung vorausschicken lässt: z˚u seinen hohgeziten ladet er die fursten vnd bat z˚u Laurente z˚u der stat. Êneas der mære enbot offenbære, daz her brauten solde, swer g˚ut vmb ere wolde, daz der froleiche chæme vnd er so uil næme, daz es immer moht gefrumen vnd allen sinen nachchomen.
(335, 38/V. 12764 ff.)
„Zu seiner Hochzeit lud er die Fürsten und bat sie in die Stadt Laurente. Der berühmte Eneas machte öffentlich bekannt, daß er zu heiraten gedenke. Wer Gut und Ehre94 wolle, der möge sich frohen Sinnes einfinden; 93 94
Bumke (2005), S. 314 Hier gibt die gebotene Übersetzung den mhd. Text nicht korrekt wieder, die lauten müsste: „Wer Gut (Besitz) um der Ehre willen wollte, …“. Auch die Übersetzung Kartschokes ist bei den V. 336, 4 ff. nicht genau: „alle Lohnsänger // sollten fröhlich kommen / und so viel empfangen, / daß es fürs ganze Leben / und für alle Nachkommen reichen könne“, vgl. Kartschoke (1986), S. 713 und 715. – Aufgenommen wird hier eine Formel, die sich besonders in der mhd. Spruchdichtung öfter findet, z. B. bei Walther von der Vogelweide, der die rechte Beziehung von ‚Gut und Ehre‘ im sog. Unmutston scharfzüngig abwog: diu meiste menige enruochet wie sie erwirbet guot, sol ichz alsô gewinnen, sô gâ slâfen hôher muot! guot was ie genæme, iedoch sô gie diu êre vor dem guote. nû ist daz guot sô hêre, daz ez gewalteclîche zuo dem künige sitzen gât mit den fürsten zuo dem künige an ir rât. sô wê dir guot! wie rœmisch rîche stât. du bist niht guot. dû habest dich an die schande ein teil ze sêre.
(31, 15 ff.)
“die Mehrheit achtet nicht darauf, wie sie Besitz erwirbt, / müßte ich ihn auf gleiche Weise gewinnen, dann geh’ / schlafen, Hochgefühl! / Besitz war immer genehm, jedoch kam die Ehre / vor dem Besitz. Nun ist der Besitz so hochrangig, / daß er gebieterisch sich zu dem König setzt / mit den Fürsten im königlichen Rat. / Ach, weh Dir, Gut! Wie steht das römische Reich da! / Du bist nicht gut. Du hälst Dich ein wenig zu sehr an / die Schande.“ Zitiert nach Walther von der Vogelweide. Werke. Gesamtausgabe. Band 1: Spruchlyrik. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Günther Schweikle. (Reclam. Universal-
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so viel würde er bekommen, daß es ihm fürs Leben langen würde wie auch allen seinen Nachkommen.“95 Das Fest beginnt mit einem Festmahl. Michel was div hohgezeit vnd daz gestule uil weit, herleich man es anuiench. der chunich ze tische giench vnd die fursten edile, ir iesleich an sein gesidile, arme vnde reiche harte herleiche.
(345, 5/V. 13133 ff.)
„Überwältigend war das Hochzeitsfest, und weithin waren die Stühle96 aufgestellt. Prachtvoll wurde alles hergerichtet. Der König schritt zu Tische mitsamt den edlen Fürsten, jeder zu seinem Platz, arm und reich, äußerst prächtig.“97 Hier sind es die vielen Tische und Bänke, die für das Festmahl aufgebaut worden waren, die einen Hinweis auf den besonderen Umfang der Festgemeinde geben. Folgend wird ein protokollarischer Ablauf beschrieben: der König (Eneas) geht (zuerst?) zu Tisch mit den Fürsten. Die Platzierung bei Tisch ist nicht zufällig gewählt. Je nach Stand und Ansehen haben die Teilnehmer am Festmahl einen ihnen zustehenden, ihren besonderen Platz. Das Festmahl wird aufgetragen. mit fleize da gedient wart. da wart div speise nit gespart. der sich dez fleizen wolde, daz er sagen solde, wie da gedienet wære, es wurde ein langes mære, wan als ich iv hie sagen wil:
95
96
97
Bibliothek. Nr. 819). Stuttgart 1994, S. 160 f.; im zugehörigen Kommentar S. 399 heißt es: „Thematisch eng mit den beiden Themenzentren verzahnt ist die aus eigener Erfahrung gespeiste allgemeine Zeitklage, die das Grundthema des Tones (Gut, Gewinn, Macht geht vor Ehre) anschlägt …“. Das Motiv nimmt Walther mehrfach auf, so auch im ‚Wiener Hofton‘, wo er die ‚Gefahr des Besitzes‘ beschreibt, vgl. Edition Schweikle (1994), S. 244 f. Edition Fromm (1992), S. 699; Kartschoke (1986), S. 713/715, übersetzt hôchzît mit dem allgemeineren „Fest“, was der erst später eingeschränkten Wortbedeutung (auch in unserem heutigen Verständnis) wohl eher gerecht wird Hier ist die Übersetzung ungenau, es sind Sitzgelegenheiten allgemein angesprochen, zu denen z. B. auch Bänke gehören Edition Fromm (1992), S. 719; vgl. Kartschoke (1986), S. 735
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man gab in allen ze uil ezzen vnde trinchen, daz nieman chund erdenchen vnd dez ir hercze gerte, wol man si dez gewerte.
(345, 13/V. 13141 ff.)
„Mit Eifer wurden sie bedient, an Essen wurde nicht gespart. Wer sich Mühe gäbe aufzuzählen, wie da vorgelegt wurde, es gäbe eine lange Geschichte, aber ich will es kurz machen: man bot ihnen allen überreichlich zu essen und zu trinken. Was jeder sich erträumen konnte und sein Herz begehrte, das gab man ihnen reichlich.“98 Auch in dieser Passage begegnet ein für die Darstellung von Festmählern in der mittelhochdeutschen Epik typisches Element: es wird nicht näher ausgeführt, welche Speisen und Getränke aufgetragen wurden. Statt dessen wird eine Wendung gebraucht, die sich topisch auch in vielen anderen Speiseszenen der mittelhochdeutschen Dichtung wiederfindet: es wurde mehr als genug aufgetragen, von allem gab es mehr als zur Sättigung benötigt wurde, ja sogar im Überfluss. Renate Roos, die u. a. die Speiseszenen in der mittelhochdeutschen Epik untersuchte, benannte diese immer wiederkehrende Wendung unter Aufnahme des mittelhochdeutschen Bezugswortes genuoc als „das Genüge“.99 Hinsichtlich der durch Dieter Kartschoke in der neuhochdeutschen Übersetzung für gedienet (V. 13341 und V. 13345) gewählten Verben ‚auftragen‘ und ‚auftischen‘ ergibt sich ein verzerrtes Bild.100 Sie weisen eher in Richtung dessen, was (auch an Mengen) auf den Tisch kam. Wichtig für die protokollarisch angemessene Bewirtung war jedoch die Art und Weise, auch die Aufmerksamkeit, mit der die Bedienung bei Tisch vollzogen wurde. Insofern dürfen diese Stellen durchaus so verstanden werden, dass die Bedienung in jeder Hinsicht angemessen und aufmerksam erfolgte.101 98 99 100
101
Edition Fromm (1992), S. 719; vgl. Kartschoke (1986), S. 735 Roos (1975), S. 348 ff. mit zahlreichen einschlägigen Textbelegen Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 426 s.v. dienen: „dienen, aufwarten mit bezug gottes-, herren- und frauendienst oder aufs aufwarten bei tische“ Roos (1975), S. 341 ff., weist nach, dass die aufmerksame Bedienung bei Tisch nicht nur in der (auch früh-)höfischen Epik, sondern auch in der sog. ‚Spielmannsepik‘ eine Rolle spielt, wenn es um die Darstellung der Leistungen eines hervorragenden Gastgebers geht; angesichts der Bedeutung, die der Bedienung bei Festmählern zukam, ist das Fehlen von deutschsprachigen Regeln oder Ratgebern bemerkenswert, die nähere Einblicke in das geben könnten, was seinerzeit als besonders angemessen oder aufmerksam hätte gelten können. Joachim Bumke nimmt sich zwar des Themas an, muss jedoch einräumen, dass die beiden einzigen aus dem Hochmittelalter erhaltenen einschlägigen Texte, das Verzeichnis der ‚Ämter des Hofs von Hennegau‘ und die Anweisungen zur Haushaltsführung des englischen Bischofs Robert Grosseteste
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Do si do gesazen vnd froleiche gazen vil wol nach ir willen, da was chlaine stillen, der schal waz als groz, daz es die bosen verdroz. da waz spil vnd sanch, buhurt vnd gedranch, phiffen vnd springen, fidelen vnd singen, orgelen vnd sæitspil, maniger slahte fraude uil.
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(345, 25/V. 13153 ff.)
„Nachdem sie gegessen und fröhlich gespeist hatten, ganz wie es ihnen gefiel, war es keineswegs still. Das fröhliche Treiben war so laut, daß es die Mißmutigen102 ärgerte. Es gab Spiel und Gesang, Turnierkämpfe und Trubel, Pfeifenspiel und Tanz, Fiedeln und Singen, Orgeln103 und Saitenspiel
102
103
von Lincoln, nicht ohne Weiteres auf den deutschen Sprachraum übertragen werden können, vgl. Bumke (2005), S. 262 ff.; zur Bedienung, wie sie uns in den Dichtungen des Hochmittelalters entgegentritt, vgl. Bumke (2005), S. 254 ff. Im Stellenkommentar Dieter Kartschokes findet sich die Erklärung für diese Übersetzung: „Das Veldeke-Wörterbuch, Sp. 60, glossiert die bôsen an dieser Stelle: ‚die keinen Sinn für höf. Geselligkeit haben, nichts empfinden und denken‘. Curschmann/ Glier übersetzen: ‚die Gemeinen und Böswilligen‘. Ich glaube, es ist hier weniger ein moralisches als ein ständisches Declassement im Spiel. Wer nicht der Adelsklasse angehört, muß ihre Ökonomie der Verschwendung für unsinnig halten. Denkbar auch, daß die geistlichen Kritiker solchen Aufwandes gemeint sind, wie sie im Umfeld des Mainzer Hoffestes anzutreffen waren. Freilich wäre ihre Kennzeichnung als die bôsen höchst ungewöhnlich“, vgl. Kartschoke (1986), S. 822; an Kartschokes Edition und Übersetzung wurde verschiedentlich Kritik geübt, vgl. dazu Schröder (1994), passim Ob hier – wie die gebotene Übersetzung ausweist – wirklich ein Orgelinstrument (mit Manual, Registern, Pedalen und Pfeifen) gemeint ist, ist fraglich; zwar waren Orgeln einfacher Bauart bereits vor der Jahrtausendwende bekannt, doch wurde „über die Orgel und ihr Spiel gerade in der Zeit vom 8. bis 12. Jahrhundert negativ geurteilt“, deshalb wurde dieses Instrument „selten in mittelalterlichen Texten erwähnt“, so Kerstin Bartels: Musik in deutschen Texten des Mittelalters. (Europäische Hochschulschriften. Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 1601). Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1997, S. 151. Möglicherweise ist hier das im Hochmittelalter geläufige Instrument organiston, eine Drehleier, gemeint, vgl. Bartels (1997), S. 269, Anm. 298 und Bumke (2005), S. 307. Bartels (1997), S. 176 weist darauf in, dass in Übersetzungen des Mittelalters das griechische kynra sowohl als ‚Orgel‘ als auch als Saiteninstrument wiedergegeben wurde und meistens wohl die Leier bezeichnet haben dürfte. Vgl. zu weiteren Textbelegen Lex. Bd. II (1992), Sp. 166 s.v. orgel, orgele und orgelen, orgeln
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und alle Arten Lustbarkeit und vielerlei sonstige Unterhaltung.“104 Auch mit dem hier geschilderten Unterhaltungsprogramm, das neben dem Festmahl (und teils wohl auch zeitgleich dazu) Turnierspiele, Musik und Tanz konkret benennt, erweist sich Heinrichs Darstellung des Hoffestes von Eneas und Lavinia als durchaus typisch für die im Hochmittelalter zu einem großen Fest gehörenden Elemente.105 Obwohl die meisten bekannten Beispiele zu höfischer Geselligkeit aus zeitgenössischen Dichtungen stammen,106 haben auch Chronisten von den Darbietungen berichtet, die bei großen Festen gegeben wurden. Es traten dort neben Musikern und Sängern auch Zauberkünstler, Artisten und Jongleure auf, es gab neben Waffenspielen auch (rein) sportliche Wettkämpfe, und es wurde getanzt.107 Auf ihr Ansehen bedachte Gastgeber gefielen sich darin, für ihre Gäste einzigartige und sogar exotische Darbietungen zu arrangieren. So ist von Kaiser Friedrich II. überliefert, dass er auf einem (allerdings auf Sizilien ausgerichteten) Fest 1241 einen Elefanten „mit einem burgartigen Aufbau, der mit Fahnen geschmückt und mit Trompetenbläsern besetzt war“, auftreten ließ.108 Diese besondere ‚Showeinlage‘ muss die Zeitgenossen sehr beeindruckt haben, denn sie wurde recht zeitnah (noch im 13. Jahrhundert) in einer Handschrift eigens abgebildet.109 104 105
Edition Fromm (1992), S. 719; vgl. Kartschoke (1986), S. 735 Vgl. Bumke (2005), S 303 ff.; ganz in diesem Duktus bewegt sich auch die Schilderung, die Hartmann im ‚Iwein‘ von dem Fest gibt, das Artus zu Pfingsten ausrichtet: Artûs und diu künegin, ir ietwederz under in sich ûf ir aller willen vleiz. dô man des pfingestages enbeiz, männeclîch im die vreude nam der in dô aller beste gezam. dise sprâchen wider diu wîp, dise banecten den lîp, dise tanzten, dise sungen, dise liefen, dise sprungen, dise hôrten seitspil, dise schuzzen zuo dem zil, dise redten von seneer arbeit, dise von grôzer manheit.
106 107 108 109
(V. 59 ff.)
Zitiert nach: Hartmann von Aue. Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G.F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Anmerkungen von Thomas Cramer. Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage. Berlin/New York 1974 Vgl. Bumke (2005), S. 303 Vgl. Bumke (2005), S. 301 ff. Bumke (2005), S. 303 Vgl. Abb. bei Bumke (2005), S. 302
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Die neuhochdeutsche Übersetzung Hans Fromms und Dieter Kartschokes ist am Schluss der zuletzt zitierten Passage etwas unglücklich, wenn sie auf die verschiedenen sonstigen Unterhaltungsangebote abheben, die bei dem großen Hoffest geboten wurden. Denn das mhd. vroude meint mehr als Lustbarkeit oder Unterhaltung.110 Es umfasst in seiner Bedeutung auch die gelöste und heitere Stimmung, Frohsinn und auch Fröhlichkeit, ohne die ein gelungenes höfisches Fest nicht denkbar ist.111 Gerade in diesem Moment wurde im Vergleich zu poetischen Vorläufern eine wesentliche eigene Leistung Heinrichs erkannt: „In der Entwicklung der Festdarstellung ist er ein bedeutsamer Markstein, weil bei ihm zum erstenmal der Inbegriff und tragende Grund höfischer Festlichkeit die Freude ist, die eine Festgesellschaft gemeinsam erlebt.“112 Den Abschluss von Heinrichs Festdarstellung bildet die reichliche und im Vergleich zu der Speiseszene überaus detailliert beschriebene Beschenkung der Spielleute und der Gäste durch Eneas selbst und durch die teilnehmenden Fürsten (345, 37/V. 13165 ff.). In der mehr als vierzig Verse umfassenden Szene werden kostbare Geschenke wie Pferde, Saumtiere, Kleider, Pelze, edle Stoffe, Gold- und Silbergefäße sowie wertvolle Schmuckstücke geradezu in einer Wettbewerbsform überaus großzügig verteilt (daz man da gab ze strite, 346, 40/V. 13208). Wohl in scherzhafter Absicht lässt Heinrich Eneas sogar beklagen, dass es (infolge des allgemeinen Schenkens) gar wenige gebe, die auf seine Geschenke besonderen Wert legten (346, 35/ V. 13203 ff.). Folglich preisen die reichlich beschenkten Spielleute die Großzügigkeit des Gastgebers und der sonstigen Schenkenden, die sich durch ihre reichlichen Gaben rühmlich und ehrenhaft verhalten haben (346, 26/ V. 13195 ff.).113 Der Zeitraum, während dessen sich das alles abspielte und den das Hochzeits- und Krönungsfest einnahm, wird von Heinrich auch benannt, einen manot do werten die selben hohzite
(346, 38/V. 13206 f.),
die Festlichkeiten sollen sich also über einen ganzen Monat hingezogen haben. Derartige Angaben, die sich ähnlich auch in anderen Dichtungen fin-
110
111 112 113
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 537 s.v. vroude, vröide, vreude: „frohsinn, freude, erfreuendes, unterhaltendes (gerne im pl.)“ Vgl. Haupt (1989), S. 109 ff. (Abschnitt „Glanz, Freude, Aufbruch“) Bodensohn (1936), S. 9 Auf die Bedeutung von Geschenken als Möglichkeit, ein endliches Fest auch lange nach dessen Schluss (materiell) immer wieder ‚greifbar‘ und damit in seiner Wirkung dauerhaft werden zu lassen, verweist Schopf (1996), bes. S. 47 ff.
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den,114 sind sicher einem dramaturgischen Effekt geschuldet, denn die Ausrichtung eines prachtvollen Festes von einer solchen Dauer hätte einen immensen Aufwand erfordert und wiederum wohl zurück auf das besondere Vermögen gewirkt, die Gastfreundschaft und die Freigebigkeit des Einladenden oder Ausrichters auch wirtschaftlich tragen zu können.115 Dass sich große (Hof-)Feste im Hochmittelalter jedoch über mehrere Tage, mitunter auch länger, hinziehen konnten, belegt der Mainzer Hoftag, der (mindestens) drei Tage lang gehalten wurde und in dessen Anschluss die Fürsten des Reiches noch eine große Turnierveranstaltung im benachbarten Ingelheim planten.116 Da die Teilnehmer hierzu – wie auch zur Hochzeits- und Krönungsfeier von Eneas und Lavinia bei Heinrich – zumeist über weite Strecken und mehrere Tage lang und wohl oft auch sehr beschwerlich anreisten, hätte sich ihre Teilnahme an einer kürzeren Festveranstaltung, so wie wir sie heute kennen, kaum angeboten. Das Protokoll damaliger Veranstaltungen und die mit ihnen verbundenen Möglichkeiten zum geselligen Austausch und zur politischen Kommunikation erforderten einen anderen zeitlichen Ansatz als es in unseren, von schneller räumlicher
114
Dass höfische Feste sich über mehrere Tage hinzogen, wird auch z. B. im ‚Nibelungenlied‘ erwähnt. Dort dauerte das Fest zur Schwertleite Siegfrieds eine Woche: Diu hôhgezît werte
115
unz an den sibenden tac.
(40, 1)
Zitiert wird hier und folgend nach der Ausgabe von Karl Bartsch: Das Nibelungenlied. Herausgegeben von Helmut de Boor. Einundzwanzigste revidierte und von Roswitha Wisniewski ergänzte Auflage. (Deutsche Klassiker des Mittelalters). Wiesbaden 1979 Die wirtschaftlichen Folgen einer großzügigen Gastgeberschaft werden andernorts auch in der Dichtung aufgenommen. Dass eine große Gästeschar und deren freigebige Bewirtung an einem Adelshof so überhand nahmen, dass es nicht nur viel Lärm und Gedränge gab, sondern dass der gastgebende Landgraf Gefahr lief, sein Vermögen zu verprassen, prangerte Walther von der Vogelweide in der ‚Thüringer Hofschelte‘ an. Dort heißt es: der lantgrâve ist sô gemuot, daz er mit stolzen helden sîne habe vertuot, der iegeslîcher wol ein kenpfe wære. mir ist sîn hohiu fuore wol kunt: und gulte ein fuoder guotes wînes tûsent pfunt, dâ stüende doch niemer ritters becher lære.
116
„Der Landgraf ist so gesinnt, daß er mit stolzen Helden seine Habe vertut, / von denen er wohl ein Berufsfechter sein könnte. / Mir ist seine großzügige Lebensführung wohl / bekannt: / und kostete ein Fuder guten Weines tausend Pfund, / stünde da doch nimmer eines Ritters Becher leer“, Edition Schweikle (1994), S. 88 f. Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1028
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Mobilität und Telekommunikation geprägten Tagen auch unter funktionalen Gesichtspunkten üblich ist. Deutlich treten beim Mainzer Hoffest von 1184 und in der literarischen Wiedergabe des höfischen Festes durch Heinrich folgende Kennzeichen einer besonderen Festveranstaltung im Hochmittelalter hervor: – durch den Gastgeber ergeht eine Einladung; – es kommen viele Gäste, auch von weit her; dabei ist von Bedeutung, welchen sozialen Rang oder welche herrschaftliche bzw. ständische Funktion die Teilnehmer besitzen; – die Aufnahme und Beherbergung der Gäste erfolgt großzügig, Gastfreundschaft zeichnet den Ausrichter eines Festes aus; – Gastfreundschaft und Großzügigkeit des Hausherrn finden auch bei der Bewirtung und Bedienung der Gäste ihren Ausdruck; es werden aufwändige Festmähler gegeben, deren Inszenierung, Reichhaltigkeit und sogar Überfluss den guten Gastgeber auszeichnen; – zu einem Fest gehört ein vielseitiges Unterhaltungsprogramm, das die Festmähler begleitet und den Gästen tagsüber anregenden Zeitvertreib und verschiedene Vergnügungen bietet, hierzu zählen auch Schauturniere, Waffenspiele und sportliche Wettkämpfe; – zu einem gelungenen Fest gehören eine gelöste Stimmung, Geselligkeit und Fröhlichkeit; – Gäste und das Unterhaltungsprogramm bestreitende Künstler erhalten im Verlauf und zum Abschluss eines Festes viele und kostbare Geschenke; wie bei Unterbringung und Bewirtung zeichnet auch hier seine Freigebigkeit den Hausherrn aus; – Feste sind auf die Dauer mehrerer Tage, in besonderen Fällen sogar Wochen angelegt. In der Bewertung der Historiker stellt der Mainzer Hoftag, die „curia celebris von 1184 eine Verbindung von Hoftag und Hoffest, von Politik und Repräsentation, von Macht und höfischem Glanz“ dar und ist „in alledem: ein Ausdruck der Verbindung von Kaisertum und Rittertum“.117 Der Dichter Heinrich von Veldeke nahm auf dieses besondere Ereignis auch deshalb Bezug, weil es für ihn die Erfüllung des Ritterideals verkörperte.118 Auf dem
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Fleckenstein (1972), S. 1025 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1025; auf die Möglichkeit, dass auch herrschaftsstiftende bzw. -sichernde Interessen der Thüringer Landesherrn in eben diesen Passagen ihren Ausdruck finden, an deren Hof das Epos fertiggestellt wurde, verweist Haupt (1989), S. 122 ff.; ferner arbeitet sie die Unterschiede zwischen dem Mainzer Hoffest
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Mainzer Hoftag zog das Deutsche Reich erstmals mit der Entwicklung des Rittertums in Frankreich gleich.119 Heinrich von Veldeke und nach ihm andere Dichter nahmen diese Entwicklung in Verbindung mit antiken und zeitgenössischen Erzählstoffen auf und erschlossen damit eine „neue, ideale Bildungswelt“, die wiederum als Vorbild für das Rittertum und dessen Ausprägung wirkte:120 „Welchen Eindruck die Mainzer Tage gemacht haben, ist auch daran abzulesen, daß dieses Fest seinerseits zum Maßstab für poetische Festbeschreibungen wurde.“121 Deutlich wird, worum es den mittelalterlichen Autoren – und wohl auch ihrem Publikum – ging, wenn ein Erzählverlauf die Beschreibung von Festen und aufwändigen Gastmählern einbezog. Wichtig und deshalb erwähnenswert sind ihnen Pracht und Fülle, auch ein angemessenes Protokoll und eine gehobene Stimmung. In diesem Zusammenhang werden auch Einzelheiten beschrieben. Sie betreffen jedoch wie in Heinrichs ‚Eneasroman‘ mehrheitlich kostbare Geschenke, zuweilen auch die prachtvolle Ausstattung von Festteilnehmern und -räumlichkeiten. Bei Tisch ist wichtig, dass die Bedienung aufmerksam ist und dass Überfluss herrscht, dass mehr als genug aufgetragen wird. Von geringerer Bedeutung ist in der Regel, welche Speisen und Getränke aufgetragen wurden. Dies ist insofern überraschend, als besondere, auch im zeitgenössischen Verständnis erlesene Speisen und Getränke ebenso wie kostbare Geschenke als Ausdruck von Haltung (des Gastgebers), Vermögen, Exklusivität und damit der prachtvollen Repräsentation einer Hofhaltung gelten könnten. Die Ausnahmen, die diese generelle darstellerische Tendenz durchbrechen, sollen unten näher beleuchtet werden. 2.2.2 Zur Inszenierung des Festmahls Wie der große Rahmen eines Festes, seiner Organisation und Durchführung wird in der mittelhochdeutschen Epik auch die Ausrichtung von Festmählern näher beschrieben. Obwohl sich verschiedene Autoren mit Aspekten des Mahles und besonders der dabei geltenden Etikette befassten,122 haben sich andere Autoren dieses Themas kaum ähnlich detailliert ange-
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und dem ‚Eneasroman‘ heraus, die sie besonders im Hochzeitsmotiv und in der Minnethematik verortet, vgl. Haupt (1989), S. 105 ff. Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1027 Vgl. Fleckenstein (1972), S. 1033 Bumke (2005), S. 280 Vgl. verschiedene Beispiele bei Roos (1975), passim
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nommen wie Wolfram von Eschenbach im ‚Parzival‘123, ähnlich im ‚Willehalm‘124, die beide zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden.125 Wie Hartmanns Werke beruhen auch diese beiden Epen auf französischen Quellen.126 Zwei Merkmale, die Wolframs Schaffen eigen sind, lassen sie für eine kulturhistorische Betrachtung auch der ‚deutschen‘ Verhältnisse interessant erscheinen: – zum einen der von Ehrismann angeführte „Grundsatz …, daß Wolfram noch weniger als Hartmann bloßer Übersetzer war“127 und – zum andern, dass er in seinen Werken mehr als jeder andere zeitgenössische Erzähler auch Einzelheiten rund um die Themen Mahl und Speisen beschreibt. Er begnügt „sich selten mit dem Konventionellen … Genreszenen, Nebenhandlungen und Reflexionen geben fast jeder Mahlzeit einen eigenen Charakter.“128 Man könnte aus heutiger Perspektive geneigt sein, in Wolfram einen ‚Gourmet‘ zu vermuten. Er muss sich in der gehobenen Speisekultur seiner Zeit gut ausgekannt haben, jedenfalls soweit, dass bei „Wolfram eine Schwäche für Speisenkataloge“ erkannt wurde.129
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Zitiert wird folgend nach Wolfram von Eschenbach. Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Einführung zum Text von Bernd Schirok. Berlin/New York 1998 Zitiert wird nach Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen herausgegeben von Joachim Heinzle. (ATB. Nr. 108). Tübingen 1994 Joachim Bumke datiert den ‚Parzival‘ zwischen 1200 und 1210, den ‚Willehalm‘ zwischen 1210 und 1220, vgl. seinen Beitrag ‚Wolfram von Eschenbach‘ im VL Bd. 10 (1999), Sp. 1376–1418, hier: Sp. 1378; vgl. Ehrismann (1954), S. 212 ff., S. 232 und S. 270 f. Der ‚Parzival‘ folgt ‚Le conte du Graal‘ von Chrétien von Troyes, der ‚Willehalm‘ der Chanson de geste ‚Aliscans‘ aus dem Epenzyklus um Guillaume d’Orange, vgl. Bumke (1999), Sp. 1393 f. und 1405 ff.; vgl. Ehrismann (1954), S. 233 ff. und S. 275 ff. Ehrismann (1954), S. 236 f. Roos (1975), S. 365 Roos (1975), S. 365; die Detailfreude Wolframs beschränkt sich jedoch nicht auf Speiseszenen. Kleidung, Rüstung, Waffen und andere Ausstattungen beschreibt er genauso bunt und abwechslungsreich. Ebenso umfänglich sind genealogische und geographische Kataloge, die angesichts des dem Kreuzzugsthema (im ‚Willehalm‘) verpflichteten Stoffes nicht verwundern. Setzt man Wolframs umfangreiche Textkonvolute jedoch ins Verhältnis zu den dort vorhandenen Speiseszenen (allein der ‚Willehalm‘ umfasst etwa 14 000 Verse), kann für ihn ein im Verhältnis zu anderen mittelhochdeutschen Autoren überproportionales Interesse an Speiseszenen kaum angenommen werden
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Ein Blick, wenn nicht gar eine Vorliebe für Details wird auch in Wolframs Schilderungen von Festvorbereitungen offenbar, in die auch die Gestaltung des Rahmens von Festmählern eingebaut ist. Im ‚Parzival‘ beschreibt er die Hochzeitsfeierlichkeiten für Gawan und Orgeluse. Hier finden sich verschiedene Elemente eines festlichen Rahmens aufgeführt, die teilweise oder umfänglicher auch in anderen Epen begegnen und deshalb gleichsam als musterhaft gelten können. Die nach einer Festeinladung bestehende Erwartung vieler Gäste rückt räumlich neben deren Unterkunftsmöglichkeiten130 im Zusammenhang von Festmählern besonders den Küchenkomplex131 sowie den Festraum in den Blick, der in Burgen und an Höfen mehrheitlich durch den palas gestellt wurde, den großen Hauptsaal, der allein eine größere Anzahl von Gästen aufnehmen konnte.132 Zu besonderen Anlässen, so auch für Feste, wird nicht nur bei Wolfram der palas mit einigem Aufwand hergerichtet und geschmückt. An die (steinernen oder gemauerten) Wände werden Wandbehänge gespannt, die den Gästen das Sitzen an den oder in der Nähe der kalten Mauern angenehmer machen sollen: manec rückelachen133 in dem palas wart gehangen.
(‚Parzival‘, 627, 22 f.)
Der im Regelfall ebenfalls nackte Boden wird mit Teppichen bedeckt: aldâ wart niht gegangen wan ûf tepchen wol geworht.
(‚Parzival‘, 627, 24 f.)
Die an den Wänden entlang aufgestellten Bänke und Sitzgelegenheiten werden zur größeren Bequemlichkeit der Festteilnehmer mit weichen Federkissen belegt, über die kostbare Steppdecken drapiert werden:
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Vgl. hierzu Bumke (2005), S. 286 ff. Vgl. dazu unten im Anhang den Abschnitt II Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 197 s.v. palas: „grösseres gebäude mit einem hauptgemache, das zum empfange der gäste, zur versammlung u. bes. als speisesaal dient“ Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 523 s.v. rückelachen: „tuch zwischen rücken u. wand, wandbehang“; vgl. auch ‚Nibelungenlied‘, Str. 565: Der palas unt die wende daz was über al gezieret gegen den gesten. der Guntheres sal der wart vil wol bezimbert durch manegen vremden man. dísiu vil starke hôchzît diu huop sich vil vrœlîchen an.
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alumbe an allen sîten mit senften plûmîten134 manec gesiz dâ wart geleit, dar ûf man tiure kultern treit.135
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(‚Parzival‘, 627, 27 ff.)136
An einer anderen Stelle wird der Boden des Raumes zusätzlich mit duftenden Blumen oder aromatischen Würzstoffen bestreut: vor im ûfem teppech lac pigment und zerbenzînen smac, müzzel und arômatâ. durch süezen luft lag ouch dâ drîakl und amber tiure: der smac der was gehiure. Swâ man ûfen teppech trat, cardemôm, jeroffel, muscât lac gebrochen undr ir füezen.
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(‚Parzival‘, 789, 25 ff.)137
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 257 s.v. phlûmît: „mit flaumfedern gefülltes sitzkissen“; Polsterkissen werden ebenfalls erwähnt, vgl. ‚Parzival‘ 760,13 ff. Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1766 s.v. kulter: „gefütterte steppdecke“ Ganz ähnlich im ‚Willehalm‘, 244, 10 ff.: nû heiz des balde gâhen daz der palas an allen sîten mit semften pflûmîten sî beleit und teppiche vil dar vür, ûf diu pflûmît kultern von der kür, daz man in tiure müeze jehen, swer sie hie ûf rouche sehen, von pfellen, die geben liehten schîn!
137
Vgl. auch 132, 16 ff. In der Übersetzung zur Stelle so wiedergegeben: „Vor ihm auf dem Teppich lagen Spezereien und Zerberinthenbalsam, Späne von Duftholz und aromatische Essenzen. Die Luft zu bessern hatte man auch Theriak hingelegt und teures Ambra, die rochen angenehm“. Sobald jemand auf den Teppich trat, hatte er Kardamom, Gewürznelken und Muskatnuss zerkleinert unter seinen Füßen. – Eine ähnliche Beschreibung findet sich in der wohl um 1290 entstandenen ‚Tristan‘-Bearbeitung Heinrichs von Freiberg: … hiez schône und küniclîchen wol ummehengen sînen sal mit sperlachen über al, die glesten glanz von golde fîn. mit tiuwern tepichen sîdîn wart der estrich beleit und rôsen vil dar ûf gespeit (V. 2520 ff.), zit. nach Bumke (2005), S. 248, Anm. 37; taufrische Rosen werden auch im ‚Willehalm‘ auf einen Teppich ausgebracht, vgl. V. 144, 1 ff.; im ‚Willehalm‘ dienen die oben genannten aromatischen Stoffe in fast identischer Aufzählung der Wundpflege bzw. der Einbalsamierung:
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Hier findet sich ein ganzes Kaleidoskop der ‚Wohlgerüche des Orients‘ versammelt: Pigment, Sammelbegriff für Gewürze und Spezereien,138 daneben zerbenzerî,139 wohlriechende Substanzen140 und Aromen. Dazu gehören Theriak, ein seit der Antike auf der Basis von Anis, Fenchelsamen und Kümmel hergestelltes Heilmittel, das im Mittelalter um weitere, vornehmlich stark aromatische Zutaten ergänzt wurde,141 und Ambra,142 eine wachsartige Substanz, die besonders aus dem arabischen Raum bezogen wurde und deren Duftnote als holzig, balsamisch und etwas tabakartig beschrieben wird.143 Ferner entfalten Kardamom, Gewürznelken144 und Muskatnuss145 ihre Duftkraft unter den Füßen derer, die den Teppich betreten.146
swâ man sach ir wunden, die wurden an den stunden mit balsem gestiuwert. (müzzel und zerbenzerî, arômâte und amber was derbî), swâ der pflaster deheines lac, dâ was immer süezer smac. 138 139
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142 143 144
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(451, 17 ff.)
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 269 s.v. pigmente Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 1061 s.v. zerbenzerî: „eine specerei, zerebinthe“; möglicherweise ist damit das Harz oder die Frucht der schon in der Bibel (Gen. 35,4) genannten Terebinthe (Pistacia atlantica, Pistacia palaestina) gemeint, vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Pflanzen_in_der_Bibel Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 2262 s.v. müzzel Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 461 s.v. drîakel und den ausführlichen Artikel zur Geschichte des Theriaks bei http://de.wikipedia.org/wiki/Theriak Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 48 s.v. amber Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ambra Das von Wolfram gebrauchte Wort ist dem französischen girofle entlehnt, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1480 s.v. jeroffel Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 2256 s.v. muscât; nicht zu verwechseln mit dem Sp. 2258 angeführten mûskât, das hier schwerlich gemeint sein dürfte Wohlgeruch dient hier als eines der besonderen Kennzeichen feiner Lebensart und höfischer bzw. herrschaftlicher Sphäre, das bewusst auch als solches eingesetzt wird: „Duft ist ein Attribut von Herrschaft, ein Statusindikator, und die Fülle der Spezereien, die Wolfram von Eschenbach aufzählt, signalisiert recht eindrücklich das weite Spektrum der höfischen Möglichkeiten, die Sphäre des Herrschers durch den Geruch der Herrschaft zu signalisieren“, so Horst Wenzel: Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, S. 176. Eine der zitierten ‚Parzival‘-Passage vergleichbare Szene bietet auch Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. Zum ersten Male herausgegeben von Viktor Junk. (Leipzig 1928/29). (Neudruck) Darmstadt 1970, V. 13273 ff. – Deutlich wird die Bedeutung eines angenehmen Odors im höfischen Bereich auch, wenn Wohlgestalt und Wohlgeruch Schaden nehmen oder verloren gehen, so z. B. in
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Wie auch Sitzgelegenheiten gehörten Tische nicht zur ständigen (sehr kargen) Möblierung eines Festsaales. Sie wurden, aus Tischböcken und -platten zusammengesetzt, erst unmittelbar vor den Mahlzeiten aufgebaut.147 Fortlaufend begegnen deshalb Wendungen wie und waz man tafeln für si truoc.
(‚Parzival‘, 809, 17)148
Die Anordnung der Tische erfolgt in direkter Reihung als lange Tafel149 oder in Einzelgruppen, was Joachim Bumke zufolge als besonders höfisch, modern und damit durchaus als ‚chic‘ galt.150 Eine solche Szene nimmt Wolfram im ‚Parzival‘ in den Blick, wenn die Platzierung von jeweils vier Rittern an einem Tisch den vorherigen Transport von sehr vielen Tischen – hier geschätzte hundert – bedingt: Der taveln muosen hundert sîn, die man dâ truoc zer tür dar în. man sazte ieslîche schiere für werder ritter viere.
(237, 1 ff.)
Die mittelhochdeutsche Epik kennt daneben, besonders in den arthurischen Romanen, die Anordnung der Tische im Kreis. Um keinen Gast durch die Zuweisung eines möglicherweise als unangemessen empfundenen Sitzplatzes am Ende der Tafel zu brüskieren, lässt nach Wolframs Erklärung König Artus die Tische zu der berühmten ‚Tafelrunde‘ arrangieren. Sie wird im Vergleich mit einem aus dem Morgenland stammenden, runden Tischtuch beschrieben:
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Konrads von Würzburg ‚Engelhard‘, als der Freund des Helden, Dietrich, nach einem Betrugsmanöver so schwer von Aussatz (miselsuht) befallen wird, dass er sich nicht nur aus jeder Gesellschaft zurückziehen muss, sondern ihn schließlich sogar seine Frau meidet, vgl. Konrad von Würzburg. Engelhard. Herausgegeben von Ingo Reiffenstein. 3., neubearbeitete Auflage der Ausgabe von Paul Gereke. (ATB. Nr. 17). Tübingen 1982, V. 5147 ff. Vgl. T. Capelle zu „Mobiliar“ in RGA Bd. 20 (2002), S. 116–118, hier: S. 117 und Bumke (2005), S. 263 Vgl. ‚Parzival‘ 166, 5; 170, 7 oder 639, 3, wo die Tische nach dem Essen wieder entfernt werden, ebenso ‚Willehalm‘, 182, 1: man nam die tische gar hin dan Vgl. ‚Parzival‘ 176, 13: der tisch was nider unde lanc. Vgl. Bumke (2005), S. 251; Pieth (1909), S. 31, führt weitere Belege auf, die jedoch nicht durchgehend überzeugen Vgl. Bumke (2005), S. 254
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niht breit, sinewel gesniten, al nâch tavelrunder siten; wande in ir zuht des verjach: nâch gegenstuol dâ niemen sprach, diu gesiz wârn al gelîche hêr.
(‚Parzival‘, 309, 21 ff.)151
Dass eine solche ‚diplomatische Lösung‘ der protokollarisch nach Rang und Stand geregelten Sitzordnung einen großen Reiz gehabt haben muss, belegen mehrere, in zeitgenössischen Chroniken dokumentierte Streitfälle, in denen es um die ‚richtige‘ Sitzordnung bei Tisch und ihre zuweilen drastisch eingeforderte Korrektur geht.152 Joachim Bumke verweist diese Form der Tafel jedoch grundsätzlich in den Bereich der literarischen Fiktion.153 Vielleicht begrenzten räumliche Möglichkeiten die Nachahmung der Tafelrunden-Anordnung. Denn eine große Runde kann – je nach ihrem Durchmesser – mehr Raum für wenige Teilnehmer in Anspruch nehmen als lange Tafeln oder Einzeltische für viele Gäste. Auf die noch blanken Tische werden Tischdecken gelegt, deren Reinheit durch das Attribut wîz oft betont wird: nu was ouch zît daz man dar truoc tischlachen manegez wîz genuoc untz prôt ûf den palas 151
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(‚Parzival‘, 636, 15 ff.).154
Zum gegenstuol oder geginsidele, dem „Ehrensitz gegenüber dem Platz des Hofherrn“, vgl. Bumke (2005), S. 250; in der ‚Tristan‘-Bearbeitung Heinrichs von Freiberg wird das aus Wolframs ‚Parzival‘ zitierte Motiv noch ausführlicher behandelt: die tavel houbt noch ende hât nicht weder hie noch dort, nindert ecke noch kein ort: die helde, die mit ritters tât ir manheit sô gewirdet hât und ritterlîch erworben hân, daz sie gesitzen dar an, die sitzen alle hêrlîch, in einer hêrschaft alle glîch (V. 1340 ff.), zit. nach Bumke (2005), S. 251, Anm. 47 Bumke (2005), S. 250 f. führt ein Beispiel aus dem Jahre 1298 auf, als anlässlich der in Nürnberg stattfindenden Huldigung an den neuen König Albrecht I. die Erzbischöfe von Mainz und Köln darüber in Streit gerieten, wer von ihnen beim Essen rechts neben dem König sitzen dürfe – die Frage sollte nach Meinung des Kölners durch einen Zweikampf entschieden werden; dass die Sitzordnung allgemein ein heikles Thema sein konnte, belegt auch ein Vorkommnis auf dem Mainzer Hoftag von 1184, auf dem der Abt des Klosters Fulda und der Erzbischof von Köln über die Frage heftig aneinander gerieten, wer zur Linken des Kaisers Friedrich Barbarossa sitzen dürfe, vgl. Wolter (1991), S. 196 Vgl. Bumke (2005), S. 251; neben poetischen Belegen, die auf lange Tafeln und Einzeltische verweisen, bezieht er sich in seinem Urteil besonders auch auf zeitgenössische bildliche Darstellungen; hier ist jedoch mit Blick auf deren Zeugniswert Skepsis geboten, vgl. unten Kap. 3 Vgl. ‚Parzival‘, 237, 5 f.; vgl. Pieth (1909), S. 17 mit weiteren Belegen. Dass, wie Pieth dort behauptet, diese Tischtücher aus weißem (gebleichtem) Leinen gewirkt waren, ist wahrscheinlich, geht jedoch aus den vom ihm (aus der zeitgenössischen Dich-
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Ein weiteres Charakteristikum (wohl nicht nur) der höfischen Tafel findet sich in diesem Zitat angedeutet: das Brot, das in den Palas getragen wurde, legte man direkt auf die Tischtücher; die flachen Scheiben oder fladenartig geformten Brote dienten als Tellerersatz, als Unterlage für die dazu in eigenen Schüsseln (heiß) aufgetragenen Fleisch-, Fisch- oder Eierspeisen.155 Zuweilen steht die Wendung, dass das Brot auf- (den Tisch) gelegt wird, stellvertretend dafür, dass eine Mahlzeit stattfindet oder dass eine Tafel bereitet wird: dô was ouch ûf geleit daz prôt.
155
(‚Parzival‘, 165, 15)
tung) angeführten Belegen nicht hervor, vgl. auch Lex. Bd. II (1992), Sp. 1443 s.v. tischlachen. – Dass die Tischtücher so oft als von ‚strahlendem Weiß‘ beschrieben werden, scheint kein Zufall zu sein. Die im Mittelalter nach heutigen Vorstellungen beschränkten Reinigungsmöglichkeiten lassen vermuten, dass die Tischtücher tatsächlich oft anders ausgesehen haben dürften und auch im gewaschenen Zustand Spuren früherer Nutzung zeigten. Ganz weiße, unbefleckte Tischtücher könnten damit auch einen Hinweis auf besondere Exklusivität bedeuten Eine in diesem Zusammenhang hübsche Episode ist im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke überliefert. Der weise Trojaner Anchises ermahnt in den Elysischen Gefilden seinen Sohn Äneas, sich an derjenigen Küste eine neue Heimat zu suchen, an der die Trojaner aus Hunger ihr ‚Tischgerät‘ verspeisen würden: „sun, gedenche vil wol des, !d "az ich dich wise: iv sol auer div spise !e"in teil tivre werden, er choment z˚u der erden ienihalp uber mer, so daz du vnd din her, !d "ie helde wol vermezzen, durch not sult ir ezzen !i"wer schuzeln u˚ f iwerm tische alse vleis unde vische vnd alse ander lipnar. vnd swenne du chumest dar, sun, da du diz t˚ust, so bistu, da dv wohnen m˚ust vnd ze dinem ende beliben.
(109, 34/V. 3704 ff.)
Im Text der Ausgabe in V. 110, 1 bei u˚ f und in V. 110, 8 bei m˚ust ein v statt des hier gesetzten u. – Tatsächlich müssen die Heimatlosen später auf ihre ‚Schüsseln‘, die sie aus Brot formen, zurückgreifen (111, 9/V. 3759 ff.). Auf diese Weise wird die schon bei Vergil überlieferte Notlage der Trojaner ironisiert, da sich die ‚Tische‘ Vergils bei Heinrich von Veldeke als die gebräuchlichen Brotunterlagen entpuppen. Zudem ist die geschilderte Notlage nicht ganz glaubhaft, da es neben Brot bei der besagten Mahlzeit auch noch Fleisch gab (111, 28/V. 3778). Vgl. zu dieser Szene auch unten S. 193 f. mit Abb.
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Teller werden weder als Anrichteplatte noch als Eßgeschirr erwähnt. Sie wurden in der heute gebräuchlichen Form erst im Spätmittelalter üblich, obwohl es bereits im 12. und 13. Jahrhundert Holzbrettchen und gedrechselte Holzteller gab.156 Sie erscheinen jedoch weder in den Schilderungen höfischer Tafeln noch in anderen Kontexten. Neben den ‚Brottellern‘ wurde weiteres Tafelgerät aufgedeckt, in der Regel wohl Salzfässer157 und Trinkgefäße, von denen im ‚Parzival‘ kostbare hochfüßige nepfe158 aufgeführt werden: daz muosen tiure näphe sîn von edelem gesteine, wît, niht ze kleine. si wâren alle sunder golt.
(84, 24 f.)
Daneben werden becherförmige köpfe,159 zuweilen allgemeiner auch vezzer erwähnt: vil manic goltvaz rîche, dar inne brâht’ man wîn (‚Nibelungenlied‘, 1328, 3).160 156
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Vgl. den Artikel ‚Teller‘ von A. Falk in: LexdMA Bd. VIII (1997), Sp. 530 f.; wenn Schultz (1903), S. 300 ein Gedeck des 12./13. Jahrhunderts allgemein mit „Teller, Brot, Serviette, Messer, vielleicht auch Löffel“ beschreibt, irrt er bezüglich des Tellers wohl. Aus archäologischen Funden kennen wir zwar flache, aus Holz gedrechselte Teller/Scheiben (vgl. unten Kap. 8), ob sie jedoch allgemein gebräuchlich und auch weit verbreitet waren (was die Formulierung von Schultz vermittelt), kann auch heute wohl kaum abschließend beurteilt werden, zumal auch mittelalterliche Bilddarstellungen in diesem Punkt nicht weiterhelfen. Servietten sind ebenfalls weder literarisch noch auf zeitgenössischen Bilddarstellungen belegt. Wenn sie üblich gewesen wären, machten die in den Tischzuchten (vgl. unten Abschnitt 2.2.4) niedergelegten Anweisungen, sich nicht an Tischdecken oder an der eigenen Kleidung die Hände/ Finger abzuwischen, kaum Sinn. Der Reinigung der Hände diente das Händewaschen mit eigens vor und/oder nach dem Mahl gereichten Wasserbecken und Handtüchern. Über Messer/Besteck vgl. auch unten Kap. 8 Vgl. Pieth (1909), S. 16 und Schultz (1889), S. 370, ebenso Schwarz (1970), S. 138; Belege führt jedoch keiner der genannten Autoren auf Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 33 s.v. napf, naph: „hochfüssiges trinkgefäss, trinknapf“ Vgl. Pieth (1909), S. 19f. mit literarischen Belegen. Ihm zufolge ist der kopf gleich „Becher …, der, auf einem hohen Fuße stehend, sich oben halbkugelförmig erweitert und mit einem Deckel verschließbar ist“. In jüngeren Arbeiten finden sich kopf und napf fast gleich beschrieben als „Trinkgefäße in Form einer tiefen Schale im Gegensatz zur flachen Schale, die auch Schale benannt wurde“, Max Hasse: Neues Hausgerät, neue Häuser, neue Kleider. – Eine Betrachtung der städtischen Kultur im 13. und 14. Jahrhundert sowie ein Katalog der metallenen Hausgeräte, in: ZAM 7 (1979), S. 7–83, hier: S. 73; vgl. auch die Abb. derartiger Gefäße S. 16f. sowie unten in Kap. 8 dieses Bandes Vgl. auch Lex. Bd. III (1992), Sp. 34 s.v. vaz: „fass, gefäss, schrein u. dgl.“
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Eine Stelle im ‚Parzival‘ belegt, dass auch Glasbecher zumindest bekannt gewesen sein müssen. Dort wird ein mit Wein gefüllter Glaspokal genannt: mit wîn ein glesîn barel
(622, 9).161
Die schon genannten vezzer können als universal einsetzbares Tischgerät bezeichnet werden. In ihnen werden neben Getränken auch Beigerichte, Saucen und Tunken gereicht: in kleiniu goltvaz man nam, als ieslîcher spîse zam salssen, pfeffer, agraz.
(‚Parzival‘, 238, 25 f.)162
An kaum einer Stelle fehlt die Bemerkung, dass all diese Geräte teuer und kostbar gestaltet seien, indem sie entweder aus Edelmetallen gearbeitet und/oder als mit Edelsteinen besetzt beschrieben werden.163 Im ‚Parzival‘ sind goldene Trinkgefäße mit Edelsteinen verziert oder sollen ganz aus Edelsteinen wie Smaragd, Karneol und Rubin bestehen:
161
162
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 128 s.v. barel: „becher, pokal“. Schultz (1889), S. 377 ff. stützt sich bei seinen Ausführungen über Glas- und Kristallbecher vornehmlich auf altfranzösische Quellen, so dass seine Schlussfolgerungen für den deutschsprachigen Bereich nicht repräsentativ sein müssen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die Übersetzung Pieths, der guttrel von glase im ‚Willehalm‘, 326, 17, als „Glasbecher“ übersetzt, vgl. Pieth (1909), S. 20. Diese Übersetzung weist in eine falsche Richtung, da es sich bei einem gutrel oder kuterolf um ein „langes, enges glas“ eher schon in Flaschenform handelt, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1128 s.v. gutrel und Sp. 1804 s.v. kuterolf. Entsprechend geht es auch aus der angesprochenen ‚Willehalm‘-Textstelle hervor: in dem guttrel wird nämlich Wein gekühlt, indem man das Gefäß in kaltes Wasser stellte. Der Kuttrolf oder Angster ist ein sog. ‚Scherzglas‘, dessen „Besonderheit darin liegt, dass es einen zwiebelförmigen Bauch und einen aus drei bis fünf Röhren bestehenden Hals besitzt … Das Trinken aus einem solchen Glas ist absichtlich etwas schwierig“, denn „die Halsröhren sind vertikal um 90° tordiert. Wenn man aus einem Angster trinkt, hört man ein lautes Gurgeln oder Glucksen“. Für Köln ist die Herstellungstechnik seit dem 3./4. Jahrhundert nachgewiesen, und mehrröhrige Flaschen sind durchgehend bis ins Mittelalter belegt, vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Angster_(Glas), dort auch Zitat. Mehrere Abbildungen von aus dem Spätmittelalter stammenden Angstern und Kuttrolfen bietet Franz Rademacher: Die deutschen Gläser des Mittelalters. Berlin 1933, Tafel D Cf. ‚Parzival‘, 810, 3 ff.: der heiden vragte mære, wâ von diu goltvaz lære vor der tafeln wurden vol.
163
Vgl. Pieth (1909), S. 19 mit ausführlichen Belegen
74
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
dô bôt man in daz trinken dar in manegem steine wol gevar, smârâde unde sardîn: etslîcher was ein rubîn.
(85, 1 ff.)
Besteck wird als Tafelauflage selten genannt. Gabeln, deren Gebrauch sich in Nordwesteuropa erst in der frühen Neuzeit allgemein verbreitete,164 waren lediglich als Vorlege- oder Tranchiergerät bekannt.165 Messer als eigens aufgedecktes Besteck werden ebenfalls kaum erwähnt, im ‚Parzival‘ beispielsweise nur dann, wenn die außergewöhnliche Qualität dieses Geräts, hier seine besondere Schärfe, hervorgehoben werden soll: zwei mezzer snîdende als ein grât brâhten si durch wunder ûf zwein twehelen al besunder. daz was silber herte wîz: dar an lag ein spæher vlîz: im was solch scherpfen niht vermiten, ez hete stahel wol versniten.
(234, 18 ff.)
Wenn nicht durch die Bedienung bei Tisch tranchiert wurde, werden von den Tafelnden zum Schneiden und Zerkleinern der Speisen diejenigen Messer benutzt worden sein, die die Tafelnden ohnehin bei sich trugen.166 164
165 166
Über dieses Phänomen hat sich Elias (1981), S. 170ff. einleuchtende Gedanken gemacht. Vgl. auch den Artikel ‚Eßbesteck‘ von Torsten Capelle, in: RGA Bd. 7 (1989), S. 573–577 sowie den Artikel ‚Gabel‘ von Klaus Düwel, in: RGA Bd. 10 (1998), S. 307: „Insgesamt gesehen beibt … die individuelle Eß-G. bis zum 16. Jh. weithin unbekannt. Bild-, Sach- und Textzeugnisse belegen die aus edlen Metallen hergestellte und meist einzeln vorkommende Speise-G. als Statussymbol der Oberschicht.“ Düwel merkt dort ferner an, dass Hinweise auf eine „kirchl. Ächtung des Gerätes als typisches Werkzeug des Teufels“ vorliegen und führt dafür u.a. Schriften Hildegards von Bingen an Vgl. Pieth (1909), S. 19 und Schultz (1889), S. 375 Vgl. Capelle zu ‚Eßbesteck‘ (1989), S. 575: „Am häufigsten ist wahrscheinlich das Messer als Eßbesteck verwendet worden. Das kleine, ständig bei sich getragene Messer war ein auch zum Speisen nutzbares Vielzweckgerät … Manchmal waren sie [die Messer, d. Verf.] in einem gesonderten Futteral untergebracht, das am Gürtel getragen wurde. Sie entsprechen damit dem in Mitteleuropa noch bis in die frühe Neuzeit geübten Brauch, als Gast sein Besteck selbst mitzubringen.“ Eine entsprechende Ausstattung eines Zeitgenossen wird im ‚Kleinen Lucidarius‘ (‚Seifried Helbling‘) beschrieben. Neben anderen Kleidungsmerkmalen wird dort ein Gürtel genannt, an dem ein in einer doppelten Messerscheide steckendes Messer angebracht ist: sîn gürtel ist beslagen smal, dar an ein mezzer mit zwei schaln
(I, 232 f.).
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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Löffel werden zwar in der höfischen Literatur als Tischgerät nicht aufgeführt, könnten jedoch zuweilen ihren Platz auf der vornehmen Tafel gehabt haben.167 Arrangiert wurden die Gedecke so, dass sich je zwei Speisende Schüsseln, Becher und Geräte teilten.168 Neben diese zum Speisen selbst benötigten Gerätschaften werden Kerzenleuchter gestellt, die – zusätzlich zur Decken- oder Wandbeleuchtung169 – die Tafeln ins rechte Licht setzen sollen: ûf al die tische sunder truoc man kerzen dar ein wunder.
(‚Parzival‘, 638, 13 f.)
Satirisch aufs Korn genommen wird in diesem Zusammenhang die übertriebene und nach Auffassung des Autors nicht zu einem Österreicher passende Ausstaffierung eines zuvor beobachteten ‚Gecken‘. Als übertrieben gilt nicht das Messer im Gürtel selbst, sondern wohl die doppelt gearbeitete Messerscheide. Ein Messer als ‚Grundausstattung‘ wird auch an einer anderen Stelle genannt: dâ hinc ein guot mezzer an, als ichz gesehen hân; diu klinge moht wol guot sîn, daz heft was klein flederîn. wol stuont im al sîn kleit.
167
Zitiert wird nach der Ausgabe von Joseph Seemüller: Seifried Helbling. Halle/S. 1886. Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 638 s.v. schal, schale; ferner Elias (1981), S. 164 ff. Der richtige Gebrauch des Löffels wird in der sog. ‚Hofzucht des Tannhäusers‘ beschrieben (vgl. dazu auch unten Abschnitt 2.2.4): kein edeler man selbander sol mit einem leffel sûfen niht
168
169
(I, 491 ff.)
(V. 33 f.);
zitiert wird die Hofzucht hier und folgend nach der Ausgabe von Moriz Haupt in: ZfdA 6 (1848), S. 488–498, hier S. 489 Dies geschah nicht etwa, weil für die vielen Gäste nicht genug Geschirr vorhanden gewesen wäre, wie Pieth annimmt, vgl. Pieth (1909), S. 18; zum höfischen Rahmen hätte ein solcher ‚Mangel‘ weder gepasst noch hätte er sich angemessen darstellen lassen. Das Teilen des Tischgerätes ist vielmehr ein Ausdruck zeitgenössischer Gebräuche, vgl. dazu auch unten Abschnitt 2.2.4 Im ‚Parzival‘ wird mehrfach die Ausstattung eines Saales mit Kronleuchtern erwähnt: si giengen ûf ein palas. hundert krône dâ gehangen was, vil kerzen drûf gestôzen, ob den hûsgenôzen, kleine kerzen umbe an der want
(229, 23 ff.).
Vgl. ferner ‚Parzival‘, 638, 9 ff. sowie Bumke (2005), S. 248
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Nach Beendigung dieser Vorbereitungen treffen die Gäste ein, werden begrüßt und (vom Hausherrn oder von seinem Truchsessen) gebeten, an der Tafel Platz zu nehmen.170 Die angemessene Platzierung der Gäste an der Tafel gehört zum Aufgabenbereich des Truchsessen, eines Hofamtes, das seit dem Ende des 12. Jahrhunderts an vielen deutschen Hofhaltungen etabliert ist.171 Dem Amt des Truchsessen obliegt es, für den reibungslosen Verlauf des Festes und der Festmahlzeiten zu sorgen und dabei besonders auch über die Einhaltung eines angemessenen Protokolls zu wachen.172 Zusammen mit dem Truchsessen werden meistens auch zwei weitere Hofämter genannt, die für die angemessene Bewirtung und Bedienung der Gäste Sorge zu tragen hatten, die Kämmerer und die Schenke: aldâ die werden âzen. kamerær, truhsæzen, schenken, muosen daz bedenken, wie manz mit zuht dâ für getruoc.
(‚Parzival‘, 777, 26 ff.)173
Die Aufgabe der Kämmerer bestand während des Festmahles darin, für eine aufmerksame und reibungslose Bedienung der Gäste zu sorgen.174 Darüber hinaus wachten sie über die Bestände an Nahrungsmitteln, die Küchendienste und waren – oft gemeinsam mit dem Hofmarschall – auch für Unterbringungsfragen innerhalb der Hofhaltung zuständig.175 Ihr umfangreicher Aufgabenbereich ist demnach mit dem speziellen Amt, „bei Tisch den Gästen die Schüsseln und Tücher für das Händewaschen … zu reichen“, nicht hinreichend erfasst.176 Kämmerer treten selbst vornehmlich im Rahmen besonderer Ehrerbietungen in Aktion,177 in der Regel führen sie im Rahmen ihrer Aufgaben auch die Aufsicht über die Dienerschaft aus. 170 171
172
173 174 175 176
177
Vgl. ‚Parzival‘, 636, 15 ff. und öfter Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1542 f. s.v. truht-, truhsæze: „der die speisen … aufsetzt, truchsess“; ausführlicher Bumke (2005), S. 77 Vgl. Bumke (2005), S. 249 ff. Als Zeichen seines Hofamtes trägt der Truchsess einen langen Stab. In einigen hochmittelalterlichen Handschriftenilluminationen wird ein Truchsess mit diesem Stab auch gezeigt, vgl. dazu Abb. unten in Kap. 3 Vgl. ‚Parzival‘, 666, 25 ff. Vgl. Bumke (2005), S. 255 f. Vgl. Bumke (2005), S. 287 und 297 Pieth (1909), S. 34; auch Lex. Bd. I (1992), Sp. 1501 greift unter dem Stichwort kameraere mit der Funktionsbeschreibung „diener u. aufseher im frauen- u. schlafgemach“ zu kurz So, wenn im ‚Nibelungenlied‘ bei dem prächtigen Siegesfest zu Worms die Kämmerer Kriemhild auf ihrem Weg zum Festsaal vorausgehen und Platz schaffen: Die rîchen kamerære sah man vor ir gân.(284, 1)
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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Die Schenke hatten die Aufgabe, jeden Gast mit Getränken ausreichend zu versorgen.178 Dazu gehörte die Aufsicht über die angemessene Bevorratung von Getränken. Erst wenn alle Teilnehmer an einer Tafel Platz genommen haben, werden die verschiedenen Gerichte in Schüsseln und Schalen frisch aufgetragen. Oft wird an der Stelle einer ausführlicheren Schilderung der Tafelei lediglich erwähnt, dass es nun zum Essen ging, dass eingedeckt wurde oder dass die Tischtücher aufgelegt wurden: dar nâch fuor er enbîzen sân
(‚Parzival‘, 20, 27),
der tisch gedecket muose sîn
(‚Parzival‘, 175, 20),
dô truoc man tischlachen în
(‚Willehalm‘, 259, 22).
Zur Versorgung einer größeren Gästeschar mit Speisen, Getränken und Wasserschüsseln zum Reinigen der Hände vor und nach der Mahlzeit179 bedurfte es einer zahlreichen Dienerschaft. Neben Knappen werden auch junge Mädchen als Bedienung genannt, während die anderen Ämter durchweg von Herren bekleidet werden: swaz man dâ kniender schenken sach, ir deheim diu hosennestel brach: Ez wâren meide, als von der zît, den man diu besten jâr noch gît. 178
179
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 701 s.v. schenke: „einschenkender diener, mundschenk (hofamt)“ Da mit den Fingern gegessen wurde, gehörte das Händewaschen zum ‚comment‘ bei Tisch. Bemerkenswert ist, dass Wolfram es vor dem Essen fast nie auslässt (vgl. z. B. 237, 7; 550, 11 f.), nach dem Essen jedoch nicht erwähnt. Lediglich, als Parzival unterwegs ohnehin nichts zu essen hat und sich mit Wildpflanzen begnügen muss (so er diese überhaupt findet), gibt es den Kommentar, dass es nichts ausmache, wenn nach dieser ‚Mahlzeit‘ die Hände ungereinigt blieben, denn die Hände seien ohnehin nicht ‚fischig‘ (was andernfalls nicht angenehm wäre, sofern man sich die Augen riebe): Swâz dâ was spîse für getragen, beliben si dâ nach ungetwagen, daz enschadet in an den ougen niht, als man fischegen handen giht.
180
(‚Parzival‘, 423, 29 ff.)180
(487, 1 ff.)
Vgl. auch Roos (1975), S. 362 Da es junge Mädchen sind, die hier den Tischdienst versehen, ‚reißen‘ ihnen keine Hosenträger (wie möglicherweise Jünglingen, wenn sie sich zum Bedienen niederknien), vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1345 s.v. hosennestel: „hosenträger“
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Gleichzeitig wird an dieser Stelle eine besondere Haltung der Diener beim Servieren genannt: es wird knieend bedient,181 was dem Tafelnden oder Gast gegenüber wohl eine besondere Ehrerbietung oder Devotion ausdrückt. Nach Beendigung des Mahles wird die Tafel im wörtlichen Sinn ‚aufgehoben‘:182 genuoc man dâ gegeben hât: dies pflâgen, die griffenz an, si truognz gerüste wider dan.
(‚Parzival‘, 240, 10 ff.)183
Die auf Böcken gelagerten Tischplatten werden samt Untersatz abgebaut, und der Platz steht frei für den ‚geselligen Teil‘ des Festes, für Musik und Tanz.184 Möglicherweise wurde der Platz anschließend auch genutzt, um bei 181
182
183
184
Vgl. ‚Parzival‘, 237, 17 ff., wo jeweils vier Diener einem Tisch zugeordnet sind: zwêne knieten unde sniten: die andern zwêne niht vermiten, sine trüegen trinkn und ezzen dar, und nâmen ir mit dienste war. Die auf S. 241 gebotene Übersetzung der Passage lautet: „Zwei sollten niederknien und die Speisen vorschneiden, die anderen zwei Essen und Trinken hertragen und unverdrossen servieren.“ Auch an einer anderen Stelle findet sich die knieende Bedienung: Gahmuret wird bei Tisch durch Königin Belacane persönlich umsorgt, die ihm – in die Knie gegangen – vorschneidet, was ihm sehr peinlich ist, vgl. ‚Parzival‘ 33, 8 ff. Noch heute führt das Auf- und Abtragen der Tischplatten im Hochmittelalter ein Nachleben in der Redewendung ‚eine Tafel aufheben‘, vgl. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 2. Freiburg/Basel/Wien 1973, S. 1055 s.v. Tafel Vgl. ‚Willehalm‘, 182, 1: man nam die tische gar hin dan oder Konrads ‚Engelhard‘, V. 1313: biz daz der tisch erhaben wart Gawan hört sich nach seinem Hochzeitsmahl nach ‚Fiedlern‘ um, die sich unter den Knappen auch bald finden und Tänze aufspielen, die, wie Wolfram ausdrücklich vermerkt, nicht nach der modischen Thüringer Weise geartet waren: dô vrâgte mîn hêr Gâwân umb guote videlære. op der dâ keiner wære. dâ was werder knappen vil, wol gelêrt ûf seitspil. irnkeines kunst was doch sô ganz, sine müesten strîchen alten tanz: niwer tanze was dâ wênc vernomn, der uns von Dürngen vil ist komn.
(‚Parzival‘, 639, 4 ff.)
In der synoptischen Übersetzung (Ausgabe S. 643) wird diese Passage wie folgt wiedergegeben: „Da fragte mein Herr Gâwân nach Musik, ob vielleicht gute Geiger hier zu haben wären. Es waren viele adelige Knappen da, die das Saitenspiel wohl konnten. Allerdings war keiner vollkommen in der Kunst, ich meine: wenn sie alte Tänze
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Mangel an anderweitigen Unterbringungsmöglichkeiten Ruhebetten für die Gäste einzurichten.185 Wenn das reichliche Festmahl der vornehmen Gesellschaft beendet ist, stellt es eine Ausnahme dar, dass auch an die Dienerschaft der Gäste gedacht wird. Im ‚Willehalm‘ bittet die Königin die Gäste nach einer großen Tafelei, sie mögen vor ihrem Rückzug in ihre Gemächer ihrem Gefolge mitteilen, dass sie von den an der Tafel übrig gebliebenen Speisen und Getränken all das nehmen sollten, was sie möchten: „heizet iuwer gesinde hie ûf nemen al, daz sie künne gezemen von trinken und von spîse!“
(277, 15 ff.)
Festveranstaltungen im beschriebenen Rahmen konnten auch außerhalb geschlossener Räume abgehalten werden, etwa im Burghof, in einem Garten oder auf Rasenflächen.186 Im Spielmannsepos ‚Salman und Morolf‘ beispielsweise ist im Burghof unter einer Linde eine ausdrücklich den Edelleuten vorbehaltene Sitzrunde aufgestellt worden: Uff dem hoffe stunt eine linde, die was breit, als uns die aventuer seit. dar under ein gestuole wonesan, da geturste nieman uff gesitzen, er were dann von art ein edelman. (Str. 188)187 Neigt sich ein Hoffest seinem Ende zu, bitten die Teilnehmer den oder die Gastgeber um urloup, um die Erlaubnis, sich verabschieden zu dürfen:188 urloup nam der junge man von dem getriuwen fürsten sân unt zal der massenîe.
185 186
187
188
189
(‚Parzival‘, 179, 7 ff.)189
fiedelten, dann schon, aber von den vielen neuen Tänzen, die aus Thüringen zu uns gekommen sind, war da wenig zu hören.“ Vgl. Georg Grupp: Kulturgeschichte des Mittelalters. Bd. 3. Paderborn 19122, S. 428 Vgl. Dieter Hennebo: Die Gärten des Mittelalters. (Geschichte der deutschen Gartenkunst I). Hamburg 1962, S. 69 f. mit literarischen Belegen aus dem Spätmittelalter. Erwähnenswert sind die Ausführungen des Verfassers zu Bedeutung und Empfinden der Gärten in der mittelalterlichen Gesellschaft, vgl. S. 63 ff. Zitiert wird nach: Salman und Morolf. Herausgegeben von Alfred Karnein. (ATB. Nr. 85). Tübingen 1979 Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 2009 f. s.v. urloup: „erlaubnis, bes. die erlaubnis zu gehen, verabschiedung, abschied“ Die den Text der Ausgabe synoptisch begleitende Übersetzung lautet: „Abschied nahm der junge Mann jetzt von dem treuen Fürsten und von all den Leuten des Hauses“ (S. 182); vgl. auch ‚Erec‘ V. 1477 f. und V. 2860 ff.
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Bei der endgültigen Abreise der Gäste wird, wie bereits am Beispiel des ‚Eneasromans‘ erwähnt, die Pflicht des Gastgebers nicht vergessen, diese mit großzügigen und kostbaren Geschenken auf die Reise zu entlassen.190 Es gilt nochmals zu betonen, dass der literarisch gefasste Rahmen mittelalterlicher Speiseszenen für außerordentliche Feste und besondere Anlässe gilt. Auch in herrschaftlichen Kreisen dürften sich die Aufwendungen für das tägliche Mahl in weit bescheidenerem Umfang bewegt haben: eine Ausschmückung der Räume entfiel, denn für das Mahl in kleinerem Kreise wird ein Palas oder ein größerer Saal nicht genutzt und daher auch nicht eigens hergerichtet worden sein. Polster, Teppiche und Wandbehänge sowie Tischtücher dürften – sofern überhaupt verwendet – weit einfacher und vielleicht auch unbequemer gewesen sein.191 Es ist wahrscheinlich, dass kostbare Geräte auch in wohlhabenden Haushalten nur zu besonderen Anlässen in Gebrauch genommen wurden. Ob und inwiefern sich beim Hausgerät verschiedener gesellschaftlicher Gruppen des Hochmittelalters Unterschiede nachweisen lassen, wird unten auf der Grundlage archäologischer Funde noch zu beleuchten sein (vgl. unten Kap. 8). Auch die Dienerschaft wurde beim alltäglichen Mahl sicher deutlich geringer in Anspruch genommen als bei festlichen Anlässen. Für Küche und Bedienung wurden allein schon wegen der alltags geringeren Zahl der zu Beköstigenden weit weniger Hilfskräfte benötigt – auch dann, wenn alle Angehörigen des Haushaltes, einschließlich der Bediensteten und Handwerker, zum Essen zusammentrafen. In den poetischen Schilderungen gibt es hierfür jedoch keine Belege. Schon in der Beschreibung eines prachtvollen Ambientes und des Aufwandes, der mit seiner Herstellung verbunden ist, zeigen sich die Tendenzen idealisierter Darstellung in der mittelalterlichen Literatur: mehr als das tatsächliche ‚Ist‘ werden Richtwerte und ‚Sollvorstellungen‘ in die literarische Gestaltung aufgenommen, der tägliche Lebens- und Erfahrungs190
191
Vgl. z. B. auch das ‚Nibelungenlied‘: Siglint diu rîche nâch alten siten pflac durch ihres sunes liebe teilen rôtez golt.
(40, 2 f.)
Schubert (2006), S. 276, nimmt an, bequemes Sitzen an einer Tafel auf Kissen und Polstern sei für die adlige Gesellschaft ein besonderes und sinnvolles Bedürfnis gewesen, weil die „Hintern der Adeligen … vom Reiten einiges gewöhnt (sind), … ein langes Sitzen auf Holzbänken … auf Dauer doch zu hart (wird)“. So praktisch und sinnvoll dies scheint, kann daraus doch auch für den Alltag der adligen Gesellschaft im Hochmittelalter nicht direkt auf heutige Vorstellungen von Komfort und Bequemlichkeit geschlossen werden. Die höfische Erziehung hätte zudem wohl gefordert, auch in unbequemen Lagen, wenn sie denn gegeben waren, Haltung zu bewahren
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bereich adligen und ritterlichen Lebens dürfte sich in den angeführten, wohl durchaus repräsentativen Quellen kaum spiegeln. Man darf „von vornherein nicht vergessen, daß gerade die höchste staufisch-ritterliche Kulturidee in dem Augenblick ihre vollkommenste Ausprägung findet, da das europäische Wirtschaftsgefüge – beginnend mit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts – bereits dem Träger dieser Kultur, dem Rittertum im wörtlichen Sinne den Boden zu entziehen beginnt. Auch unter diesem Gesichtspunkt weist eine besonders repräsentative Ausstattung von Realien in der literarischen Wiedergabe auf einen ganz besonderen Standesanspruch wie auch auf die Intention der Autoren, diesen Anspruch zu erheben.“192 Gerade angesichts eines so viel trivialer, oft auch beschwerlicher erfahrenen Alltags auf Burgen und Adelssitzen erklärt sich der besondere Reiz, den die auf Pracht, Freude und Leichtigkeit angelegten Schilderungen in der mittelalterlichen Epik für ihr damaliges Publikum gehabt haben müssen.193 Dass dabei zwischen Idealität und Realität durchaus unterschieden werden konnte und dass, sofern eine Wahl zwischen beidem hätte stattfinden können, der Idealität der Vorzug gegeben worden wäre, wird aus einem Kommentar ersichtlich, den Wolfram von Eschenbach zu einem besonders prachtvollen Kaminfeuer formuliert, das man so auf (Burg) Wildenberg194 nie gesehen oder kennen gelernt habe: 192
193
194
Karl-Bernhard Knappe: Das Leben auf Burgen im Spiegel mittelalterlicher Literatur. Tendenzen der literarischen Darstellung mittelalterlicher Realien, in: Burgen und Schlösser 15 (1974), S. 1–8, hier S. 4 Dies wird auch in der längsten Schilderung einer gedeckten Tafel und ihres Gebrauchs sichtbar, die sich im Rahmen der für diese Arbeit angestellten Recherchen fand. Sie stammt aus Konrads von Würzburg ‚Partonopier und Meliur‘. Darin wird der junge Adlige Partonopier nach einer abenteuerlichen Seefahrt in eine Stadt verschlagen, in deren leeren Häusern edle Tafeln gedeckt sind (V. 898 ff.), noch übertroffen von einer prachtvollen Tafel, die er auf der angrenzenden, ebenfalls menschenleeren Burg vorfindet. Eine goldene Kanne und ein Auffangbecken zum Händewaschen kommen dort wie von Geisterhand heran, Speisen und Getränke schweben von selbst zur Tafel, auch Kerzenleuchter werden auf magische Weise für ihn bewegt, um ihm den Weg zum Schlafgemach zu weisen (V. 980 ff.). Zu sehen ist niemand, später stellt sich heraus, dass die Kaisertochter Meliur für diesen Zauber sorgte. Bemerkenswert ist, dass diese längste Tafelschilderung in einem mhd. epischen Text eine für das Publikum erkennbar phantastische Szenerie detailliert ausmalt, die alle wichtigen Attribute einer höfischen Festtafel vereint. Es scheint, als sei es gerade das Märchenhafte dieser Passage, das Konrad zur ausführlichen Darstellung und Ausschmückung reizte, vergleichbar etwa der Schilderung eines ‚Schlaraffenlandes‘. Gefolgt wird Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur. Aus dem Nachlasse von Franz Pfeiffer herausgegeben von Karl Bartsch. Mit einem Nachwort von Rainer Gruenter. (Deutsche Neudrucke. Reihe: Texte des Mittelalters). Berlin 1970 Vgl. hierzu unten S. 98 f., Anm. 262
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
mit marmel was gemûret drî vierekke fiwerrame: dar ûffe was des fiwers name, holz hiez lign alôê. sô grôziu fiwer sît noch ê sach niemen hie ze Wildenberc: jenz wâren kostenlîchiu werc.
(‚Parzival‘, 230, 8 ff.)
„Aus Marmor gemauert waren drei viereckige Feuerstellen; darauf lag des Feuers Name, Holz, das lignum alôê hieß. So große Feuer hat noch keiner hier in Wildenberg gesehen, seither oder ehedem.“195 2.2.3 Speisen und Getränke Die Beschreibungen und auch konkreten Benennungen der Speisen und Getränke höfischer Kreise, die uns in literarischen Quellen begegnen, sind ganz überwiegend geprägt von der Vorstellung dessen, was den Zeitgenossen im Lebensumfeld der damaligen ‚oberen Zehntausend‘ angemessen schien. Besonders tritt in diesem Zusammenhang die fortlaufend gebrauchte, formelhafte Wendung wilt und zam hervor,196 die durch die sprachliche Konstruktion (‚sowohl – als auch‘) Vielfalt oder Fülle (verschiedener Fleischgerichte) und damit auch einen gewissen Überfluss signalisiert. Ausdrücklich soll auch betont werden, dass auf vornehmen Tafeln neben Schlachtfleisch auch das jagdbarer Tiere stand.197 Die Jagd als herrschaftliches Privileg198 findet sich in den mittelhochdeutschen Epen oft beschrieben. Verwiesen sei auf die Beizjagd, die im 195
196 197 198
Übersetzung zur Stelle von Peter Knecht in der verwendeten Ausgabe nach Lachmann von 1998 Vgl. z. B. Wolframs ‚Willehalm‘ 177, 3 und 448, 4 Vgl. hierzu auch unten Abschnitt 2.2.6 Zur Entstehung der ‚Hohen Jagd‘ als reservierte Tätigkeit (zunächst nur des Königs) und zur ‚Einforstung‘ von Waldgebieten seit dem frühen Mittelalter vgl. J. Jarnut in RGA Bd. 16 (2000), S. 12 s.v. Jagdrecht; vgl. auch den Artikel ‚Weidwerk‘ von S. Schwenk in: LexdMA Bd. VIII (1997), S. 2101–2104, hier bes. Sp. 2104; Chr. Hafke verweist in seinem Artikel ‚Jagd- und Fischereirecht‘ im HRG Bd. II (1978), Sp. 281–288 darauf, dass die Begründung der Jagd „als ius regale“ heute nicht mehr haltbar sei, die Stufen und der jeweilige Grad ihrer Einschränkung besonders im Mittelalter jedoch schwer bestimmbar seien. So habe es in verschiedenen Regionen z. B. auf dem Terrain der dörflichen Allmende wohl durchaus Jagdrechte für die ländliche Bevölkerung gegeben (vgl. bes. Sp. 281–283). „Daneben gelingt es den Städten regelmäßig, ihr J.[Jagdrecht, d.Verf.] zu behaupten“ (Sp. 283)
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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Rahmen der Hochzeitsfeierlichkeiten Erecs und Enites veranstaltet wird,199 die Szene, in der der junge Tristan einen erlegten Hirsch zerwirkt200 oder den Rahmen, den ein ausgedehnter Jagdausflug den Mordplänen Hagens im ‚Nibelungenlied‘ verleiht.201 Intendiert ist an solchen Stellen jedoch vornehmlich die Beschreibung höfischen Zeitvertreibs, sportlicher Ertüchtigung oder Geschicklichkeit oder, wie in Gottfrieds ‚Tristan‘, besonderer Kunstfertigkeit (im Weidwerk). Kaum einmal wird in Passagen mit Jagdbeschreibungen deren Funktion als Möglichkeit zur Beschaffung von Nahrungsmitteln erwähnt. Diese Funktion hervorzuheben, würde freilich zu der idealisierten Darstellung höfischer Lebensbedingungen kaum passen, bedenkt man, dass während ‚normaler Zeiten‘ betont wird, es gebe ohnehin der spîse genuoc.202 Aus den fortwährenden Erwähnungen von Wildspeisen in hochmittelalterlichen Epen darf jedoch wohl durchaus geschlossen werden, dass ein Großteil der erjagten Beute in die Kochtöpfe oder auf die Bratspieße der Hofküchen wanderte.203 Neben derartig formelhaften Wendungen findet sich jedoch eine Reihe näher spezifizierter Gerichte beschrieben. Im Vordergrund der Speisebeschreibungen stehen dabei eindeutig Fleischgerichte. Neben den schon erwähnten Haus- und Wildtierprodukten, die regelmäßig nicht detaillierter 199 200
201 202 203
Vgl. ‚Erec‘, V. 2029 ff. Vgl. Gottfried von Straßburg. Tristan. Nach der Ausgabe von Reinhold Bechstein herausgegeben von Peter Ganz. (Deutsche Klassiker des Mittelalters. N.F. Bd. 4). Wiesbaden 1978, hier: Teil I, V. 2841 ff. Vgl. ‚Nibelungenlied‘, 16. Aventiure, Str. 916 ff. Vgl. z. B. ‚Parzival‘, 240, 10: genuoc man dâ gegeben hât Auch anhand dieses Beispiels ließe sich die von Norbert Elias vertretene These nachverfolgen, dass mit dem Fortschreiten von Zivilisationsprozessen verschiedene, als unangenehm oder nicht angemessen empfundene Verhaltens- und Aktionsstandards aus der Mitte des gesellschaftlichen Lebens gleichsam ‚hinter die Kulissen‘ verlegt werden, vgl. Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. (Suhrkamp-Taschenbuch. Wissenschaft 158). Frankfurt/M. 19818, S. 157 ff., 222 ff. und passim. – Schubert (2006), S. 103, vertritt die Ansicht, dass Jagdwild gleich an Ort und Stelle zubereitet und verspeist wurde. Nur so ließe sich erklären, dass auf mittelalterlichen Burgen ausgesprochen wenig Wildtierknochenfunde zu verzeichnen seien (vgl. hierzu unten Abschnitt 7.1). Für einen mehrtägigen Jagdausflug, wie er in der 16. Aventiure des ‚Nibelungenliedes‘ beschrieben wird, mag dies zutreffen, zumal aus der genannten Stelle hervorgeht, dass auf den Jagdausflug auch Küchenpersonal und -utensilien mitgenommen wurden. Mit seiner Vermutung, dass die Bedeutung der Jagd für die Tafeln des Adels durch die Wildtierknochen in archäologischem Fundgut allgemein nicht zutreffend wiedergegeben werde, steht Schubert jedoch weitgehend isoliert
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
ausgeführt werden,204 sind es besonders verschiedene Geflügelarten, die der vornehmen Gesellschaft nach Ausweis der literarischen Quellen serviert wurden. Bei Wolfram sind es dabei auch Wildgeflügelarten, die in die Speisebeschreibungen Eingang finden. Der Ritter Willehalm, der ein Gelübde abgelegt hat, nur noch Brot und Wasser zu sich zu nehmen, wird im Hause eines Kaufmannes in Versuchung geführt, als ihm alle möglichen Arten gekochter und gebratener Speisen205 und speziell die folgenden vorgesetzt werden: der pfâwe vor im gebrâten stuont, mit salsen, diu dem wirte kunt was, daz er bezzer nie gewan. den kapûn, den vasân, in galreiden die lamprîden, pardrîsen begund er mîden.
(139, 9 ff.)
Da stand ein gebratener Pfau vor ihm, mit einer zugehörigen Sauce,206 weiterhin ein Kapaun, ein Fasan und mehrere Rebhühner.207 Darüber hinaus gab es noch Lampreten, eine Neunaugenspezies, die in eine Gallert- oder Aspikmasse eingelegt waren.208 Trotz dieses um seinetwillen betriebenen Aufwandes widersteht Willehalm diesen Genüssen tapfer. 204
205
Dass es sich bei den Haustieren vornehmlich um Rind, Kalb, Schwein/Ferkel, auch Schaf/Lamm und Ziege/Zicklein, bei den Wildtieren wohl besonders um Hirsch, Reh und Wildschwein handelte, war dem Publikum bekannt und bedurfte deshalb keiner Ausführung. Die Vielfalt des Tafelangebotes wurde denn auch nur dadurch betont, dass erwähnt wurde, dass es verschiedene Fleischsorten und Gerichte gab, nicht etwa, welcher Herkunft und Beschaffenheit diese jeweils waren Vgl. ‚Willehalm‘ 133, 24 ff.: der wirt vor in mit zühten truoc nâch koufmannes prîse maneger slahte spîse gesoten unde gebrâten.
206
207 208
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 585 f. s.v. salse: „gesalzene brühe, brühe … aus mlat. it. salsa, fz. sauce“ Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 206 s.v. pardrîs: „rebhuhn“ Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 730 s.v. galreide: „gallerte aus thierischen oder pflanzenstoffen“; Heyne (1901), S. 300, sieht in dieser Masse eine Gallerte aus „Salmen, Aalen, Alsen, Sardinen und Heringen“, deren Rezept sich aus der Antike erhalten habe (in Anlehnung an die berühmte römische Fischsauce garum); wie Lexer interpetiert auch Eva Hepp: Die Fachsprache der mittelalterlichen Küche. Ein Lexikon, in: Hans Wiswe: Kulturgeschichte der Kochkunst. München 1970, S. 185–224, hier: S. 205 s.v. Galradt, Galraide
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Dem Ritter Gawan werden im ‚Parzival‘ auf einer Beizjagd209 erlegte Haubenlerchen210 serviert, die ebenfalls mit einer Sauce gereicht werden: nu hete daz sprinzelîn erflogn des âbents drî galander: die hiez er mit ein ander Gâwân tragen alle drî und eine salsen derbî.
(550, 28 ff.)211
Häufiger als der uns heute fremd anmutende Verzehr von Singvögeln212 wird der des einfachen Haushuhns gewesen sein. Genannt wird es von Hartmann im ‚Erec‘. Der Ritter vermag das Hühnchen jedoch nicht zu genießen, denn ihm steht ein fordernder Zweikampf bevor. Deshalb beißt er von dem Huhn auch nur dreimal ab: dô was der imbîz bereit, grôz wirtschaft die er alle meit. deheines vrâzes er sich vleiz: abe einem huone er gebeiz drîstunt, des dûhte in genuoc. 209
210 211
212
213
(V. 8646 ff.)213
Auf die Beizjagd verweist die Wendung, dass dem Ritter diese Jagdbeute durch seinen Jagdvogel, ein Sperberweibchen, geschlagen worden sei, vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1118 s.v. sprinzelîn: „kleines sperberweibchen“ Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 726 s.v. galander Die synoptisch präsentierte Übersetzung ins Neuhochdeutsche (S. 554 und 556) lautet: „Nun hatte diesen Abend das Sperberweibchen drei Lerchen erbeutet. Die ließ er – alle drei auf einmal! – dem Gâwân vorsetzen und dazu eine edle Sauce.“ Darauf, dass Singvögel verzehrt wurden, verweist auch ein Dichter, der jedoch erst gegen Mitte des 14. Jhs. unter dem Namen ‚König vom Odenwald‘ auftrat, in seinem Gedicht ‚Lob der Gänse‘. Um die Vorzüge der Gans als hervorragendes Bratentier hervorzuheben, werden Pfauen, Hühner und Enten als im Vergleich doch recht untauglich beschrieben. Und an Singvögeln wie Ringlerchen, Lerchen und Amseln sei einfach ‚nichts dran‘: Galander, lerchen, amselan, Die haben alle niht dran, Pfowen, huner, ente, Daz ist allez ein getente (V. 7 ff., im Originalzitat bei huner ein e über dem u), zitiert nach der Ausgabe König vom Odenwald. Gedichte. Mittelhochdeutsch – neuhochdeutsch. Mit einer Einleitung zur Klärung der Verfasserfrage. Herausgegeben und übertragen von Reinhard Olt. (Germanische Bibliothek. N.F. 4. Reihe: Texte). Heidelberg 1988, S. 65, Nr. III Auf die Existenz von Hühnerställen in oder nahe bei der Burg verweist eine Passage im ‚Parzival‘, bei der angemerkt wird, dass in einer belagerten Stadt, in der die Burg liegt, morgens keine Hähne krähten. Ihre Schlafstangen seien leer, weil nämlich der herrschende Hunger den Belagerten alle Hühner ‚abgeschossen‘ habe:
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An Wildvögeln sollen, folgt man den literarischen Quellen, neben den schon erwähnten Fasanen und Rebhühnern auch Reiher auf vornehme Tafeln gelangt sein: diu küneginne rîche kom stolzlîch für sînen tisch. hier stuont der reiger, dort der visch.
(‚Parzival‘, 33, 2 ff.)214
In der Kleindichtung ‚Der Reiher‘215 hat ein reicher Mann auf ungewöhnliche Weise einen Reiher gefangen. Anschließend weist er den Koch an, das Tier kunstfertig und mit guten Gewürzen zuzubereiten: der wirt hiez werbe umb einen koch. er ¢prach: ‚man sol den reiger noch von mei¢terlichen ¢achen mit guoten wurzen machen!‘
(V. 73 ff.)
Dem Koch muss das gelungen sein. Als nämlich später eingeladene Gäste eingetroffen sind, bittet eine Dame, mehr von dem gekosteten Reiher bekommen zu dürfen, obwohl auch Fleisch- und Fischgerichte auf den Tisch kamen (V. 151 ff.). Sie begründet ihren Wunsch damit, dass die Aspikmasse so köstlich scharf gewürzt sei: do ¢prach diu ge¢tinne:216 ‚ich kann mich niht ver¢ inne ob ich bezzers ie enbeiz. diu galreide i¢t von wurzen heiz. gevater, ich bit iuch unde vle: gebet mir des wiltbrætes me!‘
… ninder huon dâ kræte. hanboume stuonden blôz: der zadel hüener abe in schôz. 214
215
216 217
(V. 173 ff.)217
(194, 6 ff.)
In der neuhochdeutschen Übersetzung, die den Text synoptisch begleitet, auf S. 35 so wiedergegeben: „Die hohe Königin selber trat mit Pracht vor seinen Tisch; hier stand der Reiher, da der Fisch.“ Zitiert wird nach: Neues Gesamtabenteuer. Das ist Fr. H. von der Hagens Gesamtabenteuer in neuer Auswahl. Die Sammlung der mittelhochdeutschen Mären und Schwänke des 13. und 14. Jahrhunderts. Erster Band herausgegeben von Heinrich Niewöhner. Zweite Auflage herausgegeben von Werner Simon mit den Lesarten besorgt von Max Boeters und Kurt Schacks. Dublin/Zürich 1967, hier: Nr. 15, S. 100 ff. Vgl. zu gestinne, gestîn Lex. Bd. I (1992), Sp. 931: „fremde, weiblicher gast“ Schultz (1889), S. 388 f. gibt an, dass auch Kraniche, Schwäne, Trappen, Rohrdommeln, Regenpeifer und Haubentaucher gegessen wurden. Er folgt dabei jedoch
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Bemerkenswert ist, dass zahme oder wilde Enten und Gänse sowie Tauben, obwohl sie für die herrschaftliche Küche erreichbar waren, in den Beschreibungen großer Hofhaltungen als ‚Herrenessen‘ nicht genannt werden.218 Wiederum ist es die Kleindichtung, in der aufgeführt wird, was die Küche eines Ritterhaushaltes im Bedarfsfall zu bieten hat: neben anderem eine Ente. Ein Ritter, der auf der Jagd zwei Hasen erbeutete, will diese gemeinsam mit Gästen verspeisen. Seine Frau weist er an, dazu noch weitere Gerichte vorbereiten zu lassen: daz lamp, ¢chaf, gans,kitz, daz huon heiz bereiten und den antvogel!
218
219
(V. 20 ff.)219
überwiegend französischen Quellen. Wenn darauf hin Heyne (1909), S. 299 f. bemerkt, man habe wohl „wahllos ziemlich alles [gegessen], was da gefangen oder geschossen wird“, so ist dies angesichts der genannten Reihung zwar folgerichtig. Übersehen wird jedoch, dass es bei derartigen Schilderungen immer auch um die Darstellung des Exklusiven, Exotischen, auch Seltenen und Teuren geht, die Beispiele deshalb sicher oft nicht wörtlich genommen werden können. – Bezüglich des Schwans gibt vielleicht ein Stück aus der im 13. Jahrhundert entstandenen Sammlung ‚Carmina burana‘ einen Hinweis, dass er gelegentlich aufgetischt wurde: das Lied des in einer Backröhre bratenden Schwans, vgl. Carmina burana. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift. Zweisprachige Ausgabe. (dtv weltliteratur. Dünndruck-Ausgabe 2063), München 1979, Nr. 130. Versuche, die (spät-)mittelalterliche Küche zur Zeit Heinrichs VIII. möglichst korrekt zu rekonstruieren, fanden jüngst in Großbritannien statt. Dabei wurde auch mit Schwänen experimentiert. Es stellte sich dabei folgendes heraus: „Wie ein Schwan schmeckt, den man direkt vom Fluss holt und nicht erst im Hof auf Getreidediät setzt: nämlich nach grünem Uferschlick“, Stefanie Bisping: Im Lustschloss des Königs, in: Welt am Sonntag, 19. 04. 2009, S. 77. Dass die Jagd auf Schwäne seit dem Mittelalter wohl vornehmlich der Demonstration von Herrschaft(sansprüchen) diente, führt Brage bei der Wieden aus: Schwanenjagden als Manifestation von Herrschaft, in: Wilhelm Heizmann/ Astrid van Nahl (Hg.): Runica – Germanica – Mediaevalia. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 37). Berlin/New York 2003, S. 84–99. Dort wird zur Schwanenjagd festgestellt: „Das Interesse richtete sich auf das Fleisch, in der Neuzeit aber vornehmlich auf die Federn. Den Braten des adulten Vogels hat selbst im Mittelalter, als scharfe Gewürze, namentlich Pfeffer, den Geschmack überdeckten, niemand gerühmt. Als delikater gelten die Jungvögel.“ (S. 86) Es ist nicht legitim, aus diesem Umstand zu schließen, dass Enten oder Gänse einer ‚Herrentafel‘ nicht angemessen waren, wie Pieth (1909), S. 22 f. es annimmt. Eher ist zu vermuten, dass dieses Geflügel nicht erwähnt wird, gerade weil es als gewöhnlichere, als alltäglichere Speise angesehen wird, die besonders hervorzuheben es nicht lohnt. Dass sich im archäologischen Fundgut aus Burgen und Herrensitzen durchaus Knochenreste von Gänsen, Enten und auch von Tauben fanden, wird unten in Abschnitt 7.1 aufgezeigt Der Hasenbraten von dem Vriolsheimer, in: Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 16, S. 108 ff.
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Neben Haustier- und Wildfleisch und Geflügel wird auch oft Fisch erwähnt, der auf vornehmen Tafeln den Quellen zufolge nicht nur in Fastenzeiten eine Rolle spielte. Die meisten Belege weisen lediglich in allgemein gehaltener Form darauf hin, dass Fisch(e) auf dem Tisch stand(en). Im ‚Parzival‘ werden fasân, pardrîse, guote vische …
(423, 20 f.)
aufgetragen, und im ‚Willehalm‘ werden verschiedene gekochte und gebratene Speisen serviert, dabei neben Fleischspeisen auch Fische: nû het der wirt daz geboten, daz was gebrâten und gesoten vil niuwer spîse reine, vische und vleisch gemeine, beidiu daz wilde und ouch daz zam
(133, 11 ff.).
Neben den schon genannten Lampreten werden auch Lachse erwähnt, allerdings als Fanggut, das gerade nicht verfügbar sei: salmen, lamprîden, hât er doch lützel veile
(‚Parzival‘, 491, 16 f.).
In seinem um 1300 entstandenen Werk ‚Apollonius von Tyrland‘ zählt der Autor Heinrich von Neustadt220 eine ganze Reihe genießbarer Fischsorten auf, die reich vorhanden sind, da sie jederzeit gefangen werden können: Guter visch sint da vil, Hechten, salmen ane zil, Laxvörhen, sturen, rut visch. Di lamparden also frisch Vahend sy zu aller stund
(V. 8886 ff.).221
An guten Fischen gibt es in dem Land, in dem sein Protagonist Abenteuer zu bestehen hat, viele Arten, namentlich Hechte und Lachse in Hülle und Fülle,
220
221
Heinrich von Neustadt, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Wien als Arzt nachgewiesen ist, verfasste den wohl nach einer byzantinischen Romanquelle gestalteten ‚Apollonius‘ um 1300 oder kurz danach, vgl. Peter Ochsenbein s.v. Heinrich von Neustadt, in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 838–845 Zitiert wird nach der Ausgabe: Heinrichs von Neustadt ‚Apollonius von Tyrland‘ nach der Gothaer Handschrift, ‚Gottes Zukunft‘ und ‚Visio Philiberti‘ nach der Heidelberger Handschrift herausgegeben von S. Singer. (Deutsche Texte des Mittelalters. Band VII). Berlin 1906
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Lachsforellen,222 Störe,223 Apfelforellen224 und Neunaugen. Die Handlung, in die diese Passage eingebettet ist, spielt allerdings im Mittleren Osten, denn der Fluss, in dem Heinrich alle diese Fische leben lässt, ist der Tigris. Dorthin verlegt er diejenige Vielfalt und Fauna, die er selbst wohl als schmackhaft und vielleicht auch exklusiv kennt, denn es geht ihm, wie er einige Zeilen später ausführt, darum, eine paradiesgleiche Landschaft zu schildern. Diese Liste ergänzt Heinrich später, als er die Gegend um eine prachtvolle Burg (wiederum im Orient) schildert, um weitere Fischarten. Ein nahe der Burg gelegener, überaus fischreicher See könnte, so meint er, zwanzigtausend Männer gut ernähren (V. 18031 ff.). Um den Fischreichtum dieses Sees zu unterstreichen, führt er aus: Der see trug güt vische: Sy mocht auff seinem tische Wol der kayser ge ezzen haben, Wann er sein hertze wolte laben: Salmen und lamperden, Hechten und pabeden, Persich und cinden, Elen vaisset und linden, Vorhen, goras und äschen, Roten visch und lachsen, Sturen und kagres visch (Von Pehaynen her Domisch Hat so güter weyer nicht, Als mir sein kuchen maister gicht), Der klainen grundel vil, Kopen, pfrillen ane zil. 222 223 224
225
(V. 18039 ff.)225
Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 468 f. s.v. vorchen, forhen: „forelle“ Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1275 s.v. stur, sture, stüre Das Lemma rutvisch findet sich weder bei Lex. noch bei BMZ Bd. II (1883). Unter dem Stichwort ‚Rotfisch‘ findet sich jedoch die Erläuterung „name der apfelforelle, salmo alpines (hat rotes fleisch)“ bei Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 14. (Neudruck). München 1984, Sp. 1308 In der (allerdings der Handschrift A folgenden, von der hier zitierten Gothaer Handschrift teils abweichenden) Übertragung des Textes ins Neuhochdeutsche lautet diese Passage so: „Die Fische waren so vorzüglich, daß sie dem Kaiser vorgesetzt hätten werden können, wenn er nach etwas besonders Feinem verlangt hätte: Salme, Neunaugen, Hechte, Paleden, Brachsen, Zinden, feiste und weiche Aale, Forellen, Karauschen, Äschen, Saiblinge, Lachse, Störe und Kaberfische, ferner noch Kapelane, Flußgrundeln, Groppen und zahllose Pfrinden (selbst Herr Dobisch von Böhmen hat nach Auskunft seines Küchenmeisters keinen so guten Fischteich!)“, Leben
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In der eben zitierten Passage werden daneben noch (Fluss-)Barsche,226 Gründling,227 Kope,228 Elritze229 und Äschen genannt.230 Mit dem Krebs nennt Walther von der Vogelweide ein weiteres Wasserlebewesen, das er jedoch ungekocht für ganz ungenießbar gehalten haben muss. Denn er bemerkt, er wolle lieber einen rohen Krebs essen als den Winter preisen:
226
227
228
229
230
und Abenteuer des großen Königs Apollonius von Tyrus zu Land und zu See. Ein Abenteuerroman von Heinrich von Neustadt verfaßt zu Wien um 1300 nach Gottes Geburt. Übertragen mit allen Miniaturen der Handschrift C, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Helmut Birkhan. Bern u. a. 2001, S. 289. In einer Anmerkung zum Text (S. 364, Anm. 373) kommentiert Birkhan „die uns heute ungeläufigen Namen: die palede verglich Singer mit dem angeblichen afrz. Fischnamen palouade, doch scheint dieser nicht zu existieren (liegt ein Druckfehler für palourde ‚Teichmuschel‘ vor?). Denkbar wäre entstellte Form von Bleie ‚Weißfisch‘ (Cyprinus latus), aber das ist nur geraten! Die prehsen in A werden wohl Brachsen (Abramis brama) sein, ein Fisch aus der Karpfenfamilie, der besonders in Österreich hochgeschätzt wurde (und wird?). Zind ist der Name des Flußbarsches (Perca fluviatilis) in der oberen Donau … Auch die Karausche (Carassius carassius) gehört zur Karpfenfamilie, doch ist in rezenter Zeit ihr Fleisch weniger begehrt. Die Äsche (Thymallus vulgaris) aus der Gruppe der Lachsfische ist ein ausgesprochener Flußfisch, der Forelle ähnlich, und wie diese hochgeschätzt. Aufs Raten angewiesen ist man beim chaber visch (in A; sonst kagres visch), den man mit den Kablen im Rhein zusammenstellen könnte … Die Flußgrundel (Gobius fluviatilis) aus der Familie der Schleimfische erreicht höchstens 8 cm Länge und kommt besonders in den Seen und Flüssen Italiens vor. Sie gilt als sehr wohlschmeckend. Das kopen der Hs. wird Kobe meinen, worunter die Groppe (Cottus gobio) … zu verstehen ist … Die wichtigste Art unter den kleinen Karpfen, den Pfrillen, sind die Elritzen (Leuciscus phoxinus [sic!]), die Heinrich wohl hier meint. Sie sind trotz ihres bitterlichen Fleisches begehrte Speisefische.“ Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 13. (Neudruck). München 1984, Sp. 1561 s.v. Persch „mit den nebenformen persich, perske, persing … perca fluviatilis“; siehe auch Lex. Bd. I (1992), Sp. 131 s.v. bars: „barsch, perca, auch berse“; zur Familie der Flussbarsche gehört auch die in der Quelle genannte Zindel, vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 15. (Neudruck). München 1984, Sp. 1387 s.v. Zindel Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 9. (Neudruck). München 1984, Sp. 771 ff. s.v. Grundel „kleiner, auf dem grunde des wassers lebender fisch, vgl. grundlein, grundling“ Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 11. (Neudruck). München 1984, Sp. 1782 s.v. Kopp, Koppe, Kope „ein fischname, collus gobio“ Vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 13. (Neudruck). München 1984, Sp. 1795 unter dem Stichwort Pfrille: „ein kleiner süsswasserfisch, besonders die elrize“ Die Lemmata pabede, goras, kagres visch und elen werden in den einschlägigen Wörterbüchern nicht aufgeführt, sodass ihre Zuordnung im Dunkeln bleibt (vgl. dazu auch oben S. 89 f., Anm. 225)
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E danne ich lange lebt alsô den krebz wolt ich ezzen rô.
91
(76, 8 f.)231
Darauf, dass man sich als ritterliche Speise nicht nur frischen, sondern auch gedörrten Fisch vorstellen konnte, weist eine – im Übrigen den üblichen Formeln folgende – Beschreibung hin, die der Stricker in seinem Versepos ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘ gibt. Nach einem Kampf der Artusritter mit einem Riesen wird für die Recken ein komfortables Zeltlager aufgeschlagen. Vorausschauend hatten sie sich mit Proviant für ihr aushäusiges Abenteuer ausgestattet. So können denn auch Wein und Brot, Weingetränke sowie Fleisch und gedörrte wie frische Fische aufgetragen werden: sie sluogen ûf daz velt manic hêrlîch gezelt. sie hâten spîse wunder brâht, sie hâten des alles vor gedâht daz in lîhte würde nôt. sie hâten wîn unde brôt, fleisch unde vische, dürre unde frische, môraz unde lûtertranc.
(V. 3897 ff.)232
Einen offenbar unentbehrlichen Bestandteil herrschaftlicher Tafelfreuden nehmen die Dichter in ihren Werken immer wieder auf: Saucen und Tunken. Sie wurden den Texten zufolge zu allen Fleisch- und Fischsorten gereicht. Der Sammelbegriff233 für Saucen schlechthin ist die salse, die, wie oben bereits angeführt, im ‚Willehalm‘ zu einem gebratenen Pfauen und im ‚Parzival‘ zu den dort servierten Haubenlerchen auf den Tisch kam. Einmal mehr ist es Wolfram, der im ‚Parzival‘ nicht nur den allgemeinen Begriff, sondern verschiedene Saucenarten nennt: 231
232
233
Zitiert nach: Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Siebente Ausgabe von Karl Lachmann besorgt von Carl von Kraus. Berlin 1907. Dort findet sich auch die Lesart E wolde ich essen krebese ro (C). Diese Stelle wird z. B. bei Schultz (1889), S. 390 mit Anm. 8, verkürzt und damit entstellend wiedergegeben Zitiert wird nach der Ausgabe: Der Stricker. Daniel von dem Blühenden Tal. Zweite, neubearbeitete Auflage. Herausgegeben von Michael Resler. (ATB. Nr. 92). Tübingen 1995 Vgl. Pieth (1909), S. 24 mit weiteren mhd. Textbelegen. Pieth beschreibt die salse dort als eine grundsätzlich kalt gereichte Beilage. Darauf weisen auch weitere, aus dem späteren Mittelalter stammende Belege hin. Demnach kann eine salse aus sehr verschiedenen Grundstoffen bestehen (z. B. in Wein oder Essig gelösten Würzmischungen, die auch mit Semmelbröseln versetzt sein können), süß, sauer oder scharf sein. Bei ihrer Zubereitung kann sie auch erhitzt werden. Um bei Tisch gereicht zu werden, soll sie jedoch erkalten, vgl. Hepp (1970), S. 216 f.
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in kleiniu goltvaz man nam, als ieslîcher spîse zam, salssen, pfeffer, agraz.
(238, 25 ff.)
Die von der ‚allgemeinen‘ Sauce durch ihre Bezeichnung unterschiedene zweite Art einer Tunke ist der agraz, „eine art saurer brühe“.234 Er konnte späteren Rezepturen zufolge aus unreifen Weintrauben, zermahlenen Äpfeln und mit Wein versetzt hergestellt werden, auch (wilde) Stachelbeeren werden als eine wichtige Zutat genannt.235 Mit dem pfeffer ist eine weitere Sauce erwähnt, die – ob durch Pfeffer oder andere, geschmacklich intensive Gewürze wie Senf, Meerrettich, Zwiebeln, Knoblauch oder teuren Safran – auf jeden Fall besonders scharf gewesen sein dürfte.236 Nicht nur bei festlichen Tafeleien werden Saucen genannt, sie können auch Bestandteil vergleichsweise bescheidener Stärkungen gewesen sein. Im ‚Rennewart‘, einer in das 13. Jahrhundert datierenden Fortsetzung von Wolframs ‚Willehalm‘, lässt Ulrich von Türheim237 die nach einem Zweikampf erschöpften und hungrigen Recken Malefer und Rennewart die edle Gyburg um eine recht schlichte Stärkung bitten: Rennewart sprach: ‚heiz uns ein brot mit einer supperie netzen (daz kan den hunger wol letzen), und bringe uns etteswaz da mit, in der minne ich des bit. Kyburg, liebiu swester min, leshe unsers hungers pin!‘ 234 235
236
237
238
(V. 19050 ff.)238
Lex. Bd. I (1992), Sp. 28 zum Stichwort Vgl. Heyne (1901), S. 330, Anm. 53 und Pieth (1909), S. 25; bei Hepp (1970), S. 189, werden unter dem Stichwort Agraz verschiedene spätmittelalterliche Rezepturen aufgeführt, die darauf hinweisen, dass auch der agraz kalt gerührt und gereicht wurde Dass der pfeffer im Unterschied zu den beiden zuvor genannten Saucen erhitzt genossen wurde, behauptet Pieth (1909), S. 25. Den Beleg aus dem ‚Tristan‘ Heinrichs von Freiberg, den er hierzu beibringt, scheint er jedoch nicht zutreffend zu interpretieren. Es heißt dort mit einem pfeffer, der was allwallende heiz (V. 5290). Wie noch heute im Englischen mit Bezug auf Gewürze (hot) bedeutet das mhd. heiz hier nicht nur ‚heiß, erhitzt‘, sondern ist als ‚scharf‘ zu verstehen. Vgl. in eben diesem Sinne auch oben S. 86, siehe auch Lex. Bd. I (1992), Sp. 1225, wo das mhd. heiz auch in der Bedeutung „heftig, stark“ erscheint Vgl. zu Autor und Werk Peter Strohschneider: Ulrich von Türheim, in: VL Bd. 10 (1999), Sp. 28–39; zu dem in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datierten ‚Rennewart‘ s. Sp. 34–39 Zitiert wird nach der Ausgabe von Alfred Hübner: Ulrich von Türheim. Rennewart. Aus der Berliner und Heidelberger Handschrift. (DTM. Bd. XXXIX). Berlin 1938
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Rennewart, der groß und kräftig gebaute Hüne, bittet, um seinen heftigen Hunger zu stillen,239 nur um Brot, das in Sauce240 getunkt oder mit ihr übergossen werden soll. Gyburg scheint dies nicht für ganz passend befunden zu haben, denn sie hält sich nicht an diesen Wunsch: sie lässt ‚genug guter Speise‘ und auch guten Wein auftragen, der in einem goldenen Becher mit weiter Mündung serviert und bis auf den letzten Tropfen geleert wird: sie gab in g˚uter spise gn˚uc. g˚uten win man mit ir tr˚uc in einem witen kopfe: des bleib nit ein tropfe in dem grozen goltvazze.
(V. 19065 ff.)
Für die Qualität der Saucen und Tunken war offenbar besonders die reichliche Verwendung von Gewürzen ausschlaggebend. Neben heimischen Gewürzpflanzen241 wurden dazu verschiedene exotische Gewürze verwendet, die besonders durch die Berührung mit dem Orient bekannt waren und, folgt man den literarischen Quellen, in oft erheblichen Mengen eingesetzt wurden.242 Am wichtigsten waren Salz und Pfeffer, auch als eine Art ‚Minimalwürze‘ verstanden, um Speisen für den zeitgenössischen Geschmack überhaupt genießbar zu machen. In Hartmanns ‚Iwein‘ wird die unglückliche Lage des Ritters betont, der während seines Lebens im Walde weder kezzel noch smalz, weder pfeffer noch salz
(V. 3277 f.)
besaß, um das von ihm erlegte Wild zuzubereiten. Der Pfeffer spielte beim Würzen offenbar eine besonders wichtige Rolle. Als Gewürz wird er am häufigsten erwähnt, scheint daher für ein als angemessen betrachtetes Mahl unverzichtbar, denn fast alle Speisen und auch Getränke werden so betont mit ihm versetzt, dass bereits der Kulturhistoriker Georg Grupp in den Ausruf verfiel: „Immer nur Pfeffer und 239 240
241
242
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1891 f. s.v. letzen: „hemmen, aufhalten, lindern“ Lex. Bd. II (1992), Sp. 1324, verweist unter dem Lemma supperie auf supparje, das nicht etwa als ‚Suppe‘ zu verstehen ist, sondern eine Form „von salsen“ darstellt Hierzu zählten im Hochmittelalter z. B. Zwiebel, Schnittlauch, Knoblauch, Bärlauch, Dill, Petersilie, Salbei, Senf, Kümmel, Minze, Kerbel und Majoran, aber auch Fenchel, Koriander, Anis und Wachholderbeere, vgl. Schubert (2006), S. 162; s. auch unten im Anhang den Abschnitt VI.1 Vgl. z. B. die Aufzählung von Gewürzen im ‚Apollonius‘ Heinrichs von Neustadt, wo u. a. Muskatnuss, Ingwer, Zimt, Kardamom und Nelken aufgeführt werden (V. 8523 ff.; 17981 ff.)
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Pfeffer!“243 In dieser Gewichtung dürfte sich der hohe Prestigewert, den Pfeffer als teure Importware besaß, ausgedrückt haben. Wer (viel) Pfeffer verwendete oder verwenden ließ, ‚konnte es sich leisten‘.244 Ein Gastgeber wurde als umso freigebiger geschätzt, je mehr er seine Gäste an seinem – auch mittels teurer Würzen ausgedrückten – Wohlstand teilhaben ließ. Eine lateinisch verfasste Quelle benennt ferner die Bedeutung von Gewürzen in der seinerzeit als fein verstandenen Küche: „Hier sind Pfeffer und Safran, Ingwer und Galgantwurzel, die machen künstlich die Speisen geschmackvoll. Durch diese Gewürze werden die Gerichte köstlich an Geruch, Ge243
244
Grupp (1912), S. 456. Vgl. auch Schultz (1889), S. 392 mit Anm. 6, Heyne (1901), S. 331 mit Anm. 55 sowie Schubert (2006), S. 163 f. Pfeffer war wegen seines langen Transportweges im Hochmittelalter zwar eine vergleichsweise teure Ware, jedoch durchaus nicht selten. So soll bereits im 10. Jh. ein arabischer Reisender, der nach Mainz kam, erstaunt berichtet haben, dass dort neben Pfeffer auch Gewürznelken und Ingwer erhältlich waren, vgl. Schubert (2006), S. 163. In der Stadt Goslar sollen sich bei ihrer Eroberung durch die Truppen Ottos IV. im Jahr 1206 „so viel Pfeffer und Spezereien“ befunden haben, „daß man diese kostbaren Waren in Scheffel und sehr große Haufen teilte“, Bumke (2005), S. 85. – Im ‚Straßburger Alexander‘ wird beschrieben, wie sich Alexander der Große und der Perserkönig Darius auf ihre bevorstehende Auseinandersetzung vorbereiten. Darius übermittelt Alexander einen Brief und eine Sendung Mohnkörner. In der Absicht, Alexander einzuschüchtern, schreibt Darius, sein Heer sei so unzählbar wie diese Mohnsamen. In einem symbolträchtigen Akt verschlingt Alexander den Mohn und sendet seinerseits an Darius einen Brief und dazu Pfefferkörner. Er merkt an, dass die Pfefferkörner zwar nicht unzählig, aber durchaus in der Lage seien zu beißen. Der an Darius gesandte Bote … gab ime den peffer in di hant. den enfienc er mit zorne und warf di peffercorner n¯ıtl¯ıchen in s¯ınen munt unde beiz si an der stunt. d¯o begunder sih cremfen und di nase remfen, wand in der pheffer s¯ere beiz. s¯ın l¯ıb di wart ime allir heiz.
(V. 2116 ff.)
„Wütend warf Darius die Pfefferkörner in den Mund und zerbiß sie. Sogleich begann er sich zu winden und die Nase zu verziehen, und sein Körper wurde heiß, denn der Pfeffer biß ihn sehr.“ Beigezogen wurde die Ausgabe von Irene Ruttmann (Hg.): Das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. (Strassburger Alexander). Text. Nacherzählung. Worterklärungen. Darmstadt 1974, die Übersetzung findet sich auf S. 233. Es wird hier nicht nur auf Alexanders – in verschiedener Hinsicht – immenses Vermögen angespielt, indem er den kostbaren Pfeffer, zur ‚Botschaft‘ verfremdet, gleichsam ‚auf den Markt wirft‘. Beschrieben wird auch die körperliche Pein, die der zerbissene Pfeffer bei Darius hervorruft – im übertragenen Sinn eine Vorausschau auf die Niederlage, die Alexander ihm und seinen Truppen später bereiten wird
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schmack und Farbe, dank der Geschäftigkeit des Kochs.“245 Betont wird hier, dass von einem guten Koch geradezu erwartet wurde, dass er die natürlichen Ausgangsstoffe der Speisen – auch durch den Einsatz von Gewürzen – möglichst wirkungsvoll veränderte. Oft wurde auch vermutet, dass man gerade Pfeffer in Mengen einsetzte, um den vor der Zubereitung nicht mehr einwandfreien Zustand von Fleisch oder Fisch sowie von (zu) saurem Wein geschmacklich zu überdecken: „Sogar an den königlichen und fürstlichen Tafeln waren die Speisen oft so ungenießbar, daß ein Theologe schreibt, man wundere sich, daß nicht viele daran stürben“.246 Der Grund für die attestierte ‚Ungenießbarkeit‘ wird dabei jedoch nicht angegeben. Daher muss offen bleiben, ob er sich auf die mangelnde Qualität der verwendeten Grundstoffe bezieht. Ebenso ist es nämlich möglich, dass hier auf ein erhebliches Überwürzen angespielt wurde. Dass angefaulte Fleischwaren oder Fische in vermögenden Haushalten öfter in die Küche und auf die Tafeln wanderten, scheint angesichts der im Hochmittelalter vorhandenen und auch verbreiteten Praxis einer grundsätzlichen Lebensmittelhygiene eher unwahrscheinlich.247 Wenn auf eine Verbesserung des Geruchs und des Geschmacks durch eine kräftige Würzung der Speisen abgehoben wird, könnte dies eher auf die Zubereitung von Fleisch- oder Fischwaren zielen, die z.B. durch starkes Einsalzen und/oder Trocknen konserviert wurden und bei ihrer Verarbeitung u.a. der Zugabe von Würzstoffen bedurften, um ihren strengen Salz- oder Eigengeschmack zu überdecken.248 245
Bumke (2005), S. 244, dort original in Anm. 17: „Hic piper atque crocus, hic gingiber atque galange Assunt et faciunt arte placere cibos. His condimentis odor et sapor et color addunt Delicias epulis sedulitate coci“. Ein Hinweis auf weitere bekannte Importgewürze findet sich in Konrads ‚Partonopier und Meliur‘. Partonopier, der sich die fremde Stadt ansieht, in die es ihn verschlagen hat, gelangt an deren Hafen, wo er verschiedene angelandete Gewürze und Duftstoffe aus dem Orient vorfindet: pheffer, muscât, nägelîn, bisem, balsam, wîrouch
246 247
248
(V. 2300 f.),
Pfeffer, Muskatnuss, Nelken, wolhriechende Salbe, Balsam und Weihrauch, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 284 s.v. bisem: „wohlgeruch, salbe“ und Sp. 116 s.v. balsam: „balsam“ Grupp (1912), S. 450, vgl. Schubert (2006), S. 163 Die These, dass das heftige Würzen von Speisen den Geruch und Geschmack nicht mehr frischen oder bereits angefaulten Fleisches oder Fischs überdecken sollte, vertritt – wohl in Anlehnung an Schubert (2006) – jüngst noch Elisabeth Vavra: Ernährung, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 292–298, hier: S. 295. Viele aus städtischen Siedlungen des Hochmittelalters bekannte Vorschriften zur Herstellung, zum Verkauf und zur Beschau von Lebensmitteln sprechen jedoch dagegen, dass das Verspeisen überlagerter Fleisch- oder Fischwaren die Regel gewesen wäre, vgl. dazu unten im Anhang die Abschnitte VI und VII Vgl. Schubert (2006), S. 163, s. auch Anhang unten, Abschnitt III
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Die wiederkehrenden Erwähnungen geradezu verschwenderischen Würzens dürfen jedoch nicht darüber hinweg sehen lassen, dass gerade importierte Gewürze im Hochmittelalter recht teuer waren und daher im Alltag auch begüterter Haushalte sicher nicht in großen Mengen zum Einsatz kamen. Außerhalb großer Feste und repräsentativer Anlässe dürfte man sich auch dort vermehrt heimischer Würzpflanzen und -mittel bedient haben.249 Wenn es sich jedoch irgend einrichten ließ, galt, was der Dichter Steinmar250 in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in einer an einen Wirt gerichteten Rede folgendermaßen in Verse fasste: Swas dv vns gist, das wurze vns wol, bas danne man ze mase sol, das in vns werde ein hitze, das gegen dem trvnke gange ein dvnst als ein r˘och von einer brvnst, vnd das der man erswitze, das er wêne, das er vaste leke. schaffe, das der mvnt vns als ein apoteke smeke! (V. 32 ff.)251 In Verbindung mit Saucen rückt auch das auf jeder Tafel bereit gelegte Brot in den Blick, das ebenso wie Fleisch- oder Fischstücke in die aufgetragenen Saucen getunkt wurde.252 Neben den schon beim Bereiten der Tafel platzierten ‚Brottellern‘ wurde ein ‚Zubrot‘ gereicht,253 das aus verschiedenen Getreidesorten und auch in unterschiedlichen Formen hergestellt sein konnte. Als besonders fein – und damit für höfische Tafeln standesgemäß – galt das Weißbrot aus Weizenmehl. In seiner ‚angemessenen‘ Herstellung war es recht aufwändig, 249
250 251
252 253
Vgl. Schultz (1889), S. 392 f. und Heyne (1901), S. 392 f., der besonders Senf und Pfefferkraut als Pfefferersatz benennt. Auch Essig wird eine bedeutende Rolle gespielt haben. In Hartmanns ‚Iwein‘ wird er in einer Reihe neben Salz und Pfeffer erwähnt (V. 3338 f.) Vgl. zu Dichter und Werk Ingeborg Glier, Steinmar, in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 281–284 Zitiert nach: Gedichte von den Anfängen bis 1300. Herausgegeben von Werner Höver und Eva Kiepe. (Epochen der deutschen Lyrik. Bd. I. dtv Wissenschaftliche Reihe. Bd. 4015). München 1978, S. 440 f. Dort wird folgende Übersetzung geboten: „Was du uns vorsetzt, das würze kräftig, mehr als man in der Regel tun soll, damit sich in uns ein Feuer entzünde, so daß dem Trank ein Dampf entgegenschlage wie der Rauch von einer Feuersbrunst, und damit der Mann so in Schweiß gerate, daß er glaubt, er sei heftig mit dem Badwedel beschäftigt. Mach, daß unser Mund wie eine Apotheke riecht!“ – Vgl. auch Heyne (1901), S. 292 mit Anm. 55 Vgl. dazu auch unten Abschnitt 2.2.4 So lt. Pieth (1909), S. 27
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da alle Spelzen- und Kornrückstände im Mehl vor dem Backen durch das sog. ‚Beuteln‘ entfernt werden mussten.254 Das Eintauchen des Brotes in Saucen oder Tunken versprach nicht nur zusätzliche Würze, es war auch erforderlich, da das Brot allgemein ‚schärfer ausgebacken‘ wurde, um ein rasches Schimmeln zu vermeiden. Es dürfte daher von recht harter und trockener Konsistenz gewesen sein.255 Das Schwarzbrot dagegen wird in Wolframs ‚Willehalm‘ als besonders kärglich beschrieben. In der Zeit seiner freiwilligen Askese will der Ritter nichts Anderes als in Wasser aufgeschwemmtes Schwarzbrot zu sich nehmen: der marcrâve niht mêre necheiner spîse gerte, niuwan swarzes brôt er merte in ein wazzer, swenne er tranc.
(176, 10 ff.)
Unterschieden wurde nicht nur nach Qualität oder Art des Brotgetreides, sondern es fanden auch verschiedene Brotformen Eingang in poetische Schilderungen. Im ‚Parzival‘ nennt Wolfram blankiu wastel (423, 21), ein möglicherweise brötchenähnliches Gebäck.256 Auch ‚Semmeln‘ werden mehrfach erwähnt, sie finden sich z. B. in Hartmanns ‚Erec‘ im Rahmen dessen, was auf eine angemessen bestückte Tafel gehört: vische unde wiltbrât, beide semeln unde wîn, swaz dâ mêre solde sîn, vil lützel des dâ gebrast.
(V. 7191 ff.)
Mit dem heutigen Verständnis von ‚Semmeln‘ – sprachlich besonders im Süddeutschen auch für ‚Brötchen‘ gesetzt – hatte dieses Gebäck wohl we254
255
256
Vgl. Schultz (1889), S. 395. Zu weiteren historischen Zubereitungsverfahren sowie zu verschiedenen Backtechniken und Brotsorten vgl. Heyne (1901), S. 257 ff. im Kapitel „Mahlen und Backen“ sowie Schubert (2006), S. 83 ff. Vgl. Schubert (2006), S. 84, der dort alle im Mittelalter bereiteten Brotsorten als „eine Herausforderung für die Zähne“ bewertet In Lex. Bd. III (1992), Sp. 703 findet sich zwar das Lemma aufgeführt, jedoch bleibt es ohne Übersetzung oder Erklärung. Das von Wolfram mehrfach genannte Gebäck (vgl. ‚Parzival‘ 622, 10 und ‚Willehalm‘ 136, 6) wird von Heyne (1901), S. 276, folgendermaßen interpretiert: „schlichtes Weizengebäck …, das für sich reizlos ist, und erst mit Flüssigkeit bestrichen, einen besseren Geschmack gewinnt.“ Seiner Annahme, dass es sich bei dieser Gebäckform um das in literarischen Quellen mehrfach erwähnte halp brôt handele, ist mit einleuchtenden Gründen mehrfach widersprochen worden, z. B. durch Peter F. Ganz in der von ihm herausgegebenen Edition des ‚Grafen Rudolf‘ (1964), Anm. zu H 30
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nig gemein, dieses aus Weizenmehl hergestellte Brot war einfach nur kleiner als ein ‚normales‘ Weißbrot.257 Die schon um die Jahrtausendwende bekannte Vielfalt an Brotsorten und deren Zubereitungsarten werden in einem Lexikonartikel folgendermaßen zusammengetragen: „Brotkuchen, mondförmiges B. …, gesottenes B., geröstetes und mit Salz bestreutes B., Eierb., mit Hefe getriebenes B., mit Sauerteig getriebenes B., … ungesäuertes B., Spelt-, Weizen-, Roggen-, Gersten-, Haferb., neugebackenes B., kaltes und warmes, unter glühender Asche gebackenes B.“.258 Das Erhitzen von Brotscheiben259 in einem Kessel findet sich wiederum bei Wolfram von Eschenbach. Er zitiert im ‚Parzival‘ das ‚Nibelungenlied‘, wenn es heißt: ich tæte ê als Rûmolt, der künec Gunthere riet, do er von Wormz gein Hiunen schiet: er bat in lange sniten bæn und inme kezzel umbe dræn.
(420, 26 ff.)260
Neben unterschiedlichen Brotsorten und -formen waren auch verschiedene Arten von ‚Feingebäcken‘ bekannt.261 Wolfram nennt die in einer Pfanne ausgebackenen ‚Truhendinger Krapfen‘,262 bei denen es sich um 257
258
259
260
261
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Vgl. Schubert (2006), S. 84 mit einem Verweis auf die schon in der Antike bekannte (lat.) simila M. Währen s.v. Brot, in: RGA Bd. 3 (1978), S. 545–552, hier: S. 550 f. Diese Aufzählung entspricht derjenigen, die der St. Gallener Mönch Ekkehart in seinen ‚Benedictiones ad mensas‘ (11. Jh.) bietet, vgl. dazu den Text im Anhang dieses Bandes, Abschnitt I.1 Möglicherweise ist hier ein Rösten, z. B. in Schmalz oder anderem Fett gemeint, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 113 s.v. baehen: „durch überschläge erwärmen“. Hepp (1970), S. 205 f., weist darauf hin, dass baehen etwa in der Bedeutung ‚rösten‘ nur bei Wolfram belegt sei, verschiedene mundartliche Quellen hingegen darauf verweisen, dass es auch im Sinne von ‚aufgehen, dick werden, ansetzen‘ gebraucht wurde Eine solche Passage findet sich in der Handschrift C des ‚Nibelungenliedes‘ (1497, 3), in der der Küchenmeister Rumolt versucht, die Burgunden mit der Aussicht auf „in Öl gebackene Teigschnitten“ von ihrem Zug an Etzels Hof abzuhalten, vgl. Bumke (2005), S. 272. Die Ausgabe von Helmut des Boor (1979) führt diese Passage nicht auf, weil sie der Handschrift B folgt, vgl. Vorwort S. XLVIIIff. Schultz (1889), S. 395, nennt Honigkuchen, Waffeln und eine Gewürztorte. Vgl. auch Heyne (1901), S. 273 ff. mit einer ausführlichen Liste von Belegen Nicht nur hier bezieht sich Wolfram auf den Kreis seiner Gönner: „Weitere biographische Bezüge Wolframs, wie sie zum Wertheimer Umfeld und zuletzt gerade zu den Herren von Zimmern hergestellt wurde, bleiben spekulativ. Auffällig sind allerdings die persönlichen Vernetzungen im Gönnerkreis des Dichters und die konkreten An-
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einen besonderen Leckerbissen gehandelt haben dürfte, denn ihr Nichtvorhandensein wird betont, um die Ärmlichkeit der beschriebenen Situation zu unterstreichen: ein Trühendingær phanne mit kraphen selten dâ erschrei.
(‚Parzival‘, 184, 24 f.)263
Schlichte Speisen aus Mehl oder geschrotetem Korn, Muse und Breie werden dagegen in höfischen Tafelbeschreibungen nicht erwähnt. Sie hätten auch kaum in das zu beschreibende festliche Ambiente gepasst, was zunächst nichts darüber aussagt, ob und in welchem Umfang sie dort sowie im Küchenalltag auch des Adels eine Rolle spielten. Auch Gemüsearten werden bei den Schilderungen festlicher Tafeleien nicht genannt. Mit Gemüse und Salaten begnügten sich Ritter den Dichtun-
263
spielungen in dessen Werken, gerade im Parzival, auf örtliche Gegebenheiten in dieser Umgebung. Zu Wolframs Förderern zählten zunächst auch die mittelfränkischen Herren von Truhendingen, deren persönlicher Kontakt etwa mit den Herren von Zimmern bekannt ist, ebenso die Herren von Abenberg wie die Wertheimer Grafen. … Die Nennung der Burg Wildenberg bietet den Hinweis auf die gleichnamige Burg der Herren von Dürn im Odenwald, will man in ‚Wildenberg‘ nicht nur eine Verdeutschung des Namens der Gralsburg (Mont sauvage) erkennen“, so Peter Rückert: Adelige Herrschaft und Repräsentation im hohen Mittelalter. Literatur und Architektur im Umfeld der Grafen von Wertheim und der Herren von Gamburg, in: Hans-Peter Baum/Rainer Leng/Joachim Schneider (Hg.): Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter. Festschrift zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel. (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Nr. 107). Stuttgart 2006, S. 289–306, hier: S. 300 In der verwendeten Ausgabe (nach Lachmann, 1998) wiedergegeben als: „selten schrie ein Trüdinger Hafen Schmalznudeln aus“ (Übersetzung von Peter Knecht). Das mhd. erschreien „erschrien machen, zum rufen bringen“ (Lex. Bd. I [1992], Sp. 669) und erschrien „sich ausschreien, durch schreien aufwecken“ (Lex. Bd. I [1992], Sp. 669 f.) bieten für diese Stelle keine unmittelbar einleuchtende Erklärung. Vielleicht ging es Wolfram hier darum, den Vorgang des Ausbackens von Krapfen auch akustisch wirkend wiederzugeben, etwa wie heute Teekessel ‚summen‘, eine Pfanne mit Speck ‚brutzelt‘ oder kochendes Wasser ‚blubbert‘. Ein Begriff für ein besonders starkes Geräusch könnte ihm gelegen gekommen sein, weil es einen großen Kontrast bietet, denn im Textzusammenhang geht es um Mangel und Not. Auf eine Wortspielerei, in der der fühlbare Hunger hier in die Sphäre des Hörbaren übertragen wird, verweist auch die folgende Reimzeile: in was der selbe don enzwei (184, 26) – „diese Melodie war ihnen zersprungen“. Eine vergleichbare ‚akustische‘ Figur verwendet Walther von der Vogelweide in der Einleitung seines zum sog. Unmutston gerechneten ‚Drei-Fürsten-Preises‘: Die wîle ich drîe hove weiz sô lobelîcher manne, sô ist mîn wîn gelesen und sûset wol mîn pfanne.
(34, 34 f.)
„Solange ich drei Höfe weiß so lobenswerter Männer, / so lange ist mein Wein gelesen und brutzelt angenehm meine Pfanne“, vgl. Edition Schweikle (1994), S. 186 f.
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gen zufolge nur notgedrungen, wenn es nichts Anderes gab. Eine solche Szene findet sich im ‚Parzival‘ beschrieben: dô brâht ein des wirtes sun purzeln unde lâtûn gebrochen in den vinæger.
(551, 19 ff.)264
Portulak265 und Lattich,266 in Essig267 zu einem Salat angemacht, vermögen zwar den beißenden Hunger zu stillen, eine Kraft spendende Kost stelle dies, wie Wolfram anschließend vermerkt, freilich nicht dar (vgl. 511, 22 ff.). Auch für den Verzehr von Obstarten im höfischen Ambiente gibt es kaum Hinweise.268 Als Engelhard, der Protagonist der gleichnamigen Erzählung 264
Die Übersetzung in der verwendeten Ausgabe lautet: „Dann brachte der eine von den Söhnen des Hauses Portulak herein und Lattich, eingebrockt in eine Vinaigrette“ (S. 555); vgl. auch ‚Parzival‘ 501, 12 ff.: der wirt sîn phlac als ich iu sage. krût unde würzelîn daz muose ir bestiu spîse sîn.
265
266 267
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’Der Gastgeber kümmerte sich um ihn wie ich es euch berichte. Kräuter und kleine Wurzeln mußten für sie die beste Speise abgeben“ Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 399 unter dem Stichwort burzel, purzel: „eine pflanze … – aus mlat. portulaca“; vgl. auch Heyne (1901), S. 329 Cf. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1840 s.v. lâtûn und Heyne (1901), S. 329 Wahrscheinlich handelt es sich um ein Lehnwort aus dem Französischen (vgl. vinaigre). Weder Lex. (1992) noch Heyne (1901) führen vinæger auf Schultz (1889), S. 397 ff., führt zwei Stellen aus dem ‚Parzival‘ an (80, 1 und 508, 11), in denen es jedoch nicht um Obst als Speise oder Nahrungsmittel geht; weitere, dort aufgeführte Belege verweisen sämtlich auf Werke der französischen Literatur; auch bei Heyne (1901), S. 333 f., finden sich literarische Belege nur aus der außerhöfischen Sphäre. Vavra (2008), S. 292, gibt an: „Obst machte bis zu zehn Prozent der Ernährung des Adels aus.“ Auf die mittelhochdeutschen poetischen Schilderungen der höfischen Sphäre kann sie sich bei ihrer Aussage nicht gestützt haben. – In Konrads ‚Partonopier und Meliur‘ findet sich eine Passage, in der verschiedene ‚Baumfrüchte‘ genannt werden, auf die der eine fremde Stadt erkundende Partonopier in einem Garten stößt. Erwähnt werden Wein, Kastanien, Mandeln, Feigen, Lorbeer und Granatapfel (aphel schœne von Punîc), als Baumfrucht bemerkenswerterweise auch der Zucker, vgl. Edition Bartsch (1970), V. 2316 ff. Der Gang der wohl bis 1277 aus dem Französischen übertragenen Erzählung (vgl. hierzu Horst Brunner: Konrad von Würzburg, in: VL Bd. 5 [1985], Sp. 272–304, hier: Sp. 275) und nicht zuletzt die Zusammenstellung der erwähnten Pflanzen weisen darauf hin, dass es sich hier um eine mediterrane Szenerie handelt, die nicht auf den Raum nördlich der Alpen übertragen werden kann. Vergleichbar verfährt Konrad im ‚Engelhard‘, als der aussätzig und dadurch einsam gewordene Dietrich einen angenehmen Ort findet, an dem er sich ein Häuschen errichten lässt. An der einem irdischen Paradies gleichen Stelle gibt es Feigen-, Mandel, Nuss- und Kastanienbäume, und sogar ein tragender Olivenbaum soll
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Konrads von Würzburg, den väterlichen Hof verlässt, gibt der Vater ihm drei Äpfel mit auf die Reise und rät, der Sohn möge sich nur denjenigen zum Gefährten erwählen, der bereit sei, den angebotenen Apfel mit ihm zu teilen (V. 336 ff.). Zwei Treffen, bei denen Engelhard die Probe stellt, verlaufen enttäuschend. Erst der dritte Versuch ist erfolgreich: der edle Dietrich, der den angebotenen Apfel sorgsam schält und in zwei gleiche Hälften zerteilt, von denen er eine dem Spender reicht, wird fortan der engste Freund Engelhards sein (vgl. V. 550 ff.). Aus einem lautmalerischen Vergleich, in dem Wolfram das Aufeinanderprallen der Ritter bei einem Turnier mit dem Platzen von in die Glut geworfenen Kastanienschalen beschreibt, darf wohl geschlossen werden, dass im Herbst und Winter das Rösten von Edelkastanien praktiziert wurde: da erhal manc rîchiu tjoste guot, als der würfe in grôze gluot ganze castâne.
(‚Parzival‘, 378, 15 ff.)269
Milch spielt in den mittelhochdeutschen höfischen Epen ebenfalls keine Rolle, lediglich Käse als Milchprodukt wird verschiedentlich erwähnt.270 Für die höfischen Tafeln scheint er poetischen Quellen zufolge wohl zu gewöhnlich gewesen zu sein, denn die Situationen, in denen Käse als Speiseangebot erscheint, handeln sämtlich außerhalb höfischer Feste oder Tafelszenen. Hartmann lässt im ‚Erec‘ Käse mehrmals als Reiseproviant oder Picknick-Gut erscheinen,271 und in Wolframs ‚Parzival‘ ist Käse besonders während einer Belagerung willkommen, also in einer Situation, in der andere Speisen nicht zur Verfügung stehen: frouwe, ich sende iu zwelf prôt, schultern unde hammen drî: dâ ligent ähte kæse bî.
269
270 271 272
(190, 10 ff.)272
dort stehen, vgl. Edition Reiffenstein (1982), V. 5230 ff. Da Dietrichs Wohnsitz in Flandern liegt, ist die Ortsschilderung kaum realistisch, sondern orientiert sich ganz an den toposartigen Attributen eines literarisch geschilderten ‚angenehmen Ortes‘ (locus amoenus) In dem (in der verwendeten Ausgabe) von Peter Knecht übersetzten Text wiedergegeben als: „Gewaltig knallten da viele rechte Tjosten wie ganze Kastanien, die einer in die Glut geworfen hat.“ Die Wucht und der Lärm der Kampfszenerie, in die die zitierte Stelle eingebunden ist, wird durch Wolfram mit einem akustischen Vergleich wiedergegeben Vgl. Schultz (1889), S. 397 und Heyne (1901), S. 314 f. mit Anm. Vgl. oben Abschnitt 2.1.1.2 Die in der Ausgabe gebotene Übersetzung lautet: „Meine Dame, ich lasse Euch zwölf Brote bringen, drei Schäufele und Schinken, man wird auch acht Laib Käse da-
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Im ‚Rennewart‘ lässt Ulrich von Türheim die edle Dame Gyburg gestehen, dass sie selbst und das Personal ihres Vaters keine guten Köche seien. Sie bittet deshalb Rennewart dringend um Küchendienste und führt dabei an, dass sie in der Pfanne gebackenen Käse besser essen als zubereiten könne: ich sol noch bewisen mit mines vater mannen daz ich kæse in der pfannen kan baz ezzen danne machen.
(V. 2020 ff.)
Bemerkenswert ist, dass Butter, die wegen ihrer recht aufwändigen Herstellung teuer war und Ernst Schubert zufolge „im ganzen Mittelalter zum Herrenessen“ gehörte,273 in den Schilderungen höfischer Tafeln überhaupt nicht erscheint. Werden spezielle Gerichte und deren Besonderheiten kaum ausführlicher beschrieben oder mit Namen genannt, erschließt sich, was die Getränke betrifft, ein anderes Bild. In fast allen Tafelbeschreibungen werden neben den Speisen gleichzeitig Getränke erwähnt. Dies leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass „die scharf gewürtzten Speisen … natürlich gewaltig den Durst [erregten], und das sollten sie auch thun.“274 Auf das Wasser zurückzugreifen, „das hielten schon unsere Vorfahren für despectirlich, und entschlossen sich nur im äussersten Nothfalle dazu; gewöhnlich hatten sie etwas Besseres zu trinken“.275 Auf eine kurze Fomel gebracht, findet sich diese Bewertung im ‚Seifried Helbling‘ wieder, in dem ein ländlicher Gastgeber seine Gattin auffordert: frou, tragt in diu liute wîn! lât wazzer trinken diu swîn!
(I, 345 f.)276
zutun“; zu aht, achte, ächte, ehte (acht) s. Lex. Bd. I (1992), Sp. 29. Merkwürdig ist angesichts der bedrängten Situation der Belagerten, dass die versprochene Lieferung gleichsam ‚vorgezählt‘ wird. Vgl. auch ‚Parzival‘ 184, 7 f.: der zadel fuogte in hungers nôt. sine heten kæse, vleisch noch prôt 273 274 275
276
Schubert (2006), S. 113 Schultz (1889), S. 402 mit Anm. 2 Schultz (1889), S. 402. Dass das Wassertrinken im Hochmittelalter u. a. deshalb vermieden wurde, weil die Wasserqualität oft sehr zu wünschen übrig ließ, geht aus dieser Bewertung nicht hinreichend hervor. Vgl. hierzu näher unten Anhang, Abschnitt VII Übersetzt lautet diese Passage etwa: ‚Frau, tragt den Leuten Wein hinein! Lasst die Schweine (das) Wasser trinken!‘
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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Die mit Abstand häufigsten Nennungen beziehen sich denn auch auf den Wein.277 Während meistens nur allgemein der wîn belegt ist, finden sich daneben zuweilen Angaben besonderer Lagen, so beispielsweise des Bozener Weins im ‚Willehalm‘: … dâ von ir süezer schal ist werder dann ob se al den wîn trinke der mac ze Bôtzen sîn.
(136, 8 ff.)278
Als Siegfried im ‚Nibelungenlied‘ seine Reise nach Island antritt, befindet sich unter seinem Proviant auch Rheinwein: Si fuorten rîche spîse, dar zuo vil guoten wîn, den besten, den man kunde vinden umben Rîn. (380, 1 f.) In seinem ‚Renner‘ behauptet Hugo von Trimberg (in einem aus heutiger Sicht sehr bissigen Vergleich mit insgesamt abschätziger Note), dass bayerischer Wein ‚in seiner Jugend‘, also wohl kurz nach dem Keltern, am besten sei: Mir sagte ein priester daz beirisch wîn, Juden und junge wölfelîn Aller beste sîn in der jugent.
(V. 22617 ff.)279
Neben heimischen Lagen werden auch ausländische Weine erwähnt, besonders solche, die aus dem Mittelmeerraum stammen. Wieder einmal ist es Wolfram, der Spezielles aufführt, in seinem ‚Willehalm‘ werden Zypernwein (kipper)280 und ein Wein aus dem griechischen Philippopel, der vinepopel, gleich nebeneinander genannt (vgl. 448, 8).281 Über die Angewohnheit, Weine mit Gewürzen (hier mit Salbei) zu aromatisieren, berichtet Wolfram: 277
278
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Eine Auswahl unter vielen bieten ‚Willehalm‘ 91, 1 ff., ‚Parzival‘ 239, 1, ‚Nibelungenlied‘ 1812, 3, ‚Iwein‘ V. 819 und ‚Erec‘ V. 3554 An dieser Stelle spielt auch Wolfram mit dem Nicht-Vorhandenen. Der in der Szene gastgebende Kaufmann fügt sich dem Wunsch Willehalms, der ein Gelübde abgelegt hat und deshalb nur Wasser trinken möchte. Wolfram kommentiert dies mit der Wendung, dass der Gastgeber ihm gibt, wovon die Nachtigall lebt und damit süßer singe als wenn sie Bozener Wein getrunken hätte Zitiert wird nach der Ausgabe von Gustav Ehrismann: Der Renner von Hugo von Trimberg. Mit einem Nachwort und Ergänzungen von Günther Schweikle. Bd. I–IV. (Deutsche Neudrucke. Reihe: Texte des Mittelalters). Berlin 1970, hier: Bd. III Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1579 s.v. Kipper: „die insel Cypern“ bzw. kipper: „wein von Kipper“, vgl. auch Schultz (1889), S. 408, Pieth (1909), S. 28 f. mit weiteren (und nicht durchgehend sicher interpretierten) Belegen sowie Bumke (2005), S. 244 Vgl. Schultz (1889), S. 412; mit einer anderen geographischen Zuordnung Pieth (1909), S. 28
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wir sulen ouch parrieren den wîn mit guoter salveien
(‚Willehalm‘, 326, 20 f.).
In einer Reihe mit Wein werden auch weitere, auf solche Weise bereitete Weingetränke genannt, so z. B. im ‚Parzival‘: môrâz, wîn, lûtertranc, brâhten juncfrouwen dâ mitten kranc
(423, 17 f.).282
Mit môraz wurde eine Art Bowle aus (angesetzten) Maulbeeren bezeichnet,283 die mit Wein versetzt wurde.284 Der erwähnte lûtertranc tritt auch unter der Bezeichnung clâret auf.285 Er „war mitnichten ein lauteres, ein reines Getränk, sondern ein über Kräuter und Gewürze abgeklärter Wein, wie er schon in der Antike beliebt war. Mit den Zutaten ließ man die Mischung ziehen und preßte sie durch ein Tuch. Niemand hatte etwas gegen Gewürze im Wein, wozu neben den Heilpflanzen Wermut und Salbei der oft mit Absinth versetzte Honig und Beeren zählten. Beliebt sind Honig-, Safran-, Salbei-, Rosen-, Nelkenwein“.286 Dass dieses Getränk kostspielig, geklärt und eher dünnflüssig, durch Würze von merklichem Geschmack, süß und so stark ist, dass es heftig zu Kopfe steigt (es beschwert den Kopf wie Blei), führt Heinrich von dem Türlin in seiner ‚Crône‘ aus.287 An der Tafel von König Artus, an der neben den Rittern auch Damen teilnehmen, geht ein 282
283 284
285
286 287
Hier wird nicht nur die Erlesenheit der Getränke (und folgend noch der Gerichte), sondern auch die Ansehnlichkeit der bedienenden Mädchen hervorgehoben: „Môraz, Wein und Würzwein brachten junge Damen – lauter schmale Taillen –“, Übersetzung zum Text auf S. 427 der verwendeten Ausgabe Vgl. Schultz (1889), S. 412 und Schubert (2006), S. 204 Die von Heyne (1901), S. 353, geäußerte Vermutung, dass es sich bei dem môraz um ein spezifisches Getränk höfischer Kreise gehandelt habe, geht wohl fehl. Er führt für diese Vermutung an, dass dieses Getränk stets in Verbindung mit Wein genannt werde. Dieser war jedoch im Mittelalter – wenn auch in verschiedener Qualität – so verbreitet, dass hieraus kein Schluss auf Exklusivität gezogen werden kann. Zur Bereitung von môraz finden sich auch nähere Angaben (leider ohne Quellenbelege): „Dieses ausgesprochen süße Getränk bestand aus mit Honig vergorenem Maulbeersaft, der zusätzlich noch mit Zimt, Nelken, Kostwurz und Lavendel gewürzt werden konnte“, so Bettina Pferschy: Weinfälschung im Mittelalter, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Historica. München, 16.–19. September 1986. Teil V. Fingierte Briefe – Frömmigkeit und Fälschung – Realienfälschungen. (MGH. Schriften. Bd. 33.V). Hannover 1988, S. 669–702, hier S. 676 Vgl. Schubert (2006), S. 204; siehe dazu auch ‚Willehalm‘ 177, 4 gepigmentet clâret, und ‚Willehalm‘ 274, 24; vgl. ferner Pferschy (1988), S. 674 f. Schubert (2006), S. 204, vgl. Heyne (1901), S. 369 und Bumke (2005), S. 244 Zu Autor und Werk, auch zu der wohl um 1230 entstandenen ‚Crône‘, vgl. Christoph Cormeau in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 894–899 s.v. Heinrich von dem Türlin
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wundersamer Pokal um, der immer wieder mit clâret gefüllt wird. An Keie gewandt, kommentiert ein Anwesender diesen Trunk: Jch getranch disem chlaret Nie niht geleiches, So tivres vnd so reiches. Trincht ovch ir, ez ist guot. Jch weiz wol, daz ir daz tuot Gar svnder widerstreit. So seht ir wol, ob ich leit Ze rehte kosten chünne. Ez ist louter vnd dünne, Gesmach vnd ræze, Vnd sint sein wæze Süez vnde starch. Es muoz chosten manig march Ditz vil edel pigment. … Dehein houbet ist so veste, Ez muoz bresten da von, Ezn wær sein vol wol gewon. Da von trinchet chleine Wider erst ze mazen seine. Daz rat ich iv, mein her Key, Wan ez swaret sam ein bley Vnd leget sich dem hjrn bey.
(V. 2504 ff.)288
Gelegentlich wird auch der sinôpel erwähnt, so z. B. im ‚Willehalm‘: siropel mit pigmente, klâret und dar zuo môraz, die starken wîne im gevielen baz danne in der küchen daz wazzer.
288
289
(276, 6 ff.)289
Heinrich von dem Türlin. Die Krone (Verse 1–12.281). Nach der Handschrift 2779 der Österreichischen Nationalbibliothek nach Vorarbeiten von Alfred Ebenbauer, Klaus Zatloukal und Horst P. Pütz. Herausgegeben von Fritz Peter Knapp und Manuela Niesner. (ATB. Nr. 112). Tübingen 2000 Vgl. dazu auch ‚Parzival‘ 809, 29. Im ‚Rennewart‘ nennt Ulrich von Türheim auf einer fürstlichen Tafel neben win, met, lutertranc und claret ausdrücklich auch den roten syroppel, möglicherweise eine Anleihe bei Wolframs ‚Willehalm‘, vgl. ‚Rennewart‘ V. 4735ff.
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Hergestellt wurde er offenbar auf die gleiche Weise wie der lûtertranc oder clâret, nur wurde bei seiner Bereitung wohl ausschließlich Rotwein verwendet.290 Derartige Veränderungen des Weinaromas dürften nicht nur – auf heute fremd wirkende – geschmackliche Besonderheiten mittelalterlicher Verbraucher zurückzuführen sein, sondern waren infolge qualitativer Mängel wohl oftmals vonnöten, um sie überhaupt erst genießbar oder zumindest wohlschmeckend zu zu machen.291 Dass Wein als ein klares Getränk mit bestimmten, auch stabil leistbaren Qualitätsansprüchen ebenso wie die ‚Weinromantik‘ neuzeitlichem Verständnis entsprechen und damit eine geschichtlich recht junge Errungenschaft sind, hat Ernst Schubert ausführlich dargestellt.292 So dürfte zutreffen, was ein Mönch im Mittelalter über den Wein seiner Zeit zu berichten wusste: „Ich habe zuweilen gesehen, dass so trüber Wein den Grossen vorgesetzt wurde, dass er nur mit geschlossenen Augen und zusammengebissenen Zähnen, mit Schauder und Widerstreben, eher geseiht als getrunken werden musste.“293 Der Met,294 ein aus einem Honig-Wasser-Gemisch vergorenes, daher schwach alkoholisches Getränk, wird neben Weinen im ‚Nibelungenlied‘ gesondert aufgeführt: man schancte den gesunden
met und guoten wîn. (252, 3)295
In der höfischen Literatur wird der Met nicht oft genannt. Dieser Umstand wurde damit erklärt, dass er „volksmässig“296 und dementsprechend für die 290
291 292
293
294
295 296
Heyne (1901), S. 370, führt diese Bezeichnung auf eine Verzerrung des mlat. cinnabaris ‚zinnoberrot‘ zurück. Auch Bumke spricht von Rotwein als Basis, hält den sinôpel jedoch für französischen Ursprungs, vgl. Bumke (2005), S. 244 f. Vgl. ausführlicher Pferschy (1988), S. 669 ff. Vgl. Schubert (2006), S. 169 ff., knapp, in der Tendenz jedoch ähnlich, bereits Schultz (1889), S. 412 Schultz (1889), S. 414 f., vgl. auch Bumke (2005), S. 244, der die heimischen Weine als in dieser Zeit „meistens sehr sauer“ bezeichnet Vgl. ausführlicher Heyne (1901), S. 334 ff. mit Angaben zu Herstellung und Gehalt dieses Getränkes; eine frühe Abhandlung bietet Wilhelm Wackernagel: METE BIER WÎN LÎT LU˚TERTRANC, in: ZfdA 6 (1848), S. 261–280, bes. S. 262 ff., vgl. auch den Beitrag von I. Schneider zu Met unter dem Stichwort „Getränke“ in: RGA Bd. 12 (1998), S. 1–4, hier: S. 1 f. sowie Adam Maurizio: Geschichte der gegorenen Getränke. Neudruck der Ausgabe von 1933. Vaduz 1993, bes. S. 42 ff. mit Erklärungen zu Ingredienzien, deren Mischungsverhältnis, den Gärungsprozess und den Alkoholgehalt des Metes Weitere Belege aus dem ‚Nibelungenlied‘ sind 968, 2 und 1187, 3 So Wackernagel (1848), S. 263
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ritterliche Tafel ungeeignet gewesen sei.297 Gegen eine solche Bewertung sprechen literarische Belege, in denen Met neben Wein und anderen ‚feinen‘ Getränken auf königlichen Tafeln erwähnt wird, so z. B. in dem im frühen 13. Jahrhundert entstandenen ‚Lanzelet‘ Ulrichs von Zatzikhoven:298 der künic Artûs liez in geben lûtertranc, met unde wîn, wan er kunde wol wirt sîn
(V. 8602 ff.)299
oder im ‚Rennewart‘ des Ulrich von Türheim: man sach da nieman trinken pier, man trank da win und claret, syropel g˚ut und suzen met.
(V. 32230 ff.)300
Demnach war es eher das Bier, das nach dem zeitgenössischen Verständnis nicht auf eine höfische Tafel passte. Was seinerzeit als ‚Bier‘ bezeichnet wurde, besaß nämlich überwiegend eine ausgesprochen mäßige Qualität.301 In Hartmanns ‚Iwein‘ findet sich eine Redepassage, in der sich Keie mit spitzer Zunge über den Alkoholgehalt des Bieres – wenn vielleicht auch etwas übertrieben – auslässt, den er als ausgesprochen ‚unergiebig‘ darstellt:
297 298
299
300 301
In diesem Sinne auch Heyne (1901), S. 337 Zu Autor und Werk vgl. unter dem Stichwort Ulrich von Zatzikhoven Isolde Neugart in: VL Bd. 10 (1999), Sp. 61–68 Zitiert wird nach der Ausgabe Ulrich von Zatzikhoven. Lanzelet. Herausgegeben von Florian Kragl. Bd. 1. Text und Übersetzung. Berlin/New York 2006 In V. 32232 befindet sich im Text bei suzen ein e über dem u Die Kunst des Bierbrauens im heutigen Verständnis ist im Wesentlichen eine Errungenschaft aus dem 14. Jh. Alle vorherigen ‚Biere‘ waren mehr oder weniger alkoholhaltige, trübe und schnell vergorene Getreideaufgüsse, die sich auch nur für kurze Zeit hielten, vgl. Maurizio (1993), S. 105ff., S. 112 ff. und 131 ff. – Bekannt war im Hochmittelalter lediglich die sog. obergärige Brauweise, bei der die Rückstände der (zur Gärung nicht eigens zugesetzten) Hefe beim Gärvorgang nach oben aufstiegen. Bier wurde nicht nur aus Gerste, sondern auch aus Weizen, Spelt und Hafer hergestellt, statt Hopfen setzte man ihm im westdeutschen Raum die sog. ‚Grut‘ als Geschmacksgeber zu, eine Würzmischung, die Kümmel, Anis, Harz, Lorbeer, Ingwer und Seselkraut (weißer Enzian) enthalten konnte. Im niederländisch-norddeutschen Raum war Porsch oder Porst als Würzmischung üblich, hergestellt auf Basis von wildem Rosmarin und dem Gagelstrauch, vgl. ausführlich Wolfgang Herborn: Römerbier, Grutbier, Hopfenbier, in: Fritz Langensiepen (Hg.): Bierkultur an Rhein und Maas. Bonn 1998, S. 195–218
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wînes ein becher vol der gît, daz sî iu geseit, mêre rede und manheit dan vierzec unde viere mit wazzer oder biere.
(V. 818 ff.)302
Damit würde verständlich, dass Bier eher gemieden wird, sobald andere Getränke gereicht werden. Dies wird auch im ‚Parzival‘ so dargestellt, wo es heißt: wan dâ trinket niemen bier, si hânt wîns und spîse vil.
(201, 6 f.)
Bei den dichterischen Beschreibungen dessen, was auf die ritterlichen Tafeln getragen wurde, wird insgesamt merkwürdig ungleichgewichtig verfahren. Wenn es um das Fleisch von größeren Haus- und von Wildtieren geht, werden formelhafte Sammelbezeichnungen verwendet (wilt unde zam), die in kaum einer Tafelszene fehlen. Nirgendwo wird erwähnt, dass es das zartere Fleisch von Kalb, Lamm oder eines Spanferkels gegeben habe. Wichtiger als derartige Details scheint gewesen zu sein, dass sowohl Hausals auch Wildtierfleisch angeboten wurden, damit Fleisch verschiedener Herkunft und mit deutlichem Hinweis auf die standesgemäße Hochwildjagd. Bemerkenswert ist, dass dieses Muster bei anderen Tieren, aus denen Speisen bereitet wurden, des öfteren durchbrochen wird. Zwar werden neben dem Fleisch von Haus- und Wildtieren auch Vögel und Fische oft nur generell erwähnt,303 doch werden bei den Vögeln und den Fischen auch genauere Unterscheidungen gemacht. An Haustieren begegnet nur das Huhn (auch als Kapaun), Gans, Ente und Taube fehlen. Der gelegentlich genannte Pfau ist schwer einzuordnen, er sollte – wenn überhaupt – zum Hausgeflügel gerechnet werden, da er endemisch, in freier Wildbahn nicht vorkam und sicher ein besonders repräsentatives Zuchtobjekt darstellte. 302
303
Übersetzt etwa: ‚Ein Becher voll Wein, der bewirkt – das lasst euch sagen –, dass die Zunge lockerer wird und man selbst ,männlicher’ als wenn man vierundvierzig Becher mit Wasser oder Bier getrunken hätte‘ So in der ‚Krone‘ Heinrichs von dem Türlin: Er hiesz ir mit eren pflegen Zu bett vnd zú tisch. Húnre vnd visch, Zam vnd wiltpret: Mit michelem rat Hielt er sie mit dem ezzen.
(V. 20326 ff.)
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Die Palette von erwähnten Wildvögeln hingegen ist bunter: Fasan, Reiher, Rebhuhn, ferner auch Schwan sowie Singvögel. Besonders Wolfram belässt es zuweilen nicht bei der Bemerkung, dass guote vische (verschiedener Sorten?) aufgetragen wurden, sondern nennt speziell Neunaugen und Salme (Lachse). Bei vielen Tafelszenen fällt auf, dass, wenn nicht nur allgemein von guoter spîse (genuoc) die Rede ist, sich ergänzende, paarweise Nennungen gewählt werden, um die Vielfalt und Fülle der Tafel hervorzuheben: Fleisch von Haus- und von Wildtieren, Fleisch und Fisch, Vögel und Fische (im ‚Rennewart‘ auch Hühner und Fische, vgl. V. 4716), sogar ‚Tiere und Vögel‘ (vgl. ‚Rennewart‘, V. 32225). Gelegentlich wird auch zwischen getrockneten und frischen Grundstoffen unterschieden, so in der bereits erwähnten Passage aus Strickers ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘(vgl. oben S. 91). Bei Getränken wird, wie die zuvor angeführten Stellen ausweisen, entsprechend verfahren, oft werden auch Speisen und Getränke als ‚aufgetragenes Doppel‘ genannt (vgl. z. B. ‚Wolfdietrich‘, 163, 4 und ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘, V. 2421 f.). Dem gleichen Ziel dienen die Erwähnungen verschiedener Zubereitungsarten von Speisen wie auch des Zustands, in dem sie bei Tisch gereicht werden. Auch hier überwiegen paarweise Nennungen, etwa gebratene und gekochte Speisen bzw. Fleisch- oder Fischsorten, und auch heiße und kalte Speisen, frisch zubereitete und ‚alte‘, ggf. aufgewärmte und neu angemachte Gerichte werden erwähnt, so bei einer Gralsmahlzeit der Artusrunde im ‚Parzival‘: daz er al bereite vant spîse warm, spîse kalt, spîse niwe unt dar zuo alt, daz zam unt daz wilde.
(238, 14 ff.)304
Ausdrückliche Hinweise auf besondere Rezepte oder Bezeichnungen spezieller Gerichte (wie etwa ‚Coq au vin‘/‚Huhn in Wein‘ oder ‚Zwiebelrostbraten‘) sucht man bei Tafel- oder Küchenszenen – mit seltenen Ausnahmen bei Wolfram305 – vergebens.
304
305
In der an dieser Stelle teils recht freien neuhochdeutschen Übersetzung – mit vorhergehenden Zeilen – so wiedergegeben: „daß also, sage ich, dort alles zu finden war, wonach einer nur die Hand ausstrecken mochte, schon war es da: warme Speisen, kalte Speisen, neue Speisen und dazu noch alte Speisen, von den Feldern, aus den Wäldern“ (Übersetzung auf S. 242 der zitierten Ausgabe) Erwähnt wurden bereits die ‚Truhendinger Krapfen‘, vgl. oben S. 98 f. mit Anm. 263
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Oft wird erwähnt, dass verschiedene Gerichte oder Gänge auf eine Tafel kommen oder sich auf ihr angerichtet finden (gerihte, auch trahte).306 Elisabeth Vavra ist überzeugt, dass die verschiedenen Speisen bei einem Festmahl nacheinander aufgetragen wurden: „Bedient wurde nach ‚französischer Art‘. Es gab mehrere Gänge, je nach Bedeutung des Mahles, der geladenen Gäste und des Gastgebers; die Gänge bestanden wiederum aus unterschiedlichen Speisen: Nebeneinander wurden Fleisch- und Fischgerichte, vegetarische Speisen oder Zuspeisen gereicht.“307 Die fast durchweg kurzen Passagen, die höfische oder erlesene Tafelszenen schildern, lassen keinen Schluss darauf zu, ob diese Aussage zutrifft. Zwar werden Truchsessen und Bedienung bei Tisch immer wieder erwähnt, auch, dass sie Speisen auftragen (lassen), nicht aber, dass Gerichte bei einer aufwändigen Tafelei zwischendurch abgetragen und durch andere ersetzt worden wären. Für ein zeitliches Nacheinander des Auf- und Abtragens verschiedener Gänge und damit für eine bewusste Trennung etwa von kleineren Vorspeisen, Zwischengängen und Hauptgerichten gibt es in den hier beigezogenen poetischen Quellen keine Belege. Wenn eine derartige ‚kulinarische Dramaturgie‘, wie sie in der gehobenen Küche heute üblich ist, zu den höfischen Gepflogenheiten des Hochmittelalters gehört hätte, müsste sie besonders in den höfischen Epen, die regelmäßig auf eine angemessene Etikette abheben, eigentlich auch benannt worden sein. Eben dies ist jedoch nicht der Fall. Eine mehrfach geräumte, jeweils nur auf spezielle Gänge konzentrierte Tafel hätte wohl auch kaum der zeitgnössischen Vorstellung von einem 306
307
In den meisten Fällen wird dies durch die gleichzeitige Aufzählung verschiedener Fleischlieferanten (Haus- und Wildtiere), dazu noch Vögel und/oder Fisch wiedergegeben, die es auf einer Tafel gab, so. z. B. im ‚Parzival‘ 238, 14 ff., 423, 16 ff. und ‚Willehalm‘ 133, 11 ff. Es finden sich jedoch auch zusammenfassende Bezeichnungen wie manigerhand kost (vielerlei Kost, ‚Die Krone‘, V. 13096), vil spîse (reichhaltiges Speiseangebot/viel Essen) aus verschiedenen, bezeichneten Herkunftsländern und auch Getränke maneger slahte (vielerlei Art, ‚Willehalm‘, 447, 11 ff.), die êrsten traht (die ersten aufgetragenen Speisen/Gerichte) und spîse maneger hande (verschiedene Arten von Speisen, ‚Helmbrecht‘, V. 863 und V. 888) oder Unsagbarkeitsformeln, in denen die Gerichte sowie die gereichten Getränke als unzählbar oder unbeschreiblich angegeben werden (‚Eneasroman‘, 32, 1 f.). Indirekte Wendungen, aus denen auf verschiedene Gerichte geschlossen werden kann, finden sich z. B. in Strickers ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘ V. 2420 ff. und V. 6535 ff. Zu den hier aufgeführten mhd. Begriffen vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1170 ff. s.v. hant, bes. Sp. 1772 mit der Übersetzung „art, sorte“ für Wendungen wie manager hande, welher hande, aller hande, Lex. Bd. II (1992), Sp. 961 s.v. slahte, slaht: „gattung, art, -lei“ (im Sinne von vielerlei, mancherlei) sowie in demselben Band Sp. 1493 f. s.v. trahte, traht: „aufgetragene speise, gericht“ Vavra (2008), S. 297
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Festmahl entsprochen. So sehr, wie in den Schilderungen höfischer Tafeleien Wert darauf gelegt wird, dass sie durch Fülle, Üppigkeit, Vielzahl und Verschiedenheit der aufgetragenen Speisen und Getränke gekennzeichnet sind, spricht einiges dafür, dass die höfischen Festtafeln zwar in einem zeitlichen Nacheinander immer wieder zusätzlich bestückt und ergänzt, nicht jedoch gleichzeitig auch wieder reduziert oder auch mehrfach neu arrangiert wurden. Repräsentiert wurde durch Reichtum und Fülle, nicht durch die heute als edel empfundene Beschränkung oder Konzentration. Insofern dürfte die Idee einer gelungenen Tafelei im höfischen Ambiente des Hochmittelalters eher durch ‚sich biegende Tische‘ getroffen werden als durch zwar jeweils edle und kunstvolle, jedoch schon rein visuell aufgeräumtere oder reduziertere Arrangements einzelner Gangfolgen. Abschließend ist bemerkenswert, dass Geschmack allgemein und insbesondere geschmackliche Feinheiten in literarischen Schilderungen von Festmählern keine Rolle spielen. Wie bereits oben am Beispiel von Gewürzen skizziert, geht es durchweg um möglichst große Mengen des Verbrauchs, nicht aber um Raffinesse oder Charakteristik ihres Einsatzes bei bestimmten Speisen oder auch Getränken. Wenn von Geschmacksrichtungen die Rede ist, dann geschieht dies oft in Verbindung mit bestimmten Nahrungsmitteln, die – auch ohne zusätzliche Charakterisierung – stellvertretend für eine Geschmacksrichtung stehen können: Wein, Met oder Honig (süß), Bier (sauer), Essig (bitter) oder Senf (scharf, beißend). Derartige Beispiele finden sich nicht nur, aber besonders auch in Sprachspielereien oder sprichwörtlichen Wendungen, so z. B. bei Konrad von Würzburg im ‚Engelhard‘. Der heftig verliebte Engelhard hatte ein Stelldichein mit seiner Angebeteten, Engeltrut. Er wird deshalb vom missgünstigen Ritschier, der die Szene beobachtete, bei Engeltruts Vater angezeigt. Zur Rede gestellt, leugnet Engelhard, sich Engeltrut genähert zu haben. Ritschier entgegnet mit folgenden Worten, dass dies eine böse Täuschung sei: ‚waz touc diu rede?‘ sprach Ritschier. ‚gegen dem mete sûrez bier hât ir geschenket mîme neven und umb den süezen wîn von Cleven apfeltranc vil bitter.‘
308
(V. 3891 ff.)308
Edition Reiffenstein (1982); übersetzt etwa: ‚Was ist diese Aussage wert?‘, fragte Ritschier, ‚wenn mein Neffe ihr statt Met saures Bier ausgeschenkt hat und statt des süßen Weins von Kleve sehr bitteren Apfelsaft‘. Ritschier will dadurch hervorheben, dass Engeltrut für eine Schäferstunde einen hohen Preis zahlt, denn sie sei dadurch entehrt
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Merkwürdig bleibt, dass geschmackliche Fragen ausgeklammert bleiben, wenn es um die viel(seitig)en Gerichte geht, die angeblich auf die höfischen Tafeln getragen wurden. Eine mögliche Erklärung lautet: „Der Wahrnehmungsraum des Schmeckens tritt für die Semiotik der Herrschaft im Feld der sensorischen Statusdemonstration wahrscheinlich so weitgehend zurück, weil er tatsächlich begrenzt bleibt.“309 2.2.4 Tischzuchten In den aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammenden poetischen Texten wird vielfach höveschez oder besonders vorbildliches Verhalten einzelner Personen, auch ganzer Gruppen hervorgehoben. Auf vornehme, ausgewählte Sitte und feinen Anstand zielende Handlungen werden auch bei ihrem Verhalten bei Tisch beschrieben.310 309
Wenzel (1995), S. 179. Hingewiesen wird dort auch auf das ‚Herzmaere‘ Konrads von Würzburg, in dem der köstliche Geschmack einer Speise ausdrücklich erwähnt wird. Im Rahmen der hier verfolgten Fragen spielt dieses Beispiel jedoch keine Rolle, denn es ist in hohem Maße von Symbolik durchdrungen und stellt daher kaum ein ‚echtes‘ Beispiel für eine geschmacklich herausragende Speise dar: Ein Ritter macht einer verheirateten Dame den Hof. Sie erwidert seine Zuneigung. Ihr Gatte entdeckt dies und droht beiden. Der Ritter verlässt das Land, in der Ferne stirbt er an gebrochenem Herzen, nicht ohne vorher seinem Knappen aufgetragen zu haben, sein Herz nach seinem Tod einbalsamieren zu lassen und seiner Angebeteten zu überbringen. Der Knappe macht sich auf und wird kurz vor seinem Ziel von dem bösen Gatten angehalten, der sich des Herzens bemächtigt und daheim die Küche anweist, es für seine Frau besonders fein zuzubereiten und ihr vorzusetzen. daz jamerlîche trehtelîn sô süeze dûhte ir werden munt daz si dâ vor ze keiner stunt nie deheiner spîse gaz der smac ir ie geviele baz.
310
(V. 434 ff.)
„Die beklagenswerte kleine Mahlzeit schmeckte der Edlen so köstlich, daß sie nie zuvor eine Speise gegessen hatte, die ihr besser gemundet hätte“, zit. nach Edition Schröder mit der Übersetzung von Heinz Rölleke (1968). „Das Schmecken des Herzens ist hier zugleich eine Vereinigung, eine Form der Vollendung, die konsequent dazu führt, daß die frouwe mit dem Wissen um diese Vereinigung keine Nahrung mehr zu sich nimmt und ihrem Geliebten in den Tod nachfolgt“, Wenzel (1995), S. 179 So bedankt sich der Ritter Iwein gesittet bei einem Mädchen, das ihm Speisen aufträgt (‚Iwein‘, V. 1218), und auch die Erwähnungen über das Händewaschen gehören hierher. Bemerkenswert ist jedoch, dass Kommentare über das freigebige und aufmerksame Verhalten des Gastgebers sehr häufig anzutreffen sind, während direkte Äußerungen über ein sittsames Verhalten der Tafelnden nur selten vorkommen (vgl.
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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Freilich finden sich dabei konkrete Kriterien dessen, was als angemessenes oder ‚höfisches‘ Verhalten galt, selten genannt. Eine diesbezüglich aufschlussreiche Quellengattung stellt die mittelalterliche sog. ‚Tischzuchtenliteratur‘ dar. In ihr finden sich konkrete Handlungsanweisungen in Form von Ge- oder Verboten aufgeführt, die den Aufgabenbereich des aufmerksamen und ‚korrekten‘ Gastgebers und besonders das gewünschte Verhalten eines vornehmen Teilnehmerkreises an höfischen Mählern festlegten.311 Angeregt durch das Interesse an den im Mittelalter als vorbildlich (weil als weiter entwickelt) geltenden romanischen Kulturinhalten312 und auch durch die u. a. während der Kreuzzüge zustande gekommene Berührung mit arabischer Kultur313 wurde seit dem 12. und besonders im 13. Jahrhundert eine Reihe von lehrhaften Schriften zur Regelung verschiedenster sozialer Verhaltensweisen verfasst, die das ganze späte Mittelalter hindurch eine rege Verbreitung fanden.314 An lateinisch verfassten Benimm-Büchlein
311
312 313
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hierzu die bereits erwähnte Koralus-Episode aus Hartmanns ‚Erec‘, oben S. 30 ff.). Ein typisches Beispiel bietet die Szene, in der in Gottfrieds ‚Tristan‘ der edle Rual an König Markes Hof kommt, eingekleidet und an die Tafel gebeten wird. Markes Vorzüge als Gastgeber werden betont, während Rual sich zwar gern einladen und beköstigen lässt, seine Aufmerksamkeit während des Essens jedoch ganz und gar Tristan (und nicht etwa den Speisen oder einem besonders würdigen Benehmen) zuwendet, vgl. V. 4095 ff. Ausführlichere Angaben zum Thema finden sich bei Dieter Harmening in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 941–947 s.v. Tischzuchten; Paul Merker: Die Tischzuchtenliteratur des 12. bis 16. Jahrhunderts. (Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Vaterländischer Sprache und Altertümer in Leipzig. Bd. 11,1). Leipzig 1913, bes. S. 1–13; Thomas Perry Thornton (Hg.): Höfische Tischzuchten. (Texte des späten Mittelalters 4). Berlin 1957, bes. S. 7–12; Karl Bartsch: Die Formen geselligen Lebens im Mittelalter, in: ders.: Gesammelte Vorträge und Aufsätze. Freiburg/Tübingen 1883, S. 221–249, bes. S. 228 ff. Vgl. Bartsch (1883), S. 223 und passim So gesehen von Thornton (1957), S. 8 f.; vgl. auch Klaus Düwel: Über Nahrungsgewohnheiten und Tischzuchten des Mittelalters, in: Bernd Herrmann (Hg.): Umwelt in der Geschichte. Beiträge zur Umweltgeschichte. (Kleine Vandenhoeck-Reihe; 1544). Göttingen 1989, S. 129–149, hier: S. 134; vgl. auch Anita Homolka: Zück die Finger und iß: ein Streifzug durch die Geschichte unserer Tischsitten von den alten Ägyptern bis heute. Frankfurt/M. 1989, S. 54 ff. Vgl. Edition Thornton (1957), S. 9 ff. Dies belegen immer wieder erfolgte Textkopien, die auf ein gesteigertes Interesse an diesem Schrifttum schließen lassen. Dabei zitierten/kopierten sich Verfasser bevorzugt auch wechselseitig. Problematisch ist es jedoch, die Rezeptionsintensität grundlegend anhand der Zahl überlieferter Handschriften mit ‚didaktischen‘ Texten festmachen zu wollen, wie es Gustav Ehrismann im Schlussband seiner das Mittelalter beleuchtenden Literaturgeschichte vornimmt, vgl. ders.: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Zweiter Teil: Die mittelhochdeutsche Literatur. (Handbuch des deut-
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sind vor allem die schon seit der Spätantike verbreiteten ‚Disticha Catonis‘315 zu nennen, ebenso wie die immer wieder kopierte ‚Disciplina Clericalis‘ des Petrus Alfonsi vom Beginn des 12. Jahrhunderts,316 gefolgt von dem schon vor 1200 im Umlauf befindlichen sog. ‚Facetus‘.317 Einige der durch diese Werke vorgegebenen Verhaltensregeln wurden in ‚Freidanks Bescheidenheit‘318 ins Mittelhochdeutsche übertragen, eine Gesamtübersetzung dieser Schriften liegt erst aus dem Spätmittelalter und besonders aus Inkunabeldrucken vor.319 Eine möglicherweise zu Unrecht unter dem Namen des Dichters Tannhäuser überlieferte ‚Hofzucht‘ aus der Mitte des 13. Jahrhunderts enthält ausführliche Verhaltensregeln bei Tisch,320 ebenso wie die wohl etwa um
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schen Unterrichts an höheren Schulen, Bd. 6. Teil 2,2). München 1935, S. 311. Für eine solche Annahme sprechen die heute noch vorhandenen oder nachweisbaren Denkmäler, gegen sie die Ungewissheit, in welchem Maße die heute bekannten Handschriften tatsächlich die Rezeptionsgewohnheiten früherer Zeiten repräsentieren, da viele Handschriften im Laufe der Jahrhunderte verloren gingen. Da sie ihre Überlieferung oft dem Zufall verdanken, dürfte ihr statistischer Aussagewert zur Frage einer Rekonstruktion mittelalterlicher ‚Bestseller-Listen‘ wohl begrenzt sein Vgl. dazu P. Kesting, ‚Cato‘, in: VL Bd. 1 (1978), Sp. 1192 ff. Teilweise abgedruckt bei Thornton (1957), S. 13; vgl. dort auch S. 73. Der mittellateinische Originaltext ist in folgender Ausgabe erreichbar: Die Disciplina Clericalis des Petrus Alfonsi (das älteste Novellenbuch des Mittelalters) nach allen bekannten Handschriften herausgegeben von Alfons Hilka und Werner Söderhjelm. Kleine Ausgabe. (Sammlung mittellateinischer Texte. Bd. 1). Heidelberg 1911 Vgl. dazu den Artikel unter diesem Stichwort von Rüdiger Schnell im VL Bd. 2 (1980), Sp. 700–704; vgl. auch K. Düwel, in: RGA Bd. 7 (1989), S. 579–586, hier: S. 582 f. s.v. Eßsitten sowie Bumke (2005), S. 267 f. Vgl. Freidanks Bescheidenheit. Mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Herausgegeben von Wolfgang Spiewok. (Wodan. Vol. 61. Serie 1. Texte des Mittelalters. Bd. 15). Greifswald 1996 Vgl. dazu die Einleitung von Carl Schröder (Hg.): Der deutsche Facetus. (Palaestra 86). Berlin 1911 und die bei Thornton (1957), S. 14–19 abgedruckten Textproben aus dem ‚Facetus‘ Abgedruckt u. a. in der Erstausgabe von Moriz Haupt, Tannhäusers Hofzucht, in: ZfDA (1848), S. 488–496 (nach dieser Ausgabe wird zitiert) und bei Thornton (1957), S. 38–45. Zweifel an der Autorschaft Tannhäusers äußerte erstmals Moritz Geyer in seiner Sammlung ‚Altdeutsche Tischzuchten‘ (Altenburg 1882). Die folgende Diskussion hat hinsichtlich der Verfasserschaft eine eindeutige Entscheidung nicht erbringen können, vgl. dazu Johannes Siebert: Der Dichter Tannhäuser. Leben – Gedichte – Sage. Halle/S. 1934, S. 203 f., Thornton (1957), S. 74; Joachim Bumke sprach sich in dubio pro autore aus, vgl. Tannhäusers ‚Hofzucht‘, in: Ulrich Ernst/Bernhard Sowinski (Hg.): Architectura poetica. Festschrift für Johannes Rathofer zum 65. Geburtstag. (Kölner germanistische Studien. Bd. 30). Köln/Wien 1990, S. 189–205, hier: S. 203 f., in derselben Richtung B. Wachinger unter dem Stichwort ‚Tannhäuser‘ in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 600–610, hier bes. Sp. 606
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1280 entstandene ‚pädagogische‘ Schrift Konrads von Haslau, der ‚Jüngling‘.321 Während einige dieser Werke möglicherweise allgemein auf alle gesellschaftlichen Gruppen wirken sollten,322 befasst sich Thomasin von Zirclaere, wohl Domherr in Aquileja,323 am Beginn seines zwischen Sittenlehre und Erziehungskompendium angelegten ‚Welschen Gastes‘ über längere Passagen hin mit höfischem Verhalten, auch demjenigen bei Tisch. Einige seiner Ausführungen mögen Eindrücke dessen vermitteln, was an den Tafeln vornehmer Haushalte als schicklich und was als unziemlich galt. Für alle Teilnehmer an einer Tafel werden Wohlerzogenheit und gute Manieren bei Tisch gefordert: Man sol sich zem tische vast bewarn, der nâch rechte will gebârn, dâ hoeret grôziu zuht zuo.
(V. 471 ff.)
Für den Gastgeber wird die Empfehlung gegeben, aufmerksam Acht darauf zu geben, dass alle Gäste gut (= reichlich und angemessen) versorgt sind: ein iegelîch biderb wirt der tuo war ob si alle habent genuoc.
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(V. 474 f.)324
Zitiert wird nach Konrad von Haslau. Der Jüngling. Nach der Heidelberger Hs. Cpg. 341 mit den Lesarten der Leipziger Hs. 946 und der Kalocsaer Hs. (Cod. Bodmer 72). Herausgegeben von Walter Tauber. (ATB. Nr. 97). Tübingen 1984, zur Datierung vgl. S. IX; fragmentarisch abgedruckt ist der Text auch bei Thornton (1957), S. 62–64, vgl. auch Ehrismann (1935), S. 330 Vgl. Gustav Ehrismann: Die frühmittelhochdeutsche didaktische Literatur als Gesellschaftsethik, in: Hans Teske (Hg.): Deutschkundliches. Friedrich Panzer zum 60. Geburtstage überreicht von seinen Heidelberger Fachgenossen. (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte. N.F. 16). Heidelberg 1930, S. 37–43, hier: 38 f.; dagegen: Thornton (1957), S. 11: „Es darf jedoch nicht behauptet werden, daß die Höflichkeit … einen tiefergehenden Einfluß auf die niedrigen Schichten oder gar einen großen Teil der deutschen Gesellschaft hatte.“ Eva Willms führt an, dass dies durchaus nicht gesichert sei, vgl. Thomasin von Zerklaere. Der Welsche Gast. Ausgewählt, eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Eva Willms. Berlin/New York 2004, S. 3 mit Anm. 12; nach dieser Ausgabe wird zitiert; vgl. zu Autor und Werk Christoph Cormeau s.v. Thomasin von Zerklaere in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 896–902 Ein eher zurückhaltendes oder gar unzureichendes Angebot an Speisen und Getränken ziemt sich für den vornehmen Gastgeber nicht, weil festliche Stimmung und Kurzweil darunter leiden würden, so in der Tannhäuserschen ‚Hofzucht‘, V. 209 ff.
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Weiter sollte er im Verlauf eines Gastmahls in die Runde schauen und prüfen, ob ein Gast irgendeine der angebotenen Speisen ablehnt oder unangetastet lässt. Diese Speise soll auch der Gastgeber nicht zu sich nehmen: der wirt sol ouch der spîse enpern der sîn geste niht engern, diu in ist ungemeine.
(V. 511 ff.)
Er hat auch dafür zu sorgen, dass nach dem Abschluss eines Mahles (oder sogar eines Ganges?) Wasser zum Reinigen der Hände bereit steht: der wirt nâch dem ezzen sol daz wazzer geben, daz stât wol.
(V. 519 f.)
Eine offene Aufnahme des Gastes und eine in jeder Hinsicht zuvorkommende Gastfreundschaft sind ohnehin obligatorisch. Zu den Pflichten des Gastgebers gehört auch eine ausgewogene Platzierung der Gäste. Sie wird in mehreren Werken der erzählenden Dichtung geschildert.325 Eine besondere Wertschätzung des Gastes bedeutet es, wenn er seinen Platz direkt neben dem Gastgeber zugewiesen bekommt.326 Wie protokollarisch bei großen Empfängen noch heute üblich, war es wichtig, die Sitzordnung der Gäste auf ihre gesellschaftliche Stellung hin auszurichten. Dies wird z. B. in Wolframs ‚Willehalm‘ aufgenommen, in dem der gastgebende König seine Bediensteten anweist: seht wie ir mîne werde man wol setzet, unde nemet des war daz ir dise und die (hôhen) gar 325
Vgl. z.B. die ‚Kindheit Jesu‘ Konrads von Fußesbrunnen, in der die Anordnung der Tafel, das Verhalten von Gästen und Bediensteten geschildert und auch daran gedacht wird, dass die Gäste untereinander maezlîche[n] wîte saßen, so dass die sich beim Essen nicht wechselseitig behinderten. Auch der Tisch und die darauf angerichteten Speisen sind so platziert, dass ein maßvoller Abstand gehalten wird bzw. werden kann: ich sage iu, wie si sâzen, die mit ein ander âzen: sine sâzen niht besîte, eine mæzlîche wîte liezen si, als ich bewîset bin, daz die schuzzel zwischen in hêten stat genuoge.
326
(V. 2411 ff.)
Zitiert wird nach der Ausgabe von Hans Fromm/Klaus Grubmüller (Hg.): Konrad von Fußesbrunnen. Die Kindheit Jesu. Berlin/New York 1973 Vgl. z. B. Graf Rudolf. Herausgegeben von Peter F. Ganz. (Philologische Studien und Quellen. Heft 19). Berlin 1964, D15; vgl. auch Wolframs ‚Willehalm‘, 312, 6 ff.
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setzet nâch mînen êren: ir sult iuch selbe lêren.
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(173, 20 ff.)
Wenig bis nichts erfahren wir hinsichtlich der Frage, ob Damen und Herren an vornehmen Tafeln üblicherweise gemeinsam oder getrennt speisten. Die Tischzuchten geben hierzu keine eindeutigen Hinweise.327 In der Epik gibt es neben reinen ‚Herrenrunden‘ (vgl. ‚Nibelungenlied‘, Str. 1610 ff.) Tafelszenen, bei denen Damen und Ritter in bunter Reihung am Tisch sitzen (‚Willehalm‘, 263, 7 ff.). Andernorts werden die Damen erst während des Mahles herbeigerufen (so im ‚Rother‘, V. 1815 ff. und in ‚Diu Crone‘, V. 1194 ff.).328 Deutlich sind hingegen die Hinweise der Tischzucht darauf, dass die Gäste an einer vornehmen Tafel jeweils Zweiergruppen bildeten. Dies dürfte darin begründet liegen, dass man sich Speisen und Tafelgerät wohl jeweils vor zwei Gästen in der Form angerichtet vorstellte, dass sich diese gemeinsam aus ihnen bedienen konnten. So jedenfalls legen es die Formulierungen im ‚Welschen Gast‘ nahe, denen zufolge Rücksicht und Aufmerksamkeit stets nur auf einen Tischgenossen (geselle, vgl. V. 491 u. ö.) bezogen sind. Die Vorstellung, dass die Gäste an einer runden oder langen Tafel sich offenbar jeweils um ihre(n) anderen Tischnachbarn nicht kümmerten, mutet aus heutiger Sicht seltsam (und nicht eben ‚höflich‘) an.329 Für den Gastgeber wie für den Gast sieht der ‚Welsche Gast‘ folgende Regeln vor: 327
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In ihrer Diktion sind sie bezüglich ihrer Adressaten eher allgemein gehalten und wenden sich dort, wo die Gast- oder Teilnehmerrolle an einem Festmahl konkretisiert wird, an die Herren, vgl. ‚Welscher Gast‘ geselle (Verse 491, 497), juncherre (V. 523) und ‚Hofzucht‘ zühtic man (V. 1), edele man (V. 10). Diese Bezeichnungen sind jedoch mehrheitlich reimbedingt. Da sich das zweite Kapitel des ‚Welschen Gastes‘, in das die ‚Tischzucht‘ eingebettet ist, ausdrücklich auch an junge Damen wendet, ist anzunehmen, dass diese sich, obwohl nicht direkt genannt, ebenso angesprochen fühlen durften, vgl. Willms (2004), S. 29 ff. (V. 297 ff.); dagegen Düwel (1989), S. 137, dem zufolge wohl eine männliche Tischgesellschaft angesprochen werden sollte Worauf Bartsch (1883), S. 243, seine Aussage stützt, in deutschen Landen habe sich erst später durchgesetzt, dass Teilnehmer beiderlei Geschlechts an einer Tafel gemeinsam speisten, bleibt offen. Die Illuminationen hochmittelalterlicher Handschriften zeigen jedenfalls regelmäßig Tafelnde beiderlei Geschlechts, vgl. unten Kap. 3 In der ‚Hofzucht‘ dagegen fehlen direkt auf den Tischnachbarn bezogene Orientierungsgebote. Nur an einer Stelle wird ersichtlich, dass man sich gemeinsam aus einer Schüssel bedient (was nicht gleichzeitig geschehen soll, V. 133 ff.). Im ‚Jüngling‘ weist eine Passage, in der ein (Tisch-)geselle genannt wird, dem man nicht grob zutrinken soll, ebenfalls auf eine Zweiergemeinschaft bei Tisch hin (V. 574 ff.)
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Wer angemessener Tischsitten eingedenk handelt, möge mit der Hand (dem gebräuchlichen ‚Essbesteck‘) nichts Anderes als sein Essen berühren, sobald er zu speisen begonnen habe: swelich man sich rehte versinnet, swenner ezzen beginnet, so enrüer niht wan sîn ezzen an mit der hant, deist wol getân.
(V. 479 ff.)
Das stets beigelegte Brot soll nicht angerührt werden, bevor der erste Gang oder das erste Gericht aufgetragen wird (V. 483 f.). Verpönt ist es, mit beiden Händen gleichzeitig, heißt: gierig, zuzugreifen: ein man sol sich behüeten wol daz er niht legen sol bêdenthalben in den munt.
(V. 485 ff.)330
Stattdessen soll die Hand zum Essen genutzt werden, die dem jeweiligen Tischnachbarn entfernt liegt: man sol ezzen zaller vrist mit der hant, diu engegen ist. sitzet dîn gesell ze der rehten hant, mit der andern iz zehant.
(V. 501 ff.)
Solange jemand eine Speise im Mund hat, gilt es als ungehobelt, zu sprechen oder zu trinken: er sol sich hüeten zuo der stunt daz er trinke und spreche niht dî wil er hab im munde iht.
(V. 488 ff.)331
Mit angesetztem Becher trinkend über den Gefäßrand zu schauen, ist für einen vornehmen Menschen unpassend (V. 495 f.), ferner ist es unangemessen, sich seinem Nachbarn zuzuwenden, bevor ein Trinkgefäß vom Munde abgesetzt worden ist (V. 491 ff.). Beim Aufnehmen der Gerichte ist darauf zu achten, dass man nicht zu schnell zugreift und dem Tischnachbarn dabei ein möglicherweise von ihm gewünschtes Stück (von dessen Seite der Schüsseln) fortnimmt. Rücksicht330 331
Vgl. zum Zugreifen mit beiden Händen V. 505 f. Dies mag nicht nur ‚gesundheitlich‘ angezeigt sein (um sich nicht zu verschlucken), sondern ist für wohlerzogene Menschen ungehörig, weil es nicht angenehm anzusehen und damit unhöfisch ist (vgl. daz ist hüfsch und guot zen ougen, ‚Der Welsche Gast‘, V. 526)
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nahme, eigenes Maßhalten und zuvorkommende Behandlung des Tischnachbarn sind höchstes Gebot (V. 497 ff.). Eine weniger auf das Ideal höfischer Erziehung, sondern auf praktische Erfahrung an einer dem Friedensgebot unterliegenden Tafel abhebende Interpretation ‚übersetzt‘ diese Passage folgendermaßen: „Sodann wird immer wieder empfohlen, man solle dem Nachbarn kein Stück wegnehmen, weil es einem selbst gut gefällt. Jedermann las im 13. Jahrhundert diese Stelle so: Diese Anweisung gilt nicht für die Angesehensten bei einem Festmahl, denn diese sitzen dem Hausherrn ganz nahe und ihnen werden von den Pagen die besten Stücke vorgelegt, denn der Braten kommt zerlegt auf den Tisch, das Geflügel wird vor den Augen der Gäste zerschnitten. Die Vorschrift ist also eine allgemeine Mahnung. Wenn man dem Tischnachbarn etwas wegnimmt, gibt es Ärger.“332 Es überrascht, dass Thomasin in seiner Anleitung eine für das Mittelalter (und sicher auch im romanischen Kulturkreis) elementare Regel ausließ: das Beten vor der Mahlzeit. In Tannhäusers ‚Hofzucht‘ wird es gleich nach den einleitenden Versen und damit an prominenter Stelle genannt: ze dem ezzen solt ir sprechen sus, als ir dar zuo gesezzen sît, ‚gesegene uns her Jesu Christus‘.
(V. 21 ff.)333
In dieser Regel sind noch weitere Punkte vermerkt, die die ‚Elementarlehre‘ Thomasins auslässt, so z. B., dass geräuschvolles Schlürfen aus Schüsseln (V. 37 ff.), ‚Saufen‘ aus Löffeln (V. 34 f.), Schmatzen (V. 44) und ‚Sich auf den Tisch Legen‘ (V. 105) ebenso wenig zum ‚guten‘ Benehmen gehören wie das Schneuzen in das Tischtuch (V. 59 f.) oder das Schnauben über Schüsseln (bzw. in sie hinein, V. 41 ff.). Ferner gehöre es sich nicht, mit den zur Aufnahme der Speisen benutzten Fingern in Senf- und Saucentöpfchen
332 333
Schubert (2006), S. 282 Es ist auch erstaunlich, dass das Beten in der zeitgenössischen Epik kaum erwähnt wird. Nur in Wolframs ‚Willehalm‘ wird die Speise vor dem Essen gesegnet: er wunschte daz der gotes segen ir spîse in lieze wol gezemen.
(263, 28 f.)
Norbert Elias’ auf der Grundlage (hoch-)mittelalterlicher poetischer Beispiele getroffene Aussage, das Beten bei Tisch sei ein in den Tischzuchten immer wieder kehrendes Motiv, lässt sich – zumindest für den mhd. Sprachbereich – nicht nachvollziehen, vgl. Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. (Suhrkamp Taschenbuch. Wissenschaft 158). Frankfurt/M. 19818, S. 82 f.
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zu greifen (V. 53 ff.).334 In Konrads von Haslau ‚Jüngling‘ findet sich neben ähnlichen Passagen der deutliche, weil vergleichsweise lang ausgearbeitete Hinweis, dass es unhöfisch sei und auch den Gastgeber aufbringe, (‚Männchen‘) in den Tisch zu schnitzen oder auf ihm herumzumalen: so geuzet einer vor sich win und malet sicheln und barten er snitzet, er krinnet, er macht scharten in den tisch: daz ist unhubescheit; ez ist den guten wirten leit, wer die unzuht niht vermidet daz er in sinen tisch snidet. wan daz han ich gesehen dicke, er bicket, er ritzet, er machet stricke oder malet einen taterman:335 da wirt der tisch niht schoner van.
(V. 536 ff.)
Prinzipiell gilt für den Genuss von Speisen und Getränken das Gebot des Maßhaltens, das auch in dem Werk ‚Freidanks Bescheidenheit‘ gefordert wird,336 auf das wiederum auch in der Tannhäuserschen ‚Hofzucht‘ Bezug genommen wird (V. 201 f.). Neben dem Aspekt der Sittlichkeit bzw. der Frage der Angemessenheit in höfischen Kreisen und neben medizinischen Gesichtspunkten wird hier eine theologisch begründete Problematik aufgeworfen: Völlerei, Trunksucht, vrâz und trunkenheit, nach Ansicht des Autors in seiner Zeit zu weit 334
335
336
In der Übersetzung zu dieser Stelle ist Merker (1913), S. 17 ein viel kopierter Fehler unterlaufen: „das Nehmen von Senf und Salz mit den Fingern (53–56 u. 76–80)“. Wenn er im Kern der Sache sicher richtig gedacht hat – auch das Hineingreifen in bereit gestellte Salzgefäße mit beschmutzten oder fettigen Fingern dürfte Anstoß erregt haben – so steht in der „höchst verwirrten“ (Thornton [1957], S. 74), einzig erhaltenen Handschrift Cod. Vindobon. 2885 vom Ende des 14. Jhs. salzn, eindeutiger aufgelöst in der Ausgabe von Moriz Haupt (1848), wo salsen steht (V. 53), eine „gesalzene brühe, brühe überhaupt“ (vgl. Anm. zur Stelle). Schon die Form des Wortes hätte Merker auf seinen Fehler aufmerksam werden lassen müssen, vgl. dazu Paul/Moser/Schröbler (1975), § 132 und die Übersicht § 133a Gemeint ist hier wohl ein ‚Männchen‘, eine merkwürdige oder lustige Figur; die bei Lex. Bd. II (1992), Sp. 1409 s.v. taterman gebotene Übersetzung lautet „Tatar: kobold“ So z. B. in einer Passage ‚Über die Trunkenheit‘: Unmaezlich ezzen, trank darzuo tuont wirs, dan maezlich hunger tuo
(95, 12 f.),
übersetzt in der Ausgabe von Wolfgang Spiewok mit: „Bald stöhnt, wer maßlos trinkt und isst, / bekömmlich leichtes Fasten ist.“
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verbreitete Übel, werden als gula und ebrietas in die Nähe der Sieben Todsünden gerückt.337 Vehement wird gegen diese Verhaltensweisen zu Felde gezogen (vgl. 95, 12 f.; 117, 17 f.; 94, 7 f.). Dabei wird niemandem verwehrt, seinem physischen Bedürfnis nach Speise und Trank nachzukommen: nieman hin zer helle vert durch spîse, die er rehte zert
(105, 9 f.),
doch sei jede Übertreibung (perversio) sündhaft.338 An welchem Punkt jedoch die Grenze zur Unmäßigkeit überschritten ist, wird nur ungenau mit dem Ermessen des Einzelnen definiert.339 Die Frage, ob – und ggf. in wiefern – die landessprachlich überlieferte Tischzuchtenliteratur Aufschluss darüber zu geben vermag, welche Sitten und Gebräuche an hochmittelalterlichen Tafeln üblich waren, lässt sich trotz der vergleichsweise breiten Texttradition kaum beantworten. Angesichts ihres Adressaten- und auch ihres Auftraggeberkreises scheint es angebracht, der eher allgemein gehaltenen Charakterisierung Norbert Elias’ zu folgen, der die Tischzuchten als (normative) „Standards“ und als beson-
337
Vgl. dazu Günter Eifler: Die ethischen Anschauungen in ‚Freidanks Bescheidenheit‘. (Hermaea. Germanistische Forschungen. N.F. 25). Tübingen 1969, S. 330 ff.; siehe auch Marie Gothein: Die Todsünden, in: Archiv für Religionswissenschaft 10 (1907), S. 416–484, bes. S. 416 und 422; vgl. auch Düwel (1989), S. 144. Auch Walther von der Vogelweide stellt in einem Gedicht ‚Gegen die Trunksucht‘ eine Verbindung zwischen Trunkenheit und Todsünde her: Er hât niht wol getrunken, der sich übertrinket. wie zimet daz einem biderben man, daz ime diu zunge hinket von wîne! ich wæne er houbetsünde und schande zuo ime winket. … sus trinke ein iegeslîcher man, saz er den durst gebüeze, daz tuot er âne houbetsünde und âne spot. swelche man getrinket, daz er sich noch got erkennet, sô hât er gebrochen ime sîn hôh gebot. (29, 35 ff.)
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„Der hat nicht wohl getrunken, der sich betrinkt. / Wie ziemt es einem rechtschaffenen Mann, daß ihm die / Zunge hinkt / vom Wein! Ich fürchte, er winkt Todsünde und Schande / zu sich her. / … Jedermann trinke so, daß er den Durst lösche, / das tut er dann ohne Todsünde und ohne Gespött. / Welcher Mann so trinkt, daß er weder sich noch Gott / erkennt, der hat ihm gegenüber sein hohes Gebot gebrochen“, zitiert nach Edition Schweikle (1994), S. 152 f. Vgl. dazu Eifler (1969), S. 330 f.; Tannhäusers ‚Hofzucht‘ kennt das gleiche Motiv: übermäßiges Essen und Trinken wirkten sich für das Seelenheil abträglich aus (V. 241 ff.) Vgl. Eifler (1969), S. 331 mit Parallelstellen aus den Schriften des Hugo von St. Viktor
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deren Ausdruck eines Selbstbewusstseins der weltlichen Oberschicht verstand.340 Eine allgemeine Gültigkeit und auch Achtung der niedergelegten Ge- und Verbote ist damit nicht gleich wahrscheinlich. Unter Bezug auf die bekannte Passage im ‚Helmbrecht‘, in welcher der besorgte, bescheidene alte Meier seinen übertrieben aufstiegsorientierten Sohn unterrichtet, dass angemessenes Benehmen überall das gleiche sei,341 stellt Günter Schiedlausky fest: „Wir müssen daraus folgern, dass die Grundregeln des Anstandes allen Ständen gemeinsam waren.“342 Verkannt wird dabei, dass die überlieferten Anstandsregeln für den Adel eine Möglichkeit darstellten, gegenüber einer aufstrebenden Ministerialität und einem wachsenden Bürgertum in den Städten seinen „Anspruch auf Überlegenheit“ zu manifestieren und sich dadurch mit der Intention eines „Kastenerhalts“ bewusst von anderen Ständen abzugrenzen.343 Damit sind programmatische, stark intentional geprägte Aussagen verbunden, die damals wie heute nicht den realen Gegebenheiten gleich gesetzt werden können. Deshalb stellt es sich schließlich auch in diesem Zusammenhang als problematisch heraus, poetische Quellen wie den ‚Helmbrecht‘ oder didaktische Literatur wie Tischzuchten ohne Weiteres als ‚Realien‘ zu behandeln und auszuwerten. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive lässt sich nachweisen, dass es spezifische Gattungsmerkmale didaktischer Literatur sind, die gleichsam wie Folien über tatsächliche Umstände gelegt werden. Verbreitete Muster wie „– Darstellung des Negativen und laudatio temporis acti – Verallgemeinerung und Typisierung – Übertreibung und Kontrast – Komik und Groteske“344 340 341
342 343
344
Vgl. Elias (1981), S. 79; ihm folgend, auch Bumke (2005), S. 271 Vgl. ‚Helmbrecht‘, V. 487 ff.; der alte Helmbrecht führt seinem überheblichen Sohn gegenüber dort aus, dass nicht ein (Geburts-)Stand oder eine prasserische Lebensweise wirklich adle, sondern allein die Haltung, der Anstand und die Sittlichkeit, die jemand an den Tag legt Schiedlausky (1956), S. 10 John H. Kautsky: Funktionen und Werte des Adels, in: Peter Uwe Hohendahl/Paul Michael Lützeler (Hg.): Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200–1900. (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 11). Stuttgart 1979, S. 1–16, hier: S. 11f., in diesem Verständnis auch Düwel (1989); vgl. mit Bezug auf die Tischzuchtenliteratur bes. Rüdiger Schnell: Mittelalterliche Tischzuchten als Zeugnisse für Elias’ Zivilisationstheorie? In: Rüdiger Schnell (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne. Köln/Weimar/Wien 2004, S. 85–152, hier bes. S. 109ff. Helga Schüppert: Spätmittelalterliche Didaktik als Quelle für adeliges Alltagsleben? In: Adelige Sachkultur des Spätmittelalters. Internationaler Kongress Krems an der
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lassen zwar die Intention didaktischer Literatur deutlich werden und zielen in ihrer Wirkung auch auf einen Unterhaltungswert, verzerren jedoch durch ihre gestalterischen Merkmale den Blick auf die Um- oder Zustände, auf die sie sich beziehen. Tischzuchten können deshalb nicht gleichsam als „Sittenbilder“ ihrer Zeit verstanden werden.345 Ob sich deshalb die These Helga Schüpperts halten lässt, dass literarische Texte und auch Tischzuchten mit einem vergleichsweise geringen Poetisierungsgrad die im historischen Sinne wohl ‚realistischeren‘ Zeitzeugen sind,346 stehe dahin. Denn letztlich lässt sich für den heutigen Betrachter auch mit Hilfe dieser Überlegung nicht erschließen, welche der angesprochenen Themen und Verhaltensweisen realistisch erfasst und welche übertrieben oder verzerrt dargestellt wurden. Dem zeitgenössischen Publikum dürften viele der in den Tischzuchten plakativ ausgearbeiteten Beispiele für Fehlverhalten aus eigenem Erleben bekannt gewesen sein. Aus diesem Umstand lässt sich jedoch nicht im Gegenzug schließen, dass die adlige Tischkultur des Hochmittelalters generell ‚primitive‘ Züge aufwies oder etwa ‚unzivilisiert‘ gewesen sei.347 Klaus Düwel kommt in Überlegungen zum ‚Welschen Gast‘ mit einem allgemeinen Blick auf normative Textformen zu der Einschätzung: „Es handelt sich um Gebote und Verbote, diese überwiegen deutlich. Vorschnell wäre es, aus diesem Befund zu schließen, die Zustände, in die hinein der Text spricht, wären heillos. Normative Texte – z. B. Rechtstexte – weisen eben diese Bau- und Aussageform auf. Sie setzen die ideale Norm, ohne daß Verbot oder Bestrafung eines Tatbestandes diesen als Regel voraussetzen müßten.“348 Vor diesem Hintergrund kann eine Rekonstruktion von Tischsitten sozial hoch gestellter Kreise des Hochmittelalters nur schwer auf die Tischzuchtenliteratur allein gegründet werden. Die Tischzuchten vermitteln durch ihre inhaltliche und formale Gestaltung, vor allem durch ihre plastisch und damit eingängig gestalteten Beispiele, eine gewisse Lebendigkeit. Sie scheinen dem heutigen Betrachter einen direkten Blick auf konkrete Lebenssituationen zu ermöglichen. Obwohl die Tischzuchten auf ideale Ver-
345
346 347 348
Donau 22. bis 25. September 1980. (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte. 400. Band). Wien 1982, S. 215– 257, hier: S. 232 Schüppert (1982), S. 237; zu berücksichtigen ist dabei auch, dass erzählerisch orientierte, mit erzieherischer Intention verfasste sowie normativ angelegte Texte differenzierter zu betrachten wären Vgl. Schüppert (1982), S. 221 ff. In eben diesem Sinne auch Elias (1981), S. 78 Düwel (1989), S. 137
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haltensweisen abzielen, bedienen sie sich negativer Beispiele.349 Sie nutzen die Darstellung menschlichen Verhaltens, das als negativ gewertet und deshalb als Fehlverhalten definiert wird. Im Vergleich zu einer intendierten idealen, kontrollierten Wohlerzogenheit und zu einer stark regulierten Selbstdisziplin scheint hier für Leser oder Zuhörer das Menschlich-Unvollkommene auf und damit ein Wesenszug, den alle Rezipienten bis in die heutige Zeit hinein in mehr oder weniger bedeutendem Umfang kennen – auch von und bei sich selbst. In der gestalterischen Typisierung oder der Übertreibung von Beispielen liegt dann die Möglichkeit, sich der Peinlichkeit eines bewusst werdenden oder gemachten Regelverstoßes durch Distanz, vielleicht auch durch ein Lachen zu entziehen. Die in den Tischzuchten aufgeführten Beispiele für Fehlverhalten bei Tisch und in Gesellschaft scheinen oft gerade deshalb so ‚lebensnah‘, weil sie zu idealen Darstellungen, wie sie uns z. B. in der überlieferten höfischen Epik begegnen, in so deutlichem Kontrast stehen. Die ‚Lebendigkeit‘ der Beispiele und Bilder erweist sich jedoch als vordergründig.350 Sie stellt letztlich das Resultat einer gestalterischen Absicht dar und kann deshalb kaum als quasi dokumentarischer Beleg für Sitten und Gebräuche bei Tisch gewertet werden. Deshalb ist es nach wie vor fragwürdig, die lebensnah scheinenden Darstellungen von 349
350
Diese Tendenz wird in den im Spätmittelalter verfassten ‚grobianischen Tischzuchten‘ noch verstärkt, vgl. Grobianische Tischzuchten. Nach den Vorarbeiten Arno Schirokauers herausgegeben von Thomas Perry Thornton. (Texte des späten Mittelalters. Bd. 5). Berlin 1957. Drastisch sind später auch Verhaltensbeschreibungen wie diejenigen in Heinrich Wittenwilers ‚Ring‘, vergleichend dazu Walter Haug: Von der Idealität des arthurischen Festes zur apokalyptischen Orgie in Wittenwilers Ring, in: Walter Haug/Rainer Warning (Hg.): Das Fest. (Poetik und Hermeneutik. Arbeitsberichte der Forschungsgruppe XIV). München 1989, S. 157–179 Eine ‚lebendige‘ Darstellung gehörte schließlich seit der Antike zu den Grundregeln einer angemessenen Rhetorik, die auch auf die literarische Darstellung übertragen wurde. Sie war damit eine Art ‚Qualitätsmerkmal‘ und kann daher nicht – ‚modern gedacht‘ – als Ausweis etwa einer dokumentarischen Absicht interpretiert werden. Eine Rede oder Erzählung sollte erfreuen und bewegen (delectare, movere), dies hilfsweise zu dem grundsätzlichen Lehranspruch von Rede und Erzählung (docere): „Die allgemeine virtus der Rede ist mit dem Verb bene dicere … umrissen, das allgemeinste Ziel der Rede ist persuadere … Auch die narratio hat natürlich diese virtus zu enthalten und diesem Ziel zu dienen. Als Ziel der narratio … ist innerhalb des allgemeinen persuadere besonders das docere anzusehen … Neben dem docere kommen aber auch die anderen Teile des persuadere, das delectare … und das movere …, zur Auswirkung“, so Lausberg (1973), S. 167 f. (Narrationis virtutes et vitia, §§ 293–337). Ob und wie vor dem Hintergrund seit der Antike überlieferter literarischer Traditionen die Intention, Konstruktion und inhaltliche wie sprachliche Gestaltung z. B. der mittelalterlichen Tischzuchtenliteratur als Beispiele einer besonders ‚artifiziellen‘ Literaturgattung, einer speziellen Kunstform stehen könnten, wäre eigens zu beleuchten
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Verhaltensweisen in den Tischzuchten mit Bewertungen zu deren Aussagekraft als ‚Realien‘ zu koppeln. Diese bleibt nach wie vor über weite Strecken unaufgeklärt.351 Exkurs Norbert Elias’ Aussage, dass die weltlichen Oberschichten des Hochmittelalters in den Tischzuchten ihre jeweiligen gesellschaftlichen „Standards“ definierten, wird durch die vorherigen Überlegungen nicht infrage gestellt.352 Für sein vor fast sieben Jahrzehnten entstandenes Werk „Über den Prozeß der Zivilisation“ zog er auch Tischzuchten und später datierende Regelwerke zu angemessenem Verhalten bei Tisch vergleichend heran.353 „Elias beschreibt den ‚Prozeß der Zivilisation‘ als einen Prozeß zunehmender Affektbändigung und ständigen ‚Vorrücken[s] der Peinlichkeitsschwelle‘, ein Prozeß, der an der Verfeinerung der Etikette, des öffentlichen Anstandes im Umgang der Geschlechter, an den Tischsitten, den Schlafgewohnheiten und anderen alltäglichen Verrichtungen ablesbar ist. Der Standard der Eßtechnik entspricht einem ganz bestimmten Standard der menschlichen Beziehungen und der Affektgestaltung, die Verhaltensformen beim Essen bilden einen Ausschnitt aus dem Ganzen der gesellschaftlich gezüchteten Verhaltensformen. Menschen, die wie im Mittelalter aus gemeinsamer Schüssel essen und aus einem gemeinsamen Gefäß trinken, haben unmittelbarere, emotionalere und affektbetontere Beziehungen miteinander als wir. In dieser courtoisen Welt fehlt jene unsichtbare Mauer, die den Körper des anderen als Tabuzone betrachten läßt … An Beispielen ‚über das Essen von Fleisch‘, ‚über den Gebrauch des Messers‘ … u. a. zeigt Elias, daß die Begründung von gutem und schlechtem Benehmen in Form rationaler Argumente sekundär erfolgt; primär ist das ‚Vorrücken der Peinlichkeitsschwelle‘, das eine Wandlung der Affektlage signalisiert: Die Tabus sind die zum Ritual gewordenen Unlust-, Peinlichkeits-, Ekel-, Angst- und Schamgefühle.“354
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Auch Joachim Bumke lässt diese Frage offen, vgl. Bumke (2005), S. 24: „Aus den witzigen Bemerkungen im ‚Parzival‘ kann man erschließen, daß in Deutschland bereits um 1200 Vorschriften für das Benehmen bei Tisch bekannt waren, die sonst durch keine andere Quelle bezeugt sind. Ob solche Vorschriften auch eingehalten wurden, ist eine ganz andere Frage.“ Vgl. Elias (1981), S. 78 und passim Vgl. Elias (1981), S. 75 ff. und S. 157 ff. Düwel (1989), S. 138 f.
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Der Ethnologe Hans Peter Duerr stellte Elias’ Theorie über zivilisatorische Prozessabläufe im Abendland seit dem Ende der 1980er Jahre vehement in Frage.355 Er initiierte einen auch durch die Medien in die Öffentlichkeit getragenen Gelehrtenstreit, der die Intention verfolgte, Elias’ Theorie zu falsifizieren und dadurch als ‚Mythos‘ zu entlarven.356 Duerr kritisierte Elias’ Einsichten zu einer im Laufe von Jahrhunderten stetig ‚nach oben‘ sich verschiebenden Scham- und Peinlichkeitsschwelle als nicht verifizierbar und zog zum Beleg Beispiele gegenläufiger Entwicklungen heran, die seiner Ansicht nach eher für eine ‚Entzivilisierung‘ der abendländischen Gesellschaft sprechen. Dass er sich dabei in seiner Hauptargumentation einem singulären Aspekt widmete, nämlich dem Schamgefühl gegenüber dem nackten Körper,357 kennzeichnet einen Schwachpunkt seiner gegen Elias gerichteten Kritik. Denn dieser hatte seine Untersuchungsmethode auf verschiedene Themenbereiche menschlichen Lebens abgestimmt, geleitet durch das Interesse, eine möglichst umfassende Theorie entwickeln zu können.358 Duerr kritisiert Elias auch wegen seiner einseitigen Materialauswahl, eines naiven Umgangs mit Daten und ihrer Fehlinterpretation.359 Vom Mittelalter zeichne Elias ein zu düsteres Bild, das wesentlich geleitet sei von der Nähe des Autors zu den Arbeiten des Historikers Johan Huizinga.360 Wie im Laufe der Debatte vollzogene Untersuchungen hervorbrachten, scheint Elias in „der Tat … mit historischen Quellen nach fachhistorischen Maßstäben gegen Ende des 20. Jahrhunderts teilweise unbedarft und unkritisch umgegangen zu sein. Elias mangelt es an ‚Quellenkritik‘ … Nicht immer unterscheidet er zwischen tatsächlichem Verhalten und literarischen Konventionen im Mittelalter.“361 Duerr wirft Elias weiter vor, nicht zwischen literarischen Quellengattungen und verschiedenen Funktionen von Texten und Bildmaterial zu differenzieren.362 Eine solche Kritik formuliert sich vor dem Hintergrund der zeitlichen Differenz von fast sechs Jahrzehnten Wissenschafts- und Theorieentwick355
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Vgl. Hans Peter Duerr: Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß. Band 1. Frankfurt/M. 1988 Vgl. Michel Hinz: Der Zivilisationsprozess: Mythos oder Realität? Wissenschaftssoziologische Untersuchungen zur Elias-Duerr-Kontroverse. (Figurationen. Schriften zur Zivilisations- und Prozeßtheorie. Band 4). Opladen 2002, S. 15 f. und passim Vgl. Hinz (2002), S. 58, S. 75 und passim Vgl. Hinz (2002), S. 26 ff. Vgl. Hans Peter Duerr: Intimität. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß. Band 2. Frankfurt/M. 1990, S. 270 ff. Vgl. Hinz (2002), S. 77 Hinz (2002), S. 79 Vgl. Hinz (2002), S. 79
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lung leicht. Eine in diesem Sinne ‚anachronistische Orientierung‘ seiner Elias-Kritik wurde Duerr denn auch verschiedentlich vorgeworfen. Seine Kritik entwertet Duerr letztlich selbst durch methodische und interpretatorische Schwächen: „Duerr … geht als Nachgeborener mit Elias hart ins Gericht. Wenn Duerrs eigener Umgang mit empirischen Daten genauer unter die Lupe genommen wird, fällt auf, dass dieser den Umgang mit Daten mit zweierlei Maß misst: Mit Elias’ Zeugnissen verfährt er ungleich kritischer als mit seinen eigenen … Mancher Kritiker legt ihm sogar ‚methodologische Doppelmoral im Hinblick auf genaues Lesen‘ zur Last … Insbesondere wird gerügt, dass Duerr seine Daten zu eklektisch, ausschnitthaft, wahllos und ohne Verbindung zur sozialen und historischen Situation präsentiert.“363 Damit wird zwar Duerrs Vorgehensweise zweifelhaft, es bleibt jedoch die Frage, ob seine Kritik mit Blick auf seine Quelle, Elias’ ‚Prozeß der Zivilisation‘, standhält. Hier lässt sich nachvollziehen, dass Elias mit seinen Ausführungen zu Tischzuchten und zu späteren Kodifizierungen angemessenen Verhaltens bei Tisch die Basis für mögliche Missverständnisse durchaus selbst anlegte. Er bleibt in seinen Ausführungen zu den durch ihn herangezogenen Quellen nämlich sehr offen, damit insgesamt jedoch auch indifferent und zuweilen mehrdeutig.364 Am Beginn seines den mittelalterlichen Tischzuchten gewidmeten Kapitels findet sich folgende Passage: „Was da schriftlich auf uns gekommen ist, sind Fragmente einer großen, mündlichen Tradition, Spiegelbilder dessen, was tatsächlich in dieser Gesellschaft Brauch war, und gerade deswegen bedeutsam, weil es nicht das Große, Außergewöhnliche, sondern das Typische einer Gesellschaft weiterträgt.“365 Hier scheint durch, dass Elias sich offenbar der Unterscheidung zwischen ‚tatsächlichen Bräuchen‘ und Schilderungen in normativem, didaktischem Schrifttum durchaus bewusst war. Wie hier geht er in seinen weiteren Ausführungen jedoch auf die mögliche oder wahrscheinliche Diskrepanz von normsetzendem Schrifttum und ‚realer‘ Lebenswelt nicht ein.366 Da ihn die Entwicklung von „Standards“ interessiert und er deshalb überlieferte Normen aus verschiedenen Epochen vergleichend untersucht, ist für ihn die Frage nach deren histori-
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Hinz (2002), S. 81 Vgl. Elias (1981), S. 75 ff. Elias (1981), S. 77 Vgl. Elias (1981), S. 77 ff.; Schnell (2004a), S. 26 geht hingegen davon aus, dass Elias literarische Formen zu unbedarft als realen Gegebenheiten entsprechend setzte und seine auf poetische Texte gebauten Schlussfolgerungen zu psychosozialen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen daher mit großer Skepsis zu betrachten seien
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schem Realitätsgehalt von nachgeordneter Bedeutung. Missverständlich wirkt in diesem Zusammenhang, dass Elias zwischen den Begriffen „Brauch(tum)“, „Sitte(n)“ (als vorhandenen und damit nachweisbaren sozialen Phänomenen) und „Standard“ (als tendenziell fiktiver Norm) nicht konsequent differenziert, sie zuweilen auch synonym verwendet.367 Elias’ Präsentation der durch ihn herangezogenen Quellen, u. a. der Tannhäuserschen ‚Hofzucht‘ und des ‚Welschen Gastes‘, ist über weite Strecken deskriptiv, zuweilen erläuternd, jedoch kaum wertend. Entsprechend finden sich denn bei Elias auch keine positiven oder negativen Urteile, die u. a. von Duerr vorgetragene Vorwürfe, er argumentiere „kolonialistisch“, „eurozentristisch“ oder gar „hodiezentristisch“, bestätigten.368 Auch zeichnet Elias in seinen Ausführungen zu mittelalterlichen Tischzuchten kein durchweg ‚dunkles‘ Bild des Zeitalters. Da er selbst beschreibt und nicht bewertet, weisen entsprechende Urteile eher auf individuelle Dispositionen derer zurück, die ‚fortschreitend zivilisiert‘ mit einer positiven, ‚auf einer früheren Stufe zivilisiert‘ mit einer negativen Konnotation verbinden – ein Schluss, den Elias selbst so nicht zog.369 Mit Blick auf die Tischzuchtenliteratur und auf die historische Entwicklung von normativem Schrifttum über das ‚gute Benehmen bei Tisch‘ in Westeuropa bilden Elias’ Erkenntnisse deshalb nach wie vor einen wichtigen Meilenstein. Seine Theorie einer fortschreitenden Anhebung von Scham-, Ekel- und Peinlichkeitsschwellen wurde, auch und gerade im Verlauf der Elias-Duerr-Kontroverse, zwar um manche Aspekte ergänzt und weiter entwickelt, dabei jedoch oft im Detail auch bestätigt.
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Vgl. Elias (1981), S. 78, S. 85 und passim; zu weiteren problematischen, weil nicht hinreichend oder konsequent differenzierten Begriffsverwendungen durch Elias siehe Rüdiger Schnell: Kritische Überlegungen zur Zivilisationstheorie von Norbert Elias, in: Schnell (2004), S. 21–83, hier bes. S. 36 ff. Vgl. Hinz (2002), S. 25, S. 77, S. 109 ff. und S. 117 ff. Deutlich macht Elias dies auch im Zusammenhang seiner Überlegungen zur Entwicklung höfischer/courtoiser Lebensform und Standards: „Daß solche qualitativen Veränderungen zuweilen bei allem Hin und Her der Bewegung über lange Strecken hin Veränderungen in ein und derselben Richtung sind, kontinuierlich gerichtete Prozesse, nicht nur ein regelloser Wechsel, legt es nahe und macht es möglich, beim Vergleich verschiedener Phasen von Komparativen zu sprechen, [sic!] Es ist damit nicht gesagt, daß die Richtung, in der diese Prozesse sich bewegen, eine Richtung zum Bessern, ein ‚Fortschritt‘, oder eine Richtung zum Schlechteren, ein ‚Rückschritt‘ sei“, Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 159). Frankfurt/M. 19828, S. 117 f.
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Im Fazit zu seiner Untersuchung des Gelehrtenstreits stellt Michael Hinz die gesamte, weit über das Thema ‚Tafel-Standards‘ hinaus reichende Streitthematik betreffend daher noch fest: „Elias’ mehrperspektivisches, prozessuales, empirisch-theoretisches und reflexives Vorgehen in ‚Über den Prozeß der Zivilisation‘ hat sich vielfach bewährt und originelle Einsichten zu Tage gefördert. Elias’ Methode, soziale und psychische Wandlungsprozesse mit Hilfe einer soziologisch-psychologischen Machttheorie langfristiger sozialer Prozesse zu erklären, wird daher jenseits empirischer Detailfragen auch in Zukunft Bestand haben.“370 Auch dieses Urteil wurde mittlerweile angefochten. Zwar konnte Hans Peter Duerrs Kritik besonders aufgrund methodologischer Schwächen in wesentlichen Positionen zurückgewiesen werden. Neuerlich wurden Elias’ Aussagen zum Zivilisationsprozess von Rüdiger Schnell hinterfragt, der neben generelle Überlegungen371 eine ausführliche Untersuchung der mittelalterlichen Tischzuchtenliteratur stellt.372 Aus der Perspektive verschiedener Forschungsdisziplinen und im Vorgehen streng systematisch, arbeitet er eine Reihe von Schwachstellen, Widersprüchen und Fehlschlüssen bei Elias heraus: „1.Die Vorstellung von Literatur als bloßer Spiegelung psychosozialer Realität: Der Literatur wird außer der Didaxe keine weitere Funktion zuerkannt. 2. Ein viel zu schmales Textkorpus: zentrale Tischzuchten des 12. Jahrhunderts werden übersehen; Texte mit gegenteiligen Tendenzen werden nicht berücksichtigt. 3. Die unzulässige konzeptionelle Basis: die Annahme eines Gegensatzes von Gefühl und Verstand (dagegen die heutige Emotionsforschung bzw. Kognitionspsychologie). 4. Die uneindeutige Terminologie: Verunklarung und zugleich Nivellierung des Untersuchungsgegenstandes (Affekte, Triebe, Gefühle, Peinlichkeit bzw. Ekel; Körper- bzw. Affektkontrolle). 5. Das homogenisierende Geschichtsbild: Vorstellung von einem gesamthaften Prozeß, der keine Widersprüche oder Freiräume kennt. 6. Das überholte Mittelalterbild: die Konstruktion des Mittelalters als einer Zeit, in der sich die Menschen unreflektiert, spontan, ohne planende Vorausschau ihren Affekten überließen.
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7. Das einseitige Menschenbild: ausschließliches Denken in Gruppen bzw. Gruppenzwängen; Elias hat das sog. ‚Über-Ich‘ überbetont und dabei das Ich bzw. das Subjekt vergessen … Elias unterschlägt auch die Möglichkeit des Eigenantriebs, des Selbst-Wollens der Menschen. 8. Die einseitige soziologische Reduktion des Forschungsgegenstandes: die Fixierung auf den Hof bzw. höfische Gesellschaften blendet andere (schichtenübergreifende) Orte der Erziehung bzw. Disziplinierung aus …“.373 Schnells Untersuchungen zeigen auf, dass Elias’ Versuch, besonders aus poetischen Quellen psychosoziale Entwicklungen zu rekonstruieren und diese nicht nur in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen, sondern auch zur Konstruktion einer Machttheorie heranzuziehen, bei Betrachtung zeitgleicher und oft genug gegenläufiger Belege brüchig wird: „Im Lichte all dieser Kritikpunkte erweist sich Elias’ Gedankengebäude als – wenn auch faszinierende – Ruine.“374 Ein wesentliches, in der Diskussion weithin vernachlässigtes Problem sieht er darin, dass die Entwicklung der Textkritik Mängel bei Elias’ Vorgehen und Interpretation offen gelegt habe, ohne dass dessen auf dieser Grundlage entwickelte Schlüsse darauf hin grundlegend in Frage gestellt worden wären.375 Die besondere Wirkung, die Elias’ Zentralwerk im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zuteil wurde, führt Schnell auf die Faszination zurück, die eine ‚Zentraltheorie‘ in einer Zeit besitzt, die durch einen hohen, stetig und immer schneller sich differenzierenden Grad von Komplexität, auch hinsichtlich der Erfassung ihrer geschichtlichen Wurzeln, gekennzeichnet ist.376 Dass, wie Elias formulierte, durch die mittelalterlichen Tischzuchten ‚Standards‘ definiert werden, weist auch Schnell nicht grundsätzlich zurück. Hinsichtlich ihrer Bedeutung als (erforderliche) Erziehungstraktate und ihrer Funktion für das Publikum kommt er auf der Grundlage von Textuntersuchungen und Textvergleichen unter Beiziehung anderer Disziplinen wie z. B. der Psychologie jedoch zu anderen, weiter greifenden Interpreta-
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Schnell (2004a), S. 81 f. Schnell (2004a), S. 23 Vgl. Schnell (2004a), S. 60 Vgl. Schnell (2004a), S. 76: „Damit aber offenbart sich der weitgehend spekulative Charakter von Elias’ Zivilisationstheorie. Doch dieser ‚Mut‘ zur Spekulation hatte einen so großen gesamthaft wirkenden Geschichtsentwurf erst ermöglicht. Und weil Elias’ Buch einen solchen ‚großen Entwurf‘, eine solche ‚Meistererzählung‘ bot, fand es ab den 70er Jahren einen so großen Widerhall. Die Sehnsucht der Menschen nach einer umfassenden Erklärung der zahllosen historischen Vorgänge der letzten tausend Jahre wurde von Elias befriedigt.“
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tionsansätzen. Im Ergebnis stellt er fest, dass die volkssprachigen Tischzuchten nicht verfasst wurden, um in einer Sphäre ‚rauer Sitten‘ ein kultivierteres, ‚positives‘ Verhalten erst zu implementieren. Vielmehr seien sie so zu verstehen, dass sie auf eine bereits bestehende und durchaus hoch entwickelte Kultur gleichsam ‚aufsatteln‘: „Deshalb gehe ich davon aus, daß die allermeisten Tischzuchten bzw. Manierenschriften des 12./13. Jahrhunderts, für die ja ganz selten eine Begründung gegeben wird (außer ‚das ziemt sich‘ oder ‚das ist höfisch‘), kein neues Verhalten anerziehen wollen, sondern Ausdruck einer bestehenden Praxis sind.“377 Damit stellt sich die Frage nach der Funktion dieser Texte, die durch Schnell in verschiedene Richtungen weisend beantwortet wird. Einen grundsätzlichen erzieherischen Nachholbedarf bei Erwachsenen vermag er u. a. deshalb nicht zu erkennen, weil Etikette in sozial höher gestellten Schichten des Mittelalters bereits im Kindesalter, z. B. anhand lateinischer ‚Benimm-Texte‘ und – in verschiedenen Tischzuchten auch konkret benannt – durch Anschauung bei ‚gut erzogenen‘ Erwachsenen gelernt wurde: „Dieser Umstand setzt Lehrer voraus, die bereits über den Verhaltensstandard verfügen, der den Schülern anerzogen werden sollte. Daraus folgt wiederum eine Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern hinsichtlich des erreichten Verhaltensniveaus.“378 Anhand verschiedener Beispiele aus den volkssprachigen Tischzuchten und der mittelhochdeutschen Epik führt er aus, dass z. B. das Moment der Rücksichtnahme auf den oder die Anderen sehr entwickelt und in sich differenziert gewesen sein muss.379 Wenn die volkssprachigen Tischzuchten demnach nicht vornehmlich die Funktion der grundlegenden Unterweisung besaßen, wirft dies ein neues Licht nicht nur auf die in höher gestellten Kreisen praktizierten Standards, sondern auch auf die Funktion der Texte: „Möglicherweise ist der Akt der ‚Vorführung‘ des Textes wichtiger als dessen (für Erwachsene bekannter) Inhalt. In der ‚Aufführung‘ der Lehrdichtung lag die entscheidende Funktion.“380 Neben einem durch Sprachspiele und Bildhaftigkeit, auch durch manche Steigerung ins Groteske begründeten unterhalterischen Wert381 sieht Schnell in den volkssprachigen Tischzuchten für die Adressatenkreise besondere Möglichkeiten der Selbstbestätigung und der Selbstrepräsentation. Die Tischzuchten boten Gelegenheit sowohl zur Reflexion angemessenen Verhaltens als auch zur Diskussion in einer Gruppe. 377 378 379 380 381
Schnell (2004b), S. 88 Schnell (2004b), S. 97 Vgl. Schnell (2004b), S. 128 ff. Schnell (2004b), S. 106 Vgl. Schnell (2004b), S. 107 ff.
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Damit geht es nicht mehr primär um deren textliche Inhalte, sondern vielmehr auch um die Auseinandersetzung auf einer Metaebene. Diese setzt wiederum ein bereits ausgeprägtes Bewusstsein für und selbstverständliches Agieren mit Fragen der Etikette voraus und wirkt auch auf das „Gemeinschaftsgefühl einer bereits zivilisierten Elite“ stabilisierend zurück.382 Dem folgend, werfen die Tischzuchten hinsichtlich ihrer literarischen Gattungszuweisung neue Fragen auf: handelt es sich doch mit Schnell in ihrer Intention, Präsentation und Rezeption wohl eher um Parabeln mit komödiantischen Anklängen,383 die sich lediglich der Form der Didaxe bedienen. Auch wenn er neue Zugangswege zu einem erweiterten Verständnis der mittelalterlichen Tischzuchtenliteratur eröffnet, bleiben auch Schnells Folgerungen schließlich auf eine Reihe von Indizien gestützt. Zeitgenössische poetische und andere Belege, die seine Interpretation untermauern könnten, fehlen. Die weit früher geäußerte Einschätzung Klaus Düwels, dass die normativ ausgerichteten Texte nicht als ein Hinweis auf ‚heillose Zustände‘ herangezogen werden können, bleibt daher gültig.384 Die Etikette, die an den vornehmen Tafeln tatsächlich einst geübt wurde, lässt sich aus den am Ideal orientierten Tischzuchten nicht belastbar erschließen. Auch hier bleibt die ‚Realitätsebene‘ in den literarischen Zeugnissen in einer letztlich unauflösbaren Schwebe. 2.2.5 Bruch der Regeln – verdorbene Stimmung und Katastrophen Das Hoffest und, als einer seiner zentralen Programmpunkte, die höfische Tafel besitzen in der erzählerischen wie auch in der chronistischen Darstellung im Mittelalter nicht nur die Funktion, durch Prachtentfaltung und Überfluss das (nicht nur monetäre) Vermögen des Gastgebers (als Herrscher) zu kennzeichnen. Angesichts der vielen hochgestellten Gäste, die an einem solchen Ereignis teilnehmen, hat ein Hoffest auch bedeutenden politischen Charakter. Es werden bei einem solchen Ereignis politische Bündnisse und Freundschaften erneuert, Verträge geschlossen und Urkunden ausgestellt.385 Auch die Eheschließung als äußerer Anlass eines großen Fes382 383
384 385
Schnell (2004b), S. 106; differenzierte Ausführungen hierzu finden sich auf den S. 107ff. Schnell nimmt damit schon für frühe Texte eine Tendenz an, die sich „in der Form satirisch-grobianischer Travestie“ in der Tischzuchtenliteratur vermehrt seit dem 15. Jahrhundert, in eigenständigen grobianischen Tischzuchten erst im 16. Jahrhundert zeigt, so Dieter Harmening s.v. Tischzuchten in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 941–947, hier: Sp. 942 Vgl. dazu oben S. 123 mit Anm. 348 Vgl. Bumke (2005), S. 278 und generell Wolter (1991)
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tes stellt regelmäßig ein politisches Ereignis dar, in den poetischen Quellen z. B. durch die Verbindung von Eneas und Lavinia im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke oder die von Gunther und Brünhild sowie Siegfried und Kriemhild im ‚Nibelungenlied‘, durch die jeweils Herrschaftsgebiete miteinander verbunden werden bzw. sich Herrscherdynastien aneinander binden. „Mit Mählern und Festen begründete und festigte man Gemeinschaft, schuf und erprobte eine Atmosphäre des friedlichen Umgangs miteinander, die auch in der Zukunft die Grundlage des Verhältnisses von Speisenden und Feiernden bilden sollte.“386 Gerade weil man gemeinsam gespeist und getrunken hat, lehnt es – neben anderen – Rüedeger im ‚Nibelungenlied‘ ab, gegen die Burgunden zu kämpfen: trinken unde spîse
ich in güetlîchen bôt
(2159, 3).
Neben repräsentative Aspekte wie Prachtentfaltung, angemessenes Protokoll und eine gelöste Stimmung tritt damit die symbolische Bedeutung des Mahls als „Ritual der Friedensstiftung und Friedenssicherung“, gemeinsam machen diese Charakteristika einer gelungenen Veranstaltung das Fest und das Mahl „besonders anfällig für Störungen“.387 Fortwährend und mit einer im Textverlauf steigenden Tendenz ist dies im ‚Nibelungenlied‘ der Fall. Formal finden sich bei den vielen Festschilderungen des ‚Nibelungenliedes‘ alle Elemente, die eine ideale höfische Veranstaltung kennzeichnen. Der Festsaal ist samt Mobiliar gerichtet, die vornehme Gesellschaft trifft ein und nimmt Platz, die Speisen werden bereits aufgetragen, die Kämmerer tragen gerade Wasser zum Händewaschen in Goldbecken herum: Gerihtet wart gesidele: ze tische mit den gesten. die schœnen Prünhilde. in des küneges lande.
der künec wolde gân dô sach man bî im stân krône si dô truoc jâ was si rîché genuoc.
Vil manic hergesidele mit guoten tavelen breit vol spîse wart gesetzet, als uns daz ist geseit. des si dâ haben solden, wie wênec des gebrast! dô sach man bî dem künege vil manigen hêrlîchen gast.
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Gerd Althoff: Fest und Bündnis, in: Altenburg/Jarnut/Steinhoff (1991), S. 29–38, hier: S. 29 Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998, S. 424
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Des wirtes kamerære daz wazzer fúr trúogen. ob iu daz iemen sagte, ze fürsten hôchgezîte;
in bécken von gólde rôt des wære lützel nôt, daz man diente baz ich wolde niht gelouben daz.
Ê daz der vogt von Rîne wazzer dô genam, dô tet der herre Sîfrit, als im dô gezam. er mant’ in sîner triuwe, wes er im verjach, ê daz er Prünhilde dâ heime in Îslande sach. (Str. 604 ff.) An dieser Stelle hätte das Mahl beginnen müssen. Doch noch bevor er sich die Hände wäscht, erinnert Siegfried Gunther an sein noch vor der Gewinnung Brünhilds gegebenes Versprechen, ihm Kriemhild zur Frau zu geben. Gunther will sein Wort halten: er lässt Kriemhild herbeirufen, als sie eintrifft, alle Anwesenden sich erheben und still sein (stille stân, 611, 3), und er gibt öffentlich die Verlobung bekannt (Str. 609 ff.). Erst danach wird das Mahl fortgesetzt. Dieser Unterbrechung des Ablaufs (die die bereits aufgetragenen Speisen sicher erkalten ließ) folgt gleich in der Fortsetzung der Szene eine protokollarische Problematik: die neben Gunther sitzende Brünhild bemerkt, dass Siegfried, über dessen wahre Herkunft sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts weiß, neben der Königsschwester Kriemhild sitzt. Dies wertet sie als einen Regelverstoß, und Gunthers Erklärung vermag ihr erhebliches Missbehagen an diesem ‚Fauxpas‘ nicht zu vertreiben (Str. 617 ff.). In dieser Szene bereitet sich der später offene Streit der Königinnen388 bereits vor. Die heitere Stimmung, die das Mahl hätte verbreiten sollen, ist durch seinen Verlauf (besonders für Brünhild empfindlich) gestört. Bei der Ermordung Siegfrieds ist es die von Hagen in böser Absicht geplante Jagd und während ihres Verlaufes wiederum eine Küchen- bzw. Speiseszene, bei der Regelbrüche festzustellen sind. Die gemeinsame Jagd, die als sportliche oder spielerische Betätigung gilt, ist darauf angelegt, Gewalt lediglich gegen die Jagdbeute anzuwenden.389 Hagens Vorhaben, Siegfried auf der Jagd zu töten, bricht mit diesem comment. Ein ordnungsgemäßer Verlauf des im Freien geplanten gemeinsamen Mahles wird auf der Jagd zunächst von Siegfried selbst unterbunden. Er hat einen Bären aufgestöbert, den er fängt, zum Jagdlager bringt und dort laufen lässt (Str. 946 ff.). Das verstörte Tier will, zusätzlich aufgehetzt durch das Gebell der Hunde, zu-
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Vgl. ‚Nibelungenlied‘, 14. Âventiure, Str. 814 ff.; zur Senna, dem Streit der Königinnen, vgl. ausführlich Haupt (1989), S. 197 ff. Vgl. Müller (1998), S. 425
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rück in den Wald und gerät dabei in die Feldküche, die es verwüstet. Das Küchenpersonal weicht erschrocken zurück, die Kessel über den Feuern kippen um, und das Kochgut liegt in der Asche: Der ber von dem schalle hey waz er kuchenknehte vil kezzel wart gerüeret, hey waz man guoter spîse
durch die kúchén geriet. von dem fiwer schiet! zefüeret manic brant. in der aschen ligen vant! (Str. 959)
Der Bär wird von der anwesenden Jagdgesellschaft, die von ihren Sitzen aufspringt, sofort verfolgt, doch es ist schließlich der wiederum hervorragende Siegfried, der ihn zur Strecke bringt (Str. 960 ff.). Anschließend begibt man sich auf einer Wiese zum Essen. Aufgetischt wird, obwohl es zuvor zu dem Zwischenfall in der Feldküche gekommen ist, reichlich (Str. 963). An dieser Stelle kommt es zum nächsten Regelbruch. Die Schenke, die Wein hätten auftragen sollen, sind nicht da. Siegfried wundert sich darüber, da man doch durch die mitgeführte Feldküche ansonsten gut versorgt werde. Hagen redet sich heraus, er habe fälschlicherweise den für die Jagd vorgesehenen Weinvorrat auf die andere Rheinseite in den Spessart bringen lassen. Siegfried ist ungehalten und meint, dass er allein auf der Jagd sieben Maultierladungen Met und Wein trinken könnte und, an Hagen gerichtet, dass es ungeschickt gewesen sei, das Jagdlager nicht in der Nähe des Rheins aufzuschlagen (Str. 965 ff.). Dabei gehörte es zu Hagens Plan, Siegfried fort von der Jagdgesellschaft und an eine klare Quelle zu locken. Eben dies sollten die ‚fehlgeleiteten Weinvorräte‘ ermöglichen. Dass die besagte Mahlzeit nicht ordnungsgemäß verlaufen würde, kündigt zuvor schon die Bemerkung an, dass sie in betrügerischer Absicht und damit unredlicher Gesinnung stattfindet (das Jagdessen ist gekennzeichnet durch valschen muot, 964, 3). Der durstige Siegfried läuft dann im Wettstreit mit Gunther zu der besagten Quelle. Er gewinnt den Wettlauf, wartet jedoch auf Gunther, ganz der höfischen Form auch auf der Jagd verpflichtet, um ihm als Ranghöherem bei der Erfrischung den Vortritt zu lassen. Als Siegfried sich selbst zur Quelle beugt, nutzt Hagen die Gelegenheit, Siegfried zu ermorden (Str. 973 ff.). Nicht nur der Ablauf der Speiseszene ist hier durch den fehlenden Wein nicht ordnungsgemäß. Siegfrieds überzogene Wein- und Metforderung und der dadurch mit Hagen noch an der Tafel entstehende Disput sind weitere Vorboten des Frevels, den Hagen an der Quelle durch den Mord an Siegfried begeht. Das Friedensgebot wird massiv gebrochen. Formal in die Szenerie höfischen Tafelns eingebunden, bezeichnet der
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Ausbruch von Gewalt hier umso mehr die „Perversion höfischer Ordnung“.390 Diese erreicht ihren Höhepunkt beim Festmahl an Etzels Hof, an den die Burgunden zogen, nachdem Etzel sie auf Anregung der rachsüchtigen Kriemhild eingeladen hatte. Schon diese Einladung verweist, da sie von Kriemhild aus nicht in guter Absicht erfolgte, auf die später stattfindende Katastrophe.391 Vor dem zweiten großen Festmahl an Etzels Hof gelingt es Kriemhild, Etzels Bruder Bloedel für ihre Rachepläne zu gewinnen (Str. 1903 ff.). Anschließend begleitet sie Etzel zu Tisch (1911, 2ff), an den sie auch ihren gemeinsamen Sohn bringen lässt (Str. 1912). Während dieses Essens überfällt Bloedel mit tausend Mann das burgundische Gefolge, das unter der Aufsicht Dankwarts in einem anderen Saal isst (Str. 1921 ff.) – auch dies ein massiver Bruch der Gastfreundschaft allgemein und speziell des Friedensgebotes beim Mahl. Es gelingt Dankwart, Bloedel zu überwinden. Er macht sich auf in den Festsaal, um die Burgunden über den Kampf zu unterrichten. Er trifft Truchsessen und Schenke, die den Kampflärm gehört haben, dadurch beim Auftragen von Speisen und Getränken gestört wurden, von denen manches auch zu Boden ging, und erinnert sie an ihre Pflichten – eine angesichts der bereits ganz aus den Fugen geratenen Szenerie merkwürdige Bemerkung (Str. 1948 f.). Den Festsaal, in dem Etzel, Kriemhild, die Burgunden und die mit ihnen angereisten Gäste gerade speisen, betritt Dankwart blutüberströmt und mit der Waffe in der Hand (Str. 1951): das Festmahl wird abrupt unterbrochen, und es ist das Bild von Gewalt, das dies verursacht. Es ist jedoch lediglich der Auslöser für die folgenden Ereignisse. Nach Dankwarts Bericht zieht Hagen sein Schwert und enthauptet Etzels und Kriemhilds Sohn (Str. 390
391
Müller (1998), S. 418; bestätigt wird dies durch den Kommentar des Erzählers, dass Siegfried für sein höfisches Verhalten an der Quelle (bitter) bezahlen musste, vgl. ‚Nibelungenlied‘, 980, 1 Ähnlich ist es im ‚Wolfdietrich‘, in dem König Huge Dietrich auf den Rat des intriganten Saben hin zu einem Schwertleitfest einlädt, zu dem ausdrücklich auch der getreue Berchtung von Meran gebeten wird. Die Ladung ist eine Falle, denn Saben überredet Huge Dietrich, Berchtung auf seine Burg zu locken, um ihn beim Festessen festnehmen zu lassen. Saben redet ihm ein, Berchtung sei für den Mord an seinem Sohn Wolfdietrich verantwortlich, der – wie sich später bei einem Gerichtsprozess gegen Berchtung herausstellt – noch am Leben ist. Berchtung wird tatsächlich beim Festmahl überwältigt, was einen eklatanten Bruch der Gastfreundschaft darstellt. Wie im ‚Nibelungenlied‘ verweist auch hier die in böser Absicht ausgesprochene Einladung auf die spätere Störung des Festmahls, vgl. Wolfdietrich. 1. Heft. Der echte Teil des Wolfdietrich der Ambraser Handschrift (Wolfdietrich A). Herausgegeben von Hermann Schneider. Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage. (Altdeutsche Textbibliothek. Nr. 28). Halle/Saale 1968, IV. Aventiure, Str. 134 ff.
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1961). Werbel, der gerade mit seiner Fidel für musikalische Unterhaltung sorgte, schlägt er eine Hand ab (Str. 1963). Die anwesenden Gäste springen von den Tischen auf, Volkêr der vil snelle
von dem tische spranc
Ouch sprungen von den tischen
die drîe künege hêr
(1966, 1), (1967, 1),
hier wie an anderen Stellen steht der „Tisch … metonymisch für die Ordnung, die zu Bruch geht“.392 Es beginnt ein allgemeines Kampfgetümmel, es geht wörtlich über Tische und Bänke (1981, 3; 1989, 1), es gibt riesigen Lärm (1972, 4), und am Ende werden die getöteten Hunnen aus dem verschlossenen Festsaal nach draußen geworfen (34. Âventiure). Der Amelungenkönig kommentiert das Chaos: „hie schenket Hagene
daz aller wirsiste tranc.“
(1981, 4)
Er spielt damit auf einen Trinkspruch Hagens an, ein Zutrinken auf den Sohn Etzels und Kriemhilds, eine Geste, die formal ebenfalls Friedfertigkeit und Zugewandtheit ausdrückt, durch Hagen hier jedoch als eine Drohung zelebriert wird (Str. 1960).393 392 393
Müller (1998), S. 426 Zum sog. Minnetrinken vgl. Ch. Zimmermann in: RGA Bd. 20 (2002), S. 49–56 (s.v. Minne und Minnetrinken); zu der nicht nur im ‚Nibelungenlied‘ mehrfach vorkommenden Gegenüberstellung und auch Entsprechung von Blut und Wein vgl. Müller (1998), S. 430 ff. – Die Umkehrung des Minnetrinkens in einen Akt der Feindseligkeit tritt in der mittelalterlichen Dichtung mehrfach auf, so in dem flandrischen, lateinisch abgefassten Tierepos ‚Ysengrimus‘. In der anthropomorphen Szenerie tritt der nimmersatte Wolf als Sinnbild gieriger Mönche – gemeint hier: die Zisterzienser – auf. Die sich durch das Werk hindurchziehende „Fressmetaphorik konzentriert sich besonders auf jene Szenen, wo der Wolf sich einer Gemeinschaft als hungriger Gast aufdrängt und wo die Gastgeber dem ungeladenen Besucher gegenüber gezwungen sind, die Hospitaliät in Hostilität zu verwandeln, um das eigene Leben vor den lüsternen Wolfszähnen zu retten, und deshalb statt des versprochenen Mahles Püffe, Stöße und Bisse spendieren, statt des Freundschaftstrankes einen bitteren Schoppen kredenzen“, so Ute Schwab: Gastmetaphorik und Hornarithmetik im Ysengrimus, in: Astrid van Nahl/Inga Middel (Hg.): Ute Schwab. Weniger wäre … Ausgewählte kleine Schriften. (Studia Medievalia Septentrionalia. Bd. 8). Wien 2003, S. 115–152, hier S. 121. Zu einer Passage, in der die gastgebenden Tiere, die sich durch den Wolf bedroht fühlen, diesen zur Tür drängen, ihn einklemmen und ihm einen ‚bitteren Minnetrank‘ aufzwingen, schreibt Schwab: „Die Ursituation der heldischen Trinkmetaphorik, ins Tierische verzerrt: ein Gegenüber von Gast und Gastgebern im Augenblick, wo der Fremde seine feindliche Absicht offenbart und die Gastfreundschaft sich notwenig in Selbstverteidigung verwandelt, wobei der Minnetrunk zu einem scharfen Gebräu blutiger Abwehr gärt und die kredenzten Speisen dem Friedensbrecher selbst zu Leibe rücken.“ (S. 125 f.)
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Eine Deeskalation der Feindseligkeiten ist nach diesen Vorkommnissen nicht mehr denkbar. Nach weiteren Kämpfen unter immensen Verlusten aller Seiten wird schließlich Kriemhild von Hildebrand erschlagen (Str. 2376) und mit leide was verendet
des küneges hôhgezît
(2378, 3).
Möglicherweise ist es angesichts der sich im ‚Nibelungenlied‘ gerade in vielen Speiseszenen anbahnenden Konflikte kein Zufall, dass es der Küchenmeister Rumolt war, der die Burgunden vor der Reise an Etzels Hof warnte. Er weist die Burgunden auf die Annehmlichkeiten und die gute Versorgung hin, die sie am heimischen Hofe genießen könnten, statt sich auf eine so ungewisse Reise zu begeben (Str. 1465 ff.). In der höfischen Umgebung, im Werben um die Gunst der Damen, mit schöner Kleidung ausgestattet, wäre es ihnen möglich, den besten Wein zu genießen und die besten Speisen dazu, die je irgendein König in der Welt hatte: trinket wîn den besten unt minnent wætlîchiu wîp. Dar zuo gît man iu spîse, die bésten die íe gewan in der wérlt künec deheiner.
(1467, 4 ff.)
Doch bekanntlich wird seinem Rat schließlich nicht gefolgt. So kommt es zu der Reise und zu ihrem schlimmen Ende. Dabei geht die „höfische Ordnung … nicht einfach zu Bruch, ihr Untergang wird als blutiges Gegenfest gefeiert“.394 Auch bei Wolfram von Eschenbach kommt es bei einem gemeinsamen Mahl zu einem Zwischenfall. Im ‚Willehalm‘ ist es Rennewart, zunächst ein Küchenjunge, der sich dann als arabischer Adliger mit einer gewissen Haltung entpuppt, an die höfischen Tafeln geladen wird und dort für Aufregung sorgt. Ganz kann Rennewarts Assimilationsprozess bezüglich seines Betragens nicht gelungen sein, denn als er an der Tafel einen Ehrenplatz neben Gyburg und Heimrich einnehmen darf, lässt er alle Zurückhaltung fahren, isst und trinkt zu viel von den angebotenen Weinen, und diese wohl auch durcheinander, da sie ihm weitaus besser zusagen als das bisher im Küchendienst gewohnte Wasser: Rennewarte was zer spîse gâch. dâne dorfte niemen nîgen nâch, daz er von der tavelen sente. siropel mit pigmente, klâret und dar zuo môraz, 394
Müller (1998), S. 434
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
die starken wîne im gevielen baz danne in der küchen daz wazzer. die spîse ungesmaehet az er.
139
(276, 3 ff.)
Obwohl Rennewart die vorhandenen Speisen zusagen und er sich damit eine gewisse ‚Grundlage‘ verschafft, trinkt er zu viel. Die Szene artet aus in eine Rauferei, und der Saal wird verwüstet. Wolfram kommentiert dies damit, dass die Tischtücher nicht wie gewohnt fortgetragen, sondern geradezu zusammengeschlagen wurden: tischlachen wurden geslagen zesamene und niht hin dan getragen
(277, 5 f.).
Obwohl es auch in dieser Szene zu einem Gewaltausbruch beim Essen kommt, wird mit ihr im Vergleich zu den vorstehenden Szenen des ‚Nibelungenliedes‘ eine ganz andere erzählerische Intention verfolgt. Vor dem beschriebenen Mahl gab es eine lange und gefährliche Belagerung von Munleun, die nur unter Aufbietung sämtlicher Kräfte abgewehrt werden konnte. Sogar Gyburg und andere Frauen halfen dabei aktiv mit. Auf diese Situation von Chaos, Unordnung, Zorn, Gewalt und Maßlosigkeit folgt das Fest in Orange, das die geregelten höfischen Formen wieder aufnimmt. In der Rennewart-Episode „kommen jene aggressiven Kräfte wieder zum Durchbruch, die stets die Faktizität von Krieg, Unrecht und Gewalt bestimmen und die in Munleun beinahe zur Katastrophe geführt hätten. Wolfram aber behandelt Rennewart, dessen zorn – anders als bei Willehalm – aus seiner tumpheit erwächst, mit ähnlicher Nachsicht, wie sie auch der Held seinem hitzköpfigen Knappen angedeihen läßt. Es gelingt dem Erzähler, die Situation in Komik aufzulösen, Lachen zu evozieren gein sîme unsüezem zarte (277, 10). Somit wird das Fest zwar gewaltsam gestört, nicht aber wird grundsätzlich die Ordnung des Festes in Frage gestellt.“395 Zwar ist das Festmahl durch den Zwischenfall verdorben und wird beendet, doch gelingt es Heimrich und Gyburg, den anstehenden Rückzug der Gäste in ihre Gemächer und die Versorgung von deren Gefolge organisatorisch in die Hand zu nehmen und so auch in der Etikette wieder geregelte Zustände herzustellen. Im Gegensatz zu der im ‚Nibelungenlied‘ fortlaufend gestörten und am Ende zerstörten höfischen Szenerie und Lebensform geht es Wolfram um deren Bewahrung, in der vorliegenden Szene konkret um deren Bestätigung in einer Situation, in der die höfische Form herausgefordert wird: „Dieser Abschluß ist alles andere als nur eine Rettung in die äußere Form, die form395
Haupt (1989), S. 247
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volle Konturierung des Festes ist vielmehr gestalteter Ausdruck von Wolframs ‚Einsicht, daß es an jedem einzelnen Punkt der Geschichte möglich ist, den Kreislauf des zorns in der Verzeihung und Versöhnung zu durchbrechen‘ und sinnvolle Ordnung zu bewahren auch innerhalb einer von Krieg und Gewalt bedrohten Geschichte. … In solcher – für die Feudalzeit typischen – Situation läßt Wolfram die Möglichkeit eines Humanismus396 erkennen, der nicht in Erbitterung oder Verzweiflung umschlagen muß, wenn Menschen nur bereit sind, die existentiellen Spannungen auszuhalten, und fähig, ungünstigem Geschick ihre eigenen Werte entgegenzuhalten.“397 In einer ähnlichen Funktion findet sich das gestörte Festmahl auch in einer kleineren poetischen Form, dem ‚Heinrich von Kempten‘ Konrads von Würzburg.398 Erzählt wird, dass am Ostertag für Kaiser Otto399 und sein Gefolge eine festliche Tafel hergerichtet wird. Aufgeführt wird dort die Menge kostbarer Trinkbecher (manic schœne trincvaz), das bereit gelegte Brot und, dass Vorkehrungen für das Händewaschen vor dem Essen getroffen wurden (V. 38 ff.). Das Mahl soll nach dem Gottesdienst beginnen. Doch zuvor kommt es zu einem Zwischenfall. Ein junger adliger Knappe, der Sohn des mächtigen Herzogs von Schwaben, nascht von dem auf den Tischen schon bereit liegenden Weißbrot (V. 60 ff.). Der Junge wird dabei vom Truchsessen erwischt, der über das Vorkommnis in große Wut gerät und das Kind mit seinem Truchsessenstab zusammenschlägt (V. 84 ff.). Dies beobachtet der Ritter Heinrich von Kempten. Er stellt den Truchsessen zur Rede, es kommt zu einem heftigen Disput, an dessen Schluss Heinrich seinen Widersacher erschlägt.400 Kurz darauf erscheint Kaiser Otto. Er bemerkt das Blut auf dem mittlerweile geräumten Boden und erkundigt sich, was geschehen sei. Es wird ihm berichtet, und der erzürnte Kaiser fordert das Leben des Ritters Heinrich. Dieser sieht nur eine Möglichkeit, sich zu retten: er greift den langen Bart des Kaisers, zieht den Herrscher daran 396 397 398
399 400
Mit Blick auf die Geschichte der Philosophie wirkt diese Bezeichnung irritierend Haupt (1989), S. 247 f. Zitiert wird nach Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmaere. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder. Übersetzt, mit Anmerkungen und mit einem Nachwort versehen von Heinz Rölleke. (Reclam. Universal-Bibliothek Nr. 2855 [2]). Stuttgart 1968. Zu Leben und Werk des im Jahre 1287 gestorbenen Dichters, der ein außerordentlich vielseitiges und umfangreiches Werk hinterließ, vgl. Horst Brunner: Konrad von Würzburg, in: VL Bd. 5 (1985), Sp. 272–304 Welcher Kaiser dieses Namens gemeint ist, wird im Text offen gelassen Bemerkenswert – und für die damalige Wahrnehmung kennzeichnend – ist, dass Heinrich nicht tadelt, dass ein Kind (zusammen)geschlagen wurde, sondern dass sich der Truchsess an einem jungen Fürsten und damit an einem Angehörigen des Hochadels vergriff, vgl. V. 130 ff.
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über den Tisch, so, dass alle Fleisch- und Fischspeisen, die darauf angerichtet sind, in den Dreck fallen.401 Die kaiserliche Krone geht ebenfalls zu Boden, und Heinrich setzt dem nun in seiner Hand befindlichen Kaiser nicht nur sein scharfes Messer an die Kehle, sondern würgt ihn auch: hie mit der ûzerwelte man geswinde für den keiser spranc, er greif in bî dem barte lanc, und zuhte in über sînen tisch: ez wære fleisch oder visch daz man dâ für in hæte brâht, daz wart gevellet in ein bâht, als er in bî dem barte dans, … er zuhte von der sîten ein mezzer wol gewetzet, daz hæte er im gesetzet vil schiere an sîne kelen hin. mit der hant begunde er in vast umb den kragen würgen.
(V. 262 ff.)
Heinrich macht deutlich, dass er nicht nur Kaiser Otto, sondern auch jeden seiner Gäste angreifen werde, der sich ihm entgegenstellt. Er fordert freien Abzug, den der Kaiser ihm wegen seiner gefährlichen Lage schließlich gewährt (V. 309 ff.). Der Kaiser spricht einen Bann aus, Heinrich solle ihm ob seiner üblen Taten nie wieder vor die Augen treten (V. 355 ff.). Die geschilderte Szene ist erzählerisch in hohem Tempo auf die rasche und heftige Eskalation eines Konfliktes aus einem geringfügigen Anlass abgestimmt. Aufgeführt werden verschiedene Elemente, die einen besonderen Frevel kennzeichnen: das Geschehen spielt sich am Ostertag ab, dem höchsten kirchlichen Feiertag und damit einem Tag des besonderen Friedens. Gestört wird das österliche Festmahl bereits durch die Gewalttaten vor seinem Beginn. Dass der Ritter Heinrich nicht nur den Kaiser tätlich angreift und ihn als Geisel nimmt, sondern auch sein Messer im Speisesaal als Waffe einsetzt, stellt eine extreme Verletzung des Friedensgebotes dar – und den Kaiser überdies öffentlich bloß.
401
Dass die Speisen in dem über den Tisch geführten Handgemenge zu Boden gingen, sollte wohl drastisch dargestellt werden, denn mhd. baht wird bei Lex. Bd. I (1992), Sp. 113 mit „unrat, kehricht, kot“ wiedergegeben. Dass man sich dies unter einer kaiserlichen Tafel kaum vorstellen kann, scheint hier nebensächlich
142
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Im Gesamtkontext der Erzählung bildet die gestörte Festtafel keine Vorausschau auf weitere schlimme Ereignisse. Sie dient auch nicht der Zeichnung des Ritters Heinrich als einer grundlegend verwerflichen Person. Vielmehr kommt es Jahre später zu der Situation, dass der Ritter Heinrich dem Kaiser Otto, als dieser bei der Belagerung einer Stadt in Oberitalien in eine gefährliche Lage kommt, das Leben rettet. Als Heinrich beobachtet, dass das Leben des Kaisers auf dem Spiel steht, kommt er ihm sofort zu Hilfe. Seine Treuepflicht stellt er über die Drohung des Kaisers, er werde getötet, sobald er dem Herrscher je wieder begegne. In dessen Anerkennung wird Heinrich vom Kaiser begnadigt. Auf Heinrichs Entschluss, das Leben des Kaisers zu retten, obwohl es wahrscheinlich sein eigenes kosten wird, läuft die Erzählung hin.402 Die Gefahr, in die sich der Ritter dabei begibt, und der Mut, den ihn sein Entschluss kostet, bedürfen zum Spannungsaufbau einer glaubhaften Erklärung. Sie liegt in der früheren, gewaltsamen Störung des kaiserlichen Ostermahls begründet. Diese Szene musste möglichst drastisch ausfallen, um die kaiserliche Wut und das Verstoßenwerden des Ritters Heinrich hoch bedrohlich wirken zu lassen. Heinrichs (Überwindung zur) Rettungstat wirkt umso heldenhafter, je schlimmer die Schuld dessen wiegt, was er dem Kaiser angetan hat. Ist es im ‚Willehalm‘ die höfische Form, die empfindliche Regelverstöße zu überwinden vermag, sind es im ‚Heinrich von Kempten‘ die ritterliche Tugend und Treue, die sich erfolgreich dagegen durchsetzen. Bei beiden Beispielen ist es die höfische Tafel, deren Störung die Exposition der – am Ende positiv – zu lösenden Konfliktlage bildet.403 402
403
Im Epilog (V. 744 ff.) wird nochmals betont, dass ein Ritter seine Kräfte furchtlos einsetzen soll, weil Tapferkeit und Ritterschaft Ansehen verschaffen In diesen Kontext fügt sich auch eine Szene ein, die sich im ‚Straßburger Alexander‘ findet: König Philipp von Mazedonien schickt sich an, sich neu zu verheiraten. Der junge Alexander, der seine von Philipp verstoßene Mutter Olympias sehr verehrt und ob der Pläne seines Vaters immens aufgebracht ist, erscheint an der Festtafel. Er schlägt dort dem Höfling Lysias, der aus Alexanders Sicht lästerliche Reden führt, mit einem schweren, kostbar verzierten Goldpokal die Zähne ein, um ihm ‚das Maul zu stopfen‘ (V. 492 ff.). König Philipp springt daraufhin erregt auf die Tafel, stürzt jedoch herunter und bricht sich ein Bein. Die Stimmung ist verdorben, der anonyme Bearbeiter bemerkt, dass sich kein Spielmann getraut hätte, angesichts dieser Entwicklung einen Lohn zu verlangen (V. 498 ff.). Der Treuebruch Philipps und die beständige Treue Alexanders zu seiner Mutter Olympias werden ganz im Rahmen höfischer Tugend bewertet, die Alexander in seinen frühen Jahren noch auszeichnet, vgl. Edition Ruttmann (1974). Diese Szene findet sich auch im frühmittelhochdeutschen ‚Vorauer Alexander‘, auszugsweise im Originaltext und in neuhochdeutscher Übersetzung wiedergegeben in der Edition Vollmann-Profe (Frühmittelhochdeutsche Literatur, 1996), S. 198 ff., hier bes. S. 220 ff.
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Eine ganz andere Variante eines irregulären Festessens findet sich bei Wernher dem Gartenære im ‚Helmbrecht‘. Hier ist es die im Kontext unangemessene Form des Festmahls, die es als verderblich kennzeichnet. Auf Vermittlung des aus wohlhabenden bäuerlichen Verhältnissen stammenden, aufstiegsbesessenen jungen Helmbrecht heiratet dessen Schwester Gotelint seinen Raubgesellen Lemberslint. Formal folgt die Darstellung des Hochzeitsmahls ganz den aus der höfischen Welt bekannten Regeln. Die Hofämter Marschall, Kämmerer, Schenke, Truchsess sind vertreten und werden wahrgenommen, und auch einen Küchenmeister gibt es: Nû ist bereit daz ezzen. wir sulen niht vergezzen, wir schaffen ambetliute dem briutegomen und der briute. Slintezgeu was marschalc, der fulte den rossen wol den balc; sô was der schenke Slickenwider. Hellesac der sazte nider die fremden und die kunden: ze truhsæzen ward er funden. der nie wart gewære, Rütelschrîn was kamerære. kuchenmeister was Küefrâz, der gap swaz man von kuchen âz, swie manz briet oder sôt. Müschenkelch der gap daz brôt. diu hôhzît was niht arm.
(V. 1535 ff.)404
Es handelt sich um keine ‚arme‘ Hochzeit, es gibt verschiedene Gerichte (briet oder sôt), die Inhaber der Hofämter versehen ihren Dienst. Sogar Musikanten treten nach dem Essen auf (V. 1603). Doch die Szenerie ‚stimmt‘ nicht. Es sind die üblen Kumpane des Bräutigams, rohe Gesellen und Räuber, die die Hofämter wahrnehmen. Ihre Namen wie ‚Höllensack‘, der den Truchsess gibt, oder ‚Kühefresser‘, der den Küchendienst organisiert, weisen auf eine der höfischen Szene-
404
Zitiert wird: Wernher der Gartenære. Helmbrecht. Herausgegeben von Friedrich Panzer. 8., neu bearbeitete Auflage besorgt von Kurt Ruh. (ATB. Nr. 11). Tübingen 1968
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rie unangemessene Derbheit405 hin. Die Nachahmung der höfischen Form beim Hochzeitsmahl im Räuberkreise gerät damit zu einer Perversion des höfischen Festes. Sie wird noch dadurch verstärkt, dass ziemlich stark ‚gefressen und gebechert‘ wird (V. 1552 ff.), Maßhalten also nicht gefragt ist. Der Kontrast zwischen formaler Gestaltung der Szene und dem dort handelnden Personal sowie dessen Verhalten ist bewusst gesetzt, denn in ihr gipfelt erzählerisch das ‚verderbliche‘ Streben des jungen Helmbrecht nach ritterlicher Lebensweise. Da er bereits zuvor jeden Rat zur Mäßigung ausschlägt, ist abzusehen, dass sein Verhalten am Ende bestraft werden wird. Denn der ‚Helmbrecht‘ hat eine zentrale erzählerische Botschaft: bescheide dich mit einem deinem Stande gemäßen Leben und strebe nicht nach Höherem.406 Früher als der junge Helmbrecht ahnt seine Schwester Gotelint, dass die Hochzeit ein Fehler war und dass sie besser am väterlichen Tisch Kohl (krût) gegessen hätte als auf die Fische zu setzen, die sie sich von ihrem Gatten Lemberslint (auch hier ein ‚sprechender‘ Name) erhoffte: Dar nâch vil schiere saz diu brût, daz si dâ heime ir vater krût hêt gâz ob sînem tische für Lemberslindes vische.
(V. 1603 ff.)
Doch diese Einsicht kommt zu spät. Als nach dem Essen die Musikanten aufspielen, treten die Schergen des Richters auf und nehmen die Räubergesellschaft gefangen. Gotelint findet man daraufhin – Konzession an ihren späten Zweifel? – nackt an einem Zaun wieder, ihrem Bruder ergeht es schlimmer: er wird geblendet, auch werden ihm zur Strafe eine Hand und ein Fuß abgeschlagen (V. 1688 ff.). Als er sich daraufhin wieder auf dem Hof des Vaters blicken lässt, wirft ihn dieser hinaus (V. 1710 ff.). Nur die Mutter steckt dem Sohn noch schnell ein Brot zu (V. 1812). Schließlich wird der junge Helmbrecht von fünf Bauern, die er zuvor überfallen und gequält hatte, gelyncht (V. 1823 ff.). Die Störung des Festmahls erfolgt in dieser Szene auf zweierlei Art: zum einen intentional durch das ‚Absinken‘ der höfischen Form in eine Umgebung, in die sie nicht gehört, und zum andern im Erzählverlauf durch das Erscheinen der Schergen, die dem Fest ein abruptes Ende set405
406
Gezielt wird durch die Namengebungen auch auf die ungelenke dörperheit der üblen Freunde Vgl. unten Kap. 4; rekurriert wird dabei wohl auch auf biblische Motive, vgl. z. B. das alttestamentliche Buch der Sprichwörter (Sprüche Salomos), 16,18
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zen. Beide Motive lassen sich jedoch aus der das Werk durchziehenden Lehre erklären: Hochmut – besser vielleicht: Überheblichkeit – kommt vor den Fall.407 2.2.6 Philologisches Die in den vorhergehenden Abschnitten berücksichtigten poetischen Quellen stellen lediglich einen Bruchteil der in der mittelalterlichen Literatur erwähnten Speiseszenen dar. Ausgewählt wurden sie nach dem Kriterium der Darbietung von Einzelinformationen zu dem hier interessierenden Thema. Wenige dieser Stellen bieten Originelles. Die meisten Szenen weisen eine stereotype Darstellung auf. Sie können durchaus als formelhaft bezeichnet werden, da sie oft gleich zwei Kennzeichen des – bislang nicht wirklich trennscharf definierten – Begriffs ‚Formel‘ aufweisen: „(2) Wiederkehrendes Textelement mit referentieller Funktion, das als fixierte, gültige Wendung die Ebene der sprachlichen Realisation und als in sich sinnvolle Motivverkettung oder Prägung eines Gedankens oder Begriffs die Sinnebene trifft. (3) Im Rahmen der Oral formulaic theory … eine ‚Gruppe von Wörtern, die bei Vorliegen der gleichen metrischen Bedingungen regelmäßig verwendet wird, um einen gegebenen Vorstellungskern auszudrücken‘ (Parry); sie dient als Kompositionsmittel für den improvisierenden Sänger und als Rezeptionshilfe für den kundigen Hörer.“408 Eine Formelhaftigkeit ist den Tafelszenen in der mittelhochdeutschen Dichtung auf verschiedenen Ebenen eigen:
407
408
Dieses Motiv kommt besonders auch in den spätmittelalterlichen ‚grobianischen Tischzuchten‘ zum Tragen, es findet sich auch in dem um 1400 enstandenen ‚Ring‘ Heinrich Wittenwilers ausgeführt, vgl. dazu oben S. 124, Anm. 350 sowie allgemein die Ausgabe: Grobianische Tischzuchten (1957). Darin finden sich neben Auszügen aus Wittenwilers ‚Ring‘ u. a. Passagen aus dem ‚Narrenschiff‘ des Sebastian Brant, aus Thomas Murners ‚Schelmenzunft‘ und aus verschiedenen Werken des Hans Sachs Christian Schmid-Cadalbert unter dem Stichwort ‚Formel‘ in: Jan-Dirk Müller (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. I–III. Berlin/New York 1997– 2003, Zitat: Bd. I (1997), S. 619–620, hier: S. 619. Ergänzend wird dort ausgeführt: „Formelhaftigkeit prägt die Sprache traditions- und gemeinschaftsgebundener, oft mündlicher Dichtkunst weit mehr als die individuelle schriftkünstlerische Äußerung. Große Formeldichte kennzeichnet weltweit die Sprache der Epik, vor allem der Heldenepik, von der Antike bis in die jüngste Zeit …“
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
a) auf der Ebene des Handlungsablaufes, der strukturellen Gestaltung der Speiseszenen (Vorbereitungen, Auftragen, Essen, Aufheben der Tafel), b) auf der Ebene der dargestellten Inhalte, und auch dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen gleichen sich die aufgezählten Speisen im Allgemeinen sehr, zum andern werden immer wieder dieselben oder sehr ähnliche, sich oft ergänzenden Begriffspaare wie wilt und zam,409 vleisch und visch,410 gesoten und gebrâten411 sowie auch ezzen (bzw. spîse) und trinken412 geboten.413 Ein weiteres, häufig anzutreffendes Begriffspaar ist brôt und(e) wîn, das oft für Nahrung bzw. Speisen schlechthin gebraucht wird.414 Während das Angebot von Brot und Wein auch bei besonderen Anlässen nicht als unangemessen kommentiert wird, steht die Kombination von Brot und Wasser allgemein für ein kärgliches Mahl (vgl. z. B. ‚Rother‘, V. 350 ff. und V. 2551 f. sowie ‚Lanzelet‘, V. 1694 f.). Auch an den (statistisch überwiegenden) Stellen, an denen lediglich knapp erwähnt wird, dass sich eine Gesellschaft zum Speisen begibt, Details jedoch nicht genannt werden, finden sich ähnliche Wendungen:
409 410 411 412
413
414
Vgl. z. B. ‚Graf Rudolf‘, A/V. 19, ‚Parzival‘ 238, 17 Cf. ‚Parzival‘ 452, 22 oder ‚Eneasroman‘ 110, 4/V. 3714 Vgl. z. B. ‚Parzival‘ 486, 11 So im ‚Parzival‘ 580, 22; 581, 24, im ‚Willehalm‘ 234, 25 oder im ‚Eneasroman‘ 172, 21 und 24/V. 6207 bzw. 6210 Bei vielen derartiger Wendungen stehen die einzelnen Teile stellvertretend für übergeordnete Begriffe, so wilt und zam für ein ‚(unterschiedliches) Fleischangebot‘, gebrâten und gesoten für ‚(verschiedene/vielfältige) Zubereitungsarten‘. Eine ‚dividierende‘ Kombinantion, die Aneinanderreihung von semantisch ähnlichen oder gleichen Begriffen erinnert an eine rhetorische Figur, durch die eine Steigerung der Aussage bewirkt wird, vgl. Lausberg (1973), S. 224, § 406 s.v. congeries: „Die congeries ist eine Häufung synonymer Wörter und Sätze …, die in allen Arten der Amplifizierung gemeinte graduale Steigerung wird durch Ausdehnung der Aussage erreicht.“ Möglicherweise ist diese Formel zu biblischen Anklängen in der mittelhochdeutschen Literatur zu rechnen. Schon in den Speisedarstellungen der Bibel (vgl. z. B. Gen. 14, 18–20) und vor allem in den Abendmahlsszenen spielen Brot und Wein eine besondere Rolle (Mt. 26, 26–29; Lk. 22, 19 f.; Mk. 14, 22–24). Besonders in der Eucharistie kommt dem Brot und dem Wein daher eine zentrale Bedeutung zu, vgl. den Beitrag zum Stichwort ‚Eucharistie‘ von V.H. Elbern in: Lexikon für Theologie und Kirche. Begründet von Dr. Michael Buchberger. 2., völlig neu bearbeitete Auflage. Bd 3 (1959), Sp. 1142–1159, bes. Sp. 1147 ff. und in demselben Band den Artikel ‚Eucharistiefeier‘ von H. Schürmann (Sp. 1159–1162, bes. Sp. 1160) sowie den Artikel ‚Abendmahl (Mittelalter)‘ von Erwin Iserloh in: Gerhard Krause/Gerhard Müller et al. (Hg.): Theologische Realenzyklopädie Bd. I. Berlin/New York 1977, S. 89–106
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Parzival solde ezzen
(‚Parzival‘, 679, 13),
der wirt gienc ezzen
(‚Erec‘, V. 6358) oder
er hiez im zezzine geben
(‚Eneasroman‘, 172, 16/6202)
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u.a.m. Diesem Muster entsprechen die meisten Erwähnungen von Tafeleien. Oft führen die Autoren an, das, was aufgetragen wurde, nicht genauer beschreiben zu wollen oder zu können. Wolfram bemerkt im ‚Parzival‘, dass seine Kunst und seine Küchenkenntnisse nicht ausreichten, um all das in Worte fassen zu können, was dort formvollendet auf den Tisch kam: Mîn kunst mir des niht halbes giht, ine bin solch küchenmeister niht, daz ich die spîse künne sagn, diu dâ mit zuht wart für getragn.
(637, 1 ff.)415
Diese Stilfiguren haben ebenso wie die gelegentlich auftretenden Unsagbarkeitsformeln (vgl. z. B. ‚Rennewart‘, V. 2362, V. 3357 und V. 4725 ff.) die Funktion, die Tafeln in der Phantasie der Zuhörer- oder Leserschaft noch reicher, noch prächtiger werden zu lassen. Rhetorisch zu fassen sind sie mit 415
Ahnlich formuliert es Konrad von Fußesbrunnen – um 1200 und damit vor Wolfram – in der ‚Kindheit Jesu‘. Er gibt an, dass er die vielfältigen und auch fremdartigen Speisen, die – hier im Hause des Schächers – aufgetragen wurden, mangels Kenntnis nicht wirklich beschreiben kann und dass er außerdem nicht anwesend war und ihm deshalb nähere Angaben nicht zustehen würden: ich enbin niht sô wîse, daz ich iu die manige spîse unt die frömden trahte mit deheiner ganzer ahte bescheidenlîch genennen muge, unt dench ouch, daz ez mir niht tuge, durch daz ich was dâ niht zehant.
(V. 2443 ff.)
Es findet sich bei dieser Szene eine weitere, auch andernorts und in später datierenden Dichtungen in Verbindung mit Speisen und Getränken häufig verwendete Formel, in der eine nähere Beschreibung durch die Wendung ‚alles, was man sich (hier: in Wald oder Feld, in der Luft oder im Wasser) vorstellen kann‘ umgangen bzw. ersetzt wird: swaz in walde od in gevilde, in luft oder in unde ieman erdenchen chunde, des was alles dâ diu chraft.
(V. 2452 ff.)
Zu Konrad von Fußesbrunnen, seinem Werk und dessen Datierung vgl. das erste Kapitel der Einleitung in der Edition Fromm/Grubmüller (1973)
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
der Figur der Praeterition oder Paralipse:416 eben dadurch, dass etwas nicht näher beschrieben wird, bekommt es eine ganz bestimmte (und beabsichtigte) Form und Gestalt. Erwähnenswert sind die Attribute, mit denen fast alle literarischen Speisenennungen versehen sind. Wolfgang Näser hat u. a. Tafelbeschreibungen in den Spielmannsepen auf Begriffskombinationen untersucht und summarisch angeführt, dass spîse und genauere Benennungen ihrer Inhalte fortlaufend mit den Attributen guot, manger hande, aller beste und genuoc auftreten.417 Diesen stereotyp erscheinenden Ausschmückungen entspricht, dass Tischtücher – tweheln oder lachen –, sofern näher beschrieben, fast ausschließlich wîz sind, die Bedienung mit zuht oder zühten erfolgt. Soweit zu übersehen, begleiten diese Attribute gattungsunabhängig fast alle Speiseszenen der mittelalterlichen, speziell jedoch der epischen Dichtung. Verschiedene der Tafelszenerie zugehörige Wörter oder Begriffe mögen aufgrund ihrer leichten Reimbarkeit die Entstehung mancher formelhafter Wendungen begünstigt haben: so reimen sich z. B. ezzen: (ge)sezzen, âzen: (ge)sâzen, mîn/sîn/Rhîn: wîn, tisch(e): visch(e), nôt/bôt/rôt: brôt u.a.m., diese Kombinationen finden sich bei Speiseszenen im Endreim vieler Verse. Auch der Stabreim (Alliteration) kommt vor, z. B. in der oft verwendeten Kombination vleisch und(e) visch, auch in gesoten und gebrâten. Zuweilen wurden dem Bereich ‚Essen und Trinken‘ entstammende Begriffe auch auf andere Ebenen übertragen und als Metaphern418 gebraucht, so etwa, wenn Reinmar von Zweter in einer Kritik der zeitgenössischen po416
417
418
Vgl. Deutsches Wörterbuch. Herausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und den Mitarbeitern der Dudenredaktion unter der Leitung von Günther Drosdowski. Bd. 2 (= Brockhaus-Enzyklopädie Bd. 27; 1995), S. 2484 s.v. Paralipse: „[griech. parálepsis = das Unterlassen] (Rhet.): rhetorische Figur, die darin besteht, daß man etw. durch die Erklärung, es übergehen zu wollen, nachdrücklich hervorhebt“ sowie im selben Band zu Praeterition: „[spätlat. praeteritio = das Vorübergehen] (Rhet.): scheinbare Übergehung“ Vgl. Wolfgang Näser: Die Sachbeschreibung in den mittelhochdeutschen ‚Spielmannsepen‘. Untersuchungen zu ihrer Technik. (Marburger Beiträge zur Germanistik. Nr. 42). Marburg 1972, S. 393 und passim; weitere Attribute, die sich häufig finden, sind z. B. rîch(e) und des diu kraft (oft in Reimverbindung mit wirtschaft, vgl. z. B. ‚Kindheit Jesu‘, V. 2455 f.) Zu der häufig gebrauchten, jedoch nur schwer definierbaren Stilfigur vgl. den Artikel zu ‚Metapher‘ von Hendrik Birus in Jan-Dirk Müller (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. II. Berlin/New York 2000, S. 571–576. Eine allgemeine Definition versucht der Autor am Beginn seines Artikels (S. 571) zu geben: „Ein im übertragenen Sinne gebrauchter sprachlicher Ausdruck, der mit dem Gemeinten durch eine Ähnlichkeitsbeziehung zu verbinden ist.“ – An der antiken Rhetorik ausgerichtete Erläuterungen zu verschiedenen Formen der Metapher bietet Lausberg (1973), S. 285 ff. (§§ 558–564)
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litischen Zustände von den verschiedenen Möglichkeiten spricht, eine Lüge zu gestalten: Gesoten lúge, gebraten luge, lúge uz der galrei …, gebalsamt lúge, gebisemt (parfümierte) luge, luge mit safran uberzogen, Luge, swi mans erdenken wil (Abschnittsbeginn aus Q17, 1ff.).419 Einen ähnlichen Rückgriff auf den Lebensmittelbereich, der auf Sprichwörtliches weist, nutzt auch der Marner, der seine Strophen wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfasste.420 In einer harschen Kritik wendet er sich gegen seinen Dichterkollegen Reinmar von Zweter, der mit seinen Liedern in des Marners Meinung die Welt verfälscht. Er stellt Reinmars Dichtung mit folgender Wendung als unsubstanziell und schmeichlerisch dar: du brúwest ane malz ein bier: supf us! dir ist ein leker lieb, der den herren vil gelúget.
(Sangspruch 3,3, 17 ff.)421
In übertragener Bedeutung finden sich ferner der ‚süße‘ Zucker und der ‚beißende‘ Senf beim Marner in folgender Passage: Roter munt sol gruessen stæten frúnt, daz sin truren gar zerge. zuker kan wol suessen, kumt ein senf, er t˚ut in den o˘gen we.
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(Lied 8,1, 1 ff.)422
Reinmar von Zweter, in: Gedichte von den Anfängen bis 1300. Herausgegeben von Werner Höver und Eva Kiepe. (Epochen der deutschen Lyrik. Band 1). München 1978, S. 240; zu bisem siehe Lex. Bd. I (1992), Sp. 284: „aus mlat. bisamum u. dieses vom hebr. besam wohlgeruch, salbe“; unter balsame, balseme in demselben Band Sp. 116 die Übersetzung „balsam“ Zitiert wird nach der neuen Ausgabe: Der Marner. Lieder und Sangsprüche aus dem 13. Jahrhundert und ihr Weiterleben im Meistersang. Herausgegeben, eingeleitet, erläutert und übersetzt von Eva Willms. Berlin/New York 2008. Vgl. zu Datierung und Überlieferung dort S. 1 ff. In der Übersetzung der Edition Willms (2008), S. 150: „Du braust ein Bier ohne Malz: Schluck das! Du machst gern den Speichellecker, der den Herren viel vorlügt“ In der Ausgabe bei gruessen und suessen ein e über dem u, vgl. Edition Willms (2008), S. 117. In der Übersetzung von Willms (2008), S. 119 wiedergegeben mit: „Ein roter Mund soll den treuen Freund so empfangen, daß sein Kummer gänzlich verschwindet. Zucker macht süß, kommt aber ein Senf dazu, das schmerzt die Augen.“ – Eine auf die geschmackliche Note ‚süß – bitter‘ abhebende, in übertragenem Sinne ge-
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
In der von Konrad von Würzburg verfassten geistlichen Erzählung ‚Pantaleon‘, in der das Leben des römischen Märtyrers dargestellt wird, werden Speisen und Getränke nicht erwähnt, mehrfach jedoch wird die christliche Lehre als ‚süß wie Met‘ bezeichnet, so z. B. in V. 264: Si dvncket mich ¢uz¢e al¢ ein mette.423 Vereinzelt finden sich aus sachfremden Sprachbereichen übertragene Begriffe, die – gleichsam ‚im Gegenzug‘ – auf Speisen und Getränke angewendet werden. So lässt Wolfram von Eschenbach Wein auf der höfischen Tafel erscheinen, der parirt wurde (vgl. ‚Parzival‘, 295,7 und 326,7), eine Bezeichnung für einen ‚zähmenden Eingriff‘, der heute noch z. B. in der Reiterei gebräuchlich ist. Gemeint sein kann damit entweder, verschiedenfarbige Weine so anzurichten, dass sie, im Becher oder Glas voneinander abgesetzt, verschiedene Farbschichten bilden, ähnlich wie es heute bei manchen Cocktails angewandt wird oder – was angesichts der Schwierigkeit, Flüssigkeiten gleicher Konsistenz so aufeinander zu schichten, dass sie sich nicht vermengen – das Mischen verschiedenartiger Weine.424 Eine konkrete Form der intendierten Verfeinerung, die Beimischung von Salbei, nennt Wolfram im ‚Willehalm‘: wir sulen ouch parrieren den wîn mit guoter salveien.
(326, 20 f.)
Es begegnen auch aus dem Französischen bzw. dem romanischen Sprachbereich entlehnte Begriffe. Im ‚Tristan‘ erwähnt Gottfried von Straßburg in einer Minneszene, dass es keiner Speisen bedurfte, da man praktisch ‚von Luft und Liebe‘ lebte, und gebraucht dabei das Wort mangerie (‚Tristan und Isolde‘, V. 16822).425 Der Marner schilt den Verfall der Sitten, mit einem –
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424
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meinte und sprichwörtlich gefasste Wendung findet sich in dem Abschnitt ‚Über die Welt‘ (30, 21–33, 3) in ‚Freidanks Bescheidenheit‘ (Edition Spiewok, 1996): Die werlt gît uns allen nâch honege bitter gallen (30, 25 f., vgl. auch 55, 15 f. ‚Über den Honig‘) In der Ausgabe bei ¢uz¢e ein Punkt über dem u. In der Übersetzung wiedergegeben mit: „Sie scheint mir süß wie Met zu sein“, zitiert nach Konrad von Würzburg. Pantaleon. Bereinigter diplomatischer Abdruck und Übersetzung. Herausgegeben, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Thomas Neukirchen. (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Heft 45). Berlin 2008; vgl. zu Konrads Auftraggeber Johan von Arguel und zu den lateinischen Vorlagen dieser einzigen mhd. Adaption des Stoffes S. 84 f. der Ausgabe Vgl. Lex Bd. II (1992), Sp. 208 s.v. parrieren: „mit abstechender farbe unterscheiden, schmücken, verschiedenfarbig durcheinander mischen“ Vgl. Lex Bd. I (1992), Sp. 2030 f. s.v. manger: „das essen, die speise … aus fz. manger, it. mangiare“ sowie Sp. 2031 s.v. mangerie: „das essen, die speisen“
Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
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nicht nur – durch die sprachliche Wendung deutlichen Hinweis auf französische Moden: es mag wol curteis povel sin: ‚pittit mangier‘ ist in gesunt.
(Sangspruch 3,2, 6 ff.)426
Ein solches ‚kleines Essen‘, einen Imbiss – petit mangiere –, der dennoch eine wirksame Stärkung gewährt, wird dem Ritter Gawein in Heinrichs von dem Türlin ‚Crone‘ gereicht: Yvalin die weil schuof Hern Gawein vil schiere Ein petit mangiere, Da von gewan er groz chraft.
(V. 6465 ff.)427
Ein reichhaltiges Essen oder eine Hauptmahlzeit428 – gramangier – lässt die Dame Sgaypegaz dem hungrigen Ritter Gawein reichen, dem sie nach einem zuvor geführten Kampf zunächst den Helm abgenommen hat:429
426
Der Sangspruch lautet von Beginn an in der Übersetzung von Willms (2008), S. 147: „Was der Rhein für höfisches Volk hat, habe ich nicht ohne Schaden erfahren. Ihre Hauben, ihre Frisuren, ihre Kapuzenmäntelchen sind Kreationen der neuesten Mode. Möge Christus ihnen beistehen, wenn sie niesen! Sie müssen courtoises Gesindel sein: ‚pittit mangier‘ halten sie für bekömmlich!“ 427 Als Morgenimbiss – vom Hausherrn ausdrücklich als erste Mahlzeit in der Frühe des kommenden Tages bestellt – erscheint die Bezeichnung auch in der ‚Kindheit Jesu‘ Konrads von Fußesbrunnen: zu der hûsfrouwen der wirt sprach: „wis gewarnet darzuo, daz du bereitest vil fruo den guoten liuten unde mir ein petitmangir. …“ (V. 1870 ff.) Dass dieser ‚Imbiss‘ dann – u. a. mit Braten und Obst – durchaus reichhaltig ausfällt, geht aus der anschließenden Darstellung hervor: nu truoc diu hûsfrouwe dar, als ez ir was gerâten, obez unde brâten und was si guotes mohte daz ze gâchspîse tohte. (V. 1890 ff.) 428 Vgl. Bumke (2005), S. 247 429 Bemerkenswert ist, dass Heyne, der eine wahre Fülle von u. a. etymologischen und literarischen Bezügen zu verschiedensten historischen Speise- und Küchenbegriffen aufführt, diese Entlehnungen aus dem Französischen nicht berücksichtigt, vgl. Heyne (1901), S. 383 ff.
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Fest und Mahl: Essen und Trinken in der höfischen Literatur
Nv wart niht lenger gespart, Wan bereit dar ein gramangiyer Wol nah des mannes gir.
(V. 7648 ff.)
Eine auch in den mittelhochdeutschen Sprachbereich übernommene, weil dominierende Rolle der „gesellschaftlichen Praktiken des französischen Adels“430 lässt sich aus derartigen Textbelegen wohl kaum ableiten. Obwohl sich besonders in der mittelhochdeutschen Epik weitere Entlehnungen aus dem Französischen finden, die eine feine Tafel betreffen, sind ihre Zahl und die Häufigkeit ihres Gebrauchs doch sehr begrenzt.431 So mag es zwar für Dichter und Publikum einen gewissen ‚Chic‘ besessen haben, eine Mahlschilderung durch Entlehnungen aus dem Französischen exquisit und besonders erscheinen zu lassen, eine prägende Rolle der französischen Küche und Etikette bei Tisch kann durch die insgesamt spärlichen Textbeispiele jedoch nicht belegt werden. Besonders bei Wolfram von Eschenbach finden sich auch verschiedene Einsprengsel aus dem Arabischen, die sich jedoch überwiegend auf geographische und astronomische Bezeichnungen konzentrieren.432 Auch wenn viele seiner in die Schilderungen eingearbeiteten Begriffe sehr fremd klingen, ist wahrscheinlich, dass sie über das Mittellateinische bzw. Altfranzösische Eingang in sein Werk fanden, demnach nicht direkt dem Arabischen entstammen.433 Er erwähnt im ‚Willehalm‘ jedoch auch den seinerzeit aus dem arabischen Raum kommenden und bekannten zucker (vgl. 62, 13 und 88, 2), eine Bezeichnung, die als ein aus dem orientalisch-arabischen Sprachraum übernommenes Fremdwort gilt.434 Dass literarische Tafelszenen und Speisebeschreibungen mit Blick auf sachkundliche Fragestellungen überwiegend Typisierungen bzw. Topoi,435 430 431
432
433 434
435
Bumke (2005), S. 246 Aufgeführt werden z. B. barel ‚Pokal‘, mursel ‚Leckerbissen‘, gastel ‚Kuchenbrot‘/Feingebäck, blamenschir ‚Mandelspeise‘, clâret und sinôpel ‚weißer und roter Gewürzwein‘ sowie salse ‚Gewürzsauce‘ und vînaeger ‚Weinessig‘, vgl. Bumke (2005), S. 247 Vgl. Paul Kunitzsch: Die Arabica im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien II. (1974), S. 9–35, bes. S. 12 ff. sowie Paul Kunitzsch: Erneut: Der Orient in Wolframs ‚Parzival‘, in: ZfDA 113 (1984), S. 79–111 Vgl. Kunitzsch (1974), S. 23 Vgl. Kunitzsch (1974), S. 22 f. sowie Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 32. (Neudruck). München 1984, Sp. 294 Zum dem in der Rhetorik mehrdeutigen Stichwort ‚Topos‘ findet sich in dem von Peter Hess verfassten Artikel im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft (Bd. III, 2003, S. 649–652), S. 649 folgende Erläuterung: „Suchformel für das Finden von Argumenten oder sprachliche Formulierung mit allgemein anerkannter kulturspezifischer Bedeutung … Topoi sind sowohl ‚die allgemeinen Formprinzipien
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damit einen insgesamt recht überschaubaren Erkenntnisgewinn aufweisen, überrascht kaum. Wenn nämlich die erzählerischen Absichten und besonderen Motive beleuchtet werden, in deren Zusammenhang Tafel- oder Speiseszenen zu finden sind, geht es um Anderes als um das Essen und Trinken, die Nahrungsaufnahme und die Nahrungsmittel an sich oder um deren Zubereitung. Allenfalls die Menge oder Vielfalt dessen, was aufgetischt wird, finden Erwähnung. Dies erklärt sich aus der jeweiligen Funktion, die einer Mahlzeit im Verlauf der Erzählung zukommt.436 In einer querschnittlich angelegten Untersuchung der erzählenden Dichtung zwischen 1150 und 1320 hat Renate Roos denn auch festgestellt, dass den Mahlzeiten von den verschiedenen Autoren im Vergleich zu Begrüßungs- und Abschiedsszenen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.437 Sie nennt verschiedene funktionale Aspekte, auf die dies zurückzuführen ist: „Mahlzeiten haben nämlich ihren Zweck nicht immer in sich selbst. Die Gründe, die zu ihrer Aufnahme führen, haben indes kaum etwas zu tun mit dem Opportunitätsdenken im Bereich der Begrüßung. Obwohl man erwarten könnte, daß gerade Mahlzeiten dieser Denkweise entgegenkommen, werden sie äußerst selten … mit der Absicht veranstaltet, sich eine Person gewogen zu machen. Die Gründe sind vielmehr erzähltechnischer Art. Man erwähnt das Essen, um der Haupthandlung eine zeitliche Perspektive zu geben. Derartige Hinweise, die lediglich Informationscharakter haben, finden sich häufig bei der Ankunft von Personen. Doch auch für andere Vorgänge kann die Mahlzeit den Hintergrund bilden.“438 Roos verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Speiseszenen auch aufgenommen werden, „um im Verhalten zum Essen den Gefühlszustand einer bestimmten Person widerzuspiegeln.“439 Das Verweigern der Nahrung, auch und gerade in geselligem Kreise, tritt z. B. in Verbindung mit
436
437 438 439
möglicher Argumente‘ (‚formale Topik‘) wie auch ‚die zu Motiven, Denkformen, Themen, Argumenten, Klischees, loci communes [‚Gemeinplätzen‘], Stereotypen usw. stabilisierten materialen Gehalte‘ …“ Ein merkwürdiges Auseinanderklaffen der Bedeutung eines (Fest-)Mahles in der höfischen Sphäre und der literarischen Schilderung derartiger Szenen stellt auch Bumke (2005), S. 245 fest: „Die Aufzählung verschiedener Speisen und Getränke in den Festschilderungen der höfischen Epik könnte den Eindruck erwecken, daß die Dichter bei der Darstellung der Tafelsitten dieselbe Kennerschaft an den Tag gelegt hätten wie bei der Beschreibung der höfischen Kleidung und der ritterlichen Waffen. Das ist jedoch nicht der Fall. Über die Speisenfolge bei den großen Festmählern wurde nur ganz summarisch berichtet, meistens in der Form einer Auflistung von typischen Herrenspeisen.“ Vgl. Roos (1975), S. 458 f. Roos (1975), S. 459 Roos (1975), S. 459
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einer Minnehandlung auf, so im ‚Eneasroman‘, in dem der Held vor Aufregung nichts essen kann, als er einen Brief von Lavinia erhält (vgl. 291, 26 ff.). „Um den Verzicht möglichst plastisch hervorzuheben, zählen Dichter gerade bei diesen, für sich gesehen nebensächlichen Mahlzeiten gerne die vielfältigsten Speisen auf, oder sie weisen darauf hin, daß man den … Tischgenossen – vergebens – zum Essen auffordert.“440 Diese gestalterische Funktion ist jedoch, anders als Roos feststellt, nicht durchweg beschränkt auf „Personen, die in Kummer, speziell Liebeskummer, befangen sind.“441 Sie trifft nämlich auch auf Wolframs Willehalm zu, der die erlesensten Gerichte nicht aus Liebeskummer zurückweist, sondern weil er ein Gelübde abgelegt hat.442 Die Hauptfunktion, die prachtvollen Tafel- und Speiseszenen in der erzählenden Dichtung zukommt, ist die Demonstration einer möglichst formvollendeten höfischen Lebensweise.443 Dabei bildet das Festmahl zumeist nur eine Kulisse, einen zwar in der geltenden Etikette formal unverzichtbaren, jedoch in der Darstellung überwiegend stereotyp und oft eher nebensächlich behandelten Hintergrund. Höfische Pracht und Prunkentfaltung werden z. B. in den dichterischen Beschreibungen von Gewändern, Geschenken, auch Raumausstattungen und sogar des Schmucks von Turnierpferden weit detaillierter erkennbar. Wie oben dargelegt, werden Festmahlzeiten und Tafeleien im Erzählverlauf gelegentlich auch aufgenommen, um die Störung der stimmungsmäßig sensiblen, weil auf Frohsinn und Unterhaltung ausgerichteten Szenerie zu inszenieren. Im ‚Willehalm‘ bewährt sich dabei die höfische Etikette, im ‚Nibelungenlied‘ geht sie schließlich unter. Diese in der gesamten literarischen Hinterlassenschaft des Hochmittelalters eher isolierten, weil vereinzelten Beispiele verweisen wiederum auf die Hauptmerkmale des Festmahls und der gemeinsamen Tafel – Gastfreundschaft, Reichtum, Freigebigkeit, Friede, Frohsinn, Gemeinsamkeit, Unterhaltung –, deren Bedeutung und Wirkung dem Publikum umso stärker scheinen, je massiver sie durch Interventionen, durch den Kontrast in Frage gestellt werden.
440 441 442 443
Roos (1975), S. 459 Roos (1975), S. 459 Vgl. dazu die unten in Kap. 5 behandelte Szene Vgl. Roos (1975), S. 458 und Bumke (2005), S. 242 f.
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2.3 Bilanz und Perspektive Die zuvor aufgeführten zeitgenössischen poetischen Schilderungen höfischer Fest- und Tafelszenen weisen eine Reihe von Merkmalen auf, die sie hinsichtlich der Frage nach ihrem historischen ‚Realitätsgehalt‘ durchaus fragwürdig scheinen lassen. Höfische Feste444 hatten prachtvoll zu sein und Prunk zu vermitteln, das Vermögen und die Gastfreundschaft eines Gastgebers drückten sich durch aufwändige Tafeleien mit mehreren Gängen und kostbarem Tafelgerät, durch eine aufmerksame Platzierung und Bedienung der zahlreichen Gäste sowie durch ein vielseitiges und unterhaltsames Begleitprogramm aus. Für ein angemessenes Festmahl war ein geräumiger Saal sorgfältig vorzubereiten, um den reibungslosen Verlauf der Tafelei kümmerten sich Kämmerer, Truchsess, Küchenmeister und Schenke. Die Tafelnden betrieben typischen Schilderungen zufolge beim Speisen Konversation und benahmen sich der Etikette gemäß diszipliniert und zurückhaltend – ‚höflich‘. Mit wenigen Ausnahmen445 erscheinen die Tafel- und Speiseszenen sprachlich formelhaft und in der Vorstellung, die sie vermitteln, recht stereotyp gestaltet. Dabei darf nicht übersehen werden, dass den Autoren des Hochmittelalters weniger daran gelegen war, die ihre Zeit bestimmenden Gegeben- und Gepflogenheiten so wiederzugeben, dass sie in einem modernen Verständnis als historische Dokumentation gelesen werden könnten. In eben diesem Umstand liegt ein gewichtiger Irrtum vieler vorliegender kulturhistorischer Darstellungen des Mittelalters, sofern sie sich besonders auf zeitgenössische literarische Quellen stützen. Die vornehmliche Funktion gerade der in Festdarstellungen eingebundenen Speiseszenen bestand darin, den handelnden Figuren und einer Handlung einen ‚passenden‘ Rahmen zu geben, z. B. durch die Beschreibung von Haus/Burg, Räumen und Sälen, von Festmählern und deren Gestaltung hervorzuheben, dass Gastgeber und Gäste großzügig, freigebig, gütig, gesellig, zugewandt, fromm, wohlgesinnt und in der Etikette erfahren waren – sprich: wichtige, die ‚Edelen‘ auszeichnende normative Eigenschaften besaßen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Speise- und Tafelszenen kaum als eigenständige Handlungsträger oder -einheiten, sondern eher als Attribute, als charakterisierende und charakteristische Kulissen, ähnlich wie heute in einem Theaterstück oder in einem Film. Diese Attribute erläutern, erklären, verstärken eine Handlungssituation und deren Entwicklung, ohne den 444 445
Vgl. zu ihrer Darstellung in der Dichtung des Mittelalters bes. Haupt (1989) Vgl. die oben erwähnten Beispiele in Wolframs ‚Parzival‘ und ‚Willehalm‘ sowie in Konrads ‚Partonopier und Meliur‘
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eigentlichen Handlungsverlauf entscheidend zu beeinflussen. Dennoch sind diesen Szenen einige Informationen darüber zu entnehmen, wie man sich im Hochmittelalter ein idealtypisches Festmahl und insbesondere das Ambiente, das es auszeichnete, vorstellte. Die Speisen und Getränke an sich, die Besonderheit ihrer Zubereitung und Darbietung geraten darüber in literarischen Schilderungen des höfischen Ambientes kaum in den Blick. Auch wenn sich gerade durch ihre detailliertere Ausführung hätte darstellen lassen, wie einfalls- und variationsreich, kunstvoll, aufwändig und damit überaus exklusiv eine Festtafel bestückt wurde – auch im Sinne eines ‚was man isst, zeigt, wer man ist‘ –, resultiert die Suche nach entsprechenden Ausführungen angesichts der vorhandenen Textvolumina schließlich in recht spärlichen Resultaten. Verschiedene Autoren geben an, sich über die dargebotenen Speisen und Getränke nicht näher auslassen zu können oder zu wollen, und wenn sie es doch tun, verwenden sie bekannte und vielfach erprobte ‚Musterelemente‘, frühe Vorläufer heutiger ‚Textbausteine‘, die über die Küche und Speisenfolgen kaum etwas, über bevorzugte Geschmacksrichtungen und -kombinationen (scharf, süß, salzig, allgemein ‚gewürzt‘) wenig und über hochmittelalterliche Rezepte letztlich nichts verraten. Wichtiger als qualitative Aussagen sind vielmehr Bemerkungen über das quantitative Angebot auf einer Tafel, ein ‚Viel‘ und die ‚Fülle‘, auch die Verschiedenartigkeit der Speiseangebote und Getränke sowie die Darreichung mehrerer Gänge sind von Bedeutung. Schon vor mehr als 25 Jahren wurde daher das Verhältnis von Darstellungen in mittelhochdeutschen literarischen Texten zu der ‚realen Welt‘ ihrer Entstehungszeit kritisch in den Blick genommen. Sie wurde schon damals als durch erhebliche funktionale Reduzierungen gekennzeichnet beschrieben: „Die Bilderwelt der arthurischen Romane ist wie die der Lyrik … im Unterschied zur psychischen Fundierung nur eine partielle Widerspiegelung des ritterlich-höfischen Seins. Es sind jeweils nur die zu den skizzierten Demonstrationszwecken notwendigen Requisiten sichtbar … Zur Präsentation … bedient sich diese Epik nicht einer realistisch-ausmalenden, sondern eher einer funktional-symbolischen Darstellungsweise, gleichsam eines ad-hoc-Stils … Gestalten und Realien weisen in der Regel nicht mehr Eigenschaften auf als für ihre Funktion im Handlungs- und Gedankenablauf nötig sind. Oft folgen sie dabei überkommenen, bereits toposartig vorgeformten, wiederum fiktionalen Mustern.“446 446
Günther Schweikle: Mittelalterliche Realität in deutscher höfischer Lyrik und Epik um 1200. Wolfgang Mohr zum Fünfundsiebzigsten (19. Juli 82), in: Germanisch-romanische Monatsschrift. N.F. 32 (1982), Heft 3, S. 265–285, hier: S. 279 f. Vergleichbar formuliert Henning Brinkmann: Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung.
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Spezielle Gerichte werden daher nur selten genannt, auch Rezepturen fehlen. Haus- und Wildtiere, Geflügel, Fisch, Gekochtes und Gebratenes, Brot (auch in verschiedenen Sorten), Saucen und Tunken, mit (teuren) Gewürzen Angemachtes, auch Wein, Weingetränke, Met und gelegentlich Bier bilden, fast immer ohne weitere Details, ab, was eine Tafel der Vornehmen enthalten sollte. Als aussagekräftige Beispiele für eine Rekonstruktion ‚der‘ mittelalterlichen Küche und speziell ausgewählter Gourmetinteressen elitärer Kreise lassen sich die Speiseszenen in diesen literarischen Quellen deswegen kaum heranziehen. Dies hätte ihrer Funktion, der Intention eines damaligen Autors und den Erwartungen seines Auftraggebers wie seines Publikums auch kaum entsprochen. Gerade die Darstellungen der höfischen Epik folgen nicht der Absicht, die zeitgenössische Realität im neuzeitlichen Verständnis historiographisch zu dokumentieren.447 Ein bereits eingangs skizziertes, grundlegendes Missverständnis bei der Interpretation der volkssprachigen literarischen Produktion des (Hoch-)Mittelalters, das noch bis in Teile der heutigen Kulturgeschichtsschreibung fortwirkt, ist daher stets im Blick zu behalten: „Mittelalterliche Dichtung war … immer schon besonders dringlichen Befragungen nach ihren Realitätsgehalten ausgesetzt. Der Mangel an authentischen Lebenszeugnissen aus jener Epoche machte sie zum scheinbaren Realienfundus gerade auch für den Historiker, der aus der mittelhochdeutschen Dichtung über jene mittelalterlichen Lebensbereiche etwas zu erfahren suchte, über welche Zweckliteratur wie Urkunden, Annalen, Chroniken … nur unzureichend Auskunft gibt. Befragt wurde mhd. Dichtung vor allem für Bereiche mittelalterlichen Seins abseits der Reichs- und Kirchenpolitik, d. h. für mittelalterliche Gesellschafts- und Lebensformen, für kultur- und geistesgeschichtliche Standortbestimmungen, für zwischenmenschliche Beziehungen. Bei derartigen Untersuchungen lauern gleich mehrere sachliche Klippen und Untiefen. Eine erste Untiefe liegt in der Fiktionalität der Dichtung. Diese ist zwar theoretisch durchaus erkannt, dennoch wird Dichtung in einer an historischen Hintergründen interessierten Literaturwissenschaft nicht selten so ausgewertet, als ob sie für die Be-
447
Darmstadt 19792, S. 83: „Ein einzelner Vorgang wird häufig mit der idealtypischen Art seines Ablaufs verglichen; so Erec 178 dâ wart er emphangen wol,/ sô man ze friundes hûse sol,/ und als dem wirte wol gezam. Der Sinn solcher Vergleiche, die sich über den ganzen Bereich mittelalterlicher Dichtung ausbreiten, ist, den geschilderten Vorgang als idealtypisch zu kennzeichnen. Damit erübrigt sich eingehendere Darstellung. Der als bekannt vorausgesetzte Typus ersetzt völlig den Einzelverlauf.“ Diese Erwartung würde, wenn es um ein kulturhistorisch orientiertes Frageinteresse geht, auch an die erzählende Literatur der Gegenwart wohl kaum direkt herangetragen
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antwortung gewisser kulturgeschichtlicher oder historischer Fragen fast Protokollcharakter hätte.“448 Besonders die höfischen Epen des Hochmittelalters, aber auch die Hofschilderungen z. B. des ‚Nibelungenliedes‘ besitzen jedoch gerade einen solchen ‚Protokollcharakter‘ kaum, sie zeigen vielmehr ein durchaus ‚retuschiertes‘, damit bewusst gestaltetes – und folglich auch verzerrtes – Spiegelbild der zur Zeit ihrer Entstehung realen Verhältnisse. Denn sie sind als ein Medium zu verstehen, durch das sich die höfische Gesellschaft des Hochmittelalters – im Wortsinn – erst definierte. In diesem Prozess kommt der herrschaftlichen Repräsentation, zu der auch die Ausrichtung von Festmählern und die großzügige Bewirtung von Gästen mit erlesenen Speisen und Getränken gehören, eine zentrale Rolle zu: „In einer Gesellschaft, in der es noch keinen Ausweis gibt, muß der Mensch sich durch das ausweisen, was er ist oder zu sein beansprucht. Repräsentatives Herrschaftshandeln verlangt die sinnlich erfahrbare, sichtbare, hörbare, fühlbare und greifbare Darstellung von sozialem Rang, von tatsächlichen oder auch angemaßten Statuspositionen, die unter den vorbürokratischen Bedingungen des mittelalterlichen Personenverbandsstaates nicht ausreichend gesichert sind und sich deshalb in der öffentlichen Demonstration als ‚wahr‘ erweisen müssen.“449 In zeitgenössischen Schilderungen repräsentativen Handelns geht es daher nicht vornehmlich um die sachgerechte Dokumentation historischer Ereignisse oder eine getreue Schilderung damaliger Lebensverhältnisse, sondern vielmehr um die Konstruktion von gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen.450 Durch sie beschreibt sich das adlig-höfische Milieu zunächst selbst, will sich dadurch auch bewusst von anderen Teilen der 448 449
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Schweikle (1982), S. 265 Horst Wenzel: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter. Darmstadt 2005, S. 11 Die mittelalterliche, religiös geprägte Perspektive dieses sozialen Konstruktionsprozesses wird dabei auch in Beziehung zu der stark schematisierten Darstellung seiner charakteristischen Ausprägungen gesetzt. In seinen Überlegungen zu der vom Gottesbezug beeinflussten mittelalterlichen Wirklichkeitswahrnehmung hält Brinkmann (1979), S. 82, fest: „Sein wahres Wesen begreifen wir nur im Gefüge jener Ordnung, jener Wirklichkeit, die in Gott begründet ist. Und diese Wirklichkeit ist nicht das Sinnenhafte, Besondere, Einzelne unserer Anschauungs- und Erfahrungswelt, sondern das Ideelle, Typische, Allgemeine; nicht der Vordergrund, der als Fassade unserem Auge sich bietet, sondern der Hintergrund, die Hinterwelt, die in Gott zurückreicht. Eine höhere Wirklichkeit, unberührt von individuellem Erlebnis und einzelnem Sinneseindruck. Es ist selbstverständlich, daß solche Realität nicht durch ‚Wirklichkeitstreue‘ im üblichen Sinn zu Darstellung gelangen kann; so würde ja gerade das Nebensächliche gestaltet. Das Allgemeine soll zur Geltung kommen, und dieses fordert notwendig t y p i s c h e D a r s t e l l u n g s f o r m e n .“
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Gesellschaft abheben und seinen Führungsanspruch untermauern.451 Das ‚ideelle Grundgerüst‘ der höfischen Gesellschaft und Lebensform, in das die verschiedenen Erzählhandlungen mittelhochdeutscher epischer Texte eingebettet werden, entwirft daher mehr ein richtungweisendes Programm als eine Abbildung realer Verhältnisse. Dies gilt auch für die epischen Schilderungen von Speisen und Getränken, aufwändiger Bewirtung und Küche der höfischen Kreise, die das zentrale Orientierungsmuster der damaligen hochadligen Gesellschaft darstellten. Herrschaftliche Lebenswirklichkeit ist durch die zuvor aufgeführten Textbeispiele kaum angemessen zu fassen, umso mehr, als sie sich im Regelfall auf außergewöhnliche Festmähler beziehen und den ‚Alltag‘452 bei Hofe, auf einer Burg oder einem stattlichen Herrensitz gänzlich ausblenden. Das Interesse, die höfische Sphäre in ihrer vollen Pracht erscheinen zu lassen, spiegelt sich auch in den episch überlieferten Szenen festlicher Mähler wider. Dabei lassen sich verschiedene, diese Sphäre kennzeichnende Bereiche erkennen. Der „Hof als Sozialraum“453 scheint durch die adlige Gemeinschaft auf, die allein Zugang zu einer festlichen Tafel besitzt und – je nach Rang und Bedeutung – an ihr platziert wird. Deutlich wird dabei eine Abgrenzung von Herrschaft und Dienerschaft vorgenommen, standesgemäßes Verhalten und standesgemäße Verrichtungen werden durch 451
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Vgl. Wenzel (2005), S. 12; hierzu auch Gert Kaiser: Textauslegung und gesellschaftliche Selbstdeutung. Die Artusromane Hartmanns von Aue. 2. neubearbeitete Auflage. (Schwerpunkte Germanistik). Wiesbaden 1978, S. 44: „Für den mittelalterlichen Menschen ist die vorherrschende, wenn nicht alleinige Möglichkeit zur Identitätssicherung die permanente Repräsentation (und auch Reflexion) des gesellschaftlichen Status, der stete und in Kleidung, Gerät, Gestus und Habitus stets ostensible Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Einheit.“ Auch dieser Begriff erweist sich, genauer besehen, als schwierig. Er kann generell als der Zustand und der Zeitraum betrachtet werden, in dem kein außerordentliches Ereignis oder Fest stattfindet. Wie wenig greifbar eine derartige Kategorisierung schließlich ist, wird deutlich, wenn z. B. eine Festsituation und ‚der Alltag‘ aus der Perspektive verschiedener Akteure betrachtet werden: so haben Gastgeber und Gäste verschiedene Rollen und Wahrnehmungen, der Hausherr und seine Gattin, ebenso allgemein die anwesenden Herren und Damen der adligen Gesellschaft, und aus der Sicht der höfischen Funktionsträger, der Dienerschaft, des beteiligten Küchenpersonals oder der angereisten Künstler werden sich die jeweiligen Tagesabläufe und deren Anforderungen sehr unterschiedlich dargestellt haben, vgl. hierzu Christof Krauskopf: Das Alltagsleben im Spiegel schriftlicher und archäologischer Zeugnisse – eine kritische Analyse, in: Joachim Zeune (Hg.): Alltag auf Burgen im Mittelalter. Wissenschaftliches Kolloquium des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Burgenvereinigung Passau 2005. (Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung e.V. Reihe B: Schriften. Bd. 10). Braubach 2006, S. 35–40 Werner Paravinci: Hof als Sozialraum, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 288
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immer wiederkehrende Erwähnung nicht nur gekennzeichnet, sondern gleichsam normsetzend hervorgehoben. „Das höfische Gastmahl hat demnach eine sozial integrierende Funktion – es geht um die friedliche Gestaltung sozialer Wirklichkeit und zugleich um die Demonstration hochadeliger Lebensformen gegenüber der Masse der Bevölkerung.“454 Der „Hof als politischer Raum“455 äußert sich auch in der Mahlgemeinschaft der Herrschenden und Edlen, die als über Land und Menschen Gebietende aus verschiedenen Anlässen eingeladen werden und zusammenfinden, ihre wechselseitigen Interessen austauschen, Ansprüche erheben und deren Einlösung aushandeln. Bei Festen, besonders aber beim gemeinschaftlichen Mahl gilt das Friedensgebot – zwischen Teilnehmern ggf. bestehende Konflikte dürfen dort nicht ausgetragen, Waffen nicht eingesetzt werden, erwartet wird die Disziplin ‚zivilisierter‘ Zurückhaltung, die für die höfische Sphäre grundlegend ist: „Es ist zugleich ein gesteigerter Friede, der beim gemeinsamen Mahl hergestellt wird und alle Teilnehmer verbindet.“456 Dennoch werden die Bedeutung und der Einfluss der bei einem Festmahl Anwesenden nicht egalisiert, im Rahmen des höfischen Zeremoniells werden sie vielmehr auf eine besondere Weise kanalisiert: „Gunst, die jedes noch so hohe Amt aussticht, ist auch hier oberstes Gesetz. Wer zu Einfluß und Einkünften kommen will, muß das Ohr des Fürsten haben. Wer es hat, kann diese Macht in den Markt der Machtmakelei einbringen und daraus großen Nutzen ziehen. Die anwesenden Edelleute repräsentieren auf eine ganz undemokratische Weise ihre Herkunftsregionen und wirken, oft über Teilzeitämter (drei Monate Schenk bei Hofe, neun Monate Amtmann in Flandern) am Hof für die Provinz, in der Provinz für den 454
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Werner Rösener: Leben am Hof. Königs- und Fürstenhöfe im Mittelalter. Ostfildern 2008, S. 148. Mit Blick auf die Festdarstellung in der höfischen Epik führt Haupt (1989), S. 27, differenzierter aus: „Das epische Fest kann potentiell gemeinschaftsbildende und stabilisierende Funktion übernehmen, indem es kollektive Erinnerung stiftet. Von einer inhaltlichen Ebene her gilt dies zunächst für die Gründungsfeste im König Rother … und in der Eneit; ‚Erinnerung stiften‘ meint aber darüber hinaus den künstlerischen Akt, der im Text eine neue Form von gesellschaftlichem ordo entwirft. Die Besonderheit des Festmotivs, die im mimetischen Verhältnis zu Kult und Ritual begründet ist, führt zu Überlegungen, die dem Motiv einen Stellenwert in historischen Lernprozessen zuweisen müssen, in Lernprozesse, die sich auf politische, soziale und kulturelle Konzepte von Herrschaft und Gemeinschaft richten. Das mimetische Verhältnis ist dabei keineswegs als Dokumentation historisch-faktischer Wirklichkeit zu verstehen, vielmehr ist das epische Fest eine spezifische Art ‚objektivierte[r] Sinnbildungen, in denen sich soziale Einstellungen manifestieren, die ihrerseits soziales Verhalten mitbestimmen‘, womöglich auch verändern können.“ Werner Paravinci: Hof als politischer Raum, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 288 Rösener (2008a), S. 148
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Hof.“457 Auch unter diesem Aspekt betrachtet, besitzt die Platzierung an der Tafel eines Herrschers für die an einem Mahl teilnehmenden Gäste eine hohe Bedeutung. Ihre Einflussmöglichkeiten drücken sich direkt in der für alle sichtbaren Nähe oder Ferne zum Platz des Gastgebers aus. Dass Festmähler z. B. bei fürstlichen Hochzeiten ein unverzichtbares Element bedeutender politischer Akte darstellen, indem durch die Verbindung eines Paares politische und territoriale Koalitionen geschlossen werden, wird u. a. im poetischen Beispiel der Eheschließung zwischen Eneas und Lavinia im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke aufgenommen (vgl. oben Abschnitt 2.2.1).458 Der „Hof als kultureller Raum“459 wird auch in den Speiseszenen der mittelhochdeutschen Epik sichtbar. Bemerkenswert ist, dass dabei die gereichten Speisen und Getränke, die als Ausdruck einer hochentwickelten, kultivierten Küche hätten genutzt werden können, in den epischen Texten eine marginale Rolle spielen. Denn auf Detailschilderungen, die die präsentierten Gerichte und Getränke als raffiniert, exquisit, besonders aufwändig oder exotisch kennzeichnen könnten, wird in den beleuchteten Texten fast durchweg verzichtet. Die meisten der einschlägigen Passagen weisen lediglich aus, dass Vielfalt und Menge der aufgetragenen Speisen und Getränke angemessen oder großzügig bemessen waren. Ein allgemein gehaltenes Beispiel für eine in der Küche und auf der Tafel gepflegte, spezifisch höfische Kultur bietet der wiederholte Hinweis, dass sich unter den angebotenen Speisen auch Wild befand: „Horsing, fishing, hunting sind stets die standesgemäßen Tätigkeiten des ‚gentleman‘ und eben auch des Fürsten gewesen.“460 Die gelegentliche Erwähnung besonderer, auch importierter Weine und Gewürze lässt erkennen, dass es seinerzeit mehr Vorstellungen von gehobener Tischkultur gegeben haben wird als sie uns aus den zuvor beleuchteten Quellen entgegen treten. Deutlicher als bei Speisen, Getränken und kostbarem Tafelgerät äußert sich die höfische Kultur in Fragen von Protokoll und Etikette. Die Sitzordnung, die Hofämter des Truchsessen, Schenken, Küchenmeisters, eine gut organisierte und aufmerksame Bedienung sowie vornehme Manieren bei Tisch gehören in den epischen Texten zu unverzichtbaren Kennzeichen der höfischen Kultur, in den Tischzuch457 458
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Paravinci (Hof als politischer Raum, 2008), S. 288 Zu historischen Beispielen repräsentativer Königs- und Fürstenhochzeiten, u. a. der 1114 in Mainz glanzvoll gefeierten Hochzeit von Kaiser Heinrich V. mit der englischen Königstochter Mathilde, vgl. Rösener (2008a), S. 190 ff. sowie in diesem Band unten S. 235 ff. Werner Paravinci: Hof als kultureller Raum, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 290 f. Werner Paravinci: Der höfische Raum – eine Weltsicht, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 291 f.
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ten werden zeitgenössische Vorstellungen zu ‚gutem Benehmen bei Tisch‘ in höfischen Kreisen greifbar. Im direkten Umfeld einer festlichen Tafelei wird die kulturelle Bedeutung des Hofes besonders auch dadurch ersichtlich, dass Musikanten oder Sänger (das Mahl direkt begleitend), ferner auch Artisten, Erzähler oder Vorleser auftreten, um eine versammelte Festgemeinde kurzweilig zu unterhalten. Einen für das Thema ‚Essen und Trinken‘ bedeutenden Aspekt bildet der „Hof als ökonomischer Raum“.461 Das Bedürfnis nach Repräsentation, aber auch die aufgegebene Verpflichtung, einen repräsentativen Großhaushalt zu führen, können nur bei entsprechend vorhandenen Mitteln erfüllt werden. Die bei einer angemessenen, d. h. großzügigen Bewirtung erwartete und gebotene Vielfalt an Speisen und Getränken musste durch einen Gastgeber vorgehalten werden, bei besonders aufwändigen Festen für eine große Zahl von Gästen und für deren Gefolge. Die Organisation von Küche und Tafel erfordert bei solchen Anlässen eine erhebliche logistische Leistung: Einkauf, Lagerung, Vorbereitung in der Küche, Bedienung bei Tisch und auch die nie näher ausgeführten (weil zu alltäglichen) Aufräumarbeiten nach Beendigung eines Festmahls setzen neben erheblicher Finanzkraft auch verfügbare Personalressourcen voraus. Über den Arbeitsaufwand, der mit der Ausrichtung von (meistens mehrtägigen) Festen und dabei gegebenen Festmählern verbunden war, schweigen sich die beigezogenen Dichtungen aus.462 Die Kunst einer angemessenen Hofhaltung er461
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Werner Paravinci: Hof als ökonomischer Raum, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 289 Obwohl den in mittelalterlichen chronikalischen Quellen aufgeführten Zahlenangaben gegenüber Zurückhaltung geboten ist, weil sie interessengeleitet oft übertreiben, lassen sich der Prunk und der mit ihm verbundene Aufwand aus den wenigen überlieferten Belegen doch zumindest mittelbar erschließen. Ein Beispiel für Tafelaufwand, das aus Tirol in der Zeit um 1300 stammt, führt Rösener (2008a), S. 154 auf: „Bei der Vermählung des jungen Fürsten Heinrich mit Adelheid von Braunschweig in Innsbruck beeindruckt uns deren enorme Menge und Vielfalt: 69 Rinder, 252 Schafe, 58 Schweine, 357 Schweineschultern, 242 Lämmer und Kitze, 12 Gänse, 185 Hühner, 8960 Eier, 2995 Käse, 35 Schüsseln Fett, große Mengen an Getreide und Mehl, ferner 56 560 Brote und mehr als 19 Fuder Wein.“ Diese Zahlen nennen die am verwaltungsseitig gut organisierten Hof der Tiroler Grafen geführten Rechnungsbücher. Grob geschätzt, müssen bei einer mehrtägigen Festdauer weit mehr als 200 Personen mit der Beschaffung, Einlagerung, Vor- und Zubereitung (nicht nur in der Küche oder den Küchen), dem Auf- und Abtragen sowie den Aufräumarbeiten beschäftigt gewesen sein. Angaben über die Gästezahl fehlen leider. Die in diesem Beispiel genannten Daten beziehen sich auf ein außerordentliches Ereignis an einem auch nach damaligen Verhältnissen ungewöhnlich reichen Fürstenhof. Sie lassen sich daher sicher nicht ungebrochen auf die vielen kleineren Territorialherrschaften übertragen, die es nördlich der Alpen gab. Dennoch vermitteln sie Ein-
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scheint darin, dass der Gastgeber reich und freigebig ist, dass die Gäste eine reibungslose und großzügige Aufnahme, Beköstigung und Unterhaltung finden. Die höfische Epik beleuchtet dabei nur das Geschehen auf der herrschaftlichen Bühne. Die aufwändige und mühsame Arbeit ‚hinter den Kulissen‘ eines Speisesaals besitzt daher keine Relevanz, sie wird – nach Möglichkeit perfekt funktionierend – vorausgesetzt. Die alternative Möglichkeit einer bei vorhandenen Mitteln bewusst bescheidenen Hofhaltung kam im Mittelalter nicht in den Blick, sie lief den zeitgenössischen Vorstellungen komplett entgegen und war daher nicht denkbar. Herrschaftliche Macht, eng verknüpft mit herrschaftlicher Repräsentation, die sich besonders auch in der Führung eines komplexen und aufwändigen Hofes ausdrückte, war in der Vorstellung der Zeit mit Reichtum, Pracht und Großzügigkeit untrennbar verbunden: „Denn der Fürst musste freigebig sein, wollte er als solcher gelten.“463 Mit Blick auf kulturhistorisch belastbare Aussagen zu Essen und Trinken in höfischen Kreisen vermittelt sich vor diesem Hintergrund ein merkwürdig unklares Bild. Zwar lassen sich aus epischen Texten (und auch aus der Chronistik) der Zeit wichtige und auch konsistente Aussagen dazu gewinnen, wie man sich vom ausgehenden 12. Jahrhundert an eine repräsentative Hofhaltung und, dem folgend, die Ausrichtung höfischer Feste und Tafeleien vorstellte. Über die tatsächlich zu der Zeit herrschenden Verhältnisse und damalige Gepflogenheiten verrät eine am Ideal orientierte dar-
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blicke in Erwartungshaltungen, die an großartige Festveranstaltungen gestellt wurden, und lassen auch den erheblichen wirtschaftlichen und organisatorischen Druck erkennen, dem sich ein Gastgeber ausgesetzt sah, wollte er sich als großzügig und aufmerksam erweisen Paravinci (Hof als ökonomischer Raum, 2008), S. 289. Seltene Einblicke in die wirtschaftlichen Verhältnisse eines auf der politischen Bühne nicht in der ‚ersten Reihe‘ agierenden, jedoch ausgesprochen wohlhabenden Fürstenhauses bieten auch hier die Rechnungs- und ‚Rait‘-Bücher sowie teilweise erhaltene Inventarlisten der Grafen von Tirol gegen Ende des 13. Jahrhunderts, die Rösener (2008a), S. 153 erwähnt: „Der Reichtum der Fürsten von Tirol und ihres Hofes beruhte auf einem Territorium mit effizienter Verwaltung. Aufgrund dieser finanziellen Potenz entfaltete sich am Tiroler Fürstenhof eine glänzende Hofkultur, die durch Prunk, luxuriösen Konsum und exquisite Sachgüter gekennzeichnet war. Die … Schätze und Gegenstände der Tiroler Burgen zeigen einen hohen Standard der materiellen Kultur und Ausstattung. Sie vermitteln einen Eindruck von außergewöhnlich umfangreichem Besitz der Tiroler Grafen an Schmuck, prunkvollen Rüstungsgegenständen und reich verzierten Gerätschaften aus edlem Metall, aber auch an anderen hochwertigen Werkstoffen wie Bergkristall, Straußenei, exotischen Hölzern und Horn.“ Aus diesem Beispiel ist auch ersichtlich, dass sich Territorialherrschaften mit einer weniger gut organisierten Verwaltung (z. B. bei der Erhebung von Einnahmen und Abgaben) wohl kaum auf eine derart ausgeprägte wirtschaftliche Grundlage stützen konnten
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stellerische Programmatik, die epische Texte des Mittelalters ebenso aufweisen wie chronikalische Quellen, jedoch nicht eben viel.464 Das daraus für kulturgeschichtliche Fragestellungen entstehende Dilemma wurde daher folgendermaßen beschrieben: „Dem Mittelalter ist naiver Realismus fremd, der das sinnenhaft Gegebene so, wie es sich darbietet, als das eigentlich Wirkliche nimmt. Das wird jedem modernen Leser klar, der in mittelhochdeutscher Dichtung bunte Wiedergabe des ‚Lebens‘ sucht und sich dann über die Unanschaulichkeit, die Alltagsferne der Darstellung ärgert.“465 Es würde jedoch zu kurz greifen, die in epischen Texten entworfenen Bilder höfischen Lebens ausschließlich in die Sphäre idealer Vorstellungen oder rein fiktiver Konstruktionen zu rücken. Mag letzteres für phantastische Erzählhandlungen, die Kämpfe mit Drachen oder Riesen, andere Fabelwesen und auch einen Löwen als des Ritters Iwein treuen Begleiter aufweisen, gerechtfertigt sein, so ist doch eine grundsätzliche Realitätsferne dieser Werke wenig wahrscheinlich. Um für das Publikum interessant zu sein und auch Bedeutung zu erlangen, haben ein Erzählstoff und seine dichterische Verarbeitung verschiedene Kriterien zu erfüllen: „Die vier wichtigsten Erfordernisse auf seiten des Textes sind: Erregung von Neugier, Glaubwürdigkeit, Exemplarität und Assimilierbarkeit … Gilt ein Text als glaubwürdig, hat er Chancen, für das Leben seiner Rezipienten wichtig zu werden.“466 Dass viele der mittelhochdeutschen Epen in diesem Sinne ‚wichtig‘ waren und Bedeutung besaßen, belegen nicht zuletzt ihre über Jahrhunderte hinweg immer wieder vorgenommenen Abschriften sowie ihre dadurch nachvollziehbare Beliebtheit und Verbreitung. Besonders die beiden Aspekte Glaubwürdigkeit und Assimilierbarkeit, aber auch die Exemplarität eines Textes können beim Publikum kaum zur Wirkung gelangen, wenn zwischen dem Stoff und der Welt der Erzählung sowie der Welt ihrer Rezipienten und deren Erfahrung nicht einige, besonders auch bedeutsame Überschneidungen, Ähnlichkeiten oder Anknüpfungspunkte erkennbar werden.467 Die Problematik, die die literarisch gezeichneten Bil464
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Dass auch die aus dem Hochmittelalter überlieferten chronikalischen Quellen nur wenig zum höfischen Leben zu dieser Zeit beitragen, stellt u. a. Rösener (2008a), S. 59 fest: „In den genuin historischen Quellen wird über den alltäglichen Hofbetrieb der Stauferherrscher nur selten und äußerst lückenhaft berichtet.“ Brinkmann (1979), S. 81 Kaiser (1978), S. 20 f. Das Verhältnis von Fiktion und Realität in mittelalterlichen Schriftquellen wurde vergleichbar auch von Historikern beleuchtet, vgl. hierzu Klaus Schreiner: Texte, Bilder, Rituale. Fragen und Erträge einer Sektion auf dem Deutschen Historikertag (8. bis 11. September 1988), in: Klaus Schreiner/Gabriela Signori (Hg.): Bilder,
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der für eine ‚höfische Gesellschaft‘ des Hochmittelalters mit Blick auf kulturgeschichtliche Aussagen aufwerfen, besteht darin, dass wir heute zwar diese Entwürfe recht genau beschreiben können, über deren praktische Ausgestaltung im Leben der von Pfalzen, Burgen und (großen) Herrensitzen aus Herrschenden jedoch kaum Schriftliches und darin noch weniger im heutigen Verständnis Verlässliches besitzen. Wie schwierig es ist, hier zwischen literarischem Ideal und historischer Realität, auch zwischen einem exemplarischen Entwurf und seiner Ausführung eine belastbare Trennlinie ziehen zu wollen, zeigt u. a. das Beispiel des von Kaiser Friedrich I. (‚Barbarossa‘) im Jahre 1184 inszenierten Mainzer Hoffestes. Die von zeitgenössischen Chronisten geschilderten Elemente und Abläufe entsprechen dem aus literarischen Texten bekannten idealen Fest in so hohem Maße (vgl. oben Abschnitt 2.2.1), dass Heinrich von Veldeke das Hoffest zum Anlass nahm, seine literarische Schilderung des Hochzeitsfestes von Eneas und Lavinia damit zu vergleichen. Erkennbar wird hier, dass seinerzeit nicht nur aus der (noch vornehmlich französischsprachigen) Welt der Dichtung bekannte ideale Programme auf die Gestaltung von höfischer Realität wirkten, sondern auch reale Ereignisse auf die Gestaltung poetischer Texte Einfluss nehmen konnten. Wo wie hier durch die wechselseitige Durchdringung von kulturellem, in literarische Form gefasstem Entwurf und kultureller Praxis des kaiserlichen Festes Grenzen fließen, ist eine Abgrenzung zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Vorbild und Nachahmung im Nachhinein nicht möglich. Sie wird auch dadurch erschwert, dass die zeitgenössischen Chronisten sich viel Mühe gaben, die Ereignisse von Mainz ganz im Lichte einer idealen Ritterlichkeit und vollkommener höfischer Prachtentfaltung erscheinen zu lassen. Die funktional wohlkalkulierte Repräsentation auf dem Fest erfüllte ihren Zweck, nämlich kaiserlichen Herrschaftsanspruch und auch Macht zu demonstrieren, den überlieferten Schilderungen zufolge offenbar sehr gut. Repräsentative Großveranstaltungen wie das Mainzer Hoffest sind demnach auch in ihrer Bedeutung für eine bewusst eingesetzte und gesteuerte herrschaftliche ‚Propaganda‘ zu betrachten. Texte. Rituale. Wirklichkeitsbezug und Wirklichkeitskonstruktion politisch-rechtlicher Kommunikationsmedien in Stadt- und Adelsgesellschaften des späten Mittelalters. (Zeitschrift für historische Forschung. Beiheft 24). Berlin 2000, S. 1–16; dort heißt es auf S. 3: „Sprachlich erfaßte und gedeutete Wirklichkeit enthält Realitätsbezüge, die verhindern, daß historische Auslegung in bloße Beliebigkeit abdriftet. Es gibt zulässige und unzulässige Interpretationsspielräume. Es gibt überdies die Fiktionalisierung historischer Daten sowie die gesellschaftliche, wirklichkeitsstiftende Funktion des Fiktiven. Als Ausdrucks- und Darstellungsform geschichtlicher Erfahrung bleibt Fiktion zurückgebunden an historische Realität.“
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So bleiben in der Erfassung dessen, was 1184 in Mainz und allgemein im höfischen Ambiente des Hochmittelalters ‚in Wirklichkeit‘ geschah, ‚Grauzonen‘ und Lücken. Weder die epische noch die chronikalische Überlieferung der Zeit lassen es jedoch zu, diese Felder genauer zu lokalisieren. Vor diesem Hintergrund kann das oben beschriebene ‚Dilemma‘ einer kulturgeschichtlichen Rekonstruktion durch die Beleuchtung dichterischer und auch chronikalischer Quellen schließlich nicht aufgelöst werden. Nach wie vor scheinen deshalb nur Aussagen wie die folgende tragen zu können: „Die repräsentative Darstellung von dynastischer Herrschaft erreicht nicht die volle Wirklichkeit des höfischen Adels, zeigt jedoch in den Choreographien des höfischen Lebens, in Bildern und Texten, was höfischer Adel ist, was er sein will und sein könnte.“468 Da die Betrachtung schriftlicher Quellen – hier besonders auch epischer Texte – des Hochmittelalters damit immer wieder auf die Fassade, auf die bewusst nach außen gerichtete ‚Schauseite‘ (hoch-)adligen Lebens zurückgeworfen wird, wird in den folgenden Kapiteln besonders die Frage im Blick zu behalten sein, ob und in wiefern den bisher beleuchteten literarischen Texten beigegebene Illuminationen und auch Funde, die bei der archäologischen Erschließung hochmittelalterlicher Burgen und Herrensitze zutage kamen, diese ‚Schauseite‘ ergänzen und vielleicht sogar verändern können.
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Die Tafel im Bild
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3. Die Tafel im Bild 3.1 Komposition und ‚Programme‘ mittelalterlicher Tafelszenen Die bisherigen Ausführungen beleuchteten besonders die Textüberlieferungen und damit die literarisch-sprachlichen Darstellungen entsprechender Passagen. Es soll daher nun der Frage nachgegangen werden, wie sich Text und die Wiedergabe von Speise- und Tafelszenen im Bild zueinander verhalten. Dabei wird auch zu beleuchten sein, welchen Stellenwert zeitgenössische Illuminationen mit Blick auf ‚Realien‘ einnehmen und welche Bedeutung sie bei dem Versuch besitzen, ‚die Tafel der Edelen‘ des Hochmittelalters zu rekonstruieren. Nur um diese soll es hier gehen, denn Speiseszenen, die sich jenseits des religiösen oder des höfischen Milieus bewegen, sind aus der hier betrachteten Zeitspanne nicht überliefert. In das Hochmittelalter datierende künstlerische Darstellungen von Tafel- und Speiseszenen liegen in verschiedenen Kontexten und daher auch nicht nur vereinzelt vor. Sie begegnen in Illuminationen von Handschriften mit geistlichen und/oder mit weltlichen Texten, in der Ausmalung von Kirchen und in Fresken1 sowie in Relief und Skulptur.2 Vor diesem Hintergrund verwundert, dass dieser Fundus auch in jüngeren kulturgeschichtlichen Arbeiten über ‚das Mittelalter‘ kaum berücksichtigt wird.3
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Ein Beispiel hierfür bietet das Fresko mit einer Abendmahlsszene in der Kirche im westfälischen Neuenbeken, vgl. Abb. 6 unten S. 183 Beispiele hierfür bieten die Anfang des 11. Jahrhunderts entstandene Christussäule im Hildesheimer Dom, vgl. Heinz J. Adamski: Die Christussäule im Dom zu Hildesheim. Hildesheim 1990, S. 31 ff. (Die Hochzeit zu Kana), S. 42 ff. (Geburtstagsfest des Königs Herodes) und S. 60 ff. (Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus) sowie eine ebenfalls halbskulptural ausgearbeitete Abendmahlsszene im Westlettner des Naumburger Domes (datiert 2. Hälfte 13. Jahrhundert), vgl. dazu Abb. 61/62 unten in Abschnitt 8.2 So bei Christian Rohr: Festkultur des Mittelalters. Graz 2002. Rohr rekurriert zwar mehrfach auch auf die Dichtung des Hochmittelalters, dabei auch auf die Tischzuchten, stellt ihnen in seinem reich bebilderten Band jedoch fast ausschließlich Bilddarstellungen des 14. sowie besonders des 15. und 16. Jahrhunderts gegenüber
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Die Tafel im Bild
Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, dass viele Autoren es bevorzugen, ihrem Publikum modernen Seh- und Rezeptionsgewohnheiten entsprechende Bilddarstellungen zu präsentieren. In der gestalterischen Anlage, der Farbigkeit und im Detailreichtum der Darstellung finden sich hierzu in spätmittelalterlichen Illuminationen eher Beispiele, die dem heutigen Betrachter die Vorstellung einer ‚Fotoqualität‘ vermitteln, die zeitgenössische Darstellungen jedoch nicht besitzen konnten.4 Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass im kirchlichen Bereich bereits im Frühmittelalter eine Art ‚Theorie des Bildes‘ entwickelt wurde, in der einer bildlichen Darstellung (imago) vier Funktionen zugewiesen wurden: „Es soll erstens die Ereignisse der Schöpfung und der Heilsgeschichte bewahren. Zweitens soll es sichtbar machen, was unsichtbar ist, um den Geist auf Höheres zu lenken. Außerdem muss es drittens den Betrachter bewegen, deshalb achtet man auf eine sorgfältige künstlerische Ausführung. Schließlich hat es – ebenso wie Schrift und Wort – die Aufgabe, grundsätzliche Wahrheiten zu vermitteln.“5 Eine an die Bildrezeption gestellte Erwartungshaltung, die davon ausginge, dass hochmittelalterliche Bildwerke Geschehnisse, Menschen und Umwelt ungebrochen wiedergeben, trifft daher auf diese Darstellungen kaum zu. Der Historiker Reinhart Koselleck fasst dies folgendermaßen: „Heutige Schriftzeugnisse, vor allem gelesene Druckwerke, werden schnell in die sprachlich gehörte Botschaft umgesetzt und so wahrgenommen. Ältere Quellen zehren weit mehr von ihrer bildhaft vermittelten Sprache bis hin zur Symbolträchtigkeit ihrer Schriftzeichen – von Alpha bis Omega. Für die Praxis des Historikers folgt daraus, neben seinen philologisch-kritischen Methoden auch die ikonischen, die ikonographischen und ikonologischen Fragen und Zugriffe zu pflegen, ohne die keine der vergangenen Erfahrungswelten aufzuschlüsseln sind.“6 Es ist daher nicht nur mit einer besonderen mittelalterlichen ‚Bildersprache‘ zu rechnen, sondern auch zu berücksichtigen, in welchem Verhältnis Bild und Text jeweils stehen, ob und wie sie wechselseitig aufeinander Bezug nehmen. Dass sich daraus ausgesprochen unterschiedliche Interpretationen ergeben können, gilt mittlerweile als Konsens: „Bilder sind offen4
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Ein in dieser Hinsicht geradezu ‚strapaziertes‘ Beispiel bietet das Stundenbuch (Très riches heures) des Herzogs von Berry aus dem späten 14. Jahrhundert mit seiner überaus reichen und farbenprächtigen Bebilderung. Vgl. allgemeiner und mit weiteren Beispielen auch Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 99 ff. Didier Méhu: Wege des Mittelalters. Freiburg/Br. 2004, S. 192 Reinhart Koselleck: Zum Geleit, in: Andrea Löther/Ulrich Meier/Norbert Schnitzler/Gerd Schwerhoff/Gabriela Signori (Hg.): Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner. Mit einem Geleitwort von Reinhart Koselleck. München 1996, S. 9 f.
Die Tafel im Bild
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kundig nicht einfach Bilder, sondern Objekte der Erbauung, Objekte der Belehrung, Objekte der Selbstinszenierung … bald referentiell, bald selbstreferentiell, bald beides in einem, nämlich Bilder. Sie beschreiben, erzählen, propagieren, kommentieren, illustrieren, ergänzen, kritisieren, heilen, schützen und vieles mehr … Insofern sind sie aber auch immer sehr eng mit ganz konkreten gesellschaftlichen Vorstellungen und Praktiken verwoben, in konkreten gesellschaftlichen Kontexten verwurzelt.“7 Angesichts derart komplexer Lesemöglichkeiten hochmittelalterlicher Bildwerke mag der Zugang zu ihnen erleichtert werden, indem zunächst ihre gestalterischen Grundlagen betrachtet werden, die quasi ihr ‚architektonisches Gerüst‘ darstellen. Dabei ist grundsätzlich erkennbar, dass eine außerordentliche Übereinstimmung in der Wiedergabe von ‚weltlichen‘ Speiseszenen und Abendmahlsdarstellungen des Mittelalters besteht, auf die bereits 1927 die Kunsthistorikerin Laura Hibbard Loomis hinwies.8 Ganz offensichtlich dienten aus dem religiösen Bereich stammende Darstellungen den Illustratoren profaner Texte bei der Gestaltung von Tafel-/Speiseszenen als Vorbild.9 Die Illuminationen der erst im Hochmittelalter vermehrt produzierten und konsumierten Handschriften mit volkssprachlichen Texten bauten auf der aus dem kirchlichen Bereich bekannten Tradition auf, zumal diese den Illustratoren, die im Regelfall in klösterlichen Werkstätten tätig waren, aus ihrer Arbeit an Handschriften mit religiösen Inhalten bestens bekannt gewesen sein dürfte.10 7
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Gabriela Signori: Wörter, Sachen, Bilder. Oder: die Mehrdeutigkeit des scheinbar Eindeutigen, in: Löther et al. (1996), S. 11–33, hier: S. 26; in dem Lexikonartikel über ‚Epenillustration‘ stellt auch Wolfgang Stammler fest: „Solche Epenillustrationen darf man nicht im modernen Sinn als Darstellungen der realen Welt auffassen, sondern sie wollten die Dichtung begleiten, verdeutlichen, herausheben“, in: RDK Bd. V (1967), Sp. 810–857, hier: Sp. 812 Vgl. Laura Hibbard Loomis: The Table of the Last Supper in Religious and Secular Iconography, in: Art Studies. Medieval. Renaissance 5 (1927), S. 71–88 Vgl. Hibbard Loomis (1927), S. 71 ff. einschließlich der beigefügten Tafeln Vgl. den Beitrag ‚Buchmalerei‘ im LexdMA Bd. II (1983), Sp. 837–893, hier bes. Sp. 852 f. (Deutsche Buchmalerei von 1200–1500); Wolfgang Stammler vermutet gar einen gewissen Wettbewerb zwischen Werken mit religiösem und mit weltlichem Inhalt: „reicher wurde gerade bei Dichtungen, welche geistliche Stoffe behandelten, die Illustration verwendet. Im 11. und 12. Jh. geschah das wohl auch zu dem Zweck, die Laien zum Eindringen in die poetisch geformten Heilswahrheiten anzureizen. Ebenso sollte die Illustration ein Mittel sein, die bereits vorhandenen weltlichen Epen beiseite zu drängen und dem christlichen Stoff immer weitere Verbreitung zu schaffen. Wie intensiv man solche Mittel zu nutzen verstand, offenbart der von der elsässischen Äbtissin Herrad von Landsberg angeregte und geleitete ‚Hortus deliciarum‘, ein umfangreiches Bilderwerk, das, ohne Text, nur die Bilder sprechen ließ, um
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Die gestalterische Anlage der Bildszenen lässt sich dabei auf zwei Grundformen reduzieren, die zwar im Detail oft variiert wurden, der Bildtradition des Mittelalters entsprechend jedoch als immer wieder kopiertes Muster erscheinen.11 Dabei ist zunächst die Gruppierung der (Abend-)Mahlsteilnehmer um einen runden Tisch zu nennen. Dieser Bildtypus ist schon seit der Antike belegt und wurde vor allem im byzantinischen Kulturbereich bis zum Mittelalter tradiert.12 Bis etwa zur ersten Jahrtausendwende ist dieser Darstellungstyp einer Tafelszene dominant.13 Ein Beispiel für diese Darstellungsform in einer religiösen Schrift bietet die im späten 12. Jahrhundert entstandene ‚Millstätter Genesis‘:14 Erfasst wird hier die alttestamentliche Szene, in der Gott Abraham bei den Eichen von Mamre erscheint.15
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damit christlichen Erlösungsideen zum Siege zu verhelfen“, in: RDK Bd. V (1967), Sp. 811 s.v. Epenillustration Die Arbeit mittelalterlicher Illustratoren wurde stilistisch durch Musterbücher und Vorlagen stark geprägt. Individuelle Ausführung und Abweichung von der Norm waren eher unüblich und erscheinen daher recht selten, vgl. Elisabeth Vavra: Kunstwerke als Quellenmaterial in der Sachkulturforschung. (Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 4 = Österreichische Akademie der Wissenschaften. Phil.-Hist. Klasse. Sitzungsberichte 374). Wien 1980, S. 195–232, hier bes. S. 216 Vgl. Hibbard Loomis (1927), bes. S. 79 ff.; Beispiele dafür u. a. bei Ute Schwab: Proskinesis und Philoxenie in der altsächsischen Genesisdichtung. Mit einem Anhang über die Tituli des Halberstädter Abrahamsteppichs von Walter Berschin, in: Christel Meier/Uwe Ruberg (Hg.): Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Wiesbaden 1980, S. 209–277, bes. Abb. 8 ff. Vgl. Karl Möller: ‚Abendmahl‘, in: RDK Bd. I (1937), Sp. 28–44, hier. Sp. 31; siehe auch E. Lucchesi Palli s.v. Abendmahl in: Engelbert Kirschbaum et al. (Hg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. I. Rom/Freiburg/Basel/Wien 1968, Sp. 10–18, bes. Sp. 13 ff. Ausführlich untersucht und beschrieben durch Hella Voss: Studien zur illustrierten Millstätter Genesis. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Bd. 4). München 1962. Die hier aufgeführte Illumination behandelt sie im Rahmen von Darstellungsformen der Trinität, vgl. Stellennachweise im Register S. 221 (unter dem Stichwort ‚Besuch der drei Engel‘) Vgl. 1. Mose 18: „Der Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre. Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang. Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen. Als er sie sah, lief er ihnen vom Zelteingang aus entgegen, warf sich zur Erde nieder und sagte: Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei! Man wird etwas Wasser holen; dann könnt ihr euch die Füße waschen und euch unter dem Baum ausruhen. Ich will einen Bissen Brot holen und ihr könnt dann nach einer kleinen Stärkung weitergehen; denn deshalb seid ihr doch bei eurem Knecht vorbeigekommen.“
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Abb. 1: Begrüßung und Bewirtung Gottes durch Abraham, Millstätter Genesis, Ende 12. Jahrhundert16
Im linken Bildteil deutet der über einen Stab gehängte Vorhang das Zelt an, aus dem eine Person gerade heraustritt. Abraham wird auf die Knie fallend dargestellt. Seine Unterwerfung drückt sich auch durch seine devote, flehende Haltung aus, ferner ist er körperlich kleiner dargestellt als die anderen Figuren. Abraham ist einem runden, gedeckten Tisch zugewandt, an dem drei Personen (Gott und seine Begleiter) sitzen, die körperlich größer 16 dargestellt und mit einem Heiligenschein versehen sind. Diese Darstellung stellt Ute Schwab in den Kontext der altsächsischen Genesisdichtung mit durchaus ‚weltlichen‘ Bezügen: „Abraham lebt auf und von … dem Lehen des Herrn – und von hier aus fällt ein klärendes Licht auf seine Äußerung, es möge der reisende Herrscher über all sein Gut frei verfügen. Es handelt sich also um das Angebot eines umfassenden servitium, dessen Umfang der Lehensherr bestimmen soll – nicht um die übertriebene, orientalische Gastlichkeit eines Abraham, wo die Reichhaltigkeit der Kost von der Großzügigkeit des Gastgebers abhängt.“17
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Diese Darstellung der Philoxenie gehört einem durchaus verbreiteten Bildtyp an, vgl. hierzu E. Lucchesi Palli unter dem Stichwort ‚Abraham‘ in: Kirschbaum (1968), Sp. 20–35, hier: S. 21–23 Schwab (1980), S. 224
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Auf dem runden Tisch, der von einem in reichen Falten bis auf den Boden hängenden Tischtuch bedeckt ist,18 sind denn auch nur wenige Gegenstände abgebildet: dem biblischen Text folgend, ein Gebäck in Brezelform rechts, in der Mitte eine Schale mit Fuß, links daneben ein Sockelgefäß, ein kleiner Pokal für Getränke (das angebotene Wasser). Beide Gefäße sind in einer etwas unbeholfen wirkenden Andeutung von Perspektive dargestellt, nichts weist darauf hin, was sie enthalten mögen, darin wurde offenbar ganz auf die Aussage oder Kenntnis der Bibelstelle gesetzt. Die am Tisch sitzenden Erschienenen wenden sich dem Herankommenden zu, dem der mittig platzierte Herr eine segnende Geste entgegenbringt. Sie sind demnach weder mit dem Tisch noch mit dem Speisen befasst. In dieser Szene wird eine merkwürdige Beziehungslosigkeit zwischen den dargestellten Personen und der runden Tafel erkennbar. Der gedeckte Tisch – dargestellt mit Utensilien, die ähnlich folgend immer wieder begegnen werden – dient offenbar besonders zur Kennzeichnung der Bewirtungs- oder Gastmahlsituation, die es erlaubt, die spezielle Haltung und die Gesten der dargestellten Personen in einen konkreteren Zusammenhang mit dem begleitenden Text zu stellen. Der gedeckte Tisch besitzt demnach nicht etwa die Funktion, eine Speiseszene besonders realistisch darzustellen. Vielmehr erscheint er dem Betrachter als eine symbolhafte Kulisse, die mit Bezug auf die (biblische) Erzählung einen orientierenden Charakter zur leichteren Einordnung der Szene zu erfüllen scheint. Deutlich wird in dieser Szene ein weiteres Charakteristikum mittelalterlicher Bilddarstellungen: unabhängig davon, ob es sich um biblische, historische, chronikalische Stoffe oder solche der Dichtung handelt, die durch Illuminationen begleitet werden, war es für die Illustratoren selbstverständlich, dass sie den dargestellten Personen und Dingen das Aussehen ihrer eigenen Zeit und Umgebung gaben. Kleidung, Frisuren, Haltung, Gestik und Tischgerät erscheinen also – wenn auch häufig deutlich stilisiert – insgesamt in genau der Form, wie sie durch die Illustratoren erfahren wurden und auch durch den oder die zeitgenössischen (und auch noch die heutigen) Betrachter in ihrer Bedeutung leicht erfasst werden konnten.19 Historisierende Bilddarstellungen z. B. biblischer oder antiker Stoffe waren den Menschen des Hochmittelalters offenbar 18
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Ob es sich dabei um eine realistische Wiedergabe zeitgenössischer Tischkultur handelt, muss offen bleiben. Immerhin ersparte es diese Art der Darstellung dem Illustrator, den hinter dem Tisch angeordneten Personen ‚passende‘ Beine und Füße geben zu müssen Vgl. Dorothea und Peter Diemer: Die Bilder der Berliner Veldeke-Handschrift, in: Heinrich von Veldeke. Eneasroman (1992), S. 911–970, bes. S. 915 ff.
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fremd.20 Mit Blick auf die gedeckte Tafel und das abgebildete Tischgerät bieten die Illuminationen daher einen recht genauen Überblick über zeitgenössisches Gerät und seine Formen (vgl. auch unten Kap. 8). Das Motiv des ‚runden Tisches‘21 wurde im Hochmittelalter zunehmend verdrängt. Erst im späten Mittelalter wurde es wieder aufgenommen, ein Beispiel dafür bietet die im 14. Jahrhundert entstandene Fresken-Darstellung der Artusrunde auf der Burg Runkelstein in Südtirol.22 Der zweite, im Hochmittelalter dominierende Darstellungstyp einer Speiseszene ist durch eine (von links nach rechts) lang durch den Bildraum geführte, gerade Tafel gekennzeichnet. Sowohl in religiösen Abendmahlsals auch in weltlichen Speiseszenen überwiegt diese Form etwa seit der Jahrtausendwende.23 Hibbard Loomis führt diese Veränderung der Darstellungsform besonders auf zwei Gründe zurück: zunächst stelle der lange, rechteckige Tisch das im Alltag gebräuchliche Möbelstück dar,24 ferner sei es den mittelalterlichen Künstlern schwer gefallen, die zwölf Apostel oder größere Gesellschaften um einen runden Tisch platziert darzustellen.25 Da bis zum Spätmittelalter die perspektivische Wiedergabe, also eine räumlich in die Tiefe
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Vgl. dazu unten in Abschnitt 3.2 die Bilddarstellungen der Berliner Handschrift des ‚Eneasromans‘ von Heinrich von Veldeke Eine weitere Reihe von Beispielen mit Darstellungen des runden Tisches findet sich bei Hibbard Loomis (1927), vgl. z. B. Abb. 15 (Das Gastmahl des Herodes im Evangeliar Otto III./München). Auf dem – außerhalb unseres Untersuchungsgebietes im 11. Jahrhundert entstandenen – Teppich von Bayeux wird die Tafel des Bischofs Odo hufeisenförmig dargestellt, eine Darstellungsform, die vergleichsweise selten begegnet: eine Abb. findet sich bei Hibbard Loomis an der oben genannten Stelle In einer farbigen Reproduktion verfügbar bei Werner Meyer/Erich Lessing: Deutsche Ritter, deutsche Burgen. München 1976 Vgl. Hibbard Loomis (1927), S. 82 ff., Möller (1937), Sp. 31 sowie Lucchesi Palli (1968), Sp. 13 Vgl. Hibbard Loomis (1927), S. 87: „For one thing the familiar table of ordinary usage throughout the Middle Ages was the straight board table, and the influence of custom upon representation is of course ultimately inescapable. This, it is probable, was the primary reason for the change.“ Vgl. Hibbard Loomis (1927), S. 87: „Another reason was the very great difficulty of representing in plastic art twelve men about a round table.“ Die Verfasserin beschreibt in diesem Zusammenhang Lösungsversuche für dieses darstellungstechnische Problem. So verfielen z. B. Künstler des 9. und 10. Jahrhunderts darauf, eine Personengruppe in mehreren Reihen hinter- oder übereinander darzustellen, so zu sehen auch in der Abendmahlszene auf der zu Beginn des 11. Jahrhunderts entstandenen ‚Bernwardsäule‘ im Hildesheimer Dom
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Abb. 2: Halberstädter Abrahamsteppich, 12. Jahrhundert
gehende Darstellung, nicht bekannt war,26 muss es für die Künstler eine Herausforderung dargestellt haben, viele Personen in einer Runde – also räumlich gestaffelt – anzuordnen. Wie sich die zuvor in der Version mit einem runden Tisch dargestellte alttestamentliche Szene durch die Einbindung eines langen Tisches gestalten lässt, zeigt zum Vergleich das oben aufgeführte Beispiel.
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Über die Malerei der Romanik und Frühgotik wird allgemein festgestellt: „Gleichgültigkeit hinsichtlich der Tiefenraumwiedergabe, Subjektivität und eine Art Symbolik dominieren diese Kunst“, Hanna Losowska: Romanik und Frühgotik, in: Yves Christie/Hanna Losowska/Roland Recht/Tania Velmans: Formen und Stile. Christentum. Köln 1994, S. 241–376, hier: S. 257. Andernorts wird zur Perspektive detaillierter ausgeführt: „Die Malerei der Antike hat vermittels einzelner perspektivischer Elemente wie Verkürzung, Größenverminderung entsprechend der Tiefendistanz, Konvergenz paralleler Linien zwar eine gewisse Vorstellung von Raumtiefe zu erzeugen vermocht …, die gesetzmäßige Konstruktion der P. war ihr jedoch unbekannt. Die mittelalterliche Malerei hat diese Elemente fast völlig abgestoßen, da ihr am Tiefraum nichts, an der spannungerfüllten Fläche alles lag. Ja sie kehrt zuweilen die perspektivische Ordnung um, indem sie Linien, die eigentlich konvergieren müssten, divergieren läßt und menschliche Gestalten des ‚Vordergrundes‘ kleiner als die des ‚Mittelgrundes‘ gibt. Dann nämlich, wenn jene diesen an Bedeutung überlegen sind: u m g e k e h r t e Pe r s p e k t i v e . Am stärksten hat Giotto die moderne Perspektive vorbereitet, indem er den Bildraum zu einem geschlossenen, gleichmäßig tiefen Raumvolumen zusammenzog. Diese Vorstellung des malerischen Tiefraums festigt sich im 14. Jh. immer mehr und führt schließlich im 2. Jahrzehnt des 15. Jh. … in Florenz zur Entdeckung der mathematischen Konstruktion der P., aller Wahrscheinlichkeit nach durch Brunelleschi“, Johannes Jahn: Wörterbuch der Kunst. Fortgeführt von Wolfgang Haubenreisser. (Kröners Taschenausgabe. Band 165). Stuttgart 198310, S. 606–608 s.v. Perspektive, hier: S. 607
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Die von links nach rechts laufende Komposition ist fast identisch, auch die Zahl der dargestellten Figuren stimmt überein. Allerdings ist das provisorisch wirkende Zelt ersetzt durch eine überdachte Konstruktion mit gedrechselten Stützen, von der aus Abrahams Frau Sara ein Gefäß und ein Säckchen ( ? ) anreicht.27 Die ihr zugewandte Person – Abraham, hier ebenso groß dargestellt wie die anderen Personen – ist durch einen Heiligenschein in Linienform gekennzeichnet, während die anderen Figuren einen vollflächig ausgearbeiteten Nimbus tragen.28 Anders als in der Darstellung der ‚Millstätter Genesis‘ besitzen die drei Erschienenen, die am Tisch sitzen, Flügel und werden damit als himmlische Wesen, als Engel gekennzeichnet. Die Gott darstellende Figur, die Abraham gegenüber eine segnende Geste ausdrückt, sitzt hier ihm zunächst am Rand des Tisches und nicht in der Mitte. Am rechten Bildrand ist ein stilisierter Baum zu erkennen, der wohl für den Ort der Geschehens, die Eichen vom Mamre, stehen soll. Die in der biblischen Überlieferung aufgeführten Einzelheiten der Szene werden hier bildlich recht detailgetreu wiedergegeben. Auch diese lange Tafel wird durch ein Tischtuch bedeckt, das bis auf den Boden reicht. Der Tisch ist in dieser Darstellung reicher gefüllt: es sind auf ihm drei unterschiedlich gearbeitete Sockelschalen zu sehen, von denen die linke und rechte mit Speisen gefüllt sind, die jedoch nicht näher identifizierbar sind. Auf dem Tisch liegen Messer und runde Brote sowie kleinere ‚Stücke‘ – möglicherweise zerteilte Brote? Es scheint sich nicht um ein karges Mahl zu handeln, denn auf dem Tisch sind drei Schüsseln dargestellt, damit je eine pro Person, und nichts weist darauf hin, dass sich etwa zwei Gäste – mittelalterlichen Gepflogenheiten entsprechend – die Speisen aus einer Schüssel hätten teilen müssen. Anders als in der Darstellung der ‚Millstätter Genesis‘ werden die himmlischen Besucher und der Tisch nicht gleichsam ‚beziehungslos‘ dargestellt. Der in der Mitte platzierte Engel greift zu einem auf dem Tisch liegenden Messer, der rechts davon sitzende führt gerade eine Speise zum Mund. Dass biblische Szenen auch ohne Kennzeichnungen der dargestellten Figuren dargestellt wurden, die eine Illumination eindeutig in einen religiösen Kontext verweisen, zeigt das folgende Beispiel vom Beginn des 11. Jahrhunderts, das für die Bildkomposition auch vieler späterer ‚weltlicher‘ Darstellungen gleichsam als Konstruktionsmuster gedient haben könnte. Dargestellt wird das Lazarus-Gleichnis aus dem Neuen Testament (Lukas 16, 19 ff.): der nackte und von Geschwüren geplagte Lazarus, halb knieend und 27 28
Vgl. 1. Mose 18, 9: „Sie fragten ihn: Wo ist deine Frau Sara? Dort im Zelt, sagte er.“ Zur Kennzeichnung der drei Figuren z. B. durch einen Nimbus vgl. Lucchesi Palli (1968), Sp. 23
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Abb. 3: Der arme Lazarus vor der Tür des reichen Mannes, Echternacher Evangeliar (Codex aureus Epternacensis), ca. 1030–1040
mit bittender Geste, wird vor dem Haus des Reichen abgewiesen, von dessen Hunden sogar bedroht. Im Haus ist währenddessen die Tafel reich gedeckt. Auf das Tischtuch, das reiche Falten wirft und hier ebenfalls bis zum Boden herabhängt, sind runde Brote gelegt. Je zwei verzierte Schalen mit Fuß und Deckelgefäße stehen auf dem Tisch, eine dritte Sockelschale mit vielleicht heißem Inhalt wird durch einen Diener eben angereicht. Die Gestik des in rot gekleideten Hausherrn und der grün gewandeten Dame neben ihm weist auf den ankommenden Diener mit der Speiseschüssel, gerade so als ob man das Auftragen des Gerichts schon ungeduldig erwartete. Die rechte Hand hat der Hausherr auf dem Tisch abgelegt, die am linken Bildrand sitzende Figur ihre linke. Diese Figur scheint sich gerade in Bewegung zu befinden und sich dem an die Tafel herantretenden Diener zuzuwenden. Die Konzentration der Szene auf die frisch und heiß ( ? ) hereingetragene Speise, das Interesse der im Hause Befindlichen am eigenen Wohlergehen tritt deutlich hervor. Auch hier ist die Bildkomposition ähnlich wie in den vorherigen Beispielen angelegt, jedoch gespiegelt ausgeführt.29 Die fünf dargestellten Figuren 29
Sie weist große Ähnlichkeit mit einer Darstellung der Lazarus-Szene im ‚Hortus deliciarum‘ der elsässischen Äbtissin Herrad von Landsberg auf, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstand. Eine direkte Gegenüberstellung beider Szenen findet sich bei Ruth Schmidt-Wiegand: Text und Bild in den Codices picturati des ‚Sachsenspiegels‘. Überlegungen zur Funktion der Illustration, in: Ruth SchmidtWiegand (Hg.): Text – Bild – Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Band I (Textband). (Münstersche Mittelalter-Schriften. Band 55/I). München 1986, S. 11–31, hier: Tafel XV, Abb. 22 und 23
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Abb. 4: Festtafel an König Markes Hof. Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘, 1. Hälfte 13. Jh.
werden geteilt in die Gruppe der drei an der Tafel Platzierten und zwei einzeln davon abgesetzte Personen, hier den Diener im Haus und den bittenden Lazarus vor der Tür. Die Darstellung des langen Tisches, der nur etwa bis zur Hälfte des Bildraums reicht, lässt es zu, die andere Hälfte der Bildfläche für weitere Motive und auf gleicher Höhe zu nutzen. In diesem Beispiel ist es u. a. der Diener, der ein neues Gericht heranträgt. Die Ausrichtung der Szene auf die hereingetragene Speise wird dadurch unterstrichen, dass deren Darstellung leicht oberhalb der Bildmitte und damit fast zentral positioniert wurde. Dieses Gestaltungsmuster findet sich auch in Illuminationen zur erzählenden Dichtung des Hochmittelalters wieder, so z. B. in der wohl im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts30 entstandenen, bebilderten Handschrift von Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan und Isolde‘ mit der Fortführung Ulrichs von Türheim (Cgm 51).31
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Vgl. Helga Unger: Text und Bild im Mittelalter. Illuminierte Handschriften aus fünf Jahrhunderten und Faksimileausgaben. Ausstellung der Universitätsbibliothek Bamberg 1986. (Schriften der Universitätsbibliothek Bamberg. Band 2). Graz 1986, S. 26 Erreichbar mit: Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Mit der Fortsetzung Ulrichs von Türheim. Faksimile-Ausgabe des Cgm 51 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Textband mit Beiträgen von Ulrich Montag und Paul Gichtel. Stuttgart 1979
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Diese Tafelszene bildet den mittleren von drei das gesamte Blatt ausfüllenden Bildstreifen. Der obere, mit leuchtend rotem Grund hinterlegte Bildstreifen zeigt Tristan und seinen höfischen Lehrer, den Marschall Rual, vor König Marke, der der abgebildeten Szene folgende, auf tiefblauen Grund gesetzte Bildabschnitt befasst sich mit Tristans Schwertleite und Ausritt.32 Wie in der Lazarus-Darstellung befinden sich auch hier die herangetragenen Speisen recht genau oberhalb der Bildmitte positioniert (der nicht kolorierte, jedoch durch einen Begrenzungsstrich markierte rechte Bildrand deutet offenbar eine Steinwand mit Zinnen an). An der langen Tafel, deren Tischtuch wiederum bis auf den Boden reicht, sitzen vier Personen, jeweils zu zweit einander zugewandt. König Marke ist zwar durch seine mit Zacken versehene Krone als Herrscher erkennbar, doch hat der Illustrator diesem eindeutigen Zeichen der Königswürde zusätzlich noch Markes Namen in den nicht kolorierten Trennstreifen zwischen der oberen Bildpartie und der hier gezeigten gesetzt. Links neben ihm sitzt eine Figur, die zwar als Rual gekennzeichnet ist, jedoch nicht Rual sein kann: dem Text folgend, muss er die ‚behütete‘ Person sein, die rechts am Tisch sitzend dargestellt ist. Er berichtet gerade über Tristans Herkunft und zeigt als Beweis den Ring von dessen Mutter Blanscheflur.33 Auch Tristan ist eigens kenntlich gemacht: knieend bedient er bei Tisch, reicht gerade ein kugelförmiges Deckelgefäß an. Sein Blick weist in Richtung Markes, der seine linke Hand gerade zu einer mit einem Hühnchen gefüllten Schüssel führt und mit seiner Rechten zu einem vor seinem Nebenmann auf dem Tisch stehenden Deckelgefäß greift. Von rechts nähern sich Diener. Sie bringen drei weitere Schüsseln mit Hühnchen an den Tisch (folgt man der bildlichen Darstellung, dann gab es für jede am Tisch sitzende Person eine Schüssel mit einem ganzen Huhn), die Figur am rechten Bildrand trägt ferner einen weiteren Deckelpokal heran. Auf dem Tisch sind drei halbmondförmige Brote und ein Messer zu sehen, ferner eine Schüssel, zu der die blau gewandete Figur gerade greift. Der auf dem Blatt dargestellte Bilderzyklus folgt dem Gang der Erzählung Gottfrieds korrekt, ohne jedoch direkt mit ihm in Verbindung zu 32
33
Vgl. Deutsche Literatur des Mittelalters. Handschriften aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Heinrich Wittenwilers ‚Ring‘ als kostbarer Neuerwerbung. München 2003, Abb. 13b mit Unterschrift Vgl. Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Originaltext (nach F. Ranke) mit einer Versübersetzung und einer Einleitung von W. Spiewok. (Wodan. Recherches en littérature médiévale. Vol. 9. Serie 1. Texte des Mittelalters. Band 2). (ohne Ort) 1991, V. 4095 ff. und Paul Gichtel: Die Bilder der Münchner Tristan-Handschrift, Begleitband zur Faksimile-Ausgabe des Cgm 51 (1979), S. 73–144, hier: S. 107
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treten: die in die Handschrift eingebundenen illuminierten Seiten „stehen … nicht im Lagenverband des Codex; sie sind … in einer breiteren Streuung auf separat eingesetzten, beidseitig bemalten Einzelblättern über die ganze Handschrift verteilt.“34 So geht der Text, auf den die Szene zurückgeht, dem gesondert eingebundenen Bildblatt teils um mehrere Blätter voraus.35 Insgesamt halten sich die Bilddarstellungen jedoch „fast durchweg so eng an die Dichtung, daß – wobei die ebenfalls im allgemeinen zutreffend beigesetzten Namen und Texte hochschätzende Dienste leisten – die Identifizierung der meisten Bildszenen zwar nicht mühelos, aber bei einläßlicher Betrachtung wohl zutreffend gelingen konnte.“36 Tatsächlich finden sich in Gottfrieds Text der gemeinsame Gang zur Tafel (V. 4095 f.), Markes Bitte an Tristan, seinen Gast Rual, den er für dessen Vater hält, aufmerksam zu bedienen (V. 4101 ff.) und die Erzählung Ruals mit dem Ringbeweis (V. 4171 ff., bes. V. 4286 ff.). Über die Tafel selbst, das, was aufgetischt oder an Getränken gereicht wurde sowie über die Dienerschaft schweigt sich Gottfried dagegen gänzlich aus. Hier hat demnach der Illustrator seine Phantasie walten lassen. Auch in anderer Hinsicht stimmt die Bilddarstellung mit dem Text nicht überein: Rual beginnt seinen Bericht erst, nachdem man sich vom Tisch erhoben hatte (V. 4113 ff.). Die Illumination zeigt jedoch eine Tafelei an ihrem Beginn, da gerade noch weitere Speisen (und Getränke?) hereingetragen werden. Verschiedene Abschnitte des Erzählverlaufs wurden hier folglich so dargestellt, als ob sie zeitgleich geschehen wären – ähnlich wie verschiedene Folien mit aufeinander folgenden Szenen, die, übereinandergelegt, ein neues Gesamtbild ergeben: die Gleichzeitigkeit des im Handlungsverlauf Ungleichzeitigen, eine für mittelalterliche Bilddarstellungen typische Gestaltungsweise. Der Illustrator hat sich durch die Konzentration der Szene auf die höfische Tafel geschickt dem Dilemma entzogen, die Enthüllung von Tristans und Ruals Identität lediglich durch kommunizierende Figuren darstellen zu müssen – ergänzt durch den Ringbeweis. Die Qualität seiner bildlichen Gestaltung, die sich im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Bilddarstellungen durch eine besondere Dynamik in der Haltung und in Bewegungsprozessen der Personen, des Faltenwurfes ihrer Kleidung und 34 35
36
Vgl. Deutsche Literatur des Mittelalters (2003), S. 47 Vgl. die dazu erstellte Konkordanz von Ulrich Montag im Begleitband zur Faksimileausgabe des Cgm 51 (1979), S. 64 ff. Das Blatt 29v, das dem Bilderblatt vorausgeht, enthält die V. 4301–4398 und damit lediglich das letzte Ende des Gespräches zwischen König Marke und Rual Gichtel (1979), S. 88
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sogar des Tischtuches auszeichnet, wurde öfter hervorgehoben: „Die Illustrationen der Münchner Bilderhandschrift sind die erste und wohl auch einzige reine Äußerung der deutschen Frühgotik in der Malerei.“37 Gleichwohl widmete dieser Illustrator nicht allen Details seiner gestalterischen Arbeit eine gleichmäßige Aufmerksamkeit. Es fehlt nämlich „dem oder den Illustratoren ein genügendes Interesse an einer ‚eindeutigen Formulierung des Individuums‘. So seien selbst nicht einmal die Helden der Erzählung charakteristisch erfasst, weder in ihrem Aussehen, in der Kleidung, noch in der Größe, im Alter und in der Haarfarbe.“38 Die zuvor gezeigte Tafelszene aus der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift verweist auf einen speziellen Typus der Speiseszenen, die an einer langen Tafel dargestellt werden. Die Bedienung der Speisenden erfolgt dabei nicht (nur) durch Personen, die sich dem Tisch von der Seite aus nähern, sondern wird, wie hier: auch, andernorts ausschließlich durch Figuren vorgenommen, die vor der Tafel positioniert sind – im eben gezeigten Beispiel Tristan, der auf Markes Geheiß die Bedienung Ruals vornimmt. Ein Beispiel für diese Darstellungsform findet sich auch in der wohl zwischen 1240 und 1250 entstandenen Handschrift, die Wolframs ‚Parzival‘, den ‚Titurel‘ und Tagelieder enthält.39 Wie die Münchner ‚Tristan‘Handschrift weist der Cgm 19 mehrere, ganzseitig (und farbig) bebilderte Blätter mit je drei aufeinander folgenden Bildfriesen aus. Ohnehin stehen diese beiden Manuskripte in einem engen Zusammenhang, da die Hand des ‚Tristan‘-Hauptschreibers sich auch als eine derjenigen erwies, die sich im Cgm 19 finden.40 Auch die im Cgm 19 erhaltenen Illuminationen zeigen zum ‚Parzival‘-Text keine enge Beziehung: „Die einzelnen Szenen stehen nicht als direkte Textillustrationen in unmittelbarer Nähe der entsprechenden Verse, sondern sind in einer größeren Bildsequenz zusammengefasst.“41 Sie befinden sich auf einer Doppelseite, die in das letzte Drittel der fortlaufend geschriebenen Textseiten eingefügt wurde und nehmen lediglich das Gralsepos ab Buch 14 bis etwa zum Schluss auf, wobei die ins Bild gefasste Szenenreihe dem Gang von Wolframs Erzählung folgt.42
37 38 39
40 41 42
Gichtel (1979), S. 80 im Zitat des Kunsthistorikers Stange (1934) Gichtel (1979), S. 90 Vgl. Anne Stephan-Chlustin: Artuswelt und Gralswelt im Bild. Studien zum Bildprogramm der illustrierten Parzival-Handschriften. (Imagines Medii Aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung. Band 18). Wiesbaden 2004, S. 13 ff., Unger (1986), S. 25 und Deutsche Literatur des Mittelalters (2003), S. 42 (Einführung) Vgl. Deutsche Literatur des Mittelalters (2003), S. 42 Deutsche Literatur des Mittelalters (2003), S. 42 Vgl. Unger (1986), S. 99 und Deutsche Literatur des Mittelalters (2003), S. 42
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Der auf der nächsten Seite abgebildeten Darstellung geht eine Szene mit Parzival und Feirefiz bei Artus voraus, ihr folgt der letzte Fries auf dieser Seite mit Parzival, Feirefiz und Cundrie vor der Gralsburg.43 Die Artusrunde ist hier an einer langen ( ! ), über die gesamte Bildbreite gezogenen Tafel dargestellt, hinter der sich 15 Personen versammelt haben.44 Die Darstellung bezieht sich wesentlich auf das Fest von Joflanze, das Artus für seine Neffen Parzival und Feirefiz ausrichtet (vgl. ‚Parzival‘ 774, 13 ff.). Vor der Tafel kniet in gebeugter Haltung eine Figur, die der im Trennstreifen unterhalb der Szene angebrachten Erläuterungszeile zufolge Feirefiz darstellen müsste, jedoch über ihren Rücken laufend, erkennbar zwei lange Zöpfe oder Lockenschnüre trägt.45 Es ist Cundrie, die Parzival um Aussöhnung bittet (vgl. ‚Parzival‘ 780, 1 ff.). Zu erkennen ist sie auch an dem in ihr Profil gezeichneten, hauerartigen Zahn.46 Die Tafel – wiederum durch ein bis zum Boden reichendes, breit in Falten fallendes Tischtuch bedeckt – ist gut bestückt. Zu sehen sind Schalen mit niedrigem Sockel und ein ovales sowie ein rundes Deckelgefäß, die Schalen sind mit Speisen gefüllt, von denen lediglich Hühnchen bzw. Vögel eindeutig 43 44
45
46
Vgl. Schirok (1985), S. 11 Dabei sind die beiden ganz rechts positionierten Figuren etwas kleiner dargestellt. Möglicherweise handelt es sich deshalb um Diener, obwohl die Figuren nichts anreichen oder etwas in Händen tragen. Auch die Haltung der folgenden Figur, die diesen beiden gegenüber deutlich abgewandt erscheint, könnte darauf hinweisen. Ferner erhielte die Tafelrunde, sofern sie an den beiden in der Bildmitte einander zugewandten Figuren ausgerichtet würde, ohne die beiden Figuren am rechten Bildrand eine etwa symmetrische Struktur. Eine solche würde gut zur gesamten Gestaltungsanlage der ‚Parzival‘-Illuminationen passen: „L.E. Saurma-Jentsch hat das Kompositionsprinzip der Bilder des Cgm 19 auf den Primat der bildlichen Geschlossenheit zurückgeführt, in welcher die Gesetze der Symmetrie und Achsialität herrschen und die Handlung beinahe eingefroren werde in gleichwertig miteinander korrespondierenden Formen“, so Stephan-Chlustin (2004), S. 22 Diese Zeile tritt wegen der wenig kontrastreichen Wiedergabe auch im Faksimile (Ed. Schirok) leider nur sehr schemenhaft hervor. Deutlich erkennbar ist sie in der älteren Wiedergabe bei Karl Josef Benziger: Parzival in der deutschen Handschriften-Illustration des Mittelalters: eine vergleichende Darstellung des gesamten vorhandenen Bildmaterials unter besonderer Berücksichtigung der Berner Handschrift Cod. AA 91. Straßburg 1914, hier: Nr. 4 Vgl. Julia Walworth: The Illustrations of the Munich Parzival (Cgm 19), in: Wolfram von Eschenbach. Parzival. Translated by Cyril Edwards. With Titurel and Love Lyrics. (Arthurian Studies LVI). Cambridge 2004, S. 307–315, hier: S. 313: „Cundrie is instantly recognisable, not only by her actions, but also by her tusk-like teeth.“ Vgl. auch Stephan-Chlustin (2004), S. 30; um die Versöhnungsgeste Cundries deutlich zu machen, sind der Parzival darstellenden Figur in dieser Szene entgegen der üblichen Darstellungform einmal Füße beigegeben, die unter dem Tischtuch hervorlugen und zu denen sich Cundrie niederwirft, vgl. Stephan-Chlustin (2004), S. 31
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Abb. 5: Cundrie vor der Artusrunde. Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250
erkennbar sind. Auf dem Tisch sind Brote in spitzovaler Form verteilt, und am rechten Bildrand ist eine Brezel abgelegt. Messer fehlen hingegen auf der Tafel, lediglich Artus hält als Gastgeber ein Vorlegemesser in der Hand.47 Die Tafelnden sind im Gespräch und essend abgebildet, die fünfte Figur von rechts führt gerade eine Trinkschale an den Mund. Es laufen weiße Bänder über den Tisch, die hier unbefüllt blieben, während sie in der Speiseszene auf der Bildseite zuvor mit den Namen der Dargestellten versehen wurden.48 Anders als die Münchner ‚Tristan‘-Handschrift ist der Cgm 19 teils aufwändig mit Gold- und Silbereinlagen auch in den Bilddarstellungen verziert. Die Linienführung, die bei den Personen und deren Kleidung recht breit und auch statisch wirkt, und die insgesamt – auch farblich – flächige Ausführung der Darstellung weisen den Illustrator jedoch als weniger geschickt aus als den der ‚Tristan‘-Szene: „Die Bilder stehen an Qualität hinter den Tristan-Illustrationen zurück. Stilistisch ist … der Parzival-Miniator ‚dem Romanischen‘ verbunden“.49 47
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Er wird dadurch – in seiner Funktion als Gastgeber – auch als Person erst identifizierbar, denn Kronen tragen mehrere der dargestellten Figuren, vgl. Stephan-Chlustin (2004), S. 31; mit Bezug auf ‚Parzival‘ 775, 26 ff. wird die Gastgeberfigur mit dem Vorlegemesser auch als Gawan bezeichnet, vgl. Wolfram von Eschenbach. Parzival – Titurel – Tagelieder. Cgm 19 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Transkription der Texte von Gerhard Augst, Otfried Ehrismann und Heinz Engels. Mit einem Beitrag zur Geschichte der Handschrift von Fridolin Dreßler. Stuttgart 1970, Kommentarband S. 29 Vgl. Schirok (1985), S. 10 (Cgm 19, fol. 49v) und unten S. 199 Unger (1986), S. 99
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Abb. 6: Das letzte Abendmahl. Kirche zu Neuenbeken, erste Hälfte 13. Jahrhundert
Die hier für eine ‚weltliche‘ Dichtung gewählte Form der bildlichen Gestaltung wird auch bei dieser Tafelszene (wie bei den beiden weiteren des Cgm 19) mit Vorbildern aus dem geistlichen Bereich in Beziehung gesetzt: „Ikonographisch folgt der Maler etwa in den Tafelszenen der sakralen Bilderwelt der Abendmahlsszene.“50 Es finden sich dort kompositorisch sehr ähnlich angelegte Szenen in größerer Zahl,51 hier in einer Abendmahlsdarstellung, die etwa zeitgleich mit den ‚Parzival‘-Illustrationen entstanden sein dürfte:52 Wie die vorhergehenden Darstellungen zeigt dieses Gemälde eine Frontalansicht der gedeckten Tafel und der an ihr speisenden Personen. Dadurch, dass die Vorderseite fast frei bleibt, wird der Betrachter gleichsam mit in die Szenerie einbezogen, fast wie ihr auf der anderen Seite einer Tafel 50 51
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Unger (1986), S. 99 Möller (1937) bietet hierfür eine Reihe von Beispielen, u. a. aus dem um die Jahrtausendwende entstandenen Hildesheimer Bernward-Evangeliar (Sp. 31, Abb. 5) und vom mittleren Westportal des Straßburger Münsters (um 1280, Sp. 35 f., Abb. 9) Vgl. Paul Herre: Deutsche Kultur des Mittelalters in Bild und Wort. (Wissenschaft und Bildung 100/101). Leipzig 1912, S. 58 Nr. 128. Die Darstellung des letzten Abendmahls, die Herre dort lediglich als ‚romanisch‘ kennzeichnet, wird angesichts ihrer vergleichsweise detailreichen und vor allem tendenziell dynamischen Ausarbeitung in das 13. Jahrhundert gehören. Entsprechend findet sich die Datierung „um 1230“ bei Stephan (1986), Anhang Tafel 17
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gegenüber sitzend – ein bemerkenswertes psychologisches Moment dieser Darstellungstechnik. Auch die direkt auf den Betrachtenden quasi aus dem Bild heraus gerichteten Blicke, besonders der in der Mitte positionierten und daher zentralen Personen – hier Christus, in der vorhergehenden Abbildung Artus – lösen diese Wirkung aus. Die Gestaltung der Szene folgt – wie die meisten AbendmahlsDarstellungen des Hochmittelalters – dem im Johannes-Evangelium (13, 22 ff.) beschriebenen Ablauf nach der Prophezeiung des Verrats Jesu durch einen der Jünger:53 „Die Jünger sahen einander an, ratlos darüber, von wem er rede. Einer von seinen Jüngern lag an Jesu Brust, der den Jesus liebte. Diesem winkt nun Simon Petrus und sagt zu ihm: Sage, wer es ist, von dem er redet! … Herr, wer ist es? Da antwortet Jesus. Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde. Darauf taucht er den Bissen ein, nimmt ihn und gibt ihn Judas, dem Sohn des Simon Ischariot.“ Es ist eben dieser Moment, in dem Jesus dem Judas einen Bissen reicht, der hier eingefangen wird. Judas streckt ihm eine Hand entgegen.54 Das Stück Nahrung, das Christus dem Verräter reicht, steht exakt im geometrischen Mittelpunkt der Darstellung. Die Jünger sitzen, mehrheitlich zu zweit einander zugewandt, an der Tafel. Wie eine Serviette haben sie sich das Tischtuch über die Knie gelegt. Christus hält eine – weil kleiner dargestellt: jugendliche? – Figur auf dem Schoß bzw. im Arm. Dies entspricht zwar genau dem Bibeltext, verursacht jedoch einen ‚Fehler im Bild‘, denn damit werden um Christus insgesamt 13 Jünger dargestellt, da Judas ja zu ihnen zählt.55 Er ist durch seine besondere Positionierung vor der Tafel jedoch räumlich von ihnen getrennt dargestellt, was seine Isolierung vom Kreis des engen Gefolges Christi durch seinen Verrat treffend im Bild fasst. Die Tafel ist reich gedeckt. Auf ihr sind unterschiedlich geformte Schalen mit Fuß, ein Deckelpokal, weitere Pokale mit Fuß, eine Daubenschale, sieben Messer sowie kleine, runde Brote (oder vielleicht Brettchen?) zu sehen. Obwohl die Darstellung der Behältnisse keinen Aufschluss über de-
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Nach Möller (1937), Sp. 37, dominiert „seit dem 12. Jh. … dieses Motiv in Deutschland fast ausschließlich.“ Dass auch diese Geste die hochmittelalterlichen Bilddarstellungen des deutschen Sprachraums besonders prägt, betont Möller (1937), Sp. 37 In der Abendmahlsszene vom mittleren Westportal des Straßburger Münsters finden sich folglich nur 11 Jünger um Christus auf seiner Seite des Tisches versammelt, auf der anderen kauert Judas, vgl. Möller (1937), Sp. 35 f., Abb. 9
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ren möglichen Inhalt bietet,56 vermittelt sich der Eindruck eines prächtigen, keinesfalls eines schlichten Mahles.57 Die kompositorische Ähnlichkeit zwischen dieser Abendmahlsszene und der Tafelszene aus der Münchner ‚Parzival‘-Handschrift fällt ins Auge. Es fragt sich jedoch, ob sich die Bildsequenzen zu literarischen Texten den kundigen zeitgenössischen Betrachtern stets auch als Ausdruck biblischer Weisheit erschlossen, ob die Illuminationen ‚weltlicher‘ Texte für sie damit grundsätzlich (auch) einen transzendentalen, in die Sphäre des Religiösen weisenden Charakter besaßen. Unter Bezug auf den ‚Parzival‘-Stoff, der einige Anleihen an religiöse Motive bietet, wurde dies verschiedentlich bejaht: „L. E. Saurma-Jeltsch hat darauf hingewiesen, dass der Illustrationstyp des Cgm 19 auf die traditionelle Ausstattung kostbarer Bibelhandschriften zurückgreift. Sie stützt ihre Auffassung einer heilsgeschichtlichen Interpretation des Romans auf den Rückgriff auf dieses Konzept und auf die ikonographische Detailgestaltung. Gewiss wird, wie die Autorin ausführt, in den Festmahlsdarstellungen eine Assoziation der Abendmahlsdarstellung fühlbar“.58 Auch wurden Versuche unternommen, die oben gezeigte Szene mit dem Fußfall Cundries mit einer Darstellung aus dem elsässischen Bonmont-Psalter in eine enge Beziehung zu setzen, in der Jesus Salbung durch Maria Magdalena abgebildet wird.59 Gegen eine so deutlich theologisch orientierte Interpretation der ‚Parzival‘-Illuminationen werden jedoch auch skeptische Stimmen erhoben: „Beweisen lässt sich das nicht. … Einwenden kann man gegen eine so stringente heilsgeschichtliche Deutung der Funktion der Bilder des Cgm 19 im Grundsatz: wie viel bewusste Absicht und wie viel unbewusste Prägung durch ‚Vor‘-Bilder hier vorliegt, ist nicht messbar.“60 Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der im Laufe der vergangenen etwa 80 Jahre gewandelten Sicht auf die zahlreichen Bilddarstellungen der zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Handschrift mit dem ‚Eneasroman‘ von Heinrich von Veldeke.61 Dabei „hat die in den frühen zwanziger Jahren methodisch durchaus fortschrittliche, nach 1945 jedoch in ihrer 56
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Viele Abendmahlsszenen zeigen z. B. Fisch(e) und/oder Krüge, die auf das Vorhandensein von Wein hinweisen, vgl. Möller (1937), Sp. 35 Näher an der biblischen Botschaft liegt hier die bereits erwähnte Abendmahlsszene vom Westportal des Straßburger Münsters, bei der auf dem Tisch lediglich runde Brote und Pokale (für den Wein) zu sehen sind; vgl. auch die Abb. des Abendmahls vom Westlettner des Naumburger Doms unten auf S. 494 Stephan-Chlustin (2004), S. 36 Vgl. Stephan-Chlustin (2004), S. 36 Stephan-Chlustin (2004), S. 37 Vgl. dazu unten Abschnitt 3.2
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Prononciertheit hastig und unausgewogen wirkende Anbindung des Zyklus an sakrale Kunst das Verständnis eher behindert als gefördert. Indem man fortwährend Handlungsmotive und Szenen als Ableitungen von kirchlichen Themen sah, trat das eigene Recht der profanen Darstellung allzu leicht in den Hintergrund, und man vergaß dann, daß es sich bei solchen Adaptionen doch wohl mehr um technische Vorgänge der Gestaltung gehandelt hatte, nicht um inhaltliche Bezugnahme, jedenfalls nicht mit tieferem Sinn.“62 Wie die Hersteller mittelalterlicher ‚weltlicher‘ Buchmalerei werden auch viele ihrer damaligen Betrachter Darstellungen biblischer Geschichten, auch mit Tischszenen, gut gekannt haben.63 Ob und in wiefern sie jedoch zwischen Darstellungen aus eindeutig religiösem Kontext und den Buchmalereien in zeitgenössischen Handschriften mit nicht-religiösen Inhalten unterschieden, ob sie – auch wenn die Darstellungen z. B. durch besondere Attribute eindeutig der einen oder anderen Sphäre zuzuordnen waren (hier Heiligenschein, dort Krone) – ggf. gleich oder doch ganz unterschiedlich wahrgenommen bzw. ‚gelesen‘ wurden, muss offen bleiben. In der neuzeitlichen Diskussion scheint schließlich oft nicht klar trennbar, ob sich Aussagen zu hochmittelalterlichen Rezeptionsgewohnheiten wirklich aus dem Fundus der Bilddarstellungen, aus den möglichen Verbindungen zwischen Malerschulen, Handschriften, Illustratoren und inhaltlichen Stoffen ableiten lassen oder ob sich nicht eher die Kenntnis und Gelehrsamkeit moderner, auch vergleichender Wissenschaft auswirken, die zuweilen gleichsam auf Rezeptionsaspekte früherer Zeitalter rückprojiziert zu werden scheinen.
3.2 „der chunich ze tische giench“ – Tafeldarstellungen in illuminierten Epenhandschriften Besonders seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert gibt es zwar eine ganze Reihe komplett erhaltener Codices und auch Handschriften-Fragmente, die volkssprachliche literarische Texte enthalten, nur wenige davon wurden jedoch durch Bilddarstellungen ergänzt. So fehlen z. B. Illuminationen zu Hartmanns ‚Erec‘ und ‚Iwein‘ oder zum ‚Nibelungenlied‘ in Handschriften 62 63
Diemer (1992), S. 913 Vgl. zu Entwicklung und Inhalten der deutschen Buchmalerei von 1200–1500, die bis in das spätere Mittelalter durch klösterliche Malerwerkstätten besonders von religiösen Motiven geprägt war, auch O. Mazal in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 852 ff. s.v. Buchmalerei
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dieser Zeit völlig.64 Andere Codices mit zeitgenössischen Dichtungen enthalten zwar Illuminationen, nehmen dabei jedoch keine Tafelszenen auf. Ein Beispiel dafür bietet der Cgm 63 der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Rudolfs von Ems ‚Wilhelm von Orlens‘.65 Ein frühes Beispiel für eine volkssprachliche Handschrift, deren literarischer Text durch Bildseiten ergänzt wurde, bildet der mit der Signatur Ms. germ. fol. 282 (B) versehene, wohl zwischen 1210 und 1220 in Nordbayern oder Thüringen entstandene Pergamentcodex der Berliner Staatsbibliothek mit dem ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke.66 Diese Handschrift „erhält ihren außerordentlichen Rang durch ihre Bebilderung … sowie die Tatsache, daß es sich bei ihr um die älteste erhaltene annähernd vollständige Hs eines der großen mhd. Epen handelt.“67 Der Codex enthält 71 Bildseiten, die fast durchgehend mit zwei Darstellungen versehen sind, „sechs Bildseiten fehlen, und mit dem Schluß dürften weitere 16 Bildseiten verloren gegangen sein.“68 Auch wenn der dreispaltig fortlaufende Text und die ihm jeweils gegenüber gestellten Illuminationen getrennt voneinander entstanden sein dürften, stehen sie in einem engen Zusammenhang. So nehmen die Illuminationen häufig auf erzählerische Details Bezug, der Illustrator muss daher über eine sehr genaue Kenntnis
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Vgl. Peter Jörg Becker: Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen. Eneide, Tristrant, Tristan, Erec, Iwein, Parzival, Willehalm, Jüngerer Titurel, Nibelungenlied und ihre Reproduktion und Rezeption im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Wiesbaden 1977, S. 19 ff. Zu Hartmanns ‚Erec‘ sind Illuminationen schwerlich zu erwarten, datieren doch nur Fragmente dieses Werkes in das Hochmittelalter. Der erste, annähernd vollständige Text findet sich erst Anfang des 16. Jahrhunderts im sog. ‚Ambraser Heldenbuch‘, vgl. Christoph Cormeau s.v. Hartmann von Aue in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 500–520, hier: Sp. 506. Illuminationen zum ‚Nibelungenlied‘ sind erst durch die um 1440 datierende sog. ‚Hundeshagensche Handschrift‘ überliefert (Handschrift b, Berlin, mfg 855), ferner bietet die Handschrift k vom Ende des 15. Jahrhunderts (sog. ‚Piaristen-Handschrift‘, Wien, Cod. 15478) einen illuminierten Nibelungen-Text, vgl. Michael Curschmann unter dem Stichwort ‚Nibelungenlied und Klage‘ in: VL Bd. 6 (1987), Sp. 926–969, hier: Sp. 928 sowie Staatliche Bibliothek Passau: Das Nibelungenlied in den Augen der Künstler vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Passau 1986, S. 8 und S. 44 Vgl. Erika Weigele-Ismael: Rudolf von Ems: Wilhelm von Orlens. Studien zur Ausstattung und zur Ikonographie einer illustrierten deutschen Epenhandschrift des 13. Jahrhunderts am Beispiel des Cgm 63 der Bayerischen Staatsbibliothek München. (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII. Bd. 285). Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995 Vgl. Becker (1977), S. 23 f. Becker (1977), S. 24, vgl. Unger (1986), S. 95 Diemer (1992), S. 911
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des gesamten Textes verfügt haben.69 Die Reihenfolge der Bilder folgt dabei nicht nur recht genau dem Gang der Erzählung, sie ist angesichts der Gegenüberstellung von Text- und darauf bezogener Bildseite überdies bemüht, sich auch am Erzähltempo zu orientieren.70 Dies forderte dem Schöpfer der Bildfolge einigen Einfallsreichtum ab, besonders dort, wo sich in der Textvorlage lange Passagen mit Mono- oder Dialogen finden, die sich als eigenes Motiv nur schwer wiedergeben lassen: „Die Szenenauswahl der Berliner Veldeke-Illustrationen versteht sich, da sie dem Text in gleichem Tempo zu folgen hat, keineswegs von selbst. Der Dichter lässt Passagen von gedrängter Handlung abwechseln mit langen Gesprächen oder Monologen, die kaum Stoff zum Illustrieren enthalten. Er kann sich auch Rückgriffe und Wiederholungen gestatten, die in der Bildsequenz erheblich stören würden. Wie souverän der für das Illustrationskonzept Verantwortliche mit seiner Anpassungsarbeit fertig wird, verdient Würdigung. … Die als Folge dieser Ausgleichsarbeit unvermeidlichen Diskrepanzen im Nebeneinander von Text und Bild halten sich im Rahmen des Unauffälligen.“71 Dabei orientierte sich der Illustrator bei manchen seiner Motive zwar an einschlägigen Kopiervorlagen,72 die Anordnung und Logik seiner den Text begleitenden Bilderzählung folgen jedoch keiner älteren Tradition von Äneis-Illuminationen, sondern bilden „eine zugleich originelle und kohärente Leistung.“73 Die erste Darstellung einer Speiseszene findet sich oben auf Blatt 9v. Es handelt sich um die Szene, die im Text in den Versen 39, 18 ff. beschrieben wird: Eneas hat sich nach Didos Einladung mit seinen Gefährten an den Hof der Königin begeben. Für ihren Gast richtet Dido ein Festmahl aus. An der langen, mit einem bodentief reichenden Tischtuch74 bedeckten Tafel sitzen die (nur vier) Speisenden. Die Figuren sind einander in Zwei69
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Vgl. Albert Boeckler: Heinrich von Veldeke. Die Bilder der Berliner Handschrift. Leipzig 1939, S. 16 und Diemer (1992), S. 920 mit ausgewählten Beispielen Vgl. Diemer (1992), S. 917 Diemer (1992), S. 919 So z. B. bei seiner Darstellung von Schiffen und nautischen Details, vgl. Diemer (1992), S. 920 Diemer (1992), S. 920 Ein interessantes Detail zeigen hier der Saumabschluss und Faltenfall des Tischtuchs. An zwei Stellen ist zu sehen, wie das Tischtuch zum Boden hin in Falten ausläuft, die zeichnerisch in ‚T‘-Form wiedergegeben werden. Dort, wo sich ein solches ‚T‘ fand – und das ist bei vielen mittelalterlichen Tafeldarstellungen der Fall –, könnte es durch viele mittelalterliche Betrachter als ein Symbol der Trinität wahrgenommen worden sein, vgl. Klementine Lippfert: Symbol-Fibel. Eine Hilfe zum Betrachten und Deuten mittelalterlicher Bildwerke. Kassel 1955, S. 96 ff. s.v. Falte, hier bes. S. 100. Wie oben bereits am Beispiel der ‚Parzival‘-Illuminationen angespro-
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ergruppen zugewandt. Die Reduktion ihrer Zahl erlaubt es dem Darsteller, die abgebildeten Personen vergleichsweise groß darzustellen75 und sich in ihrer Zeichnung auch Details zu widmen, z. B. dem Faltenwurf ihrer Gewänder. Eneas (ganz links) und neben ihm Dido sind durch eine in den Bildrahmen eingefügte, gesonderte Schriftleiste gekennzeichnet. Dido ist um eine zuvorkommende Bewirtung ihres Gastes bemüht.76 Ihr Truchsess, der als Zeichen seines Amtes einen Stab in seiner angewinkelten Linken hält, reicht Eneas gerade von der Seite der Tafel einen verzierten Deckelpokal an, den dieser ergreift. Von der betrachterorientierten Seite der Tafel präsentieren zwei Diener knieend Schalen mit Speisen, die leider aufgrund des verblichenen Bildstriches nicht genauer erkennbar sind. Auf der Tafel sind Messer zu sehen, je eines für jedes Figurenpaar. Zu Didos linker Hand steht ein Daubenbecher, der als hölzernes Tafelgerät dem Illustrator für ein exklusives, königliches Festmahl offenbar nicht unpassend erschien – möglicherweise ein Hinweis darauf, dass hölzernes Geschirr auch in begüterten Haushalten nicht ungewöhnlich und sogar weit verbreitet war?77 Auf dem Tischtuch sind ferner verschiedene Sorten von Brot bzw. Gebäck verteilt, links ein halbmondförmiges Brot, in der Bildmitte drei ineinander gestaffelt aufgelegte runde Brote ( ? ) sowie drei an ihren Enden schneckenförmig eingerollte Gebäckstücke.78 Der Reichtum von Didos Tafel wird so allein schon durch die Variation weniger ausgewählter, für den Betrachter leicht identifizierbarer Speisen – hier: der verschiedenen gereichten Gebäckformen – dargestellt. In ihren einzelnen Elementen gibt diese Illumination die in den zeitgenössischen Dichtungen aufgeführten Merkmale einer angemessenen höfischen Tafel recht genau wieder. Zwar ist die Zahl der Speisenden hier nur gering, doch ist die Tafel mit Tischtuch und Gerät sorgfältig gedeckt. Sie enthält bereits verschiedene Speiseangebote (Brote), zusätzlich werden weitere Gerichte serviert. Es gibt mehrere Diener – hier im Bild je einen für
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chen, haftet solchen aus der Neuzeit retrospektiv vorgenommenen Deutungen jedoch ein erheblich spekulativer Zug an Vgl. Diemer (1992), S. 915 Vgl. Diemer (1992), S. 915 Wegen des verblassten Bildstrichs und daher nur schwachen Bildkontrasts nicht klar erkennbar ist das Gefäß, das die am rechten Bildrand sitzende Person ihrem Nachbarn anbietet. Da das hohe (Trink-)Gefäß jedoch zwei umlaufende Reifen aufweist, könnte es sich auch bei ihm um einen Daubenbecher handeln In seinem kunsthistorischen Kommentar zur Faksimileausgabe der Berliner Handschrift des ‚Eneasromans‘ (1992) sieht Andreas Fingernagel in dieser Illumination des Gastmahls der Königin Dido lediglich „hörnchenförmige Brote“ (S. 62)
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Abb. 7: Didos Festmahl für Eneas.79 Henrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. 79
zwei Teilnehmer am Festmahl –, und mit der Erscheinung des Truchsessen erweist sich Didos Hofhaltung als ‚auf der Höhe ihrer Zeit‘, hier des Hochmittelalters, stehend.80 Dieses Motiv wird wenige Blätter später wieder aufgenommen, wenn auch in etwas modifizierter Form. Eneas und Dido sind sich inzwischen näher gekommen, sie heiraten, und aus diesem Anlass wird ein Festmahl arrangiert (vgl. ‚Eneasroman‘, 64, 38 ff.). Wie bei der ersten Tafelszene sitzen lediglich vier Personen am Tisch, die stellvertretend für die große Hochzeitsgesellschaft stehen. Eneas und Dido sind wiederum durch über der Szene angebrachte Schriftbänder eigens gekennzeichnet, obwohl Dido wie zuvor schon durch ihre Krone als Königin erkennbar ist. Anders als in der Szene zuvor sind bei Eneas und 79
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Von links nach rechts sind der Truchsess, Eneas und Dido – beide in der oberen Bildbegrenzung namentlich gekennzeichnet – und zwei nicht näher bezeichnete Gäste zu sehen Vgl. Boeckler (1939), S. 22
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Abb. 8: Dido und Eneas feiern ihre Hochzeit mit einem Festmahl.81 Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. 81
Dido „die Rollen vertauscht, Eneas demonstriert seine Fürsorge für das Wohl der frisch angetrauten Gattin.“82 Die gesamte Szene ist etwas nach rechts verschoben, sodass die am rechten Bildrand sitzende Figur, die eine Hand gerade zum Munde führt und mit den anderen in eine auf der Tafel angerichtete Speiseschüssel greift, beinahe aus dem Bild ‚herausfällt‘. Die Tafelgesellschaft ist auch hier in zwei Zweiergruppen aufgeteilt, deren Figuren jeweils aufeinander bezogen sind. Die räumliche Verschiebung der langen Tafel nach rechts ermöglichte es dem Illustrator, in dieser Szene zwei Diener unterzubringen, die von der linken Bildseite aus verzierte Deckelgefäße, darunter einen runden, sog.
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Links von der Tafel zwei Pokale anreichende Diener, in der Bildmitte Eneas und die bekrönte Dido, rechts daneben ein Gastpaar, dessen an den Bildrand gesetzte Hälfte an der Tafel sichtbar ‚fleißig‘ zugreift Diemer (1992), S. 915
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‚Kopf‘,83 für die Speisenden anreichen. Ihre Haltung ist aufrecht, in der jeweils erhobenen rechten Hand halten sie die anzureichenden Gefäße, ihr linker Arm ist fast rechwinklig an den Körper geführt, eine Geste beherrschter, disziplinierter Haltung, die in der zuvor gezeigten Bildszene (fol. 9v) auch der Truchsess zeigt. Vor dem Tisch knieend, hier einander zugewandt dargestellt, reichen zwei weitere Diener Schalen mit Speisen an, von denen die rechte ein (stark stilisiertes) Hühnchen (bzw. einen Vogel) zeigen könnte. Auf dem Tisch sind keine Trinkgefäße zu sehen, dafür aber wieder zwei Messer und wie in der vorherigen Szene drei verschiedene Formen von Brot/Gebäck,84 hier jedoch in teilweise anderer Zahl. Dass es sich um Festmähler bei Hofe handelt, deuten außer der festlichen Tafel und der Bedienung sowie ggf. Didos Krone keine weiteren Attribute, z. B. Andeutungen eines Raumes, Fensters, Burgturms oder auch Möbel an. Die Zuordnung dieser Szenen ist damit eng auf den parallelen Erzählverlauf verwiesen. Ebenso verhält es sich mit der nächsten Speiseszene, die der Illustrator ins Bild setzte, ohne sich in ihr darstellerischer Attribute zu bedienen, die den besonderen Charakter dieses Mahles kennzeichnen. Es handelt sich nämlich um ein Picknick, das im Freien stattfindet. Nach Didos Tod haben Eneas und seine Gefährten Karthago verlassen. Auf ihrer Fahrt über das Meer stoßen sie auf die Tibermündung und landen an. Unter freiem Himmel nehmen sie dort eine Mahlzeit ein, die im Text als improvisiert und recht dürftig dargestellt wird (vgl. ‚Eneasroman‘, 111, 9 ff.). Dies wird durch die Illumination kaum treffend wiedergegeben: „Von den bedeutungsschweren Behelfsgeschirren ist nicht viel zu sehen, zwei Becher zeigen sogar Vergoldung.“85 Wie bei den bei Hofe spielenden Tafelszenen gibt es hier ein üppiges Tischtuch, ein Diener reicht mit der Andeutung eines Kniefalls von rechts Brot an, auf dem Tisch sind neben einem Deckelpokal und einem trichterförmigen Daubengefäß ein Messer und die bereits bekannten, verschiedenen Brot-/Gebäckformen zu sehen. Die Zweierfigurengruppe links im Bild teilt sich einen Fisch, der auf ein rundes Brot86 gelegt wurde. Auf ein improvisiertes Picknick weist auf
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Vgl. dazu Beispiele unten in den Abschnitten 8.2 und 8.3 (Köpfe/Scheuer aus Holz/ Glas) Auch in dieser Szene erkennt Andreas Fingernagel in seinem kunsthistorischen Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Berliner Handschrift (1992) lediglich „Messer, hörnchenförmige und halbrunde Brote“ (S. 63) Diemer (1992), S. 953 Oder etwa doch ein rundes Brettchen?
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Abb. 9: Die Prophezeiung des Anchises erfüllt sich.87 Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. 87
den ersten Blick lediglich die merkwürdige Bewegung des Tischtuches hin: Eneas und seine Gefährten haben es sich über die Knie gelegt, weil bei dem behelfsmäßigen Imbiss keine Tischplatte verfügbar ist. Wie bei den anderen Szenen fällt das Tischtuch, das zeichentechnisch offenbar gebraucht wird, um die eine Tafelszene kennzeichnenden Gegenstände darauf platzieren zu können, prachtvoll in Falten – es scheint, dass sich hier der darstellerische Kanon über die Logik hinweg setzt, die die Erzählung und deren bildliche Umsetzung eigentlich verlangt hätten.88 87
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Die zweite Figur von links ist durch eine namentliche Kennzeichnung in der oberen Bildbegrenzung als Eneas Sohn Ascanius zu identifizieren, rechts neben ihm Eneas selbst Auch mehr als ein Jahrhundert später fiel es Illustratoren offenbar schwer, eine Tafel unter freiem Himmel darzustellen. Die Tafel zeichentechnisch unter Bäume oder auf einen Rasen/grünen Grund zu setzen, hätte eine einfache Lösung bedeutet. Offenbar war jedoch die Tafel als zentrales Bildthema so wichtig, dass sie noch in Darstellungen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts einen breiten, wenn nicht gar die Szene komplett beherrschenden Raum einnahm. Ein Beispiel dafür bietet eine Mahlzeit im Freien, die in der Bilderchronik Kaiser Heinrichs VII. und Balduins von Luxemburg enthalten ist (entstanden um 1340; Koblenz, Staatsarchiv Abt 1 C Nr. 1,
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Dennoch gelingt es dem Illustrator, in dieser Szene Details der Texthandlung genau wiederzugeben. Es ist der Moment, in dem Eneas und seine Begleiter feststellen, dass sie, die aus der trojanischen Heimat Vertriebenen, den Ort gefunden haben, an dem sie sich niederlassen werden. Eneas’ Vater Anchises hatte ihm bei Eneas’ Besuch im Elysium prophezeit, dass die Flüchtlinge an der Stelle bleiben sollten, an der sie aus Not gezwungen sein würden, ihr Tischgeschirr zu verspeisen.89 Der Inhalt dieser Prophezeiung muss für die Rezipienten des Hochmittelalters durchaus seinen eigenen Witz gehabt haben, da es gebräuchlich war, Speisen wie Fleisch und Fisch auf einem Brot abzulegen, das als Teller fungierte. Genau diese Szene hat der Illustrator eingefangen. Dass man sich dennoch der exakten Zuordnung der Szene wohl nicht ganz sicher war, beweist das von einer gesonderten Schreiberhand gefüllte Spruchband, das sich in breit angelegtem Schwung durch die Szene zieht. Es enthält als Erläuterung den Hinweis auf die Prophezeiung durch Anchises: Wir schvln des niht vergezzen. daz wir vnser schvzzel hie ezzen.90 Eneas erinnert sich gerade an die Weissagung seines Vaters. Er hält ein Manuskript oder Buch in der Hand „und er beginnt, mit den Fingern die einzelnen Punkte seiner Darlegung abzählend, den Sachverhalt zu erklären.“91 Da am Schluss des Codex Blätter verloren gingen, sind leider keine Illuminationen erhalten, die Eneas’ aufwändige Hochzeit mit Lavinia begleiten.92 Die letzte, in der Berliner Handschrift enthaltene Illumination einer Speise-
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fol. 3r, Abb. bei Rohr [2002], S. 87). An der reich gedeckten, die gesamte Bildbreite einnehmenden Tafel sitzen zehn Personen. Dass es sich um ein im Freien stattfindendes Mahl handelt, ist an dem unebenen, leicht hügeligen Boden vor der Tafel zu erkennen und daran, dass den Speisenden neue Gerichte und Kannen durch Truchsess und Diener zu Pferde angereicht werden. Der Illustrator der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift fand für die Darstellung eines Mahles im Freien eine andere Lösung, vgl. dazu unten S. 203 Vgl. Diemer (1992), S. 953; im kunstgeschichtlichen Kommentar Fingernagels zur Faksimile-Ausgabe der Berliner Handschrift (1992) fehlt in der Beschreibung dieser Szene der Bezug zur Prophezeiung des Anchises (S. 69) In enger Anlehnung an den Text, in dem mehrfach auf die Situation des ‚Geschirraufessens‘ angespielt wird, z. B. 111, 35/3785 ff.: des enwil ich niht vergezzen; daz wir unser schuzeln ezzen
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„Das werde ich nicht vergessen, daß wir unsere Schüsseln verzehrt haben“ Diemer (1992), S. 953 Vgl. dazu die Darstellung der Hochzeit mit Dido im ‚Eneasroman‘ oben S. 191
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szene steht daher im Kontext der zwischen beiden sich entwickelnden Liebesgeschichte. Was der Text zu Eneas’ Befinden beim Abendessen deutlich erwähnt, fängt diese Szene jedoch nicht ein: Lavinia hatte Eneas einen Brief geschrieben, den sie mit Hilfe eines Schützen durch einen Pfeil in dessen Nähe transportieren lässt. Von Lavinia und dem Schützen beobachtet, findet Eneas Pfeil und Brief. Er liest das Schreiben und wird dadurch so aufgewühlt, dass er beim Abendessen vollkommen appetitlos ist (vgl. ‚Eneasroman‘, 291, 26ff.). Die hier über die gesamte Bildbreite laufende Tafel nimmt innerhalb der Darstellung den größten Raum ein. Wiederum gibt es ein üppiges Tischtuch, auf dem ein Messer, halbmondförmige Brote, ein rundes Brot, ein reich verziertes Deckelgefäß mit aufwändig gestaltetem Fuß und eine (mit einem Huhn gefüllte?) Schale arrangiert sind. Ein gerade im Kniefall, in der Bewegung befindlicher Diener reicht von links eine weitere, wohl mit einem Tierkopf 93 gefüllte Schale an. Keine der in dieser Darstellung ins Bild gesetzten Figuren zeigt eine dem Tisch und den darauf angerichteten Speisen gegenüber interesselose oder ablehnende Haltung. Vielmehr scheinen alle Anwesenden gerade mehr oder weniger intensiv mit dem Essen und Trinken befasst. Die links im Bild befindliche Figur hält einen verzierten Pokal in Händen und setzt zum Trinken an. Sie scheint ihrem Nachbarn geradezu ‚zuzuprosten‘. Der Tischnachbar in dieser Zweiergruppe (Eneas) streckt seine linke Hand in diesem Moment der durch den Diener angereichten Schale entgegen.94 Die linke 93
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So die Deutung Fingernagels im kunsthistorischen Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Berliner Handschrift (1992), S. 88. Da der Zeichenstrich nur schwach ausgeprägt ist und der Inhalt der Schüssel dem ähnelt, der in der bereits auf der Tafel angerichteten Schüssel zu sehen ist, könnte es sich auch hier um ein Hühnchen oder anderes Geflügel handeln In seinem Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Berliner Handschrift (1992) sieht Fingernagel diese Szene anders: „Während das rechte Paar sich an den aufgetragenen Speisen und Getränken erfreut, sitzt der liebeskranke Eneas … versonnen am Tisch. Sein Tischpartner bietet ihm einen pokalförmigen Becher an, den Eneas aber zu ignorieren scheint“ (S. 88). Die einzigen Hinweise auf eine gedrückte Verfassung, die sich bei der Eneas-Figur finden, sind die unter seine Augen gesetzten, halbmondförmigen Schatten (‚Augenringe‘), die so ausgeprägt nur diese Figur trägt. Außerdem ist die Iris seiner Augen so gesetzt, dass er an seinem Tischnachbarn vorbeizusehen scheint. Hätte der Illustrator darüber hinaus darstellen wollen, dass Eneas die Nahrung verweigert, hätte er z. B. dessen linken Arm hinter dem Tisch verschwinden lassen oder versuchen können, ihn in nachdenklicher Pose mit gebeugtem/angewinkeltem Kopf darzustellen, der auf die Hand gestützt ist. Stattdessen lässt er Eneas Hand über den Tisch in Richtung der Schale ‚greifen‘, was als Geste eines In-Sich-Gekehrtseins, der Melancholie oder auch eines Desinteresses an der gedeckten Tafel nicht gut passt
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Die Tafel im Bild
Abb. 10: Eneas (2. von links) beim Abendessen nach dem Erhalt von Lavinias Brief. Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh.
Figur in der rechts im Bild dargestellten Zweiergruppe scheint sich mit ihrem Nachbarn zu unterhalten. Mit ihrer Rechten und mit einer Segnung ausdrückenden Geste95 hält sie ein Gefäß, das auf dem Tisch steht. Der Nachbar rechts im Bild will gerade ein Getränk zu sich nehmen, den in der Hand befindlichen (‚dreibündigen‘) Daubenbecher zu freundlichem Zutrinken erhoben. Die Haltung der dargestellten Personen, die jeweils nur die Hand zur Tafel führen, die ihrem Tischnachbarn abgewandt ist, ist sehr gesittet: sie entspricht im Detail der zeitgenössischen Etikette.96 In seiner Bewertung der in der Berliner Handschrift des ‚Eneasromans‘ abgebildeten Speiseszenen kommt Andreas Fingernagel zu dem Schluss: 95
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Das Abknicken der letzten beiden Finger bei gleichzeitigem Ausstrecken der anderen Finger einer Hand kennzeichnet die lateinische Segnungsgeste, vgl. Gerd HeinzMohr: Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst. Düsseldorf/Köln 1971, S. 124 ff. s.v. Hand, hier: S. 125 Vgl. dazu oben Abschnitt 2.2.4 (Tischzuchten)
Die Tafel im Bild
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„Die Festtafel ist für heutige Begriffe relativ unscheinbar gedeckt; Gefäße und ‚Besteck‘ sind ohne auffälligen Prunk und ohne erkennbare Ordnung auf den Tischen verteilt.“97 Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig, wenn nicht gar falsch. Als Vergleichsmaßstab bei der Darstellung einer Festtafel sollten zunächst nicht ‚heutige Begriffe‘, sondern andere zeitgenössische Bildzeugen herangezogen werden. Der Blick auf diese hätte eröffnen können, dass auch andere Illuminationen mit dem Motiv eines (höfischen) Festmahles keine hohe Zahl an Tischgeräten aufweisen, so z. B. die bereits gezeigte Szene aus der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift (vgl. oben S. 177, Abb. 4). Dass der Illustrator des ‚Eneasromans‘ Gefäße und Besteck sehr schlicht darstellte, geht aus den Bilddarstellungen ebenfalls nicht hervor. Lediglich die auf den Tischen stehenden sowie die im Moment des Anreichens skizzierten Schalen können als schmucklos bezeichnet werden. Die dargestellten Trinkgefäße aus Holzdauben sind so detailliert wiedergegeben, dass sie eindeutig identifizierbar sind. Sämtliche Pokale und Deckelgefäße weisen Schmuckelemente oder Verzierungen auf, entgegen der literarischen Darstellung eines sehr behelfsmäßigen ‚Picknicks‘ unter freiem Himmel, das Eneas und seine Gefährten bei der Landung an der Tibermündung veranstalten, sogar das runde Deckelgefäß, das in der Illumination dieser Szene in der linken Bildhälfte zu sehen ist. Ferner wurden – wie Fingernagel an anderer Stelle selbst vermerkt – verschiedene Gefäßabbildungen mit Gold- oder Silberausmalung versehen.98 An Besteck bieten die Speiseszenen nur Messer, deren Klingen und Griffe der Illustrator jedoch in Variationen darstellt: gerade Klingen bei Didos Festmahl, mit einer Kehlung versehene in den anderen Illuminationen. Die Messergriffe weisen teilweise ringförmige Verzierungen auf, andere sind mit gekreuzten Bändern (zur Befestigung des Griffs an der Klinge) versehen. Bei den beiden Festmählern an Didos Hof sind die Messer auf der Tafel für jeweils ein Figurenpaar, demnach planvoll und nicht ‚ohne erkennbare Ordnung‘ arrangiert. Mit Ausnahme der ‚Picknick‘-Szene können auch die auf den Tischen stehenden sowie die im Moment des Anreichens befindlichen Speisen jeweils einem an der Tafel platzierten Figurenpaar zugeordnet werden. Bezogen auf die Zahl der an der Tafel platzierten Personen, ist das in den Illuminationen des ‚Eneasromans‘ dargestellte Tischgerät keineswegs ‚dürftig‘. Dies zeigt sich u. a. im Vergleich zu weiteren Tischszenen, die der Münchner Codex Cgm 19 mit Wolframs ‚Parzival‘ enthält.
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Fingernagel (1992), S. 119 Vgl. Fingernagel (1992), S. 120
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Die Tafel im Bild
An der Tafel, die die gesamte Bildbreite einnimmt, sind 14 Personen versammelt. Für sie sind 11 Schüsseln und Schalen mit Fuß aufgetragen, versehen „mit Geflügel, Fisch, Eiern oder Früchten und anderen Speisen.“99 An der vorderen Tischkante sind „vier goldene, rechts und links außen jeweils noch ein silberner Doppelbecher“ bereit gestellt.100 König Artus, den ein Schriftband eigens kennzeichnet, hält ein breites Vorlegemesser in seiner linken Hand, das ihn als Gastgeber ausweist.101 Auf der Tafel liegen ferner drei spitzovale und zwei runde Brote. Die hohe Zahl der am Tisch sitzenden Figuren bringt es mit sich, dass das Tischgerät und die aufgetragenen Speisen in dichter Folge nebeneinander aufgereiht dargestellt werden mussten. So wirkt diese Tafel reicher bestückt als diejenigen, die in den Illuminationen des ‚Eneasromans‘ begegnen. Im Verhältnis zu der Zahl der jeweils am Tisch sitzend abgebildeten Personen – im ‚Eneasroman‘ sind es bei den Tafelszenen jeweils nur vier – sind das auf der Tafel abgebildete Gerät und die Quantität der Speiseangebote in den Darstellungen durchaus vergleichbar. Wie üblich, wird die Tafelgemeinschaft in mehrere Zweiergruppen aufgeteilt dargestellt. Die Tafelgemeinschaft scheint sich beim Essen angeregt zu unterhalten. Einander zugeneigte Köpfe, dreimal auch die Darstellung einer Figur im Profil, variationsreiche Gestik und Haltung der Figuren sowie das im Bildvordergrund schwungvoll fallende Tischtuch vermitteln der Szene eine gewisse Dynamik. Die in Mahlszenen sonst oft dargestellte Bedienung fehlt hier. Aufgrund der in der Münchner ‚Parzival‘-Handschrift blockweise eingebundenen Bildseiten wird die Zuordnung dieser Szene wegen des nicht parallel laufenden Textes schwierig. Fridolin Dreßler weist diese erste von drei im Cgm 19 vorhandenen Speiseszenen den Strophen 729–731 zu, in denen es für ihn (nur) um die Hochzeit von Gramoflanz und Itonie geht.102 Mit Bezug auf andere Illuminationen der Handschrift, die verschiedene, im Text geschilderte Motive gleichsam in Form einer Zeitraffer-Darstellung bündeln, sowie mit Blick auf den Text wird diese Zuordnung jedoch fraglich: „Im Bericht der Dichtung findet das Fest keine genauere Darstellung. Es wird nur festgestellt: ‚nu darf nieman sprechen wâ / schœner hôchgezît ergienc‘ (730, 30; 731, 1). … Die Abendmahlzeit wird explizit an den Rand gerückt: ‚des nahtes umbe ir ezzen / muge ir mære wol vergezzen‘ (731, 9.10).
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100 101 102
Fridolin Dreßler zu dieser Szene im Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe des Cgm 19 (1970), S. 27 Dreßler (1970), S. 27 Dreßler (1970), S. 27 Dreßler (1970), S. 27; er neigt ferner der Ansicht zu, dass die Mahlszenen in der ‚Parzival‘-Handschrift „als Zitate der christlichen Ikonographie, d. h. der Abendmahlszene aufgefasst werden“ sollten, so Stephan-Chlustin (2004), S. 27
Die Tafel im Bild
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Abb. 11: Hochzeitsmahl am Artushof.103 Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250 103
Das Fest hat dem Bericht nach eine Doppelfunktion: es ist Sühneversammlung, ‚suone teidinc‘ (729, 5) und Hochzeitsfeier mehrerer Paare – Gramoflanz – Itonje, Lischoys – Cundrie …, Florand – Sangive (729, 27–730, 10).“104 Wahrscheinlicher ist es daher, dass der Illustrator in dieser Szene verschiedene Motive der Erzählung zusammenfasste.105 Entsprechend verhält es sich auch mit der letzten, in den Münchner Cgm 19 eingebundenen Speiseszene. Auf dem wiederum in drei – über die gesamte Seitenbreite laufenden – Bildstreifen eingeteilten Blatt steht es an oberer Stelle. Ihm folgt eine Szene, die „aller Wahrscheinlichkeit nach vom Maler falsch in den Ablauf der Erzählung eingereiht worden ist“.106 In dieser folgenden Szene reitet Parzival, ohne Waffen und von mehreren, ebenfalls unbewaffneten Personen begleitet, seiner Gattin Condwiramurs entgegen. Die Bildseite schließt mit einer Bildspalte ab, auf der u. a. die Taufe von Feirefiz dargestellt ist.107 103
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Durch Spruchbänder gekennzeichnet sind Artus (mit Krone und gelbem Umhang), Gramoflanz (dessen Figur durch die grün gewandete Figur links neben ihm teilweise überdeckt wird) sowie Parzival mit blondem Haar und blau gekleidet, der nach links übernächst sitzenden Figur, wohl einer Dame, zugewandt, denn er fasst sie bei der Hand Stephan-Chlustin (2004), S. 27 Vgl. Stephan-Chlustin (2004), S. 27: „Der Illustrator hat hier aus eigener Vorstellung ein nicht näher berichtetes Festmahl dargestellt.“ Dreßler im Kommentar zur Faksimile-Ausgabe des Cgm 19 (1970), S. 30 Vgl. Dreßler (1970), S. 30
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Die Tafel im Bild
Abb. 12: Festmahl auf der Gralsburg. Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250
Die Zahl der Speisenden hat der Illustrator im Vergleich zu den zwei anderen Bilddarstellungen mit Mahlszenen hier reduziert: an der wiederum die gesamte Bildbreite einnehmenden Festtafel sitzen nur neun Personen. Es scheinen nur Herren zu sein, worauf die den Figuren eigenen Frisuren hinweisen.108 Auf der langen Tafel sind bereits neun Fußschalen mit Speisen angerichtet: drei enthalten ein Huhn (bzw. einen Vogel), zwei sind mit Fisch gefüllt und zwei mit rund geformten, nicht näher definierbaren Speisen. Am rechten Bildrand109 sind zwei kolorierte Brote dargestellt, eines mit runder und eines in spitzovaler Form. Die Bildmitte und der rechte Bildteil der Tafel zeigen zwei weitere, lanzettförmige Brote, die nicht koloriert wurden. Parzival, der hier Gastgeber ist und eine silberne Krone trägt, hält in seiner rechten Hand ein großes Vorlegemesser, in seiner linken ein Spruchband, das ungefüllt blieb. Sein im Bild nach rechts folgender, „linker Nachbar, wohl Feirefiz (810, 3 ff.), hält ebenfalls ein unbeschriebenes Band und reicht mit der rechten Hand einen Pokal, der sich nach dem Text auf der Gralsburg stets von selber füllt (810, 4), weiter an seinen linken Nachbarn.“110 108 109
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Vgl. Walworth (2004), S. 314 und Dreßler (1970), S. 29 In diesem Bildteil sieht Dreßler (1970), S. 29 den Versuch einer perspektivischen Zeichnung, der jedoch kaum überzeugend hervortritt Dreßler (1970), S. 30 im Kommentar zur Faksimile-Ausgabe des Cgm 19
Die Tafel im Bild
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Vor den Tisch sind fünf Mädchen getreten. Drei von ihnen reichen silberne Deckelpokale an, das vierte ganz rechts im Bild, das nur von hinten zu sehen ist und daher seine ‚kostbare Fracht‘ verdeckt, wahrscheinlich auch.111 Die zweite Figur von links – möglicherweise die Schwester von Amfortas, Repanse de Schoye112 – ist etwas größer als die anderen Mädchen dargestellt, trägt ein gemustertes Gewand und unterscheidet sich von den anderen, vor den Tisch getretenen Figuren auch dadurch, dass sie eine silberne Krone trägt. Ihre Hände sind mit einem gelben Tuch verhüllt, sie reicht Parzival den silbern gezeichneten Gral entgegen,113 der – im Rahmen der Erzählung immerhin von zentraler Bedeutung – in Form und Aussehen jedoch merkwürdig unbestimmt bleibt.114 Die ungerade Zahl der am Tisch sitzenden Personen machte es für den Illustrator schwer, die übliche Darstellung der Speisenden in Zweiergruppen zu übernehmen. Er hält sie zwar insgesamt ein, jedoch nur, indem er Parzival, der von der Überreichung des Grals geradezu ‚gefangen‘ zu sein scheint, in der Tafelrunde für sich und damit isoliert abbildete. Ungewöhnlich ist auch ein weiteres Detail. Die Tafel wird – an ihrer dem Betrachter abgewandten Seite – nicht durchgehend mit geradem Rand dargestellt. Parzival und seine zum linken Bildrand hin dargestellten Tischnachbarn scheinen sich das Tischtuch über die Knie gelegt oder anders arrangiert zu haben: es erscheint mit einer besonderen Falte gerafft, die sein direkter Nachbar zudem wohl gerade festhält. Wie oben lediglich angedeutet, lässt sich auch diese Szene nicht eindeutig auf eine im Text geschilderte Passage beziehen. Zwar ist Dreßler sich mit Bezug auf die Textblöcke 808 ff. sicher, dass es sich um eine Szene auf der Gralsburg handelt.115 Dabei fällt auch ihm jedoch eine besondere Unstimmigkeit auf: „Die bei diesem Mahl nach dem Epentext anwesende Kondwiramur, Parzivals Gemahlin, ist nicht dargestellt (811, 1; 816, 1).“116 Daher wird auch für diese Szene wahrscheinlich gemacht, dass der Illustrator in ihr Bezüge zu gleich mehreren Textpassagen zu vereinen suchte: „Eine Kompilation dieser Festdarstellung mit den beiden früher berichteten Tischszenen (794, 21 ff.; 796, 22 ff.) ist mit B. Schirok zu vermuten, zumal der Illus111 112
113 114
115 116
Dies nimmt Dreßler (1970), S. 30 als gegeben an, obwohl es im Bild nicht zu sehen ist Diese Zuordnung vermutet Dreßler (1970), S. 30 mit Bezug auf den Textkorpus (809, 9 ff.) Vgl. Stephan-Chlustin (2004), S. 32 sowie Dreßler (1970), S. 30 Auch der Versuch, die Abbildung, digital erfasst, um ein Mehrfaches zu vergrößern, hilft nicht weiter: der in dem gelben Tuch liegende Gegenstand bleibt ein undefinierbares, lediglich silbern gefärbtes ‚Etwas‘ Vgl. Dreßler (1970), S. 29 Dreßler (1970), S. 29 im Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Cgm 19
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Die Tafel im Bild
trator mehrfach Handlungssequenzen simultan, d. h. in einem aufs Bild übertragenen Zeitrafferverfahren darstellt.“117 Im Gegensatz dazu ist die folgende Szene aus der Münchner ‚Tristan‘Handschrift auf eine im Text konkret fassbare Passage bezogen. Mehr noch als andere Illuminationen dieses Codex steht die Bildseite, die im oberen Teil die Gesellschaft der Herren beim Maifest an König Markes Hof, in ihrem unteren Teil die folgend abgebildete Szene zeigt, dem zugehörigen Text (vgl. ‚Tristan und Isolde‘, V. 525ff.) nicht direkt gegenüber.118 Möglicherweise erschienen Text und Bild in dieser Handschrift ursprünglich in einer anderen Zusammenstellung, denn die Handschrift war offensichtlich sehr beliebt und zeigt daher auch erhebliche Gebrauchsspuren, was im Laufe ihres Lebens ein Neubeschneiden vieler Blätter und auch die Neubindung der Pergamente erforderte. Dabei wurden verschiedene Bildseiten wohl nicht ihrer ursprünglichen Lage entsprechend angeordnet.119 Das Maifest an Markes Hof findet im Freien statt. Verschiedene, in Gottfrieds Text hierzu gegebene Hinweise nimmt der Zeichner bereits in der oben auf Bl. 7r dargestellten Gesellschaft der Herren auf.120 Die Gesellschaft der Damen ist unter einem Baldachin oder Zeltdach versammelt. Unter diesem Schutz ist eine Tafel aufgestellt, die fast über die gesamte Bildbreite reicht und an der sechs Damen positioniert sind. Möglicherweise stehen sie, denn ihre Taillen sind ungewöhnlich hoch über die Tischkante gesetzt.121 Die Figur ganz links im Bild erscheint nur zur Hälfte und auch recht schemenhaft, sie fiel in Teilen dem Beschneiden und Neubinden des Blattes zum Opfer. Auch in dieser Szene sind die Teilnehmerinnen an der Tafel – hier durch die geneigte Körper- und Kopfhaltung sogar sehr deutlich – jeweils in Zweiergruppen angeordnet und aufeinander bezogen. Die 117
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Stephan-Chlustin (2004), S. 32f. In diese Richtung argumentiert auch Walworth (2004), S. 315: „This is one of the illustrations that becomes problematic if one tries to link it directly with a particular scene in the poem. In the poem, the major feast at Munsalvæsche with the ceremony of the Grail procession occurs after Condwiramurs has arrived – yet her arrival is the subject of the next register. Has the artist mixed up the correct order of the scenes, or has the Grail ceremony been merged with the confirmation of Parzival as Grail King after he asks the long-awaited question and heals Anfortas? In the context of an artistic tradition in which the illustrations maintain a certain narrative independence from the text, the latter possibility seems most likely.“ Vgl. Gichtel (1979), S. 82 im Textband zur Faksimile-Ausgabe der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift Vgl. Bettina Falkenberg: Die Bilder der Münchner Tristan-Handschrift. (Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII. Kunstgeschichte. Band 67). Frankfurt/ Bern/New York 1986, S. 11 Vgl. Falkenberg (1986), S. 159 Vgl. Falkenberg (1986), S. 27 mit Anm. 35
Die Tafel im Bild
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Abb. 13: Maifest an König Markes Hof: Gesellschaft der Damen. Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘, 1. Hälfte 13. Jh.
Dame in der Mitte trägt eine Krone, sie sitzt (für den Betrachter) rechts von der durch ein Schriftkästchen, schwach erkennbar, mit ihrem Namen gekennzeichneten Blanscheflur (zweite Figur von links). Die Königin schaut im Kreise ihrer Damen den Edelleuten zu, die einen Buhurt austragen (vgl. ‚Tristan und Isolde‘, V. 683 ff.). An dieser Stelle hat der Illustrator seiner Phantasie offenbar freien Lauf gelassen, denn dem Text ist lediglich zu entnehmen, dass sich Blanscheflur und andere schöne Damen den Buhurt ansahen (vgl. ‚Tristan und Isolde‘, V. 683 ff.). Eine Königin an Markes Hof verwundert zu diesem Zeitpunkt der Handlung, zu dem König Marke noch nicht verheiratet ist.122 122
Vgl. Gichtel (1979), S. 98, Anm. 71. Vielleicht war hier die Darstellung von ‚Frau Minne‘ als herrschender Königin intendiert, was mit Bezug auf den Text, besonders aber auch auf die Korrespondenz der beiden Bildszenen dieser Seite möglich wäre, in deren oberem Teil die Herren, im unteren die Damen zu sehen sind, verbunden mit Spruchbändern, deren Text nicht der Dichtung entstammt. Der Blanscheflur zugeordnete Ausspruch lautet: „Gedenche min riwalin“, der Riwalin zugehörige: „ich tun frowe min“, vgl. Falkenberg (1986), S. 161. Eine Tafel(runde) unter ‚dem Vorsitz‘ von Frau Minne wäre eine darstellerisch durchaus originelle Variation der üblichen Mahlszenen, die zudem gut zum Inhalt des Textes passen würde. Dieser Interpretationsmöglichkeit kann im vorliegenden Rahmen jedoch nicht näher nachgegangen werden
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Die Tafel im Bild
Zwei knieende Diener sind vor dem bodenlangen Tischtuch zu sehen, der linke reicht etwas in Richtung Blanscheflurs, das ein Pokal sein könnte (leider ist die Strich- und Farbqualität der Darstellung an dieser Stelle sehr schwach).123 Auch der rechte Diener reicht der rechten Figurengruppe etwas an, möglicherweise ein (gebogenes) Messer? Die Figur am rechten Bildrand hält einen Pokal mit langem Fuß in der linken Hand. Auf dem Tisch sind lediglich zwei Schalen mit Speisen zu sehen, die vor Blanscheflur stehende wohl mit einem Huhn/Vogel gefüllt, die andere undefinierbaren Inhalts.124 Zwei halbmondförmige Brote sind auf der Tafel schwach erkennbar, zusätzlich einige kleine ‚Kreise‘, die zeichnerisch eher achtlos hingeworfen scheinen und daher nicht definierbar sind. Das linke Drittel der Tischdarstellung hat so gelitten, dass dort keine Gegenstände mehr zu erkennen sind. Im Vergleich zu der im Erzählverlauf späteren Mahlszene an König Markes Hof (vgl. oben S. 177, Abb. 4) ist diese Darstellung anders ausgeführt. Zwar enthält auch sie wesentliche Elemente, die ein höfisches Mahl kennzeichnen – gedeckte Tafel, Dienerschaft, mehrere, an der Tafel in Zweiergruppen versammelte Figuren, Unterhaltung bei Tisch, sich in Gestik und Bewegung ausdrückendes ‚höfliches‘ Benehmen125 –, doch bleiben die Gewänder der Figuren farblich sehr blass. Umso mehr tritt die schwungvolle Strichführung hervor, die den Damen eine insgesamt recht manirierte Gestik verleiht,126 den reichen Faltenwurf des Tischtuches aufnimmt und vor allem den (sich im Wind bewegenden?) Baldachin aus gerafftem Stoff betont. Möglicherweise sind diese Unterschiede darauf zurückzuführen, dass an der Illumination der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift mindestens zwei Illustratoren beteiligt waren, zumal auch zwischen weiteren ihrer Darstellungen erhebliche Qualitätsunterschiede feststellbar sind.127 Offenbar war dem Illustrator weniger an der Darstellung der Tischszene selbst gelegen, sondern mehr daran, mit Bezug auf den Text die innere Be123
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Vgl. Gichtel (1979), S. 98. Falkenberg (1986), S. 28 ist der Meinung, dass beide von den Dienern angereichten Gegenstände Pokale seien. Bei dem rechten Diener ist diese Zuordnung selbst bei starker Vergrößerung des Bildes nicht nachvollziehbar Falkenberg (1986), S. 28 sieht in der rechten Schüssel einen „Deckelpokal“, was angesichts des bei dem abgebildeten Gefäß deutlich fehlenden Standfußes sowie der rechts oben auf der Füllung angebrachten ‚Kringel‘ kaum angebracht scheint Man beachte die der höfischen Etikette entsprechende Handhaltung der Damen, die ihrem Gegenüber mit ihren jeweils benachbarten Armen keine körpersprachliche ‚Barriere‘ bauen Vgl. Falkenberg (1986), S. 27 f. Vgl. Gichtel (1979), S. 73
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wegung ins Bild zu setzen, die Blanscheflur erfasst hat, nachdem sie erstmals auf Riwalin getroffen war: „Blanscheflurs Herz ist, so erfährt der Leser (725–732), bereits vor dem ersten Gespräch von Riwalins Erscheinung stark bewegt. Folgerichtig erscheint es daher, daß sie nicht in passiver Haltung gezeigt ist, sondern ihre lebendige Bewegungshaltung das lebendige Innere spiegelt. Die in der Dichtung anschließende direkte Rede setzt der Illustrator in Form zweier Spruchbänder ins Bild, die die Rahmen beider Szenen überschneiden. Diese Verbindung formal voneinander getrennter Bildbereiche ist Sinnbild für die zufällige Begegnung der beiden Liebenden.“128 Die bisher vorgestellten Illuminationen befinden sich auf je eigenen Bildseiten in unmittelbarer Beziehung zum begleitenden Text (‚Eneasroman‘) oder in Kompilationen zusammengefasst – räumlich mehr oder weniger von den Textpassagen entfernt, auf die sie Bezug nehmen (‚Tristan und Isolde‘, ‚Parzival‘). Ein ganz anderer Illuminationstypus findet sich in den Bruchstücken, die von der sog. ‚Großen Bilderhandschrift‘ mit Wolframs von Eschenbach ‚Willehalm‘ erhalten sind.129 „Die wenigen, ganz oder teilweise erhaltenen Blätter stehen für einen Codex, der unter die 15 ältesten illustrierten Handschriften literarischen Inhalts zu zählen ist. Um 1270 entstanden, sind sie die Überreste des frühesten bebilderten ‚Willehalm‘-Codex.“130 In dieser Handschrift, die in Anlage und Gestaltung deutliche Verbindungen zu überlieferten Versionen von Eikes von Repgow ‚Sachsenspiegel‘ zeigt,131 laufen die Bilddarstellungen auf jeder Seite neben dem Text her. Dabei nehmen die zum Seitenrand hin fortlaufend eingebrachten Illuminationen etwa zwei Drittel, der zum Bindefalz hin zeigende Text nimmt jeweils etwa ein Drittel der Seitenbreite ein.132 Nur etwa fünf Prozent des ursprünglich wohl vorhandenen Bildbestandes sind mit den Münchner und Nürnberger Fragmenten erhalten.133 128 129
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Falkenberg (1986), S. 161 Vgl. Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Die Bruchstücke der „Großen Bilderhandschrift“. Bayerische Staatsbibliothek München Cgm 193, III. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung Hz 1104–1105 Kapitel 1607. Im Faksimile herausgegeben von Ulrich Montag. Stuttgart 1985 Montag (1985), S. 5 im einleitenden Kommentar; vgl. Henrike Manuwald: Medialer Dialog. Die ‚Große Bilderhandschrift‘ des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte. (Bibliotheca Germanica. Bd. 52). Tübingen/Basel 2008, bes. S. 3 Vgl. Schmidt-Wiegand (1986), S. 25 f. und passim sowie Montag (1985), S. 24 f. und Manuwald (2008), S. 412 ff. Vgl. Ronald Michael Schmidt: Die Handschriftenillustrationen des „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach. Dokumentation einer illustrierten Handschriftengruppe. (Textband). Wiesbaden 1985, S. 87 Montag (1985), S. 12
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Hierzu gehören auch drei Tafelszenen, die sich auf den Nürnberger Fragmenten befinden. Die beiden erhaltenen Bildleisten stehen für sich, sie wurden wohl schon früh vom Text getrennt: die Pergamente wurden, in den Deckel einer Heidelberger Handschrift eingebunden, aufgefunden.134 Dennoch ist es möglich, sie in Bezug zum Textverlauf in Wolframs ‚Willehalm‘ zu setzen. Die komplett erhaltenen Münchner Blätter und die Anlage der verwandten, illuminierten ‚Sachsenspiegel‘-Codices weisen aus, dass sich die Bilddarstellungen konkret auf den sie begleitenden Text beziehen, und zwar nicht in zusammenfassenden Szenen, sondern auf ganz bestimmte Motive und Passagen bezogen: „Wegen der Werkstattzusammenhänge werden [bei einem Arbeitsgespräch über die Ikonographie der ‚Sachsenspiegel‘-Handschriften 1984 in Wolfenbüttel, d. Verf.] auch die ‚Willehalm‘-Fragmente behandelt. Für sie als einen epischen Text ist die Illustrationsweise des punktuellen Beziehens auf szenische Details ungewöhnlich.“135 Diese den Text direkt begleitende, bildliche Wiedergabe von ausgewählten, im Text geschilderten Inhalten und Details erklärt Ruth Schmidt-Wiegand bei den ‚Sachsenspiegel‘-Illuminationen mit einer Nähe zu ‚Lesezeichen‘Funktionen: „Es wird so nicht allein durch Buchstaben … laufend vom Bild auf den Text verwiesen, sondern gerade auch durch die Stereotypen, die symbolischen Zeichen, die Typisierungen von Personen, die alle notwendig Verkürzungen enthalten, zu deren Auflösung und Verständnis man auf den Text seit eh und je angewiesen ist. Das Bild führt damit, einem Index vergleichbar, auf den Text hin. Hier liegt möglicherweise die funktionale Bedeutung der Illustrationen.“136 Nicht nur in der Anordnung und besonderen inhaltlichen Bezogenheit von Text und Bild, sondern auch mit Blick auf den Vorgang der Vermittlung eines epischen Stoffes nimmt die ‚Große Bilderhandschrift‘ eine außergewöhnliche Stellung ein. An einigen Stellen erscheint im Bild eine Figur, die aus dem begleitenden Text nicht erklärbar ist und der daher eine besondere Funktion beigemessen wird: „Zu den Merkwürdigkeiten des 134 135
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Vgl. Montag (1985), S. 16 f. Montag (1985), S. 25. Wegen der engen inhaltlichen Verwiesenheit von Text- und Bildpassagen in der ‚Großen Bilderhandschrift‘, die für die hochmittelalterliche Überlieferung epischer Texte einzigartig ist, wird jüngst dafür plädiert, die Bilddarstellungen nicht als den literarischen Text – und auf diesen lediglich mittelbar bezogene – ‚begleitende‘ Illuminationen, sondern als direkt auf den Text und seine Handlung rekurrierende und ihm daher eng folgende Illustrationen zu bezeichnen, vgl. Manuwald (2008), S. 15 und passim. Manuwald weist in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf hin, dass beide Begriffe in der Fachdiskussion bisher nur unzureichend trennscharf definiert werden Schmidt-Wiegand (1986), S. 31
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‚Wörtlichnehmens‘ gehört, dass der epische Erzähler des ‚Willehalm‘ überall dort, wo er im Text reflektierend oder kommentierend hervortritt, als zwischen den Akteuren ‚vermittelnde‘ Figur auftaucht … Die ‚Große Bilderhandschrift‘ illustriert den ‚Willehalm‘ in diesem Sinne nicht als Handlung, sondern als bereits vermittelten bzw. vorgetragenen Text, wobei Handlungs- und Erzählebene im Bild ineinanderfließen.“137 Die von anderen illuminierten Handschriften mit epischen Stoffen des 13. Jahrhunderts deutlich abweichende Anlage und Ausgestaltung des Codex führte in der wissenschaftlichen Diskussion zu sehr kontroversen Bewertungen. Auf der einen Seite stehen dabei Stimmen, die in der Bebilderung der Handschrift eine mangelnde Ausführung erkennen wollen: „Heute mag man die ‚Große Bilderhandschrift‘ deshalb mit Michael Curschmann für den in Deutschland ‚spektakulärsten Missgriff‘ bei der Illustration volkssprachiger Texte halten“.138 Dem wird entgegengehalten, dass die reiche und daher aufwändige Anlage der Handschrift wohl kaum als eine ‚verunglückte Kopie‘ tradierter Muster, sondern vielmehr als Ausführung eines eigenständigen und daher neuen sowie darüber hinaus wohlkalkulierten Konzepts verstanden werden sollte.139 Dafür werden neben ikonologischen Argumenten folgende Gründe angeführt: „Der verschwenderische Umgang mit Pergament und die große Anzahl der Bilder drücken auf jeden Fall ein hohes Anspruchsniveau der Handschrift aus. Dafür sprechen auch der gewählte Schrifttyp, die Verwendung nur weniger Abkürzungen und die Tatsache, dass der Text sehr sorgfältig niedergeschrieben und korrigiert wurde. Angesichts dieses Anspruchsniveaus wird man die Ausstattung mit rahmenlosen Federzeichnungen und die sparsame Verwendung von Gold wohl als bewusste Entscheidung des Auftraggebers verstehen dürfen.“140 Vor diesem Hintergrund sind nun die wenigen Mahlszenen, die die erhaltenen Fragmente aufweisen, in den Blick zu nehmen. Die folgend dargestellte Szene – eine von dreien, die sich auf den Bildstreifen fortlaufend untereinander aufgereiht finden141 – bezieht sich auf den Beginn des ‚zweiten‘ Mahles142 auf der Burg von Orange, das in Wolframs ‚Willehalm‘ in den Abschnitten 311 f. geschildert wird. 137 138 139 140 141 142
Manuwald (2008), S. 10 Manuwald (2008), S. 10 Vgl. Manuwald (2008), S. 74 Manuwald (2008), S. 74 f. Vgl. Schmidt (1985), S. 87 Dass es ein dem vorhergehendes, erstes gab, geht aus einem Texthinweis hervor (‚Willehalm‘ 311, 12), in dem Heimrich die eintreffenden Fürsten auf das am Vortag gehabte Mahl anspricht
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Abb. 14: Beginn des (zweiten) Mahles auf der Burg von Orange. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270
An der Spitze der geladenen Gäste steht Rennewart. Er ist hier nur an seinem roten Gewand erkennbar, das er auch auf den folgenden Illuminationen trägt. In der anschließenden Bildszene erscheint er jedoch, wiederum rot gewandet, mit der schweren Stange, die nur er zu tragen vermag, und in der letzten Illumination dieser Seite ist er mit Stange und zudem in voller Rüstung zu sehen, was eine Zuordnung der Szene zu Wolframs Text ermöglicht. Denn bei diesem Festmahl zu Orange erscheint Rennewart gewapent und legt seine Rüstung auch beim Essen nicht ab (vgl. ‚Willehalm‘, 312, 6 ff.).143
143
Auf dieses Detail weist auch Manuwald (2008), S. 570 hin
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Die Tafel ist bereits vorbereitet, noch aber sitzen keine Gäste an ihr. Sie werden gerade durch Heimrich in Empfang genommen: „Heimrich ist mit dem Stab in seiner Linken als Truchseß gekennzeichnet (vgl. 263, 13) und bittet die Fürsten mit Ziergebärde zu Tisch.“144 Die Szene fängt den Moment ein, der im ‚Willehalm‘ 311, 7 ff. geschildert wird: die Fürsten gehen auf den Palas, wo schon viele Tafeln reich gedeckt waren. Der wohlerzogene Heimrich empfängt dort die Fürsten und spricht sie an.145 In seiner Darstellung folgt der Illustrator genau dem Text – hätte er sich gängiger Vorlagen bedient, hätte er wohl Personen an den bereits gedeckten Tisch gesetzt (für zwei sitzende Figuren hätte der zur Verfügung stehende Platz durchaus gereicht). Auf der auch hier mit einem bodenlangen Tischtuch bedeckten Tafel ist eine Schale mit Fuß zu sehen, in der sich drei – nicht näher definierbare – ‚Stücke‘ befinden (in Analogie zu den drei gerade erscheinenden Gästen?). Schale und Inhalt sind koloriert, wie auch die zwei runden Brote, die auf dem Tisch liegen. Zwischen der Schale und dem rechts abgebildeten Brot liegen zwei ebenfalls kolorierte Messer, zwei weitere, nur durch eine leichte Strichzeichnung dargestellte Messer sind in direkter Nähe des zweiten Brotes links unten auf der Tafel abgelegt.146 Links unten neben der Schale mit den Speisen befindet sich ein weiteres, kleines Behältnis, möglicherweise ein Trinkgefäß? Die Darstellung des gedeckten Tisches ist mit diesen Elementen zwar fast komplett, jedoch insgesamt eher schlicht gehalten. Verzierte Gefäße oder Deckelpokale, kostbare Elemente wie Vergoldungen oder silberfarbener Schmuck (vgl. z. B. oben die Illuminationen von ‚Eneasroman‘ und ‚Parzival‘) fehlen hier. Offenbar kam es dem Illustrator mehr darauf an zu zeigen, dass die Tafel schon vorbereitet für die Gäste bereitstand. Weniger schien ihm daran gelegen, dieser Tafel Symbole einer besonderen Pracht zu verleihen.147 Auf der folgenden Seite sind es die beiden ersten, direkt untereinander angeordneten Bildszenen, die den Fortgang dieses Mahles auf der Burg von Orange zum Gegenstand haben.
144 145 146
147
Montag (1985), S. 42 Vgl. Montag (1985), S. 42 Möglicherweise ist die Zahl der Messer, die nicht zu der Zahl der gerade erscheinenden Gäste passt, als Hinweis auf den größeren Kreis zu verstehen, der noch erwartet wird Hierzu hätte er Gold oder Silber nicht benötigt, er hätte die vorhandenen Gefäße verzieren oder weitere verzierte Gefäße auf dem Tisch erscheinen lassen können
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Die Tafel im Bild
Abb. 15: Fortgang des (zweiten) Mahles auf der Burg von Orange. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270
Die Tafelgemeinschaft hat inzwischen Platz genommen. Zu sehen sind am Tisch vier Personen, wiederum zwei ‚Pärchen‘. An seinem blauen Gewand, dem roten Hut und seinem Bart ist Heimrich zu erkennen, der (wie die anderen Personen) eine durch die besonders hervorgehobenen Hände ausgeprägte Gestik zeigt. In seiner Funktion als Truchsess hätte er sich eigentlich um das Wohl der Gäste kümmern müssen, jedenfalls nicht am Tisch sitzen dürfen. Die hier ins Bild übersetzte Szene verlangte es jedoch, dass Heimrich mit abgebildet wurde, denn in Wolframs Text bittet Heimrich Rennewart, sich dort, wo die Tafel steht, auf einem Teppich zu der Königin zu setzen (vgl. ‚Willehalm‘, 312, 6 ff.). Neben Heimrich sitzt folglich die bekrönte Gyburg, die mit der Linken gerade in Richtung einer mit Speisen gefüllten Schale weist. Rechts neben ihr und von der Tafel etwas abgesetzt ist, wie es der Text verlangt, Rennewart zu sehen. „Nur wenig hat das Messer des Buchbinders von der Gestalt Rennewarts übriggelassen. Er
Die Tafel im Bild
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scheint aber eine Sitzgelegenheit unter sich zu haben, und man sieht ihn unhöfisch die gerüstete Hand zum Munde führen. … Vielleicht deshalb blicken alle am Tisch Sitzenden auf ihn.“148 Auf der Tafel ist verschiedenes Gerät angeordnet. Vor der Figur ganz links im Bild steht ein geböttchertes Gefäß, ein mit zwei hölzernen Reifen zusammengehaltener (‚zweibündiger‘) Daubenbecher, wohl ein Trinkgefäß. Rechts daneben folgt auf dem Tisch eine Schale mit kantigem Fuß und einem unterhalb ihrer weit offenen Kuppa angebrachten, runden Schmuckring. Diese Schale ist mit drei Speisen-‚Stücken‘ gefüllt, die Ruth SchmidtWiegand für „Klöße“ hält.149 Neben dieser Schale liegt ein Vorlegemesser mit breiter Klinge. Diese Kombination (Schale – Vorlegemesser) wiederholt sich am rechten Tischende vor dem zweiten Figurenpaar. Zwischen diesen beiden Ensembles liegt ein rundes Brot mit einer Einkerbung in der Mitte (einem heutigen Brötchen vergleichbar), rechts davon wohl zwei – lediglich als Strichzeichnung ausgeführte – schmale Messer. Ein längliches, koloriertes Kleinteil, das vor Heimrich und Gyburg nahe der Tischkante liegt, ist in seiner Funktion nicht definierbar. Den Falten des bodenlangen Tischtuchs hat der Illustrator durch blaue Schattierungen räumliche Tiefe zu geben versucht.150 Die direkt folgende, mittlere Darstellung dieses Bildstreifens setzt das Tafelmotiv fort, jedoch wohl, dem Fortgang des Textes folgend, ohne sich hier noch auf das Mahl auf der Burg von Orange zu beziehen. Wahrscheinlich nimmt diese Szene die allgemein gehaltene Textpassage auf, in der Wolfram feststellt, dass in einem so verwüsteten Land niemals bessere Bewirtung/Speise gesehen und auch großherzig gegeben wurde als Gastgeber und Gastgeberin sie (hier) anboten (vgl. ‚Willehalm‘, 312, 17 ff.).151 148 149 150
151
Montag (1985), S. 43 Vgl. Schmidt-Wiegand (1986), S. 26 Vgl. hierzu Manuwald (2008), S. 171 f. Bemerkenswert ist in dieser Szene ferner die zweite Figur von links. Die ganz in rot gekleidete Figur (ein Herr) trägt eine Kopfbedeckung, auf die ein sog. ‚Schapel‘ mit lilienförmigen Fortsätzen gelegt ist. Diese Art der Kopfbedeckung findet sich auch in der Heidelberger ‚Sachsenspiegel‘-Handschrift wieder und verweist (wie die sehr ähnlich angelegte Gestaltung von Text und Bild auf den Seiten) auf gemeinsame Wurzeln der Handschriften, vgl. Schmidt-Wiegand (1986), S. 26 Vgl. Montag (1985), S. 43 und Manuwald (2008), S. 570. Da die Bildkolumnen dem Textverlauf eng folgen, muss die Textpassage, auf die sich die Illumination bezieht, zwischen dem Festmahl von Orange und der Szene nach Aufhebung der Tafel am späten Vormittag angesiedelt sein. Heimrich geht mit seinem Truchsessenstab in der folgenden Bildszene einer Gruppe von Herren voran, die Tafel muss folglich bereits aufgehoben worden sein (vgl. ‚Willehalm‘, 312, 27 ff.)
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Abb. 16: Dritte Mahlszene in den Nürnberger Fragmenten. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270
Die abgebildete Tafel bleibt unbegrenzt, sie läuft in den linken Bildrand hinein (vielleicht, um zeichentechnisch ein ‚Undsoweiter‘ wiederzugeben?). An ihr sitzen – noch sichtbar – fünf Personen, Damen und Herren152 im Wechsel. „Auch den Herrn rechts wird man sich mit einer Partnerin zum Paar ergänzt vorstellen dürfen.“153 Wie bei der zuvor gezeigten Illumination, auf der Rennewart am rechten Bildrand nur teilweise zu sehen ist, machen sich hier die Folgen des Verschnittes der Bögen bemerkbar. Dass das dritte Figurenpaar ebenfalls vollständig gewesen sein wird, legt auch die in der Mitte durchgeschnittene, für dieses dritte Paar auf der Tafel positionierte Speiseschale nahe. Die hier niedrig gezeichnete und daher etwas gedrungen wirkende Tafel zeigt für jedes an ihr sitzende Paar eine mit Speisen gefüllte Schale. Anders 152 153
Diese tragen auch hier die bereits erwähnte, markante Kopfbedeckung Montag (1985), S. 43
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als im vorherigen Bild sind die Schalen hier sehr schlicht, sie verfügen über keinen Fuß und sind auch ohne jegliche Verzierungen dargestellt. Wieder sind Daubenbecher zu sehen, der rechte ist zwei, der linke einbündig gehalten. Vor dem linken Paar und zwischen den beiden anderen Paaren liegen Vorlegemesser auf dem Tisch. Über dem linken Vorlegemesser, neben dem einbündigen Daubengefäß sowie rechts von der mittleren Schale sind durch Striche weitere Geräte angedeutet, die vielleicht schmale Messer wiedergeben könnten. Undefinierbar ist der neben dem im linken Bildteil abgebildeten, runden Brot (wie zuvor mit Einkerbung) liegende ‚Stift‘. Am rechten Bildrand ist ein zweites rundes (und ebenso gekerbtes) Brot zu sehen, möglicherweise gab es, der pärchenweisen Zuordnung folgend, auf dem abgeschnittenen rechten Bildrand noch ein drittes. Die am Tisch sitzende Gesellschaft scheint sich, ihrer abwechslungsreichen Gestik nach, angeregt zu unterhalten. Der grün gewandete Herr mit roter Kopfbedeckung führt gerade eine Speise zum Mund. In dieser Szene ist dies die einzige direkte Verbindung, die zwischen dem gedeckten Tisch und den daran sitzenden Personen besteht, welche an ihm Platz genommen haben. Auch in der zuvor gezeigten Illumination ist es lediglich Gyburg, deren Hand auf den Tisch weist und räumlich auch auf ihm zu sehen ist. Ansonsten wirken die Speisenden kaum mit der vor ihnen aufgebauten Tafel beschäftigt. Die in den Nürnberger ‚Willehalm‘-Fragmenten enthaltenen Speiseszenen heben sich in verschiedener Hinsicht von den zuvor betrachteten Darstellungen höfischer (Fest-)Tafeln ab. Dies gilt zum einen für den hier durch den Illustratoren154 vorgenommenen Versuch, die dem Textverlauf folgenden, auf besondere Szenen hin ausgerichteten Illuminationen möglichst exakt den Vorgaben des Textes anzupassen: „Das Programm dieser Bilderhandschrift war die ‚Wortinterpretation, bis zur äußersten Möglichkeit getrieben‘.“155 Dies ist dem Illustrator der gezeigten Szenen auch gut gelungen: nichts fügt er hinzu, er konzentriert sich ganz auf die im Text vorhandenen, wesentlichen Aussagen einer Passage. Dabei vermögen die Illuminationen den Textverlauf nicht aus sich heraus zu erklären, sie erfordern die Kenntnis des Textes und sind daher nicht als ein das Textkorpus gleichsam ersetzendes ‚Bilderbuch‘ zu verstehen.156
154
155 156
Die reichen Bildleisten der ‚Großen Bilderhandschrift‘ stammen aus der Hand von (mindestens) zwei Illustratoren. Die erhaltenen Fragmente mit Tafelszenen wurden jedoch von derselben Hand gefertigt, vgl. Manuwald (2008), passim Schmidt (1985), S. 88 Vgl. Schmidt (1985), S. 89 sowie Schmidt-Wiegand (1986), S. 31
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Die zeichnerische Umsetzung der literarisch vorgegebenen Szenen vollführt der Illustrator in einem nahezu dokumentarischen Stil: „In der Gestaltung der Figuren überwiegen Umrisszeichnungen. Details der Figuren sind nur spärlich ausgeführt … Die Figuren zeigen kein Mienenspiel, ihre Haltung ist steif und stereotyp. Gemütsbewegungen, die im Text angedeutet sind, werden durch ein System von Handgebärden ausgedrückt.“157 Die Tafeln, die in den drei erhaltenen Szenen für die Speisenden bereitet wurden, sind zwar gedeckt und damit ‚inhaltlich korrekt‘ wiedergegeben. Sie weisen auch Schüsseln mit Speisen, verschieden geformte Messer und Trinkgefäße auf. Sie sind dabei jedoch durch eine gewisse Schmucklosigkeit gekennzeichnet. So ist auf ihnen nur eine Sorte Brot zu sehen, die rund geformt und eingekerbt ist. Auf dem ersten Bild ist eine wenig ausgearbeitete Schale mit Fuß abgebildet, die zweite Szene enthält Schalen mit aufwändiger gestaltetem Sockel, jedoch ohne jegliche Verzierung. Alle anderen Gefäße sind schlicht, schmucklos und gewöhnlich, bis hin zu den Daubengefäßen, bei denen dem Illustrator offenbar daran gelegen war, sie als solche auch zu kennzeichnen. So sind verschiedene, zu ‚der gedeckten Tafel‘ gehörende Attribute zwar vorhanden, jedoch ohne dass sie den Versuch erkennen ließen, ihnen ein besonders prachtvolles Aussehen oder deutliche Hinweise auf ein gehobenes Ambiente zu verleihen. Auch die in vielen, in höfischen Kontext gehörenden Speisedarstellungen abgebildete Bedienung fehlt hier. Ferner fehlt mehreren dargestellten Figurenpärchen eine dem höfischen Protokoll entsprechende Arm- oder Handhaltung: angedeutet wird sie beim Fortgang des Mahls in Orange lediglich bei Heimrich und Gyburg, in der letzten Szene deutlicher bei den drei rechts im Bild befindlichen Figuren. Verzichtet wurde in dieser Bilderhandschrift auch auf eine Rahmung der Szenen, sodass die Illuminationen zwar in dichter Folge untereinander angeordnet sind, dafür jedoch quasi ‚frei im Raum‘ stehen.158 Ruth Schmidt-Wiegand, die – ausgehend von Tischszenen in ‚Sachsenspiegel‘-Handschriften – diese Szenen mit früheren Beispielen (möglicherweise tradierten Vorlagen) und den Darstellungen in den Nürnberger ‚Willehalm‘-Fragmenten in Beziehung setzt, stellt folglich fest: „Vergleicht man diese Darstellungen mit der Lazarusszene im 157 158
Schmidt (1985), S. 88 Vgl. Schmidt (1985), S. 88, der den Entdecker der Fragmente, Karl von Amira, zitiert: „Neben den Bildfiguren bieten die ihnen zugeordneten Attribute eine vorzüglich genaue und unmittelbare Wort-für-Wort-Übersetzung aus dem Text, sie sind im Bilde aber gerade nur in den Gestenbezug, hingegen in keinerlei räumliches oder sonst nur bildszenisches Bezugssystem eingeordnet, so daß der Betrachter buchstäblich Stück für Stück des Bildes ‚lesen‘ muß, als ob er aus vereinzelten Wörtern einen Satz zusammenzusuchen hätte.“
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Codex aureus Heinrichs III., dem Echternacher Codex …, wo kostbares Geschirr aus Metall und vermutlich Glas den Tisch zieren, geböttcherte Gefäße aber völlig fehlen, so ist ein gewisses kulturelles Gefälle nicht zu übersehen, bei dem die Illustrationen des ‚Sachsenspiegels‘ an unterster Stelle stehen. … Dies mag in gewisser Weise der Realität entsprochen haben, – so daß hier das vorgegebene Muster der gedeckten Tafel der Wirklichkeit entsprechend abgewandelt sein wird.“159 Die Ausgestaltung der Szenen aus der ‚Großen Bilderhandschrift‘ muss dabei jedoch auch in Beziehung zu der immens großen Zahl an Illuminationen gesetzt werden, die diese Handschrift im Vergleich zu anderen Bilderhandschriften mit epischem Inhalt besaß. Ausgehend von ihren erhaltenen Fragmenten, wurde ihr einstiger Bildbestand auf etwa 1380 Illustrationen geschätzt.160 Die weitgehend erhaltenen Teile des reich bebilderten ‚Eneasromans‘ weisen nur etwas mehr als ein Zehntel dieser Summe an Einzelbildern auf. Die – der variierenden Darstellung verschiedener Hauptfiguren zufolge mindestens zwei – Illustratoren der ‚Großen Bilderhandschrift‘ haben sich angesichts der herausfordernden Aufgabe, vor der sie bei der durchgehenden Illumination jeder einzelnen, mit je drei Szenen versehenen Seite standen, wohl einfach nicht mit zusätzlichen Schmuckelementen, Bilddetails oder Verzierungen aufhalten können. Vielmehr waren sie gehalten, ihre inhaltlich zweifellos sehr texttreuen Illuminationen auf wesentliche Bildelemente zu reduzieren, um ihrer umfangreichen Aufgabe überhaupt gerecht werden und sie vor allem auch abschließen zu können. Bemerkenswert ist, dass die in den ‚Willehalm‘-Fragmenten erhaltenen Tafelszenen – auch als Folge der notwendigen Reduzierungen? – keine ins Auge fallenden Bezüge zur Darstellung von Speiseszenen im religiösen Bereich aufweisen. Dies hätte durchaus nahegelegen, zumal Wolfram die Willehalm-Figur in seinem Prolog als einen ritterlichen Heiligen vorstellt.161 Einige der erhaltenen Fragmente der ‚Großen Bilderhandschrift‘ lassen erkennen, dass der im Mittelalter offenbar sehr beliebte ‚Willehalm‘-Text in dem Codex mit den Fortführungen Ulrichs von Türheim zusammengefügt wurde. Dies „macht deutlich, daß für weite Teile des mittelalterlichen Publikums Willehalm ein Heiliger war, dessen erbauliche Legende man in diesem Zyklus suchte und fand.“162 Auch in den auf wesentliche Aussagen redu159 160
161 162
Schmidt-Wiegand (1986), S. 26, vgl. oben S. 176, Abb. 3 Vgl. Schmidt (1985), S. 88. Andernorts wird ihre wahrscheinliche Zahl mit etwa 1300 angegeben, vgl. Manuwald (2008), S. 3 Vgl. Montag (1985), S. 8 Montag (1985), S. 8
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zierten Illuminationen wäre es wohl möglich gewesen, im Bild heilsgeschichtliche Bezüge herzustellen: da die Gestik der Figuren ohnehin ausgeprägt ist, z. B. durch besondere Betonung und Haltung der Hände,163 oder dadurch, dass in die Schalen nicht undefinierbare ‚runde Stücke‘, sondern zeichnerisch leicht darstellbarer Fisch gesetzt worden wäre.164
3.3 Weitere zeitgenössische Darstellungen von Speiseszenen Außerhalb des für das Hochmittelalter limitierten Kreises illuminierter Epenhandschriften gibt es eine Reihe weiterer Mahlszenen, aus der nun ausgewählte Beispiele vorgestellt werden sollen.165 Das erste Beispiel steht in direkter Beziehung zur Literatur des Mittelalters. Es handelt sich um Wandmalereien mit Szenen aus Hartmanns 163
164 165
Vgl. dazu Manuwald (2008), S. 259 ff. und vergleichend oben S. 196, Abb. 10, die Darstellung einer Segnungsgeste in der Illumination aus dem ‚Eneasroman‘, die Eneas nach dem Erhalt von Lavinias Brief beim Abendessen appetitlos zeigen sollte Vgl. dazu Möller (1937 = RDK Bd. I), Sp. 35 Der Schwerpunkt wird dabei auf ausgewählte Handschriftenilluminationen gelegt. Die Auswahl wurde dabei nicht nach enger definierten Kriterien vorgenommen, sondern orientierte sich wesentlich an Darstellungen, die neben Typischem Neues zeigen oder ungewöhnlich scheinen. Damit werden andere mittelalterliche Formen der Darstellung – wie etwa als Wandmalerei gestaltete, in Stein gemeißelte, als Metallguss gearbeitete oder in Form von Einlegearbeit gezeigte biblische Szenen aus Kirchen oder Klöstern – hier nicht ihrer Zahl und Bedeutung entsprechend betrachtet. Sie würden, angemessen gewürdigt, wohl einen eigenen Band erfordern. Als Beispiele seien hier nur die Bernwardsäule im Hildesheimer Dom (mit mehreren Tafelszenen) sowie ein um die Jahrtausendwende entstandener Tragaltar/Reliquienbehälter mit einer Darstellung des letzten Abendmahles (mit allen 12 Jüngern an einer langen Tafel) genannt, vgl. hierzu Abb. und Erläuterungen in Michael Brandt/ Axel Eggebrecht (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1992. Bd. 2. Hildesheim/Mainz 1992, S. 540 ff. und S. 478 f. Auch die durchaus nicht seltenen Illuminationen mit Tafelszenen in hochmittelalterlichen Bibelhandschriften, Evangeliaren, Psalterien sowie Perikopenoder Gebetbüchern werden weitgehend ausgelassen, da sich die Formen der Darstellung von Tafelszenen insgesamt sehr gleichen. So finden sich Tafeldarstellungen z. B. in der sog. ‚Bernward-Bibel‘ (Anf. 11. Jh.), dem Anfang des 11. Jahrhunderts entstandenen und Ende des 12. Jahrhunderts ergänzten ‚Kostbaren Evangeliar‘ (Hildesheimer Domschatz), dem aus England stammenden und heute ebenfalls in Hildesheim aufbewahrten Albani-Psalter (12. Jh.), in dem um 1170/80 entstandenen Evangeliar Heinrichs des Löwen (Tafelszenen zeigen auch weitere, ebenfalls im nordhessischen Kloster Helmarshausen entstandene religiöse Handschriften), im sog. Gebetbuch der Hl. Hildegard (Ende 12. Jh., vgl. unten Anhang, Abschnitt IV.3, Abb. 96) sowie im ‚Brandenburger Evangelistar‘, das wahrscheinlich zu Beginn des 13. Jahrhunderts in Magdeburg entstand
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‚Iwein‘, die Ende des 19. Jahrhunderts im (heutigen) Untergeschoss des sog. ‚Hessenhofes‘ im thüringischen Schmalkalden entdeckt wurden.166 Das wohl noch im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts errichtete und durch den thüringischen Landvogt genutzte Gebäude enthält einen Raum, der etwa bis zu zehn um einen Tisch versammelte Personen fassen konnte.167 Dieser Raum ist mit auf den trockenen Putz aufgebrachten Wandmalereien versehen, die Wände und Gewölbe zieren. Zunächst wurde vermutet, dass die Malereien Szenen aus dem Leben der Heiligen Elisabeth, der Gattin des Landgrafen von Thüringen, darstellen. Da sich jedoch in den Borten, die sich unterhalb der an den Wänden laufenden Bildstreifen befinden, mehrfach der Name ‚IWAN‘ eingetragen fand und weil sich überdies die Bildszenen mit Schlüsselpassagen des höfischen Epos gut in Übereinstimmung bringen ließen (u. a. Unterhaltung der Ritter vor der königlichen Kammer zu Beginn, Iwein am Zauberbrunnen, Iweins Speerkampf mit Askalon, Verfolgung Askalons und Iweins ‚Gefangenschaft‘ zwischen den Fallgattern im Burgtor),168 wurde der Bezug der Malereien zu Hartmanns Dichtung bald identifiziert. An der Stirnseite des gewölbten Raumes befindet sich – an bevorzugter, weil gut sichtbarer Stelle positioniert – die zentrale Darstellung, das Hochzeitsmahl von Iwein und Laudine.169 Wie die anderen Malereien ist diese Darstellung mit rotbraunen Umrisslinien ausgeführt, die farbig gefüllten Flächen sind ebenfalls in rotbraun sowie in goldgelb gehalten, „während die feinere Zeichnung der Gesichter und Hände in schwarz erfolgte.“170 Die Malerei ist stark verblasst und weist besonders in ihrem unteren Teil Zerstörungen auf.171 Die Wandmalereien werden in die Zeit der Errichtung des Gebäudes datiert und dürften damit um 1225 entstanden sein.172 Daraus erschließt sich ihre besondere Bedeutung für die Kunstgeschichte, denn es handelt sich aufgrund dieser frühen 166
167 168
169 170 171
172
Vgl. Hans Lohse: Iwein. Der Ritter mit dem Löwen. Mit fünf farbigen Bildtafeln. Schmalkalden 1952, S. 5 und S. 13. Unter dem Straßenniveau liegt der Raum mit den Iwein-Malereien erst seit der Neuzeit. Ehemals lag er im Erdgeschoss, das infolge von Aufschüttungen, die das Niveau von Straße und Gelände im Laufe der Jahrhunderte hoben, mittlerweile ein Souterrain-Geschoss bildet Vgl. Lohse (1952), S. 46 Vgl. Lohse (1952), S. 40 ff. und Paul Weber: Die Iweinbilder im Hessenhofe zu Schmalkalden, in: Hessen-Kunst. Kalender für alte und neue Kunst (1908), S. 18 f., hier: S. 18 Vgl. Lohse (1952), S. 37, Abb. (Zeichnung) und Weber (1908), S. 19 Lohse (1952), S. 39 Dies wird u. a. darauf zurückgeführt, dass der Raum, der in der frühen Neuzeit auch als Gefängnis diente, später über längere Zeit als Kohlenkeller genutzt wurde, vgl. Lohse (1952), S. 14 und Weber (1908), S. 18 Vgl. Lohse (1952), S. 5
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Abb. 17: ‚Hessenhof‘ in Schmalkalden: Hochzeitsmahl von Iwein und Laudine, um 1225
Datierung wohl um die ältesten in Deutschland bekannten profanen Wandmalereien.173 Die Hochzeitsmahl-Szene, die durch eine dem Gewölbebogen folgende Zierborte umrahmt wird, lässt trotz ihres beeinträchtigten Erhaltungszustandes die bereits bekannten Charakteristika einer höfischen Tafel deutlich erkennen. Die lange, mit einem bodenlang in Falten fallenden Tischtuch versehene und gedeckte Tafel nimmt einen großen Teil der Bildbreite ein. An (hinter) der Tafel sitzen drei Figurenpaare, die einander jeweils zugewandt sind. In der Mitte sind der bekrönte Iwein und Laudine positioniert. Laudine hebt mit ihrer linken Hand einen Pokal und trinkt ihrem frisch angetrauten Ehegatten zu.174 Auch das links daneben abgebildete Figurenpaar – der Haartracht zufolge zwei Herren – ist in diesem Moment des Zutrinkens dargestellt. Rechts vom Hochzeitspaar sitzen eine Dame und ein Herr. Ob es sich 173
174
Vgl. Weber (1908), S. 18. Die in den 1970er Jahren wiederentdeckten, ebenfalls an das Ende des ersten Viertels des 13. Jahrhunderts datierten Wandmalereien auf der Burg Rodenegg in Tirol, die auch einen Iwein-Zyklus zeigen, visualisieren zentrale Szenen des ersten erzählerischen Kursus, ohne jedoch eine Fest- oder Mahldarstellung zu enthalten, vgl. hierzu Volker Schupp/Hans Szklenar: Ywain auf Schloß Rodenegg. Eine Bildergeschichte nach dem ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue. (Kulturgeschichtliche Miniaturen). Sigmaringen 1996 und Michael Curschmann: Vom Wandel im bildlichen Umgang mit literarischen Gegenständen. Rodenegg, Wildenstein und das Flaarsche Haus in Stein am Rhein. (Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie. Vorträge. Heft 6). Freiburg (CH) 1997, bes. S. 12 ff. Vgl. Lohse (1952), S. 43
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bei dieser Dame tatsächlich um Lunete handelt,175 ist fraglich: als Laudines Dienerin hätte sie trotz ihrer vielen, mutig und treu verrichteten Dienste wohl kaum neben ihrer Herrin an der höfischen Tafel Platz nehmen dürfen. Von rechts und von links treten gerade je zwei Personen an die Tafel heran. Die Figuren am linken Bildrand, als Diener etwas kleiner dargestellt, reichen dabei mit erhobener rechter Hand einen Deckelpokal an, den linken Arm in angewinkelter Haltung vor den Körper geführt.176 Die beiden Personen, die von rechts an die Tafel herantreten, bringen mit Speisen gefüllte Schalen (deutlich erkennbar davon nur noch eine) heran. Ihre Darstellung in der kolorierten Abbildung ist verwirrend: folgt man den gleichfarbig gefüllten Flächen des Gewandes der linken dieser beiden Figuren, so hebt sie beide Arme zur Bedienung der Speisenden. So gesehen, würde die in ein breit gestreiftes Gewand gekleidete Person rechts neben ihr zwei Stäbe in ihren abgesenkten Händen halten, von denen bereits einer sie als Truchsess gekennzeichnet hätte. Merkwürdig ist dabei nicht nur die Darstellung mit gleich zwei Stäben als Zeichen der Funktion eines Truchsessen, sondern auch, dass es sich der Haartracht zufolge um eine weibliche Figur handeln könnte. Die in ihren Einzelheiten hier offenbar stark beeinträchtigte und daher auch in ihrer Übertragung ungenaue Darstellung ließe auch eine andere Sichtweise zu, nämlich dass beide von rechts an die Tafel Herantretenden die selbe Haltung zeigen: den rechten, eine Speiseschale anbietenden Arm erhoben, den linken abgesenkt und den Truchsessenstab haltend. Dazu passte dann allerdings die auffällige Gewandmusterung der rechten Figur nicht, die deren rechter, erhobener Arm ebenfalls zeigen müsste. Ebenso ungewöhnlich wie die Darstellung einer Person mit zwei Insignien des Truchsessenamtes wäre in diesem Fall die Darstellung gleich zweier Personen in der Truchsessenfunktion. Ob es sich hier ursächlich um fehlende Detailschärfe im stark verblassten Original oder möglicherweise (infolgedessen) um einen Übertragungsfehler bei der Zeichnung handelt, lässt sich aufgrund der Bildqualität der wenigen, auch als Photographie noch vorhandenen Wiedergaben der Szene kaum mehr klären.177 175
176
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Diese Zuordnung trifft Lohse (1952), S. 43; Hartmanns Text gibt hierzu keinerlei Anlass, vgl. ‚Iwein‘, V. 2434 ff. Diese Haltung findet sich bei Truchsess und Dienerschaft auch in den Illuminationen des ‚Enearomans‘, hier bei den Darstellungen von Didos Festmahl, vgl. Abb. oben S. 190 Nachvollziehbar wäre ein Übertragungsfehler beim Abzeichnen, zumal die Attribute dieser beiden Figuren nicht erkannt bzw. falsch wiedergegeben wurden: „Bediente in gestreiften Gewändern und mit Stäben in der Hand tragen von beiden Seiten neue Getränke hinzu“, Lohse (1952), S. 43. Photographien des Schmalkaldener IweinZyklus’ publizierte Otto Gerland in der Zeitschrift für bildende Kunst 12 (1901), die beim Verfassen dieser Arbeit jedoch nicht erreichbar war
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Am rechten Bildrand erscheint ein kleiner, in ein mit Zackenmuster versehenes Gewand gekleideter Trommler. Vor der Tafel, unterhalb von Iwein abgebildet, sind Reste einer weiteren Figur erkennbar, ebenfalls am linken Rand der Tafel, wo die Reste eines Kopfes zu sehen sind, aus dem nach links oben ein ‚Balken‘ läuft: „Vor der Festtafel werden, wenn auch nur noch in Andeutungen, die Spielleute sichtbar; ein Fiedler und ein Flötenbläser“.178 Erstmals in der Reihe der bisher vorgestellten Mahlszenen erscheinen hier auch die Musikanten im Bild, die an der höfischen Tafel für zusätzliche Unterhaltung sorgen. Das auf die Tafel gebrachte Gerät ist nur noch in Teilen zu erkennen. Es gibt dort eine (gefüllte?) Schale mit Fuß, links daneben eine flache Schüssel mit ebenem Boden. Zwei ovale Gefäße sind zu sehen, die Pokale mit Dekkel sein könnten. Weitere, auf dem Tisch verteilte Gegenstände sind nur schemenhaft erkennbar oder so schlecht erhalten, dass sie nicht mehr identifizierbar sind. Der Blick in Hartmanns Epos hilft bei der Entschlüsselung der Szene nicht weiter. Die Hochzeit Iweins und Laudines wird dort lediglich als prachtvolles Fest erwähnt, das von Turnieren und Vergnügungen begleitet wurde. Eine Tafelschilderung, die Details hätte erklären können, kommt in Hartmanns Darstellung der Hochzeit nicht vor, nicht einmal ein Festessen wird erwähnt. Offenbar setzte der Dichter darauf, dass sich die Zuhörer ein großes Fest ohnehin nur mit einer prächtigen Festtafel vorstellen konnten (vgl. ‚Iwein‘, V. 2434 ff.). Mit Bezug auf den Text lässt sich demnach feststellen, dass der Maler der Iwein-Szenen seiner Phantasie bei der Darstellung des Hochzeitsmahls freien Lauf ließ. Dass eben diese Szene im Raum nicht nur den größten, sondern mit der Stirnseite auch einen besonders auffallenden Platz einnimmt, wird mit der früheren Funktion des Raumes erklärt: „Am Eingang von der ehemaligen Vorhalle her ist – ohne Zusammenhang mit den Iweinbildern –, ein Jüngling gemalt, der mit erhobenem Becher den Eintretenden willkommen heißt. Und als beherrschende Szene für die große Nordwand wurde das Hochzeitsmahl Iweins mit Laudinen gewählt, bei welchem alle Dargestellten einander wacker zutrinken. Wir befinden uns hier also wohl im ehemaligen Trinkstübchen des alten Hessenhofes.“179 Folgt die Schmalkaldener Darstellung in den meisten ihrer Details einer ‚klassisch‘ höfischen Tafelszene, so ist das dortige Erscheinen von Musi178 179
Lohse (1952), S. 43 Weber (1908), S. 19. Prof. Dr. Klaus Düwel verdanke ich den Hinweis, dass auf der Wilhelmsburg in Schmalkalden mittlerweile eine Raumkonstruktion mit Nachbildungen der Iwein-Malereien aus dem Hessenhof eingerichtet wurde
Die Tafel im Bild
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kanten an der Tafel in der deutschen profanen Malerei des 13. Jahrhunderts wohl einzigartig. Ob es sich dabei um eine eigenständige Leistung des Künstlers handelt, ist jedoch fraglich. Es ist nämlich möglich, dass er Bildvorlagen oder Kopiermuster kannte, die diese Details enthielten und die zeitgenössische Malwerkstätten zur Ausschmückung biblischer Texte benutzten. Ein Beispiel für eine solche Tafelszene mit biblischem Kontext, das mehrfach bemerkenswert ist, bietet das um 1240 in Norddeutschland entstandene Goslarer Evangeliar, das für den Frauenkonvent der Kommune, das Kloster Neuwerk, angefertigt wurde.180 Auf dem rechten Blatt einer vollflächig und mit üppigem Goldhintergrund prachtvoll illuminierten Doppelbildseite findet sich die unten auf Seite 223 gezeigte Szene. Wie schon die im Codex vorhergehende Bildseite veranschaulicht sie ausgewählte Passagen aus dem Lukasevangelium, hier das Gleichnis vom verlorenen Sohn und dessen Heimkehr (vgl. Luk. 15, 11–32).181 Die Illumination folgt dem biblischen Text recht detailgetreu. Eines Vaters jüngerer Sohn, der sich sein Erbe hatte auszahlen lassen und es in der Fremde verprasste, kehrt vollkommen verarmt, jedoch geläutert und reumütig heim. Demütig will er sich seinem Vater zu Füßen werfen und ihn um eine Anstellung als Knecht bitten. Der Vater sieht seinen tot geglaubten jüngeren Sohn bereits von weitem kommen, empfängt ihn herzlich und kleidet ihn neu und gut ein. Voller Freude weist er seine Dienerschaft an, ein Festessen auszurichten, für das ein gemästetes Kalb geschlachtet wird (Luk. 15, 23). Es gibt Singen und Tanzen im Hause, das auch der im Haushalt verbliebene ältere Sohn hört. Er kommt hinzu und wirft seinem Vater vor, den fehlgeleiteten jüngeren Bruder zu bevorzugen, dies sei ungerecht (vgl. Luk. 15, 25 ff.). Diese Stelle des Gleichnisses wird in der Illumination ins Bild gesetzt. In der Mitte der mit einem gemusterten Tischtuch bedeckten Festtafel sitzt der Vater. Links von ihm, auf dem Ehrenplatz rechts vom Vater, ist der soeben (in der vorhergehenden Bildszene mit einem roten Mantel) neu einge-
180
181
Vgl. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Goslarer Evangeliars aus dem Stadtarchiv Goslar. Eine Gemeinschaftsausgabe der Stadt Goslar und der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt, Graz. (Vol. XCII der Reihe Codices Selecti). Goslar/Graz 1990, fol. 71r. Zur Datierung vgl. Renate Kroos in: Das Goslarer Evangeliar. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift B 4387 aus dem Besitz des Stadtarchivs Goslar. Kommentarband. Mit Beiträgen von Renate Kroos, Wolfgang Milde, Frauke Steenbock und Dag-Ernst Petersen. Goslar/ Graz 1991, S. 16 und S. 34 Vgl. Kroos im Kommentarband zur Faksimileausgabe (1991), S. 53 ff.
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Die Tafel im Bild
kleidete, heimgekehrte Sohn zu sehen.182 Von rechts tritt der ältere Sohn an die Tafel, seine deutlich verzogenen Augenbrauen weisen auf seinen Unmut hin.183 Der Vater gibt weder durch Haltung noch durch seine Blickrichtung eine Hinwendung zum einen oder zum andern Sohn zu erkennen. Derart ‚unparteiisch‘, doch als Figur größer und gesondert vor einem ‚Rahmen‘ dargestellt, strahlt er besonnene Autorität aus.184 Singen und Tanzen, im biblischen Text Auslöser für die Rückkehr des älteren Sohnes zum Haus, werden im Bild durch Musikanten wiedergegeben. Links vor der Tafel steht eine kleine Figur mit einem merkwürdigen Hut, die in ein geschwungenes Horn bläst. Am rechten Bildrand ist ein Trommler zu sehen, der in ein sog. ‚mi-parti‘-Gewand gekleidet ist, das im 13. Jahrhundert als hochmodisch galt.185 Wie die Musikanten erscheinen auch die Bediensteten des Hauses, ihrer Stellung entsprechend, im Vordergrund der Tafel klein dargestellt. Drei Männer sind gerade damit beschäftigt, das geschlachtete Kalb zu zerteilen. „Ein Mann löst eine Keule aus, hält derweil das Messer zwischen den Zähnen; einer wetzt seins an Stahl oder Wetzstein, der dritte schneidet ein Vorderbein ab, in seinem Gürtel steckt die Fleischeraxt. Ein Hund öffnet begierig das Maul.“186 Anders als es der neuzeitliche Bildkommentar ausweist, kann dieses Detail kaum als „äußerst drastisch“ und auch nicht als „rohe und blutrünstige Szene“ bezeichnet werden.187 Vielmehr gelang es hier dem Illustrator, das Zerlegen des Kalbes durch seine detailreiche und lebendig wirkende Darstellung mit einer gewissen Leichtigkeit und Eleganz stimmig in das Gesamtbild einzufügen. Der Charakter des Festmahls wird daher durch das vor der Tafel stattfindende Geschehen nicht etwa gestört, sondern unterstrichen.
182 183
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186 187
Vgl. Kroos im Kommentarband zur Faksimileausgabe (1991), S. 64 Vgl. Kroos (1991), S. 64. Die Bibelstelle lässt den Dialog zwischen Vater und älterem Sohn außerhalb des Hauses und nicht an der Tafel stattfinden. Der Künstler verlegte alle handelnden Personen in den überdachten Raum, um den Konflikt zwischen dem in Demut zurückgekehrten jüngeren und dem zwar sonst redlichen, hier jedoch enttäuscht aufbrausenden älteren Sohn effektvoll in Szene zu setzen Die Handgeste, die der Vater mit seiner Rechten zeigt, scheint beschwichtigend Vgl. Kroos (1991), S. 26 und 65. Bemerkenswert ist, dass auch die Schmalkaldener Wandmalerei die Figuren am rechten Bildrand in ‚mi-parti‘-Mode zeigt – deutlich eine der ‚Truchsessen‘-Figuren, zweifarbige Kleidung mit Zackenmuster trägt dort ebenfalls der Trommler, vgl. Abb. oben S. 218 Kroos (1991), S. 65 f. So das Urteil von Kroos (1991), S. 65
Die Tafel im Bild
Abb. 18: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Goslarer Evangeliar, um 1240
223
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Die Tafel im Bild
Auf dem Tisch stehen drei Schalen mit Geflügel, vor dem Vater in der Mitte eine goldene, zu deren Seiten vor den Söhnen je eine aus Silber.188 Nur vor dem Vater und dem verlorenen Sohn sind zwei Vorlegemesser mit breiter Klinge aufgelegt – ein Hinweis darauf, dass für den älteren Sohn zunächst nicht mit gedeckt wurde? Auf dem Tisch liegen ferner fünf Brote in zwei verschiedenen Formen. In der rechten Bildhälfte ist ein reich verzierter Deckelpokal mit ausladendem Fuß zu sehen. Keine der an der Tafel versammelten Personen scheint von den reich darauf angerichteten Speisen Notiz zu nehmen. Während es durch die Gerichte auf der Tafel und das Treiben vor dem Tisch im unteren Bildteil ganz um die Botschaft ‚Bereitung und Durchführung des Festmahles‘ geht, sind die an der Tafel sitzenden Personen mit dem Konflikt beschäftigt, den die Vorwürfe des älteren Sohnes auslösen. Anders als in den höfischen Tafelszenen sind die Figuren hier nicht in Zweiergruppen einander zugewandt, sie befinden sich weder im Gespräch noch beim Essen oder Zutrinken. Die symmetrische Aufteilung der oberen Bildhälfte mit den zwei ‚Parteien‘ um den jüngeren und um den älteren Sohn und dem zwischen beiden positionierten, in Darstellung und im Wortsinn ‚vermittelnden‘ Vater ist ganz darauf ausgerichtet, den Kern des Gleichnisses wiederzugeben. Eine entspannt speisende und sich dabei angeregt unterhaltende Tischgemeinschaft hätte ihn wohl kaum getroffen. Obwohl sich mit der langen, die gesamte Bildbreite einnehmenden Tafel, dem langen, in Falten bis zum Boden fallenden Tischtuch und mit den auf dem Tisch abgebildeten Geräten und Speisen typische Elemente einer hochmittelalterlichen Tafeldarstellung finden, weist diese Darstellung nicht nur dadurch, dass sie ein biblisches Gleichnis illuminiert, religiöse Bezüge auf. Ihr transzendentaler Charakter mag sich ihren hochmittelalterlichen Betrachtern z.B. in der Schlachtung des Kalbes vermittelt haben. Das Kalb als Opfertier wurde (wie das Lamm) als ein Symbol für Christus verstanden, der für die Menschen den Opfertod starb.189 Und den in der Bildmitte sitzenden, seine Söhne an Größe überragenden Vater könnten sie als eine Symbolisierung Gottes aufgenommen haben, nicht zuletzt auch durch die im Bibeltext tragenden Worte, die er schließlich an seinen älteren Sohn richtet: „Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden“ (Luk. 15, 31f.). 188
189
Vgl. Kroos (1991), S. 65. Die ursprüngliche Silberfarbe der Schalen lief seit ihrer Entstehung – wie auch echtes Silber – an. Daher erscheinen die beiden Schalen nunmehr schwarz Vgl. Kroos (1991), S. 66
Die Tafel im Bild
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Zwar tragen die Figuren keinen Nimbus, der die Darstellung auch ohne Kontext ganz offensichtlich als religiöses Motiv gekennzeichnet hätte. Der Illustrator deutete den Raum jedoch dadurch an, dass er ihn nach oben durch mehrere gewölbte Dächer abschließen lässt. Vater und Söhne sitzen unter unterschiedlich gestalteten Wölbungen, nur die direkt über dem Vater befindliche ist dabei zentriert ausgerichtet. Sie wirkt dadurch beinahe so, als ob sie einen fehlenden Nimbus ersetzen sollte. Die Malweise, mit der das Goslarer Evangeliar illuminiert wurde, hebt sich von den bisher gezeigten Beispielen ab. Die Bildseiten werden durch eine sorgfältig ausgeführte, detaillierte und farbintensive Ornamentik eingerahmt, bei der Hell-Dunkel-Effekte eine Dreidimensionalität andeuten.190 Durch alle Bildseiten der Handschrift hindurch fällt die Variabilität auf, mit der die Figuren auf den Ganzseiten- und den Initialbildern dargestellt werden.191 Der Illustrator arbeitete mit einem hohen Interesse am Detail: die Gesichter und Frisuren der Figuren sind fein ausgearbeitet, ebenso der Faltenwurf der Gewänder und die Verzierung der Schmuckkragen. Das Tischtuch zeigt ein aufwändiges Muster, und noch die Rippen und der eingefallene Bauchraum des geschlachteten Kalbes sind erkennbar. Maltechnik und Ausführung der Illuminationen verweisen das Goslarer Evangeliar damit in einen Kreis von nord- bzw. nordostdeutschen Handschriften, die deutliche Anlehnungen an den byzantinischen Malstil zeigen.192 Eine ganze Reihe von Tafeldarstellungen findet sich auch in dem reich bebilderten ‚Hortus deliciarum‘, den die Äbtissin Herrad von Landsberg (auch: Herrad von Hohenburg, † um 1196)193 für die Nonnen ihres elsässischen Klosters gegen Ende des 12. Jahrhunderts anfertigen ließ.194 Der Codex bot „nach einem klaren Plan in Wort, Bild und Musik eine umfassende Lehre von den Dingen des Glaubens, der Kirche und der Natur“.195 Beim Bombardement Straßburgs im deutsch-französischen Krieg verbrannte das Werk 1870, sodass es heute nur noch über verschiedene Nach190
191 192 193
194
195
Zur Ornamentik vgl. Kroos im Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe (1991), S. 18 Vgl. Kroos (1991), S. 25 Vgl. Kroos (1991), S. 18 und mit weiteren zeitgenössischen Beispielen S. 29 ff. Vgl. M. Grams-Thieme im LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 2179 f. s.v. Herrad von Landsberg Für den Entstehungszeitraum zwischen 1176 und 1196 und das Kloster Hohenburg als wahrscheinlichen Entstehungsort spricht sich Michael Evans aus, vgl. ders.: Description of the Manuscript and the Reconstruction, in: Kommentarband zur Faksimileausgabe (1979), S. 1–8, hier: S. 1 Grams-Thieme (1989), Sp. 2179
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Die Tafel im Bild
zeichnungen erschließbar ist, vor allem diejenigen, die Alexandre Straub und Gustave Keller im 19. Jahrhundert anfertigten.196 Diese Nachzeichnungen vermitteln zwar einen Eindruck von der ursprünglichen Anlage und Farbigkeit des Codex, bezüglich ihrer getreuen Wiedergabe des Originals herrschen jedoch Zweifel.197 Zum einen wurden viele Illuminationen nicht kopiert und sind damit gänzlich verloren, zum andern haben beide Kopisten einige Illuminationen nicht übereinstimmend wiedergegeben, sodass einzelne ihrer Kopien das Bildprogramm der Handschrift kaum originalgetreu repräsentieren. Ein Beispiel dafür bietet die Szene, die die Geschichte der Königin Esther illuminiert. Der ursprünglich aus Persien stammende historische Stoff, der als Buch Esther in die als Geschichtsbücher gewerteten Schriften des Alten Testaments Eingang fand, handelt von der Königin Esther (pers./babylon. Ischtar). Die Jüdin wurde die Lieblingsfrau des persischen Königs Ahasverus (Xerxes I.). Die hier ins Bild gesetzte Szene lässt sich innerhalb der biblischen Erzählung gut lokalisieren. Haman, ein hoher Würdenträger am Hof des Ahasverus, versucht, diesen dazu zu bringen, alle Juden in seinem Reich und damit auch Mordechai zu töten, der Ahasverus zuvor durch das Aufdecken einer Verschwörung das Leben rettete und daher dessen Gunst genießt. Haman behauptet, von dem Juden nicht hinreichend ehrenvoll behandelt worden zu sein. Mordechai erkennt die Gefahr und bewegt Esther dazu, bei Ahasverus Fürbitte für ihr Volk einzulegen. Dieser entspricht ihrer Bitte, in umgekehrter Anwendung seiner Klage muss nun Haman Mordechai seine Ehrenbezeugung erweisen. Anschließend wird er gehenkt, und seine Nachfolge als Hofbeamter tritt der treue Mordechai an (vgl. Esther 3,1–7,10). Die Gegenüberstellung der beiden bekannten Nachzeichnungen dieser Szene aus dem ‚Hortus deliciarum‘ zeigt, dass beide im 19. Jahrhundert nicht vollständig übertragen wurden. Zwar ist die folgend abgebildete, kolorierte Reproduktion bereits aufgrund der dort übertragenen Namen (am Tisch sitzend v.l.n.r.: „Mardochens“, „Hester“, „Rex“ und „Aman“) inhaltlich zuzuordnen, im Bild auch unterstrichen durch typische Attribute (Mordechais ‚Judenhut‘, Ahasverus’ Krone). Vollständig wird die Szene 196
197
Vgl. Vorwort in: Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, Kommentarband S. VII Vgl. Vorwort im Kommentarband zur Rekonstruktionsausgabe (1979), S. VII
Die Tafel im Bild
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Abb. 19/20: Esther leistet bei König Ahasverus Fürbitte für ihr Volk. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh.
jedoch nur durch die rechts anschließende Darstellung des Haman am Galgen, deren Abzeichnung wiederum die Tafel im linken Teil und die Namenszüge der Akteure vermissen lässt. Die beiden Nachzeichnungen gemeinsame zentrale Szene, die Tafel bei Ahasverus, wird von beiden neuzeitlichen Kopisten weitgehend identisch wiedergegeben.198 Wie andere Illuminationen des ‚Hortus deliciarum‘ weist 198
In Details weisen sie Unterschiede auf, etwa in der Wiedergabe von Ornamenten des Tischtuches oder der Kleidungsstücke. Auf der kolorierten Nachzeichnung findet sich auf der Stirn der abgebildeten Männer eine erkennbare Falte (in Form eines ‚V‘), die die untere Kopie nicht zeigt. Die Umrandung der unteren Szene durch einen ein-
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Die Tafel im Bild
sie Anklänge an die byzantinische Malschule auf,199 hier z. B. durch das gemusterte Tischtuch und die fein ausgearbeiteten Borten, die die Gewänder der gezeigten Personen schmücken. In der Bildmitte sind an der langen Tafel die vier Hauptpersonen dargestellt, um die sich die Geschichte rankt. Die Darstellung bildet sie nicht in den typischen Zweierpärchen ab, sondern versucht, den Erzählgang mit ins Bild zu setzen. So blickt Mordechai nach links zu dem Truchsessen, der (erkenntlich an seinem Stab als Zeichen seines Hofamtes) links von der Tafel steht,200 weist jedoch mit seiner Linken nach rechts auf Esther, die ja auf seine Veranlassung hin mit Ahasverus spricht. Esther zeigt Ahasverus gegenüber eine bittende Geste, dieser wiederum weist, seiner verehrten Frau zugewandt, nach rechts auf Haman. Nun selbst einer Anklage ausgesetzt, greift sich dieser mit seiner Hand ans Herz. Bei näherer Betrachtung der zentralen Tafel erschließt sich, warum die Illuminationen des ‚Hortus deliciarum‘ „zu den wichtigsten Q.[uellen, d. Verf.] für Kleidung, Lebensgewohnheiten, Gebräuche, Stand der Technik usw. des hohen MA“ gerechnet werden.201 Der Maltradition des Hochmittelalters folgend, nehmen die Illuminationen der biblischen Szenen auch in Herrads ‚Wonnengarten‘ eine Vielzahl von zeitgenössischen Realien auf. Zu sehen ist die bekannte lange Tafel, deren in Falten geworfenes, mit einem Rautenmuster versehenes Tischtuch hier jedoch nicht ganz bis zum Boden reicht. Unter ihm sind nämlich die Füße der an der Tafel sitzenden Personen zu erkennen.202 Auf der Tafel sind drei verzierte, mit Fisch gefüllte Schalen angerichtet. Deren farbliche Gestaltung könnte – getreue Wiedergabe vorausgesetzt – darauf hinweisen, dass es sich bei der linken um eine goldene Schale, bei den beiden anderen um silbernes Tischgerät handelt. Immerhin befindet
199
200
201 202
fachen Strich lässt vermuten, dass es sich bei der Kopie um das gesamte Bild handelt. Dies ist, wie die farbige Kopie ausweist, nicht der Fall Vgl. Grams-Thieme (1989), Sp. 2180 und Rosalie Green: Catalogue of Miniatures, in: Kommentarband zur Rekonstruktionsausgabe (1979), S. 89–228, hier: S. 157 Die Aufnahme des Truchsessen an dieser Stelle ist bemerkenswert. Zwar finden sich gelegentlich – jedoch deutlich seltener als in Illuminationen zu ‚weltlichen‘ Kontexten – Dienerschaft und vereinzelt sogar Musikanten oder Gaukler auch in Illuminationen geistlicher Erzählmotive (vgl. z. B. oben S. 223, Abb. 18), doch scheint die Darstellung eines Hofamtes – so nachvollziehbar sie an der Tafel des mächtigen Herrschers Ahasverus sein mag – im Kontext einer biblischen Erzählung einzigartig Grams-Thieme (1989), Sp. 2180 Diese Form der Darstellung fehlt in den Tafelszenen des 13. Jahrhunderts fast durchgehend und erscheint erst im 14. Jahrhundert wieder, so z. B. in der prächtig illuminierten Wiener ‚Willehalm‘-Handschrift (Codex Vindobonensis 2670)
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Abb. 21: Esthers Fürbitte an der Tafel des Königs Ahasverus. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh.
man sich am Hofe eines Königs, dessen Tafelgeschirr entsprechend prachtvoll sein sollte. Dies weist auch das runde, ebenfalls mit Mustern verzierte Deckelgefäß mit Fuß aus, das zwischen den beiden ‚silbernen‘ Schalen positioniert wurde. In einem gewissen Kontrast zur höfischen Pracht steht der zwischen Mordechai und Esther abgestellte, zweibündige (hölzerne) Daubenbecher, der auch in höfischen Haushaltungen zum gewohnten Tafelinventar gehört haben dürfte, wie u. a. die oben gezeigten Illuminationen von Heinrichs ‚Eneasroman‘ und aus der Münchner ‚Parzival‘-Handschrift belegen. Auch die zwei unterschiedlich gearbeiteten Messer, die auf Ahasverus’ Tafel bereit gelegt sind, weisen Ähnlichkeiten zu dem Tafelgerät aus, das in der wenige Jahrzehnte später entstandenen Berliner Handschrift des ‚Enearomans‘ zu sehen ist: ihre Klingen weisen an ihrem oberen Auslauf eine runde Ausbuchtung auf. Neben den angerichteten Fischen wurden an Speisen verschiedene Brote bzw. Gebäckformen ins Bild gesetzt. Zu erkennen sind eine Brezel und fünf halbmondförmige Brote, ferner zwei kleine ‚Stücke‘, die zwar gleich koloriert, jedoch nicht näher identifizierbar sind.
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Die Tafel im Bild
Sehr ungewöhnlich ist die Bildkombination der zentralen, langen Tafel, mit einer zweiten, die links vom Truchsessen aufgestellt ist. Sie wird nicht näher bezeichnet oder erklärt, wirkt jedoch wie ein Anrichtetisch, auf dem verschiedene Speisen bereit gestellt sind, um der Tafelgemeinschaft serviert zu werden. Diese runde, niedrige Tafel ist mit einem Tischtuch bedeckt, das mit aufwändigen Bordüren verziert ist. Die auf diesem ‚Anrichtetisch‘ bereit stehenden Speisen und Geräte weisen auf die Pracht und Vielfalt hin, die das Mahl am Hofe des Ahasverus kennzeichnen sollten: ein in einer verzierten Goldschale liegender Schweinekopf203 steht für einen ‚Fleischgang‘, eine rechts daneben platzierte Sockelschale enthält gleich dem Fleisch gefärbte ‚runde Stücke‘, eine links vom Schweinekopf stehende Sockelschale ein ebenfalls angedeutetes, jedoch heller koloriertes, rund geformtes Speiseangebot. Neben diesen Schalen sind vier kleine Gefäße mit Fuß, vielleicht Saucentöpfchen, aufgestellt. Links davon steht ein reich verzierter, wohl goldener Deckelpokal.204 Am oberen Tischrand sind ein Messer, ein Vorlegemesser (mit breiter Klinge) sowie zwei zweizinkige Vorlegegabeln (für das Fleisch) abgelegt. Ferner liegen ein rundes und ein halbmondförmiges Brot sowie eine Brezel bereit, um an die Haupttafel getragen zu werden. Die obere Begrenzung des Anrichtetisches zeigt wiederum mehrere kolorierte, nicht identifizierbare ‚Stücke‘, u. a. in Halbmondform. Die über dem Anrichtetisch gezeigte Handwaschszene verweist ebenfalls in das Umfeld der höfischen Tafel, auf die Verrichtungen, die im zeitgenössischen Verständnis bei einem Festmahl nicht fehlen durften. Aus einer mit Mustern verzierten, goldenen Kanne gießt ein Diener – nur durch seine die Kanne senkende Hand vertreten – Wasser über die Hände eines Gastes (auch dieser ist nur durch seine Hände sichtbar) in eine goldene Fußschale, in der das Wasser aufgefangen wird. Diese Darstellung ist einzigartig, sie begegnet weder in den zahlreichen weiteren Tafelszenen des ‚Hortus deliciarum‘ noch ist sie aus anderen, zeichnerisch ins Bild gesetzten Mahlszenen des Hochmittelalters bekannt, die aus dem deutschen Sprachraum stammen. Die darüber befindliche Zeichnung
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Der Kopf des Tieres weist deutlich ausgeprägte Hauer auf. Ob es sich um ein Wildoder ein Hausschwein handelt, lässt sich aufgrund des im Hochmittelalter noch nicht hoch entwickelten Züchtungsstandes von Schweinen nicht entscheiden So wie hier einzeln auf einer Tafel stehende, prachtvoll verzierte Deckelpokale werden andernorts als Salzgefäß interpretiert, vgl. die Abb. eines der für diese These beigezogenen Beispiele unten im Anhang, Abschnitt IV.3 (Illumination aus dem sog. ‚Hildegard-Gebetbuch‘)
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Abb. 22: Speisen und Gerät für die Tafel des Königs Ahasverus. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh.
erklärt sich nicht aus sich heraus. In der Bildbeschreibung wird auf sie nicht eingegangen.205 Möglicherweise handelt es sich um zwei Stimmgabeln. Die beigefügte Inschrift emunt tona (sie bauen den Ton/Wohlklang auf ?)206 könnte darauf hinweisen, vielleicht auch als eine Erinnerung, dass Musik zu einer festlichen Tafel gehört. 205 206
Vgl. Green im Kommentarband zur Handschriftenrekonstruktion (1979), S. 125 Vgl. Der kleine Stowasser (1971), S. 188 s.v. emunio „aufmauern, vermauern, befestigen“ sowie S. 459 s.v. sonus „Laut, Ton, Klang, Geräusch“. Die zum lateinischen Neutrum gehörende Pluralform auf -a passt grammatikalisch nicht zum maskulinen sonus, andere Lesarten bieten sich jedoch nicht an. Auch ein Bezug zum lat. tonare ,donnern‘ scheint wenig passend. Möglicherweise findet sich hier ein Beispiel dafür, dass man es im Hochmittelalter mit dam klassischen Latein und dessen Regeln oft nicht mehr so genau nahm?
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Die Tafel im Bild
Dass der Illustrator (?) des Codex nicht nur originelle Darstellungen fand, sondern sich (wohl wegen der großen Zahl der auszuführenden Illuminationen)207 an Vorlagen aus verschiedenen Musterbüchern orientierte208 und sogar sich selbst kopierte, zeigt die folgende Darstellung, die dem neutestamentlichen Gleichnis von der Hochzeit eines Königssohnes beigegeben wurde. Im Matthäus-Evangelium wird beschrieben, dass ein König zur Hochzeit seines Sohnes viele Gäste einlud, die jedoch seiner Einladung nicht folgten, ja sogar seine Diener überfielen, sie misshandelten und schließlich töteten. Der König wurde deshalb zornig und sandte seine Schergen aus, ließ die Mörder umbringen und deren Stadt zerstören. Er lud daraufhin zu der Hochzeit alles Volk ein, das sich auf der Straße fand. Das Volk erschien in großer Zahl. Ein Mann jedoch erschien in unangemessener Kleidung. Dadurch erwies er weder dem König noch seinem Sohn die angemessene Ehre und wurde aus dem Haus geworfen (Matth. 22, 2–14). Das spontan eingeladene Volk sitzt bereits an der Festtafel (Frauen fehlen dabei), die langen Gewänder und die bortenverzierten Tuniken der Tafelnden weisen darauf hin, dass sie sich dem Anlass entsprechend ‚fein gemacht‘ haben. Am linken Bildrand ist ein Mann zu sehen, der in kurzer Tunika und mit geschnürten Sandalen, in einer Arbeitskleidung, gekommen ist. Er wird von einem Engel mit einem langen Stab berührt und durch diese Geste besonders gekennzeichnet. Die Darstellung des runden Tisches, des bodenlangen Tischtuches, dessen Schmuck und die ungewöhnliche Gestaltung der Randzone des Tisches entsprechen bis in deren ‚Belegung‘ hinein genau derjenigen, die zuvor in der Esther-Szene zur Ausführung kam. Auch hier sind auf dem Tisch drei Fußschalen angerichtet, die in der Nachzeichnung jedoch keine Verzierungen aufweisen. In zwei der Schalen sind ‚runde Teile‘ erkennbar, um diese Schüssel herum befinden sich kleinere Gefäße mit hohem Fuß in derselben Verteilung wie zuvor auf dem ‚Anrichtetisch‘. Identisch sind auch die Anordnung und Form der auf dem Tisch liegenden Messer und Vorlegegabeln. Brot fehlt, es sei denn, die direkt vor den Gästen angerichteten, mehrheitlich eckigen ‚Stücke‘ könnten als solches angesprochen werden. Mehrfach finden sich ähnliche motivische ‚Zitate‘ bei den Tafelszenen des ‚Hortus deliciarum‘. Bei den mehrheitlich an langen Tischen stattfin207
208
Die Originalhandschrift soll 336 Miniaturen enthalten haben, in Kopien sind davon etwa 240 überliefert, vgl. Grams-Thieme (1989), Sp. 2179 Vgl. Grams-Thieme (1989), Sp. 2180, wo westeuropäische und byzantinische Vorlagen erwähnt werden
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Abb. 23: Die Hochzeit von des Königs Sohn. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh.
denden Mählern wechseln zwar Personenzahl und seitlich der Tafel positionierte, auf den jeweiligen Text bezogene Attribute, die Form ihrer Darstellung und die auf den Tischen abgebildeten Geräte und Speisen bilden jedoch lediglich Wiederholungen der bereits bekannten Muster.209 Neben der wie im Beispiel der Esther-Szene ungewöhnlichen Komposition von Tafeldarstellungen ist bemerkenswert, dass im ‚Hortus deliciarum‘ mehrfach zweizinkige Vorlegegabeln (für Fleischspeisen) auf dem Tisch abgebildet werden. In Bilddarstellungen des Hochmittelalters aus dem deutschsprachigen Raum erscheinen Gabeln selten. Bereits oben wurde angeführt, dass hier die Gabel als Essbesteck erst in der frühen Neuzeit gebräuchlich wurde.210 Südlich der Alpen hingegen (und damit außerhalb des für diese Arbeit gewählten Untersuchungsraumes) war der Gebrauch von Messer und Gabel als Essbesteck bereits im beginnenden Hochmittelalter bekannt, möglicherweise aufgrund der Einflüsse, die dort209
210
Beispiele hierfür bieten der Miniaturenzyklus zum letzten Abendmahl (Luk. 14, 16 ff., fol. 119r), die Illumination der Lazarus-Geschichte (Luk. 16, 19 ff., fol. 123r) sowie das Fest des Königs Salomo (fol. 204v) Vgl. oben S. 74 mit Anm. 164
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Abb. 24: Zwei Herren speisen mit Messer und Gabel. Hrabanus Maurus, ‚De rerum naturis‘, ca. 1022–1035
hin vom byzantinischen Hof in Konstantinopel aus wirkten.211 Einen Beleg dafür bietet die oben gezeigte Szene. Die Speisenden sitzen dort an einer runden Tafel, sind jedoch an ihrem linken und rechten Rand, also sich gegenüber (nicht etwa hinter der Tafel) sitzend abgebildet. Der linke, der sich in die Lehne eines gedrechselten und bunt bemalten Stuhles fügt, fixiert mit der Gabel212 in seiner Linken die Speise auf dem Teller ( ? ), die er mit dem Messer in seiner Rechten gerade schneidet. Das Messer seines Tischgenossen, der auf einem Klapphocker sitzt, liegt vor diesem auf der Tafel, er führt sich mit der Gabel in der Rechten gerade eine Speise zum Mund. Ob und wie weit der Gebrauch von Messer und Gabel tatsächlich verbreitet war und wie er im Verständnis der Zeit angemessen gestaltet wurde, lässt sich aufgrund dieser aus dem klösterlichen Bereich stammenden Illumination nicht erschließen. Sie bietet jedoch ein gutes Beispiel dafür, dass verschiedene kulturelle Entwicklungen, auch Tischsitten und -gebräuche 211
212
Vgl. die Artikel ‚Gabel‘ von Klaus Düwel, in: RGA Bd. 10 (1998), S. 307 sowie ‚Eßbesteck‘ von Torsten Capelle, in: RGA Bd. 7 (1989), S. 573–577 und Foster (1980), S. 156 ff. Die Gabeln der beiden Speisenden werden zweizinkig dargestellt und damit in derselben Form, die nördlich der Alpen in anderer Funktion, als Vorlegegabel, genutzt wurde
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im Hochmittelalter nicht europaweit wirkten und daher in regional begrenzteren Räumen betrachtet werden sollten. Da die geistliche, insbesondere die klösterliche Welt in dem hier beleuchteten Zeitraum zentraler Träger der Schriftkultur war, finden sich vornehmlich in Handschriften religiöser Provenienz,213 seltener daneben in Handschriften, die zeitgenössische Dichtung enthalten, Illuminationen, die Tafelszenen ins Bild setzen. Chroniken aus dem Hochmittelalter mit einer historisch-politischen Ausrichtung führen derartige Bildszenen offenbar nur selten aus. Der einzige bei den Recherchen zu dieser Arbeit entdeckte Beleg entstammt einer im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts – möglicherweise in Würzburg – entstandenen Handschrift, einer Kaiserchronik für Heinrich V., deren Verfasser anonym blieb.214 „Die Handschrift enthält laut Prolog eine auf Wunsch Kaiser Heinrichs V. aus anderen Chroniken zusammengestellte Geschichte von der Herkunft der Franken bis auf die eigene Zeit, das heißt 1114.“215 Das Jahr 1114 lässt sich zur Datierung des Werkes heranziehen, weil in diesem Jahr in Mainz die Hochzeit Kaiser Heinrichs V. mit Mathilde von England, einer Enkelin Wilhelm des Eroberers, gefeiert wurde.216 Auf eben dieses Ereignis bezieht sich die folgende, nicht kolorierte Illumination, die einer inhaltlich dem Hochzeitsfest gewidmeten, lateinisch verfassten Textkolumne vorangestellt ist. Kaiser Heinrich V. und Mathilde von England, beide einander zugewandt, bekrönt und in verzierte, prächtige Gewänder gekleidet, sind in der Mitte der Szene platziert. Rechts und links vom Hochzeitspaar sitzen Geistliche, die an ihrem Haarschnitt (mit Tonsur) sowie durch die aufgeschlagenen Revers an ihren – ebenfalls reich verzierten – Gewändern erkennbar sind.217 Die Anordnung der gezeigten Personen lässt die enge Verbindung
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Einige – in das 11. und 12. Jahrhundert datierte – religiöse Handschriften (besonders Evangeliare, Evangelistare, Perikopenbücher, Psalterien und Gebetbücher) enthalten Speiseszenen, die biblische Geschichten illuminieren. Bereits oben wurde eine Szene aus dem sog. Echternacher Evangeliar (um 1030/1040) gezeigt (vgl. S. 176, Abb. 3), zu weiteren Beispielen vgl. oben S. 216, Anm. 165 Vgl. Ursula Nilgen: Anonyme Kaiserchronik für Heinrich V., in: Jochen Luckhardt/ Franz Niehoff (Hg.): Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995. Bd. 1. München 1995, S. 299 f. Nilgen (1995), S. 299 Da sich die Handschrift nachweislich schon im 13. Jahrhundert in England befand, ist es wahrscheinlich, dass sie nach dem Tod Heinrichs V. (1125) von der in ihre Heimat zurückgekehrten Mathilde dorthin mitgenommen wurde. Die Handschrift muss daher nach 1114 und vor 1125 entstanden sein. Vgl. dazu Nilgen (1995), S. 200 Vgl. Nilgen (1995), S. 200
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Abb. 25: Hochzeitsmahl Kaiser Heinrichs V. und Mathildes von England. Anonyme Kaiserchronik für Heinrich V., um 1120
von Kaisertum und Kirche direkt ins Auge fallen und dürfte daher kaum zufällig gewählt worden sein. Die vor der Gesellschaft aufgebaute, rechteckige Tafel ist gut bestückt, jedenfalls so dargestellt, dass sie ‚voll‘ erscheint. Das auf die Tafel gelegte Tischtuch fällt bodenlang reich in Falten und ist am Saum mit einer breiten Schmuckbordüre besetzt. Auf der Tafel sind ein gekerbtes, rundes Brot, eine Brezel sowie mehrere, nicht näher definierte ‚Stücke‘ (bereits gebrochenes Brot?) verteilt. Über der Brezel ist eine kleinere Deckelschale zu sehen, am linken Rand der Tafel erscheint ein (hölzerner!) Daubenbecher. Etwa in der Mitte des Tisches, vom Hochzeitspaar aus an der hinteren Tafelseite befinden sich zwei kleinere, trichterförmige, unten spitz zulaufende Gegenstände, die vielleicht als Trinkhörner angesprochen werden können.218 Auf dem Tisch sind drei Messer erkennbar, die an der Spitze 218
Nilgen (1995), S. 200, nennt die beiden fraglichen Gegenstände ohne weitere Erläuterung „Spitzbecher“
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ihrer Schneide gekerbt sind und bezüglich ihrer Verteilung eine ungewöhnliche Anordnung aufweisen. Zwei der Messer liegen zwischen dem Hochzeitspaar und sollen offenbar seinem Gebrauch vorbehalten sein. Das dritte Messer liegt vor dem Kleriker am rechten Bildrand. Der links vom Hochzeitspaar sitzende Geistliche bleibt im Bild messerlos, obwohl dem Zeichner auf der Tafel ausreichend Platz zur Verfügung gestanden hätte, auch ihm ein Messer zuzuordnen: es hätte sich gut anstelle des über den Daubenbecher gesetzten (Brot-?)‚Stücks‘ setzen lassen. Von rechts reicht ein Diener, mit gebeugtem rechten Bein halb in einem Ausfallschritt, eine weitere Deckelschale an. Der Truchsess, erkennbar an seinem in der Linken geführten Stab, reicht von links eine flache, offene Schale mit mehreren nicht definierbaren, ‚runden Stücken‘ an. Seine Körperhaltung ist durch einen tiefen Ausfallschritt mit stark angewinkeltem linken und weit nach hinten gestrecktem rechten Bein gekennzeichnet.219 Die beiden bedienenden Figuren sind deutlich kleiner dargestellt als die speisende Hochzeitsgesellschaft, deren hoher gesellschaftlicher Rang und deren damit verbundene Bedeutung auch durch diesen Größenunterschied erkennbar werden.220 Mit Blick auf die Frage, welche Speisen bei einer kaiserlichen Hochzeit aufgetragen wurden, gibt auch diese Illumination nur wenige Hinweise. Verschiedene Arten von Brot, verschiedenartige Speisen, auf die durch mehrere Schüsseln und Schalen hingewiesen wird, bieten nur wenig Konkretes. Interessant ist jedoch, wie sehr die Komposition dieser Darstellung denjenigen gleicht, die sich in zeitgleichen Handschriften religiösen Inhalts sowie später datierenden Handschriften mit epischen Dichtungen finden. Der Darstellungstyp ist multifunktional, er kann – je nachdem, auf welchen Kontext er sich bezieht – ggf. durch bestimmte Attribute (z. B. Amphoren oder Kannen bei einer Darstellung der biblischen Hochzeit von Kana, be-
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Im gezeigten Bildausschnitt nicht sichtbar: das jeweils mehr oder weniger weit nach hinten ausgestreckte rechte Bein vom Truchsess und das linke des Dieners bilden für die beiden ersten Zeilen des gleich unterhalb der Szene einsetzenden Textes quasi eine Einrahmung Dieser Darstellungstyp von hochgestellter Tafelgemeinschaft und ‚niederer‘ Dienerschaft findet sich nicht durchgängig. So werden Diener, die an Didos Hof Speisen herantragen, im ‚Eneasroman‘ in ‚natürlicher‘ Größe dargestellt, in der Münchner ‚Tristan‘-Handschrift teils gleich groß wie die Tafelnden, teils kleiner – so in der Darstellung mit Blanscheflur beim Turnier, was damit zusammenhängen könnte, dass hier zwei verschiedene Illustratoren am Werk waren. In der Münchner ‚Parzival‘Handschrift wiederum sind die bedienenden Figuren durchgehend erheblich kleiner dargestellt als die tafelnden Personen. Vgl. dazu oben die Abbildungen in den Abschnitten 3.1 f.
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krönte Häupter und verzierte Kleidung bei der bildlichen Wiedergabe ‚realer‘ oder dichterisch geschilderter höfischer Mähler) variiert werden, es wechselt in der Hauptsache der jeweils tafelnde Personenkreis. Bemerkenswert ist auch – wie das Beispiel aus der Kaiserchronik Heinrichs V. belegt –, dass der vorliegende Darstellungstypus bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts nicht mehr nur in Illuminationen religiöser Literatur erscheint. Da er auch in der erst etwa ein Jahrhundert später (mit der Berliner Handschrift von Heinrichs ‚Eneasroman‘) einsetzenden Tradition illuminierter Epenhandschriften bis weit über das 13. Jahrhundert hinaus nachweisbar ist,221 besaß dieser Bildtypus nicht nur einen hohen Verbreitungsgrad, sondern ist auch durch eine lange Verwendungsdauer gekennzeichnet.222 Neben diesem für Tafelszenen dominanten Bildmuster finden sich auch Beispiele für Illuminationen, die den Themenkreis von ‚Essen und Trinken‘ berühren, dabei aber offenbar anderen gestalterischen Ideen folgen. Eine solche ‚Darstellung mit Tafel‘, die jedoch keine Festszene zeigt, findet sich in der Heidelberger Handschrift des ‚Welschen Gastes‘ von Thomasin von 221
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So sind auch verschiedene Tafeldarstellungen in der Anfang des 14. Jahrhunderts datierenden, illuminierten Handschrift mit Wolframs ‚Willehalm‘ nach diesem Muster gestaltet, vgl. Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Der Codex Vindobonensis 2670 der Österreichischen Nationalbibliothek. Kommentar von Fritz Peter Knapp. Teil 1. (Glanzlichter der Buchkunst 14). Graz 2005, fol. 109r, fol. 88rb oder fol. 326v. Zu dem zuerst genannten Blatt bemerkt F. P. Knapp im Kommentar auf S. 18: „Wie aus diesen exemplarischen Beschreibungen hervorgeht, tendieren die Bilder durchaus, auch in Abweichung vom Text, zur Erfüllung allgemeiner Bildtypen, gehen aber selten in ihnen ganz auf.“ Er findet sich in wesentlichen Merkmalen schon um die Jahrtausendwende z. B. auf der vom Hildesheimer Bischof Bernward (993–1022) in Auftrag gegebenen und noch heute im Hildesheimer Dom befindlichen Bronzesäule, die eine Reihe biblischer Geschichten in einer ausgeklügelten Reihenfolge halbplastisch ausgearbeitet darstellt. So finden sich auf der Säule Tafeldarstellungen bei der Hochzeit von Kana, der Geschichte vom armen Lazarus, bei der Darbringung des abgeschlagenen Hauptes Johannes des Täufers sowie bei Gastmahl und Salbung in Bethanien. Die rechteckig-langen Tafeln sind jeweils mit Tischtüchern versehen, die reich in Falten fallen, jedoch nicht – wie auf späteren Darstellungen – bis zum Boden reichen. Sie lassen daher die Tischbeine erkennen, die in einzelnen Darstellungen kunstvoll gedrechselt und verziert erscheinen. Hinter den Tafeln sind die Protagonisten der biblischen Erzählungen zu sehen, teils Einzelpersonen, teils größere Figurengruppen. Auf den Tafeln erscheinen Brot(e), Messer (in der auch später noch gebräuchlichen, an der Spitze der Klinge eingekerbten Form), Pokale mit Standfuß (teils mit ornamentalen Verzierungen), undefinierbar gefüllte oder leere Schalen mit Standfuß sowie Becher, die deutlich Daubenform aufweisen. Vgl. hierzu Bernhard Bruns: Die Bernwardsäule – Lebensbaum und Siegessäule. Hildesheim 1995, Abb. auf den S. 168 (Hochzeit in Kana), 175 (Darbringung des Hauptes), 183 (Der reiche Mann und der arme Lazarus) und 191 (Das Gastmahl und die Salbung in Bethanien)
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Abb. 26: Den Fresser plagt das Verlangen. Thomasin von Zerclaere, ‚Der Welsche Gast‘, wohl 3. Viertel 13. Jh.
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Zerclaere, die in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert wird.223 Das wohl durch Thomasin selbst (mit) angelegte Bildprogramm dieser Handschrift224 ist in seiner Anlage sehr ungewöhnlich: die in dem insgesamt aufwändig gestalteten Codex unregelmäßig verteilten Illuminationen sind dem einspaltig laufenden Text oft in einer 90°-Drehung an die Seite gestellt.225 Sie beziehen sich direkt auf konkrete Textstellen, deren Kernaussagen sie ins Bild zu setzen suchen, und weisen mit der bewusst gesetzten „Abbildung der verbalen Oberfläche“ des Textes eine Verwandtschaft mit dem ‚Willehalm‘ der ‚Großen Bilderhandschrift‘ sowie mit der Illuminationsform auf, die aus verschiedenen Versionen des ‚Sachsenspiegels‘ bekannt ist.226 Dass dieser Tafeldarstellung keine Tafelgemeinschaft beigefügt wurde, hier: nicht beigefügt werden konnte, erklärt sich aus dem Bezug zum nebenstehenden Text: hier geht es nicht um eine Festgemeinschaft oder -tafel, sondern um den (gut) gedeckten Tisch, der für den Gierigen gerade nicht erreichbar ist, wie auch der begleitende Text ausweist: swenne der vrâz hat zezzen niht, hai wi we im dann geschiht, ob er dann gedenchen wil daz guter speise ist hart vil
(V. 4117 ff.).227
Der Fresser weist mit erhobenem rechten Arm und ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung des über ihm abgebildeten, gedeckten Tisches. Auf diesen Tisch, der hier einmal mit – unterschiedlich langen – Beinen dargestellt 223
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Vgl. Willms in der Einleitung zur Textausgabe (2004), S. 15. In den Ausführungen zur Faksimile-Ausgabe der Heidelberger Handschrift spricht sich Ewald Vetter konkret für eine Datierung in das Jahr 1256 aus, vgl. Ewald Vetter: Die Handschrift und ihre Bilder, in: Der Welsche Gast des Thomasîn von Zerclaere. Codex palatinus germanicus 389 der Universitätsbibliothek Heidelberg. Kommentarband. (Facsimilia Heidelbergensia. Band 4). Wiesbaden 1974, S. 79 Vgl. Norbert H. Ott: Mise en page. Zur ikonischen Struktur der Illustrationen von Thomasins ‚Welschem Gast‘, in: Horst Wenzel/Christina Lechtermann (Hg.): Beweglichkeit der Bilder. Text und Imagination in den illustrierten Handschriften des „Welschen Gastes“ von Thomasin von Zerclaere. (Pictura et poesis. Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Literatur und Kunst. Band 15). Köln/Weimar/ Wien 2002, S. 33–64, hier: S. 33 Vgl. Vetter im Kommentarband zur Faksimileausgabe (1974), S. 79; die Drehung der Miniaturen erfolgte, wenn die zur Illuminierung zur Verfügung stehende Fläche in ihrer Breite für die vorgesehene Bilddarstellung nicht ausreichte Ott (2002a), S. 40 Diese Passage wurde in die Ausgabe von Willms (2004) nicht aufgenommen. Zitiert wird daher der bei Vetter im Kommentarband zur Faksimileausgabe (1974), S. 133 abgedruckte Text, der eigentlich mehr Sonder- bzw. Längenzeichen aufweisen müsste
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Abb. 27: Abwendung von Mäßigkeit zugunsten der Schlemmerei. Thomasin von Zerclaere, ‚Der Welsche Gast‘, wohl 3. Viertel 13. Jh.
wird, ist ein üppig weit nach unten fallendes Tischtuch gelegt, auf seiner Fläche sind ein (gekerbtes) Brot und ein Messer sowie in der Mitte eine Sockelschale mit Fisch angerichtet. Dass dieser Tisch dafür steht, NichtErreichbares zu zeigen und das Verlangen des Fressers zu darzustellen, verdeutlicht der Text des Spruchbandes, das er in seiner Linken hält: owe hiet (hätte) ich der spise.228 Die hier nur imaginäre Tafel ist zwar (wohl wegen des begrenzten Raumes am Blattrand) vergleichsweise kurz, jedoch mit eben den Attributen ausgestattet, die in Darstellungen eines Festmahls auch für einen ‚gut‘ gedeckten Tisch stehen. Interessant wäre es zu erfahren, wie sich Thomasin die Illumination der ‚Tischzuchten‘-Passagen im ‚Welschen Gast‘ vorgestellt hätte, die ja einen direkten Bezug zum guten bzw. verpönten Verhalten bei Tisch aufgewiesen und daher wohl auch Tafelszenen enthalten hätten. Zu den betreffenden Textpassagen (V. 471 ff.) fehlen Illuminationen jedoch. Einen Bezug zu Essen und Trinken weist in der Heidelberger Handschrift lediglich eine weitere Illumination auf. 228
Vgl. die Erläuterung zu dieser Illumination bei Vetter (1974), S. 113
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In dem Text, dessen Inhalt sie ins Bild zu setzen sucht, geht es um die prahlerische Überheblichkeit mancher junger Leute, die keine Bescheidenheit kennen und so übermütig wie ungehobelt über ihre Verhältnisse leben (V. 303 ff.). „Der als lecher (Schlemmer) bezeichnete junge Mann wendet sich von erge (der Knauserigkeit) ab, die ihn, den offenen Geldseckel im Arm auf einer Truhe sitzend, vergeblich mit der Aufforderung: wis hie sich waz phenige zu halten sucht. Mit der Erklärung: ich will niht arch sin wirft er sich der lecherheit (Schlemmerei) in die Arme. Diese gibt den zwischen ihnen am Boden hockenden chot (choch = Koch), der in einer Schüssel rührt, den Befehl: mach im ein salze (Soße).“229 Wie auch die Illumination zum Verlangen des Fressers weist hier die Erläuterung, die die Spruchbänder zur Szene geben, aus, dass es bei dem Bildprogramm des ‚Welschen Gastes‘ nicht um Szenen geht, die aus sich selbst heraus erschließbar sind. Vielmehr setzt die Kombination von Bild und Text – hier besonders auch durch das Spruchband – für das Verständnis des jeweiligen Sinnzusammenhanges Literalität des Betrachters voraus.230
3.4 Die Bildkunst des Hochmittelalters als Informationsträger Wie aus den ausgewählten, weil themenbezogen zuvor zusammengestellten Beispielen hervorgeht, folgen die aus dem Hochmittelalter überlieferten Bildzeugnisse mit Tafelszenen mehrheitlich besonderen Traditionen, Kompositionsprinzipien und Darstellungsmustern. Illuminationen von Handschriften mit erzählender Dichtung wurden i. d. R. nach denjenigen Mustern angelegt, die aus dem religiösen Bereich bekannt waren. So variieren Bildaufbau und Darstellungsformen insgesamt nur selten, oft wird zwischen Illuminationen religiöser Texte und denen zu ‚weltlicher‘ Dichtung lediglich ein Wechsel von Attributen (Nimbus der Heiligen, geflügelte Engel, ‚Judenhut‘ auf der einen, Krone, Hut, Rüstung auf der anderen Seite) sichtbar. Spezielle Attribute spielen besonders dann eine Rolle, wenn es dem oder den Illustratoren darum ging, eine bestimmte Szene mit Bezug auf den Text zu gestalten: ein Zelt in der biblischen Abraham-Episode, Mordechais Kopfbedeckung und der Galgen in der EstherSzene, der Ring und Ruals Hut im Münchner ‚Tristan‘-Codex, Rennewarts Rüstung und sein schwerer Stab in der ‚Großen Bilderhandschrift‘. Abge229
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Vetter im Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe (1974), S. 86. salze gibt den Text im linken Spruchband nicht korrekt wieder, der eindeutig lesbar salse aufweist Vgl. Vetter (1974), S. 63
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sehen von diesen, auf die jeweiligen Texte bezogenen Variationen erscheinen viele der Darstellungen von Speiseszenen aus dem religiösen und aus dem ‚weltlichen‘ Bereich weitgehend austauschbar. Allgemein heißt es dazu: „Zur Anwendung kamen … abrufbare, bereits typenmäßig vorgebildete oder vorgeprägte Ausdrucksformen, deren Geltungsbereich sich keineswegs auf Profanes beschränkt. Wie die Werke der Literatur haben auch die mittelalterlichen Kunsterzeugnisse mit dem modernen Begriff der Originalität wenig gemeinsam.“231 Das Verhältnis von religiöser Textvorlage, besonders aber auch von epischer Dichtung und deren Illumination kann sich dabei recht unterschiedlich gestalten. Dabei ist jedoch im Blick zu behalten, dass nur wenige dem Hochmittelalter zugehörige Handschriften mit volkssprachiger Dichtung überliefert sind, die auch Illuminationen enthalten. Die bekanntesten Beispiele wurden, sofern sie Tafelszenen enthalten, zuvor vorgestellt. Zu den meisten epischen Werken des Hochmittelalters, z. B. zu Hartmanns ‚Iwein‘ und ‚Erec‘ oder zum ‚Nibelungenlied‘, sind keine zeitgenössischen Handschriftenilluminationen überliefert.232 Verschiedentlich ist Illuminationen zu Codices, die zeitgenössische Dichtung(en) enthalten, nur ein mittelbarer Textbezug eigen. Norbert H. Ott stellte dazu fest, dass von Text-Bild-Bezügen daher oft kaum mehr gesprochen werden könne. Im Rahmen eines Vergleichs von mittelalterlichen Bildteppichen und Bildzeugnissen aus Handschriften kommt er zu dem Schluss: „Beide folgen …, indem sie eine als Text tradierte Geschichte in Bildern neu erzählen, Strukturgesetzen, die allein dem Medium Bildkunst eigen sind. Hinter den gleichermaßen organisierten Bildteppichen und Handschriftenillustrationen steht ein ikonisch gesteuertes ‚Denkmuster‘, das vor allem darauf zielt, Texte nicht bloß mit Bildern zu begleiten, sondern – und das vor allem bei textabgelösten Bildzeugnissen – die allgemeinverbindlichen, sozialen, gesellschaftlich relevanten Momente der Literatur als gruppenspezifische Identifikationsmomente höfischer Kultur zu fassen und zu transportieren.“233 Es kann daher vorkommen, dass manche, im Erzählverlauf bedeutende Szenen überhaupt nicht ins Bild gesetzt wurden – z.B. wenn sie sich wie Mono- oder Dialoge der zentralen Figuren nur schwer 231
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Joanna Mühlemann: Erec auf dem Krakauer Kronenkreuz – Iwein auf Rodenegg. Zur Rezeption des Artusromans in Goldschmiedekunst und Wandmalerei, in: Ekkart Conrad Lutz/Johanna Thali/René Wetzel (Hg.): Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen von höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter. Freiburger Colloquium 1998. Tübingen 2002, S. 199–254, hier: S. 244 Vgl. Curschmann (1997), S. 180 f.; vgl. auch oben S. 186 f., Anm. 64 Norbert H. Ott: Literatur in Bildern. Eine Vorbemerkung und sieben Stichworte, in: Lutz et al. (2002), S. 153–197, hier: S. 190
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ins Bild setzen ließen – oder dass bildlich gefasst wurde, was sich im Text so nicht findet, wie die Beispiele der unter einem Zeltdach aufgebauten Tafel für die Damen, die im ‚Tristan‘ eine Turnierveranstaltung beobachten, und der Festmahlszene des Schmalkaldener Iwein-Zyklus zeigen. Eine vergleichsweise unmittelbare Korrespondenz zwischen Text und Illumination, wie sie z. B. im ‚Eneasroman‘, besonders aber in den ‚Willehalm‘-Fragmenten der ‚Großen Bilderhandschrift‘ und auch in Thomasins ‚Welschem Gast‘ erkennbar ist, gehört daher zu den wenigen Ausnahmen. In der Frage einer inhaltsgetreuen und detaillierten Umsetzung der literarischen Vorlage haben wir daher bei den meisten Illuminationen kaum mit ‚exakten Übersetzungen‘ zu rechnen. Die Information, die sie vermitteln, scheint deshalb oft weniger auf einen konkreten Erzählinhalt bezogen als auf spezielle, für das höfische Lebensumfeld als kennzeichnend verstandene Situationen und Szenen. Dies trifft besonders auch auf die Darstellung von Tafelszenen zu. Ein – wenn auch durchaus in Variationen – immer wieder verwendetes Muster, das ‚gruppenspezifische Identifikationsmomente höfischer Kultur‘ zu transportieren versprach, war die gedeckte Tafel, an der sich der freigebige Gastgeber und gut gelaunte Gäste versammelten, um gemeinsam zu speisen und gepflegt zu kommunizieren. Aufwändiges Tischgerät, in manchen Illuminationen verziert dargestellt und sogar mit echtem Gold belegt oder in Silber ausgeführt, mit Speisen gefüllte Schüsseln und Schalen sowie (möglichst) verschiedene Formen von Brot sind dabei unverzichtbar, zeugen sie doch von Großzügigkeit und Reichtum des Gastgebers. Diese findet auch durch eine aufmerksame Bedienung ihren Ausdruck, die weitere Speisen und Getränke an die Tafel heranträgt, sowie im Iwein-Zyklus in Schmalkalden zusätzlich durch eine musikalische Begleitung des Festmahls. Ins Bild gesetzt wird daher im profanen Bereich vor allem die Tafel als ein Sinnbild höfischer Repräsentation, als geeignetes Medium, herrschaftliche Prachtentfaltung und standesgemäße Lebensform zum Ausdruck zu bringen. In den Illuminationen der höfischen Literatur begegnet uns daher eine Vorstellung von höfischer Lebensform, ein Entwurf, dessen illustratorische Ausführung mit den inhaltlichen Aussagen verschiedener Dichtungen, die diesen Entwurf ebenfalls zu vermitteln trachten, durchaus gut korrespondiert. Wenn damit die Illuminationen in ihrer Darstellungsform insgesamt bereits gesetzten, besonders aus dem außerliterarischen Bereich stammenden Mustern folgen und sich im Detail ihrer jeweiligen Ausgestaltung an zeitgenössischen Idealvorstellungen der ‚höfischen Sphäre‘ orientieren, muss ihre Aussagekraft mit Blick auf tatsächliche Lebensverhältnisse im höfischen oder ritterlichen Milieu weitgehend fraglich bleiben. Wie in den literarischen Texten ist es nicht der Alltag, sondern das Fest (also eine Ausnahme-
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situation), das zur Darstellung gelangt, und dies zusätzlich auf eine ebenso idealisierte wie auch deutlich formalisierte Art und Weise. Die aus dem Hochmittelalter überlieferten Tafelszenen sind geprägt durch die oben aufgeführten, fortwährend wiederholten und daher durchaus stereotypen Teilmotive. Auch wenn literarische Texte und zeitgleiche Bildwerke sich darin weitgehend entsprechen, so lässt sich doch kaum daraus ableiten, dass sich ‚die‘ höfische oder ritterliche Tafel tatsächlich so oder ähnlich präsentierte, steht doch beides für eine Programmatik, für eine intentional gleichgerichtete, auf das Ideal zielende Schilderung. Der zeitgenössischen Eigenart folgend, biblische, historische oder poetische Stoffe in Text und Bild in ein jeweils aktuelles Umfeld zu setzen, bleiben dagegen – auf die Bildkunst bezogen – vor allem Kleidung und Frisuren, wohl auch Mimik und Gestik, besonders aber auch Typen und Formen der auf den Tafeln sichtbaren Geräte und Nahrungsmittel vergleichsweise verlässliche Zeugen der hochmittelalterlichen Verhältnisse. Wie sehr sich dabei z. B. das auf Tafelszenen dargestellte Inventar und aus dem Hochmittelalter Erhaltenes bzw. Wiederentdecktes entsprechen können, wird unten zu behandeln sein (vgl. Kap. 8). Durch ihre Darstellung verschiedener Realien besitzen die hochmittelalterlichen Bildzeugnisse damit einen besonderen Wert für die Sachkulturforschung.234 Mit Bezug auf ‚das‘ Essen und Trinken im Mittelalter bleibt festzuhalten, dass sie über die Darstellung von Brot, Fleisch- und Fischspeisen, vereinzelt wohl auch Saucentöpfchen sowie Hinweise auf Getränke (durch Prunkpokale und auch Holzbecher) hinaus nichts über deren besondere Eigenart, Zubereitung, Zustand oder Geschmack, ebenfalls nichts über Rezepte, Küchenkniffe oder besondere ‚Culinaria‘ verraten. Aufgrund der begrenzten Darstellungsmöglichkeiten von ‚Speise(n)‘ ist schließlich auch fraglich, ob ein in einer Schale angerichteter, deutlich ausgearbeiteter Schweinekopf235 tatsächlich für eine feine Delikatesse stand oder ob durch seine leicht identifizierbare Form lediglich gezeigt werden sollte, dass es (Schweine-)Fleisch gab, das sich, portionsweise in mehrere Stücken zerteilt und in einer Schale angerichtet, nicht entsprechend leicht erkennbar hätte ins Bild setzen lassen.236 234
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In einer konkreten, archäologische Funde vergleichenden Darstellung z. B. bei Stephan (1986), bes. S. 247 ff., vgl. allgemein auch Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 99 ff. Vielleicht auch ein Wildschweinkopf ? Vgl. z. B. die Szene auf dem ‚Anrichtetisch‘ neben der Tafel des Ahasverus, oben S. 231, Abb. 22, mit S. 230, Anm. 203 Ein logischer Bruch stellt sich in dieser Szene ohnehin dar, da der treue Mordechai als Jude das – nach jüdischen Speisegesetzen nicht koschere – Schwein nicht hätte essen dürfen, für Esther ist dies ebenfalls anzunehmen. Derartige sachliche ‚Details‘ scheinen für die mittelalterlichen Illuminatoren jedoch nicht relevant gewesen zu sein
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Geflügel, Fisch oder (kleine) Vierfüßer finden sich immerhin in Schalen abgebildet, Brot tritt in verschiedenen, charakteristischen Formen auf (rund, lanzettförmig, in Brezelform und auch eingekerbt). Zur Kennzeichnung von Aufläufen, Pasteten, Klößen, Teigtaschen, Kuchen, besonderen Saucen, Brei, Gemüse, verschiedenen Obstarten oder Käse besaßen die Illustratoren keine darstellerischen Mittel. So blieb es, sofern Schüsseln gefüllt dargestellt werden, vielfach bei ‚runden‘, auch ‚kleinteiligen‘ Inhalten oder auch ‚nur (durch die Farbgebung angezeigten) Füllungen‘, die sämtlich undefinierbar bleiben. Selbst Nahrungsmittel mit typischen Farben und/ oder Formen, so z. B. Eier oder Birnen, finden sich auf den bildlichen Tafeldarstellungen mit profanen wie biblischen Bezügen nicht. Wie bei den mehr oder weniger direkt korrespondierenden Texten blieb – und bleibt – es so dem Betrachter der Illuminationen vielfach selbst überlassen, eigene Vorstellungen zu dem zu entwickeln, was sich hinter spîse maneger hande, genuoc oder rîche im Einzelnen verborgen haben mag. Mit den Speise- und Nahrungsgewohnheiten des überwiegenden Großteils der Menschen im Hochmittelalter haben die bildlich überlieferten, intentional gefärbten und exklusiven Ausschnitte überdies wohl nur wenig gemein.
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4. Ländliches Nahrungswesen im Spiegel der Dichtung Die ländliche Bevölkerung tritt besonders vom 13. Jahrhundert an in den Gesichtskreis literarischer Betrachtung.1 Hier ist es vornehmlich ‚der Bauer‘ bzw. ‚das Bäurische‘, das, häufig im bewussten Kontrast zum ‚Höfischen‘, in den Blick von Autoren und Publikum gerät. Es sind besonders drei Werke bzw. Textsammlungen, die sich in unterschiedlicher Ausführlichkeit, jedoch mit vergleichbarer Intention mit Bauern befassen, Darstellungen bäuerlicher Lebensweise bieten und die untereinander auch in deutlicher Beziehung stehen:2 die Lieder Neidharts von Reuental, die in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren,3 der ‚Helm1
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Erklärt wird dieses Phänomen mit Wandlungen rechtlicher sowie wirtschaftlicher Verhältnisse besonders seit der Wende vom 12. zum 13. Jh., die in weiten Teilen des Reiches eine Verbesserung der Lage der Bauern und z.T. Umschichtungen des sozialen Gefüges nach sich zogen, vgl. Fritz Martini: Das Bauerntum im deutschen Schrifttum von den Änfängen bis zum 16. Jahrhundert. (Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Buchreihe. Band 27). Halle/S. 1944, S. 93; s. auch Hilde Hügli: Der deutsche Bauer im Mittelalter dargestellt nach den deutschen literarischen Quellen vom 11.–15. Jahrhundert. (Sprache und Dichtung. Forschungen zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Heft 42.) Bern 1929, S. 63; ferner Fritz Martini: Der „Meier Helmbrecht“ des Wernher der Gartenaere und das mittelalterliche Bauerntum, in: Zeitschrift für Deutschkunde 51 (1937), S. 414–426, bes. S. 414ff. Nicht allein, aber besonders zu den Schriften Martinis ist zu bemerken, dass sie in hohem Maße ideologische Tendenzen des Nationalsozialismus widerspiegeln und deshalb poetische und chronikalische Quellen zuweilen fehlinterpretieren. Einen zuverlässigeren Stand jüngerer Forschung bieten Werner Rösener: Bauern im Mittelalter. München 1985, S. 31ff., in Teilen auch Schubert (2006), passim sowie Ludolf Kuchenbuch: Bauern, in: Melville/Staub Bd. I (2008), S. 139–149, s. dort bes. S. 139f. Vgl. Fritz Peter Knapp: Standesverräter und Heimatverächter in der bayerisch-österreichischen Literatur des Spätmittelalters, in: Theodor Nolte/Tobias Schneider (Hg.): Wernher der Gärtner. ‚Helmbrecht‘. Die Beiträge des Helmbrecht-Symposions in Burghausen 2001. Stuttgart 2001, S. 9–24, bes. S. 11 ff. sowie den im selben Band (S. 45–69) erschienenen Beitrag von Ulrich Seelbach: Hildemar und Helmbrecht: Intertextuelle und zeitaktuelle Bezüge des ‚Helmbrecht‘ zu den Liedern Neidharts, S. 45–69, hier bes. S. 55 Vgl. Siegfried Beyschlags Beitrag ‚Neidhart und die Neidhartianer‘ in: VL Bd. 6 (1987), Sp. 871–891, hier bes. Sp. 873 ff.
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brecht‘ von Wernher dem Gartenære (wahrscheinlich entstanden zwischen 1272 und 1283)4 sowie die anonym überlieferte, wohl in den letzten beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts entstandene Sammlung von 15 Einzelstücken, die meistens unter der irrigen Bezeichnung ‚Seifried Helbling‘ (auch: ‚Kleiner Lucidarius‘) behandelt wird.5 Neidhart, der sowohl zunächst in Bayern als auch später in Österreich wirkte,6 beklagte sich in seinen sog. ‚Sommer- und Winterliedern‘ nicht nur mehrfach über seine missliche finanzielle Lage, die die Möglichkeiten seiner Haushaltsführung sehr begrenzte. Er gibt an, dass er sich um die angenehmen Dinge des Lebens nicht (mehr) kümmern könne, seit ihn die (dauernde) Sorge um einen Haushalt umtreibt, für den er das ganze Jahr über Salz und Getreide einkaufen muss: des vergaz ich, sît man mich ein hûs besorgen hiez: salz und koren muoz ich koufen durch daz jâr (Winterlied 3, VII, 3 f.).7 Dem Dichter, der, da er sich seinen Liedern zufolge öfter in der Gesellschaft der Dörfler bewegt, offenbar auf dem Lande lebt, hat eine Vorliebe für ‚bodenständige‘ Vergleiche, so z. B., wenn ihn der trübe Winter drückt und er meint, dass die nächste Frau, die auf seinem Weg (Schlag)8 tanzte, in seinem Garten die Rüben ausgraben werde: aber sâ sint die tage trübe. diu næhste in mînem garten rüeben grüebe, diu tanze ûf mîner slâ!
(Winterlied 6, I, 7 ff.)
Im Winterlied Nr. 34 nimmt er das schändliche Benehmen der Dörfler Gumpe, Eppe, Goze und Engelmar auf, die sich schlimmer noch als Wild-
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Vgl. Fritz Peter Knapp s.v. Wernher der Gärtner in: VL Bd. 10 (1999), Sp. 927–935, hier: Sp. 929 Vgl. Ingeborg Glier: Helbling, Seifried, in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 943–947; zur Datierung zwischen 1282/83 und 1299 vgl. Glier (1981), Sp. 943 und Knapp (2001), S. 13; zwischen 1275 und 1310 setzt Ursula Liebertz-Grün die Entstehung des ‚Seifried Helbling‘ an, vgl. dies.: Seifried Helbling. Satiren kontra Habsburg. München 1981, S. 7 Vgl. Beyschlag (1987), Sp. 873 ff. Zitiert wird nach folgender Ausgabe: Die Lieder Neidharts. Herausgegeben von Edmund Wießner. Fortgeführt von Hanns Fischer. Vierte Auflage revidiert von Paul Sappler. Mit einem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer. (ATB. Nr. 44). Tübingen 1984; zwischen den sog. ‚echten‘ und ‚unechten‘ Strophen wird folgend nicht unterschieden Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 956 f. s.v. slage, slâge, slâ: „spur, fährte, weg“
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schweine aufführten und lieber einen Kessel voll Bohnen forderten, als sich (den üblichen) gekochten Rüben zu widmen: die dünkent sich noch scherpfer dan diu wilden eberswîn. sî bestüenden wol einen kezzel bônen vol. sî sint freche helde, dâ man rüeben sieden sol. (IXc, 6 ff.) Gumpe und Goze geraten in dem selben Lied nochmals ins Visier des Dichters, als sie, unterwegs zu einer Tanzveranstaltung, mit ihren Kumpanen durch Neidharts Gemüsegarten gezogen sind: dô sî mit ir gesellen zuo dem tanze wolten gân, dô liefen sî mir beide durch mîn gartenkrût. (IXd, 3 f.) Dass Neidharts Sorgen um die Aufrechterhaltung seines Haushaltes und die Versorgung seiner Familie wohl nicht unberechtigt sind, wird an verschiedenen Stellen deutlich. Einmal hat ihm ein Feuer seine Haushaltung verwüstet (er selbst vermutet Brandstiftung), auch alle Lebensmittelvorräte verbrannten dabei. Dringend ist ihm daran gelegen, durch seine Lieder etwas zu verdienen bzw. eigen brôt zu gewinnen (Winterlied Nr. 11, VII, 1 ff.). Ein andermal schimpft er gegen den Dörfler Volrat, der ihm ein Huhn getötet hat, das Neidhart und seine Frau den Winter über mühsam durchfütterten, das dann ziemlich fett war und auch große Eier legte. Er droht, dies dem Grundherrn anzuzeigen, wenn Volrat den Schaden nicht ersetzt: mir sluoc Volrât mîn huon, daz ich und mîn liebez wîp den winter kûme ernert. daz was ein henne guot, und gienc stæt unbehuot, dâ von sie verlôs den lîp. swaz er dâ für geswert, daz gloube ich niht, mir seit man danne, daz ez alsô wære. jâ legt sie grôzer eier vil und was von veizte swære. wirt sie mir niht vergolten, sô klag ichz dem Rinzingære. (Winterlied Nr. 17, Vc, 2 ff.) Auch einen Käse hat ihm ein Dorfbursche gestohlen und mit seinen Kumpanen geteilt, die der Dichter namentlich der frevelhaften Tat bezichtigt (Winterlied Nr. 17, Vb). Auch Neidharts eigener Haushalt ist nicht immer friedlich. Es gibt Zwist mit seiner Frau, die daraufhin sechs Birnen im Feuer brät und ihm (nur) zwei davon abgibt, sich selbst jedoch vier gönnt, um ihre Stimmung zu heben:
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sehse biren briet si in dem viuwer: der gap mir diu vrouwe zwô; viere az si selbe: dâ labt sî daz herze mite.
(Winterlied Nr. 8, IV, 4 ff.)
In der Beschreibung der allgemeinen Zustände in seiner (ländlichen) Umgebung ist Neidhart nur bedingt konsequent. Einerseits vermerkt er, dass man ihn wegen seiner kaisertreuen Lieder angeht, während die Bevölkerung darbt und sogar hungert: Her Nîthart, iuwer keiser ist ze lange: den bringet ir uns alliu jâr mit iuwerm niuwen sange. des wære ouch den bûren nôt: die sint vil nâhen hungers tôt und dünnent in diu wange. (Sommerlied Nr. 27, VIIIg) Andererseits ist es immer wieder die übertriebene, oft auch tölpelhafte Prunksucht der Dörfler, die Neidhart in den Blick nimmt. Sie betrifft die ungelenke Nachahmung höherer Kreise, die besonders auch in der Kleidung ihren Ausdruck findet. Er beschreibt im Detail die merkwürdige Ausstaffierung eines Dörflers, der sich ohne Sinn für Anstand und Geschmack mit allem kleidet, was teuer und aufwändig ist. Zusätzlich schmückt er sich mit Schnüren, die mit verschiedenen Gewürzen behängt sind, so Pfeffer, Muskatnuss, Nelken und Pfauenkraut:9 Sîner snüere strangen tengelnt an den orten: dâ hanget wunders pfeffers an, muscât, negele, pfâwenspiegel: dêst der dörper glanz. (Winterlied Nr. 27; VIIa, 1 ff.) Auch im Winterlied Nr. 24 ist es neben der übertrieben bunten Aufmachung der Dörfler eine purpurfarbene Gürteltasche,10 die den Neid des Dichters auf sich zieht und die Ingwer enthält:11 9
10
11
Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 231 s.v. pfâwenspiegel, wo diese Übersetzung geboten wird. In jüngerer Zeit wird diese Pflanze, die als Unkraut oft auf Getreideäckern zu finden ist und rosa- bis lilafarbene, aus vielen kleinen Blütenbällchen zusammengesetzte Blütenrispen trägt, als Floh-Knöterich bezeichnet Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 261 s.v. phose: „gürteltasche, beutel“ und Sp. 236 phellelîn, phellerîn, phellîn: „purpurfarbig“; diese Farbe war damals i. d. R. hochgestellten geistlichen und weltlichen Würdenträgern vorbehalten: „P.[urpur] trat im Westen im Früh- und HochMA in der Form von mit P. gefärbten Seiden, als P.handschriften und P.urkunden auf. P. diente nach byz. Vorbild während des ganzen MA den Herrschern des Westens und den Päpsten als Ausdruck ihrer Majestät und Hoheit“, so Chr. Reinicke s.v. Purpur in: LexdMA Bd. VII (1995), Sp. 330–332, hier: Sp. 332 Die letzte Zeile sagt, dass Hildebolt der Guten (Frau) die Gürteltasche bei einem
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… ich nîde ir phellerîne phosen, die si tragent: dâ lît inne ein wurze, heizet ingewer. der gap Hildebolt der guoten eine bî dem tanze; die gezuhte ir Willegêr.
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(V. 4 f.)
Später ist es diese begehrte Ingwerwurzel, die Willeger gesehen hat und die ihn dazu veranlasst, einen Mord zu begehen, um das teure ‚Accessoire‘ für sich zu gewinnen (Winterlied 31, VI, 11 ff.). In einer anderen Szene geht es um einen gewaltsam ausgetragenen Streit, an dem u. a. die schon bekannten Dörfler Eppe, Geppe und Gumpe beteiligt sind. Anlass für die Auseinandersetzung war, dass Ruprecht ein großes Hühnerei fand, das er Eppe an den kahlen Kopf warf, daz ez ran ze tal (Winterlied Nr. 3, V, 10). Weder die wohl absichtlich übertriebene Ausstaffierung der Dörfler, die sich mit teuren Gewürzen behängen, noch der Schabernack, der mit dem Ei getrieben wird, sprechen dafür, dass es ‚der ländlichen Bevölkerung‘ materiell durchweg schlecht ging. Derartige Attituden und auch Scherze, wenn sie denn so oder ähnlich vorgekommen sein sollten, dürften sich wohl in einer Gesellschaft verbieten, deren „Nahrungsdecke über Zeiten hinweg einfach zu kurz“ war.12 Ausführlicher als bei Neidhart werden im ‚Helmbrecht‘ wiederholt Speisen genannt, die der Meier, nicht nur durch seine Funktion, sondern auch in der literarischen Darstellung ein durchaus wohlhabender Bauer, auftischt.13 Als sein Sohn, der junge Helmbrecht, der den väterlichen Hof verließ, um sich künftig der ritterlichen Lebensweise zu widmen, zu Besuch zu seiner Familie zurückkehrt, wird ihm Folgendes geboten:
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Tanzvergnügen gab und Willeger sie ihr später stahl, vgl. Lex. Bd.III (1992), Sp. 1165f. s.v. zücken, zucken: „schnell und gewaltsam ziehen …, schnell ergreifen, an sich reissen, fortreissen, wegnehmen, entreissen, rauben, stehlen“ Schubert (2006), S. 46 und passim; über diese Grundthese Schuberts wird später noch zu handeln sein, vgl. unten im Anhang den Abschnitt V; Skepsis gegenüber Neidharts Schilderungen äußert Ursula Schulze, die ihre Zweifel jedoch vorwiegend anhand der geographischen und chronologischen Interpretationen, nicht an sachkundlichen Fragen festmacht, vgl. dies.: Zur Frage des Realitätsbezuges bei Neidhart, in: Alfred Ebenbauer/Fritz Peter Knapp/Ingrid Strasser (Hg.): Österreichische Literatur zur Zeit der Babenberger. Vorträge der Lilienfelder Tagung 1976. (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie. Band 10). Wien 1977, S. 197–217 Bemerkt sei bereits an dieser Stelle, dass der Meier als ‚reicher‘ Vertreter seines Standes bestimmt Einiges zu bieten hat, was sich auf den Tischen der einfachen Landbevölkerung wohl kaum gefunden haben dürfte
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ein krût vil kleine gesniten; veizt und mager, in bêden siten, ein guot fleisch lac dâ bî. hœret waz daz ander sî: ein veizter kæse, der was mar; diu rihte wart getragen dar. nû hœret wie ich daz wizze: nie veizter gans an spizze bî fiure wart gebrâten … si was michel unde grôz, gelîch einem trappen; die sazt man für den knappen. ein huon gebrâten, einz versoten, als der wirt hêt geboten, diu wurden ouch getragen dar.
(V. 867 ff.)
Zur Mahlzeit werden kleingeschnittener Kohl und dazu ein gutes Stück Fleisch angerichtet, das sowohl eine fette als auch eine magere Seite hat (mit Fett- oder Speckseite versehen ist?). Dazu gibt es einen mürben, fetten Käse und, als weitere Gerichte aufgetragen werden, eine fette Gans, groß wie ein Trappvogel, wie nie eine fettere an einem Spieß über dem Feuer gebraten wurde. Dazu lässt der Vater für Helmbrecht jun. noch ein gebratenes und ein gekochtes Huhn auftragen. Bemerkenswert ist die fortlaufende Betonung des Fettseins der Speisen, vielleicht als Ausdruck dessen, dass darauf viel Wert gelegt wurde. Ist der Tisch damit schon reichlich gefüllt, so lässt der wohlhabende14 Meier noch Gerichte herbeikommen, die Bauern sonst selten zu Gesicht bekommen (V. 887 ff.). Nur an Wein fehlt es: der alte Helmbrecht stellt fest, dass er zu diesem besonderen Anlass hätte getrunken werden müssen, wenn er denn vorhanden gewesen wäre (V. 891 f.). Handelt es sich bei dieser Szene um die Beschreibung eines überdurchschnittlich reichen Festmahls, so werden dem im Text auch ‚Alltagsspeisen‘ gegenüber gestellt. Bevor der junge Helmbrecht den Hof verlässt, ermahnt 14
Vgl. Wernhers Schilderungen der (stattlichen) Kleidung des alten Helmbrecht, in die offenbar Sprichwörtliches eingeflossen ist: weder hie noch anderswâ truoc nie dehein Meier einen roc der zweier eier wære bezzer denne der sîn: daz habt ûf die triuwe mîn.
(V. 170 ff.)
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ihn sein Vater eindringlich, seine gewohnte Kost auch in anderer Umgebung beizubehalten. Geprägt sind diese Ausführungen von moralischen Bedenken dem Ansinnen des Sohnes gegenüber, die sich etwa folgendermaßen zusammenfassen lassen: lieber ehrlich Erworbenes in Schlichtheit genießen als Geraubtes in Maßlosigkeit verprassen. dû solt leben des ich lebe und des dir dîn muoter gebe. trinc wazzer, lieber sun mîn, ê dû mit roube koufest wîn. daz Ôsterrîche clamirre, ist ez jener, ist ez dirre, der tumbe und der wîse hânt ez dâ für herren spîse. die soltû ezzen, liebez kint, ê dû ein geroubtez rint gebest umb eine henne dem wirte eteswenne. dîn muoter durch die wochen kann guoten brîen15 kochen: den soltû ezzen in den grans, ê dû gebest umb eine gans ein geroubtes phärit. sun, und hêtest dû den sit, sô lebtest dû mit êren, swar dû woldest kêren. sun, den rocken mische mit habern, ê dû vische ezzest nâch unêren
(V. 441 ff.).
Der Sohn soll sich an die väterliche Lebensweise und an das halten, was ihm die Mutter vermittelte. Trinken soll er Wasser statt gestohlenen Wein. Bevor er sich unrechtmäßig an Fischen vergreift, soll er lieber (feineres) Roggenmehl mit Hafermehl (für das Brot und den Brei)16 mischen und versuchen, es auf diese Weise zu strecken. Zu Hause könne die Mutter (weiterhin) die ganze Woche über guten Brei bereiten, an dem der Sohn gerne teilhaben 15 16
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 351 f. s.v. brî, brîe: „brei“ (ohne weitere Erläuterungen) Diese Passage ausschließlich auf Brei zu beziehen, greift m. E. zu kurz; so ohne Begründung Sieghilde Benatzky: Österreichische Kultur- und Gesellschaftsbilder des 13. Jahrhunderts auf Grund zeitgebundener Dichtungen. (Seifried Helbling und Meier Helmbrecht). Wien 1963, S. 118
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könne. Höchstens ein Gericht namens clamirre,17 das manche Leute für ein ‚Herrenessen‘ hielten, solle er genießen. Der junge Helmbrecht soll sich nicht in die Lage versetzen, eine gestohlene Kuh gegen eine Henne oder ein geraubtes Pferd gegen eine Gans eintauschen zu müssen. Der Sohn, von seinem Ehrgeiz für das, was er für einen Aufstieg hält, getrieben, weist alle diese Ratschläge zurück. Er will sich lieber an gutem Wein, an gekochtem Huhn und besonders feinem, weißen Weizenbrot18 gütlich tun. Der Vater möge derweil weiter sein Wasser trinken und Haferbrot und gîselitze19 essen: 17
18 19
Im Kommentar zu V. 445 (Ausgabe, S. 83) wird clamirre als „Semmelschnitten mit Obst- oder Fleischeinlage“ bezeichnet. Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1604, der zu dieser Stelle den ersten Herausgeber des ‚Helmbrecht‘, Keinz, zitiert: „mit dem namen klammer, klemmer, selten klemmschnitt, benennen alte leute hier noch ein gebäck, das aus zwei übereinandergelegten semmelschnitten besteht, zwischen welche kalbshirn oder zerkochte zwetschken gelegt werden, worauf das ganze in schmalz gebraten wird.“ Dagegen steht die Erläuterung Andreas Schmellers, der in seinem ‚Bayerischen Wörterbuch‘ (Bd. I. Tübingen/Stuttgart 1827), Sp. 1327f. dieses Gericht als eine Sulz aus Ochsenklauen bezeichnet. Heyne (1901), S. 333, hält sich grundlegend an die Keinz’sche Version, die er ergänzt: „Steinobst, namentlich Pflaumen und Kirschen, sowie Beeren kocht man gern in Honig oder später auch Zucker und allerhand Gewürz zu einer süssen Speise oder einer Fülle, ein Verfahren, welches besonders im späteren Mittelalter besonders beliebt ist, aber schon auch früher geübt wird.“ Vgl. Kommentar zu V. 478 (Ausgabe, S. 83): „semeln (lat. simila) feines Weizenmehl“ Die bei Lex. Bd. I (1992), Sp. 1023 zum Stichwort gîselitze, gîslitz gegebenen Erläuterungen sind nur teilweise erhellend. So wird dort zum einen Keinz mit einer spätmittelalterlichen Kochanweisung zitiert, aus der zwar hervorgeht, dass für diese (Fasten-?)Speise ein Grundstoff aufgesetzt wird und sich setzen soll, bevor die Masse in Öl gebraten wird. Wie bei Lex. folgend ebenfalls aufgeführt, wird gîselitze im Stellenkommentar der Ausgabe zu V. 473 mit glicerium und polenta glossiert. Ferner wird angegeben, dass der Begriff aus Kärnten und Tirol stamme, „eine speise aus hafermehl“ bezeichnet und wohl slawischen Ursprungs sei (Lex. Bd. I [1992], Sp. 1023). Die Zubereitung des Gerichts wird andernorts wie folgt beschrieben: Hafer wird gekocht, darauf im Backofen oder unter Hitze gedörrt und in einer Mühle zu Schrot verarbeitet. Dieser Vorgang lässt das süßliche, sog. ‚Talkenmehl‘, entstehen, das in einem Gefäß mit Wasser oder mit warmer bzw. heißer Milch angesetzt wird. Das Endprodukt dieses Vorganges ist die gîselitze, vgl. Karl Rhamm: Talken und Geislitz (russisch toloknó und kisélj), in: Carinthia I.99 (1909), S. 209–222. Einige, das Gericht variierende gîselitze-Rezepte nennt Anton Birlinger: Nochmal Gîselitze im Meier Helmbrect [sic!], in: Germania 25 (1880), S. 432. Schultz (1889), S. 383, beschreibt diese Speise wiederum als „ein Mus aus Hafer oder Mannagrütze, eine Art Polenta“. – Die Frage, wie dieses Gericht slawischen Ursprungs in das bayerischösterreichische Alpengebiet gelangte, hat zu manchen spekulativen Äußerungen geführt. Benatzky (1963), S. 120, vermutet, dass aufgrund der Kenntnis dieses Gerichtes oder wenigstens seines Namens Wernhers Herkunft „aus einer Gegend mit slovenischen Substraten“ nachzuweisen sei. Derartige Bemühungen scheinen die
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Er sprach: dû solt trinken, vater mîn, wazzer, sô will ich trinken wîn. und iz dû gîselitze, sô wil ich ezzen ditze daz man heizet huon versoten; daz wirt mir nimmer verboten. ich will ouch unz an mînen tôt von wîzen semeln ezzen brôt: haber der ist dir geslaht.
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(V. 471 ff.)
Neben die gîselitze stellt sich ein weiteres Gericht, das im ‚Seifried Helbling‘ (‚Kleiner Lucidarius‘) erwähnt wird, die varveln.20 Dort lässt eine Bäuerin ihrem Gatten durch Matz, ihre Magd, abends zu dem Gericht Gerstenbrot auftischen, das der so Bediente in die Farfel-Suppe einstippt,21 die extra zum Eintunken gedacht ist (vgl. die Ankündigung des Gerichts als touch, I, 1027): einen girstînen leip zehant sie im für leit, ein schüzzel tief und breit vol varveln truoc sie dar. sie nam des vil tougen war: dicke sniten stiez er drîn.
(I, 1029 ff.)
Neben dem einfachen und wohl recht groben Hafer- und Gerstenbrot kommt mehrfach auch Brot aus ‚weißem‘, feinen Weizenmehl auf die bäu-
20
21
Texte und deren Inhalte ebenso zu überdehnen wie diejenigen des Erstherausgebers Keinz, der in seiner ‚Helmbrecht‘-Ausgabe von 1887 versuchte, den Text anhand einer Grenzziehung von ‚Krautessern‘ und ‚Nicht-Krautessern‘ zu lokalisieren, vgl. Friedrich Panzer: Zum Meier Helmbrecht, in: PBB 27 (1902), S. 88–112, hier: S. 89, Anm. 2 Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 26 s.v. varvelen: „suppe mit geriebenem teig, mit gequirlten eiern“. Bei Heyne (1901), S. 324, findet sich folgende Erklärung: „Die Kunst, aus Mehl und Eiern eine Art Teig anzurühren, und denselben zerkleinert in eine Suppe zu geben, spiegelt das mhd. varvel, Plur. varvelen wider. Farfeln sind ein rechtes Bauernessen, das sich bis heute in Tirol erhalten hat.“ Diese Verhaltensweise zeugt, zumindest den in den zeitgenössischen Tischzuchten niedergelegten Regeln zufolge, von ‚typisch bäuerischen‘ Sitten, vgl. ‚Tannhäusers Hofzucht‘, V. 45 ff.: sümlîche bîzent ab der sniten und stôzents in die schüzzel wider nach gebûrischen siten: sülh unzuht legent die hübschen nider.
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erliche Tafel (z. B. im ‚Seifried Helbling‘, I, 980). Auch Krapfen sind dort bekannt, von denen der junge Helmbrecht seinem Vater berichtet: noch weiz ich einen rîchen man der hât mir leide ouch getân: der âz zu den kraphen brôt.
(V. 1141 ff.)22
Auffallend ist, dass die Mehrzahl der als ‚Bauernspeise‘ in der Dichtung konkreter benannten Gerichte vorwiegend auf vegetarischer Grundlage beruht. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass Geflügel im Hochmittelalter vielfach nicht zur ‚Fleischspeise‘ gerechnet wurde.23 Aber auch Fleisch (von Schwein, Rind, Lamm oder Schaf) wird im Topf oder auf dem Tisch der ländlichen Bevölkerung genannt. Die gleiche Bäuerin verfährt mit ihrem auf häusliche Sparsamkeit bedachten Gatten Rüeger recht rigide. Dieser bittet seine Frau, zum täglichen Kohl nur wenig ‚Fleischeinlage‘ zu reichen, damit die geräucherte Speckseite24 lange vorhalte (I, 942 ff.). Die Bäuerin reagiert prompt: am nächsten Morgen kocht sie nur ein Stück Schinken oder Speckseite im Kohl mit, das an einem Faden aufgehängt ist. Bevor sie es ihrem Mann vorsetzt, zieht sie die Einlage an dem Faden aus dem Kohl mit der Begründung, wand ez ist sô smalzhaft, vier krûten gît ez kraft
(I, 456 f.).
Rüeger ist von der Wirtschaftlichkeit dieses Verfahrens sehr angetan. Er hält seine Frau für sehr genügsam und murrt nicht, als sie ihm eine Brotrinde mit auf dem Weg zum Feld gibt (I, 971 f.). Sie überlegt auch, ob sie ihm nicht Käsewasser als Essen vorsetzen soll (I, 991 f.). Denn es geht ihr dabei nur darum, die durch die Genügsamkeit ihres Mannes vorhandenen Vorräte selbst zu genießen, und zwar in großem Stil. Während Rüeger auf dem Feld ist, leistet sie sich ein gebratenes Hühnchen, dazu nimmt sie sich aus dem Vorratsschrank noch guten Wein und Weißbrot:
22 23
24
Vgl. ‚Seifried Helbling‘ II, V. 10: sam ob ich wære kraphen vol Vgl. dazu unten Abschnitt 6.2.2. – Eine Szene, die auf die Hühnerhaltung im ländlichen Bereich verweist, findet sich am Beginn des ‚Reinhart Fuchs‘: der Bauer Lanzelin wird dort von seiner Frau Runtzela gebeten, zum Schutz der Hühner einen Zaun zu errichten, denn der Fuchs hatte zuvor bereits zehn ihrer Hühner geschlagen, vgl. Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich. Unter Mitarbeit von Katharina von Goetz, Frank Henrichvark und Sigrid Krause herausgegeben von Klaus Düwel. (ATB. Nr. 96). Tübingen 1984, V. 21 ff. Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 109 s.v. bache: „schinken, geräucherte speckseite“
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er fuor ûz, dô bleib si dinne. daz moht si mit êren tuon: sie hêt ein gebrâten huon daz niht bezzer möhte sîn, dâ zuo sie nam ûz ir schrîn guoten wîn und weizbrôt
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(I, 975 ff.).
Der Magd gegenüber überlegt sie, ob sie ihrem Mann vielleicht Bier bringen lassen soll, verwirft dies aber, denn sie will sein Gut lieber selbst nutzen und ihn stattdessen Wasser trinken lassen (I, V. 981 ff.). Die Magd weist darauf hin, dass der Bauer so bald nicht von seinem Feld zurückkehren werde. Die Bäuerin werde deshalb sicher noch vier Eier essen und eine Suppe aus Innereien,25 für die möglicherweise auch ein in der Küche offenbar vorhandenes Ferkel gedacht sei: ir ezzet wol vier eier ê und trinket dan ein beischerl. zwiu sol in der wan daz verl?26 des ezzet ir noch wol ein teil.
(I, 1013 ff.)
Das Motiv der Bauersfrau, die ihren Mann des eigenen Vorteils wegen nur notdürftig versorgt, findet sich mehrfach. In der Verserzählung ‚Der kluge Knecht‘27 von dem Stricker28 hat ihr Betrug jedoch eine andere Ursache: die Bäuerin pflegt ein Verhältnis mit einem Pfaffen, den sie immer dann bekocht und gut versorgt, wenn der Bauer sich auf dem Feld oder zum Viehhüten im Wald befindet. Sobald ihr Mann den Hof verlassen hat, kauft sie Wein und Met ein, kocht und brät dem heimlich sich einschleichenden Pfaffen all das, was es an guten Speisen gibt:
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Vgl. dazu Benatzky (1963), S. 121 mit ausführlichen Erläuterungen und Lex. Bd. I (1992), Sp. 160 f. s.v. beischerl: „das obere eingeweide eines geschlachteten thieres“ Übersetzt etwa: „Was soll in diese Suppe außer dem Ferkel (auch) hinein?“, vgl. dazu Lex. Bd. III (1992), Sp. 667f s.v. wan: „ausser, als, als nur … ausgenommen“, Sp. 151 und 127 s.v. verl, verhelîn: „porcellus“ und Sp. 1223 s.v. zwiu unter Verweis auf wër, waz (Sp. 766 f.): „wer, was“ Zitiert wird nach: Der Stricker. Verserzählungen I. Herausgegeben von Hanns Fischer. 3., revidierte Auflage besorgt von Johannes Janota. (ATB. Nr. 53). Tübingen 1973, hier: Nr. VIII, S. 92–109 Die Werke des Strickers, eines wahrscheinlich fahrenden Berufsdichters, werden in die Zeit zwischen 1220 und 1250 datiert, vgl. Karl-Ernst Geith/Elke Ukena-Best/ Hans-Joachim Ziegeler: Der Stricker, in: VL Bd. 9 (1995), Sp. 417–449, hier bes. Sp. 418 f.
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Der wirt vuor ze acker und ze holz. daz wîp hövisch unde stolz, sô si in den hof sach rûmen, sône wolde siz niht sûmen, si koufte met unde wîn. swâz guoter spîse mohte sîn, der briet si vil unde sôt. sô si dem pfaffen danne enbôt, daz der wirt was entwichen, sô quam er dar geslichen, als ein minnediep von rehte sol.
(V. 13 ff.).
Der Knecht des Hofes kommt der Bäuerin auf die Schliche. Als er unvermittelt auftaucht und ihr mitteilt, dass auch er hungrig sei, versucht die Bäuerin, ihn durch die Gabe von Brot und Käse los zu werden (V. 44 ff.). Die Bäuerin lässt von ihrem Treiben nicht ab. Beim nächsten heimlichen Treffen brät sie dem Pfaffen ein gefülltes Ferkel. Dazu gibt es eine Kanne guten Mets, und auch einen Kuchen (vochenzen)29 aus schneeweißem Mehl hat sie gebacken (V. 90 ff.). Neben (gekochtem und eingelegtem) Kohl standen die schon aus Neidharts Gemüsegarten bekannten ‚Rüben‘ auf dem ländlichen Speisezettel. Im ‚Renner‘ Hugos von Trimberg30 wird kontrastiv auf die Dürftigkeit dieser Nahrung verwiesen: Manic gebûr wirt schimelgrâ Der selten hât gezzen mensier blâ, Vîgen, hûsen, mandelkern: Rüeben kumpost âz er gern Und was im eteswenne alsô sanfte Mit einem herberînen ranfte Als einem herren mit wilde und zam
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(V. 9813 ff.).31
Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 424 s.v. vochenze, vochenz: „eine art kuchen od. weissbrot“ Vgl. zu Autor und Werk Günther Schweikle: Hugo von Trimberg, in: VL Bd. 4 (1983), Sp. 268–282; ‚Der Renner‘, ein umfangreiches, moralisierendes Lehrgedicht, wurde etwa um 1300 vollendet, jedoch durch Hugo selbst wohl noch bis zu seinem Tod im Jahre 1313 ergänzt bzw. bearbeitet, vgl. Schweikle (1983), Sp. 275 Vgl. Edition Ehrismann (1970)
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Demnach wird mancher Bauer steinalt, ohne jemals ein ‚blanc mangier‘,32 Feigen, einen stattlichen Stör oder Mandelkerne – alles ausgesuchte ‚Herrenspeisen‘ – gegessen zu haben. Er aß stattdessen gern aufgesetzte und eingelegte Rüben,33 die ihm zusammen mit einer Haferbrotrinde so angenehm waren wie einem vornehmen Menschen verschiedene Fleischspeisen. Derartige Rübengerichte werden, selbst noch unter Beigabe eines Ziegenschinkens, als ‚Armeleutespeisen‘ bezeichnet: sô lâ die armen machen rüebkrût ze geizbachen
(‚Seifried Helbling‘, III, 231 f.).
Wie Rüben und Kohl wurden viele pflanzliche Nahrungsmittel wohl vorwiegend in stark zerkleinerter oder in Breiform bereitet.34 Im ‚Seifried Helbling‘ ist es neben Fleisch und Kraut (Kohl, Rüben) auch Gerstenbrei, den die Bauern vornehmlich zu sich nehmen sollen. An Fastentagen werden ihnen auch Hanf(samen?), Linsen und Bohnen zugestanden. Wildpret, Öl und Fisch sollten sie besser den Herren überlassen. Es wird ferner behauptet, dass, da sich die Bauern nicht daran hielten, das Land darunter sehr leide:
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Für diese ‚weiße Speise‘ (frz. blanc manger) werden ab dem 14. Jahrhundert verschiedene Zubereitungsarten genannt; gemeinsam ist ihnen die Beschreibung als eine Art Ragout aus hellen Fleisch- oder Fischsorten, Mandelmilch, ggf. Reis und verschiedenen, aromatisierenden Zutaten, vgl. dazu Hans Hajek: Das b˚uch von g˚uter spise. (Texte des späten Mittelalters 8). Berlin 1958, Nrn. 3, 76 und 77 Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1170 s.v. kúmpost, kumpóst, kompost: „eingemachtes überh., bes. sauerkraut“. Heyne (1901), S. 325 gibt hierzu nach ‚querschnittlicher‘ Auswertung verschiedener, vornehmlich poetischer Quellen folgende Zubereitungsart an: „Mehrfache Zubereitung wird angegeben, gewöhnlich siedet man sie (die Rüben, d. Verf.), giesst das erste Wasser hinweg, weil sonst die Rübe bläht, und macht sie mit Salz und Speck an; auch hackt man sie zusammt ihrem Kraut klein und dämpft sie so, das gibt dann rüebekrût oder den rüebenkumpost.“ S. hierzu auch Lex. Bd. II (1992), Sp. 525 s.v. rüebekrût: „weisse rüben, wie sauerkraut bereitet“ Dies legen nicht nur die literarischen Belege nahe, die Breispeisen wiederholt nennen. Auch die Zubereitungsmöglichkeiten, besonders beim Erhitzen von Kochgut, werden sich hier ausgewirkt haben. Klein geschnittene Zutaten werden zum einen beim Kochen schneller gar, ein Vorteil für diejenigen, für die aufwändige Zubereitung und lange Vorbereitungszeiten im Rahmen ihrer alltäglichen Verrichtungen nur begrenzt möglich waren. Die zumeist irdenen Kochtöpfe, die direkt an die Feuerglut gestellt wurden, ließen zum andern eine Zubereitung ‚al dente‘ wohl kaum zu, viele Gerichte dürften wegen der so nur schwer zu regulierenden Hitzezufuhr zwar heiß, aber auch verkocht gewesen sein
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man schuof in zeiner lîpnar fleisch und krût, gerstbrîn, ân wiltpræt solden si sîn, zem vasttag hanf, lins und bôn; visch und öl sie liezen schôn die herren ezzen, daz was sit. nû ezzent sie den herren mit, swaz man guotes vinden mac. daz ist dem land ein schûrslac.
(VIII, 880 ff.)
Als Grundlage für Brei- oder Musspeisen kommen auch andere Getreidearten in Betracht, so z. B. Hirse35, Erbsen und (Pferde-)Bohnen. Letztere werden einem liederlichen Kumpanen gebracht, der nach ausgiebigen Trinkgelagen überlegt, ob er sich nicht läutern sollte. Er zieht sich deshalb als Einsiedler in den Wald zurück, hat sich zuvor jedoch der Hilfe seiner Freunde versichert, die ihn dort mit Fleisch, Bohnen, Erbsen und Brot (nicht eben entbehrungsreich) versorgen.36 Das vorstehende ‚Helbling‘-Zitat ist eines der wenigen, die dem Bauernstand ausdrücklich den Genuss von Fleisch(speisen) zugestehen. Dies ist umso bemerkenswerter, als es an dieser Stelle um (hier möglicherweise fiktive) von ‚oben‘ diktierte Reglementierungen oder Speisevorschriften für die ‚niederen Stände‘ geht, gegen die sich der Autor stellt. Neben eingepökelten Waren, Räucher-, Brat- und Kochfleisch, die in ländlichen Haushalten wohl nur begrenzt verbraucht wurden, hatten auch haltbare Dauerwaren wie Würste ihren Platz auf dem bäuerlichen Speisezettel.37 35
In dem wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen Werk ‚Reinhart Fuchs‘ ist es der wohlhabende Bauer Lanzelin, der neben Grund und Geld auch genug Korn und Hirse besitzt: do hat er erbe vnde gelt, Korn vnde hirsez genvc, vil harte eben gienc sin pflvc. Der was geheizen Lanzelin
36 37
(V. 16 ff.),
vgl. Edition Düwel (1984), zur Datierung s. Einleitung, S. XXII Der Stricker: ‚Der durstige Einsiedel‘, Edition Fischer (1973), V. 103 ff. Im ‚Seifried Helbling‘ werden sie neben Gehacktem oder Wurstfülle auch genannt als Produkte, die ein Bauer (hier durchaus spitz: ‚Feldfürst‘) aus einem Mastschwein (bekklotz) machen kann: ‚ich weiz diu rehten mære: ein bekklotz, ein mestswîn er ze des Pibers türlîn kündiclîchen hin ûz brâht;
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Eier werden selten genannt, haben jedoch in der ländlichen Küche sicher keine kleine Rolle gespielt.38 Im ‚Seifried Helbling‘ begegnen sie als ‚Freitags‘-, gleich Fastengericht neben dem Käse. Sofern man auch diese nicht erlauben wollte, so der Autor, werde man sich wie die Bayern freudig der Völlerei hingeben: sô man uns niht erloubet frîtages kæs und eier, fridic sam die Beier sî wir mit gefræze.
(XIV, 38 ff.)
Milchprodukte wie Käse erscheinen öfter. Der Stricker lässt in der ‚Martinsnacht‘ einen reichen Bauern auftreten, der sich gern und äußerst umfänglich dem Weingenuss hingibt. Vor dem Trinkgelage lässt er seine Frau einen alten Käse heranbringen, den er als eine gute ‚Grundlage‘ preist: er sprach wider sîn wîp: „nu ginc, sô dir dîn lîp, und trac einen alten kæse her. des sul wir ezzen“, sprach er, „dâ ist daz trinken guot nâch.“
(V. 131 ff.)
Neben dem schon als ‚dünne‘ Nahrung markierten Käsewasser wird auch Quark (Topfen)39 genannt, der sich bei der Käseherstellung absetzt. Im ‚Seifried Helbling‘ schilt die Bäuerin, die ihren Mann kulinarisch kurz hält, es sich selbst jedoch gut gehen lässt, ihre Magd. Sie wirft ihr vor, mit dem Topfen den Knecht zu verwöhnen:
ze sîner herberg er gâht: dâ sitzet der veltfürste, meizlinc unde würste kann er machen wol dâ van.
(XV, 302 ff.)
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 2091 s.v. meizlinc: „gehacktes fleisch, würstfülle“; gebratene Würste gibt es bei einem Hochzeitsmahl, das in der Kleindichtung ‚Minnedurst‘ ausgerichtet wird: man gap in ie zwein ¢underbar gebraten wür¢t ze le¢te 38
39
(V. 128 f.),
abgedruckt in: Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 21, S. 136 ff. Der alte Helmbrecht versieht seinen Sohn, als dieser den väterlichen Hof verlässt, mit Käse und Eiern, vgl. ‚Helmbrecht‘, V. 913 ff. Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1463 zum Stichwort sowie Heyne (1901), S. 313
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wie ist der kæs ûz geworht! ich sih daz kæsewazzer wol, daz ist guoter topfen vol, mich triegen die sinne mîn. der kneht mac dir heimlîch sîn, dem dû pepelst dâ mit dû vil bœse dehselrit!
(I, 1190 ff.)40
Auch Milchrahm wird aufgeführt, er wird mit dem Attribut guot versehen und damit als ‚angenehm‘ bzw. ‚wertvoll‘ gekennzeichnet.41 Merkwürdig ist angesichts derart belegter Details, dass das Trinken von Milch dort, wo es um bäuerliche oder ländliche Szenen geht, keine Erwähnung findet. An Getränken wird neben Wasser, an das sich ja der alte Helmbrecht halten will, verschiedentlich auch Bier genannt. Des alten Helmbrecht Tochter, die auf die fragwürdige Vermittlung des jungen Helmbrecht hin dessen Räuberkumpanen Lemberslint heiraten soll, ist von dieser Aussicht durchaus angetan, weil sie meint, dass sie dadurch keine Not leiden müsse. Ihre Vorratskammer werde dann gefüllt sein, es werde Wein geben, das Bier werde ihr gebraut, (das Korn) gut gemahlen sein (V. 1396 ff.). Von der Bier(schaum)krone spricht der junge Helmbrecht, als er seinem Vater eine patzige Antwort gibt: liez ich daz ungerochen stân, so wær ich niht ein frecher. der blies in einen becher den schûm von dem biere.
(V. 1164 ff.)
Bei Neidhart wird Apfelmost erwähnt,42 und Birnenmost wird als bayerisches Charakteristikum im ‚Seifried Helbling‘ aufgeführt (III, V. 233), ferner der bereits oben erwähnte Met. Den Wein, der dem alten Helmbrecht als Getränk so gar nicht passend erscheint (V. 892 u. ö.), haben andere Bauern durchaus nicht verschmäht, wenn man hierfür die in der Dichtung durchaus zahlreich vorhandenen Belege heranzieht. Oft, jedoch nicht mehrheitlich, geht es dabei um ausgedehnte Zechgelage, wie z. B. in der ‚Martinsnacht‘ des Strickers, in der der 40
41
42
Übersetzt etwa: Wie ist der Käse schon in fortgeschrittener Reife! Ich sehe das Käsewasser wohl, das voll mit gutem Topfen ist, mich trügen meine Sinne. Der Knecht mag dir heimlich zugewandt sein, den verwöhnst du damit, du schlimme Hexe, vgl. Lex Bd. I (1992), Sp. 416 s.v. dehselrite: „hexe“ ‚Seifried Helbling‘ I, 1055; vgl. die noch heute gebräuchliche Wendung von der ‚guten Butter‘ Im Winterlied Nr. 5, I, V. 8
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Bauer, nachdem er dem Wein zu sehr zugesprochen hat, von Viehdieben, die um seinen Zustand wissen, um seine Herde ‚erleichtert‘ wird.43 Neben Nahrungsmitteln allgemein und speziellen Gerichten finden sich gelegentlich auch Aufzählungen dessen, was zum Inventar von Hof, Haus und Küche eines wohlhabenden Bauern gehört. Neben Vieh- und Geflügelbestand sowie Gerätschaften zur Wollgewinnung und -verarbeitung sind es ‚normale‘ Becher, bauchige Trinkbecher (Köpfe) und Flaschen,44 Salzfass, Dreifuß (Ständer für Kochgerät im Feuer) und Pfanne: rinder, schâf, swîn und lamp wolle, werc und âkamp, bürsten, streler, nizkamp und schær, becher, köpf und angstær, salzvaz, drîfuoz, phanne, die henne mit dem hanne moht in niht enphliehen.
(‚Seifried Helbling‘, I, 658 ff.)
Auch wenn bei Neidhart, im ‚Helmbrecht‘ und im ‚Seifried Helbling‘ manche Gerichte der ländlichen Bevölkerung, speziell gar ‚der Bauern‘ auch ausführlicher geschildert werden, ist es wenig wahrscheinlich, „daß wir die Wahrheit des Gesagten wohl kaum anzweifeln dürfen“.45 Allen diesen Werken ist schließlich gemeinsam, dass sie dem ordo-Gedanken verpflichtet sind, der mittelalterlichen Vorstellung von der göttlichen Einrichtung der unterschiedlichen Stände.46 Aus diesem Gedanken leiten sich die zeitgenös43
44 45
46
Vgl. Nr. XI in der Ausgabe Fischers (1973); angeblich hat der Bauer an dem besagten Abend 20 Becher geleert, vgl. V. 188; auch die Gedanken des ‚durstigen Einsiedels‘ kreisen fortwährend um Wein, und zwar in erheblichen Mengen, vgl. Nr. XII; ‚Der unbelehrbare Zecher‘ (Nr. XIII), ein ‚Weinschlund‘ (V. 1), lässt von seiner Trunksucht auch nicht ab, als ihn wohlmeinende Freunde vor den Folgen seines Treibens warnen. Regelmäßig ist es auch im ‚Seifried Helbling‘ Wein, der im Zusammenhang von Speise- oder Trinkszenen genannt wird. Regelmäßiger Konsum des Bieres wird besonders den Mähren und Tschechen zugeordnet (III, 235 ff.), und die Bayern und Sachsen saufen es angeblich geradezu (I, V. 540 ff.). Die Akteure trinken oder kaufen jedoch mehrheitlich Wein, vgl. z. B. I, V. 48; III, V. 246; XV, 127 ff. u. ö. Selbst einem Knecht wird noch ein Fass Wein jährlich zugestanden, vgl. IV, V. 71 ff. Vgl. oben S. 73 mit Anm. 161 (Kopf, Angster/Kuttrolf) sowie unten Kapitel 8 Benatzky (1963), S. 116; die Frage nach „Leistung und Grenzen der Realitätserfassung“ im ‚Seifried Helbling‘ beantwortet dagegen Ursula Liebertz-Grün indifferent unter Hinweis auf die allein sichere und bis in die frühe Neuzeit hinein unübertroffene satirische Absicht des Werkes, vgl. Liebertz-Grün (1981), S. 80 ff. Vgl. Otto Gerhard Oexle: Ordo (Ordines), in: LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 1436 f.; siehe auch Nolte/Schneider (2001), S. 9 und George Fenwick Jones: The Function of Food in Medieval German Literature, in: Speculum XXXV (1960), S. 78–86, hier: S. 78
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sischen Vorstellungen dessen ab, was den einzelnen Ständen in ihrer Lebensführung jeweils angemessen sei. Dazu gehört schließlich auch der Bereich der Ernährung, bei der ja wiederholt zwischen ‚Herrenspeise‘ und ‚Bauernessen‘ unterschieden wird. Dies sollte aus Reglements abgeleitet werden wie etwa der Landfriedensordnung Herzog Leopolds V. (er regierte von 1177 bis 1194), auf die im ‚Seifried Helbling‘ angespielt wird (VIII, V. 880 ff.).47 Den Bauern stehen demnach als Nahrung Fleisch, Kohl und Gerstenbrei zu und an den Fastentagen Lein, Linsen und Bohnen. Das Fleisch jagdbarer Tiere sowie Fische und Öl48 bleiben dieser Darstellung zufolge den ‚Herren‘ vorbehalten. Bemerkenswert ist an derartigen Schilderungen, dass, obwohl hier konkret auf ein hochmittelalterliches Rechtsdokument verwiesen wird, durchaus nicht als gesichert gilt, dass es zu dieser Zeit tatsächlich kodifizierte (profane) Speiseverbote gab.49 Eine gewisse Übereinstimmung mit mittelalterlichen Rechtsverordnungen, besonders des Jagd- und Fischereirechts, ist in Passagen wie der aus dem ‚Seifried Helbling‘ jedoch nicht zu übersehen.50 Allgemein wurden den Bauern des Mittelalters – bei regional durchaus unterschiedlicher Handhabung – in Bezug auf Jagd- und Fischereirechte zunehmend starke Beschränkungen auferlegt.51 Jedoch lässt sich bis heute nicht eindeutig klären, „ob sich der mal. Jagdbann auf alles jagdbare Getier bezieht oder ob sich hier bereits Anfänge der Unterscheidung zwischen hoher und niederer Jagd, also gemeinfreie Jagd und auf dem Banninhaber allein zustehendes Wild, finden“.52 Belegbar ist, dass der Bauernschaft ein eingeschränktes Jagdrecht auf dem Gebiet der dörflichen Allmende auch im 13. Jahrhundert oft noch zustand.53 47 48
49
50 51
52 53
Vgl. auch oben S. 260 Zu dieser Übersetzung vgl. Jones (1960), S. 81, der unter Berufung auf das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm annimmt, dass mit dem mhd. öl nicht etwa (Oliven-?)Öl, sondern Aale gemeint seien Vgl. Bumke (2005), S. 242 mit Bezug auf die zitierte Stelle: „Solche Speiseverbote hat es, soweit wir wissen, im 13. Jahrhundert nicht gegeben.“ Diese Ansicht vertritt auch Rösener (2008), S. 143 Vgl. Hügli (1929), S. 87 ff. Vgl. Rösener (1985), S. 111 und 114 und Chr. Hafke: „Jagd- und Fischereirecht“, in: HRG Bd. II (1978), Sp. 281–288 Hafke (1978), Sp. 282 Vgl. Hafke (1978), Sp. 283; Hügli (1929), S. 88, stellt fest: „Total verschwunden sind auch im späteren Mittelalter die bäuerlichen Rechte auf Jagd und Fischerei nicht“; vgl. Rösener (1985), S. 111 und passim; dagegen jüngst Schubert (2006), S. 103, der diese Möglichkeit als „selten“ einstuft und bilanziert: „Der Tierreichtum sollte durch das Forstrecht (an dessen Anfang bezeichnenderweise der Wildbann stand) dem ein-
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Das mittelalterliche Fischereirecht unterlag dem Forstrecht vergleichbaren Bestimmungen. Das Meer, größere Flüsse und Seen galten grundsätzlich als weitestgehend ‚fischereifrei‘, durften damit frei befischt werden. Lediglich Teiche, besonders auch die der adligen Grundherren und Klöster, und kleinere Seen durften ausschließlich vom Grundeigner befischt werden. Für größere Flüsse wurden seit dem Hochmittelalter zunehmend von Grundherren als deren Anrainer auch Abgaben für Fischereirechte erhoben.54 Wenn also der junge Helmbrecht davor gewarnt wird, (verbotene) Fische in Unehren zu genießen (V. 462 f.), dann ist diese Passage kaum dahingehend zu interpretieren, dass Fische nur sehr selten auf die Tische ländlicher Haushalte kamen.55 Die obrigkeitlich orientierten Vorstellungen einer ‚Speiseordnung‘ können nur solche Fische einbeziehen, die besonders teuer waren oder in herrschaftseigenen Gewässern gefangen wurden. Nur vor dem Zugriff auf eben diese soll sich der junge Helmbrecht hüten. Es fällt jedoch auf, dass Fisch bzw. Fische bei Beschreibungen bäuerlicher Lebensweise in den beigezogenen literarischen Quellen kaum erscheinen. Im ‚Seifried Helbling‘ gibt es eine Stelle, an der der Hering genannt wird, dies jedoch in einer metaphorischen Wendung. Als für einen Gläubiger Geld eingetrieben werden soll, droht der gesandte Bote dem Schuldner: her wirt, ich muoz iuch rœsten als einen hêrinc ûf der gluot
(I, 705 f.).
Bemerkenswert scheint diese Wendung, weil der hier beigezogene Vergleich ausweist, dass der Hering, der ab Mitte des 13. Jahrhunderts vornehmlich in der Ostsee gefangen wurde, auch im Alpenraum (gut) bekannt gewesen sein muss.56 Vor diesem Hintergrund macht es sich Sieghilde Benatzky jedoch zu leicht, wenn sie auf die nahtlose Übereinstimmung (letztlich nicht gesicher-
54 55
56
fachen Mann verschlossen bleiben.“ Ebenso restriktiv fällt Schuberts Urteil zur Einforderung und Durchsetzung von obrigkeitlichen Fischereirechten aus, vgl. Schubert (2006), S. 126. Wie bei verschiedenen seiner Thesen bleibt Schubert bei beiden genannten Beispielen differenziertere Belege für seine Einschätzung schuldig Vgl. Hafke (1978), Sp. 286 Jedenfalls widerspricht diese Passage kaum, wie Benatzky (1963) feststellen will, „ganz eindeutig Bühlers Behauptung, daß Fische von den Bauern verhältnismäßig häufig gegessen wurden“ (S. 125 unter Bezug auf Johannes Bühler: Die Kultur des Mittelalters. Stuttgart 1954, S. 311) Zur Bedeutung des Stockfischs und des Herings sowie des bereits seit dem Hochmittelalter umfangreichen Fischhandels vgl. Schubert (2006), S. 131 ff., zur Verbreitung des Herings im Alpenraum bes. S. 133 ff.
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ter) zeitgenössischer Speiseordnungen mit dem Verhalten des alten Helmbrecht hinweist und daraus schließt, dass diese Schilderungen die tatsächlichen Nahrungsgewohnheiten der damaligen bäuerlichen Bevölkerung widerspiegeln. Sicher werden bei Neidhart, im ‚Helmbrecht‘ und im ‚Seifried Helbling‘ viele in der damaligen Ernährung wohl verbreitete Speisen genannt. Doch von einer Einhaltung möglicher, den ordo-Vorstellungen verpflichteter Speisereglements und folgsamer Beschränkung der Bauern auf die ihnen zugestandenen Nahrungsmittel kann in so allgemeiner Form – zumindest in dem in unseren Beispielen literarisch erfassten Raum – keine Rede (mehr) sein. Zu kurz greift Benatzkys Bilanz schließlich, weil sie die Intention des ‚Helmbrecht‘, die identisch oder ähnlich auch bei Neidhart und im ‚Seifried Helbling‘ nachweisbar ist, nicht angemessen berücksichtigt. Aus der Darstellung der Dörfler und Bauern in den Texten geht nämlich hervor, dass das althergebrachte ständische Gefüge im 13. Jahrhundert in Unordnung geraten ist.57 Bei Neidhart eifern die dörper in plumper und derbe übertriebener Art ritterlichen oder adligen Angewohnheiten nach, was durch den Dichter bevorzugt am Beispiel ihrer Kleidung und ihres Putzes verspottet wird. Im ‚Helmbrecht‘ ist es der Sohn des reichen Bauern, der, überzeugt von seinen Aufstiegsmöglichkeiten, im Gefolge eines Ritters Karriere machen will und dabei sich und seine Schwester in die Katastrophe führt. Im ‚Seifried Helbling‘ sind es nicht nur die Bauern, deren Gewohnheiten sich ‚merkwürdig‘ gewandelt haben. Vielfach sind es die ‚guten, alten Sitten‘, auch Anstand, Bescheidenheit und Schollenverbundenheit, die grundlegend ins Wanken geraten sind.58 Diese Entwicklung wird im ‚Helbling‘ offen der Regierung der Habsburger angelastet.59 Besonders dem ‚Helmbrecht‘ und dem ‚Seifried Helbling‘ ist dabei eine Tendenz gemeinsam: die laudatio temporis acti.60 Die Wandlungen, die sich während des 13. Jahrhunderts im gesellschaftlichen Gefüge vollzogen, fanden ihren Niederschlag auch in der zeitgenössischen poetischen Produktion. Dieser äußert sich darin, dass sich diejenigen, die um ihre traditionelle Stellung fürchteten, den aufstrebenden Gruppen gegenüber (‚nach unten‘)
57
58 59
60
Vgl. Nolte/Schneider (2001), bes. S. 12 ff. und Liebertz-Grün (1981), S. 31: „Neidhart, Wernher und der Helbling-Autor informierten über erfolgreiche bäuerliche Aufstiegsbemühungen.“ Vgl. Nolte/Schneider (2001), bes. S. 11 ff. Vgl. dazu Liebertz-Grün (1981) mit vielen Einzelbelegen; vgl. zum ‚Helmbrecht‘ in diesem Zusammenhang auch: Horst Wenzel: ‚Helmbrecht‘ wider Habsburg, in: Euphorion 71 (1977), S. 230–249, bes. S. 247 Für den ‚Seifried Helbling‘ vgl. dazu Liebertz-Grün (1981), S. 44 ff.
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abzuschotten versuchten.61 Die Landesherren als Auftraggeber poetischer Werke und deren Rezipienten an den größeren Adelssitzen haben ein gemeinsames Interesse, die althergebrachte Ordnung in der Dichtung, als Ausdruck ihres Standesbewusstseins, zu bewahren bzw. wieder auferstehen zu lassen: „Der Helmbrecht suggeriert dem adligen Publikum, die feudale Gesellschaft sei eine Welt ohne Konflikte und ohne Strukturprobleme, soziale Harmonie und tiefster Friede seien gesichert, ab und an seien nur ein paar bäuerliche Unruhestifter aufzuhängen.“62 Daher können die von Benatzky konstatierten Übereinstimmungen zwischen den ‚von oben‘ vorgestellten Reglements zur ordo-gemäßen Lebensführung und den Darstellungen bäuerlicher/ländlicher Lebensformen in der ebenfalls ‚von oben‘ in Auftrag gegebenen und beeinflussten literarischen Produktion63 weder überraschen noch als Gradmesser für den Realitätsgehalt der Darstellungen gewertet werden. Genau das Gegenteil trifft zu: die Literatur, insbesondere die Dichtung dieser Zeit, wird in konservativer Absicht instrumentalisiert, gerade weil die beobachtbaren Verhältnisse nicht mehr so sind, wie sie nach der Vorstellung der Landesherren sein sollten und folgendermaßen beschrieben werden: man sihet selten semeln wîz ûf sînem tisch und klâren wîn, er mac wol âne wiltpræt sîn; daz sîne spart er swaz er mac.
(‚Seifried Helbling‘, I, 48 ff.)64
Vor diesem Hintergrund müssen die Aufstiegsbestrebungen des jungen Helmbrecht, die in der pervertierten Nachahmung des höfischen Zeremoniells anlässlich der Hochzeit von Gotelint und Lemberslint gipfeln (V. 1535 ff.), zwangsläufig in der Katastrophe enden. Der alte Helmbrecht und seine bescheidene, an der ‚guten‘, alten Ordnung orientierte Haltung 61
62 63
64
Dazu Knapp (2001), S. 12: „In den Ländern des deutschsprachigen Südostens verschmolzen im Laufe des 13. Jahrhunderts die Ministerialen mit den Resten des alten Adels zur Schicht der Landesherren. Darunter bildete sich die Ritterschaft als eigener rechtlicher Stand aus, der sich ebenso, wie die Landesherren es taten, nach unten abzuschließen suchte, was wohl im allgemeinen, nicht aber im Einzelfall gelingen konnte.“ Liebertz-Grün (1981), S. 31 f. Liebertz-Grün (1981), S. 8, bilanziert, dass „die mittelalterlichen Autoren in der Regel so produzierten, wie ihr Publikum bzw. ihre Auftraggeber zu rezipieren wünschten“; vgl. zu Auftraggebern und Publikum ausführlicher Bumke (2005), S. 638 ff. Dass man auf dem Tisch der in dieser Passage angesprochenen Bauern selten Weißbrot und klaren Wein sieht und sie auch ohne Wildbret bleiben, wirkt ebenso toposartig wie die abschließende Wendung, man müsse sich (mühsam) mit dem einrichten, was eben da sei
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bieten das positiv besetzte Gegenbild und lassen die Zielrichtung des Werkes erkennen: „Daß nicht Geblüt, Herkunft, ererbte Herrschaft und Habe den Wert einer Person ausmachen konnten, sondern allein individuelle Vorzüge und Verdienste, wiederholten die Gelehrten zwar ohne Unterlaß. Die übliche Schlußfolgerung war jedoch die schlichte Maxime: ‚Schuster, bleib bei deinem Leisten!‘.“65 Es fragt sich daher, wie die beigezogenen Dichtungen hinsichtlich ihrer Darstellung ländlicher oder bäuerlicher Verhältnisse zu bewerten sind. Da sie eine deutlich tendenzielle Erzählhaltung aufweisen, bieten sie schließlich kaum Anhaltspunkte, die über allgemeine Nahrungsgewohnheiten der ländlichen Bevölkerung und vor allem deren mögliche oder tatsächliche Unterschiede zum Nahrungswesen höherer Stände verlässlich Auskunft geben könnten.66 Wahrscheinlich ist, dass die bäuerliche Küche der herrschaftlichen gegenüber durch eine elementare Einfachheit gekennzeichnet war. Wenn die zeitgenössischen Autoren darüber klagen, dass Bauern im 13. Jahrhundert ‚die gleiche‘ Nahrung zu sich nahmen wie höher gestellte Stände, ist dies möglicherweise vornehmlich auf verschieden verarbeitete Grundstoffe zu beziehen. Die Prosperität einzelner ‚reicher‘ Bauern und Dörfler ließ es wohl auch zu, dass teure Zutaten und Gewürze zunehmend außerhalb großer adliger, geistlicher und patrizischer Haushalte zum Einsatz kamen. Andernfalls machten die satirischen Bemerkungen Neidharts und auch im ‚Seifried Helbling‘ wenig Sinn. Grundsätzlich sind in ländlichen Haushalten, die durch wirtschaftliche, teilweise auch rechtliche und soziale Bedingungen und besonders wohl durch Zweckmäßigkeit bestimmt geführt werden mussten, zeitraubende und vor allem teure Alltagsspeisen nur schwer vorstellbar. Es fällt jedoch auf, dass verschiedene Gerichte, die durch die Dichter konkret genannt werden, in ihrer Bereitung verschiedene Zutaten sowie mehrere Arbeitsgänge erfordern und damit durchaus aufwändig sind: von der Quark-, Käse- oder Wurstproduktion über verschiedene Eintöpfe, gîselitze, clamirre und varveln bis hin zu gebratenem oder gekochtem Huhn, gebratener Gans oder einem (Span-)Ferkel. Beanstandet wird durch die Art der poetischen Darstellung auch nicht, wenn in einem reichen bäuerlichen Haushalt zu besonderen Anlässen verschiedene Gerichte und mehrere Gänge auf den 65 66
Knapp (2001), S. 9 Ein Beispiel für die Ansicht, dass die in der Dichtung des Mittelalters genannten Speisen ein reales Abbild der damaligen Verhältnisse zeichnen und als Ausdruck eines allgemein internalisierten ordo-Verständnisses gesehen werden sollten, bietet demgegenüber Jones (1960)
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Tisch gebracht werden, so, wenn der alte Helmbrecht zum Besuch seines Sohnes ‚ordentlich auftischen‘ lässt. Bemerkenswert sind – gemessen am ‚Vorbild‘ des alten Helmbrecht, sich doch an Wasser als Getränk zu halten – die vielfachen Erwähnungen des Weins, der – zumindest im südostdeutschen Sprachraum – auch in ländlichen Gebieten verbreitet gewesen und genossen worden sein muss.67 Ob und in wiefern dies regionale Besonderheiten widerspiegelt, wird unten im Rahmen der Beleuchtung archäologischen Quellenmaterials zu berücksichtigen sein. Folgt man den Darstellungen der Dichter, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sich die bäuerliche Kost des Hochmittelalters besonders, jedoch nicht nur auf vegetarischer Grundlage bewegte: Getreide, Gemüse (besonders Hülsenfrüchte) und auch Obst werden vorwiegend als zu Breioder Musspeisen sowie Aufläufen verarbeitet geschildert (aus Obst wird auch Saft oder Most gewonnen), Brot, zuweilen auch feinere Gebäcke, Milchprodukte und auch Eier haben daneben wohl eine wichtige Rolle gespielt. Wurst und verschiedene Sorten von Fleisch (Ferkel/Schwein, Huhn, Gans) kommen auf den poetisch bereiteten Tisch, jedoch nur bei besonderen Anlässen. Bestimmt haben, auch wenn es die literarischen Quellen nicht ausweisen, daneben auch Fische die Tische ländlicher Haushalte bereichert. Außerhalb der literarisch erfassten, durchweg wohlhabenden bäuerlichen Haushalte (Knecht und/oder Magd sind dort stets vorhanden) dürfte es jedoch auch oft vorgekommen sein, dass dieser Tisch ganz leer blieb oder dass auf ihm nur eine dünne Wassersuppe stand, in der aufgelöst wurde, was an Vorrat gerade vorhanden war: Getreide(schrot, -grütze, -mehl), Gemüse oder Obst. Auf derartige ‚Gerichte‘ müssen sich wirklich arme, im ‚Helmbrecht‘ durch den jungen Räuber ausgeplünderte Landbewohner – und besonders deren Kinder – beschränken: die gebûren ich vil selten freu die mir sint gesezzen. ir kint müezen ezzen ûz dem wazzer daz koch.
(V. 1238 ff.)
Beschrieben werden damit Zustände, die auch durch zeitgenössische Chronisten bezeugt sind: dass bei der dörflichen Bevölkerung wirtschaftliche Not und schmale Kost vorkamen, geht aus Schriften des Paderborner Bi67
Textbelege hierzu s. oben S. 262 f. mit Anm. 43. Dabei ist zu beachten, dass auch ein ‚ländlicher Raum‘ nicht nur von einer schlichten, meistens mittellosen Bauernschaft bevölkert wurde, sondern auch über größere Bauernhöfe mit vergleichsweise wohlhabenden Haushaltungen verfügen konnte, wie das Beispiel des Meiers Helmbrecht zeigt; vgl. auch unten Abschnitt 7.3 das Beispiel der ländlichen Siedlung Holzheim
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schofs Meinwerk hervor. Er beklagte im 11. Jahrhundert, dass viele Kleinbauern sich deshalb in die Abhängigkeit der Kirche begaben: „Wer ein paar Scheffel Land sein eigen nannte, übergab es dem Bischof, um sich eine Leibrente zu erwerben, die ihn über Wasser hielt. Er durfte dann hoffen, täglich ein Stück Schwarzbrot, einen Krug Bier, samstags einen halben Käse und sonntags ein Stück Fleisch zu bekommen.“68 Ferner berichtete Meinwerk von Armen in den Dörfern, die komplett auf die Gabe von Almosen angewiesen waren. Sie mussten auf die Freigebigkeit der Bevölkerung vertrauen oder sich um milde Gaben der Kirche oder aus der Armenküche von Klöstern bemühen. Ihre Lage fasste Meinwerk folgendermaßen zusammen: „Sie wussten am Morgen nie, ob sie am Abend satt sein würden.“69 Wie oft derartige Verhältnisse vorkamen und wie verbreitet sie tatsächlich waren, bleibt offen. Ferner ist auch bei chronikalischen Quellen des Mittelalters davon auszugehen, dass es ihre Autoren im Interesse der möglichst plastischen Darstellung mit einer realistischen Wiedergabe von Ereignissen oder Zahlen nicht gar so genau nahmen. Ob und wiefern sich derartige Beschreibungen ggf. belegen lassen, wird auf der Grundlage weiterer Quellen folgend noch zu beleuchten sein.70
68
69 70
Ernst Werner/Martin Erbstößer: Kleriker, Mönche, Ketzer. Das religiöse Leben im Hochmittelalter. Berlin 1992, S. 137 f. Werner/Erbstößer (1992), S. 137 Vgl. unten im Anhang den Abschnitt V
Das Leben in städtischen Siedlungen – ein Stiefkind literarischen Interesses
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5. Das Leben in städtischen Siedlungen – ein Stiefkind literarischen Interesses Obwohl es im Hochmittelalter neben wenigen größeren Städten wie Köln, Mainz, Nürnberg, Regensburg, Lübeck oder Magdeburg auch bereits viele kleine städtische Siedlungen gab, deren Zahl dazu beständig wuchs,1 finden Städte als Lebensraum und auch die in ihnen lebende Bevölkerung in der zeitgenössischen Dichtung kaum Beachtung. Dies ist bemerkenswert, entwickelten sich doch mit den seit dem 12. Jahrhundert rapide zunehmenden städtischen Siedlungen ‚alternative‘ Lebensräume und auch Lebensformen, die neu waren und auch bald eigene Ausprägungen zeigten.2 Aus der Perspektive des Publikums, der für dieses Publikum interessanten und daher von ihm bevorzugten literarischen Stoffe und Motive und damit auch der von zahlenden Auftraggebern abhängigen Autoren war ‚die Stadt‘ als Lebensraum, wenn überhaupt erwähnt, jedoch nebensächlich. Dies umso mehr, als es in vielen hochmittelalterlichen Dichtungen um das Ideal höfischer Lebensweise und damit um den Bezug zu der Sphäre ging, der sich das Publikum selbst zugehörig fühlte und die es auch als eine wichtige Orientierung für die Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse verstand. Die Attraktivität der erzählerischen Entwürfe für das adlige Publikum erklärt sich nicht zuletzt auch daraus, dass die damaligen realen Verhältnisse mit den edlen Motiven und Handlungen der Protagonisten höfischer Romane oftmals nur wenig gemein hatten.3 1
2
3
Vgl. Heiko Steuer: Lebenszuschnitt und Lebensstandard städtischer Bevölkerung um 1200. Ziel des Kolloquiums, in: Heiko Steuer (Hg.): Zur Lebensweise in der Stadt um 1200. Ergebnisse der Mittelalter-Archäologie. Bericht über ein Kolloquium in Köln vom 31. Januar bis 2. Februar 1984. (ZAM. Beiheft 4/1986). Köln 1986, S. 9–16, hier: S. 12, Bumke (2005), S. 51 ff. und Méhu (2004), S. 59 ff. Zusammengefasst durch Steuer (1986), S. 11: „Die mittelalterliche Stadt – im Gegensatz auch zur antiken Stadt – ist ein nach außen streng begrenzter Bereich, innerhalb dessen die Menschen durch dichtes Beieinanderleben, durch ihre größere Anzahl, durch Konzentration nichtagrarischer Tätigkeiten einen neuen Lebensstil geschaffen haben.“ Vgl. Bumke (2005), S. 11: „Die Jahrzehnte, in denen die höfische Dichtung ihre höchste Blüte erlebte, waren in Deutschland eine besonders schlimme Zeit innerer Kriege und öffentlicher Wirren.“
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Vor diesem Hintergrund kennzeichnen die Burg, die Festung oder auf Reisen und zu besonderen Anlässen das ausgedehnte (und durchaus komfortabel ausgestattete) Lager das räumliche Zentrum der epischen Stoffe, die Stadt kam als Ort höfischer Lebensweise kaum in den Blick, obwohl es in einigen damaligen städtischen Siedlungen auch Burganlagen oder bedeutende Adels- oder Bischofssitze gab.4 Das Aufstreben des städtischen Patriziats und des Bürgertums, insgesamt von Menschen, die sich wirtschaftlich zunehmend einen gehobenen Lebensstandard leisten konnten, wurde vom Adel überwiegend mit Abgrenzung beantwortet, die sich in literarischen Stoffen durch die Kritik an jenen äußert, die adlige Lebensformen anstreben und ‚nachleben‘ wollen, ohne dem Adel anzugehören. Das Zerrbild, das vom jungen Bauern ‚Helmbrecht‘ gezeichnet wird, bietet dafür ein markantes Beispiel.5 Die städtische Bevölkerung wird, sofern sie für den Gang einer Erzählung nicht doch eine Bedeutung besitzt, nicht erwähnt, noch schärfer gefasst: insgesamt ignoriert. In den wenigen Werken, die sich im späten 13. Jahrhundert möglicherweise auch oder besonders an ein städtisches Publikum richteten, wurden wiederum die Stoffe und Darstellungen der höfischen Epik aufgegriffen, sodass auch sie ‚die Stadt‘ als Lebensraum nicht aufführen oder näher beschreiben.6 Dies gilt auch für die Werke Konrads von Würzburg, der sich zunächst im Spessart und möglicherweise auch am Niederrhein aufhielt, dann für längere Zeit in Straßburg weilte und sich in den 1260er Jahren in Basel niederließ.7 Mehrere Werke seiner ebenso vielseitigen wie umfangreichen literarischen Produktion8 verfasste er nachweislich im Auftrag eines exklusiven 4
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Verschiedene städtische Siedlungen sind durch vermehrte Ansiedlungen um eine bestehende Burg oder einen Herrensitz herum erst entstanden, vgl. Méhu (2004), S. 59 f.; Burganlagen in (Verbindung mit) städtischen Siedlungen gab es z. B. in München, Leonberg, Nürnberg, Hamm, Lemgo, Hamburg, Braunschweig, Schwerin, Wismar, Quedlinburg, Marburg sowie im hessischen Staufenberg; bedeutende Bischofssitze befanden sich in Köln, Trier, Mainz sowie in Basel, Augsburg, Regensburg, Paderborn, Bremen, Magdeburg oder Brandenburg/Havel Vgl. oben Kap. 4, S. 247 ff. Es wird für möglich gehalten, dass Ulrich von Türheim (‚Rennewart‘, Fortsetzung des ‚Tristan‘-Stoffs) und Heinrich von Freiberg (Fortsetzung von Gottfrieds ‚Tristan‘) ihre Werke für ein vornehmlich städtisches Publikum verfassten, so jedenfalls Peter Nusser: Deutsche Literatur im Mittelalter. Lebensformen, Wertvorstellungen und literarische Entwicklungen. (Kröners Taschenbuch-Ausgabe. Bd. 480). Stuttgart 1992, S. 239 Vgl. Horst Brunner unter dem Stichwort ‚Konrad von Würzburg‘ in: VL Bd. 5 (1985), Sp. 272–304, bes. Sp. 273 Überliefert sind u. a. religiöse Legendendichtungen (‚Pantaleon‘, ‚Alexius‘, ‚Silvester‘), ein Marienpreisgedicht (‚Die goldene Schmiede‘), kleinere Dichtungen wie ‚Der
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städtischen Publikums, so z. B. ‚Heinrich von Kempten‘ zwischen 1261 und 1277 im Auftrag des Domprobstes von Straßburg oder ‚Partonopier und Meliur‘, dessen Entstehung (bis 1277) insbesondere auf die Veranlassung durch den Baseler Peter Schaler zurückgeht: „K.s Basler Gönner gehörten allesamt zur politischen und ökonomischen Führungsschicht der Stadt“, Konrads ‚Partonopier und Meliur‘ „verdankt seine Entstehung hauptsächlich dem miles Peter Schaler, einer der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten Basels in jener Zeit, Sproß einer wohlhabenden und mächtigen Ritterfamilie, Führer der Adelspartei der Psitticher …, daneben den Bürgern Heinrich Merchant … und Arnold Fuchs.“9 Vor diesem Hintergrund könnte angenommen werden, dass die Stadt als Lebensraum, der er ja auch für Konrad und insbesondere für seine Auftraggeber war, in seinem Werk einen merklichen Niederschlag gefunden hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall.10 Dabei kommen Städte als Orte der Handlung bei Konrad durchaus vor. In der Legendendichtung ‚Pantaleon‘ ist es das spätantike Rom, in dem das segensreiche Wirken des Christen und Arztes Pantaleon von den Mächtigen als gefährliche Zauberei verkannt wird. Rom ist so nicht nur Schauplatz, sondern steht auch stellvertretend für einen ‚schlechten‘ Ort heidnischer Irrlehren und der Ignoranz bzw. Verfolgung des christlichen Glaubens. In ‚Partonopier und Meliur‘ spielt eine – im Wortsinn – zauberhafte Stadt eine Rolle, in die der junge Edle Partonopier gerät, nachdem er sich auf einer Jagdpartie verirrt und dann ein am Strand aufgefundenes Boot bestiegen hatte, das ihn von selbst über das Meer an fremde Gestade brachte. Partonopier verlässt das Schiff, um eine nahe gelegene Stadt zu erkunden, die er bereits von See aus wahrgenommen hatte (vgl. V. 776 ff.). Die Stadt erweist sich als überaus prächtig. Sie hat eine Umfassung aus hohen Mauern, die mit vielen Toren versehen ist. In dieser Stadt gibt es viele
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Welt Lohn‘ und das ‚Herzmaere‘, religiöse Leichs, daneben Minnelieder und Sangsprüche, kürzere Erzählungen, die den höfischen Bereich berühren, aber auch Beispielcharakter besitzen, wie ‚Heinrich von Kempten‘, längere Erzählungen derselben Ausrichtung wie ‚Engelhard‘ und das ‚Turnier von Nantes‘, sowie die ohne Schluss endende Großerzählung ‚Partonopier und Meliur‘ (mit fast 20 000 Versen), für die er auf eine französische Vorlage zurückgriff, vgl. Brunner (1985), bes. Sp. 273–295 Brunner (1985), Sp. 174 f. Da Konrad seine Auftraggeber, Unterstützer oder Helfer (z. B. bei der Übersetzung aus dem Französischen, das er wohl erst spät erlernte) in seinen Werken oft benannte, sind Namen überliefert und lassen sich Konrads Wirkungskreis und seine Beziehungen vergleichsweise gut rekonstruieren Auf entsprechende Passagen wurden folgende Dichtungen Konrads geprüft: ‚Engelhard‘ (Edition Reiffenstein, 1982), ‚Heinrich von Kempten‘, ‚Herzmaere‘, ‚Der Welt Lohn‘ (Edition Schröder, 1968), ‚Pantaleon‘ (Edition Neukirchen, 2008) sowie ‚Partonopier und Meliur‘ (Edition Bartsch, 1970)
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Türme, wie viele der innerstädtischen Mauern werden sie als goldglitzernd und mit rotem, weißem und andersfarbigem Marmor versehen geschildert. Silbern glänzende Dächer werden angeführt, daneben gepflegte, steingepflasterte Straßen (vgl. V. 802 ff.). Partonopier betritt die – nicht verschlossenen – Häuser, in denen er mit Speisen so reich gedeckte Tische vorfindet, wie sie wohl dem Kaiser oder der Königin (so) nie aufgetragen wurden. Auf den Tafeln stehen Würzwein, purer Wein und Met in blank schimmernden Trinkgefäßen,11 in den Häusern brennen dazu (angenehm) rauchlose Feuer: er gieng in ein iegelîches hûs: dâ sach er tische wol bereit von maneger hande rîcheit und dar ûfe spîse gnuoc, daz man als edel nie getruoc für keiser und für künegîn. môraz, mete und klâren wîn in liehten köpfen er dâ vant. in iegelîchem hûse erbrant was ein viur ân allen rouch.
(V. 898 ff.)
Diese schöne Stadt ist vollkommen menschenleer. Die zauberkundige Königstochter Meliur, Gebieterin über die Stadt und deren Bewohner, hat, wie sich später herausstellt, alles wie beschrieben eingerichtet, um Partonopier staunen zu lassen und für sich einzunehmen. Die geschilderte Szenerie erweist sich daher als gezielt inszenierte, auch ins Traumhafte überhöhte ‚Schlaraffenland-Kulisse‘12 und hat daher mit real existierenden Kommunen oder mit dem Leben in ihnen nichts gemein.
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Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1906 f. s.v. lieht: „hell, strahlend, blank allgemein“ Fortgesetzt wird sie in der Schilderung dessen, was Partonopier vorfindet, als er sich aus der Stadt in die benachbarte Burg begibt. Auch dort ist niemand zu sehen. Im prächtigen Palas findet er jedoch eine Tafel. Aus einem bereit stehenden Gefäß lässt er sich Wasser über die Hände gießen, das in einem Becken aufgefangen wird. ‚Wie von Zauberhand‘ schwebt ihm dann ein Handtuch zum Trocknen der Hände entgegen, er lässt sich an der Tafel nieder und wird mit Wild- und anderen Fleischgerichten sowie mit Getränken reich bedient, die ihm in kostbaren Gefäßen aus Gold und Edelsteinen serviert werden (vgl. V. 972 ff.). Alles geschieht dort wie von selbst, Diener oder andere Personen sind durch Partonopier nicht zu entdecken. Einschließlich eines kurzen inneren Monologs, in dem sich der junge Edle wundert, was das alles zu bedeuten habe, und sich fragt, ob er vielleicht träume, ist diese Passage mehr als 100 Verse lang. Sie ist ganz auf die eindrückliche Schilderung der phantastischen Szenerie hin ausgelegt und bewirkt durch ihre außergewöhnliche Länge eine erhebliche Steigerung des Wundersamen
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Dies ist jedoch auch nicht intendiert, denn die gesamte Erzählung lebt von verschiedenen märchenhaften Motiven, ihre Protagonisten handeln der höfischen Etikette und Kultur verpflichtet. Meliur, die zunächst nur bei Nacht erscheint und für Partonopier im Dunkel unerkennbar bleibt, nimmt ihm das Versprechen ab, dass er nicht versuchen werde, sie zu sehen, bevor sie es ihm gestatte. Er bricht sein Versprechen und kann die von ihm innig verehrte Meliur nur nach einer Reihe von harten Prüfungen und Turnieren wiedergewinnen. Höfische Motive und Minnethematik prägen das Werk daher deutlich,13 die ideale Welt der Höfe und des Adels wird adaptiert und wirkt so in die kulturelle Sphäre der einflussreichen, städtischen Auftraggeber hinein. Deren eigene Stadt und ihre wahrscheinlich vielschichtige, auch gelebte Kultur bleiben darüber in der Dichtung ohne ein erkennbares eigenes Profil. In der mittelhochdeutschen Epik werden darüber hinaus imaginäre und auch tatsächlich existierende Städte zwar benannt, doch dienen sie dort der regionalen Einordnung und der Kennzeichnung eines Orts oder als wichtige Ergänzung einer für die Handlung bedeutsamen Kulisse. So findet sich Xanten in der 2. Aventiure des ‚Nibelungenliedes‘ als Siegfrieds Geburtsort, Sitz des väterlichen Adelshofes und Standort einer großen Münsterkirche, von der 3. Aventiure an kommen Worms und der dortige Burgundenhof in den Blick, und der folgenreiche Streit der Königinnen um den Vortritt beim Kirchgang findet in der 14. Aventiure vor dem dortigen Dom statt. Zu den Orten selbst und zu deren Bevölkerung werden dabei jedoch keine näheren Betrachtungen angestellt. Die Passage über den Hoftag, den Kaiser Friedrich I. 1184 in Mainz veranstaltete, im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke wird dort zwar lokalisiert – Mainz wird genannt (Meginze, V. 13226) –, der Ort des Ereignisses wird jedoch nicht näher beschrieben, vielleicht sogar als bekannt vorausgesetzt. Das große, eigens für den Hoftag aufgeschlagene Festlager, mehr noch die logistischen Leistungen, die zur Ausrichtung des Festes zu erbringen waren, und auch die Überfüllung der Stadt durch viele noble Gäste und ihr oft umfangreiches Gefolge führt Heinrich nicht aus. Die Stadt selbst ‚findet nicht statt‘, obwohl sie für das Festmotiv durchaus passende Bilder geboten hätte.14 Als Kulisse der Handlung besitzt die Stadt auch bei Wolfram von Eschenbach, der bei vielen seiner Schilderungen gern zeitgenössische Details aufnahm, kaum Bedeutung. 13
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Vergleichbar ist darin der ‚Engelhard‘, in dem eine Stadt als Ort der Handlung jedoch keine Rolle spielt Anders verhält es sich mit den chronikalischen Quellen über dieses Ereignis, vgl. oben Abschnitt 2.2.1
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Dass es im ‚Parzival‘ rund um die Burg Pelrapeire auch eine größere Siedlung gab, wird nur daraus ersichtlich, dass bei der Belagerung der Burg auch die Bewohner dieser Siedlung – die burgære – darben. Sie werden, als die Burgherrin Côndwîrâmûrs eine von außen dringend erbetene Lebensmittellieferung erhält, auf Parzivals Vorschlag hin mit versorgt und dadurch vor dem Hungertod bewahrt. ir bote wider quam gedrabt: des wart diu kranke diet gelabt. dô was der burgære nar gedigen an der spîse gar: ir was vor hunger maneger tôt ê daz in dar kœme’z brôt. teiln ez hiez diu künegîn, dar zuo diu kæse, dez vleisch, den wîn, dirre kreftelôsen diet: Parzivâl ir gast daz riet.
(190, 25 ff.)
Die Stadt und ihre Bevölkerung besitzen damit lediglich die Funktion, die auch in einer Notsituation edle – und hier besonders: freigebige – Haltung der Protagonisten hervorzuheben. Dieses Motiv wird folgend noch verstärkt, als man Schiffe ausmacht, die den Hafen ansteuern. Die Stadt und die Burg Pelrapeire müssen also in der Nähe eines Flusses liegen. Burgherrn und Städter sausen zu den Schiffen, die nur Lebensmittel geladen haben: zwêne segele brûne die kôs man von der wer hin abe: die sluoc grôz wint vast in die habe. die kiele wârn geladen sô dês die burgær wurden vrô: sine truogen niht wan spîse. daz fuogte got der wîse. hin von den zinnen vielen und gâhten zuo den kielen daz hungerc her …
(200, 10 ff.)
Die Hafenanlagen sind damit trotz der andauernden Belagerung offenbar für sie erreichbar. Doch mit dem Eintreffen der dringend benötigten Lebensmittel gibt es Probleme: die hungernde Menge schickt sich an, die Schiffe zu plündern. Der Marschall der Burgherrin greift ein. Er stellt Schiffe und Kaufleute unter seinen Schutz und verbietet bei Todesstrafe jeden Übergriff. Die Kaufleute werden von ihm in die Stadt geleitet (vgl. 200,
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19 ff.). Dort entscheidet Parzival, dass der Preis der Lebensmittel verdoppelt werden soll. Die Kaufleute finden das übertrieben, doch die Waren werden auch unter dieser Bedingung tatsächlich verkauft (vgl. 200, 29 ff.). Die beschriebene Gier der Hungernden und die Veräußerung der Lebensmittel zu einem (zu) hohen Preis bieten ein durchaus realistisches Bild einer Stadt in Notzeiten,15 bilden jedoch auch hier wieder ‚nur‘ den Hintergrund dafür, das Verhalten der Edlen ins rechte Licht zu rücken. Nur ihr Eingreifen verhindert die Plünderung der Schiffe, sorgt für die Herstellung einer grundlegenden Ordnung und für eine Regelung der Lebensmittelverteilung. Die ausgehungerte Stadtbevölkerung tritt nämlich ungezügelt auf und zeigt sich nicht in der Lage, die Situation zu entspannen oder selbst angemessen zu organisieren. Dass dieser Stadtbevölkerung wenig Sympathien entgegen gebracht werden, wird auch aus der anschließenden Bemerkung ersichtlich, die zur betont vernünftigen, maßvollen und gesitteten Verteilung der Speisen, die Parzival unter den Edlen vornimmt (vgl. 201, 8ff.), in deutlichem Kontrast steht: den burgærn in die kolen trouf.16 ich wær dâ nu wol soldier: wan dâ trinket niemen bier, sî hânt wîns und spîse vil.
(201, 4 ff.)
Die städtische Bevölkerung gewöhnt sich nach Eintreffen der Lebensmittel nicht etwa vorsichtig wieder an die Nahrungsaufnahme. Vielmehr troff es (das Bratenfett) in die Glut ihrer Herdstellen, eine Wendung, die ebenso Unmäßigkeit ausdrückt wie die Aussage, dass in der gerade der Hungersnot entronnenen Stadt niemand etwa Bier trank, sondern sich an Wein und üppiger Speise labte. Spitz setzt der Autor hinzu, dass er angesichts dieser Verhältnisse gern (als Söldner) im Dienste der Stadt stände. In dieser Belagerungs-Episode werden, da das Bild der Stadt und ihrer Bewohner gezielt als Kontrast zur höfischen Haltung und Lebensweise entworfen wird, die in normalen Zeiten üblichen Lebensverhältnisse der burgære ausgeblendet. Bemerkenswert ist, dass Wolfram die Hofgesellschaft im ‚Willehalm‘ einmal von der Burg aus zum Essen in ‚die Stadt‘ (Orange) verlegen lässt: den vürsten was daz kunt getân und andern ir werden man, si solten enbîzen in der stat. 15
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(244, 1 ff.)
Vgl. zur Teuerung von Lebensmitteln als Anzeichen für Mangel und Hunger unten im Anhang Abschnitt V Das Subjekt, das im Text fehlt, muss sich der Hörer oder Leser offenbar hinzudenken
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Wohin sich die Gesellschaft dort begibt und wie sich das enbîzen in der Stadt vollzieht – ggf. auch im Kontrast zur höfischen Gewohnheit –, wird folgend nicht erwähnt. Diese kurze Passage setzt jedoch voraus, dass es möglich war, in einer Stadt zum Essen einzukehren. Dass Wolfram diesem, zur üblichen höfischen Gastfreundschaft nicht ganz passenden Verfahren keinen Kommentar folgen lässt, könnte darauf hinweisen, dass das Publikum es weder für sonderlich ungewöhnlich noch für ungebührlich gehalten haben mag. Weit zuvor wird Willehalm vom Kaufmann Wîmâr aufgesucht und in dessen Haus eingeladen. Da der koufman von der stat kam (130, 17), findet die Einladung, die Willehalm annimmt, denn auch dort in seinem Hause statt, obwohl dies nicht eigens erwähnt wird. Wîmâr erweist sich als vorzüglicher Gastgeber, der Willehalm nicht nur einen bequemen Sitzplatz, sondern auch eine Reihe köstlicher Speisen und Getränke anbietet: nû het der wirt daz geboten, daz was gebrâten und gesoten vil niuwer spîse reine, vische und vleisch gemeine, beidiu daz wilde und ouch daz zam. der wirt die kost an sich sô nam, solt’z im loesen sînen lîp, sône möht er selbe und ouch sîn wîp des nimmer baz genemen war, dô bereite man mit zühten dar und rihte eine tavelen kleine dem marcrâven eine. dô der sîne hende getwuoc, der wirt vür in mit zühten truoc nâch koufmannes prîse maneger slahte spîse, gesoten und gebrâten. swelh arman sô berâten waere, vür guot er’z naeme. sölh trinken, daz gezaeme dem keiser ze bieten
(133, 11 ff.).
Der Kaufmann lässt für Willehalm nicht nur verschiedene, sondern auch sehr erlesene Gerichte auftragen, genannt werden ein Pfau in einer ‚nach Hausrezept‘ des Gastgebers besonderen Sauce, ein Kapaun, ein Fasan und verschiedene Fischsorten (vgl. 134, 9 ff.).
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Diese Szene wird durch Wolfram jedoch nicht so ausführlich entworfen, um etwa die Lebensumstände des Kaufmanns zu beschreiben. Ein wohlhabender Kaufmann als Gastgeber bot erzählerisch vielmehr die Möglichkeit, halbwegs glaubwürdig ein auch nach höfischer Auffassung reiches und angemessenes Festmahl auszurichten. Wîmâr wird überdies in seinem Verhalten so beschrieben, dass er sich edel und angemessen zu benehmen und auch zu sprechen weiß, was sich dadurch erklärt, dass er einer Adelsfamilie entstammt (vgl. 131, 1). Der reiche Kaufmann und die prachtvolle Bewirtung bilden jedoch lediglich ein erzählerisches Element, um den Kern der Episode kontrastierend hervorzuheben: der schwermütige Willehalm, der ein Gelübde abgelegt hat, schlägt die erlesenen Speisen nämlich aus, er bittet Wîmâr vielmehr um Brot und Wasser: der wirt wol hôrte unde sach, daz er von trûren ungemach dennoch pflac und het erliten. ern wolt in dô niht vürbaz biten, deheiner bezzeren spîse leben. er begunde im hertiu wastel geben und trinken, des diu nahtegal lebt, dâ von ir süezer schal ist werder, dann ob sî al den wîn trünke, der mac ze Bôtzen sîn.
(136, 1 ff.)
Wîmâr kommt der Bitte seines Gastes nach und bewirtet ihn mit hartem Kleingebäck und Wasser, das Wolfram wiederum nicht unkommentiert lässt: das reine Wasser lässt immerhin die Nachtigall süßer singen als wenn sie allen Wein tränke, der sich in Bozen findet. Die Episode zieht ihren Reiz aus der ‚ideell verkehrten Welt‘, die hier entworfen wird, indem der städtische Kaufmann ein Festmahl ganz in höfischer Manier ausrichtet und der edle Willehalm sich nicht etwa reichlich bedient oder bedienen lässt, sondern in Verzicht übt. Sein Verhalten ist nur deshalb nicht unhöflich, weil er sich auf sein Gelübde beruft. Vor diesem Hintergrund bietet die Szene vielleicht einen Anhalt dafür, dass man sich reiche Kaufleute mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten vorstellen konnte, ein umfangreiches Gastmahl in passender Atmosphäre auszurichten, ihrer Intention und Anlage nach ist sie jedoch wohl nur bedingt geeignet, als Hinweis auf die ‚übliche Lebensform‘ auch ‚betuchter‘ Städter interpretiert zu werden. Einen für die mittelhochdeutsche Dichtung ungewöhnlichen, weil bürgerlichen Protagonisten lernen wir mit dem ‚guoten Gêrhart‘ Rudolfs von Ems kennen. Der Kölner Kaufmann genießt nicht nur einen ausgesprochen guten, sondern auch weit im Land bekannten Ruf. Daher reist selbst
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der Kaiser Otto17 nach Köln, um Gerhart kennen zu lernen. Bei einem arrangierten Treffen bittet der Kaiser Gerhart zu erläutern, was seinen besonders guten Ruf begründe und warum er ‚der Gute‘ genannt werde. Gerhart antwortet bescheiden und gibt zunächst nur an, dass er eben dort helfe und auch einspringe, wo es nötig sei (vgl. 919 ff.). Kurz darauf führt er doch etwas aus: Wolt ich tuon iht guotes, diu krankheit mînes muotes nam mir den guoten willen abe sô gar daz ich mit kranker habe den armen vreut in sîner nôt. sûrez bier und roggîn brôt was mîn almuosen für mîn tôr, swenn ich den armen sach davôr mit kumberlîchen nœten sîn.
(V. 941 ff.)18
Gerhart spielt seine persönlichen Motive und sein finanzielles Vermögen herunter, als er berichtet, dass er arme Menschen, die vor seine Tür kom-
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Um welchen Kaiser dieses Namens es sich handelt, wird durch Rudolf von Ems nicht kenntlich gemacht. Seine reichspolitischen Aktivitäten und insbesondere die im Text diesem Kaiser zugeschriebene Gründung des Bistums Magdeburg weisen deutlich auf Kaiser Otto I. (912–973), vgl. Wolfgang Walliczek s.v. Rudolf von Ems in: VL Bd. 8 (1992), Sp. 322–345, hier: Sp. 327. Dabei läge der ‚Welfenkaiser‘ Otto IV., der 1218 starb, der Entstehungszeit von Rudolfs Dichtung (etwa 1220/1225) näher. Er hätte – wenn für (einen Teil von) Rudolfs Publikum ‚logische‘ Bezüge denn überhaupt eine Rolle spielten – den Kölner Kaufmann Unmaze (zu dem die Dichtung, wie noch zu zeigen sein wird, einige Bezüge aufweist) zu Lebzeiten durchaus treffen können, außerdem verfügte Otto IV. über hervorragende Verbindungen nach England, das, wie Rudolfs Text ausweist, auch für den ‚guoten Gêrhart‘ eine wichtige Rolle spielt. Diesen Bezug will auch Walliczek (1992), Sp. 329 nicht ausschließen: „Wenn R.s ‚GG‘ … vor allem in seinem Anspruch als Fürstenunterweisung bestätigt wird, so hat BLECK (1985) die These aufgestellt, er sei als ‚Propagandadichtung im staufisch-welfischen Thronstreit‘ verfaßt worden. Ob R. allerdings mit Kaiser Otto nun Otto IV. angesprochen wissen wollte, der nach G.s Vorbild zum demütigen Verzicht seiner Ansprüche gegenüber Friedrich II. habe bewogen werden sollen – diese Frage wird die Forschung … weiterbeschäftigen“ In der Übersetzung etwa: ‚Wollte ich jemals etwas Gutes tun, war es meine schwache Gesinnung, die mir den guten Willen abnahm (ihn nicht erforderlich machte), sodass ich mit meinem geringen Besitz dem Armen in seiner Bedürftigkeit helfen konnte. Sauerbier und Roggenbrot waren vor der Tür mein Almosen, wenn ich einen Armen mit seinen kummervollen Nöten davor (erscheinen) sah‘, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1707 f. s.v. kranc: „kraftlos, leibesschwach, schwach im allgemeinen sinne“ sowie Sp. 1708 s.v. krancheit: „schwäche, schwachheit, … geringheit, … dürftigkeit“
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men, mit saurem Bier und Roggenbrot versorgt, er hält die Gabe von Almosen an die Armen für selbstverständlich. Der Kaiser ist mit dieser Erklärung noch nicht zufrieden. Er fasst nach, und Gerhart berichtet ihm von seinen mit dem Schiff unternommenen, weiten Kaufmannsreisen, u. a. in den Orient, wo er ebenfalls sehr großzügige und ehrenhafte Wohltaten vollbrachte. Ausführlich wird auch die Hochzeit behandelt, die Gerhart für seinen Sohn ausrichtet. Es ist ein geradezu fürstliches Fest, zu dem auch der Bischof und reiche Herren geladen sind (vgl. V. 3435 ff.). Es gibt Musik und Turnierspiele, am Tag nach dem Turnier ein großes Festmahl, bei dem die Sitzordnung der Gäste breit ausgeführt wird (vgl. V. 3665 ff.) und es auch nicht an truhsæzen unde schenken fehlt (V. 3687). Als Gastgeber kümmert sich Gerhart aufmerksam auch selbst um das Wohl seiner Gäste (vgl. V. 3704 ff.). Zu der noblen Gesellschaft stößt ein weinender, ärmlich erscheinender junger Mann, der zunächst für einen Pilger gehalten wird. Freundlich wird er aufgenommen, und es stellt sich heraus, dass es sich um den edlen Wilhelm von England handelt, der schiffbrüchig wurde und sich nun auf der Suche nach seiner Gefolgschaft befindet. Gerhart nimmt Wilhelm auf und kleidet ihn neu ein (vgl. V. 3795 ff.), an der Festtafel lässt er seinen neuen Gast aufmerksam bedienen: ich hiez die truhsæzen daz sî des niht vergæzen sî dienten müezeclîchen dar.
(V. 4525 ff.)
Die für Wilhelm glückliche Wendung ist komplett, als er in Gerharts Haus seine Verlobte wiedertrifft, die, weil sie Wilhelm verloren hatte, nun schon eine Weile bei Gerhart lebte und die Gattin seines Sohnes werden soll. Nobel treten Gerhart und sein Sohn von ihren ‚Ansprüchen‘ zurück, es heiraten die schon früher Verlobten, einem Freudenfest folgt die Abreise, für die Gerhart ein am Rhein bereit liegendes Schiff großzügig mit allem ausstattet, was die Annehmlichkeit der Reise fördert. Er berichtet davon: dô hiez ich tragen an den Rîn kleider unde spîse vil. … spîse und geræte, kulter, teppich, bette genuoc man an daz schif vil rîche truoc.
(V. 5194 ff.)
Wilhelm kehrt glücklich nach England zurück, später fährt Gerhart nach London und wird dort von Wilhelm dankbar aufgenommen. Der Kaiser
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versteht schließlich, warum Gerhart ‚der Gute‘ genannt wird und befindet, der Kaufmann trage seinen Beinamen zu Recht. Für das damalige Leben in einer Stadt, nicht nur in Köln als der im Hochmittelalter größten Stadt des deutschen Sprachraums, treffend darf vielleicht die Spendengabe gelten, die Gerhart dem armen Volk reichen lässt: saures Bier19 und Roggenbrot. Wie zuvor bereits im ‚Willehalm‘ ist es auch bei Rudolf von Ems der reiche Kaufmann, der seine edlen Gäste nicht nur fürstlich bewirtet, sondern im Falle Gerharts auch sehr großzügig beschenkt. Auch Rudolf von Ems geht es bei seiner Schilderung der Taten des zu großem Wohlstand gelangten Kölner Bürgers jedoch nicht um die Dokumentation von dessen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder dessen tatsächliche Lebensverhältnisse: „Nach Peters ist die Beispielgeschichte vom Kaufmann Gerhard ‚funktional in eine spezifische Adels- bzw. Fürstenlehre eingebunden‘, woraus sie schließt, daß sich der Dichter ‚ganz offensichtlich nicht für die Stadt und ihre Bewohner interessiert‘.“20 Es sind vielmehr Gerharts Gastfreundschaft, seine Freigebigkeit, innere Haltung, Demut und Bescheidenheit, die hervorgehoben werden sollen. Der Besuch des Kaisers Otto, der den erzählerischen Rahmen bildet, vollzieht sich nämlich nicht grundlos: Otto selbst hatte nach Stiftung des Erzbistums Magdeburg wissen wollen, wel19
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Für ‚Sauerbier‘ ließ sich in verschiedenen beigezogenen Wörterbüchern keine Erklärung finden. Auch die geläufige Redewendung ‚etwas anbieten wie Sauerbier‘ wird in Nachschlagewerken nicht dahingehend aufgelöst, dass sich das ‚saure Bier‘ schlüssig erklären ließe. Die Kombination einer Erläuterung zu dem Sprichwort im InternetInformationsdienst ‚Wikipedia‘ (unter dem Stichwort ‚Sauerbier‘) und einer Website für Hobbybrauer scheint mehr Klarheit zu bringen. Demnach geht das Sprichwort auf das im Mittelalter übliche öffentliche Ausrufen eines gerade fertig gebrauten Bieres zurück. Die auch heute noch negative Konnotation von ‚Sauerbier‘ wäre damit jedoch weiter offen. Die Hobbybrauer tauschen sich im Internet darüber aus, dass Bier unter mangelnden hygienischen Bedingungen und besonders, wenn man es über längere Zeit (Wochen) offen stehen lässt, von Lactobazillen befallen wird, die es sauer machen (und bei empfindlichen Menschen auch allergische Reaktionen auslösen können). Das ‚saure Bier‘ wäre damit eine Bezeichnung für altes, länger abgestandenes und damit qualitativ (stark) beeinträchtigtes Bier. Dass dies, sobald frisch gebrautes, qualitativ besseres Bier angeboten wurde, wohl nur schwer absetzbar war, leuchtet unmittelbar ein. Zu dem von Gerhart an die Armen ausgegebenen, ‚gewöhnlichen‘ Roggenbrot passt dieses Sauerbier, eine angesichts seines Reichtums besonders großzügige Gabe stellt diese Kombination allerdings nicht dar. Sie dürfte immerhin nahrhaft und sättigend gewesen sein Sonja Zöller: Kaiser, Kaufmann und die Macht des Geldes. Gerhard Unmaze von Köln als Finanzier der Reichspolitik und der „Gute Gerhard“ des Rudolf von Ems. (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur. Bd. 16). München 1993, S. 171
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chen Lohn er im Jenseits für diese gute Tat erwarten dürfe. Ein daraufhin vom Himmel gesandter Engel warnt ihn wegen dieser Vermessenheit und rät ihm, den in Demut vorbildlich lebenden Gerhart aufzusuchen. Es ist der Bürger Gerhart, der sich ein in sämtlichen Belangen ‚fürstliches‘ Leben leisten kann und der sich auch in der höfischen Lebensweise formvollendet bewegt, der sich schließlich in Haltung und Taten als wahrer Edelmann erweist, nicht etwa der Kaiser, dessen hoher Adel eine entsprechend noble Haltung hätte erwarten lassen. Insofern ist es auch bei diesem Beispiel erst die ‚verkehrte Welt‘, die die Didaxe der Erzählung hervorhebt. Nur aus dieser Perspektive ist auch nachvollziehbar, dass die ‚höfische Lebensweise‘ eines Kölner Bürgers in der Erzählung nicht etwa Anlass zur Kritik bietet, sondern vielmehr als beispielhaft vermittelt wird.21 Bemerkenswert ist dies auch, weil der Kölner Kaufmann Gerhart nicht etwa eine Phantasiefigur ist, sondern in der historischen Person des Kaufmanns Gerhard Unmaze konkret greifbar ist. Gerhard Unmaze ist der im 12. Jahrhundert durch eine Reihe von Urkunden und andere Belege am besten dokumentierte und daher bekannteste Bürger Kölns.22 Er hatte nicht nur bereits ein Vermögen geerbt, er konnte dieses Vermögen durch Fernhandelsgeschäfte, Geldverleih und die Erweiterung seines Haus- und Grundbesitzes23 auch so immens vermehren, dass sich sogar die englische Krone Geld von ihm lieh und in seiner Schuld stand.24 Der erhebliche politische Einfluss, den Gerhard Unmaze daher besaß und zur Stärkung der Bedeutung Kölns nachweislich auch nutzte, wurde durch eine Reihe öffentlicher Ämter und die ihm 1174 übertragene Zollverpfändung noch verstärkt.25 Die an verschiedenen Zollstellen – besonders am Rhein entlang – durch Handeltreibende zu entrichtenden Zölle wurden seinerzeit durch Naturalienabgaben, besonders durch Wein und Pfeffer, aber auch durch Honig geleistet,26 womit Gerhard Unmaze, der diese umfangreichen Einnahmen sicher auch weiter veräußerte, auch als Fern- und Großhändler von Lebensmitteln fassbar wird. Die von Gerhard Unmaze bekannten Lebensumstände rücken den Kaufmann denn durchaus ganz in die Nähe der ‚ritterlichen Sphäre‘, sei es 21
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Zu den verschiedenen Interpretationen der erzählerischen Intention Rudolfs – von religiös motivierter Legende über Adelskritik bis hin zur Kritik am Aufstieg des städtischen Bürgertums vgl. Zöller (1993), S. 167ff. („Der ‚höfische‘ Kaufmann Gerhard“) Vgl. Zöller (1993), S. 23 ff. Vgl. Zöller (1993), S. 56 ff. Gerhard Unmaze besaß nicht nur mehrere Häuser in Köln, sondern auch Ländereien und Weinberge, deren Erträge – Getreide und Wein – er wahrscheinlich auch in den Handel brachte Vgl. Zöller (1993), S. 109 ff. und S. 312 ff. Vgl. Zöller (1993), S. 29 ff. und S. 45 ff. Vgl. Zöller (1993), S. 39
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durch seine Wohltätigkeit, sei es dadurch, dass er seinen Reichtum und seinen Einfluss nutzte, um mit dem Hochadel, den Mächtigen seiner Zeit zu verkehren, politische Verbindungen aufzubauen und auch Verbindlichkeiten zu schaffen, selbst Fehden – z. B. zur Sicherung von Handelsinteressen – auszutragen: „Gerade bei den reichen Kaufleuten, die in der Stadt arriviert waren und das Stadtregiment unter sich aufteilten, zeigt sich ein Repräsentationsverhalten nach innen (unter sich und gegenüber der Gemeinde) wie nach außen (in der Darstellung der Stadt gegenüber den Mächtigen, mit denen Verträge abzuschließen waren), das sich nicht von der ritterlich-adligen Selbstdarstellung unterschied.“27 Sein Beiname ‚Unmaze‘, den bereits sein Vater trug, passt jedoch nicht in dieses Bild, denn unmâze kann nicht nur als ‚außerordentlich, unvergleichlich‘, sondern eben auch als ‚maßlos‘ übersetzt werden, „wobei die moralisch abwertende Bedeutung wohl immer mitgedacht worden sein dürfte.“28 Fragen zum Realitätsbezug der in der Dichtung vorkommenden Schilderungen bleiben jedoch auch vor diesem Hintergrund weitgehend offen. „Im Bild des ‚höfischen Kaufmanns‘, wie es in der Figur des Kölner Kaufmanns im ‚Guten Gerhard‘ oder des Kaufmanns Wîmar in Wolframs ‚Willehalm‘ erscheint, kommt … weder der angebliche soziale Aufstieg des handeltreibenden Bürgers zum Ausdruck, noch stellt es eine bloße literarische Fiktion dar.“29 Bei Rudolf von Ems ist es schließlich das auch religiös motivierte, lehrreiche Beispiel, das in den Vordergrund rückt, sein ‚Guter Gerhart‘ ist „‚von einer moralischen und sozialen Perspektive bestimmt …, die der Stadt bzw. dem Patriziat als sozialgeschichtlichen Faktoren keinen Raum läßt‘.“30 Ausschnitthafte Einblicke in die Welt außerhalb der höfischen Sphäre gewähren besonders Mären,31 mittelhochdeutsche Kleindichtungen, in de27 28 29 30 31
Zöller (1993), S. 88 Zöller (1993), S. 24 Zöller (1993), S. 100 Zöller (1993), S. 170 Einer schon älteren Definition zufolge ist ein Märe „eine in paarweise gereimten Viertaktern versifizierte, selbständige und eigenzweckliche Erzählung mittleren (d.h. durch die Verszahlen 150 und 2000 ungefähr umgrenzten) Umfangs, deren Gegenstand fiktive, diesseitig-profane und unter weltlichem Aspekt betrachtete, mit ausschließlich (oder vorwiegend) menschlichem Personal vorgestellte Vorgänge sind“, so Hanns Fischer: Studien zur deutschen Märendichtung. Tübingen 1968, S. 62f. Mären können Fischer zufolge verschiedene Grundtypen aufweisen und schwankhaft, höfisch-galant oder moralisch-exemplarisch ausgerichtet sein. In jüngeren Arbeiten wird diese Definition teils angezweifelt, teils ergänzt. Der einschlägige, von Klaus Grubmüller herausgegebene, übersetzte und kommentierte Band: Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. (Bibliothek des Mittelalters. Bd. 23). Frankfurt/M. 1996, war während der Erstellung der Druckfassung leider nicht erreichbar
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nen regelmäßig auch Protagonisten auftreten, die nicht der adligen Gesellschaft angehören. Ihre Handlung wird zwar meistens nicht genauer lokalisiert, sondern an Typen wie ‚Bauer‘, ‚Pfaffe‘, ‚Frau‘ oder auch ‚Ritter‘ und beispielhaften Szenen festgemacht (die besonders um Eigenschaften wie gut, böse, geizig, freigebig, dumm oder klug/findig, ehrlich oder lügnerisch kreisen), doch weisen manche dieser Texte – z. B. durch die gelegentliche Erwähnung von Tavernen oder Schenken und auch eines Marktes – eher auf städtische als auf ländliche Siedlungen als Ort des Geschehens hin. In dem ‚Drei listige Frauen I‘32 betitelten Märe berichtet eine der Frauen, dass man am Freitag wirklich guten Fisch gehabt habe. Ihr Mann jedoch zeigt sich missmutig, sie versucht, ihn aufzumuntern: ich begund in trœ¢ten: ‚¢ol ich dir die vi¢sche rœ¢ten‘, ¢prach ich, ‚min vil lieber knabe?‘ al¢us gienc ich ¢a hinabe nider zuo der glüete.
(V. 113 ff.)
Die Frau brät den Fisch – dass sie sich dazu zur Glut des Küchenfeuers hinabbeugen muss, unterstreicht ihre Mühe – und serviert ihn ihrem Mann, der jedoch nicht essen mag. Enttäuscht nimmt sie den Fisch wieder fort, stellt ihn oben auf den Türrahmen und verlässt das Haus: do fazt ich den gebraten vi¢ch hin uf daz übertür und gienc ich selbe da vür uzen an die ¢welle.
(V. 126 ff.)
Um ihren mürrischen Mann zu bestrafen, lässt sich die Frau von ihrem Geliebten abholen, bleibt eine Woche lang fort, um ihrem Mann am nächsten Freitag den Fisch von der Vorwoche gewärmt wieder vorzusetzen (vgl. V. 138 ff.). In einem anderen Maere bildet das Essen nicht den Grund einer Verstimmung, sondern wird aufgetragen, um eine versöhnliche Stimmung zu befördern. In ‚Die Gevatterinnen‘33 haben sich zwei sonst unzertrennliche Freundinnen zerstritten. Der Mann der einen befragt seine Frau zu dem 32
33
Zitiert wird nach Neues Gesamtabenteuer. Das ist Fr. H. von der Hagens Gesamtabenteuer in neuer Auswahl. Die Sammlung der mittelhochdeutschen Mären und Schwänke des 13. und 14. Jahrhunderts. Erster Band herausgegeben von Heinrich Niewöhner. Zweite Auflage herausgegeben von Werner Simon mit den Lesarten besorgt von Max Boeters und Kurt Schacks. Dublin/Zürich 1967, hier: Nr. 17 Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 3
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Vorkommnis und weist den Knecht an, ihr Brot, Wein, Met und was die Küche sonst hergeben mag aufzutragen, damit sich ihre Laune bessere: der wirt nider ¢az und vragte ¢i der mære wie ir ge¢chehen wære. ¢waz er ¢i gevraget ie, ein wort en¢prach ¢i nie und zurnte gar ¢er. er hiez tragen win und brot her. ‚und ¢waz wir in der küchen han daz ¢ol hie vor uns ¢tan‘, ¢prach er zuo dem knehte ¢in. ‚¢chenk in met unde win! liebiu frouwe, gehab dich wol! al din leit ich rechen ¢ol. iz und trinc des be¢ten! laz allen unmuot re¢ten!‘
(V. 100 ff.)
‚Die böse Adelheit‘34 ist eine Bauersfrau vom Lande, die ihren hungrigen Mann zur Essenszeit partout nicht beköstigen will. Seine Bitte um Essen schlägt sie mit spitzen Bemerkungen aus (vgl. V. 11 ff.). Ihr Mann besitzt noch ein paar Münzen, mit denen er im Dorf Brot kaufen will, um seinen Hunger zu stillen. Seine Frau will jedoch lieber nach – dem hier namentlich einmal erwähnten – Augsburg, um auf dem dortigen Markt von seinem Geld einen blauen Rock zu kaufen. Tatsächlich machen sich beide auf in die Stadt. Der Mann, immer noch vom Hunger geplagt, möchte lieber nach Hause zurück und bittet sie, doch wenigstens ein Roggenbrot zu kaufen. Die Küche daheim gebe ja auch nichts her, und er benötige nicht viel, zum Trinken genüge ihm Wasser vollkommen: er ¢prach: ‚liebe Adelheit, wollen wir iht ¢chiere heim?‘ ¢i ¢prach aber: ‚neina nein!‘ ‚¢o kouf uns ein rockebrot! im hu¢e i¢t uns maneges not. des ¢chœnen han ich keine pfliht. ich will ouch hinz dem wine niht. win ich niht trinken ¢ol, wazzer tuot mir al¢o wol.‘ 34
Vgl. Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 4
(V. 108 ff.)
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Adelheit hat jedoch vor, die Annehmlichkeiten der Stadt in vollen Zügen zu genießen. Sie will es sich gut gehen lassen und antwortet ihrem Mann deshalb: ¢i ¢prach: ‚wær ez din grimmer tot, du muo¢t ezzen weizbrot
und trinken den besten win ¢o er iendert hie mac sin.‘
(V. 117 ff.)
Er lässt sich überreden, und tatsächlich kehren die beiden ein, lassen sich Essen und Wein kommen. Die Geschichte nimmt ein böses Ende, weil Adelheit zu viel trinkt und die Strafe für ihr Verhalten dadurch findet, dass sie in den Lech fällt und ertrinkt (vgl. V. 144 ff.). Auch in ‚Der Wirt‘35 ist es wohl eine städtische Siedlung, in der man sich sein Gasthaus vorstellen darf. Wie aus verschiedenen Passagen hervorgeht, ist hier der Wirt nicht generell als (privater) Gastgeber gemeint, sondern als jemand, der gewerblich eine Wirtschaft betreibt, in der er (u. a.) Wein verkauft: der wirt we¢t niht als umm ein har warumm ¢i waren komen dar, an ob ¢i wolten trinken da den win den er verkoufte ¢o.
(V. 275 ff.)
Wie aus einer Unterhaltung der Gäste hervorgeht, gibt es auch eine auf der Diele eingerichtete Schankstube: ‚… ¢waz man halt ¢ag von vrouwen lon, wir kern uns an daz tanzen niht ¢wenn uns der wirt niur gerne ¢iht trinken an dem tennen ¢in. Wirt, werder man, nu trac her win!‘
(V. 290 ff.)
Der Wirt geht daraufhin in den Keller (vgl. V. 296), um etwas von seinen dort gelagerten Weinvorräten zu holen. Gasthäuser, in denen man übernachten – und später auch essen und trinken – konnte, entwickelten sich im Hochmittelalter erst allmählich. Reisende waren deshalb lange auf die Beherbergung in Klöstern, Hospizen und auch in größeren Adelshäusern, durch Kaufleute, Bauern, Fischer und auch Fährleute angewiesen.36 Die uneingeschränkte (und unentgeltliche) 35 36
Vgl. Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 19 Besondere Einblicke in die Gastlichkeit und in verschiedene ihrer Ausdrucksformen (gemeinsames Mahl, Minnetrinken, Begrüßung, Einladung, Abschied und auch Ver-
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Beherbergung reisender Gäste war nicht nur aus religiösen Gründen angezeigt,37 sie bildete auch eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Mobilität stattfinden konnte in einer Zeit, die Hotels und andere gewerbliche Herbergen erst in Ansätzen kannte.38 Häuser, in denen man gegen Bezahlung nicht nur übernachten konnte, sondern auch Verpflegung erhielt, treten erst seit dem 12. Jahrhundert im Zuge „einer wachsenden Kommerzialisierung der Gastlichkeit immer deutlicher in Erscheinung“.39 Lange jedoch bleibt es üblich, dass sich die zahlenden Übernachtungsgäste selbst auf dem städtischen Markt oder bei Bauern mit Verpflegung versorgen.40 Tavernen, die ausschließlich als Schankwirtschaften betrieben wurden, in denen aber auch Nahrungsmittel verkauft werden konnten, gab es entlang der bedeutenden Handelsrouten, besonders aber auch an Flussübergängen und Häfen und damit oft in den städtischen Siedlungen. Sie genossen offenbar keinen guten Ruf, denn reisenden Klerikern wurde seit der Zeit vor der Jahrtausendwende wiederholt eingeschärft, sich keinesfalls dorthin zu begeben.41 „Doch scheint der Tavernenbesuch nicht nur bei der Geistlichkeit, sondern auch im Adel und bei Kaufleuten bis ins Spätmittelalter verpönt gewesen zu sein. Sowohl in der französischen als auch in der deutschen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts findet sich nur einfaches Volk in der Taverne oder im lithus ein, und es gilt als unritterlich, sich dorthin zu begeben.“42 Mit Blick auf die zuvor beleuchteten Texte ließe sich vermuten, dass der im 13. Jahrhundert auch in verschiedenen Städten aufkeimende Literatur-
37
38
39 40 41 42
stöße gegen diese wichtigen Rituale) bietet bereits die vom Ende des 11. Jahrhunderts stammende, lateinisch verfasste Ruodlieb-Dichtung, vgl. Peyer (1987), S. 28 ff. Kaufleute, Fischer und Fährleute werden auch in der mittelhochdeutschen Epik öfter als Gastgeber genannt, so im ‚Nibelungenlied‘ oder in Wolframs ‚Willehalm‘ Das Gewähren der Gastfreundschaft wird in der Bibel verschiedentlich erwähnt, z. B. heißt es im Hebräerbrief 13,2: „Gastfrei zu sein vergeßt nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt“, vgl. Peyer (1987), S. 3 Beschwerlich war das Reisen dennoch, zumal es bei großen Veranstaltungen, Märkten oder Messen, auch auf Pilgerfahrt oder Geschäftsreisen vorkam, dass es für viele Menschen keine ausreichenden Unterkunftsmöglichkeiten gab. Sie mussten dann in behelfsmäßig in Kirchen, aber auch im Wald und im Freien übernachten. Zeitgenössische Berichte darüber bietet Peyer (1987), S. 52 ff. Peyer (1987), S. 52 Vgl. Peyer (1987), S. 54 ff. Vgl. Peyer (1987), S. 79 f. Peyer (1987), S. 80, zu lithûs vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1940: „schenke, wirtshaus“. Die Textstelle aus dem ‚Renner‘, die Peyer in diesem Zusammenhang anführt, bezieht sich jedoch auf eine Szene unter Bauern. Sie enthält keine Hinweise darauf, dass der Besuch einer Taverne für einen Ritter unangemessen war
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betrieb in spezifisch ‚urbanen‘ Stoffen und Formen seinen Niederschlag gefunden hätte. Bemerkenswerterweise wirkte sich die allmähliche Ausdehnung der zeitgenössischen Literaturproduktion und deren Rezeption in den ‚außerhöfischen Bereich‘ jedoch nicht dahingehend aus, dass dieser Lebensbereich auch in den Blick der einschlägigen Dichtungen geriet. Zwar wurde verschiedentlich vermutet, dass gerade Mären, insbesondere in ihrer schwankhaften Form, auf ein bürgerliches Publikum weisen, doch ließen sich derartige Überlegungen nicht wirklich erhärten.43 Insgesamt orientierte sich der städtische Literaturbetrieb dort, wo er konkreter für uns greifbar wird, an den Formen, Stoffen und Motiven der höfischen Literatur bzw. kopierte das literarische Leben des Adels.44 Wie bereits oben skizziert, fehlt damit ein Bild, gar die Reflexion der eigenen oder umgebenden und damit beobachteten Lebensverhältnisse in der städtischen Literaturproduktion des Hochmittelalters.45 Die mittelhochdeutschen Predigten aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, die von dem Franziskanermönch Berthold von Regensburg überliefert sind,46 gehören zwar nicht zum Kreis zeitgenössischer Dichtung, doch wurden sie von dem rege Reisenden sicher oft vor größeren Menschenmengen und damit auf städtischen Märkten oder bei Veranstaltungen im Umfeld kirchlicher Festtage, z.B. auf Jahrmärkten oder kaufmännischen Messen, gehalten.47 Da er in seinen Predigten oft beispielhaft auf aktuelle Zustände in Stadt und Land eingeht (die er im Interesse seiner ‚Botschaft‘ sicher oft auch übertreibt), sind dadurch auch verschiedene, hier auf die Spitze getriebene Einblicke in die Lebensverhältnisse seiner Zuhörerschaft zu erwarten. Tatsächlich begegnen in den Predigten verschiedene Berufsstände, die in damaligen Städten verbreitet und auch mit der Produktion bzw. dem Vertrieb von Lebensmitteln befasst waren: die Kleinhändler (Prangerer, pfragener und pfra43
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Dies erörtert z. B. Hermann Henne ausführlicher am Beispiel des Strickerschen ‚Pfaffen Amis‘, vgl. Der Pfaffe Amis (1991), S. 115 ff. Vgl. mit Beispielen Bumke (2005), S. 675 ff., ebenso Rolf Sprandel: Gesellschaft und Literatur im Mittelalter. (UTB 1218). Paderborn/München/Wien/Zürich 1982, S. 179 ff. Dies wurde damit in Verbindung gebracht, dass das städtische Bürgertum nördlich der Alpen seine Rolle und sein Selbstverständnis erst im Spätmittelalter vermehrt auch in literarischer Form darstellen ließ, vgl. Sprandel (1982), S. 209 ff. Vgl. Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten mit Anmerkungen von Franz Pfeiffer. Mit einem Vorwort von Kurt Ruh. (Texte des Mittelalters). Berlin 1965 So verzeichnet das Itinerar Bertholds ab 1250 u.a. Aufenthalte in Nordbayern, in Speyer, im Elsass (Colmar), in der heutigen Schweiz, in Konstanz, in Österreich, Böhmen, Mähren und Thüringen, vgl. Kurt Ruh im Vorwort zur Textausgabe (1965), S. IXff.
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generinne, und Krämer),48 Müller,49 Getränke-/Weinhändler und Schankwirte (zapfenzieher, zapfenære),50 die Brotbäcker,51 Kaufleute52, Schlachter (fleischslahter)53 sowie, durch Beschreibung ihres Handelns erkenntlich, die Fleischund die Fischhändler.54 Berthold befasst sich recht konkret auch mit verschiedenen ihrer Tätigkeiten, so werden auch Nahrungsmittel wie Getreide, Brot, verschiedene Fleischsorten und -qualitäten, Fisch, Öl, Fett, Käse, Obst, Wein, Bier und Wasser genannt.55 Da es in seinen Predigten um eine fromme und gottgefällige Lebensweise geht, greift Berthold Bezüge zu aktuellen Zuständen jedoch fast nur mit Beispielen gravierenden Fehlverhaltens auf, mit denen er – nicht überraschend – hart ins Gericht geht. So sind es besonders die Betrüger, die Fälscher, Wucherer, die Gierigen oder Geizigen, auch die ‚Fresser‘ und ‚Säufer‘, deren Taten den Rechtschaffenen – und insbesondere den in Versuchung Geratenden – als abschreckendes Beispiel präsentiert werden.56 Dies lässt zwar kaum Schlüsse auf das alltägliche Leben und den ‚Regelfall‘ zu. Da sich Berthold jedoch ausgerechnet haben wird, bei seiner Zuhörerschaft mit diesen Beispielen besonderes Gehör zu finden, sind sie seinem Publikum wohl auch nicht fremd gewesen. Aus einigen Predigtpassagen wird ersichtlich, dass sich Berthold besonders auch an die ‚kleinen Leute‘ wandte, an die abhängigen Bediensteten größerer Haushalte. An sie ist der Rat gerichtet, Zurückhaltung zu üben, wenn sie etwa durch den Hausherrn aufgefordert werden, bei Tisch ‚ordentlich zuzugreifen‘. Berthold erklärt, dass der Hausherr diese Aufforderung kaum ehrlich meint, denn er erwartet, dass das Gesinde schnell isst und dann sofort aufsteht, um seiner Arbeit nachzugehen und ihm dadurch noch genug auf dem Tisch zurücklässt.57 48 49 50 51 52 53 54
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Vgl. Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 16, 39 und S. 17, 24 Vgl. Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 17, 4 Vgl. Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 17, 14 und 24 Vgl. Von den zehen geboten unsers herren, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 285, 13 Vgl. Von den fremeden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 216 Vgl. Von den zehen geboten unsers herren, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 285, 15 Von ruofenden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 86, 16 ff. und Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, S. 150, 33 ff. Dies zumeist mit unredlichen Handlungen, vgl. dazu unten im Anhang den Abschnitt VI mit Textauszügen Vergleichbar wird im geistlichen Spiel des Hochmittelalters agiert, das auch als eine „Fortsetzung der Klosterpredigt mit anderen Mitteln“ bezeichnet wurde, vgl. zum geistlichen Spiel Joachim Heinzle: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. II: Vom hohen zum späten Mittelalter. Teil 2: Wandlungen und Neuansätze im 13. Jahrhundert (1220/30–1280/90). Königstein 1984, S. 194 ff., Zitat: S. 204 Vgl. Von ruofenden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 91, 12 ff.
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Im Gegenzug werden aber auch die Hausherren ermahnt, ihre Dienerschaft anständig und ausreichend zu verpflegen. Nur so sei sie in der Lage, gleichbleibend gute Arbeit zu verrichten. Man solle ihnen deshalb keine ‚Mini-Portionen‘ oder einen schlichten Knochen, sondern große und gut gefüllte Schüsseln vorsetzen. Wer da (am falschen Ort) spare, solle die schmalen Portionen lieber selbst probieren oder seiner Familie bzw. seiner Katze vorsetzen: Unde sult in gar genuoc z’ezzen geben. Swenne sô ir wercliute habet unde diener unde dienerin unde die dir durch daz jâr dienent, den soltû grôze schüzzeln für setzen unde dar ûf gar genuoc legen, unde niht ein bein drûffe legen; wan dû sihst vil gerne daz si dir vaste wirken: sô soltû in gar genuoc geben. Sô setzest dû in eine schüzzeln für als einer katzen vaz. Gip dir selber ûf dîn katzenvaz oder dînen kinden oder dîner katzen! 58 Wie bereits erwähnt, geben die Beschreibungen, die Berthold zu Verhalten und Verhältnissen der Bevölkerung abgibt, ihre übliche Lebens- und Erfahrungssituation in der häuslichen Küche und bei Tisch sicher nicht wieder. Immerhin lässt sich aus seinen Beispielen ablesen, dass es eine ‚reguläre‘ und arbeitsteilig organisierte Lebensmittelbranche gab, die für die Versorgung der Bevölkerung einige Bedeutung besaß. Dafür, dass diese nicht durchweg knapp bemessen war, sprechen die abschreckenden Beispiele von Völlerei sowie die präsentierten Typen des ‚Fressers‘ und des ‚Trinkers‘,59 auch derer, die die Fastenzeiten nicht achten und sich stattdessen laufend ‚rundum satt‘ essen.60 Derartige Beispiele konnten wohl nur unter der Voraussetzung wirken, dass sie nicht vollkommen aus der Luft gegriffen waren.
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Von ruofenden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 90 f., 38 ff. In der Wahrnehmung der Menschen im Mittelalter waren Ausschweifungen wie das ‚Fressen und Saufen‘ stets mit der religiösen Sündenproblematik verbunden, so z. B. mit der Todsünde der luxuria, der Genusssucht bzw. einer allgemein zügellosen Lebensweise. Todsünden galten als besonders schlimm, weil sie als bewusste Abkehr von Gott bzw. einer gottgefälligen Lebensweise interpretiert wurden, die Höllenstrafen nach sich zog, vgl. hierzu F. Scholz s.v. Sünde in: Lexikon für Theologie und Kirche Bd. IX (1964), Sp. 1181 f. sowie allgemein L. Hödl unter dem Stichwort ‚Todsünde‘ in: LexdMA Bd. VIII (1997), Sp. 839 f. Vgl. Von fünf schedelîchen sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 430, 21 ff. und in demselben Band Von vier dingen, S. 560, 34 ff.
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6. Essen und Trinken in kirchlichen Kreisen 6.1 Der ‚Weltklerus‘ und sein Speisen nach literarischen Quellen In der Dichtung des Mittelalters begegnen Hinweise auf die Lebensgewohnheiten von Geistlichen besonders im Zusammenhang von Situationen, die sich außerhalb der Norm bewegen. Sie finden sich vor allem in der Kleindichtung. So nahm sich der Stricker öfter der Figur von Geistlichen an, die sich nicht regelkonform verhalten. Bereits oben wurde die Episode erwähnt, in der eine reiche Bäuerin die Abwesenheit ihres Gatten ausnutzt, um ihren Geliebten, einen Pfaffen, herbeizurufen und ihn nach einem Schäferstündchen auch reichhaltig zu bewirten.1 Der Geistliche macht sich dabei gleich zweier schlimmer Sünden schuldig: ganz offensichtlich des Ehebruchs und, in zweiter Linie, der Gier, die er nicht nur durch die Annahme, sondern auch durch den Genuss des opulenten Mahls im Bauernhause beweist.2 Der Pfaffe Amis,3 der – je nachdem, welcher Aufenthaltsort nach seinen Streichen der für ihn günstigere ist – des öfteren zwischen Klostergemeinschaft und ‚Welt‘ wechselt, erweist sich im Laufe seiner Abenteuer als weltlichen Gaumenfreuden sehr zugeneigt. Den König von Frankreich narrt Amis, indem er vortäuscht, ihm einen Saal seiner Residenz malerisch prachtvoll auszugestalten. Amis lässt sich in dem Raum, in dem dann nichts passiert, einschließen, dabei jedoch aufwändig bewirten:
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Vgl. oben S. 257 f.; das Motiv des mit einem Pfaffen betrogenen Bauern findet sich mehrfach, z. B. auch in der (anonymen) Kleinerzählung ‚Des Weingärtners Frau und der Pfaffe‘, vgl. Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 12 Auch hier wird auf eine Todsünde angespielt, die gula, die für Völlerei, Gefräßigkeit, Unmäßigkeit und Maßlosigkeit stand. Als besonders verwerflich musste es wirken, wenn sich ausgerechnet ein Geistlicher dieser Todsünde schuldig machte Zitiert wird hier und folgend: Der Pfaffe Amis von dem Stricker. Ein Schwankroman aus dem 13. Jahrhundert in zwölf Episoden. Herausgegeben und übersetzt von Hermann Henne. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Nr. 530). Göppingen 1991
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vleisch, vische, met und wîn und swar zuo in sîn wille truoc, des gap man im dar genuoc.
(V. 596 ff.)4
Eines seiner phantastischen Abenteuer führt Amis nach Konstantinopel. Dort fädelt er bei einem Händler einen betrügerischen Juwelenkauf ein, der mit Handschlag und Wein besiegelt wird: sus sluog er im in die hant. nâch guotem wîne wart gesant, den trunken sî.
(V. 2135 ff.)
In einer anderen Episode treibt Amis mit der Gutgläubigkeit und Frömmigkeit einer Bäuerin, die ihn als heiligen Mann verehrt, seinen Schabernack.5 Als er in ihr Haus kommt, verlangt er ihren Hahn zur Speise. Er verspricht, dass Gott der Frau dieses Opfer reichlich vergelten werde. Die Bäuerin lässt darauf den Hahn sofort schlachten, und Amis isst ihn ganz allein auf: der han wart vil schiere tôt. si beit kûme, unz er gesôt. den az er alterseine und behielt daz gebeine.
(V. 969 ff.)6
Einen zuvor gekauften Hahn, der dem der Bäuerin ähnlich sieht, lässt Amis noch in der Nacht auf dem Hof frei. Als der Hahn morgens kräht, glaubt die genarrte Bäuerin, dass ihr alter Hahn wieder auferstanden sei und ist von diesem ‚Wunder‘ beeindruckt. Ein ähnliches ‚Wunder‘ lässt Amis bei einem reichen, aber dummen Bauern geschehen, dem er an einem Freitag vor dem Besuch des Bauernhofes heimlich große, lebendige Fische in dessen Brunnen einsetzen lässt. Große, lebendige Fische begehrt Amis dann von dem Bauern als Gastmahl zubereitet zu bekommen. Als Lohn verspricht er ihm die ewige Seligkeit. Der Bauer wehrt ab: große, lebendige Fische habe man nicht, auch kein Geld, solche zu kaufen. Amis schickt ihn zum nächsten Wasser, dem Brun4
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Übersetzt etwa: Fleisch, Fische, Met und Wein und alles, was ihm sein Wille eingab, das wurde ihm dort ausreichend gegeben/serviert Der Pfaffe Amis (1991), Nr. V ‚Der auferstandene Hahn‘ Übersetzt etwa: Der Hahn war ziemlich schnell geschlachtet. Sie konnte beinahe nicht abwarten, bis er gar (durchgekocht) war. Er aß ihn ganz allein auf und behielt die Knochen, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 161 s.v. beiten: „zögern, warten, harren“, Sp. 1768 s.v. kûme, kûm: „mit mühe, schwerlich, beinahe nicht, kaum“ sowie Sp. 44 s.v. alterseine: „ganz allein, auf der welt … allein“
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nen, in dem der verdutzte Bauer die Fische dann vorfindet und fängt. So erschleicht sich Amis das Vertrauen des Bauern, den er anschließend betrügt.7 In einer anderen Kleindichtung8 erbeutet ein Ritter zwei Hasen. Dies ist seiner Ansicht nach eine gute Gelegenheit, sich bei einem Geistlichen für dessen zuvor genossene Einladung angemessen zu bedanken. Für das Gastmahl weist er seine Frau an: daz lamp, ¢chaf, gans, kitz, daz huon heiz bereiten und den antvogel!
(V. 20 f.)
Der Geistliche wird jedoch, als er vor der Tür steht, von der Hausfrau unter einem Vorwand wieder fortgeschickt. Sie hatte nämlich von vornherein vor, sich die Tafel mit ihren Gevatterinnen zu teilen. Als sich der Ritter wundert, wo denn der Geistliche bliebe, teilt sie ihm mit, dass er zwar vorgesprochen habe, dann jedoch mit den beiden erbeuteten Hasen allein wieder abgezogen sei. Der Ritter glaubt ihr diese Lügengeschichte, was darauf hinweist, dass sie ihm nicht allzu ungewöhnlich vorgekommen sein dürfte. Auf die seiner Ansicht nach zu materiell orientierte Kirche, deren Würdenträger es sich gut gehen lassen, während es die Bevölkerung schlecht habe, hat es Walther von der Vogelweide abgesehen. Er klagt das Kirchenoberhaupt in Rom an, wenn er schreibt: ir pfaffen, ezzent hüenr und trinkent win, und lant die tiutschen leien magern unde vasten. (11, 9 f.)9 Auf die Lebensverhältnisse und Speisegewohnheiten ‚einfacher‘ Priester in der Stadt und auf dem Lande lässt sich angesichts dieser poetischen Belege jedoch kaum schließen, geht es doch in der Dichtung darum, im Interesse der erzählerischen Absicht bestimmte Typen und Szenarien zu beschreiben. Der Alltag und das Gewöhnliche bleiben hier – wie schon in der höfischen Literatur – ausgeblendet. Aus anderen Quellen ist jedoch bekannt, dass die Tafel höherer kirchlicher Würdenträger durchaus opulent bestückt sein konnte. Die erhaltenen Wirtschaftsordnungen des Bamberger Domkapitels weisen aus, was die (durchweg hochadligen) Bamberger Domherren um 1200 täglich auf ihrer
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Der Pfaffe Amis (1991), Nr. VII ‚Der Fischfang‘ ‚Der Hasenbraten von dem Vriolsheimer‘, in: Neues Gesamtabenteuer (1967), Nr. 16 Walther von der Vogelweide: Sämtliche Lieder. Mittelhochdeutsch und in neuhochdeutscher Prosa. Mit einer Einführung in die Liedkunst Walthers herausgegeben und übertragen von Friedrich Maurer. (UTB 167). München 1995, S. 222; vgl. zur Kritik am Verhalten des Klerus, aber auch an dem des Adels in Zeiten des Mangels auch unten im Anhang den Abschnitt V
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gemeinsamen Tafel vorfinden sollten: „1. Gang: ‚tischgerichte‘. Trockenfleisch vom Schaf oder Schwein, oft kunstlos, ‚incomposite‘ zubereitet. 2. Gang: ein Zwischengericht, ‚intercalare‘. 3. Gang: ein Eintopf, ‚havenescen‘.10 4. und 5. Gang: die beliebten Innereien (‚darme et blezzen‘),11 im Sommer Kuttelfleck, im Winter hochgeschätzte gefüllte Mägen. 6. Gang: als Leckerbissen ‚smeltrehe‘,12 eine Pastete aus vier Teilen Hühnerfleisch, vier Teilen Wurst und Schafsmagen. An Festtagen wird dieser Speiseplan erweitert. Der Höhepunkt, die Pastete, ‚smeltrehe‘, ‚offenbar das einzige Gericht, das einige Kochkunst erforderte‘, wird durch Leber, Speckwurst und Leberwurst angereichert, wobei reichlich ‚copiose‘ Pfeffer zu verwenden ist.“13 Auffallend ist an dieser Speisenfolge lediglich deren Quantität, nicht etwa deren besondere Qualität: es „findet sich nur selten frisches Fleisch. Innereien kommen auch auf den reich gedeckten Tisch der Adeligen.“14 Sofern die genannte Speisenfolge tatsächlich jeden Tag gereicht wurde (auch die zitierte Wirtschaftsordnung besteht aus Regeln, auf deren Einhaltung nicht automatisch geschlossen werden kann), ist vorstellbar, dass sich die Bamberger Domherren dem städtischen Publikum durchaus ‚wohlbeleibt‘ präsentierten. Dass auch ein Bischof nicht nur dem guten Speisen und Trinken zugeneigt sein, sondern auch auf besondere Mengen Wert legen konnte, führt bereits im 11. Jahrhundert Ekkehard IV. von Sankt Gallen in einer gleichnishaft angelegten Geschichte über einen renommierversessenen Bischof an. Er sagte seinen Gästen „nämlich in seinem unbedachten Schabernack, er habe bei dem heiligen Gallus einen Ofen, der für sie beide in einem Mal Brote auf ein Jahr backen würde … Nachdem er ihnen etwas Ähnliches über den großen ehernen Kessel und die Darre für hundert Malter Hafer 10
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Durch die Bezeichnung dieses Ganges wird deutlich, dass es sich um ein ‚Topfgericht‘ handelt, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1195 s.v. haven: „topf“. In derselben Spalte führt das Wörterbuch ein weiteres Lemma auf, havenbrâte, das für „gedämpftes fleisch“ steht Die bei Lex. Bd. I (1992), Sp. 304 f. aufgeführten Wörter bletzen und blez werden dort mit „flicken, lappen, fetzen“ bezeichnet, was zur angebotenen Übersetzung nicht passt. Weiterführend ist hingegen BMZ Bd. I (1990), S. 204, wo unter den Stichworten blez, bletze schließlich angegeben wird: „bletze sind hier wohl dasselbe was noch in der schwäb. mundart kuttelfleck heisst, in kleine stücke geschnittene kaldaunen“ Aus dem Kompositum lässt sich die gebotene Erklärung sprachlich nicht ableiten, denn smelzen bedeutet lediglich „das kochen mit schmalz“, vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1007; der zweite Wortteil bleibt im Dunkeln, denn rehe als Plural von rech, reh „Reh“ passt nicht zu den im Zitat angegebenen Arten von Fleisch Schubert (2006), S. 252 Schubert (2006), S. 252
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zugemutet hatte, fügte er noch hinzu, er habe Viehhirten, vor denen sie den Hut abziehen und das Haupt neigen würden, wenn sie die Männer sähen.“15 Die Gäste des Bischofs weisen ihn anschließend durch einen Streich auf dessen Kosten in seine Schranken. Bischöfliche Residenzen und Domkapitel gehörten in vielen Städten zu den großen und auch begüterten Haushalten. Die hohen kirchlichen Funktionen wurden durch Angehörige des Adels wahrgenommen, die ihr weltliches Vermögen – und ihre gewohnte Lebensweise – oft nicht aufgaben. Abgaben aus kirchlichen Besitzungen, durch ihre Familien ausgelobte Renten sowie Donationen der Bevölkerung trugen dazu bei, dass hohe kirchliche Würdenträger sich oft sicher auch einen entsprechenden Lebensstandard leisten konnten.16 Obwohl er sich nicht ausdrücklich auf kirchliche Würdenträger bezieht, dürfte der Franziskanermönch Berthold von Regensburg – als Angehöriger eines der Armut verpflichteten, sog. ‚Bettelordens‘ – auch sie gemeint haben, wenn er in verschiedenen seiner populären Predigten die ungerechte Verteilung von ‚arm und reich‘ anprangert und dabei auch die Maßlosigkeit beim Essen und Trinken kritisiert, die beim Jüngsten Gericht geahndet werden würde: Unser herre hât uns ûf ertrîche die zît die wir leben sullen ze zwein dingen gegeben. Daz ein ist, daz wir die zît die wir leben müezen niemer anders suln vertrîben wan ze rehter nôtdurft, daz wir erarbeiten sullen des der lîp darf ze ezzen unde ze trinken. Unde sô wir daz erarbeiten, sô müezen wir die zît haben daz wir ez ze rehter zît niezen und ze rehter wîse, unde ze trinken ze rehter wîse. Aber die trenker unde die frezzer, die dicke und oft und etelîche tac unde naht zem wîne ligent, die werdent leitlîchen ze der rechenunge stên umbe die zît, die sie als unnützelîchen unde süntlîchen an geleit habent, unde sie müezent daz ezzen unde daz trinken widerreiten, daz sie sô gar in undurften vertuont.17
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Ekkehard IV. Die Geschichte des Klosters Sankt Gallen. Übersetzt und erläutert von Hanno Helbling. (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Nach den Texten der Monumenta Germaniae Historica in deutscher Bearbeitung herausgegeben von Karl Langosch. Dritte Gesamtausgabe. Bd. 102). Weimar 1958, S. 40, Nr. 13 Einblicke in die Variationsbreite der Abgaben und Dienste, die kirchliche wie weltliche Grundherren beanspruchten, bietet die Zusammenstellung verschiedener Urkunden bei Siegfried Epperlein: Bäuerliches Leben im Mittelalter. Schriftquellen und Bildzeugnisse. Köln/Weimar/Wien 2003, S. 68 ff. Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 19, 28 ff. Eine ähnliche Kritik formulierte Hugo von Trimberg in seinem ‚Renner‘, V. 9432 ff. (Von dem frâze)
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6.2 Klösterliche Speisekultur 6.2.1 Was und wie aß und trank man im Kloster? Dass die klösterliche Speisekultur des Mittelalters Gegenstand oder Teil einer ganzen Reihe von Arbeiten zum Themenkomplex „Essen und Trinken“ ist,18 basiert auf der vergleichsweise breiten schriftlichen Überlieferung, die über klösterliche Ordnungen und die dem Klosterleben angemessenen Formen auch heute noch greifbar ist. Die Kunst des Schreibens und Lesens (sowie der Illumination von Handschriften) wurde seit dem Frühmittelalter gerade in den Klöstern gepflegt und durch sie tradiert.19 Dass es aus den hochmittelalterlichen Zentren der Schriftkultur zahlreiche Hinterlassenschaften gibt, die auch über zeitgenössische monastische Lebensformen Auskunft geben, ist daher wenig überraschend. Zu den literarischen Quellen – in Sinne von dichterischer Produktion – ist die überwiegende Zahl dieser Zeugnisse jedoch nicht zu zählen.20 18 19 20
Vgl. z. B. Foster (1980) und Merk (1996) Vgl. M. Parisse in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1218–1223 s.v. Kloster, hier bes. Sp. 1219 Die Vermutung, es ließen sich in religiöser Dichtung, die vornehmlich in Klöstern verfasst wurde, Spuren einer diesseitig orientierten Lebenswelt ihrer (überwiegend) geistlichen Verfasser (und Verfasserinnen) finden, wird weitgehend enttäuscht. Ihre Hauptthemen sind die Nacherzählung biblischer Texte, Lebensschilderungen biblischer Gestalten oder Heiliger, Gebete, Parabeln, Anweisungen zur Führung eines gottgefälligen Lebens sowie geistige Erbauung und Andacht. Sie weisen oft in eine transzendente, übernatürliche Welt, die einen glücklichen Ausgang der Mühsal und Trübnis des Erdenlebens verheißt. Dass dabei Alltägliches, speziell Essen und Trinken, in den Blick gerät, ist selten. Bekanntere Beispiele für im 11. und 12. Jahrhundert frühmittelhochdeutsch verfasste, religiöse Texte sind die ‚Wiener Genesis‘, die Dichtungen der Frau Ava, das ‚Vorauer Marienlob‘, das ‚Annolied‘, die ‚Millstätter Sündenklage‘, verschiedene Bearbeitungen der Geschichte Johannes des Täufers sowie die Werke des sog. Heinrich von Melk, vgl. Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Nach ihren Formen besprochen und herausgegeben von Friedrich Maurer. Bd. I–III. Tübingen 1964/1965/1970. Dass ‚Essen und Trinken‘, wenn beides überhaupt in den Blick gerät, in ihrer Beschreibung den biblischen Geschichten und ihren religiösen Botschaften folgen, mag ein Beispiel aus dem zu Beginn des 12. Jh.s entstandenen ‚Jüngsten Gericht‘ der Frau Ava zeigen, in dem es um die (Höllen-)Strafen geht: man scenchet uns den win, des wir gerne ubere mohten sin, ezzich unde gallen sam si viures wallen. ezzen haizen si uns geben, daz ist pech unde swebel. (V. 279 ff.) (Zitiert nach Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Bd. II [1965], S. 509, 28,8 ff.). „Man schenkt uns Wein ein, / auf den wir gern verzichten würden. / Essig und Galle, / zischend wie Feuer. / Sie befehlen, uns Speise zu geben, / die aus Pech und Schwefel besteht“, Übersetzung in der (Teil-)Edition von Vollmann-Profe
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In den epischen Dichtungen wiederum erscheint ein Kloster als Handlungsort nur selten.21
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(1996), S. 50 f. Zu der ersten, mit Namen bekannten deutschen Dichterin und ihren überlieferten Schriften vgl. Edgar Rapp s.v. Ava in: VL Bd. 1 (1978), Sp. 560–565. – Auch weitere, zwischen 1060 und 1170 datierende religiöse Dichtungen in deutscher Sprache wie Notkers ‚Memento mori‘, Ezzos ‚Cantilena de miraculis Christi‘, die sogenannte ‚Summa theologiae‘, des Armen Hartmann ‚Rede vom Glauben‘ oder das sogenannte ‚Anegenge‘ weisen eine ganz auf (individuelle) religiöse Haltung zielende Bearbeitung aus: „Diese deutschsprachige Dichtung ist christlich, streng christlich, aber von radikaler Weltverneinung ist in ihr nichts zu finden. Nicht Aufruf zur radikalen Weltverneinung ist der Aufruf der Dichter – radikale Weltverneiner dichten nicht –, ihr Ziel ist Aufruf zur richtigen Lebensführung, zur rechten Weltgestaltung; sie wollen mit ihren Dichtungen die richtige Ordnung der Welt lehren“, so Rupp (1971), S. 261. Alltägliches gerät angesichts der spirituellen Orientierung der meisten dieser Dichtungen nicht in den Blick. – Dass sich dagegen in der um 1200 datierenden ‚Kindheit Jesu‘ Konrads von Fußesbrunnen einzelne zeitgenössische Gepflogenheiten zu spiegeln scheinen, wurde bereits erwähnt (vgl. Edition Fromm/Grubmüller 1973). Im ‚Gregorius‘ (datiert Ende 12. Jh.) lässt Hartmann von Aue seinen vorbildlich gesinnten Protagonisten auf einer abgelegenen Insel 17 Jahre lang (nur!) von Wasser leben, das sich unter einem Stein in einer Mulde sammelt. Zuvor trifft Gregorius auf ein Fischerehepaar, von dem er mit Haferbrot und Wasser beköstigt wird, vgl. Hartmann von Aue. Gregorius. Der „gute Sünder“. Herausgegeben und erläutert von Friedrich Neumann. Dritte durchgesehene Auflage. (Deutsche Klassiker des Mittelalters. N.F. Bd. 2). Wiesbaden 1968, V. 2881 ff. und V. 3122 ff. – Auch in Konrads von Würzburg Heiligenlegende ‚Pantaleon‘ finden sich keine Hinweise, die auf den (profanen) Alltag im Hochmittelalter bezogen werden könnten (vgl. Edition Neukirchen 2008). In Rudolfs von Ems ‚Barlaam und Josaphat‘, einem mit mehr als 16 000 Versen recht umfänglichen Werk, stehen ebenfalls Heilserfahrung, Bekehrung und Mission im Mittelpunkt der Erzählung, vgl. Rudolf von Ems. Barlaam und Josaphat. Herausgegeben von Franz Pfeiffer. Mit einem Anhang aus Franz Söhns, Das Handschriftenverhältnis in Rudolfs von Ems ‚Barlaam‘, einem Nachwort und einem Register von Heinz Rupp. Berlin 1965. Der Stricker, in dessen Märendichtung sich verschiedene Fährnisse des erfahrenen Lebens durchaus bunt spiegeln, geizt in seinen predigtartigen Texten zur religiösen Besinnung geradezu mit Bezügen zu oder Details von Alltäglichem, vgl. Ute Schwab: Die bisher unveröffentlichten geistlichen Bîspelreden des Strickers. Überlieferung – Arrogate – Exegetischer und literarischer Kommentar. (Istituto Universitario Orientale di Napoli). Göttingen 1959. Ein weiteres Beispiel für religiöse Literatur, die keine Bezüge zum zeitgenössischen Alltag aufweist, bietet die im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entstandene Sammlung ‚Geistlicher Herzen Bavngart‘, eine in Prosa gefasste Zusammenstellung von zumeist kurzen Texten zu religiösen Themen und Lebensfragen, dabei auch Gebete und einzelne Predigten Bertholds von Regensburg, vgl. Helga Unger: Geistlicher Herzen Bavngart. Ein mittelhochdeutsches Buch religiöser Unterweisung aus dem Augsburger Franziskanerkreis des 13. Jahrhunderts. Untersuchungen und Text. (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters. Bd. 24). München 1969 So z. B. im ‚Rennewart‘ Ulrichs von Türheim, V. 10676 ff.
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Angesichts dieses relativ reichen Quellenbestandes wäre zu erwarten, dass die klösterliche Speisekultur des Hochmittelalters in neuzeitlichen Betrachtungen dort, wo sie Erwähnung findet, differenzierter gewürdigt würde. Dies ist oft jedoch nicht der Fall. Vielfach wird vereinfacht, verkürzt, und dies offenbar besonders im Interesse simpler, somit ‚eingängiger‘ Bilder und Vorstellungen. So, wenn in einem ansonsten sorgfältigen Beitrag (zum Kloster Schaffhausen) festgestellt wird: „Entsprechend gilt es auch wiederholte Formulierungen wie ‚Fische waren eine wichtige Fastenspeise‘ zu überdenken. ‚Fasten‘ bedeutete nämlich keineswegs, dass man Fisch essen musste, sondern die Auflage, weder Fleisch noch Milchprodukte zu verzehren.“22 Ohne nähere Erläuterung zum zeitgenössischen Verständnis von ‚Fasten‘ und ‚Fleisch‘ in klösterlichen Ordnungen entsteht leicht ein ‚schiefes Bild‘. Und dass Milchprodukte während des Fastens nicht genossen werden sollten, ist zwar eine verbreitete Vorstellung, trifft jedoch als generelle Regel nicht zu.23 An anderer Stelle heißt es: „Nur in der knappen Zeit von Ostern bis Pfingsten, einer fortlaufenden Fest- und Freudenzeit, hatten die Mönche zwei Mahlzeiten, eine mittags, die andere abends. Sonst ist, jahraus, jahrein, nur eine Mahlzeit eingenommen worden, und zwar zur Non, in der Zeit also von zwölf bis drei Uhr nachmittags. Zu Beginn der vierzigtägigen Fastenzeit, der Quadragesima, nahm man die einzige Mahlzeit erst nach der Vesper [also etwa ab 18 Uhr] ein.“24 Zitiert wird hier nach der Ordensregel Benedikts von Nursia, die im sechsten nachchristlichen Jahrhundert in der Abtei von Monte Cassino entstand.25 Aufgenommen wird hier jedoch nur ein Auszug, möglicherweise, um die just zuvor genannten zentralen Kennzeichen klösterlicher Lebensweise zu unterstreichen: Demut, Enthaltsamkeit, Askese. In deutlichem Gegensatz dazu stehen die anschließenden Aufzählungen dessen, was nach Ausweis erhaltener Rechnungsbücher die klösterliche Ta-
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Heide Hüster-Plogmann: Fische und Fasten, in: Rippmann/Neumeister-Taroni (2000), S. 239–255, hier: S. 247 Eine einheitliche Regelung zu Ge- und Verboten während des individuellen Fastens (oder für Fastenzeiten) lässt sich nicht nachweisen. Vielmehr hat es in den Ordensregeln verschiedener Kongregationen recht unterschiedliche Auffassungen gegeben, die auch innerhalb einer Gemeinschaft und zu verschiedenen Zeiten noch variieren konnten, vgl. dazu im Einzelnen Zimmermann (1973), S. 51 f. u. ö. Otto Borst: Alltagsleben im Mittelalter. Mit zeitgenössischen Abbildungen. (Insel Taschenbuch 513). Frankfurt/M. 1983, S. 156. Differenzierte Quellennachweise führt Borst leider nicht auf Vgl. Die Benediktusregel. Regula Benedicti. Lateinisch/deutsch. Herausgegeben im Auftrag der Salzburger Bischofskonferenz. Beuron [1992], S. 9. Nach dieser Ausgabe wird folgend zitiert
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fel für Mönche und Nonnen geboten haben soll: „Man hat sich einen erstaunlich reichhaltigen Speisezettel gegönnt, Rind-, Kalb-, Lamm- und Schweinefleisch wandern in die Klosterküche die Menge. Auch Eingeweide, Euter und andere Kleinteile verschmäht man nicht, Gänse, Enten, Hühner, Tauben sind dabei, Wildgeflügel wie Haselhühner, Wachteln, Fasanen, Krammetsvögel, aber auch Reiher und Tauchenten und andere ‚waltvögel‘. Wie man sich die Fastenzeit erträglich machen kann, demonstrieren die vierundzwanzig Sorten Fisch, die in den Rechnungsbüchern der Klosterneuburger Chorherren verzeichnet sind. Bei ihren Schwestern, den Klosterneuburger Chorfrauen, gibt es die Woche hindurch laut Rechnungsbuch: sonntags Fleisch, Braten, Kastraun,26 montags Fleisch, Braten, Kastraun, dienstags ebenso, dazu Milch, mittwochs Eier, Milch, Rüben, am Donnerstag Fleisch, Braten, Kastraun, am Freitag Fisch für die Kranken, Milch, Weißkraut und Gurken, am Samstag Eier, drei Achtel Milchrahm, Milch, Semmeln, Grieß und Semmelmehl“.27 Ohne Übergang oder Hinweis wird hier auszugweise die frühmittelalterliche Ordensregel Benedikts konfrontiert mit spätmittelalterlichen Rechnungsbüchern, die durchaus Aussagen darüber zulassen, was ein Klosterverwalter (cancellarius) einkaufen ließ oder (an Abgabenleistungen) erhielt, was jedoch nicht bedeutet, dass die in den Vorratsräumen vorhandenen Lebensmittel sämtlich auch an die Konventualen ausgegeben wurden. Eben dies wird im zitierten Text nahe gelegt. Er vermittelt überdies den Eindruck, dass die Beschränkung auf nur eine oder zwei Mahlzeit(en) täglich angesichts des geschilderten Speiseplans wohl mühelos zu ‚ertragen‘ war. In eine ähnliche Richtung weist auch folgende Passage: „Ein Kloster mittlerer Größe im zwölften Jahrhundert (Sankt Gallen etwa) hatte – auch ohne Königsbesuch – eine Familie von etwa 80 bis 100 Mönchen, eine Leibdienerschaft von 200 Leuten und ca. 1000 Handwerker, das sogenannte Klostergesinde, zu ernähren. Dienerschaft und Gesinde aßen im allgemeinen zwei bis drei Gänge weniger pro Mahlzeit als die Mönche; und das zweimal am Tag mit einem gesunden mittelalterlichen Appetit. Sie spülten das Essen mit durchschnittlich fünf Liter Bier pro Tag herunter.“28 Angaben darüber, woher diese Zahlen stammen oder wie sie ermittelt wurden, fehlen. Sofern Dienerschaft und Gesinde zwei bis drei Gänge weniger aßen als die Mönche, bedeutete dies, dass diesen mindestens vier Gänge pro 26
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Dieser Begriff leitet sich ab von lat. castro ‚Hammel‘ und bezeichnet solche Tiere, die als Abgabe dienten oder eingenommen wurden, vgl. Deutsches Rechtswörterbuch (http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/) unter dem Stichwort „Kastraun“ Borst (1983), S. 156 Foster (1980), S. 39
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Mahlzeit aufgetragen worden wären. Wie passt dies mit den klösterlichen Idealen der Demut, Askese und Enthaltsamkeit zusammen? Hinsichtlich derartiger Aussagen und Wertungen scheint Vorsicht angezeigt. Und der Blick wird auf zeitgenössische Quellen gelenkt – hier schriftliche und archäologische –, die möglicherweise belastbarere Auskunft zu geben vermögen, ob die Klostergemeinschaften des Hochmittelalters tatsächlich „Klösterliche Hotels“ der Luxusklasse waren29 und was dort (ggf. auch wie) gegessen und getrunken wurde. 6.2.2 Ad fontes: die Regula Benedicti Die verschiedenen Ordensregeln, die das klösterliche Leben im Hochmittelalter bestimmten, gehen sämtlich zurück auf die Regel, die Benedikt von Nursia Jahrhunderte zuvor aufstellte.30 Mit Blick auf die späteren Auslegungen der Regel lohnt es sich, den grundlegenden Text näher zu betrachten. Die Benediktusregel legt als „Lebens- und Hausordnung fest …, wie gebetet, gearbeitet, gehorcht und miteinander gelebt werden soll.“31 Benedikt verfasste sie ausdrücklich für klösterliche Gemeinschaften (Koinobiten) unter Leitung eines Abtes. Wandermönche (Gyrovagen), weltlich orientierte „Mönche“, die außerhalb von Klöstern lebten und wirkten (Sarabiten) sowie Einsiedler (Anachoreten) schätzte er geringer und schloss sie daher aus seiner Ordnung aus.32 Benedikts Regel umfasst neben Ordnungen für den Gottesdienst während der verschiedenen Jahreszeiten und Stationen des Kirchenjahres auch organisatorische Fragen, Festlegungen des Tagesablaufes, Weisungsbefugnisse und die Aufgaben verschiedener Funktionsträger in der klösterlichen Gemeinschaft, verbunden mit Empfehlungen, wie diese wahrzunehmen sind. Behandelt werden auch die klösterliche(n) Küche(n) und Mahlzeiten. Zuständig für die Wirtschaftsführung und alles Gerät des Klosters, damit auch für die Küche und den Speisesaal der Mönche (Refektorium) ist der Cellerar. Für dieses Amt soll ein nüchterner, maßvoller und gottesfürch29 30 31 32
Foster (1980), S. 31 Vgl. Zimmermann (1973), S. 38 Die Benediktusregel (1992), S. 24 Vgl. Benediktusregel (1992), S. 74 f., I, 12 ff.: De quorum omnium horum miserissima conversatione melius est silere quam loqui. His ergo omissis ad coenobitarum fortissumum genus disponendum adiuvante dominum veniamus. „Besser ist es, über den erbärmlichen Lebenswandel all dieser zu schweigen als zu reden. Lassen wir sie also beiseite und gehen mit Gottes Hilfe daran, der stärksten Art, den Koinobiten, eine Ordnung zu geben.“
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tiger Bruder ausgewählt werden. „Alles, was der Abt zuweist, übernehme er in seine Verantwortung; was er ihm aber verwehrt, maße er sich nicht an. Den Brüdern gebe er das festgesetzte Maß an Speise und Trank ohne jede Überheblichkeit und Verzögerung, damit sie nicht Anstoß nehmen … In größeren Gemeinschaften gebe man ihm Helfer. Mit ihrer Unterstützung kann er das ihm anvertraute Amt mit innerer Ruhe verwalten.“33 Der Cellerar überwacht u. a. die Küchendienste, die in wöchentlichem Wechsel von Angehörigen seines Konventes ausgeübt werden. In kleineren Gemeinschaften ist auch der Cellerar vom Küchendienst nicht befreit. Beim wöchentlichen ‚Schichtwechsel‘ hat er zu überwachen, ob alle durch ihn ausgegebenen Geräte ordnungsgemäß zurückgegeben werden. Denn sämtliche Gerätschaften, sogar die an die Mönche ausgegebenen Kleidungsstücke und Schuhe, sind bei den Benediktinern Allgemeinbesitz, persönlicher Besitz ist nicht gestattet.34 Zu den Aufgaben des Küchendienstes gehört das Auf- und Abtragen der Speisen, das Ausschenken von Getränken, die Bedienung bei Tisch, das Füßewaschen der Mitbrüder, das Abwaschen und – samstags – das Waschen von Handtüchern.35 Während der Mahlzeit soll Stille herrschen, was bedeutet, dass die Mönche schweigend essen sollten. Nur so ist es dem ebenfalls im wöchentlichen Wechsel eingeteilten Tischleser möglich, seinen Vortrag würdig zu gestalten. Unterbrechungen oder Zwischenfragen sind nicht zulässig. Damit sein Dienst bei Tisch – während alle anderen Mitbrüder ihre Mahlzeit einnehmen – keine unangemessene Härte darstellt, erhalten der Tischleser und auch die eingeteilten Küchendienste die Mahlzeit vor bzw. nach dem Essen der Anderen.36 Auch die Essenszeiten werden durch Benedikt, je nach Jahreszeit und Besonderheit während des Kirchenjahres, festgelegt. Ein ‚Frühstück‘ nach heutiger Gewohnheit (morgens) gab es nicht. Die Mönche schliefen nur kurz und standen mitten in der Nacht auf, um den ersten Gottesdienst des Tages zu halten. Zwischen Ostern und Pfingsten gilt, dass erst zur Sext
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Die Benediktusregel (1992), S. 154 f., XXXI, 15 ff.: Omnia, quae ei iniunxerit abbas, ipsa habeat sub cura sua; a quibus eum prohibuerit, non praesumat. Fratribus constitutam annonam sine aliquo tyfo vel mora offerat, ut non scandalizentur, memor divini eloquii, quid mereatur, qui scandalizaverit unum de pusillis Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 156 ff., XXXIII Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 158 ff., XXXV De septimariis coquinae (Der wöchentliche Ablauf in der Küche, in der Übersetzung fälschlicherweise wiedergegeben mit: „Der wöchentliche Dienst in der Kirche“) Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 164 ff.; XXXVIII De ebdomadario lectore
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(mittags) die „Hauptmahlzeit“ eingenommen werden soll, abends soll es dann noch eine zusätzliche „Stärkung“ geben.37 „Doch von Pfingsten an sollen die Mönche während des ganzen Sommers am Mittwoch und Freitag bis zur neunten Stunde fasten, wenn sie keine Feldarbeit haben und die Sommerhitze nicht zu sehr drückt. An den übrigen Tagen nehmen sie die Hauptmahlzeit zur sechsten Stunde ein. Die sechste Stunde für die Hauptmahlzeit wird auch beibehalten, wenn die Brüder auf dem Felde arbeiten oder die Sommerhitze unerträglich ist; der Abt sorge dafür. Überhaupt regle und ordne er alles so, daß es den Brüdern zum Heil dient und sie ohne einen berechtigten Grund zum Murren ihre Arbeit tun können.“38 Wie an dieser Stelle scheint auch in der anschließenden Passage die Übertragung des benediktinischen Textes ins Neuhochdeutsche mehr von kanonischer Interpretation geprägt als durch den Textzeugen selbst: „Vom 13. September bis zum Beginn der Fastenzeit essen sie nur zur neunten Stunde. Vom Beginn der Fastenzeit bis Ostern halten sie Mahlzeit erst am Abend.“39 Benedikt legte für den ersten Teil jedoch fest, dass immer (semper)
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Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 172 f. XLI, 1 f.: A sancto pascha usque pentecosten ad sextam reficiant fratres et sera cenent. – Vom heiligen Oster- bis zum Pfingstfest speisen die Brüder zur Sext und nehmen abends ein Essen ein Die Benediktusregel (1992), S. 172 f., XLI, 2 ff.: A pentecosten autem tota aestate, si labores agrorum non habent monachi, aut nimietas aestatis non perturbat, quarta et sexta feria ieiunent usque ad nonam. Reliquis diebus ad sextam prandeant; quam prandii sextam, si operis in agris habuerint aut aestatis fervor nimius fuerit, continuanda erit et in abbatis sit providentia. Et sic omnia temperet atque disponat, qualiter et animae salventur et, quod faciunt fratres, absque iustam murmurationem faciant. – Die wiedergegebene neuhochdeutsche Übersetzung, die durch die Salzburger Bischofskonferenz und damit immerhin durch eine veritable Stelle herausgegeben wurde, scheint in diesen Passagen auch eigene Auslegungen und Verständnisse widerzuspiegeln. Denn der lateinische Text Benedikts ließe sich auch anders lesen. Benedikt verwendet die Begriffe reficium (Stärkung, Erfrischung, vgl. Der kleine Stowasser [1971], S. 421 s.v. reficio: „kräftigen, erfrischen, erquicken, sich erholen“), in der vorliegenden Übersetzung wird dies mit „Hauptmahlzeit“ übertragen, und cena, das in römischer Zeit die zwischen drei und vier Uhr nachmittags eingenommene Hauptmahlzeit des Tages bezeichnete, vgl. Der kleine Stowasser (1971), S. 102 s.v. cena. Diese klassischen Wortbedeutungen werden in der vorliegenden Übersetzung einfach wechselseitig ausgetauscht. Als „Hauptmahlzeit“ wird in der Übersetzung auch das prandium ausgegeben, eigentlich die erste Mahlzeit des Tages, das am Mittag eingenommene ‚Frühstück‘, vgl. Der kleine Stowasser (1971), S. 391 s.v. prandium: „Frühessen …, Frühstück (um Mittag genommen, aus kalten Speisen bestehend)“ Die Benediktusregel (1992), S. 172 f., XLI, 6 ff., im Original: Ab idus autem septembres usque caput quadragesimae ad nonam semper reficiant. In quadragesima vero usque in pascha ad vesperam reficiant
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zur neunten Stunde, also nachmittags, gespeist werden solle, nicht etwa, wie die Übersetzung ausweist, „nur“. Die durch die Übersetzung dargelegte Ausschließlichkeit lässt sich aus der Benediktusregel selbst demnach nicht ableiten. Aus der textlichen Grundlage lässt sich daher wohl lediglich erschließen, welche Zeiten Benedikt im klösterlichen Tagesablauf für Mahlzeiten vorsah. Die durch ihn selbst gewählte Diktion ist hinsichtlich der möglichen Zahl und Gewichtung der Mahlzeiten weniger eindeutig als es die neuhochdeutsche Übersetzung nahe legt. Es wäre eine eigene Untersuchung wert zu prüfen, wann und durch wen die Bedeutung der verschiedenen, von Benedikt gewählten Begriffe für ‚Mahlzeit‘ verändert wurde – und auch, ob sich aus diesen Veränderungen besondere (zeitbedingte?) Interessen oder Textverständnisse ableiten ließen. Auch das Maß der Speisen und Getränke nahm Benedikt in seine Überlegungen auf. Über die feste Nahrung schrieb er: „Nach unserer Meinung dürften für die tägliche Hauptmahlzeit, ob zur sechsten oder zur neunten Stunde, für jeden Tisch mit Rücksicht auf die Schwäche einzelner zwei gekochte Speisen genügen. Wer etwa von der einen Speise nicht essen kann, dem bleibt zur Stärkung die andere. Zwei gekochte Speisen sollen also für alle Brüder genug sein. Gibt es Obst oder frisches Gemüse, reiche man es zusätzlich. Ein reichlich bemessenes Pfund Brot genüge für den Tag, ob man nur eine Mahlzeit hält oder Mittag- und Abendessen einnimmt. Essen die Brüder auch am Abend, hebe der Cellerar ein Drittel dieses Pfundes auf, um es ihnen beim Abendtisch zu geben.“40 Neben zwei gekochten Speisen kann es demnach noch Obst oder Gemüse geben. Auch das Brot, das zusätzlich ausgegeben wird, wird nicht auf die Grundgerichte (im Sinne etwa von ‚wesentlichen Speisen‘) angerechnet. Seine Bemessung ist rückwirkend schwer zu erschließen, denn Gewichte und Maße veränderten sich im Laufe der Zeit erheblich und waren im Mittelalter alles andere als einheitlich.41 Sollte sich Benedikt noch an rö-
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Die Benediktusregel (1992), S. 168 f., XXXIX, 1 ff., im Original: Sufficere credimus ad refectionem cotidianam tam sextae quam nonae omnibus mensis cocta duo pulmentaria propter diversorum infirmitatibus, ut forte, qui ex illo non potuerit edere, ex alio reficiatur. Ergo duo pulmentaria cocta fratribus omnibus sufficiant; et, si fuerit unde poma aut nascentia leguminum, addatur ad tertium. Panis libra una propensa sufficiat in die, sive una sit refectio sive prandii et cenae. Quod si cenaturi sunt, de eadem libra tertia pars a cellerario servetur reddenda cenandis Mit Beispielen für die Verschiedenheit hochmittelalterlicher Hohl- und Längenmaße sowie von Gewichten hierzu allgemein H. Witthöft s.v. Maß in: LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 366f., bes. Sp. 366 („Westlicher Bereich“)
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mischen Maßen orientiert haben, hätte eine Tagesration etwa 350 Gramm betragen.42 Bezüglich seiner Maßvorstellungen ist Benedikt weit weniger apodiktisch als spätere Regelungen, die sich auch auf seine Regel beriefen, festlegen wollten. Benedikt ließ nämlich zu, dass die Rationen erhöht wurden, sollte es die von den Mönchen geleistete Arbeit erfordern: „War die Arbeit einmal härter, liegt es im Ermessen und in der Zuständigkeit des Abtes, etwas mehr zu geben, wenn es guttut. Doch muß vor allem Unmäßigkeit vermieden werden; und nie darf sich bei einem Mönch Übersättigung einschleichen.“43 Betont wird andernorts, dass individueller physischer Bedarf beim Maß an Speisen und Getränken zu berücksichtigen sei. Ein Anhalt ist für Benedikt hier das ‚Notwendige‘: „Man halte sich an das Wort der Schrift: ‚Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.‘ Damit sagen wir nicht, daß jemand wegen seines Ansehens bevorzugt werden soll, was ferne sei. Wohl aber nehme man Rücksicht auf Schwächen. Wer weniger braucht, danke Gott und sei nicht traurig. Wer mehr braucht, werde demütig wegen seiner Schwäche und nicht überheblich wegen der ihm erwiesenen Barmherzigkeit.“44 Benedikt hatte dabei auch die besonderen Bedürfnisse Heranwachsender und Kranker im Blick: „Knaben erhalten nicht die gleiche Menge wie Erwachsene, sondern weniger. In allem achte man auf Genügsamkeit. Auf das Fleisch vierfüßiger Tiere sollen alle verzichten, außer die ganz schwachen Kranken.“45 Bemerkenswert ist, dass sich der Verzicht auf Fleisch(speisen) allein auf Produkte vierfüßiger Tiere bezieht. Alle Arten von Geflügel zählten für Benedikt demnach nicht zu den tierischen Fleischlieferanten, die Mönche meiden sollten. 42
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Vgl. Georg A. Narciß (Hg.): Klosterleben im Mittelalter. Nach zeitgenössischen Quellen von Johannes Bühler. Mit zahlreichen Abbildungen. (Insel Taschenbuch 1135). Frankfurt/M. 1989, S. 564, Anm. 13: „Die römische libra hatte 327 g.“ Die Benediktusregel (1992), S. 168 f., XXXIX, 6 ff., im Original: Quod si labor forte factus fuerit maior, in arbitrio et potestate abbatis erit, si expediat, aliquid augere remota prae omnibus crapula, et ut numquam subripiat monacho indigeries … Dem entsprechen „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“, in denen Benedikt beschreibt, wie ein rechter Mönch sich verhalten solle: „Nicht stolz sein, nicht trunksüchtig, nicht gefräßig, nicht schlafsüchtig, nicht faul sein. Nicht murren, nicht verleumden“, Die Benediktusregel (1992), S. 86 ff., IV, 34 ff. Auch hier finden sich deutliche Bezüge zu den Todsünden (superbia – Stolz, gula – Völlerei, Maßlosigkeit sowie invidia – Missgunst und acedia – Faulheit) Die Benediktusregel (1992), S. 158 f., XXXIV, 1 ff. Die Benediktusregel (1992), S. 168 f., XXXIX, 10 ff.: Pueris vero minore aetate non eadem servetur quantitas, sed minor quam maioribus servata in omnibus parcitate. Carnium vero quadripedum omnimodo ab aomnibus abstineatur comestio praeter omnino debiles aegrotos
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Abb. 28: Benedikt wirft einem Mönch vornehmer Herkunft seinen Hochmut vor.46 Miniatur aus Gregors d. Gr. ‚Dialogi‘, Lüttich, 12. Jahrhundert 46
In seinen Ausführungen über das Maß des Getränkes gibt Benedikt nochmals deutlich zu erkennen, dass ihm an einer allgemeinen Bestimmung zulässiger oder empfehlenswerter Mengen wenig gelegen ist: „Jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so. Deshalb bestimmen wir nur mit einigen Bedenken das Maß der Nahrung für andere.“47 Benedikt erläutert, dass regionale Besonderheiten, klimatische Bedingungen und die Einbindung der Brüder in körperliche Arbeit sehr unterschiedliche Bedarfslagen und Einschätzungen des ‚Notwendigen‘ begründen können. Er stellt es dem Ermessen des Abtes anheim, in derartigen Fällen für angemessene Regelungen zu sorgen.48 Hinsichtlich der Gabe von Wein stellt er fest, dass eine generelle Enthaltsamkeit zwar besonders gottgefällig und deshalb erstrebenswert sei, doch scheint es ihm „mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Schwachen“ in seinem Hause vertretbar, wenn „für jeden täglich eine Hemina Wein“
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Auf der mit einem bodenlangen Tischtuch versehenen Tafel stehen Schalen mit Fuß, von denen die eine mit Fisch, die andere mit auf einen Spieß gesteckten (Fleisch-) Stücken (ähnlich einem heutigen Schaschlik-Spieß) gefüllt ist, und ein kugelförmiges Deckelgefäß, zu sehen sind zwei Messer sowie links ein rundes Brot und rechts eines in Halbmondform Die Benediktusregel (1992), S. 170 f., XL, 1 f.: Unusquisque proprium habet donum ex deo, alius sic, alius vero sic. Et ideo cum aliqua scripulositate a nobis mensura victus aliorum constituitur Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 170 f., XL, 5 ff.
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(etwa ein Viertelliter) ausgegeben wird.49 Welche andere Regelung auch immer getroffen werden möge, es solle darauf geachtet werden, „daß sich nicht Übersättigung oder Trunkenheit einschleichen. Zwar lesen wir, Wein passe überhaupt nicht für Mönche, weil aber die Mönche heutzutage sich davon nicht überzeugen lassen, sollten wir uns wenigstens darauf einigen, nicht bis zum Übermaß zu trinken, sondern weniger. Denn der Wein bringt sogar die Weisen zu Fall.“50 Alternative Getränke und deren mögliche Bemessung findet man in der betreffenden Passage nicht, sodass auch sie dem Ermessen des Abtes überlassen gewesen sein dürften. Benedikts Vorstellungen zum Verhalten in der Fastenzeit sind nicht etwa auf komplette Entsagung, sondern lediglich auf ausgewählte Reduzierung und bewussten Verzicht ausgerichtet: „Der Mönch soll zwar immer ein Leben führen wie in der Fastenzeit. Dazu aber haben nur wenige die Kraft … Gehen wir also in diesen Tagen über die gewohnte Pflicht unseres Dienstes hinaus durch besonderes Gebet und durch Verzicht beim Essen und Trinken. So möge jeder über das ihm zugewiesene Maß hinaus aus eigenem Willen in der Freude des Heiligen Geistes Gott etwas darbringen; er entziehe seinem Leib etwas an Speise, Trank und Schlaf und verzichte auf Geschwätz und Albernheiten.“51 Welcher persönliche Verzicht jeweils geleistet werden soll, ist dem Abt gegenüber anzeigepflichtig. Der Verzicht darf auch nur mit dessen Zustimmung erfolgen.52 49
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Die Benediktusregel (1992), S. 170 f., XL, 3 f.: Tamen infirmorum contuentes inbecillitatem credimus eminam vini per singulos sufficere per diem. Zum Mengenmaß vgl. Narciß (1989), S. 564, Anm. 15: „Die römische hemina faßte 0,27 Liter.“ Die Benediktusregel (1992), S. 170 f., XL, 6 ff.: Licet legamus vinum omnino monachorum non esse, sed quia nostris temporibus id monachis persuaderi non potest, saltim vel hoc consentiamus, ut non usque ad satietam bibamus, sed parcius, quia vinum apostatare facit etiam sapientes Die Benediktusregel (1992), S. 188 f., XLIX, 1 ff.: Licet omni tempore vita monachi quadragesimae debet observationem habere, tamen quia paucorum est ista virtus … Ergo his diebus augeamus nobis aliquid solito pensu servitutis nostrae, orationes peculiares, ciborum et potus abstinentiam, ut unusquisque super mensuram sibi indictam aliquid propria voluntate cum gaudio sancti spiritus offerat deo, id est subtrahat corpori suo de cibo, de potu, de somno, de loquacitate, de scurrilitate Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 190 f., XLIX, 8 ff. – In den frühmittelhochdeutschen ‚Idsteiner Sprüchen der Väter‘ finden sich mehrere religiös motivierte Sinnspüche, die den Verzicht auf (zu viel) Speise und Trank – hier vor allem Wein – zum Gegenstand haben und der Benediktinerregel darin entsprechen. Einige der Sprüche werden dort Papst Gregor I. (ca. 540–604) zugeschrieben, so etwa der folgende: ezzin dicke unde gnuc, swer daz alle zit dut, ane geste unde ane sichedagin, der muz got zu einem fiende habin. ‚Wer zu jeder Zeit reichlich und sich vollkommen satt isst, ohne dass er Gäste hat oder krank ist, der muss Gott zum Feind haben‘, Text zit. nach Die religiösen Dich-
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Für den Abt des Klosters sieht Benedikt generell vor, dass er vom Konvent getrennt speist, und zwar mit Gästen des Klosters und mit Pilgern, die dort Station machen. Sofern nur wenige Gäste oder Pilger anwesend sind, kann der Abt Brüder aus seinem Kloster an seinen Tisch bitten, soll jedoch dafür Sorge tragen, dass sich ältere Brüder gleichzeitig um die Ordnung im klösterlichen Refektorium kümmern.53 Mit Ausnahme allgemein vorgeschriebener Fasttage ist es dem Abt gestattet, aufgenommenen Gästen zuliebe das Fastengebot zu brechen. Gastfreundschaft ist in jeder Hinsicht großzügig und freundlich zu gewähren, und von Gästen des Klosters – wie wohl auch von Pilgern – wird nicht erwartet, dass sie sich der klösterlichen Speiseordnung unterwerfen. Für die gemeinsamen Mahlzeiten mit dem Abt, deren angemessene Zahl nicht erwähnt und damit auch nicht limitiert wird, soll für Abt und Gäste eine eigene Küche betrieben werden, „so stören Gäste, die unvorhergesehen kommen und dem Kloster nie fehlen, die Brüder nicht.“54 Die Abts- und Gästeküche soll von zwei Brüdern betrieben werden, die ihren Dienst dort jeweils ein Jahr lang verrichten. Sollten sie Hilfe benötigen, sind weitere Mönche hinzuzuziehen, sind wenige Gäste da, sollen die Verseher der Abtsküche auch zu anderen Arbeiten herangezogen werden können. Strikt ist dabei die (wiederholte) Vorgabe, die Gäste und Pilger sowie die ihnen zugänglichen Bereiche von der Gemeinschaft der Mönche zu trennen.55 Verschiedene Verfehlungen, z. B. Bummelei oder Unpünktlichkeit im Erscheinen zum Gottesdienst und bei Tisch, sollen mit einem temporären Ausschluss von der Tafelgemeinschaft des Klosters geahndet werden. Bei Wiederholung kann auch die tägliche Weinration gestrichen werden. Wer außerhalb der Essenszeiten beim Essen ‚erwischt‘ wird oder wer die durch den Abt angebotenen Speisen zurückweist, dem soll auch die Nahrung komplett entzogen werden, bis er sich eines Besseren besinnt oder entschuldigt.56 Bei Dienstgängen von kurzer Dauer, die die Mönche außerhalb des Klosters zu erledigen hatten, durften ohne ausdrückliche Erlaubnis des Abtes keine angebotenen Speisen angenommen werden. Bei Zuwiderhandlung drohte der Ausschluss aus Konvent und Kongregation.57
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tungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Bd. I (1964), S. 89, Nr. 75. Vgl. ähnlich auch die dort folgend aufgeführten Sprüche; zu siechtac, -tage s. Lex. Bd. II (1992), Sp. 910: „krankheit, siechtum“ Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 202 f.; LVI De mensa abbatis Die Benediktusregel (1992), S. 194 f., LIII, 16 Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 196 f., LIII, 17 ff. Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 178 f., XLIII, 13 ff. Vgl. Die Benediktusregel (1992), S. 190 f., LI
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Aus den Regelungen, die Benedikt von Nursia für ‚sein‘ Kloster Monte Cassino formulierte, geht hervor, welchen Stellenwert für ihn Ordnung und Disziplin innerhalb der klösterlichen Gemeinschaft besaßen. Unterwerfung unter diese Ordnung ist ein Teil der geforderten Demut, die Einhaltung der Ordnung wird streng gefordert. Benedikts Erwartungen an die Zucht der Mönchsgemeinschaft sind entsprechend hoch. Andererseits ist er sich der menschlichen Schwächen bewusst, die das leibliche Wohl der Mönche betreffen und denen er in den vergleichsweise zahlreichen Kapiteln über dieses Thema einen bemerkenswerten Raum lässt.58 Er muss gewusst haben, dass die von der Außenwelt abgeschirmte klösterliche Lebensgemeinschaft mit ihrem streng geregelten Tagesablauf leichter ohne (das verpönte) Murren angenommen werden konnte, wenn es auch Räume für gewisse Lockerungen und Freizügigkeiten gab. Diese ließ er gerade im Bereich des Essens und Trinkens zu. Zwar ist auch die klösterliche Tafelgemeinschaft vollkommen ‚durchorganisiert‘, doch gibt es hinsichtlich dessen, was vorgesetzt werden soll oder darf, nur wenige Einschränkungen. „Vor allem bleibt das Quantum der Speisen außer Brot und Wein gänzlich offen. Nur Unmäßigkeit verbietet Benedikt. Er verlangt keine übertriebenen Entbehrungen; was er an Nahrung gewährt, ist gemessen an den Lebensbedingungen in Süditalien und an den sozialen Verhältnissen seiner Zeit nicht unbillig. Die Discretio Benedikts strebt eine Abkehr vom Übermaß des Essens an, aber auch eine ausreichende Ernährung, die in der Fastenzeit … eingeschränkt werden soll.“59 Psychologisch geschickt, behält Benedikt sowohl das durchaus labile Verhältnis von Verzicht und Gewährung im Blick als auch, dass andere Konvente unter den auf sie wirkenden Bedingungen zu variierenden Regelungen gelangen können. Die Entscheidung, was im Einzelfall jeweils angemessen und zuträglich ist, legt Benedikt in die Zuständigkeit des jeweiligen Abtes oder ‚Oberen‘, was dessen Autorität und Achtung innerhalb der Gemeinschaft erheblich beeinflusst haben dürfte.60
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Auch der Ermessensspielraum, den Benedikt einem Abt bei der Gewährung von Ausnahmen zugesteht, ist beachtlich Zimmermann (1973), S. 38. Die Vorstellung eines Abbruchs oder eines vollständigen Aussetzens der Nahrungsaufnahme, die Zimmermann zuvor (an gleicher Stelle) für die Fastenzeit darstellt, lässt sich aus den Schriften Benedikts nicht herleiten Die maßvollen und im Bedarfsfall durchaus ‚elastischen‘ Regeln, die Benedikt für das klösterliche Leben verfasste, wurden auch im Hochmittelalter noch hoch geschätzt. In einer Kritik an den zu seiner Zeit, der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, noch ‚neuen‘ Orden (gemeint sind die Franziskaner und Dominikaner) preist sie der Marner in einem lateinisch verfassten Lied:
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6.2.3 Die Klosterküche des Hochmittelalters im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel Die Benediktusregel wurde bald europaweit bekannt und galt als ‚die‘ Grundlage klösterlichen Lebens. Sie wurde jedoch im Laufe der folgenden Jahrhunderte oft nur noch eingeschränkt oder auch kaum mehr befolgt. Nördlich der Alpen wurde diese Entwicklung dadurch verstärkt, dass die Stellung von Klöstern im Rahmen der königlichen, später kaiserlichen Herrschaftsorganisation oft bedeutend war.61 Hinsichtlich ihrer Macht und ihres Einflusses traten sie oft in direkte Konkurrenz zu den Bischöfen des Reiches.62 Viele Klöster verfügten über ausgedehnten Grundbesitz, der ihre
Benedicti regula fuit primitiva, placuit pre ceteris, quia fuit diva; primo constantissima – sed nunc est procliva – eminebat ceteris et compositiva.
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(Lied 11, Str. 5)
„Benedikts Regel war die erste ihrer Art, sie gefiel mehr als alle anderen, denn sie war göttlichen Ursprungs; als die erste, die beständigste – jetzt freilich ist sie ins Trudeln geraten – überragte sie die anderen, zum Gemeinschaftsleben ist sie die geeignete“, zitiert nach der Ausgabe von Willms (2008), S. 125 f., Übersetzung S. 129 Die Einbindung auch der Klöster in die Herrschaftsorganisation bildet einen Teil der grundlegenden Verflechtungen zwischen mittelalterlicher weltlicher Herrschaft und Kirche. Bereits die Merowingerkönige holten kirchliche Würdenträger an ihren Hof, die sie als Ratgeber und – mithilfe des damals bereits bestehenden, wachsenden Netzes von Klöstern – in der Verwaltung ihres Reiches einsetzten. Eine wichtige Rolle spielte dabei, dass die Geistlichen lese- und schreibkundig waren, sie stellten Urkunden aus, versahen (u. a. schriftliche) Verwaltungstätigkeiten und waren in diplomatischen Angelegenheiten tätig. Unter Karl dem Großen wurde die ‚Hofkapelle‘ geradezu institutionalisiert. „Trotz einzelner Schwankungen erwies sich die H.[ofkapelle] in ihrer Organisation als ein so wirkungsvolles Herrschaftsinstrument des Kgtm.s, daß sie den Zerfall des Karolingerreiches überlebte“, so J. Fleckenstein unter dem Stichwort ‚Hofkapelle‘ im LexdMA Bd. V (1991), Sp. 70–72, hier Sp. 71. Im Hochmittelalter „ist charakterist. für die Nachfolgestaaten des großfrk. Reiches, daß ihre Verselbständigung sich in der Bildung eigener H.n mit einem eigenen Erzkapellan an der Spitze widerspiegelt, der im W und S den Titel schon bald mit dem des Erzkanzlers vertauscht. … Den entschiedensten Gebrauch machten seit Otto d. Gr. die dt. Kg.e und Ks. davon: sie bauten die H. bewusst in die Reichskirche ein, indem sie die Kapelläne möglichst aus den Domkapiteln … holten, denen sie als Kanoniker weiterhin angehörten, wodurch die Domkapitel zugleich für den Unterhalt der H. nutzbar wurden. Nicht weniger wichtig war, daß die Kg.e dann möglichst viele der adligen Kapelläne auf Bf.sstühle zu erheben suchten, um diese enger an den Hof zu binden“, Fleckenstein (1991), Sp. 71 f. Vgl. Narciß (1989), S. 23 f. und Werner/Erbstößer (1992), S. 96 ff.
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wirtschaftlichen Möglichkeiten und damit auch ihren Einfluss erheblich steigerte.63 Die im Laufe der Zeit gewachsene Verquickung mit weltlicher Herrschaft und Macht, aber auch die damit zunehmende Veränderung und Diversifizierung der Aufgaben, die in klösterlichen Gemeinschaften und durch sie verrichtet wurden, wirkte auch auf die innere Verfassung und die Lebensgemeinschaft der Konvente: „Die Arbeiten der Mönche als Missionare, Lehrer, Künstler und Schriftsteller, die Heranziehung bedeutender Äbte und Mönche zu Hof- und Staatsdiensten schienen vielen Zeitgenossen mit den asketisch-monastischen Idealen unvereinbar.“64 Dieser Entwicklung bewusst entgegen steuernd, setzten während des 10. und 11. Jahrhunderts Reformbestrebungen ein, die, besonders von den lothringischen Klöstern Cluny und Gorze ausgehend, auf die Klosterwelt in ganz Mitteleuropa wirkten. Mit den reformierten Regeln, den consuetudines, entstand unter dem Dach des Reformbenediktinertums eine ganze Reihe
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So verfügte z. B. die nahe Essen an der Ruhr gelegene „Reichsabtei Werden um 1150 in ihren rheinischen, friesischen und westfälischen Besitzzonen über etwa 60 Haupthöfe und ungefähr 1600 Bauernhufen; sie gehörte damit zu den größten geistlichen Grundherrschaften im nordwestdeutschen Raum“, Werner Rösener: Das Kloster und die Bauern. Die Grundherrschaften von Werden und Helmstedt im Mittelalter, in: Jan Gerchow (Hg.): Das Jahrtausend der Mönche. Kloster Welt Werden 799–1803. Essen 1999, S. 113–118, hier S. 115. Ausgeführt wird an gleicher Stelle, dass eine Bauernhufe im westlichen Sachsen die Fläche von etwa 10ha umfasste, ein Haupthof etwa 4 bis 5 Hufen besaß, sodass der (abgabepflichtige) Grundbesitz des Klosters Werden über 18 000ha betrug. Vgl. im gleichen Band auch die Karten zur regionalen Verteilung der Besitztümer des Klosters Werden, S. 448 f.; das Zisterzienserkloster Doberan verfügte sechs Jahre nach seiner Gründung (1171) bereits über 13 Dörfer, Leubus in Schlesien wurde bei seiner Gründung im Jahr 1175 mit 12 Dörfern, drei Kirchen, einer Schenke, Obstgärten, Wiesen, Äckern und Einkünften aus Breslau ausgestattet, vgl. Werner/Erbstößer (1992), S. 206 f.; die Größe verschiedener Wirtschaftshöfe (Grangien) des Klosters Salem betrug zwischen 235 und 500ha, eine nahe der Abtei gelegene Grangie des Zisterzienserklosters Bebenhausen bei Tübingen immerhin 193ha, vgl. Werner/Erbstößer (1992), S. 214. Der Grundbesitz des Reichsklosters Corvey wird zu Beginn des 12. Jahrhunderts auf 3000 bis 5000 Hufen (30 000 bis 50 000ha) geschätzt, vgl. Hans-Georg Stephan: Studien zur Siedlungsentwicklung und -struktur von Stadt und Reichskloster Corvey (800–1670). Eine Gesamtdarstellung auf der Grundlage archäologischer und historischer Quellen. Mit Beiträgen von Jörg Bellstedt, Hans-Rudolf Bork, Otto Braasch, Siegmund Koritnig, Michael Schultz, Gustl Strunk-Lichtenberg und Ulrich Willerding. Bd. 2. (Göttinger Schriften zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 26, 2). Neumünster 2000, S. 333 f. Damit sind diese Klöster auch nach heutigen Maßstäben als Großgrundbesitzer anzusehen Narciß (1989), S. 24
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neuer Orden.65 Die von Cluny und Gorze ausgehenden Reformen verlangten „über Benedikts Vorschriften noch hinausgehend von den Mönchen strengste Askese“.66 Diese Forderung war durchaus konflikthaltig, denn sie zielte nicht nur auf die Aufgabe verschiedener Gewohnheiten und Annehmlichkeiten, sondern kollidierte auch mit den im Norden vergleichsweise härteren Lebensbedingungen: „Für die Bewohner der nördlichen Länder … stellte es eine schwer zu ertragende Härte dar, daß gerade während der kalten Jahreszeit, in der der Körper mehr Nahrung braucht, weniger gegessen werden sollte. Daraus erwuchs das Bemühen um Milderungen.“67 In den hochmittelalterlichen consuetudines finden sich daher recht unterschiedliche Regelungen, die sich insgesamt lediglich in strengere und liberalere Formen fassen lassen.68 Die damit vorhandene Diversifizierung der Vorstellungen von der ‚rechten Lebensweise‘ im Kloster zog eine rege, teils auch erbitterte Diskussion nach sich, wie eine gottgefällige Lebensführung zu gestalten sei.69 Zwar bezogen sich alle reformierten Ordnungen grundsätzlich auf die Regula Benedicti, doch „sind in den Benediktinerklöstern Durchbrechungen der Regel bereits so zahlreich, daß man von der Betrachtung dieser Veränderungen her die Tage feststellen muß, an denen die Regula unvermindert galt.“70 Hierzu hat auch beigetragen, dass sich seit Benedikts Zeiten die Zahl der Fest- und Feiertage, an denen das Fastengebot in vielen Orden nicht galt, erheblich erhöhte. Gleichzeitig gab es verschiedene Bestrebungen, zusätzliche Fastentage einzuführen (bei Benedikt waren dies neben der Fastenzeit besonders der Mittwoch und der Freitag).71 „So verwundert es nicht, wenn 65 66 67 68
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Vgl. Zimmermann (1973), S. 38 ff. Narciß (1989), S. 25 Zimmermann (1973), S. 40 Eine differenzierte Zusammenstellung der in den verschiedenen hochmittelalterlichen consuetudines enthaltenen Regelungen bietet Zimmermann (1973), S. 37 ff. Vgl. hierzu Zimmermann (1973), S. 37 ff. mit zahlreichen Belegen Zimmermann (1973), S. 39 Vgl. Zimmermann (1973), S. 40 f. Die Zahl der während des Kirchenjahres vorgesehenen Fastentage wird für das Hochmittelalter mit etwa 140 bis 150 angesetzt, sodass allgemein etwa 220 Tage verblieben, „an denen keine Einschränkungen der Ernährung durch das F.gebot vorgegeben waren“, so H. Hundsbichler in: LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 304–310 unter dem Stichwort „Fasten, -zeiten, -dispense“, hier Sp. 305. – In frühmittelhochdeutschen geistlichen Texten finden sich Beispiele dafür, dass an das Maßhalten und Fasten offenbar immer wieder erinnert werden musste. In den ‚Idsteiner Sprüchen der Väter‘ (Sententiae Patrum) finden sich u. a. die folgenden Passagen, die dort dem Kirchenvater Hieronymus (347–420 n. Chr.) zugeschrieben werden:
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man im 12. Jahrhundert den Mönchen von Cluny überhaupt vorwarf, sie fasteten, wann sie wollten, und wenn die Zisterzienser ihren Ordensangehörigen die Einhaltung des Mittwochs- und Freitagsfastens besonders einschärften.“72 Verändert wurde oft auch die Zahl der Mahlzeiten und Umtrünke. Unter Bezug auf die Benediktusregel, die Anpassungen an spezielle Bedarfslagen oder Verhältnisse ja zulässt, wurde den mit besonderen Arbeiten betrauten Mönchen, Kindern/Jugendlichen, Kranken und Alten sowie an besonderen Tagen ein zusätzlicher Imbiss ausgegeben, das mixtum. Bei den Zisterziensern sollte es vom 12. Jahrhundert an aus einer zusätzlichen Ration an Brot (genau einem Viertelpfund) und einer Drittel Hemina Wein bestehen. In der Fastenzeit wurde das mixtum dort jedoch ausgesetzt.73 Exakt festgelegt wurde auch, wann das Mixtum auszugeben sei: an Tagen mit einem Mittagessen (im Sommer) vor dem Mittagessen, das zur Sext (zwischen 10.50 und 11.00 Uhr) stattfand, an Fasttagen nach der Sext. Jugendliche Mönche sollen das mixtum vor der Terz einnehmen, d. h. im Sommer bis etwa acht Uhr, im Winter bis etwa neun Uhr.74
(46) Drinkin und ezzin ober not daz ist der selen ewich dot. (49) Swer sinin buch allezit will fol han, ist der kusce f!ient, lert" mich min wan. (52) We den die fila ezzint und drinkint, si hant ihren buch zu einime gode irkorin.
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‚(46) Mehr trinken und essen als es erforderlich ist, bedeutet den ewigen Tod der (unsterblichen) Seele.‘ – ‚(49) Wer seinen Bauch jederzeit gefüllt haben will, ist, wie ich vermute, der Feind der Sittsamkeit.‘ – ‚(52) Wehe denen, die viel essen und trinken, sie haben ihren Bauch zu einem Gott erkoren‘; Text zitiert nach Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Bd. I (1964), S. 85. Vgl. zu mhd. kiusche, kûsche Lex. Bd. I (1992), Sp. 1592 f.: „jungfräul. reinheit, keuschheit, sittsamkeit, sanftmut“, zu wân s. Lex. Bd. III (1992), Sp. 668: „ungewisse, nicht völlig begründete ansicht oder meinung, das blosse vermuten, glauben, erwarten, hoffen“ Zimmermann (1973), S. 41 Vgl. Ecclesiastica Officia. Gebräuchebuch der Zisterzienser aus dem 12. Jahrhundert. Lateinischer Text nach den Handschriften Dijon 114, Trient 1711, Ljubljana 31, Paris 4346 und Wolfenbüttel Codex Guelferbytanus 1068. Deutsche Übersetzung, liturgischer Anhang, Fußnoten und Index … übersetzt, bearbeitet und herausgegeben von Hermann M. Herzog (Marienstatt) und Johannes Müller (Himmerod). (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur. Bd. VII. Veröffentlichungen der Zisterzienserakademie Mehrerau – Langwaden – Berlin). Langwaden 2003, S. 280 f., Kapitel 73; vgl. auch Zimmermann (1973), S. 43 f. Vgl. Ecclesiastica Officia (2003), S. 280 f., Kapitel 73, 8: Similiter faciant adolescentes qui ante terciam mixtum sumunt. Die Festlegung der Tageszeiten war variabel, da sie dem Sonnenstand folgte. Im Winter begann die Terz zwischen 08.20 (Ende Dezember) und 09.20 Uhr (Ende Februar), im Sommer bereits um 07.45 (Ende Juni) bzw. 08.15 Uhr (Ende August), vgl. Ecclesiastica Officia (2003), S. 34 f.
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Bei den Benediktinern gab es zusätzliche gemeinsame Umtrünke, die caritates (als besonders gewährte zusätzliche Gabe im Gegensatz zu der den Mönchen nach der Regula ohnehin zustehenden Weinration, der iustitia).75 „Getrunken wurde die Caritas unter Beachtung bestimmter Zeremonien, die oft umständlich beschrieben werden, nicht aus einem gewöhnlichen Trinkgefäß, der Justitia, sondern aus dem Scyphus …, einem handlichen zudeckbaren Trinkkrug“.76 Die Zisterzienser kannten einen außerhalb der Mahlzeiten einzunehmenden, gemeinsamen abendlichen Umtrunk nach der Vesper.77 In anderen Orden waren derartige Lockerungen nicht zugelassen, vielmehr wurde dort die Zahl der Mahlzeiten unter das von Benedikt gewährte Maß reduziert. Die wiedererstarkten Eremiten sollten demnach nur sonntags, feiertags und an höchstens zwei Wochentagen zwei Mahlzeiten erhalten.78 „Auch bei den Kartäusern galten verschärfte Fastengebote; an gewöhnlichen Tagen wird im Winter stets nur einmal gegessen, im Sommer an drei Tagen der Woche. Von den Wanderpredigermönchen des frühen 12. Jahrhunderts ist bekannt, daß sie fast immer nur einmal täglich aßen“.79 Nicht nur die Zahl der Mahlzeiten, auch diejenige der gereichten Gerichte konnte erheblich variieren. Hatte Benedikt für die Hauptmahlzeit des Tages zwei (gekochte) Gerichte empfohlen, denen ggf. (rohes) Obst und Gemüse beigegeben werden konnte, ist in den hochmittelalterlichen consuetudines „die Zahl der Gerichte starken Änderungen unterworfen, wobei die Zugaben häufiger sind als die Verringerungen.“80 Unterschieden wurde zunehmend zwischen dem generale, denjenigen Speisen, die jedem einzelnen Mönch der benediktinischen Regula zufolge zustehen, und zusätzlichen sog. Pitanzen (pitantiae), die oft für zwei Mönche gemeinsam gereicht wurden.81 Diese Pitanzen konnten aus einer zusätzlichen Gabe von Eiern und Käse, später auch von Fisch und Wein bestehen.82 75 76
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Vgl. Zimmermann (1973), S. 42 f. Zimmermann (1973), S. 42; zur caritas sowie zu klösterlichen Gebräuchen und Funktionsträgern vgl. auch Jörg Sonntag: Klösterlicher Raum, in: Melville/Staub (2008), Bd. II, S. 279–285, bes. S. 284 Vgl. Ecclesiastica Officia (2003), S. 308 f., Kap. 80. Zimmermann (1973), S. 43 hebt hervor, dass derartige zusätzliche Trinkrunden im Unterschied zu der benediktinischen caritas nicht mit einer zusätzlichen Weinration verbunden, sondern aus der iustitia zu bestreiten waren Vgl. Zimmermann (1973), S. 44 f. unter Bezug auf die Schriften des Petrus Damiani Zimmermann (1973), S. 45 Zimmermann (1973), S. 46 Vgl. Zimmermann (1973), S. 47 f. Vgl. F. Neiske unter dem Stichwort Pitanz in: LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 2188. Anders als Zimmermann interpretiert Neiske hier die Pitanz nicht als zusätzliches Gericht (bei einer Mahlzeit), sondern als zusätzlich mögliche, eigenständige Mahlzeit
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Die angemessene Zahl der Gerichte war wiederholt Gegenstand der hochmittelalterlichen Streitliteratur zwischen hochrangigen Vertretern verschiedener Ordensgemeinschaften. So wandte sich Bernhard von Clairvaux dagegen, dass in den benediktinischen Klöstern „die Gerichte vermehrt … und daß drei, vier oder gar fünf Gänge bei einer Mahlzeit gegessen werden“.83 So kritisierte Orden konterten, Benedikt selbst habe geschrieben, dass manchen Mönchen ein Gericht nicht zusage und dass entsprechend ein zweites zu reichen sei. Da es vorkommen könne, dass auch diese Alternative manchem nicht zusage, sei die Gabe von weiteren Gerichten durchaus im Sinne der Regula.84 Zuweilen griff man auch auf definitorische Kniffe zurück, um zusätzliche oder reichhaltige Speiseangebote zu legitimieren: „Noch einfacher versucht der Cluniazenser [gemeint ist Petrus Venerabilis, d.Verf.] im ‚Dialogus‘ die Angriffe abzuwehren, wenn er erklärt, was zwischen den beiden Gerichten ‚ex caritate‘ serviert werde, dürfe man nicht als Gericht ansprechen. Er entspricht damit ganz den Consuetudines, die nur Bohnen und Gemüse als Pulmenta [gekochte Speisen, d.Verf.] bezeichnen, die Zwischengerichte aber als Pitanz und Generale … Auch Hildegard von Bingen bedient sich ähnlicher Argumente“.85 In welchem Verhältnis die zeitgenössische theologische Diskussion über die angemessene Zahl und Menge an Speisen und Getränken und die in den klösterlichen Küchen und Refektorien tatsächlich geübten Praktiken standen, lässt sich aus heutiger Perspektive wohl kaum mehr ermitteln. Dass darüber kontrovers debattiert wurde und auch wie, lässt jedoch darauf schließen, dass die klösterliche Zucht in vielen Punkten schwerlich den Vorstellungen Benedikts entsprach. Askese, Zurückhaltung und Mäßigung traten wohl oft in den Hintergrund, und besondere Annehmlichkeiten der Klostergemeinschaft wurden nicht von vornherein verworfen. So trat etwa im bedeutenden (und wohlhabenden) Kloster Sankt Gallen der Dekan Ekkehard nicht vornehmlich durch seine fromme Haltung hervor, sondern dadurch, dass er den Brüdern besonders reiche Kost und Getränke gewährte. Ekkehard IV., der im 11. Jahrhundert die Leistungen seines etwa ein Jahrhundert zuvor tätigen Namensvetters würdigte, erkennt darin nicht etwa ein Übermaß und damit ein unangemessenes Verhalten, sondern betont, dass Ekkehard aus Liebe und besonderer Zugewandtheit handelte. Dem Befinden und der Stimmung innerhalb des Konventes war dies dem Chronisten zufolge offenbar sehr zuträglich: „In Ekkehard nämlich, den von Natur aus und durch seine Bemühung milde Liebe erfüllte, war der 83 84 85
Zimmermann (1973), S. 49 Zimmermann (1973), S. 50, bezieht sich dabei auf die Cluniazenser Zimmermann (1973), S. 50
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Geist aller zur Ruhe gekommen. Er nun bestimmte, daß von Jonswil,86 das er, wie wir gesagt haben, selber einzog und festhielt, eine Woche lang sieben tägliche Mahlzeiten mit reichlichem Brot und fünf Maßen von Bier hereinkämen, und das fünfte dieser Maße, das nämlich zur Nonzeit getrunken wurde, wolle er durch Wein ausgleichen lassen.“87 Dass der Geschichtsschreiber diese Begebenheit offenbar für außerordentlich und deshalb für berichtenswert hielt, weist jedoch darauf hin, dass auch im reichen Sankt Gallen die klösterliche Tafel in der Regel bescheidener bestückt gewesen sein wird. Den verschiedenen aus dem Hochmittelalter überlieferten Regeln zufolge ist die „Grundlage auch der monastischen Ernährung im Mittelalter … das Brot.“88 Es wird häufig erwähnt und dürfte als regelmäßig gewährte Kost eine entsprechend große Rolle gespielt haben. Sehr unterschiedlich konnten sich jedoch die Mengen gestalten, die ausgegeben wurden. Das von Benedikt gesetzte Maß (wohl ein römisches ‚Pfund‘) wurde dabei nördlich der Alpen wahrscheinlich meistens überschritten. Unter Berufung auf Benedikt gestatteten die Zisterzienser ihren Laienbrüdern (den sog. Konversen) während der Erntezeit, wenn sie körperlich härter arbeiteten, täglich eineinhalb Pfund Brot,89 während „die Reformbenediktiner das Brotquantum auch für die gesamte Kommunität (vergrößerten), ohne daß besondere Gründe vorzuliegen brauchten. Schon wenn das vom Mittag aufgehobene Brot am Abend nicht ausreichte, wurde zusätzlich Brot verteilt.“90 Abwechslung konnten unterschiedliche Brotsorten bieten, die in 86 87
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Gemeint ist der heute noch existierende Ort Jonswil im Schweizer Kanton St. Gallen Ekkehard IV. (1958), S. 146, Nr. 80. Auch später wird eine – hier qualitativ – großzügige Versorgung im Kloster gepriesen, so in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein einem lateinisch verfassten Lied des Marners, das er auf den ‚edlen Prälaten von Maria Saal‘ dichtete: „Ihm ins Gesicht kann ich wie jener Küchenmeister sagen: ‚Du hast das Ende dem edlen Wein und (ebensolchen) Speisen vorbehalten.‘ Richtiger aber sage ich dieses Richtige: Nach dem ersten wird kein schlechterer gereicht. Gutes wird ausgeschenkt und danach Besseres“, zitiert in der Übersetzung von Willms (2008), S. 124 (Lied 10, Str.2, 1 ff., der Originaltext ist auf den S. 121 ff. abgedruckt) Zimmermann (1973), S. 53 Nach dem zisterziensischen Grundsatzprogramm Usus conversorum, das die Regeln und Bedingungen für die Konversen beschreibt und kurz vor 1140 datiert wird, werden auch noch größere Mengen zugelassen: et habebunt singuli libram panis, et insuper de grosso pane quantum necesse fuerit. „Alle sollen ein Pfund Brot und darüber hinaus grobes Brot erhalten, soviel sie brauchen“, Hildegard Brem/Alberich A. Altermatt (Hg.): Neuerung und Erneuerung. Wichtige Texte aus der Geschichte des Zisterzienserordens vom 12. bis 17. Jahrhundert. (Quellen und Studien zur Zisterzienserliteratur. Bd. VI. Veröffentlichungen der Zisterzienserakademie Mehrerau – Langwaden – Berlin). Langwaden 2003, Usus conversorum, Nr. 15 De uictu Zimmermann (1973), S. 53
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den consuetudines genannt werden. Neben dem gewöhnlichen panis solitus, einem dunklen, mit Kleie vermischten Brot, wird ein ‚besseres Brot‘ erwähnt (panis melior, panis delicior), „das an Festtagen und an manchen Fasttagen auf den Tisch kommt“ und wahrscheinlich als ein feineres Brot aus Weizenmehl anzusprechen ist.91 Variationsmöglichkeiten bestanden ferner durch die Formen, die dem täglichen Brot in der Klosterbäckerei gegeben werden konnten – von größeren Laiben oder Fladen über leichtere, kompaktere Brote bis hin zu kleinen Gebäcken etwa in Größe heutiger Brötchen. In den verschiedenen consuetudines wird folglich eine Reihe unterschiedlicher Brot- und Gebäckformen aufgeführt. Ob mit den damaligen Bezeichnungen jedoch „Semmeln, Oblaten, Torten und dergleichen“ in heutigem Verständnis gemeint sind, bezweifelt Gerd Zimmermann wohl zu Recht.92 Ihm fiel „bei der Erfassung der Brotsorten und Gebäcke auf, daß weitaus die Mehrzahl der Quellen aus dem benediktinischen Bereich stammt. Kartäuser, Zisterzienser und andere kannten nur ganz wenige Qualitätsunterschiede und halten die Getreidesorten auseinander, wobei die besseren Qualitäten meist nur in der Ablehnung oder der Beschränkung auf wenige Gelegenheiten erwähnt werden“.93 Die zwei regelmäßig gereichten gekochten Gerichte (pulmenta) bestanden in vielen Klöstern wohl aus einem Gemüse- (olera) und einem Bohnenoder Erbsengericht (fabae).94 Dass als pulmentum auch Getreidebrei, z. B. mit Hafer, Gerste oder Hirse gereicht werden konnte, ist wohl nicht auszuschließen.95 Diese gekochten Speisen konnten mit Salz und Garten- oder Wildkräutern gewürzt werden, und nur die Zisterzienser lehnten es kategorisch ab, den Geschmack wie auch den Nährwert dieser Gerichte durch Zugabe von Fett zu verbessern.96 Das in Südeuropa verbreitete Olivenöl war im Norden selten und in der Regel teuer. Es wurde deshalb durch tierische 91
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Zimmermann (1973), S. 54; das ‚gewöhnliche Brot‘ soll Zimmermann zufolge aus Roggen- oder Hafermehl bereitet worden sein Zimmermann (1973), S. 54 f. unter Verweis auf die diesbezüglichen Ausführungen Heynes (vgl. Anm. 32 und 33) Zimmermann (1973), S. 55 Vgl. Zimmermann (1973), S. 56 f.; genannt werden zwar oft die fabae, doch dürften mit dieser Bezeichnung nicht nur Bohnen, sondern allgemein Hülsenfrüchte gemeint sein, also auch Erbsen, vgl. Zimmermann (1973), S. 57 Diesbezüglich ist Zimmermann (1973), S. 57 f. eher vage. Allerdings leitet er hier pulmentarium von lat. puls ab, das er mit „Brei“ übersetzt, obwohl das pulmentarium im Lateinischen lediglich für „Zukost“ steht, vgl. Der kleine Stowasser (1971), S. 406 s.v. pulmentarium; damit bleibt offen, um welche Speiseform und Zubereitungsweise es sich handelt, zumal sich mögliche Bedeutungswandel unter Beibehaltung des Begriffs nur schwer rekonstruieren lassen Vgl. Zimmermann (1973), S. 57
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Fette ersetzt, entweder durch (die nicht alltägliche) Butter,97 durch Pflanzenöle (Lein-, Bucheckern-, Nussöle) oder durch Schweinefett. So ist von Bischof Meinwerk, der in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts in Paderborn wirkte, überliefert, dass er bei einer Klostervisitation in die Küche kam und dort nur „trockene und armselige Speise“ vorfand, lediglich in Wasser gekochte ‚Gerichte‘. Für die Mönche ordnete er darauf hin das Kochen mit Fett geradezu an: von der Kirche aus „sei in einer allgemeinen Versammlung von Mönchen, die kein Öl hätten, zwar nicht der Genuß des Fleisches vierfüßiger Tiere, aber der Gebrauch des damit verwandten Fettes erlaubt worden. Hierauf ließ der Bischof einige seiner Bauern kommen und befahl ihnen, dem Kloster Schweine zu geben. Mit deren Speck und Fett sollten von jetzt an die Speisen der Brüder bereitet werden“.98 Über das Fleisch, das die geschlachteten Schweine abgaben, schweigt sich die Quelle aus. Zu den gekochten Gerichten sind auch Speisen zu zählen, für die die hochmittelalterlichen consuetudines eine Reihe von Bezeichnungen kennen, die heute nicht mehr eindeutig interpretiert werden können. Gerd Zimmermann nimmt an, dass es sich dabei mehrheitlich um ‚Pfannengerichte‘ handelte, um „Mehlspeisen aller Art, Pfannkuchen, Rohrnudeln, Aufläufe, Pasteten, Fettgebäck (Krapfen usw.) und dergleichen, zubereitet mit Mehl, Eiern, Milch, Fett, Gewürzen.“99 Obst und Gemüse, damit auch Salate und Kräuter, konnten auch den hochmittelalterlichen Regeln zufolge zusätzlich zu den zwei gekochten Gerichten gereicht werden – allerdings nur in rohem Zustand.100 Angesichts der seinerzeit sehr begrenzten Konservierungsmöglichkeiten wird dies wohl besonders im Sommer und Herbst der Fall gewesen sein, im Winter ließ sich ja an Gemüse oder Obst lediglich auf den Tisch bringen, was dörrbar oder z. B. durch Einlegen (‚Essiggurken‘, Sauerkraut) oder Einsalzen dauerhafter wurde.101 97
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Zimmermann (1973), S. 60, führt an, dass Butter in den hochmittelalterlichen consuetudines nur selten genannt werde. Da die Hirsauer consuetudines (vgl. dazu auch den unten folgenden Abschnitt) kein Redezeichen für Butter kennen, schließt er, dass sie in den Benediktinerklöstern nicht verwendet wurde. Dass dies sicher nicht allgemein galt, belegen Diskussionen, die es in der Augustinerabtei Klosterrath bei Aachen Mitte des 12. Jahrhunderts zwischen jüngeren und älteren Mönchen über die Zuteilung von Öl und Butter gab, vgl. Narciß (1989), S. 333, sowie ein Bericht über Verbesserungen der Verpflegung in dem bei Utrecht gelegenen Prämonstratenserkloster Mariengaarde, die Abt Sibrand u. a. durch eine Erhöhung der Butterration zu den Mahlzeiten einführte, vgl. Narciß (1989), S. 357 Narciß (1989), S. 150, auch für das vorherige Zitat Zimmermann (1973), S. 58 Vgl. Zimmermann (1973), S. 55 f. Vgl. zu Konservierungstechniken unten im Anhang den Abschnitt III
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Eier und Milchprodukte, besonders Käse, wurden bei den Benediktinern mit Ausnahme der Fastenzeit regelmäßig aufgetischt, bei anderen Orden nur an besonderen und an Fest-Tagen. Beides wurde zumeist zu den Pitanzen und den Generalia gerechnet und konnte auch größere Portionen umfassen.102 Dass viele Klosterküchen sich darauf verstanden, Eier auf mehrere Arten zuzubereiten, erhellt aus der Kritik, die an dieser Vielfalt in der zeitgenössischen Streitliteratur geübt wurde.103 Aus der in der Nähe des Bodensees gelegenen Zisterzienserabtei Salem ist überliefert, dass dort zur Zeit des Abtes Ulrich II. von Sindelfingen gegen Ende des 13. Jahrhunderts folgendes galt: „vom Osterfeste bis zum Feste der Kreuzerhöhung [14. September] wurde an den Tagen, an denen es zwei Mahlzeiten gab, gekochtes Gemüse oder in Milch gekochter Gerstenbrei mit einem Stückchen Käse, zum Abendessen gesottene oder ungesottene Milch vorgesetzt. Später ordnete der Abt an, daß außer der Zeit der Ordensfasten … den Mönchen und Laienbrüdern zur Hauptmahlzeit je drei Eier gegeben wurden. Man bestritt die Auslagen hierfür aus der Schenkung eines Freundes des Abtes, der dem Kloster gewogen war. An den Fasttagen gab es bei der einmaligen Mahlzeit zwei gekochte Speisen und ein Stückchen Käse, der an den Freitagen wegfiel.“104 Bemerkenswert ist, dass die Zugabe von Eiern in Salem demnach nur möglich war, weil ein Stifter für deren ‚Finanzierung‘ sorgte. Denn in vielen Klöstern, besonders in solchen, die über ausgedehnten Grundbesitz verfügten, dürfte es durchaus lebhaft bevölkerte Hühnerhöfe gegeben haben. Die Abgabe von Hühnern an ein Kloster als Grundherrn gehörte im 102
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Vgl. Zimmermann (1973), S. 59; er beruft sich auf eine zeitgenössische Quelle, die die Zahl von fünf Eiern (wohl pro Person) nennt. Zu beachten ist jedoch, dass die Hühner im Hochmittelalter wie alle Nutztiere deutlich kleiner waren als die heutigen Rassen und dass man sich daher die Portion von fünf Eiern sicher nicht annähernd mit den heutigen Güteklassen „M“ oder „L“ vorstellen darf; vgl. dazu auch unten Kap. 7 Vgl. Zimmermann (1973), S. 59f. Zu dem von Bernhard von Clairvaux überlieferten Beispiel vgl. unten im Anhang S. 627, Anm. 122. – Welche Arten der Zubereitung von (Hühner-)Eiern zu seiner Zeit bekannt waren, zählt der sog. ‚König vom Odenwald‘ in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in einem Gedicht über das Huhn und das Ei auf: es sind mehr als zwanzig Varianten, darunter das hart gekochte Ei (auch als Reiseproviant), das weich gekochte Ei, das ‚schlichte‘ Spiegelei, das in Schmalz gebackene und mit Salz bestreute oder das in (zerlassene Schmalz-)Grieben geschlagene (Spiegel-)Ei, in Butter gebackenes Ei, Rührei (das der Autor selbst bevorzugt), ‚verlorene‘ Eier, in Milch geschlagenes Ei, Eier in Petersilie und Essig geschnitten, Eierbrei, Eierkuchen, Eier als Fülle für Fleisch oder Fischgerichte, Eier in Molke und als Bestandteil von Hirnwürsten, gewürzte Eier, Eier als Bestandteil von Kuchen und zum Bepinseln von Braten, Eier als Garnitur für Spanferkel oder als Füllung von Morcheln und Krebsen; vgl. Edition Olt (1988), Nr. II, S. 48ff., bes. S. 49ff., V. 61ff. Narciß (1989), S. 308 mit Anm. 8; aufgeführt sind dort (S. 300 ff.) längere Passagen aus der Chronik von Salem
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Mittelalter nämlich zu dem zu entrichtenden ‚kleinen Zehnten‘, der von den klösterlichen Hintersassen zu festgelegten Terminen zu hinterlegen war.105 Die Gabe von Fisch ließ schon die Regula Benedicti zu, indem sie lediglich den Genuss von Fleisch vierfüßiger Tiere reglementierte. Damit ist ausgedrückt, dass sowohl Fisch als auch Geflügel nicht zu ‚Fleisch‘ rechneten und als ‚gesonderte Kategorien‘ verstanden wurden. In den meisten Orden wurde Fisch oft und besonders in der Fastenzeit genossen, denn er „bildete in diesen Wochen die einzige eiweißhaltige Speise und wird in den Quellen deshalb öfter als sonst erwähnt“.106 Gleichwohl blieb der Genuss von Fischspeisen auch bei den im Vergleich zu anderen Orden liberalen Benediktinern besonders dem Donnerstag, dem Sonntag, dem Freitag sowie den Feiertagen vorbehalten.107 Damit war Fisch auf den Tischen der Refektorien zwar verbreitet und auch gut bekannt, behielt dabei jedoch durchaus den Status des Besonderen. Ein ‚Allerweltsessen‘ stellten Fischspeisen auch in den Klöstern sicher nicht dar. Die aus dem Kloster Salem überlieferte Chronik führt denn auch aus: „Wurden einmal von einem besonderen Almosen Fische aufgetragen, so blieb es bei einem Gerichte dazu. Dieser Fall kam aber sehr selten vor. Denn noch wenige Jahre vor dem Hinscheiden dieses Abtes [Ulrich II. von Sindelfingen, † 1311] erhielt unser Konvent keine Pietanzen [sic!], nur während der vierzigtägigen Fasten wurden dreimal in der Woche fünf getrocknete Fischlein gegeben. Schließlich bedauerte der Abt seinen Konvent, weil er so selten Fische bekam, und so ließ er … durch die Kanoniker von Konstanz die Einkünfte der Kirche von Weildorf seinem Konvente zur Beschaffung von Fischen für immer überweisen.“108 Das in Salem schmale Angebot an Fisch war für Klöster insgesamt jedoch wohl nicht repräsentativ. Andere Klöster erhielten Fisch als Naturalzins in zuweilen erheblichen Mengen. So waren z.B. jährlich im März an das Kloster Deutz 1600 Heringe, 120 Hechte, 10 Salme und 50 Lampreten (Neunaugen) zu liefern.109 Und
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Vgl. Merk (1996), S. 19; ausgeführt wird hier, dass zum sog. ‚großen Zehnten‘ in der Benediktinerabtei Seligenstadt Halmfrüchte, Heu, Wein, Öl und Säugetiere gehörten, zum ‚kleinen Zehnten‘ Geflügel, Obst, Erbsen, Flachs und Unschlitt (Rindertalg für Kerzen) sowie Kraut und Rüben; Tierprodukte wie Eier wurden dort nicht ‚gezehntet‘. Auf die wirtschaftliche Bedeutung der Abgaben von Geflügel an ein Kloster weist auch Zimmermann (1973), S. 61 hin; andernorts scheinen Eier zum Abgabesoll der klösterlichen Hintersassen gehört zu haben, denn „in Deutz mit einer Sollstärke von 40 Mönchen kamen kamen pro Monat 1200 Eier und 12 Malter Käse ein“, Stephan Bd. 2 (2000), S. 335 Zimmermann (1973), S. 60 Vgl. Zimmermann (1973), S. 60 Narciß (1989), S. 308 Vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 335, Anm. 607
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von „Freren im Emsland gingen um 1200 Karren mit Heringen aus Friesland nach Corvey“, wohin bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts „Lachse, Störe, Neunaugen von der Niederelbe, Salme vom Niederrhein und Aale aus der Gegend von Walsrode“ als Abgabe zu liefern waren, die jedoch auch in Form einer Geldsumme abgelöst werden konnte.110 Über die Zulässigkeit von Geflügel für die Klosterküche wurde zwar schon vor der ersten Jahrtausendwende gestritten, doch ließ sich sein Genuss kaum nachhaltig verbieten, da es deutlich nicht zu den vierfüßigen Tieren zu zählen ist.111 Auch Geflügel dürfte aber wohl nur an besonderen Tagen verzehrt worden sein. In der klösterlichen Küchenwirtschaft wird es jedoch auch deshalb eine Rolle gespielt haben, weil Geflügel (besonders Hühner) zu den Naturalabgaben gehörte(n), die Klöster aus ihrem oft umfänglichen Grundbesitz erhoben.112 Auf einen oft gut bestückten klösterlichen Hühnerbestand lassen außerdem die zuvor genannten Eier(gerichte) schließen. Mit Blick auf die Zulässigkeit des Verzehrs von ‚Fleisch‘ gab es in dem hier betrachteten Zeitraum einige bemerkenswerte Wandlungen. Wurde in den doktrinären Auseinandersetzungen des 11. Jahrhunderts diesbezüglich nach wie vor die Regula Benedicti herangezogen (die das Fleisch vierfüßiger Tiere nur Kranken und Schwachen erlaubte), sind vom 12. Jahrhundert an bei einigen Kongregationen Veränderungen in der grundsätzlichen Haltung und in den darauf bezogenen Diskussionen nachweisbar. Dass die Zisterzienser das Fleischverbot seinerzeit besonders betonten, weist darauf hin, dass es wohl öfter missachtet wurde. Den Cluniazernsern hielten die Zisterzienser heftig vor, sich in eben diesem Punkt überhaupt nicht mehr an die von Benedikt vorgegebenen Regeln zu halten.113 Dass der Fleischverzicht von manchen Mönchen nicht durchgehalten wurde, nimmt auch Caesarius von Heisterbach (ca. 1180–1240) zum Anlass einer didaktischen Parabel, die er folgend einleitet: „Kürzlich geschah es, dass einige Mönche zu Prüm drei Tage vor Aschermittwoch bei einem Weltgeistlichen schmausten, wo sie fast bis Mitternacht Fleisch aßen und
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Stephan Bd. 2 (2000), S. 335. – Die Möglichkeit, Naturalabgaben durch Geldzahlungen zu ersetzen, bedeutete angesichts der i. d. R. schwierigen und damit zeitraubenden Transportwege eine praktische Lösung. Toter Fisch konnte nur eingesalzen, geräuchert oder getrocknet über längere Strecken transportiert werden, der Transport lebenden Fischs scheint wegen der damals damit verbundenen ‚technischen‘ Schwierigkeiten unwahrscheinlich Vgl. Zimmermann (1973), S. 61 ff. Vgl. Zimmermann (1973), S. 61 und Merk (1996), S. 19 Vgl. Zimmermann (1973), S. 63
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den köstlichsten Wein tranken.“114 Der Gesellschaft reichte das opulente Mahl jedoch nicht, und sie verlangte mitten in der Nacht, noch frisches Geflügel zuzubereiten. Als sich im Innern einer darauf hin geschlachteten Henne eine Kröte fand, verließen die ‚Sünder‘, ob dieses ‚Zeichens‘ entsetzt, den Ort des Gelages fluchtartig.115 In einer anderen Geschichte berichtet Caesarius: „Ein Abt aus dem schwarzen Orden116 war selbst gut und regeltreu, hatte aber seltsame und lockere Mönche. Eines Tages richteten sich einige derselben verschiedene Gänge Fleisch und feine Weine her. Aus Furcht vor ihrem Abte getrauten sie sich dies nicht in einem der Klostergebäulichkeiten zu sich zu nehmen und kamen deshalb in einem ganz großen, leeren Weinfaß, das man Tonne nennt, zusammen. Sie brachten Speise und Wein dorthin.“117 Der Abt entdeckt die Verfehlung, versteht es jedoch, die Delinquenten durch eigenes vorbildliches Verhalten wieder auf den ‚rechten Pfad‘ zu bringen.118 Auch wenn der Zisterzienser Caesarius dieses Vorkommnis dem Benediktinerorden zuweist, wird das Thema ‚Fleischverzehr‘ auch bei den Zisterziensern immer wieder aufgekommen (und Fleischkonsum wohl auch praktiziert worden) sein.119 Die in didaktischer Absicht verfassten Bei114
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Caesarius von Heisterbach. Wunderbare und denkwürdige Geschichten. Dialogus magnus visionum utque miraculorum. Übersetzt von Ernst Müller-Holm. (HegnerBücherei). Köln 1968, S. 78 (Viertes Buch, Nr. 14) Caesarius von Heisterbach (1968), S. 78 Gemeint sind hier die schwarze Kutten tragenden Benediktiner Narciß (1989), S. 272; in einem anderen Text berichtet Caesarius, „Wie ein einfältiger Mönch in einem Schloß Fleisch aß“, vgl. Caesarius von Heisterbach (1968), S. 102 ff. (Sechstes Buch, Nr. 1) Vgl. Narciß (1989), S. 272 f. Dass in vielen Zisterzienserklöstern das Fleischessen besonders im 13. Jahrhundert ‚eingerissen‘ sein muss, erhellt daraus, dass Papst Benedikt XII., selbst ein Zisterzienser, zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Bulle Fulgens sicut stella erließ. Die zahlreichen Aspekte, die in diese Bulle aufgenommen wurden und durch sie reguliert werden sollten, lassen einige Rückschlüsse auf die Verfassung vieler Klostergemeinschaften zu. Bemerkenswert ist, dass der Artikel 22 (Fleischgenuss in den Klöstern) in dem ohnehin umfänglichen Text die deutlich längste Passage darstellt. Entschieden nimmt der Papst Stellung zu offenbar verbreiteten Behauptungen, dass es sogar eine päpstliche Erlaubnis gebe, Fleisch zu sich zu nehmen: „Wir widerrufen nämlich ganz und gar die Genehmigungen, die manche Äbte und Mönche des genannten Ordens bezüglich des Fleischgenusses vom Apostolischen Stuhl zu haben behaupten, da solche Genehmigungen zum Ärgernis für andere überhandnehmen“, Brem/Altermatt (2003), S. 243, vgl. zu dieser Bulle auch ebd. einleitend S. 207ff. Nur in der Krankenabteilung darf, so Benedikt XII., Fleisch zubereitet und ausgegeben werden. Interessant ist, dass er zulässt, in der Krankenabteilung nicht ausschließlich Kranke mit Fleisch zu versorgen (gestattet ist es z.B. Gästen, dort Fleisch zu essen) und dass es auch möglich ist, in besonderen Fällen im Raum des Abtes Fleisch zu servieren, vgl. Brem/Altermatt (2003), S. 245. Bei aller Deutlichkeit seines päpstlichen Machtwor-
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spielgeschichten machen nur Sinn, wenn sie auf realen oder zumindest ihrem Publikum vorstellbaren Gegebenheiten beruhen: Fehlverhalten, das nicht vorkommt, bedarf nämlich keiner Korrektur oder Klage. Eine solche Klage führte auch Abt Wibald, der zu Beginn des 12. Jahrhunderts dem an der Weser gelegenen benediktinischen Reichskloster Corvey vorstand. In einem an Robertus, Dekan des Klosters Stablo, gerichteten Brief kritisiert er, dass die Interessen der Mönche nicht mehr auf die Regula oder das geistliche Leben gerichtet seien, sondern sich ganz und gar weltlichen Themen zugewandt hätten. Dies trifft auch auf den Bereich des Essens zu: „Kein Probst, kein Cellerarius kann sie zufriedenstellen, denn Brot, Bier und Fleisch gibt es ihrer Meinung nach immer zuwenig.“120 Die genannten Quellen weisen aus, dass die Zulässigkeit des offenbar nicht unüblichen Fleischkonsums in klösterlichen Gemeinschaften vom 12. Jahrhundert an wieder deutlich mehr in Frage gestellt oder auch kategorisch abgelehnt wurde. Dies konnte sich noch im 11. Jahrhundert durchaus anders darstellen. So veranlasste Bischof Meinwerk von Paderborn, dass „neun der besten Schinken in das Kloster gebracht würden“, das seine zuvor erlassenen Verbesserungen bei der Ernährung der Mönche immer noch nicht befolgte.121 Diese Handlung wird ohne eine kritische Kommentierung allein als Wohltat geschildert. Auch in der Geschichte des Klosters Sankt Gallen um die Jahrtausendwende treten bei Ekkehard IV. Übertretungen der Regula Benedicti auf, die lediglich andeutungsweise in Frage gestellt werden. Das Kloster erhielt Besuch vom König, der dem Abt augenzwinkernd mitteilte: „‚Denn auch ich will heute als Verbrüderter mit den Brüdern speisen und unsere Bohnen aus dem Meinigen würzen.‘ Rasch wurden dem Könige von den Brüdern Messen an diesem selben Altar gehalten. Früher als sonst ward das Mahl bereitet; das Refektorium füllte sich; kaum einen Satz hat der Vorleser gesprochen … Niemand sagte, dies oder jenes sei nicht der Brauch, obwohl es niemals gesehen oder gehört worden war, niemals ein Mönch es in diesem Hause erfahren hatte. Man atmet den Geruch von Wild und Fleisch ein. Es springen die Gaukler, es spielen die Musikanten. Noch nie ist das Refektorium des Gallus von sich aus zu einem solchen Freudenfest gekommen.“122
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tes scheint Benedikt XII. daran gelegen gewesen zu sein, Ausnahmen zuzulassen – sei es, um einer Vielzahl möglicher Anträge auf Dispens zuvor zu kommen oder, weil er ahnte, dass sich ein konsequentes Verbot ohnehin kaum durchsetzen ließ Stephan Bd. 2 (2000), S. 323 Narciß (1989), S. 151 Ekkehard IV. (1958), S. 45, Nr. 16; der Chronist lässt durch seine Schilderung offen, ob sich auch die Mönche an dem königlichen Festmahl aktiv beteiligten, wenn er lediglich den Geruch von Fleisch erwähnt, der durch den Speisesaal zog. Dies ist in-
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Ein Fest wie das geschilderte mag eine große Besonderheit gewesen sein. Das Thema ‚Fleischkonsum‘ begegnet jedoch bei Ekkehard IV. mehrfach. Als schändlich stellt er das Verhalten des Bruders Sandrat dar, der sich – teils gegen Bezahlung – bei den Wachen des Klosters Fleischmahlzeiten besorgte, entdeckt wurde und sich einer Strafe durch Flucht aus dem Kloster entzog.123 Gänzlich unkommentiert lässt er hingegen die Schilderung eines (früheren) Gesprächs zwischen einem Besucher, dem Abt und einzelnen Mönchen des Klosters, in dessen Verlauf ein Mönch die folgende Stellungnahme abgibt: „Solange ich seinerzeit hier Schüler war, gingen wohl einmal mehrere Tage hin, daß ich mich nicht erinnerte, einen Fisch aus jenem See gesehen zu haben. Aber damals pflegte auch der größere Teil der Brüder kein Fleisch zu essen, und daran wurde meiner Ansicht nach freilich zu sehr gespart. Es gab aber andere, die erlaubtermaßen nur Geflügel aßen, weil es mit den Fischen zusammen erschaffen ist. Wenige aber haben an Orten, die innerhalb der Wände des Hauses vom Abt bewilligt waren, auch das Fleisch von Vierfüßlern gegessen. Einen besseren Mönch aber werde ich, wie mich dünkt, niemals sehen, als einer von ihnen es war, der bisweilen Fleisch aß.“124 Diese Haltung könnte für Ekkehard IV. mit der im Rahmen des Gespräches zuvor eigens zitierten Regel: „was der Entscheid des Abtes befiehlt, das soll der Mönch essen und trinken“125 wohl durchaus als widerspruchsfrei gegolten haben. Nur so erklärt sich, dass er Sandrats Verhalten kritisiert, die nicht regelgerechte Meinung eines früheren Mitbruders zum Fleischgenuss jedoch nicht verurteilt. Das in Klostergemeinschaften am besten dokumentierte Getränk ist der Wein. Schon Benedikt von Nursia ließ ihn ja zu, jedoch lediglich in sehr begrenzten täglichen Mengen. Seine Vorstellung von einem angemessenen Maßhalten durchlief bis zum Hochmittelalter offenbar eine Reihe von Uminterpretationen. So war es bei „den Benediktinern des Hochmittelalters … üblich geworden, die vom Ordensvater nur ausnahmsweise gewährte Vergrößerung der Weinration sehr oft zu gestatten, sei es einfach als zusätzlicher Trank, sei es unter der Bezeichnung ‚caritas‘“.126 Unter Berufung auf Benedikts für die besonderen körperlichen Bedürfnisse in anderen Regionen offene Regel galt es für viele Obere wohl als vertretbar, Durst als einen
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sofern eine interessante Wendung, als er damit vermeidet zu dokumentieren, ob der damalige Konvent von Sankt Gallen angesichts der dargebotenen, ihm jedoch verbotenen Speisen ‚schwach wurde‘ Ekkehard IV. (1958), S. 235 ff., Nr. 143 Ekkehard IV. (1958), S. 185, Nr. 105 Ekkehard IV. (1958), S. 184, Nr. 105 Zimmermann (1973), S. 67
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Mangel zu definieren und ihn durch die Regula Benedicti übertreffende Weinrationen zu lindern. Entsprechende „Anordnungen, die es den Brüdern ersparen sollten, daß sie Durst litten, sind mancherorts ausgenutzt worden. Die Klagen, daß die Benediktiner zu viel tränken, wären sonst nicht verständlich.“127 Zwar erhoben sich auch über die Weingaben in und zwischen den Orden des Hochmittelalters einige heftige Kontroversen, ein kompletter Verzicht wurde dabei jedoch nicht ernsthaft erwogen, keine der überlieferten consuetudines fordert ihn. Verzicht auf den Wein wurde lediglich in Fastenzeiten erwartet.128 Selbst bei den strengen Karthäusern wurde Wein zugelassen, wenngleich er dort stark mit Wasser verdünnt wurde. Auch die Zisterzienser streckten den Wein mit Wasser, die Benediktiner wohl nur während der Sommerzeit.129 Vorhaltungen begegneten sie mit dem Argument, dass auch Christus Wein unverdünnt genossen habe und dass das Trinken von Wasser überdies ungesund sei.130 Vielen Mönchen ‚schmeckte‘ das Verdünnen des Weines nicht. Sie mussten jedoch vermeiden, sich offen zu beklagen, da das Murren schon nach der Regula Benedicti verpönt war und es auch weiterhin blieb. Auf eine Möglichkeit der Kritik, die nicht geahndet wurde, griff man durch humorvolle Bemerkungen zurück. Einen Beleg dafür bildet der folgende mittelalterliche ‚Klosterwitz‘: „Ein Prior ließ Wasser zum Weine gießen. – Einst sagte er zu einem allzu geschwätzigen Mönche: ‚Bruder, wann wird wohl mal deine Mühle stille stehen?‘ ‚Sie kann nicht, solange Ihr soviel Wasser darauf gießt‘.“131 Wie in höfischen Kreisen „beachtete man in den mittelalterlichen Klöstern weniger die Weinqualität in unserem Sinne, also die naturreinen Weine, sondern man verbesserte diesen durch Zusätze“ wie Honig, Kräuter oder Gewürze.132 Die für ‚aufgesetzte‘ Weine besonders aus der epischen Dich127 128 129 130
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Zimmermann (1973), S. 67 f. Vgl. Zimmermann (1973), S. 68 Vgl. Zimmermann (1973), S. 68 f. Vgl. Zimmermann (1973), S. 69: „Am typischsten für diese Argumentationsweise ist aber die Berufung auf Is I, 22, da Gott das Volk Israel verwarf mit den Worten ‚Vinum tuum mixtum est aqua‘, und die Betonung, daß Wasser dem Magen besonders schädlich sei.“ Vgl. zur mittelalterlichen Einschätzung von Wasser aus diätetischer Perspektive auch unten Abschnitt 6.3 sowie zu der oft problematischen Wasserqualität unten im Anhang den Abschnitt VII Narciß (1989), S. 520, wo mehrere Stücke aus der mensa philosophica wiedergegeben werden Zimmermann (1973), S. 69; eine ausführliche Übersicht der würzenden, jedoch auch der klärenden Zusätze, die Wein im Mittelalter zugegeben wurden, bietet Wunderer (2001), S. 139 ff. und S. 177 ff.
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tung des Hochmittelalters bekannten Bezeichnungen pigment und clâret finden sich auch in den consuetudines, allerdings in ihrer lateinischen Form pigmentum und claretum.133 Diskutiert wurde darüber, ob und ggf. wann diese ‚verbesserten‘ Weine angemessen seien. Ihr Genuss war an besonderen Feiertagen offenbar unstrittig, bemerkenswerterweise vielfach auch an den Fastentagen, an denen sie als eine besondere Stärkung (und damit tendenziell ‚medizinisch‘) aufgefasst wurden.134 Ihren Wein bezogen die Klöster – je nach Region – oft aus eigenen Besitzungen. Viele Klöster kamen durch Schenkungen oder Übertragung von Grundeigentum der Familie eines Novizen bei Eintritt ins Kloster in den Besitz von Weinbergen. So besaß die im Hunsrück gelegene Zisterziensterabtei Himmerod in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entlang der Mosel bis zum Rhein 34 Weinberge und verfügte zusätzlich über sog. ‚Weinrenten‘ aus zwei Weinbergen.135 Da die daraus gewonnenen Erträge weit über den klösterlichen Eigenbedarf hinaus gingen, wurde die Überschussproduktion verkauft.136 Die geographische Streuung von klösterlichem Weinbergbesitz konnte erhebliche Entfernungen aufweisen. Für den Corveyer Benediktinerkonvent stellte es eine logistische Herausforderung dar, einmal jährlich Wein von seinen an Rhein und Mosel gelegenen Besitzungen abzuholen.137 Für verschiedene altbayerische Klöster ist seit dem 11. Jahrhundert ebenfalls ein umfangreicher, weit verstreuter Weinbergbesitz dokumentiert, der über die Alpen bis nach Bozen im heutigen Südtirol reichte.138 Eine im Vergleich zu anderen europäischen Regionen eigene Rolle spielte in den Klöstern des deutschsprachigen Raumes das Bier. Grundsätzlich war es ja bereits durch die Regula Benedicti nicht verboten. So ist es nachvollziehbar, dass im Hochmittelalter der „stärkere Bierverbrauch in Deutschland … auch durch die Ordensvorschriften respektiert“
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Vgl. Zimmermann (1973), S. 69 Zimmermann (1973), S. 70 Vgl. Lukas Clement: Trier – Eine Weinstadt im Mittelalter. (Trierer historische Forschungen. Bd. 22). Trier 1993, S. 88 ff. mit Tafel S. 89 Vgl. Clement (1993), S. 141; Clement führt dort weiter aus, dass für den ebenfalls in der Region Trier ansässigen Deutschorden zwar ein umfänglicher Weinbergbesitz nachgewiesen ist, bei ihm jedoch „der krisenanfällige und folglich auch risikoreiche Weinhandel offenbar keine große Rolle gespielt hat.“ Vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 337 Andreas Otto Weber: Studien zum Weinbau der altbayerischen Klöster im Mittelalter. Altbayern – Österreichischer Donauraum – Südtirol. (Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte. Nr. 141). Stuttgart 1999, S. 110 ff. sowie Karten 5–8
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wurde.139 Dass er auch tatsächlich stattfand, geht aus dem oben bereits erwähnten Brief Wibalds von Corvey hervor, und auch Ekkehard IV. erwähnt die Ausgabe von Bier in Sankt Gallen durch seinen Namensvetter Ekkehard, wobei die Ration von fünf Maßen ungewöhnlich groß gewesen sein muss.140 Über die regulär auszugebenden oder zulässigen Mengen an Bier schweigen sich die consuetudines, in denen sich so viele Abläufe des Klosterlebens zuweilen minutiös definiert finden, bemerkenswerterweise aus. Da viele Klöster innerhalb ihres ummauerten Areals ein eigenes Brauhaus hatten, wird Bier dort regelmäßig in größeren Mengen selbst hergestellt worden und verfügbar gewesen sein.141 In den Regionen, in denen Wein nicht oder nur eingeschränkt vorhanden war, konnte er auch durch Met ersetzt werden. Erwähnung findet dieses Getränk jedoch vergleichsweise selten, nur die zur lothringisch-deut139
140 141
Zimmermann (1973), S. 71; zur besonderen Rolle des Bieres im deutschsprachigen Raum dort ferner: „In den lothringisch-deutschen Consuetudines findet dann das Bier eine größere Bedeutung als in den west- und südeuropäischen.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch Jutta Maria Berger: Die Geschichte der Gastfreundschaft im hochmittelalterlichen Mönchtum: die Cistercienser. Berlin 1999, S. 352 Vgl. Ekkehard IV. (1958), S. 146, Nr. 80 Vgl. hierzu z. B. die bei Merk (1996), S. 15 abgebildeten Klosterpläne. Dass man sich sogar im Himmel Bier vorstellen konnte, geht aus einer Passage der anonym überlieferten frühmittelhochdeutschen Dichtung ‚Vom Himmelreich‘ hervor. Nach einer Schilderung der wunderschönen Bauten und Atmosphäre, die der Himmel bietet – goldene Mauern, edelsteinbesetzte Zinnen und Regenbogen – wird aufgeführt, dass man dort keine täglichen Mühen wie etwa das (Wasser-)Schöpfen oder Nähen kenne. Auch um das Essen und Trinken brauche man sich nicht zu kümmern: durch ezzen nebedarf man daz brot bachen noch baen, durh zuomuose fleisc und(e) fiske sieden noch sulzen, durh trinchen haberen noch gersten ze bíerè mulzen. sí negerent durh den durst iemer metes noch wines oder ze wollibe morates noch trinchenes deheines. eiere unde chæse netuont sie da gesoten noch gebraten, got, du maht in alle dei elliu sus wole geraten.
(9, 10 ff.)
‚Es ist im Himmel nicht erforderlich, Brot zu backen oder es aufgehen zu lassen. Um Fleisch und Fisch(e) als Beilage zu haben, muss man beides weder kochen noch in Sülze einlegen. Um etwas zu trinken zu haben, muss man weder Hafer noch Gerste malzen, um Bier daraus herzustellen. Um den Durst zu löschen, muss man dort weder Met noch Wein verlangen oder zu einem guten Leben môrâz oder ein anderes Getränk. Es ist (dort) auch nicht nötig, Eier und Käse zu kochen oder zu braten. All das machst Du, Gott, ihnen bereits schön fertig.‘ Text zitiert nach Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Bd. I (1964), S. 389, vgl. zur vieldeutigen mhd. Verwendung von durch, durh Lex. Bd. I (1992), Sp. 477 f. neben Anderem: „wegen, um – willen, vermittelst, aus, vor“ und zu gërn, gëren in demselben Band Sp. 855: „absol. begehren, verlangen“
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schen Reformgruppe gehörenden consuetudines des Benediktiners Sandrat142 legen für bestimmte Tage das Trinken von Met fest.143 Angesichts der verschiedenen Regelungen für die und Verfahrensweisen in den Klosterküchen, die Vielfalt durchaus zulassen, fragt sich, wie es in den Kongregationen des Hochmittelalters um das Fasten stand, das bei Benedikt von Nursia einen wesentlichen Ausdruck des von asketischer Haltung geprägten mönchischen Lebens darstellte. Die Vorstellungen, die in den verschiedenen Orden vom (‚rechten‘) Fasten entwickelt wurden, differieren erheblich. Als besonders streng galten die Eremitenorden, zu denen die Karthäuser rechnen. Bei ihnen wurden die Zahl der Gerichte und die Weinrationen an Fasttagen gemindert, einzelne Stimmen hielten es auch für vertretbar, „wenn ein Mönch dreimal in der Woche bei Brot und Wasser fastet“.144 Hinsichtlich der strengen Durchsetzung dieser Einschränkung waren jedoch selbst die Karthäuser zurückhaltend. Unter Hinweis auf die je nach physischer Konstitution unterschiedlichen individuellen Nahrungsbedürfnisse und, weil bekannt war, dass eine überzogene Entsagung die Essensgier nur steigert, wurde letztlich auch an Fasttagen für eine maßvolle Nahrungsaufnahme plädiert.145 Gegen übertriebenes Fasten wandten sich auch die consuetudines der Reformbenediktiner, doch zogen sie daraus tendenziell die ‚Erlaubnis‘ für verschiedene Lockerungen. „Das von Benedikt vorgeschriebene Fasten am Mittwoch und Freitag während des Sommers wurde von den Cluniazensern bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts nicht mehr streng eingehalten. Man berief sich darauf, daß Benedikt gestattete, es ausfallen zu lassen, wenn nötig, und schützte Schwäche vor“.146 Die Milderungen, die sich die Benediktiner so zu verschaffen wussten, waren besonders im 12. Jahrhundert Gegenstand verschiedener Grundsatzdiskussionen über das ‚rechte Maß‘ des Fastens. Dabei gehen die Ansichten, welche Einschränkungen angemessen und auch zumutbar seien, auseinander. Durchgehend ist jedoch die Sorge, den Konventualen nicht einen übermäßigen Verzicht aufzuerlegen. Die komplette Verweigerung der Nahrungsaufnahme wurde jedoch, weil letztlich nicht ‚gesund‘, allgemein abgelehnt, und auch eine selbstgewählte Askese
142
143 144 145 146
Dieser Name muss öfter vorgekommen sein. Der hier genannte Sandrat ist nicht derjenige, der – wie oben angeführt – seiner Verfehlungen wegen sein Kloster verlassen musste Vgl. Zimmermann (1973), S. 71 Zimmermann (1973), S. 78 unter Hinweis auf die Haltung von Petrus Damiani Vgl. Zimmermann (1973), S. 78 f. Zimmermann (1973), S. 77
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wurde kritisch gewertet, wenn sie übertrieben und der Erhaltung von Geist und Körper abträglich war.147 Dies belegt u. a. ein Brief, den die Äbtissin Hildegard von Bingen an die Nonnen von Wechterswinkel richtete. Rhetorisch geschickt, lässt sie Gott über die rechte Anwendung des Fastens und Essens sprechen, das in beiden Fällen Mäßigung fordert und Übertreibung verbietet.148 Dass dauerhaft strenge Askese eine Ausnahme darstellte, wird auch daraus ersichtlich, dass sie in der Lebensgeschichte Norberts von Xanten (wohl 1080/85 bis 1134), zu Beginn des 12. Jahrhunderts Gründer des Prämonstratenserordens und Erzbischof von Magdeburg, als eine seiner besonderen Leistungen hervorgehoben wird: „Sommer wie Winter fastete er das ganze Jahr, und niemand konnte ihn dazu bringen, daß er, abgesehen vom Sonntage, zweimal am Tage etwas aß. Er nahm nur rohe Speisen, die man nicht durch Kochen schmackhaft gemacht hatte, zu sich. Alle wunderten sich über ihn. Seine Enthaltsamkeit und Mäßigkeit ward allenthalben unter dem Lobpreise Gottes verkündet.“149 Auch Norbert aber sollen – ausgerechnet in der vorösterlichen Fastenzeit – einmal Heißhunger und Lust auf Milch und Käse überfallen haben (der Chronik zufolge durch teuflische Versuchung), was seine Mitbrüder jedoch zu verhindern wussten. Nach diesem für ihn außergewöhnlichen ‚Unfall‘ kehrte Norbert über grobes Brot und Wasser zu seinen bisherigen, schon für Zeitgenossen bemerkenswerten Fastengewohnheiten zurück.150 Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab, dass von den Mönchen und Nonnen zu Fastenzeiten zwar Einschränkung erwartet wurde, die Zahl und die Vielfalt der auch an Fasttagen zur Verfügung stehenden Gerichte oft aber dennoch einen gewissen Umfang erreichen konnte. Bei den Benediktinern war es z. B. üblich, auch an Fasttagen und in der vorösterlichen Fastenzeit nicht auf die als Zusatzkost gegebenen Pitanzen und Generalia zu verzichten. Ebenso ließen sie selbst zu Beginn der Fastenzeit noch besonders stärkende Mahlzeiten zu.151 Dass sich auch die den liberalen Cluniazensern gegenüber kritisch gesinnten Zisterzienser mit ihren strengeren Fasttagsregelungen, die u. a. die Gabe des mixtums (Zusatzration an Brot und Wein) an Fasttagen ausschlossen, wohl nur schwer durchsetzen konnten, wird dadurch wahrscheinlich, dass sie „ihren Ordensangehö147 148
149 150 151
Vgl. Zimmermann (1973), S. 77 ff. Vgl. die im lateinischen Original zitierten Passagen bei Zimmermann (1973), S. 80 Narciß (1989), S. 350 (Aus der Lebensgeschichte Norberts, S. 347–356) Vgl. Narciß (1989), S. 351 Vgl. Zimmermann (1973), S. 49
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rigen die Einhaltung des Mittwochs- und Freitagsfastens besonders einschärften.“152 Aus den hochmittelalterlichen Ordensregeln geht insgesamt nicht nur hervor, dass sie in Bezug auf das Fasten recht unterschiedliche Auffassungen vertraten. Eigen ist einigen Regeln auch die Tendenz, Fastengebote in ihrer Verbindlichkeit für die gesamte Kongregation zu relativieren: „Bemerkenswert ist …, daß oft die Entscheidung über Genuß oder Enthaltung von Speisen und Getränken – seien es nun zusätzliche oder ganz der Regel gemäße Rationen – dem einzelnen Mönch anheim gestellt wird. Besonders in den Consuetudines der Reformbenediktiner lesen wir dieses ‚qui vult‘ des öfteren … Die charakteristischen Stellen sowohl der lothringischen wie auch der cluniazensischen Consuetudines betreffen f r e i w i l l i g e n Ve r z i c h t auf die ganze Mahlzeit oder einzelne Gerichte, häufig auch auf den Umtrunk … Diese Bemerkungen, die der benediktinischen wie der neueren Quellen, zeigen, daß auch das hochmittelalterliche Mönchtum sich darüber im klaren war, daß gerade in der Ernährung nicht alles einheitlich befohlen werden kann, daß irgendwie doch dem individuellen Bedürfnis Rechnung getragen werden muß“.153 Im Vergleich zu dem durchaus vielfältigen und nicht zwangsläufig entsagungsreichen Bild des Fastens, das sich aus den consuetudines und anderen zeitgenössischen Zeugnissen erschließt, geht eine poetische Erwähnung in eine andere Richtung. Der Stricker lässt den Pfaffen Amis, der im Laufe seiner Abenteuer mehrfach zwischen Kloster und ‚Welt‘ wechselt, in ein Kloster kommen. In der Erwartung, sich dadurch Vorteile zu verschaffen, gibt er sich dort als Bauer aus, der sittsam leben möchte. Die Mönche sind erwartungsgemäß beeindruckt, als sie bemerken, dass Amis, der vermeintliche Bauer, jeden Tag bei Wasser und Brot fastet: in möhte diu sêle wol genesen, dô si gesâhen, wes er phlac: sîn vaste diu was allen tac, und az et wazzer und brôt
(V. 1400 ff.).154
In dieser Passage wird fassbar, dass sich der Autor im Interesse seiner erzählerischen Absicht der Typisierung und einer damit einhergehenden, zuspitzenden Übertreibung in der Darstellung bedient. Ein Abbild üblicher Verhältnisse ist diese Stelle daher sicher nicht. Vielmehr bietet sie ein gutes 152
153 154
Zimmermann (1973), S. 41; zum mixtum und dessen Bestimmungen bei den Zisterziensern vgl. Ecclesiastica Officia (2003), S. 80 f., Caput LXXIII, 11 Zimmermann (1973), S 83 f. Der Pfaffe Amis (1991), Nr. X ‚Die wunderbare Messe‘.
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Beispiel dafür, mit welchen ‚Filtern‘ gerechnet werden muss, wenn es darum geht, Dichtung als Quelle zur Rekonstruktion des Lebens im Mittelalter oder als Beleg für ‚Realien‘ heranzuziehen.155 Dass für junge Mönche, die oft bereits im Knabenalter als Novizen aufgenommen wurden, für Alte und besonders für Kranke Ausnahmen von den Speiseregeln und auch von den Fastengeboten gemacht werden sollten, sah schon die Regula Benedicti vor. Diese Dispense gab es auch im Hochmittelalter, und wie bei den allgemein in ihren Speiseordnungen differieren155
Dass ein Kloster auch der Ort eines eher üppigen Speiseangebotes sein kann, zeigen andere Beispiele. So der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene, heute als ‚Priesterleben‘ bezeichnete Text, der dem sog. Heinrich von Melk zugeschrieben wird. Dort wendet sich der Autor scharf gegen die von ihm als verkommen bewerteten Zustände. Die Mönche mästen sich in ihren Zellen, sie sind nur auf ihren Bauch und auf Wein bedacht: ich wæne, die phaffen unt die nunnen ein gemeinez biwort chunnen, daz si sprechent: „post pirum vinum, nach dem wine hœrt daz bibelinum.“ ‚Ich glaube, dass die Pfaffen und die Nonnen ein schlimmes Sprichwort kennen, indem sie sprechen: „Nach der Birne einen Wein, nach dem Wein hört das Bibel(wört)chen“.‘ Zitiert nach Die geistliche Dichtung des 11. und 12. Jahrhunderts. Bd. III (1970), S. 261, 3,17ff, vgl. 3,7 und 3, 12 f. (Zu bîwort s. Lex. Bd. I (1992), Sp. 292: „sprichwort“). Anschließend prangert der Autor an, dass Kranke, Behinderte und andere Bedürftige von den Mönchen abgewiesen werden, während sie, kommen andere Geistliche zu Besuch, reich auftischen, Wein und Met ausschenken lassen und sogar dem Spiel frönen, vgl. S. 263, 4, 5 ff. Zu Autor und Werk vgl. PeterErich Neuser unter dem Stichwort ‚Der sogenannte Heinrich von Melk‘ in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 787–797, bes. Sp. 791. – Ein späteres Beispiel bietet eine Passage, in der Ulrich von Türheim seinen Protagonisten ‚Rennewart‘ vollkommen ausgehungert in ein Kloster einbrechen lässt, nachdem ihn der Pförtner nicht einlassen will (V. 10681 ff.). Rennewart begibt sich in das Refektorium, in dem der Abt und die Mönche gerade beim Essen sitzen. Dort greift er sich alles Brot, das den Mönchen zugedacht war, und verschlingt es in seinem Heißhunger. Der Abt protestiert: der eingedrungene Fremde habe alles aufgegessen, was den Mönchen zugedacht war, und habe sich dabei unmäßig ‚bedient‘ (V. 10762 ff.). Es wird hier der Eindruck vermittelt, als hätten die Mönche allein das Brot auf dem Tisch gehabt. Rennewart begehrt anschließend in dem Kloster Aufnahme. Ausnahmen von der kargen Klosterkost billigt der Abt dem gewaltigen und gewalttätigen Rennewart jedoch nur zu, weil dieser offen droht, die Sakristei zu verwüsten. Um dies zu verhindern, wird Rennewarts Forderung nach Brot, daneben nach Fleisch und Käse sowie nach Fischen (Hausen, Hechte und große Lachse) schließlich nachgegeben (V. 10970 ff.). In diesen Passagen geht es dem Autor nicht um die Wiedergabe realer Verhältnisse, sondern darum, den Kontrast zwischen einem angemessenen ritterlichen Verhalten und dem gewaltsamen sowie in jeder Hinsicht unmäßigen Auftritt Rennewarts hervorzuheben
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den Regeln gab es auch bei den Dispensen Unterschiede.156 Die noch im Wachstum begriffenen Jungmönche und die Alten durften außerhalb der regulären Mahlzeiten ‚frühstücken‘, und für Kranke wurden die Zeiten und die Zahl der Mahlzeiten grundsätzlich recht flexibel gehandhabt.157 Schwerkranke konnten auch nachts mit Speisen und Getränken versorgt werden. In verschiedenen Regeln wurde verfügt, dass Kranke nicht nur öfter, sondern grundsätzlich auch besser versorgt werden sollten, was nicht nur die Menge, sondern besonders die Qualität der Speisen betraf. Sie sollten vor allem kräftigend sein, werden meistens jedoch nicht näher beschrieben. Nur in einzelnen Quellen wird erwähnt, dass kranke (und auch zur Ader gelassene) Konventualen ‚besseres‘ Brot (bei den Zisterziensern z.B. Weißbrot) und zu jeder Zeit zusätzliche Pitanzen erhalten konnten, die zumeist wohl aus Eiern, Milch und Milchprodukten bestanden.158 Verschiedentlich wird deshalb vermutet, dass es in vielen Klöstern vermehrt zu Krankmeldungen kam und dass der aus gesundheitlichen Gründen durchgeführte Aderlass, weil er bessere Verpflegung versprach, zuweilen erheblich übertrieben wurde.159 Der signifikanteste Unterschied zur regulären Klosterküche bestand jedoch darin, dass es Kranken gestattet war, das Fleisch von vierfüßigen Tieren zu essen. Zuweilen wurde diese Möglichkeit lediglich auf Schwerkranke beschränkt, ohne dass dies durch die Ordensregel gefordert worden wäre, so z. B. durch den Abt des Klosters Hirsau, Wilhelm.160 Lediglich die strengen Karthäuser lehnten die Fleischgabe auch bei Kranken ab. Statt dessen erlaubten ihre Regeln, für sie bei Bedarf Fische zu kaufen, während für gesunde Mönche nur der Verzehr geschenkter Fische gestattet war.161 156 157 158 159 160
161
Vgl. Zimmermann (1973), S. 164 ff. Vgl. Zimmermann (1973), S. 166 Vgl. Zimmermann (1973), S. 166 f. Vgl. Foster (1980), S. 89 f. sowie Zimmermann (1973), S. 63 Vgl. Zimmermann (1973), S. 168. – Die im Krankheitsfall gewährten Ausnahmen von den strengeren Speiseregeln werden meistens wohl gern angenommen worden sein. Es gab jedoch auch fromme Mönche, die dieses Angebot ausschlugen. So berichtet die Chronik des in der bayerischen Oberpfalz gelegenen Zisterzienserklosters Waldsassen vom Bruder Gerhard, der in fortgeschrittenem Alter erkrankte und von seinem Abt angewiesen wurde, zur Stärkung Fleischspeisen zu sich zu nehmen. Gerhard lehnte dies ab mit dem Hinweis, dass er seit mehr als fünfzig im Kloster verbrachten Jahren nur mehr Fisch zu sich genommen habe und daher wohl gar kein Fleisch mehr vertrage. Fisch allerdings möge er gern. Der Abt bediente sich deshalb einer List: umgehend ordnete er an, „man solle für ihn Rind- und Kalbfleisch zubereiten. Dies wurde ihm unter dem Namen von Hausen und anderen Fischen gegeben. Er nahm das Fleisch in seiner heiligen Herzenseinfalt voll inneren Trostes zu sich und glaubte fest, er verspeise Fische“, zitiert nach Narciß (1989), S. 296 f. Vgl. Zimmermann (1973), S. 169
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Die Gewährung des Sonderstatus’ als ‚Fleischesser‘ ging einher mit einer für die anderen Mitglieder eines Konventes sichtbaren, äußerlichen Kennzeichnung: „Die Kranken, die Fleisch aßen, mußten als Zeichen ihrer Sonderstellung Stöcke tragen und ihre Kapuzen aufsetzen.“162 Diese Besonderheit wird in einem Kalenderbild (für den Monat Januar) dargestellt, das in einer Handschrift vom Ende des 13. Jahrhunderts erhalten ist: zu sehen ist ein Mönch mit aufgesetzter Kapuze, der in der linken Hand einen Stock hält, der in Richtung des Feuers geführt wird, an dem er sich die Füße wärmt. In der linken Bildhälfte erscheint ein gedeckter Tisch, auf dem ein in einer Schale angerichtetes, vierfüßiges Tier zu sehen ist. Der Mönch führt mit der rechten Hand eine andere Schale zum Mund. Die Szene, die auf den ersten Blick auf klösterliches Wohlleben hinweisen könnte, erweist sich durch die deutlich ausgearbeiteten Details als die Darstellung eines Kranken (s. Abb. 29). Da die besonderen Bedingungen, die den Kranken bei ihrer Verpflegung eingeräumt wurden, durch die Mönchsküchen parallel zu deren regulärem Betrieb nicht hergestellt werden konnten, aber wohl auch, um die gesunden Mönche nicht in Versuchung zu führen, gab es in vielen Klöstern eine gesonderte Krankenküche.163 Auch ein Abt konnte schon nach den Vorstellungen Benedikts von Nursia über eine eigene Küche verfügen. Nur so war es ihm möglich, besondere Gäste des Klosters oder Pilger zu einem Gastmahl zu empfangen, ohne die Abgeschiedenheit des Lebens der anderen Mönche innerhalb der Klostermauern zu stören. Der Betrieb mehrerer Küchen – getrennt werden in Ordensregeln Abts-, Mönchs- und Krankenküche – ließ sich wegen des damit verbundenen personellen und wirtschaftlichen Aufwandes sicher nur in größeren Klöstern einrichten und aufrecht erhalten. Dass der Betrieb einer Küche in ‚Doppelfunktion‘ wahrscheinlich ist, legt der (idealtypische) Klosterplan von Sankt Gallen nahe, in dem drei verschiedene Küchenbereiche angelegt sind: Mönchsküche, eine Küche beim Novizenbad und eine zwischen Abtshaus und Spital, die wohl beide letztgenannten Bereiche versorgte. Die Abts- und Krankenküche dürften, um sie gleichmäßig auszulasten, auch für die Versorgung der Gäste und die der Armen zuständig gewesen sein, die sich in der Hoffnung auf milde Gaben an der Klosterpforte einfanden.164 162
163
164
Zimmermann (1973), S. 168; Foster (1980), S. 91 gibt an, dass diese im 11. Jahrhundert europaweit aufgekommene Kennzeichnung in zeitgenössischen Quellen humoristisch auch als „Klosterstockkrankheit“ bezeichnet wurde Vgl. Zimmermann (1973), S. 170, in einem Klosterplan in direkter Anbindung an das Spital abgebildet bei Merk (1996), S. 15 Auf diese Verbindung weisen zumindest Passagen in den zisterziensischen Ordensregeln hin, vgl. Ecclesiastica Officia (2003), S. 462 f., Caput CXVIIII ‚Der Gastbruder‘, S. 424 ff., Caput CVIIII, 7 ‚Die Köche des Abtes‘
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Abb. 29: Kalenderbild des Monats Januar, Psalter aus Lüttich, ca. 1280165 165
Ob und in welchem Maße von den hochmittelalterlichen Äbten (und Äbtissinnen) erwartet wurde, sich an die allgemein in ihrem Orden geltenden Speise- und Fastenregelungen zu halten, geht aus vielen Quellen nicht eindeutig hervor. Benedikt folgend, werden in den Ordensregeln Ausnahmen
165
Die Form des auf dem Tisch liegenden Messers (mit einer deutlichen Verjüngung vorn an der Klinge) entspricht derjenigen, die auch andere Illuminationen des 12. und 13. Jahrhunderts zeigen, vgl. die Abbildungen oben in den Abschnitten 3.2 und 3.3. Die links auf dem Tisch sichtbare Kanne – oder ein Humpen? – mit Deckel gehört zu den im Hochmittelalter seltener abgebildeten Gefäßen. Vergleichbare Stükke finden sich z. B. in der in das 14. Jahrhundert datierenden, illuminierten Wiener Handschrift des ‚Willehalm‘
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oft deren Ermessen anheimgestellt. Diese ließen verschiedene Zugaben und Sonderrationen innerhalb der Konvente zu, und so ist es wahrscheinlich, dass manche Äbte und Äbtissinnen, wenn besondere oder hochgestellte Gäste im Kloster weilten, diese auch in außergewöhnlichem Umfang und besonderer Qualität bewirteten und auch selbst an den Speisen teilhatten, die für die Gäste aufgetragen wurden. Auch diesbezüglich ist das Bild jedoch diffus. Die Schilderungen von Gastmählern, die Ekkehard IV. von Sankt Gallen niederschrieb, weisen darauf hin, dass auf eine gediegene Gastfreundschaft Wert gelegt wurde und dass – im Zweifelsfall – die Speisegewohnheiten der Gäste mehr respektiert wurden als die Vorschriften des eigenen Ordens.166 Die aus verschiedenen ihrer Schriften hervortretende Haltung Hildegards von Bingen, die Äbtissin des auf dem Rupertsberg bei Bingen am Rhein gelegenen Klosters war, weist aus, dass sie einer grundsätzlichen Position verpflichtet war und in jeder Beziehung das Maßhalten bevorzugte.167 Die zisterziensischen consuetudines wiederum lassen bezüglich der Bewirtung von Gästen keine Sonderregelungen zu: bei ihnen sollen Gäste, gleich welcher Herkunft, die gleichen Speisen zu sich nehmen wie die Mönche. Lediglich eine Ausnahme ist ausdrücklich erlaubt: „Als symbolische Ehrung des Gästestatus ist die traditionsorientierte Offerierung von Weißbrot zu verstehen, dem einzigen Lebensmittel, das den cisterciensischen Gästen über den monastischen Speiseplan hinaus zukommen sollte.“168 Dass die Küche des Abtes für Zisternziensermönche dennoch eine ‚Versuchung‘ dargestellt haben muss, lässt die Bedeutung vermuten, die in den Ecclesiastica Officia der sorgsamen Verwahrung des Küchenschlüssels durch die Abtsköche gewidmet wird.169 Die Intention der zitierten Quellen kann angesichts der Frage nach klösterlichen Speise- und Trinkgewohnheiten nicht außer Acht gelassen werden. Ordensregeln und schriftlich niedergelegte, theologische Grundsatzdiskussionen dürften schließlich als ‚ideologische Wegweiser‘ zu bewerten sein und daher die zeitgenössischen Verhältnisse nur teilweise abbilden. Deutlich wird dies im Vergleich zwischen den Regelwerken und überlieferten Abgaberegistern (‚Hebebücher‘), in denen verzeichnet wurde, welche Abgaben die einem Kloster gehörenden Höfe und andere Besitzungen an 166 167
168 169
Vgl. z. B. Ekkehard IV. (1958), S. 30 f., Nr. 7; S. 40 f., Nr. 13; S. 44 ff., Nr. 16 Vgl. Zimmermann (1973), S. 80; damit pflegt Hildegard eine der Kardinaltugenden, die temperantia (Mäßigkeit), vgl. M. Garwig/W. Knoch unter dem Stichwort ‚Kardinaltugend‘ in: LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 371 f. Berger (1999), S. 348 Vgl. Ecclesiastica Officia (2003), 424 ff., Caput CVIIII, 6, 7 und 19
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die Abtei zu entrichten hatten. Aus ihnen erschließt sich, dass sich der Versorgungsstandard von Mönchsgemeinschaften erheblich von dem abheben konnte, was die Ordensregeln als angemessen definierten. So ist dokumentiert, dass die Kurie170 Hastenbeck bei Hameln in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts folgende Abgaben zu entrichten hatte, die ausdrücklich für die Corveyer Mönchstafel (mensa fratrum) bestimmt waren: „‚15 Gefäße Bier, 1 Gefäß Honig, 1 Ferkel, 1 Gans, 2 Hühner, 1 Scheffel Roggen, 1 Scheffel Weizen‘ … Dazu kamen zu den drei Lieferterminen der Konventsservitien und den beiden Abtsservitien noch verschiedene Lebensmittel wie Getreide, Käse, Schweine und Schafe.“171 Dass es sich dabei nicht um eine Ausnahme handelte, belegen weitere, speziell für die Corveyer Abtsküche bestimmte Abgabelisten. Zur Zeit des Abtes Erkenbert (1107–1128) war ein ‚Servitium‘ für die Abtsküche folgendermaßen festgesetzt: „Fünf fette Schweine, ein Spanferkel, zwei Ferkel, zwei Gänse, zehn Hühner, fünfzehn Käse, hundert Eier, Fische oder einen Schilling für den Kauf von Fischen, fünf Scheffel Weizen, drei Scheffel Roggen, wovon einer an das Armenhaus geht, fünfzehn Käse (wohl eine andere Sorte oder Größe), dreißig Eimer oder Scheffel Bier und ein Eimer Honig für den Met, dreißig Becher und hundert Schüsseln.“172 Zur Zeit seines Amtsnachfolgers Widukind (1189–1203) war die Abtsküche noch umfangreicher und auch ausgewählter zu beliefern: „6 fette Schweine und ein Spanferkel, und die muß der Seneschall aussuchen, der in der civitas ist, und dabei, wenn die ganze Dienstleistung angenommen ist, auch nachprüfen, ob sie alle angemessen sind, dem Befehl des Kämmerers des Abtes folgend; das ist es, was nach diesem Treueverhältnis der Kirche zusteht. Und darüber hinaus werden 60 Scheffel Gerste gegeben, 2 Scheffel davon zum ‚Almosenamt‘, 1 Malter für das Geflügel und zehn Malter Hafer, 5 Malter Weizen, 2 Malter Roggen, 2 Krüge Honig, 23 Becher, 100 kleine Schüsseln, 10 Hühner ( ? ), 2 Gänse, 10 Töpfe, 2 Fässer, 2 Becken und 2 Kannen, und
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171 172
Dieser Begriff steht nicht nur für hohe kirchliche Gremien, sondern wird auch für eine „ländliche Hofanlage“ gebraucht, vgl. H. Hinz s.v. curia in: LexdMA Bd. III (1986), Sp. 386 f., hier: S. 386. Es wird dort ausgeführt: „Synonym mit curtis gebraucht, bezeichnet c. einen ländl., meist mit Wällen und Gräben umschlossenen Großhof, üblicherweise Verwaltungszentrum und manchmal auch Zentrum des Wirtschaftsbetriebes einer Gruppe von ländl. Besitzungen, die ebenfalls mit dem Begriff c. belegt werden. … Die Bezeichnung wird erst im 10.–11. Jh. häufig verwendet, wahrscheinl. infolge der administrativen u. jurist. Funktionen, die die curtis, insbes. als Sitz des grundherrschaftl. Gerichts, inzwischen erhalten hatte.“ Stephan Bd. 2 (2000), S. 337 Stephan Bd. 2 (2000), S. 337
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1 hölzerner Mörser,173 … und ein Scheffel Salz, und ein Becher Senf, 12 Pfennige in eben dem Geld, wo er wohnt wird in Gewicht für die Fische gegeben, und zur Hälfte in socci (Flächenmaß) Hafer, wenn er beim Meierhof den Dienst ganz einlösen will, und genauso ein Pfund Pfeffer; aber diese zwei Dinge werden nicht außerhalb des Meierhofes gegeben, und 30 Schafskäse und zwei so große Käse, daß der Daumen, wenn man ihn in der Mitte anlegt, kaum die Ecken erreicht.“174 Da das Kloster über ausgedehnte Besitzungen verfügte, mit den genannten ‚Hebungen‘ jedoch lediglich ausgewählte Beispiele erfasst werden, dürften die Naturaleinnahmen der Reichsabtei Corvey sehr bedeutend gewesen sein. Hans-Georg Stephan schätzt, dass allein die Abgaben an Schweinen jährlich mehrere Tausend Tiere betrugen.175 Zwar schwankte der Umfang des Corveyer Konventes (Mitte des 12. Jahrhunderts lag er wohl bei etwa 50 Mönchen),176 doch ist angesichts der Höhe der an das Kloster entrichteten Abgaben sicher, dass diese den klösterlichen Küchenbedarf erheblich übertrafen.177 Nicht nur gesamte Klostergemeinschaften, sondern auch einzelne ihrer Mitglieder konnten über bedeutende Lieferungen an Naturalien verfügen. So wurde durch den Chronisten der Vita des Bischofs Meinwerk von Paderborn dokumentiert, mit welchen dauerhaften ‚Renten‘ versehen adlige Frauen zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Klöster aufgenommen wurden. Die Nonne Fretherun „erhielt … neben Geld und der erwähnten Pelzbekleidung jährlich 12 Schinken, 20 Malter Weizen und 30 Urnen Wein; ein zweiter Vertrag setzte folgende Leibrente aus: sechs Schinken mit, sechs Schinken ohne Innereien, 20 Malter Weizen, 20 Malter anderes Getreide, 5 (Fässer? …) Bier, eine carrada Wein, zehn Schafe mit und fünf ohne Lämmer, fünf Schweine und Geld … Zur Leibrente der Nonne Atta gehörten auch 90 Käse und drei Krüge Honig.“178 Mit solchen ‚Mitgiften‘ trugen diese Nonnen sicher zur Küchenwirtschaft innerhalb ihrer klösterlichen Gemeinschaft bei, möglicherweise auch zur Bewirtung von Gästen und zu Armenspeisungen. Ob und in welchem Umfang es ihnen gestattet war, die 173
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178
Wie aus der Aufstellung hervorgeht, konnten sich die zu leistenden Abgaben nicht nur auf Vieh, Geflügel, Fisch, Getreide oder andere Nahrungsmittel beziehen, sondern auch Küchen- bzw. Tafelgerät enthalten Stephan Bd. 2 (2000), S. 337 f. Vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 339 Vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 323 Nachgewiesen oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Einnahmeüberschüsse bes. an Getreide, Schweinen und Bier verkauft wurden, teilweise sogar in den Fernhandel gingen, vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 339 Edith Ennen: Frauen im Mittelalter. München 1984, S. 84 f.
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durch sie eingebrachten Naturalabgaben selbst zu nutzen, lässt die Quelle offen. Dass dies geschah, ist jedoch sehr wahrscheinlich. Nach Ausweis dieser Belege gab es wohlhabende Klöster, deren Angehörige in normalen Jahren keine Not litten, wahrscheinlich sogar einen im Vergleich zur Bevölkerungsmehrheit ihrer Zeit durchaus gehobenen Lebensstandard genießen konnten. Dennoch wird, wenn es um den Lebensstandard in Klöstern und von Mönchen und Nonnen geht, allgemein nicht davon ausgegangen werden dürfen, dass sie sich in ‚klösterlichen Hotels der Luxusklasse‘ bewegten.179 Neben großen, einflussreichen und wohlhabenden Abteien gab es viele kleinere Niederlassungen und auch winzige Klausen, in denen sich das Leben der Mönche und Nonnen sicher sehr viel bescheidener gestaltete als in verschiedenen zeitgenössischen Chroniken mit Bezug auf das Klosterleben überliefert wird. Es gilt dabei auch zu bedenken, dass es vornehmlich größere Abteien und Klöster waren, die über Skriptorien und Schreibermönche verfügten, die wiederum über historische oder aktuelle Besonder- und Begebenheiten in ihrem Umfeld Bericht erstatteten. Dabei geriet das ‚Normale‘ nur bedingt, das außerhalb des direkten oder regionalen Umfeldes Liegende kaum mehr in den Blick und somit auch nicht auf das Pergament. Daher können auch über chronikalische und andere historische Quellen lediglich Ausschnitte klösterlicher Lebensstandards und Speisekultur des Hochmittelalters erfasst werden, dabei wohl vornehmlich die exklusiveren. So können die just zuvor genannten Beispiele nicht dazu herangezogen werden, eine allgemein gültige Rekonstruktion ‚der Lebensverhältnisse‘ von Mönchen und Nonnen zu wagen. Zu unterschiedlich sind, wie die oben angeführten Regelungen ausweisen, die Verhältnisse und Gebräuche in verschiedenen Orden, recht unterschiedlich werden auch die Lebensumstände in großen, mittleren und kleinen Gemeinschaften und auch in verschiedenen Regionen gewesen sein. Wie sehr sich z. B. das Leben in bedeutenden Benediktinerklöstern von dem franziskanischer Wandermönche unterscheiden konnte, zeigt der Bericht über eine Gruppe von sieben Franziskanermönchen, die im Jahre 1221 im süddeutschen Raum auf Missionsreise war. Misslich wirkte sich auf ihre Lage aus, dass diese Franziskanerbrüder nicht gewohnt waren zu betteln. In Mittenwald mussten sie deshalb „große Not leiden. Mit zwei Bissen [Brot?] und sieben Rüben stillten sie oder reizten sie vielmehr elendiglich den schlimmen Hunger und Durst, doch blieben sie fröhlichen Herzens … Sie beschlossen, vom Wasser des klaren Baches, der vorbeifloß, zu trinken,
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Vgl. oben S. 302
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damit der leere Magen nicht knurre.“180 Auf der nächsten Reiseetappe finden die Mönche Wildfrüchte und -obst. Beides wird eingesammelt, jedoch wagen es die Mönche nicht, die Ernte zu essen, denn es ist Freitag und sie fürchten, das Fastengebot zu brechen. Im nächsten größeren Ort findet sich ein Mann, der den Brüdern für zwei Denare Brot kauft, das jedoch für sieben Reisende nicht ausreicht. Nun verlegen sich die Mönche doch aufs Betteln und erhalten ein paar Rüben. So können sie ihren Weg nach Augsburg fortsetzen.181 In der Nähe von Salzburg findet einer der reisenden Brüder, nachdem seine Bitte um Speise von mehreren Einheimischen zurückgewiesen wurde, schließlich einen Trick, durch den sich die gesamte Gruppe fortan besser versorgen lässt. Der Franziskaner spricht nur wenig deutsch und nähert sich den Bewohnern eines Hauses mit den Worten „Nicht judisch“ (sagen wollte er: „nicht diutsch“).182 Er lacht die Einheimischen an, lässt sich auf einer Bank vor dem Haus nieder und bleibt dort einfach sitzen. Die verdutzten Einheimischen „lachten und gaben ihm wegen seiner Unverschämtheit Brot, Eier und Milch. Als der Bruder sah, daß diese Verstellung für ihn nützlich sei und er so für seine Mitbrüder sorgen könne, ging er auf ähnliche Weise durch zwölf Häuser und bettelte so viel zusammen, daß es für sieben Brüder reichte.“183 6.2.4 Signa loquendi – stumme Kommunikation in Refektorium und Küche Zu den klösterlichen Ordnungen (consuetudines), die das Leben der Mönche bis in Details regelten, gehörte seit den durch Benedikt von Nursia in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts verfassten Ordensregeln die Schweige180 181 182 183
Narciß (1989), S. 395 (Chronik des Jordan von Giano) Narciß (1989), S. 395 Narciß (1989), S. 397 mit Anm. 15 Narciß (1989), S. 397. Die hieraus sprechende, positive Einschätzung der Franziskaner (‚Bettelmönche‘, asketisch lebend und bescheiden in ihrer Art) war nicht allgemein vorhanden. So ist vom zeitgleich dichtenden Marner ein lateinisch verfasstes Lied überliefert, in dem er sich scharf gegen die Franziskaner und Dominikaner wendet: „Sie pflegen die Burgen (Städte?) aufzusuchen, die Klöster zu meiden. Sie suchen die Häuser der Reichen auf, sie wissen genau, warum. Mit fetten Speisen wollen sie sich nähren und Wein trinken, verabscheuen es, mit den Mönchen Kohl zu essen“ (Str. 12). In der folgenden Strophe findet sich der Vorwuf: „Für ein Frühstück gewähren sie runde hundert Tage Ablaß“. Der Marner schildert die Mönche der neuen Bettelorden als von der Gier nach Geld, Einfluss und Macht getrieben und wünscht sich, dass sie „auf die Schnelle zu Schanden werden“ (Str. 15), vgl. den Text (Lied 11) in der Edition von Willms (2008), S. 125ff., die zitierte Übersetzung findet sich auf den S. 130f.
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pflicht (taciturnitas).184 Sie erstreckte sich bei Benedikt auf den klösterlichen Speisesaal (Refektorium), die Schlafsäle (Dormitoria) und die Klosterkirche oder -kapelle (Oratorium).185 Die in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts einflussreiche, von den burgundischen Klöstern Gorze und Cluny ausgehende Reformbewegung differenzierte einige der benediktinischen Regeln, im Falle des Schweigegebots wurde dessen Geltungsbereich erweitert und auch für den klösterlichen Küchenbereich definiert.186 Es ist leicht vorstellbar, dass das Schweigegebot die Mönche und Nonnen bei vielen Verrichtungen im klösterlichen Alltag behinderte, da es sprachliche (hier: stimmliche und hörbare) Verständigung ausschloss – nicht aber diejenige, die über Zeichen stattfand. Für verschiedene Bereiche des Klosterlebens, für Kleidung, Schreib- und Bibliotheksarbeiten, das Vorlesen oder das Anzeigen eines Gesprächswunsches mit dem Abt oder mit Mitbrüdern wurden deshalb ‚stumme‘ Sprachzeichen entwickelt, die signa loquendi. Eine umfangreiche Liste mit 118 ‚Vokabeln‘, mittels derer man sich ohne Worte, wohl aber mit definierten Gesten der Finger und Hände verständigen konnte, wurde im 11. Jahrhundert in Cluny verfasst.187 In ihr sind auch 35 Zeichen enthalten, die sich auf allgemeine Lebensbedürfnisse, vornehmlich auf Nahrungsmittel beziehen.188 Der Abt des einflussreichen cluniazensischen Reformklosters Hirsau, Wilhelm, pflegte enge Beziehungen zum ‚Mutterkloster‘ in Cluny.189 Er übertrug zwischen 1085 und 1090 dessen consuetudines und damit auch die signa loquendi auf sein Kloster und dessen fast den gesamten deutschen Sprachraum umfassenden Einflussbereich.190 Im Interesse einer möglichst 184
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Vgl. Axel Gampp: Den Weissweinwunsch am Auge formen – Signa loquendi: klösterliche Zeichensprache im 11. Jahrhundert, in: Dorothee Rippmann/Brigitta Neumeister-Taroni (Hg.): Gesellschaft und Ernährung um 1000. Eine Archäologie des Essens. Vevey 2000, S. 210–223, hier: S. 211 Gampp (2000), S. 211 Gampp (2000), S. 211 Vgl. Walter Jarecki (Hg.): Signa loquendi. Die cluniacensischen Signa-Listen. (Saecula spiritalia. Bd. 4). Baden-Baden 1981, S. 121 ff.; Vorläufer dieser Regeln lassen sich in Cluny bis in das frühe 10. Jh. nachweisen, vgl. Gampp (2000), S. 211 Vgl. Gampp (2000), S. 211; Jarecki (1981), S. 121 ff., Nr. 1–35 Persönlicher Kontakt bestand zwischen Wilhelm von Hirsau und Ulrich von Cluny, da beide als Jugendliche im Regensburger Kloster St. Emmeram gemeinsam erzogen wurden; belegt ist ferner, dass Wilhelm von Hirsau als Abt Delegationen von Mönchen nach Cluny entsandte, um das dortige Klosterleben zu studieren, vgl. Jarecki (1981), S. 29 f. Die 1075 in Hirsau eingeführte Klosterreform wirkte sich im Norden aus bis Königslutter (Reform 1135), im Süden bis Pfäfers (heute Schweiz, Reform ca. 1100), im Osten bis Admont (heute Österreich, Reform ca. 1100); ihr schlossen sich bedeu-
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lückenlosen Regelung des Klosteralltags, vielleicht auch der Dokumentation seiner persönlichen Belesenheit,191 modifizierte, ergänzte und erweiterte er die aus Cluny überlieferten signa loquendi auf ein ‚Vokabular‘, das insgesamt 359 Zeichen umfasst.192 Davon beziehen sich 96 auf Speisen oder Getränke, weitere auf Gefäße, in denen diese oder Speisezutaten zu reichen sind, z. B. Becher, Kanne oder ein Salzfass.193 Wer im klösterlichen Refektorium etwa Brot wünschte, bildete mit Zeige-, Mittelfinger und Daumen beider Hände einen großen Kreis.194 Wer sich Weißwein bringen lassen wollte, formte den Daumen und den Zeigefinger einer Hand zu einem Ring und hielt sie sich vor ein Auge.195 Fisch wurde gereicht, wenn mit der Hand die Bewegung des Fischschwanzes im Wasser angezeigt wurde, und eine zur Faust geballte Hand, aus der lediglich der Zeigefinger herausgestreckt würde, führte dazu, dass man Birnen auf den Tisch brachte.196
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tende Abteien an wie z. B. Maria Laach (1175), Zwiefalten (1089), Ottobeuren (1102), Kremsmünster (1160) und Bursfelde (1090); vgl. Leisering (1984), S. 45 Vgl. Gampp (2000), S. 212, der die Ergänzungen Wilhelms von Hirsau auf dessen strikten Regelungswillen zurückführt; Zimmermann (1973), S. 55 vermutet dagegen angesichts einzelner Beispiele (z.B. die Berücksichtigung exotischer Früchte wie Feigen, Zitronen und Kastanien), die in der dokumentierten Form kaum angewandt worden sein dürften, dass Wilhelm wohl auch seine Belesenheit unter Beweis stellen wollte Vgl. Jarecki (1981), S. 163 ff. 102 Pro signo patere, ex qua bibitur tres digitos aliquantulum inflecte et sursum tene 103 Pro signo becharii premisso eodem signo hoc adde, ut digitum digito circumferas 104 Pro signo vasculi, in quo sal habetur, premisso ibidem signo patere adiunge signum salis; zit. nach Jarecki (1981), S. 181 f. (102 Über das Zeichen für eine flache Schale, aus der getrunken wird Biege drei Finger ein bisschen und führe sie nach oben 103 Über das Zeichen für einen Becher Nutze das vorstehende Zeichen und füge dem hinzu, dass ein Finger den anderen kreuzt/umschließt 104 Über das Zeichen des Gefäßes, in dem Salz aufbewahrt wird Nutze das selbe Zeichen wie für eine flache Schale und füge das für Salz hinzu) 1 Pro signo panis fac unum circulum cum utroque pollice et his duobus digitis, qui secuntur, pro eo, quod et panis solet esse rotundus, zit. nach Jarecki (1981), S. 163; vgl. Gampp (2000), S. 210 96 Pro vini clari duos digitos oculo circumponas, zit. nach Jarecki (1981), S. 180 11 Pro signo generali piscium cum manu simula caude piscis in aqua commotionem 46 Pro signo piri premisso generali pomorum signo indicem extende, zit. nach Jarecki (1981), S. 165 und 172; vgl. Gampp (2000), S. 210
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Bei aller Akribie, mit der Wilhelm das burgundische Vorbild auf Hirsau und die zu seinem Kreis gehörenden Klöster übertragen sehen wollte, wich er doch in einigen der bei ihm definierten Zeichen von seiner Vorlage aus Cluny ab. So setzte er das dortige Zeichen für Weizenbrot für das (in Hirsau wohl gebräuchlichere) Roggen- oder Dinkelbrot,197 das in der Liste aus Cluny bekannte Zeichen für Tintenfisch ( ! ) fehlt, dafür gibt es in Wilhelms ‚stummem Vokabular‘ ein Zeichen für Bier, das in der burgundischen Vorlage fehlt.198 Bemerkenswert ist, dass Wilhelms signa loquendi auch ein Zeichen für Fleisch kennen, das in seiner burgundischen Referenz nicht zu finden ist.199 Dass sich dieses Zeichen außerhalb der sonst systematischen Reihung von ‚Hauptspeisen‘ (Brot, Fisch, Hülsenfrüchte/Gemüse) findet, deutet darauf hin, dass das Zeichen nur in Ausnahmefällen und damit selten verwendet wurde, möglicherweise aufgrund der alten benediktinischen Regel, der zufolge nur Kranken erlaubt sein sollte, Fleisch (vierfüßiger Tiere) zu sich zu nehmen.200 In einem weiteren Fall wich Wilhelm von seiner Vorlage ab, möglicherweise bewusst, wenn er denn nicht nur die Erläuterung seines Quellentextes in der Hirsauer Version der signa loquendi zu variieren bzw. genauer zu definieren gedachte. In vielen Klöstern – und wohl auch in Cluny – „hatte sich die Gewohnheit eingeschlichen, die ursprünglich gestattete Menge Tranksame (iustitia) durch zusätzliche Umtrünke (caritates) zu erhöhen. Diese Zugabe wurde, zumeist zur Non oder am Abend, in einem besonderen, verschliessbaren Trinkkrug serviert: … dem scyphus“.201 Während die cluniazensischen signa loquendi ein eigenes Zeichen für diese ‚zusätzliche Weinration‘ kennen,202 setzt Wilhelm dasselbe Zeichen zwar auch für den scyphus, definiert diesen jedoch durch einen Zusatz nur für die im Rahmen der üblichen Regeln gestattete Menge (iustitia).203 Durch diese Definition schränkte Wilhelm – ob wissent- oder versehentlich – das großzügigere burgundische Verständnis für den Einflussbereich des Hirsauer Klosters ein. Die vergleichsweise große Zahl der ‚Zeichenvokabeln‘ für Küche und Refektorium, die Wilhelm in Erweiterung seiner Vorlage festlegte, resultiert 197
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Vgl. Gampp (2000), S. 213. – Das weniger ‚feine‘ Roggen- und das Dinkelbrot scheinen überdies besser zu einer an Bescheidenheit orientierten Klosterkost zu passen Vgl. Jarecki (1981), S. 122–9 Pro signo sepiarum – und in demselben Beitrag, S. 179–88 Pro signo cervise Vgl. Jarecki (1981), S. 171–40 Pro signo carnis – (Wilhelm) und S. 121 ff. (Cluny) Vgl. Gampp (2000), S. 212 Gampp (2000), S. 212 Vgl. Jarecki (1981), S. 127–33 Pro signo cyphi, qui capit cotidianam vini mensuram 100 Pro signo sciphi, quem iusticiam vocamus, vgl. Jarecki (1981), S. 181
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nicht zuletzt aus den für die Hirsauer Kommunikation differenzierter aufgeschlüsselten Gerichten. So gab es nicht nur das bereits genannte Zeichen für (Roggen- oder Dinkel-)Brot, sondern weitere Zeichen, die für bestimmte Brotsorten bzw. Mehlerzeugnisse verwendet wurden, so z. B. für ein in Wasser gekochtes ‚Brot‘ (eine Art Knödel?), das seiner besonderen Qualität wegen nicht als alltäglich gewertet wurde (Weizenbrot? – Pro signo panis, qui coquitur in aqua et melior solet esse quam cottidianus),204 größere Oblaten, ein Gebäck, das besonders hohen Festtagen vorbehalten war (tortulus), sowie zweifach gebackenes Brot, offenbar eine Art Zwieback.205 Die Aufzählung der für Fisch verwendeten Zeichen, die schon in Cluny neben einem allgemeinen Symbol sechs für spezielle Fischsorten kannte,206 umfasst bei Wilhelm neben dem generell für Fisch geltenden Zeichen 14 verschiedene Arten von Wasserlebewesen, darunter Stör, Lachs, Lamprete, Karpfen, Forelle, Aal, Barbe, Brachse, den Krebs sowie eine Fischbrühe oder -suppe (allec).207 Geht man davon aus, dass die signa für die gebräuchlichsten Gerichte oder Nahrungsmittel standen, kamen in Hirsau als Hülsenfrüchte (legumina) die verbreiteten Bohnen, Erbsen und Linsen auf den Tisch des Refektoriums,208 bei Früchten des Gartens (holera) kannte man in Hirsau eigene Zeichen u. a. für Zwiebeln, Kürbis, Raute, Fenchel, Dill, Eppich, Salbei, Lattich, Kohl, Petersilie, Kresse, Ysop, Wermut und Knoblauch.209 Für (offenbar komplette) Gerichte gab es Zeichen, die für Eier-, Milchund Mehlspeisen, Aufläufe (u. a. mit Käse?), Eintopf und Hirsebrei standen.210 Eigene signa gab es auch für Zutaten wie Nussöl, Olivenöl und Honig, ferner für Essig, den Wilhelm bemerkenswerterweise in die Reihe der Zeichen für Getränke einordnete.211 Gewürze wie Ingwer, Pfeffer und – als 204 205 206 207 208 209 210
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Vgl. Jarecki (1981), S. 163 und S. 32 f. Vgl. 1–7, Jarecki (1981), S. 163 f.; s. auch Gampp (2000), S. 213 Vgl. Jarecki (1981), S. 122 ff. Vgl. 11–26, Jarecki (1981), S. 165 ff. Vgl. 8–10, Jarecki (1981), S. 164 f. Vgl. 58–80. Jarecki (1981), S. 174 ff. 28–38, vgl. Jarecki (1981), S. 168 ff.; da Hirse (38 Pro signo milii) hier in einer Reihe verschiedener Gerichte genannt wird, ist davon auszugehen, dass der Begriff für eine Verarbeitungsform steht; da das Zeichen für Käse direkt neben dem für eine Auflaufart steht (cigara), könnte dies auf einen Zusammenhang beider Speisen/Zeichen hinweisen, vgl. Gampp (2000), S. 213 Vgl. 42–44, Jarecki (1981), S. 171 und 94 – Pro signo aceti, in demselben Band S. 180. Möglicherweise geht die Einordnung des Essigs in die Reihe der Getränke darauf zurück, dass Essig auch Christus am Kreuz gereicht wurde und dass durch seinen ‚Genuss‘ eine besondere Frömmigkeit zum Ausdruck gebracht werden konnte?
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Speisezutat heute ungewöhnlich – Weihrauch konnten durch besondere Gesten geordert werden,212 schließlich auch verschiedene Getränke, wobei zwischen ‚normalem‘ und gesegnetem Wasser unterschieden wird, zwischen Rot- und Weißwein, dem mit Würzstoffen versetzten Claret, einem mit Honig, Gewürzen und vielleicht auch Wermut angesetzten Getränk auf Weinbasis,213 dem Bier und zwei weiteren Getränken, deren Konsistenz sich aus der Aufstellung nicht erschließt.214 Früchte und Obst sind in der signa-Aufstellung u. a. mit Apfel, Birne, Walnuss, Pflaume, Kirsche, Pfirsich, Mispel und Erdbeere vertreten, sie dürften die klösterliche Tafel vor allem als Beilage (zulässige ‚dritte‘ Speise) oder Nachtisch bereichert haben.215 Recht umfangreich und vielfältig ist auch die Reihe der Gefäße, die auf ein eigenes Zeichen hin gereicht werden sollten. Sie umfasst Trinkschale (scutella), ‚Hohlgefäße‘ (cavate), gebrannte Tongefäße (coclearis), den bereits genannten Skyphus, Schalen (pater), Becher, Glasgefäße (phiale vitrae), (Brot?)Körbchen (sportula), die, weil in Zeichen unterschieden, möglicherweise in geflochtener Form und aus Holz vorhanden waren, Kannen, Weinpokal und -zuber sowie Essigkännchen.216 Es erschließt sich aus den signa loquendi, sofern sie im klösterlichen Alltag allgemein verwendet wurden und diesen damit durchaus repräsentieren könnten, das Bild einer klösterlichen Küchen- und Speisekultur, die – ganz im Sinne einer Reformbewegung – nicht durch Überfluss, aber auch nicht durch Einseitigkeit, dauernde Askese oder gar durch Mangel gekennzeichnet ist. Die Anzahl der signa für verschiedene Nahrungsgrundstoffe, Gerichte, Getränke, Gewürze und Geschirr, die aus Praktikabilitätsgründen möglicherweise nur die wichtigsten aufzählt (denn Wilhelms auf insgesamt 359 Zeichen angewachsenes ‚Vokabular‘ musste nicht nur unterscheid-, sondern auch lernbar und anzuwenden sein), lässt auf eine insgesamt entwickelte und vor allem vergleichsweise hoch organisierte Küchen- und Speisekultur schließen. Letzteres wird nicht zuletzt durch die Entwicklung und Differenzierung der signa loquendi unterstrichen. Sie stehen für eine Tisch- und Esskultur, die von vielen, eigens definierten Regeln bestimmt wurde, somit sehr ‚zivilisiert‘ war und damit der Vorstellung von ausufernden Gelagen in klösterlichen Lebensgemeinschaften eher
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83–85, Jarecki (1981), S. 178 Vgl. auch oben S. 104 f. Vgl. 86–96, Jarecki (1981), S. 179 f. S. unter 45–54, Jarecki (1981), S. 172 f.; vgl. Gampp (2000), S. 213 Vgl. 97–113, Jarecki (1981), S. 180 ff.
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entgegensteht.217 Es mag sie im Hochmittelalter vereinzelt gegeben haben, in den dem Hirsauer Reformkonvent angeschlossenen Klöstern dürften sie, sofern den consuetudines Folge geleistet wurde, eher unwahrscheinlich gewesen sein. Andere Ordensgemeinschaften lehnten sich bis in das 13. Jahrhundert hinein an die cluniazensischen consuetidines an und übernahmen – zumindest in Teilen – auch deren signa, so die Zisterzienser. Die hinsichtlich des Schweigegebotes bis in die heutige Zeit hinein besonders strengen Karthäuser lehnten auch die signa loquendi kategorisch ab.218 Dass die signa loquendi jedoch in vielen Klöstern des Hochmittelalters bekannt waren und wohl auch verwendet wurden, lässt die vergleichsweise große Zahl von Handschriften vermuten, durch die Wilhelms Constitutiones Hirsaugienses überliefert sind.219
6.3 Diätetik Dass nicht nur in klösterlichen, sondern auch in höfischen Kreisen auf das Maßhalten Wert gelegt wurde, klang zuvor bereits verschiedentlich an. Dabei waren es nicht nur religiöse220 oder ideelle Gründe, die gegen übermäßigen Nahrungs- und Getränkegenuss angeführt wurden. Denn auch im Hochmittelalter war bekannt, dass Ernährungsgewohnheiten direkt auf das gesundheitliche – sowohl physische als auch psychische – Befinden des Menschen wirken. Sie werden auch in Verhaltensempfehlungen in theologischen Quellen genannt, auf die z. B. in Predigten Bezug genommen werden konnte und die deshalb die am weitesten verbreiteten Kenntnisse repräsentieren dürften.221 Daneben gab es auch verschiedene Anweisungen
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Da das Moment der ‚Fallhöhe‘, gerade bei dem Klerus, der ‚Wasser predigt und (selbst, auch im Übermaß) Wein trinkt‘, demnach unbekümmert Todsünden begeht, bei allen gleichzeitig ausgeprochenen Mahnungen zur Umkehr oder Mäßigung ein ausgesprochen dankbares Motiv darstellt, könnte es auch sein, dass verschiedene Schilderungen einer klösterlichen luxuria in didaktischer Absicht verfasst wurden und zeitgenössische Begebenheiten – wenn sie denn so oder ähnlich vorkamen – auch bewusst übertrieben Vgl. Jarecki (1981), S. 17 ff. Für seine Edition zog Jarecki lediglich die in Weingarten, Ottobeuren, Prüfening, Regensburg (St. Emmeram) und Wessobrunn in der Zeit vom 11. bis 13. Jh. entstandenen Manuskripte heran, vgl. Jarecki (1981), S. 95 mit Anm. 289 Auf die für das Leben im christlichen Sinne damals sehr wichtige Kardinaltugend temperantia, das Maßhalten oder die Mäßigung, wurde bereits hingewiesen Ein Beispiel, das wie eine auf ihre Kernpunkte reduzierte Empfehlung zur rechten Lebensführung wirkt, findet sich z. B. in folgendem (apokryphen) Spruch des Jesus
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zur ‚richtigen‘ Lebensführung, sog. diätetische Schriften, die sich im Hochmittelalter eines gewissen Interesses erfreuten und besonders im späteren Mittelalter, jedoch auch bis weit in die Neuzeit hinein eine breitere Rezeption erfuhren.222 Da die meisten dieser Schriften in Klöstern (re-)produziert und von ihnen aus verbreitet wurden, bietet es sich an, sie an dieser Stelle zu beleuchten, auch wenn ihre Reichweite deutlich über die klösterliche Welt hinausging und ihre Intention und Wirkung somit nicht auf die ‚Welt der Geistlichen‘ beschränkt blieben. In der Diätetik unterschieden werden dabei „der Begriff D. im engeren Sinne, der die Ernährung der Gesunden und Kranken beinhaltet, und D. im weiteren Sinne, worunter die Kunst vernünftiger Lebensführung zu verstehen ist.“223 Die schon in der Antike entstandenen diätetischen Lehren224 wurden nach dem Verfall des römischen Reiches vornehmlich von arabischen Gelehrten, unter ihnen besonders von Medizinern aufgegriffen und vervollkommnet.225 Ein Beispiel bildet die im 9. Jahrhundert entstandene, pseudoaristotelische und beinahe enzyklopädische Abhandlung ‚Sirr-al-Asr¯ar‘ des arabischen Gelehrten Yahi¯a ibn al-Bitr¯ıq, die im Rahmen eines für einen Fürsten entworfenen Erziehungsprogramms eine Vielzahl diäteti-
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Sirach: „Mein Sohn, hinsichtlich deiner Lebensweise prüfe deinen Leib / und sieh, was ihm schädlich ist, und das gib ihm nicht. / Denn nicht alles ist für alle zuträglich, / und nicht jedes Individuum fühlt sich bei allem behaglich. / Sei nicht unersättlich bei irgendeinem üppigen Genusse / und laß dich nicht allzu sehr gehen bei Leckerbissen. / Denn bei vielen Speisen stellen sich Beschwerden ein, / und Unmäßigkeit kann bis zum Erbrechen führen. / Wegen Unmäßigkeit sind viele gestorben, / wer sich aber in acht nimmt, wird länger leben“, zitiert nach Emil Friedrich Kautzsch et al. (Hg.): Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments. Bd. I: Die Apokryphen des Alten Testaments. (Neudruck). Darmstadt 1962, S. 416, 27–31 Vgl. H. Schipperges s.v. Diätetik in: LexdMA Bd. III (1986), Sp. 972 f. und Burghart Wachinger: Erzählen für die Gesundheit. Diätetik und Literatur im Mittelalter. (Schriften der Philologisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 23). Heidelberg 2001, bes. S. 16 ff. Schipperges (1986), Sp. 972. Vgl. Schipperges (1986), Sp. 972. Als ein wesentliches Element der Gesundheitspflege erkannte sie bereits Hippokrates von Kos (ca. 460–370 v. Chr.), seine Erkenntnisse wurden von dem Arzt Galen (129- um 200 n. Chr.) aufgenommen und weitergeführt. Sie bildeten noch im Mittelalter die Grundlage der Medizin. Die Medizin wurde geteilt in die drei Säulen Physiologie, Pathologie und Therapie. Zur Therapie wiederum gehören Diätetik, Pharmazeutik und Chirurgie, vgl. Kay Peter Jankrift: Heilkunde und Gesundheitspflege, in: Melville/Staub, Bd. I (2008), S. 394–396, hier S. 394 Vgl. Wachinger (2001), S. 6 ff.
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scher Weisungen enthält.226 Etwa um 1140 wurde dieses Werk ins Lateinische übersetzt.227 Diese – unter dem Titel ‚Secretum secretorum‘ bekannt gewordene – lateinische Fassung diente wiederum der Zisterziensernonne Hildegard von Hürnheim228 als Vorlage für ihre in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vorgenommene Übersetzung ins Mittelhochdeutsche. Abgesehen davon, dass Hildegards um wortgetreue Übersetzung bemühte Version die vielleicht älteste deutschsprachige Fassung des besonders im Spätmittelalter noch vielrezipierten ‚Secretum‘ darstellt, ist der Text als eine der frühesten überlieferten mittelhochdeutschen Prosa-Abhandlungen bemerkenswert.229 Auf der Basis dieser zur frühen volkssprachlichen Fachliteratur zählenden Quelle sollen Grundlagen der Diätetik und konkrete Hinweise zur diätetischen Lebensführung und Ernährungsweise skizziert werden.230 Die frühe medizinische Diätetik wird humoralpathologisch begründet.231 Die Humoralpathologie232 basiert auf den Vorstellungen der Entsprechung makrokosmischer Phänomene im Mikrokosmos, hier: dem Menschen. Wie die vier Elemente – Luft, Feuer, Wasser und Erde – korrespondieren demnach auch die vier Jahreszeiten und die vier menschlichen Körpersäfte (Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim) sowie die ver-
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Vgl. Wolfgang Hirth: Die älteste deutsche ‚Sirr-al-Asr¯ar‘- Überlieferung. Zur hochund spätmittelalterlichen Tradierung arabischer Diätetik, in: Medizinische Monatsschrift 28 (1974), S. 495–501, bes. S. 495 Vgl. Hirth (1974), S. 496 Zu Hildegard (Hiltgart) von Hürnheim vgl. unter diesem Stichwort G. Keil in: VL Bd. 4 (1982), Sp. 1–4, hier: Sp. 1 f. Dort finden sich auch weitere Angaben über Hildegards Auftraggeber sowie die Rezeption ihrer Übersetzung Vgl. Reinhold Möller im Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Textausgabe: Hiltgart von Hürnheim. Mittelhochdeutsche Prosaübersetzung des „Secretum secretorum“. (DTM. Bd. 56). Berlin 1963, S. I; während Möller Hildegards gegen 1282 datierte Übersetzung für die erste in deutscher Sprache hält, stellt Hirth (1974), S. 498 dem das sog. Freiburger Fragment als Beleg für „eine noch frühere deutsche Übersetzertätigkeit“ entgegen In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts waren neben dem ‚Secretum secretorum‘ auch andere lateinische Gesundheitslehren im Umlauf, so z. B. die aus der medizinischen Fakultät der Universität in Salerno stammende Sammlung ‚Regimen sanitatis Salernitatum‘, vgl. Melitta Weiss Adamson: Medieval Dietetics. Food and Drink in Regimen Sanitatis Literature from 800 to 1400. (German Studies in Canada. Bd. 5). Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 93 ff. Vgl. Hirth (1974), S. 495 und Jankrift (2008), S. 394 Die folgenden Ausführungen basieren besonders auf Angaben unter dem Stichwort Humoralpathologie in Meyers Enzyklopädischem Lexikon Bd. 12 (1974), S. 399
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schiedenen Lebensaltersstufen mit den Qualitäten ‚warm und feucht‘, ‚warm und trocken‘, ‚kalt und trocken‘ sowie ‚kalt und feucht‘.233 Für den Menschen bedeutet ein harmonisches Mischungsverhältnis seiner Körpersäfte (Eukrasie) Gesundheit und Wohlbefinden, jedes entstehende Ungleichgewicht (Diskrasie) verursacht Krankheit. Nach der Diagnose eines solchen Ungleichgewichts soll ‚therapeutisch‘ nach dem Grundsatz ‚contraria contrariis curantur‘ verfahren werden, ein jeweils zu dominantes Merkmal soll dabei durch die bewusst herbeigeführte Verstärkung seines Gegenpols abgeschwächt werden: einem phlegmatischen Menschen beispielsweise, bei dem nach der zeitgenössischen Vorstellung kalter und feuchter Schleim (griech. phlegma) überwiegen, soll man vornehmlich als warm und trocken bewertete Speisen zukommen lassen.234 Lebensweise und Speisegewohnheiten sind jedoch allgemein derart einzurichten, dass auch die anderen Körpersäfte nicht in ein Ungleichgewicht geraten. Ferner soll darauf geachtet werden, dass die Nahrung dem jeweiligen Temperament (der sog. Komplexionszugehörigkeit)235 des Individuums angepasst ist. Ferner soll sie auch auf weitere, im Rahmen humoralpathologischer Vorstellungen bedeutende Faktoren – wie Tageszeit, Monat, Jahreszeit und Alter – hin ausgerichtet werden.236 Es handelt sich demnach bei den diätetischen Lehren um recht komplexe Konstrukte. Fast jedes Handeln, vom Aufstehen bis zu sportlicher Betätigung, von der Haarpflege bis zum ästhetischen Genuss, lässt sich mit233
234
235 236
Vgl. Dorothee Rippmann: Schachtafeln der Gesundheit – Präventive Medizin, Körpervorstellungen und Ernährung, in: Rippmann/Neumeister-Taroni (2000), S. 114–129, bes. S. 114 und S. 122 Die tradierten diätetischen Lehren sind dabei oft nicht nur sehr komplex, sie scheinen auch nicht durchweg ‚logisch‘. So werden z. B. Männer allgemein als dem Feuer ähnlich kategorisiert, Frauen hingegen als dem Wasser verwandt – was den diätetischen Lehren nach nicht nur zur Folge hätte, dass Männer und Frauen sich unterschiedlich ernähren müssten. Es gab neben der oben genannten Maxime ferner die Vorstellung, dass, basierend auf der jeweils identifizierten ‚Charakteristik‘ eines Individuums, die Verfahrensweise, ‚Gleiches mit Gleichem zu therapieren‘ (similia similibus curantur), gesundheitsförderlich wirken solle, vgl. Erich Schöner: Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie. (Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Beihefte. Heft 4). Wiesbaden 1964, S. 28 ff. Dort wird auf S. 29 konstatiert: die Diätetik sei „‚eine wahre Enzyklopädie‘ …, aber teilweise auch ‚ein konfuses, recht eigenwilliges Lehrgebäude‘.“ Vgl. Rippmann (2000), S. 114 Vgl. Rippmann (2000), S. 122 f. Entprechende Hinweise enthalten besonders überlieferte altdeutsche Monatsregeln, vgl. dazu Gundolf Keil: Die Grazer frühmittelhochdeutschen Monatsregeln und ihre Quelle, in: Gundolf Keil/Rainer Rudolf (Hg.): Fachliteratur des Mittelalters. Festschrift für Gerhard Eis. Stuttgart 1968, S. 131–146, bes. S. 143 f.
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tels der Forderung nach Ausgewogenheit und Harmonie der Säfte, Elemente und Temperamente regeln und dadurch in angemessene, d. h. gesundheitlich zuträgliche Bahnen lenken. Entsprechende Anweisungen wurden denn auch im ‚Sirr-al-Asr¯ar‘ niedergeschrieben.237 Folgend sollen lediglich diejenigen Verhaltensregeln beleuchtet werden, die sich auf die Ernährung beziehen.238 6.3.1 Ausgewählte Passagen aus Hildegards ‚Secretum‘-Übersetzung Die medizinischen Lehren, die sich in Hildegards Übersetzung auf Speisen und Getränke sowie auf deren Auswahl und Einnahme beziehen, sind ausgesprochen umfangreich, vor allem des Bemühens wegen, möglichst alle anerkannten (d. h. antiken) Quellen angemessen zu berücksichtigen. Die Hauptpassagen der Erörterung lassen sich folgendermaßen fassen: ein Teil der in Artikel aufgeteilten Abhandlung enthält allgemein Maßnahmen, die der Gesunderhaltung dienen, die stets das Ziel aller folgend differenzierter gefassten Verhaltensregeln bildet. In einem anderen Teil finden sich detaillierte Anweisungen zur Bereitung, Aufnahme und Wirkung von Heiltränken und Kräutern. Generell gilt, dass die beste Arznei die Prävention ist, nämlich das Vermeiden von übermäßigem Nahrungsgenuss und – im Extrem – von hemmungsloser Völlerei: Das ist ain offenn urkunde: wer sich enthabt von vil essens und trinckens und fürbet die überflüssigkait, das ist ain öberste ertznei.
237 238
239
(27, 21 f.)239
Vgl. Hirth (1974), S. 495 f. In einigen der im Hochmittelalter bekannten diätetischen Schriften wird dieser Bereich unter der Überschrift potus et cibus eigens gekennzeichnet, vgl. Weiss Adamson (1995), S. 95 f. (Epistola Theodori philosophi ad imperatorem Fridericum) und S. 100 (Regimen sanitatis Salernitatum). Den Vorstellungen des ‚Regimen sanitatis‘ zufolge gehören die Getränke und Speisen zu den sechs menschlichen Verhaltensweisen, die variabel und damit steuer- oder veränderbar sind (sex res non naturales), während anlagebedingte, als statisch empfundene Eigenschaften (sex res naturales) nicht durch individuelles Verhalten oder dessen Veränderung beeinflusst werden können, vgl. dazu Wachinger (2001), S. 7, Rippmann (2000), S. 123 Vgl. auch 31, 5 ff. Zitiert wird nach der Ausgabe von Möller (1963). In einem erweiterten Sinn ist hier wohl fürbet zu verstehen, etwa als „reduzieren, ausschließen, vermeiden“, denn die wörtliche Übersetzung von mhd. vürben, vurben lautet „reinigen, säubern, putzen, fegen“, vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 590
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Im Kapitel 28 Von dem jungsten schatz der gesunthait folgen dann Anweisungen, auf welche Weise die Ernährung nach dem jeweiligen Temperament des Menschen auszurichten ist. Hier begegnet die Empfehlung, ein Ungleichgewicht dadurch zu vermeiden, dass der ‚eigenen Natur‘ ähnliche Speisen genossen werden, dies allerdings mit Blick auf ein angemessenes Mischungsverhältnis. Sollte ein Körper jedoch erheblich ‚überhitzt‘ sein, so sollte Entgegengesetztes zu sich genommen werden, nämlich kalte Speisen: Wer dann ist ainer kaltenn nature, dem füegent wol kallte speis, die getempert 240 … sind. Das selb sprich ich von dem feüchten und trucken leibe. Ist aber das die hitz gemert und entzundet wirt mit grosser entzündenge von der haissenn speise unnd der auswenndigen hitze, die da gesiggt unnd herrschet, so sind im nütz kalt speis.
(28, 10 ff.)
Es wird empfohlen, vor der Nahrungsaufnahme der täglichen Arbeit nachzugehen, damit sich Hungergefühl und Appetit einstellen.241 Beim Essen selbst ist wiederum auf die Ausgewogenheit der Speisen zu achten, Gerichte von harter und von weicher Konsistenz sollen nacheinander eingenommen werden: Wer isset manigerlai waich speis, die schier mügenn verdäet werdenn, so ist nutz das man vor ettwas herttes esse in den grunt des magens …
(31, 4 f.).
Nach Abschluss einer Mahlzeit soll eine ausgiebige Ruhepause eingelegt werden.242 Mit Nachdruck wird davor gewarnt, die täglichen Essenszeiten zu verlegen oder eine der beiden Hauptmahlzeiten ausfallen zu lassen. Beides sei, da es das Gleichgewicht eines üblichen und geregelten Tagesablaufes durcheinander bringt, sehr schädlich.243 An konkreten Empfehlungen für die Gestaltung von Gerichten werden für die Frühlingszeit Hühner, Rebhühner, bis zu sechs Eier auf einmal, Ziegenmilch und wilder Lattich genannt.244 240
241 242 243 244
Gemeint ein ausgewogenes Mischungsverhältnis, vgl. lat. temperare ‚in das gehörige Maß bringen‘, vgl. Der kleine Stowasser (1971), S. 488 s.v. temper¯o. Dies wird auch im mhd. temperieren bzw. tempern aufgenommen, „im gehörigen verhältnisse mischen (u. dadurch mässigen), überh. mischen, ein-, zurichten“, so unter beiden Stichwörtern Lex. Bd. II (1992), Sp. 1420 Vgl. 31, 1 ff. und Kap. 33 Von der pewegung vor dem essen Vgl. Kap. 32 Von der rue nach dem essenn Entsprechend aufgeführt im Kap. 34 Von der gewohnhait des essens wie man die wandeln sol Vgl. 37, 10 f.; als ‚kalte und trockene‘ und daher dem heißen und feuchten Frühling komplementär zugeordnete Nahrungsmittel führt Rippmann (2000), S. 166 auf: Ackerbohnen, Hirse, Eicheln, Essig, Äpfel, sauren Wein
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Im Sommer seien heiße und trockene Speisen zu meiden, stattdessen sol man essen was nasser unnd kalter complexion ist
(38, 9),
denn es seien Kalbfleisch mit Essig und Kürbis, gemästete Hühner, ‚bitteres‘ Obst, speziell saure Äpfel und aus Gerstenmehl bereitete Breie besonders zuträglich.245 Für den Herbst werden haiß unnd naß speise empfohlen, das sint hüener unnd lember und allter wein und suesse weinpere
(39, 7),246
und im Winter erhalten heiße und trockene Speisen, besonders mit Hühner- und Widderfleisch, Braten, allgemein scharf Gewürztes, Feigen, Nüsse und qualitativ hochwertiger roter Wein die Gesundheit.247 Nicht nur bei der Auswahl, auch bei der Zubereitung der Speisen ist eine genaue Berücksichtigung und Kontrolle der Qualitäten erforderlich. So verliert beispielsweise als ‚heiß und feucht‘ bewertetes Fleisch während des Brat- oder Garvorgangs seinen Saft und wird trocken. Um die Qualität ‚heiß und feucht‘ dennoch zu wahren, werden Saucen, Tunken oder Senf dazu gereicht.248
245
246
247
248
Vgl. 38, 9 f.; dem heißen und trockenen Sommer komplementär entgegengesetzte und damit ‚kalte und feuchte‘ Nahrungsmittel benennt Rippmann (2000), S. 116 mit Pflaume, Birne, Pfirsich, Kirsche, Lattich; aufgeführt werden dort auch warmes Wasser sowie Regen- und Quellwasser Gegen den als ‚kalt und trocken‘ definierten Herbst helfen nach Rippmann (2000), S. 166 Kichererbse, Pastinake, Haselnuss und – wie bei Hildegard – Trauben Vgl. 40, 7 f.; in der von Rippmann (2000), S. 116 präsentierten Aufstellung werden als heiß und trocken Kohl, Knoblauch, Senf, Lauch, Fenchel, Petersilie, Weizenbrei, Dill, Mandeln, Huhn, Minze, Salz und getrocknete Feigen geführt. Vergleichbar konkrete, allerdings nicht auf die verschiedenen Jahreszeiten bezogene Empfehlungen gibt Hildegard von Bingen in ihrer (etwa ein Jahrhundert vor der ‚Secretum‘-Übersetzung durch Hildegard von Hürnheim entstandenen) lateinisch verfassten Schrift ‚Causae et Curae‘ über die Ursachen und Behandlung von Krankheiten. In einem Kapitel ‚Von der Diät‘ heißt es dort: „Nach erfolgter Entleerung soll man Weizenbrot, nicht trocken, sondern in die Morgensuppe eingetaucht, essen und junge Hühner, Schweinefleisch und andere leichte Fleischspeisen genießen, grobes Brot aber, Rindfleisch, Fische und andere schwere wie auch gebratene Speisen, mit Ausnahme von geschmorten Birnen, vermeiden. Auch vom Käse, von grünen Kräutern und rohem Obst soll man sich enthalten, Wein trinken, jedoch mäßig, und das Wasser fortlassen“, Der Äbtissin Hildegard von Bingen Ursachen und Behandlung der Krankheiten (causae et curae). Übersetzt von Hugo Schulz. Mit einem Geleitwort von Ferdinand Sauerbruch. Heidelberg 19823, S. 285 Vgl. 50, 4 ff.
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Den Getränken widmet die Abhandlung vergleichsweise wenig Beachtung. Gewarnt wird vor verdorbenem Wasser. Bemerkenswert ist, dass in einer Aufzählung verschiedener ‚Wasserqualitäten‘ deren überwiegender Teil als schädlich beschrieben wird.249 Der Wein, je nach Anbaulage als trocken oder als nass kategorisiert, verliert erhitzt (und gewürzt) seine schädliche Wirkung.250 Besonders dickflüssiger, roter Wein sei für Erwachsene eine gute Medizin.251 Wein aus erster Lese sei besonders nutz den allten und den nassenn leuten, den jungen und ‚heißen‘ Menschen schade er jedoch.252 Vor Trunkenheit wird ausdrücklich gewarnt.253 Sollte es dennoch jemandem, der leicht betrunken wird, passiert sein, dass er zuviel der ‚geistigen Getränke‘ genossen hat, so hilft ein ‚Patentrezept‘: Wer wein trincket über die masse und gern truncken wirt, dem ist nütz das er sich pade mit warmenn wassern. 249
250 251
252 253
(53, 15)
So im Kap. 51 Von der wekantnüß der wasser. Ganz ähnlich sind die Aussagen, die Hildegard von Bingen bezüglich der verschiedenen Qualitäten des Wassers macht. In den umfangreichen ‚Causae et Curae‘, die sich ebenfalls auf die Humoralpathologie stützen, wird salziges und süßes, aus Meer, Bächen, Seen und Flüssen stammendes Wasser behandelt, das ungekocht fast durchweg als schädlich, nur in besonderen Ausnahmefällen als gesund oder sogar heilend bewertet wird. Ungekochtes Wasser verschiedener Herkunft wird als Ursache von Fieber, Seuchen, Würmern, sogar von Fettleibigkeit identifiziert, entsprechend häufig sind Hildegards Mahnungen, nur gekochtes Wasser zu genießen und beim Kochen das beigefügte Wasser ausreichend zu erhitzen, vgl. Von den verschiedenen Eigenschaften der Gewässer, in: Der Äbtissin Hildegard von Bingen Ursachen und Behandlung der Krankheiten (1982), S. 45 ff. Vgl. 52, 1 f. Vgl. Kap. 52 Von der wekantnüß dez weins. Auch bei diesem Thema finden sich Entsprechungen in den ‚Causae et Curae‘ der Hildegard von Bingen. In ihrem Kapitel ‚Von der Verschiedenheit des Getränkes‘ heißt es: „Edler und starker Wein erregt, getrunken, die Gefäße und das Blut des Menschen in unrichtiger Weise und zieht die Säfte und alle Feuchtigkeit, die im Menschen sind, an sich, wie es die abführenden Tränke tun … Dies tut der Wein vom Hunsrück nicht, weil er nicht so stark ist, daß er die Säfte des Menschen übermäßig erregen könnte. Deshalb sollen die Kräfte eines schweren Weines gemildert werden entweder durch eingetauchtes Brot oder durch Zugießen von Wasser, weil es weder einem gesunden noch einem kranken Menschen zum Trinken nützt, wenn er nicht in dieser Weise gemildert ist. Es ist jedoch nicht nötig, den Hunsrücker Wein so zu verdünnen, weil er keine so starken Kräfte in sich hat. Will ein Mensch ihm gleichwohl Wasser zusetzen oder Brot hineintunken und ihn so trinken, so ist er um so angenehmer zu trinken, aber nicht um so gesunder. Der Wein aber hat von Natur etwas Wässeriges in sich, weil er durch den Tau und den Regen ernährt wird. Daher kommt es, daß ein Mensch, der Wein trinkt, trotzdem er ihn dauernd trinkt und kein Wasser, gleichwohl in seinem Blut wässerige Säfte hat“, Der Äbtissin Hildegard von Bingen Ursachen und Behandlung der Krankheiten (1982), S. 178f. Vgl. 52, 2 Vgl. 52, 11
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Im Streben nach einem qualitativen und quantitativen Gleichgewicht der Nahrungsmittel und Getränke im Sinne der diätetischen Lehren könnten Ursachen für die von heutigen Gepflogenheiten deutlich abweichenden mittelalterlichen Koch- und Speisegewohnheiten vermutet werden. Einige, nicht nur in der Dichtung belegte Besonderheiten ‚der‘ mittelalterlichen Küche, so das starke Würzen von Speisen und Getränken, das Reichen von Saucen oder Tunken zu Fleisch oder Fisch, das Erhitzen von Wein, das Meiden von frischem Gemüse, Obst und Wasser oder die Bevorzugung von Weizenbrot werden in den medizinisch orientierten Verhaltenslehren empfohlen und durch sie in einen gesundheitlich begründeten Erklärungszusammenhang gestellt. Die Annahme, dass sich hier diätetisches Schrifttum und diätetische Kenntnisse spiegeln, würde voraussetzen, dass deren Rezeption und Wirkung bereits im Hochmittelalter erheblich gewesen wären. Dafür spricht wenig. So finden sich etwa in den Texten mittelhochdeutscher Dichter, die sonst gern mit ‚enzyklopädischen‘ Kenntnissen geschmückt werden und in denen es wiederholt zu einer Berufung auf – auch antike – Autoritäten kommt, keine Hinweise darauf, dass diätetische Regeln bekannt gewesen oder (z. B. von sittsamen Edlen) eingehalten worden wären. In die deutschsprachige Dichtung finden diätetische Aspekte erkennbar erst gegen Ende des Mittelalters Eingang.254 Die Anwendung und auch die Einhaltung diätetischer Regeln kann daher wohl nur bei denjenigen angenommen werden, die – den Vorzug der Kenntnis derartiger Schriften besaßen, sei es aus dem Vortrag oder aus dem selbständigen Lesen, – über die nötigen Mittel oder Ressourcen verfügten, um im Verlauf des Jahres und ihrem individuellen Typus entsprechend einen Ernährungsplan zu gestalten bzw. danach kochen zu lassen und – es sich leisten konnten, die geforderten ausgiebigen Ruhestunden und Mußepausen einzuhalten. Dabei ist vielleicht an Teile des Adels, besonders aber an den klösterlichen Klerus zu denken, der sich mit medizinischer Lehre und Praxis befasste und aus dessen Kreisen die überlieferten Schriften ja auch stammen.255 Weiten Teilen der hochmittelalterlichen Bevölkerung waren die speziellen diäteti254 255
Vgl. Wachinger (2001), S. 21 Dazu passt, dass das ‚Secretum‘ in der Form eines Erziehungsratgebers für Könige gestaltet ist. Mehrfach wird als Adressat Alexander der Große direkt angesprochen, und auf seinen Lehrer Aristoteles wird in den Kapiteln 1, 3 und 6 hingewiesen. Von den ersten 21 Kapiteln des ‚Secretum‘ befassen sich, wie auch ihre Überschriften ausweisen, 18 mit guten Eigenschaften eines Königs
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schen Regeln daher wohl unbekannt. Eine auf der Grundlage antiker und arabischer Lehren bewusst diätetisch ausgerichtete Ernährungsweise hat im Hochmittelalter demnach sicher elitäre Züge besessen.256 Freilich kann angenommen werden, dass auch aus Versuch und Beobachtung gewonnene und dann tradierte Erfahrungswerte, die volksmedizinische Überlieferung, oft ähnliche Therapien und Wirkungen hervorbrachten wie die ‚wissenschaftlich‘ fundierte Diätetik. Grundlegende, auch im diätetischen Schrifttum ausgesprochene Empfehlungen wie das stetige Maßhalten und die Vermeidung von Übermaß und Prasserei waren zudem durch die Lehre der Kirche (hier: Kardinaltugenden und Todsünden) überall bekannt.
256
Diesen Aspekt lässt Dorothee Rippmann (2000) aus, ist ihr doch besonders daran gelegen, die Diätetik als frühen Vorläufer eines modernen, ‚ganzheitlichen‘ Lebensverständnisses vorzustellen. Ihre Aussage, diätetische Lehren hätten besonders seit dem 13. Jahrhundert im Abendland an (merklichem) Einfluss gewonnen (vgl. S. 117), wird durch ihre Ausführungen nicht belegt, vielmehr lässt die durch sie skizzierte Rezeption arabischen medizinischen Wissens im Hochmittelalter auf einen sehr eingeschränkten Kreis wirklich Kundiger oder tatsächlich Praktizierender schließen
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Essen und Trinken in kirchlichen Kreisen
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7. Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel Die Auswertung von Tierknochen- und Pflanzenrestfunden, die bei archäologischen Grabungen in Siedlungen gemacht wurden, kann eine Reihe von Fragen zur Lebensweise und Ernährung ihrer Bewohner, zu Stand von Landwirtschaft und Tierzucht, auch zu Handelsbeziehungen sowie zum Landschaftsbild in früheren Zeiten beantworten. Wo z. B. Hasen vermehrt auftreten, muss es ausgedehntere offene Ackerfluren gegeben haben, viele Rinder weisen auf das Vorhandensein von größeren Weideflächen ebenso hin wie z. B. der Nachweis von Pflanzen, die sich nur oder bevorzugt auf Wiesen und Weiden ansiedeln.1 Besonders seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche mittelalterliche Siedlungen durch Grabungen erschlossen, bei denen oft auch die Reste von Tieren und Pflanzen geborgen und anschließend untersucht werden konnten. Damit bieten sich die Ergebnisse solcher Untersuchungen an, mit verschiedenen Aussagen verglichen zu werden, die sich in literarischen Werken des Mittelalters zu Essen und Trinken in dieser Zeit finden. Dabei ist zu beachten, dass auch archäologisch erschlossenes Material kaum ein vollständiges Bild früherer Verhältnisse vermitteln kann. Es gibt nämlich eine Reihe von Aspekten, die bei der Bewertung dieses Materials, besonders auch im Vergleich zu den Aussagen zeitgleicher literarischen Quellen, im Auge zu behalten sind. Bei vielen Grabungen konnten nicht komplette Siedlungsflächen, sondern lediglich Teile erfasst und untersucht werden. Ob und in welchem Maße die jeweils vorgefundenen Verhältnisse für eine ganze Siedlung, etwa für ein größeres Dorf oder eine städtische Siedlung, und damit für eine
1
Möglich sind für das Vorhandensein bestimmter Reste ggf. auch andere Erklärungen, bei Tierknochen z. B. die Verschleppung durch Hunde, Katzen oder wilde Raubtiere, bei Pflanzenresten beispielsweise das weiträumige Austragen von Samen durch (Zug-)Vögel. Derartige, nicht zu den sonstigen Befunden ‚passende‘ Reste treten meistens jedoch nur in vergleichsweise kleinem Umfang auf, sodass es möglich ist, zwischen den jeweiligen Charakteristika von Fauna und Flora sowie ggf. signifikanten Abweichungen zu unterscheiden
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dörfliche oder eine städtische Bevölkerung als repräsentativ gelten können, bleibt damit offen.2 Die Charakterisierung der Fundorte spielt für die Bewertung der Funde ebenfalls eine Rolle. So können die auf einem über Jahrhunderte genutzten Marktplatz (auf einer größeren Fläche) gefundenen Knochenreste eine andere Zusammensetzung zeigen als diejenigen aus Abfallgruben oder Kloaken einzelner Haushalte, die zudem aufgrund von Feuchtigkeit und chemisch günstiger Umgebungen für organisches Material oft deutlich bessere Erhaltungsbedingungen bieten. Auch diese, für die Archäozoologen und Paläo-Ethnobotaniker oft ‚wahren Fundgruben‘ können jedoch kaum ein komplettes Spektrum der Küchenabfälle, Nahrungsmittel oder Speisereste abbilden. Verschiedene Abfälle können nämlich auch andernorts abgelegt worden sein. Ferner wurden Kloaken und Abfallgruben während ihrer Nutzungszeit, oft sogar mehrfach, ausgehoben. Die Fundhorizonte, die sich in vielen solcher Gruben feststellen lassen, präsentieren sich daher in diesen Fällen sicher unvollständig. Bei verschiedenen Funden ist überdies ausgeschlossen, dass es sich um Speiseabfälle handelt, so z. B. bei komplett abgelegten Tierkadavern. Überproportional hohe Anteile von – auch bearbeiteten – Rinderknochen, Hornzapfen oder Geweihstangen von Rotwild weisen zunächst nicht auf Nahrungsreste hin, sondern sind eher einem früheren Gewerbebetrieb zuzuordnen.3 Derartige Funde können hier folglich nur berücksichtigt werden, wenn ihr direkter Bezug zu einem Haushalt und ihre Bedeutung für die Hauswirtschaft seiner Angehörigen näher bestimmt werden konnten. Er ist ferner damit zu rechnen, dass das organische Material, das sich in den Verfüllungen von Abfallgruben fand, ebenso wie seine Zusammensetzung nicht nur auf menschliche Ursprünge zurückgeht. Verbissspuren an vielen untersuchten Knochenresten zeigen, dass Speisereste an die zu einem Haushalt gehörenden Hunde oder Katzen verfüttert wurden. Hunde und Katzen dürften daneben auch Knochenmaterial verschleppt haben, das folglich anteilig bei den Resten aus Abfallgruben fehlt. Bei Samenfun2
3
Die Frage der Repräsentatitivät und andere Aspekte, die bei der kulturgeschichtlichen Bewertung z. B. archäologisch erschlossener Tierreste eine Rolle spielen können, beleuchtet ausführlicher Werner Meyer: Jagd und Fischfang aus Sicht der Burgenarchäologie, in: Werner Rösener (Hg.): Jagd und höfische Kultur im Mittelalter. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 135). Göttingen 1997, S. 465–491, bes. S. 468 ff. Ein Beispiel dafür bieten Nadja Pöllath/Angela von den Driesch: Die Tierknochen aus Augsburg, „Beim Märzenbad 9“. Zeugnisse für Ernährungsgewohnheiten und Handwerk im Hochmittelalter, in: Lothar Bakker (Hg.): Augsburger Beiträge zur Archäologie. Band 3. Augsburg 2001, S. 225–238
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den von Pflanzen wiederum können auch Winddrift und Pollenflug dazu beigetragen haben, dass sich verschiedene Pflanzen in Siedlungskontexten nachweisen lassen. Nicht bei allen Siedlungsgrabungen konnten vergleichbare Mengen organischen Materials erfasst und geborgen werden, und es wurde bei verschiedenen archäologischen Erkundungen auch unterschiedlich vorgegangen. Zuweilen wurden lediglich die mit dem Auge sichtbaren Reste, besonders Tierknochen, aufgelesen. In einem solchen Fall ist der Nachweis von Pflanzenresten i. d. R. nicht möglich, da es sich dabei oft um sehr kleine Reste, z. B. Samen, handelt.4 An anderen Orten wurden Grubenverfüllungen in größeren Teilen oder vollständig geborgen, um anschließend sehr detailliert untersucht zu werden. Welche Tier- und Pflanzenreste sich jeweils nachweisen lassen, ist neben den Aufnahmemethoden bei einer Grabung und anschließenden Untersuchungen stets auch von den Erhaltungsbedingungen für organische Materialien abhängig, die durch unterschiedliche Bodenverhältnisse sehr begünstigt oder erschwert werden können. Demnach lässt sich auf der Basis archäologisch nachgewiesener Nahrungsgrundlagen für das Hochmittelalter kaum ein Bild rekonstruieren, das hinsichtlich ‚tatsächlicher Verhältnisse‘ an den verschiedenen Fundorten komplett zu nennen wäre. Gleichwohl scheint es möglich, besonders im Vergleich der Fundorte untereinander, Ähnlichkeiten oder Besonderheiten sowie vielleicht besondere ‚Trends‘ ausmachen zu können. Dies soll anschließend versucht werden. Da auch in den literarischen Quellen die ständische Schichtung der Gesellschaft betont wird, soll die Betrachtung anhand der Funde von Burgen und Herrensitzen, aus städtischen und ländlichen Siedlungen sowie aus klerikalen Siedlungskontexten (hier besonders Klöster) getrennt erfolgen. Schließlich wird der Frage nachzugehen sein, ob sich die Ernährung von Adel, Bauern, Bürgern und Klerus dem zufolge, was Bodenfunde dazu verraten, so unterschiedlich darstellt wie es die zeitgenössische Dichtung und andere schriftliche Quellen nahe legen.
4
Einen detaillierten Überblick über boden- und durch die jeweilige Fundsituation bedingte Schwierigkeiten sowie über Möglichkeiten und Grenzen paläo-ethnobotanischer Untersuchungen bieten Kühn/Rippmann (2000)
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Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
7.1 Funde von Burgen und Herrensitzen Angesichts der Vielzahl von Hinweisen, die literarische Quellen zu Lebensund Tafelgewohnheiten des mittelalterlichen Adels bieten, ist es besonders interessant, diese Hinweise zu den archäologisch erschlossenen Funden in Beziehung zu setzen, die von adligen Wohnplätzen stammen. Diese Bezeichnung berücksichtigt eine Differenzierung, die sich in der mittelalterlichen Literatur so nicht findet. Der Sitz von Kaiser, Königen, Rittern oder Edelleuten und damit der Handlungsort repräsentativer Veranstaltungen ist dort, sofern feste Plätze genannt werden, stets eine Burg. Wenn Burgen geschildert werden, sind sie mächtig und groß, besitzen als Zeichen ihrer Wehrhaftigkeit und Bedeutung hohe Mauern und Türme und sind von ihrer Ausstattung her in der Lage, neben ihrer zahlreichen Stammbesatzung eine große Zahl von Gästen aufzunehmen. Die Phantasie der Hörer oder Leser wird damit auf die Vorstellung von Festungen oder stark bewehrten Höhenburgen gelenkt, wie sie beispielsweise noch heute das obere und mittlere Rheintal prägen. Derartige Anlagen erfuhren eine größere Ausdehnung oft jedoch erst nach dem Hochmittelalter. Die Burgen des Hochmittelalters waren in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht durch mächtige Steinmauern, eine Vielzahl von Türmen und Zinnen, großzügige Wohn- und Wirtschaftsbauten oder ein annähernd bequemes Platzangebot gekennzeichnet.5 Umso eindrucksvoller müssen 5
Vgl. Joachim Zeune: Burgen. Symbole der Macht. Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg. Regensburg 1996, bes. S. 171 ff.; ein gutes Beispiel für beengte Wohnund Wirtschaftsverhältnisse bietet die Grottenburg Riedfluh im Baselerland in der Schweiz, die etwa zwischen 1050 und 1200 besiedelt war: unter einem schützenden Bergüberhang auf einer natürlichen Felsterrasse angelegt, besaß sie zwar hohe, schützende Mauern, eine Art ‚Vorwerk‘ und einen auf einem Felssporn vorgelagerten Ausguck, das rückwärtig an den Fels grenzende Hauptgebäude der Burg besaß jedoch nur vier Räume, vgl. Peter Degen/Heiner Albrecht/Stefanie Jacomet/Bruno Kaufmann/Jürg Tauber: Die Grottenburg Riedfluh. Eptingen BL. Bericht über die Ausgrabungen 1981–1983. (Schweizer Beiträge zur Archäologie des Mittelalters. Band 14/15). Olten/Freiburg/Br. 1988, Abb. 51. – Außer Acht gelassen wird bei der Vorstellung ‚fester Plätze‘, dass sich Könige und Kaiser im Hochmittelalter kaum für längere Zeit an einem Ort aufhielten, sondern, um die Regentschaft in ihrem räumlich sehr ausgedehnten Reich wirksam durchführen zu können, eine i. d. R. rege Reisetätigkeit entwickelten, bei der sie – oft mit einem umfangreichen Hofstaat – verschiedene Burgen oder Pfalzen aufsuchten. Die Reihe der im Mittelalter bedeutenden Pfalzen ist lang, zu ihr gehören u. a. Aachen, Köln, Koblenz, Speyer, Mainz, Ingelheim, Paderborn, Bamberg, Nürnberg, Regensburg, Braunschweig, Goslar, Magdeburg, Quedlinburg, Merseburg sowie Tilleda am Kyffhäuser. Eine Rekonstruktion der Pfalz Tilleda im baulichen Zustand des 11. Jahrhunderts bietet Das Reich der Salier (1992), S. 248
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schon für das hochmittelalterliche Publikum die Bilder mächtiger, ausgedehnter und prachtvoller Burganlagen gewesen sein, die in zeitgenössischen epischen Werken gezeichnet werden. Der heute noch erschließbaren Realität entsprachen sie in den allermeisten Fällen nicht. Selbst heute populäre Vorstellungen von Burgen basieren wesentlich noch auf durchaus verklärten Bildern, die besonders im 19. Jahrhundert entstanden: „Nun erahnen wir, wie sich alles hier ineinander verzahnt, welch kompliziertem, komplexem Zusammenspiel verschiedenster Motive die Burgen unterworfen werden, wie sie vollgepackt werden mit Ideologien, politischen Programmen, romantischen Phantasien, menschlichen Sehnsüchten: die Bauherren und Architekten greifen die Phantasien der Maler, Schriftsteller und Dichter auf; diese wiederum lassen sich von den Architekturen der Neuschöpfungen begeistern und inspirieren. Getragen wird alles von einer tiefen Sehnsucht nach Heroentum, nach Romantik, nach einer besseren Welt und von einem verbitterten Ringen nach Anerkennung durch Statussymbole.“6 Ein bezeichnendes Beispiel für diese Einstellung bilden der Bau des Schlosses Neuschwanstein durch König Ludwig II. von Bayern sowie verschiedene, oft mehr an Idealvorstellungen als an der historischen Anlage von Burgen orientierte Rekonstruktionsversuche während des 19. Jahrhunderts.7 Gerade in einem solchen ‚populären‘ Sinne größere Burganlagen des Hochmittelalters wurden bisher archäologisch nur selten umfassend untersucht, und wenn, dann oftmals mit Blick auf ihre Baugeschichte sowie ihre Nah- und Fernbeziehungen, sodass Tierknochen- und Pflanzenrestfunde, die Aufschluss über die Wirtschaftsweise und Speisegewohnheiten der Burginsassen geben könnten, nicht vorliegen oder – sofern vorhanden – nicht ausgewertet wurden.8 Dem Bild von größeren, mit hohen Steinmauern oder Palisadenwällen umwehrten und auf Bergen oder am Hochhang gelegenen Burganlagen entspricht daher nur ein Teil derjenigen Fundplätze, die 6 7 8
Zeune (1996), S. 21 Vgl. hierzu Zeune (1996), S. 13 ff. Eine der wenigen Ausnahmen bildet z. B. die Nürnberger Burg, von der Tierknochenfunde vorliegen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich z. B. bei Burganlagen, die auf felsigem Grund errichtet wurden, insbesondere Pflanzenreste nur in Ausnahmefällen erhielten. Ferner lagen und liegen Forschungsinteressen, wie oben angesprochen, oft auf anderen Gebieten als bei der Aushebung von Brunnenanlagen, Kloaken oder Abfallgruben sowie der minutiösen Auswertung ihrer Inhalte. Dies gilt auch für Grabungen in anderen Siedlungstypen. Schließlich sind es leider oft die fehlenden Mittel, die eine (eingehende) Erkundung und Auswertung von Tierknochen- und Pflanzenresten verhindern
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Abb. 30: Nidau im Kanton Bern/Schweiz. Rekonstruktionszeichnung. Der Vorgängerturm aus Holzfachwerk wird im frühen 13. Jh. durch einen Massivbau ersetzt
in die am Ende dieses Bandes platzierte Liste der Adelssitze aufgenommen wurden (z. B. Niederrealta, Alt- und Neu-Schellenberg, Nürnberg, Plesse, Hitzacker). Der überwiegende Teil von Siedlungsplätzen des mittelalterlichen Adels, von denen auch archäozoologische oder/und paläo-ethnobotanische Untersuchungen vorliegen, präsentiert sich in den Rekonstruktionsversuchen, die aufgrund der baulichen Befunde unternommen werden konnten, in anderen Erscheinungsformen. Wo Höhenzüge fehlen, wurden befestigte Häuser und Höfe entweder auf natürlichen Inseln angelegt (wie Brandenburg, Berlin-Köpenick und -Spandau) oder wurden durch künstlich angelegte Gräben und Inseln, deren Niveau durch Aufschüttungen erhöht wurde, zusätzlich geschützt. Dieser Bautyp einer Niederungsburg, eine sog. Motte, liegt z. B. in Nidau, Lürken, Haus Meer und Bernshausen vor. Andere, auf Höhen angelegte Plätze wie die Burg auf dem Weinberg in Hitzacker besaßen zwar hohe Wälle und auch Türme, doch bestand diese Bewehrung zumeist aus hohen hölzernen Palisadendoppelreihen mit zusätzlicher Verfüllung der Zwischenräume.
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Abb. 31: Hitzacker, Rekonstruktionsversuch der Burganlage auf dem Weinberg im frühen 12. Jahrhundert
Diese wenigen Beispiele lassen erkennen, dass unter der allgemeinen Bezeichnung ‚Burg‘ ausgesprochen unterschiedliche Bautypen und Anlagen gefasst werden, deren räumliche Ausdehnung und Bedeutung im mittelalterlichen Herrschaftsgefüge zudem erheblich differieren konnten. Im Interesse der Frage, ob sich anhand archäologisch erschlossener Funde möglicherweise unterschiedliche Speisegewohnheiten verschiedener sozialer Schichten nachweisen lassen, ist ferner zu berücksichtigen, dass nicht nur ‚klassische‘ Burganlagen als Wohnorte des Adels anzusprechen sind.9 So wurden z. B. Adlige im Gefolge eines Herrschers oft mit mehr oder weniger bedeutenden Wirtschaftshöfen belehnt, die nicht nur unter ihrer Leitung betrieben wurden, sondern auf denen sie wohl oft auch wohnten. Zu den größeren Anlagen ist hier etwa der Königshof von Helfta zu 9
Eine dazu passende, mit funktionalen Kriterien begründete Definition des Begriffes ‚Burg‘ bietet Stefan Hesse: Die mittelalterliche Siedlung Vriemeensen im Rahmen der südniedersächsischen Wüstungsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Problematik von Kleinadelssitzen. (Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte. Band 28). Neumünster 2003, S. 15: – „Wohnsitz einer Adelsfamilie. – Mittelpunkt eines Herrschaftskomplexes. – Mittelpunkt eines vorwiegend auf Selbstversorgung ausgerichteten Wirtschaftsbetriebes. – Wehrhaftigkeit im Sinne baulicher Verteidigungseinrichtungen.“
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zählen,10 während kleinere befestigte Herrenhöfe und/oder Niederungsburgen wie z. B. in Holzheim, Bernshausen oder Futterkamp wohl vom niederen Adel bewirtschaftet und auch bewohnt wurden.11 Andererseits gab es Burganlagen, deren Nutzung für den hier interessierenden Zeitraum nachgewiesen ist, die jedoch nicht (sicher) als Adelshof oder -wohnsitz identifiziert werden können. Dies trifft für die Burganlage Arkona auf Rügen zu, das Stammes- und religiöse Zentrum der slawischen Ranen, das im 12. Jahrhundert von den Dänen erobert und zerstört wurde. Die dort durchgeführten Ausgrabungen förderten zwar umfangreiches Tierknochenmaterial zutage, das besonders auch in das Hochmittelalter zu datieren ist. Doch dürfte dieses Material besonders auf Stammestreffen, bei denen auch Märkte stattfanden, und auf kultische Mähler zurückzuführen sein.12 Eine dauerhafte Besiedlung der Burg Arkona und ihre Nutzung als fester Adelssitz ließen sich nämlich durch die Grabungen nicht nachwei10
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Vgl. Hanns-Hermann Müller: Die Tierreste aus dem ehemaligen Königshof von Helfta, in: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 78 (1996), S. 159–264, bes. S. 159 und 192 Vgl. Klaus Donat: Die Tierfunde aus der Wüstung Holzheim (mit einem Beitrag von Martina Stehr), in: Norbert Wand: Holzheim bei Fritzlar. Archäologie eines mittelalterlichen Dorfes. (Kasseler Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte. Band 6). Rahden 2002, S. 497–508, wo zwischen dörflichem Siedlungsbereich, Herrenhaus und Niederungsburg durchgehend getrennt wird; Klaus Grote: Bernshausen. Archäologie und Geschichte eines mittelalterlichen Zentralortes am Seeburger See. (ZAM. Beiheft 16). Bonn 2003, S. 16; Claudia Candea/Dirk Heinrich: Knochenfunde von Futterkamp, in: Ingolf Ericsson: Futterkamp. Untersuchungen mittelalterlicher befestigter Siedlungen im Kreis Plön, Holstein. (Untersuchungen aus dem SchleswigHolsteinischen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig, dem Landesamt für Vor- und Frühgeschichte von Schleswig-Holstein in Schleswig und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Kiel. N.F. 47). Neumünster 1981, S. 180–207, bes. S. 180 und 200; nicht in die Liste aufgenommen wurde die Siedlung Unterregenbach in Baden-Württemberg, da dort wohl ein Herrenhof bestand, die ausgewerteten Tierknochenfunde, bei denen z. T. vergleichsweise hohe Wildtieranteile vorliegen, jedoch zeitlich weder den verschiedenen Siedlungsphasen noch dem dörflichen Siedlungsareal oder dem des Herrenhofes zugeordnet werden können, vgl. Günter P. Fehring: Unterregenbach. Kirchen – Herrensitz – Siedlungsbereiche. (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in BadenWürttemberg. Band 1 und 3). Stuttgart 1972, bes. Bd. 3, Beilage 84, in der die Auswertung der Tierknochenfunde publiziert wurde Offen gelassen wird dabei, ob die in der Burganlage ebenfalls gefundenen Menschenknochen auch auf kultische Mähler zurückgeführt werden, eine solche Verbindung würde Kannibalismus bedeuten. Dass dieser dort unwahrscheinlich ist, weil die am menschlichen Knochenmaterial von Rahlswiek (Arkona) gefundenen Auffälligkeiten eher als Kampfspuren zu interpretieren seien, hebt K.W. Alt in seinem Artikel ‚Kannibalismus‘ hervor, in: RGA Bd. 16 (2000), S. 228–231, hier S. 230
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Abb. 32: Die Motte Lürken – Rekonstruktion des mittelalterlichen Wohnturms
sen.13 Arkona wurde daher nicht in die Reihe der hier betrachteten Adelssitze aufgenommen. Die Niederungsburg (Motte) bei Haus Meer im nördlichen Rheinland wurde hingegen in der Aufstellung berücksichtigt, obwohl für sie letztlich nicht gesichert scheint, ob sie tatsächlich von (niederem) Adel auch bewohnt wurde.14 Angemerkt sei ferner, dass es im Hochmittelalter weitere feste Siedlungsoder Wohnplätze des Adels gab, z. B. in Städten gelegene (Neben-)Haushalte sowie die Burgen und Sitze des höheren Klerus, der sich im Regelfall aus dem Adel rekrutierte. Hierzu wiederum liegen bisher keine einschlägig 13
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Vgl. Joachim Herrmann: Arkona auf Rügen. Doppelburg und politisches Zentrum der Ranen vom 9. bis 12. Jh. Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen 1969–1971, in: Zeitschrift für Archäologie 8 (1974), S. 177–209 und Hanns-Hermann Müller: Die Tierreste aus der slawischen Burganlage von Arkona auf der Insel Rügen, in: Zeitschrift für Archäologie 8 (1974), S. 255–295 Als niederadligen Herrensitz sehen diese Niederungsburg Walter und Brigitte Janssen: Die frühmittelalterliche Niederungsburg bei Haus Meer, Kreis Neuss. Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen. (Rheinische Ausgrabungen. Band 46). Köln 1999, S. 76, dagegen äußert sich in demselben Band skeptisch: KarlHeinz Knörzer (Die Pflanzenfunde), S. 195
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ausgewiesenen Funde vor. Allein die Burganlage von Starigard/Oldenburg in Holstein diente seit ottonischer Zeit auch als Bischofssitz.15 Wendet man sich nun der Aufstellung mit Tierknochenfunden von Burgen und Herrensitzen zu, so fällt zunächst auf, dass die Fundzahlen wie auch die Zahl der nachgewiesenen Tierarten erheblich variieren. Grabungsplätze von geringerem räumlichen Umfang wie z. B. Gliechow, Meetschow oder Dannenberg bargen zuweilen vergleichsweise wenig Material, ein ganz anderes Bild bietet die Grottenburg Riedfluh in der Schweiz, deren räumliche Ausdehnung zwar recht begrenzt war, die jedoch auch im Vergleich mit größeren Anlagen beachtliche Fundzahlen hervorbrachte. Auch wurden die Tierknochenfunde wohl nur bei wenigen Grabungen so gezielt geborgen und umfangreich untersucht wie in Marbach, Hitzacker, Oldenburg oder Bernshausen. Der vielfache Nachweis von Fischresten, die oft nur in Form filigraner Gräten oder auch von Schuppen vorliegen, deutet darauf hin, dass beispielsweise geborgene Grubenverfüllungen – in der Regel durch sehr feine Auswaschungsverfahren, das sog. „Schlämmen“16 – untersucht und ausgewertet wurden. Wo dieses Verfahren nicht durchgeführt wurde oder aufgrund des vorliegenden Materials nicht durchgeführt werden konnte (so, wenn lediglich handaufgelesenes Material vorhanden ist), sind Klein- und Kleinstreste nicht nachweisbar. Dies bedeutet demnach nicht, dass sie am Grabungsort nicht auch vorhanden waren. Auch die Form und Beschaffenheit des Bodens ist bei der Bewertung von Funden und ihrer Zusammensetzung zu berücksichtigen: „Ein entscheidender Einfluß auf die Fundverteilung kommt den Bodenverhältnissen zu. So ist die Höhe des Grundwasserspiegels bzw. die Bodenfeuchte entscheidend dafür, bis zu welchem Niveau in einer Siedlung Knochen (und andere organische Reste) erhalten bleiben.“17 Entsprechend können besonders die unteren, zumeist mit großen Lücken oder auch gar
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Vgl. Ingo Gabriel: Die Burg Starigard/Oldenburg, in: Wietske Prummel: Starigard/ Oldenburg. Hauptburg der Slawen in Wagrien. IV. Die Tierknochenfunde unter besonderer Berücksichtigung der Beizjagd. (Untersuchungen aus dem SchleswigHolsteinischen Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig, dem Landesamt für Vor- und Frühgeschichte von Schleswig-Holstein in Schleswig und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Kiel. N.F. 74). Neumünster 1993, S. 9–23, hier: S. 10 Dieses Verfahren, das auch zur Auswertung botanischer Reste angewandt wird, beschreibt z. B. Christoph Brombacher: Informationen zur Ernährungsgeschichte – Methoden der Archäobotanik am Beispiel mittelalterlicher Fundstellen, in: Rippmann/Neumeister-Taroni (2000), S. 256–259 Hans Reichstein: Untersuchungen an Tierknochen, in: Janssen/Janssen (1999), S. 225–249, hier: S. 226
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nicht befüllten Zeilen der Auflistung mit Tierknochenfunden nicht dahin gehend verstanden werden, dass in vielen Burgen oder Herrensitzen Fisch oder auch Wildvögel kaum oder gar nicht auf den Tisch kamen. Erhaltungsbedingungen, Grabungsorte und -schwerpunkte, Bergungsmodalitäten und Differenziertheit der Auswertemethoden wirken daher in unterschiedlicher Weise auf die Nachweise organischen Materials. Dies erklärt auch, warum von Burgen und Herrensitzen vergleichsweise viel Tierknochenmaterial untersucht und dokumentiert werden konnte, das sich gerade in trockenen Böden leichter erhält, jedoch deutlich weniger ausgewertete Planzen(rest)funde vorliegen (vgl. Tabelle 2 am Schluss dieses Bandes). Ferner ist vielen einschlägigen Untersuchungen zu entnehmen, dass besondere Interessenschwerpunkte der Archäozoologen bei Fragen der Haustierwirtschaft und ihrem jeweils feststellbaren Entwicklungsstand vorliegen. Die Größe der Tiere, deren Schlachtalter und -gewicht, die Verwertungsintensität von Schlachttieren sowie ggf. besondere Nutzungsformen (u. a. handwerkliche Bearbeitung oder andere Verwendungen von Knochen) werden dort regelmäßig ausführlich diskutiert.18 Auch die untersuchten Wildtiere, besonders die Säugetiere, werden dabei in der Regel ähnlich detailliert betrachtet, Wildgeflügel und Fische fallen demgegenüber, wenn überhaupt berücksichtigt, in vielen Betrachtungen zurück.19 Blickt man nun auf die Übersicht verschiedener Funde von Grabungsorten von der Schweiz im Südwesten bis Brandenburg im Osten und Starigard/Oldenburg sowie Futterkamp im Norden (vgl. Tabelle 1 am Schluss dieses Bandes), bergen die aufgeführten Nachweise verschiedene Überraschungen. Angesichts der in der mittelalterlichen Dichtung wiederholt und geradezu toposartig auftretenden Schilderungen, die auf einer standesgemäß ausgerichteten ritterlichen Tafel das Nebeneinander von Fleischspeisen betonen, die von Haus- und von Wildtieren stammen (spîse wilt unde zam), wäre zu erwarten, dass sich gerade auf Burgen bzw. Wohnsitzen des mittelalterlichen Adels besonders hohe Konzentrationen von Wildtierknochen nachweisen lassen. Diese Vermutung liegt auch mit Blick auf die Schil18
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Vgl. exemplarisch die jüngere Arbeit von Monika Doll: Haustierhaltung und Schlachtsitten des Mittelalters und der Neuzeit. Eine Synthese aus archäozoologischen, bildlichen und schriftlichen Quellen Mitteleuropas. (Internationale Archäologie. Band 78). Rahden 2003; in diesem Band werden, ausgehend von den Funden aus der Burg/dem Schloss Marbach, deren Ergebnissen Funde von Tierknochen(resten) aus anderen Siedlungen gegenüber gestellt So z. B. in den meisten Arbeiten von Hans Reichstein. Zu den Ausnahmen gehört, u. a. weil die Bedeutung der Beizjagd beleuchtet wird, die Arbeit von Prummel (1993)
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Abb. 33: Bernshausen – Fluchtburg, Curtis und Dorfsiedlung. Rekonstruktion des Zustandes um 1000
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derung von Jagdausflügen nahe, wie sie z. B. im ‚Nibelungenlied‘ (Str. 916 ff.) ausführlich dargestellt werden. Da in den literarischen Schilderungen die Jagd zu den besonderen Vergnügungen des höfischen Adels gehört, wäre anzunehmen, dass sich Reste von Jagdbeute oder zumindest ihrer Teile (zerlegtes Wild) auch vermehrt an Adelssitzen finden. Dies läge auch deshalb nahe, weil die Jagd auf Hochwild im Hochmittelalter rechtlich als Privileg vom Adel reklamiert wurde.20 Das in Bezug auf die Jagd geradezu ‚klassische‘ Bild findet sich denn auch in der folgenden Passage: „Die Jagd im Hohen Mittelalter wird gemeinhin als ein Privileg der Stammesfürsten oder zumindest der Angehörigen einer sozialen Oberschicht angesehen. Durch bildliche und schriftliche Zeugnisse manifestiert sich die Vorstellung einer wohlorganisierten, vielköpfigen Jagdgesellschaft, bestehend aus den hochgestellten Persönlichkeiten selbst und einer großen Zahl von Jagdhelfern, Treibern, Hundeführern und Reitern. Die Nutznießung jagdlicher Aktivitäten – sei es das Vergnügen, sich auf diese Weise die Zeit zu vertreiben und einem ‚Sport‘ nachzugehen, sei es die Prestigevergrößerung durch den Jagderfolg selbst, das Vorweisen von Trophäen oder schließlich der Verzehr des Wildbrets – war alleinige Sache der Stammesfürsten und seines [sic!] Gefolges. Ein solches Bild impliziert, daß zu damaliger Zeit der Speiseplan in den Häusern des mittleren und niederen Standes wesentlich bescheidener ausfiel. Wenn dort überhaupt einmal Fleisch in den Töpfen war oder gar ein Braten über dem Feuer schmorte, stammte er vermutlich nicht von edlem Jagdwild, sondern von einem in bäuerlicher Viehwirtschaft gehaltenen Haustier.“21 Wie die Liste der von einschlägigen Grabungsorten stammenden Funde demgegenüber ausweist, war die Bedeutung der Jagd bzw. von Wildtieren für die Fleischversorgung auch adliger Haushalte lediglich marginal. An nur wenigen Fundorten bewegen sich die Fundzahlen von Wildtierknochen zwischen 5 und 10 % des Gesamtfundmaterials (so z. B. in Futterkamp, wo die Knochenrestzahlen von Wildtieren zwar mit knapp 7 % niedrig liegen, 20
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Vgl. den Artikel ‚Weidwerk‘ von S. Schwenk in: LexdMA Bd. VIII (1997), Sp. 2101–2104 und J. Jarnut in: RGA Bd. 16 (2000), S. 12 s.v. Jagdrecht; ausführlicher auch in verschiedenen Beiträgen der von Rösener (1997) herausgegebenen Anthologie sowie bei Katharina Fietze: Im Gefolge Dianas. Frauen und höfische Jagd im Mittelalter (1200–1500). (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte. Heft 59). Köln/Weimar/Wien 2005, bes. S. 3 ff. Cornelia Becker: Zur slawisch-frühmittelalterlichen Großwildjagd im Havel-SpreeGebiet, in: Adriaan von Müller/Klara von Müller-Muˇci/Vladimir Nekuda: Die Keramik vom Burgwall in Berlin-Spandau. (Berliner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte. N.F. Band 8/Archäologisch-historische Forschungen in Spandau. Band 4). Berlin 1993, S. 100–112, hier: S. 100
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die berechnete Zahl der Einzeltiere, denen sie zugeordnet werden können, den Wildtieranteil jedoch erhöht).22 Überwiegend jedoch beträgt der Anteil von Wildtierknochen am untersuchten Gesamtknochenmaterial von Burgen und Herrensitzen weniger als 5 %. Dies wurde bereits vor fast 50 Jahren festgestellt – und seitdem durch viele neue Fundauswertungen insgesamt bestätigt: „Der niedrige Anteil der Jagdtierreste ist für das Mittelalter typisch, der Wert von 10 % wird selten überschritten (Berechnung nach KZ [i.e. Knochenzahl, d. Verf.]), der Durchschnitt liegt ungefähr bei 5 %“.23 Dieses Verhältnis bleibt auch dann nahezu unverändert, wenn die Tierknochen einer Mindestindividuenzahl zugeordnet werden. In Bezug auf die Haus-/Wildtierrelation in Burganlagen gibt es im gesamten, hier berücksichtigten geographischen Raum für die Zeit des Hochmittelalters nur wenige, allerdings signifikante Ausnahmen: hierzu gehören die zunächst slawische und seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als ‚frühdeutsch‘ bezeichnete Burganlage von Berlin-Köpenick sowie die slawisch-frühmittelalterliche Burgwallanlage in Berlin-Spandau.24 Sie wurden in die Liste der Fundplätze u. a. deshalb nicht aufgenommen, weil die dortigen Tierknochenfunde leider nur grob in prozentualen Anteilen von Haus- und Wildtierknochen dokumentiert wurden.25 Diese sind am Fundplatz Berlin-Köpenick allerdings bemerkenswert: gemessen an der Zahl der Knochenfunde, beträgt dort das Verhältnis von Haus- zu Wildtierknochen vom 11. Jahrhundert bis etwa zur Mitte des 13. Jahrhunderts rund 40 % zu 60 %. Bezogen auf die Mindestzahl der vorhandenen Tierindividuen, schlägt die Relation von Haus- zu Wildtieren im gleichen Zeitraum mit ca. 55 % zu 45 % zwar leicht zu Gunsten des Haustieranteils um, doch bleibt auch damit der Wildtieranteil in dieser Burgstelle bemerkenswert hoch.26
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Vgl. Candea/Heinrich (1981), S. 200, die von einem ca. 30 %igen Anteil von Wildtieren an den Tierindividuen ausgehen. Da sich dabei jedoch mit ungewöhnlich vielen Wildvögeln und Hasen auch besonders kleine Tiere befanden, spielte die Jagd auch in Futterkamp bei der Fleischversorgung nur eine untergeordnete Rolle Stampfli (1962), S. 163. Dieses Verhältnis wird insgesamt auch durch Untersuchungen von Knochenfunden aus einer Reihe von (hoch-)mittelalterlichen Burgen und Herrensitzen Österreichs bestätigt, vgl. Sigrid Czeika: Tierknochenfunde auf österreichischen Burgen. Möglichkeiten und Grenzen ihrer bisherigen Interpretation, in: Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 15 (1999), S. 177–186, bes. S. 178 ff. und S. 184 Vgl. Hanns-Hermann Müller: Die Tierreste der slawischen Burg Berlin-Köpenick, in: Zeitschrift für Tierzüchtung und Züchtungsbiologie 77 (1962), S. 100–114, hier: S. 101 und Becker (1993) Vgl. Müller (1962), S. 102, Tab. 1 Vgl. Müller (1962), S. 102, Tab. 1
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Die Ursachen dafür liegen für Hanns-Hermann Müller, der die Funde von Köpenick auswertete, auf der Hand: „Wie bei der Untersuchung der Tierreste von Alt-Hannover … wahrscheinlich gemacht werden konnte, ist der hohe Anteil an Wildtierknochen in den mittelalterlichen Burgen nicht wirtschaftlich bedingt gewesen, sondern ist darauf zurückzuführen, daß die Jagd in jener Zeit ein Vorrecht des Adels war.“27 Diese vom Autor mehrfach getroffene Aussage, die – möglicherweise durchaus auch ideologisch motiviert – den hohen Anteil an Wildtierknochen in mittelalterlichen Burgen als generelles Faktum erscheinen lässt, hat eine interessante Geschichte und Verbreitung erfahren. So ist noch in der fast zwei Jahrzehnte später publizierten Funddokumentation zu den Grabungen auf dem schleswig-holsteinischen Gut Futterkamp zu lesen: „Ein verhältnismäßig hoher Wildtieranteil, wie er für mittelalterliche Burganlagen typisch ist (Müller 1973) – im Unterschied zu den Stadtsiedlungen der damaligen Zeit –, ist auch in Futterkamp nachgewiesen worden“.28 Wie der Blick auf die (auch zu Beginn der 1980er Jahre schon bekannten) Funde von anderen Burgen und Herrensitzen zeigt, ist ein hoher Wildtieranteil in diesen speziellen Siedlungsformen, überregional betrachtet, alles andere als typisch oder gar repräsentativ.29 Aus welchen Motiven vor diesem Hintergrund die bisher seltenen Ausnahmen von diesem Befund, die sich insbesondere um das heutige Berlin herum feststellen ließen, von Müller wiederum als reguläres Bild dargestellt wurden, wäre eine eigene Untersuchung wert. Die jüngst geäußerte Vermutung, Fundanteile von Wildtierknochen auf Burgen fielen nur deshalb so gering aus, weil das Wild auf der Jagd an Ort und Stelle zubereitet und verzehrt worden sei, vermag angesichts der Vielzahl fast identischer Befunde von Burgen und Herrensitzen letztlich kaum zu überzeugen.30 Wenn man ferner der bereits beleuchteten 27 28 29
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Müller (1962), S. 102 Candea/Heinrich (1981), S. 200 Becker (1993), S. 101 merkt hierzu an: „Eine der umfassendsten Untersuchungen zum Thema ‚Wirtschaftsweise und Ernährung‘ hat N. Benecke für den Ostseeraum vorgelegt. Ein Blick auf die von ihm erarbeiteten Befunde zum Haustier-Wildtierverhältnis in frühmittelalterlichen Siedlungen und Burgen zeigt deutlich, daß zu damaliger Zeit der Anteil der Wildtiere im Schlacht- und Speiseabfall fast aller erfaßten Fundplätze außerordentlich gering ausfiel. Er lag, von zwei Ausnahmen abgesehen, zumeist unter 5 %.“ Vgl. Schubert (2006), S. 103; ähnlich äußert sich Meyer (1997), z. B. S. 486, der seinen Überlegungen jedoch voranstellt, dass sie auf wenigen (vornehmlich älteren) Untersuchungen von Burgen im Alpenraum (besonders in der Schweiz) basieren. Offen bleibt, warum er die auch in den 90er Jahren bereits vorliegenden Untersuchungen zu Material von Burganlagen nördlich der Alpen, besonders der (wegen ihres i. d. R. guten Funderhaltungsstandes) wichtigen Niederungsburgen, nicht heranzog
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mittelhochdeutschen Dichtung glauben darf, hätte die Jagd nicht nur als Vergnügung der ‚hohen Herrschaften‘, sondern auch als wichtiges Statussymbol Bedeutung besessen. Im Interesse einer eindrucksvollen Repräsentation des Gastgebers und seines (selbstredend begüterten) Haushalts sowie im Interesse einer reichen und vielseitigen Bewirtung der Gäste hätte Wild bei ausgedehnten Festmählern auf die Tafeln eines Adelssitzes gehört. Eben dies belegen die Funde aus der Lebenssphäre des Adels nicht annähernd in dem Maße, wie es die Schilderungen in poetischen Quellen vermuten ließen. Neben der Fundstelle Futterkamp, die einen immerhin deutlichen Wildtieranteil an der Fleischversorgung ihrer Bewohner aufweist, bleiben nur die Burganlagen des Spree-Havel-Gebietes, die signifikant hohe Wildtieranteile aufweisen.31 Die umfangreichen Funde aus Berlin-Spandau lassen z. B. besonders für das 11. Jahrhundert darauf schließen, dass „es sich bei jedem vierten Stück Fleisch, das von den in der Siedlung lebenden Menschen verzehrt wurde, um Wildbret“ handelte.32 Verschiedentlich wurde vermutet, dass dies darauf zurückgeführt werden könnte, dass die Viehzucht und -wirtschaft bei den (slawischen) Bewohnern dieses Gebietes unterentwikkelt und dass deshalb die Jagd eine wirtschaftliche Notwendigkeit gewesen sei. Dies ließ sich bei der Auswertung der Haustierknochenfunde von Berlin-Spandau, das den in diesem Gebiet größten Fundkomplex bietet, nicht nachweisen.33 Wahrscheinlich ist vielmehr, dass sich hier auch ökologische Besonderheiten der Region spiegeln: das von vielen Flussarmen durchzogene und durch zahlreiche Sümpfe geprägte, zudem im Hochmittelalter stark bewaldete Gebiet bot vielen Wildtierarten einen idealen Lebensraum. Die Anlage und Pflege von Weiden, wie sie z. B. die Rinderhaltung voraussetzt, war aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten in dieser Gegend mühsam. Eher trieb man Schweine, die bei den Haustierknochen mit etwa 50 % vertreten waren, zur Mast in die umliegenden Wälder.34 Man jagte das außerhalb der Siedlung leicht erreichbare und zahlreich vorhandene Wild, weil dies wenig aufwändig und gleichzeitig hoch ergiebig war. Es werden demnach Gründe der Praktikabilität, nicht etwa Fragen von Rechts- oder Sozialstatus gewesen sein, die die Bedeutung der Jagd im Havel-SpreeGebiet bei der Fleischversorgung der Menschen im Vergleich mit anderen
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Vgl. Becker (1993), S. 101 Becker (1993), S. 101 Vgl. Becker (1993), S. 106 Vgl. Becker (1993), S. 106
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(Burg-)Siedlungen entscheidend prägten.35 Dass die Funde von Köpenick und Spandau auch regional für (spät-)slawisch/frühdeutsche Herrensitze kaum als repräsentativ gelten können, belegt ferner die Fundstatistik der bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts betriebenen, nur wenig entfernten Burganlage auf der heutigen Dominsel in Brandenburg. Dort betrug der Wildtierknochenanteil am Gesamtfundmaterial lediglich 3,37 %, was zu dem Schluss führt: „Für den Fundort Brandenburg kann demzufolge für alle Phasen ein gleich hoher Anteil der Haustiere an der Fleischversorgung der Bewohner angenommen werden“.36 Den brandenburgischen Fundstellen zufolge war es bevorzugt Großwild, das gejagt wurde: mit den größten Fundmengen ist der Rothirsch vertreten, gefolgt von Wildschwein, Ur/Wildrind, Elch, Damhirsch, Reh, Hase, Braunbär,37 Biber und Wildvögeln (besonders Enten und Gänse).38 Knochen oder Geweihreste von Damwild fanden sich bemerkenswerterweise hier wie an allen anderen Fundorten nicht. In Köpenick, Spandau und an anderen Burgstellen und Herrensitzen zeigt sich deutlich, dass die Verteilung von (im Schwerpunkt) zu Nahrungszwecken genutzten Wildtierarten stark an regionale naturräumliche Gegebenheiten gekoppelt ist: so dominieren in den im Hochmittelalter waldreichen Gegenden Rothirsch und Wildschwein deutlich, während sich in Burgen und Herrensitzen, deren Umgebung besonders durch Ackerfluren, Wiesen, Auen, Waldraine, Hecken oder lichten Wald gekennzeichnet war, vermehrt Feldhase und Reh sowie Wildvögel (Enten, Gänse, Reb- und Birkhühner, nur einmal auch der Jagdfasan) fanden. Für eine kleinräumig gebundene Ausübung der Jagd spricht ferner, dass Arten wie Gemse oder Steinbock nur in den Burgen nachgewiesen wurden, die nah am oder im 35
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In diesem Sinne auch Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Osteuropa. (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Bd. 30). Berlin/New York 2001, bes. S. 176 ff. (Kapitel „Viehwirtschaft“) Lothar Teichert: Die Tierknochenfunde von der slawischen Burg und Siedlung auf der Dominsel Brandenburg/Havel (Säugetiere, Vögel, Lurche und Muscheln), in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 22 (1988), S. 143–219 Für die Bärenjagd ist anzuführen, dass sie vornehmlich wohl als Schutzjagd gegen (Haus-)Tierrisse und auch wegen des Pelzes der Tiere durchgeführt wurde; dass Bärenfleisch auch in den Verzehr gelangte, wird jedoch allgemein angenommen, vgl. z. B. Prummel (1993), S. 98 und Stampfli (1962), S. 166 Vgl. Becker (1993), S. 102 ff. mit Tabellen 1–4; nicht aufgeführt werden hier in Spandau nachgewiesene Wildtiere, die sehr wahrscheinlich besonders als Räuber und wegen ihres Pelzes gejagt wurden und deshalb wohl kaum verspeist worden sein werden wie Wolf, Luchs, Fuchs, Wildkatze, Dachs, Fischotter und Marder
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Hochgebirge angesiedelt waren (Niederrealta, Neu-Schellenberg). Über weitere Entfernungen durchgeführte ‚Safaris‘ und den Transport von (bei größeren Tieren z. B. geräucherter oder gepökelter) Jagdbeute in Gegenden, wo dieses Jagdwild nicht heimisch war, gab es nach Ausweis der Tierknochenfunde während des Hochmittelalters nicht. An einigen Burgstellen, deren Fundmaterial nicht nur in der Gesamtschau, sondern nach stratigraphischen Horizonten getrennt untersucht werden konnte, lässt sich überdies absehen, dass sich ökologische Veränderungen im Nahbereich auch direkt auf die Jagdmöglichkeiten auswirkten. Dort, wo zunächst dichte Wälder vorhanden waren, die im Laufe der Zeit zunehmender Rodungstätigkeit ausgesetzt waren, ändert sich mit den vermehrten Eingriffen in Naturräume zumeist auch die Zusammensetzung der Wildtierknochen – Rothirsch und Wildschwein nehmen ab, Hase und Reh nehmen zu, oder der Anteil von Wildtierknochen geht insgesamt zurück. Nachgegangen wurde diesem Phänomen bei der Wiprechtsburg im sächsischen Kreis Borna (datiert 10. Jahrhundert bis zur endgültigen Zerstörung 1306/7), die noch im 11. Jahrhundert von einem ausgedehnten und dichten Waldgebiet umgeben war. „Die Möglichkeit der Jagdausübung wäre also zunächst gegeben gewesen. Im 10./11. Jh. wurde sie auch – soweit erforderlich – genutzt. In der Zeit Wiprechts [ca. 1050–1127, d. Verf.] wurden dann im Rahmen des von ihm geförderten Landesausbaus weite Teile des Waldgebietes gerodet und in Ackerland verwandelt. Damit verringerten sich aber die Möglichkeiten zur Jagdausübung stark. Wiprecht und seinen Nachfolgern lag offenbar mehr an der wirtschaftlichen Machterweiterung als an den fürstlichen Freuden der Jagd“.39 Auf jagdliche Aktivitäten weisen auch die an mehreren Fundstellen vorhandenen Wildvogelarten hin. Vor allem verschiedenen Enten- und Gänsearten, dem Birkhuhn, Auerhahn, Rebhuhn und Jagdfasan wurde mit Geschossen (Pfeil, Steinschleuder), Schlingen, Fallen und auch mit Netzen nachgestellt.40 Wildvögel wurden (wie auch Hasen) zudem auf der Beizjagd von abgerichteten Raubvögeln (z. B. Habicht, Merlin, Falke, Sperber) geschlagen. Die Funde von der Wiprechtsburg und aus Starigard/Oldenburg machen es wahrscheinlich, dass dort der Beizjagd nachgegangen wurde.41 Obwohl fast alle Wildvogelknochen aus Fundzusammenhängen stammen, die auf Nahrungs- bzw. Speiseabfälle hinweisen, dürfte es bei man39
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Hanns-Hermann Müller: Die Tierreste aus der Wiprechtsburg bei Groitzsch, Kr. Borna, in: Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 22 (1977), S. 101–170, hier: S. 157 f. Vgl. Prummel (1993), S. 101 Vgl. Müller (1977), S. 168 und Prummel (1993), S. 103 ff.
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chen Arten fraglich, bei anderen eher unwahrscheinlich sein, dass sie tatsächlich (oder regelmäßig) in den Verzehr gelangten. So wurden Nachweise von Krähen, Dohlen, Elstern, Adlern, Kornweihe, Uhu/Kauz, Rohrdommel, Spatz und kleinen Singvögeln nicht in die Fundaufstellung aufgenommen, weil ihre Nutzung als Fleischquelle(n) auch in den Fundauswertungen nicht angenommen wird. Zumindest unsicher ist dies bei Wildvögeln wie Kranich, Kormoran und Storch. Greifvögel, Kormorane, Reiher und Kraniche dürften auch bejagt worden sein, um eigene Hühner- und Fischbestände zu schützen: „Die von den Burgbewohnern offenbar als Nahrungskonkurrenten empfundenen Vogelarten werden noch heute als Verursacher vermeintlicher oder tatsächlicher Schäden zum Teil scharf verfolgt“.42 Schwan und Reiher konnten der mittelhochdeutschen Dichtung zufolge auch auf einer repräsentativen Tafel erscheinen, ebenso der nicht endemische Pfau.43 Zwar wurden diese (Wild-)Vögel an wenigen Fundorten dokumentiert, doch weisen auch dort vergleichsweise sehr geringe Fundmengen aus, dass sie selten in einen Burgbereich oder auf einen Herrensitz gelangten. Überdies wiesen die untersuchten Knochen(rest)funde dieser Vögel keine Hackmale oder Spuren von Feuerkontakt auf, sodass ihre Verwertung in der Küche fraglich bleiben muss. Bezogen auf ihre Bedeutung in der Ernährung, dürften an den meisten Fundstellen ebenso wie die Wildvögel auch die Fische wahrscheinlich unterrepräsentiert sein. Dies kann u. a. darauf zurück geführt werden, dass gerade Fischreste, z. B. Schuppen oder kleine Gräten, als sehr filigrane Teile bei einer Handauflese nicht mit aufgenommen oder gar nicht erst gesehen wurden. Wie sehr ein Fundbestand sich verändern kann, wenn neben handaufgelesenem Material auch ausgeschlämmte Reste zur Untersuchung gelangen, belegt das Beispiel Starigard/Oldenburg. Dort konnten in der Handauflese nur zwei Fischknochen geborgen werden. Im Vergleich dazu konnten durch Ausschlämmung fast 13 200 Fischreste festgestellt werden, von denen immerhin etwa 8200 auch bestimmbar waren.44 Wie die bisherigen Funde von Fischresten von Burgen/Herrensitzen zeigen, stammten die Fische sämtlich aus Flüssen, Bächen oder Seen und Teichanlagen der nächsten Umgebung. Konservierbare und im Hochmittelalter auch bereits konserviert über weite Strecken gehandelte Seefische wie Dorsch/Kabeljau und Hering45 wurden nur im Norden und auch dort 42 43 44 45
Prummel (1993), S. 107 Vgl. oben S. 84 Vgl. Prummel (1993), S. 110 Kabeljau/Dorsch wurde als getrockneter Stockfisch, Hering vornehmlich eingesalzen verhandelt, vgl. dazu unten S. 410 ff.
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Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
nur an Orten nachgewiesen, die in (direkter) Nähe der Elbe und der Nordbzw. Ostsee liegen (Hitzacker, Starigard/Oldenburg und Futterkamp). In der See lebende Fische, die regelmäßig oder zuweilen auch Flussläufe hinauf ziehen wie Stör, Lachs, Aal und Meerforelle dürften bei im Binnenland gelegenen Fundorten eher in nahegelegenen Flussläufen gefangen worden als auf Handel zurückzuführen sein. Den Fundbelegen zufolge waren es ganz überwiegend oder sogar ausschließlich Süßwasserfische, die über die Küchen auf die Tafeln der Burgherren gelangten. Aufgrund der Zahl und Verbreitung seiner Nachweise darf angenommen werden, dass der Hecht ein sehr beliebter Speisefisch war. In Hitzacker war auch der Stör noch mit höheren Fundzahlen vertreten. Andere Fische wie Karpfen, Fluss- und Kaulbarsch, Schleie, Brachsen, Forelle und/oder Lachs treten dahinter in Fundzahl und -verbreitung deutlich zurück. Bemerkenswert ist, dass auf der Wiprechtsburg der Wels mit den meisten Nachweisen vor allen anderen nachgewiesenen Fischen erscheint. Dies könnte jedoch daran liegen, dass Knochen und Gräten dieses oft beachtliche Längen erreichenden Fisches größer und daher auch leichter aufzulesen sind. Mit gesamt 22 nachgewiesenen Süßwasserfischarten konnte eine Burgküche dort, wo fließende oder stehende Gewässer in der Nähe den Fischfang ermöglichten, stets bereichert werden. An meernahen Fundorten wurden ferner fünf in Salzwasser lebende Fischarten nachgewiesen, wobei die in Oldenburg gefundenen Reste eines Schwertfischs wahrscheinlich nicht auf regelmäßigen Fang, sondern eher auf ein in die Ostsee verirrtes Tier zurück gehen.46 Interessant ist, dass die auf verschiedenen Burgen und Herrensitzen nachgewiesenen Fischarten insgesamt gut mit einer Aufzählung bekannter Fischsorten zusammenstimmen, die in einem enzyklopädischen Werk des 13. Jahrhunderts genannt und auch bildlich gefasst werden. Den zwölf Monaten zugeordnet, werden dort u.a. Stör, Wels, Butt, Forelle, Barbe, Karpfen, Schleie, Hecht, Hasel, Lachs, Aal, Brachse, Äsche, Aland, Staltfisch (Stockfisch?) und auch der Krebs aufgeführt, der als im Wasser lebendes Tier offenbar zu den Fischen gerechnet wurde (vgl. Abb. 34 auf S. 379). Aufgrund der Fundbestände lassen sich bei einzelnen Burgen auch Aussagen zur Verarbeitung der Fische nach dem Fang gewinnen. So wird für Starigard/Oldenburg festgestellt: „Aufgrund der überwiegend regelmäßigen Verteilung der Knochen über das Skelett ist davon auszugehen, daß die gefangenen Fische vollständig, also inklusive der relativ fleischarmen Köpfe und Schultern, in die Burg gebracht wurden … Aus dem Beieinan-
46
Vgl. Prummel (1993), S. 119
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
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derfund von Kopf-, Schulter- und Rumpf-Schwanz-Bereich könnte man zudem auf eine komplette Zubereitung der Fische schließen.“47 Die wenigen, auf der Grottenburg Riedfluh (Schweiz) gefundenen Fischreste lassen die Archäozoologen auch „überlegen, ob die Fische nicht anderswo filetiert und dann geräuchert oder gesalzen hergeführt worden sind, sodass die Skelettreste gar nicht in den Burgbereich gelangt sind.“48 Während die auch in Starigard/Oldenburg mehrheitlich mit mittelgroßen und größeren Exemplaren vertretenen Fische demnach offenbar in einem Stück angeliefert und auch zubereitet wurden, ließ sich für Hitzacker ermitteln, dass dort besonders große Fische, z. B. Störe mit einer errechneten Gesamtlänge von zwei bis drei Metern, der besseren Transportmöglichkeit wegen auch in Portionen zerteilt auf die Burg gelangten.49 Da diese Angaben auf recht kapitale – und damit auch auf einer Tafel beeindruckende – Einzelexemplare hinweisen, lohnt sich ein Blick auf die Größe bzw. Länge der auf Burgen und Herrensitzen nachgewiesenen Fischarten im Vergleich zu durchschnittlichen Exemplaren der Gattungen. Angenommen werden könnte nämlich, dass dort, etwa als Naturalabgaben geliefert, ausgewählt große und stattliche Exemplare in die Küchen und zum Verzehr gelangten. Während in Hitzacker tatsächlich überwiegend große und sehr große Exemplare vorkamen, lässt sich dies für Starigard/ Oldenburg insgesamt nicht feststellen.50 Ein Bild, das der oben formulierten Annahme gänzlich entgegen steht, bietet sich schließlich bei den Funden aus der Niederungsburg und dem Herrenhof von Bernshausen, die beide direkt am Seeburger See gelegen waren und damit grundsätzlich gute Bedingungen für reichen Fischfang und -verzehr boten: „Das auffälligste Ergebnis der Untersuchungen der Fischreste aus Bernshausen ist die nur sehr geringe Größe der gefangenen und verspeisten Fische. Sie steht auch mit den Befunden von der zeitgleichen slawisch-deutschen Fürstenburg in Hitzacker an der Elbe nicht im Einklang: dort wurden zwar (u. a.) die gleichen Arten nachgewiesen, für diese jedoch eine Längenvariation von 20–60 cm errechnet. Theoretisch wären zunächst zwei Gründe denkbar: Vielleicht lebten im relativ kleinen Seeburger See kaum größere Fische, sei es aufgrund regelmäßiger starker 47 48
49
50
Prummel (1993), S. 113 Bruno Kaufmann/Willi Schoch/Siegfried Scheidegger: Eptingen-Riedfluh. Die Tierknochenfunde der Grabung von 1981–1983, in: Degen et al. (1988), S. 279–316, hier: S. 283 Vgl. Angela von den Driesch: Fischreste aus der slawisch-deutschen Fürstenburg auf dem Weinberg in Hitzacker, in: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 15 (1982), S. 395–423, hier: S. 400 Vgl. Driesch (1982), bes. S. 401 ff. und Prummel (1993), S. 113 ff.
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Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Befischung, sei es aufgrund einer so hohen Populationsdichte unter den Fischen, dass durch den erhöhten Stress und Nahrungsmangel kein normales Wachstum möglich war. Viel wahrscheinlicher ist jedoch ein gegenüber den heutigen Verhältnissen erweitertes Nutzungsspektrum der damaligen Menschen, das auch kleine Fische, vielleicht als ‚Suppenfisch‘, einschloss … Warum jedoch im Fischknochenmaterial von Bernshausen größere Fundstücke bis auf wenige Ausnahmen … fehlen und damit der Nachweis einer Nutzung auch größerer Arten und Individuen schwierig bleibt, ist aus archäozoologischer Sicht eine offene und nicht zu beantwortende Frage.“51 Auch die Qualität der auf Burgen verzehrten Speisefische war nicht durchweg hoch: so wurden in Hitzacker, Starigard/Oldenburg, Nürnberg und Bernshausen einige Arten nachgewiesen, die grätenreich sind oder deren Fleisch als nicht besonders delikat bezeichnet wird (u. a. Plötze, Zope, Döbel, Schied/Rapfen).52 Welche Bedeutung den Fischen auf den Speiseplänen von Adelssitzen insgesamt zukam, lässt sich anhand der vorliegenden Funde von Burgen und Herrensitzen kaum klären. Sie wird nämlich selbst dort, wo vergleichbar günstige Bedingungen vorliegen und Fische leicht erreichbar waren, sehr unterschiedlich bewertet: „Die geographische Lage der Burg Starigard/ Oldenburg ließ diesbezüglich [i.e. Fischfang, d. Verf.] aufschlußreiche Ergebnisse erwarten. Und in der Tat gestatten Fundzahlen und Skelettelemente sowie Schuppen die Folgerung, daß der Fischfang für die Burgbewohner wesentlich wichtiger war als die Jagd auf Wildvögel und Wildsäugetiere und sowohl Süß- als auch Salzwasserarten den Speiseplan bereicherten.“53 Auch in Hitzacker lagen für Fischfang grundsätzlich gute Bedingungen vor. Doch wird für diese Fundstelle – auch unter Berücksichtigung von (u. a.) bodenbedingtem Knochen-/Grätenschwund und eines damit nur teilweise erfassten Spektrums einstmals auf die Burg gelangter Fische – festgestellt: „Dennoch ist wohl der Schluß zulässig, daß Fische in Hitzacker als Ernährungsgrundlage eine untergeordnete Rolle spielten.“54 An einigen Fundstellen wurden auch Reste von Muscheln und Schnekken entdeckt. Ob und in welchem Umfang sie in den Verzehr gelangten, lässt sich nicht mehr feststellen. Dass die in Ostseenähe nachgewiesenen 51
52
53 54
Ulrich Schmölcke: Einige Bemerkungen zu den Fischknochen der mittelalterlichen Anlagen in Bernshausen, Ldkr. Göttingen, in: Grote (2003), S. 228–232, hier: S. 230 Vgl. Driesch (1982), passim und Johannes L. Lepiksaar: Fischreste der Burg-Grabung in Nürnberg, in: Günter P. Fehring/Günter Stachel: Grabungsbefunde des hohen und späten Mittelalters auf der Burg zu Nürnberg (mit Exkursen), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 28 (1968), S. 53–92, Exkurs auf den S. 70–72, hier: S. 72 Prummel (1993), S. 110 Driesch (1982), S. 396
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Abb. 34: Monatsaufstellung aus der Enzyklopädie ‚Liber de proprietatibus rerum‘ des Bartholomäus Anglicus, 13. Jahrhundert
379
380
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Mies- und Herzmuscheln ebenso wie die Gemeine Strandschnecke regelrecht ‚geerntet‘ und anschließend auch gegessen wurden, wird jedoch angenommen.55 Die Weinbergschnecke, die im Mittelalter im nördlichen Europa noch nicht sehr häufig vorkam, wird ebenfalls zu den verzehrten Arten gerechnet, da sie wohl auch „als Fastenspeise von Bedeutung war“.56 Die fast durchgehend niedrigen Fundzahlen von Tieren, die im Hochmittelalter in den Burgen und Herrensitzen des Adels durch Jagd und Fischerei gewonnen wurden, lassen hervortreten, dass es die Haustiere waren, auf die sich die Ernährung der Burgbewohner ganz wesentlich abstützte. Sie dominierten in der Fleischversorgung der Burgküchen deutlich, wenn auch mit einer an verschiedenen Fundorten durchaus unterschiedlichen Gewichtung. In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die für verschiedene Fund57 orte errechneten Mindestindividuenzahlen (MIZ) aufschlussreich: Verteilung der Haustierarten nach Mindestindividuenzahlen (MIZ) verschiedenen hochmittelalterlichen Burgen/Herrensitzen57
5757auf
Fundort/ Nieder- NeuWiprechts- Branden- Olden- Lürken Haus FutterHaustiere realta Schellen- burg burg burg Meer kamp berg Rind
103
105
285
84
110
11
31
17
Schwein
121
69
476
221
338
103
179
33
Schaf/ Ziege
221
26
165
133
194
77
61
8 6
Pferd
3
2
22
31
14
1
6
Huhn
16
26
59
69
49
3
4
Gans
1
3
54
23
32
2
9
Ente
–
–
5
13
7
1
–
Taube
–
3
2
–
–
–
–
55 56 57
17
–
Vgl. Prummel (1993), S. 120 Candea/Heinrich (1981), S. 198 Vgl. für Niederrealta Gerhilde Klumpp: Die Tierknochenfunde aus der mittelalterlichen Burgruine Niederrealta, Gemeinde Cazis/Graubünden (Schweiz). München 1967, Tab. 1; für Neu-Schellenberg Hubertus Schülke: Die Tierknochenfunde von der Burg Neu-Schellenberg, Fürstentum Liechtenstein. München 1965, Tab. 1; für die Wiprechtsburg Müller (1977), Tabelle zwischen den Seiten 103 und 104, Gesamtzahlen b; für Brandenburg Teichert (1988), S. 147, Tab. 7 und S. 149, Tab. 12; für Starigard/Oldenburg Prummel (1993), S. 27, Tab. 3 (Horizonte 4–6 und Wall); für Lürken Hans Reichstein: Tierknochenreste aus der mittelalterlichen Burg bei Lürken, Kr. Jülich, in: Zeitschrift für Tierzüchtung und Züchtungsbiologie 88 (1971), S. 254–364 und S. 341–364, hier: S. 257, Tab. 2; für die Motte bei Haus Meer Reich-
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
381
Zu erkennen ist, dass die wichtigsten Haustiere Rind, Schwein, Schaf/ Ziege, Pferd, Huhn, Gans sowie Ente in teils stark unterschiedlichen Verteilungen vertreten waren. In Neu-Schellenberg dominieren Rinder auch bei den Individuenzahlen vor allen anderen Haustieren erheblich. Gemessen an dem bei Rindern höheren Fleischertrag (ausgegangen wird davon, dass ein Rind im Mittelalter einen etwa doppelt so hohen Fleischertrag lieferte wie ein damaliges Hausschwein),58 spielte das Rind als Fleischlieferant auch in Niederrealta und in Futterkamp die wichtigste Rolle. In Brandenburg und Oldenburg liegt das Rind dem Schwein gegenüber schon deutlich zurück, und in Lürken sowie der Motte bei Haus Meer überwogen die Schweine als Fleischlieferanten deutlich. Für die Relation des Auftretens von Schweinen und Wiederkäuern gibt es unter Archäozoologen eine ‚Faustregel‘: „In der Regel ist es … so, daß sich hohe Schweine- und Wiederkäueranteile gegenseitig ausschließen. Und das wird verständlich, wenn man in Betracht zieht, daß in früheren Zeiten wohl eine gewisse Abhängigkeit der Haustierhaltung von der umgebenden Landschaft bestanden hat …; denn Waldgebiete waren schließlich der Schweinehaltung (Waldweidewirtschaft), waldfreie Gebiete dagegen mehr der Schaf- bzw. Rinderhaltung förderlich.“59 Damit können sich in der Zahl der auf Burgen nachgewiesenen Rinder, Schweine und Schafe ökologisch bedingte Wirtschaftsformen der zu ihnen gehörenden und sie direkt mit Vieh beliefernden Wirtschaftshöfe widerspiegeln. Dass Tiere nämlich über längere Zeiträume in nennenswerten Zahlen innerhalb der erfassten Burgen gehalten werden konnten, die räumlich oft beengte Verhältnisse aufwiesen, ist eher fraglich.60
58
59 60
stein (1999), S. 227, Tab. 27 sowie für Futterkamp Candea/Heinrich (1981), S. 185, Tab. 9 und S. 184, Tab. 6 (dort: Hausgeflügel); vergleichbare Ergebnisse liegen auch von weiteren, vornehmlich in der Schweiz gelegenen Burgen vor, die nicht mit in die detaillierte Liste mit Funden aufgenommen wurden, vgl. z.B. zu Klanx, Starkenstein, Hohensax, Käpplang, Heitnau und Schloss Thun Schülke (1965), Tab. 9 Vgl. Hans-Joachim Barthel: Die Tierknochenfunde von der Wysburg bei Weisbach, Saale-Orla-Kreis, in: Beiträge zur Archäozoologie VIII. (Weimarer Monographien zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 25). Stuttgart 1996, S. 7–25, hier: S. 12; angegeben werden dort durchschnittliche Schlachtgewichte für Rinder mit 200kg, für Schweine mit 100kg und für Schaf/Ziege mit 40kg Reichstein (1971), S. 258 Vgl. Stampfli (1962), S. 176; Reichstein hält es für möglich, dass besonders die kleineren Fleisch- und auch Milchlieferanten – Schwein, Schaf und Ziege – auch auf kleineren Burgen dauerhaft gehalten werden konnten, vgl. Reichstein (1971), S. 258. Für Oldenburg gilt als gesichert, dass Schweine auf der Burg auch gezüchtet wurden, vgl. Prummel (1993), S. 59. Grundsätzlich stellt sich hier nicht nur die Frage des zur Verfügung stehenden Raums, z. B. auch für Stallungen, sondern auch die der Versorgung der Tiere und Bevorratung von Futter
382
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Es ist zudem zu berücksichtigen, dass die Verteilung der Tiere auf Burgen und Herrensitzen auch mit der jeweiligen Praxis bäuerlicher Abgaben in Verbindung stehen kann. So ist für die Wiprechtsburg eine Quelle aus dem 12. Jahrhundert bekannt, der zufolge die Abgabe eines Schweines zur Herstellung von Schinken gefordert wird,61 und für Starigard/Oldenburg wird angenommen, dass ein Teil der dort besonders jung (im ersten Lebensjahr) geschlachteten Tiere „auf eine Zufuhr von Ferkeln aus dem Umland hindeuten“ könnte.62 Andernorts ist es der Nachweis überproportional vieler männlicher Tiere, der darauf schließen lässt, dass ein größerer Teil dieser Tiere als Tribut entrichtet wurde.63 Welche Anteile Abgaben bei den Haustierarten jeweils ausmachten, lässt sich jedoch, wo z. B. einschlägige Abgaberegister nicht vorliegen, kaum mehr ermitteln. In diesem Zusammenhang ist jedoch bemerkenswert, dass die für Burgen und Herrensitze nachweislichen Zahlen von Hühnern und Gänsen, die als kleine (und zudem Eier legende) Tiere in der Abgabepraxis z. B. an Klöster durchaus eine Rolle spielten,64 mit Ausnahme von Nidau nicht eben hoch sind – möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Hausgeflügel als Abgabe an weltliche Grundherren vielerorts keine (besondere) Bedeutung besaß?65 Ebenso wie bei den (großen) Wildtieren ließ sich an einigen Fundstellen, bei denen die historisch gewachsenen Fundschichten im Boden differen61 62 63
64 65
Vgl. Müller (1977), S. 162 Prummel (1993), S. 58 So wurde z. B. für Nidau eine Relation von 7,5 Ebern auf eine Sau ermittelt, was darauf hinweist, dass die Tiere nicht an diesem Ort gehalten, sondern lediglich dort geschlachtet wurden. „In Form von Abgaben werden die Bauern des Nidauer Einzugsgebietes im wesentlichen für die Versorgung der Feudalherren auf der Burg mit Schweinefleisch besorgt gewesen sein und dazu die zur Zucht nicht weiter benötigten Eber angeliefert und die Sauen nach Möglichkeit für sich behalten haben“, schließen Elisabeth Büttiker/Marc A. Nussbaumer: Die hochmittelalterlichen Tierknochenfunde aus dem Schloss Nidau, Kanton Bern (Schweiz), in: Jörg Schibler/ Jürg Sedlmeier/Hanspeter Spycher (Hg.): Festschrift für Hans R. Stampfli. Beiträge zur Archäozoologie, Archäologie, Anthropologie, Geologie und Paläonthologie. Basel 1990, S. 39–58, hier: S. 44 f.; demgegenüber ist es für Grenchen wahrscheinlich, dass die dort nachgewiesenen Schweine auf der Burg wohl auch gehalten wurden. Das dort vorhandene Verhältnis von fünf Ebern zu 14 Sauen lässt darauf schließen, dass die Tiere auch zu Zuchtzwecken vor Ort dienten, vgl. Stampfli (1962), S. 170 Vgl. u. a. oben S. 320 f. mit Anm. 105 Hierzu sind – je nach Fundort und -lage – sehr unterschiedliche Aussagen zu finden. Ein Beispiel: „Schließlich stammt ein Teil der Nahrungsmittel auf Burgen aus Naturalabgaben abhängiger Bauern. Hier spielt die Lieferung von Fleisch der Großsäuger meist eine geringere Rolle als die Abgabe von Geflügel und Eiern“, Walter Janssen: Die Fleischversorgung auf mittelalterlichen Burgen, in: Chateau Gaillard. Etudes de Castellologie médiévale XIV (1990), S. 213–224, hier: S. 218
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
383
ziert erfasst und auch näher datiert werden konnten, eine zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich hohe Verteilung und Nutzung der größeren Haustiere feststellen. So sank z. B. in Marbach der jeweilige Rinderanteil am Fundgut in den drei dort getrennten, zwischen 1200 und 1400 datierten Horizonten deutlich ab (um dann bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wieder anzusteigen). Im Gegenzug stiegen die Nachweise von Schweinen sowie Schafen und Ziegen in diesen Phasen in dem Maße an, wie diejenigen von Rindern sich reduzierten.66 Eine genau gegenläufige Entwicklung ist für Bernshausen dokumentiert: „Das Rind, im 9. Jahrhundert noch sehr untergeordnet, erhält eine anteilige Zunahme erst ab der Phase III im 10. und 11. Jahrhundert, um letztlich im Spätmittelalter zur Dominanz gegenüber Schwein und Schaf/Ziege aufzurücken, bis um 1400 mit permanent steigender Tendenz.“67 Dass es auch an anderen Orten zu entsprechenden Verschiebungen in der Relation zwischen den größeren Haustieren kam, ist wahrscheinlich. Im Falle Bernshausens werden diese Veränderungen darauf zurückgeführt, dass die umliegenden Waldgebiete zu Gunsten der Schaffung neuer Acker- und Weideflächen stetig schrumpften.68 Die ernährungswirtschaftliche Rolle von Rind und Schwein, die (wenngleich mit regional und auch lokal unterschiedlichen Gewichtungen) für hochmittelalterliche Burginsassen die wichtigsten Fleischlieferanten darstellten, lässt sich kaum angemessen einschätzen, wenn nicht auch in Betracht gezogen wird, dass die Haustiere des Hochmittelalters allgemein deutlich kleiner waren als die heute bekannten Hochzuchtrassen. Die Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen, aber auch Pferde, Hühner und Gänse erreichten, wie deren Knochenmaterial ausweist, insgesamt eine vergleichsweise nur geringe Wuchshöhe. Einen Eindruck der Größenverhältnisse zwischen mittelalterlichen und heutigen Rindern vermittelt die folgend gezeigte Skizze (vgl. S. 384, Abb. 35). Durchschnittlich besaßen ausgewachsene Rinder im Hochmittelalter lediglich eine Widerristhöhe von etwas mehr als einem Meter und eine Körperlänge von etwa zwei Metern (die dem mitteleuropäischen Durchschnittsmaß des Hochmittelalters entsprechenden Kühe von Nidau hatten Widerristhöhen von zwischen 96 und 122cm, die dortigen Stiere von 102 bis 111cm).69 Daraus folgt, dass ihr Schlachtgewicht sowie ihr Fleischertrag 66 67
68 69
Vgl. Doll (2003), S. 28, Diagramm 1 Klaus Grote/Hans-Jörg Frisch: Voruntersuchung des Tierknochenmaterials, in: Grote (2003), S. 223–227, hier: S. 226 Vgl. Grote/Frisch (2003), S. 226 Vgl. Büttiker/Nussbaumer (1990), S. 42; vergleichbare Werte für Starigard/Oldenburg bietet Prummel (1993), S. 45
384
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Abb. 35: Ausgewachsenes Rind (vom Münsterhof in Zürich) im Größenvergleich zu einem heutigen Zuchtrind (gerastert)
erheblich unter demjenigen heutiger Tiere lagen. So wurde für die Kühe von Brandenburg ein Lebendgewicht von durchschnittlich (nur) ca. 155kg, für die Stiere ein solches von ca. 220kg ermittelt.70 Wie die Knochenfunde sämtlicher Fundstellen belegen, wurde dafür die Verwertung der Tiere umso intensiver betrieben. Längere (z. B. Oberschenkel-)Knochen und Hornzapfen konnten zu Geräten verarbeitet, Fell und Haut gegerbt und zu Leder oder Pergament gemacht, Fett für Rindertalg verwendet werden. Die im Vergleich zu den Mindestindividuenzahlen teilweise sehr hohen Knochenfundzahlen von Rindern sind u. a. darauf zurückzuführen, dass gerade längere Extremitätenknochen von Rindern
70
Vgl. Teichert (1988), S. 152
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
385
oft stark fragmentiert und damit in vielen kleinen Einzelteilen vorkamen. Diese Knochen wurden zerschlagen, um das darin enthaltene Rindermark erhalten und auskochen zu können.71 Neben den Fleischpartien wurde, wie Hack- und andere schlachtbedingte Verarbeitungsspuren zeigen, auf Burgen und Herrenhöfen auch das Hirn genutzt. Daneben dürften Innereien wie Herz und Lunge, Leber, Magen, Nieren und Därme ihren Weg in die Burgküchen gefunden haben. Angesichts des vergleichsweise niedrigen Schlachtertrags von Rindern ist es unwahrscheinlich, dass diese Partien in den Küchen nicht auch frisch oder zu haltbarer Ware (wie Würsten) verarbeitet und anschließend verspeist wurden.72 Die Qualität des Fleisches der Tiere dürfte sich nur sehr bedingt im Spitzenbereich bewegt haben. Der Größe der ausgewerteten Knochen zufolge waren die meisten geschlachteten Tiere ausgewachsen und hatten ein Alter von mehr als zwei- bis zweieinalb Jahren erreicht.73 An vielen Fundorten wurden auch erheblich ältere Tiere in größeren Mengen nachgewiesen. Of71
Auf diese Praxis, die auch im Hochmittelalter gepflegt wurde, verweist der Dichter, der sich ‚König vom Odenwald‘ nannte, gegen Mitte des 14. Jahrhunderts in seinem ‚Gedicht von der Kuh‘. Dort heißt es: Der g˚ut rintfleischbraten håt, Dem wirt eine suppe, hat er ein bråt So treits ein mursal heizzet mark: Davon so werden lute stark.
72
73
(V. 35 ff.)
(Im Text bei lute ein e über dem u ). „Wer einen guten Rindfleischbraten hat, bekommt / eine Suppe; hat er ein gutes Stück, / dann findet sich ein Leckerbissen, der Mark genannt wird: / davon werden die Menschen stark“, mittel- und neuhochdeutscher Text zitiert nach Edition Olt (1988), S. 34 ff. Vgl. Doll (2003), bes. S. 162 ff. mit zahlreichen (oft heute noch bekannten) Verwertungsarten von Rindern in der Küche. Das gerade zuvor erwähnte ‚Gedicht von der Kuh‘ führt ebenfalls eine ganze Reihe von Möglichkeiten auf, Kalb, Kuh und Rind in der Küche zu verarbeiten. Neben Milchprodukten (Käse, dicke und dünne Molke, Butter) werden außer den gerade zitierten Stoffen auch geröstete oder gekochte (gesottene) fette Kalbsdärme genannt, die als ebenso nahrhaft wie ‚kalorienarm‘ beschrieben werden (es wird betont, dass die Kleidung nach ihrem Genuss noch passt), das Euter der Kuh soll geröstet ebenso eine Delikatesse sein wie fein zermahlene Innereien (Herz, Schlund, Zunge, Leber, Nieren, Lunge, Magen und Därme) oder Sülze, vgl. Edition Olt (1988), (Nr.) I, passim. Zwar stammen diese Hinweise sämtlich aus späterer Zeit (Mitte 14. Jh.), doch ist es wahrscheinlich, dass die Küchenpraxis sie so, zumindest ähnlich oder in Teilen bereits auch zuvor schon kannte 4/5 der in Hitzacker gefundenen Rinder waren älter als 2 1⁄2 Jahre, vgl. Beate-Maria Kocks: Die Tierknochenfunde aus den Burgen auf dem Weinberg in Hitzacker/Elbe und in Dannenberg (Mittelalter). München 1978, S. 207; auch in Starigard/Oldenburg wurden mit deutlicher Mehrheit ältere Rinder geschlachtet, fast die Hälfte wurde älter als 3 1⁄2 bis 4 Jahre, vgl. Prummel (1993), S. 41 f.
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Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
fenbar wurden Rinder auch auf Burgen i. d. R. nur geschlachtet, wenn sie zuvor bei der Zucht, in der Milchwirtschaft oder als Zugtier (bes. Ochsen) auch in der Landwirtschaft zum Einsatz gekommen waren.74 Es dürfte sich daher oft um durchaus ‚durchtrainierte‘, jedoch im Wortsinn auch ‚abgearbeitete‘ Tiere gehandelt haben. Kälber und Jungtiere wurden demgegenüber weitaus seltener geschlachtet. So betrug der Anteil von bis zu einjährigen Kälbern im Fundgut von Starigard/Oldenburg ca. 11 %, ein Alter bis zum Ende des zweiten Lebensjahres erreichten dort ca. 7,5 % der Rinder.75 In Brandenburg betrug der Anteil etwa halbjähriger Kälber nur 4,5 %,76 und auch für die Motte bei Haus Meer wird festgehalten: „Kalbfleisch gehörte … in der Siedlung zu den selten verabreichten Gerichten“.77 Das an fast allen Fundorten als Fleischlieferant neben dem Rind wichtigste Haustier, das Schwein, hatte ebenfalls mit den heute bekannten Hochzuchtsorten wenig gemein. Die Schweine des Mittelalters waren eher schmal gebaut, ‚drahtig‘, und hochbeinig, in ihrem Äußeren glichen sie noch sehr dem Wildschwein. Eine anhand von hochmittelalterlichem Knochenmaterial vorgenommene Rekonstruktion ihres Aussehens und ihrer Größe im Vergleich zu heutigen Schweinen (gerastert) stellt die folgende Skizze vor:
Abb. 36: Schwein vom hochmittelalterlichen Münsterhof in Zürich im Größenvergleich zum heutigen Zuchtschwein
74 75 76 77
Vgl. Kocks (1978), S. 207 und Kaufmann/Schoch/Scheidegger (1988), S. 294 Vgl. Prummel (1993), S. 41 Vgl. Teichert (1988), S. 152 Vgl. Reichstein (1999), S. 230
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An den meisten Fundstellen gibt die Verteilung der vorhandenen Schweineknochen auf das Skelett Aufschluss darüber, dass die Schweine vor Ort geschlachtet und zerteilt wurden.78 Neben Frischfleisch lieferten sie vor allem auch (haltbare) Räucherware wie Schinken, Speck und Würste, die bei den bevorzugten Schlachtterminen im Herbst vor allem auch die Bevorratung für den Winter erleichtern konnten. Wie Hack- und Schnittspuren am untersuchten Knochenmaterial ausweisen, wurden die Tierkörper intensiv genutzt, so konnten vom Schwein auch Haxe, Füße und Kopf mit Ohren und Rüssel zum Auskochen und für Sülzen Verwendung finden, die Schwarten und das Blut der Schweine auch bei der Wurstherstellung genutzt werden.79 Dass an fast allen Fundstellen überwiegend etwa bis zu
78 79
Vgl. z. B. Prummel (1993), S. 50 und Reichstein (1999), S. 231 f. Vgl. Doll (2003), S. 167, Tab. 46 und 47. – Erst gegen Mitte des 14. Jahrhunderts wird schließlich auch volkssprachlich näher beschrieben, wozu ein Schwein in der Küche (und darüber hinaus) verarbeitet werden kann. Der Dichter, der sich ‚König vom Odenwald‘ nannte, verfasste ein ‚Gedicht vom Schwein und dessen Nutzen‘, in dem eine ganze Reihe konkreter Hinweise aufgeführt wird, dies in einer Detailliertheit, die sich in der Zeit vor 1300 nicht findet: So will ich tiehten vom swin. Ir schrien mag man billich doln – Von in kuement lebersoln, Gefuellet und gebroten: Nu in die sie hoten! Gebruetet und gebecht, Des sint sie ungeswecht. Nu sol ich betrachten Wurste in vier achten: Vom hirn und vom sweiz, Auch leberwuerste heiz, Und wurste vom brot, Die behelt man spot. Braten bie der gluete Geben auch gemuete, Betreift sniten darunder, Daz inist kein wunder. Hobet, oren, zegel, fuez, Und einz damit ez ruez, Und die vier swienin bein In ezzig und in galrein; Zunge miltze und den magen, Davon muoz ich k u n i g sagen: Davon werdent biegeriechte. Nu merket, waz ich tiehte! Die blasen nuetzet man auch wol,
Wozue man sie nuetzen sol. So hot man spek uff erwiz In daz huon und an den spiz. Wa gesoten huenre sin, Dar an gehort spek und peterlin. Dannoch leg ich einz darbie. Grieben in muoz und uff die brie. Phankuchen und krephelin Kuement alle von dem swin. Kloezze vom buzl – Die dunken sich si huozl. Edel wiltbreht so ist daz. Ich sage iuch vom swien baz: Schulthern unde hammen Nerent meide und ammen: Vom swine kument veizte kruot Sie ezzent bruetgam unde bruot. Ez ist ein gewonlicher sit: Man bessert alle kost damit. Ein speclin an die viesche, Daz mich daz icht verwiesche! Die zene nuetzet wer es kan, Ez sint frauwen oder man. Die gruozen smerleibe unde smalz, Darzu muoz man haben salz. (V. 6 ff.)
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zweieinhalbjährige, seltener ältere Tiere geschlachtet wurden, weist darauf hin, dass die Bestände zumeist wohl gut bestückt waren.80 Für die Nachzucht wären ansonsten mehr ältere Tiere vorgehalten worden. Für einige Fundorte ließ sich ermitteln, dass dort auch vergleichsweise viele Ferkel geschlachtet wurden.81 Dies war jedoch auch auf Burgen nicht die Regel, denn so junge Tiere waren z. B. im Schweineknochenmaterial der Burg Grenchen kaum vertreten,82 und für die nicht weit von Haus Meer (wo viele Jungtiere geschlachtet wurden) gelegene Motte Lürken wurde festgehalten: „Man kann … mit aller gebotenen Zurückhaltung den Schluß ziehen, daß sich die Bewohner der Burganlage nicht den gelegentlich beschriebenen Luxus des Spanferkelessens haben leisten können“.83 Die kleinen Wiederkäuer Schaf und Ziege, deren Knochen sich zumeist nur schwer voneinander unterscheiden lassen, spielten in der Ernährung
80 81
82 83
(Die vielen, in der Textausgabe vorhandenen Sonderzeichen wurden hier sämtlich aufgelöst). In der neuhochdeutschen Übersetzung werden die Verse so wiedergegeben: „So will ich mir über das Schwein Gedanken machen. / Geschrei der Schweine kann man gerade noch ertragen. / Von ihnen kommt die sauer angemachte Leber, / sie wird gefüllt und gebraten: / Wohl denen, die sie sich leisten können. / Gebrüht und geräuchert / verliert sie nicht an Gehalt. / Jetzt werde ich Überlegungen zu / den Würsten nach vier Herstellungsarten anstellen: / vom Hirn und vom Blut, / auch heiße Leberwürste / und Würste aus Brät / bewahrt man für später auf. / Gegrillte Braten / lassen Heißhunger aufkommen. / Es ist kaum verwunderlich, / daß sich saftige Stücke darunter befinden. / Kopf, Ohren, Schwanz, Füße, / Rüssel und / die vier Beinstücke vom Schwein / werden in Essig und Gelatine eingelegt. / Aus Zunge, Milz und Magen werden / Beilagen zu Speisen bereitet; / darüber weiß ich, der K ÖNIG , gut bescheid. / So prägt Euch jetzt ein, was ich weiter hervorbringe! / Die Blase verwendet man gut dort, / wo man sie gebrauchen kann [Anm. hierzu in der Textausgabe: bei der Wurstherstellung]. / Mit Speck und Erbsen füllt man / das Huhn, garniert man den Spieß. / An gebrühte Hühner gehören Speck und Petersilie. / Dann beschichte ich Hirsebrei und andere Breie noch mit Grieben. / Pfannkuchen und kleine Krapfen / kommen alle vom Schwein [Anm. hierzu in der Textausgabe: werden in Schweineschmalz gebacken], / Klöße aus dem Bürzel [Anm. hier: vom Wildschwein]/ erscheinen einem so klein ausgefallen. / Doch sie sind von hochwertigem Wildbret. / Mehr noch erzähle ich Euch vom Schwein. / Schultern und Schinken / sind nahrhaft für Gebärende und Ammen. / Aus Schweinefleisch entstehen üppige Mahlzeiten, / die Bräutigam und Braut verzehren. / Es ist eine althergebrachte Sitte: /Mit Schweinefleisch verbessert man jegliche Speise. / Ein Stückchen Speck an ein Fischgericht zu geben, / werde ich kaum versäumen. / Die Zähne verwenden / Frauen und Männer, wenn sie können. / Um die großen Fettlaibe und das Schmalz / zu verwenden, muß man Salz haben.“ Zitiert nach Edition Olt (1988), S. 114 ff. Vgl. Teichert (1988), S. 166 f., Kocks (1978), S. 209 und Reichstein (1999), S. 232 Vgl. für Brandenburg Teichert (1988), S. 166, Tab. 32, für Haus Meer Reichstein (1999), S. 232 Vgl. Stampfli (1962), S. 170 Reichstein (1971), S. 341
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von Burginsassen ebenfalls überall eine – teils erhebliche – Rolle. Wirtschaftsgeschichtlich ist für die meisten Archäozoologen das Schlachtalter der Schafe von besonderem Interesse, denn „ist der Anteil alter Tiere hoch, kann man eine vorwiegende Wollnutzung annehmen …, überwiegen Jungtiere im Material, stand wohl die Fleischnutzung an erster Stelle.“84 Für Brandenburg wurde ermittelt, dass dort überwiegend Jungtiere geschlachtet wurden, und zwar mit einer bei den in das Mittelalter datierenden Grabungshorizonten steigenden Tendenz.85 Vergleichbare Befunde liegen für die Burg Niederrealta und für die Motte Lürken vor, wo mehr als ein Viertel der Schafe und Ziegen in einem Alter von bis zu neun Monaten geschlachtet wurden.86 Auch für die Motte bei Haus Meer wird angenommen, dass dort „die Erzeugung von Fleisch Vorrang vor den anderen Nutzungsarten“ besaß.87 „Daß auf der Motte bei Haus Meer gelegentlich auch der Lammbraten den Speiseplan bereicherte, bezeugen einige Unterkiefer, die auf etwa ein bis drei Monate alte Lämmer verweisen; ihr Anteil liegt bei rund 10 %“ des Schaf/Ziege zugeordneten Knochenmaterials.88 Andernorts weist die Verteilung der Knochenreste mehrheitlich auf (deutlich) ältere Tiere hin, und so kann etwa für Starigard/Oldenburg geschlossen werden, dass bei Schafen dort die Wolle der Tiere eine wichtigere Rolle spielte als die Fleischproduktion.89 Die für Schaf/Ziege jeweils gleich laufenden Altersbestimmungen lassen erkennen, dass auch bei den Ziegen deren Bedeutung als Zuchttiere und Milchlieferanten (ältere Tiere) sowie als Fleischlieferanten (jüngere und ganz junge Tiere) in den verschiedenen Regionen differierte. An den meisten Fundorten wurden im Vergleich zu den anderen Haustieren nur wenige Pferdeknochen gefunden, was darauf zurück geführt werden könnte, dass Pferdekadaver bevorzugt außerhalb der Burgbereiche entsorgt oder ihre Knochen andernorts weiter verarbeitet wurden.90 Da fast alle der hier berücksichtigten Fundorte vergleichbare Fundrelationen aufweisen, gilt die folgende Aussage unverändert fort: „Bei aller Berücksichtigung dieser speziellen Fundverhältnisse scheint die Vorstellung von der pferdestrotzenden mittelalterlichen Burg doch falsch zu sein.“91 Erfährt bereits damit ein verbreitetes Bild eine erhebliche Korrektur, so ist dem ein 84 85 86 87 88 89 90 91
Reichstein (1971), S. 263 Vgl. Teichert (1988), S. 164 Vgl. Klumpp (1967), passim und Reichstein (1971), S. 263 Reichstein (1999), S. 231 Reichstein (1999), S. 231 Vgl. Prummel (1993), S. 60 ff. Vgl. Stampfli (1962), S. 168 Stampfli (1962), S. 168
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zweiter, für unseren Fragekreis interessanter Befund hinzuzufügen: auf einigen Burgen und Herrensitzen dienten nämlich Pferde nicht nur als Reitund Zugtiere, sondern nachweislich auch als Fleischlieferanten. Hack-, Schnitt- und teilweise Brandspuren an Pferdeknochen weisen aus, dass die Tiere geschlachtet, anschließend in Portionen zerteilt und in der Küche auch zubereitet wurden. Geschlachtet und verzehrt wurden die – wie die anderen Haustiere im Hochmittelalter wesentlich kleineren – Pferde z. B. auf der Wiprechtsburg,92 in Marbach,93 Helfta,94 Bernshausen,95 Brandenburg96, Holzheim (Niederungsburg)97 und möglicherweise auch auf der Burg Grenchen.98 Das in Holzheim gefundene Knochenmaterial von Pferden wies zudem teilweise Bearbeitungsspuren auf, wie sie sonst von Rinderund Schweineknochen bekannt sind. Kreis- oder schlitzförmige Löcher in Teilen des Materials „werden mit der Aufhängung von Gliedmaßen zwecks Trocknung und Räucherung in Verbindung gebracht.“99 Bei der überwiegenden Mehrzahl der Tiere handelte es sich um ausgewachsene und ältere bis alte Exemplare. „Diese Altersbestimmung läßt erkennen, daß die Pferde nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt geschlachtet wurden, sondern immer nur dann, wenn sie infolge einer Verletzung oder wegen ihres Alters nicht mehr als Reit- oder Arbeitstiere genutzt werden konnten. Somit sind Pferde nicht eigentliche Schlachttiere gewesen, man hat ihr Fleisch aber wohl doch gelegentlich verzehrt.“100 Im Vergleich zu den größeren Haustieren spielte das Hausgeflügel bei der Fleischversorgung der Bewohner von Burgen und Herrensitzen offensichtlich eine recht nachrangige Rolle. Nur an wenigen Fundplätzen überschreitet der Anteil von Geflügelknochen am gesamten Haustierknochenmaterial die Marke von 5 %, so in Nidau, auf der Wysburg und in Futterkamp. Dabei wird für die meisten Fundplätze damit gerechnet, dass gerade Geflügelknochen oft durch Katzen oder Hunde verschleppt wurden oder aufgrund ihrer geringen Größe und weichen Konsistenz bei speziellen 92 93 94
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97 98 99 100
Vgl. Müller (1977), S. 109 Vgl. Doll (2003), S. 97 Vgl. Müller (1996), S. 185: „Es waren zumeist adulte Tiere, die geschlachtet wurden, nämlich 87,9 %, und nur 12,1 % subadulte Individuen, während juvenile Tiere sich nicht nachweisen ließen.“ Vgl. Grote/Frisch (2003), S. 226 Vgl. Teichert (1988), S. 149: „Eine Nutzung der Schlachtkörper zur Fleischversorgung der Burgbewohner ist ebenfalls als gesichert anzunehmen.“ Vgl. Donat (2002), S. 499 f. Vgl. Stampfli (1962), S. 168 Donat (2002), S. 499 Müller (1996), S. 185
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Bodenbedingungen einfach vergingen.101 Den bei Geflügel bedeutendsten Fundanteil stellten durchweg die Hühner, die wie alle anderen Haustiere des Hochmittelalters im Vergleich zu heutigen Zuchtrassen von recht kleinem Wuchs waren.102 Für die meisten Burgen und Herrensitze dürfte repräsentativ sein, was anhand des Schlachtalters der Tiere für den Burgbezirk von Brandenburg ermittelt wurde: „Diese sich hier abzeichnende Altersund Geschlechterzusammensetzung deutet auf eine Kleinherdenhaltung mit überwiegender Eiernutzung hin (ca. zwölf bis 18 Hennen mit ein bis zwei Hähnen). Etwa drei Hennen werden jährlich Küken geführt haben. Mit beginnendem Herbst wurden kontinuierlich überschüssige Junghähne, zuchtuntaugliche Junghennen und auch überalterte Legehennen geschlachtet“.103 Eine über die Eigenzucht hinaus gehende Hühnerpopulation, die möglicherweise besonders durch bestehende bäuerliche Abgabepflichten deutlich verstärkt wurde, konnte im Rahmen aller Fundplätze lediglich für Nidau wahrscheinlich gemacht werden,104 für die Wysburg werden Hühner als Abgaben immerhin angenommen.105 Gänse und Enten, deren domestizierte bzw. wild lebenden Formen anhand des Knochenmaterials nicht sicher voneinander zu trennen sind,106 spielten als Eier- und Fleischlieferanten an fast allen Fundorten eine gegenüber dem Haushuhn nochmals deutlich geminderte Rolle. Lediglich auf der Wiprechtsburg wurden erheblich mehr Gänse- als Hühnerknochen gefunden, und in Brandenburg könnten sich beide Arten – was den Fleischertrag angeht – etwa die Waage gehalten haben, da eine Gans auch im Hochmittelalter größer und schwerer war als ein Huhn. Mit Ausnahme von Hitzacker, Dannenberg und Futterkamp dominierte im Verhältnis von Gänsen und Enten die Gans. Auch wenn anzunehmen ist, dass die ausgewerteten Tierknochenfunde nicht sämtliche Küchenabfälle und Speisereste aus der Belegzeit der aufgeführten Burgen und Herrensitze erfassen konnten, zeichnet sich angesichts der Nachweise von mehr als zwanzig Fundstellen ab, dass Fleischnahrung 101
102 103 104 105 106
Vgl. Joachim Boessneck: Vogelknochenfunde aus der Burg auf dem Weinberg in Hitzacker/Elbe und dem Stadtkern von Dannenberg/Jeetzel (Mittelalter), in: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 15 (1982), S. 345–394, hier: S. 367. Die vergleichsweise hohen Fundzahlen von Nidau werden u.a. auf die dort günstigen Erhaltungsbedingungen zurückgeführt, vgl. Büttiker/Nussbaumer (1990), S. 47 Vgl. Boessneck (1982), S. 367 f. Teichert (1988), S. 171 Vgl. Büttiker/Nussbaumer (1990), S. 47 Vgl. Barthel (1996), S. 17 Sie wurden daher, wo Grau- oder Hausgans und Stock- oder Hausente nicht zweifelsfrei zugeordnet werden konnten, bei der Auflistung der Funde zum Hausgeflügel gerechnet
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auch in adligen Haushalten des Hochmittelalters nicht durchweg reichlich, an manchen Orten vielleicht nicht einmal regelmäßig vorhanden war. Für die Wysburg wurde der Versuch unternommen, anhand des Tierknochenmaterials und der auf dieser Grundlage errechenbaren Schlachtgewichte und Fleischmengen auf die Zahl der Burginsassen und deren Fleischversorgung zu schließen.107 Ausgegangen wurde dabei von der Annahme, dass ein Erwachsener täglich 250gr Fleischnahrung konsumierte. Im – nicht kommentierten – Ergebnis stellte sich heraus, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren 18, in zehn Jahren neun und in 50 Jahren etwa zwei Erwachsene eine solche Ration täglich dort hätten konsumieren können.108 Auch wenn die auf der Wysburg nachgewiesenen Wildtiere in diese Kalkulation mit aufgenommen worden wären, hätte dies die berechneten Fleischmengen kaum merklich beeinflusst. Da von einer aktiven Belegzeit der Burg von etwa einem Jahrhundert ausgegangen wird, ferner anzunehmen ist, dass eine Burgbesatzung dauerhaft wohl aus mehr als zehn Personen bestand, kann aus den Berechnungen nur der Schluss gezogen werden, dass die für den täglichen Durchschnitt beim Verzehr angesetzte Fleischmenge viel zu hoch ist. Setzt man die Belegzeit der Burg von etwa 100 Jahren ins Verhältnis zu zehn Personen, die sich im Durchschnitt dort dauerhaft aufhielten, ergäbe sich anhand des vorhandenen Tierknochenmaterials rechnerisch eine tägliche Fleischration von nicht einmal 25gr. Der Vorstellung einer opulent bestückten Rittertafel, an der es zweimal täglich Fleischgänge gab,109 wirkt dies deutlich entgegen. Grundsätzlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch die auf der Wysburg gefundenen Tierknochen den einstmals vorhandenen Konsum sehr wahrscheinlich nur anteilig wiedergeben und dass sich damit der tatsächliche Fleischkonsum während der Belegzeit der Burg nicht zuverlässig wiedergeben lässt. Eine entsprechende Relativierung der für die Wysburg vorgenommenen Berechnungen fehlt jedoch in deren Publikation. Im Vergleich zu den Tierknochen nehmen sich die Funde von Pflanzenresten, die von Burgen und Herrensitzen stammen, quantitativ bescheiden aus. Leicht vergängliche Früchte und Samen konnten an den aufgelisteten Fundstellen nur geborgen und anschließend untersucht werden, weil sie entweder infolge von Hitzeeinwirkung (wie in Riedfluh, Plesse, Starigard/ Oldenburg und Tilleda) oder durch in Wassernähe besonders feuchten Boden erhalten blieben (so in Eschelbronn, der Motte bei Haus Meer und in 107 108 109
Vgl. Barthel (1996), S. 12 f. Vgl. Barthel (1996), S. 13, Tab. 8 Dieses Bild vermittelt noch Manfred Reitz: Das Leben auf der Burg. Alltag, Fehden und Turniere. Ostfildern 2004, S. 129 f.
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Bernshausen). Doch geben auch die Funde von nur wenigen Grabungsstellen Auskunft darüber, dass eine Vielzahl von Pflanzen zu Nahrungszwecken genutzt wurde. Nachgewiesen werden konnten an den meisten Fundstellen – in zuweilen deutlich unterschiedlichen Fundmengen – verschiedene Getreidearten, so (Saat-)Hafer, (Saat-)Weizen, Zwergweizen, Dinkel, Emmer, Gerste (nicht bei Haus Meer), Roggen und Rispenhirse, bei Haus Meer auch Fuchshirse. In Eschelbronn und Bommersheim ist die Palette der nachgewiesenen Getreidearten dagegen recht bis sehr bescheiden (in Eschelbronn keine Hirse und kein Weizen, in Bommersheim nur Roggen). Als Brotgetreide wurden wahrscheinlich besonders Roggen und Weizenarten genutzt, dabei auch Dinkel und Emmer.110 Die Aufbereitung des Getreides zum Backen und Kochen war teilweise aufwändig, da z. B. Dinkel und Emmer wuchsbedingt über sog. Spelzen verfügen, die sich durch Dreschen nicht vom Korn trennen lassen, sodass die Spelzen in einem gesonderten Arbeitsgang entfernt werden müssen.111 Für Breispeisen eignen sich besonders Hafer und Rispenhirse, zum Kochen auch Dinkel, „wenn man derartige Speisen ähnlich wie Reis zubereitet“.112 Gerste, die sich in Form von Grieß oder Graupen auch zum Kochen verwenden ließ, wurde wahrscheinlich besonders zum Bierbrauen genutzt.113 Die bei Haus Meer nachgewiesene Fuchshirse dürfte gemeinsam mit der Rispenhirse gewachsen und geerntet worden sein. Ihr Nachweis im Speiseabfall weist darauf hin, dass in der Niederungsburg auch ‚minderwertige‘ Getreidefrüchte verarbeitet wurden: „Gemeinsam mit den übrigen Körnern gelangten sie in den Haushalt und wurden mit verzehrt. Da ihre Spelzen härter und rauher sind, dürften sie keine Bereicherung im Hirsebrei dargestellt haben.“114 Dass in den Küchen von Burgen und Herrensitzen nicht grundsätzlich besonders ausgelesenes Getreide zur Verarbeitung kam, belegen die zahlreichen Nachweise von (giftigen) Getreidebeimengungen, an nahezu allen Fundorten z. B. besonders von Kornrade und in Bernshausen auch von Taumellolch.115 Als Feldfrüchte waren Erbse und Ackerbohne von Bedeutung, besonders auch, weil sich ihre Früchte trocknen und damit gut bevorraten ließen. 110
111
112 113 114 115
Vgl. Helmut Kroll: Kultur- und Sammelpflanzen, in: Michael Müller-Wille (Hg.): Starigard/Oldenburg. Ein slawischer Herrschersitz des frühen Mittelalters in Ostholstein. Neumünster 1991, S. 307–314, hier: S. 307 f. Vgl. Kroll (1991), S. 308 und Karl-Heinz Knörzer: Die Pflanzenfunde, in: Janssen/ Janssen (1999), S. 104–214, hier: S. 187 Kroll (1991), S. 308 Vgl. Kroll (1991), S. 308 Knörzer (1999), S. 188 Vgl. dazu den Abschnitt VIII.2.2 unten im Anhang
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Die Linse, für die dies ebenfalls zutrifft, konnte nur auf der Burg Plesse nachgewiesen werden. Auffällig ist, dass in Eschelbronn, Bommersheim und auf der Pfalz Tilleda die Hülsenfrüchte im Fundgut fehlen. An Wurzelgemüse war die Möhre offenbar verbreitet. Der Pastinak, dessen Wurzeln ebenfalls essbar sind, wurde lediglich bei Haus Meer nachgewiesen. Beide Arten kamen im Hochmittelalter sowohl als Wildgemüse als auch als in Gemüsegärten gezogen vor.116 Kohlgewächse wurden bei Haus Meer und in Tilleda, die (Mangold-) Rübe wurde nur bei Haus Meer nachgewiesen. Sie dürften jedoch auch andernorts vorhanden gewesen und in der Küche verwendet worden sein. Blattgemüse standen mit Portulak und Amaranth zur Verfügung. Beide Arten werden heute als Nahrungspflanzen kaum mehr genutzt. „Sie bilden im Gegensatz zu den meisten unserer heutigen Blattgemüse- und Salatarten keine Rosette, so daß die Stengelblätter bzw. blattragende Sprosse gepflückt werden müssen.“117 Auch die bei Haus Meer vorhandene Brunnenkresse könnte zur Zubereitung von Salaten gedient haben. Da auch verschiedene wild wachsende Pflanzen als (Blatt-)Gemüse gesammelt werden konnten (und teilweise bis in die Neuzeit hinein in der Küche noch Verwendung fanden), wurden ihre Nachweise in die Auflistung mit aufgenommen, so z. B. gezähnter Feldsalat, Sauerampfer, Große Brennessel, Breit-Wegerich, Vogelmiere, Rainkohl oder Hederich (vgl. unten Tab. 2). Sellerie, von dem im Mittelalter wohl nur die Blätter und Blattstiele verspeist wurden,118 Gurke und Flaschenkürbis fanden als Gartenpflanzen – wohl auf den zu Burgen oder Herrensitzen gehörenden Wirtschaftshöfen – ebenfalls ihren Weg in die Küchen. Die Liste der auf Burgen und Herrensitzen nachgewiesenen (vielleicht mehrheitlich in dortigen Gärten gezogenen) Gewürzpflanzen ist, verglichen mit derjenigen aus zeitgleichen städtischen Siedlungen,119 recht bescheiden. Belegt sind Dill, Minze, Hundspetersilie, Kümmel, echtes Bohnenkraut und (wohl als Bierwürze) Hopfen. Damit fanden sich keine Nachweise verschiedener heimischer Gewürzpflanzen (wie Senf, Wachholder, Schnittlauch, Zwiebel, Dost, Bärlauch, Knoblauch oder Waldmeister), es fehlen bisher im Fundgut auch die exotischen (und damit teuren) Gewürze wie Pfeffer oder Paradieskorn oder die Mandel als Importware. 116
117 118
119
Davon, dass Möhre und Pastinak im Hochmittelalter angebaut wurden, berichten Hildegard von Bingen und Albertus Magnus, vgl. Knörzer (1999), S. 188 Knörzer (1999), S. 189 Knörzer (1999), S. 190, gibt an, dass die vom Sellerie heute genutzte Sprossknolle erst mit neuzeitlichen Züchtungen entstand Vgl. dazu unten S. 417
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Von Öl- oder Gespinstpflanzen wie Lein, Raps und Schlafmohn wurden die Samen bei der Nahrungsbereitung für verschiedene Zwecke genutzt. Vom Lein waren die „ölhaltigen, wohlschmeckenden Körner … ein hochwertiges Nahrungsmittel und haben vermutlich als Brot- oder Breizusatz Verwendung gefunden.“120 Raps-, Leindotter- und Mohnsamen wurden auch zu Speiseöl gepresst, Mohnsamen wurden ferner, „wie die vielen Samenfunde in mittelalterlichen Latrinenfüllungen beweisen, … zur geschmacklichen Verbesserung der Speisen“ eingesetzt.121 Die nicht nur auf Burgen und Herrensitzen nachgewiesenen Samen des Hanfs zählen, obwohl sie oft als Grundlage zur Ölherstellung auch im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln genannt werden, wohl nicht zu den in der Küche verwendeten Grundstoffen: „Hanföl diente technischen Zwecken und der Preßrückstand war ein wertvolles Viehfutter. Wie das Hanföl eigneten sich auch die Hanfsamen nicht für die menschliche Ernährung, waren aber ein beliebtes Viehfutter.“122 Nachweise von Hanf wurden, obwohl sie von manchen Paläoethnobotanikern zu den Speisepflanzen gerechnet werden,123 daher nicht in die Übersichten der in diesem Band berücksichtigten Fundorte aufgenommen. Die Liste der nachgewiesenen Obst- und Beerenarten, die kultiviert waren oder als Wildfrüchte gesammelt wurden, ist umfangreich. Sie umfasst neben Apfel und Birne sowohl verschiedene Arten von Süß- als auch Sauerkirschen, und auch die Pflaume war in verschiedenen Arten bekannt und vertreten (so bei Haus Meer die Zwetschge, die Haferpflaume, die Eierpflaume, die Oval- und die Rundpflaume).124 Pfirsiche wurden in Starigard/Oldenburg und bei Haus Meer nachgewiesen, Wein(trauben) etwa bei der Hälfte der Fundorte. Die bei Haus Meer gefundenen Reste von Feigen dürften auf importierte Früchte zurückgehen.125 Ebenfalls bei Haus Meer wurden die Reste von Mispel und dem einem kleinen Apfel ähnlichen Speierling gefunden. Auch sie werden als Nahrungsabfälle gewertet, gehörten jedoch wohl nicht zu den bevorzugten Obstarten.126 Verschiedene, an Sträuchern oder Bäumen wachsende Beeren wurden intensiv gesammelt und nachweislich nicht nur frisch genossen, sondern oft in beachtlichen Mengen auch weiterverarbeitet (etwa zu Saft gepresst oder als Mus gekocht). In Nahrungsabfällen nachgewiesen wurden Wald120 121 122 123 124 125 126
Knörzer (1999), S. 189 Knörzer (1999), S. 189 Knörzer (1999), S. 189 f. Vgl. z. B. Willerding (2000), S. 615 Vgl. Knörzer (1999), S. 191, Tab. 10 Vgl. Knörzer (1999), S. 191 Vgl. Knörzer (1999), S. 192
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erdbeere, Brombeere, Himbeere, Kratzbeere, Heidelbeere, Preiselbeere, Krähenbeere, Hagebutte, Schlehe, Eberesche, Schwarzer Holunder, Attich und Weißdorn. Bemerkenswerterweise fehlt die (kultivierte) Maulbeere an allen Fundorten. Hortfunde verschiedener kultivierter und wilder Obst- und Beerenarten, die z. B. aus der Wasserburg Eschelbronn und der Motte bei Haus Meer vorliegen, weisen darauf hin, dass die Früchte zur Saft- oder Musgewinnung gepresst und Rückstände dann komplett in nahen Abfallgruben oder Latrinen entsorgt wurden. Auf eine entsprechende Verarbeitung weisen kleinsträumige Fundhäufungen von Kirsche, Pflaume, Hagebutte, Brombeere, Himbeere, Schlehe und Holunder hin.127 Angesichts der im Hochmittelalter begrenzten Konservierungsmöglichkeiten von Säften wird angenommen, dass Saft von Kirschen und Pflaumen auch zu Wein vergoren wurde.128 Grundsätzlich dürfte dies auch für die z. B. aus Schlehen, Holunder oder Brombeere oder anderen Früchten gewonnenen Säfte in Betracht kommen. Ergänzt wurde das Fruchtangebot auf Burgen und Herrensitzen durch Nüsse. Hasel- und Walnuss wuchsen entweder in kultivierten Beständen oder an Feld- und Waldrändern in der Nähe, Bucheckern wurden im Wald gesammelt. Nur bei Haus Meer wurde darüber hinaus die Esskastanie nachgewiesen. Versucht man nun, auf der Grundlage der Tierknochen- und Pflanzenfunde von Burgen und Herrensitzen eine Bilanz der dort vorhandenen Nahrungsgrundlagen zu ziehen, so muss diese zumindest in Bezug auf die vergleichsweise noch schmale Datenbasis bei den Pflanzenfunden als recht vorläufig betrachtet werden. Es deutet sich jedoch an, dass es um das Essen und Trinken bei den Rittersleuten oft wohl anders stand als es vor wenigen Jahren noch beschrieben wurde: „Jeden Tag wurden zwei Mahlzeiten eingenommen, die erste nach dem Gottesdienst etwa gegen neun Uhr und die zweite am späten Nachmittag. War der Ritter nicht wie so oft unterwegs, sondern hielt sich für einige Zeit auf der Burg auf, konnte das Frühmahl opulent sein. Während er auf dem Feldzug meist nur Brot aß, so wurden zuhause bereits am Morgen Brot mit Fleisch und Saucen sowie Wein serviert. Manche Ritter verlangten schon zum Frühmahl ein mehrgängiges Essen, so daß die Köche schon in der Nacht an der Feuerstelle standen. In der Regel stammte das Fleisch vom Schwein oder Rind, allerdings wurde gerne auch Wild verzehrt … Die zweite Mahlzeit wurde zwischen drei und sechs Uhr am Nachmittag eingenommen … Zunächst wurde eine Suppe gegessen. 127 128
Vgl. Knörzer (1999), S. 191 ff. Vgl. Knörzer (1999), S. 192
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Anschließend wurde das oft sehr üppige Hauptgericht serviert. Meist gab es wieder Fleisch sowie Zutaten aus Rüben oder Kohl, aber auch Milchprodukte … Im Herbst stammte das Fleisch von frisch geschlachteten Schweinen und Rindern, die nicht über den Winter durchgefüttert werden konnten. Der Herbst war schließlich die Zeit der Schlachttage, und es wurden auch Dauerwürste produziert. Im Winter wurde schließlich das eingelagerte Salzfleisch verzehrt. Dazwischen gab es immer wieder Wild, dessen Jagd ausschließlich dem Adel zustand. Hirschbraten wurde mit Speck zubereitet, auch Wildschweine waren begehrt, und Hasen wurden oft zu Pasteten verarbeitet. Geflügel wie Hühner oder Gänse galt als Leckerbissen, und man hatte keine Scheu, sogar Kraniche, Schwäne und Reiher zu braten. Die Krönung des Festessens aber war ein Pfauenbraten, serviert mit Pfeffersauce.“129 Diese Passage lässt deutlich werden, wie sehr offenbar auch jüngere Arbeiten noch besonders auf die Schilderungen in der Dichtung des Mittelalters zu ‚dem‘ Ritterleben bauen (vgl. dazu insbesondere oben Kapitel 2). Anhand der Funde lässt sich nämlich absehen, dass die auf den Burgen und Herrensitzen gebotene Küche im Regelfall wenig opulent, ja sogar eher ‚bodenständig‘ – und damit meistens alles andere als exotisch, auserlesen, luxus- oder prunkorientiert war. Fleisch stand nämlich an vielen Plätzen wohl nicht in Mengen zur Verfügung. Selbst wenn man erhaltungs- oder grabungsbedingte Schwundquoten von dem auf Burgen und Herrensitzen einst vorhandenen Gesamtmaterial an Tierresten berücksichtigt, ist es wahrscheinlich, dass das Fleisch von Haustieren auch bei vielen Adligen kaum täglich auf den Tisch gekommen ist. Hirsch-, Wildschwein-, Hasenoder Wildvogelbraten hat es sicher nicht so regelmäßig gegeben wie ein ‚dazwischen immer wieder‘ es Glauben macht. Wahrscheinlicher ist, dass die den Funden zufolge eher seltene Jagdbeute Anlass für ein besonderes, weil auch reichhaltigeres Festessen bot. Schwäne, Kraniche und Reiher wurden zwar bejagt und auch an verschiedenen Fundorten nachgewiesen, gehörten jedoch angesichts der Fundzahlen sicher zu seltenen Ausnahmen auf einer adligen Tafel. Ihre Verarbeitung in der Küche ließe sich auch ganz anders begründen als mit dem Luxus der Jagd und des Außergewöhnlichen: vielleicht wurden sie in Zeiten bejagt und verzehrt, in denen (aus der Schlachtung von Haustieren stammendes) Frischfleisch eine Mangelware war, z. B. während des Winters oder beginnenden Frühjahrs. Auch die insgesamt wenigen Nachweise von Pfauen verweisen die Vorstellung, ein solches Tier auf der Tafel habe öfter die ‚Krönung eines Festessens‘ dargestellt, eher in 129
Reitz (2004), S. 129 f. mit erkennbaren Anklängen an Passagen aus Wolframs ‚Willehalm‘, vgl. dazu oben die Kap. 2 und 5
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den Bereich von Fabel und Phantasie als in den der Wahrscheinlichkeit von tatsächlich geübten, luxus- und repräsentationsorientierten Praktiken.130 Wenig will in das schon traditionell gezeichnete Bild auch passen, dass Schafe und Ziegen, an einigen bewehrten Plätzen sogar Pferde geschlachtet wurden, die anschließend in der Küche verarbeitet und im Wohnbereich aufgetischt wurden. Auch wenn ihr Vorhandensein an vielen Fundorten nicht oder nur sehr unvollständig dokumentiert werden konnte, haben besonders Süßwasserfische je nach Erreichbarkeit den Bedarf an tierischer Nahrung ergänzt. Konservierter, über längere Strecken transportierter und damit teurer Seefisch konnte bisher im Binnenland an keinem der Adelssitze nachgewiesen werden. Dabei wurden nicht nur kapitale oder besonders erlesene Exemplare, sondern auch kleinere und kleinste Fische in den Küchen von Adelssitzen verarbeitet. Ferner konnten den Funden zufolge auch Muscheln und Schnecken ihren Weg dorthin und auf die Tafeln adliger Haushalte finden. Aufgrund der überall vorhandenen Rinder und Ziegen muss auch die Milchwirtschaft für Burgen und Herrenhäuser eine Bedeutung gehabt haben. Dass ein ritterlicher Haushalt sich damit meistens eher als ein auch bäuerlich orientierter ‚Gutsbetrieb‘ darstellt und weniger als ein luxuriöser Rückzugsraum wackerer Haudegen, bricht wohl ebenfalls mit einigen tradierten Vorstellungen. Aufgrund der Funde wird man überdies davon ausgehen müssen, dass Rinder, Schafe und Ziegen oft auch in manchen kargen, nicht gefluteten Burggräben grasten und dass sich im Burghof Schweine und Federvieh tummelten.131 Nachweise für eine im Vergleich z. B. zu zeitgleichen städtischen Siedlungen (vgl. dazu den folgenden Abschnitt) besonders exponierte Lebenshaltung fanden sich auch bei den untersuchten Pflanzenmaterialien nicht. 130
131
Auf die Möglichkeit, dass Jagdtiere auch im Zusammenhang von magischen Praktiken noch im Mittelalter eine Rolle spielten, verweist Meyer (1997), S. 486 f.: „Viele Wildtiere verzehrte man nicht einfach, um den Hunger zu stillen, sondern weil man ihnen magische Kräfte, heilende und stärkende, nachsagte. Dabei kam es nicht auf die Menge an, sondern eher auf bestimmte Körperteile, namentlich auf Eingeweide. So dürfte man auch Partikel vom Storchen gegessen haben, der als heiliges Tier galt und dessen Tötung Unglück brachte. Zauberkräfte von Wildtieren wirkten nicht nur beim Verspeisen des Fleisches, sondern auch beim Tragen bestimmter Körperteile oder bei deren Befestigung an Gebäuden, vor allem an Dächern und Türen. Durchlochte Bärenzähne dürften als Amulette getragen worden sein … Auch wenn man nicht annehmen muß, daß all das zauberkräftige Wild ausschließlich oder auch nur vorwiegend wegen seiner magischen Kräfte gejagt worden ist, sollte die Bedeutung magischer Praktiken bei der Interpretation archäologischer Tierknochenfunde von Burggrabungen nicht unterschätzt werden.“ Vgl. Schubert (2006), S. 121 und Zeune (1996), S. 200 ff.
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So fehlen mit der Ausnahme eines Nachweises von Feigen bei Haus Meer bisher Belege für teure Importwaren wie exotische Früchte oder Gewürze in dem aus Burgen und Herrensitzen stammenden Fundgut. Die Übersicht der Nahrungsmittel, die in den Küchen von Burgen und kleineren Adelssitzen nach Ausweis der Funde verarbeitet und von den Bewohnern verspeist wurden, vermittelt nicht den Eindruck von dauerhafter Exklusivität oder besonderem Luxus. Genutzt und verarbeitet wurden fast ausschließlich heimische Tiere und Pflanzen. Auch auf die z. B. für Fleischnahrung berechenbaren Mengen bezogen, lässt sich anhand archäologischer Funde für den Alltag auf Adelssitzen allgemein kein Bild von Üppigkeit oder Fülle zeichnen. Den Funden zufolge dienten quantitativ auch Jagd und Fischfang nur in geringem Maße dazu, das Küchenangebot zu bereichern. Auch qualitativ lässt sich nicht feststellen, dass bevorzugt beispielsweise hochwertiges Fleisch oder zarte Jungtiere verarbeitet und genossen worden wären. Eine Auswertung der Tierknochenfunde von Burgen in Bezug auf Fleischgüteklassen, die schon vor 20 Jahren als Desiderat bezeichnet wurde, steht immer noch aus.132 Von ihr wurde schon seinerzeit erwartet, dass sie im Vergleich zu den Fleischgüteklassen, die für den Konsum in städtischen und in ländlichen Siedlungen ermittelt werden könnten, Aussagen zu sozial differierenden Verbrauchergewohnheiten hervorbringen könnten: „Man würde vielleicht darauf kommen, dass auf Burgen bessere Fleischqualitäten und bessere Fleischportionen verzehrt wurden, als beispielsweise in Bauerndörfern.“133 Für eine qualitativ hervorgehobene Fleischnahrung von Burginsassen lassen sich aufgrund der bisher herangezogenen Kriterien – der Altersverteilung der Tiere und der (oft regelmäßigen) Verteilung der Tierknochenfunde auf die Tierskelette – jedoch keine signifikanten, vor allem keine bei der Mehrzahl der Fundorte vorhandenen Besonderheiten – und damit auch einschlägige Hinweise – feststellen. Wenn es denn bedeutsame Unterschiede zwischen der Küche in Adelshäusern und derjenigen ‚des gemeinen Mannes‘ gab, dann werden diese, lässt man (bei allen zuvor genannten Einschränkungen) die bisherigen Funde sprechen, möglicherweise in den konsumierten Mengen, wohl besonders aber auch in der Art der Zubereitung und dem dabei betriebenen Aufwand gelegen haben. Zu eben diesen Aspekten lassen sich jedoch aus dem archäologisch erschlossenen Material keine Aussagen ableiten. Aufwand bei der Speisebereitung in der Küche und folgend auch bei Tisch konnte nur mit Hilfe von Personal betrieben werden, das in größeren Haushalten sicher vorhanden war. Wenn es in so exponierten Haushalten 132 133
Vgl. Janssen (1990), S. 221 Janssen (1990), S. 221
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eigene Köche, Küchenjungen, Dienerschaft und anderes Gesinde gab, wenn darüber hinaus in manchen Burgbereichen auch Handwerker ansässig waren, ist zu berücksichtigen, dass auch ihre Nahrungs- und Speisereste in die untersuchten Horizonte, Abfall- oder Fäkaliengruben gelangten. Wir haben es deshalb bei den ausgewerteten Funden oft sicher nicht nur mit den Hinterlassenschaften adliger Familien zu tun. Eine Zuordnung der Funde nach der gesellschaftlichen Schichtung ihrer Verursacher ist jedoch nicht möglich. Daher kann auf dieser Grundlage nicht mehr ermittelt werden, ob es bei Bewohnern von Burgbereichen und Herrensitzen mit einer breiteren sozialen Ausdifferenzierung auch Unterschiede bei ihrer Ernährung gab, und, falls ja, worin sie bestanden.
7.2 Reste von Tierknochen und Pflanzen aus städtischen Siedlungen Die Dichtung des Hochmittelalters befasst sich – wenn überhaupt – nur spärlich mit Städten und den Lebensumständen ihrer Bewohner.134 Auch bei zeitgenössischen Chronisten wird man hierzu kaum fündig, und die Geschichtswissenschaft widmete ihr Augenmerk bisher hauptsächlich einem anderen Schwerpunkt: „Der gängige Ansatz der stadtgeschichtlichen Forschung geht von verfassungsgeschichtlichen Fragestellungen aus.“135 Nur einzelne Arbeiten befassen sich dabei auch mit ordnungspolitischen Maßnahmen des Stadtregiments, die unser Thema berühren, so mit Marktordnungen und Preisreglementierung, die in einzelnen Städten bis auf das 12. Jahrhundert zurückgehen.136 Aus den überlieferten städtischen Verordnungen wird deutlich, dass sich die Räte um Regelungen zur Grundversorgung der städtischen Bevölkerung kümmerten, so etwa um Getreide- und Brotpreise, Größen und Gewichte von Fleisch und Brot oder die Fleischbeschau.137 Die Bedeutung von Getreide, Brot und Fleisch dürfte zwar erheblich gewesen sein, da sich andernfalls die Stadtväter mit Regelungen zu deren Vermarktung und Qualitätssicherung kaum befasst hätten. Die Nahrungsgrundlagen der städtischen Bevölkerung des Hochmittelalters werden dadurch jedoch nur teilweise erfasst. Daher sind es besonders die Funde aus mittelalterlichen Siedlungsschichten, Abfallgruben und Latrinenschächten, 134 135 136 137
Vgl. oben Kapitel 5 Schubert (2006), S. 21 Z.B. in Köln, Soest oder Lübeck, vgl. Schubert (2006), S. 93 S. dazu auch unten im Anhang die Abschnitte VI und VII
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die Aufschluss darüber geben können, welche Nahrungsmittel den Bewohnern städtischer Siedlungen zur Verfügung standen. Diese Funde sollen in diesem Abschnitt näher betrachtet werden. Berücksichtigt werden dabei Fundstellen aus Orten, die bereits im Hochmittelalter als städtische Siedlungen anzusprechen sind, z. B. über eine enge Bebauung sowie eine nicht vornehmlich agrarische Sozialstruktur verfügten und/oder Stadtrecht besaßen. Ländliche Siedlungen des Hochmittelalters, die sich auf bzw. unter dem Gebiet heutiger Städte befanden, sind demnach auszuschließen.138 In die (unten in diesem Band befindliche) Tabelle 3 wurden die zoologisch untersuchten Tierrestfunde aus 18 hochmittelalterlichen Stadtsiedlungen aufgenommen, in einigen von ihnen konnten verschiedene Fundstellen untersucht werden. Die Zahl der geborgenen und untersuchten Fundstücke sowie deren Dokumentationsform variieren dabei oft erheblich. Eine direkte Vergleichbarkeit der Daten wird dadurch erschwert, dass sich neben Gesamtfundzahlen auch lediglich prozentuale Angaben finden. Nicht in allen Publikationen werden die identifizierbaren Funde darauf hin ausgewertet, wie vielen Einzeltieren (Individuen) sie zugerechnet werden können. Da ein Rind mehr Knochenmaterial besitzt als ein Schwein, Rinderknochen zudem oft fragmentiert vorgefunden werden, würde allein die vorgefundene Relation von Rinder- zu Schweineknochen(resten) von beispielsweise 2:1 nicht bedeuten, dass Rinder doppelt so häufig vorkamen oder gar verspeist wurden. Von Bedeutung ist vielmehr die Aussage darüber, wie vielen Einzeltieren die Knochenreste jeweils zugeordnet werden können (Mindestindividuenzahl) und welche Relation zwischen den genannten Haustierarten sich aus diesen Werten ableiten ließe. Zu berücksichtigen ist auch, dass das in Abfallgruben oder auf Flächen entsorgte Knochenrestmaterial wohl nicht vollständig ist oder sich sehr disproportional verteilt und damit nur bedingt repräsentativ sein kann. So ist in städtischen Siedlungen damit zu rechnen, dass höhere oder niedrigere Fundkonzentrationen von Rinderknochen im Zusammenhang mit Gewerbe stehen können, wie etwa mit Gerbereibetrieben oder mit Beinschnitzern.139 Ein Blick auf die Tabelle lässt ferner vermuten, dass die Bergung und die davon abhängigen Auswertungsmöglichkeiten der Knochen(rest)funde un-
138
139
Dies trifft zu für archäologisch erkundete hochmittelalterliche Siedlungen auf dem Gebiet der heutigen Städte Sigmaringen und Ulm (hier: Eggingen), siehe dazu unten Abschnitt 7.3 Die am Konstanzer Fischmarkt gefundenen, hohen Zahlen an Rinderknochenresten sind besonders darauf zurückzuführen, dass auf der untersuchten mittelalterlichen Deponieaufschüttung in großem Umfang auch Abfälle von Gewerbebetrieben landeten, betont Prilloff (2000), S. 27
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ter verschiedenen Bedingungen erfolgten. So fällt z.B. auf, dass in Konstanz, einer Stadt in direkter Bodenseelage, kaum Fischreste nachgewiesen wurden. Dieser Befund gibt die Bedeutung von Fisch im Rahmen der Ernährung der Bevölkerung im hochmittelalterlichen Konstanz sicher nicht wieder.140 Schließlich gilt es zu beachten, dass einzelne und begrenzte Fundstellen (wie eine Abfallgrube oder eine Latrine) andere Fundzusammensetzungen bieten können als z. B. die Gesamtfundzahlen von größeren Flächen (einschließlich unterschiedlicher Gruben oder Kloakenanlagen), wie sie etwa für Schleswig vorliegen. Auch angesichts dieser Bedingtheiten lässt sich von Zürich und Basel im Süden bis zu Schleswig141 im Norden aus den Tierknochenfunden des Hochmittelalters eines deutlich ablesen: die mit Abstand wichtigste Rolle spielten bei der fleischlichen Kost der Bevölkerung die Haustiere. Rind, Schwein, Ziege und Schaf sind an den Fundorten mit bedeutenden Fundzahlen vertreten, wenn auch mit zuweilen schwankenden Fundanteilen. Die Gründe hierfür können unterschiedlich sein. Neben den zuvor skizzierten Faktoren, die sich auf das Fundgut und dessen Verteilung auswirken, kann eine Rolle spielen, dass sich auch regionale Landschaftsbilder im direkten Umkreis städtischer Siedlungen mit unterschiedlichen Weidemöglichkeiten auf das Fleischangebot auswirkten. Eine laubwaldreiche Umgebung begünstigte z. B. besonders die Schweinemast, die Rinder- und die Schafzucht bedürfen hingegen ausgedehnter Wiesen- und Weidegründe.142 Schweine und die anspruchslosen Ziegen konnten auch innerhalb einer städtischen Siedlung, beispielsweise in Hinterhof und Garten, gehalten werden.143 Signifikant hohe Anteile an Schaf-/Ziegenknochen am Gesamtfundgut, wie z. B. in Zürich, Braunschweig und Osnabrück, könnten darauf zurück geführt werden, dass die Haltung dieser Tiere auch durch die regionalen Gegebenheiten besonders begünstigt wurde. Der über sämtliche Fundorte „relativ hohe Anteil an Ziegenknochen verwundert nicht so sehr, wenn 140 141
142
143
Vgl. Prilloff (2000), S. 216 Schleswig gehörte im Hochmittelalter zwar politisch zum Königreich Dänemark, soll hier aber – auch wegen seiner Nähe und Vergleichbarkeit mit dem nur wenig entfernten Lübeck – mit betrachtet werden Vgl. Norbert Benecke: Archäozoologische Studien zur Entwicklung der Haustierhaltung in Mitteleuropa und Südskandinavien bis zum ausgehenden Mittelalter. (Schriften zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 46). Berlin 1994, S. 195 und 200ff. sowie Antje Rheingans/Hans Reichstein: Untersuchungen an Tierknochen aus mittelalterlichen bis neuzeitlichen Siedlungsablagerungen in Lübeck (Ausgrabung Alfstraße 36/38), in: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 21 (1991), S. 143–181, hier: S. 148 Vgl. Rheingans/Reichstein (1991), S. 147
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man sich vor Augen hält, daß die Ziege als ‚Kuh des kleinen Mannes‘ galt … Zwei mittelalterliche Ziegen gaben so viel Milch wie eine mittelalterliche Kuh, waren dabei aber, was das Futter betrifft, wesentlich genügsamer als Kühe und Schafe. Dies dürfte die Ziegenhaltung auf den kleinen Parzellen in einer mittelalterlichen Stadt befördert haben.“144 Anders als Ziegen, deren Bedeutung für die Ernährung besonders in ihrer Nutzung als Milchlieferanten gelegen haben dürfte,145 spielten Rinder/Kühe nicht nur als Milch- und Fleischlieferanten, sondern zunächst auch als Arbeitstiere eine Rolle. Wie die geborgenen und ausgewerteten Knochenrestfunde aus städtischen Siedlungen zeigen, wurden die meisten Tiere in ausgewachsenem Zustand geschlachtet und besaßen größtenteils ein Schlachtalter von mindestens drei bis vier Jahren. „Das bedeutet, daß diese durch eine große Nutzungsbreite sich auszeichnenden Haustiere erst dann der Ernährung zugeführt, also geschlachtet wurden, wenn andere Leistungen wie Arbeitskraft, Nachzucht und Milchertrag nachließen.“146 Rinder im Schlachtalter wurden meistens aus umliegenden Dörfern in die Stadt getrieben und an dortige Händler verkauft.147 Sie wurden demnach erst in der Stadt geschlachtet und zerlegt, Fleisch, Innereien und auch Knochen wurden anschließend auf dem örtlichen Markt feil geboten. Während sich an vielen Rinderknochen Spuren professioneller Schlachtpraktiken nachweisen ließen, die darauf schließen lassen, dass besonders Rinder durch die ansässigen Metzger geschlachtet wurden, fanden sich entsprechende Spuren bei Knochenresten von Schweinen seltener. Sie könnten daher in erheblichem Umfang auch in Hausschlachtung verwertet worden sein.148 Rinder und Schweine wurden an allen Fundorten vorwiegend als ausgewachsene Tiere geschlachtet. Die kleinen Wiederkäuer – Schaf und Ziege – hingegen besonders als Jungtiere, da ihr Fleisch zu diesem Zeitpunkt über eine bessere Qualität verfügte und bezüglich eines (bei ausgewachsenen Tieren deutlicher wahrnehmbaren) ‚Eigengeschmackes‘ genießbarer war. 144 145
146 147
148
Pöllath/Driesch (2000), S. 225 Dass daneben auch die Milch sowie Milchprodukte vom Schaf eine Rolle spielten, wird in dem ‚Gedicht vom Schaf‘ erwähnt, das der bereits genannte ‚König vom Odenwald‘ im 14. Jahrhundert verfasste. In den V. 75 ff. nennt er neben der Schafsmilch die Molke, Quark, Schafskäse/harten Käse sowie aus Schafsmilch hergestellte Butter, vgl. Edition Olt (1988), Nr. VI Rheingans/Reichstein (1991), S. 153 Vgl. Anna Pyrozok/Hans Reichstein: Tierknochenfunde aus hochmittelalterlichen Siedlungsablagerungen in Lübeck (Grabung Dr.-Julius-Leber-Straße 58), in: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 21 (1991), S. 183–202, hier. S. 199 Vgl. Prilloff (2000), S. 224
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Kälber und Ferkel hingegen wurden deutlich seltener zur Schlachtbank getrieben.149 Die Qualität der Fleischnahrung wird durch das Schlachtalter der Haustiere wesentlich mitbestimmt. Anhand des Tierknochenmaterials, das bei der Grabung am Märzenbad in Augsburg gefunden wurde, ließ sich feststellen, dass dort vornehmlich ältere oder alte Rinder geschlachtet wurden: „Geschlechts- und Altersanalyse sowie die pathologischen Veränderungen an den Metapodien zeigen an, daß die Rinder, deren Knochen wir hier vorliegen haben, hauptsächlich wegen der Milch und ihrer Arbeitskraft gehalten wurden. Der Fleischnutzen stand nicht im Vordergrund. Die Fleischqualität dieser alten und lange zur Arbeit herangezogenen Tiere war sicherlich gering. Dies wiederum lässt vermuten, daß sich deren Konsumenten nur das billige Fleisch ausgedienter Rinder leisten konnten.“150 Schweine wurden dort nicht in jungem Alter, sondern erst dann geschlachtet, wenn sie „ihr optimales Gewicht erreicht und auch schon für ausreichend Nachwuchs gesorgt hatten“.151 Schafe und Ziegen werden in und bei Augsburg wohl besonders wegen ihrer Wolle und der Milchproduktion gehalten worden sein. Beide Arten wurden nämlich ganz überwiegend in (weit) fortgeschrittenem Alter geschlachtet. „Schaffleisch wird in der Hauptsache beim Metzger zugekauft worden sein. Die vorliegenden Ergebnisse der Alters- und Geschlechtsanalyse geben also nicht ohne weiteres Auskunft über die Zusammensetzung der Schafherden. Sie zeigen vielmehr an, was die Bewohner Augsburgs in unserem Fall erworben und gegessen haben. Dabei dürfte es sich um preislich günstiges Fleisch alter Tiere gehandelt haben. Für die Ziegen hingegen, die vermutlich zum Teil in der Stadt gehalten wurden, zeigen die Resultate, daß nicht das Fleisch, sondern die Milch der Hauptgrund für die Ziegenhaltung gewesen sein dürfte.“152 Die Funde stammen, wie sich ermitteln ließ, aus einem mittelalterlichen Handwerkerquartier, in dem sich besonders auch Gerbereien befanden. Wie die als Küchen- und Speisereste identifizierten Funde vom Märzenbad ausweisen, bereitete das städtische Handwerk Vielen, die es betrieben, offenbar keinen ‚goldenen Boden‘. Auch die vom Schlachtvieh verwendeten Körperteile lassen Schlüsse auf die Qualität der Fleischnahrung zu. Hierzu liegen für das mittelalterliche Konstanz Angaben vor, da dort anhand der Knochenreste besonders auch Schlachtpraktiken untersucht wurden: „Anhand der Hieb- und Schnittmar149 150 151 152
Vgl. Prilloff (2000), S. 219 Pöllath/Driesch (2001), S. 228 Pöllath/Driesch (2001), S. 228 Pöllath/Driesch (2001), S. 228
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ken an den Knochen und dem Grad der Fragmentierung derselben ist die Nutzung von Fleisch, Hirn, Zunge, Knochenmark und -fett nachvollziehbar. Zu diesem Zwecke schlachtete man unterschiedlich häufig die Haustiere Rind, Schaf, Ziege, Schwein … Die Fleischportionen bestanden vorwiegend aus verschieden großen Wirbel-, Rippen- und Schädelstücken. Seltener verzehrte man das Fleisch von Bug und Keule … Im Unterschied zum Schwein … konsumierte man vom Rind und von den kleinen Hauswiederkäuern häufiger das Fleisch vom Bug (Vorderextremität) als jenes der Keule (Hinterextremität). Platina … und Elsholtz … weisen darauf hin, dass das Hirn der Kälber und Lämmer hohes Ansehen genoss, aber weniger jenes der Alttiere. Auch die Rüssel und Ohren der Schweine wurden nicht verschmäht, ebensowenig die Augen der Kälber.“153 Eine so intensive Verwertung der Schlachttiere weist darauf hin, dass man es sich auch in Konstanz nicht leisten konnte, bevorzugt nur an Muskelfleisch reiche Partien der Tierkörper zu konsumieren. Anhand der Schweineknochenfunde wurde zudem festgestellt, dass die Knochen von Vorder- und Hinterextremitäten im Fundgut unterrepräsentiert waren. Dies wird im Text nach dem letzten Zitat so interpretiert, dass die zugehörigen Fleischpartien im Bereich des Fundareals seltener konsumiert wurden. Da sie sicher nicht ungenutzt blieben, könnten sie frisch oder geräuchert als Keule oder Schinken in die weitere Nachbarschaft verkauft worden sein. Die Frage, ob auch die mit den anderen Haustierknochen gefundenen Reste von Hunden, Katzen und Pferden als Speiseabfälle zu werten sind, wird unterschiedlich beantwortet. Für verschiedene Autoren spricht viel dafür, dass die Reste dieser Tiere zufällig in Abfallgruben, Kloaken und ‚Hausmülldeponien‘ gelangten und definitiv nicht als Speisereste zu werten sind.154 Bei den Konstanzer Knochenrestfunden hingegen werden Hiebund Schnittmarken an verschiedenen Pferdeknochen dahingehend interpretiert, dass von 30 nachgewiesenen Pferdeindividuen mindestens neun 153 154
Prilloff (2000), S. 216; vgl. auch oben S. 387 f., Anm. 79 Vgl. Pyrozok/Reichstein (1991), S. 199; Carola Schulze-Rehm: Ergebnisse der archäozoologischen Bearbeitung der Tierknochenfunde aus der Kloake 4 von Fundstelle 17:2, „Auf dem Wüstenort“, in Lüneburg, in: Archäologie und Bauforschung in Lüneburg 1 (1995), S. 167–174, hier: S. 171; Hans Reichstein: Einige Anmerkungen zu Katzenknochen und weiteren Haustieren aus einer mittelalterlichen Kloake an der Holenbergstraße in Höxter, Westfalen, in: Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 17 (1986), S. 311–318, hier: S. 316; Monika Doll: Mittelalterliche Haustierhaltung in Höxter an der Weser, in: Jochem Pfrommer/Rainer Schreg (Hg.): Zwischen den Zeiten. Archäologische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters in Mitteleuropa. Festschrift für Barbara Scholkmann. (Internationale Archäologie. Studia honoraria. Bd. 15). Rahden 2001, S. 19–41, hier: S. 31
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auch Nahrungszwecken dienten.155 Bei Funden von Pferdeknochen aus Augsburg, Osnabrück und Lübeck wird zumindest für möglich gehalten, dass sie auch auf Nahrungsreste hinweisen.156 Für Konstanz wird überdies angenommen, dass „in Ausnahmesituationen auch das Fleisch der Katzen und Hunde auf den Tisch“ kam.157 Eine Begründung dieser Aussage fehlt jedoch, so dass offen bleibt, ob dort untersuchte Knochenreste dieser Haustiere etwa auch die bei einer küchentauglichen Zerteilung der Tierkörper typischen Hieb- oder Schnittspuren aufwiesen. Eine wichtigere Rolle als diese – wenn überhaupt, dann wohl nur ausnahmsweise – verspeisten Haussäugetiere spielte das Hausgeflügel auf dem Speisezettel vieler Bürgerhäuser. Vor allem das Huhn war verbreitet. Es ließ sich auch in Haus (Diele), Hinterhof und Garten gut halten und lieferte, bevor es zur Schlachtung kam, regelmäßig Eier. Bemerkenswert ist die deutlich unterschiedliche Häufigkeit, mit der Knochenreste von Hühnern gefunden wurden. Ihr Anteil am untersuchten Gesamtknochenmaterial betrug z. B. an der Fundstelle Augustinergasse in Basel 25 %,158 am Zürcher Münsterhof noch mehr als 15 %. An allen anderen Fundorten ist dieser Anteil, wie die Tabelle 3159 im Vergleich ausweist, erheblich geringer. Ein SüdNord-Gefälle in der städtischen Hühnerhaltung kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden: da sich an weiteren hochmittelalterlichen Fundorten im Baseler Stadtgebiet die Anteile an Hühnerknochen lediglich zwischen 1 % und 3 % bewegten, weist diese auffallend hohe Funddichte möglicherweise eher auf soziale Unterschiede innerhalb der Bevölkerung hin, deren Hinterlassenschaften jeweils erfasst und untersucht werden konnten.160 So zeigt 155 156
157 158 159 160
Vgl. Prilloff (2000), S. 119 Vgl. Pöllath/Driesch (2000), S. 225; Stephan Huczko: Die Tierknochenfunde vom Domplatz in Osnabrück (12.–17. Jahrhundert). (Schriften der Archäologisch-Zoologischen Arbeitsgruppe Schleswig-Kiel. Heft 10). Kiel 1986, S. 27; Rheingans/ Reichstein (1991), S. 148 Prilloff (2000), S. 216 Vgl. Schibler (1995), S. 107, Abb. 6 Eingefügt am Schluss dieses Bandes Vgl. Jaqueline Reich: Archäozoologische Auswertung des mittelalterlichen Tierknochenmaterials (10.–13. Jh.) von der Schneidergasse 8, 10 und 12 in Basel (CH). Mit einem Beitrag von Christoph Ph. Matt. (Materialhefte zur Archäologie in Basel. Heft 8). Basel 1995, S. 58 f. – Die Funde aus der Baseler Schneidergasse konnten, obwohl sie zeitlich genau in den hier betrachteten Zeitraum passen, nicht in die Tabelle aufgenommen werden. Die von der Autorin gewählte Dokumentationsform, in der sie die Baseler Funde mit denen aus verschiedenen mittelalterlichen städtischen und dörflichen Siedlungen sowie aus Burganlagen vergleicht, lässt sich nicht ohne Weiteres auswerten und übertragen. Die gewählten Balkendiagramme geben zwar einen optisch eingängigen Überblick über die verglichenen Fundorte, bleiben hinsichtlich der konkreten Fundzahlen in der Schneidergasse jedoch leider ungenau
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ein Vergleich der Tierknochenfunde von verschiedenen Fundorten im Baseler Stadtgebiet, „dass eine auf dem Münsterhügel wohnende Oberschicht sich eine deutlich bessere Fleischnahrung leisten konnte als die Bewohner der Handwerkerquartiere beim Barfüsserplatz und an der Schneidergasse.“161 Dies zeigt sich auch im Vergleich des Schlachtalters der größeren Haussäugetiere zwischen den innerstädtischen Fundorten in Basel: in der Augustinergasse wurden deutlich mehr Jungtiere geschlachtet. Der so dokumentierte Verzehr von Kalb- und Lammfleisch sowie von Jungziegen und Ferkeln weist auf eine sozial hoch stehende Bewohnerschaft hin, die möglicherweise Adelsfamilien einschloss.162 Hausgans und Ente wurden in den untersuchten städtischen Siedlungen verbreitet nachgewiesen, besaßen jedoch insgesamt keine dem Haushuhn vergleichbare Bedeutung. Eine Ausnahme stellt dar, dass sich bei den Funden aus Schleswig Gänseknochen (3237) und Reste vom Haushuhn (3875) annähernd die Waage halten (vgl. unten Tab. 3). Zwischen fast allen Fundorten lassen sich Unterschiede in der Bedeutung verschiedener Haustierarten für städtische Haushalte feststellen. An ausgewählten Beispielen spiegelt dies die folgende, vergleichende Übersicht aus städtischen Fundkontexten wider, die dem Hochmittelalter zugerechnet werden (vgl. S. 408, Abb. 37). Auf welche Gründe die unterschiedlichen Fundverteilungen jeweils zurückzuführen sind, bleibt dabei offen. Ursächlich können regionale Besonderheiten gewesen sein, die sich auf die Tierhaltung in und außerhalb der Stadt auswirkten und die sich folglich auch in der Beschickung von Märkten spiegelten. Möglich ist auch, dass sich in den Fundzusammensetzungen wirtschaftliche Unterschiede derer abzeichnen, deren Küchenabfälle und Speisereste geborgen wurden. Ferner kann es sein, dass sich auch die Erhaltungsbedingungen sowie die Fundaufnahme des Knochenmaterials auf die jeweils ermittelten Ergebnisse auswirkten. Den untersuchten Funden zufolge kann die Bedeutung der Wildsäugetiere für die Ernährung der städtischen Bevölkerung flächendeckend als marginal bezeichnet werden. Jagdbares Wild und die Jagd besaßen demnach insgesamt keine Bedeutung. Zusammengenommen bilden Reste von Rotund Damwild, Reh, Feldhase und Wildkaninchen an den meisten Fundorten einen Fundanteil von 1 bis 1,5 %, zuweilen liegen die Werte noch darunter. Allein in Schleswig ließen sich größere Mengen von Wildsäugetierknochen nachweisen. Im Vergleich zu dem dort jedoch sehr umfangreichen Fundmaterial von Haustieren, Wildvögeln und Fischen fallen sie je161 162
Schibler (1995), S. 114 Vgl. Schibler (1995), S. 114
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Abb. 37: Haustierfunde aus städtischen Siedlungen des Hochmittelalters im Vergleich
doch auch dort nicht wirklich ins Gewicht: sie umfassen insgesamt etwa nur 1,2 % der gefundenen Säugetierknochen, ihr Anteil am Gesamtfundmaterial fällt entsprechend noch geringer aus.163 Auf regionale Besonderheiten verweisen das Wisent und der Steinbock in Zürich sowie der Elch in Schleswig. Für Schleswig wird ferner angenommen, dass Rot- und Damwild ebenso wie Elch und Wildschwein möglicherweise über längere Strecken eingehandelt wurden, da die Rodungsaktivitäten um das Stadtgebiet herum bereits im Hochmittelalter kaum mehr zusammenhängende Waldbestände belassen hatten.164 Bemerkenswert ist ferner, dass die Knochen der dort nachgewiesenen Wildsäugetiere mit Ausnahme von Fuchs und Feldhase darauf schließen lassen, dass z. B. Hirsch, Reh und Wildschwein im Hochmittelalter größer waren als heute: „Ursachen für die neuzeitliche Größenminderung werden diskutiert und im wesentlichen mit menschlicher Einflußnahme auf die Lebensbedingungen der Tiere in Verbindung gebracht.“165 163
164 165
Vgl. Dirk Heinrich: Untersuchungen an Skelettresten wildlebender Säugetiere aus dem mittelalterlichen Schleswig. Ausgrabungen Schild 1971–1975. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 9). Neumünster 1991, S. 14 Vgl. Heinrich (1991), S. 123 ff. Heinrich (1991), S. 137
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Nicht in die Tabelle aufgenommen wurden Nachweise einer Kegelrobbe und mehrerer Walrösser in Schleswig, da sie wohl nicht zu Ernährungszwecken eingehandelt wurden, sondern der Gewinnung von Tran und – besonders beim Walross – Walrosszahn als Elfenbeinersatz für gewerbliche Zwecke dienten.166 Die bei Grabungen auf dem Hildesheimer Domplatz gefundenen Biberknochen werden als Speisereste gewertet: „Der Biber wurde im Mittelalter den Fischen zu gerechnet und durfte wie diese in der Fastenzeit verzehrt werden, wobei besonders die Hinterfüße und der Schwanz von kulinarischer Bedeutung waren“.167 Ob diese Bewertung zutrifft, muss offen bleiben, denn der Biber wurde im Mittelalter besonders wegen des begehrten Duftstoffes Bibergeil und seines wertvollen Pelzes bejagt.168 Bemerkenswert sind die zahlreichen Nachweise von Wildvögeln in Schleswig. Nur dort scheint der Vogelfang in nennenswertem Umfang betrieben worden zu sein. Immerhin stammen durchschnittlich 18 % der gefundenen Vogelknochenreste von Wildvögeln.169 Die Nähe der Schlei und damit die Lage der Siedlung am Wasser sowie die Zugrouten verschiedener Vogelarten über das heutige Schleswig-Holstein mögen den Vogelfang dort besonders begünstigt haben. Über eine vergleichbare, wassernahe Lage verfügen jedoch auch Lübeck und Konstanz, ohne dass dort eine auch nur annähernd vergleichbare Zahl von Wildvogelknochen nachgewiesen wurde. Dass auf das weitgehende oder völlige Fehlen von Wildvogelknochen in den meisten Publikationen nicht eingegangen wird, könnte verschiedene Gründe haben. Entweder wurde bei der Fundauswertung auf derartiges Knochenmaterial nicht geachtet oder es kam tatsächlich kaum vor. Da Wildvögel – wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit – in der Umgebung aller städtischen Siedlungen vorgekommen sein werden, lässt sich vermuten, dass der Vogelfang oder die Vogeljagd keine Bedeutung besaßen. Für die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit 166 167
168 169
Vgl. Heinrich (1991), S. 123 Reinhold Schoon: Untersuchungen an Tierknochenfunden des 9. bis 20. Jahrhunderts vom Domhof in Hildesheim, in: Karl Bernhard Kruse (Hg.): Der Hildesheimer Dom. Von der Kaiserkapelle und den Karolingischen Kathedralkirchen bis zur Zerstörung 1945. Grabungen und Bauuntersuchungen auf dem Domhügel 1988 bis 1999. (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens. Reihe A. Heft 27). Hannover 2000, S. 453–507, hier: S. 467 Vgl. Schoon (2000), S. 467 und Reichstein (1993a), S. 252 Vgl. Harald Pieper/Hans Reichstein: Untersuchungen an Skelettresten von Vögeln aus dem mittelalterlichen Schleswig, in: Dirk Heinrich/Harald Pieper/Hans Reichstein: Tierknochenfunde der Ausgrabung Schild 1971–1975. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 11). Neumünster 1995, S. 9–113. hier: S. 13
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Fleisch waren Vogelfang oder Vogeljagd aufgrund des mit ihnen verbundenen Aufwandes allgemein offenbar weder interessant noch grundsätzlich erforderlich. Selbst die umfangreichen Schleswiger Funde geben darauf Hinweise, denn der Anteil an Wildvogelknochen am gesamten Vogelknochenmaterial nahm vom 11. Jahrhundert (23 %) über das 12. Jahrhundert (17 %) bis zum 13. Jahrhundert (12 %) kontinuierlich ab. In Fundschichten, die dem 14. Jahrhundert zugerechnet werden, betrug dieser Anteil nur noch 10 %.170 Ingesamt lässt sich zur Bedeutung von Wildsäugetieren und -vögeln angesichts der Funde festhalten: sie „unterstreichen, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch schon im Frühmittelalter im wesentlichen auf Haustieren fußte, nicht etwa, weil sich eine weltliche und geistliche Oberschicht das Recht zu jagen vorbehielt, sondern einzig und allein deshalb, weil die Nahrungssicherung auf dem Wege über Wildtiere nicht mehr zu bewerkstelligen war.“171 Wie bereits oben für Konstanz angesprochen, geben die Funde von Fischresten in städtischen Siedlungen die Bedeutung von Fischen in der Ernährung der Bevölkerung sicher nicht angemessen wieder. Für die meisten Grabungsorte sind Funde von Fischresten überhaupt nicht dokumentiert. Dies weist darauf hin, dass Klein- und Kleinstmaterial wie Fischgräten entweder nicht geborgen oder bei späteren Untersuchungen aufgrund des damit verbundenen Aufwandes nicht eigens ausgesondert und untersucht wurden. Allein aus Schleswig liegen umfangreichere Funde vor, einige, jedoch in deutlich geringeren Mengen, auch aus Lübeck.172 Dabei zeigen besonders die Schleswiger Funde an, dass viele verschiedene Arten von Fisch gefangen wurden. Eine bedeutende Rolle müssen bereits im Hochmittelalter die Hochseefischerei und der Handel mit Hochseefisch gespielt haben: „Allein etwa 40 % der bestimmbaren Funde stammten vom Kabeljau, während die am nächsthäufigsten vertretene Art, der Flußbarsch, nur knapp ein Viertel der Funde darstellt.“173 Da weniger als 10 % der bestimm-
170 171 172
173
Vgl. Pieper/Reichstein (1995), S. 23 Rheingans/Reichstein (1991), S. 146 Auch für Lübeck gelten die dort nachgewiesenen Funde nicht als repräsentativ: „Im übrigen muß man wohl davon ausgehen, daß Fisch als Nahrungsmittel im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lübeck eine sehr viel größere Rolle spielte, als die insgesamt gesehen wenigen Knochenfunde erkennen lassen“, so Rheingans/ Reichstein (1991), S. 166 Dirk Heinrich: Untersuchungen an mittelalterlichen Fischresten aus Schleswig. Ausgrabung Schild 1971–1975. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 6). Neumünster 1987, S. 24 f.
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baren Fischreste vom Hecht herrühren und ca. 6 % von Brachsen, entfallen damit etwa drei Viertel der Funde auf nur vier Arten.174 Die auch in Schleswig spärlichen Nachweise von Heringen, die im Mittelalter in der Ostsee und in der Schlei große Vorkommen hatten, sind wahrscheinlich auf grabungs- und untersuchungstechnische Probleme zurückzuführen und sind für die Bedeutung des Herings sicher nicht auch nur annähernd repräsentativ.175 Dass Hering nicht nur an der Küste, sondern – gesalzen, geräuchert oder getrocknet – auch in das Binnenland gehandelt wurde, belegen aus dem 13. Jahrhundert stammende Nachweise aus Duisburg sowie der Stadtwüstung von Freyenstein (Kr. Wittstock).176 Von einem verzerrten Bild muss wohl auch bei Überrestfunden großer Fische ausgegangen werden. Da große Fische wie der Stör zumeist geteilt wurden und damit portioniert in den Handel und die Haushalte gelangten, ist mit einer räumlich größeren Streuung ihrer Reste zu rechnen, die durch lokal begrenzte Grabungen nicht erfasst werden kann.177 Dass der Binnenhandel mit Seefisch bereits im Hochmittelalter stattfand, belegen auch die Nachweise von Dorsch/Kabeljau und Scholle, die aus Osnabrück sowie aus Duisburg (Dorsch/Kabeljau, Schellfisch, Leng, Scholle/Flunder) und aus der Stadtwüstung Freyenstein vorliegen (dort neben dem Hering auch der Dorsch). Wahrscheinlich sind die Seefische getrocknet als haltbarer Stockfisch auf den Transport gegangen und dorthin gelangt. Auch Hering wurde im Hochmittelalter über weite Strecken transportiert und dürfte wegen des städtischen Stapelrechts besonders an den Handelsrouten verfügbar gewesen sein. Im Westen und Südwesten des Reiches wurde zunächst besonders Nordseehering gehandelt, der rheinaufwärts transportiert und in Köln umgeschlagen wurde.178 Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts gewann der Heringsfang in der Ostsee an Bedeutung, zunächst vor Rügen, vermehrt dann vor Schonen.179 An der schwedischen Ostseeküste entstand damals eine Reihe von ‚Vitten‘, Hering saisonal ver174 175 176
177 178 179
Vgl. Heinrich (1987), S. 25 Vgl. Heinrich (1987), S. 41 Vgl. Dirk Heinrich: Fischknochen aus mittelalterlichen Siedlungsabfällen in Duisburg, in: Günter Krause (Hg.): Stadtarchäologie in Duisburg 1980–1990. (Duisburger Forschungen. Schriftenreihe für Geschichte und Heimatkunde Duisburgs. Band 38). Duisburg 1992, S. 295–305, bes. S. 300, wo er sich jedoch vorsorglich nur auf die Familie der Heringsfische festlegen mag; s. auch Norbert Benecke: Die Tierknochenfunde aus der Stadtwüstung des 13. Jahrhunderts von Freyenstein, Kr. Wittstock, in: Zeitschrift für Archäologie 23 (1989), S. 101–122, bes. S. 117 Vgl. Heinrich (1987), S. 21 Vgl. Schubert (2006), S. 133 ff. Vgl. Schubert (2006), S. 136
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arbeitenden Betrieben, an denen deutsche Städte wie Lübeck, Stralsund, Rostock, Wismar und Bremen beteiligt waren oder die sich sogar ganz in Besitz dieser Städte befanden.180 Die Heringe wurden in den Vitten gewässert, ausgenommen und gesäubert. Anschließend wurden sie in Salz eingelegt und in geböttcherte Fässer verpackt. Sie waren damit lange haltbar und transportfähig. Die erheblichen Mengen an Salz (etwa ein Fünftel der Füllung eines Fasses), die dazu benötigt wurden, stammten ebenfalls aus dem Fernhandel: sie wurden zumeist in der Lüneburger Saline gewonnen, die der kleinen Stadt seit dem Hochmittelalter einen großen wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand bescherte.181 Dass diese Stadt nicht nur intensiv Export betrieb, sondern im Gegenzug auch Waren von der Küste erhielt, belegen die in einer mittelalterlichen Kloake gefundenen Schalen von Miesmuscheln und Austern. Bemerkenswert ist, dass sich in Lübeck und Schleswig offenbar keine Reste von Mollusken fanden, obwohl beide Städte in direkter Ostseenähe gelegen sind. Im dokumentierten Fundmaterial jedenfalls fehlen sie. Insgesamt belegen die Tierknochenfunde aus städtischen Siedlungen des Hochmittelalters, dass der Fleischkonsum der Bevölkerung deutlich überwiegend auf Haustiere abgestellt war. Anhand der Schlachtalters der Tiere und auch aufgrund von Häufungen bestimmter Skelettfragmente lassen sich an manchen Fundorten Aussagen zu einer unterschiedlichen Qualität der Fleischnahrung und auch zur sozialen Stellung der Konsumenten ableiten. Dabei fällt auf, dass fast alle Untersuchungen die Tierreste aus Verfüllungen von Abfallgruben und Latrinen, die ja in der Regel über längere Zeiträume hinweg aufwuchsen, in ihrer Gesamtheit betrachten. Zwischen älteren und jüngeren Fundschichten differenzierende Untersuchungen der Funde wurden daher meistens nicht vorgenommen. Dass eine solche stratigraphische Untersuchung interessant sein kann, lässt sich am Beispiel einer Latrine nachvollziehen, die in der Konstanzer Wesenbergstraße/Katzgasse ausgehoben wurde.182 Die in den verschiedenen Fundschichten nachgewiesenen Tierreste weisen aus, dass sich die Ernährungsgewohnheiten der Menschen, die ihren Abfall in dieser Latrine entsorgten, im Laufe der Zeit deutlich änderten. 180 181 182
Vgl. Schubert (2006), S. 138 Vgl. Schubert (2006), S. 138 ff.; s. zum Salz auch unten im Anhang den Abschnitt IV.3 Vgl. Mostefa Kokabi: Die Fleischküche, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 297–299. Eine Datierung des Nutzungszeitraums der Latrine Wesenbergstraße/Katzgasse nimmt Kokabi in diesem Beitrag leider nicht vor. Die Funde aus dieser Latrine wurden daher nicht in die tabellarische Übersicht der Tierknochenfunde aus städtischen Siedlungen aufgenommen
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Abb. 38: Schichtenweise unterschiedliche Verteilung der Tierknochenfunde aus der Latrine in der Konstanzer Wesenbergstraße/Katzgasse
„Während die unteren zwei Schichten … nur knapp 60 Prozent Reste von Haussäugetierarten enthalten, sind aus den übrigen, darüber liegenden Schichten über 93 Prozent Knochen von Haussäugetieren belegt. Noch eindeutiger wird dieser Unterschied bei den Resten des geschlachteten Hausgeflügels. Die Bewohner des Hauses, auf die die untersten Ablagerungen in der Latrine zurückgehen, haben sich nicht nur in beträchtlichem Maß von Hühnerfleisch ernährt … Tauben kamen bei ihnen häufiger auf den Tisch als Gänsebraten … Der Speisezettel der frühen Bewohner des Hauses umfasste aber auch Wildvögel. So belegen die Knochen, daß neben den für unsere Begriffe wohlschmeckenden Tieren wie Auerhuhn, Birkhuhn und Rebhuhn auch Greifvögel wie Sperber und Habicht gejagt wurden.“183 Ob auch die im Fundmaterial nachgewiesenen Knochen eines Pfaus sowie die von Hunden und Katzen, wie der Autor annimmt, auf Speisereste zurück gehen, sollte eher skeptisch beurteilt werden.184 Deutlich zeigt die Fundverteilung innerhalb der unterschiedlichen Aushubschichten jedoch 183
184
Kokabi (1992), S. 298; die hier genannte Jagd auf Greifvögel wird jedoch nicht der Nahrungsgewinnung gedient haben, sondern wohl darauf zurückzuführen sein, dass die Menschen den Greifvögeln nachstellten, um z. B. durch diese verursachte Verluste in ihren Hühnerbeständen zu minimieren Vgl. Kokabi (1992), S. 298
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an, dass die Varianz der Tierarten, die zu Nahrungszwecken genutzt wurden, im Laufe der Zeit abnahm. Die Bewohner, die die ältesten Reste hinterließen, stellten ihre Ernährung aus einer größeren Bandbreite von Haus-, aber auch von Wildtieren zusammen. Auch Fischreste fanden sich lediglich in den zwei ältesten Schichten. In den jüngeren Schichten fällt diese Bandbreite geringer aus, in zwei Fundschichten fanden sich sogar ausschließlich Knochen von Rindern und Schweinen. „Die untere, ältere Schicht geht auf eine Bevölkerungsgruppe zurück, die – zumindest was das Fleisch betrifft – von der heutigen Norm deutlich abweichende Ernährungsgewohnheiten aufzeigt. Rind- und Schweinefleisch wurden weniger gegessen, während offenbar Geflügelfleisch, sei es von Haus- oder von Wildvögeln, ausgesprochen beliebt war. Die darüberliegende jüngere Ablagerung hingegen zeugt von einer nach heutigen Vorstellungen weniger ausgefallenen Fleischküche.“185 Offen bleibt, welche Gründe es für die im Boden dokumentierten Veränderungen im Ernährungsverhalten der Konstanzer Einwohner gab, die die untersuchte Latrine einst benutzten. Gelang es im Laufe der Zeit, die Zucht von und den Handel mit Haussäugetieren – besonders von Rind und Schwein – so konstant zu steigern und zu halten, dass damit der Fleischbedarf der städtischen Bevölkerung gedeckt werden konnte? Wurden Wildtiere möglicherweise besonders dann gejagt und verspeist, wenn Mangel an Fleisch von Haustieren herrschte? Stehen das Verschwinden von Ziegenknochen und der Rückgang von Hühnerknochen möglicherweise mit der baulichen Entwicklung der Stadt in Verbindung, in der Hinterhöfe und Gärten seltener wurden, in denen die Tiere hätten gehalten werden können? Veränderten sich Geschmack und Gewohnheiten der Bewohner, gibt es etwa Hinweise auf ‚Moden‘? Haben wir es möglicherweise mit Veränderungen der sozialen Stellung der Bewohner zu tun? Anhand des Fundmaterials lassen sich diese Fragen nicht beantworten, und bedauerlicherweise fehlen Hinweise und Bezüge zu möglichem weiteren Fundmaterial aus der Latrine, das hierzu nähere Auskunft geben könnte, z. B. Keramik- oder Holzgeschirr und auch Glas.186 Es fehlen auch Hinweise darauf, ob und ggf. in welchen zeitlichen Abständen diese Latrinenanlage möglicherweise einer (Teil-)Leerung unterzogen wurde, die das Fundbild erheblich beeinflussen kann. Die Unregelmäßigkeiten der in der obigen Graphik abgebildeten stratigraphischen Schichten weisen auf derartige ‚Störungen‘ hin. Bemerkenswert ist (und unerklärt bleibt), dass es dort nach Ausweis der Graphik auch
185 186
Kokabi (1992), S. 298 f. Vgl. Kokabi (1992), S. 297 ff.
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mehrere Ablagerungsschichten gab, in denen sich überhaupt keine Tierknochen(reste) fanden. Die Aufstellung der Kultur- und Wildpflanzen, die der Fundlage zufolge in städtischen Siedlungen des Hochmittelalters zu Nahrungszwecken genutzt wurden, ist umfangreich (vgl. Tabelle 4 am Schluss dieses Bandes). Die Pflanzen(rest)funde weisen aus, dass besonders Acker-, Garten- und Wildfrüchte geerntet oder gesammelt und verspeist wurden. Auch einige Importfrüchte konnten identifiziert werden. Für die Ernährung der Bevölkerung war Getreide von elementarer Bedeutung. Ob für die Brotbäckerei gemahlen, im ganzen Korn gekocht, geschrotet zum Quellen gebracht oder in der Hausbrauerei verwendet – Getreide wurde in erheblichen Mengen benötigt und verbraucht. Genutzt und nachgewiesen wurden im Vergleich zum heutigen Konsum mehr (heimische) Arten: Roggen, Weizen, Gerste, Hafer sowie Dinkel, Emmer, Einkorn und Hirse. Verbreitet waren vor allem Roggen, Weizen und Hafer. Auch Nachweise von Echter Rispen- und der Fuchshirse decken einen großen geographischen Raum ab. Gerste hingegen wurde nur an nord- bzw. nordostdeutschen Fundorten nachgewiesen. Dies könnte auf die Beschaffenheit der Ackerböden und die davon abhängigen Anbaumöglichkeiten hinweisen. Rispenhirse hatte besonders im süd- bzw. südwestdeutschen Raum einen hohen Verbreitungsgrad,187 kam jedoch, wie Funde aus Göttingen, Braunschweig und Lübeck zeigen, auch im Norden vor. Emmer und Einkorn ließen sich ausschließlich im süd- bzw. südwestdeutschen Raum nachweisen. Beide Getreidearten spielten bei der Ernährung der Bevölkerung jedoch auch dort nur eine untergeordnete Rolle.188 Dinkel, der ebenfalls nur im süd-/südwestdeutschen Raum gefunden wurde, besaß für die Ernährung der Bevölkerung hingegen dort eine größere Bedeutung: „Dinkel war wohl im Mittelalter in Schwaben das wichtigste Getreide: es ist sozusagen eine schwäbische Spezialität bis in die Gegenwart geblieben. Dinkel ergibt ein eiweißreiches, kleberhaltiges Mehl, das sich ausgezeichnet zur Herstellung von Spätzle eignet.“189 Genauere Aussagen zur Verbreitung und Bedeutung einzelner Getreidearten sind jedoch schwierig, da sich Getreidereste nur unter bestimmten Bedingungen nachweisen lassen: „Da … Getreidekörner bereits durch das Schroten und Mahlen, spätestens aber beim Kauen und Verdauen zerstört 187
188
189
Vgl. Hansjörg Küster: Kultur- und Nutzpflanzen in Konstanz, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 292–293, hier: S. 292 Manfred Rösch: Die Situation in Südwestdeutschland, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 295–297, hier: S. 295 Küster (1992), S. 292
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werden, sind Latrinen kaum geeignet, Rückschlüsse auf die einzelnen Getreidearten zu ziehen. Funde verkohlter Vorräte sind in diesem Zusammenhang aufschlußreicher.“190 Wie derartige, infolge eines Brandes konservierte Getreidefunde aus der Stadtwüstung Corvey ausweisen, konnten die Größe der Getreidekörner und damit der Anbauertrag im Hochmittelalter erheblich variieren: „Die an beiden Fundplätzen geborgenen Getreidekörner sind auffallend schmächtig. Beim Roggen reicht die durchschnittliche Kornlänge von etwa 4 bis 6mm, die Breite von 1,5 bis 2mm. Das sind Größenverhältnisse, die in mehreren anderen hochmittelalterlichen Fundkomplexen wesentlich überschritten werden. Die Ursache dafür könnte im damaligen, weniger weit entwickelten Züchtungsstand bzw. im Nährsalzmangel der zum Getreideanbau genutzten Böden liegen“.191 Auch auf Feldern angebaute Hülsenfrüchte wie Ackerbohne, Erbse und Linse konnten geographisch verbreitet nachgewiesen werden. In Süd- und Südwestdeutschland fehlt die Linse im Fundmaterial gänzlich, auch ist die Ackerbohne im Süden für das Hochmittelalter nur in Augsburg belegt. In diesem Befund spiegelt sich die Bedeutung dieser Hülsenfrüchte für die Ernährung der städtischen Bevölkerung in dieser Region sicher nicht wider, denn sie wurden dort bereits vor der Römerzeit angebaut. Trotz der mangelnden Nachweislage wird daher auch für das hochmittelalterliche Schwaben festgestellt: „Für die Versorgung mit pflanzlichem Eiweiß standen die … Linse, Erbse und Ackerbohne zur Verfügung.“192 Salatpflanzen wie Portulak und Amaranth waren im Süden wie im Norden bekannt. Pastinak konnte lediglich in Konstanz nachgewiesen werden. Ob es sich dabei um kultivierte oder in der städtischen Umgebung wild wachsende, gesammelte Pflanzen handelte, lässt sich anhand des Fundguts nicht entscheiden.193 Der Nachweis dieser Gewächse ist wie bei anderen Gemüse- und Gewürzpflanzen schwierig, weil ihr weiches Blatt- oder Strunkmaterial auch in feuchtem Milieu und damit unter an sich guten Erhaltungsbedingungen nicht überdauert, sodass Belege davon abhängen, ob auch haltbarere Samen in die untersuchten Abfallgruben gelangten. Ähnliches gilt für Fenchel, Kohlgewächse, die Mangoldrübe und Sellerie, die
190
191
192 193
Marion Sillmann: Nahrungspflanzen aus der Latrine 10 in Freiburg, Gauchstraße, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 293–295, hier: S. 293 Ulrich Willerding: Karolingische und hochmittelalterliche Pflanzenreste aus Corvey, in: Stephan Bd. 2 (2000), S. 593–621, hier: S. 614 Rösch (1992), S. 295 Vgl. Rösch (1992), S. 296
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weiter verbreitet gewesen sein dürften als es die Funde ausweisen. Gleiches wird für die Gurke gelten, die sich lediglich im Südwesten (Zürich und Freiburg) nachweisen ließ, und auch die Möhre wird entgegen dem einzigen, aus Konstanz stammenden Nachweis in anderen Regionen bekannt gewesen und genutzt worden sein. Die Liste der in Gärten gezogenen oder wild wachsenden und gesammelten Gewürzpflanzen, die in städtischen Siedlungen belegt werden konnten, ist beachtlich. Sie umfasst Zwiebel, Lauch oder Schnittlauch, Dill, Schwarzen und Weißen Senf, Kresse, Minze, (Hunds-)Petersilie, Kümmel, Echtes Bohnenkraut, Koriander und Wachholderbeeren. In Lübeck wurde der Dost nachgewiesen, eine zumeist in lichten Wäldern wachsende Pflanze, die zu den Majorangewächsen zählt.194 Der angebaute Hopfen und der wild wachsende Gagelstrauch, deren Früchte als Bierwürze dienten,195 wurden nur in den weit nördlich des Mains gelegenen städtischen Siedlungen durch ihre pflanzlichen Reste identifiziert. In diesen Funden könnten sich auch Unterschiede im Getränkekonsum spiegeln, da Wein im Norden zwar angebaut wurde, dort jedoch weniger gut gedieh. Als Fertigprodukt musste Wein über weite Strecken transportiert werden und war daher als ‚Alltagsgetränk‘ im Norden sicher teurer als das Bier, das am Ort (und auch in den benötigten Mengen) selbst hergestellt werden konnte. Bemerkenswert sind die Nachweise von Pfeffer und Paradieskorn aus der Stadtwüstung Corvey. Bei beiden „handelt es sich um aus den Tropen importierte Gewürze …, die von einem gewissen Wohlstand der Konsumenten – und der Händler – zeugen. Da sich die Belege beider Arten in einer Probe … befanden, handelt es sich wohl … hier um Handelsgut, das zum Verkauf angestanden hatte, und nicht um Bestandteile des häuslichen Abfalles. Schriftliche Quellen berichten darüber, daß das Paradieskorn (bzw. der Melegueta-Pfeffer) im frühen 13. Jahrhundert erstmals nach Europa importiert wurde. Der Nachweis für Corvey dürfte demnach zu den ältesten möglichen Belegen aus Deutschland gehören.“196 Unvergleichlich besser als Gemüse und Gewürze lassen sich Obst- und Beerenarten nachweisen. Ihre Samen – Kerne, Steine oder ‚Nüsschen‘ – sind wesentlich härter und damit beständiger als die in den Boden gelangten Reste vieler anderer Pflanzen. Daher liegen Belege für kultivierte und für wild wachsende Obst- und Beerenarten bei den meisten genutzten 194
195 196
Zum Stichwort Dost oder Wilder Majoran vgl. den Beitrag unter http://de.wikipedia. org/wiki/Oregano Vgl. oben S. 107, Anm. 301 Willerding (2000), S. 615
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Pflanzen fast flächendeckend vor. Zu den in Haus- oder gesonderten Obstgärten verbreitet kultivierten Arten gehörten Wein, Pfirsich und Maulbeere. Bei dem an vielen Fundorten reich belegten Wein lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob er als Frischobst oder zu Rosinen getrocknet genossen wurde. Bei den Nachweisen von Apfel, Birne, Kirsche, Pflaume und Zwetschge handelte es sich wohl mehrheitlich um kultivierte Arten.197 In allen Regionen waren Wildfrüchte, die in Hecken oder Wald wuchsen und gesammelt wurden, reich vertreten. Wilderdbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Kratzbeeren, Heidelbeeren und Preiselbeeren wurden den Funden zufolge intensiv gesammelt und ergänzten die (spät-)sommerlichen städtischen Speisezettel erheblich. Gesammelt wurden auch die Früchte von Schlehe, Schwarzem Holunder und Weißdorn, die sich ausbacken, zu Mus und Brei beigeben oder zu Saft und – vergoren – zu Wein verarbeiten ließen. Die Funde und ihre Verteilung auf verschiedene Arten weisen darauf hin, dass Obst und Beeren ganz überwiegend in den Siedlungen und in deren unmittelbarer Nähe gezogen und geerntet bzw. als Wildfrüchte gesammelt wurden: „Auch bei diesen allgemein verbreiteten Obstarten lässt sich eine Abhängigkeit der Häufigkeit vom jeweiligen Naturraum feststellen, die für eine lokale Produktion spricht. So ist die Heidelbeere dort, wo in der Umgebung basenarme Gesteine anstehen, … häufiger als anderswo.“198 Bemerkenswert sind die zahlreichen Nachweise, die bereits im Hochmittelalter für die Feigenfrucht vorliegen. Da sie für viele städtische Siedlungen belegt werden konnte, in Göttingen sogar mit einem besonders hohen Anteil an der Gesamtfundzahl von Pflanzenresten, muss es einen intensiven Importhandel mit (getrockneten) Feigen gegeben haben, die auch im klimatisch begünstigten Hochmittelalter weit nördlich der Alpen wohl nur schwer kultiviert werden konnten.199 Da „Honig relativ selten und teuer und der Zucker in Europa noch unbekannt war“, scheint einiges dafür zu sprechen, dass Feigen als Trockenfrüchte besonders zum Süßen von Speisen Verwendung fanden.200 Die durch die weiten Handelsstrecken sicher teuren Früchte könnten jedoch auch zu medizinischen Zwecken eingesetzt worden sein, denn für die Feigenfrucht „werden in dem während des Mit197
198 199 200
Vgl. Ulrich Willerding: Paläo-ethnobotanische Befunde zum Mittelalter in Höxter/ Weser, in: Neue Ausgrabungen und Funde in Niedersachsen 17 (1986), S. 319–346, hier: S. 321 Rösch (1992), S. 296 Vgl. Willerding (1986), S. 322 und Sillmann (1992), S. 294 Sillmann (1992), S. 294; zu dem in Nord- bzw. Nordwesteuropa etwa ausreichend, aber nicht in Massen und daher ohne Überschuss produzierten Honig vgl. unten im Anhang den Abschnitt IV.2
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telalters hoch geschätzten Kräuterbuch des Dioscorides … zahlreiche medizinische Anwendungsformen genannt.“201 An Nussfrüchten konnten insbesondere Haselnüsse verbreitet nachgewiesen werden. Sie stammten von den wild wachsenden Gehölzen,202 die der Fundlage zufolge in der Nähe vieler städtischer Siedlungen vorkamen. Die ebenfalls oft vertretene Walnuss, die sich wie die Haselnuss anhand ihrer gefundenen Schalen(reste) nachweisen lässt, wird mehrheitlich in Kultur gezogenen Bäumen zugewiesen.203 Auf Importfrüchte weisen die in Höxter und Göttingen gefundenen Esskastanienreste hin,204 ganz sicher die durch ihre harte Schale nachgewiesene Mandel aus Höxter. Dass sich Mandelschalen in mittelalterlichem Fundgut bisher nur selten nachweisen ließen, spricht nicht gegen ihre Bekanntheit oder sogar Verbreitung, sondern eher dafür, dass Mandeln bereits entschalt in den Handel gelangten.205 201
202 203
204
205
Ulrich Willerding: Paläo-ethnobotanische Befunde über Ernährung und Umwelt im Mittelalter Braunschweigs, in: Hartmut Rötting (Hg.): Stadtarchäologie in Braunschweig. Ein fachübergreifender Arbeitsbericht zu den Grabungen 1976–1992. Erweiterte Neuauflage mit einem Forschungsbericht 1997. (Veröffentlichungen der Denkmalpflege in Niedersachsen 3). Hameln 1997, S. 201–214, hier: S. 206 Vgl. Sillmann (1992), S. 294 Vgl. z. B. Willerding (1986), S. 321, unentschieden hingegen Sillmann (1992), S. 294 Vgl. Willerding (1986), S. 322 und Ulrich Willerding: Funde mittelalterlicher Pflanzenreste aus der Altstadt von Göttingen, in: Sven Schütte: 5 Jahre Stadtarchäologie. Das neue Bild des alten Göttingen. Göttingen 1984, S. 57–62, hier: S. 60 Vgl. Gisela Wolf: Nutzpflanzenfunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Höxter, Heilig-Geist-Hospital, in: Andreas König/Hans-Georg Stephan: Ausgrabungen 1971–1986 im Bereich des ehemaligen Heilig-Geist-Hospitals in Höxter an der Weser. Ergebnisse und Perspektiven. Mit textilkundlichen und botanischen Beiträgen von Ulrike Regenhardt und Gisela Wolf, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 5 (1987), S. 343–399, hier: S. 394. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass Mandeln als – teures – Importgut in den Haushalten verwendet wurden, die sie sich auch leisten konnten, ist diese für das Hochmittelalter ‚dünne‘ Nachweislage doch bemerkenswert. Denn Mandeln und – besonders die für viele Gerichte verwendete, unter Zugabe von Mandeln angesetzte – ‚Mandelmilch‘ werden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in den ersten Kochbüchern in deutscher Sprache bereits als selbstverständlich vorausgesetzt. Dies gilt auch für den – für das Hochmittelalter nördlich der Alpen bisher nicht nachgewiesenen – Reis, vgl. z. B. die für ein sog. ‚Blancmanger‘ verwendeten Zutaten, aufgeführt in: Laßt uns haben gute Speis. 66 der ältesten deutschen Kochrezepte aus dem Mittelalter. Ausgewählt, übertragen und dem heutigen Gaumen zuträglich gemacht von Eveline Jourdan und Ursula Müller. Mit einer kulturhistorischen Einführung von Ulrich Müller. Stuttgart 1984, S. 34 ff. Diese ersten Sammlungen von Kochrezepten stammen allerdings aus sehr großen und begüterten Haushalten, lassen also nicht darauf schließen, was in den Küchen so vieler Anderer vorhanden oder auch üblich war. Dennoch wäre etwa in speziellen Quartieren städtischer Siedlungen (Häuser/Residenzen des Adels oder
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Besonders Flachs und Raps (Rübsen) wurden u. a. angebaut, um pflanzliche Fette zu gewinnen. Diese Ölpflanzen wurden denn auch an vielen, dem Mittelalter zugehörigen Fundorten fast flächendeckend nachgewiesen. Der Leindotter, der ebenfalls zur Gewinnung von Öl/Fett genutzt wurde, war hingegen nur in norddeutschen Siedlungen nachweisbar. Ob dies auf naturräumlich bedingte Anbau- und Wachstumsbedingungen oder auf die auch bei Ölfrüchten schwierige Nachweisführung verweist, bleibt offen. An mehreren Orten wurden auch Mohnsamen gefunden. Auch sie dienten der Gewinnung pflanzlicher Fette, darüber hinaus wird angenommen, dass Mohnsamen auch „zur geschmacklichen Verbesserung von Backwaren“ verwendet wurden.206 Für eine Reihe an verschiedenen Orten nachgewiesener Wildpflanzen, die als Gemüse oder zum Würzen genutzt werden konnten, ist nicht sicher, dass sie tatsächlich zu Nahrungsresten gehörten. Für Wildpflanzen wie z. B. den Gezähnten Feldsalat, Sauerampfer, Brennnessel oder Rainkohl, die auch heute in der ‚alternativen‘ Küche wieder Verwendung finden, wird mit weiteren, öfter gefundenen Arten jedoch wahrscheinlich gemacht, dass sie das Nahrungsangebot im Mittelalter ergänzten: „Sie trugen wesentlich zur lebenswichtigen Versorgung der Bevölkerung mit Mineralstoffen, Spurenelementen und sekundären Inhaltsstoffen bei.“207 Die Vielzahl der in Abfallgruben städtischer Siedlungen nachgewiesenen Pflanzenreste belegt, dass der Bevölkerung eine breite Palette pflanzlicher Nahrungsstoffe zur Verfügung stand, die gezielt auf Äckern angebaut, in Gärten gezogen oder in der Natur gesammelt wurden. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass man fast ausschließlich im Sommer und im Herbst auf viele frische Obst- und Gemüsepflanzen für eine vitaminreiche Kost zurückgreifen konnte. Angesichts der im Mittelalter begrenzten Konservierungsmöglichkeiten konnten nur wenige Gemüse- und Obstarten auch im Winter und Frühjahr noch vorgehalten werden, z. B. Kohl als eingelegtes Sauerkraut, in Essig eingelegte Gurken, Obst und Beeren als Saft oder zu Sirup eingekocht. Darüber hinaus kann aus den dokumentierten Funden lediglich abgeleitet werden, dass die nachgewiesenen Pflanzen bekannt waren und mehrheitlich wohl auch zu Nahrungszwecken genutzt wurden. In welchem Umfang und in welcher Form dies in den Küchen(bereichen) städtischer Haushalte des Mittelalters geschah, lässt sich auf der
206 207
des hohen Klerus, Kaufmanns- und Krämerviertel) oder auf Burgen eine höhere Nachweisdichte von Mandeln bereits in dem hier betrachteten Zeitraum erwartbar gewesen Willerding (1997), S. 204 Willerding (2000), S. 599; vgl. Wiethold (2000), S. 242
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Grundlage der ausgewerteten Funde nicht ermitteln. Offen bleibt daher, ob es neben Brot und den verbreiteten Breispeisen aus Getreide, Erbsen, Linsen oder Bohnen, die z. B. mit Speck, Gewürzen, Honig oder mit Obst und Beeren ‚angereichert‘ werden konnten, auch Hauptspeisen gab, die aus Gemüsepflanzen oder Obst bestanden, oder ob diese Früchte lediglich als Beilagen genutzt wurden. Dass die pflanzliche Ernährung der städtischen Bevölkerung zwar über weite Strecken des Jahres auch nach heutigen Maßstäben gesund sein konnte, jedoch nicht gesund sein musste, belegen u. a. zahlreiche Funde von Samen der Kornrade, eines Ackerunkrautes, das bei der Getreideernte oft in das Erntegut gelangte. „Offenbar konnten die recht großen und schweren Samen der Kornrade bei der Reinigung des Getreides mittels eines Windsicht-Verfahrens nicht abgesondert werden. Sie verblieben daher im Brauchgetreide wie im Saatgut. Bei der Aufbereitung des Getreides für Nahrungszwecke kam es dann zu erheblichen Beschädigungen der Samen. Das geschah ebenfalls beim Kauvorgang und im Verdauungstrakt … Da Kornraden-Samen … das giftige, hämolytisch wirkende Agrostemma-Saponin (=Sapotoxin) enthalten, dürfte sich ein stärkerer Besatz des Brotgetreides mit Samen dieser Art gesundheitsschädlich ausgewirkt haben.“208 Dies ist für einige der Fundorte sehr wahrscheinlich, denn z. B. in Höxter, Göttingen und in Lübeck wurden Kornradensamen in besonders hohen Konzentrationen nachgewiesen.209
7.3 Funde von Tierknochen- und Pflanzenresten aus ländlichen Siedlungen Verglichen mit den Funden von Burgen und Adelssitzen sowie aus städtischen Siedlungen, fällt die Liste der Tierknochenfunde aus ländlichen Siedlungen des Hochmittelalters (vgl. Tabelle 5 am Ende dieses Bandes) deutlich schmaler aus. Zum einen umfasst sie weniger Fundorte, zum andern konnte an diesen Fundorten eine geringere Zahl von Tierarten nachgewiesen werden. Wie die Verteilung der Tierarten für fast alle ländlichen Siedlungen belegt, waren auch dort die Haustiere für die Ernährung der Bevölkerung von überragender Bedeutung. Rinder und Schweine spielten dabei die wichtigste Rolle, aber auch Schafe und Ziegen waren überall vertreten, wenn 208 209
Willerding (1997), S. 212 Zu gesundheitsschädlichen Nahrungsbeimengungen vgl. auch unten im Anhang die Abschnitte VIII.1 und VIII.2
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auch mit unterschiedlichen Fundanteilen. Die Fundzahlen von Hausgeflügel schwanken zwischen den verschiedenen Fundorten erheblich, dabei war das Huhn durchweg am häufigsten – und teilweise ausschließlich – vertreten. Auffällig ist die hohe Zahl von Pferdeknochen, die an verschiedenen Fundorten geborgen wurden. In Holzheim und Klein-Freden wird dies darauf zurückgeführt, dass an beiden Orten intensiv Pferdezucht und/oder -handel betrieben wurde.210 Daneben spielten Pferde als Reit- und besonders als Zugtiere in der Landwirtschaft sicher eine wichtige Rolle, die sich ebenfalls in den teilweise hohen Knochenfundzahlen spiegelt. Das Pferd diente jedoch vielerorts auch der Ernährung der ländlichen Bevölkerung. Hack- und Schnittspuren an Pferdeknochen weisen aus, dass Pferde geschlachtet, zerteilt und anschließend wohl auch in der Küche verarbeitet wurden. Nachgewiesen werden konnte dies für Wülfingen,211 Holzheim,212 Sindelfingen,213 Ulm-Eggingen214 und Dabrun.215 Für Holzheim wird sogar
210
211
212 213
214
215
Vgl. Donat (2002), S. 500 f. und Susanne Hanik: Die Tierknochen der mittelalterlichen Siedlung Klein-Freden in Salzgitter-Lebenstedt, in: Sonja König: … lütken Freden wisk … Die mittelalterliche Siedlung Klein Freden bei Salzgitter vom 9.–13. Jahrhundert. Siedlung – Fronhof – Pferdehaltung. (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens. Bd. 36). Rahden 2007, S. 135–145, hier: S. 137 Vgl. Markus Hartl: Die Tierknochenfunde der Wüstung Wülfingen. I. Die Nichtwiederkäuer. München 1971, S. 7: „Zweifellos hatte das Pferd im Mittelalter neben seiner Verwendung als Reitpferd auch als Fleischlieferant eine gewisse Bedeutung. Das ist nicht zuletzt durch die Funde aus Wülfingen belegt.“ Die Tierknochenfunde aus Wülfingen, dessen Besiedlungszeit vom 3. bis zum 13. Jahrhundert dauerte, stammen wohl mehrheitlich aus dem Mittelalter. Sie wurden jedoch wegen ihrer (zu) breiten zeitlichen Streuung unten nicht in die Liste der Fundorte aufgenommen Vgl. Donat (2002), S. 499 ff. Vgl. Marlies Stork: Die Tierknochenfunde der mittelalterlichen Siedlung Sindelfingen/Obere Vorstadt, in: Barbara Scholkmann: Sindelfingen/Obere Vorstadt. Eine Siedlung des hohen und späten Mittelalters. (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg. Bd. 3). Stuttgart 1978, S. 165–180, hier: S. 166 Vgl. Mostefa Kokabi: Die Knochenfunde aus der bandkeramischen Siedlung und der mittelalterlichen Wüstung von Ulm-Eggingen, in: Claus-Joachim Kind: Ulm-Eggingen. Die Ausgrabungen 1982 bis 1985 in der bandkeramischen Siedlung und der mittelalterlichen Wüstung. (Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. Bd. 34). Stuttgart 1989, S. 413–456, hier: S. 421 Vgl. Hanns-Hermann Müller: Tierreste aus mittelalterlichen Siedlungen bei Dabrun, Kreis Wittenberg, in: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 49 (1965), S. 205–218, hier: S. 209. – Belege für Pferde als Schlachttiere liegen auch aus Villingen vor. Ein Brunnen der dort im Hochmittelalter bestehenden Siedlung wurde of-
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angenommen, dass das Pferd als Fleischlieferant für die Bewohner des Dorfes an erster Stelle stand.216 Unsicher ist die Schlachtung von Pferden zu Nahrungszwecken für einen ländlichen Töpfereibetrieb bei Einbeck217 und die ländliche Siedlung Diderikeshusen im Kreis Paderborn.218 Angeführt wird, dass sich dort u. a. keine großen Röhrenknochen von Pferden fanden, die zerschlagen wurden. Daraus wird geschlossen, dass Pferde nicht zu Nahrungszwecken dienten. Die Unversehrtheit der Röhrenknochen von Pferden ist in dieser Frage jedoch wohl kein Ausschlusskriterium. Da Pferde wenn, dann in hohem Alter geschlachtet wurden, war das Mark ihrer Knochen – anders als bei Rindern – aufgrund seiner besonderen Konsistenz für Nahrungszwecke nicht zu gebrauchen. Zur Markgewinnung wurden daher ihre Knochen auch nicht zerschlagen. Zutreffend ist jedoch wohl der Schluss, dass Pferde nirgends vorrangig als Fleischlieferanten gehalten wurden.219 Geschlachtet wurden sie, wenn sie, verletzt oder aufgrund hohen Alters, als Arbeitstiere nicht mehr taugten. Entsprechend dürfte die Qualität des gewonnenen Fleisches überwiegend eher bescheiden gewesen sein. Dass der Genuss von Pferdefleisch mit der Einführung des Christentums in Mitteleuropa tabuisiert wurde und, dem folgend, kaum mehr stattfand, lässt sich anhand der Funde von hochmittelalterlichen Burgen, Herrensitzen
216 217
218
219
fenbar recht intensiv als Abfallgrube genutzt, besonders auch zur Beseitigung von Tierkadavern. Die untersuchten Tierknochenreste weisen insgesamt die gleichen Haustierarten auf wie andere Siedlungen (außer der Elster keine Wildtiere oder -vögel), allerdings in einer außergewöhnlichen Verteilung. So wurden überproportional viele Hundeknochen gefunden, die wahrscheinlich darauf zurückgehen, dass in dem seinerzeit noch wasserführenden Brunnen Welpen ertränkt wurden. Da der Brunnen damit nur in begrenztem Umfang Speiseabfälle enthielt, wurde der Fundort Villingen nicht in die Liste mit Tierknochenfunden aus ländlichen Siedlungen aufgenommen, vgl. Angela von den Driesch/Mostefa Kokabi: Tierknochen aus einem Brunnen der mittelalterlichen Wüstung „Altstadt“ in Villingen, in: Fundberichte aus Baden-Württemberg 4 (1979), S. 371–390 Vgl. Donat (2002), S. 508 Vgl. Carola Schulze-Rehm: Einbeck, Negenborner Weg. Die Tierknochen aus der mittelalterlichen Töpferei, in: Andreas Heege et al.: Einbeck – Negenborner Weg I: Naturwissenschaftliche Studien zu einer Töpferei des 12. und frühen 13. Jahrhunderts in Niedersachsen. Keramiktechnologie, Paläoethnobotanik, Pollenanalyse, Archäozoologie. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 12). Oldenburg 1998, S. 189–224, hier: S. 201 Vgl. Hans Reichstein: Tierknochen aus der Ortswüstung Diderikeshusen bei Büren, Kreis Paderborn, in: Rudolf Bergmann: Zwischen Pflug und Fessel. Mittelalterliches Landleben im Spiegel der Wüstungsforschung. Münster 1993, S. 119–129, hier: S. 120 f. (= Reichstein 1993c) Vgl. Reichstein (1993c), S. 121
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Abb. 39: Rekonstruktion der ländlichen Siedlung Holzheim in salischer Zeit
sowie aus städtischen und ländlichen Siedlungen nicht halten.220 Wie das Pferd wurden auch die Rinder in den meisten dörflichen Siedlungen in erster Linie als Arbeitstiere und nicht vornehmlich wegen ihres Fleischund Milchertrags gehalten: „Die Milchleistung der Kühe war natürlich durch die Arbeitstätigkeit unattraktiv gering. Erst Ende des 18. und am Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Kühe als Milcherzeuger interessan220
Vgl. Reichstein (1993c), S. 121 und S. 127. Mit Bezug auf eines der im Mittelalter bekannten ‚Bußbücher‘, das Paenitentiale Laurentianum, wird herausgestellt, dass in diesen Bußbüchern ein grundsätzliches Verbot für den Verzehr von Pferde- oder Eselfleisch ausgesprochen wurde, vgl. Hubertus Lutterbach: Die Speisegesetzgebung in den mittelalterlichen Bußbüchern (600–1200). Religionsgeschichtliche Perspektiven, in: Archiv für Kulturgeschichte 80 (1998) Heft 1, S. 1–37, hier: S. 14. Eine Zuwiderhandlung sollte mit einer zehntägigen Buße geahndet werden. Paczensky/Dünnebier (1999), S. 268 ff. gehen davon aus, dass der Verzehr von Pferdefleisch im Mittelalter europaweit einem Tabu unterlag. Dies bezweifelt u. a. Prof. Dr. Klaus Düwel, dem der (briefliche) Hinweis zu verdanken ist, dass auch bei der Annahme des Christentums auf Island um die Jahrtausendwende der Verzehr von Pferdefleisch ausdrücklich beibehalten wurde. Sein grundsätzlicher Zweifel ist angesichts der Funde von Pferdeknochen, die nachweislich Schlacht-, zuweilen auch weitere ‚küchentypische‘ Verarbeitungsspuren aufweisen, berechtigt
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ter“.221 Doch lassen sich zwischen den ländlichen Siedlungen – teils deutliche – Unterschiede in der Rinderwirtschaft ausmachen, die sich besonders auf das Schlachtalter der Tiere stützen. So wurden z. B. in Sindelfingen etwa 50 % der Rinder im Alter von bis zu eineinhalb Jahren geschlachtet,222 in Holzheim ein Drittel im Alter bis zu zweieinhalb Jahren,223 und die Mehrzahl der in der Töpferei bei Einbeck gefundenen Rinderknochen gehörte zu Tieren, die weniger als drei Jahre alt waren.224 Diese Befunde werden dahingehend interpretiert, dass die Tiere (im Wachstumsalter) als Fleischlieferanten dienten. „In Siedlungen, in denen Rinder auch mit dem Ziel der Milchgewinnung und der Verwendung als Arbeitstiere gehalten wurden, lag der Schwerpunkt der Häufigkeitsverteilung bei Tieren, die älter als 3 Jahre sind“.225 Ein solches Bild weisen die Funde aus Dabrun aus, wo 75 % der nachgewiesenen Rinderindividuen ein Alter von mehr als vier Jahren erreichten.226 Auch für Ulm-Eggingen ergab sich ein ähnliches Bild.227 Es gab demnach in ländlichen Siedlungen des Hochmittelalters deutliche Unterschiede in der Viehwirtschaft, die sich auch auf das Fleischund Milchangebot der ländlichen Bevölkerung auswirkten. Alle in ländlichen Siedlungen gefundenen Rinderknochen gehörten zu vergleichsweise kleinen Tieren.228 In Holzheim zeigte sich, dass die im Dorfareal gehaltenen (und auch verzehrten) Rinder kleiner waren als diejenigen, die auf dem Herrenhof und in der Niederungsburg nachgewiesen wurden.229 Ob dies auf Unterschiede in der Intensität der Haltung und Beweidung der Tiere zurückgeht, die auch als soziale Unterschiede zwischen den verschiedenen Zellen der Siedlungsgemeinschaft gewertet werden könnten, bleibt jedoch offen. Hinsichtlich der Schweinehaltung und -zucht ergibt sich für die betrachteten ländlichen Siedlungen ein weniger variierendes Bild als bei den Rindern. In Sindelfingen und Dabrun etwa wurde die Hälfte der Schweine im Alter bis zu zwei Jahren geschlachtet,230 und auch für Ulm-Eggingen, Einbeck und Klein-Büddenstedt gilt: „Die Masse der Tiere kam und kommt
221 222 223 224 225 226 227 228 229 230
Donat (2002), S. 502 Vgl. Stork (1978), S. 166 Vgl. Donat (2002), S. 503, Tabelle in linker Spalte (Dorfareal) Vgl. Schulze-Rehm (1998), S. 205 Schulze-Rehm (1998), S. 205 Vgl. Müller (1965), S. 206 Vgl. Kokabi (1989), S. 422 f. Vgl. die Abb. 35 oben auf S. 384 Vgl. Donat (2002), S. 503 Vgl. Stork (1978), S. 168 und Müller (1965), S. 210
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Abb. 40: Die ländliche Siedlung Diepensee um 1300 (idealisiert)
jung zur Schlachtung.“231 Die in Klein Freden nachgewiesenen Schweine erreichten ebenfalls überwiegend ein Alter von zwischen ein und drei Jahren, Ferkelknochen wurden dort überhaupt nicht gefunden.232 Die Tiere wurden demnach gerade so lange gehalten, bis sie ein gutes Schlachtgewicht erreicht hatten. Nur die zur Nachzucht erforderlichen Tiere wurden über mehrere Winter durchgefüttert. Ein interessantes Bild ergibt der Vergleich der Schlachtalter von Schweinen zwischen den verschiedenen Siedlungszellen in Holzheim. Ferkel und Jungschweine wurden dort in besonders hohem Maße auf dem Herrenhof geschlachtet und verspeist (mehr als 31 % der Schweineknochen stammen von Tieren, die weniger als ein Jahr alt waren), im Dorfbereich wurden 3⁄4 der Schweine im Alter von zwei bis drei Jahren geschlachtet (ältere Individuen wurden dort nicht nachgewiesen), auf der Niederungsburg jedoch er231
232
Joachim Boessneck/Marlies Stork: Die Tierknochenfunde der Ausgrabung 1959 auf der Wüstung Klein-Büddenstedt, Kreis Helmstedt, in: Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 8 (1973), S. 179–213, hier: S. 203; für Ulm-Eggingen vgl. Kokabi (1989), S. 426 und für Einbeck s. Schulze-Rehm (1998), S. 206 Vgl. Hanik (2007), S. 138
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folgte bei 30 % der Schweine die Schlachtung erst nach mehr als drei Jahren, und Jungschweine wurden kaum geschlachtet.233 Dass die Bewohner des Herrenhofes Spanferkel und Jungschweine besonders schätzten – und sich offenbar auch leisten konnten –, überrascht dabei weniger als der Schluss, dass eine intensivere Schweinezucht nicht etwa in den bäuerlichen Betrieben des Dorfes, sondern auf der Holzheimer Niederungsburg betrieben wurde.234 Schafe und Ziegen wurden in Sindelfingen und in Dabrun mehrheitlich jung (im Alter von bis zu zwei Jahren) geschlachtet,235 ein noch klareres Bild bietet das Dorfareal von Holzheim: „Die Zahlen … lassen deutlich erkennen, daß die Dorfbewohner ihre Ziegen und Schafe verzehrten, ohne sie vorher nennenswert zur Milch- und Wollerzeugung zu benutzen. In Anbetracht der dortigen geringen Fundzahl ist aber mit einem bedeutenden Beitrag zur Fleischerzeugung auch nicht zu rechnen. Wahrscheinlich hatten diese Leute nur begrenzte Möglichkeiten zur Haltung kleiner Wiederkäuer, so daß sie das Jungvieh früh schlachten mußten.“236 Wie schon bei den Schweinen zeigte sich in Holzheim auch bei den kleinen Wiederkäuern, dass auf der Niederungsburg und auf dem Herrenhof mehr Tiere gehalten wurden als auf den Höfen des Dorfes.237 Beim Schlachtalter von Schafen und Ziegen überwogen nur in Einbeck ältere Tiere deutlich: „Das Schlachten von Lämmern konnte aufgrund der Unterkiefer nicht festgestellt werden. Allgemein wird ein Überwiegen von älteren Tieren als Zeichen für eine Milch- und Wollnutzung angesehen.“238 Auch die Geflügelhaltung besaß für die Haushalte der betrachteten ländlichen Siedlungen eine offenbar sehr unterschiedliche Bedeutung. In Dabrun und in Sindelfingen fällt die Menge der gefundenen Hühnerknochen auf. „Die vergleichsweise hohe Zahl von Geflügel-, besonders Hühnerknochen läßt auf eine nicht unbedeutende Geflügelhaltung in der Siedlung der Oberen Vorstadt schließen.“239 Dies unterstreichen auch die Funde von Gänse-, Enten- und Haustaubenknochen, die in Sindelfingen gemacht wurden. Die Fundzahlen aus anderen ländlichen Siedlungen weisen eine deutlich geringere Geflügelpopulation aus. Für Klein Freden wurde ausdrücklich festgestellt, dass die Geflügelhaltung für die Ernährung
233 234 235 236 237 238 239
Vgl. Donat (2002), S. 504, Tab. 6 Vgl. Donat (2002), S. 504 Vgl. Stork (1978), S. 167 und Müller (1965), S. 211 Vgl. Donat (2002), S. 506 Vgl. Donat (2002), S. 506 Schulze-Rehm (1998), S. 208 Stork (1978), S. 169
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der dortigen Bevölkerung keine Bedeutung besaß, und im Dorfareal von Holzheim fehlen Geflügelknochen sogar völlig.240 Verglichen mit den Fundzahlen von Haustierknochen, spielten Wildtiere bei der Ernährung der ländlichen Bevölkerung keine Rolle. Eine Ausnahme stellt dabei lediglich Dabrun dar, wo die Reste von mindestens sieben Rothirschen, fünf Wildschweinen, sechs Rehen und einem Wildrind (Ur) gefunden wurden.241 Dieses für eine mittelalterliche Siedlung ungewöhnliche Fundbild lässt sich nicht schlüssig erklären. Vermutet wurde, dass ein Teil der ländlichen Bevölkerung dort eher der Jagd als der Haustierhaltung nachging oder dass es einen (allerdings nicht nachgewiesenen) Herrensitz gegeben haben könnte, auf den diese Knochenfunde dann zurückgeführt werden könnten.242 Bemerkenswert ist jedoch, dass sich in allen ländlichen Siedlungen Reste von Wildtieren fanden, wenn auch in unterschiedlicher Verteilung auf die Arten. Angesichts des oftmals betonten Jagdregals für den Adel wäre nämlich zu vermuten gewesen, dass sich in ländlichen Siedlungen keine Knochen von Wildtieren finden, die der Hochwildjagd zugehören (Hirsch, Wildschwein, Wildrind, Bär).243 Die in Diderikeshusen nachgewiesenen Feldhasen, deren auffällige Knochenzahl wohl zu Speiseresten gehört, zählen nicht zu dieser Kategorie.244 Mit Ausnahme von Ulm-Eggingen, wo lediglich die Geweihstange eines Rothirsches gefunden wurde, die ausdrücklich nicht als Beleg für jagdliche Aktivitäten gewertet wird,245 wird bei allen Fundorten davon ausgegangen, dass die gefundenen Wildtierknochen als Jagdbeute zu interpretieren sind. Wie diese Funde im Verhältnis zu den rechtlichen Jagdbeschränkungen des Hochmittelalters zu bewerten sind, wird nicht diskutiert.246 Offenbar ging demnach auch die ländliche Bevölkerung gelegentlich auf die Jagd bzw. sie betrieb Wilderei. Wenn, dann stellte sie jedoch offenbar den größeren Wild(säuge)tieren – vor allem Hirsch, Wildschwein und Rehwild – nach. Von Wildvögeln stammendes Knochenmaterial fehlt nämlich an allen Fundorten mit Ausnahme von Sindelfingen (nachgewiesen wurden dort Rebhuhn, Haselhuhn und Wachtel), jedoch gehörten Wildvögel auch dort zu den „Ausnahmen auf dem Speisezettel“.247 240 241 242 243 244 245 246
247
Vgl. Donat (2002), S. 508 und Hanik (2007), S. 138 Vgl. Müller (1965), S. 213 f. Vgl. Müller (1965), S. 215 f. Das kleinere Rehwild wird jagdlich nicht zum Hochwild gerechnet Vgl. Reichstein (1993c), S. 126 f. Vgl. Kokabi (1989), S. 428 Vgl. Müller (1965), Boessneck/Stork (1973), Stork (1978), Schulze-Rehm (1998), Donat (2002) und Hanik (2007) Stork (1978), S. 170
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Fische wurden in ländlichen Siedlungen in äußerst marginalem Umfang nachgewiesen (Hecht und Karpfen in Sindelfingen, unspezifiziert in Dabrun). Ob dieses Ergebnis auf schwierige Erhaltungsbedingungen oder Methoden der Fundbergung und -auswertung zurückgeht, lässt sich anhand der Fundpublikationen nicht ermitteln. Da bei Einbeck eine Auster ( ! ) sicher und in Dabrun eine Flussmuschel möglicherweise zu den Speiseresten gerechnet werden,248 ist anzunehmen, dass (besonders kleine?) Fische, Muscheln oder auch Krebse im Speiseangebot auch der ländlichen Bevölkerung vorkamen. Hierzu stehen jedoch belastbare Belege bisher aus. Dass die bereits aus adligen und städtischen Siedlungsbereichen bekannten Haustierarten auch in ländlichen Siedlungen vorhanden waren bzw. dort geschlachtet und verspeist wurden, kann nicht überraschen. Aufschlussreich ist jedoch bei den Tierknochenfunden aus ländlichen Siedlungen die Zahl der Mindestindividuen (MIZ), denen die Knochen(reste) zugeordnet werden können: 249 250251252253 Mindestindividuenzahlen der Tierknochenfunde aus ländlichen Siedlungen Sindelfingen249
Holzheim250
Rind
21
18
Schaf/Ziege
16
Schwein
Ort/MIZ
Einbeck251
Klein Freden252
Dabrun253
8
68
33
9
9
26
28
26
29
10
68
25
Pferd
9
9
5
55
8
Huhn
11
–
4
?
16
Gans
4
–
1
–
4
Ente
1
–
–
–
–
Taube
1
–
–
–
–
Die bei Einbeck im Vergleich mit den anderen Siedlungen niedrigen Zahlen von Einzeltieren erklären sich daraus, dass dort besonders ein einzelner Handwerksbetrieb erfasst wurde, während an den anderen Grabungsorten Funde von größeren Flächen bzw. mehreren Hofstellen vorliegen. Angesichts der Nutzungsdauer des Handwerksbetriebs über etwa ein 248 249 250 251 252
253
Vgl. Schulze-Rehm (1998), S. 213 und Müller (1965), S. 215 Vgl. Stork (1978), S. 174, Tab. 2 Vgl. Donat (2002), S. 499, Tab. 5 Vgl. Schulze-Rehm (1998), S. 194 f., Abb. 5 und S. 211 Vgl. Hanik (2007), S. 139, Tab. 8 (berücksichtigt hier: nur 11.–1. Hälfte 13. Jahrhundert) Vgl. Müller (1965), S. 206, Tab. 1
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Jahrhundert und der ländlichen Siedlungen über teilweise mehrere Jahrhunderte fallen die berechneten Zahlen sehr niedrig aus. Im rechnerischen Schnitt wäre diesen Zahlen zufolge pro Jahr und Siedlung nicht einmal ein Tier geschlachtet und konsumiert worden. Selbst wenn ein durch Bodenlagerung bedingter Schwund kleinerer Knochen berücksichtigt wird und es auch wahrscheinlich ist, dass Schlacht- und Speisereste nicht nur in Abfallgruben, sondern auch auf Misthaufen landeten und von dort bei der Düngung auf umliegende Felder verbracht wurden, müsste ein Vielfaches der als Fundgut verbliebenen Knochen vorliegen, um für die Bewohner ländlicher Siedlungen einen auch nur annähernd regelmäßigen Fleischkonsum annehmen zu können. Die vorliegenden – sicher bei weitem nicht vollständigen – Fundzahlen legen daher den Schluss nahe, dass Fleisch bestenfalls gelegentlich oder nur sehr selten auf den Tisch ländlicher, speziell der bäuerlichen Haushalte gelangte. Wie bereits die Aufstellung der Tierknochenfunde fällt auch die Liste der Pflanzenfunde, die in ländlichen Siedlungen geborgen wurden, durch viele unbesetzte Felder auf.254 Ein vergleichsweise reichhaltiges Angebot an pflanzlichen Nahrungsmitteln weisen lediglich die Funde aus der in der Nähe von Einbeck ergrabenen Töpferei auf. Die Funde von Holzheim, wo neben verschiedenen Getreidearten lediglich die Erbse, Schwarzer Holunder und Schlafmohn nachgewiesen werden konnten, werden die Palette der pflanzlichen Nahrungsgrundstoffe, die dort einst tatsächlich zur Verfügung stand, kaum annähernd repräsentieren. Auffällig ist nämlich, dass dort jeglicher Nachweis von Obst- oder Beerenfrüchten fehlt, damit von Nahrungsmitteln, deren Reste sich durch ihre harten Steine, Kerne oder ‚Nüsschen‘ (z. B. der Walderdbeere) oft recht gut erhalten. An Getreidearten konnten Saathafer, Gerste und Roggen in allen erfassten ländlichen Siedlungen nachgewiesen werden. Saatweizen wurde nur in Sindelfingen, Holzheim und bei Einbeck gefunden, Zwergweizen und Dinkel hingegen nur in Klein-Freden. Dort und bei Einbeck wurde auch Emmer nachgewiesen. Die Reste von Rispenhirse fanden sich nur in der Töpferei bei Einbeck. Einkorn fehlt bisher in der Fundliste aller ländlichen Siedlungen. Anbau und Nutzung der Getreidearten vollzogen sich im Hochmittelalter offenbar nicht konstant. So fanden sich etwa in Klein Freden in frühen Siedlungsphasen deutlich mehr Weizenreste als in Fundkontexten, die in das 13. Jahrhundert datieren. In dem Maße, wie die Fundumfänge von Wei-
254
Vgl. Tabelle 6 am Schluss dieses Bandes
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zen geringer wurden, stiegen diejenigen von Roggen an: „Diese Entwicklung zum vermehrten Anbau von Roggen seit dem 12. Jahrhundert zeichnet sich sowohl regional als auch überregional ab.“255 Auch die Fundverteilung der Hülsenfrüchte gestaltet sich unterschiedlich. Die Erbse wurde in Sindelfingen, Holzheim und Klein Freden nachgewiesen, die Bohne nur in Klein Freden. Die Linse fehlt in allen Fundkomplexen. Gemüse- und Gewürzpflanzen, die im Garten gezogen werden konnten, fehlen im ausgewerteten Fundgut von Holzheim völlig. Für die drei anderen Grabungsorte ließen sich Möhre und Minze nachweisen, Pastinak für Sindelfingen und Einbeck, Schwarzer Senf für Einbeck und Klein Freden. Nur in Klein Freden wurden die Reste von Mangold und Hundspetersilie gefunden. Andere Gartenfrüchte wie Portulak, Amaranth, Echter Feldsalat, Fenchel, Kohl, Sellerie und Gewürzpflanzen wie Petersilie wurden nachweislich bei Einbeck gezogen. Der dort ebenfalls gemachte, bemerkenswerte Fund von Kardamom-Samen geht sehr wahrscheinlich auf importierte (und damit teure) Ware zurück, die als Gewürz und Heilmittel zum Einsatz kam.256 Ein überraschendes Bild ergibt sich bei den Nachweisen von Kulturobst und Sammelfrüchten aus ländlichen Siedlungen. Nur in Sindelfingen und bei Einbeck fanden sich Reste von Äpfeln, in Einbeck ergänzt durch Steine von (Süß-)Kirschen und Zwetschge bzw. Pflaume. In Holzheim und Klein Freden hingegen gibt es keine Nachweise für Kultur- und Sammelobst. Für Sindelfingen sind Weintrauben belegt, wobei sich anhand der gefundenen Samen nicht sagen lässt, ob sie auf frische oder getrocknete Ware (Rosinen) zurückgehen. Brombeeren und Himbeeren wurden nachweislich bei Einbeck und in Klein Freden gesammelt, nur bei Einbeck konnten auch Reste von Walderdbeere, Hagebutte, Schlehe und Weißdorn gehoben werden. Die gesammelten Früchte des Schwarzen Holunders hingegen fanden sich in allen erfassten ländlichen Siedlungen des Hochmittelalters. Haselnüsse konnten – wiederum mit Ausnahme Holzheims – ebenfalls an allen Fundorten festgestellt werden, Walnuss und Buchecker nur in Sindelfingen.
255
256
Gisela Wolf: Paläoethnobotanische Untersuchungen an Pflanzenmaterial aus der mittelalterlichen Siedlung Klein Freden in Salzgitter-Lebenstedt, in: König (2007), S. 113–133, hier: S. 126 Vgl. Daniela Paetzold: Einbeck, Negenborner Weg. Paläoethnobotanische Untersuchungen, in: Heege et al. (1998), S. 89–168, hier: S. 106
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Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Diese – im Vergleich zu zeitgleichen städtischen Siedlungen eher ‚mageren‘ – Nachweise an Obst- und Sammelfrüchten überraschen, weil gerade für ländliche Siedlungen wahrscheinlich ist, dass es dort vermehrt Gemüseund auch Obstgärten gegeben hat. Dass ausgerechnet die ländliche Bevölkerung weitestgehend auf das Sammeln von wild wachsenden Beeren und anderen Früchten an Wald- und Feldrainen verzichtet haben sollte, will ebenfalls nicht recht einleuchten. Eine mögliche Erklärung ist, dass bei den ländlichen Siedlungen die nachweisliche Präsenz von Pflanzenarten für das früher dort tatsächlich vorhandene Pflanzenspektrum nicht annähernd repräsentativ ist.257 Für Klein Freden ist dies wahrscheinlich, da für diese Siedlung neben Einzelproben aus Grubenhäusern besonders Funde aus ausgehobenen Brunnenschächten untersucht wurden, mithin Fundorte erfasst wurden, an die z. B. Speisereste nur im Ausnahmefall gelangten.258 Ähnliches gilt für die Töpferei bei Einbeck, für die festgestellt wird: „Die wenigen Kulturobstfunde bedeuten nicht, daß in der Töpferei kein Obst gegessen worden ist. Normalerweise ist die Quelle für zahlreiche Nachweise dieser Arten die Kloake. Im Bereich der Töpferei herrschten keine beengten Verhältnisse wie in einer Stadt und so war es aus verständlichen Gründen nicht notwendig, Kloaken anzulegen.“259 Schlacht- und Nahrungsabfälle sowie (auch verdaute) Speisereste wären demnach in ländlichen Siedlungen vermehrt nicht an ausgewählten Orten und damit vergleichsweise konzentriert, sondern weitflächig und in der Ortswahl wohl eher zufällig entsorgt worden. Und wenn Nahrungsabfälle an bevorzugten Orten, z. B. auf einem auf dem Hof befindlichen Misthaufen, abgelegt wurden, konnten sie bei dessen regelmäßiger Abtragung zur Düngung von Feldern und Garten an andere Orte verbracht werden. Im Siedlungsbereich lassen sich Nahrungsreste in einem solchen Fall nicht mehr in einer annähernd repräsentativen Verteilung erwarten oder gar bergen. Die Liste der für ländliche Siedlungen nachgewiesenen Ölpflanzen ist kurz: nur Flachs/Lein und Schlafmohn waren an allen Fundorten vorhanden. Dass Raps (Rübsen) vollkommen fehlt, überrascht, weil gerade auf ländlichen Ackerfluren größere Anbauflächen zur Verfügung standen und das Ziehen dieser Pflanze, die nicht nur zur Ölgewinnung, sondern auch als Viehfutter genutzt werden konnte, zu erwarten gewesen wäre. Nur bei Einbeck fanden sich Reste einer weiteren Ölpflanze, des besonders in Norddeutschland vorkommenden (Saat-)Leindotters.
257 258 259
Vgl. zu Präsenz- und Repräsentanzwert von Pflanzenarten Wolf (2007), S. 114 Vgl. Wolf (2007), S. 115 ff. Paetzold (1998), S. 105
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Möglich, aber wie bei allen anderen Siedlungen letztlich nicht gesichert ist die Nutzung verschiedener Wildpflanzen, die auch in ländlichen Siedlungen nachgewiesen wurden, zu Nahrungszwecken. Ob und in welchem Umfang z. B. Sauerampfer, Gezähnter Feldsalat, Brennnessel, Rainkohl, Wegerich oder Vogelmiere gezielt für die ‚ländliche Küche‘ gesammelt und verarbeitet wurden, bleibt damit schließlich offen. Zwar liegt eine solche Nutzung genießbarer Wildpflanzen in einer Zeit nahe, in der das pflanzliche Nahrungsmittelangebot insgesamt schmaler und zudem grundsätzlich erheblich saisonabhängiger war als heute. Daher wäre es gut vorstellbar, dass die ländliche Bevölkerung des Hochmittelalters durch das Sammeln dieser Wildpflanzen ihren Speisezettel abwechslungsreicher gestaltete. Aufgrund der Fundbedingungen in einigen Siedlungen kann diese Annahme jedoch nicht gesichert werden, denn die Reste dieser Pflanzen könnten auch durch Winddrift oder mit Viehfutter in die Siedlungen gelangt sein.260 Im Vergleich zu den bisher betrachteten hochmittelalterlichen Burgen und Herrensitzen sowie besonders zu städtischen Siedlungen fällt auf, dass die Fundlisten aus ländlichen Siedlungen sowohl bei den dort nachgewiesenen Tier- als auch bei den Pflanzenarten um Einiges bescheidener ausfallen. Dies trifft nicht nur für die Zahl der Arten, sondern fast durchweg auch für die Menge der jeweiligen Nachweise zu. Wildvögel fehlen bei den Knochenfunden völlig, und auch Fische konnten nur an zwei von gesamt neun erfassten Fundorten identifiziert werden. Mit Ausnahme der slawischen Siedlung Dabrun spielte Jagdwild bei der Ernährung der ländlichen Bevölkerung den Funden zufolge nirgends eine nennenswerte Rolle, da auch die ländliche Bevölkerung ihren Fleischkonsum fast ausschließlich durch Haustiere deckte. Auch angesichts wohl erforderlicher Einschränkungen bei der Interpretation der vorhandenen Funde fällt der Umfang dieses Fleischkonsums in ländlichen Siedlungen – verglichen mit dem in ebenfalls oft über mehrere Jahrhunderte über besiedelten Burgen und Herrensitzen – überraschend gering aus. Gerade im ländlichen, bäuerlich geprägten Milieu und damit bei den Tier- und Pflanzennahrung produzierenden Höfen hätten andere Relationen vermutet werden können. Die Zahl der Knochenfunde weist überwiegend auf bäuerliche Klein- oder Kleinstbetriebe hin, deren Viehbestand nicht über den (wohl schmal bemessenen) Eigenbedarf, die bescheidene Nachzucht und ggf. bestehende Abgabepflichten hinausreichte. Größere Herden wurden, wie z. B. die Pferde in Holzheim und in Klein Freden, nur im Rahmen einer besonderen wirtschaftlichen Spezialisierung und für Handelszwecke gehalten, dabei lassen sich in beiden Fällen
260
Vgl. Paetzold (1998), S. 107 und Wolf (2007), S. 207 ff.
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direkte wirtschaftliche Beziehungen zu bzw. Abhängigkeiten von Burgen und Herrensitzen nachweisen.261 Da Rinder vornehmlich als Arbeitstiere gehalten wurden, besaßen sie für die Milchwirtschaft eine lediglich nachrangige Bedeutung. Größere Bestände der im Mittelalter als Milchproduzent intensiver genutzten Ziege lassen sich aus der Fundlage für ländliche Siedlungen nicht erschließen. Daraus kann gefolgert werden, dass es dort zwar Milch, Quark- und Käseprodukte gegeben haben wird, dies jedoch wohl auch nur in einem vergleichsweise bescheidenen Umfang. Die für den Bedarf der ländlichen Bevölkerung zur Verfügung stehende Menge an Käse konnte noch dadurch reduziert werden, dass Käselaibe vielerorts zu den periodisch anfallenden Abgabepflichten an den Grundherren zählten. Dies trifft ebenso für Geflügel und Eier zu. Auch wenn gerade Geflügelknochen u. a. aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Konsistenz im Fundgut oft unterrepräsentiert und die vorliegenden Fundzahlen daher mit Vorsicht zu interpretieren sind, lassen die jeweils vor Ort in den Boden gelangten Geflügelreste kaum den Schluss zu, dass es in den bäuerlichen Betrieben größere Geflügelbestände gegeben hat. Wenn es sie gab, müssen viele Tiere andernorts verspeist und deren Überreste außerhalb der ländlichen Siedlungen entsorgt worden sein. Denkbar ist demnach, dass vor allem Hühner und Gänse, aber auch Enten auf Bauernhöfen öfter und zahlreicher gehalten wurden als es die Funde ausweisen, dass sie jedoch entweder als vergleichsweise leicht transportables Handelsgut verkauft oder eingetauscht wurden oder die Höfe aufgrund von Abgabeverpflichtungen verließen. Auf den Tisch eines bäuerlichen Haushalts gelangte Geflügel nach Ausweis der Tierknochenfunde jedenfalls nur selten. Angesichts der vergleichsweise geringen Mengen, die die Fleischnahrung der ländlichen Bevölkerung ausgemacht haben dürften, fällt den pflanzlichen Nahrungsstoffen eine erhebliche Bedeutung zu. Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst und vor allem Sammelfrüchte standen dabei zur Verfügung. Bemerkenswert ist, dass die in ländlichen Siedlungen nachweisbare Palette an Nutz- oder genießbaren Pflanzen insgesamt schmaler ausfällt als z. B. im für städtische Siedlungen nachgewiesenen Spektrum. Dies kann jedoch mit den besonderen Erhaltungs- und Fundbedingungen zusammenhängen, die für viele Pflanzenfunde aus städtischen Siedlungen kennzeichnend sind, denn sie stammen besonders oft aus Latrinen oder aus aufgelassenen Brunnenschächten, die als Abfallgruben genutzt wurden, da261
In Holzheim waren Dorfareal, Herrensitz und Niederungsburg direkt benachbart, Klein Freden stand in Abhängigkeit von der nahegelegenen Burg Lichtenberg, vgl. König (2007), S. 9 ff.
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
435
mit aus Fundzusammenhängen, die in den ländlichen Siedlungen oft fehlen. Angesichts der bisher noch schmalen Vergleichsbasis nur weniger Fundorte aus dem ländlichen Bereich ist das Bild der pflanzlichen Nahrungsstoffe der ländlichen Bevölkerung jedoch noch recht lückenhaft. Im Vergleich zu den Knochenfund- und Tierindividuenzahlen von Burgen und Herrensitzen lässt sich für den Fleischkonsum schließen, dass dessen Umfang im adligen Milieu größer war als bei der ländlichen Bevölkerung. Sowohl das Spektrum der für den Verzehr zur Verfügung stehenden Tierarten als auch die aus dem nachgewiesenen Knochenmaterial erzielten Fleischmengen gestalteten sich im adligen Umfeld um einiges größer als im ländlichen Bereich. Selbst in städtischen Siedlungen war das Angebot der zur Verfügung stehenden Fleisch- und Pflanzennahrung der Fundlage zufolge breiter, wenn auch in Bezug auf die möglichen Umfänge des Fleischkonsums der Bevölkerung städtischer Siedlungen aufgrund der bei Tierknochen zwischen den einzelnen Fundorten verschiedentlich stark differierenden Fundzahlen wohl eher Vorsicht angebracht ist.262 Das Verhältnis von Tierknochen- zu Pflanzenrestfunden erscheint in den wenigen, entsprechend erschlossenen ländlichen Siedlungen bisher recht disproportional. Tierknochen erhalten sich bei unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten besser und konnten daher an verschiedenen Fundorten leichter aufgelesen und anschließend ausgewertet werden. Der Nachweis von Pflanzenresten ist hingegen an besonders günstige Bodenbedingungen gebunden. Feuchtlagerung und/oder Luftabschluss sowie eine Konservierung beispielsweise durch Brandeinwirkung begünstigten paläoethnobotanische Untersuchungen bisher nur an wenigen Fundorten aus dem ländlichen Bereich. Auch dort kann das einst vorhandene Angebot an Nahrungspflanzen bislang nur ausschnitthaft erfasst werden. Daher sind, um verlässlichere Aussagen über das pflanzliche Nahrungsspektrum der ländlichen Bevölkerung des Hochmittelalters zu gewinnen, Untersuchungen weiterer Funde unverzichtbar.
262
Vorsicht scheint auch geboten, wenn es um einen Vergleich der Pflanzenreste aus ländlichen und städtischen Siedlungen geht. Die insbesondere in städtischen Siedlungen untersuchten, an Pflanzen(rest)funden meistens reichen Kloaken waren in ländlichen Bereichen nämlich nicht üblich, sodass viele der dortigen Pflanzennachweise besonders aus ehemaligen Brunnenanlagen stammen, in die – sofern sie zur Zeit ihrer ‚Befüllung‘ noch als Wasserstelle bewirtschaftet wurden – Pflanzenreste wohl nur versehentlich gelangten
436
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
7.4 Tierknochen- und Pflanzenrestfunde aus klerikalen Siedlungskontexten 7.4.1 Das Herforder Damenstift und das Kanonissenstift Wetter als Beispiele für ‚weltgeistliche‘ Lebensbereiche Die poetischen und chronikalischen Quellen, die Aspekte der Lebensführung des außerhalb einer klösterlichen Klausur lebenden Klerus erwähnen, können bisher in nur geringem Umfang mit den Auswertungen archäologischen Fundmaterials verglichen werden. Dies mag zum einen damit zusammenhängen, dass viele Dom-, Münster- und Kirchenbezirke bis heute noch kontinuierlich genutzt werden, so dass z. B. im Rahmen von in den Tiefbau reichenden, umfassenden Bau- oder Umbaumaßnahmen Grabungsarbeiten seltener vorgenommen wurden. Zum anderen standen dort, wo Grabungen in Dom- und Kirchenbezirken stattfanden (so in Paderborn),263 vornehmlich baugeschichtliche Untersuchungen und Sachfunde im Vordergrund des Interesses. Auf menschliche Aktivitäten zurückgehende Tierknochenund Pflanzenreste wurden dabei nicht geborgen, weil sie entweder im Grabungsbezirk nicht auftraten oder auftreten konnten (etwa bei Bautätigkeit auf gewachsenem Boden, bei für Pflanzenreste bodenbedingt ungünstigem Erhaltungskontext) oder, weil sie nicht besonders beachtet und geborgen wurden. Im Stadtkern des westfälischen Herford wurden bei Grabungen Reste eines mittelalterlichen Damenstiftes freigelegt, das bereits im 9. Jahrhundert gegründet und bis in das 16./17. Jahrhundert bewohnt wurde.264 Gehoben und untersucht wurden dabei auch die aus dem Hochmittelalter stammenden Verfüllungen mehrerer Abfallgruben und einer Kloake sowie die Laufniveaus von zwei eingetieften Räumen aus dem 10./11. und 11./12. Jahrhundert. Das dabei erhaltene Tierknochenmaterial gibt, da es sich fast ausschließlich um Speiseabfälle handelt,265 Einblicke in die Küchenange263
264
265
Vgl. Sven Spiong/Matthias Wemhoff (Hg.): Scherben der Vergangenheit: neue Ergebnisse der Stadtarchäologie in Paderborn. (Mittelalter-Studien. Bd. 8). Paderborn 2006 Vgl. Matthias Wemhoff: Das Damenstift Herford. Die archäologischen Ergebnisse zur Geschichte der Profan- und Sakralbauten seit dem späten 8. Jahrhundert. Bd. 1. (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen. Bd. 24). Bonn 1993 Erfasst wurde z. B. die „Aschegrube neben der Feuerstelle der Küche im Nordflügel des Stiftes“, datiert auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, Hans Reichstein: Tierknochen aus mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Fundkomplexen aus dem Herforder Stiftsbereich, in: Wemhoff (1993), S. 251–267, hier: S. 251 (=Reichstein 1993a)
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bote der Stiftsdamen, die zwar zu einer frommen Lebensführung und auch zu karitativen Werken verpflichtet, anders als Nonnen in Klosterklausuren jedoch keinen strengeren Ordensregeln unterworfen waren.266 Von den insgesamt etwa 4000 gefundenen Tierknochenresten konnten die folgend aufgeführten Anteile eindeutig zugeordnet werden.267 Fleischnahrung bot demnach die Küche der Stiftsdamen im Hochmittelalter wohl nicht nur ausnahmsweise. Wegen des geringen Umfangs der Knochen(rest)funde spielten Wildtiere – mit einem Fundanteil von unter 1 % – bei der Versorgung insgesamt keine Rolle.268 Bemerkenswert ist, dass auch hier ein Biberknochen als Nahrungsrest gewertet wird.269 Gemessen an den berechenbaren Schlachtgewichten, die sich im Verhältnis zwischen den größeren Haustieren deutlich unterschiedlich darstellen, wurde ermittelt, dass die Fleischversorgung des Herforder Stifts wesentlich durch Rinder und Schweine mit einem Anteil von je etwa 40 % der Haussäugetiere gedeckt wurde.270 Mit ca. 20 % nimmt das Schaf die dritte Position ein, ein im Vergleich zu anderen Siedlungsplätzen hoher Anteil. Er wird nicht auf besondere Vor266
267
268
269 270
Hierzu allgemein I. Crusius im LexdMA Bd. VIII (1997), Sp. 171–173 s.v. Stift: Der Begriff „bezeichnet im MA eine geistl. Korporation und ihre Kirche, wobei im weiteren Sinn auch monast. verfasste Kommunitäten … so benannt werden … Im engeren kirchenrechtl. Sinn bezeichnet S. sowohl ein Kollegium von Weltgeistlichen aller Weihegrade (f Kanoniker) an einer Kirche … wie auch eine Frauenkommunität (f Kanonissen), die nicht nach einer Mönchsregel, sondern ohne Gelübde nach eigenen Ordnungen und aus dem Stiftsvermögen ihrer Kirche leben, und deren vorrangige Aufgabe das gemeinsame Chorgebet sowie, bei den Männern, der feierl. Gottesdienst sind.“ Zu der im Falle Herfords besonderen Form einer Stiftsstadt vgl. F. B. Fahlbusch in: LexdMA Bd. VII (1997), Sp. 178 unter diesem Lemma. – Auf einen im Unterschied zu Klöstern ausdrücklich extern orientierten Aktionsradius von Stiften weist andernorts Irene Crusius hin: „Die Kanonikerstifte werden zur materiellen Versorgung der Kleriker an zentralen Kirchen, die Organisation ihres Gemeinschaftslebens zur Intensivierung des öffentlichen Gottesdienstes, der Seelsorge und der Durchstrukturierung der Bistümer gebraucht. Bei aller beabsichtigten Erziehung und Disziplinierung des Klerus – nicht Weltflucht, Askese und Selbstheiligung sind Ziele kanonikalen Lebens, sondern das Wirken in der Öffentlichkeit“, so Irene Crusius: Sanctimoniales quae se canonicas vocant. Das Kanonissenstift als Forschungsproblem, in: dies. (Hg.): Studien zum Kanonissenstift. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 167 – Studien zur Germania sacra 24). Göttingen 2001, S. 9–38, hier: S. 14 f. Vgl. Reichstein (1993a), S. 261, Tab. 2; aufgenommen wurden hier lediglich die vor 1300 datierten Fundstellen Der Fundmengenanteil der Wildtierknochen betrug lediglich 0,9 %, vgl. Reichstein (1993a), S. 252 Vgl. Reichstein (1993a), S. 252 Vgl. Reichstein (1993a), S. 253
438
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Knochenfunde aus der Zeit des Hochmittelalters aus dem Herforder Damenstift Fundstelle/ Zeitstellung:
Laufniveau 10./11. Jh.
Laufniveau 2.H. 11./12. Jh.
Kloake 12. Jh.
Aschegrube 1.H. 13. Jh.
Ausbruchgrube/13. Jh.
Rind
10
102
26
64
53
Schaf/Ziege
75
345
43
97
71
Schwein
70
345
63
148
81
Huhn
31
156
6
7
16
Gans
8
76
1
10
3
Ente
1
6
Haustiere
1
Haustaube
1
Wildtiere Hase
1
Biber
1
6
Wildschwein
1
1
Rothirsch Reh
1 1
Ringeltaube
1
1
1
2
1
lieben der Stiftsbewohner(innen), sondern darauf zurückgeführt, „daß im weiteren Umkreis von Herford wegen geeigneter Bedingungen Schafhaltung größeren Umfangs betrieben wurde.“271 Ziegen, deren Knochenmaterial sich von dem der Schafe nur schwer unterscheiden lässt, konnten als Fleischlieferant nicht eindeutig nachgewiesen werden. Sie waren wohl eher für die Milchproduktion von Bedeutung (‚Kuh des kleinen Mannes‘).272 Bemerkenswert hoch ist der Geflügelanteil an zwei Fundorten (ca. 20 % des geborgenen Knochenmaterials), sein Anteil am bestimmbaren Gesamtfundmaterial beträgt immerhin noch 10 %.273 Den größten Anteil hatten dabei Hühner, mit einigem Abstand gefolgt von Gänsen. Enten spielten den Fundzahlen zufolge lediglich eine nachrangige Rolle. Der insgesamt vergleichsweise hohe Fundanteil an Hausgeflügelresten weist darauf hin, dass den Stiftsdamen im Hochmittelalter Geflügel „zwecks Deckung der ‚Eiweißlücke‘“ wohl öfter serviert wurde.274 271 272 273 274
Reichstein (1993a), S. 254 Vgl. Reichstein (1993a), S. 253 Vgl. Reichstein (1993a), S. 254 und 258 Reichstein (1993a), S. 258
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
439
Die Funde verraten zusätzlich, dass die meisten Haustiere ausgewachsen waren, damit ein höheres Schlachtalter hatten. Anteilig wurden nur wenige Reste von Jungtieren, z. B. von Ferkeln, Lämmern und Junghühnern, im Fundgut ausgemacht.275 Dieses Ergebnis verweist auf eine grundsätzlich solide, wenig spektakulär ausgerichtete Schlachtpraxis und Küche, die ‚Delikatessen‘ (etwa in Form von zartem Jungtierfleisch) nur in sehr begrenztem Umfang bot. Dieses Ergebnis lässt sich mit der oben erwähnten Notiz über die den Bamberger Domherren zu servierenden Mahlzeiten vergleichen, die ebenfalls als ‚bodenständig‘ eingeschätzt werden.276 Interessant ist ferner, dass die Beschaffenheit der Herforder Knochenreste Aufschluss über die Zubereitung der Tiere ermöglicht. Nur wenige Knochen wiesen Brandspuren auf oder waren infolge von Feuerkontakten in ihrer Konsistenz verändert. „Der ‚Hähnchenbraten‘ hat im Ernährungskontext der Stiftsbewohner also keine Rolle gespielt, wie ja überhaupt das Fleisch – auch das der Haussäugetiere – durch Kochen und nicht durch Braten gegart wurde. Spuren, die ein Garen über offenem Feuer belegen könnten, sind so gut wie nicht vorhanden. Nur ganz vereinzelt liegen weißliche, im Feuer ausgeglühte Knochenbruchstücke vor.“277 Ein ähnliches, jedoch nicht gleiches Bild vermitteln die Tierknochenfunde, die bei den Ausgrabungen des seit dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts bestehenden Kanonissenstiftes Wetter (Kreis Marburg-Biedenkopf) gemacht wurden.278 Die dort eingesetzten Aufnahmemethoden ließen es zu, das Knochenfundmaterial dem 11./12., dem 12./13. Jahrhundert und dem 15. Jahrhundert zuzuordnen und auch getrennt zu untersuchen. Die aus dem Hochmittelalter stammenden Funde (hier mit Knochenfundzahlen wiedergegeben) verteilten sich dort wie in der folgenden Übersicht wiedergegeben. Wie in Herford wurde auch in Wetter nicht nur das Fleisch von Haustieren, sondern auch das von Wildtieren konsumiert. Dabei spielten die Wildtiere wie auch an anderen in das Hochmittelalter datierenden Fundstellen eine ausgesprochen geringe Rolle: „Im 11./12. Jahrhundert war neben etwas Wildschwein der Rothirsch das hauptsächliche Jagdwild. Insgesamt liegen so wenige Wildtierknochen vor, dass in Wetter der Jagd als Methode
275 276 277
278
Vgl. Reichstein (1993a), S. 253 ff. Vgl. oben S. 295 f. Reichstein (1993a), S. 256; gemeint ist mit ‚Garen‘ über offenem Feuer das Braten (am Spieß oder auf einem Rost, ohne Behältnis), moderner ausgedrückt das ‚Grillen‘ Vgl. Christa Meiborg: Das Kanonissenstift in Wetter, Kr. Marburg-Biedenkopf. Die Ausgrabungen im ehemaligen Stiftsgelände auf dem Klosterberg, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000) [=2005], S. 73–248
440
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel Tierknochenfunde aus dem Kanonissenstift Wetter (11.–13. Jh.)279 11./12. Jahrhundert
12./13. Jahrhundert
Rind
59
161
Schaf
5
28
Ziege
2
1
Schaf/Ziege
216
321
Schwein
259
445
Pferd
2
4
Huhn
3
1
Gans
1
–
Wild- oder Hausschwein
–
2
Wildschwein
3
2
Rothirsch
4
–
Tierart/Datierung
der Nahrungsbeschaffung keine große Bedeutung zugemessen werden kann.“280 Bei den Haustieren dominierte fundzahlbedingt wie auch in Herford das Schwein, in Wetter allerdings deutlicher: „Im Vergleich zu den jeweils gleichzeitigen Fundorten fällt Wetter durch sehr geringe Rinder- und hohe Schweineanteile auf. Dies ist eine Zusammensetzung, wie sie für Tierknochenkomplexe aus dem städtischen und ländlichen Bereich eher ungewöhnlich ist, wie sie aber für mittelalterliche Burgen geradezu als typisch angesehen werden kann.“281 Möglicherweise spiegeln sich in diesem Befund hochmittelalterliche Abgabepraktiken,282 denn sowohl Burgherren als 279
280 281
282
Monika Doll: Die Tierknochen aus dem Kanonissenstift auf dem Klosterberg in Wetter. Mit einem Beitrag von Miriam Haidle, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000) [=2005], S. 261–299, hier: S. 262, Abb. 1 Vgl. Doll [2005], S. 262 f. Doll [2005], S. 263; die Mehrzahl der Funde von Burgen und Herrensitzen lässt ein solches Muster tatsächlich erkennen, allerdings gibt es auch Fundorte, an denen eindeutig das Rind an erster Stelle stand (Grenchen, Niederrealta, Neu-Schellenberg, Marbach, Wysburg, Wiprechtsburg, Holzheim, vgl. Tab. 1 am Schluss dieses Bandes) Vgl. Doll [2005], S. 265. Dass dem Stift Wetter in kleineren Siedlungen der Umgebung mehrere Höfe gehörten, ist urkundlich belegt. Daher sind Abgaben und Lieferungen aus den stiftseigenen Besitzungen in einigem Umfang anzunehmen, vgl. Annegret Wenz-Haubfleisch: Das Kanonissenstift und seine Rolle in der Stadt Wetter von seinen Anfängen bis zu seiner Umwandlung 1532, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000) [2005], S. 249–257, bes. S. 253
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
441
auch adlige Konvente konnten als Eigner vergebener Ländereien Anspruch auf Naturalabgaben erheben. Ebenso ist es möglich, dass die oft adligen Stiftsdamen durch ihre Familien regelmäßige Zuwendungen oder Renten erhielten, die auch Naturalien einschließen konnten, so z. B. die Lieferung von lebenden Tieren, Schinken und Würsten, Fischen, Eiern, Honig, Getreide sowie Wein oder Bier.283 Tendenziell könnte die oft vorhandene, unterschiedliche Verteilung von Rinder-, Schaf/Ziege-, Schweine- sowie Geflügelanteilen im adligen Lebensumfeld (Burgen/Herrensitze), auch in besonders durch Adlige geprägten Stiften sowie in städtischen und ländlichen Siedlungen deshalb als Hinweis auf ständisch bzw. zwischen den Gesellschaftsgruppen ungleich verteilte tierische Ernährungsgrundlagen und (daraus folgend) unterschiedlich bestückte Fleischtafeln in adligen und nicht-adligen Haushalten interpretiert werden. Bei solchen Schlüssen ist jedoch zu berücksichtigen, dass die einstmals vorhandene Belegung von Klöstern und Stiften oft nur lückenhaft bekannt ist und dass sich dort, wo dazu nähere Angaben vorliegen, oft ein durchaus heterogenes Bild abzeichnet.284 Die Annahme einer solchen heterogenen Belegung würde der Verteilung von Tierknochenfunden aus den Stiften Herford und Wetter wohl entsprechen durch (geringe) Wildtieranteile und eine deutliche Gewichtung der vorhandenen Haustierarten. Es zeichnet sich dabei ab, dass die adligen Familien und die auch dem städtischen Patriziat entstammenden Bewohner von Stiften, die keinen strengeren Ordensregeln unterworfen waren, bei Eintritt in eine solche Gemeinschaft ihre bisherigen Ernährungsgewohnheiten offenbar beibehielten. Die Mehrzahl der in Wetter geschlachteten Rinder erreichte ein Alter von mehr als dreieinhalb Jahren nicht, etwa „die Hälfte der Tiere wurde bis zum dritten Lebensjahr geschlachtet.“285 Auf eine gewisse Bedeutung der Milchund der Wollproduktion weist hin, dass etwa die Hälfte der Schafe und Ziegen ein Alter von mehr als drei Jahren erreichte. „Lämmer wurden offenbar nur in Ausnahmen gegessen.“286 Während nicht ausgewachsene Rinder nur selten geschlachtet wurden, erreichten bei den Schweinen etwa 20 % der Tiere ein Alter bis zu einem Jahr und kamen damit als Ferkel in die Stiftskü283 284
285 286
Vgl. dazu die oben auf S. 337 ff. aufgeführten Beispiele Vgl. Franz J. Felten: Wie adelig waren Kanonissenstifte (und andere weibliche Konvente) im (frühen und hohen) Mittelalter? In: Crusius (2001), S. 39–128, hier bes. S. 48 ff. und 97 ff. Felten führt verschiedene Belege dafür auf, wie wenig gesichert die Annahme ist, dass Klöster und Stifte ihre Konvente ausschließlich oder auch nur vornehmlich aus dem Adel rekrutierten Doll [2005], S. 272 Doll [2005], S. 274
442
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
che. „Der Rest der Tiere hatte im allgemeinen kaum eine Chance, über zwei Jahre alt zu werden. Der Bestand an älteren Tieren aus der dritten Phase wird von jenen Schweinen gestellt, die zur Aufrechterhaltung der Zucht notwendigerweise erst später geschlachtet wurden.“287 Offen bleibt dabei, ob im Kanonissenstift Wetter eine eigene Schweinehaltung betrieben wurde oder ob es sich bei den lebensälteren, zur Nachzucht eingesetzten Tieren ebenfalls um solche handelte, die als Abgaben, Renten oder im Rahmen eines Zukaufs in den Stiftsbereich gelangten. Es ließ sich anhand der vorliegenden Verteilung der Knochenfunde auf das Skelett jedoch zeigen, dass die Tiere den Stiftsbereich nicht in Portionen zerteilt, sondern physisch komplett erreichten, damit wohl lebend dorthin verbracht und erst vor Ort geschlachtet wurden.288 Ob auch die in Wetter gefundenen Pferdeknochen als Reste von Schlachttieren anzusprechen sind, ist der Fundpublikation nicht zu entnehmen.289 Ein anderes Bild als in Herford bietet sich in Wetter bei den Geflügelfunden, die recht marginal ausfielen: „Auch auf dem Klosterberg wurden einige wenige Knochen von Hühnern und Gänsen gefunden, sie spielten nach Aussage der erhaltenen Knochen in der Ernährung jedoch nur eine untergeordnete Rolle.“290 Möglicherweise geben daher die in Wetter gemachten Funde erhaltungsbedingt die früher tatsächlich vorhandenen Geflügelanteile nur unzureichend wieder. Im Vergleich zu den Funden von Herford lassen sich für das Kanonissenstift Wetter schließlich folgende Unterschiede festhalten: – in Herford waren Rind und Schwein trotz unterschiedlich hoher Fundzahlen im Tierknochenmaterial als Fleischlieferanten etwa gleich wichtig, in Wetter dominierte das Schwein als Fleischlieferant deutlich; – die Stiftsdamen von Wetter konnten sich offenbar öfter den ‚Luxus‘ eines Spanferkelessens leisten, für Herford sind demgegenüber durch das Fundmaterial nur sehr wenige Jungtiere nachgewiesen; – während Geflügelfunde in Herford für eine in das Hochmittelalter datierende Fundstelle teilweise deutlich überdurchschnittlich ausfielen, fallen sie in Wetter ebenso deutlich unterdurchschnittlich aus; – die Palette der in Herford nachgewiesenen Wildtierarten (6) ist dreimal größer als die für Wetter bestimmbare Artenzahl (2).291 287 288 289 290 291
Doll [2005], S. 274 Vgl. Doll [2005], S. 284 Vgl. Doll [2005], S. 282 Doll [2005], S. 282 Da 159 Knochen(fragmente) aus dem Fundmaterial nicht bestimmt werden konnten, ist es möglich, dass dort noch weitere Wildtierarten vertreten waren, vgl. Doll [2005], S. 262, Abb. 1
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
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Leider fehlen an beiden Orten Funde, die Aussagen über die vorhandenen vegetabilen Nahrungsstoffe ermöglichen würden. Da beide Damenstifte sich in eine städtische Siedlung integriert (Herford) bzw. sich in deren direkter Nachbarschaft befanden (Wetter), könnte ihre Versorgung auch durch die dortigen Märkte stattgefunden haben, zumal die Stifte – anders als klösterliche Klausuren – tendenziell ‚offene‘ Bereiche darstellten,292 die ihren Bewohnern, aber auch Außenstehenden wechselseitige Kontakte und Austausch ermöglichten. Zwar besitzt mit dieser Annahme ein anderen städtischen Siedlungen vergleichbares Angebotsspektrum einige Wahrscheinlichkeit. Ob es jedoch in vollem Umfang genutzt wurde oder ob neben dem unverzichtbaren Getreide vielleicht nur ausgewählte Obst- und Gemüsesorten in den Stiftsbereich gelangten, muss jedoch offen bleiben. Zwar lässt sich, wie oben angesprochen, anhand der Tierknochenfunde aus Herford und aus Wetter feststellen, dass sich die dort genutzten Tierarten hinsichtlich ihrer Verteilung insgesamt an derjenigen orientieren, die auch auf einigen Burgen und Herrensitzen vorzufinden ist. Damit sind Aussagen zur Angebotsbreite an Fleischnahrung und zu besonders intensiv genutzten Tierarten möglich, nicht aber zur allgemeinen Versorgungslage der Stiftsbewohner bzw. -bewohnerinnen. Hinweise darauf, dass die Kanonissen auf dem Klosterberg von Wetter über längere Zeiträume hinweg keinen Mangel litten, gibt möglicherweise der Befund, dass dort auffällig viele Ferkel zur Schlachtung kamen. Die Versorgungslage ließ es offenbar zu, dass diese Schweine nicht solange gemästet werden mussten, bis sie ein optimales Schlachtgewicht erreicht hatten. Diese Interpretation geht davon aus, dass es sich bei einem hohen Jungtieranteil an den Tierknochenfunden um den Ausweis einer eher entspannten Versorgungslage handelt. Möglich – zumindest logisch – wäre jedoch auch, dass dieser Befund genau auf das Gegenteil verweist, nämlich dass die Tiere aufgrund einer angespannten Versorgungslage im Herbst und im Winter vorzeitig geschlachtet werden mussten. Diese Möglichkeit wird in den einschlägigen Publikationen aller in dieser Arbeit berücksichtigten Fundstellen jedoch nirgends erwogen oder verfolgt.293 292 293
Vgl. Crusius (2001), S. 14 f. Es wäre reizvoll, der Frage nachzugehen, ob und in wiefern sich in den jeweiligen Fundbewertungen, die für das Hochmittelalter vorgenommen werden, Einstellungen und Erfahrungen der Jetztzeit spiegeln, ob und wieweit also aktuelle Umstände und deren Erfahrung ungebrochen auf das Hochmittelalter rückprojiziert werden – und: ggf. mit welchen Folgen. Die Verfolgung dieser Frage würde jedoch den Rahmen dieses Vorhabens sprengen und wird daher zur anderweitigen Bearbeitung empfohlen
444
Archäologisch erschlossene Nahrungsmittel
Dieser Aspekt ist besonders deshalb schwer zu bewerten, weil die an verschiedenen Stellen gefundenen Tierknochen die tatsächlich konsumierten Tiere und Fleischmengen nicht vollständig repräsentieren. Zwar sind Funde aus Abfallgruben, Kloaken oder im Bereich von Küchen- und Herdstellen in ihrer Zahl oft umfangreich und geben Auskunft über die genutzten Tierarten und deren Verteilung, dass sie oft jedoch nur geringere Teile des angefallenen Küchenabfalls und von Speiseresten enthalten, ist z. B. aus der Fundverteilung im Damenstift Herford erkenntlich. Dort fanden sich gerade auf den Laufniveaus erhebliche Mengen an Knochenresten, die belegen, dass viele (hier wohl kleinteilige) Abfälle nicht in Gruben oder Kloaken entsorgt wurden, sondern – wie in den untersuchten Räumen – einfach auf den gewachsenen Boden fielen und dort offenbar liegen blieben. Sicher konnten solche Abfälle auch auf den Höfen, in den um die Häuser befindlichen Arealen, auf anschließenden Zuwegungen und vielleicht auch in Gärten landen. Damit ist generell kaum auszumachen, welche Anteile an dem gesamten, einst in den Haushalten konsumierten Tierbestand in den untersuchten Fundbereichen tatsächlich erfasst werden. Dass darüber hinaus auch das Artenspektrum der für Nahrungszwecke genutzten Tiere wohl weder für Herford noch für Wetter vollständig erhoben werden konnte, lässt auch das an beiden Fundorten auffällige Fehlen von Fisch- und Wildvogelresten vermuten. Auch wenn es möglich wäre, für einen Fundort von einem vollständig erfassten Tierknochen- und -individuenbestand auszugehen, so wäre diese in Beziehung zu der Zahl der durchschnittlich zu einem Haushalt oder Fundort gehörenden Personen zu setzen, um verlässlichere Aussagen über die Versorgungslage, über Luxus oder Knappheit treffen zu können. Für das Kanonissenstift Wetter ist die Zahl der Stiftsdamen etwa bekannt. Sie dürfte in der Zeit seines Auf- und Ausbaus etwa 10 Damen und eine Äbtissin betragen haben und lag im Jahr 1272 bei 13 Kanonissen.294 Leider fehlen für die Tierknochenfunde vom Klosterberg in Wetter Angaben für die Zahl der Individuen, die durch diese Knochen mindestens repräsentiert werden.295 Werden zum Vergleich jedoch etwa die Relationen von Tierknochenzahlen und Mindestindividuen herangezogen wie sie etwa für Burgen ermittelt wurden, wird deutlich, dass auch die in Wetter teils größeren Knochenzahlen keinen direkten Ausweis für einen gehobenen Lebensstandard oder eine gesicherte Versorgungslage darstellen. Wird nämlich ferner berücksichtigt, dass sich die dem Hochmittelalter zugerechneten Funde über etwa drei Jahrhunderte verteilen, relativieren sich selbst höhere Knochen294 295
Vgl. Meiborg [2005], S. 194 Vgl. Doll [2005], S. 262 ff.
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fundzahlen erheblich. Wird dann noch ins Auge gefasst, dass es den Stiftsdamen gestattet war, Diener oder Dienerinnen zu beschäftigen296 und dass es in einem Stift vielleicht auch noch anderes Personal gab, das zu beköstigen war, wird eine Vorstellung von Wohlstand oder Üppigkeit fraglich, sofern es auf die Fundlage gegründet würde. Dies gilt auch, wenn in Erwägung gezogen wird, dass Stifte wie auch Klöster mildtätige Werke verrichteten und z. B. Armenspeisung betrieben.297 Dazu bedurfte es nicht nur leistungsfähiger Küchen, sondern auch einer Vorratshaltung und Nahrungsherstellung, die über den Eigenbedarf der Stiftsbewohner hinausging. Möglicherweise müssen Küchenabfälle aus Stiften und Klöstern und die Interpretation von deren Umfängen auch vor diesem Hintergrund neu beleuchtet werden. Rückschlüsse auf die Versorgungslage der Stiftsbewohner selbst lässt dieser Aspekt nur insofern zu, als es möglich ist, dass die in einem Stiftsbereich gefundenen Küchenabfälle rechnerisch auf mehr Köpfe als auf die Stiftsdamen und deren Personal verteilt werden müssen. Der Frage, wie das in den Damenstiften nachgewiesene Wild dorthin gelangte, wird in den einschlägigen Fundpublikationen nicht nachgegangen. Sie liegt jedoch nahe, denn schließlich ist es schwer vorstellbar, dass die Kanonissen von adliger Herkunft selbst hoch zu Ross in den Wäldern auf die Pirsch gingen, die zum Grundbesitz des Stiftes oder ihrer Familien gehörten.298 Zu vermuten ist daher eher, dass das erlegte Wild – als ganzes Stück oder auch bereits in Teile zerwirkt – auf Veranlassung der Adelsfamilien, denen Kanonissen entstammten, dort abgegeben wurde. Dies läge zumindest für das Stift Wetter nahe, in dessen Nähe sich mehrere Burganlagen befanden.299 Möglicherweise gelangten Teile der bei einer Jagdveranstaltung 296 297
298
299
Vgl. Felten (2001), S. 86 f. Vgl. hierzu Gerhard Uhlhorn: Die Christliche Liebesthätigkeit. Stuttgart 18952, S. 277 ff. und bes. S. 463 ff. Zwar hält es Fietze (2005), S. 11 f., für wahrscheinlich, dass an mittelalterlichen Jagden auch adlige Damen teilnahmen, zumal sie in der Reitkunst unterwiesen wurden. Wie Fietze jedoch selbst einräumt, gibt es dafür in den literarischen und bildlichen Quellen des Hochmittelalters kaum belastbare Belege (S. 12). Die wenigen Hinweise, die für die Ausübung der Jagd auch durch Frauen vorliegen, stammen aus der Zeit nach 1300 und betreffen vornehmlich die Beizjagd, vgl. Fietze (2005), S. 138 ff. und Farbabbildung 7, Darstellung des Herrn Werner von Teufen mit einer Falknerin zu Pferde aus der zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstandenen ,Manessischen Liederhandschrift‘, fol. 69r Darauf, dass sich bereits in der Karolingerzeit ein wichtiger Fernhandelsweg – die sog. ‚Weinstraße‘, die vom Rhein-Main-Gebiet nach Westfalen führte – nahe Wetter das Flüsschen Wetschaft kreuzte, verweist Wenz-Haubfleisch [2005], S. 249. Burgen wurden schon früh u. a. zum Schutz solcher Handelswege errichtet, wie z. B. die
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des Adels erlegten Tiere auch in den Handel und damit direkt auf die Märkte städtischer Siedlungen. Diese Version würde das Vorhandensein von Wildtierknochen in vielen städtischen Siedlungen erklären, sofern diese nicht z. B. auf vom Adel bewohnte Stadtsitze oder eben auf Lieferungen an Stifte und Klöster zurückgehen, die im Stadtbereich oder in dessen Nähe lagen. Eine andere Erklärungsmöglichkeit als Handel böte für die Nachweise von Wild in städtischen und dörflichen Siedlungen sonst nur die Wilderei.300 7.4.2 Tier- und Pflanzenreste aus Klostergrabungen: Schaffhausen, Hirsau und Corvey Die schriftlich auf uns gekommene Überlieferung zu Lebensformen – vielleicht zutreffender: Lebensnormen – in Klöstern gestaltet sich im Vergleich mit den für das Hochmittelalter deutlich spärlicher dokumentierten städtischen und dörflichen Lebensbereichen nicht nur recht umfangreich. Vielmehr gibt diese Überlieferung auch Einblicke in eine Fülle von Details, die das Essen und Trinken in monastischen Gemeinschaften betreffen. Die Bemessung von Portionen sowie Tischzeiten und -gebräuche in Konventen gehören zu den Aspekten unseres Themas, die sich mit Hilfe archäologisch erschlossener Hinterlassenschaften nicht rekonstruieren las-
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heute noch das auch früher schon verkehrsreiche Rheintal beherrschende Festen zeigen. Weniger spektakuläre Beispiele bietet beispielsweise der alte Handelsweg vom Harz an die Elbe/Ostsee, den im Hochmittelalter ebenfalls verschiedene Burganlagen säumten. – Mehrere in der Nähe des Stiftes Wetter gelegene Burgen nennt Christa Meiborg: Burg Weißenstein bei Marburg-Wehrda, Kreis Marburg-Biedenkopf. Die Funde und neue Aspekte der Baugeschichte im Licht einiger 14C- Daten, in: Fundberichte aus Hessen 39/40 (1999/2000) [2005b], S. 299–355, hier: S. 334 In einer jüngeren Monographie zur (Geschichte der) Jagdwilderei werden die Einschränkungen des allgemeinen Jagdrechts durch die Errichtung königlicher Bannforsten und die damit verbundene Trennung des Jagdrechts vom Grundeigentum nicht ausführlicher behandelt. Erwähnt wird die im ‚Sachsenspiegel‘ für Wilderei als Vergehen aufgenommene Bannstrafe von 60 Schillingen, eine damals große Summe. Die hochmittelalterliche Quellenlage zu diesem Thema scheint jedoch insgesamt dürftig zu sein, denn es wird hierzu lediglich zusammenfassend festgestellt: „Das langsam von der Inforestation abgelöste Recht des freien Tierfanges war im Volksbewußtsein … so tief verwurzelt, daß es zu keinem Zeitpunkt ganz vergessen wurde, so daß die Verstöße gegen den Bann sehr häufig waren. Während fast des gesamten Mittelalters wurde die Wilderei lediglich mit Geldstrafen, nicht dagegen (oder zumindest nur in sehr seltenen Einzelfällen) mit Lebens- oder Leibesstrafen geahndet“, so Michael Vollmar: Die Jagdwilderei. (Rechtswissenschaftliche Forschung und Entwicklung. Bd. 701). München 2004, S. 8
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sen. Wohl aber ist es möglich, die für ein Kloster wichtigen Nahrungsgrundlagen mit Hilfe archäozoologischer und paläoethnobotanischer Auswertungen von Tierknochen- und Pflanzenfunden aus Klosterbezirken zu ermitteln. Hierzu liegen – teilweise differenziertere – Ergebnisse aus drei Klostergrabungen vor: aus dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen am Rhein,301 aus dem Kloster Hirsau302 und aus der Reichsabtei Corvey an der Weser,303 alle drei benediktinische Gemeinschaften. Die Schaffhauser Grabungen, die mit längeren Unterbrechungen seit den 1920er Jahren durchgeführt wurden, erfassten auf dem ehemaligen Klosterareal u. a. mehrere aus der Zeit zwischen Ende des 11. bis Mitte des 12. Jahrhunderts stammende Latrinen mit reichhaltigem Fundgut, das sowohl tierische als auch pflanzliche Reste umfasste.304 Für unsere Fragestellung sind diese Funde von besonderem Interesse. Die Latrinen boten nicht nur gute Erhaltungsbedingungen für organisches Material, sie lassen sich aufgrund ihrer räumlichen Verteilung auf dem Gelände zudem als dem Abts- und Gästebereich des Klosters, der Krankenabteilung und als der Mönchsgemeinschaft zugehörig identifizieren.305 Damit kann als Untersuchungsfrage eine Binnendifferenzierung zwischen verschiedenen ‚Nutzergruppen‘ innerhalb der klösterlichen Gemeinschaft verfolgt werden, die sich in Fundauswertungen tatsächlich auch widerspiegelt.306 Bei Ausgrabungen im Kloster Hirsau wurde an der Nordwestecke eines romanischen Anbaus der Sankt-Peter-und-Paul-Kirche eine Grube gefunden, die offenbar in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in mehreren Etappen verfüllt wurde. In einigen Schichten dieser Verfüllung fanden sich etwa 3400 Tierknochenreste. Diese können aufgrund ihres Fundortes zwar 301
302
303
304
305 306
Vgl. Kurt Bänteli/Rudolf Gamper/Peter Lehmann: Das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen. Zum 950. Jahr seiner Gründung am 22. November 1049. Schaffhausen 1999 Vgl. Mostefa Kokabi: Die Ursache der Einbettung von Knochen als prähistorisches Fundgut sowie ihre Interpretation, in: Mostefa Kokabi/Joachim Wahl (Hg.): Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie. (Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. Bd. 53). Stuttgart 1994, S. 47–56 Vgl. Stephan (2000), Bd. 1–3, hier: Bd. 2, darin: Ulrich Willerding: Karolingische und hochmittelalterliche Pflanzenreste aus Corvey, S. 593–621; die Tierknochenfunde bearbeitete Hans Reichstein: Untersuchungen zu mittelalterlichen Tierknochen des 9.–13. Jahrhunderts aus dem Kloster Corvey bei Höxter, in: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 8, Teil B (1993), S. 121–131 (=1993b) Vgl. André Rehazek/Christoph Brombacher: Umwelt und Ernährung – Untersuchung der Tier- und Pflanzenreste, in: Bänteli/Gamper/Lehmann (1999), S. 213–230 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 214, bes. Abb. 204 Vgl. Rehazek/Brombacher(1999), bes. S. 229 f.
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nicht – wie etwa in Schaffhausen – einem bestimmten Funktionsbereich des Klosters zugeordnet werden, werden jedoch im Wesentlichen als Reste von Mahlzeiten des Hirsauer Konventes interpretiert.307 Weniger differenziert stellt sich die Situation bei Tierknochen- und Pflanzenrestfunden aus der ehemaligen Reichsabtei Corvey dar. Bei den auf dem Klostergelände seit 1970 durchgeführten Ausgrabungen wurde Tierknochenmaterial an mindestens zwei (nicht näher spezifizierten) Fundorten geborgen,308 die in den Zeitraum vom 9. bis zum 13. Jahrhundert datieren.309 Die Fundliste weist darauf hin, dass hier – anders als bei den Schaffhauser Funden – lediglich vergleichsweise größere Knochenreste aufgelesen und damit untersuchungstechnisch erfasst wurden. Eine ‚Ausschlämmung‘ ganzer Fundschichten aus dem Boden und damit eine Auswertung auch kleinster, auf dem Boden nicht ohne Weiteres sichtbarer Tierreste konnte wegen der oft schwierigen Bergungsbedingungen nicht stattfinden.310 Auf dem Corveyer Klosterareal wurde auch Pflanzenmaterial geborgen. Die Nähe des Fundortes zur Weser begünstigte den Erhaltungszustand der Funde. Da es sich bei der Fundstelle wohl um einen Bootsanleger an einem früher wasserführenden Graben handelte, muss jedoch damit gerechnet werden, dass die nachgewiesenen Pflanzenreste dort nicht nur als Abfall entsorgt wurden, sondern dass es sich teilweise auch um angeschwemmte Reste handeln kann.311 Beides kann im Nachhinein kaum mehr getrennt werden. Die bereits für die Karolingerzeit (8./9. Jahrhundert) nachgewiesenen Pflanzen dürfen auch für das Hochmittelalter noch als bekannt und genutzt vorausgesetzt werden.312 Die Auswertungsergebnisse der Tierknochenfunde aus den Klosteranlagen von Schaffhausen, Hirsau und Corvey werden unten tabellarisch aufgeführt. Die bei den Schaffhauser Funden mit aufgenommenen Gewichtsangaben der Fundstücke zeigen an, dass sich die Relation zwischen der 307 308
309 310
311 312
Vgl. Kokabi (1994), S. 48 ff. Vgl. Reichstein (1993b), S. 123, Legende zur Abb., aus der hervorgeht, dass es sich um verschiedene Funde aus unterschiedlichen Grabungsabschnitten handelt Vgl. Reichstein (1993b), S. 121 Zwar gibt Reichstein (1993b) hierzu keine Hinweise, doch lassen schon die nur kargen Nachweise von Fischen diesen Schluss zu. Bestätigt wurde dies in einem Gespräch vom damaligen Grabungsleiter, Prof. Dr. Hans-Georg Stephan (Universität Halle-Wittenberg), der darauf hinwies, dass die Grabungsbedingungen in Corvey eine differenziertere Aufnahme von Tierresten leider nicht begünstigten Vgl. Willerding (2000), S. 594 Auch für diesen Hinweis danke ich Prof. Dr. Stephan; die bei Corvey ebenfalls geborgenen Pflanzenreste aus dem Hochmittelalter stammen aus der Stadtwüstung. Sie wurden daher oben in dem Abschnitt mit Funden aus städtischen Siedlungen behandelt, vgl. oben S. 415 ff. und Tab. 4 am Ende dieses Bandes
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Fundzahl von Knochenresten und deren Gewicht sehr schwankend gestaltet. So kann z. B. allein der nur teilfragmentierte Oberschenkelknochen eines Rindes mehr Fundgewicht erbringen als alle nachgewiesenen Fischreste zusammengenommen. Die Gewichtsangaben zu Tierknochenresten sind demnach kaum ein geeigneter Indikator für die Bedeutung verschiedener Tierarten im mittelalterlichen Nahrungsspektrum. Eine Sonderstellung nimmt der Sodbrunnen bei den Schaffhauser Fundstellen ein. In ihn dürften Schlachtreste oder Speiseabfälle nur zufällig oder versehentlich gelangt sein. Die Gesamtfundzahl an Tierknochenresten ist entsprechend niedrig. Sicher als Speisereste gewertet wird hingegen die Großzahl der Funde aus den verschiedenen klösterlichen Latrinenanlagen, zumal an einigen der Knochenreste und Fischgräten Spuren gefunden wurden, die anzeigen, dass diese Reste einem Verdauungsvorgang ausgesetzt waren.313 Auffällig ist die bei den Schaffhauser Fundstellen deutlich unterschiedliche Verteilung der Speisereste nach Tierarten. So enthielt die Mönchslatrine ganz überwiegend Reste einer langen Reihe von Fischarten, die durchweg im lokalen oder regionalen Bereich beheimatet waren.314 Bemerkenswert ist, dass sich unter diesen Resten ein sehr hoher Anteil von Jungfischen befand, die weniger als 10cm Länge aufwiesen.315 Aufgrund ihrer geringen Größe konnten diese Reste (230 Fundstücke) nicht näher bestimmt werden. Nur vier Knochenreste konnten Schaf/Ziege und großen Wiederkäuern zugeordnet werden, Vögel sind mit lediglich einem Nachweis vertreten. Rind, Schwein, Schaf, Ziege oder Geflügel spielten demnach in der Ernährung der Mönche im Klausurbereich des Allerheiligenklosters keine Rolle. Die zwei Nachweise, die vom Rothirsch stammen, sind nicht zu den Nahrungsresten zu rechnen, da sie bestimmte Bearbeitungsspuren eindeutig als Artefakte ausweisen.316 Als Nahrungsreste gewertet wurden hingegen die Reste von Amphibien, wohl Fröschen, die sich in der Mönchslatrine fanden.317 In der zum Krankentrakt des Klosters, der Infirmerie, gehörenden Latrine (datiert 12. Jahrhundert) wurde eine im Vergleich zur Mönchslatrine deutlich andere Zusammensetzung von Tierresten nachgewiesen. Neben einem auch hier sehr hohen Anteil von Fischresten, bei denen neben Hecht, Hasel, Forelle und Flussbarsch (vorrangig) auch zahlreiche Nachweise für 313 314 315 316 317
Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 216 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 219 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 221 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 214 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 216
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karpfen- und lachsartige Fische geführt werden konnten, gelangten in diese ‚Entsorgungsgrube‘ auch einige Reste von Haus- und Wildtieren. Bei den Haustieren dominieren Rind und Schwein, an dritter Stelle lagen Schaf bzw. Ziege. Mit nur einem Fundstück ist das Haushuhn im Fundmaterial wohl unterrepräsentiert. Dafür fanden sich mehrere Knochenreste von Feldhasen und ein wahrscheinlich von einem Wildschwein stammender Knochenrest. Die gefundenen Reste von Amphibien (Fröschen) und Mollusken (Schnecken) werden auch an diesem Fundort als Speiserückstände interpretiert.318 Auch diese Zusammenstellung passt mit der benediktinischen Ordensregel gut zusammen, sollte den Kranken doch besonders stärkende Kost gereicht werden, die auch das sonst gemiedene Fleisch vierfüßiger Tiere einschloss. Ein wiederum anderes Fundbild präsentiert die im Abts-, Laien- und Gästetrakt des Klosters gelegene Latrine 6 (datiert 1. Hälfte 12. Jahrhundert). Neben den auch hier zahlreichen, vornehmlich größeren Fischen sind besonders Schwein, Schaf/Ziege und Geflügel mit Haushuhn und Gans vertreten. Auffällig ist die geringe Zahl an gefundenen Rinderknochen. Mit Ausnahme von zwei wahrscheinlich zum Wildschwein gehörenden Knochenresten fehlen Wildsäugetiere dort. Insgesamt entsprechen die aus der nahe dem Kreuzgang gelegenen Mönchslatrine geborgenen Funde von Tierresten den in der benediktinischen Ordensregel verfügten Speisegeboten in überraschend hohem Maße. Die wenigen, dort nachgewiesenen Reste von ‚vierfüßigen Tieren‘ dürfen angesichts ihrer geringen Fundzahl wohl als Ausnahmen, damit als eher untypisch gelten und daher vernachlässigt werden. Ob sie, wie in der Fundbewertung vermerkt, als Hinweis auf eine Lockerung der strengen Speiseregeln innerhalb des geschlossenen Mönchskonventes zu verstehen sind, stehe dahin.319 Die übergroße Mehrzahl der Funde bestand aus den Resten von Fischen, bei denen etwa 60 % des Fundmaterials zu sehr kleinen Jungfischen gehörte. „Eine Erklärungsmöglichkeit für das häufige Vorkommen von kleinen Fischen im Fundmaterial ergibt sich aus der Tatsache, dass gerade diese im Mittelalter als besonders schmackhaft und nahrhaft galten.“320 Wahrscheinlicher mutet ein zweiter Erklärungsansatz an: im Hinterhof eines dem Klosterbezirk benachbarten, hochmittelalterlichen Hauses („Zum Bogen“), dessen Bewohner ärmeren Bevölkerungsschichten 318 319 320
Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 216 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 214 Rehazek/Brombacher (1999), S. 220; der in diesem Zusammenhang herangezogene Beleg aus dem ‚Tacuinum sanitatis‘, in dem sich eine entsprechende Passage findet, datiert jedoch erst in das 14. Jahrhundert
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zugerechnet werden, fanden sich ebenfalls fast ausschließlich Reste sehr junger und damit kleiner Fische. Dies weist darauf hin, dass diese Fische nicht vornehmlich wegen ihrer besonders gesundheitsförderlichen Wirkung, sondern wegen eines niedrigen Kaufpreises verzehrt wurden.321 Eine solche Überlegung würde wiederum mit der benediktinischen Ordensregel gut übereinstimmen, der zufolge den Mönchen ausreichende, jedoch bescheidene Kost aufgetragen werden sollte. Bemerkenswert ist ferner der hohe Grad an Übereinstimmung, den die in der Mönchslatrine nachgewiesenen, durchweg heimischen Fischarten mit einer Liste von Fischen aufweist, die sich in der von Wilhelm von Hirsau verfassten Ordensregel findet. Lediglich der in Schaffhausen häufig nachgewiesene Flussbarsch wird dort nicht erwähnt.322 Ob der Hecht im Fundmaterial möglicherweise deutlich unterrepräsentiert ist und den Mönchen öfter aufgetischt wurde als die Fundlage ausweist, muss offen bleiben.323 Auch bei den Fischresten zeigt die Latrine 6 (datiert 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts), die von Bewohnern des klösterlichen Abts-, Laien- und Gästebereiches genutzt wurde, eine besondere Fundverteilung. An dieser Fundstelle gab es recht viele Fischreste. Im Vergleich mit den Funden aus dem Infirmeriebereich verteilen sie sich jedoch auf andere Arten: besonders stark vertreten sind Hecht, Äsche, Flussbarsch, lachs- und karpfenartige Fische. Den Knochenrestfunden zufolge spielten Rinder bei der Versorgung der Nutzer (und Besucher) dieses Areals keine tragende Rolle. Bedeutend höher ist der Anteil der nachgewiesenen Knochenreste von Schweinen, Schafen/Ziegen und Geflügel (Haushuhn, Gans). An Wildsäugetieren konnte nur das Wildschwein identifiziert werden. Anhand der Knochenreste ließ sich das Schlachtalter der Haustiere weitgehend bestimmen. Besonders bei den Schweinen handelte es sich zu einem hohen Anteil um Jungtiere. „Der besonders hohe Anteil an Jungtierknochen sowie der überdurchschnittlich hohe Schaf-, Ziegen- und Schweineknochenanteil im Material lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei um Reste von Speisen gehobener Qualität handelt.“324 Auch dieser Befund stimmt gut mit den nach den benediktinischen Ordensregeln zugelassenen, besonderen Speisen in der Abts- und Gästeküche überein. Die im Kloster Hirsau geborgenen Tierknochenreste vermitteln ein deutlich anderes Bild. Bemerkenswert ist, dass Fischreste dort gänzlich fehlen. Dafür besitzen verschiedene Arten von Hausgeflügel mit insgesamt 321 322 323 324
Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 221 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 220 Diese Vermutung äußern Rehazek/Brombacher (1999), S. 220 Rehazek/Brombacher (1999), S. 216
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fast der Hälfte (49,6 %) der gefundenen Reste einen sehr hohen Anteil am Knochenmaterial. Ganz deutlich dominiert das Haushuhn, gefolgt von der ebenfalls häufig vertretenen Hausgans. Wildvögel wurden demgegenüber lediglich vereinzelt nachgewiesen, so die Kolbenente, Reiherente, Waldschnepfe sowie das Reb- und das Blässhuhn.325 Mit immerhin 37,2 % des bestimmbaren Knochenmaterials stellen die Haussäugetiere einen bedeutenden Anteil an den Speise- und Küchenresten. Aufgrund des hohen Anteils von Jungtierknochen von Schafen wird geschlossen, dass „hauptsächlich Lammfleisch verzehrt“ wurde, und die im Vergleich zu sonstigen Schweineknochenfunden hohe Zahl an Extremitätenknochen deutet darauf hin, dass „Schweinsfüße sehr begehrt“ waren.326 Dass weder dieser hohe Anteil an Knochen (vierfüßiger) Haustiere noch z. B. Reh und Hase mit dem benediktinischen Ordensregelwerk zusammen passen wollen, dem die Hirsauer Kongregation in besonderem Maße verpflichtet war, wird bei der Interpretation der Funde nicht vermerkt.327 Vielmehr wird folgendermaßen bilanziert: „Alles in allem scheinen mit den Knochenfunden … die Speiseüberreste eines bestimmten Personenkreises belegt zu sein, der sich hauptsächlich die sogenannten Bratenstücke und erlesene Speisen servieren ließ. Nachdem die Funde aber aus einer mittelalterlichen Klosteranlage stammen, ist wohl davon auszugehen, daß die Klosterbrüder oder die Mönche es waren, die sich in ihrem Refektorium bedienen ließen. Demnach scheinen hier die ‚Tafelreste‘ eines hochgestellten Personenkreises vorzuliegen.“328 Fragwürdig scheint auch die Interpretation des bemerkenswert umfangreichen Katzenknochenmaterials, das im Untersuchungsbericht ebenfalls den Speiseresten zugeordnet wird.329 Offenbar sind überwiegend die Reste junger Katzen in die Grube gelangt. Die Fundsituation lässt darauf schließen, dass die Katzenknochen nicht zu intakten Kadavern gehörten und vorher auch nicht anderswo lagerten, was z. B. das anteilige Fehlen von Rippenknochen im Fundgut erklären würde. Dieses wird dahin gehend gedeutet, „dass es die Leute von Hirsau auf halbwüchsige Katzen abgesehen hatten“, die möglicherweise bewusst mit Geflügelresten ‚gemästet‘ wurden, um ihrem Fleisch einen besseren Geschmack zu verleihen.330 Die dafür angeführten, nachweislich durch Katzen verursachten Verbiss- bzw. Nage325 326 327 328 329 330
Vgl. Kokabi (1994), S. 54, Tab. 5 Kokabi (1994), S. 49 Vgl. Kokabi (1994) Kokabi (1994), S. 54 Vgl. Kokabi (1994), S. 52 f. Kokabi (1994), S. 52 ff.
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spuren am gefundenen Geflügelknochenmaterial bilden keinen Beleg für diese These,331 denn dass Katzen ihnen vorgeworfene oder in Speiseabfällen gefundene Knochen abnagen, ist ‚normal‘ und kann somit nicht etwa als Nachweis einer bewusst durchgeführten Mästung interpretiert werden. Die zweifellos bemerkenswert hohe Zahl von Katzenknochen im Hirsauer Fundgut sollte angesichts dieser sehr spekulativen Argumentation wohl auf andere Ursachen als auf deren Verzehr zurückgeführt werden. Möglicherweise ‚entledigte‘ man sich dort wie auch andernorts des zahlreichen, jedoch unerwünschten Nachwuchses einer vorhandenen Katzenpopulation besonders häufig gerade in dem archäologisch untersuchten Komplex. Ein wiederum anderes Bild vermitteln die auf dem Gelände des Klosters Corvey geborgenen, mittelalterlichen Knochenreste. Hans Reichstein, der sie untersuchte, wertet sie fast ausschließlich als Schlacht-, Küchen- und Speisereste.332 Eine Zuordnung der Funde zu bestimmten Klosterbereichen ist aufgrund der bei der Grabung schwierigen Aufnahmebedingungen anders als bei Schaffhausen für Corvey nicht möglich. Etwa 96 % des in der Reichsabtei gefundenen Knochenmaterials ließen sich Haustieren zuordnen, „die fast ausschließlich durch Rinder, Schafe und Schweine vertreten sind“.333 Im Vergleich zu anderen mittelalterlichen Fundorten fällt in Corvey der Anteil an Rinderknochen niedrig aus. Bemerkenswert ist, dass er nicht etwa durch einen signifikant höheren Anteil an Schweineknochen ausgeglichen wird, sondern durch einen hohen Prozentsatz an Schaf-/Ziegenknochen, die wohl ganz überwiegend von Schafen stammen. Dieser Befund stellt eine für Mitteleuropa besondere Situation dar, wurde doch ein ähnlich hoher Anteil an Schaf-/Ziegenknochen nur in der slawischen Burganlage Arkona auf Rügen erfasst.334 Die wenigen nachgewiesenen Reste von Pferden, Katzen und Hunden stellen wohl kaum Speisereste dar. Ebenso wenig dürfte der – seltene – Nachweis des Pfaus auf dieses Tier als Nahrungsquelle hinweisen. Das einst vorhandene Exemplar wird eher aus Repräsentationsgründen im Kloster gehalten worden sein.335 Auffallend gering ist der Anteil an gefundenen Fischresten. Mit Blick auf die Bedeutung von Fischen in der klösterlichen Küche wird dieser Befund nicht für repräsentativ gehalten: „Fisch als Nahrungsmittel hat zweifellos eine größere Rolle gespielt, als es die Knochenfunde erkennen las331 332 333 334 335
Vgl. Kokabi (1994), S. 53 Vgl. Reichstein (1993b), S. 121 ff. Reichstein (1993b), S. 121 Vgl. Reichstein (1993b), S. 122 f. Vgl. Reichstein (1993b), S. 121 f. und S. 127
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sen.“336 Möglich ist, dass kleinere Fischknochen und -gräten aufgrund der eingesetzten Aufnahmetechniken nicht erfasst wurden, dass sie im Boden vergingen oder dass Fischreste besonders in Klosterarealen zur Entsorgung kamen, die bei der Grabung nicht freigelegt wurden.337 Die Zahl der gefundenen Knochen von jagdbarem Wild ist gering, jedoch vergleichsweise höher als in Schaffhausen. „Der Fundanteil liegt – gemessen an der Knochenzahl – jeweils unter einem Prozent, was die Bedeutungslosigkeit von Wild als Nahrungsquelle eindrucksvoll unterstreicht.“338 Bereits oben wurde angemerkt, dass die Corveyer Tierrestfunde auf dem ergrabenen Klosterareal nicht mehr näher lokalisiert werden konnten. So ist auch nicht erkennbar, ob es sich möglicherweise um Fundstellen handelt, die in einen Zusammenhang z. B. mit der Abtsküche gebracht werden könnten. Folgt man den Vorschriften der Benediktinerregel, die sich ja in den Schaffhauser Befunden beinahe idealtypisch widerspiegelt, hätte angemerkt werden können, dass nicht nur Wild, sondern auch der sehr hohe Anteil von Schlachtvieh am Corveyer Knochenmaterial dem für ein mittelalterliches Benediktinerkloster Erwartbaren nicht eben entsprechen.339 Andererseits ergibt sich aufgrund des gefundenen Knochenmaterials ein hoher Grad an Übereinstimmung mit den Heberegistern der Reichsabtei, in denen zahlreiche Naturalabgabepflichten dokumentiert wurden.340 Da diese Abgaben oft dezidiert für die Abtsküche oder für die Aufwertung der Mönchstafel bestimmt waren, fallen die für eine mittelalterliche Klosteranlage insgesamt eher ungewöhnlichen archäozoologischen Befunde nicht gleich ins Auge. Der Vergleich zwischen Knochenrestfunden aus nur drei Klosteranlagen stellt eine für generelle Schlüsse sehr schmale Basis dar. Dennoch weisen die unterschiedlichen Ergebnisse darauf hin, dass in den Küchen und Refektorien desselben Ordens zeitgleich sehr verschiedene Verhältnisse geherrscht haben dürften, und dies auch über längere Zeiträume hinweg. Wird für Allerheiligen in Schaffhausen eine enge, durch den sehr hohen Hausgeflügelanteil auch für Hirsau insgesamt noch eine deutliche Orientierung an den benediktinischen Speiseregeln erkennbar, könnte diese gleich336 337 338 339
340
Reichstein (1993b), S. 130 Vgl. Reichstein (1993b), S. 129 f. Reichstein (1993b), S. 122 Vgl. Reichstein (1993b), S. 121 ff., der hierzu keine Ausführungen macht. Im Vergleich mit den aus Corvey überlieferten schriftlichen Quellen, u. a. den bereits erwähnten Berichten des Abtes Wibald, drängten die Befunde diese Frage jedoch auch nicht gerade auf Vgl. hierzu oben S. 336 ff., Reichstein (1993b), S. 130 und ausführlicher Stephan Bd. 2 (2000), S. 332 ff.
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zeitig in Corvey möglicherweise eine recht untergeordnete Rolle gespielt haben. Die Klage, die der Corveyer Abt Wibald im 12. Jahrhundert hierzu führte, wird durch die Knochenfunde vom Gelände der Reichsabtei durchaus unterstrichen.341 Deutlich zeichnet sich damit trotz einer noch schmalen Vergleichsbasis allein schon aufgrund der Tierknochenfunde ab, dass sich ‚die‘ klösterliche Küche im Hochmittelalter nicht in der Form von Ordensregeln fassen lässt. Offenbar konnte es bei den Speisegewohnheiten eine recht große Bandbreite zwischen regelkonformen und freier agierenden Konventen geben. Ob und in wiefern sich dies auf den klösterlichen Grundbesitz und dessen Erträge, auf die Herkunft der Mönche342 oder auch auf unterschiedliche Führung und deren jeweilige ‚Philosophie‘ zurückführen ließe, wäre eine eigene Untersuchung wert.343 Bei den Pflanzenresten ist die Bandbreite der in den Klöstern Schaffhausen und Corvey nachgewiesenen Pflanzenarten erwartungsgemäß recht hoch. Neben verschiedenen Kulturarten findet sich eine große Zahl von Wild- und Sammelpflanzen, die als Nahrungsmittel genutzt wurden oder genutzt werden konnten. Dabei ist im Blick zu behalten, dass die Schaffhauser Funde aufgrund ihrer Fundorte (Kloaken) als Nahrungsreste oder auch Küchenabfälle anzusprechen sind,344 während es bei den Funden aus Corvey nicht ermittelbar ist, ob sie besonders durch die Entsorgung von Küchen- und Speiseabfällen am Weserufer oder durch Anschwemmung in die untersuchten Ufersedimente gelangten.345
341 342
343
344 345
Vgl. oben S. 324 Die Mönche der Reichsabtei Corvey stammten besonders aus dem (sächsischen) Adel, sodass es sein kann, dass sie ihre bisherige Lebensweise auch im Kloster nicht aufzugeben bereit waren, vgl. Stephan Bd. 2 (2000), S. 321; über die Herkunft der Mönche des Klosters Allerheiligen gibt die Dokumentation der Ausgrabungsfunde keine Auskunft; wenn diese städtische Anlage bei der Aufnahme ihrer Mitglieder jedoch ähnlich verfuhr wie z. B. die Kölner Klöster, kann dort von einer deutlich breiteren gesellschaftlichen Streuung der Mönche ausgegangen werden, vgl. Bänteli/ Gamper/Lehmann (1999) und Klaus Militzer: Kölner Geistliche im Mittelalter. Bd. I: Männer. (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln. 91. Heft). Köln 2003, passim Ob und ggf. wie sich auch die Lage der Klöster Schaffhausen und Corvey direkt an oder in einer städtischen Siedlung ausgewirkt haben könnte, kann anhand der hier betrachteten Funde nicht beantwortet werden. Ein möglicherweise durch den Einfluss der städtischen Umgebung (mit) verursachter ‚lockererer‘ Lebenswandel, auf den es für Corvey auch chronikalische Hinweise gibt, ist für das Schaffhauser Allerheiligenkloster mit Blick auf die Fundlage wenig wahrscheinlich Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 223 Vgl. Willerding (2000), S. 594
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Angesichts der Bedeutung, die Brot und auch Brei oder Mus in den Klosterküchen gehabt haben, bieten die wenigen Getreidenachweise (Hafer, Weizen, Hirse) sicher kein repräsentatives Bild. Dies mag damit zusammenhängen, dass Getreide in gemahlener oder geschroteter Form genossen wurde und sich bei Speiseresten daher fast nur durch nicht ausgelesene, daher mit gekochte, verspeiste und verdaute (härtere) Spelzen nachweisbar ist.346 Ebenfalls auffällig ist das Fehlen von Nachweisen für Hülsenfrüchte, sollten doch Erbsen und Ackerbohnen in jedem Benediktinerkloster als regelmäßiges Hauptgericht gereicht werden. Auch hier wird der Befund darauf zurückgeführt, dass sich Hülsenfrüchte in Speiseresten kaum mehr nachweisen lassen.347 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Gemüse- und Gewürzpflanzen. Ihr Blattwerk erhält sich auch bei guten Bodenbedingungen nicht, und so sind sie in der Regel nur durch ihre hartschaligen Samen nachweisbar. Bei Kloaken und Gruben mit Küchenabfällen ist dies meistens nur der Fall, wenn die Pflanzen zu einer Zeit verarbeitet oder verzehrt wurden, zu der sie ausgeprägte Samenstände tragen. Dies mag die in Schaffhausen häufigen Nachweise von Portulak in der Mönchslatrine und in derjenigen des Krankenbereiches erklären, während Kohlgewächse deutlich seltener belegt werden konnten. Welche Rolle sie bei der Ernährung der Mönche tatsächlich spielten, lässt sich mit Hilfe paläoethnobotanischer Untersuchungen demnach kaum mehr klären. Aufgrund seiner weniger vergänglichen Kerne oder Steine treten Nachweise für Obst erwartungsgemäß häufiger auf. Die Bandbreite gesammelter Wildfrüchte ist groß. Mit Schlehe, Holunder und Mispel umfasst sie Pflanzen, die heute kaum mehr zu Nahrungszwecken genutzt werden. Die in Schaffhausen auffallend zahlreich nachgewiesene Brombeere weist darauf hin, dass diese Sträucher in der näheren Umgebung wohl häufig und leicht erreichbar waren. Bei Kern- und Steinfrüchten lässt sich oft nicht sicher sagen, ob sie zu wild wachsenden oder zu kultivierten Arten zu rechnen sind. Den für Corvey belegten Pfirsich zählt Willerding zweifelsfrei als Rest von Kulturobst, und auch Süß- und Sauerkirsche, Pflaume, Wein und Walnuss rechnet er zu den seit der Karolingerzeit regelmäßig kultivierten Arten.348 Auffällig ist der Nachweis der Feige, die (wohl getrocknet) importiert wurde und damit sicher recht teuer war, im Bereich der Schaffhauser Infirmerie. Möglicherweise fand sie dort besonders auch als Heilmittel Verwendung.349 346 347 348 349
Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 223 Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 223 Vgl. Willerding (2000), S. 607 u. ö. Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 226
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Die Bandbreite und die Zahl der in Schaffhausen und Corvey nachgewiesenen Obstreste entsprechen dem Bild, das die benediktinische Ordensregel entwirft. Mit nur wenigen Ausnahmen (z. B. Schlehe) werden die paläoethnobotanisch nachgewiesenen Früchte auch bei Wilhelm von Hirsau in dessen Constitutiones genannt.350 Interessant sind die unterschiedliche Funddichte und -streuung der Obstnachweise in den untersuchten Schaffhauser Latrinen. Die mit Abstand zahlreichsten Obstnachweise fanden sich in der Mönchslatrine, gefolgt von denen in der Infirmerie, in der sich jedoch nicht nur eine geringere Zahl, sondern auch eine geringere Artenvielfalt der in sie hinein gelangten Obstreste feststellen ließ. Im Vergleich etwa zur Mönchslatrine fallen auch die Obstrestfunde aus dem Abts-, Laien- und Gästebereich des Allerheiligenklosters erheblich dürftiger aus. Sie weisen darauf hin, dass Obst besonders auf der Tafel der Mönche innerhalb der Klausur eine Rolle gespielt hat und außerhalb der Klausur – nach Ausweis der Bodenfunde – lediglich in geringem Umfang genossen wurde. Obwohl die Erhaltungsbedingungen und Nachweismöglichkeiten von Nahrungs- und Gewürzpflanzen an beiden Fundorten kein vollständiges Bild zulassen, ist ersichtlich, dass in Schaffhausen und in Corvey eine recht breite Palette von Pflanzen zur Verfügung stand, die in die Angebote der Klosterküchen – jahreszeitlich bedingt – einige Abwechslung bringen konnten. Mit Ausnahme der in Schaffhausen nachgewiesenen Feige handelt es sich bei allen nachgewiesenen Arten um heimische bzw. kultivierte Arten, die im Kloster selbst oder in seiner näheren Umgebung gezogen oder gesammelt werden konnten. Belege für einen besonderen Aufwand bei den klösterlichen Nahrungsgrundlagen oder deren Exklusivität liefert dies nicht, vielmehr weisen die Funde auf eine grundlegend ‚bodenständig‘ orientierte pflanzliche Nahrungspalette in den Klosterküchen hin. ‚Exotische‘ Mähler, die es dennoch gegeben haben mag, können demnach auch für Klosteranlangen wohl nur auf besondere aufwändige Zubereitungsarten, weniger jedoch auf das zur Verfügung stehende Angebot an Nahrungsmitteln zurückgeführt werden. Das eingangs zitierte Bild von ‚schmerbäuchigen Mönchen‘ erweist sich vor diesem Hintergrund weniger als wohl treffende Beschreibung eines allgemein herrschenden Zustandes denn als Topos, der wahrscheinlich auch im Hochmittelalter gern gehört und auch weiter verbreitet wurde. Die durch klostereigene Wirtschaftshöfe, Abgaben, Schenkungen, Renten und Stiftungen im Vergleich zum Großteil der Bevölkerung nicht nur recht si-
350
Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 223 und oben Abschnitt 6.2.4
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chere, sondern geradezu privilegierte Versorgungslage vieler Konvente hat damals schon Anlass zu Kritik gegeben. Ein zeitgenössischer Chronist beklagt etwa, dass sich seit dem 11. Jahrhundert die Klosterzucht (hier: in Sankt Gallen) durch den Einfluss der aufgenommenen Adligen erheblich verringerte: „Es wurden nur mehr Adlige in das Stift aufgenommen, die auf Studium und Regeltreue nichts mehr hielten, dafür ihren Stolz in ritterliche Gesinnung und gute Waffen setzten. In der folgenden Zeit, in der das Kloster besonders in die Habsburger Fehden verwickelt war, lebten die Stiftsherren immer feudaler. Die einzelnen Klosterämter trugen ihren Inhabern reichliche Einkünfte ein“.351 Ob derartige Schilderungen jeweils besonders krasse Spitzen markieren oder ob sie tatsächlich für allgemeine Entwicklungen in hochmittelalterlichen Klöstern stehen, kann hier nicht geklärt werden. Die vergleichsweise gesicherte ökonomische Lage vieler Konvente wird dort, wo sie offen zur Schau getragen oder sogar übertrieben (bzw. als unangemessen empfunden) wurde, den Unmut derer auf sich gezogen haben, denen der Klerus Demut, Verzicht, Bescheidenheit oder Mäßigung predigte. Dass Diskrepanzen zwischen dem vom Klerus postulierten Anspruch und dessen jeweils beobachtbaren Verhalten von vielen Zeitgenossen nicht nur wahrgenommen, sondern auch angeprangert wurden, zeigen oben bereits zitierte, literarische Quellen. ‚Wasser predigen und selbst Wein trinken‘ ist auch heute noch ein sensibel wahrgenommenes und stark kritisiertes Verhaltensmuster, ohne dass daraus geschlossen werden könnte, dass diese Inkonsequenz für alle gilt, die für Ideen werben, Gesetze, Regeln und Weisungen definieren oder Forderungen stellen.
7.5 Ein vorläufiges Fazit Auch wenn Tierknochen- und besonders Pflanzenrestfunde, die im Rahmen archäologischer Grabungen gehoben, untersucht und interpretiert wurden, immer nur einen Teil des einstmals vorhandenen Nahrungsmittelangebotes erfassen, lassen sich auf der Grundlage der ausgewerteten Funde verschiedene Aussagen zu dem in adligen, städtischen und ländlichen Haushalten sowie in Stiften und Klöstern vorhandenen Nahrungsspektrum treffen. Nachweisbar ist dabei besonders die Präsenz verschiedener Nahrungsgrundstoffe. Die Frage der Repräsentativität von Fundverteilungen und -häufigkeiten dagegen ist angesichts der durchweg nur lückenhaften Erfassung früherer Gesamtbestände kaum wirklich belastbar zu erörtern.
351
Narciß (1989), S. 85
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Immerhin zeichnen sich dabei oft gewisse ‚Trends‘ ab, nämlich dann, wenn sich signifikante Fundhäufungen (etwa) übereinstimmend an verschiedenen Fundstellen zeigen. Dies scheint bei den Tierknochenfunden besser möglich zu sein als bei Pflanzenresten, da diese aufgrund ihrer Fund- und Erhaltungslage für städtische Siedlungen vergleichsweise deutlich breiter dokumentiert sind als für andere Siedlungsformen. Synoptisch betrachtet, zeigen die (am Schluss dieses Bandes aufgeführten) Tabellen mit Tierknochenfunden aus Burgen/Herrensitzen, städtischen und ländlichen Siedlungen sowie aus Stiften und Klöstern ein insgesamt überraschend einheitliches Bild: ihren Fleischbedarf deckten die mit diesen Lebensumfeldern erfassten Gruppen der hochmittelalterlichen Gesellschaft fast ausschließlich durch die Schlachtung von Haustieren. Rinder und Schweine standen, wenn auch teilweise mit unterschiedlichen Gewichtungen, als wesentliche Fleischlieferanten insgesamt an erster Stelle. Schafe und Ziegen spielten ebenfalls eine gewichtige, wenn auch insgesamt nicht gleich verteilte Rolle, da Ziegen oft besonders zur Milch- und Fleischproduktion, Schafe hingegen häufig speziell auch als Wolllieferanten gehalten wurden. Bemerkenswert ist, dass sich – mit Ausnahme der Stifte und Klöster – in allen Lebensbereichen Hinweise darauf fanden, dass auch Pferde (und dies nicht nur im extremen Ausnahmefall) geschlachtet und in den Küchen auch zu Speisezwecken verarbeitet wurden. Hausgeflügel spielte demgegenüber zumeist eine untergeordnete Rolle, nur an wenigen Fundorten konnten höhere Anteile an Hühnern, Gänsen oder Enten im Tierknochenmaterial nachgewiesen werden. Hunde und Katzen, deren Knochen sich ebenfalls in den meisten untersuchten Materialien fanden, dürften – wenn überhaupt – nur im Ausnahmefall zu Nahrungszwecken gedient haben. Die Bedeutung von (Süßwasser- und auch See-)Fischen bei der Ernährung wird durch die vorhandenen Nachweise aus allen Siedlungsformen sicher nicht annähernd treffend wiedergegeben. Auch Muscheln, Flusskrebse und Schnecken gehörten zum Fang- oder Sammelgut, das wohl überall auf mittelalterliche Tische gelangen konnte, ohne dass dies bisher durch eine angemessen hohe Zahl von Nachweisen auf breiterer Basis belegt wäre. Bemerkenswert ist ferner, dass sich Nachweise von Jagdtieren – Wildsäugern und Wildvögeln – in allen Siedlungstypen fanden, wenn auch in Burgen und auf Herrensitzen mit zumeist höheren Fundanteilen. Insgesamt spielte die Jagd zur Nahrungsgewinnung jedoch – auch beim hochmittelalterlichen Adel – durchweg keine tragende Rolle (mehr).352 Dieses
352
Vgl. z. B. Janssen (1990), S. 222 f.
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Bild deckt sich nicht mit dem, das die Dichtung des Hochmittelalters oder die Ordensregel der Benediktiner zeichnen, wenn sie eine für Adel, Bauern und Mönche jeweils angemessene Lebensführung erwähnen. Rechtlich und ökonomisch bedingte, aber auch ideell begründete Unterschiede in der Ernährungsweise verschiedener Gruppen der hochmittelalterlichen Gesellschaft lassen sich auf der Basis der betrachteten Tierknochenfunde weit weniger deutlich ausmachen als dies nach Ausweis zeitgenössischer Literatur – hier insbesondere der Dichtung – erwartbar gewesen wäre. Auch ein Schluss auf ökonomisch mögliche, qualitative Unterschiede der tierischen Nahrung ist auf der Grundlage der Auswertungen bisheriger Funde aus den Lebensumfeldern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen kaum zu ziehen. Mit Ausnahme der Schweine, die ausschließlich als Fleischlieferanten dienten, wurden Haussäugetiere überall zu mehreren Zwecken gehalten: als Arbeitstiere (Rind, Pferd), zur Gewinnung von Knochenmaterial (z. B. für die Kammschnitzerei), Horn, Leder oder Pergament (Rind, Ziege), von Wolle (Schaf) und auch zum Erhalt von Milch und Milchprodukten (Ziege, Schaf, Rind). Wie das oft ermittelbare Schlachtalter der Tiere zeigt, kamen auch in sozial höher gestellten, ‚begüterten‘ Haushalten vornehmlich ältere Tiere zur Schlachtung, was mit der Vorstellung dort etwa verbreitet ‚zarter Bratenstücke‘ kaum harmoniert. Wie sich zeigte, wurden auch auf Burgen und Herrensitzen nicht nur Edelfische, sondern auch qualitativ gering bewertete Fischarten verzehrt, zuweilen sogar besonders kleine Exemplare. Es gibt jedoch auch Hinweise auf Unterschiede in der Verteilung des Fleischkonsums. Im Vergleich zum Rind hohe Anteile von Schweineknochen weisen bei vielen Burgen und Herrensitzen, aber auch bei den Stiften darauf hin, dass dorthin möglicherweise vermehrt Abgaben in Form von Schweinen entrichtet wurden. Dies lässt sich auch daraus schließen, dass die für solche Fundorte ermittelbare Relation zwischen Sauen und Ebern mehrmals einen Überhang an Ebern ergab, der für eine ‚normale‘ Schweinehaltung und -zucht untypisch ist. Obwohl auch Hühner und Hausgeflügel allgemein als Abgabe herangezogen wurden, konnten wohl auf eine solche Abgabepraxis verweisende, höhere Geflügelanteile auf Burgen nur für einen Fundort (Nidau) wahrscheinlich gemacht werden. Nur in wenigen Fällen gelang es, außerhalb von Burgen Verbindungen zwischen dem aus Tierknochenfunden erschließbaren Fleischkonsum und sozialer bzw. ökonomischer Stellung der Bewohner der untersuchten Parzellen herzustellen. So in den städtischen Siedlungen Konstanz und Augsburg, wo Handwerkersiedlungen archäologisch erfasst und wohl vermehrt ‚mindere‘ Fleischqualitäten verzehrt wurden. So zumindest wird es in den Publikationen der Funde dargestellt, wobei konkrete Aussagen zur Bewer-
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tung der Fleischqualität nicht oder nur teilweise vorgenommen werden. Wird nämlich wie an diesen beiden Fundorten davon ausgegangen, dass besonders ältere Tiere ‚mindere‘ Fleischqualitäten lieferten,353 so trifft dies für das Fleischangebot an vielen anderen Fundorten ebenfalls zu. Deutlich unterschiedliche Hühner- sowie Jungtieranteile am Gesamtfundgut, die auf eine ökonomische Spreizung zwischen verschiedenen Stadtquartieren schließen lassen, wurden hingegen an verschiedenen Fundorten auf dem Stadtgebiet von Basel ausgemacht.354 Der Versuch, aus gefundenem Tierknochenmaterial auf die Fleischmengen zu schließen, die den hochmittelalterlichen Bewohnern der verschiedenen Siedlungsformen zur Verfügung standen, ist von mehrfachen Unwägbarkeiten geprägt. Zum einen werden, wie verschiedentlich angesprochen, die einst tatsächlich vorhandenen Tierzahlen durch die Knochenfunde nur teilweise erfasst. Zu beachten ist auch bei aus der Fundmenge und der Knochenverteilung auf das Skelett ermittelbaren Mindestindividuenzahlen, dass gerade die wesentlichen Fleischlieferanten Rind und Schwein im Hochmittelalter kleiner waren als heute und daher einen erheblich geringeren Fleischertrag lieferten. Ferner ist zu berücksichtigen, welche Aussagen die Tierknochen- oder Mindestindividuenzahlen im Verhältnis zu dem Zeitraum erlauben, in dem eine Siedlung genutzt oder ein Haushalt betrieben wurde, aus deren oder aus dessen Abfallgrube(n) sich die Funde heben ließen. Schließlich müsste bekannt sein, wie vielen Menschen die jeweils untersuchten Reste zugeordnet werden könnten. Da hierzu kaum Aussagen vorliegen, sind Berechnungen zum Fleischverbrauch und vor allem zu einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch, wie sich am Beispiel der Wysburg zeigen ließ, sehr problematisch. Dass etwa der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch in ‚Deutschland‘ um das Jahr 1000 bei 60kg jährlich und um 1200 bei 80kg gelegen haben könnte,355 ist quantitativ durch die Tierknochenfunde zwar nicht zu be- oder zu widerlegen, jedoch auch bei Berücksichtigung ihrer Unwägbarkeiten insgesamt zweifelhaft. Diese Mengenangaben scheinen nämlich generell zu hoch angesetzt. Berücksichtigt man die im Hochmittelalter häufigen Fasttage und ausgedehnten Fastenzeiten und setzt ‚Fleischtage‘ dafür etwa mit 200 pro Jahr an, würde der tägliche Pro-
353
354 355
Vgl. für Konstanz Prilloff (2000), S. 216 f. und für Augsburg Pöllath/Driesch (2000), S. 228 Vgl. Schibler (1995), S. 114 Vgl. Diedrich Saalfeld: Der Boden als Objekt der Aneignung, in: Ernst Schubert/ Bernd Herrmann (Hg.): Von der Angst zur Ausbeutung. Umwelterfahrung zwischen Mittelalter und Neuzeit. (Fischer Taschenbuch 11194). Frankfurt/M. 1994, S. 72–92, hier: S. 75, Tabelle 1
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Kopf-Verbrauch um das Jahr 1000 rechnerisch 300gr und um 1200 immerhin 400gr Fleisch bzw. Fleischprodukte ergeben. Diese Mengen sind auch unter Berücksichtigung der körperlichen Arbeit und Belastung der Menschen des Hochmittelalters und ihres damit höheren Nahrungs- und Kalorienbedarfs beträchtlich. Unwahrscheinlich hoch sind sie, weil sie Durchschnittswerte angeben, demnach Kinder, Ältere und z. B. den mehrheitlich körperlich nicht hart arbeitenden Klerus mit einbeziehen. Zwar lässt sich auf der Grundlage der Tierknochenfunde ermitteln, dass für die Fleischversorgung z. B. auf Burgen, aber auch in städtischen Siedlungen eine Vielzahl von Tierarten zur Verfügung stand, ob und in wiefern von einer regelmäßigen Versorgungslage ausgegangen werden darf und wie diese bemessen werden sollte, können die Funde jedoch nicht vermitteln. Vor diesem Hintergrund ist Bewertungen wie der folgenden, sofern sie sich auf Tierknochenfunde stützen, mit Skepsis zu begegnen: „Der Tisch für den mittelalterlichen Menschen war immer überreich gedeckt.“356 Die einzige Aussage, die sich auf der Grundlage von Tierknochenfunden aus verschiedenen Siedlungstypen machen lässt, ist die, dass es auf Burgen und Herrensitzen i. d. R. eine erheblich größere Menge und Auswahl an Fleischlieferanten gab als in ländlichen Siedlungen und dass dort anteilig auch mehr Wild verzehrt wurde als in anderen Siedlungstypen. Vergleicht man die vorhandenen Fundmengen in Relation zu einer erfassten oder einst bewohnten und bewirtschafteten Fläche – Burg/Herrensitz, städtische und ländliche Siedlung sowie Stifte und Klöster –, zeichnet sich ab, dass auf den meisten Burgen und Herrensitzen höhere Konzentrationen an Tierknochen vorliegen. Wenn für alle betrachteten Siedlungsformen gilt, dass durch die Tierknochenfunde die einst konsumierten Tiere nur teilweise erfasst werden, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass die Fleischversorgung adliger Siedlungsplätze quantitativ insgesamt um einiges besser gewesen sein dürfte als die anderer Siedlungen. Neben den Nahrungsgrundlagen tierischen Ursprungs, zu denen auch Milch(produkte) und Eier zu rechnen sind, stand ein breites Spektrum pflanzlicher Nahrungsmittel zur Verfügung. Dabei wurde die Versorgung der Menschen fast ausschließlich durch die in unmittelbarer Nähe verfügbaren Ernährungsgrundlagen sichergestellt. Zwar wurden schon im Hochmittelalter z. B. (Salz-)Heringe, getrockneter (Stock-)Fisch und Wein schon über weite Strecken verhandelt, doch wurden diese Waren durch den beschwerlichen Transport sehr verteuert und waren damit für weite Kreise der Bevölkerung wohl nur selten erschwinglich. Importwaren aus dem Ori356
Prilloff (2000), S. 216 mit Bezug auf die Tierknochenfunde aus dem hochmittelalterlichen Konstanz
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ent oder den transalpinen Gebieten wie Pfeffer, Paradieskorn, Kardamom, Mandel, (getrocknete) Feigenfrüchte und Esskastanien waren zwar sicher ebenfalls teuer, nach Ausweis der Funde, die sie vor allem in städtischen, aber auch sogar im ländlichen Bereich belegen, möglicherweise weniger exklusiv als es hochmittelalterliche schriftliche Quellen nahe legen. Dass sich Nachweise exotischer Gewürze gerade auf Burgen und Herrensitzen bisher nicht fanden, ist zwar bemerkenswert, könnte jedoch auch auf die jeweils vorfindlichen, für pflanzliches Material oft nicht guten Erhaltungsbedingungen zurückgeführt werden. Das Spektrum der pflanzlichen Nahrungsgrundstoffe des Hochmittelalters und seine Nutzung unterscheiden sich von heutigen Verhältnissen erheblich. Heute wichtige Nachtschattengewächse wie die Kartoffel und die Tomate wurden wie der Mais in Europa erst nach der Entdeckung Amerikas und damit in der frühen Neuzeit bekannt.357 Mit Ausnahme der Feige fehlen für das Hochmittelalter Belege für Südfrüchte gänzlich – im heutigen Konsum bedeutende Vitaminlieferanten wie Zitrone und Orange waren zwar, wie schriftliche Quellen ausweisen, vereinzelt bekannt, aber faktisch weder vor Ort zu ziehen noch einzuhandeln. Heute beliebte tropische Früchte wie Banane, Ananas, Kiwi, Avocado und aus südeuropäischen Regionen stammende Gewächse wie die Artischocke oder Zucchini waren bis weit in die Neuzeit hinein in Mitteleuropa ebenso unbekannt wie unerreichbar. Die Palette der in den Küchen des Hochmittelalters genutzten heimischen Früchte, Beeren und Nüsse ist dennoch recht umfangreich, dabei jedoch stark saisonal geprägt. Eine vitaminreiche und vielseitige Ernährung war daher nur in den Sommermonaten und im frühen Herbst möglich. Im Winter stand an pflanzlichen Nahrungsmitteln nur zur Verfügung, was sich konservieren ließ, z. B. eingelegter Kohl als Sauerkraut, vielleicht Gurken in Essig, in gedörrtem/getrocknetem Zustand Äpfel, Birnen, Pflaumen oder Weintrauben und neben Zwiebeln und (damals wohl auch eingemieteten)358 Rüben, Möhren und vielleicht Rettichen wohl auch verschiedene (getrocknete oder eingelegte) Kräuter. Eine besondere Rolle kam daher denjenigen Pflanzen zu, deren Früchte nicht nur in größeren Mengen angebaut werden konnten, sondern sich auch gut hielten oder ohne aufwändige Konservierung einlagern ließen: Getreidepflanzen und Hülsenfrüchte. Als Brotge357 358
Vgl. Laßt uns haben gute Speis (1984), S. 9 und Schubert (2006), S. 14 (Versenkte) Erdsilos, Gruben und (durch eine Erdabdeckung oberirdisch aufgehäufte) Mieten sind bereits in frühgeschichtlicher Zeit im Rahmen der Bevorratung nachweisbar, vgl. W. H. Zimmermann s.v. Vorratswirtschaft, in: RGA Bd. 32 (2006), S. 620–623
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treide und für Backwaren wurden besonders Weizen und Roggen genutzt, Gerste und Hafer wurden ihrer schlechteren Backeigenschaften wegen wohl eher geschrotet und als Grieß für Breispeisen, Gerste auch zum Bierbrauen verwendet. Regional unterschiedlich spielten auch Dinkel und Emmer eine Rolle, auch die verbreitete Hirse kam in den Küchen wohl oft zum Einsatz. Nachweise für Buchweizen, der erst im Spätmittelalter aus Osteuropa einwanderte, fehlen folglich für den hier betrachteten Zeitraum fast komplett.359 Die Hülsenfrüchte Ackerbohne und Erbse sowie die Linse sind in den Pflanzenfunden zwar nicht überall vertreten, dürften jedoch nicht zuletzt wegen ihrer guten Lagereigenschaften allgemein eine hohe Bedeutung besessen haben. Die oben für die Tierknochenfunde bereits getroffenen Aussagen zu einer erforderlichen Differenzierung zwischen Präsenzbelegen und Repräsentanzwerten gelten ähnlich für Pflanzenfunde, die in das Hochmittelalter datieren: sie ermöglichen Aussagen über die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Pflanzenarten, ohne diese – erhaltungs- und nachweisbedingt – annähernd vollständig erfassen zu können.360 Und sie ermöglichen kaum Aussagen über die jeweils zur Verfügung stehenden Mengen. Den Stellenwert, der in der Neuzeit besonders der Kartoffel zuwuchs, repräsentierte im Hochmittelalter das Getreide, verarbeitet zu Brot und zu Breispeisen. Angesichts der im Hochmittelalter noch wenig entwickelten Anbaumethoden und der allgemein wohl eher geringen Ertragslage, auf die u. a. im Vergleich zu heutigen Züchtungen kleine Körnergrößen hinweisen, sind Aussagen zu benötigten und verfügbaren Mengen und damit zur allgemeinen Versorgungslage kaum zu treffen. Ob denn ein Pro-KopfVerbrauch an Getreide um das Jahr 1000 etwa 180kg jährlich – und damit umgerechnet fast 500gr täglich – und um 1200 etwa 120kg pro Jahr (täglich ca. 330gr) betragen haben könnte,361 bleibt schließlich fraglich. Flächen359
360
361
In der Bremer Langenstr. soll eine Kulturschicht aus dem 13. Jahrhundert Buchweizenpollen enthalten haben, vgl. Manfred Rech: Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Focke-Museum/Bremer Landesmuseum vom 19. November 2003 bis 28. März 2004. (Bremer Archäologische Blätter 3). Bremen 2004, S. 24, Tab. 2. Dass derartige Funde erst für das 14. Jahrhundert öfter belegt sind, sodass von einer größeren Verbreitung des Buchweizens auszugehen ist, merken Arie J. Kalis/Jutta Meurer-Balke an: Archäobotanische Untersuchungen an Sedimenten des Brunnen [sic!] (205), in: Schneider/Wemhoff (2003), S. 97 f., hier: S. 98 So konnten einige heimische und auch bekannte Pflanzen- und Gewürzarten bisher kaum oder gar nicht nachgewiesen werden, so z. B. Kürbis, Meerrettich, Lauchgewächse wie Porree, Schnitt- oder Knoblauch, Bärlauch, Eppich, Lattich, Salbei, Liebstöckel, Zitronenmelisse, Wermut oder Waldmeister Vgl. Saalfeld (1994), S. 75, Tab. 1
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deckende regionale oder gar überregionale Erhebungen zu Ernteerträgen sowie zu Bevölkerung und Wachstum wurden im Mittelalter nur ansatzweise oder überhaupt nicht durchgeführt, und dort, wo etwa mit klösterlichen Heberegistern Liefer- oder Mengenangaben überliefert sind, ist offen, wie viele Menschen über welche Zeiträume hinweg mit den genannten Lebensmitteln zu versorgen waren. Ohnehin muss davon ausgegangen werden, dass sich Versorgungslagen in verschiedenen Regionen zeitgleich sehr unterschiedlich gestalten konnten, wenn sich z. B. die Folgen von Stürmen, Regen- oder länger dauernden Schnee- und Frostperioden auswirkten, die wohl nur selten den gesamten hier betrachteten geographischen Raum betrafen. So kann nur versucht werden, die Frage aus der Perspektive der damaligen Menschen zu betrachten, ohne dass damit konkrete Aussagen zur Quantität der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel möglich wären: es gutes Jahr herrschte, wenn die Ernten nicht nur zur Deckung des aktuellen Bedarfs (und auch zur Deckung von Abgabelasten) ausreichten, sondern es ermöglichten, die erforderlichen Vorräte für den Winter anzulegen und für das kommende Frühjahr genügend neue Aussaaten vorzuhalten. Damit kann weder die Aussage, die Tische der Menschen des Hochmittelalters seien stets reich gedeckt worden,362 noch diejenige, dass ihre Nahrungsdecke chronisch zu dünn gewesen sei,363 mit Hilfe der archäologisch erschlossenen Funde bestärkt werden. Deutlich wird allein, wie wetterabhängig die Versorgung der Menschen besonders mit pflanzlichen Nahrungsmitteln war. Sie muss sich aus damaliger Sicht als hoch risikobehaftet dargestellt haben. Welche Unwägbarkeiten bleiben, wenn auf einer breiten Basis an Fundorten und unter Anwendung modernster Untersuchungsmethoden das Spektrum der im Hochmittelalter zur Verfügung stehenden Nahrungsgrundlagen vollständiger erfasst werden soll, zeigt das Beispiel der (Speise-) Pilze. Ihre sehr kleinen und überdies hoch flüchtigen Sporen konnten an keinem der zuvor betrachteten Fundorte nachgewiesen werden.364 Unwahrscheinlich scheint jedoch, dass Pilze ihrer halluzinogenen oder anderer Wirkungen wegen lediglich als Heilmittel und kaum als Nahrungsmittel genutzt wurden, wofür angeführt wird, dass sie nach „Albertus Magnus … generell – auch die nicht giftigen – Bewusstlosigkeit und Schlaganfall“ bewirkten.365 Ob und wie weit diese Einschätzung der naturkundlichen 362 363 364
365
Vgl. Prilloff (2000), S. 126 So die von Schubert (2006) an mehreren Stellen vertretene Grundthese An Belegen für Holz- oder Schimmelpilze fehlt es hingegen nicht, vgl. dazu Ulrich Willerding in: RGA Bd. 23 (2003), S. 168–174 s.v. Pilze (vgl. bes. S. 168) I. Müller im LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 2160 unter dem Stichwort ‚Pilze‘
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Autorität Albertus Magnus seinen Zeitgenossen bekannt war und auch, ob sie von ihnen geteilt wurde, lässt sich nicht mehr ermitteln. Bemerkenswert ist, dass Speisepilze in den mittelhochdeutschen Dichtungen sowie in chronikalischen (lateinischen) Quellen nur selten erwähnt werden.366 Der einzige, im Zusammenhang dieser Arbeit erreichbare Beleg ist die Erwähnung in den ‚Benedictiones ad mensas‘ des Benediktinermönches Ekkehart IV. aus Sankt Gallen, in dessen Schrift allerdings auch darauf hingewiesen wird, dass Pilze (vorsorglich?) sieben mal gekocht oder erhitzt werden sollten.367 Daraus lässt sich in Anlehnung an neuzeitliche Dokumentationsgewohnheiten – quid non est in mediis, non est in mundo – nicht automatisch schließen, dass Pilze bei der Ernährung der Menschen keine Rolle spielten. So ist der Paläo-Ethnobotaniker Ulrich Willerding überzeugt, dass Pilze durch die Menschen in Mitteleuropa bereits seit dem Altertum geerntet und genossen wurden: „Bei der Erschließung zusätzlicher Nahrungsressourcen dürfte der Mensch schon sehr früh gelernt haben, die eßbaren von den giftigen P.en zu unterscheiden. Da das Nahrungsangebot häufig nur knapp gewesen ist, wird der Mensch schon bald den Wert der eßbaren P. als Nahrungsressource erkannt haben. Etwa 50 der mitteleuropäischen Pilzarten gelten als Speise-P.“.368 Auch wenn z. B. Schriftquellen aus der römischen Kaiserzeit belegen, dass sich die Römer mit der Klassifizierung von Pilzen sowie deren sachgerechter Ernte und Verarbeitung schwer taten, spricht einiges dafür, dass Pilze in der Mitte und im Norden Europas nicht nur gelegentlich in die Kochtöpfe wanderten: „Zahlreich sind die Arten der Konservierung von P.n für die Herstellung von Nahrungsmitteln … Dabei dienten P. als Lieferanten von Mineralstoffen und Wasser, als Salzersatz oder Würzmittel. Verzehrt wurden frisch gesammelte und eingelegte P., ebenso Dörr- und Räucher-P. Zum Trocknen wurden sie oder ihre Stücke aufgefädelt und an einem luftigen Platz im Schatten aufgehängt. Auch das Einlegen in EssigLake war verbreitet. Die große Zahl von Konservierungs- und Zubereitungsarten kann als Hinweis dafür angesehen werden, daß P. schon seit langem als Nahrung bekannt waren.“369 366
367
368 369
H. Tiefenbach führt in seinen sprachgeschichtlichen Nachweisen unter dem Stichwort ‚Pilze‘ besonders Belege aus dem 9. bis 11. Jahrhundert an, die Pilze als Heilmittel oder als giftig/ungenießbar aufführen. Der einzige dort erfasste altsprachliche Beleg für einen Speisepilz stammt aus dem altenglischen Glossar Ælfrics (metteswam, zu altenglisch mete ‚Speise, Nahrung‘), vgl. RGA Bd. 23 (2003), S. 166–168 s.v. Pilze, hier S. 169; vgl. auch Schubert (2006), S. 157 Vgl. den lateinischen Text und seine Übersetzung unten im Anhang, Abschnitt I.1, V. 48 und 211 Willerding (2003), S. 168 Willerding (2003), S. 170
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Abschließend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die archäologisch erschlossenen Nahrungsquellen des Mittelalters in manchem, aber nicht durchgehend diejenigen Verhältnisse widerspiegeln, die auch die literarischen Quellen vermitteln, wenn sie Unterschiede in der Ernährung der adligen und der ländlichen Bevölkerung benennen: dem Adel standen bei tierischer Nahrung nicht nur mehr verschiedene Ressourcen, sondern vor allem wohl auch andere Mengen zur Verfügung. Etwa eine Zwischenstellung nehmen die städtischen Siedlungen ein, die in der Dichtung fast gänzlich ausgelassen werden. Anders als ebenfalls durch sie vermittelt, spielte die Jagd bei der Versorgung adliger Haushalte im Hochmittelalter keine auch nur annähernd tragende Rolle mehr. Die auch auf Burgen und Herrensitzen fast durchweg nur geringen Nachweise für Wildtiere sprechen dafür, dass die Jagd vom Adel mehr als Symbol seiner gesellschaftlichen Stellung als aus Gründen einer Notwendigkeit betrieben wurde: „Durch das Jagdverbot für alle anderen Gruppen der frühmittelalterlichen Gesellschaft wurde die Jagd immer mehr zu jener Beschäftigung, die Exklusivität und Prestige sinnfällig zum Ausdruck brachte. Sie wurde für die Jagdberechtigten zur Möglichkeit ‚ … qualifizierten, sozialen Abstand zu schaffen und zu betonen‘“.370 Dafür waren jagdliche Aktivitäten nach Ausweis der Funde aus nichtadligen Siedlungsbereichen offenbar weniger exklusiv als es literarische Quellen nahe legen. Offen bleibt, ob die Funde von Wildtieren, die öfter in städtischen, aber vereinzelt auch in ländlichen Siedlungen gemacht wurden, auf Tausch oder Handel, auf eine laxe Durchsetzung von Rechtsansprüchen, auf Schadenabwehr (z. B. bei Wildschweinen, Bären, Greifvögeln und Reihern) oder schlicht auf (in ‚schlechten Zeiten‘ betriebene?) Wilderei zurückgehen.371 Angesichts der insgesamt geringen Fundzahlen an Wildtierknochen in städtischen und besonders in fast allen ländlichen Siedlungen besaß jedoch keine dieser Alternativen dort bei der Nahrungsbeschaffung und -sicherung eine nennenswerte Bedeutung. Ein anderes, insbesondere durch die zeitgenössische Dichtung vermitteltes Bild lässt sich durch archäologisch erschlossene Funde weder bestärken noch entkräften. Es könnte etwa gefasst werden mit der Formel einer deutlichen Fleischorientierung der Ernährung des Adels, etwa nach dem Motto: ‚Wild, Haustiere, Geflügel und Fisch gehören bevorzugt auf unseren Tisch‘, und einer überwiegenden Beschränkung der anderen gesellschaftlichen Gruppen auf pflanzliche Nahrungsmittel. Da die Palette der in allen betrachteten Siedlungsbereichen vorhandenen und auch genutzten 370 371
Janssen (1990), S. 223 Wilderei wird in erheblichem Umfang für möglich gehalten von Schubert (2006), S. 304, vgl. auch Vollmar (2004), S. 8
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Nahrungsmittel tierischen und pflanzlichen Ursprungs insgesamt durchaus vergleichbar ist, könnten lediglich die einstmals tatsächlich vorhandenen Mengen und auch deren jeweilige Gewichtung auf den Speisezetteln Auskunft darüber geben, ob und in welcher Form eine solche hierarchische und ökonomische ‚Fleisch-Pflanzen-Schichtung‘ vorlag. Sie scheint, was die Zahl der Tierknochenfunde von Burgen und Herrensitzen angeht, möglich, könnte angesichts des auch dort nachgewiesenen Pflanzenspektrums vielleicht jedoch geringer ausgefallen sein als es die um eine prestigewürdige Darstellung bemühten poetischen Texte schildern. In anderer Hinsicht stellen die archäologisch bisher erschlossenen Nahrungsquellen literarische Schilderungen geradezu auf den Kopf: so fanden sich z. B. bisher Nachweise exotischer, damit importierter und teurer Gewürze nicht etwa in adligem Umfeld, sondern in städtischen Siedlungen (Pfeffer, Paradieskorn, Koriander) und im ländlichen Bereich (Kardamom), und auch der einzige Nachweis der Mandel als Importware fand sich im städtischen Milieu.372 Eine Zuordnung der in den Küchen der Haushalte vorhandenen Gewürze und Zutaten etwa nach dem Muster ‚im Gesellschaftsgefüge hoch stehend/reich‘ und ‚niedrig stehend/arm‘ sollte aufgrund dieser – bisher noch auf Einzelbeispielen beruhenden – Fundlage in Frage gestellt werden. Und auch wenn sich beim Fleischkonsum der verschiedenen Gruppen ansatzweise qualitative Unterschiede feststellen lassen, bietet sich z. B. bei Getreidefunden ein anderes Bild. Dass überall – teilweise gesundheitsschädliche – Getreidebeimengungen gefunden wurden, weist aus, dass Getreide auch in begüterten Haushalten nicht besser gereinigt oder ausgelesen wurde als in einfachen Hütten.
372
Dass es im Hochmittelalter in vielen städtischen Siedlungen Häuser des Adels und des Klerus sowie Klöster gab, Herrensitze wiederum auch in direkter Nachbarschaft ländlicher Siedlungen (z. B. Holzheim), fällt dabei nicht ins Gewicht. Denn die angesprochenen Fundbeispiele lassen sich aus dem jeweiligen Siedlungskontext heraus, innerhalb dessen sie geborgen wurden, recht sicher zuweisen
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8. „daz muosen tiure näphe sîn“ – Tischgerät und Küchenutensilien Eine Betrachtung von literarischen, kunsthistorischen und archäologischen Quellen, die sich darauf beschränkte, was gegessen und getrunken wurde, wäre unvollständig. Daher soll auch der Frage nachgegangen werden, womit Tische und auch Küchen ausgestattet waren, zumal hierzu hochmittelalterliche Belege aus allen genannten Quellengattungen vorliegen. In den Schilderungen ausgedehnter Festmähler wird in der mittelhochdeutschen Epik oft betont, wie kostbar (und damit teuer) das auf die Tafel gebrachte Geschirr gewesen sei. Ein Beispiel bietet die Passage in der Überschrift zu diesem Kapitel, die aus Wolframs ‚Parzival‘ stammt (84, 24). Wilhelm von Hirsau nannte in seinen ‚Vokabeln‘ zur klösterlichen Tafel wiederum eine ganze Reihe von Gefäßen – z. B. Becher, Schalen, Kannen, Näpfe und Fässer –, über deren Aussehen und Beschaffenheit auch bildliche und/oder archäologische Quellen Auskunft geben können. Ob es (nur) auf Burgen besonders kostbare Waren gab, ob und wie sich für einen solchen Ort Festtagsschilderungen und Alltagsausstattung unterscheiden, auch ob und in wiefern sich die Geschirrbestände wohlhabender und weniger bemittelter Haushalte unterschieden, soll folgend betrachtet werden.
8.1 Keramik1 Bei jeder Siedlungsgrabung fällt Scherbenmaterial an, oft in sehr großem Umfang. Es belegt, dass gebrannte Tonwaren – vornehmlich Keramikgefäße – in den zu der Siedlung gehörenden Haushalten üblich und oft auch 1
Keramik wird hier als Sammelbegriff für Waren aus Ton gesetzt, die die Archäologen aufgrund der Zusammensetzung ihres Grundmaterials und/oder ihrer Brandtechnik nach verschiedenen Kategorien unterscheiden. Da technische Details wie etwa die Zusammensetzung oder Magerung des verarbeiteten Tons oder Unterscheidungen wie die in verschiedene Brandformen, Proto- oder Faststeinzeug und Steinzeug zu einem generellen Überblick im Hochmittelalter verbreiteter und auch gebräuchlicher Formen von Geschirr und Küchengerät verzichtbar scheinen, wird hier allgemein von Keramik gesprochen
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in höherer Zahl verfügbar waren. Für die Archäologie sind die Materialbeschaffenheit, der Aufbau bzw. die Fertigungstechnik, die Form, der Brand und besonders auch Verzierungsformen der Keramik von besonderem Interesse, da sie Aussagen zu Datierung, Stand und Entwicklung der Technik, Handel sowie auch zur Funktion der Irdenware erlauben. Oft sind es allein die Keramikreste, die – da wissenschaftlich mittlerweile regional und überregional insgesamt breit und detailliert erschlossen – die konkrete Datierung einer Fundstelle sowie Aussagen zu ihrer (wirtschaftlichen) Stellung und Verbindungen zum Umland erlauben. Die auch zu mittelalterlicher Keramik vorliegende Literatur ist daher inzwischen sehr umfänglich.2 Da viele der dort behandelten fachlichen Fragen im Rahmen dieser Arbeit jedoch keine zentrale Bedeutung besitzen, sind nähere Ausführungen hierzu verzichtbar. Von größerem Interesse sind vielmehr Typen und Formen der Keramik, die in hochmittelalterlichen Haushalten gebräuchlich waren. Auch die Funktion der Keramik kann dabei eine Rolle spielen, ermöglicht sie doch zuweilen auch Aussagen zu speziellen Nahrungsmitteln und zu deren Zubereitung. ‚Das‘ Keramik-Utensil der mittelalterlichen Küche war – besonders im nord- und mitteldeutschen Raum – der Kugeltopf. Im süd- und südwestdeutschen Raum wurden daneben im 11. und 12. Jahrhundert zum Kochen Keramikgefäße mit mehr oder weniger ausladender Bauchrundung und Stand- bzw. leicht gewölbtem ‚Wackel-‘Boden verwendet,3 im Raum östlich 2
3
Einen generellen Überblick bieten Hartwig Lüdtke/Kurt Schietzel (Hg.): Handbuch zur mittelalterlichen Keramik in Nordeuropa. Mit Beiträgen von Alfred Falk, Torsten Kempke, Uwe Lobbedey u. a. Band 1 (Text) und Band 3 (Tafeln). (Schriften des archäologischen Landesmuseums. Bd. 6). Neumünster 2001; eine zusammenfassende Darstellung mit regionalen Schwerpunkten und zahlreichen Abb. bietet Robert Koch: Tischgeschirr aus Keramik im süddeutschen Raum 1150–1250, in: Heiko Steuer (Hg.): Zur Lebensweise in der Stadt um 1200. Ergebnisse der Mittelalter-Archäologie. Bericht über ein Kolloquium in Köln vom 31. Januar bis 2. Februar 1984. (ZAM. Beiheft 4). Köln 1986, S. 139–177, auch Hans-Georg Stephan: Die mittelalterliche Keramik in Norddeutschland (1200–1500), in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 65–122 sowie Uwe Lobbedey: Bemerkungen zum Tischgeschirr aus Keramik besonders des norddeutschen Raumes (1150–1250), in: Steuer (1986), S. 179–189; vgl. die ausführliche Funddokumentation der Grabungen in der Reichsabtei Corvey durch Stephan Bd. 1 (2000), S. 46–110 Vgl. Beispiele bei Michael Schmaedecke: Gruben des 13. Jahrhunderts aus dem Bereich der Rathauserweiterung in Breisach am Rhein, Kreis Breisgau-Hochschwarzwald, in: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1984 (1985), S. 252–255 mit Abb., vgl. für Rottweil Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 117 sowie in demselben Band (S. 176) Beispiele aus Ulm, ferner für die Grottenburg Riedfluh Degen et al. (1988), Abb. S. 100 ff.
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Abb. 41: Bevorzugte Formen des Kochgeschirrs aus Keramik im 11./12. Jahrhundert4
der Elbe in ihrem oberen Teil weiter aufgezogene ‚Töpfe‘ mit schmalen Boden (vgl. Abb. oben). 4 Der mit einem runden Boden und Rumpf versehene und daher gut wärmeleitende, oft henkellose, gebrannte Kugeltopf wurde zum Erhitzen des Kochguts wohl nahe an die Herdglut gesetzt.5 Seine „rundlich geschlossene Form speichert die Hitze sehr gut und führt zu erstaunlich kurzen Garzeiten.“6 4
5
6
Die auf der Abbildung ggf. schwer lesbaren Legenden lauten im oberen Kasten „Kugeltopf“, im rechten „flachbodige Töpfe slawischer Tradition“, im linken „Wakkelbodengefäße“ und im unteren „Gefäße mit flachem Boden“ Eine Positionierung direkt im Herdfeuer ist wegen der dort herrschenden Temperaturen ohne aufwändigeres Gerät schwer zu handhaben. Am Feuerrand lässt sich ein Topf zudem besser bewegen, um dadurch die Temperatur zu regulieren und damit ein Anbrennen des Kochgutes zu vermeiden Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre u. a. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 254
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Kugeltöpfe wurden jedoch nicht nur zum Kochen verwendet, sie eigneten sich in der Küche und im Haushalt für eine Vielzahl von Einsatzbereichen. „Die Verwendung dieser Gefäßform kann äußerst vielseitig sein. Sie erscheint zunächst als typische Haushaltskeramik im Kontext der Bevorratung und des Kochens. Gerade für letztere Anwendung war der Kugeltopf durch seinen kugeligen Boden (Standfestigkeit im offenen Feuer) und den ausbiegenden Rand (Ansatz für Holzgabel oder Metallzange) von höchster Funktionalität. Bei einem unbefestigten Untergrund eignete er sich ebenso als Vorratsgefäß, da sein kugeliger Boden in gefülltem Zustand eine gute Standsicherheit gewährleistet.“7 Kugeltöpfe bzw. deren Scherben wurden durchweg in allen Siedlungstypen in zumeist beachtlichen Mengen gefunden, waren demnach auf Burgen und Herrensitzen, in städtischen Siedlungen und in Klöstern sowie auch in städtischen Siedlungen sehr verbreitet.8 Bereits im Hochmittelalter stellten Kugeltöpfe eine Massenware dar, die schlicht gefertigt wurde, um danach in hohen Stückzahlen in den Handel zu gelangen. Die Auswertung von Funden aus einer hochmittelalterlichen Töpferei bei Einbeck führte zu folgender Schätzung: „Aufgrund verschiedener Untersuchungen in anderen mittelalterlichen Städten und aufgrund 7 8
Hesse (2003), S. 70 Zu Nachweisen aus dem 11. bis 13. Jahrhundert vgl. für Starigard/Oldenburg Müller-Wille (1991), u. a. S. 141; Gerhard Billig/Ines Spazier/Günter Wetzel: Die hochmittelalterliche Wasserburg von Gliechow, Kr. Calau, in: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 24 (1990), S. 185–231, bes. S. 205 ff.; Stephan (1986), bes. S. 225 ff. mit umfangreichen Abb. für Höxter sowie Stephan Bd. 1 (2000), S. 46 ff. zu Funden aus der Stadtsiedlung und der Reichsabtei Corvey; König/Stephan (1987), S. 360 ff. mit Funden aus dem Heilig-Geist-Spital in Höxter, Kugeltopffunde aus dem mittelalterlichen Schleswig bei Hartwig Lüdtke: Die mittelalterliche Keramik von Schleswig. Ausgrabungen Schild 1971–1975. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 4). Neumünster 1985, bes. Tafel 5 ff.; für den ländlichen Bereich z. B. Heege et al. (1998), S. 21 und passim, König (2007) sowie Betty Arndt/Andreas Ströbl: Gutingi. Vom Dorf zur Stadt. Neueste Ergebnisse der stadtarchäologischen Arbeit. Mit Beiträgen von weiteren Autoren. (Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen. Band 13). Göttingen 2005, S. 165 und passim; für das Kanonissenstift Wetter Meiborg [2005], S. 127 ff. Dass Kugeltöpfe im süd- und südwestdeutschen Bereich seltener vertreten waren – von dort stammende Scherbenfunde gehören ganz überwiegend zu Gefäßen mit Standboden –, belegen Funde aus der Zeit seit Anfang/Mitte des. 13. Jahrhunderts, die bei Grabungen in Ingolstadt gemacht wurden. Vgl. die Ingolstädter Funde sowie Vergleichsfunde aus dem süddeutschen Raum bei Gerd Riedel: Ingoldesstat. Archäologische Untersuchungen zu Ingolstadt im Mittelalter. (Beiträge zur Geschichte Ingolstadts). Ingolstadt 2000, S. 68 ff., 287 ff. und Tafeln S. 377 ff.
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Abb. 42: Kugeltöpfe (graue Irdenware) aus Einbeck, 12. bis 15. Jh.
enthnographischer Parallelen ist anzunehmen, daß ein mittelalterlicher Haushalt 10 Kugeltöpfe besaß und daß Kugeltöpfe eine Haltbarkeit von 1–3 Jahren hatten. Demnach mußten pro mittelalterlichem Haushalt Einbecks jährlich 3–10 Kugeltöpfe neu gekauft werden.“9 Nachgewiesen sind als Kochgerät bzw. zum Schmoren und Braten (bevorzugt von Fleisch oder Fisch?) auch flache Bräter,10 die nach oben hin offen oder mit einem Deckel versehen (Prinzip des heute noch gebräuchlichen ‚Römertopfes‘) in oder nahe an der Glut eines Herdes sowie auch in einem Backofen zum Garen benutzt werden konnten. Auch irdene Krüge und Kannen gehörten zum Haushalt des Mittelalters. Sie wurden in vielen Formen und Größen hergestellt, verfügten über Henkel und einen runden Rand, der auch mit einer Gusslippe versehen sein konnte. Viele Kannen sind mit Gusstüllen ausgestattet, die am Gefäßkörper angesetzt wurden. Wie auch andere Keramikwaren konnten die Gefäße sehr schlicht gearbeitet, aber auch mit verschiedenen Zierformen oder Mustern an oberem Rand, Bodenrand oder Gefäßkörper versehen sein. In Krügen und Kannen konnten Flüssigkeiten transportiert, gemischt, ausgeschenkt, 9 10
Heege (1998), S. 24 Vgl. Stephan (1982a), S. 94, Abb. 12 und S. 101, Abb. 16 sowie Abb. 53 unten S. 484
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Abb. 43: Henkelgrapen aus Einbeck, Ende 13./Anfang 14. Jh.
Abb. 44: Kannen aus der Stadtwüstung Corvey, 2. Hälfte 13. Jh.
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Abb. 45: Rollstempelverzierte Keramik (Kannen/Krüge) aus Einbeck, 2. Hälfte 13. Jh.
aber auch aufbewahrt werden. Ebenso war es möglich, sie (trotz oder gerade wegen ihrer Größe) als Trinkgefäße zu nutzen.11 Zur Aufbewahrung dienten möglicherweise verschiedene Kannen, die in Kellern der Stadtwüstung von Corvey an der Weser gefunden wurden. Sie lassen sich aufgrund des für 1265 historisch belegten Stadtbrandes besonders gut datieren. Sie müssen nämlich vor diesem Datum hergestellt worden und in den Handel gelangt sein.12
11
12
Vgl. Stephan (1986), S. 284 und Lobbedey (1986), S. 182 ff. – Erst in der frühen Neuzeit fand derartiges Tafel- und Küchengeschirr vermehrt auch Eingang in poetische Formen, so in die sog. ‚Hausratgedichte‘, die bes. im 16. Jahrhundert offenbar beliebt und oft auch bebildert waren, vgl. Peter Assion in: VL Bd. 3 (1981), Sp. 556–558 s.v. Hausratgedichte. Ein etwa in die Mitte des 14. Jahrhunderts datierendes und damit frühes Gedicht ‚Vom Hausrat‘ ist vom ‚König vom Odenwald‘ überliefert, der über die dürftige Ausstattung seines Hausstandes Kunde gibt. Speziell als irdene Ware benannt, führt er Töpfe, Krüge und Kannen auf, allgemeiner Töpfe, Schüsseln und Essigkrüge, vgl. Edition Olt (1988), Nr. XIII, V. 15, 35 und 41 ff. Zu Formen und Funktion ähnlicher Keramik aus Höxter (bes. 13. Jahrhundert) vgl. Stephan (1986), S. 225 ff. und Tafelteil sowie König/Stephan (1987), S. 863, Abb. 16
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Abb. 46: Krug und Pokal mit aufgesetzten Menschenfiguren und -masken und mit weiteren Verzierungen aus Köln, (Anfang) 13. Jh.
Neben diesen eher schlichten Formen, die in großen Stückzahlen hergestellt wurden und sich bei archäologischen Grabungen entsprechend häufig finden, gab es auch aufwändiger hergestellte Ware mit reicher, teils auch mit plastischer Verzierung. Ein Beispiel aus dem Rheinland, das durch einen ähnlich gearbeiteten, in anderem Zusammenhang geborgenen Trinkgefäßfund ergänzt wird, zeigt die Abbildung oben auf dieser Seite. Es wird angenommen, dass diese Keramikgefäße, „die sich aus der Masse der zeitgleichen Ware herausheben … sicherlich trotz ihrer uns heute grob erscheinenden Machart auf der herrschaftlichen Tafel etwas Besonderes darstellten.“13
13
Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Spiegel des täglichen Lebens. Archäologische Funde des Mittelalters aus Köln. Ausstellung in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, vom 17. Dezember 1982 bis 13. März 1983. Text und Redaktion besorgt von Heiko Steuer. Köln 1982, S. 22
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Abb. 47: Hochmittelalterliche Keramikschüsseln/-schalen mit verschiedenen Bodenformen aus Siegburg bzw. rheinischer Produktion
Aus Keramik wurden auch Näpfe, Schüsseln und Schalen gefertigt, die in der Küche beim Kochen und auf der Tafel beim Essen Verwendung fanden. Beispiele für deren – mit Blick auf Wandung(shöhe), Boden, Verzierungen – unterschiedliche Formen und Gestaltung im 13. Jahrhundert bieten die Zeichnungen oben auf dieser Seite, die hochmittelalterliche Keramikformen aus dem rheinischen Siegburg bzw. aus rheinischer Produktion mit sog. ‚Pingsdorfer Machart‘ zeigen. Manche dieser Gefäße waren auch mit einer rötlichen Bemalung versehen.14 14
Vgl. Abb. 52 unten S. 483, näher dazu Stephan (1982a), Legende auf S. 100 zur Abb. auf S. 101; vgl. auch Funde aus der Kloakenanlage Am Rathaus 1 in Höxter bei Stephan (1986). – Bei der Formgebung sowie in der Häufigkeitsverteilung verschiedener Keramiktypen des Hochmittelalters sind einige regionale Varianzen zu verzeichnen, auf die in dem hier vorgenommenen Überblick nicht näher eingegangen werden kann. So wurden z. B. die in anderen Regionen gebräuchlichen Henkelschüsseln im südwestdeutschen/oberrheinischen Raum nur an wenigen Fundorten nachgewiesen. Bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts waren ferner besonders im südwestdeutschen Bereich sog. Bügelkannen verbreitet, die seitdem zunehmend von glasierten Henkelkrügen abgelöst wurden, vgl. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 324 ff. mit zahlreichen Abb. Einige in das
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Abb. 48: Hochmittelalterliche Keramikbecher aus Siegburger Produktion
Auch irdene Becher finden sich bei archäologischen Grabungen an hochmittelalterlicher Siedlungsplätzen. Die oben und folgend gezeigten Beispiele für die große Formenvarianz derartiger Exemplare stammen wiederum aus Siegburg (Produktion der Töpfereien an der Aulgasse).15 Der vergleichsweise geringe Anteil, den Becher bzw. Scherben von Becherformen am keramischen Fundgut ausmachen, weist darauf hin, dass irdene Becher zunächst keine häufige Form des auf mittelalterliche Tische gelangenden Trinkgeschirrs darstellten. Dabei ist jedoch auch die Fundlage zu berücksichtigen: so gelangte der Geschirrbestand eines Haushaltes oft wohl nicht in einem repräsentativen Verhältnis in die später untersuchten Abfallgruben des Hochmittelalters, denn er dürfte nicht nur dort entsorgt worden sein.16 An den Tafeln aller sozialen Schichten des Mittelalters wurde vornehmlich mit den Fingern gegessen. Besonders aus Gründen der Etikette – weniger aus Gründen, die im heutigen Verständnis in das Gebiet der Hygiene gehören – galt das Händewaschen vor (und, obwohl es in schriftlichen Quellen seltener erwähnt wird, wohl auch nach) dem Essen bei denen als unverzichtbar, die eine ‚gehobene‘ Etikette kannten und auch praktizierten: Adel, Klerus und die sich an adligen Lebensformen orientierenden, wohlhabenden Teile der städtischen Bevölkerung. Die im 11. und 12. Jahrhundert übliche Form, das Wasser zum Händewaschen zu reichen, war, es aus
15
16
11./12. Jahrhundert datierende, helltonige, bemalte Gefäße mit Standboden sowie Becher aus dem südwestdeutschen Raum und aus Sachsen sind abgebildet in Das Reich der Salier (1992), S. 26 f. Vgl. auch um 1300 datierende Keramikbecherfunde aus Höxter bei Stephan (1986), Abb. 47 sowie vor 1300 datierende Fundbeispiele bei Robert Koch: Mittelalterliche Trinkbecher aus Keramik von der Burg Weibertreu bei Weinsberg, Kr. Heilbronn, in: Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 6 (1979), S. 47–75 Vgl. Stephan (1986), S. 299
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Abb. 49: Weitere Formen von Keramikbechern aus Siegburger Produktion
einem Becken oder einer Schale in ein zweites, darunter dargebotenes Bekken (oder eine zweite Schale) fließen zu lassen. Darauf weisen zeitgenössische bildliche und skulpturale Darstellungen hin, die sich auch in späterer Zeit noch finden: „Die Kombination zweier Becken ist auch in den Emblemata biblica aus dem 13. Jahrhundert abgebildet … und mit der Darstellung der Handwaschung des Pilatus auf dem Westlettner des Naumburger Domes … wird die wohl häufigste Darstellung der Handwaschung in Szene gesetzt. Dem Statthalter wird hier eine Schüssel mit Schneppe gereicht, aus der Wasser in ein weiteres, steilwandiges Becken fließt.“17 Seit dem 13. Jahrhundert wurde das Handwaschwasser aber auch in allein zu diesem Zweck gefertigten Gießgefäßen dargeboten, den Aquamanilen. Diese Bezeichnung als „Verbindung von lat. ‚aqua‘ (Wasser) und ‚manus‘ (Hand) hat sich erst im 19. Jahrhundert als Gattungsbezeichnung für figürliche Gießgefäße des Mittelalters zur Händewaschung eingebürgert.“18 Im Hochmittelalter wurden solche Aquamanilen auch aus Keramik hergestellt. Dabei waren figürliche Reiter- und auch Tiermotive sehr beliebt. Sie wurden aus Metall gefertigten – zumeist aus Bronze gegossenen – und damit erheblich teureren ‚Vorbildern‘ nachempfunden, die z. B. der hohe Adel, aber auch der Klerus (auch bei liturgischen Handlungen) benutzte.19 17
18
19
Ulrich Müller: Zwischen Gebrauch und Bedeutung. Studien zur Funktion von Sachkultur am Beispiel mittelalterlichen Handwaschgeschirrs (5./6. bis 15./16. Jahrhundert). (ZAM. Beiheft 20). Bonn 2006, S. 44; vgl. hierzu die Abb. 105 dieser Szene unten im Abschnitt VII des Anhangs Michael Hütt: „Quem lavat unda foris …“. Aquamanilien. Gebrauch und Form. Mainz 1993, S. 9 Vgl. Müller (2006), S. 302 f. mit den Abb. 99 und 100, auf denen die generische Imitation, Adaption und Interpretation von Aquamanilen behandelt werden; vgl. allgemein auch Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 136 ff.
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Abb. 50: Keramik-Aquamanile in Form eines Reiters, Anfang 13. Jh.
Wie die Fundorte derartiger Tonwaren ausweisen, waren sie besonders im adligen und städtischen Mileu, aber auch in anderen Siedlungen und in Klöstern in Gebrauch:20 „Die Verwendung figürlicher Gießgefäße aus Ton … im profanen Bereich … ist durch deren Fundorte ausreichend ge20
Vgl. hierzu Uwe Gross: Neufunde von Aquamanilen aus Steinheim/Murr, Kreis Ludwigsburg, und vom Heiligenberg bei Heidelberg, Rhein-Neckar-Kreis, in: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1984 (1985), S. 255–258, hier: S. 257 sowie Meckseper (1985), S. 232, Nr. 168 und Christine Keller: Aquamanilen und das Ritual des Händewaschens, in: Wider das „finstere“ Mittelalter. Festschrift für Werner Meyer zum 65. Geburtstag. (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Bd. 29). Basel 2002, S. 125–136 mit Beispielen für hochmittelalterliche Aquamanilien in Tierform aus Zürich. – In seinem Gedicht ‚Vom Hausrat‘ führt der Dichter, der sich ‚König vom Odenwald‘ nannte, auch (Wasser-)Becken als Bestandteil eines ‚ordentlich ausgestatteten‘ Haushaltes auf. Da er sie u. a. neben Kesseln nennt, ist hier wohl metallenes Gerät gemeint, vgl. Edition Olt (1988), Nr. XIII, V. 42 f. (Kezzel unde pfannen,/Beckin unde giezvaz)
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Abb. 51: Aquamanile in Tierform aus Süddeutschland (Boucher Keramik), wohl 13. Jh.
sichert. Eine große Zahl von ihnen stammt aus Burgen vor allem des niederen Adels … Der weitaus größte Teil tönerner figürlicher Gießgefäße wurde in Siedlungen und Städten gefunden. ‚Mit großer Wahrscheinlichkeit‘ … kamen tönerne Gefäße ‚dort zur Anwendung …, wo keine Bronzegefäße verwendet wurden‘, weil man sich Produkte aus Metall nicht leisten konnte. Das galt – zumindest bis zum 14. Jahrhundert – für den niederen Adel und das städtische Bürgertum. Man darf in der Verwendung von Ton-Aquamanilien wohl eine billigere Kopie höfischer Lebensweise sehen“.21 21
Hütt (1993), S. 17 f., vgl. Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 137
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Damit lässt sich an diesem Beispiel für das Hochmittelalter eine Praxis fassen, bei der es um das Kopieren ‚prestigeträchtiger‘ Gegenstände und Accessoires durch für breitere Schichten erschwingliche und damit auch andere Märkte erschließende ‚Billigvarianten‘ geht, eine Praxis, die ein ökonomisch und sozial erklärbares Motiv besitzt, das mit Blick z. B. auf die Produktion verschiedenster Konsumartikel u. a. in Fernost auch heute sehr aktuell ist. Als Auffanggefäß für das aus diesen speziellen Tongefäßen gegossene Wasser wird man sich irdene, vielleicht auch hölzerne Schüsseln oder Schalen vorstellen dürfen, denn die ‚soziale Wirkung‘ des Handwaschgeschirrs (das Beherrschen eines angemessenen Benehmens) entfaltet sich nur in einem Set, nämlich dann, wenn das gespendete Wasser nicht einfach über die Hände zu Boden rinnt. Für die Lagerung von Flüssigkeiten, aber auch zur Aufbewahrung von Getreide und zum Einlegen von Gemüse, Fleisch oder Fisch eigneten sich große Tongefäße, die sich in großen Stückzahlen und damit vergleichsweise billig herstellen ließen und in vielen Haushalten in wohl größerer Zahl vorhanden waren. Die Eigenschaften des gebrannten Tonmaterials begünstigten z. B. in einem kühlen Keller die Lagerungsbedingungen und damit die Dauer der möglichen Aufbewahrungszeit. Dies war für die damaligen Haushalte, die Kühlschränke ja nicht kannten, von einiger Bedeutung. Bereits im beginnenden Hochmittelalter wurde die hellfarbige Keramikware aus dem rheinischen Pingsdorf viel genutzt und auch über weite Strekken verhandelt.22 Hergestellt wurden dort u. a. auch die Amphoren, die folgend abgebildet sind. „Wurde Wein nicht in Fässern verhandelt, sondern besonders gute Sorten in kleineren Portionen, entsprechend den heutigen Flaschen, so wählte man diese Amphore. In Köln konnte sie in großer Zahl geborgen werden und dient dem Archäologen zugleich zur zeitlichen Festlegung ganzer Bauhorizonte in der Stadt. Aber diese Weinbehälter wurden auch bis weit nach Skandinavien verhandelt, und in jedem Dorf der Wikingerzeit, das in Dänemark beispielsweise archäologisch untersucht wurde, entdeckte man Reste derartiger Pingsdorfer Weinbehälter.“23 Die Amphoren gehörten offenbar zu den am häufigsten produzierten Formen Pingsdorfer Ware.24
22
23 24
Zur Pingsdorfer Ware vgl. ausführlich Markus Sanke: Gelbe Irdenware, in: Lüdtke/ Schietzel Bd. 1 (2001), S. 271–428, bes. S. 301 ff. und S. 309 ff. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 7 Vgl. Sanke (2001), S. 317, Abb. 7, wo sie den größten Anteil an Fundnachweisen ausmachen
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Abb. 52: Amphoren, Flasche, Becher und Kugeltöpfchen aus ‚Pingsdorfer Ware‘25 25
Die Produktion der rheinischen Töpfereiregion Brühl-Pingsdorf umfasste jedoch eine weitaus größere Formenvielfalt. So waren unter den allein in der Ursprungsgegend etwa 2700 gefundenen Keramikgefäßen ebenso hand- wie drehscheibengezogene, auch bemalte Kugeltöpfe, Stielkugeltöpfe, kugelige, schlanke und hohe, auch bemalte Becher, Schüsseln, Schalen, Krüge, Tüllenkannen mit Linsenboden, Vorratsgefäße sowie verschiedene Deckel unterscheidbar.26 Größere Pfannen wurden offenbar aus Keramik weniger häufig gefertigt. Pfannen – oder ihnen zuzuordnende Fragmente – wurden zumindest nicht oft gefunden.27 Doch ist zu berücksichtigen, dass auch flachere Keramikschüsseln zum Braten oder zum Ausbacken in Fett benutzt werden konnten, sodass eine ihrer Form und Gestaltung nach – mit Stiel, Griff oder
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26
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Wie die Legende zu diesen Exponaten ausweist, sind die Amphoren etwa 30–32cm, die Becher zwischen etwa 12 und 16cm hoch Vgl. Sanke (2001), S. 317, Abb. 7, Beispiele mit Abb. auch bei Lobbedey (1986), S. 184 f., Abb. 3 und 4 So bietet Gertrud Benker: Altes Küchengerät und Kochpraxis. Teil II, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1976/77 (1978), S. 251–281, auf S. 266 lediglich Fundbelege von der Wartenburg in Hessen (datiert um 1200); ein weiteres Beispiel bei Stephan (1982a), Abb. S. 94, Nr. 12
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Abb. 53: Bräter aus rheinischer Produktion, Ende 12./Anfang 13. Jh.
Henkel, ggf. auch mit Standfüßen – besonders gearbeitete Pfanne im Haushalt auch nicht zwingend benötigt wurde.28 Wenn in der mittelalterlichen Küche etwas Größeres gebraten wurde, wurde hierzu i. d. R. ein Bratspieß über dem offenen Feuer oder der heißen Glut verwendet, und auch aus Metall und möglicherweise aus Holzruten gefertigte Bratroste wurden genutzt.29 Es gab jedoch auch aus Keramik gefertigte, flache Bräter, wie das oben abgebildete Fundbeispiel zeigt, das aus rheinischer Produktion stammt und mit einer Ausgussvorrichtung (für den Bratensaft) versehen ist. Auch kleine, flache Pfannen aus Keramik mit Griff, wie sie z. B. in Einbeck gefunden wurden, konnten in der Küche verwendet werden.30 Scherben von irdenen Kugeltöpfen, Grapen mit und ohne Henkel, Schüsseln, Schalen, Kannen und Bechern, die manchmal auch glasiert oder bemalt wurden, finden sich bei Grabungen in allen mittelalterlichen Siedlungen regelmäßig und in oft großen Mengen. Zuweilen wird auch Keramik geborgen, deren besondere Form oder Gestaltung auf eine spezielle Funktion im Haushalt hinweist, wie z. B. Seiher mit einem Boden, der mit Löchern versehen ist. Ein weiteres Beispiel bietet der Fund einer Schüssel mit etwa 40cm Durchmesser in Erfurt, in deren Seitenwandung sich knapp über dem Boden ein Loch befindet. Derartige Schüsseln wurden bei der
28 29
30
Vgl. Benker (1978), S. 253 Vgl. Gertrud Benker: Altes Küchengerät und Kochpraxis. Teil I, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1972/1975 (1975), S. 136–179, bes. S. 140 ff. und 168 ff. Dass die Überlieferungslage bei Rosten gerade für das Hochmittelalter jedoch dürftig ist, wird dort auf S. 169 angemerkt Ein der Abb. 54 ähnliches, jedoch mit drei Standbeinen versehenes Exemplar ist abgebildet bei Stephan (1982a), S. 94, Nr. 6
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Abb. 54: Keramikpfännchen mit Tüllengriff aus Einbeck, spätes 13./Anf. 14. Jh.
Quarkherstellung eingesetzt: „Ein Textilsäckchen wurde in die Schüssel gelegt und dahinein die saure angedickte Milch gegossen. Durch das Wandloch konnte die Molke ablaufen – zurück blieb der Quark.“31
8.2 Küchen- und Tafelgerät aus Holz Der vielseitigste und im Mittelalter entsprechend intensiv genutzte Werkstoff war Holz. Es bot nicht nur Material für den Haus-, Wagen-, Schiffbau oder für die Möbelherstellung, sondern wurde auch für eine Vielzahl von Geräten verwendet, so für Gebrauchsgegenstände, die in der Küche und auf den Tafeln zum Einsatz kamen. Holz „ist nämlich leichter und weniger zerbrechlich als Keramik oder Glas. Hölzerne Gefäße dürften schon lange vor tönernen verwendet worden sein, und sie erfreuten sich bis in die Neu31
Ulrich Lappe: Mittelalterliche und frühneuzeitliche Funde vom Domplatz in Erfurt, in: Alt-Thüringen. Jahresschrift des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens 25 (1990), S. 199–242, hier: S. 209
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zeit hoher Wertschätzung.“32 Ein weiterer Vorteil des Materials bestand darin, dass es, verbraucht oder entzwei gegangen, leicht auch im Herdfeuer entsorgt werden konnte und damit als zusätzliches Heizmaterial diente. Da sich Holz als organisches Material lediglich unter besonders günstigen Lagerungsbedingungen überhaupt erhält, und weil ein guter Teil des in mittelalterlichen Haushalten vorhandenen hölzernen Geschirrs und Gerätes als Heizmaterial ins Herdfeuer gewandert sein dürfte, wenn es nicht mehr brauchbar war, werden einstige Bestände an hölzernem Küchen- und Tafelgerät auch durch mittlerweile zahlreiche Funde wohl nur ausschnitthaft dokumentiert.33 Gefäßfunde aus Holz sind für die Archäologen darüber hinaus oft auch schwierig einzuordnen. „Während bei der Keramik der Zusammenhang zwischen Gefäßtyp, Machart und Funktion recht deutlich erfaßt werden kann und zudem regionale Unterschiede existieren, entziehen sich Holzgefäße weitgehend einer typologisch-chronologischen wie auch einer räumlichen Eingrenzung. Dies liegt nicht allein am Fehlen regionaler Untersuchungen, sondern ist als Folge einer Formenkontinuität zu sehen, die sich über das gesamte Mittelalter zu erstrecken scheint. So läßt sich etwa eine Holzschale aus dem alemannischen Gräberfeld Oberflacht kaum von einer Konstanzer Schale aus der Zeit um 1300 unterscheiden.“34 Bei Holzgerät, das für Küche und Tafel bestimmt war, wurden verschiedene Fertigungstechniken verwandt: das (Fein-)Böttchern (im süddeutschen Bereich auch mit Küfern bezeichnet),35 das Drehen und das Schnitzen, das nicht nur, jedoch vorwiegend zur Fertigung von Besteck, insbesondere von Löffeln diente.36 Für geböttcherte Ware wurden speziell geformte Holzteile angefertigt, die anschließend um einen Boden aufgebaut wurden. Bei kleineren Haushaltsgefäßen wurden die konischen Wandungsteile, sog. ‚Dauben‘, zusammengefügt und von Ringen oder Reifen aus biegsamen Birken- oder Wei32
33 34
35 36
M. Rösch unter dem Stichwort ‚Holzgefäße‘ im RGA Bd. 15 (2000), S. 98 f., hier: S. 98; vgl. auch H. Appuhn unter dem Stichwort ‚Holzschnitzkunst‘ in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 197 f. Vgl. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 25 Ulrich Müller: Holzgeschirr aus Freiburg und Zürich, in: Landesdenkmalamt BadenWürttemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 311–319, hier: S. 311. Das genannte fränkische Gräberfeld von Oberflacht wird in das 6./7. nachchristliche Jahrhundert datiert Vgl. Rösch (2000), S. 98 Über die im Mittelalter gebräuchlichen Fertigungstechniken handeln ausführlich die Beiträge in: Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig. Mit Beiträgen von Ingrid Ulbricht, Hilke Elisabeth Saggau, Karl-Heinz Gloy und Ulrike Mayer-Küster. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 17). Neumünster 2006
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Abb. 55: Drei- und zweibündige Daubenschälchen aus Köln, 11.–13. Jahrhundert
denruten zusammengehalten.37 Mit Harzen verstrichen, konnten die vorhandenen Fugen wasserdicht gemacht werden.38 Aus Dauben wurden nicht nur Fässer und Eimer gefertigt, sondern besonders auch kleinere Gefäße wie (flache) Schalen und Näpfe sowie Trinkgefäße mit höherer Wandung. Dort, wo sich die Erhaltungsbedingungen für organisches Material im Boden günstig gestalteten, so bei feuchtem Grund und bei Kloaken-/Latrinenfunden, haben sich einzelne Dauben und sogar ganze Gefäße in oft hohen Stückzahlen erhalten.39 Je nach Gefäßhöhe und Fertigungsart konnten die Daubengefäße mit einem einzigen äußeren Haltereif, jedoch auch mit zwei oder drei Bandruten versehen sein, worauf hin sie als ein-, zwei- oder dreibündige Daubengefäße unterschieden werden. 37 38
39
Vgl. Rösch (2000), S. 99 Vgl. Ingrid Ulbricht: Das geböttcherte Holz aus dem mittelalterlichen Schleswig, in: Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig (2006), S. 97–198, bes. S. 118 f. Dort wird das Kienteerpech als häufiges Dichtungsmittel genannt, aber auch das Leimen der Fugen scheint gelegentlich praktiziert worden zu sein Vgl. hierzu die bereits umfangreiche Übersicht über hochmittelalterliche Fundorte bei Stephan (1986), S. 245, Tab. 4, die sich während der vergangenen etwa 25 Jahre noch um einige Fundorte erweitert hat. Zu großen Daubenfundzahlen bei Grabungen in Köln vgl. auch Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 23 sowie Peter Schmidt-Thomé: Hölzernes Tischgeschirr des 13. Jahrhunderts, in: Steuer (1986), S. 129–158, bes. S. 148 ff. mit Funden aus dem Augustinerkloster in Freiburg/Br., siehe auch Ulbricht (2006a), bes. S. 109 ff. zu Funden aus Schleswig und zu Bodenfunden aus Einbeck Heege (2002), S. 280 f. Allgemeine Aussagen zu Holzgeschirr und Daubengefäßen finden sich bei Felgenhauer-Schmiedt (1993), S. 102 f.
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Ein mittelalterlicher Haushalt muss über eine recht hohe Zahl dieser Daubengefäße verfügt haben: sie wurden in Massen und offenbar sogar annähernd standardisiert hergestellt40 und waren deshalb preiswert zu erwerben. Am Beispiel der Funde aus einer Kloakenanlage in der kleinen Stadt Höxter konnte nicht nur dies gezeigt, sondern auch erschlossen werden, dass zu Beginn des 13. Jahrhunderts zwei- und dreibündige Daubengefäße mehr in Gebrauch waren als zu dessen Ende, an dem kleinere und flachere Formen (und damit ein- und zweibündige Daubengefäße) im Fundgut erheblich zugenommen hatten.41 Für den Haushalt, zu dem die ausgehobene Kloake im städtischen Höxter gehörte, wird bilanziert: „Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß hölzerne Daubenschalen während des späten 12. und 13. Jahrhunderts die am häufigsten verwendete Gefäßform der (des) dazugehörigen Haushalte(s) waren.“42 Dass Daubengefäße nicht nur in städtischen Siedlungen verbreitet, sondern auch auf den Tafeln des adligen und kirchlichen Milieus üblich oder für die Zeitgenossen zumindest gut vorstellbar waren, belegen die oben gezeigten Illuminationen von Handschriften aus dem profanen und aus dem klerikalen Bereich sowie verschiedene, in das Hochmittelalter datierende Wandmalereien.43 Dass Daubengefäße in der Wahrnehmung der Menschen des Hochmittelalters vielleicht ‚die‘ Form von Trinkgefäßen repräsentiert haben, belegt auch der Fund eines silbernen Bechers bei Germersheim, der wohl zu Beginn des 14. Jahrhunderts gefertigt wurde. Seine Wandung wurde in Daubenform getrieben, und selbst die Fassung aus Weidenruten wurde durch zwei aufgebrachte Metallbänder nachgeformt.44 In der Küche, vor allem aber auch im Keller werden an geböttcherter Ware auch Fässer, Bottiche und Zuber in Gebrauch gewesen sein, die – wie auch die Dauben der kleineren Gefäße – zumeist aus Nadelhölzern hergestellt wurden.45 Daneben wurden sicher auch Körbe aus Weidenruten zum Transport und zur kurzfristigen Aufbewahrung von Nahrungsmitteln genutzt.46 Ebenfalls häufig und verbreitet wurde gedrechselte (gedrehte) Ware gefunden. „Aus ma. Städten sind [sic! d. Verf.], bes. aus Latrinenfunden, eine 40 41 42 43
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Hinweise darauf sieht Stephan (1986), S. 246 Vgl. Stephan (1986), S. 246 Stephan (1986), S. 246 Vgl. dazu oben Kap. 3; siehe auch Stephan (1986), S. 247 und Taf. 17 f. mit teilweise diesen, aber auch weiteren Beispielen Vgl. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 23, Abb. 40 und Ulbricht (2006a), S. 163, Abb. 48; ähnliche Silberbecher sind aus dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg bekannt, vgl. Hasse (1979), S. 20 Vgl. Rösch (2000), S. 99 und Schmidt-Thomé (1986), S. 151 mit Abb. 17 und passim Vgl. Rösch (2000), S. 98
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Abb. 56: Gedrechselte Teller, Kloakenfunde aus der Bremer Wachtstraße, 12./13. Jh.
große Zahl gedrehter H. [Holzgefäße, d. Verf.] bekannt, die auf Drehbänken meist aus Hirnholz gedrechselt wurden … Die Techniken der Holzbearbeitung sind allerdings ält. und waren schon im Früh-MA hoch entwickelt … Bevorzugt wurde für Gefäße Wurzelmaserholz oder solches aus Stammknoten, weil es bes. reißfest ist … In einer Zeit, die ein hoch entwickeltes Töpferhandwerk hatte … und in zunehmendem Maße Glas verwendete, reichte die Palette der gedrechselten H. von einfachen Tellern und Schalen bis zu kunstvollen Pokalen. Dafür wurden ausgesuchte, weitgehend astfreie Hölzer verwendet, für einfache Gefäße von Buche, bisweilen auch von Nadelhölzern, für bessere von Arten des Ahorns.“47 Auch andere Holzarten, vornehmlich die von Obstbäumen, konnten beim Drechseln verwendet werden.48 Gedrechselte Schalen und flache Teller wurden auch in der Kloakenanlage in der Holenbergstraße in Höxter gefunden, in Schichten, die auf das Ende des 12. bzw. die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert werden.49 Dass Holzteller als Drehware damals durchaus verbreitet waren, zeigen auch die oben abgebildeten Funde aus dem mittelalterlichen Bremen.50
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Rösch (2000), S. 98 und Schmidt-Thomé (1986), S. 134 ff. mit Abb. 4 ff. Vgl. Ingrid Ulbricht: Die gedrechselten Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig, in: Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig (2006), S. 9–96, bes. S. 15 ff., wo Esche, Ahorn, Erle, Hain- und Rotbuche, Birke, Pappel, Linde, Eibe, Ulme, Eiche, Hasel und (oft nur schwer bestimmbare) Obstbaumhölzer als Materialspender für die gefundene Drechselware aufgeführt werden Vgl. Stephan (1986), S. 230 ff. sowie Abb. 13, 23 f. und 27; ein gedrechselter, flacher Teller mit Bodenmarke aus Freiburg findet sich auch bei Müller (1992), S. 313, weitere Beispiele für gedrechselte flache und tiefe Teller bei Schmidt-Thomé (1986), S. 141, Abb. 9, S. 143, Abb. 10 und S. 145, Abb. 12 sowie bei Ulbricht (2006b), S. 34 ff. mit Beispielen aus Schleswig Vgl. Ulbricht (2006b), S. 52 f., wo auch für Schleswig sechs Tellerfunde genannt werden
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Abb. 57/58: Gedrechselte Schalen mit Bodenmarken aus dem 13. Jahrhundert von der Runneburg/Thüringen und aus Köln
Auch flache Holzbrettchen waren in Gebrauch.51 An die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert datiert eine Schale aus Höxter, die außen geschnitzt und innen gedrechselt ist.52 Diese Art der Bearbeitung war nicht selten und wurde auch andernorts nachgewiesen.53 Je nach Beschaffenheit des verwendeten Holzes konnten die Wandungen der beidseitig gedrechselten Ware auch sehr dünn gedreht werden.54 Gedrechselte, flache Schüsseln und Schalen finden sich wie schon die Daubengefäße in den Siedlungen aller Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft.55 Die oben gezeigten Beispiele stammen von einer Burg sowie aus einer großen Stadt. Vergleichbare Funde sind jedoch auch aus kleineren städtischen Siedlungen und aus Klöstern bekannt.56 Wie bei den hier gezeigten
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Vgl. Müller (1992), S. 312 Vgl. Stephan (1986), S. 164, Abb. 28 So z. B. in dem nicht weit entfernten Städtchen Einbeck, vgl. Heege (2002), S. 280 Vgl. Heege (2002), S. 280, der Ahornholz als hierfür besonders geeignet bezeichnet Dass „gedrechselte Schalen immerhin zum häufigen archäologischen Fundmaterial gehören“, vermerkt Stephan (1986), S. 249 Vgl. z. B. für die kleine Stadt Einbeck Heege (2002), S. 280 f., für Konstanz Müller (1992), S. 312 ff. mit Abb., für Schleswig Ulbricht (2006b), S. 34 ff. und für das Augustinerkloster Freiburg/Br. Peter Schmidt-Thomé: Die Abortgrube des Augusti-
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Funden weist die gedrechselte Ware an ihrem Boden oft Marken auf, die auf ihren Hersteller, den Besteller oder ihren Benutzer hinweisen können.57 Auch gedrechselte Trinkgefäße wurden dort, wo sich die Erhaltungsbedingungen im Boden für organisches Material günstig gestalteten, oft gefunden.58 Die Formen variieren dabei zwischen schlichten Bechern, eher bauchigen, sich nach oben deutlich verjüngenden Gefäßen – beide Formen sind häufig vertreten – und selteneren ‚Pokalen‘ mit Fuß oder Sockel.59 Durch Kerbungen konnten die gedrechselten Trinkgefäße mit Mustern oder umlaufenden Bändern verziert werden. Es wurde sogar bemalte Drechselware gefunden, die dem Benutzer den Eindruck vermittelt haben mag, dass es sich bei der hölzernen Ware um eine kleine Kostbarkeit handelte.60 Eine auch in der Dichtung des Hochmittelalters genannte Form von hölzernem Trinkgeschirr ist der sog. ‚Kopf‘.61 Auch bei dieser Variante handelt es sich um gedrehte Ware. Bemerkenswert ist, dass sie sich auch in der gestaltenden Kunst und unter archäologischen Funden nachweisen lässt. Zu dieser speziellen Form bemerkt Hans-Georg Stephan: „Immerhin dürfte sich hiermit eine hochmittelalterliche Gruppe von qualitätvollen gedrechselten Bechern herauskristallisieren, für die Vorläufer im 11. und 12. Jahrhundert namhaft zu machen sind. Der Schwerpunkt der bisher datierbaren Exemplare gehört in den Zeitraum von der zweiten Hälfte des
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nerklosters in Freiburg, in: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1983 (1984), S. 240–244, hier bes. S. 244, Abb. 226 Vgl. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 25. Dass die Kennzeichnung auf dem Warenboden intentional nicht sicher zugeordnet werden könne, vermerkt Heege (2002), S. 280. Schmidt-Thomé (1986), S. 145 ff. vermutet aufgrund der vielen, im Freiburger Augustinerkloster gefundenen Drechselschalen mit Bodenmarken, die mit einem „A“ versehen waren, dass es sich um Eigner- bzw. Nutzermarken handelt. Neben Haus- und Besitzermarken hält Ulbricht (2006a), S. 157 f. in Bodenmarken, die sich in Schleswig mehrfach (und teilweise auch in Runenschrift) z. B. auf dem Innenboden von Daubengefäßen fanden, auch Hinweise auf magische Praktiken für möglich. So könnte die auf dem Innenboden eines Daubenschälchens eingeritzte Runeninschrift MARIA angebracht worden sein, um eine Schadenabwehr zu bewirken, etwa gegen Unverträglichkeit oder Vergiftung der Inhalte, die aus dem Gefäß genossen wurden In diesem Punkt irrt Schubert (2006), S. 284, wenn er feststellt: „Die gewöhnlichen gedrechselten Holzbecher sind verrottet und nicht mehr im archäologischen Fundgut nachzuweisen. Allein die Phantasie hilft, auf die Lebenswirklichkeit des gemeinen Mannes zu schließen.“ Ein solches Exemplar wurde u. a. in der Holenbergstr. in Höxter gefunden, vgl. Stephan (1986), S. 249 und Abb. 18 Vgl. Stephan (1986), S. 254, Abb. 18 mit einem Beispiel aus Höxter Vgl. oben S. 72 mit Anm. 159
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Abb. 59: Gedrechselter Pokal aus Ahornholz, Fundort: Einbeck, 1. Hälfte 13. Jh.
12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Allem Anschein nach handelt es sich um die in der kunsthistorischen Forschung bisher kaum bekannte Form des Kopfes, auch als Scheuer, Maserbecher, Doppelmaser bezeichnet. Mit Kohlhaußen dürfen wir festhalten, daß derartige kopfförmige Deckelgefäße vom 12. bis ins späte 13. Jahrhundert bei festlichen und würdigen Anlässen als Trinkgefäße zur festlichen Tafel gehörten, aber auch als Freundschafts- oder Minnegabe … Verwendung fanden, im 14. Jahrhundert setzten sich Tafelgefäße aus Metall und Glas in stärkerem Maße durch.“62 Die Darstellung eines solchen Gefäßes findet sich in einer halbskulpturalen Abendmahlszene, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts für den Westlettner des Naumburger Domes gefertigt wurde. Der unten auf der Abbildung 61/62 rechts neben Christus platzierte Jünger hebt gerade einen Kopf zum Trinken an den Mund.63 62 63
Stephan (1986), S. 250, vgl. auch Hasse (1979), S. 73 ff. Auch diese Tafeldarstellung folgt weitgehend den bisher bekannten Mustern: die Tafel ist mit einem bodenlangen Tischtuch bedeckt, auf der Tafel stehen Schüsseln mit Speisen, aus denen sich jeweils mehrere Personen bedienen können. Das auf der Tafel liegende Brot ist teilweise in Scheiben geschnitten. Gegessen wird mit den Fingern. Die plastische Darstellung ermöglichte es, einen der Jünger vor die Tafel zu setzen, er kehrt dem Betrachter den Rücken zu. Ansätze einer perspektivischen Darstellung sind auch hier dadurch zu erkennen, dass die Tischplatte leicht ‚gekippt‘ erscheint
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Abb. 60: Gedrechselte Holzbecher (Köpfe, Scheuer) aus Freiburg/Br., Ende 13. Jh.
Auf diese Weise gedrehte Ware setzte, gerade auch, wenn sie mit Henkeln oder Tüllen versehen wurde oder sich zur Öffnung hin stark verjüngte, ein erhebliches handwerkliches Können voraus.64 Ein weiteres Beispiel dafür und speziell für Herstellung und Gebrauch gedrehter Kannen bietet ein Fund, der im Burgbrunnen der Runneburg in Thüringen gemacht wurde.65 Die auf etwa Mitte des 13. Jahrhunderts datierte, gleichmäßig gedrehte Kanne mit sehr glatt poliertem und mit Rillen zusätzlich verziertem Korpus wird von einem Deckel gekrönt, auf dem ein massiver Ringgriff angebracht wurde. Dass derartige Kannen nicht nur regional, sondern räumlich weit verbreitet waren, belegt die Illumination einer wohl zeitgleich entstandenen Handschrift aus Würzburg, in der genau eine solche Kanne wiedergegeben wird. Bemerkenswert ist an dieser Illumination ferner, dass der Frierende, der sich am Kachelofen wärmt,66 gerade aus einem Daubenbecher trinkt, während – über ihm an einer Stange aufgehängt – Würste und (wahrscheinlich) ein Schinken zu sehen sind.67 64 65
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Vgl. hierzu ausführlich Ulbricht (2006b), S. 26 ff. Vgl. Zeune (1996), S. 206; Funde gedrechselter Kannen beschreibt auch Ulbricht (2006b), S. 58 ff. Diese Kannen sind in Schleswig jedoch nur bis etwa zur Wende vom 12. auf das 13. Jahrhundert greifbar, danach werden sie von irdener Ware abgelöst, vgl. Ulbricht (2006b), S. 84 Es handelt sich bei dieser Darstellung um eine der ältesten, die im deutschen Sprachraum von einem Kachelofen bekannt ist, vgl. Heege (2002), S. 211 Ein weiteres Mal wird eine solche Kanne in einer Illumination der wohl kurz nach 1300 entstandenen ‚Manessischen Liederhandschrift‘ abgebildet, vgl. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 316, Abb. (oben)
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Abb. 61/62: Abendmahlszene im Westlettner des Naumburger Domes, um 1250
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Abb. 63/64: Drechselkanne in einer Miniatur, Würzburger Handschrift, um 1250, und ein vergleichbares Exemplar von der Runneburg/Thüringen, Mitte 13. Jh.
Neben geböttcherte und gedrehte Ware treten für Küche und Tafel geschnitzte Geräte. Neben Trögen, kleinen Schalen, Näpfen, Tassen, Schöpfund Rührkellen, Brotschiebern und -raken68 sind hier vor allem Löffel (als das gebräuchlichste Essbesteck) vertreten.69 „Löffel … treten in den unterschiedlichsten Ausführungen auf. Einfachere Exemplare sind aus Ahorn oder Nadelholz geschnitzt, qualitätvollere aus Eibe gedrechselt. Neben den Fingern und dem Messer dienten sie mit ihren verschiedenen Laffenformen zur Aufnahme fester wie auch (halb)flüssiger Nahrung … Die Ausformung der Laffe und des Stiels ist nicht nur Indikator für eine unterschiedliche zeitliche Einordnung, sondern veranschaulicht auch die Handhabung, die von einem Umklammern des Stiels mit der gesamten Hand bis zu einem Umgreifen mit Daumen und Zeigefinger reicht.“70
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Zu diesen Formen liegt umfangreiches Fundmaterial z.B. aus Schleswig vor, vgl. Hilke Elisabeth Saggau: Gehauene und geschnitzte Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig, in: Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig (2006), S. 199–304 mit vielen Abb. Vgl. u. a. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 24; vgl. Torsten Capelle in: RGA Bd. 7 (1989), S. 573 ff. s.v. Eßbesteck Müller (1992), S. 315 f.
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Abb. 65: Geschnitzte Esslöffel aus Schleswig, 13. Jahrhundert
Beispiele für geschnitzte Löffel in unterschiedlichen Formen und aus verschiedenen Hölzern finden sich in den Dokumentationen des Aushubs aus Abfall- und Kloakengruben häufiger.71 Dabei konnten Schnitzwaren wie Löffel gewerblich, aber auch in ‚Heimarbeit‘ hergestellt werden: „Das Schnitzen kleiner Geräte galt als nicht zunftfähig, es stand jedermann frei. Hausgeräte, die es in Unmengen gegeben hat, wurden auch in Heimarbeit hergestellt: Gefäße, Teller, Löffel …“.72 Hölzernes Gerät war in der Küche und auf der Tafel des Hochmittelalters demnach sehr verbreitet. Bemerkenswert ist, dass es offenbar in seiner Form als so üblich wahrgenommen wurde, dass man Formen hölzernen Geschirrs auch auf andere Materialien übertrug. Das Beispiel eines in Silber nachgebildeten Daubenbechers wurde bereits genannt, auch bei Schüsseln, Schalen, Bechern und Pokalen gibt es zwischen hölzernem Gerät und solchem aus Keramik, aber auch aus anderen Werkstoffen, oft große Ähnlich71
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Beispiele aus Einbeck bietet Heege (2002), S. 281, Abb. 589, Funde aus Konstanz bei Müller (1992), S. 315 H. Appuhn in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 197 f. s.v. Holzschnitzkunst, hier: Sp. 197
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keiten: „Geböttchertes war aufgrund seiner einfachen Herstellbarkeit so beliebt und präsent, daß es wiederholt zu Ausführungen in anderen Materialien wie Ton oder Metall, aber auch Glas, kam – ein Formentausch, der nicht nur bei geböttcherten, sondern auch bei gedrechselten Gefäßen zu erkennen ist.“73
8.3 Glasgefäße Etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts ist der Gebrauch von Glas in verschiedenen Formen und Farben nördlich der Alpen deutlich vermehrt nachzuweisen.74 Auch zuvor wurden z. B. Trinkgläser genutzt, sie stellten jedoch sehr eine seltene und deshalb teure Ware dar, die meistens aus oder über Italien importiert wurde. Die Herstellung von Hohlglas75 soll nach der Antike „erst … im Laufe der Kreuzzüge vom Vorderen Orient über Korinth in Griechenland wieder nach Italien (Venedig) gekommen sein, und von dort gelangte die handwerkliche Kenntnis dann im 13. Jahrhundert über die Alpen.“76 Wurde – wie im eben zitierten Beitrag – bis vor wenigen Jahrzehnten noch davon ausgegangen, dass Hohlglasfunde aus hochmittelalterlichen Fundkomplexen nur als Importware anzusprechen sind, hat sich mittlerweile die Meinung gefestigt, dass die Zahl und die Verbreitung von Glasfunden aus dem Hochmittelalter auf eine handwerklich durchaus entwickelte Hohlglasfertigung auch nördlich der Alpen schließen lässt, und zwar bereits vor dem 13. Jahrhundert.77 73 74
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Müller (1992), S. 312 Vgl. Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 13 ff. und folgend mit vielen abgebildeten Nachweisen; vgl. ferner Christine Prohaska-Gross/Andrea Soffner: Hohlglasformen des 13. und 14. Jahrhunderts in Südwestdeutschland und in der nördlichen Schweiz, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 299–310, bes. S. 299 f. Gefäße werden zu den Hohlglasformen gerechnet. Davon unterschieden wird Flachglas, wie es z. B. für hochmittelalterliche Kirchenfenster und zunehmend auch für Fensterscheiben profaner Bauten verwendet wurde, vgl. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21 Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21; vgl. auch G. Mariacher unter dem Stichwort ‚Glas, -herstellung‘ in: LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 1477–1482, hier bes. Sp. 1477f. Dass frühere Arbeiten die Hohlglasproduktion nördlich der Alpen und insbesondere im mittleren und nördlichen Deutschland erst später, nämlich ab dem 14. Jahrhundert, ansetzten, findet sich beispielhaft in der umfangreichen, mit Blick auf Glasproduktion und -formen immer noch sehr aufschlussreichen Grundlagenpublikation
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Die in das Hochmittelalter – fast durchweg ab und nach 1250 – datierten Trinkglasfunde werden durch einige typische Formen und Besonderheiten ihrer Fertigung repräsentiert. „Aus dem 13. Jahrhundert sind aus dem Europa nördlich der Alpen einige Dutzend Glastrinkbecher bekannt, die als sog. syro-fränkische Becher bezeichnet werden … Sie bestehen aus klarem Glas, das mit Emailfarben bemalt, Ornamente, islamische, aber auch europäische Inschriften und gar Wappen trägt.“78 Zunächst scheinen derart bemalte Gläser nur im Nahen Osten produziert worden zu sein – wohin seit den ersten Kreuzzügen vermehrte Beziehungen bestanden, die es auch zuließen, dort u. a. exklusives Glas nach dem Geschmack des europäischen Nordens anzufertigen und zu verzieren.79 Wahrscheinlich bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gingen Glashütten in Murano bei Venedig dazu über, ähnliche Becher aus farblosem Bleiglas zu produzieren, die ebenfalls mit Emailfarben verziert wur-
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von Rademacher (1933), passim. Wie lange diese Einschätzung nachwirkte, lässt sich u. a. aus der Einleitung zu dem Katalog ersehen, der 1988 eine Ausstellung zu Gläsern des Mittelalters begleitete: „Die mit dem vagen Begriff Mittelalter angedeutete zeitliche Eingrenzung meint die Jahrhunderte … etwa vom 9. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, bis unter dem übermächtigen Einfluß der venezianischen Glasproduktion ein ganz neues Kapitel beginnt. Diese Jahrhunderte sind für die Geschichte des (Hohl-)Glases die bisher am wenigsten bekannten, die ‚dunklen Jahrhunderte‘, die (scheinbar) ‚glaslose Zeit‘, das ‚Glas-Interregnum‘. Während für die vorangehenden Jahrhunderte bis durch die fränkisch-merowingische Zeit dank reicher Grabbeigaben relativ zahlreiche und gut erhaltene Gläser überkommen sind, und während seit dem späten Mittelalter die Menge des erhaltenen Materials wieder deutlich zunimmt, war für die Jahrhunderte dazwischen aufgrund besonders ungünstiger Überlieferungsbedingungen jenes falsche Bild entstanden, das mit dieser … Ausstellung korrigiert werden soll“, so Baumgartner/Krueger (1988), S. 13. Vgl. seitdem auch Peter Steppuhn: Glasfunde des 11. bis 17. Jahrhunderts aus Schleswig. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 16). Neumünster 2002, S. 13 ff. Heege (2002), S. 282 setzt im Schwarzwald und im Spessart seit dem späten 11. Jahrhundert eine Glasproduktion an, die sich auch nach Nordhessen und in das südliche Niedersachsen ausbreitete: „Allein im Gebiet zwischen Holzminden und Alfeld konnten bislang rund 20 Glasbetriebe des 12. bis 14. Jh.s archäologisch untersucht werden.“ Vgl. zu hochmittelalterlichen Glasproduktionsstätten in Südniedersachsen und Nordhessen auch Martina Bruckschen: Glasfunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit aus Braunschweig. Bedeutung, Verwendung und Technologie von Hohlglas in Norddeutschland. (Materialien zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens. Bd. 33). Rahden 2004, S. 38 f. Hinsichtlich seiner anders lautenden Aussagen zu Gläsern, Glasproduktion und -handel irrt daher Schubert (2006), S. 256 mehrfach Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21; vgl. auch Bruckschen (2004), S. 60 ff. Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 126
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Abb. 66: Sog. syro-fränkischer Glasbecher mit Emailbemalung
den.80 Schon Ende der 1980er Jahre wurde festgestellt, „daß die Gruppe der emailbemalten Gläser nicht nur erheblich facettenreicher ist als bisher angenommen, sondern vor allem auch rein mengenmäßig viel umfangreicher. Obgleich sich bei der Ausführung der Bemalung große Qualitätsunterschiede beobachten lassen, scheint es sich generell um eine ausgesprochene Serien-, wenn nicht Massenproduktion gehandelt zu haben.“81 Glasbecher bzw. Scherbenfunde dieser Ware sind u. a. aus Schleswig, Köln, Mainz, Lübeck, Konstanz, Breisach, Zürich, Ettlingen und aus den Burganlagen von Marbach und Reichenstein bei Neckargmünd bekannt.82 Die damit teuren und kostbaren Importgläser dürften kaum häufig, schon gar nicht täglich in Gebrauch gewesen sein. Auch der Kreis ihrer Besitzer dürfte sich auf (sehr)
80
81 82
Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 126, vgl. Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 301; allgemein den Mittelmeerraum als Produktionsstätte dieses Glastyps nennt Robert Koch: Tischgeschirr aus Glas in Süd- und Norddeutschland (1150–1250), in: Steuer (1986), S. 191–206, hier: S. 200 ff. Baumgartner/Krueger (1988), S. 128 Vgl. Steppuhn (2002), S. 27 f., Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 301 und Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21
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Abb. 67–69: Emailbemalte Becher aus venezianischer Produktion, 13./Anfang 14. Jh.83 83
Wohlhabende beschränkt haben: „Adlige, ritterliche und stadtpatrizische Haushalte werden durch derartige Gläser charakterisiert.“84 Weiter verbreitet und inzwischen durch eine recht große Zahl von Funden nachgewiesen sind sog. ‚Nuppenbecher‘. „Seit dem späten 13. Jahrhundert werden dann an vielen Plätzen, von Süddeutschland zum Norden hin sich ausbreitend, Trinkbecher in Form von Nuppengläsern hergestellt, geblasene Becher mit flüssig aufgesetzten Nuppen außen auf der Glaswand und gezacktem Fuß. Während die frühen Gläser eine geschwungene trichterförmige Mündung aufweisen, wird der Rand später abgesetzt und leitet erst über einen Knick zum Gefäßkörper über.“85 Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Becherform bildeten Südwestdeutschland, das Elsass, die nördliche Schweiz und Österreich, doch wurden Gläser resp. Scherbenreste dieses Typs, die noch in das ausgehende 13. Jahrhundert datiert werden, auch im nördlichen und mittleren Deutschland, etwa in Einbeck und in Braunschweig, gefunden.86
83
84 85 86
Im Katalog zu den gezeigten Stücken wird unter den genannten Nummern aufgeführt, dass die Gläser (von links nach rechts) aus dem Altarraum einer Kirche in Sevgein/Kanton Graubünden, aus einem Museum in Sigmaringen und aus einer Münchner Privatsammlung stammen. Damit lässt sich über ihre Herkunft bzw. ihre (ursprünglichen) Fundorte und ihren früheren Gebrauch nichts sagen, vgl. die Erläuterungen zu diesen Exponaten bei Baumgartner/Krueger (1988) Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21 Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 21 Vgl. Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 302; Schmaedecke (1985), S. 254, Abb. 230 mit einem Fund aus Breisach; Heege (2002), S. 282, Abb. 593 mit einem Fund aus
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Abb. 70/71: Nuppenbecher, zweite Hälfte 13. Jh., aus Breisach und in einer Illumination aus der Manessischen Liederhandschrift, Anfang 14. Jh.
Neben Nuppenbechern aus farblosem Glas gibt es solche „aus hell blaugrüner Glasmasse“, für die „sich der Begriff Schaffhauser Becher eingebürgert“ hat.87 Diese hell blaugrünen Gläser galten lange als relativ selten, etwa seit Ende der 1960er Jahre ist die Zahl ihrer Fundnachweise jedoch „ins Unübersehbare angewachsen. Allein bei den Grabungen … in Konstanz kamen rund 10 000 Fragmente dieses Typs zutage, und auch im Profil komplette Schaffhauser Becher werden immer häufiger.“88 Farblose und hell blaugrüne Nuppenbecher kamen, wie archäologische Funde ausweisen, im 13. Jahrhundert noch oft parallel vor, im 14. Jahrhundert wurden farblose Nuppenbecher seltener, es setzte sich der ‚Schaffhauser Becher‘ als „der allgemein übliche Nuppenbecher“ durch.89
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88 89
Einbeck und für Braunschweig Bruckschen (2004), S. 52 ff. sowie Tafeln 6, 8, 10, Tafel Befund 322 (1) und Volumina 2 Baumgartner/Krueger (1988), S. 210. Wie dort ausgeführt wird, geht die Bezeichnung auf die Becher(reste) dieses Typs zurück, die bei den Grabungen auf dem Areal des ehemaligen Klosters Allerheiligen stattfanden, vgl. dazu auch oben den Abschnitt 7.4.2 (Tierknochen- und Pflanzenrestfunde aus dem Allerheiligenkloster in Schaffhausen) Baumgartner/Krueger (1988), S. 210 Baumgartner/Krueger (1988), S. 210
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Abb. 72: ‚Schaffhauser Becher‘, Ende 13./Anf. 14. Jh.
Eine ebenfalls überregional verbreitete Trinkglasform stellten die sog. Rippenbecher dar. Diesem bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch nördlich der Alpen hergestellten Formentyp konnten in Braunschweig die am häufigsten vertretenen Glasbecher zugeordnet werden.90 „Bei dieser nahezu zylindrischen Becherform mit spitz hochgestochenem Boden und einer konischen bzw. leicht bauchigen Lippe fungiert als Standvorrichtung ein gekniffener Fußring, der im Gegensatz zu den teilweise blauen Randfäden stets aus einer Grundmasse gefertigt ist. Namengebend für diesen Bechertyp ist das 10 bis 16 teilige, vornehmlich 12 teilige Rippendekor, das durch Einblasen in ein entsprechendes Model erzielt wird … Die farblose, blasenreiche Glasmasse ist gelb, grün, grau oder braun getönt und zeichnet sich durch einen durchgängig guten Erhaltungszustand aus.“91 Hochmittelalterliche Rippenbecher wurden im mittelhoch- bzw. mittelniederdeutschen Sprachraum nicht selten nachgewiesen, wobei die Fund90 91
Vgl. Bruckschen (2004), S. 66 Bruckschen (2004), S. 66, vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 218
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Abb. 73/74: Rippenbecher unbekannter Herkunft, Ende 13./Anf. 14. Jh. (links), und Rekonstruktionszeichnungen von Rippenbechern aus Göttingen, wohl Ende 13. Jh.
orte ihr Vorhandensein in städtischen Haushalten, auf Burgen und in Klöstern belegen.92 Damit gehörten auch diese Glasbecher nicht nur zu den wohl exklusiveren, weil teuren, sondern auch sicher nicht zu den üblicherweise gebräuchlichen Trinkgefäßen. Ein Beispiel „für die wechselseitige Einflußnahme zwischen zeitgenössischen Gefäßformen und verfügbaren Materialien“ stellen einige Funde von gläsernen ‚Köpfen‘ bzw. Scheuern dar, die ebenfalls gegen Ende des 13. Jahrhunderts nördlich der Alpen gefertigt wurden.93 Dieser Formentyp, der ursprünglich möglicherweise aus dem zentralasiatischen Bereich stammt, wurde im Hochmittelalter auch aus Holz, Keramik und Metall hergestellt und zuweilen, wie z. B. in Braunschweig, aus Glas oder aus Holz gefertigt, auch direkt benachbart gefunden.94 Auch Flaschen wurden aus Glas in verschiedenen Formen seit der Mitte des 13. Jahrhunderts nördlich der Alpen hergestellt. Bisher sind die Fundnachweise nicht zahlreich, auch sind die Flaschenrestfunde zumeist sehr 92
93
94
Vgl. Bruckschen (2004), S. 66 mit Anm. und Koch (1986b), S. 196 ff. mit Abb. 6–8. Mit vergleichbarer Bewertung Baumgartner/Krueger (1988), S. 218: „Becher mit formgeblasenen, meist senkrechten Rippen aus farblosem Glas haben sich durch zahlreiche Funde gerade aus jüngerer und jüngster Zeit als ein Typ erwiesen, der offenbar neben und parallel zu den Nuppenbechern einer der beliebtesten war.“ Bruckschen (2004), S. 77. Auch Baumgartner/Krueger (1988), S. 231 halten es, da Nachweise für farblose Scheuer bzw. deren Scherben aus dem Bereich südlich der Alpen oder aus Südfrankreich fehlen, für möglich, dass diese Glasgefäße nördlich der Alpen hergestellt wurden Vgl. Bruckschen (2004), S. 77 mit Anm. 391 und oben S. 491ff. sowie zur materialübergreifenden Formstabilität des Typs ‚Scheuer‘ Baumgartner/Krueger (1988), S. 231
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Abb. 75/76: Kopf oder Scheuer mit rundem Griffhenkel aus farblosem Glas, links aus Freising, rechts mit Fundort Konstanz
schlecht erhalten.95 Scherben von Flaschen aus farblosem Glas, die noch in das 12. Jahrhundert datiert werden, wurden z. B. in Straßburg und Basel entdeckt.96 Öfter nachgewiesen wurden birnenförmige Flaschen, die aus farbigem oder grünem Glas hergestellt sind.97 Solche Glasflaschen bzw. deren Scherben fanden sich nicht nur im Süden und Südwesten des mittelhochdeutschen Sprachraumes, sie sind, wie die folgend abgebildeten Beispiele zeigen, durch Funde auch im Rheinland und im nördlichen Deutschland belegt.98 In welchem Umfang Glasflaschen in hochmittelalterlichen Haushalten Verwendung fanden, lässt sich kaum ermitteln. Möglich wäre es, doch wurden das linke und mittlere der unten gezeigten Exemplare – ohne Inhalt – jeweils in Kirchen entdeckt, in denen (versiegelte) Flaschen u. a. der Aufbewahrung von Reliquien oder Urkunden dienten (und daher, z. B. in Altartischen versenkt, erhalten blieben).99 Die beiden Flaschen, auf die dies zutrifft, sind mit Fadenauflagen verziert, einer „besonders typische[n] Verzierung an Gläsern des 12./13. Jahrhunderts … Diese sind meist aus einem einzigen langen Faden von unterschiedlicher Stärke umgelegt, vielfach in wellen- oder zickzackförmigen Schwüngen, kombiniert mit spiraligen Windungen. Ähnliche Fadenauflagen haben eine offenbar fortlaufende Tradition seit fränkisch/merowingischer Zeit, in etwas anderer Ausführung finden sie sich an Gläsern des 14. Jahrhunderts.“100 95 96 97 98
99 100
Vgl. Steppuhn (2002), S. 26 und Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 308 Vgl. Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 309 Vgl. Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 309 Beispiele für Flaschen/Krüge aus farblosem und farbigem Glas aus dem hochmittelalterlichen Braunschweig finden sich bei Bruckschen (2004), S. 99 ff. Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 110 f. Baumgartner/Krueger (1988), S. 106
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Abb. 77–79: Farbige Glasflaschen mit Fadenauflagen aus Ellwangen und Köln, wohl 12. Jh., und Flasche aus grünem ‚Waldglas‘ mit einem sog. ‚Stauchungsring‘ aus Höxter, 13. Jh.
Neben Flaschen, die mit einem sog. ‚Stauchungsring‘ versehen sind – „mit gedrückt kugeligem Körper und deutlichem ‚Kropf‘ am Hals“101 –, ist aus dem ausgehenden 13./beginnenden 14. Jahrhundert eine Reihe von bauchigen Flaschen(rest)funden bekannt, deren kugelige Bäuche Rippen aufweisen und die teils auch mit Fadenauflagen verziert sind.102 Es wurden ferner kleine, flache Schalen (mit einem Durchmesser von mehrheitlich bis zu 15 cm) aus Glas hergestellt, bisher in dem hier interessierenden Raum jedoch nur selten nachgewiesen. Diese Schalen zeigen Verzierungen wie blaue Ränder oder Fadenauflagen.103 Eine besondere Gestaltungsform von Glasprodukten, deren Vorhandensein bereits im 13. Jahrhundert noch nicht lange wahrgenommmen wird, rückt in den vergangenen etwa 25 Jahren vermehrt in den Blick: Gläser mit in ihrer Kuppa ausladenden Schalen auf einem hohen, langgezogenen Fuß oder Stiel.104 Wahrscheinlich wurden derartige Gläser schon seit dem 12. Jahrhundert, vermehrt jedoch seit dem 13. Jahrhundert im RheinMaas-Gebiet, in den Argonnen und im heutigen Südbelgien hergestellt.105 Reste von mehreren Gläsern, die diese Form aufweisen, wurden in Köln, 101 102
103 104 105
Baumgartner/Krueger (1988), S. 266 Erläuterungen zu diesen Glastypen sowie Abbildungen bieten Baumgartner/Krueger (1988), S. 270 ff. Vgl. Beschreibungen und Abbildungen bei Baumgartner/Krueger (1988), S. 282 ff. Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 237 ff. mit Abbildungen und Erläuterungen Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 237 und passim
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Worms und Straßburg gefunden.106 „Gerade in den letzten Jahren hat das Material zu diesem Typ in ganz erstaunlichem Maße zugenommen, und es kommen ständig neue Varianten und Raffinessen hinzu, die uns zu Bewunderung für den Phantasiereichtum und das technische Können dieser Glaskünstler nötigen. Es ist dies eine Gläsergruppe, die besonders deutlich das alte Vorurteil von den primitiven, derben Waldgläsern im Mittelalter widerlegt und die in ihrer ganzen Stilhaltung vorzüglich in die höfisch-verfeinerte Welt des späten 13. und 14. Jahrhunderts paßt.“107 Auch wenn Funde von Glasscherben, teils auch kompletter Becherprofile aus dem Mittelalter mittlerweile zahlreich sind, gehörten Glasgefäße, wie bereits angesprochen, nicht zu den Gebrauchsgegenständen, die in einem ‚durchschnittlichen‘ hochmittelalterlichen Haushalt in größerer Zahl vorhanden und damit alltäglich waren. „Die wenigen erhaltenen Darstellungen, die Gläser der Zeit um 1300 zeigen, sind in der weltlichen, höfischen Sphäre angesiedelt.“108 Ob damit der „adligen Gesellschaftsschicht … der Umgang mit erlesenen Gefäßen selbstverständlich“ war109 oder ob nicht Glasgefäße auch in die bildliche Szenen eingebunden wurden, um eine Erlesenheit und Exklusivität der dargestellten Adelswelt erst zu betonen, muss offen bleiben. Dass eine solche Exklusivität, wenn sie sich besonders auch durch derartige ‚Accessoires‘ ausdrücken sollte, bereits im 13. Jahrhundert nicht mehr auf die Welt des Adels beschränkt war, zeigen die mittlerweile zahlreichen Glasfunde aus städtischen Siedlungen des Hochmittelalters.110
106 107 108
109 110
Vgl. Baumgartner/Krueger (1988), S. 239 ff., Nrn. 231 ff. Baumgartner/Krueger (1988), S. 237 Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 310. Auf die Besonderheit, dass Messkelche in der Kirche seit dem 9. Jahrhundert verboten wurden und dass Trinkgefäße daher auch in der Folgezeit auf Bilddarstellungen religiöser Provenienz kaum zu erwarten sind, verweist Koch (1986b), S. 191 Diesen Schluss ziehen Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 310 Hierzu bilanzieren Prohaska-Gross/Soffner (1992), S. 310: „Allein die angewachsene Fundmenge kostbarer Hohlglasfragmente aus mittelalterlichen Stadtkernbereichen müssen [sic! d. Verf.] … sicher als Indiz für eine veränderte städtische Sozialstruktur in Betracht gezogen werden. Untersuchungen in einigen Wohnquartieren in Konstanz belegen ein allmähliches Anwachsen einer Bürgerschicht, die durch Handel bzw. Fernhandel zu Wohlstand gekommen war. Es sind hier die Mitlieder des kaufmännisch und händlerisch orientierten sogenannten jüngeren Patriziats, die ab Mitte des 13. Jahrhunderts gleichfalls als Grundeigentümer auftreten. Zudem dürften die Besitzer von Handwerksbetrieben des gehobenen Bedarfs, wie Kupfer- und Goldschmiede, den Funden nach zu urteilen, ebenfalls zu den Benutzern der Gläser gezählt werden.“
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8.4 Metallenes Gerät Die Edelmetalle Gold und Silber wurden das gesamte Mittelalter hindurch auch in Mitteleuropa gefördert und verarbeitet. Goldenes oder vergoldetes Tafelgerät wurde zu Speisezwecken im Hochmittelalter jedoch offenbar sehr selten hergestellt. Pokale, Schalen oder kleine Teller aus Gold finden sich fast nur aus dem kirchlichen Bereich überliefert, wo sie liturgischen Zwecken dienten.111 Tafelgerät aus Silber wird seit dem 11. Jahrhundert in einzelnen Nachlässen Adliger aus dem weltlichen und dem geistlichen Bereich erwähnt.112 Dabei handelte es sich meistens um Trinkgefäße in Schalenform, die mit oder ohne Fuß und/oder Deckel ausgestattet sein konnten.113 Dieses Tafelsilber bedeutete einen sehr persönlichen Besitz, ein kostbares Unikat, das oft vom Vater auf den Sohn vererbt wurde114 und seines Wertes wegen wohl kaum in allgemein zugänglichen Geschirrregalen aufbewahrt wurde. Gelegentlich kam es auch vor, dass Kannen und Trinkgefäße aus Holz und Keramik mit Henkeln aus Silber versehen wurden.115 Wenn in den Dichtungen des Hochmittelalters von kostbarem Tafelgerät aus Edelmetall die Rede ist, das mit Mustern, Einlegearbeiten und/oder Edelsteinen verziert war, mag man sich Kelche, Schalen oder kleine Teller/ Tabletts vorgestellt haben, wie sie in dieser Zeit für den liturgischen Gebrauch hergestellt wurden. Die Schatzkammern vieler Dome und Kirchen besaßen liturgisches Gerät aus Silber und Gold, das mehrheitlich wohl bei besonderen kirchlichen Anlässen eingesetzt wurde und dann bestaunt werden konnte.116 Beispiele für die hoch entwickelte Gold- und Silberschmie111
112 113 114 115 116
Zu Tafelgerät aus Gold stellt Hasse (1979), S. 15 (leider ohne Nachweise) fest: „Gefäße aus purem Gold leisteten sich nur sehr reiche Kaufleute.“ Vgl. Hasse (1979), S. 15 Vgl. Hasse (1979), S. 15 ff. mit Abb. Vgl. Hasse (1979), S. 15 Beispiele zeigt Hasse (1979), S. 14 ff. Eine umfangreiche Sammlung von Beispielen romanischer Kelche und Patenen besonders aus mitteleuropäischen Kirchenschätzen bietet der reich bebilderte Beitrag von Piotr Skubiszewski: Die Bildprogramme der romanischen Kelche und Patenen, in: Arne Effenberger (Hg.): Metallkunst von der Spätantike bis zum ausgehenden Mittelalter. (Schriften der Frühchristlich-byzantinischen Sammlung I). Berlin 1982, S. 198–267. Beispiele für kostbares liturgisches Gerät, besonders aus Bergkristall geschliffene und mit einem Edelmetallfuß versehene Zylinder zur Aufbewahrung von Knochenreliquien (sog. Ostensarien) bietet Dietrich Kötzsche (Hg.): Der Quedlinburger Schatz wieder vereint. Katalog der Ausstellung im Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen Berlin – Preußischer Kulturbesitz vom 31. 10. 1992–30. 05. 1993. Berlin 1992, S. 91 f., Nr. 22 und 23
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Abb. 80: ‚Bernhardkelch‘ und zugehörige Patene, Hildesheim, 1. Drittel 13. Jh.
dekunst bieten der sog. Bernhardkelch und eine zugehörige Patene (Tellerchen, mit dem der Kelch oben abgedeckt wurde) aus des Basilika St. Godehard in Hildesheim, die in das erste Drittel des 13. Jahrhunderts datiert werden.117 Kelch und Patene bestehen aus getriebenem Silber, das vergoldet wurde. Beide Stücke weisen Ziselierungen, Gravuren (mit geistlichen Motiven) sowie Filigranarbeiten mit buntem Steinbesatz auf.118 Von (gediegenen) Kerzenleuchtern ist bei einigen Tafelszenen in Dichtungen des Hochmittelalters wohl die Rede, jedoch erscheinen Leuchter in zeitgenössischen Bilddarstellungen mit Tafelszenen weder auf dem Tisch noch in dessen Nähe (vgl. oben Kap. 3). Um einen Eindruck dessen zu erhalten, was zu dieser Zeit als ‚prächtig‘ – und damit höfischen Tafeln angemessen – galt, lohnt auch hier der Blick auf Kerzenleuchter aus mittelalterlichen Kirchenschätzen. Ein besonders exponiertes Beispiel bietet das Bernwardleuchterpaar aus dem Hildesheimer Domschatz. Wie eine in Niellotechnik an beiden Leuchtersockeln angebrachte Inschrift ausweist, wurden die Leuchter von Bischof Bernward von Hildesheim selbst in Auftrag gegeben, was ihre Datierung vor dessen Tod im Jahr 1022 erlaubt.119 117 118 119
Vgl. Text zu Exponat IX-29 in: Brandt/Eggebrecht (1993), S. 632 f. Vgl. Brandt/Eggebrecht (1993), S. 632 Vgl. Text zu Exponat VIII-32 bei Brandt/Eggebrecht (1993), S. 581
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Die in mehreren Teilen aus Silber gegossenen (und später zusammengesetzten), teilweise vergoldeten Leuchter weisen einen reichen Figurenschmuck auf: unten am dreifüßigen Sockel auf Drachen reitende Figuren, am langgezogenen Schaft nach oben kletternde Männchen, die auf dem links abgebildeten Leuchter nach oben (‚zum Himmel‘), auf dem rechten zur Seite sehen. „Neben den Tassiloleuchtern im Klosterschatz von Kremsmünster … sind die Bernwardleuchter das älteste erhaltene Leuchterpaar des Mittelalters“.120 Sie wurden wahrscheinlich in der Region zwischen Aachen und Metz hergestellt, die seit dem 9. Jahrhundert für eine hoch entwickelte Metallgusstechnik bekannt ist.121 Allgemein wird silbernes oder gar goldenes Tafelgerät – auch in weit weniger aufwändig gearbeiteter Form als die zuvor gezeigten Vergleichsstücke aus Kirchenschätzen – sehr teuer und daher selten gewesen sein. Auch in wohlhabenden städtischen Siedlungen lässt es sich bis in das 14. Jahrhundert hinein nur vereinzelt nachweisen.122 „Der reiche städtische Kölner Patrizier hatte schon im 11. und 12. Jahrhundert silbernes Tafelgeschirr, Kannen und Schalen, Becher und Schüsseln, aber davon ist nichts überliefert. Urkundliche Nachrichten, Testamente und Erzählungen berichten von diesem silbernen Tafelgeschirr.“123 Die wenigen Inventarlisten, die aus adligen Haushalten des Hochmittelalters überliefert sind, lassen erkennen, dass aus Edelmetall hergestelltes Tafelgerät auch dort nicht alltäglich war und schon gar nicht ausreichte, um z. B. bei einem Festmahl mit großer Gästeschar eine Tafel so mit kostbarem Gerät zu bestücken, dass sie als exquisit hätte bezeichnet werden können. So werden im ‚Codex Falkensteinensis‘ gegen Ende des 12. Jahrhunderts etwa folgende Gegenstände als zum Inventar eines Burgenhaushaltes gehörend aufgeführt: „In Neuenburg befinden sich sechs silberne Trinkgefäße mit Deckeln und fünf silberne Schalen ohne Deckel, drei silberne Kelche mit Deckeln und vier ohne Deckel, ein Silbermesser und zwei silberne Löffeln [sic!]. Zusammen sind es achtzehn silberne Gefäße.“124 Archäologische Funde können in diesem Punkt ebenfalls kaum angemessen Aufschluss bieten. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass Gefäße aus Edelmetall, sofern sie Schäden aufwiesen und ausgesondert werden 120 121
122 123
124
Exponatbeschreibung bei Brandt/Eggebrecht (1993), S. 581 Vgl. die Erläuterungen zu den Exponaten in Brandt/Eggebrecht (1993), S. 584; in diesem Band finden sich auch Beispiele weiterer Leuchter(fragmente) aus ottonischer Zeit, so auf den S. 309 f. und 433 f. Vgl. Hasse (1979), S. 20 f. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 24. Belege werden dort nicht aufgeführt Rösener (2008a), S. 147
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Abb. 81: Das von Bischof Bernward beauftragte Leuchterpaar vom Beginn des 11. Jhs. aus dem Hildesheimer Domschatz
mussten, sicher nicht in den Abfallgruben verschwanden, sondern von Gold- und Silberschmieden eingeschmolzen und zu neuem Gerät oder Schmuck verarbeitet wurden. So sind manche der besonders aus dem Spätmittelalter überlieferten Silbergefäße als Bodenfunde nur im Kontext von Schatzfunden greifbar.125 Trotz der spärlichen archäologischen Fundlage wird man annehmen dürfen, dass Tischgerät aus Edelmetall dort, wo es vorhanden war, zu besonderen Anlässen tatsächlich auch auf die Tafel gebracht wurde. Über seine offenkundige Funktion – als Behältnis für Speisen, Gewürze oder Ge125
Vgl. Hasse (1979), S. 23, Abb. 12, die den u. a. im Museum von Speyer befindlichen Lingenfelder Schatzfund zeigt, der in das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts datiert
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tränke – hinaus konnte es nämlich weitere Bedeutungen besitzen, ob als kunstfertiges und eindrucksvolles Schau-Objekt, als Ausdruck der Wertschätzung geladener Gäste, als Beleg für den Reichtum des Gastgebers, aber auch als Symbol wirtschaftlicher und politischer Macht. In diesem ‚psychologischen‘ Sinne etwa präsentierte noch Friedrich II. von Preußen im 18. Jahrhundert diplomatischen Delegationen das Tafelsilber seiner Hofhaltung, das er nicht seines Gebrauchswertes wegen als edles Geschirr schätzte, sondern insbesondere als formgebundene staatliche Finanzreserve verstand, die sich bei Bedarf jederzeit einschmelzen und zu Münzgeld wandeln ließ, das z. B. die Erhaltung und Aufstockung seiner Armeen ermöglichte. Dabei ging er davon aus, dass die von ihm unter Präsentation des preußischen Tafelsilbers bei Tisch empfangenen Gäste diese Geste in eben diesem Sinn zu deuten wussten.126 Das auch im Hochmittelalter im Haushalt gebräuchliche Metallgerät bestand – sofern man es sich leisten konnte – jedoch eher aus Kupfer bzw. aus mit hohen Kupferanteilen hergestellten Legierungen, namentlich Bronze (Kupfer-Zinn-Legierung)127 und Messing (Kupfer-Zink-Legierung).128 Aus dünnwandig getriebenen Kupfer-, Bronze- oder Messingplatten wurden Kessel von i. d. R. größerem Fassungsvermögen hergestellt. In ihnen konnten über dem Herdfeuer größere Mengen an Flüssigkeiten oder Nahrungsmitteln erhitzt werden. Aufgehängt wurden sie über dem Feuer an Henkeln mithilfe von Kesselhaken, Ketten oder an anderen Vorrichtungen, die es erlaubten, den Kessel zur Regulierung der Temperatur höher oder niedriger abzusenken. Von derartigen Kesseln sind aus dem Hochmittelalter nur wenige im Original erhalten.129 Dies mag damit zusammenhängen, dass die dünnwandig getriebene Ware zum einen bei Beschädigung leicht wieder eingeschmolzen und neu verarbeitet werden konnte. Sie repräsentierte zum anderen nur einen vergleichsweise geringen Materialwert.
126
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129
Vgl. Michael Stürmer: Preußens silberne Heere. Staatskasse in der Terrine: Die Stiftung Preußische Schlösser hat königliches Geschirr zurückgekauft, in: Welt am Sonntag Nr. 6/2009, 8. Februar 2009, S. 69 Vgl. O. Mazal in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 712–717 s.v. Bronze, bes. Sp. 713: „B. ist heute ein Sammelbegriff für verschiedene Kupferlegierungen …, die auch bei feinster Bearbeitung und dünnwandiger Fertigung stat. Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse aufweisen … Gebräuchlich war im Mittelalter eine Mischung von ca. 80 % Kupfer und ca. 20 % Zinn.“ Vgl. dazu Ph. Braunstein unter dem Stichwort ‚Messing‘ in: LexdMA Bd. VI (1993), Sp. 563 f. Beispiele zeigt Hasse (1979), S. 26 f., Abb. 14 f.; vgl. Funde aus der Weser bei Bremen bei Rech (2004), passim; ein Beispiel aus Basel bieten Mittler/Werner (1988), S. 500, Farbtafel C83
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Abb. 82: Kupferkessel aus Wendelstorf, Kreis Bad Doberan, Mecklenburg-Vorpommern, 11. Jh.130 130
Angesichts des Fehlens von Kesseln in Testamenten aus dem Hochmittelalter, die anderes ‚ehernes‘ Küchengerät durchaus aufführen, wurde errechnet, dass z. B. ein Bronzekessel von etwa sieben Litern Fassungsvermögen nur etwa 700 Gramm wog, während ein Grapen mit demselben Fassungsvermögen etwa sieben Kilogramm auf die Waage brachte und daher – etwa in zeitgenössischen Nachlassregelungen – allein seines Materialwerts wegen eher berücksichtigt wurde.131 Grapen wurden seit dem Hochmittelalter vermehrt auch aus Bronze gegossen. „Die Geschichte des Grapen, des gegossenen Dreibeintopfes, konnte in den vergangenen Jahren weitgehend geklärt werden. Es hat wohl schon im 12. Jahrhundert vereinzelt eherne Töpfe mit drei Beinen gegeben, vielleicht in Klosterküchen, vielleicht auch im Gewerbe. Um 1200 dürfte man bereits Grapen in kleinem Umfang serienweise hergestellt haben, um die Mitte des 13. Jahrhunderts war der Grapen bereits eine begehrte
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131
Der getriebene Kuperkessel (die Schlagmarken an seinen Wänden sind deutlich erkennbar) weist eine steile Wandung und einen leicht gewölbten Boden auf. In der Beschreibung dieses Exponats werden auch Ansätze von Henkeln bzw. Hängeösen erwähnt. Der Kessel ist 11cm hoch und hat einen Durchmesser von 22,5cm, vgl. Das Reich der Salier (2002), S. 18, Nr. 24 Vgl. Hasse (1979), S. 27, Rech (2004), S. 191 und Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 20
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Ware“.132 Die dreibeinigen Töpfe mit festen oder beweglichen Henkeln gleichen in ihrer Form und Funktion den oben gezeigten irdenen Grapen. In ihnen findet sich ein weiteres Beispiel für die Übertragung von gängigen Formen auf verschiedene Materialien, hier von der Keramik auf Metall. Das Gewerbe der Grapen- oder Duppengießer ist etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in verschiedenen städtischen Siedlungen bezeugt, so 1248 in Hamburg, 1257/1258 in Rostock und Köln und um 1260 in Wismar.133 Die metallenen Grapen „wurden vom 12. Jh. bzw. noch bis um 1900 zum Kochen von Suppe, Brei und Grützen aller Art benutzt. Aber auch Hühner und Eier kochte man in ihnen oder bereitete den Grapenbraten und eine Speise aus Möhren und Zwiebeln. Unbekannt ist noch, warum, beginnend wohl in der 2. Hälfte des 12. Jh., in Mitteleuropa gegossene Metallgefäße benötigt wurden und woher die Anregung kam. Offensichtlich stand diese Entwicklung – um 1300 dürften in jedem größeren städtischen Haushalt Nordwestdeutschlands mindestens zwei Grapen vorhanden gewesen sein – mit dem allgemein steigenden Wohlstand in Verbindung, in dessen Folge nach den Grapen auch Pfannen, Feuerschapen und Mörser … gegossen wurden.“134 Gegossene Mörser aus Bronze oder aus Messing wurden bei Ausgrabungen in städtischen Siedlungen des 13. und 14. Jahrhunderts vereinzelt gefunden, wobei offen bleibt, ob sie vornehmlich in mittelalterlichen ‚Apotheken‘ oder auch in den Küchenbereichen der Haushaltungen in Gebrauch waren.135 Aus Metall gegossene und damit schwere Töpfe, Pfannen und Mörser haben im Hochmittelalter jedoch sicher nicht zu den allgemein verbreiteten Küchenutensilien gezählt. Ihr nur allmählicher Einzug in die Küchenbereiche durchschnittlicher mittelalterlicher Haushalte wird durch folgende Schätzung angezeigt: „Im Überschlag dürfte ein Haushalt gegen Ende des 12. Jahrhunderts an Metallgeräten – sieht man vom Eisengerät ab – kaum mehr als 1 bis 2 Kilo besessen haben, ein Haushalt im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts dagegen 20 bis 100 Kilo und noch darüber hinaus.“136 Der hohe Materialwert und der Fertigungsaufwand brachten hohe Preise mit sich, für die Vergleichswerte z. B. folgendermaßen ermittelt wurden: „Um 1200 kostete ein kleiner Grapen soviel wie ein Schaf, größere soviel wie ein 132 133 134
135 136
Hasse (1979), S. 30 f. Vgl. Hasse (1979), S. 26 und Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 20 Meckseper (1985), S. 197, vgl. auch Abb. 131a-c auf dieser Seite (Metallgrapen aus Norddeutschland aus dem 13./14. Jahrhundert) Vgl. Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 20 und Hasse (1979), S. 33 Hasse (1979), S. 39
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Schwein und solch große, wie sie in Klosterküchen verwendet wurden, soviel wie drei Pferde oder sechs bis acht Kühe.“137 Die handwerkliche Kunst der hochmittelalterlichen Gießergewerbe tritt besonders in den aus Metall gefertigten Aquamanilen entgegen. Die meisten der erhaltenen Exemplare sind aus Bronze gegossen und wurden oft bereits im Guss, aber auch mit nachträglich aufgebrachten Verzierungen oder Auflagen aufwändig bearbeitet. Die oben angesprochenen Passagen aus der epischen und der didaktischen Literatur des Hochmittelalters erwähnen das Händewaschen, besonders vor dem Mahl, regelmäßig und kennzeichnen es damit als besonderen Ausdruck höfischer Etikette.138 Als Gießgefäß konnten Krüge oder Kannen, an einer besonders erlesenen Tafel auch die eigens für das Handwaschwasser hergestellten und damit exklusiven Aquamanilen dienen. Nach orientalischen Vorbildern wurden sie – wie auch die oben bereits erwähnten Exemplare aus Keramik139 – figürlich gestaltet, sie finden sich in Form eines Löwen, Drachen/Greifen oder einer Reiter-/Ritterfigur, zuweilen stellen sie auch biblische Motive dar (z. B. Samsons Kampf mit dem Löwen).140 Bei der Formgebung und künstlerischen Gestaltung der Gießgefäße standen offenbar weniger funktionale Gesichtspunkte im Vordergrund als vielmehr das Bedürfnis nach Repräsentation und Pracht – eine leichte und damit ‚praktische‘ Handhabung erlauben viele der erhaltenen Beispiele nämlich kaum.141 Das an feinen Tafeln zum Händewaschen gereichte Wasser wurde in Schalen oder Becken aufgefangen, die auch aus Metall hergestellt sein konnten. Solche Schalen konnten ebenfalls zum Gießen des Wassers eingesetzt werden. Daher ist hochmittelalterliches Handwaschgerät für die Tafel als ein ‚Set‘ zu verstehen, auch wenn es oft nicht als solches erhalten blieb.142 Auffangschalen für das vor/nach Tisch gereichte Handwaschwasser bestanden nicht aus schwerer Gussware, sondern wurden aus Bronze-, auch 137
138
139 140 141 142
Heiko Steuer: Zum Lebensstandard in der mittelalterlichen Stadt, in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt (1982), S. 23–41, hier: S. 25 Vgl. auch oben S. 116. Eine umfangreiche Belegsammlung aus der mittelalterlichen Literatur findet sich bei Hütt (1993), S. 25 ff.; Müller (2006), S. 40 ff., weist im gleichen Zusammenhang über den physischen Säuberungsaspekt hinaus – mit Blick auf religiöse Motive – auch auf den symbolischen Charakter der Handwaschung als Reinigungsakt hin Vgl. oben S. 478 ff. Verschiedene Beispiele dazu bei Hütt (1993), S. 36 ff., Abb. 4 ff. Vgl. Hütt (1993), S. 14 Vgl. dazu Klaus Eckerle: Giessgefässe und Becken aus Bronze und Messing im mittelalterlichen Haushalt, in: Steuer (1986), S. 207–222, bes. S. 208 ff.
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Abb. 83: Löwen-Aquamanile aus dem 13. Jahrhundert, Halberstadt, Domschatz
aus Kupfer- oder Messingblech hergestellt. Bekannte Beispiele bildet eine verbreitet gefundene Gruppe von flachen, zunächst aus Blech getriebenen und anschließend oft durch Abdrehen geglätteten, vielfach durch Gravuren verzierten Schalen mit auskragendem Rand und mit einem Durchmesser von ca. 25 bis 30cm, die ihre irreführende, doch nach wie vor oft gebrauchte Bezeichnung als ‚Hanseschalen‘ aufgrund ihres Verbreitungsgebietes besonders im östlichen Hanseraum erhielten.143 Produktionsstätten für dieses metallene Gerät sind mit den Beckenschlägern in städtischen Siedlungen seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesen, so in Goslar und in Braunschweig. Weitere Produktionsschwerpunkte 143
Vgl. Hasse (1979), S. 25 und Rech (2004), S. 189 f. Auf die irreführende Bezeichnung weist Müller (2006), S. 92 hin. Er erläutert, dass die meisten dieser Artefakte in das 11./12. Jahrhundert datieren und damit vor Entstehung des Hansebundes angefertigt wurden
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Abb. 84: Bronzenes Handwaschbecken (‚Hanseschale‘) mit Bild- und Textverzierungen
konnten in Aachen, Köln sowie im Rhein-Maas-Gebiet nachgewiesen werden, wo möglicherweise auch getriebene Kessel hergestellt wurden.144 Die auf vielen dieser Schalen angebrachten Verzierungen können rein ornamental sein, aber auch biblische, mythologische, allegorische oder poetische Motive aufnehmen.145 Ein Beispiel, bei dem auf dem Rand einer hochmittelalterlichen Handwaschschale auch direkt auf ihren Nutzungszusammenhang verwiesen wird, besitzt das Kölner Schnütgen-Museum. 144
145
Vgl. Hans Drescher: Messerbeschläge aus Hanseschalenblech, in: ZAM 3 (1975), S. 57–68, hier: S. 59 Vgl. Klassifikation nach Motivkreisen bei Müller (2006), S. 93, Abb. 93. Zu ihnen gehören auch Stoffe der antiken Erzähltradition
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Abb. 85: Tafelszene als Verzierung einer sog. ‚Hanseschale‘ aus dem 12./13. Jahrhundert
Dargestellt ist der Typus einer langen Tafel mit faltigem Tischtuch, an der vier Figuren sitzen, die zwei mittleren eng einander zugewandt. Die auf der Tafel abgebildeten Gegenstände sind teilweise nur noch schwer zu erkennen, identifizierbar sind jedoch zwei Deckelpokale, eine Schale mit Fuß, mehrere Messer sowie zwei runde, gekerbte Brote. Aquamanilen aus Metallguss und Wasserspende- oder -auffangschalen aus Metallblech waren, da sie besonders im Rahmen von repräsentativen Tafeleien zum Einsatz kamen, in denjenigen Haushalten vorhanden, die sich derart aufwändiges und damit auch teures Tafelgerät leisten konnten.146 Ein Großteil der hochmittelalterlichen Bevölkerung nutzte daher derart exklusives Gerät wohl nie. Bemerkenswert ist deshalb, dass der Akt des Händewaschens und dass auch Handwaschgeschirr oder Aquamanilen in der zeitgenössische epische Dichtungen begleitenden bildlichen Überlieferung fehlen, obwohl sich so146
Hasse (1979), S. 25 weist darauf hin, dass die Aquamanilen und Wasserbecken, die biblische, literarische oder mythologische Motive aufweisen, entsprechend gebildete Nutzerschichten voraussetzen; Eckerle (1986), S. 207, sieht auch in städtischen Siedlungen nur die gehobenen Kreise als mögliche Nutzer
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Abb. 86/87: Messerfunde aus Bremen,13. Jh. (oben) und um 1300 (unten)
wohl die Reichung von Gieß- und Auffanggefäß sowie die markante Form vieler Aquamanilen leicht hätten ins Bild setzen lassen. Angesichts der Rolle, die der Akt des Händewaschens im Rahmen eines festlichen Mahls einnimmt – und die in literarischen Zeugnissen wiederholt auch zum Ausdruck kommt –, ist es merkwürdig, dass die Handwaschung als einer der wesentlichen „strukturierenden Knotenpunkte“,147 ein Mahl der ‚gehobenen Etikette‘ folgend angemessen zu zelebrieren, in der profanen Bildüberlieferung nicht erscheint.148 An kleinerem Metallgerät gab es im Haushalt vor allem Messer, seltener auch Löffel.149 „Bei den Messern sind zwei Grundtypen zu unterscheiden: Das Griffangelmesser und das Griffplattenmesser. Bei dem Griffangelmesser geht die Klinge in einen lang ausgeschmiedeten Dorn, die Angel, über. Der Griff ist aufgeschoben und am Knauf durch eine aufgelegte oder aufgeschobene Platte befestigt. Die Spitze der Griffangel wurde manchmal breit geklopft und übernahm die Funktion eines Niets. Die Konstruktion ist gleich jener eines Dolchs. Das Griffplattenmesser weist hingegen eine breit ausgeschmiedete Griffplatte mit mehreren Löchern auf. Zu beiden Seiten der Griffplatte werden Griffschalen aufgenietet. Diese können wie bei der Handhabe für das Griffangelmesser aus unterschiedlichem Material sein. Beide Formen kommen in Mittel- und Nordeuropa … seit dem 13. Jh. nebeneinander vor.“150
147 148
149
150
Müller (2006), S. 21 Dagegen finden sich Handwaschszenen gelegentlich auf den Illuminationen zu religiösen Schriften, so z. B. im ‚Hortus deliciarum‘ Herrads von Landsberg, vgl. Abb. oben S. 228 ff., siehe auch die Darstellung am Westlettner des Naumburger Doms im Anhang, Abschnitt VII Beispiele für Löffelfunde aus Buntmetall bietet Rech (2004), S. 205, Abb. 216 und S. 208, Abb. 219 Rech (2004), S. 175 mit Abb. 177, vgl. auch Abb. 178 ff. auf den folgenden Seiten; Beispiele für Messerfunde mit Holzgriffen bietet Saggau (2006), S. 210
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Abb. 88: Schöpfkelle oder Pfanne aus Eisen, Haus Meer, 9.–12. Jh.
Nur selten hat sich Haushaltsgerät aus Eisen erhalten. Wahrscheinlich wurde es, sofern es beschädigt war, meistens eingeschmolzen und zu neuem Gerät verarbeitet. Da Eisen leicht korrodiert, kommen auch gut erhaltene Bodenfunde von eisernem Gerät nicht oft vor. Ein wegen seines Erhaltungszustandes und seiner Funktion bemerkenswerter Fund stammt aus der Motte bei Hause Meer. Es handelt sich um eine große Schöpfkelle aus getriebenem Eisen mit langem, oben umgebogenem Stiel, die in die Zeit zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert datiert wird. Aufgrund der Größe des Stücks – es ist 67cm lang, der Durchmesser der Schale beträgt 21cm – wird es für möglich gehalten, dass dieses Gerät auch als Pfanne benutzt wurde.151 Tafelgerät aus Zinn, das wegen seiner guten Formbarkeit zu Krügen, Bechern, Tellern, Schalen und auch zu Besteck verarbeitet werden konnte, war im Hochmittelalter noch nicht verbreitet. Es wurde zwar schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts vereinzelt hergestellt, kam z. B. in städtischen Haushalten jedoch erst nach 1300 vermehrt in Gebrauch.152 151 152
Vgl. Beschreibung des Exponats in: Das Reich der Salier (1992), S. 36, Nr. 40 Vgl. Hasse (1979), S. 33, dem zufolge der erste (Zinn-)Kannengießer in Köln im Jahr 1277 urkundlich erwähnt wurde, während für andere städtische Siedlungen Zinngießereien erst im 14. Jahrhundert belegt sind. Vgl. auch Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 24 und S. 23: „Zinn wird erst im 14. Jahrhundert häufiger, für Eßbrettchen, Teller, Schalen und für Löffel, Kannen und Flaschen.“ Ein wesentlicher Grund für die erst späte Verbreitung von Zinngeschirr und -besteck wird darin gesehen, dass es im Hochmittelalter noch nicht gelang, den spröden Werkstoff durch geeignete Legierungen, z. B. mit Blei, form- und haltbar zu machen. Dass die Zugabe von Blei bereits seinerzeit als gesundheitlich problematisch erkannt wurde, wie es ein Lexikonartikel nahe legt, darf jedoch bezweifelt werden, vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon Bd. 25 (1979), S. 730 f. s.v. Zinn
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8.5 Sachkultur zwischen Mythos und Alltag Mit Blick auf das im Hochmittelalter gebräuchliche Küchen-, vor allem aber auch das Tafelgerät lassen die in den vorherigen Abschnitten in ihrer Vielfalt lediglich skizzierten – archäologisch erschlossenen oder unmittelbar überlieferten – sachkulturellen Belege erkennen, dass tiure näphe auch auf den Tischen und Tafeln begüterter Kreise nicht den Regelfall bildeten. In Wolframs Schilderung im ‚Parzival‘ wie in vergleichbaren Festdarstellungen der epischen Dichtung dürfen sie nicht fehlen, weil Tafelgerät aus edlen und teuren Materialien den Prunk und die Pracht einer Hofhaltung, gleichzeitig aber auch die Großzügigkeit eines Gastgebers und sein Vermögen repräsentieren kann, das sich nicht nur auf wirtschaftliche Prosperität reduzieren lässt, sondern in einem erweiterten Verständnis auch persönliche Bedeutung und politische Macht zu vermitteln vermag.153 Die literarischen Entwürfe ‚der mittelalterlichen Festtafel‘ und des auf ihr angerichteten Geräts fügen sich damit zwar nahtlos in das erzählerische Gesamtbild einer idealisierten ‚ritterlichen Lebensform‘ ein, doch lassen bereits zeitgenössische Illuminationen der literarischen Stoffe erkennen, dass man sich auch in den Haushalten und auf den Tafeln mächtiger Fürsten nicht vornehmlich goldene, silberne oder gar edelsteinbesetzte Becher, Kannen und Schalen vorstellen sollte. Anders erklären sich die in bildlichen Darstellungen erkennbaren hölzernen Daubenbecher, eine ‚Massenware‘, kaum (vgl. dazu beispielhaft die Illuminationen des ‚Eneasromans‘, oben Abschnitt 3.2). Mit Blick auf die Geschirrfunde, die bei Ausgrabungen auf Burgen, Adelssitzen und auch im Kreis wohlhabender Haushalte in städtischen Siedlungen gemacht wurden, lässt sich festhalten, dass die aus dem Hochmittelalter auf uns gekommenen bildlichen und skulpturalen Darstellungen die zeitgenössischen Gegenstände auf den Tafeln der Edlen wohl insgesamt treffender darstellen als die Epik, die Holz- oder Tongeschirr auf der vornehmen Tafel nicht kennt (bzw. nicht nennt), ihrer am höfischen Ideal orientierten Intention zufolge jedoch auch wohl von vornherein nicht in den Blick geraten lassen will. Wie zahllose archäologische Funde belegen, waren es Waren aus Ton bzw. Keramik und aus Holz, die den Geschirrbestand einen Haushaltes in allen Kreisen der hochmittelalterlichen Bevölkerung gleichermaßen kennzeichneten. Der irdene Kugeltopf und hölzerne Daubenbecher, Keramikund Holzgeschirr waren überall vorhanden und bildeten damit eine gemeine Grundausstattung, die kaum geeignet ist, qualitativ begründete Schlüsse auf 153
Zu den verschiedenen kulturellen Bedeutungshorizonten eines Mahles vgl. ausführlich Müller (2006), S. 19 ff.
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eine ständisch oder auch ökonomisch differenzierte Bestückung hochmittelalterlicher Geschirrborde zu ziehen. Dass dies zu kurz greift, wurde von archäologischer Seite schon vor einiger Zeit angemahnt: „Die Gleichsetzung von Materialien wie z. B. Holz – ‚arm‘ und Metall – ‚reich‘, wie sie in der Literatur immer noch anzutreffen ist, hat sich doch als zu einfach herausgestellt.“154 Auch ‚klassisch‘ historische Quellen bestätigen dieses Bild: „Schriftliche Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts wie beispielsweise das Einkünfteregister des Klosters Corvey belegen … die Wertschätzung hölzernen Geschirrs, so daß für die Zeit vor und um 1300 in weitaus stärkerem Maße, als dies im Vergleich zur ‚harten Ware‘ Keramik, Glas und Metall belegt werden kann, von einem vielfältigen und reichlich vorhandenen Spektrum an hölzernem Tischgeschirr auszugehen ist. Dieses Tischgeschirr wurde nicht nur auf dem Land, bei ‚pfaffen, ritter und gebure‘ (Hugo von Trimberg) benutzt, sondern auch die differenzierte städtische Gesellschaft mit ihrer ‚koufmanschaft‘, ihren ‚antwercliute‘ und den ‚edeln liute‘ (Konrad von Ammenhausen) gebrauchte die ‚hultzin schusslen‘.“155 Mit Blick auf mögliche soziale Differenzierungen haben Fachleute auch für keramische Produkte generell keine Hinweise auf unterschiedliche Qualitäten der in hochmittelalterlichen Haushalten verbreiteten Waren festgestellt. Diese früher öfter diskutierte Frage ließ sich bereits zu Beginn der 1980er Jahre auf der Grundlage der seinerzeit bekannten Funde folgendermaßen bescheiden: „Die gängigen keramischen Erzeugnisse waren immer wohlfeiles Alltagsgut. Deshalb bedürfen die häufig geäußerten Vermutungen über den sozialen Status der Benutzer von im Sinne der Zeit qualitätvoller Keramik einer kritischen Überprüfung. Es will nicht recht einleuchten, weshalb schlichte gelbe Tongefäße in ‚Pingsdorfer Machart‘ teures Prestigegut gewesen sein sollen und aufwendigere Gefäße mit Rollrädchendekor … nicht für durchschnittliche Bauernfamilien erschwinglich gewesen sein sollten.“156 Wenn es um die Frage geht, ob und wie sich die Geschirrausstattung von Tafel und Küche einfacher und wohlhabender Haushalte im Hochmittelalter unterschied, wird man folglich das in den Blick nehmen müssen, was über den allgemein verbreiteten Grundbestand hinaus weist: hierzu können aufwändiger gefertigte und verzierte Artefakte aus Holz oder Keramik gehören, besonders jedoch Geschirr und Accessoires aus anderen Materia154 155
156
Schütte (1984), S. 45, Anm. 4; vgl. dort auch S. 79 Ulrich Müller: Tischgerät aus Holz. Holzgeschirr aus Freiburg und Konstanz, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 311–319, hier: S. 319 Stephan (1982b), S. 70 f.
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lien, ggf. mit speziellen Funktionen, und schließlich auch quantitative Verfügbarkeit. Dabei zeigt sich, dass Glaswaren – bereits auch aus heimischer Produktion – zwar nicht allgemein verbreitet waren, ihr Gebrauch aber schon im Hochmittelalter nicht nur auf sehr exklusive Kreise beschränkt war. Sie waren seit dem 13. Jahrhundert vermehrt auch in Klöstern und wohlhabenden Haushalten städtischer Siedlungen und demnach dort vorhanden, wo man sich ihren Erwerb ökonomisch leisten konnte. Es ist dennoch wahrscheinlich, dass die noch seltenen und daher teuren Glaswaren im alltäglichen Gebrauch prosperierender Haushalte insgesamt kaum eine Rolle spielten und nur zu besonderen Anlässen benutzt wurden. Auch Koch- und Tafelgerät aus Metall gehörte im Hochmittelalter zu denjenigen Haushaltsutensilien, deren Vorhandensein, Form, Ausgestaltung und Menge grundlegend von den jeweils herrschenden ökonomischen Verhältnissen abhing. Aus Bronze- oder Kupferblech getriebene Kochkessel waren ihres vergleichsweise geringen Gewichts wohl für größere Kreise noch erschwinglich. Gegossene Grapen und Mörser aus Bronze oder Messinglegierungen waren für Viele schlichtweg nicht bezahlbar, auch metallene Leuchter werden ein Luxusgut dargestellt haben.157 Becher und Schalen aus Silber oder gar aus Gold waren zwar bekannt, ihres sehr teuren Materials, ihrer aufwändigen Verarbeitung und zumeist auch zusätzlichen Verzierung wegen blieb eine derart exklusive Ware jedoch ausgesprochen begüterten und damit sehr kleinen Kreisen vorbehalten.158 Eine an ständischen Prinzipien orientierte Haushaltsausstattung lässt sich demnach für das Hochmittelalter kaum ausmachen, das dafür entscheidende Kriterium war schon seinerzeit insgesamt durch die wirtschaftlichen Möglichkeiten eines Hausherrn definiert. Demnach war es möglich, dass ein wohlhabender Bauer seinen Tisch durchaus aufwändiger decken lassen konnte als der sprichwörtliche ‚arme Ritter‘, eine Entwicklung, die auch in Dichtungen wie z. B. dem ‚Helmbrecht‘ ihren – aus Sicht ihrer zumeist wohl adligen und auf Erhalt einer ständischen Abgrenzung bedachten Rezipienten besonders kritischen – Niederschlag findet. Allgemein und daher ‚griffig‘ wurde dagegen folgendermaßen versucht, Unterschiede auf den Tischen von ‚Arm‘ und ‚Reich‘ auf eine Formel zu bringen: „Die Vorliebe für 157
158
In das Hochmittelalter datierende Beispiele für Bronzeleuchter finden sich bei Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (1982), S. 14, Abb. 22 und Rech (2004), S. 201, Abb. 209 Schubert (2006), S. 256 gibt dazu an, dass es offenbar besonders das Trinkgeschirr war, dem zu Repräsentationszwecken besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde und das daher, aus teuren Materialien gefertigt, häufiger vorkam
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Verzierungen und Farbigkeit kennt zwar das gesamte Mittelalter, doch war der Alltag der meisten ländlichen Bewohner durch die grauen oder dunklen Farben des Holzes und der heimischen Keramik geprägt. Schon auf den ersten Blick dürfte sich der ‚graue‘ bäuerliche Eßtisch von der ‚bunten‘ Tafel des Adligen oder Fernhändlers unterschieden haben.“159 Bemerkenswert ist, dass bei archäologischen Grabungen in hochmittelalterlichen Horizonten oftmals auch hölzerne Teller und Brettchen geborgen wurden, die zeitgenössische literarische Quellen als Geschirrform nicht kennen bzw. nicht als eigenständigen Typus benennen.160 Deren Darstellung zufolge war es Brot, das an vornehmen Tafeln als Speiseunterlage diente. Ob und in welchem Umfang auch Teller oder Brettchen bei Tisch allgemein gebräuchlich waren, kann demnach anhand der literarischen Quellenlage nicht beantwortet werden. Auch bildliche Darstellungen helfen hier nicht weiter. Entweder folgen sie, indem sie eine auf der Tafel dargestellte, runde Form durch zeichnerische Attribute als Brot kennzeichnen, der Darstellung im Text, oder sie beschränken sich auf die Abbildung einer ‚nur runden Form‘, die vor Speisenden auf der Tafel liegt, was schließlich offen lässt, ob es sich bei ihr um eine Unterlage aus Brot oder um ein Geschirr aus Holz oder sogar aus Keramik handeln könnte. Möglich wäre beides. Denkbar ist aber auch, dass man ‚schlichte Brettchen‘ oder einfache Schüsseln an vornehmen Tafeln nicht benutzen mochte und sie bewusst durch eine Brotunterlage ersetzte. Das Brot als grundlegendes Lebensmittel für die Masse, hier reduziert auf eine Funktion als Speiseunterlage (‚Tellerersatz‘) und damit für das ‚eigentliche‘ Speisenangebot auf der Tafel nebensächlich, könnte – sofern diese Unterlage nicht auch gegessen wurde – als ein Abgrenzungsmerkmal eingesetzt worden sein, als ein Zeichen, ‚dass man es sich leisten kann‘. Da greifbare Belege hierzu fehlen, bleibt diese Überlegung jedoch spekulativ.161 Dass die durchaus bekannten oder auch in einem vornehmen Haushalt vorhandenen Teller in literarischen und in den bildlichen Quellen keine Beachtung fanden, mag schließlich mit der marginalen Bedeutung zusammen159
160
161
Frank Huismann/Robert Gündchen: Ländliches Leben im Mittelalter im Paderborner Land. (Historisches Museum des Hochstifts Paderborn). Paderborn 2007, S. 26 Vgl. die oben S. 489 gezeigten Beispiele aus Bremen, siehe auch Stephan (1986), S. 259, Abb. 23, Rech (2004), S. 259 und Müller (1992), S. 313 f. mit Abb. Bei Lex. Bd. II (1992), Sp. 1418 f., findet sich zwar das Stichwort teller, es werden dort jedoch keine Stellenbelege ausgeworfen; ebenso findet sich bei BMZ Bd. I (1990), S. 28 zwar das Stichwort, jedoch kein in das Hochmittelalter datierender Stellennachweis Immerhin finden sich auf einigen Darstellungen Brote in verschiedenen Formen. Waren die ‚runden‘ lediglich als Speiseunterlage gedacht, längliche Brote und Brezel hingegen als das ‚eigentliche‘ Zubrot zu den aufgetischten Speisen?
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hängen, die sie für die Menschen des Mittelalters bei Tisch besessen haben dürften. Das Geschirr, mit dem Speisen aufgetragen wurden und aus dem man zu zweit oder zu mehreren auch aß, war die Schüssel oder Schale, an einfacheren Tischen vielleicht sogar der schlichte irdene Kochtopf. In der durch die damalige Sitte geprägten Wahrnehmung der Zeitgenossen konnten daher Teller oder Brettchen bei Tisch lediglich die – nebensächliche – Funktion einer Ablage erfüllen. Bei der Darstellung der im allgemeinen Empfinden bedeutsamen und daher ‚wichtigen‘ Elemente einer Tafel erschienen sie aus diesem Grund vielleicht verzichtbar.162 Merkwürdig verhält es sich schließlich auch mit dem Löffel. Dass dieses – neben dem Messer – im Hochmittelalter meistgenutzte Besteckteil in literarischen Quellen so gut wie gar nicht und auch in bildlichen Darstellungen dieser Zeit nicht erscheint, ist bemerkenswert.163 Dass i. d. R. aus Holz geschnitzte Löffel gebräuchlich, sehr viel seltener aus Bunt- oder sogar aus Edelmetall hergestellte Löffel vorhanden waren, belegen daher fast ausschließlich zahlreiche Bodenfunde sowie einzelne, aus dem Hochmittelalter überlieferte Inventarlisten. Dass Löffel weit verbreitet waren, liegt schon deshalb nahe, weil sich die damals ‚alltags‘ üblichen Brei- und Musspeisen – sofern man sie nicht ganz zu einer dicken Masse verkochen ließ – mit der Hand kaum aus einer Schüssel oder einem Topf aufnehmen ließen. Dass Löffel ‚im Mittelalter‘ das von einem Gastgeber allein auf einen Tisch gelegte Besteck gewesen seien (da Gäste beim Speisen ohnehin ihre mitgeführten Messer benutzten), weil sich auch mit edlem häuslichen Besteck hervorragend repräsentieren ließ,164 dürfte für das Hochmittelalter nicht zutreffen. Andernfalls hätten die an der Erwähnung repräsentativer Accessoires interessierte höfische Literatur und auch bildliche Quellen den Löffel öfter berücksichtigt. Dass dies nicht der Fall ist, dürfte mit den Speiseangeboten zusammenhängen, die eine festliche Tafel idealiter enthalten sollte: geschildert und gezeigt werden dort Fleisch- und Fischgerichte, die vor- oder selbst geschnitten und mit der Hand aufgenommen werden konnten. Für die dazu gereichten Saucen wurden Löffel nicht benötigt, da die zerkleinerten Fleisch- oder Fischteile und auch Brot in sie hineingetunkt wurden. Brei- oder Musspeisen, für deren Genuss ein Löffel erforderlich 162
163
164
Dass die heutige Nutzung des Tellers als eines Geschirrs für individuell angerichtete Speisen den Menschen im Mittelalter überhaupt sehr fremd gewesen wäre, da man sich das Essen nur aus gemeinsam genutzten Schüsseln vorstellen konnte, stellt auch Schubert (2006), S. 255 dar Die Ausnahme, die in der Tannhäuserschen ‚Hofzucht‘ zu finden ist, sei jedoch angemerkt, vgl. auch oben S. 75 mit Anm. 167 So dargestellt von Schubert (2006), S. 257, jedoch wiederum nur unter Bezug auf aus dem 15. Jahrhundert stammende Belege
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war, gehörten nicht zum ‚Programm‘ einer edlen Tafel. Sie repräsentierten den Alltag, das Gewöhnliche, damit Sphären, um deren Überwindung bzw. Ausblendung es besonders der höfischen Literatur und den ihr folgenden Illuminationen vornehmlich ging. Daher wird der Löffel als das im Hochmittelalter gebräuchlichste Besteck in seiner Bedeutung bei Tisch schließlich (fast) nur durch zahlreiche Bodenfunde und seltene Inventarüberlieferungen fassbar.
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Zusammenfassung und Ausblick
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9. Zusammenfassung und Ausblick Die schriftliche Überlieferung des Hochmittelalters, die uns in historischen Quellen entgegentritt, lenkt den Blick insbesondere auf Kaiser, Könige, Fürsten, den (Hoch-)Adel und damit auch auf kirchliche Funktionsträger und Strukturen, zunehmend auch auf das städtische Patriziat und, wo es schriftlich fassbar wird, auch auf das Bürgertum. In erzählenden Quellen treten uns besonders Könige, Ritter und Edle entgegen. Nur selten erscheinen, vornehmlich in Kleindichtungen, als Akteure auch Kleriker, und mit Bauern bzw. dem ländlichen Leben befasst sich die hochmittelalterliche Dichtung insgesamt nur am Rande und mit zumeist spezifischen Erzählabsichten.1 Die beigezogenen poetischen Quellen sind deutlich durch Typisierungen geprägt,2 in denen u. a. der ideale Verhaltenscodex der ‚Edlen‘ und Elemente des höfischen Lebens besonders herausgestellt werden.3 Außerhalb der höfischen und der Helden-Epik begegnen Klerus und Bauern zumeist als Typen (z. B. der ‚listige Pfaffe‘ Amis und pflichtvergessene Priester in Kleindichtungen des Strickers, ‚tumbe Dörfler‘ und Bauerntölpel in Neidharts Liedern sowie der ‚edle‘ Meier Helmbrecht und sein aufstiegsbesessener Sohn als Gegenbild). Die Bevölkerung der seinerzeit stark steigenden Zahl städtischer Siedlungen wird literarisch kaum erfasst, und wenn – wie in Rudolfs von Ems ‚guotem Gêrhart‘ –, nicht als Vertreter eines aufsteigenden Bürgertums, sondern ganz im Lichte einer am höfischen Ideal orientierten Lebensführung wahrgenommen.4 Literarische Szenen, in denen Essen und Trinken erwähnt werden, sind überwiegend standardisiert gefasst und bieten daher i. d. R. kaum detaillier-
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Vgl. oben Kap. 4; zu der erst seit dem 11. Jahrhundert sich herausbildenden Wahrnehmung und Bezeichnung der Bauern als eines besonderen Standes, die an die Entstehung des Rittertums als ‚Kriegerkaste‘ zurückgebunden ist, vgl. Rösener (1985), S. 19 ff. Die Wahrnehmung dieser Entwicklung spiegelt sich auch in der seit dem Ende des 12. Jahrhunderts zu verfolgenden literarischen Formung ‚des Bildes‘ vom Bauern(stand) in der volkssprachlichen Dichtung Vgl. oben bes. Kap. 2 bis 6 Vgl. oben Kap. 2 Vgl. oben Kap. 5
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Zusammenfassung und Ausblick
tere Einblicke in die Küche und Tischkultur der damaligen Zeit.5 Zusammenfassend formuliert, vermitteln sie eine Polarisierung, der zufolge an höfischen Tafeln Aufwand, Fülle, Pracht und Etikette selbstverständlich waren, während den außerhöfischen Gesellschaftsgruppen demgegenüber lediglich (eine betonte) Schlichtheit zugestanden wurde. Zu berücksichtigen ist, dass das Thema ‚Essen und Trinken‘ in die Dichtung nicht um seiner selbst willen aufgenommen wurde, sondern stets gleichsam ‚funktionalisiert‘ erscheint, sei es, um zeitliche Abläufe, den Anlass und atmosphärischen Hintergrund eines – oft dialogorientierten – Handlungsverlaufs oder, um ‚standesgemäße‘ Attribute hervorzuheben. Dabei ist einzuräumen, dass die aus dem Hochmittelalter auf uns gekommene poetische Überlieferung in dieser Arbeit bei weitem nicht vollständig erfasst wird. Die Sichtung verschiedener Werke, die hier nicht zitiert oder erwähnt wurden, ergab, dass auch in ihnen – sofern sie Speiseszenen enthalten – die zuvor geschilderten Muster vorherrschen.6 Ob und wo sich ggf. davon abweichende Darstellungen in der zeitgenössischen Dichtung finden, muss daher dem Interesse und der Arbeit anderer überlassen bleiben. Wenn in der Dichtung nicht nur am Rande erwähnt wird, dass eine Tafel angerichtet worden war, dass man sich zum Speisen begab oder davon erhob, wenn der Blick auch auf die Tafel selbst und deren Ausgestaltung gerichtet wird, so sind es fast immer das nur allgemein aufgeführte Fleisch von Haus- und Wildtieren, dazu auch Geflügel und Fisch, das bzw. der dort neben Brot angeboten und mit Saucen oder Tunken ergänzt wurde. An Ge5
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Zu den wenigen Ausnahmen zählen besonders Wolframs ‚Parzival‘ und ‚Willehalm‘, vgl. oben Kap. 2; ferner wird in Wernhers ‚Helmbrecht‘, in Kleindichtungen des Strickers sowie im ‚Seifried Helbling‘ vereinzelt von diesem Muster abgewichen, vgl. oben Kap. 4; das hier gezogene Fazit wird auch andernorts gesehen: „So sehr sich die Verfasser ritterlich-höfischer Epen des Mittelalters in ausführlichen Beschreibungen von Burgen und deren Räumlichkeiten, von Wappen, Rüstungen, Waffen, Gewändern, ja selbst Pferden gefielen, wer sich von ihren Dichtungen Details über die bei höfischen Festen … gebotenen Speisen erhofft, sieht sich enttäuscht, denn obgleich zu jedem solchen feierlichen Anlass auch ein köstliches Mahl gehörte, halten sich die Dichter mit ihren Ausführungen dazu auffällig zurück. Sie begnügen sich mit summarischen und oft nur formelhaften Bemerkungen, um kulinarischen Aufwand anzudeuten“, so ein Kenner der mittelalterlichen Küchenszenerie, Manfred Lemmer: Ernährung auf Burgen nach dem Zeugnis literarischer Quellen, in: Zeune (2006), S. 137–144, hier: S. 137 So finden sich z. B. in Hartmanns ‚Gregorius‘ keine Speiseszenen und nur mittelbare Hinweise auf unser Thema, etwa der arme Fischer, der, bis er den ausgesetzten Knaben findet und eine Belohnung dafür erhält, seine Kinder nicht ernähren kann oder die Erwähnung eines Truchsessen, der jedoch nicht bei einer Tafel, sondern als ‚Fremdenführer‘ in Erscheinung tritt, vgl. Edition Neumann (1968), V. 1201 ff. und V. 1922 ff.
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tränken wird Wein regelmäßig erwähnt, auch mit importierten – und daher teuren – Sorten, ebenso mit verschiedenen Gewürzen aufgesetzte Weingetränke, ferner Met und – seltener – auch Bier.7 Aus dem Hochmittelalter überlieferte chronikalische Quellen vermögen dieses Bild nur bedingt zu ergänzen. Schilderungen wie z. B. die des Mainzer Hoffestes von 1184 stehen unter dem Zeichen idealer Ritterlichkeit und höfischer Prachtentfaltung, auch ihr protokollarischer Wert ist angesichts dieses ‚Filters‘ und mancher Übertreibungen aus heutiger Sicht durchaus fragwürdig.8 Erhaltene Abgaberegister, Inventarlisten, Urkunden und kaufmännische Dokumente vermögen einzelne Einblicke in die sächliche Ausstattung verschiedener Haushaltungen sowie Auskunft über das Vorhandensein und die Verteilung von Lebensmitteln sowie über ihren Handel zu geben. Eine breitere Basis von Schriftquellen liegt lediglich für den klösterlichen Bereich vor.9 Sofern es sich dabei um Regeln und Vorschriften handelt, scheinen jedoch auch sie oft eher ideale Vorstellungen zu spiegeln. Vor diesem Hintergrund vermittelt ein an die Schriftlichkeit dieser Zeit geknüpftes Bild einen sehr eingeengten Ausschnitt der damaligen Lebenssphären und -verhältnisse. Denn etwa 90 % der Bevölkerung lebten auf dem Lande,10 die hochmittelalterliche Gesellschaft war demnach grundlegend agrarisch geprägt. Die meisten Menschen und deren Lebensumstände wurden daher im zeitgenössischen Schrifttum gar nicht erst erfasst.11 Dies gilt auch, wenn zum Vergleich bildliche und skulpturale Darstellungen von Speiseszenen in den Blick genommen werden. Vorbild und daher wiederholt kopiertes Muster für die Darstellung von Tafelszenen bildet das aus dem religösen Bereich übernommene Motiv des letzten Abendmahles, 7 8 9 10 11
Vgl. dazu oben Kap. 2, bes. Abschnitt 2.2.3 Vgl. hierzu oben die Abschnitte 2.2.1 und 2.3 Vgl. hierzu oben die Abschnitte 6.2 ff. Vgl. J.C. Russel s.v. Bevölkerung im LexdMA Bd. II (1983), Sp. 11–14, hier: Sp. 11 Ihre Lebensumstände bilden sich – sofern sie zum Gegenstand einer Erwähnung werden – im Vergleich zur Sphäre der schmalen Adelsschicht zumindest erheblich unproportional ab. Aus diesem Grund hatte sich Ernst Schubert vorgenommen, das ‚Essen und Trinken im Mittelalter‘ besonders aus der Perspektive ‚des kleinen Mannes‘ zu beleuchten, vgl. Schubert (2006). Seine insgesamt vielseitige und oft auch farbige Darstellung stößt jedoch gerade dort immer wieder an Grenzen, wo die schriftliche Quellenlage eben diese ‚kleinen Leute‘ nicht oder nur unzureichend erfasst, so dass auch er sich schließlich darauf einließ, den verfügbaren Quellenfundus auszuwerten, der i. d. R. auf andere als die von ihm in den Blick genommenen Gesellschaftsgruppen weist. Dass er dabei ‚das Mittelalter‘ zeitlich sehr großzügig versteht, dass daraus verschiedene Unschärfen resultieren und dass er darüber hinaus mit einigen seiner Aussagen – wohl im Interesse einer ‚griffigen‘ Darstellung – über anderslautende Belege hinweggeht, wurde in dieser Arbeit verschiedentlich angemerkt
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dessen Struktur bei fast allen Handschriftenilluminationen, die nicht-religiöse Texte begleiten, durch die Illustratoren grundsätzlich unverändert blieb.12 Tafelszenen in religiösen Handschriften und in solchen ‚weltlicher‘ Provenienz gleichen sich daher insgesamt sehr und sind – sofern man sie außerhalb ihres jeweiligen Kontextes betrachten wollte – auf den ersten Blick oft nur dadurch zu unterscheiden, dass die an der Tafel sitzenden Personen mit besonderen Attributen versehen werden (Nimbus oder Engelsflügel auf der einen, Krone oder anderer Kopfschmuck auf der anderen Seite). Interessant sind diese Szenen, weil die mittelalterlichen Künstler sie – unabhängig von ihrem jeweiligen inhaltlichen Bezug – mit den Attributen ihrer eigenen Zeit ausstatteten: so werden Haartracht und Kleidermode, aber auch Tischgerät, Bedienung und zuweilen auch ein das Mahl begleitendes Unterhaltungsprogramm greifbar.13 Stets ist es die mit einem bodenlangen, in Falten fallenden Tischtuch bedeckte Tafel, die gezeigt wird. Sie ist mit Schüsseln, Schalen, Pokalen und/oder anderen Trinkgefäßen versehen, deren Inhalt zumeist nur in Form von leicht darstellbarem Fisch und Geflügel, gelegentlich auch als Schweinekopf14 erkennbar ist. Ebenfalls in Schüsseln dargestellte, kleine oder größere ‚runde Stücke‘ können keinen spezifischen Speisen zugeordnet werden. Den Schilderungen in der Dichtung entspricht, dass sich auf den ins Bild gefassten Tafeln auch Brot befindet, das nicht nur als runder Fladen, sondern auch gekerbt (und: vorher aufgegangen?), in länglicher, lanzettartig zugespitzter Form und als Brezel erscheint. Dargestellt werden regelmäßig auch Messer, die, da die Tafelnden in dieser Zeit mit ihren eigenen, mitgeführten Messern speisten, besonders wohl zum Tranchieren und Vorlegen gedacht waren. Gelegentlich sind auch zweizinkige Vorlegegabeln zu sehen. Weil Gabeln als Essbesteck in Mitteleuropa erst in der frühen Neuzeit gebräuchlich wurden, fehlen sie folglich im hochmittelalterlichen Bild. Auch Löffel finden sich in den hier betrachteten Illuminationen nicht, obwohl sie das zu der Zeit gebräuchlichste Besteck waren.15
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S. dazu bes. oben Kap. 3. Auch die von diesem Muster weitgehend abweichenden Illuminationen zu Wolframs ‚Willehalm‘ aus der ‚Großen Bilderhandschrift‘ werden dort behandelt Vgl. hierzu oben Kap. 3, bes. S. 176 ff. Vgl. z. B. die oben S. 196 gezeigte Abb. aus dem ‚Eneasroman‘ (Inhalt der Schüssel, die links im Bild angereicht wird) sowie den Anrichtetisch für die Tafel des Ahasverus aus Herrads ‚Hortus deliciarum‘, Abb. oben S. 227 und – vergrößert – S. 231 Dies weisen mittlerweile zahlreiche Löffelfunde aus, vgl. dazu oben den Abschnitt 8.2, ferner Abschnitt 3.4
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Gezeigt werden uns in den Illuminationen sowohl religiöser als auch ‚weltlicher‘ Texte jeweils festliche Tafeln, bei deren Darstellung Wert darauf gelegt wurde, dass verschiedenartige Speisen (= Fülle und Vielfalt) sowie auch ein der Etikette entsprechendes, gepflegtes Verhalten der Speisenden erkennbar sind.16 Damit werden Ausschnitte aus den Lebensverhältnissen der ‚oberen Zehntausend‘ sichtbar, besonders des hohen weltlichen und kirchlichen Adels, nicht aber der städtischen und ländlichen Bevölkerung, des einfachen Klerus oder auch der klösterlichen Klausuren. Bemerkenswert sind einzelne ‚Brüche‘ zwischen Text und Bild, weil Illuminatoren einen ihnen bekannten Textverlauf zumeist möglichst treffend in ihr eigenes Medium umzusetzen suchten. So wird die Pracht der höfischen Tafel, die z. B. Wolfram in seinem ‚Parzival‘ und im ‚Willehalm‘ entwirft, wenn er Trinkgefäße aus Gold, Silber – auch mit kostbaren Steinen geschmückt – oder aus Glas erwähnt, weitgehend als poetische Phantasie ‚entzaubert‘, wenn die Illuminatoren des ‚Willehalm‘ in der ‚Großen Bilderhandschrift‘ gewöhnliche, aus Holz gefertigte Daubengefäße als Trinkbecher auf eben diese edle Tafel setzten. Dass die Ausstattung festlicher Tafeln – nicht nur, aber auch – mit schlichtem Gebrauchsgeschirr wohl keine Ausnahme bildete, wird daraus ersichtlich, dass die Illuminationen zu Tafelszenen im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke und die Darstellung der Tafel von König Ahasverus im ‚Hortus deliciarum‘ ebenfalls schlichte Daubenbecher zeigen.17 Insofern lassen sich mit Blick auf sachkulturelle Fragen insgesamt mehr Entsprechungen zwischen Darstellungen aus dem kunsthistorischen Bereich und aus dem Hochmittelalter stammenden, archäologischen Geschirrfunden als zwischen literarischem Text und den auf ihn bezogenen Illuminationen feststellen.18 Angesichts des im höfischen Festambiente in der epischen Dichtung immer wieder erwähnten – daher zur Kennzeichnung einer edlen Tafel wichtigen – Speiseangebotes von jagdbarem Wild19 ist es merkwürdig, dass die 16
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So wird z. B. im Bild oft aufgenommen, dass sich jeweils zwei Tischnachbarn eine gemeinsame Schüssel teilen, und auch, dass sie sich während des Essens miteinander unterhalten bzw. ihre Aufmerksamkeit nur einer, neben ihnen platzierten Person widmen. Zu zeitgenössischen Regeln ‚guten Verhaltens‘ in der Tischzuchtenliteratur, die sich hier spiegeln, vgl. oben Abschnitt 2.2.4 Vgl. dazu die oben im Kap. 3 abgebildeten Beispiele Vgl. dazu oben Kap. 8 mit verschiedenen Beispielen Mit Blick auf die im Mittelalter oft kontrastierend angelegten Schilderungen von ‚Herren- und Bauernspeisen‘ führt Lemmer (2006), S. 137 f. hierzu ein hübsches Beispiel an: „Solche Gegenüberstellungen zweier Ernährungswelten laufen für den Adel in der Regel nur auf die Kurzformel Wildbret und Fisch hinaus, mit der auf die Herrenrechte der Jagd und des Fischfangs gepocht wird. Wie sehr man auf das Jagd-
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Illuminatoren nicht versuchten, auch Wildspeisen sichtbar ins Bild zu setzen. Wo sie Fleisch als Inhalt von Schüsseln oder Schalen nicht eingängig darstellen konnten, besonders nicht als von Haus- oder Wildtieren stammend, hätten sie durchaus auf das Vorhandensein von Wildtierfleisch hinweisen können, z. B. dadurch, dass sie den Kopf eines Hirsches oder eines Rehs in eine der gezeigten Schüsseln setzten. Beide Tierarten wären durch ihr Geweih leicht zu identifizieren gewesen. Möglicherweise könnte auch diese Beobachtung als Indiz dafür herangezogen werden, dass das Fleisch von Wildtieren auf höfischen Tafeln nicht den Stellenwert besaß, der ihm in den Schilderungen der Dichter eingeräumt wird. Zieht man in dieser Frage die Tierknochenfunde bei, die bei archäologischen Grabungen auf Burgen und Herrensitzen geborgen wurden, so wird deutlich, dass die Jagd für den Adel bei der Nahrungsbeschaffung und -sicherung im hier beleuchteten Zeitraum keine Rolle mehr spielte. Beinahe ausnahmlos waren es besonders Haustiere – Rind, Schwein, Schaf/Ziege und Geflügel wie Huhn, seltener Gans, Ente oder Taube –, deren Knochen sich in den untersuchten Abfallgruben oder Grabungshorizonten fanden.20 Dass sich die Speisegewohnheiten des Adels von denen der restlichen Bevölkerung wesentlich dadurch unterschieden hätten, dass das vom Adel reklamierte Vorrecht der Hochwildjagd Wildfleisch in großen Mengen auf die herrschaftlichen Tafeln gebracht hätte, wird durch archäologische Funde insgesamt nicht bestätigt und sollte daher auch nicht länger behauptet werden. In diesem Punkt werden besonders die poetischen Schilderungen, auf die sich auch heute noch verschiedene kulturgeschichtliche Darstellungen abstützen, durch archäologische Funde und auch durch deren Interpretation insgesamt deutlich widerlegt.21 Generell vermögen archäologische Funde von Speiseresten aus verschiedenen hochmittelalterlichen Siedlungskomplexen besonders das Bild des damaligen Nahrungsmittelangebotes – und oft auch seiner Nutzung – um manche Aspekte zu ergänzen, bei weiteren seiner Facetten deutet sich
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privileg stolz war, zeigt sich daran, dass kurioserweise für eine genuin adlige Jagdbeute sogar eine ‚würdige‘ Zubereitungsart verlangt wurde. Das Urbacher Weistum z. B. fordert von einem armman, der eines Hasen habhaft geworden ist, dass er ihn nicht auf seine Weise mit Kohl oder Gemüse koche, sondern dass er dem Tier sein recht thäte, es zu pfistern !backen" oder zu braten.“ Vgl. näher oben Abschnitt 7.1; mit Blick auf die auch in anderen Siedlungsformen gefundenen Reste von Wildtieren (vgl. Abschnitt 7.2 ff.) wird deutlich, dass das Fleisch von Wildtieren fast überall konsumiert wurde, dabei im Rahmen der Gesamtversorgung jedoch eine nur marginale Bedeutung besaß Vgl. dazu auch oben bes. S. 396 ff.
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dabei auch an, dass manche bisherige Annahmen wohl einer Revision bedürfen. So wird die Vorstellung einer ‚fleischüberladenen‘ Rittertafel22 fragwürdig, wenn die auf Burgen und Herrensitzen geborgenen Knochenmengen, bezogen auf die Dauer ihrer Bewirtschaftung und die mögliche Zahl ihrer Bewohner, zu gering ausfallen, um einen andauernd hohen Fleischkonsum belegen zu können. Wenn auch berücksichtigt werden muss, dass die Speiseabfälle früherer Epochen zumeist wohl nur in Teilen erfasst wurden und die Quantität des Fleischkonsums (nicht nur) des Adels infolgedessen nicht absolut rekonstruiert werden kann, weisen die Funde von mittlerweile zahlreichen – ehemals herrschaftlich bewohnten – Grabungsorten nicht darauf hin, dass Fleisch dort zu jeder Zeit ‚in Hülle und Fülle‘ vorhanden gewesen bzw. konsumiert worden wäre.23 Die im Mittelalter übliche Praxis der Abgabe von Naturalien an den oder die Grundherren – so z. B. von Schweinen, Hühnern, Gänsen, aber auch Schafen und Ziegen – macht es immerhin wahrscheinlich, dass viele Burgen und Adelssitze (ebenso wie Klöster) vergleichsweise überdurchschnittlich mit Fleisch versorgt wurden. Da diese Haushaltungen jedoch i. d. R. auch größer waren und neben Gästen die Dienerschaft und oft wohl auch Handwerker mit zu versorgen hatten, werden Zahlenangaben und Mengenberechnungen relativ und sollten mit Zurückhaltung interpretiert werden.
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Diese offenbar recht hartnäckig sich haltende Vorstellung ist für die Zeit des Hochmittelalters aus mehreren Gründen zu hinterfragen. Noch in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends galt derjenige Herrscher, der viel essen konnte (und das auch tat), als nicht nur physisch stark. Viel – zu viel ( ? ) – zu essen, war demnach nicht nur vom wirtschaftlichen Vermögen abhängig, sondern besonders auch eine Frage der ‚Staatsraison‘. Aus diesem Grunde wurde z. B. von fränkischen Herrschern (darunter Karl der Große) berichtet, dass sie ausgiebig speisten und dabei auch (unglaublich) große Mengen vertilgen konnten, vgl. Montanari (1993), S. 32 ff. mit verschiedenen Beispielen. Das im Hochmittelalter positiv gewertete Verhaltensideal setzte hingegen auf Disziplin und Zurückhaltung, die mâze, und Selbstbeherrschung, die zuht. Wer sich zu dieser Zeit beim Speisen ‚edel‘ verhalten wollte, traf demnach eine gezielte Auswahl und übte ggf. bewussten Verzicht, auf jeden Fall waren Gier und Völlerei zu vermeiden. Wenn z. B. die Dichter in ihren Schilderungen von einem großen Speiseangebot und von erheblichen Mengen sprechen, so wohl nicht, um zu vermitteln, dass diese auch sämtlich verbraucht wurden. Die wahre Etikette der Edlen zeigte sich zu dieser Zeit nämlich darin, dass sie sich auch bei einem reichhaltigen Speiseangebot in jeder Hinsicht ‚beherrschen‘ konnten Vgl. dazu im Einzelnen oben Abschnitt 7.1; möglich scheint immerhin – nicht zuletzt aufgrund der im mittelalterlichen Feudalsystem üblichen Abgabepraxis und der herrschaftlichen Jagd – eine größere durchschnittliche Varianz der adligen Haushalten zur Verfügung stehenden tierischen Fleischlieferanten
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Die in epischen Dichtungen geschilderten, reichhaltigen Tafeleien im ritterlichen Milieu werden dadurch nicht widerlegt. Sie werden vielmehr in ein rechtes Licht gerückt. Denn im Vergleich mit archäologischen Funden wird deutlich, dass sie Festmähler und damit den Ausnahmefall thematisieren. Dass die wohl oft langen Perioden zwischen so außergewöhnlichen – und deshalb erwähnenswerten – Ereignissen von einem erheblich schmaleren Fleischangebot und auch durch eine wesentlich schlichtere Küche gekennzeichnet waren, lässt sich bereits aus der Zahl bzw. Menge vieler archäozoologisch untersuchter Reste ableiten. Erste Hinweise darauf, dass auch die damaligen klösterlichen Speisegebräuche durch überlieferte Ordensregeln nicht treffend gefasst werden und künftig differenzierter betrachtet werden sollten, geben Ausgrabungsfunde aus drei hochmittelalterlichen Benediktinerabteien (Schaffhausen, Hirsau und Corvey).24 Während die Speisegebote der Benediktinerregel sich in den Schaffhauser Tierknochen- und Pflanzenfunden insgesamt recht genau abbilden, weisen die umfangreichen Geflügelknochenfunde aus Hirsau auf eine nicht vornehmlich vegetabil und vielleicht sogar ansatzweise ‚luxusorientierte‘ Küche hin. Die Funde vieler ‚vierfüßiger‘ Haustiere in der Reichsabtei Corvey entsprechen weder den Speisevorgaben der Benediktinerregel noch der daraus abgeleiteten Vorstellung einer fleischlosen Kost mittelalterlicher Mönche. Man wird daher davon ausgehen müssen, dass eine gewisse ‚Elastizität‘ in der Auslegung der Ordensregel, die der Gründungsvater Benedikt mit Blick auf die Versorgung der Mönche bereits zuließ,25 in vielen Klöstern tatsächlich auch geübt wurde. Dies umso mehr, als seinerzeit viele Mönche und Nonnen dem adligen Milieu entstammten und bei ihrem Eintritt in ein Kloster möglicherweise auf bisherige Lebensgewohnheiten nur ungern verzichteten. Es zeigt sich dabei, dass weder das in vielen Schriftquellen überwiegende Bild vollkommener Askese noch dasjenige klösterlichen Wohllebens die in mittelalterlichen Klöstern herrschenden Lebens- und Speisegewohnheiten zutreffend wiederzugeben vermögen. Da bisher nur wenige Klosterareale archäologisch auch auf tierische und pflanzliche Speisereste hin untersucht werden konnten, bleiben weitere Funde und Untersuchungen wünschenswert, um die damals offenbar vorhandene Bandbreite klösterlicher Küchen- und Speisepraxis besser erfassen zu können. Anders als es die Dichtung und auch viele chronikalische Quellen nahe legen, gestaltete sich das auf Burgen und Herrensitzen, in städtischen und ländlichen Siedlungen sowie in Klöstern zur Verfügung stehende Nah24 25
Vgl. oben den Abschnitt 7.4.2 Vgl. hierzu oben Abschnitt 6.2.2
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rungsmittelangebot nach Ausweis der Funde von Tierknochen und Pflanzenresten in allen Siedlungsformen qualitativ weitgehend homogen. ‚Das Spanferkel‘ oder ‚der Lammbraten‘ waren demnach auch auf herrschaftlichen Tafeln nicht regelmäßig vorzufinden, die meisten Tiere wurden erst in fortgeschrittenem Alter geschlachtet, besonders Rinder erst dann, wenn sie zur Arbeitsleistung als Zugtiere nicht mehr einzusetzen waren. Auch Schafe, Ziegen und Pferde wurden, wie Knochenfunde aus den verschiedenen Siedlungstypen ausweisen, geschlachtet und in der Küche verwertet. Die Fleischqualität besonders älterer Haustiere dürfte nach heutigen Maßstäben eher mäßig gewesen sein. Da keines der Haustiere im Hochmittelalter den Fleischertrag und die Fleischgüteklassen moderner Hochzuchtrassen erreichte, kann ‚der Braten‘ als mittelalterliches Festessen mit heutigen Erwartungen kaum konkurrieren. Schlacht- und wohl auch Jagdtiere wurden intensiv verwertet, so dass auch Innereien, Hirn, (Rinder-) Knochen und Füße, ganze Köpfe, Schwarten und Schwänze in mittelalterlichen Küchen verarbeitet wurden. Auch aus den Funden von Pflanzenresten lässt sich insgesamt nicht ableiten, dass z. B. auf Burgen und Herrensitzen ‚besseres‘, weil besonders ausgelesenes oder gereinigtes Getreide konsumiert worden wäre. Bei den bisher noch wenigen paläoethnobotanisch ausgewerteten Pflanzenfunden von Adelssitzen kamen Beimengungen von Unkräutern und teils sogar giftigen Stoffen ebenso vor wie in anderen Siedlungstypen. Eine Präferenz für Weizen, der sich zu besonders feinem Mehl verarbeiten ließ und schriftlichen Quellen zufolge im adligen Milieu bevorzugt konsumiert wurde, weisen die dort gemachten Pflanzenfunde ebenfalls nicht aus.26 Das mittelalterliche Angebot an tierischer und pflanzlicher Nahrung war grundlegend kleinräumig bzw. regional geprägt. Auf die Tische kam und in Speiseresten fand sich, was in der Nähe wuchs, gezogen, angebaut, gesammelt, gefangen oder gejagt werden konnte. Nachgewiesen ist der Konsum einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten, mit auf regionalen Besonderheiten beruhenden Varianzen (z. B. Steinbock oder Murmeltier im Alpenraum, Zugvögel in dem an der ‚Vogelfluglinie‘ gelegenen Schleswig).27 Zwar waren z. B. Kartoffel, Tomate und Mais, verschiedene Kohlsorten28 und Spinat noch unbekannt, auch der Reis noch selten und der Buchweizen auf seiner ‚Wanderung von Osten‘ in Mitteleuropa noch nicht 26 27
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Vgl. in derselben Richtung Lemmer (2006), S. 140 Siehe dazu die am Schluss dieses Bandes aufgeführten tabellarischen Übersichten aus den verschiedenen Siedlungsformen Dass Blumen-, Wirsing- und Rosenkohl in Deutschland erst seit dem 16. Jahrhundert aufkamen, erwähnt Lemmer (2006), S. 143, Anm. 5
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angekommen, doch lassen schriftliche Quellen und archäologische Belege den Schluss zu, dass im Mittelalter mehr heimische Kultur- und besonders auch Wildpflanzen weit intensiver genutzt wurden als dies heute der Fall ist, sodass das pflanzliche Nahrungsmittelangebot insgesamt breit, jedoch auch stark saisonal geprägt war. Die für das Hochmittelalter charakteristische, zunehmende „Vergetreidung“29 des Nahrungsmittelkonsums ist auch archäologisch sowie in zeitgenössischen Bildquellen fassbar.30 Sie betraf alle Gruppen der damaligen Gesellschaft, sodass Brot und Brei-, aber auch Musspeisen die tägliche Ernährung auch des Adels häufiger begleitet haben dürften als dies schriftliche Quellen vermitteln möchten. Interessante, weil der poetischen, teils auch der chronikalischen Überlieferung entgegenstehende Einblicke zeichnen sich ab, wenn das Thema ‚Luxusgüter‘ aus der Perspektive archäologischer Belege betrachtet wird. So war z. B. der Pfau, den Wolfram in seinem ‚Willehalm‘ bei einem Festessen auftischen lässt,31 archäozoologischen Nachweisen zufolge sicher kein auf edlen Tafeln gängiges Schaugericht, sondern – wenn überhaupt – eine auch als Küchenprodukt sehr seltene Ausnahme. Andererseits legen z. B. die vielen Nachweise von Feigen(nüsschen) gerade aus städtischen Siedlungen nahe, dass diese Importfrucht nicht nur oder etwa besonders im adligen Milieu konsumiert wurde. Bemerkenswert ist ferner, dass die bisher noch sehr seltenen Nachweise von ebenfalls eingeführten Mandeln und teuren Gewürzen – Pfeffer, Kardamom, Paradieskorn – nicht auf Burgen oder Herrensitzen, sondern im städtischen und sogar im ländlichen Bereich zutage traten. Wichtiger als aus poetischen Quellen hervorgeht, werden im Mittelalter Milch und Milchprodukte (Käse, Quark/Topfen, Butter) gewesen sein. Sie werden besonders in chronikalischen Quellen sowie z. B. in Heberegistern verschiedentlich aufgeführt. Dabei ist erwähnenswert, dass die Ziege als Milchlieferant im Mittelalter mehr Bedeutung besaß als die Kuh.32 Daneben haben in der mittelalterlichen Küche sicher auch Eier eine größere Rolle gespielt als es den vielfach auf besonders repräsentative Speisen ausgerichteten Schilderungen der Dichter aus dem hier in den Blick genommenen Zeitraum zu entnehmen ist. 29 30
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Vgl. unten im Anhang S. 646 f. Siehe dazu die Tabellen mit Pflanzenfunden aus verschiedenen Siedlungsformen unten am Ende dieses Bandes; vgl. neben der im Anhang (Abschnitt IV) gezeigten Illumination z. B. die verschiedenen Darstellungen im ‚Sachsenspiegel‘, die auf den Getreideanbau Bezug nehmen, so in dem von Koschorreck (1976) herausgegebenen Band, passim Vgl. dazu oben S. 84 Verschiedentlich aufgenommen wird dies oben bes. in Kap. 7
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Ein bisher noch sehr lückenhaftes Bild bietet sich beim mittelalterlichen Fischkonsum. Auf einer Festtafel sollte Fisch epischen Zeugnissen zufolge nicht fehlen, und als in Fastenzeiten sowie den Mönchen ‚erlaubte‘ Speise spielte Fisch eine sicher wichtige Rolle. Auch auf bildlichen Darstellungen edler Tafeln wird Fisch wiederholt gezeigt.33 Da Fischknochen und die oft sehr feinen Gräten bei vielen Siedlungsgrabungen nicht geborgen wurden und, sofern doch vorhanden, besonders aufwändiger Auswertemethoden bedürfen, ist das Spektrum vorhandener bzw. konsumierter Fischarten mit archäologischen Belegen bisher kaum greifbar. Es zeichnet sich jedoch ab, dass im Binnenland fast ausschließlich Süßwasserfische konsumiert wurden. Der im Hochmittelalter bereits entwickelte Handel mit Stockfisch und Hering lässt sich bislang durch archäologische Nachweise nur bedingt nachvollziehen.34 Die archäologisch erschlossenen Belege weisen aus, dass die Nahrungsgewohnheiten der mittelalterlichen Menschen nicht etwa – ohnehin nicht sicher existenten – ständischen Speisevorschriften oder Reglementierungen folgten, sondern dadurch bestimmt waren, was zum einen verfügbar war (und auch bevorratet werden konnte), und was man sich auf der anderen Seite wirtschaftlich leisten konnte. Dabei zeigt sich bei näherer Betrachtung eine weit größere Inhomogenität der Konsumentengruppen als es die ständische Gesellschaftsordnung des Mittelalters vermuten ließe. ‚Der Adel‘ war nicht durchweg wohlhabend, sondern kannte auch viele sprichwörtlich ‚arme Ritter‘.35 In städtischen Siedlungen gab es reiche Kaufleute, begüterte und weniger begüterte Handwerker sowie viele wirtschaftlich schwache Dienstboten und Tagelöhner. Bauern konnten sehr wohlhabend sein, wie u. a. das poetische Beispiel des ‚Helmbrecht‘ zeigt, durch wiederholte Erbteilung der Höfe, Abgabelasten oder Bodenbeschaffenheit bedingt, jedoch auch am Existenzminimum wirtschaften. Aus den zuvor in den Blick genommenen Quellen wissen wir einiges darüber, was den mittelalterlichen Menschen an Nahrungsmitteln zur Verfügung stand. Eine der grundlegenden Schwierigkeiten, über ‚das Essen und Trinken im Hochmittelalter‘ Näheres zu sagen, besteht darin, dass wir nur sehr wenig darüber wissen, wie die Nahrungsmittel damals verarbeitet
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Vgl. dazu oben die in den Abschnitten 3.2 und 3.3 gezeigten Beispiele Vgl. hierzu oben Kap. 7 Dies hebt auch Lemmer (2006), S. 138 hervor: „Herrenspeise war natürlich nichts Einheitliches, sondern sie war abhängig davon, auf welcher Stufe der Adelspyramide ein Herr stand, ob sie auf den Alltag bezogen war oder auf kirchliche wie weltliche Feste, in denen die alltägliche Wirklichkeit aufgehoben war. Kurz, die Skala reichte vom üppigen Gastmahl bis zur mageren täglichen Ritterkost.“
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und zubereitet wurden. Bis etwa zur Mitte des 14. Jahrhunderts fehlen ‚Rezepte‘, besonders in deutscher Sprache.36 Diese ersten Niederschriften von bis dahin mündlich weitergegebenen Kenntnissen, Verfahren und ‚Küchenkniffen‘ geben wiederum nur sehr ausschnitthafte Einblicke in ‚die Küche‘ der damaligen Zeit. Denn sie kennen zum einen keine Mengenangaben und bleiben in der Beschreibung mancher Verfahrensweisen lückenhaft oder vage,37 zum andern stammen sie aus herrschaftlichen, sehr wohlhabenden Haushalten, in denen es nicht nur hochspezialisiertes Küchenpersonal, sondern auch eine Reihe von Lebensmitteln und Zubereitungsarten gab, die für den Großteil der damaligen Bevölkerung sicher weder erschwinglich noch praktisch nachzumachen waren.38 36
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Auf das wahrscheinlich kurz vor 1350 in einem herrschaftlichen Würzburger Haushalt entstandene ‚b˚uch von g˚uter spise‘, das am Beginn der im weiteren 14. und besonders im 15. Jahrhundert sich entwickelnden volkssprachlichen Koch(=Fach-)Buchliteratur steht, wird immer wieder verwiesen, so in: Laßt uns haben gute Speis (1984), S. 6 f. und bei Manfred Lemmer/Eva-Luise Schultz (Hg.): Die lêre von der kocherie. Von mittelalterlichem Kochen und Speisen. Leipzig 1969, S. 23 und passim. Erreichbar ist der Text des ‚Würzburger Kochbuchs‘ bei Hans Hajek (Hg.): Das b˚uch von g˚uter spise. Aus der Würzburg-Münchner Handschrift. (Texte des späten Mittelalters 8). Berlin 1958 Vgl. die bei Lemmer/Schultz (1969), S. 30 ff. aufgeführten Textbeispiele sowie Laßt uns haben gute Speis (1984), S. 34 ff., wo die mittelalterlichen Rezeptbeispiele zusätzlich in ‚moderne‘ Anweisungen übertragen werden Dafür sprechen die für die zumeist sehr aufwändigen Gerichte benötigten, importierten und daher teuren Zutaten wie Pfeffer, Ingwer, Safran, Anis, Galgant, Nelken oder (größere Mengen von) Mandeln, ebenso die mit fast jedem Gericht verbundenen mehrfachen, teils recht aufwändigen Arbeitsgänge, vgl. verschiedene Rezepte bei Lemmer/Schultz (1969), S. 36 ff. In einem jüngeren Beitrag weist Lemmer hingegen darauf hin, dass auch die herrschaftlichen Kochbücher einige Hinweise darauf enthalten, dass sich die ‚feine Küche‘ des Mittelalters oft nicht sehr von der ‚gewöhnlichen‘ unterschieden haben dürfte: „Wenn man für die geschmackliche Aufbesserung der Rohstoffe kostbares Pergament beschreiben ließ, darf man wohl davon ausgehen, dass in den Rezepten nicht die allbekannten Zubereitungsweisen geschildert sind, sondern eher solche, die die Alltagstafel bereichern sollten. … Wenn man sie durchmustert und von (Sau)Bohnen, (Kicher)Erbsen, Rüben, Hafer-, Gersten- oder Hirsebrei, von Mohn- und Hanfkäse, von Erbsen- und Hanfsuppe, von Gerstenbrot, von Kraut (kumpost), Mangold, Spinat, Lauchgemüse, Knoblauch u.v. a. liest oder wenn der Spruchdichter Friedrich von Suonenburg flucht, dass ihn der Herr einer Burg mit grobem Brot (spîsebrôt), Kohleintopf (kezzelkrût) und schlechtem Wein (boesen zuberwein) bewirtet habe, so klingt das alles nicht gerade nach Herrenspeise, und es erweist den Begriff eher als stolze Formel. Denn manches von den genannten Speisen findet sich auch in den abfälligen Bemerkungen über die Bauernkost. Die Ernährung derer ‚da oben‘ war in vielem so weit von der der Bauern nicht entfernt.“ Das trifft, was die in der Küche verwendeten Grundstoffe angeht, sicher zu. Nicht berücksichtigt wird hier, dass es wohl zu allen Zeiten Gerichte gab, bei de-
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In Ermangelung anderer Belege wird diese, ab der Mitte des 14. Jahrhunderts sich entwickelnde Fachliteratur immer wieder auch dafür herangezogen, frühere Perioden ‚der Küche des Mittelalters‘ mit abzubilden.39 Da literarische, kunstgeschichtliche und erst recht archäologische Quellen zu dieser Frage über längere Zeiträume hinweg schweigen, ist der Reiz, von späteren Belegen aus Analogien anzunehmen und ihren jeweiligen Gegenstand ‚zurückzudatieren‘, nachvollziehbar. Da es besonders für die hier beleuchtete Zeit zwischen 1000 und 1300 keine Belege gibt, anhand derer sich ein solches Verfahren als sinnvoll oder als abwegig erweisen könnte, bleiben Analogieschlüsse hochspekulativ und als wissenschaftliches Verfahren fragwürdig. Deshalb wird hier dafür plädiert, die für die Zeit des Hochmittelalters in dieser Frage weitestgehend vorhandene tabula rasa als solche auch zu akzeptieren. Das nach vielen Recherchen offen liegende Ergebnis, dass wir über das Kochen, die Küche und ‚die speziellen Gerichte‘ dieser Zeit fast nichts wissen, kann nicht befriedigen, scheint jedoch anhand der (bisher nicht) vorhandenen Quellen und angesichts der Frage ihrer historischen Belastbarkeit konsequent.40 Gleichwohl gibt es zumindest Hinweise darauf, dass und wie – zumindest in herrschaftlichen Küchen – bei zu besonderen Anlässen gegebenen Festessen ein erheblicher Aufwand betrieben wurde. Einen Einblick gewährt folgende, aus der Zeit um 1300 überlieferte Schilderung: „Als der Bischof von Zeitz41 (bei Naumburg) 1303 zur Einweihung einer Kirche ein zweitägiges Festmahl veranstaltete, gab es – am ersten Tag: Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig; Hirsegemüse; Schaffleisch mit Zwiebeln; gebra-
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nen es als ‚chic‘ galt, einfache, allgemein bekannte Grundformen durch besondere Zubereitung, Zugaben, Kombinationen oder Formen des Anrichtens ‚aufzupeppen‘ (ob und wie das in den zuvor genannten Beispielen geschah, wird leider nicht ausgeführt). Nur so erklärt sich wohl, dass sich auch auf den Speisekarten moderner ‚Edelrestaurants‘ beispielsweise ‚Träume von Labskaus‘ sowie verschiedene, durchweg hochartifiziell gestaltete Variationen der schlichten Kartoffel finden So – nicht nur – bei Schiedlausky (1956), Foster (1980), Paczensky/Dünnebier (1999), Hirschfelder (2001) und Schubert (2006) Zu einem vergleichbaren Schluss gelangt auch Lemmer (2006), S. 143 nach einer dort breit angelegten Übersicht vornehmlich spätmittelalterlicher Quellen zu Küchenthemen. Er schließt: „Wenn die Quellen versagen, wird man sich halt mit den mittelalterlichen Medizinern der Pariser Sorbonne trösten müssen, die in einem Gutachten geschrieben haben: Non omnia ut vellemus eludicare possumus (Wir können nicht alles, wie wir wohl möchten, aufklären).“ Prof. Dr. Hans-Georg Stephan machte darauf aufmerksam, dass sich der zitierte Autor hierin wohl irrte: der Bischof residierte zur genannten Zeit in Naumburg, das früher bedeutendere Zeitz war bereits im 13. Jahrhundert lediglich ein Nebensitz des Bistums
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tenes Huhn mit Zwetschgen; Stockfisch mit Öl und Rosinen; in Öl gebakkene Bleie; gesottenen Aal, gerösteten Bückling mit Senf; sauer gesottene Speisefische; gebackene Barbe; kleine Vögel, in Schmalz hart gebacken mit Rettich; Schweinekeule mit Gurken; – und am zweiten Tag: Schweinefleisch; Eierkuchen mit Honig und Weinbeeren; gebratenen Hering; kleine Fische mit Rosen; aufgebratene Bleie; gebratene Gans mit roten Rüben; gesalzene Hechte mit Petersilie; Salat mit Eiern, Gallert und Mandeln.“42 Es lassen sich dieser Passage folgende, teilweise auch mit Schilderungen in der zeitgenössischen Dichtung übereinstimmende Informationen entnehmen: – Die Feier eines festlichen Ereignisses konnte sich über mehrere Tage hinziehen, und an jedem Tag wurde ein Festessen gegeben. – Ein Festessen besteht aus verschiedenen Gerichten; dabei sollten verschiedene Fleischsorten, Geflügel und Fisch angeboten werden, im vorliegenden Beispiel um eine Suppe43 ergänzt. – Wild erscheint an beiden Tagen auf der Tafel nicht, dafür werden in der bischöflichen Küche auch Stockfisch und Hering/Bückling verarbeitet. – Es werden nicht nur, aber auch teure Gewürze verwendet. – Einige Gerichte werden mit Obst oder Gemüse zubereitet, Hirsegemüse wird auch als eigenes Gericht aufgeführt. – Fleisch oder Fisch werden unterschiedlich zubereitet: eingelegt, gebraten, geröstet, gebacken, gekocht/gesotten und auch (vom Vortag) aufgewärmt. – Es sind verschiedene geschmackliche Richtungen und Kombinationen vertreten: Scharf-süß (Eiersuppe), herzhaft-würzig (Schaffleisch mit Zwiebeln), süß-salzig (Stockfisch mit Rosinen), scharf-salzig (Bückling mit Senf), salzig (Hecht mit Petersilie), süß (Eierkuchen mit Honig und Weinbeeren, auch Huhn mit Zwetschgen), sauer (gesottene Speisefische), süß-sauer (Salat mit Eiern, Gallert und Mandeln). – Die Kombination mancher Speisezutaten wirkt aus heutiger Sicht ungewöhnlich, dürfte jedoch mit den noch in der modernen gehobenen Küche verfolgten, geschmacklichen und dekorativen Effekten vergleichbar sein (kleine Fische mit Rosen, Stockfisch mit Rosinen). Beispiele wie dieses machen deutlich, dass für die meisten mittelalterlichen Menschen eine solche Speisevielfalt und der damit verbundene Tafelluxus 42 43
Laßt uns haben gute Speis (1984), S. 15 Die Erwähnung einer Suppe ist ungewöhnlich. Die dem Zitat zugrundeliegende Originalquelle konnte jedoch nicht geprüft werden, sodass die gewählte Übertragung beibehalten werden muss
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unerreichbar waren. Zur Zubereitung der hier genannten Gerichte bedurfte es in der Küche nicht nur eines Herdes oder Feuers, zusätzlich wohl auch eines Backofens, verschiedener Bratspieße, Kessel, Töpfe, Pfannen, Schüsseln und Schalen. Benötigt wurden vor allem auch zahlreiches Küchenpersonal und Zeit. Damit sind zwei Voraussetzungen genannt, über die die allermeisten mittelalterlichen Haushalte nicht verfügten. Die erheblichen Reduktionen, durch die eine ‚gewöhnliche Küche des Mittelalters‘ markiert gewesen sein dürfte, zeichnen sich immerhin ab. Deutliche, wirtschaftlich begründete Unterschiede wird es auch bei der Menge, Vielfalt und Erreichbarkeit der zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel gegeben haben. Getreide bildete jedoch überall eine wesentliche Nahrungsbasis (Brot, Brei, Mus), ergänzt durch Gemüse, Obst, Nüsse, Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier. An Zutaten waren, wie sowohl aus schriftlichen als auch aus archäologischen Quellen hervorgeht, Öl, Essig, Salz, Senf, ggf. Honig und besonders heimische Würzpflanzen wohl verbreitet vorhanden. Auch wenn mit den Rezepten auch Hinweise auf die zur damaligen Zeit bevorzugten oder üblichen Geschmacksrichtungen fehlen, weist einiges darauf hin, dass das Hochmittelalter ein vergleichsweise ‚salziges Zeitalter‘ gewesen sein dürfte. Zum einen fehlte den damaligen Nahrungsgrundstoffen der heute vielen Lebens- und Genussmitteln sowie auch Getränken künstlich zugesetzte Zucker. Salz war zudem im Hochmittelalter nicht nur allgemein erschwinglich, sondern wurde von den damals körperlich erheblich mehr beanspruchten Menschen in größeren Mengen physisch auch benötigt.44 Es ist daher anzunehmen, dass Salz vielen Speisen, vielleicht auch Brot, Käse und Würsten in einigen Mengen beigegeben wurde. Viele Gerichte aus dem Mittelalter könnten daher, wenn sie denn wirklich ‚authentisch‘ zubereitet würden, für den heutigen Geschmack recht ‚versalzen‘ wirken. Dass Speisen im Mittelalter dort, wo sie erwähnt werden, stets auch von (Mengen an) Getränken begleitet werden, passt gut zu dieser These. Es wird vornehmlich nicht die in Schriftquellen öfter betonte Geschmacksrichtung ‚scharf‘, sondern die ‚salzige‘ gewesen sein, die einen erheblichen Getränkekonsum mit sich brachte. Dass verschiedene Geschmacksrichtungen, auch in Kombinationen, herstellbar waren und betont wurden, dass es dabei durchaus wohl auch eine gewisse Experimentierfreudigkeit gab, geht u. a. aus der zuvor zitierten Quelle hervor. Dass der übermäßige Einsatz von Gewürzen oft erforderlich gewesen wäre, um nicht mehr frische
44
Vgl. dazu näher unten im Anhang den Abschnitt IV.3
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Fleischwaren (oder angefaulten Fisch) dennoch genießbar zu machen, muss angesichts der im Hochmittelalter zwar noch nicht sehr entwickelten, aber immerhin grundsätzlich vorhandenen Kenntnisse zur Verwendbarkeit und Hygiene von Lebensmitteln wohl infrage gestellt werden.45 Gleichzeitig ist jedoch auch die Vorstellung, dass die im Mittelalter noch nicht durch Chemikalien behandelten oder durch andere, heute vorhandene Umwelteinflüsse kontaminierten Lebensmittel allgemein ‚gesund‘ gewesen wären, nicht zu halten. Die Beimengung von Schadstoffen in Getreide, die nicht ausgelesen und daher mit vermahlen und verspeist wurden, konnte ernsthafte Erkrankungen hervorrufen.46 Durch einen Infektionskreislauf, der besonders durch die Fäkaliendüngung von Feldern und Gärten begünstigt wurde, war der Verzehr u. a. von ungewaschenem Gemüse bedenklich. Sofern viele am Boden gezogene Pflanzen nicht gründlich gereinigt und bei höheren Temperaturen länger gekocht wurden, bestand die Gefahr einer Infektion mit Parasiten, die im Mittelalter weit verbreitet waren.47 Da Lebensmittel im Handel auch zu dieser Zeit ‚gestreckt‘ und auf verschiedene Weise verfälscht wurden, konnte es im ungünstigen Fall sein, dass die dazu verwendeten Stoffe gesundheitsschädlich wirkten.48 Die im Mittelalter begrenzten Möglichkeiten, Lebensmittel über längere Zeit zu konservieren,49 erschwerten eine im modernen Verständnis ausgewogene Ernährung und eine regelmäßige Versorgung des Körpers mit lebenswichtigen Stoffen erheblich. Paläopathologische Untersuchungen an Skeletten mittelalterlicher Menschen ergaben verschiedene Hinweise darauf, dass Erkrankungen infolge eines längeren Mangels an Vitamin C, Vitamin D oder an Mineralstoffen vorkamen.50 Wie verbreitet derartige Erkrankungen waren und welche Schlüsse sich daraus auf die allgemeine Versorgungslage der mittelalterlichen Bevölkerung ziehen lassen, kann derzeit nur in Ansätzen erschlossen werden. Noch liegen hierzu nur sehr wenige, dazu räumlich sehr weit gestreute Erkenntnisse vor. Daher sind weitere Untersuchungen wünschenswert, um mehr Aufschlüsse gewinnen, von denen aus allgemeinere und belastbarere Aussagen zur Versorgungslage, zu (auch) ernährungsbedingten Mangelerscheinungen und schließlich zur Bedeutung des Hungers im Mittelalter möglich werden.
45 46 47 48 49 50
Vgl. dazu auch unten im Anhang den Abschnitt VII sowie Lemmer (2006), S. 141 Vgl. hierzu Beispiele unten im Anhang in den Abschnitten VIII.1 und VIII.2 Siehe hierzu unten im Anhang den Abschnitt VIII.3 Vgl. Anhang, Abschnitt VI Aufgeführt werden sie unten im Anhang, Abschnitt III Vgl. unten im Anhang die Abschnitte V und VIII.4
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Dass verschiedene poetische Erwähnungen, aber auch chronikalische Quellen zum Thema ‚Hunger im Mittelalter‘ oft unscharf sind und mit bisherigen Untersuchungen von archäologisch geborgenem (Skelett-)Material insgesamt nicht gut korrespondieren, zeigt sich, wenn beides vergleichend in den Blick genommen wird.51 Es gibt einige Hinweise dafür, dass die noch vor wenigen Jahren vertretene These, die Nahrungsdecke der Bevölkerung sei im Mittelalter permanent ‚zu kurz‘ gewesen,52 so allgemein nicht zutrifft. Es ist nicht zuletzt eine agrarwirtschaftliche Erkenntnis, die diese Annahme fraglich macht: denn wenn es der damaligen landwirtschaftlichen Produktion nicht möglich gewesen wäre, über längere Zeiträume hinweg Überschüsse zu erwirtschaften, die eine Differenzierung und damit auch eine kulturelle Entwicklung der Gesellschaft erst ermöglichen, hätten verschiedene politische und wirtschaftliche, besonders aber auch kulturelle Entwicklungen des Hochmittelalters wohl kaum stattfinden können.53 Anders ausgedrückt: die Bildung und der Ausbau eines Reiches, die Gründung von Städten, ihr Bau und vor allem derjenige mächtiger Kathedralen, die Entwicklung von Handwerk, Literatur, Kunst und Musik hätte es, wenn die Landwirtschaft die damalige Bevölkerung nicht insgesamt ausreichend hätte versorgen können, (so) nicht gegeben. Andererseits sind die am Beginn des zweiten Jahrtausends einsetzenden, immensen Rodungstätigkeiten und auch die hochmittelalterlichen Expansionsbewegungen und Kolonisationsaktivitäten eng mit der jeweiligen Versorgungslage verknüpft, sodass eher von zyklischen Bewegungen auszugehen ist, bei denen sich (temporär und regional) auftretende Dekkungslücken des Bedarfs und die folgende Erweiterung der landwirtschaftlich genutzten Flächen zu einer vermehrten Bedarfsdeckung für lange Zeit in etwa die Waage gehalten haben werden.54 Nicht zuletzt ließe sich die im Hochmittelalter erhebliche Zunahme der Bevölkerung55 nicht erklären, wenn es in diesem Zeitalter verbreitet und dauerhaft zu Hungerperioden gekommen wäre.56 51 52 53
54
55 56
Vgl. hierzu ausführlich unten im Anhang den Abschnitt V Vgl. Schubert (2006), passim Vgl. W. Schenk zum Aspekt ‚Agrarhistorie‘ s.v. Landwirtschaft in: RGA Bd. 18 (2001), S. 30–48, hier: S. 30: „Die erfolgreiche Organisation der agrarischen Produktion bestimmte den Ernährungsspielraum hist. Ges. und damit die für andere Aktivitäten zur Verfügung stehende Zeit und Arbeitskraft.“ Dass dieses System bestand und bis um 1300 etwa stabil blieb, wurde verschiedentlich festgestellt, so durch Rösener (2008b), S. 137 f. Vgl. Rösener (2008b), S. 137 f. Schließlich ist es noch eine literaturgeschichtliche Merkwürdigkeit, die einen Hinweis darauf geben könnte, dass Mangel und Hunger im Hochmittelalter mög-
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Damit sind lediglich einige Eckpunkte markiert, die eine ‚Geschichte des Hungers im hochmittelalterlichen Mitteleuropa‘ mit aufnehmen könnte. Dass dieses Thema – unter Berücksichtigung weiterer chronikalischer und auch archäologisch erschlossener Quellen – einer erneuten Betrachtung wert scheint, lassen die im Laufe in dieser Arbeit aufgetretenen Fragen, aber auch Widersprüche erkennen. In dem Interesse, bisherige, in manchem unvollständig oder auch fragwürdig scheinende Darstellungen zum Thema ‚Essen und Trinken im Mittelalter‘ zu ergänzen, ggf. auch zu widerlegen, wurde mit der vorliegenden Arbeit der Versuch einer erneuten Bestandsaufnahme unternommen. Es hat sich gezeigt, dass eine solche Bestandsaufnahme, wenn sie nicht nur aus der Perspektive einzelner Fachdisziplinen und auf der Grundlage ihrer jeweiligen Bestände an ‚Zeitzeugen‘ vorgenommen wird, durchaus lohnt. Denn das Gewicht, das schriftliche Quellen in den historischen Wissenschaften und damit auch in der Kulturgeschichte besitzen, wird – wie bei unserem Thema – fraglich, wenn diese Quellen nicht (mehr) vorliegen, tendenziös scheinen oder nur bestimmte Ausschnitte früherer ‚Wirklichkeit(en)‘ erfassen können. In welchen Punkten bei unserem Thema kunsthistorische und/oder archäologisch erschlossene Quellen die schriftliche Überlieferung ergänzen, aber auch infrage stellen können, wurde in den vorhergehenden Kapiteln an verschiedenen Beispielen erörtert. Vor allem sollte sich aber gezeigt haben, dass zwischen dem Hochmittelalter und dem – bereits der quantitativ besseren Quellenlage wegen – in vielen Arbeiten etwa gleichgesetzten Spätmittelalter doch einige Unterschiede feststell-
licherweise nicht die Drastik besaßen, mit der manche chronikalische Quelle beides hervorhebt. Bereits in der Bibel wird das Paradies als Land beschrieben, in dem Milch und Honig fließen (2. Mos. 3,8 u. ö.), und aus der Antike sind Beispiele bekannt, in denen es Speisen und Getränke im Überfluss gibt, vgl. hierzu Dieter Richter: Schlaraffenland. Geschichte einer populären Phantasie. Frankfurt/M. 1989, bes. S. 17 ff. Entworfen wird seitdem immer wieder die Vorstellung einer ‚verkehrten Welt‘, in der niemand zu arbeiten braucht, in der sich alles Nötige von selbst ergibt und die für Körper und Seele alle Annehmlichkeiten bietet. Ein solches Bild zeichnet auch die im 13. Jahrhundert entstandene, altfranzösische ‚Fabliau vom Land Coquaigne‘, in dem z. B. Häuser, Dächer und Zäune aus Braten, Eisbein, Fisch, Würsten und Speck bestehen (in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Richter [1989], S. 130 ff.). Bemerkenswert ist, dass dieser Stoff im deutschen Sprachraum, in den gerade während des Hochmittelalters viele altfranzösische Texte importiert wurden, erst im Spätmittelalter aufgenommen wurde und in der frühen Neuzeit zur Blüte kam, vgl. Richter (1989), S. 14 ff. – ein Hinweis darauf, dass die Thematik einfach nicht interessierte, z. B. weil ihr negatives Gegenbild nicht drükkend empfunden wurde?
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bar sind, die das Erfordernis einer differenzierteren Betrachtung verschiedener Phasen dieser Epoche unterstreichen.57 Auf eine kulturwissenschaftliche Theoriediskussion und eine daraus resultierende Positionierung wurde in dieser Arbeit verzichtet. Es ging ja zu57
Darin, dass ‚Alltagsthemen‘ wie z. B. Hauswirtschaft, Haustiere und u. a. deren Verwendung in der Küche sowie Hausrat seit dem fortschreitenden 14. Jahrhundert Eingang in die Dichtung der Zeit finden – so beispielsweise durch den zuvor mehrfach erwähnten ‚König vom Odenwald‘ –, zeichnet sich ab, dass der Blick der Menschen auf die sie umgebende Welt sich wohl zunehmend wandelte. Dies jedenfalls so, dass zuvor offenbar als irrelevant oder banal empfundene Inhalte bewusst in eine schriftliche Überlieferung eingebunden wurden, wie auch das Beispiel der aus dieser Zeit vermehrt bekannten ‚Kochbücher‘ ausweist. Auch die Künstler stellten ihre – faktisch möglicherweise wenig gewandelten – Gegenstände anders dar. Betrachtet man z. B. die Speiseszenen in der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts enstandenen Wiener Handschrift von Wolframs ‚Willehalm‘, fallen einige Unterschiede zu den während der etwa 100 Jahre zuvor auf das Papier gebrachten Illuminationen der ‚Großen Bilderhandschrift‘ auf. Zwar finden sich auch auch dort auf festlichen Tafeln noch Daubenbecher, zuweilen ergänzt durch gezeigte Daubenkannen, auf den Tafeln sind Schüsseln mit Geflügel und Fisch sowie Brot und Messer abgebildet. Die Dienerschaft bzw. der Akt des Bedienens fehlt ebenfalls nicht. Doch sind die Schüsseln nun – wie der Bildhintergrund – oft vergoldet, und das Tischtuch wird anders dargestellt. Es fällt anders in Falten, scheint kürzer zu sein, manchmal so kurz, dass die Beine der Speisenden darunter so zu sehen sind, sodass es wirkt, als ob sie stehen, vgl. Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Codex Vindobonensis 2670 der Österreichischen Nationalbibliothek. Kommentar von Fritz Peter Knapp. (Glanzlichter der Buchkunst 4). Graz 2005, fol. 88rb, fol.109r, und bes. fol. 326v. Die Mode der Hofgesellschaft hat sich gewandelt, die Figuren sind oft differenzierter ausgearbeitet, und das sie umgebende Dekor weist durchweg gotische Stilelemente auf (vgl. O. Mazal zum Stichwort ‚Deutsche Buchmalerei von 1200–1500‘, in: LexdMA Bd. II [1983], S. 853 f., hier: S. 854). Nicht nur Formen der Wahrnehmung und Darstellung der (Um-)Welt änderten sich, die Welt war im 14. Jahrhundert insgesamt grundstürzenden Veränderungen unterworfen: zunehmender Handel und Mobilität führten zum Ausbruch erster Pestepidemien in Mitteleuropa, die ganze Landstriche entvölkerten und durch das damit verbundene Versiegen der Landwirtschaft die Versorgungslage der Bevölkerung in vielen Regionen erheblich beeinträchtigten. Ganze Ortschaften fielen und blieben wüst. Das städtische Patriziat und das Bürgertum entwickelten sich dennoch immens, die wirtschaftliche Kluft zum ländlichen Kleinbauerntum wuchs erheblich. Mehr Handel und städtisches Wachstum brachten eine stark wachsende Dokumentation der damit verbundenen Aktivitäten mit sich, Handelsurkunden, Markt- und Gewerberegelungen, geschäftliche und private Inventare sowie Nachlassregelungen nahmen zu und finden sich daher auch in größerer Zahl überliefert. Gleichzeitig kamen durch den Handel mehr und auch neue Waren auf den Lebensmittelmarkt: das Aufblühen der Hanse war u.a. auf Herings- und Getreidehandel zurückzuführen, vermehrt gab es den exotischen Reis zu kaufen, wie die zeitgenössischen Rezeptsammlungen ausweisen. Dort, wo er bodenbedingt gut gedieh, wurde nun öfter auch Buchweizen angebaut, der seine Bedeutung in vielen Gegenden bis in das 20. Jahrhundert hinein nicht verlor
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nächst darum zu erkunden, ob und ggf. wie sich bisherige Darstellungen durch eine breiter angelegte Quellenbasis ergänzen lassen, damit um den Versuch, die Tragfähigkeit einer bisher eher selten geübten Vorgehensweise an einem aufgewählten Themenbeispiel zu erkunden. Vieles bleibt dabei deskriptiv, ob und in wiefern sich daraus auch andere, strenger methodische Zugänge (z. B. induktive, deduktive, ggf. normative oder ideographische) gewinnbringend nutzen ließen,58 bleibt der Arbeit weiterer Interessierter vorbehalten. Dass manche, im Laufe der Arbeit gefundene Hinweise noch vorläufig sind und weiterer, sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegter Untersuchungen bedürfen, wurde bereits verschiedentlich angemerkt. Die hier betrachteten, trotz einer vorgenommenen Eingrenzung räumlich und zeitlich oft weit auseinander liegenden Zeugnisse bilden, sofern man versuchte, aus ihnen allgemein gültige Aussagen zu gewinnen, oft noch keine wirklich belastbare Basis für eine ‚revidierte Kulturgeschichte des Essens und Trinkens im Mittelalter‘. Immerhin geben sie Hinweise und werfen (neue) Fragen auf. Die durch sie gebildeten Mosaiksteine müssen, um dem Vorwurf der Verallgemeinerung von Einzelfällen zu entgehen, durch weitere Steine und Farben ergänzt werden, um schließlich ein neues Bild zu ergeben. Mehr als es angesichts in dieser quellenbedingt besonders auf Fragen der ‚materiellen Kultur‘ ausgerichteten Arbeit möglich war, könnte dabei z. B. auch auf soziale Beziehungen, Deutungs- und Wertesysteme abgehoben werden, die für die Menschen des Mittelalters mit dem Essen und Trinken verbunden gewesen sein mögen.59 Wenn es kulturgeschichtlicher Forschung immer auch darum geht, das Wesen und die Besonderheiten der eigenen Zeit zu erkennen und besser kennen zu lernen bzw. erklären zu können,60 scheint es reizvoll zu beleuchten, wie in früheren Zeiten der Tagesverlauf durch Mahlzeiten strukturiert wurde und welche Bedeutung dies für das Leben der Menschen und seine Gestaltung hatte, ob und wie dieser Aspekt überhaupt wahrgenommen und vielleicht sogar reflektiert wurde. Angesichts der heute durch Supermarkt, Kühlschrank, Mikrowelle oder Schnellrestaurants erheblich erodierten ‚Taktung‘ eines durch Mahlzeiten strukturierten Tagesverlaufs wäre zu fragen, ob manche moderne Errungenschaften nicht den gemeinhin postulierten ‚Gewinn‘, sondern doch eher Verluste mit sich bringen. Hochaktuell ist auch aus historischer Perspektive 58
59
60
Vgl. hierzu allgemein Achim Landwehr/Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte. Paderborn 2004, bes. S. 25 ff. Vgl. Hans-Jürgen Teuteberg: Homo edens. Reflexionen zu einer neuen Kulturgeschichte des Essens, in: HZ 265 (1997), S. 1–28, bes. S. 6 Vgl. Landwehr/Stockhorst (2004), S. 14 f.
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die Frage, welche Bedeutung regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten für eine Familie und vor allem für das Lernen und die Entwicklung Heranwachsender besitzen. Dabei hätte die transdiziplinäre Erkundung der Bedeutung und Entwicklung des Tischgesprächs, soweit es in literarischen Hinterlassenschaften greifbar wird, wohl durchaus ihren eigenen Reiz. Es ließe sich aus der Geschichte vielleicht lernen. Doch auch dies wären Fragestellungen, die eine gesonderte Betrachtung forderten.
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Anhang Bei den Recherchen ergaben sich manche Ausflüge auf Gebiete, die im engeren Sinn ‚nicht eigentlich‘ zum Gegenstand dieser Arbeit zu gehören scheinen. Andererseits bieten sie ergänzende Einblicke in die Thematik, zuweilen auch weitere Hinweise, dass sich eine kritische Beleuchtung mancher Position lohnt, die in Fachbeiträgen geäußert wurde (und wird). Diese unser Thema berührenden, kleineren Abschnitte sollen daher durch die folgenden Seiten zugänglich gemacht werden.
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I. Ekkeharts von Sankt Gallen ‚Benedictiones ad mensas‘: ein Beispiel für moderne Irrtümer In einer jüngeren Ausgabe der Zeitschrift ‚Karfunkel‘1 finden sich gleich zwei Beiträge,2 die in unserem Zusammenhang aufmerken lassen: unter Berufung auf die von dem Mönch Ekkehart IV. (ca. 980–1057)3 in Sankt Gallen verfassten ‚Benedictiones ad mensas‘ werden dort Vorlieben Ekkeharts für besondere Gerichte aufgeführt, ferner typische Gerichte aus der Abtsküche angekündigt und ebenso um detaillierte Rezepte ergänzt wie ein folgender Beitrag, der sich – ebenfalls unter Berufung auf Ekkehart als Quelle – mit der bäuerlichen Küche des Mittelalters befasst.4 Passagen wie die folgende bergen dabei Überraschendes: „Das Geflügel soll mit dem besten Wein und frischen Gewürzen zubereitet werden. Die Gans ißt Ekkehart am liebsten mit Quitten, Knoblauch und Gewürzen gefüllt und dann am Spieß gebraten. Zu einer Pastete aus Gänseleber kann er auch nicht nein sagen. Für die Ente, die zunächst gekocht wird und dann an den Spieß kommt, gibt er sogar zwei verschiedene Füllungen an.“5 Ferner wird dort z. B. ein mit Honig gesüßter und mit Rahm übergossener Hirsebrei (auch für ein Foto angerichtet) aufgeführt, der mit Nüssen, Feigen und Datteln verfeinert und garniert ist.6 Derart formulierte Vorlieben und überlieferte Rezepte würden einen für das Hochmittelalter einzigartigen Quellenfundus darstellen, da zwischen der spätrömischen Kochbuchüberlieferung und dem ersten, in deutscher Sprache verfassten Kochbuch, das etwa in die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert,7 bisher eine große Lücke besteht.8 1
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Dieses Periodikum bildet ein Beispiel für den Markt, der sich mittlerweile zu ‚dem Mittelalter‘ bildete. Die „Zeitschrift für erlebbare Geschichte, Re-enactment und Histotainment“, deren Zielrichtung und inhaltliche Ausgestaltung sich bereits durch diesen Untertitel erschließt, bietet eine bunte Reihe von Themen, für deren auf Popularität hin ausgerichtete Bearbeitung auch Wissenschaftler und Hinweise auf wissenschaftliche Literatur beigezogen werden Vgl. Peter Lutz in: ‚Karfunkel‘ April/Mai 2008 (Nr. 75) Vgl. Johannes Egli: Einleitung, in: Der Liber Benedictionum Ekkeharts IV. nebst kleineren Dichtungen aus dem Codex Sangallensis 393 zum ersten Mal vollständig herausgegeben und erläutert von Johannes Egli. (Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte XXXI. Vierte Folge 1). Sankt Gallen 1909, S. I und II Vgl. Peter Lutz: Benedictiones ad mensas. Eine klösterliche Herrenspeise aus dem Jahr 1060, in: Karfunkel 75 (2008), S. 111–113 und ders.: Bauernspeise. Einmal quer durch den Garten: Kraut- und Rübentopf, in: Karfunkel 75 (2008), S. 114 f. Lutz (2008), S. 112 Vgl. Lutz (2008), Abb. auf S. 111 und detailliertes Rezept auf S. 113 Vgl.Vavra (2008), S. 296, die das älteste, in deutscher Sprache überlieferte Kochbuch, das Buoch von guoter spîse, in die Jahre zwischen 1345 und 1352 datiert
Ekkeharts von Sankt Gallen ‚Benedictiones ad mensas‘
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Zwar räumt der Autor ein, des Lateinischen nicht mächtig zu sein und sich daher wesentlich auf die zu Ekkeharts Text vorliegenden Angaben Norman Fosters9 zu stützen, doch ist es gleichzeitig sein Anliegen, aus dessen Zusammenstellung „nur die Informationen zu Sankt Gallen herauszufiltern“.10 Der Blick in Fosters Publikation zeigt, dass er Zeugnisse klösterlicher Kochkultur ohne genauere Quellenbelege über die Jahrhunderte hinweg zwar unterhaltsam, aber durchweg recht ‚ungeniert‘ vermengt. Verschiedene seiner – durchaus mit Schwung formulierten – Aussagen wurden in die genannten Beiträge fast unverändert übernommen, so z. B. die Passagen über Geflügel und Angaben zu dessen Zubereitungsmöglichkeiten.11 Hilfreich ist daher nur, die genannte Quelle selbst beizuziehen, die bisher in deutscher Übersetzung nicht erreichbar ist. Der lateinische Originaltext12 sowie eine neuhochdeutsche Übersetzung werden, da das Textkonvolut recht umfänglich ist, folgend gesondert aufgeführt.13 Um es vorweg zu sagen: Text und Übersetzung weisen aus, dass Ekkehart denn doch Anderes niederlegte als es Foster und in seiner Folge Lutz vermitteln wollen. Bei den ‚Benedictiones ad mensas‘ handelt es sich um einen komplexen Speisesegen. Gott, Christus und der Heilige Geist werden darin um die Segnung verschiedener Nahrungsmittel gebeten und auch darum, deren möglicherweise schädliche Wirkungen abzuwenden. Wie später auch Wilhelm von Hirsau konnte Ekkehart dabei der Versuchung nicht widerstehen, seine Gelehrsamkeit zum Ausdruck zu bringen, indem er z. B. Früchte aufführte, die er wohl eher durch Hörensagen kannte (Zitronen, Datteln) und auch der antiken Mythologie zugehörige Götternamen in seinen Text einfügte (so Zeus, Bacchus/Bromius = Dionysos). Die 280 Verse umfassenden ‚Benedictiones ad mensas‘ sind inhaltlich in verschiedene Abteilungen gegliedert, in denen variationsreich jeweils um den göttlichen Segen bzw. die Schadenabwehr gebeten wird. Zunächst werden dabei verschiedene Arten und Formen von Brot bedacht, es folgen Fische, Vögel, Haus- und Wildtiere, Würzmittel, Gemüse und Obst, Milchprodukte sowie schließlich Getränke. Ob diese Reihenfolge aus der Bedeu-
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So liegen zwischen dem im 9. Jahrhundert niedergelegten, lateinisch verfassten ‚Kochbuch‘ De re coquinaria, das wiederum auf weit ältere Quellen zurückgeht, dem Buoch von guoter spîse und den ebenfalls im 14. Jh. in Frankreich aufkommenden Kochbüchern bzw. Rezeptsammlungen etwa 500 Jahre, vgl. Vavra (2008), S. 296 Vgl. Foster (1980) Lutz (2008), S. 111 Vgl. Foster (1980), S. 57 ff. Zugrunde gelegt wird die bereits genannte Erstedition Eglis (1909) Vgl. unten Abschnitt I.1
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tung der Lebensmittel in der Klosterküche resultiert oder – mit Brot und Fisch an erster Stelle – vielleicht auch auf deren liturgische Bedeutung abhebt, bleibt offen. Vielleicht bildet sich in der vorgenommenen Reihung auch eine enge Verschränkung von beidem ab, worauf zumindest die Schlussverse mit einem direkten Bezug auf die Taufe und das christliche Abendmahl verweisen (vgl. V. 274 ff.). In der ersten Abteilung führt Ekkehart verschiedene Arten von Brot auf, die er unterscheidet mit Blick auf die Getreidesorten, aus denen die Brote bereitet werden. Mit Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer sind dabei die bekannten Getreidesorten vertreten, unabhängig von ihren unterschiedlichen Klebe- und Backeigenschaften. Erwähnt werden auch verschiedene Brotformen, so ein mondförmiges Brot (vgl. V. 10, es erscheint z. B. auch später noch in verschiedenen Handschriftenminiaturen auf der Tafel)14 oder die im klösterlichen Milieu kaum überraschende Oblate (V. 16).15 Aus der Aufstellung der zu segnenden Gebäcksorten gehen auch verschiedene Zubereitungsarten hervor, so, dass der Brotteig mit Eiern (V. 13)16 oder mit Hefe (V. 14) zum Aufgehen gebracht wurde oder dass man Brot auch gesotten (V. 11), gesalzen und geröstet (V. 12) oder unter Asche gebacken kannte (V. 28). In der Einleitung des Abschnittes, der sich mit den verschiedenen (Speise-)Fischen und Wassertieren befasst, wird Salz aufgeführt (V. 37, es wurde beim Trocknen, Pökeln oder Einlegen von Fisch benötigt und fand vielleicht deshalb an dieser Stelle Erwähnung), ferner eine wohl gesalzene Gewürzsauce (salsura, V. 38), die bei der Zubereitung von Fisch eine wichtige Rolle gespielt haben könnte.17 An Speisefischen werden Stockfisch 14 15
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Vgl. Beispiele oben in Kap. 3 In seinem Stellenkommentar geht Egli (1909), S. 282 f. davon aus, dass Oblaten (nur) aus dem hochwertigen Weizenmehl bereitet wurden: „Sie wurden in den Klöstern unter Psalmengesang und verschiedenen Ceremonien von Priestern und Diakonen hergestellt, welche die Weizenkörner sorgfältig sichteten, das Mehl reinigten, den Teig ohne Hefe bereiteten und das Gebäck, das von unberufenen Händen nicht berührt werden durfte, in eisernen Formen erhitzten. … Dass die oblatae schon zu Ekkeharts Zeit eine beliebte Speise der Klosterbrüder waren, sieht man aus einer Bemerkung der Continuatio Casuum S. Galli c. 20, wo dem Abte Norpert nachgerühmt wird, dass er für einen besseren Unterhalt der Brüder gesorgt und gestattet habe, diesen auch in der Charwoche am Mittag Wein und Offletenbrot zu geben.“ Ob hier tatsächlich Brotteig gemeint ist oder ob sich die Erwähnung von Eiern als ‚Treibmittel‘ auf die Zubereitung von Backteig/Gebäck in allgemeinerer Form, z. B. auch von Kuchen, bezieht, bleibt offen; vgl. auch Egli (1909), S. 282, Kommentar zu V. 13 In diesem Sinne wird im Stellenkommentar ausgeführt: „salsura … findet sich … im Sinne von Salzlake und mariniertem Fisch. Hier ist es gleichbedeutend mit salsa, das im Sinne von Salzbrühe in die romanischen Sprachen übergegangen ist (ital. salsa, frz. sauce). … Wenn hier Ek-
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(Dorsch/Kabeljau), Hausen aus der Donau, Lachs, Trüsche (Quappe), Illanch, Hecht, Rubulge (Saibling?),18 Lamprete (Neunauge), Forelle, Hering, Aal, Barsch, Rottel (Rotforelle), Wels, Grundel, Karpfen und Stör genannt (V. 42 ff.), damit mehrheitlich, jedoch nicht ausschließlich Süßwasserfische. Als ebenfalls nahrhaftes Wassergetier werden Krebse erwähnt (V. 62), sowie, weil im Wasser lebend und daher als ‚Fisch‘ angesehen, der Biber (V. 70).19 An Zubereitungsarten für Fisch sind außer dem bereits erwähnten Einlegen (Marinieren) lediglich das Kochen (V. 39 und V. 60) und das Braten (V. 61) aus dem Text erschließbar. Dieselben Segnungen, die den Fischspeisen zuteil werden sollen, gelten in der folgenden Abteilung auch für die Vögel. Sie werden angeführt durch den Pfau (V. 75), hier wohl eher als Hinweis auf die Bekanntheit einer exotischen Ausnahme denn als ein ‚üblicher Speisevogel‘ zu verstehen, zumal in einer klösterlichen Küche.20 Genannt werden anschließend der Fasan, der Schwan, die Gans, der Kranich, die Ente, das Rebhuhn, die Wachtel, Taube und Turteltaube, das Huhn, der (kastrierte) Hahn sowie kleine Hähnchen (Küken?) und das Schneehuhn (V. 76 ff.). Als Zubereitungsart findet lediglich das Kochen (des Huhns) Erwähnung, andere Hinweise auf die Zubereitung und das Garen der Vögel finden sich im Text nicht. Die beiden anschließenden Abteilungen sind den essbaren Haus- und Wildtieren gewidmet. Es begegnen Rind/Kalb, Schwein (Sau, Eber, Ferkel), Ziege/Zicklein und Schaf/Lamm, wobei kein Bezug darauf genommen wird, ob das Fleisch dieser vierfüßigen Tiere – in Abkehr von der reinen benediktinischen Lehre – durch die Sankt Galler Brüder auch genossen werden darf. An Zubereitungsarten werden das Kochen und das Braten (auch am Spieß) genannt, auch gekochter Schinken, ‚zusammengeschlagenes Fleisch‘ und zerlassener Speck werden aufgeführt (V. 95 ff.). Die Reihe der Wild(säuge)tiere wird durch den Bären eröffnet, mit der Erläuterung, die Mediziner hielten ihn für gesund (nicht für gesundheitsschädlich, vgl. V. 118 f.). Es folgen Wildschwein, Hirschkuh, Wisent, Auerochse/Ur, Wildpferd (ausdrücklich als essbares Tier!), Damhirsch, Reh, Steinbock, Gemse, Hase und auch Murmeltier, das man sich möglichst fett wünscht (V. 134). Wie bei den Haustieren gibt es keinen direkten Hinweis
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kehart die Salzbrühe den Fischgerichten voranstellt, so dürfen wir annehmen, dass sie bei Zubereitung dieser Gerichte eine besondere Rolle gespielt hat“, so Egli (1909), S. 284 f. Vgl. Egli (1909), S. 286 im Kommentar zu V. 48 Vgl. Egli (1909), S. 288 im Stellenkommentar Die Erwähnung des Pfaus in diesem Zusammenhang ist merkwürdig. Wenn überhaupt, taucht er sonst auf herrschaftlichen Tafeln auf, wäre also eine ausgesprochene ‚Herrenspeise‘ (oder ein ‚Schaugericht‘?). Im klösterlichen Bereich mutet der Pfau daher befremdlich an
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darauf, ob – und ggf. wie – diese Tiere in der Klosterküche auch zubereitet wurden. Eine gewisse Distanz zu dieser Speisepraxis geht aus V. 130 hervor, wo formuliert wird, dass Rehböcke denjenigen eine gute Nahrung sein mögen, die sie verzehren – dies sind also vielleicht doch nicht die Mönche, in deren Kreis die Speisesegnungen ausgesprochen wurden. Danach widmet sich Ekkehart der Milch und den Milchprodukten (V. 136 ff.). Milch wird, wie gleich eingangs erwähnt, für sehr gesund gehalten, später wird besonders die Ziegenmilch hervorgehoben (V. 143). Durch Pressen hergestellte Milchprodukte, Käse und möglicherweise auch Quark/ Topfen werden aufgeführt, auch mit Honig ‚gewürzt‘. Mit Honig vermischte Milch ist heute noch bekannt, für das neuzeitliche Geschmacksempfinden ungewöhnlich ist die Aussage, dass die Beigabe von Pfeffer und Wein Milch zuträglicher macht (vgl. V. 140).21 Dem Honig wird auch folgend eine besondere Bedeutung zugemessen: ihm werden vier ganze Verse gewidmet, die teilweise eine metaphorische Bedeutung aufweisen (Christus als Inbegriff der Süße, vgl. V. 144 ff.). Der Beginn des Abschnittes, in dem es um die Segnung von pflanzlichen Nahrungsmitteln und Speisen geht, erscheint (verglichen mit den übrigen Versen) durch die offenbar beliebige Reihung verschiedener Speisen, Zugaben und Würzmittel etwas unsystematisch (V. 148 ff.). In der dortigen Aufzählung finden sich gelber und weißer Brei, Maulbeerwein, Würzwein, Pfeffersaucen oder -brühen, scharfer Essig, Senf, zerstoßene Kräuter, Fladen, Speltkuchen22 und Eier. Bei den Gemüsen bzw. aus Gemüse zubereiteten Speisen werden Bohnenbrei und Erbsen genannt, neben Linsenspeisen allgemein ‚ein Rotlinsengericht‘ und ein Hirsegericht (V. 164 ff.). Die Reihung verschiedener Gemüse- und Gewürzpflanzen unterbricht mit der Aufzählung von Obstarten und wird dann in V. 205 ff. wieder aufgenommen. Dort werden dann Kohl und Kohlsamen, Lauch/Porree, Melonen, Lattich, Knoblauch, Kürbis und – als Speise sehr selten erwähnt und daher hier besonders interessant – Salat23 sowie, nicht weniger bemerkenswert, gekochte (gesottene) 21
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Dabei darf nicht übersehen werden, dass in den letzten Jahren ‚neue‘ (vielleicht auch: ganz alte?) Geschmackskombinationen auf den Lebensmittelmarkt gelangen, so beispielsweise Schokolade mit Pfeffer oder Chili, in Restaurants mit ‚gehobener Küche‘ werden mittlerweile auch Erdbeeren mit grünem Pfeffer angeboten Der Begriff bezeichnet ein wohl aus Dinkel zubereitetes Gebäck, das bereits in der römischen Antike bei Eheschließungen eine Rolle spielte. Vgl. hierzu zahlreiche Einträge zum Stichwort ‚Speltkuchen‘ im Internet Im Stellenkommentar zu V. 218 wird angemerkt, dass es sich hier wohl um den ältesten Nachweis von Salatverzehr auf deutschsprachigem Boden handeln dürfte, vgl. Egli (1909), S. 310
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Pilze genannt. Nur bei den Pilzen findet sich ein Hinweis auf deren Zubereitung: sie sollen mehrfach erhitzt werden, wohl weil man dadurch hoffte, giftige Pilze im Kochgut unschädlich machen zu können.24 Der vorherige ‚Texteinschub‘ (V. 176 ff.) behandelt die ‚an Bäumen wachsenden‘ Früchte: Apfel (auch Apfelarten, jedoch ohne spezielle Benennung), Birne (auch Mostbirne), Quitte, Pfirsich, Pflaume, (Süß-)Kirsche und Sauerkirsche, Kastanie, Hasel- und Walnuss. Hierzu gehören auch die Olive, Zitrone, Feige, Dattel und der Granatapfel, deren Existenz in Sankt Gallen sicher bekannt war. Ob und wie oft diese Früchte jedoch zu Beginn des 11. Jahrhundert auf Handelswegen tatsächlich dorthin gelangen konnten, ist allerdings fraglich. Daher handelt es sich bei diesen Nennungen wohl eher um Beispiele für die weltläufige Gelehrtheit des Autors denn um das, was in seinem klösterlichen Lebensbereich wirklich vorhanden oder üblich war.25 Den letzten Abschnitt seiner Segnungen (V. 222 ff.) widmet Ekkehart verschiedenen Getränken, zunächst dem (vergorenen) Wein, auf dessen biblische Bedeutung mehrfach Bezug genommen wird. Ob er den speziell benannten Falernerwein aus eigener Erfahrung kannte oder ob es sich (auch) hier um ein gelehrtes Zitat handelt, bleibt offen.26 Allgemein genannt, jedoch – außer einmal mit ‚rot‘ – nicht spezifiziert werden Mostarten, die sowohl als Saft genossen als auch einer Gärung ausgesetzt werden konnten, um alkoholische Wirkung zu erzielen. Ferner finden sich Apfelsaft, ein Getränk aus Maulbeeren, mit Honig und Gewürzen aufgesetzter Wein, Salbeiwein, der Würzwein ‚Hypocras‘,27 gekochter (erhitzter?) Wein, Met, Gerstenbier und schließlich Wasser aufgeführt, das als reines Quellwasser noch besonders erwähnt wird – wohl deshalb, weil die zuvor breiter aufgelisteten Getränke, vor allem die alkoholischen, nach einem gewissen inhaltlichen ‚Gegengewicht‘ verlangten, wenn die monastische Bescheidenheit nicht aus dem Auge verloren werden sollte. Dies wird in den Schlussversen gleichsam nachgeholt, in denen klares Wasser zunächst als gesundheitsförderlich, dann als paradiesischer Quell und Ursprung des Lebens sowie mit Blick auf seine Bedeutung bei der Taufe genannt wird (V. 265 ff.). Wein und Brot werden abschließend noch einmal aufgeführt und in ihrer Bedeutung für die Eucharistie hervorgehoben (V. 278 ff.).
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Vgl. Egli (1909), S. 309 im Stellenkommentar zu V. 211 In vielen seiner Stellenkommentare verweist Egli darauf, dass Ekkehart in die ‚Benedictiones‘ wohl seine Kenntnisse aus der Literatur der Antike hat einfließen lassen, vgl. Egli (1909), passim Egli (1909), S. 310 f. vermutet in seinem Kommentar zu V. 232, dass es sich um eine Zitation bekannter Horaz-Passagen handeln könnte In einer dem Text beigefügten Glosse, vgl. Egli (1909), S. 312, Anm. 4
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Damit bieten die ‚Benedictiones ad mensas‘ zwar interessante Einblicke in die Reihe der Nahrungsmittel, die in Sankt Gallen bekannt waren und mehrheitlich vielleicht sogar in der Klosterküche verarbeitet wurden. Sie ist durchaus vielseitig, ohne dass aus ihr geschlossen werden könnte, welche Gerichte aus ihnen wie und zu welchen besonderen Anlässen hätten zubereitet werden können. Direkte und mittelbare Hinweise gibt der Text auf das Salzen, Marinieren, Würzen, Kochen, Braten von Speisen (auch am Spieß), das Backen von Brot, das Erhitzen, Mischen und Würzen von Getränken (Wein, Met, Milch), die Zubereitung von Milchprodukten (durch ‚Pressen‘, Beigabe von Honig beim Verzehr) sowie die Saft- und Mostgewinnung durch das Auspressen von Weintrauben und anderem Obst. Diese Hinweise sind jedoch sehr allgemein gehalten. Sie beziehen sich lediglich auf bestimmte Nahrungsmittel, Speisen und Getränke, die dadurch eine nähere, zuweilen durchaus ‚lebendig‘ wirkende Kennzeichnung erfahren. Eindeutig ging es dem Verfasser darum, eine möglichst variationsreiche – und für die Brüder, denen sie wohl vorgelesen wurde, Appetit anregende – Reihe von Segnungsformeln zusammenzustellen. Daher ging es ihm nicht etwa darum, den Reichtum der Sankt Galler Klosterküche zu dokumentieren, sondern darum, den im Refektorium unerlässlichen Speisesegen, durch verschiedene Beispiele angereichert, in eine gefällige, weil ungewöhnliche Form zu fassen. Hinweise darauf könnte der Binnenreim in vielen Versen geben, der dem Text neben dem bewussten Rhythmus Schwung und zuweilen auch einen gewissen (Sprach-)Witz verleiht.28 Tendenziell spielerisch scheint auch die Behandlung ‚eines Themas in Variationen‘. So etwa, wenn nicht nur verschiedene Brotarten genannt werden, sondern den Fratres durch Attribute wie ‚neu gebacken‘, ‚frisch‘, ‚warm‘ und ‚kalt‘ das Brot zwar nur verbal geschildert wird, es aber in der rhetorisch geschickt entworfenen Vorstellung sehr präsent wirkt – die Zuhörer könnten fast meinen, seinen Duft wahrzunehmen. Dabei dürfte es nebensächlich gewesen sein, ob und in welchem Umfang die aufgeführten Nahrungsgrundlagen und Speisen (hier besonders: das Fleisch von vierfüßigen Haus- und Wildtieren) tatsächlich auf die Tische des Sankt Galler Refektoriums gelangten. Den benediktinischen Regeln zufolge wäre ihr Verzehr jedenfalls nicht statthaft gewesen. Da die ‚Benedictiones‘ keine Rezepturen und nur wenige Hinweise auf besondere Zubereitungsarten enthalten (z. B. bei den Pilzen), können sie als ein frühes Beispiel für ‚ein Kochbuch‘ nicht herangezogen werden.
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Von Prof. Dr. Klaus Düwel stammt der Hinweis, dass es sich dabei auch um eine Memorierhilfe handeln könnte
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Die Intention und auch der Inhalt der ‚Benedictiones ad mensas‘ werden damit weder durch Foster noch in seiner Folge durch Lutz angemessen wiedergegeben.29 Ihre Aussagen über klösterliche ‚Herrenspeisen‘, Gerichte für die Abtstafel und sogar spezielle kulinarische Vorlieben einzelner Personen30 erweisen sich, sofern sie auf Ekkeharts ‚Benedictiones ad mensas‘ beruhen, als freie, immerhin jedoch phantasievolle Erfindungen. Gleiches gilt für die beigefügten, ganz aus heutiger Sicht rekonstruierten Rezepte. Dieses ‚Histotainment‘ mag den Vorzug besitzen, historisch interessierten Laien zeitlich ferne Welten zumindest ansatzweise erschließbar zu machen. ‚Dem Mittelalter‘ und ‚mittelalterlichen Gepflogenheiten‘ wird es jedoch, wie das hier ausgeführte Beispiel zeigt, nicht gerecht. Dies umso weniger, als es dem interessierten Konsumenten derartiger ‚Informationsangebote‘ nicht möglich ist, zwischen historischen Quellen, deren Interpretation, fundierter Rekonstruktion und (freier) Erfindung zu unterscheiden. Unredlich ist es schließlich, breiteren Leserkreisen eine Welt und eine Küche als authentisch zu präsentieren, die es nach Ausweis der zitierten Quelle in der aufgezeigten, zudem ‚populär verkleideten‘ Form nicht gab.
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Vgl. Foster (1980), passim und Lutz (2008) Vgl. oben S. 586
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I.1 Ekkehart IV. von Sankt Gallen: Benedictiones ad mensas31 Ymmoni abbati de sancto Gregorio fratri germano compact˛e roganti. Non sinat offensas super has deus affore mensas. Taliter impensis assit benedictio mensis. Rite superpansas repleat benedictio mensas. Appositi panes sint damna parantis inanes. Hunc esum panum faciat benedictio sanum. Verbum cum pane sit fraudis et hostis inane.
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Egris et sanis bona sit perceptio panis. Hanc panis tortam faciat benedictio fortem. Erige, Christe, manum, tortis benedicere panum. Item (Randglosse) 10 Panem lunatum faciat benedictio gratum. Hoc notet elixium benedictio per crucifixum. Mulceat hoc frixum benedictio cum sale mixtum. Panem fac gratum, rex Christe, per oua leuatum. Sit cruce signatus panis de fece leuatus. 15
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Hoc fermentatum faciat benedictio gratum. Has deus oblatas faciat dulcedine gratas. Azima signetur cruce paschaque commemoretur. Panem de spelta repleat benedictio multa. Triticeum panem faciat crux perstis inanem. Numen divinum solidet panem sigalinum. Ordea si panes fuerint, sint pestis inanes. Robore sit plena, fuerit si panis avena. Omne genus panis repleat benedictio donis. Tam noviter cocti cruce panes sint benedicti. Iste recens coctus cruce panis sit benedictus.
Zitiert wird nach der bereits genannten Erstausgabe von Johannes Egli (1909), S. 281 ff.; die Übertragung ins Neuhochdeutsche besorgte der Altphilologe PaulGerd Jürging, Burgdorf
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Möge Gott nicht zulassen, dass es über diesen Tischen Zwietracht gibt. So in reichem Maße möge Segen walten über den kostbaren Speisen. In gebührender Weise möge der Segen die ausgebreiteten Speisen durchdringen. Die aufgetragenen Brote mögen frei sein von allem, was Schaden bereitet. Diese Brotspeise möge der Segen bekömmlich machen. Das bei dem Brot gesprochene Wort möge ohne Tücke und Feind Kraft besitzen. Kranken und Gesunden möge der Empfang des Brotes wohl tun. Dieses Brotgebäck32 möge der Segen in seiner Wirkung stärken. Erhebe, Christus, Deine Hand zum Segen für dieses Brotgebäck. Desgleichen Dieses mondförmige Brot möge der Segen dankenswert machen. Dieses gesottene Brot33 möge der Segen durch das Kruzifix kennzeichnen. Sanft berühren möge der Segen dieses mit Salz vermischte Röstbrot. Das Brot (Gebäck), das durch Eier zum Aufgehen gebracht ist, mache willkommen, Christus, (unser) König! Mit dem Kreuz gezeichnet sei das Brot, das durch die Hefe aufgegangen ist. Dieses (so) „Aufgegangene“ möge der Segen angenehm machen. Diese Oblaten möge Gott durch Süße angenehm machen. Das ungesäuerte Brot sei mit dem Kreuze gezeichnet und möge an Ostern (an das Passahfest) erinnern. Das Brot aus Dinkel (Spelt) erfülle reicher Segen. Das Kreuz möge das Weizenbrot von verderblicher Wirkung befreien. Göttliches Walten möge das Roggenbrot in seiner Wirkung stärken. Wenn es Gerstenbrote gibt, (so) mögen sie frei von schädlicher Wirkung sein. Voller Kraft möge es sein, wenn es Brot aus Hafer gibt. Jede Art von Brot möge der Segen mit seinen Gaben erfüllen. So neu gebackene Brote sollen mit dem Kreuz gesegnet sein. Dieses frisch gebackene Brot soll mit dem Kreuz gesegnet sein. 32
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Im Stellenkommentar merkt Egli (1909), S. 281 hierzu an: „Vom lateinischen torquere genommen, bedeutet es eigentlich das gewundene, ringförmige Gebäck und lebt in den romanischen Sprachen (frz. tourte, ital. torta) und im Deutschen als Lehnwort fort.“ Egli (1909), S. 282 verzeichnet in Anm. 2 die Glosse „cesótin brot“ zu elixum
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Hi calidi panes sint fraudis et hostis inanes. Hic gelidus panis sit pestis et hostis inanis. Peste procul, Christe, sit subcineritius iste. Super fragmenta (Randglosse) Nil leve, nil vanum violet tot fragmina panum. 30 Fratrum fragmentis prope sit manus omnipotentis. Ad diversa victualia (Randglosse) Assit cunctorum fons largitorque bonorum. Det deus, ill˛esus sit noster potus et e˛ sus. Sit cibus et potus noster benedictio totus. Omne, quod appositum est, cruce sancta sit benedictum. 35 Sit cibus appositus crucis hoc signo benedictus. Sit noster victus virtute crucis benedictus. Hunc salus ipsa salem faciat non exitialem. Istam salsuram faciat benedictio puram. Hos pisces coctos cruce sumamus benedictos. 40
Hos benedic pisces qui talibus e˛ quora misces. Pneuma sibi sanctum perfundat aquatile cunctum. Sit cruce millena benedicta marina balena. Danubii piscis huso sit odorus in e˛ scis. Salmo potens piscis sit sanus et aptus in e˛ scis.
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Fortis in esocem mittat benedictio vocem. Illanch pr˛ecellat suetus datus et mala pellat.
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Omnibus unus aquis sit lucius e˛ sca suavis. Crux faciat gravidam fungi dulcedine triscam.34 Lempredam raram nimium benedic, dee, caram. Multiplici troctam cruce sumamus benedictam. Omne genus trote benedic super omnia macte. Sit salsus pictis bonus almarinus in e˛ scis. Sit dulcis prorsus piscis, dee, sic sale morsus.
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Auf dem Textblatt gesondert eingefügt, findet sich nach diesem Vers der folgende: Crux faciat sanam virtute potente rubulgram („Das Kreuz mache gesund mit starker Kraft den Rubulger“), wobei der Saibling (Salmo salvelinus) gemeint sein könnte, vgl. Egli (1909), S. 286 im Kommentar zu V. 48
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Die warmen Brote mögen frei sein von Trug und feindlicher Wirkung. Dieses kalte Brot möge vor Schaden und Feind gefeit sein. Fern von Schaden, Christus, sei dies unter der Asche gebackene Brot. (Segen) über die Brocken Nichts Leichtsinniges und Eitles verletze all’ diese Brocken der Brote. Den (Brot-)Brocken der Brüder sei die Hand des Allmächtigen nahe. Zu verschiedenen Lebensmitteln Möge die Quelle und der Spender aller Güter gegenwärtig sein. Gebe Gott, dass unser Trank und unsere Speise unversehrt sei(en). Sei all’ unsere Speise und unser Trank gesegnet. Alles, was aufgetragen ist, sei mit dem heiligen Kreuz gesegnet. Sei die aufgetragene Speise mit diesem Zeichen des Kreuzes gesegnet. Sei unsere Nahrung mit der Kraft des Kreuzes gesegnet. Dieses Salz möge das Heil selbst unschädlich wirken lassen. Diese Gewürztunke35 möge der Segen rein machen. Diese gekochten Fische wollen wir, mit dem Kreuze gesegnet, zu uns nehmen. Diese Fische segne, der Du für sie das Wasser als Element bereitest. Der Heilige Geist möge alles überströmen, was im Wasser lebt. Es sei tausende Male der Stockfisch36 mit dem Kreuz gesegnet. Möge der Hausen aus der Donau schmackhaft sein unter den Speisen. Möge der Lachs als mächtiger Fisch gesund und passend sein unter den Speisen. Ein starker Segen möge über den Lachs seine Stimme ertönen lassen. Der Illanch möge – wie gewohnt geweiht – vortrefflich sein und Übel vertreiben. Der in allen Gewässern gleiche Hecht möge eine süße Speise sein. Möge der Segen die Trüsche mit der Süße des Pilzes bereichern. Herrgott, segne die Lamprete, die sehr selten und teuer ist. Durch vielfachen Kreuzschlag gesegnet, wollen wir die Forelle zu uns nehmen. Jede Art von Forelle segne vor allem gebührend. Es sei als gesalzener Fisch der gute Hering unter den Speisen. Möge ganz und gar wohlschmeckend sein der Fisch, Herrgott, der so gesalzen ist.37 35 36
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Vgl. dazu oben S. 588 f., Anm. 17 Vgl. Egli (1909), S. 285 im Kommentar zur Stelle; der dort als Übersetzung ebenfalls angebotene Thunfisch dürfte unwahrscheinlich sein Wörtlich hier: „vom Salz gebissen“, wohl im Sinne von: in/mit Salz gebeizt oder eingelegt
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Anhang
Anguillas gratas fac, crux, novies oculatas. Fercla superstantem signet crux sancta volantem. Mittat in anguillam dextram, qui condidit illam. Pars prensi piscis nostris benedicta sit e˛ scis. Non sinat hanc percam deus in dulcedine parcam. Hunc piscum coctum cruce sumamus benedictum.
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Hunc rubricum coctum, factor, fore fac benedictum. Piscis adest assus. benedicat eum cruce passus. Cancrorum vescas faciat, qui condidit e˛ scas. Piscis sit gratus crucis hac virtute notatus. Pisces sint grati grato studio piperati.
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Piscis sit gratus signo domini piperatus. Hanc wallaram crassam, fratres, cruce sumite pressam. Pisciculis tantis crux obviet altitonantis. Sub cruce febre sine sit crundula cum capitone.
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Millia captorum benedic, dee, pisculorum. Sit benedica fibri caro piscis voce salubri. Omne natans trinus licitum benedicat et unus. Pneumatis ex donis pars h˛ec bona sit sturionis.
Item (Randglosse) Piscibus e˛ quipares benedic, rex Christe, volucres. Crux hanc signet avem faciatque sapore suavem. 75 Nil noceat stomachis dapes indigesta pavonis.
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Die Neunaugen (neunäugigen Aale) mach schmackhaft, Kreuz. Den auf der Schüssel ‚schwimmenden‘38 Fisch segne das heilige Kreuz. Es segne39 den Aal, der ihn schuf. Dieses Stück des gefangenen Fisches sei (unter) unseren Speisen gesegnet. Gott möge nicht zulassen, dass dieser Barsch in seinem Geschmack mangelhaft sei. Diesen gekochten Fisch wollen wir durch das Kreuz gesegnet zu uns nehmen. Wirke, Schöpfer, dass dieser gekochte Rottel40 gesegnet sei. Da ist der gebratene Fisch. Es segne ihn der, der am Kreuze litt. Nahrhaftigkeit der Krebse bewirke, der die Speisen schuf. Möge der Fisch angenehm sein, der durch diese Kraft des Kreuzes gezeichnet ist. Mögen die Fische bekömmlich41 sein, die mit willkommenem Eifer gepfeffert sind. Sei der Fisch angenehm, durch das Zeichen des Herrn gewürzt.42 Diesen fetten Wels, Brüder, nehmt – mit dem Kreuze geprägt – zu euch. All diesen Fischen möge das Kreuz des in der Höhe Donnernden43 begegnen. Unter dem Kreuz möge die Grundel mit dem Karpfen kein Fieber verursachen. Segne, Herrgott, die tausende der gefangenen Fischlein. Gesegnet sei des ‚Biberfisches‘ Fleisch durch das heilbringende Wort. Alles erlaubte Wassergetier möge der Dreieinige segnen. Dieses schöne Stück des Störes sei unter des Heiligen Geistes Geschenken. Ebenso Den Fischen gleich segne, König Christus, die Vögel. Das Kreuz segne diesen Vogel und mache ihn wohlschmeckend. In keiner Weise möge unverdautes Fleisch des Pfaus den Mägen schaden.
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Wörtlich hier: ‚fliegend‘ (volantem), was zum Fisch jedoch nicht passt In der wörtlichen Übersetzung: „Es schicke über den Aal seine Rechte, der ihn schuf“ Nach dem Stellenkommentar von Egli (1909), S. 287, ist hier wohl die Rotforelle gemeint In wörtlicher Übersetzung: „angenehm“ Wörtlich hier: „gepfeffert“ Anm. d. Übers.: altitonans ist ein antikes Epitheton des Zeus, das später auch auf den christlichen Gott übertragen wurde
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Anhang
Sit stomachis sana cruce nobilis h˛ec phasiana. Iste cibus cigni noceat nihil arte maligni.
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Anseris ill˛esus nostris sit faucibus e˛ sus. Fauce malum rauca nullum paret anser et auca. Crux benedicta, gruem benedic faciendo salubrem. Escis decretam benedicat Christus anetam. Sit dulcis pernix simulataque clauda coturnix. Pneuma potens, propriam benedic sine felle columbam. Turtureis paribus benedicat trinus et unus. Omne columbinum dominus benedicat in unum. Gallinam coctam sacra crux faciat benedictam. Castrati galli sit iam caro noxia nulli. Plurima tantillis assit benedictio pullis. Sit bona se functis volucrina licentia cunctis. Sub nive se pernix mersans sapiat bene perdix. Infer tantillis, dee, mille cruces volucellis. Nil noceant ulli de decipulis volucelli. Crux faciat salubres, quibus est sua forma, volucres.
Sub cruce sit sanctum licitale volatilum cunctum. Item (Randglosse) 95 Sit bovis ill˛esus stomachoque solubilis e˛ sus. Sub cruce divina caro sit benedicta bovina. Inpinguet vitulum crucis alma figura tenellum.
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Möge durch das Kreuz dieser edle Fasan für die Mägen gesund sein. Dieses Schwanengericht möge in keiner Weise durch die List des Bösen44 schaden. Der Gänsebraten möge unschädlich sein für unsere Gaumen. Durch wunden Hals möge diese Gans keinen Schmerz bereiten. Gesegnetes Kreuz, segne den Kranich, indem du ihn bekömmlich machst. Die zum Mahle bestimmte Ente möge Christus segnen. Möge wohlschmeckend sein das Rebhuhn und die scheinbar hinkende45 Wachtel. Mächtiger Heiliger Geist, segne deine eigene, gallenlose Taube.46 Die Turteltaubenpaare möge der Dreieinige segnen. Jede Taubenart möge der Herr gleichermaßen segnen. Das gekochte Huhn möge das Kreuz gesegnet machen. Das Fleisch des kastrierten Hahnes möge nun niemandem schädlich sein. Reichster Segen sei nun gespendet den (noch) so kleinen Hähnchen. Die erlaubte Vogelmahlzeit möge für alle, die davon gegessen haben, bekömmlich sein. Schmecke wohl das unter den Schnee tauchende Schneehuhn. Schenke tausend Kreuzeszeichen, Herrgott, den kleinen Vögelchen. In keiner Weise sollen die kleinen, mit Schlingen gefangenen47 Vögelchen irgendeinem schaden. Das Kreuz möge der Gesundheit zuträglich machen alle Vögel, die ihre Schönheit haben. Unter dem Kreuz sei geweiht alles erlaubte Geflügel. Desgleichen Möge das Rind eine unschädliche und für den Magen verdauliche Speise sein. Unter dem göttlichen Kreuz möge das Rindfleisch gesegnet sein. Nahrhaft48 machen möge das zarte Kalbfleisch das Segen spendende Zeichen des Kreuzes.
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Gemeint ist hier wohl der Teufel Anm. d. Übers.: Die Wachtel tut bei Nachstellungen, als ob sie hinke, um von ihren Küken abzulenken Hier ist die Taube als christliches Symbol des Heiligen Geistes, also in doppelter Bedeutung, angesprochen. Dass die Taube keine Galle besitze, wurde bereits in der Antike angenommen und auch im Mittelalter weiter geglaubt, vgl. Egli (1909), S. 291 im Stellenkommentar Wörtlich: „die kleinen Vögel aus den Schlingen“ Im Wortsinn eigentlich ‚fett‘
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Anhang
Signa crucis mille carni socientur ovill˛e. Christe, crucis signum depinxeris hunc super agnum. 100 Omne malum pelle, deus, hac de carne capell˛e. Crux sacra nos l˛edi vetet his de carnibus e˛ di. Sit cibus ill˛esus caper et sanabilis e˛ sus. Omnia qui cernis, benedic assamina carnis. Omnipotens sermo frixo superintonet armo. 105 Assus adest porcus. procul hinc Satan absit et Orcus. Per sacra vexilla caro sit benedicta suilla. Scultell˛e porci procul omnis sit dolus Orci. Pradonem coctum cruce signamus benedictum. Dextera porcellum benedicat summa tenellum. 110 Lardum lixatum faciat benedictio gratum. Carnes conflictas cruce sumamus benedictas. Hanc verris massam dulcem faciat deus assam. Pars verris cocta cruce Christi sit benedicta. In cruce transfixum gerat assa veru caro Christum. 115 Carnibus elixis benedicimus atque refrixis. Item (Randglosse) Sub cruce divina benedicta sit ista farina. Sub cruce divina sapiat bene qu˛eque ferina. Et semel et rursus cruce sit medicabilis ursus. Hunc medici memorant sanum nullique nocivum. 120 Dente petulcus aper cruce cactus sit minus asper.
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Tausend Kreuzeszeichen mögen sich dem Schaffleisch verbinden. Christus, das Kreuzeszeichen mögest du malen über diesem Lamm. Alles Böse vertreibe, Herrgott, aus diesem Fleisch des Zickleins. Das heilige Kreuz möge verhüten, dass wir Schaden nehmen, wenn wir von diesem Fleisch essen. Möge der Ziegenbock eine unschädliche Speise und ein gesundes Essen sein. Der du alles siehst, segne das Gebratene (vom Fleisch). Das allmächtige Wort möge erschallen über dem gerösteten Schulterstück. Da ist das Gebratene. Fern von hier seien Satan und die Hölle (Unterwelt). Durch die heiligen Zeichen möge das Schweinefleisch49gesegnet sein. Dem Schweinegericht50 fern sein möge alle List der Hölle. Den gekochten Schinken zeichnen wir mit dem Kreuz als gesegnet. Die höchste Rechte segne das zarte Ferkel. Den flüssig gemachten51 Speck möge der Segen angenehm machen. Das ‚zusammengeschlagene‘ Fleisch52 wollen wir vom Kreuze gesegnet zu uns nehmen. Dieses Stück vom Eber möge Gott schmackhaft machen, nachdem es gebraten ist. Das gekochte Eberstück möge durch das Kreuz Christi gesegnet sein. Mit dem am Kreuz durchbohrten Christus möge das am Spieß gebratene Fleisch gezeichnet sein. Wir segnen das gesottene und gebratene Fleisch. Ebenso Unter dem göttlichen Kreuz möge gesegnet sein dieses Wildbret. Unter dem göttlichen Kreuz möge jegliches Wildbret schmackhaft sein. Einmal und immer wieder möge durch das Kreuzeszeichen der Bär gesundheitsfördernd53 sein. Diesen erwähnen die Ärzte als gesund und für niemanden schädlich. Der mit seinen Hauern angriffslustige (Wildschwein-)Eber möge – vom Kreuze berührt – weniger wild sein.
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Wörtlich: das Fleisch einer Sau Wörtlich als ‚Schweineschüssel‘ zu lesen Gemeint ist hier wohl zerlassener Speck Der Sinn dieser Wendung ist offen. Es könnte geklopftes Fleisch, aber auch so etwas wie Hackfleisch gemeint sein Hier vielleicht im Sinne von ‚als Medizin wirken‘
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Cerv˛e curracis caro sit benedictio pacis. H˛ec Satan et larv˛e fugiant crustamina cerv˛e. Signet vesontem benedictio cornipotentem. Dextra dei veri benedicat carnibus uri. 125 Sit bos silvanus crucis hoc signamine sanus. Sit feralis equi caro dulcis sub hac cruce Christi. Imbellem dammam faciat benedictio summam. Capreus ad saltum benedictus sit celer altum. Sit cibus ill˛esus capre˛e, sit amabilis esus. 130 Capreoli vescam dent se comedentibus escam. Carnes verbicum nihil attulerint inimicum. Pernix cambissa, bona sis elixa vel assa. Sub cruce divina caro dulcis sit leporina. Alpinum cassum faciat benedictio crassum. 135 Sit caro silvana crucis omnis robore sana. Item (Randglosse) Hoc mulctro lactis sit vita vigorque refectis. Primitus hoc macti memores benedicite lacti. Hunc caseum dextra signet deus intus et extra. Parturiat nullos lactis pressura lapillos. 140 Mel piper et vinum lac dant minus esse nocivum. Lactis pressuram crux melle premat nocituram. Optime sumetur caseus, si melle … detur.
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Dem Fleisch der schnell laufenden Hirschkuh möge der Segen Frieden geben.54 Diesen Hirschkuhbraten mögen Satan und seine bösen Geister fliehen. Möge das hornbewehrte Wisent der Segen zeichnen. Die Rechte des wahren Gottes möge das Auerochsenfleisch segnen. Das Waldrind55 möge durch dieses Kreuzeszeichen bekömmlich sein. Möge des Wildpferdes Fleisch schmackhaft sein unter diesem Kreuz Christi. Den friedlichen Damhirsch möge der Segen vortrefflich machen. Der schnelle Rehbock an der hohen Schlucht56 sei gesegnet. Möge die Speise von der Ricke nicht schaden, möge die Mahlzeit angenehm sein. Die Rehböcke mögen denen, die sie als Speise verzehren, gute Nahrung geben. Das Fleisch der Steinböcke möge nichts Nachteiliges bringen. Die ausdauernde Gemse möge gut sein – gesotten oder gebraten. Unter dem göttlichen Kreuz möge das Hasenfleisch schmackhaft sein. Das Alpenmurmeltier möge der Segen fett machen. Das Wildfleisch möge kraft des Kreuzes insgesamt bekömmlich sein. Ebenso Durch diesen Kübel Milch möge Leben und Kraft zuteilwerden dem (gesundheitlich) Wiederhergestellten. Zunächst dieser Tatsache recht erfreut eingedenk, segnet die Milch. Diesen Käse möge Gott mit seiner Rechten innen und außen zeichnen. Möge das ‚Druckprodukt‘ der Milch57 keine Nierensteine erzeugen. Honig, Pfeffer und Wein machen die Milch weniger schädlich. Dass das ‚Produkt aus gepresster Milch‘ schadet, verhindere das Kreuz mit der Hilfe des Honigs. Trefflich wird man den Käse genießen, wenn er mit Honig … gereicht wird.
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Eigentlich: ‚möge der Segen des Friedens sein‘, vielleicht in dem Sinne, dass er das ängstlich flüchtende Tier zur Ruhe kommen lässt. Der Übersetzer merkt an, dass der Originaltext grammatikalisch (mit zwei Nominativen) nicht stimmig sei und eine Übersetzung daher eher frei ansetzen müsse Auch damit ist der Auerochse (Ur) gemeint Der Übersetzer merkt an, dass hier auch der mit hohen Sprüngen dahineilende Rehbock gemeint sein könnte, sofern das mittellat. ad hier ähnlich verwendet würde wie das fanzösische à Gemeint ist, was durch Pressen der Milch entsteht, das kann sowohl Quark als auch Käse betreffen
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Lac mage caprinum medici perhibent fore sanum. Hoc mel dulcoret deus, ut sine peste saporet. 145 Hoc millenarum benedic, dee, mel specierum. Tristia qui pellis, benedic, dee, nectara mellis. His, bone Christe, favis benedic, favus ipse suavis. Pultibus et iuttis, niveis benedictio guttis. Iungatur l˛eto benedictio l˛eta moreto. 150 Gratia fervores inflat calidosque liquores. Hoc pigmentatum faciat crux addita gratum. Arte cibos factos, deus artis, fac benedictos. Omnia sint grata perfusa per h˛ec piperita. Sumamus l˛eti gustum mordentis aceti. 155 Crux domini sinapis iungatur morsibus acris. Tot pinsis erbis salus una sit addita verbis. Istam mixturam faciat benedictio puram. Pinsis pigmentis assit manus omnipotentis. Optime commentis crucis assint signa placentis. 160 Hac cruce signata libemus adorea grata. In spem nativa benedicat conditor ova. Christe, tuum numen cruce condiat omne legumen.
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Dass die Ziegenmilch gesünder sein wird, sagen die Ärzte. Diesen Honig möge Gott süß machen, damit er ohne Schaden schmackhaft macht. Diesen Honig von tausendfacher Würze, Herrgott, segne. Der du das Traurige vertreibst, segne, Gott, die Süße des Honigs. Diese Waben, guter Christus, mögest du segnen, der du selbst der Honig58 bist. Dem gelben und weißen Brei gelte der Segen für jeden Tropfen. Es geselle sich zum fröhlich machenden Maulbeerwein59 ein heiterer Segen. Alle heißen und warmen Getränke möge Gottes Segen reich machen. Diesen Würzwein möge das gespendete Kreuz angenehm nachen. Die mit Kunst bereiteten Speisen, Gott der Kunst, mache gesegnet. Alles, was mit diesen Pfefferbrühen60 übergossen ist, möge wohlschmeckend sein. Wir wollen diese Probe des beißenden Essigs fröhlich zu uns nehmen.61 Das Kreuz des Herrn möge mit dem beißend scharfen Senf verbunden werden. Zu all diesen zerstoßenen Kräutern geselle sich das alleinige Heil durch diese Worte. Diese Mischung möge der Segen rein machen. Die Hand des Allmächtigen möge den zerstoßenen Spezereien in der Wirkung helfen. In trefflicher Weise möge des Kreuzes Zeichen den Fladen62 in der Wirkung helfen. Mit diesem Kreuz gekennzeichnet, lasst uns den willkommenen Speltkuchen kosten. Für die Hoffnung möge der Schöpfer die Leben spendenden Eier segnen. Christus, deine göttliche Macht würze mit dem Kreuze alles Gemüse.
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Hier im Sinne von ‚Inbegriff der Süße‘ Im Stellenkommentar vermerkt Egli (1909), S. 300, dass es sich um ein aus dem romanischen Bereich stammendes Getränk handele, das mit Maulbeeren, Gewürzen und Honig bereitet wurde Gewählt wurde die wörtliche Übersetzung, doch stand Peffer im Mittelalter allgemein für Gewürze, und so könnten hier alle Arten von Würzbrühen gemeint sein Geschmacklich gehört mit Essig versetzte Flüssigkeit (Wasser?) wohl nicht zu den angenehmeren Getränkevariationen. Hier könnte es sich jedoch um einen Hinweis auf klösterliche Gepflogenheiten mit biblischem Bezug handeln, da Essig in der Kreuzigungsszene eine Rolle spielt Im Stellenkommentar wird ausgeführt, dass es sich hierbei sowohl um (süße) Kuchen als auch um Teigtaschen gehandelt haben könnte, die mit Käse, Fleisch oder Obst gefüllt wurden, vgl. Egli (1909), S. 302
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Pneuma, tuum numen super istud funde legumen. Pulmentum fab˛e faciat deus esse suave. 165 Summe dator, fabas benedic, quas ipse creabas. Omne genus ciceris benedic, qui cuncta tueris. Crux domini pisas descendat in has numerorsas. Vessic˛e invisas petris benedic, dee, pisas. Dextra cibos lentis benedicat cunctipotentis. 170 Primatum sit vendenti benedictio lenti. Sit primogenita vendens rubra coccio lenta. Hoc milium coctum cruce summa sit benedictum. Non pariat milium febris ulli frigus et e˛ stum. Christe habitans c˛elum, solabere triste phaselum. Sint cruce sub sancta benedicta legumina cuncta. Item (Randglosse) Arboribus lecta sint dona dei benedica. H˛ec, pie Christe, dona sint nobis mitia poma. Hunc ole˛e fructum faciat lux, pax benedictum. Da, Petre de Roma, sint mitia cedria poma. 180 Cedria virtutem dent poma ferantque salutem. Ficorum grossis benedictio, gratia massis. Assit dactilicis palmarum crux sacra grossis. Appropriare botris sit nulla licentia tetris. Mala granata faciat benedictio grata. 185 Malorum species faciet benedictio dulces. Conditor ipse pyra faciat mollescere dura. (Ad lapidosa pira vessic˛e torpeat ira, Ut lapidosorum bona sit vessica pirorum.)63 Malis juncta pira stomachi non sentiat ira. 190 Sub cruce sint sana tenera lanugine mala. Castaneas moll˛es fac, qui super omnia polles.
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Die in Klammern gesetzte Passage wurde von späterer Hand eingefügt, jedoch vom Erstherausgeber in die laufende Verszählung aufgenommen, vgl. Egli (1909), S. 307 mit Stellenkommentar. Die hier vorgenommene Klammersetzung findet sich in der Textausgabe nicht, dort wurden die beiden Verse nach links aus dem Satz herausgezogen
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Heiliger Geist, gieße deine Macht über dieses Gemüse aus. Den Bohnenbrei möge Gott wohlschmeckend machen. Höchster Geber, segne die Bohnen, die du geschaffen hast. Alle Art Kichererbsen segne, der du alles erhälst. Das Kreuz des Herrn komme herab auf diese zahlreichen Erbsen. Die Erbse, die gegen unsichtbare Steine wirkt,64 segne, Herrgott. Die Rechte des Allmächtigen möge die Linsengerichte segnen. Der Linse, die das Erstgeburtsrecht verkaufte, gelte der Segen.65 Gesegnet sei das Gericht aus Rotlinsen, das das Erstgeburtsrecht verkauft hat. Dieses Hirsegericht sei mit dem trefflichen Kreuz gesegnet. Möge die Hirse niemandem des Fiebers Glut und Hitze bereiten. Christus, der du den Himmel bewohnst, du wirst die Wirkung der herben Bohnen mildern. Es seien unter dem heiligen Kreuze alle Gemüsearten gesegnet. Ebenso Die von den Bäumen gesammelten Geschenke Gottes seien gesegnet. Diese Äpfel, gütiger Christus, mögen uns milde Geschenke sein. Diese Ölbaumfrucht mache das Licht und der Frieden gesegnet. Gib, Petrus von Rom, dass die Zitronen nicht zu sauer66 sind. Die Zitronen mögen Kraft schenken und Gesundheit bringen. Für die großen Bündel der Feigen Segen und Dank. Sei das heilige Kreuz den großen Datteln der Palmen Segenshilfe. Es sei Schädlichem keinesfalls erlaubt, sich den Weintrauben zu nähern. Die Granatäpfel möge der Segen bekömmlich machen. Die verschiedenen Apfelarten möge der Segen süß machen. Der Schöpfer selbst möge geben, dass die harten Birnen weich werden. (Bei den Holzbirnen möge sich das Wüten der Blase beruhigen, auf dass die Blase hinsichtlich der Holzbirne gut sein möge.) Zu den Äpfeln gesellt, möge die Birne nicht durch die Störung des Magens fühlbar werden.67 Unter dem Kreuze seien die Quitten der Gesundheit förderlich. Die (Ess-)Kastanien mache weich, der du über alles die Macht besitzt. 64
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Wörtlich: „die den Steinen verhasst sind“, damit könnten vielleicht Gallen- oder Nierensteine gemeint sein Hier handelt es sich um einen Bezug zum Alten Testament (I. Mos. 25, 29 ff.), wo erzählt wird, dass Esau dem Jakob sein Erstgeburtsrecht um ein Linsengericht verkaufte Wörtlich hier: „mild“ Hier dürfte gemeint sein, dass Obst, z. B. mit Wasser genossen, zu heftigen Leibschmerzen führen kann
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Persiceus fructus cruce sancta sit benedictus. Maiestas una benedicat cerea pruna. Christe, tua dextra benedic c˛erasia nostra. 195 Hiberi˛e tellus dedit h˛ec Italisque Lucullus. Christus amarinas cruce mulceat Hiberianas: Crux in avellanas veniens det eas fore sanas. Gratia trina nuces sibi partas det fore dulces. Quos dedit in flores, nux plurima servet honores. 200 Sit genus omne nucum specie distans benedictum. Pneumaticus fervor foveat, qu˛e quisque dat arbor. Arboris omnis onus benedicat trinus et unus. Item (Randglosse) Gustu radices faciat crux has fore dulces. (Seminis hanc speciem dominus det ferre salutem.)68 205 Hoc holeris semen stomacho fac, Christe, levamen. Sub cruce divina benedica sit h˛ec medicina. Summus ab hac erba dator omnia pellat acerba. Hortorum fructus sancta cruce sit benedictis. Hoc benedicat holus, qui cuncta creat bona, solus. 210 Coctos seu crudos porros crux det febre nudos. S˛epius elixos repleat benedictio fungos.69 Erbas omnigenas faciat benedictio sanas. Christe potens, pones super hos tua signa pepones. Virtutem stomachis solitam dent allia lassis.
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Auch dieser Vers wurde von späterer Hand eingefügt, von Egli jedoch in die laufende Zählung integriert Am Rand findet sich hierzu eine Glosse: „septies eos coqui iubetur“, vgl. Egli (1909), S. 309, Anm. 2, es wird demnach zusätzlich geraten, die Pilze nicht nur mehrfach (saepius, V. 211), sondern sieben Mal zu kochen/erhitzen
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Der Pfirsich70 sei durch das heilige Kreuz gesegnet. Die einzige Majestät möge die wächsernen Pflaumen segnen. Christus, mit deiner Rechten segne unsere Kirschen. Die kleinasiatische Erde brachte diese hervor, und Lukullus schenkte sie den Italiern. Christus mildere durch das Kreuz die Sauerkirschen aus Kleinasien. Das Kreuz, das über die Haselnüsse geschlagen wird, gebe, dass sie gesund sind. Die dreieinige Gnade gebe, dass die von ihr hervorgebrachten Walnüsse süß seien. Möge den Schmuck, den sie den Blüten gab, die Nuss durch zahlreiche Früchte bewahren. Möge jede Art von Nüssen, die in der Form anders ist, gesegnet sein. Die Glut des Geistes lasse gedeihen, was jeder Baum gibt. Eines jeden Baumes Ertrag segne der Dreieinige. Desgleichen Das Kreuz möge bewirken, dass diese Wurzelgewächse im Geschmack angenehm sind. Der Herr gebe, dass diese Art Samen Gesundheit bringe. Christus, bewirke, dass dieser Kohlsamen dem Magen Linderung ist. Unter dem göttlichen Kreuz sei gesegnet dieses (gesundheitsfördernde) Kraut. Der höchste Geber halte von diesem Kraut alles Bittere fern. Die Frucht der Gärten sei mit dem heiligen Kreuz gesegnet. Diesen Kohl möge segnen, der allein alles Gute schafft. Möge das Kreuz geben, dass die gekochten oder rohen Lauchpflanzen kein Fieber verursachen. Es erfülle der Segen die mehrfach gesottenen Pilze. Alle Arten von Kräutern möge der Segen gesundheitsförderlich machen. Mächtiger Christus, du wirst über diese Melonen deine Zeichen setzen. Die übliche Kraft mögen die Knoblauchpflanzen den müden Mägen verleihen.
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Wörtlich: „die persische Frucht“
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Anhang
215 (Sed non millenas renibus operentur arenas.)71 Nomine sit domini benedicta cucurbita summi. Lactucis horti benedictio sit cruce forti. Concisas erbas in acetum crux det acerbas. Ad omnia (Randglosse) Ad crucis hoc signum fugiat procul omne malignum. 220 Omne sit edulium virtute crucis benedictum. Omne suum munus benedicat trinus et unus. Benedictiones potuum (Randglosse) L˛etitiam domini sapiant h˛ec pocula vini. Sit noster potus domini benedictio totus. Sancta dei dextra benedicat pocula nostra. 225 Hunc fratrum potum repleat benedictio totum. Tot calicum munus benedicat trinus et unus. Christe, tuum rorem super hunc effunde liquorem. Vinitor h˛ec mitis benedicat munera vitis. Vitibus enatum benedicat gratia potum. 230 Vitibus enatum benedic, dee Christe, temetum. L˛eti haurite de vera gaudia vite. Roboret interna deus h˛ec virtute phalerna. Munere divino sit huic benedictio vino. Crux det in hoc mustum placida dulcedine gustum, 235 Quam sapiant gusta signata dei cruce musta. Hunc calicis haustum faciat benedictio faustum. Nesciat h˛ec Bromius, fugiat carchesia Bachus. Huic placeat cristo rubeo benedicere musto. Musta recens hausta faciat benedictio fausta.
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Vgl. oben Anm. zu V. 187 f.
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Aber sie sollen nicht für die Nieren tausende von Steinchen entstehen lassen. Im Namen des höchsten Herrn sei der Kürbis gesegnet. Den Lattichpflanzen des Gartens sei der Segen mit dem wirkungsmächtigen Kreuz gespendet. Die zerschnittenen, bitteren Kräuter gebe das Kreuz in den Essig. Zu allem: Bei diesem Zeichen des Kreuzes fliehe alles Übel weit. Alles Essbare sei mit der Kraft des Kreuzes gesegnet. Jedes seiner Geschenke segne der Dreieinige. Segnungen der Getränke Nach der Freude des Herrn mögen schmecken diese Becher voller Wein. Sei unser ganzer Trank Segen des Herrn. Die heilige Rechte Gottes segne unsere Becher. Diesen Trank der Brüder erfülle der Segen ganz. Soviel Geschenk der Kelche möge segnen der Dreieinige. Christus, deinen Tau (Segen) ergieße über diese Flüssigkeit. Der Winzer72 segne diese Geschenke der milden Rebe. Die (Seine) Gnade segne den aus Reben geborenen Trank. Den aus den Reben geborenen Wein segne, Christus, unser Gott. Fröhlich schöpft Freuden aus dem wahren Weinstock. Es stärke Gott mit innerer Kraft diese Falernerweine.73 Durch göttliches Geschenk werde diesem Wein der Segen zuteil. Das Kreuz gebe in diesen Most einen Geschmack von milder Süße. Wie mögen doch schmecken die Mostarten, die mit dem Kreuz des Herrn gezeichnet sind. Dieses Geschöpf der Rebe möge der Segen heilsam machen. Bromius möge hiermit nicht zu tun haben, es fliehe die Trinkgefäße Bacchus.74 Möge es Christus gefällig sein, diesen roten Most zu segnen. Den frisch geschöpften Mosten möge der Segen zu günstiger Wirkung verhelfen.
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Angespielt wird hier und in den folgenden Versen auf das biblische Gleichnis vom Weinberg, vgl. Matth. 20, 1 ff., vgl. unten S. 649, Abb. 92 Ob dem Mönch Ekkehart selbst dieser Wein wirklich bekannt war, ist eher fraglich. Egli (1909), S. 310 f. vermutet im Stellenkommentar, dass der belesene Ekkehart hier den römischen Dichter Horaz zitiert Auch hier bezieht sich Ekkehart auf antike Stoffe, möglicherweise kannte er diese beiden Beinamen des Weingottes Dionysos aus der Lektüre von Ovid, vgl. Egli (1909), S. 311, Stellenkommentar
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Anhang
240 Christe hiesu, musta benedic et vina vetusta. Vina vetustatis bona sint simul et novitatis. Pneumatis ebrietas mentes det sobrie l˛etas. Conditor hoc vinum confortet in omne venenum. Cor faciat l˛etum viva de vite temetum. 245 Christi mixtura sit perflua potio pura. Hoc pigmentatum supero sit rore rigatum. Dulce savinatum faciat benedictio gratum. Sucum pomorum, siceram, fac, Christe, saporum. Potio facta moris75 superi sit plena saporis. 250 Neminis hoc passum76 caput efficiat fore lassum. Pneuma suum rorem det in hunc spirando medonem. Mille sapora bonis sint pocula sana medonis. Dextra dei celsa velit h˛ec benedicere mulsa.77 Hoste propulso sit huic benedictio mulso. 255
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Fortis ab invicta cruce coelia78 sit benecita, Ebria qua fortes subiit Numantia mortes. Optime provis˛e benedictio sit cerevis˛e. Non bene provise confusio sit cervise.
Egli (1909), S. 312, Anm. 2, vermerkt hierzu die Glosse: „quod vocant moracetum“ (= den sie Moras nennen) Hierzu die Glosse „vinum coctum caput petit“ bei Egli (1909), S. 312, Anm. 3 Die an dieser Stelle beigefügte Glosse lautet: „ypocras. in mulsa bibat. i.e. melle et aqua. iuvenitur et mulsum in com …“ Auch hierzu findet sich eine Glosse: „i.e. ordeacea cervisa“, vgl. Egli (1909), S. 313, Anm. 2
Ekkeharts von Sankt Gallen ‚Benedictiones ad mensas‘
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Jesus Christus, segne die Moste und die alten Weine. Gut mögen die Weine sein – alt und neu. Die Trunkenheit des Geistes schenke Seelen, die auch nüchtern fröhlich sind. Der Schöpfer möge diesen Wein stark machen gegen jedes Gift. Erheitern mögen das Herz der milde Wein aus der Rebe. Von der ‚Beimischung‘ Christi möge dieser Trank überströmt sein. Dieser mit Honig und Gewürzen vermischte Wein79 möge mit dem Tau (Segen) von oben benetzt sein. Diesen Salbeiwein mache der Segen bekömmlich. Den Saft der Äpfel, einen berauschenden Trank, Christus, mache an Geschmack trefflich. Der Trank, aus Maulbeerfrüchten gemacht, möge von trefflichem Geschmack sein. Dass niemandes Kopf träge wird, möge dieser gekochte Wein bewirken. Der (heilige) Geist möge durch seinen Atem seinen Tau in diesen Met geben. Von tausend guten Beigaben duftend, mögen die Becher des Metes Gesundheit bewirken.80 Die hohe Rechte Gottes wolle diesen Trank (Hippocras)81 segnen. Nach Vertreibung des Feindes sei der Segen diesem (Misch-)Trank geweiht. Vom unbesiegten Kreuz stark, möge das Gerstenbier gesegnet sein. Trunken durch dieses, erlitt Numantia82 vielfach tapferen Tod. Dem bestens bereiteten Bier gelte der Segen. Dem nicht gut beschaffenen Bier werde Vermischung zuteil. 79
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Egli (1909), S. 311, zitiert im Stellenkommentar eine aus der Abtei Cluny stammende, lateinische Beschreibung des pigmentum, der zufolge es sich um einen mit Honig und Gewürzen versetzten Wein handelt Hierzu merkt Egli (1909), S. 312 im Stellenkommentar an: „Die Verse 251 f. lassen darauf schliessen, dass im Kloster St. Gallen zu Ekkeharts Zeit der mit Gewürzkräutern vesetzte Met in Gebrauch war.“ mulsum und das gleichbedeutende ypocras, eine Mischung aus Wein oder Wasser und Honig, sollen auf den antiken Arzt Hippokrates zurückgehen, vgl. Stellenkommentar bei Egli (1909), S. 313; der Übersetzer merkt an, dass diese Bezeichnung jedoch eher auf das griechische Wort « zurückgehen könnte, das etwa ‚der Untermischte‘ bedeutet Dieser Bezug ist rätselhaft. Numantia war eine (keltische) Stadt in Iberien, die im Jahre 133 v. Chr. vom Jüngeren Scipio erobert wurde. Er ließ die Stadt umzingeln und hungerte sie aus, sodass die darin Eingeschlossenen aufgeben mussten. Sollte es hier angedeutet und für möglich gehalten worden sein, dass Numantia unterging, weil die keltischen Iberer dem Bier zu sehr zusprachen?
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Item (Randglosse) Cor faciat clarum potus sincerus aquarum. 260 Hunc haustum fontis mundet manus omnipotentis. Nulli fons vivus stomacho sit, Christe, nocivus, Timotheo vinum Paulus qui dat medicinam. Frigidus iste calix mercede sit unice felix. Pneumatis has mundas faciat fore ros sacer undas. Dietamen debitum (Randglosse) 265 Pluris quam vina fontana valet medicina. Vinum l˛etificat cor: fons vî duplice salvat. Nudo cum pane fons cor confortat inane. Firmat cor hominis aqua cum gustamine panis. Nulla creatura pr˛etiatur aqua mage pura. 270 Corpus aqua durat, anim˛e morbos sacra curat. H˛ec est, qua vitam paradysus reddit avitam, In cruce solemnes quadruos dum dividit amnes. Efficit et sacra … spe … sorte lavacra Aut baptizando mala tergens aut lacrimando. 275 Hanc latus ut fudit, per eam sibi gratia ludit, Ludo patris Ad˛e mala quo nulllantur et Aev˛e. H˛ec via virtutis, h˛ec spes sine fine salutis. H˛ec vino mixto dolcissima potio Christo, Dulcis et immanis comes est si fractio panis, 280 His missas domino persolvimus unice trino.
Ekkeharts von Sankt Gallen ‚Benedictiones ad mensas‘
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Ebenso Das Herz mache rein der reine Trunk der Wasser. Diesen Trunk aus der Quelle mache die Hand des Allmächtigen rein. Keinem Magen möge der lebendige Quell schädlich sein, Christus, dem Timotheus gibt Paulus Wein als Medizin. Dieser kalte Becher sei durch den ‚Preis‘83 einzigartig heilbringend. Des Geistes heiliger Tau bewirke, dass diese Wasser rein sind. […] geschuldet Mehr als Weine sind die Quellwasser als Medizin wert. Der Wein macht das Herz fröhlich: Quellwasser heilt mit doppelter Kraft. Quellwasser mit trockenem Brot stärkt das schwache Herz. Es stärkt das Herz des Menschen das Wasser, wenn es mit Brot genossen wird. Kein Geschöpf rühmt sich reineren Wassers. Den Körper härtet das Wasser ab, die Krankheiten der Seele heilt das heilige Wasser. Dieses (Wasser) ist es, durch das das Paradies das ursprüngliche Leben gibt, während es kreuzförmig die vier heiligen Flüsse verteilt.84 Es bewirkt auch heilige (Sühne-)Bäder, indem es durch Taufen die Übel abwäscht oder durch Weinen. Indem die Seite es verströmt,85 triumphiert durch es die Gnade. Durch welches ‚Spiel‘ des Vaters die Sünden Adams und Evas getilgt werden. Dieses ist der Weg der Stärke, dieses Hoffnung auf Heil ohne Ende. Dieses ist durch Mischung mit Wein der so süße Trank für Christus, wenn das Brechen des Brotes sein süßer und übermenschlicher Begleiter ist, haben wir durch sie (Brot und Wein) dem dreieinigen Gott die Messe dargebracht.
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Anm. des Übersetzers: auch Lohn, Belohnung, vielleicht im Sinne von Auszeichnung, d. h. durch den Segen Angespielt wird hier auf die vier Flüsse des biblischen Paradieses Hier handelt es sich wohl um eine Anspielung auf Joh. 19, 34
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II. Um Herd und Ofen: die ‚Küche‘ als Ort Der Raum, der im Hochmittelalter zum Kochen, Zubereiten und zumeist auch zur Einnahme der Speisen genutzt wurde, hatte mit der heute üblichen ‚Küche‘ wenig gemein. Ein von den häuslichen Wohn- und Arbeitsbereichen der Menschen räumlich getrennter Bereich, der speziell zum Kochen und zum Essen, aber auch zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln diente, ist – bezogen auf seine generelle Verbreitung – eine sehr junge kulturelle Errungenschaft. So gab es noch im fortgeschrittenen 20. Jahrhundert in ländlichen Gebieten wie z. B. der Lüneburger Heide Bauernhäuser, in denen auf offenem Feuer in der Tenne gekocht und auch gegessen wurde, die räumlich von dem anschließenden Stallbereich des Hauses nicht getrennt war und den Mittelpunkt des häuslichen Lebens bildete.86 Über einen abgeschlossenen Küchenbereich verfügten im Mittelalter lediglich Haushalte, die sich den Luxus der Errichtung und des Betriebs von Räumen mit einer speziellen und daher eingeschränkten Funktion leisten konnten, deren Vorstand die Trennung von Koch- und Speisebereich z. B. aus repräsentativen Gründen verfolgte und in denen – vor allem – regelmäßig eine vergleichsweise große Zahl von Menschen zu versorgen war. Daher gab es abgeschlossene Küchenbereiche besonders in Klöstern, auf Pfalzen, auf einigen Burgen und Herrensitzen, und auch in Spitälern sind von anderen Räumen getrennte Küchen, oft eigene Küchenhäuser, nachweisbar.87 Die zumeist aus Stein errichteten Bauten boten zwar mehr Fläche und besaßen den Vorteil, dass dort vorhandene Tische, ggf. auch Hack- oder Schneidebänke ausschließlich zur Küchenarbeit dienten, ihre technische Ausstattung und diejenige mit Geräten unterschied sich jedoch – abgesehen von räumlicher Größe und Umfang – nicht grundlegend von der anderer Haushalte.88 Nur die in solchen ‚Großküchen‘ zuweilen erhaltenen Feuerstellen gelten, wenn sie eigens aufgemauert oder auch deutlich erhöht 86
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Das Zusammenleben von Mensch und Tier unter dem Dach eines innen nach Funktionszonen gegliederten, nicht zwangsläufig in verschiedene Räume getrennten Langhauses ist im gesamten Europa bis in die jüngste Neuzeit zu verfolgen, vgl. Wolfgang Reinhard: Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München 2004, S. 504 ff. und Schubert (2006), S. 29 Bekannt ist die differenzierte Anlage des Klosters Sankt Gallen, vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 10, Abb. 1; einen idealtypischen Klosterplan mit Küchen, Bäckereien, Brauhaus, Mühle, Speichern, Ställen, Gärten und Speise- bzw. Wohnbereichen in getrennten Bauten bietet Merk (1996), S. 15, vgl. für Spitäler in größeren städtischen Siedlungen Die Lübecker Küche (1985), S. 14 und für Burgen Beispiele bei Zeune (1996), S. 197 ff. Vgl. Foster (1980), S. 137 ff. mit verschiedenen Beispielen
Um Herd und Ofen: die ‚Küche‘ als Ort
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erscheinen, als reine Herde bzw. nur für das Kochen/Braten genutzte Einrichtungen.89 Dies ist bemerkenswert, weil es noch im Hochmittelalter nicht den Regelfall darstellte. Obwohl in den auch in städtischen Siedlungen zunehmend errichteten Steinhäusern schon im 11. Jahrhundert vereinzelt Kaminanlagen entstanden, die auch zum Kochen genutzt wurden und über einen Schlot/Schornstein und damit über einen Rauchabzug verfügten,90 war die seinerzeit meistverbreitete und damit typische Feuerstelle in dem einzigen oder im Hauptraum eines Hauses etwa ebenerdig angelegt, zuweilen sogar leicht vertieft in den Boden eingelassen. Es liegt damit „der Schluß nahe, daß sie multifunktional genutzt wurde, also sowohl dem Heizen wie dem Kochen diente. Wichtig ist uns die Feststellung einer in etwa ebenen Brennfläche. Dieser Befund belegt eben auch die Heizfunktion, denn das offene Feuer wärmte im wesentlichen durch seine Strahlungswärme, deren Abstrahlwinkel und damit Wärmenutzung um so günstiger war, je tiefer das Feuer brannte; nur für reine Kochherde mochte man die Brennfläche anheben, um besser wirtschaften zu können.“91 Eine solche Feuerstelle konnte mit einem Rand aus Feld- oder Bruchsteinen versehen, auch durch einen mehr oder weniger akkurat gesetzten Grund aus Stein, der zusätzlich mit Lehm verstrichen sein konnte, aus Backsteinen oder ‚nur‘ durch eine besonders verstärkte Lehmsohle eingerichtet werden.92 Sie wurde der Feuergefahr wegen lange mitten im Raum, im Hochmittelalter aber auch oft an der Wand eines Hauses platziert.93 89 90 91 92
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Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 14 f. Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 15 ff. Die Lübecker Küche (1985), S. 15 Vgl. RGA Bd. 14 (1999), S. 401ff. s.v. Herd; Beispiele für derart schlichte ‚Herd‘Konstruktionen auf der Ende des 12. Jahrhunderts aufgelassenen Ödinburg, aber auch aus dem hochmittelalterlichen Basel bietet Jürg Tauber: Herd, Ofen und Kamin. Zur Heizung im romanischen Haus, in: Steuer (1986), S. 93–110, bes. S. 95 ff.; dass, wie Schubert (2006), S. 20 anführt, auch eiserne Feuerplatten üblich gewesen wären, lässt sich für das Hochmittelalter nicht belegen. Eine Reihe von Beispielen für Feuerstätten in verschiedenen Siedlungsformen des norddeutschen Raums bietet Rüdiger Schniek: Feuerstellen und Heizanlagen in mittelalterlichen Gebäuden Norddeutschlands und Dänemarks, in: Hansestadt Stralsund (Hg.): Von der Feuerstelle zum Kachelofen. Heizanlagen und Ofenkeramik vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Beiträge des 3. wissenschaftlichen Kolloquiums Stralsund 9.–11. Dezember 1999. (Stralsunder Beiträge zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern. Bd. III). Stralsund 2001, S. 4–13 Vgl. für Feuerstellen in Städten des südwestdeutschen Raums Marianne Dumitrache: Heizanlagen im Bürgerhaus, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 280–287, hier: S. 280 und für Norddeutschland Die Lübecker Küche (1985), S. 15 ff. sowie für Westfalen Hans-Werner Peine: Von qualmenden
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Einige untersuchte (offene) Feuerstellen hochmittelalterlicher Fachwerk- und Holzhäuser94 dürften über Rauchabzüge verfügt haben – vermutet wird dies besonders bei mehrstöckig angelegten Gebäuden95 –, allgemein üblich war ein Rauchabzug oder ein Schornstein in Behausungen schlichteren Bautyps jedoch nicht.96 Er hätte den Rauch jedoch auch kaum komplett abführen können, dies vermochten nur geschlossene Ofenanlagen mit Schornsteinabzug.97 Der damit vom offenen Feuer durch den Raum ziehende Rauch hatte den Vorteil, in Feuernähe aufgehängte Schinken oder Würste zu räuchern und damit dauerhafter machen zu können, vielleicht auch Ungeziefer (u. a. aus verbautem Holz und dem Reetdach) fernzuhalten. Der Gesundheit der Menschen, die dem Rauch ebenfalls ausgesetzt waren, schadete er. Damit einher gehende physische Belastungen wie Husten, tränende Augen und Geruchsentfaltung werden die Menschen seinerzeit wahrgenommen, aber wohl anders bewertet haben als wir es heute tun, denn für die meisten von ihnen war ein solches Ambiente alltäglich. Dieser Aspekt ‚der‘ mittelalterlichen Küche wird in der heutigen Zeit leicht vergessen, vor allem, wenn es darum geht, ‚authentische‘ Mähler zu zelebrieren und dabei sogar ‚romantische‘ Stimmungen zu wecken. Nicht von ungefähr wird nämlich ein lateinisches Sprichwort aus dem 11. Jahrhundert festgehalten haben, dass es drei Dinge sind, die ein Haus ungemütlich machen: Regen, schlechte Hausfrauen und Rauch.98
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Herdfeuern und Wandkaminen zu rauchfreien Räumlichkeiten mittels Warmluftheizungen und Kachelöfen. Ein Beitrag zur Ofenkeramik des 12. bis 17. Jahrhunderts in Westfalen, in: Hansestadt Stralsund (2001), S. 43–63 Zu Bauweise und -typen hochmittelalterlicher Häuser, hier am Beispiel Bremens, vgl. Rech (2004), S. 114 ff. Vgl. Reinhard (2004), S. 504 f. sowie Die Lübecker Küche (1985), S. 14 Reinhard (2004), S. 505 weist darauf hin, dass das Fehlen von Rauchabzügen oder Schornsteinen auch mit der im Mittelalter üblichen Herdsteuer in Verbindung gebracht werden könnte. Diese wohl früheste, von weltlichen und kirchlichen Herrschaftsträgern eingeforderte Steuer wurde in ganz Mitteleuropa erhoben, jedoch möglicherweise nicht einheitlich auf Herdstellen und/oder auf Schornsteine umgelegt. Neben der Feuergefahr könnte es auch die übliche Herdsteuer gewesen sein, die dazu führte, dass in einem durchschnittlichen hochmittelalterlichen Haushalt lediglich eine kombinierte Feuer- und Herdstelle betrieben wurde, vgl. dazu P.-J. Schuster in: LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 2150 s.v. Herdsteuer Vgl. Dumitrache (1992), S. 280 Im Original: Sunt damna tria domus, imber, mala femina, fumus, zitiert nach Alfred Faber: 1000 Jahre Werdegang von Herd und Ofen. Ausgewählte Kapitel aus ihrer technischen Entwicklung bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Um Herd und Ofen: die ‚Küche‘ als Ort
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Abb. 89: Dielenbereich eines einfachen Stadthauses um 1300
Für die ganz überwiegende Mehrzahl der mittelalterlichen Haushalte lässt sich – auch räumlich und von mit der Zeit zunehmenden Veränderungen unabhängig – feststellen: „Die ‚Küche‘ ist nach wie vor kein eigener Raum im Hause, sondern Teil der Diele, welche vielen Arbeiten und Lebensvollzügen dient, so auch als Ort des Essens und der ebendort zubereiteten Speisen.“99 In der Nähe der Feuerstelle fanden sich daher neben einem schnell erreichbaren Feuerholzvorrat auch Regale, Geschirrborde oder Schränke, in denen Küchen- und Tischgerät und verschiedene Vorräte aufbewahrt wurden,100 sowie ein Tisch samt Stühlen, Bänken oder Schemeln, an dem so-
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(Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte. 18. Jahrgang, Heft 3). München 1950, S. 19 Die Lübecker Küche (1985), S. 21; siehe auch Josef und Andrea Nisters: „Armer Ritter“ und andere Köstlichkeiten. Ein Blick in die Küche und auf den Tisch eines mittelalterlichen Burgherrn, in: Keddigkeit (1997), S. 89–102, hier: S. 89; bezeichnend ist denn auch, dass z. B. das sonst differenzierte ‚Lexikon des Mittelalters‘ unter dem Stichwort ‚Küche‘ keinen Eintrag ausweist, vgl. LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1560, s. auch Schubert (2006), S. 20; im RGA Bd. 17 (2001), S. 399–402 führt H. Beck unter dem Stichwort neben etymologischen Erläuterungen besonders zur Küche im Sinne von ‚Kochkunst‘ aus Vorräte wurden im Küchenbereich auch – an Stangen oder anderem Mobiliar befestigt – erhöht aufgehängt, um zu vermeiden, dass sie für Hunde, Katzen, Hühner oder Ratten und Mäuse erreichbar waren, vgl. Foster (1980), S. 141. Ein zeitgenössisches Bildbeispiel dafür, das jedoch wegen des auf ihm ebenfalls abgebildeten Kachelofens eher auf einen Wohnraum verweist, findet sich in der oben auf S. 495 wiedergegebenen Illumination aus einer um 1250 entstandenen Würzburger Hand-
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wohl gearbeitet als auch gegessen werden konnte. Das in der Küche(necke) und zum Kochen benötigte Wasser stand in der Nähe in Krügen, Kannen oder Holzbottichen bereit. Es dürfte ferner Abfallbehälter gegeben haben, denn nicht für jeden Abfall wird man den Weg zu einer Abfallgrube oder zur Kloake im Hof auf sich genommen haben. Die oben gezeigte Abbildung, die das untere Geschoss eines einfachen, steinernen Stadthauses in Südwestdeutschland um 1300 rekonstruiert, dürfte daher ein recht realistisches Bild wiedergeben. Seit dem 11. Jahrhundert gab es in mittelalterlichen Häusern nicht nur offene Feuerstellen, sondern daneben auf Burgen sowie in städtischen Häusern geschlossene Öfen, die mit nach innen eingelassenen, gewölbten Kacheln ausgestattet waren und einen (reinen) Wohnraum erwärmen konnten.101 Für das 13. Jahrhundert sind Kachelofenanlagen in städtischen Siedlungen des südwestdeutschen Raums bereits öfter belegt, im norddeutschen Raum sind sie bisher seltener nachweisbar.102 Dafür fanden sich im Norden in Wohngebäuden aller Siedlungstypen Öfen, die eine Kuppel aus Lehm oder aus gemauerten Feldsteinen besaßen, auch von unten befeuerte Warmluft-Bodenheizungen sind dort verschiedentlich belegt.103 Wo solche Öfen vorhanden waren, dienten sie Heizzwecken. Zum Backen oder Braten wurden sie nicht benutzt.104 Ofenanlagen, die auf diesen Zweck hinweisen, finden sich in den verschiedenen mitteleuropäischen Haustypen des Hochmittelalters nämlich nur sehr selten.105 Backöfen wurden, auch in überdachte und zuweilen mit Außenmauern versehene Backhäuser integriert, meistens außerhalb der Wohn- und Geschäftshäuser und in einer gewissen räumlichen Entfernung von ihnen betrieben. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte die besonders in städtischen, aber auch in ländlichen Siedlungen
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schrift. Zur Vorratshaltung in Kellern, die im Hochmittelalter nicht selten waren, vgl. unten den Abschnitt III Vgl. Dumitrache (1992), S. 280–287 mit Beispielen aus Südwestdeutschland und der Schweiz, ebenso Tauber (1986), S. 103 ff. und Schubert (2006), S. 20 Vgl. Dumitrache (1992), S. 280 f., die jedoch darauf verweist, dass „Nutznießer dieser technischen Errungenschaft … wohl Angehörige gehobener sozialer Schichten, wie Kirchenbediensteste, Patrizier oder reiche Kaufleute“ waren Funde und Nachweise, die auch das 12. und 13. Jahrhundert einschließen, bieten mehrere Beiträge in: Hansestadt Stralsund. (2001), vgl. dort bes. die Beiträge von Schniek, S. 4 ff., Mahler, S. 22 ff. sowie Ring, S. 28 ff. Auch in dem jüngeren, von der Hansestadt Stralsund herausgegebenen Band (2001) finden sich keine Hinweise, dass in Kuppelöfen aus Lehm oder Steinen, deren Reste sich innerhalb von Häusern fanden, gekocht oder gebacken worden wäre Teilweise fragliche Beispiele, aber auch wenige Nachweise für Doppelfeuerstellen, die auf eine Koch- und eine Heizfunktion hinweisen, bietet Tauber (1986), S. 103 f.
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überwiegend vorhandene Holzbauweise gewesen sein, die eine hohe Feuergefahr mit sich brachte. In ländlichen Siedlungen wurden die einzeln stehenden Backöfen und -häuser wohl vornehmlich gemeinschaftlich betrieben und genutzt,106 in städtischen Siedlungen gab es Bäckereien und gesonderte Lohnbäckereien, die gegen Bezahlung in den privaten Haushalten vorbereitete Brotwaren, Gebäckteige und vielleicht auch große Bräter oder Terrinenformen in die dort vorhandenen Öfen schoben.107 Die Konstruktion und Funktionsweise der mittelalterlichen Backöfen zeigt über die Regionen hinweg eine bemerkenswerte Konstanz: „Grundsätzlich gilt, dass sämtliche Öfen als Einkammeröfen konzipiert sind. Im Ofen wurde zunächst ein Feuer entzündet, nach Erlöschen des Feuers die Kammer ausgeräumt und der aufgeheizte Raum dann zum Backen genutzt. Fast alle aufgefundenen Backöfen sind einem Grundtyp zuzuweisen. Dieser besteht aus einer Kuppel auf einer runden bis ovalen Grundfläche, rechteckige Anlagen sind selten. Die Kuppel ist in der Regel aus Lehm geformt, der auf einem Fundament aus Trockenmauern oder seltener Holzbalken aufgebaut sein kann … Bei größeren Öfen, die oft, gewerblich genutzt, auf eine lange Haltbarkeit angelegt wurden, war die Kuppel häufig aus Backstein errichtet, der in Lehm gesetzt war … Bis ins Hochmittelalter hinein scheinen kleinere Anlagen in Betrieb gewesen zu sein, die leicht in den Boden eingetieft waren.“108 Es wird vermutet, dass diese Öfen im Hochmittelalter nicht nur zum Backen genutzt wurden, sondern dass man sie – im Zustand fortschreitender Auskühlung – auch als ‚Darre‘ verwendete, in der z. B. Getreide, Hül106
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Vgl. Schubert (2006), S. 85 und H. Hinz in: RGA Bd. 1 (1973), Sp. 576 f. s.v. Backofen, bes. Sp. 577 mit einem Hinweis auf das in das 13. Jahrhundert datierende Bauernbackhaus der Wüstung Boitshoop im Landkreis Harburg Eine lokale Häufung von Backöfen, die auf eine mittelalterliche Bäckerei in Freiburg/Br. verweisen, untersuchte Luisa Galioto: Eine mittelalterliche Bäckerei in Freiburg? In: Mittelalterliche Öfen und Feuerungsanlagen. Beiträge des 3. Kolloquiums des Arbeitskreises zur archäologischen Erforschung des mittelalterlichen Handwerks. Zusammengestellt von Ralph Röber. (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg. Heft 62). Stuttgart 2002, S. 97–100; vgl. zur Lohnbäckerei auch Schubert (2006), S. 87. In diesem Zusammenhang verweist Schubert darauf, dass sich aus der Differenzierung zwischen häuslichem und gewerblichem Backen in städtischen Siedlungen die zunftgebundene Bäckerei und damit erst die Bäckerei als ein ‚Männerhandwerk‘ entwickelte, während das Backen andernorts weitestgehend den Frauen vorbehalten blieb Ralph Röber: Öfen und Feuerstellen in Handwerk und Gewerbe – mittelalterliche Realität und archäologischer Befund, in: Mittelalterliche Öfen und Feuerungsanlagen (2002), S. 9–26, hier: S. 13 f.
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senfrüchte, Obst oder Beeren getrocknet und dadurch länger haltbar gemacht werden konnten.109 Als Ort des Kochens bzw. der Küchenarbeit waren Herd und Diele funktional und ergonomisch kaum entwickelt. Das Arbeiten am Herd und die Vorbereitung der Speisen gestalteten sich – unabhängig von aufwändiger betriebenen oder schlichten Haushalten – im Vergleich zu heute beschwerlich. Es war für Feuerholz zu sorgen, Vorräte mussten zum Kochen aus einem Keller oder Speicher, in städtischen Siedlungen oft auch auf dem Markt oder in ‚Buden‘ geholt werden, teilweise bedurften sie – wie Stockfisch, Dörrfleisch und auch Backwaren – zusätzlicher Arbeitsgänge, um überhaupt zubereitet oder genossen werden zu können. Getreide war, sofern das nicht bereits in größeren Mengen in einer Mühle geschah, mit einer Handmühle mühsam zu Schrot oder Mehl zu verarbeiten. Auch zum Schneiden und Hacken gab es keine speziellen ‚Haushaltshilfen‘, sondern nur das Messer, und verschiedene, besonders auch harte Nahrungsbestandteile (wie z. B. Pfeffer, Wachholderbeeren und andere Gewürze, Nüsse, Mandeln, aber auch Fleisch und Fisch) wurden in Mörsern zerstoßen.110 Wasser zum Kochen und zur Reinigung von Geschirr und Küchengeräten musste aus Brunnen oder Bach eigens herangeholt, Milch erst gemolken werden.111 Beim Kochen war das Feuer zu unterhalten, das durch Holzscheite, teils auch durch Holzkohle gespeist wurde.112 Erhitzt wurde die Nahrung über der Flamme oder der Glut lediglich bei der Verwendung von Kesseln oder eines Bratspießes.113 Mit dem Kugeltopf oder Grapen wurde nicht auf oder über der Flamme gekocht. Vielmehr wurden sie, zuweilen auch auf einen
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Vgl. H. Hinz in: RGA Bd. 1 (1973), Sp. 576 s.v. Backofen. Reste eines Backofens, der wohl auch als Darre genutzt wurde, fanden sich in der dörflichen Siedlung Holzheim. Der Ofen war in die Verfüllung eines Grubenhauses aus salischer Zeit (37NB) eingetieft, vgl. Abb. bei Wand (2002), Farbtafel 8, vgl. mit einem allgemeinen Hinweis auch Peine (2001), S. 43 Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 33 Zu Verrichtungen in der mittelalterlichen Küche vgl. auch Nisters (1997), bes. S. 89 ff. Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 23 f. Bratspieße aus Eisen haben sich zwar – vielleicht ihres Materialwerts, aber auch ihrer Korrosionsanfälligkeit wegen – selten erhalten, doch ist ihr Gebrauch z. B. bildlich belegt auf dem in das späte 11. Jahrhundert datierenden Teppich von Bayeux. Haltevorrichtungen für Bratspieße sind aus Lübeck bekannt, wo sich bei Ausgrabungen ein aus Backstein gebrannter und zudem glasierter Bratspießhalter fand, vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 13, Abb. 2 und S. 32, Abb. 9 sowie allgemein T. Capelle in: RGA Bd. 3 (1978), S. 414–417 s.v. Bratspieß
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metallenen Dreibeinuntersatz gesetzt,114 an den Rand des Feuers oder der Glut gestellt.115 Koch oder Köchin waren damit nicht nur Hitze und Rauch ausgesetzt, sie mussten auch dafür sorgen, dass das Kochgut in Kessel oder Topf sowie das Bratgut am Spieß laufend gerührt oder gewendet wurden. Damit war das Kochen seinerzeit eine im Wortsinn ‚schweißtreibende Arbeit‘, nicht zuletzt auch, weil es zu den i. d. R. tief liegenden Feuerstellen hin ständiges Bücken oder auch die Arbeit in der Hocke erforderte. Zum einen konnte nur durch fortwährendes Rühren und Wenden ein gleichmäßige(re)s Garen erreicht, zum andern so ein Anbrennen des Gerichtes verhindert werden. „So wurde das Rühren zu einer Tätigkeit, die den Koch charakterisierte; seine emsige Tätigkeit am Herd – schließlich mußte auch das Feuer ständig geschürt werden – lebt bis in den heutigen Wortschatz fort, der für ständigen Fleiß ‚rührsam‘ oder ‚rührig‘ setzt.“116 Ein gleichmäßiges Garen war in einem Kugeltopf oder Grapen auch unter ständigem Rühren und Wenden des Kochguts oder durch Drehen des Topfes nur schwer zu erreichen. Kochte eine Brei- oder Musspeise zu sehr ein und bedurfte der Zugabe von Flüssigkeit, musste diese bei Keramikware – wiederum unter Rühren – in die Mitte des Topfes gegossen werden, weil sonst die Gefahr bestand, dass der Topf sprang. Auch eine ‚auf den Punkt‘ gegarte Speise dürfte nur schwer herstellbar gewesen sein, ein Grund, warum viele Nahrungsmittel, auch z. B. Gemüse – wie in seiner heutige Bezeichnung noch anklingt –, komplett zu einem Mus oder Brei verkochten.117 Vermutet wird, dass das besonders für das spätere Mittelalter bezeugte Färben von Speisen – in teurer Variante z. B. durch die Beigabe von Safran, in billiger durch die von Holunder- oder Heidelbeeren – auch im Hochmittelalter praktiziert wurde, weil sich so die oft zu einem ‚Einheitsbrei‘ verkochten Gerichte für das Auge attraktiver gestalten ließen.118 114 115 116 117
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Vgl. Nisters (1997), S. 91 Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 30 f. Die Lübecker Küche (1985), S. 31 Vgl. Schubert (2006), S. 157; siehe auch Ulrich Willerding in: RGA Bd. 11 (1998), S. 18–32 s.v. Gemüse, bes. S. 19: „Der Begriff G. bezeichnete im MA einen Brei, also eine stark zerkleinerte, musartige Darreichungsform von Nahrung.“ An anderer Stelle wird ergänzt, dass neben (oft zähem?) Fleisch und Fisch auch die „zum Teil erst weniger stark gezüchteten Blatt- und Wurzel-Gemüsearten … trotz ihres Anteils an harten Stoffen in einen essbaren Zustand gebracht werden [mußten]. Das erreichte man durch ein starkes Zerkleinern der einzelnen Bestandteile. Daher gab es oft Fleischpasteten und Gemüsemus. Außerdem waren vielfach recht lange Garzeiten erforderlich. Dadurch verlor die Speise häufig ihre charakteristische Färbung und oft auch ihren Geschmack“, vgl. Ulrich Willerding s.v. Speisen und Speisebereitung in: RGA Bd. 29 (2005), S. 334–338, hier S. 337 Vgl. Willerding (2005), S. 337
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Fleisch oder Fisch, im üblichen Topf zubereitet, „garte oder briet in der Folge nicht gleichmäßig; andererseits konnte der Garvorgang zu lange dauern, so daß es außen bereits genießbar, innen aber noch roh war.“119 Vermeidbar war dies, wenn Fleisch oder Fisch in einer Flüssigkeit gekocht (gesotten) wurde, etwa in Brühe, Wein, Essigwasser oder in gesondert angemachten, dünnen Saucen. Mit der Schwierigkeit, gleichmäßig gegarte Speisen herzustellen, wird auch die im Hochmittelalter bekannte Pastetenbereitung in Verbindung gebracht. Die Pasteten „beruhten auf einer Zerkleinerung des bereits gekochten oder gebratenen Fleisches zum Fleisch- oder Fischbrei – dem konnte auch ein feines Hacken entsprechen – und dessen Vermengung mit Eiern. Die so gefertigte Masse konnte in unterschiedlicher Weise erneut gegart werden, sei es in Sud oder Brühe, in der Pfanne oder auf dem Rost, wieder eingefüllt in Bälge, Haut oder Tierblasen, in … flachen Grapenpfannen über Glut oder in ‚gebuttert Kacheln‘ oder Metallgefäßen im Wasserbad oder gar im Backofen. Diese Zubereitungsweise hatte neben dem gleichmäßigen Garzustand auch den Vorteil, längerfristig vorbereitet werden zu können, um sie dann zur Mahlzeit schnell neben anderen Gängen garen zu können.“120 Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, dass die Speisegewohnheiten im Mittelalter nicht vornehmlich durch die jeweils verfügbaren Nahrungsmittel, sondern vielmehr auch durch die technischen Möglichkeiten und den Aufwand ihrer Zubereitung gekennzeichnet waren. In einem einfachen Haushalt, in dem eine Familie auf sich gestellt wirtschaftete, konnte die Hausfrau für das Kochen und Backen im Alltag nur wenig Zeit aufbringen, wenn daneben noch Kinder zu beaufsichtigen waren, Haus-, Garten-, Feldoder Stallarbeit zu leisten war, die Anlage von Vorräten betrieben werden musste und gewaschen, gesponnnen, gewebt, genäht oder geflickt wurde. Die Möglichkeiten und die Vielfalt ‚der Küche‘ verhielten sich damit wohl direkt proportional zu den für das Kochen und Backen jeweils verfügbaren ‚Zeitfenstern‘. Brot, Grützen und Breispeisen, die in kurzer Zeit herzustellen waren (Getreidebreie benötigten eine Garzeit von etwa 10 bis 20 Minuten),121 mögen insgesamt wenig abwechslungsreich und auch oft nicht besonders schmackhaft gewesen sein, aber sie vermochten zu sättigen und boten den Vorteil, nicht lange von anderen, für den Betrieb eines Haushaltes wichtigen Tätigkeiten abzuhalten. Gerichte, die eine aufwändigere Zu119 120
121
Die Lübecker Küche (1985), S. 33 Die Lübecker Küche (1985), S. 33. Bemerkenswerterweise werden hier in Teig gebackene Pasteten, die ‚küchentechnisch‘ machbar gewesen wären, nicht aufgeführt Vgl. Die Lübecker Küche (1985), S. 31
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bereitung erforderten, blieben für die Mehrheit der Bevölkerung daher wohl schon aus zeitökonomischen Gründen solchen Tagen vorbehalten, an denen die übliche Arbeit ruhte. Die Zubereitung von mehreren Gerichten und Gängen, von mehrfach gekochten und weiterverarbeiteten, auch aufwändig angemachten oder verzierten Speisen, auf die in der zeitgenössischen Dichtung hingewiesen wird, die jedoch auch für manche Klöster dokumentiert sind, setzt angesichts der hochmittelalterlichen ‚Küchentechnik und -standards‘ eine arbeitsteilige Haushalts- und Küchenorganisation – und damit Personal – voraus.122 Gesellschaftlicher Status und hervorgehobene Repräsentation vermittelten sich damit dort, wo sie für den Gastgeber und dessen Gäste von Bedeutung waren, nicht nur über die Zahl und Raffinesse der bei einer Tafel angebotenen Gerichte und die bei der Beschickung der Tafel eingesetzte Dienerschaft, sondern auch durch das Können und die Zahl des im Küchenbereich ‚hinter den Kulissen‘ – für die Tafelrunde selbst unsichtbar – wirkenden Küchenpersonals. Es darf angenommen werden, dass Teilnehmer an festlichen Mählern, die ja i. d. R. auch selbst einem Haushalt vorstanden und daher um die logistischen Erfordernisse eines festlichen Essens
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Dieser Umstand wird durch Foster (1980), S. 139 für eine Klosterküche folgendermaßen gefasst, lässt sich aber wohl auch auf große Haushalte des Adels und des städtischen Patriziats sowie des wohlhabenderen städtischen Bürgertums übertragen: „Die menschliche Arbeitskraft, das billigste Element des klösterlichen Kochens, wurde nach den Bedürfnissen des Chefkochs und den Erfordernissen bestimmter Speisenzubereitungen eingesetzt.“ Wie sehr die Exklusivität der Speisen von der Verfügbarkeit von Arbeitskraft und -händen abhing, geht aus einer scharfen Kritik hervor, die der reformorientierte Bernhard von Clairvaux zu Beginn des 12. Jahrhunderts an den Speisegewohnheiten der Cluniazenser übte und aus der – wenn sie auch wohl absichtlich übertreibt – ersichtlich wird, welcher Aufwand auch in klösterlichen Küchenhäusern getrieben worden sein soll: „Denn weil wir einen Widerwillen haben gegen pure Speisen, wie die Natur sie gemacht hat, wird die Freßsucht von allerhand falschen Geschmäckern erregt, während die Speisen auf zahllose Weisen vermischt und die natürlichen Geschmäcke, die Gott in die Sachen gesteckt hat, verschmäht werden. Das Maß der Notwendigkeit wird zweifellos überschritten, doch der Genuß ist noch nicht besiegt. Denn wer kann schon sagen, auf wie viele Weisen allein schon Eier (um von anderen Sachen ganz zu schweigen) gedreht und gequält werden, mit wie viel Fleiß sie auseinander geholt, geschlagen, flüssig oder hart gemacht und verkleinert werden; und bald geröstet, bald geschmort, mal gefüllt, mal gemischt oder einzeln aufgetischt werden?“ Zitiert nach Johanna Maria van Winter: Kochen und Essen im Mittelalter, in: Herrmann (1987), S. 88–100, hier: S. 91 f. Auf eine ähnlich aufwändige Verarbeitung von Nahrungsmitteln verweisen auch die in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datierenden Gedichte des sog. ‚Königs vom Odenwald‘, so Nr. II (Vom Huhn und dem Ei), Nr. I (Von der Kuh) oder Nr. III (Lob der Gänse), vgl. Edition Olt (1988)
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wussten, diesen mittelbaren Aspekt aufwändig angerichteter Mähler durchaus registrierten. Dass eine Küche oder der Küchenbetrieb auch eine nähere Schilderung erfahren, ist in den seinerzeitigen literarischen Quellen jedoch selten. Wo sich aber eine solche Erwähnung findet, beschreibt sie manche, auch durch archäologische Funde belegte und den zeitgenössischen Küchenbetrieb kennzeichnende Einzelheiten durchaus treffend. So beispielsweise in der 10. Aventiure des ‚Nibelungenliedes‘, in dem sich mit der Hofgesellschaft auch Hagen, Gunther und Siegfried zur Jagd aufmachen (vgl. dazu oben im Hauptteil S. 134 f.). Der manche Details schätzende Wolfram verlegt in seinem ‚Willehalm‘ eine Episode um den Knappen Rennewart in die große Burgküche. Der Jüngling war vor seinem späteren Aufstieg zunächst selbst Küchenjunge. Seiner großen Körperkräfte wegen war er eingeteilt worden, die Versorgung der Küche mit Wasser sicherzustellen (vgl. 188, 8 ff.), er schleppt dazu einen schweren Wasserzuber (vgl. 188, 3). Seine Kleidung und das Aussehen seiner Haut und des Haares – ‚küchenfarben‘, wohl verrußt – werden so beschrieben, dass man ihm seine Tätigkeit sofort ansieht (vgl. 188, 16 f.; 189, 1). Als das ihn hänselnde Küchenpersonal nachts nicht da ist, legt er sich in der Küche zum Schlafen auf eine große Hackbank, die sonst zum Zerteilen großer Tierkörper und vor allem knochiger Fleischpartien benötigt wurde (vgl. 201, 24 ff.). Als der Küchenmeister Rennewart, der laufend den schlechten Scherzen der Knappen und des Küchenpersonals ausgesetzt war (vgl. 189, 27 ff.), später in einer Ecke seiner Küche schlafen sieht, treibt er einen bösen Schabernack mit ihm. Dabei war ihm und den Köchen aufgetragen worden, in der Frühe für die Zubereitung der ersten Mahlzeit des Tages zu sorgen: den kochen was daz vor gesaget, daz waere bereite, sô ez taget, vil spîse, swer die wolte, und daz ieslîch vürste solte enbîzen ûf dem palas. durh daz vil manic kezzel was über starkiu viuwer gehangen.
(285, 23 ff.)
Aus dem bestellten Frühmahl wird nichts, denn Rennewart packt den Küchenmeister, der ihn mit einem glühenden Scheit im Gesicht versengt und damit aus dem Schlaf reißt, bindet ihm – wie einem Schaf, das zum Braten am Spieß vorbereitet wird (vgl. 286, 12 f.) – alle Viere zusammen und wirft ihn unter einen großen, über dem schon geschürten Feuer aufgehängten Kessel, wobei der Küchenmeister sein Leben lässt (vgl. 286, 14 ff.).
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Wolfram ‚würzt‘ die Schilderung von Rennewarts Wutausbruch mit bissigen Bemerkungen, etwa der, dass Rennewart anwies, auf diesen besonderen ‚Braten‘ kein Salz zu streuen, und in seiner Wut bedeckt er den Küchenmeister noch mit Holz und Holzkohle (vgl. 286, 17 f.), wodurch der tote Körper der Hitze von allen Seiten ausgesetzt wird. Zusätzlich zieht Wolfram zu dieser Szenerie dann spitz auch noch Walther von der Vogelweide bei: herre Vogelweide von brâten sanc: dirre brâte was dicke und lanc – ez hete sîn vrouwe dran genuoc, der er sô holdez herze ie truoc.
(286, 19 ff.)
Das Küchenpersonal hat sich derweil aus Angst vor dem tobenden Rennewart außer Reichweite gebracht und verfolgt dessen Klage über seinen versengten Bartwuchs von einem Nebenraum aus durch die Wand (vgl. 286, 24 ff.). Da der den Küchenbetrieb leitende Meister nun fehlt, liegt der Küchenbetrieb darnieder, es kümmert sich auch niemand um das Schüren des Feuers (vgl. 289, 10). Das Frühmahl fällt aus, denn als der Hausherr danach fragt, erhält er lediglich zur Antwort, dass Rennewart nach wie vor seine Verbrennungen beklagt (vgl. 289, 11 ff.). Bemerkenswert ist, dass es in epischen Dichtungen stets Männer sind, die die Küchenarbeit verrichten. In den zuvor zitierten Quellen treten sie uns mit Küchenmeister, Köchen und Küchenknechten entgegen. In Liedern wie auch in Maeren, deren Handlung und Protagonisten überwiegend im außerhöfischen Bereich angesiedelt sind, ist es dann meistens die Hausfrau, auch die Bäuerin oder die Magd, die in der Küche tätig ist, backt oder kocht. Daraus lässt sich schließen, dass auch die Küchenarbeit und das Kochen mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und ‚Wertigkeiten‘ besetzt waren. Während es im privaten, familiären Bereich die Frauen sind, die im Alltag der Massen als ‚Herrin über die Küche‘ agieren, ist es dort, wo es mit edlen Festmählern und an Festtagen mit einer großen Schar von Gästen um eine gewisse Öffentlichkeit und damit besonders auch um Repräsentation geht, männliches Personal, das die Küche dominiert, gar einen „Außeralltag“ als Sondersituation zelebriert:123 „Es läßt sich leicht demonstrieren, daß mit diesen geschlechtsspezifischen Kochweisen unterschiedliche Kon123
Vgl. Eva Barlösius: Köchin und Koch: Familial-häusliche Essenszubereitung und berufliches Kochen, in: Trude Ehlert (Hg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 6.–9. Juni 1990 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sigmaringen 1991, S. 207–218
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zepte von Essen und Trinken korrespondieren. Die privat-familiale Essenszubereitung, die sich typischerweise in weiblicher Zuständigkeit befindet, hat ihren Ausgangspunkt im körperlichen Bedürfnis, essen und trinken zu müssen, und sichert die Befriedigung dieser täglichen Not. Die Motive und Vorstellungen von Essen und Trinken, die in den Rezepturen und Speisenpräsentationen der großen – männlich dominierten – Küche realisiert werden, neigen dazu, die körperliche Dimension der alltäglichen Wiederkehr zu übergehen, und gestalten den Außeralltag.“124 Dass dieses Phänomen nicht nur für die Arbeit in hochmittelalterlichen Küchen gilt, sondern außerordentlich dauerhaft ist, belegt der Blick auf die aktuelle Spitzengastronomie – sind es doch fast ausschließlich die männlichen ‚Sterneköche‘, die sie auch heute noch beherrschen. In das Hochmittelalter datierende Illuminationen von Küche oder Küchenarbeit sind im deutschen Sprachbereich selten, beides wird erst im Spätmittelalter vermehrt auch ins Bild gesetzt.125 Eine der seltenen Ausnahmen bildet die Darstellung der Kochkunst aus dem sog. ‚Reiner Musterbuch‘ vom Beginn des 13. Jahrhunderts.126 Neben verschiedenen kunstvollen Initialen, ornamentalen Mustern und Beispielen für Tierdarstellungen, die Kopisten und Illustratoren als Vorlagen dienten, werden in diesem Bändchen die sieben Artes mechanicae dargestellt, die ‚praktischen Künste‘, die insbesondere dem unmittelbaren Broterwerb dienten.127 Ungewöhnlich ist, dass die Reihe der beispielhaften Abbildungen zu Schmiede- und Zimmermannshandwerk, Weberei, Gerberei und Schusterhandwerk, Jagd und 124 125
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Barlösius (1991), S. 207 Dies schließt die bekannten Szenen des Teppichs von Bayeux ein, der das Braten am Spieß, Kessel über dem Feuer sowie eine Tafelrunde zeigt. Abbildungen in Arbeiten, die sich auf Küche und Kochen ‚des Mittelalters‘ beziehen, stützen sich fast durchweg auf Bildmaterial, das im 14. und besonders auch im 15. Jahrhundert entstand, vgl. z. B. Foster (1980), Laßt uns haben gute Speis (1984), Nisters (1997), Scully (2005, dort auf dem Umschlag), und Schubert (2006) Im Kommentarband zur Faksimileausgabe schreibt dazu Franz Unterkircher: „Neben der künstlerischen Qualität liegt die besondere Bedeutung des Buches darin, daß es das älteste Musterbuch ist, das in solchem Umfang erhalten blieb. Seine Entstehung läßt sich stilistisch und nach dem Inhalt der nachfolgenden Texte auf den Beginn des 13. Jahrhunderts datieren“, Reiner Musterbuch. Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Musterbuches aus Codex Vindobonensis 507 der Österreichischen Nationalbibliothek. Kommentar: Franz Unterkircher. Graz 1979, S. 10 Die Vorstellung, dass den traditionellen sieben ‚freien Künsten‘ (Artes liberales) sieben ‚praktische‘ gegenüber stehen, hielt sich das gesamte Mittelalter hindurch. Zu den Artes mechanicae zählte man das Bekleidungshandwerk (lanificium), Berufe des Bauhandwerks und der Baukunst (armatura), die Schifffahrt (navigatio), die Landwirtschaft (agricultura), die Jagd, die Heil- und die Schauspielkunst (venatio, medicina, theatrica), vgl. Unterkircher (1979), S. 19, Anm. 23
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Abb. 90: Küchenszene aus dem ‚Reiner Musterbuch‘, Anfang 13. Jh.
Vogelfang, Ackerbau und Tierzucht sowie Fischfang (Seefahrt) ergänzt wird, indem man die Kochkunst – neben der Heilkunde wohl als eine der bildenden Künste verstanden – hinzusetzte.128 Die einzelnen Artes werden in voneinander getrennten ‚Abteilungen‘ dargestellt, die durch oben rundgewölbte, durch Säulen getragene Jochbögen gebildet werden. Eine Blattseite enthält dabei vier Szenen. Unter die Rundung der Jochbögen wurden Brustbilder kleiner Figuren eingefügt, die
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In Kommentar bemerkt Unterkircher, dass dies im Hochmittelalter öfter vorkam, vgl. S. 19, Anm. 23
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für die abgebildete Kunst typisches Gerät in Händen halten – bei der Jagd Bogen und Horn, beim Ackerbau Hacke und Spaten, bei der Kochkunst einen großen Löffel sowie ein seltsames Gerät, an dessen langem Stiel oben zwei gebogene Zinken angebracht sind. Beide Utensilien sind auch in der den unteren Bildbereich füllenden Zeichnung aufgeführt. Eine Köchin ( ! ), deren Haar durch eine Haube fast ganz bedeckt ist, beschäftigt sich am rechten Bildrand mit dem großen Löffel und dem zweizinkigen Gerät mit einem großen Kessel, der, an einem rechtwinkligen Wandhaken hängend, über einem offenen Feuer erhitzt wird. Was in dem Topf gekocht wird, lässt sich nicht erkennen. Möglicherweise sind es größere Fleischstücke, in diesem Fall könnte das in den Kessel versenkte zweizinkige Utensil dazu dienen, dieses Kochgut zu wenden oder aus der Brühe zu heben. Am linken Bildrand ist ein Mann zu sehen, der gerade ein Tier – vielleicht ein Lamm –129 schlachtet. Er hat das Tier in seinem angewinkelten linken Bein eingeklemmt, hält mit seiner Linken dessen Kopf fest und schneidet ihm mit einem Messer in seiner Rechten gerade die Kehle durch. Beherrscht wird die Szene jedoch durch eine merkwürdige Figur. In der Mitte steht ein Mann, deutlich größer als Köchin und Hausschlachter dargestellt. „Seine Stellung in der Mitte zeigt ihn ebenso als Herrn wie der vornehme Krückstock, auf den er sich stützt. Die schmucke Kopfbedeckung hat er gemeinsam mit … dem Gerber und Schuster. Die unmotivierte Drohgeste gegenüber der harmlosen Köchin ist unerklärlich – vielleicht hat der Kopist hier eine Darstellung seiner Vorlage mißverstanden.“130 Warum der offenbar erzürnte Herr der Köchin mit einer hoch über seinen Kopf geschwungenen, dreischwänzigen Peitsche droht, bleibt daher offen. Die Köchin wirkt durch ihn eingeschüchtert. Ihr in seine Richtung gewendeter Kopf scheint gleichzeitig zur Seite und nach unten geneigt,131 ihr Blick weist von unten nach oben in Richtung des zornigen Mannes. Der am linken Bildrand befindliche (jüngere?) Mann, der gerade das Tier schlachtet, wendet sich ab. Er scheint ganz mit seiner Tätigkeit befasst, jedenfalls nicht von der neben ihm sich abspielenden Szene berührt. Die in einfachem roten und dunkelbraunen Strich gehaltene Zeichnung, die der in der zisterziensischen Buchkunst geforderten Schlichtheit ent129
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Unterkircher hält das Tier für ein Lamm, vgl. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe (1979), S. 21. Die deutlich erkennbaren Paarhufe des Tieres könnten aber auch auf eine (junge) Ziege hinweisen Unterkircher (1979), S. 21 Dass sie dadurch die linke Seite ihres Halses freilegt und geradezu ‚anbietet‘, könnte vielleicht auf eine Unterwerfungsgeste hinweisen
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spricht,132 bietet eine Küchenszene, ohne eine damalige Küche wirklich zu zeigen: als für eine Küche(necke) typische Einrichtung und Gegenstände sind Kochstelle mit Feuer und darüber aufgehängtem Kessel abgebildet, daneben eine durch ihr ‚Handwerkszeug‘ und ihre am Kessel ausgeübte Tätigkeit gekennzeichnete Köchin. Tisch und Sitzgelegenheiten fehlen ebenso wie ein Wasserbottich oder Vorratsbehälter und Borde mit Geschirr. Es ist dem Zeichner zwar gut gelungen, ‚die Kochkunst‘ mit nur wenigen Attributen ins Bild zu setzen. Detailliertere Einblicke in eine hochmittelalterliche Küche und Schlüsse auf deren Einrichtung lässt diese Form der Darstellung jedoch nicht zu.
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Auch die anderen Zeichnungen im ‚Reiner Musterbuch‘ weisen nur diese beiden Strich- und Flächenfarben auf. Die Zisterzienser vermieden aufwändig kolorierte oder sogar mit Blattgold belegte Buchmalerei, vgl. Unterkircher (1979), S. 11 f.
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III. Konservierung von Lebensmitteln Das im Mittelalter stark saisonal geprägte Nahrungsmittelangebot machte es zwingend erforderlich, besonders für die Winterzeit ausreichend Vorräte anzulegen. In einer Zeit, die weder heutige Sterilisierungs- noch Einweckverfahren kannte und in der es auch keine Dosenkonserven, Kühl- oder Gefrierschränke gab, stellte das Anlegen und Bewirtschaften von Vorräten eine besondere Herausforderung dar.133 Von der Möglichkeit, frische Lebensmittel zu konservieren, waren jedoch auch deren Transportfähigkeit und damit der Fernhandel mit Lebensmitteln direkt abhängig.134 Die meisten der verfügbaren Nahrungsmittel konnten über längere Zeiträume hinweg nicht ohne Weiteres aufbewahrt oder gelagert werden. Am leichtesten ließen sich Waren bevorraten, die von vornherein mit einem ‚natürlichen Schutz‘ versehen und dadurch nicht leicht verderblich waren wie z. B. Nüsse, Bucheckern oder härtere Fruchtsamen wie beispielsweise Kürbiskerne. Je nach Konsistenz und Lagerung konnten sich auch Wein, Öle und Essig über längere Zeit ‚halten‘. Selbst Getreide und Hülsenfrüchte bedurften zur Bevorratung der vorherigen Trocknung und auch einer anschließend trockenen Lagerung, da sie sonst durch Schimmelpilzbildung leicht verderben konnten.135 Außerdem war es wichtig, durch trokkene Lagerung das Keimen dieser Saatfrüchte zu vermeiden.136 In literarischen Quellen finden sich nur wenige, und wenn, mittelbare Hinweise darauf, dass (und wie) Lebensmittel haltbar gemacht werden
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Dies galt für alle Haushaltungen und nicht nur für die wohlhabenden. Schuberts wiederholte These, dass sich ‚die kleinen Leute‘ im Mittelalter eine Vorratshaltung erst gar nicht haben erlauben können, dürfte nicht zutreffen. Gerade die ländliche Bevölkerung und städtische Haushalte, die über einen Garten, vielleicht auch zusätzlich über Feldfläche verfügten, werden darauf geachtet haben, Vorräte für den Winter anzulegen, umso mehr, als der Zukauf von Nahrungsmitteln bei dann knapper Versorgungslage umso teurer war, vgl. Schubert (2006), S. 13 und S. 25 Vgl. G. Fouquet in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1370 s.v. Konservierung; Wiswe (1970), S. 145 macht darauf aufmerksam, dass z. B. das Trocknen von Fisch oder Früchten diese nicht nur erst über längere Zeit transportfähig, sondern auch leichter machte Vgl. Hans Glatzel: Verhaltensphysiologie der Ernährung. Beschaffung – Brauchtum – Hunger – Appetit. (U&S Taschenbücher. Bd. 1001). München/Berlin/Wien 1973, S. 57. Wie dort ebenfalls angemerkt wird, verliert mit Schimmelpilzen kontaminiertes Getreide erst bei Temperaturen über 200° C seine Toxizität, die durch Schimmelpilze entstehenden Giftstoffe werden demnach bei normalen Back- und Kochvorgängen nicht neutralisiert Vgl. U. Willerding in: RGA Bd. 17 (2001), S. 181–196 s.v. Konservierungsmethoden, hier: S. 183
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konnten, und auch archäologische Funde bieten mit Blick auf die Konservierung von Lebensmitteln kaum Hinweise. So wurde schon in der Zeit der Herausbildung der Archäologie des Mittelalters als einer eigenen Disziplin angemerkt: „Es wäre naheliegend zu vermuten, daß die archäologische Forschung auch für das Problem der Konservierung pflanzlicher und tierischer Nahrungsmittel Aufschlüsse bieten könnte, das ist aber leider nicht der Fall.“137 Dennoch gibt es eine Reihe von Befunden und Hinweisen, die Schlüsse auf die Konservierung von Nahrungsmitteln zulassen. So konnte die Haltbarkeitsdauer von Lebensmitteln bereits durch den Ort ihrer Lagerung verlängert werden. Zur Lagerung von Getreide, wohl auch zu der von Hülsenfrüchten dienten vornehmlich Speicher, die sich unter dem Hausdach befanden oder als eigenes Gebäude angelegt sein konnten. Dabei war wichtig, den Speicher zum einen trocken zu halten, zum andern sollte er so eingerichtet werden, dass er z. B. für Schädlinge wie Mäuse oder Ratten nur schwer erreichbar war.138 Eine kühle Lagerung von Nahrungsmittelvorräten und Getränken war in Kellern möglich. Sie wurden nicht nur auf verschiedenen Burgen oder Adelssitzen, sondern besonders auch in vielen städtischen Siedlungen archäologisch nachgewiesen.139 So sind Beispiele aus der im Jahr 1265 abgebrannten Stadtsiedlung Corvey bekannt, wo sich in Kellerräumen teils noch verkohlte Vorräte fanden, z. B. Getreide, was darauf hinweist, dass es sich bei diesen Kellern nicht nur um kühle, sondern auch um vergleichsweise trockene Räume gehandelt haben dürfte.140 Die meisten Häuser waren nicht ganz unterkellert.141 Ihre Kellerräume besaßen oft auch keine größere Fläche142 und verfügten lediglich über eine flache Holzdecke. In Kaufmannshäusern konnten jedoch Kellerräume von
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Herbert Jankuhn: Umrisse einer Archäologie des Mittelalters, in: ZAM 1 (1973), S. 9–19, hier: S. 14 Zum Schutz von Lebensmitteln vor Schädlingen vgl. auch Willerding (2001), S. 182 Für Bremen z. B. bei Rech (2004), S. 268 f., für Corvey Stephan Bd. 1 (2000), bes. Farbtafeln; auch in der Siedlung Holzheim bei Fritzlar wurde der Vorratskeller eines Steinfundamenthauses ausgegraben, vgl. Wand (2002), Farbtafeln 14 und 15 Andernfalls hätte man vermehrt Probleme mit Fäulnis oder Schimmel gehabt, damit auch – zumindest dafür anfällige – Lebensmittel dort wohl nicht eingelagert Vgl. G. Binding in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1097 s.v. Keller So besaß z. B. ein im Hochmittelalter genutzter Keller in der Höxteraner Grubestr. eine Grundfläche von etwa 4 × 3m, vgl. die Einführung von Andreas König bei Doll (2001), S. 21
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beachtlicher Größe vorhanden sein. So ist aus Köln das um 1230 errichtete Overstolzenhaus bekannt, das über einen zweischiffigen, flachgedeckten und von außen zugänglichen Keller mit einer Grundfläche von 17,5 × 12,4 m sowie einer Deckenhöhe von etwa 5,5 m verfügte.143 Auch in der kleinen, in Südniedersachsen gelegenen städtischen Siedlung Nienover wurde – neben weiteren Kellern – ein sog. ‚Halbkeller‘ aus der Zeit zwischen 1200 und 1250 ergraben, der wegen der Beschaffenheit des umgebenden, harten Bodens lediglich etwa einen Meter in die Erde eingetieft war und über zwei Räume von (stattlichen) je etwa 22m2 verfügte, von denen einer eine nach außen führende Treppe besaß.144 Bei der Lagerung von Lebensmitteln und Getränken in Kellern spielte nicht nur die dort niedrigere Temperatur, sondern zusätzlich auch die herrschende Dunkelheit eine Rolle. So halten sich bei Dunkel- und Kühllagerung (bei zwischen +5 und –3°C) Äpfel bis zu vier Monate lang, Kirschen oder Pfirsiche bis zu vier Wochen.145 Für eine Dunkel- und Kühllagerung eignen sich besonders auch Zwiebeln, Kohlarten, Sellerie, Rettich und Wurzelgemüse, wobei letztere zusätzlich in feuchten Sand eingebettet werden konnten, um eine vorzeitige Austrocknung zu vermeiden.146 Auch Eier halten sich bei Lagerung in dunklen, kühlen Räumen länger.147 Obwohl hierzu für das Hochmittelalter keine Belege vorliegen, wird es für möglich gehalten, dass im Winter auch Eisblöcke aus zugefrorenen Gewässern gebrochen und in Keller verbracht wurden, um diese bis weit in den Frühling hinein zusätzlich kühl zu halten.148 Eine andere Kategorie der Konservierung bilden Maßnahmen, durch die Nahrungsmittel besonders behandelt und dadurch haltbarer gemacht werden. Verschiedene dieser Verfahren basieren auf einem gemeinsamen Grundprinzip, dem Entzug von Wasser. Bakterien und anderen Fäulniserregern wird dadurch der Nährboden entzogen.149 143 144
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Vgl. Binding (1991), Sp. 1097 Vgl. Hans-Georg Stephan: Die Stadtwüstungen Corvey und Nienover. Archäologische Monumente der Stadt-, Landes- und Reichsgeschichte im Weserbergland, in: Heiko Steuer/Gerd Biegel (Hg.): Stadtarchäologie in Norddeutschland westlich der Elbe. (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Beiheft 14). Bonn 2002, S. 237–259, hier: S. 257 und S. 254, Abb. 12 Vgl. Glatzel (1973), S. 74 Vgl. Jürgen Knauss: Verfahren der Konservierung und Vorratshaltung von Lebensmitteln, in: Thüringer Hefte zur Volkskunde 13 (2006), S. 51–62, hier: S. 53 Vgl. Knauss (2006), S. 59 Vgl. Knauss (2006), S. 60 Vgl. Knauss (2006), S. 53 und Glatzel (1973), S. 76
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Abb. 91: Fundamentteile eines Steinkellers aus der Stadtwüstung Corvey, spätes 12. Jh.
„Die einfachste und wahrscheinlich auch älteste Methode der Konservierung dürfte das Trocknen an der Luft sein.“150 Die natürliche Verdunstung größerer Anteile des in Nahrungsmitteln gebundenen Wassers ist nur möglich, wenn die Umgebungsluft trocken ist und das den Nahrungsmitteln entzogene, verdunstete Wasser durch Bewegung forttransportiert. Ein in geschlossenen Räumen sonst eher unerwünschter ‚Zug‘ ist hierbei von Vorteil, daher wurden zum Trocknen u. a. mit Wänden aus unverputztem Flechtwerk versehene Gebäude genutzt.151 Dem trockenen Wind ausgesetzt, verlieren organische Stoffe an Wasser. „Trocknen in voller Sonne wird möglichst vermieden, da dabei Aromastoffe und gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe von Obst, Gewürzen und Heilpflanzen beeinträchtigt werden. Daher erfolgt der Trocknungsvorgang möglichst im Schatten von Dächern, Scheunen, Schuppen oder Lauben. Früchte oder Blätter werden auf luftdurchlässigen Flechtmatten getrocknet, aufgefädelte Apfelringe, Pilze und Ringbrote vor dem Fenster oder unter einem vorkragenden Dach. 150 151
Knauss (2006), S. 53, vgl. Willerding (2001), S. 186 Vgl. Willerding (2001), S. 188
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Zum Trocknen von Stockfisch … und Trockenfleisch nutzt man besondere Gerüste“.152 Eine Variante dieses Verfahrens ist das Trocknen mithilfe von Wärme, das Dörren. Viele Gemüse- und Obstsorten, aber auch Fleisch und Fisch lassen sich, in kleinere Portionen zerteilt und an der Luft vorgetrocknet, auf einem Rost über dem Feuer oder in einem warmen Backofen vergleichsweise schnell dörren.153 Die nach oben steigende Hitze entfernt das beim Dörrvorgang verdunstende Wasser, bedarf jedoch einer sorgsamen Temperierung, da das Dörrgut bei zu großer Hitze verbrät oder verkohlt.154 Das gewonnene Dörrgut bedarf anschließend einer trockenen Lagerung mit guter Belüftung, um die Wiederaufnahme von Wasser und damit verbundene Fäulnisprozesse möglichst lange gering zu halten. Andere Verfahren des Wasserentzugs beruhen auf dem chemischen Prinzip der Plasmolyse.155 Organischen Stoffen wird dabei Wasser dadurch entzogen, dass sie chemisch anderen Milieus ausgesetzt werden. Eines der ältesten und auch im Mittelalter weit verbreiteten Verfahren, das auf diesem Prinzip beruht, ist das Pökeln.156 Zum Pökeln eignen sich besonders Fleisch und Fisch, es kann jedoch auch bei Gemüsesorten angewandt werden.157 Sie werden, frisch und gereinigt in eine Salzlake eingelegt oder auch nur direkt mit Salz eingerieben, in verschließbaren Gefäßen eingelagert. Es reichen bereits vergleichsweise niedrige Salzkonzentrationen aus, um osmotische Vorgänge in Gang zu setzen, bei denen durch die Zellwände hindurch Wasser so lange diffundiert, bis das chemische Milieu innerhalb und außerhalb des eingelegten Pökelgutes einheitlich ist.158 Dem Pökelgut wird dabei zum einen Wasser entzogen, das die Salzlake anreichert, zum andern dringt die Salzlösung auch in das Pökelgut ein. Beides trägt zu einer Reduzierung des Nährbodens für Fäulnisbakterien bei. Dies wird durch einen weiteren, konservierenden Faktor ergänzt, weil die Salzlake das Pökelgut an der direkten Luftzufuhr hindert, die das Wachstum von fäulniserregenden 152 153 154
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Willerding (2001), S. 189, s. auch Knauss (206), S. 54 Vgl. Knauss (2006), S. 54 f., Willerding (2001), S. 189 und Fouquet (1999), Sp. 1370 Vgl. Willerding (2001), S. 189, der darauf hinweist, dass manche archäologisch erschlossenen Pflanzenfunde dem Umstand zu verdanken sind, dass sie bei ‚verunglückten‘ Dörrvorgängen verkohlten und so erhalten blieben Vgl. Willerding (2001), S. 189 Vgl. Willerding (2001), S. 189 Vgl. Knauss (2006), S. 57; für das Einlegen von Gemüse in Salz wird dort angegeben, dass bei „einem Verhältnis von einem Teil Salz auf drei Teile Gemüse … keine Zersetzung“ eintritt Vgl. Willerding (2001), S. 189, Knauss (2006), S. 56 und Glatzel (1973), S. 78, der eine achtprozentige Salzlösung als für die meisten Pökelvorgänge ausreichend benennt
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Mikroorganismen ebenfalls fördert.159 Das wohl bekannteste und auch in der Dichtung erwähnte Beispiel für Pökelware ist der Salzhering,160 auch das Sauerkraut (eingelegtes Kraut, vgl. auch eingelegte Rüben, kumpost, siehe oben S. 258 f.) gehört dazu. Beim Sauerkraut wirkt sich allerdings nicht nur das Wasser entziehende Salz, sondern zusätzlich auch der chemische Prozess der Milchsäuregärung konservierend aus.161 Lebensmittel, denen durch die vorgenannten Verfahren Wasser entzogen wurde, bedurften vor und bei der Zubereitung einer mehr oder weniger aufwändigen Behandlung, durch die sie in ihrer Konsistenz oder geschmacklich bekömmlicher wurden. Getrocknetes oder Gedörrtes – besonders Fleisch oder Fisch – mussten gewässert oder in gewürzte Laken eingelegt werden, um wieder Flüssigkeit aufzunehmen, stark Gesalzenes wurde durch ausgiebiges Wässern schmackhafter – die Wirkung der chemischen Plasmolyse wurde in diesem Fall ‚in umgekehrter Richtung‘ genutzt. Vom chemischen Prinzip her gleich ist auch das Einlegen von Nahrungsmitteln in Essig, das ebenfalls zu den bereits sehr alten Konservierungsmethoden zählt.162 „Ähnlich wie Salz wirkt Essig, dessen Säure ebenfall [sic!] die Bakterienentwicklung verhindert. Seine Herstellung sowie seine konservierende Wirkung sind schon jahrhundertelang bekannt. Bei dieser Methode wird Gemüse dicht aneinander in einen Steinguttopf geschichtet und mit kochendem Essig übergossen, nach dem Erkalten muss die Flüssigkeit wieder abgegossen, nochmals erhitzt und wieder zugefügt werden, da sie nur auf diese Weise tief genug eindringen kann.“163 Bis heute wird dieses Verfahren z. B. bei der Konservierung von Gurken verwendet.164 Die Plasmolyse wirkt bei Lebensmitteln nicht nur mit Salz, sondern auch durch den Einsatz von Zucker.165 Der im arabischen Raum häufiger genutzte Rohrzucker war auch in Nordeuropa spätestens seit den Kreuzzügen bekannt, wie auch seine gelegentliche Erwähnung in der Dichtung des 159 160 161 162 163 164
165
Vgl. Glatzel (1973), S. 78, Knauss (2006), S. 56 und Willerding (2001), S. 189 Vgl. oben S. 265; s. auch Fouquet (1999), Sp. 1370 Vgl. Knauss (2006), S. 58, vgl. Wiswe (1970), S. 147 Vgl. Fouquet (1999), Sp. 1370 und Knauss (2006), S. 57 Knauss (2006), S. 57 f. Ein spätmittelalterliches Beispiel für das Konservieren von Fisch mit Essig nennt Wiswe (1970), S. 146: „Im Mittelalter legte man Fisch in ein Fäßchen oder in einen Steinguttopf, tat Petersilie dazu und goß Essig darüber. Das gefüllte Gefäß grub man in frische Erde. Wurde dem Gefäß etwas entnommen, wurde eine entsprechende Menge Essig nachgefüllt.“ Unter Berufung u. a. auf antike Quellen führt Wiswe (1970), S. 147 auf, dass auch ein Gemisch aus Essig und Honig (Oxymel) sowie Wein „zum Einlegen von allerlei Früchten, etwa Quitten und Kirschen“ dienten. Ferner gibt er an: „Most oder Wein verwandte man auch zur Fleischkonservierung.“ Vgl. Willerding (2001), S. 189 f. und Glatzel (1973), S. 77
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Hochmittelalters nahe legt.166 Als Importgut war Zucker jedoch teuer und stand daher weder verbreitet noch in denjenigen Mengen zur Verfügung, die für eine auf Zuckerbasis bauende, übliche Konservierungspraxis von Lebensmitteln benötigt worden wären. Stattdessen konnte jedoch auch Honig für plasmolytische Verfahren genutzt werden. Honig „eignet sich aufgrund seiner bakteriologischen, antibiotischen und fungistatischen Wirkung hervorragend als Konservierungsmittel. Nach Robert Delort lassen sich frisches Fleisch und Butter mit Honig ein Jahr lang konservieren … Bei der Analyse von Grabbeigaben aus der Mitte des 5. Jahrhunderts in St. Severin in Köln fand man zwei Glasschalen mit in Kräutern und Honig gebratenen Vögeln sowie einen Becher mit honiggesüsstem Hirsebrei. Da die Speisen für die verstorbene Person möglichst lange frisch bleiben sollten, ist anzunehmen, dass die Beigabe von Honig nicht zuletzt auch der Konservierung diente; wir haben es also mit einer Art ‚Geflügelkonserven‘ zu tun“.167 Honig wirkt jedoch nicht nur durch plasmolytische Prozesse, sondern auch dadurch konservierend, dass in unverdünntem Honig eingelegte Produkte durch Luftabschluss vor Gärungs- oder Fäulnisprozessen geschützt werden.168 Dass Honig bei der Konservierung von Lebensmitteln im Hochmittelalter eine bedeutende Rolle spielte, ist dennoch unwahrscheinlich.169 Er hätte nämlich zu diesem Zweck in sehr großen Mengen zur Verfügung stehen müssen. Dies dürfte einerseits wegen der bis ins 18. Jahrhundert im nordwestlichen Europa nur bedingt entwickelten Bienenhaltung, die eine regelmäßige ‚Ernte‘ im Herbst und im Frühjahr, zumeist jedoch nur einmal jährlich erlaubte,170 kaum der Fall gewesen sein.171 Ande166 167
168
169
170
Vgl. oben S. 149 und 152 Martin Kluge: „Iss Honig, mein Sohn …“ – Die Biene und ihre Produkte im Hochmittelalter, in: Rippmann/Neumeister-Taroni (2000), S. 184–189, hier: S. 187 f. Vgl. Willerding (2001), S. 190, der Honig deswegen auch als „Sperrflüssigkeit“ bezeichnet Dagegen Wiswe (1970), S. 147: „Auch Honig oder Honigwasser und Met fanden Verwendung zur Obstkonservierung.“ In der zugehörigen Anm. werden als Belege jedoch die spätantiken Werke des Apicius und spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Aufzeichnungen genannt, sodass in diesem Punkt mit Blick auf schriftliche Quellen eine Überlieferungslücke von beinahe einheinhalb Jahrtausenden klafft Vgl. Kluge (2000), S. 186 und Ch. Warnke s.v. Bienen, in: LexdMA Bd. II (1983), S. 128–133, hier S. 128; das daneben auch immer schon geübte Einsammeln des Honigs von Wildbienen sichert keine regelmäßigen Erträge, da das Auffinden von Wildbienennestern oft vom Zufall abhängig ist und auch die Erreichbarkeit ihrer Honigwaben, z. B. in hoch gelegenen Baumhöhlen, häufig nicht gegeben war. Dass Honig nicht in wahren Mengen zur Verfügung stand, erschließt sich auch daraus, dass er als Abgabe, Zoll oder Tauschmittel galt. Für eine massenhaft vorhandene Ware mit folglich geringem Wert wäre dies wirtschaftlich kaum interessant gewesen
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rerseits war der Honig das zumeist einzig verfügbare Mittel zum Süßen von Speisen und Getränken und wurde daher sicher größtenteils auch gerade hierzu verwendet. Auch das Einlegen von Produkten in Öl baut auf die dem Honig eigene „Wirkung von abschließenden Flüssigkeiten“,172 die vom Prinzip her modernen Vakuumverpackungen gleicht. Eine entsprechend (Sauerstoff) abschließende Wirkung entfalten Flüssigkeiten, die über einen nur geringen Wasseranteil verfügen und dadurch das Wachstum von Mikroorganismen in Lebensmitteln verhindern oder deutlich verzögern können.173 Neben Honig verfügen z. B. Olivenöl und einige andere pflanzliche Öle über diese Eigenschaft. In ihnen lassen sich grundsätzlich auch Fleisch, Fisch oder Käse länger aufbewahren, genutzt wurden und werden Öle jedoch besonders dazu, Gewürzpflanzen wie Knoblauch, Dill, Petersilie, Schnittlauch oder Zwiebeln einzulegen, auch verschiedene Gemüsesorten (z. B. Karotten) lassen sich darin länger lagern. „Häufig ändert sich bei diesem Verfahren der Geschmack des Nahrungsmittels ebenso wie der der Flüssigkeit. Beide erhalten dadurch eine interessante Geschmacksnote.“174 Zu den sehr alten Konservierungsmethoden, die im Prinzip auf dem Fernhalten oder Stören von Schädlingen beruhen, gehört das Räuchern von Fisch oder Fleischwaren wie Würsten, Schinken oder Speck.175 Manche dieser Waren, so der Schinken, konnten vor dem Räuchern zusätzlich gepökelt werden, damit sie nicht zu trocken oder zäh wurden, denn beim Räuchern wird den Lebensmitteln auch Wasser entzogen.176 Das frische oder 171
172 173 174 175 176
Der Bedarf an Honig besonders im nordwestlichen Mitteleuropa, der im Vergleich zu der Nachfrage und dem Verbrauch z. B. im byzantinischen Reich und im arabischen Raum recht gering ausfiel, konnte im Hochmittelalter durch die Bewirtschaftung von Bienenstöcken in Siedlungsbereichen und das Ernten von Wildbienenhonig im Wald gerade eben gedeckt werden. Daher entwickelte sich seit dem 9. Jahrhundert der Handel mit Regionen in Ostmittel- und Osteuropa sowie dem Mittelmeerraum, von wo aus Honig und Wachs importiert wurden, vgl. hierzu Charlotte Warnke: Der Handel mit Wachs zwischen Ost- und Westeuropa im frühen und hohen Mittelalter. Voraussetzungen und Gewinnmöglichkeiten, in: Klaus Düwel/ Herbert Jankuhn/Harald Siems/Dieter Timpe (Hg.): Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. Teil IV. Der Handel der Karolinger- und Wikingerzeit. Bericht über die Kolloquien der Kommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas in den Jahren 1980 bis 1983. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse. Dritte Folge. Nr. 156). Göttingen 1987, S. 545–569 Willerding (2001), S. 190 Vgl. Willerding (2001), S. 190 Willerding (2001), S. 190 Vgl. Knauss (2006), S. 56 und Willerding (2001), S. 191 Vgl. Glatzel (1973), S. 73 und Knauss (2006), S. 56
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vorbehandelte Räuchergut musste dann nur länger in den warmen, trockenen Rauch des Herdes oder Feuers gehängt werden, um auf der Oberfläche des Räuchergutes neben einem „die Nahrung einhüllenden Fettfilm auch Räucherstoffe“ entstehen zu lassen.177 Neben dem Fettfilm hindert der darin gebundene, im Rauch enthaltene Stoff Kreosot Fäulnis und Schimmel erregende Mikroorganismen an ihrem Eindringen in das Räuchergut.178 Räucherwaren wie Schinken oder Speckseiten finden auch in poetischen Quellen des Hochmittelalters Erwähnung, allerdings nicht bei Schilderungen höfischer Tafeleien, sondern als Kochbeigabe zu einem bäuerlichen Kohlgericht (vgl. oben S. 256). Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind historisch ferner die Herstellung und der Fernhandel mit geräucherten Heringen, den sog. ‚Bücklingen‘, in den heutigen Niederlanden belegt.179 Verschiedene Konservierungsmethoden konnten bei Eiern angewandt werden. Da Hühner im Winter und während ihrer Mauser weniger Eier legen, gehörten auch Eier, die in der mittelalterlichen Küche viel verwendet wurden, zu den Waren, für die eine Vorratshaltung betrieben wurde.180 Wie oben bereits angesprochen, konnten Eier durch kombinierte Kühl- und Dunkellagerung in einem Keller länger gelagert werden. Vor einem Wasserverlust, dem Austrocknen, konnten sie dadurch geschützt werden, dass man ihre Schale mit Speck oder Wachs einrieb, dessen Fett die Poren der Kalkschale verschloss und das Entweichen von Wasser aus dem Innern des Eis verringerte.181 In ihrer Schale belassene, gekochte Eier werden durch Einlegen in einer Salzlake länger haltbar, das heute noch bekannte ‚Sol-Ei‘ setzt damit eine konservierungstechnisch lange Tradition fort.182 Eine ebenfalls alte Methode, Eier über einen besonders langen Zeitraum haltbar zu machen, ist das Einlegen in einer Mischung aus Wasser und Kalk, der Kalkmilch. In einen irdenen Topf geschichtete, mit Kalkmilch übergossene und mit ihr ganz bedeckte Eier sollen länger als ein halbes Jahr haltbar sein.183 Zu den mit den ‚technischen‘ Möglichkeiten des Hochmittelalters nicht länger haltbar zu machenden Lebensmitteln gehört Milch. Die einzigen Verfahren, die rasch einsetzende Milchsäuregärung geringfügig zu verzö177 178 179
180 181 182 183
Willerding (2001), S. 191 Vgl. Knauss (2006), S. 56 Vgl. Schubert (2006), S. 145 f.; Köln wird dort als einer der bedeutenden Umschlagplätze für diese Räucherware genannt, die bis in den Ostseeraum hinein verhandelt wurde Vgl. Knauss (2006), S. 59 f. Vgl. Glatzel (1973), S. 80 Vgl. Willerding (2001), S. 191 Vgl. Knauss (2006), S. 60
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gern, bestanden darin, dass man sie möglichst kühl lagerte oder auch kochte. Eine gewisse Haltbarkeit konnte Milch nur durch die Weiterverarbeitung zu Produkten wie Butter oder Käse erlangen. Dabei bedurfte auch die aus abgeschöpftem Milchrahm hergestellte Butter, um nicht zu schmelzen oder ranzig zu werden, bestimmter Formen der Aufbewahrung (kühl, auch in Salzlake eingelegt). Bei Käse besitzen ohne Einsatz der heute gängigen Pasteurisierungsverfahren nur Hartkäsesorten von sich aus eine gewisse Haltbarkeit.184 Auch Frisch- oder Weichkäsesorten können jedoch, in Öl und ggf. unter Zugabe von Kräutern, Wein- oder Lorbeerblättern eingelegt, für längere Zeit aufbewahrt werden.185 Über die Konservierungsmöglichkeiten von Getränken wird insgesamt wenig gehandelt. Aus Früchten gewonnene Säfte ließen sich nur unter Luftabschluss oder – ggf. unter Zugabe von Honig – zu einem Sirup verkocht länger lagern. Bier konnte dadurch, dass es bei seiner Herstellung erhitzt wurde, durch die Beigabe spezieller Würzen und durch luftdichte Lagerung haltbarer gemacht werden. Eine nicht nur geschmackliche, sondern auch konservierende Wirkung besitzt beispielsweise der Hopfen, der seit dem 13. Jahrhundert besonders in Norddeutschland in die Bierbrauerei Einzug fand.186 Die besonders in Westdeutschland bei der Bierherstellung genutzte Würzmischung ‚Grut‘, die verschiedene Würzstoffe beinhalten konnte (jedoch ohne Hopfen angesetzt wurde), besitzt diese Eigenschaft nur bedingt.187 Dennoch müssen zumindest einige Biersorten länger haltbar gewesen sein. Der bereits im Hochmittelalter besonders aus norddeutschen Städten bekannte Bierexport, der bis nach Skandinavien reichte, wäre andernfalls nicht möglich gewesen.188
184 185
186
187
188
Vgl. Knauss (2006), S. 60 Dieses Prinzip wird bei dem heute konsumierten Feta-Käse noch angewendet, vgl. Willerding (2001), S. 190 Hopfengärten sind in vielen norddeutschen Städten, z. B. auch in Lübeck, seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt, vgl. Ulrich Simon: Das Bier, in: Gerhard Gerkens/Antjekathrin Graßmann (Hg.): Lust und Last des Trinkens in Lübeck. Beiträge zu dem Phänomen vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Begleitpublikation zur Ausstellung vom 4. August bis zum 6. Oktober 1996 im St.-Annen-Museum zu Lübeck. Lübeck 1996, S. 172–174, hier: S. 173 Der Hopfen konnte sich am Niederrhein und in Westfalen bei der Bierherstellung besonders deshalb schwer durchsetzen, weil die dortigen Landesherren über lange Zeit ein Monopol für die Grut-Mischung und daher kein Interesse an einer Schmälerung dieser Einnahmequelle besaßen, vgl. Simon (1996), S. 183 Bedeutende Bierbrau- und -handelsstädte waren z. B. Hamburg und Bremen, vgl. Schubert (2006), S. 224 ff., auch das Lübecker Bier, dessen Qualität allerdings nicht
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Met, der in der Dichtung des Hochmittelalters öfter erwähnt wird (vgl. oben Abschnitt 2.2.3), musste bald nach seiner Herstellung konsumiert werden. Obwohl seine Ausgangsflüssigkeit – für das 13. Jahrhundert wird ein typisches Mischungsverhältnis von zwei Teilen Wasser auf einen Teil Honig angegeben – aufgekocht und der Met oft auch mit Hopfen versetzt wurde,189 hielt sich „Met … selbst im gepichten Faß nicht länger als höchstens sechs bis acht Wochen.“190 Die begrenzte Haltbarkeit des Mets wird neben der zunehmenden Knappheit und damit Teuerung seines Grundstoffs Honig als ursächlich dafür angesehen, dass der Met als Getränk bereits im 14. Jahrhundert keine Rolle mehr spielte.191 Weine besaßen im Hochmittelalter allgemein nicht die Qualität, die sie für Jahre lagerfähig machten. Allerdings war eine so lange Lagerfähigkeit für die Menschen seinerzeit auch kein bedeutendes Kriterium. „Im Mittelalter war der Wein als Grundnahrungsmittel unabhängig von seinem Alkoholgehalt in einem Maße vonnöten, daß er gleich im ersten Jahr getrunken wurde. Nach der neuen Lese verloren die eventuell noch übriggebliebenen Bestände des Vorjahres an Wert.“192 Daher wurde der Wein der letzten Ernte, der besseren Transportmöglichkeit wegen vornehmlich in Holzfässer abgefüllt, zügig in den Handel gebracht.193 Der Luftabschluss, den die für den Transport dicht gemachten Holzfässer gewährten, ließ den Wein ggf. bis zur nächsten Ernte halten. Bei dem auf dem Wasserweg ebenfalls möglichen Weintransport in Amphoren konnten diese durch Pfropfen, die mit Wachs oder Harzen abgedichtet wurden, ebenso luftdicht verschlossen werden. Mit den im Mittelalter zur Verfügung stehenden Konservierungsmöglichkeiten ließ sich eine gleichmäßig über das Jahr verteilte Versorgung mit Nährstoffen, auch mit Vitaminen, nicht erreichen. Für die Ernährung wichtige Grundnahrungsmittel – Getreide, Hülsenfrüchte, Eier, auch Fette, Fisch, Fleisch und Kohl – ließen sich durch damals bekannte Verfahren jedoch so lange haltbar machen, dass sie besonders den Winter über, während frische Produkte weitgehend fehlten, verfügbar waren.
189 190 191 192 193
hoch geschätzt wurde, wurde bis nach Dänemark und Norwegen verhandelt, vgl. Simon (1996), S. 173 Vgl. Schubert (2006), S. 213, auch hier jedoch ohne Quellennachweis Schubert (2006), S. 214 Vgl. Schubert (2006), S. 214 f. Schubert (2006), S. 201 Vgl. Schubert (2006), S. 181
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IV. Nahrungsmittelproduktion Die Versorgung derjenigen Bevölkerungskreise, die uns in der schriftlichen Überlieferung vorwiegend entgegentreten – Adel, Klerus, ferner Bewohner städtischer Siedlungen – beruhte im Mittelalter komplett oder wesentlich darauf, dass sie an der Produktion ländlicher Betriebe teilhaben konnte. „Die Bauern sind in dieser differenzierteren Gesellschaft bereits zu intensiven Methoden des Ackerbaus übergegangen, die sie in die Lage versetzten, über den Eigenbedarf hinaus Überschüsse zu erzeugen und damit die nicht in der Agrarwirtschaft Beschäftigten, als Handwerker, Händler und Priester, zu ernähren. Die Bauern solcher Gesellschaftssysteme werden durch ‚mächtige Außenstehende‘ beherrscht“,194 die weltlichen oder geistlichen (Groß-)Grundbesitzer, denen gegenüber i. d. R. Frondienste und/ oder Abgaben – vornehmlich in Form von Naturalien – zu leisten waren. Da im Hochmittelalter etwa 90 % der Gesamtpopulation der ländlichen Bevölkerung zugerechnet werden,195 mussten die Überschüsse, die sie produzierten, rechnerisch regelmäßig deutlich über 20 % betragen, um Abgabepflichten an Grundbesitzer (u. a. den sog. ‚Zehnten‘) und darüber hinaus auch lokale bzw. regionale Märkte so bedienen zu können, dass die Versorgung derjenigen Bevölkerungskreise, die Lebensmittel nicht selbst oder nicht in einem ausreichenden Maße produzierten, gewährleistet blieb.196 Welche Entwicklungen die mitteleuropäische Landwirtschaft197 vom Früh- zum Hochmittelalter nahm, welche technischen, aber auch rechtlichen Veränderungen sie kennzeichneten, wurde in eingehenden Unter-
194 195
196
197
Rösener (1985), S. 21 Vgl. J.C. Russel s.v. Bevölkerung im LexdMA Bd. II (1983), Sp. 11–14, hier: Sp. 11. Diesbezügliche Schätzwerte variieren aufgrund der für das Hochmittelalter lediglich theoretisch kalkulierbaren Bevölkerungszahlen. So wird andernorts davon ausgegangen, dass etwa 95 % der Bevölkerung landwirtschaftlich tätig waren, vgl. Werner Rösener: Landwirtschaft, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 134–142, hier: S. 134 Es kann sich dabei nur um allgemeine Annahmen handeln, denn die Grundverhältnisse, Pacht- und Rentenkonditionen sowie Abgabeverpflichtungen konnten sogar lokal stark variieren, vgl. Ludolf Kuchenbuch: Bauern, in: Melville/Staub Bd. 1 (2008), S. 139–149, hier: S. 142. Rösener (1985), S. 153 führt verschiedene Formen zeitgenössischer Abgabe- und Zinsforderungen detaillierter auf und geht davon aus, dass etwa ein Drittel des Getreideertrages eines Bauernhofes für Abgabelasten zu entrichten war (vgl. S. 154) Unter diesem Begriff werden historisch verschiedene Wirtschafts- und Produktionsformen gefasst, insbesondere Landbau, Viehhaltung, auch Jagd und Fischerei, Weinbau und Forstwirtschaft, vgl. W. Schenk s.v. Landwirtschaft in: RGA Bd. 18 (2001), S. 30–48, hier: S. 30
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suchungen dargestellt und soll hier deshalb nicht ausgeführt werden.198 Die gegenüber dem Ende des ersten Jahrtausends erheblich intensivierte agrarische Produktion wurde jedoch besonders durch die Einführung der Dreifelderwirtschaft, verbesserte Pflugformen und die Ausdehnung des Getreideanbaus möglich, die mit einer ständigen Erweiterung der Anbauflächen verbunden war.199 Damit ging einher, dass die in Mitteleuropa zuvor besonders auf Fleisch ausgerichtete Ernährung sich nunmehr auf pflanzliche Produkte, besonders auf Getreide, abstützte: „Das Hochmittelalter stellt in der Ernährungsgeschichte nun insoweit einen Einschnitt dar, als der Getreideanbau in den Vordergrund der bäuerlichen Wirtschaft rückt und die Weidewirtschaft an Bedeutung verliert. Die stetig anwachsende Bevölkerung Europas konnte im Hochmittelalter nur durch vermehrte Pflanzenproduktion und durch flächenintensiven Getreideanbau, der in diesem Zeitalter der Rodung und Kolonisation auf viele neuerschlossene Anbauflächen erweitert wurde, ernährt werden. Seit dem 11. Jahrhundert gewann das Getreide … eine immer größere Bedeutung für die Ernährung der Bevölkerung. Die allgemeine Expansion der Getreidewirtschaft bewirkte besonders während des 12. und 13. Jahrhunderts eine hohe Steigerung des Getreideanbaus in allen Ländern Europas, wobei er auch in Gebieten verbreitet wurde, die wie regenreiche Küstenzonen und höhere Bergregionen für Getreide wenig geeignet waren. Die Ausdehnung der ständigen Anbauflächen auf Kosten der Brachflächen und der Wälder, die früher als Weideland gedient hatten, veränderte die europäische Landschaftsstruktur beträchtlich.“200 Die im Vergleich zum ersten nachchristlichen Jahrtausend deutliche „Vergetreidung“201 der landwirtschaftlichen Produktion führte mehrheit198
199 200 201
Ausführlich dargestellt bei Rösener (1985), bes. Kap. I–III; s. dazu allgemein Rösener (2008b), Kuchenbuch (2008) und Montanari (1993), S. 32 ff. Eine zusammenfassende Übersicht bietet auch Schubert (2006), S. 16 ff., besonders auf den nordwestdeutschen Bereich zielt der Beitrag von Karl-Ernst Behre: Landschaft und Landwirtschaft zur Zeit des Sachsenspiegels, in: Mamoun Fansa (Hg.): Aus dem Leben gegriffen – Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit. (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 10). Oldenburg 1995, S. 133–141 eine Übersicht über die europäische Agrargeschichte bietet ferner Schenk (2001), S. 30–48 (mit umfangreichen Literaturhinweisen); sehr knapp hingegen fassen sich verschiedene Lexikonartikel, so etwa W. Rösener unter ‚Bauer, Bauerntum‘ in: LexdMA Bd. I (1980), Sp. 1574–1576, ders. s.v. Landesausbau und Kolonisation in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 1643–1645 und in demselben Band E. Thoen s.v. Landwirtschaft, Sp. 1682–1684 Vgl. Rösener (1985), S. 21 und ders. (2008b), S. 156 sowie Schubert (2002), S. 42 ff. Rösener (1985), S. 114 Rösener (2008b), S. 139
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lich nicht zu ausgedehnten Monokulturen, sondern setzte auf mehrere, heute teils kaum mehr genutzte Getreidearten und somit auf Vielfalt. Dies auch, um boden-, wetter- und schädlingsbedingte Ernteausfälle möglichst zu minimieren. Das Vordringen pflanzlicher Grundnahrungsmittel im Hochmittelalter und das Bemühen, durch den Anbau weiterer Pflanzenarten eine Versorgung mit pflanzlichen Nahrungsmitteln sicherzustellen, zeigt sich ferner im landwirtschaftlich betriebenen Anbau von Bohnen, Erbsen und Linsen.202 Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den wenigen Stellen, an denen die zeitgenössische Dichtung das bäuerliche Wirtschaften streift. Im ‚Reinhart Fuchs‘ begegnet uns der wohlhabende Bauer Lanzelin, der nicht nur einen Hühnerhof betreibt, den er vor dem listigen Fuchs zu schützen versucht, sondern auch Felder bewirtschaftet, auf denen er neben Getreide allgemein (korn) speziell auch Hirse anbaut.203 Im ‚Rennewart‘ wird bei einem Kampf ein Feld verwüstet, an dem seinen Bewirtschaftern sehr gelegen war und auf dem sie Bohnen und andere Pflanzen angebaut hatten (bonen und ander krut, V. 731). Und aus dem ‚Helmbrecht‘ geht hervor, dass wohlhabende Bauern nicht nur größere Viehbestände besitzen (vgl. V. 279 ff. und 398 ff.), sondern auch über Getreide(vorräte) verfügen. Mit beidem versorgt der alte Meier seinen Sohn reichlich für die Reise, als dieser den väterlichen Hof verlässt (V. 389 ff.). Der junge Helmbrecht hatte zuvor abgelehnt, wie der Vater Hafer säen, überhaupt irgendetwas anbauen oder etwa Getreidesäcke mühsam bewegen zu wollen (vgl. V. 264 ff.). Wie er das spezielle Interesse seines Vaters einschätzt, zeigt sich u. a. darin, dass er ihm, als er den väterlichen Hof später wieder besucht, Geräte zum Geschenk macht, die besonders auch für den Feldanbau benötigt werden: Wetzstein, Sense, Beil und Hacke (V. 1057 ff.). Als wesentliches Element des Alltäglichen, seiner Mühsal und Beschwernis waren Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion von einer näheren Beleuchtung in literarischen Quellen des Hochmittelalters praktisch ausgeschlossen. Wenn es bei epischen Stoffen galt, das Besondere, auch das Fest, dessen Eigenheiten und Stimmungen zu schildern, geriet das Übliche, das tägliche und daher glanzlose ‚Gegenstück‘ von vornherein nicht in den Blick. Bedeutung besaß in epischen Schilderungen i. d. R. nur, dass Lebensmittel in möglichst großer Menge und Vielfalt vorhanden waren und angeboten werden konnten, nicht etwa die Frage, woher sie kamen oder wie sie gezogen, vor- und zubereitet wurden. Dafür, dass sich auch da202
203
Vgl. Kühn (2000), S. 168 ff. Die archäologisch erschlossenen, in das Hochmittelalter datierenden Pflanzenfunde führen auf diese Aussagen hin, vgl. oben Kap. 7 Vgl. oben S. 260, Anm. 35
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mit ein besonderer Status und Exklusivität hätten ausdrücken lassen, fehlte in der Zeit – sieht man von fremdländischen Weinen oder exotischen Gewürzen einmal ab – offenbar Möglichkeiten und Sinn.204 Auch in der bildenden Kunst wurden landwirtschaftliche Motive in dieser Zeit nicht oft aufgenommen. Wo dies geschah, geht es nicht um die Darstellung der Landwirtschaft oder der Nahrungsmittelproduktion als solcher – ‚der pflügende Bauer‘ als für sich sprechendes Genrebild etwa war der Zeit fremd –, sondern meistens um die Vermittlung religiöser, besonders heilsgeschichtlicher Bezüge: „Für die Masse der mittelalterlichen Bildwerke gilt …: Wie sich die gesprochene Predigt … in die Alltagswelt hineinwagen darf, so nehmen Kunstprodukte alltägliche Erfahrungen auf. Dabei trennt sich Kunst vom kultisch benutzten Bild; sie ist somit metaphorisch gesprochen nicht Lesung, sondern Homilie, Panegyrik oder Gebet.“205 Einige Beispiele für Bilddarstellungen, die in diesem Sinne Elemente aus der zeitgenössischen Landwirtschaft aufnehmen, finden sich in Herrads von Landsberg ‚Hortus deliciarum‘. Die auf der folgenden Seite abgebildete Illumination zeigt in ihrer linken Hälfte Motive aus dem Weinbau bzw. der Winzerei. Zu sehen ist ein Weinstock, der einen Stecken als Rankhilfe hat und Trauben trägt. Darüber ist ein überdachter Speicher zu sehen, in dem langgezogene, beinahe walzenförmige Holzfässer lagern, deren Wandungsteile von mehreren umlaufenden Bändern zusammengehalten werden. In der Mitte des unteren Bildteils steht eine männliche Figur mit Nimbus. Sie weist mit der rechten Hand auf den Weinstock, scheint den rechts von ihr stehenden vier Damen, von denen eine bekrönt ist, Erläuterungen zu dem Gewächs zu geben.
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Luxusprodukte wie z. B. das heute auch in Europa vertriebene Fleisch vom japanischen Kobe-Rind, das in großzügigen Anlagen intensiv gepflegt und u. a. mit Bier aufgezogen wird, waren in dieser Zeit natürlich unbekannt. Es fanden sich für den mitteleuropäischen Bereich in der für diese Arbeit herangezogenen Literatur aber auch keine Hinweise darauf, dass man im Mittelalter versucht hätte, spezielle Formen der Vieh(auf)zucht zu betreiben, um ein besonders ‚exklusives‘ Fleischangebot zu erhalten. Dies hätte z. B. dadurch geschehen können, dass man Schweine als ‚Allesfresser‘ gezielt von einer unkontrollierten Futteraufnahme (so vom Wühlen in Abfällen oder Mist) abgehalten hätte oder dass man Rinder, die für den späteren Verzehr bestimmt waren, grundsätzlich nicht als Arbeitstiere einsetzte. Daher liegt der Schluss nahe, dass derartige, luxusorientierte Praktiken zum einen nicht vorstellbar waren und zum andern – möglicherweise, weil die damalige Viehwirtschaft kein wirkliches Überangebot hervorbrachte, das spezielle Haltungs- und Nutzungsformen zuließ – nicht praktiziert wurden Eberhard König: Einstellung von Bild und Text zu Vergangenheit und Gegenwart, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 75 f.
Nahrungsmittelproduktion
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Abb. 92: Christus als Hüter des Weinbergs (= als Führer der Kirche). ‚Hortus deliciarum‘, Ende des 12. Jahrhunderts
Die Darstellung (kennzeichnender Details) der Winzerei ist jedoch lediglich ein ‚Nebenprodukt‘ der künstlerischen Umsetzung einer bekannten biblischen Parabel, deren Text sich bei Mt 20, 1–16 findet. Es geht darin u. a. um die Welt als den göttlichen Weinberg, den zu bearbeiten und zu pflegen den Menschen bzw. der christlichen Gemeinde aufgegeben ist.206 Die Darstellung folgt einem für diese Zeit typischen Muster: „Buchmaler sehen den Text vor sich, greifen ihn aber nicht auf, so wie sie die Bibel kennen, sondern entnehmen ihm nur das für Schilderungen im Bild, was für die Benutzer eine Funktion haben mochte. Die Aufgabe
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Noch heute bezeichnet sich der Papst als ‚Arbeiter im Weinberg des Herrn‘
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der Miniatur besteht dabei geistig in der Veranschaulichung von Ereignissen aus Bibel und Legende sowie von Handlungen aus dem kirchlichen Brauch“.207 In diesem Sinne sind auch weitere Darstellungen des ‚Hortus‘ mit landwirtschaftlichem Bezug, etwa die eines Kornschnitters oder die einer Getreidemühle, zu verstehen.208 Gemeinsam ist ihnen, dass sie zeitgenössische Verrichtungen oder Techniken in der Landwirtschaft bzw. Nahrungsmittelproduktion recht detailgetreu wiedergeben – wenn auch ihr ‚eigentliches Thema‘ ein anderes ist.209 Ein weiteres Beispiel bildet die auf der folgenden Seite gezeigte allegorische Darstellung mit Getreidesaat, Feldpflege und Ernte, die in einer in das späte 12. Jahrhundert datierenden, illuminierten Handschrift des ‚Jungfrauenspiegels‘ überliefert ist.210 Die einzelnen Arbeitsgänge werden nur teilweise ihrer chronologischen Abfolge entsprechend aufgeführt, insbesondere in der untersten der drei Bildleisten. Dort erfolgt zunächst die Lockerung bzw. Aufbereitung des Bodens mit einem Holzspaten, dessen Schaufelspitze durch ein (dunkles) Metallband, einen sog. ‚Eisenschuh‘, verstärkt ist. Auf der mittleren Bildleiste ist zu sehen, dass der Boden mit einem breiten Rechen für die Aufnahme des Saatgutes vorbereitet wird. Die Aussaat erfolgt hier durch Frauen, einmal, indem mit der Hand das in einer Schürze mitgeführte Saatgut in weitem Schwung auf dem Acker verteilt wird (mittlere Bildleiste), auf der unteren Bildleiste ist es ein Korb oder Kasten, in dem das Saatkorn mitgeführt wird. Die Ernte erfolgt mit einer Sichel in gebückter Haltung, die am langen Halm verbleibenden Ähren werden – wohl mit Strohzöpfen – zu Garben zusammengebunden und (hier: einzeln und ohne Hilfsmittel wie z. B. einen Wagen) in eine Scheune gebracht. Bilddarstellungen, die landwirtschaftliche Motive zeigen und nicht aus religiösem Kontext stammen, liegen aus dem Hochmittelalter mit dem bekannten Teppich von Bayeux vor, der in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhun-
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Eberhard König: Buchmalerei und ihre Sonderrolle, in: Melville/Staub Bd. 2 (2008), S. 99–103, hier: S. 101 Vgl. z. B. die in der Rekonstruktion der Handschrift (1979) aufgeführte Abb. 148 Vgl. H. Steuer in seinem Beitrag zu kulturhistorischen Aspekten der Landwirtschaft im RGA Bd. 18 (2001), S. 42–45, hier: S. 42: „Bildüberlieferung bietet für die röm. Zeit und das MA Einblicke in den Züchtungsstand von Pflanze und Tier, in die Vielzahl der Ackergeräte, ihre Konstruktionselemente und Verwendung.“ Der Text des ‚Jungfrauenspiegels‘ entstand wohl um 1140 und geht möglicherweise auf den Benediktinermönch Konrad von Hirsau zurück. Es geht bei der folgend abgebildeten Illumination nicht um die Darstellung von Verrichtungen im Landbau. Nach einem zuvor eingebundenen Blatt mit der Darstellung der sieben törichten Jungfrauen soll hier vielmehr ein Wettbewerb von guten Eigenschaften der (Jung-)Frauen ins Bild gesetzt werden
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Abb. 93: Allegorische Darstellung mit Getreidesaat und -ernte aus dem um 1190 datierten ‚Speculum Virginum‘
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dert in der Normandie entstand.211 Im deutschen Sprachraum sind sie bis zu den in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datierenden, überlieferten Versionen des mittelniederdeutsch abgefassten ‚Sachsenspiegels‘ selten.212 In diesem Werk legte etwa ein Jahrhundert zuvor Eike von Repgow wichtige Rechtsnormen seiner Zeit nieder, die in den Handschriften durch zahlreiche Illuminationen begleitet werden.213 Diese Illuminationen, die wie diejenigen aus der religiösen Sphäre nicht den Zweck verfolgen, alltägliche Situationen wiederzugeben, sondern Rechtsgrundsätze und -fälle ins Bild zu setzen suchen,214 zeigen gleichwohl eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Geräten und Verrichtungen. Abgebildet werden Forken, Rechen, Spaten (wie im ‚Speculum Virginum‘ mit einem metallverstärkten Vorderblatt), Harken, Hacken, Sicheln mit gezähnter oder glatter Schneide, Pflüge, Eggen, Leiterwagen, auch die Bearbeitung des Bodens mit Egge und Pflug, die durch ein Pferd gezogen werden.215 Die in den Handschriften des ‚Sachsenspiegels‘ gezeigten landwirtschaftlichen Geräte wurden mit archäologischen Funden verglichen. Dabei stellte sich auch heraus, dass die in der Oldenburger, Dresdner und Heidelberger Handschrift abgebildeten Arbeitsmittel in einigen Fällen in Details so variierten, dass sich daraus regionale Unterschiede in Fertigung und Ge211
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Vgl. Torsten Capelle: Bildquellen und Realienforschung im hohen Mittelalter – die Stellung des Sachsenspiegels, in: Fansa (1995), S. 97–103, bes. S. 99 ff. mit Abb. Eine dieser seltenen Ausnahmen bildet das Anfang des 13. Jahrhunderts datierende ‚Reiner Musterbuch‘, in dem die Landwirtschaft als eine der Artes mechanicae dargestellt wird. Abgebildet ist dort ein Bauer mit einem Hakenpflug, der von Kühen bzw. Ochsen gezogen wird. Von den Tieren sind nur die Hinterteile zu sehen, ihr vorderer Teil ist durch den rechten Bildrand abgeschnitten. Die Zugtiere werden von einem Knecht mit einer Gerte angetrieben, der hinter den Tieren als Halbfigur gezeichnet wurde. Sollten die Proportionen der Darstellung etwa realistisch sein, wäre an diesem Beispiel zu sehen, dass die Rinder des Hochmittelalters recht klein waren: sie reichen dem Knecht gerade knapp über die Hüfte. Dem Bauern scheint man ansehen zu können, dass er eine anstrengende Arbeit verrichtet: sein Hut ist ihm in den Nacken gerutscht. Auf den Rädern des Pfluges steht eine weibliche Figur, die vielleicht die (heidnische!) Göttin Ceres darstellt. Neben ihr ist eine Egge zu sehen. Wie die ebenfalls im ‚Reiner Musterbuch‘ vorhandene Darstellung der Kochkunst (vgl. oben S. 631) wird diejenige der agricultura durch einen Säulenbogen begrenzt. Oben in den Bogen ist eine kleine Figur gesetzt, die – als für die Landwirtschaft typische Geräte – einen Spaten und eine Hacke in Händen hält, vgl. Reiner Musterbuch (1979), fol. 1v und Kommentar S. 19 f. Vgl. auch oben S. 205 f. Vgl. Friedrich Scheele: Zum Wirklichkeitsgehalt in den Miniaturen der Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels, in: Fansa (1995), S. 69–81 Vgl. Frank Both: Landwirtschaftsgeräte im Zeitalter des Sachsenspiegels, in: Fansa (1995), S. 143–153
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brauch ableiten lassen.216 Insgesamt wurde festgestellt, dass die in den Miniaturen gezeigten Geräte die Arbeitshilfen, die aus archäologischen Funden bekannt sind oder rekonstruiert werden konnten, zwar oft stark typisierend, aber doch treffend wiedergeben.217 Die Farbigkeit und der Detailreichtum der überlieferten Bilddarstellungen lassen leicht darüber hinwegsehen, dass Landwirtschaft im Hochmittelalter vor allem körperlich harte Arbeit und Anstrengung bedeutete. Viele Bauernhöfe verfügten nicht über Ochsen oder Pferde als Zugtiere, sodass dort sämtliche Feldarbeit durch menschliche Arbeitskraft geleistet werden musste.218 Eine kontinuierliche Feld- und Weidewirtschaft wurde dadurch erschwert, dass für die Höfe der Grundherren Frondienste zu leisten waren und auch die in Dörfern gemeinschaftlich bewirtschafteten Flächen (Allmenden) der bäuerlichen Arbeitsleistung bedurften.219 Erheblichen Produktionsdruck übte das stetige Bevölkerungswachstum aus, das zur Rodung von Wäldern und Erschließung neuen Ackerlandes zwang.220 Um die damalige Bevölkerung zu versorgen, bedurfte es bei der Getreideproduktion Schätzungen zufolge eines Saatgut-/Ertragsverhältnisses von 1:5 bis 1:7.221 Eine stabile Versorgungslage für die Gesamtbevölkerung war angesichts der Wetterabhängigkeit und der ohnehin hohen Arbeits- und Abgabebelastung bäuerlicher Betriebe, die keine Ressourcen für kurzfristige ‚Intensivierungsphasen‘ der Produktion besaßen, kaum zu gewährleisten. Dennoch hielten sich während des Hochmittelalters – von einzelnen krisenhaften Phasen abgesehen – Bevölkerungswachstum, Rodungstätigkeiten sowie Expansion der Landwirtschaft und ihrer Produktion etwa so die Waage, dass eine ausreichende Versorgung der Menschen insgesamt möglich blieb. Eine Zäsur stellte sich ab etwa 1300 ein, als die bis dahin über216
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Vgl. Rudolf Bergmann: Die Miniaturen des Sachsenspiegels und archäologische Realien als Sachquellen zur ländlichen Alltagskultur Westfalens im Mittelalter, in: Fansa (1995), S. 173–187, bes. S. 176 ff. Zusammenfassend stellt Bergmann (1985), S. 186 hierzu fest: „Daß die Gerätschaften des Alltags in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels oft stark vereinfachend wiedergegeben sind, ist unter anderem damit erklärbar, daß die Wirklichkeitstreue der Darstellung dem Illustrationszweck untergeordnet ist. In der Bildersprache der Codices picturati reichte es für den zeitgenössischen Betrachter aus, wenn ein Wiedererkennungswert des abgebildeten Gegenstandes gegeben war. Zahlreiche konstruktive Details belegen darüber hinaus, daß neben einem unbestreitbaren Symbolwert auch ein erheblicher realitätsbezogener Aussagewert der Miniaturen existiert.“ Vgl. Rösener (1985), S. 151 Vgl. Rösener (1985), S. 150 f. Vgl. Rösener (2008b), S. 137 ff. Vgl. Rösener (2008b), S. 140
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wiegend intensiv bewirtschafteten und dadurch oft erschöpften Böden weniger Erträge für die parallel weiter wachsende Bevölkerung erbrachten und viele Kleinbauern durch die teilungsbedingte Verringerung ihrer Anbauflächen bei nach wie vor hohen Grundlasten bereits ihre eigene Existenz wirtschaftlich nicht mehr sichern konnten.222 Die Nahrungsmittelproduktion wird in literarischen und bildlichen Quellen des Mittelalters, wenn überhaupt, nur mittelbar dargestellt. Diesen Quellen folgend, war von Bedeutung, dass Feldfrüchte und Fleisch verfügbar waren, nicht, von wem und wie vielen, wo und wie sie produziert wurden.223 Das Nahrungsmittelspektrum, das durch die landwirtschaftlichen Betriebe bereitgestellt werden bzw. vorhanden sein konnte, bildet sich deshalb besonders in den archäologischen Funden von Tierknochen- und Pflanzenresten in verschiedenen Siedlungen ab, die oben bereits besprochen wurden.224 Neben Feldfrüchten, insbesondere in Form von Getreideprodukten, und Vieh bzw. Fleisch führen literarische Quellen auch weitere Nahrungsmittel auf, die in heutigem Verständnis nicht der ‚eigentlich‘ landwirtschaftlichen Produktion entstammen. Einige Beispiele – Gartenfrüchte, Honig und Salz – sollen deshalb folgend näher beleuchtet werden. IV.1 Gartenfrüchte Wenn in epischen Werken des Hochmittelalters ein Garten erwähnt wird, geht aus der Szene meistens hervor, dass damit ein Lustgarten gemeint ist, in dem es Blumen und/oder Schatten spendende Bäume gibt.225 Nutzgärten, Beete mit Zwiebeln, Kohl oder Mohrrüben lassen sich nur schwer mit 222 223
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Vgl. Rösener (2008b), S. 140 f. In diesem Zusammenhang ist auch die bildliche Darstellung der ‚Tierzucht‘, die das ‚Reiner Musterbuch‘ als einen Teil der Landwirtschaft aufführt, wenig hilfreich. Abgebildet wird eine Hirtenszene im Gelände. Die Tiere – (der seltene) Esel, ein Schaf, ein borstiges Schwein und zwei Ziegen – sind sich selbst überlassen, die beiden Ziegen zupfen am Laub eines stilisiert dargestellten Baumes. Der Hund, der beim Hüten der Tiere helfen soll, schleicht sich aus der Szene. Er ist ebenso wenig wachsam wie der Hirte, der mit einem begrünten Ast und einem weiteren, merkwürdigen Gerät in der Hand am linken Bildrand schläft, vgl. Reiner Musterbuch (1979), fol. 1v und Kommentar S. 19 Vgl. oben Kap. 7 So erwähnt Hartmann einen Baumgarten im ‚Iwein‘ (V. 6430 ff.) und im ‚Erec‘ (V. 7890 ff.) sowie Gottfried im ‚Tristan‘ (V. 13564 f.), vgl. auch Konrads ‚Kindheit Jesu‘ (V. 1819 ff.), wo Bäume und verschiedene Blühpflanzen in einem Garten zu finden sind
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der geschilderten Pracht der höfischen Sphäre verbinden. Doch hat es sie – wie nicht nur botanische Funde bei archäologischen Grabungen belegen – im Hochmittelalter in allen Siedlungsformen Mitteleuropas gegeben.226 Sie sind beim Blick auf die Produktion von Nahrungs- und auch von Gewürzpflanzen von besonderem Interesse, weil die Selbstversorgung in fast allen mittelalterlichen Haushalten besonders auch bei pflanzlichen Nahrungsmitteln von entscheidender Bedeutung war. Schriftlich überlieferte Quellen bieten einige Einblicke in die Bestükkung mittelalterlicher Nutzgärten, die – ergänzend zu den erhaltungsbedingt begrenzten Funden vegetabiler Reste aus Siedlungsgrabungen – die Vielfalt der seinerzeit bekannten Nutzpflanzen dokumentiert.227 Aus einigen Dichtungen des Mittelalters kann durch die Erwähnung von Speisen, aber auch von Gärten (so z. B. in den Liedern Neidharts, vgl. oben Kap. 4) eine Reihe von Pflanzen-, besonders von Gemüse- und Gewürzarten erschlossen werden. Gerade die Schilderungen in der epischen Dichtung heben dabei jedoch oft besonders auf Exklusives, Üppiges und Teures ab, sie setzen gern auch auf die Darstellung „orientalischer Pracht“ und bieten daher für den mitteleuropäischen Bereich botanisch kaum ein repräsentatives Bild.228 Dass auch in einheimischen Gärten eine Fülle von vegetabilen Nahrungsstoffen gezogen werden konnte, zeigen die schon seit der Karolingerzeit entstandenen Gartenbücher und -beschreibungen vornehmlich klösterlicher Provenienz.229 Auch diese Quellen sind freilich nicht ohne Einschränkungen zu betrachten, denn manches in den Texten Genannte wurde wohl einem ‚Ideal-
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Vgl. W. Janssen/U. Willerding s.v. Gartenbau und Gartenpflanzen in: RGA Bd. 10 (1998), S. 449–462; es wird dort erwähnt, dass sich archäologisch zwar nicht die eigentliche Anlage, jedoch die Bewirtschaftung von Gärten in Siedlungsbereichen oft durch die charakteristische Färbung ‚alter Gartenböden‘ (sog. ‚Hortisole‘) nachweisen lässt, vgl. Janssen/Willerding (1998), S. 459; s. auch Ulrich Willerding: Gärten und Pflanzen des Mittelalters, in: M. Carroll-Spillecke (Hg.): Der Garten von der Antike bis zum Mittelalter. (Kulturgeschichte der antiken Welt. Bd. 57). Mainz 1992, S. 249–284 Vgl. Willerding (1992), S. 251 ff. Hermann Fischer: Mittelalterliche Pflanzenkunde. München 1929, S. 148 Die Mönche waren besonders auch aufgrund der klösterlichen Speiseregeln (vgl. oben Kap. 6) und als Pfleger der Einflüsse aus dem romanischen (und antiken) Kulturbereich zu Protagonisten abendländischer Gartenbaukunst geworden, vgl. Dieter Hennebo: Gärten des Mittelalters. (Geschichte der deutschen Gartenkunst. Bd. 1). Hamburg 1962, S. 26 und U. Willerding in: RGA Bd. 12 (1998), S. 53–64 s.v. Gewürze und Gewürzpflanzen, hier bes. S. 63
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plan‘ gemäß eingesetzt und auch aus fremdländischen Quellen übernommen.230 Wie sehr die darstellerische Absicht und die herrschenden Verhältnisse dabei auseinandergehen können, erhellt der Katalog von Pflanzen, die sich der Verfasser der frühmittelhochdeutschen ‚Wiener Genesis‘ im Paradiesgarten vorstellt. Diesen Katalog entwirft er bemerkenswerterweise auch unabhängig von der biblischen Beschreibung:231 Zinamîn und zitawar, galgân unt pheffer, balsamo unt wîrouch, timiâm wahset der ouch, mirrun alsô vil sô man dâ lesen will, crocus unt ringele, tille ouch chonele, mit deme fenchele diu suoze lavendele, poenia diu guota, salvaia unt rûta, nardus unt balsamîta. der stanch wahset sô wîta, minz unte epphich, chres unt lattich, astrîza unt wîchboum habent ouch suozen troum (V. 244 ff.).232 Zimt (zinamîn), eine Aromatpflanze (zitawar), Galgantwurzel, Pfeffer, Weihrauch, Myrrhe sowie wohl auch der Lavendel wurden als Aroma- und Würzstoffe zur Zeit der Entstehung des Textes über den Mittelmeerraum importiert. Wenn der Verfasser sie an dieser Stelle nennt, dann, um die köstlichen Spezereien des Paradiesgartens hervorzuheben. Möglicherweise lehnte er sich auch an frühere Vorlagen an und konnte der „Eitelkeit, auch einige Gelehrsamkeit zur Schau zu tragen“, nicht widerstehen.233
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Die Aufnahme nicht-endogener Pflanzen in Schilderungen mitteleuropäischer Gartenbestände wurde z. B. schon früh für das ‚Capitulare de Villis‘ Karls des Großen nachgewiesen, vgl. z. B. Janssen/Willerding (1998) Vgl. dazu Gen. 2, 8 f.: „Dann pflanzte Gott der Herr einen Garten in Eden gegen Osten und setzte den Menschen darein, den er gebildet hatte. Und Gott der Herr ließ allerlei Bäume aus der Erde wachsen, lieblich anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten …“ Zitiert wird nach der Ausgabe von Katryn Smits (Hg.): Die frühmittelhochdeutsche Wiener Genesis. Kritische Ausgabe mit einem einleitenden Kommentar zur Überlieferung. (Philologische Studien und Quellen 59). Berlin 1972 Oswald Zingerle: Der Paradiesgarten der altdeutschen Genesis. Eine Untersuchung, in: Sitzungsberichte der Philos.-Histor. Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Hundertzwölfter Band. Wien 1886, S. 785–805, hier: S. 785. Als mögliche Vorlage werden dort die Schriften Isidors von Sevilla vermutet, bes. das Buch XVII ‚De rebus rusticis‘
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Neben exotischen Produkten werden auch einheimische234 Nutzpflanzen aufgeführt: Fenchel, Kresse, Lattich, verschiedene Minzearten (balsamîta, minz)235 und Salbei können – neben ihrer Verwendung als Heilmittel – auch als Gemüse und Würzen in die Küchen Eingang gefunden haben. Dass die botanische Einteilung von Gemüse- und Würzpflanzen im Mittelalter teilweise eine andere war als heute, zeigen die im neunten Jahrhundert auf dem Sankt Galler Klosterplan verzeichneten Pflanzenbestände.236 Im Gemüsegarten finden sich dort neben mehreren Zwiebelarten (cepas, ascalonias),237 Lauch, Sellerie, Rettich, Mangoldrübe, Kohl, Pastinak, Lattich (Salat), Knoblauch, Dill, Petersilie, Kerbel, Pfefferkraut und Schwarzkümmel aufgeführt.238 Davon werden heute Sellerie, Kerbel und Petersilie sowohl als Würze als auch als Gemüsepflanzen gewertet.239 In dem vornehmlich zur Zucht medizinisch verwendbarer Kräuter angelegten Würzgarten finden sich dagegen Bohnen,240 Fenchel, Liebstöckel, Kümmel, Krauseminze und Pfefferkraut, von denen letztere auch als Speisewürze Verwendung gefunden haben können. Möglicherweise wurde daneben auch Rosmarin – als Topfpflanze – gezogen.241 In dem auf dem Klosterfriedhof angelegten Baumgarten findet sich eine ganze Reihe fruchttragender Bäume, von denen allerdings nur der Apfelbaum, Birn-, Pflaumen- und Pfirsichbaum, Mispel, Speierling, Quitte, Kastanie, Hasel- und Walnussbaum sowie wohl auch der Maulbeerbaum als Obst- bzw. Früchtelieferanten gezählt werden dürfen.242
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Darauf, dass auch viele der seit dem Ausgang der Antike in Mitteleuropa bereits ‚einheimischen‘ Gewürzpflanzen ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammen, verweist Willerding (1998), S. 63, vgl. Willerding (1992), S. 271, Tab. 3 So erklärt von Zingerle (1886), S. 788 f. anhand von Glossenbelegen Vgl. Wolfgang Sörrensen: Gärten und Pflanzen im Klosterplan, in: Johannes Duft (Hg.): Studien zum St. Galler Klosterplan. (Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte 42). St. Gallen 1962, S. 193–277. Von den dort aufgeführten Pflanzenarten werden folgend nur die einheimischen betrachtet Vgl. Sörrensen (1962), S. 207 ff. Vgl. Sörrensen (1962), S. 207 ff. Vgl. Sörrensen (1962), S. 208 und 212 Die von Sörrensen (1962) gebotene Interpretation als ‚Stangenbohnen‘ geht lt. Willerding (1992), S. 267 fehl, denn diese Species, botanisch Phaseolus vulgaris, stammt aus Südamerika und konnte daher im mittelalterlichen Europa nicht bekannt sein Vgl. Sörrensen (1962), S. 223 ff. und 228 ff. Daneben werden auch Lorbeer, Feige und Mandelbaum aufgeführt, die wahrscheinlich jedoch kaum recht gediehen bzw. Früchte trugen, vgl. Sörrensen (1962), S. 244 ff., der diese Pflanzen sämtlich als Zierpflanzen und insbesondere die Feige als schlichtweg „hindiktiert“ wertet (S. 250)
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Der Mönch Walahfrid Strabo nennt in der seinem Lehrer Grimald gewidmeten Abhandlung über den Gartenbau (9. Jahrhundert)243 in etwa die gleichen, auch in der Küche verwertbaren Pflanzen. Er führt darüber hinaus auch den Kürbis und die Melone auf. Ob diese Pflanzen zu seiner Zeit und auch im Hochmittelalter bereits zu einem ‚regulären‘ Nutzgartenbestand gehört haben, ist jedoch fraglich.244 Die in mitteleuropäischen Gärten – überwiegend bereits seit der römischen Kaiserzeit – kultivierten Gewürzpflanzen werden in ihrer Vielfalt durch die bisherigen Aufstellungen nicht annähernd erfasst. Wie aus schriftlichen Quellen unterschiedlicher Provenienz und/oder aus fossilen Funden hervorgeht, wurden im Hochmittelalter neben Schalotten, Zwiebeln und Schnittlauch auch Kerbel, Meerrettich, Wermut, Gurkenkraut, Kreuzkümmel, Ysop, Zitronenmelisse, Basilikum, Majoran, Anis, Dost, Kümmel, Schwarzer Senf, Koriander, Petersilie und Bohnenkraut gezogen.245 Auch Möhre und Amaranth sind durch fossile Funde belegt. Die Gurke erscheint erstmals in Fundhorizonten des 12. Jahrhunderts, Albertus Magnus erwähnte sie ein Jahrhundert später.246 Sieht man von einigen absichtlich (um Pflanzen, die man kannte, jedoch selbst nicht ziehen oder nutzen konnte) ergänzten und daher nicht realistischen Teilen der schriftlichen Überlieferung ab, ergibt sich im Vergleich zwischen der vor allem in Klöstern gepflegten schriftlichen Tradition und den bei Siedlungsgrabungen archäologisch erschlossenen Belegen eine insgesamt recht hohe Übereinstimmung.
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Vgl. Text, Übersetzung und Erläuterungen bei Hans-Dieter Stoffler: Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau. Mit einem Beitrag von Theodor Fehrenbach. Sigmaringen 1978 So wurde durch archäologische Funde zwar der Kürbis in Mitteleuropa vereinzelt nachgewiesen, die Melone taucht jedoch in allen für diese Arbeit beigezogenen Fundauswertungen nicht auf. Ihre zahlreichen und hartschaligen Kerne hätten sich bei guten Lagerungsbedingungen im Boden finden müssen, wenn sie verbreitet angebaut und konsumiert worden wäre. Auch Stoffler hält es für wahrscheinlich, dass der Kürbis trotz vergleichsweise kurzer Vegetationszeiten auf der Reichenau tatsächlich hat gezogen werden können, ein Ausreifen von Melonen dürfte seines Erachtens jedoch auch auf der klimatisch günstig gelegenen Insel nur in sehr geschützten Lagen möglich gewesen sein, vgl. Stoffler (1978), in den Beiträgen zu beiden Stichworten. Willerding (1992), S. 269 führt beide Pflanzen im Bestand mittelalterlicher Gärten nicht auf (Tab. 2) Vgl. die Aufstellung der für Mitteleuropa schriftlich und fossil nachgewiesenen Gewürzpflanzen bei Willerding (1998), S. 62, Tab. 4 Vgl. Janssen/Willerding (1998), S. 456; als ältester Beleg in Deutschland wird dort ein Fund aus Braunschweig angeführt
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Die bildende Kunst des Hochmittelalters kannte Nutzgärten als Motiv nicht. Es gibt zwar Bildquellen, in denen Gartenpflanzen dargestellt werden, doch handelt es sich bei diesen Pflanzen besonders um Blumen bzw. Pflanzen, die für die Menschen einen besonderen Symbolgehalt oder eine bestimmte Bedeutung besaßen, wie z. B. in religiösem Kontext (‚Madonnen‘-)Lilie, Rose, Wein oder Apfelbaum sowie allgemein auch Heilpflanzen.247 Diese Pflanzen finden sich oft auch in der Ornamentik kirchlicher Bauten: „Unter den Pflanzen, die auf Kapitellen, Konsolen und Schlußsteinen sowie in den Grisaille-Fenstern hochma. Zisterzienser-Kirchen wie Altenburg oder Walkenried dargestellt sind, befinden sich wiederum Heilund Symbolpflanzen“.248 Über die Erträge mittelalterlicher Nutzgärten ist wenig bekannt. Wie noch heute waren sie sicher von der Bodenbeschaffenheit abhängig, ferner von der Regelmäßigkeit der Bearbeitung sowie auch von der Wässerung und Düngung der Böden. Auch bei guter Düngung und Pflege eines Nutzgartens werden dessen Erträge jedoch nicht üppig ausgefallen sein: die heute üblichen Hochzuchtsorten von Gemüse oder Kräutern waren zu dieser Zeit unbekannt, sodass das Verhältnis von Pflanzenstamm, Blattwerk und Fruchtstand insgesamt wesentlich kleinere, oft sicher auch ausgesprochen ‚holzige‘ Früchte hervorbrachte. Die Ernte aus dem eigenen Garten war in städtischen und ländlichen Siedlungen sowie in Klöstern der Deckung des Eigenbedarfs und dem Anlegen von Vorräten vorbehalten. Burgen, bei denen der fehlende Raum die Anlage eines Nutzgartens oft nicht erlaubte, sowie Klöster, deren selbst gezogene Erträge zur Versorgung der bis zu mehrere hundert Personen umfassenden Gemeinschaft der Mönche, Konversen, Handwerker und Bediensteten nicht ausreichten, wurden durch die ihnen gehörenden, umliegenden Wirtschaftshöfe auch mit Gartenprodukten beliefert. Dies setzte voraus, dass diese Höfe entsprechende ‚Überschüsse‘ in einigem Umfang erwirtschafteten. Gartenfrüchte, die in bäuerlichen Betrieben auf dem Lande gezogen wurden, konnten auch auf den Märkten städtischer Siedlungen veräußert 247 248
Vgl. Janssen/Willerding (1998), S. 452 Janssen/Willerding (1998), S. 452 f.; auch viele Bilddarstellungen des Spätmittelalters, in denen Gartenszenen aufgegriffen werden, können nicht als Wiedergabe damaliger Gartenanlagen betrachtet werden: „Bei Abb. von Gärten ist zu bedenken, daß das Abgebildete symbolhaft gemeint sein kann, wie z. B. bei dem Paradiesgärtlein des Oberrhein. Meisters. In solchen Fällen sind zwar die einzelnen Gestaltungselemente wie Rasenbank, Tisch und Mauer sowie das Pflanzeninventar oder die Pfropfung auf einem Baumstamm informativ. Ein Abbild damaliger Gärten war aber damit nicht beabsichtigt“, so Janssen/Willerding (1998), S. 453
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oder eingetauscht werden, z. B. gegen Salz, Wein oder Gewürze.249 Bereits im Hochmittelalter begannen viele Städte gezielt, Märkte aus ländlichen Gebieten zunehmend in ihre Mauern zu ziehen, zum einen, um die Zufuhr von Nahrungsmitteln für die städtische Bevölkerung sicherzustellen, zum andern, um den Absatz von Handelswaren und gewerblichen Produkten zu fördern, die die wirtschaftliche Grundlage vieler Bewohner städtischer Siedlungen darstellten.250 Aufgrund der für die meisten Gartenfrüchte begrenzten natürlichen Haltbarkeit und ‚künstlichen‘ Konservierungsmöglichkeiten konnten sie lediglich im regionalen Nahbereich zum Handel oder Tausch angeboten werden.251 Lediglich der Kohl, der sich – auch eingesäuert und in Fässern verschlossen – bei Bedarf auch über weitere Strecken transportieren ließ, könnte im überregionalen Handel bereits im Hochmittelalter eine Rolle gespielt haben.252 IV.2 Honig Nördlich der Alpen war Honig bis in die Neuzeit hinein ‚das Süßungsmittel‘ schlechthin. Er wurde nicht nur zum Süßen von Speisen, Gebäck und Getränken, bei der Herstellung von Met und zuweilen vielleicht auch zum Konservieren von Lebensmitteln verwendet, sondern war für die Ernäh-
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Vgl. Werner Rösener: Stadt-Land-Beziehungen im Mittelalter, in: Clemens Zimmermann (Hg.): Dorf und Stadt. Ihre Beziehungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 2001, S. 35–54 Hierzu stellt Rösener (2001), S. 47 fest: „Der städtische Markt war zweifellos der wichtigste wirtschaftliche Angelpunkt zwischen Stadt und Land. Die Bedürfnisse der Städte in Agrarprodukten und Rohstoffen des Landes waren existentiell, die Nachfrage des Landes nach städtischen Produkten und Dienstleistungen war dagegen relativ elastisch. Dieses ungleiche Abhängigkeitsverhältnis wurde durch außerökonomischen Zwang zugunsten der Städte beeinflusst, indem ländliche Märkte zunehmend eingeschränkt wurden.“ Schubert (2006), S. 159 führt an, dass ‚im Mittelalter‘ teilweise auch bereits handels- bzw. exportorientierte Monokulturen entstanden, so in und um Weimar mit Zwiebeln sowie im mittel- und oberrheinischen Gebiet besonders zur Zwiebel- und Senfsamenzucht, deren Produkte bis nach England verhandelt worden seien. Die Beiträge, auf die er sich dabei beruft, beziehen sich jedoch durchweg auf das Spätmittelalter Eine speziell auf Kohlproduktion ausgelegte Landwirtschaft und der Fernhandel mit Kohl sind für das Rheinland vom 14. Jahrhundert an belegt, vgl. Schubert (2006), S. 159. Ein solcher Wirtschaftszweig setzt jedoch erhebliche Anbauflächen sowie eine Spezialisierung des Anbaus voraus, die mit der Gemüseproduktion in den verbreiteten Nutzgärten nicht zu vergleichen ist
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rung besonders wegen seines Reichtums an lebensnotwendigen Kohlehydraten wichtig.253 Honig besitzt darüber hinaus den Vorteil, dass er sich ohne Hilfsmittel lange hält und daher gut lagern lässt. Über den Umfang des Honigverbrauchs in Mitteleuropa ist angesichts seiner Bedeutung für die Ernährung – und auch für die damalige Küche – nur wenig bekannt. Auch die in dieser Arbeit betrachteten Quellengattungen bleiben in dieser Frage stumm: Honig wird in poetischen und anderen schriftlichen Texten zwar erwähnt, ‚man hatte ihn‘ demnach und nutzte ihn auch. Nicht-medizinische und spezifisch kulinarische Verwendungszwecke sowie der Umfang seines Gebrauchs erschließen sich aus diesen Quellen jedoch nicht. Mit einem dem heutigen Geschmacksempfinden vergleichbaren, ausgeprägt ‚süßen Zeitalter‘ kann jedoch wohl kaum gerechnet werden. Stark gesüßter Wein wäre z. B., wenn er alltäglich gewesen wäre, bei der Schilderung höfischer Sitten in der mittelalterlichen Epik wohl kaum erwähnt worden (vgl. oben S. 103 ff.).254 Gegen eine allgemeine und regelmäßige – zumal starke – Süßung von Speisen und Getränken spricht ferner, dass die Bedingungen für den Honiggewinn in Nord(west)europa nicht sonderlich günstig waren.255 Bienenvölker wurden in Nordwesteuropa seit dem letzten Drittel des 1. Jahrtausends n. Chr. vermehrt besonders in ländlichen Wirtschaftsbetrieben und in Klöstern, später zuweilen auch in städtischen Siedlungen gehalten,256 meistens in aus Ruten gefertigten und mit Lehm bestrichenen oder aus Stroh geflochtenen Behausungen für einen Bienenschwarm.257 In größerer Zahl konnten die Bienenhäuser auf überdachten Regalen oder sogar in vierseitig ausgeführten, geschlossenen Bienenhöfen aufgestellt und be-
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Vgl. H. Beck s.v. Honig in: RGA Bd. 15 (2000), S. 109 und Warnke (1987), S. 550; auf die im Mittelalter ebenfalls breite Anwendung von Honig als Heilmittel soll hier nicht eingegangen werden, vgl. dazu den Beitrag Honig in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 117 f. mit weiterer Literatur sowie Kluge (2000), S. 188 Darauf, dass das starke Süßen von Wein besonders auch auf medizinische Aspekte (Verträglichkeit und therapeutische Anwendung) zurückgehen konnte, verweist Johanna Maria van Winter: Sugar, Spice of the Crusaders, in: Johanna Maria van Winter: Spices and Comfits. Collected Papers on Medieval Food. Totnes 2007, S. 381–388, hier: S. 383 Klimatische Bedingungen und Fauna ließen meistens nur eine ‚Honigernte‘ pro Jahr zu, während z. B. im Mittelmeerraum bis zu drei Ernten jährlich eingesammelt werden konnten Vgl. B. Schier s.v. Biene in: RGA Bd. 2 (1976), S. 514–528, hier S. 516 und Ch. Warnke s.v. Bienen in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 128–133, bes. Sp. 129 Vgl. zu verschiedenen Formen von Bienenkörben, sog. ‚Stülpen‘, Schier (1976), S. 517, Abb. 105
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wirtschaftet werden,258 denn die Imkerei galt als ein Zweig der Landwirtschaft und Bienen zählten als „Flugvieh“.259 Dass die Ausbeute der fachlich nicht hoch entwickelten nordwesteuropäischen Imkerei des Hochmittelalters260 nicht üppig war, beruhte auf mehreren Faktoren. Zu wenig wusste man über die sachgerechte Pflege eines Bienenvolkes, oft wurden im Herbst aus einem Bienenstock die wächsernen Honigwaben in so großer Menge herausgebrochen, dass die im Stock überwinternden Insekten verhungerten. Eine entsprechende Zufütterung und auch die Pflege kranker Völker waren unbekannt.261 Eine andere Methode der Honigernte bestand darin, einen Bienenkorb auszuräuchern oder auszuschwefeln, was nicht nur den Honig geschmacklich beeinträchtigte, sondern auch das ganze Bienenvolk tötete.262 Da die hochmittelalterliche Imkerei den Bedarf an Honig (und Wachs) im westlichen Mitteleuropa nicht zu decken vermochte, blieben die Suche nach Bienennestern im Wald und deren Ausbeutung das ganze Mittelalter hindurch bedeutend.263 Die von der Imkerei (als an Siedlungen gebundene) unterschiedene Tätigkeit der mit Waldbienen betriebenen Zeidlerei wurde besonders in einzelnen Gebieten Süddeutschlands gewerblich betrieben. Überliefert ist z. B., dass der „Erzbischof von Trier … zu Anfang des 13. Jhs. ‚Zeidelgüter‘ auf dem ‚Hochwald‘ [besaß]“,264 spezielle Waldareale, in denen sich besonders viele Bienennester befanden, die von den Zeidlern gesäubert und abgeerntet wurden. Die ‚Kombinationswirtschaft‘ von Imkerei und Zeidlerei vermochte den Grundbedarf an Honig wohl zwar zu decken, zu regelmäßig reichen Ernten oder sogar zum Gewinn von Überschüssen, der einen allgemein großzügigen Einsatz und Genuss von Honig erlaubt hätte, reichte sie jedoch nicht aus. Dies ist auf zwei weitere, für die nordwesteuropäische Bie258
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261 262 263 264
Vgl. Schier (1976), S. 533, der zwischen Bienenhöfen mit überdachten Hütten (der sog. erdlie, vgl. mnd. lie, liewe ‚Laube‘) und Bienenzäunen (mnd. immentûn) unterscheidet Warnke (1983), Sp. 129 Man wusste bis ins 19. Jh. hinein wenig über Bienen und deren Lebensweise, führte z. B. im Mittelalter ihre Reproduktion auf ungeschlechtliche Vermehrung zurück und glaubte, dass der Honig, da als von Gott gegebener Tau verstanden, lediglich durch sie gesammelt würde. Zur Bedeutung der Bienen im theologischen Kontext vgl. allgemein LexdMA Bd. V (1991), Sp. 218 (unter dem Stichwort ‚Honig‘) sowie LexdMA Bd. II (1983), Sp. 234 f. s.v. Bienen sowie ausführlicher Warnke (1987), S. 546 ff. Vgl. Warnke (1983), Sp. 129 Vgl. Warnke (1983), Sp. 128 Vgl. Schier (1976), S. 519 ff. sowie Warnke (1983), Sp. 129 Schier (1976), S. 520
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nenwirtschaft des Hochmittelalters bedeutende Faktoren zurückzuführen. Der erste Aspekt betrifft besonders die Nutzung von Waldbienen, die zwar wirtschaftlich interessant war, weil die Honigausbeute im Vergleich zur Hausbienenhaltung um etwa ein Drittel höher ausfiel,265 jedoch gleichzeitig dadurch begrenzt wurde, dass die natürliche Bewaldung weiter Regionen (besonders bei ausgedehnten Buchen- und Nadelwaldbeständen) die Entwicklung einer für die Honigproduktion wichtigen Blühpflanzenfauna am Waldboden nicht zuließ.266 Den zweiten Faktor bilden die durch die Menschen im Hochmittelalter selbst herbeigeführten naturräumlichen Veränderungen. Die Rodung vieler Waldflächen reduzierte den Lebensraum der Waldbienen, und die parallel sich vollziehende Ausdehnung der Ackerwirtschaft bot weder Wald- noch Hausbienen eine vergleichbare Grundlage für das Sammeln von Nektar, da das mehrheitlich angebaute Getreide ihn bei seiner Blüte nicht enthält.267 Diese Entwicklung führte dazu, dass „die Leistungsfähigkeit der westeurop. Bienenhaltung im MA relativ wie absolut zurückging“.268 Die hochmittelalterliche Bienenwirtschaft östlich etwa der Elbe-SaaleGrenze vermittelt ein anderes Bild.269 Hier wurde, begünstigt durch die naturräumlich gegebenen, nach wie vor ausgedehnten Mischwaldbestände mit einer vielfältigen Blühpflanzenfauna, lange nur die Waldbienenhaltung betrieben, die reiche Erträge einbrachte.270 Bestehende Waldbienennester, die sich in natürlichen Baumhöhlen befanden, wurden gesäubert, die mit Honig gefüllten Waben wurden lediglich ausgebrochen, das Bienenvolk wurde bei der Ernte nicht getötet. Zusätzlich höhlte man Baumstämme aus, um künstlich neue Bienenbehausungen zu schaffen, Fallen schützten die ‚Beutebäume‘ vor natürlichen Räubern.271 Die in Ostmittel- und Osteuropa durch die sog. ‚Beutner‘ betriebene Waldbienenhaltung war oft ein landwirtschaftlicher Haupterwerbszweig, eine Arbeitskraft konnte etwa 60–70 ‚Beuten‘ pflegen, in der Waldbienenwirtschaft tätige Bauern betreuten zwischen zehn und 20, in manchen Fällen bis zu 300 ‚Beuten‘ oder mehr.272 Die Überschüsse der erzielten Ernten – besonders das Wachs – wurden bereits früh und oft über weite Strecken verhandelt. Dabei gelangte Wachs 265 266 267 268 269 270 271 272
Vgl. Warnke (1983), Sp. 131 Vgl. Warnke (1983), Sp. 132 Vgl. Warnke (1983), Sp. 128 f. Warnke (1983), Sp. 129 Vgl. hierzu ausführlich Warnke (1987), S. 550 ff. Vgl. Schier (1976), S. 519 ff. und Warnke (1983), Sp. 131 Vgl. Warnke (1983), Sp. 131 Vgl. Warnke (1983), Sp. 131
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Abb. 94: Honigernte und Einfangen eines Bienenschwarms im Wald.273 Illumination einer Vorleserolle aus dem Kloster Montecassino, Ende 12. Jahrhundert274 273
274
in nennenswertem Umfang auch nach Nordwesteuropa, da der dort bestehende Bedarf (besonders für liturgische und zunehmend auch für gewerbliche und private Zwecke) durch die dort vorhandene Bienenwirtschaft bei weitem und dauerhaft nicht gedeckt werden konnte.275 Mit dem im Mittelalter östlich der Elbe zunehmenden Landesausbau gingen Waldbestände auch dort zurück, sodass nicht mehr nur Waldbienenhaltung betrieben 273 274
275
Gezeigt werden hier Stockkästen, die in südeuropäischen Regionen üblich waren Die Illumination erscheint im laufenden Text um 180° gedreht, sie steht also ‚auf dem Kopf‘. So konnte der Vorleser den auf der Rolle niedergelegten Text vortragen und die Textrolle weiter ‚abwickeln‘, während die Illumination für seine ihm gegenüber sitzenden Zuhörer gleichzeitig gut sichtbar war Vgl. Warnke (1987), S. 546 ff.; von einem Handel mit Honig, der ebenfalls mit Überschüssen geerntet worden sein muss, wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht gesprochen, obwohl damalige osteuropäische Handelsrouten bis ins Schwarz- und Mittelmeer reichten und auch den Handel mit dem besonders im byzantinischen und arabischen Raum begehrten und daher in Mengen benötigten (und somit auch teuer absetzbaren) Honig ermöglicht hätten, vgl. LexdMA Bd. V (1991), Sp. 117
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wurde, sondern vermehrt auch aus zugeschnittenen Holzstämmen gefertigte Bienenhäuser, sog. ‚Klotzbeuten‘, in Siedlungsnähe in Nutzung kamen.276 Die wirtschaftliche Bedeutung der Bienenhaltung muss östlich der Elbe und besonders in Osteuropa hoch gewesen sein, denn chronikalische Quellen weisen aus, dass bei kriegerischen Auseinandersetzungen oft Bienenbäume vernichtet und Bienenwälder niedergebrannt wurden.277 Auf die Bedeutung von Bienen (damit mittelbar auf diejenige von Honig und Wachs) weisen auch rechtshistorische Quellen bereits im ersten nachchristlichen Jahrtausend hin: „Bereits die leges barbarorum belegten den Diebstahl an Hausbienen mit empfindlichen Bußen und Strafen … Im hohen MA setzte sich mit dem Aufkommen des peinlichen Strafrechts in W- und Mitteleuropa auch für den Diebstahl von Bienenstöcken vielfach die Todesstrafe, meist durch Erhängen, durch; die Anzahl der gestohlenen Stöcke war gleichgültig (der Kaufpreis zweier Bienenvölker entsprach vom 11./12. Jh. bis zum Ende des 15. Jh. dem einer guten Kuh).“278 War die Markierung und Wahrung von Eigentum an Beutebäumen im Wald und Bienenstöcken oder -häusern vergleichsweise leicht zu gewährleisten, geriet sie zu einem – auch rechtlichen – Problem, wenn Bienen schwärmten und nicht an ihren Platz zurückkehrten, dies insbesondere, wenn sie sich in Baumhöhlen oder Behausungen niederließen, die einem anderen Eigner gehörten. Hierzu gibt es bereits in der zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert entstandenen Lex Baiuvariorum codifizierte Regelungen: „Wenn ein entflohener Schwarm in einem Baumstamm seine Zuflucht gefunden hat, dann darf ihn der Eigentümer mit Rauch oder drei Schlägen einer umgekehrten Axt zur Rückkehr zwingen. Sollte sich der entflohene B.schwarm in die Fangstöcke … eines anderen geflüchtet haben, dann darf der rechtmäßige Eigentümer der B. diesen Fangstock, so er aus Holz ist …, dreimal auf die Erde stoßen und, wenn er aus Rinde oder Ruten zusammengesetzt ist …, mit drei Faustschlägen erschüttern. Alle B., welche durch diese Maßnahmen den Fangstock verlassen, gehören ihrem alten Eigentümer, die zurückbleibenden B. darf jedoch der Fangstockbesitzer als sein Eigentum betrachten.“279 Eine im Rahmen der Zeidlerei und damit geradezu ‚gewerblich‘ betriebene, weil einträgliche Tätigkeit war die Jagd auf Völker, die schwärmten
276 277 278 279
Vgl. Warnke (1983), Sp. 131 Vgl. Warnke (1987), S. 555 f. Warnke (1983), Sp. 129 f. Schier (1976), S. 518, dort auch im lateinischen Text (Lex. Bai. Tit XXII, cap 9)
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und die auch keinem Besitzer zugeordnet werden konnten. „In Frankreich, bis zum 13. Jh. auch in England und dem Deutschen Reich, setzten Kg. und große Grundherren in ihren eigenen Waldarealen eigens Leute für sie [die Bienenjagd] ein, die bigri, bigres bzw. cidalari, zidelaere (Zeidler). Die Bienenjagd schloss in W- und N-Europa die Bedarfslücke an Honig“.280 Auch für die Bienenjagd als ‚Wirtschaftszweig‘ wurden bereits im 1. Jahrtausend verschiedene Rechtsvorschriften niedergelegt, deren Entwicklung bis ins Hochmittelalter zu in West- und Nordeuropa weitgehend einheitlichen Regelungen führte: „1. Jedermann stand das Recht der Jagd (Aneignung, occupatio) herrenloser/wilder B. zu mittels Kennzeichnung der Bäume, Hecken etc., in denen sie sich niedergelassen hatten; 2. beim Aufspüren auf privatem Areal hatte der Grundeigentümer Anspruch auf einen Teil des Bienennestes, der in Geld abgelöst werden konnte; 3. bei mehreren gleichzeitigen Findern wurde eine Teilung entsprechend ihrer Zahl gefordert.“281 Derartige Regelungen wurden infolge einer „Verknappung der Bienenprodukte“ im späteren Mittelalter erheblich eingeschränkt, indem der alleinige Nutznießer aufgestöberter Bienenvölker der Grundeigner wurde.282 Vor diesem Hintergrund war der Verbleib eines Bienenvolkes in seinem angestammten Stock für dessen jeweiligen Besitzer von einiger Bedeutung. Dies kommt auch in einem im 10. Jahrhundert entstandenen althochdeutschen Text zum Ausdruck, dem sog. ‚Lorscher Bienensegen‘, in dem der fromme Heger sich an seine Bienen wendet und auch Christus eindringlich bittet, sie nach dem Ausfliegen in den Wald und in die Umgebung gesund und vollzählig wieder in den heimischen Stock zurückkehren zu lassen.283 IV.3 Salz Eine physisch unverzichtbare und daher bei der menschlichen Ernährung sehr wichtige Rolle spielt das Salz. Angaben über den täglichen Mindestbedarf eines Erwachsenen in Gesellschaften, die sich besonders auch durch pflanzliche Nahrungsgrundstoffe versorgen, variieren: sie reichen von etwa
280 281 282 283
Warnke (1983), Sp. 129 Warnke (1983), Sp. 130 Vgl. Warnke (1983), Sp. 130 f. Der aus dem Kloster Lorsch stammende Text wurde als Randglosse einem theologischen (lateinischen) Text beigefügt. Die Handschrift befindet sich heute im Besitz des Vatikans. Text und Übersetzung bietet Horst Dieter Schlosser (Hg.): Althochdeutsche Literatur. Mit Proben aus dem Altniederdeutschen. Ausgewählte Texte mit Übertragungen. (Fischer Taschenbuch. Bd. 6036). Frankfurt 1970, S. 260 f.
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drei Gramm bis zu zwischen fünf und zehn Gramm,284 der heutige durchschnittliche Tageskonsum wird mit etwa zehn bis zwölf Gramm angesetzt.285 Diese Menge bezieht sich jedoch lediglich auf die Salzaufnahme des Körpers, die durch die Ernährung stattfindet. Der tatsächliche durchschnittliche Salzbedarf pro Person ist um einiges höher anzusetzen, da Salz wie noch heute (so beim Betrieb von Spülmaschinen oder zur Enteisung) auch früher bereits für eine Vielzahl von Anwendungen benötigt wurde. So war es im Mittelalter z. B. auch beim Gerben und Färben, bei der Viehhaltung, bei der Metallgießerei sowie bei der Herstellung von Keramikglasuren unverzichtbar.286 Große Mengen an Salz, die nicht unmittelbar über die Nahrung konsumiert wurden, waren damals auch zur Konservierung von Lebensmitteln erforderlich.287 Auf die Bedeutung des Salzes als ‚dem eigentlichen‘ Grundwürzstoff der Küche, der eine Zubereitung von Speisen, die ‚Küche‘ im Sinne einer kulturhaft verstandenen Bearbeitung von Nahrungsmitteln erst ermöglicht und der verschiedenen Gerichten erst eine geschmackliche Note zu geben vermag oder Geschmacksrichtungen verstärkt,288 verweisen, wie oben gezeigt wurde, im Hochmittelalter auch poetische Texte (vgl. z. B. oben S. 93 ff.). Der konstante Salzbedarf der Menschen machte Salz schon seit vorgeschichtlicher Zeit zu einer Ware, deren Gewinnung und überregionale Verhandlung trotz aller damit verbundenen Risiken wirtschaftlich sehr lukrativ war. Die frühesten bekannten Fernhandelswege sind daher eng mit der Geschichte des Salzes verbunden.289
284
285
286 287
288 289
Vgl. O. Haid zum Stichwort ‚Salz, Salzgewinnung, Salzhandel‘ (§ 1 Kulturanthropologisches) in: RGA Bd. 26 (2004), S. 355–357, hier S. 355; den höheren Wert nennt Th. Stöllner in seiner Fortführung desselben Beitrags, S. 357–379, hier S. 357; Schubert (2006), S. 45 setzt selbst bei einer ‚salzlosen Diät‘ einen Salzumsatz von zwischen 2,5–4,5 Gramm täglich an So gibt es der Bundeslebensmittelschlüssel Ende des 20. Jahrhunderts an, zitiert bei Manfred Treml/Rainhard Riepertinger/Evamaria Brockhoff (Hg.): Salz macht Geschichte. Katalog. (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 30/95). Augsburg 1995, S. 94 und 95 Vgl. Stöllner (2004), S. 357 Vgl. oben Abschnitt III; siehe auch Otto Volk: Salzproduktion und Salzhandel mittelalterlicher Zisterzienserklöster. (Vorträge und Forschungen. Hg. vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Sonderband 30). Sigmaringen 1984, S. 29 u. ö. – Auch in diesem Zusammenhang bleibt Schubert (2006), S. 46 unklar, wenn er auf der einen Seite feststellt: „Ob es in früheren Zeiten einen höheren Bedarf [pro Kopf an Salz, d. Verf.] gab, läßt sich nicht ausmachen“, später jedoch z. B. auf die Bedeutung des Pökelns im Mittelalter verweist Vgl. Haid (2004), S. 355 Vgl. Stöllner (2004), S. 359 ff. und 373 ff.
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Im Hochmittelalter waren verschiedene Formen der Salzgewinnung bekannt, so der Abbau von Steinsalz in Bergwerken, der seinerzeit vornehmlich im heutigen Polen und in geringerem Umfang im südöstlichen Alpenraum betrieben wurde.290 An der friesischen Nordseeküste wurde Salz auch aus Torf gewonnen, der im salzhaltigen Watt abgebaut, getrocknet und verbrannt wurde, um das darin gebundene Salz zu extrahieren.291 Die gebräuchlichste Methode der Salzgewinnung beruhte jedoch auf dem Prinzip, salzhaltiges Wasser zu gewinnen und das Wasser anschließend zu entziehen. Beim sog. Laugverfahren, das im österreichischen Hallein bereits um 1200 praktiziert wurde, wurde Wasser in salzhaltiges Gestein eingelassen, abgeschöpft und folgend unter Hitzeeinwirkung eingedampft. Die Steinsalz führenden Lagerstätten, „Haselgebirge genannt, bestehen aus einem Gemisch von Tonen mit Gips, Anhydrit und etwa 50 % Salzanteilen. Die grundlegende Technik bestand … darin, mittels Süßwasser das Salz aus dem Gestein zu lösen, um so gesättigte Sole für den Siedeprozeß zu gewinnen.“292 In das Haselgebirge wurden Stollen getrieben, in denen senkrechte Schächte ausgehoben und mit Süßwasser geflutet wurden. Nach etwa drei Wochen war das Wasser mit Salz gesättigt, eine Sole. Sie wurde abgeschöpft oder über Leitungen abgelassen und anschließend in einer Saline verhüttet.293 Dieses aufwändige und daher schon früher vergleichsweise teure Verfahren lieferte ein qualitativ sehr hochwertiges Salz.294 Auch aus Meerwasser wurde Salz gewonnen. Diese Form der Salzgewinnung rentierte sich wegen der zumeist vergleichsweise niedrigen Salzkonzentrationen im Meerwasser nur dort, wo klimatische Bedingungen die Anlage sog. ‚Salzgärten‘ begünstigten, in denen Meerwasser in großen, flachen Becken gesammelt und von der Sonne langsam ausgetrocknet wurde, so dass das Salz übrig blieb und ‚geerntet‘ werden konnte.295 Salzgärten wurden im Mittelalter vor allem in mediterranen Gebieten, aber auch in England und Westfrankreich betrieben.296 Seit dem 13. Jahrhundert wurde besonders in Nord- und Ostdeutschland vermehrt das ‚Baiensalz‘ vertrieben, das seinen Namen der an der französischen Atlantikküste gelegenen Bai de Bourgneuf verdankt, vergleichsweise grobkörnig war und der darin oft ent-
290 291 292 293 294 295 296
Vgl. Stöllner (2004), S. 375 Vgl. Stöllner (2004), S. 357 und passim sowie Volk (1984), S. 19 Treml/Riepertinger/Brockhoff (1995), S. 41 Vgl. Treml/Riepertinger/Brockhoff (1995), S. 41 Vgl. Schubert (2006), S. 50 Vgl. Stöllner (2004), S. 358 Vgl. Stöllner (2004), S. 365 ff. und Schubert (2006), S. 51
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haltenen Mineralien wegen oft einen bitteren Beigeschmack hatte.297 Es war daher nicht hochwertig oder ‚rein‘ und folglich auch recht billig.298 Die wichtigste Form der Salzgewinnung basierte in Mitteleuropa jedoch auf dem Abschöpfen und Verhütten natürlicher salzhaltiger Quellen, der Solevorkommen. Solevorkommen mit einer hohen Salzkonzentration gab es besonders in Lothringen299 und im Elbe-Saale-Gebiet, als bedeutende Salinenstädte galten bereits im Hochmittelalter Lüneburg, Halle/Saale, Kissingen, Soest und Salzungen.300 Die in unterirdischen Kavernen gebildeten Solevorkommen wurden – zumeist mit einigem bergbaulichen Aufwand – abgeschöpft, die gewonnene Sole wurde anschließend in Salinen verhüttet, die bereits im Hochmittelalter frühindustrielle Züge aufwiesen.301 Zur Salzgewinnung bedurfte es verschiedener Vorgänge und Geräte, die früh auch eigene Berufsstände hervorbrachten, so die Salzbergleute, die Salzschöpfer (‚Haspler‘) und Soleträger, die Siedeleute und -meister, die Bleipfannengießer oder die Salzkaufleute.302 Im Salinenprozess wurde die gewonnene Sole in Bleipfannen über einer mit verschiedenen Temperaturen angelegten Befeuerung so erhitzt, dass der Großteil des Wassers verdampfte: „Nach dem ersten Ausdunsten des Wassers mußte das Salz zur Mitte der Pfanne hin zusammengeschoben und das Feuer erneut angefacht werden. Das ausgetrocknete Produkt wurde dann auf den mit Laken ausgeschlagenen Sülzwagen geladen. Wenn dieses Salz mit etwa 10 % eine wesentlich höhere Feuchtigkeit als das heutige mit 1,5 % aufwies, lag das mitnichten an mangelnder Technik. Vielmehr erscheint hier das Grundproblem mittelalterlicher Nahrungsmittel: die Haltbarkeit. Ohne die den Siedemeistern bekannten Erfahrungswerte wäre bei
297 298 299
300 301 302
Vgl. Schubert (2006), S. 51 und Stöllner (2004), S. 358 Vgl. Schubert (2006), S. 51 Dort produzierten u. a. die im Hochmittelalter berühmten Salinen von Vic durch ihre stark salzhaltige Sole ein qualitativ hochwertiges Salz, das weit in den deutschsprachigen Bereich hinein verhandelt wurde, vgl. Volk (1984), S. 19 f. und Schubert (2006), S. 47. Das Salinenwesen und der Handel mit Salz dienten sogar den einst bewusst genügsamen Zisterziensern – wie anderen kirchlichen Orden auch – schon im Hochmittelalter nicht nur zur Deckung des Eigenbedarfs – sie entdeckten beides schon früh als interessante Möglichkeit, ihr Vermögen zu mehren: so erwarben sie Anteile an den Salinen von Vic und verschiedene Handelsprivilegien, so etwa Zollfreiheit bei Flusstransporten auf dem Rhein, vgl. verschiedene Beispiele bei Volk (1984), S. 19 ff. und passim Vgl. Schubert (2006), S. 47 Vgl. Schubert (2006), S. 53 Vgl. Schubert (2006), S. 54 ff.
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der durch die Vorratshaltung erzwungenen längeren Lagerzeit das Salz allzuschnell hart geworden und verkrustet.“303 Teile der mittelalterlichen Salinenanlagen von Soest, die bereits vor 1000 urkundlich erwähnt wurden,304 wurden in den 1980er Jahren archäologisch untersucht. Auf einer Fläche von 230m2 wurden dabei 66 Öfen erfasst, die aus Tonziegeln gemauert waren und eine Tiefe von bis zu 3,5m aufwiesen (vgl. Abb. auf der folgenden Seite). Auf den zur Befeuerung genutzten Ofenkanälen standen die Siedepfannen. Eine Überdachung der Anlage konnte nicht nachgewiesen werden, jedoch eine Einhegung von Ofenkomplexen mit Zäunen aus Flechtwerk, die wahrscheinlich Windschutz bieten sollten.305 Für andere Orte – wie Reichenhall und Lüneburg – sind (überdachte) Siedehäuser oder -hütten belegt.306 Die Salzproduktion großer Salinen wie Reichenhall, Berchtesgaden, Aussee oder Lüneburg war beträchtlich. Sie soll sich in Lüneburg zwischen 1200 und 1300 auf dann etwa 15 300 Tonnen verdreifacht haben.307 Als Gebrauchs- und Handelsgut war das Salz so einträglich, dass sich auch die Ausschöpfung gering konzentrierter Solevorkommen lohnte. Derartige Vorkommen gab es an verschiedenen Orten, bei denen Salzgewinnung und Stadtgründung bzw. die Verleihung von Stadtrechten im Hochmittelalter oft in direkter Beziehung stehen.308 Sichtbar wird dies bis heute auch bei einer Reihe hochmittelalterlicher Stadtgründungen, die das Präfix ‚Salz-‘ im Namen führen, wie Salzdahlum, Salzgitter, Salzderhelden, Salzhemmendorf, Salzkotten, Salzschlirf oder Salzuflen.309 Für das gewonnene Salz bestehende Märkte wurden nicht nur recht gezielt erschlossen, sondern zuweilen auch gewaltsam verteidigt: „Vorüberge303 304
305 306 307 308
309
Schubert (2006), S. 57 Vgl. Walter Melzer: Archäologische Erkenntnisse zu Handel und Handwerk im mittelalterlichen Soest, in: Manfred Gläser (Hg.): Lübecker Kolloquium zur Archäologie im Hanseraum II: Der Handel. Lübeck 1999, S. 245–261, hier: S. 253 f. Vgl. Melzer (1999), S. 254 Vgl. Schubert (2006), S. 56 f. Vgl. Schubert (2006), S. 49 „Die Entdeckung der Solequelle bei Staßfurt 1227 gab den Anstoß zur Erhebung des kleinen Ortes zur Stadt“, Schubert (2006), S. 48 Vgl. Schubert (2006), S. 48. Weitere, schon vor der Jahrtausendwende belegte Salzproduktionsstätten sind Bad Nauheim, Schöningen, Bad Homburg, Bad Sooden-Allendorf, Bad Kissingen, Bodenfelde, Empelde (bei Hannover), Sülbeck, Großenlüde und Bad Hersfeld, vgl. Stöllner (2004), S. 374, Tab. 1. – Hinweise geben auch andere, sprachlich jedoch ältere Verbindungen zwischen Ortsnamen und Salzvorkommen bzw. -gewinnung durch den Namensteil ‚Hall-‘ oder ‚-hall‘, der in Ortsnamen wie Reichenhall, Hallein, Hallstatt, Hall (im Inntal), Schwäbisch Hall oder Halle (Saale) erscheint, vgl. Schubert (2006), S. 47 f.
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Abb. 95: Rekonstruktion mittelalterlicher Salzsiedeöfen aus Soest
hend hatte die Ausweitung des alpinen Salinars zu heftigen Konkurrenzkämpfen geführt. Das bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts im süddeutschen und südostdeutschen Raum den Salzhandel beherrschende Reichenhall, das die größten damals bekannten Salzvorkommen besaß, sah 1190/91 in der gerade erst erschlossenen Lagerstätte Berchtesgaden einen Rivalen. Die Reichenhaller versuchten 1193/94 sogar, die neue Saline zu zerstören, und als Antwort überzog 1196 der Salzburger Erzbischof Reichenhall mit Fehde und Brand … Langfristig erwies sich angesichts der großen Bedarfs an Salz, daß beide Salinen nebeneinander bestehen konnten.“310 Zur Sicherstellung der Versorgung ihrer Bevölkerung gingen Städte besonders im süddeutschen Raum dazu über, Salz in eigenen Magazinen zu bevorraten.311 Durch eigene Anteile an der Produktion und am Handel mit
310 311
Schubert (2006), S. 48 Vgl. Treml/Riepertinger/Brockhoff (1995), Beitragsband, passim. Die süddeutschen städtischen ‚Salzstadel‘ finden sich noch heute in Straßennamen wieder, so z. B. in Ulm
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Salz besaß auch die Kirche Salzvorräte, insbesondere viele Klöster bewirtschafteten ansehnliche Salzvorräte.312 Der Handel mit und der Verkauf von Salz konnten sich schwierig gestalten: je nach dessen Wassergehalt besaß eine Ladung oder Portion bei gleichem Volumen unterschiedliches Gewicht. „Abgesehen von den unterschiedlichen Qualitäten, die Betrugsmöglichkeiten eröffneten, galt es, das genaue Gewicht von feuchtem und trockenen Salz bei erheblichen Preisschwankungen zu bestimmen.“313 Die Dichtung und die darstellende Kunst des Hochmittelalters gehen auf diese Aspekte des lebenswichtigen Salzes nicht ein. Erschlossen werden sie daher wesentlich durch überlieferte chronikalische Quellen und Rechtstexte, die u. a. Eigentumsanteile, Zölle, Privilegien oder Verpflichtungen ausweisen.314 Wie im Falle von Soest treten einzelne archäologische Befunde hinzu. Die Entstehung und der Weg des Salzes interessierten die Autoren und Künstler des Hochmittelalters, aber auch ihr Publikum offenbar wenig. Salz war selbstverständlich, ‚man hatte es eben‘, und nur sein Fehlen wird – als ein empfindlicher Verlust – in poetischen Texten zuweilen erwähnt. Dies ist umso bemerkenswerter, als es in der Bibel, auf die in Literatur und Kunst dieser Zeit sonst so oft Bezug genommen wird, einige bekannte Passagen gibt, in denen Salz eine wichtige Rolle spielt.315 Vielleicht fand man mit den damaligen darstellerischen Mitteln und Techniken keine geeigneten Möglichkeiten der Fassung in eine allgemein verständliche Form.316 Bei den festlichen Tafeln, die Handschriftenilluminationen aufweisen, wird man sich auf ihnen abgebildete Behältnisse vielleicht auch als Salzgefäße vorstellen dürfen, auch wenn sie in den zugehörigen Texten als Tafelinventar nicht erwähnt werden.317 Dahingehend werden vereinzelt besonders aufwändig verzierte, z. B. auch golden dargestellte und mit einem Deckel versehene Einzelgefäße 312 313 314
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Vgl. Volk (1984), u. a. S. 27 ff. sowie Schubert (2006), S. 60 Schubert (2006), S. 66 Verschiedene Beispiele bieten Treml/Riepertinger/Brockhoff (1995), Katalog S. 214 und S. 234 f. So z. B. in der Bergpredigt, in der sich Jesus in einem Gleichnis an seine Jünger wendet: „Ihr seid das Salz der Erde“ (Mt. 5, 13), oder in der bekannten Geschichte Lots und seiner Frau, die, weil nicht folgsam, zur Salzsäule erstarrte (1. Moses 19) Etwa in der Art, wie sie spätmittelalterliche Illuminationen bei der Darstellung von Zucker ausweisen, der damals in Form von Zuckerhüten vertrieben wurde und aufgrund dieser charakteristischen Gestalt in Darstellungen von Küchenszenen, Apotheken und Krämerläden öfter zu sehen ist Vgl. oben S. 72 mit Anm. 157
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Abb. 96: Die Hochzeit zu Kana. Illumination aus dem sog. ‚Hildegard-Gebetbuch‘, um 1180
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(Solitäre) interpretiert, die manche Tafelszenen aufweisen.318 Eines der für diese These beigezogenen Beispiele ist die obige Abbildung, die dem bekannten hochmittelalterlichen Darstellungsmuster einer (langen) Tafel folgt und ein solches, im Gesamtbild der Tafel auffallendes Prunkgefäß zeigt. Am Beispiel der Salzes lässt sich schließlich einmal mehr absehen, wie unangebracht heute zuweilen propagierte, dabei sehr ‚romantisierende‘ Vorstellungen von einem in früheren Zeiten ökologisch ausgewogenen Verhältnis von Mensch und Umwelt sind. Die damalige Salzproduktion, vor allem die verbreitete Nutzung auch schwach konzentrierter Solevorkommen, erforderte Unmengen an Holz, die „Salinen sind allesamt Waldfresser“.319 In alpennahen Salinen konnte auch eine schon früh aufgenommene, planmäßige Waldwirtschaft mit Wiederaufforstungen die Abholzung für Feuer- und Bauholz der Salinenbetriebe nicht nachhaltig kompensieren,320 und in den Wäldern in der Umgebung Lüneburgs wurde ein derart großer Raubbau betrieben, dass Holz zur Aufrechterhaltung des Salinenbetriebes bald bis aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern auf Wasserwegen herangeschafft werden musste.321 Die einstige Naturlandschaft wurde durch die Abholzung der dort einst vorhandenen, ausgedehnten Laubwälder erheblich verändert, es setzte eine erhebliche Bodenerosion ein mit der Folge, dass die fortan kargen, landwirtschaftlich nicht bearbeiteten Flächen nur noch ‚anspruchloses‘ Heidekraut, Kiefern- und Fichtenwälder sowie Buschwerk tragen konnten.322 Die Folgen früherer Umweltsünden kennzeichnen diese Landschaft bis in die heutige Zeit.
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So durch Treml/Riepertinger/Brockhoff (2005), Katalog, S. 324 ff. mit verschiedenen Beispielen aus Handschriften mit religiösen Texten. Die dort vertretene Annahme, dass es sich bei den besonderen Gefäßen um Salzbehältnisse handelt, wird vornehmlich auf die seit dem späteren Mittelalter verbreiteten, aufwändigen Tafelaufsätze gestützt, die mit Salz und Gewürzen aufgefüllt wurden Schubert (2006), S. 58 So konnte die Saline in Ischl im Spätmittelalter nicht mehr expandieren, weil es schon damals an entsprechenden Holzvorkommen fehlte, vgl. Schubert (2006), S. 58 Vgl. Schubert (2006), S. 58 Vgl. Schubert (2006), S. 58
Hunger und Mangelernährung
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V. Hunger und Mangelernährung Eine Betrachtung des hochmittelalterlichen Nahrungswesens wäre ohne die Berücksichtigung dieses Aspektes unvollständig. Schon vorab sei bemerkt, dass Aussagen zu Hunger und Mangelernährung im Hochmittelalter je nach Frageinteresse und Quellenhintergrund sehr differieren können. Zuweilen mag sich im Urteil verschiedener Autoren dabei deren Vorstellung einer ‚dunklen Zeit‘ voller Unsicherheit und Gefahren niederschlagen.323 Für diese Richtung kennzeichnend ist die Darstellung, die sich vor einigen Jahren – freilich mit journalistischem Hintergrund – im SPIEGEL fand: „Die Sommer waren verregnet, die Winter kalt. Vielerorts reifte das Getreide nicht mehr aus. Am feuchten Korn schmarotzten die Mutterkornpilze. Wer davon aß, dem faulten die Gliedmaßen ab.324 Hungersnöte und Epidemien wüteten, Menschen und Tiere waren extrem krankheitsanfällig, Kannibalismus brach aus. Die durchschnittliche Lebenserwartung sank um zehn Jahre. In Deutschland wurden Tausende von Dörfern aufgegeben, Landstriche waren entvölkert.“325 Ob und inwiefern derartige Darstellungen, denen zuweilen ein gewisses toposartiges Moment anzuhaften scheint, hochmittelalterliche Verhältnisse zutreffend zu erfassen vermögen, soll hier beleuchtet werden. Dabei werden besonders jüngere Untersuchungen und auch Ergebnisse der Auswertung von Bodenfunden herangezogen mit der Frageintention, ob sie ein differenzierteres Bild zu vermitteln vermögen. Ältere kulturgeschichtliche Darstellungen, die das Themenfeld ‚Essen und Trinken‘ aufnehmen, lassen Betrachtungen zu Hunger und Mangel zumeist aus. Sie vermitteln den Eindruck, dass diese Phänomene lediglich eine untergeordnete Rolle spielten oder überhaupt nicht vorhanden waren.326 Da sich die meisten dieser Arbeiten vornehmlich auf die Dichtung und insbesondere die höfische Literatur des Mittelalters stützen, in deren
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In diesem Sinne z. B. Hirschfelder (2001), S. 113 und 116 und Hans-Werner Goetz: Leben im Mittelalter vom 7. bis 13. Jahrhundert. München 1986, S. 26 f. Zum hier beschriebenen Ergotismus siehe unten Abschnitt VIII.1 N.N. in: DER SPIEGEL 1995, zitiert nach Haidle (1997), S. 1 So z. B. bei Schultz (1889) und ders., Das häusliche Leben im Mittelalter, in: Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker vom Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte). München/Berlin 1903; ebenso Pieth (1909), Georg Steinhausen: Geschichte der deutschen Kultur. Neu bearbeitet und erweitert von Eugen Diesel. (Die deutsche Kulturgeschichte. Bd. 1). Leipzig 19362, Fritz Winzer (Hg.): Kulturgeschichte Europas. Von der Antike bis zur Gegenwart. Braunschweig 1978, passim
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artifiziell gestaltete Atmosphäre Hunger und Mangelernährung nicht zu passen scheinen, mutet dieser Befund zunächst nachvollziehbar an. Tatsächlich werden Hunger und Mangel in literarischen Quellen der Zeit auch sonst verhältnismäßig selten aufgegriffen.327 Im ‚Renner‘ Hugos von Trimberg328 findet sich die seinerzeit – wohl nicht nur bei und durch Theologen – verbreitete Vorstellung, Hungersnöte seien als göttliches Strafgericht für menschliche Verfehlungen anzusehen:329 Swenne unser herre ein kummer jâr Lêt werden üm unser missetât, Sô kument hin nâch zwei hunger jâr, Ê denne die gîtigen werdent sat, Die dâ tuont als nimmer mêre Wîn sül werden oder getreide.
(V. 13593 ff.)
Einem schlechten Jahr mit mangelnder Ernte, das Gott wegen unseres schlechten Verhaltens werden lässt, folgen zwei Hungerjahre, noch bevor die vor Hunger Gierigen gesättigt werden können, die sich so verhalten, als ob es nie wieder Wein oder Getreide geben werde.330 Hugo von Trimberg führt darüber hinaus jedoch auch ganz ‚weltliche‘ Ursachen für Unregelmäßigkeiten in der Nahrungsmittelversorgung an:
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Vgl. die Belege für hunger und mit diesem Wort gebildete Nominalkomposita sowie weitere Derivate bei Lex. Bd. I (1992), Sp. 1385 f.; dass es sich bei entsprechenden Passagen höfischer Romane oft um Szenen handelt, in denen „Personen niederen Standes oder Adelige … in der Umgebung von Bauern leben müssen“ und in denen es auch um die Darstellung des Lebens in und außerhalb der angestammten sozialen Umgebung geht, betont Trude Ehlert: Das Rohe und das Gebackene. Zur sozialisierenden Funktion des Teilens von Nahrung im Yvain Chrestiens des Troyes, im Iwein Hartmanns von Aue und im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Kolmer/Rohr (2000), S. 23–40, hier: S. 23 Vgl. Edition Ehrismann (1970), hier: Bd. II Eine Auswahl von zeitgenössischen Autoren, die vornehmlich monastischen Kreisen zuzurechnen sind und Hungersnöte toposartig als ‚Geißel‘ oder ‚Strafgericht‘ Gottes darstellen, findet sich bei Fritz Curschmann: Hungersnöte im Mittelalter. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 8. bis 13. Jahrhunderts. Leipzig 1900, S. 12 ff. Ebenso typisch für die Zeit ist die Verbindung mit Vorankündigungen und Zeichen, die auf das kommende Unheil hinweisen, so z. B. Sonnen- oder Mondfinsternisse und das Erscheinen von Kometen, vgl. S. 14 ff. In mittelalterlichen Annalen werden auch andere ungewöhnliche astronomische Konstellationen als Grund für Kälte, Stürme und Überschwemmungen angegeben, Beispiele aus den österreichischen Klöstern Admont und Reichersberg sowie aus Magdeburg bietet Epperlein (2003), S. 23 ff.
Hunger und Mangelernährung
Diente wir unserm herren wol, Sô würden selten hunger jâr. Dem weder kaste noch keller ist vol, Wunder ist ob der ezzen getar. Schelm, hunger jâr, roup und brant Hânt ofte verderbet manic lant.
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(V. 13601 ff.)
Sofern die Menschen dem Herrn gefällig dienten, gäbe es selten Hungerjahre. Es scheint dem Verfasser fraglich, ob derjenige zu essen haben könne, der weder im Kornspeicher331 noch im Keller über genügend Vorräte verfügte. Denn oft werden Landstriche (Länder) durch Hungerjahre, Räuberei und Brandkatastrophen (auch absichtlich verursachte) verwüstet.332 331 332
Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1527 f. s.v. kaste Derartige Verhältnisse spiegeln sich wider in mittelalterlichen Landrechtsbestimmungen, die besonders auch die mit der Nahrungsmittelproduktion zusammenhängenden Bereiche unter besonderen Schutz stellen und Zuwiderhandlungen mit harter Strafe belegen. Im ‚Sachsenspiegel‘ hält Eike von Repgow in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts fest: „II 13 § 4. Alle mordere unde de den pluch roven oder molen oder kerken … vorredere unde mordbernene, oder de er bodescap werven (to erme vromen), de scal man alle radebreken“, zitiert nach Gerhard Köbler: Rechtsgeschichte. Ein systematischer Grundriß. (Studienreihe Jura). München 19813, S. 115; vgl. auch Karl Kroeschell: Deutsche Rechtsgeschichte 1 (bis 1250). (rororo studium – Rechtswissenschaften 8). Reinbek 1972, S. 197 und passim. Als Strafe für Mörder, Pflug-, Mühlen- und Kirchenraub sowie Mordbrennerei ist demnach das Rädern vorgesehen. Es ist zu vermuten, dass das im kodifizierten Rechtssinn vorbildliche Verhalten des Ritters Rennewart eine rühmliche Ausnahme darstellt. Ihn lässt der Verlauf eines Kampfes in ein Bohnenfeld geraten und es durch die Kampfhandlungen verwüsten (vgl. Edition Hübner [1938], V. 729 ff.). Später entschädigt er den Bauern für dessen Verlust großzügig: Rennewart sich da bewac Daz er dem gebure gæbe ein gelt Dem verwustet war sin velt: … ich enkan iuch niht bescheiden wie vil im wurden dem gebure er fult im hof und shure.
(V. 1682 ff.)
Vgl. auch 256, 18 ff. in Wolframs ‚Willehalm‘, wo auf einen ähnlichen Sachverhalt im Zusammenhang mit der Gesetzgebung Karls des Großen angespielt wird. S. ferner auch die Ersatzpflichtbestimmungen des ‚Sachsenspiegels‘ bei Tötung von (essbaren/jagdbaren) Tieren, in: Koschorreck (1976), S. 122, Nr. 131 f. Über regionale Hungersnöte, die durch kriegerische Auseinandersetzungen verursacht wurden, handelt Curschmann (1900), S. 22 f.: „Eins der charakteristischen Beispiele ist der Slaveneinfall in Holstein im Jahre 1147. Am 26. Juni, also kurz vor der
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Wenn auch angenommen werden darf, dass Hugo von Trimberg das Ausmaß schlechter Zeiten bewusst übertrieb, um seinen Aufrufen zur Buße mehr Nachdruck zu verleihen,333 so bleiben doch Hunger- oder Mangelperioden und eine (nicht nur witterungsabhängig) insgesamt nicht gleichbleibend sichere Nahrungsmittelversorgung seiner Zeit ein Faktum. Wie oft und wie weitreichend sie auftraten, ist jedoch auch aufgrund historischer Berichte schwer festzustellen, da zeitgenössische Chronisten fames und mortalitas – Hunger und Sterblichkeit, besonders infolge von Seuchen – als „fast untrennbare Begriffe“ gebrauchten und auch zwischen Hunger und Zeiten besonderer Teuerungsraten für Getreide – caristiae – kaum unterschieden.334 Viele, durch die hochmittelalterlichen Chronisten als Hungerperioden bezeichnete Ereignisse traten regional begrenzt auf. Weiträumige Landstriche erfassende oder sogar europaweite Hungersnöte sind demgegenüber für den hier interessierenden Zeitraum nicht eindeutig dokumentiert.335
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Ernte, überfallen die Slaven Lübeck und durchziehen dann verwüstend das ganze Land, darauf kommt es zu wechselnden Kämpfen zwischen Deutschen, Dänen und Slaven und alles führt schliesslich gegen Ende des Jahres zu einer Hungersnot. … Für die Hungersnot in Schwaben vom Jahre 1077 giebt Berthold als Grund neben der Missernte auch den Parteigängerkrieg an, der damals das Land verwüstete.“ E. Thoen führt an, dass vor „allem seit dem 13. Jh. die flächenhafte Zerstörung von Feldern Bestandteil der Kriegführung (war), um so den Gegner von seinen Ressourcen abzuschneiden – eine Taktik, die zur Verödung ganzer Landstriche führen konnte“, in: LexdMA Bd. V (1991), Sp. 220–222 (s.v. Hungersnöte), hier: Sp. 221 unter Verweis auf den Hundertjährigen Krieg Vgl. dazu Günther Schweikle: Hugo von Trimberg, in: VL Bd. 4 (1983), Sp. 268 ff., hier bes. Sp. 272 Vgl. Curschmann (1900), S. 9 ff. Curschmann formuliert hier für seine Zeit ungewöhnlich quellenkritisch: „Von der grössten Bedeutung für die Geschichte der Hungersnöte ist die Frage nach der Ausdehnung des Notstandsgebiets in jedem einzelnen Falle. Unmittelbar geben die Quellen hierüber selten Auskunft, und finden sich einmal Angaben, per totam Galliam et Germaniam, per Saxoniam, per Baioariam, multis locis und ähnliches, so sind sie doch mit der grössten Vorsicht aufzunehmen. Im Ganzen ist anzunehmen, dass der schreibende Mönch sichere Auskunft nur über seine nähere Umgebung geben konnte“, so Curschmann (1900), S. 28. Erst am Beginn des 14. Jahrhunderts finden sich lt. Curschmann Quellen, die auf eine ganz Mitteleuropa erfassende Hungersnot hinweisen (1315–1317, vgl. Curschmann [1900], S. 33). – Thoen (1991), Sp. 220 hingegen benennt in seinem Beitrag deren allgemeines und weiträumiges Auftreten für die Jahre 1100, 1125–26, 1145–47 sowie 1225–26; Goetz konstatiert besonders für das 12. Jahrhundert ein Ansteigen von Hungersnöten, allerdings ohne Belege für diese These beizubringen, vgl. Goetz (1986), S. 27. Montanari (1993), S. 54 ff. wiederum geht davon aus, dass trotz verschiedener regionaler Engpässe und Schwankungen in der Versorgung ganz Europa vom 11. bis ins 14. Jahrhundert hinein von
Hunger und Mangelernährung
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Als erstes, oft auch recht sicheres Anzeichen für eine Mangelperiode, die auch in eine Hungerzeit münden konnte, werden verschiedentlich rapide steigende Preise – vor allem die des Getreides als Grundnahrungsstoff – angeführt.336 Diejenigen, die Nahrungsmittel einlagern konnten und eingelagert haben, treiben die Preise kräftig in die Höhe, sobald sich Anzeichen einer Nahrungsmittelknappheit erkennen lassen. Dass auch der Klerus in diesem Zusammenhang verwerfliche Geschäfte betrieb, wird im ‚Renner‘ scharf kritisiert: Kumt aber ein hungerjâr uns armen, Wer wil sich denne über uns erbarmen? Spricht der pfaffe: „Nu hebt an, Her leie, nu sît ein frumer man Und gebt den armen rehten kouf!“ „Nu lât mich sehen iuwern louf,“ Spricht der leie, „swie ir mir vor Gêt, als trit ich in iuwer spor! Hebt an und werdet ein frumer man!“
(V. 8095 ff.)
Der Geistliche fordert den Laien auf, dem christlichen Gebot von Erbarmen oder Nächstenliebe zu folgen und den armen Leuten einen guten (= niedrigen) Preis für seine eingelagerten Waren festzulegen. Der jedoch erwidert, der Geistliche möge zuerst mit gutem Beispiel voran gehen. Doch dieser fürchtet um sein eigenes Auskommen und das seiner Bediensteten: „Ich fürhte mîn kasten werden wan, Wes sol denne mîn gesinde leben?“
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länger andauernden Hunger- und Mangelperioden nicht betroffen war. Er führt dies besonders auf günstige klimatische Verhältnisse und entscheidende Verbesserungen im Landbau zurück. Vergleichbar auch Dirlmeier (1987b), S. 145 f. – Das Gegenteil findet sich bei Gisela Grupe: Umwelt und Bevölkerungsentwicklung im Mittelalter, in: Herrmann (1987), S. 24–34, die meint, dass gerade das 12. und 13. Jahrhundert durch zahlreiche überregionale Teuerungen und Hungersnöte gekennzeichnet gewesen seien (S. 29) Vgl. Curschmann (1900), S. 10 f. und Thoen (1991), Sp. 220; siehe auch Abel (1974), S. 13 ff. und passim, dessen diesbezügliche Aussagen in den letzten Jahren jedoch zunehmend kritisch beleuchtet werden, vgl. z. B. Haidle (1997), S. 7 und passim sowie Dirlmeier (1987b), S. 143–154 Zu wan vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 667, „nicht voll od. das volle mass nicht haltend, leer“
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Selbst das Argument des Laien, dass man durch ein gutes Beispiel möglicherweise sogar Juden zur Konversion bewegen könne, fruchtet nichts – der Kleriker hütet seine Vorräte weiter (V. 8106 ff.). Diese Passage wendet sich, wie der Verfasser (vorsorglich?) hinzufügt, nicht gegen den geistlichen Stand an sich: Diz schrîbe ich niht von allen pfaffen, Ich schrîbe ez von den gîtigen affen, Die selten trœstent arme liute Und selber guotes genuoc habent hiute.
(V. 8113 ff.)
Nur die ‚geizigen338 Affen‘ sind gemeint, die, obwohl sie selbst in schlechten Zeiten über eine ausreichende Versorgung verfügen, Armen nur selten in ihrer Not beistehen.339 Ähnlich äußerte sich Walther von der Vogelweide, der – bezeichnenderweise im sog. ‚Unmutston‘ – den Papst beschuldigt, die deutschen Laien fasten und mager werden zu lassen, während die Geistlichen Hühner essen und Wein trinken: ir pfaffen, ezzent hüenr und trinkent win, und lant die tiutschen leien magern unde vasten.
(11, 9 f.)340
Dass derartige Verhaltensweisen, die sich vor einem bedürftigen oder kritischen Publikum rhetorisch sicher mit entsprechender Wirkung anprangern ließen, jedoch wohl nicht die Regel waren, belegen verschiedene, aus der Zeit der Hochmittelalters überlieferte Berichte, denen zufolge sich „Klöster in Hungerzeiten verschuldeten oder liturgische Geräte, Teile des Kir-
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gîtec auch in der Bedeutung von ‚habgierig‘, vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1024 Auch an anderen Stellen hält Hugo mit seiner Kritik am Verhalten des Klerus nicht zurück, dessen Vertreter er wiederholt als ‚Affen‘ bezeichnet: Des vinde wir tummer herren mêre Denne tuomherren, daz müet mich sêre, Und mêr tôraffen Denne kôrpfaffen, Mêr torherren Denne kôrherren.
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(V. 13385 ff.)
Vgl. hierzu die Predigten Bertholds von Regensburg, die Kritik am Verhalten der Geizigen teilen, in: Berthold von Regensburg (1965), passim, erreichbar auch über Hermann Gildemeister: Das deutsche Volksleben im XIII. Jahrhundert nach den deutschen Predigten Bertholds von Regensburg. Jena 1889, bes. S. 29 Walther von der Vogelweide: Sämtliche Lieder. Mittelhochdeutsch und in neuhochdeutscher Prosa. Mit einer Einführung in die Liedkunst Walthers herausgegeben und übertragen von Friedrich Maurer. (UTB 167). München 1972, S. 222
Hunger und Mangelernährung
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chenschatzes oder auch Bücher verkauften oder verpfändeten, um … im notwendigen Umfang für die Armen sorgen zu können“.341 Hinsichtlich der Frage, welche Teile der Bevölkerung von Teuerungswellen und anschließender Mangelernährung sowie Hunger besonders betroffen waren, ergibt sich ein durchaus uneinheitliches Bild. Während die poetischen Texte angesichts der seinerzeit üblichen Kontrastierung von Vermögenden und Armen dem heutigen Betrachter nahe legen, dass zunächst besonders die bäuerliche Bevölkerung betroffen war, ist es wahrscheinlicher, diese Vorstellung zuungunsten derjenigen zu revidieren, die vermehrt auf den Zukauf oder Kauf von Nahrungsmitteln angewiesen waren.342 Dies konnte auf alle Stände zutreffen, betraf existenziell jedoch besonders die weniger begüterte oder abhängig beschäftigte ländliche und die Stadt-Bevölkerung.343 Die auch sozial gering geachteten Lohnarbeiter, Handwerksgesellen und -lehrlinge, Tagelöhner und Mägde sollen im Hochmittelalter bis zu 50 % der städtischen Bevölkerung gestellt haben.344 In 341
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Otto Gerhard Oexle: Armut und Armenfürsorge um 1200. Ein Beitrag zum Verständnis der freiwilligen Armut bei Elisabeth von Thüringen, in: Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hg.): Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog. (Ausstellungskatalog zum 750. Todestag der Heiligen Elisabeth vom 19. November 1981 – 6. Januar 1982 in Marburg). Sigmaringen 1981, S. 78–100, hier: S. 86 Armut und Reichtum wurden in der zeitgenössischen Wahrnehmung vornehmlich nicht nach (wirtschaftlichem) Wohlstand unterschieden: „Arm ist derjenige, dessen Mittel zu seinen Zwecken nicht zureichen“, „Armut in diesem Sinn wird also definiert nicht bloß als das Fehlen des Lebensnotwendigen, sondern durch das Fehlen des Standesnotwendigen“, was nach sich zieht, dass sowohl Adel als auch Klerus, Bauern oder Stadtbevölkerung als potentes oder als pauperes angesehen werden konnten, so Oexle (1981), S. 83 Vgl. Dirlmeier (1987b), S. 148; siehe auch Massimo Montanari in: LexdMA Bd. III (1986), Sp. 2162–2169, hier: Sp. 2163 s.v. Ernährung Vgl. Oexle (1981), S. 88; einen Eindruck über deren Lebens- und Versorgungsverhältnisse gibt Hartmanns ‚Iwein‘, der die folgende Schilderung aus der französischen Vorlage Chrétiens (‚Yvain‘) ohne Änderungen übernahm. In einer Burg werden 300 Frauen gefangen gehalten und zur Arbeit bei der Textilherstellung gezwungen. Die Verhältnisse, die beschrieben werden, muten an wie diejenigen, gegen die sich besonders im 19. Jahrhundert die Kapitalismuskritik richtete. Nach einer Aufzählung der zu verrichtenden Tätigkeiten wird festgestellt, dass die Frauen … wâren doch unberâten: in galt ir arbeit niht mê wan daz in zallen zîten wê von hunger und von durste was und daz in kûme genas der lîp der in doch nâch gesweich. sî wâren mager unde bleich,
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einer Zeit, in der sich die Ernährung der gesamten Bevölkerung entscheidend auf Selbstversorgung bzw. regionale Produktion und Wirtschaftsbeziehungen abstützte, besaß die Landbevölkerung, die im Hochmittelalter etwa zwischen 85 und 95 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte,345 zumeist den Vorteil des Produzenten: mehrheitlich musste sie wohl Korn, Fleisch, Gemüse oder Milchprodukte nicht zusätzlich käuflich erwerben.346 Adel und Klerus konnten der Teuerung durch die im mittelalterlichen Lehenssystem üblichen Naturalabgaben ebenfalls leichter entgehen. Solange Geldmittel und Vorräte vorhanden waren, konnten Mangel und Hunger im Hochmittelalter weitgehend vermieden werden. Schwierig wurde die Lage jedoch für alle Bevölkerungsschichten und Stände, wenn über mehrere Jahre Ernteausfälle oder Missernten zu verzeichnen waren. Dass Adel und Klerus, hier besonders Klöster, in Anerkennung naturräumlicher Gegebenheiten und auch einer problematischen Ertragslage Abgabepflichten resî liten grôzen unrât an deme lîbe und an der wât. ez wâren bî ir viure under wîlen tiure daz vleisch zuo den vischen.
(V. 6206 ff.)
Ihre gesamte Arbeit führte zu nicht mehr als dass die jederzeit von Hunger und Durst gepeinigt wurden. Sie konnten ihren Körper kaum stärken, der immer schwächer wurde. Bleich und mager waren sie und litten große Entbehrungen sowohl am Körper als auch an ihrer Kleidung. Meistens waren auf ihrem (Herd-)Feuer Fleisch und Fische nicht vorhanden. Eine der Frauen beklagt sich über die Ausbeutung, da ihre Arbeit und ihre kläglichen Lebensverhältnisse denjenigen reich macht, der von diesen Verhältnissen profitiert:
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der lôn ist alze ringe vür spîse und vür cleider: des sîn wir ouch der beider vil rehte dürftiginne. von unserme gewinne sô sint sî worden rîche, und leben wir jæmerlîche. (V. 6400 ff.) Vgl. J.C. Russel s.v. Bevölkerung in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 11–14, hier: Sp. 11; s. auch Norbert Wand: Die archäologische Erforschung des mittelalterlichen Dorfes im westlichen Deutschland, in: Wand (2000), S. 11–24, hier: S. 11. Zu berücksichtigen ist bei derartigen Schätzungen jedoch grundsätzlich, dass die jeweilige Populationsdichte räumlich und zeitlich stark differieren konnte Montanari (1993), S. 68 konstatiert in diesem Zusammenhang, dass sich die Vorstellung der Bauern durch die Städter wandelte: „Der Bauer wird mit neuen Augen gesehen. Er ist nicht mehr nur ein zu beherrschendes Objekt, als das ihn vor allem der alteingesessene Adel verstanden hatte, sondern eher ein Arbeitsinstrument, um mehr zu produzieren, mehr zu verdienen.“
Hunger und Mangelernährung
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duzierten und sogar aussetzten, ist verschiedentlich belegt.347 Damit erreichten Teuerung und Mangel schließlich auch die privilegierten Stände. Besonderen Belastungen waren bei andauernden Missernten oder in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen und bewaffnet ausgetragener Fehden jedoch die Dorf- und die Stadtbevölkerung ausgesetzt. In entsprechenden Situationen kam es zur Flucht von Teilen der Landbevölkerung in die Städte, teils auch in Klöster, was zur Folge hatte, dass sich die in den Städten ohnehin labilere Versorgungslage deutlich verschärfte.348 Infolge der grundsätzlich problematischen hygienischen Verhältnisse brachen dort nicht selten Seuchen aus.349 Die Landflucht führte zudem dazu, dass Saaten nicht eingesetzt wurden und Ackerfläche brach lag, was zu einer Perpetuierung des vorhandenen Mangels führte.350 Dass auch der Adel von Mangel und Hunger betroffen sein konnte, wird durch epische Texte aufgenommen. Allerdings sind es hier nicht Teuerungen oder Missernten, die diese Situation verursachen, sondern – gleichsam ‚standesgemäß‘ – ritterliche Fehden oder die Belagerung von Burgen, die eine Lebensmittelknappheit hervorrufen. Eine solche Situation schildert Wolfram von Eschenbach in seinem ‚Parzival‘ durchaus realistisch. Im vierten Buch gelangt Parzival an die Burg seiner späteren Gemahlin Côndwîrâmûrs, und die an die Burg grenzende Stadt, Pelrapeire. Die Feste und die Stadt befinden sich im Belagerungszustand, und der zadel fuogte in hungers nôt. sine heten kæse, vleisch noch prôt, si liezen zenstüren sîn, und smalzten ouch deheinen wîn mit ir munde, sô si trunken. die wambe in nider sunken: ir hüffe hôch unde mager, gerumphen als ein Ungers zager was in diu hût zuo den riben: der hunger het inz fleisch vertriben. den muosen si durch zadel dolen. in trouf vil wênic in die kolen. 347
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(184, 7 ff.)
Vgl. Helmut Jäger: Determinanten mittelalterlicher Bevölkerungsentwicklung aus historisch-geographischer Sicht, in: Herrmann/Sprandel (1987), S. 91–108, hier: S. 104 f. Vgl. Montanari (1993), S. 86 f. und Schubert (2006), S. 38 Vgl. Dirlmeier (1987b), S. 146, der hierin die Hauptursache hoher Sterblichkeitsraten in Mangel- oder Hungerzeiten sieht Vgl. Curschmann (1900), S. 27 f. und Thoen (1991), Sp. 220
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Der Mangel verursachte ihnen eine Hungersnot. Sie hatten weder Käse noch Fleisch oder Brot. Die Besatzung der Burg gab das Zahnstochern auf (weil es nichts zu essen gab), und wenn sie etwas tranken, dann war es kein Wein, den sie schmeckten. Ihre Bäuche waren eingesunken, ihre Hüften waren mager und standen hoch heraus, ihnen war die Haut über den Rippen zusammengeschrumpft.351 Der Hunger, den sie durch Mangel erlitten, hatte sie so abmagern lassen. Ihnen tropfte sehr wenig (Bratenfett) auf die (Herd-)Kohlen. In einem so jammervollen Zustand befindet sich selbst die Königin: sie ist völlig entkräftet (vertwâlet, 188, 27).352 Nachdem sie ihren Gast auf den herrschenden Mangel hingewiesen hat (wohl eine Geste der Etikette, denn der Gast ist über die Belagerung der Feste ja im Bilde), beschließt ihr Vetter Kiot, Nahrungsmittel zu besorgen, die jedoch für manchen der Belagerten zu spät eintreffen würden: Ir was vor hunger maneger tôt ê daz in dar kœme’z brôt.
(190, 29 f.)
Die Nahrungslieferung, die Kiot daraufhin schicken lassen will, besteht aus zwölf Broten, drei Vorder- und drei Hinterschinken, acht Käselaiben und zwei Krügen mit Wein (vgl. 190, 10 ff., vgl. auch oben S. 101). Kiots Bruder Manphiliot verspricht, genau so viel beizutragen. Die Königin lässt diese Nahrungsmittel sofort nach deren Eintreffen verteilen. Sie können die Leute jedoch nur vor dem Verhungern bewahren. Zum Sattwerden reichte dies nicht (191, 1 ff.). Die hier geschilderte Situation, die für die (hoch)adlige Gesellschaft als Ausnahme dargestellt wird, beschreibt neben dem Hunger den Mangel: es lassen sich zwar Nahrungsmittel beschaffen, im vorstehenden Zitat sogar recht ‚hochwertige‘, doch eine ausreichende Ernährung können sie auf Dauer nicht gewährleisten. Diese Lage scheint – folgt man den Schilderungen Bertholds von Regensburg – besonders in den Städten des 13. Jahrhunderts durchaus bekannt gewesen zu sein.353 351
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Eigenartig mutet heute der Vergleich an, den Wolfram an dieser Stelle anstellt: er beschreibt die Haut der Darbenden als zusammengezogen wie ‚der letzte Zipfel‘ eines Ungarn ( ? ), vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 1019 f. s.v. zagel, dort auch in der Bedeutung von „nachhut eines heeres“; in der neuhochdeutschen Übertragung übersetzt Peter Knecht diese Stelle damit, die Haut an ihren Rippen sei wie „ungarisches Leder eingeschrumpft“ gewesen, vgl. Übersetzung zur Stelle S. 188 Vgl. Lex. Bd. III (1992), Sp. 280 s.v. vertwâlen: „von kräften kommen“ Vgl. F. G. Banta, in: VL Bd. 2 (1980), Sp. 818–823 s.v. Berthold von Regensburg. Der leichteren Übersicht wegen werden folgend die nicht-authentischen deutschen Predigten Bertholds unter dessen Namen aufgeführt
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Die niederen gesellschaftlichen Schichten in den Städten, disiu armen gotes kinder, so klagt er, seien oft so mittellos, dass sie trotz fleißigen Arbeitens und Schaffens ohne rechtes Obdach sowie angemessene Kleidung leben müssten und sich nicht viel besser als ihr Vieh ernähren könnten. Infolgedessen seien sie bleich und mager: gezzent niht vil baz danne ir vihe unde sint bleich unde mager.354 Als Berthold einmal davon spricht, dass der Schöpfer genügend Nahrungsmittel für alle Menschen gemacht habe, lässt er mit rhetorischem Trick einen fiktiven Zuhörer verbittert einwerfen, owê Bruoder Bertholt, sô hât erz gar unglîche geteilt! wan ich unde manic armez mensche enbîzen selten iemer, daz dâ guot ist, ezzens oder trinkens …,355 ‚der Schöpfer hat dies jedoch sehr ungleich verteilt! Denn ich und viele arme Menschen haben selten etwas Gutes zu essen oder zu trinken‘. Abhängige Bedienstete werden als diejenigen beschrieben, für welche die Ernährungsverhältnisse besonders schwierig sein konnten. Berthold fordert die Dienstherren auf, sie sollten ihren Leuten gar genuoc ze ezzen geben. Swenne so ir wercliute habet unde diener unde dienerin die dir durch daz jar dienent, den soltu groze schüzzel für setzen unde dar uf gar genuoc legen, unde niht ein bein druffe legen; wan du sihst vil gerne daz si dir vaste wirken: so soltu gar genuoc geben.356 Der hier direkt angesprochene Dienstherr soll sie ausreichend versorgen. Wenn er Bedienstete hat, auch Diener und Dienerin, die während des ganzen Jahres für ihn arbeiten, soll er ihnen große Schüsseln vorsetzen und genug darauf vorlegen, nicht etwa einen Knochen darauf tun. Da der Dienstherr ja gern sieht, dass sie alle hart für ihn arbeiten, soll er ihnen auch genug zu essen geben. Man soll den Bediensteten darüber hinaus nicht Katzenschüsseln (katzen vaz)357 vorsetzen und ihnen nicht die abgenagten Knochen der eigenen Mahlzeit anbieten, denn diese gehörten den Hunden.358 354 355 356
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Predigt Nr. I.257, 35 zit. nach Gildemeister (1889), S. 28 f. Gildemeister (1889), S. 29 Predigt Nr. I.90, 23 ff., zitiert nach Ernst Wolfgang Keil: Deutsche Sitte und Sittlichkeit im 13. Jahrhundert nach den damaligen deutschen Predigern. Berlin 1931, S. 117 f. Hier möglicherweise auch als Größenangabe gemeint? Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1532 s.v. katzenvaz und Bd. III (1992), Sp. 34 f. s.v. vaz Vgl. Keil (1931), S. 117 f.
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Die Bediensteten gut zu versorgen, ist für die Dienstherrn nicht zuletzt als prophylaktische Maßnahme von Interesse. Was nämlich geschehen kann, wenn sie diese laufend schlecht oder unterversorgen, schildert Berthold in verschiedenen Zusammenhängen. Sobald die Herrschaft nämlich dem Haus den Rücken kehrt, gehen die Bediensteten daran, die Vorräte zu plündern: sie stelnt daz holz, si stelnt daz smalz, sie stelnt daz korn, sie stelnt daz mel; so stilt der daz, so stilt der diz; so stilt der brot, so stilt der kaese, so daz fleisch, so daz ei: si stelnt eht allez daz.359 Recht dürftig sind die Nachrichten, die in der Dichtung über die verzehrbaren und/oder verzehrten Grundstoffe und Speisen gegeben werden, auf die man in Zeiten des Hungers oder Mangels zurückgreifen konnte. Soweit in der hochmittelalterlichen Literatur einschlägige Stellen vorliegen, scheinen diese deutlich geprägt von der zeitgenössischen Vorstellung, dass ‚Armut‘ nicht komplette Mittellosigkeit bedeutet. ‚Hunger‘ muss daher nicht heißen, dass Nahrungsmittel oder Essbares nicht vorhanden oder unerreichbar sind. ‚Hunger‘ als Ausdruck eines akuten Mangels (oder von Armut) bedeutet dann vielmehr, dass es demjenigen, der sich in einer Ausnahmesituation befindet, in der akuten Lage nicht möglich ist, die seinem Stand gemäßen Verrichtungen und Lebensweisen wahrzunehmen.360 In diesem Kontext scheinen auch die folgenden Textbelege zu stehen. In der ‚Kudrun‘ wird der junge Königssohn Hagen von einem riesenhaften Greifen auf eine entlegene Insel verschleppt. Dort trifft das Kind auf drei Königstöchter, die sich bisher durch wundersame Speisen verpflegen konnten. Offensichtlich sind diese jedoch mittlerweile ausgegangen, denn als sie Hunger verspüren, beginnen sie, Wurzeln und alle möglichen Kräuter zu sammeln: Si begúnden suochen wurzen und ander krût.
(81, 1)361
Im Wald am ‚Wilden Brunnen‘ (Fontaine la Sauvage) trifft Parzival auf Trevrizent, der dort wie ein Eremit zurückgezogen lebt. Da es bei Trevrizent gerade nichts Essbares gibt, gehen beide in den Wald hinaus, Parzival auf der Suche nach Futter für sein Pferd, Trevrizent sucht für sich und seinen Gast nach (essbaren) Wurzeln: 359 360 361
Predigt Nr. I.84, 29 ff., Keil (1931), S. 116; vgl. dort auch Nr. I.479, 5 ff. Vgl. hierzu Oexle (1981), S. 83 und passim Zitiert wird nach der Ausgabe von Karl Bartsch. Kudrun. 5. Auflage überarbeitet und neu eingeleitet von Karl Stackmann. (Deutsche Klassiker des Mittelalters). Wiesbaden 1965
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si gingen ûz umb ir bejac. Parzivâl des fuoters pflac. der wirt gruop im würzelîn: daz muose ir beste spîse sîn.
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(485, 19 ff.)362
Auch Hartmann von Aue lässt seinen Ritter Iwein während der ‚Wahnsinns-Episode‘ im Wald nicht hungern. Vielmehr fehlt es ihm an allem, was eine für seinen Stand angemessene Jagd sowie die Zubereitung und Präsentation der erlegten Beute im Regelfall erfordern würden. So kann er auf der Jagd in dem wildreichen Wald, die ohne Jagdhunde stattfinden muss und deshalb recht beschwerlich ist, doch einiges Wild erlegen (3271 ff.). Schlimmer wirkte sich aus, dass dem Ritter keinerlei Gerät und Zutaten zum Zubereiten und Würzen seiner Mahlzeit zur Verfügung standen (V. 3277 f., vgl. oben S. 93 f.). Doch ist er so hungrig, dass er die Nahrung auch ohne angemessene Zubereitung als angenehm empfindet. Sein Hunger wirkt in dieser Situation wie eine würzende Sauce, die Notlage lässt ihn das erlegte Wild überdies als gebraten und gekocht erscheinen, so dass es für den Ritter eine angenehme Speise war: sîn salse war diu hungers nôt, diuz im briet unde sôt daz ez ein süeziu spîse was.
362
(V. 3279 ff.)
Am Ende des Aufenthaltes bei Trevrizent wird angemerkt, dass es neben Wurzeln auch Kräuter gegeben habe: sus war er dâ fünfzehen tage. der wirt sîn pflac als ich iu sage. krût unde würzelîn daz muose ir bestiu spîse sîn.
(‚Parzival‘, 501, 11 ff.)
Ähnlich ist es im ‚Wolfdietrich‘, der sich auf die Reise macht, um in fernen Landen Hilfe zur Durchsetzung seines Erbanspruches zu suchen. Die ihm mit auf den Weg gegebenen Vorräte (Wein und jegerspîse, X. Aventiure, 422, 2 f.) sind bald aufgebraucht, Wolfdietrich und seinem treuen Pferd macht der Hunger zu schaffen. In der Wildnis trifft er auf ein Meerweib, das ihm eine Versorgung verspricht, die den gewohnten Nahrungsmitteln nicht ähnlich sei (sie ist weder spîse noch wîn, XI. Aventiure, Str. 498): es handelt sich um Kräuter und Wurzeln, die jedoch hier eine wundersame Wirkung entfalten. Als Wolfdietrich davon kostet, fühlt er sich sofort wieder erstarkt und ‚vollkommen fit‘: Als er der wurze ein wênic genam in sînen munt, ‚ô wol mich‘ sprach der Krieche, ‚nu bin ich aber gesunt. mir gewirret an mînem lîbe niht sô grôz als umbe ein hâr. alle mîne sterke, frouwe, die hân ich wider gar.‘ (Str. 501)
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Vergleichbar sind Szenen aus den Fragmenten des ‚Grafen Rudolf‘, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden.363 Der Titelheld befindet sich in einer Notlage, denn es geht ihm auf Wanderschaft so schlecht, dass er seinen Durst mit Tau zu löschen sucht (H 21–28) und ein bisschen von einem halben Weißbrot isst, das ein vorher vorbeireitender junger Edelmann nicht mochte und deshalb fortgeworfen hatte: gnadin were ime not. do vant er ein halp brot daz man da heizet gastel364 – iz ist alumme sinuwel – daz ienre warf uzer hant … ein luzzel er des brotes az.
(H 29 ff.)
Auch in dieser Szene ist es nicht das Fehlen von Nahrungsmitteln, sondern die eines Adligen besonders unwürdige Lage, auf die abgehoben wird. In diesem Sinne ist wohl auch die Szene zu verstehen, in der Iwein im Wald auf einen Einsiedler stößt. Dieser lässt den versprengten Ritter – zunächst aus Angst, dann im Tausch gegen erbeutetes Wild – an seinen Vorräten Teil haben: es gibt nur Wasser und Brot. Auf das Fensterbrett seiner Klause legt der Einsiedler … ein brôt: daz suozt im diu hungers nôt: wand er dâ vor, daz got wol weiz, so jæmerlîchez nie enbeiz. … er âz daz brôt und tranc dâ zuo eines wazzers daz er vant in einem einber an der want.
(V. 3305 ff.)
Brot und Wasser sind als Nahrung des Einsiedlers weder ungewöhnlich noch wurde beides für den Eremiten als unangemessen angesehen, zumal diese Kombination im Mittelalter als ‚das‘ Beispiel für besondere Kasteiung oder Bußspeise, letztere sogar als Strafe galt und ihre wiederholte Nennung
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Vgl. Einleitung der Ausgabe von Ganz (1964) sowie VL Bd. 3 (1981), Sp. 211–216, zur schwierigen Datierungsfrage Sp. 214 Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 742 s.v. gastel: „eine art weissbrot od. kuchen, dünne, ungesäuert und hart“
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im Zusammenhang mit (auch selbstgewählter) Armut oder Not geradezu toposartige Züge trägt.365 Muss sich ein Ritter, hier sogar ein Angehöriger der berühmten Tafelrunde des Königs Artus, mit einem solchen Mahl begnügen, wird durch das mittelalterliche Publikum die Schilderung seiner Notlage ebenso drastisch wie plastisch empfunden worden sein.366 In einer Zeit, die soziale Vorsorge oder Absicherung nur bedingt – im Rahmen religiös motivierter Fürsorge und besonderer Verbünde – kannte,367 bedeutete wirtschaftliche Armut, die oft mit sozialer Stigmatisierung verbunden war,368 für die Betroffenen eine Katastrophe. Sie konnte durch Krankheit, infolgedessen Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit, Verwitwung, durch den Verlust von Land, Vieh und anderem Besitz, durch gescheiterte Geschäfte, Raub, aber auch durch die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen verursacht werden – ein insgesamt erhebliches Bedrohungspotenzial für sämtliche Stände.369 Obwohl die Grund- und Landesherren für das Wohl der Bevölkerung in ihrem jeweiligen Herrschaftsbereich zuständig waren, betrieb lediglich die Kirche eine nach heutigen Maßstäben vergleichsweise organisierte und regelmäßige Fürsorge für Arme und Notleidende.370 Aktiv waren hier besonders die kirchlichen Orden und deren Klöster, die wie die weltlichen Grundherren eine Verpflichtung zu Rechts- und Nahrungsschutz ihrer Hintersassen besaßen.371 Städte begannen erst im Laufe des späteren Mittelalters vermehrt damit, Vorräte – vor allem Getreidevorräte – anzulegen, die in Notzeiten an die Bevölkerung ausgegeben wurden.372
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Vgl. Zimmermann (1973), S. 50; Lutterbach (1998), S. 1–37, z. B. S. 6, S. 8, S. 9, S. 14 ff. Vgl. hierzu Ehlert (2000), die die betreffenden Szenen besonders unter dem Aspekt des Gegensatzes von Natur und Kultur sowie des damit verbundenen Verlustes und Wiedergewinns sozialer Akzeptanz betrachtet Vgl. zur christlichen (Armen-)Fürsorge Gerhard Uhlhorn: Die Christliche Liebesthätigkeit. Stuttgart 18952, insbesondere S. 277 ff. und zur bruderschaftlichen Funktion von Zünften K. Schulz unter dem Stichwort ‚Zunft, -wesen, -recht‘ in: LexdMA Bd. IX (1998), Sp. 686–691, bes. Sp. 689; vgl. ferner Oexle (1981), S. 87 Vgl. Oexle (1981), S. 82 ff. Vgl. Oexle (1981), S. 82 ff. Vgl. Oexle (1981), S. 85 ff. Vgl. z. B. Merk (1996), S. 16; s. auch Schubert (2006), S. 39 Vgl. Thoen (1991), Sp. 221. Schubert (2006), S. 95 verweist darauf, dass es besonders die süddeutschen Städte waren, die seit dem 14. Jh. eine entsprechende Vorsorge trafen, denn „Kornhäuser gibt es selten im deutschen Norden“, weil man sich, wie Schubert vermutet, dort mehr auf die Möglichkeiten des (Fern-)Handels verließ. –
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Oft waren es denn auch Einzelne, deren karitatives Wirken in Not- oder Hungerzeiten überliefert wurde. Dass es außergewöhnlich, zumindest für die Zeit allgemein kaum üblich war, zeigt allein schon die Tatsache der zeitgenössischen Dokumentation. Aus der Dichtung ist das Beispiel des Kölner Kaufmanns Gerhart bekannt, der ein der christlichen Ethik – hier speziell der caritas373 – entsprechendes Verhalten zeigt. Wenn Gerhart etwas Gutes tun wollte, geschah das seiner Schilderung zufolge gleichsam ohne sein Zutun. Er empfindet seinen Wohlstand, wie im gleichen Zusammenhang zum Ausdruck kommt, durchaus als eine Schuld und Last, da er seine Tätigkeit als Kaufmann und das damit verbundene Gewinnstreben als sündhaft ansieht. Dieses Bewusstsein der eigenen Beschwerung sei es, das ihn Armen, die vor seiner Tür erscheinen, durch eine Gabe Sauerbier und Roggenbrot helfen ließe (vgl. Zitat oben S. 280 f.). Andere zeitgenössische Quellen rühmen das Verhalten der Landgräfin Elisabeth von Thüringen, die bereits kurz nach ihrem Tod (1231) heiliggesprochen wurde. Sie „hatte schon bei der Hungersnot von 1226 die Kornspeicher geleert, um die nach Eisenach Geflüchteten bis zur neuen Ernte durchzubringen“.374 Auch setzte sie, nachdem sie früh Witwe wurde, die ihr
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Ein Beispiel für ‚private‘ Vorratshaltung in städtischen Siedlungen bieten verschiedene, durch einen Brand erhaltene und archäologisch erschlossene Getreidefunde aus Corvey, vgl. oben Abschnitt 7.2; s. auch Schubert (2006), Vgl. zum Begriff allgemein J. Gründel s.v. Caritas in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 1507 f.; ausführlicher Arnold Angenendt: Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 2000, S. 586 ff. (Christliche Armenfürsorge). Demnach ist es besonders eine Stelle im Neuen Testament gewesen, auf die sich die Armenfürsorge zurückführen lässt: „Die matthäische Gerichtsrede läßt gerettet werden, wer Hungernde gespeist, Durstige getränkt, Fremde beherbergt, Nackte bekleidet, Kranke besucht und Gefangene getröstet hat (Mt 25,31–46)“ (S. 595). Als gute Werke sollten Fürsorge und Barmherzigkeit auch begangene Sünden aufwiegen können (vgl. S. 593). „Das stärkste Motiv dürfte gewesen sein, daß karitative Tätigkeit mit Christus identifizierte: ‚Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan‘ (Mt 25,40)“ (S. 586). Eine ausführliche, immer noch grundlegende Darstellung der Ursprünge und Entwicklung karitativer Handlungen im Christentum seit der Spätantike bietet das zweite Buch bei Uhlhorn (1895), bes. S. 277 ff. (dort u. a. zu klösterlichen Spitälern, Armenpflege, Almosen und weltlich geprägten, karitativ agierenden Gemeinschaften). S. allgemein ferner Klaus Oschema: Caritas, in: Melville/Staub Bd. 1 (2008), S. 265 f. Renate Kroos: Zu frühen Schrift- und Bildzeugnissen über die Heilige Elisabeth, in: Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (1981), S. 180–239, hier: S. 219 f.
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zugekommenen finanziellen Mittel und ihre eigene Arbeitskraft in der Armenfürsorge und der Hospitalpflege ein.375 Angesichts der Bedeutung, die einer den christlichen Tugenden gehorchenden, frommen und demütigen Lebensführung in vielen Dichtungen des Hochmittelalters beigemessen wird,376 überrascht es doch, dass Fürsorge und Freigebigkeit in den höfischen Texten vergleichsweise selten gezeigt werden, sofern sie nicht an Gleichgestellte (oder die ein Fest begleitenden Sänger, Musiker, Gaukler) gerichtet sind. Eines der Beispiele, das Verhalten Côndwîrâmûrs im ‚Parzival‘, die die in einer Notsituation erlangten Nahrungsmittel mit allen teilt, wurde bereits genannt (vgl. oben S. 683 f.). Im ‚Rother‘ lässt der gleichnamige König, der sich als Dietrich ausgibt, die Türen seiner Herberge in Konstantinopel für die Armen der Stadt öffnen, und er versieht sie großzügig mit Nahrung: wol entfengen si die armen ande lezzin sich ere not erbar//men. Dicke richte man den tisch; da was daz inbiz gevis allen des si gerochten, daz sie den helit gesochtin.
(V. 1304 ff.)377
Auch arme Edelleute, die an Kaiser Constantins Hof nicht vorgelassen werden, bewirtet er mit ausgewählten Speisen und vorbildlicher Gastfreundschaft (V. 1327 ff.).378 In Wolframs ‚Willehalm‘ werden nach einem Festessen auch die Umstehenden bedacht. Nachdem die geladenen Gäste die Mahlzeit unvorhergesehen beenden mussten, richtet sich die Hausherrin an sie und bittet, die Gäste mögen nun ihre mitgereisten Bediensteten anweisen, all das zu nehmen, was von der Tafel übrig geblieben sei und was sie mögen:
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Vgl. Werner Moritz: Das Hospital der Heiligen Elisabeth, in: Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (1981), S. 101–116 Zur Vorstellung des miles christianus vgl. Ursula Peters: Artusroman und Fürstenhof. Darstellung und Kritik neuerer sozialgeschichtlicher Untersuchungen zu Hartmanns ‚Erec‘, in: Euphorion 69 (1975), S. 175–196, hier: S. 194 Zitiert wird die Ausgabe von de Vries (1974), weitere Hinweise auf die Freigebigkeit Rothers/Dietrichs finden sich V. 3756 ff. und V. 4982 ff., wo er seiner Überzeugung Ausdruck gibt, dass er mit Armen und Reichen teilen wird, solange er Brot habe In Hartmanns ‚Iwein‘ findet sich ein ähnliches Motiv, vgl. V. 3648 f.
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„heizet iuwer gesinde hie ûf nemen al, daz si künne gezemen von trinken und von spîse!“
(277, 15 ff.)379
Eine systematisch betriebene oder regelmäßige Vorratshaltung wird in den poetischen Zeugnissen des Hochmittelalters nicht erwähnt. Wenn davon die Rede ist, dass Vorräte angelegt werden, dann geschieht dies in unmittelbarem Bezug auf bevorstehende oder absehbare besondere Ereignisse. Dies war offenbar der Fall, als in Wolframs ‚Willehalm‘ die Gattin des Helden, Gyburg, ihre Burg und die sich anschließende Stadt vor einer erwarteten Belagerung mit Lebensmitteln eindecken ließ (vgl. 234, 23 ff.). Auch vor längeren Reisen werden Vorkehrungen für die Versorgung getroffen.380 Sowohl in Bezug auf eine planmäßige Vorratshaltung als auch mit Blick auf Hunger und Mangel vermögen Untersuchungen von archäologisch erschlossenen Bodenfunden das durch literarische Quellen der Zeit vermittelte Bild zu differenzieren. So sind Kornspeicher baulich verschiedentlich belegt, und einige der paläoethnobotanisch ausgewerteten Getreidefunde werden als Vorratshinterlassenschaften interpretiert.381 Manche stammen sogar aus Kirchen, von denen angenommen wird, dass deren Dachböden zuweilen als Vorratsspeicher dienten.382 Die bis in jüngere Publikationen zu Hunger und Mangel in früheren Jahrhunderten hinein wirkenden Aussagen und Einschätzungen von historischen Zeitgenossen und deren späteren Interpreten führten mittlerweile 379
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In Hartmanns ‚Erec‘ werden die Umstehenden und Armen dagegen mit prächtiger Kleidung und Pferden beschenkt (V. 2183 ff.). Diese Art einer Schenkung ist auch durch andere zeitgenössische Quellen belegt. Es wurde in der Regel wohl davon ausgegangen, dass die so Beschenkten sie veräußerten, um sich durch den Erlös ihren Lebensunterhalt zu sichern, vgl. Oexle (1981), S. 92 Vgl. z. B. ‚Der guote Gêrhart‘ V. 2393 ff. und V. 2456 ff., ‚Salman und Morolf‘ 44, 1 ff. sowie ‚Kudrun‘ 88, 3 Genannt wurde bereits ein Hortfund aus der städtischen Siedlung Corvey; um Vorräte handelte es sich auch bei den in der Grottenburg Riedfluh/Schweiz gefundenen Getreideresten, vgl. oben Abschnitt 7.1 Eine bodenferne Lagerung war vorteilhaft, wenn sie trocken, ggf. sogar etwas zugig war und vor allem Mäuse, Ratten oder Käfer von den Getreidevorräten fernhielt. Dachböden eigneten sich daher gut zur Getreidelagerung, mussten jedoch hinreichend tragfähig sein, um größere Lasten aufnehmen zu können. Die während der Romanik oft flachen, von massiven Balken getragenen Decken eines Kirchenraumes (vgl. z. B. St. Michael in Hildesheim sowie die Stiftskirchen in Quedlinburg und in Gernrode), auch Rundgewölbe konnten zusätzliche Lasten statisch halten. Bei Wohn- und Bauernhäusern war es die im Hochmittelalter zunehmende Ständerbauweise, deren Stabilität die Lagerung größerer Vorratsmengen auf Dachböden zuließ, vgl. U. Willerding s.v. Getreidelagerung in: RGA Bd. 12 (1998), S. 11–30, bes. S. 23
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zu Untersuchungen, die zum einen rezeptionsgeschichtliche, aber auch rezeptionsbedingte Probleme ans Licht brachten, zum andern alternative Ansätze liefern, ein realistischeres Bild der (in diesem Fall ergrabenen) historischen Wirklichkeit – auch für das Mittelalter – zu entwerfen. Auf die Bedingtheit von Aussagen zu Mangel oder Hunger durch die jeweilige Perspektive des Betrachters und seine individuelle Erfahrung und/ oder Einstellung weist Miriam N. Haidle in ihrer Untersuchung zu eben diesen Problemen hin: „Wenn die Frage der Ernährung vergangener Perioden und Kulturen überhaupt gestellt wird, wird die Beschäftigung mit ihr … häufig geprägt von persönlichen Vorurteilen und Angst, selbst unter solchen Bedingungen leben zu müssen, die von unserer heutigen, sehr fortschrittsgläubigen Warte aus als vom Mangel gezeichnet gesehen werden. Diese subjektiven Voraussetzungen können die Sicht auf die wenigen greifbaren Daten einschränken und verzerren. Die Aussage von K. BirketSmith …: ‚ … und so bleibt die Wahrheit übrig, daß viele volkstümlichen [sic!] Vorstellungen über das harte Dasein der Eskimos sich unbewußt im Anschluß an den Gedanken gebildet haben, welche Entbehrungen eine solche Lebensweise für uns selbst bedeutete. Die Eskimos bemerken sie nicht …‘ gilt nicht nur für ethnographisch beobachtete Gesellschaften, sondern in gleichem Maße auch für die Lebensweise vergangener Kulturen.“383 In den Blick gerät damit die Frage, ob die Bewertung beobachteter Zustände (in ihrem jeweiligen Kontext) ‚neutral‘ vorgenommen wird oder inwiefern in eine solche Bewertung besonders auch die kulturellen Dispositionen eines Beobachters einfließen. Mit Blick auf die historische Quellenlage zu Hunger- oder Mangelzeiten, die auch durch jüngere Publikationen sehr unterschiedlich bewertet wird,384 stellt Haidle folgende Unschärfen und Schwachstellen fest: „1. Die räumliche Ausdehnung einer Hungerkrise ist anhand der zur Verfügung stehenden Quellen oft nur schwer auszumachen, die Unterscheidung zwischen lokalen, regionalen und überregionalen Krisen ist häufig nicht eindeutig. Zudem werden aufgrund der allgemein relativ geringen Zahlen der überlieferten Quellen die Berichte großräumig zusammengefaßt, um quantitative Aussagen treffen zu können. Die Ergebnisse dieser Versu-
383 384
Haidle (1997), S. 5 Vgl. z. B. Wilhelm Abel: Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis. Hamburg/Berlin 1974 und Reay Tannahill: Food in History. New, fully revised and updated Edition. London 1988; tendenziell unentschieden z. B. Montanari (1993), dagegen: Dirlmeier (1987b). Schubert (2006) baut seine Argumentation erneut auf die These, dass die Versorgungslage der meisten Menschen im Mittelalter dauerhaft kritisch gewesen sei
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che, wie 29 Hungersnöte zwischen den Jahren 750 und 1100385 …, lassen keinen Schluß auf die tatsächliche Betroffenheit einzelner Landstriche zu. 2. Die Festsetzung eines Existenzminimums oder eines Mindeststandards ist schon theoretisch nur grob möglich und variiert je nach Epoche und Gesellschaft. Ein absolut gültiger Wert für ein Minimum kann nicht definiert werden … Die Berechnung oder auch nur die Abschätzung der Zahl derer, die in der Vergangenheit am Rande oder, paradox, unterhalb des Existenzminimums leben mußten, kann deshalb nur als Ausdruck der subjektiven Empfindung der über frühere Versorgungszustände arbeitenden Autoren begriffen werden …386 3. Die Intensität einer Krise, sowohl ihre Dauer wie auch der Grad des Versorgungsdefizits, läßt sich infolge ungenauer Begriffsdefinitionen … und wenig exakter, eher epischer Beschreibungen der Zustände in den vorliegenden Quellen nur mangelhaft bestimmen. Die genaueren Bezifferungen ‚schwerer Hungersnöte‘ sind mit großer Vorsicht zu betrachten.“387 Vor dem Hintergrund dieser Thesen wagte sich die Autorin gleichsam an eine wissenschaftliche ‚Gegenprobe‘: Sie untersuchte durch umfangreichere Fundzahlen vergleichsweise gut dokumentierte sog. ‚Skelett-Populationen‘ aus verschiedenen historischen Epochen, u. a. aus dem Mittelalter, das mit Bodenfunden aus Esslingen (St. Dionysius A und B) sowie dem Heidelberger Spitalfriedhof vertreten ist,388 und verglich es mit neuzeitlichem Fundmaterial (Basel, St. Johann). Dabei ging sie der Frage nach, ob – und ggf. in welchem Umfang – sich an Skelettfunden früherer Zeiten dauernde Mangelernährung oder Hungerperioden nachweisen lassen. Da sich eine länger andauernde Unterversorgung des menschlichen Körpers mit Nahrung allgemein, auch mit wichtigen Nahrungsbestandteilen wie Vitaminen, Spurenelementen oder z. B. Calzium auf die körperliche Entwicklung auf unterschiedliche Weise auswirkt, die auch anhand des menschlichen Skeletts nachweisbar ist, wurde gezielt nach derartigen ‚Anomalien‘ gesucht. Als aussagekräftig wurde hier zunächst die – auch durch die Ernährungslage bedingte – Körpergröße gesehen, ergänzt durch signifikante Veränderungen des Zahnbildes (sog. Schmelzhypoplasien) sowie die sog. ‚Harris-Linien‘, die besonders an den langen Knochen menschlicher Extre-
385 386
387 388
So angegeben bei Montanari (1993), S. 53 Angeführt wird hier u. a. ein Literaturbeleg aus dem Jahr 1993, in dem davon ausgegangen wird, dass vor der Industrialisierung zwei Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung mehr oder weniger dauerhaft am Rande des Existenzminimums lebten, vgl. Haidle (1997), S. 8 Haidle (1997), S. 8 Haidle (1997), S. 97 und passim
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Abb. 97: Röhrenknochen vom Friedhof der Abtei tom Roden mit Harris-Linien
mitäten durch Krankheit und/oder Hunger verzögertes oder gestopptes Längenwachstum anzeigen und durch Röntgenuntersuchungen des Knochenmaterials nachgewiesen werden können.389 389
„Liegt während der Wachstumsphase eine [sic!] Nahrungsmangel vor, oder ist der Organismus an einer ernsten Krankheit erkrankt, so wird der Körper zugunsten der Genesung unter anderem das Längenwachstum der langen Röhrenknochen zurückstellen. Aufgrund des Wachstumsstillstandes und des dann später wieder erneut einsetzenden Wachstumsschubes entstehen meist quer zur Knochenlängsachse verlaufende dünne Verkalkungszonen, die sich im Röntgenbild als Harris-Linien darstellen. Die Linienzahl kann somit als gewisser Gradmesser für die Krankheitshäufigkeit in der kindlich-jugendlichen Altersstufe herangezogen werden. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß eine hohe Linienzahl wohl auch für eine hohe Krankheitshäufigkeit spricht, daß umgekehrt aber ein Knochen ohne diese Linien nicht immer für eine beschwerdefrei abgelaufene Wachstumsphase sprechen muß. In einigen Fällen werden nämlich die Harris-Linien zu Lebzeiten wieder abgebaut“, so Winfried Henke/Michael Schultz: Zur Anthropologie der Bevölkerung von tom Roden, in: Bernhard Korzus (Hg.): Kloster tom Roden. Eine archäologische Entdeckung in Westfalen. Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes und des Westfälischen Museums für Archäologie – Amt für Bodendenkmalpflege. Münster 1982, S. 71–112, hier: S. 80f.;
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Das zusammengefasste Ergebnis der Untersuchungen lautet: „Die Körperhöhenwerte der Vergleichsserien, die in keinem Fall signifikant unter dem der Basler Referenzgruppe, teilweise jedoch deutlich darüber liegen, deuten nicht auf eine allgemein schlechtere Versorgungslage hin. Die in manchen Serien beobachteten vermehrten individuellen Krisenperioden wurden von ausreichenden Erholungsphasen gefolgt, so daß im Durchschnitt keine Körperhöhenreduktion390 … eintrat. Eine allgemeine Unterernährung und Mangelversorgung kann für keine der hier untersuchten Totengemeinschaften angenommen werden.“391 Dieser Befund spricht laut Haidle dafür, dass sich in dem betroffenen geographischen Raum – untersucht wurden das Gebiet Süddeutschlands und der Nordschweiz – „für die Annahme von Zeiten ausgeprägten Wohlstandes gefolgt von katastrophalen Hungerperioden kein Anhaltspunkt feststellen“ lässt.392 Es ist jedoch zu fragen, ob sich diese Aussage verallgemeinern und damit einfach auf andere Regionen übertragen lässt. Untersuchungen von Skelettserien, die z. B. im heutigen Niedersachsen und in Brandenburg bei Ausgrabungen gehoben wurden, belegen, dass die von Haidle betrachteten Kriterien für Mangelernährung sich dort öfter nachweisen ließen. Ein variierendes Bild zeigte sich bei den insgesamt 52 Skelett(rest)en, die auf dem Friedhof des nahe Corvey gelegenen kleinen Klosters tom Roden (gegründet im 12. Jahrhundert) geborgen wurden. Auf diesem Friedhof wurden auch Bewohner einer nahe am Kloster gelegenen Siedlung beerdigt. „In der Rodener Bevölkerung ist bei einigen Individuen mit einer hohen Krankheitshäufigkeit bzw. mit einer unzureichenden Ernährung zu rechnen, da die Zahl der Harris-Linien recht hoch ist. Merkmale für eine Mangelernährung können auch porotische Schädeldachverdickungen sein, wie sie bei bestimmten Formen chronischer Anämien (Blutarmut) auftreten können. Solche ‚porotischen Hyperostosen‘ konnten in schwacher Ausprägung bei sechs Personen der Rodener Bevölkerung beobachtet werden.“393 Besonders an Skeletten von Kindern wurden weitere Anomalien festgestellt, die auf Mangelernährung schließen lassen.394
390
391 392 393 394
vgl. auch Peter Caselitz: Ernährungsmöglichkeiten und Ernährungsgewohnheiten prähistorischer Bevölkerungen. (BAR International Series 314). Oxford 1986, S. 75ff. Abgezielt wird darauf, dass sich bei länger dauernden oder gar permanenten Hunger- oder Mangelperioden die Körpergröße der Menschen über mehrere Generationen hin reduziert Haidle (1997), S. 97 Haidle (1997), S. 98 Henke/Schultz (1982), S. 81 Vgl. Henke/Schultz (1982), S. 81
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Abb. 98: Wachstumsstörungen in Form von querverlaufenden Furchen im Zahnschmelz infolge von Mangelernährung im Kindesalter. Skelettfund vom Friedhof der Abtei tom Roden
Obwohl die Belegzeit des tom Rodener Friedhofes durch Henke/ Schultz vom 12. bis in das 16. Jahrhundert reichend datiert wurde,395 ist es wahrscheinlich, dass der Friedhof im Schwerpunkt etwa in der Zeit zwischen 1160 und 1300 genutzt wurde.396 Zwar erfolgte keine direkte Zuweisung der Skelettfunde zu früheren oder späteren Belegzeiten des Friedhofes, da jedoch die Blütezeit tom Rodens in den etwa eineinhalb Jahrhunderten nach seiner Gründung zu verorten ist, dürfte ein ‚guter Anteil‘ des untersuchten Skelettmaterials noch in das Hochmittelalter gehören. Es belegt, dass Hunger und/oder Mangelernährung vorkamen, immerhin weisen mehr als 10 % der gehobenen und untersuchten Skelette typische Anzeichen dafür auf. Auch wenn, damit verbunden, ernährungsbedingt mit einer höheren Krankheitsrate der auf dem Friedhof von tom Roden bestatteten Menschen gerechnet wird, ist festzuhalten, dass dort viele Skelette keine signifikanten Anzeichen von Hunger oder Mangelernährung aufwiesen. Aufgrund der insgesamt über mehrere Jahrhunderte dauernden Beleg395 396
Vgl. Henke/Schultz (1982), S. 72 Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dr. Hans-Georg Stephan, Martin LutherUniversität Halle-Wittenberg. Er hält es überdies für möglich, dass auf dem Friedhof der kleinen Abtei tom Roden bevorzugt kirchliche Bedienstete und vielleicht besonders auch Arme und Kranke bestattet wurden
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Abb. 99: Menschliches Knochenmaterial mit Cribra orbitalia aus Diepensee/Brandenburg
zeit des Friedhofs kann nicht unterschieden werden, welche menschlichen Überreste wann in den Boden gelangten und wie eine etwa zeitgleiche Relation von Geschädigten und Gesunden ausgesehen haben könnte. Daher lässt sich lediglich feststellen, dass es Hunger und Mangelernährung gegeben haben muss, jedoch nicht, wie viele Menschen davon jeweils betroffen waren und ebenfalls nicht, über welche Zeiträume hinweg. Auch bei den Bewohnern der ländlichen Siedlung Diepensee konnten ernährungsbedingte Mangelerscheinungen festgestellt werden. Die Siedlung, die während des Hochmittelalters bewohnt war und später wüst fiel, wurde erst jüngst untersucht, weil das durch sie belegte Areal im Zuge der Arbeiten für den künftigen Berlin-Brandenburger Hauptstadtflughafen überbaut wird.397
397
Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum: Zwischenlandung im Mittelalter. Archäologie für den Hauptstadtflughafen BBI. Die Ausgrabungen in Diepensee. Wünstorf/Potsdam 2006
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Abb. 100: Durch Eiweißmangel verursachte Rillenbildung an Zähnen von einem in das Hochmittelalter datierenden Skelettfund aus Diepensee/Brandenburg
Dort wurden an einigen Skeletten Beispiele für die sog. Cribra orbitalia gefunden, eine feinlöchrige Perforation der Knochen oder der Schädeldecke, die auf Mangelernährung zurückgeht. Sie wird durch Vitamin C- oder Eisenmangel verursacht, der besonders auf jahreszeitliche Schwankungen in der Ernährungslage (Mangel im Winter) zurückgeführt wird.398 Weitere Hinweise auf unzureichende Versorgung einiger Menschen in der Wachstumsphase gaben auch in Diepensee in deren Zahnbild vorhandene Rillenbildungen (Schmelzhypoplasien). Sie wurden bei etwa 20 % der gefundenen Skelette nachgewiesen, jeder fünfte Bewohner Diepensees hat demnach im Wachstumsalter unter wohl länger dauerndem Eiweißmangel gelitten.399 Gegen länger dauernde Mangelphasen spricht, dass – auch wenn dieser Schluss zynisch anmutet – viele der Betroffenen überlebten und nach Ausweis der Skelettfunde ein oft höheres Erwachsenenalter (von über 60 Jahren) erreichten.400 Auch die für Diepensee ermittelte Kindersterblichkeit scheint mit etwa 40 % zwar hoch zu sein, liegt im Vergleich zu an398
399
400
Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 41 Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 40 Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 40
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deren hochmittelalterlichen Siedlungen jedoch unter dem Durchschnitt. Etwa 25 % der Kinder erreichten kein Alter von mehr als 12 Jahren. „Die Ursachen für den frühen Tod lagen meist in mangelhafter Ernährung, schlechten hygienischen Verhältnissen und daraus folgenden Infektionskrankheiten. An den Knochen der Diepenseer Kinder wurden jedoch selten Anzeichen für Erkrankungen gefunden, so dass es ihnen recht gut ging.“401 Auch unter Berücksichtigung der pathologisch nachgewiesenen Versorgungslücken bei der Ernährung wird in einer Gesamtbewertung angenommen, dass die Bevölkerung Diepensees unter grundsätzlich günstigen Bedingungen lebte.402 Leider fehlen Angaben über die Zahl der in Diepensee gehobenen und untersuchten Skelette, sodass ein weiter führender Vergleich mit der Friedhofspopulation von tom Roden nicht vorgenommen werden kann. Die vorhandenen Angaben weisen jedoch darauf hin, dass die vorliegenden Werte (Anteile von Skeletten mit Anzeichen von Mangel- oder Unterernährung) etwa vergleichbar sein könnten. Insgesamt scheinen auch die Untersuchungen von Skelettfunden in nördlichen und nordöstlichen Regionen das Fazit zu bestätigen, das Miriam Haidle anhand der Untersuchung von Skelettserien aus dem südwestdeutschen Bereich zog: „Es ist … von leichten Schwankungen in der Ernährungslage auszugehen: Sicher hat es hin und wieder auch ernstere Ernährungskrisen und selten Hungersnöte gegeben, das Bild einer über lange Zeiten am Existenzminimum dahinvegetierenden Bevölkerung kann jedoch nicht gehalten werden.“403 Interessant ist dabei, dass sich die Symptomatik und auch die Verteilungshäufigkeit von Hunger- oder Mangelerscheinungen in den von Haidle untersuchten städtischen Friedhofspopulationen und in solchen aus ländlichen Siedlungen offenbar nicht unterscheiden. Das Bild, das jüngst auch Ernst Schubert noch zeichnet, wenn er generell feststellt, dass die Lebensbedingungen des Großteils der mittelalterlichen Bevölkerung durch eine ‚chronisch (zu) kurze Nahrungsdecke‘ gekennzeichnet waren,404 lässt sich unter Beiziehung pathologisch untersuchter Skelettfunde aus dem Hochmittelalter so kaum halten. Dabei ist bemerkenswert, dass sich Schubert bei seinen Aussagen auch auf die Auswer401
402
403 404
Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 40 Vgl. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 40 Haidle (1997), S. 98 Vgl. Schubert (2006), S. 12, S. 44 und passim
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tungen von Skelettfunden bezieht, die in das Mittelalter datieren.405 Deutlich wird in seiner Argumentation nicht nur eine starke Orientierung an der älteren Arbeit Curschmanns,406 sondern, dem folgend, auch an den zumeist drastischen Berichten zeitgenössischer Chronisten wie z. B. demjenigen, den Adam von Bremen gab, der seine Stadt von 1066 bis 1072 in einer so schlimmen Hungersnot gefangen sah, dass „viele Arme auf den Gassen ringsum tot aufgefunden wurden“, oder demjenigen aus der Chronik des Cosmas, in der für das Jahr 1094 berichtet wird, dass es „wegen der vielen Toten, die den Boden bedeckten, den deutschen Bischöfen nach der Rückkehr von einer Synode in Mainz nicht gelang, die Pfarrkirche von Amberg zu betreten“.407 Zu fragen ist jedoch, welche Aussagen zu Hunger oder Mangelernährung sich aufgrund der bekannten poetischen, chronikalischen und archäologisch erschlossenen Quellen tatsächlich treffen – und nach derzeitigem Stand auch halten – lassen. Unbestreitbar ist, dass es im Hochmittelalter sowohl Hunger als auch Mangelernährung gab und dass die Bevölkerung beide Phänomene kannte – und auch fürchtete. Schwierig wird es jedoch bereits bei dem Versuch zu erfassen, wie weit eine historisch regional dokumentierte Nahrungsmittelknappheit reichte, wie lange sie anhielt und auch, wie viele Menschen sie jeweils betraf. Die oft grausigen Schilderungen der Chronisten des Hochmittelalters lassen kaum Schlüsse auf die geographische Reichweite einer Hungersnot und darauf zu, ob und in welcher Form sie die gesamte Bevölkerung einer Region oder sogar weiter Landstriche betraf.408 Sie stehen zudem wohl nicht nur unter dem Eindruck der Ereignisse, sondern sind zusätzlich auch ‚gefärbt‘ durch die Überzeugung, dass Missernten, Wetterschäden und darauf folgende Versorgungsengpässe als Strafe Gottes anzusehen sind, auf die dringend eine Läuterung oder Umkehr des menschlichen Verhaltens folgen müsse. Chronikalischen Quellen mutet daher – wie z. B. auch den Predigten Bertholds von Regensburg oder den Schriften Hugos von Trimberg – ein deutlich didaktischer Zug an, der eine umso bessere Wirkung erzielt, je abschreckender die (durch Fehlverhalten verursachten) Zustände geschildert werden. 405
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Vgl. Schubert (2006), S. 13 und passim; dass Schubert ‚das Mittelalter‘ temporär sehr weit fasst und z. B. die Karolingerzeit und besonders die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts und ‚bei Bedarf‘ auch das 16. und 17. Jahrhundert noch einbezieht, wurde oben bereits angemerkt Vgl. Schubert (2006), S. 34 ff. Montanari (1993), S. 55 Dies räumt mit Blick auf verschiedene chronikalische Quellen auch Schubert ein, vgl. Schubert (2006), S. 35
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Da schriftliche Aufzeichnungen über die Einwohnerzahlen von Siedlungen, über Sterberaten und Todesursachen der Bevölkerung sowie die Zahl und das Datum von Beerdigungen für den Zeitraum des Hochmittelalters nicht vorliegen, ist es nicht möglich, diese in Beziehung zu setzen, etwa um zu ermitteln, in welchen Siedlungen oder Regionen zu welchem Zeitpunkt wie viele Menschen tatsächlich einen Hungertod starben. Aussagen hierzu lassen auch die Funde von Skelettserien nicht zu. Pathologische Befunde an Skeletten können lediglich darüber Auskunft geben, dass (und ggf. wie intensiv) Menschen während ihres Lebenslaufes Hunger oder einer unzureichenden Ernährung ausgesetzt waren, nicht jedoch darüber, ob und in welcher Häufigkeit sie daran schließlich auch zugrunde gingen. Urkundenbücher über Friedhofsbelegungen, anhand derer etwa Epidemien feststellbar wären, waren im Hochmittelalter nicht bekannt, und auch datierte Grabsteine fehlen für den Großteil der Bevölkerung. Auch durch sorgfältige Ausgrabungsarbeiten ist nicht mehr ermittelbar, ob menschliche Überreste ggf. vermehrt etwa gleichzeitig in den Boden gelangten. Deren mögliche Datierungen, die sich nur selten auf wenige Jahre eingrenzen lassen, sind für Aussagen über ein epidemisches Auftreten von Hunger und Mangel einfach viel zu weit gefasst. Wendet man sich schließlich den pathologischen Befunden zu, sind auch sie noch näher zu beleuchten. Hinweise auf Hunger oder mangelnde Ernährung wiesen alle der hier einbezogenen Skelettserien aus. Dabei könnten die für die südwestdeutschen Fundorte Esslingen und Heidelberg (städtische Siedlungen) und die für die auf dem Lande gelegenen Siedlungen tom Roden und Diepensee erfassten Werte, bei denen bis zu 20 % der Skelette unterschiedlich ausgeprägte, doch einschlägige Befunde zeigten, wohl etwa repräsentativ sein. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass mehr als drei Viertel der Skelette keine sichtbaren Erscheinungen von ernährungsbedingter Unterversorgung aufwiesen. Dies spricht tendenziell gegen die Annahme einer überregional und chronisch knappen Versorgungslage.409
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Ob und in wiefern sich bei den untersuchten Friedhofspopulationen deren soziale Stellung und die ggf. durch sie (mit) beeinflussten Ernährungsmöglichkeiten und -gewohnheiten spiegeln, bleibt dabei fraglich. Haben wir es bei der Belegung von Friedhöfen städtischer Siedlungen mit Kaufleuten, mit Handwerkern oder auch mit ihrer Dienerschaft zu tun? Stammt eine Mehrzahl der Skelettfunde vom Friedhof der kleinen Abtei tom Roden möglicherweise besonders von (armen) Siechen, die dort vielleicht zunächst gepflegt und nach ihrem Tod begraben wurden? Es liegt angesichts dieser Fragen auf der Hand, dass es für belastbarere Aussagen noch einer Reihe weiteren Materials und auch weiterer Untersuchungen bedarf
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Die pathologischen Funde sagen aus, dass Hunger oder Mangelernährung temporär auftraten, im Leben mancher Menschen, deren Skelette untersucht wurden, möglicherweise sogar mehrfach. Da sich ernährungsbedingte Mangelerscheinungen physiologisch besonders im Wachstum auswirken, Nachweise z. B. von Harris-Lines und Zahnhypoplasien überwiegend jedoch anhand der Skelette Erwachsener geführt wurden, haben viele Betroffene offenbar die jeweilige(n) Mangelperiode(n) überlebt. Aufgrund der teilweise deutlichen Schädigungen von Skelett und Zahnbild ist jedoch zu bezweifeln, ob sie wirklich auf „leichte Schwankungen in der Ernährungslage“ zurückgeführt werden können, wie sie durch Miriam Haidle konstatiert werden.410 Was sich in einem über einen längeren Zeitraum greifenden statistischen Bild wohl entsprechend aufführen lässt, muss sich für die Menschen, die jeweils betroffen waren, weitaus problematischer dargestellt haben. Auf jeden Fall gibt es einige Hinweise auf körperliche ‚Stresszustände‘, denen zumindest Teile der Bevölkerung im Hochmittelalter ausgesetzt waren und die z. B. auf Hunger und/oder den Mangel an Vitaminen, Eiweiß oder Mineralstoffen zurückgeführt werden. Was aber bedeutete ‚Hunger‘ in Relation zu einer ausreichenden oder ‚regulären‘ Versorgungslage im Hochmittelalter, und ist Mangelernährung für diese Zeit mit dem vergleichbar, was wir heute darunter verstehen? Es ist wohl angebracht, sich bei diesen beiden Begriffen von heutigen Vorstellungen frei zu machen. ‚Hunger‘ dürfte nicht nur das völlige Fehlen von Nahrungsmitteln bedeutet, sondern auch für eine erhebliche Unterdeckung des täglichen Kalorienbedarfs gestanden haben, die zu einer massiven Gewichtsreduktion und Schwächung des Körpers führt. Man muss sich vor Augen halten, dass die meisten Menschen des Hochmittelalters körperlich gänzlich anderen Anforderungen ausgesetzt waren als es heute üblich ist. Man legte – oft weite – Strecken zu Fuß oder zu Pferd zurück, die körperliche Arbeit auf Feldern und in Gärten, in Ställen, in Handwerksbetrieben, beim Bau und auch im Haushalt war hart und fordernd. Der tägliche Kalorienbedarf des Körpers wird daher erheblich über dem gelegen haben, der heute bei Mitteleuropäern für ausreichend erachtet wird. Die für den heutigen Bedarf der (nicht körperlich arbeitenden) erwachsenen Mitteleuropäer als ausreichend angenommene tägliche Zufuhr von 2000 bis 2500 Kalorien wäre von den meisten Menschen im Hochmittelalter wohl unweigerlich als ‚Hungerration‘ aufgefasst worden. Entsprechend mussten die Menschen früher mehr Nahrung zu sich nehmen, um bei Kräften zu bleiben, vor allem auch möglichst viele
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kalorienreiche Nahrungsstoffe verwenden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die zeitgenössischen literarischen Quellen ein ‚Viel‘ mit ‚gut‘ gleichsetzen, und auch, dass z. B. Fett (beim Schwein, Huhn, Braten, Schinken, Käse) öfter hervorgehoben und positiv konnotiert wird.411 Wenn die zur Verfügung stehende Nahrung über eine längere Phase nicht ausreichte, um den hohen Kalorienbedarf zu decken und es infolgedessen zu einer (sicht- und spürbaren) Schwächung des Körpers kam, bedeutete auch dies für die Menschen des Hochmittelalters wohl bereits ‚Hunger‘ – obwohl Nahrungsmittel durchaus vorhanden waren, nur eben nicht in dem erforderlichen Umfang. Durchaus in diese Richtung beschreibt, wie oben skizziert (vgl. S. 683 ff.), manche dichterische Quelle Hungerszenen in höfischen Kreisen. In diesem Sinne trifft sogar die von Schubert geprägte Formel einer ‚(zu) kurzen Nahrungsdecke‘ zu, wenngleich mit der Einschränkung, dass sie wohl weder den Großteil der Bevölkerung betraf noch permanent vorhanden war. Auch der Begriff ‚Mangelernährung‘ kann wohl nicht ausschließlich mit dem Fehlen von vitamin-, eiweiß- oder mineralienhaltiger Kost gleichgesetzt werden. Er sagt – wie auch die physiologischen Nachweise von Mangelerscheinungen an Skeletten – zunächst nur etwas darüber aus, dass einzelne oder mehrere dieser wichtigen Stoffe einem Körper über einen längeren Zeitraum nicht in ausreichendem Maße zugeführt wurden. Dies ist nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass es diese Stoffe oder Nahrungsmittel, die sie enthalten, nicht doch auch gegeben haben könnte. Im Hochmittelalter waren zwar vielleicht grundlegende Kenntnisse über eine gesundheitsförderliche Wirkung z. B. von Gemüse in der Winterzeit (bereits damals bekannt: das eingelegte Sauerkraut) oder über eine wünschenswerte, möglichst vielseitige Ernährung vorhanden,412 das heutige Wissen über die Bedeutung von Vitaminen, Mineralien oder Eiweißstoffen und eine ausgewogene Ernährung ist jedoch komplett neuzeitlich. Daher kann es auch sein, dass viele Menschen im Hochmittelalter zwar über Nahrungsmittel verfügten und diese auch konsumierten, dass diese Nahrungsmittel jedoch über längere Dauer eine sehr einseitige Ernährung bewirkten. Sie litten dann möglicherweise nicht direkt an Hunger, weil sie ihren Körper durch Nahrung durchaus erhalten konnten, gleichzeitig aber doch an einzelnen, teils gravierenden Mangelerscheinungen. In diesem Verständnis kann ‚Mangelernährung‘ nicht nur ‚Unterernährung‘, sondern auch ‚Fehler411
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Auf die Bedeutung von Fett(en) bei der Kalorienzufuhr weist auch Schubert hin (2006, S. 97) Zu mittelalterlichen Vorstellungen einer gesunden, sich ergänzenden Ernährung vgl. oben Abschnitt 6.3
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nährung‘ bedeuten. Ob und in welchem Umfang auch eine Fehlernährung für die öfter nachgewiesene körperliche Unterversorgung von Menschen verantwortlich sein könnte, lässt sich für das Hochmittelalter jedoch wohl kaum mehr rekonstruieren. Die zuvor aufgeführten Fundberichte bieten zwar einige Anhaltspunkte, bisherige Darstellungen zur Bedeutung von Hunger und mangelnder Versorgung zu hinterfragen. Für eine neue, allgemeinere und treffende Beschreibung ist jedoch statistisch weder die Zahl der hier berücksichtigten Fundstellen noch die der dort jeweils untersuchten Skelettserien ausreichend. Daher bleibt es weiteren, andere geographische Räume und vor allem auch größere Friedhofspopulationen erfassenden Untersuchungen vorbehalten, das Bild, das sich für den hier untersuchten Raum zu erschließen beginnt, zu differenzieren. Ohne weiteren, noch ausstehenden Untersuchungen vorgreifen zu wollen, könnte jedoch zutreffen, was Montanari für die Menschen des Hochmittelalters als kulturelle und auch als psychologische Perspektive fasste: „Es war die einer Welt, die wir uns nicht immer von Hunger gepeinigt vorstellen dürfen; sehr wohl aber von der Angst vor dem Hunger.“413
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VI. Lebensmittelverfälschung Durch Lebensmittelverfälschung und -betrug sind Menschen – wenn nicht gesundheitlich, so zumindest wirtschaftlich – wohl zu allen Zeiten geschädigt worden.414 Für den hier interessierenden Zeitraum ist es wiederum besonders der Franziskanermönch und Prediger Berthold von Regensburg, der diesbezügliche Missstände in verschiedenen seiner überlieferten Predigten aufgriff und anprangerte. Wenn auch berücksichtigt werden sollte, dass Berthold im Interesse seiner (theologischen) Botschaften sicher einige seiner Beispiele besonders drastisch ausgemalt haben dürfte, so sind doch die Zahl und die inhaltliche Breite der durch ihn öffentlich verurteilten Praktiken bemerkenswert. Sie dürften seinem Publikum415 – zumindest in Grundzügen – durchaus bekannt gewesen sein. In diesem Fall konnte Berthold mittels der durch ihn ausgesprochenen Missstände, deren Kritik durch das Publikum als Solidarisierung verstanden werden konnte, eine große Zustimmung erwarten. Auch wenn dem Publikum die eine oder andere Betrugsvariante noch nicht bekannt gewesen sein sollte, konnte sich Berthold in der Rolle des Aufklärers und Mahners im Interesse des Seelenheils seiner Zuhörerschaft einer positiven Aufnahme sicher sein und sich auch auf diese Weise seines Publikums versichern – ein intentional wie rhetorisch geschickter Zug!416 Aus der Vielzahl der betrügerischen Kniffe, die sich bei Berthold findet,417 sollen folgend einige besonders plastische Beispiele vorgestellt werden. Demnach arbeiteten manche Bäcker offenbar so, dass sie ihrem Brotteig zu viel Hefe oder Treibmittel zusetzten, so dass der gebackene Laib zwar außen schön rund, innen jedoch hohl war:
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Vgl. Andreas Deutsch s.v. Fälschungsdelikte in: HRG Bd. I2 (2008), Sp. 1489–1496 Die Zuhörerschaft Bertholds dürfte nach den damaligen Verhältnissen groß gewesen sein. Da er im Freien predigte, dürfte er ohne akustische Hilfsmittel jeweils mehrere hundert, vielleicht bis zu tausend Menschen durch seine Stimme erreicht haben. Diese Größe entspricht im Hochmittelalter der gesamten Einwohnerschaft sogar vieler städtischer Gemeinden Zur Relation von theoretischem Anspruch der Predigt und ihrer Umsetzung mittels praxisorientierter Beispiele vgl. Christoph Cormeau: Essen und Trinken in den deutschen Predigten Bertholds von Regensburg, in: Bitsch/Ehlert/Ertzdorff (1987), S. 77–83, hier: S. 77 Betrug oder Täuschung im Handwerk, Handel oder Nahrungswesen werden in mehr als 15 der überlieferten Predigten angeprangert, vgl. hierzu Berthold von Regensburg (1965), passim
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Unde der brôtbecke, der swemet den teic mit hefel: sô dû wænest, dû habest brôt, sô hâst dû den luft für brôt kouft.418 Dass Praktiken wie diese nicht ungewöhnlich waren, belegen zeitgenössische Dokumente über die Einrichtung einer kommunalen Gewerbeaufsicht. So wurde in Basel im Jahr 1256 das Amt eines Brotmeisters in einer Urkunde schriftlich erwähnt, das wahrscheinlich schon seit längerem bestand.419 Dem Brotmeister unterstand neben der Marktaufsicht über die Bäcker, Müller und Gemüsehändler auch die Aufsicht über deren Produktionsweise. Die Einrichtung eines solchen Amts muss erforderlich gewesen sein, denn urkundlich belegt ist ferner, dass es vorkam, „daß Bäcker dem guten Mehl Bohnenmehl oder Hopfen oder andere Ingredienzien beimischten und die Erzeugnisse in den Handel brachten.“420 Andernorts konnte in einem Streitfall die Probe, ob ein Brot recht geraten oder etwa zu klein war, auch ohne eine Gewerbeaufsicht gleich in der Nähe des Marktes gemacht werden. So wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Normmaße von Broten in die Außenseite des Freiburger Münsterturms gemeißelt, mithilfe derer die Kunden jederzeit prüfen konnten, ob angebotene oder gekaufte Backwaren ausreichend groß waren. Zu erkennen sind fünf Formen: für spitzovale Laibe in zwei Größen, rechts neben der kleineren spitzovalen Form ein Maß für einen mittelgroßen, runden Laib, darüber Maße für ein kleines sowie für ein großes rundes Brot.421 Weitere Betrugsmöglichkeiten, die durch die Einrichtung einer Gewerbeaufsicht eingedämmt werden sollten, bestanden bei den Bäckern, die nicht eigene Grundstoffe verarbeiteten und verkauften (Feilbäcker), sondern – da im Mittelalter nicht jedes Haus über einen eigenen Backofen verfügte – im häuslichen Bereich vorbereitete und bei ihnen abgelieferte Teige gegen Lohn oder Naturalien buken (Hausfeurer). Sie gerieten leicht in Verdacht (und wohl oft auch in Versuchung), Teile der ihnen zum Backen überlassenen Teige für den eigenen Bedarf oder Verkauf ‚abzuzweigen‘.422 418
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Predigt Nr. XIX Von den zehen geboten unsers herren, in: Berthold von Regensburg (1965) S. 285, 13 ff.; vgl. dort auch Nr. II Von den fünf pfunden, S. 16, 11 ff.: ein Bäcker verkauft luft für brôt unde machet ez mit gerwen, daz ez innen hol wirt: sô er wænet, er habe ein broseme drinne, sô ist ez hol und ist ein læriu rinde. Vgl. Hermann Bruder: Die Lebensmittel-Politik der Stadt Basel im Mittelalter. Achern i.B. 1909, S. 45 f. Bruder (1909), S. 75. Auch der Verkauf zu kleiner Brote wurde als Betrugsdelikt (streng) geahndet, vgl. Deutsch s.v. Fälschungdelikte in: HRG Bd. I2 (2008), Sp. 1492 Es sind dies Brotformen, die auch in vielen Illuminationen mittelalterlicher Handschriften begegnen, vgl. oben Kap. 3 Vgl. Bruder (1909), S. 57 f.
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Abb. 101: Eingemeißelte Brotmaße am Münsterturm in Freiburg/Br., um 1270
Wer im Bäckergewerbe wegen Betrugs oder unlauterer Machenschaften als überführt galt, musste mit rigorosen Strafen rechnen. In Basel verlor „jeder, der sich durch solchen Frevel kompromittierte, … unnachsichtig seine Berechtigung zur Ausübung des Handwerks; eine Rehabilitierung war vollständig ausgeschlossen.“423 Es kam auch vor, dass betrügerische Bäcker öffentlich angeprangert wurden. Dies zeigt eine zeitgenössische Darstellung, auf der ein demonstrativ auf einen Schlitten gebundener Bäcker das ‚corpus delicti‘, ein offenbar nicht regelgerechtes – nach der Bildunterschrift: zu leichtes – Brot als Zeichen seiner Schande um den Hals gebunden trägt (vgl. Abb. 102). Die Verarbeitung verdorbener oder anderweitig ungeeigneter Grundstoffe im Teig konnte seinerzeit durch die Kundschaft kaum erkannt oder nachgewiesen werden. Sie scheint vorgekommen zu sein, wenn Berthold beklagt:
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Bruder (1909), S. 71
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Abb. 102: Bestrafung eines betrügerischen Bäckers
Sô becket etelîcher fûlez korn ze brôte, dâ mac ein mensche vil schiere den tôt an ezzen; unde versalzen brôt, daz ist gar ungesunt.424 Auch Vertreter anderer Zünfte versuchten, durch verschiedene Kniffe und Tricks ihre Absatz- und Gewinnmöglichkeiten – auch nach damaligem Verständnis illegal oder zumindest (auch im Wortsinn) anrüchig – zu verbessern. Die Zunft der Schlachter wird durch Berthold von Regensburg bezichtigt, zuweilen nicht schlachtreifes Vieh zu schlachten und auch nicht hinreichend abgehangenes Fleisch zu verkaufen: Unde der fleischslahter hât veil etewenne kelberîn fleisch unde giht, ez sî drier wochen alt: sô ist ez kûme einer wochen alt, oder gît müeterîn fleisch für bergînez; ez mac etewenne ein kranker mensche ezzen, daz ez den tôt dâ von nimet, oder ein frouwe, diu in kintbette lit.425 Sie bieten manchmal Kälberfleisch an, das drei Wochen alt sein soll. Dabei ist es kaum eine Woche alt. Oder sie geben das Fleisch einer Muttersau,426 424
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Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 151, 6 ff. Nr. XIX Von den zehen geboten unsers herren, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 285, 16 ff. Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 2215 s.v. müeterin: „von … einem alten mutterschweine herrührend“. Verarbeitungs- und Handelsbeschränkungen, die das Fleisch von Muttersauen betreffen, finden sich auch in anderen Dokumenten. So wird in der Marktund Gewerbeordnung, die Herzog Heinrich von Niederbayern im Jahr 1256 für die Stadt Landshut erließ, ausgeführt: „Wir verordnen, dass zwei gute und mittelgroße
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das nur gelegentlich für Kranke gut sei, um den Tod abzuwenden, oder für eine Frau im Kindbett, als reguläres Schweinefleisch aus.427 Auch wird das (geruchlich und geschmacklich strengere) Fleisch eines Bockes als Schaffleisch ausgegeben, ebenfalls das von Muttersauen als das von (kastrierten) Ebern, und mit Finnen versetztes Fleisch als unbefallenes.428 Der ungetreue Betrüger wird beschuldigt, sein Fleisch (über die Zeit) zu behalten, das anschließend unter dem Fell fault, dabei jedoch weiß bleibt. Solange das Fell das Fleisch bedeckt, glaubt der unbedarfte Mensch, dass es gut und frisch sei. Tatsächlich aber ist es faul, und der Käufer könnte infolgedessen den Tod finden oder schwer erkranken:429 Sô gît der böckîn fleisch für schæffenz, der muoterînez für bergînez,430 der vinnigez für reinez. Dû rehter trügener ungetriuwer! dû beheltest eht dîn fleisch unz ez erfûlet under dem velle, sô blîbet ez gar wîz; di wîle daz vel drobe ist, sô wænet ein bidermann ez sî gar guot unde frisch: sô ist ez fûl; er mac den tôt dran gezzen oder grôzen siechtuom.431
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Würste für 1 Pfennig verkauft werden sollen; sie dürfen nur aus reinem Schweinefleisch hergestellt sein. Von einem Mutterschwein dürfen keine gemacht werden. Die Zuwiderhandelnden werden 1 Pfund Buße zahlen und ein Jahr lang vom Handwerk ausgeschlossen sein. Aussätziges Fleisch [finniges Fleisch] und Fleisch von Mutterschweinen darf nur 7 Fuß vom Fleischmarkt entfernt verkauft werden, desgleichen das Fleisch für die Juden. Die Übertreter dieser Satzung sollen 5 Pfund zahlen und ein Jahr den Fleischmarkt meiden“, Evamaria Engel/Dietrich Jacob: Städtisches Leben im Mittelalter. Schriftquellen und Bildzeugnisse. Köln/Weimar/Wien 2006, S. 265 f. Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 190 s.v. bergîn: „von einem barc, schweine herrührend“; warum das Fleisch einer Muttersau zuvor als besondere Schon- oder Krankenkost genannt wird, bleibt offen Die als Finnen bezeichneten Bandwurmlarven gelangen über den Darmtrakt der Tiere in deren Muskelfleisch, wo sie sich als Zyste einnisten. Sie sind aufgrund ihrer Größe und Form mit dem bloßen Auge gut zu erkennen. Mit Finnen des Schweine-, Rinder- oder Fischbandwurms befallenes Fleisch ist bei Verzehr für den Menschen i. d. R. weniger folgenschwer als bei Befall mit Finnen des Fuchs- und des Hundebandwurmes, der schwerwiegende Erkrankungen mit zunehmendem Organversagen verursacht; mehr dazu bietet das Internet-Portal ‚Wikipedia‘ s.v. Finnenstadium. Dass finniges Fleisch gesundheitsschädlich oder zumindest minderwertig ist, war, wie auch die vorliegende Passage belegt, im Mittelalter bekannt; vgl. dazu auch unten Abschnitt VIII.3 Auch diese Passage zeigt an, dass im Mittelalter der Zusammenhang zwischen verdorbener Ware und Krankheit durchaus bekannt gewesen ist, ohne dass man um Bakterien oder Viren wusste Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 127 s.v. barc: „männliches verschnittenes schwein“ Nr. VI Von ruofenden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 86, 19 ff.; vgl. auch Bitsch (1987), S. 191
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In einem offenbar eher scherzhaft gemeinten Beispiel schildert Hugo von Trimberg im ‚Renner‘, wie leicht es sei, bei Geflügel und Vögeln zu betrügen (sofern diese gerupft angeboten werden): Wer kan vor valsche sich bewarn? Sölte einer verkoufen einen sparn, Er swüere ez wêre ein haselhuon; Und möhte er grœzern schaden getuon Sînem ebenkristen, er têt ez ouch: Vür ein rephuon einen gouch Gêbe er einem tôrn, swâ er den fünde.
(10469 ff.)
Wer kann sich vor Betrug schützen? Sollte jemand einen Spatzen verkaufen (wollen), er würde schwören, dass es ein Haselhuhn sei. Und sollte er beabsichtigen, seinem Mitchristen größeren Schaden anzutun, täte er es auch: wo immer er einen Dummen fände, würde er einen Kuckuck für ein Rebhuhn ausgeben.432 Wiederum durch Berthold werden Fischhändler beschuldigt, ihre (bereits toten) Fische in Wasser liegen zu lassen, bis ein Freitag (traditioneller Fischtag) kommt. Dann aber sind sie bereits verfault, so dass ein Mensch durch deren Verzehr sterben oder schwer krank werden kann. Damit – so Berthold – wirst du (Fischhändler) schuldig an all denen, die du durch diesen Trick betrügst: Dû heltest die vische in dem wazzer gevangen unz daz ein frîtac kumet: sô sint sie fûl und izzet ein mensche den tôt dar an oder grôzen siechtuom. Sô bistû schuldic an allen den, die dû dâ mite betriugest, daz sie in siechtuom vallent oder in den tôt.433
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Vgl. Lex. Bd. I (1992), Sp. 1057 s.v. gouch: „kuckuk“; bemerkenswerterweise auch in der Bedeutung „tor, narr“ nachgewiesen, so dass es sich hier vielleicht auch um ein Wortspiel mit Doppelsinn handelt Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 150, 33 ff. – Ein bemerkenswertes Dokument aus dem Jahr 1300 befasst sich gleich mit zwei Betrügereien. Die Lübecker Ratsherren hatten sich bei ihren Eisenacher Kollegen darüber beklagt, dass es im Eisenacher Hopfenhandel zu erheblichen Unregelmäßigkeiten gekommen sei (was genau als nicht korrekt bemängelt wird, lässt der überlieferte Text leider offen). Die Eisenacher Ratsherren schrieben daraufhin den Lübecker Rat an, gelobten Besserung und setzten hinzu: „Dagegen erbitten wir freundlich und ehrerbietig von Euch, dass Ihr zusammen mit den Landesherren und mit den Euch benachbarten Städten anordnet, dass auch in der Mitte der Fässer Heringe von der gleichen Qualität wie oben und unten gelegt werden: von mehreren Seiten wird nämlich Klage erhoben, von den Unsrigen wie auch von
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Die Liste der durch Berthold benannten Zünfte, die in Betrügereien mit Nahrungsmitteln verstrickt sind, ist damit längst nicht vollständig. Die Kleinhändler, die prangerer, klagt er an, selten ihrer Aufgabe gerecht zu werden, indem sie Öle und Fette verfälschen oder strecken. Wenn sie sich an solchen Machenschaften schon nicht beteiligen, bieten sie den Kunden verdorbenes Obst – hier Äpfel und Birnen – so an, dass dessen unbeschadete Seite nach außen präsentiert, die faule jedoch verborgen wird: Ir pfragener und ir pfragenerinne, ir tuot iuwerm amte selten rehte: ir velschent daz olei, ir velschent daz unslit; sô ir niht mer zuo valscheit müget getuon, sô kêret ir dem apfel unde der birn daz fûle hin under und daz schœne her uz.434 Mehrfach wird auch angesprochen, dass verdorbene Grundstoffe weiterverarbeitet werden, so, wenn Bäcker fulez korn ze brote backen, oder dass überlagerte oder verdorbene Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Ein weiteres Beispiel nennt Wirte und Gastgeber in den Städten, die gekochte Speisen zu lange aufbewahren, so dass ein Gast, der etwas davon zu sich nimmt, ernsthaft erkranken kann: Sô sint etelîche wirte unde gastgeben in den steten, daz sie ein gesoten spîse als lange behaltent, daz ein gast dran izzet daz er iemer deste krenker ist.435 Auch bei Getränken ließ sich auf verschiedene Art manipulieren. Berthold beklagt, dass viele Anbieter die Leute mit fauligem Wein, fauligem Bier und nicht aufgekochtem Met betrügen. Oder sie schenken weniger aus als das Schankmaß gebietet, oder sie mischen dem Wein Wasser bei, um ihn zu strecken: Sô betriegent etelîche die liute mit fûlem wîne unde mit fûlem biere oder mit ungesotem met, oder gibet der rehten mâze niht, oder mischet wazzer zuo dem wîne.436
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Fremden, dass die Heringe, die von Euch ausgeführt werden, oben und unten in den Fässern gut und frisch und in der Mitte wertlos und faul sind. Wir bitten Euch, künftig einer solchen Fälschung vorzubeugen“, Engel/Jacob (2006), S. 175 Nr. II Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 16 f., 39 ff. Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 150, 37 ff. Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 151, 2 ff.; das Strecken von Wein mit Wasser wurde im Mittelalter als ein schweres Delikt angesehen und entsprechend streng geahndet, vgl. dazu Wunderer (2001), S. 175 ff., s. auch Deutsch s.v. Fälschungsdelikte in: HRG Bd. I2 (2008), Sp. 1492.
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Verbreitet waren auch Praktiken, dem Wein verschiedene Stoffe zuzusetzen, um sein Aussehen oder sein Aroma zu verändern. Welche Stoffe dem Wein dabei beigefügt wurden, führen allerdings nur spätere Textbelege auf. Eine Aufstellung bietet der Nürnberger Wundarzt und Barbier Hans Folz, der 1488 in seinem Text ‚Von allem Hawßrath‘ schrieb, wie mit dem Wein zu seiner Zeit verfahren wurde: Ich main, man deht ym sunst we genugk mit schwebel vnd aus dem milchkrugk, senff, weidasch, eyerclar vnd thaen, an was man thut mit wasser tzwagen vnd swie sein weiter tzimpt zu warten mit geschmaltzen speck, mit schwein schwarten, mit suesse wurtz, mit glatter schmir.437 Zugesetzt wurden demnach Schwefel, Milch, Senf, Waidasche, Eiweiß oder Ton (vornehmlich wohl, um den Wein zu klären, teils auch, um ihn zu strecken), fetter Speck, Schweineschwarte, Süßwurz oder ölige Schmier(stoff)e438 veränderten den Wein auch geschmacklich. „Alles, was Folz hier beschreibt, wurde für die Weinbehandlung tatsächlich verwendet, gehörte zur Praxis der Küferei und war teilweise nicht einmal verboten.“439 Das sog. ‚Arzen‘, das Panschen des Weins, zu dem auch das Strecken mit Apfel- oder Birnenmost zählte, wurde besonders im Spätmittelalter immer wieder beschrieben, aufgrund der regional differierenden Rechtslagen jedoch sehr unterschiedlich auch verfolgt.440 Wenn auch Belege aus dem hier interessierenden Zeitraum nicht bekannt sind, ist es sicher vorgekommen, dass, wie insbesondere für das spätere Mittelalter belegt, auch Gewürze in betrügerischer Absicht gestreckt
437 438
439 440
Für Augsburg ist im Jahr 1276 dokumentiert, dass man Weinpanschern – hier wegen der Streckung des Weines – androhte, dass sie ihren Wein zum halben Preis verkaufen müssten. Der durch die Fälschung erhoffte Profit sollte dadurch verhindert und der Reiz zum Betrug minimiert werden, vgl. Bettina Pferschy-Maleczek: Weinfälschung und Weinbehandlung in Franken und Schwaben im Mittelalter, in: Christhard Schrenk/Hubert Weckbach (Hg.): Weinwirtschaft im Mittelalter. Zur Verbreitung, Regionalisierung und wirtschaftlichen Nutzung einer Sonderkultur aus der Römerzeit. (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn. Bd. 9). Heilbronn 1997, S. 139–178, hier: S. 154 Zitiert bei Pferschy-Maleczek (1997), S. 168 Vgl. Lex. Bd. II (1992), Sp. 1014 s.v. smirwe: „schmiere“ und Sp. 1014 f. unter den Stichworten smirwen, smirn: „schmieren, salben“ Pferschy-Maleczek (1997), S. 168 Vgl. Schubert (2006), S. 204 f.
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und verfälscht wurden.441 Dies macht allein die Tatsache wahrscheinlich, dass besonders die über weite Strecken importierten exotischen Gewürze eine recht teure Ware gewesen sind,442 durch deren Streckung sich eine bedeutende Profitmaximierung erwirken ließ. Es wird jedoch angenommen, dass das „verbreitete Strecken von Safran und anderen Gewürzen mit Ersatzstoffen wie Ziegelmehl, Zinnober u. a. … in der Regel wohl kaum gesundheitsgefährlich“ wirkte.443 Dabei könnten – werden Klagen über das Verfälschen und Strecken von Gewürzen aus späterer Zeit etwa wörtlich genommen – die Betrugsmethoden durchaus unappetitlicher gewesen sein als etwa beim Wein. Demnach wäre, wenn es nur ähnlich aussah, roch oder wirkte, fast jedes verfügbare Material zum Strecken von Gewürzen zum Einsatz gekommen: Ich red, wer mir das maul verschoben, Das du dein dreck als wol kanst loben. Dein saffran hast zu Fenedig gesackt444 Und hast rintfleisch dar unter gehackt Und melst unter negelein gepets prot Und gibst für lorper hin geißkot. Und fichtenspen für zimtentrinten Und nimst das laup von einer linten, Dar mit tust du den pfeffer meren.445
441
442
443 444
445
Unter dem Stichwort Fälschungsdelikte nennt Andreas Deutsch mit anderen, für das Hochmittelalter bezeugten Betrugsbeispielen auch „Krämer, indem sie Gewürze verdünnten oder anfeuchteten“, vgl. HRG Bd. I2 (2008), Sp. 1492 Vgl. dazu Manuela Mahn: Gewürze. Geschichte – Handel – Küche. Stuttgart 2001, S. 80 ff. Dirlmeier (1987b), S. 149 Venedig stieg bereits seit dem 10. Jahrhundert zu einem der Hauptumschlags- und Handelsplätze für Gewürze aus dem Nahen und Fernen Osten auf, was die frühe und Jahrhunderte dauernde Blüte der Serenissima mit begründete, vgl. Mahn (2001), S. 82 f. Angesprochen wird hier, dass der (gelb-rötliche) Safran aus Venedig mit zerkleinertem (vielleicht fein gemahlenem und sicher getrocknetem) Rindfleisch ‚verlängert‘ wird, dass Nelken mit (Würz-?)Brot vermischt und Lorbeer mit Ziegenkot versetzt werden. Gewöhnliche Fichtenspäne werden für Zimtrinde ausgegeben, und mit Lindenblättern wird Pfeffer ‚gestreckt‘. – Mahn (2001), S. 91 setzt derartige Praktiken zwar für das Mittelalter generell an, beruft sich hier jedoch auf ein Fastnachtsspiel des 15. Jhs., vgl. Mahn (2001), S. 207, Anm. 18; der besseren Transskription wegen hier zitiert nach Bitsch (1987), S. 196
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Abb. 103: Betrug durch falsches Maß und seine irdische Ahndung: der auf dem Fass446 sitzende Teufel legt dem Betrüger die Schlinge um den Hals. Skulpturenfries an der Abteikirche von Andlau (Elsass), Ende 11. bis Mitte 12. Jh.447 446 447
446
447
Das Fass gleicht in seiner ‚schlanken‘, langgestreckten Form derjenigen, die auch in der Abbildung von Weinfässern im ‚Hortus deliciarum‘ begegnet, vgl. oben S. 649. Die Reifen, die das in Andlau gezeigte Fass zusammenhalten, sind jedoch anders angeordnet (vier Bünde à drei Reifen). Wahrscheinlich handelt es sich auch bei den weiteren Gefäßen, die zu sehen sind, um Produkte aus Holz. Die beiden Eimer (einer auf dem Fass, einer in der Hand des Betrügers) sowie die kleineren Gefäße, die der Betrüger und die Figur am linken Bildrand in der Hand halten, weisen je oben und unten die charakteristischen Haltereifen bzw. Bünde auf Zu den Betrugsdarstellungen „mit ihrer offenbar äußerst selten verwendeten Ikonographie“, die sich an der Andlauer Abteikirche finden, wird ausgeführt: „Maß und Gewicht waren Teil der göttlichen Ordnung, wie die zahlreichen Bibelstellen belegen, die vor Betrug warnen. Die Andlauer Skulpturen deuten an, was mit denen geschieht, die ihren Beruf nicht ehrenhaft ausüben: Sie verspielen ihr Seelenheil und geraten in die Fänge des Teufels. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Betrüger mitten im Leben heimgesucht und nicht erst beim Jüngsten Gericht bestraft werden“, so Andrea Bruhin: Die romanischen Skulpturen der Abteikirche Andlau und das geistliche Spiel, in: Lutz/Thali/Wetzel (2002), S. 83–113, hier: S. 95
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Eine andere Methode, Gewürze – besonders den begehrten Pfeffer –, die auch seinerzeit nach Gewicht verkauft wurden, künstlich schwerer zu machen, war die, sie der Feuchtigkeit auszusetzen, die durch die getrocknete Ware leicht aufgenommen wurde.448 Die Gewürzkrämer und die Apotheker,449 die im Mittelalter den lokalen Handel mit Gewürzen betrieben, standen denn auch oft unter dem Verdacht, „wertlose, verunreinigte oder verfälschte Ware anzubieten“.450 Dass dies oft wohl nicht der Grundlage entbehrte, zeigte auch die zeitgenössisch belegte Praxis, verdorbene oder stark überlagerte Gewürze im Mörser zu zerkleinern und anschließend in Pulverform zum Verkauf anzubieten.451 Sollte die Verbreitung der Praxis, die Verbraucher in Lebensmittelproduktion und -handel durch Manipulation von Waagen und Gewichten zu übervorteilen, an der Häufigkeit ihrer Benennung als Beispiel für sündiges und deshalb unchristliches Verhalten festgemacht werden können, so scheint dies, folgt man Berthold von Regensburg in seiner Vielzahl diesbezüglicher Passagen, gang und gäbe gewesen zu sein: Sô hât der unrehtez gewiht in sînem krâme, der habet sus die wâge einhalp, sô daz sie gein dem koufschatze sleht, unde jenez wænet ez habe, sô enhât ez niht … Sô hât der ein unrehtes elmez; sô hât der daz wahs gevelschet, der daz olei.452 448 449
450 451 452
Vgl. Mahn (2001), S. 90 Vgl. Meckseper (1985), S. 330; Mahn (2001), S. 107 ff. weist darauf hin, dass seit dem 13. Jahrhundert beide Bezeichnungen für die gleiche Tätigkeit gebräuchlich waren, nicht zuletzt, weil Gewürze nicht nur in der Küche, sondern besonders auch als Arzneimittel eingesetzt wurden. Eine Nähe zwischen Küchenpraxis und medizinischen Zwecken setzt sie auch wegen des im diätetischen Schrifttum des Mittelalters empfohlenen ‚Temperierens‘ von Speisen – u. a. durch Gewürze – voraus. Diese im zeitgenössischen Verständnis medizinisch indizierten Praktiken dürften jedoch nur kleinen Kreisen bekannt gewesen sein. Wann sich ‚Krämer‘ und ‚Apotheker‘ in die heutigen Bedeutungen schieden – der eine Kleinhändler, der andere im medizinisch-pharmazeutischen Bereich tätig –, lässt sich im Nachhinein nur schwer festmachen. In seinem ‚Buch der Natur‘ führt Konrad von Megenberg um die Mitte des 14. Jahrhunderts den apotêker auf, auf diese Quelle bezieht sich grundlegend Lex. Bd. I (1992), Sp. 87. Das Grimm’sche Deutsche Wörterbuch verweist in Bd. I (1984), Sp. 537 s.v. Apotheke auf den Ursprung der lange fehlenden Trennung der Berufsbezeichnungen, denn der Begriff meint „eigentlich behälter, speicher überhaupt, wurde im mittelalter eingeschränkt auf die niederlage von spezereien und arzneien“ Mahn (2001), S. 90 Vgl. Mahn (2001), S. 90 f. Nr. II Von den fünf pfunden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 16, 17 ff.; vgl. dort auch Nr. XV Von den fremeden sünden, S. 216, 9 ff. und Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, S. 148, 25 ff.
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Abb. 104: Der Betrug durch falsches Gewicht wird vom Teufel bestraft. Skulpturenfries an der Abteikirche von Andlau (Elsass), Ende 11. bis Mitte 12. Jh.
Dass wohl nicht nur die Zwischenhändler, sondern auch die Produzenten, die Bauern, gelegentlich zu betrügerischen Kniffen übergingen, um ihren Verdienst zu erhöhen, kritisiert Berthold ebenfalls. Er beklagt, dass Bauern ihre Arbeit auf schändliche Weise dadurch herabsetzten, dass sie die Kornsäcke oben (dort, wo sie vor dem Mahlen auf ihre Qualität geprüft wurden) mit besserem Korn, darunter jedoch mit schlechtem befüllten: Dû legest ouch schœne korn oben in den sac unde danne unden daz bœse, und alsô verliusest dû alle dîne arbeit mit trügenheit unde mit hazze unde mit nîde.453 Angesichts der Vielzahl der Möglichkeiten, Lebensmittel zu verfälschen und angesichts der überraschenden Breite zeitgenössischer Beispiele fragt sich schließlich, in welchem Umfang sich entsprechende Praktiken in dieser 453
Nr. X Von zehen kœren der engele unde der kristenheit, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 152, 31 ff.
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Zeit ausgewirkt haben mögen. Es sollte dabei nicht übersehen werden, dass im Hochmittelalter die weitaus meisten Menschen mehr oder weniger Selbstversorger waren, für die der Gang zum Bäcker, Fleisch-, Fisch-, Obstoder Gemüsehändler sowie zum Gewürzkrämer oder ‚Apotheker‘454 eher die Ausnahme als die Regel darstellte. Zu vermuten ist, dass es besonders große, dabei auch städtische Haushalte und abhängig Beschäftigte ohne eigenen Hausstand und Garten waren, die durch die oben dargestellten Praktiken besonders betroffen oder durch sie geschädigt wurden.455
454 455
Vgl. zu den beiden letztgenannten auch oben S. 716, Anm. 449 Vor diesem Hintergrund besitzt es eine historisch interessante Pikanterie, dass im Spätsommer des Jahres 2006 sog. „Gammelfleischfunde“ in Höhe von mehreren tausend Tonnen in Lagern und im Handel große Teile der Bevölkerung beunruhigten (und eine weitgehend hilflose Verbraucherpolitik offenbarten). Zeigt sich doch an diesem Beispiel, dass die heutige Gesellschaft bei Verfälschungen und ‚Etikettenschwindel‘ im Handel ebenso, prozentual gar deutlich mehr betroffen – und vor allem abhängig – ist als diejenige des auch aktuell oft noch als ‚dunkles Mittelalter‘ bezeichneten Epoche
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VII. Hygiene Die hygienischen Verhältnisse der Zeit, hier besonders solche, die in Zusammenhang mit Maßnahmen der Lebensmittel- und Küchenhygiene stehen, werden in den hochmittelalterlichen schriftlichen Quellen nicht direkt als solche angesprochen. Eine gewisse Sauberkeit und Ordnung bei der Bereitung und Präsentation von Speisen setzte man in höfischen Kreisen offenbar voraus, zumal sie mit Maßnahmen einer angemessenen Gastfreundschaft in Beziehung gesetzt werden können. Auch wenn es im Hochmittelalter aus heutiger Sicht an vielen Kenntnissen über Infektionsquellen, Mikroorganismen oder lebensmittelchemische Prozesse weitgehend fehlte, bedeutet dies nicht, dass verschiedene, aus heutiger Sicht auch hygienisch interpretierbare Maßnahmen unbekannt waren oder dennoch ergriffen wurden. Sie erschließen sich in der Regel jedoch nicht unmittelbar, also nicht durch konkrete Benennung eines Verhaltens und einer damit in hygienischer Hinsicht verfolgten Absicht, sondern mittelbar, denn zeitgenössische Literatur verfolgt zumeist andere Intentionen, z. B. das Preisen von vorbildlichem und die Verurteilung von lasterhaftem Verhalten. So weisen einige der in mittelalterlichen Tischzuchten aufgenommenen Verhaltensregeln direkte Bezüge zu hygienischen Maßnahmen auf, die mehrheitlich freilich als angemessenes, ‚gutes‘ Benehmen gewertet werden. Dass das Händewaschen vor und nach dem Essen daneben auch aus hygienischen Gründen angezeigt ist, findet sich – so klar ausgedrückt – in der im Mittelalter weit verbreiteten ‚Disciplina clericalis‘ des Petrus Alfonsi.456 Diesen Aspekt mögen andere Texte ebenso meinen, die gesundheitliche Bedeutung des Händewaschens wird ihn ihnen jedoch nicht vergleichbar deutlich herausgestellt. Dennoch wird man nicht außer Acht lassen dürfen, dass auch die Menschen des Mittelalters ihre Welt und Umwelt beobachteten und aus verschiedenen Ursache-Wirkung-Erfahrungen durchaus ihre Schlüsse zogen und Maßnahmen ableiteten.457 So könnten verschiedene, unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Etikette bereits oben angesprochene Maßnahmen wenn nicht prioritär, dann vielleicht auch als hygienische Maßnahmen verstanden werden: neben dem Händewaschen das Gebot, nicht wahllos in Töpfe und Schüsseln zu greifen oder dasjenige, ein Schnäuzen ins Tischtuch zu unterlassen. Wie es 456
457
Vgl. in der Ausgabe von Hilka/Söderhjelm (1911) den Anhang zu Nr. XXVI, in dem es um das rechte Verhalten an einer vornehmen Tafel geht Dafür stehen z. B. Maßnahmen wie die Isolierung von Kranken, auch zur Seuchenprävention
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Abb. 105: Handwaschszene vom Westlettner des Naumburger Doms, 3. Drittel 13. Jh. Ein Diener gießt mit der rechten Hand, von hinten kommend, aus einem flachen Gefäß Wasser über die Hände des vor ihm sitzenden Pilatus. Der Diener hält in seiner Linken ein weiteres flaches Becken, in dem das Wasser aufgefangen wird
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im ‚Helmbrecht‘ beschrieben wird, sollten derartige Regeln nicht nur von vornehmen Menschen, sondern von allen gesellschaftlichen Gruppen beherzigt werden.458 Inwiefern derartige Verhaltensregeln den Menschen im Mittelalter selbst als Möglichkeit gesundheitlicher Prävention auch bewusst waren, muss dahingestellt bleiben. Denn in einer diesbezüglichen Interpretation mittelalterlicher Quellen spiegeln sich heutige Sichtweisen wider, die seit der Entdeckung erster Mikroorganismen im 19. Jahrhundert durch einen gewissen „medizinischen Materialismus“ und, damit verbunden, durch wissenschaftlich-rationalisierende Tendenzen gekennzeichnet sind.459 Dass Regeln wie die in den Tischzuchten formulierten als symbolhafter Ausdruck einer Orientierung vor allem auch an religiös definierten Idealen verstanden werden sollten, einem Bestreben, sich Gott gefällig zu verhalten und damit seines Segens teilhaftig zu werden, wurde in Untersuchungen zu (Speise-)Vorschriften verschiedener Religionen dargelegt.460 Dieser Kontext trifft auch auf eine andere – allerdings genuin nicht-poetische – Quellengattung zu, die mit Blick auf hygienische Prävention und Maßnahmen interessant ist: die seit dem frühen Mittelalter verfassten und bis ins Hochmittelalter verbreitet eingesetzten Bußbücher, die Libri Poenitentiales.461 In diesen Werken, die sich besonders vom 7. bis in 11. Jahrhundert hinein nachweisen lassen,462 werden umfängliche Speisetabus und Sanktionsformen im Falle von deren Missachtung aufgeführt. Da sich die meisten der genannten Tabus mehr oder weniger direkt auf alt- und neutestamentliche Aussagen zurückführen lassen, wurden die Regelungen auch in neueren Publikationen vornehmlich unter theologischen oder religionsgeschichtlichen Aspekten beleuchtet,463 in denen die Frage nach der Reinheit oder Unreinheit von Körper und Geist im religiösen Sinne und damit die der Wahrnehmung einer gottgefälligen Lebensführung verfolgt wird. Diese Perspektive ist im Rahmen der Quellentradition nachvollziehbar, greift insgesamt jedoch wohl ebenso zu kurz wie Deutungen, die sie ausschließlich in den Zusammenhang des verbreiteten humoralpathologischen
458 459
460 461
462 463
Vgl. oben Abschnitt 2.2.4 Mary Douglas: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Luchesi. Berlin 1985, S. 47 f. Vgl. Douglas (1985), S. 48 ff. und S. 60 ff. Vgl. Lutterbach (1998), S. 1 ff.; allgemein siehe R. Kottje in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 1118–1122 s.v. Bußbücher Vgl. Lutterbach (1998), S. 3 und passim Vgl. Lutterbach (1998), S. 17 ff.
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Schrifttums464 oder den der Christianisierung – und einer damit einhergehenden Kultivierungsintention den ‚germanischen Barbaren‘ gegenüber – stellen.465 Denn viele der Vorkommnisse, die beschrieben werden, weisen direkte Bezüge zu praktischen und präventiven hygienischen Maßnahmen auf. Auch wenn die dokumentierten Nahrungstabus infolge der biblischen Tradition aus dem Vorderen Orient stammen466 – in dem hygienische Maßnahmen auch aus klimatischen Gründen eine über kultische Handlungen hinaus besondere Bedeutung besaßen467 – und damit genuin nicht dem europäischen Mittelalter zuzurechnen sind, dürfte mancher Nahrungsmittelbann auch in dem uns interessierenden Zeitraum breiten Bevölkerungskreisen bekannt geworden sein. Denn nur der Zweifel und die Frage nach der (hier moralisch) ‚richtigen‘ Verhaltensweise vermag die Vielzahl von überlieferten, teilweise auch rege diskutierten Regelungen – und auch der im Falle eines Verstoßes auszusprechenden Bußstrafen – plausibel zu erklären.468 Insofern ist den Bußbüchern eine genuin didaktische Intention eigen: „Zunächst enthalten sie nämlich selbst durchaus auch ‚ethische‘ Elemente und vermitteln ja eigentlich auch nicht wirkliche Tabus. Sie haben vielmehr eine erzieherische Absicht und wollen zum rechten Umgang auch mit den Lebensmitteln anleiten.“469 Dabei war es zunächst von ganz praktischer Bedeutung, dass sich ein im Verdachtsfall angerufener Geistlicher möglichst viele Beispiele für die Verunreinigung von Nahrungsmitteln aneignen konnte, um ein ‚angemessenes‘ Urteil über die ihm vorgetragene Angelegenheit fällen zu können. Im Sinne der Kasuistik – vom Einzelfall auf andere Fälle oder eine größere Zahl von Fällen schließend – sollte abgewogen werden können, um welche Art von Verstoß oder Problem es sich handelt, und auch, durch welche Maßnahmen dem schließlich zu begegnen sei. In den Bußbüchern wurde daher eine Fülle verschiedenster Beispiele aufgeführt, von denen viele auch heute
464 465 466 467
468 469
Vgl. dazu oben Abschnitt 6.3 Vgl. Lutterbach (1998), S. 18 Zu den biblischen Quellen im 3. und im 5. Buch Mose vgl. Douglas (1985), S. 60 ff. Auf eine darüber hinaus vermutete gemeinschaftsbildende und -erhaltende Funktion von Speisevorschriften in religiösen Gemeinschaften verweist Herbert Schneider: „Die Maus in der Milch“. Hygienebestimmungen in Bußbüchern, in: Kolmer/ Rohr (2000), S. 41–52, hier: S. 46; Douglas konstatiert, „daß das Meiden ansteckender Krankheiten und rituelle Vermeidungen oft ganz erstaunlich korrespondieren“ (1985, S. 45), bewertet jedoch die biblischen, auf Moses zurück gehenden Vorschriften als in den Kontext von (göttlicher) Ordnung und (menschlicher) Unordnung, daraus folgend in den von Tugend und Laster gehörig, vgl. Douglas (1985), S. 65 ff. Vgl. Schneider (2000), S. 49 ff. Schneider (2000), S. 48
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noch nachvollziehbar, viele jedoch auch recht pittoresk scheinen. Einige ‚Fall-Beispiele‘ sollen folgend vorgestellt werden. „Die in den Libri Paenitentiales [sic!] überlieferten Nahrungstabus lassen sich fünf Kategorien zuordnen: 1. Verbot von Blut, 2. Verbot von Ersticktem, 3. Verbot von Aas, 4. Verbot unreiner Tiere, 5. Verbot der Nahrungsaufnahme ‚gentilium more secutum‘.“470 In nahrungshygienischer Hinsicht interessant sind die Bestimmungen, die sich auf Fleisch und andere Produkte unklarer oder dubioser Provenienz beziehen. „In besonderer Weise gelten den Bußbüchern Leichen und Kadaver als verunreinigend; ihren Genuß hat man gänzlich zu meiden. Dieses Verbot bezieht sich sowohl auf Aas, das der Mensch direkt zu sich nimmt als auch auf morticina, die er über die Nahrungskette verspeist.“471 Dabei fallen die im Missachtungsfall auszusprechenden Bußstrafen je nach Autor unterschiedlich aus – sie reichen von sieben- bis zu vierzigtägigem Fasten, wobei teilweise unterschieden wird, ob der Verzehr wissentlich oder unwissentlich geschah. Wer aus Not handelte, wurde von einer Bußstrafe frei gestellt.472 Kam es vor, dass Schweine – die im Mittelalter überall zumeist frei herumliefen, was bereits durch Zeitgenossen als Plage empfunden wurde473 – Aas gefressen hatten, wurde ihr Verzehr entweder ganz unterbunden – die Verarbeitung ihrer Haut zu Leder jedoch gestattet – oder es wurde eine gewisse ‚Sicherheitsfrist‘ eingehalten: „‚Das Fleisch der Schweine, die Kadaver der toten Tiere in Fetzen zerrissen haben und dann fressen, darf man nicht essen bis sie entkräftet/entwässert/mürbe gemacht worden sind‘ bzw. ‚nach dem Verlauf eines Jahres‘.“474 Eine wichtige Rolle spielt in verschiedenen Vorschriften die Kenntnis, wie ein zum Verzehr geeignetes oder ungeeignetes Tier zu Tode gekommen ist. Wenn jemand z. B. ein verwundetes, jagdbares Tier findet, das noch nicht verendet ist, darf dessen Fleisch verzehrt werden, wenn der Mensch das noch lebende Tier tötet. Wenn das Tier bereits verendet ist, ist dessen Verzehr verboten.475 Grundlegend gilt, dass die Todesursache zum Verzehr geeigneter und damit freigegebener Tiere bekannt sein muss. Das frühmit470
471 472
473
474 475
Lutterbach (1998), S. 2; das letztgenannte Verbot bezieht sich auf gemeinsame Mahlzeiten mit Heiden, vgl. Lutterbach (1998), S. 15 ff. Lutterbach (1998), S. 12 Lutterbach (1998), S. 12 f. in Übersetzung der frühmittelalterlichen ‚Capitula Dacheriana‘, des ‚Confessionale Pseudo Egberti‘ und des um 900 entstandenen ‚Paenitentiale Vallicellanum‘ Vgl. A.G. Varron: Hygiene im Mittelalter, in: Ciba-Zeitschrift 74 (1955) Band 7, S. 2439–2468, hier: S. 2444 und passim Aus den ‚Capitula Dacheriana‘, Lutterbach (1998), S. 13 Vgl. ‚Canones Gregorii‘ (nach 690), aufgeführt bei Lutterbach (1998), S. 8
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telalterliche irische ‚Paenitentiale Cummeani‘ verfügt: „Wer das Fleisch eines toten Tieres gegessen hat, über dessen Weise des Ablebens er nichts weiß, soll für den dritten Teil des Jahres bei Wasser und Brot leben sowie für den Rest des Jahres ohne Wein und Fleisch.“476 So ist der Verzehr toten Fisches, der im Wasser gefunden wird, verboten, gestattet jedoch dann, wenn er jemandem verletzt vom Angelhaken oder aus dem Netz entwischte und später am selben Tag gefunden wird, weil in diesem Fall „seine Todesart nicht unsicher ist“.477 Hinsichtlich dessen, was als im Sinne ‚reinen‘ Fleisches als unbedenkliche Tötungsart von Tieren gilt, sind die Bußbücher eindeutig: nur nach damaliger Sitte fachgerechte Schlachtung sowie die Jagd mit Pfeil und Bogen, ggf. dem Speer, oder die regulären Formen der Fischerei.478 Andere Formen, Tiere zu töten, führen dazu, dass der Verzehr von deren Fleisch verboten ist. Bemerkenswert ist, was in diesem Zusammenhang unter der Todesart ‚Ersticken‘ (suffocatus) subsumiert wird: „Wir nennen erstickt, was gestorben ist, ohne daß man Blut ausfließen ließ oder was in einer Schlinge getötet wurde. Wenn ein Tier von einem Wolf oder einem Hund oder einer Schlinge erstickt aufgefunden wird, wird es nicht gegessen; (…) handelt jemand zuwider, büßt er 40 Tage“.479 Als grundsätzlich unrein galten Hunde und Wölfe, auch Mäuse, Springmäuse ( ! ), Wiesel und Katzen. Verboten war es, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, mit denen diese Tiere in Berührung gekommen waren.480 Gleiches galt für weitere Tiere: „Wer etwas trinkt, was von einem Adler, einer Elster, einem Hahn oder einer Henne angerührt worden ist, büßt 50 Tage und Nächte bei Wasser und Brot.“481 Dass viele dieser Verbote angesichts der seinerzeit zwar geringen Kenntnisse über Infektionsmöglichkeiten und -formen, einer im Mittelalter jedoch verbreiteten Angst vor Erkrankung durch Ansteckung482 gerade mit 476 477
478 479 480 481 482
Lutterbach (1998), S. 9 Lutterbach (1998), S. 9 f. mit Bezug auf das ‚Paenitentiale Hubertense‘, ähnlich auch das ‚Paenitentiale Vallicellarum‘, vgl. Lutterbach (1998), Anm. 38 Vgl. Lutterbach (1998), S. 7 ff. Lutterbach (1998), S. 7 Lutterbach (1998), S. 13 f. Lutterbach (1998), S. 14 Verschiedene Erkrankungen, die im Mittelalter für Seuchen gehalten wurden, führten aus Angst vor Ansteckung zu einer planmäßig durchgeführten Separierung der Erkrankten, so bei Lepra und bei Ergotismus ( ! ), vgl. N. Bulst s.v. Epidemien in: LexdMA Bd. III (1986), Sp. 2055–2059, hier: Sp. 2058; die Angst vor Ansteckung lässt sich übrigens bis in liturgische Bräuche hinein nachweisen, wie sie z. B. auch in Eikes von Repgow ‚Sachsenspiegel‘ beschrieben werden: „Das durch meren bezeichnete Eintauchen des Brotes in den Wein deutet … auf eine intinctio hin, die eine Son-
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Blick auf hygienische Fragen sinnvoll scheinen, bedarf keiner eigenen Erläuterung. In diesem Zusammenhang ist es daher auch bemerkenswert, dass die Bußbücher besonders „häufig den Tatbestand an[sprechen], daß ein Tier in ein flüssiges Nahrungsmittel fällt; ihre Sorge bezieht sich sowohl darauf, was mit dem ‚verunglückten‘, vom Erstickungstod bedrohten oder auf diese Weise bereits dahingerafften Tier geschieht als auch darauf, wie die verunreinigte Speise zu behandeln ist. In den Canones Gregorii (kurz nach 690) heißt es: ‚Wenn eine Springmaus (surrex) in das Bier gefallen ist [und noch lebt], wird sie herausgezogen und die Flüssigkeit mit heiligem Wasser (aqua sancta oder aqua benedicta) besprengt; wenn sie bereits gestorben … ist, wird alle Flüssigkeit ausgeschüttet und das Gefäß gereinigt.‘ Dieses Vorgehen gilt auch für eine ins Essen (in cibis) gefallene Springmaus oder eine in den Wein gefallene Maus; gleichfalls für einen Floh (pulex), der in flüssige Nahrung gefallen ist.“483 Interessant ist, dass entsprechende Speise- und Trinkverbote zum einen berücksichtigen, eine wie große Menge von Nahrungsmitteln ‚kontaminiert‘ wurde: Sind es reichliche Mengen, so soll die Flüssigkeit gereinigt und mit heiligem Wasser besprengt werden, verzehrt werden darf sie in diesem Fall jedoch nur, sofern die Notwendigkeit dafür besteht.484 Strikt verboten ist es jedoch, „flüssige Nahrungsmittel weiterzugeben oder weiterzuverkaufen, die durch tote Tiere verunreinigt worden sind.“485 Auch der Kontakt mit oder der Verzehr von Blut galt als unrein. Selbst Bienen, die einen Menschen gestochen haben, hielt man für verunreinigt – ihr Honig durfte jedoch genossen werden.486 Mit unreinen Speisen in Kontakt gekommene Töpfe sind mit Hilfe eines Gebetes zu reinigen,487 und wer nur halb gegartes Fleisch isst, wird mit einer Bußstrafe belegt, die unterschiedlich hoch ausfallen konnte – je nachdem, ob der Verzehr wissentlich
483 484 485 486 487
derform der Kommunion darstellt. Praktische Gründe, wie die Gefahr, das kostbare Blut zu verschütten, und Ekel und Furcht vor Ansteckung durch das Trinken aus einem gemeinsamen Kelch, ließen verschiedene Formen der Kommunion entstehen. Bei der intinctio tauchte man den Rand der Partikel vor der Austeilung in den Kelch. Diese Form war im Abendland des 7. bis 11. Jahrhunderts sehr verbreitet, wie wiederholte Verurteilungen dieses Brauches durch Lokalsynoden und schließlich durch den Papst beweisen“, so Ulrich Drescher: Geistliche Denkformen in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. (Germanistische Arbeiten zur Sprache und Kulturgeschichte. Bd. 12). Frankfurt/M./Bern/New York/Paris 1989, S. 224 Lutterbach (1998), S. 10 Vgl. Lutterbach (1998), S. 11 Lutterbach (1998), S. 11 Vgl. Lutterbach (1998), S. 4 und S. 33 Vgl. Lutterbach (1998), S. 35 f.
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oder unwissentlich geschah.488 So vielfältig, zuweilen grotesk sich die in den Bußbüchern dokumentierten Regelungen gestalten – mit Blick auf die für das Mittelalter nachweisbaren hygienischen Kenntnisse und Maßnahmen sind sie nur eingeschränkt aussagefähig, denn ihre ethisch-religiöse Zielrichtung489 war eine andere als die aus heutiger Perspektive gestellte Frage nach bewusstem Denken und Handeln eben auf hygienischem Gebiet. Den Bußbüchern und vielen durch sie überlieferten Regeln kann in hygienischer Hinsicht jedoch wohl zumindest das Prädikat eines (gleichwohl unbeabsichtigten) ‚Sekundärnutzens‘ zugesprochen werden. Ob und wie lange die Menschen des Hochmittelalters die Bußbücher und ihre umfänglichen Regelkataloge noch kannten und auch, ob und in welchem Maße sie sich diesen Regeln entsprechend verhielten oder zu verhalten gewillt waren, kann kaum mehr entschieden werden. Die seit dem 11. Jahrhundert nachlassende Neuproduktion von Bußbüchern könnte darauf hinweisen, dass sie etwas ‚aus der Mode‘ kamen und auf kein besonderes Interesse mehr stießen.490 Ein in hygienischer Hinsicht großes Problem stellte für die Menschen des Mittelalters die Wasserqualität dar. Sofern Fließgewässer in direkter Nähe vorhanden waren und zur Wasserentnahme genutzt wurden, dürften sie aufgrund ihrer ‚Zweitfunktion‘ zur Müll- und Abwasserentsorgung gesundheitlich oft sehr problematisch gewesen sein.491 Da sich besonders in Städten, die an Flussläufen gelegen sind, verschiedene Handwerksbetriebe mit hohem Wasserbedarf und auch Abwasseraufkommen bevorzugt in Ufernähe ansiedelten, so z. B. Gerber, Färber, Schlachter, Abdecker und auch Brauer, wird angenommen, dass es aufgrund der schlechten Wasserqualität oft zu Erkrankungen kam.492 Zwar sind zeitgenössische Maßnahmen bekannt oder nachweisbar, bei der Nutzung verschmutzten Wassers Abhilfe zu schaffen, so etwa durch Umleitung von Gewässern durch Ort488 489 490 491
492
Vgl. Lutterbach (1998), S. 6 Vgl. dazu allgemein R. Kottje in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 1118–1122 s.v. Bußbücher Vgl. Lutterbach (1998), S. 3 und passim Vgl. Sven Schütte: Brunnen und Kloaken auf innerstädtischen Grundstücken im ausgehenden Hoch- und Spätmittelalter, in: Steuer (1986), S. 237–255, hier: S. 238 f.; vgl. Varron (1955), S. 2442; zur städtischen Abfallentsorgung in Fließgewässer s. auch Schubert (2002), S. 95 ff. Vgl. Tannahill (1988), S. 166, der nicht nur Typhus und Ruhr für eine häufige Erscheinung hält, sondern auch Erkrankungen infolge von Fischgenuss aus derartigen Gewässern; ähnlich Paczensky/Dünnebier (1999), S. 228; vgl. zu einer in dieser Hinsicht typischen Ansiedlung Michaela Hermann: Die Ausgrabung „Beim Märzenbad 9“. Erste archäologische Einblicke in ein mittelalterliches Handwerkerquartier in Augsburg, in: Bakker (2001), S. 185–224; vgl. auch Klaus Grewe: Zur Wasserversorgung und Wasserentsorgung in der Stadt um 1200, in: Steuer (1986), S. 275–300, hier: S. 293
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schaften und besonders durch Städte – unter Umgehung der Verschmutzungsstätten.493 Doch wurden sie nicht allgemein angewandt: „Als Beispiel sei nur angeführt, daß man in Goslar um 1200 schon die Flußentnahmestelle für das Trinkwasser flußaufwärts verlegt hat, um unverschmutztes Wasser zu gewinnen, aber 100 Jahre später baut man in Lübeck zwar schon eine großartige Wasserkunst zur Hebung des Wassers, legt die Entnahmestelle für eine weitere Leitung aus der Wakenitz aber unweit des städtischen Schlachthauses.“494 Zentrale Bedeutung für die Wasserversorgung hatte für alle Lebensbereiche des Mittelalters der Brunnen.495 Unter diesem Begriff wurden verschiedene Formen der Gewinnung und Bevorratung von Wasser zusammengefasst,496 die auch durch zeitgenössische Bilddarstellungen497 sowie besonders in den letzten Jahren durch zahlreiche Ausgrabungsbefunde nachgewiesen sind.498 Bekannt waren verschiedene Brunnentypen, so z. B. Zieh-, Schöpf-, Winden-, Lauf- und Schalenbrunnen.499 Obwohl die Brunnenbau- und die Wasserversorgungstechnik besonders in verschiedenen
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Vgl. Schubert (2002), S. 87; neben Goslar wird dort auch das südniedersächsische Einbeck als Beispiel für diese Praxis genannt, die im Mittelalter nicht selten war. So wurde z. B. auch für die Reichsabtei Corvey die kanalisierte Umleitung eines nahegelegenen Baches nachgewiesen, die zur Trink- und Brauchwasserzufuhr sowie wahrscheinlich auch zu Entsorgungszwecken diente, vgl. Stephan Bd. 1 (2000), S. 198 f. Grewe (1986), S. 280 Vgl. Wolfgang Schmid: Brunnen und Gemeinschaften im Mittelalter, in: HZ 267 (1998), S. 561–586, hier: S. 561; siehe auch Schubert (2002), S. 87 ff. W. Brückner stellt hierzu fest: „Unter B. wurde sowohl die im Gelände zutage tretende Quelle, die zum Sammeln von Niederschlägen angelegte Zisterne, der zum Zwecke der Grundwassergewinnung gebohrte und eingefasste Schacht wie auch die mechan. Vorrichtung zum Abzweig von Wasser aus Bächen und Flüssen verstanden“, in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 767–780, hier: Sp. 767 s.v. Brunnen Vgl. hierzu z. B. W. von Reybekiel: Der „fons vitae“ in der christlichen Kunst, in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde 12 (1934), S. 87–136 sowie A. Thomas: Darstellung des Lebensbrunnens in trierischen Handschriften des Mittelalters, in: Kurtrierer Jahrbuch 8 (1968), S. 59–83 Vgl. Brückner in: LexdMA Bd. II (1983), Sp. 767; Schütte (1986); Grewe (1986); Jean-Pierre Legendre/Jean Maire: Ein Beispiel der Stadtentwicklung: Die Cour des Bœfs in Strassburg, in: Grewenig (1992), S. 61–65; René Kill: Zum Stand der Forschung über die Wasserversorgung der Höhenburgen im Elsass, in: Grewenig (1992), S. 309–318; zu Brunnenfunden des Hochmittelalters bei Stadtgrabungen (u. a. Hannover, Lübeck, Duisburg) vgl. Klaus Grewe: Wasserversorgung und -entsorgung im Mittelalter. Ein technikgeschichtlicher Überblick, in: Frontinvs-Gesellschaft e.V. (Hg.): Die Wasserversorgung im Mittelalter. (Geschichte der Wasserversorgung. Bd. 4). Mainz 1991, S. 11–86 Vgl. hierzu Brückner (1983), Sp. 768 ff. mit Typendarstellungen Sp. 770 (Fig. 2)
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mittelalterlichen Klöstern vergleichsweise hoch entwickelt waren,500 gab es trotz dieser zeitgenössischen bautechnischen Kenntnisse besonders in den Städten erhebliche Probleme mit der Wasserqualität. Viele Brunnen wurden nicht bis zum Wasserspiegel mit Holz oder Stein ausgeschalt, zum einen, weil sich das Ausschachten und Auskleiden in größerer Tiefe501 baulich schwierig gestalteten, zum andern „im Bestreben, durch möglicherweise zusätzl. seitlichen Zufluß die Ergiebigkeit des B. [Brunnens] zu steigern.“502 Viele im Hinterhof städtischer Häuser gelegene Brunnen befanden sich in direkter Nähe zu Abfallgruben und Latrinenanlagen,503 das „Trinkwasser wurde aus der gleichen Schichttiefe entnommen, in der die Gruben mündeten“.504 Ein prägnantes Beispiel hierfür bieten archäologisch erschlossene Haus- und Hofparzellen aus dem hochmittelalterlichen Braunschweig (s. Abb. 106). Dass es infolge der oftmals direkt benachbarten Anlage von Brunnen und Abfall- sowie Fäkaliengruben „häufig zu Verunreinigungen und sogar Verseuchungen (kam)“,505 kann als gesichert gelten. Auf der einen Seite wird zu den Problemen bei der Wasserqualität, die auf mittelalterliche Gewohnheiten bei der Gewinnung von Wasser und Entsorgung von Abwasser und Müll zurückgehen, angeführt, dass „die Zeitgenossen … an die nahezu unbegrenzte Selbstreinigungskraft fließender Gewässer und an die Aufnahmefähigkeit der Erde“ glaubten.506 Andererseits sind für verschiedene städtische Kommunen frühe Verordnungen überliefert, durch welche die Lagerung von Abfällen und Mist zumindest in den Straßen reglementiert 500
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Vgl. Schmid (1998), S. 564 ff.; Grewe (1986), S. 282 f. sowie Clemens Kosch: Wasserbaueinrichtungen in hochmittelalterlichen Konventanlagen Mitteleuropas, in: Frontinvs-Gesellschaft e.V. (1991), S. 88–146 Die meisten der innerstädtisch gelegenen, archäologisch erschlossenen Brunnenanlagen waren nicht mehr als 10m tief, vgl. Ulf Dirlmeier: Zu den Lebensbedingungen in der mittelalterlichen Stadt. Trinkwasserversorgung und Abfallbeseitigung, in: Herrmann (1987), S. 150–159, hier: S. 157; auf Probleme bei der Bewetterung von Brunnenschächten bei größerer Bautiefe weist Brückner (1983), Sp. 768 hin Brückner (1983), Sp. 768 Vgl. z. B. die bildliche Rekonstruktion von durch Ausgrabungen gut erschlossenen Hausparzellen aus dem mittelalterlichen Braunschweig, in: Rainer Maaß/Wulf Otte: Alltagsleben im mittelalterlichen Braunschweig. Wohnen. Essen und Trinken. Arbeiten. (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 64). Braunschweig 1991, passim; vgl. auch Schmid (1998), S. 573 und Brückner (1983), Sp. 769 Dirlmeier (1987a), S. 157 Brückner (1983), Sp. 768 f. Schmid (1998), S. 573; ähnlich Grewe (1986), S. 294; Schubert (2002), S. 102 erwähnt hingegen das in Erfurt 1256 verhängte Verbot, Abtritte direkt in die durch die Stadt fließende Gera zu entsorgen. Warum diese Maßnahme verhängt wurde, bleibt dort jedoch unerklärt
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Abb. 106: Turnierstraße in Braunschweig. Grundstücke mit bisher ausgegrabenen Kemenaten, Brunnen (um 1250) und Kloaken (um 1300)
wurde.507 Auch wurden Brunnen und damit verbundene Anlagen bereits seit dem früheren Mittelalter durch kodifizierte Rechtsvorschriften unter besonderen Schutz gestellt,508 und manchmal wurden auch zeitgenössischen humoralpathologischen Gesundheitslehren folgende Maßnahmen durchgeführt, die als gesundheitsförderlich galten.509 Einzelne rechtliche 507 508 509
So für die Stadt Straßburg im Jahre 1147, vgl. Schmid (1998), S. 572 Vgl. Brückner (1983), Sp. 776 f. Vgl. G. Keil s.v. Hygiene im LexdMA Bd. IV (1991), Sp. 242–244, hier: Sp. 243 und oben Abschnitt 6.3
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Regelungen weisen jedoch zurück auf seinerzeit offenbar nicht seltene Gewohnheiten, so z. B., in einem Brunnen zu waschen, Mist oder Abfälle in dessen Nähe zu lagern, etwas hineinzuwerfen und in regelmäßigen Abständen erforderliche Wartungs- oder Instandsetzungsarbeiten nicht vorzunehmen, so dass infolge dieser Unterlassung Menschen oder Tiere zu Schaden kamen.510 Dass die existenzielle Abhängigkeit von der Wasserversorgung und damit deren Sicherung im Bewusstsein der damaligen Zeit tief verankert waren, zeigen Maßnahmen, Brunnen- und Zisternenanlagen durch Deckel oder eine Umbauung zu schützen, wie es z. B. für verschiedene Burgen im südwestdeutschen Raum nachgewiesen wurde.511 Denn die absichtliche Verunreinigung von Brunnenanlagen war eine bei kriegerischen Auseinandersetzungen wohl nicht selten eingesetzte Maßnahme: der Beschuss mit ‚Ulmer Feuer‘, kleinen, mit Jauche gefüllten Fässchen, die von außen in die Burgareale geschleudert wurden, war bei der Belagerung von Burgen gefürchtet.512 Die genannten Probleme betreffen besonders die im Mittelalter verbreiteten Grundwasserbrunnen und auch Zisternenanlagen. Wohl im Interesse, eine bessere Wasserqualität zu erhalten, gab es vor allem in Klöstern, vereinzelt auch in Städten Rohrleitungssysteme aus Blei oder Holz, die einen oder mehrere Brunnen speisten. So ist für Aachen ein aus einer Druckrohrleitung gespeister Wasserspeier im Atrium der Pfalzkapelle bekannt, Leitungssysteme aus Blei und/oder Stein hat es in den Klöstern tom Roden bei Corvey,513 St. Emmeram, Hirsau, Magdeburg, Michaelsberg, Otterberg und Georgental gegeben,514 und für Goslar wird für die Zeit um 1200 ein auch die Stadt versorgendes Röhrensystem angenommen.515 Auch Burganlagen, sogar vergleichsweise kleine und unbedeutende, konnten über eine künstliche Wasserzufuhr verfügen: so wurde in der Motte Lürken im Rheinland (vgl. Abb. 107) bei Ausgrabungen eine Wasserleitung aufgedeckt, die sich 510 511
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Vgl. Brückner (1983), Sp. 777 Vgl. Jürgen Keddigkeit: „Burge, Slosse, wehrlich Hus“. Wohnen, Wehren, Wirtschaften auf Adelssitzen in der Pfalz und im Elsaß, in: Jürgen Keddigkeit (Hg.): Burgen, Schlösser, feste Häuser. Wohnen, Wehren und Wirtschaften auf Adelssitzen in der Pfalz und im Elsaß. Kaiserslautern 1997, S. 11–34, hier: S. 27 f. Keddigkeit (1997), S. 27 Vgl. Karl-Heinz Plitek: Technische Einrichtungen in den Klostergebäuden, in: Korzus (1982), S. 61–69, hier: 64 ff., Abbildungen des Leitungssystems, das von einem kanalisierten Bach abgezweigt und durch die mit einem offenen Wasserbecken versehene Küche geführt wurde, von wo aus es wieder in den Bach führte, sind auf dem Plan der Abtei eingezeichnet sowie in Detailaufnahmen abgebildet bei Kosch (1986), S. 99, Abb. 1 und S. 101, Abb. 3 f. Vgl. Grewe (1986), S. 283 und Kosch (1991), passim Vgl. Grewe (1986), S. 290 f.
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Abb. 107: Archäologisch geborgene Wasserleitungen aus der Motte Lürken bei Eschweiler; oben die ältere, aus Erlenstämmen bestehende Leitung, datiert Mitte des 12. Jhs.
mithilfe ihrer integrierten Holzteile auf die Mitte des 12. Jahrhunderts datieren ließ.516 Die während der Zähringer- und der Stauferzeit gegründeten südwestdeutschen Städte verfügten mehrheitlich über geplante, zumeist im innerstädtischen Wegesystem oberirdisch verlaufende Wasserzu- und (vor allem) -ableitungssysteme, die heute z. B. in Freiburg i.Br. noch als sog. ‚Bächle‘ verschiedene Straßenverläufe begleiten.517 Trotz verschiedener konkreter Maßnahmen oder Versuche, die Brunnen und Wasserentnahmestellen zu schützen und nach den Vorstellungen und Möglichkeiten der Zeit sauber zu halten, legte es deren Wasserqualität den Menschen im Fazit nahe, „besser Bier oder Wein als Wasser zu trinken“.518 516
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Vgl. Zeune (1996), S. 196 f. Größere Holzteile lassen sich u. a. durch eine Typologie charakteristischer Jahres(wachstums)ringe zeitlich recht genau bestimmen Zu dem recht komplexen Freiburger Wasserleitungssystem vgl. Grewe (1991), S. 79; dort wird ferner aufgeführt, dass bereits im Hochmittelalter ständig fließende Wasserrinnen, die vornehmlich Entsorgungszwecken und wohl auch der permanenten Verfügbarkeit von Löschwasser dienten, u. a. in Basel, Erfurt, Goslar, Quedlinburg, Speyer und Straßburg nachgewiesen wurden, vgl. auch Schubert (2002), S. 102 Schmid (1998), S. 585; vergleichbar Schubert (2002), S. 87 f.: „Der Ausdruck ‚Trinkwasser‘ ist insofern irreführend, als die Bürger es nach Möglichkeit vermieden, Wasser zu trinken; es diente zum Brauen dünner Hausbiere – schrecklich muß das Haferbier geschmeckt haben –, es diente zum Strecken des teuren Weins, es war für die Ärmeren unverzichtbar zum Sieden der Speisen.“ Da Wasser auch in begüterten Haushalten zum Kochen gebraucht wurde, war das Problem der Wasserqualität sicher ein allgemeineres und nicht nur eines, das besonders ärmere Bevölkerungskreise betraf. Allerdings besaßen begüterte Haushalte sicher mehr Möglichkeiten, dem durch gekaufte Getränke wie Wein zu entgehen
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Dies findet seine Entsprechung in den Schilderungen der zeitgenössischen Dichtung, in denen das Wassertrinken als Zeichen besonderer Entbehrung und auch der Strafe gilt. Dem vom tückischen Linier in den Kerker geworfenen Ritter Lanzelet werden tagtäglich nur Wasser und Brot vorgesetzt: im was geschicket alle tage niht wan wazzer unde brôt
(V. 1694 f.),519
und Iwein, der von einem Einsiedler im Wald aufgenommen wird, teilt dessen freiwillig gewähltes, karges Mahl, das aus Brot und aus einem Eimer geschöpften Wassers besteht: er âz daz brôt und tranc dâ zuo eines wazzers daz er vant in einem einber an der want.
(V. 3310 ff.)
In fast allen Lebensbereichen der Zeit gestaltete sich die Lebensmittelhygiene ferner dadurch problematisch, dass Küchen- oder Kochplätze räumlich selten von Arbeits-, Lager- und Wohnräumen getrennt waren. Gesonderte Lager- und Küchenbauten sowie Backhäuser sind besonders für mittelalterliche Klöster520 sowie für verschiedene Burganlagen belegt.521 In den Wohnhäusern des niederen Adels, der städtischen und der dörflichen Bevölkerung waren Küchen- und Kochbereiche zumeist identisch mit den offenen Feuer- oder Herdstellen, die in kombinierten Wohn-, Arbeits- und Wirtschaftsräumen gelegen waren.522 So galt für die Wohn- und Lebensver519 520
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522
Vgl. ein ähnliches ‚Kerkermahl‘ im ‚Rother‘, V. 350 ff. Als bereits im Mittelalter ‚klassisches‘ und infolgedessen baulich oft kopiertes Beispiel gilt die Anlage des Klosters von Sankt Gallen, vgl. Merk (1996), S. 15 mit einem synoptisch beigefügten Plan der Klosteranlage von Seligenstadt Vgl. z. B. Keddigkeit (1997), S. 27 und – mit Bildmaterial – Zeune (1996), S. 197 ff. In Pfalzen konnte der Küchenbereich auch in die großen Repräsentations- und Wohnbauten integriert sein, so in Goslar, wo sich im unteren Geschoss des doppelstöckigen älteren ‚großen Saalbaus‘ eine Küchenanlage befand, ebenso im Untergeschoss des späteren Anbaus (jüngerer Wohnpalast), vgl. Uvo Hoelscher: Die Kaiserpfalz Goslar. (Denkmäler deutscher Kunst. Die deutschen Kaiserpfalzen. Erster Band). Berlin 1927, S. 41 und S. 121 Vgl. für den Bereich Süddeutschlands, besonders auch der Nordschweiz Belege bei Jürg Tauber: Herd und Ofen im Mittelalter. Untersuchungen zur Kulturgeschichte am archäologischen Material vornehmlich der Nordwestschweiz (9.– 14. Jahrhundert). (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Bd. 7). Olten/Freiburg i.Br. 1980, bes. S. 378 ff. sowie mit verschiedenen Nachweisen für Adelssitze, städtische und dörfliche Siedlungen sowie Bauten Wolfgang Erdmann: Die Küche im Mittelalter. Archäologische und baugeschichtliche Gedanken zu Herd, Herdnutzung und Herdgerät, in: Die Lübecker Küche (1985), S. 9–51, hier bes. S. 14 ff.; vgl. auch oben Abschnitt II
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hältnisse der meisten Menschen im Mittelalter, dass die „‚Küche‘ … nach wie vor kein eigener Raum im Hause (ist), sondern ein Teil der Diele, welche vielen Arbeiten und Lebensvollzügen dient, so auch als Ort des Essens und der ebendort zubereiteten Speisen“.523 In diesen Dielen spielte sich nicht nur das wirtschaftliche und familiäre Alltagsleben ab, sie waren oft auch zusätzlich bevölkert von den auf dem Grund und im Haus zumeist frei herumlaufenden Hühnern, Gänsen, Schweinen, Katzen oder Hunden, und diesen Raum angesichts der dort auch gelagerten Waren und Vorräte von Mäusen oder Ratten frei zu halten, dürfte seinerzeit kaum möglich gewesen sein.524 Als in hygienischer Hinsicht im Mittelalter ebenfalls problematisches Phänomen wird der Schimmelbefall von Nahrungsmitteln genannt, der infolge begrenzter Konservierungs- und oft mangelhafter Aufbewahrungsmöglichkeiten häufig vorgekommen sein dürfte.525 Auch agrarische Methoden der Zeit besaßen in hygienischer Hinsicht manche Tücken. Zur Düngung der Felder wurden neben anorganischen Materialien, z. B. Mergel und Erden, auch Exkremente des Viehs, Mist sowie der Aushub von Latrinenanlagen verwendet.526 Sofern sich darin Eier von Parasiten befanden, die im Mittelalter weit verbreitet waren,527 konnten diese, auf Saaten und Pflanzen ausgebracht, überdauern und gelangten mit der Ernte wiederum in die menschliche Nahrungskette, sofern die eingebrachten Güter vor dem Verzehr nicht sorgfältig gesäubert und für längere Zeit erhitzt oder gekocht wurden. In anderer Hinsicht gab es bereits im Hochmittelalter lebensmittelhygienische Vorsorgemaßnahmen und Standards, die besonders in städtischen Siedlungen recht gut organisiert sein konnten und durchweg das Schlachten von Vieh sowie die Verarbeitung und den Verkauf von Schlachtfleisch betrafen. So war im Mittelalter „bekannt, daß Fleisch mit für den Menschen u. U. lebensgefährl. Krankheiten und Parasiten behaftet sein kann: prakt. ausnahmslos forderten die Fleischerordnungen für Fleisch, das zum öffentl. Verkauf bestimmt war, eine Beschau durch vereidigte Prüfer, oft in der doppelten Beschau der lebenden Schlachttiere und des frischgeschlach523 524
525 526 527
Erdmann (1985), S. 21 Vgl. Dirlmeier (1987b), S. 149, der in diesem Zusammenhang auch auf die Kontamination von Nahrungsmitteln durch Fliegenbefall hinweist; vgl. zu Haustieren auch Varron (1955), S. 2443 ff. und Michel Colardelle/Eric Verdel: Küche und Tafelfreuden in Charavines-Colletière, in: Rippmann/Neumeister-Taroni (2000), S. 192–201, hier: S. 201 Vgl. Dirlmeier (1987b), S. 149 Vgl. Willerding (1986b), S. 319–346, hier: S. 330 Vgl. hierzu die Ausführungen zu Wurmbefall unten in Abschnitt VIII.3
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teten Fleischs. Nur ganz gesunde Tiere durften geschlachtet werden. Oft war schon der Kauf von Schlachtvieh aus viehseuchenbedrohten Orten verboten. Rinder wurden bes. darauf untersucht, ob sie ‚koghesch‘ (lungenoder tuberkulosekrank?) waren, Schweine auf ‚Finnigkeit‘ (Trichinose). Zwar durfte trichinöses Schweinefleisch überall verkauft werden, mußte aber unübersehbar als solches gekennzeichnet sein.“528 Die Einrichtung besonderer Verkaufsstände für derartige Ware, der sog. Freibank, ist im 13. Jahrhundert für verschiedene Städte belegt, so für Basel und Augsburg.529 Dabei gab es durchaus Regelungen, die lediglich den gesundheitlichen Schutz der eigenen Bevölkerung im Auge hatten, nicht jedoch den von Reisenden und anderen Gästen, „denn dem Fremden durfte alles verabreicht oder verkauft werden“.530 Im Regelfall durfte „Fleisch als leichtverderbliches Lebensmittel … in frischem Zustand nur kurzzeitig zum Verkauf angeboten werden. Die üblichste Regelung war es, daß im Sommerhalbjahr (meist von Anfang Mai bis Ende Sept.) frisches Fleisch nur einen Tag, im Winterhalbjahr zwei Tage feilgehalten werden durfte, bevor es durch Einsalzen haltbar zu machen war … Wie das Schlachten wurde der Verkauf des Fleisches überwacht, um die Einhaltung der sanitären Vorschriften und der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten; dazu wurde meist eine aus Ratsherren und Fleischermeistern zusammengesetzte Kommission bestellt.“531 Eine solche Kommission nennt der Franziskanermönch Berthold von Regensburg in einer seiner Predigten (aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts). Die Fleischbeschau bei bzw. gleich nach dem Schlachten im Sommer dient ihm jedoch vornehmlich als Möglichkeit, sich vor Betrügerei 528
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H.-P. Baum zu hygienischen Vorschriften und Fleischbeschau unter dem Stichwort ‚Fleisch, Fleischer‘ im LexdMA Bd. IV (1989), Sp. 541–545, hier: Sp. 541 Vgl. Varron (1955), S. 2446 f.; der Verkauf von Fleisch z. B. aus Notschlachtungen über sog. ‚Freibänke‘ war noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein üblich, verlor jedoch besonders in den letzten zwei Jahrzehnten seine wirtschaftliche Grundlage durch allgemein fallende Fleischpreise und das gleichzeitig zunehmende Angebot günstigen Fleisches in Supermärkten Varron (1955), S. 2446; in diesem Zusammenhang bemerkt auch Winter (1987), S. 93: „Man meint oft, dass die Menschen des Mittelalters die vielen scharfen Gewürze nur verwendeten, weil sie es immer mit verdorbenem Fleisch zu tun hatten. Doch obwohl einzuräumen ist, daß die ‚Warenprüfungsgesetze‘ damals gewiß elastischer waren als in unserer Zeit, ist es nicht zutreffend, daß man im Mittelalter ständig am Rande einer Fleischvergiftung schwebte und dies mit starken Geschmacksstoffen zu vertuschen suchte. Man wußte sehr gut, was bekömmlich war, und hütete sich nicht nur vor wirklich verdorbenem Fleisch, sondern zum Beispiel auch vor rohem Wasser.“ Baum (1989), Sp. 541 f.
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im Fleischhandel zu schützen. Berthold meint, dass zwei oder auch vier unbescholtene Bürger bei geschlachteten Kälbern und Lämmern ohne Verzug überprüfen sollten, ob sie schlachtreif und gesund waren und dass die Tiere auch gleich abgehäutet wurden: Dar umbe solten die burger von der stat gebieten, swenne man in sumerigen zîten ein kalp oder ein lamp abnæme, daz man ez sâ zehant ville und im daz vel gar abe ziehe, unde daz zwêne biderbe man oder vier daz bewæren, daz ez zîtic sî daz sie dâ abe nement, unde daz ez gesunt sî …532 Die Infrastruktur der städtischen Marktanlagen des Hochmittelalters war jedoch kaum geeignet, entsprechende lebensmittelhygienische Maßnahmen zu ergänzen. Viele Marktanlagen waren und blieben lange unbefestigt. In Trockenzeiten war der Untergrund oft staubig, bei Regen wurde er schlammig, und in aller Regel wurde er – wetterunabhängig – durchsetzt mit verschiedensten Arten von Abfällen, die zu Boden fielen oder absichtlich dort ‚entsorgt‘ wurden. Befestigungen des Marktgrundes sind im 13. Jahrhundert u. a. für Lübeck (durch Holzbohlen) sowie für Duisburg und Hannover nachgewiesen, wo eine Feldsteinpflasterung vorgenommen wurde.533 Zu einer nachhaltigen Verbesserung der hygienischen Zustände scheint es infolge dieser Baumaßnahmen oft nicht gekommen zu sein. Wie die archäologischen Befunde am Hannoverschen Markt ergaben, wurde die dort vorgenommene Pflasterung „noch im 13. Jahrhundert aufgrund fehlender Straßenreinigung schon wieder mit bis zu 30 cm dicken Schlammschichten überlagert“.534
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Predigt Nr. VI Von ruofenden sünden, in: Berthold von Regensburg (1965), S. 86, 25 ff. Vgl. Grewe (1991), S. 77 Grewe (1991), S. 77
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VIII. Ernährungsbedingte Erkrankungen An Erkrankungen, die durch Nahrungsmangel und schadstoffbehaftete Nahrungsmittel verursacht oder durch ihren Verzehr übertragen werden, litten Menschen seit Urzeiten, so auch im Mittelalter. In diesem Kapitel sollen daher einige Krankheiten, die für diese Zeit belegt sind und auch häufig vorkamen, näher beleuchtet werden. VIII.1 Ergotismus Als Ergotismus wird die Vergiftung durch sog. ‚Mutterkorn‘ bezeichnet. Sein Erscheinen ist für Westeuropa seit der Antike und auch das gesamte Mittelalter hindurch durch verschiedene Quellen bezeugt,535 seine Ursache wurde jedoch erst an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert erkannt.536 Dies wie die zunehmende Bedeutung, die die Kartoffel im 18. Jahrhundert für weite, besonders die ärmeren Bevölkerungskreise erlangte, führte dazu, dass Ergotismusfälle zurückgingen und ihr epidemisches Auftreten in der Neuzeit selten wurde.537 535
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Vgl. Veit Harold Bauer: Das Antonius-Feuer in Kunst und Medizin. (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. Supplement zum Jahrgang 1973). Berlin/Heidelberg/New York 1973, S. 19 ff.; auch durch Bodenfunde, die botanisch untersucht wurden, sind Mutterkornvorkommen vielfach belegt, vgl. z. B. Ulrich Willerding: Paläo-ethnobotanische Befunde über die Lebens- und Umweltverhältnisse im Mittelalter, in: Herrmann/Sprandel (1987), S. 109–125 Bauer (1973), S. 55 und passim; dass im Mittelalter die Krankheit nicht diagnostiziert werden konnte und entsprechend auch keine Behandlungsmöglichkeiten bekannt waren, belegt auch das Fehlen von diesbezüglichen Hinweisen in der zeitgenössischen ‚medizinischen‘ Literatur, vgl. Herbert Reier: Leben, Krankheiten und Heilungen im Mittelalter (800–1400). Kiel 1987, S. 162 s.v. Mutterkornbrand; Schubert (2006), S. 35 ff. stellt ein Zunehmen von Ergotismus-Erkrankungen in den Zusammenhang mit Hunger- oder Mangelzeiten. Er nimmt an, dass die Menschen dann kontaminiertes Getreide, das bei ausreichender Versorgungslage nicht verbacken oder verzehrt worden wäre, zu sich nahmen. An einen wohl kontaminiertes Getreide/Brot betreffenden Bericht Thietmars von Merseburg anschließend, stellt er fest: „Selbst wenn man in Hungerzeiten weiß, wie gefährlich ein solches Brot ist, wird es gegessen, weil die Eingeweide so sehr schmerzen, daß alle Warnungen überhört werden“ (S. 37). Neben einer Tendenz zur dramatischen Darstellung ist hier festzustellen, dass Schubert in seinem Schluss irrt. Denn wider besseres Wissen konnten die Menschen des Mittelalters beim Verzehr von mutterkornverseuchtem Getreide kaum handeln, da die Ursache des Ergotismus erst weit in der Neuzeit entdeckt und bekannter wurde Vgl. Bauer (1973), S. 55
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Botanisch wird das Mutterkorn als Dauerform des Schlauchpilzes Claviceps purpurea Tulasne beschrieben, der als Parasit bevorzugt in Roggenähren vorkommt. „Es hat die Gestalt eines übergroßen Getreidekornes, das sich aus den Spelzen der Roggenähre hervordrängt; es ist hellbraun bis violettbraun verfärbt.“538 Die gesundheitsschädliche539 Wirkung des Mutterkorns ist abhängig von der Konzentration toxischer Alkaloide, die je nach Witterungsbedingungen und Erntejahr deutlich schwanken kann. Ein epidemisches Auftreten von Ergotismus ist besonders bezeugt für Jahre, in denen feuchte Frühjahre und trockene Sommer die Ausbildung von Mutterkorn begünstigten.540 Das Auftreten von Erkrankungen konzentrierte sich auf die Monate September und Oktober, die sich direkt an die Getreideernte anschließen, zuweilen wird auch ein Zusammenhang mit Mangel- oder Hungerzeiten offensichtlich, in denen größere Kreise der Bevölkerung die Getreideernte ohne vorherige Reinigung vermahlten, um den Mahlertrag zu erhöhen.541 Ergotismus wird in zwei klinische Formen unterschieden, den Ergotismus gangraenosus und den Ergotismus convulsivus.542 Erkrankte leiden zunächst in beiden Formen an erheblicher Mattigkeit. In beiden Formen der Erkrankung wird sie anschließend begleitet von abwechselndem Frösteln, Kälteschauern und heftigen Hitzeanfällen (daher die Verbindung zur Bezeichnung ‚Antonius-Feuer‘), verbunden mit heftigen Schmerzen, kommt es beim Ergotismus gangraenosus zum Taubwerden der äußeren Extremitäten, zu deren Verfall und infolgedessen in schweren Fällen zu deren Verlust.543 Aufgrund der Phänomenologie der Erkrankung wurde Ergotismus gangraenosus im Mittelalter oft mit dem infektionsbedingten Wundbrand verwechselt
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Bauer (1973), S. 7; vgl. auch Abb. und Text bei Cord Meckseper (Hg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutschland 1150–1650. (Katalog der Landesausstellung Niedersachsen 1985. Bd. 1). Stuttgart/Bad Cannstatt 1985, S. 323 f. sowie www.giftpflanzen.com/claviceps_purpurea.html In niedriger Dosierung wird Mutterkorn seit Jahrhunderten auch als Heilmittel, z. B. zur Wehenförderung, eingesetzt; aus Mutterkorn wurde in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts auch LSD als Narkotikum synthetisiert, vgl. ebd. sowie www.bonatikus. de/Gift/mutter.html Durch Quellen belegt sind Ergotismus-Epidemien erheblichen Ausmaßes im deutschen Sprachraum für das Jahr 857 in den ‚Annales Xantenses‘ sowie für die Jahre 1089, 1128 und 1141, vgl. Bauer (1973), S. 34 ff. Vgl. Bauer (1973), S. 36 Vgl. Helmut Busch: Unerwünschte Ernährungseffekte. Beispiele aus der Medizingeschichte, in: Bitsch/Ehlert/Ertzdorff (1987), S. 149–156, hier: S. 149 und Bauer (1973), S. 13 ff. Vgl. Bauer (1973), S. 13 ff.
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und entsprechend – durch Amputation – behandelt.544 Versehrte hatten jedoch die Chance, die Erkrankung ohne andere Folgen zu überleben.545 Häufiger als der Ergotismus gangraenosus, der im Mittelalter besonders in verschiedenen Regionen Frankreichs und Flanderns auftrat, gab es im deutschen Sprachraum bis in die Neuzeit hinein den Ergotismus convulsivus. Sein Verlauf unterscheidet sich vom ersteren dadurch, dass Erkrankte über heftiges Kribbeln, „Ameisenlaufen“ in den Gliedern klagen.546 In schweren Fällen der Mutterkornvergiftung kommt es zusätzlich zu heftigen, dauernden Krämpfen sowie zu epilepsieartigen Krampfanfällen, die oft tödlich enden. Diese Anfälle dauern an, selbst wenn der Erkrankte über einen längeren Zeitraum kein mutterkornvergiftetes Brot zu sich nahm. Bei Kindern wurde neben einer dauerhaften Schädigung des Nervensystems eine bleibende Abnahme der geistigen Fähigkeiten beobachtet.547 Für die Erkrankten wirkte sich oft fatal aus, dass in beiden Fällen von Ergotismus ihr Appetit nicht beeinträchtigt wurde, ein wichtiges Symptom des Ergotismus convulsivus sind Anfälle von Heißhunger: „Die Patienten verschlingen unglaubliche Mengen Brot, das Mutterkorn enthält, und verschlimmern dadurch ihren Zustand noch mehr“.548 Von Erkrankungen war wohl besonders die ärmere Bevölkerung betroffen, da Roggen im Mittelalter wie in der frühen Neuzeit bei ihrer Ernährung in der Regel eine große Rolle, wenn nicht gar die Hauptrolle spielte. Ernährungsgewohnheiten und die Varianz des Nahrungsangebotes sind, wie durch klinische Versuche in der Mitte des 20. Jahrhunderts nachgewiesen wurde, entscheidend für den Ausbruch der Krankheit. So „zeigten Personen, welche neben dem mutterkornhaltigen Brot eine ausreichende Eiweißversorgung hatten, keinerlei Vergiftungserscheinungen, auch nicht nach wochenlangem Genuß des Brotes, während diejenigen, die nur von Brot und Kartoffeln lebten, schon nach dem Genuß von 2–3 Pfund mutterkornhaltigen Brotes aufs schwerste erkrankten.“549 Da Mutterkornbeimengungen sich – auch in höheren, toxischen Konzentrationen – geschmacklich nicht bemerkbar machen, sondern im Mehl,
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Vgl. Bauer (1973), S. 22 und 24 ff. Eine ausführliche Darstellung von durch Ergotismus gangraenosus Versehrten in der bildenden Kunst besonders des Spätmittelalters, vertreten u. a. durch Grünwalds Isenheimer Altar sowie durch Gemälde und Zeichnungen von Hieronymus Bosch und Pieter Breughel d.Ä., findet sich bei Bauer (1973), S. 71 ff. Bauer (1973), S. 16 Vgl. Bauer (1973), S. 16 f. Bauer (1973), S. 17 Bauer (1973), S. 59
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im gebackenen Brot, in Klößen oder in Breien lediglich eine dunklere Färbung hervorrufen,550 dürfte es im hier betrachteten Zeitraum öfter zu Einzelfällen und auch zu epidemischen Formen von Ergotismus gekommen sein. Chronikalische Quellen schweigen hierzu weitgehend, poetische gänzlich. Dass es jedoch häufiger zu Erkrankungen gekommen sein muss, belegt nicht nur ein spätromanisches Fresko im Chor von St. Kunibert zu Köln, das den Schutzheiligen der Erkrankten, den Heiligen Antonius zeigt, „im Strohgewand des Eremiten, umgeben von Opfern des Antonius-Feuers, die Hilfe suchend ihre versehrten Glieder ihm entgegenstrecken“.551 Eine solche zeitgenössische Darstellung ist auch das Schlussbild des sog. Elisabethpsalters (datiert erstes Drittel des 13. Jahrhunderts). Es zeigt eine weibliche Figur, die um Kranke und Krüppel besorgt ist, die möglicherweise Ergotismus-Opfer darstellen.552 Auch der Antoniter-Orden, 1095 von Papst Urban II. bestätigt und bei der Betreuung von Ergotismus-Kranken zunächst besonders in Frankreich tätig, besaß einige seiner europaweit 369 Niederlassungen auf dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches. Belegt sind besonders für das spätere Mittelalter Niederlassungen des Ordens, der, da die Krankheit für anstekkend gehalten wurde, Spitäler exklusiv für Ergotismus-Kranke betrieb, u. a. für Konstanz, Isenheim, Freiburg, Ravensburg, Würzburg, Regensburg, Bamberg, Bern, Basel, Straßburg, Colmar, Mainz, Grünberg, Höchst/Main, Nördlingen, Mohrkirch, Roßdorf und Memmingen.553 „Die älteste und bedeutendste Niederlassung der Antoniter in Deutschland dürfte die Präzeptorei in Grünberg in Oberhessen gewesen sein. Auch sie wurde zu Anfang des 13. Jahrhunderts … gegründet“.554
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Vgl. Bauer (1973), S. 36 Bauer (1973), S. 71 und Abb. 30 Da im Mittelalter aufgrund der ähnlichen Phänomenologie beider Erkrankungen – dem Verfall und Abfallen von Gliedern – zwischen der Lepra und dem Ergotismus nicht sicher unterschieden wurde, könnten auch Opfer der Lepra dargestellt sein, vgl. I. Müller: Kranke und Krüppel, in: Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (1981), S. 431–433, hier: S. 433; die Ähnlichkeit des Motivs mit dem Fresko aus der Kölner Kirche St. Kunibert (um 1270) legt nahe, nicht diese Darstellung, sondern diejenige aus dem Elisabeth-Psalter als die – vielleicht – älteste Darstellung von Ergotismus-Kranken zu werten, damit gegen Busch (1987), S. 152 Vgl. Bauer (1973), S. 61 ff.; vgl. auch A. Mischlewski s.v. Antoniter in: LexdMA Bd. I (1980), Sp. 734 f. sowie zur Entstehung des Antoniter-Ordens Busch (1987), S. 150 f. Moritz (1981), S. 106
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Abb. 108: Ausschnitt aus dem Schlussbild des sog. Elisabethpsalters, 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts555 555
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Vgl. die Abb. des Gesamtblattes in Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (1981), S. 349
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Bemerkenswert ist, dass angesichts der in den vergangenen Jahrzehnten häufiger und auch umfangreicher durchgeführten Ausgrabungen (hoch-) mittelalterlicher Friedhöfe sich im Zusammenhang archäologischer Untersuchungen offenbar kaum Fälle von Ergotismus dokumentiert finden. Zumindest schwere Fälle von Ergotismus gangraenosus müssten sich – einen guten Funderhaltungszustand vorausgesetzt – aufgrund fehlender Gliedmaßen an den Extremitäten (Fingerglieder oder Zehen) vergleichsweise gut nachweisen lassen. Dies mag zum einen darauf zurückzuführen sein, dass bei Grabungen und deren Dokumentation oft andere als paläopathologische Fragestellungen im Mittelpunkt des Untersuchungsinteresses stehen.556 Zum andern dürften bei nicht optimalen Bodenbedingungen das Fehlen oder ein eingetretener Schwund von Knochenmaterial diesbezügliche Untersuchungen und Aussagen erheblich erschweren.557 Der einzige im Rahmen der Recherchen zu dieser Arbeit erfasste Beleg für einen durch Bodenfunde nachgewiesenen Ergotismus-Fall stammt aus dem südlichen Dänemark. Auf dem Friedhof des Augustinerklosters von Æbelholt, das von 1175 bis 1550 bestand, wurde unter fast 400 Bestatteten ein Skelett gefunden, das einer Ergotismus-Kranken (hier Ergotismus gangraenosus) zugeordnet wird. Es wies deutliche Zeichen von Knochenschwund und einer längeren Markentzündung auf, ebenso ließ sich der Verlust von Fingergliedern noch zu Lebzeiten nachweisen.558 VIII.2 Folgen der Kontamination von Getreide VIII.2.1 Kornrade Über gesundheitliche Beschwerden, die durch Verunreinigungen des Brotund Breigetreides hervorgerufen werden, schweigen sich schriftliche und bildliche Quellen des Mittelalters wie im Falle des Mutterkorns auch bei Kornraden-Beimischungen aus. Dies kann nicht verwundern, denn die gesundheitsgefährdende Wirkung der Kornradensamen war ebenso wie die
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So verfolgt auch Haidle in ihrer breit angelegten, verschiedene gleichzeitige Beisetzungsplätze vergleichenden Arbeit die Frage der Nachweisbarkeit von (permanenter) Mangelernährung und Hungersnöten, nicht jedoch die ggf. mangel- oder ernährungsbedingter Krankheiten, die sich ggf. auch durch archäologische Funde nachweisen ließen, vgl. Haidle 1997 Hinzu kommt, dass Grabungen auf den Arealen von Siechenhäusern und Spitälern (und damit auf den dazugehörigen Friedhöfen) selten sind Vgl. Vilhelm Møller-Christensen: Umwelt im Spiegel der Skelettreste vom Kloster Æbelholt, in: Herrmann (1987), S. 129–139, hier: S. 134 f.
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des Mutterkorns im Mittelalter nicht bekannt.559 Nur so lässt sich erklären, dass Kornradensamen durch Bodenfunde von Nahrungsmitteln oder -resten vielfach belegt sind, die im Rahmen archäologischer Grabungen gehoben und durch (Paläoethno-)Botaniker untersucht wurden:560 Nicht nur in hochmittelalterlichen Kloakenverfüllungen, sondern auch bei Vorratsfunden „ist der Anteil von Kornraden-Samen (Agrostemma githago) … erstaunlich hoch“.561 Die Kornrade (Agrostemma githago), zartlila bis pinkfarben blühend, wird botanisch den Ackerunkräutern der Getreidefelder zugeordnet, die als Segetalflora bezeichnet werden (lat. seges – Saat, Acker).562 In Getreidefeldern des Mittelalters muss die Kornrade reichlich vertreten gewesen sein, was nicht zuletzt die Auswertung der Bodenfunde bezeugt.563 Auch der Pflanzenname könnte darauf hinweisen – eine mögliche etymologische Erklärung sehen Botaniker im mhd. riuten ‚ausreißen, ausreuten‘,564 das bei den stark verunkrauteten Äckern zugunsten der Halmfrüchte erforderlich wurde. Dennoch müssen vielfach erhebliche Mengen von Kornradensamen in die Getreideernte geraten und mit ihr verarbeitet sowie verspeist worden sein. „Offenbar konnten die recht großen und schweren Samen der Kornrade bei der Reinigung des Erntegutes mittels eines Windsicht-Verfahrens nicht abgesondert werden. Sie verblieben daher im Brauchgetreide wie im Saatgut. Bei der Aufbereitung des Getreides für Nahrungszwecke kam es zu 559
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Dass die Toxizität der Kornrade im Mittelalter nicht bekannt war, zeigt u. a., dass sie in zeitgenössischen botanischen Schriften neben Kräuter oder Gewürze gestellt wird, so z. B. durch Hildegard von Bingen, die sie als githcrut unter den herba aufführt, vgl. Rudolf von Fischer-Benzon: Altdeutsche Gartenflora. Untersuchungen über die Nutzpflanzen des deutschen Mittelalters. Unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1894. Walluf 1972, S. 204 Vgl. z. B. Willerding (1987), S. 115; Ulrich Willerding: Paläo-ethnobotanische Befunde über Ernährung und Umwelt im Mittelalter Braunschweigs, in: Rötting (1997), S. 201–214, hier: S. 212; Julian Wiethold: Archäobotanische Analysen an Bodenproben der Ausgrabung „Beim Märzenbad 9“ im Lechviertel Augsburgs, in: Bakker (2001), S. 239–250, hier: S. 242 sowie Karl-Heinz Knörzer: Kornradensamen (Agrostemma githago L.) als giftige Beimischung in römerzeitlichen und mittelalterlichen Nahrungsresten, in: Archaeo-Physica 2. (Beihefte der Bonner Jahrbücher. Bd. 23). Mainz 1967, S. 100–107 Willerding (1987), S. 115 Vgl. Stefan Schneckenburger, Botanischer Garten der TU Darmstadt, 2003 s.v. Agrostemma githago im Internet unter www.tu-darmstadt.de/fb/bio/bot/agrostemma/ Siehe hierzu die unten in die Tabellen mit Pflanzenfunden aus dem Hochmittelalter aufgenommenen Fundnachweise Vgl. Schneckenburger (2003), nachvollziehbar auch bei Lex. Bd. II (1992), Sp. 472 s.v. riuten: „reuten, ausreuten, urbar machen“
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erheblichen Beschädigungen der Samen. Das geschah ebenfalls beim Kauvorgang und im Verdauungstrakt. Die widerstandsfähigen Reste der Samenschale wurden schließlich … ausgeschieden“565 und fanden sich dann in den Verfüllungen vieler, in die Zeit des Hochmittelalters datierter Kloaken, in – wie oben angeführt – oft großen Mengen.566 Bemerkenswert ist dies in unserem Zusammenhang, weil Kornradensamen, bereits in geringer Dosierung genossen, hochgiftig sind. Sie enthalten zu 5–7,7 % das Agrostemma-Saponin, das hämolytisch wirkt, damit zum Austritt des Blutfarbstoffs aus den roten Blutkörperchen führt; das im Normalzustand undurchsichtige Blut wird infolgedessen durchsichtig.567 Abhängig von der Menge von Kornradensamen, die jemand zu sich nimmt, werden folgende Beschwerden beschrieben: „Die Kornrade bewirkt Niesen, er-
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Willerding (1997), S. 212. – Zwar nimmt die toxische Wirkung durch starkes Erhitzen wie z. B. durch den Backvorgang ab, sie bleibt aber vorhanden. Durch das im Mittelalter verbreitete, vergleichsweise schwache Erhitzen/Quellen von Breispeisen wird sie nicht reduziert, vgl. Knörzer (1967), S. 106 Belege fanden sich u. a. bei Willerding (1987; 1997), hier bes. für Braunschweig; Nachweise aus Corvey bei Willerding (2000), S. 608; für Augsburg Wiethold (2001); für Lübeck Henk van Haaster: Umwelt und Nahrungswirtschaft in der Hansestadt Lübeck vom 12. Jahrhundert bis in die Neuzeit, in: Beiträge zur Bevölkerung Lübecks, zu ihrer Ernährung und Umwelt (Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte. Bd. 21) Bonn 1991, S. 203–222, hier: Tabelle S. 222; für Göttingen wiederum Ulrich Willerding: Funde mittelalterlicher Pflanzenreste aus der Altstadt von Göttingen, in: Schütte (1984), S. 57–62, hier: S. 58; für Paderborn Arie J. Kalis/ Jutta Meurer-Balke: Archäobotanische Untersuchungen an Sedimenten des Brunnen [sic!] (205), in: Jens Schneider/Matthias Wemhoff (Hg.): Vorstoß in historische Tiefen. 10 Jahre Stadtarchäologie in Paderborn. (MittelalterStudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn. Bd. 4). München 2003, S. 97 f.; für Haus Meer ist die Dichte und Menge der Funde an verschiedenen, benachbarten Fundstellen bemerkenswert, vgl. Karl-Heinz Knörzer: Die Pflanzenfunde, in: Janssen/Janssen (1999), S. 104–214, hier S. 123, 144, 161, 167, 173, 179,194, 197; für Holzheim Ulrich Willerding: Paläo-ethnobotanische Beiträge zur Rekonstruktion der Lebens- und Umweltverhältnisse von Holzheim, in: Wand (2002), S. 479–484, hier: S. 481 und 484; bemerkenswert ist, dass im Vergleich zum nordwestdeutschen Bereich aus Süddeutschland nur wenige Untersuchungen von Pflanzen(rest)funden vorliegen; dies könnte auf die hier oft andere, für den Erhalt von pflanzlichen Resten ungünstigere Bodenbeschaffenheit zurückzuführen sein. Es wurden dort bisher besonders auf dem Lande jedoch auch deutlich weniger Siedlungsgrabungen durchgeführt, sodass für diesen Bereich nur wenige Bodenbelege erschlossen wurden. Das Problem der Verunkrautung von Getreideäckern dürfte im süddeutschen Raum jedoch ebenso bestanden haben wie in anderen Regionen Vgl. Willerding (1997), S. 212 und Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. 4 (1999), S. 1656 s.v. Hämolyse
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höhter Speichelfluss, Konjunktivitis568 und Schleimhautreizungen. Diese Reizung macht sich durch ein Kratzen und Brennen im Mund- und Rachenbereich bemerkbar. Weiterhin kommt es zum Aufstoßen, Übelkeit, Erbrechen, Koliken, Diarrhöen, Unruhe, Kopfschmerzen, Schwindel, Delirien, Fieber, Leibschmerzen, Tachykardie,569 Bewusstseinsstörungen und eventuell Krämpfe.“570 Eine schwere Vergiftung führt zum Tod, und das bereits bei einer vergleichsweise geringen Samenmenge: „Die früher angegebene tödliche Menge liegt bei 5 g Samen. Heute geht man von einer wesentlich geringeren Menge aus.“571 Für den Fundort Braunschweig stellt der Bearbeiter der dort geborgenen botanischen Bodenfunde angesichts der hohen Beimengung von Kornradenresten in menschlichen Ausscheidungen denn auch fest: „Demnach ist es in Braunschweig vermutlich zu manchem, durch die Kornrade bedingten Gesundheitsschaden gekommen.“572 Heute ist die Kornrade aus den Getreideäckern verschwunden und kommt fast nur noch in botanischen und Zier-Gärten vor. Erstaunlich ist der Wahrnehmungswandel des Ackerunkrautes: muss Agrostemma githago für das Mittelalter und die frühe Neuzeit als eine Gefahr und Plage gewertet werden, wurde die Pflanze, da ihr Bestand mittlerweile bedroht ist, zur Blume des Jahres 2003 erkoren.573 VIII.2.2 Taumellolch Wie die Kornrade wird auch der zu den Süßgräsern (Poaceae) gehörende Taumellolch (Lolium temulentum L.) in mittelalterlichen Schriftquellen nicht genannt. Obwohl sich auch bei den hier berücksichtigten Auswertungen botanischer Reste in archäologischem Fundgut aus dem Hochmittelalter nur selten Überbleibsel, z. B. Samenkörner oder Spelzen, dieser Pflanze nachweisen ließen,574 ist ihr häufigeres Vorkommen in Mitteleuropa ange-
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Medizinische Bezeichnung der Bindehautentzündung, vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. 5 (1999), S. 2212 s.v. Konjunktivitis Medizinische Bezeichnung für Pulsbeschleunigung (bis hin zum sog. ‚Herzrasen‘) infolge beschleunigter Herztätigkeit, bei Gesunden z. B. nach Kaffeegenuß oder bei Erregungszuständen, vgl. Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. 9 (1999), S. 3841 www.gifte.de/Giftpflanzen/agrostemma_githago.htm; die grammatikalischen Fehler wurden im Zitat übernommen Wie oben S. 742, Anm. 562; der Autor aus dem Botanischen Institut der TU Darmstadt nennt dort drei bis fünf Gramm als die für einen Menschen tödliche Dosis Willerding (1997), S. 212 Vgl. Schneckenburger (2003), wie oben S. 742, Anm. 562 Vgl. die Pflanzenrestfunde aus Bernshausen unten in Tabelle 3
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sichts verschiedener paläoethnobotanisch erschlossener Belege aus der Zeit vor und nach unserem Untersuchungszeitraum wahrscheinlich.575 Das etwa einen Meter hohe Gras, das sich auf Getreideäckern, besonders bei Hafersaat, ansiedelt,576 gelangte angesichts der im Hochmittelalter üblichen Erntemethoden zumeist mit vollem Halm und mit seinen Samenrispen ins Ernte- und von dort aus auch ins Mahlgut. Dabei entwickelt Taumellolch – je nach Umfang der Beimischung – eine toxische Wirkung, wie bereits in seiner geläufigen Bezeichnung sowie aus weiteren Namengebungen für diese Pflanze erhellt, z. B. Schwindelhaber, Schwindel-, Toll- oder Schlafkorn.577 Was die Giftwirkung der Pflanze verursacht, ist bis heute nicht ganz geklärt. Wurde früher angenommen, dass ein dem Mutterkorn verwandter, endoparasitischer Pilz (Acremonium coenophalium) für die Bildung neurotoxisch wirkender Indolalkaloide beim Taumellolch verantwortlich ist,578 gehen neuere Untersuchungen davon aus, dass nicht der am Gras schmarotzende Pilz, sondern ein Bakterium (Cornybakterium) die neurotoxische Wirkung verursacht.579 Beimischungen von Taumellolch in Brei- oder Mahlgetreide konnten, bevor wirksame Methoden der Saatreinigung griffen, bei Verzehr zu Schwindel und Sehstörungen führen, in seltenen Fällen wirkten sie sogar tödlich.580 VIII.3 Parasitenbefall Für das Mittelalter sind Befall und Erkrankung der Menschen durch verschiedene Parasiten u. a. mittels verschiedener Erwähnungen in zeitgenössischen medizinischen Traktaten nachweisbar, so bei Hildegard von Bingen und Caesarius von Heisterbach.581 575
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Vgl. Kühn (2000), S. 168–176, hier: S. 171, sowie Ulrich Willerding: Zur Geschichte der Unkräuter Mitteleuropas. (Göttinger Schriften zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 22). Neumünster 1986, S. 163 ff. Vgl. Ernst Klapp: Taschenbuch der Gräser. Erkennung und Bestimmung, Standort und Vergesellschaftung, Bewertung und Verwendung. Berlin/Hamburg 198311, S. 156 Vgl. Klapp (1983), S. 156 Vgl. Klapp (1983), S. 156 Vgl. im Internet die Angaben unter: www.giftpflanzen.com/lolium_temulentum.html Vgl. das Internet-Portal ‚Wikipedia‘ unter dem Stichwort ‚Lolch‘ Vgl. Reier (1987), S. 212 ff.
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Das Vorkommen verschiedener Parasiten, die den menschlichen Körper durchlaufen haben müssen, konnte auch im Rahmen der wissenschaftlichen Auswertung des Aushubs von mittelalterlichen Latrinen und Gräben, die u. a. der Entsorgung von Fäkalien dienten, verschiedentlich belegt werden. Hierzu bedarf es optimaler Erhaltungsbedingungen in besonders feuchten und luftabgeschiedenen Milieus, da sich die Parasiten vornehmlich durch deren – mikroskopisch kleine – Eier nachweisen lassen, die sich wiederum nur unter den genannten Bedingungen erhalten.582 Die Zahl der in den unterschiedlichen Fundhorizonten der – oft über Jahrhunderte hinweg genutzten – Fäkaliengruben nachgewiesenen Parasiteneier ist oft erstaunlich hoch. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass sog. Makroparasiten im mittelalterlichen Europa allgemein weit verbreitet waren.583 In Augsburg konnten für das im Mittelalter in der Nähe des Lechs gelegene Handwerkerviertel verschiedene Arten „der zu den Fadenwürmern gehörenden Gattungen Peitschenwurm Trichuris und Spulwurm Ascaris“ nachgewiesen werden, wobei es sich „sehr wahrscheinlich um den menschlichen Parasiten Trichuris trichuria und Ascaris lumbricoides“ handelt.584 Der beim Menschen parasitierende Peitschenwurm Trichuris trichuria gelangt durch eine Kreislaufkontamination in den menschlichen Körper. „Der Mensch infiziert sich durch die Aufnahme ausgereifter Eier, deren Larven im Darm aus der Eihülle schlüpfen. Die adulten 50 bis 60 mm langen Würmer leben im Dickdarm des Menschen und nehmen dort Blut als Nahrung auf“.585 In weniger großer Zahl ließen sich in Augsburg Eier des Spulwurms Ascaris lumbricoides nachweisen. Sie gelten wegen ihrer charakteristischen Form als gut identifizierbar und haften durch „ihre klebrige Proteinhülle … gut auf Gemüsepflanzen und anderen Anbaufrüchten, sofern diese mit infizierten Fäkalien gedüngt werden“.586 Aufgrund der hohen Zahl von Eiern, die ein adultes Weibchen absondert (bis zu 200 000 täglich), deren Reifezeit im Freien etwa 30 bis 40 Tage beträgt „und dann eine infektiöse Larve enthalten …, kann es bei niedrigem Hygienestandard durch orale 582
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Vgl. Wiethold (2001), S. 239; Bernd Herrmann: Parasitologische Untersuchung mittelalterlicher Kloaken, in: Herrmann (1987), S. 160–169 sowie Bernd Herrmann: Parasitologisch-epidemologische Auswertungen mittelalterlicher Kloaken, in: ZAM 13 (1985), S. 131–161 Dies belegen verschiedene Fundnachweise des 11.–13. Jahrhunderts bei Herrmann (1985), S. 152 ff., Tab. 5, vgl. auch Herrmann (1987a), S. 161 Wiethold (2001), S. 244 Wiethold (2001), S. 244 Wiethold (2001), S. 244
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Aufnahme rasch zu einer Durchseuchung größerer Teile der Bevölkerung kommen. … Die adulten 15 bis 40 cm langen Würmer leben vor allem im Dünndarm des Menschen.“587 Die Beschwerden, die ein geringer bis mäßiger Befall durch die genannten Wurmarten bei erwachsenen Menschen hervorruft, werden als vergleichsweise gering beschrieben.588 Neben den beiden genannten, weit verbreiteten Wurmarten wurden in Fäkaliengruben weitere Spezies gefunden. Nachgewiesen werden konnten so auch der Befall durch den Fischbandwurm, den Großen Leberegel, Lanzettegel, Madenwurm sowie durch Schweine- und Rinderbandwürmer.589 Stellte beim Infektionskreislauf der meisten Parasiten der im Mittelalter übliche Kreislauf durch Fäkaliendüngung und anschließenden Verzehr unzureichend gereinigter Feld- oder Gartenerzeugnisse – hier besonders Gemüse – die Ursache für den Befall des Menschen dar, war eine Infektion mit dem Schweine- oder dem Rinderbandwurm „nur möglich durch den Genuß von rohem, unzureichend gekochtem oder geräuchertem Fleisch“.590 Damit sind Beschwerden oder Erkrankungen durch Wurmbefall gleichermaßen in Zusammenhang zu setzen mit den – aus heutiger Perspektive problematischen – allgemeinen sowie den lebensmittelhygienischen Bedingungen der Zeit.591 Diese kannte zwar der damaligen medizinischen Literatur zufolge verschiedene Arten von Wurmbefall, so den von am Körperäußeren und im Körperinneren wirkenden Würmern,592 auch werden Spulwürmer und andere Typen durchaus voneinander unterschieden.593 Deren Ursachen werden jedoch wie deren Behandlungsmaßnahmen gleichermaßen mit den im 587
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Wiethold (2001), S. 244. Ob beide Wurmgattungen, gute Erhaltungsbedingungen vorausgesetzt, im Boden Jahrhunderte lang überleben können, stehe dahin: aus Straßburg liegt die Nachricht vor, dass dort in einer Fäkaliengrube des 14. Jahrhunderts bei Ausgrabungen 1976 in einer dichten Packung von Kirschkernen zahlreiche Nester noch lebender Spul- und Peitschenwürmer gefunden wurden, vgl. Erwin Kern: Strassburger Grün – „Le Vert Strassbourgois“, in: Grewenig (1992), S. 115–120, hier: S. 116 Vgl. Wiethold (2001), S. 244; lt. Herrmann (1985), S. 152 konnten Wurminfektionen bis in die Neuzeit hinein für Kleinkinder jedoch auch tödlich enden Vgl. Herrmann (1987a), S. 161 Herrmann (1987a), S. 162 Vgl. dazu oben Abschnitt VII; Schubert (2002), S. 141 konstatiert dem gegenüber, dass die geringe Fundzahl von Bandwurmeiern im Aushub vieler städtischer Latrinen „mit dem Erfolg der mittelalterlichen Fleischbeschau“ in Verbindung gebracht werden könnte Vgl. die Belege bei Reier (1987), S. 212 ff. Vgl. Reier (1987), S. 212 ff.
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Mittelalter verbreiteten diätetischen bzw. humoralpathologischen Vorstellungen erklärt, denen zufolge das Gleichgewicht der Säfte bzw. Temperaturen gestört wurde und durch – wie man meinte, geeignete – Gegenmaßnahmen wieder herzustellen war. So liest sich die Bereitung eines von Hildegard von Bingen gegen Spulwürmer empfohlenen Heilmittels folgendermaßen: „Wenn aus den schädlichen und schlechten Säften, die wie Gift im Menschen wirken, Würmer hervorgegangen sind, soll er Brennesselsaft und Wollblumensaft zu gleichen Gewichtsteilen nehmen, den Saft von Nussbaumblättern so viel wie beider Gewicht zusammen, oder wenn er keine Walnussblätter hat, ebensoviel Saft aus der Rinde dieses Baumes, etwas Essig zusetzen und reichlich Honig; dies in einem neuen Topf aufsieden lassen und den Schaum davon oben abheben. Nach dem Aufsieden soll er den Topf vom Feuer nehmen und 15 Tage lang nüchtern wenig davon trinken, damit er durch die starke Wirkung des Mittels nicht zu Schaden kommt. Nach dem Essen kann er hinlänglich davon trinken, weil die Speisen der Kraft jenes Mittels entgegenwirken. Werden nämlich die Wärme der Brennessel und des Wollkrautes mit dem gleichen Maß von Wärme und Kälte der Walnuss passend vereint und, wie vorgeschrieben, im Arzneitrank aufgenommen, dann gehen durch ihre Kräfte die Würmer im Menschen zugrunde. Essig aber und Honig werden zugesetzt, damit die Arznei wegen des Geschmackes ihrer Bestandteile eingenommen werden kann.“594 VIII.4 Rachitis und Skorbut Beide Krankheiten werden durch länger dauernden Vitaminmangel verursacht. Rachitis tritt vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen in der Wachstumsphase infolge eines Mangels an Vitamin D auf, das vor allem in Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs wie Eigelb, Milch, Butter und Leber vorkommt.595 Das menschliche Knochenwachstum unterliegt infolge einer Vitamin D-Mangelerscheinung Störungen, die sich besonders durch eine dauerhafte Deformation des Bein- und Beckenskeletts, der Rippen sowie der Wirbelsäule äußern. Diese Phänomene lassen sich pathologisch bei historischen Skelettfunden recht gut nachweisen.596 594
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Reier (1987), S. 214 unter Bezug auf Der Äbtissin Hildegard von Bingen Ursachen und Behandlung der Krankheiten (causae et curae). Übersetzt von Hugo Schulz. Mit einem Geleitwort von Ferdinand Sauerbruch. Heidelberg 19823; vgl. auch weitere Rezepturen bei Reier (1987) S. 73 s.v. Darmschmerzen Vgl. Caselitz (1986), S. 99 Vgl. Caselitz (1986), S. 99 ff.
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Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Berichte über längere Hungerund Mangelperioden ließe sich annehmen, dass die Auswertung von Skelettfunden aus dem Hochmittelalter regelmäßig auch Hinweise auf rachitische Knochendeformationen hervorbringt. Doch ist das Bild von Nachweisen, die in Zeit des Hochmittelalters datieren, noch fragmentarisch. So ließ sich im Rahmen einer 1200 Funde aus Nord- und Westdeutschland umfassenden Untersuchung lediglich ein Fall von Rachitis mit hinlänglicher Sicherheit nachweisen (Köln, St. Severin, Grab 180a).597 Auf dem Friedhof des dänischen Klosters Æbelholt, der im Hoch- und Spätmittelalter belegt wurde, sollen hingegen viele Skelette mit Anzeichen von Avitaminosen (u. a. Rachitis) gefunden worden sein.598 Da derartige Zuweisungen jedoch in vergleichbaren Untersuchungen als durchaus unsicher bewertet wurden, ist diese Aussage wohl nur bedingt tragfähig.599 Auf dem im Mittelalter belegten Friedhof des Heidelberger Spitals hingegen fanden sich mehrere Skelette, die Anzeichen von Mangelernährung aufwiesen: „Auch rachitisch deformierte Knochen, die auf Vitamin D-Mangel zurückgehen, oder Mineralisationsstörungen der Zähne, die auf zeitweise Unterversorgung hindeuten, konnten mehrfach diagnostiziert werden.“600 Gerade auf dem Friedhof eines mittelalterlichen Spitals ist eine größere Nachweisdichte ernährungsbedingter Mangelerkrankungen kaum überraschend, da verschiedenste Krankheitsbelege an diesem Ort, an dem sich auch chronisch Kranke befunden haben dürften, in besonderem Maße zu erwarten sind.601 Auch archäologisch sichere Nachweise für Skorbut sind für das Hochmittelalter bisher überraschend selten. Die Krankheit, bei der es zu Zahnausfall und Schwund der Knochensubstanz kommt, wird durch eine länger dauernde, mindestens mehrmonatige Unterversorgung des Körpers mit Vitamin C (Ascorbinsäure) verursacht, das in unterschiedlichen Konzentrationen in allen Pflanzen, ergiebig besonders in Zitrusfrüchten sowie Obst- und Gemüsearten vorkommt.602 Angesichts der im Hochmittelalter begrenzten Möglichkeiten, Obst und Gemüse zu konservieren, wäre zu erwarten, dass sich Skorbuterkrankungen anhand von Skelettfunden ver597 598 599 600
601
602
Vgl. Caselitz (1986), S. 100 f. Vgl. Møller-Christensen (1987), S. 136 Vgl. Caselitz (1986), S. 100 Joachim Wahl: Krankheiten und Todesursachen, in: Landesdenkmalamt BadenWürttemberg und der Stadt Zürich (1992), S. 482–485, hier: S. 485 Solange die Skelettfunde nur weniger Friedhöfe umfassenderen paläopathologischen Untersuchungen unterzogen wurden, sind Aussagen zu einem hohen, niedrigen oder auch allgemeinen Auftreten von (ernährungsbedingten) Anomalien insgesamt unsicher Vgl. Caselitz (1986), S. 98
750
Anhang
mehrt nachweisen ließen. Dass dies nur bedingt der Fall zu sein scheint, wird in folgendem Fazit festgestellt: „Insgesamt gesehen entspricht die Häufigkeit der Beobachtungen von Skorbut im archäologischen Fundgut nicht den Erwartungen, die aus historischen und subrezenten Überlieferungen resultieren.“603 Auch wenn bei derartigen Aussagen zu berücksichtigen ist, dass archäologische Funde und deren Auswertung lediglich Ausschnitte eines gesamten Szenarios zu erfassen vermögen, weisen diese Befunde in Richtung verschiedener Aussagen, die zu Hunger und Mangelernährung getroffen wurden (vgl. oben Abschnitt V): beide Phänomene kamen vor, angesichts ihrer bisher jedoch noch zu vereinzelt nachgewiesenen Folgen – hier auch durch den Beleg von Mangelkrankheiten wie Rachitis und Skorbut – möglicherweise aber weniger häufig als zeitgenössische Berichte über Mangelzeiten und Hungerkrisen erwarten ließen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch das vornehmliche, zumeist mehr anthropologisch als medinzin(histor)isch orientierte Frageinteresse bei der Untersuchung von Friedhofspopulationen. Oft orientiert es sich besonders an statistischen Aussagemöglichkeiten zu Geschlecht(erverhältnis), Größe und Wuchs, Verteilung des Sterbealters sowie gravierenden Verletzungen und Deformationen des Skeletts oder einzelner seiner Teile. Mangelbedingte Erkrankungen geraten dabei oft nur begrenzt oder auch gar nicht in den Blick. Es kann daher durchaus sein, dass die bisher noch vereinzelten Nachweise z. B. von Rachitis und Skorbut eher auf oft andere als speziell paläopathologisch gelagerte Frageinteressen bei der Untersuchung von Skelettmaterial zurückgeführt werden können. In ihrem Umfang realistische Vorkommen oder auch nur annähernd belastbare statistische Angaben über ernährungsbedingte Mangelerscheinungen können für den Zeitraum des Hochmittelalters daher bisher weder für größere Regionen und erst recht nicht flächendeckend erschlossen werden. Dass bezüglich der bisherigen Nachweislage Skepsis angezeigt scheint, lässt sich mittlerweile an verschiedenen Beispielen festmachen. Sofern nämlich Hinweisen auf Mangelernährung bei pathologischen Untersuchungen vermehrt nachgegangen wird, könnten sich Erkenntnisse ergeben, die hinsichtlich einer (zu) positiven Bewertung der Ernährungslage und Vitaminversorgung im Hochmittelalter aufmerken lassen. Dies zeigte sich bei der Belegung des Friedhofs der kleinen Abtei tom Roden, auf dem die Überreste von insgesamt 52 Individuen geborgen wurden.604
603 604
Caselitz (1986), S. 99 Vgl. Henke/Schultz (1982), S. 72
Ernährungsbedingte Erkrankungen
751
Abb. 109: Oberkiefer eines Kinderskeletts vom Friedhof der Abtei tom Roden. Er zeigt Knochenabbau, Porosierung an den Rändern der Zahnfächer, sekundäre Knochenauflagerung (Pfeile) infolge eines chronischen Vitamin C-Mangels
Erhebliche ernährungsbedingte Mangelerscheinungen ließen sich bei mindestens sechs der gehobenen Skelette (= mehr als 10 %) nachweisen.605 Die Knochen von zwei Kinderskeletten wiesen Anomalien auf, die auf dauerhaften Vitamin C-Mangel zurückgeführt werden.606 Vor diesem Hintergrund können lediglich weitere Untersuchungen Aufschluss über die wahrscheinliche Verbreitung von Mangelkrankheiten im Hochmittelalter geben, die ergrabene und einschlägig untersuchte Friedhofspopulationen nicht nur regional, sondern auch in größeren räumlichen Zusammenhängen vergleichen.607 605 606 607
Vgl. Henke/Schultz (1982), S. 80 ff. Vgl. Henke/Schultz (1982), S. 81 und S. 107, Abb. 72 und 73 Neben der Aufstellung und einem Vergleich weiterer, paläopathologisch untersuchter Friedhofspopulationen, die dem Hochmittelalter zuzurechnen sind, wäre auch eine auf dieser Grundlage erstellte chronologische Betrachtung ernährungsbedingter Mangelerkrankungen wünschenswert. Sie könnte Aufschlüsse darüber geben, ob
752
Anhang
VIII.5 Abrasion (Abrasio dentium) Bei der Zahnabrasion handelt es sich nicht um eine Krankheit, wohl aber um ein durch die Ernährung bzw. durch die Verarbeitung der Nahrungsmittel bedingtes Phänomen, das besonders die kariöse Erkrankung der Zähne begünstigen und beschleunigen konnte, gegen die im Mittelalter kaum eine andere medizinische Hilfe bekannt war als ggf. das Ausreißen befallener Zähne.608 Deshalb soll dieses Phänomen in der Reihe ernährungsbedingter Erkrankungen und Beschwerden genannt werden. „Unter dem Begriff Zahnabrasion (synonyme Bezeichnungen: Abkauung, Zahnabrieb, Zahnabschliff) wird im allgemeinen der Substanzverlust mehr oder weniger großer Anteile der Krone einzelner Zähne, von Zahngruppen oder des ganzen Gebisses verstanden“.609 Hervorgerufen wird dieser Substanzverlust – je nach individueller Disposition – auf natürlichem Wege, zeigt sich dann jedoch besonders mit steigendem Lebensalter.610 Da die meisten Menschen des Hochmittelalters im Vergleich zum heutigen
608 609 610
sich etwa durch eine stabilere Ernährungslage die physische Entwicklung und die Anfälligkeit für Mangelerkrankungen im Vergleich der Zeit vor der Jahrtausendwende und danach (etwa im Sinne einer Verbesserung) veränderten. Anlass gäben z. B. die Untersuchungen, die an Beisetzungen auf dem ‚herrschaftlichen Friedhof‘ der slawischen Siedlung Starigard/Oldenburg aus dem 10. Jahrhundert vorgenommen wurden. Dort fielen besonders die Skelette von Kleinkindern durch eine insgesamt hohe Zahl von rachitischen Veränderungen auf. Kinder, die im Alter von bis zu sechs Monaten verstarben, zeigten einschlägige Merkmale zu mehr als 50 %. Diese Quote nimmt bei Kindern, die bis zu sechs- oder siebenjährig starben, deutlich ab und ging bei den im Erwachsenenalter Verstorbenen auf sehr geringe Werte zurück. Bemerkenswert ist, dass diese Ergebnisse aus einer gesellschaftlich privilegierten Population sich etwa mit denen deckten, die für die ländliche Siedlung Feddersen Wierde (8./9. Jahrhundert) ermittelt wurden. Eine mögliche Erklärung wird darin gesehen, dass die rachitischen Skelette fast durchweg auch Hinweise auf andere Verletzungen, insbesondere traumatisch bedingte Veränderungen im Schädelknochenbereich aufwiesen. Diese könnten z. B. auf schwere Stürze zurückgeführt werden, die auch neurologische Folgen (Entwicklung zu einem ‚schlechten Esser‘) gehabt haben können und von denen sich die Kleinkinder nicht mehr erholten. Für allgemeine Aussagen scheint die Friedhofspolulation jedoch zu klein: geborgen wurden insgesamt 100 Skelette, davon 34 im Erwachsenen- und 66 im Kinder- und Heranwachsendenalter, vgl. Wolf-Rüdiger Teegen/Michael Schultz: Die Untersuchung von Gruppenund Einzelverhalten historischer Populationen mit Hilfe der Paläopathologie. Fallstudien aus dem Gräberfeld (10. Jh.) von Starigard/Oldenburg, in: Lübke (1998), S. 93–100 Vgl. D. Groß/G. Keil in: LexdMA Bd. IX (1998), Sp. 463 f. s.v. Zahnheilkunde Caselitz (1986), S. 128 Vgl. Caselitz (1986), S. 126
Ernährungsbedingte Erkrankungen
753
Standard kein hohes Lebensalter erreichten,611 müssen die zahlreichen Belege für – zumeist erhebliche – Zahnabrasionen, die sich bei der Untersuchung von Skelettfunden612 zeigten, auf andere Ursachen zurückgeführt werden. Auch für das Hochmittelalter trifft zu, dass sich bei der ‚Abkauung‘ von Zähnen „einige Bestandteile der aufgenommenen Nahrung nachhaltig bemerkbar machen [können]. Als Beispiel seien Verunreinigungen des Mehles genannt, die durch Verwendung von Mühlen bzw. Reibsteinen und -schalen aus ungeeigneten Gesteinen entstehen und/oder auf eine ungenügende Reinigung des Mahlgutes zurückzuführen sind. Der Anteil derartigen Steinstaubes an der gesamten Mahlmenge liegt nach sich wiederholenden Angaben aus der Literatur zwischen 0,3 und 3 Prozent.“613 Dass Karieserkrankungen, die infolge der Zahnabrasion leichter entstehen können, – trotz weitgehend fehlender Mundhygiene und ebenfalls ernährungsbedingt – im Mittelalter möglicherweise seltener gewesen wären als heute,614 kann anhand der Belege aus archäologisch erschlossenen Bestattungsplätzen insgesamt nicht nachvollzogen werden.615 Einerseits wiesen z. B. die 56 zahnärztlich untersuchten Gebisse aus Skelettfunden des Hochmittelalters vom Züricher Münsterhof eine vergleichsweise geringe 611
612
613 614
615
Dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Mitteleuropäer im Mittelalter gering war, sodass die damalige Gesellschaft als eine vergleichsweise ‚jugendliche‘ bezeichnet werden kann, konstatiert Jürgen Miethke: Gesellschaft, in: Melville/Staub Bd. 1 (2008), S. 1–9, hier: S. 1 Nachgewiesen wurden erhebliche Zahnabrasionen, die den harten Zahnschmelz teilweise ganz abtrugen und damit das empfindlichere Zahninnere (Dentin) freilegten, bei zwischen 85 und 100 % der untersuchten Gebisse an folgenden, dem Hochmittelalter zuzurechnenden Fundorten: Basel-Augustinerkloster, Rohnstedt und Espenfeld, vgl. Caselitz (1986), S. 130 ff. (Tab. 15); vgl. auch Siegfried Scheidegger/ Bruno Kaufmann: Paläopathologische Befunde, in: Rippmann/Kaufmann/Schibler/Stopp (1987), S. 287–291 sowie mit umfangreicher Fotodokumentation Marcel Steiner: Zahnärztliche Befunde, in: Schneider/Gutscher/Etter/Hanser (1982), S. 228–235, hier S. 232 f. Caselitz (1986), S. 128 f. mit zahlreichen Literaturbelegen Für ein Ansteigen der Karies ab etwa dem 13. Jahrhundert bis in die Neuzeit werden vor allem verbesserte Verarbeitungsmethoden der Nahrung (Feinmahlen), die damit zunehmende Umstellung der Ernährung von grobschrotigem auf feingemahlenes Getreide sowie der Siegeszug der Kartoffel im Verbund mit einem erhöhten Zuckergenuss verantwortlich gemacht, vgl. Caselitz (1986), S. 144 f. und S. 171; die Untersuchung der Schädelfunde vom Friedhof des dänischen Klosters Æbelholt wiederum ergab, dass dort knapp 6 % der bei Schädelfunden noch vorhandenen Zähne kariös waren: „Insgesamt liegt die Karieshäufigkeit deutlich unter der heutigen. Daß die damalige Nahrung die Selbstreinigungskraft des Gebisses im Sinne antikariöser Wirkung unterstützte, darf vermutet werden“, so Møller-Christensen (1987), S. 132 Vgl. die Nachweise für Rohnstedt, Camburg, Speyer und Espenfeld bei Caselitz (1986), S. 157ff (Tabelle 16) mit diesbezüglichen Literaturnachweisen
754
Anhang
Abb. 110: Massiver Kariesbefund an einem Skelett aus Diepensee/Brandenburg
Kariesquote auf: „Der Kariesbefall lag deutlich unter demjenigen heutiger Schweizer“.616 Ganz andere Ergebnisse förderte andererseits die Untersuchung der bereits erwähnten Friedhofspopulation der Abtei tom Roden zu Tage, wo bei 30 untersuchten Erwachsenenschädeln kariöse Zähne in erheblichem Umfang vorkamen. Oft gepaart mit Zahnverlusten und Abzessen, war keines der untersuchten Gebisse intakt: „Der Gesundheitszustand der Zähne muss als sehr schlecht bezeichnet werden.“617 Einen vergleichbaren Befund zeigten auch die untersuchten Skelette vom Friedhof des Heidelberger Spitals: „Knapp 73 Prozent aller Individuen weisen Karies auf, bei den Erwachsenen mehr als 85 Prozent. 16 Prozent aller Milchzähne sind bereits kariös.“618 Von einer direkten Verbindung zwischen Ernährungsgewohnheiten und Karies wird bei den Skelettfunden aus der hochmittelalterlichen Dorfsied616 617 618
Steiner (1982), S. 234 Henke/Schultz (1982), S. 81 Wahl (1992), S. 482
Ernährungsbedingte Erkrankungen
755
lung Diepensee in Brandenburg ausgegangen. Dort wiesen 64 % der Gebisse – teils gravierende – „Kariesdefekte … auf, die vorwiegend bei einer kohlenhydratreichen, auf dem Verzehr von Getreide und Hülsenfrüchten basierenden Ernährung entstehen.“619 Ob demnach Karieserkrankungen (auch ernährungsbedingt) im Hochmittelalter tatsächlich seltener waren als heute – wie beispielsweise von Caselitz vertreten –,620 ist daher sehr zweifelhaft. Derartige Aussagen könnten durchaus durch aktuelle gesellschaftliche Diskussionen beeinflusst worden sein. So z. B., wenn die Lebensverhältnisse in früheren Epochen im Vergleich zur heutigen westlichen Zivilisation nachträglich verklärt werden, etwa nach dem polarisierenden Muster: ‚damals einfach, bodenständig und gesund – heute kompliziert, entwurzelt und ungesund‘. Die Verfolgung dieser Überlegung wäre hinsichtlich der empirischen Befunde zu einschlägigem Fundmaterial und wohl auch wissenschaftsgeschichtlich reizvoll, kann jedoch im Rahmen dieser Betrachtung nicht vertieft werden.
619
620
Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum (2006), S. 40 Vgl. oben S. 753, Anm. 614
756
Anhang
Ernährungsbedingte Erkrankungen
Tabellen
757
Haustiere Rind – Bos primigenius taurus Schaf/Ziege Schaf – Ovis ammon aries Ziege – Capra aegragus hircus Schwein – Sus scrofa Pferd – Equus caballus Esel – Asinus Maultier – Caballus x asinus Katze – Felis silvestris catus Hund – Canis lupus Haushuhn – Gallus gallus Haus-/Graugans – Anser anser Stock-/Hausente – Anas dom. Haustaube – Columba dom. Wildtiere Feldhase – Lepus europaeus Kaninchen – Oryctolagus cuniculus Rothirsch – Cervus elaphus Damhirsch – Dama dama Elch – Alces alces Wildschwein – Sus scrofa Reh – Capreolus capreolus Ur/Wisent – Bos primigenius Braunbär – Ursus arctos Biber – Castor fiber Steinbock – Capra ibex Gemse – Rupicapra rupicapra Pfau – Pavo cristatus Pelikan – Pelicanus Kormoran – Phalacrocorax carbo Graureiher – Ardea cinerea Weißstorch – Ciconia ciconia Kranich – Grus grus Spießente – Anas acuta Tafelente – Aythya ferina Schellente – Bucephala clangula Reiherente – Aythya fuligula Schnatterente – Anas strepera Pfeifente – Anas penelope Löffelente – Anas clypeata Krickente – Anas crecca Entenartige – Anas spec. Blässgans – Anser albifrons Grau-/Saatgans – Anser anser fabilis (kleine) Gans – Brantae Schwan – Cygnus Auerhuhn – Tetrao urogallus Rebhuhn – Perdix perdix Birkhuhn – Lyrurus tetrix Jagdfasan – Phasianus colchicus Taubenart – Columba spec. 27 17
16 3 4
20
1
(×) 3
12
5
17 2 595 32 17 7
4 1 35 2 3 2
1
4
2
1 3 1
8 22
2837
181 1
13
7
26 10
Fundstücke 667 158 12 3 575 2
Fundstücke 420 278 2
Mindestindividuen 150 154
Grenchen (1) ca. 1000–1300
Nidau (0) frühes 13. Jh.
Riedfluh (00) ca. 1050–1200
15
2
2
38 27
2
14
6 2
55
5
6
7 11 250 22
2061 3
Fundstücke 5049 838
Neu-Schellenb. (3) bes. 13./14. Jh.
31
3 1
7
9
2 90 152 3 1
1967 19
Fundstücke 2831 2348
Niederrealta (2) ca. 1050–1350
Tabelle 1 (Teil 1): Tierknochenfunde aus Burganlagen und von Herrenhöfen/Adelssitzen
1
1
10
78
Alt-Schellenb. (4) Mitte 13. Jh. (Abstich 1b) Fundstücke 116 27
1 15
63
24
546 278 4
Fundstücke 7422 2155 523 19 3491 16 3 2 43
Marbach (5) bes. 13. Jh.
5
1
2 2
12 13
43
12
153 13 2
2952 1
Fundstücke 82 610
Nürnberg (6) 11. Jh.
3 2 1
8
2
4 (+5?) 1 (?)
10
3
3 7
Fundstücke 296 27 3 3 265 3
Warberg (7) bis 2. H. 13. Jh.
3
1
22
23
1
2
1
8
1
×
×
22
53
×
×
×
×
×
(00) Die Funde der Ende des 12. Jhs. bei einem Brand zerstörten Grottenburg Riedfluh (Baselerland/CH) veröffentlichten Kaufmann/Schoch/Scheidegger (1988), S. 279–316, vgl. bes. S. 282f. (0) Die Funde aus der Burganlage Nidau/Kanton Bern (Schweiz) veröffentlichten Büttiker/Nussbaumber (1990), S. 39–58; die hier aufgenommenen Fundzahlen stammen von S. 40, Tab. 3 (1) Das Fundmaterial aus der eher kleinen Burganlage von Grenchen im Kanton Solothurn (Schweiz) stammt offenbar im wesentlichen aus Flächenfunden, vgl. Stampfli (1962), S. 160–178, hier: S. 163; die Fundzahlen wurden der Tab. 1 auf S. 164 entnommen (2) Die Auswertung der Funde von der Burganlage Niederrealta, die ihre Blütezeit im zwischen 1200 und 1300 hatte, übernahm Klumpp (1967), vgl. bes. S. 10, Tab. 1 (3) Die Tierknochenfunde von der Höhenburg Neu-Schellenberg in Liechtenstein untersuchte und publizierte Schülke (1965), vgl. bes. Tab. 1 (4) Aus dieser Burganlage, die sich mit der Anlage Neu-Schellenberg einen Höhenrücken teilt, wurden nur diejenigen Funde berücksichtigt, die dem in dieser Arbeit beleuchteten Zeitraum zuzuordnen sind (Abstich 1b), vgl. Mittelhammer (1982), S. 3 und Tab. 1 (5) Die Tierknochenfunde aus Marbach stammen aus dem in der ersten Hälfte des 13. Jhs. befestigten Herrensitz, der in der 2. Hälfte des 13. Jhs. zur Burg ausgebaut wurde. Die überwiegenden Mehrzahl der ausgewerteten Tierknochenfunde stammt aus dem Zeitraum 1200–1311. Die Gesamtfundzahlen werden in der sonst durchweg sehr differenzierten Darstellung leider nicht nach Zeithorizonten getrennt, vgl. Doll (2003), S. 25, Tab. 3 und 4 (6) Die aus Gruben (datiert 11. Jh.) stammenden Tierknochenreste von der Burg Nürnberg publizierten Boessneck/Driesch-Karpf (1968), S. 73–80, vgl. bes. Tabelle 1 im Anhang, sowie Lepiksaar (1968), S. 70–72 (Fischreste) (7) Die Tierknochenreste aus dem Burgstall Warberg bei Neunburg vorm Wald (Oberpfalz) untersuchte und publizierte Pasda (1999), S. 101–131, s. bes. S. 102, Tab. 1
Hohltaube – Columba oenas Ringeltaube – Columba palumbus unbestimmte Vögel – Aves indet. Hecht – Esox lucius Hornhecht – Belone belone Karpfen – Cyprinus carpio Plötze – Rutilus rutilus Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus Schleie – Tinca tinca Brachsen – Abramis brama Zope – Abramis ballerus Döbel – Leuciscus cephalus Aland – Leuciscus idus Hasel – Leuciscus leuciscus Karpfen(artige) – Cyprinidae Schied – Aspius aspius Zährte – Vimba vimba Rute – N.N. Grundeln – Gobiidae Flussbarsch – Perca fluviatilis Zander – Lucioperca lupioperca Wels – Silurus glanis Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus Aal – Anguilla anguilla Quappe – Lota lota Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua Dorschfische – Gadidae Leng – Molva molva Salmonidae Forelle – Salmo trutta Lachs – Salmo salar Rochenfische – Rajidae Stör – Acipenser sturio Hering – Clupea haragenus Steinbutt – Psetta maxima Schollenfische – Pleuronectidae Flunder – Platichthys flesus Atlant. Makrele – Scomber scombrus Schwertfisch – Xiphias gladius Fisch, unspezifiziert/andere Flussmuschel – Unio crassus Malermuschel – Unio pictorum Miesmuschel – Mytilus edulis Herzmuschel – Cardium edule Gem. Strandschnecke – Littorina littorea Weinbergschnecke – Helix pomatia
Haustiere Rind – Bos primigenius taurus Schaf/Ziege Schaf – Ovis ammon aries Ziege – Capra aegragus hircus Schwein – Sus scrofa Pferd – Equus caballus Esel – Asinus Maultier – Caballus x asinus Katze – Felis silvestris catus Hund – Canis lupus Haushuhn – Gallus gallus Haus-/Graugans – Anser anser Stock-/Hausente – Anas dom. Haustaube – Columba dom. Wildtiere Feldhase – Lepus europaeus Kaninchen – Oryctolagus cuniculus Rothirsch – Cervus elaphus Damhirsch – Dama dama Elch – Alces alces Wildschwein – Sus scrofa Reh – Capreolus capreolus Ur/Wisent – Bos primigenius Braunbär – Ursus arctos Biber – Castor fiber Steinbock – Capra ibex Gemse – Rupicapra rupicapra Pfau – Pavo cristatus Pelikan – Pelicanus Kormoran – Phalacrocorax carbo Graureiher – Ardea cinerea Weißstorch – Ciconia ciconia Kranich – Grus grus Spießente – Anas acuta Tafelente – Aythya ferina Schellente – Bucephala clangula Reiherente – Aythya fuligula Schnatterente – Anas strepera Pfeifente – Anas penelope Löffelente – Anas clypeata Krickente – Anas crecca Entenartige – Anas spec. Blässgans – Anser albifrons Grau-/Saatgans – Anser anser fabilis (kleine) Gans – Brantae Schwan – Cygnus Auerhuhn – Tetrao urogallus Rebhuhn – Perdix perdix Birkhuhn – Lyrurus tetrix Jagdfasan – Phasianus colchicus Taubenart – Columba spec. Hohltaube – Columba oenas
×
×
5%
× ×
gesamt 2 %
63 %
Plesse (9) 12. Jh. Fundanteil 9% 21 %
×
×
Bommersheim (8) 11. Jh. bis 1381/82 nachgewiesen ×
6
3
1
3 1
14 6
6 1 24
16 24 11
12 13 15 2
2
968 41 1
Haina (11) 10.–12. Jh. Fundstücke 315 229
1570 13
Lürken (10) bes. 11.–14. Jh. Fundstücke 387 487
5
2
5 3 26
8 4 198 15 1
458 32
Wysburg (12) 12.–Anf. 14. Jh. Fundstücke 983 503
Tabelle 1 (Teil 2): Tierknochenfunde aus Burganlagen und von Herrenhöfen/Adelssitzen
2
4
2
1
5 1 1
3
1 3 ×
1 3
2 5 1 2
× 117 67 × × ×
285 4978 554 334 557 54
17
168
×
195 487 538 237 66
7542 797
Brandenburg (14) 2. H. 10. Jh.–1161 Fundstücke 4710 2521
3037
51
23 1906 436 635 17 2
Wiprechtsburg (13) 10. Jh.–1306/07 Fundstücke 169139 17864 davon: 5555 davon: 423 134550 19309
3
20 2 2
1
51 7 3
Gliechow (15) 13./14. Jh. Fundstücke 43 38
1
1 1
4
9 1 3
132 8
Meetschow (16) ca. 1000–1200 Fundstücke 86 79
×
× × ×
×
1
1
2
1 2
14
4
3
1
(8) Entnommen der Publikation von Zeune (1996), S. 141f.; die Funde vom Areal der Niederungsburg werden besonders als Küchen- und Speiseabfälle gewertet (9) Die aus dem Hochmittelalter stammenden Tierknochenfunde von der (Höhen-)Burg Plesse bei Göttingen sind dokumentiert bei Schoon (2002), S. 36–40, vgl. bes. S. 36f. (10) Die Funde aus der mittelalterlichen Motte Lürken (Rheinland) dokumentierte Reichstein (1971), S. 254–264, vgl. bes. S. 257, Tab. 2, und S. 341–354, vgl. bes. S. 350, Tab. 18 (11) Die dokumentierten Tierknochenfunde der Burg Haina, Kr. Gotha, stammen ganz überwiegend aus untersuchten Gruben; vgl. Müller (1996a), S. 26–50, bes. S. 26, Tab. 1 (12) Die Wysburg liegt bei Weisbach, Saale-Orla-Kreis; die Tierknochenfunde gehören durchweg zu Speiseabfällen, vgl. Barthel (1996), S. 7–25, bes. S. 8, Tab. 1 (13) Das reiche Fundmaterial aus der Wiprechtsburg, das sich verschiedenen Siedlungsphasen zuordnen lässt, dokumentiert Müller (1977), Tabelle zwischen S. 102 und 103 (aufgenommen hier: Gesamtzahlen) (14) Die Funde aus der Burganlage unter dem späteren Dombezirk von Brandenburg publizierte Teichert (1988), S. 143–219; vgl. bes. S. 147, Tab. 7, S. 148, Tab. 10 und S. 149, Tab. 12 (jeweils Horizonte II/III bis IIIb) (15) Die Funde aus der Wasserburg Gliechow, Kr. Calau, publizierte Müller (1990), vgl. bes. S. 234, Tab. 1 (berücksichtigt wird davon hier lediglich das Knochenmaterial aus früh datierten Fundschichten [A]) (16) Die Tierknochenfunde aus der slawischen Burganlage Meetschow bei Gorleben im Kr. Lüchow-Dannenberg untersuchte Reichstein (1976), S. 206–220, vgl. bes. S. 209, Tab. 1
Ringeltaube – Columba palumbus unbestimmte Vögel – Aves indet. Hecht – Esox lucius Hornhecht – Belone belone Karpfen – Cyprinus carpio Plötze – Rutilus rutilus Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus Schleie – Tinca tinca Brachsen – Abramis brama Zope – Abramis ballerus Döbel – Leuciscus cephalus Aland – Leuciscus idus Hasel – Leuciscus leuciscus Karpfen(artige) – Cyprinidae Schied – Aspius aspius Zährte – Vimba vimba Rute – N.N. Grundeln – Gobiidae Flussbarsch – Perca fluviatilis Zander – Lucioperca lupioperca Wels – Silurus glanis Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus Aal – Anguilla anguilla Quappe – Lota lota Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua Dorschfische – Gadidae Leng – Molva molva Salmonidae Forelle – Salmo trutta Lachs – Salmo salar Rochenfische – Rajidae Stör – Acipenser sturio Hering – Clupea haragenus Steinbutt – Psetta maxima Schollenfische – Pleuronectidae Flunder – Platichthys flesus Atlant. Makrele – Scomber scombrus Schwertfisch – Xiphias gladius Fisch, unspezifiziert/andere Flussmuschel – Unio crassus Malermuschel – Unio pictorum Miesmuschel – Mytilus edulis Herzmuschel – Cardium edule Gem. Strandschnecke – Littorina littorea Weinbergschnecke – Helix pomatia 1
Haustiere Rind – Bos primigenius taurus Schaf/Ziege Schaf – Ovis ammon aries Ziege – Capra aegragus hircus Schwein – Sus scrofa Pferd – Equus caballus Esel – Asinus Maultier – Caballus x asinus Katze – Felis silvestris catus Hund – Canis lupus Haushuhn – Gallus gallus Haus-/Graugans – Anser anser Stock-/Hausente – Anas dom. Haustaube – Columba dom. Wildtiere Feldhase – Lepus europaeus Kaninchen – Oryctolagus cuniculus Rothirsch – Cervus elaphus Damhirsch – Dama dama Elch – Alces alces Wildschwein – Sus scrofa Reh – Capreolus capreolus Ur/Wisent – Bos primigenius Braunbär – Ursus arctos Biber – Castor fiber Steinbock – Capra ibex Gemse – Rupicapra rupicapra Pfau – Pavo cristatus Pelikan – Pelicanus Kormoran – Phalacrocorax carbo Graureiher – Ardea cinerea Weißstorch – Ciconia ciconia Kranich – Grus grus Spießente – Anas acuta Tafelente – Aythya ferina Schellente – Bucephala clangula Reiherente – Aythya fuligula Schnatterente – Anas strepera Pfeifente – Anas penelope Löffelente – Anas clypeata Krickente – Anas crecca Entenartige – Anas spec. Blässgans – Anser albifrons Grau-/Saatgans – Anser anser fabilis (kleine) Gans – Brantae Schwan – Cygnus Auerhuhn – Tetrao urogallus Rebhuhn – Perdix perdix Birkhuhn – Lyrurus tetrix Jagdfasan – Phasianus colchicus Taubenart – Columba spec. Hohltaube – Columba oenas 5 18
284
1424
32 12
7 17
5 5 11
16
17 7
13
2 1
5
2 1
1
3 6
7 3 39 13 29
37 45 1263 184 411
12 354 796 30 57 120
Dannenberg (18) 11.–13. Jh. Fundstücke 827 136 34 8 891 8
Hitzacker (17) 11.–Ende 13. Jh. Fundstücke 8979 7580 2229 82 24042 29 1
×
× 5
1 1 1 14 1
1 7 4
2 3
8 5
59 16
155
13
29 68 331 266 14
Oldenburg (19) ca. 975–1261 Fundstücke 5145 2718 1858 127 7308 213
2
3
4
1
4 4
3 (×) 26
23 47 6
17239 33
Haus Meer (20) 10.–Anf. 13. Jh. Fundstücke 704 539
12
4 6
7 3
834 762
8
4
7 3
6
649 314
Holzheim (21) ca. 1000–1400 Fst. A Fst. B 1022 524 398 727
Tabelle 1 (Teil 3): Tierknochenfunde aus Burganlagen und von Herrenhöfen/Adelssitzen
×
×
× ×
×
×
× × ×
× × ×× ×
Bernshausen (22) 9.–14. Jh. nachgewiesen ××
8
1
6 2 1
5
3
28 86 12 2
1003 59
1
4 2
1 6
4 33 77 17 1
518 84 2
Helfta (23) 9.–11. Jh 11.–15. Jh. Fundst. Fundst. 647 299 587 345
5
× 4
1
1
1 3
2 10
35
53
1 143 40 11 26
774 108
Futterkamp (24) 8.–14. Jh. Fundstücke 7180 97
× × × ×
4
147
×× × ×
× ××
× × ×
×
×
××
××
××
××
×
×× × × ××
× × × ×
×× ×
178
10
2
2 8
29 1 22
5 14 5 32 47 2 17 9 2 9 6 2
545
3
1
2
4
1
1
1
4
1
(17) Die Säugetierknochen bearbeitete Kocks (1978), vgl. S. 14f., Tab. 1 (berücksichtigt hier: nur 11.–13. Jh.); zu den Vogelknochenfunden der Burg auf dem Weinberg bei Hitzacker vgl. Boessneck (1982), S. 345–394, bes. S. 349, Tab. 1; die Fischreste analysierte und publizierte Driesch (1982), S. 395–423, vgl. bes. S. 397f., Tab. 2 – aufgrund der dort gewählten Darstellung können nach 1300 datierte Funde nicht von denen aus dem Hochmittelalter getrennt dargestellt werden; dies dürfte jedoch wohl aufgrund des erheblichen Bedeutungsverlustes der Burganlage nach 1296 in Kauf zu nehmen sein, die ihre Blütezeit im 12./13. Jahrhundert hatte (18) Die Säugetierknochen bearbeitete u.a. Kocks (1978), S. 18f., Tab. 2 (berücksichtigt hier: nur 11.–13. Jh.); die Vogelknochenfunde publizierte Boessneck (1982), bes. S. 350, Tab. 2 (19) Tierknochenfunde aus der Burganlage und von den Wällen des Herrensitzes Starigard/Oldenburg dokumentiert ausführlich Prummel (1993), vgl. bes. S. 25, Tab. 1 und S. 29ff., Tab. 7; gezählt wurden für die Tabelle nur die Horizonte 4 bis 6 (ca. 975–1261 n. Chr.) (20) Die auf dem Gelände und in den Gräben der Niederungsburg (Motte) bei Büderich gefundenen Tierknochen untersuchte Reichstein (1999), S. 225–249, vgl. bes. S. 227, Tab. 27 (21) Die für Holzheim nach Herrenhof (B), Niederungsburg (A) und Dorfbereich getrennte Untersuchung dokumentiert Donat (2002), S. 497–508, vgl. bes. S. 499, Tab. 5 und S. 507, Tab. 7 (22) Eine Voruntersuchung der in Bernshausen gefundenen Tierknochen veröffentlichten Grote/Frisch (2003), S. 223ff.; die Fischreste untersuchte Schmölcke (2003), vgl. bes. S. 230, Tab. II (23) Die Flächenfunde und Funde aus Gruben vom Königshof Helfta (bei Eisleben) wurden jeweils addiert, vgl. Müller (1996b), S. 161, Tab. 2 und S. 162, Tab. 3 (24) Die Funde aus verschiedenen Siedlungen (8.–14. Jh.) stammen vom Gebiet des heutigen Gutes Futterkamp in Schleswig-Holstein. Erfasst sind mit bedeutenden Fundanteilen die Curia auf dem Großen Schlichtenberg sowie eine Motte, ohne dass chronologische Abfolge und Zuordnung der Funde zu den verschiedenen nachgewiesenen Siedlungstypen durchgehend gesondert dokumentiert werden, vgl. Candrea/Heinrich (1981), S. 180–207, bes. S. 181f., Tab. 1–5
Ringeltaube – Columba palumbus unbestimmte Vögel – Aves indet. Hecht – Esox lucius Hornhecht – Belone belone Karpfen – Cyprinus carpio Plötze – Rutilus rutilus Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus Schleie – Tinca tinca Brachsen – Abramis brama Zope – Abramis ballerus Döbel – Leuciscus cephalus Aland – Leuciscus idus Hasel – Leuciscus leuciscus Karpfen(artige) – Cyprinidae Schied – Aspius aspius Zährte – Vimba vimba Rute – N.N. Grundeln – Gobiidae Flussbarsch – Perca fluviatilis Zander – Lucioperca lupioperca Wels – Silurus glanis Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus Aal – Anguilla anguilla Quappe – Lota lota Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua Dorschfische – Gadidae Leng – Molva molva Salmonidae Forelle – Salmo trutta Lachs – Salmo salar Rochenfische – Rajidae Stör – Acipenser sturio Hering – Clupea haragenus Steinbutt – Psetta maxima Schollenfische – Pleuronectidae Flunder – Platichthys flesus Atlant. Makrele – Scomber scombrus Schwertfisch – Xiphias gladius Fisch, unspezifiziert/andere Flussmuschel – Unio crassus Malermuschel – Unio pictorum Miesmuschel – Mytilus edulis Herzmuschel – Cardium edule Gem. Strandschnecke – Littorina littorea Weinbergschnecke – Helix pomatia
Getreide Echte Rispenhirse – Panicum miliaceum Saat-Hafer – Avena sativa Saat-Weizen – Triticum aestivum Zwergweizen – Triticum compactum Einkorn – Triticum monococcum Dinkel – Triticum spelta Emmer – Triticum dicoccon Gerste – Hordeum vulgare Roggen – Secale cereale Buchweizen – Fagopyrum esculentum Fuchshirse – Setaria glauca Hülsen- und Feldfrüchte/Gemüse/Gewürze Linse – Lens culinaris Erbse – Pisum sativum Ackerbohne – Vicia faba Portulak – Portulaca oleracea Amaranth, Fuchsschwanz – Amaranthus lividus Pastinak – Pastinaca sativa Fenchel – Foeniculcum vulgare Kohlgewächse – Brassicaceae Mangold, Rübe – Beta vulgaris Möhre – Daucus carota Gurke – Cucumiscf. Sativus Flaschenkürbis – Lagenaria vulgaris Ser. Sellerie – Apium graveolens Dill – Anethum graveolens Senf – Sinapis spec. Allium (Zwiebel, Lauch, Schnittlauch) Kresse – Lepidum sativum Brunnenkresse – Nasturtium cf. officinale Hopfen – Humulus lepulus Minze – Mentha sp. Echtes Bohnenkraut – Satureia hortensis Obst Holzapfel/Kulturapfel – Malus silvestris/domestica Birne – Pirus sylvatica/domestica Speierling – Sorbus domestica Feige – Ficus carica Süßkirsche – Prunus avium Sauerkirsche – Cerasus vulgaris Kornelkirsche – Cornus mas Zwetschge/Pflaume – Prunus domestica/insititia Pfirsich – Prunus persica × ×
×
× ×
× ×
×
×
×× ×
×× ××
××
× ××
×
Burgareal (Motte) 11. Jh. bis 1381/82
Bommersheim (3)
×
× ×
×
× ×
× × (×) ×
×
Holzturm/Wassergraben 1267-ca. 1300
51 Proben vom Burgareal ca. 1050–1200
× ×× (×)
Eschelbronn (2)
Riedfluh (1)
Tabelle 2: Pflanzenfunde von Burgen/Adelssitzen und Herrenhöfen
× × × ×
×
×
Ofenanlage 12. Jh.
Plesse (4)
× ×
×
× ×
××
× ×
× ×
× ×
×× × ×× ××
× × ×× ×
Starigard/ Oldenburg (5) Burggelände und -wall 7.–13. Jh.
× × × × × × × × ×
× × × ×
× × ×
× × × × × × × × ×
×
××
× ×
× × × ×
Areal und Gräben 10. bis Mitte 13. Jh.
Haus Meer (6)
×
×
×
Fluchtburg 7.–12. Jh.
×
×
×
×× × ××
× × × ×
Curtis 11./2. Jh.
× ×
× × ×
× × ×
Motte 12.–14. Jh.
Bernshausen (7)
×
×
× ×
× ×
Pfalzgelände 10.–12. Jh.
Tilleda (8)
×
××
×
×
××
(5) (6) (7) (8)
(1) (2) (3) (4)
××
×
××
× ××
× ×
× × × × ×
×
×
× × ×
× ×
×
×
×
×
× ×
× ×
×
×
××
× ×
×
× ×
×
× (×)
×
Die Funde von der Grottenburg Riedfluh im Baseler Land/Schweiz wurden publiziert von Jacomet/Felice/Füzesi (1988), S. 169–243, vgl. bes. S. 174ff. Die aus der Wasserburg Eschelbronn bei Heidelberg stammenden Pflanzenreste untersuchte und publizierte Körber-Grohne (1979), S. 113–125, vgl. bes. S. 115f., Abb. 2 und 3 Die Angaben stammen aus der Publikation von Zeune (1996), S. 141 Die Pflanzenrestfunde von der (Höhen-)Burg Plesse, die dem Hochmittelalter zuzurechnen sind, führt Willerding (2002b), S. 27–40, bes. S. 28f., auf; im Text nennt er zwar 10 für das Hochmittelalter belegte Kulturpflanzen, führt jedoch nur die bezeichneten sechs aus Die von Willerding untersuchten Kultur- und Sammelpflanzen beschreibt Kroll (1991), vgl. bes. S. 311, Tab. 2 und S. 313, Tab. 3 Die Funde sind aufgeführt bei Knörzer (1999) Die Pflanzenreste der drei Fundstellen, die nur teilweise Nahrungsabfälle erfassen, dokumentiert Wolf (2003), S. 209–222, vgl. bes. S. 219ff., Liste 4 Auf dem Gelände der Pfalz Tilleda wurden Proben von verschiedenen Fundstellen untersucht, darunter zwei Gruben, das Innere eines Ofens und der Boden eines Grubenhauses, publiziert von Lange/Köhler (1982), S. 249–263, vgl. bes. S. 252ff.
×
× × × × ×
× × ×
×
×
× ×
× ×× ×
× × × ×
× × ×
× ×
× × × ×
×
× × ×
×
× × × × × × ×
× × ×
× ×
×
× ×
× ×
×
× ×
×
×
××
×× ××
××
×
×
Legende: ×× = häufiges Vorkommen; × = Vorkommen/Nachweis; (×) nicht sicher bestimmbar
Europäische Weinrebe – Vinis vitifera Mispel – Mespilus germanica Walderdbeere – Fragaria vesca Brombeere – Rubus fruticosus Himbeere – Rubus idaeus Kratzbeere – Rubus caesius Heidelbeere – Vaccicium (myrtillus) Preiselbeere – Vaccinium vitis-idaea Krähenbeeere – Empetrum nigrum Hagebutte – Rosa spec. Schlehe – Prunus spinosa Eberesche – Sorbus aucuparia Schwarzer Holunder – Sambucus nigra Attich – Sambucus ebulus Weißdorn – Crataegus laevigata Nüsse/Baumfrüchte Haselnuss – Corylus avellana Walnuss – Juglans regia Buchecker – Fagus sylvatica Esskastanie – Castanea sativa Mill. Ölfrüchte Saat-Leindotter – Camelina sativa Flachs – Linum cf. usitatissumum Rübsen/Raps – Brassica cf. Rapa Schlafmohn – Papaver somniferum Als Wildgemüse nutzbare Arten Gezähnter Feldsalat – Valerianella dentata Sauerampfer – Rumex acetosa Große Brennessel – Urtica dioica Rainkohl – Lapsana communis Weißer Gänsefuß – Chenopodium album Breit-Wegerich – Plantago maior Vogel-Miere – Stellaria media Acker-Hellerkraut – Thlaspi arvense Acker-Senf – Sinapis arvensis Hederich – Raphanus raphanistrum Getreidebeimischungen Kornrade – Agrostemma githago Taumellolch – Lolium temulentum
43
Haus-/Graugans – Anser anser
3
15
29
1
3
10
6
2
77
63
170
Fundstücke
1
1
1
2
15
1
24
104
249
106
34
1
112
2430
1351
9735
Fundstücke
Duisburg (5)
Blässgans – Anser albifrons
Zwergsäger – Mergus albellus 1
1 2
1
1
9
5
10
54
2
7
5
489
50
92
398
2218
Fundstücke
München (4)
3
0,20 %
0,28 %
0,30 %
1%
1%
0,2 %
25 %
2
20
134
467
318
570
801
7781
Fundstücke
Augsburg (3)
Entenartige – Anas spec.
2
1
1
14
0,48 %
0,30 %
0,69 %
2,15 %
0,1 %
4%
1%
26 %
1%
3%
24 %
17 %
Fundanteil
Konstanz (2)
Reiherente – Aythya fuligula
Schellente – Bucephala clangula
Tafelente – Aythya ferina
Spießente – Anas acuta
Kranich – Grus grus
Weißstorch – Ciconia ciconia
Graureiher – Ardea cinerea
Pfau – Pavo cristatus
Igel – Erinaceidae
Steinbock – Capra ibex
Biber – Castor fiber
Braunbär – Urs
Ur/Wisent – Bos primigenius
Reh – Capreolus capreolus
Wildschwein – Sus scrofa
Elch – Alces alces
Damhirsch – Dama dama
Rothirsch – Cervus elaphus
Kaninchen – Oryctolagus cuniculus
Feldhase – Lepus capensis
Wildtiere
Haustaube – Columba dom.
1
151
Haushuhn – Gallus gallus
Stock-/Hausente – Anas dom.
39
0,85 %
0,67 %
35
Hund – Canis lupus
450
Katze – Felis silvestris catus
339
Schwein – Sus scrofa
119
0,74 %
53
Ziege – Capra aegragus hircus
237
1,50 %
102
Schaf – Ovis ammon aries
380
380
Esel – Asinus
822
Fundstücke
Basel (1)
Pferd – Equus ferus
297
Rind – Bos primigenius taurus
Fundstücke
Schaf/Ziege
Haustiere
Zürich (0)
Tabelle 3 (Teil 1): Tierknochenfunde aus städtischen Siedlungen
2
1
3
4
1
98
6
108
193
1
2
4
1
61
2
8
57
108
Soest (6)
12
50
5
1
1
3
Fundstücke
Höxter (7)
1
1
3
1
2
84
5
33
178
1
1
1
1
2
125
6
34
82
274
2
3
12
1
2
34
2
5
24
124
3
Höxter (8)
2
2
43
1
11
27
4
7
2
2
93
6
316
1
25
334
637
5
1
4
(0) Vgl. Csont (1982), S. 244, Abb. 324 mit Funden aus verschiedenen Kloaken des 11.–13. Jhs. (1) Vgl. erste Spalte: Schibler/Stopp (1987), S. 322ff., Tab. 3–8 mit Funden vom Areal der Barfüßerkirche (Handwerkerviertel, 11.–13. Jh.); die in % angegebenen Werte wurden aus Angaben der Tab. 4 gemittelt; 2. Spalte: Schibler (1995), S. 107, Abb. 6 mit Funden von der Augustinergasse 2 aus Latrinen, die Ende des 13. Jhs. überbaut wurden (2) Vgl. Prilloff (2000), bes. S. 17f., Tab. 5; berücksichtigt wurden die in die Periode I (ausgehendes 13. Jh.) datierten Funde aus der Abfalldeponie eines Handwerkerviertels (3) Vgl. Pöllath/von den Driesch (2000), S. 225, Tab. 1 mit Funden von der Ausgrabung Am Märzenbad 9, datiert in das frühe 13. Jh. (4) Vgl. Behrer (2001), S. 393ff., Tabellen mit Auswertungen von Streufunden aus dem Hochmittelalter (5) Die Säugetierknochen (9.–13. Jh.) untersuchten Nobis/Ninov (1992), S. 237–294, vgl. bes. S. 262, Tab. 1; die Fischreste publizierte Heinrich (1992), S. 295–305, vgl. bes. S. 296, Tab.1; die Vogelreste (9.–14. Jh.) dokumentiert Reichstein (1992), S. 306–315, vgl. bes. S. 306, Tab. 1 (6) Vgl. Doll (2007), S. 85, Abb. 1 (Gruben Burgtheaterparkplatz, 11. Jh. = Spalte 1; Brunnen F 57 Plettenberg, 12./13. Jh. = Spalte 2) (7) Vgl. Reichstein (1986), S. 312, Abb.; die untersuchte Kloake enthielt wahrscheinlich nicht vornehmlich Nahrungsabfälle; darauf weisen Knochenverteilung (69 % Katze) und Knochenzustand hin (8) Vgl. Doll (2001), bes. S. 23, Abb. 5; die numerierten Fundorte stehen für Fundstücke an den Fundorten Weserstr. 1–5 (1), An der Kilianikirche 14 (2), Rodewiekstr. 1 (3), Grubestr. 12–14 (4) und Grubestr. 40 (5)
Essbare Herzmuschel – Cardium edule
Gemeine Auster – Ostrea edulis
Miesmuschel – Mytilus edulis
Fisch, unspezifiziert/andere
Schollenfische – Pleuronectidae
Steinbutt – Psetta maxima
Alse – Alosa alosa
Hering – Clupea haragenus
Stör – Acipenser sturio
Rochenfische – Rajidae
Lachs – Salmo salar
2
3
Leng – Molva molva
Forelle – Salmo trutta
41 14
19
Dorschfische – Gadidae
1
Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua
Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus
Zander – Stizostedion lupioperca
Flussbarsch – Perca fluviatilis
Flussaal – Anguilla anguilla
Karpfenartige – Cyprinidae
Brachsen – Abramis brama
Schleie – Tinca tinca
Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus
Plötze – Rutilus rutilus
Karpfen – Cyprinus carpio
Hornhecht – Belone belone
Hecht – Esox lucius
Ringeltaube – Columba palumbus
Hohltaube – Columba oenas
Birkhuhn – Tetrao tetrix
Rebhuhn – Perdix perdix
9
2
Auerhuhn – Tetrao orogallus
4
(kleine) Gans – Brantae
Schwan – Cygnus
16,4 %
16,4 %
3
3
Haus-/Graugans – Anser anser
0,9 %
1,0 %
1
2
4
1
= 0,7 %
76
gesamt:
Wildsäugetiere
= 1,8 %
181
gesamt:
1
6
58
17
4
4
26
104
5
5
23
9
3
2
119
63
137
Fundstücke
Bremen (15)
7
20
4
30
163
5
21
4
1268
57
66
394
2322
1
1
1
1
1
17
56
16
7
530
355
1109
2
Lübeck (16)
13
323
23
312
131
3237
3875
1008
2686
622
24278
30233
53066
Fundstücke
Schleswig (17)
Reh – Capreolus capreolus
6
5
1
Spießente – Anas acuta
Tafelente – Aythya ferina
(kleine) Gans – Brantae
Blässgans – Anser albifrons
1
57
2
20
Entenartige – Anas spec.
Zwergsäger – Mergus albellus
418
Reiherente – Aythya fuligula
291
17
Kranich – Grus grus
Schellente – Bucephala clangula
1 13
Weißstorch – Ciconia ciconia
2
1
1
397
Graureiher – Ardea cinerea
Pfau – Pavo cristatus
Igel – Erinaceidae
Steinbock – Capra ibex
1
2
Braunbär – Urs
13
2
Biber – Castor fiber
Ur/Wisent – Bos primigenius
16
3
1
6,6 %
9,8 %
3
770
523
676
Fundstücke
Freyenstein (14)
82
0,8 %
0,3 %
5,2 %
13,3 %
8,2 %
4
4
5
12
Fundstücke
Lüneburg (13)
Wildschwein – Sus scrofa 0,9 %
0,9 %
5,3 %
29,2 %
7,3 %
=60,3 %
ca. 6500
gesamt:
Osnabrück (12)
Elch – Alces alces
Damhirsch – Dama dama
Rothirsch – Cervus elaphus
Kaninchen – Oryctolagus cuniculus
Feldhase – Lepus capensis
Wildtiere
Haustaube – Columba dom.
Stock-/Hausente – Anas dom.
20
1
Haushuhn – Gallus gallus
Hund – Canis lupus
Katze – Felis silvestris catus
Esel – Asinus
Pferd – Equus ferus
2 18,6 %
34,4 %
13
598
31,6 %
55
Fundstücke
Ziege – Capra aegragus hircus
43
Schaf – Ovis ammon aries
24,8 %
3 23 %
Erfurt (11)
Schwein – Sus scrofa
95
Schaf/Ziege
24 %
2
1 19,5 %
Fundstücke
99
Haustiere
Rind – Bos primigenius taurus
Braunschweig (10)
Hildesheim (9)
Tabelle 3 (Teil 2): Tierknochenfunde aus städtischen Siedlungen
3
8
2
Hornhecht – Belone belone
2
43
1
3
2
36
Essbare Herzmuschel – Cardium edule
Legende nachgewiesen, ohne nähere Angaben
(9) Vgl. Schoon (2000), S. 453–507, bes. S. 456, Tab. 3 (berücksichtigt hier nur Zeitstufe B) (10) Vgl. May (1997), S. 307, Tab. 1a, Fundorte der Packhofgrabung: Kloake, 13. Jh. (1), Kloake ab 13. Jh. (2), Oberfläche einer Straße aus dem 13. Jh. (3); gesamt berechnet: Hausgeflügel (11) Vgl. Barthel (1979), bes. S. 254 mit Funden aus einer Grube in der Marktstr. 50 (12./13. Jh.) (12) Vgl. Huczko (1986), bes. S. 9ff. mit Tierknochenfunden vom Domplatz, datiert ab 12. Jh.; grau markiert: Nachweis ohne Mengenangaben (13) Vgl. Schulze-Rehm (1995), S. 168, Tab. 1 mit Funden aus einer mal. Kloake (Auf dem Wüstenort) (14) Die Funde aus der in das 13. Jahrhundert datierten Stadtwüstung Freyenstein (Kreis Wittstock) publizierte Benecke (1989), S. 101–122, vgl. bes. S. 102, Tab. 1 (15) Die aus dem 11.–13. Jahrhundert stammenden Funde dokumentierte Nobis (1965), S. 39–48, bes. S. 42, Tab. 3 (16) Fundort 1 = Ausgrabung Alfstr. 36/38, datierte Nutzung ab 12. Jh., vgl. Rheingans/Reichstein (1991), S. 144ff. mit Tab. 5, 27, 33, 34 und 35; Fundort 2= Dr.-Julius-Leber-Str. 58 (13. Jh.), vgl. Pyrozok/Reichstein (1991), S. 184, Tab.1 (17) Vgl. Hüster (1990), S. 15, Tab. 1 (Haussäugetiere), Heinrich (1991) S. 16, Tab. 1 (Wildsäugetiere); Heinrich (1987), S. 23, Tab. 1 (Fischreste) und Heinrich/Pieper/Reichstein (1995), (Tierknochenfunde)
10
Gemeine Auster – Ostrea edulis
200 58
Fisch, unspezifiziert/andere
Miesmuschel – Mytilus edulis
47 136
Schollenfische – Pleuronectidae
220
Steinbutt – Psetta maxima
Alse – Alosa alosa
Hering – Clupea haragenus
5 3
3 33
4
7
Stör – Acipenser sturio
1
320
Rochenfische – Rajidae
Lachs – Salmo salar
Forelle – Salmo trutta
2
Leng – Molva molva
3
4
99
1177
13
Dorschfische – Gadidae
Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua
6
777
14
10
183
3
4
1
Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus
Zander – Stizostedion lupioperca
1
Flussbarsch – Perca fluviatilis
1
1
Flussaal – Anguilla anguilla
6 1
Brachsen – Abramis brama
Karpfenartige – Cyprinidae
1 27
Schleie – Tinca tinca
29 18
6
2
Plötze – Rutilus rutilus
1
Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus
Karpfen – Cyprinus carpio
259
4
Hecht – Esox lucius
1
Ringeltaube – Columba palumbus
1
27
Hohltaube – Columba oenas 4
1
16
2
2
Birkhuhn – Tetrao tetrix
Rebhuhn – Perdix perdix
Auerhuhn – Tetrao orogallus
Schwan – Cygnus
Getreide Echte Rispenhirse – Panicum miliaceum Saat-Hafer – Avena sativa Saat-Weizen – Triticum aestivum Zwergweizen – Triticum compactum Einkorn – Triticum monococcum Dinkel – Triticum spelta Emmer – Triticum diciccon Gerste – Hordeum vulgare Roggen – Secale cereale Buchweizen – Fagopyrum esculentum Fuchshirse – Setaria glauca Kolbenhirse – Setaria italica Feldfrüchte/Gemüse/Gewürze Linse – Lens culinaris Erbse – Pisum sativum Ackerbohne – Vicia faba Portulak – Portulaca oleracea Amaranth, Fuchsschwanz – Amaranthus lividus Pastinak – Pastinaca sativa Fenchel – Foeniculcum vulgare Kohlgewächse – Brassicaceae Mangold, Rübe – Beta vulgaris Möhre – Daucus carota Gurke – Cucumiscf. Sativus Gefurchter Feldsalat – Valerianella rimosa Sellerie – Apium graveolens Dill – Anethum graveolens Senf – Sinapis spec. Weißer Senf – Sinapis alba Schwarzer Senf – Brassica nigra Allium (Zwiebel, Lauch, Schnittlauch) Kresse – Lepidum sativum Hopfen – Humulus lepulus Minze – Mentha sp. Pfeffer – Piper nigrum Koriander – Coriandrum sativum Thymian – Thymus vulgaris Petersilie – Petroselinum crispum Paradieskorn – Aframomum melegueta Kümmel – Carum carvi Wachholder – Juniperus communis Gewöhnlicher Dost – Origanum vulgare Echtes Bohnenkraut – Satureia hortensis Gagel – Myrica gale Obst Holzapfel/Kulturapfel – Malus silvestris/domestica Birne – Pirus sylvatica/domestica
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Zürich (0) Münsterhof Abfallgrube 4 12./13. Jh.
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Konstanz (1) Fischmarkt Hertie Auffüllung spätes 13./ 13. Jh./vor 1321 frühes 14. Jh.
Tabelle 4: Pflanzen(rest)funde aus städtischen Siedlungen (Teil 1)
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Freiburg (2) Gauchstr. Kloake 13./Anf. 14. Jh.
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12./13. Jh.
Augsburg (3) Am Märzenbad
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Neuss (5) Stadtgebiet 2 Fundstellen 12. Jh.
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Duisburg (4) Stadtgebiet für das 11.–13. Jh. nachgewiesen
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Erfurt (6) Stadtgebiet mehrere Fundst. bes. 12./13. Jh.
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Magdeburg (7) Stadtgebiet mehrere Fundstellen 9.–14. Jh.
(0) (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7)
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Vgl. Jaquat/Pawlik/Schoch (1982), S. 268ff., Abb. 357 Vgl. Küster (1992), S. 290 (Tabelle) Vgl. Sillmann (1992), S. 293f. Vgl. Wiethold (2000), bes. S. 246ff., Tab. 1–3 Ausgewertet und publiziert wurden die Funde, die bes. aus Brunnen, Latrinen und von Laufflächen stammten, von Knörzer (1992), S. 223–236, vgl. bes. S. 227ff., Tab. 2 Vgl. Knörzer (1975), S. 129–181, bes. Tab. 1–9 mit Fundenstellen Spulgasse, Glockenhammer und Glockengasse Vgl. Schultze-Motel/Gall (1994), bes. S. 45, Tab. 8 Die mehrheitlich von Fundplätzen aus dem Hochmittelalter stammenden Pflanzenfunde publizierte Lange (1987), S. 243–256, vgl. bes. S. 245, Tab. 1, S. 247, Tab. 4 und S. 249, Tab. 5
Feige – Ficus carica Steinobst – Prunus spec. Süßkirsche – Prunus avium Süßkirsche/Weichselkirsche – Prunus avium/cerasus Sauerkirsche – Cerasus vulgaris Kornelkirsche – Cornus mas Zwetschge/Pflaume – Prunus domestica/insititia Pfirsich – Prunus persica Europäische Weinrebe – Vinis vitifera Mispel – Mespilus germanica Walderdbeere – Fragaria vesca Brombeere – Rubus spec. Brombeere – Rubus fruticosus Himbeere – Rubus idaeus Kratzbeere – Rubus caesius Heidelbeere – Vaccicium (myrtillus) Preiselbeere – Vaccinium vitis-idaea Heckenrose – Rosa spec. Schlehe – Prunus spinosa Maulbeere – Morus nigra Schwarzer Holunder – Sambucus nigra Weißdorn – Crataegus laevigata Attich – Sambucus ebulus Nüsse/Baumfrüchte Haselnuss – Corylus avellana Walnuss – Juglans regia Esskastanie – Castanea sativa Mandel – Amygdalus communis L. Ölfrüchte Saat-Leindotter – Camelina sativa Flachs – Linum cf. usitatissumum Hanf – Cannabis sativa L. Rübsen/Raps – Brassica cf. Rapa Schlafmohn – Papaver somniferum Als Wildgemüse nutzbare Arten Gezähnter Feldsalat – Valerianella dentata Sauerampfer – Rumex acetosa Große Brennessel – Urtica dioica Rainkohl – Lapsana communis Weißer Gänsefuß – Chenopodium album Breit-Wegerich – Plantago maior Vogel-Miere – Stellaria media Acker-Hellerkraut – Thlaspi arvense Acker-Senf – Sinapis arvensis Hederich – Raphanus raphanistrum Getreidebeimischungen Kornrade – Agrostemma githago ×
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Getreide Echte Rispenhirse – Panicum miliaceum Saat-Hafer – Avena sativa Saat-Weizen – Triticum aestivum Zwergweizen – Triticum compactum Einkorn – Triticum monococcum Dinkel – Triticum spelta Emmer – Triticum diciccon Gerste – Hordeum vulgare Roggen – Secale cereale Buchweizen – Fagopyrum esculentum Fuchshirse – Setaria glauca Kolbenhirse – Setaria italica Feldfrüchte/Gemüse/Gewürze Linse – Lens culinaris Erbse – Pisum sativum Ackerbohne – Vicia faba Portulak – Portulaca oleracea Amaranth, Fuchsschwanz – Amaranthus lividus Pastinak – Pastinaca sativa Fenchel – Foeniculcum vulgare Kohlgewächse – Brassicaceae Mangold, Rübe – Beta vulgaris Möhre – Daucus carota Gurke – Cucumiscf. Sativus Gefurchter Feldsalat – Valerianella rimosa Sellerie – Apium graveolens Dill – Anethum graveolens Senf – Sinapis spec. Weißer Senf – Sinapis alba Schwarzer Senf – Brassica nigra Allium (Zwiebel, Lauch, Schnittlauch) Kresse – Lepidum sativum Hopfen – Humulus lepulus Minze – Mentha sp. Pfeffer – Piper nigrum Koriander – Coriandrum sativum Thymian – Thymus vulgaris Petersilie – Petroselinum crispum Paradieskorn – Aframomum melegueta Kümmel – Carum carvi Wachholder – Juniperus communis Gewöhnlicher Dost – Origanum vulgare Echtes Bohnenkraut – Satureia hortensis Gagel – Myrica gale Obst Holzapfel/Kulturapfel – Malus silvestris/domestica Birne – Pirus sylvatica/domestica
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Corvey (9) Stadtwüstung spätes 12. Jh.–1265
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Paderborn (8) Stadtgebiet Brunnen 13. Jh.
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Höxter (10) Holenbergstr. Hl.-Geist-Sp. Kloake Kloake 13.–14. Jh. 13. Jh.
Tabelle 4: Pflanzen(rest)funde aus städtischen Siedlungen (Teil 2)
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Göttingen (11) Stadtgebiet (wohl spätes) 13. Jh.
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Braunschweig (12) Stadtgebiet Gördelingerstr. mehrere Fundst. Kloake 10.–14. Jh. 13. Jh.
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Lübeck (13) Stadtgebiet mehrere Fundst. 12. Jh. 13. Jh.
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(8) Vgl. Kalis/Meurer-Balke (2003), S. 97f. (9) Vgl. Willerding (2000), S. 61ff., bes. S. 612, Tab. 6, Fundplatz 165 und 169, Fundschicht 100 (10) Vgl. Willerding (1986), bes. S. 323, Tab. 1 und S. 326ff., Tab. 2 sowie für den Fundort Heilig-Geist-Spital G.Wolf in: König/Stephan (1987), S. 397, Tabelle (11) Vgl. Willerding (1984), S. 57ff. (12) Vgl. Willerding (1997), bes. S. 209ff., Tab. 2 und 3 (Fundstellen Schlossplatz, Petersilienstr. und Packhof) sowie Matthies (1997), S. 216f., Tab. 1 und 2 (Gördelingerstr.) (13) Vgl. Haaster (1991), S. 217 und 220ff., Tab. 5 und 8 mit verschiedenen, nicht näher bezeichneten Fundstellen auf dem frühen Stadtgebiet, datiert 12. und 13. Jahrhundert
Feige – Ficus carica Steinobst – Prunus spec. Süßkirsche – Prunus avium Süßkirsche/Weichselkirsche – Prunus avium/cerasus Sauerkirsche – Cerasus vulgaris Kornelkirsche – Cornus mas Zwetschge/Pflaume – Prunus domestica/insititia Pfirsich – Prunus persica Europäische Weinrebe – Vinis vitifera Mispel – Mespilus germanica Walderdbeere – Fragaria vesca Brombeere – Rubus spec. Brombeere – Rubus fruticosus Himbeere – Rubus idaeus Kratzbeere – Rubus caesius Heidelbeere – Vaccicium (myrtillus) Preiselbeere – Vaccinium vitis-idaea Heckenrose – Rosa spec. Schlehe – Prunus spinosa Maulbeere – Morus nigra Schwarzer Holunder – Sambucus nigra Weißdorn – Crataegus laevigata Attich – Sambucus ebulus Nüsse/Baumfrüchte Haselnuss – Corylus avellana Walnuss – Juglans regia Esskastanie – Castanea sativa Mandel – Amygdalus communis L. Ölfrüchte Saat-Leindotter – Camelina sativa Flachs – Linum cf. usitatissumum Hanf – Cannabis sativa L. Rübsen/Raps – Brassica cf. Rapa Schlafmohn – Papaver somniferum Als Wildgemüse nutzbare Arten Gezähnter Feldsalat – Valerianella dentata Sauerampfer – Rumex acetosa Große Brennessel – Urtica dioica Rainkohl – Lapsana communis Weißer Gänsefuß – Chenopodium album Breit-Wegerich – Plantago maior Vogel-Miere – Stellaria media Acker-Hellerkraut – Thlaspi arvense Acker-Senf – Sinapis arvensis Hederich – Raphanus raphanistrum Getreidebeimischungen Kornrade – Agrostemma githago
Haustiere Rind – Bos primigenius taurus Schaf/Ziege Schaf – Ovis ammon aries Ziege – Capra aegragus hircus Schwein – Sus scrofa Pferd – Equus caballus Esel – Asinus Katze – Felis silvestris catus Hund – Canis lupus Haushuhn – Gallus gallus Haus-/Graugans – Anser anser Stock-/Hausente – Anas dom. Haustaube – Columba dom. Wildtiere Feldhase – Lepus capensis Kaninchen – Oryctolagus cuniculus Rothirsch – Cervus elaphus Damhirsch – Dma dama Elch – Alces alces Wildschwein – Sus scrofa Reh – Capreolus capreolus Ur/Wisent – Bos primigenius Braunbär – Urs Biber – Castor fiber Steinbock – Capra ibex Pfau – Pavo cristatus Pelikan – Pelicanus Graureiher – Ardea cinerea Weißstorch – Ciconia ciconia Kranich – Grus grus Spießente – Anas acuta Tafelente – Aythya ferina Schellente – Bucephala clangula Reiherente – Aythya fuligula Pfeifente – Anas penelope Löffelente – Anas clypeata Krickente – Anas crecca Entenartige – Anas spec. Zwergsäger – Mergus albellus Blässgans – Anser albifrons (kleine) Gans – Brantae Schwan – Cygnus Auerhuhn – Tetrao orogallus Rebhuhn – Perdix perdix
1
[1]
3
3
9 2
4
4
1 6
4 155 6
602 713
11.–1. H. 13. Jh. Fundstücke 696 90
Klein Freden (6)
1 (+3)
2
1 8 8 2
300 146
12./1. H. 13. Jh. Fundstücke 319 102 6
Einbeck (5)
8
18
3
1 84 110
13./14. Jh. Fundstücke 32 46
Diderikeshusen (4)
1 3 18 3
469 489
8.–15. Jh. Fundstücke 571 300
Holzheim (3)
9 11 123 25 2 1
2. H. 11.–15. Jh. Fundstücke 794 337 52 10 672 71
11.–Ende 13. Jh. Fundstücke 160 33 12
27 7
Sindelfingen (2)
Ulm-Eggingen (1)
Tabelle 5: Tierknochenfunde aus ländlichen Siedlungen
1 1 1
2
80 4
KleinBüddenstedt (7) 10. bis Mitte 14. Jh. Fundstücke 100 24 10 1 185 131
9
17 „Vogel“ gesamt 17 (Haustiere?)
118 152
11. Jh. bis ca. 1300 Fundstücke 159 52
Edingerode (8)
43 19 3
113
3 122 23
150 106
10.–Ende 13. Jh. Fundstücke 526 148
Dabrun (9)
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)
×
1 1 ×
× ×
×
Die Funde aus der Siedlung werden zwar bis in das 14. Jh. datiert, doch wurde die Siedlung wohl bereits gegen Ende des 13. Jhs. aufgegeben. Im 14. Jh. war sie bereits vollends wüst, vgl. Kokabi (1989), S. 413–456, bes. S. 417, Tab. 182c Die Mehrzahl der (leider nicht einzeln ausgewerteten) Siedlungsperioden gehört in in das Hoch- und Spätmittelalter, vgl. Scholkmann (1978), S. 15; die Tierknochenfunde folgen Stork (1978), S. 165–180, bes. S. 173, Tab. 1 Vgl. Donat (2002), S. 497–509, bes. S. 499, Tab. 4 und 5 Die Funde stammen sämtlich von verschiedenen Fundorten auf einer Hofstelle, erfassen jedoch wohl kaum mehrheitlich Speisereste, vgl. Reichstein (1993c), S. 119–129, bes. S. 120, Tab. 6 Die Tierknochenfunde aus der hochmittelalterlichen Töpferei am heutigen Negenborner Weg dokumentiert Schulze-Rehm (1998), S. 189–224, vgl. bes. S. 198f., Abb. 8 Die Funde aus der Siedlung Klein Freden, in der wohl eine intensive Pferdezucht betrieben wurde, untersuchte und publizierte Hanik (2007), S. 135–145, bes. S. 136, Tab. 7 Es handelt sich um Streufunde und solche aus Abfallgruben, die in der Auswertung überwiegend nicht als Speiseabfälle gewertet werden, vgl. Boessneck/Stork (1973), S. 179–213, bes. S. 179f. mit Tab. 1 Die Funde aus der schon im Mittelalter wüst gefallenen Siedlung Edingerode, das auf dem heutigen Stadtgebiet von Hannover gelegen war, werden aufgeführt bei Gärtner (2004), S. 107 Es handelt sich bei den Funden um Reste aus Siedlungen bei Dabrun, die bereits in den 1930er Jahren gefunden wurden; die deutliche größere Fundmenge stammt aus der zwischen der Wende zum 11. Jh. und etwa 1300 bestehenden Siedlung, vgl. Müller (1965), S. 205–218, bes. S. 206, Tab. 1
Legende nachgewiesen, ohne nähere Aufteilung
Birkhuhn – Tetrao tetrix Haselhuhn – Bonasa bonasia Wachtel – Coturnix coturnix Tafelente – Aythya ferina Hornhecht – Belone belone Karpfen – Cyprinus carpio Plötze – Rutilus rutilus Rotfeder – Scardinius erythrophthalmus Schleie – Tinca tinca Brachsen – Abramis brama Zope – Abramis ballerus Döbel – Leuciscus cephalus Aland – Leuciscus idus Hasel – Leuciscus leuciscus Karpfenartige – Cyprinidae Schied – Aspius aspius Zährte – Vimba vimba Flussaal – Anguilla anguilla Flussbarsch – Perca fluviatilis Zander – Lucioperca lupioperca Wels – Silurus glanis Kaulbarsch – Gymnocephalus cernuus Quappe – Lota lota Dorsch/Kabeljau – Gadus morhua Dorschfische – Gadidae Leng – Molva molva Forelle – Salmo trutta Lachs – Salmo salar Rochenfische – Rajidae Stör – Acipenser sturio Hering – Clupea haragenus Steinbutt – Psetta maxima Schollenfische – Pleuronectidae Fisch, unspezifiziert/andere Miesmuschel – Mytilus edulis Gemeine Auster – Ostrea edulis Flussmuschel – Unio crassus
Getreide Echte Rispenhirse – Panicum miliaceum Saat-Hafer – Avena sativa Saat-Weizen – Triticum aestivum Zwergweizen – Triticum compactum Einkorn – Triticum monococcum Dinkel – Triticum spelta Emmer – Triticum dicoccon Gerste – Hordeum vulgare Roggen – Secale cereale Fuchshirse – Setaria glauca Feldfrüchte/Gemüse/Gewürze Linse – Lens culinaris Erbse – Pisum sativum Ackerbohne – Vicia faba Portulak – Portulaca oleracea Amaranth, Fuchsschwanz – Amaranthus lividus Pastinak – Pastinaca sativa Echter Feldsalat – Valerianella locusta Fenchel – Foeniculcum vulgare Kohlgewächse – Brassicaceae Mangold, Rübe – Beta vulgaris Möhre – Daucus carota Sellerie – Apium graveolens Senf – Sinapis spec. Weißer Senf – Sinapis alba Schwarzer Senf – Brassica nigra Allium (Zwiebel, Lauch, Schnittlauch) Kresse – Lepidum sativum Brunnenkresse – Nasturtium cf. officinale Hopfen – Humulus lepulus Minze – Mentha sp. Pfeffer – Piper nigrum Kardamom – Elettaria cardamomum var. Koriander – Coriandrum sativum Petersilie – Petroselinum crispum Paradieskorn – Aframomum melegueta Kümmel – Carum carvi Wachholder – Juniperus communis Gewöhnlicher Dost – Origanum vulgare Echtes Bohnenkraut – Satureia hortensis Gagel – Myrica gale Obst Holzapfel/Kulturapfel – Malus silvestris/domestica Birne – Pirus sylvatica/domestica Speierling – Sorbus domestica Feige – Ficus carica Steinobst – Prunus spec. × ×
×
× ×
×
×
×
×
×
× ×
Holzheim (2) Keller, Kuppelofen, Streufunde 8.–15. Jh.
× ×
Sindelfingen (1) Obere Vorstadt 12.–2. H. 14. Jh.
Tabelle 6: Pflanzenfunde aus ländlichen Siedlungen
×
× ×
×
×
×
×
× ×
× (×)
× (×) × ×
×
×
Klein Freden (4) bes. Brunnen 9.–13. Jh.
×
× ×
× × × × × ×
× × ×
× × ×
Einbeck (3) Töpferei, Negenborner Weg 12./13. Jh.
×
×
×
×
×
×
×
×
× × ×
×
×
(1) (2) (3) (4)
×
×
×
× × × × × ×
× × ××
× ×
×
× ×
× × × ×
×
×
× ×
×
×
×
× ×
× ×
×
×
×
Die nach Siedlungshorizonten unterschiedenen Pflanzen- und Holzrestfunde untersuchte Körber-Grohne (1978), S. 184–198, vgl. bes. S. 193ff., Tab. 1 und 2 Die Funde untersuchte und publizierte Willerding (2002), S. 479–484 Vgl. die ausführliche Dokumentation der Funde bei Paetzold (1998), S. 89–168, bes. S. 150ff., Tab. 1ff. Die Funde aus Klein Freden wurden ausgewertet und publiziert von Wolf (2007), S. 113–133, vgl. bes. S. 129ff., Tab. 6
Legende: × = Vorkommen nachgewiesen, ×× = Vorkommen häufig nachgewiesen, (×) = Nachweis/Bestimmung nicht sicher
Süßkirsche – Prunus avium Süßkirsche/Weichselkirsche – Prunus avium/cerasus Sauerkirsche – Cerasus vulgaris Kornelkirsche – Cornus mas Zwetschge/Pflaume – Prunus domestica/insititia Pfirsich – Prunus persica Europäische Weinrebe – Vinis vitifera Mispel – Mespilus germanica Walderdbeere – Fragaria vesca Brombeere – Rubus spec. Brombeere – Rubus fruticosus Himbeere – Rubus idaeus Kratzbeere – Rubus caesius Heidelbeere – Vaccicium (myrtillus) Preiselbeere – Vaccinium vitis-idaea Hagebutte – Rosa spec. Schlehe – Prunus spinosa Maulbeere – Morus nigra Schwarzer Holunder – Sambucus nigra Attich – Sambucus ebulus Weißdorn – Crataegus laevigata Nüsse/Baumfrüchte Haselnuss – Corylus avellana Walnuss – Juglans regia Buchecker – Fagus sylvatica Esskastanie – Castanea sativa Mill. Mandel – Amygdalus communis L. Ölfrüchte Saat-Leindotter – Camelina sativa Flachs – Linum cf. usitatissumum Hanf – Cannabis sativa L. Rübsen/Raps – Brassica cf. Rapa Schlafmohn – Papaver somniferum Als Wildgemüse nutzbare Arten Gezähnter Feldsalat – Valerianella dentata Sauerampfer – Rumex acetosa Große Brennessel – Urtica dioica Rainkohl – Lapsana communis Weißer Gänsefuß – Chenopodium album Breit-Wegerich – Plantago maior Vogel-Miere – Stellaria media Acker-Hellerkraut – Thlaspi arvense Acker-Senf – Sinapis arvensis Hederich – Raphanus raphanistrum Getreidebeimischungen Kornrade – Agrostemma githago
2
181.5
3
40
4 16
15.7 289.2
414
1268
269
1
616
335
33
2.5
2 1
1
1
1
2
1
Karpfen – Cyprinus carpio
Blicke, Güster – Blicca bjoerkna
Schleie – Tinca tinca
Plötze, Rotauge – Rutilus rutilus
Laube, Uckelei – Alburnus alburnus
Barbe – Barbus barbus
Barschartige – Percidae
1
6
Äsche – Thymallus thymallus
Felchen, Renken – Coregonus spec.
1
39
Bachforelle – Salmo trutta 1
50
38
Lachsartige – Salmonidae
Lachs – Salmo salar
11
14
Hasel/Döbel/Aland – Leuciscus spec.
2
Brachse – Abramis brama
2
1
1
29
35
Karpfenartige – Cyprinidae
10
4
Hecht – Esox lucius
1 61
Fische – Pisces
230
Mollusken
0.6
1
1
6
0.7
0.1
1
21
8
3
15
1
3
2
11
3
12
24
41
1.7
0.2
0.2
×
2
0.2
2
Amphibien
3
7 13
7 3
9
5
1
3
10
1
2
467
441
210
Wildschwein – sus scrofa
0.9
2.2
9.1
507
303.9
37.7
Fundstücke
Corvey (3) Klosterbezirk 9.–13. Jh.
Feldhase – Lepus europ.
Reh – Capreolus capreolus
Rothirsch – Cervus elaphus
Wildtiere
Pfau – Pavo cristatus
23
1
10
61
3
1
0.8
3.4
3.4
13.3
166.1
Glockengussgrube 4 Mitte 12. Jh. Fundstücke Gewicht
Hirsau (2) Kirche Grube 2. H. 12. Jh. Fundstücke
Haustaube – Columba dom.
7
2
1
1
9
Abts-, Laien- und Gästebereich Latrine 6 1. Hälfte 12. Jh. Fundstücke Gewicht
7
7
3.7
4.3
402.6
100.5
75.1
611.2
Sodbrunnen 10 um 1100 Fundstücke Gewicht
Schaffhausen (1)
Stock-/Hausente – Anas dom.
Hausgans – Anser domesticus
1
Haushuhn – Gallus domesticus
44
Hund – Canis familiaris
Katze – Felis silvestris catus
Pferd – Equus caballus
Hausschwein – Sus domesticus
2
11.6
13
2
Ziege – Capra hircus
20
Infirmerie Latrine 2 12. Jh. Fundstücke Gewicht
Schaf/Ziege – Ovis/Capra
Schaf – Ovis aries
Rind – Bos taurus
Haustiere
Kreuzgang Mönchslatrine 4. Viertel 11. Jh. Fundstücke Gewicht
Tabelle 7: Tierknochenfunde aus Klöstern
2
1
59 8
67.7 1
2
3
6
15
2 1
7 1
17 1 3
80 2.3
(1) Vgl. Rehazek/Brombacher (1999); zusammengeführt wurden hier die Tabellen von S. 214, Abb. 205 und S. 217, Abb. 210 (2) Vgl. Kokabi (1994), S. 51, Tab. 3 und S. 54, Tab. 4 und 5 (3) Vgl. Reichstein (1993b), S. 123, Abb. und S. 129; die nachgewiesenen Fischknochen wurden nicht mit Fundzahlen versehen, am häufigsten vertreten war jedoch der Stör
Flussbarsch – Perca fluviatilis Mühlkoppe, Groppe – Cottus gobio Aal – Anguilla anguilla Stör – Acipenser sturio Wels – Silurus glanis Graureiher – Ardea cinerea Schwer Bestimmbare Vögel – Aves Hühnerartige – Galliformes indet. Großer Wiederkäuer Haus-/Wildschwein – Sus scrofa/dom. Gänseartige – Anseriformes indet. 35
×× × 2
×
Getreide
×××
×××
××
××
×
×
×
Fenchel – Foeniculcum vulgare
Kohlgewächse – Brassicaceae
Mohrrübe – Daucus carota
Gurke – Cucumiscf. Sativus
Sellerie – Apium graveolens
Dill – Anethum graveolens
×
××××
××
Haselnuss – Corylus avellana
Nüsse
Schwarzer Holunder – Sambucus nigra
×
××
Brombeere – Rubus fruticosus
Schlehe – Prunus spinosa
×××
Brombeere – Rubus spec.
×
×××
Walderdbeere – Fragaria vesca
Himbeere – Rubus idaeus
××
×××
Mispel – Mespilus germanica
×
×××××
××
××
××
××
×
××
××
×
××
×
×
× ×
×××
Europäische Weinrebe – Vinis vitifera
×
Pfirsich – Prunus persica
×
Zwetschge/Pflaume – Prunus domestica/insititia
××
×
Sauerkirsche – Cerasus vulgaris
××
×××
Süßkirsche – Prunus avium
Süßkirsche/Weichselkirsche – Prunus avium/cerasus
×× ××
×××
Steinobst – Prunus spec.
Holzapfel/Kulturapfel – Malus silvestris/domestica
Feige – Ficus carica
×××
×××
Apfel/Birne – Malus/Pirus
×
×
×
×
Minze – Mentha sp.
Obst
×
××
Hopfen – Humulus lepulus
×
×
×
×
Kresse – Lepidum sativum
Schwarzer Senf – Brassica nigra
Senf – Sinapis spec.
××××
Portulak – Portulaca oleracea ×
×
Gemüse/Gewürze
×
Corvey (2) Wesernähe Fundplatz 163 8./9. Jh.
Saat-Weizen – Triticum aestivum
×
Schaffhausen (1) Infirmerie Abts-, Laien- und Gästebereich Latrine 2 Latrine 6 12. Jh. 1. Hälfte 12. Jh.
Saat-Hafer – Avena sativa
Echte Rispenhirse – Panicum miliaceum
×
Getreide (Druschreste)
Getreide/Hülsenfrüchte
Kreuzgang Mönchslatrine 4. Viertel 11. Jh.
Tabelle 8: Pflanzenfunde aus Klöstern
××
× ××
××
× ×
×
×
×
×
×
×
××
× × × ×× × ×× ××× ×× ×× ××× ×× ×× ×× ×
×
×
(1) Vgl. Rehazek/Brombacher (1999), S. 224f., Abb. 219; die Häufigkeitsklassen sind dort angegeben mit × 10000 (2) Vgl. Willerding (2000), S. 598, Tab. 2; Angabe der Häufigkeitsklassen: × = vereinzelt, ×× = häufig, ××× = sehr häufig; die hier für die Karolingerzeit nachgewiesenen Pflanzenreste dürften auch im Hochmittelalter noch bekannt und genutzt worden sein und wurden daher hier mit aufgenommen
Walnuss – Juglans regia Rotbuche – Fagus sylvatica Ölfrüchte Saat-Leindotter – Camelina sativa Flachs – Linum cf. usitatissumum Schlafmohn – Papaver somniferum Als Wildgemüse nutzbare Arten Gezähnter Feldsalat – Valerianella dentata Sauerampfer – Rumex acetosa Große Brennessel – Urtica dioica Rainkohl – Lapsana communis Wilde Möhre – Daucus carota Barbara-Kraut – Barbarea vulgaris Weißer Gänsefuß – Chenopodium album Breit-Wegerich – Plantago maior Brunelle – Prunella vulgaris Vogel-Knöterich – Polygonum aviculare Vogel-Miere – Stellaria media Acker-Hellerkraut – Thlaspi arvense Acker-Senf – Sinapis arvensis Hederich – Raphanus raphanistrum Getreidebeimischungen Kornrade – Agrostemma githago
782
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
783
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen Abb. S. V
Die abgebildete Illumination begleitet ein Trinklied der Liedersammlung ‚Carmina burana‘, die um 1230 entstand; sie stammt aus dem Band: Carmina burana. Faksimile-Ausgabe der Benediktbeurer Liederhandschrift. Mit einer Einführung von Bernhard Bischoff. München (Prestel) 1967, fol. 89v
Abb. 1
Begrüßung und Bewirtung Gottes durch Abraham, Millstätter Genesis, Ende 12. Jahrhundert – Millstätter Genesis und Physiologus Handschrift: Sammelhandschrift 6/19 des Geschichtsvereins für Kärnten im Kärntner Landesarchiv, Klagenfurt. (Codices selecti 10). Graz 1967, Bl. 27r
Abb. 2
Halberstädter Abrahamsteppich, 12. Jahrhundert – Halberstadt, Domschatz; Fotograf: Klaus G. Beyer, Weimar
Abb. 3
Der arme Lazarus vor der Tür des reichen Mannes, Echternacher Evangeliar (Codex aureus Epternacensis), ca. 1030–1040 – Codex aureus Epternacensis (Goldenes Evangeliar); Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 156 142, fol. 78r
Abb. 4
Festtafel an König Markes Hof. Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘, 1. Hälfte 13. Jh. – Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Mit der Fortsetzung Ulrichs von Türheim. Faksimile-Ausgabe des Cgm 51 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Textband mit Beiträgen von Ulrich Montag und Paul Gichtel. Stuttgart 1979, Bl. 30r (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 51, Bl. 30r)
Abb. 5
Cundrie vor der Artusrunde. Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250 – Wolfram von Eschenbach. Parzival – Titurel – Tagelieder. Cgm 19 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Transkription der Texte von Gerhard Augst, Otfried Ehrismann und Heinz Engels. Mit einem Beitrag zur Geschichte der Handschrift von Fridolin Dreßler. München 1970, fol. 50r (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19, fol. 50r)
Abb. 6
Das letzte Abendmahl. Kirche zu Neuenbeken, erste Hälfte 13. Jahrhundert – Paul Herre: Deutsche Kultur des Mittelalters in Bild und Wort. (Wissenschaft und Bildung 100/101). Leipzig 1912, S. 58, Nr. 218
784
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 7
Didos Festmahl für Eneas. Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. – Heinrich von Veldeke. Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel. Kunsthistorischer Kommentar von Andreas Fingernagel. Wiesbaden 1992 (Reichert), fol. 9v
Abb. 8
Dido und Eneas feiern ihre Hochzeit mit einem Festmahl. Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. – Heinrich von Veldeke. Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel. Kunsthistorischer Kommentar von Andreas Fingernagel. Wiesbaden (Reichert) 1992, fol. 13r
Abb. 9
Die Prophezeiung des Anchises erfüllt sich. Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. – Heinrich von Veldeke. Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel. Kunsthistorischer Kommentar von Andreas Fingernagel. Wiesbaden (Reichert) 1992, fol. 25v
Abb. 10
Eneas (2. von links) beim Abendessen nach dem Erhalt von Lavinias Brief. Heinrich von Veldeke, ‚Eneasroman‘, 1. Drittel 13. Jh. – Heinrich von Veldeke. Eneas-Roman. Vollfaksimile des Ms. germ. fol. 282 der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Einführung und kodikologische Beschreibung von Nikolaus Henkel. Kunsthistorischer Kommentar von Andreas Fingernagel. Wiesbaden (Reichert) 1992, fol. 71v
Abb. 11
Hochzeitsmahl am Artushof. Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250 – Wolfram von Eschenbach. Parzival – Titurel – Tagelieder. Cgm 19 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Transkription der Texte von Gerhard Augst, Otfried Ehrismann und Heinz Engels. Mit einem Beitrag zur Geschichte der Handschrift von Fridolin Dreßler. München 1970, fol. 49v (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19, fol. 49v)
Abb. 12
Festmahl auf der Gralsburg. Wolfram von Eschenbach, ‚Parzival‘, um 1250 – Wolfram von Eschenbach. Parzival – Titurel – Tagelieder. Cgm 19 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Transkription der Texte von Gerhard Augst, Otfried Ehrismann und Heinz Engels. Mit einem Beitrag zur Geschichte der Handschrift von Fridolin Dreßler. München 1970, fol. 50v (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 19, fol. 50v)
Abb. 13
Maifest an König Markes Hof: Gesellschaft der Damen. Gottfried von Straßburg, ‚Tristan und Isolde‘, 1. Hälfte 13. Jh. – Gottfried von Straßburg. Tristan und Isolde. Mit der Fortsetzung Ulrichs von Türheim. Faksimile-Ausgabe des Cgm 51 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Textband mit Beiträgen von Ulrich Montag und Paul Gichtel. Stuttgart 1979, Bl. 7r (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 51, Bl. 7r)
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
785
Abb. 14
Beginn des (zweiten) Mahles auf der Burg von Orange. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270 – Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Große Bilderhandschrift. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Hz 1104–1105 Kaps 1607, hier: Hz 1105r
Abb. 15
Fortgang des (zweiten) Mahles auf der Burg von Orange. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270 – Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Große Bilderhandschrift. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Hz 1104–1105 Kaps 1607, hier: Hz 1105v
Abb. 16
Dritte Mahlszene in den Nürnberger Fragmenten. Wolfram von Eschenbach, ‚Willehalm‘, um 1270 – Wolfram von Eschenbach. Willehalm. Große Bilderhandschrift. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Inv.-Nr. Hz 1104–1105 Kaps 1607, hier: Hz 1105v
Abb. 17
‚Hessenhof‘ in Schmalkalden: Hochzeitsmahl von Iwein und Laudine, um 1225 – Hans Lohse: Iwein – Der Ritter mit dem Löwen. (Schmalkalden 1952). Bibliothek. Museum Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden. Inv. Nr. 185
Abb. 18
Die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Goslarer Evangeliar, um 1240 – Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Goslarer Evangeliars aus dem Stadtarchiv Goslar. Eine Gemeinschaftsausgabe der Stadt Goslar und der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt, Graz. (Codices Selecti Vol. XCII). Goslar/Graz 1990, mit Begleitband: Das Goslarer Evangeliar. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat der Handschrift B 4387 aus dem Besitz des Stadtarchivs Goslar. Kommentarband. Mit Beiträgen von Renate Kroos, Wolfgang Milde, Frauke Steenbock und DagErnst Petersen. Goslar/Graz 1991, fol. 71r
Abb. 19/20 Esther leistet bei König Ahasverus Fürbitte für ihr Volk. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh. – Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, hier: Bd. 2, Tafel IV (Abb. 19/oben) und S. 125, fol. 60v (Abb. 20/unten) Abb. 21
Esthers Fürbitte an der Tafel des Königs Ahasverus. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh. – Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, hier: Bd. 2, Tafel IV
786
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 22
Speisen und Gerät für die Tafel des Königs Ahasverus. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh. – Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, hier: Bd. 2, Tafel IV
Abb. 23
Die Hochzeit von des Königs Sohn. ‚Hortus deliciarum‘, letztes Viertel 12. Jh. – Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, hier: Bd. 2, S. 165, fol. 129v
Abb. 24
Zwei Herren speisen mit Messer und Gabel. Hrabanus Maurus, ‚De rerum naturis‘, ca. 1022–1035 – Hrabanus Maurus, De rerum naturis. Montecassino, Abteibibliothek. Cod. Casinensis 132, p. 513, abgedruckt bei Franz Neiske: Europa im frühen Mittelalter (500–1050). Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. (Kultur und Mentalität). Darmstadt 2007, S. 56
Abb. 25
Hochzeitsmahl Kaiser Heinrichs V. und Mathildes von England. Anonyme Kaiserchronik für Heinrich V., um 1120 – (Anonyme) Kaiserchronik Heinrichs V.; Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 373, fol. 95v
Abb. 26
Den Fresser plagt das Verlangen. Thomasin von Zerclaere, ‚Der Welsche Gast‘, wohl 3. Viertel 13. Jh. – Der Welsche Gast des Thomasîn von Zerclaere. Codex palatinus germanicus 389 der Universitätsbibliothek Heidelberg. Faksimile und Kommentarband mit Beiträgen von Friedrich Neumann und Ewald Vetter. (Facsimilia Heidelbergensia. Bd. 4). Wiesbaden (Reichert) 1974, fol. 65r
Abb. 27
Abwendung von Mäßigkeit zugunsten der Schlemmerei. Thomasin von Zerclaere, ‚Der Welsche Gast‘, wohl 3. Viertel 13. Jh. – Der Welsche Gast des Thomasîn von Zerclaere. Codex palatinus germanicus 389 der Universitätsbibliothek Heidelberg. Faksimile und Kommentarband mit Beiträgen von Friedrich Neumann und Ewald Vetter. (Facsimilia Heidelbergensia. Bd. 4). Wiesbaden (Reichert) 1974, fol. 6r
Abb. 28
Benedikt wirft einem Mönch vornehmer Herkunft seinen Hochmut vor. Miniatur aus Gregors d. Gr. ‚Dialogi‘, Lüttich, 12. Jahrhundert – Gregor der Große: ‚Dialogi‘. Brüssel, Bibliothèque Royale, Hs. 9916–17, Kap. 20
Abb. 29
Kalenderbild des Monats Januar, Psalter aus Lüttich, ca. 1280 – Oxford, Bodleian Library, Additional MS A 46f° 1, abgedruckt bei Danièle
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
787
Alexandre-Bidon,: Une Archéologie de Gout. Céramique et consommation. (Moyen Âge – Temps modernes). (Espaces Mediévaux). Paris 2005, S. 242 Abb. 30
Nidau im Kanton Bern/Schweiz. Rekonstruktionszeichnung. Der Vorgängerturm aus Holzfachwerk wird im frühen 13. Jh. durch einen Massivbau ersetzt – Joachim Zeune: Burgen. Symbole der Macht. Ein neues Bild der mittelalterlichen Burg. Regensburg 1996, S. 122, Farbtafel 14 (unter Hinweis auf Heinrich Boxter/Jörg Müller: Burgenland Schweiz. Bau und Alltag. Solothurn 1990)
Abb. 31
Hitzacker, Rekonstruktionsversuch der Burganlage auf dem Weinberg im frühen 12. Jahrhundert – Berndt Wachter: Die slawisch-deutsche Burg auf dem Weinberg in Hitzacker/Elbe. Bericht über die Grabungen von 1970–1975. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Hannoverschen Wendtlandes. (Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte. Bd. 25). Neumünster 1998, S. 62
Abb. 32
Die Motte Lürken – Rekonstruktion des mittelalterlichen Wohnturms – LVR – Landesmuseum Bonn, abgedruckt bei Wilhelm Piepers: Ausgrabungen an der alten Burg Lürken. (Rheinische Ausgrabungen. Bd. 21). Köln 1981, o.S. (Rückseite des Innentitels)
Abb. 33
Bernshausen – Fluchtburg, Curtis und Dorfsiedlung. Rekonstruktion des Zustandes um 1000 – Klaus Grote: Bernshausen. Archäologie und Geschichte eines mittelalterlichen Zentralortes am Seeburger See. (ZAM. Beiheft 16). Bonn 2003, S. 362. Die Zeichnung fertigte Thomas Küntzel
Abb. 34
Monatsaufstellung aus der Enzyklopädie ‚Liber de proprietatibus rerum‘ des Bartholomäus Anglicus, 13. Jahrhundert – ‚Liber de proprietatibus rerum‘ des Bartholomäus Anglicus; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 2287, fol. 255r
Abb. 35
Ausgewachsenes Rind (vom Münsterhof in Zürich) im Größenvergleich zu einem heutigen Zuchtrind (gerastert) – Kazmér Csont: Die Tierknochen, in: Jürg Schneider/Daniel Gutscher/ Hansueli Etter/Jürg Hanser: Der Münsterhof in Zürich. Bericht über die vom städtischen Büro für Archäologie durchgeführten Stadtkernforschungen 1977/78. Teil II. (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Bd. 10). Olten/Freiburg i.Br. 1982, S. 241–264, hier: S. 247, Abb. 328
Abb. 36
Schwein vom hochmittelalterlichen Münsterhof in Zürich im Größenvergleich zum heutigen Zuchtschwein – Kazmér Csont: Die Tierknochen, in: Jürg Schneider/Daniel Gutscher/ Hansueli Etter/Jürg Hanser: Der Münsterhof in Zürich. Bericht über die vom städtischen Büro für Archäologie durchgeführten Stadtkernforschun-
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Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen gen 1977/78. Teil II. (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Bd. 10). Olten/Freiburg i.Br. 1982, S. 241–264, hier: S. 249, Abb. 334
Abb. 37
Haustierfunde aus städtischen Siedlungen des Hochmittelalters im Vergleich – Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Monika Doll entnommen ihrem Beitrag: Speisereste, Sondermüll und Sägespuren – Archäozoologische Untersuchungen an Funden aus der Hansestadt Soest, in: Walter Melzer (Hg.): Handel, Handwerk, Haustiere. Zur Geschichte von Markt und Tiernutzung in Soest. (Soester Beiträge zur Archäologie. Bd. 7). Soest 2007, S. 81–204, hier: S. 148
Abb. 38
Schichtenweise unterschiedliche Verteilung der Tierknochenfunde aus der Latrine in der Konstanzer Wesenbergstraße/Katzgasse – Mostefa Kokabi: Die Fleischküche, in: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 297–299, hier: S. 298
Abb. 39
Rekonstruktion der ländlichen Siedlung Holzheim in salischer Zeit – Norbert Wand: Holzheim bei Fritzlar. Archäologie eines mittelalterlichen Dorfes. (Kasseler Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte. Bd. 6). Rahden 2002, Farbtafel 31
Abb. 40
Die ländliche Siedlung Diepensee um 1300 (idealisiert) – Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, J. Müller-Edzards
Abb. 41
Bevorzugte Formen des Kochgeschirrs aus Keramik im 11./12. Jahrhundert – Das Reich der Salier 1024–1125. Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz. Sigmaringen 1992, S. 20, Karte 1
Abb. 42
Kugeltöpfe (graue Irdenware) aus Einbeck, 12. bis 15. Jh. – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 255, Abb. 538
Abb. 43
Henkelgrapen aus Einbeck, Ende 13./Anfang 14. Jh. – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 255, Abb. 539
Abb. 44
Kannen aus der Stadtwüstung Corvey, 2. Hälfte 13. Jh. – Hans-Georg Stephan: Studien zur Siedlungsentwicklung und -struktur von Stadt und Reichskloster Corvey (800–1670). Eine Gesamtdarstellung auf der Grundlage archäologischer und historischer Quellen. Mit Beiträgen von
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
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Jörg Bellstedt, Hans-Rudolf Bork, Otto Braasch, Siegmund Koritnig, Michael Schultz, Gustl Strunk-Lichtenberg und Ulrich Willerding. Bd. 1/2. (Göttinger Schriften zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 26,1/2). Neumünster 2000, hier: Bd. 1, Farbtafel 12 Abb. 45
Rollstempelverzierte Keramik (Kannen/Krüge) aus Einbeck, 2. Hälfte 13. Jh. – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 254, Abb. 537
Abb. 46
Krug und Pokal mit aufgesetzten Menschenfiguren und -masken und mit weiteren Verzierungen aus Köln, (Anfang) 13. Jh. – Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Spiegel des täglichen Lebens. Archäologische Funde des Mittelalters aus Köln. Ausstellung in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, vom 17. Dezember 1982 bis 13. März 1983. Text und Redaktion besorgt von Heiko Steuer. Köln 1982, S. 22, Abb. 37 und 38
Abb. 47
Hochmittelalterliche Keramikschüsseln/-schalen mit verschiedenen Bodenformen aus Siegburg bzw. rheinischer Produktion – Hans-Georg Stephan: Die mittelalterliche Keramik in Norddeutschland (1200–1500), in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 65–122, hier: S. 101 und S. 104
Abb. 48
Hochmittelalterliche Keramikbecher aus Siegburger Produktion – Hans-Georg Stephan: Die mittelalterliche Keramik in Norddeutschland (1200–1500), in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 65–122, hier: S. 104
Abb. 49
Weitere Formen von Keramikbechern aus Siegburger Produktion – Hans-Georg Stephan: Die mittelalterliche Keramik in Norddeutschland (1200–1500), in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 65–122, hier: S. 104
Abb. 50
Keramik-Aquamanile in Form eines Reiters, Anfang 13. Jh.– Bonn, Rheinisches Landesmuseum; Foto: LVR – Landesmuseum Bonn
Abb. 51
Aquamanile in Tierform aus Süddeutschland (Boucher Keramik), wohl 13. Jh. – Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 333
790
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 52
Amphoren, Flasche, Becher und Kugeltöpfchen aus ‚Pingsdorfer Ware‘ – Kölnisches Stadtmuseum, abgedruckt in: Das Reich der Salier 1024–1125. Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz. Sigmaringen 1992, S. 25
Abb. 53
Bräter aus rheinischer Produktion, Ende 12./Anfang 13. Jh. – Hans-Georg Stephan: Die mittelalterliche Keramik in Norddeutschland (1200–1500), in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 65–122, hier: S. 101
Abb. 54
Keramikpfännchen mit Tüllengriff aus Einbeck, spätes 13./Anf. 14. Jh. – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 255, Abb. 539
Abb. 55
Drei- und zweibündige Daubenschälchen aus Köln, 11.–13. Jahrhundert – Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Spiegel des täglichen Lebens. Archäologische Funde des Mittelalters aus Köln. Ausstellung in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, vom 17. Dezember 1982 bis 13. März 1983. Text und Redaktion besorgt von Heiko Steuer. Köln 1982, S. 23, Abb. 39
Abb. 56
Gedrechselte Teller, Kloakenfunde aus der Bremer Wachtstr., 12./13. Jh. – Rech, Manfred: Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen mit besonderer Berücksichtigung von Riga. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Focke-Museum/Bremer Landesmuseum vom 19. November 2003 bis 28. März 2004. (Bremer Archäologische Blätter 3). Bremen 2004, S. 259, Abb. 271
Abb. 57/58 Gedrechselte Schalen mit Bodenmarken aus dem 13. Jahrhundert von der Runneburg/Thüringen und aus Köln – Andreas Schlunk/Robert Giersch: Die Ritter. Geschichte – Kultur – Alltagsleben. Stuttgart 2003, S. 123 (Abb. 57, links) und Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Spiegel des täglichen Lebens. Archäologische Funde des Mittelalters aus Köln. Ausstellung in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, vom 17. Dezember 1982 bis 13. März 1983. Text und Redaktion besorgt von Heiko Steuer. Köln 1982, Titelblatt (Abb. 58, rechts) Abb. 59
Gedrechselter Pokal aus Ahornholz, Fundort Einbeck, 1. Hälfte 13. Jh. – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 281, Abb. 591
Abb. 60
Gedrechselte Holzbecher (Köpfe/Scheuer) aus Freiburg/Br., Ende 13. Jh. – Elmar Mittler/Wilfried Werner (Hg.): Codex Manesse. Katalog zur Ausstel-
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
791
lung vom 12. Juni bis 4. September 1988. Universtätsbibliothek Heidelberg. Heidelberg 1988, S. 497; Vorlage: Regierungspräsidium Freiburg – Referat Archäologische Denkmalpflege Abb. 61/62 Abendmahlszene am Westlettner des Naumburger Domes, um 1250 – Vereinigte Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz, Bildarchiv Naumburg, Fotograf: Matthias Rutkowski Abb. 63
Drechselkanne in einer Miniatur, Würzburger Handschrift, um 1250 – Andreas Heege: Einbeck im Mittelalter. Eine archäologisch-historische Spurensuche. In Zusammenarbeit mit Eva Roth Heege. Mit Beiträgen von Karl-Ernst Behre et al. (Studien zur Einbecker Geschichte. Bd. 17). Oldenburg 2002, S. 211
Abb. 64
Drechselkanne von der Runneburg/Thüringen, Mitte 13. Jh. – Foto: B. Stefan: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Weimar
Abb. 65
Geschnitzte Esslöffel aus Schleswig, 13. Jahrhundert – Hilke Elisabeth Saggau: Gehauene und geschnitzte Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig, in: Holzfunde aus dem mittelalterlichen Schleswig. Mit Beiträgen von Ingrid Ulbricht, Hilke Elisabeth Saggau, Karl-Heinz Gloy und Ulrike Mayer-Küster. (Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 17). Neumünster 2006, S. 199–304, hier: S. 206, Abb. 3
Abb. 66
Sog. syro-fränkischer Glasbecher mit Emailbemalung – Stadt Köln/Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Spiegel des täglichen Lebens. Archäologische Funde des Mittelalters aus Köln. Ausstellung in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, vom 17. Dezember 1982 bis 13. März 1983. Text und Redaktion besorgt von Heiko Steuer. Köln 1982, Titelblatt
Abb. 67
Emailbemalter Becher aus venezianischer Produktion, 13./Anfang 14. Jh. – Domschatz Chur/Schweiz, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 127, Nr. 72
Abb. 68
Emailbemalter Becher aus venezianischer Produktion, 13./Anfang 14. Jh. (Abb. Mitte) – Museum für Angewandte Kunst Frankfurt/M., Inv. Nr. 6770, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 141, Nr. 91
Abb. 69
Emailbemalter Becher aus venezianischer Produktion, 13./Anfang 14. Jh. (Abb. rechts) – British Museum, London, No. 76, 11–4,3, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 149, Nr. 103
792
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 70
Nuppenbecher, 2. Hälfte 13. Jh., aus Breisach – Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 303
Abb. 71
Nuppenbecher in einer Illumination aus der Manessischen Liederhandschrift, Anfang 14. Jh. – Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. Germ. 848, fol. 271r (Der von Buochen)
Abb. 72
‚Schaffhauser Becher‘, Ende 13./Anf. 14. Jh. – Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen/Schweiz, Inv. Nr. 6285 und 6287, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 211, Nr. 192/193
Abb. 73
Rippenbecher unbekannter Herkunft, Ende 13./Anf. 14. Jh. – Rheinisches Landesmuseum Bonn, Inv. Nr. 68.0563, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 219, Nr. 205
Abb. 74
Rekonstruktionszeichnungen von Rippenbechern aus Göttingen, wohl Ende 13. Jh. – Sven Schütte: Glas in der mittelalterlichen Stadt, in: Aus dem Alltag der mittelalterlichen Stadt. Handbuch zur Sonderausstellung vom 5. Dezember 1982 bis 24. April 1983 im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. (Hefte des Focke-Museums 62). Bremen 1982, S. 133–144, hier: S. 134, Abb. 1
Abb. 75
Kopf oder Scheuer mit rundem Griffhenkel aus farblosem Glas aus Freising – Diözesanmuseum Freising, Inv. Nr. 33, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 233, Nr. 223
Abb. 76
Kopf oder Scheuer mit rundem Griffhenkel aus farblosem Glas mit Fundort Konstanz – Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 306
Abb. 77
Farbige Glasflasche mit Fadenauflagen aus Ellwangen, wohl 12. Jh. – Württembergisches Landesmuseum Stuttgart, Inv. Nr. L 1964/56, Foto: P. Frankenstein, H. Zweitasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
Abb. 78
Farbige Glasflasche mit Fadenauflagen aus Köln, wohl 12. Jh. – Römisch-Germanisches Museum Köln, Inv. Nr. 72, 154, abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 111, Nr. 55
Abb. 79
Flasche aus grünem ‚Waldglas‘ mit einem sog. ‚Stauchungsring‘, Höxter, 13. Jh. –
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
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Stadt Höxter, F.Nr. 203/Fst. 1; abgedruckt bei: Erwin Baumgartner/Ingeborg Krueger: Phönix aus Sand und Asche. Glas des Mittelalters. München 1988, S. 268, Nr. 298 Abb. 80
‚Bernhardkelch‘ und zugehörige Patene, Hildesheim, 1. Drittel 13. Jh. – Michael Brandt/Axel Eggebrecht (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993. Bd. 2. Hildesheim/Mainz 1993, S. 633
Abb. 81
Das von Bischof Bernward beauftragte Leuchterpaar vom Beginn des 11. Jhs. aus dem Hildesheimer Domschatz – Michael Brandt/Axel Eggebrecht (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993. Bd. 2. Hildesheim/Mainz 1993, S. 583
Abb. 82
Kupferkessel aus Wendelstorf, Kreis Bad Doberan, Mecklenburg-Vorpommern, 11. Jh. – Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege, Abteilung Archäologie, Schwerin; abgedruckt in: Das Reich der Salier 1024–1125. Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz. Sigmaringen 1992, S. 17
Abb. 83
Löwen-Aquamanile aus dem 13. Jahrhundert, Halberstadt, Domschatz – Michael Hütt: „Quem lavat unda foris …“. Aquamanilien. Gebrauch und Form. Mainz 1993, S. 66, Abb. 29
Abb. 84
Bronzenes Handwaschbecken (‚Hanseschale‘) mit Bild- und Textverzierungen, 11. /12. Jh. – Bestand des Rigaer Geschichts- und Schifffahrtsmuseums, abgebildet bei Manfred Rech: Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen mit besonderer Berücksichtigung von Riga. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Focke-Museum/Bremer Landesmuseum vom 19. November 2003 bis 28. März 2004. (Bremer Archäologische Blätter 3). Bremen 2004, S. 320, Abb. 332
Abb. 85
Tafelszene als Verzierung einer sog. ‚Hanseschale‘ aus dem 12./13. Jahrhundert – Museum Schnütgen, Köln, Inv.-Nr. G 584, Foto: Rheinisches Bildarchiv, rba_037778
Abb. 86/87 Messerfunde aus Bremen, 13. Jh. (oben) und um 1300 (unten) – Abgedruckt bei Manfred Rech: Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen mit besonderer Berücksichtigung von Riga. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Focke-Museum/Bremer Landesmuseum vom 19. November 2003 bis 28. März 2004. (Bremer Archäologische Blätter 3). Bremen 2004, S. 176, Abb. 178 und 179; Fotos: S. Sternebeck, Focke-Museum, Bremen Abb. 88
Schöpfkelle oder Pfanne aus Eisen, Haus Meer, 9.–12. Jh. – Rheinisches Landesmuseum Bonn; abgedruckt in: Das Reich der Salier
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Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen 1024–1125. Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz. Sigmaringen 1992, S. 36
Abb. 89
Dielenbereich eines einfachen Stadthauses um 1300 – Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und der Stadt Zürich (Hg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300. Stuttgart 1992, S. 385, Zeichnung: Jörg Müller, Biel
Abb. 90
Küchenszene aus dem ‚Reiner Musterbuch‘, Anfang 13. Jh. – Reiner Musterbuch. Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Musterbuches aus Codex Vindobonensis 507 der Österreichischen Nationalbibliothek. Mit einem Kommentar von Franz Unterkircher. Graz 1979, fol. 2v
Abb. 91
Fundamentteile eines Steinkellers aus der Stadtwüstung Corvey, spätes 12. Jh. – Hans-Georg Stephan: Studien zur Siedlungsentwicklung und -struktur von Stadt und Reichskloster Corvey (800–1670). Eine Gesamtdarstellung auf der Grundlage archäologischer und historischer Quellen. Mit Beiträgen von Jörg Bellstedt, Hans-Rudolf Bork, Otto Braasch, Siegmund Koritnig, Michael Schultz, Gustl Strunk-Lichtenberg und Ulrich Willerding. Bd. 1/2. (Göttinger Schriften zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 26,1/2). Neumünster 2000, hier: Bd. 1, Farbtafel 23
Abb. 92
Christus als Hüter des Weinbergs (= als Führer der Kirche). ‚Hortus deliciarum‘, Ende des 12. Jahrhunderts – Herrad of Hohenbourg: Hortus deliciarum. (Ed. by) Rosalie Green, Michael Evans, Christine Bischoff and Michael Curschmann. With contributions by T. Julian Brown and Kenneth Levy. 1. Commentary, 2. Reconstruction. (Studies of the Warburg Institute. Vol. 36). London/Leiden 1979, Nr. 300/301, fol. 225r
Abb. 93
Allegorische Darstellung mit Getreidesaat und -ernte aus dem um 1190 datierten ‚Speculum Virginum‘ – Bonn, Rheinisches Landesmuseum, Foto: LVR – Landesmuseum Bonn
Abb. 94
Honigernte und Einfangen eines Bienenschwarms im Wald. Illumination einer Vorleserolle als dem Kloster Montecassino, Ende 12. Jahrhundert – Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Barb. Lat. 592, Fragment 4b; abgedruckt bei Martin Kluge: „Iss Honig, mein Sohn …“ – Die Biene und ihre Produkte im Hochmittelalter, in: Dorothee Rippmann/Brigitta Neumeister-Taroni (Hg.): Gesellschaft und Ernährung um 1000. Eine Archäologie des Essens. Vevey 2000, S. 184–189, hier: S. 185
Abb. 95
Rekonstruktion mittelalterlicher Salzsiedeöfen aus Soest – Walter Melzer: Archäologische Erkenntnisse zu Handel und Handwerk im mittelalterlichen Soest, in: Manfred Gläser (Hg.): Lübecker Kolloquium zur Archäologie im Hanseraum II: Der Handel. Lübeck 1999, S. 245–261, hier: S. 254, Abb. 8
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
795
Abb. 96
Die Hochzeit zu Kana. Illumination aus dem sog. ‚Hildegard-Gebetbuch‘, um 1180 – Hildegard-Gebetbuch. Faksimile-Ausgabe des Codex Lat. Monacensis 935 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Wiesbaden 1982, fol. 22v (Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 935, fol. 22 v)
Abb. 97
Röhrenknochen vom Friedhof der Abtei tom Roden mit Harris-Linien – Wilfried Henke/Michael Schultz: Zur Anthropologie der Bevölkerung von tom Roden, in: Bernard Korzus (Hg.): Kloster tom Roden. Eine archäologische Entdeckung in Westfalen. Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes und des Westfälischen Museums für Archäologie – Amt für Bodendenkmalpflege. Münster 1982, S. 71–112, hier: S. 106, Abb. 69; Herrn Prof. Dr. Schultz, Göttingen, danke ich für die freundliche Überlassung der Bildrechte
Abb. 98
Wachstumsstörungen in Form von querverlaufenden Furchen im Zahnschmelz infolge von Mangelernährung im Kindesalter. Skelettfund vom Friedhof der Abtei tom Roden – Wilfried Henke/Michael Schultz: Zur Anthropologie der Bevölkerung von tom Roden, in: Bernard Korzus (Hg.): Kloster tom Roden. Eine archäologische Entdeckung in Westfalen. Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes und des Westfälischen Museums für Archäologie – Amt für Bodendenkmalpflege. Münster 1982, S. 71–112, hier: S. 105, Abb. 67
Abb. 99
Menschliches Knochenmaterial mit Cribra orbitalia aus Diepensee/Brandenburg – Foto: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, B. Jungklaus
Abb. 100
Durch Eiweißmangel verursachte Rillenbildung an Zähnen von einem in das Hochmittelalter datierenden Skelettfund aus Diepensee/Brandenburg – Foto: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, B. Jungklaus
Abb. 101
Eingemeißelte Brotmaße am Münsterturm in Freiburg/Br., um 1270 – Evamaria Engel/Frank-Dietrich Jacob: Städtisches Leben im Mittelalter. Schriftquellen und Bildzeugnisse. Köln/Weimar/Wien 2006, S. 48
Abb. 102
Bestrafung eines betrügerischen Bäckers – Reay Tannahill: Food in History. New, fully revised and updated Edition. London 1988, S. 164
Abb. 103
Betrug durch falsches Maß und seine irdische Ahndung: der auf dem Fass sitzende Teufel legt dem Betrüger die Schlinge um den Hals. Skulpturenfries an der Abteikirche von Andlau (Elsass), Ende 11. bis Mitte 12. Jh. – Andrea Bruhin: Die romanischen Skulpturen der Abteikirche Andlau und das geistliche Spiel, in: Eckart Conrad Lutz/Johanna Thali/René Wetzel (Hg.): Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen von höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter. Freiburger Colloquium 1998. Tübingen 2002, S. 83–113, hier: S. 112, Abb. 5
796
Verzeichnis und Nachweis der Abbildungen
Abb. 104
Der Betrug durch falsches Gewicht wird vom Teufel bestraft. Skulpturenfries an der Abteikirche von Andlau (Elsass), Ende 11. bis Mitte 12. Jh. – Andrea Bruhin: Die romanischen Skulpturen der Abteikirche Andlau und das geistliche Spiel, in: Eckart Conrad Lutz/Johanna Thali/René Wetzel (Hg.): Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen von höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter. Freiburger Colloquium 1998. Tübingen 2002, S. 83–113, hier: S. 112, Abb. 6
Abb. 105
Handwaschszene vom Westlettner des Naumburger Domes, 3. Drittel 13. Jh. – Vereinigte Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz, Bildarchiv Naumburg, Fotograf: Matthias Rutkowski
Abb. 106
Turnierstraße in Braunschweig. Grundstücke mit bisher ausgegrabenen Kemenaten, Brunnen (um 1250) und Kloaken (um 1300) – Rainer Maaß/Wulf Otte: Alltagsleben im mittelalterlichen Braunschweig. Wohnen. Essen und Trinken. Arbeiten. (Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 64). Braunschweig 1991, S. 7; Grafik: Angelika Reuter, Holzminden
Abb. 107
Archäologisch geborgene Wasserleitungen aus der Motte Lürken bei Eschweiler; oben die ältere, aus Erlenstämmen bestehende Leitung, datiert Mitte des 12. Jh. – LVR – Landesmuseum Bonn, abgedruckt bei: Wilhelm Piepers: Ausgrabungen an der alten Burg Lürken. (Rheinische Ausgrabungen. Bd. 21). Köln 1981, S. 117, Abb. 61
Abb. 108
Ausschnitt aus dem Schlussbild des sog. Elisabethpsalters, 1. Hälfte 13. Jh. – Civido, Museo Archeologico Nazionale, Codice Ms. CXXXVII, fol. 173r, abgedruckt bei: Philipps-Universität Marburg/Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde (Hg.): Sankt Elisabeth. Fürstin Dienerin Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog. (Ausstellungskatalog zum 750. Todestag der Heiligen Elisabeth vom 19. November 1981 – 6. Januar 1982 in Marburg). Sigmaringen 1981, S. 432
Abb. 109
Oberkiefer eines Kinderskeletts vom Friedhof der Abtei tom Roden. Es zeigt Knochenabbau, Porosierung an den Rändern der Zahnfächer, sekundäre Knochenauflagerung (Pfeile) infolge eines chronischen Vitamin C-Mangels – Wilfried Henke/Michael Schultz: Zur Anthropologie der Bevölkerung von tom Roden, in: Bernard Korzus (Hg.): Kloster tom Roden. Eine archäologische Entdeckung in Westfalen. Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes und des Westfälischen Museums für Archäologie – Amt für Bodendenkmalpflege. Münster 1982, S. 71–112, hier: S. 106, Abb. 70
Abb. 110
Massiver Kariesbefund an einem Skelett aus Diepensee/Brandenburg – Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum: Zwischenlandung im Mittelalter. Archäologie für den Hauptstadtflughafen BBI. Die Ausgrabungen in Diepensee. Wünstorf/ Potsdam 2006, S. 40, Abb. 88
Personenregister
797
Register Personenregister Albertus Magnus 28, 394, 465 f., 658 Arnold von Lübeck 47 f. Benedikt von Nursia 300 ff., 310 f., 313, 315 ff., 325, 329, 334, 340 f., 534 Benedikt XII. 323 f. Bernhard von Clairvaux 316, 320, 627 Bernward von Hildesheim 238, 508, 510, 793 Berthold von Regensburg 289ff., 297, 299, 680, 684 ff., 701, 706 ff., 716 f., 734 f. Caesarius von Heisterbach 322 f., 745 Chrétien von Troyes 28 ff., 42 ff., 65, 681 Ekkehart IV. (von Sankt Gallen) 466, 586 ff., 594 ff. Elisabeth von Thüringen 217, 681, 690, 796 Frau Ava 298 f. Friedrich I. (‚Barbarossa‘) 46, 52, 54, 165, 275 Friedrich II. 60, 280 Friedrich II. (von Preußen) 511 Friedrich von Schwaben 47 Gerhard Unmaze 280, 282 ff. Gislebert von Mons 47 ff. Gottfried von Straßburg 83, 113, 150, 177 ff., 202 f., 272, 654, 783 f. Hans Folz 713 Hans Sachs 145 Hartmann von Aue 10, 21, 28 ff., 42 ff., 60, 65, 85, 93, 96 f., 101, 107, 113, 159, 186 f., 216 ff., 243, 299, 528, 654, 676, 681, 687, 691 f.
Heinrich V. 161, 235 f., 786 Heinrich VI. 46, 60 Heinrich (der Elsässer) 256 Heinrich von dem Türlin 104 f., 108, 151 Heinrich von Freiberg 67, 70, 92, 272 Heinrich von Melk 298, 332 Heinrich von Neustadt 88, 90, 93 Heinrich von Veldeke 10, 46 ff., 71, 133, 161, 165, 174, 185 ff., 230, 238, 275, 531 Heinrich Wittenwiler 124, 145, 178 Herrad von Landsberg 169, 176, 225 f., 228, 518, 530, 648, 785 f., 794 Hildegard von Bingen 28, 74, 316, 330, 336, 352 f., 394, 742, 745, 748 Hildegard von Hürnheim 348 ff. Hugo von Trimberg 103, 258, 297, 521, 676, 678, 701, 711 König vom Odenwald 85, 320, 385, 387, 403, 475, 480, 545 Konrad von Fußesbrunnen 116, 147, 151, 299 Konrad von Haslau 115, 120 Konrad von Würzburg 69, 81, 100 f., 111 f., 140, 150, 272, 299 Leopold V. 254, 264 Marner, der 21, 149 f., 310, 317, 340 Mathilde von England 161, 235 f. Meinwerk von Paderborn 270, 319, 324, 338 Neidhart von Reuental 21, 247 ff., 258, 262 f., 266, 268, 527, 655 Norbert von Xanten 330
798
Register
Otto I. 2, 280, 282, 311 Otto IV. 2, 94, 280 Otto von St. Blasien 47 Petrus Alfonsi 114, 719 Pfaffe Lambrecht/Lamprecht, der 22, 94 Reinmar von Zweter 148 f. Robertus von Stablo 324 Rudolf von Ems 68, 187, 280, 282, 284, 299 Steinmar 96 Stricker, der 21, 91, 109 f., 257, 260 ff., 289, 293, 299, 331, 527 f. Thomasin von Zerclaere 115, 119, 238 ff., 786 Ulrich von Türheim 92, 102, 105, 107, 177, 215, 272, 299, 332, 783, 784 Ulrich von Zatzikhoven 107
Ulrich II. von Sindelfingen 320 f. Urban II. 739 Walahfrid Strabo 658 Walther von der Vogelweide 56 f., 62, 90 f., 99, 121, 295, 629, 680 Wernher der Gartenære 143, 247 f., 252, 254, 266, 528 Wibald von Corvey 324, 328, 454 f. Widukind von Corvey 337 Wilhelm von Hirsau 333, 341 ff., 451, 457, 469 Wolfram von Eschenbach 10, 22, 28, 65 f., 68 ff., 77 f., 81 f., 84, 91 f., 97 ff., 109, 116, 119, 139 f., 147, 150, 152, 154 f., 180 ff., 197, 199 f., 205 ff., 215, 238, 275, 277 ff., 284, 288, 397, 469, 520, 528, 530 f., 536, 545, 628 f., 676 f., 683 f., 691 f. Yahi¯a ibn al-Bitriq 347
Register der literarischen und künstlerischen Werke
799
Register der literarischen und künstlerischen Werke Alexander 68, 142 Alexanderlied (Straßburger Alexander) 22, 94, 142 Apollonius von Tyrland 88, 90, 93 Barlaam und Josaphat 299 Benedictiones ad mensas 98, 466, 586 ff., 594 ff. Benediktbeurer Liederhandschrift 87, 783 Bernhardkelch, Hildesheim 508, 793 Bernwardleuchter, Hildesheim 508 ff., 793 Bernwardsäule, Hildesheim 173, 216, 238 Geistliche Bîspelreden 299 Carmina burana V, 87, 783 Causae et curae 352 f., 748 De rerum naturis 234, 786 Daniel von dem Blühenden Tal 91, 109 f. Das Jüngste Gericht 298 Das Priesterleben 332 Der guote Gêrhart 279 ff., 527, 692 Der Jüngling 115 Der Pfaffe Amis 289, 293 f., 295, 331, 527 Der Renner 103, 258, 288, 297, 676 f., 679, 711 Der welsche Gast 115, 117 f., 239 ff., 786 Der Welt Lohn 140, 273 Der Wirt 287 Die Benediktusregel 300, 302 ff., 311, 314 Die böse Adelheit 286 Die Kindheit Jesu 116, 147 f., 151, 299, 654 Die Krone 104 f., 110 Disciplina clericalis 114, 719 Disticha Catonis 114 Drei listige Frauen 285 Echternacher Evangeliar 176, 235, 783 Eneasroman 46, 52, 64, 71, 80, 110, 133, 146 f., 154, 161, 172 f., 185, 187, 189 ff., 205, 209, 215 f., 229, 237 f., 244, 275, 520, 530 f., 784 Engelhard 69, 78, 100 f., 111, 273, 275 Erec 28 ff., 42 ff., 83, 85, 97, 101, 103, 113, 147, 157, 186 f., 243, 654, 692
Facetus 114 Freidanks Bescheidenheit 114, 120 f., 150 Geistlicher Herzen Bavngart 299 Goslarer Evangeliar 221 ff., 785 Graf Rudolf 116, 146 Gregorius 299, 528 Große Bilderhandschrift 205 ff., 240, 242, 244, 530 f., 545, 785 Halberstädter Abrahamsteppich 170, 174 Heinrich von Kempten 140 ff., 273 Helmbrecht 110, 122, 143 f., 247, 251 ff., 265 ff., 272, 522, 527 f., 537, 647, 721 Hessenhof, Schmalkalden 217 ff. Herzmaere 112, 140, 273 Hildegard-Gebetbuch 230, 673, 795 Hortulus 658 Hortus deliciarum 169, 176, 225 ff., 518, 530 f., 648 f., 785 Idsteiner Sprüche der Väter 308, 313 Iwein 28, 41, 60, 93, 96, 103, 107, 112, 164, 186 f., 217 ff., 243 f., 654, 676, 681, 687 f., 691, 732, 785 Kaiserchronik 22, 27, 235 f., 238, 786 Kleiner Lucidarius f Seifried Helbling Lanzelet 28, 107, 146, 732 Manessische Liederhandschrift 445, 493, 501, 790, 792 Millstätter Genesis 170 f., 175, 783 Naumburger Dom, Westlettner 167, 185, 479, 492, 494, 518, 720, 791, 796 Neuenbeken, Wandmalerei 167, 183, 783 Nibelungenlied 21, 54, 62, 66, 72, 76, 80, 83, 98, 103, 106, 117, 133 f., 136 ff., 154, 158, 186 f., 243, 275, 288, 369, 628 Pantaleon 150, 272 f., 299 Partonopier und Meliur 81, 95, 100, 155, 273
800
Register
Parzival 65 ff., 82 f., 85 f., 88, 91, 102 ff., 108 ff., 125, 146 f., 150, 155, 180 ff., 185, 188, 197 ff., 205, 209, 229, 237, 276 f., 469, 520, 528, 531, 676, 683, 686 f., 691, 783 f.
Tristan (Gottfried von Straßburg) 83, 113, 150, 177 ff., 182, 187, 194, 197, 202 ff., 237, 242, 244, 654, 783 f. Tristan (Heinrich von Freiberg) 67, 70, 92, 272
Regimen sanitatis Salernitatum 348, 350 Reiner Musterbuch 630 ff., 652, 654, 794 Reinhart Fuchs 256, 260, 647 Rennewart 92 f., 102, 105, 109, 138 f., 147, 208 ff., 242, 272, 299, 332, 628 f., 647, 677 Rother 117, 146, 160, 691, 732
Von den fremeden sünden 290, 716 Von den fünf pfunden 290, 297, 707, 712 Von ruofenden sünden 290 f., 710, 735 Von den zehen geboten unsers herren 290, 707, 709 Von zehen kœren der engele unde der kristenheit 290, 709, 711 f., 716 f.
Sachsenspiegel 176, 205 f., 211, 214 f., 240, 446, 536, 646, 652 f., 677, 724 f. Sächsische Weltchronik 47 Salman und Morolf 79, 692 Secretum secretorum 348 f., 350 ff. Seifried Helbling 74 f., 102, 248, 253, 255 ff., 528 Sommerlied 250 Speculum virginum 651, 794
Wiener Genesis 298, 656 Willehalm 65, 67, 69, 73, 77 ff., 82, 84, 88, 91 f., 97, 103 ff., 110, 116 f., 119, 138 f., 142, 146, 150, 152, 154 f., 205 ff., 228, 238, 240, 244, 277 ff., 282, 284, 288, 335, 397, 528, 530 f., 536, 545, 628, 677, 691 f., 785 Winterlied 248 ff., 262 Wolfdietrich 109, 136, 687 Würzburger Kochbuch 538
Tannhäusers Hofzucht 75, 114 f., 117, 119 ff., 128, 255, 524
Ysengrimus 137
Sachregister
801
Sachregister Aal 84, 89, 264, 322, 344, 376, 540, 589, 599 Abendmahl 146, 167, 169 f., 173, 183 ff., 198, 216, 233, 492, 494, 529, 588 Abfallgrube 358, 361, 396, 400 ff., 412, 416, 420, 423, 430, 434, 436, 444, 461, 478, 510, 532, 622, 788 Abgaben 4, 163, 265, 283, 297, 301, 321 ff., 336 ff., 377, 382, 391, 440 ff., 454, 457, 460, 645, 682 Abtsküche 309, 337, 454, 586 Adel VII, 17, 24, 50 f., 54, 59, 62, 80 f., 83, 99 f., 122, 140, 152, 160, 165 f., 267, 272 f., 275, 279, 282 ff., 287 ff., 295 ff., 354, 359 f., 362 ff., 369, 371 ff., 378, 380, 397 ff., 407, 419, 421, 428, 441, 445 f., 455, 459 f., 467 f., 478 f., 481, 506, 520, 527, 529, 531 ff., 627, 635, 645, 676, 681 ff., 730, 732 Äsche 89 f., 376, 451 agraz 73, 92 Aland 376 Alltag 11 ff., 45, 49, 80 f., 96, 99, 159, 164, 173, 244, 252, 268, 295, 299, 341 f., 345, 399, 417, 469, 520 f., 523, 525, 537 f., 545, 626, 629 f., 648, 653, 733 Almosen 270, 280 f., 321, 337, 690 Amaranth 394, 416, 431 Ambra 67 f. Amphore 237, 482 f., 644, 790 Anämie 696 Anis 658 Anomalie 694, 696, 749, 751 Antoniter 739 Apfel 101, 111, 262, 345, 395, 418, 591, 609, 637, 657, 659, 712 f. Apotheke 96, 513, 672, 716, 718 Aquamanile 479 ff., 514 ff., 789, 793 Armut 297, 681, 686, 689 Askese 97, 300, 302, 313, 316, 329 f., 345, 437, 534 Aspik 84, 86 Attich 783 ff. Auerhuhn/-hahn 413 Auflauf 344 Auster 412, 429
Backofen 254, 473, 541, 623 f., 626, 638, 707 Bäcker 10, 290, 706 ff., 712, 718, 795 Bäckerei 318, 415, 618, 623, 706 ff. Bär 134 f., 373, 428, 467, 589, 603 Bärlauch 93, 394, 464 Bandwurm 710, 747 Barbe 344, 376, 540 Barsch 37, 90, 376, 410, 449, 451, 589, 599 Basilikum 658 Becher 37, 62, 72 f., 75, 93, 108, 116, 140, 150, 189, 192, 195, 198, 211, 213, 220, 229, 236 f., 245, 262 f., 337 f., 342, 345, 469, 478 f., 483 f., 488, 491 f., 493, 496, 498 ff., 520 ff., 531, 545, 613, 615, 617, 640 Bedienung 32, 58 f., 63 f., 74, 76 ff., 80, 110, 148, 155, 161 f., 180, 192, 214, 219, 244, 303, 530 Beilage 3, 91, 328, 345, 388, 421 Beizjagd 82, 85, 366 f., 374, 445 Belagerung 101, 139, 142, 276 f., 683 f., 692, 730 Benediktiner 303, 312, 315, 317, 319 ff., 323, 325 ff., 329 f., 339, 454, 456, 460, 466, 534, 650 Benediktinerregel 302 f., 308, 313, 321 f., 324, 326 f., 332, 454, 534 Besteck 72, 74, 118, 197, 233 f., 486, 495, 519, 524 f., 530 Betrug 69, 257, 672, 706 ff., 711, 713 ff., 795 f. Bewirtung 29, 31 f., 34, 48 f., 54, 58, 62 f., 76, 158 f., 162, 171 f., 189, 211, 279, 336, 338, 372 Biber 373, 403, 409, 437 f., 589, 599 Bienen 640 f., 661 ff., 725 Bienenjagd 665 f. Bier 107 f., 111, 149, 157, 257, 262 f., 270, 277, 280 ff., 290, 301, 317, 327 f., 337 f., 343, 345, 393 f., 417, 441, 464, 529, 591, 615, 643, 648, 690, 712, 731 Birkhuhn 374, 413 Birne 37, 246, 249, 262, 332, 342, 345, 352, 395, 418, 463, 591, 609, 712 f. blanc manger 259, 419
802
Register
Bohne 249, 259 f., 264, 316, 318, 324, 351, 393, 416, 421, 431, 456, 464, 538, 590, 609, 647, 657, 707 Bohnenkraut 394, 417, 658 Brachse 89 f., 344, 376, 411 Braten 85, 87, 109, 119, 151, 277, 295, 301, 320, 352, 369, 385, 387 ff., 397, 413, 439, 452 f., 460, 473, 484, 513, 535, 544, 589, 592, 601, 605, 629, 684, 704 Bratspieß 83, 484, 541, 624 Brauer(ei) 282, 415, 643, 726 Brauhaus 328, 618 Brei 99, 246, 253, 259 f., 264, 269, 318, 320, 344, 352, 388, 393, 395, 418, 421, 456, 464, 513, 524, 536, 538, 541, 586, 590, 607, 609, 625 f., 640, 739, 743, 745 Brennnessel 420, 433 Brezel 183, 229, 236, 246, 523, 530 Brombeere 396, 418, 431, 456 Bronze 512 ff., 516, 522 Brot 33 ff., 43, 71 f., 84, 91 ff., 96 ff., 101, 118, 140, 144, 146, 152, 157, 162, 170, 175 f., 178, 182, 184, 189, 192, 194 f., 198, 200, 204, 209, 211, 213 f., 224, 229 f., 232, 236 ff., 241, 244 ff., 253 ff., 258 ff., 270, 279 ff., 286, 290, 296, 299, 305, 307, 310, 314, 317 f., 324, 328 ff., 336, 339 f., 342 ff., 352 ff., 387, 393, 395 f., 400, 415, 421, 456, 464, 517, 523 f., 528, 530, 536, 538, 541, 545, 587 f., 591, 595, 597, 617, 623, 626, 637, 684, 686, 688, 690 f., 706 f., 712, 714, 724, 732, 736, 738 f., 741 Brotmaß 708, 795 Brühe 84, 92, 120, 344, 588 f., 607, 626, 632 Brunnen 217, 294, 361, 422 f., 432, 434 f., 449, 493, 727 ff. Buchecker 319, 396, 431, 634 Buchweizen 464, 535, 545 Bückling 540, 642 Bußbücher 424, 721 ff. Butt 376 Butter 102, 262, 319 f., 385, 403, 536, 640, 643, 748 caritas 315, 325, 690 Cellerar 302 f., 305, 324
clamirre 253 f., 268 clâret 104 ff., 152, 327 consuetudines 312 ff., 316, 318 f., 326 ff., 331, 336, 340 f., 346 Cribra orbitalia 698 f., 795 Damwild 373, 407 f. Dattel 586 f., 591, 609 Daubengefäß 184, 189, 192, 196, 211, 213 f., 229, 236 f., 486 ff., 520, 531, 545, 790 Dill 93, 344, 352, 394, 417, 641, 657 Dinkel 343 f., 393, 415, 430, 464, 588, 590, 595 Döbel 378 Dörren 638 Dominikaner 310, 340 Dorsch 375, 411, 589 Dost 394, 417, 658 Drechselware 72, 488 ff. Dreifelderwirtschaft 16, 646 Eberesche 396 Ei, Eier 71, 98, 162, 198, 246, 249, 252, 255, 257, 261, 269, 301, 315, 319 ff., 328, 333, 337, 340, 344, 351, 382, 391, 406, 434, 441, 462, 513, 536, 539, 540 f., 588, 590, 595, 607, 626 f., 636, 642, 644 Einkorn 415, 430 Einlegen 319, 466, 482, 588 f., 638 f., 641 f. Einsalzen 95, 319, 734 Einsiedler 260, 302, 688, 732 Eintopf 296, 344, 538 Elch 373, 408 Elritze 90 Emmer 393, 415, 430, 464 Ente 85, 87, 109, 301, 373 f., 380 f., 391, 407, 427, 429, 434, 438, 452, 459, 532, 586, 589, 601 Eppich 344, 464 Erbse 260, 318, 321, 344, 352, 388, 393, 416, 421, 430 f., 456, 464, 538, 590, 609, 647 Erdbeere 345, 396, 418, 430 f., 590 Ernte 4, 16, 317, 340, 421, 465 f., 640 f., 644, 647, 650 f., 659, 661 ff., 676, 678, 682 f., 690, 701, 733, 737, 742, 745, 794
Sachregister Ertrag 16, 381, 383, 385, 391, 403, 416, 424, 461, 464, 535, 611, 645, 653, 682, 737 Essig 92, 96, 100, 111, 152, 298, 319 f., 344 f., 351 f., 388, 420, 463, 466, 475, 541, 590, 607, 613, 626, 634, 639, 748 Esskastanie 101, 342, 396, 419, 463, 591, 609, 657 Etikette 161, 196, 204, 275, 478, 514, 518, 528, 531, 533, 684, 719 Fäulnis 635 f., 638, 640, 642 Fasan 84, 86, 109, 278, 301, 373 f., 589, 601 Fastenzeit 88, 291, 300 f., 304, 308, 310, 313 f., 320 f., 326, 330, 409, 461, 537 Fasttag 309, 314, 318, 320, 329 f., 461 Feige 100, 259, 342, 352, 395, 399, 418, 456 f., 463, 536, 586, 591, 609, 657 Feldsalat 394, 420, 431, 433 Fenchel 68, 93, 344, 352, 416, 431, 656 f. Ferkel 84, 257 f., 268 f., 337, 382, 388, 404, 407, 426, 439, 441, 443, 589, 603 Fett 98, 162, 252, 277, 290, 318 f., 388, 420, 483, 642, 644, 684, 704, 712 Fisch s. visch(e) Fischerei 82, 264 f., 380, 410, 645, 724 Fischhandel 265 Flachs 321, 420, 432 Fladen 37, 318, 530, 590, 607 Flasche 73, 263, 482 f., 503 ff., 519, 790, 792 Fleischbeschau 400, 734, 747 Fleischer 9, 222, 733 f. Fleischkonsum 323 ff., 392, 412, 430, 433, 435, 460, 468, 533 Flunder 411 Forelle 37, 89 f., 344, 376, 449, 589, 597, 599 Franziskaner 289, 297, 299, 310, 339 f., 706, 734 Frosch 449 f. Frühmahl 396, 628 f. Gabel 74, 230, 232 ff., 530, 786 Gänge 392, 626 f. Gärung 106 f., 591, 639 f., 642 Gagel(strauch) 107, 417
803
Gallert 84, 540 galreide 84, 86 Gans 85, 87, 108, 252 ff., 268 f., 295, 337, 380, 301, 407, 429, 438, 440, 450 ff., 532, 540, 586, 589, 601 Gartenbau 21, 655, 658 Gastfreundschaft 40, 48, 62 f., 116, 136 f., 154 f., 278, 282, 288, 309, 328, 336, 691, 719 Gastgeber 32, 40, 52, 54 f., 58, 60 ff., 79 f., 94, 100, 102 f., 110, 112 f., 115 ff., 120, 132, 137, 155, 159, 161 ff., 171, 182, 198, 200, 211, 244, 278 f., 281, 287 f., 372, 511, 520, 524, 627, 712 Gebäck 37, 43, 97 f., 152, 172, 189, 192, 229, 254, 269, 279, 318 f., 344, 588, 590, 595, 623, 660 Geflügel 30, 32, 84, 87 f., 108, 119, 157, 195, 198, 224, 246, 256, 263, 301, 306, 321 ff., 338, 367, 381 f., 390 f., 397, 406, 413 f., 422, 427 f., 434, 438, 441 f., 449 ff., 459 f., 467, 528, 530, 532, 534, 540, 545, 586 f., 601, 640, 711 Gemse 373, 605 Gemüse 99, 246, 249, 258, 269, 305, 315 f., 318 ff., 343, 354, 394, 416 f., 420 f., 431 f., 434, 443, 456, 482, 532, 538 ff., 587, 590, 607, 609, 625, 636, 638 f., 641, 655, 657, 659 f., 682, 704, 707, 718, 746 f., 749 Generale 315 f. Gerste 98, 107, 255, 259, 264, 318, 320, 328, 337, 352, 393, 415, 430, 464, 538, 588, 591, 595, 615 Gerstenbrot 255, 538, 595 Geschenke 48 f., 52, 54 ff., 61, 63 f., 80, 154, 599, 609, 613 Geschmack 452, 498, 541, 590, 599, 611, 613, 615, 625, 641, 661, 667, 669, 734, 748 Gewürz(e) 1, 39, 68, 86 f., 92 ff., 98, 103 f., 111, 152, 156, 161, 250 f., 254, 268, 319, 326, 344 f., 352, 394, 399, 417, 421, 431, 463, 468, 529, 536, 540 f., 586, 591, 597, 607, 615, 624, 637, 648, 655, 660, 674, 713 ff., 734, 742 Gewürznelke 67 f., 94 gîselitze 254 f., 268 Glasbecher 73, 499, 502 f., 791
804
Register
Glut 101, 259, 277, 285, 471, 473, 484, 609, 611, 624 ff. Gold 48, 61, 67, 133, 142, 182, 192, 197, 207, 209, 221, 230, 243 f., 274, 506 f., 510, 522, 531, 633 Gotik 174, 180 Gräten 366, 375 f., 378, 410, 449, 454, 537 gramangier 151 Granatapfel 100, 591 Grapen 474, 484, 512 f., 522, 624 ff., 788 Groppe 89 f. Grütze 254, 269, 513, 626 Grundel 89 f., 589, 599 Grut 107, 643 Gurke 301, 319, 394, 417, 420, 463, 540, 639, 658 Gurkenkraut 658 Hackbank 628 Händewaschen 72, 76 f., 81, 112, 133, 140, 478, 480, 514, 517 f., 719 Haferbrot 254, 259, 299 Hagebutte 396, 431 Hahn 294, 589, 601, 724 Haltbarkeit 473, 623, 635, 643 f., 660, 669 Handel 4, 7, 13, 19, 265, 283 f., 288, 327, 338, 357, 376, 410 ff., 414, 417 ff., 422, 433 f., 445 f., 470, 472, 475, 498, 506, 529, 537, 542, 545, 591, 634, 641 f., 644, 660, 664, 667, 669 ff., 689, 706 f., 709, 711, 714, 716, 718, 735 Hanse 515 f., 545 Hanseschale 515 ff., 793 Harris-Linien 694 ff., 703, 795 Hase 39, 87, 295, 357, 370, 373 ff., 397, 407 f., 428, 438, 450, 452, 532, 589, 605 Haselhuhn 428, 711 Haselnuss 352, 419 Hausen 332, 589, 597 havenescen 296 Heberegister 454, 465, 536 Hecht 37, 88 f., 321, 332, 376, 411, 429, 449, 451, 540, 589, 597 Hefe 98, 107, 588, 595, 706 f. Heidelbeere 396, 418, 625
Henne 249, 253 f., 263, 323, 391, 724 Herd 23, 277, 444, 471, 473, 486, 511, 541, 618 ff., 642, 682, 684, 732 Hering 84, 265, 321 f., 375, 411 f., 462, 537, 540, 545, 589, 597, 639, 642, 711 f. Himbeere 396, 418, 431 Hirn 254, 320, 385, 387 f., 405, 535 Hirsch 83 f., 373 f., 397, 408, 428, 438 ff., 449, 532, 589, 605 Hirse 260, 318, 344, 351, 393, 415, 430, 456, 464, 538 ff., 586, 590, 609, 640, 647 Hochzeit 32, 34, 41, 45, 50 ff., 55 ff., 61 f., 64, 66, 78, 83, 143 f., 161, 165, 167, 190 f., 194, 198 f., 217 ff., 232, 235 ff., 261, 267, 281, 673 Hofamt 76 f., 228 Hoffest 45 ff., 79, 132, 165, 529 Hoftag 46 ff., 62 ff., 70, 275 Holunder 396, 418, 430 f., 456, 625 Honig 98, 104, 106, 111, 150, 254, 283, 326, 337 f., 344 f., 418, 421, 441, 539 ff., 544, 586, 590 ff., 605, 607, 615, 639 ff., 654, 660 ff., 725, 748, 794 Hopfen 107, 394, 417, 643 f., 707, 711 Hühnerhof 647 Hülsenfrüchte 269, 318, 343 f., 394, 416, 431, 434, 456, 463 f., 634 f., 644, 755 Huhn 85, 108 f., 178, 195, 200, 204, 249, 252, 254, 268 f., 320, 352, 380 f., 388, 391, 406 ff., 422, 429, 438, 440, 450 ff., 532, 540, 589, 601, 627, 704 Humoralpathologie 348, 353 Hunger 4, 13, 16, 71, 85, 92 f., 99 f., 102, 120, 250, 276, 286, 339, 351, 398, 543, 675 ff., 736 f., 741, 749 f. Hypoplasie 694, 699, 703 imbîz 33, 85 Ingwer 93 f., 107, 250, 344, 538 Innereien 257, 296, 338, 385, 403, 535 Jagd 13, 37, 82 f., 85, 87, 108, 134 f., 264, 369 ff., 378, 380, 397 ff., 409 f., 413, 428, 433, 439, 445 f., 459, 467, 531 ff., 628, 630, 632, 645, 687, 724
Sachregister Kabeljau 375, 410 f., 589 Kämmerer 48, 76, 133, 143, 155, 337 Käse 35 ff., 43, 101 f., 162, 246, 249, 252, 256, 258, 261 f., 268, 270, 290, 315, 320 f., 328, 330, 332, 337 f., 344, 352, 385, 403, 434, 536, 538, 541, 590, 605, 607, 641, 643, 684, 704 Kalb 84, 108, 221 f., 224 f., 254, 301, 333, 352, 385, 407, 589, 601 Kalorien 385, 462, 703 f. Kaninchen 407 Kanne 36, 81, 194, 230, 237, 258, 335, 337, 342, 345, 469, 473 ff., 483 f., 493, 495, 507, 509, 514, 545, 622, 788 f., 791 Kanonissen 436 ff. Kapaun 84, 108, 278 Karausche 89 f. Kardamom 67 f., 93, 431, 463, 468 Karies 753 ff., 796 Karpfen 90, 344, 376, 429, 450 f., 589, 599 Karthäuser 326, 329, 333, 346 Kastraun 301 Katze 291, 357 f., 373, 390, 405 f., 452 f., 459, 621, 685, 721, 733 Keller 23, 217, 287, 475, 482, 488, 622, 624, 635 ff., 642, 677 Kerbel 93, 657 f. Kessel 32, 98 f., 135, 249, 296, 480, 511 f., 516, 522, 541, 624 f., 628, 630, 632 f., 793 kipper 103 Kirsche 254, 345, 352, 395 f., 418, 431, 456, 591, 611, 636, 639 Kissen 66 f., 80 Klöße 211, 246, 388, 739 Klosterküche 322, 329, 333, 456 f., 512, 514, 588, 590, 592, 627 Knoblauch 39, 92 f., 344, 352, 394, 464, 538, 586, 590, 611, 641, 657 Knödel 344 Koch, Köche 1, 33, 35, 86, 95, 102, 242, 334, 336, 396, 400, 625, 627 ff. Kochbuch 12, 419, 538, 586 f., 592 Kochen 259, 319, 330, 353, 393, 439, 470, 472, 477, 513, 539, 589, 592, 618 ff., 731 Kochgeschirr 471, 788
805
Kohl 144, 252, 256, 258 f., 264, 340, 344, 352, 394, 397, 417, 420, 431, 456, 464, 532, 535, 538, 590, 611, 636, 642, 644, 654, 657, 660 Komplexion 349 kopf 72, 93, 192, 263, 491 ff., 504, 792 Koriander 93, 417, 468, 658 Korinthe s. Rosine Korn 97, 99, 260, 262, 393, 415 f., 647, 650, 675, 677, 682, 686, 689 f., 692, 709, 712, 717 Kornrade 393, 421, 741 ff. Krähenbeere 396 Krämer 290, 420, 672, 714, 716, 718 Kräuter 100, 104, 318 f., 326, 350, 352, 419, 463, 590, 607, 611, 613, 615, 640, 643, 657, 659, 686 f., 742 Kranich 86, 375, 397, 589, 601 Krankenkost 38 f., 710 Krankenküche 334 Krapfen 98 f., 109, 256, 319, 388 Kratzbeere 396, 418 Krebs 90, 320, 344, 376, 429, 459, 589, 599 Kresse 344, 394, 417, 657 Kuckuck 711 Küchenjunge 138, 400, 628 Küchenmeister 89, 98, 138, 143, 147, 155, 161, 317, 628 f. Kümmel 68, 93, 107, 394, 417, 657 f. Kürbis 344, 352, 394, 464, 590, 613, 634, 658 Kugeltopf 470 ff., 520, 624 f. kumpost 258 f., 538, 639 Kupfer 507, 511 f., 515, 522, 793 Kuttrolf 73, 263 Lachs 37, 88 ff., 109, 322, 332, 344, 376, 589, 597 Lamm 84, 108, 224, 256, 301, 389, 407, 451, 535, 589, 603, 632 Lamprete 84, 88, 321, 344, 589, 597 Lattich 100, 344, 351f., 464, 590, 613, 656f. Lauch 590, 611, 657 Lein s. Flachs Leindotter 395, 420, 432 Lerche 85, 91 Leuchter 75, 81, 508 ff., 522, 793 Liebstöckel 464, 657
806
Register
Linse 259, 264, 344, 394, 416, 421, 431, 464, 590, 609, 647 Löffel 72, 75, 119, 486 f., 495 f., 509, 518 f., 524 f., 530, 632 Lohnbäckerei 623 Lorbeer 100, 107, 643, 657, 714 lûtertranc 91, 104, 106 f. Luxus 302, 339, 388, 397, 399, 442, 444, 522, 536, 540, 618, 648 Mahlen 97, 415, 717, 753 Majoran 93, 417, 658 Mandel 100, 152, 258 f., 352, 394, 419 f., 463, 468, 536, 538, 540, 624, 657 Mangold 394, 416, 431, 538, 657 Mark 395, 405, 423, 741 Markt 3, 94, 160, 285 f., 288, 358, 400, 403, 545, 586, 590, 624, 660, 707, 709 f., 735 Marschall 48, 76, 143, 178, 276 Maßhalten 119 f., 144, 313, 325, 336, 346, 355 Maulbeere 104, 396, 418, 591, 607 mâze 33 f., 284, 533, 712 Meerrettich 92, 464, 658 Mehl 96 ff., 162, 253 ff., 258, 269, 301, 318 f., 344, 352, 415, 535, 588, 624, 707, 714, 738, 753 Melone 590, 611, 658 Messer 72, 74 f., 125, 141, 175, 178, 182, 184, 189, 192, 187 f., 200, 204, 209 ff., 213 f., 222, 224, 230, 232 ff., 238, 241, 307, 335, 495, 509, 517 f., 524, 530, 545, 624, 632, 786, 793 Messing 511, 513 ff., 522 Met 105 ff., 111, 135, 150, 157, 257 f., 262, 274, 286, 294, 328 f., 332, 337, 591 f., 615, 640, 655, 660, 712 Milch 101, 254, 259, 262, 301, 319 f., 330, 333, 340, 344, 351, 403 f., 419, 424 f., 427, 434, 438, 441, 485, 536, 544, 590, 592, 605, 607, 624, 642 f., 713, 722, 748 Milchprodukte 261, 269, 300, 320, 333, 385, 397, 403, 460, 536, 541, 587, 590, 592, 682 Milchsäuregärung 639, 642 Mindestindividuenzahl 370, 380, 384, 401, 429, 444, 461
Minnetrinken 137, 287 Minze 93, 352, 394, 417, 431, 657 Mispel 345, 395, 456, 657 Möhre 394, 417, 431, 463, 513, 654, 658 Mönch(e) 1, 5, 98, 106, 137, 289, 297, 300 ff., 340 ff., 437, 447, 449, 451 f., 455 ff., 466, 534, 537, 586 ff., 650, 655, 658 f., 678, 706, 734, 786 Mörser 338, 513, 522, 624, 716 Molke 320, 386, 403, 485 Mollusken 412, 450 môraz, môrâz 91, 104 f., 138, 274, 328 Most 262, 269, 591 f., 613, 615, 639, 713 Mühle 10, 254, 326, 618, 624, 650, 677, 753 Müller 707 Mus 254, 260, 269, 395, 418, 456, 524, 536, 541, 625 Muschel 90, 373, 378, 380, 398, 412, 429, 459 Musik 60, 78, 225, 231, 281, 543, 691 Musikanten 55, 143 f., 162, 220, 222, 228, 324 Muskat 67 f., 93, 95, 250 Nachtigall 103, 279 Nachtisch 345 napf, naph 72 Naturraum 372 f., 418, 420, 663, 682 Neunauge 84, 89, 109, 321, 322, 589, 599 Nonne(n) 225, 301, 330, 332, 338 f., 341, 348, 437, 534 Nuppenbecher 500 ff., 792 Oblate 318, 344, 588, 595 Obst 100, 246, 254, 269, 290, 305, 312, 315, 319, 321, 340, 345, 352, 354, 395 f., 417 f., 420 f., 430 ff., 443, 456 f., 489, 540 f., 587, 590, 592, 607, 609, 624, 637 f., 640, 657, 712, 718, 749 Öl 98, 254, 259 f., 264, 290, 318 f., 321, 344, 395, 420, 432, 540 f., 634, 641, 643, 712 Ölpflanze 420, 432 Ohren 387 f., 405 Olive 100, 264, 318, 344, 591, 641 Ordensregel 300 ff., 340 ff., 437, 441, 450 f., 455, 457, 460, 534 Ostern 300, 303 f., 595
Sachregister Paradieskorn 394, 417, 463, 468, 536 Parasiten 542, 733, 737, 745 ff. Pastinak 352, 394, 416, 431, 657 Personal 37, 83, 102, 135, 144, 159, 162, 284, 399, 445, 538, 541, 627 ff. Petersilie 93, 320, 344, 352, 388, 394, 417, 431, 540, 639, 641, 657 f. petit manger 151 Pfanne 98 f., 102, 263, 319, 480, 483 f., 513, 519, 541, 626, 669 f., 793 Pfau 84 f., 91, 108, 278, 375, 397, 418, 453, 536, 589, 599 Pfeffer 39, 73, 87, 92 ff., 250, 283, 296, 338, 344, 394, 397, 417, 463, 468, 536, 538 f., 590, 599, 605, 607, 624, 656, 714, 716 Pfefferkraut 96, 657 Pferd 34, 48, 61, 154, 194, 254, 380 f., 383, 389 f., 398, 405 f., 422 ff., 429, 433, 440, 442, 445, 453, 459 f., 514, 528, 535, 652 f., 686 f., 692, 703 Pfingsten 46 ff., 60, 300, 303 f. Pfirsich 345, 352, 395, 418, 456, 591, 611, 636, 657 Pflaume 254, 345, 352, 395 f., 418, 431, 456, 463, 591, 611, 657 Pflug 16, 423, 646, 652, 677 Picknick 37, 101, 192, 197 Pigment 67 f., 104 f., 327, 606, 615 Pilze 465 f., 591 f., 597, 610 f., 637 Pitanz 315 f., 320, 330, 333 Plötze 378 Pökeln 588, 638, 667 Pokal 73, 105, 142, 152, 172, 178, 184 f., 89, 191 f., 195, 197, 200 f., 204, 209, 218 ff., 224, 230, 238, 245, 345, 476, 489, 491 f., 496, 507, 517, 530, 789 f. Portulak 100, 394, 416, 431, 456 Prämonstratenser 319, 330 Preiselbeere 396, 418 Quark 261, 268, 403, 434, 485, 536, 590, 605 Quitte 586, 591, 609, 639, 657 Räuchern 620, 641, 662 Rahm 262, 301, 643 Rainkohl 394, 420, 433
807
Rapfen 378 Raps 395, 420, 432 Rebhuhn 84, 109, 374, 413, 428, 589, 601, 711 Reh 84, 296, 373 f., 407 f., 428, 438, 452, 532, 589 f., 605 Reis 259, 393, 419, 535, 545 Repräsentanzwert 432, 464 Repräsentativität 458 Rettich 463, 540, 636, 657 Rezept 84, 109, 156, 245, 254, 278, 353, 419, 538, 541, 545, 586 f., 593 Rind 84, 162, 263, 301, 321, 333, 352, 357 f., 372, 381, 383 ff., 390, 396 ff., 401 ff., 414, 421, 423 ff., 429, 434, 437 f., 440 ff., 449 ff., 459 ff., 532, 535, 589, 601, 643, 652, 710, 714, 734, 747 Rippenbecher 502 f., 792 Roggenbrot 280 ff., 286, 595, 690 Romanik 174, 692 Rosine 418, 431, 540 Rotwein 106 Rübe 248 f., 258 f., 301, 321, 339 f., 394, 397, 416, 463, 540, 639, 657 Safran 92, 94, 104, 149, 538 f., 625, 714 Saft 104, 111, 269, 352, 395 f., 420, 591 f., 615, 748 Salbei 93, 103 f., 150, 344, 464, 591, 615, 657 Saline 412, 668 ff. Salm 84, 88 f., 109, 321 f. Salz 72, 93, 95 f., 98, 120, 230, 248, 260, 63, 318, 320, 338, 342, 352, 387 f., 397, 412, 462, 466, 541, 588, 592, 595, 597, 629, 638 f., 642 f., 654, 660, 666 ff., 709, 734 Sauce 3, 73, 84 f., 91 ff., 96 f., 152, 157, 246, 278, 352, 354, 396 f., 524, 528, 588, 590, 626, 687 Saucengefäß 119, 230, 245 Sauerampfer 394, 420, 433 Sauerbier 280, 282, 690 Sauerkraut 259, 319, 420, 463, 639, 704 Sauerteig 98 Schaf 84, 162, 256, 296, 337 f., 380 ff., 388 f., 398, 402 ff., 421, 427, 429, 437 f. 440 f., 449 ff., 459 f., 513, 532 f., 535, 540, 589, 603, 628, 654, 710
808
Register
Schaffhauser Becher 501 f., 792 Schellfisch 411 Schenk 48, 76 f., 135 f., 143, 155, 160 f. Scheuer 192, 492 f., 503, 790, 792 Schimmel 97, 465, 634 f., 642, 733 Schinken 36, 43, 101, 256, 259, 324, 338, 382, 387 f., 405, 441, 493, 589, 603, 620, 641 f., 684, 704 Schlachtalter 367, 389, 391, 403 f., 407, 412, 425 ff., 439, 451, 460 Schlachter 290, 632, 709, 726 Schlämmen 366 Schlafmohn 395, 430, 432 Schlaraffenland 39, 81, 274, 544 Schlehe 396, 418, 431, 456 f. Schleie 376 Schmalz 98, 254, 296, 320, 388, 540 Schmalznudel 99 Schnecke 380, 398, 450, 469 Schnittlauch 93, 394, 417, 641, 658 Schöpfkelle 519, 793 Scholle 411 Schrot 254, 269, 624 Schüssel 71, 75 ff., 117 ff., 125, 162, 175 f., 178, 191, 194 f., 198, 204, 214, 220, 232, 237, 242, 244, 246, 291, 337, 475, 477, 479, 482 ff., 490, 492, 496, 509, 523 f., 530 ff., 541, 545, 599, 603, 685, 719, 789 Schwan 87, 109, 375, 589, 601 Schwanz 342, 377, 388, 409 Schwarte 387, 535, 713 Schwarzbrot 97, 270 Schwein 84, 102, 162, 230 f., 245, 260, 269, 296, 301, 310, 337 f., 352, 372, 380 ff., 386 ff., 390, 396, 398, 401 ff., 414, 421, 425 ff., 429, 437 f., 440 f., 449 ff., 459 ff., 514, 530, 532 f., 540, 589, 603, 648, 654, 704, 709 f., 713, 723, 733 f., 747 Schwertleite 45 f., 48, 50, 53, 62, 178 Sellerie 394, 416, 431, 636, 657 Semmel 97, 254, 301, 318 Senf 92 f., 96, 111, 119 f., 149, 338, 352, 394, 417, 431, 540 f., 590, 607, 658, 713 Serviette 72, 184 Silbergerät 61, 74, 198, 201, 224, 228 f., 244, 488, 496, 507 ff., 511, 522, 531 siropel, syroppel 105, 107, 138
Sirup 420, 643 Sitzordnung 70, 116, 161, 281 Skelett 23, 376 ff., 387, 399, 408 f., 412, 442, 461, 542 f., 694 ff., 721, 748 ff., 752 ff., 795 f. Skorbut 748 ff. Skyphus 315, 343, 345 Slaven 677 f. Spanferkel 108, 320, 337, 388, 427, 442, 535 Speck 99, 252, 256, 259, 296, 319, 387 f., 397, 421, 544, 589, 603, 641 f., 713 Speicher 618, 624, 635, 648, 677, 690, 692, 716 Speierling 395, 657 Speiseregeln 332 f., 450, 454, 655 Speisesegen 587, 592 Spelt 98, 107, 590, 595, 607 Spelzen 97, 393, 456, 737, 744 Sperber 32, 85, 374, 413 Spielleute 49, 55, 61, 220 Spielmann 58, 79, 142, 148 spîse 31, 36, 73, 77, 79, 83 f., 88, 91 f., 97, 100, 103, 108 ff., 112, 116, 119, 121, 133, 135, 138 f., 146 ff., 151, 246, 253, 258, 274, 276 ff., 281, 367, 628, 682, 687, 692, 712 Stachelbeere 92 Stapelrecht 411 Stör 89, 259, 322, 344, 376 f., 411, 589, 599 Stockfisch 265, 375 f., 411, 537, 540, 588, 597, 624, 638 Storch 375, 398 stratigraphisch 374, 412, 414 Sülze 328, 385, 387 Suppe 3, 92, 255 ff., 269, 344, 352, 385, 396, 513, 538 ff. syrop(p)el 105, 107 Tafelrunde 69 f., 181, 201, 627, 630, 689 Tanz 34, 59 f., 78, 221, 249, 251 Taube 87, 108, 301, 380, 413, 427, 429, 438, 532, 589, 601 Teich 89, 265, 375 Temperament 349 ff. Teuerung 277, 644, 678 f., 681 ff. Theriak 67 f. Tischgebet 119
Sachregister Tischtuch 36, 69, 119, 172, 175 f., 178, 180 f., 184, 188 f., 192 f., 195, 198, 201, 204, 209, 211, 218, 221, 224 f., 230, 232, 236, 241, 307, 492, 517, 530, 545, 720 Topfen 261 f., 536, 590 Topos 152, 457 Todsünde 121, 291, 293, 306, 346, 355 Trocknen 95, 274, 393, 466, 588, 634, 637 f., 642 Truchsess 48, 76, 110, 136, 140, 143, 155, 161, 189 f., 192, 194, 210 f., 219, 222, 228, 230, 237, 528 Trunksucht 120 f., 263 Tugend 28, 32, 41, 55, 142, 336, 346, 355, 691, 722 Tunke 73, 91 ff., 97, 157, 352, 354, 528, 597 Turnier 101, 220, 237, 244, 273, 275, 281 Ur/Wildrind 373, 428, 605 varvelen 255, 268 vaz 72 f., 92 f., 140, 263, 291, 480, 685 Verunreinigung 721 f., 728, 730, 741, 753 vinepopel 103 visch(e) 39, 71, 86, 88 ff., 97, 108 f., 141, 144, 146, 148, 253, 260, 278, 294, 682, 711 Vitaminmangel 699, 703, 748 f., 751 Vitte 411 f. vleisch 36, 88, 102, 146, 148, 276, 278, 294, 682 f. Völlerei 120, 261, 291, 293, 306, 350, 533 Vogelmiere 394, 433 Vorräte 34 ff., 49, 135, 249, 256, 287, 416, 465, 621, 624, 626, 634 f., 647, 659, 672, 677, 680, 682, 686 f., 689, 692, 733 vroude 61 Waldmeister 394, 464 Walnuss 345, 396, 419, 431, 456, 591, 657, 748 Wasser 30, 36, 38, 74, 84, 97, 99, 102 f., 106, 108, 116, 133, 138, 146, 148, 170, 230, 253 f., 257, 259, 262, 269 f., 274,
809
279, 286, 290, 294, 299, 319, 326, 328 ff., 339, 342, 344 ff., 350, 352 ff., 366, 377, 409, 458, 466, 478 ff., 482, 514, 589, 591, 597, 607, 609, 615, 617, 622, 624, 628, 637 ff., 668 f., 688, 711 ff., 720, 724 ff., 732, 734 Wasserleitung 730 ff., 796 Wasserqualität 102, 326, 353, 726, 728, 730 f. wastel 97, 279 Weihrauch 95, 345, 656 Wein 1, 16, 33 ff., 43, 49, 62, 73, 91 ff., 95, 99 ff., 103 f., 111, 121, 135, 137 f., 146,150, 152, 156 f., 161 f., 185, 252 ff., 256 f., 261 ff., 267, 269, 274, 277, 279, 283, 286 f., 290, 294, 298, 307 ff., 314 ff., 321, 323, 325 ff., 340 ff., 351 ff., 396, 417 f., 441, 456, 458, 462, 482, 529, 538, 586, 588, 590 ff., 605, 607, 613, 615, 617, 626, 634, 639, 643 f., 648, 659 ff., 676, 680, 684, 687, 712 ff., 724 f., 731 Weintraube 92, 431, 463, 592, 609 Weißbrot 40, 96, 98, 140, 256, 267, 333, 336, 688 Weißdorn 396, 418, 431 Weißwein 342, 345 Weizen 36 f., 96 ff., 197, 254 f., 318, 337 f., 343 f., 352, 354, 393, 415, 430, 456, 464, 535, 588, 595 Weizenbrot 254, 343, 344, 352, 354, 595 Wels 376, 589, 599 Wermut 104, 344 f., 464, 658 Wilderei 428, 446, 467 Wildpferd 589, 605 Wildschwein 3, 84, 245, 373 f., 386, 388, 397, 408, 428, 438 ff., 450 f., 467, 589, 603 wirtschaft 31, 33, 40, 85, 148 Wisent 408, 589, 605 Wüstung 364, 411, 416 f., 422 f., 448, 474 f., 623, 637 Wurst 260, 268 f., 296, 387 f. Ysop 344, 658 Zähne 1, 97, 106, 137, 142, 222, 388, 398, 699, 749, 752 ff., 795 Zeidler(ei) 662 ff.
810
Register
Ziege 84, 259, 351, 380 f., 383, 388 f., 398, 402 ff., 407, 414, 427, 414, 421, 427, 429, 434, 438, 440 f., 449 ff., 459 ff., 532 f., 535 f., 589 f., 603, 607, 632, 654, 714 Zindel 90 Zins 7, 321, 645 Zinn 511, 519 Zisterzienser 137, 312, 314 f., 317 f., 320, 322 f., 326, 330 f., 333, 346, 348, 633, 669 Zitrone 342, 463, 587, 591, 609 Zitronenmelisse 464, 658
Zoll 283, 640, 669 Zope 378 Zubereitung 14, 91, 95, 97 f., 109, 146, 153, 156, 162, 245, 254, 259, 318, 320, 352, 377, 394, 399, 439, 457, 466, 470, 532, 538 f., 541, 587 ff., 626 ff., 639, 667, 687 Zucker 100, 149, 152, 254, 418, 541, 639 f., 672, 753 Zwergweizen 393, 430 Zwetschge 254, 395, 418, 431, 540 Zwiebel 92 f., 109, 344, 394, 417, 463, 513, 539 f., 636, 641, 654, 657 f., 660