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German Pages 208 Year 2019
Sabine Bongartz (Hrsg.)
Es trug sich zu im Schlangenbade
Sabine Bongartz (Hrsg.)
Es trug sich zu im Schlangenbade Schlangenbader Geschichte(n) Band 1
Für Druckkostenzuschüsse und Förderung des Projekts ergeht herzlicher Dank an: Badeärztin Dr. Sabine Thiel Bürgerstiftung Unser Land! Rheingau und Taunus Cathrin Wüst Transfair GmbH Erbengemeinschaft Deutsches Haus Parkklinik Wiesbaden Schlangenbad Verein Naturerbe Taunus e.V. Detlev Sieber, Bürgermeister 1999–2006 Michael Schlepper, Bürgermeister 2007–2019
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Inhalt Vorwort............................................................................................................................. 9 Tipps zum Gebrauch des Buches.......................................................................... 12 Historische Übersicht über das 17. und 18. Jahrhundert......................................... 16 1690 Drei Länder, Wasser und die Liebe.................................................................... 21 1709 Belustigende Unterhaltung der mondänen Badegesellschaft......................... 26 1709 Der Überfall im Schlangenbad........................................................................... 29 1739 Zeitvertreibe in den Alleen des Schlangenbades............................................. 33 1754 Ein Soldat treibt Schabernack............................................................................ 41 1775 Jene blau und diese rot........................................................................................ 49 1777 Romantische Schwärmereien aus der Sturm und Drang Zeit....................... 51 1779 Wunderbare Schönheiten zum Bestaunen....................................................... 61 1783 Eindrücke einer Dame aus Hannover............................................................... 64 1801 Zurück im bang ersehnten Tale......................................................................... 69 1805 Die zu Wasser gewordene Eselspartie............................................................... 79 1816 Einsam und doch nicht allein............................................................................. 81 1818 Es sind der romantischen Lustwege recht viele............................................... 85 1818 Schwermütig reizende Natur im Schattentale.................................................. 88 1824 Das wahre und einzige Schönheitswasser ist Schlangenbad.......................... 90 1835 Der harmloseste und köstlichste Luxus in seiner Art..................................... 93 1841 Fern aller städtischen Verkehrtheiten............................................................... 97 1842 Entfernt vom Getriebe der Welt.......................................................................100 5
1842 Grüne Tallaube, trauter Winkel der Erde.......................................................103 1842 Sir Francis Head erzählt die Legende vom kranken Rind............................105 1851 Spektakuläre kurierte Krankheitsfälle.............................................................108 1851 Zauber des sozialen Lebens..............................................................................110 1852 So wohnte die Zarin in Schlangenbad.............................................................115 1859 Badekabinette mit wahrer Eleganz..................................................................118 1863 Waldidylle – Himmelswiese – Stillleben.........................................................120 1864 Die blauen Schutzbrillen werden abgelegt......................................................124 1865 Wünsche und Strebungen, die hier und da zum Ausdruck kommen.........127 1870 Der ausgeflogene Papagei – Eine Geschichte aus der deutschen Kleinstaaterei.............................................................................................132 1871 Ein Opfer der Galanterie...................................................................................145 1880 Aber immer nur das Spiel der Blätter?............................................................155 1905 Schlangenbader Leben übers ganze Jahr........................................................159 1925 Das Wort Eile existierte nicht...........................................................................168 1945 Schlöndorffs Kindheit im Nabel der Welt.......................................................175 1962 Ein Ire zur Kur in Deutschland........................................................................179 Quellen..........................................................................................................................184 Autorenverzeichnis.....................................................................................................188 Glossar..........................................................................................................................192 Bildnachweise..............................................................................................................201 Danksagung.................................................................................................................204 Portrait der Herausgeberin........................................................................................205
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Situationsplan 1775 von Sebastian Kellermann
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Vorwort Der kleine aber feine Kurort Schlangenbad hat seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine bedeutungsvolle Historie durchlaufen, die im Laufe der Jahre zahlreiche unterhaltsame und gesellschaftlich interessante Geschichten generierte. Denn früher wie heute war es dem aristokratischen, bürgerlichen und gut betuchten Leser ein vorrangiger Wunsch, über Vorkommnisse jedweder Art und das gute oder auch „merkwürdige“ Verhalten der Zeitgenossen informiert zu werden. Das soziale Miteinander, vor allem auf höchster gesellschaftlicher Ebene, hat schon immer neben einer wissenschaftlichen Aufbereitung durch Naturwissenschaftler, Mediziner oder Botaniker das Interesse an den Phänomenen heraufbeschworen, die wir heute als „Stadtgespräch“ bezeichnen und nicht mehr ausschließlich in der so genannten Regenbogenpresse lesen können. Den Zeitungen des 19. Jahrhunderts lagen oft Unterhaltungsblätter bei, die neben der reinen Informationsvermittlung des Nachrichtenteils mit „Mannichfaltigkeiten“ für interessantere Neuigkeiten aus den Modebädern sorgten und über Royals und Promis berichteten, wie man heute sagen würde. Gerade die Kur- und Reha-Gäste oder Urlauber, die aus Interesse an der Historie die Schlangenbader Ortsrundgänge und Themenführungen besuchen, beweisen immer wieder, dass ihr Fokus weniger auf Jahreszahlen und Geschichtsdaten liegt. Vielmehr ziehen sie ihr historisches Verständnis aus Anekdoten, erzählten Erlebnissen anderer Gäste aus früheren Zeiten oder Histörchen zu bekannten Persönlichkeiten bis hin zu Kaiserinnen und Königen. Und immer wieder stellen sie die Frage, wo man das denn alles nachlesen könne. Heureka – liebe Leserinnen und Leser – mit dem ersten Band der Schlangenbader Geschichte(n) halten Sie gerade die entsprechende Literatur in Händen! Das letzte Buch, mit dem der Autor Siegfried Dörffeldt eine wunderbar ausführliche Reise durch die Schlangenbader Geschichte ermöglichte, erschien vor fünfzig Jahren und ist heute noch allenfalls im Antiquariat zu erwerben. Es ist also Zeit für neue frische Geschichte! Dafür geben zwar die Jahreszahlen den Kapiteln ihre Namen, doch vor allem stehen hier die Menschen mit ihren Befindlichkeiten und Erlebnissen, ihren Gefühlen und Beschreibungen im Fokus der historischen Berichte. 9
Ein frühes Beispiel für literarische Klatschgeschichten leisten die „Zeitvertreibe“, die ein französischer Autor (1739) beschreibt. Süffisant und in eindeutig zweideutigen Anspielungen weiht er den erstaunten Leser ins Intrigenspiel und die Annäherungen der Promenierenden inmitten blickgeschützter Lauben und Nischen der barocken Heckengänge ein. Dieser relativ arrogante Stil der Aufklärung scheint dann wieder völlig unter den Spieltisch des Gesellschaftshauses zu fallen, wenn man sich dem schwelgerisch-euphorischen Literaturstil Waldemar von Budbergs zuwendet (1777). Die gefühlvoll expressive Sprache der Sturm und Drang-Zeit vermag heute noch zu faszinieren, indem man den beschriebenen Wegen folgt und den waldigen Ort ähnlich zu erleben vermag, wie vor 240 Jahren – abgesehen vom nicht mehr existenten Glücksspiel. Allen Erzählungen voran steht im ersten Kapitel (Historische Übersicht) eine geschichtliche Aufarbeitung des 17. und 18. Jahrhunderts, die der Badearzt Adolf Genth 1858 vorgenommen hat. Anschließend (1709) erfährt der Leser anschaulich, welche Events man sich zur Belustigung der Adelsgesellschaft ausdachte oder wie sich zwielichtige Gestalten von dem Reichtum hier mitten im Wald anlocken ließen. (Diese Erzählung des Überfalls auf Schlangenbad 1709 gibt es in verschiedenen Varianten. Gewählt wurde aufgrund ihrer gut verständlichen historischen Einordnung die Version von Dr. Alois Werner, der statt des oftmals genannten französischen „Partheigängers Lacroix“ als Anführer der Räuberbande hier den Luxemburger Marquard Laube nennt.) Man erlebt aber auch (1779), wie in Schlangenbad Bürger und Adelige zwanglos am gleichen Tisch speisten oder dass so manch vornehme Dame die Spazierwege als nicht modern genug bewertete (1783). Darüber können wir uns heute glücklich schätzen. Denn wären die Gärtner damals dem landschaftlich-gestalterischen Zwang der Zeit erlegen, alle Anlagen komplett in Englische Landschaftsgärten umzuwandeln, würde heute niemand mehr vor Ort das romantische Flair der barocken Alleen genießen können. Eine erste Bäderkrise wirkt ab Ende des 18. Jahrhunderts, ausgelöst durch die Französische Revolution und die Koalitionskriege zwischen dem Frankreich Napoleons und seinen europäischen Machtrivalen. Die Kapitel 1801 bis 1818 beschreiben die kriegsbedingte Leere in den Kurhäusern, Spielsälen und Spa10
zierwegen. Die komplizierten Herrschaftsverhältnisse des zwischen Nassau, Hessen und Kurmainz aufgeteilten Kurbades führen zu verzögerten oder gar nicht erst ausgeführten Modernisierungs- und Instandhaltungsarbeiten. Die dadurch erschwerten Unterkunfts- und Badebedingungen werden von treuen Liebhaberinnen des Schönheitsbades, wie die Schriftstellerinnen Friederika Brun (1801) oder Johanna Schopenhauer (1816), kritisch beäugt und zum Ausdruck gebracht. 1818 erhielt Schlangenbad erstmals den Status einer ungeteilten Gemeinde im Herzogtum Nassau, was mit verbesserter Infrastruktur sowie Umbau und Erneuerung zu neuer Blüte und Besucherströmen führte (ab 1835). Vom Besuch bedeutender Gäste erzählen die entsprechenden Kapitel im 19. Jahrhundert: Bettina von Arnim (1805), Sir Francis Bond Head (1842) und die russische Zarin Alexandra (1852). Die Texte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weisen den literarischen Stil der Romantik auf, der sich gerne in schwärmenden Beschreibungen der Natur und Idylle Schlangenbads äußert. Durch alle Jahrhunderte zeigt sich die Begeisterung der Gäste für Schlangenbad als grüne Oase in einer immer unruhiger werdenden Zeit. Heute wie damals sucht und findet der Besucher hier die nötige Entspannung vom hektischen Alltag. 1851 stellt W. H. Riehl einen Vergleich zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert in Schlangenbad an. Natürlich gibt es auch damals wie heute andere Stimmen, die Erlebnis und Abwechslung vermissen. Den Aussagen Fanny Lewalds (1880) würde sicherlich auch heute noch der ein oder andere Gast zustimmen. Der Roman des Schlangenbader Badearztes Heinrich Müller de la Fuente (1905) verdeutlicht uns das normale Leben der kleinen Leute im hier als Bornwald bezeichneten Kurort, nicht nur saisonal, sondern über das ganze Jahr gesehen. Das Leben im 20. Jahrhundert (1925) bringt uns der bekannte Filmregisseur Ludwig Berger näher, der in Schlangenbad wohnte und in seinem Sog viele prominente Gäste aus Film und Fernsehen hierher lockte. Über die Abenteuer seiner Kindheit im „Nabel der Welt“ (1945) erzählt der spätere Oscarpreisträger Volker Schlöndorff in seiner Autobiographie. Ein irischer Journalist verrät uns unterhaltsam seine Erfahrungen in der märchenhaften Umgebung des Kurortes, die auf realistisch- radikale Therapien der Badefrauen prallt (1962). 11
Tipps zum Gebrauch des Buches Die vorliegende Literatursammlung erfüllt also gleich mehrere Funktionen. Als reines Schlangenbader Lesebuch dient sie der puren Unterhaltung, die jedoch bei Interesse mit den weiterführenden Informationen zur Geschichte, den Autoren und einem Glossar zur Erklärung veralteter Begriffe und Bedeutungen inhaltlich aufgestockt werden kann. Dabei erhebt der Band keinen Anspruch auf eine vollständige Bibliographie, sondern versucht mit Texten der Zeitgenossen die historische Entwicklung möglichst chronologisch darzulegen. Spannung und Gesellschaftssatire finden sich aber ebenfalls: beispielsweise in den Streichen, die ein Soldat den Kurgästen spielte (1754), in einem Spionageroman aus dem deutsch-französischen Krieg (1871) oder mit der herrlich ironisch formulierten Geschichte über einen entflogenen Papagei, der regelrecht satirisch die bürokratischen Tücken der deutschen Kleinstaaterei aufwirbelt (1870). Als historischer Reiseführer im Taschenbuchformat ist das Buch ebenfalls gut anwendbar. Die Beschreibungen sind im erhaltenen und größtenteils denkmalgeschützten Kulturlandschaftsambiente vom heutigen Besucher noch fast genauso nachzuvollziehen. Hier macht der „Ort mit Zeit“ seinem Namen alle Ehre. Wir blicken zurück in die Zeit und erkennen, wie viele verschiedene Phasen so ein Kurort durchlaufen kann. So fungiert die Literatursammlung auch als Bildgeber der Epochen. Aus einer Zeit heraus, in der es die Fotografie noch nicht gab und Zeichnungen eher in der freien Natur gemacht wurden, entwickeln sich die Beschreibungen der Bäder, Galerien und Kursäle mit ihrem pompösen Inventar zum wertvollen Anschauungsmaterial. Schlussendlich macht der Transfer von den schwer lesbaren Fraktur- oder Kurrentschriften der Originale in unsere heutige Word-Schriftsprache die alten Berichte jedem zugänglich, während sie sonst nur der Sammler zuhause im Schrank vor dem Verstauben schützt. Ganz unermüdliche Liebhaber und Forscher ver12
bleiben normalerweise lesetechnisch eher im Internet, da die Texte, wenn man sie überhaupt digital aufgespürt hat, nicht einfach kopiert werden können. Das vorliegende Buch macht unabhängig vom Bildschirm oder brüchigem Archivmaterial und ermöglicht es, jederzeit in die Historie einzutauchen oder mal schnell eben etwas aus der gewünschten Zeit nachzulesen. Alle Autoren sind in einem angehängten Verzeichnis aufgeführt, alle veralteten oder fremdsprachlichen Begriffe in einem Glossar. Lateinische oder französische Begriffe finden gleich im Text Übersetzung. Die Texte sind, soweit das bei der alten Sprache möglich war, in moderne Orthographie übersetzt. Zitate, die innerhalb eines Textes auf ältere Berichte hinweisen, wurden in der originalen Schreibweise belassen. Gleiches gilt für regionale Namen von Orten oder Flüssen, etc. Übrigens: Die Fülle der wunderbaren Beschreibungen Schlangenbads wird in der Zukunft einen zweiten Band der Schlangenbader Geschichte(n) ermöglichen. Dieser fokussiert den Blick auf die vielen unterschiedlichen Gäste aus Adel, Prominenz und Bürgertum, ein „Who’s Who“ des mondänen Schlangenbads also. Allen Leserinnen und Lesern, die sich darüber hinaus zum Zwecke des historischen Gesamtzusammenhangs in eine chronologische Übersicht der Schlangenbader Geschichte einlesen möchten, empfehle ich die Internetseite KuLaDig – Kultur. Landschaft. Digital. (www.kuladig.de). Dieses Informationssystem über die Historische Kulturlandschaft und das landschaftliche Kulturerbe fasst für den Kernort Schlangenbad alle bedeutenden Daten und Fakten hervorragend zusammen. Nun wünsche ich viel Freude und zahlreiche neue Erkenntnisse zum ehemaligen und aktuellen Kurort Schlangenbad! Sabine Bongartz Juli 2019
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Explication NRO 1 Eine herrschaftliche Wiese so zu einem Weyer ausgegraben, aber nicht zu stande kommen 2 Ein Garten so der zeitige Traiteur innen hat 3 Ein hoher Rhein mit Gebüsch 4 Gemüß-Gärtgen und Rhein 5 Das hintere Pavillon, wo unten die Chaisen-Remise 6 Pferde-Ställe, welcher 4 sind 7 Der Stall-Hoff 8 Das vordere Pavillon 9 Die Priveter vor der Esplanade 10 Die Esplanade 11 Der verfallene Chaisen-Remise-Platz 12 Die große Alee mit der Buscage 13 Die Communications-Brücke nach der Maintzer Allee 14 Der Rhein nach der Gemeindschaftl. Grentz-Bach 15 Die Gemeindschaftl. Grentz-Bache 16 Der von Chur-Mainz einseitig gesetzte Stein und ihr seitige Chaisen-Remise 17 Des Traiteurs Holtz-Schoppen 18 Das Traiteurs Hauß 19 Des Traiteurs Stallung und Hoffr(aite) 20 Das Höfgen hinterm Neuen Bau 21 Der Behälter für Feuer-Leitern p.p. 22 Der neue Bau selbsten 23 Die Maintzer Brücke 24 Der herrschaftl. Küchen-Bau 25 Der Krahm-Laden 26 Die Brücke nach der Maintzer Straße 27 Ein Holtz-Platz 28 Das Holtz Höfgen vor dem Bad-Hauß 29 Das alte Bad-Hauß 30 Die Quellen hinterm Baad-Hauß 31 Das Wacht-Hauß 32 Die lange Gallerie nebst dem publ. Saal
33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Das Coffe Küchelgen Ein Raasen-Plätzgen Ein Gemüß und Opst-Garten Allee-Gänge Ein hoher Rhein hie unter Noch ein Rhein unter diesen Gängen Das Garten Häußgen Der breite Platz ober der neuen steinern Treppe Der trucken Platz für die Baad-Wäsche Der Rhein über diesem Platz Ein Rhein über der Straße nach Schwalbach zu Noch ein Rhein unter dieser Straße Der Schacht zu der neuen Wasser-Quelle Allee-Gänge Die Pferde-Schwemme Das Back-, Wasch- und Brau-Hauß Der halbe Zirkell-Platz über der neuen Baadhausquelle Das Lust-Häußgen in dieser kleinen Allee Das Neue Baad-Hauß Der von Chur-Maintz einseitig gesetzte Stein Die Gemeindschaftl. Grentz-Bache Ein hoher Rhein vor dem neuen Baad-Hauß nebst alle Weege Ein Flüßgen unterm neuen Bad-Hauß herlauffend, welches ohneweit Mühlen treibet Noch ein Flüßgen so zum Nutz diesen Mühlen gebraucht wird Ein kleines Gärtgen Das alte Wacht-Hauß Das angekaufte Küblerische Hauß Ein Häußgen, bewohnet eine Bleystiftsmacherin Ein kleines Gärtgen hiebey Der einseitig gesetzte Stein von Chur-Maintz gegen das Hochfürstl. Rotenburgische
Verfertigt mit Gemaßen. Auf Befehl Hoch Fürstl.en Neuer Collegii mit der 14schuhigen Ruthen deren 150 im Quadrat zu einem Acker gerechnet wurden. Anno 1775 durch Johann Daniel Hesse pt. [pleno titolo = mit vollem Titel] Geomet [Schriftübersetzung von Daniel Eckert, Dr. Hartmut Heinemann und Sabine Bongartz]
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Historische Übersicht über das 17. und 18. Jahrhundert Aus: Dr. Adolf Genth, Kulturgeschichte der Stadt Schwalbach, 1858 Der Kurort Schlangenbad liegt 1½ Stunden von Schwalbach entfernt an der nach dem Rheingau führenden schönen Kunststraße. Er gehörte ursprünglich – gleich Schwalbach – zu der Niedergrafschaft Catzenelnbogen, und lag an deren äußersten Grenze, von Kurmainzer und Nassauer Gebiet nur durch ein schmales Bächelchen „dergestalt getrennt, daß, da man in mitten dieser Grentzscheydung einen Tisch setzen würde, vier verschiedene Herren jeder auff seinem Grund und Boden daran sitzen könndten“ (Zeiller’s Topogr. Hass., 2. Ausg., Frankfurt 1655, S. 128). Schlangenbad bestand vor Bekanntwerden seiner Mineralquellen aus 3 Mühlen – den sogenannten warmen Mühlen – deren Wasser, zum Teil den warmen Quellen angehörig, nicht gefror. Tabernaemontanus gedenkt dieser warmen Quellen noch nicht, obwohl er die meisten Mineralbrunnen der Niedergrafschaft beschreibt, und bei seinem ersten Besuche, welchen er Schwalbach abstattete, ganz nahe an denselben vorbeigekommen ist. Er war von Mainz über Kloster Tiefenthal nach Schwalbach und denselben Weg zurückgefahren, musste daher die warmen Mühlen berühren. […] Die Quellen sollen der Gemeinde Bärstadt gehört haben, wurden aber nicht benutzt. Moritz I. von Hessen-Cassel, jener ausgezeichnete Fürst, welcher das Emporkommen Schwalbachs so sehr gefördert, und das Schlösschen daselbst gebaut hatte, war der erste, der denselben gebührende Beachtung schenkte. Sein Vorhaben, sie durch Bergknappen fassen zu lassen, und ein Kurhaus in ihrer Nähe zu bauen, scheiterte aber an den Unruhen des dreißigjährigen Krieges. Erst der Gemahlin des Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt, Sophie Eleonore, war es vorbehalten, die Schlangenbader Quellen ihrer Dunkelheit zu entziehen. Auf Betrieb derselben untersuchte der Leibarzt des Landgrafen, Johann Daniel Horst, das Schlangenbader Wasser und veröffentlichte das Resultat die16
ser Untersuchung in seiner Schrift: „Beschreibung des Sauerbrunnens zu Langenschwalbach und Dönigstein, wie auch des Emser, Bärstadter und Wißbades. Frankfurt a. M. 1659.“
Abb. 5: Das Schlangenbad auf der Grenze zwischen Kurmainz und Hessen 1657 sehen wir die Schlangenbader Quellen in den Händen des Dr. Paul Benjamin Gloxin zu Worms, welcher dieselben mit einem großen Stück Waldes von der Gemeinde Bärstadt für 2 Ohm Wein und Vergünstigung freien Bades für die Bärstadter Bauern gekauft hatte. Ob die Gemeinde das Recht hatte, die Quellen zu verkaufen, ist aus den vorhandenen Urkunden nicht zu ermitteln; so viel steht aber fest, dass Gloxin nicht lange im Besitze derselben gewesen sein kann, denn Landgraf Ernst zu Hessen-Rheinfels, der zur oberflächlichen Fassung der Quellen schon 1653 20 fl. aus den Amtsgefällen von Hohenstein angewiesen hatte, schenkte sie „ahn Stadt einer hohen Gnade“ dem Amtmann Georg Philipp Wirth zu Hohenstein. Wirth, ein spekulativer Kopf, der auch ein Haus zu Schwalbach, „die Gerste“ genannt, besaß, ließ alsbald die obere Quelle zu Schlangenbad in einen Stollen und die übrigen Brunnen oberflächlich fassen. Die Spekulation wollte aber nicht recht glücken, der Stollen stürzte ein, und mit den übrigen Bauten ging es sehr langsam vorwärts. 1694 kaufte Landgraf Carl zu Hessen-Cassel die sämtlichen Quellen mit den bereits errichteten wenigen Bauten von dem Amtmann Wirth für 600 Reichsthaler und Befreiung dessen Hauses zu Schwalbach von Kontribution, und baute 17
noch in demselben Jahre ein feines Kur- und Badehaus, in welchem 3 Bäder, einige Gastzimmer, sowie Keller und Stallungen eingerichtet wurden (einen Teil des oberen Badhauses). Die kleine Einrichtung wurde sehr bald zu enge für die Zahl der herbeiströmenden Gäste, ein größerer Neubau erschien notwendig. Auffallend ist, dass dieser nicht von dem Landgrafen Carl selbst, sondern von einem unternehmenden Frankfurter Kaufmann, Joh. Peter Vermeeren, aufgeführt wurde. 1695 fing dieser den Neubau an und beendete ihn im folgenden Jahre (das obere Kurhaus, auch Hessischer Bau genannt). Vermeeren erhielt 1696 die sämtlichen Gebäude und Quellen in alleinige Benutzung auf die Dauer von 12 Jahren und zugleich die Erlaubnis, ein Kapital von 7000 Reichsthalern aus eigenen Mitteln zu Schlangenbad zu verbauen, anstatt der Interessen die sämtlichen Revenuen des Kurhauses und der Quellen einzuziehen, und das Ganze so lange als Unterpfand zu behalten, bis seine Auslagen ihm vollständig zurückvergütet sein würden. Der unternehmende Handelsmann machte anfangs gute Geschäfte, denn „das Bad war durch Gottes gnad und seegen sehr bald in solchen ruff und renommé kommen, daß von denen sich so heuffig angebenden gästen kaum der dritte Theil konnte accomodirt und mit nöthigen logamentern versehen werden“. In den Jahren 1701–1704 wurden daher auf hessischem Gebiete mehrere kleine Häuser und auf Mainzer Boden vom Kurfürsten Franz der jetzige Nassauer Hof aufgeführt; 1701 besuchte Landgraf Carl Schlangenbad selbst. Vermeeren zog in den Jahren 1702–1705 aus Schlangenbad 5600 Reichsthaler. Trotz diesem schönen Einkommen ging er in seinen Finanzen zurück und trat deshalb 1706 alle seine Ansprüche dem Landgrafen Carl gegen Rückvergütung seiner Auslagen ab. Er wurde Pächter des Schlangenbads und zahlte jährlich 1200 Reichsthaler. 1715 starb Vermeeren und nun nahm Carl Schlangenbad in Selbstverwaltung. Dr. Joh. Peter Welcker wurde zum Badearzt ernannt, und demselben ein Apotheker und Chirurg beigegeben. Carls unermüdliche Tätigkeit erhob Schlangenbad schnell zu einem der besuchtesten Bäder Deutschlands. Es wurde vom Anfange des 18. Jahrhunderts bis gegen Ende desselben, mit dem nahe gelegenen Schwalbach, eines der ersten Luxusbäder unseres Vaterlands, und eilte in seiner Verschönerung mit einer Schnelligkeit vorwärts, wie wir sie vielleicht nur in gleichem Grade bei Schwalbach gesehen haben. Die Anlage der noch jetzt vorhandenen Hainbuchen- und Linden-Alleen fällt in diese Zeit. 18
Zweier interessanter Episoden in dem gemütlichen Treiben der Schlangenbader Kurgäste habe ich noch zu gedenken. 1709 drang der französische Parteigänger Lacroix in den Ort ein und entführte den Deutschmeister Fürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der aber durch die Bärstadter Bauern wieder befreit wurde, und 1718 ließen die Landgrafen von Rotenburg, Wilhelm der ältere und Wilhelm der jüngere zu Wanfried, nachdem sie 1716 die gütliche Abtretung des Schlangenbads von Cassel vergeblich verlangt hatten, den cassel’schen Burggrafen Peter Kunkel von Schlangenbad verjagen und die Betten und sämtliche Möbel aus den herrschaftlichen Häusern werfen. In dem Archive zu Cassel finden sich die Akten über letzteren Vorgang, nach denen weiter beschlossen war, „gegen diese gewaltthätige turbationes [Störungen] sich zu setzen, und vim vi zu repelliren“ [Gewalt mit Gewalt zurücktreiben]. Wie die Sache ausgegangen, ist aus den wenigen Akten nicht zu ersehen, so viel erhellt nur aus denselben, dass die Streitigkeiten zwischen Rotenburg und Cassel auch in Schlangenbad sehr bald auf das religiöse Gebiet übersprangen. Schlangenbad verblieb übrigens im Besitze von Cassel, denn im Jahre 1740 ließ der König von Schweden, Landgraf Friedrich I. zu Hessen-Cassel, den sogenannten Neubau zu Schlangenbad aufführen und 1764 Landgraf Wilhelm VIII. das jetzige untere Badhaus erbauen. Mit Beginn der französischen Revolution erhielt das Kurleben in Schlangenbad, wie in Schwalbach, einen mächtigen Stoß, der in den folgenden Kriegsjahren einen solchen Grad erreichte, dass der jährliche Reinertrag der Badeanstalten daselbst kaum 50 fl. betrug. Von 1806–1813 stand Schlangenbad mit Schwalbach unter französischer Verwaltung. Nach dem Sturze Napoleons gelangte Cassel in den erneuten Besitz des Schlangenbads, trat denselben jedoch mit der Niedergrafschaft Catzenelnbogen 1816 an Nassau ab. Der Mainz’sche Antheil war durch den Regensburger Reichsdeputationsabschluss an Nassau gekommen. Wie für Schwalbach, so erblühte auch für Schlangenbad mit der Übernahme desselben von Nassau ein freundlicher und fruchtbringender Morgen. Herzog Wilhelm, wie dessen Nachfolger Adolph, beeilten sich, die durch die Anforderungen der Zeit notwendig gewordenen Veränderungen so rasch als möglich ins Leben zu rufen. Die sämtlichen Kurhäuser wurden renoviert und ausgebaut, neue Bäder angelegt, überflüssig gewordene Gebäude entfernt und die Anlagen nach neuem geschmackvollen Stile umgeschaffen. Die Verwaltung erhielt ein eigens be19
stellter Herzoglicher Beamter, und neben dem für Schwalbach, sowie für Schlangenbad zum Brunnenarzte ernannten Geheimen Rate Fenner, wurde für Schlangenbad noch ein eigener Arzt bestellt. „Diese Umgestaltungen übten“, wie Bertrand sagt, „auf die Frequenz des Schlangenbads einen raschen und heilsamen Einfluss. Schon in den 30er-Jahren reichten die herrschaftlichen Häuser zur Aufnahme der Gäste nicht aus, und erhoben sich allmählich die jetzt vorhandenen im oberen Teile des Tals gelegenen Privatgebäude. Im Jahre 1844 trat die Molkenheilanstalt ins Leben. Das Jahr 1852 brachte Schlangenbad mit der Ankunft der Kaiserin von Russland nicht bloß ungewöhnlichen Glanz, sondern auch manche Verbesserung“. Im Jahre 1857 wurde der Nassauer Hof, nach einem von Baurat Götz entworfenen schönen Plane, gänzlich umgearbeitet, und ein eleganter Speisesaal in demselben errichtet. Im unteren Teile des Tals entstanden endlich nicht nur mehrere zur Aufnahme der Gäste bestimmte große Privatgebäude, sondern auch eine Kolonie kleiner freundlicher Häuser für die Ortseinwohner. Man kann das jetzige Schlangenbad fast ganz als eine Schöpfung der letzten Jahre betrachten, an deren Bedeutung der dortige Brunnenarzt, sowie die Hausverwaltung nicht geringen Anteil hat. Als Wahrzeichen des Schlangenbads des 18. Jahrhunderts sieht man nur noch die geraden, schattigen, verschnittenen Hainbuchenalleen hinter dem Nassauer Hof und dem oberen Kurhause. Die Zahl der Kurgäste Schlangenbads, welche 1840 nur 674 betrug, ist seit geraumen Jahren auf 1200, und im letzten Sommer sogar auf 1500 gestiegen. Von dem dortigen Wasser werden jährlich gegen 3000 Krüge verschickt.
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1690 Drei Länder, Wasser und die Liebe aus: Symbolica in Thermas et Acidulas, Nikolas Person, Moguntiae, 1690 [Anm. der Hrsg: ... ] Die Texte in der Symbolica sind auf deutsch verfasst, die lateinischen Bildüberschriften und -unterschriften sind hier jeweils unter den abgebildeten Seiten aufgeführt und übersetzt.
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Abb. 1: Symbolica in Thermas, Kupferstich S. 35 Afficiunt, o inficiunt! Sie erregen, o sie stecken an! Verus amor facies non inficit, afficit illos Angues hoc thermis edocuere suis. Wahre Liebe steckt nicht an, sie regt jene an die Schlangen haben dies an ihren warmen Quellen gelehrt
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Abb. 2: Symbolica in Thermas, Kupferstich S. 55 Uni corda patere satis Es genügt, dass einem die Herzen offenstehen Haec aqua clara patet, potuisses lustrare profundum pectora (quot nequam) si penetranda forent. Dieses klare Wasser steht offen, du könntest den Grund betrachten wenn die Herzen (wie viele ich nicht vermag) zu durchdringen wären
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Abb. 3: Symbolica in Thermas, Kupferstich S. 69 Ex interno, non externo Von innen, nicht von außen Non color, aut vestes internum iudicat omnes, sit ruber aut flavus cancer ut ipse sapit. Nicht die Farbe, noch die ganze Kleidung richtet das Innere, sei er rot, sei er weiß, wie der Krebs selbst es versteht.
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Abb. 4: Symbolica in Thermas, Kupferstich S. 87 Vinclis unio pulchra suis Durch ihre Fesseln ist die Vereinigung schön In puncto ternae iungunt sua littora terrae pectore sic terni conveniunt domini An einem Punkt verbinden drei Länder die Ufer so im Herzen kommen drei Herren zusammen
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1709 Belustigende Unterhaltung der mondänen Badegesellschaft Aus: Conrad Kraus, Der Überfall im Schlangenbad, 1883 Den reichen Adel der Umgegend begann der landschaftliche Reiz des Tales zu fesseln, und da das Wasser ganz besonders fördernd und erhaltend auf weibliche Schönheit wirken soll, genügten bald die vorhandenen Räume nicht mehr, und neue Badhäuser entstanden. Unter andern erbaute der Mainzer Kurfürst Lothar Franz Freiherr von Schönborn, ein Pracht liebender Herr, ein ansehnliches Gebäude, welches im Gegensatz zu dem „Hessischen Hause“ des Landesherrn das „Kurmainzer Haus“ genannt wurde. Infolgedessen entfaltete sich daselbst ein gar reiches und üppiges Leben. Das Schlangenbad, wie man es mit der Zeit wegen einer daselbst häufig vorkommenden Schlangenart nannte, wurde schon anfangs des vorigen Jahrhunderts zu einem der ersten Luxus- und Modebäder. Anno 1709, am Tage vor dem Feste der heiligen Margareta, das auf den 20. Juli fällt, war in den Ziergärten, welche die Kurhäuser im Schlangenbade umgaben, eine gar vornehme und glänzende Gesellschaft versammelt. Der Koadjutor von Kurmainz, Franz Ludwig Prinz von Pfalz-Neuburg, Herzog in Bayern, Deutschmeister, Bischof von Worms und von Breslau, nebst großem Gefolge, hatte einen großen Teil des Kurmainzer Hauses bezogen. Seine hohe Stellung, der Ruf seiner Gastlichkeit und Prachtliebe genügten, noch viele große Herren nach dem Schlangenbade zu ziehen: u. a. den Herzog von Mecklenburg, den jungen Prinzen von Taxis, den Grafen von Solms-Braunfels und seine Gattin, die gefeiertste Schönheit ihrer Zeit, Lord Antony Hamilton, den Postmeister von Kessel und viele andere. Der Landesherr, Graf von Katzenelnbogen, erschien häufig, die vornehmen Gäste zu ehren, und auch der Rheingauer Adel stellte kein geringes Kontingent vorübergehender Besucher, so dass 26
die Badesaison des Jahres 1709 zu einer der glanzvollsten sich gestaltete, die Schlangenbad je gesehen. Der Mittelpunkt aber, um den sich die ganze feine Gesellschaft scharte, sozusagen die Badekönigin, war die Gräfin Margarete von Solms-Braunfels. Ihre Schönheit, mehr noch ihr Geist, ihre gewinnende Liebenswürdigkeit verfehlten auch in diesem Kreise, in dem sie sich augenblicklich bewegte, den richtigen Eindruck nicht. Die Männerwelt lag ihr bewundernd zu Füßen, ja sogar die Frauen vermochten sich dem Zauber ihres Wesens nicht zu entziehen. Deshalb hatten sich auch schon am Vorabend ihres Namensfestes viele vornehme Gratulanten eingestellt und sämtliche Kurgäste waren in den Gärten versammelt, um einer eigentümlichen Vorfeier beizuwohnen. Manche vornehme Herren pflegen sich häufig zu langweilen, besonders wenn sie nichts zu tun haben; da sie aber überhaupt selten etwas zu tun haben, so ist der Zustand der Langeweile bei ihnen ein sehr gewöhnlicher und ihr ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet, dieser Langeweile zu entfliehen, – kurz, ihr Leben besteht in einem Jagen, einem Haschen nach immer neuen Zerstreuungen. Dass die vornehmen Damen ihnen dabei getreulich helfen, liegt in der Natur der Sache und ist weiter nicht zu verwundern; eben so wenig, dass sie auf der Suche nach einem prickelnden Unterhaltungsstoff mitunter auch auf – gelinde gesagt – sehr „sonderbare“ Zerstreuungsmittel verfallen. Selten war wohl eine Badegesellschaft von größerer Neugierde erfasst wegen der zu erwartenden Festlichkeiten, als die damals im Schlangenbade versammelte. Lord Hamilton, ein alter General, den Schalk im Gesichte, hatte etwas Besonderes versprochen und es verstanden, das tiefste Geheimnis zu bewahren. Umso größer war die Spannung der Badegäste, die im kühlen Schatten eines Waldessaumes, längs einer schmalen, langen Wiese, auf mehreren Reihen von Sesseln und Stühlen sich niedergelassen hatten. Da widerhallten die engen Talabhänge der Berge plötzlich von Trompetengeschmetter. Zwei elegant berittene Herolde sprengten aus dem Waldesdickicht. Ein dritter, der ihnen gefolgt, erhob nach mehreren Trompetenstößen seine Stimme und verkündete in wohlgesetzter Rede, dass seine Herrlichkeit Lord Antony Hamilton beabsichtigen, der hochverehrten, hohen Gesellschaft ein neues, in Deutschland noch nie dagewesenes Schauspiel darzubieten, nämlich ein Wettrennen. Freudiges Erstaunen bemächtigte sich der anwesenden Damen und Herren, und mit großer Neugierde erwarteten sie die Schlussrede des Herolds. 27
„Und wasmaßen die Sieger in diesem seltsamlichen Wettstreite auch gebührende Belohnung finden mögen, setzen Seine Herrlichkeit für die Sieger drei Preise aus, welche er die gnädige Gräfin, deren hohes Namensfest heute in einer Vorfeier inaugurieret wird, geziemend bittet, den Siegern huldreichst mit ihrer schönen Hand überreichen zu wollen!“ Abermals ein Trompetenstoß, und aus dem Walde traten drei zierlich gekleidete Pagen, die auf Sammetkissen verschiedene hübsche Geschenke der Gräfin von Solms-Braunfels zu Füßen legten. Dies war unter allen Umständen ein vielversprechender Anfang. Die Erwartung der Badegäste war auf das Höchste gespannt. Der wohl gepflegte Weg aus dem Tal bildete wenige hundert Schritte von dem Versammlungsplatze eine scharfe Biegung. Dort erschienen zwei Reiter mit roten Fähnlein. Einer von ihnen blieb an der Biegung halten – der andere sprengte an den Gästen vorbei und nahm mehrere Schritte unterhalb ihrer Plätze seinen Standpunkt. Jetzt stießen die Trompeter wieder in ihre Instrumente – der erste Reiter an der entfernten Wegbiegung senkte seine Fahne und aus dem Walde hervor brach ein Reiterzug, bei dessen Anblick die Badegäste in ein beinahe unauslöschliches Gelächter ausbrachen: Eine größere Anzahl wohl aufgezäumter Esel kam daher gesprengt, beritten von zierlich in verschiedenen Farben gekleideten Knaben, den Pagen der einzelnen Herrschaften. Die guten Mülleresel, – denn solche hatte man aus den Mühlen des Tales zusammengebracht – ungewohnt solcher, mit Sporen und Reitpeitschen versehenen, jungen, kühnen Reiter, rasten wie toll daher. Kein Wunder, dass ob der absonderlichen Kreuz- und Quersprünge der scheu gemachten Tiere die Heiterkeit der vornehmen Gesellschaft erregt wurde, obwohl auch einzelne Aufschreie von zarten Damenlippen erfolgten, wenn einer oder der andere der jungen Reiter kopfüber in den Sand stürzte. Lord Antony hatte seinen Zweck erreicht, sein Faunengesicht strahlte in Wonne. Ohne dass einem der jungen Sportmannen ein Unglück zugestoßen, gelangten wirklich einige von ihnen an das Ziel, und die Gräfin hatte das Vergnügen, mit drolligem Ernste und humorvollem Pathos die jungen Sieger zu beschenken mit denen ihnen zugedachten Preisen. Es war vor nahezu zweihundert Jahren geradeso, wie es heutzutage zu sein pflegte: Nichts schätzt eine Badegesellschaft höher als eine belustigende Unterhaltung. 28
1709 Der Überfall im Schlangenbad Aus: Doctor Alois Josef Werner, Das Schlangenbad, 1937 Die Geschichte hat sich so zugetragen: Kurfürst Lothar Franz von Mainz hatte, da er auf seinem Gebiet in Schlangenbad, rechts vom Bach, keine Quellen finden konnte, wenigstens ein Logierhaus bauen lassen, sich und seinen fürstlichen Freunden zur angenehmen Herberge im wilden Wald. Der illüstren Damen und Herren kamen jährlich immer mehr. So waren auch 1709 Erlauchtheiten und Serenissimi gekommen, um das köstliche, sammetweiche Wasser zu genießen. Es war zur Zeit des spanischen Erbfolgekrieges. Die hohen Herrschaften wurden von den Kriegsläuften nicht sonderlich geplagt. Wie immer, so rumpelten sie auch heuer durch den Kutscherweg von Bärstadt her, oder durch den Rheingau von Mainz her im Bade ein, mit Vorreitern, Nachreitern, Lakaien, mit Ross und Reitern und dem ganzen Trara der Duodezfürsten jener Zeiten. Die hohe Klerikei von Mainz kam besonders gern und spielte an der Tafel und in den Alleen die Hauptrolle. Goldenes Geschmeide der Brustkreuze und Wehrgehänge umschimmerten einträchtig die Schönheitspflästerchen vielbegehrter Damen. Was ein hoher Gast brauchte, musste er bis auf Bett und Küchengeschirr mitbringen. Daher der prozessionsartige Einzug. Am 20. Mai war Fürst Albrecht Ernst von Öttingen gekommen, mit 42 Pferden, Hofwagen, Küchenwagen, mit Kutscher und Küchenmeister, Mundkoch, Silberdiener und Stabstrompeter. Am 6. Juni kam mit Pomp und 40 Pferden der Herzog von Braunschweig. Am 25. Juni kam der Held unserer Geschichte, der Hoch- und Deutschmeister Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, mit 38 Pferden. 40 Pferde scheint das Normalmaß der Wohlanständigkeit gewesen zu sein. Kardinal Josef Clemens von Köln tat ein Übriges und brachte 64 Pferde mit, sein Nachfolger Clemens August gar 76. Während sich die hohen Herrschaften von den Strapazen des Regierens erholten, war im Lande große Not. Im Oktober 1688 hatten die Franzosen Mainz be29
setzt. Die Deutschen lagerten bei Mosbach und mähten alles Gras ab, dass das Bauernvieh einging. Die Dörfer hatten unter der Einquartierung furchtbar zu leiden. Bürgermeister Hoffmann [von Rauenthal, Anm. der Hrsg.] schreibt in seiner hochinteressanten Hauschronik: „Viele der Quartiermänner haben aufs Weinsauffen dergestalt gedrungen, daß mancher 4–5 Maß Wein des Tages gesoffen und nach solch übermäßigem Sauffen in dem Quartiere Ungelegenheit angefangen und die Leuth übel traktieret vor ihren Dank“. Man hatte den Rhein aufgehackt, als er zufror, damit die Franzosen nicht herüberkommen konnten. Denn sie hatten 1691 und 1692 Leute als Geißeln verschleppt. Hoffmann klagt: „Durch Durchmarsch und Nachtläger ist das Land dergestalt ausgefressen, daß Armut und Elend nit zu beschreiben ist“. Man kann verstehen, dass die Bauern gern auf den zweifelhaften Schutz der einquartierten Soldaten verzichteten. Sie richteten sich selbst eine Bürgerwehr ein. Die fürstlichen Badegäste mochten sich wohl darum in Schlangenbad sicher fühlen, weil ihr Hauptlogierhaus auf Mainzer Gebiet lag. Mainz aber zahlte dem Sonnenkönig Ludwig XIV. eine Kontribution, um von Brandschatzungen bewahrt zu bleiben. Aber verwegene Freibeuter mochten sich wohl nicht darum kümmern. In Schlangenbad war viel zu holen. Der Deutschmeister Franz Ludwig war mehr wert als 1000 Bürger. Er war auch Propst zu Ellwangen, Bischof von Worms, Bischof von Breslau, Erzbischof von Trier, Koadjutor und Nachfolger des Kurfürsten von Mainz. Er war ein biederer und frommer Mann. Auf sein Grab in Breslau ließ er schreiben: „Hier ruht ein Sünder, Franz Ludwig. Betet für ihn!“ Auf diesen hohen und reichen Herrn hatte man es abgesehen. Am 16. Juli 1709 also war ein „Trupp vermessener Waghäls in zwei dazu gemachten neuen Nächlein“ unter Führung eines Marquard Laube aus Echternach bei Bingen über den Rhein gesetzt. Über Kiedrich und die Rauenthaler Wiesen stahlen sie sich in Schlangenbad ein und überfielen in der Nacht das Badehaus und den Mainzer Hof. Franz Ludwig hatte sich in seinem Zimmer verschanzt und wehrte sich mächtig. Als die Tür eingerannt wurde, erschoss er den Anführer der Bande, doch der Handstreich gelang. Der Deutschmeister und die vornehmsten Gäste wurden gefangen. Freilich waren die Banditen jetzt in großer Verlegenheit. Ihr Anführer war tot, der allein den Rückweg ins süße Frankreich wusste. Wegunkundig standen sie im wilden Wald, denn damals gab es noch nicht die freundlichen Männer, die in den 30
frühesten Morgenstunden mit ungeheuren Besen die Waldwege fegen und stets gerne den Weg zeigen. Des Deutschmeisters Jäger waren schon davon geprescht, um im ganzen Land Sturm läuten zu lassen. Hals über Kopf brach daher der führerlose Trupp auf. Franz Lothar musste mitziehen. Man gab dem hohen Herrn nicht einmal Zeit, den einen Pantoffel, den er im Kampfe verloren hatte, anzuziehen. Halb barfuß humpelten seine fürstlichen Gnaden mit, stets einen gewaltsamen Tod vor Augen, denn die verzweifelten Franzmänner hätten nicht lange gefackelt. Der neue Bandenführer hatte die Uniform eines Dieners des Fürsten angezogen und brachte seinen Trupp glücklich nach Rauenthal. Dort zog man vor das Haus des Bürgermeisters Hoffmann. Man verlangte freien Durchzug, denn auf Mainzer Gebiet sei man ja eigentlich in Frankreich. Bei Erbach wollte man dann über den Rhein. Aber die biederen Rauenthaler hatten andere, viel einfachere Ansichten von Völkerrecht. Mit allerlei Schießgewehr rotteten sie sich vor dem Bürgermeisterhaus zusammen. Bürgermeister Hoffmann war ein tapferer Mann. Er hatte nacheinander vier Wittfrauen geheiratet. Er war aber auch klug. Darum riet er seinen Bauern, die bis an die Zähne bewaffneten Marodöre nicht anzugreifen. Man solle ihnen aber nachziehen. Im ganzen Rheingau und auch im Hessischen stürme es. Da käme so viel Hilfe, dass man dann gefahrlos angreifen könne. So tat man denn auch. Die Franzosen zogen mit ihren Gefangenen in die Viehtriftshohl nach Kiedrich zu. Dort wurden sie von den derweilen herangezogenen Rheingauern aufgehalten. Hinter ihnen drängten die tatenfrohen und hitzigen Rauenthaler. Vom Berg herab kamen die Bärstadter und andere Landgräfliche. Man fackelte nicht lange, sondern forderte Herausgabe der Gefangenen und der Beute, oder „es sollte ihres Gebeins nicht davonkommen“. „Ad explosionem bombardarum perventum est“, d. h. die Donnerbüchsen gingen los, schreibt treuherzig der Rauenthaler Pfarrer in der Kirchenchronik. Der Ausgang konnte nicht zweifelhaft sein. Die Gefangenen wurden befreit und mit einem Teil der Beute im Triumph nach Schlangenbad zurückgebracht. Drei Franzosen waren tot, andere starben in Eltville an ihren Wunden, nur drei entkamen, der Rest kam gefangen nach Mainz. Aber auch wackere Bauern und Untertanen seiner Durchlaucht hatten dran glauben müssen. So also waren seine fürstlichen Gnaden und seine Freunde gerettet worden. Der hohe Herr geruhte zwar, ernstlich indignieret zu sein, weil nicht die ganze Beute 31
wieder zurückgeschafft wurde. Aber er lobte die Wackeren und versprach auch eine Belohnung. Dass er sie gegeben habe, steht nicht geschrieben. Zeitlebens aber hat er den Franzosen den üblen Streich nachgehalten und war ihnen hinfüro nicht mehr in Gnaden gewogen. Selbst nach Schlangenbad kam er erst wieder nach zehn Jahren.
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1739 Zeitvertreibe in den Alleen des Schlangenbades Aus: David Francois de Merveilleux, Zeitvertreibe bey den Wassern zu Schwalbach …, 1739 Man verfügt sich aber lieber von Zeit zu Zeit nach Schlangenbad, und bedienet sich der dasigen Bäder, welche eine Weile davon, und in dem Gebürge liegen. Man kann diesen Weg ohne die geringste Gefahr unternehmen und diese Bäder geben Gelegenheit zu tausenderlei sehr angenehmen Belustigungen. Das Wasser in Schlangenbad ist klar, leicht und sehr schön; es ist auch von Natur keineswegs so heiß, wie der Freiherr von Pölniz vorgibt, denn man muss es erst warm machen lassen. Es ist zwar unschmackhaft, doch verursachet es gar keinen Ekel, ob es gleich ein wenig nach Seife schmecket. Diese Bäder sind den Schwalbachischen Brunnen-Gästen vollkommen zuträglich, weil sie erfrischen und Öffnung verschaffen. Sie sind auch sauber und tief; es befinden sich darinnen zween Grane, so viel Wasser dadurch hinein zu lassen, als man nur will, welches ordentlich vier Fuß hoch stehet, und wenn man Lust hätte, könnte man wohl gar darinnen schwimmen. Ein jedes Bad hat ein geheimes Zimmer, worinnen man ein Kamin angebracht hat, die Wäsche und übrigen Sachen dabei zu wärmen; welches auch nötig ist, indem die dasige Luft viel frischer als die zu Schwalbach ist. Dieser einsame Ort führt etwas sehr Anmutiges bei sich. Es kostet jedes Mal, wenn man in das Bad geht, einen Reichs-Gulden, es können aber zwei oder drei sehr gemächlich zu gleicher Zeit darinnen sein. Die Damen nehmen ohne Bedenken ihre guten Freunde mit hinein, und erlauben ihnen, sich nebst ihnen zu baden, ohne zu befürchten, dass man sich darüber aufhalte. Der Platz des Bades beläuft sich auf 10 Fuß ins Gevierte; umher sind Stufen, sich darauf zu setzen, und man geht so tief ins Wasser als es einem beliebt, welches gewiss sehr bequemlich ist.
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Abb. 6: Barocke Darstellung Schlangenbads 1764 Das Gebiet vom Schlangenbade teilet die Maynzischen und Hessen-Casselschen Länder von einander, und ist unter diese beiden Herren geteilt. Meines Erachtens gehören die Bäder auf die Casselsche Seite. Der Hof, worin sie sich befinden, wird von einer Brustwehr geteilet, wobei sich Schildwachen von dieser beiden Fürsten Völker befinden, als welche ein besonderes Corpo daselbst zur Sicherheit der Fremden unterhalten. Die Casselschen Völker haben ihr Lager unter Zeltern an dem Eingange des Waldes, der auf dem landgräflichen Gebiete liegt, und wohin man spazieren geht. Das Wirtshaus stehet auf Churfürstlich Maynzischem Boden; man trifft gute Herberge und Schlafzimmer darinnen an, allein die dasigen Lebens-Mittel gehören mit unter die schlechtesten. Der verdammte Wirt, welcher dieses Haus in Pacht hat, schießt von Zeit zu Zeit ein wildes Tier, und so lange dieses währet, können sich seine Gäste nur darauf spitzen, dass sie kein anderes Fleisch zu essen bekommen. Während der Zeit, dass ich bei ihm war, kaufte er einen Hirsch, und wartete seinen Kundleuten eine ganze Woche lang damit auf. Er lässt sich für die Mahlzeit einen Gulden zahlen, und will durchaus nicht leiden, dass man sich nur das Geringste selbst zubereite, zumal da er in dem Hause nur einen einzigen Schornstein hat. Inzwischen hat man mich doch versichert, dass er sich ein wenig gebessert habe, und dass man gegenwärtig besser von ihm bewirtet werde. Er ist in Wahrheit nicht so sehr zu schelten, als die Maynzer Bedienten, die ihm dieses Haus verleihen. Sie sollten vielmehr zur eigenen Ehre des Churfürsten einen solchen Wirt aussuchen, der sich zu den Absichten dieses Fürstens besser schickte, und die Ehre ihres Herren und Gebieters einem geringen Nutzen vorziehen. 34
An diesem Orte machen die Maynzer Domherren das größte Wesen, und geben sich ein hohes Ansehen; unterweilen tun sie auch eine Spazierfahrt nach Schwalbach. Diese Herren sind auch nirgend lieber als da, woselbst sie an der Tafel gemeiniglich ihre Oberstelle einnehmen; es macht ihnen dieses auch zu Schlangenbad niemand streitig, gleichwohl hält man sich nicht weniger über diese lächerliche Eitelkeit auf. Man nennt dieses Bad das Schlangenbad, weil dessen Quelle ganz mit Schlangen angefüllet ist. Anbei versichert man, dass sie gar nicht giftig sind, und ich habe kleine Buben gesehen, die den ganzen Schoß damit angefüllet hatten, und sogar die Köpfe dieser Schlangen in ihren Mund steckten; allein vermutlich sind sie vorher so fürsichtig gewesen, und haben ihnen die Zähne ausgebrochen. Diese Schlangen sind viel länger als die Ottern, ihre Haut ist bläulich grau und nicht so schuppig. Man wird des Ansehens dieser kriechenden Tiere nicht leicht gewohnt, wenn man sie gleich des Öfteren in den Wald-Spaziergängen antrifft. Die Damen entsetzen sich gar nicht davor, und gehen zu allen Stunden in den Wald spazieren, woselbst sie die Bänke zum Niedersetzen und von Natur gewachsene grüne Hütten antreffen. Sie fürchten sich auch noch weniger vor einer andern Art von Stichen, die sie in dem Gehölze davontragen, weil sie wohl versichert sind, dass nicht die geringste Gefahr dabei vorhanden sei; und also lassen sie sich auch keineswegs angelegen sein, davor zu erschrecken. Die Jungfern sind schon etwas furchtsamer, allein sie fassen wieder einen Mut, weil sie wohl wissen, dass das Übel, so ihnen etwas widerfahren könnte, gar wohl wieder zu heilen sei. Außer der Kühlung an diesem Orte, wird man auch von dem Rauschen eines Baches ergötzet, welcher zu Ende des Waldes in einem Tal fließet, woselbst man sich, wenn man gern bei Seite gehen will, gar bald bedeckt und außer den Augen derjenigen befindet, die spazieren gehen. Im Übrigen ist man hier auch nicht gewohnt, jemand zu beunruhigen, und man wendet seine Augen keineswegs dazu an, dasjenige, was an der Seite der Spaziergänge vorgehet, in Augenschein zu nehmen. Gleichwie auch der Mondenschein, und die Schatten der Bäume öfters das Gesicht trügen, also ist es am besten, wenn man weiter auf nichts als seine eigne Handlungen Achtung gibt, damit man nicht in Gefahr laufe, jemanden zu verleumden, und falsch zu urteilen. Diese Einsamkeit ist von Natur sehr schön, und also hat sie mir nicht weniger unendlich wohl gefallen. Ich habe mir demnach alles so gut zu Nutz gemacht, als mir möglich gewesen ist. Die Frauens-Personen schienen mir durchgehends ziemlich vergnüget diesen Ort zu verlassen. Viele unter ihnen, die vormals unfruchtbar gewesen waren, haben hier das Glück 35
gehabt, ihren Männern Erben zu verschaffen. Ich kenne auch einige, welche von der wunderbaren Kraft dieser Wasser dergestalt überzeugt waren, dass sie, weil sie nicht selbst hinreisen konnten, ihre Männer ersuchten, an ihrer Stelle diese Reise zu unternehmen, und ihnen Wasser davon zum Trinken mitzubringen. Ob nun gleich der Mann das Bad allein braucht, so wird doch die Frau gleich nach seiner Rückkunft schwanger; welches deutsch zu sagen, sowohl für den Mann als für die Frau sehr bequem ist. […] Obgleich in Deutschland die Damen von gutem Stande ein zartes Herz haben, so sind sie doch nicht so beschaffen, wie der Herr de la Colonie seine Gebieterin abmalt. Das ist zwar wohl war, dass sie nicht so verschlagen und betrügerisch wie die Weibspersonen in vielen andern Ländern sind; allein außer der Schönheit, haben sie auch noch andere herrliche Eigenschaften; und wenn sie bei guter Laune sind, unterlassen sie nicht, erkenntlich und großmütig zu sein; überhaupt übertreffen sie, in Ansehung ihres Charakters oder Gemütsbeschaffenheit, die Mannspersonen von beiden Ständen und Würden, die in Deutschland sonderlich Figur machen. Personen, die weder eine starke Gesellschaft, noch gar zu lebhafte Ergötzlichkeiten lieben, lassen sich das Schwalbacher Wasser nach Schlangenbad bringen. Man kann es auch leicht haben, weil diese beiden Orte nur eine Meile voneinander liegen. Ein Bedienter, dem man trauen darf, kann es alle Morgen dort holen; allein auf den Mann muss man sich nicht verlassen, der es auf seinem Esel zuführet. Denn es ist sehr schlecht beschaffen, weil er es abends füllet, damit er des andern Morgens zu rechter Zeit damit dort anlanget. Dieses Wasser kann auch nicht gar zu weit geführet werden, wenn man die Krüge, worin es ist, sogleich zumacht. Man muss es vorher eine ziemliche Weile ausdünsten lassen, denn sonst springen die Krüge. Hier aber hat es nicht viel zu bedeuten, wenn man sie auch sogleich zustopft, weil sie nicht weiter als bis Schlangenbad geführet werden. […] Obgleich das Wasser im Schlangenbad gar keine fremde Materie bei sich zu führen scheinet, so ist es doch gewiss, dass viele Leute daselbst die Heilung ihrer alten Schwachheiten finden. Diese Bäder sind nicht nur ledigen Weibspersonen, die blasse Farbe haben, sondern auch neuen Eheleuten und alten Greisen zuträglich, als welchen dadurch in kurzem geholfen wird. Ich habe vornehme Kanonissinnen von hohen Stiftern in Deutschland gesehen, die sich mit gutem Fortgang dieser 36
Bäder bedienet haben; und hatten sie gleich keine blasse Farbe, so waren sie doch mit andern verdrießlichen Beschwerlichkeiten behaftet; sie verspürten viel Hitze auf der Brust, das Gesicht war mit großen Finnen ganz bedeckt, sie hatten Neigung zur Schwindsucht, und mit einem Wort solche Krankheiten, die Erfrischungen erforderten. Ein großer General über die Völker eines benachbarten Fürsten, ob er gleich schon ziemlich schwach und alt war, fand doch, sowohl als seine Frau Gemahlin, an diesem Ort eine große Erquickung. Damen, die sehr abgenommen, und durch die vielen Kindbette waren abgemergelt worden, haben sich daselbst vollkommen wieder erholet, und sind durch den Gebrauch dieser Bäder wieder fett, und zu ihrer vorigen Farbe gelanget. […] Im Schlangenbad ist ein öffentlicher Saal, wo man zusammen kommt, sich zu unterreden, und zu spielen. Ob auch gleich die Ergötzlichkeiten allda nicht so lebhaft, wie zu Schwalbach sind, so ist doch die Versammlung derjenigen Leute wegen zahlreich, welche von den mineralischen Wassern dahin kommen, sich entweder in den Bädern zu erfrischen, oder ihre guten Freunde zu besuchen. Man ladet sie mit an die Wirtstafel ein, oder wenn sie ja niemand einladet, so bezahlen sie ihre Zeche, nur damit sie der guten Gesellschaft mit genießen, welche den Schaden wieder ersetzet, den sie wegen der schlechten Mahlzeit, so sie daselbst zu sich nehmen, leiden müssen. Man kann an diesem Orte beinahe alles dasjenige zu sehen bekommen, was zu Schwalbach am merkwürdigsten ist; und die kleinen Kanäle, wodurch das Wasser in die Bäder läuft, geben zu allerhand Belustigungen Anlass. Allda befindet sich allezeit ein leeres Zimmer, woselbst die Damen, welche Wasser trinken, nach dem Bad ausruhen, und sich von der Bewegung wieder erholen können, die ihnen das starke Gehen und das Bad in ihrem Geblüte verursachet haben, wie nicht weniger auch durch einige Nahrung neue Kräfte zu erlangen; denn es gibt einige darunter, die so sehr zärtlich sind, dass sie der Gebrauch des Wassers und der Bäder ungemein schwächet, und die sich ihre Zeit mit Spielen, mit Tanzen und Spazierengehen aus der Ursache keineswegs vertreiben können. Es kann nicht fehlen, man muss es erfahren, wenn eine vornehme Person im Bad ankommt. Denn ein alter ausgedienter Soldat hat eine kleine Festung aufgeworfen, die den Einwohnern zu Lilliput, deren Gulliver und seiner Erzählung gedenket, gute Dienste leisten könnte; die Wälle herum sind mit Büchsen und kleinen Kanonen bepflanzt, welche er, wenn er ein Fuhrwerk oder einen Reiter auf dem Berge gewahr wird, von der Seite, wo er herkommt, los brennet. Diese 37
kleine Artillerie macht einen erstaunlichen Lärm mitten in den dabei gelegenen Hügeln, und durch Hilfe der vielen Echos, die sich von allen Seiten hören lassen. So bald man dieses Abfeuern gewahr wird, legt man sich in die Fenster, und wenn die Kutschen in den Hof gefahren sind, so betrachtet man diejenigen Personen, die heraus steigen. Sind es gute Freunde, so gehet man ihnen entgegen; sind es aber verdrießliche Leute, deren Gegenwart die Lustbarkeiten, zu denen man sich bereitet, stören könnte, so verfügt man sich geschwind in sein Zimmer. Solchergestalt leistet dieser ausgediente Soldat denjenigen, die sich des Bades bedienen, gute Dienste, und man bemühet sich ihm etwas weniges zusammen zu machen, womit ihm das Pulver, so er verschießet, bezahlet wird. Wenn diejenigen, die in das Bad reisen, nicht wollen sonderlich gesehen werden, so lassen sie ihre Fuhrwerke oben auf dem Berge stehen, und gehen zu Fuß durch Umwege bis in die Holz-Alleen, daselbst treffen sie nachgehends gleichsam als von ungefähr diejenigen Personen an, die sie suchen, und welche sich hierauf unter einem gewissen Vorwand von der großen Gesellschaft entfernen. Will man einander allein sprechen, so nimmt man die Zeit in Acht, wenn die Leute in den Bädern sind, oder des Abends bei dem Spazierengehen. Inzwischen gibt es in Deutschland überhaupt keine so verschlagenen und geheimnisvollen Zusammenkünfte, wozu große Vorsicht erfordert wird. Das sicherste ist, wenn man seinen Weg mit freiem Gesichte fortgehet. Denn weil die Deutschen von Natur weder rasend verliebt, noch eifersüchtig sind, so lauft man auch bei ihnen keineswegs in solche Gefahren wie in den Mittägigen Ländern, wenn man ein wenig auf die Loffeley gehet. Ich könnte wohl gar vor gewiss sagen, dass der Vorwürfe ungeachtet, welche die Deutschen ohne Unterlass den Franzosen, wegen der Leichtsinnigkeit, mit der sie die Buhlerei ihrer Weiber übersehen, zu machen pflegen, unter diesen Deutschen und zwar von dem ersten Range mehr als unter den Bürgerlichen zu finden sind, die ihr Unglück mit Geduld ertragen, wenn man es ihnen nur ein wenig ausredet. Wie mich denn auch der Vorwurf, den die deutschen Damen denen französischen aufrücken, dass sie nämlich in ihrer Höflichkeit gar zu weit gingen, gar nicht zu glauben hindert, dass diese Schönen ihrerseits es nicht einmal so weit bringen können, weil man sich wohl muss dazu zu stellen wissen. Wahr ist es auch, dass die Damen, wenn man etliche Höfe im Reiche ausnimmt, in Deutschland weniger Anfechtung unterworfen sind, und zwar wegen der wenigen Neigung, so die Manns-Personen zu der feinen Galanterie tragen. Solchergestalt befinden sich die Männer und die Weiber in mehr Sicherheit. 38
Nichts desto weniger habe ich doch deutsche Kavaliere fußfällig mit vieler Zärtlichkeit seufzen und den Damen schmeicheln sehen; doch tun sie es meistenteils auf eine solche Art, die einen auf die Gedanken bringt, es sei bei ihnen mehr auf eine Heirat, als einen verliebten Zeitvertreib abgesehen. Wie denn auch die regierenden Herren in Deutschland von Natur ziemlich dazu geneigt sind, denen Damen, sie mögen nun hintergangen worden sein oder nicht, wenn nur der Liebhaber in ihren Diensten stehet, eine erwünschte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Demnach muss sich ein jeder reisende Fremde, wenn er bei Witwen oder unverheirateten Weibs-Personen aus und eingehet, deren Stand dem seinigen ziemlich gleich kommt, wohl vorsehen. Ja es ist schon bei bürgerlichen Frauenzimmer von einem gewissen Range gefährlich, zumal wenn der Beichtvater des regierenden Herren ein Jesuit ist, und dieser ehrliche Pater dasselbe unter seinen Schutz nimmt. […] Die deutschen Damen gehen nicht gerne zum Spazier-Gang. Sie fürchten sich vor der Sonne oder dem allergeringsten West-Wind; damit wollen sie, deutsch zu sagen, ihre natürliche Faulheit bemänteln, indem sie sich nicht leicht weiter verfügen, als in den Spiel-Saal, und es kostet gewiss viele Mühe, wenn man sie noch bis in die Alleen bringen kann. Dieses sitzige Leben, das sie führen, und ihre Neigung zum Spiel, verursachen ohne Zweifel ihre Entzündungen, Verstopfungen, Kopf-Weh und andere Beschwerlichkeiten, die sie bei dem Gebrauch des Wassers empfinden. Da sie hingegen eine mittelmäßige Bewegung dafür bewahren würde. Es wird sie zwar dieses, was ich hier sage, niemals ändern, gleichwohl würden sie sehr weißlich tun, wenn sie sich meine Erinnerungen zu Nutz machten, die ihnen gewiss heilsam sein würden; wie sich denn diejenigen, die ihnen haben Folge leisten wollen, sich wohl dabei befunden haben. Die üblen Speisen, davon ich geredet habe, gehen nur die Wirtshäuser an. Denn dergleichen darf man sich nicht befürchten, wenn man sich an der Tafel des Fürsten von Nassau-Weilburg befindet; wo man sich hingegen durch Übermaß wieder vergehen kann. Dieser Herr lässt die saftigsten Gerichte auftragen. Nun stehet leicht zu urteilen, dass eine solche Nahrung vielen Brunnengästen gar wohl schaden könne, wenn sie der Versuchung, von so vielen herrlichen Sachen zu essen, nicht Widerstand leisten können. So gar bringt man auch frische Hering auf die Tafel, von denen die Weibs-Personen in Deutschland gar zu gerne naschen. Mit einem Wort, alles ist in diesem Hause im Überfluss zu haben. Dieser Fürst wird 39
es mir zu Gnaden halten, wenn es sein kann, wenn ich hier sage, dass seine Tafel nur noch auf eine solche Art möge versehen werden, die sich besser zu den Zustand derjenigen Personen schicke, die das Wasser trinken. Denn es ist wahr, dass es eben so viel Neugierige, die nur zur Lust nach Schwalbach reisen, als wahrhafte Wassertrinker allhier gibt. Gleichwohl könnten sich diese gefallen lassen, die Zeit ihres Daseins mit ordentlich zu leben.
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1754 Ein Soldat treibt Schabernack Aus: Lieutenants Bu**, Begebenheiten etlicher Soldaten, 1762 Begebenheiten des Lieutenants Bu**. Als ich etwa anderthalb Jahr bei meinem Herrn Grafen gewesen war, so musste er seiner Gesundheit wegen eine Bade- und Brunnenkur gebrauchen. Er reiste zu dem Ende im Julio des 1754. Jahres nach Schwalbach, um sich des dasigen, und des nicht weit davon gelegenen Brunnens im Schlangenbad zu bedienen. Es war eine artige Badegesellschaft vorhanden, und ich merkte gar bald, dass mein Herr Graf in eine gewisse anwesende Stiftsrätin äußerst verliebt war, und sie ebenfalls meinen Herrn nicht mit gleichgültigen Augen, vermutlich aus Liebe zu seinem Gelde, ansah. Ich aber hatte von Natur einen rechten Widerwillen gegen diese Dame gefasst, davon ich aber nicht den mindesten Grund angeben kann, und ich beobachtete, dass sie hinwiederum mich unter allen Bedienten am wenigsten auszustehen vermochte. Die Lustbarkeiten, die man an diesen anmutigen Orten haben, und mit wenigen Kosten daran Teil nehmen kann, die sorglose Vergnügsamkeit, die Aufhebung des Unterschieds des Standes, und tausend andere Sachen haben mir den Aufenthalt in diesen beiden Orten, besonders im Schlangenbad, zum schätzbarsten meines Lebens gemacht. Schlangenbad liegt auf der Grenze zwischen Mainz und Hessen, unweit Schwalbachs, von zwei ziemlichen Bergen umgeben. Das Wässerchen, das durch das Tal hinläuft, ist eigentlich die Grenzmarkung zwischen beiden Herrschaften. Das Bad selbst liegt noch auf dem hessischen Grund und Boden: Im Mainzischen hergegen ist ein unvergleichlich Haus aufgeführet, zur Bewirtung der Fremden: Wie denn 41
auch ein Arzt und eine Apotheke daselbst gehalten werden und letztere in den besten Umständen ist. Das mittelste Stock ist bloß für Personen vom Stande eingerichtet, und alles aufs Artigste möbliert. Ferner ist allda ein Ballhaus und Billard befindlich, da man für weniges Geld alle Lustbarkeiten genießen kann. Die vortrefflichsten Banden von Spielleuten ergötzen das Ohr alle Tage: Und die gesundesten und schmackhaftesten Essen bereitet ein billiger Speiser zu. Die Badezeit währet ordentlich nur eine halbe Stunde: Da man denn aufs Genaueste da sein muss, wie der Bademeister die halbe Stunde bestimmt hat. Wenn dann der Vorgänger schon fertig, so überreicht mir der Bademeister den Schlüssel zum Bad. Da gehe ich hinein, und schließe die Tür hinter mir zu. Inwendig ist nur ein Stuhl, ein Tischlein und etliche Haken an der Wand befindlich. In das Bad selbst steigt man auf etlichen Stufen hinab, und kann man sich aus zwo Röhren das Wasser herein lassen, warm oder kalt, wie man es haben will oder es der Arzt vorgeschrieben. Im Bad sowohl, als auch außer demselben an den Bergen, kriechen unschädliche Schlangen herum. Wenn nun die halbe Stunde verflossen, so kommt der Bademeister und pocht an; erinnert mich, dass ich sollte heraus kommen, um einem andern Platz zu machen.
Abb. 7: Die Lage Schlangenbads am Gebück 1748 Gemeiniglich trinken die Badegäste den Schwalbacher oder einen andern Gesundbrunnen zu dem Bade, und bedienen sich zur Bewegung des Körpers eines Spaziergangs auf einem nahen Berge, der mit kleinem Gehölz bewachsen, wodurch Gänge gehauen. 42
Oben auf diesem Berge wohnet ein Invalid, der oder dessen Vorfahren auf der eben gemachten Erde eine ordentliche Festung mit Bollwerken im Kleinen aufgeworfen haben. Auf den Wällen derselben sind kleine Kanonen gepflanzt, welche jederzeit, wenn Standespersonen ankommen, von dem Invaliden gelöst werden, der dafür ein willkürliches Trankgeld erhält. Die Aussicht nach dem vier Stunden davon gelegenen Mainz und auf den Rhein, dessen majestätischen Lauf man eine ziemliche Länge beobachten kann, ist unvergleichlich. Täglich kamen von Frankfurt und Mainz Kaufleute und andere Personen nach Schlangenbad und Schwalbach, um sich eine Veränderung daselbst zu machen, sie brachten auch wohl ihre ganzen Familien mit. Mein Herr Graf fuhr ebenfalls alle Morgen nach dem Schlangenbad, und öfters erst spät in der Nacht nach Schwalbach zurück. Und also hatte ich mit ihm schon drei Wochen mit dem größten Vergnügen und ohne die geringste Widerwärtigkeit zugebracht. Aber, wie lange erträgt der Mensch die guten Tage? Es ist eine untrügliche Wahrheit, wenn der Mensch keine Verdrießlichkeit hat, so bestrebt er sich ordentlich darnach, bis er solche bekommen, so ging es mir ebenfalls. Einstens, als mein Herr Briefe zu schreiben hatte, wie er vorgab, oder vielmehr, da die Frau Stiftsrätin einen Besuch bei ihm ablegte, so erlaubte er uns sämtlichen Bedienten, wir sollten uns eine Lustbarkeit machen, wie wir wollten, nur nicht ausschweifen. Wir gingen also sämtlich in den Keller, und trunken uns einen ziemlichen Rausch, denn dieser ist bei der Art Leuten, unter welchen ich mich damals befand, fast das einzige Vergnügen, nur schade, dass viele Herren so niederträchtig sind, und in dem Stück ihren Bedienten nacheifern, ja, sie gar oft übertreffen. Hierauf gingen wir an den Berg, den ich vorhin beschrieben, spazieren. Wir waren nicht weit hinan, so hörten wir den Schall von Waldhörnern, Geigen, und andern Instrumenten. Wir eilten demselben zu, und fanden auf einem ebenen Platz etliche Kaufleute aus Frankfurt und einen mainzischen Rat, die ebenfalls sich bisher des Bades bedienet, und ihre Weiber und Töchter zu sich hatten kommen lassen, und nun mit denselben sich eine Veränderung machten. Wir setzten uns nahe bei ihnen nieder, und sahen ihrem Tanz zu. Endlich aber wurde ich gewahr, dass die 43
eine Kaufmanns Tochter von ausnehmender Schönheit von einem alten abgelebten Kerl, der ebenfalls ein Kaufmann war, bedienet wurde. Der Verdruss hierüber sowohl, als dass wir schon so lange gesessen hatten, ohne dass jene uns an ihrer Lustbarkeit Teil zu nehmen angeboten, erweckte bei mir und meinen Spießgesellen, wie wir glaubten, einen gerechten Zorn. Weil uns also niemand bat, so kamen wir ungebeten in jene Gesellschaft, waren anfangs aber doch höflich, und ersuchten sie um Vergünstigung, ihrem Vergnügen beiwohnen zu dürfen. Es antwortete uns aber niemand weder mit Ja, noch mit Nein. Dies kränkte mich, ich ging also hin zu der Kaufmanns Tochter, und forderte sie mit einer Miene zum Tanz auf, die da anzeigte, wenn sie nicht gutwillig mit mir tanzen würde, dass es vielleicht verdrießliche Händel setzen dürfte. Sie war aber, wider Vermuten, so geneigt, und versagte mir den Tanz nicht. Wie ich den Reigen mit ihr vollendet hatte, so führte ich sie wieder an ihren Platz, und bedankte mich mit vieler Höflichkeit. Meine Kameraden, durch mein Beispiel ermuntert, wollten mir gleichfalls nachfolgen. Der Herr Rat aber stellte ihnen glimpflich vor, dass er und seine Freunde für sich die Musik bestellt hätten, und würden sie es uns nicht wehren können, wenn wir dergleichen täten, er hoffte aber, wir würden so artig sein, und ihnen ihren Spaß nicht verderben. Diese Vorstellung war so vernünftig und billig, dass wir uns in der Tat hätten schämen sollen, den ehrlichen Leuten weiter Verdruss zu machen. Meine Spießgesellen waren auch im Begriff wegzugehen. Ich aber, oder vielmehr der Wein, der aus mir redete, schrie: Wir bezahlen die Spielleute so gut, wie sie, und wäre hier ein öffentlicher Platz, was wir uns an solche Pfeffersäcke kehren wollten? Auf diese höchst unverständige ja närrische Rede gaben mir meine Mitbediente Beifall: Die Frankfurter aber heißen uns nach langen Wortwechsel Schuhputzer. Nun war dem Fass der Boden ausgestoßen, wir machten sogleich Anstalt, aus dem Gebüsch uns tüchtige Prügel zu schneiden, und die Kaufleute zu Paaren zu treiben. Diese hatten aber nicht für gut befunden, darauf zu warten, sondern entliefen in der größten Geschwindigkeit. Dieser von uns begangene Frevel war nicht nur unvernünftig, sondern auch wider die Badefreiheit und Sicherheit, und wir durften nur an eine ernstliche Bestrafung denken. Wir liefen aber dem ungeachtet, gleichsam als wenn wir eine herrliche Tat verrichtet, noch lange herum, die Arme in einander schlingend, so dass uns jedermann ausweichen musste. Immittelst hatten die 44
Kaufleute, nebst dem mainzischen Rat, an nichts als unsere Bestrafung gedacht: Der Rat hatte das rechte Fleckchen getroffen, nämlich durch die Stiftsrätin meinem Herrn Grafen die Sache, bloß zu ihrem Vorteil, der zwar in dem Fall allein auf ihrer Seite war, vortragen zu lassen, und darauf mündlich bei Tisch, (denn die Kaufleute speisten an eben dem Tisch) hinlängliche Genugtuung, besonders in Ansehung meiner, zu fordern. Es geschah, wie sie sich es ausgesonnen, und sie hatten noch den selbigen Tag Mittel gefunden, meinem Herrn durch die Frau Stiftsrätin, die ebenfalls der mainzische Rat liebte, unsere Aufführung zu hinterbringen, und mich hauptsächlich, wie ich es denn auch in der Tat war, als den Anstifter aller Meutereien anzugeben: Ich bekam auch den nämlichen Abend noch Nachricht davon, denn, wie mein Herr in die Kutsche stieg, um wieder nach Schwalbach zu fahren, so sagte er zu mir: Bu**, Bu**, ihr habt heute lose Händel angefangen, ich werde euch morgen dafür züchtigen lassen. Ich war darüber so betroffen, dass ich nicht ein Wort drauf antworten konnte; sondern ich machte den Schlag zu, und trat hinten auf. Noch war mir vom Wein der Kopf schwer, und ich hielte mirs für eine unerträgliche Schande, wegen dieses Vorfalls vielleicht öffentlich gezüchtigt zu werden: An meinen wenigen Sachen war mir nichts gelegen, und meine Eigenliebe schmeichelte mir, dass ich mit meinen Vorzügen überall unterkommen würde: Dieses alles zusammen genommen erregte in mir den Entschluss, meinen Herrn Grafen heimlich zu verlassen und andere Dienste zu suchen. Kaum hatte sich der Vorsatz bei mir entwickelt, so sprang ich auch wirklich von der Kutsche ab, und ging ins Schlangenbad zurück, wo ich mich noch lange mit Tanzen vergnügte. Ich machte kein Geheimnis draus, dass ich von meinem Herrn gehen wollte: Es waren aber etliche Personen allda, welche es gut mit mir meinten, die versicherten mich, die ganze Bestrafung würde erwan in einem vier und zwanzig stündigen Gefängnis bestehen, die der Zehnte nicht erführe: Hingegen würde ich ohne Abschied wohl schwerlich bei anderer Herrschaft fortkommen. Ich sah bei völliger Vernunft die Wahrheit dieses guten Rates ein, und bedachte noch ferner, dass die Schande, ohne Abschied von einem Herrn zu gehen, viel grösser wäre, als eine wohlverdiente Züchtigung zu erdulden: Und hielt daher fürs 45
ratsamste, wieder zu meinem Herrn zurück zu kehren, und noch in der Nacht wanderte ich wieder nach Schwalbach, in der Hoffnung, dass mein Herr mich nicht würde vermisst haben. Auf allen Fall aber fiel mir die List ein, mich lahm zu stellen, als wäre ich unversehens von der Kutsche gefallen, und hätte mir den Fuß verrenket. Aber meine Hoffnung hatte mich betrogen: Denn sobald der Graf ausgestiegen, so hatte er nach mir gefragt, und hatte mich mit einem gelinden Verweis durchwischen lassen wollen. Wie ich aber nicht vorhanden gewesen, so war er in eine große Hitze geraten, und hatte gemutmaßt, ich würde ihm durchgehen, aber zuvor den Kaufleuten einen Possen spielen. Wie er aber gehört, dass ich nach Hause gekommen, und zwar lahm, auch vorgäbe, dass ich unversehens im Rausch von dem Wagen gefallen, einen Fuß verrenkt, und darauf mich nach Schlangenbad zum dortigen Barbier, und von da nach Schwalbach tragen lassen; so hatte sich sein Zorn ziemlich gelegt. Des andern Morgens durfte ich ihn nicht anziehen, und er ließ mir sagen, dass ich auf dem Kutschersitz mit nach Schlangenbad fahren sollte. Ich befolgte auch seinen Befehl. Bei der Mahlzeit hatten der mainzische Rat und die Kaufleute den gestrigen Vorfall abermals bei meinem Herrn angebracht, und um hinlängliche Genugtuung gebeten. Der Herr Graf ließ mich also gleich rufen, und da ich erschienen, so verwies er mir und den andern Bedienten, die dabei gewesen waren, unsere unvernünftige Aufführung und den Missbrauch seiner Gütigkeit sehr, und setzte endlich zu unserer Strafe, dass ich zwei Tag und Nacht, die andern aber nur vier und zwanzig Stunden, in der kaiserlichen Wacht zubringen sollten, und mir befahl er, dass ich mich sogleich dahin begeben sollte. Ich leistete ihm Gehorsam, und verfügte mich zu dem Offizier, dem ich den ganzen Handel erzählte: Er wusste aber bereits davon, und auch um meine und meiner Spießgesellen Strafe. Es war dieser Offizier ein recht artiger und vernünftiger Mann, der mir meine Zeit, soviel an ihm war, zu verkürzen suchte. Des andern Tags abends bat ich ihn, ob er mir nicht erlauben wollte, dass ich in fremden Kleidern ausginge, da ich ja nicht auf den Tod säße: Ich würde mich unfehlbar wieder einfinden. Er war so nachsehend, dass er es mir gestattete, mich aber warnte, mich nicht zu erkennen zu geben. Ich ging also heraus, und wieder an den oben beschriebenen Berg; in der Meinung, etwa den maynzischen Rat oder einen der Kaufleute anzutreffen, und meine Rache an ihnen zu fühlen: Es kann auch sein, dass sich ein oder der andere allda befunden hat, allein wegen gar zu dicker Finsternis konnte ich fast niemanden unterscheiden. Schon gab ich alle 46
Hoffnung auf, jemanden von meinen Widersachern, die mir in der Tat nichts getan, anzutreffen, als mir die charmante Frau Stiftsrätin aufstieß: Ich kannte sie von weiten an ihrer weißen Tracht und albernen Gang. Und schnitt daher etliche dünne Ruten ab, und, wie ich an sie kam, und merkte, dass sie allein wäre, so warf ich sie mit einem mal um, und, ehe sie sich noch besinnen konnte, hob ich ihr die Röcke auf und peitschte sie mit meinen Ruten kräftig. Sie fing erbärmlich an zu schreien, ich sprang aber durch das Gebüsche quer durch, bis ich auf einen andern Weg kam, da ich denn ganz bedächtlich und vergnügt wieder in meine Wachtstube kehrte. Der Offizier wollte wissen, warum ich so lustig wäre: Ich hingegen hielte nicht für ratsam, es ihm zu offenbaren, sondern bat ihn nur und die Soldaten, nebst Preisgebung etlicher Kannen Wein, es zu verschweigen, dass ich nicht in der Wache geblieben. Tags darauf, als ich von meiner Gefangenschaft wieder befreit war, so hörte ich hin und wieder von den Streichen, so die Frau Stiftsrätin bekommen, reden, denn sie hatte die Einfalt begangen, es jedermann zu erzählen, der es nur wissen wollte, niemand aber hatte den geringsten Verdacht auf mich. Bald drauf reiste mein Herr Graf wieder nach Frankfurt zurück, ohne dass mir bis dahin, oder daselbst in langer Zeit etwas Merkwürdiges zugestoßen wäre. Als ich aber einstmals in einer Komödie die Kaufmanns Tochter, mit welcher ich zum Schlangenbad getanzt hatte, ansichtig wurde. So ging ich dreiste hin zu ihr, und da ich merkte, dass sie mich verkennte, so bat ich um Erlaubnis, mich zu ihr setzen zu dürfen, welches sie mir auch nicht abschlug, vielmehr mir Erfrischungen anbot, die ich mir wohl schmecken ließe. Noch nicht genug, ich führte sie aus der Komödie bis an ihre Kutsche, würde mich auch nicht entblödet haben, mit ihr bis nach ihrem Hause zu fahren, wenn mein Herr Graf im Einsteigen mich nicht gerufen hätte. Doch fasste ich mich gleich, und sagte zu meiner Schönen: Mamsell, dort wartet ein Bekannter (auf meinen Herrn weisend) auf mich, ich bedaure, dass ich der Ehre ihrer Gegenwart beraubt sein muss, und dankte für erzeigte Höflichkeiten: Drauf fuhr sie ihrer Wege. 47
Als ich dieses meinem Herrn erzählte, so musste er über meine Verwegenheit lachen, warnte mich aber, ich sollte mich in Acht nehmen, denn, wenn es ihr Vater erführe, so möchte er vielleicht den seiner Tochter angetanen Schimpf an mir empfindlich rächen. Dass mich aber des Kaufmanns Tochter verkennt, und etwa für etwas Großes angesehen haben mochte, davon war die Ursache, dass ich eben damals neue Livree bekommen, die gar nicht als eine Livree aussah, und im übrigen hielt ich mich auch reinlich. Der Kaufmann aber musste dennoch, ich weiß nicht von wem oder wodurch, erfahren haben, dass ich seine Tochter also angeführet, denn etliche Monate drauf, als ich einstens spät nach Hause gehen wollte, überfielen mich in einer engen Gasse drei Kerls, und prügelten mich ohne Wortwechsel ziemlich ab. Ich ergriff zwar meinen Hirschfänger, und hieb grimmig um mich, ich musste auch entweder damit getroffen haben, denn es war ziemlich blutig, oder es war Blut von meinem eigenen Kopf darauf gelaufen. Ich würde mich aber ihrer dennoch nicht haben erwehren können, wenn nicht die Scharwache herbei gekommen wäre, und sie vertrieben hätte. Im Ausreißen sagte einer von den Spitzbuben zu mir: Monsieur, das war für die Jungfer ***! Ich nahm also meine Prügel und blutigen Kopf mit mir nach Hause, und hielt mich fernerhin ganz eingezogen, bis ich bald darauf mit dem Herrn Grafen auf seine Güter reiste, und allen Nachstellungen entging. Doch konnte ich nicht unterlassen, des Nachts vor unsrer Abreise dem Kaufmann durch ein bequemes Mittel alle Fenster einzuwerfen.
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1775 Jene blau und diese rot Aus: Johann Friedrich Karl Grimm: Bemerkungen eines Reisenden durch Deutschland … in Briefen an seine Freunde, 1775 Man kommt dann an einer Mühle vorbei und gleich darauf nach Schlangenbad. Unter diesem Orte dürfen Sie sich aber, mein lieber F…e, weder eine Stadt, noch eine Festung, noch ein Dorf vorstellen. Schlangenbad begreift weiter nichts unter sich, als die Badegebäude, und dazu gehören Wohnungen, ferner ein paar Mühlen und einige Häuser, deren Bewohner sich von der Wirtschaft nähren oder Taglöhner sind. Der ganze Ort liegt in einem abschüssigen Winkel, der keine sechs Minuten lang und etwa anderthalb bis zweihundert Schritte breit ist. Alle an der Südseite des Tals befindlichen Gebäude gehören nach Maynz, und die an der Nordseite nach Hessenkassel. Jene sind zum Unterschiede blau, und diese rot angestrichen. In dem Letztern allein sind die eigentlichen Badequellen und Badestuben. Wer also auf der maynzer Seite wohnt, muss sich, wenn er sie brauchen will, herüber begeben. Das letztere Haus ist ein großes und reinliches Gebäude mit Zimmern und Hausgerät für Fremde, die sich bei dem Hausvoigte melden müssen. Das Hessische Haus ist beinahe auf die nämliche Art eingerichtet, und weicht nur um der Bäder willen ab. Die Letztern befinden sich in kleinen gewölbten Zimmern, und laufen längst der Nordseite einer Galerie hin, die unten durchs Haus geht, und auf der andern Seite kleine gut ausgeputzte Zimmer hat, die zu den Bädern gehören. Die Letztern sind wie gewöhnlich viereckige Behältnisse etliche Tritte tief im Boden und nur das Landgräfliche ist mit schwarzem Marmor ausgesetzt. An dem obern und westlichen Ende der Galerie springt das Schlangenbader Wasser aus einer messingen Röhre etwas mehr als Daumensdick in ein schwarz marmornes Becken. Aber die eigentlichen Quellen, woraus diese Röhre ihren Zugang hat, befinden sich hinter den Bädern in einem kleinen Hofe, den eine Felsenwand einschließt. Das Wasser tritt am Fuße desselben, besonders an der Abendseite heraus, in ein zum Teil in ihn hinein getriebenes verschlossenes Gewölbe. 49
Nirgends spürt man die Wärme der aus dem Steine sickernden Quelle mehr, als in dieser Kammer, wenn man die Türe öffnet; denn man wird sogleich von einem warmen Dunste umgeben. Aber die Wärme des Wassers ist so geringe, dass sie nicht zweiundsechzig Grade des Fahrenheitschen Thermometers betragen kann. Auch werden alle Bäder über dem Feuer warm gemacht, und daher kommt ihre Teuerung, nämlich jedes einen Gulden. Ich habe das Wasser aus der Röhre hundertmal versucht. Es schmeckt einmal wie das andermal höchst einfach, ein wenig weich, wie Wasser, das über Nacht gestanden hat, und mir ekelhaft, weil es lau und nicht erfrischend ist. Es hat nicht den geringsten Geruch, und die kleinen darinnen auffahrenden Bläschen sehen so wie in gemeinem warmen Wasser aus. […] Das Äußere bei diesen Bädern ist desto schöner; neben dem Hessischen Hause sind ein großer Ballsaal, Speisezimmer, Spielzimmer, und so weiter, die zwar alle leicht gebaut, aber doch bequem genug sind, so, dass man sogar aus dem Maynzer Hause durch Galerien herüber kommen kann. An diese Gebäude stoßen die schönsten kleinen Gärten mit Hütten, zugezogenen Gängen, Alleen, die sich zusammen nebeneinander hin, auf viertehalb hundert Schritte, in dem Winkel, vor dem die Gebäude liegen, nach dem Walde aufwärts zu ziehen, und meistens aus geschnittenen Hecken von Hainbuchen bestehen. Man kann also hier, wie man will, in einem Blumengarten, in einer bedeckten Allee, in einem Walde, in der Ebene, an Anhöhen, an einem Bache, zwischen Hecken, im Freien und im Schatten spazieren gehen, ohne dass man sich wegen Entlegenheit der Orte nur im Mindesten ermüden dürfte, weil alles dichte aneinander stößt. Gute Bewirtung muss man aber nirgends, als im Maynzischen und Hessischen Hause suchen. Auch sind es mehrenteils nur Leute vom Stande, die hierher kommen, und sich Wasser zum Trinken von Langen Schwalbach bringen lassen. Es gibt Leute hier, die beständig einige Ottern lebendig aufbehalten, und sie den Fremden als etwas dem Orte Eignes zeigen und überlassen.
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1777 Romantische Schwärmereien aus der Sturm und Drang Zeit Aus: Waldemar von Budberg, Beschreibung eines Aufenthalts im Schlangenbade, 1777 Der ganze Weg, der sich durch ein tiefes einsames und schattiges Tal geschlängelt, und der Pfad zu einer der verstecktesten Einsiedeleien zu sein scheint, prallt nun plötzlich auf einen Haufen von kostbaren Gebäuden und künstlich angelegten Spaziergängen an: Auch ohne das sanfte Gemürmel, welches unaufhörlich und von allen Seiten durch kleine Wasserfälle und Springbrunnen erregt wird, würde hier einem jeden, der mehr Einbildungskraft und Empfindsamkeit wie sein Pferd hat, die Vorstellung eines bezauberten Palasts durch den Sinn fahren müssen. Wo man sich hinwendet, ist ein Gegenstand, der die Neugierde und den Reiz zum Vergnügen lockt: Der müdeste Wanderer wird hier durch immer neue Befriedigung und immer neues Verlangen, ungestört durch die Mattigkeit seiner Glieder, von einem Schoß des Vergnügens zum andern fortgerollt. Verdeckte Gänge, geräumige Säle, lange mit Zimmern besetzte Hallen, wechseln labyrinthisch mit grünen schattigen Lauben, Hecken, Grasstücken, und Fruchtgärten ab. Rund umher sind hoch aufgewälzte Berge, teils mit grünen beschattenden Bäumen, teils mit fürchterlichen, mit Moos bedeckten hervorstehenden Felsenspitzen bedeckt. Unzählige lockende Fußsteige führen unvermutet zu immer neuen und veränderten Gegenständen; bald auf eine raue ganz abgelegene Klippe, von der man plötzlich in eine weite herrliche Aussicht dringt; von wo man den Blick bis an die äußersten Grenzen der Möglichkeit ausstrecken und ihn auf viele Meilen weit herumschweifen kann; dann kömmt man wieder auf stille einsamere Szenen, voll ländlicher ungekünstelter Einfalt – jene kleine blumigte Wiese, vom dämmernden Gesträuche umgrenzt, vom murmelnden Flüsschen schlangenförmig durchrieselt, ist ein recht warmes 51
gefühlvolles Gemälde – hinter meinem Rücken türmt sich ein drohender Fels, dessen Fußgestell mir einen erquickenden Sitz vergönnt, und über ihm her verbreitet ein Wald von hundertjährigen Eichen den entscheidenden Schatten auf die liebliche Landschaft. Welche Stille scheint dort oben zu herrschen? Kein Geräusch – außer dem harmonischen Schall von liebesfrohen unbekümmerten Geschöpfen – ich muss hinauf – die süße Erwartung ebnet mir die raue beschwerliche Höhe. – O wie wohl ist mir, ins Tal hinunter und in die duftenden Gewölbe des Waldes, zugleich mein gegenwärtiges – und mein vergangenes Vergnügen mit wahrer Entzückung fühlen zu können. – O du sanfte heilige Stille! Anmutiger – von Geräusch und der Torheit der Welt entlegener Wälder – du kannst wahre ungezwungene Begeisterung in die Seele gießen – zauberisch setzest du mich jetzt in den Kreis aller meiner Freunde und Liebsten auf der Welt, – ich glaube sie alle um mich her in eben dem weichen Schoße des Vergnügens liegen zu sehen. – Denn nichts zerreißt jetzt die Kette der Gedanken, die meine Seele sehnsuchtsvoll nach ihnen ausspannt – meine Einbildungskraft taumelt hier ungestört in ihrer wonnevollen Berauschung, und macht mich, durch ihre beseligenden Gaukeleien, zu dem glücklichsten der Menschen. Wir kamen hier zu einer Zeit an, in welcher alle diese Schönheiten, dieser reiche Stoff zu erfreulichem Genuss noch wie im Chaos lag – mein Freund und ich, wir waren die ersten, und konnten also ungehindert Besitz von all dieser Herrlichkeit nehmen – auch machten wir es wie Anton auf seiner Insel Fernandes, wir gingen immer auf neue Entdeckungen aus, verfolgten jeden Fußsteig, er mochte herauf oder hinab gehen, – erstiegen unermüdet die beschwerlichsten Felsen, von welchen dieser Ort allenthalben umgeben ist, und fanden auf jeder Anhöhe eine ergötzende Belohnung für unsere Mühe, in einer fröhlichen Aussicht oder in einem erquickenden Ruheplatz; so rauschten uns die ersten zwei Wochen unvermerkt und sanft dahin, ohne dass wir in diesem Zeitraume eine Lücke gefunden hatten, die uns mit einer Aussicht in das öde Feld der verdrießlichen Langeweile geschreckt hätte. – Das Wetter war immer schlecht und nass, obgleich der Herr Burggraf *** uns bei der Ehre seines Barometers mit jedem Abend versicherte, dass wir am kommenden Tage gut Wetter haben würden. Aber es ging dem guten Herrn damit wie mit seiner Politik, denn seine Nachrichten von Boston waren eben so lügenhaft wie sein Wetterglas. – Doch der Regen störte unser Vergnügen nicht – denn wenn er uns gleich die anmutigen Gänge im Grünen versperrte, so blieb uns noch eine heitere lange Galerie übrig, 52
an deren Ende ein Billard war, welches uns so lange beschäftigte, bis wir uns nach Ruhe sehnten, die uns ein Buch oder mein Pinsel zur neuen Erquickung darbot. Am Ende dieser ganz einsamen aber recht vergnügten Zeit kam ein Graf v. Callenberg auch hier an. Nun sind wir drei gegen einen, sagte ich zu meinem Freunde, dem die Einförmigkeit dieses stillen Lebens nicht völlig so wie mir zu behagen schien; und da sich die Bekanntschaften nirgends leichter und geschwinder, als auf wüsten Inseln und in Bädern, zusammen spinnen, so waren wir auch schon nach dem ersten Mittagessen so bekannt miteinander, als wenn wir ein Jahr lang zusammen auf einer Galeerenbank gerudert hätten. Der Graf war ein liebenswürdiger Mann, von gleichem Alter mit uns, und in seinem Geschmack sehr einstimmend mit dem unsrigen; er hatte Belesenheit, Erfahrung, Reisen und Kenntnisse: liebte die Künste, das Leben und den Scherz – auch dieses ist Zauberei, dachte ich – die guttätige Fee hätte uns nichts Besseres zuschicken können – denn so geradezu – ohne auf Maß und Gewicht genau zu sehen, eine süße ruhige Einsamkeit gegen etwas zu vertauschen, was seinen höheren Titel als ein lebendes Geschöpf hat, das ist ein Handel, auf den ein Blinder sich kaum einlässt. – Wie wäre uns zu Mute gewesen, wenn das Schicksal uns, anstatt diesen liebenswürdigen Gefährten, einen von denen schweren Klötzen in unser Paradies gewälzt hätte, mit denen die Natur so lange tändelt, und mehr schlafend wie wachend zu spielen scheint, bis sie endlich, durch vieles Schleifen und Hobeln, die Gestalt des Menschen bekommen. Doch nun war das Orchester zu unser aller Vergnügen so gut besetzt, wie es für unsere Liebhaberei nötig war. Zum wenigsten war zu hoffen, dass wir vor Verlauf von 8 Tagen uns es nicht würden gelüsten lassen, in das unerschöpfliche Glücksrad der Wünsche zu greifen, und nach mehrerer Gesellschaft zu seufzen. Nun wurden die schönen Gegenden, die durch unvermutete neue Entdeckungen immer schöner und uns lieber wurden, aus drei Paar empfindsamen Augen angeschaut, und also in jedem dreifach genossen. […] Täglich suchten und fanden wir neue Spaziergänge, zwar alle durch die steilen Felsen etwas beschwerlich, aber bei jedem was Neues und Unerwartetes, welches uns die Mühe vergessen lies, bei welcher mancher von uns sein ganzes Alphabet von Flüchen ausgeschüttet hatte – wenn es denn wieder Berg ab ging – nun das weiß ein jeder, der die vielen Beschwerlichkeiten und Scherereien des Lebens überschritten hat, um oft am Ende nichts wie ein kleines Schattenbild von 53
Glück im Vorbeigehen zu umarmen – ach! wie einem da wohl zu Mute gewesen ist! Insonderheit wenn nach der mühseligen Wallfahrt einem im Tal ein ruhig Stück Brot und frischer Trunk entgegen lacht. Unser Weg ging immer von dem Spaziergange gerade in den Speisesaal, wo wir unter ungezwungenem vertraulichem Gespräch das Abendbrot im Lehnstuhl erwarteten. – Obgleich die Stunden fast alle gleich schnell zu ihrem Ende hinrollten, so war doch der Morgen derjenige Teil des Tages, der uns am geschwindesten entschlüpfte, – von fünfen fingen wir ihn an zu nützen; der erste Gang zur Quelle war auch zugleich das Losungszeichen einer unaufhörlichen Bewegung; bis neun wurde der längste Umweg zum Brunnen, der durch einen schattigen Bogengang führte, mit einer Partie Billard nach der andern abgewechselt; alsdenn ward eine Stunde dem Chocolat, der Ruhe und der Lektüre geweiht, und denn von 10 bis 11 ins Bad, so dass nur eine Stunde übrig blieb, um sich vom Baden zu erholen, und sich anzukleiden. Harmonisch und ununterbrochen ging diese stille Musik unter uns dreien so abgemessen fort, dass kein Tonkünstler von dieser Art Symphonien einen Takt hätte zusetzen, noch wegstreichen können, – als auf einmal unser Graf, mit dem wir recht vertraut waren, seiner Gesundheit wegen dieses Bad gegen das Emser vertauschen musste: Obgleich mir diese Einsamkeit, in der wir beide nun wieder unsere erste Lebensart von vorne anfangen sollten, nicht als die schreckliche Aussicht in ein Gefängnis ansah, so war uns doch bei dieser Scheidung ohngefehr so zu Mute, wie es zween Freunden in der Gefangenschaft sein muss, wenn sie den dritten entweder durch einen Pardon, oder gar durch ein Todesurteil von sich gerissen sehen; es ist immer Schmerz, ein paar Oktaven höher oder niedriger, nachdem der Affekt des Herzens oder die Umstände die Komposition beseelen. – Doch den Tag vorher, ehe unser liebenswürdiger Gefährte von uns ging, hatten wir noch eine angenehme Abwechslung. Ein Domherr aus Maynz, der dem Anschein nach auf Abenteuer ins Land gezogen war, kam in Gesellschaft zweier alten Weiber und eines jungen muntern Mädchens hier an: Wir speisten zusammen, und das Mädchen, welches das interessanteste Ding von diesem ganzen Gepäcke war, schlug nach Tische vor, eine Partie vingt et un zu spielen: Nun kam doch etwas aus dem fleischigen Domherrn – waren es nicht glänzende Einfälle, so waren es doch schöne glänzende Taler, weil er in der Liebe, wie es schien, glücklicher war wie wir, so wollte es ihm mit dem Glücke im Spiel nicht so gut gehen, und er zog endlich, 20 Konventionstaler weniger am Wert, mit seinem Dreiblatt wieder davon. […] 54
Indessen rückten schon mehrere Hilfstruppen gegen die Langeweile an, wovon uns aber die meisten in diesem Kriege so unnütz waren, wie ein Husarenregiment gegen eine Flotte. Ein gewisser Graf S…n erschien mit allem Prunk eines theatralischen Fürsten, in Gesellschaft seiner Familie; er verschanzte sich aber gleich hinter so viele Außenwerke von standesmäßiger Unfreundlichkeit, dass an keine Kommunikation seines Lagers mit dem unsrigen zu denken war. Nach dieser Lufterscheinung rückte auch eine Gräfin B…ni an, die zwar etwas mitteilender, aber auch in so abgemessenen Portionen, war, dass wir Mühe hatten, uns darein zu teilen, und uns fast gezwungen sahen, darum zu würfeln, wem das ganze Teilchen ihrer Gnade zufallen sollte. Ein Geheimer Legationsrat N. aus Frankfurt, ein Appellationsrat aus Cassel und ein alter französischer Offizier, der alle Staaten von Europa schon durch seinen Arm verteidigt hatte, und nun endlich denen vier Kartenkönigen auf einmal diente, waren noch unsre beste und treueste Gesellschaft; wir waren Tischgesellen, plauderten vergnügt und machten dazwischen ein kleines Spiel. Indessen kamen drei Kutschen aus Ems mit einer Gesellschaft an, die das völlige Ansehen einer Bande joieuse [lebensfrohe Gruppe] hatte; es waren darunter sechs junge Gräfinnen, die sich in diesem Luftsprung durch die Welt nicht so sehr, wie der Graf S…, nach der Schleppe des gräflichen Mantels umzusehen schienen. An diesem Tage glänzte unser Schlangenbad von der Politur und jenem festlichen Ansehen, von welchem man uns so viel Schönes vorgerühmt hatte. – Allein, der Vorhang sank bald über diese Freudenszene! und wir blieben wieder die einzigen Schauspieler auf dieser weiten Bühne. – Torheit, dachte ich, indem ich mit betrübtem Blick diese muntere Schar wieder abziehen sah, – Torheit ist es, sich durch Vorstellungen von zukünftigen Übeln, seinen gegenwärtigen Anteil am Glück zu vermindern! War nicht vielmehr in diesem fröhlichen Geräusch ein Zwang und eine so nachdrücklich fordernde Notwendigkeit, belustiget zu werden, und belustiget zu sein, mit in alle Fäden von Freude eingewebt, dass dir oft ein Wunsch nach Freiheit und gemächlichem Leben, als Aufrührer in diesem Genuss, aufstieg? – Nein, es ist kein Glück der kurzen Dauer des Lebens mehr angemessen, als Ruhe und Freiheit! – Und nun stürzte ich mich in den einsamsten Gang – um den Beweis und die Wirkung mehr zu bekräftigen und zu fühlen. Allein, der Mensch muss von allem etwas genießen. – Nichts ist schädlicher als das Übermaß! Unsere Maschine will durch mehr als eine Schwungfeder in Bewegung erhalten werden. Ruhe und Geräusch sind zwei Häfen, in wel55
che der Glückliche wechselweise einlaufen muss, um sein Glück immer neu zu fühlen – und die Seele in gutem Appetit zu erhalten; ohngeachtet dessen, was mein Hang zur Einsamkeit, zu den Musen und Künsten für mich tat, fühlte ich doch wieder einen Trieb zum geselligen Leben, und freute mich nicht wenig, als endlich die Frau von B…sen und ihre Fräulein Tochter aus Frankfurt hier anlangten. Schon lange war ihr guter Ruf ihnen zuvor gekommen, und niemals habe ich Vorstellung und Wirklichkeit so übereinstimmend gefunden. – Zu gleicher Zeit kamen auch einige Domherren aus Frankfurt, ein alter Herr aus der Pfalz mit einer sehr hübschen Tochter, und ein paar Herren aus Straßburg hier an; die Begleitungen einiger Herren und Damen aus Maynz machten diese Tage noch feierlicher für uns; fast zum ersten mal sahen wir den Saal und die Galerien mit etwas anders als mit unsern eignen Figuren besetzt. Verschiedene Krämer hatten sich auch schon eingefunden, so dass Gewühl und Bewegung in diesen Haufen zu herrschen anfing. Der stolze Graf sogar hatte sich seine höchste Stelzen reichen lassen, und senkte sich, nebst seiner Gemahlin, auch bis zu uns herab, aber immer mit dem steifen Amtsgesichte, welches der Stolz erfunden hat, um es wie ein Vergrößerungsglas über kleine Verdienste zu halten. – Ich fand mich jetzt durch die Bekanntschaft zwei der liebenswürdigsten Personen so glücklich und zufrieden, dass ich den übrigen Schwarm nur als ein Spielwerk für meine Augen und Ohren ansah, und mich um keine andere Bekanntschaft bemühte. Mein Leben kam nunmehr in einen so regelmäßigen und vergnügten Gang, dass es mir ganz sorgenlos vorbei strich. Zufrieden mit dem kleinen Zirkel, in dem ich lebte, hatte ich nicht die für mich so beschwerliche Mühe, neue Bekanntschaft zu suchen. Um mich noch mehr von dem glücklichen Genuss meiner Ruhe und Freiheit zu überzeugen, ging ich einige Mal nach Schwalbach. – Dieses Bad liegt zwo Stunden vom Schlangenbade, eben wie dies in einem tiefen Grunde von Felsen, aber lange nicht anmutig, nicht so im Schoße der ungekünstelten Natur: Es ist ein Städtchen wie Wiesbaden, voller Wirtshäuser. Das Spiel wird hier bis zum Ekel getrieben, und es ist rauschendes Gewühl von Menschen jeder Gattung, was man bei dergleichen Gelegenheiten hat, ist, zu sehen, wie sich ein jeder dabei anstellt, und mit welcher Zufriedenheit nur darum allein schon zu genießen glauben, weil sie auf eben dem Pfade gehen, auf welchem sie einige andere mit fröhlichen Gesichtern laufen sehen. Ein schöner schattiger Gang, der zum Brunnen führt, ist das beste Stück dieses Orts: Verschiedene große Säle, worin sich Gesellschaften versam56
meln, sind zwar geräumig genug, aber, sie haben nichts von dem Anständigen und dem Erfreulichen der Schlangenbads-Galerie. […] Unendlich süß war es mir, aus diesem Geräusch wieder in meine Ruhe nach Schlangenbad zurück zu kehren; ich hatte hier Personen, für welche mein Herz Freundschaft und wahre Hochachtung gefasst hatte, und die mir, nebst Kunst und Musen, hinlänglich waren, das noch übrige Leere meiner Seele gefällig zu füllen, und mich durch sanfte stille Freude von dem Gram abzuleiten, den die Entfernung von meiner Sophie mir bei jedem Genuss fühlen ließ. Vier Wochen schlichen uns auf diese anmutige Art vorbei; etliche Damen und Elegants aus Maynz und Schwalbach kamen zuweilen dazwischen, um wie ein Blitz die ruhige Luft, die uns umgab, zu trennen und wirklich gab dieses oft unserer Freude einen neuen Schwung. Doch, wie alles in der Welt endlich bergab geht, nachdem es lange und mit Mühe bergan getrieben worden, so verschwand auch endlich die Freude allmählich von diesem ruhigen Winkel der Erde, wo sie mir in einer so angenehmen, ungekünstelten Gestalt erschienen war, und mich angelächelt hatte. – Alles verließ nun plötzlich diesen Ort, um sich aus dieser Stille ins Geräusch der Frankfurter Messe zu stürzen; und als endlich eine Stütze nach der andern auswich, verloren wir auch den Mut, ganz alleine gegen die fürchterlichen Vorstellungen der Langeweile Stich zu halten, und wir verließen auch endlich, aber ganz zuletzt, diesen Ort, wo mir, um recht glücklich zu sein, nichts als meine Sophie fehlte. Wenn ich meinem Geiste erlaubte, diesem Mangel ganz nachzudenken, so verschwanden alle Reize dieses Paradieses vor meinen Augen; ich empfand, dass mir alles fehlte, und sah starr und gefühllos im heitersten Strahl der Sonne. Indes wäre aber doch in der Welt, glaube ich, nichts geschickter gewesen, meine Seele zu zerstreuen, als dieser für mich so bezaubernde Ort. Vielleicht sieht ein jeder andere es nicht mit dem Auge – mit dem warmen Gefühl – mit der Zufriedenheit, wie ich. – Die meisten suchen ihr Vergnügen auf einer andern Spur und unter andern Gestalten, und die werden diese einsame Lage für nichts weniger, wie den Sitz der Freude ansehen, – und noch weniger – wenn sie ihn wie wir sechs Wochen lang ganz ohne Gesellschaft bewohnen sollten. – Aber, es kommt nur immer auf unsern Willen an, aus jedem Gegenstand der Natur uns Stoff zur Unterhaltung und Ergötzung zu ziehen: – es ist nichts in der weiten Schöpfung, das nicht durch etwas beseelt ist, und welches nicht unserer Betrachtung, und der Lust, uns daran zu ergötzen, wert 57
wäre, – man darf nur mit dem guten Vorsatz, sich zu erfreuen, in eine Gegend, in welche man will, hingehen oder hinsehen, so wird man es nicht vergebens tun, – mit der menschlichen Gesellschaft geht es nicht allemal so glücklich. – Was dem größten Teil der Freudenjäger am ersten und lieblichsten in die Augen fällt, sind schöne künstliche Gänge, Terrassen, Kanäle und aufs höchste ein paar entfernte Felsen, die sie nicht zu besteigen genötiget sind; oder geputzte heitere Säle, oder zur Not auch eine mit guten Lehnsesseln versehene Rosenlaube, aus welcher sie von einer wohlbesetzten Tafel, oder vom Lombretisch, aus der Schüssel, oder aus den Karten, einmal in die weiter Gegend gucken und gähnend ausrufen können: Oh que cela est beau! [Oh, wie ist das schön!] – auch diese Herren finden im Schlangenbade ihre Rechnung. – Allein, diese Art von Hunger wird gar zu bald durch den Genuss gesättigt, und dann sitzt man im geputzten Saal oder in der schattigen Laube, und gähnt sich zu Tode. – Nein, ihr einsamen, – aber für die Erquickung der Seele immer reichhaltigen Spaziergänge, nach Begstädt, Wambach, Gurgenborn, Neudorf, Rauenthal – und du, mein geliebtes Walf, wo es mir immer vorkam, als wenn mich eine Bezauberung in eine neue Welt – in ein Elisium geworfen hätte, – wo alle meine Empfindungen zur Freude mit neuer Federkraft bespannt wurden – ihr bleibt mir lange, ja immer unvergesslich. Welch eine göttliche Aussicht! – wenn man bei Rauenthal die Weinberge hinaufstieg, und dann ins weite Tal hinuntersah, – wie aus dem ferne schimmernden Gebirge der kraftvolle Rheinstrom, vom Strahl der Morgensonne funkelnd, hervorglänzt, und sich dann mit mäandrischen Gängen durch die fruchtbarste und bevölkertste Gegend, die man sich erdichten kann, hinschlängelt, – wie er ganze Erdstriche erobert, und sie zu Inseln macht, die mit heiligen Häynen in seinen Fluten sich spiegeln; auf diesem majestätischen Flusse, der in meinen Augen immer der ehrwürdigste von allen ist, – so dass ich mir in der Entzückung, mit der ich ihn immer ansah, einbildete, ihn an allen Ecken seiner Ufer, als den Erzvater aller Flüsse, mit grauem Haupt und nervigten Armen auf seiner Urne gelehnt zu sehen. Auf diesem fuhren wir von Walf hinunter, um nach Ems zu gehen. Man kann seinem innern Gefühl und seinem Auge kein besseres Fest geben, als diese anmutige Reise: Anfänglich sind die Ufer nur abhängige Felder und Weinberge, die am Rande des Stroms von einer fast ununterbrochenen Reihe von Dörfern und Flecken eingefasst sind. In den Entfernungen von beiden Seiten liegen, am waldichten Felsen, der sich insonderheit, zum Schirm gegen die Nordwinde, ums ganze Ländchen Rheingau zieht, einsame Klöster und Adelhöfe. […] 58
Abb. 8: Die Mühlen beiderseits des Grenzbaches 1764 Bei Coblenz verließen wir den Rhein, um bis nach Ems die hohen Berge zu übersteigen, die uns bis jetzt zur Augenweide gedient hatten. Ems zeigt sich, wenn man ankommt, auf eine sehr angenehme Art, und wenn man erst anfängt zu wandern, so entdeckt man Gegenden, die man nicht anmutiger erdenken noch wünschen kann. […] Wir brachten einige Tage in Ems recht vergnügt zu, ohne uns um Bekanntschaft mit den übrigen Badegästen zu bewerben, um mit ihnen, wie gewöhnlich, die Zeit beim Kartentisch oder in den Alleen zu verschleudern. Wir schöpften unsere Freuden aus einer reineren Quelle, genossen die heitern Tage in den wollüstigsten Situationen, die uns die Mannigfaltigkeit der Gegenstände hier anbot, und reisten endlich mit einer gewissen Sehnsucht nach unserm geliebten Schlangenbade zurück, wo wir zwar die Gesellschaft sehr vermindert, aber dennoch eben die Freuden wieder fanden, die uns in den ersten ganz einsamen Tagen unsers Aufenthalts daselbst so glücklich und zufrieden gemacht hatten. Der zärtlichste Abschied an alle die Gegenden, die wir uns als Lieblingsstellen vorzüglich erwählt hatten, machten die Beschäftigung der wenigen Tage aus, die 59
wir diesem wollüstigen Orte noch zuletzt weihen konnten, diesem bezaubernden Winkel, wo wir drei Monate zugebracht hatten, ohne Ekel oder Überdruss über die Einförmigkeit unserer stillen Freuden gefühlt zu haben. Hier herrscht eine stille Anmut – Harmonie eines Engelsgesangs, – dieser Ort gleicht einer Schöne ohne Prätention, bei der man, ohne seine Schritte abzumessen, nach Herzenslust genießen kann; man fühlt, dass man Vergnügungen hat, ohne dass der Verstand sich abmattet, auszufinden, worin das Vergnügen besteht. Diese süße wonnevolle Wirkung machen die ungekünstelten Vergnügen auf uns – die Seele fühlt in dieser weichen Lage von Sorgenlosigkeit ein unbeschreibliches Wohlbehagen, und ist, ohngeachtet dem angebornen Hang zur Veränderung, aus Furcht, sein gemächliches Glück zu verlieren, dem ungeschminkten Mädchen oder der stillen einsamen Gegend immer getreu. Es gibt offene große Gegenden mit allem, was die Natur gewöhnlich zu ihrem Putz braucht, bis zum Überfluss ausgeschmückt, – wo die Sonne mit ihrer ganzen Majestät bis in die verborgensten Winkel dringt, und ein festliches Ansehen, – einen gewissen Firnis über das Allgemeine verbreitet; diese Gegenden sind schön, – bis zum Entzücken schön, in den ersten Augenblicken, oder, welches auf eins herauskommt,– in den ersten Tagen; – aber bald kommt dem immer nach neuem Genuss begierigen Herzen die Lüsternheit an, etwas Neues zu suchen und zu wünschen, und alsdenn ist ein schmaler Fußpfad unter schattigen Bäumen, am kleinen rieselnden Bach – ein rauer herabhängender Fels, um welchen schwermütige Stille, eine Sehnsucht nach Ruhe in dem von zu vielem Genuss betäubten Herzen rege machet. Kurz, die geringste einfältigste Gegend, so wie sie aus den Händen der Natur, als Skizze weggelegt worden, ist alsdenn für uns voll von verführerischen Reizen, die uns mit weichen unmerklichen Rosenketten am süßesten Endzweck unsers Daseins, am unschuldigen Vergnügen fesseln. – Deswegen habe ich nie eine Gegend so wie Schlangenbad geliebt, und werde alle die Gegenden immer vorzüglich lieben, wo die Natur, gleichsam als in ihrer Werkstätte, alles durcheinander geworfen, und in jeder dieser Skizzen die Größe des Unendlichen zeigt. Immer werden die Bilder dieses Edens, immer die Erinnerungen der dort genossenen stillen Freuden, mir ein Trost in trüben und ein Zuwachs von Freuden in fröhlichen Stunden sein. Doch, doppelt dank ich dir, stilles geruhiges Tal, deine erquickende Quelle hat mein sieches Leben zu neuem kraftvollen Dasein verstählt, ich kann jetzt wieder mit vollem beglückten Gefühl die Freuden alle genießen, die mein gutes Geschick mir im Schoße der Meinigen beschert. 60
1779 Wunderbare Schönheiten zum Bestaunen Aus: Johan Bernoullis Sammlung kurzer Reisebeschreibungen, 1784 Den 24sten Jul. machte ich in Gesellschaft eines Freundes, von Wiesbaden aus, eine kleine Nebenreise ins Schlangenbad, um der Fürstin von Nassau-Saarbrück daselbst aufzuwarten. Wir nahmen den Weg über Langenschwalbach, zwo kleine Meilen von Wiesbaden. […] Wir eilten nach Schlangenbad. Der Weg dahin führt durch reizende Gegenden, die sich bald in weite Täler öffnen, bald in wilde Felsen romantisch eingeschlossen sind. Die schönsten, mit Gebüschen umschatteten Wiesen zeigen sich dem Auge allenthalben, und hier und da stürzen Kristallquellen mit angenehmem Geräusch von hohen Felsen herab. Der Anblick von Schlangenbad ist überraschend und einzig; denn in dem Augenblick, da sich der Weg um die Ecke einer Felsenwand dreht, stehen auf einmal die großen schönen Gebäude des Schlangenbades in einem engen, von himmelhohen, mit Wald bedeckten Gebirgen eingeschlossenen Tale vor das Auge hingezaubert. Schlangenbad besteht eigentlich nur aus zwei Häusern, beide weitläufig und prächtig, aber in Absicht ihrer Besitzer, ihrer Bauart, ihrer Einrichtung und ihrer Lage unterschieden. Der Maynzer Hof liegt an der Südseite des Tals, so wie der Heßische an der Vorderseite. Nur im letztern befinden sich die Bäder, daher er auch meistenteils nur von Kurgästen bewohnt wird, da der Maynzer Hof hingegen mehr zum Versammlungsort der Fremden bestimmt zu sein scheint, welche von Maynz, Wiesbaden, Schwalbach und anderen benachbarten Orten täglich Lustpartien nach dem Schlangenbade anstellen. Das von Natur laue und klare mineralische Wasser springt im Heßischen Hause am Ende einer langen Galerie aus einem messingnen Hahn Daumens stark in ein marmornes Becken, aus welchem es in alle Bäder geleitet wird. Dies sind kleine gewölbte Behältnisse, welche längs der Galerie hinlaufen, und denen es an keiner Art von Bequemlichkeit fehlt. Einige sind sogar mit Marmor bekleidet. Die Preise der Bäder, so wie der Zimmer, 61
sind nach Verhältnis ihrer Lage, Schönheit und Bequemlichkeit verschieden, und der von der Obrigkeit festgesetzte wöchentliche Preis ist über den Türen öffentlich angemerkt. Das Heßische Haus enthält auch eine große und breite Galerie, an deren Ende ein Billard steht, und welche der Gesellschaft zu gewissen Stunden zum gewöhnlichen Versammlungsplatz dient: Hier findet man zu beiden Seiten Boutiquen mit Galanteriewaren, die das Auge und den Beutel reizen; hier stehen Pharaobänke offen, und das Ohr wird durch angenehme Musik ergötzt. Aus den Zimmern und Sälen dieses Gebäudes tritt man in Alleen von Buchenhecken, Laubhütten, und Nischen, auf Terrassen mit einer Mannigfaltigkeit hingeworfen, die das Auge allenthalben befriedigt. Die Aussicht in das Tal ist zwar wegen der gegenüber sich erhebenden waldichten Gebirge nicht weit ausgedehnt, aber um desto wilder und romantischer. Hier und da erblickt man durch die Waldung ausgehauene Gänge, die auf die Gipfel der Berge führen. Aus dem Maynzer Hof führt eine lange Allee von hohen und dichten Buchenhecken zu einem nur gemalten, aber in der Ferne das Auge täuschenden Obelisk, an dessen Fuß sich eine Rasenbank schmiegt, und verliert sich in eine Wildnis, die die Natur zu ihrem Heiligtum erwählt zu haben scheint. Die Schlangen, welche diesem Bade den Namen gaben, sind unschädliche Tiere, ohne allen Gift, lassen sich zahm machen und fressen aus der Hand. Ich sah Leute, die sie im Busen oder in der Tasche herumtrugen, ihren Kopf in den Mund nahmen, und die armen Tiere wie einen Strick in Knoten zusammenknüpften, die sich denn durch tausendfältige Krümmungen selbst wieder auseinander winden. Es sollen sich oft Liebhaber zu diesen gutmütigen Schlangen finden, welche sie kaufen und zur Seltenheit mitnehmen. Der hiesige Aufenthalt ist verhältnismäßig, gegen Wiesbaden und Schwalbach gerechnet, kostbar; daher pflegen sich nur wenig, aber reiche Badegäste hier einzufinden, deren Aufwand beträchtlich ist. Einen nicht minder wichtigen Gegenstand für Schlangenbad machen die täglich ab- und zureisenden Fremden aus. Wir stiegen im Heßischen Hause ab, wo die Fürstin von Nassau-Saarbrück mit ihrem kleinen Gefolge logierte. Sie erschien kurz vor der Tafel, da ich dann von dem Herrn Präsident von Kruse Ihr vorgestellt wurde. Ich erinnere mich nicht, je ein Gesicht gesehen zu haben, aus welchem Güte des Herzens und Menschenliebe so laut sprechen, als aus diesem. Ein von Natur ihr eignes, zuvorkommendes liebreiches Wesen macht ihr alle Herzen eigen, und es erweckt das innigste Mitleiden, wenn man, der Mühe heiter zu scheinen, ohnerachtet, durch das leichte Gewand 62
der Freude einen tiefen Gram blicken sieht, der dieser guten Fürstin der frohen Tage so wenig werden ließ, und sie selbst in diese romantische Gegend verfolgte, wo sie vielleicht die verlorne Freude wieder zu finden hoffte. Das Einzige beinahe, was sie zuweilen ihren nagenden Kummer vergessen lässt, ist die Naturgeschichte, die sie bis zum Enthusiasmus liebt. Sie sammelte selbst und bediente sich dabei der Hilfe des Herrn Hofkammerrats Habel, von dem sie sich vorzüglich über die dasigen Gebirge und Steinarten Aufschlüsse mitteilen ließ. Die Gesellschaft, welche diesen Tag mit der Fürstin speiste, war klein und bestand, außer Ihr und Ihrer Hofdame (einem Fräulein von Trebra), aus lauter Mannspersonen. Ein schöner Zug der Art, sich gefällig zu machen, war, dass die Fürstin bei der Tafel sich einen Korb mit Nelken geben ließ, und mit liebreicher Geschäftigkeit und Sorgfalt jedem Ihrer Gäste einen Strauß wand und überreichte. Ich hoffe, niemand wird mich einer übertriebenen Empfindsamkeit beschuldigen, wenn ich gestehe, dass mir diese Blumen aus solchen Händen überaus schätzbar waren, und mich, auch verwelkt, noch oft an diese liebenswürdige Fürstin und diesen frohen Tag erinnerten. Als sich bald nach aufgehobener Tafel die Fürstin entfernt hatte, setzte sich die übrige Gesellschaft zum Spiel, und ich – nicht wahr, Sie erraten es schon? – ich durchstrich indessen die romantische Gegend, verweilte in den Anlagen, welche Natur und Kunst so reizend hervorgebracht hatten, und entdeckte mit jedem Schritte neue, wunderbare Schönheiten, die man eine Zeitlang anstaunt, ehe man vertraut mit ihnen wird.
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1783 Eindrücke einer Dame aus Hannover Aus: Hannoverisches Magazin, Aus den Briefen einer Hannoverischen Dame, 1784 Von Wiesbaden fuhren wir über Biberich nach Schlangenbad. Ich hatte außerordentlich viel von der Lage dieses Ortes gehört, und war sehr neugierig ihn zu sehen. […] Endlich erblickt man Schlangenbad, wie die Mühlen im Tale; aber die neuen großen Gebäude von allen Seiten mit Heckengängen umringt, sehen recht artig aus, und es erscheint als ein schönes Landgut. Zwei Bohrungen sind da. Die eine gehört dem Churfürsten von Maynz, der den größten Teil des angrenzenden Landes besitzt, und wird das Maynzische Haus genannt. Es ist ziemlich groß, ansehnlich gebaut, artig eingerichtet, hat einen schönen Saal, und eine angenehmere Lage als das andere, weil es unter einem hohen, mit schönem Holz bewachsenem Berge liegt, der bis auf die Höhe, in der Mitte gerade dem Hause gegenüber aufgehauen ist. Das andere Haus, welches das Hessische genannt wird, gehört dem Landgrafen von Cassel, und ist wie alle Hessischen Gebäude äußerst vollständig und recht bequem eingerichtet. Eigentlich sind es drei Häuser, welche durch lange bedeckte Gänge aneinander hängen, so dass man bei üblem Wetter aus einer Wohnung in die andere mit Bequemlichkeit gehen kann, welches für Kranke sehr angenehm ist. Zu diesem Hause wohnten wir, und es hat den großen Vorzug, dass die Bäder hier sind; statt, dass man aus dem Maynzischen Hause herüber muss, wenn man baden will. Der Landgraf von Hessen-Cassel, dem bekanntlich die Hoheit im Rothenburgischen gehört, hat sich bei einem Vergleich die Quelle vorbehalten, und diese ist unter Schloss und Aufbewahrung eines Burggrafen (Concierge) der hier wohnt, und die Aufsicht über das ganze Wesen, sowohl als die Besorgung und Berechnung des Quartiers hat. Die besten sind auch gar trefflich eingerichtet, und die 64
geräumigsten und bequemsten die ich kenne. So ungern ich sonst bade, war es mir hier immer angenehm. Das Wasser kann wohl keine große Kraft haben, es ist außerordentlich sanft und leicht, und hat eine gewisse Fettigkeit, welche die Haut sehr erweicht und leichte Wunden heilt. Man kann sogar ohne Seife damit auswaschen. Große Krankheiten wird es schwerlich allein zu heben vermögend sein, aber als ein linderndes besänftigendes Mittel hat es gewiss seinen Nutzen. Indes ist unstreitig, dass man sich beim Gebrauche davon erleichtert findet; es macht heiter, geschmeidig, leicht, und es ist vielleicht kein Wasser in der Welt, von dem ohne Schaden und Beschwerlichkeit so viel getrunken werden kann. Dazu ist die Luft, wie mir deucht, hier außerordentlich rein und heiter.
Abb. 9: Hessisches Haus um 1874 Schlangenbad ist übrigens ein gar angenehmer Aufenthalt, die sanfteste lieblichste Einsamkeit, zwischen Bergen, die freilich die Aussicht verhindern, aber doch sich genugsam öffnen, um der Gegend nichts Dumpfes zu geben und nichts Finsteres. Schlangenbad ist nicht wie Pyrmont der Aufenthalt lauter rauschender Freude und glänzender Geselligkeit. Es ist keine einzige Allee da, wo viele Menschen bei 65
einander könnten hergehen. Aber die schmalen Heckengänge laden, wie die ganze Gegend, die Seele ein zu einsamem und stillem Nachdenken. In jedem Lüftchen wälzet philosophische Melancholie; aber es ist ruhige Melancholie, mehr Ernst als Schwermut, mehr ein Vergessen, von allem was dem Herzen wehe tut, als schwärmerischer Genuss des Gegenwärtigen. Die Einbildungskraft schwelgt nicht, sie schlummert in lieblich träumender Ruhe. Das liebe Tal, so eng, so grün, so still und einsam, scheint mit jedem Blick die Lehre in das Herz zu prägen: dass der Mensch wenig bedarf. Gewiss würde Ihnen der Ort gefallen; und besonders eine Stelle, wo ich immer mit Vergnügen gesessen habe, ein kleines Vorgebirge, von welchem man ins Tal herab, rechts auf die Brunnengebäude, links auf einige Mühlen sieht, die, zum Teil durch einen Wolkenbruch beschädigt und umgerissen, einen recht malerischen Anblick geben. Die Landstraße nach Mainz ist gegenüber, rückwärts der Weg nach Schwalbach, und das Ganze hat etwas Schweizerisches. Zum Hessischen Hause gehöret noch ein Saal, oder vielmehr eine sehr lange Galerie, wo sich die Kurgäste (wenn welche da sind) versammeln, um zu tanzen und zu spielen. Es ist aber traurig, diese schöne Galerie stets so leer zu sehen; eine einzige grässliche Spielergestalt fand ich da in einer Ecke bei einem ausgedienten Pharaotische sitzend, worauf er recht viel Gold ausgekramt hatte. Es war am ersten Morgen meines Hierseins; ich war alleine, und da ich kein lebendiges Geschöpf hier vermutete, erschrak ich wirklich über die abenteuerliche tragikomische Figur dieses Menschen, der uns nachher durch sein wahrlich originales Wesen oft lachend machte. Der verstorbene Landgraf von Cassel, der sehr viel auf diesen Ort gehalten hat, sorgte sehr für seine Verschönerung. Er ließ noch ein großes schönes Haus nicht weit vom alten aufbauen, welches aber inwendig noch nicht eingerichtet ist, auch wohl nie werden wird. Schwerlich kommen jemals so viel Fremde hierher, dass in der jetzigen Wohnung nicht hinlänglich Raum für sie sei, denn in diesen drei aneinander hängenden Häusern kann man wohl zweihundert Menschen und drüber beherbergen. Seit einiger Zeit hat Schlangenbad sehr an Glanz und Zulauf verloren; vermutlich weil zu viele Bäder in dieser Gegend sind, und weil man dies für eins der unkräftigsten hält, so vortrefflich es auch sonst, zumal für schwache luftscheue und kränkelnde Personen, eingerichtet ist. Der verstorbene Landgraf von Cassel und der vorletzte Churfürst von Maynz haben sich hier viel aufgehalten, und mancherlei Entwürfe zur Verschönerung 66
dieses von Natur schon so reizenden Orts zusammen gemacht; unter andern einen, den sie aber schnell vernichtet haben, weil er über eine Million Gulden kosten sollte. Die Spaziergänge beim Maynzischen Hause sind weitläufig und groß. Eine sehr schöne hohe Heckenallee geht gewiss über vierhundert Schritt lang schnur gerade, und gelinde steigend vom großen Saal bis ins Holz, wo sie sich verliert, und von beiden Seiten sind unzählig viele Heckengänge, welche wegen der Einförmigkeit nicht gefallen. Zu der Zeit als das angelegt ward, kannte man noch in Deutschland den Englischen Geschmack in Spaziergängen nicht, und diese könnten mit wenig Mühe und Kosten überaus artig darnach eingerichtet werden, denn die Lage ist vortrefflich. Aber es wird von Maynzischer Seite nichts mehr daran gewandt. Als eine Merkwürdigkeit zeigte man mir einen großen Stein, an welchem vier Landesherrn auf ihrem eigenen Grund und Boden sitzen könnten. Dies sind die Landgrafen von Hessen Cassel und Rothenburg, der Fürst von Nassau Usingen, und der Churfürst von Mainz. Schlangenbad muss wohl seine Benennung von den vielen Schlangen haben, die man auf diesem warmen Fleck häufig findet. Ich selbst habe eine große Menge angetroffen ohne mich dafür zu fürchten; denn sie sind ganz unschädlich, und dienen zu einem besondern Erwerb der armen Kinder. Sie stecken nämlich eine zwei oder drei Ellen lange Schlange, die sie aufgezogen und zahm gemacht haben, in einen Sack, und machen für einen Kreuzer allerlei Kunststücke damit, die ganz gefährlich aussehen; treten sie mit Füßen, schlenkern sie um den Arm und dergleichen. Das Betteln in diesen Gegenden ist ganz unausstehlich. Man kann nicht einen Schritt tun, ohne einen Haufen solcher quälenden Geschöpfe hinter sich her zu haben, und ich habe an mir selbst gemerkt, dass die Mitleidsempfindung dadurch, dass sie so viel und gewiss oft betrüglich gereizt wird, beinahe erkaltet. Denn sehr oft bin ich über die unaufhörliche Verfolgung recht verdrießlich und gar nicht gerührt gewesen. Eine sehr nützliche Anstalt ist, dass hier von den beiden Landesfürsten eine kleine Besatzung gehalten wird. Von hessischer Seite sind es freilich nur drei Invaliden, mit einem Unteroffizier, die sich von Sankt Goar aus alle zehn Tage ablösen; ein wahrlich beschwerlicher Dienst für abgelebte ausgediente Soldaten, denn Sankt Goar ist neun Stunden von Schlangenbad, und die armen Leute stehen den 67
dritten Teil vom Tage hier immer auf einem Fleck. Beim Maynzischen Hause ist ein ordentliches kleines Wachtgebäude, und so lange als Gäste da sind, werden alle Monat zwanzig Mann von Mainz hergeschickt, welche sehr ordentlich und reinlich gekleidet sind. Dies erhält die Ordnung und Ruhe, und ich glaube, es würde sehr unsicher sein, sich ohne diese Beschützung hier aufzuhalten, da es so viel herumschweifendes Gesindel gibt, das sich vortrefflich in den Wäldern verbergen könnte.
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1801 Zurück im bang ersehnten Tale Aus: Friederika Brun, Episoden aus Reisen durch das südliche Deutschland, 1806 An meine treue Freundin, Henriette Bolzenhardt, geborne Becker. Hier bin ich denn wieder meine Traute, in diesem so bang ersehnten Tale, wo zwischen grünen Bergen die sanfte geräuschlose Quelle der Gesundheit anspruchslos rieselt! Sie sprudelt nicht kochend empor, wie Böhmens feurige Najade! Sie wallt nicht fixe Luft entwickelnd wie Pyrmonts stählender Quell! Aber mildernd in mildern Lüfte sich ergießend, lindert sie meine Schmerzen. Dies sanfte, helle, seifenartige Gewässer rundet die Spitzen meiner Nerven ab und umwickelt sie gleichsam mit Baumwolle; ich bin frei meiner Bande in diesem Bade und fühle mich auch nachher leicht und fessellos. Keine Konvulsionen seit Kopenhagen! Und hier in Schlangenbad keine Anwandlung davon (die ich zumal in Göttingen stark hatte); Ich fange an zu vergessen, wie der zu Mute war, die deine treuweinenden Augen in Kopenhagen so oft, zu unnatürlicher Länge ausgedehnt, auf die Folterbank gespannt erblickten. Wann dann die Blässe und Starrheit des Todes mit Blitzesschnelle in die furchtbarsten Erschütterungen überging; Ach, Geliebte! wenn ich alsdann vom Unbewusstsein erwachte, mein erstes Gefühl Schmerz der verrenkten zerschlagenen Glieder war, dann, meine Henriette, lächelte mir oft dein liebevoll, durch Tränen brechender Blick Trost und Hoffnung einer bessern Zukunft zu! Es ist unglaublich, liebste Henriette, welch’ eine ganz andre Atmosphäre diesen Teil Deutschlands, diese segenreichen Ebnen Frankens und des Rheintals umgibt! Sie verhält sich zu der unsern, wie ein offenes, freigiebiges, fröhliches, immer heiteres Gemüt, zu einer kalten, wetterwendischen, tückischen Schönen, ohne Treu und Glauben. […] Freund B**n meinte, mein passives nur Wohlseinlassen sei, bei so aktiven Nervenübeln wie die meinigen, nicht hinreichend. „Ins Schlangenbad solle ich reisen, wo ein mildes, seifenartiges Heilwasser meine gespannten Hautnerven entstri69
cken, und dadurch meine vielartigen und seitigen Leiden lindern würde.“ Der liebe Mann spricht mit so viel Geist und Herz, und scheint einen so durch und durch zu blicken mit seinen seelenvollen, gutherzigen Augen, dass ich mich folgsam seinem Rate füge und Übermorgen, nach einem neuntägigen Aufenthalte hier [im Wilhelmsbad, Anm. d. Hrsg.], mich über Frankfurt auf den Weg nach dem Schlangenbade mache, welches 14 Stunden hinter Frankfurt in einem einsamen Bergtälchen des Rheingaues liegt. Wir reisten am 4ten August 1801, morgens von Frankfurt ab. […]
Den 5. August 1801, Schlangenbad. Wir langten gestern Nacht in tiefer Dunkelheit, nur vom Sterngedunkel durchbrochen, zwischen finstern Bergseiten, in engen Talschluchten steigend, hier an – und erst heute sehe ich, wo ich eigentlich bin. Schlangenbad ist kein Städtchen, es ist kein Dorf, es sind unregelmäßig auf und ab gestreute große und kleine Häuser für die Badegäste und die Wirtsleute, teils über den leise rauschenden lauen Gesundheitsquellen selbst erbaut. So eng ist das Tälchen, das eine Galerie, welche hier die Grenze des Mainzischen und kurhessischen Gebietes ausmacht, über der Breite des Tales beide verbindet. Ich kannte diese Grenze nicht, und trat erst im Mainzischen Haus, unter den Auspizien der großen Republik ab; flüchtete mich aber, sobald Platz ward, ins Hessische Haus auf die sogenannte Prinzenterrasse herüber, wo die bessere Gesellschaft ist, und wo die Badequellen und Zimmer im selben Hause sind. Dieses Bad nun liegt in enger Talkluft und die Gebäude schreiten quer über die Angeln der kleinen länglichen und steilen Waldberge oder hängen an ihren Absätzen. Berg und Tal, alles ist grün von Wiesen und Waldungen; Quellen rieseln herab und bilden kleine Bäche, die wie Silberbändchen die abschüssigen Talwiesen durchschlängeln. Die hangenden Plane der Bergseiten begegnen sich im nahen Bache. Das Tal streicht von Südwesten nach Nordosten, wo hohe Waldberge es schließen, an welche es sich steigend verliert; daher ist das Klima äußerst sanft und freundlich; und doch die Luft rein und nicht schwer, wie sonst oft in engen Tälern; des Abends etwas feucht, nun es gegen den Herbst geht. Die Wiesen sind voll trefflicher Futterkräuter; allein man versteht nichts weder vom Anbau der70
selben, noch von Wasserleitung und Benutzung des Düngerwassers. Angenehme Wälder von Buchen und Eichen bekleiden diese Berge bis auf ihre Höhe, wo nicht Abhang zur andern Seite, sondern ein ganzes Korn- und Obstland, dem staunenden Fremdlinge erscheint. Da ist alles wohl angebaut; und Roggen, Gerste, Hafer, Rüben, Klee und Hanf gedeihen nebeneinander. Diese Erscheinung haben diese kleinen Urgebirge mit denen des Erzgebirges und von Böhmen gemein. Nur dass hier der Quarz herrschend ist, der jedoch nur in den Bergfällen des sehr verwitternden Gesteins zu Tage kömmt, und in zwei einzeln stehenden schon verwitterten Felsen auf dem Wege von Schlangenbad nach Schwalbach. Diese beiden ganz in Trümmern sinkenden Felsen stehen links und rechts, nah am Wege, und haben sichtlich einst zusammengehangen. Sie bieten in ihrer Kleinheit (denn kaum würde ich ihnen 150 Fuß Höhe geben) ein interessantes Miniaturbild der Verwitterung und Veraltung der hohen Alpengipfel, durch die schwere Hand von Jahrtausenden. Wenn man aber talab nach dem Rheinufer steigt, geht nach und nach die Quarzformation in Tonschiefer über. Die Aussichten von jedem dieser, in einer halben oder höchstens ganzen Stunde erstiegenen Berge, sind von der allergrößten Schönheit: Denn immer blickt man entweder perspektivisch durch eine enge dunkel bewaldete Talkluft, oder vom sanft gesenkten Abhang in die weiten Rhein- und Main-Täler hinaus, wo aller Farbenzauber von Duft und Ferne um die schönsten Gebirgsformen sich ergießt, und in harmonischen Lufttönen zwischen Himmel und Erde schwebend alle Teile dieser großen Naturgemälde mit sichtbarem Wohllaute umwallt. Oft auch sinkt der Blick mit den groß und malerisch vorgelegten Waldbergen des Tales, und fliegt über den Main und Rhein hinweg, bis dort hin, wo hinter Aschaffenburg der steigende Spessart und über Darmstadt die leichtblauende Bergstraße ihn hemmen; oder er taucht in den noch unter dir hinströmenden Rhein, mit dem er sich rechts tief in die groß und kühn aufgetürmten Gebirge des Rheingaus bei Bingen verliert – oder jenseits (ach ungern!) am andern Gestade bis Koblenz – ja bis in die Berge bei Landau, über den französisch gewordenen Rheinländern hin, sich verirrt. Vorzügliche Standpunkte, um diese in ihrer Ausdehnung eben so ungeheure, als in ihren Teilen blendend schöne, sanft reizende und durch die neueste Geschichte tiefrührende Gegend zu umfassen und zu genießen, sind folgende: Erstens. Vom Waldberge, der rechter Hand vom Mainzerhofe sich erhebt, und der St. Christoffers-Berg genennt wird. Man steigt auf angenehmen Waldwegen 71
sehr bequem bis an ein Kruzifix, welches rechts steht, und wo verschiedene Holzwege sich kreuzen, empor so hoch man will und kann; da erscheint zwischen Laub und Ästen der schönen Eichen und Buchen, erst die duftige Talsenkung, dann der tiefspiegelnde Rhein, und dann das prachtvoll ausgedehnte Wasserbecken, in dem beide Ströme zwischen Mainz, Kassel und Kostheim sich vereinigen. Steigst du höher, so sinkt der Berg an dem du steigest, und die gegenüber liegenden Berge, die das Schlangenbad einfassen, mit ihren Eichenwäldern zum dunkel und prachtvoll vorgelegten Vorgrunde hin; alsdann öffnet sich der Rheinlauf in unendliche Fernen, und seine grünen Inseln ruhen so friedlich unschuldig, im Schoß des mächtigen Vaters! Noch höher erscheint das ernste hohe Rheingestade über Bingen, wo die dunkeln Berggestalten, sich in schweren Massen zusammenbiegend, den gewaltigen Strom in seinem kraftvollen Laufe zu hemmen scheinen. Zweitens. Man folgt dem angenehmen Wege am Gürtel des Christoffer-Berges im Schatten schöner Eichen und Buchen, deren mächtige Stämme von Birken, Schlehen, Weißdorn-Gebüsch umwildert sind. Der Waldrasen selbst aber ist mit Brombeer- und Himbeerranken, und mit den niedlichen Heidelbeerbüschen bedeckt, welche deine jungen Freundinnen Augusta und Ida oft unwillkürlich in ihrem Wege aufhielten. Das Kruzifix bleibt hinter uns, der Wald wird dichter, und der Weg steigt sanft bergan. Die Eichen stehen einzeln, sind aber von erstaunender Größe, und zumal die Stämme so außerordentlich dick, so knorrig und gewunden, dass man recht deutlich sieht, in wie stetem kraftvollem Kampfe gegen die hier raueren Elemente diese Greife des Haines sich durch die Jahrhunderte gearbeitet haben, von denen sie zeugen könnten, redete das Orakel der Drias noch aus dem geweihten Lieblingsbaume! Man tritt aus diesem heiligen Schatten, in eine sehr weite Bergebene, wo frische Lüfte dich umwehen. Links sinken nach und nach die einsamen Waldberge des engen Schlangentals, und du erblickst ihre kornbedeckten Höhen. Vor dir schwillt ein fruchtbarer Hügel sanft empor, mit dem Kirchdorfe Rauenthal gekrönt, welches malerisch aus dem Kranze schöner Obst- und Laubbäume hervorwinkt. Dieser Hügel teilt, wie nur der verständigste Dichter es tun könnte, das unermessliche Naturepos, das deinen staunenden Blicken sich ausschließt, und in welchem sie geblendet sich verlieren würden, in zwei inhaltvolle Episoden; wo rechts der Donnersberg und der Hunsrück, und ach! das ganze dem Mutterschoße entrissene Deutschland sich ausschließt – links aber die Gebirge der Wetterau und unter ihnen der majestätische Feldberg sich erheben. Wie groß und malerisch 72
sind die Umrisse dieses Gebirges, wie schön umhüllt sie das dunkelblaue Gewand der Ferne. Die Ausdehnung und Schönheit der Fernsichten, die sich hier einerseits über die Ebnen Frankens und des Rheintals, bis in die Ebenen der Pfalz hin zur andern eröffnen, sind von unaussprechlicher Schönheit! Das große wohlhabende Dorf Raunthal ward von den Einwohnern im letzten Kriege tapfer verteidigt, und von den Franzosen grausam zerstört. Es ist katholisch und gehört zum Gebiet des Fürsten von Nassau-Usingen. Wir fanden die Felder ringsumher wohl angebaut, aber noch heute (nach einem Zwischenraum von vier Jahren!) waren nur wenige der zerschossnen Wohnungen kümmerlich wieder zusammengeflickt; viele Häuser standen noch wankend da, und auch die mutwillig zerstörten Kapellen, diese Trostörter des armen Volkes, dem man doch ja nichts nehmen sollte, ehe man ihm mit der andern Hand doppelt wiedergibt, waren noch in Ruinen. Drittens. Steigst du durch das Dorf und durch die Korn-, Gemüs- und Weingärten desselben, allmählich noch eine Viertelstunde den Hügel hinan, bis an eine freistehende Kapelle, so entfährt dir ein lauter Ausruf des staunenden Entzückens! Der eben noch unsichtbare und ferngeglaubte Rhein strömt majestätisch vor deinen Füßen am Saum der Berge hin, die sich vor dir im sanften Abhange neigen, und hinter dir prächtig emporsteigen. Dies ganze holde Ufergelände ist rechts und links, so weit du siehst, und gegenüber am andern Ufer des Stromes, mit Schönheit, Anmut und Fruchtbarkeit übergossen! Kornfelder, hellgrüne Wiesen, reizende Obsthaine und liebliche Rebgärten wechseln in üppiger Fülle. Nachbarlich überblickt man die hier und diesseits gelegnen Rheinufer-Städtchen, Dörfer und einzelne Winzerhäuschen; unter ihnen am hierseitigen rechten deutschen Ufer die Städtchen Rittersheim und Waldstett, zwischen denen wir hoch stehen; weiter links die anmutigen Oerter Neustatt, Thierstein, und weiter Rheinauf die Residenz Biberich. Dort zu deiner Linken strömt östlich der Rhein vor des prächtigen von seinen Nektarhügeln umkränzten Mainz majestätischer Ruine herab. Von der sinkenden Sonne wehmütig angelächelt und melancholisch erhellt, erblickst du in trauriger Nähe die öden Fensterräume und Hallen, die brandgeschwärzten Palastmauern, die durchlöcherten Türme! Stillwogend die hellgrünen rötlich glänzenden Fluten, wallt der herrliche König der deutschen Ströme, unter den reizend emporsteigenden Ufern der Fruchtbarkeit, und ach des langen oft erneuerten Wehes und Elendes dahin! Dem unaufhaltbaren Strome der Zeiten ähnlich, der unbewegt, mit gleichen Fluten das Glück und das Wehe der Sterblichen, ihre Wonne und Jammertöne, in die dunkle Vergessenheit hinabwälzt, dringt dieser Strom 73
in jene dunkel aufgeschichteten Bergschlunde, die hier neben uns seinen Lauf und die sinkende Sonne zugleich, dem vordringendem Blicke des Beschauers verhüllen. […] Allein es ist dunkel geworden, und wir reiten und gehen zurück; denn dass deine schwache Freundin so große Dinge nicht zu Fuß unternimmt, brauch ich dir nicht zu sagen? […] Die Gesellschaft hier im Schlangenbade ist selten zahlreich; denn da dies Bad der Analyse des Chemikers keine glänzende Ausbeute gibt, und wir aber heut zu Tage besonders das Buntzusammengesetzte lieben, so ist dies Leiden mildernde Heilwasser nicht so bekannt, wie es sein sollte. Allein die kleine Gesellschaft, besonders hier im Hessischen Hause, ist sehr angenehm, und hat sehr interessante Individuen. […] Ein engeres Tälchen, wie unser grünes, stilles Schlangebad, ist wohl keines in allen Gebirgen Europas zu finden, und welches zugleich Sonne und Luft hätte; die Gebäude haben keinen ebnen Grund finden können – sondern gehen und fallen, sinken und steigen tobiriathisch in Terrassen, Treppen, Galerien bergauf und ab; Angel aus, Winkel ein, mit allen Caprizen dieses Nichtterrains – welches mich, die weder Treppen steigen, noch Rätsel lösen kann, beinahe zur Verzweiflung bringt!
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Abb. 10: Die Terrasse mit dem Musikpavillon
Frankfurt, den 21. August 1805. So weit, meine geliebte Freundin, schrieb ich vor vier Jahren. Jetzt will ich dir sagen, dass ich den Sommer, der weder in Dänemark noch in Deutschland zu sehn gewesen ist, wiederum hier gefunden habe, wo er zu wohnen scheint. Allein um wahr zu sein, muss ich dir sagen: Dass alle Kurgäste Schlangenbad aus Verzweiflung über das entsetzliche Wetter, welches bis jetzt geherrscht hat, verlassen haben; und wir nun ganz allein hinziehen mit der Nymphe des Quells, um unter dem freundlich gewordenen Himmel zu leben. Schlangenbad im September 1805. Wie reizend sind diese Mondnächte im milden kindlich einfachen Tale von Schlangenbad! Die nahen dunkelbewaldeten Berge steigen in die Dunkelheit des Himmels; der Mond steigt traulich nah herüber, kückt in die Geheimnisse der Unschuld, und hebt nach und nach den leicht 75
gewobnen Dunstschleier – schon rollen die Bächlein in feinem Glanz – schon blickt er auf die malerische Gruppe von Häusern, wo der Bach als lodernde Kaskade des Dorfes Mühle treibt; und bald vom lauten Rade im Silberfunken stäubt. Die Morgenstunden sind so schön, dass wir gewöhnlich in der Luft an der Morgensonne frühstücken! Ja, meine Henriette, zwischen 7 und 8 ist deine Freundin zuweilen schon auf. Unsere Wohnung hängt am grünen Waldberge; vor derselben läuft eine lange schmale Terrasse im spitzen Winkel aus, dessen Basis vor unserer Türe in einem runden Plätzchen sich öffnet, wo schöne Linden ihre freundlichen Äste zum kühlen Obdache wölben. Linker Hand, einige Stufen höher, ist ein schönes Lindenrund, welches, wann die Sonne steigt, und zu heiße Strahlen unter die Morgenlinden vor dem Hause sendet, einen ganz kühlen Ruheort darbietet; da frühstücken und arbeiten wir, und blicken über das gewundne Tälchen hin, wo friedliche Hütten rauchen, nah die lauen Gesundheitsquellen unter uns hinrieseln, und etwas ferner der Mühlenbach rauscht. Häufige Gewitter reinigen die Luft, ohne sie zu erkälten; sie ertönen herrlich in den waldigen Bergen, und kämpfen mit dem aufsteigenden Monde; aber bald ist alles wieder stille, und der Mond glänzt helle aus zerrissnem Gewölbe hervor. Das Grün der Wälder und Wiesen blickt frisch, trotz des vielen nächtlichen Regens. Wir sind ganz vollkommen einsam hier, und leben zwischen Bad und Genesung ein wahres Nymphenleben. Meine beiden Mädchen baden mit mir, und das weite Badegewölbe, in dem sie schwimmen können, wiederhallt von Idas Gesängen. Allein die Najade fordert ein Opfer zum Preis der wiederkehrenden Gesundheit. – Meine beiden Mägdlein verlieren ihre goldnen Haare – Gusta die schweren dichten langen Flechten, und Ida die seidnen leichtwallenden Locken! Ich bitte dich uns nicht auszulachen, mich und Ida – denn Augusta erträgt ihr Leid mit stoischem Gleichmut. Wir aber, die schönes Haar leidenschaftlich lieben, beseufzen jede Locke, welche uns in den Händen bleibt. – Dies ist die letzte der traurigen Folgen der Leidensjahre von Kopenhagen, und der Glut des entsetzlichen Scharlachfiebers, welches mir alle meine drei Hühnchen zugleich rauben wollte; denn mit jedem Tage gewinne ich etwas an Kräften, und viel an Munterkeit; ich (die du Jahre lang nur sinkend und gestützt, durch wenige Schritte erschöpft, mühsam 76
sich emporhalten sahst) wandle kleine Wege allein, größere auf meine Mädchens oder auf des treuen Reinhards Arm gestützt; und auf dem Rücken des trägsten und langohrichsten aller Silenträger wage ich sogar Exkursionen auf die Stirnen der Berglein umher, und genieße doppelt, indem ich der so zartsinnigen und gefühlvollen Augusta den vereinigten Genuss der Erinnerung und Gegenwart mitteile. „Und was macht denn diese Quelle so ans Wundertätige grenzend heilsam für dich, deren hartnäckige Übel jedem Versuche, und jeder Bestrebung der Kunst unserer Ärzte, deren Blick die zärtlichste Freundschaft für dich schärfte, immer widerstanden, und jede Erwartung täuschten? Welches sind die Bestandteile des Schlangenbader-Wassers?“ Die Quelle von Schlangenbad gibt ein sehr leichtes, reines, weiches Wasser, welches stark mit einer Auflösung von Talksteinerde geschwängert ist. Es hat die Wärme von 22 Grad Fahrenheit. Das Wasser scheint ganz klar; aber man bemerkt beim Baden, dass die etwas tief untergetauchten Körper, wie von einem weißlichten Dufte umgeben sind: Man fühlt sich im Bade äußerst leicht und angenehm erweicht, und es kostet jedes mal Mühe, es zu verlassen. Dieses sehr gelinde und sanft wirkende Wasser, wird nur durch einen verlängerten Aufenthalt wirksam, und man sollte es, wie die Bäder von Leuk in Wallis und Baden im Kanton Aargau, zwei bis drei Stunden lang und zweimal täglich gebrauchen. Allein hier ist alles von Schwierigkeit umgeben. Es herrscht nämlich hier der alte Badeschlendrian; d. h. kurz und in lauem Wasser zu baden. Willst du nach deinem Bedürfnis warm und lange baden, so wirst du auf eine unerträgliche Weise schikaniert. Man zeigt dir ein Badeplaccard, welches so kraus und bunt, so voller Klauseln und Hacken ist, dass ich es nie begreifen konnte, oder man gibt vor, der Ofen, der das Wasser heizt, ertrage kein starkes Feuer u. s. f. Kurz, obgleich ich jedes Bad doppelt, und für 37 genommnen Bäder 74 bezahlt habe, so konnte ich doch selten mein Bad so warm erhalten, als ich es bedarf (nämlich zwischen 26 und 30 Grad Reaumur) und musste immer von der üblen Laune der Aufwärterin leiden, wenn ich länger blieb, als es ihr bequem war; obgleich ich immer von meinem eignen Kammermädchen mich bedienen ließ. Diese Unannehmlichkeiten habe ich nicht allein empfunden; und sie halten manchen Badegast ab, welches sehr zu bedauern ist, da dies Nerven stillende, und die Reizbarkeit der Hautnerven beruhigende Bad den Bedürfnissen unsers Zeitalters, und den herrschenden Übeln der Frauen, so äußerst angemessen ist. Ich bin aber fest überzeugt, dass die integrierenden Bestandteile dieses Heilwassers, durch einen 77
höhern Grad von Wärme besser aufgelöst, inniger vermischt, und dadurch wirksamer werden; denn nur, wenn ich zu obgenanntem Grade warm badete, bekam mir das Bad vollkommen wohl – und einige Male, wo es sogar kaum lau war, (man behauptete nämlich ein Abendbad nicht warm machen zu dürfen; obgleich meine Rechnung, ich weiß nicht warum? so gestellt war, als hätte ich täglich zweimal gebadet), litt ich hernach an Schwere in den Gliedern, Frösteln und Kolikschmerzen; so dass ich das mir so wohltätige Abendbad ganz entbehren musste; indem auch die hölzernen Badewannen, in welchen man in seinem Zimmer badet, so verfallen waren, dass keine derselben das Wasser hielt. Kurz, meine Liebe: Das Wasser an sich ist unvergleichlich, das milde Lokalklima dieses Tales so glücklich zusammen wirkend mit demselben wie möglich, und bei neuen und zweckmäßigern Einrichtungen, in Rücksicht auf Wärme und Dauer, würde es bald den Zulauf erhalten, den es verdient. Das Lokale der Bäder ist sehr schön und bequem; die Wohnungen gut; die Nahrung und die Preise leidlich wann man zur rechten Zeit kömmt, und nicht, wie ich gezwungen, zu spät; denn alsdann ist man ganz in den Händen und Gewalt des Traiteurs und der Offizianten, welche, wenn sie gleich die vorgeschriebenen Preise halten müssen, demohnerachtet doch Mittel und Wege finden, dem Fremden und Hilfsbedürftigen sein Geld abzunehmen. Dieses haben wir durchaus von allen, mit denen wir zu tun hatten, und ohne Ausnahme erfahren. Den 20. September Liebste Henrietie, welchen Zeiten sehen wir entgegen! Alles tönt vom neuen Kriegsausruf! Die Bewegung ist so allgemein, dass sogar die steinalten grauen kurhessischen Invaliden, welche dies friedliche Tälchen bewachen, aufgefordert und umgestellt werden, so dass wir eine Nacht unbewacht, aber nichts um desto weniger ruhig schliefen. Die Franken marschieren jenseits dem Rhein in mächtigen Kolonnen herbei – Deutschlands (gäbe es Gott!) vereinte Macht diesseits. Ach! es ist zu früh! zu früh! zu frisch noch der Schrecken – zu unvertilgt der Glauben an die Unüberwindlichkeit der schnellausführenden fränkischen Kohorten! Auch wir werden vielleicht ungern Schlangenbad früher verlassen müssen.
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1805 Die zu Wasser gewordene Eselspartie Aus: Bettina von Arnim, Eine Episode aus Schlangenbad, 1805 (Ausschnitt aus einem Brief an ihre Freundin, die Stiftsdame Karoline von Günderode) Liebes Günderödchen, ich will Dir heute berichten, von unserer Eselspartie gestern nach Rauenthal, sie ist zu Wasser geworden, aber erst am End, es kam ein ungeheurer Platzregen, wie wir noch eine halbe Stunde von Schlangenbad entfernt waren. Das zusammenlaufende Wasser von den Bergen herab ins Tal gab ordentlich Seen, die der Wind wellig kräuselte. Und wie die Esel mitten durchs Wasser platschten mit uns, kam ein ungeheurer Donnerschlag, die meisten schrien auf, die Esel schrien nicht, aber sie warfen uns alle mit einemmal herunter in die Pfützen, und da konnt keiner sich halten, nur der Engländer wollte es zwingen mit seinen langen Beinen, der Esel warf sich nieder und bäumte sich, und so galoppierten alle Esel fort, dass sie im Nu aus den Augen waren, die Eseltreiber hinterdrein, denen nachgerufen wurde, uns Laternen zu schicken. Der ganze Haufe konsultierte in der Pfütze, setzte sich nach wieder erlangter Besinnung in Bewegung, auf das verwirrte Untereinanderschreien folgte bald Stille, der Weg war zu beschwerlich, als dass man auf etwas anders denken konnte als nur, wie man den Fuß mitsamt dem Schuh wieder aus dem Morast heben wolle. Dies aber war nicht möglich, die meisten Schuhe blieben stecken, die Laternen kamen uns bald entgegen, die beschwichtigten Esel wurden wieder herangeführt, und so kamen wir zwar beritten in Schlangenbad an, aber in welchem Zustand? Alle Strohhüte hatten im Morast gelegen. Die Schuhe fehlten, die Damengewande so nass, als sollten sie zu Statuen Modell stehen und die Herren nicht minder; man verfügte sich in die Bäder und kam neugeboren und neugestrählt heraus, ein Gesamt-Abendtee, in Pantoffel und Schlafröcken und Pudermäntel eingenommen, machte den Beschluss. Alles beschrie des Unfalls Jammer und lachte sich halbtot drüber. 79
Abb. 11: Ausritt zu Esel Mstr. Haise, dessen natürliche Haarfarbe jetzt zutag kam, war nicht mehr zu erkennen, aber seine Schönheit wurde allgemein bewundert, sein braunrotes Haar stand ihm viel schöner als der Puder, womit er’s hatte verbergen wollen, dass man schrie: Jetzt könne er erst interessieren, was man vorher für unmöglich hielt. Wer war vergnügter wie er, der feierlich dem Puder abschwor und mit himmlischer Zufriedenheit bei den Frauen herumspazierte, sich bewundern zu lassen. Ich und die Lisett haben noch bis Mitternacht die Strohhüte renoviert, ich schlug sie alle auf der einen Seite mit einer Kokarde auf. Wenn man nun im Schatten sein will, so setzt man die Schippe nach vorne, wo die Sonne nicht scheint, dreht man sie herum; die Verwandlung fand allgemeinen Beifall und sieht nach Voigt malerisch aus. Heute morgen kamen die Eseltreiber mit den verlorenen Schuhen auf ihren Stecken in Prozession angerückt; sie hofften auf ein Trinkgeld, es musste auch bezahlt werden, obschon die Schuhe besser geblieben wären, wo sie begraben waren; man war ärgerlich, dass sie die beschmutzten Schuhe so öffentlich zur Schau trugen. Das war die gestrige Geschichte.
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1816 Einsam und doch nicht allein Aus: Johanna Schopenhauer, Ausflucht an den Rhein und dessen nächste Umgebungen im Sommer des ersten friedlichen Jahres, 1818 Schlangenbad, 15. August Wir sind hier kaum zwei Stunden von Schwalbach entfernt, und doch wie in einer andern Welt; so tiefe Ruhe und Stille herrscht in diesem engen grünen Tal. Ich komme mir darin vor wie ein Vogel, der sein Nest in den am dichtesten verschlungenen Zweigen einer mächtigen Linde erbaute; wohin ich blicke, sehe ich über mir Himmel, und rings um mich grüne Schatten; es ist, als ob die übrige Welt gar nicht in der Welt wäre. Erquickt vom Bade in den kristallenen, seidenweichen, lauwarmen Wellen, gehöre ich nachher den ganzen Morgen über nur mir und meinem Wollen, irre in den nahen Spaziergängen umher und gebe mir selbst Audienz, oder reite, wenn ich mich etwas weiter wagen will, irgend eine Anhöhe hinauf, von der ich den Rhein erblicken kann, denn auch hier finde ich meine nie genug zu lobenden Schwalbacher Esel wieder. Mittags kommt die ganze Gesellschaft im Speisesaal zusammen. Im Nassauer Hof, wo wir wohnen, besteht sie jetzt aus vierzehn bis fünfzehn Personen, die zum Teil mit uns unter demselben Dache leben, zum Teil im hessischen Hofe. Häufige Besuche aus Schwalbach und Wiesbaden vergrößern oft diesen kleinen Kreis und bringen uns in unsre schöne Einsamkeit Nachricht vom Tun und Treiben der Außenwelt. Besonders kommen die Schwalbacher am Ende ihrer Kur gewöhnlich einige Male nach Schlangenbad, um den Oker wieder abzuspülen, welcher während der Badezeit dort selbst der blendendsten Blondine das Ansehen einer Zigeunerin gibt. Nach Tische und den Abend über ist wieder ein jeder sich selbst 81
überlassen. Hier sind keine Bälle, keine Spieler, kein Salon, obgleich es an Raum dazu nicht fehlt, nicht einmal eine Badeliste kommt zu Stande. Abends soupiert jedermann in seinem Zimmer. In dem dicht an den Nassauer Hof grenzenden hessischen Hof ist die Zahl der Bewohner noch kleiner, bei der nämlichen Einrichtung des Ganzen. Sie können leicht denken, dass diese kleine Anzahl bleibender Gäste in dem großen Lokal nicht störend wird, und dass man sie kaum bemerkt, aber die, welche zueinander gehören, können einander nicht verfehlen, denn der Mittagstisch setzt alle miteinander in Rapport. Daher beklage ich mich keineswegs über Mangel an Gesellschaft. Ich habe hier schon manche angenehme Bekanntschaft gemacht und erneuert, übrigens tut mir die Ruhe um mich her unaussprechlich wohl nach den letzten vier geräuschvollen Wochen.
Abb. 12: Nassauer Hof im 19. Jahrhundert Einzeln verstreute ländliche Hütten abgerechnet, sind nur zwei Gebäude in diesem von hohen waldigen Felsen eng umschlossenen Tal, der hessische und der Nassauer Hof. Eine vortreffliche Kunststraße von Schwalbach hierher, und eine andre, welche nach Bibrich führt, sind die einzigen, das Tal durchschneidenden 82
Wege, wohl nur des Bades wegen angelegt, denn eine eigentliche Heerstraße geht hier nicht durch, und nie verirrt sich der Fuß eines Wanderers in diese stille Gegend, den nicht sein Zweck gerade hierher führt. Das Tal selbst ist fast nur eine große Laube, Schatten reihen sich an Schatten, alles ist grün, wohin das Auge sieht, und prangt in der üppigsten Vegetation. Der hessische Hof, ein großes schlossartiges Gebäude, mit sehr großen weitläufigen Sälen und Galerien, gerät leider nach und nach in einen zum Untergang sich neigenden Zustand. Etwas kleiner ist der Nassauer Hof und in weniger vornehmen Stil erbaut. Ein langer, ziemlich dunkler, gewölbter Gang verbindet beide Häuser und führt auch zu den sehr geräumigen Bädern, von denen einige sogar mit Porzellan und Marmor bekleidet sind. Sie werden alle reinlich und ordentlich gehalten; das Baden wird dadurch hier eine rechte Freude, besonders wenn man dabei an Schwalbach denkt. Nie habe ich in meinem Leben wohlfeiler gewohnt, als in Schlangenbad, wenigstens in keinem Badeorte. Jedes Zimmer hat seinen festgesetzten, unglaublich niedrigen Preis. Das Ganze wird hier für herrschaftliche Rechnung verwaltet, und alles Hausgerät besteht aus Inventarienstücken. Man glaubt sich wenigstens um fünfzig Jahre zurück, wenn man in den hohen geräumigen Zimmern die großen altertümlichen Stühle, die Tische mit Löwenklauen, die uralten Kommoden betrachtet, die so groß sind wie ein Haus in den schottischen Hochlanden. Doch alles ist ziemlich reinlich gehalten, und die Betten, als die Hauptsache, sind vorzüglich gut. Bei alle dem haben beide Häuser etwas Schauerliches, besonders der hessische Hof; dieser gleicht ganz den Spukabteien der Miss Radcliff, so uralt und grauerlich sieht er aus. In den hohen weiten Sälen, den unabsehbaren Galerien verhallen die Tritte der einsam darin Wandelnden wie Geisterschritt, lange nachdem man sie aus dem Gesicht verlor; und oft, wenn ich spät abends aus dem Bade komme, schauere ich unwillkürlich zusammen vor einer, von einem schwachen Licht beleuchteten weißen Gestalt, die neben einer dunkeln, tief verhüllten, durch den langen düstern Gang mir entgegen schwebt. Am Ende ist es dann eine Dame, die, wie ich, in ihren schwarzen Mantel gewickelt, sich von ihrer Kammerjungfer ins Bad geleiten lässt. Einige Terrassen und Boskette, welche zum hessischen Hofe gehören, werden ziemlich ordentlich gehalten und bieten gar freundliche trauliche Plätzchen für 83
den kleinen geselligen Teetisch. Sie sind zwar im veralteten französischen Stil angelegt, mit geschnittnen Hecken und ähnlichen Zierraten, aber die Natur ward hier Meister über die Kunst, überall drängt sie sich üppig hervor, und erlaubt letzterer nur für leidliche Ordnung und Reinlichkeiten zu sorgen. Die zum Nassauer Hof gehörenden sehr weitläufigen Promenaden sind ganz verwildert. Man hofft, dass beide Häuser bald unter eine Herrschaft kommen werden, und dass alsdann mehr zur höchst nötigen Erhaltung und Wiederherstellung des Ganzen geschehen soll. Der jetzige Zustand ist wirklich unnatürlich gespannt. Ein kleiner, zwischen beiden Gebäuden hinfließender Bach trennt die Grenzen, deren Überschreitung manchen Zwist unter den Inhabern beider Wirtschaften herbeiführt, und zugleich die Unterlassung jeder Verbesserung, weil der Nutzen davon auch dem feindlichen Nachbar zu gut käme. Für einen ländlichen Aufenthalt von ein paar Monaten wüsste ich keinen angenehmern Ort, als Schlangenbad. Man ist dort einsam und doch nicht allein. Wird man des engen romantischen Tales überdrüssig, so liegt der ganze Rheingau offen da; nach Bibrich, Ellfeld, dem Johannesberg lässt es sich bequem in wenigen Stunden fahren. Wem nach dem Geräusch der Welt verlangt, hat Schwalbach und Wiesbaden ganz in der Nähe, die dessen genug bieten. Dennoch wird es hier niemandem gefallen, der mit der Idee herkommt, einen wirklichen Badeort zu finden; die meisten Besuchenden erklären daher den Aufenthalt in Schlangenbad für höchst langweilig, und wollen nicht begreifen, wie man es darin länger als einen halben Tag aushalten kann. Das Wasser ist so weich, dass man es ohne Widerwillen nicht trinken mag, aber zum Baden das schönste und angenehmste in der Welt. Sehr berühmte Ärzte schreiben ihm bedeutende Heilkräfte zu, obgleich es keine Spur mineralischer Bestandteile enthalten soll.
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1818 Es sind der romantischen Lustwege recht viele Aus: Anton Kirchner, Ansichten von Frankfurt am Main, der umliegenden Gegend und den benachbarten Heilquellen, 1818 Im tiefen einsamen Tale, in ruhiger, fast klösterlicher Stille, von einem hohen waldigen Bergkranz überall umschlossen, liegt dies Bad, zu dem, von Schwalbach und Biberich her, bequeme Kunststraßen führen. Das ganze Tal gleicht einer Laube, wo Schatten sich an Schatten reihen. Überall herrscht eine Ruhe, welche gegen die Lebendigkeit der benachbarten Bäder auffallend genug absticht. Doch zum Herzen spricht sie gewiss, diese Ruhe, und die Natur in ihrer stillen Feier kann hier einen Frieden der Seele schenken, den man im Taumel der Welt vergebens sucht, und der zur körperlichen Genesung selbst mehr hilft, als die Kraft der stärksten Heilwasser. Wen solch’ ein Asyl mehr anspricht, als das geräuschvolle Treiben der Welt, der findet hier für alle Wünsche Befriedigung. Einzelne unbedeutende Hütten ausgenommen, sind im Schlangenbade nur zwei Gebäude – der (ehemals) Nassauische und Hessische Hof – beide im altfranzösischen, aber stattlichen Stile erbaut, welche Kurgäste aufnehmen. Auch sind hier weder Lust- noch Ballpartien, weder Schauspiel noch Konzerte, ja nicht einmal Badelisten im Gange; und selbst das Spiel ist gewöhnlich auf einen kleinen Nebenzweig des Schwalbacher Hauptstammes beschränkt. Dafür sind der romantischen Lustwege recht viele; die Bewirtung ist ganz erträglich, besonders wenn man mit eigner Bedienung versehen ist; die Betten sind reinlich, die Gerätschaften altertümlich zwar, aber doch anständig (* Alles Hausgerät besteht aus Inventarienstücken. Es wird, wie alles andre, für herrschaftliche Rechnung verwaltet. Der Ertrag ist bei der kleinen Zahl der Kurgäste nicht groß, der Nutzen für manchen Leidenden desto bedeutender), und die trefflichen, hohen, zum Teil mit Porzellan und Marmor bekleideten Bäder (** Zehn Bäder, worunter ein Tropfbad, sind jetzt im Gebrauche) lassen gar nichts zu wünschen übrig. In 85
den sammetweichen Wogen eines kristallhellen Wassers, das in der Lauwärme von 84–96 Grad Fahrenheit (21–22 Grad Reaumur) aus dem Boden quillt, wird jeder Erdensohn so wundersam erfrischt, dass nach einem dort gebrauchten Bade man erst einsehen lernt, wie solche Quellen einst zu lieblichen Dichtungen von allgemeiner Verjüngung die erste Veranlassung gaben. Feine fette Ton- und Kalkerde ist es, welche dem Wasser jene Zartheit gibt, die jedem Gefühl so angenehm schmeichelt. „Seine Wirkung“, sagt Hufeland, „ist erweichend, gelind erschlaffend, auflösend, reizmildernd, beruhigend und reinigend.“
Abb. 13: Blick auf Schlangenbad um 1815 Daher der Einfluss des Schlangenbads auf so viele Nervenübel, für welche es zuweilen nützlicher ist, als Pyrmont und Driburg. Doch wo und wie auch immer der Schutzgeist dieser Quellen helfen mag, genug dass er im Bunde mit einer balsamischen Berg- und Waldluft hier den Dämon der Hypochondrie häufig austreibt, und den beklommenen Dulder endlich geneigt macht, bei der Lichtseite der Gegenstände mit Wohlgefallen zu verweilen. So hat dies Bad Verdienste genug für ewige Zeiten. – Was auch Galen und Hippokrat, was Brown und Zimmermann schreiben mögen, Frohsinn und Seelenfriede sind die wirksamsten aller Heilmittel! – 86
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen, Ihr durchstudiert die klein’ und große Welt, Um es am Ende geh’n zu lassen, Wie’s Gott gefällt. Die Gesellschaft ist im Schlangenbade klein und vereinzelt. Es gibt der Leidenden hier mehr als der Gesunden, weil kein Magnet des rauschenden Vergnügens Gäste herbeizieht. Nicht selten finden sich Personen von Rang ein, die ihre eignen Zirkel bilden, und mit den andern Badegästen nichts gemein haben, als die Bäder. Zuweilen wird die Stille durch Ankömmlinge aus Schwalbach unterbrochen, die an der Seifenquelle den Oker abspülen, welchen das Stahlwasser hinterlassen hat. Wo jedoch die Natur so reich ist, kann man leicht den Behelf der Gesellschaft missen. Zwar beschränken sich die Gärten der Badehäuser nur auf wenige verwilderte Baumgänge, Terrassen, Bosketts. Dafür ist das ganze Tal durch die Höhen umher vor jedem Luftzuge so geschützt, dass auch der Schwächlichste ohne Gefahr überall lustwandeln mag. Gesundere finden, wenn sie die Anhöhe erklimmen, bei Görgenborn, oder bei der Rauenthaler Wallfahrtskapelle auf der Bubenhoferhöhe, eine entzückende Aussicht in die Waldgebirge, Rebenhügel und Lustgefilde des Rheingaus. Will man aus der Einsamkeit einen Blick in die Welt tun, so sind die Ufer des Rheins, Schwalbach und Wiesbaden, bald zu erreichen.
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1818 Schwermütig reizende Natur im Schattentale Aus: P. Rosenwall (Pseudonym für Dr. Gottfried Peter Rauschnick), Malerische Ansichten einer Reise durch Holland, die Rheinlande, Baden, die Schweiz und Würtemberg. Schlangenbad zeichnet sich seiner einzig sonderbaren Lage wegen aus. In einer tiefen Bergspalte, die kaum so viel Raum enthält, dass man zwei Gebäude neben einander bauen konnte, ist dieser Badeort befindlich, der eigentlich nur aus zwei ansehnlichen Häusern besteht, die durch einen kleinen Bach getrennt werden, der die Grenzscheide zwischen Nassau und Hessen-Kassel macht. (* Nach der neuesten Besitzregulierung ist mit der Grafschaft Katzenellenbogen auch der hessische Anteil an Nassau abgetreten.) Das eine Gebäude gehört dem Herzoge von Nassau, das andre dem Kurfürsten von Hessen-Kassel; doch kann man nur in dem letzteren baden, da die einzige Quelle sich darin befindet. Dieses Badehaus, in dem zugleich die Spielzimmer, Tanzsäle und Wohnungen vorhanden sind, hat eine seltsame Bauart, die durch den ungleichen Grund entstanden ist. Es hat eine Menge Erd- und Halbgeschosse, deshalb sind die Zimmer bald hoch, bald niedrig, und man ist genötigt, Treppen auf- und abzusteigen, um aus einem Zimmer ins andre zu kommen. Hinter diesem Hause sind einige angenehme, schattenreiche Spaziergänge; doch haben sie keinen bedeutenden Umfang und werden oft durch Erdstufen unterbrochen. Wer die Mühe nicht scheut, die nahen beträchtlichen Berge zu ersteigen, der findet oben zwei herrliche Aussichten, die das beschwerliche Hinanklimmen überschwänglich vergelten. Die Abgeschiedenheit dieses Bades, das ringsum von himmelhohen Bergen umgeben ist, macht es dem Freunde der Einsamkeit sehr anziehend. Will man einige Tage in einer schwermütig reizenden Natur ungestört sich selbst leben, so ist Schlangenbad ein dazu vorzüglich passender Ort. Man wird hier durch nichts zerstreuet, und an das Tun und Treiben der Menschen erinnert; ein ewiger Friede scheint seinen Wohnsitz in diesem Schattentale aufgeschlagen zu haben, 88
und die Natur in dieser Waldnacht ihren Sabbat zu feiern. Doch gilt dies nur für die Zeit, in der hier nicht gebadet wird; denn sobald die Badekuren ihren Anfang nehmen, ist es, des beschränkten Raumes wegen, unmöglich der Gesellschaft auszuweichen. Das Wasser hat nur eine kaum merkbare Wärme, höchstens 12 Grad Reaumur, und stehet in dem Ruf, die Hautfarbe zu verschönern. Ob dieses wirklich der Fall ist, kann ich nicht bestimmen, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es die Glieder geschmeidig macht und die Spannkraft der Nerven allmählich erhöhet. Diese Wirkung hat sich seit langen Jahren durch unzählige Beispiele bewährt, und ist umso wunderbarer, als eine chemische Analyse des Wassers seine Bestandteile ergeben hat, denen man diese Erfolge beimessen könnte. Der Aufenthalt in Schlangenbad ist etwas kostspielig, da die einsame Waldgegend keine Lebensmittel liefert, und die beiden Gastwirte von dem leben müssen, was ihnen die kurze Badezeit einbringt.
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1824 Das wahre und einzige Schönheitswasser ist Schlangenbad aus: Dr. Johann Heinrich Fenner von Fenneberg, Schlangenbad und seine Heiltugenden Es ist ein äußerst leichtes, reines, klares Wasser, von sehr fadem, kaum merkbar salzigem Geschmack […] Ein unnennbares wohltuendes Gefühl der Hautnerven erregend, schmiegt es sich, gleichsam wie ein süffiger Sammet, gefällig um die Glieder des Badenden, und, unendlich verschönernd, zeigt es demselben die zartesten Umrisse des Körpers von einer Rundung, Weichheit, Weiße und Blendung, wie sie kein griechischer Meißel aus parischem Marmor je hervorzuzaubern vermochte […] Von der Quelle sammelt sich das Wasser so im oberen wie im unteren Badhause in ein wohl verschlossenes Reservoir, und durch größere und kleinere Kranöffnungen strömt es von da in die hohen, sehr geräumigen, mit den nötigen Bequemlichkeiten (Stuhl, Schirmwand, Fußbrett, Stiefelzieher, Leinzeug, Wärmflasche u. s. w.) versehenen Bäder. An Wassermenge selbst fehlt es nie; die Quelle des oberen Badhauses allein gibt in 24 Stunden die bedeutende Masse von 3500 Ohmen. Nach Belieben kann sich daher der Badende so viel hinzulassen, als es ihm angenehm sein mag […] Tisch, Wein, Aufwartung u. s. w. entsprechen den Wünschen des Fremden. Wer eignen Wagen und Pferde mitbringt, findet die bequemsten Remisen, Stallungen, und das nötige Gefütter; für Andere, welche keine Equipage haben, sind gute Mietpferde und Fuhrwerk für entferntere Exkursionen, für nähere eine hinlängliche Anzahl von Eseln vorhanden, die unten am Eingange in belustigenden Gruppen aufgestellt, ungeduldig der schönen Ritterinnen harren, die oben herab vom Blumengelände der Terrasse mit vorsichtigem Blick den Getreuesten unter den Treuen prüfen. 90
Eine seelenvolle Musik, von einer Familie gutmütiger Böhmerländer vorgetragen, ergötzt jeden Abend mehrere Stunden im Freien die Lustwandelnden. Ruhebänke unter duftenden Linden laden zum Genusse des verglühenden Tages ein. Das emsige Strickwerk schafft sein erfreuliches Maß; der gesellige Tee plaudert die Geschichte des Tags, und mit dem verglimmenden Funken der Sonne haucht die Flöte ihren letzten sanft versterbenden Ton. […] Ich habe Jünglinge, deren gereizte Brust der Himmel von Italien nicht zu beruhigen vermochte, durch Schlangenbads Bäder wundersam besänftigt und neu aufblühen gesehen. […] Überhaupt ist Schlangenbad unter allen Bädern, selbst die zartesten künstlich bereiteten nicht ausgenommen, das allergeeignetste für die Jugend, für diejenige Lebensperiode, die ohnehin in sich selbst schon den entschiedenen Zunder zu Entzündungskrankheiten und den denselben nahenden Zufällen trägt. Das wahre und einzige Schönheitswasser ist Schlangenbad. Soll ich aber Schlangenbads Tugenden die Krone aufsetzen, so muss ich seine unübertreffbaren Eigenschaften nennen, mit denen es dem gemeinsten und kläglichsten aller Leiden unserer Zeit so hilfreich entgegen zu wirken und abzuhelfen vermag: Ich meine jene vielbesprochene und vielgekannte Überempfindlichkeit der Nerven, gewöhnliche Nervenschwäche genannt, die unter so zahllosen Krankheitserscheinungen und Kränklichkeiten vorkommend, gleich einer Sintflut daher gestürzt ist, und die schönsten und zartesten Blüten der Menschheit zerknickt hat. Wie sie sei, wie sie heiße, unter welcher Gestalt sie dastehe, sie feiert an Schlangenbads lauen sanften Quellen ihren glorreichen Rettungstag, in Schlangenbad, das so sicher und wahr die empörten wild aufgeregten Nerven zu beschwichtigen und leise milde Beruhigung durch ein System zu verbreiten vermag, das seine herrliche Bestimmung angenehm zu empfinden mit dem grausamen Schicksale vertauscht hat, qualvoll zu fühlen. […] Da hätten wir denn an Schlangenbad ein wohltätiges Mittel die mancherlei Gebrechen des Alters zu mildern, ja selbst dasselbe einigermaßen wiederum in die Kreise des jugendlichen Lebens zurückzuführen! Und in der Tat, es ist dem so. Ich sah und sehe manche Greise aus Schlangenbads Umarmungen jugendlich auferstehen, manche, deren Haupt der Reif des Lebenswinters überzogen, viele Jahre schon durch die Macht Schlangenbads herrlicher Quellen den lauernden Tod verscheuchen.
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Abb. 14: Blick vom Küppel in Richtung Westen, 1845
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1835 Der harmloseste und köstlichste Luxus in seiner Art Aus: unbekannter Verfasser, Belgien und Nassau oder der Reisende am Continent, 1835 Das alte Badehaus zu Schlangenbad besteht aus zwei Gebäuden; nämlich dem Nassauer und dem Hessischen Hof. Erster ist in späterer Zeit neu aufgebaut worden. Gewöhnlich sind beide Häuser sehr voll. Es ist daher denen, die Schlangenbad zu besuchen gedenken, anzuraten, sich vor ihrer Ankunft Zimmer zu bestellen. Man wendet sich desfalls an den von dem Herzoge bestallten Bademeister, der die Aufsicht über beide Häuser hat. – Man findet zu Schlangenbad, während der Saison, Fürsten, und Personen vom höchsten Range aus allen Teilen Deutschlands, und aus Russland; in neuerer Zeit hat auch die Anzahl der Engländer alljährlich bedeutend zugenommen. In welchem Grade hier ein angenehmer, geselliger, und von Seiten hoher Personen herablassender Ton herrscht, wird man aus nachstehender Übersetzung aus einem seit nicht langer Zeit über die Brunnen von Nassau im Englischen erschienenen Werke sehen: aus oben erwähnten Bubbles, von Sir Francis Head. Dem Verfasser dieses Buches, so wie fast allen seinen Landsleuten, die im allgemeinen von höchst aristokratischer Denkungsart sind, musste eine solche mehr scheinbare als wahre Gleichheit um so mehr auffallen, als man so etwas in England nie findet. „Kein Teil des Badehauses“, sagt er, „ist ausschließlich von den Königlichen Gästen eingenommen; sondern sie zahlen dieselben über der Türe des Zimmers bemerkten Preise, sie steigen dieselbe Treppe auf und ab, und gehen denselben Korridor entlang mit den geringsten Inwohnern des Gebäudes. Die Stille und anscheinende Einsamkeit, welche in diesem Badehause herrschten, waren uns immer ein Gegenstand des Erstaunens und der Bewunderung. Die Zelle des Einsiedlers kann kaum friedsamer sein“. 93
Die Bäder von Schlangenbad, fährt er fort, sind der harmloseste und köstlichste Luxus in seiner Art, dessen ich je genoss; und wirklich sehnte ich mich mit wahrem Vergnügen nach jedem Morgen, an dem ich dieses ergötzliche Element begrüßte. Die von demselben auf die Haut hervorgebrachte Wirkung ist sehr sonderbar; es ist ungefähr eben so warm wie Milch, aber ungleich weicher; und nach der Aussage Vieler soll, wenn man die Hand hineingetaucht und den Daumen gegen die Finger reibt, es sich wie Atlas anfühlen.
Abb. 15: Das Pferdebad vor 1834 Was nun auch das durch das Wasser hervorgebrachte Gefühl sein mag, so wird der Leser, wenn er bedenkt, dass man nicht nur aus Russland zu diesen Bädern kommt, sondern dass es in Steinkrügen als bloßes Schönheitsmittel nach St. Petersburg und andern entfernten Teilen von Europa versendet wird, doch gerne zugeben, dass es in der Tat sehr weich sein muss, um einen so außerordentlichen Grad von Berühmtheit erlangt zu haben: Denn Schlangenbad ist keine Stadt, nicht einmal Dorf kann man es nennen, nichts daher als die wirklichen oder eingebildeten Reize des Wassers konnten nach einem kleinen, abgelegenen Tale anziehen, welches in jedem Sinne des Wortes außer dem Angesichte der zivilisierten Welt 94
liegt; und doch muss ich gestehen, dass ich mich nicht erinnere, je an einem Orte gelebt zu haben, der so bezaubernde Schönheiten besessen hätte. Außerdem ist es (abgesehen davon, dass man reine, trockne Luft atmet) kein kleines Vergnügen, in einer Haut zu leben, die jedermann in gute Laune – wenigstens mit sich selbst – setzt. Außer diesen Verschönerungsreizen aber soll dieses Wasser noch Eigenschaften solideren Wertes besitzen: Es soll die Nerven beruhigen, alle Entzündungen stillen; und von dieser letzten Eigenschaft mögen wohl die an Menschen und Tieren bewirkten Kuren der Auszehrung, von denen man berichtet, herrühren. Welche guten Erfolge nun auch das Wasser in solchen Krankheitsfällen haben mag, seine erste Wirkung muss doch gewiss in der Art sein, die schlimme Einwirkung des Klimas aufzuheben, welche für die an der Auszehrung Leidenden unzweifelhaft eine harte Prüfung sein muss; denn so angenehm es auch denen in rüstiger Gesundheit ist, so dürfte doch, denke ich, die Schärfe der Gebirgsluft, nebst den plötzlichen Abwechslungen der Temperatur, welchen das Schwalbacher Tal ausgesetzt ist, nichts weniger als ein Heilmittel für schwache Lungen sein. Die auf die Haut hervorgebrachte Wirkung, wenn man ungefähr zwanzig Minuten im Bade gelegen hat, hörte ich eines Tages einen kurzen, dicken Franzosen einem seiner Freunde in folgenden Worten beschreiben: Monsieur, dans ces bains on devient absolument amoureux de soi-meme [= Mein Herr, in diesen Bädern kann man sich in seinen eigenen Körper verlieben]. Genau kann ich diese gallische Behauptung nicht bestätigen, doch muss ich zugeben, dass selbst alte Glieder nach und nach aussehen, als wenn sie in weißen Marmor umgewandelt wären. Die Haut nimmt einen leuchtenden, phosphorischen Glanz an, welcher denjenigen weißen Gegenständen sehr gleicht, die unter der heißen Zone bei ruhigem Wetter über Bord geworfen, indem sie untersinken in den Ozean, der sie bleicht und erleuchtet, wahrscheinlich von vielen meiner Leser beobachtet worden sind. Der Eindruck ist sehr sonderbar, und ich weiß ihn mir nicht anders zu erklären, als dass er von irgendeiner durch die eigentümlichen Teilchen, womit die Flüssigkeit geschwängert ist, verursachten prismatischen Strahlenbrechung herrühre. Die berühmte auf die Haut hervorgebrachte Wirkung rührt, meiner Meinung nach, von einer Art von Beize her, welche die Fettigkeit, oder sonst künstliche Decke, die sich durch üble Behandlung oder Aussetzung an der Sonne, und dem Winde auf der Oberfläche festgesetzt haben mag, hinwegräumt. Kurz, der Körper wird eben so dadurch gereinigt, wie eine Küchenmagd ihr Kupferkasserol scheuert; und da die Wirkung augenscheinlich ist, so kommen die Damen bescheiden von den ent95
ferntesten Teilen Europas herbei. Keineswegs bin ich jedoch gewiss, dass sie eine dauernde Wohltat daraus ziehen; ja, im Gegenteil, möchte ich glauben, dass ihre Haut eher gröber als irgend etwas anders werden dürfte, durch Hinwegräumung eines feinen Schleiers, oder einer Decke, womit die Natur die äußere Haut zu beschützen beabsichtigte.
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1841 Fern aller städtischen Verkehrtheiten Aus: Wilhelm Dieffenbach, Vom Rhein und aus den Taunusbädern (Didaskalia), 1841 Sonntag, den 19. September 1841 Ein misanthropischer Reisender nennt diesen Kurort ein Hospital der vornehmen Welt, und, wie es scheint, in keiner andern Absicht, als dadurch anzudeuten, dass daselbst nur Hinfällige, Lahme und Gichtbrüchige aus den höhern Ständen anzutreffen seien. Keine Behauptung ist unwahrer als diese. Man findet hier, wie in allen Bädern, Leidende und Gesunde, welche, ferne von der Heimat und den Geschäften, einen Teil der schönen Jahreszeit in ländlicher Zurückgezogenheit zubringen wollen. Wo könnten sie dieser Neigung mehr leben, als in Schlangenbad, in Mitte eines romantischen Gebirgstales, welches von der Kunst eben so sehr bedacht worden ist, als sich die freigebige Natur gütig gegen es erwiesen hat? Erreicht man Schlangenbad von Neudorf aus, auf der schönen breiten Straße, welche vom Tal entlang am Saume des Waldes hinaufführt, so wähnt man eher, sich in Mitte der Sommerresidenz eines Fürsten, als in einem ländlichen Kurorte zu befinden. Die Gebäude gleichen Palästen, der reinlichste Anstrich verleiht ihnen das blendendste Farbenspiel, und aus dem gelben Grund der sorgfältig planierten Höfe erheben sich Blumenbeete, welche die Luft mit Wohlgerüchen erfüllen. Das Innere der Gebäude ist nicht minder elegant als ihr Äußeres, und wenn man das obere Kurhaus, das neue Badhaus und den Nassauer Hof betritt, so wird man bald bemerken, dass die allmächtige Herrschaft der Mode und des Luxus auch hier ihre souveränen Rechte in hohem Grade geltend gemacht hat. Im „Nassauer Hof “ fand ich eine zahlreich besetzte Table d’hote und auserlesene Gesellschaft, welche sich unter dem wohnlichen Dache dieses Hauses sehr zu gefallen schien. Die Kaffeepartie nach Tisch ist auf der gegenüber liegenden Terrasse, die für die Konversation im Freien vorzugsweise bestimmt zu sein scheint. Von hier und dem „Nas97
sauer Hof “ gelangt man in die waldreiche Umgebung von Schlangenbad, welche eher einem englischen Garten, als einem bloßen Walde zu gleichen scheint. Hier, ferne von dem Geräusch der Städte und ihren Verkehrtheiten, kann der Freund der Natur frei aufatmen und sich Träumereien überlassen, wie sie einst Rousseau auf der romantischen St. Petersinsel in tiefster Zurückgezogenheit geträumt hat. Wenn es wahr ist, dass die Umgebung, in welcher der Mensch lebt, den unmittelbarsten und nächsten Einfluss auf seine Gemütsbestimmung hat, so ist nicht zu leugnen, dass das freundlich stille Schlangenbad und die heitere Umgebung, die ihm schwesterlich die Hand reicht, ganz dazu geschaffen zu sein scheinen, die Seele des Leidenden sanfter zu stimmen und ihr jenen Gleichmut zu verleihen, der die wirklichen oder eingebildeten Verluste des Lebens mit edler Geduld ertragen lehrt. Wüssten die Menschen bei Feststellung ihrer Weltenansichten und bei Beurteilung ihrer persönlichen Angelegenheiten sich unabhängiger von den Einflüssen der Leidenschaften zu erhalten, und dem prüfenden und abwägenden Verstande stets die Rechte einzuräumen, die ihm gebühren, so würden sie bald erkennen, dass die unendliche Mehrzahl ihrer Sorgen eitles Kinderspiel sind, und dass sie öfter in der durch die heftigsten Affekte herbeigeführten wilden Verwirrung ihrer Sinne das Böse mit dem Guten vermischen und beides kaum von einander zu unterscheiden wissen. Sehr richtig bemerkt Wieland: „Die besten Menschen haben ihre Anomalien, und die Weisesten leiden zuweilen eine vorübergehende Verfinsterung“. Wäre es anders, so müssten die Menschen aufhören, Menschen zu sein. Der Kultus der Glücksgöttin zählt zu Schlangenbad nur wenige und laue Anhänger. Durch einen langen Korridor ging ich nach dem neu hergestellten eleganten Spielsaal, fand aber dort nur einige wenige Personen, welche mehr zur Erholung als aus Gewinnsucht zu spielen schienen. Dabei lief die elfenbeinerne Glückskugel so mürrisch langsam auf der glänzenden Scheibe, dass sie selber ihres Herrn und Gebieters unerquickliche Stimmung zu teilen schien. Blickte man noch dazu auf die nächste Umgebung, so war man einen Augenblick zweifelhaft, ob das alles nur ein märchenhaft täuschender Schein, oder die nackte Wirklichkeit sei. Die im schönsten roten Saffian glänzenden Sofas und Stühle waren leer, die faltenreichen weißen Vorhänge verdeckten die Hälfte der großen Fenster, die, von Bäumen beschattet, nur ein Dämmerlicht hindurch ließen, welches den widrigen Eindruck der vom Plafond düster herabschauenden Figuren noch um Vieles verstärkte. Die ganze Szene hatte für mich einen unglaublich melancholischen Charakter; mir war zu Mute wie einem fahrenden Rittersmanne, der in Nebel und Nacht in ein 98
bezaubertes Schloss gerät und in die Fallstricke der nächtlichen Kobolde jeden Augenblick zu geraten befürchten muss. Und doch war es nur ein Spielsaal, in dem ich mich befand. Meine Einbildungskraft malte mir bei längerem Verweilen noch schlimmere Szenen vor, und um diesen zu entgehen, eilte ich durch den Korridor, unter dem Echo der Fußtritte, nach der mit freundlicheren Lebensbildern sich beschäftigenden Gesellschaft zurück.
Abb. 16: Die 1770 als Ballhaus errichtete „Alte Kapelle“ wurde auch als Spielsaal genutzt
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1842 Entfernt vom Getriebe der Welt Aus: unbekannter Verfasser, Augsburger Allgemeine Zeitung, 1842 Mögen andere die rauschenden Vergnügungen der großen Bäder vorziehen, ich lobe mir mein einsames und stilles Schlangenbad, wo, vom Getriebe der Welt entfernt, der Friede in der Seele einkehrt und im Genusse einer schönen Natur das Herz sich der Liebe und Freundschaft öffnet. In einem kleinen Tale, von Wald und hohen Bergen umschlossen, 900 bis 1000 Fuß über dem Rheine, genießt man hier einer erfrischenden Berg- und Waldluft. Die Sommerhitze belästigt nicht; die Lage auf der südlichen Abdachung des Taunus und die Berge schützen vor rauen Winden und Stürmen; eine milde Temperatur ist vorherrschend. Der Buchenwald steht vor der Türe, schattige Gänge ziehen durch ihn hin und führen auf die Rücken der Bergkuppen, die eine herrliche Aussicht in das Rheintal gewähren. Dazu nun das köstliche Bad, dessen Wasser klarer als Kristall ist und wie dieses schillert! Dem Badenden erscheint sein Leib schöner als das schönste Elfenbein, er freut sich dieses weißen Glanzes, der sich durch längern Gebrauch der Bäder der Haut selbst mitteilt, indem sie durch die tonigen und reinigenden Bestandteile der Therme eine besondere Glätte, Weichheit und Weiße erhält. Allen Damen, welche ihre Schönheit zu konservieren wünschen, allen Nervenüberreizten, nach schweren Krankheiten Rekonvaleszierenden, von Körper- und Gemütsleiden Niedergebeugten und Erschöpften, an Siechtum Leidenden und an Übeln, die kein eingreifendes Verfahren gestatten, Brustleidenden, für die Ems zu reizend ist, empfehlen wir dieses Luft- und Wasserbad, und sie werden genesen oder gestärkt heimkehren. Schlangenbad wurde im Jahr 1657 von einem Wormser Arzte namens Gloxin gegründet, welcher die warmen Quellen, den nötigen Raum und das Bauholz von der Bärstadter Gemeinde für zwei Wormser Ohm Wein zum Geschenk erhielt. Von den Erben erstand es der Landgraf Karl von Hessen-Kassel, in dessen Gebiet es lag. Unter der französischen Okkupation war man nahe daran die drei Gebäude, aus denen der Kurort bestand, abzutragen, indem sie sich nicht 100
rentierten. Der damalige Verwalter Rullmann wusste jedoch diesen Vandalismus zu hintertreiben. 1816 kam die Landschaft an Nassau und die herzogliche Domänenkammer lässt sich die Vervollkommnung des Kurorts angelegen sein, was um so mehr zu rühmen ist, als er keinen Gewinn abwerfen soll. Zu kurmainzischen Zeiten war Schlangenbad ein Lieblingsaufenthalt der Mainzer Domherren und der Mainzer Schönen. Kurmainz besaß hier auf seinem Territorium, das durch einen Bach von Kurhessen geschieden war, ein großes Logierhaus. Bis in die neuesten Zeiten erfreut sich das Bad der Gunst hoher und hochgestellter Personen. Die herzogliche Regierung sorgt dafür, dass für die Kurzeit stets ein tüchtiger Arzt, dermalen Dr. Kuisling, anwesend ist und ebenso lässt es sich der Verwalter der Domänen, Hr. Stiehl, angelegen sein, den Wünschen der Gäste zuvorzukommen, und besonders ist sein Bemühen zu loben, die schönen Punkte des Gebirges durch Spazierwege zugänglich zu machen. Ist es noch erlaubt einen Wunsch, den alle Kurgäste teilen, hier auszusprechen, so wäre es der, dass die umgebenden Waldungen möglichst konserviert werden möchten. Da diese nicht Domanialeigentum sind, sondern den angrenzenden Gemeinden gehören, so wird es freilich schwer sein, sie dem bis jetzt stattfindenden regelmäßigen Abtrieb zu entziehen; da jedoch im Herzogtum die Landesregierung das Gemeindevermögen verwaltet, so ließe sich wohl durch Tausch oder auf sonstige Art eine gütliche Übereinkunft treffen und es sollte nie mehr vorkommen, dass selbst gegen das Interesse der wenigen Schlangenbader Einwohner, die rein von den Kurgästen leben, ein anstoßender Wald umgerodet würde, um zum Kartoffelbau verwendet zu werden. Vor nicht gar langer Zeit war Schlangenbad noch von Urwald umgeben. […] Eine andere Unart ist, dass alle zugänglichen Felsenspitzen zerschlagen werden, um sie zu Pflastersteinen zu verwenden. Ein allgemeines Nivellierungssystem scheint hier beliebt. Jeder Kurort hat seine eigentümlichen Reize, welche zu erhöhen die Behörden sich angelegen sein lassen sollten. Zieren dort prächtige Gesellschaftssäle und Säulenhallen einen Kurort, so sind es hier prächtige Wälder und Berge. Der Kurgast geht in das Bad nicht allein um seiner körperlichen Gebrechen quitt zu werden, er will auch, wenigstens auf kurze Zeit, sein Alltagsleben abstreifen, und hofft daher daselbst Befriedigung für geistige und Naturgenüsse zu finden. Besteht nun in einer schönen Gebirgslandschaft die Schönheit eines Kurorts, so sollte daselbst nicht die nützliche, sondern allein die schöne Forstkultur vorwalten. 101
Abb. 17: Das Obere Badehaus um 1830
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1842 Grüne Tallaube, trauter Winkel der Erde Aus: unbekannter Verfasser, Die Mineralbrunnen und Heilquellen am Taunus, (Didaskalia), 1842 Während aus der Masse von Eindrücken, welche die Außenwelt auf uns hervorbringt, die meisten über lang oder kurz verschwinden und auf der Tafel unserer Erinnerung kaum eine Spur zurücklassen, bleiben andere fest und in aller Farbenfrische stehen und begleiten uns durchs Leben. So steigt auch jetzt wie durch einen Zauberschlag Schlangenbads romantisches Tal vor meine Seele und ich gedenke weit hinter mir liegender, aber glücklicher Tage. Leben Sie auch noch in Euerm Gedächtnis, meine Freunde? Wir gingen damals in die sogenannte lateinische Schule in W. und lasen den Cornelius Nepos, der uns eben so viel Lust bereitete als Unlust. Um uns bei diesen ersten Wanderungen durch das Gebiet des klassischen Altertums aufzumuntern, lohnte uns der würdige Rektor S. durch kleine Sonntagswallfahrten, welche von Zeit zu Zeit in die Umgegend gemacht wurden und stets für uns reich an Vergnügen waren. Eines solchen Tages liebliches Bild steht jetzt vor mir. Wir waren über Dotzheim und Frauenstein gen Schlangenbad gezogen durch saftgrünes Wiesengelände und über sanft anschwellende Hügel, durch labende Waldeskühle und an bemoosten Felsen oder einsam gelegenen Mühlen vorüber; wir hatten dabei wacker botanisiert und besonders auf die hier wachsenden Giftpflanzen, den Schierling, die schwarze Belladonna und den roten Fingerhut Jagd gemacht; wir hatten uns mit aller Empfänglichkeit des kindlichen Alters in die stille Natur und Pflanzenwelt hinein gelebt. So stiegen wir den steinigen, schroff sich senkenden Pfad vom Georgenborn hinab, und unter uns lag in Mittagssonnenglut und von tiefblauem Himmel überwölkt das friedliche Tal der hier weilenden, aber harmlosen Schlangen, das Schlangenbad. „Wie schön!“ war unser Freuderuf, als wir hinunterschauten. Es standen uns damals noch keine so großen Redensarten wie jetzt zu Gebote, aber wir fühlten, bewunderten und liebten umso inniger und tiefer. Jener Eindruck, er ist noch so frisch, als sei er erst 103
wenige Tage alt, und doch liegt ein Viertel Jahrhundert zwischen ihm und diesen Zeilen! Empfanden wir damals, als wir noch mit Epaminondas und Pausanias verkehrten, wirklich feuriger und poetischer oder ist es nur der wunderbare Zauber der Erinnerung, der uns umstrickt? Alles Vergangene, wie strahlend und groß. Als ob die Götter uns dadurch für den Verlust entschädigen und über die Flucht der Zeit trösten wollten! Gedenkt es Euch noch, meine Freunde, wie wir die langen Korridore des alten Badehauses staunend durchschritten, wie wir die uns begegnenden Kurgäste ehrfurchtsvoll begrüßten, wie wir, als wir in die hohen Badehallen traten, das urplötzliche Erscheinen einer Najade kaum noch bezweifelten und wie endlich die harmlosen Vipern, welchen Schlangenbad seinen Namen verdankt, uns mit den Schauern der Märchenwelt durchbebten? Wie schön war es, als wir unter sommerabendlichen Dämmerungen den Rückweg antraten, als die fernen Dorfglocken durch das Waldgehege zu uns aus den Tälern herauftönten, als der Mond über die Tannenwipfel emporstieg und das Farrenkraut und die bemoosten Baumstämme mit Silberglanz überzog! So ist mir Schlangenbad lieb geworden und es stets geblieben. In Bezug auf Schönheiten der Kunst und Wissenschaft, der Mode und der Gewohnheit ist unser Geschmack manchem Wechsel unterworfen, aber die Schönheiten der Natur bleiben für den Jüngling wie für den Greis dieselben, wenn auch in ihren Eindrücken etwas stärker oder schwächer. Schlangenbad mit seiner friedlichen Einsamkeit, in welcher man die Welthändel und ihre Sorgen bis auf die Erinnerung vergessen kann, ist ein trauter Winkel der Erde, dessen Ruhe und Stille im Kontrast zum bunten Gelärme großer Städte ungemein wohltätig sind. Es wird vorherrschend von Personen der höheren Stände und besonders von vornehmen Damen besucht, welchen es schon Hufeland als ein Bad der Verschönerung und Verjüngung anempfohlen. Sein klares und zartes Wasser gibt der Haut Feinheit und Frische, macht die Glieder geschmeidig und belebt die Nerventätigkeit; die stärkende Luft und der balsamische Hauch der Vegetation in dieser grünen Tallaube, der friedliche Charakter, den hier alles trägt, sie erquicken den Leidenden. Außer den beiden herrschaftlichen Gebäuden sind in neuester Zeit noch mehrere andere in Aufnahme gekommen, in welchen für die Bedürfnisse der vornehmen Welt aufs Beste gesorgt ist, und auch die Frequenz von Schlangenbad hat sich während der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt.
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1842 Sir Francis Head erzählt die Legende vom kranken Rind Aus: unbekannter Verfasser, Die Mineralbrunnen und Heilquellen am Taunus (Didaskalia), 1842 Sonntag, den 24. Juli 1842 Der beliebte Verfasser des Werkes: Bubbles from the Brunnens of Nassau, by an old man (Sir Francis Head) hat das schöne Schlangenbad in besondere Affektion genommen und sich längere Zeit hier aufgehalten. Wir wollen seinen anziehenden Berichten einiges entnehmen. Er erzählt: „Mein Aufenthalt in Langenschwalbach war mir so angenehm geworden, mein Körper hatte sich durch die beständige Bewegung so erholt, mein Geist so erheitert, dass ich das eigentliche Ziel meiner Reise, Schlangenbad, darüber beinahe vergessen hätte. Ich setzte mich jetzt endlich in den Wagen, legte mein Felleisen neben mich und sagte ihm Valet, dem mir liebgewordenen Badeort, wo ich einen mir unvergesslichen Zeitraum meines Lebens verbracht hatte. Eine Zeit lang fuhr der Wagen gegen Osten zu allmählich aufwärts, bis wir auf einen hohen Berggipfel gelangten. Von hier genoss ich eine herrliche Aussicht, und die Gegend glich einem großartigen Park. Tief unter mir spielten die Schwalbacher Musikanten, und sie, wie der Ort selber, waren in Nebel gehüllt; auch klangen die Töne nur verworren herauf, bald stärker, bald schwächer und oft kaum vernehmbar; ihr Eindruck in der Stille meiner Umgebung war eigentümlicher Art. Jetzt wandte meine Straße plötzlich rechts und schlängelte sich einen langen felsigen und engen Hohlweg hinab, der von unten bis oben mit Buchen und Eichen bewachsen war. Das eine Rad eingehemmt, rollte mein Wagen eilig hinab. Der Weg bog sich öfters und steile Wände verhinderten die Aussicht. Nach kaum zweistündiger Fahrt, welche stellenweise schöne Naturansichten bot, erblickte ich Schlangenbad, in den magischen Mantel seiner fast melancholischen 105
Ruhe gehüllt. Schlangenbad besteht nur aus einigen, aber großartigen herrschaftlichen Gebäuden, einigen Gasthöfen und wenigen Häusern und Mühlen, welche letzteren von dem berühmten Mineralwasser getrieben werden, nachdem zuvor schöne Damen darin gebadet haben. Der erste Eindruck des Ortes war eben kein günstiger und hatte etwas Düsteres und Gefängnisartiges, was die auf einer Terrasse spielenden Musikanten und einige Gruppen von Badegästen nicht zu verdrängen vermochten; je mehr ich indessen das Tal und seine friedlichen Pfade und Promenaden durchwanderte, desto mehr befreundete ich mich mit ihm, und später habe ich es sehr lieb gewonnen“. Sir Francis Head erzählt nun, wie er sich ein Zimmer gemietet und sich in Schlangenbad niedergelassen, wie er einen kleinen originellen Mann und dessen Frau kennen gelernt hat, und beschreibt sodann die herrschaftlichen Gebäude und deren Parkanlagen. Über die Entdeckung der Quellen will der Engländer eine Sage vernommen haben, die er auf folgende humoristische Weise seinen Landsleuten mitteilt: „Ein junges Rind befand sich in einem kränklichen Zustand; je mehr es fraß, desto magerer ward es; je mehr ihm die Alte das Fell leckte, desto rauer und steifer ward dieses; keine Fliege im Walde mochte nach ihm stechen, es käute nicht wider und seine Hüften standen aus der Haut hervor. Niemand wusste zu sagen, was ihm fehle, noch konnte man es kurieren, und sein Herr gab es für verloren. Nach wenigen Wochen erschien es jedoch plötzlich wieder unter der Herde, seine Rippen waren mit Fleisch bedeckt, es hatte Augen wie ein Reh, die Haut war so weich wie bei einem Maulwurf, der Atem roch lieblich nach Milch, und der Mund war mit Speichel bedeckt! Jeden Tag verbesserte sich sein Zustand, und diese Erscheinung erregte so viel Aufmerksamkeit, dass der Hirt dies Rind genau beobachtete und nun entdeckte, dass es jeden Abend in den Wald lief, aus einer unbekannten Quelle trank und dann ruhig wieder in das Tal zurückkehrte. Dieser Vorfall war von den Landleuten jedoch schon vergessen, als eine junge Dame in der Gegend dieselben Krankheitssymptome zeigte als das Rind. Ihre Verwandten wandten alles an, sie herzustellen, aber vergebens, die Ärzte wussten nicht mehr zu helfen. Der Hirt, welcher zufällig davon hörte, bewog zuletzt die junge Dame, von der Quelle zu trinken. Sie tat es und ward in kurzer Zeit völlig gesund. Mehrere Kranke folgten ihrem Beispiel und die Quelle wurde durch diese glücklichen Erfolge berühmt.“[…] Mit Vergnügen folgt der Leser den gemütlichen Betrachtungen und den teilweise recht anziehenden Beschreibungen des Engländers, der bald mitten in der Nacht 106
von einem Gewitter aufgeweckt wird, dessen Erhabenheit ihn überrascht, bald Berge ersteigt und Bäume erklettert, und von dem herab fallenden Regen durchnässt wird, ohne sich im Anschauen des herrlichen Rheintals, das unter ihm ausgebreitet liegt, stören zu lassen. Da uns der Raum dieser Blätter weitere Auszüge nicht verstattet, so verweisen wir auf das oben genannte Werk, das von den Engländern, als mit Geist und Humor geschrieben, gerühmt wird. Da in Schlangenbad für lärmende und großstädtische Zerstreuungen, für Bälle und Reunionen nicht gesorgt ist, auch nach dem Charakter dieses Ortes nicht gesorgt sein soll, so ist der hiesige Badegast um so mehr auf die schönen Umgebungen des Tales angewiesen, welche den Kranken wie den Gesunden hier freundlich anlächeln und anziehen. Die interessantesten Punkte sind: Die schöne Aussicht, Rauenthal mit einer Kapellruine, Bubenhausen, die Burg Scharfenstein bei Kiderich, Georgenborn mit seiner benachbarten Waldeskühle, das Chausseehaus, die Mühle bei Wambach, Frauenstein, das Kloster Eberbach u. A. und endlich das herrliche Rheingau mit seinen vielgepriesenen Naturschönheiten. Nach der Gefangenschaft eines langen Winters, nach der dumpfen Beengung einer anstrengenden Büroarbeit, nach dem lästigen Zwange gesellschaftlicher Konvenienzen, nach einem den Geist niederdrückenden Siechtum, wie wohl muss es den Besuchern von Schlangenbad hier zu Mute werden, wann die friedliche Waldeinsamkeit und das idyllische Stillleben unter diesen Felsen, Wiesenbächen und Talgründen sie umfangen und wann ein tiefblauer Himmel ihren Blicken entgegenstrahlt. W.
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1851 Spektakuläre kurierte Krankheitsfälle aus: Wilhelm Heinrich Riehl, Das Schlangenbad, 1851 Der älteste Badearzt (Welcker) hat uns in seinem ärztlichen Tagebuch eine Beschreibung aller der einzelnen Krankheitsfälle mitgeteilt, die er während der ersten sechzehn Jahre, in welchen Schlangenbad als Kurort sich Geltung verschaffte, durch die Heilkraft der Quelle besiegt hat. Diese Veröffentlichung mag ihrer Zeit den Ruf des Bades ganz besonders erhöht haben. Fast jede einzelne Beobachtung schließt in treuherzig altmodischer Weise mit dem epischen Refrain, der Kranke sei „felicissime kurirt worden“ [erfolgreich geheilt] und „vergnügt nach Hause gereist“. […] Von den mehr als hundert Einzelfällen mögen ein paar hierher gesetzt werden. Ein vierzigjähriger armer Mann aus Landau war ganz lahm, dass man ihn auf einem Schubkarren in das Bad fahren musste. Er trank den Brunnen, badete dabei und ist vollständig geheilt worden. Eine Bauersfrau, welche „über 14 Tage mit einem Schlagfluss überfallen worden“, so dass sie nicht mehr sprechen und nicht mehr gehen konnte, wurde durch die Bade- und Brunnenkur so weit gebracht, dass ihr die Sprache und der Gebrauch der Glieder wiederkam. Ein Schustersknecht hatte seit Jahr und Tag einen steifen Hals und „ganz entschlafene Finger“, so dass er nicht mehr arbeiten konnte. Nach vierzehntägigem Gebrauch der Heilquelle ging eine wässerige blutige Feuchtigkeit aus den Fingern ab, worauf der Kranke die Bewegung dieser Glieder wieder erhielt. Welcker bemerkt, dass dieser Fall die besondere Bewunderung mehrer in Schlangenbad anwesender Ärzte auf sich gezogen. Eine ganze Anzahl von (vermutlich hessen-rheinhessischen) Soldaten, welche den Feldzug in Brabant mitgemacht und vor Mons verwundet worden waren, wurden ins Schlangenbad geschickt, welches die Unreinigkeiten aus ihren Wunden trieb und zur Heilung derselben vortrefflich mitwirkte. Bei einem hessischen 108
Oberstleutnant, der in Folge verschiedener Verwundungen an heftigen Schmerzen litt, wurde das Bruchstück einer Kugel, welches noch im Körper stak, durch das Schlangenbad herausgetrieben, und dadurch die Heilung herbeigeführt. Ebenso bewährte sich das Bad bei allerlei nachteiligen Folgen, welche durch übermäßige Feldzugs-Strapazen herbeigeführt waren, und wie jetzt die Invaliden der Studierstube und des Büros häufig zur Verjüngung ihrer Lebenskraft nach dem Schlangenbade eilen, so ist es damals eine Zufluchtsstätte für alte, invalid gewordene Krieger gewesen. Eine vornehme sechzigjährige Dame, welche vierundzwanzig Kinder geboren und, wohl in Folge dessen, ganz lahm geworden war, wurde durch das Schlangenbad von ihrer Lähmung befreit. Ein schlesischer Baron, der dem hitzigen Ungarwein zu heftig zugesetzt hatte und dessen Blut dadurch in solche Erhitzung und Wallung versetzt worden war, dass er „große Schmerzen, Hitz’ und Durst beneben laufender Gliedergicht ausstehen mußte“, ist durch dieses Bad und, wie unser alter Gewährsmann sich meist naiv auszudrücken pflegt, „getrunkenen Sauerbrunnen“, wieder völlig genesen. Eine „bekannte schwedische Gräfin“, welche am Stein und an Krampfschmerzen litt und obendrein von ihrer Meerkatze gefährlich gebissen worden war, wurde dieser Wunde hier quitt, ebenso wie ein bayreuthischer Rat, dem ein böser Hund in das Schienbein gebissen. Ein Reichsgraf, dem ein wildes Schwein den Unterleib geschlitzt, wurde wenigstens „soulagirt von seinen Schmerzen“. Wenn ferner Doktor Welcker berichtet, dass ein Minister, dem die Finger zitterten, ein Baron, der am Samenfluss litt, „weil er zu stark debauchirt“, ein Prälat, der von Herzklopfen und Magenweh und eine Hofdame, die von Melancholie geplagt war, durch das Schlangenbad kuriert worden sind, so sieht es fast aus, als ob sein Tagebuch ebenso gut Beiträge zur Sittengeschichte als zur ärztlichen des Zeitalters liefern könnte.
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1851 Zauber des sozialen Lebens Aus: Wilhelm H. Riehl, Das Schlangenbad , 1851 Die Kurordnung wurde in folgender Weise eingehalten: Früh morgens von 6 bis 7 Uhr tranken die Gäste Schwalbacher, Emser oder Selterser Wasser, welches durch besondere Träger jeden Morgen frisch hierher gebracht wurde. Skrupulöse Leute pflegten auch ihre eigenen Bedienten alltäglich mit dem Kruge nach Schwalbach zu schicken, um der frischen Füllung versichert zu sein. Um 8 Uhr wurde gebadet. Da ein Teil der alten Marmorbäder so umfangreich angelegt ist, dass man darin schwimmen könnte, und dass 5–6 Personen bequem zu gleicher Zeit darinnen baden mögen, so war es damals nichts Seltenes, dass etliche befreundete Männer oder ein kleiner Zirkel befreundeter Frauen gemeinsam in diesen Wasserbehältern von fast antik römischem Aussehen das Bad nahmen. Während der Badestunde flackerte bei jedem Bade ein Kaminfeuer zum behaglichen Abtrocknen und zum Wärmen der Leibwäsche. Jedes einzelne Bad wurde mit einem Reichsgulden bezahlt. Die Gäste, welche im hessischen Hause wohnten, erhielten es etwas billiger. Auch die Mittagstafel kostete einen Reichsgulden. Für den hohen Geldwert jener Zeit war beides ein enormer Preis und überhaupt das Badeleben in Schlangenbad verhältnismäßig weit kostspieliger als gegenwärtig. Die Hauptmahlzeit fand nach alter bürgerlicher deutscher Sitte vormittags um 11 Uhr statt. Das Abendessen wurde um 6 Uhr nachmittags gehalten. Die fürstlichen Gäste brachten wohl ihre eigene Küche mit. Die Gasttafel des damaligen Wirtes scheint nicht für Feinschmecker eingerichtet gewesen zu sein. Wenigstens klagt unser französischer Gewährsmann, dass der Wirth, dem er das schmeichelhafte Beiwort „le maudit cabaretier“ (der verfluchte Gastwirt) gibt, je von Zeit zu Zeit ein Kalb, ein Schwein, einen Hammel schlachte oder einen Hirsch kaufe und nun der ganzen Tischgesellschaft Tag für Tag so lange die nämliche Fleischart vorsetze, bis das betreffende Tier vollständig aufgezehrt sei, wo dann wieder ein anderes an die Reihe komme. Das ist auch ein alter, deutsch bürgerlicher Brauch, der 110
freilich dem verwöhnten französischen Gaumen schlecht zusagen mochte. Aber trotzdem wird fast von allen, welche damals über das Schlangenbad geschrieben, über die dort herrschende Üppigkeit und Schlemmerei Klage geführt. Viele scheinen hierher gekommen zu sein, mehr den goldenen Quellen der Rauenthaler Rebenhügel als dem Milchwasser des lauen Schlangenbornes zulieb. Im „großen Saale“ versammelte sich des Nachmittags die Kurgesellschaft zu Spiel und geselliger Unterhaltung. Es hielten damals mehrenteils Juden in den Taunusbädern Bank; man spielte mit kleinem Einsatz, konnte aber doch viel Geld verlieren. Auch der Tanz gehörte zu den regelmäßigen Badebelustigungen. Schwalbach und Schlangenbad tauschten häufig ihre Gäste zu Tagesbesuchen aus. Der Verkehr mit Wiesbaden war dagegen wegen der halsbrechenden Straße sehr gering. Über wegelagerndes Diebsgesindel, welches zwischen den Taunussbädern sein Wesen trieb und den Koffern des ab- und zureisenden Kurpublikums besonders gefährlich war, wird damals noch stark geklagt. Der Abend eines Schlangenbader Kurtages war den Spaziergängen in den schattigen, im altfranzösischen Geschmack kunstreich verschnittenen Hainbuchen-Alleen gewidmet, die sich hinter den Badehäusern der Schlucht des Warmenbaches aufwärts ziehen. Diese Anlagen scheint man für den rechten Mittelpunkt der Naturschönheit des Tales gehalten und darum aufs sorgsamste gepflegt, aufs reichste ausgeschmückt zu haben. Noch vor mehreren Jahren zog man eine kolossale, trefflich gearbeitete Muschelschale von rotem Sandstein, die einst als Becken eines Springbrunnens gedient haben mochte und von der alten Pracht dieses Waldgartens Zeugnis gibt, aus dem Schutt hervor, den eine spätere Zeit des Verfalles hier aufgehäuft. Die verschnittenen Hainbuchen-Alleen, wie sie heute noch dastehen und der nächsten Umgebung des Schlangenbades das eigentümlichste historische Gepräge geben, laufen bald zu einem breiten, geraden Gange aus, der weit genug war, um dem stolzesten Reifrocke bequemen Pass zu verstatten und den Herren erlaubte, ihre Galanteriedegen stutzerhaft zur Seite ausgestreckt in horizontaler Linie zu tragen, auch glatt genug für den gezierten Menuettschritt im Stelzschuh der gepuderten Damen, während sie sich gleich daneben zu engen, vom dichtesten Laubwuchs überwölbten Gängen zusammenschließen, wo eine einsame Seele ihren Schwärmereien nachhängen konnte. Gleich spanischen Wänden reihen sich hier die knorrigen Buchenstämmchen eng aneinander, undurchdringlich und gerade hinreichend groß, um eine schäferliche Neckerei im preziös-naiven Geschmacke 111
des Damendienstes jener Zeit dem Auge des Lauschenden zu verbergen, aber ungern hat der Gärtner ein verräterisches oiel de boeuf, ein eirundes Loch, in der Laubwand ausgeschnitten, als wolle er damit andeuten, dass belauscht zu werden zur Würze jener arkadischen Liebes-Koketterie aus der Periode der Schminkpflästerchen und Perücken gehöre.
Abb. 18: Die Nassauer Allee 1905 Wer einen preziösen Rokoko-Roman in der Manier von Watteau’s niedlichen Bildern schreiben will, der mag sich in diesen hundertjährigen Alleen Schlangenbads Lokaltinten und landschaftlichen Hintergrund suchen und zusehen, ob er in dem wunderlichen Zauberkreis dieses alten Lustgartens auch die Geister jener wunderlichen, längst verklungenen Zeit heraufbeschwören kann. […] Schlangenbad ist einer der wenigen Badeorte, dessen natürliche Reize noch ungefälscht sind, der seine Jungfräulichkeit noch bewahrt hat. Hierin liegt der Zauber seines sozialen Lebens, der so trefflich zusammenklingt mit der magischen Heilkraft seiner Quelle, die das Überreizte herabstimmt, das Schlaffe erfrischt, das Vertrocknete erweicht, das Alter verjüngt. Darum verheißt auch die gegenwärtige zweite Blütenperiode des Bades eine viel größere Dauer, als die erste, weil sie eine natürliche ist, wo jene eine künstliche war. Nicht von der Laune des Publikums, 112
nicht von der Mode hängt das fernere Gedeihen Schlangenbads ab, sondern lediglich davon, dass sein Badeleben sich selber treu bleibt und still, sinnig und einfach Hand in Hand geht mit den stillen, milden Heiltugenden der Quelle. Statt dass im achtzehnten Jahrhundert der „Konversationssaal“ den einigenden Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens für das Kurpublikum bildete, ist jetzt die „Terrasse“ das klassische Stelldichein für die Badegesellschaft geworden, eine erhöhte Anlage zwischen dem oberen und unteren Badehause, wo sich’s in Gottes frischer, freier Luft, unterm schützenden Laubdach und bei den Klängen der Musik viel behaglicher plaudert, als zwischen vier Wänden. Schon dieser Gegensatz des „Konversationssaales“ zur „Terrasse“ versinnbildlicht uns, wie sehr das moderne Badeleben Schlangenbads dem Badeleben der Rokokozeit gegenüber an quälendem Prunk und steifer Förmlichkeit verloren und dagegen den unschätzbaren Gewinn freierer Gemütlichkeit und heiterer Zwanglosigkeit eingetauscht hat. Und wird gleich auch nicht mehr über die Schwelgerei der Gäste, wie zu den kurfürstlichen Zeiten, Klage geführt, so ist darum doch für die Freuden der Tafel im „Nassauer Hof “ aufs Beste gesorgt, und der Rauenthaler Bergwein, welcher immer noch zu den klassischen Reizen des Ortes gehört, fließt dort aus erster und lauterster Quelle. […] Was dem Schlangenbad an den zerstreuenden Genüssen des städtischen Lebens abgeht, das wird ihm durch die wunderbare Mannigfaltigkeit in den landschaftlichen Reizen seiner Umgebung überreich heimgezahlt. Wer die volle Heilkraft dieses Tales erproben will, der muss nicht bloß unten an den Quellen, der muss auch mit dem Wanderstab in der Hand oben auf den Bergen und in den Wäldern Genesung trinken. […] Die reiche Mannigfaltigkeit des Naturlebens spiegelt sich aber auch im Kleinen sogar in den allernächsten Umgebungen Schlangenbads. Man kann die von uns angedeuteten Kontraste landschaftlicher Schönheit gleichsam im Miniaturbilde und doch in den feinsten originellsten Zügen durchgeführt auf den kleinsten Spaziergängen im nächsten Umkreis der Badegebäude zusammengedrängt wiederfinden. Geht man nur wenige Schritte talwärts an den Schlangenbader Mühlen vorüber, so hat man in dem lachenden Wiesengrunde mit der malerischen Staffage der kleinen Mühlengebäude das zarteste Bild idyllischen Naturfriedens, aber man braucht nur rechts oder links einzubiegen und eine kurze Strecke bergauf in den Wald zu steigen, um sich zwischen dichtem Gebüsch, moosigen uralten Eichen und zackigen Felsentrümmern dem ganzen Zauber einer düsteren Waldromantik hinzugeben. Die Ziegenwiese, welche unmittelbar hinter dem Nassau113
erhofe den Berghang deckt, gibt in ihrer breiten, lichten Fläche, die so erheiternd aus den dunklen Hintergründen hervortritt, ein verkleinertes Bild der herrlichen Taunusmatten, wie sie in den Wiesbadener Bergen als eine Art Taschenausgabe der Alpenmatten der Schweiz, den Wanderer entzücken. Die Talschlucht des Warmenbaches aufwärts zu dem Felsblocke, den man „die wilde Frau“ nennt, sieht sich fast wie ein Fragment aus dem Wispertale, nur in milderen Farbentönen, an, während gleich nebenan die verschnittenen Laubgänge der Rokoko-Alleen als ein steckengebliebenes Stück hundertjähriger Kulturgeschichte gar wunderlich in jenes ungebrochen frische, vom wilden Waldbach durchbrauste Gebirgsbild hineinschauen. Die Felsmassen der „Schlangenbader Wand“ gemahnen an die jähen Abhänge des Rheingebirges unterhalb Rüdesheims, während das Bärstadter Feld uns zum Widerspiel ganz und gar in die friedliche Prosa der gewöhnlichen deutschen Dorflandschaft versetzt. Die einzelnen Aussichtspunkte des mit Kuranlagen bedeckten Bärstadter Kopfes, des Hansekopfes, der Jörgenborner Steige, des Waldweges nach Rauenthal öffnen die mannigfaltigsten Blicke in die eng verschränkten Bergwände, in die malerisch verschlungenen Talgründe. Die Kurgebäude selber zeigen sich von unzähligen Punkten in stets wechselnder Perspektive, die fast immer ein Bild, und was noch mehr, fast immer ein neues Bild gibt. So hat man schon in der unmittelbarsten Nähe des Bades fast bei jedem Schritte eine andere Landschaft, und der muss ein gar fleißiger und unermüdlicher Wanderer sein, der in der kurzen Frist einer Saison die überschäumende Mannigfaltigkeit dieser auf kleinstem Raum zusammengedrängten Naturbilder auch nur in allen ihren Hauptgruppen anstoßen will.
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1852 So wohnte die Zarin in Schlangenbad in: Dr. Robert Haas, Didaskalia 7/9, 1852 Rückblick auf Schlangenbad im Juni 1852. Seit dem 1. Juli sind zu Schlangenbad für dieses Jahr die Tage von Arranjuez vorüber und ist dieser Badeort nachgerade wieder in sein gewöhnliches Geleis getreten. Da Ihr Blatt bereits einen Aufsatz über Schlangenbad enthielt, so erübrigt mir nur noch das, was derselbe nicht berührte, zunächst die Wohnung der Kaiserin [Alexandra Fjodorowna, Kaiserin von Russland, Anm. d. Hrsg.], in welcher eine Pracht entwickelt war, wie man selten solche wiederfinden wird. Außer den Gesamtverakkordierungen der hiesigen Tapezierer Rikol, Dams und Refferdorf, sowie nebenbei des Hrn. A. Bembe von Mainz hatte Seine Hoheit der Herzog aus beiden Schlössern zu Wiesbaden und Biebrich noch Effekten von einem sehr bedeutenden Wert, sowie das Schönste aus den Biebricher Gewächshäusern in die Räume der Kaiserin verwenden lassen. Obwohl in Russland das Nussbaumholz seltener, daher kostbarer ist, als das Mahagoniholz, so waren doch der Etikette halber die sämtlichen Möbel der Kaiserin in Mahagoniholz. Das Hauptzimmer [Salon] mit Pariser satinierter himmelblauer Tapete nebst blumigen Gobelinvorhängen, mit zwei seidenen Eckdivans, ein Parterre, aus welchem ein schattender Pflanzenbaum seine Zweige ausbreitete, außerdem mit Blumentischen und Töpfen und Gestecken. Die Sofas und Stühle waren auch in himmelblauer Seide, wie denn überhaupt dieselben in allen Zimmern der Wandfarbe entsprachen. Das Schreibzimmer war mit weißen feinen französischen Merino und breiten schweren Brokatborden in Orangefarbe hergerichtet, hatte wertvolle Ölgemälde, ein vergoldet silbernes Tintenfass und Schreibfass, bronzevergoldete Leuchter und Schalen für Bijouteriesachen und Ringe. Nach dem Vorzimmer mit weißer Tapete folgte das Toilettenzimmer mit einer Tapete in Rosafutter und sehr reichen Tüllvorhängen drapiert, mit Spitzen oben 115
und unten. Die Toilettengefäße nebst Spiegelrahmen und Leuchter bestanden in antiken reichgetriebenen Formen. Das Schlafzimmer hatte eine meergrüne Tapete und eine Portiere in Gobelins mit Landschaft. Die Bettstelle war mit vergoldeten Kronen, schwer seidenen langen Vorhängen und reich gestickten Tülluntervorhängen versehen. Des Kleiderschrankes Türe bildete zugleich einen großartigen Spiegel.
Abb. 19: Blick aus der Mühlstraße auf das Schweizer Haus, um 1874 Beim Gesamtdurchblick durch die bisher genannten Zimmer erschienen dieselben in einem feenhaften Zauber. Links vom Salon waren die Empfangszimmer, das Buffetzimmer und der Speisesaal. Aus dem Salon der Kaiserin führten ein mit rotem Scharlachtuch belegter Korridor und die Treppe in gleichem Stoff durch eine rosa und weiß dekorierte Vorhalle zum Bade der Kaiserin. Es war in rosa Musselin mit weiß gesticktem Woll dekoriert, hatte zwei Kommodesessel, ein Ruhebett und einen Doppeltsessel, blumige Fußteppiche und eine bronzevergoldete Uhr. Das Badtoilettenzimmer war blau mit weißem Tüll geflickt, mit Divans und Ruhebetten und blau seidenen Rouleaus, einem dekorierten Tisch mit 116
silbervergoldetem Service, einem Stellspiegel; das Vorzimmer in blauem Tüll mit Tabouret. Auch die Zimmer der Kronprinzessin von Württemberg waren prachtvoll, besonders der Salon, eingerichtet. Das Vorzimmer mit meergrüner Unterlage und Tüll, das Toilettenzimmer himmelblau, mit Tüll und Rosagirlanden nebst Blumenschmuck. Die sämtlichen Möbel des Salons waren in Atlas mit Blumen gehalten. Alle Zimmer der Kaiserin und der Kronprinzessin Olga hatten noch großartige, bronzevergoldete Lüster, Kandelaber, kostbare Uhren, die reichsten Boden- und Fußteppiche, Spiegel mit vergoldeten Rahmen, einen, dessen Glas allein 2000 Francs gekostet hat. Die Vorhänge waren in Tüll mit sehr reichen Dessins gestickt. Die neu von Leicher in Wiesbaden hergerichteten Ösen sind von Porzellan. War bisher Hr. Tapezierer A. Bembe von Mainz Hoflieferant und hat er auch Einzelnes in den schönsten Zimmern der Kaiserin ausgeführt, so hat doch bei dieser Gelegenheit die betreffende nassauische Industrie bewiesen, dass sie auswärtigen Leistungen nicht nachsteht. Wiesbaden, Ende Juli
Dr. R. H.
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1859 Badekabinette mit wahrer Eleganz Aus: Dr. Carl Bertrand, Schlangenbad und seine Warmquellen, 1859 Die beiden Badhäuser enthalten, das obere 13 gegen Norden gelegene, das untere 17, meist gegen Süden gelegene Bäder. Sämtliche Badekabinette sind geräumig, sehr hoch, und mit allen notwendigen Möbeln versehen; einige sogar mit wahrer Eleganz ausgestattet. Im oberen Hause finden sich noch vier jener alten, an römische Bäder erinnernden Bassins, welche sehr tief und so geräumig sind, dass man allenfalls darin schwimmen kann. Das Marmor- oder Kurfürstenbad, welches mit einem eleganten Salon in Verbindung steht, erfreut sich unter diesen eines historischen Rufes.
Abb. 20: Mittleres Kurhaus, Römerbad, 1910
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Sämtliche Badebassins sind vertrasst, die obere Einfassung von Marmor. In jedem Bade sind zwei Kranen, welche der Badende nach Belieben öffnen kann. Durch den einen fließt natürlich warmes, durch den anderen erhitztes Thermalwasser zu. Das An- und Ablassen der Bäder geht außerordentlich rasch vor sich. Welcher Reichtum an Wasser vorhanden ist, ergibt sich aus folgender Quellenmessung: Die 3 Quellen im oberen Kurhause liefern in 1 Stunde
277 928/1000 Kub.-Fuß.
Die Quellen im Höfchen liefert in 1 Stunde
48 Kub.-Fuß
Die 3 Quellen im unteren Kurhause liefern in 1 Stunde
164 742/1000 Kub.-Fuß
Summe
490 67/100 Kub.-Fuß
Diese Wassermenge, mit der durch die Schachtbrunnenquelle gelieferten, reicht einer genauen Berechnung zufolge hin, um innerhalb 4 Monaten 175000 Bäder versehen zu können. Die Bäder erhalten ihr Wasser direkt aus den großen, dicht hinter den 2 Badehäusern längs der ganzen Bäderreihe hinlaufenden Reservoirs, welche ihrerseits durch die nahen Quellen gespeist werden. Die 10 an der Südseite des unteren Kurhauses befindlichen Bäder besitzen, als zu hoch gelegen, ein besonderes Reservoir, welches durch die Schachtbrunnenquelle versehen wird, und dessen Überfluss in die großen Reservoirs hinter dem Hause läuft. In beiden Kurhäusern befinden sich die nötigen Vorrichtungen zu Duschen und zwar die bekannten tragbaren Duschmaschinen, außerdem im unteren Badhause eine herrliche Falldusche, mit Ansatzröhren verschiedenen Kalibers und verschiedener Form, sowie einige Uterusduschen.
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1863 Waldidylle – Himmelswiese – Stillleben Aus: Dr. H. Kaan (Badearzt in Ischl), Klimatisch-therapeutische Kurorte, (Wiener Medizinal Halle), 1863. Im 17. Jahrhundert hieß dieses Bad das Bärstädter-Bad. Der Name Schlangenbad kommt jedoch im Jahre 1687 schon vor. Es wurde auch einige Zeit nach dem Landgrafen Karl – Karlsbad genannt. Ein Name tut oft viel zur Sache, und so hatte der Name Schlangenbad eine eigene Attraktionskraft – besonders für das zur Mystik sich hinneigende weibliche Geschlecht. Die Schlangenart, der dieser Kurort seine Berühmtheit dankt, ist die unschädliche und leicht zähmende Art Coluber flavescens s. Scopolii [falbe Natter]. Sie wird 3 bis 5´ lang, ist oben graulich-gelb, unten weißgelb mit einem gelben Flecken an den Seiten des Hinterkopfes. Nicht minder günstig wirkte zum Emporblühen dieses Kurortes die Vorliebe, die mehrere deutsche Fürsten ihm schenkten, und so war er durch mehrere Jahrzehnte der Tummelplatz der höchsten Gesellschaftskreise aus vielen Ländern Europas. Die Herrn Prälaten liebten vorzugsweise Schlangenbad und sollen dort sogar Tonangeber gewesen sein. Die geographische Lage von Schlangenbad ist vielleicht die günstigste aller Kurorte. Es ist von Schwalbach ¾ Stunden, von Wiesbaden und Biberich 2 Stunden, von Mainz 4 Stunden entfernt und mit allen diesen Städten durch treffliche Kunststraßen verbunden. Die Kommunikation ist für die mit der Taunusbahn oder der am rechten Rheinufer angelegten nassauischen Bahn ankommenden Reisenden auf bequeme Art durch elegante Mietwägen vermittelt, die nicht nur in Biberich und Wiesbaden zu haben sind, sondern auch in Ettwille, von wo der Fahrweg bloß eine kleine Stunde beträgt. Schlangenbad bietet dem Besucher den Eindruck einer Waldidylle und erinnert meine Landsleute an die Himmelswiese in der Brühl. Der Kurort wird erst dem Fremden sichtbar, wenn er ihn betreten hat, denn eingehüllt in Waldesdunkel, umgeben von den südöstlichen Abhängen des Taunus, liegt Schlangenbad in einem von waldigen Höhen umschlossenen Talgrunde auf einer Höhe von 897 Klafter über der Mee120
resfläche. Seine Wohngebäude liegen zerstreut und sind elegant gebaut. Schlangenbad hat keine Straßen und keine Plätze; sondern anmutige Villen in grünen Rahmen laden den Fremden zum Niederlassen ein. Man muss vor allem der nassauischen Regierung gerechte Anerkennung zollen, für die Art und Weise, wie hier der Fremde sein Unterkommen findet und die im grellen Kontraste steht mit den Missbräuchen, wie sie sich leider in so vielen Kurorten eingeschlichen haben. Der Ankömmling wird von dem herzoglichen Kurverwalter empfangen und in die mit königlicher Munifizenz aufgeführten herzoglichen Wohngebäude geleitet, deren sich 6 befinden. Alle diese Gebäude haben den Vorteil, dass der Patient keine Treppen zu steigen braucht, und unmittelbar aus seinem Quartier in die schönsten Anlagen treten kann. Das „obere und untere Kurhaus“ haben die Bäder im Hause; der „Nassauer-Hof “ hat zu ebener Erde den Table d’hote-Saal, doch führt aus dem 1. Stocke eine kleine Brücke in eine dichte Hainbuchenallee. Für Familien, die mehr eingezogen leben wollen, eignen sich besonders der Berliner Hof und das Schweizerhaus. Fixe Preise an der Türe jedes Zimmers machen jeden Betrug unmöglich. Das herzogliche Amt hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Bedürfnisse – die Kost, Beleuchtung, Bedienung, Benützung der Fahrgelegenheiten, sowie der Esel und Führer zu Bergpartien zu regeln und in dieser Beziehung steht Schlangenbad als Musterkurort da. Die Wohnungen sind elegant möbliert, mit Öfen und Kaminen versehen, die Bäder durchgehend von Marmor, geräumig und äußerst reinlich gehalten. Die Erwärmung der Wäsche geschieht in eigenen Blechbüchsen, die zu jedem Bade hingestellt werden. Für mich als Österreicher war es beinahe komisch, in jedem Badezimmer die Warnung angeschlagen zu sehen: „Dem Dienstpersonale ist streng verboten, Trinkgelder anzunehmen.“ Schlangenbad dankt sein Emporblühen wahrscheinlich mehr den trefflichen Einrichtungen, als den Kurmitteln, die ich nun berühre. A. Schlangenbads Hauptwirkung liegt in dem Stillleben in Verbindung mit einer mit den Ausdünstungen des Nadel- und Laubholzes geschwängerten Atmosphäre. Der Mangel eines Mittelpunktes von geselligen Zusammenkünften hindert die Annäherung von Fremden und die Isolierung von Familien zwingt den verwöhnten Großstädter, beinahe den größten Teil des Tages im Freien zuzubringen. Die Umgebung Schlangenbads ist in einen großen Park verwandelt, in welchem sich der Kurgast ergeht und unmerklich die benachbarten Höhen ersteigt. Die Waldkultur ist hier auf einer seltenen Entwicklungs-Stufe; die Bäume bilden natürli121
che Kolonnaden, so dass der Patient selbst bei leichtem Regen lustwandeln kann. Schlangenbad widerlegt vielleicht am meisten die Ideen des therapeutisch-klimatischen Chaos und beweist, welch richtige Faktoren reine Gebirgsluft, Bewegung, eine nüchterne Lebensweise und Enthaltung von Genüssen aller Art im körperlichen Haushalte des Menschen sind. B. Die Thermalquellen von Schlangenbad bieten folgende Eigenschaften dar. Sie sind klar, durchsichtig, von bläulicher Farbe, vollkommen ohne Geruch und nach meiner Ansicht auch geschmacklos. Sie entwickeln beim Hervorquellen keine Luftblasen und geben keinen Sinter. Die Temperatur wechselt zwischen 22 und 26° R. Selbst unter dem Mikroskop sind keinerlei organische Substanzen nachweisbar. Die Thermen von Schlangenbad gehören wegen ihres geringen Gehaltes an festen Bestandteilen zu den chemisch sehr reinen indifferenten Akratothermen, unter welchen Schlangenbad ohne Zweifel die schwächste ist. C. Die Molke wird hier im Freien getrunken. Der Mangel eines Molkensaals macht sich sehr fühlbar und ebenso, dass die Molke durch die Abkühlung leidet, – sie wird nämlich aus einem Fässchen geschenkt. In dieser Beziehung steht Schlangenbad gegen Ischl, Kreuth und andere Kurorte weit zurück. Sämtliche Mineralwässer werden ebenfalls verabfolgt; aber Schlangenbad eignet sich weder in klimatischer Beziehung, noch in Rücksicht auf die Kost zu günstigen Mineralwasserkuren. D. Die Ausflüge zu Fuß, zu denen Schlangenbads Umgebungen unendliche Abwechslung bieten, dann Reiten auf Eseln, und größere Partien zu Wagen. E. Was die Heilwirkungen der Bäder betrifft, so war mein siebenwöchentlicher Aufenthalt zu kurz, um ein bestimmtes Urteil darüber zu fällen. Ich kann nur bestätigen, dass ich das angenehme Gefühl samtartiger Weichheit im Bade selbst empfand. Badeausschläge in der Form von Erythmen, Papeln und Bläschen habe ich weder an mir, noch anderen Patienten wahrgenommen. Ich halte daher Schlangenbad für ein ausgezeichnetes Seifenbad, und finde es sehr geeignet, dass Dr. Bertrand Spaziergänge nach diesen Bädern anrät, wodurch er zugleich Schlangenbad selbst jede aufregende Wirkung abspricht; denn sonst würde er diesen nervösen Patienten, von denen es wimmelt, gewiss nicht gestatten, unmit122
telbar nach dem Bade eine Bewegung zu machen. Schlangenbads Hauptwirkung bleibt auf das Nervensystem gerichtet. Es beruhigt und erzeugt Schlaf, Herzkranke vertragen diese Bäder ausgezeichnet. Vermehrung des Urins und des Stuhles sah ich nicht. Ich würde immer nur von Schlangenbad als Bad sprechen; den inneren Gebrauch der Quellen würde ich ausschließen. Schlangenbad ist vorzüglich Damenbad und blondhaarige Engländerinnen, schwarzäugige Französinnen und blasse Russinnen bringen hier mit Vergnügen einige Sommermonate zu.
Abb. 21: Blick auf Schlangenbad um 1860
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1864 Die blauen Schutzbrillen werden abgelegt Aus: Dr. Friedrich Baumann, Kurverhältnisse, Wirkungsweise und Indicationen, 1864 Der Charakter Schlangenbads ist ein durchaus ländlicher, stiller; rauschende Vergnügungen und Hazardspiel sind nicht vorhanden. Wer kein Freund der Natur ist, mag es langweilig finden, doch wird man mir zugeben, dass ein gewisser Grad von Langeweile sogar ein wesentliches Adjuvans der Kur mancher Nervenleiden bildet. – Wem aber das Verständnis für die Sprache der Natur nicht abgeht, der wird eine unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung finden. Eine eigentümliche Ruhe und Frieden lagert über diesem Tale, dass man meinen sollte, Quellen und Gegend hätten sich verabredet, um ein Asyl zu schaffen, wo der von der Hetzjagd des großen Lebens erschöpfte Mensch ausruhen, erstarken und wieder zu sich selbst kommen kann. Am Herzen der Natur wird es ihm am leichtesten, sich wieder zu finden. – Wohin das Auge sich wenden mag, von allen Höhen und Durchsichtspunkten, überall trifft es auf das wohltuende Grün der Wiesen und Wälder, *) und wenn es weiter schweift über den Rheinstrom und seine Auen, das goldene Mainz und die Pfalz, bis zu den blauen Bergen des Odenwaldes, der Haardt und des Hundsrückens, die den fernen Horizont begrenzen, so ist ein landschaftliches Bild vor ihm entrollt, das ihm unvergesslich sein wird. *) Blaue Schutzbrillen werden hier abgelegt und haben die dichten Waldpromenaden und dunklen Laubgänge, in welchen man selbst zur Mittagsstunde im Schatten geht, für gereizte Augen etwas überaus Wohltuendes. Die Kur- und Badeeinrichtungen Schlangenbads, welche unter herzoglicher Domänialverwaltung stehen, sind wohlgeordnet und gut; für Rollwagen, Sänften, Duschen, Brausen und andere Appendices ist gesorgt. Ein Bad nebst Zubehör kostet 48 Kreuzer für einstündigen Gebrauch. Ärzte und deren Familie baden frei. Die Badebassins sind gemauert, von Zement oder Marmor, sind be124
quem und geräumig. Ein warmer und kalter Kranen gestattet dem Badenden selbst die Regulierung der Temperatur. – Wohnungen finden sich sowohl in den herrschaftlichen Kurgebäuden, als in Privathäusern; in ersteren sind feste Preise, in letzteren freie Übereinkunft, da die Preise je nach der Höhe der Saison wechseln. Meistens wird wochenweise gemietet. Ein Zimmer mit Bett kostet durchschnittlich 1 Gulden bis 1 Gulden 48 Kreuzer täglich, und wird nur gegen festes, auf den Tag bestimmtes, Vorausmieten Logis bereit gehalten. Die Naturalverpflegung ist gut und stellen sich im Ganzen die Preise vielleicht etwas geringer, als die der Nachbarbäder am Rhein. Zu Milchkuren, auch Eselinnenmilch, ist vortreffliche Gelegenheit gegeben, ebenso wie auch ein vollständiges frisches Lager aller gangbaren fremden Mineralwässer unterhalten wird. Von Wichtigkeit dürfte noch der Umstand sein, dass sich als vielfach verwendbares Adjuvans unserer Kurmittel hier eine in Schweizerstil gehaltene Molkenanstalt befindet. Die kräftigen Ziegen, welche die herzogliche Domäne jedes Frühjahr aus der Schweiz hierherbringen lässt, finden auf den umliegenden Bergen eine der heimatlichen ähnliche Weide, so dass die Qualität der Molke außerhalb der Schweiz ihres Gleichen sucht.
Abb. 22: Mittleres und unteres Kurhaus, 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
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Ferner haben wir, nebst eines seiner Fassung harrenden Eisensäuerlings im Orte selbst, die Schwalbacher Quellen so nahe, dass, falls es nötig erscheint, unsere Patienten jeden Tag frisch gefülltes Eisenwasser haben können. Ein Vorzug Schlangenbads, vor anderen Wildbädern und Molkenanstalten, der nicht zu gering anzuschlagen ist, besteht noch in der Bequemlichkeit der Reiseangelegenheit, welche es selbst den reduziertesten Kranken möglich macht, den Kurort zu erreichen, ohne die Gefährlichkeiten einer anstrengenden Gebirgsreise fürchten zu müssen. Ein Telegraphenbüro in Verbindung mit der bestehenden Poststation wird diesen Sommer errichtet. Für Lektüre sorgt eine nicht sehr große, aber wohl assortierte Leihbibliothek nebst Lesekabinett, woselbst auch die besseren in- und ausländischen Zeitungen aufliegen. Zum Schluss erlaube ich mir die Worte Seegens, eines kompetenten Richters, über unsere Kureinrichtungen anzuführen: „der Kurort vereinigt mit den Vortheilen eines ächt ländlichen Aufenthaltes, allen Comfort eines nach jeder Richtung vortrefflich eingerichteten Bades.“
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1865 Wünsche und Strebungen, die hier und da zum Ausdruck kommen Aus: Dr. Carl Bertrand, Briefe aus Schlangenbad (Berliner Klinische Wochenschrift), 1865 17. April 1865 Sie finden, verehrter Freund, dass ich seit geraumer Zeit nichts von Schlangenbad habe hören lassen. Ich sehe diese Bemerkung kaum als Vorwurf an. Wir Badeärzte, Sie wissen es, werden am allerwenigsten der Schweigsamkeit angeklagt. Sind doch gewisse Kollegen so grausam zu erzählen, dass ein echter Brunnenarzt nach mühevoll überstandener Sommer-Kampagne auch in Winterszeit keine Ruhe finde, sondern mehr oder weniger von einem lästigen Pruritus scribendi [Drang zum Schreiben] heimgesucht werde. Gönnen Sie es daher Ihrem Freunde, wenn er mehrere Winter hindurch von diesem Leiden verschont blieb und wie andere ehrliche Aeskulap- Jünger ungestört der Praxis auf dem Lande nachgehen konnte, welche, beiläufig gesagt, das beste Corrigens so mancher entnervenden Einflüsse der Badepraxis ist. Da Sie übrigens verschiedene Fragen an mich richten, teils über Schlangenbad, teils über Bäder und Badekuren im Allgemeinen, so säume ich nicht, dieselben zu beantworten, kurz und ohne strenge Ordnung, wie es die Briefform mit sich bringt. Zunächst gebe ich Ihnen die gewünschten Notizen über unsere letztverflossene Saison mit einem Rückblick auf die früheren Jahre, damit Sie den dermaligen Stand unserer Kurverhältnisse beurteilen können. Unsere Saison begann, wie alljährlich, am 15. Mai und ging mit September zu Ende, obwohl einige Gäste ihren Aufenthalt bis in den Oktober hinein verlängerten. Während dieser Zeit wurde Schlangenbad von 1492 Kurfremden (ohne die Passanten) besucht. Man darf diese Ziffer als eine günstige bezeichnen, obwohl sie durch die wuchtigen Zahlen des benachbarten Schwalbach (4198) einigermaßen 127
gedrückt wird. Die Frequenz Schlangenbads zeigt in den letzten Jahren keine großen Schwankungen. Sie betrug im Jahre
1860 1250 1861 1605 1862 1550 1863 1608
Das nördliche Deutschland und Russland stellen fortwährend das größte Kontingent zu obigen Zahlen. Gäste aus Süddeutschland sind aves rarae [seltene Vögel]. Die Zahl der Franzosen ist seit den letzten Jahren im Wachsen begriffen, die der Britten im Abnehmen; dafür fangen Spanier und Italiener an, sich einzufinden. Auch die Donaufürstentümer, Griechenland, Nord- und Südamerika, Indien senden uns jedes Jahr einige Gäste. Die genannten Nationen waren im verflossenen Sommer durch viele wegen ihrer Stellung in Welt und Wissenschaft bekannte und hervorragende Persönlichkeiten repräsentiert. Das aristokratische Element unserer Kurbevölkerung ist noch immer das überwiegende, wenn auch nicht mehr das allein herrschende, wie vor 1–2 Dezennien. Es ist gut, dass der auswärtige Arzt jede auch scheinbar unwichtige Besonderheit eines Kurortes kenne. Ich habe z. B. Kranke gesehen, welche sich in unseren gesellschaftlichen Kreisen ein für allemal unbehaglich fühlten und beständig Acht darauf hatten, ob ihnen keine Zurücksetzung widerfahre. Solche Naturen schicke man lieber nicht nach Schlangenbad. Sie wissen, dass Schlangenbad am meisten von Frauen besucht wird. Die Zeit aber, wo ein Spaßvogel auf unserer Hauptpromenade die weithin sichtbaren Worte: „Das Schlangen- oder das Frauenbad (Hony soit qui mal y pense [= Ein Schelm, der Böses dabei denkt])“ anbringen konnte, scheint vorüber zu sein; denn die nervösen Männer machen der schöneren und – glauben Sie einem vieljährigen Beobachter der Frauen – besseren Hälfte des Menschengeschlechts bereits eine bedenkliche Konkurrenz. Jeder Sommer führt uns eine namhafte Zahl von Ärzten des In- und Auslandes zu, mitunter als Kurgäste, meist nur als Passanten, welche Schlangenbad mit eigenen Augen sehen wollen; so im letzten Sommer: die kaiserlich russischen Leibärzte Dr. von Hartmann und Dr. Karell, Hofrath Dr. Carlberg aus Petersburg, Professor Wawinsky aus Moskau, Dr. Gomes D’Abreu aus Portugal (vormals medizinischer Professor in Coimbra), den Leibarzt der Königin von 128
Spanien Dr. Nunnez, Geh. Rath Orthmann aus Berlin, Dr. Ogle aus London und Andere. Solche Besuche sind uns stets erwünscht. Betreffs der zur Verwendung gekommenen Kurmittel wurden im verflossenen Sommer 13703 Bäder gegeben und 33196 Unzen Ziegen-Molke, sowie 128 Unzen Eselinnenmilch verabreicht. Der Wasserversand betrug 2400 Krüge. Zum Vergleich gebe ich Ihnen die korrespondierenden Zahlen aus den vier vorhergegangenen Jahren:
1860 1861 1862 1863
Bäderzahl 11330 14255 15660 15169
Ausgeschenkte Molke 36424 Unzen 38544 „ 52568 „ 36276 „
Eselinnenmilch 1592 Unzen 1568 „ 848 „ 1584 „
Wasserversand 2720 Krüge 2910 „ 3000 „ 3130 „
Das Quantum der ausgeschenkten Ziegenmilch ist mir nicht bekannt geworden. Von Mineralwassern wurde das Schwalbacher am häufigsten getrunken, sodann das Emser, Kissinger, Homburger, Marienbader u. a. Unser Thermalwasser wird noch immer weniger zur Trinkkur benutzt, als es verdient. Vergleiche darüber mein „Schlangenbad und seine Warmquellen“. Eine erfreuliche Vermehrung unseres Heilmittelapparates könnte aus der Fassung eines nahe bei der Badeanstalt gelegenen und, einer vorläufigen Untersuchung (durch unseren trefflichen Chemiker Fresenius) zufolge, gehaltreichen Eisensäuerlings erwachsen, um so erfreulicher, als das versendete Schwalbacher Wasser trotz der verbesserten Füllungsmethode zu häufigen Klagen Anlass gibt. Die höchst ungünstigen Witterungsverhältnisse des letzten Sommers (wir hatten nur 3 bis 4 Wochen wirklichen Sommer) machten sich durch ungewöhnlich viele Erkrankungen unter dem Kurpublikum geltend. Abgesehen von leichteren Krankheitsfällen katarrhalischer und rheumatischer Art, wie jeder Sommer sie bringt, kamen eine Anzahl sehr schwerer Erkrankungen und leider auch 4 Todesfälle vor, während oft Jahre vergehen, ohne dass wir einen einzigen derartigen Verlust zu beklagen haben. […] Sie mögen denken, welche Panik diese Erlebnisse unter unseren nervösen Damen hervorriefen! Krampfanfälle waren nicht bloß an der Tages-, sondern leider auch 129
an der Nachtordnung, und mir wenigstens wird der Sommer 1864 unvergesslich bleiben. Sie fragen, wie sich Schlangenbad inmitten des Fortschrittsdranges unserer Zeit, welcher auch die Bäder so mächtig ergriffen hat, gestaltet habe. Mit Beschämung muss ich gestehen, dass wir Schlangenbader diesen Fortschrittstendenzen gegenüber recht konservativ geblieben sind. Von glänzenden Neubauten, Konversationssälen und dergleichen kann ich Ihnen nichts, gar nichts berichten; kaum dass in den letzten 6–8 Jahren einige anspruchslose Privathäuser erstanden sind. Schlangenbad ist noch das „traulich stille“ Tal von ehedem, unberührt vom Lärme der großen Welt. „On pourrait croire que l’homme vit ici selon le conseil de l’Evangile à la facon des lis ou des oiseaux du ciel“ [= Man könnte glauben, dass der Mensch hier nach den Geboten des Evangeliums lebt, wie Lilien oder die Vögel des Himmels], sagte eine meiner liebenswürdigen Patientinnen des verflossenen Sommers. So ist es in der Tat, und ich denke, es ist gut, dass es so ist. Ist denn alles gut und lobenswert im Schlangenbade? so höre ich Sie fragen. „Ach, dass es nichts Vollkommnes gibt auf Erden, emfind’ ich nun!“ Auch uns, im „Tal der Ruhe und des Friedens Wohnenden“ *) regen sich im innersten Herzen noch Wünsche und Strebungen, die hier und da zum Ausbruch kommen. *) Vergleichen Sie darüber alle Badeschriften, die meinigen nicht ausgenommen. Die jüngste Schrift über Schlangenbad findet den Eindruck dieses Friedens unwiderstehlich. Glückliches Schlangenbad! Mitunter nehmen diese Wünsche sogar die Form eines Sehnens nach vergangenen Zeiten an. So z. B. besaß Schlangenbad (noch zu meiner Zeit) einen langen bedeckten Galeriegang, welcher vom alten Kurhaus nach dem Reunionshaus (der jetzigen Kirche) führte und mit seinen schrägen Fenstern, seinem Erker, seinen heimlichen Ein- und Ausgangspförtchen das Entzücken aller Fremden ausmachte. Dort spielte bei schlechtem Wetter die Kurmusik, dort wurde promeniert und Brunnen getrunken. Der Zahn der Zeit, ich muss es gestehen, hatte an diesem Bauwerk, einer Reliquie des alten Schlangenbad, ziemlich stark genagt; aber es tat noch seinen Dienst, und wir hatten etwas einer Trinkhalle Ähnliches. Heute trinken unsere Kurgäste ihre Molke und Mineralwässer, auch wenn es stürmt und regnet, unter Gottes freiem Himmel oder unter der offenen Veranda eines Hotels. Der altehrwürdige Gang ist verschwunden und die uns in Aussicht gestellte neue 130
Trinkhalle noch nicht im Werden begriffen. Ich habe dieselbe schon vor Jahren (s. mein „Schlangenbad 1859“) als dringendes Bedürfnis bezeichnet. Ein anderer Gegenstand unserer Desiderien ist die unzureichende Zahl unserer Badekabinette. Zwar hat sich deren Zahl, seitdem ich in Schlangenbad wirke, auf mein dringendes Ansuchen um einige vermehrt, aber sie steht noch immer in keinem Verhältnis zur Zahl der abzugebenden Bäder, obwohl unser Wasserschatz ein weit über das Bedürfnis hinausreichender ist. Manche Kranke müssen deshalb, wenn die Saison auf ihrem Höhepunkt ist, zu unpassenden Stunden, z. B. in früher Morgenstunde (für nervöse Kranke oft ein großer Nachteil), baden oder haben Mühe, eine feste, gesicherte Badestunde zu erhalten. Auch für Duschen ist nicht in ausreichender Weise gesorgt. Wir haben nur ein Badekabinett mit den nötigen Vorrichtungen für Regen- und Sturzbad, Strahl-Dusche u. s. w.; im oberen Kurhause fungieren nur transportable Duschemaschinen; kein derartiges Kabinett besitzt eine Brause. Einen ferneren Wunsch kann ich hier nicht unterdrücken, nämlich dass unsere Kurhäuser mehr als bis jetzt den Charakter von Anstalten tragen möchten, welche zur Aufnahme von Leidenden bestimmt sind. Sie sind noch zu sehr Gasthäuser. Da es an einem festen Hausreglement fehlt, so hat der Kranke keinen genügenden Schutz gegen einen unruhigen Nachbarn oder eine Stunden lang Klavier übende Nachbarin. Das ist schon sehr fatal, aber oft kommt es noch zu mündlichen und schriftlichen, recht unangenehmen Erörterungen zwischen solchen Nachbarn und die ganze Kur ist gestört. Auch die Ruhe auf den Gängen (man denke an die vielen fremden Domestiken) lässt zu wünschen übrig. Wenn ich schließlich noch beifüge, dass es in Schlangenbad auch an den unschuldigsten Unterhaltungsmitteln, namentlich für Herren, fehlt (in ganz Schlangenbad befindet sich kein Billard, auch kein Kegelspiel), so kennen Sie unsere wesentlichsten Mängel. Ich konnte dieselben umso offener darlegen, als unsere Anstalt in vielen anderen Beziehungen eine musterhafte genannt werden kann. Abhilfe ist zudem in nahe Aussicht gestellt!
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1870 Der ausgeflogene Papagei – Eine Geschichte aus der deutschen Kleinstaaterei Aus: Karl Braun, Der Inséparable, (Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft), 1870
I. Der Schauplatz. Was mich anlangt, so ziehe ich die menschliche Staffage in der Landschaft der tierischen in der Regel vor. Als es mir daher eines Tages – es war im Anfang der sechziger Jahre – in Wiesbaden zu heiß ward, fuhr ich gen Schwalbach, in der Absicht, dort dem Amtmann Sommer, dem ich einen Besuch schuldete, denselben abzustatten und dann mit ihm und seinen Angehörigen womöglich nach Schlangenbad zu fahren. Die beiden Gebirgsbäder Schwalbach (im offiziellen naussauischen Kanzleistil „Langen = Schwalbach“ genannt, obgleich der Gegensatz, ein kurzes Schwalbach, nicht existiert) und Schlangenbad erfreuen sich neben sonstigen Vorzügen, welche in den Büchern geschrieben stehen, einer außerordentlich erfrischenden Wald- und Gebirgsluft. Doch davon will ich hier nicht reden, sondern von einer Art von Erlebnis.
II. Die Handlung Ich nahm des Amtmanns Einladung zum Essen an, in der Hoffnung, dass es mir, obgleich er anfangs behauptete, er sei durch Geschäfte verhindert, nach Schlangenbad zu gehen, doch noch gelingen werde, ihn nachträglich dazu zu bereden. 132
Während wir zu Tische saßen, überreichte ihm ein Diener ein großes Schreiben, Aktenformat, Dienstsiegel; „ein reitender Regierungsexpress aus der Residenz habe es gebracht.“ Der Amtmann erbrach und las es. Dann legte er es missmutig bei Seite und verließ das Zimmer, indem er um Entschuldigung bat und bald wiederzukommen versprach. Wir alle waren sehr neugierig, was wohl Wichtiges in der Hauptstadt geschehen sei, die ich doch erst vor vier bis fünf Stunden anscheinend im Zustand der Ruhe und Zufriedenheit hinter mir gelassen. Sogar die Damen waren neugierig, was sie doch sonst bekanntlich nie sind; endlich fragte mich die Frau Amtmann, ob es denn ein Staatsverbrechen sei, wenn man von dem Inhalt der Depesche Kenntnis nehme; als Frau fühle sie sich doch halbwegs verpflichtet, sich darum zu kümmern, was die gute Laune ihres Mannes getrübt habe. Ich stimmte ihr, was die menschliche Seite der Sache anlangt, gänzlich bei, was aber die rechtliche betraf, so sprach ich die unmaßliche Ansicht aus, da ich kein Beamter sei, so begehe ich sicherlich keine Felonie, wenn ich das Aktenstück lese; und wenn ich es, wie bei wichtigen Dingen zuweilen meine Methode, laut lese, so könne es auch anderen nicht zum Verbrechen angerechnet werden, wenn sie zufällig auf diesem Wege Kenntnis erhielten, was darin stehe. Hierauf schwieg die Tafelrunde und da in dem Corpus juris [juristisches Regelwerk], welches wir Juristen als unsere oberste Rechtsquelle verehren, geschrieben steht, dass, „wer schweigt, wo er reden könnte und sollte, als zustimmend zu betrachten und zu behandeln sei,“ so nahm ich mir die Freiheit, von dieser Rechtsregel Gebrauch zu machen und das amtliche Schreiben zu entfalten. Es bestand, wie die Erdrinde, aus verschiedenen Schichten; und da mir die innerste die interessantere zu sein schien, so las ich dies zuerst. Es war ein Brief einer Madame de Melgounoff (vielleicht lautete der Name auch etwas anders) an Seine Hoheit, den Herzog Adolf von Nassau, welcher Brief vom gestrigen Tage datiert war und etwa so lautete: Eure Hoheit glaube ich mit einer Bitte angehen zu dürfen. Ich bin Russin und von guter Familie. Eine Verwandte von mir ist Hofdame Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Großfürstin Helene, deren Neffe Eure Hoheit sind, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt. Ich bin seit acht Tagen hier in Schlangenbad und wohne in Eurer Hoheit Gasthof (– damit meinte die gute Dame offenbar den „Nassauer Hof “, ein Etablissement, welches zum Staats-Domanialgut gehört und an einen Gastwirt verpachtet ist, während die Russin anzunehmen schien, der Herzog betreibe sel133
ber Gastwirtschaft); ich bin so glücklich ein paar außerordentlich seltene Vögel zu besitzen. Es ist eine reizende kleine Art von Papageien, welche stets paarweise hausen und sich niemals trennen, weshalb man sie „Les inséparables“ [die Unzertrennlichen] nennt. Ich habe diese Tierchen mit auf Reisen genommen und habe sie heute, da sie außerordentlich zahm sind, aus ihrem Käfig gelassen. Ein unglücklicher Zufall wollte, dass ich plötzlich durch einen Umstand genötigt wurde, das Zimmer zu verlassen, welchen namhaft zu machen, hier nicht an seinem Platze sein würde, und dass unmittelbar darauf die Zimmerkellnerin eintrat. Bei dieser Gelegenheit ist der eine der beiden „Unzertrennlichen“ ins Freie entwischt. Wie? Das ist mir noch ein Rätsel. Ich will nun nicht sagen, dass Eure Hoheit rechtlich haftbar sind für die Fehler der Dienstboten in Ihrem Hotel. Ich wende mich nicht an die Rechtsverbindlichkeit des Grundherrn, sondern an die Großmut des Fürsten, des Neffen unserer erhabenen Großfürstin. Wenn ich in Russland wäre, würde ich mir selbst zu helfen wissen. Die Kellnerin würde ihrer gerechten Strafe nicht entgehen und sämtliche Leibeigene würden aufgeboten werden, um bei schwerer Verantwortung den Flüchtling wieder einzufangen. Aber hier, fern vom heiligen Russland, in einem fremden Lande, dessen Gesetze mir unbekannt sind oder, um es richtiger auszudrücken: Von dessen Gesetzen ich nur so viel erfahren habe, dass sie dieselben Hilfsmittel, wie die in Russland, mir nicht gewähren; hier weiß ich nichts zu tun, als Euer Hoheit Beistand anzuflehen. Ich verlange nicht Bestrafung der Missetäterin, obgleich ich vielleicht ein Recht dazu hätte. Ich bitte nur, Eure Hoheit wolle geruhen, mir den einen meiner beiden Inséparables wieder einfangen zu lassen, ohne welchem zu leben ich außer Stande bin. Genehmigen etc. Ich habe den Brief, so gut es ging, aus dem Gedächtnisse wiedergegeben und zwar Deutsch. Das Original war in einem seltsamen Französisch abgefasst, dem man einen gewissen asiatischen Duft nicht absprechen konnte. Dieser Brief trug die spätere „Inschrift“ (Inscript in der Sprache unserer Bürokratie): „An das Herzogliche Staatsministerium zur Erledigung. Der Herzogliche Cabinets = Director: Götz“. Darunter stand: „An die Herzogliche Landesregierung dahier zur sofortigen schleunigen Erledigung. Herzoglich Nassauisches Staatsministerium: August, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg.“ 134
Das also war die innere Schicht des amtlichen Schreibens. Die äußere Schicht, worin dieser Brief nebst dem Inscript lag, lautete so: „Die Herzoglich Nassauische Landesregierung an den Herzoglichen Amtmann Sommer in Langenschwalbach.“ Auf Inscript des Herzoglichen Staatsministeriums vom Gestrigen, betreffend das Abhandenkommen und die Wiedereinfangung eines der Frau von Melgounoff aus Russland, dermalen sich aufhaltend in Schlangenbad, Herzoglichen Amts Langenschwalbach, zugehörigen Papageien, genannt Inséparable. „Wie Sie aus der salva remissione [Rücksendung vorbehalten] in der Anlage beifolgenden untertänigsten Supplik [Bittschrift] der Frau von Melgounoff an Seine Hoheit den Herzog entnehmen werden, ist der in rubro [im Titel] genannten, dermalen sich im „Nassauer Hofe“ in Schlangenbad aufhaltenden Dame einer ihrer beiden sich „Inséparables“ nennenden Papageien abhanden gekommen. Auf allerhöchsten Befehl werden Sie hierdurch mittels Express beauftragt, sich angesichts dieses nach Schlangenbad zu begeben und sofort in loco [an diesem Ort] die nötigen Veranstaltungen zu treffen, dass besagter Vogel, genannt „Inséparable“ ohne allen Verzug via executionis [auf dem Wege der Ausführung] eingefangen und der in rubro bezeichneten Dame wieder zugestellt werde. Über den Vollzug dieses Auftrags werden Sie umgehend an uns berichten. Wiesbaden
(Gez.) Freiherr v. Wintzingerode.“
Vielleicht erlaubt sich hier jemand die indiskrete Frage, ob und wie so etwas möglich sei? Der Bürger oder der Beamte eines wirklichen Staates, welcher bekanntlich auch nicht den aller entferntesten Begriff hat von der sorgfältigen Detailbehandlung, welche in einem deutschen Kleinstaate nicht nur den wichtigen, sondern vielmehr in beinahe noch höherem Grade auch den unwichtigen Dingen zu Teil wird, sagt wohl: „Bei uns würde der erste beste Beamte, welchem der närrische Brief der russischen Dame zukam, ihn einfach ad acta gelegt oder allerhöchstens ihr geschrieben haben, nach den Gesetzen des Landes sei das Wiedereinfangen eines Vogels nicht Sache der Behörden, sondern desjenigen, der ihn fliegen lasse; warum war es in Nassau damit denn anders?“
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Abb. 23: Nassauer Hof 1874 Nun wohlan, ich habe eine derartige Interpellation nicht zu scheuen. Die Sache ging ohne Zweifel so: Ob der Herzog Adolf von dem sonderbaren Brief überhaupt persönlich Kenntnis genommen, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls aber dachte sein Kabinettsdirektor, der ein vernünftiger Mann war: Unter allen Umständen kann ich ebenso wenig den Vogel wieder einfangen, als mein gnädiger Herr … schicken wir das Ding dem Minister … der mag zusehen, was er damit anfängt. An dem Ministerium geriet die Sache in die Hände eines erst kürzlich beförderten jungen Rates, der alle Dinge mit demselben Eifer anpackte und auf den, da er von niederer Herkunft und auf dem Wege bürokratischer Stallfütterung groß gezogen war, Worte wie „Madame de Melgounoff “ – „Inséparables“ – „Kaiserliche Hoheit Großfürstin Helene“ – etc. einen wahrhaft überwältigenden Eindruck machten. Sein erster Gedanke war, sich sofort selbst nach dem benachbarten Schlangenbad zu begeben und dort die Rolle des Papageno zu übernehmen, weil „ihm solches in seinem weiteren Fortkommen ohne allen Zweifel außerordentlich förderlich sein werde“. Allein bei näherer Überlegung musste sich der jugendliche Streber doch sagen, dass ein solches Verfahren im Widerspruch stehe mit dem Instanzenzug und insbesondere mit dem Paragraphen so und so viel des Gesetzes 136
über Organisation der herzoglichen Zentralverwaltung vom 24. Juni 1854 und der dazu erlassenen Dienstinstruktion. Obgleich mit schwerem Herzen, entschloss er sich demnach, die Sache an die nächstuntergeordnete Behörde, nämlich an die herzogliche Landesregierung, weiter zu spedieren. Allein er konnte sich nicht enthalten, der Speditionsnote die Worte „sofort“ und „schleunig“ beizufügen, damit, wenn die Sache gut ausfalle, er sich doch demnächst mittelst der Akten darüber ausweisen könne, dass sein Eifer es war, der den unteren Behörden Schwingen verliehen. Dass der dirigierende Staatsminister Prinz August zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, ein alter Kavalier von siebzig Jahren, das 7. Inscript signierte, ohne es gelesen zu haben, versteht sich, glaub’ ich, von selbst. So ging also die Sache am gestrigen Abend an die herzogliche Landesregierung, nicht ohne dass der strebsame Rat mit Sorgfalt darüber gewacht, dass innen und außen an verschiedenen Stellen: „cito, cito, citissime“ [schnell, schneller, am schnellsten] geschrieben stand. So fand sie denn heute Morgen der Regierungspräsident, Freiherr von Wintzingerode, auf seinem Bureau vor. „Sofort“, schleunig“, „citissime“ – das waren Worte, die nicht jeden Tag vorkommen. Er befahl also, dass durch einen express reitenden Boten dem Amtmann in Langenschwalbach, welcher zugleich als herzoglicher Polizei- und Kurkommissarius für die Bäder Schwalbach fungierte, ein gemessener Befehl wegen besagten Vogels zu Teil werde. So wächst die Kraft einer von oben herunter kommenden Weisung, wie die Schnelligkeit eines fallenden Steins. Der Kabinettssekretär schickt die Sache einfach abwärts an den Minister. Das kommt so jeden Tag vor. Das Aktenstück geht bloß den Weg alles Fleisches. Weiter nichts! Auf dem Ministerium wird die Kraft mit den genannten „drei Worten inhaltsschwer“ verstärkt und so geht’s weiter abwärts an den Regierungspräsidenten. Der aber lässt alle Pauken und Trompeten los, desgleichen einen reitenden Boten; und so gelangt die Bombe an den Amtmann, um an dem Mittagstische zu platzen und eine heitere Tafelrunde in Unruhe und Neugierde zu stürzen… Das waren ungefähr die Observationen, welche mir während des Lesens aufstiegen, denn ich las laut und langsam. Meine Bemerkungen behielt ich natürlich für mich; sie schienen mir zu ketzerisch. „Nun, wenn es weiter nichts ist, als ein entsprungener Piepmatz“, sagte die Frau Amtmann, „dann hätten wir uns nicht so zu beunruhigen brauchen. Ich begreife 137
wirklich nicht, wie man daraus so viel Aufhebens macht und reitende Boten sendet. Doch die hohen Herren in der Hauptstadt mögen ja ihre Gründe dafür haben. Was geht’s uns an. Jedenfalls aber wollen wir die Papiere wieder an ihren Platz legen und bei meinem Manne nicht eher davon sprechen, als bis er selber anfängt.“ Aber der Herr Amtmann fing durchaus nicht von selbst an. Nach einiger Zeit kehrte er zurück. Die Wolke des Missmutes war von seiner Stirne verschwunden. Er steckte die Papiere ein und wandte sich dann an mich: „Sie haben so lebhaft zugeredet, nach Schlangenbad zu fahren und es freut mich nunmehr, meinen Widerspruch aufgeben zu können. Das Geschäft, welches ich für den Nachmittag in Aussicht hatte, ist weggefallen. Ich bin nicht mehr dienstlich verhindert. Im Gegenteil; fahren wir also!“. Eine halbe Stunde später hatten wir das Essen beendet, auch schon den Kaffee genommen und rollten gen Schlangenbad, zuerst vom Ausgang von Schwalbach einen steilen Berg hinan, dann einen desgleichen hinunter. „Denn“, sagte der Amtmann, welcher seine gute Laune vollständig wieder gewonnen hatte, „die Welt ist sehr bucklig hier zu Lande“. Wir überstiegen die Wasserscheide. Schwalbach liegt an der Aar, welche in die Lahn, Schlangenbad an der Waldaffa, welche bei Walluf in den Rhein fällt. Bei Wambach erreichten wir das Ufer der Waldaffa, welche von Bärstadt herunter aus einem laubigen, lauschigen Tale kommt. Eine Viertelstunde weiter öffnet sich rechts ein saftig-grünes Waldtal, aus welchem warme Bäche kommen. Das ist Schlangenbad. An der Ecke beider Täler begrüßt uns ein neues Schweizerhäuschen. Es war zu Ehren der Kaiserin von Russland erbaut, die in einem der letzten Sommer hier gebadet hatte. Man erzählte im Vorüberfahren allerlei Anekdoten. Unter anderen folgende: An einem schönen Sommerabend hatte die Kaiserin aller Reußen, in der Veranda ihres Schweizerhäuschens sitzend, eine Bemerkung gemacht über das Quaken der Frösche in den umliegenden Wiesengründen. Man fasste diese in Wirklichkeit völlig tendenzlose Äußerung im Sinne eines Tadels oder einer Beschwerde auf; und sofort erging der Befehl zu einem bethlehemitischen Morden, welchem innerhalb der nächsten Stunden alle die unschuldigen und lebensfrohen Frösche erlagen. Einige Tage später saß die Kaiserin wieder vor ihrem Schweizerhäuschen. „Merkwürdig“, sagte sie, „man hört doch auch nicht einen einzigen Frosch mehr! Wie mag das sein? Diese Stille ist beinahe unheimlich, da man sich einmal an das muntere Gequake der Tierchen gewöhnt hatte“. Allgemeine Bestürzung. Eine Viertelstunde später ging der Befehl durch das Dorf: 138
„Frösche! Frösche herbei! Ein Königreich für recht viel frohe Frösche! Aber lustige Frösche müssen es sein; Frösche, die quaken“. Der Befehl wurde mit dem besten Erfolge ausgeführt. Zwei Abende später sagte die Kaiserin: „Ei, die Frösche quaken ja wieder“. Dem Hausmeister fiel ein Stein vom Herzen … Von den vielen guten Geschichten, welche sich meine lustige Wagengenossenschaft erzählte, war das die einzige, die mir im Gedächtnis blieb. Auch der schönen Gegend mit ihren duftigen Buchenwaldungen erwies ich nicht die gebührende Aufmerksamkeit. Alle meine Gedanken hatten sich auf den separierten Inséparable konzentriert und auf den Gedanken: „Wie wird der Amtmann ihn fangen?“ Denn dass er auf den Vogelfang in allerhöchstem Auftrage aus war, darüber hatte ich nicht den geringsten Zweifel, obgleich er nicht ein Wort hierüber und über die per Express angekommene amtliche Depesche fallen ließ. Ein herzoglich nassauischer Amtmann war damals überhaupt eine äußerst gewichtige Respektsperson. Er hatte einen Amtsbezirk von 20–30000 Einwohnern, worin er Herr über Rechtspflege, Polizeiverwaltung, Gendarmerie, Rekrutierung, Steuerwesen, Kirche, Schule, Gemeinden, Weges u. s. w., kurz, ich möchte sagen, über Leben und Tod war und so absolut regierte, dass man ihn den „Pascha von drei Rossschweifen“ nannte. Unter den „Schweifen“ verstand man die Justiz, die Administration und die Polizei. Für sein Dienstpferd bekam der Amtmann mehr Touragegeld im Jahr, als der Dorfschulmeister an Besoldung. Und so kam es, dass, als Letzterer, der Schulmeister, eines Tages in der Klasse fragte: „Wer ist das vornehmste Geschöpf?“ und die Antwort erwartete: „Der Mensch“, – die Kinder unisono riefen: „Der Herr Amtmann.“ Und ein so vornehmes Geschöpf sollte der Russin den Vogel einfangen! Wie das sich machen wird? – Vederemo! [wir werden sehen!]
III. „Quod non est in mundo –“ [Es ist nicht in der Welt …] In Schlangenbad setzen wir uns auf die Terrasse in den Schatten einer jener in Rokokomanier zurecht gestutzten Hainbuchen-Alleen, welche, im vorigen Jahrhundert angelegt, heute noch ein charakteristisches Moment in dem Bilde von Schlangenbad abgeben. In dem benachbarten Kiosk spielte die Bademusik. Eine schöne, ruhige, fast möchte ich sagen geräuschlose Musik, wie sie so recht passt 139
zu der erfrischenden behaglichen Waldeinsamkeit, in welchem man ein Kompliment machte über die guten Leistungen der so bescheiden aussehenden Künstler, sagte: „Ja, sehen Sie, das ist einmal so der Typhus [Typus] dieser sclavischen [slawischen] Völkerschaften!“. Man sieht, es ist nicht nur in Mecklenburg, wo „Messing’sch“ gesprochen wird. Früher waren diese Musikanten jedes Mal mit dem Ende der Saison in das Land der Libussa zurückgekehrt, um im Mai wieder zu erscheinen. Sie fanden es aber auf die Dauer unbequem, und an den sonnigen Hügeln des grünen Rheins gefiel es ihnen weit besser, als in den düsteren böhmischen Wäldern. Sie siedelten sich deshalb in dem benachbarten Rauenthale an, kauften Weinberge und erlernten die dort so hoch entwickelte theoretische und praktische Wissenschaft der Weinkultur. Sie sind wohlgelitten in ihrer neuen Heimat. Wer könnte denn diesen Leuten auch gram sein, die so gute Dinge, wie Musik und Wein produzieren? … Ich hatte trotz dieser und ähnlicher Betrachtungen stets ein scharfes Auge auf den Amtmann. Allein ich konnte nichts an ihm entdecken, was auf den separierten Inséparable Bezug haben mochte. Er war munter und liebenswürdig wie immer. Er unterhielt sich mit Fremden und Einheimischen. Unter den Letzteren befand sich auch der Dorfschulze, der zugleich in dem „herzoglichen Badehaus“ einen Dienst bekleidete, welcher mit dem eines Hausknechts eine nicht allzu entfernte Ähnlichkeit hatte. Dann kam der Oberförster. Endlich auch der Lehrer. Der Letztere war sehr glücklich. Er hatte zur Zeit der Anwesenheit der Kaiserin von Russland mit Erlaubnis seiner hohen Vorgesetzten den Schulkindern außerordentliche Ferien zukommen lassen, um die Schulzimmer an Kurfremde zu vermieten; und da die im Bade vorhandenen Räume für den Andrang unzureichend waren, so hatte er glänzende Geschäfte gemacht. So etwas aber schmeckt nach Fortsetzung; und so hatte er denn jetzt ein Zimmer erübrigt, welches er auf der Straßenseite mit der stolzen Aufschrift: „Cabinet de lecture“ [Lesekabinett] versehen hatte und in dessen Innern nach der glaubhaften Versicherung des Amtmanns das „Frankfurter Journal“, sodann die Frankfurter „Didaskalia“, auch „Blätter für Geist, Gemüt und Publizität“ genannt, ferner die in Wiesbaden erscheinende „Herzoglich nassauische Landeszeitung“ und endlich der „Langenschwalbacher Aarbote“ auslagen zur Benutzung für Jedermann, der ein geringes Eintrittsgeld nicht scheute. Der Inhaber des Lesekabinetts meinte, er habe hier einen „entwicklungsfähigen Keim“ gelegt, an welchem noch er viel Freude und Nutzen erleben werde. 140
Als ich mich schließlich von dem Amtmann und seiner Familie und Gesellschaft trennte, um nach Wiesbaden zurückzukehren, während er später nach Langenschwalbach fuhr, konnte ich mit gutem Gewissen beschwören, dass ich in der ganzen Zeit, während der ich mich ohne Unterbrechung in Schlangenbad in seiner Gesellschaft befunden, von ihm nicht die geringste Handlung gesehen hatte, welche darauf hindeutete, dass er auf den ihm aufgetragenen Vogelfang bedacht gewesen; und da er sonst ein pflichteifriger Beamter war, so machte ich mir wirklich darüber beinahe Gedanken …
IV. „– tamen est in actis.“ [… was nicht in den Akten ist] Meine Zweifel sollten jedoch ihre offizielle Lösung finden. Ich erfuhr nämlich, dass die Sache, die ich mit den profanen Augen eines Nichtbeamten in der Wirklichkeit gesehen hatte, sich von jener Seite aus, welche sich den Blicken des beschränkten Untertanenverstandes gänzlich entzieht, nämlich in den Akten, ganz anders ausnahm. In den Akten der herzoglich nassauischen Landesregierung in Wiesbaden folgte auf das Konzept des dem Amtmann zugegangenen Rescripts zunächst eine von dem reitenden Boten überbrachte Bescheinigung des Amtmanns Sommer in Langenschwalbach, dass ihm an dem und dem Tage, zu der und der Stunde und Minute das hohe Rescript behändigt worden sei. Dann folgte ein gehorsamster Bericht des Amtmanns an die herzogliche Landesregierung. Der Bericht hatte drei Anlagen. Erstens den Brief der Madame von Melgounoff, welcher, wie es in dem Berichte wörtlich, hieß „anbei gehorsamst wieder zurückfolgte.“ Zweitens eine Diätenrechnung des Amtmanns, um „deren Assignation und Auszahlung submissest gebeten“ wurde. Drittens aber erzählte der Amtmann, er habe sich nach Empfang des allerhöchsten Auftrages, angesichts des verehrlichen Rescripts einer hochpreislichen Landesregierung in eigner Person sofort nach Schlangenbad begeben, allda auch ohne Verzug die nötigen Anordnungen getroffen, solche seien aber, ausweislich der Anlage 3, „der sorgfältigsten Mühewaltung ohnerachtet, leider erfolglos geblieben“. Die dritte Anlage war der Bericht des oben erwähnten Dorfschulzen, mit welchem der Amtmann in meiner Gegenwart, jedoch, ohne dass ich auf die Unterredung geachtet, gesprochen hatte. Der Schulze berichtete gewissenhaft, wie er von dem Herrn Amtmann den Auftrag er141
halten habe, auf jenen ausländischen Vogel, welcher auf den Namen „Minserabel“ höre, zu fahnden, wie er sich auch mit gelehrten Leuten vom Fach, namentlich mit dem Herrn Oberförster und dem Lehrer, über die Art der Fahndung verständigt und dann noch den Hans und Kunz zugezogen habe, wie aber alles vergeblich und der „Minserabel“ nirgends zu finden gewesen sei. Die herzogliche Landesregierung wies die Diätenrechnung des Amtmanns zur Zahlung an und legte die Akten dem herzoglichen Staatsministerium vor mit einem Berichte, in welchem die Sache gerade so erzählt war, wie in dem Berichte des Dorfschulzen, nur natürlich mit etwas zierlicher gesetzten Worten. Auf diesen „untertänigsten Bericht“ folgte in den Akten nach einigen Tagen ein Rescript des herzoglichen Staatsministeriums an die herzogliche Landesregierung, welches etwa so lautete: „Nachdem wir Ihren Bericht allerhöchsten Orts untertänigst vorgelegt und wieder zurück erhalten haben, finden wir Ihnen zu eröffnen, dass wir mit Genugtuung wahrgenommen haben, mit welchem Diensteifer Sie sich der Sache angenommen, und wie es nicht an Ihnen lag, wenn Ihre Bemühungen mit Erfolg nicht gekrönt worden sind. Wir beauftragen Sie nunmehr, das weiter Erforderliche zu veranlassen“. Obgleich letztere Redewendung für einen gewöhnlichen Sterblichen etwas unverständlich sein mochte, so wurde sie doch von dem Regierungspräsidenten ebenso richtig aufgefasst als korrekt ausgeführt. Er erließ nämlich eine Verfügung, durch welche in den wohlgesetzten Worten der Frau von Melgounoff kundgetan wurde, dass auf Serenissimi allerhöchsten Befehl die sorgfältigsten Recherchen nach besagtem „Inséparable“ stattgefunden, jedoch trotz der äußersten Mühewaltung aller Instanzen leider zu keinem Resultate geführt hätten, weshalb denn der Frau von Melgounoff nicht nur nicht benommen sei, sondern anheimgestellt bleibe, selbst die weiteren Schritte zu tun, wobei ihr sämtliche herzoglichen Behörden bei Vorzeigung dieses starke Hand leisten würden. Diese Verfügung war dem Amtmann zur ordnungsmäßigen Insinuation zugegangen und von diesem mit derselben Weisung dem Schulzen in Schlangenbad zugefertigt worden. Dann folgte ein Bericht des Amtmanns, womit er wieder nur einen Bericht des Schulzen vorlegte und auf solchen „gehorsamst Bezug nahm“. Dem Bericht des Schulzen aber war auch wieder eine Beilage zugefügt, nämlich die Verfügung der herzoglichen Landesregierung an Frau von Melgounoff. Der Dorfschulze meldete, er habe dieselbe nicht abgeben können, weil besagte Dame bereits gestern abgereist sei. 142
Es verdient noch bemerkt zu werden, dass Serenissimi Geheimer Cabinetsdirector, sowie allerhöchst dessen Staatsminister und Landes-Regierungspräsident, desgleichen das Geheime Kabinett, das Staatsministerium und die Landesregierung, sich alle in einem und dem nämlichen Gebäude befanden, und dass also alle diese Herren, welche so lebhaft und umständlich miteinander schriftlich korrespondierten, sich ebenso gut auch alles hätten mündlich sagen können, wenn die Dienstinstruktion und ein geheiligtes Herkommen solches erlaubt hätten.
V. Die Moral von der Geschicht’ Später hatte ich das Glück, den Herrn Schulzen von Schlangenbad persönlich kennen zu lernen. Ich frage ihn nach dem „Unzertrennlichen“. „Ja“, sagte er, „wissen Sie, Herr Doktor, das war doch eine recht dumme Geschicht’ mit dem Vogel. Sie mögen mir’s nun glauben wollen oder nicht, ich habe nach dem Tier gesucht wie ein Narr. Denn das war ja meine Schuldigkeit, weil’s im Interesse unserer Gemeinde liegt, dass die Fremden gut behandelt werden, und dass keinem von ihnen etwas fortkommt. Aber nachdem ich Felder und Wälder abgesucht hatte, fiel mir’s auf einmal heiß auf die Seele, so ein dummer ausländischer Vogel werde sich doch in unserer Gegend schwer zurecht finden und könne daher unmöglich weit gesprungen sein, und statt nun weiter noch in den Wäldern umherzustreben, suchten wir in der Nähe und fanden denn auch das dumme Vieh wirklich auf dem Heuboden desselbigen Anbaues, worin die russisch’ Madam’ gewohnt hat. Sie ist ein paar Tag danach mit ihren zwei dummen Vögeln abgereist. Ich hab ihr aber gleich angesehen, dass sie nichts Rechtes war. Denn erstens hat sie keinem Menschen ein Trinkgeld gegeben, und zweitens hätt sie doch besser getan, statt an Seine Hoheit den Herzog zu schreiben, sich gleich an mich zu wenden. Das hätt sie bequemer gehabt und ich wär auch eher auf die richtigen Sprüng gekommen. Denn das Präambulum und das Brimborium von Oben herunter hatte mich nur irre gemacht. Hernach, wie ich das dumme Tier längst gefangen und der albernen Madam wieder zugestellt hatte, und wie die Madam schon wieder fort war, da kam noch ein Brief von der Regierung, als wenn der Vogel noch fort wär. Den Brief hab’ ich einfach als unbestellbar zurückgeschickt, weil ich die Geschicht satt hatte bis an den Hals. „Überhaupt, Herr Doktor, was Ihr Gelehrte und Studierte und Juristen Euch einbildet von Eurem Instanzenzug, das ist alles dummes 143
Zeug. Der Dorfschulz ist es, der die Welt regiert. Mag etwas noch so hoch anfangen, auf ’s Letzt’ kommt’s doch immer an den Dorfschulzen. Er allein ist der Mann, der’s weiß, der’s kann und der’s macht. Durch seine Brille müssen alle sehen. Die oberen Instanzen bappeln ihm nur nach, wie ein Starmatz. Sie können nur das verfügen, was der Dorfschulze beantragt hat; und unsere Bauern sagen mit Recht: „Wie’s bericht [wie es berichtet ist], – so’s geschiecht“ [d. h. so geschieht es, so wird es in den oberen Instanzen entschieden].
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1871 Ein Opfer der Galanterie Aus: Percy Phipps, Roman-Magazin des Auslandes, 1871 Episode aus dem letzten deutsch-französischen Kriege. Ein junger Mann muss den Damen stets Aufmerksamkeit erweisen, war eine Regel, die mir von Jugend auf eingeschärft wurde. Nachdem ich als Attaché in Kopenhagen und Madrid meine diplomatischen Sporen verdient hatte, glaubte ich diese Regel besonders gewissenhaft befolgen zu müssen, und bildete mir nicht wenig darauf ein, dass meine strengen Schwestern mir das Lob erteilten, ich könne zuweilen recht galant sein. Modebäder sind die richtigen Orte, sich im Benehmen gegen das schöne Geschlecht zu verfeinern, und aus diesem Grunde ging ich im vorigen Sommer mit einem Freunde nach Schlangenbad. Der arme Hallett bedurfte eines praktischen Kursus der Galanterie noch dringender als ich. War er doch gleich von der Schule weg in eine Garnison irgendwo am Indus gekommen und immerdar mit nichts als der Verfolgung afghanischer Kuhdiebe beschäftigt gewesen. Nichts ist trübseliger als ein Badeort, in dem man niemand kennt, und nirgends macht man leichter Bekanntschaft, als an einem solchen Orte. Wir waren nur ein paar Tage in Schlangenbad, als Hallett mich auf eine Dame mit einem Watteau-Hut aufmerksam machte. Es war ein junges hübsches Mädchen mit dunklen Augen und mit einer Fülle von Locken, die ihr fast bis auf die Schultern herab fielen. Sie war nach der neuesten Pariser Mode gekleidet und glitt leicht durch die Kurgäste, die an der Schlangenquelle bei den Klängen der Musik ihren Brunnen tranken. „Eine Französin,“ sagte Hallett, „Mademoiselle Julie de Bellemine. Sie ist mit einer Dame hier, die ihre Großmutter zu sein scheint, und tanzt ungewöhnlich gut.“ Am Nachmittag schlenderten wir zum Kursaal, wo bereits viele Gesellschaften ihren Kaffee tranken, während draußen andere an den grünen Tischen unter den duftenden Linden saßen. Unter den letzteren bemerkten wir eine Grup145
pe preußischer Offiziere, die zur Besatzung von Mainz oder Wiesbaden gehörten und laut und aufgeregt sprachen.
Abb. 24: In der Nassauer Allee „Sie sprechen von Spionen,“ sagte ein Professor, dessen lose geknüpftes Halstuch und umgeschlagener Halskragen mit seiner Brille und seinem kahlen Scheitel einen seltsamen Kontrast bildeten. „Sie sprechen von Spionen, von Franzosen, die nicht bloß von Mainz und Ehrenbreitenstein, sondern von jedem Brückenkopf und jeder Schanze am Rhein von Basel bis Düsseldorf Skizzen zeichneten und Pläne aufgenommen haben. Wie es scheint, hat die Frankfurter Polizei ein Nest dieser geheimen Sendlinge unserer französischen Nachbarn aufgespürt, aber noch keinen einfangen können.“ Am nächsten Tage war ich allein, da Hallett seine Galanterie-Studien in einem größeren Bade fortsetzen wollte. Gemächlich spazierte ich durch eine der pittoresken Schluchten, die in den bewaldeten Hügeln der Umgegend zahlreich vorkommen, als ich eine Damengesellschaft auf Eseln daher kommen sah. Der vorderste Esel, auf dem die junge Französin saß, geriet plötzlich in Unruhe und 146
würde durchgegangen sein, wenn ich ihn nicht aufgehalten hätte. Es war mir nicht unangenehm, dass Mademoiselle Julie de Bellemine nicht davon abzubringen war, mich als ihren Lebensretter zu betrachten, denn sie war ein ungewöhnlich schönes Mädchen. Ihre Gefährtinnen gefielen mir nicht besonders. Sie waren Frauen von zweifelhaftem Alter und mit harten Zügen, die man in allen deutschen Bädern sieht, russische Baroninnen, Gräfinnen aus Spanien oder Polen, georgische Prinzessinnen, die alle Sprachen reden, mit sämtlichen europäischen Höfen genau bekannt sein wollen und in der Mußezeit, die ihnen das rouge et noir lässt, von dem „teuren alten Metternich“ und der „reizenden Königin von Neapel“ reden. Juliens Tante, die Marquise von Granmaison, war zu alt und zu wohlbeleibt, um ihre Nichte auf Ausflügen begleiten zu können, und diese hatte sich daher unter den Schutz dieser Damen begeben. Mehrmals täglich begegnete ich der schönen Julie an der Quelle, an der Wirtstafel oder auf dem Ball und fand an ihrem Umgang ein Wohlgefallen, das mich überraschte. Ich gehörte nicht zu den grünen Jungen, die England jedes Jahr in Schwärmen verlassen, um mit ihren Herzenstrieben eben so verschwenderisch umzugehen, wie mit den Goldstücken, welche sie auf das grüne Tuch des Spieltisches werfen. Nein, Percy Phipps war ein Diplomat, der viele Städte der Menschen gesehen hatte und mit weiblichen Künsten und Kniffen nicht unbekannt war. Wäre in Juliens Benehmen eine Spur von Gefallsucht gewesen, so hätte ich mich schleunigst von ihr zurückgezogen. Davon war aber nichts zu bemerken, vielmehr lag in ihren Manieren eine natürliche Offenheit und ein Etwas, das ein tieferes Interesse erweckte. Was ihre Tante, die Marquise de Granmaison, betraf, von deren Engelsgüte Julie nicht genug zu erzählen wusste, so konnte ich keine Seraphsnatur an ihr entdecken. Sie war eine dicke alte Französin mit einer schwarzen Perücke, einer Schnupftabaksdose, einem seidenen Kleide, einem schrecklichen Kopfputz; von Spitzen, blassroten Bändern und Marabufedern, einem Hörrohr und einer großen Vorliebe für fette und mit vielen Zwiebeln gewürzte Speisen. Wäre ihr Rang nicht gewesen, so hätte man sie für eine ganz gewöhnliche Frau gehalten. So ungern die Marquise ging oder ritt, hatte sie für weite Ausflüge zu Wagen eine große Vorliebe. Bei diesen Fahrten begleitete ihre Nichte, aber nur diese allein, sie stets und saß mit ihr auf dem Rücksitz, während der Vordersitz von Feldstühlen, Skizzenbüchern, Farbenkästchen und einem wohl gewachsenen Pudel eingenommen wurde. Julie „betete die Kunst an,“ wie sie sich auszudrücken 147
pflegte, zeichnete mit fester Hand und hatte für alle Details ein scharfes Auge. Seltsam war es nur, dass die alte Marquise die vielen pittoresken Punkte in der Nähe von Schlangenbad ihrer Aufmerksamkeit nicht würdigte und unabänderlich an den Rhein fuhr, dessen Ufer gerade in dieser Gegend flach und uninteressant sind. Heute war Mainz der Punkt, dem die Barouche mit den beiden Damen zusteuerte, morgen erhielt Castel oder die Fähre von Oppenheim einen Besuch, Madame de Granmaison schien die monotone Fläche der Flussufer mit ihren Aussichten auf Pappelalleen und niedrige Inseln den wilden Schluchten, romantischen Burgruinen und schön bewaldeten Tälern des Taunus wirklich vorzuziehen. Der Geschmack ist übrigens verschieden und Freude an schönen Landschaften pflegt im Charakter alter Französinnen nicht zu liegen. Die Marquise von Granmaison sollte übrigens den Genuss von Spazierfahrten an die Rheinufer nicht lange haben. Eines Morgens erschien Julie allein im Kursaal und erzählte, dass ihre Tante mit dem Frühzuge Eltville, die Station für Schlangenbad, verlassen habe. Ein Telegramm hatte die Marquise benachrichtigt, dass eine Geschäftsangelegenheit ihr augenblickliches Erscheinen fordere. Julie ließ sich auf keine nähere Erörterung der Verhältnisse ein, doch entschlüpften ihr so viele Worte und Zahlen, dass ich sie für sehr reich halten musste und den Gedanken nicht abweisen konnte, dass Mademoiselle de Bellemine und Mister Percy Phipps ein recht passendes Paar abgeben würden. Um so unangenehmer war mir die Aussicht, dass die alte Marquise in wenigen Tagen wieder erscheinen und die reizende Julie meinen Augen für immer entrücken werde. Dieses prosaische Ende sollte unsere Bekanntschaft nicht nehmen. Eines Nachmittags, bald nach der Ankunft der Post, fand ich die arme Julie in großer Aufregung. Sie sei zu unglücklich, seufzte sie. Ihre arme gute Tante war gefährlich erkrankt. Sie lag einsam in ihrem großen Schlosse und rief beständig nach ihrer Nichte, die aber dem Drange ihres Herzens nicht folgen, nicht an das Krankenbett eilen konnte, da sie ohne jede Begleitung und in der größten Verlegenheit war, wie sie, die alleinstehende Dame, von Schlangenbad nach Schloß Griffecoeur, das an der Grenze der Champagne, da so in der Gegend zwischen Reims und Mezieres lag, gelangen solle. „Ich hab’s gefunden!“ rief sie endlich und klatschte wie ein Kind vergnügt in die Hände. Sie erinnerte mich nun, dass ich ihr einmal Photographien gezeigt habe und dass mein vorjähriger Pass dabei zum Vorschein gekommen sei. Ich war damals mit meiner Schwester Ethel gereist und der Pass lautete auf ihren Namen. Unter dem Wappen mit dem Leoparden und dem Einhorn 148
war deutlich zu lesen: Miss Ethel Rose Phipps, britische Untertanin. Schon früher hatte Mademoiselle de Bellemine von meiner Schwester viel gesprochen und ein Interesse an ihr verraten, dass ich in meiner Eitelkeit auf Ethels Bruder bezog. Ihr jetziger Plan war kühn und einfach: Sie wollte als meine Schwester mit mir reisen. „Oui cher Chevalier Phipps [Ja mein lieber Ritter Phipps],“ rief sie, „ich vertraue mich Ihrer Freundschaft an. Sie versagen mir diese Gunst gewiss nicht, n’est-ce pas [nicht wahr]?“ Der teure Ritter Phipps konnte nicht mit Nein antworten. Am nächsten Morgen stand ich auf dem Bahnhofe von Eltville, ließ Gepäck abwiegen und nahm Billets. Mademoiselle Julie war die Dankbarkeit und das Vertrauen selbst, und übertrug mir alle Anordnungen für die Reise. Sie belohnte mich mit einem freundlichen Blick, als ich ihr sagte, dass wir, um den bösen Jungen keinen Stoff zu bieten, Tag und Nacht ununterbrochen reisen würden. – Ich hatte meine Rechnung ohne Rücksicht und besondere Zufälle gemacht. Über den hohen Bergen des Taunus entlud sich ein Gewitter, das schon den ganzen Tag gedroht hatte, und die Folge war, dass alle kleinen Täler und alle Schluchten zu Betten von Wildbächen wurden, welche die Eisenbahn mit einer Flut von Schlammwasser überströmten und den Zug, die Passagiere, die Schienen und den Bahnkörper selbst in den Rhein zu spülen drohten. Die Dampfpfeife schrie und pfiff wie eine Besessene, bei allen kleinen Stationen gab es einen langen Aufenthalt und Scharen von Arbeitern wateten bis zu den Knien im trüben Wasser, um die Brücken auszubessern oder fest zu machen. Das Ende der Geschichte war, dass wir Mainz erst um elf Uhr in der Nacht erreichten und nicht weiter reisen konnten. Um Juliens willen tat mir das leid, aber ändern ließ es sich nun einmal nicht. Ich trug ihren Namen in das Fremdenbuch des Hotels als den meiner Schwester ein, stellte sie der Wirtin, dem Kellner und dem Stubenmädchen als Miss Ethel Phipps vor, verschaffte ihr Nr. 6, ein schönes Zimmer im ersten Stock, und begnügte mich mit Nr. 72, einem elenden Loche unter dem Dache, mit einer weiten Aussicht auf Ställe und Hintergebäude. Fand man diese große Selbstverleugnung nun lächerlich, oder erregten wir aus einem andern Grunde Aufsehen – genug, am anderen Morgen bei unserer Abfahrt war ein bedeutender Teil der Insassen des Hotels vor der Tür versammelt. Die Männer lächelten, die Frauen kicherten und selbst aus den Augen des höflichen Wirts, der uns zur Tür unseres Wagens begleitete, leuchtete Spott heraus. Julie war nachdenklich und nicht mehr die liebenswürdige Gesellschafterin von Schlangenbad. „Sehen Sie,“ sagte sie und machte an dem Tritt des Wagens erster 149
Klasse Halt, zu dem ich sie führte, und blickte auf einen hässlichen Mann in einem schäbigen blauen Rock, „sehen Sie! Diesen Kerl bemerkte ich bereits in Eltville und auch an der Tür unseres Hotels lauerte er heute. Sollte es ein Spion sein?“ Ich musste laut lachen. „Ich bitte Sie,“ fragte ich, „wie wäre es denkbar, dass ein Mouchard [Spitzel] seine Zeit an Ihnen und an mir verschwendete?“ Julie biss sich auf die Lippen und schwieg. Julie wurde immer unruhiger, je mehr wir uns Saarbrücken näherten, und ihre Stimme nahm einen rauen Klang an, als sie sagte: „Wie kriechen diese Schnecken, diese vorsündflutlichen Deutschen. Kommen wir denn gar nicht vorwärts?“ Ich wollte es schon übelnehmen, dass der Dame die Zeit in meiner Gesellschaft so lang werde, als ich mich ihrer Sorge um ihrer teuren Tante erinnerte. Saarbrücken wurde erreicht und weiter gefahren, ohne dass etwas Bemerkenswertes vorkam. Nur glaubte ich den hässlichen Mann im schäbigen, blauen Rock wieder zu sehen, der Julien ein bete noire [Angstgegner] war. Er machte sich bei einigen leeren Kohlenwagen zu schaffen und hielt den Blick stets auf die Tür unseres Wagens geheftet. Gedanken machte ich mir darüber nicht, denn was konnte diese Neugier oder Dummheit eines armseligen Schreibers für mich und meine schöne Gefährtin zu bedeuten haben? Selbst wenn er uns für ein davongelaufenes Liebespaar hielt und seine Vermutung weiter sprach, hatte die Sache nicht viel auf sich. Mein College Benedetti, der in Ems soeben sein neuestes und letztes Stück geliefert hatte, Ollivier, Grammont und Chassepots und Mitrailleusen gaben der Welt so viel zu denken, dass zwei verliebte Herzen vor allen bösen Zungen sicher waren. So wie der Zug weiter rasselte, vergaß ich den Neugierigen im schäbigen Rock. Von dem Augenblicke an, wo wir Saarbrücken verließen, war Julie wieder in der besten Laune. Sie plauderte heiter, ihre Augen blitzten und ihr Gelächter war lauter denn je. Das tief bekümmerte Mädchen, mit dem ich Schlangenbad verlassen hatte, war kaum wieder zu erkennen. Bis dahin, muss ich gestehen, war das Vergnügen meiner Reise mit der schönen Julie ein mäßiges gewesen. Sie war schweigsam und zerstreut gewesen und hatte nie versucht, die immer flockende Unterhaltung in Fluss zu bringen, so dass ich fast bereute, meine Ferien durch ein so undankbares Geschäft unterbrochen zu haben. Jetzt war sie wieder sie selbst und versprach mir den heitersten Aufenthalt in Griffecoeur. „Hier ist Forbach,“ rief sie, „und in einigen Minuten sind wir in Frankreich angelangt.“ 150
Aus der Zeit meiner ersten Beschäftigung mit der Sprache unserer Vettern am Rhein und an der Elbe sind mir zwei Zeilen aus der Ballade eines deutschen Dichters im Gedächtnis geblieben: Zwischen Lipp’ und Kelchesrand Schwebt des Schicksals dunkle Hand, so lauten diese beiden Werke. Ich dachte in dem Augenblicke nicht an sie, wo sie sich an mir selbst bewahrheiten sollten. Als wir in die Grenzstation von Forbach einfuhren, wurde die Tür unseres Wagens aufgerissen und draußen zeigten sich Gendarmen, welche dem gemessenen Befehl ihres Brigadiers, dass wir aussteigen sollten, pünktlichen Gehorsam zu verschaffen Miene machten. Da Proteste nichts halfen, so fügten wir uns. Sofort wurde ich von einem Paar hornharter Hände ergriffen und in beschleunigtem Tempo quer über den Bahnhof durch eine Art von Vorzimmer in ein zellenartiges Zimmer geführt. Die wenigen Möbel desselben bestanden in hölzernen Bänken und in einem mit Tinte befleckten Tisch, an dem ein preußischer Hauptmann in Diensttracht und vier finster blickende Männer saßen, die trotz ihrer bürgerlichen Ämter ebenfalls Uniformen trugen. „Ihr Name, Alter und Beruf?“ fragte einer der Männer mürrisch. „Ob Sie deutsch sprechen, frage ich Sie nicht. Man würde Sie nicht für eine solche Mission gewählt haben, wenn Sie nicht verschiedene Sprachen und namentlich die unsrige verständen!“ „Eine Mission?“ fragte ich im höchsten Erstaunen entgegen. „Ich habe keine Ahnung, was Sie sagen wollen. Wenn Sie hier ein Amt bekleiden, wie ich voraussetze, so erwarte ich, dass Sie sich wegen Ihres unverantwortlichen Benehmens entschuldigen werden. Was ist aus der Dame geworden, die mich begleitete, aus Mademoiselle, aus meiner Schwester will ich sagen? Sie werden doch auch nicht sie der abscheulichen Behandlung unterworfen haben, die ich nur durch ein unbegreifliches Missverständnis oder einen Missbrauch der Amtsgewalt erklären kann?“ Die Antwort war ein allgemeines Gelächter, das nicht zu der gutmütigen Sorte gehörte. Wie es verstummt war, nahm der Kreis ernster Gesichter rings um mich einen düstern Charakter an. „Ihr Name?“ wiederholte der frühere Sprecher seine Frage, und dieses Mal in einem Tone, der mir zeigte, dass er nicht mit sich scherzen lassen wollte. 151
„Percy Phipps, zuletzt Attaché bei der britischen Gesandtschaft in Madrid,“ antwortete ich. „Und als solcher haben Sie sich in Mainz gestern in das Fremdenbuch des Hotels eingeschrieben und den Namen Ihrer Schwester hinzugefügt?“ lautete die nächst Frage. „Gewiss,“ antwortete ich. „hier ist mein Pass.“ Damit hielt ich das Papier zur näheren Besichtigung hin. Zu meiner Bewunderung ging ein unwilliges Murmeln, in das auch die Gendarmen einstimmten, durch das Zimmer. „Auf mein Wort, Sie haben eine dreiste Stirn,“ rief der Hauptmann und wurde vor Zorn blutrot im Gesicht. „Strengen Arrest!“ donnerte er zum Schluss seiner höflichen Rede, und die wachsamen Gendarmen schleppten mich in ein kleines Zimmer, dessen ganze Ausstattung in einer Pritsche und einem zerbrochenen Stuhle bestand. Das vergitterte Fenster ging auf einen Hof hinaus, in dem Kehrichthaufen und Küchenabfälle lagen. Hier schlossen mich meine Begleiter ohne ein erlösendes Wort ein und gingen davon. Die Gefühle, mit denen ich durch das Gitterfenster auf den Hof hinausblickte, waren nicht beneidenswert. Ich war zu sehr Mann von Welt, um zu bezweifeln, dass nur ein arges Versehen die Ursache meiner Verhaftung sei. Wahrscheinlich war irgendein schwerer Verbrecher, der mir ähnlich sah, der Behörde telegraphisch signalisiert worden, und ich saß im Gefängnisse, weil ich für einen Agenten der roten Republik oder einen Londoner Taschendieb oder einen Berliner Fälscher galt. So unangenehm mir mein Arrest war, quälte mich doch hauptsächlich der Gedanke, dass die arme Julie als meine angebliche Mitschuldige einer ebenso harten Behandlung unterliege. Natürlich musste das Missverständnis bald entdeckt werden und unsere Freilassung auf dem Fuße folgen, aber der Gedanke blieb doch unerträglich, dass die verwöhnte feine Julie der rauen Behandlung von Schließern und den Qualen der Haft ausgesetzt sein könne. Darüber brütete ich, während die Schatten immer länger wurden und Stunde auf Stunde verfloss. Das ferne Geräusch des Bahnhofs drang dabei wie die dumpfen Töne eines Meeres in mein Ohr. Wollte denn niemand kommen? Ich war nicht bloß bekümmert, sondern auch hungrig. Der Tag schlich träge dahin und es war bereits dunkel, als auf dem Gange draußen schwere Schritte hörbar wurden. Der Schlüssel drehte sich im rostigen Schlosse und der höflichste der Beamten, vor denen ich im Verhör gestanden hatte, trat mit drei Gendarmen hinter sich ein, um mir zu sagen, „dass ich die Freiheit 152
habe, meine Reise fortzusetzen.“ „Es ist mir jetzt gelungen,“ sagte er, „aus Ihrem Reisegefährten die volle Wahrheit herauszubringen, und ich muss Ihnen sagen, dass Sie die kleine Unannehmlichkeit, die Ihnen hier begegnet ist, bloß sich selbst zuzuschreiben haben. Sie müssen wissen, dass wir Sie für einen französischen Spion gehalten haben.“ „Wie voreilig!“ rief ich aus, aber der Beamte winkte mit der Hand, um mir anzudeuten, dass ich meine Rolle als Zuhörer weiter zu spielen habe. „Für einen französischen Spion,“ wiederholte er sehr ernst, „für einen der geheimen Späher, welche die kaiserliche Regierung jeden Tag ausschickt, um unsere deutschen Plätze zu skizzieren, Pläne der Werke zu zeichnen und jeden schwachen Punkt zu ermitteln. Ihr Reisegefährte ist der gefährlichste dieser Menschen.“ „Wie?“ rief ich und rieb mir unwillkürlich die Augen, um mich zu überzeugen, dass ich nicht schlafe und träume. „Ich habe keinen Reisegefährten. Die junge Dame …“ Hier fiel mir der preußische Polizeikommissär ins Wort. „Die junge Dame,“ sagte er lächelnd, „ist der listigste aller französischen Spione. Sie hat unsere Festungen gezeichnet, unsere Flussübergänge studiert und die Wachsamkeit der Polizei wochenlang zuschanden gemacht. Sie sind überrascht, Herr Phipps, aber ich versichere Sie, dass die Person, welche Sie als Ihre Schwester auszugeben versuchten, dass Mademoiselle Julie de Bellemine, die auf den Flügeln kindlicher Liebe an das Krankenlager ihrer Tante eilte, in Wahrheit der Unterlieutenant Amadée Victor Gros von der Artillerie ist. Da haben Sie die ganze Wahrheit.“ So zeigte es sich wirklich. Als man mir das Protokoll vorlegte, das Julie mit ihrer wohlbekannten zierlichen Handschrift als Unterlieutenant Gros unterzeichnet hatte, überzeugte ich mich, dass man mich zum Narren gehalten habe. Man hatte den jungen Spitzbuben wegen seiner Keckheit und seines mädchenhaften Aussehens zum Auskundschaften der preußischen Festungen benutzt. Als in Folge des Forschens nach dem französischen Spion Schlangenbad zu heiß für ihn geworden war, hatte er den schönen Plan entworfen, mich zum Gehilfen bei seinem Entkommen über die Grenze zu benutzen. Wer Madame de Granmaison gewesen sei, wusste der Polizeibeamte nicht, aber Schloss Grissecoeur bezeichnete er als Fantasieschloss. „Die schöne Julie,“ beendete der Beamte seine Aufklärungen, „wird bis zum Ende des Krieges in Spandau oder Stettin bleiben. Sie nimmt ihr Schicksal übrigens heiter hin. Was Sie betrifft, Herr Phipps, so werden Sie sich diese Erfahrung als Warnung für die Zukunft dienen lassen.“ 153
Ein nach Frankreich abgehender Zug stand auf den Schienen und mit schwerem Herzen nahm ich darin Platz. Auf dem Geleise gegenüber hielt ein nach Norddeutschland bestimmter Zug. Als unsere Wagen in Bewegung gerieten, schob sich ein Kopf, an dem keine falschen Locken mehr hingen, aus einem Fenster und eine spöttische Stimme rief mit hellem Lachen: Bien de choses, Monsieur, à Mademoiselle votre soeur [= Liebe Grüße der Herr, an Ihr Fräulein Schwester].“ Das war das letzte Lebewohl des unverschämten Unterlieutenants, das letzte Wort der liebenswürdigen Nichte von Madame de Granmaison.
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1880 Aber immer nur das Spiel der Blätter? Aus: Fanny Lewald, Vom Sund zum Posilip!, Briefe aus den Jahren 1879–81, 2012 Schlangenbad, im Juli 1880 Wenn ich hier an meinem Fenster stehe und hinaussehe zwischen den herrlichen Bäumen hinweg, über die freundlichen Blumenbeete der bescheidenen Gartenanlagen, nach dem vor ein paar Jahren neu erbauten kleinen Wendelgang für die Brunnentrinker hinüber, und sehe dann auf der Straße, die von Eltville hinaufsteigt und durch Schlangenbad weiter über die Höhe hinwegführt nach Schwalbach, die Wagen der Ankommenden mit Gepäck beladen vorüber fahren und die mit Blumensträußen geschmückten Fortreisenden zum Rhein hinuntergehen, so kann ich mir gar nicht denken, dass es das Schlangenbad des achtzehnten Jahrhunderts ist. Früher, so erzählten mir Leute, die in meiner Jugend die Alten waren, und so melden es noch ältere Reisebeschreiber, früher gingen nicht die Leute nach Schlangenbad, die in Arbeit und Mühen schon ein Stück Leben hinter sich hatten. Jugend und Schönheit gingen hierher, ihrer Haut durch die hiesigen Bäder den Glanz und die Frische der Jugend zu erhalten. Üppige Geistliche und weltliche Fürsten hielten hier mit ihren Geliebten und Frauen offenes Haus und offene Tafel für den Adel, der von allen Enden herbeigeströmt kam. Großes Spiel, das Abenteurer bis aus dem Orient heranlockte, Liebeshändel bedenklicher Art, galanter Skandal, ein Leben, gegen welches die verrufensten Zeiten von Homburg und Baden-Baden als bescheiden bezeichnet werden könnten, trieben in freiem Verkehr hin und her kutschierend zwischen Schlangenbad, Schwalbach und Wiesbaden ihr Wesen; und gelegentliche Überfälle von Franzosen oder auch von Beutelschneidern in den Wäldern hielten die Nerven in angenehmer Spannung. Dann kamen mit unserem Jahrhundert und nach den deutschen Freiheitskriegen sanfte, stille Tage für diese Landstriche und Bäder, die ein englischer Marineoffizier, Herr Francis Head, vor etwa 30 Jahren in seinen „Bubbles from the 155
Brunnen of Nassau by an old Man“ sehr hübsch geschildert hat. Es waren Zeiten, in welchen hier in Schlangenbad nur ein einziges kasernenhaftes Kurhaus vorhanden war, das in dem Bändchen abgebildet ist und in welchem die damalige Kronprinzessin von Preußen nebst andern Fürstlichkeiten Tür an Tür mit den anderen Badegästen lebten, wie es jetzt in ähnlichen Fällen überall geschieht. Dem alten Engländer erschien dies jedoch damals noch als etwas Ungewohntes; und wie er denn überhaupt der deutschen Gesittung, der Freundlichkeit des Menschschlages, der deutschen Schulpflichtigkeit und vieler unserer anderen Einrichtungen mit großer Anerkennung erwähnt, ohne das Mangelhafte zu verschweigen und ungerügt zu lassen, so bemerkt er auch das rücksichtsvolle Betragen der Badegäste, das gute Verhalten der verschiedenen Stände gegeneinander am Mittagstische. Das Essen will ihm allerdings nicht recht hinunter, aber er sagt seinen Landsleuten doch, sie hätten es gar nicht so oft nötig, aus Sparsamkeit ins Ausland zu gehen, wenn sie sich nur entschließen könnten, so vernünftig und bescheiden zu leben, wie die sehr gebildeten Deutschen aus den verschiedensten Ständen. Ich fürchte, er würde dies Letztere vielfach sehr verändert finden, der gute alte Herr, wenn er wiederkommen und jetzt durch Deutschland reisen könnte. Jedoch seine Bubbles sind ein liebliches, verständiges kleines Buch, das mir heute noch gerade so gut gefällt als vor 17 Jahren, da ich es hier kaufte. Nur seine Schilderung des Ortes trifft nicht mehr zu. Schlangenbad ist nicht mehr der Ort der Galanterie wie im vorigen Jahrhundert und nicht mehr der sehr kleine Ort von 1863, in dem ich damals, so wie jetzt, eine Kur durchzumachen hatte. Es besitzt jetzt fünf Kurhäuser, von denen drei die Bäder enthalten, und neben diesen von der Regierung verwalteten Gebäuden ziehen sich in der Hauptstraße und auf den Wegen nach Eltville und nach Schwalbach zu, in verschiedener Höhe ein paar Straßen mit etwa vierzig größeren und kleineren Häusern hin, bescheidene Gasthöfe und Villen, in denen man bei schicklicher Wohnung eine entsprechende Bedienung und Kost finden kann, wie in unsern Sommerfrischen in Thüringen, im Harz, u. s. w. Billig ist Schlangenbad, und sind die Mehrzahl der deutschen Kurorte und Sommerfrischen in der Regel nicht, wenn man ihre Preise und Leistungen mit den großen Kurorten der Schweiz und Italiens vergleicht: mit Ragaz, Interlaken, dem Genfersee u. s. w.; aber ein sehr frischer, stiller und in gewissem Sinne idyllischer Aufenthalt ist Schlangenbad heute noch wie vor 20 und 30 Jahren, während die Wohnung und namentlich die von der Regierung verwalteten Bäder nun sehr 156
viel besser geworden sind als damals. Die Zellen sind geräumig, trocken, hoch, gut ausgestattet und das Wasser von der angenehmsten Weichheit. Es ist in den letzten Jahrzehnten viel Gutes für Schlangenbad geschehen. Dazu ist alles hier vorsichtig auf Nervenkranke eingerichtet; selbst die vortrefflichen Fuhrwerke dürfen im Bereich des Ortes nur im Schritt fahren. Ein Tag gleicht dem andern. Heute geht man nach der Wambacher Mühle, morgen nach der Maxhütte, dann nach Rauenthal zu – und – , wo man geht und steht, ist man von der grünen Waldeinsamkeit umschlossen und möchte doch – wenn man empfindet wie ich, öfter als es jetzt möglich ist, sofern man nicht 7–10 Mark dafür alltäglich ausgeben mag – hinunter in das Freie und an den Rhein, wo das Auge sich einmal im Fernblick genug tun kann, wo des breiten Stromes Wellen hinabfluten von des Gotthards Höhen in das offene Meer hinaus. Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter der Bewegung, und wir sind am Ende doch die Kinder unserer Zeit. Wir verlangen die Möglichkeit der Bewegung auch in der Ruhe, wenn wir die Ruhe nicht bald wie eine Gefangenschaft empfinden sollen.
Abb. 25: Nassauer Hof, Trinkhalle und oberes Kurhaus Die rechten alten Schlangenbader Gäste und Wallfahrer, die seit zehn und zwanzig Jahren alljährlich hierher kommen, wollen nichts davon hören, wenn ich sage, eine andere Verbindungsart zwischen dem Rheine und Schlangenbad und Schwalbach, das noch eine Fahrstunde weiter landeinwärts liegt, sei im Jahre 1880 unerlässlich; es sei unerhört, dass ein elender rumpliger Postomnibus den Per157
sonenverkehr und die Post zwischen diesen drei Punkten besorge, dass nicht an jedem Nachmittage so und so viel gute Omnibusse um 3, um 4 Uhr nach Eltville und nach Schwalbach, und um 6 und 7 Uhr andere den Rückweg fahren, dass keine Pferdebahn hinausführt aus dieses Tales Gründen, die nur zu oft in unsern Sommern ein düsterer Nebel drückt, und aus denen man zuletzt wirklich mit der Seele den Ausweg sucht. Sie fürchten zu viel Menschenverkehr an den Sonn- und Festtagen vom Rheine und aus dem Lande her. Sie fürchten Sängerfeste, Turnerzüge! – Als ob es ein Unglück wäre, wenn alle acht Tage einmal fröhliche oder auch lärmende Menschen die Wege durchzögen, auf denen sonst nur einzelne Equipagen vorüber fahren und auf denen ich seit fünf Wochen nicht einen Reiter gesehen habe, auf denen eine Uniform ein Ereignis ist, und eine Schar von buntmützigen Studenten oder Schülern, wie sie heute hier durchgekommen, Aufsehen und Vergnügen machte. Der letzte der Bahnzüge brauchte nur abends zu guter Stunde hier abzugehen, um niemanden in der sanften feiernden Betrachtung zu stören, die den ersehnten Schlaf befördert. Es ist langweilig hier auf die Länge! Ich wünsche unserem trefflichen Generalpostdirektor Stephan die beste Gesundheit von der Welt, denn wer hätte ihn nicht zu segnen? Aber ich wollte, er käme auch einmal sich auszuruhen nach Schlangenbad oder Schwalbach, und sähe diese mangelhafteste Verbindung zwischen diesen Badeorten und der übrigen Welt! Er würde, wenn auch nicht die elektrische Eisenbahn, von der die Rede gewesen sein soll, so doch sicherlich Rat schaffen für diejenigen hier weilenden Kurgäste, die nicht stundenlange Wege machen, nicht täglich 7–10 Mark für Wagen zahlen können, und denen neben der guten Luft und den guten Bädern, wie allen Nervenkranken, doch auch eine gewisse Abwechslung der Eindrücke notwendig ist. Es bliebe ja den auf völlige Einsamkeit Gestellten unbenommen, sich in Waldesgründen heimlich zu vertiefen. Man kann die Natur lieben, verstehen, das Stillleben suchen, das Keffmachen schätzen wie ein Türke – und ich für mein Teil rühme mich des Allen mit gutem Gewissen. Aber immer nur das Heben und Senken der Koniferen-Äste, immer nur das Spiel der Blätter, immer und immer nur dieselben einander gleichenden Waldwege und die Aussicht hindernden Höhen vor Augen zu haben, wirkt lähmend auf den Sinn. Noch in keinem andern Badeorte habe ich die Menschen so unausgesetzt mit Büchern in den Händen spazieren gehen und so viel sitzen und lesen sehen als hier. Schlangenbad ist lieblich, ist idyllisch, das fühle ich wie jeder Anderer – aber ich kann mir nicht helfen – ich wollte, der Generalpostdirektor käme einmal her! 158
1905 Schlangenbader Leben übers ganze Jahr Aus: Müller de la Fuente, E., Der liberale Kaplan, Roman, 1913
Frühling Die Welt geht Tag für Tag ihren alten, buckligen Gang weiter, und wenn jeder Tag ein aufregendes oder bedeutsames Ereignis mit sich bringen würde, so möchte das Leben auf die Dauer eine etwas anstrengende Sache werden. Wer aber häufiger geistiger Emotionen zu seiner irdischen Glückseligkeit bedarf, der sollte es jedenfalls vermeiden, aufs Land zu ziehen. Wohnt er in der Großstadt, so kann er tagtäglich an den lokalen Zeitungsberichten über Mordtaten oder Einbrüche oder Unglücksfälle sein hungerndes Gemüt erquicken, und wohnt er in der Kleinstadt, so kann er sich ärgern, wenn er vom Stammtisch bei Regen und Sturm im Stockdunkeln seinen Heimweg suchen muss, weil Mondschein im Kalender steht und infolge dessen die Laternen nicht brennen; oder er kann sich freuen, wenn er auf der Straße riecht, dass seinem lieben Nachbar das Mittagessen angebrannt ist. Auf dem Lande hingegen kommen derartige seelische Erschütterungen nur äußerst selten vor, und zumal die Bornwalder [Name für Schlangenbad im Roman, Anm. d. Hrsg.] hatten ein ausgesprochenes Talent dafür, nach den Anstrengungen der Saison in eine Art Winterschlaf zu versinken, an dem die Ereignisse des Weltgeschehens ziemlich eindruckslos vorüber rollten. In diesem Jahre war es freilich damit nicht viel gewesen. Die Wahlbewegung hatte die Gemüter lange in Erregung gehalten, und als diese sich nun langsam zu legen begann, da kamen einige vorwitzige, sonnige Vorfrühlingstage, welche an das herannahende Ende des Winters erinnerten und dadurch den Tatendrang in den Seelen der Bornwalder Einwohnerschaft weckten. Freilich – mit dem Ende des Winters hatte es trotzdem noch gute Wege; Herr Kopp sollte mit seiner Prophezeiung Recht behalten; es gab noch mal Schnee, und zwar tüchtig, aber er war feucht und klebrig, und mit dem Rodeln war es nichts. Und eines Nachts erhob sich ein warmer Wind, der heulend über Berg und Tal flog, und als 159
am nächsten Morgen die Bornwalder mit verschlafenen Augen aus den Fenstern blickten, da war vom Schnee weit und breit nichts mehr zu sehen, dafür aber brauste ein hochgeschwollener Wildbach zerstörend durch das enge Tal hin, riss Brücken fort und bedrohte die Häuser, an denen er tosend entlang schäumte. Kein Mensch hätte in ihm das rinnsälige Bächlein vermutet, das sonst so sittig und bescheiden durch die Wiesen plätscherte und im Sommer nur noch so viel Wasser enthielt, dass einige bedauernswerte Forellen gerade eben ihr kümmerliches Leben darin fristen konnten.
Abb. 26: Haus Ingeborg, 1904 erbaut für den späteren Badearzt Heinrich Müller de la Fuente Aber auch die Fluten verliefen sich wieder, nachdem sie so viel Schaden, wie möglich, angerichtet und Gesprächsstoff auf Wochen hinaus geliefert hatten. Und auf einmal begann es sich überall in der Natur zu regen: Anemonen steckten ihre weißen Köpfchen aus dem welken, braunen Laube; an den Zweigen der Weiden zeigten sich behagliche, pelzüberzogene Knöpfchen; dicke schwarze Käfer liefen eilig und ungemein beschäftigt über die Wege; hie und da an sonnigen Stellen saß träge und blinzelnd eine Eidechse und ließ sich die halberstarrten Glieder wärmen, und eines Tages kamen triumphierend die Kinder aus den Schulen und verkündeten daheim ihren aufhorchenden Eltern, dass sie heute den ersten Storch gesehen hätten. Angesichts solcher Tatsachen konnten und wollten auch die Bornwalder nicht länger säumen. Wer ein Haus besaß, der musterte es mit kritischen Blicken, ob es dieses Jahr eines neuen Anstrichs bedürfte, oder ob der alte noch vorhielte. Die Handwer160
ker, die den ganzen Winter über brach gelegen hatten, bekamen böse Zeiten: Jeder riss sich um sie und wollte unbedingt seine Arbeit zuerst erledigt sehen, so dass die armen Menschen nicht wussten, wo ihnen der Kopf stand und sie sich schließlich dadurch aus der Klemme zogen, dass sie gar keine erledigten. Darüber entstand natürlich allgemeines Murren, obschon man sich sagen konnte, dass es jedes Jahr dieselbe Geschichte sei, und dass zu guter Letzt alles doch noch zur richtigen Zeit blitzblank und sauber fertiggestellt war. Und als endlich an den Buchen, Birken und Eichen des Waldes die ersten grünen Knöspchen erschienen, da mochten sie wohl glauben, es tobe ein heftiges Gewitter über dem Tal, denn den ganzen Tag über rollte und grollte unausgesetzt der Donner. Es war aber kein richtiger Donner, sondern nur das dumpf rollende Geräusch, das entsteht, wenn in einem engen Tale eine Masse geschäftiger Menschen steht und Teppiche klopft. Die Tage vorher hatte das Bähnchen Scharen weiblicher Wesen gebracht, die sich durch aufgedonnerte, in den schreiendsten Farben leuchtende Eleganz auszeichneten, insbesondere aber durch den initiierten Blumenflor auf den wippenden Hüten, welche eine entfernte Erinnerung an die hängenden Gärten der Semiramis wachriefen. Heute nun hing die rote, grüne und blaue Pracht in den Kleiderspinden, die passenden Glacéhandschuhe lagen in den Schiebkästen, und die bereiften, roten Hände schwangen kräftig die Teppichklopfer. Hausmädchen waren’s, die nur während der Saison in Bornwald weilten und sich jetzt während der Arbeit gegenseitig ihre hochinteressanten Wintererlebnisse zuschrien und Vermutungen darüber austauschten, ob der vorjährige Saisonschatz dieses Jahr wohl die gleiche Würde beanspruchen und erlangen werde. Schlüsselklappernde Hausfrauen wurden von Reinlichkeitsteufel durch sämtliche Stockwerke ihrer Wohnungen gejagt, wo besenschwingende Huldinnen den Staub aus den Ecken zu kehren bemüht waren oder mit wassertriefenden Wischtüchern auf dem Boden herumklatschten. Kurz, das bisher so ruhige Leben Bornwalds hatte einem fieberhaften Tätigkeitsdrange Platz gemacht, und an allen Enden wurde getan und gearbeitet und geschafft, als ob die ewige Seligkeit davon abhinge. Oberflächliche Beschauer mögen darüber lächeln. Wer aber offenen Auges und teilnehmenden Herzens durch seine kleine Welt schreitet und sich nicht zu gut dünkt, ihre großen und kleinen Sorgen zu teilen und mitzufühlen, der wusste, wie viele Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen sich hinter diesem geschäftigen Eifer verbargen. Ach, wie oft schon waren sie fehlgeschlagen! Gar mancher, der alles aufs Schönste vorbereitet hatte und mutvoll in die neue Saison eingezogen war, saß am Ende derselben 161
kummervoll über seinen Büchern und fragte sich, wie er in dem kommenden, verdienstlosen Winter Brot und Kleidung für Weib und Kinder beschaffen sollte. Und so mancher war mit vollen Segeln in den Kurbetrieb hereingefahren, der im Herbste still und kummervoll wieder nach dem Wanderstabe griff, um sein Glück anderswo zu versuchen! Aber immer wieder, wenn die Frühlingssonne lockte, weckte sie gleich Lenzensblumen in den Menschenherzen neue Hoffnungen und die frohe Zuversicht: „Diesmal muss es doch gut werden!“ Dann wurden mit dem Winterstaub auch die Wintersorgen fortgeschüttelt, und die Menschen wurden wie Kinder, die gleich wieder vergnügt lachen können, wenn sie eben noch bitterlich geweint haben. Überhaupt die Kinder! Hätte Heinz nicht durch seinen Unterricht und seinen Verkehr in den Familien eine ungefähre Vorstellung von ihrer Anzahl gehabt, er würde es nicht für möglich gehalten haben, dass Bornwald eine solche Menge der Kleinen, Kleineren und Allerkleinsten beherbergte. Die Straße wimmelte von ihnen, und die Luft hallte wieder von ihrem Geschrei. Selbstverständlich war es das Spiel mit den Murmeln oder Klickerkugeln, dem sie huldigten, denn es scheint ein geheimnisvolles Naturgesetz zu sein, dass dies allerorten in deutschen Landen das Spiel des Frühlings zu sein hat, welches schon wenige Monate später gänzlich der Vergessenheit und Nichtachtung verfällt, um erst wieder im Lenz des kommenden Jahres eine fröhliche Auferstehung zu feiern. […]
Abb. 27: Schweizertal um 1910 162
Sommer Lieber Leser, der Du in der Stadt wohnst und vielleicht selbst zu denen gehörst, die während des Sommers in einem Badeort Erholung oder Linderung von ihren Leiden suchen, hast Du eine Ahnung von der ungeheuren Wichtigkeit, die Deine Person als Besucher einer solchen Stätte erlangt, und die umso größer zu sein pflegt, je kleiner der von dir erwählte Ort ist? In einem stark besuchten Bade kommt es ja auf ein paar Hundert mehr oder weniger nicht an – der Einzelne verschwindet unter der Menge. Aber da, wo es sich nur um wenige Tausende oder gar nur um Hunderte handelt, da erhält jeder der Besucher in den Augen der Ansässigen eine Bedeutung, wie sie ihm meistens daheim von den eigenen Mitbürgern leider nicht beigelegt zu werden pflegt, und die nicht selten in einem umgekehrten Verhältnis zu seinen persönlichen Verdiensten steht. In einem früheren Jahrhundert lebte zu Bornwald ein Invalide, der nach den Strapazen unzähliger Kriegsfahrten in diesem damals natürlich weit kleineren und stilleren Erdwinkel zur Ruhe gekommen war. Und da er nun einmal ein Leben hindurch an das Tosen und Lärmen der Schlachten gewohnt gewesen war, so vermeinte er, ganz ohne jegliches Geknalle auch jetzt nicht mehr sein zu können. Also schaffte er sich einen kleinen Böller an, den er jedes Mal los brannte, sobald er einen neuen Kurgast zu Pferde oder zu Wagen dem Orte sich nähern sah. Es ist bekannt, was die Damen jener Zeit zu solcher geräuschvollen Begrüßung meinten, aber ihren lärmgewohnten Ohren mag der donnernde Willkommensgruß weniger unangenehm erklungen sein, als den Damen unserer Tage, denen gegenüber ein derartiges Verfahren kaum als empfehlenswert bezeichnet werden dürfte. Auch hat sich mittlerweile die Besucherzahl Bornwalds derart gehoben, dass während der Sommermonate des Geknatters kein Ende wäre, aber so zu Anfang, wenn die Fremden noch spärlich eintreffen und ob der noch herrschenden Leere entweder misstrauisch schnüffelnd oder beschämt umhergehen, als genierten sie sich so alleine, da haben die meisten Bornwalder die Empfindung, als ob sie jeden neuen Ankömmling mit einem jubelnden Böllerschuss begrüßen möchten, der umso lauter knallen müsste, je größer die Anzahl der mitgebrachten gelben und braunen Koffer ist. Dass es aber schließlich auch ohne das geht, dafür sorgt die Kleinheit des Ortes, und gar der Erste darf sicher sein, dass, noch bevor sein Fuß das von ihm erwählte 163
Hotel betreten hat, die frohe Kunde von seiner Ankunft schon in die entfernteste Hütte gedrungen ist. […] Während Heinz weiterging, wunderte er sich über das veränderte Aussehen, das Bornwald innerhalb der wenigen Tage erlangt hatte. Die Fenster, die während des Winters mit toten, schwarzen Augen auf den Vorübergehenden gestarrt hatten, waren mit hellen Gardinen versehen, die Balkone mit Blumen geschmückt, und auch die zahlreichen gärtnerischen Anlagen prangten im Blumenflor. […] Ein völlig verändertes Bild bot Herrn Westermanns großes Hotel. Von der Restaurations-Veranda waren die Bretterwände geschwunden und sauber gedeckte, blumengeschmückte Tische luden zum Verweilen ein; die ganze Hausfront entlang standen mächtige Lorbeerbäume, in deren Schatten zierliche und bequeme Ruhebänke aufgestellt waren; das während des Winters hermetisch verschlossene große Hotelportal war weit geöffnet, und in seiner Lichtung stand ein Portier in goldbesetztem Rocke, der gerade eben, als Heinz vorüberging, von einigen Hotelgästen belagert und, seiner verlegenen Miene nach zu schließen, offenbar mehr gefragt wurde, als er beantworten konnte. Und wieder etwas weiter oben, wo das Kurhaus stand, wandelten einige weibliche Gestalten zwischen den Blumenparketts oder standen an der Trinkquelle, um sich die Gläser von der Brunnendienerin füllen zu lassen, oder saßen lesend und plaudernd auf den Bänken in der Wandelhalle. Über dem allen aber, auf einer an den Wald grenzenden Terrasse, saß die Kurkapelle in ihrem Musiktempel, der auf eine vorspringende Ecke aufgesetzt war, wie ein Storchennest auf einem Schornstein. Der Dirigent, ein noch junger Mann mit markanten Zügen trat an sein Pult und schüttelte sich mit einem energischen Ruck seines Hauptes die wallenden Künstlerlocken aus der Stirn, wobei er mit der linken Hand nachhalf; dann hob er den Taktstock und im nächsten Augenblicke erklangen die feurigen Weisen der Oper Carmen aus der Höhe ins Tal. […]
Herbst Die nächsten Wochen vergingen, ohne dass etwas Besonderes vorgefallen wäre. Das Kurleben in Bornwald hatte seinen Höhepunkt überschritten, und schon begannen die Scharen der fremden Gäste sich zu lichten. Zwar abends, wenn das Kurorchester spielte, wandelte noch immer eine stattliche Menge unter den Klän164
gen der Musik lachend und plaudernd in den erleuchteten Anlagen am Musikpavillon auf und nieder, aber dem genauen Beobachter konnte es nicht entgehen, dass die Freudigkeit nicht mehr die gleiche war, wie während der Hochsommerzeit. Die älteren Leute hüllten sich fröstelnd in warme Tücher und Decken und drängten eher zur Heimkehr ins warme Hotelzimmer, als es der flirtbeflissenen Jugend lieb war. Die übliche Zahl der jährlichen Verlobungen war übrigens bereits erreicht, diesmal sogar noch überschritten worden, was von Kennern der örtlichen Verhältnisse als ein Anzeichen der bald endenden Saison gedeutet wurde. In der Tat hatte die Erfahrung gelehrt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkte alljährlich eine Art Verlobungssucht epidemisch aufzutreten pflegte. Wer aus dieser günstigen Konstellation, die gewöhnlich nur ein paar Wochen währte, unverlobt herauskam, der tat gut, seine diesbezüglichen Hoffnungen bedeutend herunterzuschrauben – für diesen Sommer wenigstens. Sei es, dass die kühleren Abende das Aufkommen wärmerer Gefühle verhinderten, sei es, dass die Übriggebliebenen dazu neigten, sich gegenseitig nun mehr als zweite Garnitur zu betrachten und daher nicht mehr recht anbeißen wollten – soviel stand jedenfalls fest, dass nach dem Zustandekommen einer gewissen Zahl Verlobungen die Epidemie abflaute. Wer nicht durch sein Leiden genötigt war, länger zu bleiben, reiste ab, und die neuen Ankömmlinge wurden spärlicher. Nun währte es nicht mehr lange, und die im Hochsommer so anmutig belebten Stätten wurden leerer. Die ersten welken Blätter knisterten unter den Schritten der wenigen Spaziergänger und an Stelle des munteren, bewegten Treibens begann sich die Melancholie des nahenden Herbstes auszubreiten. […]
Winter Es hatte über Nacht geschneit und als Heinz am nächsten Morgen ans Fenster trat, hatte er den Eindruck, als ob die ganze Landschaft da vor ihm direkt aus dem Schaufenster eines Konditors entnommen und hierher gestellt worden wäre. Blendend weißer Schnee bedeckte den Boden und die Dächer der Häuser, und der Raureif an den Bäumen glitzerte im Schein der aufgehenden Sonne. Wo sich bekannte Menschen unterwegs begegneten, verfehlten sie nicht, sich gegenseitig die überraschende Beobachtung zuzurufen, dass es nunmehr Winter geworden sei. In allen Häusern Bornwalds wurden die Rodelschlitten vom Speicher herabgeholt 165
und einer sachverständigen Prüfung unterzogen; die eisernen Kufen rieb man auf rauen Steinen glatt vom Roste, der sich im Verlauf des feuchten Sommers daran gesetzt hatte. Dann wurden die Sportjacken aus der Kampferkiste gezogen und eingehend gemustert, ob sie dieses Jahr noch gebrauchsfähig seien, oder ob der jeweilige ehrsame Familienvater in die Tiefen seines Geldbeutels hinabzusteigen haben, um seinen lieben Angehörigen eine neue Sportausstattung zu verschaffen. Kleine häusliche Kämpfe, die sich hierbei leicht infolge der bedauerlichen Verständnislosigkeit der glücklichen Väter und Gatten gegenüber den Ansprüchen der Neuzeit entwickelten, wurden gewöhnlich rasch zu ihren Ungunsten entschieden, wobei auch ihr seufzender Hinweis auf das bevorstehende Weihnachtsfest nicht viel zu fruchten pflegte. Die Gastwirte musterten schmunzelnd ihre Vorräte an süßlichem Punsch-Extrakt, was wieder den erfahrenen Apotheker veranlasste, eine größere Menge Kopfwehpulver als sonst in Bereitschaft zu stellen. In der Schule hatte der Lehrer seine liebe Mühe und Not, die Aufmerksamkeit der Bornwalder Jugend vom Schnee weg auf das beliebte Rechenexempel von der berühmten Bauersfrau zu lenken, die Eier zu Markte trägt und sich dabei in den unwahrscheinlichsten und kompliziertesten Betrachtungen ergeht. Die Landleute stampften nach ihren Feldern heraus, zufrieden, dass die erwünschte, schützende und wärmende Decke, unter welcher die Erde einem neuen Frühling entgegenschlummern konnte, nun endlich gekommen war, und doch ein Jeder mit leisem Misstrauen im Herzen, der Himmel könne gerade seine Äcker vergessen haben. Wenn sie sich dann aber überzeugt hatten, dass sich das weite Schneefeld durchaus gleichmäßig und unparteiisch ausdehnte, freuten sie sich und besprachen eingehend die weiteren Witterungsaussichten. Und nun gar die Hunde! Die sprangen mit flatternden Ohren wie besessen und ziellos in dem weißen, weichen Wunder herum, als sei es ein Spielzeug, das ihr gutes Herrchen eigens für sie hingelegt habe. Kurz, Alt und Jung, Groß und Klein war von solchem Glück über den Schneefall erfüllt, dass man sich fragen musste, warum der liebe Gott seinen Geschöpfen, die nicht den Vorzug hatten, in nördlichen Zonen oder in den Alpen zu wohnen, diese unschuldige Freude nicht öfters bereitete. Und während der Nachmittagsstunden dieses Tages rutschte ganz Bornwald auf mehr oder weniger eleganten Rodelschlitten die breite Landstraße herunter, die in mäßigem Gefälle an der katholischen Kirche vorüber zum Bahnhof führte. Da sah man alle Altersklassen vertreten: von den ehrwürdigen Matronen mit erstaun166
lichen Körperproportionen, welche den Kopf in dicke Tücher eingemummelt hatten, bis zur strahlenden Jugend, die von der Kälte nichts zu merken schien. Alles war von der gleichen Luft erfüllt, was sich bei den Mädchen in viel gutem und völlig grundlosem Gekicher kundgab, bei den Jungens dagegen in ebenso grundlosem, lautem Gejohle, wodurch sie ihre Männlichkeit hervorzuheben bestrebt waren. Einige von ihnen fuhren, indem sie sich bäuchlings auf den Schlitten legten, was zwar die Geschwindigkeit wesentlich beeinträchtigte, aber doch den Anschein größeren Mutes erweckte. Die Familienväter aber standen oder gingen auf dem Bürgersteig, sahen dem fröhlichen Treiben zu und freuten sich. Manchmal ließ sich auch einer von ihnen herab, dass er sich zu seiner Geliebten auf den Schlitten setzte und die halb vergessenen Lenkkünste seiner Knabenzeit wieder zu erproben suchte, was jedes Mal besondere Heiterkeit bei dem Publikum hervorzurufen pflegte, namentlich dann, wenn sich die Überreste der einstigen Geschicklichkeit doch nicht mehr als ausreichend erwiesen, und die Schlittenreise mit einem unfreiwilligen Salto-Mortale in den Schnee endigte. Als aber die Sonne untergegangen war und die Bürgersleute sich mit Kind und Kegel in ihre Wohnungen oder in die Gasthäuser zu einem Glase dampfenden Punsches zurückgezogen hatten, da kamen die „kleinen Leute“, die Gesellen und Dienstmädchen, vor allem aber die Liebespärchen, denen es weniger auf die schnelle Beförderung ankam, als auf das innige Aneinandergeschmiegt sein, wozu dieser gesellige Sport ja nur zu leicht Vorwand abgeben kann. Und es war ein Gequietsche und Gekicher und Gelächter auf der Straße, wie in den belebtesten Zeiten des Sommers nicht. Ja ich glaube nicht, dass eine von den drallen Mädchen und kräftigen Burschen, die mit leuchtenden Augen da hinabsausten, in den Schnee kullerten, sich schneeballten und neckten und küssten, – das einer von ihnen getauscht haben würde, mit den Reichen und Vornehmen, die auf luxuriösen Sportplätzen der Schweiz tagtäglich Hals und Beine riskierten, weil es die Mode so verlangt.
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1925 Das Wort Eile existierte nicht
Abb. 28: Ludwig Berger erwarb Ende der 1920er-Jahre die Villa Baumann
aus: Ludwig Berger, Wir sind vom gleichen Stoff, aus dem die Träume sind, 1953 (1925, mit Blutvergiftung in einem Berliner Krankenhaus liegend) Was dann kam, weiß ich nicht mehr, nur dass Schwester Margarete blinkend weiße Zähne hatte. Abends, wenn sie zum Nachtdienst in das Zimmer der Klinik trat, wusste ich, sie werde den Tod hinausweisen, wenn er anklopfte. Und dann dachte ich an eine Waldlichtung im Taunus, auf halber Höhe, wenn man von Schlangenbad nach Bärstadt ging; durch die letzten Stämme des alten Buchenwaldes schimmerten die Apfelbäume, die droben am Rand der Felder standen. Wenn man die Böschung hinaufstieg, sah man Bärstadt liegen mit seiner uralten Kirche und dem 168
romanischen Turm, mitten zwischen den Wellen der Taunushügel. Alles sah man dort durch Blatt und Gezweig, und immer lärmten Kinder um die Häuser der steilen Straßen, die von den Feldern ins Tal hinunterführten. Heimat, Sehnsucht, Abschied! Es tauchte der kleine Schlangenbader Waldfriedhof auf, der zwischen dunklen Tannen versteckt lag, zu dem die Verstorbenen im Sarg den steilen Waldweg hinauf über Moos und Farnkraut getragen wurden, bis man vor der finsteren Kapelle stand, auf die nur selten die Sonne schien. Wie oft hatte ich als Kind den schwarzen Zug gesehen mit dem Geistlichen an der Spitze, denn der Weg ging an unserer Lieblingsbank vorbei. Dann hielten wir den Atem an und hörten fern das Glöckchen. „Ob ich auch dort einmal liegen werde?“ hatte ich mit Herzklopfen gedacht, und nun lag ich in Berlin, weit weg von dem Dunkel der Wälder, und statt über Moos trug man die Bahren über harten Asphalt. […] Wir Brüder beschlossen, ehe wir nach Amerika reisten – ich hatte inzwischen den Vertrag mit der Fox unterschrieben –, ein Sommerhaus für Mutter zu bauen, in unserem geliebten Schlangenbad. Wenn wir schon in die Fremde mussten, sollte sie es, fern von uns, schön haben. So oft hatte mein Bruder im Film Räume gebaut, von denen wir träumten, so oft hatte er für fremde Menschen Häuser eingerichtet, die wie alte Geigen klangen, aber die Menschen, die darin wohnten, merkten es nicht und hörten nicht die Musik. „Ob wir je einmal für uns selbst bauen können?“ sagte eines Tages mein Bruder, der wenig sprach; die Frage stimmte mich traurig. Als mein Vater starb, war nichts mehr von dem großen Vermögen da. Solange er lebte, hatte man die Verluste nicht gemerkt, weil sein Einkommen noch immer groß genug war. „Kümmere dich um die Lebenden, das ist die einzige Liebe, die du den Toten tun kannst“, sagte seine Stimme aus dem Grab. Wir saßen bei Borchardt, Rudolf und ich, in der Jägerstraße; das war eigentlich ein Tapetengeschäft, in Wirklichkeit aber ein Fabelland aus Farben, so schön wie Erinnerungen. Hier gab es Kopien, aus den achtzehnten Jahrhunderten die sogenannten Goethehaus-Tapeten, aus der guten Stube der Frau Rath, in der der Graf Thoranc gehaust hatte, als er in Frankfurt einquartiert war, Tapeten aus dem alten Potsdamer Stadtschloss, das man im Gegensatz zu Sanssouci so nannte, und bunte Kattuns und Kretonnes mit reitenden Kavalieren oder stolzen Paradiesvögeln. Wir waren trunken von Ornamenten und Farbkompositionen und fragten uns immer wieder, was Mutter am schönsten finden würde. Ich hatte ein Haus im Taunus gekauft, dort sollte sie von April bis November leben und nur im Winter 169
drunten in der Stadt sein. Ihr größtes Glück war von je die Natur gewesen. Wenn der wilde Wein im Herbst rot wurde, konnte ihr Gesicht vor Freude leuchten. Das Haus lag in einem großen Garten, der sich breit den Hang hinaufzog und vom Buchenwald begrenzt war. Drinnen und draußen zusammenzustimmen war eine wichtige Aufgabe beim Film, mein Bruder hatte den Blick dafür und viel Übung. Während wir wählend die Terzen, Quarten und Quinten der Farbtöne zusammenstellten, wurde, ohne dass wir eine Ahnung hatten, Mutter in Mainz an ihren Augen repariert. Glaukom, Grüner Star! Um völlige Blindheit zu verhindern, hatte der Arzt sofort eingreifen müssen. Vielleicht blieb wenigstens ein Schimmer von Licht. Der Vater war zu guter Zeit davongegangen, er hatte trotz seiner siebzig Jahre noch dichtes weißes Haar und fast alle Zähne gehabt. Als ihn Mutter am siebzigsten Geburtstag fragte, ob er nicht Bridge lernen wolle, damit sie abends manchmal spielen können, meinte er: „Vielleicht später einmal, wenn ich alt bin“. Sein Tod war wie ein Hornruf aus dem Wald, der dunkel zu uns vom Berg herunter klang. Der Lahme baute ein Haus, ehe er an zwei Stöcken in die Fremde ging, aber die sich daran freuen sollte, war blind geworden. „Es gibt nur einen Tempel in der Welt, und das ist der menschliche Körper“, sagt Novalis. „Wisst ihr, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ fragt Paulus im ersten Korintherbrief. Ein Blitz ist in den Tempel gefahren. Über Trümmern nahmen wir Abschied. […] Im Tälchen hämmerte es und die Schlangenbader lachten. In drei Wochen mussten wir abreisen, mein Bruder und ich, übers Meer nach Hollywood, und in drei Wochen sollte darum das Haus umgebaut, tapeziert und eingerichtet sein, so dass Mutter nur einzuziehen brauchte. Schlangenbad war ein Badeplatz. Im Winter waren alle Hotels geschlossen, und der Ort hielt tiefen Schlaf; das Dorf bestand aus einer einzigen Straße, die etwas tiefer lag als die Hotels. Die ersten Apriltage vergingen in der Regel damit, dass die Betten auf den Wiesen und Balkonen ausgeklopft wurden. Der Dorftapezierer, der die hundert Markisen über den Terrassen aufmachte, bestimmte das Tempo. Das Wort „Eile“ existierte nicht in Schlangenbad. Es wurde doch Ende Mai, ehe die ersten Badegäste kamen. Alles gedieh einen halben Monat später hier „oben“ im Waldtal als drunten am Rhein, den man von den Berggipfeln und hölzernen Aussichtstürmen wie ein schimmerndes Band im blaugrauen Nebel sah. Die Blätter kamen später, die Blüten, die Früchte – und auch die Menschen. 170
„In drei Wochen soll alles fertig sein“, erzählten sich ungläubig die Handwerksmeister; sie sahen mich wie einen Geisteskranken an. Mit den Rauenthalern, die hinterm Buchenwald eine Stunde entfernt wohnten, stand ich auf du und du. Ob man Rheingauer war oder Nassauer, blieb trotz der nur sechzig Minuten Entfernung ein großer Unterschied. Die Rheingauer wohnten auf fruchtbarem Boden. Wein, Blumen und Obst, alles, was von dort kam, war edler als sonst wo. Die Rauenthaler liebten ihre Pfirsiche, Birnen und Rosen wie Pflegekinder, und ihrer Liebe diente ein beständiger Fleiß. Die Schlangenbader dagegen waren ganz auf die Badeplatz-Existenz eingestellt. Nur wer schlau war, verdiente in den kurzen vier Monaten der Sommersaison genügend, um den Rest des Jahres davon leben zu können. Für die Rauenthaler waren die Badegäste ein summender Bienenschwarm, für die Schlangenbader jedoch ein Verdienstobjekt. Die Schlangenbader behandelten uns Städter vorsichtig, die Rauenthaler aber waren Herren, offen, freundschaftlich und gleichberechtigt. Herr Fehlinger aus Rauenthal, der über seinem bärtigen Gesicht einen breitrandigen Schlapphut trug, war ein wirklicher Freund. Er hatte immer Glanzlichtlein in den Augen und schenkte mir an Sonntagen eine Rose, wenn ich als Bub auf dem Geländer heruntergerutscht kam, an dessen Ende er seinen Obst- und Blumenstand hatte. „Für die Frau Mutter“, sagte er dazu, und etwas von männlicher Verehrung war in seinem tiefen Bass, was mich ihm heimlich verband. Die Rauenthaler Bauernherren waren besonders gut zu ihrem Vieh; das Schönste, was das Dörflein Rauenthal meiner Jugend bescherte, waren die silbergrauen, seidensanft befellten Esel, auf denen wir Kinder bei festlichen Gelegenheiten ausreiten durften. Einer hieß Hector und seine Eselin Bertha. Hector und Bertha standen stundenlang unter dem alten Buchenbaum, wo sich die Waldwege teilten, mit Gold befransten, roten Plüschsätteln, und der alte Wittemann, dem sie gehörten, trug noch seinen langen hellblauen Kittel und eine dunkle Mütze mit schwarzblauem Schild. Jedes Frühjahr, sobald der Winter vorüber war, ging es von Mainz in den Taunus hinauf, meist schon zu Ostern, wenn die Natur erwachte und auf den Wiesen manchmal noch Schnee lag. Dann wurde ein Wagen voll bepackt mit Kindern, Musikinstrumenten, Klappnotenpulten, damit die Hausmusik an Regentagen gesichert war, und man saß zu fünft und zu sechst gepfercht nebeneinander. „Alles heraus!“ kommandierte fröhlich die Mutter, wenn bei Walluf die erste Steigung kam, und dann gingen wir neben den Pferden her, für die es sonst viel zu schwer 171
wurde; nur das Gepäck blieb im Wagen liegen. Die Geige allerdings nahm Vater mit heraus, für den Fall, dass die Pferde einmal scheu würden; sein Interesse gab man nicht dem Zufall preis. Manchmal, wenn ich ein gutes Schulzeugnis hineingebracht hatte, durfte ich ganz vorsichtig die Geige tragen. Das war die höchste Ehrung. Ende August, wenn wir von der großen Sommerreise zurückkamen, die in die Schweiz oder nach Holland geführt hatte, ging es dann zur sogenannten „Nachkur“ in das geliebte Schlangenbad, das uns eine zweite Heimat war. Wir kamen gerade noch recht, um die Laubfärbung mitzuerleben, wenn die wilden Kastanien aus ihren stacheligen Hüllen von den uralten Bäumen fielen. Damals hatten wir dort kein eigenes Haus, wir bewohnten immer dieselben Zimmer in einem Waldhaus, aus dessen Fenstern man mitten in den Buchenwald hineinsah. Mein Vater hasste den Gedanken, zwei Häuser zu haben, eines drunten in der Stadt und eines droben auf dem Land: Dann wisse man nie, wo die Noten liegen. Außerdem kannte er seine Frau viel zu gut. Der Aufenthalt wäre mehr für die Gäste als für die eigene Ruhe geschaffen gewesen, denn Mutters Herz war niemals froh, wenn Glück und Schönheit nicht geteilt wurden. Sie selbst war freilich am liebsten allein. Morgens um fünf stieg sie, lange ehe wir anderen aufwachten, auf den Rheingaublick hinauf und mittags, wenn zur Kaffeezeit die Kurmusik begann, verschwand sie durch eine Hintertür in den Wald, wo sie bei Erika, Moos und Buchenlaub neue Kraft für die ganze Familie sammelte, denn wir lebten alle von ihr. Wir Kinder spielten solange Krocket, meist mit mittelalterlichen Engländerinnen auf dem großen runden Platz am Bach, in dem man noch Krebse fangen konnte. Am liebsten spielte ich mittwochs, denn dann ereignete sich etwas Märchenhaftes: Die Kutsche mit den Schauspielern aus Wiesbaden kam an und hielt hinter dem Kurhaus. Das konnte man vom hundert Meter entfernt liegenden Krocket-Platz aus beobachten. Es war eine altmodische Reisekutsche, wie sie in Dickens-Romanen vorkommt, und ebenso gut hätte Mr. Pickwick himself zwischen den vielen geheimnisvollen Handtaschen heraus kriechen können. Durch eine unscheinbare Hintertür wurden die Gepäckstücke in den Kursaal gereicht, wo schon geräuschvoll die Stuhlreihen für die Vorstellung aufgebaut wurden. Währenddessen fuhr vor dem Badehaus ein elektrisches Auto vor. Das war der Gipfel der Vornehmheit; das Vehikel gehörte dem sagenhaft reichen Gummischuhfabrikanten Krauskopf, der oben in Georgenborn sein Sommerschloss erbaut hatte. Ehrfurchtsvoll flüsterten die Gärtner, die an den Beeten arbeiteten, einander zu: „Krauskopfs kommen 172
auch heut’ Abend!“ In dem altmodischen Festsaal fanden allwöchentlich Konzerte statt, und das waren Offenbarungen, denn an solchen mit Waldluft gesegneten Tagen, an denen die Seele ganz frei und ausgeruht war, drang die Schubert’sche „Unvollendete“ unmittelbar in Herz und Sinn. Als ich fünfzehn Jahre alt war, spielten Vater und ich in den Symphoniekonzerten mit und groß stand auf dem Programm zu lesen: „Verstärktes Kur-Orchester“. Die Verstärkung waren wir beide, Vater und Sohn. Die weiblichen Badegäste fanden, dass der Kurkapellmeister Beethoven ähnlich sehe, und verehrten ihn entsprechend. Die Proben fanden im ehemaligen „Ballhaus“ statt, einem verwunschenen Rokokopavillon, zu dem geschnittene Heckenalleen führten und in dem früher einmal „gejeut“ wurde. Das nüchterne neunzehnte Jahrhundert hatte aus dem Spielsaal eine protestantische Kirche zu machen versucht, aber die stand nun leer, bis eines Tages das kleine Orchester sein Quartier darin aufschlug. Vier- bis fünfmal während des Sommers gab es Italienische Nächte. Dann wurde die Nassauer Allee bis zu den Tennisplätzen, die zwischen den uralten Bäumen versteckt lagen, mit gelben, grünen und orangefarbenen Lampions geschmückt. Die Damen spazierten zu Potpourriklängen aus „Martha“, „Freischütz“ oder „Traviata“ in hellen Abendtoiletten, von Kavalieren begleitet, vor den dunklen Buschsilhouetten, hinter denen der silberne Mond stand, bis spät, oft erst nach Mitternacht, das Lachen der Stimmen verklang. Es ist kaum zu fassen, dass dies vor noch nicht fünfzig Jahren gelebt wurde, um die Jahrhundertwende, als noch einmal das letzte, silberhelle Lachen des Rokoko aufklang. Schlangenbad war unsere Heimat. Hier lebten Eltern und Kinder inniger vereint als während der Wintermonate in der Stadt. So war es ganz natürlich, dass Mutters Sommerhaus, das ich mir beim Film zusammengespart hatte, in Schlangenbad stehen musste. Meister Dauer, der Tischler, war stolz und selbst ein bisschen erstaunt: Die Arbeit war tatsächlich in drei Wochen geleistet worden. Es brauchte nur ein Verrückter etwas Verrücktes zu wollen, und alle Regeln wurden über den Haufen geworfen. Aber meinen Wünschen hatte ein Helfer zur Seite gestanden, dessen Wissen das Unmögliche möglich machte. „Die Bibliothek wird grün“, bestimmte mein Bruder, als ich mit ihm durch die leeren Räume ging, „und hier nebenan das kleine Empfangszimmer gelb. Das Schlafzimmer auf der anderen Seite blau. Die gelbe Tapete muss gemustert sein, die blaue einfach glatt und oben abgeschlossen von einer schwarzgrundigen Borte“. 173
Dies alles kam mir wunderbar vor. Ich sah die Welt immer nur in Hell und Dunkel geteilt, Rudolf aber fühlte die Farben, genau wie unsereiner die Tonarten hört und weiß, welche Melodie besser in G, welche besser in Es gehen will. Er lauschte den leeren Mauern ihre heimlichen Farben ab. Am Vorabend, ehe der Zug uns nach Hamburg entführte, fuhr ich die Felder entlang von Wambach nach Bärstadt hinüber und nahm von jedem Kornbündel, das zum Einfahren bereit stand, Abschied, wie von Nachbarn, die man ungern verlässt. Wenn mir der amerikanische Landungsbeamte, der unsere Papiere vor der Ankunft prüfte, ins Herz statt in den Pass gesehen hätte, wäre mir gewiss die Landung verweigert worden. Ich hatte das Wichtigste vergessen einzupacken: die Freude. Mein Gefühl war bei den Landstraßen im Taunus. Ochsen, die feierlich vor den Erntewagen schritten, oder die Doggen, die den Milchwagen zogen, traten im Staub darüber hin.
Abb. 29: Ansicht Schlangenbads 1908
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1945 Schlöndorffs Kindheit im Nabel der Welt Aus: Volker Schlöndorff, Licht, Schatten und Bewegung: mein Leben und meine Filme, 2008 Ich selbst fühlte mich in dem Wald, in dem wir jetzt lebten, geborgen. Dieses Tal wurde uns für den Rest des Lebens zum Nabel der Welt, „omphalos täs gäs“, wie es der humanistische Vater nannte. Es war Frühjahr, es gab eine völlig neue Welt zu entdecken. […] Ein paar Wochen nach meinem sechsten Geburtstag wurden eilig weiße Bettlaken aus den Fenstern gehängt. Der große Bruder Georg durfte in die noch kahle Buche klettern, um von einem hohen Ast das Zeichen der Kapitulation zu hissen. Das Haus wurde vorsorglich verrammelt und verlassen. Als es endlich hieß: „Sie kommen!“, versteckten wir uns im Wald. Nicht über die breite Landstraße aus dem Rheingau, sondern über den holprigen Feldweg, der über den Berg in das Bauerndorf Bärstadt führte, zogen die Amerikaner bei uns ein. Auf Jeeps, schweren Lastern und Panzern saßen sie und hielten Ausschau nach den gefürchteten Werwölfen. In einer Kurve am Ortseingang versperrte ein ausgebrannter Panzerspähwagen die Straße. Beim Wegräumen durch Sprengung flog auch gleich der alte Kursaal mit in die Luft. Es war ein kleines Spielcasino, in dem früher russische Adlige, angeblich auch Dostojewskij, ihr Geld und die Seelen ihrer Leibeigenen verspielt hatten. Uns blieben in den Trümmern nur die elfenbeinernen Chips zum Spielen, das Roulette war kaputt. Was uns Kinder beeindruckte, waren die Fahrer der Lastwagen. Sie waren schwarz, sahen aber ganz anders aus als der kleine Mohr auf der Sarotti-Packung. Groß, übergewichtig und mit Furcht erregenden weißen Zähnen kamen sie uns wie Supermänner vor. Schnell machten wir uns einen Reim auf ihren Sonderstatus. Nur Männer so groß und stark wie sie konnten diese Ungetüme steuern. Jahrzehnte später erfuhr ich von Arthur Miller, dass die US Army erst im Ko175
reakrieg integrated wurde. Unter Eisenhower kämpften weiß und schwarz noch streng getrennt voneinander. Von einigen Vorzeigeeinheiten abgesehen, wurden die Schwarzen vor allem in den transport bataillons eingesetzt. Vielleicht schlossen sie aus dieser unterprivilegierten Position heraus schneller mit uns, den Kindern der Besiegten, Freundschaft. Es dauerte nicht lang, bis jeder von uns unter den blutjungen GIs aus Iowa, den Dakotas und Nebraska seinen Ami hatte. Diese jungen Männer, die unsere Eltern besiegt hatten, waren dadurch unsere natürlichen Verbündeten. Gerade weil sie sich so gar nicht als Sieger aufführten, weil sie so gar nichts gemein hatten mit den verbitterten, abgerissenen Gestalten, die in den Tagen und Nächten zuvor, noch auf den Endsieg hoffend, an uns vorbeigezogen waren, gefielen uns die GIs. Der chewing gum, die Hershey bars und die butterfinger taten den Rest. Wir interessierten uns für ihre Waffen und Fahrzeuge, sie sich für unsere Fahrräder und Schwestern. Die ersten Worte, die wir zu ignorieren lernten, waren off limits und no fraternisation.
Abb. 30: Der achtjährige Volker Schlöndorff 1947 (stehend) 176
Die Erwachsenen dagegen lebten in großer Furcht vor den Besatzern. Alles, was es an Völkischen Beobachtern, an NS-Zeitschriften, an Messern und Dolchen gab, unzählige Ausgaben von Mein Kampf, aber auch Suppenteller mit Hakenkreuzen auf dem Unterboden, große und kleine Flaggen, sogar Sportabzeichen und Kanuvereinsausweise wurden bei Dunkelheit im Wald vergraben. Ein paar Monate später waren solche Teile bei den Amis gesuchte Memorabilien. Wir Kleinen gruben sie wieder aus, entdeckten immer neue Quellen in Kellern und auf Dachböden. Die Größeren begannen einen schwunghaften Handel mit diesen Devotionalien. Im Gegenzug durften sie Jeep fahren oder Waffen durchladen. Beim Hantieren mit der Pistole eines MPs schoss mein Bruder Georg sich die Kuppe des großen Zehs ab, was ihm einige Bewunderung einbrachte, denn er galt sonst nicht als Draufgänger. Ärger gab es zu Hause hauptsächlich wegen dem Loch in dem letzten Paar Berchtesgadener Lederschuhe. Die Früchte unserer Beutezüge waren ansonsten willkommen. Im Küchenhof des Kurhauses sammelten wir Essensreste ein, flüssiger pancake-Teig wurde schnell in ein nierenförmiges Kochgeschirr gefüllt; auch Kaffee gab es, zu Hause als echter Bohnenkaffee gelobt und genossen – bis wir erzählten, dass er direkt aus den nicht ganz ausgetrunkenen Tassen der GIs kam. Die Welt der Jugendlichen und die der Erwachsenen sollte in den nächsten Jahren immer weiter auseinanderdriften, in Deutschland im Allgemeinen, bei uns in Schlangenbad im Besonderen. In den zahlreichen Hotels, im Russischen und im Kaiserlichen Hof, in den Pensionen Adelheid und Prinz von Preußen, im Schweizer Haus, im feudalen Kurhaus und im Römerbad, auch in den Villen und Wohnhäusern der Badeärzte, Apotheker und des in der „Kristallnacht“ vertriebenen Regisseurs Ludwig Berger zogen die Amerikaner ein und brachten unbekümmertes Leben in den Ort, in dem sonst nichts heiliger war als die Ruhe der Kurgäste. Eine kleine Kanone wurde vor dem Thermalschwimmbad aufgebaut, und Böllerschüsse begleiteten morgens und abends das Hissen des Stars-andStripes-Banners. Auch das mehr eine Volksbelustigung als ein militaristisches Ritual. Ich war sechs und trug Lederhosen. Noch ein ganzes Jahr gingen wir nicht zur Schule. Mit Staunen entdeckten wir die neue Welt. Eines Tages im Hochsommer ging die Nachricht von der ersten Atombombe von Mund zu Mund. Wir saßen auf einer Mauer und ließen uns erklären, dass diese Wunderwaffe, die mit einem Schlag eine ganze Stadt ausgelöscht hatte, „nicht größer als ein Apfel“ sei. 177
Ein paar Tage später fuhr ein Jeep wild hupend durch die Obergasse, und wir Kinder liefen schreiend nebenher. „Der Krieg ist aus, der Krieg ist aus“, skandierten wir im Rhythmus von „Der Wolf ist tot, der Wolf ist tot“. Wir liefen einfach zum Feind über, der sich um kein „Betreten verboten“ kümmerte, auf Rasen und Blumenbeeten herumkurvte, ein Bein cool aus dem Jeep baumelnd. Auf dem schwarzen Markt waren Edelmetalle sehr begehrt, und wir wussten, wo sie zu finden waren. Im Wald, in Bombentrichtern und alten Steinbrüchen lagen einzeln oder noch in Kisten verpackt Karabiner, MGs, haufenweise Munition. Wir schossen Löcher in alte Benzinkanister und öffneten dann die Patronen einzeln, wie man Flaschendeckel öffnet, indem wir die Bleispitze in ein Loch steckten und die Hülse abbogen. Das Pulver war oft keines, sondern bestand aus Stäbchen, gelb wie Honig, die auch so rochen. Im Freien angehäufelt hatte es auch keine Sprengkraft mehr, brannte aber lichterloh in allen Farben des Regenbogens. Die Hülsen wanderten zum Messing, die Spitzen zum Blei, ebenso wurden Granaten getrennt, Waffen waren einfach nur altes Eisen. Im Kurgarten lungerten Einkäufer, auch viele Kriegsversehrte herum, an die einer unserer Anführer, ein gewisser Scholles, es weiterverkaufte. Sein Spitzname leitete sich ab von Schultheiss, denn sein Vater war früher Bürgermeister gewesen. Bald besaß er ein neues BMW-Motorrad, auf dem wir mitfahren durften. Ein Geschäft machte ich mit meinem kleinen Bruder Detlef auf eigene Faust, und es ist uns schlecht bekommen. Zu Hause gab es noch einen Flop: eine Steinschleuder mit Metallgabel, Vierkantgummi und einem Lederschutz für den Daumen. Einer unserer Amis war so scharf darauf, dass er uns eine Stange Camel dafür bot. Die tauschten wir „schwarz“ hinter dem Musikpavillon gegen Marken für zwei Pfund Zucker und ein Pfund Butter. Ein Lehrling der Konditorei Walz machte daraus eine Buttercremetorte, die wir schnell und heimlich aufessen mussten. Ein gründlich verdorbener Magen war alles, was uns von dem Tauschgeschäft blieb. Rückblickend erscheint mir unser Leben damals wie ein einziges Abenteuer.
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1962 Ein Ire zur Kur in Deutschland Aus: H. M. Nieter O’Leary, Im Wald versteckt (Die Zeit), 1962 29. Juni 1962, 7:00 Uhr „Ja, haben Sie auch einen Spirituskocher bei sich?“ fragte der Zollbeamte streng, als der Zug die deutsche Grenze passierte. Gewissenhaft hatte ich ihm die 100 Gramm Tee gezeigt, um die deutsche Wirtschaft nicht zu gefährden, und nun zückte der grüne Erzengel seinen Kugelschreiber. Auf meine verdutzte Verneinung und den Einwand, der Tee sei doch Reiseproviant, meinte er: „Reiseproviant muss auf der Reise genossen werden, und ohne Kocher …“ Als gelernter Deutschlandfahrer zahlte ich die 80 Pfennig gerne. Mich erheiterte die Vorstellung immens, von Amts wegen angehalten zu werden, im Zugabteil abzukochen und zu picknicken. Die Zollquittung war meine Eintrittskarte nach Schlangenbad. Ich glaube an Liebe auf den ersten Blick. Als ich den Ort auf der Landkarte entdeckt hatte, war ich sofort neugierig geworden. Badende Schlangen zu sehen, war ein langgehegter Wunsch. Allerdings konnte mir das deutsche Reisebüro in London nicht viel darüber sagen, nur, dass dort Rheuma und Kreislaufstörungen kuriert würden und der Ort im Taunus in der Nähe Wiesbadens liege. Das wusste ich aber schon von der Landkarte. Dann aber wurde ich gewarnt: Ich würde dort keine Landsleute treffen. Mal eine Weile keine angelsächsischen Saxophonstimmen zu hören und die Aussicht, meinen Ischias zu kurieren, waren ausschlaggebend. Von Wiesbaden fährt ein schöner gelber Postbus den etwa zehn Kilometer langen Weg durch dichten Buchenwald nach Schlangenbad. Eigentlich hätte es eine 179
Thurn und Taxische Postchaise sein müssen. Es ist eine kleine Reise in die Vergangenheit. Schon von der Höhenstraße sieht man den kleinen Badeort in einem von Wald umgebenen Tale liegen. Er war mir auf den ersten Blick sympathisch, und ich war brennend interessiert, zu erfahren, weshalb im Ausland keine Reklame, Verzeihung Werbung, für das Bad gemacht wird. Zweifellos wollen die Deutschen das Bad für sich alleine behalten.
Abb. 31: Die Rheingauer Straße in den 1960er-Jahren Und kein Wunder, denn inmitten hohen Bergwaldes liegt der Ort so lieblich und versteckt, dass sofort alte, halbvergessene Erinnerungen wachgerufen werden. Richtig, es erinnert an die Abbildungen in Auerbachs Kinderkalender. Die zeigten 180
auch immer so anheimelnde Städtchen und Dörfer in Wiesengründen und Wäldern. Merkwürdig, wie solche Kindheitserinnerungen plötzlich wieder erwachen. Trotz hastiger Autos und junger Damen mit Farah-Frisuren wurde ich den Eindruck nie los, plötzlich in die Biedermeierzeit mit elektrischem Licht geraten zu sein. Selbst die Kurkapelle spielte nur Stücke, die vor 1850 komponiert waren. Mir kam’s so vor. Seitdem römische Legionäre die heißen Quellen entdeckt haben, ist das Bad natürlich hin und wieder modernisiert worden. Im Kurbetrieb, der innerhalb des Römerbads und im Kurhotel vor sich geht, ist natürlich alles hochmodern. Die Schlangenbadenser haben es offenbar gut verstanden, den Zwiespalt von gestern und heute zu überbrücken. Die Flucht aus der Jetztzeit ist unendlich entspannend, und ich vermute, das ist ein raffiniert ausgeklügelter Teil der Kurbehandlung. Auch die Spaziergänge erinnern an deutschen Märchenexport; da führen Wege nach Unkenborn und Kuckucksley. Auf dem Hexentanzplatz geht’s allerdings heute sehr sittsam zu, und nur die Rehe äsen dort, wo sich einmal tolle Dinge abgespielt haben müssen. Als Ire habe ich ein Gefühl dafür. Diese Märchenatmosphäre liegt uns sehr; wer weiß, ob das wirklich nur Rehe waren … Schlangen habe ich allerdings nur beim Apotheker in Spiritus gesehen. Es soll zwar Schlangen geben, aber es handelt sich um die gänzlich harmlosen Äskulapius-Nattern, die sich nicht in die Nähe des herrlichen Schwimmbades wagen. Das Schwimmbad ist nur vom Himmel bedeckt und wird durch Thermalquellen gespeist. 26 Grad Celsius sind äußerst angenehm, und da die Umkleidekabinen ebenfalls geheizt sind, bibbert man nur in der kühleren Luft. Außerdem lieben die Leute hier die Reinlichkeit über die Maßen, denn das Bad wird allnächtlich gereinigt und frisch gefüllt. Überhaupt ist der Badebetrieb auf deutsche, daher gründliche Weise organisiert. Ausländer, die nur Wasser- und Seifenbäder kennen und denen zum ersten Mal heilsame Bäder verordnet werden, müssen staunen. Denn hier hört nun die Märchenatmosphäre auf. Jede Badefrau ist eine vorgesetzte Behörde. Wie ein Schaffner hält sie eine Knipszange in der Hand. Beim ersten Mal, im Geburtstagsanzug vor ihr stehend, fühlte ich mich besonders gefährdet. 181
Aber sie knipste nur die Badekarte, ehe ich einer anderen Dame übergeben wurde, unter deren fachfraulicher Leitung das heilsame Baden vor sich gehen sollte. Es ging gar nicht etwa militärisch zu, sondern mehr liebevoll und streng. Nachdem dann die vorgesetzte Behörde einen prüfenden Blick über meinen Torso hatte gleiten lassen, wurde ich geheißen, ohne zu trödeln in die Wanne zu steigen. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich ’nen Klaps auf den … na ja … bekommen hätte, auf dass ich mein Untertauchen in die heilenden Wasser beschleunigte. Natürlich bietet Schlangenbad alle möglichen Bäder, um die geschwächten Körper und Seelen wieder aufzufrischen. Unter ärztlicher Aufsicht werden Moorund Kohlensäurebäder verabfolgt. Ausländern, denen außer deutscher Mark nicht viel fehlt, erhalten barbarische Unterwassermassagen verordnet. Zwölf unendlich lange Minuten richtet die Badefrau einen Wasserstrahl von 2 atü auf den Körper und zerreißt sämtliche Muskeln und Sehnen. Wenigstens kam es mir so vor. Nach der Tortur flieht man gerne wieder in die deutsche Vergangenheit und schlendert an den Zeugen verflossener Größe vorbei. Der „Russische Hof “ und der „Prinz von Preußen“ erinnern an historische Begebenheiten, von denen man heute noch in Schlangenbad im Flüsterton spricht, Zeiten, in denen hier Zaren und Prinzen höchstpersönlich in die Wanne stiegen und dann in den trutzigen Wäldern Hirsche und Eber jagten. Heute unterhalten sich die Kurgäste mit Tennis, Kleingolf und Tanzturnieren, die zur „Ganzheitskur“ gehören, wie es so schön im Prospekt heißt. Wem der Alkohol nicht strikt verboten ist, darf auch in die Weindörfer wandern, um die verschiedenen Lagen zu probieren. Da gibt es einen ganz vorzüglichen Rauenthaler, der nach der Unterwassermassage so recht als Balsam wirkt. Sehr schön organisiert sind durch eine weise Postverwaltung Busse für die Heimfahrt. Aber auch im Badeort selbst ist das Verweilen äußerst angenehm, und es ist herrlich, einmal die Stunden verschwenden zu können. Prachtvolle Blumenanlagen an den Kolonnaden sind ein ästhetischer Genuss. Beim Kaffee, während des Kurkonzerts, kann man so schön in die Sonne blinzeln und sich vorstellen, wie das war, als preußische Prinzen und Zaren hier Walzer tanzten. Was tut’s da schon, dass man wünschte, die Glühbirnen in den Hotels wären um einige 182
Watt stärker, das deutsche Hotelfrühstück wäre billiger und hätte Marmelade mit Charakter. Was tut’s da schon, wenn von den Nebentischen Gesprächsfetzen herüberwehen, die von Bandscheibenschäden und Rheuma handeln. Im Gegenteil, mal gut hinhören, vielleicht lernt man einen guten Tipp für später. Seit ich wieder in England bin, möchte ich dieses entzückende Bad rühmen. Wie herrlich war es, keine Fernsehtruhen um sich zu haben, keine Nachtklubs; und wenn das Abendkonzert beendet war, rauschte nur der Wald, sonst herrschte himmlische Ruhe – eine Stille, die so kostbar in unserer Zeit geworden ist. Eigentlich sollten wir Kenner des Bades alles tun, um es geheim zu halten, damit die Kinderkalender-Atmosphäre nicht verlorengeht – dieses kleine Juwel in unserer dröhnenden Zeit.
Abb. 32: Thermalfreibad in den 1960er-Jahren. 183
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Head, Sir Francis Bond: Bubbles from the Brunnens of Nassau, by an old man, Brussels, 1834. Heinemann, Hartmut: Barocke Kartenkunst am Mittelrhein. Der Rheingauer Landmesser Andreas Trauttner (1702–1782) und sein Werk. Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden, 2017. Kaan, H. Dr.: Klimatisch-therapeutische Kurorte, in: Wiener Medizinal Halle, Wien, 1863. Kirchner, Anton: Ansichten von Frankfurt am Main, der umliegenden Gegend und den benachbarten Heilquellen, Frankfurt am Main, 1818. Kraus, Konrad (auch Craus, Conrad): Der Überfall im Schlangenbad, Geschichtliche Novelle aus der Zeit der rheinischen Kurstaaten 1709; Mainz, 1883. Lewald, Fanny: Vom Sund zum Posilip! Briefe aus den Jahren 1879 bis 1881, Bremen, 2012. Nachdruck des Originals von 1883. Lieutnant Bu**: Begebenheiten etlicher Soldaten, Frankfurt am Main und Leipzig, 1762. Merveilleux, David Francois de: Amusemens des Eaux de Schwalbach oder Zeitvertreibe bey den Wassern zu Schwalbach, Lüttich, 1739. Müller de la Fuente, Heinrich: Der liberale Kaplan, Berlin, 1913. O’Leary, H. M. Nieter: Im Wald versteckt, in: Die Zeit, Hamburg, 29. Juni 1962. Person, Nikolas: Symbolica In Thermas Et Acidulas Reflexio, Moguntiae, 1690. Digitalisiert: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Werk ID: PPN782854397. Phipps, Percy (als fiktiver Ich-Erzähler) in: Roman-Magazin des Auslandes, 1871. Rauschnick, Gottfried Peter: siehe Rosenwall. Riehl, Wilhelm Heinrich: Das Schlangenbad, Wiesbaden, 1851. Rosenwall, P. (Pseudonym für Dr. Gottfried Peter Rauschnick): Malerische Ansichten einer Reise durch Holland, die Rheinlande, … Mainz, 1818. 185
Schlöndorff, Volker: Licht, Schatten und Bewegung – Mein Leben und meine Filme, München, 2008. Schopenhauer, Johanna: Ausflucht an den Rhein und seine nächsten Umgebungen, Leipzig, 1818. unbekannter Verfasser, in: Augsburger Allgemeine Zeitung, 4. Juli 1842. unbekannter Verfasser, in: Belgien und Nassau oder Der Reisende am Continent, London, 1835. unbekannter Verfasser, in: Didaskalia Nr. 201, Samstag 23. Juli 1842. von Arnim, Bettina: Die Günderode (Briefe), Grünberg und Leipzig, 1840. von Budberg, Waldemar: Beschreibung eines Aufenthalts im Schlangenbade, Riga, 1777. Werner, Dr. Alois Josef, Das Schlangenbad – Kulturgeschichtliche Bilder, Limburg a. d. Lahn, 1937.
Zeitschriften: Augsburger Allgemeine Zeitung, Augsburg, 1807–1880. Berliner Klinische Wochenschrift, Organ für practische Aerzte, Berlin, 1864– 1921. Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, Verlag A.H. Payne, Leipzig 1867– 1890. Didaskalia, seit 1823 eine Unterhaltungsbeilage zur Tageszeitung „Frankfurter Journal“, Blätter für Geist, Gemüth und Publizität. Nachdem das Frankfurter Journal 1903 eingestellt worden war, wurde Didaskalia bis 1930 unregelmäßig als selbstständige Zeitschrift weiter herausgegeben. Die Zeit, Hamburg, (1962). Hannoversches Magazin, Hannover, 1763–1850. 186
Roman-Magazin des Auslandes. Enthaltend die besten Romane des Auslandes, … in guten Übersetzungen. Otto Janke, Berlin 1.1867–8.1875. Wiener Medizinal Halle, Zeitschrift für Praktische Ärzte, Wien.
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Autorenverzeichnis Baumann, Dr. Karl Eberhard Friedrich: * 27. April 1832 in Wiesbaden; † 4. Februar 1906 in Schlangenbad; war ab 1859 mehr als 40 Jahre lang Badearzt in Schlangenbad. Berger, Ludwig: * 6. Januar 1892 in Mainz; † 18. Mai 1969 in Schlangenbad; eigentlich Ludwig Bamberger, war ein deutscher Regisseur und Schriftsteller. 1926 verließ er Schlangenbad, um in Hollywood „König der Vagabunden“ zu drehen. Hier hatte er, gemeinsam mit seinem Bruder Rudolf Bamberger, für seine Mutter die Villa Baumann gekauft und zum Haus Falada umbauen lassen, wo er nach dem 2. Weltkrieg viele Berühmtheiten aus Film und Fernsehen empfing. Bernoulli, Johann III.: * 4. November 1744 in Basel; † 13. Juli 1807 in Berlin; war ein Schweizer Astronom aus der Familie Bernoulli und bereiste früh fast alle Länder in Europa. Als königlicher Astronom leitete er die Sternwarte der Berliner Akademie. Bertrand, Dr. Carl (auch Karl): * 25. oder 26. Juli 1816 in Nastätten; † 22. Oktober 1895 in Wiesbaden; war ein deutscher Arzt und ab etwa 1849 Badearzt in Schlangenbad. Braun, Karl Joseph Wilhelm: (auch Carl Braun), * 20. März 1822 in Hadamar, Herzogtum Nassau; † 14. Juli 1893 in Freiburg im Breisgau; war ein deutscher Politiker und Jurist. Nach der Annexion Nassaus 1866 gehörte Braun von 1867 bis 1879 dem preußischen Abgeordnetenhaus an. Außerdem war er Mitglied des Norddeutschen Reichstages und von 1871 bis 1887 des Deutschen Reichstages. Brun, Friederika: (geborene Münter), * 3. Juni 1765 in Gräfentonna, Thüringen; † 25. März 1835 in Kopenhagen; war eine dänische Schriftstellerin deutscher Herkunft. In ihren beliebten Salons trat ihre jüngste Tochter Ida als Sängerin und Tänzerin auf. Ihr literarisches Schaffen begann, als sie im sehr strengen Winter 1788/89 vollständig ihr Gehör verloren hatte. Dieffenbach, Wilhelm: keine Angaben. 188
Fenner von Fenneberg, Dr. Johann Heinrich: * 25. Dezember 1774 in Kirchhain; † 16. Dezember 1849 in Langenschwalbach; Badearzt in Schlangenbad und Bad Schwalbach sowie Dichter. 1821 wurde er geadelt. Genth, Dr. Adolf Carl Georg Ludwig: * 13. April 1813 Biebrich am Rhein; † 24. August 1888 Bad Schwalbach; Badearzt in Bad Schwalbach. Grimm, Johann Friedrich Karl: * 1737 in Eisenach; † 21. Oktober 1821 in Gotha; herzoglicher Leibarzt und geheimer Hofrat in Gotha. Mit der Inspektion der Heilquellen in Ronneburg betraut. Haas, Dr. Robert: Publizist, Direktor des Publizistischen Bureaus Wiesbaden, erste Hälfte 19. Jahrhundert. Hannoversche Dame: keine Angaben. Head, Sir Francis Bond: * 1. Januar 1793 bei Rochester; † 23. Juli 1875 in Croydon; war ein englischer Schriftsteller und Politiker. 1833 erschien erstmals sein Werk „Bubbles from the Brunnens of Nassau“. Hufeland, Christoph Wilhelm: * 12. August 1762 in Langensalza; † 25. August 1836 in Berlin; Arzt und Sozialhygieniker (wird zitiert bei Kirchner, 1818). Kaan, Dr. Heinrich: * 8. Februar 1816 in Wien; † 24. Mai 1893 ebenda; war ein österreichischer Mediziner und Badearzt in Bad Ischl. Kirchner, Anton: * 14. Juli 1779 in Frankfurt am Main; † 31. Dezember 1834 ebenda; war ein deutscher evangelischer Pfarrer, Historiker, Lehrer und Schulreformer. Kraus, Konrad (auch Craus, Conrad): * 25. Oktober 1833 in Mainz; † 21. Mai 1886 ebenda; war ein deutscher Architekt und Schriftsteller. Er galt den Zeitgenossen als „Künder des Rheinlandes“ und verband kulturhistorische Aspekte mit Zutaten aus der Herrschaftsgeschichte. Seine Erzählungen brachten die Liebe zur Heimat zum Ausdruck. Lewald, Fanny, geborene Marcus: * 24. März 1811 in Königsberg, Preußen, † 5. August 1889 in Dresden; war eine deutsche Schriftstellerin und Vorkämpferin der Frauenemanzipation. Lieutnant Bu**: Leibjäger und Lakai des Grafen zu D** in Frankfurt am Main. 189
Merveilleux, David Francois de: * 1682; † 1740; Mediziner und Dolmetscher. Die „Amusemens“, 1738 ohne Autorennennung erstmals veröffentlicht, werden auch Pierre-Joseph de La Pimpie Solignac (1687–1773) zugewiesen, Sekretär des polnischen Königs Stanislaus I. Leszczyński. 1739 lag die deutsche Übersetzung vor, die Dolmetscher Merveilleux zugeschrieben wird. Müller de la Fuente, Heinrich oder Enrique: * 15. Juni 1870; † 5. April 1931; war ab etwa 1905 Badearzt in Schlangenbad und Autor des Romans: Der liberale Kaplan, 1913. Die Handlung spielt in Schlangenbad, das hier Bornwald heißt. O’Leary, H. M. Nieter: Irischer Journalist und Autor, der in Berlin studiert und in den 1960er-Jahren im Londoner Büro für „Die Zeit“ geschrieben hat. Person, Nikolas: * 1668; † 1710; aus Longwy, tätig in Mainz, Kupferstecher, Vermessungsingenieur, Verleger, Lehrer der Architektur- und Ingenieurkunst. Phipps, Percy: Tritt als Ich-Erzähler im Roman-Magazin des Auslands auf. Es wird sich um einen Fantasienamen handeln. Rauschnick, Gottfried Peter: * 10. September 1778 in Königsberg; † 13. Mai 1835 in Leipzig; war ein deutscher Schriftsteller. Von ihm stammen Reiseberichte, Sammlungen von Erzählungen sowie historische Abhandlungen. Riehl, Wilhelm Heinrich: (ab 1883 von Riehl): * 6. Mai 1823 in Biebrich; † 16. November 1897 in München; war ein deutscher Journalist, Novellist und Kulturhistoriker. Betonte früh soziale Strukturen und gilt als wissenschaftlicher Begründer der Volkskunde. Rosenwall, P. (Pseudonym für Dr. Gottfried Peter Rauschnick): * 10. September 1778 in Königsberg; † 13. Mai 1835 in Leipzig; war ein deutscher Schriftsteller. Von ihm stammen Reiseberichte, Sammlungen von Erzählungen sowie historische Abhandlungen. Schlöndorff, Volker: * 31. März 1939 in Wiesbaden; ist ein deutscher Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent, der vor allem für seine Literaturverfilmungen bekannt ist. 1980 erhielt er den Oscar für Die Blechtrommel in der Kategorie bester fremdsprachiger Film. Er verbrachte von 1945–1955 seine Kindheit in Schlangenbad. 190
Schopenhauer, Johanna Henriette: * 9. Juli 1766 in Danzig; † 16. April 1838 in Jena; war eine deutsche Schriftstellerin und Salonnière. Die Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Adele Schopenhauer gehörte zu den ersten Schriftstellerinnen, die von ihrer Arbeit leben konnten. Von Arnim, Bettina: (geborene Brentano, auch Bettine): * 4. April 1785 in Frankfurt am Main; † 20. Januar 1859 in Berlin; war eine deutsche Schriftstellerin und bedeutende Vertreterin der deutschen Romantik. Von Budberg, Waldemar (auch Woldemar Dietrich von Budberg-Bönninghausen): * 8. Oktober 1740 in Reval (= Tallinn, Estland); † 3. Juli 1784 in Walk (Lettland); Freiherr, Dichter, Maler und Zeichner Welcker, Dr. Johann Peter: * 1640 in St. Goar; † 1730; Medico Ordinario in Hessen-Cassel. Gründliche Beschreibung des Schlangenbads, Frankfurt am Main 1721 (wird zitiert bei W. H. Riehl, 1851). Werner, Dr. Alois Josef: Schlangenbader Badearzt in den 1930er-Jahren Wieland, Christoph Martin: * 5. September 1733 in Oberholzheim bei Biberach an der Riß; † 20. Januar 1813 in Weimar; war ein deutscher Dichter, Übersetzer und Herausgeber zur Zeit der Aufklärung (wird zitiert bei Dieffenbach, 1841).
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Glossar Adjuvans = Bestandteil eines Arzneimittels, der selbst nicht therapeutisch wirksam ist, aber die Wirkung des Hauptbestandteils unterstützt Affektion = Zuneigung, wohlwollende Haltung gegenüber einem anderen Akkordierung = Vereinbarung, Einigung Akratotherme = warme, mineralarme Wildwasserquelle, mit geringem Gehalt an gelösten Stoffen (unter 1000mg/l) und einer Temperatur über 20ºC. Alexandra Fjodorowna = Prinzessin Charlotte von Preußen (* 1798 Schloss Charlottenburg bei Berlin; † 1860 nahe St. Petersburg) war ein Mitglied des Hauses Hohenzollern und durch Heirat mit Nikolaus I. als Alexandra Fjodorowna Kaiserin von Russland. Sie besuchte 1852 Schlangenbad als Kurgast Appendices, Ez Appendix = Anhang Aranjuez = spanische Stadt, wo die Sommerresidenz der königlichen Familie stand arkadisch = Synonym zu idyllisch, malerisch, romantisch oder verträumt Assignation = Zuweisung Atlas = ein schweres hochglänzendes Seidengewebe Atü = Atmosphärenüberdruck, seit 1978 nicht mehr zulässige Druckeinheit Auspizien = Redewendung „unter jemandes Auspizien“, d. h. unter dessen Leitung Barouche = luxuriöser, vierrädriger, offener, zweispänniger Pferdewagen Bornwald = Name Schlangenbads im Roman „Der liberale Kaplan“ Boskett = Gruppe von beschnittenen Büschen und Bäumen in der Barockzeit Boston (Neuigkeiten) = amerikanischer Unabhängigkeitskrieg 1775 bis 1783 Caprizen = Launen, eigensinnige Einfälle 192
Cercle halten = veraltet für: geschlossene Gesellschaft, vornehmer Gesellschaftskreis Chassepots = franz. Infanteriegewehr Cicero = Marcus Tullius Cicero (* 106 v. Chr.; † 43 v. Chr.) war ein römischer Politiker, Schriftsteller und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Konsul im Jahr 63 v. Chr. Cornelius Nepos = (* um 100 v. Chr.; † nach 28 v. Chr.) war ein römischer Geschichtsschreiber und Biograph. Wurde oft als Schullektüre genutzt Corrigens = geschmacksverbessernder Zusatz zu einem Heilmittel dasig = einheimisch, hiesig debauchieren = ausschweifend leben Desiderien, Ez Desiderium = Wunsch, Forderung, Verlangen Domänenkammer = Kriegs- und Domänenkammern hießen seit 1723 die Provinzialbehörden im Preußischen Staat. Sie waren die Vorgänger der 1815 eingerichteten preußischen Bezirksregierungen Domestiken, Ez Domesticus = veraltete Bezeichnung für einen Dienstboten Duodezfürstentum = spöttische Bezeichnung für einen sehr kleinen Staat Effekten = heute Wertpapiere, früher wurde damit allgemein beweglicher Besitz bezeichnet etwan = vermutlich Epaminondas = * um 418 v. Chr. in Theben; † 3. Juli 362 v. Chr. bei Mantineia; war ein griechischer Staatsmann und Feldherr; gilt als größter Staatsmann Thebens Erythem = mit bloßem Auge erkennbare Rötung der Haut Explication = Erläuterung, Ausführung Fahrenheit = Maßeinheit der Temperatur, 84° F = 28,9° Celsius; 32° F = 0° Celsius Falb = ein fahles Gelb aufweisend 193
Farah Frisur = hochtoupiert und am Hinterkopf zusammengesteckt; benannt nach der Modeikone der 60er-Jahre, Farah Pahlavi (geb. Diba): * 1938 in Teheran, Iran; wurde 1959 durch die Heirat mit Schah Mohammad Reza Pahlavi Frau des Schahs des Iran Farrenkraut = dichterisch für Farnkraut Felleisen = ein meist lederner Rucksack, wie er früher von Handwerksgesellen getragen wurde Felonie = schwerer Verrat durch vorsätzlichen Bruch des Treueverhältnisses zwischen Lehnsherr und Lehnsträger fl = Rheinischer Gulden (lat. florenus Rheni) Freyherr von Pölnitz = Karl Ludwig Wilhelm Freiherr von Pöllnitz, (* 1692, † 1775) war ein preußischer Schriftsteller und Abenteurer, der mit seinen Reiseberichten von Städten Europas ähnlichen Erfolg hatte wie damals der Baedeker Fuß = bzw. Schuh ist ein früher in vielen Teilen der Welt verwendetes Längenmaß, das je nach Land meist 28 bis 32 cm maß, in Extremfällen auch 25 und 34 cm. Das einzige heute noch übliche Fußmaß, der englische Fuß, beträgt 1 ft = 30,48 cm Galanterieware = damals kaufmännischer Ausdruck für Handelsware Galerie = offener oder gedeckter Anbau an vornehmen Häusern, oft mit Säulen oder Bögen Gebück (Rheingauer Gebück) = eine gewachsene Landwehrmauer aus „gebückten“ Buchen, vorrangig Hainbuchen, die den Rheingau als Grenzbefestigung vom 12. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nach Norden absicherte gejeut = gebeugte Form vom veralteten „jeuen“ = am Glücksspiel teilnehmen Geometer = Experte im Vermessungswesen Geviert = veraltet für Quadrat Graf Stadion = schwäbisches Uradelsgeschlecht, zählte zum deutschen Hochadel 194
Grammont = Antoine Alfred Agénor, Herzog de Gramont (* 14. August 1819 in Paris; † 17. Januar 1880 ebenda) war ein französischer Diplomat, zuletzt im Rang eines Botschafters. Als Außenminister des Kabinetts von Émile Ollivier war er 1870 eine der handelnden Personen im Vorfeld des Deutsch-Französischen Krieges Haardt = Mittelgebirgszug am Ostrand des Pfälzerwaldes Hausvoigt, auch Hausvogt = Titel des kurfürstlichen Beamten, der für die bauliche Unterhaltung und den Wirtschaftsbetrieb des Gebäudes zuständig war Häynen = poetisch für hohe dunkle Wälder Hazardspiel = altenglisches Spiel mit zwei Würfeln. Hazard war – trotz der komplizierten Regeln – im 17. und 18. Jahrhundert so beliebt, dass es zu dem Glücksspiel schlechthin wurde. Glücksspiele werden daher auch allgemein als Hasardspiele bezeichnet Herold = im Mittelalter ein offizieller Bote eines Lehnsherrn, eine Vorform des Diplomaten Heureka = altgriechisch = „Ich habe [es] gefunden“. Wird Archimedes von Syrakus zugeschrieben hinfüro = weiterhin, fernerhin Hirschfänger = Seitengewehr des Jägers zum Fangen des Hirsches inaugurieren = einführen, ins Leben rufen Interpellation = formale parlamentarische Anfrage an die Regierung immittelst = mittlerweile ins Geviert = veraltet für: zum Quadrat Insinuation = das Unterstellen böser Handlungen Jean Potage = lustige oder komische Person als Figur des Volkstheaters, Hanswurst Kasseler Acker = 150 14schuhige Quadratruten = 23,865 Ar = 0,23865 Hektar Kasserol = Topf mit Stiel (Stielkasserolle) und einem steilen Rand Kattun = glattes und relativ dichtes Baumwoll-Gewebe in Leinwandbindung 195
Kef(f) = vom arabischen Kef = schläfriges Behagen, Wohlbefinden Keff machen = Pause machen, ruhen Klafter = historisches Längenmaß im Großherzogtum Hessen, 1 Klafter = 2,5 Meter Koadjutor = Bischof der katholischen Kirche, der einem anderen Bischof zur Seite gestellt wird Kontribution = Zwangserhebung von Geldbeträgen im feindlichen Gebiet durch Besatzungstruppen Konventionstaler (Conventionstaler) = Talermünze im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Es gab ihn nach der Münzkonvention im Jahr 1753 Kretonne = etwas gröberes, leicht körniges und festeres Baumwollgrundgewebe (Nessel), das als Druckgrundware verwendet wird Kroket = besonders im 19. Jahrhundert populäres Rasenspiel mit bunten Bällen und Schlägern Kubikfuß = Raummaß, dem das Längenmaß Fuß zugrunde liegt Küppel = so hieß in Schlangenbad der Felsen, auf dem der heutige Landgrafenplatz sitzt La Colonie = Paris Libussa = Stammmutter eines böhmischen Herrschergeschlechts Loffeley (auf die Loffeley gehen) = mit der Absicht losgehen, eine Liebschaft zu finden Logimenter = Zimmer Lombretisch = im 17. und 18. Jahrhundert speziell gestalteter dreiseitiger Tisch für das L’Hombre Spiel, ein früher weit verbreitetes Kartenspiel für drei Personen Mannigfaltigkeit = auf vielerlei Art gestaltet Marodör (Marodeur) = jemand, der am Rande von Kampfhandlungen brandschatzt, plündert, und raubt Messing’sch = urspr. meißnerisch, Umgangssprache in Mecklenburg 196
Miszelle = Kurztext beliebigen Inhalts. In den geisteswissenschaftlichen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts gab es unter dieser Rubrik Informationen zu bestimmten Themen Mitreilleuse = manuell bediente Salvengeschütze Munifizenz = Freizügigkeit Najade = Nymphe in der griechischen Mythologie, die über Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe, Teiche und Seen wacht Neudorf = früherer Name des heutigen Martinsthal, Stadtteil von Eltville Notabilitäten = Berühmtheiten Ollivier = Émile Ollivier: * 2. Juli 1825 in Marseille; † 20. August 1913 in SaintGervais-les-Bains; war ein französischer Staatsmann und 1870 eine der handelnden Personen im Vorfeld des Deutsch-Französischen Krieges Offiziant = Beamter oder Amtsträger, nicht notwendigerweise im Staatsdienst Ohm = Hohlmaß von etwa anderthalb Hektoliter Orakel der Drias (Trias) = Chaldäisches Orakel (die Chaldäer waren ein semitisches Volk in Südmesopotamien). Bezeichnung für ein antikes religiöses Lehrgedicht (oder eine Sammlung von Gedichten) in griechischer Sprache. Der Überlieferung zufolge stammen die Orakel von der göttlichen Trias (Dreiheit), auf welche die hierarchisch aufgebaute Weltordnung zurückzuführen ist parischer Marmor = feinkörniger, weißer Marmor von der griechischen Insel Paros Parteigänger = Heeresabteilung oder Teil zusammengehörender Personen Papageno = Vogelfänger in Mozarts „Zauberflöte“ Pausanias = König von Sparta Pharaobank = Spieltisch für ein Hasardkartenspiel, benannt nach dem ägyptischen Königstitel, mit dem früher der Herzkönig bezeichnet wurde Pickwick = Figur aus Charles Dickens’ erstem Roman „The Pickwick Papers“ Plafond = Decke, Zimmerdecke 197
Portiere = schwerer Vorhang für eine Tür Posilip = ein etwa sechs Kilometer langer Hügelzug südwestlich von Neapel Prälat = Würdenträger in der christlichen Kirche Reaumur = frühere Maßeinheit der Temperatur; 21° Re = 26,25° Celsius. 1730 vom französischen Naturforscher René-Antoine Ferchault de Réaumur eingeführt. Regierungsexpresser = unverzüglicher Bote der Regierung Reitziger = veralteter Plural des Wortes Reiterzug Reußen = Volksstamm, alte deutsche Bezeichnung für Russen und Russland Rescript = Rechtsnorm zur Regelung von Rechtsfragen im Einzelfall, ähnelt einem Verwaltungsakt, genauer gesagt einem Bescheid Revenuen = regelmäßige Einkünfte, Einkommen Saffian = Saffianleder (auch Marokkoleder oder Maroquin) ist ein nach der marokkanischen Stadt Safi benanntes sehr feines und weiches Leder Scharwache = von einer kleinen Gruppe (besonders Bürgern einer Stadt) gebildete Wache Schließer = herabwürdigende Bezeichnung eines Justizvollzugsbeamten Semiramis = Die Hängenden Gärten der Semiramis zählten zu den sieben Weltwundern der Antike. Nach Berichten griechischer Autoren handelte es sich um eine aufwendige Gartenanlage in Babylon am Euphrat (im Zweistromland, im heutigen Irak gelegen). Seraphsnatur = Ez. Seraph, Mz. Seraphim = Engel Serenissimus = Durchlaucht, Hoheit Silenträger = Silene sind neben den Satyrn Gestalten aus der griechischen Mythologie, die zur Gefolgschaft des Weingottes Dionysos gehören, dessen Reittier ein Esel ist sintemal = da, indem soulagieren = erleichtern, unterstützen 198
soupieren = festlich zu Abend essen Speiser = Speise-, Proviantmeister, der die Speisen verwaltet und austeilt submissest = unterwürfig Supplik = Bittschrift Tabernaemontanus = Jacob Theodor Tabernaemontanus: * um 1522 in Bergzabern; † August 1590 in Heidelberg; war ein deutscher Arzt und Apotheker sowie Professor für Medizin und Botanik. Erwähnte 1581 in seinem „Neuw Wasserschatz“ zum ersten Mal die Bad Schwalbacher Quellen Table d’hôte = (im Französischen wörtlich für „Tisch des Gastgebers“); gastronomischer Begriff, der eine kleine, feste Karte beschreibt, die ein Menü zum festen Preis anbietet. Tabouret = Hocker Thoranc = François de Théas Graf von Thoranc:* 19. Februar 1719 in Grasse; † 15. August 1794 ebenda; französischer Offizier und Kunstsammler, lebte von 1759 bis 1761 im Haushalt von J. C. Goethe Thurn und Taxis Post = 1806 bis 1867 als Privatunternehmen Nachfolger der von den Thurn und Taxis organisierten Kaiserlichen Reichspost mit Zentrale in Frankfurt am Main Traiteur = traditioneller französischer Kochberuf zur Versorgung von Großbürgertum und Adel Trauttner, Andreas (1702–1782) = Landmesser, Geometer und Maler aus Rüdesheim, der in der Barockzeit rund 80 Karten und Atlanten vorrangig von Rheingau und Mittelrhein produziert hat Unze = nichtmetrische Maßeinheit der Masse, Einheitszeichen oz. Die ursprüngliche (römische) Unze betrug 27,2875 Gramm. In englischsprachigen Ländern wird das Maß teilweise noch bei Lebensmitteln genutzt. Valet sagen = sich von etwas verabschieden viertehalb = dreieinhalb, hier im Sinne von ‚das erste Ganze, das zweite Ganze, das dritte Ganze und das vierte Halbe‘, viertehalb hundert Schritte = 350 Schritte 199
Watteau = Jean-Antoine Watteau: * 10. Oktober 1684 in Valenciennes; † 18. Juli 1721 in Nogent-sur-Marne, war ein Maler des französischen Rokoko Watteau-Hut =Scheibenförmiger Hut, der am Vorderkopf saß Wehrgehänge = ein über die Schulter gehängter oder um die Leibesmitte geschlungener, oft prunkvoll verzierter Gürtel Wittfrau = Witwe Zoll = auch ‚Daumenbreit‘, bezeichnet eine Vielzahl von alten Maßeinheiten im Bereich von zwei bis drei Zentimetern
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Bildnachweise Karten: Situationsplan 1775 von Sebastian Kellermann, Original im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden HHStAW Signatur 3011 1 3344 h Johann Daniel Hesse: Grundriss über das Hochfürstl. Hessen Cassellische Schlangenbad in der Nieder Grafschaft Catzen-Ellenbogen gelegen, 1775. Original im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Signatur: HSTAM P II 8005.
Abbildungen: Abb. 1–4: Kupferstiche aus Symbolica in Thermas, Nikolas Person, Signatur: 4 BIBL UFF 459 (2), SUB Göttingen Abb. 5: Ausschnitt aus „Die Rheingauer Gebückkarte“ 1748, von Andreas Trauttner. Original im Stadtmuseum Wiesbaden; aus: Heinrich Heinemann, Barocke Kartenkunst am Mittelrhein Abb. 6: Ausschnitt aus „Die Grenze bei Schlangenbad zu Hessen“ 1764, von Andreas Trautner, Original im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW 3011/1, 3133Ü aus: H. Heinemann, Barocke Kartenkunst am Mittelrhein Abb. 7: Ausschnitt aus „Die Rheingauer Gebückkarte“ 1748, von Andreas Trauttner. Original im Stadtmuseum Wiesbaden; aus: Heinrich Heinemann, Barocke Kartenkunst am Mittelrhein Abb. 8.: Ausschnitt aus „Die Grenze bei Schlangenbad zu Hessen“ 1764, von Andreas Trautner, Original im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW 3011/1, 3133Ü aus: H. Heinemann, Barocke Kartenkunst am Mittelrhein 201
Abb. 9: Hessisches Haus um 1874, Foto im Besitz des Kur-Stadt-Apothekenmuseums Bad Schwalbach Abb. 10: Musikpavillon, nach 1905, AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 11: Eselsritt im 19. Jahrhundert, Colorierter Holzstich. In: Die Rheinfahrt, Karl Stieler, 1875; (Daniel Eckert) Abb. 12: Nassauer Hof Innenhof, coloriertes Souvenirbild (Gouache), um 1860; (Daniel Eckert) Abb. 13: Schlangenbad 1815, AK im Besitz von Roland Schneider; (Original ist Stich aus: Anton Kirchner, Ansichten von Frankfurt … 1818) Abb. 14: Ansicht vom Küppel 1845, AK im Besitz von Roland Schneider Abb. 15: Pferdebad vor 1834, in: Bubbles from the Brunnen of Nassau, Sir Francis Head; (Daniel Eckert) Abb. 16: Alte Kapelle, Detailansicht einer AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 17: Schlangenbad um 1830, Aquatinta von J. H. Martens nach der Zeichnung von J. F. Dielmann (Daniel Eckert) Abb. 18: Philosophenweg (Nassauer Allee) 1905, AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 19: Schweizerhaus 1874, Foto im Besitz des Kur-Stadt-Apothekenmuseums Bad Schwalbach Abb. 20: Mittleres Kurhaus, Römerbad, um 1960, AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 21: Schlangenbad nach 1852 in: Die Rheinfahrt, Karl Stieler (Daniel Eckert) Abb. 22: Mittleres und unteres Kurhaus, vor 1905, AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 23: Nassauer Hof um 1874, Foto im Besitz des Kur-Stadt-Apothekenmuseums Bad Schwalbach Abb. 24: In der Nassauer Allee, Lithografie von Th. Albert, um 1840. In: Die Taunusbäder, Nikolaus Struck, Bild Nr. 12 (Daniel Eckert) Abb. 25: Nassauer Hof, Trinkhalle und oberes Kurhaus, um 1880, Leporello im Besitz von Daniel Eckert 202
Abb. 26: Haus Ingeborg, Foto von Sabine Bongartz Abb. 27: Schweizertal um 1910, AK im Besitz von Roland Schneider Abb. 28: Villa Baumann, AK im Besitz von Daniel Eckert Abb. 29: Schlangenbad 1908, AK im Besitz von Roland Schneider Abb. 30: Volker Schlöndorff 1947, stehend 8 Jahre Abb. 31: Rheingauer Straße 1960er-Jahre, aus: Broschüre Rheuma, Nerven, Haut Abb. 32: Thermalfreibad, 1960er-Jahre aus: Broschüre Rheuma, Nerven, Haut Abb. 33: Foto von Sabine Bongartz
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Danksagung Von der ersten Idee bis zur aktuellen Realisierung der vorliegenden Anthologie brauchte es vier Jahre Zeit. Viele engagierte und hilfsbereite Mitmenschen haben dazu beigetragen, mein Konzept zur Rettung des „immateriellen Kulturerbes“ von Schlangenbad, nämlich seine Präsenz in der internationalen Literatur, umsetzen zu können. Zuerst richte ich meinen Dank an den Verlag wbg für die Bereitschaft, sich der Veröffentlichung des regional eingegrenzten Themas überhaupt zu widmen. Für wertvolle Tipps und Ratschläge gebührt auch Bürgermeister Marco Eyring, Günther Leukel, René Schneiderhöhn, Oberkonservatorin Dagmar Söder und Dr. Ralf Thiel jeweils ein großes Dankeschön, ebenso Roswitha Röber und der Staatsbad Schlangenbad GmbH für die Nutzung der Homepage www.der-ortmit-zeit.de für die Öffentlichkeitsarbeit. Dem Heimatarchivar Daniel Eckert zolle ich riesigen Dank für seine große Bereitschaft, aus seinem enormen Wissen und Fundus jederzeit schöpfen und um Rat fragen zu dürfen, außerdem für die vielen zur Verfügung gestellten Abbildungen und deren zeitliche Einordnung. Doch es bedurfte noch mehr großzügiger Helfer, um die zum großen Teil aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwundenen Texte aus der analogen und kaum noch greifbaren Vergangenheit in eine digitale, allseits und jedermann zugängliche Moderne zu transferieren: Dazu zählen Martin und Marina Meffert, die mir digitalen Einblick in ihr seltenes Exemplar des Romans: „Der liberale Kaplan“ gewährten, Dr. Roland Schneider und Dieter Heinz für die Versorgung mit alten Bildern und Broschüren, Sprachwissenschaftler Dr. Bernhard Luxner bei der wertvollen Hilfe im Umgang mit veralteten Begriffen. Für die Übersetzung der fremdsprachlichen Passagen danke ich ganz herzlich Dr. Christian Wollek (Latein) und meiner Freundin Carolin Dörner (Französisch) sowie Dr. Heinrich Heinemann für die Hilfe bei der manchmal doch schwer zu entziffernden Kurrentschrift. Last but not least möchte ich Landschaftsplaner Dr. Ing. Thomas Büttner besonderen Dank zukommen lassen. Sein fasziniertes Interesse an Schlangenbader Anekdoten hat mir die Bedeutung überlieferter Geschichten für den Erhalt des kulturellen Erbes deutlich gemacht und die Idee zu diesem Buch aufkommen lassen. 204
Portrait der Herausgeberin
Nr. 33 Sabine Bongartz Sabine Bongartz, geboren 1963, stammt aus dem Westerwald. Die freie Journalistin und Autorin lebte sieben Jahre in Trier, wo sie das Studium der Angewandten Fremdenverkehrsgeografie mit Nebenfach Kunstgeschichte und Italienisch als Diplom-Fremdenverkehrsgeografin abschloss. Während ihres Studiums war sie als Stadtführerin in der ältesten Stadt Deutschlands tätig, nach der Studienzeit arbeitete sie bei Reiseveranstaltern in Frankfurt. Seit 1996 lebt sie mit der Familie in Schlangenbad-Bärstadt und schreibt seit 2004 als freie Journalistin für Wiesbadener Kurier und Aarbote.
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Sie veröffentlichte die Bücher: „Mit Kindern unterwegs: Im Rheingau mit Mainz und Wiesbaden“, 2001. und „Mit Kindern ins Museum: Rhein – Main – Nahe“, 2004. 2005 erkannte Sabine Bongartz das historische Potential des kleinen Kurorts mit der großen Vergangenheit und entwickelte die Gästeführungen in Schlangenbad. Die Konzeption der Führungen „Auf Spurensuche“, „Spurensuche im Sitzen“ sowie des Erzählrundgangs „Im Park illustren Gästen lauschen“ führte zur umfangreichen Textsammlung aus drei Jahrhunderten, die in der vorliegenden Anthologie eine in die Moderne transformierte Wiederauferstehung findet. Auch ihre Mitarbeit am Jahrbuch 2018 des Rheingau-Taunus-Kreises mit dem Artikel: „Kurpark im Ort mit Zeit – Von der grünen Fußgängerzone des Adels zum Gefühlsort für Jedermensch“ behandelte das historische Schlangenbad. Sabine Bongartz ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
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