Ernst-Joachim Mestmäcker - Beiträge zum Urheberrecht 9783110905823, 9783899493429

Professor Dr. Dr. h.c. Ernst-Joachim Mestmäcker celebrated his 80th birthday on September 25, 2006. The outstanding lega

203 93 119MB

German Pages 441 [444] Year 2006

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle? (1960)
2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt – Zum Grammophon-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (1970)
3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften im europäischen Gemeinschaftsrecht (1982/1990)
4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe (§ 53 Abs. 5 UrhG) mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht (1985)
5. Performing Rights Organsiations in the Common Market: Comparative Observations (1985)
6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften und ihre Mitglieder (1989)
7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht (1990)
8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften im europäischen Wettbewerbsrecht (1991)
9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskriminierungsverbot (1993)
10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber gewerblichen und kommerziellen Eigentums im europäischen Gemeinschaftsrecht – zum Verhältnis von Art. 36 und Art. 86 EGV (1994)
11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld von nationaler Regelungskompetenz und europäischem Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht aus Sicht der Verwertungsgesellschaften (1998)
12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte in der alten und „neuen“ Musikwirtschaft (2001)
13. Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt – Die Leistungschutzrechte der Tonträgerhersteller als Testfall (Simulcasting) (2004)
14. Collecting Societies in Law and Economics (2006)
Quellenverzeichnis
Recommend Papers

Ernst-Joachim Mestmäcker - Beiträge zum Urheberrecht
 9783110905823, 9783899493429

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Ernst-Joachim Mestmäcker Beiträge zum Urheberrecht Schriften zum europäischen Urheberrecht EurUR 3

Schriften zum europäischen Urheberrecht

Herausgegeben von

Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer, Köln Prof. Dr. Karl Riesenhuber, M. C.J., Bochum

EurUR Band 3

W DE

G RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

Ernst-Joachim Mestmäcker Beiträge zum Urheberrecht Herausgegeben von Karl Riesenhuber

W DE

G RECHT

De Gruyter Recht · Berlin

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN-13: 978-3-89949-342-9 ISBN-10: 3-89949-342-7

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. < Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhcberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggcstaltung: Christopher Schneider, Berlin Datenkonvertierung/Satz: Jürgen ullrich typosatz, Nördlingcn Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany

Geleitwort Nur wenige Persönlichkeiten haben das deutsche und europäische Zivilund Wirtschaftsrecht des vergangenen halben Jahrhunderts so geprägt wie Ernst-Joachim Mestmäcker. Geboren 1926 in Hameln, nahm er 1946 das Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt auf, wo er 1953 promoviert wurde und sich 1958 habilitierte. Sein Lehrer war Franz Böhm, zu dem Mestmäcker schon während seines Studiums Kontakt gewann und der seinen Weg nachhaltig geprägt hat - eine schicksalhafte Begegnung, wie Gerhard Luke es einmal formuliert hat. Eine glanzvolle akademische Karriere führte Ernst-Joachim Mestmäcker über Lehrstühle in Saarbrücken, Münster und Bielefeld an das Hamburger Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht, an dem er von 1979 bis 1994 Direktor war und dem er heute noch als emeritiertes wissenschaftliches Mitglied angehört. Seine weit gespannten Tätigkeitsfelder, die von der Lehrtätigkeit in Deutschland und an mehreren Universitäten in den USA über die Forschung im Max-Planck-Institut bis zu einer umfangreichen wissenschaftlichen Beratertätigkeit für die Bundesregierung und die Europäische Kommission reichten und die den Vorsitz in der Monopolkommission und der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich einschlössen, ließen einen Kenntnisschatz und ein wissenschaftliches CEuvre entstehen, das seinesgleichen sucht und in vielen Auszeichnungen und Ehrungen seine Würdigung gefunden hat, unter anderem in der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Wirtschafts- und Sozialwisscnschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und in dem Orden Pour le me'rite für Wissenschaften und Künste. Ernst-Joachim Mcstmäckers Lehr- und Forschungsgebiet umfaßt das deutsche, europäische und internationale Wirtschaftsrecht im weitesten Sinne, einschließlich seiner privatrechtlichen, ökonomischen, sozialen und rechtsphilosophischen Bezüge. Zu den Schwerpunkten, die er dabei gesetzt hat, gehört auch das Urheberrecht, das er namentlich in seinen wettbewerbspolitischen und europarechtlichen Bezügen untersucht hat. Viele Untersuchungen sind dabei entstanden, die nicht nur in leicht zugänglichen Werken wie dem von ihm zusammen mit Erich Schulze herausgegebenen Kommentar zum deutschen Urheberrecht oder in seinem Lehrbuch zum europäischen Wettbewerbsrecht enthalten sind, sondern sich auch verstreut in kleineren selbständigen Schriften, in Zeitschriftenaufsätzen oder als Beiträge zu Festschriften, Sammelbänden und Enzyklopädien finden, und zu denen oft nicht einfach Zugang zu erlan-

Geleitwort

gen ist. Es ist ein großes Verdienst von Herausgeber und Verlag, die urheberrechtlichen Untersuchungen Ernst-Joachim Mestmäckers gesammelt und zusammengefaßt publiziert und damit nicht nur den Zugang zu ihnen erleichtert zu haben, sondern auch ein Gesamtbild seines urheberrechtlichen Schaffens vorzulegen. Ernst-Joachim Mestmäcker war nicht nur auf seinen anderen Rechtsgebieten, sondern auch im Urheberrecht ein in Wissenschaft, Politik und Rechtsprechung viel gehörter und beachteter Autor und hat mit seinen Aussagen und Stellungnahmen großen Einfluß ausgeübt. Hans von der Groeben berichtet in seinem Festschriftbeitrag zum 70. Geburtstag Mestmäckers nicht nur über dessen Einfluß bei der Beratung der Europäischen Kommission, sondern weist auch daraufhin, daß mancherlei Auffassungen Mestmäckers vom Europäischen Gerichtshof übernommen wurden. In den in diesem Band enthaltenen Beiträgen wird das vielerorts deutlich. Den umfassenden Kenntnissen und Erfahrungen des Autors, seinem ausgewogenen Urteil, seinen überzeugenden Argumenten und seiner sprachlichen Ausdruckskraft kann sich der Leser nicht entziehen. Einen Schwerpunkt der Beiträge bilden die Verwertungsgesellschaften, deren Aufgaben und Tätigkeit Mestmäcker in allen ihren Facetten, in ihren wettbewerbsrechtlichen und europarechtlichen Aspekten untersucht hat. Die Hälfte der Beiträge ist diesem Thema gewidmet; der erste Beitrag aus dem Jahr 1960 stellt die Frage, ob urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle sind, der letzte Beitrag aus dem Jahr 2006 befaßt sich mit „collecting societies in law and economics" - kennzeichnend nicht nur für Mestmäckers wissenschaftliche Schwerpunkte, sondern auch für die sprachlich-geographische Breite seines Schaffens. Andere Beiträge zeigen die wissenschaftliche Begleitung wichtiger urheberrechtlicher Entwicklungen im europäischen Gemeinschaftsrecht, etwa die Beiträge zum Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt, zur Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber gewerblichen und kommerziellen Eigentums im europäischen Gemeinschaftsrecht (Verhältnis von Artikel 36 und Artikel 86 EGV), zum Schutz der ausübenden Künstler durch das europäische Diskriminierungsverbot und - angesichts der laufenden Aktivitäten der Europäischen Kommission höchst aktuell - der Beitrag zu Gegenseitigkeitsverträgen von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt. Das Buch bietet eine faszinierende Lektüre - auch für den, der Mestmäckers Veröffentlichungen stets verfolgt hat. Der Verfasser dieser Zeilen, der derselben Frankfurter Fakultät entstammt, Ernst-Joachim Mestmäcker noch VI

Geleitwort

als jungen Privatdozenten in Vorlesungen gehört hat, in den USA auf seinen Spuren gewandelt ist und ihn auch bei vielen späteren wissenschaftlichen und persönlichen Begegnungen näher kennen und schätzen gelernt hat, freut sich, mit dem Geleitwort einen Beitrag zum Erscheinen dieses Buches leisten zu können. Ulrich Loewenheim

VII

Vorwort des Herausgebers Ernst-Joachim Mestmäcker ist jedermann als Wirtschaftsrechtler und Privatrechtstheoretiker bekannt. Im Urheberrecht sticht vor allem der gemeinsam mit Erich Schulze herausgegebene, groß angelegte Kommentar heraus. Daneben hat Mestmäcker aber auch eine Reihe von weiteren Beiträgen zum Urheberrecht publiziert. Diese sind freilich weit verstreut veröffentlicht, in Sammelbänden, Festschriften und in- und ausländischen Zeitschriften. In dem vorliegenden Band werden diese Beiträge zusammengeführt und so erstmals in einer Gesamtschau zugänglich gemacht. Die Gesamtschau zeigt die Breite der Themenstellungen, die Mestmäcker behandelt. Sie macht zugleich aber auch die Kohärenz des Gesamtschaffens deutlich. Urheberrecht und Wahrnehmungsrecht werden bei Mestmäcker stets im wirtschaftsrechtlichen Kontext gesehen und zudem von Anfang an auch unter Berücksichtigung des Europarechts. Ein Schwerpunkt der Untersuchungen - in der beeindruckenden Spanne wissenschaftlichen Schaffens 1960 bis heute - liegt im Recht der urheberrechtlichen Verwertungsgcsellschaftcn. Die Veröffentlichung der Einzelbeiträgc in einem Sammelband trägt einem oft geäußerten Wunsch Rechnung, die teils nicht leicht zugänglichen Beiträge neu zu erschließen. Es ist besonders schön, daß die Publikation im Jahr 2006 zum 80. Geburtstag von Ernst-Joachim Mestmäcker erscheinen kann. Der Band stellt so zugleich einen publizistischen Glückwunsch von Herausgeber und Verlag dar. Bei der Vorbereitung haben mich meine Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und an der Ruhr-Universität Bochum tatkräftig unterstützt, vor allem Frau Aleksandra Mojkowska, mag.jur., LL.M., M.A., Herr stud.iur. Mariusz Motyka und Herr Referendar Frank Rosenkranz. Dank gebührt zudem Herrn Dr. Michael Schremmer vom Verlag de Gruyter für die umsichtige und tatkräftige verlegerische Unterstützung und Betreuung des Vorhabens. Berlin, im August 2006

Karl Riesenhuber

IX

Inhaltsverzeichnis 1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle? (1960) 2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt Zum Grammophon-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (1970) 3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften im europäischen Gemeinschaftsrecht (1982/1990) 4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe (§ 53 Abs. 5 UrhG) mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht (1985) 5. Performing Rights Organsiations in the Common Market: Comparative Observations (1985) 6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften und ihre Mitglieder (1989) 7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht (1990) 8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften im europäischen Wettbewerbsrecht (1991) 9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskriminierungsverbot (1993) 10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber gewerblichen und kommerziellen Eigentums im europäischen Gemeinschaftsrecht - zum Verhältnis von Art. 36 und Art. 86 EGV (1994) 11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld von nationaler Regelungskompetenz und europäischem Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht aus Sicht der Verwertungsgesellschaften (1998) 12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte in der alten und „neuen" Musikwirtschaft (2001) 13. Gegenseitigkeitsvertrage von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt - Die Leistungschutzrechte der Tonträgerhersteller als Testfall (Simulcasting) (2004) 14. Collecting Societies in Law and Economics (2006) Quellenverzeichnis

l

31 55

211 227

239 259 285 301

315

329 357 381 407 429 XI

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?* I.

Tatbestand und Überblick über das Problem

1. „Das Urheberrecht... an einem Werke der Tonkunst enthält auch die ausschließliche Befugnis, das Werk öffentlich aufzuführen." Dieses in § 11 Abs. 2 LUG enthaltene Aufführungsrecht des Urhebers wurde mit der seit der Jahrhundertwende einsetzenden stürmischen Entwicklung von Mitteln der Massenkommunikation zu einem wichtigen Gegenstand gewerblichen und industriellen Bedarfs. Der Rundfunk, die Hersteller von Tonfilmen, die Schallplattenindustrie, das Fernsehen bieten ihren Abnehmern „Werke der Tonkunst" als ausschließlichen oder teilweisen Bestandteil ihrer Leistungen. Die gleichen technischen Gründe haben der Aufführung von Werken der Tonkunst außerhalb ihrer unmittelbar industriellen Verwertung zunehmende Verbreitung und steigende wirtschaftliche Bedeutung verliehen. Die Verbreitung der Werke mit den Mitteln des Druckes - ihr Verlag - hat im gleichen Maße an wirtschaftlicher Bedeutung eingebüßt, in dem die Mehrzahl der Musikverbraucher den „Empfang" der Ausübung von Musik vorziehen. Die gewerbsmäßige Verbreitung des gedruckten Musikwerkes überträgt der Urheber in der Regel einem Verleger. Die Wahrnehmung der Aufführungsrechte liegt indessen außerhalb der Möglichkeiten von Verlegern und Urhebern. Neben die Aufführung von Einzelwerken in Konzerten ist ein für den einzelnen Urheber ganz unübersehbarer Musikvcrbrauch getreten. So wie es für den einzelnen Urheber unmöglich ist, die Aufführung seiner Werke zu ermitteln und seine Rechte geltend zu machen, so ist es den Musikverbrauchern, die gewillt sind, Aufführungsrechte gegen Entgelt zu erwerben, praktisch unmöglich, diese Rechte durch Einzellizenzen von den berechtigten Urhebern zu erwerben. Man denke etwa an die Zahl der Urheberrechte, die eine Radiostation oder ein Filmtheater in einem Tagesprogramm benutzen. Erst die Zusammenfassung der Urheberrechte in einer Verwertungsgesellschaft, deren Aufgabe es ist, die Aufführungsrechte aller Gutachten für die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrcchte (GEMA).

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

beteiligten Urheber wahrzunehmen, schafft für alle Beteiligten die Möglichkeit, die Aufführungsrechte wirtschaftlich zu nutzen. Die GEMA, als wirtschaftlicher Verein gegründet, stellt sich in §2 ihrer Satzung diese Aufgabe: „Dem Verein obliegt die treuhänderische Verwaltung der ihr zur Verwertung übertragenen Urheberrechte." Die Urheberrechte werden der GEMA von ihren Mitgliedern durch einen Berechtigungsvertrag übertragen, dessen wesentlicher Inhalt Teil der Vereinssatzung ist. 5 3 der Satzung lautet: „1. Die von dem Verein wahrzunehmenden Rechte werden ihm durch Abschluß eines besonderen Vertrages (Berechtigungsvertrag) übertragen, in dem auch der Umfang der wahrzunehmenden Rechte festgelegt wird. Der Berechtigungsvertrag muß enthalten: a) daß sämtliche dem Berechtigten gegenwärtig zustehenden und alle zukünftig entstehenden Rechte mit der Maßgabe übertragen werden, daß die Übertragung der Aufführungsrechte auf mindestens drei, die Übertragung der mechanischen Rechte auf mindestens zehn Jahre erfolgt und sich die Übertragung um den gleichen Zeitraum verlängert, falls der Berechtigungsvertrag nicht ein Jahr vor Ablauf gekündigt wird, b) daß die Satzung und der Verteilungsplan anerkannt werden, (...)."

Aus dem Berechtigungsvertrag selbst ergibt sich, welche Rechte der GEMA im einzelnen übertragen werden.1 Mitglieder der GEMA sind Komponisten, Textdichter und Verleger. Die Verleger erwerben die Mitgliedschaft nicht aufgrund eines Berechtigungsvertrages, sie übertragen keine Rechte auf die GEMA, sondern sie werden aufgrund ihrer Tätigkeit als Verleger geschützter Musik Mitglied. Der Ertrag aus der Wahrnehmung der Urheberrechte wird nach Maßgabe eines Verteilungsplanes zwischen den berechtigten Mitgliedern verteilt. Der Verteilungsplan ist Bestandteil der Satzung und der Berechtigungsverträge. Der auf das einzelne Mitglied entfallende Betrag errechnet sich aus der Zahl der Aufführungen der einzelnen geschützten Werke, dem Verhältnis der an einem Werk Beteiligten zueinander (Komponist, Textdichter, Verleger, Bearbeiter) und aus einem Verrechnungsschlüssel, der sich aus den verschiedenen Musikverwertungsgebieten und einer besonderen Einzelbewertung der Art der Musik und der Art der Aufführung ergibt.2 Die GEMA schließt mit den Verbänden von Musikverbrauchern Tarifverträge, deren Tarife alsdann für die Einzelverträge mit den Mitgliedern 1 2

Abgedruckt bei Schulze, Urheberrecht in der Musik, 1956, S. 149 ff. Der Verteilungsplan nebst Ausführungsbestimmungen ist abgedruckt bei Schulze, a. a. O., S. 166 ff.

I. Tatbestand und Überblick über das Problem

der Verbände zugrunde gelegt werden. Die GEMA stellt ihren Vertragspartnern grundsätzlich keine Einzellizenzen zur Verfügung, sondern lizenziert das Gesamtrepertoir geschützter Musik für den im Vertrag vorgesehenen Zweck. Die GEMA ist die einzige Verwertungsgesellschaft für musikalische Urheberrechte in der Bundesrepublik Deutschland. 2. Das Urheberrecht weist seinem Inhaber die ausschließliche gewerbliche Nutzung des geschützten Werkes zu. Das Urheberrecht gehört zu der größeren Gruppe von Rechten, mit denen die Rechtsordnung das Prinzip der Gemeinfreiheit durchbricht, um dem Berechtigten eine ausschließliche Nutzungsbefugnis zuzuweisen. Das Nutzungsrecht äußert sich in doppelter Form: als Unterlassungsanspruch gegenüber zukünftigen Verletzungen und als Schadensersatzanspruch für geschehene Verletzungen. Das Gebot, die dem Urheber vorbehaltene Nutzung zu unterlassen, steht im Gegensatz zum Prinzip der Wettbewerbsfreiheit und erklärt die häufigen Kollisionen ausschließlicher Rechte mit dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen. In welcher Intensität diese Kollisionen auftreten, wie sie zu lösen sind, wo die Grenze zwischen Ausschließlichkeitsrecht und Wettbewerbsfreiheit zu ziehen ist, hängt ebenso vom Inhalt der Ausschließlichkeitsrechte wie vom Inhalt des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen ab. Nur dort, wo den Ausschließlichkeitsrechten ein generelles Monopolverbot gegenübersteht, ist der Konflikt im ganzen rechtserheblich. Diese Rechtslage besteht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Wo hingegen die Wettbewerbsbeschränkung nicht als solche untersagt ist, sondern das Gesetz nur einzelne Mittel der Wettbewerbsbeschränkung untersagt, ist allein zu entscheiden, inwieweit die Ausübung urheberrechtlicher Befugnisse mit den gesetzlich normierten Tatbeständen der Wettbewerbsbeschränkung kollidiert. Diese Rechtslage besteht in Deutschland. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erfaßt nur einzelne Arten von Wettbewerbsbeschränkungen, nämlich Kartelle ($ 1), sonstige wettbewerbsbeschränkende Verträge (§15) und marktbeherrschende Unternehmen (S 22). Die Ausübung des einzelnen Urheberrechts unterliegt, im Gegensatz zur Ausübung des individuellen Patentrechts (§ 20), nach dem GWB keinen besonderen Schranken. Hieraus kann für das deutsche Recht weder geschlossen werden, jedes Urheberrecht sei eine „formale Wettbewerbsbeschränkung" (Bmgger), noch ist eine prinzipielle Höherwertigkeit des

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

Urheberrechts gegenüber dem Kartellrecht anzunehmen (MöhringLieberknecht). Auch für die Frage, wie die Zusammenfassung zahlreicher Urheberrechte in einer Hand zu beurteilen ist, ergeben allgemeine, vom Gesetz losgelöste Werturteile keinen Anhaltspunkt. Die kartellrechtliche Beurteilung der Verwertungsgesellschaften, insbesondere die der GEMA, ist bis heute in jeder Hinsicht streitig geblieben. Nach einer Ansicht unterfällt die GEMA nicht dem GWB, weil das die Natur der zusammengeschlossenen Urheberrechte ausschließe,3 weil es einen normalen wirtschaftlichen Wettbewerb nicht gebe, insbesondere das Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht funktioniere,4 weil Urheberrechte keine gewerblichen Leistungen seien5 und es ohne den Zusammenschluß überhaupt keinen beschränkbaren Wettbewerb gebe. Die amtliche Begründung zu § 17 des Regierungsentwurfes eines GWB bezeichnete die GEMA als marktbeherrschendes Unternehmen;6 nach anderer Ansicht - entwickelt für das Recht der Kartellverordnung von 1923 - ist sie ein Kartell in der Form des Syndikats;7 nach wieder anderer Ansicht kann eine Verwertungsgesellschaft nach Art der GEMA ein Kartell oder ein marktbeherrschendes Unternehmen sein.8 Das Kammergericht berief sich auf das amerikanische Antitrustrecht, um zu begründen, daß die GEMA nicht dem Militärregierungsgesetz Nr. 56 unterfalle. Nach anderer Ansicht soll ein consent decree, das in den USA gegen die ASCAP ergangen ist, bestätigen, daß Verwertungsgesellschaften Kartelle sein können.9 Dem ist entgegengehalten worden, die tatsächlichen Verhältnisse seien in den USA so unterschiedlich, daß dem amerikanischen Recht keine Beweiskraft für eine Beurteilung der GEMA nach dem GWB beizumessen sei.10 Um die Eigenart des zu lösenden Problems zu erkennen, um die Besonderheiten des amerikanischen Rechts berücksichtigen und mit 3

4

5 6 7 8 9 10

KG Berlin (für Dekartellierungsrccht) in: Schulze, Rechtsprechung zum Urheberrecht, Bd. 2 KG 75 m. Anm. v. Nipperdey, WuW/E OLG 29; Hermann, UFITA Bd. 29 (1960) S. 315 ff. Nipperdey, NJW 1953, S. 881 ff.; vgl. auch Möhring-Lieberknecht, Kartellrecht und Urheberrecht, UFITA Schriftenreihe Heft 15, S. 90, 99. Baumbach-He/ermeW, 8. Aufl., 1960, GWB $ l Anm. 44. Übereinstimmend Grundmann, NJW 1954, S. 217. Herzog, Kartellrundschau 1930, S. 23 ff. Brugger, WuW 1959, S. 159 ff., S. 244 ff. Brugger, a. a. O., S. 168. Möhring-Lieberknecht, UFITA Schriftenreihe, Heft 15, S. 119.

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

Hilfe der Rechtsvergleichung das deutsche GWB auslegen zu können, ist es geboten, die Rechtslage in den Vereinigten Staaten vorab zu erörtern.

II.

Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

1.

Überblick

Im Jahre 1941 erhob die Antitrust-Abteilung des Department of Justice eine Klage gegen die ASCAP wegen Verstoßes gegen den Sherman Act. Am 4. März 1941 erging ein consent decree, das die Tätigkeit der ASCAP in den USA mit Zustimmung der Gesellschaft regelte.11 Dieses consent decree wurde durch Entscheidung desselben Gerichts auf Antrag der Antitrust-Abteilung und mit Zustimmung der ASCAP am 14. März 1951 ergänzt und neu gefaßt.12 Rechtsgrundlage für die Verfahren gegen ASCAP war stets der Sherman Act. Das Gesetz verbietet in Section l alle Formen wettbewerbsbeschränkender Absprachen und in Section 2 die Monopolisierung oder den Versuch einer Monopolisierung. Zum Verständnis des consent decree ist der Unterschied von materiellrechtlichem Gesetzesverstoß und Abhilfe im Verfahren der equity (equitable relief) grundlegend. Section 4 des Sherman Act gibt den Bundesgerichten „jurisdiction to prevent and restrain violations of this Act" (jurisdiction in equity). Die Gerichte werden tätig aufgrund von Verfahren, die der Attorney General einleitet. Ist ein Gesetzesverstoß im Urteil festgestellt, so können die Gerichte im decree alle Anordnungen treffen, die notwendig sind, um festgestellte Gesetzesverstöße zu unterbinden, die Früchte unerlaubten Handelns zu 1

! U.S. v. ASCAP, U.S. District Court for the Southern District of New York, CCH Trade Cases 56/104 (1941). 12 U.S. v. ASCAP, CCH Trade Cases 62/595 (1951). Aus dem Schrifttum vgl. Timberg, Sigmund, The Antitrust Aspects of Merchandising Modern Music: The ASCAP Consent Judgment of 1950, 19 Law and Contemporary Problems 294 (1954); Comment, 17 University of Chicago Law Review 183 (1949): Copyright Pooling under the Antitrust Law; Kronstein, Neue deutsche wirtschaftsrechtliche Entscheidungen im Lichte des amerikanischen Antitrustrechts, 1953 S. 10 f.; Möhring, WuW 1951/52 S. 91 ff.

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

entziehen, eine Umgehung des Gesetzes in der Zukunft zu vermeiden und einen gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Der zu sichernde gesetzmäßige Zustand ist im Antitrustrecht der freie Wettbewerb. Demgemäß kann das Gericht, wie unstreitig ist, auch solche Verhaltensweisen untersagen, die an sich gesetzmäßig sind. Der Supreme Court hat das maßgebliche Prinzip wie folgt formuliert: „In an equity suit the end to be served is not punishment of past transgression, nor is it merely to end specific illegal practices. A public interest served by such civil suits is that they effectively pry open to competition a market that has been closed by defendants' illegal restraints."13 Hieraus ergibt sich, daß aus dem decree - im Gegensatz zum Urteil selbst - unmittelbar keine verbindliche Auslegung des materiellen Rechts entnommen werden kann. Auch das consent decree ist eine gerichtliche Verfügung im Verfahren der equity; es ist nicht etwa ein Vertrag.14 Aber es ist eine Entscheidung, die auf der Grundlage der Zustimmung der Parteien ergeht. Diese Zustimmung ersetzt die Feststellung eines materiellen Gesetzesverstoßes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Die Entscheidung ergeht ohne Beweisaufnahme „and without trial or adjudication of any issue of fact or law herein and without admission of the defendant in respect of any issue and upon consent of all parties thereof". Dies ist die Formel, die dem consent decree stets vorausgeht und klarstellt, daß keine Entscheidung über das materielle Recht erfolgt. Schon aus diesem Grunde ist es ausgeschlossen, aus der Verpflichtung von ASCAP im consent decree, keine ausschließlichen Lizenzen von den Mitgliedern zu erwerben, die Folgerung zu ziehen, die ASCAP sei als Kartell im Sinne der deutschen Terminologie beurteilt worden oder die Entscheidung beruhe auf Section l Sherman Act.15 Für den weiten Ermessensspielraum der Gerichte der equity und für die Aufspaltung des Verfahrens in Urteil und decree kennt das deutsche Recht keine Parallele. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Sherman 13 14 15

International Salt Co. Inc. v. US., 332 U.S. 392, 401 (1947). U.S. v. Swift & Co., 286 U.S. 106, 114 (1932). So Brugger, WuW 1959 S. 159, 168. Gegen eine Feststellung des materiellen Rechts an Hand des consent decree für den Fall der ASCAP auch Timberg, The Antitrust Aspects of Merchandising Modern Music: The ASCAP Consent Decree of 1950, 19 Law & Contemporary Problems 294-322 (1954). Timberg war Leiter der Judgement Division im Department of Justice und als solcher auch für die Verabschiedung des consent decree im ASCAP-Fall zuständig.

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrccht der USA

Act ist in einer für die Rechtsvergleichung fruchtbaren Weise deshalb nicht anhand des consent decree allein möglich. Dafür ist es notwendig, die materiellrechtlichen Grundlagen herauszuarbeiten. Die Stellung der ASCAP unter dem Antitrustrecht war Gegenstand mehrerer privater Rechtsstreitigkeiten. Aus den in diesen Verfahren ergangenen Urteilen können die für die antitrustrechtliche Beurteilung der ASCAP maßgeblichen Grundsätze erschlossen werden. Mit Sicherheit waren es diese Urteile, welche die ASCAP veranlaßten, dem consent decree zuzustimmen.

2.

Die Urteile gegen ASCAP

Die Gerichte hatten die ASCAP in zwei Fällen nach dem Sherman Act zu beurteilen, denen im wesentlichen der gleiche Sachverhalt zugrunde lag.16 Ursprung, Organisation und Aufgaben der ASCAP entsprechen in den Grundzügen den Verhältnissen bei der GEMA. Gegenstand der Gerichtsverfahren waren die Beziehungen der ASCAP zu Filmproduzenten und Filmtheatern. Wie nach § 11 LUG umfaßt auch das Copyright nach dem Copyright Act der USA einmal das Recht, ein Musikwerk öffentlich aufzuführen, und zum anderen „das gesonderte und selbständige Recht", dasselbe Musikwerk mechanisch oder in anderer Form aufzunehmen. 17 Die ASCAP verpflichtete ihre Mitglieder, den Filmherstellern an der geschützten, für die Herstellung von Filmen zu verwendenden Musik ausschließlich das Aufnahmerecht (sog. synchronization right) zu übertragen. Das Aufführungsrecht für diese Musik blieb dagegen bei der ASCAP. Die Filmhersteller nahmen in die Verträge über die Vermietung der Filme an die Filmtheater die Bestimmung auf, das Aufführungsrecht für die Filme werde unter der Bedingung erteilt, daß das Filmtheater eine gültige Lizenz für die Aufführung geschützter ASCAPMusik innehabe. Kontrahierte aber ein Filmhersteller mit Urhebern, die nicht der ASCAP angehörten, so ließ er sich Aufnahmerecht und Aufführungsrecht gleichzeitig übertragen. Zur Zeit der Gerichtsverfahren war zwar das consent decree von 1941 in Kraft, das den Mitgliedern von 15

17

Alden Rochellelnc. etal. v. ASCAP, 80 F. Supp. 900 (1948); Witmark &Sons v.Jensen,

80 F. Supp. 843 (1948). „... any form of record in which the thought of an author may be recorded and form which it may be reproduced." § 1 Copyright Act. Maßgeblich: Rcmick v. Interstate Hotel Co., 157 F. 2 d 744(1946); die Übernahme einer Radiosendung für gewerbliche Tanzveranstaltungen verletzt das Aufführungsrecht des Urhebers.

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

ASCAP das Recht vorbehielt, selbst Einzellizenzen an Musikveranstalter zu vergeben. Die Filmtheater bezeichneten die Ausübung dieses Rechts aber als „illusorisch", weil es praktisch unmöglich sei, mit den einzelnen Urhebern Verträge abzuschließen; auch habe sich kein Filmtheater jemals darum bemüht, Einzel verträge einzugehen. Auf diese Art und Weise kontrolliert ASCAP, wie unstreitig war, etwa 80% aller in Tonfilmen verwendeten Musik. Die Filmhersteller waren mit der ASCAP zum Teil auch organisatorisch verbunden; denn durch Tochtergesellschaften betrieben sie das Geschäft als Musikverleger und als solche waren sie Mitglieder der ASCAP. Die Filmhersteller, die gleichzeitig Verleger waren, bezogen 37% der auf die Verlegermitglieder entfallenden 50% der Nettoerträge von ASCAP. Die Gerichte entschieden, ASCAP habe gegen den Sherman Act verstoßen. Zum Verständnis der Entscheidungen ist es notwendig, vorab zu erörtern, in welchem Verhältnis die Befugnisse aus dem Copyright zu dem Monopolverbot des Sherman Act stehen.

3.

Copyright und Monopolverbot

Kein Zweifel besteht in der Rechtsprechung, daß auch ein Copyright als solches Gegenstand oder Mittel eines „restraint of trade or commerce" sein kann: „Das Gesetz zielt auf »Beschränkungen' von Handel und Gewerbe und nicht auf die Gegenstände von Handel und Gewerbe. Rechte können sehr wohl den Gegenstand von Handel und Gewerbe bilden und der Sherman Act verbietet restraint of trade' sowohl in Rechten wie in Waren."18 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen gesetzliche Ausschließlichkeitsrechte dem Sherman Act unterfallen, ist für Patentrechte ebenso zu beantworten wie für Urheberrechte. Die Rechtsprechung unterscheidet scharf zwischen dem „Monopolrecht", das jeder Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts notwendig innehat, und einem Monopol im Sinne des Sherman Act. Das „Monopolrecht" kann wie jedes andere Recht im ganzen auf Dritte übertragen werden, und der Inhaber kann Dritten Ausschnitte seines Rechts durch Lizenzen überlassen. Aber daraus folgt nicht, daß die Rechtsbeziehungen der Inhaber von Ausschließlichkeitsrechten untereinander oder zu ihren Lizenznehmern vom Kartell- und Monopolverbot freigestellt sind. Schon 18

Bück v. Gallagher, 36 F. Supp. 405 (1940).

. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

früh entschied der Supreme Court, daß die Inhaber von Urheberrechten nicht berechtigt seien, sich in Ausübung dieser Rechte oder für den Vertrieb der geschützten Werke zusammenzuschließen, um den Wettbewerb zu beschränken.19 Die Tatsache, daß der Urheber oder sein Lizenznehmer für sein Werk einen bestimmten, von ihm selbst festgesetzten Preis fordern kann, ist nach dieser Rechtsprechung von der Marktmacht zu unterscheiden, die aus einem Zusammenschluß der Inhaber von Urheberrechten entsteht. Der Supreme Court hat diesen Unterschied zuerst für marktregelnde Vereinbarungen betont, die Verleger untereinander über die von ihnen vertriebenen, durch Copyright geschützten Bücher getroffen hatten.20 Die rechtliche Individualität der durch Copyright geschützten Werke schließt nicht aus, daß es für solche Werke einen Markt und demgemäß einen beschränkbaren Wettbewerb gibt. Wenn die Hersteller urheberrechtlich geschützter Filme den von ihnen lizenzierten Filmtheatern aufgrund einer Absprache untereinander wettbewerbsbeschränkende Verpflichtungen auferlegen, so unterfallen diese horizontale Absprache und die vertikal auf ihrer Grundlage geschlossenen wettbewerbsbeschränkenden Verträge dem Verbot des Sherman Act. Das gilt selbst dann, wenn die Inhaber des Copyright berechtigt gewesen wären, ihren Lizenznehmern Verpflichtungen der vereinbarten Art in individuellen Verträgen aufzuerlegen.21 In U.S. v. Paramount Pictures Inc.22 wiederholte der Supreme Court den Grundsatz in differenzierter Form. Horizontale Preisabsprachen sind danach auch in Ansehung urheberrechtlich geschützter Gegenstände (Filme) verboten. So wie es Patentinhabern verboten sei, durch preisregelnde Lizenzverträge einen ganzen Industriezweig zu reglementieren, sei es ungesetzlich, die Preise für Filmaufführungen festzusetzen. „Certainly the rights of the Copyright owners are no greater than those of the patentee." Dieses Verbot erstreckt sich auf die einzelnen Lizenzverträge mit den Filmtheatern, soweit die Verträge ein integrierender Bestandteil der Wettbewerbsbeschränkung sind. „For a Copyright may no more be used than a patent to deter competition between rivals in the exploitation of their licences." Auch

19 20 21 22

Eobbs-Merrill Co. v. Strauss, 139 Fed. 155, 191; affd 147 Fed. 15; affd 210 U.S. 339. Strauss v. American Publishers' Association, 231 U.S. 222. Interstate Circuit Inc. v. U.S., 304 U.S. 55 (1939). 334 U.S. 131 (1948).

1. Sind urheberrechtliche Vcrwertungsgesellschaften Kartelle?

die Lizenzgewährung als solche kann mithin Gegenstand beschränkbaren Wettbewerbs sein. Auf dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sind die Entscheidungsgründe zu untersuchen, mit denen der Verstoß von ASCAP gegen den Sherman Act festgestellt wurde. Die folgenden Gesichtspunkte sind zu unterscheiden: 1. ASCAP hat auf dem Markt ein Monopol inne, das gegen Section 2 Sherman Act verstößt. 2. ASCAP benutzt die ihr übertragenen gesetzlichen Monopolrechte, um sie über ihren gesetzlichen Schutzbereich auszudehnen. 3. Die Übertragung der Aufführungsrechte durch die Mitglieder auf ASCAP ist eine „combination in restraint of trade" und verstößt gegen Section I Sherman Act.

4.

Monopolverstoß durch ASCAP

a) Im Alden Rochelle-Fall geht das Gericht von dem Tatbestand des Monopolverstoßes nach Section 2 Sherman Act aus, wie er in Aluminum Co. of America v. U. S.23 abgegrenzt ist. In dieser Entscheidung entwickelte das Gericht den sogenannten „market structure test" für Einzelunternehmen mit Monopolmacht. Wenn es per se verboten sei, Preise durch Absprache zu regeln, dann müsse die festgestellte Macht eines Einzelunternehmens über den Marktpreis ebenso ungesetzlich sein. Das Gesetz fordere nicht, daß diese Macht durch mißbräuchliches Verhalten erworben sei oder daß dem Unternehmen eine besondere Monopolisierungsabsicht nachgewiesen werde. Es genüge, daß der Besitz von Monopolmacht von dem Willen begleitet sei, sie auszuüben. Ferner setzt ein Monopolverstoß nicht voraus, daß das Unternehmen Preise heraufgesetzt oder Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen hat; es genügt die potentielle Macht, das zu tun.24 ASCAP hatte nach den Feststellungen des Gerichts 80% der für die Herstellung und Aufführung von Tonfilmen notwendigen geschützten Musik inne. Aufgrund dieses Tatbestandes stellte das Gericht fest, daß 23

24

10

148 F. 2 d 416, 424(1945).

U.S. v. American Tobacco Co., 328 U.S. 791, 811 (1947).

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

ASCAP ein nach Section 2 Sherman Act ungesetzliches Monopol innehabe. Daß es seine Monopolmacht bisher in fairer Weise gebraucht habe, sei nach der angeführten neueren Rechtsprechung zu Section 2 Sherman Act unerheblich. b) ASCAP verstieß auch deshalb gegen das Monopolverbot, weil sie den gesetzlichen Schutzbereich der von ihr verwalteten Urheberrechte unzulässig ausdehnte. Das amerikanische Recht hat schon früh den Grundsatz entwickelt, daß es unzulässig sei, den Herrschaftsbereich des Patentmonopols über seinen gesetzlichen Schutzbereich hinaus auszudehnen. Denn das Patentrecht diene dem Gemeinwohl und dem öffentlichen Interesse am Fortschritt der Technik. Damit sei die Monopolisierung nicht geschützter Gegenstände unvereinbar.25 Der wichtigste Anwendungsfall des Prinzips ist die Ausdehnung des Patentmonopols auf nicht patentierte Gegenstände mit Hilfe von Kopplungsverträgen. 26 Aus dem gleichen Grunde ist es ungesetzlich, mehrere Patente derart zusammenzufassen, daß der dem einzelnen Patent zukommende Schutzbereich ausgedehnt wird. Das trifft stets zu, wenn eine Patentgemeinschaft ihren Markt beherrscht. In U. S. v. Paramount Pictures Inc,27 wendet der Supreme Court diese am Patentrecht entwickelten Maßstäbe auf das block booking urheberrechtlich geschützter Filme an. Unter block booking versteht man die Praxis der Filmverleiher, den Filmtheatern Filme nur in „blocks" zur Lizenzierung anzubieten, in der Regel, bevor bekannt ist, welche Filme im einzelnen zur Verfügung stehen werden. Durch diese Praxis, so entschied das Gericht, werde zu dem Monopol eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Films das eines anderen urheberrechtlich geschützten Films hinzugefügt, weil ein Film nicht ohne den anderen erlangt werden könne. Das öffentliche Interesse an dem Schutz des Urhebers durch das Copyright fordere aber, daß die Belohnung des Urhebers zu dem individuellen Wert des geschützten Gegenstandes in Beziehung stehe. Durch das block booking würden aber Filme unterschiedlicher Qualität zusammengefaßt, die Belohnungen der Urheber einander angeglichen und dadurch die Monopole der einzelnen Urheberrechte über ihren gesetzlichen Schutzbereich ausgedehnt. 25 26 27

Maßgeblich: Motion Picture Patents Co v. Universal Film Manufacturing Co., 243 U.S. 502 (1917). International Salt Co. Inc. v. U.S., 332 U.S. 392 (1947). 334 U.S. 131 (1948).

11

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaft.cn Kartelle?

Diese Rechtssätze liegen auch der Beurteilung der ASCAP zugrunde. Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß die Zusammenfassung von Schutzrechten als solche nicht gesetzwidrig ist. Das Gericht stellte ausdrücklich fest: „Wenn ASCAP als Abtretungsempfänger (der Urheberrechte) für jedes Mitglied eine individuelle Lizenzgebühr für die Aufführungsrechte eingezogen hätte (,per piece' licence fee), im Ergebnis also nur als Inkasso-Büro gehandelt hätte, dann wäre das Gesetz nicht verletzt worden."28 Aber darauf beschränkte sich die ASCAP nicht. Sie erteilte vielmehr Blankettlizenzen und berechnete jeweils eine Pauschalgebühr für das gesamte Repertoir. Das einzelne Mitglied erhielt eine Vergütung, die sich nach dem in der Satzung enthaltenen Verteilungsschlüssel bestimmte. Daraus folgerte das Gericht: „Durch diese Zusammenfassung der Urheberrechte und der aufgrund dessen erzielten Lizenzgebühren nimmt jedes Mitglied in gewisser Weise an dem urheberrechtlich geschützten Werk der anderen teil. Hierhin sind die gleichen Übel enthalten, wie im block booking (.. .)."29 Auch in Witmark & Sons v. Jensen30 beurteilte das Gericht diese Art der Zusammenfassung als ungesetzliche Wettbewerbsbeschränkung. Einen besonderen Tatbestand der ungesetzlichen Ausdehnung des Urheberrechts erblickten die Gerichte im Alden Rochelle-Fall ferner in der Kopplung der Musikurheberrechte von ASCAP mit dem Urheberrecht am Film. Wie erwähnt, erteilten ASCAP-Mitglieder den Filmproduzenten nur das Verfilmungsrecht (Aufnahmerecht) und behielten sich das Aufführungsrecht vor. Die Filmverleiher nahmen darüber hinaus in ihre Lizenzverträge mit den Filmtheatern einen Vorbehalt auf, wonach die öffentliche Aufführung der Filme nur solchen Theatern gestattet wurde, die eine Lizenz der ASCAP für die Musikaufführungsrechte innehatten. „Die Filmhersteller und die Mitglieder von ASCAP", so heißt es im Alden Rochelle-Fall, „vereinigen auf diese Weise das urheberrechtliche Monopol am Film mit dem urheberrechtlichen Monopol an der Musik-Komposition; darin liegt die rechtswidrige Ausdehnung jedes dieser gesetzlichen Monopolrechte und ein Verstoß gegen die Antitrustgesetze durch einen wettbewerbsbeschränkenden Zusammenschluß". In Witmark & Sons v. Jensen sah das Gericht hierin den allein maßgeblichen Gesetzesverstoß, denn es hebt hervor, der einfachste Weg zu wett28

Alden Röchelte Inc. v. ASCAP, a. a. O. Alden RocheHe Inc. v. ASCAP. a. a. O. 30 A. a. O. 29

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

bewerbsgemäßem und urheberrechtlich einwandfreiem Verhalten würde zweifellos darin liegen, wenn die Mitglieder von ASCAP den Filmproduzenten Aufnahmerechte und Aufführungsrechte gemeinsam übertragen würden. Das consent decree berücksichtigt diese urheberrechtlichen Gesichtspunkte dadurch, daß es ASCAP untersagt (IV E), Filmtheatern Musikaufführungsrechte für Tonfilme zu übertragen, und ASCAP empfiehlt (V C), den Filmproduzenten eine einheitliche Lizenz für die Herstellung und Aufführung des Films zu gewähren. Zweifelhaft bleibt, ob schon die Zusammenfassung der Urheberrechte und die Vergabe von Blankettlizenzen für das Gesamtrepertoir eine verbotene Ausdehnung des gesetzmäßigen Monopolrechts darstellen. Die Frage ist zu bejahen, wenn die Abnehmer rechtlich oder wirtschaftlich keine Wahl zwischen individueller Lizenz und Blankettlizenz haben. Die rechtliche Bindung zeigen die Kopplungsvcrträge in reiner Form; die wirtschaftliche Bindung nahm das Gericht im Alden Rochelle-Fall an, weil die Bedingungen der individuellen Lizenzen so unverhältnismäßig viel ungünstiger waren, daß niemand vernünftigerweise davon Gebrauch machen konnte. Haben aber die Abnehmer Wahlfreiheit, so wird ein Gesetzesverstoß zu verneinen sein. Für den Fall des block booking hob das Gericht im Paramount Fall hervor: „Wir meinen nicht, daß Filme nicht in blocks oder Gruppen verkauft werden dürfen, solange keine ausdrückliche oder konkludente Verpflichtung begründet wird, mehr als einen Film abzunehmen." Timberg*1 weist ergänzend auf Patententscheidungen hin, wonach Lizenzgebühren pauschal - ohne Rücksicht auf die Inanspruchnahme der einzelnen Patente - berechnet werden dürfen. 32 In den Patentfällen wurde die dadurch ermöglichte vereinfachte Geschäftsabwicklung allerdings nur als Rechtfertigungsgrund anerkannt, wenn aus dem Zusammenschluß der Patente keine marktbeherrschende Stellung entstand. Bei der ASCAP ist die „administrative convenience" der Blankettlizenzen besonders augenfällig. Das Gericht stellte im Alden Rochelle-Fall Fest, nach der Aussage der Musikverbrauchcr seien Einzellizenzen mit der Abwicklung ihres Geschäftsbetriebes unvereinbar. Im consent decree ist das Bemühen erkennbar, die widerstreitenden rechtlichen und wirt31 32

19 Law & Contemporary Problems 294, 297 (1954). Maßgeblich: Automatic Radio Manufacturing Co. v. Hazletine Research, 339 U.S. 827 (1950). 13

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

schaftlichen Erfordernisse miteinander in Einklang zu bringen. Blankettlizenzen wurden vom Gericht nicht verboten; den Musikverbrauchern wurde indessen die Wahlfreiheit zwischen Blankettlizenz und Einzellizenz sowie zwischen verschiedenen Lizenzarten gesichert. ASCAP unterliegt einem doppelten Verbot zu diskriminieren; sie hat einmal jedem Bewerber auf Antrag eine Lizenz zu erteilen (Kontrahierungszwang, Ziff. VI) und sie ist verpflichtet, „nach besten Kräften solche Diskriminierungen zwischen den verschiedenen Lizenzarten zu vermeiden, die den Lizenznehmern oder den Lizenzbewerbern eine echte Wahl zwischen den zur Verfügung stehenden Lizenzen entziehen würden" (Ziff. VII). Diesem Zweck dient auch die Verpflichtung von ASCAP, von ihren Mitgliedern einfache, nicht ausschließliche Lizenzen zu erwerben (Ziff. IV, A, B) und jedem Lizenznehmer, der eine Einzellizenz beantragt, die Möglichkeit zu geben, mit dem Einzelurheber unmittelbar zu verhandeln (Ziff. VI Satz 2). Diese Prinzipien wurden für die Lizenzierung der Rundfunkstationen und der Filmhersteller konkretisiert (Ziff. V). Timberg*3 weist daraufhin, daß das vom decree gesicherte Recht, individuelle Lizenzen zu erlangen, wirtschaftlich „wahrscheinlich bedeutungslos" sei; die Vorschrift sei aber aus grundsätzlichen Erwägungen aufgenommen worden. Das consent decree läßt die Organisation der ASCAP im Prinzip unberührt. Hieraus läßt sich mit Sicherheit entnehmen, daß die Zusammenfassung der Urheberrechte, die Festsetzung der Lizenzgebühren und die Vereinbarung von Blankettlizenzen durch ASCAP nicht unter die „per se" verbotenen Tatbestände des Sherman Act, insbesondere nicht unter das Verbot der Preisabsprachen fallen. Timberg*4 hat die für die Anerkennung der ASCAP als Organisation maßgeblichen Gesichtspunkte zusammengefaßt: „administrative convenience" für die Musikverbraucher, die in der Regel auf eine Lizenz für das Gesamtrepertoir angewiesen sind; die Vermeidung von Urheberrechtsverletzungen und die Hilflosigkeit der einzelnen Urheber, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. c) Marktbeherrschung und unzulässige Ausdehnung der gesetzmäßigen Urheberrechte sind Tatbestände, die ASCAP selbst verwirklichte. Hierfür sind die Beziehungen zu den Mitgliedern prinzipiell unerheblich. In den 33 34

14

A.a.O. S.320. A.a.O. S.297.

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

angeführten Entscheidungen findet sich aber darüber hinaus die Feststellung: „The combination of the members of ASCAP in transfering all their non-dramatic performing rights to ASCAP is a combination in restraint of interstate trade and commerce which is prohibited by § 1 of the Shermanantitrustlaw."35 In welchem Verhältnis dieser Tatbestand zu den Monopolverstößen von ASCAP selbst steht, ist für die rechtsvergleichende Beurteilung besonders wichtig; denn nach deutschem Recht ist der Tatbestand des Kartells grundsätzlich anders zu beurteilen als der Tatbestand des marktbeherrschenden Unternehmens. Läßtsich aus der zitierten Entscheidung folgern, ASCAP sei ein Kartell im Sinne der deutschen Terminologie? Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß schon das consent decree der Annahmeeiner horizontal wettbewerbsbeschränkenden Absprache widerspricht; kein consent decree würde per se verbotene Verhaltensweisen erlauben. Daraus ist indessen nicht zu folgern, daß ein unlöslicher Widerspruch zwischen den angeführten Urteilen über die Stellung von ASCAP unter den Antitrustgesetzen und dem consent decree besteht. Dem amerikanischen Recht ist die scharfe Unterscheidung fremd, die im deutschen Recht zwischen Kartell und marktbeherrschenden Einzelunternehmen besteht. Nach amerikanischem Recht besteht kein Widerspruch zwischen der Feststellung, ein Einzelunternehmen habe seinen Markt monopolisiert, und der gleichzeitigen Verurteilung der beteiligten natürlichen Personen wegen einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache nach Section l. Die sogenannte „intra-enterprise-conspiracy" des amerikanischen Rechts zeigt die Zusammenhänge am deutlichsten. Auszugehen ist von der Feststellung, daß „restraint of trade" in Section 1 und „monopolization" in Section 2 Sherman Act keine sich ausschließenden Tatbestände sind. Jede „monopolization" enthält notwendig einen „undue restraint of trade", während undue restraint of trade durch die gefährliche Tendenz zum Monopol gekennzeichnet wird. 36 Hierauf beruht es, daß die Rechtsprechung beide Tatbestände nur in wenigen Grenzfällen unterscheidet und regelmäßig restraint of trade, Versuch der Monopolisierung und Monopolisierung nebeneinander anwendet.37 Der 35 36

37

Aldcn Rochelle-Fall. Vgl. den Überblick über die Entwicklung und die Bedeutung der maßgeblichen Entscheidung Standard Oil of New Jersey v. US., 221 U.S. l (1911) in Report of Attorney Generals National Committee to Study the Antitrust Laws, 1955, S.5-11. Ein gutes Beispiel bietet der bereits angeführte Fall Paramount Pictures Inc. v. US., 334 U.S. 131 (1948). 15

1. Sind urheberrechtliche Vcrwertungsgescllschaften Kartelle?

wesentliche Unterschied besteht nur darin, daß Section l notwendig mehrere Beteiligte voraussetzt, während der Tatbestand der Monopolisierung auch von einer Einzelperson verwirklicht werden kann. Es ist keine Besonderheit des Antitrustrechts, daß juristische Personen deliktsfähig sind. Hat eine juristische Person eine strafbare Handlung begangen, so können sich die handelnden Organe der juristischen Person nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen einer „conspiracy" schuldig machen. Auf der Anwendung dieser Grundsätze im Antitrustrecht beruht die Möglichkeit des amerikanischen Rechts, innerhalb eines Einzelunternehmens verbotene wettbewerbsbeschränkende Absprachen anzunehmen. Jedes Handeln eines Einzelunternehmens, das dem Verbot der Monopolisierung unterfällt, kann mithin gleichzeitig als eine „Absprache" der beteiligten Personen beurteilt werden. Die Rechtsprechung zur intra-enterprise-conspiracy hat sich in allen in diesem Zusammenhang erheblichen Fällen an diese Grenzen gehalten; sie hat eine verbotene Absprache innerhalb eines Einzelunternehmens nur angenommen, wenn es sich auf ein Marktverhalten bezog, das für das Einzelunternehmen selbst den Tatbestand der Monopolisierung verwirklicht hätte. Lag diese Voraussetzung gesetzeswidrigen monopolistischen Verhaltens des Einzelunternehmens vor, so hat die Rechtsprechung nicht gezögert, trotz wirtschaftlicher Einheit wettbewerbsbeschränkende Absprache innerhalb eines Unternehmens anzunehmen. Möglich ist eine conspiracy der juristischen Person mit ihren Organen und der Organe untereinander; möglich ist genauso eine wettbewerbsbeschränkende Absprache zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft desselben Konzerns, von Tochtergesellschaften untereinander und von Korporationen mit gemeinsamen kontrollierenden Aktionären.38 Wo die Grenzen der verbotenen Absprachen innerhalb von Einzelunternehmen im Einzelfall liegen, kann nur anhand der Eigenart des Marktverhaltens und der dafür maßgeblichen Rechtssätze ermittelt werden. 38

16

Aus dem Schrifttum: 63 Yale Law Journal 372 (1954): Intra-Enterprise-Conspiracy under the Shennan Act; Brennan, The Sherman Act and Multi-Corporate Single Traders, 100 University of Pennsylvania Law Review 1006 (1952); McQuade, Conspiracy, Multi-Corporate Enterprise and Section 1 of the Sherman Act, 41 Virginia Law Review 183, 215 (1955); Attorney General's Report a. a. O. S. 30 ff.

II. Die Beurteilung der ASCAP nach dem Antitrustrecht der USA

Im ASCAP-Fall handelt es sich um Verhaltensweisen, für die es typisch ist, daß sie unabhängig davon gesetzeswidrig sind, ob sie auf eine Einzelperson zurückgehen, oder ob sie auf einer Absprache zwischen mehreren Personen beruhen. In einer großen Gruppe von Fällen ist die „Hebelwirkung" gesetzmäßiger Monopolmacht im Wettbewerb der materielle Grund eines Gesetzesverstoßes. Diese Rechtsprechung geht zurück auf die Verurteilung der Kopplung von unpatentierten und patentierten Produkten, sie wurde ausgedehnt auf Kopplungsverträge im allgemeinen, auf den Einsatz gesetzmäßiger Monopolmacht jeder Art im Wettbewerb und auf den Ausschluß von Wettbewerbern von einem wesentlichen Markt, zum Beispiel durch Ausschließlichkeitsverträge oder vertikale Unternehmensintegration. Auf eben dieser Grundlage beruht auch die Verurteilung des block booking und der Zusammenfassung von Urheberrechten in ASCAP. Und auf diese Tatbestände hat auch die Rechtsprechung - mit oder ohne gesonderte Begründung - die „intra-enterprise-conspiracy" angewendet: auf Kopplungsvertrage39, auf den Einsatz legaler Monopolmacht im Wettbewerb40, auf die Ausdehnung des Urheberrechts durch block booking41 und auf die vertikale Unternehmensintegration.42 Auch im Alden Rochelle-Fall und im Witmark & Sons-Fall ist die Feststellung einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache jeweils mit der Feststellung der erwähnten Tatbestände der Monopolisierung unmittelbar verbunden oder beruht auf einer solchen Feststellung. Nur wenn man von diesen Monopolisierungstatbeständen ausgeht, klärt sich auch der Zusammenhang zwischen den angeführten Entscheidungen und dem consent decree. Die im consent decree enthaltenen besonderen Pflichten von ASCAP sind nach dem pflichtgemäßen, vom Gericht nicht beanstandeten Ermessen des Attorney General ausreichend, um den auf diesem Markt erreichbaren Stand des freien Wettbewerbs zu verwirklichen und die ungesetzlichen Elemente der Monopolmacht von ASCAP zu neutralisieren. Das amerikanische Recht bietet jedoch keinen Anhaltspunkt für die Ansicht, daß die ASCAP als Kartell im Sinne der deutschen Terminologie verurteilt wurde.

39 40

41 42

U.S. v. General Motors Corporation, 121 F. 2 d 376 (1937). U.S. v. Griffith, 334 U.S. 100 (1948).

US. v. Paramount Pictures Inc., 334 U.S. 131 (1948). U.S. v. Yellow Cab Co., 332 U.S. 218 (1947). 17

1. Sind urheberrechtliche Verwcrtungsgesellschaften Kartelle?

III.

Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

1.

Zum Verhältnis von Urheberrecht und Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Hermann43 hat es unternommen, den Konflikt zwischen Urheberrecht und Kartellrecht „von den Fundamenten der Rechtsordnung" aus zu erarbeiten. Er meint, zwischen Urheberrecht und Kartellrecht bestehe nur noch ein „unechter Konflikt", da beide Rechtsgebiete positivrechtlich geregelt seien. Diesen Konflikt möchte Hermann lösen, indem er die Natur des Urheberrechts als Monopolrecht in den Mittelpunkt stellt. Dem Urheber sei kraft Gesetzes eine Monopolstellung eigen. „Damit ist aber zugleich ausgesprochen, daß das Urheberrecht bereits im Augenblick seiner Entstehung eine den Markt beeinflussende Stellung einnimmt, die man ihm schlechterdings nicht nehmen kann." Die Verwertungsgesellschaften seien nur die Summe vorher bereits bestehender individueller Monopolrechte; die Zusammenfassung andere an dem Tatbestand individueller Monopole nichts; die Verwertungsgesellschaft sei nichts weiter als ein Inkassoverein der Urheber. Das Kartellrecht sei gegenüber dem Urheberrecht lex generalis; die lex specialis des Urheberrechts könne ihrem Wesen gemäß vom Kartellrecht nicht erfaßt werden. Die hier angenommene Identifizierung von Urheberrecht als Monopolrecht und Urheberrecht als Quelle von Marktmacht ist unzutreffend. 44 Es ist zwar richtig, daß jedes Urheberrecht einen gewissen Markteinfluß verschafft; aber das ist keine Besonderheit des Urheberrechts; jedes - aus welchen Gründen auch immer - unterscheidbare Angebot am Markt verleiht einen gewissen Markteinfluß. Die Lehre vom „monopolistic competition" (Chamberlin, Robinson) hat diesen Tatbestand im einzelnen beschrieben. Eine solche Marktbeeinflussung, die aus jeder Differenzierung von Gütern folgt, ist zur Abgrenzung von Monopolmacht im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen ungeeignet. Auch im Kartellrecht ist Marktmacht keine absolute Größe, sondern eine Maß- und Gradfrage. « Konflikt zwischen Urheberrecht und Kartcllrecht, UFITA, Bd. 29 (1960) S. 315 ff. 44 Dagegen auch (für Patente) Müller-Gries, Kommentar zum GWB, 1958, $22 Anm. 5; Möhring-Lieberknecht, UFITA Schriftenreihe, Heft 15 (1959) S. 96. 18

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

Urheberrechte sind Ausschließlichkeitsrechte; sie geben die ausschließliche Befugnis, das geschützte Werk in bestimmter, vom Gesetz umschriebener Art und Weise zu verwerten. Erst durch die Gewährung der ausschließlichen Befugnisse wird das Urheberrecht zum Gegenstand des Geschäftsverkehrs. Diese Eigenart teilt es mit anderen gewerblichen Schutzrechten, insbesondere mit dem Patent. Der Patentinhaber hat außerdem die dem Urheber nicht gewährte ausschließliche Befugnis, die Erfindung zu gebrauchen. Für Patente kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß sie trotz dieses „Monopolcharakters" dem Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere auch dem Kartellverbot, unterstehen (§ 20 insbesondere Abs. 4). Die Gleichstellung von Marktbeherrschung im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen und Urheberrecht verkennt die Eigenart beider Rechtsgebiete; die Eigenart der Marktbeherrschung, weil sie ein Werturteil über einen bestimmten, vom Gesetz erfaßten Grad der Marktbeeinflussung verlangt, der bei Urheberrechten und allen gewerblichen Schutzrechten nicht notwendig und nicht einmal in der Regel verwirklicht ist; die Eigenart des Urheberrechts, weil der Urheber erst durch die vom Gesetz verliehene ausschließliche Befugnis ein zu individualisierendes Recht erhält, über dessen Marktwirkung damit nichts ausgesagt ist. Es beruht auf den gleichen Gedanken - und ist für das GWB aus den gleichen Gründen unerheblich -, wenn man in jedem Urheberrecht eine „formale Wettbewerbsbeschränkung durch Zustand"45 erblickt. Man wird den Aufgaben und Funktionen der Verwertungsgesellschaften auch nicht dadurch gerecht, daß man in ihnen Inkassovereine erblickt und in der Zusammenfassung der Urheberrechte nichts weiter sieht als die Summe der Einzelrechte. Die GEMA gibt - wie die ASCAP - in der Regel keine Einzellizenzen, sondern eine Blankettlizenz für das Gesamtrepertoir; die Meldungen der Lizenznehmer über die benutzten Werke dienen ausschließlich der internen Abrechnung mit den Mitgliedern, nicht der Lizenzgebührenberechnung. Erst diese Zusammenfassung der Urheberrechte ermöglicht es, dem Interesse der Musikvcrbraucher an einer generellen Erlaubnis zur Benutzung geschützter Musik Rechnung zu tragen; erst dadurch wird die GEMA befähigt, die Interessen ihrer Mitglieder neutral zu wahren, ohne daß die Gefahr der Bevorzugung bestimmter Werke entsteht. Nur die Loslösung der Lizenzierung 45

So Brugger, UFITA Bd. 27 (1959) S. 215; dagegen auch Möhring-U'eberknecht, UFITA Bd. 27 (1959) S. 99 Anm. 37.

19

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

von den Einzelrechten verbunden mit der selbständigen Abrechnung des Gesamtertrages zwischen den Mitgliedern ermöglicht der GEMA, ihre Aufgaben selbständig zu erfüllen, und läßt ihre wirtschaftliche Eigenbedeutung hervortreten. Ob die GEMA dem GWB unterfällt, läßt sich nicht aus dem Wesen des Urheberrechts ableiten; notwendig ist die Untersuchung der einzelnen Tatbestände des GWB unter Berücksichtigung der Eigenart der Urheberrechte.

2.

Ist die GEMA ein Kartell im Sinne von $ l GWB?

S l GWB erklärt Verträge für unwirksam, die Unternehmen zu einem gemeinsamen Zweck schließen, sofern die Verträge geeignet sind, die Marktverhältnisse für den Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen. Im Gegensatz zum amerikanischen Recht, wonach wettbewerbsbeschränkende Absprachen unabhängig von den beteiligten Rechtssubjekten dem Gesetz unterliegen, ist § l GWB nur auf Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen anwendbar. Auszugehen ist deshalb von der Frage, ob die GEMA auf einem Vertrage zwischen Unternehmen beruht. Der Begriff des Unternehmens ist im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, wie in allen anderen Rechtsgebieten, streitig geblieben. Einigkeit besteht indessen darüber, daß der Begriff des Unternehmens ein Zweckbegriff ist, dessen Inhalt nur im Anschluß an den jeweiligen Gesetzeszweck ermittelt werden kann. Für § l GWB läßt sich daraus folgern, daß Unternehmen jene Rechtssubjekte sind, die in der Erzeugung oder im Verkehr mit Waren oder gewerblichen Leistungen tätig sind, sofern diese Tätigkeit Gegenstand einer Beschränkung des vom Gesetz in § l geschützten freien Wettbewerbs sein kann.46 Das Schrifttum nimmt überwiegend an, daß auch gewerbliche Schutzrechte „Waren oder gewerbliche Leistungen" sein können.47 Für Patente ist die Frage vom 46

47

20

Ähnlich Baumbach-He/erme/!/, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 8. Aufl. 1960, GWB § l Anm. 13; auch Anm. 44; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 232. Grundsätzlich abweichend, Frankfurter Kommentar § l Tz. 3-5; 44-46. Baumbach-He/ermeft/, GWB § l Anm. 16; Müller-Henneberg, Gemeinschaftskommentar, § l Anm. 42; Erugger, WuW 1959, S. 167; offengelassen von Möhringöeberknecht, UFITA Schriftenreihe, Heft 15 (1959) S. 123, 124; für das alte Recht KG, WuW/E OLG 30; Grundmann, NJW 1954 S. 297.

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

Gesetzgeber in § 20 IV durch ausdrückliche Vorschrift entschieden; sowohl Übertragung als auch Lizenzierung können Gegenstand von Kartellverträgen sein. Dagegen ist die Frage für Urheberrechte unter Hinweis auf die Besonderheiten dieses Rechtes teilweise verneint worden.48 Wer annimmt, Urheberrechte und Urheberrechtslizenzen seien keine Waren oder gewerblichen Leistungen, verneint damit auch die Anwendbarkeit der Vorschriften über marktbeherrschende Unternehmen auf Verwertungsgesellschaften. Denn §22 GWB verlangt, daß ein Unternehmen „für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen" ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. Es ist zwar richtig, wie Hefermehl betont, daß der Urheber mit seiner Entscheidung über die wirtschaftliche Verwertung des Urheberrechts auch persönlichkeitsrechtliche Befugnisse ausübt; aber diese Verbindung persönlichkeitsrechtlicher und materieller Befugnisse ist die Eigenart aller „Immaterialgüterrechte". Sie reicht nicht aus, um die Zusammenfassung von Urheberrechten in einer Verwertungsgesellschaft kartellrechtlich zu beurteilen. Die kartellrechtliche Eigenart der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften läßt sich nur anhand der wirtschaftlichen Eigenart derjenigen Rechte erschließen, die auf die Verwertungsgesellschaft übertragen werden. Das führt zunächst zu der Frage, ob die Verwertungsgesellschaft ein Kartell oder ein marktbeherrschendes Unternehmen ist. a) Inhalt des Urheberrechts ist einmal die ausschließliche Befugnis, das Werk zu vervielfältigen und gewerbsmäßig zu vertreiben; dieses Recht übt der Urheber aus, indem er einem Verleger die Verlagsrechte, nämlich die Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung, überträgt. Dieses Recht hat er kraft Gesetzes ausschließlich zu übertragen. §2 Verlagsgesetz bestimmt, daß sich der Verfasser während der Dauer des Vertragsverhältnisses jeder Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes zu enthalten hat, die einem Dritten während der Dauer des Urheberrechts versagt ist. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der Urheber durch die Übertragung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechtes auf den Verleger nicht zum Unternehmer wird. Unternehmer ist allein der Verleger, der die ihm übertragenen Rechte des Urhebers wirtschaftlich auswertet. Soweit der Urheber seine Werke im Selbstverlag vertreibt, nimmt er hingegen un48

Für $17 des Entwurfs eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Nipperäey, NJW 1953 S.883; für §1 GWB Hefermehl, a.a.O. GWB $1 Anm.44.

21

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

ternehmerische Funktionen wahr. Wie das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung dem Verleger übertragen wird, um es wirtschaftlich sinnvoll ausnutzen zu können, so überträgt der Urheber die „ausschließliche Befugnis, das Werk öffentlich aufzuführen", auf die Verwertungsgesellschaft. Die Wahrnehmung dieser Rechte erwies sich für den Urheber und den Verleger als unmöglich. Das gilt jedenfalls von der Zeit an, in der die Musikaufführungsrechte zum Gegenstand gewerblichen und industriellen Massenbedarfs wurden. Die ausschließliche urheberrechtliche Befugnis, urheberrechtlich geschützte Musik öffentlich aufzuführen, unterscheidet sich von dem Inhalt anderer Immaterialgüterrechte insbesondere dadurch, daß eine Rechtsverletzung ohne Verkörperung möglich ist. Wer ein Patent unbefugt benutzt, verkörpert den geschützten Erfindungsgedanken in den mit seiner Hilfe hergestellten Produkten; wer ein Warenzeichen verletzt, gibt diese Verletzung in seinen eigenen Warenbezeichnungen kund; auch wer das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht des Urhebers verletzt, verkörpert das geschützte Werk in einem Schriftwerk. Die Verletzung der Aufführungsrechte an einem Werke der Tonkunst ist nur im Augenblick der Verletzung durch das Ohr wahrnehmbar. Hierauf beruht es, daß die Aufführungsrechte nicht ohne eine besonsondere Überwachungsorganisation wahrgenommen werden können. Der Erwerb von Aufführungsrechten durch die Musikverbraucher verlangt darüber hinaus die Zusammenfassung dieser Rechte in einer Hand. Die amerikanischen Erfahrungen zeigen deutlich, daß es den Musikverbrauchern ohne Blankettlizenzen, die das Gesamtrepertoir geschützter Musik umfassen, praktisch unmöglich wäre, diese Musik zu verwerten. Die Alternative besteht nur darin, auf die Musik zu verzichten oder sie ohne Lizenz, unter Verstoß gegen das Urheberrecht, aufzuführen. Dies sind die Gründe, aus denen die Aufführungsrechte nicht vom Verleger wahrgenommen werden können, sondern einer besonderen Verwertungsgesellschaft übertragen werden. Obwohl die Verleger an den Erträgen dieser Verwertungsgesellschaften zu 50% beteiligt sind, üben sie innerhalb der Gesellschaft keine unternehmerische Tätigkeit aus; sie übertragen der Verwertungsgesellschaft auch keine Urheberrechte; ihre Beteiligung am Ertrag beruht vielmehr ausschließlich auf der Anerkennung des Beitrages, den die Vervielfältigung und Verbreitung eines Werkes für seine Aufführung leisten. Die Ausübung der Aufführungsrechte ist ausschließlich Sache der Verwertungsgesellschaft. Hieraus folgt: Im Verhältnis der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern wird eine wirtschaftliche Tätigkeit ausschließlich von der Gesellschaft ausgeübt. 22

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

b) Die Verselbständigung der wirtschaftlichen Ausnutzung der Aufführungsrechte zeigt sich nicht nur im Außenverhältnis zu den Musikverbrauchern; sie tritt ebenso im Innenverhältnis der Mitglieder zu dem Verein hervor. Die Verteilung des Aufkommens der GEMA zwischen den Mitgliedern nach Maßgabe des Verteilungsplanes beruht seitens der Mitglieder auf der Anerkennung, daß der Verein primär nicht individuelle Urheberrechte, sondern das Gesamtrepertoir verwertet. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Einzelrecht und Vergütung besteht nur insofern, als die Häufigkeit der Aufführung des Musikwerkes bei der Berechnung der Verteilungssumme berücksichtigt wird. Ein ebenso wichtiges Element der Ausschüttung an die einzelnen Urheber ist jedoch die interne Bewertung der verschiedenen Musikarten, wie sie in dem Verrechnungsschlüssel des Verteilungsplanes zum Ausdruck kommt.49 In § 3 des Verteilungsplanes ist der Grundsatz formuliert: „Bei der Verteilung werden bis auf die Tonfilmaufführungen sowohl die materiellen als auch die kulturellen Werte der Werke berücksichtigt." Für den Anteil des einzelnen Urhebers am Ertrag der GEMA ist also nicht allein entscheidend, welchen Beitrag das einzelne Werk zu dem Gesamtaufkommen der GEMA geleistet hat; dieser Anteil beruht vielmehr genauso auf der satzungsgemäßen Bewertung und der daraus folgenden Relation der Werke der Mitglieder zueinander. Die aufgezeigte Verselbständigung der Urheberrechte im Gesamtrepertoir gegenüber den Musikverbrauchern und im Verteilungsmodus gegenüber den Mitgliedern ist kartellrechtlich zu erfassen. Zunächst ergeben sich wesentliche Unterschiede gegenüber den Patentgemeinschaften, mit denen die Verwertungsgesellschaft die Zusammenfassung gewerblicher Schutzrechte in einer Hand gemeinsam hat. Die Parallele spielt im amerikanischen Schrifttum eine Rolle; sie hat offenbar auch dazu geführt, als das kartellrechtlich allein entscheidende Merkmal der Verwertungsgesellschaft die Ausschließlichkeitsklausel in den Berechtigungsverträgen zu betrachten.50 Für Patentpools wird im Schrifttum überwiegend die Ansicht vertreten, daß die Ausschließlichkeitsklausel die Patentgemeinschaft zum Kartell im Sinne von § l GWB macht.51 49 50 51

Abgedruckt bei Schulze, Urheberrecht in der Musik, 1956, S. 165 ff. Erugger, WuW 1959, S. 168. Überblick über das Schrifttum bei Reimer, Gemcinschaftskommentar, $20 Anm. 19; Lieberknecht, Patente, Lizenzverträge und Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen, 1953, S. 250 ff. 23

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

Überträgt man diesen Gesichtspunkt auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften, so wird ein wesentlicher Unterschied übersehen. In aller Regel sind Mitglieder einer Patentgemeinschaft ihrerseits Unternehmen, welche nach den in der Gemeinschaft zusammengefaßten Patenten arbeiten. Das Patentrecht gewährt (§ 3 Pat.Ges.), im Gegensatz zum Urheberrecht auch die ausschließliche Befugnis, den geschützten Gegenstand herzustellen und zu gebrauchen. Übertragen also die Mitglieder der Gemeinschaft ausschließliche Lizenzen, so entscheidet fortan die Gemeinschaft darüber, welche weiteren Unternehmen auf dem durch die Patente erfaßten wirtschaftlichen Gebiet tätig sein dürfen. Die kooperative Marktbeeinflussung folgt schon daraus, daß die in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Unternehmen gemeinsam auf den von den Patenten erfaßten wirtschaftlichen Gebieten tätig sind und gemeinsam, nicht mehr individuell, über die Zulassung neuer Wettbewerber entscheiden. Im Falle der Patentgemeinschaft besteht mithin eine enge und notwendige Verbindung zwischen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der beteiligten Unternehmen und den von ihnen übernommenen Verpflichtungen. Es ist der marktregelnde Einfluß dieser Gemeinschaften auf die den Mitgliedern gemeinsame wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von § l GWB führt. Eine solche Beziehung zu der eigenen unternehmerischen Tätigkeit der Urheber fehlt jedoch bei den Verwertungsgesellschaften. Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit in Ansehung der geschützten Werke liegt bei der Verwertungsgesellschaft. Das ist das Kennzeichen eines selbständigen Unternehmens, nicht das eines Kartells. c) Die Abgrenzung zwischen marktregelnden Verträgen selbständig bleibender Unternehmen und dem Zusammenschluß zu einem Einheitsunternehmen wird im deutschen Recht in der Regel für die Abgrenzung von Kartell und Konzern praktisch. Diese Parallele zum Recht der Verwertungsgesellschaften ziehen auch Möhring-Lieberknecht.52 Daß diese Abgrenzung auch dem GWB zugrunde liegt, zeigen die §§22, 23. Im kartellrechtlichen Schrifttum pflegt man Kartelle als Verträge zwischen wirtschaftlich selbständig bleibenden Unternehmen zu bezeichnen.53 Die Abgrenzung ist im deutschen Recht wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen unerläßlich. Die andere Rechtslage in den Vereinigten Staaten erklärt sich nicht zuletzt daraus, daß die umfassende Zuständigkeit der Gerichte im Verfahren der equity nach Section 4 Sherman Act durch 52 53

24

UFITA Schriftenreihe, Heft 15 (1959) S. 117 ff. Überblick im Frankfurter Kommentar, $ l Tz. 38.

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

jeden Gesetzesverstoß ausgelöst wird, ohne daß eine unmittelbare und feststehende Verbindung zwischen Gesetzesverstoß und Sanktion besteht (im einzelnen oben S. 13 ff.). Der Unterschied zwischen Kartell und Konzern ist im deutschen Recht deshalb grundlegend, weil das Gesetz nur den vertraglichen Verzicht eines Unternehmens auf seine Wettbewerbsfreiheit für unwirksam erklärt und ein Hinwegsetzen über die Unwirksamkeit des Vertrages mit Ordnungsstrafen bedroht. Auch abgesehen von dem aus § 23 zu entnehmenden Umkchrschluß verbieten es Inhalt und Zweck des Gesetzes, §§I, 38 Ziffer l auf den konzernmäßigen Zusammenschluß von Unternehmen anzuwenden. Der Konzern schließt die beteiligten Unternehmen zu einer neuen Wirtschaftseinheit zusammen. „Das Unternehmen der beherrschten Gesellschaft wird durch die ,einheitliche Leitung' des Konzerns, verbunden mit der Eingliederung der Tochtergesellschaft in das Unternehmen der herrschenden Gesellschaft, vernichtet. Die Konzernierung beseitigt die Fähigkeit der beherrschten Gesellschaft, nach einem eigenen Wirtschaftsplan zu handeln. ,Datum4 ist für die eingegliederte Gesellschaft nicht der Markt, sondern die Weisung des Konzerns."34 Soweit dieser Tatbestand in der Form von Konzernverträgen auftritt, sanktionieren die Verträge nur die auf Grund gesellschaftsrcchtlicher Beziehungen ohnehin begründete wirtschaftliche Einheit. Kennzeichen des Kartells ist es dagegen, daß die Freiheit der Wirtschaftsplanung der beteiligten Unternehmen im Wettbewerb in einzelnen Beziehungen durch Vertrag eingeschränkt wird. Es ist unrichtig, das Kennzeichen der kollektiven Wettbewerbsbeschränkung in der „Beseitigung der selbständigen Willensbildung bei der Aufstellung von Wirtschaftsplänen" zu sehen.55 Das ist die Eigenart der Konzerne, nicht die der Kartelle, und zwar auch nicht die der Kartelle höherer Ordnung. Denn auch beim Syndikat bleibt die Freiheit der Wirtschaftsplanung zum Beispiel in Ansehung der Finanzierung, der Investitionen und der Art und Weise der Produktion erhalten. Der innere Grund für die unterschiedliche Behandlung von Kartell und Konzern liegt darin, daß die Lösung einer möglicherweise wettbewerbsbeschränkenden, vertraglichen Bindung innerhalb von Konzernen nicht geeignet ist, den beteiligten Unternehmen die vom Gesetz erstrebte 54

55

Mestmäcker, Verwaltung, Konzcrngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958, S. 303. So Britgger, WuW 1959, S. 166. 25

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

Handlungsfreiheit im Wettbewerb zurückzugeben. Die Wettbewerbsbeschränkung beruht auch innerhalb von Vertragskonzernen auf der gesellschaftsrechtlich begründeten Weisungsmacht der Konzernspitze, nicht auf einer möglicherweise zwischen den Konzerngesellschaften ergänzend bestehenden vertraglichen Wettbewerbsregelung. Im Konzern werden nicht die Wirtschaftspläne mehrerer Unternehmen koordiniert, sondern aus dem einheitlichen Wirtschaftsplan entsteht eine neue Unternehmenseinheit. Bei den urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften ist die Zusammenfassung der unternehmerischen Tätigkeit in einem einheitlichen Unternehmen vergleichsweise noch weiter fortgeschritten als im Konzern. Als wirtschaftliche, unternehmerische Tätigkeit der Urheber kommt nur die Verwertung der Aufführungsrechte in Betracht. Diese Tätigkeit wird aber mit dem Beitritt zur Verwertungsgesellschaft im ganzen auf diese übertragen. Während die Konzernmitglieder nach Art von Betriebsabteilungen arbeiten und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, bleibt bei den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft auch kein unselbständiger Teil wirtschaftlicher Funktionen zurück.

3.

Ist die GEMA ein marktbeherrschendes Unternehmen?

Wir haben festgestellt, daß die GEMA alle wirtschaftlichen und unternehmerischen Funktionen ausübt, die aus der Wahrnehmung von Aufführungsrechten entstehen. Ist sie auch ein marktbeherrschendes Unternehmen im Sinne von § 22 GWB? Damit kehren wir zu der bereits unter III 2 gestellten Frage zurück: Sind die Aufführungsrechte, welche die GEMA an Musikverbraucher vergibt, Waren oder gewerbliche Leistungen? Hier wie bei § l GWB ist der Inhalt des Begriffs nur aus dem Zweck der Vorschrift zu erschließen. Daß auch gewerbliche Schutzrechte und Lizenzen Waren oder gewerbliche Leistungen sein können, wurde bereits ausgeführt (vgl. oben Seite 31). Im Schrifttum herrscht darüber hinaus die Ansicht vor, daß der Begriff „Waren" nicht nach Handelsrecht und der Begriff „gewerbliche Leistungen" nicht nach den Maßstäben des Gewerberechts abgegrenzt werden können.56 Ausschlaggebend muß für die Abgrenzung sein, ob es für einen Gegenstand einen Markt gibt; hierüber entscheidet nicht die 56

26

Both, WRP 1956 S. 262; Rasch, §1 Antn. 101 Baumbach-He/ermeW, GWB $1 Anm. 44; anderer Ansicht aber Frankfurter Kommentar, $ l Tz. 44, 46.

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

Zweckbestimmung desjenigen, der Waren oder Leistungen anbietet, sondern die Zweckbestimmung der Marktgegenseite.57 Das folgt bereits aus dem Umstand, daß das GWB auch gemeinnützige Unternehmen der öffentlichen Hand seinen Vorschriften unterstellt (§ 98, Abs. l GWB). Hiernach kommt es auf die Eigenart des „Gewerbebetriebes", in dem gewerbliche Leistungen erbracht werden, nicht an. Demgemäß schließt die Tatsache, daß die GEMA ein gemeinnütziger Verein ist, die Anwendbarkeit des § 22 nicht aus. Nach den angeführten Kriterien ist anzunehmen, daß die von der GEMA verwerteten Aufführungsrechte „Waren oder gewerbliche Leistungen" sind, für die es einen Markt gibt. Denn die Rechte zur Aufführung geschützter Musik sind, wie eingangs erwähnt, zum Gegenstand des gewerblichen und industriellen Massenbedarfs geworden. Diese Nachfrage wird von der GEMA befriedigt; daraus entsteht ein Markt für musikalische Aufführungsrechte. Die GEMA kann ihre Aufgaben gegenüber den Mitgliedern und gegenüber den Musikverbrauchern nur erfüllen, wenn sie den überwiegenden Teil der geschützten Musik innehat. Hierauf beruht es, daß sie als Anbieter auf ihrem Markt „keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt" ist und den Tatbestand des $22 I erfüllt. Die wirtschaftliche Macht der gegenüberstehenden Marktseite schließt den Tatbestand der Marktbeherrschung nach dem Gesetz nicht aus. Nipperdey58 wollte für § 17 des Entwurfs eines GWB die marktbeherrschende Stellung der GEMA mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Macht und die öffentliche Bedeutung ihrer Kontrahenten ablehnen, weil die GEMA nicht in der Lage sei, ihre Preise zu gestalten oder einheitlich zu bestimmen. Der Entwurf enthielt noch die Vorschrift, daß ein Unternehmen „insbesondere" marktbeherrschend war, wenn es in der Lage war, seine Preise ohne wesentliche Rücksichtnahme auf Wettbewerber zu gestalten. Mochte man aus dem Wort „gestalten" ableiten, daß auch der marktbeherrschende Einfluß der Gegenseite die Marktbeherrschung ausschließen konnte; nach der Gesetz gewordenen Fassung des §22 scheidet eine solche Auslegung aus. Gleichwohl ist die wirtschaftliche Macht der Vcr57

58

So mit Recht Bartholomeyczik, Gemeinschaftskommentar, § 22 Anm. 19, 20; anderer Ansicht wohl Möhring-Lieberknecht, UFITA Schriftenreihe Heft 15 (1959) S. 123,124, die meinen, daß Einmütigkeit über die gegenteilige Ansicht bestehe. NJW 1953 S. 883. 27

1. Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle?

tragsgegner der GEMA auch nach geltendem Recht nicht bedeutungslos. Soweit die GEMA Unternehmen gleicher oder größerer Marktmacht gegenübersteht59, wird ein Machtmißbrauch gegenüber diesen Unternehmen ausgeschlossen sein. Die marktbeherrschende Stellung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein funktionsfähiger Wettbewerb wegen der Eigenart der von der GEMA ausgeübten Rechte selbst dann nicht entstehen würde, wenn die GEMA nicht marktbeherrschend wäre.60 Daraus ist zu entnehmen, daß die Aufführungsrechte sinnvoll nur von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden können. „Natürlich übersieht kein Mensch", so hatKronstein61 zu den Aufgaben der Verwertungsgesellschaften bemerkt, „daß hier ein Unterschied zum Patentrecht besteht, da in der Tat die Beaufsichtigung des Unterhaltungsgewerbes bezüglich etwaiger Verletzung der Urheberrechte nur durch eine Kollektivarbeit möglich ist." Dieser Tatbestand schließt zwar die Marktbeherrschung nicht aus, aber sie zeigt auch, daß die Zusammenfassung der Urheberrechte in einer Hand nicht als solche mißbräuchlich ist. Die materiell wichtigste Vorschrift für marktbeherrschende Unternehmen ist das Diskriminierungsverbot in § 26II GWB. Wir haben gesehen, daß auch das consent decree im ASCAP-Fall das Prinzip der Nichtdiskriminierung in den Mittelpunkt stellte. Diejenige Wirkung des Diskriminierungsverbots, die am tiefsten in die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen eingreift, nämlich der Kontrahierungszwang, ist von der GEMA bereits in ihrer Satzung anerkannt. § 2 der Satzung lautet: „Der Verein ist berechtigt, denjenigen, die diese Rechte benutzen wollen, die hierzu notwendige Genehmigung zu erteilen. Der Verein ist hierzu verpflichtet, wenn die erforderliche Gegenleistung erfolgt, es sei denn, daß die Erteilung der Genehmigung der Wahrung berechtigter Interessen des Vereins oder der Berechtigten widerspricht." Die von der GEMA mit ihren Mitgliedern satzungsgemäß abgeschlossenen Berechtigungsverträge unterfallen nicht den Vorschriften, die das Gesetz für marktbeherrschende Unternehmen erlassen hat. Diese Vorschriften regeln allein das Marktverhalten der GEMA gegenüber Dritten. 59 60 61

28

Vgl. dazu die Hinweise bei Erich Schulze, Recht und Unrecht, 1954, S. 25/26. Hierzu Nipperdey, a. a. O.; auch Möhring-Lieberknecht, UFITA Schriftenreihe Heft 15 (1959) S. 99 ff. Neue deutsche wirtschaftsrechtliche Entscheidungen im Lichte des amerikanischen Antitrustrechts, 1953 S. 11.

III. Die Beurteilung der GEMA nach dem GWB

Die Berechtigungsverträge sind dagegen Teil der internen Unternehmensorganisation; für das Rechtsverhältnis der GEMA gelten allein das Vereinsrecht und die satzungsgemäßen Rechte und Pflichten der Beteiligten; das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen dagegen ist auf die Organisation eines marktbeherrschenden Unternehmens unanwendbar. Abschließend sei auf den grundlegend verschiedenen Ausgangspunkt der Behandlung marktbeherrschender Unternehmen im amerikanischen und im deutschen Recht hingewiesen. Das amerikanische Recht sieht in den Grenzen des Aluminium-Falles - in der gewollt erworbenen Monopolmacht einen gesetzwidrigen Tatbestand. Im deutschen Recht begründet der Erwerb oder das Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung keinen Gesetzesverstoß. Um so überraschender muß es sein, daß die Lösung, die das amerikanische Recht im Wege des consent decree für die Behandlung der ASCAP entwickelt hat, in den Grundzügen mit den besonderen Pflichten übereinstimmt, welche die GEMA für sich selbst anerkennt oder die sie als marktbeherrschendes Unternehmen nach dem GWB treffen. Man wird darin einen wichtigen Anhaltspunkt sehen können, daß die aus den Einzelvorschriften des geltenden Rechts gewonnenen Ergebnisse sachgerecht sind. Mit der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zum GWB ist zusammenfassend festzustellen, daß die GEMA als marktbeherrschendes Unternehmen, nicht als Kartell zu beurteilen ist.

29

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt Zum Grammophon-Urteil des Europäischen Gerichtshofs Das Grammophon-Urteil des Europäischen Gerichtshofes1 hat Rechtsgrundsätze formuliert, die für die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes, für das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht, besonders für das Urheberrecht und das Recht des gewerblichen Rechtsschutzes (im folgenden Schutzrechte genannt) von weittragender, im einzelnen noch nicht absehbarer Bedeutung sind. Der theoretischen und praktischen Bedeutung des Urteils entspricht die Gegensätzlichkeit der Reaktionen im Schrifttum. Koppensteiner meint, der Gerichtshof habe nur klargestellt, was bei sachgemäßer Auslegung des deutschen Patent- und Urheberrechts ohnehin geltendes Recht sei.2 Nach anderer Meinung hat die entschädigungslose Enteignung der Patente und Urheberrechte durch den Gerichtshof bereits stattgefunden.3 Die daraus abgeleitete Forderung, die Urteile des Gerichtshofes auf ihre Übereinstimmung mit den Grundrechten zu überprüfen, läßt sich anhand der dafür zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht begründen. Das Gericht hat vielmehrinFortführungseinesUrteilsvom 18.10.19674erneutdie Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung und ihren Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht betont: „Art. 24 Abs. l GG besagt bei sachgerechter Auslegung nicht nur, daß die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen überhaupt zulässig ist, sondern auch, daß die Hoheitsakte ihrer Organe wie hier das Urteil des EuGH vom ursprünglich ausschließlichen Hoheitsträger anzuerkennen sind."5

1 2

3 4 5

EuGH, 8.6.1971, Deutsche Grammophon GmbH gg. Metro-SB-Großmärkte, 78/70 Slg. XVII/1971, 487. Urheber- und Erfinderrechte beim Parallelimport geschützter Waren, AWD 1971, 357. Vgl. auch Emmerich, Die gewerblichen Schutzrechte im Gemeinsamen Markt, Der Betrieb 1972, 1275 ff.; 1325 ff. Kroitsch, Hat die entschädigungslose Enteignung der Patente und Urheberrechte bereits stattgefunden?, BB 1972, 424. BVerfGE, 22, 293, 296. Beschluß vom 9.6.1971 Europarecht 1972, 51 m. Anm. von Ipsen. 31

2. Das Ende der Schutzrechtsgrcnzen im Gemeinsamen Markt

Daraus folge die Verpflichtung der deutschen Gerichte, solche Rechtsvorschriften anzuwenden, die aufgrund ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im innerstaatlichen Raum unmittelbare Wirkung entfalteten und entgegenstehendes nationales Recht überlagerten und verdrängten. Denn nur so könnten die den Bürgern des Gemeinsamen Marktes eingeräumten subjektiven Rechte verwirklicht werden. Ipsen hat in der Anmerkung zu dem Urteil mit Recht hervorgehoben, daß das Bundesverfassungsgericht den noch im Beschluß vom 18.10.1967 gemachten Vorbehalt hinsichtlich der Grundrechtsnormen nicht wiederholt hat.6 Im hier erheblichen Zusammenhang genügt indessen die Feststellung, daß es sich ganz unabhängig vom Verhältnis der Rechte nicht um eine entschädigungspflichtige Enteignung handelt, wenn der Gerichtshof aus dem Gemeinschaftsrecht Rechtsfolgen ableitet, die der deutsche Gesetzgeber ohne Verstoß gegen Art. 14 GG durch einfaches Gesetz normieren könnte. Es ist bisher unstreitig gewesen, daß die Frage, inwieweit Auslandssachverhalte im Bereich des Urheberrechts oder der gewerblichen Schutzrechte erheblich sind, vom deutschen Gesetzgeber ohne Verstoß gegen Art. 14 GG geregelt werden kann.7 Das Grammophon-Urteil führt die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Verhältnis von Bestand und Ausübung der Schutzrechte weiter (dazu unter I), es begrenzt die Ausübung der Rechte anhand eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der den Vorschriften über den freien Warenverkehr und insbesondere Art. 36 EWG-Vertrag entnommen wird, um die Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt aufzuheben oder doch durchlässig zu machen (dazu unter II), und das Urteil gibt schließlich wichtige Hinweise auf die Auslegung von Art. 86 EWG-Vertrag (dazu unter III).

I.

Bestand und Ausübung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

1.

Überblick über die Rechtsprechung des Gerichtshofes

Der Einfluß des Vertrages von Rom auf Bestand und Ausübung von Schutzrechten ist zunächst im Zusammenhang mit Art. 36 EWG-Vertrag 6 7

32

A.a.O., 58. Zur Rechtsprechung der deutschen Gerichte, zu den hier erheblichen Fragen im einzelnen vgl. unten S. 39 ff.

I. Bestand und Ausübung von gewerblichen Schutzrechten

erörtert worden. Ihrem Wortlaut nach enthält die Vorschrift eine begrenzte Ausnahme von den Vorschriften über den freien Warenverkehr, indem sie Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote oder -Beschränkungen erlaubt, die aus Gründen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Ausnahme steht unter dem Vorbehalt, dais1 die Verbote oder Beschränkungen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung, noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen dürfen. Die Herkunft der Vorschrift aus dem Recht der mengenmäßigen Beschränkungen im GATT ist unverkennbar. Art. 20 GATT lautet in bezug auf die hier interessierenden Schutzrechte: „Unter dem Vorbehalt, daß die folgenden Maßnahmen nicht so angewendet werden, daß sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen, darf keine Bestimmung dieses Abkommens so ausgelegt werden, daß sie eine Vertragspartei daran hindert, Maßnahmen zu beschließen oder durchzuführen, die zur Anwendung von Gesetzen oder sonstigen Vorschriften erforderlich sind ... einschließlich der Bestimmungen über den Schutz von Patenten, Warenzeichen und Urheberrechten sowie über die Verhinderung irreführender Praktiken." Die Vorschrift ist im Rahmen des GATT nicht praktisch geworden.8 Aus Art. 36 in Verbindung mit Art. 222, der einen generellen Vorbehalt zugunsten der Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten enthält, hat man zunächst eine Bereichsausnahme für die Anwendbarkeit der Vertragsvorschriften einschließlich der Wettbewerbsregeln auf die dort genannten Rechte abgeleitet.9 Der Gerichtshof hat Art. 36 dagegen den Grundsatz entnommen, daß der EWG-Vertrag zwar den Bestand der Rechte aufgrund des staatlichen Rechts unberührt gelassen habe, daß er aber ihre Ausübung regeln und in Übereinstimmung mit den Zielen des Vertrages begrenzen könne. Bereits im Grundig-Consten-Urteil 10 heißt es, die Art. 36, 222 und 234 schlössen nicht jeglichen Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Ausübung der gewerblichen Schutzrechte des inner8

9 10

Vg\.]ackson, World Trade and the Law of GATT, 1969, $ 19, 511/512; das gilt auch für die in Art. 9 GATT enthaltene Vorschrift über den Gebrauch irreführender Herkunftszeichnungcn. Vgl. etwa Götzen, Gewerblicher Rechtschutz und Gemeinsamer Markt, GRUR Int. 1958, 224. 13.7.1966, Grundig-Consten gg. Kommission, 56 und 58/64 Slg. 1966/XII, 394. 33

2. Das Ende der Schutzrcchtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

staatlichen Rechts aus. Insbesondere schränke Art. 36 zwar den Anwendungsbereich der Vorschriften über den freien Warenverkehr, nicht aber den des Art. 85 ein. Die in diesem Urteil für das Warenzeichenrecht entschiedene Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die rechtsgeschäftliche Verwertung von Schutzrechten gehört inzwischen zur gefestigten Praxis des Gerichtshofes. Im Parke-Davis-Urteil11 heißt es zum Patentrecht: „Im Bereich der Vorschriften über den freien Warenverkehr sind Verbote und Einfuhrbeschränkungen, die zum Schutz des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt sind, nach Art. 36 zulässig, jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung, noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitglied Staaten darstellen dürfen. Aus ähnlichen Gründen bedeutet die Ausübung der Rechte aus einem nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates erteilten Patent für sich allein keinen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages." Sodann prüft der Gerichtshof, ob die Tatbestandsmerkmale von Art. 85, 86 erfüllt sind, wobei ausdrücklich hervorgehoben wird, daß ein Patent oder seine Ausübung als solche noch keinen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln enthalten. Eine Fortsetzung und Konkretisierung dieser Rechtsprechung brachte das überaus wichtige Sirena-Urteil.12 Ein italienisches Unternehmen hatte im Jahre 1937 ein Warenzeichen von einem amerikanischen Hersteller kosmetischer Erzeugnisse erworben. Das Warenzeichen war nach italienischem Recht wirksam entstanden. Eine ähnliche Vereinbarung hatte das amerikanische Unternehmen mit einem deutschen Hersteller geschlossen. Das klagende italienische Unternehmen wendete sich wegen Verletzung seines italienischen Warenzeichens gegen die Einfuhren von Waren aus der Bundesrepublik, die hier mit demselben Zeichen versehen worden waren. Der Gerichtshof bejahte im Vorlageverfahren nach Art. 177 die Anwendbarkeit von Art. 85. Art. 36 gehöre zwar zu dem Kapitel über die mengenmäßigen Beschränkungen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten, er sei aber Ausfluß eines Grundsatzes, der im Wettbewerbsrecht in dem Sinne Anwendung finden könne, daß die von der Gesetzgebung eines Mitgliedstaates anerkannten gewerblichen Schutzrechte zwar durch die Art. 85, 86 des Vertrages in ihrem Bestand nicht berührt würden, daß aber ihre Ausübung unter die in diesen Vorschriften ausgesprochenen Verbote fallen könne.13 Es sei in jedem 11 12 13

34

EuGH, 29.2.1968, Parke, Davis gg. Probd u. andere, 24/67 Slg. 1968/XIV, 111. EuGH, 11. 2.1971, Sirena gg. EDA, 40/70 Slg. 1971/XVII, 69. A.a.O., 82.

I. Bestand und Ausübung von gewerblichen Schutzrechten

Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 85 vorlägen: „Art. 85 ist daher auf den Fall, daß die Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten stammender, das gleiche Warenzeichen tragender Erzeugnisse unter Berufung auf das Zeichenrecht verhindert wird, anwendbar, wenn die Zeicheninhaber dieses Zeichen oder das Recht zu seiner Benutzung durch Vereinbarungen untereinander oder mit Dritten erworben haben."14 Damit erstreckte der Gerichtshof den Anwendungsbereich von Art. 85 über den im Grundig-Consten-Fall behandelten Mißbrauch von Warenzeichen zu Zwecken der Wettbewerbsbeschränkung auf die marktabschließenden Wirkungen, die im Zusammenhang mit einer vertraglichen Übertragungsvereinbarung aus der Ausübung des Warenzeichenrechts folgen. Im Schrifttum wird die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Ausübung von Schutzrechten weithin mit der Frage identifiziert, welche Auswirkungen das Gemeinschaftsrecht auf die Ausübung dieser Rechte überhaupt haben könne. Diese Verbindung liegt vor allem in der Bundesrepublik nahe, weil das deutsche Recht, das als einziges Recht der Mitgliedstaaten eine ausdrückliche Regelung der Wettbewerbsbeschränkungen in Patentlizenzverträgen enthält, dabei an den Inhalt der Schutzrechte anknüpft. Nach $ 20 Abs. l GWB sind Verträge über den Erwerb oder die Benutzung von Patenten, Gebrauchsmustern oder Sortenschutzrechten unwirksam, soweit sie dem Erwerber oder Lizenznehmer Beschränkungen im Geschäftsverkehr auferlegen, „die über den Inhalt des Schutzrechts hinausgehen". Die damit scheinbar vorgegebene Identität von erlaubten Beschränkungen und Inhalt der Schutzrechte hat auch die erste Auslegungsbekanntmachung der Kommission zur Beurteilung von Patentlizenzverträgen vom 24.12.1962 beeinflußt 13 . Schon die angeführten Urteile zeigen, daß der Gerichtshof über die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln allein anhand der Tatbestandsmerkmale der Art. 85, 86 urteilt, die Unterscheidung des deutschen Rechts also nicht übernommen hat.16 Auch die EWG-Kommission hat sich in ihrer ersten Entscheidung über die Beurteilung von Patentlizenzverträgen von den Kriterien der Auslegungsbekanntmachung ge14 15

16

A.a.O., 83. ABI. EG 1962, 2922.

Dagegen mit überzeugender Begründung schon Wertheimer, Das Territorialitätsprinzip im Patent- und Warenzeichenrecht und seine Bedeutung für das EWG-Kartell recht, Gewerbliche Schutzrechtc im EWG-Kartellrccht, IV. Kartellrechtsform Brüssel 1970, 175. 35

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

löst.17 Die Kommission prüft nämlich, ob eine ausschließliche Herstellungslizenz unter Art. 85 Abs. l fällt, obwohl in der Auslegungsbekanntmachung die Gesetzmäßigkeit von ausschließlichen Lizenzen angenommen wurde.18 Von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Ausübung von Schutzrechten, falls die Tatbestandsmerkmale der Art. 85, 86 erfüllt sind, zu unterscheiden ist die gemeinschaftsrechtliche Begrenzung der Rechtsausübung nach den Vorschriften über den freien Warenverkehr. Das Grammophon-Urteil stellt klar, daß sich eine Begrenzung für die Ausübung gewerblicher Schutzrechte nicht nur aus den unmittelbar anwendbaren Wettbewerbsregeln ergeben kann, sondern auch aus den Vorschriften über den freien Warenverkehr. Bevor auf diesen Teil des Urteils eingegangen wird, ist es zweckmäßig, auf die in diesem Zusammenhang auftretenden Abgrenzungsfragen im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln einzugehen.

2.

Zur Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Ausübung von Schutzrechten

Über das Verhältnis von Bestand und Ausübung der Rechte, von Schutzrechten und Kartellrecht, von Gemeinschaftsrecht und staatlichem Recht bestehen auch zwischen denjenigen Autoren unterschiedliche Auffassungen, die der Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich zustimmen. a) Koch/Froschmaier19 haben in einer wegweisenden Untersuchung die Rechtsprechung des Gerichtshofes, besonders das hier zu erörternde Grammophon-Urteil, vorbereitet. Sie leiten die Grenzen des Patentschutzes im Gemeinsamen Markt aus den wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen ab, die in Art. 85, 86 verwirklicht seien. Sie prüfen deshalb, inwieweit unabhängig von dem Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Wettbewerbsregeln im einzelnen die Geltendmachung eines patentrechtlich begründeten Verletzungsanspruches gegen das inländische Inverkehrbringen eines aus einem anderen Mitgliedstaat mit Parallelschutz stammenden Erzeugnisses mit den Wett17

18 19

Negativattest 22.12.1971, Burrotighs/GEHA, ABI. EG L 13/50 17.1.1971.

Grundlegend zur ausschließlichen Lizenz neuerdings Norbert Koch, Die Bindungswirkung der Exklusivlizenz, BB 1972, 97. Patentgesetze und Territorialitätsprinzip im Gemeinsamen Markt, GRUR Int. 1965, 121.

I. Bestand und Ausübung von gewerblichen Schutzrechten

bewerbsgrundsätzen des Rom-Vertrages vereinbar sei. Koch/Froschmaier kommen zu dem Ergebnis, daß es nicht Sinn des Patentrechts sein könne, dem Inhaber paralleler Schutzrechte soviele Belohnungsmöglichkeiten für ein und dasselbe Erzeugnis zu gewähren wie er Schutzrechte besitze. Dies sei mit dem Zweck des Patentrechts ebenso unvereinbar wie mit den Zwecken des Gemeinsamen Marktes. Das Recht aus dem Patent erstrecke sich deshalb nicht auf Gebrauch oder Vertrieb von Erzeugnissen, die im Geltungsbereich paralleler Schutzrechte des Patentinhabers oder eines mit ihm wirtschaftlich verbundenen Dritten durch diese selbst, durch ihre Lizenznehmer oder sonstwie im Einvernehmen mit ihnen in Verkehr gebracht worden seien. Dem ist der Gerichtshof im Grammophon-Urteil in wesentlichen Beziehungen gefolgt. Koch/Froschmaier meinen jedoch, diese Rechtsgrundsätze beanspruchten notwendig Priorität vor der unmittelbaren Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln. Norbert Koch hat mit dieser Begründung gegen das Grundig-Consten-Urteil und gegen das Parke-Davis-Urteil des Gerichtshofes eingewendet20, innerhalb ein und derselben Hierarchie von Rechtsnormen könne es keine ungelöste Kollision in der rechtspolitischen Zielsetzung mehrerer Gesetze geben. Sie müsse durch Auslegung oder notfalls durch verfassungsgerichtliche Entscheidung beseitigt werden. Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, warum es in der Verfassungsstruktur der Gemeinschaft ein aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung abgeleitetes Gebot der generellen Widerspruchslosigkeit der Normen im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zum staatlichen Recht nicht gibt.21 Das Gemeinschaftsrecht wirkt durch die unmittelbare Anwendbarkeit seiner Normen, durch die Rechtsangleichung, durch Konventionen und durch gemeinschaftskonforme Auslegung auf das staatliche Recht ein. Für diese verschiedenen Modalitäten des Zusammenwirkens der Rechtsordnungen lassen sich keine logischen Prioritäten ableiten. Die Wettbewerbsregeln sind deshalb auf die Ausübung und die rechtsgeschäftliche Verwertung von Schutzrechten bei Vorliegen ihrer tatbestandsmäßigen Voraussetzungen anwendbar, ohne daß zuvor darüber entschieden werden muß, inwieweit der Inhalt der staatlichen Patentrechte und die Art ihrer Ausübung mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind. b) Hermann Schumacher hit in Auseinandersetzung mit dem Parke-DavisUrteil des Gerichtshofes die Meinung vertreten, ein Verstoß gegen die 20 21

Urtcilsanmcrkung AWD 1968, 185. Im einzelnen Mestmäcker, Die Vermittlung von europäischem und nationalem Recht im System unverfälschten Wettbewerbs, 1969,104 ff. 37

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

Wettbewerbsregeln sei nur möglich, wenn zuvor festgestellt werde, daß die Ausübung des Schutzrechts ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder zur verschleierten Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels darstelle.22 Schröter2'3 sieht im Grammophon-Urteil eine endgültige Bestätigung dieser Auffassung. Stets sei vorab zu prüfen, ob die Rechtsausübung für den Bestand des Schutzrechts unerläßlich erscheine; wenn das nicht der Fall sei, könnten die Verbote der Art. 85,86 eingreifen. Der Gerichtshof hat im Grammophon-Urteil in Übereinstimmung mit seiner früheren Rechtsprechung jedoch zweifelsfrei entgegengesetzt argumentiert. Zunächst sei zu prüfen, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Art. 85 vorlägen, und wenn das nicht der Fall sei, komme auch die Anwendbarkeit der Vorschriften über den freien Warenverkehr in Betracht: „Falls jedoch eine derartige Rechtsausübung die zum Tatbestand des Art. 85 EWG-Vertrag gehörenden Merkmale der Vereinbarung oder Abstimmung nicht erfüllt, erfordert die Beantwortung der Frage die weitere Prüfung, ob die Ausübung des fraglichen Schutzrechts nicht gegen andere Vertragsvorschriften, insbesondere diejenigen über den freien Warenverkehr, verstößt."24 Hierbei handelt es sich nicht in erster Linie um die Priorität positivierter Normen vor einem durch Auslegung ermittelten Rechtsgrundsatz. Maßgeblich ist, daß die Prüfung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Wettbewerbsregeln nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die Würdigung von rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtzusammenhängen fordert, in denen ein Vertrag oder eine Verhaltensweise im Hinblick auf ihre Wettbewerbswirkungen zu sehen ist. Diese Prüfung könnte durch die engeren Tatbestandsmerkmale von Art. 36 präjudiziert werden. Die Gründe, aus denen der Inhalt des Schutzrechts im Sinne des deutschen Rechts nicht geeignet ist, den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln sachgemäß abzugrenzen, sprechen auch gegen die Koppelung der tatbestandsmäßigen Vorausset22

23 24

38

Gedanken zur Entscheidung Parke-Davis des Europäischen Gerichtshofes vom 29.2.1968 und zur Entscheidung , Voran' des Bundesgerichtshofes vom gleichen Tage, WuW 1968, 487, 498: „Man wird diese verschiedenen Stellen der Begründung (des Parke-Davis-Urteils) dahin gehend verstehen müssen, daß immer dann, wenn die Ausübung des Patentrechts ,ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung' oder ,eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten' darstellt, ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregcln möglich ist." Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf dem Gebiete der gewerblichen Schutzrechte, WRP 1971, 356, 362. A. a. O., Hervorhebungen hinzugefügt.

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

zungen von Art. 36 und der Wettbewerbsregeln. Ferner gibt es Schutzrechte, deren Ausübung den Wettbewerbsregeln unterfällt ohne daß auf sie die Vorschriften über den freien Warenverkehr anwendbar wären. Die Ausübung des Urheberrechts ohne Verkörperung des geschützten Gegenstandes bildet die wichtigste Tatbestandsgruppe dieser Art. Auch bei Schutzrechtsgemeinschaften, Parallellizenzen oder gegenseitigen Lizenzen entziehen sich die zugrundeliegenden Schutzrechte einer Einzelprüfung im Rahmen von Art. 36. Die prinzipielle Selbständigkeit der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln im Verhältnis zu Art. 36 schließt nicht aus, daß jeweils ähnliche Güter- und Interessenabwägungen erheblich werden, die anhand paralleler gemeinschaftsrechtlicher Beurteilungskriterien zu entscheiden sind. Inwieweit sich aus der unterschiedlichen systematischen Abgrenzung verschiedene Ergebnisse im Einzelfall ergeben, läßt sich deshalb nicht mit Sicherheit sagen.

II.

Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften über den freien Warenverkehr auf die Ausübung von Schutzrechten

1.

Überblick über die Fragestellungen

Die Entwürfe zu einer Konvention für die Schaffung eines Gemeinschaftspatents lassen erkennen, daß die Mitgliedstaaten von dem Rechtsgrundsatz ausgehen, das Recht des Patentinhabers gegen die Einfuhr geschützter Gegenstände aus dem Patentausland werde davon nicht beeinträchtigt, daß die geschützten Gegenstände im Ausland mit Zustimmung des Patentinhabers in Verkehr gebracht worden seien.25 Generalanwalt Roemer hat in seinen Schlußanträgen zum GrammophonUrteil bereits darauf hingewiesen, daß dieser Vorentwurf die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht präjudizieren könne.26 Das Urteil des Gerichtshofes hat der Regelung des Vorentwurfs die 25

26

Zweiter Vorentwurf eines Übereinkommens für das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt und dazugehörige Dokumente 1971, wo in Art. 99 Abs. 3 das Verhältnis des Gemeinschaftspatents zu den parallelen staatlichen Patenten für eine Übergangszeit so geregelt wird, daß die nationalen Schutzrechtsgrenzen aufrechterhalten bleiben. A.a.O., 509. 39

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

gemeinschaftsrechtliche Grundlage entzogen. Der Gerichtshof entschied, es verstoße gegen die Normen über den freien Warenverkehr im Gemeinsamen Markt, wenn ein Hersteller von Tonträgern das ihm nach der Gesetzgebung eines Mitgliedstaates zustehende ausschließliche Recht, die geschützten Gegenstände in Verkehr zu bringen, ausübe, um in diesem Mitgliedstaat den Vertrieb von Erzeugnissen, die von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung in einem anderen Mitgliedstaat verkauft worden seien, allein deshalb zu verbieten, weil dieses Inverkehrbringen nicht im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates erfolgt sei. Dem Vorlageersuchen des OLG Hamburg27 lag ein Sachverhalt zugrunde, der für die in diesem Zusammenhang auftretenden Konflikte charakteristisch ist. Die Deutsche Grammophon (DG) ist eine gemeinsame Tochtergesellschaft der Philips Glühlampen Fabriken in den Niederlanden und der Siemens AG, sie ist eine der größten Schallplattenhersteller in den Mitgliedstaaten der EWG. Die Schallplatten werden entweder direkt über den Großhandel oder über Tochtergesellschaften vertrieben. Eine 99,55%-Tochtergesellschaft der DG ist die Polydor SA in Paris, an welche die DG Schallplatten zum Vertrieb in Frankreich lieferte. Zwischen den Tochtergesellschaften und der DG bestehen Lizenzverträge, wonach der Lizenznehmer das ausschließliche Recht erwirbt, die von der DG gelieferten Platten im Vertragsgebiet zu vertreiben. Ein solcher Vertrag bestand auch mit Polydor. In der Bundesrepublik wurden die Schallplatten der DG, die im Wiederverkaufspreis gebunden waren, zu einem Preis von etwa 20,- DM vertrieben. In Frankreich, wo eine entsprechende Preisbindung verboten ist, hatten die Schallplatten dagegen einen erheblich niedrigeren Wiederverkaufspreis. Polydor veräußerte Schallplatten ohne Preisbindungsrevers an die Firma Metro-SB-Großmärkte in Hamburg. Nach einem erfolglosen Versuch der DG, die Firma Metro zum Abschluß eines Preisbindungsvertrages zu veranlassen, wurde die Belieferung mit Polydor-Platten eingestellt. Der Firma Metro gelang es jedoch, Schallplatten derselben Marke von einem Großhändler in Hamburg zu erwerben, der sie von einem Unternehmen in der Schweiz bezogen hatte, das seinerseits von der französischen Tochtergesellschaft Polydor beliefert wurde. Auf dieser Grundlage erwirkte die DG eine einstweilige Verfügung gegen Metro mit der Begründung, in dem Vertrieb der Schallplatten in der Bundesrepublik liege ein Verstoß gegen § 85 UrhG, der dem Hersteller eines Tonträgers das ausschließliche Recht verleiht, den Tonträger zu vervielfältigen und zu verbreiten. Die Begründetheit des 27

40

GRUR Int. 1970, 377 m. Anm. v. Eugen Ulmer.

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

auf $ 97 UrhG gestützten Unterlassungsanspruches hing davon ab, ob das Verbreitungsrecht der DG nach 5 17 Abs. 2 UrhG schon durch das Inverkehrbringen in Frankreich erschöpft war. Das OLG, das diese Frage nach deutschem Recht bejahte, hatte Bedenken, ob eine solche Auslegung gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen würde und legte diese Frage dem Gerichtshof vor. Die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreites liegt darin, daß bei ungehindertem Reimport der Polydor-Schallplatten die Preisbindung der DG in der Bundesrepublik wegen der dadurch eintretenden Lükkenhaftigkeit des Preisbildungssystems nicht aufrechterhalten werden kann. Der nach Erlaß des Grammophon-Urteils vom OLG Hamburg abgewiesene Unterlassungsanspruch der DG28 hatte zur Folge, daß die Preisbindung für Schallplatten in der Bundesrepublik aufgehoben wurde. Die gemeinschaftsrechtliche Bedeutung des Urteils erschließt sich nur auf dem Hintergrund des staatlichen Rechts, das es modifiziert. Die Geltung des vom Gerichtshof formulierten allgemeinen Rechtsgrundsatzes des freien Zugangs zu den Märkten in der Gemeinschaft ist unabhängig von dem im einzelnen verschiedenen Inhalt der staatlichen Rechte. Seine praktische Bedeutung und die Art seiner Verwirklichung werden jedoch von dem Zusammenhang bestimmt, in dem er in dem jeweiligen staatlichen Recht verwirklicht werden muß. Hier ist nicht auf die Behandlung des ausländischen Inverkehrbringens geschützter Gegenstände im Hinblick auf die einzelnen Schutzrechte und für die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten einzugehen. Hervorgehoben sei wegen des systematischen Zusammenhangs, daß der BGH im MajaUrteil 29 für das Warenzeichenrecht entschieden hat, aus dem Territorialitätsprinzip könne nichts dafür hergeleitet werden, ob der Zeicheninhaber, mit dessen Einwilligung die rechtmäßig gezeichnete Ware im Ausland in Verkehr gebracht worden sei, ihre Einfuhr in das Inland unterbinden könne. Diese Möglichkeit wird vom Gericht unter Würdigung der Zwecke des Warenzeichenrechts und unter Abwägung der Interessen des Zeicheninhabers und des allgemeinen Wirtschaftsverkehrs sodann verneint. Dagegen hat der BGH in dem vielbeachteten VoranUrteil30 eben diese Wirkung des Territorialitätsprinzips für das Sorten28

« 30

AWD 1971, 591. BGHZ 41, 84. BGHZ 49, 331,334.

41

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

schutzrecht bejaht und in den Gründen an der traditionellen Rechtsprechung des RG zur Erschöpfung des Patentrechts festgehalten. Unter Ablehnung der gemeinschaftskonformen Auslegung staatlicher Patentrechte, wie sie von Koch/Froschmaier begründet wurde, und unter Verneinung der Möglichkeit eines Auslegungsersuchens nach Art. 177 EWGVertrag, weil es sich ausschließlich um die Auslegung des nationalen deutschen Rechts handele, lehnte der Senat ein abweichendes Ergebnis auch im Hinblick auf den EWG-Vertrag ab: „Der erkennende Senat würde für das Patentrecht ebenfalls der Auffassung zuneigen, daß der hergebrachte Grundsatz des deutschen Patentrechts, nach dem die Erschöpfung des in dem einen Staat bestehenden Patentschutzes nicht zugleich den Verbrauch des in einem anderen Staat für dieselbe Erfindung und denselben Inhaber bestehenden Patentschutzes zur Folge hat, trotz des Inkrafttretens des EWG-Vertrages weiterhin geltendes Recht geblieben ist."31 Umstritten ist die Frage für das hier maßgebliche Urheberrecht. Eugen Ulmer32 hat aus der Entstehungsgeschichte von § 17 Abs. 2 entgegen der Meinung des OLG Hamburg gefolgert, es komme für die Erschöpfung des Urheberrechts nicht darauf an, ob die Verbreitung im Inland oder im Ausland erfolgt sei. Anders sei die Rechtslage jedoch, wenn das Verbreitungsrecht unter territorialer Beschränkung vergeben worden sei. Dazu gehöre insbesondere der Fall des nach Staaten geteilten Verlagsrechts. Unter Betonung gemeinschaftsrechtlicher Gesichtspunkte lehnt Johannes die Anwendung der traditionellen Erschöpfungslehre jedenfalls für das Recht am Tonträger ab, weil es nach Inkrafttreten des EWG-Vertrages geschaffen worden sei und man nicht annehmen könne, daß der Gesetzgeber im Widerspruch zu den Zielen des EWG-Vertrages neue Schutzrechtsgrenzen geschaffen habe.33 Koppensteiner nimmt hingegen an, jedes Inverkehrbringen im Ausland, das mit Zustimmung des Berechtigten erfolge, führe ebenso wie das Inverkehrbringen im Inland zur Erschöpfung des Urheberrechts oder des Patentrechts, ohne daß es darauf ankomme, ob es sich um EWG-Ausland oder um Drittstaaten handele.34 Man wird annehmen können, daß diese Meinung jedenfalls historisch von der Rechtsprechung des Gerichtshofes beeinflußt ist. Die generelle Erstreckung des Konsumtionsbereiches der Schutzrechte auf die ganze Welt hat sich jedoch mit den Gründen auseinanderzusetzen, die zur 31

32 33 34

42

A.a.O., 339. A.a.O. GRUR Int. 1970, 222. A.a.O., 365.

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

Anerkennung der Rechtsgrundsätze der Territorialität und der Nichtdiskriminierung im zwischenstaatlichen Bereich geführt haben. Die Behandlung der Einfuhr aus dem schutzrechtsfreien Ausland bezeichnet nur einen Grenzfall, der die potentielle Erheblichkeit prinzipieller Unterschiede in der gesetzgeberischen Ausgestaltung von Schutzrechten hervortreten läßt. Eine generelle Entscheidung scheint mir ohne Auseinandersetzung mit konkreten Konfliktslagen deshalb nicht möglich zu sein. Erwähnt seien nur die außerordentlich schwierigen Fragen, die sich aus der Gesetzgebung der Entwicklungsländer im Bereich der Schutzrechte ergeben. Im Zusammenhang mit den regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Südamerikas stehen Regelungen zur Diskussion, die weitreichende Änderungen in Hinblick auf die Entstehung und den Inhalt der Schutzrechte, auf die staatliche Kontrolle der vertraglichen Lizenzen und die Einführung von Zwangslizenzen zum Gegenstande haben.35 Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich im Rahmen der UNCTAD ab. Hier werden die Wirkungen des internationalen Patentsystems im Hinblick auf die Teilhabe der Entwicklungsländer an der modernen Technologie unter Einschluß der Lizenzpraktiken untersucht.36 Die Grundsätze, die seit der Pariser Verbandsübereinkunft die internationale Behandlung nationaler Schutzrechte bestimmen, werden von solchen Tendenzen auf die Dauer nicht unberührt bleiben. Auch das innerstaatliche Recht muß dem in der Anknüpfung seiner Normen an Auslandssachverhalte Rechnung tragen. Die Universalisierung der für die EWG maßgeblichen Rechtssätze nach deutschem Recht für alle Drittstaaten vernachlässigt die Besonderheiten der Gemeinschaft und die Vielfalt der Abgrenzungsprobleme, die sich im Verhältnis zu Drittstaaten ergeben können. Ohne auf diese Besonderheiten im einzelnen einzugehen, soll hier lediglich betont werden, daß sie berücksichtigt werden müssen, wenn man die Rechtsprechung des Gerichtshofes generalisieren möchte.37 35 36 37

Vgl. dazu den Überblick bei Ladas, Stephen P., Latin-American Economic Integration and Industrial Property 62 The Trade Mark Reporter 1 (1972). Vgl. den Bericht in Journal of World Trade Law, 1972, 252: Transfer of Technology: An UNCTAD View. Gerade diese Fragestellung hat Koppensteiner in seiner Untersuchung nicht aufgenommen, wenn er die Problematik der Parallelimporte im wesentlichen anhand des Rechtsstatus schutzrechtsvcrmitteltcr Aufteilungen des Inlandmarktes untersucht (a. a. O., 360). Damit soll nicht die mögliche Fruchtbarkeit dieses Vergleiches überhaupt in Frage gestellt werden, es gilt nur die Notwen43

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

2.

Die Auslegung des Gemeinschaftsrechts

Im Anschluß an die Rechtsprechung, in der die Vorschriften über den freien Warenverkehr und die über die Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs als systematische Einheit behandelt werden, formuliert der Gerichtshof einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der für die Auslegung und Anwendung des staatlichen Urheberrechts Geltung beansprucht. Das vorlegende OLG Hamburg hatte nach dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Auslegung des deutschen Urheberrechts gefragt. Im Verfahren wurde von der deutschen Bundesregierung geltend gemacht, die Frage sei so, wie sie gestellt sei, unzulässig.38 Diese verfahrensrechtliche Vortrage hat weittragende Bedeutung, weil von ihrer Beantwortung abhängt, ob die gemeinschaftskonforme Auslegung staatlichen Rechts mit Hilfe des Vorlageverfahrens des Art. 177 mit gleicher Wirkung in den Mitgliedstaaten gewährleistet werden kann. Zur Auslegung des Vertrages gehören nicht nur seine einzelnen Vorschriften, sondern auch die ungeschriebenen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts. Vorlagefähig ist deshalb zwar nicht die Frage, ob im nationalen Recht das Territorialitätsprinzip aufgehoben ist, „wohl aber ist die Frage vorlagefähig, ob das Gemeinschaftsrecht einen Rechtsgrundsatz dieses Inhalts kennt, der Geltung im nationalen Recht beansprucht. Die Verwirklichung dieses Rechtsgrundsatzes ist sodann dem nationalen Recht überlassen."39 Ein wesensgemäßer Gegensatz von gemeinschaftskonformer Auslegung des staatlichen Rechts und unmittelbar geltenden Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts besteht nicht; es handelt sich vielmehr um die Betrachtung desselben Rechtsproblems, einmal unter dem Gesichtspunkt der Auslegung des Gemeinschaftsrechts nach Art. 177, das andere Mal unter dem Gesichtspunkt des staatlichen Rechts. Ob die Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts im Wege gemeinschaftskonformer Auslegung verwirklicht werden können, hängt vom Inhalt des staatlichen Rechts ab. Es handelt sich dabei um eine der Modalitäten, die für die Einwirkung des unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts auf das staatliche Recht gelten. Deshalb kann gegen die gemeinschaftskonforme digkeit zu betonen, ergänzend der kaum übersehbaren Vielfalt der internationalen Bezüge der gegenwärtigen Schutzrechtssysteme Rechnung zu tragen. 38 A. a. O., 494. 39 Mestmäcker, Die Vermittlung von europäischem und nationalem Recht im System unverfälschten Wettbewerbs, 1969, 122. 44

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

Auslegung staatlicher Schutzrechte nicht geltend gemacht werden, dieser Lösung sei der Erfolg versagt, falls eine abweichende, ausdrückliche gesetzliche Regelung bestehe. Denn auch gegenüber einer solchen staatlichen Regelung setzt sich das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht durch, das Vorrang vor dem staatlichen Recht beansprucht. Über das Ob der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das staatliche Recht entscheidet der Gerichtshof, über das Wie entscheidet der jeweilige Inhalt des staatlichen Rechts. Das gilt für die Art der Einwirkung auf das staatliche Recht und für die Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Einwirkungen.40 Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts als Rechtsanwendungsvorrang zeigt sich in diesem Fall deshalb besonders deutlich, weil es sich um die Auswirkung des Gemeinschaftsrechts auf eine vom staatlichen Gesetzgeber geschaffene Regelung handelt - die inhaltliche Ausgestaltung des Urheberrechts -, die Ausübung dieser Rechte aber notwendig auf der Ebene des Privatrechts stattfindet.

3.

Die gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung des Zugangs zum Markt

Den allgemeinen Rechtsgrundsatz, der die Marktaufteilung mit Hilfe von Schlitzrechten verbietet, entnimmt der Gerichtshof aus Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr, insbesondere Art. 36. Die Anwendbarkeit der Vorschriften über den freien Warenverkehr auch auf privatrechtliche Rechtsbeziehungen, die aus der Ausübung von Schutzrechten entstehen, folgt aus Art. 36 und dem System unverfälschten Wettbewerbs, ohne daß aber die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Wettbewerbsregeln erfüllt sein müssen. Die vom Gerichtshof betonte Unterscheidung vom Bestand der Schutzrechte, den das Gemeinschaftsrecht unberührt lasse, und ihrer Ausübung, die es regele, führt dazu, daß der Gerichtshof im Gegensatz zum Vortrag der Kommission41 und einer im Schrifttum vertretenen Auffassung42 nicht zwischen solchen Schutzrechten unterscheidet, die bei Inkrafttreten des Vertrages begründet waren, und solchen, die - wie das Recht am Ton40

41 42

Vgl. dazu jetzt Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 9.6.1971 Europarecht 1972, 51 m. Anm. von Ipsen; vgl. zu dieser Frage mit demselben Ergebnis auch Mestmäcker, Die Vermittlung von europäischem und nationalem Recht im System unverfälschten Wettbewerbs, 1969, 81. A.a.O., 495/96. Johannes, a. a. O. 45

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

träger - erst nach seinem Inkrafttreten geschaffen wurden. Eine solche Auffassung, die im Ergebnis zu einer Kompetenzsperre für den staatlichen Gesetzgeber führen müßte, würde schon im Hinblick auf die Regelbarkeit von Sachverhalten mit Drittstaatenbezug über den Inhalt des Gemeinschaftsrechts hinausgehen. Der Gerichtshof kann diese Konsequenz durch die Begrenzung der Rechtsausübung vermeiden, weil Schutzrechtsgrenzen notwendig aus der Inanspruchnahme gesetzlich begründeter Rechte durch den Berechtigten entstehen. Um die Tragweite des Rechtsgrundsatzes zu ermitteln, sind Art und Ausübung der Rechte sowie das Bestehen paralleler Schutzrechte im Gemeinsamen Markt zu berücksichtigen. a)

Art und Ausübung der Rechte

Art. 36 spricht von Verboten oder Beschränkungen des freien Warenverkehrs, die durch das gewerbliche und kommerzielle Eigentum gerechtfertigt sind. Der Gerichtshof „unterstellt", daß ein dem Urheberrecht verwandtes Recht durch diese Bestimmungen erfaßt werden könne. Die Formulierung ist nicht als eine Einschränkung, sondern als eine Ausdehnung des Urteils auf alle Schutzrechte zu verstehen, deren Ausübung die Freiheit des Warenverkehrs in der Gemeinschaft behindert. Im Tenor des Urteils wird nämlich trotz dieses Vorbehalts für das mit dem Urheberrecht verwandte Recht des Herstellers von Tonträgern der Ausschluß des Verbietungsrechts unter den im einzelnen genannten Voraussetzungen ausgesprochen. Anders als die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln, die sich nach inzwischen unstreitiger Auffassung auf die Gesamtheit des Wirtschaftsverkehrs im Gemeinsamen Markt beziehen, ist der Anwendungsbereich der Vorschriften über den freien Warenverkehr nach Maßgabe der Systematik des EWG-Vertrages beschränkt. Diese Vorschriften gelten also nicht für die Freizügigkeit, für den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr in Titel 3 Kapitel l bis 3. Ob daraus eine erhebliche Einschränkung des Rechtsgrundsatzes für die Ausübung von Schutzrechten folgt, ist jedoch fraglich. Zweifelsfrei ist zunächst, daß der Gerichtshof die Vorschriften über den freien Warenverkehr unabhängig davon für anwendbar hält, aufgrund welchen Rechts die geschützten Gegenstände hergestellt worden sind. Auch die Regelung in § 17 des deutschen UrhG schränkt das Verbietungsrecht des Urhebers ein, nachdem das Original oder Vervielfältigungsstück des Werkes mit Zustimmung des Berechtig46

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

ten in Verkehr gebracht worden ist. Etwas anderes gilt für diejenigen Urheberrechte, bei denen die Rechtsausübung nicht die Verkörperung des Werkes und seine Verbreitung zum Gegenstand hat, sondern die Gestattung der Ausübung als solche. Es handelt sich um das Vertrags-, Aufführungs-, Vorführungs- und Senderecht sowie um die Rechte der Wiedergabe durch Bild- oder Tonträger oder der Wiedergabe von Funksendungen (S S 19-25 UrhG). Die Ausübung dieser Rechte kann Gegenstand des Dienstleistungsverkehrs oder der Niederlassungsfreiheit, nicht aber Gegenstand des freien Warenverkehrs sein. Die beliebige Wiederholbarkeit der Rechtsausübung und die Notwendigkeit ihrer Erfassung und vertraglichen Gestattung durch Verwertungsgesellschaften weist keinen Zusammenhang mit der Verbreitung geschützter Gegenstände auf. Die gemeinschaftsrechtlichen Regeln für die Ausübung dieser Rechte folgen aus den Wettbewerbsregeln, soweit es sich um die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten handelt. Die im Sirena-Urteil43 hervorgehobene Unterscheidung des Zeichenrechts von anderen gewerblichen Schutzrechten, deren Schutzobjekte meist von größerer Bedeutung und schutzwürdiger seien als das Warenzeichen, ist vom Gerichtshof in diesem Zusammenhang nicht wieder aufgenommen worden. Das bedeutet jedoch nicht die Unerheblichkeit der Eigenarten der einzelnen Schutzrechte und der durch sie verwirklichten Schutzzwecke. Auch Unterschiede in den Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten werden dadurch nicht generell unerheblich. Vielmehr hat der Gerichtshof im Parke-Davis-Urteil44 diese Unterschiede ausdrücklich hervorgehoben: „Die einzelstaatlichen Vorschriften über den Schutz des gewerblichen Eigentums sind in der Gemeinschaft noch nicht vereinheitlicht. Infolgedessen können sich aus der Begrenzung des Schutzbereichs des gewerblichen Eigentums auf den Einzelstaat und aus den Unterschieden zwischen den einschlägigen einzelstaatlichen Gesetzgebungen Hindernisse für den freien Verkehr der patentierten Erzeugnisse und den freien Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes ergeben." Die Besonderheiten der einzelnen Schutzrechte nimmt der Gerichtshof auch im Grammophon-Urteil in Bezug, wenn er betont, Art. 36 erlaube Beschränkungen der Freiheit des Handels nur, „soweit sie zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen".45 43 44 45

11.2.1971, Sirenagg. EDA, 40/70 Slg. 1971/XVII, 82. A.a.O., 111, übereinstimmend Sirena-Urteil a.a.O., 81. A.a.O., 500. 47

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

Hieraus hat man gefolgert46, zur Ermittlung des unberührt gebliebenen Bestandschutzes der Rechte gehöre die Prüfung, welches der eigentliche Wesensgehalt des jeweiligen Schutzrechtes sei. Diese Antwort soll anhand der innerstaatlichen Gesetze gegeben werden, die das Schutzrecht begründen. Eine solche Betrachtungsweise legt die Gefahr des Zirkelschlusses nahe. Die Begrenzung der Ausübung der Rechte im Gegensatz zu ihrem Bestand setzt eine Abwägung der Zwecke des Gemeinschaftsrechts mit den Zielen und Wirkungen voraus, die der Rechtsinhaber mit der Ausübung der Rechte verfolgt. Der maßgebliche Anhaltspunkt für die Konkretisierung des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsatzes liegt in der Bewertung der nach staatlichem Recht geschützten Interessen der Rechtsinhaber anhand der gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistung des freien Zugangs zu den Warenmärkten. Die Ausübung des Vertretungsrechts ist unzulässig, wenn sie „allein deshalb erfolgt, weil dieses Inverkehrbringen nicht im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates erfolgt ist". Es ist die ausschließlich marktordnende und markttrennende Wirkung der Ausübung der Schutzrechte, welche unter das gemeinschaftsrechtliche Verbot fällt. Das gleiche Kriterium leitet der Gerichtshof aus Art. 36 Abs. l Satz 2 in Verbindung mit dem Ziel eines einheitlichen Gemeinsamen Marktes ab: „Dieses Ziel wäre nicht zu erreichen, wenn Privatpersonen aufgrund der verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, den Markt aufzuteilen und willkürliche Diskriminierungen und verschleierte Beschränkungen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten herbeizuführen."47 Unter diesen Vorbehalten kann den Interessen der Rechtsinhaber Rechnung getragen werden, die nach staatlichem Recht geschützt sind, soweit sie sich nicht allein auf die Aufrechterhaltung von Grenzen im Gemeinsamen Markt beziehen. So würde Art. 36 einem Einfuhrverbot nicht entgegenstehen, sofern das Produkt im Ausland zwar rechtmäßig in Verkehr gebracht wurde, dort aber Handlungen vorgenommen wurden, die nach dem Recht des Einfuhrlandes Rechtsverletzungen darstellen würden, wenn sie im Einfuhrland vorgenommen worden wären. Als Beispiel für das Patentrecht sei ein im Ausland rechtmäßiger Umbau des geschützten Erzeugnisses genannt, der nach inländischem Recht nicht zulässig wäre oder im Urheberrecht eine Bearbeitung, die nach ausländischem Recht zulässig ist, nach inländischem Recht aber eine Rechtsverletzung darstellt. Die Selbständigkeit der staatlichen Rechte 46 47

48

Schröter, a. a. O., 364. A. a. O., 500.

II. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften

in der Beurteilung von Rechtsverletzungen, die aus dem Territorialitätsprinzip folgt, bleibt insoweit auch im Gemeinsamen Markt aufrechterhalten. Es wird Sache der staatlichen Gerichte unter Inanspruchnahme des Verfahrens nach Art. 177 sein, darüber zu entscheiden, inwieweit die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen die Einfuhr geschützter Gegenstände der Aufrechterhaltung getrennter Märkte dient oder aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Diese Differenzierung gestattet es, die wirtschaftlichen Funktionen der grenzüberschreitenden Wirkungen staatlicher Schutzrechte nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen und die Ausübung der Schutzrechte insoweit zu begrenzen, als sie mittelbar den Zielen staatlicher Autarkiepolitik dient. Diese Einschränkung der Rechte steht in Übereinstimmung mit den Grundlagen der Gemeinschaft; sie wendet sich gegen die Verbindung staatlicher protektionistischer Politik mit privatwirtschaftlichen Interessen an der Einschränkung des Wettbewerbs. Das Problem wird im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung von Schutzrechtsgrenzen besonders deutlich, wenn der Berechtigte von ihm selbst hergestellte und in den zwischenstaatlichen Verkehr gebrachte Waren von der Einfuhr ausschließen will. b)

Die Parallelität der Schutzrechte in den Mitgliedstaaten

Soweit man sich im Anschluß an Koch/Froschmaier oder in Auseinandersetzung mit dem Parke-Davis-Urteil des Gerichtshofes mit der Frage beschäftigte, ob die Vorschriften über den freien Warenverkehr einen unmittelbaren Einfluß auf die Ausübung von Schutzrechten auch unabhängig von der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln ausüben könnten, wurde die potentielle Einschränkung der Rechtsausübung nur für den Fall paralleller Schutzrechte angenommen: „Aufgrund der vorstehenden Erwägungen wird man also zu dem Ergebnis kommen müssen, daß Art. 36 des Rom-Vertrages für rechtmäßig in Verkehr gebrachte Waren nur dann eine Patentgrenze innerhalb des Gemeinsamen Marktes fortbestehen läßt, wenn diese aus patentfreien Mitgliedstaaten stammen oder wenn es sich in dem anderen Mitgliedstaat nicht um ein Parallelpatent handelt."48 Im Grammophon-Urteil hat der Gerichtshof jedoch die Ausübung des Vertretungsrechts nach § § 85,94 UrhG eingeschränkt, obwohl dem Berechtigten, der seine geschützten Erzeugnisse in Frankreich durch eine Tochtergesellschaft in Verkehr brachte, dort kein Schutzrecht zustand. Man hat daraus gefolgert, für den Verbrauch des Schutzrechts 48

Hermann Schumacher, a. a. O., 496. 49

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

komme es nach der Entscheidung des Gerichtshofes grundsätzlich nicht darauf an, ob in dem anderen Mitgliedstaat, in welchem die Verbreitungshandlungen vorgenommen worden seien, ein Schutzrecht bestehe oder nicht.49 Eine solche Interpretation läßt den besonderen Sachverhalt außer acht, der zu beurteilen war, und unterstellt einen grundsätzlichen Widerspruch zum Parke-Davis-Urteil. Dort stand die Einfuhr patentfreier Produkte aus Italien nach Holland in Frage, wo diese Produkte patentrechtlich geschützt waren. Die Besonderheit des dem Grammophon-Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts besteht darin, daß es der Schutzrechtsinhaber selbst war, der den Gegenstand durch seine Tochtergesellschaft in Frankreich in Verkehr brachte. Wäre auf den Lizenzvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft Art. 85 EWG-Vertrag anwendbar, so würde der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht unmittelbar aus den Wettbewerbsregeln folgen, wenn man die im Sirena-Urteil für ausreichend gehaltene wettbewerbsbeschränkende Wirkung der vertraglichen Übertragung von Schutzrechten als Beurteilungsmaßstab zugrundelegt. Diese Überlegung weist auf die besondere Problematik der Beurteilung der grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften im Gemeinsamen Markt. Die wirtschaftliche Einheit von Mutter- und Tochtergesellschaft wird trotz der verschiedenen Staatsangehörigkeit der Gesellschaften und trotz des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs zwischen ihnen als „Teilung von Aufgaben innerhalb desselben Wirtschaftskomplexes" angesehen.50 Daraus folgt nach Auffassung der Kommission und des Gerichtshofes die Unanwendbarkeit des Kartellverbots. Diese Einheitlichkeit des Wirtschaftskomplexes und seiner Handlungen würde aber gemeinschaftsrechtlich und urheberrechtlich außer Betracht bleiben, wenn das Inverkehrbringen durch den Berechtigten in Frankreich nach deutschem Urheberrecht unerheblich bliebe. Die Besonderheiten internationaler Konzernbeziehungen begrenzen insoweit die Generalisierbarkeit des Urteils bei Fehlen von parallelen Schutzrechten. Als Grundsatz für die gemeinschaftsrechtliche Erheblichkeit von Verbreitungshandlungen wird zu gelten haben, daß der gemeinschaftsrechtlich erhebliche Konsumtionsbereich der vom Rechtsinhaber selbst geschaffene Markt für die geschützten Produkte ist. Nach dem Urteil kommt es nämlich darauf an, ob sich die Ausübung des Verbietungsrechts gegen den Vertrieb von Erzeugnissen richtet, die von dem Berechtigten 49 50

50

So Schröter, a. a. O., 363. A. a. O., 492, Erklärung der Deutschen Grammophon vor dem Gerichtshof.

III. Zur Auslegung der Wettbewerbsregcln

selbst oder mit seiner Zustimmung in einem anderen Mitgliedstaat verkauft worden sind. Die Identität von Konsumtionsbereich und tatsächlichem Verbreitungsgebiet hängt also davon ab, daß es der Berechtigte selbst ist, der den geschützten Gegenstand in Verkehr bringt. Dem Inverkehrbringen durch den Hersteller selbst steht das Inverkehrbringen durch eine von ihm kontrollierte Tochtergesellschaft gleich. Mit Zustimmung des Schutzrechtsinhabers in Verkehr gebracht sind aber auch Gegenstände, über die der Berechtigte einen Lizenzvertrag abgeschlossen hat. Hat der Lizenznehmer die geschützten Gegenstände in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht, so darf der Lizenzgeber und Berechtigte sein Verbietungsrecht nicht zu dem Zweck ausüben, die Einfuhr durch Dritte zu unterbinden. Nicht entschieden ist damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Berechtigte dem Lizenznehmer für das erste Inverkehrbringen des geschützten Gegenstandes territoriale Beschränkungen auferlegen darf (ausschließliche Gebietslizenz, Exportverbot). Dabei handelt es sich nicht um eine im Rahmen von Art. 36 zu beantwortende Frage, maßgeblich ist vielmehr, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Wettbewerbsregeln vorliegen.

III.

Zur Auslegung der Wettbewerbsregeln

1.

Zur Anwendung von Art. 85 auf Schutzrechte

Der Gerichtshof bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Ausübung der in Frage stehenden Rechte immer dann unter Art. 85 fallen kann, wenn sich herausstellt, „daß sie Gegenstand, Mittel oder Folge einer Kartellabsprache ist, die eine Aufteilung des Gemeinsamen Marktes bewirkt, indem sie Einfuhren von in den anderen Mitgliedstaaten ordnungsgemäß in Verkehr gebrachten Waren aus diesen Staaten untersagt".51 Der systematische Zusammenhang, in dem diese Formulierung des Gerichtshofes steht, spricht dafür, daß es sich bei der Anwendung der Vorschriften über den freien Warenverkehr auf die Ausübung gewerblicher Schutzrechte vor allem darum handelt, die Lücke zu schließen, die bei der Anwendung von Art. 85 nach den Grundsätzen des Sirena-Urteils bestehen bleibt, falls die markttrennende Wirkung von Schutzrechten nicht im Zusammenhang mit einer Vereinbarung auftritt. 51

A.a.O., 499. 51

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

Der Gerichtshof äußerte sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob der Lizenzvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft unter Art. 85 fallen könne. Diese Frage hat der Gerichtshof in einem späteren Urteil verneint.52 Die Voraussetzung des Art. 85 Abs. l, daß eine Wettbewerbsstörung bezweckt oder bewirkt werde, liege nicht vor, wenn ein Alleinvertriebsrecht de facto von einer Muttergesellschaft teilweise auf eine Tochtergesellschaft übertragen werde, die zwar eigene Rechtspersönlichkeit habe, jedoch keine wirtschaftliche Selbständigkeit besitze. Dem entspricht die Praxis der Kommission, wie sie zuletzt in der Kodak-Entscheidung formuliert worden ist.53 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang lediglich, daß der Gerichtshof die Besonderheiten konzerninterner Vereinbarungen nicht bei dem Tatbestandsmerkmal des Unternehmens, sondern bei dem der Wettbewerbseinschränkung berücksichtigt.

2.

Zur Anwendung von Art. 86

Im Zusammenhang mit der Auslegung von Art. 86 wiederholt der Gerichtshof zunächst den Grundsatz, daß Schutzrechte als solche und ihre Ausübung für sich allein keine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt begründen. Diese bereits im Parke-Davisund im Sirena-Urteil ausgesprochene Unterscheidung der Rechtsstellung des Schutzrechtsinhabers und seiner Marktstellung wird im vorliegenden Fall jedoch durch Hinweise zur Auslegung von Art. 86 ergänzt, die allgemeine Bedeutung haben. In Übereinstimmung mit § 22 Abs. 5 GWB spricht der Gerichtshof aus, daß alle zu einem Konzern gehörenden Unternehmen für die Zwecke von Art. 86 als Einheit zu behandeln sind.54 Ob sich die beherrschende Stellung auf einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes erstreckt, ist danach zu beurteilen, ob das Unternehmen in der Lage ist, „einen wirksamen Wettbewerb auf einem bedeutenden Teil des in Betracht kommenden Marktes zu verhindern". Für die Würdigung dieser Wettbewerbssituation sind bei Schallplattenherstellern auch die Exklusivverträge erheblich, durch die sie Interpreten an sich binden. Für die Marktwirkung dieser Exklusivverträge sind wiederum alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Beliebtheit der gebunde52 53 54

52

25.11.1971, Begudin gg. Import-Export-Nizza, 22/71, Slg. XVII/1972, 959. Negativattest 30.6.1970, ABI EG vom 7.7.1970 L 147/24. A.a.O., 501.

III. Zur Auslegung der Wettbewerbsregeln

nen Interpreten beim Publikum, Dauer und Umfang der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen sowie die Möglichkeiten der anderen Hersteller von Tonträgern, Künstler für vergleichbare Interpretationsleistungen zu gewinnen. Die über den entschiedenen Fall hinausgehende Bedeutung dieser Grundsätze besteht darin, daß der Gerichtshof auch in der Auslegung von Art. 86 auf die Gesamtheit der für die Marktstellung des Unternehmens erheblichen Umstände abstellt, die Marktstellung also nicht von den Verträgen und Verhaltensweisen isoliert, die für den Wettbewerb auf den einzelnen Märkten kennzeichnend sind. Allgemeine Bedeutung hat das Urteil auch dadurch, daß es die Exklusivverträge der Schallplattenhersteller mit ausübenden Künstlern den Wettbewerbsregeln unterstellt. Dieser Teil des Urteils ist nicht nur für Art. 86, sondern auch für Art. 85 erheblich. Das Gericht folgte nämlich nicht dem Argument, daß von solchen Verträgen keine Wettbewerbswirkungen ausgehen könnten, weil die urheberrechtliche Zwangslizenz für die Herstellung von Tonträgern nach § 61 UrhG, der Wahrnehmungszwang für Verwertungsgesellschaften nach § 11 UrhWG und die gesetzliche Nichtausschließlichkeit bei der Abtretung von Leistungsschutzrechten nach §78 UrhG solche Wirkungen verhinderten. Die Tatsache, daß die Exklusivverträge für die Beurteilung der beherrschenden Stellung heranzuziehen sind, bestätigt die Möglichkeit, daß diese Verträge als solche Art. 85 unterfallen können, wenn sie den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen und den Wettbewerb spürbar beschränken. Die Beurteilung von Preisdifferenzen als Indiz für eine mißbräuchliche Ausnutzung der beherrschenden Stellung folgt wiederum dem ParkeDavis- und dem Sirena-Urteil. Danach erlaubt die Preisdifferenz als solche nicht unbedingt den Schluß auf einen solchen Mißbrauch, sie kann jedoch ein entscheidendes Indiz für einen solchen Mißbrauch sein, „wenn er groß und durch keine sachlichen Gründe zu erklären ist".55 Die Bedeutung dieses Rechtsgrundsatzes muß auch im Zusammenhang mit dem Verbot der Marktaufteilung gesehen werden. Die Trennung von Märkten ist eine unerläßliche Voraussetzung für jede Politik der Preisdiskriminierung. Der Umstand, daß der Gerichtshof die Trennung der nationalen Märkte anhand der Vorschriften über den freien Warenverkehr und des Systems unverfälschten Wettbewerbs einem generellen Verbot unterwirft, zeigt, daß auch aufgrund von Art. 86 Maßnahmen gegen Beschränkungen des Wettbewerbs möglich sind, obwohl ein Teil 55

A.a.O., 501.

53

2. Das Ende der Schutzrechtsgrenzen im Gemeinsamen Markt

ihrer Wirkungen durch unmittelbare Preiskontrolle bekämpft werden könnte. Die These von Renejoliet, Art. 86 richte sich ausschließlich gegen die Ausnutzung einer beherrschenden Stellung zum Nachteil der Verbraucher56, steht deshalb auch im Gegensatz zu dem systematischen Verständnis der Wettbewerbsregeln in der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wie es im Grammophon-Urteil bestätigt wird.

56

54

Monopolisation and Abuse of a Dominant Position, A Comparative Study of the American and European Approaches to the Control of Economic Power, Collection Scientifiquc de la Faculte de Droit de l'Universite de Liege, 1970, bes. S. 247 ff.; ausführlich dagegen Mestmäcker, Die Beurteilung der Unternehmenskonzentrationen nach den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages, Die Konzentration in der Wirtschaft Bd. l, 1971, 733, 761 ff.

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften im europäischen Gemeinschaftsrecht Sl

Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

I.

Das Urheberrecht als Persönlichkeitsrecht und Vermögensrecht

Das Urheberrecht schützt die persönlichkeitsrechtlichen und vermögensrechtlichen Interessen des Urhebers. Es ist im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht in ähnlicher Weise als ein besonderes Persönlichkeitsrecht anzusehen, wie etwa das Namensrecht oder das Recht am eigenen Bild.1 Die urheberrechtlichen Verwertungsrechte sind wie die gewerblichen Schutzrechte als ausschließliche Rechte des Rechtsinhabers ausgestaltet. Trotz der vergleichbaren rechtstechnischen Normierung bestehen Verschiedenheiten zwischen den spezifischen rechtlich geschützten Interessen. In der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des Urheberrechtsgesetzes 1965 heißt es dazu, während bei den meisten Immaterialgüterrechten der Gedanke im Vordergrund stehe, das auschließliche Recht als solches auszuüben, d. h. die Nutzung des Schutzobjektes einer einzelnen Person oder wenigen Personen ausschließlich vorzubehalten, sei der Urheber meist gerade an einer möglichst weiten Verbreitung seines Werkes, an der Nutzung durch möglichst viele Personen, interessiert. Sinn des Urheberrechts sei es daher nicht so sehr, andere von der Nutzung auszuschließen, als vielmehr dem Urheber die rechtliche Grundlage dafür zu geben, Art und Umfang der Nutzung seines Werkes zu überwachen, und diese von der Zahlung einer Vergütung abhängig zu machen:

1

Amtliche Begründung zu 5 11 eines Regierungsentwurfcs des Urheberrcchtsgesetzes, Haertel/Schiefler, Urheberrechtsgesetz und Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechtcn, 1967, 148; vgl. hierzu auch Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, 28 ff.; Htibmann, Urheber- und Verlagsrecht, 6. Aufl. 1987, 50 ff. 55

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften „Dementsprechend ist es ein Grundsatz des Urheberrechts, die ausschließlichen Befugnisse des Urhebers so umfassend zu gestalten, daß möglichst jede Art der Nutzung seines Werkes seiner Kontrolle unterliegt."2

Zwischen den vermögensrechtlichen und den persönlichkeitsrechtlichen Befugnissen des Urhebers läßt sich kein eindeutiges Rangverhältnis ermitteln. Das gilt, obwohl die persönlichkeitsrechtlichen Befugnisse als solche unveräußerlich sind, die Verwertungsrechte dagegen allein im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Nutzung normiert und weiterentwikkelt werden. Denn in der wirtschaftlichen Verwertung des Werkes verwirklichen sich immer auch die geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk. Dem steht nicht entgegen, daß diese Beziehungen - einschließlich der Entstehung des Werkes - ihrerseits zu einer Funktion der wirtschaftlichen und technischen Verwertbarkeit werden. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"3 entsteht nicht ohne Bezug auf die technischen, wirtschaftlichen und industriellen Bedingungen seiner Verwendung. Unter diesen Bedingungen wird der Gegensatz von Kunst und Technik aufgehoben.4 Die Verbindung einer hochentwickelten Reproduktionstechnik mit den Übertragungsmöglichkeiten der elektronischen Medien, Funk und Fernsehen, hat zur Entwicklung von verwandten Schutzrechten zugunsten von Schallplattenherstellern und Sendeunternehmen geführt. Die Rechte der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen verleihen der technischen Reproduktion als solcher urheberrechtsähnlichen Schutz. Auch das Urheberrecht folgt diesen Entwicklungen und wird seinerseits zum Gegenstand eines industriellen Massenbedarfs. Dem trägt der Europäische Gerichtshof Rechnung, wenn er zwischen den persönlichkeitsrechtlichen Elementen des Urheberrechts und seiner wirtschaftlichen Nutzung unterscheidet. Zwar treffe es zu, daß das Urheberrecht Persönlichkeitsrechte umfasse, es erstrecke sich jedoch auch auf die kommerzielle Nutzung und auf diese Aspekte des Urheberrechts sei das Gemeinschaftsrecht anwendbar5. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß der Gegensatz zwischen dem anglo-amerikanischen Verständnis des Copy2 3

4 5

56

Text abgedruckt bei Härtel/Schiefler, (oben Fn. 1). Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkcit in: ders., Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuscr, Bd. l, II, S. 435 ff. Dazu Mestmäcker, Wege zur Rundfunkfreiheit in Europa, in: ders. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung, 1989, S. 9, 17. EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran./. GEMA, Rsn. 55 und 57-80. Slg. 162, Rn. 12 = GRUR Int. 1981, 229 („Gcbührendifferenz II").

S l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

right und dem kontinentaleuropäischen Verständnis des Urheberrechts als Persönlichkeitsrecht gemildert und teilweise aufgehoben wird.6 Der dafür wichtigste Beleg ist der Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zur Berner Konvention.7 Gegen diesen Beitritt war in der Vergangenheit stets geltend gemacht worden, der Gegensatz von Copyright und Urheberrecht als Persönlichkeitsrecht mache es den Vereinigten Staaten unmöglich, der Berner Konvention beizutreten. II.

Kulturhoheit und Wirtschaftsintegration

1.

Funktionale Kompetenzordnungen

Der Interdependenz von persönlichkeitsrechtlichen und vermögensrechtlichen Befugnissen des Urhebers entspricht diejenige von kulturpolitischen und wirtschaftspolitischen Zielen in der Ausgestaltung des Urheberrechts. Das Urheberrecht bildet eine der Grundlagen der „Kulturindustrie" und der Informationsgesellschaft. Von den auf die wirtschaftliche Integration bezogenen Gegenständen des EWG-Vertrages läßt sich deshalb kein gegenständlich bestimmter Bereich der Kulturhoheit abgrenzen, innerhalb dessen die Vorschriften des Vertrages nicht gelten. Die Vorstellung wirtschaftlich neutralisierter und rechtlich isolierter Kunst- und Kulturautonomie findet in der gesellschaftlichen Wirklichkeit ebensowenig eine Grundlage wie im nationalen Verfassungsrecht oder im Gemeinschaftsrecht. In der Erläuterung ihrer Kulturpolitik vor 6

7

Vincent Porter, Copyright: The New Protectionism, Intermedia, 1989. S. 10-17, faßt diese Entwicklung dahingehend zusammen, daß unter den Bedingungen moderner Technologien das Urheberrecht in erster Linie dem Schutz industrieller Investitionen diene, während der Schutz der Öffentlichkeit und des Urhebers zurücktrete. Berne Convention, Implementation Act of 1988, vom 31. Oktober 1988. Einen Überblick über die damit verbundenen Rechts Wirkungen geben John A. Baumgarten und Christopher A. Meyer, The United States Joined the Berne Convention, in: Rights, Copyright and Related Rights in the Service of Creativity, Vol. 2, 1989, S. 1-4; dieselben, Die Bedeutung des Beitritts der USA zur Berner Übereinkunft, GRUR Int. 1989,620; s. auch Drexl, Zur Dauer des US-amerikanischen Urhebern gewährten Schutzes in der Bundesrepublik Deutschland: Änderungen aufgrund des Beitritts der Vereinigten Staaten von Amerika zur Bcrner Übereinkunft, GRUR Int. 1990, 35 ff. und Ross, The United States Joins the Berne Convention: New Obligations for Authors' Moral Rights?, 68 N.C.L.Rcv. 363 (1990). 57

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

dem Deutschen Bundestag hat die Bundesregierung betont, daß Kultur und kulturelle Leistungen in einem Kulturstaat zwar Werte an sich seien, gleichzeitig müsse aber ihrer wirtschaftlichen Bedeutung Rechnung getragen werden. Wörtlich heißt es dazu: „... die Bundesregierung (teilt) die seit einiger Zeit mit Recht gewachsene Überzeugung, daß Kunst und Kultur auch erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Die früher verbreitete Auffassung, Kunst und Kultur seien in starkem Maße auf öffentliche Förderung angewiesen, während sie ihrerseits zum Volkseinkommen nicht oder kaum beitrügen, verkennt in erheblichem Maße die Tatsachen und Zusammenhänge."8

Grundrechtsgarantien zugunsten der Kunst oder zugunsten der Freiheit der Berichterstattung durch Presse, Funk und Fernsehen stehen der gesetzgeberischen Regelung der von ihnen ausgehenden wirtschaftlichen Probleme nicht entgegen. Im Gegenteil kann die institutionelle Garantie von Freiheitsrechten den Gesetzgeber verpflichten, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für deren Funktionsfähigkeit zu sichern. In der Bundesrepublik hat das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz für die Bewahrung der Pressefreiheit durch Maßnahmen gegen Unternehmenskonzentration ausgesprochen.9 Ferner ist in Bundesstaaten die Kulturhoheit der Gliedstaaten mit der Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf wirtschaftlichem Gebiet nicht unvereinbar; es handelt sich um Aufgabenteilung nach Funktionen, nicht um gegenständlich abgegrenzte Bereiche. Ein Beispiel ist die Anwendbarkeit des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen auf die privatwirtschaftliche Tätigkeit der Rundfunkanstalten.10 Auch die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court zum Verhältnis von „performing arts and interstate commerce" 8 9

10

58

Kulturförderungspolitik der Bundesregierung, Bundestagsdrucksache 10-2237 vom 31.10.1984,5.22. 5.8.1966, BVerfGE 20, 162, 174; auch die Pressefusionskontrollc ist aus diesem Grund mit Art. 5 GG vereinbar, BGH 18.12.1979, BGHZ 76, 55, 64 = GRUR 1980,734, m. Anm. von Moosecker, BVerfG 29.8.1983, WuW/E VE 387. Dazu schon Bericht der Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsglcichhcit von Presse, Funk-Fernsehen und Film, Deutscher Bundestag, S.Wahlperiode, Drucksache V-2120, 1967, S. 210 ff.; umfassend zur Abgrenzung der Rundfunkkompetenz von den Gesctzgebungskompetenzen des Bundes: Karin Gabriel-Bräutigam, Rundfunkkompetenz und Rundfunkfreiheit, 1990; auch Mestmäcker, Die Anwendbarkeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf Zusammenschlüsse zu Rundfunkunternehmen, Festschrift Eugen Ulmer, GRUR Int. 1983, S. 553 ff. = ders., Recht und ökonomisches Gesetz, 2. Aufl., 1984, S. 291 ff.

§ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

bietet dafür reiches Anschauungsmaterial.11 Aus systematisch gleichen Gründen läßt sich die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts aufSachverhalte im Bereich der „Kulturhoheit" nicht ausschließen, sofern die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen seiner Normen vorliegen. Daß die rechtsgeschäftliche Verwertung von Urheberrechten von den Zielen des Gemeinsamen Marktes nicht generell unberührt bleibt, ergibt sich schon aus der im Anhang 3 zum EWG-Vertrag aufgeführten Liste der unsichtbaren Transaktionen i. S. von Art. 106 Ziff. 3, wonach die Mitgliedstaaten keine neuen Beschränkungen für die Transferierung einführen, die sich auf die dort genannten Transaktionen beziehen. Dazu gehören außer Zeitschriften, Büchern, musikalischen Verlagswerken und Schallplatten auch belichtete Filme, Spielfilme, gewerbliche Filme, Kultur- und Unterrichtsfilme sowie Erträgnisse aus Urheberrechten. Die Versuche, der EG jegliche Kompetenz zur Regelung des Urheberrechts abzusprechen, sind durch die Rechtsentwicklung überholt. 12 Erneute Aktualität hat die Abgrenzung von Gemeinschaftskompetenzen und Kulturhoheit jedoch für den Rundfunk gewonnen. Ein enger Zusammenhang mit dem Urheberrecht ergibt sich schon daraus, daß das Senderecht zu den wichtigsten Verwertungsrechten gehört. 2.

Rundfunk in der Wirtschaftsgemeinschaft

Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat am 3. Oktober 1989 eine „Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Ausübung der Fernsehtätigkeit" verabschiedet.13 In den Begründungserwägungen heißt es zum Zweck der Richtlinie: „Sie soll den Übergang von den nationalen Märkten zu einem gemeinsamen Markt für die Herstellung und Verbreitung von Programmen sichern und vorbehaltlich der Funktion des Fernsehens, das Allgemeinintcresse zu wahren, faire Wettbewerbsbedingungen gewährleisten."

Die Kompetenz der Gemeinschaft zur Rechtsangleichung im Rundfunk folgt aus den Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit. Zu unterscheiden ist das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungs verkehrs 11 12

13

Dazu Taubmann, Copyright and Antitrust, 1960, bes. S. 114 ff. Zum vermeintlichen Gegensatz von Wirtschaftsgemeinschaft und Kulturhoheit umfassend Götzen (jun.), Artistike eigendom en mcdedinging regels van de europcese economische gemcenschap, Lcyden 1971, Nr. 71 ff. ABI. EG 17.10.1989 L 298-23. Im einzelnen dazu u. §411. 59

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

in Art. 59 von der Ermächtigung zur Rechtsangleichung in Art. 66 in Verbindung mit Art. 57 EWGV. Bereits im Urteil Sacchi hat der Gerichtshof entschieden, daß Fernsehsendungen ihrer Natur nach Dienstleistungen im Sinne von Art. 60 EWGV sind.14 Mit dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich unvereinbar sind alle diskriminierenden Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Rundfunk. Sie können nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nach Art. 56 gerechtfertigt werden. Wirtschaftliche Ziele der Mitgliedstaaten sind keine Gründe i. S. dieser Vorschrift; zu den wirtschaftlichen Zielen gehört auch die Regelung der Finanzierung des Rundfunks durch Werbung.15 Unterschiedslos anwendbare Normen des staatlichen Rechts, die gleichwohl zu einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs führen, sind dagegen zulässig, wenn sie dem Allgemeininteresse dienen und keine unverhältnismäßigen Beschränkungen enthalten.16 Die aus den Verschiedenheiten der nationalen Rundfunkordnungen folgenden, nicht diskriminierenden Beschränkungen des grenzüberschreitenden Rundfunks können nur durch Rechtsangleichung beseitigt werden. Dies ist der gemeinschaftsrechtliche Grund für den Erlaß der Fernsehrichtlinie. Das wichtigste Ziel der Richtlinie besteht darin, den grenzüberschreitenden Empfang der Fernsehsendungen zu gewährleisten, die im Sendestaat rechtmäßig ausgestrahlt werden und den Vorschriften der Richtlinie entsprechen (Art. 2 Abs. l RL). Diese Vorschriften betreffen außer einer Regelung von Mindestquoten für Programme aus Europa, die Werbung, die Sponsorenwerbung, den Jugendschutz und das Gegendarstellungsrecht. Gegen die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf das Fernsehen richtet sich in der Bundesrepublik eine verbreitete Kritik. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sehen ihre vom Bundesverfassungsgericht garantierte Stellung als Medium und Faktor ausgewogener Meinungsbildung gefährdet. Die Bundesländer, die für die vom Bundes14 15 16

60

30.4.1974 Strafverfahren gegen Sacchi, Rs. 155/73, Slg. 428, Rn. 6. EuGH 26.4.1988 Bond van Adverteerders./. Niederländischer Staat, Rs. 352-58, Slg. 2135, Rn. 34 = GRUR Int. 1989, 665. EuGH 18.5.1980 Debauve, Rs. 52-79, Slg. 833 = GRUR Int. 1980, 608.; übereinstimmend das in der vorigen Fußnote zitierte Urteil. Vgl. kritisch zur Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts Koszuszeck, Freier Dienstleistungsverkehr und nationales Rundfunkrecht, ZUM 1989, 541 ff.; s. auch Bueckling, Nationale Abwehrfront gegen Weiterverbreitung ausländischer TV-Programme, ZUM 1988, 288 ff.

S l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

vcrfassungsgericht geforderte gesetzgeberische Ausgestaltung des Rundfunks ausschließlich zuständig sind, sehen die bundesstaatliche Ordnung in ihrem Wesensgehalt berührt. Sie bestreiten der Europäischen Gemeinschaft und dem Bund die Kompetenz, mit Hilfe einer wirtschaftlichen Zielen dienenden Rechtsangleichung in die zuerst kulturellen Aufgaben dienende Rundfunkordnung einzugreifen. Das Land Bayern hat deshalb die Zustimmung des Bundes zu der Richtlinie im Rat der Europäischen Gemeinschaften wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz beim Bundesverfassungsgericht angegriffen. 17 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Hoheitsakte der Gemeinschaft nicht mehr auf ihre Übereinstimmung mit den Grundrechten des Grundgesetzes zu überprüfen. 18 Es ist vielmehr Sache der Gemeinschaftsorgane und des Europäischen Gerichtshofs, einen eigenständigen und für die Bürger in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise geltenden Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Daraus folgt, daß das Land Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht nicht mit dem Argument gehört wird, daß die Richtlinie in die nach Art. 5 GG grundrechtlich gewährleistete Rundfunkfreiheit eingreife. Die Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft, einen Binnenmarkt für zwölf Mitgliedstaaten ganz verschiedener verfassungsrechtlicher Struktur und Tradition zu schaffen, schließt es von vornherein aus, gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen an der nationalen Zuständigkeitsordnung zu messen. Aus dem Prinzip der gleichmäßigen Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten folgt vielmehr deren Verpflichtung, die eigene Rechts- und Verfassungsordnung den Geboten des Gemeinschaftsrechts anzupassen. Das Bundesverfassungsgericht wird zu entscheiden haben, ob die Mitwirkung des Bundes am Erlaß der Richtlinie von dem auf Art. 24 GG beruhenden Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gedeckt ist.

17

18

Die von Bayern beantragte einstweilige Verfügung wies das BVcrfG ab; 11.4.1989 EuGRZ 1989, 337. Einen Überblick über die Diskussion und über die Stellungnahme der Ministerpräsidenten der Länder, des Bundesrats und der öffentlich-rechtlichen Anstalten gibt Jürgen Detz, Die EG-Fernschrichtlinic - ein Schritt zum europäischen Fernsehen?, Media-Perspektiven 1989, S. 677-687. BVerfG 22.10.1986, BVcrfGE 73, 339 („Solange II"). 61

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

III.

Rechtsangleichung im Urheberrecht

Im Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen"19 und im Entwurf der Fernsehrichtlinie, die dem Rat mit den Anträgen des Europäischen Parlaments zur Beschlußfassung vorgelegt wurde20, hatte die Kommission die Angleichung des Urheberrechts bei Weiterverbreitung durch Kabelunternehmen vorgeschlagen. Im Grünbuch über Urheberrecht und die technologische Herausforderung21 sind Vorschläge zur Harmonisierung des Urheberrechts enthalten, die seiner Bedeutung für Industrie und Handel, besonders für die Informationstechnologien, Rechnung tragen sollen.22 Über die Vorschläge der Kommission ist bisher nicht entschieden. Ihnen liegt kein abgestimmtes und umfassendes Konzept für die Harmonisierung des Urheberrechts zugrunde.23 1.

Kabel weiterverbreitung von Fernsehsendungen

Die vorgeschlagene Angleichung des Urheberrechts für die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen durch Kabel soll die Hindernisse beseitigen, die aus dem fortdauernden Bezug des Urheberrechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten folgen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfaßt das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs in Art. 59 nicht diejenigen Hindernisse für bestimmte wirtschaftliche Betätigungen, die auf die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über den Schutz des geistigen Eigentums 19

Dokument KÖM (84) 300 endg. Bericht im Namen des Ausschusses für Rechte und Bürgerrechte über den Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaft an den Rat (Köm 86,146 endg.) für eine Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriftcn der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, Dok. A 11-0246/87 vom 8.12.1987. 21 KÖM (88) 142 endg. 23.8.1988. 22 Rn. 1.3.3, abgedruckt in: Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht (UFITA) Bd. 110 (1989), 133-292; im folgenden: Grünbuch Urheberrecht. Einen Überblick gibt Sucker, Kommission der Europäischen Gemeinschaften verabschiedet Grünbuch zum Urheberrecht, Computer und Recht 1988, 707-710. 23 Dazu Adolf Dietz, The Harmonisation of Copyright in Community Law, GRUR Int. 1985, 379-410; auch Schricker, Harmonisation of Copyright in the EEC, GRUR Int. 1989, 466-485; ders., Zur Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Festschrift für Steindorff, 1990, 1438-1453. 20

62

§ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt zurückgehen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Anwendung dieser Vorschriften ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine versteckte Beschränkung des zwischenstaatlichen Warenverkehrs darstellt.24 In dem ursprünglichen Vorschlag der Fernsehrichtlinie war eine Zwangslizenz zugunsten der Kabelunternehmen vorgesehen. Art. 18 des Entwurfs lautet: „Wird einem Mitgliedstaat von einem Kabelunternehmen mitgeteilt, daß die zcitgleichc, unveränderte und ungekürzte Kabelverbreitung einer Rundfunksendung aus einem anderen Mitgliedstaat durch die Geltendmachung von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten verhindert wurde, so sorgt dieser Mitgliedstaat, an den die Mitteilung gerichtet ist, dafür, daß binnen zwei Jahren vom Zeitpunkt der Mitteilung an durch Anwendung einer gesetzlichen Lizenz die Kabelwciterverbreitung ermöglicht wird. Eine solche Anwendung ist nicht erforderlich, wenn binnen Zweijahresfrist, insbesondere durch vertragliche Vereinbarungen zwischen Rechtsinhabern und einem oder mehreren Kabelunternehmen das Hindernis für die Kabelweiterverbreitung beseitigt wird." Art. 19 des Entwurfs sieht für die Zwangslizenz eine „angemessene Vergütung" vor und nennt Kriterien für die Bemessung der Vergütung. Der Vergütungsanspruch soll nur von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden können. Falls eine Einigung über die Höhe der Vergütung nicht zustande kommt, soll diese von der „zuständigen Behörde" festgesetzt werden. Es kann sich dabei um ein Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder eine Schiedsstelle handeln. Diese Vorschläge hat der Rat trotz einer zustimmenden Empfehlung der Europäischen Parlaments nicht angenommen. Die Begründung im „gemeinsamen Standpunkt" lautet: „Der Rat hat die Argumente des Europäischen Parlaments in der Frage, ob ein Kapitel dieser Richtlinie dem Urheberrecht gewidmet sein sollte, aufmerksam geprüft. Er ist jedoch zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die bestehenden internationalen Übereinkünfte über Urheberrechte zufriedenstellend funktionieren und außerdem die Vielschichtigkeit dieses Fragenkomplexes einer eingehenden Prüfung in einem weiteren Rahmen als der der Fernsehtätigkeit bedarf; einer derartigen Prüfung könnte das Grünbuch der Kommission über das Urheberrecht zugrundcgelegt werden. Er war jedoch der Auffassung, daß der Vorschlag der Kommission in Bezug auf Kap. 5 (Urheberrecht) erforderlichenfalls im Lichte der Erfahrung mit der Durchführung der Richtlinie erneut geprüft werden soll."23 24

25

18.3.1980 Coditel, Rs. 62/79, Slg. 903, Rn. 15 = GRUR Int. 1980, 608.

Gemeinsamer Standpunkt des Rates zum geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvor-

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

In dem vom Rat hier in Bezug genommenen Grünbuch der Kommission sind keine Vorschläge zur Angleichung des Senderechts enthalten. Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, gesetzlich klarzustellen, daß bei zeitgleicher, unveränderter und ungekürzter Weiterleitung von Rundfunksendungen im Versorgungsbereich des Ursprungssendeunternehmens keine urheberrechtlichen Ansprüche bestehen und für den Rechtserwerb zur Weitersendung terrestrisch ausgestrahlter Rundfunksendungen durch Kabel für den Erwerb der Urheber- und Leistungschutzrechte die Verwertungsgesellschaftspflichtigkeit eingeführt werden sollte.26 2.

Urheberrecht und Industriepolitik

Die Vorschläge der Kommission, das Urheberrecht den technischen Herausforderungen anzupassen, sind stark von industriepolitischen Zielen bestimmt. Bei der notwendigen Abwägung der Interessen der Hersteller von Unterhaltungselektronik und der Urheber neigt die Kommission dazu, der „Wettbewerbsfähigkeit" der Industrie Vorrang einzuräumen. Eine Erklärung findet diese Politik in der Nähe der Unterhaltungselektronik zu den Fortschrittsindustrien der Kommunikation und der Datenverarbeitung. Die Fortschritte der Verbreitungs- und Vervielfältigungstechniken hätten die nationalen Grenzen de facto abgeschafft. Daraus folgert die Kommission die „Unzweckmäßigkeit der örtlich begrenzten Anwendung des einzelstaatlichen Urheberrechts."27 Vorgeschlagen werden indessen keine Maßnahmen, die den territorial nicht mehr eindeutig zurechenbaren Nutzungen des Urheberrechts gelten, wie es vor allem für die Sendungen der direkt strahlenden Satelliten zutrifft. Die Kommission folgt vielmehr den Forderungen der Hersteller von Tonträgern, die Kopierkapazität von digitalen Geräten durch entsprechende technische Vorkehrungen einzuschränken.28 Die Vorschläge sind auch industriepolitisch kaum begründbar und wettbewerbspolitisch, wenn nicht wettbewerbsrechtlich, fragwürdig.

26

27 28

64

Schriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernschtätigkeit, Brüssel, 10. April 1989, 858-889. Bericht über die Auswirkung der Urhebcrrechtsnovclle 1985 und Fragen des Urheber- und Leistungschutzrechts, Bundestagsdrucksache 11/4929 vom 7.7.1989,40. Grünbuch Urheberrecht (oben Fn. 22), Rn. 1.4.1. Grünbuch Urheberrecht, ebd., Rn. 3.12.1.

S l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

Die Bundesregierung hält eine gesetzliche Regelung zur zwingenden Einführung von Kopiersperren zum Schutz der digitalen Tonträger gegen eine uneingeschränkte Vervielfältigung wegen der damit verbundenen Nachteile nicht für sinnvoll.29 Umso überraschender ist es, daß die Bundesregierung es begrüßen würde, wenn die beteiligten Parteien im Wege vertraglicher Vereinbarungen im Rahmen der geltenden Gesetze technische Lösungen zur Verhinderung von Vervielfältigungen auf dem Markt durchsetzen könnten. Solche Vereinbarungen würden gegen Art. 85 Abs. l verstoßen und auch nicht nach Art. 85 Abs. 3 freistellungsfähig sein. Sie tragen gewiß nicht zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei. Die Kommission lehnt die Harmonisierung der Geräte und Leerkassettenvergütung nach dem Vorbild von § 54 des deutschen Urhebergesetzes ab. Es soll den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, welche Regelungen sie für die beste halten.30 Damit werden aber die Erfordernisse grenzüberschreitender Verbreitungs- und Vervielfältigungstechniken vernachlässigt. Der Vorschlag entspricht der Meinung der Kommission, daß die Vervielfältigung für den privaten Bedarf das Urheberrecht nicht in unzulässiger Weise beeinträchtige.31 Die Bundesregierung hat demgegenüber festgestellt, daß die mit der Urhebernovelle geschaffene Vergütungsregelung sachgerecht sei, zu angemessenen Ergebnissen führe, und beibehalten werden sollte.32 Die Weiterentwicklung des Urheberrechts wird bei diesem Stand der Diskussion in der absehbaren Zukunft Sache der nationalen Gesetzgeber bleiben. Dies zeigt insbesondere das am 14.12.1989 verabschiedete Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie. 33 Die gesetzliche Neuregelung geht in wichtigen Beziehungen über die Vorschläge der EG-Kommission

79 30 31 32 33

Bericht über die Auswirkung der Urheberrcchtsnovelle 1985, (oben Fn. 26), 62. Grünbuch Urheberrecht (oben Fn. 22), Rn. 3. 12. 3. Grünbuch Urheberrecht, ebd., Rn.3.10. 2. Bericht über die Auswirkung der Urheberrcchtsnovelle 1985, (oben Fn. 26), 61. Im einzelnen dazu Beschlußempfehlung und Bericht des Rcchtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 11/4712, Drucksache 11/5744 vom 21.11.1989; auch Kreile, Der Bericht der Bundesregierung über die Auswirkung der Urheberrechtsnovellc 1985 und Fragen des Urhcbcrund Leistungschutzrechts vom 4.7.1989 und seine gesetzgeberische Umsetzung in der 11. Legislaturperiode, bisher unvcröffentliches Manuskript. 65

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

zur Bekämpfung der Produktpiraterie im Grünbuch Urheberrecht hinaus.34 Unabhängig von den hier im Überblick dargestellten Vorhaben der Rechtsangleichung findet das geltende Gemeinschaftsrecht auf die Ausübung von Urheberrechten Anwendung und modifiziert die Bedingungen seiner Nutzung. Daraus folgt die Aufgabe, das auf den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und den internationalen Konventionen beruhende Urheberrecht schrittweise mit den Erfordernissen des Binnenmarktes in Einklang zu bringen.

IV.

Die wirtschaftliche Verwertung von Urheberrechten

1.

Märkte für Urheberrechte

Weil das Urheberrecht die verschiedenen Arten der Nutzung des Rechts erfaßt, um sie je einer besonderen Vergütungspflicht zuzuführen, folgt seine Verwertung der Entwicklung der Werknutzung in technischer und wirtschaftlicher Beziehung. Diesen Zusammenhang macht schon ein Überblick über die Verwertungsrechte augenfällig, wie sie das Urheberrechtsgesetz 1965 in Übereinstimmung mit der revidierten Berner Übereinkunft regelt.35 Die Modalitäten der Verwertung weisen auf die daraus entstehenden wirtschaftlichen Beziehungen sowie auf die Unternehmen und Industrien, die zu ihrer Produktion auf Urheberrechte angewiesen sind. Die Hersteller von Bild- und Tonträgern benötigen das Recht, Werke der Musik auf Tonträger aufzunehmen, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Diese Verwertung des Rechts „in körperlicher Form" führt zur Herstellung von Waren, die ihrerseits Gegenstand des zwischenstaatlichen Warenverkehrs sein können. Die Ausübung der Urheberrechte beeinflußt die Bedingungen, unter denen die Musikverbraucher am Wettbewerb teilnehmen. Zahlreiche Vorschriften des Urheberrechts und des Wahrnehmungsgesetzes haben den Zweck, die Konflikte zwischen den berechtigten Interessen der Urheber an angemessener Vergütung und dem Interesse der Produzenten an unbehinderter Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zu regeln. So soll die Zwangslizenz zugunsten der 34 35

66

Dazu 2. Kap., 19-93. Vgl. Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Anhang B l zur Brüsseler Fassung der Berner Übereinkunft zum Schütze von Werken der Literatur und der Kunst.

$ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

Hersteller von Tonträgern36 verhindern, daß diesen der Zugang zum Markt durch die Verweigerung von Nutzungsrechten verwehrt wird. Das Senderecht, als das Recht, das Werk durch Funk, Ton- oder Fernsehrundfunk, Drahtfunk oder ähnliche technische Einrichtungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, liegt den Beziehungen der Urheber zu den Rundfunkveranstaltern zugrunde. Sie sind neben der Tonträgerindustrie die wichtigsten Verbraucher von Urheberrechten. Neben dem Senderecht benötigen sie das Recht zur mechanischen Vervielfältigung, sofern es sich nicht um Lifesendungen handelt, sowie die Befugnisse, welche die Programmübertragung und den Programmaustausch zwischen den Rundfunkanstalten ermöglichen. Die Interessenlage von Urhebern, ausübenden Künstlern, Schallplattenherstellern einerseits und Rundfunkveranstaltern andererseits wird dadurch bestimmt, daß die Sendung von Musik im Rundfunk die Verbreitungschancen auf anderen Märkten beeinflußt. Dadurch erhält der Zugang zur Sendechance einen wirtschaftlichen Eigenwert, der sich auf die Beziehung zu Musik- und Programmanbietern auswirkt und von den Rundfunkanstalten zur Grundlage einer eigenen unternehmerischen Tätigkeit gemacht wird. Die daraus entstehenden Probleme beruhen überwiegend auf den besonderen Wirkungsmöglichkeiten des Mediums. In den Vereinigten Staaten hat die Konzentration der Rechte am Sendegut in der Hand der überregionalen Rundfunkunternehmen (networks) zu Antitrustklagen geführt.37 Die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Rundfunkanstalten, Filmherstellern, Filmtheatern, Fernsehproduzenten und Atelierbetrieben waren Gegenstand der Untersuchung einer vom Bundestag eingesetzten Kommission.38 Der weitgehenden Internationalisierung und Standardisierung des Musikgeschmacks und Musikverbrauchs entspricht die Internationalisierung der Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen, die aus der Verwertung von Urheberrechten entstehen. Das gilt nicht nur für Bild- und Tonträger sowie Rundfunksendungen; es gilt wegen der besonderen Nutzungsrechte an der öffentlichen Wiedergabe geschützter Werke ebenso für die Wahrnehmung der Aufführungsrechte („kleine Rechte"). 36 37 38

$61UrhG. Vgl. U. S. v. National Brodcasting Inc., Civil Action No. 72-819, 14.4.1972. Bericht der Kommission zur Untersuchung der Wcttbcwcrbsgleichheit von Presse, Funk/Fernsehen und Film (oben Fn. 10). 67

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

2.

Gesamtrepertoire und Einzelrechte auf dem Musikmarkt

Die Märkte für Urheberrechte entstehen häufig erst aus der Organisation von Verwertungsgesellschaften. Das gilt für die Wahrnehmung von Urheberrechten, die Einräumung von Nutzungsrechten, besonders aber für das Angebot produktions- oder sendefähiger Repertoires. Die Veränderung der Reproduktionstechnik, die Identität der Aufführung des Musikwerkes mit seiner Reproduktion, die Vermehrung der technischen Übertragungsmöglichkeiten und die Internationalität der Übertragungstechnik bestimmen die Interessenlage der Musikverwerter. Sie sind für die Produktion und die Verbreitung geschützter Musik auf ein Gesamtrepertoire angewiesen. Dieses Repertoire wird ihnen von Verwertungsgesellschaften durch Blankettlizenzen zur Verfügung gestellt. Die Blankettlizenz berechtigt zur Verwertung des gesamten Repertoires der Verwertungsgesellschaft. Die Vergütung wird sodann aufgrund der Mitteilung des Lizenznehmers über die tatsächlich genutzten Werke berechnet. Bei Pauschalverträgen entrichtet der Musikverwerter eine Gesamtvergütung ohne zur Einzelabrechnung verpflichtet zu sein. § 12 des Urheberwahrnehmungsgesetzes verpflichtet die Verwertungsgesellschaft zum Abschluß von Gesamtverträgen mit Vereinigungen von Musiknutzern. Gegenstand des Gesamtvertrages ist wiederum die Lizenzierung des Gesamtrepertoires. Die Nutzervereinigung leistet der Verwertungsgesellschaft Vertragshilfe.39 Die Notwendigkeit, die Wahrnehmung von Urheberrechten zu vergemeinschaften, folgt mithin aus den Interessen der Urheber an der Wahrung ihrer Rechte und den Interessen der Nutzer an der ungehinderten Musikproduktion. Der individuelle Erwerb aller Rechte, die etwa Rundfunkstationen für ihre Sendungen benötigen, wäre aus technischen und betrieblichen Gründen undurchführbar. Diese Interessenlage, die den Markt für Urheberrechte weitgehend bestimmt, hat in den USA dazu geführt, daß Verwertungsgesellschaften als legale Organisationen anerkannt sind, obwohl sie zahlreiche einzelne „Monopolrechte" zusammenfassen und daraus ein faktisches Monopol entsteht, so daß nach allgemeinen Grundsätzen ein Verstoß gegen das Monopolisierungsverbot anzunehmen wäre.40 Eine Individualisierung der Lizensierung käme für Musikverwerter nur in Betracht, soweit sie dadurch Rechte an „Hits" 39 40

68

Dazu Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, $ 12 UrhWG, Teil II. Im einzelnen unten § 61.

$ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

erwerben könnten. Begünstigt wären einige berühmte Urheber, während der Zugang zum Markt für newcomers, vor allem also für junge Urheber, weitgehend versperrt würde oder nur um den Preis weitgehender wirtschaftlicher Abhängigkeit erschlossen werden könnte. Die Exklusivverträge ausübender Künstler zeigen das Problem. Das durch Einzelverträge nicht zu befriedigende Interesse der Musikverwerter an einem Gesamtrepertoire wirktsichaufdieStellungdes einzelnen Urhebers im Verhältnis zur Verwertungsgesellschaft aus. Der Urheber steht der Verwertungsgesellschaft nicht als Kunde gegenüber, der er einzelne Werke anbietet; er wird als Mitglied vielmehr Teilhaber an einem Unternehmen, dem er Urheberrechte als Einlagen zur Verfügungstellt. Die Verwertung der Rechte wird nicht nur juristisch verselbständigt, sie wird auch unternehmerisch vergemeinschaftet. Die einzelnen Rechte verlieren im Verhältnis der Mitglieder zueinander ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit. Die Erträge aus der Verwertung der Rechte sind individuell nur teilweise zurechenbar. Die Verwertungsgesellschaft transformiert individuelle Urheberrechte in ein unternehmerisch nutzbares Gesamtrepertoire. Die technischen Besonderheiten der Kopier- und Vervielfältigungsmöglichkeiten haben dazu geführt, daß wichtige Vergütungsansprüche kraft Gesetzes nur von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden können (§26 Abs. 5, §27 Abs. l Satz 2, §54 Abs. 6, §59 Abs. l Satz 3 UrhG). In diesen Fällen sind Nutzung des Urheberrechts und Vergütungspflicht einerseits sowie die Beteiligung der Urheber an der Vergütung andererseits wirtschaftlich und rechtlich verselbständigt. Bei der Aufnahme von Funksendungen auf Bild- oder Tonträger und bei der Übertragung von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen sind verschiedene Gruppen von Urheberberechtigten betroffen. Diese Rechte werden von verschiedenen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen. Sie müssen sich deshalb zum Zweck der Geltendmachung der Ansprüche zusammenschließen. Das ist in der Bundesrepublik geschehen in der Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ).41

3.

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften und Unternehmensintegration auf dem Musikmarkt

Die Trennung des Verlagsrechts vom Aufführungsrecht und vom mecha41

Gcsellschaftsvertrag in der Fassung vom 21.4.1980, abgedruckt in Beck-Texte, UrhR, 2. Aufl. 1985, S. 216. 69

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

nischen Vervielfältigungsrecht beruht auf den Besonderheiten der Ausübung und Wahrnehmung dieser Rechte. Während der Urheber das Verlagsrecht auf einen Verleger überträgt, ist es für den Verleger und den einzelnen Urheber unmöglich, die Aufführung der Werke durch Dritte zu ermitteln. Die Funktionen urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften und die von ihnen organisierte Zusammenfassung von Aufführungs- und mechanischen Vervielfältigungsrechten haben sich mit dem Wandel der Reproduktionstechnik verändert. Zwar gehört es zum Wesen der Musik, daß sie im Gegensatz zu Werken der Dichtung oder der bildenden Kunst stets auf Reproduktion durch Aufführung angewiesen ist. Die konzertmäßige Aufführung von Musikwerken und deren Erfassung, ursprünglich die wichtigste Verwertungsart, hat jedoch zunehmend an Bedeutung verloren. Die wichtigsten Musikverbraucher sind nicht mehr die Konzertveranstalter, sondern Rundfunkveranstalter und Tonträgerindustrie. In der Bundesrepublik regelt das Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten42 die wirtschaftliche Stellung der Verwertungsgesellschaften. Das Gesetz hat den Zweck, die Musikverbraucher vor dem Markteinfluß der Verwertungsgesellschaften zu schützen und eine angemessene Wahrnehmung der Urheberrechte zu gewährleisten. Andere Strukturprobleme des Musikmarktes sind dagegen unbeachtet geblieben. Das gilt besonders für neu aufgetretene Konflikte zwischen Urhebern und Musikverbrauchern. Weil es lohnend geworden ist, Werke ausschließlich im Hinblick auf eine bestimmte Art ihrer Verwertung zu schaffen, werden künstlerische Tätigkeiten in die Unternehmensplanung der Industrie einbezogen. Diese Entwicklung läßt sich am Beispiel des Stummfilms, des Tonfilms und des Fernsehfilms aufzeigen. Marktgängige Musikstücke verbinden sich infolge der Sendung durch das Fernsehen nicht mehr mit einem bestimmten Urheber, sondern mit einem bestimmten Interpreten. Die Tonträgerindustrie trägt dieser Entwicklung durch den Abschluß von Ausschließlichkeitsverträgen mit berühmten ausübenden Künstlern Rechnung. Die Nachfrage der Rundfunkveranstalter nach Sendegut wird von ihnen teilweise durch Eigenproduktion befriedigt. Soweit sie Leistungen Dritter in Anspruch nehmen, kann das Interesse des Dritten an der Sendung stärker sein als sein Interesse an einem bestimmten Entgelt, weil häufig erst durch die Sendung Märkte erschlossen werden (Verbundmärkte). Die Rundfunk42

70

UrhWG, Mestmäckcr/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, Teil II.

§ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

veranstaltet können diese Interessenlage dadurch nutzen, daß sie sich an den Pfogrammbeiträgen Dritter finanziell beteiligen. Diese Art der vertikalen Integration kann auf den Märkten der Programmanbieter zu Wettbewerbsverfälschungen führen, weil die Verfügung über die Sendechance infolge des Sendemonopols Wettbewerbsvorsprünge ermöglicht. Zu dem Sendegut, das der Rundfunk in Anspruch nimmt, gehören nicht zuletzt Urheberrechte. Weil Urheberrechte die Musikproduktion erst ermöglichen, werden sie in den dargestellten Integrationsprozeß hineingezogen. Daraus entsteht ein wichtiges strukturelles Problem des Musikmarktes: die Unabhängigkeit urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften von den Musikverbrauchern. In den Vereinigten Staaten führte der Konflikt zwischen der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaft einerseits, den Filmproduzenten und den von ihnen kontrollierten Filmtheatern andererseits, zu privaten Antitrustklagen.43 Der Konflikt mit den wirtschaftlich weitaus wichtigsten Musikverbrauchern, nämlich den privatwirtschaftlich organisierten Radio- und Fernsehstationen, führte dazu, daß neben der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP) eine weitere Verwertungsgesellschaft gegründet wurde, nämlich die Broadcast Music Inc. (BMI). Die letztgenannte Verwertungsgesellschaft ist eine Gründung der amerikanischen Rundfunkindustrie. Sie geht zurück auf einen Tarifstreit zwischen ASCAP und Rundfunkindustrie, in dem sich die Beteiligten gegenseitig boykottierten. Mit Hilfe von BMI entwickelte die Rundfunkindustrie ein eigenes Repertoire. Die Beteiligung der Musikverleger an den Verwertungsgesellschaften erklärt sich historisch aus dem Zusammenhang zwischen Verlagsrecht und Aufführungsrecht, vor allem aus dem Zusammenhang zwischen der Verbreitung der Noten und der Aufführbarkeit des Werkes. Gegenstand des Verlagsvertrages ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Verpflichtung des Verlages, das ihm anvertraute Recht „ganz allgemein" zu betreuen. Dazu gehört außer der Verlegung der Noten auch die Aufnahme des Werkes auf Schallplatten und andere Tonträger, ggfls. in verschiedenen Interpretationen, und nicht nur durch einen Tonträgerhersteller.44 Durch die konzernmäßige Verbindung des Musikverlagsgeschäfts mit der Produktion von Tonträgern ist eine der wichtigsten Gruppen der Musikverbraucher Mitglied von Verwertungsgesellschaften 43 44

Alden Röchelte v. ASCAP, 80 F. Supp. 888 (S.D.N.Y. 1948); Widmark & Sons v. Jansen, 80 F. Supp. 843 (D. Minn. 1948); vgl. im einzelnen unten §61. BGH 29.11.1974, Schulze, RzU BGHZ 256 m. Anm. von Mestmächer. 71

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften

geworden. Aus den Versuchen von Verwertungsgesellschaften, ihre Unabhängigkeit auch gegenüber diesen Musikverbrauchern zu sichern, sind vereinsrechtliche und kartellrechtliche Konflikte entstanden.45

V.

Die Verwertungsgesellschaften für Musikurheberrechte im Gemeinsamen Markt

Unter den skizzierten wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Bedingungen haben sich in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften gebildet, deren Zweck und Organisationsformen in wesentlichen Beziehungen übereinstimmen. Besonderheiten ergeben sich aus Unterschieden in den zugrundeliegenden Urheberrechten, in der Rechtsstellung der Gesellschaften sowie aus der nur teilweise bestehenden Trennung der Wahrnehmung der öffentlichen Aufführungsrechte von der Wahrnehmung der mechanischen Vervielfältigungsrechte. In Belgien verwaltet die Societe Beige des Auteurs, Compositeurs et Editeurs (SABAM) die Aufführungsrechte und die mechanischen Vervielfältigungsrechte. In der Bundesrepublik nimmt die GEMA die Aufführungsrechte und die mechanischen Vervielfältigungsrechte wahr. Das Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom 9.9.1965 macht die treuhänderische Wahrnehmung von Nutzungsrechten, Einwilligungsrechten oder Vergütungsansprüchen aufgrund des Urheberrechtsgesetzes erlaubnispflichtig und unterstellt die Organisationen, die eine solche Tätigkeit ausüben (Verwertungsgesellschaften), der Aufsicht des Patentamtes. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Pflichten der Verwertungsgesellschaft gegenüber den Urhebern (§§ 6 ff.) und den Musikverbrauchern (§§ 11 ff.). Gegenüber den Urhebern besteht ein Wahrnehmungszwang „zu angemessenen Bedingungen". Im Verhältnis zu den Musikverwertern gilt ein Kontrahierungszwang zu angemessenen Bedingungen (§ 11). Die Verpflichtung, Gesamtverträge für die wahrgenommenen Rechte und Ansprüche abzuschließen, besteht gegenüber solchen Vereinigungen, deren Mitglieder nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Werke oder Leistungen nutzen oder zur Zahlung von Vergütungen nach dem Urheberrechtsgesetz verpflichtet sind (§ 12). Ver45

72

Vgl. im einzelnen unten § 7 VIII.

$ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

Wertungsgesellschaften müssen Tarife aufstellen und im Bundesanzeiger veröffentlichen. Die in Gesamtverträgen vereinbarten Vergütungssätze gelten als Tarife (§13 Abs. l Satz 2). Die Tarifwirkung der Gesamtverträge gilt jedoch nur zugunsten der Musikveranstalter, die Mitglieder des kontrahierenden Verbandes sind. Eine unterschiedliche Behandlung der verbandsfreien Musikverbraucher hält der BGH für gerechtfertigt, weil die Verbände Leistungen erbringen, die sonst in den Aufgabenbereich der Verwertungsgesellschaften fielen.46 Die Tarife müssen nicht notwendig davon abhängig sein, wieviel geschützte Werke der Musikveranstalter nutzt. Der BGH stützt sich dafür u. a. auf die schon vom Reichsgericht47 herangezogene Überlegung, daß eine Bemessung der Gebühr nach einzelnen, bestimmten Musikstücken kaum möglich sei oder doch mit übermäßigen Kontrollkosten verbunden, so daß sie praktisch nicht in Betracht komme. Falls eine Einigung über die Tarife mit Musikverbrauchern nicht erzielt wird, findet ein Schlichtungsverfahren vor der beim Patentamt gebildeten Schiedsstelle statt. Das Schlichtungsverfahren ist in den Fällen des S 14 UrhWG Prozeßvoraussetzung (§ 16 Abs. l UrhWG). Für Ansprüche auf Abschluß eines Gesamtvertrages ist das OLG München ausschließlich zuständig. Gegen dessen Entscheidung ist die Revision zum Bundesgerichtshof gegeben ($ 16 Abs. 4 Satz 6). Nach § 102 a GWB gilt für Verwertungsgesellschaften eine Bereichsausnahme. Unanwendbar sind die Verbote der $§ l, 15 auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften und auf Verträge und Beschlüsse, die sich auf die erlaubnisbedürftige Tätigkeit beziehen.48 Neben der Fachaufsicht des Deutschen Patentamtes ist das Bundeskartellamt für die Mißbrauchsaufsicht nach § 102 a und § 22 GWB zuständig. Diese Zuständigkeit wird in den Fällen eingeschränkt, in denen ein Gesamtvertrag von der Schiedsstelle (§ 102 a Abs. 2 Satz 2) oder vom OLG München (§ 102 a Abs. 2 Satz 3) festgesetzt wurde. In diesen Fällen richtet sich die Mißbrauchsaufsicht nur gegen „Bestimmungen zum Nachteil Dritter" und gegen die mißbräuchliche Handhabung des festgesetzten Vertrages. Ein Verhalten, das dem Inhalt des festgesetzten Vertrages entspricht, ist mithin der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht entzogen.

46

11.5.1973, GRUR 1974, 35, m. Anm. von Reimer.

47

RGZ 140, 232,

48

Im einzelnen dazu unten §6 III, 3, 4.

251.

73

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

In Frankreich nimmt die Societe des Auteurs, Compositeurs et Editeurs de Musique (SACEM) die Sende- und Aufführungsrechte war. Die Societe pour ^Administration du Droit de Reproduction Mecanique des Auteurs, Compositeurs et Editeurs (SDRM) verwaltet die Rechte zur mechanischen Vervielfältigung. Das Gesetz Nr. 85-660 vom 3.7.1985 über die Urheberrechte und die Rechte der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und Bildtonträgern sowie den Unternehmen der audiovisuellen Kommunikation 49 regelt in Am. 38-44 die Tätigkeit neuer Verwertungsgesellschaften. Sie unterstehen der Aufsicht des Kultusministers, dem sie ihre Jahresabschlüsse vorlegen müssen. Das gleiche gilt für Satzungen, Geschäftsordnungen (Art. 39 Abs. II) und Satzungsänderungen (Art. 41). Der Minister kann bei dem zuständigen Gericht eine Entscheidung darüber beantragen, ob die Gründer der Gesellschaft qualifiziert sind und ob die sachlichen und personellen Mittel für die beabsichtigte Tätigkeit ausreichen (Art. 39 Abs. II). Im übrigen finden die allgemeinen Vorschriften des Kartellrechts Anwendung. 50 In Großbritannien werden die Aufführungsrechte von der Performing Rights Society Ltd. (PRS) verwaltet. Die mechanischen Rechte nimmt die Mechanical Copyright Protection Society Ltd. (MCPS) wahr. Durch das Urheberrechtsgesetz vom 1.6.1957 wurde ein Performing Rights Tribunal zur Entscheidung über Streitigkeiten zwischen Verwertungsgesellschaften, anderen Inhabern von Urheberrechten und urheberrechtsähnlichen Rechten sowie Lizenznehmern geschaffen.51 Durch den Copyright, Designs and Patent Act von 1988 wurde die Zuständigkeit des Tribunal erweitert und in „The Copyright Tribunal" umbenannt. 52 Der Jurisdiktion der Schiedsstelle unterliegen nach See. 117-123 der Abschluß, der Inhalt und die Abänderung von Gesamtverträgen. Die Schiedsstelle entscheidet ferner darüber, ob die Verweigerung von Lizenzen gerechtfertigt ist. Das Verfahren wird eingeleitet auf Antrag einer Verwertungsgesellschaft, einer Musikverwertervereinigung oder eines Lizenznehmers. Die Vergabe individueller Lizenzen als solche unterliegt dagegen nicht dem 49 50 51

52

74

Text in Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Frankreich II, 28 ff. Dazu unten § 6 II. Vgl. im einzelnen Möhring/Schulze/Ulmer/Zweigert, Quellen des Urheberrechts, Großbritannien/I, 14f.; Copinger and Skone James, On Copyright llth ed 1971, 418 ff. Ch. VIII See. 145-152. Zu der Neuregelung im einzelnen Flint-Thorne-Wüliams, Intellectual Property - The New Law, 1989, 95-112.

S l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

Gesetz. Gegen die Entscheidung der Schiedsstelle findet die Berufung an den High Court wegen Rechtsverletzung statt (See. 152). Die Funktionen des Copyright Tribunal entsprechen weitgehend denen der Schiedsstelle nach dem Urheberwahrnehmungsgesetz. In Italien ist die Vermittlung von Aufführungs-, Darstellungs- und Vortragsrechten sowie von Senderechten und Rechten zur mechanischen und filmischen Vervielfältigung nach Art. 180 Abs. l des Gesetzes über den Schutz des Urheberrechtes vom 22.4.1941 einem Monopol übertragen, der Societä Italiana degli Autori et Editori (SIAE). Das Monopol erstreckt sich auch auf die Vermittlung von Rechten an Werken italienischer Urheber im Ausland. Unberührt bleibt das Recht der Urheber, seien sie italienischer oder ausländischer Staatsangehörigkeit, das Urheberrecht selbst auszuüben. 53 Die SIAE untersteht der Staatsaufsicht durch das Präsidium des Ministerrats. In den Niederlanden bedarf die Vermittlung von musikalischen Aufführungsrechten der behördlichen Zulassung. Anlaß für die gesetzliche Regelung war der Wettbewerb zwischen der französischen Verwertungsgesellschaft SACEM und der holländischen Het Bureau voor Muziek-Auteursrecht (BUMA). Dieser Wettbewerb wurde dadurch beseitigt, daß die Erlaubnis zur Wahrnehmung der kleinen Rechte ausschließlich der holländischen BUMA erteilt wurde. Die Verwertungsgesellschaft unterliegt behördlicher Aufsicht.54 Das Urheberrecht für mechanische Reproduktionen wird von der Stichting tot uitoefening en handhaving van Mechanische Reproduktie-Rechten der Auteurs (STEMRA) wahrgenommen. Den Verwertungsgesellschaften ist es gemeinsam, daß ihnen von den Urhebern in der Regel alle Rechte zur selbständigen Wahrnehmung übertragen werden. Die individuelle Wahrnehmung von Aufführungsrechten und mechanischen Vervielfältigungsrechten hat in keinem Mitgliedstaat der EWG praktische Bedeutung. Die Wahrnehmung eines nutzbaren Gesamtrepertoires setzt voraus, daß den Verwertungsgesellschaften auch die Rechte ausländischer Urheber zur Verfügung stehen. Diesem Zweck dienen die Gegenseitigkeitsverträge zwischen den nationalen Verwertungsgesellschaften über das jeweilige Gesamtrepertoire auf der Grundlage der Gegenseitigkeit. Ver53 54

Vgl. im einzelnen Mohring/Schulze/Ulmer/Zweigcrt, Quellen des Urheberrechts, Italien/I, 21. Vgl. Möhring/Schulzc/Ulmer/Zwcigert, Quellen des Urheberrechts, Niedcrlandc/I, 14. 75

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

tragstechnik und Organisationsformen waren bei Aufführungsrechten und mechanischen Vervielfältigungsrechten zunächst verschieden. Unter dem Einfluß der Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages haben sich die verschiedenen internationalen Organisationen der Verwertungsgesellschaften jedoch angenähert. VI.

Internationale Organisationen von Verwertungsgesellschaften für Musikurheberrechte

1.

CIS AC (Aufführungsrechte)

Die internationale Wahrnehmung der Aufführungsrechte durch Verwertungsgesellschaften wurde 1926 in der Confederation Internationale des Societes d'Auteurs et Compositeurs (CISAC) organisiert. Der Zweck der CISAC umfaßt nach Art. 4 ihrer Statuten „die Wahrung der Interessen der geistigen Schöpfer. Sie vereint die Organisationen der Urheber jeder Art und Tätigkeit auf dem Gebiet des literarischen und künstlerischen Eigentums und verfolgt als hauptsächlichen Zweck: a) Wahrung, Beachtung und Schutz der moralischen und beruflichen Interessen sicherzustellen, die aus jedem literarischen und künstlerischen Schaffen entstehen; b) die Beachtung der wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen, die mit diesem Schaffen auf internationaler Ebene und auf dem Gebiet der nationalen Gesetzgebung verbunden sind, zu überwachen und zu fördern; c) die praktische Arbeit unter den Vcrwertungsgesellschaften zu koordinieren und ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet zu gewährleisten, wobei vorauszusetzen ist, daß jede Verwertungsgescllschaft Herr ihrer eigenen Organisation bleibt; d) ein internationales Studien- und Informationszentrum zu errichten."55

Die aufgrund der Satzung ergehenden Beschlüsse der Konföderation verpflichteten ursprünglich die Mitglieder bezüglich ihres Verhaltens bei der Wahrnehmung der von ihnen verwalteten Urheberrechte. Für die gegenseitige Wahrnehmung der Urheberrechte im Verhältnis der Gesellschaften zueinander galt zunächst der Grundsatz, daß in jedem Land eine einzige Organisation die Ausübung und Verwaltung der verschiedenen Formen des Urheberrechts in sich vereinigen sollte. Nur in solchen Ländern, in denen Rechtsgründe der Existenz nur einer Gesell55

76

Die Satzung gilt gegenwärtig in der Fassung vom 14.11.1988.

§ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

schaft für Aufführungsrechte entgegenstanden, konnte eine zweite Urheberrechtsgesellschaft pro Land zugelassen werden. Aufgrund eines Konföderationsbeschlusses aus dem Jahre 1935 mußte die Zulassung eines ausländischen Mitgliedes unterbleiben, falls sich dessen nationale Gesellschaft widersetzte und sich verpflichtete, den Schutz des Autors oder seiner Werke zu sichern. Die Wahrnehmung der Urheberrechte war aufgrund eines Konföderationsbeschlusses durch Gegenseitigkeitsverträge zu sichern und zwar aufgrund von gegenseitigen ausschließlichen Vertretungsverträgen, die gemäß der Formel des föderalen Vertragstyps aufgestellt waren.36 Die Verträge beruhten auf dem Prinzip der Gebietsauschließlichkeit und der Mitgliederausschließlichkeit. Nach Art. 12 des konföderalen Gegenseitigkeitsvertrages waren die Verträge den Bestimmungen der Statuten und den Beschlüssen der CISAC unterworfen. 57 Demgemäß galten für die Durchführung der Gegenseitigkeitsverträge die Sanktionen, welche die Statuten für die Verletzung statuarischer Vorschriften vorsahen. Die Satzung in der Fassung vom 16./17. Oktober 1972 hat die Rechtsverbindlichkeit der konföderalen Beschlüsse aufgehoben. Der diese Beschlüsse regelnde Artikel 29 lautet: „Mit Ausnahme von reinen Verwaltungsmaßnahmcn haben alle im Einklang mit diesen Statuten getroffenen und den Organismen mitgeteilten Entscheidungen nur Empfehlungscharakter."

Die Gegenseitigkeitsverträge führen im Ergebnis dazu, daß die jeweilige nationale Verwertungsgesellschaft über das Weltrepertoire für ihr Verwaltungsgebiet verfügt. In der amtlichen Begründung zum Regicrungsentwurf eines Wahrnehmungsgesetzes heißt es dazu: „Die wachsende Verbreitung der Werke in Literatur und Kunst in aller Welt hat zur Folge, daß der einzelne Urheber nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland auf die Wahrnehmung seiner Rechte bedacht sein muß. Diesem Bedürfnis tragen die in den einzelnen Staaten bestehenden Verwertungsgesellschaftcn durch Abschluß sogenannter Gegenseitigkeitsverträge Rechnung. Nach diesen Vorschriften vertritt jede nationale Verwcrtungsgcsellschaft in ihrem Lande auch die ausländischen Gesellschaften, vermittelt für ihr Gebiet die ausländischen Rechte, übernimmt die Überwachung der öffentlichen Veranstaltungen und zieht die Gebühren ein, die dann gegenseitig verrechnet werden.'08 56 57 58

Zum wesentlichen Inhalt dieser Verträge, vgl. u. $ 7 VI. Text abgedruckt bei Schulze, Urheberrecht in der Musik, 3. Aufl. 1965, 448 ff. Abgedruckt bei Haertd/Schiefler (oben Fn. 1). 77

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgesellschaften 2.

BIEM (Mechanische Vervielfältigungsrechte)

a)

Zentrale internationale Lizenzierung

In dem 1929 gegründeten Bureau International de FEdition Mecanique (BIEM) haben sich Verwertungsgesellschaften zusammengeschlossen, um die internationale Wahrnehmung der Rechte der Aufnahme und der mechanischen Vervielfältigung zu koordinieren. Ursprünglich nahm das BIEM die mechanischen Rechte für die Mitglieder unmittelbar wahr. Zu diesem Zweck übertrugen die BIEM beteiligten nationalen Verwertungsgesellschaften alle gegenwärtigen und zukünftigen mechanischen Rechte auf das BIEM. Die Übertragung der Rechte erfolgte, wie sich aus Art. 3 der BIEM-Statuten ergab, in Form einer ausschließlichen Lizenz.59 Die Statuten bezeichneten es als die Aufgabe der Gesellschaft, die von allen Tonträgerfabrikanten zu zahlende Vergütung festzusetzen, den Inkassomodus festzulegen und die Vergütung unter die Bezugsberechtigten zu verteilen: „Hinsichtlich der Festsetzung der den Bezugsberechtigten zu zahlenden Vergütung, ihrer gesetzlichen Grundlage, der Dauer der Verträge und der Länder, für welche sie Gültigkeit haben sollen, sowie der Genehmigung oder des Verbots der Verwendung der von ihr verwalteten Repertoires wird die Tätigkeit der Gesellschaft gegenüber der Industrie zwangsläufig einheitlich und solidarisch sein und jegliches Sonderabkommen zugunsten bestimmter Länder oder bestimmter Bezugsberechtigter ausschließen." Den nationalen Gesellschaften wurde lediglich die Kontrolle sowie das Inkasso bei den Schallplattenherstellern für die Gesamtheit des Repertoires übertragen. Verhandlungspartner des BIEM war und ist eine internationale Organisation der Tonträgerindustrie, The International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), die sich ihrerseits in nationale Verbände gliedert. Zwischen BIEM und IFPI wurde der Inhalt des Normalvertrages ausgehandelt, der sodann vom BIEM mit den Herstellern von Tonträgern abgeschlossen wurde. Ein Zweck des Normalvertrages war es, sicherzustellen, daß alle Vertragspartner das gleiche Repertoire vom BIEM 59

78

Zu den ursprünglichen Statuten des BIEM sowie zum Text des aufgrund der Statuten vom BIEM abgeschlossenen Normalvertrages, vgl. Schulze, Urheberrechte in der Musik und die deutsche Urheberrechtsgesellschaft, 2. Aufl. 1956, 367 ff., 389 ff.

$ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt

erhielten und das BIEM mit allen oder mit keinem Fabrikanten den Normalvertrag abschloß. Deshalb wurde der Vertrag von Rechts wegen aufgelöst, wenn ein Schallplattenhersteller irgendwelche Reproduktionsrechte gegenüber irgendeinem anderen Schallplattenhersteller „als Monopol" benutzte oder wenn ein Schallplattenhersteller Werke auswertete, deren phonographische Reproduktion irgendeinem der anderen Schallplattenhersteller, die Unterzeichner des Normalvertrages waren, verboten wäre. Eine Meistbegünstigungsklausel verpflichtete das BIEM, dem Hersteller auf dessen Verlangen den Vorteil einer jeden Bedingung einzuräumen, den es anderen Herstellern gewährte. Die Vorschrift galt für Lizenzgebühren ebenso wie für alle anderen Rechte und Pflichten im Rahmen der Lizenzverträge. Eine entsprechende Meistbegünstigungsklausel galt zugunsten des BIEM: „Das BIEM kann mit sofortiger Wirkung den Vorteil einer jeden Bedingung verlangen, die in von Schallplattenherstellern mit nicht dem BIEM angeschlossenen Urhebern oder Berechtigten geschlossenen Verträgen oder Vereinbarungen über die phonographische Auswertung ihrer Werke enthalten ist, wenn es der Ansicht ist, daß diese Bedingungen für das BIEM selbst oder für seine Mitglieder vorteilhafter ist als die im vorliegenden Vertrag enthaltene entsprechende Bedingung oder wenn diese Bedingung für die dem BIEM nicht angeschlossenen Urheber oder Berechtigten einen im vorliegenden Vertrag nicht vorgesehenen Vorteil darstellt."

Das BIEM verfügte im Jahre 1959 in Europa über etwa 90% der für die Herstellung von Tonträgern wichtigen Urheberrechte.60

b)

Beurteilung nach deutschem Kartellrecht

Das Bundeskartellamt kam 1963 zu dem Ergebnis, es handele sich bei dem BIEM nicht um ein nach § l GWB verbotenes Kartell, weil angesichts der gegebenen Marktstruktur ein Wettbewerb selbst unter Außerachtlassung der vertraglichen Regelung nicht möglich wäre: „Aufgrund der gegenwärtigen Marktstruktur werden derzeit wenigstens in den EWG-Ländern die mechanischen Vervielfältigungsrechte entweder von den nationalen Gesellschaften oder dem BIEM verwaltet und den Verwertern auf Verlangen lizenziert. Jede nationale Urheberrechtsverwertungsgesellschaft wird nur in ihrem Lande tätig und läßt ihre Rechte im Ausland durch die dortigen Gesellschaften zu deren Bedingung und Tarifen wahrnehmen. Selbst wenn - nach einer etwaigen Auflösung des BIEM - die Bedingungen und Tarife der verschiedenen 60

Eramall, The Federation behind the Music, in: The Industry of Human Happiness, 1959, 94 ff. 79

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften nationalen Gesellschaften unterschiedlich wären, würden daher sämtliche mechanischen Rechte aller Berechtigten gegenüber der Schallplattenindustrie im Geltungsbereich des GWB von der hier ansässigen Urheberrechtsverwertungsgesellschaft, der GEMA, treuhänderisch verwaltet werden, wobei die GEMA ihre Bedingungen und Tarife zugrunde legt. Damit entfällt ein Wettbewerb der verschiedenen nationalen Urheberrechtsverwertungsgesellschaften um die deutschen Schallplattenhersteller hinsichtlich der mechanischen Vervielfältigungsrechte. Durch die Übertragung dieser Rechte auf das BIEM hat sich daher für den Wettbewerb der Urheberrechtsverwertungsgesellschaften untereinander nichts geändert."61

Auch eine Wettbewerbsbeschränkung durch den Zusammenschluß der Schallplattenhersteller in der IFPI verneinte das Bundeskartellamt, und zwar im wesentlichen im Hinblick auf die Zwangslizenz, welche nach deutschem Urheberrecht zugunsten aller Schallplattenhersteller in der Bundesrepublik gilt: „Die Schallplattenherstellcr als Wettbewerber können sich nicht gegenseitig in ihren Preisangeboten überbieten, um dadurch die Mitbewerber vom Erwerb der Rechte auszuschließen. Denn jeder Hersteller kann, sobald das Werk auf Tonträgern erschienen ist, gegen eine angemessene Vergütung die Einräumung einer Lizenz verlangen. Ein Wettbewerb der Schallplattenherstellcr auch um die Erstlizenz scheidet aus, weil die Komponisten die Rechte sofort an ihre nationale Urheberrechtsverwertungsgesellschaft übertragen und diese auch die neu geschaffenen Werke nicht einzeln zur Vervielfältigung anbieten, sondern im Rahmen ihres Repertoires auch die Neuschöpfungen zu den üblichen Bedingungen lizenzieren. Es ist daher nicht möglich, Zusammenschlüsse der Schallplattenhersteller zwecks Erwerb der mechanischen Vervielfältigungsrechte von entsprechenden Urheberrechtsverwertungsgcscllschaftcn als nach § l GWB unwirksame Einkaufssyndikate zu behandeln."62

c)

Koordinierte Lizenzierung

Das BIEM wurde am 27. März 1968 durch eine Satzungsänderung reformiert und in „Bureau International des Societes gerant les Droits d'Enregistrement et de Reproduction Mechanique" umbenannt.63 Die neue Struktur ist durch eine geringere Zentralisierung und eine größere Anpassungsfähigkeit an besondere Verhältnisse gekennzeichnet. Die Rechte werden von den Mitgliedgesellschaften nicht mehr auf das BIEM über61 62

63

80

Mitteilung des Bundeskartellamts v. 15.7.1963 über die Einstellung von Verfahren gegen Urheberrechtsgesellschaften, WuW/E BKartA 704, 714. BKA, ebd. Die Satzung gilt gegenwärtig in der Fassung vom 24. September 1990.

§ l Urheberrechte im Gemeinsamen Markt tragen. Das Verhältnis von BIEM und assoziierten Gesellschaften in der Wahrnehmung der Rechte ergibt sich aus Art. 2 der Satzung: „Die Gesellschaft hat zum Zweck, im Hinblick auf eine wirksame Wahrnehmung der Rechte der Aufnahme und der mechanischen Vervielfältigung die Gesellschaften, welche die genannten Rechte verwalten oder satzungsgemäß zu ihrer Verwaltung befugt sind, vorausgesetzt, daß sie über einen geeigneten Verwaltungsapparat verfügen, zu vereinen und in Verfolgung dieses Ziels: 1. ...

2. den Text eines Gegenseitigkeits- oder unilateralen Vertrages aufzustellen, der zwischen den assoziierten Gesellschaften abzuschließen ist, um die Verwaltung der Repertoires der anderen assoziierten Gesellschaften durch jede assoziierte Gesellschaft in ihrem Verwertungsgcbiet sicherzustellen; 3. in Form von Normalverträgen durch Verhandlungen den Text der Verträge zu vereinbaren, welche die assoziierten Gesellschaften in ihrem jeweiligen Gebiet mit den Schallplattenhcrstellern auf der Grundlage der Gleichbehandlung der Berechtigten zu schließen gehalten sind; 4. mit allen anderen Verbrauchern und/oder internationalen Gruppen von Verbrauchern des Rechts der Aufnahme und des Rechts der Aufnahme und mechanischen Vervielfältigung, insbesondere im Bereich Bildtonträger, Rahmenverträge oder allgemeine Bcnutzungsbedingungen zu vereinbaren oder aufzustellen, deren Anwendung den assoziierten Gesellschaften empfohlen wird." Die Pflichten der assoziierten Gesellschaften im Hinblick auf die genannten Zwecke folgen aus Art. 7 der Satzung, wonach diese verpflichtet sind, alles zur Erreichung des Gesellschaftszweckes Notwendige zu tun. Dazu gehört im einzelnen: „1. Jede assoziierte Gesellschaft verpflichtet sich, die Verwaltung ihres Repertoires den anderen assoziierten Gesellschaften für deren Verwertungsgebiete zu übertragen. Gibt es für das gleiche Verwertungsgebiet mehrere assoziierte Gesellschaften, so haben die übrigen assoziierten Gesellschaften die Wahl, welcher dieser Gesellschaften sie ihr Repertoire übertragen wollen. Die abzuschließenden Verträge sind die in Art. 2 Ziff. 2 vorgesehenen Gegenseitigkeits- oder unilateralen Verträge. 2. Dessenungeachtet kann der Verwaltungsrat auf Vorschlag des Vorstandes gegebenenfalls eine assoziierte Gesellschaft von der Verpflichtung zum Abschluß von Gegenseitigkeits- oder unilateralen Verträgen mit anderen assoziierten Gesellschaften des BIEM freistellen." Der Text der vom Vorstand aufgestellten oder vereinbarten Normalverträge und Rahmenverträge muß von der Generalversammlung mit einfacher Mehrheit genehmigt werden (Art. 20). Der Abschluß der Verträge

81

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

mit den Musikverbrauchern, die Kontrolle und das Inkasso liegen bei den assoziierten Gesellschaften. Sie können von den beschlossenen Normalverträgen abweichen, wenn sie entsprechenden zwingenden gesetzlichen Vorschriften unterliegen (Art. 7 Ziff. 3 d). Der CISAC und dem BIEM gehören zur Zeit alle Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt an. Der amerikanischen Verwertungsgesellschaft ASCAP ist es nach dem consent decree vom 14.3.195064 untersagt, sich an gegenseitigen und ausschließlichen Wahrnehmungsverträgen zu beteiligen. Der Gesellschaft ist es verboten, einer ausländischen Gesellschaft die Wahrnehmung ihrer Aufführungsrechte unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung anzubieten oder zu überlassen, daß die ausländische Gesellschaft des ASCAP die Wahrnehmung der Rechte für die USA überläßt. Ferner darf die ASCAP keiner internationalen Organisation, Vereinigung oder Gruppe von Aufführungsgesellschaften angehören, die es ihren Mitgliedern untersagt, mit Nichtmitgliedern Verträge zur Wahrnehmung der Aufführungsrechte zu schließen; oder die Anzahl der für jedes Land als Mitglied zugelassenen Gesellschaften begrenzt; oder die eine amerikanische Aufführungsgesellschaft daran hindert, einer ausländischen Gesellschaft Aufführungsrechte zur Wahrnehmung zu übertragen oder solche Rechte von einer ausländischen Gesellschaft übertragen zu erhalten; oder die sonst den Wettbewerb unter Aufführungsgesellschaften einschließlich der ausschließlichen territorialen Tätigkeit einzuschränken versucht. CISAC und BIEM waren an den Verfahren der EG-Kommission gegen die Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt nicht beteiligt.65

64

65

82

US. v. The American Society of Composers, Authors and Publisher, 1950-1951 CCH Trade Cases, para. 62, 595 (S.D.N.Y. 1950). Vgl. zu den älteren Entscheidungen: Comment, Controlling the Market Power of Performing Rights Societies: An Administrative Substitute for Antitrust Regulation, 72 Cal.L.Rev. 103, 113 f. (1984). Zur gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der Gegenseitigkeitsverträge, vgl. unten S 7 VI.

S 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

$2

Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

I.

Zusammenhänge zwischen gemeinschaftsrechtlichen und internationalrechtlichen Regelungen

Konflikte können zwischen den Zielen des Gemeinsamen Marktes und den Prinzipien des internationalen Urheberrechts entstehen. Die Berner Übereinkunft aus dem Jahre 1886 verbindet das Prinzip der Inländerbehandlung mit dem Prinzip der territorialen Alleinzuständigkeit der Verbandsländer für die Regelung urheberrechtserheblicher Sachverhalte. Art. 4 Abs. l der Übereinkunft in der Brüsseler Fassung gewährt allen einem Verbandsland angehörigen Urhebern in allen Verbandsländern diejenigen Rechte, welche die einschlägigen Gesetze den inländischen Urhebern gegenseitig gewähren oder in Zukunft gewähren werden, sowie die in der Übereinkunft besonders gewährten Rechte. Nach Art. 4 Abs. 2 richten sich der Umfang des Schutzes sowie die dem Urheber zur Wahrung seiner Rechte zustehenden Rechtsbehelfe ausschließlich nach der Gesetzgebung des Landes, wo der Schutz beansprucht wird, soweit die Übereinkunft nicht etwas anderes bestimmt. Die Versuche, aus der Berner Übereinkunft einen Schutz gegen die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf Urheberrechte abzuleiten oder kartellaufsichtliche Eingriffe abzuwehren, sind gescheitert.1 Der Grundsatz der Inländerbehandlung entspricht weitgehend dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.2 Der konventionsrechtliche Mindestschutz gilt grundsätzlich nicht im Ursprungsland des Werkes, so daß sich die Mindestgarantien in der Regel nur zugunsten von ausländischen Urhebern auswirken. Endlich enthält Art. 17 RBÜ einen Vorbehalt zugunsten der nationalen Gesetzgebung und Verwaltung, „die Verbreitung, die Aufführung oder die Ausstellung von Werken oder Erzeugnissen jeder Art ist zu gestatten, zu überwachen oder zu verbieten".

1

2

Vgl. den Überblick bei Frank Götzen, Der Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts und der Schutz der Urheber nach der Berner Übereinkunft, Mitarbeitcrfestschrift Eugen Ulmer, 1973, 83 ff. Dazu EuGH 13.7.1989 Staatsanwaltschaft./. Jean Louis Tournier, Rs. 395/87, Slg. 667. 83

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

Durch diesen Vorbehalt sind auch kartellrechtliche Maßnahmen gedeckt.3 Früher als für das Urheberrecht wurde der mögliche Konflikt mit den Zielen des Gemeinsamen Marktes für das Patent- und Warenzeichenrecht erkannt. Der Grund ist im unmittelbaren Bezug der gewerblichen Schutzrechte auf die Zollunion zu suchen, die nach Art. 9 EWG-Vertrag die Grundlage des Gemeinsamen Marktes bildet. Vergleichbare Fragen entstehen, soweit das Urheberrecht in körperlicher Form verwertet wird, so daß seine Ausübung den Warenverkehr behindert. Außer den Vorschriften über den freien Warenverkehr können auf die Verwertung von Urheberrechten die Wettbewerbsregeln, die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit und über den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar sein. Die einzige Vorschrift des EWG-Vertrages, die sich ihrem Wortlaut nach auf gewerbliches und kommerzielles Eigentum bezieht, ist Art. 36. Danach sind Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote u.a. dann rechtmäßig, wenn sie aus Gründen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. Die Bedeutung dieser Rechtsprechung tritt hervor, wenn man sie mit der fast wörtlich übereinstimmenden Formulierung in Art. XX des GATT vergleicht.4 Es handelt sich um die Anwendung des Verbots von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen auf die privatrechtliche Ausübung von Urheberrechten. Der Vergleich mit Art. XX GATT zeigt, daß auch Art. 36 einen potentiellen Anwendungsbereich hat, der über die Anwendung auf der Ebene des Privatrechts hinausgeht. Im Schrifttum hat man dagegen die Vgl. dazu Götzen, (oben Fn. 1), S. 87, Nr. 11. Allgemein dazu Windisch, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im zwischenstaatlichen Bereich, 1969, 23; auch Ulmer, Die Stockholmer Konferenz, XIV. Fragen des öffentlichen Rechts (Art. 17), GRUR Int. 1967, 453. Die GATT-Vorschrift lautet in dem hier erheblichen Teil: „Unter dem Vorbehalt, daß die folgenden Maßnahmen nicht so angewendet werden, daß sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen, darf keine Bestimmung dieses Abkommens ausgelegt werden, daß sie eine Vertragspartei daran hindert, folgende Maßnahmen zu beschließen oder durchzuführen: ... d) Maßnahmen, die zur Anwendung von Gesetzen oder sonstigen Vorschriften erforderlich sind, welche nicht gegen dieses Abkommen verstoßen, einschließlich der Bestimmungen über den Schutz von Patenten, Warenzeichen und Urheberrechten sowie über die Verhinderung irreführender Praktiken." 84

$ 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

Meinung vertreten, in Art. 36 würden die unmittelbaren staatlichen Maßnahmen den mittelbaren, auf Antrag eines Privaten in Gang gesetzten Maßnahmen zum Schütze des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums gleichgestellt, so daß deren Erwähnung überflüssig wäre, wenn Art. 30 nicht auch für „mittelbare Maßnahmen" gelten solle.5 Übersehen ist dabei der Anwendungsbereich von Art. 36, der sich auf unmittelbare Maßnahmen der Staaten zum Schütze des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums bezieht. Die Gemeinschaft hat in Übereinstimmung mit Art. XX GATT die Verordnung 3842-86 vom 1.12.1986 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Werke in den zollrechtlich freien Verkehrerlassen.6 § l i l a UrhG in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie vom 24.12.1989 sieht die Ermächtigung der Zollbehörden zur Beschlagnahme von Fälschungsstücken vor, die ein nach dem Urhebergesetz geschütztes Recht verletzen. Eine ähnliche Regelung enthält das Recht Großbritanniens in See. 111 und 112 des Copyright, Designs and Patent Act 1988.7 Auch die zollrechtlichen Vorschriften der USA zum Schütze des Urheberrechts zeigen die selbständige Bedeutung von Art. XX GATT. Title 17 USCA § 602 subs, b verbietet die Einfuhr von geschützten Gegenständen in die USA, wenn ihre Herstellung in den USA rechtswidrig gewesen wäre (Infringing copies or phono records). In anderen Fällen, in denen die Einfuhr zwar urheberrechtswidrig, aber nicht verboten ist, kann der Berechtigte verlangen, von den Zollbehörden gegen Entrichtung einer Gebühr über die Einfuhr unterrichtet zu werden. Die im früheren Recht enthaltene manufacturing clause verbot die Einfuhr urheberrechtlich geschützter Werke, die nicht in den USA hergestellt worden waren.8 Das neue Recht (title 17 § 602) hat die Anwendbarkeit dieser dem Schutz der amerikanischen Druckindustrie dienenden Regelung eingeschränkt und bis zum 1.7.1982 befristet. Zu diesem Zeitpunkt ist sie automatisch außer Kraft getreten.

5

6

7

8

Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im europäischen Gcmeinschaftsrecht, 1973, 36. ABI. EG L 357, 1. Dazu Dune, UK Copyright, Designs and Patent Act 1988,201.I.C. (International Review of industrial property and copyright law), 637ff. (1989). Vgl. dazu Atwood, Importing and Copyrights. The Role of the United States Bureau of Customs, 18 Bull. Copr. Soc. 1 ff. (1970/71).

85

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Zollrechtliche Maßnahmen zum Schütze des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums müssen mithin von Einschränkungen der privatrechtlichen Ausübung dieser Rechte unterschieden werden. Aber auch diese Anwendung von Art. 30 wendet sich gegen staatliche Maßnahmen, nämlich gegen die Gesetzgebung, die es den Rechtsinhabern ermöglicht, den zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr zu behindern. Dieser Anwendungsbereich wird den Vorschriften des GATT über Patente, Warenzeichen und Copyrights zutreffend mit der Begründung abgesprochen, daß die in der Havanna-Charta vorgesehenen Vorschriften über wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, einschließlich der Vereinbarung über gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, nicht in das GATT übernommen worden seien.9 Im Grammophon-Urteil hat der Gerichtshof den Schutz der Freiheit des Warenverkehrs ergänzend durch den Hinweis auf die Wettbewerbsregeln begründet.10 Dabei handelt es sich um ein notwendiges Element der systematischen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Aus dem Zusammenhang der staatsgerichteten Normen des EWG-Vertrages mit den Wettbewerbsregeln folgt jedoch nicht, daß sich die Kriterien, nach denen zu beurteilen ist, ob ein Gesetzesverstoß vorliegt, für Artt. 30, 36 und für die Wettbewerbsregeln entsprechen. Der „Bestand des Schutzrechts", der anhand seines spezifischen Gegenstandes zu ermitteln ist, bezeichnet lediglich eine Grenze der Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts, ohne die für die Beurteilung nach Art. 30 oder die nach den Wettbewerbsregeln maßgeblichen Kriterien zu erschöpfen.

II.

Gewerbliches und kommerzielles Eigentum

Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Urheberrecht für Tonträger folgt aus den Grundsätzen, die für Bestand und Ausübung des „gewerblichen und kommerziellen Eigentums" i. S. von Art. 36 EWGV gelten. Art. 36 S. l enthält eine Ausnahme von dem Verbot mengenmäßiger Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen, die aus Gründen dieser Eigentumsrechte gerechtfertigt sind. Ihr gemeinsames Kennzeichen besteht in den von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten verlieheJackson, World Trade and Law the of GATT, 1969, 511. 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. Metro, Rs. 78/70, Slg. XVII, 487, 50 = GRUR Int. 1971, 450 = Schulze, RzU, EuGH l m. Anm. von Mestmäcker, wo der Zusammenhang mit den Wettbewerbsregeln im einzelnen dargestellt wird [in diesem Band unter Nr. 2, S. 31 ff., abgedruckt]. 86

5 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

nen Ausschließlichkeitsrechten sowie in ihrer kommerziellen Nutzung.11 Schon vor dieser generalisierenden Auslegung hatte der Gerichtshof Urheberrechte und urheberrechtsähnliche Rechte als kommerzielles und gewerbliches Eigentum in Sinne von Art. 36 anerkannt. 12 Aus der Anwendung des Art. 36 auf Urheberrechte folgt, daß die Vorschriften über den freien Warenverkehr für Tonträger auch dann gelten, wenn sie geschützte Musikwerke enthalten.13 Der Umstand, daß das Urheberrecht Persönlichkeitsrechte umfaßt, steht der Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf seine kommerzielle Nutzung nicht entgegen.14 Für alle Schutzrechte gilt der in ständiger Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, daß der EWG-Vertrag den Bestand dieser Rechte gewährleistet, ihre Ausübung aber den Vorschriften des EWG-Vertrages unterfallen kann. Die Unterscheidung von Bestand und Ausübung trifft der Gerichtshof anhand des „spezifischen Gegenstands" der einzelnen Schutzrechte. Indem der Gerichtshof Ausübung und Bestand von Schutzrechten unterscheidet, trägt er zugleich der Eigentumsgarantie in Art. 222 EWG-Vertrag Rechnung. Der Wortlaut von Art. 36 zeigt, daß die dort genannten Rechte von der gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgarantie erfaßt werden. Art. 36 konkretisiert Inhalt und Schranken des Eigentums. Das gilt vor allem im Hinblick auf den vom Gerichtshof anerkannten grundrecht11

12

13 14

EuGH 24.1.1989 EMI Electrola ./. Patrizia Im- und Export, Rs. 341/87, Rn. 7 = GRUR Int. 1989, 319, im Druck bei Schulze, RzU EuGH mit Anm. von Mestmäkker. Zum Anwendungsbereich des Art. 36 auf gewerbliche Schutzrechte zusammenfassend Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, GRUR Int. 1989, 603, 608 ff. EuGH 20.1.1981 Musikvertrieb Membran ./. GEMA, Rs. 55 und 57/80, Slg. 147, 162, Rn. 12 = GRUR Int. 1981, 229 („Gebührendifferenz II"). Dazu auch das Folgeurtcil des BGH, 27.2.1981, BGHZ 80, 101,108 f. = GRUR Int. 1981, 562 mit Anm. Ulmer; EuGH 9.4.1987 Basset./. SACEM, Rs. 402/85, Slg. 1763,1767, Rn. 11 = GRUR Int. 1988,243; für den urheberrechtlichen Schutz von Mustern und Modellen EuGH 14.9.1982 Keurkoop BV./. Nancy Kean Gifts Co., Rs. 144/81, Slg. 2853 („Muster und Modelle") = GRUR Int. 1983, 643; für das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers EuGH 24.1.1989 EMI Electrola./. Patrizia (oben Fn. 11); noch offengelassen in EuGH 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. Metro (oben Fn. 10) Rn. 11; zur neueren Rechtsprechung Joliet, Geistiges Eigentum und freier Warenverkehr: Die Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in den Jahren 1987 und 1988, GRUR Int. 1989, 144, 177. So zuerst EuGH 20.1.1981 Musikvertrieb Membran (oben Fn. 12) Rn. 8. Ebd., Rn. 12. 87

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

liehen Schutz des Eigentums in der Gemeinschaft.15 Im Schrifttum ist auch die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit Art. 14 GG erörtert worden.16 Diese Frage hat jedoch ihre praktische Bedeutung verloren, seit das Bundesverfassungsgericht die Hoheitsakte der Gemeinschaft nicht mehr anhand der Grundrechte überprüft. 17

III.

Bestand der Schutzrechte

Bestand und spezifischer Gegenstand der Schutzrechte entscheiden darüber, welche Schranken der Ausübung dieser Rechte durch das Gemeinschaftsrecht gezogen werden dürfen. Art. 36 grenzt vorbehaltlich von Maßnahmen der Rechtsangleichung auch die Kompetenzen der Gemeinschaft von der Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten ab. Im deutschen Schrifttum wurde diese Frage anhand der urheberrechtlichen Vergütungspflicht für Leerkassetten erörtert. Im Gesetzgebungsverfahren wurde gegen die geplante Regelung eingewendet, sie sei mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, weil die Leerkassettenabgabe dem aus supranationaler Sicht zu ermittelnden spezifischen Gegenstand des Urheberrechts widerspreche.18 Es ist zwar richtig, daß die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs generalisierende Aussagen über den spezifischen Gegenstand der einzelnen Schutzrechte enthält. Daraus folgt aber nicht, daß es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, gewerbliche und kommerzielle Ausschließlichkeitsrechte in ihrer Gesetzgebung zu schaffen und diese Rechte inhaltlich so auszugestalten, wie sie es für geboten halten. Generalanwalt Reischl hat im Verfahren Keurkoop die maßgebliche Frage zutreffend formuliert. Zu prüfen sei, ob sich der spezifische Gegenstand nach einer einheitlichen, gleichsam idealtypischen Aus15 16

17 18

88

Grundlegend EuGH 13.12.1979 Hauer./. Land Rheinland-Pfalz, Rs. 44/79, Slg. 3745-3749, Rzn. 10-30. Beispielhaft sei verwiesen auf Rupp, Die gewerblichen Schutzrechte im Konflikt zwischen nationalen Grundrechten und Europäischem Gemcinschaftsrecht, NJW 1976, 993 ff.; Ipsen, Inhalt und Grenzen gemeinschaftsrechtlicher Einwirkungen auf die Marke als Eigentum, in: Hefermehl/Ipsen/Schluep, Nationaler Markenschutz und freier Warenverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1979, 179-180. BVerfG 22.10.1986, BVerfGE 73, 339 („Solange II")· Sack, Die Urheberrechte der Leerkassettenvergütung - zur Problematik der in den Regierungsentwürfcn einer Urheberrechtsnovellc von 1982 und 1983 vorgesehenen Leerkassettcnvergütung, Betriebsbcrater-Beilagc 15/1984.

§ 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gcmeinschaftsrecht

gestaltung eines Schutzrechts bestimme, oder ob bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstandes von der jeweiligen nationalen Gesetzgebung unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Ausgestaltung auszugehen sei. Seine Antwort lautet: „Diese Frage kann meiner Ansicht nach aufgrund von Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des Art. 36 des EWG-Vertrages nur in dem Sinne beantwortet werden, daß, solange die einzelstaatlichen Vorschriften über den Schutz des gewerblichen Eigentums in der Gemeinschaft noch nicht vereinheitlicht sind, lediglich der mitgliedstaatlichc Gesetzgeber über ihren Bestand entscheiden kann, folglich ist es grundsätzlich auch allein Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte gewährleisten wollen und wie diese im einzelnen ausgesteltet sein sollen, wobei allerdings die vom Vertrag gesetzten Grenzen zu beachten sind." 19

Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof ein holländisches Gesetz gebilligt, das den urheberrechtlichen Schutz von Mustern und Modellen allein aufgrund einer Hinterlegung entstehen läßt, ohne daß geprüft werden muß, ob das hinterlegte Modell eine besondere geistige oder künstlerische Schöpfung ist und ob der Hinterleger auch der Urheber ist. Das Gemeinschaftsrecht erkennt das Urheberrecht mithin grundsätzlich so an, wie es der nationale Gesetzgeber ausgestaltet. Es gibt kein vom nationalen Recht verschiedenes supranationales Wesen des Urheberrechts.20 Zum Bestand des Urheberrechts, über dessen Voraussetzungen und Modalitäten beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die nationale Gesetzgebung entscheidet, gehört die Dauer des Urheberrechtsschutzes.21 Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels, die auf verschiedenen Schutzfristen beruhen, sind nach Art. 36 gerechtfertigt. Wenn ein Tonträger in einem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht 19

20

21

14.9.1982 Keurkoop BV ./. Nancy Kean Gifts Co. (oben Fn. 12) Slg. 2880; vgl. zu diesem Urteil, v. Bar, Europäisches Gemcinschaftsrecht und deutsches Urheberrecht, UFITA Bd. 97 (1984), 167, 169 f. Mestmäcker, Die Vereinbarkeit der Lcerkasscttcnabgabe und der Geräteabgabe mit dem europäischen Gemeinschaf tsrecht, GRUR Int. 1985, 13, 19; übereinstimmend Loewenhäm, in: Schrickcr, Urheberrecht 1987, § 17, Rn. 31; auch Beier, GRUR Int. 1989, 603,609 f. (oben Fn. 11), der in diesem Zusammenhang die Unterscheidung des Gerichts von Bestand und Ausübung der Schutzrechtc kritisiert; dazu v. Bar, Abweichende Schutzfristen der Urheberrechte - Handelsschranken in der Europäischen Gemeinschaft?, NJW 1979, 466 ff. EuGH24.1.1989 EM1 Electrola./. Patrizia Im-und Export u. «.(obenFn. ll)Rn. 11 und 12. 89

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

wird, wo die für ihn geltende Schutzfrist bereits abgelaufen ist, so kann sich der Inhaber des Rechts aufgrund des im Einfuhrland fortbestehenden Schutzes der Einfuhr widersetzen. Dieser Fall ist von dem anderen gesondert zu behandelnden zu unterscheiden, in dem der Rechtsinhaber die ihm geschützten Gegenstände in einem Mitgliedstaat selbst in Verkehr gebracht hat, in dem kein Urheber- oder Patentschutz besteht.

IV.

Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts

Die mögliche Rechtfertigung von Einschränkungen des freien Warenund Dienstleistungsverkehrs durch die Ausübung von Schutzrechten ermittelt der Gerichtshof anhand ihres spezifischen Gegenstandes. Die wiederkehrende Formel hierzu lautet, daß die Erfordernisse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und die Wahrung der berechtigten Interessen an der Ausübung der ausschließlichen Eigentumsrechte an literarischen und künstlerischen Werken miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Zu verhindern sei insbesondere jede mißbräuchliche Ausübung dieser Rechte, die geeignet ist, künstliche Abschottungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes beizubehalten oder zu schaffen.22 Als spezifischen Gegenstand des Urheberrechts bezeichnet der Gerichtshof in allgemeiner Form die „übliche Verwertung eines Urheberrechts".23 Mit dieser Formulierung nimmt der Gerichtshof einen Grundgedanken des Urheberschutzes auf. Es ist der Anspruch auf angemessene Beteiligung des Urhebers an jeder wirtschaftlich gesonderten Nutzung seines Werkes. Die EG-Kommission hat zutreffend hervorgehoben, daß 22 23

90

Beispielhaft verwiesen sei auf EuGH 24.1.1989 EMI Electrola ./. Patrizia u. a. (oben Fn. 11) Rn. 8. EuGH 9.4.1987 Basset./. SACEM (oben Fn. 12) Slg. 1763,1768, Rn. 16. Kritisch zur Definition des „spezifischen Gegenstandes" Götzen, Gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30-36 des EWG-Vertrags, GRUR Int. 1984, 146, 147 ff. Die von ihm vermißte nähere Analyse der Besonderheiten der gewerblichen Schutzrechte hat der Gerichtshof, wie die hier behandelte neuere Rechtsprechung zeigt, besonders im Urheberrecht weitergeführt und ergänzt. Dazu auch Joliet (oben Fn. 12) 178 f.; allg. s. Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 1987, § 17, Rn. 31; Bappert/Maunz/Schricker, Verlagsrecht, 2. Aufl. 1984, Einl. Rn. 51; Reischl, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, GRUR Int. 1982, 151 ff.; Knöpfte, Das Recht des Urhebers zur Abwehr von Importen und das europäische Recht, UFITA, Bd. 79 (1977), 123 ff. 143 ff.

S 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemeinschaftsrecht

der Gerichtshof in diesem Urteil mit „ungewöhnlicher Deutlichkeit" darauf hingewiesen hat, daß der Bestand des Urheberrechts alle Ausübungshandlungen umfaßt, die zu seiner normalen Verwertung gehören.24 Dies gilt auch dann, wenn Verwertungsgesellschaften, die über eine beherrschende Stellung verfügen, die ihnen übertragenen Rechte wahrnehmen. Aus dem Grundsatz der Beteiligung des Urhebers an jeder gesonderten wirtschaftlichen Nutzung seines Rechts folgt u. a., daß das Gemeinschaftsrecht nationalen Regelungen nicht entgegensteht, die dem Urheber das auschließliche Recht zur Vermietung von Videokassetten vorbehalten, während dieses Recht in anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt ist.25 Dieses Recht kann der Urheber auch dann geltend machen, wenn er die Videokassette in einem Mitgliedstaat selbst in den Verkehr gebracht hat, in dem im Gegensatz zum Einfuhrland ein Vermietungsrecht nicht besteht.26 Zu den gemeinschaftsrechtlich erheblichen Unterschieden in der Verwertung des Urheberrechts gehört die in körperlicher Form (§15 Abs. l UrhG) und in unkörperlicher Form durch öffentliche Wiedergabe (§15 Abs. 2). Auf die Verwertung in körperlicher Form sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den freien Warenverkehr, auf die in unkörperlicher Form die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit anwendbar. Zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts, das in körperlicher Form verwertet wird, gehört die Befugnis des Urhebers, sein Recht in kommerzieller Form durch Lizenz zu nutzen 27 sowie über Herstellung 24 25

26

27

17. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1988), Tz. 8. EuGH 17.5.1988 Warner Brothers./. Christiansen, Rs. 158/86 Slg. 2629 = GRUR Int. 1989,668.]oliet (oben Fn. 12) hebt hervor, daß die Vermietung von Videokassctten zur Benutzung für private Zwecke gehöre, die vom Vertrieb ebenso zu unterscheiden sei, wie von der öffentlichen Wiedergabe. Der nationale Gesetzgeber sei also nicht gehindert, verschiedene Abnehmerkreise durch eine entsprechende Ausgestaltung des Benutzungsrechts zu erfassen. Für das deutsche Urheberrecht hat das BVcrfG mit Beschluß vom 16.11.1989 die Rechtsprechung des BGH bestätigt, wonach die Erschöpfung des Vcrbreitungsrechts ($ 17 Abs. 2 UrhG) des Herstellers von Tonträgern auch für die Vermietung gilt. Diese Auslegung des geltenden Urheberrechts sei nicht willkürlich und verstoße auch nicht gegen die Eigentumsgarantie. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besteht nicht, weil es eine Frage des nationalen Rechts ist, ob es ein gesondertes Vermietungsrecht anerkennt oder nicht. Ebd., Rn.9. 91

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

(Vervielfältigung) und Verbreitung selbst oder über seinen Verleger zu entscheiden, insbesondere den Ort frei zu wählen, an dem das Werk in Verkehr gebracht wird.28 Zu dem spezifischen Gegenstand des Urheberrechts, das in unkörperlicher Form verwertet und der Allgemeinheit durch beliebig oft wiederholbare Vorführungen zugänglich gemacht wird, gehört die Befugnis, „für jede Vorführung eine Vergütung zu verlangen". Zu diesem Zweck können Nutzungsrechte auch unter territorialen Beschränkungen vergeben werden.29 Es gibt keine „Erschöpfung" des Rechts durch Erstaufführung in einem Mitgliedstaat.30 Welcher Art der Verwertung eine nationale Regelung zuzuordnen ist, entscheidet der Gerichtshof anhand ihrer wirtschaftlichen Funktion. So sieht das französische Recht bei der öffentlichen Aufführung von Werken, die auf Tonträger aufgenommen sind, eine „zusätzliche Gebühr für die mechanische Vervielfältigung" vor. Der Gerichtshof entschied, der Sache nach handele es sich um eine besondere Art der Vergütung für die öffentliche Aufführung geschützter Werke. Dies gehöre zur „normalen Verwertung eines Urheberrechts". Sie falle als solche nicht unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung und stelle auch keine gegen Art. 36 Abs. 2 verstoßende willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar.31 Die Verwertung des Urheberrechts in körperlicher und in nichtkörperlicher Form durch Aufführung treffen zusammen, wenn Tonträger aus einem 28 29

30

31

92

EuGH 20.1.1981 Mttsikvertrieb Membran (oben Fn. 12) Rn. 25. EuGH 18.3.1980 Coditel./. Cine Vog Films, Rs. 62/79, Slg. 881, 903 = Schulze, RzU EuGH 6 mit Anm. von Mestmäcker= GRUR Int. 1980, 602 („Lc Boucher"); übereinstimmend EuGH 13.7.1989 Staatsanwaltschaft./. Tournier, Rs. 395/87 (oben Fn. 2) Rn. 12. Das gilt erst recht, wenn eine Live-Aufführung ohne Einwilligung des ausübenden Künstlers auf Tonträger mitgeschnitten wird und davon hergestellte Tonträger in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebracht werden. Die Untersagung der Einfuhr ist nach Art. 36 gerechtfertigt, s. OLG Hamburg, 4.10.1984, ZUM 1985, 371, 375 („Zauberflötc"), insoweit vom BGH (ZUM 1987,462) nicht aufgehoben. S. auch das Folgeurteil des OLG Hamburg, ZUM 1990, 38. Vgl. da/u Hesse, Flankenschutz für das Leistungsschutzrccht, ZUM 1985, 365 ff.; Unger/v. Olenhusen, Historische Livc-Aufnahmen ausübender Künstler im Bereich klassischer Musik, ZUM 1987,154 ff.; Dietz, Die Entwicklung des Urheberrechts der Bundesrepublik Deutschland von 1984 bis Anfang 1989, UF1TA Bd. 112 (1990), 5-131, Rn.237ff. EuGH 9.4.1987 Basset./. SACEM (oben Fn. 12).

§ 2 Bestand und Ausübung von Urheberrechten im Gemcinschaftsrecht

anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, wo sie rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind und im Einfuhrland zur öffentlichen Wiedergabe der geschützten Werke verwendet werden. In einem solchen Fall steht die Erschöpfung des Urheberrechts durch das erste Inverkehrbringen mit Zustimmung des Rechtsinhabers in einem anderen Mitgliedstaat den Vergütungsansprüchen aufgrund öffentlicher Aufführung nicht entgegen.32 Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der Verwertung eines Werkes in körperlicher und in unkörperlicher Form fordert die Abgrenzung der Vorschriften über den Waren- und den Dienstleistungsverkehr. Das französische Gesetz über die audiovisuelle Kommunikation vom 20.7.1982 schreibt eine zeitliche Staffelung für die Verwertung von Filmen zwingend vor. Vorrang genießen die Filmtheater, es folgt die Verwertung durch Videokassetten und schließlich die Sendung im Fernsehen. Aufgrund des Gesetzes wurde die Verwertung von Videokassetten untersagt, die sich in Großbritannien im freien Verkehr befunden hatten und von dort nach Frankreich eingeführt wurden. Der Gerichtshof hatte auf Vorlage eines französischen Gerichts darüber zu entscheiden, ob diese gesetzliche Regelung mit den Vorschriften über den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr vereinbar sei.33 Der Gerichtshof wendete zwar die Vorschriften über den freien Warenverkehr an, modifizierte jedoch die dafür geltenden Regeln, um den wirtschaftlichen Erfordernissen der Verwertung von Filmen Rechnung zu tragen. Geprüft wurde nämlich, ob eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels „nicht über das hinausgeht, was notwendig ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen", und ob „dieses Ziel nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist". Damit wendet der Gerichtshof im Ergebnis - wenn auch nicht in der Begründung - die besondere, nur für Dienstleistungen geltende Rechtfertigung nationaler Gesetze an, die unterschiedslos gelten und durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind. 34

32 33

34

EuGH 13.7.1989 Staatsanwaltschaft./. Tournier (oben Fn. 2) Rn. 13. EuGH 11.7.1985, Cinetheque u. a../. Föderation Nationale de Cinema Francaise, Rs. 60 und 61/84, Slg. 2605, 2622 = GRUR Int. 1986, 114, auch in Schulze, RzU EuGH 11 mit Anm. von Mcstmäcker. EuGH 18.3.1980, Debauve, Rs. 52/79, Slg. 856 = GRUR Int. 1980,608, auch in Schulze, RzU EuGH 11 mit Anm. von Mestmäcker.

93

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

$3

Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts (Artt. 30, 36)

I.

Das Verbot des Art. 30

Eine nach Art. 30 verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung liegt vor, wenn sich der Inhaber eines Schutzrechts auf die ihm verliehene ausschließliche Verwertungsbefugnis beruft, um die Einfuhr von Gegenständen zu verhindern oder zu beschränken, die auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates von dem Rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind.1 Fraglich war, ob das gleiche gilt, wenn bei der Einfuhr von Tonträgern eine Urhebergebühr erhoben wird, deren Höhe sich aus dem Unterschied zwischen der im Ursprungsland entrichteten und der im Einfuhrland üblichen Gebühr ergibt. In der Entscheidung GEMA I hatte die Kommission in Art. 2 Ziff. 2 die Belastung von nach Deutschland importierten oder reimportierten Tonträgern mit einer Lizenzgebühr untersagt, wenn für diese Tonträger in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft einschließlich Deutschland schon einmal eine Lizenzgebühr entrichtet worden war. Zulässig war es jedoch, von diesen Händlern die Differenz zwischen der niedrigeren, schon bezahlten Lizenzgebühr und der in Deutschland üblichen höheren Gebühr zu verlangen. Als Berechnungsgrundlage war der durchschnittliche Endverkaufspreis der von Händlern importierten Platten zugrunde zu legen. 1

94

Für Urheberrechte grundlegend EuGH 20.1.1981 Musikvertrieb Membran (oben S 2 Fn. 12) Rn. 10. Siehe auch Ubertazzi, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1984, 327, bes. 331 ff.; allg. zur Erschöpfung des Verbreitungsrechts: Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 1987, S 17, Rn. 32; ders., Schallplattenimporte und freier Warenverkehr im Gemeinsamen Markt, UF1TA, Bd. 95 (1983), 41 ff.; Vink, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 7. Auflage 1988, § 17 Rn.8; Windisch, Allgemeine Erschöpfungslehre und Waren- und Dienstleistungsverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, in: Festschrift für Roeber, 1982, S. 481-494; Ullrich, Gemeinschaftsrcchtlichc Erschöpfung von Immatcrialgütcrrcchten und europäischer Konzcrnverbund, GRUR Int. 1983, 370-378; Beier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaaten, GRUR Int. 1989, 603, 608 ff.; Schennen, Erschöpfung gewerblicher Schutzrcchte in der EG, Mitteilung der deutschen Patentanwälte 1989, 7 ff.; Götzen, Gewerbliche Schutzrechte und Urheberrecht in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30-36 des EWG-Vertrages, GRUR Int. 1984, 146 ff.

§ 3 Die gcmeinschaftsrcchtliche Erschöpfung des Vcrbreitungsrechts (Am. 30,36)

Bei der auf Art. 86 gestützten Entscheidung ließ die Kommission die Anwendung von Art. 30 offen, um der Entscheidung durch den Gerichtshof nicht vorzugreifen. Die praktische Bedeutung der Rechtsfrage folgt aus der verschiedenen Höhe der Lizenzgebühren für das mechanische Vervielfältigungsrecht in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Das BIEM2 vereinbart mit der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) eine einheitliche Lizenzgebühr. Die Gebühr wird in Prozentsätzen des Endverkaufspreises der Tonträger berechnet. Verschiedene Preisniveaus in den Mitgliedstaaten führen demgemäß zu verschiedenen effektiv gezahlten Lizenzgebühren. Soweit Tonträger in Übereinstimmung mit dem BIEMNormalvertrag für den Export lizenziert werden, sind die Bedingungen des Bestimmungslandes maßgeblich. Danach ist die Entstehung einer Differenz zwischen ausländischen und inländischen Lizenzgebühren ausgeschlossen.3 Werden aber Schallplatten exportiert, die für den Vertrieb im Inland lizenziert wurden, so führen verschiedene Preisniveaus zu verschiedenen Lizenzgebühren. Die gleiche Wirkung tritt unabhängig von der Anwendung des BIEM-Normalvertrages ein, soweit die Mitgliedstaaten eine gesetzliche Mindestlizenz vorschreiben, die niedriger ist als die im Rahmen des BIEM vereinbarten Lizenzgebühren. Das trifft für das Recht Englands und Irlands zu. Der Anspruch auf die Differenz zwischen im Ausland gezahlter und im Inland geschuldeter Lizenzgebühr wurde vom Oberlandesgericht Hamburg anerkannt. Im Revisionsverfahren hat der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 19.12.1979 dem Europäischen Gerichtshof aufgrund von Art. 177 die folgende Frage vorgelegt: „Ist es mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr (Art. 30 ff. EWGV) vereinbar, wenn die - zur Geltendmachung der Rechte der Urheberberechtigten befugte Wahrnehmungsgesellschaft, das dem Urheber im Mitgliedstaat A zustehende ausschließliche Recht zu einer Übertragung seiner Musikwerke auf Tonträger, deren Vervielfältigung und Verbreitung, dadurch ausübt, daß sie für den Vertrieb von Tonträgern im Mitgliedstaat A, die im Mitgliedstaat B hergestellt und in Verkehr gebracht worden sind, und zwar mit einer auf den Mitgliedstaat B beschränkten Zustimmung des Urhebers gegen Zahlung einer - nach Stückzahl und Endverkaufsprcis in diesem Mitgliedstaat berechneten - Lizenzgebühr, einen 2 3

Vgl. dazu oben § 2 VI 2. Zur Auslegung des BIEM-Normalvcrtrages vgl. Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofes, 10.7.1979, GRUR Int. 1980, 185 mit Anm. Eugen Ulmer. 95

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften Betrag in Höhe der für Herstellung und Vertrieb im Mitgliedstaat B bereits bezahlten (niedrigeren) Lizenzgebühr verlangt?"

Der Gerichtshof hat entschieden, daß auch diese Belastung mit einer zusätzlichen Gebühr zur Abschottung der nationalen Märkte führe.4 Im folgenden ist diese Rechtsprechung zur gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung des Verbreitungsrechts im einzelnen zu erörtern. Es handelt sich dabei um Grundsätze, die für andere Schutzrechte in ähnlicher Weise gelten. Eine erste Zusammenfassung dieser Grundsätze findet sich im Urteil Terrapin/Terranova.5 Auf die Besonderheiten anderer Schutzrechte wird im folgenden nur insoweit eingegangen, als es für die Beurteilung der Rechtsausübung von Urheberrechten erheblich ist.

II.

Die Entscheidung des Rechtsinhabers

Zu den Befugnissen, die dem Rechtsinhaber vorbehalten sind, gehört die freie Entscheidung darüber, in welchem Mitgliedstaat er die geschützten Gegenstände in Verkehr bringen will. An den von ihm selbst geschaffenen Markt ist der Rechtsinhaber gebunden.6 Die gemeinschaftsrechtliche 4 5

6

96

Ebd. Rn. 18. EuGH 22.6.1976 Terrapin ./. Terranova, Rs. 119/75 Slg. 1062, Rn. 6 = GRUR Int. 1976,402. Wörtlich heißt es dort: „Nach allem kann der Inhaber eines gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechts, das nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats geschützt ist, sich auf diese Vorschriften nicht berufen, um sich der Einfuhr eines Erzeugnisses zu widersetzen, das auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaats von ihm selber oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist. Das gleiche gilt, wenn das geltend gemachte Recht aus einer freiwilligen oder durch hoheitlichc Maßnahmen bewirkten Aufspaltung eines Warenzeichens hervorgegangen ist, das ursprünglich ein und demselben Inhaber gehörte; denn in diesem Fall wird die Hauptfunktion des Warenzeichens, dem Verbraucher die Identität des Warenursprungs zu garantieren, bereits durch die Aufspaltung des ursprünglichen Warenzeichens in Frage gestellt." Hierzu und zu dem Urteil des BGH in derselben Sache (GRUR 1977, 719 ff.) Brändel, Die gemeinschaftsrechtlichen Mißbrauchstatbestände bei der Ausübung nationaler Schutzrechtc (Art. 36 Satz 2 EWG-Vertrag), GRUR Int. 1980, 512 ff. Dazu Mestmäcker (oben $ 2 Fn. 26) 463; anderer Meinung aber Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag (1984), Art. 85 Rn. 225; für Patente auch Wadbroek, The Effect of the Rome Treaty on the exercise of national industrial property rights, The Antitrust Bulletin 1976, 99 ff., 107.

5 3 Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrcchts (Artt. 30, 36)

Erschöpfung des Verbreitungsrechts tritt auch dann ein, wenn der Rechtsinhaber die geschützten Gegenstände in einem Mitgliedstaat in Verkehr bringt, in dem kein paralleles Schutzrecht besteht.7 Zutreffend hat Generalanwalt Reischl in Merck/Stephar auf den maßgeblichen Gesichtspunkt hingewiesen: Das Patentrecht garantiert seinem Inhaber keinen bestimmten Gewinn, sondern es gewährt dem Inhaber die Chance, einen Ausgleich für seine schöpferische Tätigkeit zu erhalten. Diese Gewinnchance nimmt der Inhaber durch das erste Inverkehrbringen auch dann wahr, wenn er dies in einem patentfreien Mitgliedstaat tut. Der Rechtsinhaber ist jedoch nicht gehindert, sein Ausschließlichkeitsrecht auszuüben, wenn die geschützten Gegenstände aus einem Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie gemeinfrei sind, gemeinfrei geworden sind oder das Schutzrecht einem rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Rechtsinhaber zusteht.8 Dem ersten Inverkehrbringen durch den Rechtsinhaber steht es gleich, wenn es mit seiner Zustimmung erfolgt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die geschützten Gegenstände von einer rechtlich oder wirtschaftlich von ihm abhängigen Person9 oder aufgrund einer von ihm erteilten Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden.

III.

Zwangslizenzen

Gesondert zu prüfen ist, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Inhaber einer Zwangslizenz, die nach nationalem Recht die Zustimmung des Rechtsinhabers ersetzt, die geschützten Gegenstände in den Verkehr 7

8

9

EuGH 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. Metro (oben § 2 Fn. 10) SIg. 487, 500, Rn. 12 für das Lcistungsschutzrecht nach § 85 UrhG; übereinstimmend für das Patentrecht EuGH 14.7.1981 Merck ./. Stephar, Rs. 187/80, Slg. 2063, 2082, Rn. 13 = GRUR Int. 1982, 47. Kritisch Demaret, Patent- und Urheberrechtsschutz, Zwangslizcnzen und freier Warenverkehr im Gemeinschaftsrecht, GRUR Int. 1987, 5, 7. Für das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers EuGH 24.1.1989 Electrola ./. Patrizia Import und Export (oben $2 Fn. 11) Rn. 11; für das Patentrecht EuGH 29.2.1968 Parke/Davis./. Probe!, Rs. 24/67, Slg. XIV, 85, 112 = GRUR Int. 1968, 99; Besprechung Deringer, Gewerbliche Schutzrechtc und EWG-Vertrag, GRUR Int. 1968, 105. EuGH 8.6.1971 Deutsche Grammophon (oben § 2 Fn. 10); 9.7.1985 Pharmon ./. Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 2297, Rn.22 = GRUR Int. 1985, 822. 97

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften

bringt. Im Falle Musikvertrieb Membran hatte der Gerichtshof über den Fall zu entscheiden, daß die deutsche Verwertungsgesellschaft der britischen Verwertungsgesellschaft die Befugnis zur mechanischen Vervielfältigung zu den dort geltenden gesetzlichen Bedingungen erteilt hatte. Nach section 8 des früheren britischen Copyright Act wird das Urheberrecht des Komponisten eines Musikwerkes durch die Herstellung eines Tonträgers, auf dem dieses Werk aufgenommen ist, nicht verletzt, wenn das Werk bereits im Vereinigten Königreich von dem Urheber selbst oder mit seiner Zustimmung zum Zwecke des Inverkehrbringens auf Tonträger aufgenommen ist und wenn außerdem der Hersteller dem Inhaber des Urheberrechts seine Absicht mitteilt, das Werk zum Zwecke des Verkaufs aufzunehmen und ihm eine Lizenzgebühr in Höhe von 6,25 Prozent des Endverkaufspreises des Tonträgers zu zahlen. Aufgrund des Lizenzvertrages lag die Zustimmung des Rechtsinhabers zum Inverkehrbringen in Großbritannien zu den Bedingungen der Zwangslizenz vor. Dazu hat der Gerichtshof entschieden, daß es dem Berechtigten mit Rücksicht auf die gesetzliche Regelung zwar unmöglich sei, eine höhere als die gesetzliche Lizenz zu erzielen; gleichwohl verstoße die Geltendmachung des Anspruchs auf die Differenzlizenz gegen Art. 30. Denn das wesentliche Ziel des Vertrages, der Zusammenschluß der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, wäre nicht zu erreichen, wenn Privatpersonen aufgrund der verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, den Markt aufzuteilen und verschleierte Beschränkungen im Handel zwischen den Mitgliedstaaten herbeizuführen.10 Die Erhebung der Differenzlizenz würde aber der Verwertungsgesellschaft erlauben, eine Abgabe auf Erzeugnisse zu erheben, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt wurden, „wo sie von dem Inhaber des Urheberrechts oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden sind".11 Der Bundesgerichtshof hat im Folgeurteil12 entschieden, daß es für die Begründetheit des Schadensersatzanspruches nicht darauf ankomme, ob die Lizenz für Großbritannien durch Vertrag oder durch Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen erlangt worden sei. Das traf zwar im zu entscheidenden Falle zu, weil beide Voraussetzungen erfüllt waren; dem 10 11

12

98

EuGH 20.1.1981 Musikvertrieb Membran ./. GEMA (oben § 2 Fn. 12) Rn. 14. Ebd., Rn. 18. BGH 6.5.1981 BGHZ 81, 282, 286 („Gebührendifferenz III") = GRUR Int. 1982, 57 = GRUR 1982, 100 („Schallplattcnexport").

§ 3 Die gcmeinschaftsrechtlichc Erschöpfung des Verbreitungsrcchts (Artt. 30,36)

Urteil des EuGH kann jedoch keine Gleichstellung von Zustimmung und Zwangslizenz entnommen werden.13 Erst im Fall Pharmon/Hoechst hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob es der Zustimmung des Rechtsinhabers gleichsteht, wenn das erste Inverkehrbringen aufgrund einer Zwangslizenz erfolgt.14 Es handelte sich um die Einfuhr von Waren, für die in England und in den Niederlanden Parallelpatente bestanden. In England wurde auf das Patent eine Zwangslizenz erteilt. Der Gerichtshof entschied, dem Rechtsinhaber werde durch die Zwangslizenz sein Recht genommen, frei über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen er sein Erzeugnis in den Verkehr bringen wolle.15 Das Urteil stellt klar, daß der spezifische Gegenstand des Patentrechts - dem insoweit der des Urheberrechts entspricht - auch darin besteht, das Recht im Wege der Lizenzvergabe an Dritte zu nutzen. Die Zwangslizenz entzieht dem Rechtsinhaber die Möglichkeit, durch das erste Inverkehrbringen der geschützten Gegenstände einen Ausgleich für seine schöpferische Tätigkeit zu erhalten. Das Urteil entspricht Art. 46 Abs. l des Gemeinschaftspatentübereinkommens. Danach gilt die Erschöpfung des Patentrechts durch Inverkehrbringen nicht für Erzeugnisse, die in einem Mitgliedstaat aufgrund einer Zwangslizenz hergestellt worden sind. Dadurch wird dem völkerrechtlichen Grundsatz Rechnung getragen, daß die Wirkung von Enteignungen auf das Hoheitsgebiet des enteignenden Staates begrenzt ist. Mit ähnlicher Begründung ist im Schrifttum geltend gemacht worden, die Anerkennung von Zwangslizenzen als Zustimmung des Urhebers könne mit der verfassungsrechtlichen Garantie des Eigentums in Konflikt geraten.16 13 14

15 16

Übereinstimmend OLG München 30.4.1987, Schulze, RzU OLG 294 mit Anm. von Erich Schulze. EuGH 9.7.1985 Pharmon ./. Hoechst (oben Fn. 9); ausführlich zu diesem Urteil Demaret (oben Fn. 7) besonders S. 4-8, der einen Bruch mit der früheren Rechtsprechung erkennen will. Ein Widerspruch zum Urteil Musikvcrtrieb Membran liegt jedoch nicht vor, weil dort die streitigen Tonträger mit Zustimmung der deutschen Vcrwertungsgesellschaft in den Verkehr gebracht wurden. Ebd., Rn.25. Kriiger-Nieland, Urheberrechtliche Zwangslizcnzen und freier Warenverkehr, in: Festschrift für Kutscher (1981) 247, 259; auch Reimer, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1981, 70 ff. Die abweichende Beurteilung staatlicher Zwangsmaßnahmen im Falle Hag (EuGH 3.7.1974 Van Zuylen Frcres ./. Hag, Rs. 192/73, Slg. 731 = GRUR Int. 1974, 338) folgt aus dem von Patentrecht und Urheberrecht verschiedenen spezifischen Gegenstand des

99

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

IV.

Das erste Inverkehrbringen, insbesondere konzerninterne Warenbewegungen

Das dem Rechtsinhaber vorbehaltene Recht, die geschützten Gegenstände als erster in Verkehr zu bringen, ist erschöpft, wenn die Erzeugnisse „auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind".17 Besonders deutlich heißt es in dem Urteil Musikvertrieb Membran, es sei unzulässig, „bei der Einfuhr von Tonträgern, die sich bereits im Gemeinsamen Markt im freien Verkehr befinden, eine zusätzliche Belastung wegen ihres Grenzübertritts einzuführen".18 Fraglich und umstritten ist trotz dieser dem Wortlaut nach eindeutigen Rechtsprechung, ob es eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung darstellt, wenn der Rechtsinhaber sich mit der Unterlassungsklage gegen die Direkteinfuhr von Erzeugnissen wendet, die im Ausfuhrstaat nicht in den freien Verkehr gelangt waren. Ein solcher Sachverhalt liegt vor allem dann vor, wenn der Rechtsinhaber ein paralleles Schutzrecht lizenziert hat und der Lizenznehmer unter Verstoß gegen die Lizenz direkt exportiert. Darauf ist gesondert einzugehen.19 Das Verbreitungsrecht des Urhebers ist erschöpft, wenn die geschützten Gegenstände im Ausfuhrland auf den Markt gekommen sind. Dies setzt ein Umsatzgeschäft zwischen dem Berechtigten und einem unbeteiligten Dritten voraus. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht erfüllt, wenn zwischen dem Hersteller in Großbritannien und dem Importeur in der Bundesrepublik rechtliche und wirtschaftliche Bindungen konzernrechtlicher Art bestehen und die Schallplatten unmittelbar ohne Einschaltung des Marktes bezogen wurden.20 In einem solchen Falle handele es sich um rein konzerninterne Warenbewegungen, die wirtschaftlich wie ein innerbetrieblicher Vor-

17

18 19 20

Warenzeichens. Es gehört nicht zum Bestand des Warenzeichens, durch rechtsgeschäftliche Übertragung oder Lizenzierung verkehrsfähig zu sein. Die Auslegung des Hag-Urteils ist Gegenstand einer Vorlage des BGH vom 24.11.1988 nach Art. 177 an den EuGH, GRUR Int. 1989, 409. EuGH 31.10.1974 Centrafarm ./. Sterling Drug, Rs. 13/74, Slg. 1174, Rn. 15 = GRUR Int. 1974, 454; auch 14.7.1981 Merck ./. Stephar, Rs. 187/80 Slg. 2082, Rn. 14. 20.1.1981 Musikvertrieb Membran (oben § 2 Fn. 12) Rn. 18. Vgl. unten S 5 IV 2 c. BGH 6.5.1981 BGHZ 81, 282, (oben Fn. 12) 289.

100

S 3 Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbrcitungsrechts (Artt. 30,36)

gang zu werten seien. Ein geschäftlicher Verkehr mit echten Außenbeziehungen liege nicht vor. Unter diesen Umständen werde das wesentliche Ziel des EWG-Vertrages, den Zusammenschluß der nationalen Märkte zu ermöglichen, nicht berührt. Nach Zurückverweisung entschied das OLG Frankfurt, daß es sich bei den Lieferungen von Schallplatten aus Großbritannien in die Bundesrepublik nicht um eine bloß konzerninterne Warenbewegung gehandelt habe. Die fraglichen Schallplatten seien Restposten einer für den britischen Markt bestimmten Produktion gewesen. Sie hätten nicht mehr abgesetzt werden können und seien teilweise vom Handel retourniert worden. Auch sei die Entscheidung, diese Platten zu erwerben, von dem damaligen Geschäftsführer der importierenden Konzernfirma getroffen worden, ohne daß bindende Weisungen der amerikanischen Konzernmutter oder der britischen Konzernschwester vorgelegen hätten. Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Frankfurt bestätigt.21 Mit den Gründen der voraufgegangenen eigenen Entscheidung des BGH ist dieses Ergebnis unvereinbar. Maßgeblich sind nämlich nicht mehr die Besonderheiten konzerninterner Warenbewegungen, sondern die Modalitäten der konzerninternen Willensbildung, die sich einer sicheren Feststellung von außen ohnehin entziehen.22 Das Urteil widerspricht dem Gemeinschaftsrecht aber auch deshalb, weil es unerheblich ist, ob der britische Lizenznehmer im Widerspruch zu seinen urheberrechtlichen Befugnissen an ein verbundenes Konzernunternehmen oder an einen Dritten in einem anderen Mitgliedstaat liefert. Das folgt aus dem bereits hervorgehobenen Grundsatz, daß eine Erschöpfung gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte nur eintritt, nachdem der geschützte Gegenstand in den freien Verkehr gelangt ist.23 Nicht gewürdigt wurde vom Bundesgerichtshof ferner die praktisch wichtige Frage, inwieweit es sich bei den in die Bundesrepublik eingeführten Schallplatten um echte Retouren handelte, die in Großbritannien im Handel angeboten wurden 21 22

23

BGH 20.2.1986, GRUR 1986, 668 („Gebührendifferenz IV") mit Anm. von Kühn, auch in Schulze, RzU, BGHZ Nr. 342 mit Anm. von Mestmäcker. Ullrich, Gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung von Immaterialgüterrechten und europäischer Konzernverbund, GRUR Int. 1983, 370-378, will für die Frage der Erschöpfung auf die interne Struktur des Konzern, insbesondere auf die Frage der dezentralen oder zentralen Schutzrechtszuständigkeiten abstellen. Zur konzerninterncn Warenbewegung vgl. auch Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 1987, Rn. 36 zu $ 17; ders. in UFITA Bd. 95 (1983) (oben Fn. 1), S. 41, 68 ff.; Bappert/Maunz/Schricker, Verlagsrecht, 2. Aufl. 1984, Einl. Rn. 53. 101

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

und sich dort als unverkäuflich erwiesen hatten. Der Umstand allein, daß sich Waren beim Hersteller als unverkäuflich erweisen, würde nämlich nicht ausreichen, um sie als im Freiverkehr befindlich anzusehen.

V.

Rechtsfolgen von Verstößen gegen Artt. 30, 36 im nationalen Recht

Diejenige Rechtsausübung, die gegen Artt. 30, 36 verstößt, führt zur Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts. Ist die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen nach § 97 UrhG mit Artt. 30, 36 unvereinbar, so entfällt mangels widerrechtlicher Verletzung des geschützten Rechts die Anspruchsgrundlage. Der BGH hat entschieden, es entfalle wegen des Vorranges des Gemeinschaftsrechts „die Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung".24 Die Abwicklung von Schuldverhältnissen, die gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, ist nach nationalem Recht zu beurteilen. Leistungen, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erbracht wurden, müssen nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung erstattet werden. Ist anläßlich der Einfuhr von Tonträgern die Differenz zwischen der im Ausfuhrland gezahlten und der im Inland geltenden Lizenz entrichtet worden, so kann sie nach § 812 BGB zurückgefordert werden.25 Der Europäische Gerichtshof hat im Falle Defrenne jedoch entschieden, daß die Rechtsfolgen der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung von Mann und Frau nur mit Wirkung für die Zukunft - also für die Zeit nach Erlaß des Urteils - geltend gemacht werden können.26 Der BGH sieht die Erklärung für diese Rechtsprechung in den Besonderheiten arbeitsrechtlicher Dauerschuldverhältnisse. Art. 30 EWGV gelte

24

25

26

BGH 27.2.1981, BGHZ 80, 101, 109 („Schallplattenimport") = GRUR Int. 1981, 562 mit Anm. von Ulmer = GRUR 1981, 587; vgl. auch Windisch, Allgemeine Erschöpfungslehre im Waren- und Dienstlcistungsverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, in: Festschrift für Roeber, 1982, S. 481-494, der die Kritik Ulmers an dem BGH-Urteil zurückweist. BGH 28.4.1988, Az I ZR 79/86 („Differenzlizenz") = GRUR 1988, 606 = ZUM 1988, 30; s. auch Dietz, Die Entwicklung des Urheberrechts in der Bundesrepublik Deutschland von 1984 bis Anfang 1989, UFITA Bd. 112 (1990), 5-131, Rn. 95. EuGH 8.4.1976 Defrenne ./. Saberta, Rs. 43/75 Slg. 455, 480.

102

5 3 Die gemcinschaftsrcchtlichc Erschöpfung des Vcrbreitungsrcchts (Artt. 30,36)

dagegen seit Inkrafttreten des EWG-Vertrages unmittelbar, der Rechtsprechung des EuGH komme somit nur deklaratorische Bedeutung zu.

VI.

Schutzrechtsgrenzen im Verhältnis zu Drittstaaten

Im Schrifttum ist unter dem Eindruck der gemeinschaftsrechtlichen Entwicklung die Meinung vertreten worden, die Aufhebung des sogenannten materiellrechtlichen Territorialitätsprinzips, d.h. die Erschöpfung der Rechte aus dem Urheberrecht mit dem ersten Inverkehrbringen durch den Rechtsinhaber oder durch Dritte mit Zustimmung des Rechtsinhabers, gelte nicht nur für den Gemeinsamen Markt, sondern für die ganze Welt.27 Der Entgeltsicherungszweck des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts sei realisiert, wenn Festlegungsexemplare mit Zustimmung Dritter in den Verkehr gelangt seien. Als Konsequenz ergebe sich, daß der Berechtigte den Inlandsmarkt auch nicht mittels Lizenzerteilung in streng voneinander abgeriegelte Absatzbezirke aufteilen könne. Diese Erwägungen müßten auch gelten, wenn der Schutzrechtsinhaber versuche, die Einfuhr von Waren zu unterbinden, die von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung im Ausland in Verkehr gebracht worden seien.28 Diese Meinung wird auch für die Fälle des nach Staaten geteilten Urheber- und Verlagsrechts vertreten. Wenn ein Exemplar einmal von einem Verleger rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sei, müsse es fortan ebenso frei sein, wie es frei wäre, wenn es von dem Urheber selbst in einem beliebigen Schutzgebiet veräußert worden wäre.29 Im Gemeinschaftsrecht gilt die Erschöpfung von Schutzrechten durch das erste Inverkehrbringen nicht im Verhältnis zu Drittstaaten.30 Ein englisches, ein dänisches und ein deutsches Gericht legten dem Gerichtshof aufgrund des gleichen Sachverhaltes die Frage vor, ob die Geltendmachung von Warenzeichenrechten gegen die Einfuhr von Waren aus 27

28 29

30

Koppensteiner, Urheber- und Erfinderrechte beim Parallelimport geschützter Waren, AWD 1971, 357 ff.; Emmerich, Die gewerblichen Schutzrechte im Gemeinsamen Markt, Betr. 1972, 1275 ff. Koppensteiner, (oben Fn. 27) S. 1280. Emmerich, (oben Fn. 27) S. 363; Koch/Froschmaier, Patentgcsetze und Territorialitätsprinzip im Gemeinsamen Markt, GRUR Int. 1965, 121, haben mit ähnlichen Erwägungen die Aufhebung der Schutzrechtsgrenzen für Parallelpatente im Gemeinsamen Markt begründet. Zum deutschen Recht vgl. die Erläuterungen bei Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, S 17 UrhG. 103

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

den USA gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen könne.31 Gegenstand des Verfahrens war das für Schallplatten eingetragene Warenzeichen Columbia, das originär von einem amerikanischen Unternehmen für zahlreiche Länder erworben und sodann für mehrere Länder Europas auf eine englische Tochtergesellschaft übertragen wurde. Das Eigentum an dem Warenzeichen folgte wechselnden Kontrollverhältnissen bei den amerikanischen und englischen Gesellschaften. Zur Zeit der hier erheblichen Verfahren war Inhaberin des amerikanischen Warenzeichens Columbia die Columbia Broadcasting System Inc., Inhaber des englischen, dänischen und deutschen Warenzeichens Columbia die von dem amerikanischen Unternehmen unabhängige EMI Records Ltd., Middlesex. Das amerikanische Unternehmen führte Schallplatten unter dem Warenzeichen Columbia aus den USA ein, und zwar unter Verletzung des englischen, dänischen und deutschen Warenzeichenrechts. Gegen die auf Unterlassung der Einfuhr gerichtete Klage wandte Columbia Broadcasting Systems ein, die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts hinderten die Klägerin daran, das Warenzeichen zu dem Zweck auszuüben, die Einfuhr der mit Columbia-Zeichen versehenen Schallplatten zu verhindern. Der Gerichtshof lehnte es ab, auf diesen Sachverhalt Art. 30 anzuwenden: „Deshalb beeinträchtigt die Ausübung des Warenzeichens mit dem Ziel, den Vertrieb von Erzeugnissen aus einem Drittland unter einem identischen Warenzeichen zu verhindern, selbst wenn sie eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstellen würde, nicht den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und fällt also nicht unter die Verbote der Artt. 30 ff. EWG-Vertrag, denn in diesem Falle würde die Ausübung des Warenzeichenrechts die Einheit des Gemeinsamen Marktes, die Artt. 30 ff. EWG-Vertrag sicherstellen wollen, nicht in Frage stellen."

Darüber hinaus begrenzte der Gerichtshof die Grundsätze des bereits angeführten Kaffee-Hag-Urteils auf innergemeinschaftliche Sachverhalte: „Wenn ein und derselbe Inhaber das Warenzeichenrecht für das gleiche Erzeugnis in allen Mitgliedstaaten besitzt, braucht auch nicht untersucht zu werden, ob diese Warenzeichen mit einem in einem dritten Land geschützten Warenzeichen ursprungsgleich sind, da diese Frage nur dann erheblich ist, wenn es darum geht, zu 31

Urteile vom 15.6.1976 EMI Records Ltd. ./. CBS United Kingdom Ltd., Rs. 51/75 Slg. 1976, 811; EMI Records Ltd../. CBS Grammophone, Rs. 86/75 Slg. 1976, 871; EMI Records Ltd../. CBS Schallplatten-GmbH, Rs. 96/76 Slg. 1976,913 = GRUR Int. 1976, 398, dazu v. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrccht und deutsches Urheberrecht, UFITA Bd. 97 (1984), 167, 170 f.

104

S 3 Die gemeinschaftsrcchtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts (Artt. 30,36) beurteilen, ob es innerhalb der Gemeinschaft Möglichkeiten zur Abschottung des Marktes gibt."

Auch die Vorschriften über die Zulassung von Waren aus dritten Ländern zum freien Verkehr und die Vorschriften über die Handelspolitik der Gemeinschaft in den Artt. 110 ff. stünden der Ausübung des Warenzeichenrechts zu dem Zweck, die Einfuhr gleichartiger, mit dem gleichen Warenzeichen versehener Erzeugnisse mit Ursprung in einem Drittland zu verhindern, nicht entgegen. Für das Patentrecht hat der englische High Court of Justice im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gleichfalls entschieden, die gemeinschaftsrechtlichen Regeln über die Sicherung des freien Warenverkehrs seien im Verhältnis zu Drittstaaten nicht anwendbar. Die Beklagte hatte Gegenstände, die für die Klägerin aufgrund eines englischen Patentes geschützt waren, von einem amerikanischen Verkäufer erworben, der seinerseits diese Waren von der Lizenznehmerin der Klägerin in den Vereinigten Staaten erworben hatte. Das Gericht stellte fest, nach dem international-privatrechtlich maßgeblichen Recht von New York habe die amerikanische Lizenznehmerin auf ihre Abnehmer keine Rechte übertragen können, die das englische (im Gegensatz zum parallelen amerikanischen) Patent beträfen. Auch soweit die Beteiligten berechtigt seien, in den USA die fraglichen Waren zu benutzen oder zu verkaufen, seien sie nicht berechtigt, sie nach Großbritannien zu importieren, ohne das englische Patent der Klägerin zu verletzen.32

32

16.1.1973 Minnesota Mining & Manufacturing Co../. Gcerpress Europe Limited, XII CMLRcp. 259, 265 (1963).

105

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

S4

Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

I.

Überblick

Die in Art. 59 ff. gewährleistete Dienstleistungsfreiheit ist für die Ausübung von Urheberrechten erheblich, wenn Dienstleistungen unter Inanspruchnahme von Urheberrechten erbracht werden. Das wichtigste Beispiel ist die grenzüberschreitende Sendung urheberrechtlich geschützter Werke. In diesen Fällen ist die Gewährleistung der Sendefreiheit vorgreiflich für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der Ausübung von Urheberrechten; denn die Frage, ob die Ausübung von Urheberrechten mit diesen Vorschriften vereinbar ist, stellt sich nur, wenn dadurch in die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit eingegriffen wird. Urheberrechtlich handelt es sich dabei um die verschiedenen Erscheinungsformen des Rechts der öffentlichen Wiedergabe. Aus der bereits dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Verhältnis von Art. 30, 36 und Artt. 59, 60 folgt, daß die Erschöpfung des Verbreitungsrechts durch das erste Inverkehrbringen das Recht der öffentlichen Wiedergabe unberührt läßt.1 Die Ausnahme vom Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen in Art. 36 Satz l zugunsten des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gilt für den Warenverkehr. Die Vorschriften im Kapitel über den Warenverkehr können grundsätzlich nicht auf Dienstleistungen angewendet werden.2 Danach wäre Art. 36 auf die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nicht anwendbar. Der Gerichtshof hat jedoch die Rechtsgedanken von Art. 36 Satz l und Satz 2 auf die Ausübung von Schutzrechten, durch die in die Freiheit des Dienstleistungsverkehr eingegriffen wird, analog angewendet. Das gelte insbesondere für die Gewährleistung des Bestandes des Rechts im Unterschied zu dessen Ausübung, die u. U. eine verschleierte Beschränkung des Handelsverkehrs darstellen könne.3 Nach dieser Rechtsprechung sind Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, die auf dem Bestand des nationalen Urheberrechts beruhen, gerechtfertigt. Das gleiche gilt für unterschiedslos anwendbare, den Dienst1 2 3

Dazu oben § 2 Fn. 3l. 30.4.1974 Sacchi, Rs. 155/73 Slg. 412 (oben § l Fn. 14), zur Unanwendbarkeit des für Handelsmonopole geltenden Art. 37 auf Rundfunkmonopole. Maßgeblich EuGH 6.10.1982 Coditel./. Cine Vog Films, Rs. 262/81 Slg. 3401 Rn. 13 = GRUR Int. 1983, 175 („Le Boucher II").

106

$ 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

leistungsverkehr beschränkende nationale Maßnahmen, wenn sie dem Allgemeininteresse dienen und im Hinblick auf dieses Ziel nicht unverhältnismäßig sind. Diskriminierende Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sind grundsätzlich verboten, sie können nur unter den Voraussetzungen des Art. 56 gerechtfertigt werden.

II.

Rundfunkfreiheit im Gemeinschaftsrecht

1.

Rundfunksendungen als Dienstleistungen

Auf das Ausstrahlen und den Empfang von Rundfunksendungen sind die Vorschriften des Vertrages über Dienstleistungen anwendbar. 4 Werden Sendungen, die Werbung enthalten, von Kabelunternehmen weiterverbreitet, so sind zwei verschiedene Dienstleistungen zu unterscheiden: „Die erste Leistung erbringen die in einem Mitgliedstaat ansässigen Betreiber von Kabelnctzen zugunsten der Sendeanstalten in anderen Mitgliedstaaten, indem sie die von diesen ausgestrahlten Fernsehprogramme an ihre eigenen Teilnehmer weiterleiten. Die zweite Leistung erbringen die Scndeanstaltcn einiger Mitgliedstaaten zugunsten der insbesondere im Empfangsstaat ansässigen Werbefirmen, indem sie die Werbemitteilungen verbreiten, die diese Firmen speziell für das Publikum des Empfangsstaates erstellt haben."5

Der Vertrag gewährleistet die Dienstleistungsfreiheit durch das Verbot von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind (Art. 59 EWGV). Als Dienstleistungen definiert Art. 60 Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Auf dieser Grundlage ist der Versuch unternommen worden, die Anwendbarkeit der Dienstleistungsvorschriften auf die Fälle zu beschränken, bei denen zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger ein entgeltlicher schuldrechtlicher Vertrag besteht.6 Von anderer Seite ist geltend gemacht worden, daß eine grenzüberschreitende Dienstleistung nur vorliege, wenn die Ausstrahlung einer Sendung gezielt beim Publikum in einem anderen Mitgliedstaat 4

5 6

EuGH 30.4.1974, Sacchi (oben $ l Fn. 14), Rn. 6; 18. 3.1980 Debauvc, Rs. 52/79 Slg. 855, Rn. 8 (oben $ l Fn. 16); 26.4.1988 Bond van Adverteerders, Rs 352/78, Slg. 2130, Rn. 12-16 (oben $ l Fn. 15). EuGH 26.4.1988, vorige Fn., Rn. 14. Earner, Kompetenz der EG zu Regelung der Rundfunkordnung, ZUM 1985, 577-586.

107

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

erfolge und der ausländische Veranstalter von deutschen Rundfunkteilnehmern irgendein Entgelt erhalte, oder deutsche Werbekunden das Programm mitfinanzierten. 7 Die genannten Auffassungen finden im EWG-Vertrag keine Grundlage. Die Vorschriften des Vertrages über Dienstleistungen sind auf Fernsehsendungen nur dann nicht anwendbar, wenn deren wesentliche Elemente sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen.8 Das Erfordernis grenzüberschreitender Relevanz kann mithin auch dann erfüllt sein, wenn eine grenzüberschreitende Entgeltlichkeit im Verhältnis von dem, der die Leistung erbringt und dem, der sie empfängt, nicht vorliegt. Der Zweck der Vorschrift über den freien Dienstleistungsverkehr besteht darin, einen Binnenmarkt zu schaffen. Grenzüberschreitende Dienstleistungen können in einem solchen Markt auch dann erbracht werden, wenn der zugrundeliegende Vertrag zwischen Angehörigen eines Mitgliedstaates abgeschlossen wird.9 Diese Erwägungen hat der Gerichtshof für die niederländische Gesetzgebung über die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen durch Kabelunternehmen im Hinblick auf die Ausstrahlung von Sendungen und die Werbung bestätigt: „Beide Dienstleistungen werden auch - i. S. von Art. 60 des Vertrages - gegen Entgelt erbracht. Zum einen erhalten die Betreiber der Kabelnetzc für den Dienst, den sie den Scndeanstalten leisten, ein Entgelt in Form von Gebühren, die sie von ihren Teilnehmern erheben, dabei ist es unerheblich, daß sie für diese Weiterlcitung in der Regel nicht von den Scndeanstalten selbst bezahlt werden. Art. 60 des Vertrages verlangt nicht, daß die Dienstleistung von demjenigen bezahlt wird, dem sie zugute kommt. Zum anderen werden die Sendeanstalten von den Werbefirmen für die Dienste bezahlt, die sie ihnen leisten, indem sie deren Mitteilungen in ihr Programm aufnehmen." 10

2.

Diskriminierende Beschränkungen

Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs, die von keiner Seite in Frage gestellt wird, sind alle Diskriminierungen des Leistungserbringers verboten, die auf seiner Staatsangehörigkeit oder auf dem Umstand beruhen, daß er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig

7 8 9 10

So Jarass, Gutachten zum Juristentag 1986, S. 35, Rn. 54. EuGH 18.3.1980 Debauve (oben $ l Fn. 16) Slg. 855, Rn. 9. Mestmäcker, Wege zur Rundfunkfreiheit in Europa, in: dcrs. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung (1988) S. 9, 25-26. EuGH 26.4.1988 Bond van Adverteerders (oben $ l Fn. 15), Rn. 16.

108

§ 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

ist, in dem die Leistung erbracht werden soll.11 Eine Diskriminierung liegt nach der Rechtsprechung nicht nur dann vor, wenn eine Regelung offen nach der Staatsangehörigkeit unterscheidet; erfaßt werden auch alle „verschleierten" Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. ! 2 Für den Rundfunk am wichtigsten sind die nationalen Vorschriften über die Weiterverbreitung von über Satellit herangeführten Programmen durch Kabelunternehmen. Verschleierte Diskriminierungen können vor allem vorliegen, soweit die rundfunkrechtlichen Anforderungen an die Weiterverbreitung von Programmen an eine bestimmte Organisation des Programmanbieters oder an inlandsbezogene, von einem ausländischen Veranstalter nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten zu erfüllende Anforderungen an den Programminhalt anknüpfen. 13 Mit dieser Begründung hat die EG-Kommission zu Recht angenommen, daß ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vorliegt, wenn die Einspeisung von Programmen aus anderen Mitgliedstaaten nach dem Rundfunkrecht eines Bundeslandes davon abhängig gemacht wird, daß auch diese Programme die Vielfalt bestehender Meinungen in möglichster Breite zum Ausdruck bringen. Das holländische Rundfunkrecht enthielt ein Verbot für die Weiterverbreitung von Rundfunk- und Fernsehprogrammen, die vom Ausland über Kabel-, Funk- oder Satellitenverbindungen angeboten werden und zwar durch Veranstalter, die das Programm im Lande ihrer Niederlassung mittels eines Rundfunksenders oder eines Kabelnetzes verbreiten und speziell für das niederländische Publikum bestimmte Werbemitteilungen enthalten und mit niederländischen Untertiteln arbeiten. Diese Regelungen sind nach Auffassung der niederländischen Regierung dazu bestimmt, das indirekte Zustandekommen eines kommerziellen Kabelrundfunkprogramms oder Fernsehabonnentenprogramms in den Niederlanden zu verhindern, das dem inländischen Rundfunk und dem niederländischen Abonnentenfernsehen, das noch der Entwicklung bedarf, 1

'

12

13

18.3.1980 Debauve (oben $ l Fn. 16), Rn. 52. EuGH 16.2.1978 Kommission ./. Irland, Rs. 61/77 Slg. 417, 451. Zu dieser Rechtsprechung Roettger, Die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Bedeutung der nationalen gewerblichen Schutzrcchte im Gemcinschaftsrccht, WRP 1980, 243 ff. Dazu Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel, Dok. KÖM (84) 300 endg. 14.6.1984,5.137. 109

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften

unlautere Konkurrenz machen könnte.14 Die Ausstrahlung von Werbesendungen ist einer Stiftung vorbehalten, die diese Sendungen vermittelt und die Erträge zu medienpolitischen Zwecken in Holland verteilt. Die holländische Regierung machte geltend, die genannte Regelung enthalte eine im Allgemeininteresse gerechtfertigte, nicht diskriminierende Regelung. Dem ist der Gerichtshof jedoch nicht gefolgt. Zu vergleichen sei die Gesamtlage des niederländischen Rundfunks mit derjenigen ausländischer Sender. Die Diskriminierung liege darin, daß den Sendern in anderen Mitgliedstaaten jede Möglichkeit genommen werde, über ihr Programm speziell für das niederländische Publikum bestimmte Werbemitteilungen auszustrahlen, während das Gesetz die Ausstrahlung derartiger Sendungen über die inländischen Programme zugunsten der niederländischen Rundfunkveranstalter zulasse.15 Diskriminierende Regelungen dieser Art können nach Art. 59 Abs. l in Verbindung mit Art. 56 gerechtfertigt werden, wenn sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit notwendig sind. Wirtschaftliche Ziele der Mitgliedstaaten sind keine Gründe im Sinne dieser Vorschrift. Zu wirtschaftlichen Zielen gehört auch die Regelung der Finanzierung des Rundfunks durch Werbung.16

3.

Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch unterschiedslos anwendbare nationale Regelungen

Auch unterschiedslos anwendbare nationale Regelungen können den Dienstleistungsverkehr beschränken. Dieses Verbot steht jedoch unter dem Vorbehalt einer ungeschriebenen Ausnahme zugunsten des Allgemeininteresses in den Mitgliedstaaten. In dem maßgeblichen Urteil heißt es dazu: „In Anbetracht der Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen wie etwa der Ausstrahlung und Übertragung von Fernsehsendungen dürfen allerdings solche an den Leistungserbringcr gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar angesehen werden, die sich aus der Anwendung von für bestimmte Arten von Tätigkeiten erlassenen Vorschriften ergeben, welche durch das Allgemcinintercsse gerechtfertigt sind und für alle im Gebiet des betreffenden Mitglicdstaatcs ansässigen Personen oder Unternehmen gelten; dies 14 15 16

26.4.1988 Bond van Adverteerders (oben $ l Fn. 15), Rn. 5. Ebd., Rn.26. Ebd., Rn.34.

110

§ 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsvcrkehrs gilt insoweit, als in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Leistungserbringer dort ähnlichen Vorschriften nicht unterworfen sind."17

Die gesetzliche Regelung des Fernsehens gehört mithin zu den Bereichen, auf welche die Ausnahme für nichtsdiskriminierende staatliche Regelungen im allgemeinen Interesse zutrifft. Auf dieser Grundlage wurde das Verbot von Fernsehwerbung in Belgien gebilligt. Diese Rechtsprechung führt dazu, daß infolge der Verschiedenheiten der nationalen Rundfunkordnungen grenzüberschreitender Rundfunk ohne Rechtsangleichung weitgehend ausgeschlossen ist. Die im Überblick darzustellende Fernsehrichtlinie des Rates vom 17.10.1989 hat den Zweck, diese Hindernisse für ein „Fernsehen ohne Grenzen" zu beseitigen.

4.

Die Fernsehrichtlinie

a)

Entstehung der Richtlinie

Die Ausarbeitung eines ersten Richtlinienentwurfs geht zurück auf die „Entschließung des Europäischen Parlaments zu Rundfunk und Fernsehen in der EG" vom 12.3.1982.18 Dort heißt es: „das Parlament hält es für notwendig, daß eine europäische Rundfunk- und Fernsehrahmenordnung u.a. mit dem Ziel des Jugendschutzes und der Regelung des Einsatzes von Werbung auf Gemcinschaftsebene erarbeitet wird".19

Die Kommission nahm die Anregung des Parlaments mit dem „Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel" auf.20 17 18 19

20

EuGH 18.5.1980 Debauve (oben § l Fn. 16), Rs. 52/79, Slg. 833. Amtsblatt EG C 87 vom 5.4.1982, 110 f. Ebd., 112.

Dok. KÖM (84) 300 endg.; zur umfangreichen Diskussion vgl. nur: J. Schwarze (Hrsg.), Fernsehen ohne Grenzen, Baden-Baden 1985; ders., Rundfunk und Fernsehen im Lichte der Entwicklung des nationalen und internationalen Rechts, Baden-Baden 1986; Roth, Grenzüberschreitender Rundfunk und Dienstleistungsfreiheit, ZHR 149, 679 ff. (1985); Mestmäcker (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung - Prinzipien für den Wettbewerb im grenzüberschreitenden Rundfunk, 1988; Ossenbühl, Rundfunk zwischen nationalem Verfassungsrecht und europäischem Gemeinschaftsrccht, 1986; Reich, Rundfunkrecht und 111

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften

1986 legte sie den „Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit" vor.21 Im Anschluß an die Beratungen im Europäischen Parlament22 und einen geänderten Richtlinienvorschlag der Kommission legte der Rat am 13.4.1989 einen gemeinsamen Standpunkt fest.23 Entgegen der ursprünglichen Fassung der Richtlinie, die auch den Hörfunk miteinbezog, begrenzte der Rat den Anwendungsbereich auf das Fernsehen. Am 3.10.1989 wurde die Richtlinie mit qualifizierter Mehrheit gegen die Stimmen Belgiens und Dänemarks im Rat verabschiedet.24 Um schädliche Auswirkungen der Regelung auf die nicht der EG angehörigen europäischen Staaten zu verhindern, wurde im Rahmen des Europarats das Europäische Übereinkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen vereinbart.25 Die Mitgliedstaaten der EG sind der Konvention unter Wahrung ihrer besonderen Pflichten aus dem EWG-Vertrag beigetreten.

21 22 23

24

25

Wettbewerbs recht vor dem Forum des europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Hoffmann-Riehm (Hrsg.), Rundfunk im Wettbewerbsrecht, 1988, S. 224 ff.; Dellbrück, Rundfunkrccht und Wettbewerbsrecht vor dem Forum des europäischen Gemeinschaftsrechts, ebd., S. 244 ff. Dok. KÖM (86) 146 endg./2. Amtsblatt der EG C 179/4 vom 17.7.1986. Dok. A2-0246/87 vom 8.12.1987 = PE 113.272/endg. mit umfangreichen Änderungsvorschlägen. Ratsdokument 5858/89 vom 10.4.1989 mit Korrigendum vom 13.4.1989 = Dok. PE 133.010 vom 25.4.1989. Der Rat wird gem. Art. 57 Abs. 2, 66 EWGV in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament tätig. In dem daher erforderlichen Verfahren der zweiten Lesung gem. Art. 149 Abs. 2 EWGV schlug das Europäische Parlament mit Beschluß vom 24.5.1989 dem Rat Abänderungen an seinem gemeinsamen Standpunkt vor, Dok. PE 133.010. Einen überprüften Vorschlag unterbreitete die Kommission dem Rat am 26.5.1989, Dok. KÖM (89) 247 endg.-SYN 52 mit Anhang vom 31.5.1989. Abgedruckt als Beilage der FUNK-Korrespondenz Nr. 42/10. Oktober 1989; vgl. auch Dellbrück, Die europäische Regelung des grenzüberschreitenden Rundfunks - Das Verhältnis von EG-Richtlinie und Europaratskonvention, ZUM 1989, 373 ff.; Möwes/Schmitt-Vockenhausen, Europäische Medienordnung im Lichte des Fernsehübereinkommens des Europarats und der EG-Fernsehrichtlinie 1989, EuGRZ 1990, 121-129; Kreile/Straßer, Werbung ohne Grenzen?, ZUM 1990, 174-177. European Convention on Transfrontier Television, Dokument CM (89-72), abgedruckt in RuF 1989, 335-345.

112

§ 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

b)

Binnenmarkt für Fernsehen

Die Richtlinie soll einen Fernsehbinnenmarkt schaffen, in dem die Märkte der Mitgliedstaaten für Fernsehprogramme aus der Gemeinschaft offen sind. Sie gewährleistet die allgemeine Empfangs- und Weiterverbreitungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1). Sie gilt auch für solche Anbieter, die nur ein Publikum im Empfangsland versorgen wollen.26 Harmonisiert werden Mindestbedingungen für den grenzüberschreitenden Programm- und Sendeverkehr in der Gemeinschaft, sie betreffen Fernsehwerbung und Sponsoring, Jugendschutz und das Recht auf Gegendarstellung. Die Sendestaaten sind gem. Art. 2 Abs. l verpflichtet, sicherzustellen, daß die Fernsehsendungen, die von Fernsehveranstaltern gesendet werden und die entweder der Rechtshoheit des Mitgliedstaates unterworfen sind oder eine diesem zugeteilte Satellitenfrequenz nutzen, dem geltenden Recht in diesem Mitgliedstaat und den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen (Art. 3 Abs. 2). Eine zweite Kontrolle durch den Empfangsstaat findet nicht statt. Zwar können nach Art. 3 Abs. l der Richtlinie die Mitgliedstaaten strengere oder detailliertere Normen für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, erlassen; alle Programme, die den Normen der Richtlinien genügen, müssen aber frei zirkulieren können.27 Den Mitgliedstaaten ist es nur in den sehr engen Grenzen des Art. 2 Abs. 2 gestattet, die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen - also nicht den terrestrischen oder den Empfang über Satelliten - zu untersagen. Eine Untersagung setzt voraus, daß die Fernsehsendung in offensichtlicher, ernster und schwerwiegender Weise gegen die Bestimmungen zum Schutz Minderjähriger (Art. 22) verstoßen hat. Dies ist insbesondere bei Verstößen gegen das Verbot pornographischer, grundlos gewalttätiger oder zu Rassenhaß aufreizender Sendungen der Fall. Zusätzlich ist erforderlich, daß der Empfangsstaat den Programmveranstalter 26 27

C. Engel, Außenhandel mit Rundfunk: Rundfunkrichtlinic der Europäischen Gemeinschaft versus Konvention des Europarats, RuF 1989, 203-214 (212). Art. 20 ermöglicht es den Mitgliedstaaten, für den Bereich der Fernsehwerbung für rein inländische Sendungen strengere Regelungen zu erlassen; nach Art. 8 der Richtlinie ist es den Mitglicdstaaten mit Rücksicht auf sprachpolitische Ziele erlaubt, strengere Regelungen zur Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen für Fcrnschveranstalter zu erlassen, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind. 113

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

schriftlich abgemahnt und der Kommission seine Absicht angezeigt hat, beim nächsten Verstoß die Weiterverbreitung auszusetzen.

c)

Quotenregelung

Für die Urheberberechtigten kommt der Einführung einer Quotenregelung für europäische Werke besondere Bedeutung zu. Nach Art. 4 RL sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln" dafür zu sorgen, daß die Fernsehveranstalter den Hauptanteil ihrer Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder Werbe- und Teletextleistungen besteht, der Sendung von europäischen Werken i. S. des Artikels 6 vorbehalten. Dieser Anteil ist unter Berücksichtigung der Verantwortung der Rundfunkveranstalter gegenüber ihrem Publikum in den Bereichen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung schrittweise anhand geeigneter Kriterien zu erreichen. Außerdem sind nach Art. 5 die Fernsehveranstalter gehalten, mindestens 10 v. H. ihrer Sendezeit oder 10 v. H. ihrer Haushaltsmittel für die Programmgestaltung der Sendung europäischer Werke von Herstellern vorzubehalten, die von den Fernsehveranstaltern unabhängig sind. Die Definition europäischer Werke ist in Art. 6 enthalten; es muß sich um Werke aus Mitgliedstaaten der EG oder um Werke aus Drittländern handeln, die Parteien des Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen des Europarats sind. Art. 6 Abs. 2 normiert die Anforderungen an die Beteiligung von Autoren und Arbeitnehmern an der Herstellung europäischer Werke. Die Quotenbestimmungen sollen zur Bildung von Märkten führen, die groß genug sind, um die erforderlichen Investitionen zu amortisieren.28 Die Vereinigten Staaten sehen in dem Erfordernis, daß die Fernsehveranstalter den Hauptteil ihrer Sendezeit europäischen Sendungen vorbehalten, eine Behinderung der Exportchancen ihrer Film- und Fernsehindustrie. Sie haben mit dieser Begründung die im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vorgesehenen Verfahren wegen Vertragsverstoßes eingeleitet. Das Grünbuch aus dem Jahre 1984 schlug keine Quotenregelung vor. Frankreich machte aber seine Zustimmung zur Richtlinie von der Einführung solcher Bestimmungen abhängig, auch um damit der Gefahr 28

Erwägungsgrund 18, 19, 20.

114

S 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

einer kulturellen Überfremdung („Kolonisierung") durch US-amerikanische Filme und Serien begegnen zu können.29 Die Bundesregierung wendete dagegen ein, daß die Quotenregelung von den Kompetenzen der Gemeinschaft nicht gedeckt sei. Die Verabschiedung der Richtlinie wurde schließlich durch eine gemeinsame Protokollerklärung von Ministerrat und Kommission zur Tragweite der genannten Quotenregelungen ermöglicht. Sie zielt darauf ab, dieser Regelung lediglich „politische" im Unterschied zur rechtlichen Verbindlichkeit zu geben. Die Erklärung lautet: „Der Rat und die Kommission gehen davon aus, daß die Bestimmungen des vorliegenden Artikels inspiriert sind von den Zielen, die der Europäische Rat in Rhodos und Madrid anerkannt hat, insbesondere von der Notwendigkeit, die Bemühungen um eine Stärkung der audio-visuellen Kapazitäten Europas zu vertiefen. Der Rat und die Kommission stimmen übercin, daß sich die Mitgliedstaaten durch Art. 4 und 5 politisch auf die dort vereinbarten Ziele verpflichten. Sie bestätigen, daß es in diesen Bestimmungen den cinzelstaatlichen Stellen überlassen wird, innerhalb ihrer jeweiligen Verfassungsbestimmungen die Form und Mittel zur Erreichung dieser Ziele zu beschließen; der Rat und die Kommission kommen überein, daß diese Bestimmungen, die auf den derzeitigen Stand des audio-visuellen Marktes in Europa abgestellt sind, nach Maßgabe der Entwicklung dieses Marktes angepaßt werden können."30

Protokollerklärungen sind ein im Völkerrecht anerkanntes Mittel, um die Verpflichtungen von Staaten zu erläutern und zu begrenzen. Im Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts ist ihre Wirksamkeit dagegen fraglich. Der Europäische Gerichtshof hat dazu entschieden, daß solche Vorbehalte außer Betracht zu bleiben haben, wenn sie im „Rahmen der Zielsetzung der Gemeinschaft" ergehen.31 Rechtsakte der Gemeinschaft sind nach ihrem Wortlaut zu beurteilen und können nicht durch Vorbehalte oder Erklärungen eingeschränkt werden, die während der Ausarbeitung dieser Maßnahme abgegeben worden sind. Diese Gründe sprechen dafür, daß die Rechtsverbindlichkeit der Quotenregelung nicht 29

30 31

Insbesondere hierzu: Aufruf der Künstler und Kulturschaffenden in Frankreich in ihrem „Lettre ouverte au Monsieur le President de la Republique"; abgedruckt in: Liberation vom 5.4.1989, S. 14; vgl. auch: Le Monde vom 5.4.1989 S. l und 16; Staatspräsident M/tferand in seiner Eröffnungsansprache zur Pariser Medienkonfcrenz (30. Sept.-2.Okt. 1989) „Eureka Audiovisuel". In: Neue Zürcher Zeitung vom 5.10.1989, S. 4; R. Frohne, Die Quotenregelungen im nationalen und europäischen Recht, ZUM 1989, 390-396 (390). Zitiert nach Funkkorrcspondenz vom 6.10.1989, 40, 7. 18.2.1970 Kommission ./. Italien, Rs. 38/69, Slg. 7447, 49. 115

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

durch die genannten Protokollerklärungen in Frage gestellt werden kann. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die Quotenregelung von der Kompetenz zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die Dienstleistungsfreiheit gedeckt ist und ob sie mit der gemeinschaftsrechtlichen Garantie von Grund- und Menschenrechten vereinbar ist.32 Der Europäische Gerichtshof hat Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts entwickelt und sich dabei auf die gemeinsamen Rechtsüberzeugungen der Mitgliedstaaten sowie auf die Europäische Menschenrechtskonvention gestützt.33 In Betracht kommt vor allem ein Verstoß gegen die in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Rundfunkfreiheit.34 In der Richtlinie wird die Quotenregelung damit begründet, daß Personen und Industrien, die kulturelle Fernsehprogramme herstellen, die Aufnahme und Ausübung ihrer Tätigkeit erleichtert werden solle.35 Es solle die Bildung von Märkten für Fernsehproduktionen begünstigt werden, die groß genug seien, um die erforderlichen Investitionen zu amortisieren.36 Im Rahmen einer grundrechtlichen Überprüfung steht die Frage im Mittelpunkt, ob angesichts dieser eindeutig industriepolitischen Zielsetzungen, die überdies auf den Ausschluß vor allem amerikanischer Programme zielen, die Quoten ein geeignetes und die Rundfunkfreiheit am wenigsten beeinträchtigendes Mittel sind. Gegen die Effektivität der Regelung lassen sich ebenso gewichtige Gründe vorbringen wie gegen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Programmfreiheit.

III.

Die Ausübung von Urheberrechten

In einem Parallelverfahren zur Beurteilung des belgischen Werbefernsehens hatte der Gerichtshof darüber zu entscheiden, unter welchen Vor32 33 34

35 36

Zur Kompetenzfrage im deutschen Verfassungsrecht o. § l II 2. 13.12.1979 Hauer./. Land Rheinland-Pfalz, Rs. 44/79, Slg. 3727, 3744. Im einzelnen dazu Christoph Engel, Europäische Konvention über grenzüberschreitendes Fernsehen, ein Schritt in die falsche Richtung, ZRP 1988, S. 240-247; vgl. auch Frohne, Die Quotenregelung im nationalen und europäischen Recht, ZUM 1989, 390-396. Erwägungsgrund 18. Erwägungsgrund 20.

116

$ 4 Die Ausübung des Urheberrechts und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs

aussetzungen die Ausübung urheberrechtlicher Verbietungsbefugnisse mit Art. 59, 60 unvereinbar sein kann. 37 Der französische Inhaber aller Rechte an einem Film hatte einem belgischen Filmverleih das ausschließliche Aufführungsrecht für Belgien für sieben Jahre übertragen. Gleichzeitig übertrug er das Senderecht an die deutsche ARD. Während dieser Zeit strahlte das deutsche Fernsehen den Film aus. Die Sendung wurde von den belgischen Kabelgesellschaften empfangen und weiterübertragen. Der Inhaber des ausschließlichen Vorführungsrechts für Belgien nahm die Kabelgesellschaften wegen Verletzung seines Urheberrechts in Anspruch. Das Berufungsgericht Brüssel legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob das auf Urheberrecht gestützte Verbot der Ausstrahlung des Films mit Artt. 59, 60 vereinbar sei. Das belgische Gericht legte dabei die Rechtsauffassung zugrunde, daß die öffentliche Mitteilung des Films durch Kabelgesellschaften - vorbehaltlich des Gemeinschaftsrechts ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers unzulässig sei. Die Kommission der EG schlug vor, Artt. 59, 60 im Anschluß an die für den freien Warenverkehr geltenden Regeln des Art. 36 auszulegen. Derjenige, dem die Vorführ u ngs rechte für einen Kinofilm in Belgien eingeräumt worden seien, dürfe die Vorführung des Films durch Kabelfernsehen nicht verbieten; das belgische Recht könne dem Inhaber des betreffenden Rechts jedoch einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung für die im Wege der Kabelübertragung erfolgte Vorführung des Films einräumen. Der Gerichtshof ist dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt. Filme gehörten zu der Gruppe von literarischen und künstlerischen Werken, die der Allgemeinheit durch beliebig oft wiederholbare Vorführungen zugänglich gemacht würden. Das Verhältnis zum Gemeinschaftsrecht sei demgemäß anders zu beurteilen als bei den Werken, die in körperlicher Form in den Verkehr gebracht würden, wie es bei Buch oder Schallplatte zutreffe. Die Möglichkeit, eine Vergütung für jede Vorführung des Films zu erlangen, gehöre „zum wesentlichen Inhalt des Urheberrechts an derartigen literarischen und künstlerischen Werken". Die Verwertung der Urheberrechte am Film könne nicht unabhängig von der Aussicht auf eine Fernsehübertragung geplant werden. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof entschieden:

37

18.3.1980 Coditel./. Cine-Vog Film, Rs. 62/79 (oben $ 2 Fn. 29); kritisch Neville Hunnings, Intermedia 1980, No. 4, 39 f.

117

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften „Zwar sind nach Art. 59 EWGV Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verboten, doch erfaßt diese Bestimmung damit nicht die Grenzen für bestimmte wirtschaftliche Betätigungen, die auf die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz des geistigen Eigentums zurückgehen, es sei denn, die Anwendung dieser Vorschriften stellte sich als ein Mittel willkürlicher Diskriminierung dar oder als eine versteckte Beschränkung in den Wirtschaftsbeziehungen zu den Mitgliedstaaten dar. Dies wäre der Fall, wenn es die Anwendung dieser Bestimmungen den Parteien eines Vertrages über die Einräumung eines Nutzungsrechts ermöglichen würde, künstliche Schranken für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten zu errichten." (Tz. 15)

Folglich sei es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn derjenige, dem die Vorführungsrechte für das gesamte Gebiet eines Mitgliedstaates eingeräumt worden seien, das Recht gegen Kabelfernsehgesellschaften geltend mache, die den Film über ihr Kabelnetz übertragen hätten, nachdem sie ihn von einem anderen Mitgliedstaat liegenden Fernsehsender empfangen hätten. Das gelte auch, wenn die Ausstrahlung in einem anderen Mitgliedstaat mit Zustimmung des dort Berechtigten erfolgt sei. Das Urteil klärt wichtige Fragen für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der Ausübung von Urheberrechten, die nicht in verkörperter Form in Verkehr gebracht werden. Der Gerichtshof wendet die Grundsätze über die Erschöpfung des Urheberrechts auf diese Rechtsausübung nicht an. Die Erschöpfungslehre wird vielmehr in Übereinstimmung mit den nationalen Urheberrechten nur auf die Verbreitung des Rechts in körperlicher Form angewendet.38 Entgegen der Rechtsauffassung der Kommission hält der Gerichtshof Art. 36 Satz 2 nicht schon dann für anwendbar, wenn der Rechtsinhaber die Verwertung seines Rechts unter räumlicher Begrenzung regelt: „Daraus ergibt sich, daß, wenn zum Urheberrecht das Recht gehört, für jede Vorführung eine Vergütung zu verlangen, die Vorschriften des EWG-Vertrages räumlichen Begrenzungen, die von den Parteien des Vertrages über die Einräumung der Nutzungsrechte zum Schutz des Urhebers unter Nutzungsberechtigten vereinbart werden, grundsätzlich nicht entgegenstehen. Der bloße Umstand, daß diese räumlichen Begrenzungen mit den Staatsgrenzen zusammenfallen können, führt nicht zu einer anderen Betrachtungsweise, wenn man bedenkt, daß die Veranstaltung von Fernsehsendungen in Mitgliedstaaten gegenwärtig in hohem Maße auf gesetzlichen Monopolen beruht und demgemäß eine andere Abgrenzung des räumlichen Geltungsbereichs eines Vertrages über die Einräumung eines Nutzungsrechts häufig nicht praktikabel wäre." (Tz. 16) 38

Vgl. S 15 UrhG.

118

S 5 Die Anwendbarkeit der Wettbcwerbsregeln

§5

Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Ausübung und rechtsgeschäftliche Verwertung von Urheberrechten

I.

Inhalt des Schutzrechts

Der Gerichtshof hat den Grundsatz, daß der EWG-Vertrag den Bestand von Schutzrechten garantiere, ihre Ausübung aber seinen Vorschriften unterwerfe, zuerst für die Wettbewerbsregeln entwickelt. Im Grundig/ Consten-Fall, der den Mißbrauch eines Warenzeichens zum Zwecke der Wettbewerbsbeschränkung zum Gegenstand hat, heißt es hierzu: „Die Am. 36, 222 und 234 des Vertrages, auf die sich die Klägerinnen berufen, schließen nicht jeglichen Einfluß des Gemeinschaftsrechts auf die Ausübung der gewerblichen Schutzrechte des innerstaatlichen Rechts aus. Art. 36 schränkt den Anwendungsbereich der in Titel I Kap. 2 des Vertrages enthaltenen Vorschriften über die Liberalisierung des Warenaustausches ein, nicht aber den des Art. 85."'

Die Grenzen dieser Betrachtungsweise zeigt das Hag-Urteil zur Übertragung von Warenzeichen durch Enteignung. 2 Die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen einer Warenzeichenübertragung lassen sich nicht auf eine Vereinbarung im Sinne von Art. 85 Abs. l zurückführen, wenn zwischen den Inhabern eines übertragenen Warenzeichens keine rechtlichen, finanziellen, technischen und wirtschaftlichen Verbindungen mehr bestehen.3 Die infolge der territorialen Selbständigkeit nationaler Warenzeichenrechte von einer solchen Übertragung ausgehende Abschottung der nationalen Märkte wurde deshalb allein aufgrund von Art. 30 verboten. Das Hag-Urteil korrigiert insoweit das Sirena-Urteil,4 in dem die den zwischenstaatlichen Warenverkehr behindernden Wirkungen der Übertragung ursprungsgleicher Zeichen noch nach Art. 85 beurteilt wurden. In den Columbia-Urteilen des Gerichtshofs5 hat der Gerichtshof die Abgrenzung von Artt. 30, 36 und 85 präzisiert. Es heißt dort: 1 2 3 4 5

13.7.1966 GrundigIConsten ./. Kommission, Rn. 56 und 58/64 Slg. XII, 394 = GRUR Int. 1966, 580 m. Anm. Eohlig. 3.7.1974 Van Zuylen Freres ./. Hag AG (oben §3 Fn. 16) Slg. 1974, 731. EuGH ebd., S. 744 Rn. 2-5. 18.2.1971 Sirena./.Eda,Rs. 40/70 Slg. 1971 S. 83 Rn. 10, 11= GRUR Int. 1971, 279. 15.6.1976 (oben §3 Fn. 31). 119

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften „In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Kartelle außer Kraft getreten sind, reicht es für die Anwendbarkeit des Art. 85 EWG-Vertrag nicht aus, daß über das formale Außerkrafttreten hinaus die Kartellwirkungen fortbestehen. Ein Kartell ist nur dann als fortwirkend anzusehen, wenn das Verhalten der Beteiligten auf das Fortbestehen der dem Kartell eigentümlichen Merkmale der Abstimmung und Koordinierung schließen läßt und es zu dem gleichen Ziel führt, wie sie das Kartell verfolgte. Das ist nicht der Fall, wenn diese Wirkungen nicht über diejenigen hinausgehen, die ohne weiteres mit der Ausübung der nationalen Warenzeichenrechte verbunden sind."

Im Gegensatz zu Artt. 30, 36 und Art. 59 gelten die Wettbewerbsregeln unabhängig davon, ob das unternehmerische Verhalten den Waren- oder den Dienstleistungsverkehr zum Gegenstand hat. Andererseits begrenzt die gemeinschaftsrechtliche Garantie des Bestandes der Schutzrechte auch die Anwendung der Wettbewerbsregeln. Dies ist der Grund, aus dem die Unterscheidung zwischen der Verwertung des Urheberrechts in körperlicher und in unkörperlicher Form auch bei der Anwendung der Wettbewerbs regeln erheblich wird. Im Gemeinschaftsrecht sind jedoch keine allgemeinen Aussagen darüber möglich, welche Wettbewerbsbeschränkungen vom Inhalt des Schutzrechts gedeckt und deshalb zulässig sind, wie es S 20 GWB im deutschen Recht für Patente vorschreibt. Ein Verstoß gegen Art. 30 oder Art. 59 durch Ausübung von Schutzrechten schließt die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf denselben Sachverhalt bei Vorliegen ihrer tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nicht aus. Die auf nationalem Recht beruhenden wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen können von den Parteien einer Vereinbarung zum Zweck der Wettbewerbsbeschränkung benutzt werden und sind dann nach Art. 85 Abs. l verboten.6 Die Kommission hat Verwaltungsgrundsätze zum Verhältnis von Wettbewerbsregeln und Urheberrecht im Zusammenhang mit dem Vorschlag für eine Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen veröffentlicht.7 Es handelt sich zwar im wesentlichen um eine Zusammenfassung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Grundsätze. Wegen der Bedeutung der Leitlinien für die Verwaltungspraxis der Kommission EuGH 20.6.1978 Tepea ./. Kommission, Rs. 28/77, SIg. 1415, Rn. 40-45 = GRUR Int. 1979, 44; übereinstimmend 8.6.1982 Nungesser./. Kommission, Rs. 258/78, Slg. 2915, Rn. 63 = GRUR Int. 1982, 530 („Maissaatgut") m. Anm. von Pietzke; dazu Schödermeier, Die Ernte der „Maissaat": Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Art. 30 und Art. 85 EWG-Vertrag, GRUR Int. 1987, 85. Abi. C 91 v. 12.4.1989 = GRUR Int. 1989, 564.

120

$ 5 Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregcln werden sie hier in den Teilen wörtlich zitiert, denen über Computerprogramme hinaus allgemeine Bedeutung zukommt: „Ausschließliche Eigentumsrechte und freier Wettbewerb sind beide bestimmt, dasselbe Ziel auf unterschiedliche Weise zu erreichen. Sie können jedoch in Konflikt geraten, wenn ein Urhebcrrechtsinhaber in der Lage ist, seine gesetzlichen Ausschließlichkeitsrechte in einer Weise auszuüben, die über den Gesetzcszweck hinausgeht. Die Ausübung ausschließlicher Urheberrechte beeinträchtigt nicht die Anwendung der Wettbewerbsregeln und, in geeigneten Fällen, die Durchsetzung wirksamer Abhilfemaßnahmcn. Das Verhältnis zwischen den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft und dem Urheberrecht wird bestimmt durch die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften getroffene Unterscheidung zwischen dem Bestand und der Ausübung geistiger Eigentumsrechte. Jede Vereinbarung oder Maßnahme, die den Bereich des Bestands des Urheberrechts verläßt, kann einer Kontrolle nach den Wcttbcwerbsrcgeln unterliegen. (...) Darüber hinaus dürfen Unternehmen, die sich in einer marktbeherrschenden Stellung i. S. von Art. 86 EWG-Vertrag befinden, diese Stellung nicht mißbräuchlich ausnutzen. (...) Dieses kann auch der Fall sein, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen versucht, die Ausschließlichkeitsrechte, die es bezüglich eines Produkts innehat, zu benutzen, um einen ungerechtfertigten Vorteil bezüglich eines oder mehrerer Produkte zu erlangen, welche durch diese Rechte nicht geschützt sind."

II.

Die Ausübung von Urheberrechten als unternehmerische Tätigkeit

Im Rahmen von Art. 85 und Art. 86 ist zu entscheiden, ob die Anwendung von Urheberrechten die Eigenschaft als Unternehmen begründet. Der Unternehmensbegriff ist funktional im Hinblick auf den Zweck der Wettbewerbsregeln auszulegen. Unternehmerisch ist danach jede selbständige, nicht auf die Deckung des persönlichen Bedarfs beschränkte Tätigkeit, die auf die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr gerichtet ist. Unerheblich sind die Rechtsformen der Tätigkeit und die Absicht der Gewinnerzielung. 8 Die auf die Deckung des persönlichen Bedarfs gerichtete Tätigkeit begründet die Eigenschaft als Verbraucher. Diese gehören zu den Personen, deren Interesse die Wettbewerbsregeln in Art. 85 Abs. 3 und in Art. 86 Satz 2 lit. b schützen sollen. Bei der Ausübung von Urheberrechten ist zwischen dem einzelnen UrZusammcnfassend Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag (1984), Art. 85 Rn. 7 ff. 121

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgesellschaften

heber und urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften zu unterscheiden. Der einzelne Urheber nimmt am geschäftlichen Verkehr teil, wenn er seine Rechte wirtschaftlich verwertet.9 Im Grammophon-Urteil, in dem über die Marktstellung eines Schallplattenherstellers zu entscheiden war, hat der Gerichtshof den Abschluß von Exklusivverträgen seitens ausübender Künstler mit dem Schallplattenhersteller als unternehmerische Tätigkeit gewürdigt.10 Diese Rechtsauffassung entspricht der Verwaltungspraxis der Kommission. Ausübende Künstler einschließlich der Orchester sind dann Unternehmen i. S. des Art. 85, wenn sie ihre künstlerischen Darbietungen dem Wirtschaftsverkehr zuführen.11 Die Stellung der ausübenden Künstler entspricht in dieser Beziehung der von Urhebern. Hieraus folgt, daß auch die Übertragung von Urheberrechten zur Wahrnehmung auf eine Verwertungsgesellschaft sowie die Verwertung dieser Rechte durch die Verwertungsgesellschaft unternehmerische Tätigkeiten darstellen. Im Schrifttum ist jedoch die Meinung vertreten worden, die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften widerspreche dem Wesen dieser Organisationen. Bei ihnen komme den Autoren die Rolle von Arbeitnehmern und den Verwertungsgesellschaften die von Gewerkschaften zu.12 Deshalb widerspreche die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf diese Organisationen dem Recht auf freien gewerkschaftlichen Zusammenschluß. Das Kennzeichen abhängiger Arbeit ist jedoch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb und seine Bindung an das Weisungsrecht des Unternehmers. Diese soziale Situation liegt bei den einzelnen Urhebern nicht vor. Auch die Parallele zu Arbeitnehmerverbänden vermag daher nicht zu überzeugen. Der Gerichtshof hat diese ihm vorgetragene Parallele zu den Gewerkschaften nicht aufgegriffen, sondern stillschweigend angenommen, daß Verwertungsgesellschaften Unternehmen sind.13 9

10 11 12 13

Für das insoweit übereinstimmende deutsche Wettbcwerbsrccht BGH 3.5.1988, GRUR 1988, 782 = WuW/E BGH 2502/2503. Zur Anwendung von Art. 85/86 v. Gamm, Urheberrechtliche Verwertungsverträge und Einschränkungen durch den EWG-Vertrag, GRUR Int. 1983, 403, 406 ff. 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. Metro, Rs. 78/70, Slg. XVII S. 487 (oben § 2 Fn. 10). Schreiben an den Deutschen Musikverlegerverband vom 7.2.1972, Einzelfall IV/26. 826. Van Isacker, Vom tieferen Sinn des Urheberrechts und der Rolle, die die Autoren verbände dabei spielen, UFITA Bd. 61 (1971) S. 49 ff. Zuerst 27.3.1974 BRT./. SABAM und Phoneor, Rs. 127/73 Slg. 316 = GRUR Int. 1974, 342 m. Anm. von Schulze; übereinstimmend 25.10.1979 Greenwich Film,

122

§ 5 Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln

Generalanwalt Maras hat in seinen Schlußanträgen ausdrücklich festgestellt, daß eine Gesellschaft mit dem Zweck, Urheberrechte entgeltlich zu verwalten und zu betreuen, eine unternehmerische, aus Dienstleistungen bestehende Tätigkeit ausübe. Das gelte sowohl gegenüber den Musikanbietern wie gegenüber den Musikverbrauchern. 14

III.

Die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels

Das Verbot von kooperativen Wettbewerbsbeschränkungen nach Art. 85 und das Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung sind nur anwendbar, wenn die beanstandeten Verhaltensweisen geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erfüllt, wenn „sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt, daß sie (die Wettbewerbsbeschränkung) den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich oder potentiell in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen können".15 Zu berücksichtigen sind ferner die Auswirkungen auf die Struktur eines wirklichen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt. Dazu hat der Gerichtshof entschieden, daß kein Anlaß bestehe, diese allgemeinen Grundsätze nicht auf die Ausübung und die Wahrnehmung von Urheberrechten anzuwenden. Das gelte auch dann, wenn es sich um urheberrechtliche Lizenzverträge handele, die den Export von Filmen in Drittstaaten zum Gegenstand haben.16

IV.

Territorial begrenzte ausschließliche Nutzungsrechte (Lizenzen)

Auf vertraglich begründete, urheberrechtliche Nutzungsrechte (§31 UrhG, §11 WahrnG), auf Verlags- und Subverlagsverträge (§2 VerlG)

14 15 16

Rs. 22/79, Slg. 3288 = Schulze, RzU EuGH 5 m. Anm. von Mestmäcker = GRUR Int. 1980, 159. Schlußanträgc Rs. 127/73 Slg. 316, (oben Fn. 13), S. 323. Zuerst 30.6.1966 Societe Technique Miniere./. Maschinenbau Ulm, Rs. 56/65, Slg. 303 = GRUR Int. 1966, 586. EuGH 25.10.1979 Greenwich Film, Rs. 22/79; übereinstimmend EuGH 2.3.1983 GVL ./. Kommission, Rs. 7/82, Slg. 505 Rn.37. 123

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

sowie auf Wahrnehmungsverträge (§ 6 WahrnG) kann Art. 85 anwendbar sein. Die Vorschrift verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Dagegen verstoßende Vereinbarungen sind nichtig, sie können jedoch unter den Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 3 vom Verbot freigestellt werden. Wegen der auch für Art. 85 maßgeblichen Unterscheidung von Bestand und Ausübung geistiger Eigentumsrechte muß zwischen der Verwertung des Urheberrechts in körperlicher und in unkörperlicher Form unterschieden werden. Bei der Verwertung des Urheberrechts in körperlicher Form muß über das Verhältnis von Art. 85 zu Artt. 30, 36, bei der Verwertung in unkörperlicher Form über das Verhältnis zu Art. 59 enschieden werden. Die Kommission vertritt in ihrer Verwaltungspraxis die Auffassung, daß die schutzrechtlichen Wirkungen einer ausschließlichen Lizenz stets gegen Art. 30 verstoßen. Die schuldrechtlichen Pflichten verstießen in der Regel gegen Art. 85 Abs. l und könnten allenfalls nach Art. 85 Abs. 3 freigestellt werden. Auf dieser Grundlage ist die Kommission gegen nach Ländern geteilte Verlags- und Lizenzverträge eingeschritten.17 In den genannten Fällen handelte es sich um die Ausübung von Urheberrechten, die der Allgemeinheit in körperlicher Form zugänglich gemacht werden. Die Kommission hat diese Praxis unter Hinweis auf die für Patentlizenz17

Einem Buchvcrleger in Großbritannien hat die Kommission die Anwendung eines Exportverbots für die Ausfuhr in die Bundesrepublik Deutschland untersagt (9. Wettbewcrbsbericht 1980, Rn. 119). Exportverbote innerhalb des Gemeinsamen Marktes seien mit den Wettbcwerbsregcln ebenso unvereinbar wie Exportverbote für andere Güter. Eine Aufteilung des Gemeinsamen Marktes mit Hilfe von Urheberrechten sei nur rcchtswirksam, wenn eine Frcistellungsentschcidung nach Art. 85 Abs. 3 ergangen sei. Der Inhaber des Copyright für das Hemingway-Buch „The Old Man and the Sea" hatte eine Taschenbuchausgabc für die Länder des Gemeinsamen Marktes mit Ausnahme von Großbritannien und Irland autorisiert. Aufgrund des Einschreitens der Kommission wurde eine neue Taschenbuchausgabc für den gesamten Gemeinsamen Markt herausgegeben (6. Bericht über die Wettbewcrbspolitik 1977, Textziff. 162-164). Ein im selben Jahr behandelter Fall betrifft eine Urhcberlizcnz für Zeichentrickfilme, welche die BBC von einem niederländischen Unternehmen erworben hatte. Die erteilte Unterlizenzen an Spielzeughcrstellcr in England und wollte den Export des aufgrund der Lizenz hergestellten Spielzeugs nach den Niederlanden unterbinden. Dies Vorhaben wurde nach dem Einschreiten der Kommission aufgegeben.

124

S 5 Die Anwendbarkeit der Wettbcwerbsregeln

vertrage geltenden Regeln gerechtfertigt.18 Damit werden jedoch die Besonderheiten des Urheberrechts verkannt. 1.

Ausschließliche Nutzungsrechte zur öffentlichen Wiedergabe des Werkes

Im Fall Coditel l 1 9 hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob ein befristet eingeräumtes, ausschließliches Recht zur Aufführung eines Films in Belgien zu einer verbotenen Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit führte. Diese Frage wurde verneint. Aufgrund desselben Sachverhaltes legte der belgische Kassationshof dem Gerichtshof die Frage vor, ob ein solcher Vertrag wegen der in ihm begründeten Rechte und Pflichten wie wegen seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Begleitumstände gegen Art. 85 Abs. l verstoße.20 Für die Würdigung des Urteils, dem grundsätzliche und weitreichende praktische Bedeutung zukommt, ist der Kontrast zu der von der Kommission im Verfahren vertretenen Rechtsauffassung aufschlußreich. Sie vertrat unter Berufung auf ihre Verwaltungspraxis zu Patentlizenzverträgen die Meinung, ausschließliche Patentlizenzen verstießen grundsätzlich gegen Art. 85 Abs. 1. Durch die ausschließliche Lizenz werde der Lizenzgeber gehindert, in dem Vertragsgebiet Lizenzen an andere Unternehmen zu gewähren. Ferner schalte sich der Lizenzgeber durch die Verpflichtung, im Lizenzgebiet nicht unternehmerisch tätig zu sein, insbesondere die geschützten Gegenstände nicht selbst zu verwerten, vom Wettbewerb aus. Es handele sich um typische Beschränkungen der Handlungsfreiheit im wirtschaftlichen Bereich. Die Ausschließlichkeitsklausel habe den Zweck, den potentiellen Wettbewerb zwischen dritten Verleihfilmen zu verhindern. Eine ausschließliche Lizenz beschränke nicht die Befugnisse des Rechtsinhabers zum Ausschluß Dritter, sondern seine eigene Freiheit, davon nach Belieben Gebrauch zu machen. Der Rechtsinhaber übe sein Recht nicht aus, sondern gebe es auf; der Unterschied zwischen der Verwertung des Rechts in körperlicher und in unkörperlicher Form sei bedeutungslos. Der Gerichtshof ist der Kommission nicht gefolgt. Der maßgebliche Teil der Urteilsgründe lautet: 18 19 20

6. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1977, Tcxtziff. 162. O b e n § 2 F n . 29. 6.10.1982 Coditel./. Cine Vog Films, Rs. 262/81 (oben §4 Fn. 3) Slg. 3381. 125

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften „Der Umstand allein, daß der Inhaber des Urheberrechts an einem Film einem einzigen Lizenznehmer das ausschließliche Recht eingeräumt hat, diesen Film im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates während eines bestimmten Zeitraums vorzuführen und somit dessen Verbreitung durch Dritte zu verbieten, reicht jedoch nicht für die Feststellung aus, daß eine derartige Vereinbarung als Gegenstand, Mittel oder Folge einer nach dem EWG-Vertrag verbotenen Kartcllabsprache anzusehen ist."21

Zur Begründung verweist der Gerichtshof auf die wirtschaftlichen Besonderheiten der Verwertung von Urheberrechten an Filmen und der Filmindustrie. Bei der danach notwendigen Einzelfallprüfung sei es Aufgabe des nationalen Gerichtes, zu prüfen, ob durch diese Ausübung des ausschließlichen Rechts Hindernisse errichtet werden, die im Hinblick auf die Bedürfnisse der Filmindustrie künstlich und ungerechtfertigt sind, ob unangemessen hohe Vergütungen für die getätigten Investitionen ermöglicht werden, oder ob eine Ausschließlichkeit herbeigeführt wird, deren Dauer, gemessen an diesem Bedürfnis, übermäßig lang ist.22 2.

Ausschließliche Nutzungsrechte zur Verwertung des Urheberrechts in körperlicher Form, insbesondere Verlagsverträge

a)

Die Beurteilung schutzrechtlicher Wirkungen nach Artt. 30, 36

Bei der Verwertung des Urheberrechts in körperlicher Form scheint die Parallele zu Bestand und Ausübung von Patenten und anderen gewerblichen Schutzrechten durch den gemeinsamen Bezug auf die Freiheit des Warenverkehrs (Artt. 30,36) gerechtfertigt zu sein. Im Vordergrund steht die Frage, ob ein Verstoß gegen Artt. 30, 36 auch dann anzunehmen ist, wenn das vertragswidrige erste Inverkehrbringen des geschützten Gegenstandes im Wege des Exports durch den Inhaber eines beschränkt eingeräumten Nutzungsrechts erfolgt und der Rechtsinhaber dagegen mit der nach nationalem Recht gegebenen urheberrechtlichen Unterlassungsklage vorgeht. Die Frage ist für Verlagsverträge, Subverlagsverträge und räumlich beschränkte urheberrechtliche Nutzungsrechte erheblich. Sie muß auch im Patentrecht für ausschließliche, unter territorialer Begrenzung vergebene Lizenzen beantwortet werden. Für die Auslegung von 21 22

Ebd., Slg. 3401, Rn.15. Ebd., Slg. 3402, Rn. 19.

126

S 5 Die Anwendbarkeit der Wcttbcwerbsregcln

Am. 30, 36 ist zu berücksichtigen, daß diese Vorschriften nicht die individuelle Rechtsausübung als solche, sondern die sie bestimmende staatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Gegenstande haben. Nur für die dem nationalen Immaterialgüterrecht gezogenen Grenzen gelten Art. 30, 36. Die praktische Bedeutung der Frage, ob Artt. 30, 36 anwendbar sind, wenn Direktimporte wegen Verletzung vertraglich eingeräumter, territorial begrenzter Nutzungsrechte untersagt werden, liegt also nicht darin, ob eine vertragliche Verpflichtung dieses Inhalts überhaupt zulässig, sondern ob sie mit urheberrechtlicher Wirkung gegen Dritte möglich sein soll. § 31 Abs. 3 UrhG gestattet die Begründung solcher ausschließlicher Nutzungsrechte. Die Verletzung dieser Rechte greift in das Urheberrecht ein. Die Abwehransprüche richten sich gegen den Vertragspartner und gegen Dritte, besonders gegen Lizenznehmer des Subverlages. Sollte man zu dem Ergebnis kommen, daß ein räumlich begrenztes Nutzungsrecht wegen Verstoßes gegen Art. 30 nicht mit urheberrechtlicher Wirkung eingeräumt werden kann, so wäre damit noch nicht über die Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrages entschieden. Diese ist nach den Wettbewerbsregeln zu beurteilen. Ansprüche wegen Vertragsverletzung können jedoch immer nur gegen den Vertragspartner, nicht gegen dessen Lizenznehmer geltend gemacht werden. Die Beurteilung von Direktimporten, die gegen räumlich begrenzte ausschließliche Nutzungsrechte verstoßen, wird durch die Verschiedenheit der Rechtslage in den Mitgliedstaaten erschwert. Im Gegensatz zum deutschen Recht wird räumlich begrenzten ausschließlichen Nutzungsrechten innerhalb des nationalen Territoriums überwiegend keine urheberrechtliche, sondern nur obligatorische Wirkung zuerkannt. 23 Übereinstimmung besteht jedoch darin, daß der Rechtseinräumung für verschiedene Länder wegen der territorialen Selbständigkeit der nationalen Rechte schutzrechtliche Wirkung zuzuerkennen ist. Gerade hieraus können sich jedoch Konflikte mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben. In dem Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt vom 15.12.1975 wird in Art. 43 Abs. 2 die patentrechtliche Wirkung der ausschließlichen Lizenz in Übereinstimmung mit der eng23

Für England vgl. Copinger/Stone, On Copyright, l Ith Edition 1971, S. 129 zum Copyright Act 1956 Section 36 Par. 2; allgemein Trailer, Immaterialgüterrecht, 3. Aufl., Bd. II, 1985, S. 781; zum Patentrecht Demaret, Patents, Territorial Restrictions and EEC Law, 1978, 43. Ausschließliche Lizenzen haben außer in der Bundesrepublik nur in den Niederlanden und in Großbritannien schutzrechtliche Wirkung. 127

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

lischen, holländischen und deutschen Rechtstradition anerkannt. Diese Regelung ist für die Auslegung von Artt. 30, 36 nicht verbindlich. Das Patentübereinkommen hat den EWG-Vertrag nicht geändert. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wird in Art. 93 des Übereinkommens klargestellt. Die Kommission hat gegenüber dem Rat erklärt, sie halte Art. 43 Abs. 2 des Übereinkommens für unvereinbar mit Art. 85 Abs. l.24 Die Frage wurde dem Gerichtshof in dem bereits erörterten Pharmon-Fall im Zusammenhang mit einer auf das Gebiet Großbritanniens begrenzten Zwangslizenz gestellt. Der Zwangslizenznehmer hatte die ihm lizenzierten Produkte direkt nach Holland exportiert. Generalanwalt Mazzini hielt es in Übereinstimmung mit der EG-Kommission „nur von geringer Bedeutung", wie und wo das patentierte Erzeugnis in den Verkehr gebracht wurde.25 Das Urteil ist zwar auf die im Falle der Zwangslizenz fehlende Zustimmung des Rechtsinhabers gestützt, gleichwohl wird in den Gründen hervorgehoben, daß sich der Rechtsinhaber der Einfuhr widersetzen könne, wenn es sich um Erzeugnisse handelt, „die ohne seine Zustimmung erstmals in den Verkehr gebracht wurden".26 Die Nutzung des Urheberrechts und des Patentrechts durch die Vergabe von Lizenzen (im Gegensatz zum Warenzeichenrecht) gehört zu deren spezifischen Gegenstand. Deshalb ist es widersprüchlich, wenn man in der Verhinderung lizenzwidriger Einfuhren stets einen Verstoß gegen Art. 30 sieht. Eben dies ist aber die Auffassung der Kommission. Die Geltendmachung schutzrechtlicher („dinglicher") Ansprüche durch den Rechtsinhaber oder den Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts soll stets gegen Art. 30 verstoßen.27 Die von den schutzrechtlichen Wirkungen zu unterscheidenden schuldrechtlichen Pflichten seien sodann nach den Wettbewerbsregeln zu beurteilen. Diese Auffassung wird für das Patentrecht und für das Urheberrecht vertreten.28 Dem entspricht eine Meinung im Schrifttum, territoriale Vertriebsbeschränkungen der genannten Art verstießen gegen Art. 30, soweit sie mit Hilfe des nationalen Patentrechts durchsetzbar seien.29 Die schutzrechtlichen Wirkun24

5. Bericht über die Wettbcwerbspolitik (1975), Tz. 11. EuGH 9.7.1985 Pharmon ./. Hoechst (oben § 3 Fn. 9), Slg. 2288. 2 6 Ebd., Rn. 26. 27 Nachweise zur Kommissionspraxis bei Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vcrtag (1984), Art. 85 Rn. 267. 28 6. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1977) Tz. 162. 29 Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im Europäischen Gemeinschaftsrecht (1973), 78 ff.; auch Schlieder, Die Auswirkungen des EWGVertrages auf die gewerblichen Schutzrechtc, GRUR 1973, 578, 580. 25

128

S 5 Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln

gen solcher territorial beschränkt eingeräumter Lizenzen seien mit Artt. 30, 36 unvereinbar, weil es nicht die den freien Warenverkehr am geringsten beeinträchtigende Lösung sei. In einer auf Art. 85 gestützten Entscheidung, welche eine ausschließliche Herstellungs- und Vertriebslizenz für Sortenschutzrechte verbietet, nimmt die Kommission an, daß die von Artt. 30, 36 verbotenen Wirkungen des Schutzrechts für die Anwendung von Art. 85 als Datum vorauszusetzen seien.30 In den Untersagungstatbestand wird die Ausübung des nationalen Schutzrechts zum Zwecke der Importbeschränkung einbezogen. Der Vertrag begründe einen Verstoß, sofern er den Lizenznehmer in die Lage versetze, seine Sortenschutzrechte geltend zu machen, um sich allen Einfuhren in die Bundesrepublik zu widersetzen. Zu den eine Wettbewerbsbeschränkung begründenden Verpflichtungen rechnet die Kommission alle sich aus der Ausschließlichkeit der Lizenz ergebenden Pflichten des Rechtsinhabers. Das gleiche gilt für die Geltendmachung des Alleinvertriebsrechts und der Sortenschutzrechte durch den Lizenznehmer, um die Einfuhr nach Deutschland oder die Ausfuhr in einen anderen Mitgliedstaat zu verhindern. In der Begründung heißt es im Zusammenhang mit den Vorschriften über den freien Warenverkehr: „Da außerdem der Schutz eines Lizenznehmers vor dem Wettbewerb des Lizenzgebers, vor dem anderen Mitlizenznehmer oder Dritter nicht zum spezifischen Gegenstand des Sortenschutzrechts gehört, kann Art. 36 des EWG-Vertrages keine Einschränkungen des freien Warenverkehrs mit staatlich zertifiziertcm Saatgut rechtfertigen, ganz gleich, ob es sich um Einfuhren aus einem Mitglicdstaat in den anderen (Art. 30) oder um Ausfuhren von einem Mitgliedstaat nach einem anderen (Art. 34) handelt." (II, 7)

Abschließend heißt es noch einmal, das Ziel des Verfahrens bestehe lediglich darin, im Sinne von Art. 36 des Vertrages die Ausübung solcher Rechte zu begrenzen und hierdurch mit den Grundsätzen des EWGVertrages in Übereinstimmung zu bringen. Der Gerichtshof ist der Kommission nicht gefolgt. Er hat entschieden, daß eine offene ausschließliche Lizenz nicht als solche gegen Art. 85 Abs. l verstößt.31 Die Anwendung von Artt. 30, 36 auf diese Beziehung zwischen Rechtsinha30

31

Entscheidung vom 21.9.1978 ABI. L 286 vom 10.12.1978 („Sortenschutzrecht - Maissaatgut"); auch v. Gamm, Urheberrechtliche Verwertungsverträge und Einschränkungen durch den EWG-Vertrag, GRUR Int. 1983, 403, 407; Schödermeier, Die Ernte der „Maissaat": Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Art. 30 und Art. 85 EWG-Vertrag, GRUR Int. 1987, 85 ff. EuGH 8.6.1982 Nttngesser./. Kommission, Rs. 258/78 (oben Fn. 6). 129

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

her und Lizenznehmer wurde vom Gerichtshof nicht einmal erörtert, obwohl vorab klargestellt wird, daß auf das den Gegenstand der Lizenz bildende Sortenschutzrecht die Vorschriften über den Warenverkehr grundsätzlich anwendbar sind (Rn. 35). Daraus ist zu entnehmen, daß das lizenzwidrige grenzüberschreitende erste Inverkehrbringen der geschützten Gegenstände die schutzrechtlichen Befugnisse des Rechtsinhabers nicht erschöpft. Auch für urheberrechtliche Nutzungsrechte ist zu berücksichtigen, daß die urheberrechtliche Wirkung ausschließlicher Nutzungsrechte vom Gesetzgeber anerkannt wird, um einen wirksamen Rechtsschutz unabhängig von vertraglichen Drittbeziehungen zu ermöglichen. Norbert Koch hat die maßgeblichen Erwägungen treffend formuliert: „Die Ausübung des Schutzrechts ist nach Art. 36 zulässig, wenn die Einfuhr unter Überschreitung derjenigen Grenzen der Lizenz erfolgt, die der Lizenzgeber kraft des spezifischen Gegenstandes des Schutzrechts mit dem Verletzungsanspruch verteidigen kann."32

b)

Ausschließliche Lizenzen für Sortenschutzrechte (Art. 85 Abs. 1)

Die Kommission vertritt auch unabhängig von der Anwendung des Art. 30 die Auffassung, Verpflichtungen, die in ausschließlichen Herstellungs- und Vertriebslizenzen enthalten sind, gingen stets über den Inhalt des Schutzrechts hinaus und enthielten gegen Art. 85 Abs. l verstoßende Wettbewerbsbeschränkungen. Auf dieser Auffassung beruht das Verbot ausschließlicher Lizenzen für Sortenschutzrechte.33 Die maßgeblichen Wettbewerbsbeschränkungen sah die Kommission wiederum darin, daß dem Lizenzgeber während der Dauer des Vertrages jede Möglichkeit genommen werde, im Lizenzgebiet andere Lizenzen zu gewähren oder in diesem Gebiet selber zu erzeugen oder zu verkaufen.34 Der Gerichtshof hat die Entscheidung nur bestätigt, soweit sie den absoluten Gebietsschutz für den Vertrieb der geschützten Maissorten untersagte. Aufgehoben wurde dagegen der Teil der Entscheidung, der sich gegen die Wirksamkeit der „offenen ausschließlichen Lizenz" richtete.35 Die ausschließliche Lizenz trage den Besonderheiten des Sortenschutzes, ins32

Koch, in: Grabitz (Hrsg.) (oben Fn. 27), Art. 85 Rn. 227. 33 VE 22.10.1978 ABI. L 286, 23. 34

Vgl. dazu auch den Wettbewerbsbcricht für 1978 Rn. 124. 35 8.6.1982 Nungesser ./. Kommission, Rs. 258/78 („Maissaatgut") (oben Fn. 6). 130

$ 5 Die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln

besondere aus technischen und wirtschaftlichen Bedingungen der Entwicklung neuer Sorten, Rechnung. Andererseits folgte der Gerichtshof nicht der mit Unterstützung der deutschen, englischen und französischen Regierung vorgetragenen Auffassung des Klägers, es gehöre zum Bestand des Sortenschutzrechts, daß der Rechtsinhaber zur Einräumung ausschließlicher Lizenzen berechtigt sei. Geprüft wird vielmehr im einzelnen, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von Art. 85 vorliegen. Daraus folgt, daß ausschließliche Lizenzen als solche weder stets rechtswidrig sind, wie die Kommission angenommen hat, noch sind sie stets rechtmäßig. Das gilt unabhängig davon, ob die nationalen Rechtsordnungen der ausschließlichen Lizenz im Verhältnis von Lizenznehmer und Lizenzgeber schutzrechtliche (dingliche) Wirkungen zuerkennen. Die von den nationalen Schutzrechten ausgehenden Einschränkungen des freien Warenverkehrs können jedoch die Wirkung einer Wettbewerbsbeschränkung i. S. von Art. 85 verstärken. Das traf im vorliegenden Fall zu, soweit sich der Lizenzgeber verpflichtete, Dritte daran zu hindern, die geschützten Waren ohne Einwilligung des Lizenznehmers in das Vertragsgebiet zu exportieren, während der Lizenznehmer seine Schutzrechte ausübte, um die Einfuhr in das Vertragsgebiet und die Ausfuhr in andere Mitgliedstaaten zu verhindern. Dieser absolute Gebietsschutz wird vom Gerichtshof als nicht freistellungsfähiger Verstoß gegen Art. 85 beurteilt. Gebilligt wird die „offene ausschließliche Lizenz", welche die Stellung von Parallelimporteuren und Lizenznehmern in anderen Gebieten nicht betrifft.36 c)

Ausschließliche Nutzungsrechte im Urheberrecht

Nach deutschem Urheberrecht kann das Urheberrecht nicht als solches übertragen werden (§29 Satz 2 UrhG). Da die rechtsgeschäftliche Verwertung des Urheberrechts zu dessen spezifischem Bestand gehört, bezwecken ausschließliche Lizenzen schon deshalb keine Wettbewerbsbeschränkung, weil die Vollübertragung ausgeschlossen ist. Nur die Übertragung von ursprungsgleichen Warenzeichen verstößt nach der Hag-Rechtsprechung des Gerichtshofs als solche gegen Art. 30.37 Dieser Grundsatz beruht jedoch auf den Besonderheiten des Warenzeichens, das durch seine Aufspaltung den für dieses Recht maßgeblichen Bezug auf ein bestimmtes Unternehmen und die von diesem Unternehmen her36

Ebd. Rn. 58.

37

Dazu oben $ 3 Fn. 16 und S 5 Fn. 2. 131

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

gestellten Produkte verloren hat. Die Rechtsübertragung als solche, die bei Patenten möglich ist, verstößt nicht gegen Art. 30 und unterfällt als solche auch nicht den Wettbewerbsregeln. Das schließt nicht aus, daß solche Rechtsgeschäfte in den Dienst von Wettbewerbsbeschränkungen gestellt werden können. Darüberhinaus zeigen die erörterten maßgeblichen Urteile des Gerichtshofs zu ausschließlichen Lizenzen in den Fällen Coditel II und Maissaatgut, daß die in solchen Vereinbarungen enthaltenen Beschränkungen der individuellen Handlungsfreiheit noch keinen Verstoß gegen Art. 85 Abs. l begründen. Hinzukommen muß die Feststellung, daß die Ausübung des ausschließlichen Rechts Hindernisse für den Wettbewerb errichtet, die über das hinausgehen, was wirtschaftlich notwendig und gerechtfertigt ist. Diesen Maßstab legt der Gerichtshof auch bei der Beurteilung der gesondert zu behandelnden Lizenzverträge zwischen urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften und Musikverbrauchern zugrunde.38 Daraus folgt, daß nach Ländern geteilte Verlags- und Subverlagsverträge nicht als solche gegen Art. 85 verstoßen. Ob Lizenzverträge mit Ausschließlichkeitsklausel den Wettbewerb „spürbar" beschränken und den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigen, muß nach den allgemeinen, für die Anwendung von Art. 85 Abs. l geltenden Regeln ermittelt werden. Klarstellend sei bemerkt, daß Exportverbote auch im Zusammenhang mit der Ausübung von Schutzrechten eine Beschränkung des Wettbewerbs darstellen und geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, soweit sie sich nicht auf das erste vertragswidrige Inverkehrbringen von Erzeugnissen beziehen, sondern darauf gerichtet sind, den zwischenstaatlichen Handel auf den folgenden Stufen des Vertriebs zu behindern. Es handelt sich um Fälle des sogenannten absoluten Gebietsschutzes.39

38 39

Dazu unten §7 III. EuGH 1.2.1978 Miller ./. Kommission, Rs. 19/77, Slg. 1978, 148 = GRUR Int. 1978, 260; übereinstimmend 20.6.1978 Tepea ./. Kommission, Rs. 28/77 (oben Fn.6)Slg. 1416.

132

§6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

§6

Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften

Struktur und Funktion von Verwertungsgesellschaften lassen sich mit Hilfe der Kategorien nur unzulänglich erfassen, die für Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen kennzeichnend sind. Die Anwendung des Kartellverbots auf die Bildung von urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften wird deshalb in den verschiedenen Rechtsordnungen, in denen diese Frage praktisch geworden ist, abgelehnt. Das gilt trotz verschiedener wettbewerbspolitischer Ziele und positivrechtlicher Ausgestaltung der in Frage stehenden Normen. Zu unterscheiden sind dabei die Verträge, durch die Urheber und Verleger ihre Rechte der Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragen, von den Verträgen mit Musikverwertern über die Nutzung des Repertoires der Verwertungsgesellschaft. Zwischen der Mitgliederbeziehung, die durch Berechtigungsverträge begründet wird, und den Verträgen mit Musikverwertern über die Nutzen der von der Verwertungsgesellschaft verwalteten Rechte besteht ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang. Ein Gesamtrepertoire kann die Verwertungsgesellschaft nur anbieten, wenn ihr die Mitglieder alle ihnen gegenwärtig und zukünftig zustehenden Rechte ausschließlich übertragen. Aus dieser Bündelung der Rechte entsteht jedoch die Alleinstellung der Verwertungsgesellschaft gegenüber den Verwertern. Trotz dieses engen Zusammenhanges von Mitgliederbeziehung und Verwerterbeziehung gelten für sie verschiedene Rechtsregeln. Für das Verhältnis der Urheberberechtigten zur Verwertungsgesellschaft gelten urheberrechtliche, gesellschaftsrechtliche, wettbewerbsrechtliche und aufsichtsrechtliche Regeln; für das Verhältnis der Verwertungsgesellschaft zu den Verwertern gelten urheberrechtliche, wettbewerbsrechtliche und/oder aufsichtsrechtliche Vorschriften. Der wichtigste Gegenstand der Mitgliederbeziehung ist die Verteilung des Aufkommens. Der wichtigste Gegenstand der Beziehung zu den Verwertern ist die Höhe der Urhebervergütung. Gleichwohl erschöpft der daraus folgende offenbare Interessenkonflikt zwischen Urheberberechtigten und Musikverwertern nicht die wirtschaftsrechtlich und kulturell erheblichen Interessen. Die Rechtsvergleichung ist geeignet, die sachlichen Erfordernisse hervortreten zu lassen, denen rechtliche Regelungen der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten unabhängig von ihrer positivrechtlichen Ausgestaltung Rechnung tragen müssen. Das amerikanische Recht beurteilt 133

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften anhand des Antitrustrechts. Auch im französischen Recht steht die kartellrechtliche Kontrolle von Verwertungsgesellschaften ganz im Vordergrund. Das deutsche Recht verbindet dagegen die behördliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften mit Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen. I.

Das amerikanische Recht

1.

Gerichtliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften nach dem Sherman Act

In den Vereinigten Staaten sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften aufgrund des Verbots der Monopolisierung nach Sect. 2 Sherman Act und aufgrund des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Sect. I Sherman Act für gesetzwidrig erklärt worden.1 Die Anwendung des Monopolisierungsverbots beruht auf dem „market structure test", wie er in U.S. v. Aluminum Company of America (ALCOA) entwickelt wurde2, sowie auf dem Verbot der unzulässigen Ausdehnung des als solchen gesetzmäßigen Monopols an Urheberrechten: „Das Gesetz wäre nur dann nicht verletzt, wenn ASCAP als Abtretungsempfänger für jedes Mitglied eine individuelle Lizenzgebühr für die Aufführungsrechte eingezogen, im Ergebnis also nur als Inkassobüro gehandelt hätte."

Das Gericht stellte aber fest, daß ASCAP wie jede Verwertungsgesellschaft Blankettlizenzen erteilte und eine einheitliche Gebühr für das gesamte Repertoire berechnete. Durch diese Zusammenfassung der Urheberrechte und der aufgrund dessen erzielten Lizenzgebühren nehme jedes Mitglied in gewisser Weise an dem urheberrechtlich geschützten Werk der anderen teil. Hierin seien dieselben Übel enthalten wie im blockbooking. Eine ungesetzliche Ausdehnung des Urheberrechts sei auch in der Verbindung der Musikurheberrechte mit dem Urheberrecht an Filmen und an der Filmaufführung zu sehen.3 Den Verstoß gegen Sect. I Sherman Act sah das Gericht in der Übertragung aller Urheberrechte seitens der Mit1

2

3

AldenRochelleInc. v. ASCAP, 80 F. Supp. 888 (S.D.N.Y. 1948); auch Witmark&Sons v. Jensen, 80 F. Supp. 843 (D. Minn. 1948). Zu diesen Entscheidungen, vgl. Boucher, Blanket Music Licensing and Local Television: An Historical Accident in Need of Reform, 44 Wash. & Lee L. Rev. 1157, 1165 f. (1987). 148 F. 2 d 416, 424 (2 d Cir. 1945) (L. Hand, J). Alden Rochelle-Fall, a. a. O. (oben En. 1).

134

$ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

glieder auf die Verwertungsgesellschaft. Zusammenfassend heißt es in dem Urteil: „Almost every part of the ASCAP structure, almost all of ASCAP's activities in licensing motion picture theatres involve a violation of the Antitrust Laws. Although each member of the ASCAP is granted by the copyright law a monopoly, it is unlawful for the owners of a number of copyrights to combine their copyrights by any agreement or arrangement even if it is for the purpose of thereby better preserving their property rights."

Diese Rechtsprechung legt den Schluß nahe, daß nach amerikanischem Recht der Zusammenschluß von Urhebern in Verwertungsgesellschaften gesetzwidrig ist. Die Verwertungsgesellschaften sind jedoch nicht aufgelöst worden. Die Antitrust-Behörden haben Amtsverfahren 1941 mit consent decrees abgeschlossen, die 1951 ergänzt und neu gefaßt4 wurden. Die gegenwärtig geltende Fassung geht auf eine Ergänzung aus dem Jahre 1960 zurück. 5 Schließlich erging ein consent decree gegen die Broadcast Music Inc. (BMI), eine Verwertungsgesellschaft, die von Rundfunkveranstaltern gegründet wurde.6 Von Urhebern und Verlegern dürfen sich Verwertungsgesellschaften nach diesen decrees nur nicht ausschließliche Lizenzen übertragen lassen. Auch die vereinsinternen Angelegenheiten werden umfassend geregelt. Dazu gehören insbesondere die Wahlen zu den Organen, die Ermittlung der anrechenbaren Aufführung für die Bewertungen, die Grundsätze für das Wertungs- und Verteilungsverfahren sowie die Modalitäten der Kündigung. Der Sache nach begründen die consent decrees eine umfassende gerichtliche Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der dargestellten kartellrechtlichen Beurteilung und den umfangreichen Einzelvorschriften der consent decrees besteht nicht. Die Gründe, die zur faktischen Anerkennung der Struktur von Verwertungsgesellschaften geführt haben, hat Sigmund Timberg, als der damalig zuständige Beamte der Antitrust Division, wie folgt zusammengefaßt: 4

U.S. v. ASCAP, 1950-1951 CCH Trade Cases, para. 62, 595 (S.D.N.Y. 1950). Vgl. zu den älteren Entscheidungen: Comment, Controlling the Market Power of Performing Rights Societies: An Administrative Substitute for Antitrust Regulation, 72 Cal. L. Rev. 103, 113ff. (1984). 5 U.S. v. ASCAP, 1960 CCH Trade Cases, para. 69, 612 (S.D.N.Y. 1960). e U.S. v. BMi and RKO General Inc., 1966 CCH Trade Cases, para. 71, 941 (S.D.N.Y. 1966). 135

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften „Die ,administrative convenience' für Musikverbraucher, die ohne ein Gesamtrepertoire nicht in der Lage wären, den Erfordernissen ihrer Musikproduktion und -reproduktion entsprechende Lizenzverträge abzuschließen; die Vermeidung von Urheberrechtsverletzungen; schließlich die Hilflosigkeit der einzelnen Urheber, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen."7

Bei der Anwendung der consent decrees gilt der verfahrensrechtliche Grundsatz, daß sie Dritte nicht hindern, aufgrund desselben Sachverhaltes Rechte gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens geltend zu machen. So entschied der Supreme Court im Hinblick auf das ASCAP consent decree, daß Mitglieder von ASCAP Antitrust-Verstöße im Wege der privaten Klage geltend machen können.8 Das gleiche gilt für Musikverbraucher auch dann, wenn sie aufgrund des consent decree Lizenzen genommen haben.9 Eine im consent decree nicht vorgesehene Lizenz kann jedoch nur aufgrund eines gesondert nachgewiesenen Verstoßes gegen die Antitrustgesetze gefordert werden. Nicht geklärt ist bisher „a very perplexing problem long existing in Federal Antitrust Law".10 Die Frage nämlich, ob auf Verhaltensweisen, die mit den Vorschriften eines consent decree übereinstimmen, gleichwohl die Antitrust-Gesetze anwendbar sind. Radiostationen im Staate Washington benutzten ASCAP-Musik ohne Lizenz und wendeten gegenüber Schadensersatzansprüchen ein, die Geltendmachung dieser Ansprüche verstoße gegen das einzelstaatliche Antitrustrecht sowie gegen das bundesstaatliche per se Verbot des „price fixing". Das in Bezug genommene Gesetz des Staates Washington verbietet jeden Zusammenschluß von Urhebern, der die Preise für Nutzungsrechte festsetzt oder Blankettlizenzen erteilt. Einen Verstoß gegen diese einzelstaatliche Vorschrift verneinte das Gericht mit der Begründung, die Radiostationen seien nicht verpflichtet gewesen, Blankettlizenzen zu nehmen; sie hätten vielmehr auch von der Möglichkeit der Programmlizenz Gebrauch machen können. Einen Verstoß gegen das Verbot des „price fixing" lehnte das Gericht mit der Begründung ab, ASCAP stelle keinen rechtswidrigen 7 8

9 10

The Antitrust aspect of merchandising modern music: The ASCAP consent judgment of 1950, 19 Law & Contcmp Probs 294 (1954). Sam Fox Publishing Co. v. U.S., 366 U.S. 683, 689, 81 S.Ct. 1309, 1311 (1961) = 1961 CCH Trade Cases, para. 70,030. Es handelte sich um einen Konflikt zwischen den Verlegermitgliedern von ASCAP. Den Großunternehmen wurde vorgeworfen, daß sie die Organisation dominierten. U.S. v. ASCAP, 1964 CCH Trade Cases, para. 71, 102 (2 d Cir. 1964). K91 Inc. v. Gershwin Publishing Corporation, 372 F. 2 d l, (9th Cir. 1967), cert. den. 389 U.S. 1045 (1968) = 1967 CCH Trade Cases, para. 71, 979 (9th Cir. 1967).

136

§ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Zusammenschluß dar, weil aufgrund des consent decree jeder Vertragspartner das Recht habe, die Festsetzung angemessener Preise bei dem zuständigen Gericht zu beantragen: „So long as ASCAP complies with the decree it is not the price-fixing authority ... in short we think that as a potential combination in restraint of trade ASCAP has been .disinfected' by the decree."

2.

Blankettlizenzen

Über die kartellrechtliche Beurteilung von Blankettlizenzen hatte der Supreme Court in Broadcast Music Inc. v. Columbia Broadcasting System (CBS)11 zu entscheiden. Das erstinstanzliche Gericht hatte die Klage von CBS gegen die amerikanischen Verwertungsgesellschaften ASCAP und BMI wegen Verletzung der Antitrustgesetze auf der Grundlage der dargestellten Rechtsprechung und der Anwendung der „rule of reason" abgewiesen.Jz Das Berufungsgericht stimmte mit dem erstinstanzlichen Urteil überein, soweit es Verstöße gegen das Verbot der Kopplungsverträge und das Monopolisierungsverbot ablehnte. Dagegen beurteilte es die von ASCAP dem Fernsehunternehmen angebotenen Blankettlizenzen als per se verbotene Preisabsprachen.13 Der Supreme Court behandelte ausschließlich die Frage, ob die Anwendung der „per se rule" gerechtfertigt war oder ob eine Rechtfertigung der Lizenzierungspraxis anhand der „rule of reason" zugelassen werden sollte. Die Gründe, aus denen es das Gericht ablehnte, die Blankettlizenzen als „nackte Wettbewerbsbeschränkungen" ohne Prüfung der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Besonderheiten zu verurteilen, sind für die weitere Rechtsentwicklung in den USA maßgeblich.14 Die Blankettlizenz berechtigt den 1

! 441 U.S. l, 60 L.Ed. 2 d l, 99 S.Ct. 155 (1979) = 1979 CCH Trade Cases para. 62, 558 = GRUR Int. 1979, m. Anm. von Erich Schulze; zu dem seit 1971 anhängigen Verfahren vgl. ferner: Cirace, CBS v. ASCAP: An Economic Analysis of a Political Problem, XLVII Fordham L. Rev. 277 (1978); Note, The Middleman as price Fixer: CBS, Inc. v. ASCAP, 91 Harvard L. Rev. 488 (1977); Comment, CBS v. ASCAP: Performing Rights Societies and the per se rule, 87 Yale L. J. 783 (1978). 12 CBS inc. v. ASCAP, 1975-2 CCH Trade Cases, para. 60, 513 (S.D.N.Y. 1975). 13 CBS Inc. v. ASCAP, 1977-2 CCH Trade Cases, para. 61, 577 (2nd Cir. 1977). 14 BMi v. ASCAP, 441 U.S. 1, 99 S.Ct. 1551 (1979), dazu Timberg, Copyright and Antitrust, 26 Bull. Copr. Soc'y 349 (1979); ders., ASCAP, BMI and the Television Broadcasters: The Future of Blankett Licences, 13 Int'l.Bus.Law 56 (1985); ders., ASCAP, BMI and the Television Broadcasters: A Postscript, 13 Int'l.Bus.Law 415 (1985). Vereinzelt wird gefordert, die Kontrolle der Verwertungsgesell137

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Lizenznehmer zur Nutzung des von der Verwertungsgesellschaft angebotenen Gesamtrepertoires. Die Lizenzgebühr besteht entweder in einem festen Geldbetrag oder sie wird als Prozentsatz der Gesamteinnahmen (Umsatz) des Lizenznehmers berechnet. Ein direkter Zusammenhang zur Art und Häufigkeit der lizenzierten Rechte besteht nicht. Die hierfür notwendige Kooperation von Urhebern und Verlegern, so stellt der Supreme Court fest, impliziere zwar die Festsetzung der Preise für die Nutzung von Urheberrechten; das reiche aber nicht aus, um die für Preiskartelle geltende „per se rule" anzuwenden. Dagegen spreche schon die in den consent decrees zum Ausdruck kommende Auffassung der Antitrustbehörden. Im Urhebergesetz von 1976 habe der Gesetzgeber Blankettlizenzen der von ASCAP gehandhabten Art in mehreren Fällen vorgeschrieben. Die Zwangslizenzen, die das Gesetz neu eingeführt habe, seien nämlich Blakettlizenzen. Das gilt für die Vergütung, die dem Urheber im Falle der Zweitverwertung geschützter Musik durch Kabelfernsehen zusteht; für die Juke-Box-Vergütung und schließlich für die von nichtkommerziellen Rundfunksendern geschuldeten Lizenzgebühren.15 Ein Zusammenwirken der Inhaber von Urheberrechten, das sachlich geboten sei, um diese Rechte wahrzunehmen, begründe keinen Per se-Verstoß.16 Blankettlizenzen seinen Ausdruck der wirtschaftlichen Erfordernisse für die Wahrnehmung von Urheberrechten: „Ein Vermittler mit einer Blankettlizenz war eine offenbare Notwendigkeit, wenn man tausende von individuellen Vertragsverhandlungen vermeiden wollte, die praktisch ohnehin unmöglich gewesen wären."

15 16

Schäften den Gerichten zu entziehen und stattdessen eine Behörde (administrative agency) zu schaffen; so Comment, Controlling the Market Power of Performing Rights Societies: An Administrative Substitute for Antitrust Regulation, 72 Cal.L.Rev. 103 (1984). Kritisch zu den Blankettlizenzen auch: Boucher (oben Fn. 1), S. 1165 ff., insbes. S. 1178 f., der insbesondere für die Lizenzierung lokaler Fernsehstationen eine Gesetzgebung fordert. Zu diesen Bestimmungen 47 U.S.C.A. § 111 (d) (4) (A) bzw. § 116 (c) (4) (1989 Pocketpart). Der Grundsatz, daß nicht alle horizontalen Kooperationen per se illegal sind, hat die spätere Rechtsprechung nachhaltig beeinflußt (vgl. nur: N.C.A.A. v. Board of Regents of the University of Oklahoma, 468 U.S. 85,104 S.Ct. 2948 (1984); US. Football league v. National Football League, 842 F. 2 d 1335, 1377 (2nd Cir. 1988); Premier Electrical Construction Co. v. N.E.C.A., Inc., 814 F. 2 d 358, 370 m. w. N. (7th Cir. 1987); Rothery Storage & Van Co. v. Atlas Van Lines, Inc., 792 F. 2 d 210, 227 (J. Bork) (D.C.Cir. 1986)).

138

5 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Das gelte trotz veränderter technischer Bedingungen auch im Verhältnis zu Fernsehunternehmen, einschließlich der Networks: „Selbst für die Networks führt die von ASCAP angebotene Blankettlizenz zu einer erheblichen Kostensenkung, weil sie nur einmal und nicht mehrere tausendmal vereinbart werden muß; außerdem entfällt die Notwendigkeit, die Fernsehsendungen sorgfältig zu überwachen, um festzustellen, ob nur lizenzierte Musik verwendet wird. Die Möglichkeit, solche Blankcttlizenzen zu vereinbaren und durchzusetzen, hat nur ASCAP, nicht aber die große Mehrheit der Urheber und Verleger für sich allein."17

Auf dieser Grundlage kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Lizenzierung des Gesamtrepertoires mehr sei als die Summe von Einzellizenzen; es sei vielmehr ein gesondertes Produkt. ASCAP habe einen Markt geschaffen, auf dem einzelne Komponisten wesensmäßig nicht in der Lage seien, am Wettbewerb mit voller Wirkung teilzunehmen. Die endgültige Entscheidung, ob Blankettlizenzen für Fernsehunternehmen zulässig sind oder ob es für sie ein den Wettbewerb weniger beeinträchtigendes anderes Lizenzsystem gibt, wurde als Tatfrage an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Urteil des Supreme Court beruht auf der in diesem Kommentar 18 vertretenen Auffassung, daß die Verwertungsgesellschaften individuelle Nutzungsrechte in ein Gesamtrepertoire transformieren. Ein Vergleich zwischen den Transaktionskosten, die das Gesamtrepertoire verursacht, mit den Transaktionskosten, zu denen das individuelle Angebot von Nutzungsrechten führen würde, weist zwar Unterschiede je nach Art und Weise der Musiknutzung auf. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die durch Blankettlizenzen ermöglichten Kostenersparnisse Anbietern und Nachfragern in gleicher Weise zugute kommen. Das gilt jedenfalls dann, wenn man - wie es der Supreme Court mit Recht tut - auch die Kosten berücksichtigt, die bei einer anderen Art der Lizenzierung für die Kontrolle der Musikverbraucher aufzuwenden wären. Ebenso wichtig wie die Transaktionskosten der Lizenzierung ist jedoch 17

18

Broadcast Music Inc. (oben Fn. 14). unter Bezugnahme auf dieses Urteil weist der Supreme Court in einer neueren Entscheidung darauf hin, daß „a joint selling arrangement may be so efficient that it will increase sellers' aggregate output and thus be procompetitive". N.C.A.A. v. Board of Regents of the University of Oklahoma, 104 S.Ct. 2948, 2961, 468 U.S. 85, 103 (1984). Die kooperative Regelung der Fcrnsehübertragungsrcchtc für collegiate football wurde jedoch wegen Verstoßes gegen Sect. I Sherman Act. als „unreasonable restraint" verboten. Oben $ l IV. 139

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

die Marktstellung der Beteiligten. Wenn ein Fernsehunternehmen wie CBS das Recht in Anspruch nimmt, mit Verwertungsgesellschaften Einzellizenzen auszuhandeln, so soll dadurch der Einsatz der eigenen Nachfragemacht begünstigt werden. Deshalb nimmt der Supreme Court die Feststellung des erstinstanzlichen Urteils auf, CBS sei „der Gigant der Welt im Gebrauch von Nutzungsrechten an Werken der Musik" und „das größte Unternehmen in der Geschichte der Unterhaltungsindustrie".

Die nach Zurückverweisung ergangene Entscheidung des Court of Appeals verneint einen Verstoß gegen das Kartellverbot, weil Columbia (CBS) niemals versucht habe, Einzellizenzen von den Verwertungsgesellschaften zu erwerben.19 Das gleiche Gericht hatte 1984 über die Zulässigkeit von Blankettlizenzen für lokale Fernsehanstalten, die unabhängig von den großen Networks (ABC, CBS und NBC) sind, zu entscheiden. Wiederum kam das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Blankettlizenz keine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung sei, weil die Kläger die Möglichkeit hätten, Lizenzen auf andere Weise zu erwerben.20 Insbesondere stehe ihnen die sog. „program license", die „source license" und die „direct license" zur Verfügung.21 Ein in der Begründung dissentierender Richter stellte fest, daß die Blankettlizenz überhaupt keinen wettbewerbsschädigenden Effekt habe.22 Andere Lizenzen würden wegen ihrer ökonomischen Überlegenheit nicht in Anspruch genommen.23 19

20

21 22 23

Columbia Broadcasting System Inc. v. American Society of Composers and Publishers, 620 F. 2 d 930, 936, (2 d Cir. 1980), cert, denied, 450 U.S. 970 (1981), rch. denied 450 U.S. 1050 (1981) = GRUR Int. 1980, 543; dazu auch Timberg, Urheberrechte und Kartellrecht, GRUR Int. 1980, 463-471 mit einer ausführlichen Darstellung der Rcchtsentwicklung; Glenn A. Clark, Blanket Licensing: Clash between Copyright Protection and the Sherman Act, 55 Notre Dame Lawyer 29-57 (1980); zur Rcchtsvcrgleichung Mestmäcker, Performing Rights Organisation in the Common Market: Comparative Observations, Int'l Bus. Law. 1985, 71-75. BuffaloBroadcastingv.ASCAP,744F.2d917(2dCir. 1984),cert.denied lOSS.Ct. 1181 (1985); vgl. zu dieser Entscheidung: Timberg, ASCAP, BMI and the Television Broadcasters: A PostScript, 13 Int'l. Bus. Law 415 (1985). S. auch Schumann v. Albuquerque Corp., 664 F.Supp. 473 (D.N.M. 1987), das sich auf diese Entscheidung stützte. Vgl. zu dieser Thematik Boucher (oben Fn. 1), S. 1170. Buffalo Broadcasting v. ASCAP, 744 F. 2 d auf S. 926 ff. Kritisch zu dieser Möglichkeit Boucher (oben Fn. 1), S. 1175 f. Buffalo Broadcasting v. ASCAP, 744 F. 2 d auf S. 933 ff. Q. Winter, conc.). Ebda. S. 934. Wörtlich heißt es: „... it (die Blankettlizenz, d. A.) is simply one alternative competing on the basis of price and service with others. The lack of use of alternatives does not signal a restraint on competition but merely reflect

140

§6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Auch im Verhältnis zu anderen Musikverbrauchern haben die Gerichte Blankettlizenzen für zulässig gehalten.24 Die dargestellte Rechtsentwicklung zeigt, daß sich die sachlichen Erfordernisse der zentralen und gemeinsamen Wahrnehmung von Urheberrechten auch gegen die per se Verbote des Sherman Act durchgesetzt haben.

II.

Französisches Recht

1.

Überblick über die Rechtsgrundlagen

In Frankreich gelten für urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften die in Teil III der Preisverordnung Nr. 45-483 enthaltenen kartellrechtlichen Vorschriften der Art. 50 bis 58.2s Das Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen in Art. 50 Abs. l bis 3 entspricht weitgehend Art. 85 Abs. l und 2 EWGVertrag. Das Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung in Art. 50 Abs. 4 ist Art. 86 EWGV nachgebildet. Die Verbote sind unanwendbar, falls sie zum wirtschaftlichen Fortschritt beitragen, insbesondere die Produktivität erhöhen (Art. 51). Im Unterschied zu den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages, der eine ähnliche Ausnahme nur für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in Art. 85 Abs. 3 kennt, gilt Art. 51 auch für marktbeherrschende Unternehmen. Ein gesondertes Diskriminierungsverbot enthält ferner Art. 37 des Gesetzes Nr. 73/1193 vom 17.12.1973.

24

25

the competitive superiority of the blanket license. So long as a resort to the alternatives is not impeded by agreement among composers or producers or by some other artificial barrier, the rights and services afforded by the blanket license must be priced at a competitive level and no injury to consumers is possible. Our scrutiny in CBS and in the instant case fully verifies the conclusion that blanket licensing reduces the cost of licensing copyrighted musical compositions. They eliminate costly, multiple negotiations of the various rights and provide an efficient means of monitoring the use of musical compositions (...)." Broadcast Music Inc. v. Moor-Law, Inc., 527 F.Supp. 758 (D.Dcl. 1981), afPd. mem. 691 F. 2 d 490 (3 d Cir. 1982); vgl. auch Blending\vell Music, Inc. v. Moor-Law, Inc., 612 F. Supp. 474, 484 (D.Dcl. 1985). Verordnung vom 30.6.1945 in der Fassung des Gesetzes Nr. 77-806 vom 19.7.1977. 141

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Wegen der weitgehenden Übereinstimmung der Vorschriften des französischen Rechts mit den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages sind sie von den Gerichten teilweise als übereinstimmende Normen behandelt worden. Eine gesonderte Auslegung der Wettbewerbsregeln des EWGVertrages - und damit die Vorlage an den EuGH - scheidet bei dieser Betrachtungsweise aus. Zweifel scheinen ausgeschlossen zu sein, weil das europäische Recht mit dem französischen Recht übereinstimmt und sein Inhalt deshalb klar ist (acte clair).26 Diese Auslegung, die vom Kassationshof nur für die Würdigung des zu entscheidenden Falles gebilligt wurde, hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Das zeigen die auf Vorlage französischer Gerichte ergangenen Diskothekenurteile des Europäischen Gerichtshofs.27 Für die Beurteilung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften grundlegend ist ein Bericht der Wettbewerbskommission vom 17.11.1981.28Er wurde auf Ersuchen des Tribunal de Grande Instance Paris in der Sache Princess./. SACEM erstattet.29 Die in diesem Verfahren ergangenen Urteile des Berufungsgerichts Paris und des Kassationshofes sind für die kartellrechtliche Beurteilung von Verwertungsgesellschaften in Frankreich repräsentativ. Die folgende Darstellung orientiert sich deshalb an diesem Verfahren. Die Wettbewerbskommission entschied, daß die kartellrechtlichen Vorschriften der Ordinance 1945 auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften anwendbar sind. Die SACEM verfüge in Frankreich über eine marktbeherrschende Stellung im Sinne von Art. 50. Die Rechtsprechung ist dieser Beurteilung gefolgt, es wird jedoch hervorgehoben, daß der Erwerb und die Ausübung einer beherrschenden Stellung für sich allein keinen Gesetzesverstoß begründen.30

26

15.12.1982 Tribunal de Grande Instance de Paris, Princess ./. SACEM, 1983 European Court Cases (ECC) 332, 327; bestätigt 24.4.1985, Cour d'Appel de Paris (l rc Chambrc), in: Bulletin Jurisprudence SACEM Nr. 120 S. 50-58; bestätigt 10.3.1987 Cour de Cassation (l rc Chambre Civile) Bulletin Jurisprudence SACEM Nr. 121, S. 29-31. 27 Im einzelnen dazu unten § 7 VI. 28 Abgedruckt in: 1983 European Court Cases (ECC) 570. 29 15.12.1982 1983 European Court Cases (ECC) 322. 30 24.4.1985 Cour d'Appel de Paris (oben Fn. 26).

142

§6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

2.

Lizenzen

Die Beurteilung der Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu Musikverbrauchern ist Gegenstand zahlreicher Rechtstreitigkeiten, die seit einem Jahrzehnt zwischen der SACEM und französischen Diskotheken geführt werden. a)

Berechnungsgrundlage

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften sind trotz ihrer marktbeherrschenden Stellung berechtigt, die Urhebervergütung in Übereinstimmung mit Art. 40 des französischen Urhebergesetzes als Beteiligung am Umsatz des Musikverbrauchers zu berechnen. Wegen der Bedeutung, die der Musik für den Betrieb einer Diskothek zukommt, dürfen die Lizenzen für Diskotheken als Prozentsatz des Gesamtumsatzes der Diskothek - einschließlich der Umsatzsteuer und der Dienstleistung - berechnet werden.31 Auch der Prozentsatz von 8,5% vom Umsatz wird als angemessen angesehen, zumal in anderen Bereichen eine Urhebervergütung von 10% üblich sei.32 b)

Blankettlizenzen (clause forfaitaire)

Die Praxis der Lizenzierung des Gesamtrepertoires und die Berechnung einheitlicher Tarife für die gesamte geschützte Musik entspricht dem in Art. 43 Abs. 2 des französischen Urhebergesetzes vorgesehenen „contract general de representation" und ist mit dem „normalen Funktionieren des Marktes" vereinbar.33 Auch ein Verstoß gegen Art. 86 liege nicht vor. Die Vorteile dieser Art der Lizenzierung kämen allen Beteiligten zugute, der Musikverbraucher könne geschützte Musik ohne die Gefahr der Rechtsverletzung nutzen, während für die Verwertungsgesellschaften die Kosten der Kontrolle herabgesetzt würden. Ein Anspruch auf die Lizenzierung von Teilen des Repertoires bestehe nicht. Angesichts der damit verbundenen höheren Kontrollkosten sei auch nicht zu erwarten, daß die Lizenzen niedriger sein könnten.34

31 32 33 34

Bericht der Wettbewerbskommission (oben Fn. 28). 24.4.1985 Cour d'Appel de Paris (oben Fn. 26). Cour d'Appel de Paris, ebenda. 10.3.1987 Cour de Cassation (oben Fn. 26). 143

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgesellschaften

c)

Gesamtverträge

Die Praxis der Preisnachlässe für Vereinigungen von Musikverbrauchern, die der Verwertungsgesellschaft Vertragshilfe gewähren, wurde von der Wettbewerbskommission zunächst als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gewertet.35 Die Rechtsprechung sah die Preisnachlässe jedoch als gerechtfertigt an, soweit der Vertragspartner der Verwertungsgesellschaft die Wahrnehmung der Rechte erleichtere und zur Streitschlichtung beitrage.36 d)

Zusätzliche Gebühr für die mechanische Vervielfältigung

Einen breiten Raum hat in den Auseinandersetzungen mit den Diskotheken die Frage eingenommen, ob die SACEM berechtigt sei, die im französischen Recht vorgesehene zusätzliche Vervielfältigungsgebühr, die bei der öffentlichen Aufführung von Tonträgern fällig wird, zu berechnen. Die Frage wurde von den französischen Gerichten einhellig bejaht.37 Auch das europäische Gemeinschaftsrecht steht dieser Praxis nicht ent-

gegen/0 •10

3.

Gegenseitigkeitsverträge

Gegenseitigkeitsverträge zwischen SACEM und ausländischen Verwertungsgesellschaften waren nach dem Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und nach dem Verbot des Mißbrauchs beherrschender Stellungen zu beurteilen. a)

Faktische Ausschließlichkeit

Die Wettbewerbskommission und die Rechtsprechung haben entschieden, die Gegenseitigkeitsverträge der SACEM mit ausländischen Verwertungsgesellschaften seien nicht geeignet, den auf den betroffenen Märkten möglichen Wettbewerb zu beschränken. Das folge einmal daraus, daß 35

Oben Fn. 28. Diese Beurteilung wurde jedoch im Bericht vom 13.3.1984 („Club 202") nicht aufrechterhalten. 36 Tribunal de Grande Instance de Paris (oben Fn. 26), Rn. 31 bis 60; bestätigt vom Cour d'Appel (oben Fn. 26), S. 57. 37 Zuletzt 6.12.1988 Cour de Cassation (l re Chambre Civile) Deric ./. SACEM, Bulletin Jurisprudence SACEM Nr. 121, S. 86. 3 « Dazu das Urteil des EuGH 9.4.1987 Basset./. SACEM (oben § 2 Fn. 12). 144

§ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

die Verträge keine Ausschließlichkeitsklausel enthielten. Der Verzicht ausländischer Verwertungsgesellschaften, das eigene Repertoire selbst wahrzunehmen, erkläre sich aus den prohibitiven Kosten einer eigenen Organisation für die Wahrnehmung und Kontrolle im Ausland.39 Die Gegenseitigkeitsverträge seien auch nicht geeignet, den Zugang zum Markt zu schließen, sondern sie ermöglichten ausländischen Urheberberechtigten erst die wirksame Wahrnehmung ihrer Rechte.40 Die Wettbewerbskommission hat darauf hingewiesen, daß der Mißbrauch einer beherrschenden Stellung in Betracht komme, falls SACEM auf dem Abschluß eines Vertrages über das Weltrepertoire auch dann bestehe, wenn ausländische Verwertungsgesellschaften bereit seien, ihr Repertoire direkt zu lizenzieren.41 b)

Inländerbehandlung

In den Gegenseitigkeitsverträgen verpflichten sich die Partner, das ausländische Repertoire zu denselben Bedingungen wahrzunehmen wie das eigene Repertoire. Die Musikverbraucher sahen in der Weigerung von SACEM, das ausländische Repertoire - insbesondere das angloamerikanische Repertoire - zu den Bedingungen des Herkunftslandes gesondert zu lizenzieren, einen Mißbrauch der beherrschenden Stellung. Die Rechtsprechung hat diese Vereinbarungen jedoch unter dem Gesichtspunkt des in der Berner Konvention enthaltenen Grundsatzes der Inländerbehandlung gerechtfertigt.42 Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die Unterschiede in der Höhe der Tarife im Inland und Ausland ein Indiz für den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung nach Art. 86 EWGV begründen.43

III.

Deutsches Recht

In der Bundesrepublik unterstehen urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften der Fachaufsicht des Bundespatentamtes nach §§ 18-20 a UrhWG. Das Kartellverbot in S l GWB und das Verbot „sonstiger 39 40 41 42 43

Tribunal de Grandes Instances (oben Fn. 26), Rn. 61-70. Cour d'Appcl de Paris (oben Fn. 26). Oben Fn. 28. 28.6.1988 Cour de Cassation (Chambre Criminelle) Carretero et Ste. k Palaf/ SACEM in Bulletin Jurisprudence SACEM Nr. 121 S. 65. Dazu unten $ 7 IX. 145

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Verträge" in $ 15 GWB sind nach $102 a GWB unanwendbar auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften sowie auf wettbewerbsbeschränkende Verträge oder Beschlüsse solcher Verwertungsgesellschaften, wenn und soweit die Verträge oder Beschlüsse sich auf die nach § l des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten erlaubnisbedürftige Tätigkeit beziehen. Diese Verträge und Beschlüsse müssen der Aufsichtsbehörde gemeldet werden. Im Falle von Mißbräuchen der durch die Freistellung erlangten Stellung im Markt ist das Bundeskartellamt zuständig. Neben § 102 a GWB gelten für Verwertungsgesellschaften die §§22, 26 GWB. Aus dem Nebeneinander von Fachaufsicht und Kartellaufsicht, von Mißbrauchs- und Diskriminierungsverboten des GWB, und den Angemessenheitsgeboten des Urheberwahrnehmungsgesetzes folgen schwierige Abgrenzungsfragen. Unstreitig ist jedoch der Grundsatz, daß Urheberwahrnehmungsgesetz und GWB bei Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen nebeneinander anwendbar sein können.44 Ob die Tatbestandsvoraussetzungen der in Betracht kommenden verschiedenen Normen vorliegen, muß anhand einer Abwägung der Zwecke des GWB, insbesondere der Freistellungsvorschrift in §102 a, und des Urheberwahrnehmungsgesetzes entschieden werden. Hinzu kommt die Notwendigkeit, die für die Verteilung der Einnahmen (§ 7 UrhWG) besonders wichtige Vereinsautonomie zu beachten. Auszugehen ist deshalb von den gesellschaftsrechtlichen Grundlagen der Verwertungsgesellschaft. 1.

Gesellschaftsrechtliche Grundlagen

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften sind Gemeinschaftsunternehmen von Verlagen und Urhebern. Sie werden in der Regel in der 44

Überblick bei Reinbothe, in: Schricker, Urheberrecht, Kommentar (1987), § 24 UrhWG, Anm. 3-5; auch ders., Schlichtung im Urheberrecht (1978), 125-166; Menzel, Die Aufsicht über die GEMA durch das Deutsche Patentamt, Ein Beispiel für die Aufsicht über Vcrwertungsgesellschaften (1986), 90-116; Held, Fragen der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht über Verwertungsgesellschaften, Film und Recht 1980, 71-78. Allgemein zur Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten Loewenheim, Urheberrecht und Kartellrecht, UFITA, Bd. 79 (1977), 175-211; Dietz, Die Entwicklung des Urheberrechts in der Bundesrepublik Deutschland von 1984 bis Anfang 1989, UFITA Bd. 112 (1990), 5-131, Rn. 168 f.; Mestmäcker, Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften und ihre Mitglieder, Festschrift für Lukes, 1989, 445-460 [in diesem Band unter Nr. 6, S. 239 ff., abgedruckt].

146

§ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betrieben. Ihre Entwicklung ist geprägt von den Gesellschaften, die sich die Wahrnehmung von Urheberrechten in der Musik zur Aufgabe gemacht haben.45 Die Urheber übertragen diejenigen Nutzungsrechte auf Verwertungsgesellschaften, die sie selbst oder ein von ihnen ausgewählter Verlag aufgrund Verlagsvertrages nicht oder nicht wirksam wahrnehmen können. Soweit Verlage aufgrund Verlagsvertrages oder Subverlagsvertrages urheberrechtliche Nutzungsrechte innehaben, die zum Tätigkeitsbereich der Verwertungsgesellschaft gehören, sind auch sie auf diese zu übertragen. Gegenwärtig ist die direkte Übertragung der Nutzungsrechte vom Urheber auf die Verwertungsgesellschaft die Regel. Dem tragen die Verlagsverträge Rechnung, indem sie einen Rückfall der auf die Verwertungsgesellschaft übertragenen Rechte für den Fall vorsehen, daß die Verwertungsgesellschaft ihre Tätigkeit beendet. Urheber und Verleger übernehmen durch den Abschluß von Berechtigungsverträgen die Verpflichtung, den durch die Satzung der Verwertungsgesellschaft definierten Zweck zu fördern und alles zu unterlassen, was mit dem gemeinschaftlichen Interesse der Mitglieder unvereinbar ist. Dazu gehört für die Verlage auch die Verpflichtung, der Verwertungsgesellschaft in dem durch Satzung und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen umschriebenen Bereich keine Konkurrenz zu machen. Verlagsverträge und Berechtigungsverträge sind mithin so aufeinander 45

In Deutschland sind dies die GEMA und deren Rechtsvorgängerinnen. Zur Geschichte im einzelnen, s. Rcgierungsentwurf eines Gesetzes über Verwertungsgesellschaften auf dem Gebiet des Urheberrechts (Verwertungsgcsellschaften-Gesetz), jetzt Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrcchtcn - mit amtlicher Begründung, Stellungnahme des Bundesrates und Auffassung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, Drucksache des Deutschen Bundestages IV/217, abgedruckt bei Haertel/Schiefler, Urheberrechtsgesetz und Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrcchten, Tcxtausgabe mit Verweisungen und Materialien (1976), 406-409. Die GEMA hat die Rcchtsform eines Vereins, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist ($ 22 GWB). Struktur und Vertragspraxis der GEMA haben dem Gesetzgeber des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom 1.1.1966 als Vorbild gedient. Im einzelnen dazu Haertel/Schiefler, ebda., 433 für Versorgungseinrichtungen, 438 für die Praxis der Gcsamtverträge. Auch Rechtsprechung und Verwaltung haben sich überwiegend in Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft entwickelt. Es ist deshalb gerechtfertigt, vornehmlich ihre Struktur und ihre Vertragspraxis als repräsentativ in Bezug zu nehmen. Dazu auch Hans-Jürgen Menzel (oben Fn.44), bes. 23-29. 147

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

abgestimmt, daß die auf die Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragenen Nutzungsrechte nur von dieser wahrgenommen werden können. Deshalb wird mit dem Erwerb der Mitgliedschaft für Urheber und Verleger die Verpflichtung begründet, die ihnen gegenwärtig zustehenden oder in Zukunft erworbenen Rechte der Verwertungsgesellschaft zur ausschließlichen Wahrnehmung zu übertragen.46 Nur so läßt sich die Entstehung eines wirtschaftlich nutzbaren Gesamtrepertoires der Verwertungsgesellschaft gewährleisten. Dieser gemeinsame Zweck liegt den Berechtigungsverträgen, den Verlagsverträgen und den Satzungen der Verwertungsgesellschaften zugrunde. Für die Übertragung von Aufführungsrechten auf eine Verwertungsgesellschaft durch die von Komponisten und Musikverlegern abgeschlossenen Berechtigungsverträge hat das Reichsgericht zutreffend angenommen, daß es sich um ein gesellschaftsähnliches Verhältnis handelt.47 Die Beteiligten verzichteten nämlich nicht nur auf die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen und hätten nicht nur Anspruch auf eine Vergütung; vielmehr komme dem gemeinschaftlichen Interesse an der Förderung der Aufführung des Werkes ausschlaggebendes Gewicht zu. Das Entgelt, das die Mitglieder von der Verwertungsgesellschaft erhielten, sei eine fortlaufende Gewinnbeteiligung: „Sie ist daher von der Entstehung und Größe des Gewinns abhängig, sie macht ein fortdauerndes Abrechnungsverhältnis notwendig, und ihre gedeihliche Entwicklung ist nur auf der Grundlage wechselseitigen Vertrauens denkbar."48

Eine Betrachtungsweise, welche Verträge verschiedener Art anhand ihres Zusammenhangs mit der parallelen Stellung der Vertragspartner als Mitglieder einer juristischen Person als Einheit interpretiert, entspricht allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Das Reichsgericht hat es als eine Erfahrungstatsache bezeichnet, daß neben einer juristischen Person und ihrer Satzung zur Erreichung und Förderung des gemeinschaftlichen Zweckes noch weitere Abmachungen der Beteiligten in der Rechtsform einer bürgerlichrechtlichen Gesellschaft bestünden, und daß diese verschiedenen Regelungen sodann in Übereinstimmung mit dem Parteiwillen als Einheit zu würdigen seien.49 Diese Rechtsprechung 46

Zur Wirksamkeit der Übertragung künftiger Urheberrechte auf die GEMA, vgl. RGZ 140, 231, 249 ff.

47

RGZ 87, 215, Ebd., S. 219.

48

49

219.

JW 1930, 2675 ff.; im einzelnen zu diesen gesellschaftsrechtlichcn Fragen Mestmäcker, Gemeinschaftsunternehmen im deutschen und europäischen Kon-

148

§ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

bestätigt, daß es sich bei dem Zusammenwirken von Verlagsvertag, Berechtigungsvertrag und Satzung nicht um eine Einzelerscheinung handelt, sondern um eine auch in anderen Zusammenhängen anzutreffende Organisationsform, welche erst durch die Kombination einzelvertraglicher und vereinsrechtlicher Elemente juristisch faßbar wird 50 . 2.

Mitgliedschaft und Verteilung

Wirtschaftlich ist die individuelle Wahrnehmung der Urheberrechte ausgeschlossen, weil ihr prohibitive Transaktionskosten entgegenstehen. Rechtlich ist die individuelle Wahrnehmung ausgeschlossen, soweit das Urheberrecht Vergütungsansprüche begründet, deren Geltendmachung Verwertungsgesellschaften vorbehalten ist. Das trifft zu in den Fällen der §§ 26 Abs. 5, 27 Abs. l Satz 2, 59 Abs. l Satz 3, 54 Abs. 6 UrhG. Im Verhältnis zu den Mitgliedern von Verwertungsgesellschaften wird die Wahrnehmung der übertragenen Nutzungsrechte nicht nur in einer juristischen Person verselbständigt, sie wird auch vergemeinschaftet. Die einzelnen Rechte verlieren im Verhältnis der Mitglieder zueinander ihre Selbständigkeit. Die Erträge aus der Verwertung der Rechte sind nur teilweise individuell zurechenbar. In den Fällen, in denen das Gesetz Vergütungsansprüche begründet, die nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden dürfen, ist eine individuelle Zurechnung der Wahrnehmung zugunsten der einzelnen Urheber wesensgemäß ausgeschlossen. An die Stelle der individuellen Beteiligung der Urheber an den Erträgen der Werknutzung tritt der Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft. § 7 UrhWG verpflichtet die Verwertungsgesellschaften, die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit nach festen Regeln aufzuteilen, die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen. Zwischen den Mitgliedern ändert sich das Verhältnis von Aufkommen und Ausschüttung ferner durch das Förderungsgebot in $ 7 Satz 2 UrhWG.

50

zcrn- und Kartellrecht: in ders., Recht und ökonomisches Gesetz (2. Aufl. 1984), 342, 352 ff. Diese Gesichtspunkte bleiben unberücksichtigt, wenn der Bundesgerichtshof annimmt, daß sich ein Wahrnehmungsvcrtrag zwischen Berechtigtem und Verwertungsgesellschaft nicht entscheidend von anderen Verwertungsverträgcn unterscheide, die der Urheber mit einem anderen Werkmittler schließe. Dazu BGH 21.1.1982, GRUR 1982, 308, 309 „Kunsthändler"; auch Beschluß vom 3.5.1988, KvR 4/87, GRUR 1988, 782 („GEMA-Wertungsverfahren") = ZUM 1989, 80 = WuE/E BGH 2497. 149

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Danach „sollen kulturell bedeutende Werke und Leistungen gefördert werden". Diese Aufgabe hat im Verteilungsplan der GEMA die sog. Wertung. Der Bundesgerichtshof hat das Wertungsverfahren wie folgt gekennzeichnet: „Das Wertungsverfahren führt dazu, daß an die Berechtigten der Sparte E (ernste Musik) mehr ausgeschüttet werden kann, als aus der Verwertung ihrer Rechte eingenommen wird. Es hat aber auch den Zweck, die künstlerische Persönlichkeit und das Gesamtschaffen des einzelnen Berechtigten zu berücksichtigen und das allein an der Aufführungshäufigkeit sowie am Werkumfang orientierte Verrechnungsverfahren wertend zu ergänzen. Für die Durchführung des Wertungsverfahrens sind Wertungsausschüsse eingerichtet; die Einzelheiten des Verfahrens regelt jeweils eine Geschäftsordnung."51

Die Wertungs- und Schätzungsverfahren können mithin dazu führen, daß an die durch sie begünstigten Mitglieder ein Vielfaches der durch die Werknutzung erzielten Erträge ausgeschüttet wird. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen Aufkommen und Ausschüttung in der Sparte der aus kulturellen Gründen besonders geförderten ernsten Musik. Daraus entstehen Möglichkeiten des Mißbrauchs. Für Komponisten, die zugleich ausübende Musiker sind, entsteht ein Anreiz, ihre eigenen Werke unabhängig von der Nachfrage auf dem Markt aufzuführen, um in den Genuß hoher Ausschüttungen zu gelangen. Solchen Mißbräuchen darf die Verwertungsgesellschaft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch durch die Aufnahme von Generalklauseln in ihre Satzung oder in den Verteilungsplan begegnen.52 Die gesellschaftsrechtliche Rechtfertigung für solche Regeln ist in der Treuepflicht zu finden, die für die Mitglieder gegenüber der Verwertungsgesellschaft aufgrund ihrer vertraglichen Bindungen und im Verhältnis der Mitglieder zueinander infolge ihrer Mitgliedschaft in der Verwertungsgesellschaft gilt. Das Kammergericht behandelte eine vom Bundeskartellamt angegriffene Regelung im Verteilungsplan der GEMA, wonach eine Beteiligung am Wertungsverfahren bei Unverhältnismäßigkeit ausscheidet, als Verhaltensnorm. Für sie gelte das Verbot rückwirkender Satzungsänderungen zu Lasten der Mitglieder.53 Dem ist der Bundesgerichthof nicht gefolgt: 51

52 53

BGH, Beschluß vom 3.5.1988 (oben Fn. 50); kritisch dazu Dzefz (oben Fn.44) Rn. 169. BGH 3.5.1988 (oben Fn. 50). 25.3.1987, l Kart 8/86 II, WuW/E, OLG 4040.

150

§ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen „Den Verwcrtungsgesellschaften kann - entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts - grundsätzlich nicht auferlegt werden, die Einnahmen jeweils nur entsprechend der Fassung des Verteilungsplans auszuschütten, die bereits vor der Werknutzung, aus der die jeweiligen Erträge stammen, in Kraft war. (...) Möglichen Fehlentwicklungen kann durch Änderungen des Verteilungsplans entgegengetreten werden, die mit ihrem Inkrafttreten grundsätzlich alle noch nicht abgeschlossenen Verträge erfassen können und regelmäßig auch müssen, um weitere Unvollkommenheiten und Unbilligkeiten zu vermeiden." 54

Dem liegt die zutreffende Auffassung zugrunde, daß es sich bei dem Verteilungsplan einer Verwertungsgesellschaft nicht um Verhaltensnormen für die Mitglieder handelt. Die Verteilung ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß sie anhand von Kriterien zu erfolgen hat, die von den Mitgliedern nicht durch ein primär darauf gerichtetes Verhalten beeinflußt werden sollen. Diese Möglichkeit besteht vor allem bei solchen Mitgliedern, die ihre eigenen Werke aufführen. Gegen die Berücksichtigung von Selbstaufführungen ist auch im Rahmen der Wertung nichts einzuwenden, soweit es sich dabei um Aufführungen handelt, für die auf dem Markt eine echte Nachfrage besteht. Das ist der Markt für verschiedene Arten von Musikveranstaltungen. Die Möglichkeit, Selbstaufführungen ohne Rücksicht auf die Nachfrage zu veranstalten, besteht vor allem in den Fällen, in denen die Musikveranstaltungen aus nichtkommerziellen Gründen unentgeltlich oder gegen ein nominelles Entgelt stattfinden und der Musikveranstalter für die Nutzung des Repertoires der Verwertungsgesellschaft eine von Einzelaufführungen unabhängige Pauschalvergütung entrichtet. 3.

Fachaufsicht und Kartellaufsicht über die Mitgliederbeziehungen in Verwertungsgesellschaften

§ 6 UrhWG verpflichtet Verwertungsgesellschaften, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche auf Verlangen Dritter zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen, falls ihnen eine wirksame Wahrnehmung auf andere Weise nicht möglich ist. Nach § 27 GWB sind Wirtschafts- und Berufsvereinigungen auf Antrag verpflichtet, ein betroffenes Unternehmen aufzunehmen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellt und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führt. Dieser Regelung geht § 6 UrhWG jedoch als lex specialis vor. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Urheberwahrnehmungsgesetzes heißt es 54

BGH 3.5.1988 (oben Fn. 50). 151

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn

dazu, es gebe zahlreiche Urheber, die nur gelegentlich Werke schafften oder schutzfähige Leistungen erbrächten. Wenn die Verwertungsgesellschaften ihnen volle Mitgliedschaftsrechte gewähren müßten, so bestünde die Gefahr, daß diejenigen Berechtigten majorisiert werden könnten, die mit ihren Rechten das wirtschaftliche Fundament der Verwertungsgesellschaft bildeten.55 An die Stelle des vom GWB gegebenen Aufnahmeanspruchs tritt mithin der von § 6 begründete Wahrnehmungszwang zu angemessenen Bedingungen.56 Eine ähnliche Rechtsfrage stellt sich im Verhältnis von § 7 UrhWG zu den für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Vorschriften des GWB. § 7 UrhWG enthält ein Willkürverbot für die Verteilungspläne von Verwertungsgesellschaften. Durch Beschluß vom 2. 6.1986 hat das Bundeskartellamt der GEMA die Anwendung einer von der Mitgliederversammlung beschlossenen Regelung in der Geschäftsordnung für das Wertungsverfahren in der Sparte E (ernste Musik) untersagt, wonach ein Berechtigter bei „Unverhältnismäßigkeit" von der Wertung ausgeschlossen werden kann. Den Verstoß gegen § 26 Abs. 2 GWB begründete das Kartellamt im wesentlichen mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot in §7 UrhWG. Der Bundesgerichtshof bejahte in Übereinstimmung mit dem Kammergericht die Zuständigkeit des Bundeskartellamts. Das Gesetz gehe grundsätzlich von dem Nebeneinander von Fachaufsicht und Kartellaufsicht aus. Auch folge aus § 102 a GWB, der die Verwertungsgesellschaften von den §§1,15 GWB freistelle, daß die §§ 22, 26 Abs. 2, 37 a Abs. 2 unberührt bleiben sollten. Gleichwohl hat das Gericht den auf § 26 Abs. 2 gestützten Beschluß des Bundeskartellamts und den ihn bestätigenden Beschluß des Kammergerichtes aufgehoben. Zwar seien die Urheberberechtigten Unternehmen im Sinne des GWB; auch handele es sich bei der Verteilung der Erträge um einen geschäftlichen Verkehr i. S. von § 26 Abs. 2 GWB. Zu berücksichtigen seien aber bei der Ermittlung einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung die Besonderheiten urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften. Als solche Besonderheiten hebt der Bundesgerichtshof hervor: Das umfangreiche Regelwerk der Verteilungspläne, das aufgrund sachlich begründeter Unterschiede der verschiedenen Sparten und Berufsgruppen in vielfältiger 55 56

Haertel/Schiefler (oben Fn. 45) S. 431. Vgl. Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, §6 UrhWG, Anm. 1; übereinstimmend Kammergcricht 25.3.1987 (oben Fn. 53).

152

S 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen Weise Unterschiede aufweise, ohne daß diese Unterschiede schon zu einer Diskriminierung führten; die Pauschalierung in den Vcrtcilungsplänen, die zu einer vom individuellen Aufkommen abweichenden Verteilung führten; die Notwendigkeit eines ausreichenden Beurteilungsspielraums für die Gremien der Venvertungsgesellschaft, um Fehlentwicklungen bei der Verteilung entgegenzuwirken; die Befugnis der Verwertungsgesellschaft, zunächst gegen konkret befürchtete Mißbräuche einzuschreiten, um Erfahrungen zu sammeln, ohne sofort allgemeine Maßnahmen ergreifen zu müssen.

Der Bundesgerichtshof trägt diesen Besonderheiten Rechung, indem er in $ 7 UrhWG eine partielle Sonderregelung sieht, die getrennte Zuständigkeiten von Bundeskartellamt und Aufsichtsbehörde begründen: Ob der Verteilungsplan als solcher und die darin getroffenen Regeln mit den Erfordernissen von $ 7 UrhWG vereinbar sind, obliegt allein der Prüfung durch das Deutsche Patentamt; nur soweit sich die Anwendung einer Klausel im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit im Einzelfall als Diskriminierung darstellt, ist das Kartellamt berufen, § 26 Abs. 2 GWB anzuwenden.57 Wann diese Voraussetzung vorliegt, brauchte der Bundesgerichtshof nicht zu entscheiden, weil das Bundeskartellamt die Unverhältnismäßigkeitsregelung als solche beanstandet hatte. Im verbleibenden Anwendungsbereich von § 26 Abs. 2 für Einzelfälle scheiden mithin diejenigen Kriterien als sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung von vornherein aus, die den in den Verteilungsplänen enthaltene Regelungen entsprechen. Die im Einzelfall zu ermittelnden Grenzen für die Zuständigkeit des Bundeskartellamts ergeben sich u. a. daraus, daß eine auf §26 Abs. 2 und §37a Abs. 2 gestützte Verfügung kein Verhalten untersagen darf, das eine Änderung des Verteilungsplanes voraussetzt. Darüber hinaus wird es in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs notwendig sein, auch bei der Anwendung von $ 26 Abs. 2 in den genannten Einzelfällen die Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs 57

Ablehnend Stockmann, Die Verwertungsgcsellschafr.cn und das nationale und europäische Kartcllrecht, in: J. Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, Symposium für Reinholf Kreile zum 60. Geburtstag, 1990, S. 25, 37. 153

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

gerichteten Zielsetzung des GWB gegeneinander abzuwägen.58 Hier sind erneut die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus dem Zweck des § 102 a ergeben. Das Bundeskartellamt hat den Wettbewerbsbezug der Verteilung der Einnahmen u. a. daraus gefolgert, daß auch bei der Wahrnehmung der nicht auf Verwertungsgesellschaften übertragenen sog. „großen Rechte" Wettbewerbsbeziehungen bestünden. Damit wird aber die entscheidende Besonderheit, die für die Wahrnehmung der sog. „kleinen Rechte" durch Verwertungsgesellschaften bezeichnend ist, gerade verkannt. Denn der Wettbewerb, der bei der Lizenzierung der „großen Rechte" besteht, wird von den Verwertungsgesellschaften bei der Wahrnehmung der „kleinen Rechte" bestimmungsgemäß und in Übereinstimmung mit §102 a GWB ausgeschlossen. Durch die von § 102 a GWB freigestellte Verpflichtung der Urheberberechtigten, ihre Rechte der GEMA zur ausschließlichen Nutzung zu übertragen, sind sie von dem Wettbewerb um die Vergabe der Rechte an Werknutzer ausgeschlossen. Schließlich führt die vom Bundesgerichtshof hervorgehobene Notwendigkeit der Pauschalierung bei der Vergütung der Aufführungen ebenso zu einer vom Markt und Wettbewerb unabhängigen Verteilung wie das Wertungsverfahren. Die sich daraus ergebenden Unterschiede zwischen den Berechtigten begründen mithin keine sachlich ungerechtfertigte unterschiedliche Behandlung. Die Gründe, aus denen der Bundesgerichtshof dem Deutschen Patentamt die ausschließliche Zuständigkeit für die Anwendung von § 7 UrhWG zuweist, sprechen dafür, daß es sich ebenso wie im Falle von § 6 UrhWG um eine dem GWB vorgehende aufsichtsrechtliche Sonderregelung handelt. Soweit Streitigkeiten über die Anwendung des Verteilungsplans zwischen Verwertungsgesellschaft und Mitgliedern entstehen, sind dafür die ordentlichen Gerichte zuständig, so daß Lücken im Rechtschutz nicht entstehen können.

4.

Maßstäbe der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht

Im deutschen Recht war seit Erlaß des GWB streitig, ob urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle oder marktbeherrschende Unternehmen seien. In der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf eines GWB wurde die GEMA als marktbeherrschendes Unternehmen 58

Dazu im einzelnen Markert, in: Immenga/Mestmäckcr, GWB-Kommentar (1980), §26, Rn. 96 ff.

154

$ 6 Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

bezeichnet.59 Nach anderer Ansicht, die bereits zur Kartellverordnung von 1923 vertreten wurde, hielt man Verwertungsgesellschaften für Kartelle in der Form eines Syndikats.60 Vor Inkrafttreten des § 102 a ging die überwiegende Meinung im Schrifttum dahin, daß die Bildung von Verwertungsgesellschaften von § l GWB nicht erfaßt werde, weil die Wahrnehmung von Urheberrechten nicht Gegenstand des Marktverkehrs sei, weil die Urheber keine Unternehmen seien oder weil ein Zusammenschluß zu einem Einheitsunternehmen vorliege, auf den die Vorschriften der Fusionskontrolle anwendbar seien.61 Auch wenn man einer dieser Auffassungen folgt- was hier offenbleiben kann -, ist die Freistellung in S 102 a nicht überflüssig. Sie erklärt sich auch nicht daraus, daß der Gesetzgeber die Verwertungsgesellschaften wegen der gleichzeitig eingeführten Fachaufsicht nach dem Urheberwahrnehmungsgesetz kartellrechtlich privilegieren wollte.62 Die Freistellung in § 102 a beseitigt zunächst diejenigen kartellrechtlichen Zweifelsfragen, die sich bei einer Auslegung des Kartellverbots anhand der „rule of reason" im amerikanischen Recht stellen und die in ähnlicher Weise entstehen, wenn es darauf ankommt, die Unanwendbarkeit von $ l GWB anhand ungeschriebener Tatbestandsmerkmale zu begründen. Der positive Freistellungszweck folgt daraus, daß es ohne den Zusammenschluß von Urhebern und Verlegern für die Werknutzer unmöglich wäre, sich rechtmäßig zu verhalten, während es für Urheber und Verlage ausgeschlossen wäre, ihre Rechte wirksam wahrzunehmen. Die Freistellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften dient mithin der Verwirklichung des Urheberrechts unter Berücksichtigung derjenigen wirtschaftlichen und technischen Bedingungen, welche für die Verwertung urheberrechtlicher Nutzungsrechte kennzeichnend sind.63 Mit diesem Zweck ist der Wett59

60

61 62 63

Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung, Anl. l zu Bundestagsdrucksache 1158, abgedruckt bei Müller/ Henneberg/Schwarz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung, 1958, 1092. Überblick über die Streitfrage bei Mestmäcker, Sind urheberrechtliche Vcrwertungsgesellschaftcn Kartelle?, 1960 [in diesem Band unter Nr. l, S. l ff., abgedruckt] Zum Stand der Meinungen Sandberger/Treeck, Fach- und Kartellaufsicht über Vcrwertungsgescllschaften, UFITA Bd. 47 (1966), 165 f. So Möschel, in: Immcnga/Mestmäckcr, GWB-Kommentar (1980), § 102 a, Rn. 8. Ähnlich Reinbothc, Schlichtung im Urheberrecht (oben Fn. 44), S. 120, der den Frcistellungszweck im ungestörten Ablauf der erlaubnisbedürftigen Tätigkeit einer Verwertungsgesellschaft sieht. In dieser Formulierung wird jedoch der unmittelbare Bezug der Tätigkeit von Verwertungsgesellschaft.cn auf die Verwirklichung der im öffentlichen Interesse liegenden urheberrechtlichen 155

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgcsellschaften

bewerb zwischen Urhebern und Verlegern in der Vergabe ihrer Nutzungsrechte an Werknutzer nach § 102 a unvereinbar, soweit diese Rechte von Verwertungsgesellschaften rechtmäßig wahrgenommen werden. Dieser Zweck ist auch bei der Anwendung der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht und bei der Anwendung des Diskriminierungsverbots in § 26 Abs. 2 auf Verwertungsgesellschaften zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof ist bei der Anwendung der Mißbrauchsaufsicht im Rahmen von Bereichsausnahmen ebenso wie bei der Auslegung der §§ 22, 26 Abs. 2 auf marktbeherrschende Unternehmen, für die Bereichsausnahmen gelten, der Zweck der Freistellung zu berücksichtigen. Ein Mißbrauch liegt vor, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung oder ihre Durchführung unter den besonderen Umständen des Einzelfalles Sinn und Zweck der Freistellung widerspricht.64 Bei der Mißbrauchsaufsicht über Verwertungsgesellschaften darf mithin das Interesse der Werknutzer an konkurrierenden Angeboten der Urheberberechtigten nicht berücksichtigt werden. §102a legalisiert die Verpflichtungen, durch die Urheber und Verleger vom direkten Zugang zum Markt für die Verwertung ihrer in die Verwertungsgesellschaft eingebrachten Rechte ausgeschlossen werden. Ein Mißbrauch im Sinne des GWB kommt nur dann in Betracht, wenn und soweit Verwertungsgesellschaften die Bewegungsfreiheit von Werknutzern oder Mitgliedern im Wettbewerb einschränken, ohne daß diese Beschränkung für die wirksame Wahrnehmung der Rechte oder die sachgemäße Verteilung der Einnahmen an die Urheberberechtigten notwendig ist.

64

Schutzzwecke nicht deutlich. Es trägt zur Klärung von Rechtsfragen wenig bei, wenn man der Frage nachgeht, ob es an einem „positiven Freistellungszweck" fehle (so Muschel oben Fn. 62) oder ob dieser Zweck „erkennbar" sei (zweifelnd Stockmann [oben Fn. 57] S. 25-27). Übrig bleibt eine petio principii, wenn man einen positiven Freistellungszweck vermißt, aber davon ausgeht, daß der Gesetzgeber Verwertungsgesellschaftcn als Instrumente zur kollektiven Wahrnehmung urheberrechtlicher Verwertungsrechtc für notwendig halte, zumal anders auch der Austausch zwischen Berechtigten und Werknutzern nicht mehr vorstellbar sei (so Stockmann ebd.). Anzumerken bleibt, daß die Wahrnehmung von Urheberrechten in wichtigen Fällen (dazu oben § l IV, 2) Vcrwcrrungsgescllschaften kraft Gesetzes vorbehalten ist. BGH 27.11.1964 „Zeitgleiche Summcnmessung" WuW/E BGH 656; 5.7.1973 „Fernost-Schifffahrtskonferenz", WuW/E BGH 1272; für §26 Abs. 2, s. insbes. Markert, in: Immcnga/Mestmäcker, GWB-Kommcntar (1980), S 26 Rn. 200.

156

§7 Urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften im Gemeinschaftsrccht

§7

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gemeinschaftsrecht

Auf die Rechtsbeziehungen der Verwertungsgesellschaft zu Urheberberechtigten und zu Musikverbrauchern können die Wettbewerbsregeln anwendbar sein. Das gleiche gilt für die Gegenseitigkeitsverträge, die Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt untereinander und mit Verwertungsgesellschaften aus Drittstaaten über die Wahrnehmung ihrer Repertoires im Ausland abschließen. In Betracht kommt die Anwendung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen in Art. 85 und die des Verbots der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Gemeinsamen Markt in Art. 86. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügen Verwertungsgesellschaften über eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes für die Wahrnehmung der zu ihren Tätigkeitsbereich gehörenden Nutzungsrechte, wenn sie ihre Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaates als einziges Unternehmen anbieten. Die beherrschende Stellung besteht gegenüber den Urheberberechtigten, die auf die Wahrnehmung ihrer Rechte durch die Verwertungsgesellschaft angewiesen sind, und sie besteht gegenüber den Musikverbrauchern, die für die von ihnen angebotenen Erzeugnisse oder Dienstleistungen die Einwilligung des Urheberberechtigten benötigen.' Die Rechtsstellung der Verwertungsgesellschaften weist in den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede auf. Übereinstimmung besteht jedoch über das besondere öffentliche Interesse an der Wahrnehmung der Urheberrechte, an der Erfüllung der treuhänderischen Pflichten von Verwertungsgesellschaften gegenüber den Mitgliedern und an der Gewährleistung angemessener Tarife für Musikverbraucher. Art. 90 Abs. 2 hat die Aufgabe, das öffentliche Interesse der Mitgliedstaaten an der Tätigkeit von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, mit dem Interesse der Gemeinschaft am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr in Einklang zu bringen. 1

EuGH 27.3.1974 BRT ./. Phonior und Sabam, Rs. 127/73, Slg. 313, 316; 25.10.1979 Greenwich Film Production ,',. SACEM, Rs. 22/79, Slg. 3275, 3288; 2.3.1983 GVL./. Kommission, Rs. 7/82, Slg. 486, 506 = GRUR Int. 1983, 734; zu dieser Rechtsprechung Deringcr, Wandlung des Urheberrechts unter dem Einfluß des Europäischen Gcmeinschaftsrcchts, NJW 1985, 513, 514f.

157

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

I.

Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen (Art. 90 Abs. 2)

1.

Die Adressaten der Ausnahme

Nach Art. 90 Abs. 2 gelten die Wettbewerbsregeln für Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen nur, sofern deren Anwendung nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Ein belgisches Gericht legte dem Gerichtshof die Frage vor, ob die belgische Verwertungsgesellschaft SABAM ein solches Unternehmen sei. Der Gerichtshof entschied, daß ein Unternehmen, das der Staat mit keiner besonderen Aufgabe betraut habe und das Privatinteressen wahrnehme, auch dann nicht unter die Bestimmung von Art. 90 Abs. 2 falle, wenn es sich bei diesen Interessen um gesetzlich geschützte, geistige Eigentumsrechte handele.2 Zur Begründung heißt es, der Begriff der Unternehmen, die sich auf diese Vorschrift berufen könnten, sei eng auszulegen, weil es sich um eine Vorschrift handele, die u. U. eine vom Vertrag abweichende Regelung zulasse. Zwar könnten auch Privatunternehmen unter diese Bestimmungen fallen, aber nur, wenn sie durch Hoheitsakte öffentlicher Gewalt mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut seien. Mit dieser Begründung hat es der Gerichtshof auch abgelehnt, auf Verwertungsgesellschaften, die dem deutschen Urheberwahrnehmungsgesetz unterstehen, Art. 90 Abs. 2 anzuwenden.3 Die deutsche Gesetzgebung übertrage die Wahrnehmung von Urheberrechten nicht bestimmten Unternehmen, sondern regele allgemein die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften. Die im Gesetz vorgesehene Überwachung gehe zwar weiter als die bei anderen Unternehmen, gleichwohl reiche das für die Anwendung von Art. 90 Abs. 2 nicht aus. Anders ist die Rechtslage jedoch in Italien, wo die SIAE über ein Vermittlungsmonopol für die Wahrnehmung von Urheberrechten verfügt.4 Das Unternehmen ist mithin, wie es der Gerichtshof voraussetzt, durch Hoheitsakt mit Dienstleistungen unter Ausschluß anderer Unternehmen betraut. Ob es sich dabei um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse handelt, ist gesondert zu prüfen. 2 3 4

27.3.1974 SABAM (oben Fn. 1) 318Rn.24. 2.3.1989 GVL .f. Kommission (oben Fn. 1) 504 Rn. 31, 32. Vgl. dazu oben $ l V.

158

$7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gemeinschaftsrccht

Die Kommission hat die Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 2 auf Unternehmen, für die das deutsche Urheberwahrnehmungsgesetz gilt, mit der Begründung abgelehnt, daß die besonderen Verpflichtungen nach den §§8, 13 Abs. 3 UrhWG keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen, sondern von allgemeinem kulturellen und sozialen Interesse zum Gegenstand hätten.5 Mit demselben Argument hat die Kommission im Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen" die Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 2 auf öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten abgelehnt.6 Der Gegensatz von Dienstleistungen im allgemeinen kulturellen und sozialen Interesse zu dem in Art. 90 Abs. 2 normierten allgemeinen wirtschaftlichen Interesse wird den zu lösenden Konflikten nicht gerecht. Die Erfüllung der besonderen Aufgaben im Sinne von Art. 90 Abs. 2 setzt voraus, daß Unternehmen auch dann zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet sein sollen, wenn es für sie privatwirtschaftlich nicht lohnend ist: „Ein allgemeines Interesse i. S. von Art. 90 Abs. 2 wird deshalb vorliegen, wenn das wirtschaftliche Verhalten der Unternehmen einem rechtsverbindlich festgelegten besonderen Zweck dient und die Unternehmen zur Erfüllung dieser besonderen Zwecke im allgemeinen Interesse selbst dann verpflichtet sein sollen, wenn ihr unternehmerisches Eigeninteresse dem entgegenstehen würde." 7

Die Tatsache, daß Unternehmen aus sozialen oder kulturellen Gründen wirtschaftliche Leistungen erbringen müssen, die mit ihrem wirtschaftlichen Interesse unvereinbar sind, steht deshalb der Annahme eines allgemeinen wirtschaftlichen Interesses i. S. von Art. 90 Abs. 2 nicht entgegen. Das bestätigt die amtliche Begründung zu § 7 UrhWG. Die Verpflichtung, kulturell bedeutende Werke und Leistungen zu fördern, wird aus verfassungsrechtlichen Gründen auf wirtschaftliche und nicht auf kulturpolitische Gründe gestützt. Wörtlich heißt es: „Eine solche Forderung erscheint berechtigt, weil die Schöpfer wertvoller Werke das Ansehen der Vcrwcrtungsgesellschaften in der Öffentlichkeit heben und auf diese Weise mittelbar zu einer wirtschaftlichen Stärkung der Verwcrtungsgcsell5 6

7

Entscheidung GEMA I, VE 2.6.1971, ABI. 20.6.1971, L 134, 15 und III, 2, 3. Grünbuch über die Errichtung des Gemeinsamen Marktes für den Rundfunk, insbesondere über Satellit und Kabel, Köm (84) 300 endg. 14. Juni 1984,192 ff. Dagegen Mestmäcker, Wege zur Rundfunkfreiheit in Europa, in: dcrs. (Hrsg.), Offene Rundfunkordnung (1989), 9, 34 f. Mestmäcker, Die Vermittlung von europäischem und nationalem Recht im System unverfälschten Wettbewerbs (1969), 99-100; übereinstimmend EuGH 11.4.1989 Ahmed Saeed Flugreisen ./. Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, Rs. 60/86 Rn. 55. 159

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaftcn Schäften beitragen, auch wenn die tatsächlichen Einnahmen aus der Verwertung ihrer Werke hinter denen aus der Verwertung leichter, für die breite Masse bestimmter Produktionen zurückbleiben. Dem Vorschlag, die Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen zwingend vorzuschreiben, folgt der Entwurf nicht, weil gegen eine solche Verpflichtung der Verwertungsgesellschaftcn verfassungsrechtliche Bedenken bestehen."8

2.

Die unmittelbare Geltung der Wettbewerbsregeln im Rahmen von Art. 90 Abs. 2

Im Gegensatz zu dem staatsgerichteten Verbot des Art. 90 Abs. l richtet sich Art. 90 Abs. 2 nach seinem Wortlaut an Unternehmen. Die Feststellung, daß ein Unternehmen mit den in der Vorschrift genannten Dienstleistungen betraut ist, schließt die Geltung der Wettbewerbsregeln nicht aus. Art. 90 Abs. 2 enthält nämlich keine Bereichsausnahme, sondern ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Verbote der Art. 85 und 86 haben deshalb auch im Rahmen von Art. 90 unmittelbare Wirkung und begründen Rechte und Pflichten, welche die nationalen Gerichte zu wahren haben.9 Materiellrechtliche Eigenbedeutung hat Art. 90 Abs. 2 mithin nur als Ausnahmevorschrift. Hierzu hat der Gerichtshof einschieden, daß die Vorschrift beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht geeignet sei, individuelle Rechte zu begründen.10 Es ist vielmehr Aufgabe der Kommission, im Rahmen ihrer Kompetenzen nach Art. 90 Abs. 3 darüber zu entscheiden, ob die Anwendung der Ausnahmevorschriften die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe verhindert. Der Gerichtshof hat dazu entschieden: „Die Anwendung dieser Bestimmung erfordert eine Würdigung der Erfordernisse, die sich einerseits aus der Erfüllung der den fraglichen Unternehmen übertragenen besonderen Aufgabe und andererseits aus der Wahrung der Interessen der Gemeinschaft ergeben. Diese Würdigung betrifft die Ziele der allgemeinen Wirtschaftspolitik, welche die Mitglicdstaatcn unter der Aufsicht der Kommission verfolgen."11 s Haertel/Schiefler (oben § 6 Fn. 1), S. 433. 9

EuGH 30.4.1974 Sacchi (oben § l Fn. 14), 431; übereinstimmend 3.10.1985 CßEM ./. CLT, Rs. 311/84, Slg. 3275 Rn. 16 = GRUR Int. 1986, 191; 11.4.1989 Ahmed Saeed Flugreisen (oben Fn. 7) Rn. 54-58. 10 14.7.1971 Hein, Rs. 10/71, Slg. 730; bestätigt 10.3.1983 Inter Huiles, Rs. 172/82, Slg. 567 Rn. 15. " 14.7.1971 Hein (oben Fn. 10), 730. 160

$ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gemeinschaftsrecht

Hieraus folgt, daß der staatliche Richter, der einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln oder andere Vorschriften des Vertrages festgestellt hat und die Ausnahmevorschrift für anwendbar hält, das Verfahren aussetzen muß, um die Entscheidung der Kommission einzuholen. Im Urteil vom 11.4.1989 „Flugreisen"12 hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Anwendung der Wettbewerbsregeln im Luftverkehr entschieden, daß es auch Sache der nationalen Stellen sei, darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift in Art. 90 Abs. 2 erfüllt sind. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, ob der Grund für diese von der früheren Rechtsprechung abweichende Meinung in dem veränderten Stand des Gemeinschaftsrechts zu suchen ist. Die Gemeinschaftsgesetzgebung zur Regelung des Luftverkehrs, insbesondere die Verordnung Nr. 3957/87 über die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Luftfahrtunternehmen, könnte als eine umfassende und abschließende Regelung des Wettbewerbs in diesem Bereich angesehen werden.

II.

Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht

Gemeinschaftsrecht und nationales Recht der Wettbewerbsbeschränkungen sind grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Die parallele Geltung steht jedoch unter dem Vorbehalt, daß die Anwendung des nationalen Rechts „die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Wirksamkeit der zu seinem Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen nicht beeinträchtigt".13 Daraus folgt, daß dem Gemeinschaftsrecht im Falle des Konflikts mit dem nationalen Recht der Vorrang einzuräumen ist. Ein Konflikt liegt dann vor, wenn die Unternehmen sich nach nationalem Recht nicht rechtmäßig verhalten können, ohne gegen Gemeinschaftsrecht zu verstoßen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts für das deutsche Verfassungsrecht übernommen: „Rechtsakten des 12 13

ObenFn.7. Grundlegend EuGH 13.2.1979 Wilhelm./. Bundeskartellamt, Rs. 14/68, Slg. XV, l, 16-17; auch 10.7.1980 Parfüms Guerlain, Rs. 253/78, Slg. 2374/75 = GRUR Int. 1980, 744. 161

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Gemeinschaftsrechts kommt für den Fall eines Widerspruchs zu innerstaatlichem Gesetzesrecht auch vor deutschen Gerichten der Anwendungsvorrang zu." Der Anwendungsvorrang gegenüber früherem sowie späterem nationalen Gesetzesrecht beruhe auf einer ungeschriebenen Norm des primären Gemeinschaftsrechts, der durch die Zustimmungsgesetze zu den Gemeinschaftsverträgen in Verbindung mit Art. 24 Abs. l GG der innerstaatliche Rechtsanwendungsbefehl erteilt worden sei. Art. 24 Abs. l GG enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung für die Billigung dieser Vorrangregel durch den Gesetzgeber und ihrer Anwendung für die rechtsprechende Gewalt im Einzelfall.14 Für das Recht der Verwertungsgesellschaften in der Bundesrepublik folgt aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts, daß die Freistellung in § 102 a GWB von den Verboten der §§ l, 15 GWB der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln nicht entgegensteht. Eine nach deutschem Recht erlaubte Wettbewerbsbeschränkung kann gleichwohl gegen die Verbote in Art. 85 und 86 verstoßen. Der Vorrang der Wettbewerbsregeln gilt aber darüberhinaus auch im Verhältnis zu den aufsichtsrechtlichen Vorschriften des Wahrnehmungsgesetzes und den aufgrund dieses Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen. Ausnahmen von den Wettbewerbsregeln gelten nur, wenn sie der EWG-Vertrag ausdrücklich vorschreibt. Ein Beispiel ist Art. 42 für die Produktion und den Vertrieb landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Zwar sei es, so hat der Gerichtshof entschieden, einem Mitgliedstaat unbenommen, die Anwendung des Wettbewerbsrechts mit einer Aufsicht über die Unternehmen zu verknüpfen, das Gemeinschaftsrecht mache jedoch die Durchführung der Artt. 85, 86 nicht davon abhängig, wie in einem Mitgliedstaat die Aufsicht in bestimmten Wirtschaftszweigen rechtlich geregelt sei.15

III.

Überblick über die wettbewerbsrechttiche Relevanz der Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften

Verwertungsgesellschaften erwerben ihr Repertoire durch individuelle Berechtigungsverträge und Gegenseitigkeitsverträge. In den Berechti14

15

8.4.1987 BVcrfGE 75, 223, 244.

27.11.1987 Verband der Sachversicherer./. Kommission, Rs. 45/85, Slg. 452, Rn. 19.

162

§ 7 Urheberrechtliche Vcrwertungsgesellschaften im Gemeinschaftsrecht

gungsverträgen mit Urhebern und Verlegern ist regelmäßig die Verpflichtung enthalten, der Verwertungsgesellschaft alle dem Berechtigten gegenwärtig und zukünftig zustehenden Rechte zur ausschließlichen Wahrnehmung zu übertragen. In ihrer Gesamtheit begründen diese Berechtigungsverträge das nationale Repertoire einer Verwertungsgesellschaft. Das internationale Repertoire erwerben Verwertungsgesellschaften durch Gegenseitigkeitsverträge, die sie untereinander abschließen. Die Möglichkeit der individuellen Wahrnehmung der Rechte gegenüber Musikverbrauchern wird dadurch ausgeschlossen, daß der Verwertungsgesellschaft alle Rechte zur ausschließlichen Wahrnehmung übertragen werden. Für die Musikverbraucher ergeben sich entsprechende Einschränkungen ihrer Wahlfreiheit als Nachfrager nach urheberrechtlichen Nutzungsrechten. Gegenseitigkeitsverträge zwischen Verwertungsgesellschaften schränken die Wahlfreiheit der Musikverbraucher ein, falls sie die direkte grenzüberschreitende Lizenzierung nationaler Repertoires verhindern. Insoweit kann auch der Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften eingeschränkt werden. Die Möglichkeit, Urheberrechte von einer Verwertungsgesellschaft der eigenen Wahl wahrnehmen zu lassen, kann durch die Regeln über die Aufnahme in eine Verwertungsgesellschaft und durch die Regeln über die Beendigung der vertraglichen und mitgliedschaftsrechtlichen Beziehungen behindert werden. Die Freizügigkeit der Urheberberechtigten ermöglicht Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften ohne die Effektivität der Wahrnehmung gegenüber Musikverwertern zu beeinträchtigen. Diesem Wettbewerb kommt im Gemeinsamen Markt wegen der Alleinstellung der nationalen Verwertungsgesellschaften eine besondere Bedeutung zu. Auf die schematisch dargestellten Sachverhalte kann Art. 85 anwendbar sein, soweit es sich um Vereinbarungen, Satzungsregeln, Beschlüsse oder abgestimmte Verhaltensweisen von Verwertungsgesellschaften handelt. Ein Sachverhalt, auf den Art. 85 anwendbar ist, kann gleichwohl Art. 86 unterfallen, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind.16 Da urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften in der Regel beherrschende Unternehmen sind, ergibt sich in der Beurteilung der in Betracht kommenden Sachverhalte eine weitgehende Parallelität von Artt. 85 und 86. Der Anwendungsbereich von Art. 86 ist jedoch weiter als der von Art. 85, weil er auf jedes wettbewerblich relevante, individuelle Verhalten eines beherrschenden Unternehmens anwendbar sein kann. 16

Mestmäcker, Europäisches Wcttbcwerbsrecht (1974), 358 mit Nachweisen. 163

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

IV.

Der Erwerb von Nutzungsrechten durch individuelle Berechtigungsverträge, insbesondere die Spartenlizenzierung

Nach Art. 85 ist zu prüfen, ob die Verträge zwischen Verwertungsgesellschaft und Urheberberechtigten nach Zweck oder Wirkung den Wettbewerb spürbar beschränken. Der Zweck einer Vereinbarung ist anhand des wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhanges zu beurteilen, in dem sie steht. Der Zweck der Rechtsübertragung auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften besteht darin, die Wahrnehmung der übertragenenen Rechte zu ermöglichen und ein verwertbares Repertoire zu schaffen. Dieser Zweck ist nicht auf eine Wettbewerbsbeschränkung gerichtet. Ob eine Vereinbarung eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 85 Abs. l bewirkt, verlangt die Prüfung, ob Voraussetzungen vorliegen, aus denen sich insgesamt ergibt, daß der Wettbewerb tatsächlich spürbar verhindert, eingeschränkt oder verfälscht worden ist. Die einzelnen Verträge sind nicht isoliert auf ihre Eignung zu prüfen, ob sie die vom Vertrag gewollte gegenseitige Durchdringung erschweren; es kommt vielmehr darauf an, ob sie gemeinsam mit anderen gleichartigen Verträgen geeignet sind, die Freiheit des zwischenstaatlichen Verkehrs zu beeinträchtigen.17 Hierbei ist auf den Wettbewerb abzustellen, wie er ohne die streitige Vereinbarung bestehen würde. Zu prüfen ist ferner, ob die zu beurteilenden Verträge Beschränkungen der Handlungsfreiheit enthalten, die über das Maß hinausgehen, das für die Verwirklichung des legitimen Zweckes unerläßlich ist. Das zuletzt genannte Kriterium ist ebenso für die Prüfung maßgeblich, ob die Bedingungen, zu denen Verwertungsgesellschaften Nutzungsrechte wahrnehmen, gegen das Mißbrauchsverbot in Art. 86 verstoßen. In Verfahren gegen die Verwertungsgesellschaften des Gemeinsamen Marktes hat die Kommission zunächst die Auffassung vertreten, Berechtigungsverträge mit der Verpflichtung zur Übertragung aller Rechte und mit Ausschließlichkeitsklausel verstießen gegen Art. 85 Abs. 1. Ohne diese Verpflichtungen sei nämlich ein Wettbewerb der Urheberberechtigten untereinander und mit der Verwertungsgesellschaft möglich. In Ziff. 78 der Beschwerdepunkte im GEMA-Verfahren hieß es: 17

EuGH 12.12.1964 Brasserie de Hecht, Rs. 23/67, Slg. 556; seither ständige Rechtsprechung, vgl. 10.7.1980 Lancöme, Rs. 99/79, Slg. 2357 = GRUR Int. 1980, 741.

164

$ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgcsellschaften im Gemeinschaftsrecht „Jeder Musikverwerter in der Gemeinschaft muß die Möglichkeit erhalten a) unmittelbar von Musikanbietern Lizenzen zu erhalten, b) Lizenzen unmittelbar von Verwertungsgesellschaften aus anderen Ländern zu erhalten."18

Es sei nicht einzusehen, warum der Berechtigte keine unmittelbaren Lizenzen erteilen dürfe, besonders in den Fällen, in denen zwischen ihm und dem Musikverwerter Verhältnisse bestünden, die eine Kontrolle durch die Verwertungsgesellschaft überflüssig machten. Es genüge, daß ein Komponist die Dienste einer Verwertungsgesellschaft in Anspruch nehmen könne, wenn er sich einem übermäßigen wirtschaftlichen Druck seitens der Musikverbraucher ausgesetzt sehe. An dieser Rechtsauffassung hat die Kommission in der gegen die GEMA gerichteten Verbotsentscheidung nicht festgehalten.19 In Art. l Ziff. 7 wurde die GEMA vielmehr zur Spartenlizenzierung verpflichtet. Art. l Ziff. 7 stellt eine Zuwiderhandlung fest, soweit die Satzung oder der Berechtigungsvertrag den Mitgliedern nicht die freie Wahl lasse, ihre Rechte insgesamt auf die GEMA zu übertragen oder sie nach Sparten auf mehrere Gesellschaften aufzuteilen. Die Entscheidung führt die folgenden Sparten auf: 1. Das allgemeine Aufführungsrecht; 2. Das Sendcrecht einschließlich des Rechts der Wiedergabe; 3. Das Filmaufführungsrecht; 4. Das mechanische Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht einschließlich des Rechts der Wiedergabe; 5. Das Filmherstellungsrecht; 6. Das Recht zur Herstellung, Vervielfältigung, Verbreitung und Wiedergabe von Trägern für Bildaufzeichnungsgeräte; 7. Die Rechte zu Benutzungshandlungen, die durch die technische Entwicklung oder eine Änderung der Gesetzgebung in Zukunft entstehen.

Auch an dieser Regelung hat die Kommission nicht festgehalten. In der unter Abänderung der ursprünglichen Entscheidung ergangenen Entscheidung GEMA II20 werden die Sparten als Beispiele von Nutzungs18

19 20

Übereinstimmend z. B. Beschwerdepunkte im Verfahren SABAM 8. 7.1970 (6437/IV/70F Ziff. 85), ebenso Bcschwerdepunkte im Verfahren SACEM (IV/26761 vom 17.7.1970, Ziff. 106). VE 2.6.1971, ABI. 20. 6.1971 L 134, 15 („GEMA ). 6. 7.1972 Abi. vom 24. 7.1972 L 166, 22.

165

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaft.cn

arten behandelt. Nutzungsarten seien alle wirtschaftlich trennbaren Formen der Ausübung des Urheberrechts unter Berücksichtigung der Unterschiede der nationalen Gesetzgebungen. In der geänderten Entscheidung wird in Art. l A der Wortlaut von Art. l Ziff. 7 wiederholt, unter B jedoch die Ergänzung vorgesehen, daß den Erfordernissen der Entscheidung auch Genüge getan wird, wenn ein Urheber seine Rechte für jedes Land insgesamt übertrage oder nach Nutzungsarten und Länder auf mehrere Gesellschaften aufteile. Ferner muß dem Urheber die Möglichkeit vorbehalten sein, die Verwaltung einzelner Nutzungsarten mit einer Frist von höchstens drei Jahren zu kündigen, ohne damit mitgliedschaftsrechtliche Nachteile zu erleiden. Die GEMA hat in § 3 Abs. 2 der Satzung in der Fassung von 19./20.6.1973 von der Wahlmöglichkeit nach Art. l B der Kommissionsentscheidung Gebrauch gemacht. Diese Satzungsbestimmung lautet: „Für Angehörige und Verlagsfirmen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gilt folgendes: Der Aufsichtsrat ist verpflichtet, beim Abschluß des Berechtigungsvertrages mit Angehörigen und Vcrlagsfirmen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zuzustimmen, daß der Berechtigte seine Nutzungsrechte nur teilweise der GEMA überträgt. Die Rechtsübertragung kann sich jedoch nur auf Nutzungsarten von Rechten an allen Werken des Berechtigten, nicht auf die Rechte an einzelnen seiner Werke beziehen. Die Rechtsübertragung erfolgt für 3 Jahre, jedoch mindestens zum Jahresende nach Ablauf des S.Jahres, und verlängert sich jeweils um 3 Jahre, falls keine Kündigung unter Einhaltung einer Frist von 6 Monaten zum Ende des jeweiligen Dreijahreszyklus erfolgt. Sie ist erstmals für alle am 8.6.1971 bestehenden Berechtigungsverträge zum 31.12.1973 kündbar. Das Vertragsverhältnis kann auch unter Beschränkung auf bestimmte Nutzungsarten oder auf bestimmte Länder gekündigt werden; hiervon bleiben die Mitgliedschaftsrechtc des Berechtigten unberührt. Für den Erwerb der ordentlichen Mitgliedschaft oder deren Erhaltung bleiben jedoch die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abschn. A der Satzung über das Erfordernis eines Mindestaufkommens maßgebend."

In ähnlicher Weise haben die französische SACEM und die belgische SABAM den Bedenken der Kommission Rechnung getragen. Die SACEM sieht in Art. 34 ihrer Satzung in der Fassung vom 11.6.1974 als besondere Möglichkeit der Rechtseinbringung für die einem Mitgliedstaat der EWG angehörigen Autoren, Komponisten und Verleger vor: „1. Aufnahme in die Gesellschaft - Rechtseinbringung Die Rcchtscinbringung in die Gesellschaft, die aus dem Beitritt zur Satzung resultiert, kann: 166

5 7 Urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften im Gemeinschaftsrecht entweder im Einklang mit den Bestimmungen der vorstehenden Artt. l und 2 erfolgen und sich infolgedessen gleichzeitig auf das Recht beziehen, in allen Ländern die öffentliche Aufführung aller ihrer Werke, sobald sie geschaffen sind, zu genehmigen oder zu untersagen, sowie auf das Recht, in allen Ländern die mechanische Vervielfältigung dieser Werke zu genehmigen oder zu untersagen, oder auf eine oder mehrere der nachstehend genannten Rechtskategorien oder auf bestimmte Gebiete für eine oder mehrere dieser Rechtskategorien beschränkt sein, wenn die Wahrnehmung der Rechtskategorie bezw. der Rechtskategorien, auf die sich die Rechtseinbringung nicht bezieht, für alle Länder einer oder mehreren anderen Verwertungsgcsellschaften übertragen wird und wenn die nicht unter die Rechtseinbringung fallenden Gebiete einer oder mehreren anderen Verwertungsgcsellschaften zur Wahrnehmung anvertraut werden, wobei festzustellen ist, daß die Gebiete der unmittelbaren Wahrnehmung der Gesellschaft außerhalb der EWG, in denen die Gesellschaft Investitionen vorgenommen hat oder in denen Verwaltungsschwierigkeiten die Repertoirecinheit unerläßlich machen - wie in Kanada und im Libanon -, nicht ohne Zustimmung der Gesellschaft von der Rechtscinbringung getrennt werden können."

Die Rechtskategorien werden sodann in Übereinstimmung mit den Sparten der GEMA-Entscheidung I der Kommission bezeichnet. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß der Verwaltungsrat eine weitergehende Aufteilung akzeptieren könne, wenn sie es gestatte, die Rechtsbeziehungen zu berücksichtigen, die zwischen gewissen Mitgliedern und anderen Verwertungsgesellschaften bestehen könnten. In analoger Weise werden die Möglichkeiten des Austritts aus der Gesellschaft geregelt. In gleicher Weise hat die SABAM ihre Satzung geändert. Hervorzuheben ist, daß in beiden Fällen die Nichtausschließlichkeit der Übertragung der Rechte dadurch begrenzt ist, daß die nicht übertragenen Nutzungsarten nur einer anderen Verwertungsgesellschaft übertragen werden dürfen (Art. 10 der Satzung). Eine Kündigung zum Zwecke der selbständigen Wahrnehmung bestimmter Nutzungsarten ist gleichfalls nur zulässig, wenn die Wahrnehmung einer anderen Verwertungsgesellschaft anvertraut wird (Art. 12 der Satzung). Diese mit Zustimmung der Kommission vorgenommenen Satzungsänderungen stellen klar, daß die Verwertungsgesellschaften berechtigt sind, die unmittelbare Lizenzierung von Musikverwertern durch Urheber auszuschließen.

167

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

V.

Kriterien für die Anwendung von Art. 86 auf Mitgliederbeziehungen

Nach Abschluß der dargestellten Verwaltungsverfahren der Kommission legte ein belgisches Gericht dem Gerichtshof Fragen zu Art. 86 vor, die sich weitgehend an den GEMA-Entscheidungen der Kommission orientieren. Auch der Generalanwalt hat die in den genannten Verwaltungsverfahren von Kommission und Verwertungsgesellschaften abgestimmten Lösungen in Bezug genommen. Das Urteil des Gerichtshofs ist für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung von Verwertungsgesellschaften grundlegend.21 Vom Gerichtshof zu beurteilen war die ursprüngliche Fassung von Berechtigungsverträgen und Satzung der SABAM, wie sie vor den genannten Änderungen lauteten. Im Verfahren vor dem Gerichtshof hat die Kommission erneut und im Gegensatz zu den von ihr in der Entscheidung GEMA II akzeptierten Lösung die Meinung vertreten, es genüge, wenn die Urheberberechtigten die Dienste einer Verwertungsgesellschaft in Anspruch nehmen könnten, wenn sie sich einer übermäßigen wirtschaftlichen Macht der Musikverwerter gegenübersähen.22 Dem ist Generalanwalt Mayras wie folgt entgegengetreten: „Zunächst kann man sich fragen, ob diese Auffassung (der Kommission) nicht der Natur der Sache und den wirtschaftlichen Gegebenheiten widerspricht, denn ein Textdichter oder Komponist, ja sogar ein Musikvcrleger, wenn es sich nicht um ein sehr mächtiges Unternehmen handelt, ist praktisch nicht in der Lage, seine Rechte selbst auszuüben. Er verfügt nicht über die Mittel, die einzelnen Verwendungen zu kontrollieren, die möglicherweise von seinem Werk gemacht werden, aber noch schwerer wiegt, daß bestimmte Musikverbraucher wie Schallplattenherstcller sowie öffentliche und private Rundfunk- und Fernsehstationen auf dem Markt eine so starke Stellung haben, daß sie die Textdichter und Komponisten eher in Abhängigkeitsverhältnissc bringen könnten, indem sie die Abtretung bestimmter Werke, vor allem der crfolgträchtigsten, deren Nutzung besonders interessant ist, von ihnen verlangen."23

Der Gerichtshof hat sich diese Erwägungen im Ergebnis zu eigen gemacht. Den Interessen aller Beteiligten müsse so Rechnung getragen werden, daß ein ausgewogenes Verhältnis entstehe zwischen dem Höchstmaß an Freiheit für Textdichter, Komponisten und Verleger, über 21

27.3.1974 SABAM (oben Fn. 1). Ebd. S. 325. 23 Ebd. 22

168

§ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgcsellschaften im Gemeinschaftsrecht

ihr Werk zu verfügen und einer wirkungsvollen Verwaltung der Rechte dieser Personen durch ein Unternehmen, dessen Mitglieder sie praktisch zu werden nicht umhin können. Der Gerichtshof hat die ihm vorgelegte Frage, ob die Globalabtretung aller Nutzungsrechte mit Ausschließlichkeitsklausel zulässig sei, nicht generell beantwortet. Zu prüfen sei vielmehr, welche Beschränkungen unerläßlich seien, um den Verwertungsgesellschaften die Erfüllung ihrer Funktionen gegenüber Musikverbrauchern zu ermöglichen. Diese Funktionen würden dadurch gekennzeichnet, daß es darauf ankomme, die Rechte und Interessen der Mitglieder gegenüber bedeutenden Musikverbrauchern und -verteuern, wie Rundfunkanstalten und Schallplattenherstellern zu wahren. Wörtlich heißt es sodann: „Um diese Rechte und Interessen wirkungsvoll wahrnehmen zu können, muß die Vereinigung über eine Stellung verfügen, die voraussetzt, daß die der Vereinigung angeschlossenen Urheber ihre Rechte an sie abtreten, soweit das notwendig ist, um ihrer Tätigkeit das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen."24

Andererseits müsse dem Interesse des einzelnen Urhebers Rechnung getragen werden, die freie Verfügung über sein Werk nicht stärker als notwendig eingeschränkt zu sehen. Eine mißbräuchliche Ausnutzung könne gegeben sein, wenn eine Verwertungsgesellschaft ihren Mitgliedern Verpflichtungen auferlege, die für die Erreichung des Gesellschaftszwecks nicht unentbehrlich seien und die Freiheit des Mitglieds, sein Urheberrecht auszuüben, unbillig beeinträchtige.25 Im Gegensatz zur Kommission betont der Gerichtshof, daß es für die Urheber praktisch keine Alternative zur Verwaltung der Rechte durch Verwertungsgesellschaften gebe. Daraus folgt das Recht der Verwertungsgesellschaften, die Mitgliederbeziehungen gegenüber den bedeutenden Musikverbrauchern so auszugestalten, daß sie über das „erforderliche Volumen und Gewicht" verfügen. Nicht geschützt sind mithin die Interessen der großen Musikverbraucher an Rechtsübertragungen von einzelnen Urheberberechtigten. Geschützt wird vielmehr, wie gesondert zu zeigen ist, das Interesse der Urheber an Freizügigkeit und an der Wahl zwischen verschiedenen Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt.

24 25

Ebd. Ziff. 9-11. Ebd. Ziff. 15. Dazu auch Stockmann (oben § 6 III Fn. 57), S. 42 f. 169

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

VI.

Gegenseitigkeitsverträge zwischen urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften

Zwischen allen Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt bestehen Gegenseitigkeitsverträge über die Wahrnehmung ihrer Repertoires. Entsprechende Verträge bestehen mit Verwertungsgesellschaften aus Drittstaaten. Auf diese Verträge können, wie der Gerichteshof auf Vorlage des französischen Kassationshofes entschieden hat, die Wettbewerbsregeln auch dann anwendbar sein, wenn die Verträge in Drittländern abgewickelt werden, aber im Gebiet eines Mitgliedstaates abgeschlossen sind.26 Durch diese Verträge erhalten die einzelnen nationalen Gesellschaften die Möglichkeit, ein Weltrepertoire anzubieten. Zu unterscheiden sind Verträge über Aufführungsrechte und die über mechanische Vervielfältigungsrechte.27 Die Kommission leitete gegen alle Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt Verfahren wegen des Verstoßes dieser Verträge gegen Art. 85 ein. In den Beschwerdepunkten führte die Kommission aus, die Gegenseitigkeitsverträge über das öffentliche Aufführungsrecht und das mechanische Vervielfältigungsrecht könnten auch nicht nach Art. 85 Abs. 3 freigestellt werden, weil sie Möglichkeiten eröffneten „für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten". Die Verfahren wurden nicht durch eine Entscheidung abgeschlossen, weil die Beteiligten diejenigen Vertragsklauseln aufhoben, die eine Wettbewerbsbeschränkung beinhalteten und die Voraussetzungen für eine Freistellung nicht erfüllten.28 Die gegenwärtig in Kraft befindlichen Gegenseitigkeitsverträge begründen die nichtausschließliche Befugnis und die Verpflichtung, die Urheberrechte des Vertragspartner wahrzunehmen. Zur Wahrnehmungspflicht gehört die Verpflichtung, die überlassenen Rechte zu den Bedingungen wahrzunehmen, die für das eigene Repertoire aufgrund der nationalen Gesetzgebung und der Vertragspraxis gelten. Die Vergütungen werden für Rechnung des Vertragspartners eingezogen. In den Verträgen ist vereinbart, welche Anteile an den Kosten der Wahrnehmung als Entgelt einbehalten werden.

26 27 28

25.10.1979 Greenwich Films (oben Fn. 1). Zu den internationalen Organisationen von Verwertungsgesellschaften vgl. oben $ I V. Kommission Wettbewcrbsbericht 1971, 84, Fn. 1.

170

§ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gcmeinschaftsrecht

Es handelt sich mithin um einen Vertragstyp, der Elemente eines Lizenzvertrages mit einem Dienstvertrag verbindet, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. Das Interesse der Vertragspartner ist darauf gerichtet, ein möglichst vollständiges Repertoire anbieten zu können und die Wahrnehmung der eigenen Rechte im Ausland zu sichern, ohne dort eine eigene Organisation aufbauen zu müssen. Konflikte mit Musikverbrauchern entstehen, wenn diese nicht mit „ihrer" nationalen Verwertungsgesellschaft kontrahieren wollen, sondern einzelne nationale Repertoires unmittelbar erwerben möchten. Solange die Gegenseitigkeitsverträge eine Ausschließlichkeitsverpflichtung enthielten, war der Erwerb einzelner nationaler Repertoires aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Auch nach Aufhebung der Ausschließlichkeit hat sich keine Praxis entwickelt, bei der Verwertungsgesellschaften ihr Repertoire ganz oder teilweise an Musikverbraucher in anderen Ländern lizenzieren. Dem Gerichtshof wurde von französischen Gerichten die Frage gestellt, ob dieser Befund einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln begründe. Die Vorlageverfahren sind Teil eines langjährigen Tarifstreits der SACEM mit den französischen Diskotheken. Der Verband der französischen Diskotheken hat nach seinem eigenen Vortrag seit langem vergeblich versucht, Lizenzen über einzelne nationale Repertoires zu erwerben, die SACEM ihrerseits hat sich geweigert, allein das anglo-amerikanische Repertoire zu lizenzieren. Die einseitige Weigerung einer Verwertungsgesellschaft, ihr Repertoire Musikverbrauchern in anderen Mitgliedstaaten unmittelbar zu lizenzieren, verstößt nicht gegen das Verbot des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung, weil sie in dem anderen Mitgliedstaat nicht über eine beherrschende Stellung verfügt. Dies ist aber die Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Art. 86. In Betracht kommt jedoch ein Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen in Art. 85. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, daß Gegenseitigkeitsverträge ohne Ausschließlichkeitsklauseln Dienstleistungsverträge sind, die als solche keine wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben.29 Diese Beurteilung beruht einmal auf den legitimen, nicht wettbewerbsbeschränkenden Zwecken der Vertragspartner. Sie wird vom Gerichtshof ergänzend mit den geltenden internationalen Urheberrechtsabkommen begründet. Danach haben die Inhaber der durch die Gesetzgeber eines Vertragsstaates anerkannten Urheberrechte in den Gebieten jedes anderen Vcrtragsstaa29

13.7.1989 Staatsanwaltschaft./. Tournier, Rs. 395/87 Rn. 20; 19.7.1989 SACEM, Rs. 110/88 Rn. 14.

171

3. Urheberrechte und Verwertungsgcsellschaften

tes Anspruch auf denselben Schutz vor Verletzung dieser Rechte wie die Angehörigen des anderen Staates.30 Diese Erwägung wurde von den am Verfahren Beteiligten nicht vorgebracht. Sie enthält die Feststellung, daß das Prinzip der Inländerbehandlung von den Verwertungsgesellschaften ohne Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nachvollzogen werden darf. Dies bedeutet jedoch keine gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung gleicher Verwertungsbedingungen; vielmehr handelt es sich um ein weiteres Indiz dafür, daß die einzelnen Gegenseitigkeitsverträge nach Zweck und Wirkung nicht auf eine Wettbewerbsbeschränkung gerichtet sind. Darin liegt ein wichtiger Gegensatz zu Verträgen, durch die sich konkurrierende Anbieter von Waren gegenseitig den Vertrieb ihrer Erzeugnisse übertragen und dadurch Alleinstellungen in den Mitgliedstaaten begründen. Sie beschränken in aller Regel den Wettbewerb und sind nicht freistellungsfähig. Deshalb werden in den Gruppenausnahmen für Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen wechselseitige Alleinvertriebsund Alleinbezugsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern von der Freistellung ausgeschlossen.31 Das Fehlen von Ausschließlichkeitsklauseln schließt einen Verstoß gegen Art. 85 Abs. l jedoch nicht aus, falls die faktische Alleinstellung der nationalen Verwertungsgesellschaften auf abgestimmten Verhaltensweisen beruht. Die Kommission wies darauf hin, daß die Streichung der Ausschließlichkeitsklauseln keine Änderung des Verhaltens der Verwertungsgesellschaften bewirkt hatte.32 Zur Beurteilung dieser Frage bezieht sich der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung zum Parallelverhalten von Unternehmen im Oligopol.33 Dort werden abgestimmte Verhaltensweisen wie folgt gekennzeichnet: „Die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erfüllen daher schon ihrem Wesen nach noch nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung, sondern können sich insbesondere auch aus einer im Verhalten der Beteiligten zutage tretenden Koordinierung ergeben. Zwar ist ein Parallelvcrhalten für sich allein noch nicht mit einer abgestimmten Verhaltensweise gleichzusetzen, doch kann es ein wichtiges Indiz für eine solche darstellen, wenn es zu Wcttbewerbedingungen führt, die im Hinblick auf die Art der Waren, die Bedeutung und Anzahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Marktbcdingungcn entsprechen." 30

31 32 33

Rs. 395/87 Rn. 18; Rs. 110/88 Rn. 12 (oben Fn. 29). In Bezug genommen wird damit Art. 5 der Berner Übereinkunft zum Schütze von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1986 in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967 Art. 5. Art. 3 a Verordnung Nr. 1983/83 vom 22.6.1983, Art. 3 a Verordnung Nr. 1984/83 vom 22.6.1983. Rs. 395/87 Rn. 21; Rs. 110/88 Rn. 15 (oben Fn. 29). 14.7.1972 JCi ./. Kommission, Rs. 48/69, Slg. 619, 658 Rn. 64/67.

172

$ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgcsellschaften im Gemeinschaftsrecht

Ein Verstoß würde nach Meinung des Gerichtes vorliegen, wenn nachgewiesen würde, daß nationale Verwertungsgesellschaften ausländischen Musikverbrauchern systematisch den direkten Zugang zu ihrem Repertoire verwehren.34 Bei Fehlen eines solchen Nachweises wird die Feststellung eines Verstoßes zu einer Frage der Beweiswürdigung. Zu prüfen ist insbesondere, ob das übereinstimmende Verhalten auch ohne eine darauf gerichtete Absprache als normales individuelles Verhalten erklärbar ist. Als ein Indiz für das Vorliegen von Gründen, die die Verwertungsgesellschaften unabhängig von einer Absprache davon abhalten können, direkt zu lizenzieren, hat der Gerichtshof- in Übereinstimmung mit der EG-Kommission - die Notwendigkeit angesehen, bei direkter Lizenzierung ein eigenes Wahrnehmungs- und Kontrollsystem aufzubauen.

VII.

Freizügigkeit der Urheberberechtigten

1.

Wahrnehmungs- und Kontrahierungszwang

Nach §6 des deutschen Urheberwahrnehmungsgesetzes sind Verwertungsgesellschaften verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche auf Verlangen der Berechtigten zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen, wenn diese Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind oder ihren Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben und eine wirksame Wahrnehmung der Rechte oder Ansprüche anders nicht möglich ist. Die Begrenzung dieser Verpflichtung auf deutsche Staatsangehörige ist mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 7 EWG-Vertrag unvereinbar, wenn sie auf Angehörige der Mitgliedstaaten angewendet wird. Eine Verwertungsgesellschaft, die aus diesen Gründen die Aufnahme von Urheberberechtigten ablehnt, mißbraucht auch die beherrschende Stellung.35 Das gilt auch dann, wenn es sich um die Wahrnehmung der sogenannten Zwcitverwertungsrechte nach den §§73 ff. UrhG handelt, bei denen der Rechtzustand in den anderen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist. Die Weigerung, mit Künstlern, die keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik haben, einen Wahrnehmungsvertrag abzuschließen, verstößt schon deshalb gegen Art. 86, 34 35

Rs. 395/87 Rn. 23 und Rs. 110/88 Rn. 17 (oben Fn.29). EuGH 2.3.1983 GVL ./. Kommission (oben Fn. 1), 509 Rn. 56. 173

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

weil den Künstlern damit die Möglichkeit genommen würde nachzuweisen, daß ihnen Rechte der geltend gemachten Art zustehen.36 Regelungen in Satzungen und Verträgen von Verwertungsgesellschaften, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, sind mit dem Gemeinschaftsrecht nur vereinbar, wenn die Staatsangehörigen aus anderen Mitgliedstaaten wie die eigenen Staatsangehörigen behandelt werden. Die Weigerung der Aufnahme aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist nur ein besonders schwerwiegendes Beispiel für die Einschränkung der Freizügigkeit von Urheberberechtigten im Gemeinsamen Markt. Die Weigerung einer Verwertungsgesellschaft, Rechte wahrzunehmen, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören, kann unabhängig von einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegen Art. 86 verstoßen. Ein Verstoß liegt vor, wenn die Verweigerung der Rechtswahrnehmung oder der Aufnahme eines Mitglieds auch unter Berücksichtigung der legitimen Eigeninteressen der Verwertungsgesellschaft zu einer unbilligen Behinderung des Urheberberechtigten führt. Die praktische Bedeutung dieser Frage folgt vor allem aus dem Gebot des Gemeinschaftsrechts, daß der Wechsel von Urheberberechtigten zwischen Verwertungsgesellschaften nicht behindert werden darf. 2.

Wechsel der Mitgliedschaft

Die freie Wahl von Urheberberechtigten zwischen Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt ist ein wichtiges Element des Wettbewerbs zwischen Verwertungsgesellschaften. Dieser mögliche Wettbewerb wird beschränkt, wenn der Wechsel von einer Verwertungsgesellschaft zu einer anderen im Gemeinsamen Markt übermäßig erschwert oder mit unbilligen Nachteilen für das Mitglied verbunden ist. Der Gerichtshof hat es als eine unangemessene Geschäftsbedingung im Sinne von Art. 86 Satz 2 lit. a bezeichnet, wenn eine Globalabtretung von Urheberrechten für einen längeren Zeitraum nach dem Austritt des Mitglieds verlangt wird.37 Die Kündigungsfristen dürfen nicht übermäßig lang sein, das ausscheidende Mitglied muß an den Leistungen der Verwertungsgesellschaft angemessen beteiligt werden, zu denen es während seiner Mitgliedschaft beigetragen hat. Das wichtigste Beispiel ist die 36

37

Ebd., 508 Rn. 5l. 27.3.1974 SABAM (oben Fn. 1), 317 Rn. 12/14.

174

$ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gemeinschaftsrecht

Beteiligung an den Sozialeinrichtungen der Verwertungsgesellschaft, besonders an der Alterssicherung.

VIII.

Die Gegnerfreiheit von Verwertungsgesellschaften

1.

Die Mitgliedschaft von Musikverbrauchern in Verwertungsgesellschaften

In Art. l Ziff. 10 der Entscheidung GEMA I stellt die Kommission einen Verstoß gegen Art. 86 durch diejenigen Vorschriften der GEMA-Satzung fest, welche den Verein berechtigen, die ordentliche Mitgliedschaft zu versagen oder zu entziehen, soweit ein Mitglied von einem Musikverwerter wirtschaftlich abhängig wurde. Dieser Teil der Entscheidung betrifft die Unabhängigkeit der Verwertungsgesellschaften von den Musikverwertern. Diese Unabhängigkeit kann dadurch gefährdet werden, daß die Musikverlage als Mitglieder des Vereins unter die Kontrolle von Musikverwertern gelangen. Die beanstandeten Satzungsvorschrifen, aufgrund deren einem bedeutenden Musikverwerter die ordentliche Mitgliedschaft entzogen worden war, hatte der Bundesgerichtshof für wirtschaftsrechtlich und vereinsrechtlich zulässig erklärt.38 Die streitigen Satzungsbestimmungen ermächtigten die Vereinsorgane, den Erwerb der ordentlichen Mitgliedschaft zu versagen oder ein ordentliches Mitglied nachträglich in die Gruppe der außerordentlichen Mitglieder herabzustufen, falls die Umstände es für unwahrscheinlich erscheinen ließen, daß das Mitglied alles tun werde, um die Erreichung des satzungsgemäßen Zwecks des Vereins herbeizufühen, und alles unterlassen werde, was der Erreichung dieses Zwecks abträglich sein könnte. Das gilt insbesondere für Antragsteller, die als Musikverwerter mit der GEMA in Vertragsbeziehungen stehen, sowie für Antragsteller, die von solchen Musikverwertern abhängig sind. Die Nachprüfung der Beschlüsse, durch die ein industriell abhängiger Musikverwerter herabgestuft wurde, stützt sich auf kartellrechtliche und vereinsrechtliche Gründe. Der von dem betroffenen Mitglied geltend gemachte Verstoß gegen $ 26 Abs. 2 GWB wurde vom Kammergericht, das der Klage aus vereinsrechtlichen Gründen stattgegeben hatte, mit der Erwägung zurückgewiesen, die streitige Vereinsmaßnahme sei nicht auf den Wettbewerb bezogen, 38

3.3.1971 BGHZ 55, 381 f. = GRUR Int. 1971, 326 m. Anm. von Lutz. 175

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

wie es diese Vorschrift voraussetze. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehe nämlich kein Wettbewerb hinsichtlich der Wahrnehmung der Urheberrechte: „Die Maßnahmen der Beklagten gegen die Klägerin sind keine Diskriminierung im Geschäftsverkehr, sondern ein körpcrschaftsrechtlicher Vorgang. Die Mitgliedschaft bei der Beklagten ist für die Klägerin nicht Voraussetzung der Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr."39

Der Bundesgerichtshof ließ die Frage offen, ob § 26 Abs. 2 GWB auf Fälle der hier vorliegenden Art überhaupt angewandt werden kann40, verneinte jedoch einen Verstoß gegen $ 826 BGB und $ 26 GWB aus den folgenden Gründen: „Die Urhebcrinteressen, die der Beklagte nach seinen satzungsmäßigen Zweck wahrzunehmen und zu schützen hat, muß er gerade und in erster Linie gegenüber den Großunternehmen der Film- und Schallplattenindustrie durchsetzen. Bei den Vertragsabschlüssen über die Nutzung musikalischer Werke und bei der Überwachung der Musikverwertung sind diese seine wirtschaftlichen „Gegenspieler". Es ist daher die begründete Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß sich eine abhängig gewordene Mitgliedsfirma künftig mit den Vcreinsinteressen nicht mehr voll identifizieren und von dem beherrschenden Unternehmen gelenkt und auf dessen wirtschaftliche Macht gestützt auf die Verbandstätigkeit einen sachfremden Einfluß ausüben werde. Wenn ein Verein eine Regelung trifft, nach der einem solchen Mitglied das Recht entzogen werden kann, sich unmittelbar an der Willensbildung der Vercinsorgane zu beteiligen, so ist das weder eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbchandlung gegenüber anderen Vercinsmitgliedern noch eine unbillige oder gar sittenwidrige Benachteiligung des betroffenen Mitglieds, zumal ihm die vermögensrechtlichc Position im Verein und die körperschaftsrechtlichcn Befugnisse eines außerordentlichen Mitglieds verbleiben."41

Auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder, aufgrund dessen die Vorinstanzen die angeführten Satzungsbestimmungen für rechtswidrig hielten, verneinte der Bundesgerichtshof, indem er die gewandelte Interessenlage zwischen Urhebern und Musikverlagen einerseits, der Tonband- und Schallplattenindustrie andererseits würdigte. Die Verbreitung der Musik durch Tonträger sei gegenüber der durch lebende Interpreten ständig angestiegen. Die Rundfunkanstalten seien dazu übergegangen, fertige Tonträger von der Industrie zu beziehen und damit eigene Orchester und Kapellen zu ersetzen. Dadurch habe sich die wirtschaftliche Machtposition der Schall3

9 Kammergericht 3.2.1970 (UKart 1478/69). ° BGHZ 55, 381, 385. 41 Ebd., S. 384/85. 4

176

$7 Urheberrechtliche Verwcrtungsgesellschaften im Gemcinschaftsrecht

platten- und Tonbandindustrie ganz erheblich verstärkt, während im Zuge dieser Entwicklung die Lage der Musikverlage schwieriger geworden sei. Hiermit im Zusammenhang seien die industriellen Unternehmen dazu übergegangen, alte Verlage aufzukaufen, eigene Verlage zu gründen und Komponisten, die sich um die Aufnahme ihrer Werke auf Tonträger bemühten, zu veranlassen, ihre Rechte den von ihnen beherrschten Verlagen zu übertragen. Bei dieser Sachlage seien die Maßnahmen des Vereins und seiner Organe zur Wahrung der Unabhängigkeit gegenüber dem Einfluß seiner industriellen Verlegermitglieder sachlich gerechtfertigt gewesen.42 Der Bundesgerichtshof hielt auch eine weniger einschneidende Maßnahme als die Entziehung der ordentlichen Mitgliedschaftsrechte nicht für ausreichend, um den legitimen Zweck der umstrittenen Satzungsbedingungen zu erreichen: „Der Stimm rechtscntzug im Einzelfall bei konkretem Intercssenwiderstreit, den sie (die Kläger) allenfalls für zulässig halten, wäre schon wegen der Unsicherheit, wie das jeweils zweifelsfrei festgestellt werden soll, eine Quelle höchst unerwünschter Streitigkeiten und für den Verein nicht zumutbar. Eine solche oder ähnliche Regelung wäre zudem unzureichend: denn der tatsächliche Einfluß der beherrschenden musikverwcrtenden Unternehmen in der ordentlichen Mitgliederversammlung, den möglichst auszuschalten die Satzung gleichfalls bezweckt, wäre damit nicht unterbunden." 43

Entgegen diesem Urteil, das bei Erlaß der GEMA-Entscheidung I rechtskräftig war, entschied die Kommission, durch die genannten Satzungsbestimmungen mißbrauche die GEMA ihre beherrschende Stellung. Sie sei verpflichtet, zur Verhinderung der auch von der Kommission anerkannten Gefahr einer Interessenkollision das mildeste Mittel zu wählen, also beispielsweise den Ausschluß des Stimmrechts solcher Mitglieder bei Abstimmung über Vertragsabschlüsse mit Musikverwertern oder die Bestimmung, daß die den betreffenden Musikverlag vertretende Person selbst echte Verlagstätigkeit ausübe und nicht gleichzeitig im Dienste des Musikverwerters stehe. Zum Verhältnis ihrer Entscheidung zum Urteil des Bundesgerichtshofs bemerkte die Kommission, das Urteil stütze sich ausschließlich auf nationales Recht und habe insbesondere die mit dem vorliegenden Verfahren aufgrund von Art. 86 angestrebte Freizügigkeit der Musikverbraucher in der Gemeinschaft nicht zum Gegenstand. Die GEMA hat ihre Satzung in § 8 Abs. 3 dahingehend geändert, daß Musik42

43

Ebd., S. 389. Insoweit in der amtlichen Sammlung nicht abgedruckt.

177

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

verwerter als ordentliche Mitglieder aufgenommen werden können, wenn sie damit einverstanden sind, daß während der Dauer ihrer Vertragsbeziehungen zur GEMA ihre Mitgliedschaftsrechte nicht ausgeübt werden können a) bei Beschlußfassungen, die die tarifliche Gestaltung von Verträgen mit Musikverwertern zum Gegenstand haben, b) hinsichtlich der passiven Wählbarkeit zum Mitglied des Aufsichtsrates. 2.

Gemeinschaftsverlagsverträge

a)

Sachverhalt

Radio Luxemburg unterliegt als kommerzieller Sender in der Gestaltung seines Programms nicht der Verpflichtung, Werbefunk und Hörfunk redaktionell zu trennen.44 Daraus ergibt sich die Möglichkeit, im Programm solche Musikstücke zu mischen, die als „Programm" und solche, die zu Werbezwecken gesendet werden. Die Auswahl der Musikstücke erfolgt wesentlich unter dem Gesichtspunkt, ein attraktives Programm zusammenzustellen, das eine Höchstzahl von Hörern anzieht. Etwa 15% der Sendezeit können jedoch nach Auffassung von Radio Luxemburg aus „aufgezwungener Musik" bestehen. Das sind solche Titel, die von Schallplattenherstellern oder -Verlegern neu auf dem Markt eingeführt werden sollen. Einen Teil dieser Zeit stellt Radio Luxemburg Schallplattenherstellern gegen Entgelt zu Verfügung. Daneben hat das Unternehmen die Praxis der sogenannten Gemeinschaftsverlagsverträge entwickelt, durch die für Musikverleger der Zugang zur Sendechance eröffnet wird. Es handelt sich um Verträge, die Radio Luxemburg durch zu diesem Zweck gegründete Tochtergesellschaften mit Musikverlegern abschließt. Radio Luxemburg wird an den Verlagseinnahmen eines Werkes mit 50% beteiligt und verpflichtet sich seinerseits dazu, das in Gemeinschaftsverlag genommene Werk 36 mal in seinem Hörfunk zu senden. Gegenstand des Gemeinschaftsverlags sind entweder die Weltrechte oder die Rechte für bestimmte europäische Länder. Die Vertragsdauer erstreckt sich entweder auf die Dauer des Urheberrechts oder auf 10 Jahre. Die Gegenleistung, 44

Mit der Umsetzung der EG-Fernsehrichtlinie, die spätestens bis Oktober 1991 erfolgen muß, wird jedenfalls für grenzüberschreitende Fernsehsendungen das Trennungsgebot des Art. 10.

178

5 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gcmeinschaftsrccht

welche Radio Luxemburg mit Hilfe der Gemeinschaftsverlagsverträge erhält, besteht in dem Verlegeranteil, der dem einzelnen Verleger in seiner Eigenschaft als Mitglied der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaft zusteht. Nach dem Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft erhalten Musikverleger wegen der von ihnen für die Verbreitung des Werkes erbrachten Leistungen einen Anteil an den Urheberrechtsvergütungen, der bei der mechanischen Vervielfältigung in der Regel 40% und beim Senderecht in der Regel 33'/3% beträgt. Radio Luxemburg steht den urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften auf diese Weise in einer doppelten Funktion gegenüber: einmal als Musikverbraucher, der die für seine Sendungen benötigte Musik durch Abschluß eines Lizenzvertrages mit der urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaft erwirbt; andererseits wird Radio Luxemburg durch seine Tochtergesellschaft Mitglied der Verwertungsgesellschaft und partizipiert an dem Erfolg der Musikstücke, die aufgrund von Gemeinschaftsverlagsverträgen gesendet werden. Im Laufe der Zeit überstiegen die Einnahmen, die Radio Luxemburg als Musikverleger durch die Gemeinschaftsverlagsverträge von der Verwertungsgesellschaft erzielte, diejenigen Beträge, die es als Lizenzgebühr für die Sendung geschützter Musik an die Verwertungsgesellschaft bezahlen mußte. Radio Luxemburg wendet eine vergleichbare Vertragspraxis auch in Frankreich an. Die daraus entstandenen Konflikte zwischen Radio Luxemburg und Musik Verleger n sind für den Wettbewerb auf Musikmärkten kennzeichnend. Radio und Fernsehen sind für den kommerziellen Erfolg leichter Musik die wichtigsten Kommunikationsmittel. Die Verbreitungschancen eines Musikstücks, besonders die Chancen im Schallplattengeschäft, werden von der Einführung in Hörfunk weitgehend bestimmt. Weil Musik zugleich das wichtigste Sendegut des Hörfunks ist und der Hörfunk das wichtigste Mittel, für Musikstücke einen breiten Markt zu erschließen, gewinnt der Zugang zur Sendechance für alle Musikschaffenden entscheidendes wirtschaftliches Gewicht. Mit der Ausbreitung privatwirtschaftlicher Hörfunkveranstaltungen hat die praktische Bedeutung der hier entstandenen Rechtsfragen noch zugenommen. b)

Gemeinschaftsrechtliche Beurteilung

Die Kommission der EG leitete gegen Radio Luxemburg wegen der Praxis der Gemeinschafts Verlagsverträge ein Verfahren nach Art. 86 EWG-Ver179

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

trag ein.45 Parallel dazu wurde ein Zivilprozeß gegen Radio Luxemburg aufgrund von § l UWG in Verbindung mit den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages geführt, der auf Unterlassung des Abschlusses von Gemeinschaftsverlagsverträgen gerichtet war. Die Klage wurde vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 12.12.1978 endgültig abgewiesen.46 Die in allen Verfahren umstrittene und für die Anwendung von Art. 86 grundlegende Frage betraf die Abgrenzung des relevanten Marktes. Zu entscheiden war, ob der Markt nur in der bezahlten Sendechance besteht oder ob die Gesamtheit aller technischer Möglichkeiten zur Einführung neuer Musik beim Publikum, unabhängig davon, ob dieser Zugang durch Entgelt erworben werden kann, den in Betracht kommenden Markt ausmacht. Die Kommission hat im Ergebnis einen selbständigen Markt für die nicht gekennzeichnete Werbesendung angenommen. Eine mißbräuchliche Ausnutzung dieser Stellung sei darin zu sehen, daß Radio Luxemburg mit Hilfe dieser Stellung in das Musikverlagswesen eindringe. Die Wettbewerbsverfälschung folge daraus, daß Radio Luxemburg das Musikverlagsgeschäft betreibe, während es den Musikverlegern nicht gestattet und nicht möglich sei, ihrerseits den Wettbewerb als kommerzielle Hörfunkanbieter aufzunehmen. Aufgrund von Untersuchungen bei Musikverlagen stellte die Kommission fest, daß die Möglichkeit, eine Sendung gegen Entgelt zu erwerben, wirtschaftlich keine Alternative zum Gemeinschaftsverlagsvertrag sei. Die Kommission stellte das von ihr eingeleitete Verfahren ein, weil zweifelhaft sei, ob Radio Luxemburg angesichts der ähnlichen Tätigkeit anderer Rundfunkveranstalter der Gemeinschaft noch über eine marktbeherrschende Stellung verfüge. In der Einstellungsverfügung heißt es: „Die Kommission ist der Auffassung, daß die Verwertungsgescllschaften nicht schutzlos einer Praxis der bevorzugten Sendung eigener Musiktitel durch die Rundfunkanstalten ausgesetzt sind. Nur wäre ein Verfahren nach Art. 86 des EWG-Vertrages deswegen nicht die generell geeignete Maßnahme, weil es unter den meist zufälligen tatsächlichen Gegebenheiten einer marktbeherrschenden Stellung Abhilfe schaffen würde, aber überall dort versagt, wo diese beherrschende Stellung nicht existiert oder nicht nachgewiesen werden kann. Nach Auffassung der Kommission sollte daher nach einer Lösungsmöglichkeit des Problems gesucht werden, die unabhängig von der jeweiligen Marktmacht der jeweiligen Rund45 46

Bcschwerdepunkte vom 23.1.1974, Einzelfall IV/26. 9. 3. 2. Radio Luxemburg. Schulze, RzU BGHZ 265 m. Anm. von Erich Schulze; zu den Urteilen der Instanzgerichte Landgericht Köln 23.8.1972 AWD 1973, 37 ff. = JuS 1973, 317 m. Anm. Emmerich; OLG Düsseldorf 3.7.1973 (UTKART 5/72).

180

S 7 Urheberrechtliche Vcrwertungsgesellschaften im Gemcinschaftsrecht funkanstaltcn ist; sie hätte den Vorteil, in der ganzen Gemeinschaft zu gelten und würde die Zustimmung der Kommission finden, wenn und soweit sie geeignet ist, die Verwcrtungsgesellschaften und ihre Mitglieder vor einer Wettbewerbsvcrfälschung durch privilegierte Sendungen zu schützen."47

Auf diesem Hintergrund hat die GEMA Satzung und Berechtigungsvertrag durch die folgende Verpflichtung ergänzt: „... daß der Berechtigte die Tarifpartner der GEMA oder anderer Vcrwertungsgesellschaften nicht direkt oder indirekt an seinem Aufkommen beteiligt, damit diese bei der Nutzung des GEMA-Repertoires bestimmte Werke des Berechtigten in ungerechtfertigter Weise bevorzugen."

Die Kommission hat festgestellt, daß die GEMA mit dieser Bestimmung nicht gegen Art. 86 verstößt und ein Negativattest erteilt.48 Zur Begründung nimmt die Kommission die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Satzung von Verwertungsgesellschaften in Bezug. Gerechtfertigt sei das Interesse der Verwertungsgesellschaft, bei ihrer Tätigkeit nicht von Interessenvertretern oder wirtschaftlich abhängigen Personen oder Werknutzern beeinflußt zu werden. Dieser Grundsatz der „Gegnerfreiheit" gelte insbesondere auf dem Gebiet der Tarifgestaltung für die Wcrknutzung. Demgegenüber habe das Interesse der Berechtigten an der freien Gestaltung ihrer Rechtsbeziehung zu den Werknutzern zurückzutreten. Durch die Gemeinschaftsverlagsverträge werde die Nutzungschance kommerzialisiert und der Werknutzer lasse sich für eine urheberrechtlich vcrgütungspflichtige Nutzung vom Urheberberechtigten bezahlen. Dies sei eine Umkehrung des urheberrechtlichen Entlohnungsgedankens. Eine Verwertungsgesellschaft sei berechtigt, eine solche Umkehrung des Urheberschutzes zu verhindern. Der Bundesgerichtshof hat zwar in Übereinstimmung mit den Instanzgerichten entschieden, daß es gegen § l UWG verstößt, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen mit Hilfe von mißbrächlichen Verhaltensweisen im Sinne von Art. 86 Vorsprünge im Wettbewerb erzielt. Ein Mißbrauch durch das Eindringen von Radio Luxemburg in das Musikverlagsgeschäft mit Hilfe von Gemeinschaftsverlagsverträgen wurde jedoch verneint, weil den Musikverlegern der Zugang zu dem Werbemittel auch gegen festes Entgelt offenstehe. Dabei läßt das Gericht die Frage 47

4

Schreiben vom 22.3.1978 IV/26. 932 Radio Luxemburg; die gegen diese Einstellung des Verfahrens gerichtete Untätigkcitsklage wurde vom EuGH aus vcrfahrcnsrcchtlichcn Gründen abgewiesen; 18.10.1979 GEMA ./. Kommission, Rs. 125/78, Slg. 3173.

S 4.12.1981 K (81) 1852 cndg.

181

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

ausdrücklich offen, wie die Rechtslage wäre, wenn der Zugang zur Rundfunkwerbung für Musikverlagserzeugnisse allein über Gemeinschaftsverlagsverträge möglich wäre.

IX.

Die Beziehung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften zu Musikverbrauchern

Konflikte zwischen Verwertungsgesellschaften und Musikverbrauchern betreffen vor allem die Praxis der Lizenzierung des Gesamtrepertoires durch Blankettlizenzen und die Höhe der Urhebervergütung. 1.

Blankettlizenzen

Die Lizenzierung des Gesamtrepertoires durch Blankettlizenzen entspricht der Praxis, kennzeichnet die Wahrnehmungstätigkeit von Verwertungsgesellschaften und ist in den nationalen Rechtsordnungen aufgrund des Kartellrechts nicht beanstandet worden.49 Im Zusammenhang mit dem Tarifstreit zwischen der SACEM und französischen Diskotheken wurde dem Gerichtshof vom Berufungsgericht in Aix-en-Provence die Frage vorgelegt, ob es gegen Art. 85 verstößt, „wenn eine Gesellschaft, die sich aus Urhebern und Verlegern zusammensetzt und im Gebiet eines Mitgliedstaates faktisch eine Monopolstellung innehat, den Verbrauchern von Tonträgern den Zugang zu nur dem von ihr vertretenen ausländischen Repertoire verwehrt und auf diese Weise den Markt abschottet...?"

Dieser Frage liegt die Weigerung der SACEM zugrunde, den französischen Diskotheken ein Teilrepertoire, nämlich das anglo-amerikanische Repertoire, zur Verfügung zu stellen. Der Gerichtshof verweist zunächst auf seine Beurteilung der zwischen Verwertungsgesellschaft und ihren Mitgliedern abgeschlossenen Berechtigungsverträge im SABAM-Urteil. Diese Verträge waren jedoch nicht nach Art. 85, sondern nach Art. 86 zu beurteilen. Ein Vergleich der Urteile ergibt den allgemein wichtigen Befund, daß im Rahmen von Art. 85 die gleichen Maßstäbe angewendet werden, wie im Rahmen von Art. 86. Die Gemeinsamkeit folgt aus der Feststellung, daß die Verwertungsgesellschaften ein legitimes Ziel verfolgen, wenn sie sich von ihren Mitgliedern alle Rechte zur Wahrnehmung übertragen lassen und wenn sie gegenüber den Verbrauchern von 49

Im einzelnen dazu oben § 6.

182

S 7 Urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften im Gemcinschaftsrecht

Musik um den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder bemüht sind.50 Auf dieser Grundlage wird sodann in beiden Fällen geprüft, ob die getroffenen Vereinbarungen über das zur Erreichung des legitimen Zieles Notwendige hinausgehen. Diesen Maßstab der Verhältnismäßigkeit wendet der Gerichtshof immer dann an, wenn die zu beurteilenden Verhaltensweisen als solche rechtlich und wirtschaftlich legitimen Zwecken dienen. Kommission und französische Regierung trugen im Verfahren vor dem Gericht vor, die Aufteilung des Gesamtrepertoires in vermarktungsfähige Teile führe bei Musikverbrauchern und bei den Verwertungsgesellschaften zu großen Schwierigkeiten. Die Musikverbraucher könnten nicht länger frei wählen, welche Musik sie benutzen wollten, während die Verwertungsgesellschaften zu verstärkter kostensteigender Kontrolle gezwungen sein51. Der Gerichtshof hat diesen Gesichtpunkt im Ergebnis akzeptiert. Eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung liege nur vor, „wenn der von den Diskothekenbetreibern befürwortete direkte Zugang zu einem Teil repertoire die Interessen der Textdichter, Komponisten und Musikverleger vollständig schützen könnte, ohne daß die Kosten für die Verwaltung der Verträge und die Überwachung der Verwertung der geschützten Musikwerke dadurch erhöht werden".

Dieser Maßstab ist generalisierbar. Er wird in der Regel dazu führen, daß die Lizenzierung des Gesamtrepertoires nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstößt. 2.

Die Höhe der Urhebervergütung

Als Rechtsgrundlage für eine Kontrolle der Höhe der Urhebervergütung kommt Art. 86 in Betracht. Zu unterscheiden ist der Mißbrauch in Art. 86 Satz 2 lit. a vom Verbot der Preisdiskriminierung in Art. 86 Satz 2 lit. c. a)

Preismißbrauch

Art. 86 Satz 2 lit. a nennt als Beispiel des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen. Im Gegensatz zu $ 22 GWB, wonach die Kartellbehörde 50

51

13.7.1989 Staatsanwaltschaft./. Tournier (oben Fn. 29) Rn. 31; diese Frage wurde dem Gerichtshof in dem Parallelverfahren nicht gestellt und wird dort deshalb nicht behandelt. Sitzungsbericht II Ib.

183

3. Urheberrechte und Vcrwertungsgescllschaft.cn

ermächtigt ist, Mißstände zu untersagen, enthält Art. 86 ein unmittelbar geltendes Verbot. Demgemäß kann es von den Gerichten in den Mitgliedstaaten angewendet werden, wie es die französischen Gerichte in den Diskothekenfällen getan haben. Im Vorlageverfahren des Art. 177 äußert sich der Gerichtshof nur zu den Fragen, die ihm von den nationalen Gerichten gestellt werden. In beiden Verfahren wurde der Gerichtshof gefragt, ob ein Mißbrauch vorliegt, wenn eine Verwertungsgesellschaft einen Satz für die Vergütung festsetzt „der ohne objektiv zu rechtfertigenden Grund um ein mehrfaches höher ist als der von allen Verwertungsgesellschaften der Mitgliedsländer der EG praktizierte Satz und in keinem Verhältnis zu den an die Mitglieder ausgeschütteten Beträgen steht, so daß die Vergütung nicht dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistungen entspricht". Diese wörtlich zitierte Vorlagefrage in der Rechtssache 395/87 unterscheidet sich dadurch von den Fragen in der Rechtssache 110/88, daß sie neben dem Vergleich der Vergütungshöhe in den Mitgliedstaaten den Vergleich von Vergütung und Ausschüttung an die Mitglieder einbezieht. Die EG-Kommission hat im Verfahren darauf hingewiesen, daß es sich bei der Höhe der Tarife und der Höhe der Ausschüttung an die Mitglieder um verschiedene Fragen handele. Gleichwohl hat der Gerichtshof in beiden Urteilen - und nicht nur in der Rechtssacht 395/87 - die Verwaltungs- und Wahrnehmungskosten und deren Auswirkung auf die Ausschüttung an die Mitglieder einbezogen. Ob dieser Tatbestand des sogenannten Ausbeutungsmißbrauchs vorliegt ermittelt der Gerichtshof anhand einer Prüfung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein wichtiges Hilfsmittel, um die Angemessenheit der Gegenleistung zu ermitteln, ist der Preisvergleich.52 Preisunterschiede zwischen Mitgliedstaaten begründet als solche nicht den Verdacht eines Mißbrauchs und verstoßen auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot. Die Politik der Gemeinschaft ist vielmehr darauf gerichtet, die bei getrennten Märkten möglichen Preisunterschiede mittelbar, nämlich durch Abbau der Markttrennung, zu beseitigen. Preisunterschiede können jedoch ein Indiz für den Mißbrauch sein, wenn sie groß sind und durch sachliche Unterschiede nicht erklärt werden können.

52

EuGH 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. METRO (oben § Z Fn. 10) Rn. 17 für einen Prcisverglcich zwischen Inlandspreisen und Preisen für reimporticrte Erzeugnisse.

184

S 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Gcmeinschaftsrccht

b)

Preisdiskriminierungen

Der Gerichtshof bezeichnet es als Indiz für den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung, wenn eine Verwertungsgesellschaft für die von ihr erbrachten Leistungen Tarife anwendet, „die bei einer auf der gleichen Grundlage erfolgten Gegenüberstellung merklich höher sind als die in den anderen Mitgliedstaaten praktizierten Tarife".53 Ein möglicher Verstoß folgt mithin nicht aus der Tarifdifferenz als solcher. Vielmehr ist auch hier zwischen dem Verbot unangemessener Preise und dem Verbot von Diskriminierungen in Art. 86 Satz 2 lit. c. zu unterscheiden. Die wichtigsten Anwendungsfälle für das Diskriminierungsverbot sind Diskriminierungen zwischen Abnehmern, die auf ihren Absatzmärkten im Wettbewerb stehen.54 Marktbeherrschende Unternehmen sind durch dieses Verbot jedoch nicht gehindert, Preise zu berechnen, „die der Markt hergibt", wenn sie die vom Vertrag aufgestellten Regeln zur Regulierung und Koordinierung des Marktes beachten.55 Es besteht mithin keine Verpflichtung, einen Gemeinsamen Markt zu verwirklichen, der aus wirtschaftlichen Gründen nicht existiert.56 Eine Grenze folgt jedoch daraus, daß eine Preispolitik von Unternehmen unzulässig ist, die ihrerseits die Trennung nationaler Märkte erst ermöglicht oder sie verstärkt. Diese Voraussetzungen liegen bei den Tarifen für Diskotheken nicht vor. Bei dem Verbot des Preismißbrauchs im Sinne von Art. 86 Satz 2 lit. a muß zwischen dem Vergleich mit Preisen auf anderen Märkten und dem Vergleich der eigenen Kosten und Preise des marktbeherrschenden Unternehmens unterschieden werden. c)

Vergleichsmarkt

Die Mißbrauchsaufsicht soll die vom Wettbewerb nicht oder nur unzureichend kontrollierten Handlungsspielräume marktbeherrschender Unternehmen begrenzen. Der Zusammenhang mit dem System unverfälsch53

54 55 56

13.7.1989 Staatsanwaltschaft ./. Tournicr, Rs. 395/87 Rn. 38 und 19.7.1989 SACEM, Rs. 110/88 Rn. 25 (oben Fn. 29). 16.12.1975 Suiker Unie, Rs. 40/78 Slg. 2021 Rn. 525. EuGH 14.2.1978 United Brands ./. Kommission, Rs. 26/76, Slg. 302 Rn. 233. Rcinbothe, Kritische Rahmenbedingungen für Vcrwertungsgesellschaftcn im Gemeinsamen Markt, in: J. Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgescllschaften im Europäischen Binnenmarkt, 1990, S. 19, 24, fordert die Vcrwertungsgesellschaftcn zur „Stillen Harmonisierung" von Tarifen und Infrastruktur auf. Eine Rechtsgrundlage für diese Empfehlung ist nicht ersichtlich. 185

3. Urheberrechte und Verwertungsgcsellschaften

ten Wettbewerbs legt es nahe, marktbeherrschende Unternehmen zu verpflichten, sich so zu verhalten, als ob Wettbewerb bestünde. §22 Abs. 4 Ziff. 2 GWB nennt in der Neufassung von 1980 als Beispiel eines Mißbrauchs die Forderung von Entgelten oder sonstigen Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Dabei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen. Die Neufassung des Gesetzes entspricht der voraufgegangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Generalklausel in §22 und zur Konkretisierung anderer Mißbrauchsbegriffe im GWB.57 Das Konzept des „als ob"-Wettbewerbs ist häufig kritisiert worden.58 Der Vergleich der Preise marktbeherrschender Unternehmen mit den auf Vergleichsmärkten erzielbaren Preisen hat den Zweck, das „als ob"-Wettbewerbskonzept praktikabel zu machen. Es kann aber auch verwendet werden, um das vom Europäischen Gerichtshof für maßgeblich gehaltene Mißverständnis von Leistung und Gegenleistung zu ermitteln. Als Vergleichsmarkt hat der Gerichtshof einmal Teilmärkte herangezogen, auf denen das marktbeherrschende Unternehmen selbst tätig ist und dort vergleichsweise niedrige Preise fordert. Ein Beispiel bietet der Vergleich der Inlandspreise eines marktbeherrschenden Unternehmens mit den Preisen der reimportierten Erzeugnisse dieses Unternehmens aus einem Mitgliedstaat, in dem es durch Tochtergesellschaften vertreten ist.59 Ein Vergleich mit den Preisen und Bedingungen anderer Unternehmen auf räumlich getrennten Märkten setzt voraus, daß die Struktur der Märkte und der Unternehmen ähnlich ist und nicht durch staatliche Maßnahmen beeinflußt wird.60 Auch in den Diskothekenurteilen wird hervorgehoben, daß objektive Unterschiede zwischen den in Betracht kommenden Märkten geeignet sind, den Verdacht des Mißbrauchs aus57 WuWE BGH 667 ff. für die Mißbrauchsaufsicht über erlaubte Kartelle; WuWE BGH 1451 („Valium l"); sowie WuWE BGH 1682 („Valium 2") für die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen; WuWE BGH 1221, 1223/24 für die Mißbrauchsaufsicht über Versorgungsunternehmen nach $ 104 GWB. 58 Vgl. Monopolkommission, Anwendung und Möglichkeiten der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle (1975), 31 ff. 59 EuGH 8.6.1971 Deutsche Grammophon ./. Metro (oben § 2 Fn. 10) Rs. 78/70, Slg. 501 Rn. 19. 60 14.2.1978 United Brands ./. Kommission (oben Fn. 54) 284 Rn. 44. 186

$7 Urheberrechtliche Verwcrtungsgesellschaften im Gemeinschaftsrecht

zuräumen. 61 Bestehen solche Unterschiede oder werden sie im Amtsverfahren von dem betroffenen Unternehmen behauptet, so liegt ein Verstoß nur vor, wenn ein „übertriebenes Mißverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis" besteht.62 Dieses Urteil bestätigt, daß der Preismißbrauch anhand des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung zu beurteilen ist.63 Die Schwierigkeiten, die der Kostenermittlung im Einzelfall entgegenstehen können, rechtfertigen es nach Meinung des Gerichtshofs nicht, auf diesen Maßstab zu verzichten.64 Die Diskothekenurteile gehen über die bisherige Rechtsprechung zu Art. 86 in einer wichtigen Beziehung hinaus. Bei Feststellung merklich höherer Tarife, die von dem marktbeherrschenden Unternehmen einseitig festgesetzt werden, ist es Aufgabe des betroffenen Unternehmens, den Unterschied zu rechtfertigen.65 Die Umkehr der Beweislast knüpft mithin an die Höhe der Differenz und an den Umstand an, daß die Tarife einseitig festgesetzt werden. In der Rechtssache 395/87 hebt das vorlegende Gericht nämlich hervor, daß über die Vergütung nicht verhandelt werden könne. Im Verfahren ungeklärt geblieben sind die Voraussetzungen der Vergleichbarkeit. Objektive Unterschiede bestehen zwischen Frankreich und anderen Mitgliedstaaten vor allem in der Art und Weise der Berechnung der Urhebervergütung. In Frankreich wird die Vergütung als Prozentsatz der in der Diskothek getätigten Umsätze berechnet. In der Bundesrepublik und anderen Mitgliedstaaten sind dagegen die Fläche und die Besucherkapazität maßgeblich. Die Kommission führt gegenwärtig eine Untersuchung durch, deren Zweck es ist, die vergleichbare Höhe der Urhebervergütung für „typische Diskotheken" in der Gemeinschaft zu ermitteln. Dazu hat die Kommission vor dem Gerichtshof erklärt, daß auch diese Vergleichsmethode die erheblichen Unterschiede nicht berücksichtige, die hinsichtlich der Gewohnheiten des Diskothe6' 62 63 64 55

13.7.1989 Staatsanwaltschaft ./. Tournier, Rs. 395/87 Rn.38 und 19.7.1989 SACEM, Rs. 110/88 Rn.25 (oben Fn.29). 14.2.1978 United Brands ./. Kommission (oben Fn. 54) Rn. 44. Dazu auch EuGH 13.11.1975 General Motors./. Kommission, Rs. 26/75, Slg. 382 Rn. 15/16. 14.2.1978 United Brands ./. Kommission (oben Fn. 54) 305 Rn. 248/257. 13.7.1989 Staatsanwaltschaft ./. Tournier, Rs. 395/87 Rn.38 und 19.7.1989 SACEM, Rs. 110/88 Rn.25 (oben Fn.29). 187

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgcsellschaftcn

kenbesuchs und der verschiedenen gesellschaftlichen Gewohnheiten und herkömmlichen Bräuche bestünden.

d)

Zur Rechtfertigung vergleichsweise hoher Tarife durch Kostenunterschiede

Die SACEM hat - wie es ihr angesichts der vom Gerichtshof angenommenen Umkehr der Beweislast obliegt - die Höhe der Vergütung für die Nutzung von Urheberrechten in französischen Diskotheken mit den Besonderheiten des französischen Urheberrechts und den im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten verschiedenen Inkassogewohnheiten begründet. Der Gerichtshof hat diese Einwände zurückgewiesen. Das gilt zunächst für die Besonderheit des französischen Urheberrechts, wonach neben einer Vergütung für das Aufführungsrecht eine „zusätzliche Vervielfältigungsgebühr" bei der Aufführung von Musik durch Tonträger zu entrichten ist. In einem früheren Vorlageverfahren hatte der Gerichtshof diese Besonderheit des französischen Rechts nicht beanstandet. Die „zusätzliche Vervielfältigungsgebühr" sei wirtschaftlich Teil der Vergütung für die Aufführung und als solche auch dann gerechtfertigt, wenn eingeführte Tonträger verwendet würden.66 Die SACEM machte ferner geltend, die Höhe der Vergütung sei auf die umfassende Wahrnehmung der Rechte bei Kleinverbrauchern zurückzuführen. Auch dieses Argument hat der Gerichtshof zurückgewiesen. Dazu stützt er sich auf die Höhe der Betriebskosten der SACEM, die auf einen besonders hohen Personalbestand zurückzuführen sei. Auch würden die Mitglieder benachteiligt, weil die Inkassoverwaltungs- und -abrechnungskosten besonders hoch seien. Der Gerichtshof hält es „nicht für ausgeschlossen, daß der schwerfällige Verwaltungsapparat mit fehlendem Wettbewerb auf dem betroffenen Markt" zu erklären sei. Aus dem Sitzungsbericht ergibt sich, daß die SACEM bei der Ausschüttung des Aufkommens von Diskotheken an ihre Mitglieder einen Kostensatz von 30 Prozent berechnet. Der in den Urteilen hervorgehobene Zusammenhang zwischen den Betriebskosten der Verwertungsgesellschaft und der Angemessenheit von Tarifen bedarf näherer Prüfung. Im Verfahren haben EG-Kommission und französische Regierung dargelegt, daß die Kosten ein von vornherein 66

188

9.4.1987 Basset./. SACEM, Rs. 402/85 (oben $ 2 Fn. 12) Slg. 174 = Schulze, RzU EuGH im Druck mit Anmerkung von Mestmäcker.

§ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaftcn im Gemeinschaftsrccht

ungeeigneter Maßstab für die Angemessenheit von Urhebervergütungen sind. Der Grund ist einfach: Der Urheber erhält keine Vergütung für den Aufwand, der ihm im Zusammenhang mit der Werkschöpfung entstanden ist, der Vergütungsanspruch folgt vielmehr unmittelbar aus dem Eigentum am Werk. Die Höhe dieses Anspruchs soll sich in der Regel nach den geldwerten Vorteilen bestimmen, die durch die Verwertung erzielt werden. Diese Vorteile sind ihrerseits unabhängig von den Kosten der Verwertungsgesellschaft. Der Gerichtshof zieht jedoch die Möglichkeit in Betracht, daß eine Verwertungsgesellschaft in der Lage sein könnte, diese Vergütung mißbräuchlich zu erhöhen, um ihre eigenen Verwaltungskosten auf die Musikverbraucher abzuwälzen. Dies setzt die Prüfung voraus, inwieweit die Tarife unabhängig von der angemessenen Beteiligung der Urheberberechtigten an der Nutzung ihrer Werke allein wegen der Kosten der Verwertungsgesellschaft überhöht sind. Ein Indiz für diesen Tatbestand sieht der Gerichtshof in dem Vergleich zwischen der von den Musikverbrauchern gezahlten und der an die Mitglieder ausgeschütteten Vergütung. Aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen ist indessen nicht ersichtlich, wie anhand einer solchen Betrachtungsweise über die Angemessenheit von Tarifen geurteilt werden kann. Rechtlich besteht kein Zusammenhang zwischen den Beziehungen der Mitglieder zur Verwertungsgcsellschaft und den Beziehungen der Vcrwertungsgesellschaft zu den Musikverbrauchern. Diese Verselbständigung der Wahrnehmung der Rechte in Verwertungsgesellschaftcn ist deren wesentlicher Zweck. Erst die Trennung von Aufkommen und Verteilung ermöglicht es den Verwertungsgesellschaften, die ihnen durch Gesetz oder Satzung übertragene Aufgabe wahrzunehmen, kulturell bedeutende Werke zu fördern und Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen zu unterhalten. Diese Funktionen werden von Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt im wesentlichen in gleicher Weise wahrgenommen, ohne daß in anderen Rechtsordnungen gesetzliche Regelungen wie in den §§ 7 und 8 des deutschen Urheberwahrnehmungsgesctzes enthalten sind. Zu berücksichtigen ist ferner, daß Wahrnehmungs- und Verwaltungskosten im wesentlichen Gemeinkosten sind, die einzelnen Verwertungsarten auch nicht annähernd exakt zugerechnet werden können. Im Verhältnis zu den Mitgliedern ist die Zurechnung der Verwaltungskosten ein unselbständiger Bestandteil des Verteilungsplans. Gewiß ist es im Interesse der Mitglieder und der Musikverbraucher, daß Verwertungsgesellschaften die ihnen übertragenen Rechte möglichst effektiv und kostengünstig wahrnehmen. Die Mißbrauchsaufsicht nach Art. 86 ist dazu indessen ein wenig geeignetes Instrument. 189

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

Es gibt dazu ein weit wirksameres Mittel, das überdies der Idee des Gemeinsamen Marktes besser entspricht. Es ist die vom Gerichtshof mit Recht betonte Notwendigkeit, die Freizügigkeit der Urheberberechtigten und damit deren Wahl zwischen den verschiedenen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft zu gewährleisten.67 Diese Freizügigkeit ist geeignet, den Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um Mitglieder und Repertoire zu fördern.

X.

Das Vergütungssystem für Tonträger

Die Regeln der Urhebervergütung für Tonträger sind auf internationaler Ebene durch Vereinbarungen zwischen der Vereinigung von Verwertungsgesellschaften im Bureau International de l'Edition Mechanique (BIEM) und der Vereinigung der in der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) zusammengeschlossenen Hersteller von Tonträgern entwickelt worden.68 Der gegenwärtig in der Bundesrepublik geltende Gesamtvertrag, zu dessen Inhalt der mit den Mitgliedern der IFPI auszuhandelnde Mustervertrag gehört, wurde vom OLG München aufgrund von § 14, 15 in Verbindung mit § 12 Urheberwahrnehmungsgesetz a. F. durch Beschluß festgesetzt.69 Gegen das durch den BIEM-Normalvertrag geprägte Vergütungssystem hat die EG-Kommission außerhalb formaler Verfahren Einwände aufgrund der Wettbewerbsregeln erhoben. Sie betrafen außer den bereits erwähnten, territorial beschränkten Herstellungslizenzen die Berechnung der Urhebervergütung bei Exporten nach den Bedingungen des Bestimmungslandes sowie die Regelung von Lohnpressungen.

1.

Territorial beschränkte Herstellungslizenzen

In den Lizenzverträgen zwischen Verwertungsgesellschaften und Tonträgerindustrie war zunächst die territoriale Ausschließlichkeit der Lizenz vereinbart. Diese wurde von den beteiligten Unternehmen jedoch aufgehoben.70 Davon unberührt bleibt die räumliche Beschränkung der 67 68 69 70

EuGH 21.3.1974 SABAM (oben Fn. 1). Dazu oben § l VI. Der vollständige Text des festgesetzten Vertrages ist abgedruckt bei Schulze, RzU OLGZ 294. 13. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1983) Tz. 150.

190

§ 7 Urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften im Gemcinschaftsrccht

nicht ausschließlichen Lizenz. Zutreffend hat der Bundesgerichtshof anhand des BIEM-Normalvertrages festgestellt, daß Lizenzen an Tonträgerhersteller in der Regel nur territorial beschränkt und nicht weltweit vergeben werden.71 Die EG-Kommission hat im Anschluß an die erwähnte Änderung der Vertragspraxis die Auffassung vertreten, daß Tonträger, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt werden, im Gemeinsamen Markt „verkehrsfähig" seien und überall ungehindert vertrieben werden könnten.72 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes läßt sich ein solcher Grundsatz aus den im einzelnen erörterten Gründen nicht entnehmen. Die „erste Verwertungschance", die zur Erschöpfung des Urheberrechts führt, besteht in dem Inverkehrbringen in einem anderen Mitgliedstaat, nicht in der Erteilung einer Herstellungslizenz. Die gegenteilige Rechtsauffassung würde dem Recht des Urhebers, den Ort des ersten Inverkehrbringens frei zu wählen, die wirtschaftliche Bedeutung nehmen. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Schutzrechts entzieht dem Rechtsinhaber die Kontrolle über die Vertriebswege, nicht aber die Befugnis durch einfache, auf das Gebiet eines Mitgliedstaats bezogene Lizenz, über den Ort des ersten Inverkehrbringens frei zu entscheiden.73 Für die Urhebervergütung folgt daraus, daß bei Importen nichtlizenzierter Tonträger aus EG-Mitgliedstaaten die Inlandsvergütung gefordert werden kann. Bei lizenzierten Tonträgern, die im Exportland noch nicht in den freien Verkehr gelangt waren, kann die Differenzlizenz gefordert werden.74 2.

Das Bestimmungslandprinzip

Die Urhebervergütung wurde aufgrund des Normalvertrages in der Regel anhand der durchschnittlichen Einzelhandelspreise im Verkaufsland berechnet. Diese Art der Berechnung stimmt mit dem Grundsatz des Normalvertrages überein, daß die Werke des BIEM-Repertoires in jeder Hinsicht die gleichen Vorteile wie diejenigen der nationalen Repertoires genießen sollen.75 Die Kommission wendete gegen diese Praxis ein, daß 71 72 73 74 75

BGH 28.10.1987, GRUR 1988, 373, 374/75 („Schallplattenimport III"). 15. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1985) Tz. 21. Dazu schon Generalanwalt Roemer, in: Deutsche Grammophon ./. Metro (oben § 2 Fn. 10)Slg. 508. So zutreffend OLG München 30.4.1987, Schulze, RzU OLGZ 294 Ziff. 11 zu Art. V. 7 des festgesetzten Normal Vertrages. Das gleiche Prinzip liegt anderen Gegcnseitigkeitsverträgen zugrunde, durch die sich die Verwertungsgesellschaften die Wahrnehmung ihres Repertoires 191

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgcsellschaftcn

die Hersteller sehr unterschiedliche Gebühren zu zahlen hatten, die sich nach dem Land des Verkaufs gerichtet hätten. Dadurch sei es auch unmöglich gemacht worden, daß Kosten- oder Preisvorteile, die sich im Land der Herstellung ergeben hätten, an die Verbraucher im Lande des Verkaufs weitergegeben worden seien.76 Die Gebühren für Verkäufe in der Gemeinschaft wurden daraufhin nach den von Herstellern veröffentlichten Verkaufspreisen an die Einzelhändler berechnet. An der Ablehnung des Bestimmungslandprinzips hat die Kommission nicht festgehalten. In einer unveröffentlichten Stellungsnahme heißt es dazu, es treffe zu, daß die Kommission das Bestimmungslandprinzip grundsätzlich als unvereinbar mit der Idee des Gemeinsamen Marktes ansehe, da es tendenziell an dessen Aufspaltung in einzelne nationale Märkte festhalte. Dennoch erscheine es nicht als ausgeschlossen, daß es im bestimmten Umfang und für einen vorübergehenden Zeitraum nach Art. 85 Abs. 3 freigestellt werden könnte, um allen an der Vergabe und Nutzung von urheberrechtlich geschützten Musikwerken Beteiligten eine Anpassung zu ermöglichen.77 Der Grund für diese veränderte Beurteilung wird darin zu suchen sein, daß die Kommission den Widerspruch erkannt hat, der zwischen der Vergütung nach den Bedingungen des Herstellungslandes und dem Prinzip der Beteiligung des Urhebers an den durch die Verwertung seines Rechts erzielten geldwerten Vorteilen besteht. Die fortbestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten führen zu bis heute ungelösten Konflikten mit dem Postulat eines einheitlichen Marktes. So hat es das OLG München abgelehnt, Exporte in die Mitgliedstaaten der EG als Inlandsumsätze zu behandeln; die Vergütung sei vielmehr den Bedingungen anzupassen, die in den Bestimmungsländern zwischen den Wahrnehmungsgesellschaften und den Tonträgerherstellern vereinbart seien.78 Dadurch soll den verschiedenen Wettbewerbsverhältnissen auf den Märkten für Tonträger Rechnung getragen werden. Im Urteil Musikvertrieb Membran hat der Europäische Gerichtshof jedoch alle Argumenübcrtragen. Im Diskothckenurteil 395/87 vom 13.7.1989 (siehe oben Fn. 29) hat der EuGH auf den Zusammenhang dieser vertraglichen Regelungen mit dem in den geltenden internationalen Urhcberrechtsabkommen normierten Prinzip der Inländcrbehandlung hingewiesen (Rn. 18). 76 13. Bericht über die Wcttbcwerbspolitik (1983) Tz. 149. 77 Schreiben der EG-Kommission vom 27.3.1987 in der Sache 1V/30.744 GEMANormalvertrag; IV 30.370 GEMA/MCPS. 78 OLG München 30.4.1987 (oben Fn. 72) RZ. 10, Art. V6 - Exporte. 192

S 7 Urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften im Gcmeinschaftsrccht

te zurückgewiesen, die darauf abzielten, den Verschiedenheiten der Marktverhältnisse bei der Höhe der Urhebervergütung Rechnung zu tragen.79 Die Kommission bezeichnete es als Widerspruch zu einem Grundprinzip des Gemeinsamen Marktes, wenn man Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen mit Hilfe der Urhebervergütung ausgleichen wolle.80 3.

Lohnpressungen

Lohnpressungen haben die Herstellung von Tonträgern zum Gegenstand, die eine Fertigungsstätte im Auftrag und für Rechnung inländischer oder ausländischer Auftraggeber durchführt. 81 Bei grenzüberschreitenden Lohnpressungen unterrichtet der Fertigungsbetrieb die nationale Verwertungsgesellschaft und weist nach, daß sein Auftraggeber das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht erworben hat. Da die Vervielfältigung als solche eine Vergütungspflichtige Nutzung des Urheberrechts darstellt, hängt die Rechtmäßigkeit der Lohnfertigung von der vertraglichen Zustimmung der Urheberberechtigten ab. Liegt sie vor, so wird die Vervielfältigung dem Auftraggeber als Hersteller zugeordnet. Die im Normalvertrag enthaltenen Regeln gelten für vertraglich vereinbarte Lohnpressungen zwischen unabhängigen Unternehmen und für Konzernpressungen. Ihre Funktion muß im Zusammenhang mit dem Prinzip der Vergütung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes gesehen werden. Sie gewährleisten die übliche Urhebervergütung im Verkaufsland unabhängig davon, wo die Tonträger hergestellt wurden. Bei der von der Kommission vertretenen Auffassung, daß jede Herstellungslizenz zum gemeinschaftsweiten Vertrieb berechtige, führt die Anerkennung von Konzernpressungen dazu, daß gemeinschaftsweit tätige Unternehmen den Auftrag zur Lohnfertigung von dem Mitgliedstaat aus erteilen können, wo die Bedingungen für sie am günstigsten sind. Auf dieser Grundlage sind sie sodann in der Lage, im Widerspruch zur räumlich begrenzten Lizenz, die Tonträger in einem beliebigen Mitgliedstaat - auch im Staat der Lohnfertigung - zu vertreiben. Die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA hat deshalb vorgeschlagen, die Herstel79 80

81

EuGH 20.1.1981 (oben $3 Fn. 1) Rn. 14-16. Ebd. S. 158.

Zur urheberrechtlichen Beurteilung solcher Sachverhaltc EuGH 24.1.1989 EMf Elccfrola./. Patrizia Import und Export (oben § 2 Fn. 11); auch BGH 3.7.1981, Schulze, RzU BGHZ 295. 193

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

lung von Tonträgern generell an der Quelle zu lizenzieren, also auch in den Fällen, in denen es sich um traditionelle Lohnpressungen handelte. In diesem Vorschlag sah die Kommission eine Beeinträchtigung der Freiheit der Tonträgerherstellung.82 Bei Lohnpressungen handele es sich um eine zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften übliche Praxis. Jede Herstellungslizenz habe Gültigkeit für die gesamte Gemeinschaft und berechtige zur Produktion - auch im Wege der Lohnherstellung - in jedem Mitgliedstaat. Bei dieser Rechtsauffassung verliert aber die Lohnpressung ihren rechtlichen und ihren wirtschaftlichen Sinn. Es handelt sich vielmehr um eine Konsequenz aus der bereits zurückgewiesenen Auffassung, daß offene, gebietsmäßig beschränkte Lizenzen unzulässig seien. 4.

Zentrale Lizenzierung

Ein Teil der erörterten Konflikte entfällt bei zentraler Lizenzierung der Herstellung und des Vertriebs von Tonträgern durch eine Verwertungsgesellschaft mit Wirkung für den gesamten Gemeinsamen Markt. Alle Beteiligten haben ein nachhaltiges wirtschaftliches Interesse an der dadurch möglichen Rationalisierung der Lizenzierung, der Herstellung und des Vertriebs. Eine solche Regelung ist urheberrechtlich jedoch nur möglich, wenn die zentral lizenzierende Verwertungsgesellschaft mit Zustimmung aller Berechtigten handelt, über deren Repertoire sie aufgrund nicht ausschließlicher, aber territorial begrenzter Gegenseitigkeitsverträge verfügt. Im übrigen erfolgt auch bei zentraler Lizenzierung die Abrechnung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes.

82

194

15. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1985) Tz. 81.

5 8 Das Recht der Frcihandelsabkommen

§8

Das Recht der Freihandelsabkommen

I.

Rechtsgrundlagen

Die Gemeinschaft hat am 22. 7.1972 Freihandelsabkommen mit Österreich, Island, Portugal, Schweden und der Schweiz geschlossen.1 Durch diese Verträge werden die Handelsbeziehungen der Rest-EFTA-Staaten zu der durch den Beitritt von Dänemark, Großbritannien und Irland erweiterten Europäischen Gemeinschaft geregelt. Mit Norwegen wurde ein entsprechendes Abkommen nach dem Scheitern des Beitritts geschlossen.2 Die weitgehend übereinstimmenden Verträge mit Finnland 3 und Israel4 zeigen, daß sich die Freihandelsverträge zu einem Modell für die Handelspolitik der Gemeinschaft entwickelt haben. Die Verträge wurden vom Rat der EWG jeweils durch Verordnung „geschlossen, gebilligt oder bestätigt".5 Außerdem hat die Gemeinschaft zu jedem Abkommen eine übereinstimmende Verordnung erlassen, in der Zuständigkeiten und Verfahren für die Anwendung der in den Freihandelsverträgen vorgesehenen Schutzklauseln und Sicherungsmaßnahmen geregelt sind.6 Zweck der FHA ist es nach ihrer Präambel, den Warenverkehr zwischen den Vertragspartnern auszuweiten, im Warenverkehr gerechte Wett1

Zur Entstehungsgeschichte vgl. Bull. EG 9/1972, l ff.; Österreich: VO Nr. 2836/72 (Rat) 19.12.1972 ABI. EG 31.12.1972 L 300/1 ff.; Schweden: VO Nr. 2838/72 (Rat) 19.12.1972, ABI. EG 31.12.1972 L 300/96 ff.; Schweiz (und Liechtenstein): VO Nr. 2840/72 (Rat) 19.12.1972, ABI. EG 31.12.1972 L 300/188ff.; Island: VO Nr.2842/72 (Rat) 19.12.1972, ABI. EG 31.12.1972 L 301/1 ff.; Portugal: VO Nr. 2844/72 (Rat) 19.12.1972, ABI. EG 31.12.1972 L 301/164 ff. Das Abkommen mit Portugal ist durch dessen Beitritt zur Gemeinschaft gegenstandslos geworden.

2

14.5.1973, ABI. EG 17. 6.1973 L 171/2 ff. 5.10.1973, ABI. EG 28.11.1973 L 378/2 ff. 11.5.1975, ABI. EG 28.5.1975 L 136/1 ff.

3 4

5

Zur Bedeutung dieser Verordnungen nach Gcmeinschaftsrecht vgl. Öhlinger, Rechtsfragen des Freihandelsabkommens zwischen Österreich und der EWG, ZaöRV Bd. 34(1974), 655,659 ff., allgemein hierzu Ipscn, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), 176 f., der von „Bestätigungsverordnung" spricht; einen Überblick gibt Jörge« Schwarze, Die EWG in ihren völkerrechtlichen Beziehungen, NJW 1979, 456, 461 f.

6

Vgl. z.B. VO Nr.2837/72 (Rat) 19.12.1972, ABI. EG 19.12. 1972 L 300/94 für Österreich.

195

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaft.cn

bewerbsbedingungen zu gewährleisten und auf diese Weise durch die Beseitigung von Handelshemmnissen zur harmonischen Entwicklung und zur Ausweitung des Welthandels beizutragen. Zur Verwirklichung dieser Zwecke untersagt Art. 13 die Einführung neuer mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung und hebt bestehende Maßnahmen dieser Art auf. Zur Gewährleistung gerechter Wettbewerbsbedingungen enthalten die Verträge in Art. 23 die folgenden wörtlich übereinstimmenden Wettbewerbsregeln:

Abs. l „Mit dem guten Funktionieren dieses Abkommens sind unvereinbar, soweit sie geeignet sind, den Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und (Partnerstaat) zu beeinträchtigen: (1) Alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Untcrnehmensvcreinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezüglich der Produktion und des Warenverkehrs bezwecken und bewirken; (2) die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gesamten Gebiet der Vertragsparteien oder auf einem wesentlichen Teil dessen durch ein oder mehrere Unternehmen."

Im Unterschied zu Artt. 85, 86 werden auch Wettbewerbsbeschränkungen nur erfaßt, soweit sie den Warenverkehr beeinträchtigen können. Die Vorschriften der FHA können die Ausübung von Urheberrechten also nur erfassen, soweit diese in körperlicher Form verwertet werden. Unanwendbar sind die FHA dagegen auf die Organisation von Verwertungsgesellschaften sowie auf die Ausübung von Urheberrechten in Form von Dienstleistungen. Besondere praktische Bedeutung haben die FHA für grenzüberschreitende Verlags vertrage und für den Vertrieb von Bildund Tonträgern.

II.

Verfahren und Institutionen

Aufgrund der Abkommen wird ein „Gemischter Ausschuß" eingesetzt, der „mit der Verwaltung dieses Abkommens beauftragt ist und für dessen ordnungsgemäße Erfüllung sorgt" (Art. 29). Der Ausschuß besteht aus Vertretern der Gemeinschaft und des Vertragspartners. Er äußert sich stets im „gegenseitigen Einvernehmen" (Art. 30). Einvernehmlich kann der Gemischte Ausschuß Empfehlungen aussprechen und Beschlüsse in 196

§ 8 Das Recht der Freihandelsabkommen

den im Abkommen vorgesehenen Fällen fassen. Die Durchführung dieser Beschlüsse obliegt stets den einzelnen Vertragsparteien, die dabei „nach ihren eigenen Bestimmungen" handeln. Wenn nach Auffassung einer Vertragspartei ein Verstoß gegen die Wettbewerbsvorschriften vorliegt, kann sie die „geeigneten Maßnahmen" treffen. Das Recht zu Schutzmaßnahmen besteht jedoch nur nach Maßgabe der in den Abkommen geregelten Voraussetzungen und Verfahren. Jede Vertragspartei befaßt den Gemischten Ausschuß, wenn nach ihrer Ansicht eine bestimmte Praktik mit dem guten Funktionieren des Abkommens unvereinbar ist. Aufgabe des Gemischten Ausschusses ist es, die beanstandeten Praktiken zu prüfen. Die Vertragsparteien - nicht die Unternehmen - sind verpflichtet, alle zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und die erforderliche Hilfe zu leisten. Stellt der Ausschuß eine Zuwiderhandlung fest, so ist er berechtigt, die Vertragspartei zu verpflichten, den beanstandeten Praktiken innerhalb einer bestimmen Frist ein Ende zu setzen. Schutzmaßnahmen dürfen ergriffen werden, wenn die Praktiken nicht abgestellt werden, „um die aus den genannten Praktiken entstehenden ernsten Schwierigkeiten zu beheben". Das gleiche Recht hat eine Vertragspartei, wenn im Gemischten Ausschuß innerhalb von 3 Monaten nach seiner Befassung keine Einigung zustande gekommen ist. Zu den Schutzmaßnahmen gehört „insbesondere" das Zurückziehen von Zollzugeständnissen. Die Regelung unterscheidet sich grundlegend von den Vorschlägen der Gemeinschaft bei den Verhandlungen über die Assoziierung neutraler europäischer Staaten in den sechziger Jahren. Die Unterschiede lassen einen Wandel in den außenpolitischen Zielen der Gemeinschaft erkennen, der auch für das Verständnis der materiellrechtlichen Vorschriften der Abkommen wesentlich ist.7 In den Verhandlungen über die Assoziierung der neutralen europäischen Staaten hatte die Gemeinschaft gefordert, daß die Assoziierung dem vollen Beitritt so nahekommen sollte, wie es mit dem Status der Neutralität vereinbar sei. Bei einem solchen Konzept war es notwendig, Verfahren und Institutionen vorzusehen, um die fortlaufende Anpassung des Rechts der assoziierten Staaten an die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts zu ermöglichen. Für die assoziier7

Zu den Verhandlungen über Assoziationsabkommcn mit den neutralen Staaten vgl. ÖMingcr, (oben Fn. 5) 678 ff.; auch Hollenweger, Institutionelle und völkerrechtliche Aspekte des Freihandelsabkommcns Schweiz - EWG, Schw. JB. Int. R. 1973, 82 ff. 197

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

ten Staaten wäre es unvertretbar gewesen, die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts stets nachzuvollziehen, ohne auf diese Entwicklung Einfluß nehmen zu können. Andererseits war die Gemeinschaft nicht bereit, Nichtmitgliedern Einfluß auf die Willensbildung der Gemeinschaftsorgane einzuräumen. Diese Schwierigkeiten erwiesen sich als unüberwindbar. Sie erklären, warum die Freihandelsabkommen außer dem Gemischten Ausschuß keine gemeinsamen Institutionen vorsehen.8 Ungeklärt blieb die Anpassung der Rechtsentwicklung zwischen den Partnerstaaten und der Gemeinschaft. Dies kommt in scheinbar widersprechenden Erklärungen der Vertragsparteien zum Ausdruck. Die Gemeinschaft hat im Anschluß an jedes Abkommen im Amtsblatt die Erklärung veröffentlicht, daß sie die dem Art. 23 zuwiderlaufenden Praktiken auf der Grundlage der Kriterien beurteilen werde, die sich aus der Anwendung von Artt. 85, 86,90 EWGV ergäben. Die Partnerstaaten haben diese Erklärung nicht angenommen, sondern erklärt, daß ihre Rechte aus den Vertragsbeziehungen dadurch nicht geändert würden.9 Damit ist klargestellt, daß das Gemeinschaftsrecht die Auslegung der Abkommen trotz weitgehender Übereinstimmung des Wortlauts einzelner Vorschriften nicht präjudizieren soll. Zu unterscheiden ist zwischen der Auslegung der Freihandelsabkommen und der ganz im Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion stehenden Frage, welche Vorschriften der FHA nach dem Vorbild des Gemeinschaftsrechts unmittelbar anwendbar sind. Selbst wenn man die letzte Frage bejaht, ist damit nicht entschieden, ob und inwieweit die Vorschriften der Freihandelsabkommen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht auszulegen sind.10 Auf diesem Hintergrund soll zunächst geprüft werden, ob das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen und die Wettbewerbsregeln in den FHA in der Gemeinschaft unmittelbar anwendbar sind.11 Zu prüfen ist, ob Vorschriften in den FHA geeignet sind, Rechtswirkungen nicht nur im Verhältnis der Vertragspartner zueinander, 8 9 10

11

Vgl. auch Wdknstein, The Free Agreements Between the Enlarged European Communities and the EFTA Countries, C.M.L.Rcp. 1973, 137 ff. Für Österreich vgl. Öhlinger, (oben Fn. 5) 675. Im Ansatz übereinstimmend für Art. 13 Schluep, Die markenrechtliche Rechtsprechung des EuGH aus schweizerischer Sicht, in: Hefermchl/Ipsen/Schluep/ Sieben, Nationaler Markenschutz und freier Warenverkehr in der Europäischen Gemeinschaft (1979), 232, 259. Dazu Vedken, Die unmittelbare Anwendbarkeit der Frcihandelsverträgc mit den sog. Rest-EFTA-Staaten, RIW 1988, 112-122.

198

S 8 Das Recht der Freihandelsabkommen

sondern auch zwischen Privatpersonen oder zwischen Privatpersonen und Staaten hervorzurufen. Die von der Gemeinschaft im Rahmen ihrer Zuständigkeit abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge bilden mit ihrem Inkrafttreten einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung.12 Das folgt aus Art. 228 Abs. 2, wonach die von der Gemeinschaft im Rahmen ihrer Zuständigkeit abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge für die Organe der Gemeinschaft und für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, daß diese Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht nur gegenüber dem betreffenden Drittland bestehen, sondern auch und vor allem der Gemeinschaft gegenüber.13 Die EG hat die FHA auf der Grundlage von Art. 113 abgeschlossen. Zuständig für die Auslegung der Verträge ist also der Gerichtshof. Diese Zuständigkeit umfaßt die Entscheidung darüber, ob diese Verträge oder einzelne ihrer Vorschriften in der Gemeinschaft unmittelbar gelten. Die Kriterien, die für die unmittelbare Geltung völkerrechtlicher Verträge im Gemeinschaftsrecht gelten, hat der Gerichtshof anhand der Vorschriften des GATT14, des Abkommens von Jaunde15, des Abkommens von Lome16 und der Freihandelsabkommen 17 entwickelt. Der 12

13 14

15

16

17

EuGH 30.4.1974 Haegeman ./. Belgien, Rs. 181/73, Slg. 449, 460, für das sog. Athener Abkommen über die Assoziation Griechenlands, seither ständige Rechtsprechung. 26.2.1982 Hauptzollamt Mainz ./. Kupferberg, Rs. 104/81, Slg. 3641, 3662. 12.12.1972 International Fruit Co. ./. Produktschap vor Groenten en Fruit, Rs. 21-24/72, Slg. 1219 ff.; 24.10.1973 Schlüter ./. Hauptzollamt Lörrach, Rs. 9/73, Slg. 1157 (unmittelbare Geltung verneint). EuGH 5.2.1976 Bresciani./. Italienische Finanzverwaltung,Rs. 87/79, Slg. 141 (die unmittelbare Geltung des Verbots von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung in Art. 13 Abs. 2 bejaht). EuGH 24.11.1977 Jean Razanatsimba, Rs. 65/77, Slg. 2229 (abgelehnt für Art. 62 dieses Abkommens, wonach sich die Vertragspartner verpflichten, Personen und Gesellschaften hinsichtlich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht zu diskriminieren). EuGH24.4. \984ProcureurdelaRepublique./. Chatain, Rs. 65/79,Slg. 1345,1385 (implizit bejaht für das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung in Art. 13 des FHA Schweiz); 9.2.1982 Polydor./. Harlequin Record Shops, Rs. 270/80, Slg. 329, 349 = GRUR Int. 1982, 372 (verneint für das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen in Art. 14 Abs. 2 des FHA Portugal im Hinblick auf die Ausübung nationaler Urheberrechte); 26.10.1982 Hauptzollamt Mainz ./. Kupferberg, Rs. 104/81, Slg. 3641, 3665 (bejaht für das Verbot der steuerlichen Diskriminierung in Art. 21 Abs. l FHA Portugal).

199

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaft.cn

Gerichtshof prüft anhand der Rechtsnatur und der Systematik des Vertrages, ob sie der unmittelbaren Anwendung seiner Vorschriften entgegenstehen. Diese Frage wurde z.B. für das GATT bejaht, für die FHA aber verneint. Die unmittelbare Geltung einzelner Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages kann sich auch aus einer ausdrücklichen, darauf gerichteten Regelung ergeben. Im übrigen handelt es sich bei der unmittelbaren Geltung um eine Modalität der Vertragserfüllung. Wird sie in einem Partnerstaat verneint, in einem anderen aber bejaht, so läßt sich daraus noch nicht auf die fehlende Gegenseitigkeit bei der Durchführung des Abkommens (reciprocity) schließen.18 Deshalb ist es gemeinschaftsrechtlich unerheblich, daß die obersten Gerichte Österreichs und der Schweiz das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen auf die Ausübung von Schutzrechten im Gegensatz zur gemeinschaftsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH zu Artt. 30, 36 nicht anwenden.19 Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen der Gemeinschaft Rechte und Pflichten der Einzelnen begründen, die die Gerichte in den Staaten zu wahren haben, wird vom Gerichtshof im Anschluß an seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Geltung der staatsgerichteten Normen des EWG-Vertrages beurteilt. Zuerst ist zu prüfen, ob die einzelne Vorschrift eine unbedingte Verpflichtung begründet und so klar gefaßt ist, daß sie durch ein Gericht ausgelegt und angewendet werden kann. Zu berücksichtigen ist neben dem Wortlaut der einzelnen Vorschrift der Sinn und Zweck des Abkommens, von dem sie ein Teil ist.20 In diesem Zusammenhang werden die Unterschiede zwischen der Gemeinschaft und den Freihandelsabkommen erheblich. Diese Unterschiede gestatten zwar keine generelle Aussage über die unmittelbare Anwendbarkeit der FHA; wohl aber können sie dazu führen, daß einzelne ihrer Vorschriften anders auszulegen sind als wörtlich übereinstimmende Vorschriften des EWG-Vertrages. Anhand dieser Grundsätze ist die unmittelbare Geltung des Verbots von Maßnahmen gleicher Wirkung und der Wettbewerbsregeln in den Freihandelsabkommen zu erörtern. 18

EuGH 26.12.1982 Kupferberg (oben Fn. 17) 3664. Österreichischer oberster Gerichtshof 10.7.1979, Austro Mechana Gesellschaft zur Verwaltung und Auswertung von mechanisch-musikalischen Urheberrechten ./. Granola Winter & Co., GRUR Int. 1980, 185 mit Anm. Eugen Ulmer, Schweizerisches Bundesgericht 25.1.1979 BGE 105 II, 49,59 (1979) = GRUR Int. 1979, 569; im einzelnen dazu unten III, 2. 2 ° Grundlegend EuGH 26.10.1982 Kupferberg (oben Fn. 17) Rn. 23. 19

200

5 8 Das Recht der Freihandclsabkommcn

III.

Die Anwendung des Verbots von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen

1.

Das Recht der EG

Das in allen Freihandelsabkommen enthaltene Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen stimmt mit Art. 30 wörtlich überein. Daraus folgt die Frage, ob die FHA die Ausübung von Urheber- und Verlagsrechten in der gleichen Weise begrenzen, wie es für Art. 30 innerhalb der Gemeinschaft nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zutrifft. Im Schrifttum wird diese Frage häufig unabhängig von der Stellungnahme zur unmittelbaren Geltung der Wettbewerbsregeln bejaht.21 Die Gegenmeinung stützt sich auf die systematischen Unterschiede zwischen Gemeinsamem Markt und Freihandel sowie zwischen Gemeinschaftsrechtsordnung und internationalem Handelsrecht.22 Im Urteil Chatain 23 hat der Europäische Gerichtshof im Gegensatz zu den von der Kommission der deutschen und englischen Regierung vorgetragenen Auffassungen entschieden, daß Art. 13 des FHA Schweiz EWG unmittelbar anwendbar ist. Ob dieselben Grundsätze auch für die Ausübung von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten gelten, läßt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die Anwendung der zu Art. 30 EWGV entwickelten Grundsätze auf die Freihandelsabkommen würde zu weitreichenden Änderungen im Privatrccht der Vertragspartner führen, die außerhalb des normalen Anwendungsbereiches internationaler Handelsverträge liegen. Schluep will diesem Gesichtspunkt Rechnung tragen, indem er zwar die unmittel21

22 23

Hunnings, Enforccability of the EEC EFTA Free Trade Agreements, E.L.Rev. 1977, 163, 164; Kiichler, Lizenzverträge im EWG-Recht einschließlich der Frcihandelsabkommen mit den EFTA-Staatcn, 1976, 191 für die Wettbewerbsregeln und 206 für Art. 13 FHA; und ders.. Gewerbliche Schutzrechtc und Freihandclsverträge Schweiz-EWG, ZSR 94 l (1975), 177, 190; Arioli, Das zwischenstaatliche Kartell- und Wettbewcrbsrecht gemäß Art. 23 ff. des Frcihandclsabkommens, in: Wettbewerb und Kartellrecht im Frcihandelsabkommen Schweiz-EWG, herausgegeben v. Meyer-Masilins, 1974, 35, 40; Schluep (oben Fn. 10)257 ff. Vgl. dazu Hefermehl/Fezer, Der Schutz der Marke im Gemeinsamen Markt, in: Hefermehl/lpsen/Schlucp/Sicben, (oben Fn. 10) l, 155 ff. 24.4.1980 Chatain, (oben Fn. 17) Slg. 1345. 201

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgesellschaften

bare Geltung von Art. 13 FHA Schweiz EWG bejaht, im übrigen aber die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Regeln nicht generell übernimmt, sondern anhand der Besonderheiten der Freihandelsabkommen differenziert. Insbesondere lehnt er die Übernahme der Rechtsprechung zu ursprungsgleichen Warenzeichen ab.24 Der englische Court of Appeal hatte in Polydor v. Harlequin Record Shop Ltd.25 den Import von Schallplatten aus Portugal nach England zu beurteilen. Die Schallplatten waren in Portugal aufgrund einer Lizenz hergestellt worden, die der englische Rechtsinhaber erteilt hatte. Die Lizenznehmer in Portugal waren Tochtergesellschaften des englischen Rechtsinhabers. Die Schallplatten, die in Portugal rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden waren, wurden von Dritten nach England importiert. Das Gericht legt dar, daß der Import nach englischem Urheberrecht rechtswidrig sei. Die Rechtslage in England stimmt im Ergebnis mit der zu §17 Abs. 2 UrhG dargestellten überein.26 Die Einfuhr von geschützten Gegenständen verletzt das englische Urheberrecht, wenn der Berechtigte dem Lizenznehmer eine Lizenz nur für ein bestimmtes Staatsgebiet eingeräumt hat. Das gilt auch dann, wenn der Lizenznehmer eine Tochtergesellschaft des in England Berechtigten ist. Das Gericht entschied jedoch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EWG V, daß es sich bei dem auf sect. 16 subsect. 2 Copyright Act gestützten Importverbot um eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne von Art. 30 handele. Das gleiche gelte aber für die im Freihandelsabkommen mit Portugal enthaltene Vorschrift, die durch eine Verordnung des Rates geltendes Gemeinschaftsrecht geworden sei. Die Vorschrift stimme mit Art. 30 wörtlich überein und gelte wie diese unmittelbar. Die Frage der Reziprozität im Verhältnis zu Portugal sei irrelevant. Art. 30 habe die Industrie der Gemeinschaft „kicking and screaming" dem Freihandel ausgesetzt. „It seems to me that it will be perverse to put on 19th Century blinkers and to say there is a real distinction between the effect of art. 30 of the Rome Treaty and art. 14 of the Portuguese agreement and I decline to do such a thing."

24 25 26

(Oben Fn. 10) 254, 251 ff. Urteil vom 15.5.1980. Vgl. Mestmäcker/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, $ 17 UrhG Anm.IV2.

202

S 8 Das Recht der Frcihandclsabkommen

Trotz dieser dezidierten Auffassung hat das Gericht die Frage nach der unmittelbaren Geltung von Art. 14 des Abkommens dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 EWGV zur Entscheidung vorgelegt. Der Gerichtshof hat entschieden, daß das in Artt. 14 und 27 des Freihandelsabkommens mit Portugal enthaltene Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen auf die Ausübung von Urheberrechten im Gemeinsamen Markt trotz übereinstimmenden Wortlauts nicht unmittelbar anwendbar ist.27 Die Schranken, die für die Ausübung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums nach Art. 30 gelten, könnten nicht auf die Auslegung der Freihandelsabkommen übertragen werden. Dem stehe schon der verschiedene Zweck der Verträge entgegen. Der EWG-Vertrag sei im Gegensatz zu den Freihandelsabkommen auf die Schaffung binnenmarktähnlicher Verhältnisse gerichtet. Ferner fehlten in den Freihandelsabkommen die für die Rechtsordnung der Gemeinschaft kennzeichnenden Mittel, welche bestimmt seien, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die fortschreitende Beseitigung der Rechtsunterschiede im Gemeinsamen Markt zu sichern. Der Gerichtshof folgte damit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Schweiz und in Österreich.28 2.

Das Recht der Schweiz

Das Schweizerische Bundesgericht hatte zu entscheiden, ob die Einfuhr von Waschmitteln unter dem Warenzeichen OMO, das einer Tochtergesellschaft des Unilever-Konzerns in der Schweiz geschützt war, rechtswidrig sei, und zwar auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß diese Einfuhr durch die deutsche Tochtergesellschaft desselben Konzerns erfolgte. Hiergegen wendeten die Beklagten ein, dieses Ergebnis sei mit Artt. 30,20 FHA unvereinbar. Das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung müsse in der gleichen Weise ausgelegt werden wie Art. 30 im EWG-Vertrag durch den Europäischen Gerichtshof. Das Ergebnis dieser Rechtsauffassung hätte darin bestanden, daß das Inverkehrbringen der Ware unter der gleichen Marke desselben Konzerns in der Bundesrepublik auch für die Schweiz wirken würde. Das Schweizerische Bundesgericht ist dieser Auffassung nicht gefolgt.29 Es 27 28 29

2.2.1982 Polydor Ltd. and RSO Records Inc. v. Harlequin Record Shop Ltd., Rs. 270/80 (oben Fn. 17). Dazu unten 3. 25.1.1979 BGE 105 II, 49, 59 (1979).

203

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften

nimmt zunächst die Erwägungen des Schweizerischen Kassationshofs in Bezug, wonach das Freihandelsabkommen ein reines Handelsabkommen sei, keine Pflicht zur Rechtsangleichung begründe und die bestehenden Rechtsordnungen gegenseitig anerkenne.30 Die Freihandelsabkommen seien auch nicht auf die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes mit überstaatlicher Wettbewerbsordnung gerichtet. Das Abkommen sehe kein Organ vor, das wie der Europäische Gerichtshof die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Normen für die Vertragsparteien verbindlich festlegen könne. Deshalb könne auch die Rechtsprechung dieses Gerichts zu analogen Bestimmungen des EWG-Vertrages nicht unbesehen übernommen werden. Anhand einer am Zweck der Freihandelsabkommen und dem Wortlaut der einzelnen Vorschriften orientierten Auslegung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß der Inhalt des schweizerischen Markenrechts durch die Freihandelsabkommen nicht berührt werde. Insbesondere Art. 13 biete nach seinem Wortlaut keinen Anhaltspunkt für eine andere Auslegung. Einfuhrverbote oder Beschränkungen, die zum Schutz des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt seien, würden in Art. 20 FHA ausdrücklich vorbehalten. Art. 20 ist im wesentlichen Art. 36 des EWG-Vertrages nachgebildet. Im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof hat das Schweizerische Bundesgericht hieraus jedoch keine Anhaltspunkte für die Einschränkung der Ausübung dieser Rechte entnommen. Es sieht in der Vorschrift vielmehr eine Bestätigung dafür, daß das innnerstaatliche Recht über gewerbliche Schutzrechte durch die Freihandelsabkommen nicht berührt werde. Darüber hinaus richteten sich die Vorschriften des Art. 13 an den schweizerischen Gesetzgeber und an die Verwaltung: „Eine bestimmte Vcrhaltcnsnorm mit zivilrcchtlichen Folgen ergibt sich auch dann nicht, wenn Art. 13 i. V. m. Artt. 20 S. 2 und 23 FHA ausgelegt wird. Art. 20 S. 2 will Diskriminierungen und verschleierte Beschränkungen des Handels von den Rcchtfertigungsgründcn ausgenommen wissen, während Art. 23 lediglich feststellt, welche Praktiken mit dem guten Funktionieren des Abkommens unvereinbar sind; er erklärt sie im Gegensatz zu den entsprechenden Bestimmungen des EWG-Vertrages aber weder als rechtswidrig noch als nichtig und sieht auch keine Sanktionen vor, sondern ermächtigt die Vertragsparteien lediglich, gemäß den in Art. 27 FHA festgelegten Voraussetzungen und Verfahren vorzugehen."

Anhand dieser Rechtsprechung läßt sich für die Schweiz feststellen, daß das Freihandelsabkommen die Ausübung gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte und ihre Beurteilung nach innerstaatlichem schweizeri30

3. 5.1978 BGE 104 IV, 174, 179 (1978).

204

§ 8 Das Recht der Freihandclsabkommen

sehen Recht nicht verändert hat. Die Gründe entsprechen weitgehend denen des Europäischen Gerichtshofs in dem später entschiedenen Polydor-Fall. 3.

Das Recht Österreichs

Ähnlich wie in der Schweiz war es in Österreich streitig, ob die Vorschriften des Freihandelsabkommens unmittelbar anwendbar seien. Die Frage ist auch für Österreich durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 10.7.1979 geklärt.31 Das Urteil hat die Frage nach den Grenzen des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts bei ausländischem Inverkehrbringen aufgrund einer räumlich begrenzten Lizenz zum Gegenstand. Die in den Rechtsstreit von der Beklagten vorgetragene Auffassung, daß der Unterlassungsanspruch wegen des Freihandiesabkommens unbegündet sei, wird vom Gericht mit einer kurzen Verweisung auf die Auffassung von Dittrich zurückgewiesen. Dittrich legt Art. 20 des Freihandelsabkommens mit der EWG nicht nur als Garantie des Bestandes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums aus, sondern auch als Garantie der Ausübung dieser Rechte, soweit die in Lizenzverträgen vereinbarten Beschränkungen über den Inhalt des Schutzrechts nicht hinausgehen.32 Unter Hinweis auf die Parallelvorschrift in Art. 20 des GATT, die ihrem Wortlaut nach Art. 36 EWG-Vertrag und Art. 20 der Freihandelsabkommen weitgehend entspricht, wird diese Argumentation auf Urheberrechte angewendet.33

IV.

Die völkerrechtliche Geltung der FHA-Wettbewerbsregeln in der Gemeinschaft

Die Gemeinschaft hat zu der Auslegung und Anwendung der Freihandelsabkommen Erklärungen abgegeben, die zwar nicht Teil des Vertragswerkes sind, aber bei Gelegenheit des Vertragsabschlusses abgegeben und von den Vertragspartnern zur Kenntnis genommen wurden. Zu den Wettbewerbsregcln heißt es: 3

' Austro Mechana Gesellschaft zur Verwaltung und Auswertung von mechanisch-musikalischen Urheberrechten ./. Granola Winter & Co., GRUR Int. 1980,185 m. Anm. von Eitrgen Ulmer. 32 Dittrich, Die Verträge Österreichs mit den Europäischen Gemeinschaften und das österreichische Urheberrecht, J.B.L. 1977, 81 ff. 33 Ebd., 87. 205

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften „Für die Einhaltung dieser Bestimmungen müssen allerdings alle Partner des Abkommens angesichts des Fehlens eines einzigen für die Anwendung zuständigen Organs autonom Sorge tragen. Ein Verstoß gegen diese Regeln - die im Gegensatz zu den Vorschriften des EWG-Vertrages nicht unmittelbar auf Unternehmen anwendbar sind und insbesondere nicht die Nichtigkeit der beanstandeten Maßnahme zur Folge haben - bewirkt ggf. die Anwendung von Schutzmaßnahmen durch diejenige Vertragspartei, die sich durch einen derartigen Verstoß geschädigt fühlt."34

Die Kommission fügt hinzu, daß auch keine krassen Abweichungen von den geltenden Rechtsvorschriften im Inland oder im Rahmen anderer von den einzelnen Parteien geschlossener Abkommen (Abkommen der Gemeinschaft mit den Mittelmeerländern, Abkommen von Stockholm zwischen den EFTA-Mitgliedern) geschaffen werden sollten. Eine weitgehend übereinstimmende Erklärung ist in der Botschaft des Schweizerischen Bundesrates zur Ratifikation der Freihandelsabkommen enthalten.35 Im Schrifttum wird ganz überwiegend die gleiche Auffassung vertreten. Das gilt unabhängig davon, ob man die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit anhand allgemeinen Völkerrechts prüft, die Kriterien zugrunde legt, welche der Europäische Gerichtshof für die unmittelbare Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge im Gemeinschaftsrecht entwickelt hat oder sich an den Maßstäben orientiert, nach denen diese Frage im Recht der Partnerstaaten beurteilt wird.36 Die entgegenstehende Auffassung, daß die Wettbewerbsregeln der Freihandelsabkommen unmittelbar anwendbar seien, stützt sich auf die 34

35

36

Bull. EG 9/1972, 19.

Schweiz. Bbl. 1972 II 703; vgl. auch die Antwort des Bundesrates vom 18.2.1976 auf die Antrage des Abgeordneten Jauslin, Stenografisches Bull. STR 1976, 177 f. Arioli, (oben Fn. 21) 40; Koppensteiner, Österreichisches und Europäisches Kartellrecht, Jur. Bl. 1973, 82, 104; Homburger, Zur international kartellrechtlichen Situation der Schweiz, Unter besonderer Berücksichtigung des Freihandelsvertrages mit der EWG: SJZ 1972, 337, 342; Koller, Zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 23 des Frcihandclsabkommcns Schweiz - EWG, in: Festgabe für Henri Deschenaux (1977) 593, 605 ff.; Waelbroeck, L'effct direct de l'accord relatif aux echanges commerciaux du 22 juillet 1972 entre la communaute Economiquc Europeenne et la Confederation Suisse, Ann. Suisse Dr. int. 1973,113; Hirsch, L'accord cntre la Suisse et la CEE confere-t-il des droits aux particulicrs?, Cahiers dr. europ. 1974, 194; Öhlinger, (oben Fn. 5) 672 ff.; Schluep, (oben Fn. 10) 254 Fn. 1; umfassend vor allem Roth, Die Wettbewerbsregeln in den Freihandelsabkommen der EWG, WRP 1978, 409 ff.

206

5 8 Das Recht der Freihandelsabkommcn

Parallele zum Gemeinschaftsrecht. Da Artt. 85, 86 unmittelbar anwendbar seien, müsse das gleiche trotz einzelner Abweichungen im Wortlaut auch für die Wettbewerbs regeln der Abkommen gelten.37 Zieht man zunächst Art. 15 des Abkommens von Stockholm zum Vergleich heran, so ist unstreitig, daß diese Wettbewerbsvorschrift nur Verpflichtungen der Staaten begründet.38 Vergleicht man Art. 85 mit den FHA-Wettbewerbsregeln, so ergeben sich die folgenden Verschiedenheiten: Das Fehlen der Nichtigkeitsfolge oder einer anderen im Verhältnis der Vertragspartner zueinander wirksamen Sanktion; das Fehlen einer Art. 85 III entsprechenden Ausnahmeregelung; das Fehlen jeder direkten materiellen oder vcrfahrensrechtlichen Verpflichtung der Unternehmen, deren Verhalten Gegenstand der Regelung ist; auch wenn eine Vertragsverletzung festgestellt ist, verpflichten die Abkommen nicht die beteiligten Unternehmen, sondern lediglich die Vertragsparteien, für die Beendigung der beanstandeten Praktiken Sorge zu tragen; als Sanktion bei Fortsetzung einer Vertragsverletzung oder bei Nichtzustandekommen eines Beschlusses des Gemischten Ausschusses sind Schutzmaßnahmen, insbesondere das Zurückziehen von Zollzugcständnisscn, vorgesehen.

Diese Verschiedenheiten betreffen grundsätzliche Rechtsfragen, welche die Entwicklung des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft begleitet haben, und sie bilden den Kern jeder Kartellgesetzgebung. Es handelt sich nicht nur um Abweichungen im Wortlaut, sondern um bewußte wettbewerbsrechtliche Regelungslücken. Diese nicht geregelten Fragen werden weder in der Gemeinschaft noch in einem Mitgliedstaat oder in einem FHA-Staat der Entscheidung durch die Rechtsprechung überlassen. Unter welchen Voraussetzungen die Kartellverträge nichtig sind, war in der Gemeinschaft bei der Verabschiedung der VO 17 trotz der eindeutigen Vorschrift des Art. 85 Abs. 2 umstritten. In der VO 17 wurde ein Kompromiß erzielt, indem man die Nichtigkeitsfolge mit Hilfe des Meldesystems variierte. Der Europäische Gerichtshof hat im Bosch-\Jrtei\ entschieden, daß Art. 85 nicht unmittelbar anwendbar gewesen sei, solange der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 85 Abs. l und Abs. 3 geschaffen habe.39 Auch die Annahme einer Art. 85 Abs. 3 entsprechenden ungeschriebenen Ausnah37 38 39

So vor allem Runnings (oben Fn. 21). Szokoloczy-Syllaba, EFTA: Restrictive Business Practices (1973), 199 f. EuGH 6.4.1962 De Gras ./. Bosch, Rs. 13/61, Slg. 139, 142.

207

3. Urheberrechte und Verwcrtungsgcscllschaften

meregelung vermag das Problem nicht zu lösen. Diese Annahme würde der Rechtsprechung die Lösung einer Frage übertragen, welche die Gemeinschaft in Art. 9 Abs. 3 VO 17 in die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission als einer Verwaltungsbehörde gelegt hat. Für den Erlaß von Gruppenausnahmen ist der Rat als Gesetzgeber der Gemeinschaft zuständig. Das in Art. 27 FHA vorgesehene Verfahren zur Feststellung von Vertragsverstößen auf politischer Ebene steht als solches der unmittelbaren Geltung zwar nicht entgegen, wohl aber sind die dort vorgesehenen Sanktionen mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln unvereinbar.40 Vergleicht man die Ermächtigung der Schutzmaßnahmen in Art. 27 FHA mit dem EWG-Vertrag, so läßt sich ferner feststellen, daß der Vertrag die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zu Schutzmaßnahmen in der Regel nur für den Zeitraum vorsieht, innerhalb dessen die Vorschriften des Vertrages noch nicht voll anwendbar sind.41 Auch im übrigen sind Schutzmaßnahmen dadurch gekennzeichnet, daß in ihrem Anwendungsbereich die unmittelbare Geltung der Vertragsvorschriften zurücktritt.42 Die Entstehungsgeschichte der Freihandelsabkommen, ihr Zusammenhang mit dem EWG-Vertrag und dem Vertrag von Stockholm sowie die festgestellten kartellrechtlichen Regelungslücken führen zu dem Ergebnis, daß die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln auf die völkerrechtliche Ebene beschränkt sein sollte. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, in welcher Weise die Vertragspartner ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen autonom erfüllen. Diese Frage ist im folgenden für die Gemeinschaft zu prüfen.

V.

Das Verhältnis der FHA-Wettbewerbsregeln zu den gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln

Die Gemeinschaft hat im Zusammenhang mit dem Abschluß der Freihandelsabkommen eine einseitige, im Amtsblatt veröffentlichte Erklärung abgegeben, daß sie im Rahmen der den Vertragsparteien obliegenden selbständigen Anwendung des Art. 23 Abs. l die diesem Artikel zuwiderlaufenden Praktiken auf der Grundlage der Kriterien beurteilen 40

Zutreffend Waelbroeck, The Enforceability of the EEC-EFTA Free Trade Agreements: A Reply, E.L.Rev. 1978, 27, 31.

41

Vgl. z. B. Art. 37 Abs. 3 EWGV. Vgl. z.B. Art.226 Abs.3.

42

208

§8 Das Recht der Freihandclsabkommen

werde, die sich aus der Anwendung der Artt. 85, 86, 90 und 92 des Vertrages zur Gründung der EWG ergeben. Wenn auch diese einseitige Erklärung die Auslegung der Abkommen im Gemischten Ausschuß nicht zu präjudizieren vermag, so ist sie doch aufschlußreich für die Anwendungsproblematik in der Gemeinschaft. In der Erklärung kommt die Erwartung zum Ausdruck, daß die den Gemeinschaftsorganen aufgrund der Artt. 86 ff. eingeräumten Befugnisse grundsätzlich ausreichen, um die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Soweit dies zutrifft, verliert die unmittelbare Anwendbarkeit der FHA-Wettbewerbsregeln in der Gemeinschaft ihre praktische Bedeutung, weil die EWG-Wettbewerbsregeln nach Maßgabe der VO 17 unmittelbar anwendbar sind. Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich die Auffassung des Rates und damit der Mitgliedstaaten aufrechterhalten, daß die der Kommission aufgrund von Artt. 85, 86 EWGV zustehenden Befugnisse durch die Freihandelsabkommen nicht erweitert werden sollen. Nicht gelöst sind damit diejenigen Fälle, in denen ein Verstoß gegen die FHA-Wettbewerbsregeln, nicht aber ein solcher gegen die EWG-Wettbewerbsregeln vorliegt, etwa weil der zwischenstaatliche Handel nicht beeinträchtigt wird. Auf der Grundlage der von der Gemeinschaft in Anspruch genommenen Kompetenz zum Abschluß der FHA läßt sich nicht abschließend entscheiden, ob die Möglichkeit der Anwendung der FHA-Wettbewerbsregeln ohne parallele Anwendbarkeit der EWG-Wettbewerbsregcln überhaupt in Rechnung gestellt wird. Die Gemeinschaft hat sich für den Abschluß der FHA „insbesondere" auf die Außenhandelskompetenz nach Art. 113 gestützt. Es ist im einzelnen streitig, wie weit diese Kompetenz reicht und ob sie den Abschluß von Verträgen deckt, welche gesonderte Wettbewerbsregeln enthalten.43 Der Gerichtshof hat im AETR-Urteil entschieden, daß sich eine Zuständigkeit zum Abschluß internationaler Abkommen nicht nur aus einer ausdrücklichen Vorschrift des Vertrages ergeben, sondern auch aus anderen Vertragsbestimmungen und den in ihrem Namen ergangenen Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane fließen könne: „Insbesondere sind in den Bereichen, in denen die Gemeinschaft zur Verwicklung einer vom Vertrag vorgesehenen gemeinsamen Politik Vorschriften erlassen hat, die in irgendeiner Form gemeinsame Rechtsnormen vorsehen, die Mitgliedstaaten weder einzeln noch gemeinsam handelnd berechtigt, mit dritten Staaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Normen beeinträchtigen. In dem Maß, wie 43

Im einzelnen dazu Roth, (oben Fn.36) 417 ff. 209

3. Urheberrechte und Verwertungsgesellschaften diese Gemeinschaftsrechtssetzung fortschreitet, kann nur die Gemeinschaft mit Wirkung für den gesamten Geltungsbereich der Gcmeinschaftsrechtsordnung vertragliche Verpflichtungen gegenüber dritten Staaten übernehmen und erfüllen."44

Diese Voraussetzungen sind bei der gemeinsamen Wettbewerbspolitik erfüllt. Daraus folgt, daß die Wettbewerbsregeln in den FHA der Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln nach Artt. 85, 86 nicht entgegenstehen. Im Zellstoffall machten die finnischen Mitglieder eines nach Art. 85 verbotenen Kartells geltend, den Wettbewerbsregeln der Freihandelsabkommen komme Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht zu. Der Gerichthof hat dieses Argument zurückgewiesen.45 Die Artt. 23 und 27 des Freihandelsabkommens setzten nämlich voraus, „daß die Vertragsparteien über Vorschriften verfügen, die es ihnen ermöglichen, die Kartelle zu verfolgen, die sie für mit dem Abkommen unvereinbar halten. Was die Gemeinschaft betrifft, können diese Vorschriften nur die Artt. 85, 86 EWGV sein. Das Freihandelsabkommen schließt somit deren Anwendung nicht aus."

Ergänzend hat der Gerichshof darauf hingewiesen, daß die Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft auf die finnischen Unternehmen angewendet würden, weil diese sich an einer umfassenden Abstimmung mit kanadischen, amerikanischen und schwedischen Unternehmen beteiligt hätten und dadurch den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft beschränkten. Es sei deshalb nicht nur der Warenverkehr mit Finnland beeinträchtigt worden, so daß die Anrufung des Gemischten Ausschusses auch nicht zum Erlaß geeigneter Maßnahmen hätte führen können. Diese Erwägungen bestätigen den Grundsatz, daß die Gemeinschaft ihre Verpflichtungen aufgrund der Wettbewerbsregeln in den Freihandelsabkommmen durch die Anwendung der Artt. 85 und 86 erfüllt.

44 45

210

31.3.1971 Kommission ./. Rat, Rs. 227/70, Slg. 273, 274. 27.9.1988 Ahlström, verbundene Rechtssachen 89 u. a./85 Rn. 31.

4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe (S 53 Abs. 5 UrhG)* mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht I.

Fragestellung und Sachverhalt

Die Zentralstelle für private Überspielungsrechte (ZPÜ) hat mich gebeten, die Frage zu prüfen, ob die Vergütungspflicht für importierte Aufnahmegeräte in §53 Abs. 5 UrhG und die in der Urheberrechtsnovelle 1983 vorgesehene Leerkassettenabgabe mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. § 53 Abs. 5 UrhG lautet in der geltenden Fassung: „Ist nach der Art eines Werkes zu erwarten, daß es durch Aufnahme von Funksendungen auf Bild- oder Tonträger oder durch Übertragung von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen zum persönlichen Gebrauch vervielfältigt wird, so hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller von Geräten, die zur Vornahme solcher Vervielfältigungen geeignet sind, einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung für die durch die Veräußerung der Geräte geschaffene Möglichkeit, solche Vervielfältigungen vorzunehmen. Neben dem Hersteller haftet als Gesamtschuldner, wer die Geräte in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gewerblich einführt oder wiedereinführt. Der Anspruch entfällt, soweit nach den Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, daß die Geräte zur Vornahme der genannten Vervielfältigungen nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes benutzt werden. Der Anspruch kann nur durch eine Verwertungsgescllschaft geltend gemacht werden. Als Vergütung steht jedem Berechtigten ein angemessener Anteil an dem vom Hersteller aus der Veräußerung der Geräte erzielten Erlös zu; die Summe der Vergütungsansprüche aller Berechtigten, einschließlich der Berechtigten nach §§ 84, 85 Abs. 3 und 94 Abs. 4, darf 5 v. H. dieses Veräußerungserlöses nicht übersteigen." Die Urheberrechtsnovelle 1983l faßt die Vergütungspflicht für Aufzeichnungsgeräte und für Bild- und Tonträger zusammen. Der neue § 54 lautet im Entwurf: „5 54 Vergütungspflicht (1) Ist nach der Art eines Werkes zu erwarten, daß es durch Aufnahme von Funksendungen auf Bild- oder Tonträger oder durch Übertragung von einem Bild- oder * Gutachten für die Zentralstelle für private Überspielungsrechtc (ZPÜ). 1 BT-Drs. 10/837 vom 22.12.1983. 211

4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe Tonträger auf einen anderen nach § 53 Abs. l oder 2 vervielfältigt wird, so hat der Urheber des Werkes gegen den Hersteller 1. von Geräten und 2. von Bild- oder Tonträgern, die erkennbar zur Vornahme solcher Vervielfältigungen bestimmt sind, Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung für die durch die Veräußerung der Geräte sowie der Bild- oder Tonträger geschaffene Möglichkeit, solche Vervielfältigungen vorzunehmen. Neben dem Hersteller haftet als Gesamtschuldner, wer die Geräte oder die Bild- oder Tonträger in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gewerblich einführt oder wiedereinführt. Der Anspruch entfällt, soweit nach den Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, daß die Geräte oder die Bild- oder Tonträger zur Vornahme der Vervielfältigungen nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes benutzt werden. (2) Ist nach der Art eines Werkes zu erwarten, daß es nach § 53 Abs. l bis 3 durch Ablichtung eines Werkstücks oder in einem Verfahren vergleichbarer Wirkung vervielfältigt wird, so hat der Urheber des Werkes gegen denjenigen, der als Betreiber eines dazu geeigneten Gerätes solche Vervielfältigungen herstellt oder herstellen läßt, einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung. Die Höhe der von dem Betreiber insgesamt geschuldeten Vergütung bemißt sich nach der Art und dem Umfang der Nutzung des Gerätes, die nach den Umständen, insbesondere nach dem Standort und der üblichen Verwendung, wahrscheinlich ist. (3) Als angemessene Vergütung nach den Absätzen l und 2 gelten die in der Anlage bestimmten Sätze, soweit nicht etwas anderes vereinbart wird. Der Bundesminister der Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft durch Rechtsverordnung die in der Anlage getroffene Regelung zu ändern, wenn dies wegen einer erheblichen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder der technischen Gegebenheiten erforderlich ist, um eine angemessene Vergütung der Berechtigten sicherzustellen. (4) Der Urheber kann von den nach Absatz! zur Zahlung der Vergütung Verpflichteten Auskunft über Art und Stückzahl der im Geltungsbereich dieses Gesetzes veräußerten Geräte und Bild- oder Tonträger verlangen. Der Urheber kann von dem Betreiber eines Gerätes, das zur Herstellung von Vervielfältigungen nach Absatz 2 geeignet ist, Auskunft über die Art und den Umfang der Nutzung des Gerätes verlangen. Die Auskunft ist jeweils für das vorangegangene Kalenderjahr zu erteilen. (5) Die Ansprüche nach den Absätzen l, 2 und 4 können nur durch eine Verwcrtungsgescllschaft geltend gemacht werden. Jedem Berechtigten steht ein angemessener Anteil an den nach den Absätzen l und 2 gezahlten Vergütungen zu."

Die Importcure von Vergütungspflichtigen Geräten und Bild- oder Tonträgern sollen durch eine in die Außenwirtschaftsverordnung aufzunehmende Bestimmung zur Meldung der Einfuhr verpflichtet werden. Die 212

II. Bestand und Ausübung von Urheberrechten

Meldungen sollen über das Deutsche Patentamt an die berechtigten Verwertungsgesellschaften weitergeleitet werden. Der neu einzufügende $20 a Urheberwahrnehmungsgesetz lautet: „Die Aufsichtsbehörde ist befugt, Angaben über die Einfuhr von Geräten und Bildoder Tonträgern i. S. v. § 54 Abs. l des Urhcbcrrechtsgcsetzcs, die ihr vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft mitgeteilt werden, an die zur Wahrnehmung des Vergütungsanspruchs berechtigte Vcrwertungsgescllschaft wciterzulciten."

In der Regierungsbegründung (a.a.O., S. 14) heißt es dazu, auf diese Weise werde sowohl bei den Geräten als auch bei Bild- oder Tonträgern eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der einheimischen Hersteller vermieden. Rolf Sack vertritt in einem Rechtsgutachten2 die Auffassung, §53 Abs. 5 UrhG sowie die geplante Neuregelung für Bild- oder Tonträger (Leerkasscttenvergütung) verstoße gegen das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen in Art. 30 EWG-Vertrag und sei durch die Ausnahmevorschrift zum Schütze des geistigen und gewerblichen Eigentums nach Art. 36 EWGV nicht gerechtfertigt. Dieser Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht führe zu einer Inländerdiskriminierung, die aufgrund deutschen Verfassungsrechts wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 GG rechtswidrig sei. Das deutsche Recht sei dadurch dem europarechtlichen Standard anzupassen, daß der Gesetzgeber auf die Leerkasscttenvergütung verzichte. Diese Meinung, die bisher von keiner Seite vertreten wurde, ist zu überprüfen.

II.

Bestand und Ausübung von Urheberrechten

1.

Freier Warenverkehr

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehören Urheberrechte zu dem gewerblichen und kommerziellen Eigentum i. S.v. Art. 36 Satz l EWGV. Der Gerichtshof hatte die Frage im Grammophon-Urteil noch

2

Die urheberrechtliche Leerkasscttenvergütung - Zur Problematik der in den Rcgierungscntwürfen einer Urhcbcrrechtsnovellc von 1982 und 1983 vorgesehenen Lecrkassettcnvcrgütung, Bctricbs-Bcratcr, Beilage 15/1984. 213

4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe

offengelassen.3 Im Urteil vom 20. Januar 1981 entschied der Europäische Gerichtshof jedoch, daß Art. 36 den durch das Urheberrecht gewährten Schutz einschließe.4 Gegenstand des zuletzt genannten Verfahrens war die Frage, ob die GEMA berechtigt war, bei der Einfuhr von Schallplatten aus Großbritannien die Differenz zwischen der in Großbritannien gezahlten und der höheren, in der Bundesrepublik geltenden Lizenz zu fordern. Der Gerichtshof hat diese Frage verneint. Sack meint, dieses Urteil betreffe ein ähnliches Problem wie die urheberrechtliche Vergütungspflicht der Importeure von Leerkassetten und Aufnahmegeräten (a.a.O., S.21). Zur Begründung verweist er auf die Erwägung des Gerichts (Rn. 24), wonach die Anwendbarkeit von Art. 30, 36 nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß die Urheberrechte noch nicht harmonisiert seien. Verkannt wird bei dieser Parallele jedoch schon die Unterscheidung von Bestand und Ausübung der Rechte. Der Gerichtshof entschied den Fall im Anschluß an seine ständige Rechtsprechung zu den unter Art. 36 fallenden Schutzrechten. Danach gewährleistet das Gemeinschaftsrecht den Bestand dieser Schutzrechte, steht der Anwendung seiner Vorschriften auf deren Ausübung jedoch nicht entgegen. Als Ausnahme von einem der grundlegenden Prinzipien des Gemeinsamen Marktes erlaube Art. 36 Beschränkungen des freien Warenverkehrs jedoch nur, „soweit sie zur Wahrung der Rechte berechtigt sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen".5 Nach dieser Rechtsprechung kann sich der Inhaber eines Schutzrechts, das nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates geschützt ist, auf Art. 36 nicht berufen, um sich der Einfuhr eines Erzeugnisses zu widersetzen, das auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates oder von ihm selbst mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden ist. Dieser Grundsatz gilt außer für das Urheberrecht für alle Ausschließlichkeitsrechte wie die Rechtsprechung zu Patenten,6 Sortenschutzrechten7 und Warenzei3

4

5

6

7

8.6.1971, Detitsche Grammophon ./. Metro, 78/70, Slg. 487, 499, Rn. 11 = GRUR Int. 1971, 450. Musikvertrieb Membran und K-tel./. GEMA, 55 und 57/80, Slg. 147, 162 = GRUR Int. 1981, 229. Zuerst 8.6.1971, Deutsche Grammophon ./. Metro, 78/70, Slg. 487, 500 „Tonträger" = GRUR Int. 1971, 450, seither st. Rspr. für alle von Art. 36 erfaßten Schutzrechte. Urteil vom 31.10.1974, Centra/arm ./. Sterling Drug, 15/74, Slg. 1147, 1163 = GRUR Int. 1974, 454. 8.6.1982, NungesserKG undEisele./. Kommission, 258/78, Slg. 2015, 2061 „Maissaatgut" = GRUR Int. 1982, 530.

214

II. Bestand und Ausübung von Urheberrechten

chen.8 Die in dieser Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zeigen indessen, daß die urheberrechtliche Vergütungspflicht nach § 53 Abs. 5 für Aufnahmegeräte und die geplante Vergütungspflicht für Leerkassetten mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Bei der von Sack vertretenen Parallele wird verkannt, daß Art. 30 nur anwendbar ist auf die Ausübung der Rechte durch „Privatpersonen", die gehindert sein sollen, aufgrund der verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten den Markt aufzuteilen.9 Deshalb gehört die Zustimmung des Rechtsinhabers zu dem Inverkehrbringen der geschützten Gegenstände in einem anderen Mitgliedstaat zum Tatbestand der Norm. Die Anwendung von Art. 30 auf Schutzrechte ist insoweit in Parallele zur Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln zu sehen. Diese Analogie war auch eine Grundlage für die Anwendung von Art. 30 auf die Ausübung von Schutzrechten durch deren Rechtsinhaber.10 Das bestätigt die in der angeführten Rechtsprechung wiederkehrende Formel, wonach Schutzrechte als solche nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, ihre Ausübung aber unter die Verbotsvorschriften des Vertrages fällt, wenn sie Gegenstand, Mittel oder Folge eines Kartells ist.11 Die Vergütungspflicht für den Import von Tonträgern und Leerkassetten knüpft nicht an ein bestimmtes grenzüberschreitendes Verhalten der Rechtsinhaber an. Die Vergütungspflicht entsteht vielmehr kraft Gesetzes aufgrund desselben Tatbestandes, der im Inland die Vergütungspflicht begründet; sie gehört zum Bestand des Urheberrechts, der durch die Ausübungshandlungen der Beteiligten nicht berührt wird.

8

9 10 11

3l. 10.1974 Centrafarm ./. Winthrop, 16/74, Slg. 1183, 1195 = GRUR Int. 1974, 456; 25.6.1976, EMIRecords./. CBS, 51/75, Slg. 811,848 = GRUR Int. 1976,398; 22.6.1976 Terrapin ./. Terranova, 119/75, Slg. 1039, 1062 = GRUR Int. 1976, 402; 23.5.1978, Hoffmann La Röche ./. Centrofarm, 102/77, Slg. 1139, 1165 = GRUR Int. 1978, 291; 10.10.1978, Centrofarm ./. American Home Products Cor., 3/78, Slg. 1821, 1840 = GRUR Int. 1979, 22, 22.1.1981, Dansk Supermarked ./. Imerco, 58/80, Slg. 181, 193 = GRUR Int. 1981, 393; 3.12.1981, Pfizer./. Eurim Pharm, 1/81, Slg. 2913, 2926 = GRUR Int. 1982, 187. Musikvertrieb Membran, a. a. O., Rn. 14, st. Rspr. Im einzelnen Mestmäcker/Schulze, Urheberrechtskommcntar, 9. Abschnitt, Europäisches Gemeinschaftsrccht, S. 16 f., Stand 30.6.1982. Grundlegend zuletzt EuGH 8.6.1982, Nungesser KG und Eisele ./. Kommission, Slg. 2015, 2061 „Maissaatgut" = GRUR Int. 1982, 530. 215

4. Die Vereinbarkeit der Lccrkasscttenabgabc und der Gcräteabgabc

2.

Freier Dienstleistungsverkehr

Die Unterscheidung von Bestand des Rechts, den das Gemeinschaftsrecht unberührt läßt, und seiner Ausübung, die den Vorschriften des EWGVertrages unterfallen kann, wendet der Gerichtshof auf Urheberrechte auch dann an, wenn für die Rechtsausübung die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr gelten. Das trifft insbesondere zu, wenn literarische und künstlerische Werke der Allgemeinheit durch beliebig oft wiederholbare Aufführungen zugänglich gemacht werden. Die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr, insbesondere Art. 59, erfassen nach dieser Rechtsprechung nicht „die Grenzen für bestimmte wirtschaftliche Betätigungen, die auf die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz es geistigen Eigentums zurückgehen".12 Der Gerichtshof hebt dabei die Unterschiede hervor, die zwischen den genannten Arten der Rechtsausübung und den Fällen bestehen, bei denen die literarischen und künstlerischen Werke der Allgemeinheit dadurch zugänglich gemacht werden, daß das Werk in körperlicher Form in Verkehr gebracht wird, wie es bei der Schallplatte oder dem Buch der Fall ist.13 Der wesentliche Inhalt des Schutzrechts folgt auch hier aus dem nationalen Recht. Das Gemeinschaftsrecht, so hat der Gerichtshof entschieden, beeinträchtigt nicht die dem Inhaber des Urheberrechts an einem Film zustehende Möglichkeit, eine Vergütung für jede Vorführung dieses Werkes zu erlangen (a. a. O., Rn. 14). In einem Anschlussverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, werden diese Grundsätze näher begründet, und war im Hinblick auf die hier entscheidende Frage nach dem Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum Urheberrecht.14 Zunächst stellt der Gerichtshof fest, daß Art. 6 Verbote oder Beschränkungen des Warenverkehrs aufgrund nationaler Schutzrechte nur für den Wfl/r/zver&e/zr zwischen Mitgliedstaaten gestattet. Sodann wird jedoch der Art. 36 zugrundeliegende Rechtsgedanke auf den freien Dienstleistungsverkehr angewendet: „Die Art. 36 zugrundeliegende Unterscheidung wischen der Existenz eines von der Gesetzgebung eines Mitgliedstaates anerkannten Rechts auf Schutz des geistigen und künstlerischen Eigentums, das durch die Bestimmungen des Vertrages nicht berührt werden kann, und der 12

13 14

216

18.3.1980, Coditel./. SA CinevogFilms, Slg. 881,903, Rn. 15 „Coditcl I" = GRUR Int. 1980, 602. „Coditel I", a.a.O. S.902. 6.10.1982, Coditel./. Cinevog, Slg. 3381, 3400 „Coditel II" = GRUR Int. 1983, 175.

III. Spezifischer Gegenstand und „supranationales Wesen" des Urheberrechts

Ausübung dieses Rechts, die u. U. eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen kann, gilt auch für die Ausübung dieses Rechts im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs."13 Aufgrund der angeführten Kriterien hat der Gerichtshof entschieden, daß eine ausschließliche, auf das Gebiet Belgiens begrenzte Lizenz für die Vorführung eines Kinofilms als solche weder gegen Art. 59,60 noch gegen das Kartellverbot des Art. 85 verstoße. Die Rechtsprechung bestätigt, daß das Gemeinschaftsrecht die Kompetenz der nationalen Gesetzgeber unberührt gelassen hat, darüber zu entscheiden, inwieweit das geistige und künstlerische Eigentum urheberrechtlich geschützt sein soll. Die Anerkennung der Existenz des Urheberrechts in der Gestalt, die es durch den nationalen Gesetzgeber erhält, gilt unabhängig davon, ob es sich um bestehende oder neu zu schaffende Rechtsvorschriften handelt. Soweit die Anerkennung der Schutzrechte i. S. v. Art. 36 Satz l durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs reicht, scheidet die Anwendung von Art. 30 aus. Sack will den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts dagegen nicht anhand der nationalen Rechte, sondern aufgrund seines „supranationalen Wesens" abgrenzen. Darauf ist gesondert einzugehen.

III.

Spezifischer Gegenstand und „supranationales Wesen" des Urheberrechts

Sack bezeichnet es als „entscheidende Frage, ob die urheberrechtliche Vergütungspflicht der Importeure von Leerkassetten und von Aufnahmegeräten den spezifischen Gegenstand des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte ausmacht". Die Frage wird von ihm „zumindest derzeit" verneint. Welche Umstände zu einer im Zeitablauf anderen Beurteilung führen könnten, wird nicht erörtert. Ausschlaggebend sei, welche Inhalte des Urheberrechts aus supranationaler Sicht sein Wesen ausmachten. Wegen der zentralen Bedeutung dieser Aussage für den Gedankengang im ganzen sei die Begründung wörtlich zitiert: „Wenn das Merkmal »spezifischer Gegenstand' eines Schutzrechts im Zusammenhang mit dem Schutz des freien Warenverkehrs überhaupt einen Sinn hat, dann können nicht alle nationalen Ausgestaltungen eines Schutz15

„CoditelH", S.3401,Rn. 13. 217

4. Die Vereinbarkeit der Lcerkassettenabgabe und der Geräteabgabe

rechts zu dessen spezifischem Gegenstand gerechnet werden. Entscheidend ist vielmehr, welche Inhalte eines Schutzrechts aus supranationaler Sicht dessen Wesen ausmachen, zumindest für dieses kennzeichnend sind. Dafür liefern die internationalen Urheberrechtsabkommen sowie die internationale Praxis wertvolle Anhaltspunkte. Soweit die internationalen Urheberrechtsabkommen und die internationale Praxis einen bestimmten Urheberschutz vorsehen, ist dies ein gewichtiges Indiz dafür, daß dieser Schutz zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts gehört. Soweit hingegen bestimmte nationale Modalitäten des Urheberschutzes in der EG oder gar in der Welt einmalig oder selten sind, spricht dies gegen ihre Zuordnung zum .spezifischen Gegenstand des Urheberrechts' (a. a. O. S. 24 (Hervorhebung im Original))." Die Frage, in welcher Weise das Gemeinschaftsrecht die nationale Gesetzgebungskompetenz zur Schaffung und zur inhaltlichen Ausgestaltung von Schutzrechten begrenzt, ist in der Tat entscheidend. Entgegen der Annahme von Sack hat der Europäische Gerichtshof jedoch eindeutig entschieden, daß das Gemeinschaftsrecht ein von den nationalen Rechten verschiedenes supranationales Wesen von Schutzrechten nicht kennt. Das folgt aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. September 1982 über den urheberrechtlichen Schutz von Mustern und Modellen im niederländischen Recht.16 Sack möchte dieses Urteil zwar für seine Auffassung in Anspruch nehmen (a.a.O. Fn.210), es widerlegt jedoch die von ihm vertretene Meinung. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Nach niederländischem Recht, das seinerseits auf dem Gebrauchsmusterrecht der Benelux-Staaten beruht (Eenvormige Beneluxwet Inzake Tekeningen of Modellen), sind Muster und Modelle urheberrechtlich geschützt. Schutzobjekt der individuellen Ausschließlichkeitsrechte ist das neue Aussehen eines Gebrauchsgegenstandes. Das Gesetz fordert nicht, daß die Neuheit das Ergebnis einer schöpferischen Leistung ist. Das Recht entsteht vielmehr allein durch die zeitmäßig erste Hinterlegung des Musters oder Modells. Ein von der Rechtsinhaberin auf Unterlassung des Vertriebs in Anspruch genommenes Unternehmen machte geltend, die Klägerin sei nicht der Urheber der Tasche. Das niederländische Recht widerspreche dem Begriff des Schutzes von Mustern und Modellen, wie er allgemein zu verstehen sei, weil es dem Hinterleger ein Monopolrecht verschaffe und auch gegen den Vorwurf des Plagiats schütze, wenn es sich um ein reines Handelsunternehmen 16

Keurkoop BV./. Nancy Kean Gifts Co., 144/81, Slg. 2583 „Muster und Modelle" = GRUR Int. 1983, 643.

218

III. Spezifischer Gegenstand und „supranationales Wesen" des Urheberrechts

handele, das nichts weiter getan hat, als das Muster zu hinterlegen. Das führe zur Abschottung der nationalen Märkte und sei mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Schutz des freien Warenverkehrs unvereinbar. Die Vorlagefrage des niederländischen Gerichts lautete, ob die genannte Regelung als solche mit Art. 36 EWGV vereinbar sei, wenn gegen den Hinterleger nicht geltend gemacht werden könne, daß er nicht der Urheber des Musters sei. Ferner: „Kann die Unterlassungsklage insoweit abgewehrt werden, als sie Erzeugnisse betrifft, die der Beklagte aus einem anderen zum Gemeinsamen Markt gehörenden Land als demjenigen (zum Gemeinsamen Markt gehörenden Land) bezogen hat, für das das Verbot beantragt wird, wenn durch den Handel mit diesen Erzeugnissen in diesem anderen Land keine Rechte des klagenden Hinterlegers verletzt werden (a. a. O. S. 2870)?" Generalanwalt Reischl hat die in unserem Zusammenhang maßgeblichen Fragen treffend zusammengefaßt. Zu prüfen sei, ob sich der spezifische Gegenstand des Geschmacksmusterrechts nach einer einheitlichen gleichsam idealtypischen Ausgestaltung dieses Schutzrechts bestimme oder ob, wie die britische, die deutsche und die französische Regierung sowie die Berufungsbeklagte und die Kommission vorgetragen hätten, bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstands des Geschmacksmusterrechts i. S. v. Art. 36 des EWG-Vertrages von der jeweiligen nationalen Gesetzgebung unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Ausgestaltung auszugehen sei. Der Generalanwalt hat diese Frage eindeutig beantwortet: „Diese Frage kann meiner Ansicht nach aufgrund von Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des Art. 36 des EWG-Vertrages nur in dem Sinne beantwortet werden, daß, solange die einzelstaatlichen Vorschriften über den Schutz des gewerblichen Eigentums in der Gemeinschaft noch nicht vereinheitlicht sind, lediglich der mitgliedstaatliche Gesetzgeber über ihren Bestand entscheiden kann. Folglich ist es grundsätzlich auch allein Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte gewährleisten wollen und wie diese im einzelnen ausgestaltet sein sollen, wobei allerdings die vom Vertrag gesetzten Grenzen zu beachten sind (a. a. O. S. 2880)." Dieser Auffassung ist der Gerichtshof gefolgt. Der entscheidende Leitsatz lautet: „Mangels einer Rechtsvereinheitlichung oder Angleichung innerhalb der Gemeinschaft bestimmen sich die Voraussetzungen und die Modalitäten des Schutzes von Mustern und Modellen nach dem nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates. Bei seinem gegenwärtigen Stand steht das Gemeinschaftsrecht dem Erlaß von nationalen 219

4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe

Vorschriften nicht entgegen, nach denen das ausschließliche Recht an einem Muster oder Modell durch die erste Hinterlegung entsteht, ohne daß geprüft werden braucht, ob der Hinterleger zugleich der Urheber ist und ohne daß Personen, die hieran ein Interesse haben, geltend machen können, daß der Hinterleger weder der Urheber des Modells noch der Auftrag- oder Arbeitgeber des Urhebers ist (a. a. O. S. 2853)." Das Urteil stellt klar, daß es bei den Schutzrechten, die Art. 36 unterfallen, wie es für Urheberrechte unstreitig zutrifft, kein vom Inhalt der nationalen Rechte verschiedenes supranationales Wesen des Urheberrechts gibt, an das die nationalen Gesetzgeber gebunden sind. Der Schutz von Art. 36 Satz l EWGV soll, wie es der Gerichtshof formuliert, den für das gewerbliche und kommerzielle Eigentum kennzeichnenden Ausschließlichkeitsrechten gewährt werden (a. a. O. S. 2870, Rn. 14). Das trifft sogar dann zu, wenn das nationale Recht, wie in dem angeführten Fall, Ausschließlichkeitsrechte ohne Bezug auf eine schöpferische Leistung begründet und seine Wirkung darin besteht, die Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern. Daraus folgt: Der deutsche Gesetzgeber kann den Schutz der Urheber und anderer Leistungsberechtigter so ausgestalten, wie er es für sachlich geboten hält. Diese Folge wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß sich aus den Verschiedenheiten der nationalen Rechte Hindernisse für den freien Warenverkehr ergeben können. Der Gerichtshof hat diese Konsequenz in seiner Rechtsprechung zu den Schutzrechten i. S. v. Art. 36 Satz l EWGV von Anfang an gesehen und als unvermeidlich bezeichnet: „Die einzelstaatlichen Vorschriften über den Schutz des gewerblichen Eigentums sind in der Gemeinschaft noch nicht vereinheitlicht. Infolgedessen können sich aus der Begrenzung des Schutzbereichs des gewerblichen Eigentums auf den Einzelstaat und aus den Unterschieden zwischen den einschlägigen einzelstaatlichen Gesetzgebungen Hindernisse für den freien Warenverkehr der patentierten Erzeugnisse und den freien Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes ergeben."17 Träfe die Rechtsauffassung von Sack zu, so wären die nationalen Gesetzgeber im theoretischen Geltungsbereich der unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gehindert, neue Schutzrechte zu schaffen oder ihren Inhalt (außer durch Aufhebung) zu verändern. Diese Konsequenz hat Sack für die Gesetzgebung im Urheberrecht in der Tat gezogen. Sie würde in ihren praktischen Konsequenzen noch über die Sperrwirkung hinausgehen, welche allenfalls bei solchen nationalen 17

29.2.1968, Parke Davis & Co../. Probe/ u. a., 24/67, Slg. 86,111 = GRUR Int. 1968, 99.

220

IV. Gemcinschaftsrechtliche Grenzen der nationalen Gesctzgebungskompctenz

Rechtsnormen in Betracht kommt, die aufgrund einer Richtlinie der Gemeinschaft angeglichen worden sind. Die Gefahren des Mißbrauchs europarechtlicher Argumente zur Behinderung der sachgemäßen politischen Willensbildung des nationalen Gesetzgebers treten anhand des vorliegenden Sachverhalts besonders deutlich hervor. Sack beruft sich, wie ausgeführt, zur Begründung der Gemeinschaftswidrigkeit des deutschen Rechts darauf, daß kein Mitgliedstaat der EG derzeit eine urheberrechtliche Leerkassettenvergütung vorsehe und auf der ganzen Welt nur zwei Rechtsordnungen eine solche Regelung kennen. Daraus wird sodann gefolgert: „Schon aufgrund dieser Tatsache kann man die Leerkassettenvergütung derzeit nicht zu den Schutzwirkungen des Urheberrechts und seiner Nachbarrechte zählen, die den spezifischen Gegenstand dieser Schutzrechte ausmachen (a. a. O. S. 24)." Unter Berufung auf eben dieses Rechtsgutachten machte der Vorsitzende des „Informationskreises Magnetband" geltend, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch auf EG-Ebene bestünden Pläne, eine Leerkassettenabgabe durchzusetzen. Bei Verwirklichung dieser Pläne bestehe die große Gefahr, daß sich eine Verwirklichung der deutschen Gesetzgebungspläne als „Türöffncr" für eine gesamteuropäische Lösung erweisen könnten. 18 Diese Erwartung ist in der Tat begründet; aber der jetzt erwogenen deutschen Lösung kann man dann - unabhängig von den bereits erörterten gemeinschaftsrechtlichcn Fragen - ihren europäischen Geist gewiß nicht absprechen.

IV.

Gemeinschaftsrechtliche Grenzen der nationalen Gesetzgebungskompetenz (Art. 36 Satz 2 EWGV)

Eine Grenze für die Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten folgt aus Art. 36 Satz 2 EWGV. Danach dürfen die nationalen Gesetzgeber ihre Kompetenzen nicht ausüben, um m it Hilfe der Schutzrech tsgesctzgebung willkürlich zu diskriminieren oder verschleierte Handelsbeschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten zu bewirken. Eine sachgemäße gesetzgeberische Ausgestaltung des Urheberrechts erfüllt diese Voraussetzungen auch dann nicht, wenn die Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten dadurch noch ausgeprägter werden, als sie ohnehin sind. Die 18

Handclsblatt vom 11.10.1984. 221

4. Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabc und der Geräteabgabe

gesetzliche Regelung der Vergütungspflicht für importierte Aufnahmegeräte und für Leerkassetten läßt kein wie immer geartetes Indiz für Diskriminierungen oder verschleierte Handelsbeschränkungen erkennen. Der im einzelnen dargestellte Fall des urheberrechtlichen Schutzes von Mustern und Modellen im niederländischen Recht bestätigt den weiten Beurteilungsspielraum der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber. Die Kontroverse darüber, ob der mitgliedstaatliche Gesetzgeber ein Ausschließlichkeitsrecht ohne Anknüpfung an eine schöpferische Leistung allein durch Hinterlegung mit der Wirkung begründen kann, daß dieses Rechtunter Art. 36 fällt, wird vom Gerichtshoflapidar beantwortet: „Hierzu ist lediglich festzustellen, daß sich die Voraussetzungen und die Modalitäten des Schutzes von Mustern und Modellen beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts mangels einer Rechtsvereinheitlichung oder -angleichung innerhalb der Gemeinschaft nach dem nationalen Recht (...) bestimmen (a. a. O. S. 2871, Rn. 18)." Anhaltspunkte für eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten vermochte der Gerichtshof nicht zu erkennen. Er hob im Gegenteil hervor, daß der von Art. 36 EWGV den dort genannten Rechten gewährte Schutz ohne Bedeutung wäre, wenn es einer anderen Person als derjenigen, die Inhaber des Rechts sei, gestattet wäre, die geschützten Gegenstände zu vertreiben: „Diese Feststellung behält ihre volle Gültigkeit in dem besonderen, vom nationalen Recht angeführten Fall, daß eine Person, die ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat vertreiben will, sich zu diesem Zweck aus einem anderen Mitgliedstaat hat beliefern lassen, in dem der Handel mit dem Erzeugnis die Rechte des Hinterlegers nicht verletzt, der Inhaber des ausschließlichen Rechts an dem Modell in dem erstgenannten Staat ist (a. a. O. S. 2872, Rn. 22)." Die genannte Feststellung des Gerichtshofs ist deshalb von grundlegender Bedeutung, weil sie noch einmal klarstellt, daß die mitgliedstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen nicht mit dem Argument in Frage gestellt werden können, daß es vergleichbare Schutzrechte oder Schutzrechte mit einem vergleichbaren Inhalt in anderen Mitgliedstaaten nicht gibt, so daß die Geltendmachung der Rechte notwendig den freien Warenverkehr berühren kann. Das Ergebnis ändert sich nicht, wenn man die von Sack (a. a. O. S. 22) zusätzlich herangezogene Rechtsprechung zu nationalen Handelsregelungen berücksichtigt. Nach dieser Rechtsprechung ist jede Handelsregelung als eine Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen, „die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu 222

V. Inländerdiskriminierungen

behindern".19 Das gilt unabhängig davon, ob es sich um diskriminierende oder um unterschiedslos anwendbare Maßnahmen handelt.20 Auch bei den Handelsregelungen bleibt es den Mitgliedstaaten vorbehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um unlautere Verhaltensweisen zu unterbinden, sofern die getroffenen Maßnahmen „sinnvoll" sind. Soweit jedoch die Wirkungen von Schutzrechten auf den zwischenstaatlichen Warenverkehr in Frage stehen, die aus dem Bestand dieser Rechte folgen, ist die Prüfung, ob es sich um eine „sinnvolle Regelung" handelt, gegenstandslos. Eben diese Frage wird anhand des „spezifischen Gegenstandes" des gewerblichen und kommerziellen Eigentums generell beantwortet. Im übrigen würde es selbst ohne die Sondervorschrift für Schutzrechte in Art. 36 EWGV ausgeschlossen sein, die Regelung des § 53 Abs. 5 UrhG und die für Leerkassetten in der Urheberrechtsnovelle angesichts ihrer Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht als nicht sinnvoll oder sachwidrig zu erweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat die in § 53 Abs. 5 enthaltene Vergütungspflicht für Aufnahmegeräte geprüft und gebilligt(BVerfGE 31, 255,269). Insbesondere hat das Gerichtdas Argument zurückgewiesen, die unmittelbare Inanspruchnahme der Hersteller verletze den allgemeinen Gleichheitssatz. Das treffe auch dann nicht zu, wenn die Inanspruchnahme der Hersteller zu einer Minderung ihrer Wettbewerbsfähigkeit führen sollte (a. a. O. S. 267). Eine Benachteiligung der inländischen Tonbandgerätehersteller gegenüber ausländischen Wettbewerbern liege nicht vor. Dem stehe die gleichmäßige Inanspruchnahme des importierenden ausländischen Herstellers und der Importeure entgegen (a. a. O. S. 269).

V.

Inländerdiskriminierungen

Sack nimmt an, daß eine gegen Art. 30, 36 EWGV verstoßende urheberrechtliche Vergütungspflicht der Importeure von Leerkassetten oder Aufnahmegeräten zu einer umgekehrten Diskriminierung führe, nämlich zur Diskriminierung der deutschen Hersteller. Deren Erzeugnisse unterlägen einer Kostenbelastung, die ausländische Hersteller und Importeure ausländischer Waren nicht treffe (a. a. O. S. 24). Diese Diskriminierung sei zwar gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, aber der deutsche 19 20

11.7.1974 Dassonville, 8/74, Slg. 837, 852 = GRUR Int. 1974, 467. 20.2.1979, REWE-Zentral-AG./. Bundesmonopolverwaltung, 120/78, Slg. 649,664 „Cassis de Dijon" = GRUR Int. 1979, 468.

223

4. Die Vereinbarkeit der Lcerkassettcnabgabe und der Geräteabgabe

Gesetzgeber sei aufgrund deutschen Verfassungsrechts nach Art. 3 GG gehalten, für Gleichbehandlung zu sorgen, indem das deutsche Recht dem europäischen Standard angeglichen werde, d. h. indem der Gesetzgeber auf die Einführung der Vergütung für Leerkassetten verzichte (a. a. O. S. 25). Da weder § 53 Abs. 5 UrhG noch die geplante urheberrechtliche Vergütung für die Einfuhr von Leerkassetten gegen Art. 30 verstoßen, braucht dieser Frage nicht weiter nachgegangen zu werden. Eine Beeinträchtigung der deutschen Hersteller durch Importkonkurrenz scheidet aus, weil die gemeinschaftsrechtlich zulässige gleichmäßige Belastung der ausländischen Hersteller und Importeure gleiche Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt herstellt. In Betracht könnte allenfalls eine Benachteiligung der deutschen Hersteller beim Export in andere Mitgliedstaaten kommen. Dem steht jedoch S 53 Abs. 5 S. 3 UrhG entgegen. Danach entfällt der Vergütungsanspruch, soweit nach den Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, daß die Geräte zur Vornahme der genannten Vervielfältigungen nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes benutzt werden. Das trifft bei den Geräten zu, die für den Export bestimmt sind. Auch diese Regelung verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Für mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung im Export gilt nicht Art. 30 und die dazu ergangene Rechtsprechung, sondern Art. 34. Zu dieser Vorschrift hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, daß sie nur anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat zwischen dem Inlandsabsatz und der Ausfuhr unterscheidet, nicht aber dann, wenn sich die nationale Gesetzgebung lediglich von der in anderen Mitgliedstaaten geltenden unterscheidet. Art. 34 bezieht sich „auf nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaates und seinen Außenhandel schaffen, so daß die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt". Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, wenn das Verbot auf die Herstellung von Waren einer bestimmten Art generell anwendbar ist, ohne Unterschied, ob diese für den nationalen Markt oder für die Ausfuhr bestimmt seien.21 In gleicher Weise legt der Gerichtshof in ständiger Praxis das Verbot der Diskriminierung aus 21

8.11.1979, Groenvdd ./. Produktschap voor Vec en Vlees, 15/79, Slg. 3409, 3415; übereinstimmend 14.7.1981, Oebel, 155/80, Slg. 1983, 2009, Rn. 15.

224

Zusammenfassung

Gründen der Staatsangehörigkeit aus.22 Die urheberrechtliche Vergütungspflicht für Aufnahmegeräte und Leerkassetten wird im Binnenmarkt der Bundesrepublik gleichmäßig angewendet. Die Sonderregelung in §53 Abs. 5 S. 3 UrhG schließt die Vergütungspflicht für Nutzungen aus, die außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik vorgenommen werden. Der Zweck der Regelung ist nicht die Beeinflussung des Exports, sondern die auch völkerrechtlich gebotene Begrenzung der gesetzlichen Regelung auf das Gebiet der Bundesrepublik. Eine Benachteiligung der deutschen Hersteller im Export wird mithin ohne Verstoß gegen Art. 34 EWGV vermieden.

Zusammenfassung 1. Die Prüfung von S 53 Abs. 5 UrhG und der in der Urheberrechtsnovelle 1983 vorgesehenen Leerkassettenvergütung hat keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts ergeben. 2. Das Gemeinschaftsrecht erkennt das Urheberrecht grundsätzlich so an, wie es der nationale Gesetzgeber ausgestaltet. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um bestehende oder neu zu schaffende Normen handelt. 3. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der „spezifische Gegenstand des Urheberrechts" anhand des nationalen Rechts zu ermitteln. Es gibt kein vom nationalen Recht verschiedenes supranationales Wesen des Urheberrechts. 4. Die urheberrechtliche Vergütungspflicht in § 53 Abs. 5 UrhG und die geplante Vergütungspflichtfür Lcerkassetten gehört zu dem vom Gemcinschaftsrecht in Art. 36 Satz 2 EWGV garantierten Bestand des Urheberrechts. Die aus den nationalen Verschiedenheiten der Urheberrechte folgenden Auswirkungen auf den freien Warenverkehr, insbesondere auf den Import von Aufnahmegeräten und Leerkassetten, werden vom Gemeinschaftsrecht beim gegenwärtigen Stand der Integration hingenommen. 5. Eine Diskriminierung zu Lasten der deutschen Hersteller durch Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im Export von Aufnahmegeräten und Leerkassetten liegt nicht vor. 22

Urtcili.S.OcbcI,a.a.O.S.2007m. w.N.;zuletzt 12.1.1983,Sm/rTransportßV, 126/82, Slg. 73,93. 225

5. Performing Rights Organisations in the Common Market: Comparative Observations 1.

The legal status of performing rights organisations

The legal status of performing rights organisations shows considerable divergencies. They are organized as a public monopoly in Italy, as private associations subject to regulatory control under the West German Copyright Administration Act of 1965, and as private associations subject to the general rules of the antitrust laws and operating under a consent decree in the United States. With respect to the Treaty of Rome, it has been argued that performing rights organisations which are subject to regulatory control or which are public monopolies are enterprises entrusted with the operation of services of general economic interest within the meaning of Article 90(2). According to this provision such undertakings are subject to the rules of the treaty, in particular to the rules on competition in so far as the application of such rules does not obstruct the performance, in law or in fact, of the particular tasks assigned to them. The European Court of Justice decided, however, that the administration of intellectual property rights protected by law does not as such bring such organisations under Article 90(2).' The German Copyright Administration Act was held not to confer the management of copyright and related rights to specific undertakings but to define 'in a general manner the rules applying to the activities of companies which undertake the collective exploitation of such rights'.2 These holdings have not prevented the Court from recognising the special characteristics of performing rights organisations in applying the rules of competition to them. A comparative analysis shows that these characteristics are generally recognised even though the legal context in which they do become relevant varies in accordance with differences in the underlying national regimes. The statement of the US Supreme Court 1 2

27 March 1974, BRT v SABAM. Case 127/73, ECR 313, 318. 2 March 1983, CVL v Commission, Case 7/82, ECR 504.

227

5. Organisations in the common market: comparative observations

that neither ASCAP nor BMI is a stranger to antitrust litigation3 applies to performing rights organisations of the Common Market as well. The rules of competition of the Treaty of Rome, particularly the Article 86 prohibition of abuses of a dominant position, have been applied to them by the Commission of the European Communities, the European Court of Justice, and national authorities. The rules of the Treaty apply concurrently with the national antitrust laws of the Member States and concurrently with national regulatory controls as long as there is no conflict in individual cases. This makes it possible to base a comparison of regulatory policies primarily on the situation in the United States and the Common Market. In all cases applying or interpreting Article 86 with respect to performing rights associations, the European Court has held that these organisations are enterprises within the meaning of the rules of competition; that they do have a dominant position within a substantial part of the Common Market within the meaning of Article 86 if they are the sole organisation in their respective countries.4 In the case of an organisation managing performers' rights of secondary exploitation under the German Copyright Act, the Court found that the relevant market is the market in services relating to the management of such rights vested in performing artists and manufacturers.5 In all these cases, the Court ruled that Article 86 is applicable to relations of performing rights societies to their members as well as to their customers, i. e. music users.

2.

Price fixing by performing rights organisations

The most fundamental and in many respects the most revealing issue is the extent to which performing rights organisations infringe the prohibition of concerted restrictions of competition, be it under section 1 of the Sherman Act, Article 85 of the Treaty of Rome, section 1 of the German Act Against Restraints of Competition, or French Law No. 77/806 3 ΒΜί ν CBS, 441 US 1 (1979). 4 10 June 1980, Greenwich Films v SACEM, CMLR 1982, 577; 2 March 1983, GVL v Commission, Case 7/82, ECR 506; 27 March 1974, BRT v SABAM, Case 127/73, ECR313, 318. 5 GVL case 506.

228

2. Price fixing by performing rights organisations

of 1977. The inquiry whether the cooperation of composers and publishers restrains competition brings out the unique characteristics of the market for copyrights and the kind of competition which is feasible in these markets. For all practical purposes, the pricing policies of performing rights organisations are identical with blanket licensing. Consequently, in the United States the controversy centres around the question whether blanket licensing amounts to price fixing, which is illegal per se, or whether a 'rule of reason' approach is justified. Of general importance is the recognition that performing rights organisations create an economically marketable repertory.6 All other considerations are secondary compared with the fact that performing rights organisations create a market for a product which is different from the zum total of individual copyrights. This marketable repertory of copyrights is licensed through a blanket license. The music user receives through the blanket licence access to the whole repertory of the licensor without prior individual negotiations and with a free choice in the selection of individual compositions. In the words of the US Supreme Court, 'The blanket license is composed of the individual composition plus the aggregating service. Here, the whole is truly greater than the sum of its parts; it is, to some extent, a different product'.7

Single licences issued by individual composers or publishers have proved to be irrelevant, whether or not the transfer of copyrights to the performing rights organisations has been based upon an exclusive or nonexclusive licence. In Europe, the legitimacy of blanket licensing as such has never been seriously questioned. The German Copyright Administration Act of 1965 even requires performing rights organisations to enter into collective package licences with associations, the members of which use copyrighted works or services or who arc obliged to pay licence fees under the Copyright Act. The package licences are to be entered into at reasonable terms. However, the performing rights society has the right to refuse to deal with such an association if the package deal would be an undue burden, particularly where the user association has only a few 6

Mesttnäckcr, 'Copyright in Community Law', Journal of World Trade Law, Special Supplement No. 3, 1976, 59.

7

ßMi v CB5, 441 US 1, 99 (1979).

229

5. Organisations in the common market: comparative observations

members. The statute provides for official arbitration if the parties to a collective package licence do not reach agreement.8 Members of user organisations are entitled to better terms than individual licensees, because the collective package license reduces the costs of administration and control.9 The French Commission de la Concurrence arrived at the same conclusion under the French Act of 19 July 1977 concerning the control of economic concentration. The French performing rights organization SACEM enters into package licensing with associations of discotheques. A group of discotheques that refused to take out a package licence brought an action against SACEM alleging infringement of the prohibition to fix prices and the prohibition of discrimination. The commission emphasised the importance of applying the rules of competition as there was no other institution under French law to control the activities of SACEM. The task was to inquire whether the legitimate protection of the composers' interests by SACEM did not constitute an abuse to the disadvantage of music users. The commission found that SACEM did not interfere with the normal Operation of the market and that the preferential treatment of user organizations was justified because they contributed to the control of copyright use and to the promotion of culturally valuable music.10 The Article 85(1) prohibition of concerted restrictions of competition has not been applied to performing rights organisations as such or to blanket licensing. However, the conflicts of interest which have to be resolved in applying the abuse-control Provision of Article 86 are almost identical to the rule of reason analysis under section 1 of the Sherman Act.

3.

Abuse control and rule of reason

Administrative Convenience With respect to the interests taken into account in resolving conflicts between performing rights organisations, their members, and their customers, the United States antitrust approach and the European 'abuse8 9 10

Section 14. German Federal Court, Schulze, BGHZ 205, 8. Opinion of 13 March 1984 concerning certain practices of SACEM in its relations with 'Club 202'.

230

3. Abuse control and rule of reason

control' approach show considerable differences in emphasis and practical effect. In assessing restraints of competition by performing rights organisations under the Sherman Act, the obvious frame of reference is the competitive process and public interest in the maintenance of competition. Of overriding importance, even in the context of a rule of reason approach, is the protection of consumer interests. The US Supreme Court's reasoning in the 1979 CBS case illustrates the point. The redeeming virtues of blanket licensing are clearly found in the fact that 'many consumers clearly prefer the characteristics in cost advantages of this marketable package'.11 The interests of the members of performing rights organisations are not neglected, but their protection appears to be secondary to the public interest in competition. In examining the application of Article 86 to blanket licensing, the European Court of Justice looks almost exclusively at the interests of composers and publishers, ie at the interests of the members of these organisations. The relevant question is whether such an organisation imposes on its members obligations which are not absolutely necessary for the attainment of its object and which thus encroach unfairly upon the member's freedom to exercise his copyright. 12 What the Court tries to protect is not competition among individual composers or publishers, but competition of performing rights organisations in the Common Market in attracting composers and publishers. This concern goes back to the first GEMA decision of the Commission of the European Communities in 1972,13 which in turn triggered private law suits in the member countries. The purpose of guaranteeing free access for composers and publishers to national performing rights organisations is clearly reflected in the SABAM ruling of the European Court of Justice. A compulsory assignment of all copyrights, both present and future, without distinction between different generally accepted types of exploitation, may infringe Article 86. The example the Court gives of an abuse is the assignment of all copyrights by the member effective for a long period even after the member's withdrawal. The right to withdraw from a performing rights Organisation assures freedom of movement for composers and publishers. A similar 1

"a.a.O.

12 13

"

SABAM case, p 319. Decision of 2 June 1971, Official Journal 1971, L 134; modified, Decision of 6 June 1972, Official Journal, 1972, L 166.

231

5. Organisations in the common market: comparative observations

modification of contractual arrangements with its members has been imposed on ASCAP by the 1950 consent decree.14 For the same reason, the abolition of discrimination based on the nationality of members of performing rights organisations is of central importance. In a recent case involving the German organisation administering performers' rights, the European Court upheld a decision of the commission that the association infringed Article 86 in conducting its activities in such a way that foreign artists who were not resident in the Federal Republic of Germany could not benefit from rights of secondary exploitation even if they could show that they held such rights either because German law was applicable or because the law of some other state recognized the same rights.15 In its first GEMA decision, the Commission imposed an obligation to distinguish in the acquisition of rights between certain categories of use. However, in the second GEMA decision this obligation was abandoned. The composer or publisher may now assign all rights or differentiate according to categories of use. However, there is no obligation to differentiate categories of use in the licensing of music users. In the 1979 CBS case, the US Supreme Court observes that if the present network licences issued through ASCAP on behalf of its members were per se violations, it would be equally illegal for the members to authorize ASCAP to issue licences establishing various categories of use that a network might have for copyright music and setting a standard for each described use.16 This observation confirms the difference between evaluating blanket licensing as price-fixing or as an abuse under Article 86.

Bargaining Position The US Supreme Court and the European Court of Justice both emphasize the importance of the inferior bargaining position of individual composers and publishers as compared with the more important music users, record manufacturers and broadcast industry. In the recent Buffalo case,17 a New York federal district court based a finding of illegality of blanket licensing primarily on the ground that there was no such disparity of

14

United States v ASCAP, 1950/51 CCH Trade Cases, 62, 595, SONY (1950). '5 2 March 1983, GVL v Commission, Case 7/82, ECR 508/509. 16 A.a.O. 17 Buffalo Broadcasting Co Ine v ASCAP, 546 F Supp 274 (SONY 1982). 232

3. Abuse control and rule of reason

bargaining position between ASCAP and local TV stations.18 In appraising the contractual arrangements of performing rights organisations with their members, the European Court of Justice emphasizes the interest of the individual composer in being protected against major music users: 'For this appraisal account must be taken of all the relevant interests, for the purpose of ensuring a balance between the requirement of maximum freedom for authors, composers, and publishers to dispose of their works and that of the effective management of their rights by an undertaking which in practice they cannor avoid joining. To determine whether, in these circumstances, the practices mentioned in the referring judgment constitute an abuse within the meaning of Article 86 of the Treaty account must however be taken of the fact that an undertaking of the type envisaged is an association whose object is to protect the rights and interests of its individual members against, in particular, major exploiters and distributers of musical material, such as radio broadcasting bodies and record manufacturers.' 19

The last consideration goes far to explain why the European Court does not require performance rights organisations to license various categories of use. In the context of a rule of reason inquiry, it is difficult to see how it will be possible to accommodate the concept of the blanket licence as a new product and its administrative convenience with a case-by-case analysis of the relative bargaining strength of performing rights organisations and music users.

Abuse Control and Music Users' Interest in Competition The fact that performing rights organisations create a new product and a new market which would not exist without them influences the standards to be applied in finding an abuse under Article 86 as well as under national legislation. Conduct of market-dominating enterprises is usually considered to be abusive if it is substantially different from conduct in comparable competitive markets. The difficulties in administering this standard, which has been written into the German Act Against Restraints of Competition, are well known. However, if we are dealing with products and markets which would not exist but for the performing rights orga18

19

C/thc analysis by M K Kennedy, 'Blanket Licensing of Music Performing Rights: Possible Solutions to the Copyright Antitrust Conflict', 37 Vand L Rev 183, 208 (1983). SABAM case, 316/317. 233

5. Organisations in the common market: comparative observations

nisations themselves, it becomes untenable to refer to competition or to markets as they would exist without such organisations. The point has been well argued by Professor Cirae: 'If ASCAP were to continue to bargain without restriction on behalf of copyright owners, then price would tend to the monopoly price which is higher than a competitive price. If copyright owners were to deal directly with CBS, then price would tend to the monopsony price which is lower than a competitive price. An attempt to avoid the monopoly/monopsony problem by asking what the price of musical performing rights would be if the market structure were theoretically competitive would fall. According to the theory of perfect competition, a product's price is efficient if it equals the cost of producing an additional unit, ie marginal cost. In the context of this theory, it is difficult to determine a price for products such as musical compositions which, once created, arc costless to use. Because an additional performance is costless to the composer, the efficient price of musical performance right is zero'.20

These considerations highlight the difficulties in finding what prices are unfair or unreasonable in the licensing of a repertory. The difficulties are not removed by charging a regulatory body with the task of setting fair royalties.

4.

Extraterritorial application of Article 86

One case decided by the European Court of Justice permits a glance at the possible extraterritorial application of Article 86 in the context of performing rights organisations. The French Cour de Cassation referred the following remarkably circumscribed request to the European Court to give 'a ruling on the application of Article 86 of the Treaty of Rome in relation to the performance in nonmember countries of contracts entered into in the territory of a Member State by parties within the jurisdiction ofthat state'.21 The facts of the case and the issue as far as Community law is concerned, are very similar to the SABAM case. Greenwich Film, a music publisher outside the Common Market, challenged the validity of the exclusive and global transfer of copyrights to SACEM. Greenwich had obtained a licence 20 21

'CBS v ASCAP: An Economic Analysis of a Political Problem', 47 Fordham L Rev 277, 298 (1978). 25 October 1979, Greenwich Film Production v SACEM, Case 22/79.

234

4. Extraterritorial application OP Article 86

from a French music publisher which turned out to be invalid because of the prior assignment of these rights to SACEM. The European Court of Justice amended the reference of the French Cour de Cassation in such a way that it could be related to the SABAM ruling. 'Where an association exploiting composers' copyrights is to be regarded as an undertaking abusing a dominant position within the Common Market or in a substantial part of it, the fact that such abuse in certain cases relates only to the performance in non-member countries of contracts entered into in the territory of a member state by parties within the jurisdiction of that state does not preclude the application of Article 86 of the Treaty'.

More particularly, the Court emphasized that even in cases where contracts deal with the performance of musical compositions in third countries outside the Community, there may be the requisite effect on interstate commerce and the requisite effect on the territory of the Common Market. In judging whether or not Article 86 was applicable, the national court should not look at the performance of certain contracts in isolation, but should take into account all activities of the enterprises concerned which may have a bearing on the actual competitive effect of these contracts. Surprisingly enough, the Cour de Cassation did not apply the ruling of the European Court of Justice for which it had asked, but found that on the reasons given by the Court of Appeals, Article 86 was not applicable: 'However, the Cour d'Appel, which, was not required to give its reasons for decisions which did not concern the rules of SACEM at the time when (the composers) joined it, was exercising its inherent powers when it held that it was not proven that the mere fact that SACEM had required for the whole world and for a long period the transfer of all classes of rights affected trade between member states and impeded the normal work of the market and that it was consequently not proven that the actions of SACEM were abusive'. 22

Aside from the rather obvious fact that the Cour de Cassation did not like the ruling of the European Court, the argument appears to be that Article 86 could not be applied retroactively to contracts entered into by composers and SACEM at a time when Article 86 had not been applied to these facts. This reasoning would, however, be contrary to the established jurisprudence of the Court of Justice according to which Article 86 is self-executing and has effects in law quite independent from administrative decisions finding infringements. 22

10 June 1980, 1982/1, CMLR 577. 235

5. Organisations in the common market: comparative observations

5.

Free movement of goods in the Common Market

The rules of competition are supplemented by the general rules of the Treaty concerning the free movement of goods (Article 30). The simultaneous application of these rules has brought about important changes in the contractual relations between the association of performance rights organisations administering the right of phonographic reproduction (BIEM) and the International Federation of the Phonographic Industry (IFPI). Traditionally the licence fee for phonographic records in international trade was based on the licensing conditions prevailing in the country of sale. Records which had not been licensed for export were subject to the full licence fee in the country of import. In the first GEMA decision, the Commission decided that it was incompatible with Article 86 to charge the full licence fee upon import if a record had legally been put on the market in another member country. However, according to this decision, GEMA was entitled to charge the difference between the licence fee which had been paid in the country of origin and the licence fee due in West Germany if that fee was higher than in the country of origin. A German importer of gramophone records refused to pay this difference between the lower statutory fee in Great Britain and the higher fee applicable in West Germany. The case went through the German courts and reached the European Court of Justice when the German Federal Court referred the question whether this practice was compatible with the Treaty of Rome. The European Court ruled: 'Articles 30 and 36 of the Treaty must be interpreted as precluding the application of national legislation under which a copyright management society empowered to exercise the copyrights of composers of musical works reproduced on gramophone records or other sound recordings in another Member State is permitted to invoke those rights where those sound recordings arc distributed on the national market after having been put into circulation in that other Member State by or with the consent of the owners of those copyrights, in order to claim the payment of a fee equal to the royalties ordinarily paid for marketing on the national market less the lower royalties paid in the Member State of manufacture.' 23

On the basis of this ruling, the Federal Court sent the case back to the Court of Appeal to find out whether the imported records had in fact been put into circulation in another Member State. The so far unresolved question is whether Article 30 of the Treaty of Rome applies to direct exports of copyright products by the manufacturer to other member 23

236

20 January 1981, Joined Cases 55/80 and 57/80, ECR, 166.

5. Free movement of goods in the common market

countries or whether the community rule is applicable only after the first sale of the protected goods in another member country. The Frankfurt Court of Appeals ruled that in the case of exports by members of a group of companies it was sufficient that the records had been intended for sale in Great Britain and then been exported to West Germany in order to put them into circulation. This case, again, is pending before the German Federal Court. Through administrative measures, but without issuing a decision, the Commission of the European Communities has caused the European performing rights organisations and the producers of gramophone records to change their licensing system in such a way that in the case of exports the licence fee will be based on the sale price in the exporting country rather than in the importing country. A gramophone record legally produced in one country ought to have access to the market in all other member countries. In its Report on Competition Policy for 1983,24 the Commission argues that only in this way the licence fee will be related to a sale price which has been set by the phonograph manufacturer and not to the resale price in the country of sale. It is probably fair to say that the Commission did not quite realize how far-reaching the repercussions of these changes in the licensing scheme for phonographic records were bound to be. A rule directly related to licensing according to the terms and conditions of the country of sale is the standard contract provision between BIEM and IFPI according to which custom pressings are to be licensed in the country of sale and not in the country of manufacture. This issue is now pending before the Commission.

24

p 94, no 149/150. 237

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften und ihre Mitglieder I.

Struktur und Funktion urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften

1.

Gesellschaftsrechtliche Grundlagen

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften sind Gemeinschaftsunternehmen von Verlagen und Urhebern. Sie werden in der Regel in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts betrieben. Ihre Entwicklung ist geprägt von den Gesellschaften, die sich die Wahrnehmung von Urheberrechten in der Musik zur Aufgabe gemacht haben.1 Die Urheber übertragen diejenigen Nutzungsrechte auf Verwertungsgesellschaften, die sie selbst oder ein von ihnen ausgewählter Verlag 1

In Deutschland sind dies die GEMA und deren Rechtsvorgängerinncn. Zur Geschichte im einzelnen Regierungsentwurf eines Gesetzes über Verwcrtungsgesellschaften auf dem Gebiet des Urheberrechts (Verwertungsgesellschaft.cnGesetz) - jetzt Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten - mit amtlicher Begründung, Stellungnahme des Bundesrates und Auffassung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesratcs, Drucksache des Deutschen Bundestages IV/217, abgedr. bei Haertel/Schiefler, Urheberrechtsgesctz und Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, Textausgabe mit Verweisungen und Materialien (1967), S. 406-409. Die GEMA hat die Rechtsform eines Vereins, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist ($ 22 BGB). Struktur und Vertragspraxis der GEMA haben dem Gesetzgeber des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten vom 1.1.1966 als Vorbild gedient. Im einzelnen dazu Haertel/Schiefler, a. a. O., S. 433 für Versorgungseinrichtungen, S. 438 für die Praxis der Gesamtverträge. Auch Rechtsprechung und Verwaltung haben sich überwiegend in Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft entwickelt. Es ist deshalb gerechtfertigt, vornehmlich ihre Struktur und ihre Vertragspraxis als repräsentativ in Bezug zu nehmen. Dazu auch Hans-Jürgen Mcnzd, Die Aufsicht über die GEMA durch das Deutsche Patentamt, Ein Beispiel für die Aufsicht über Verwertungsgcsellschaften (1986), bes. S. 23-29. 239

6. Zur Anwendung von Kartcllaufsicht und Fachaufsicht

aufgrund Verlagsvertrages nicht oder nicht wirksam wahrnehmen können. Soweit Verlage aufgrund Verlagsvertrages oder Subverlagsvertrages urheberrechtliche Nutzungsrechte innehaben, die zum Tätigkeitsbereich der Verwertungsgesellschaft gehören, sind auch sie auf diese zu übertragen. Gegenwärtig ist die direkte Übertragung der Nutzungsrechte vom Urheber auf die Verwertungsgesellschaft die Regel. Dem tragen die Verlagsverträge Rechnung, indem sie einen Rückfall der auf die Verwertungsgesellschaft übertragenen Rechte für den Fall vorsehen, daß die Verwertungsgesellschaft ihre Tätigkeit beendet. Urheber uned Verleger übernehmen durch den Abschluß von Berech tigungsvertragen die Verpflichtung, den durch die Satzung der Verwertungsgesellschaft definierten Zweck zu fördern und alles zu unterlassen, was mit dem gemeinschaftlichen Interesse der Mitglieder unvereinbar ist. Dazu gehört für die Verlage auch die Verpflichtung, der Verwertungsgesellschaft in dem durch Satzung und den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen umschriebenen Bereich keine Konkurrenz zu machen. Verlagsverträge und Berechtigungsverträge sind mithin so aufeinander abgestimmt, daß die auf die Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragenen Nutzungsrechte nur von dieser wahrgenommen werden können. Deshalb wird mit dem Erwerb der Mitgliedschaft für Urheber und Verleger die Verpflichtung begründet, die ihnen gegenwärtig zustehenden oder in Zukunft erworbenen Rechte der Verwertungsgesellschaft zur ausschließlichen Wahrnehmung zu übertragen.2 Nur so läßt 2

Zur Wirksamkeit der Übertragung künftiger Urheberrechte auf die GEMA vgl. RGZ 140, 231, 249 ff. Nach §31 Abs. 4 UrhG sind die Einräumung von Nutzungsrechten für noch nicht bekannte Nutzungsarten sowie die Verpflichtung hierzu unwirksam. Der BGH hat entschieden, daß diese Vorschrift auf das Verhältnis von Urheber und Verwertungsgescllschaft anwendbar sei (5.6.1985 BGHZ 95,274,282 = Schulze, RzU BGHZ Nr. 334 mit ablehnender Anmerkung von Lerche). Gegen diese Auslegung sprechen der Wortlaut und der Zweck der Vorschrift. Das Gesetz unterscheidet nämlich die Einräumung von Nutzungsrechten zum Zwecke der Wahrnehmung (§ 35 Abs. l S. 2) von der Einräumung von Nutzungsrechten im übrigen. Die Anwendung der Vorschrift auf die Bercchtigungsvcrträge der Verwcrtungsgesellschaften ist aber auch mit dem von der Vorschrift bezweckten Schutz des Urhebers unvereinbar (übereinstimmend OLG München 19.5.1983 GRUR 1983 S. 571). Das folgt in den Fällen, in denen die Wahrnehmung von Rechten Verwertungsgescllschaften vorbehalten ist, aus dem Gesetz (übereinstimmend Schricker in: Schricker, Kommentar zum Urheberrecht 1987 Rn. 29). Es folgt im übrigen aus der vom BGH in dem zitierten Urteil hervorgehobenen Intcressenlagc des Urhebers, „der oft infolge der Unübersichtlichkeit des Marktes selbst nicht in der Lage ist, seine Rechte

240

I. Struktur und Funktion urheberrechtlicher Verwertungsgcscllschaften

sich die Entstehung eines wirtschaftlich nutzbaren Repertoires der Verwertungsgesellschaft gewährleisten. Dieser gemeinsame Zweck liegt den Berechtigungsverträgen, den Verlagsverträgen und den Satzungen der Verwertungsgesellschaften zugrunde. Für die Übertragung von Aufführungsrechten auf eine Verwertungsgesellschaft durch die von Komponisten und Musikverlegern abgeschlossenen Berechtigungsverträge hat schon das Reichsgericht zutreffend angenommen, daß es sich um ein gesellschaftsähnliches Verhältnis handelt.3 Die Beteiligten verzichteten nämlich nicht nur auf die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen und hätten nicht nur Anspruch auf eine feste Vergütung; vielmehr komme dem gemeinschaftlichen Interesse an der Förderung der Aufführung des Werkes ausschlaggebendes Gewicht zu. Das Entgelt, das die Mitglieder der Vcrwertungsgesellschaft erhielten, sei eine fortlaufende Gewinnbeteiligung: „Sie ist daher von der Entstehung und Größe des Gewinns abhängig, sie macht ein fortdauerndes Abrechnungsverhältnis notwendig, und ihre gedeihliche Entwicklung ist nur auf der Grundlage wechselseitigen Vertrauens denkbar." Das Reichsgericht hat wiederholt Vertragsverhältnisse, nach welchen ein Autor bei Übertragung seiner Rechte mit einem Anteil am Gewinn des Erwerbs beteiligt blieb, als gesellschaftsähnlich beurteilt. 4 Es entspricht allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, in der Auslegung von Verträgen, die Gemeinsamkeit der Zwecke zu berücksichtigen, die sich aus der parallelen Stellung der Vertragspartner als Mitglieder einer juristischen Person ergibt. Das Reichsgericht hat es als eine Erfahrungstatsache bezeichnet, daß neben einer juristischen Person und ihrer Satzung zur Erreichung und Förderung des gemeinschaftlichen Zweckes noch weitere Abmachungen der Beteiligten in der Rechtsform einer bürgerlichrechdichen Gesellschaft bestünden, und daß diese verschiedenen Regelungen sodann in Übereinstimmung mit dem Parteiwillen als Einheit zu würdigen seien.3 effektiv wahrzunehmen". Das gilt im besonderen Maße für die den Gegenstand des Urteils bildende neue Nutzungsart der Vervielfältigung und Verbreitung von Videogrammcn. 3

4 5

RGZ 87, 215, 219.

A.a.O. S.219. JW 1930, S. 2675 ff.; im einzelnen zu diesen gesellschaftsrcchtlichen Fragen Mestmäcker, Gemeinschaftsunternehmen im deutschen und europäischen Konzern- und Kartcllrecht, in: dcrs.: Recht und ökonomisches Gesetz (2. Aufl. 1984), S. 342, 352 ff. 241

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht

Diese Rechtsprechung bestätigt, daß es sich bei dem Zusammenwirken von Verlagsvertrag, Berechtigungsvertrag und Satzung nicht um eine Einzelerscheinung handelt, sondern um eine auch in anderen Zusammenhängen anzutreffende Organisationsform, welche erst durch die Kombination einzelvertraglicher und vereinsrechtlicher Elemente juristisch faßbar wird. Diese Gesichtspunkte bleiben unberücksichtigt, wenn der Bundesgerichshof annimmt, daß sich ein Wahrnehmungsvertrag zwischen Berechtigtem und Verwertungsgesellschaft nicht entscheidend von anderen Verwertungsverträgen unterscheide, die der Urheber mit einem anderen Werkmittler schließe.6

2.

Unternehmerische Funktionen von Verwertungsgesellschaften

Die Gründung von Verwertungsgesellschaften durch Verleger und Urheber vergemeinschaftet die bisher von Verlagen allein betriebene unternehmerische Wahrnehmung bestimmter urheberrechtlicher Nutzungsrechte. Die Verwertungsgesellschaft transformiert individuelle Nutzungsrechte in ein wirtschaftlich nutzbares Gesamtrepertoire. Diese Transformation verändert die rechtliche und die wirtschaftliche Stellung der Urheberberechtigten im Verhältnis zur Verwertungsgesellschaft ebenso wie die der Musikverwerter. Gegenüber den Musikverwertern entsteht aus der Bündelung der Rechte die Alleinstellung von Verwertungsgesellschaften. Lizenziert werden nicht einzelne Nutzungsrechte, sondern das gesamte von der Verwertungsgesellschaft wahrgenommene Repertoire. Dadurch sind die Lizenznehmer in der Lage, alle von ihnen benötigten geschützten Werke ohne Gefahr der Rechtsverletzung zu nutzen und ohne vorab die einzelnen Berechtigten ermitteln zu müssen. Die Transaktionskosten individueller Lizenzierung wären in den meisten Fällen prohibitiv. Die Verwertungsgesellschaft eröffnet dagegen den Nutzern durch einen Vertragsschluß Zugang zu einer Vielzahl geschützter Werke - in vielen Fällen zur Gesamtheit geschützter Musik überhaupt.7 Darauf sind gerade RundfunkDazu BGH 21.1.1982, GRUR 1982, 308, 309 „Kunsthändler"; auch Beschluß vom 3. 5.1988, BGH WuW/E 2497. Das Recht zur Wahrnehmung der Nutzungsrechte ausländischer Berechtigter erwerben Verwcrtungsgesellschaften durch Gegenseitigkeitsverträge mit den ausländ ischen Vcrwertungsgesellschaften. 242

I. Struktur und Funktion urheberrechtlicher Vcrwertungsgcsellschaften

und Tonträgerhersteller als wichtigste Konsumenten geschützter Musik angewiesen. Dem Interesse von Musikverwertern, kostengünstigen Zugang zu einem Gesamtrepertoire zu erhalten, trägt § 12 UrhWG Rechnung. Danach sind Verwertungsgesellschaften verpflichtet, mit Vereinigungen, deren Mitglieder geschützte Werke oder Leistungen nutzen oder zur Zahlung von Vergütungen verpflichtet sind, über die von ihnen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche Gesamtverträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen.8 Mitglieder von Benutzervereinigungen haben Anspruch auf bessere Bedingungen als einzelne Lizenznehmer, weil der Gesamtvertrag die Kosten der Rechtswahrnehmung herabsetzt.9 Der Unterschied zwischen der individuellen Lizenzierung von Urheberrechten und der Lizenzierung eines Gesamtrepertoires ist so ausgeprägt, daß daraus ein neues Produkt und ein neuer Markt entsteht.10

3.

Mitgliedschaft und Verteilung

Dem Interesse der Werknutzer an einem wirtschaftlich nutzbaren Gesamtrepertoire entspricht das der Urheberberechtigten an der wirksamen Wahrnehmung ihrer Rechte. Der Verwertungsgesellschaft obliegt die Lizenzierung der ihr zur Wahrnehmung überlassenen Nutzungsrechte, die Festsetzung des Nutzungsentgelts, die Erfassung und Kontrolle der Nutzung, das Inkasso sowie die Verteilung der Erträge an die 8

9 10

Zum regelmäßigen Inhalt solcher Gesamtverträgc siehe Mestmäcker/Schulze, Urhebcrrechtskommentar, S 12 UrhWG, Anm. 1. Zwischen Tonträgerindustrie und GEMA besteht ein Gesamtvertrag, während mit Rundfunkuntcrnehmen ein Pauschalvertrag abgeschlossen wird. Dazu BGH in Schulze, RzU, BGHZ 205, S. 8. Dazu Mestmäcker, Copyright in Community Law, Journal of World Trade Law Special Supplement, No. 3 (1976), p. 59; auch schon dcrs., Sind urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften Kartelle? (1960), S. 34. Vor allem mit dieser Begründung hat der Supreme Court der Vereinigten Staaten entschieden, daß es sich bei der Vergabe von Blankettlizenzen, die Zugang zum Gesamtrepertoire der Verwertungsgescllschaft eröffnen, nicht um eine per se verbotene Preisabsprache handelt: „Die Blankettlizenz besteht aus individuellen Kompositionen und derjenigen Dienstleistung, die zu ihrer Zusammenfassung führt. In diesem Fall ist das Ganze gewiß mehr als die Summe seiner Teile; es handelt sich vielmehr in gewisser Weise um ein verschiedenes Produkt." BMI v. CBS, 441 U.S. l, 99 (1979). 243

6. Zur Anwendung von Kartcllaufsicht und Fachaufsicht

Mitglieder. Die Modalitäten der Wahrnehmung werden primär von der Entwicklung der Reproduktionstechniken und den darauf bezogenen Veränderungen des Urheberrechts bestimmt. Wirtschaftlich ist die individuelle Wahrnehmung der Rechte ausgeschlossen, weil sie aus den bereits erörterten Gründen im Verhältnis zu den Werknutzern zu prohibitiven Transaktionskosten führen würde, Rechtlich ist die individuelle Wahrnehmung ausgeschlossen, soweit das Urheberrecht Vergütungsansprüche begründet, deren Geltendmachung Verwertungsgesellschaften vorbehalten ist. Das trifft zu in den Fällen der $$26 Abs. 5, 27 Abs. l Satz 2, 59 Abs. l Satz 3, 54 Abs. 6 UrhG. Die Besonderheiten der Wahrnehmung der Rechte durch die Verwertungsgesellschaft bestimmen auch das Verhältnis zu ihren Mitgliedern und anderen Berechtigten, die ihr die Werke zur Wahrnehmung übertragen. Die Wahrnehmung der Nutzungsrechte wird nicht nur in einer juristischen Person verselbständigt, sie wird auch unternehmerisch vergemeinschaftet. Die einzelnen Rechte verlieren im Verhältnis der Mitglieder zueinander ihre Selbständigkeit. Insbesondere sind die Erträge aus der Verwertung der Rechte nur teilweise individuell zurechcnbar. In den Fällen, in denen das Gesetz Vergütungsansprüche begründet, die nur durch Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden dürfen, ist eine individuelle Zurechnung der Wahrnehmung zugunsten der einzelnen Urheber wesensgemäß ausgeschlossen. An die Stelle der individuellen Beteiligung der Urheber an den Erträgen der Werknutzung tritt der Vcrteilungsplan der Verwertungsgesellschaft. §7 UrhWG verpflichtet die Verwertungsgesellschaften, die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit nach festen Regeln aufzuteilen, die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen. Zwischen den Mitgliedern ändert sich das Verhältnis von Aufkommen und Ausschüttung ferner durch das Förderungsangebot in §7 Satz 2 UrhWG. Danach „sollen kulturell bedeutende Werke und Leistungen gefördert werden". Diese Aufgabe hat im Vertcilungsplan der GEMA die sog. Wertung. Der Bundesgerichtshof hat das Wertungsverfahren wie folgt gekennzeichnet: „Das Wcrtungsverfahren führt dazu, daß an die Berechtigten der Sparte E (ernste Musik) mehr ausgeschüttet werden kann, als aus der Verwertung ihrer Rechte eingenommen wird. Es hat aber auch den Zweck, die künstlerische Persönlichkeit und das Gesamtschaffen des einzelnen Berechtigten zu berücksichtigen und das allein an der Aufführungshäufigkeit sowie am Werkumfang orientierte Verrechnungsverfahren wertend zu ergänzen. Für die Durchführung des Wer244

I. Struktur und Funktion urheberrechtlicher Vcrwertungsgescllschaften

tungsverfahrens sind Wertungsausschüsse eingerichtet; die Einzelheiten des Verfahrens regelt jeweils eine Geschäftsordnung."11 Die Wertungs- und Schätzungsverfahren können mithin dazu führen, daß an die durch sie begünstigten Mitglieder ein Vielfaches der durch die Werknutzung erzielten Erträge ausgeschüttet wird. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede zwischen Aufkommen und Ausschüttung in der Sparte der aus kulturellen Gründen besonders geförderten ernsten Musik. Daraus entstehen Möglichkeiten des Mißbrauchs. Für Komponisten, die zugleich ausübende Musiker sind, entsteht ein Anreiz, ihre eigenen Werke unabhängig von der Nachfrage auf dem Markt aufzuführen, um in den Genuss hoher Ausschüttungen zu gelangen. Solchen Mißbräuchen darf die Verwertungsgesellschaft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch durch die Aufnahme von Generalklauseln in ihre Satzung oder in den Verteilungsplan begegnen.12 Die gesellschaftsrechtliche Rechtfertigung für solche Regeln ist in der Treuepflicht zu finden, die für die Mitglieder gegenüber der Verwertungsgesellschaft aufgrund ihrer vertraglichen Bindungen und im Verhältnis der Mitglieder zueinander infolge ihrer Mitgliedschaft in der Verwertungsgesellschaft gilt. Das Kammergericht behandelte eine vom Bundeskartellamt angegriffene Regelung im Verteilungsplan der GEMA, wonach eine Beteiligung am Wertungsverfahren bei Unverhältnismäßigkeit ausscheidet, als Verhaltensnorm. Für sie gelte daher das Verbot rückwirkender Satzungsänderungen zu Lasten der Mitglieder.13 Dem ist der Bundesgerichtshof nicht gefolgt: „Den Verwertungsgesellschaften kann - entgegen der Auffassung des Bundeskartellamts - grundsätzlich nicht auferlegt werden, die Einnahmen jeweils nur entsprechend der Fassung des Verteilungsplans auszuschütten, die bereits vor der Werknutzung, aus der die jeweiligen Erträge stammen, in Kraft war (...). Möglichen Fehlentwicklungen kann durch Änderungen des Verteilungsplans entgegengetreten werden, die mit ihrem Inkrafttreten grundsätzlich alle noch nicht abgeschlossenen Vorgänge erfassen können und regelmäßig auch müssen, um weitere Unvollkommenheiten und Unbilligkeiten zu vermeiden."14 Dem liegt die zutreffende Auffassung zugrunde, daß es sich bei dem Verteilungs1

! BGH, Beschluß vom 3.5.1988, o. Fn. 6. BGH, 3.5.1988, o. Fn. 6. 13 25.3.1987, l Kart 8/86 II (nicht veröffentlicht). 14 BGH 3. 5. 1988, 0. Fn. 6. 12

245

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht

plan einer Verwertungsgesellschaft nicht um Verhaltensnormen für die Mitglieder handelt. Die Verteilung ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, daß sie anhand von Kriterien zu erfolgen hat, die von den Mitgliedern nicht durch ein primär darauf gerichtetes Verhalten beeinflußt werden sollen. Diese Möglichkeit besteht vor allem bei solchen Mitgliedern, die ihre eigenen Werke aufführen. Gegen die Berücksichtigung von Selbstaufführungen ist auch im Rahmen der Wertung nichts einzuwenden, soweit es sich dabei um Aufführungen handelt, für die auf dem Markt eine echte Nachfrage besteht. Das ist der Markt für verschiedene Arten von Musikveranstaltungen. Die Möglichkeit, Selbstaufführungen ohne Rücksicht auf die Nachfrage zu veranstalten, besteht vor allem in den Fällen, in denen die Musikveranstaltungen aus nicht kommerziellen Gründen unentgeltlich oder gegen ein nominelles Entgelt stattfinden und der Musikveranstalter für die Nutzung des Repertoires der Verwertungsgesellschaft eine von Einzelaufführungen unabhängige Pauschalvergütung entrichtet. Man wird den Eigenarten der Rechtsbeziehungen zwischen Mitglied und Verwertungsgesellschaft mithin nicht gerecht, wenn man sie so behandelt, als ob es sich um einen individualrechtlich geprägten gemischten Vertrag handelte, der Elemente eines Lizenzvertrages mit einem Dienstvertrag verbindet, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat. In Wirklichkeit prägt die gesellschaftsrechtliche Verknüpfung von Berechtigungsvertrag, Verlagsvertrag und Mitgliedschaft die Rechtsbeziehungen in ihrer Gesamtheit.15

II.

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Kartellrecht

Struktur und Funktion von Verwertungsgesellschaften lassen sich mit Hilfe der Kategorien nur unzulänglich erfassen, die für Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen kennzeichnend sind. Die Anwendung des Kartellverbots auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften wird in den verschiedenen Rechtsordnungen, in denen diese Frage praktisch geworden ist, allenthalben abgelehnt. Das gilt trotz verschiedener wettbewerbspolitischer Ziele und positivrechtlicher Ausgestaltung der in 15

Dazu schon oben S. 272-273.

246

II. Urheberrechtliche Vcrwertungsgesellschaften im Kartellrecht

Frage stehenden Normen. Im Mittelpunkt steht dabei die Beurteilung der Lizenzierung des Gesamtrepertoires durch Blankettlizenzen. Im deutschen Recht sind die §5 l und 15 GWB auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften sowie auf andere wettbewerbsbeschränkende Verträge und Beschlüsse nicht anwendbar, wenn und soweit sie sich auf die nach $ l UrhWG erlaubnisbedürftige Tätigkeit beziehen und der Aufsichtsbehörde gemeldet worden sind. Die bei Erlaß des GWB streitige Rechtsfrage, ob Verwertungsgesellschaften Kartelle seien, ist damit zwar gegenstandslos geworden; ein Teil der alten Streitfrage setzt sich jedoch bei der Ermittlung des Zwecks der Bereichsausnahme fort. Auch die französische Wettbewerbskommission und die französischen Gerichte lehnen die Anwendung des Gesetzes über die Kontrolle der Wirtschaftskonzentration vom 19.7.1977 auf die Verwertungsgesellschaft SACEM ab. Eine Gruppe von Diskotheken weigerte sich, den von SACEM angebotenen Gesamtvertrag abzuschließen, weil diese Vertragspraxis gegen das Verbot der Preisabsprachen und der Diskriminierung verstoße. Die Kommission betonte zwar die Bedeutung, die der Anwendung des Kartellrechts zukomme, weil das französische Recht keine andere Institution zur Kontrolle von Verwertungsgesellschaften kenne. Der Schutz der Urheberinteressen durch SACEM stelle aber keinen Mißbrauch zu Lasten der Musiknutzer dar, weil die normalen Funktionen des Marktes nicht behindert würden und die Vorzugsbehandlung von Verbänden von Musiknutzern gerechtfertigt sei, weil diese sich an der Kontrolle der Urheberrechtsnutzung beteiligten und zur Verbreitung kulturell wertvoller Musik beitrügen.16 Der amerikanische Supreme Court hat die Anwendung des Per-se-Verbots auf die Praxis der Blankettlizenzen trotz der Feststellung abgelehnt, daß die Kooperation von Urhebern und Verlagen zu einer Festsetzung der Preise für die Nutzung von Urheberrechten führe.17 Zur Begründung führte das Gericht aus, gegen eine Anwendung des Kartellverbots sprächen die von Antitrustbehörden und Gerichten gebilligten „consent decrees", welche die Rechtmäßigkeit der Verwertungsgesellschaft voraussetzen, die vom Gesetzgeber in wichtigen Bereichen vorgeschriebenen 16

17

Entscheidung vom 13.3.1984 betr. einzelne Verhaltensweisen vom SACEM in Beziehung auf den „Club 202". Im Ergebnis übereinstimmend zum früheren Recht schon Tribunal de grande instance de la Seine, 3. Kammer, 22.4.1966, in: Schulze, RzU, Ausländische Gerichte, Nr. 32. Broadcast Music Inc. v. CBS, o. Fn. 10.

247

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht

Zwangslizenzen, die Blankettlizenzen seien, vor allem aber die „administrative convenience" und die wirtschaftlichen Erfordernisse der Wahrnehmung von Urheberrechten. Im europäischen Gemeinschaftsrecht wendet der Gerichtshof in ständiger Praxis das Mißbrauchsverbot des Art. 86, nicht aber das Kartellverbot des Art. 85 an. Das maßgebliche Urteil läßt auch die Gründe erkennen, aus denen der Gerichtshof im Gegensatz zu der von der Kommission im Verfahren vertretenen Rechtsauffassung Art. 85 für unanwendbar hält: „Bei der Entscheidung darüber, ob die in dem Vorlageurteil erwähnten Praktiken unter diesen Umständen einen Mißbrauch i. S. v. Art. 86 des Vertrages darstellen oder nicht, ist jedoch zu berücksichtigen, daß es sich bei dem fraglichen Unternehmen um eine Vereinigung mit dem Zweck handelt, die Rechte und Interessen ihrer Mitglieder vor allem gegenüber bedeutenden Musikverbrauchern und -verteuern, wie den Rundfunkanstalten und Schallplattenherstellern, zu wahren. Um diese Rechte und Interessen wirkungsvoll wahrnehmen zu können, muß die Vereinigung über eine Stellung verfügen, die voraussetzt, daß die der Vereinigung angeschlossenen Urheber ihre Rechte an sie abtreten, soweit das notwendig ist, um ihrer Tätigkeit das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen."18

Die dargestellte Rechtsprechung zeigt, daß sich die Gründe, aus denen die Anwendung des Kartellverbots auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften abgelehnt wird, auf die dargestellten rechtlichen und wirtschaftlichen Erfordernisse eines Gesamtrepertoires zurückführen lassen. Diese Gründe haben für Urheberberechtigte und für Werknutzer das gleiche Gewicht. Der Befund, daß der Wettbewerb von Urhebern und Verlegern ungeeignet ist, zu einer mit den Interessen aller Beteiligten zu vereinbarenden Wahrnehmung von urheberrechtlichen Nutzungsbefugnissen beizutragen, kommt auch außerhalb des Kartellverbots Bedeutung zu. Das gilt vor allem im Hinblick auf die gesetzlichen Vorschriften, die bestimmt sind, Mißbräuche zu verhindern. Dabei kann es sich um die kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht ebenso handeln wie um eine gesonderte Fachaufsicht, wie sie $$ 18, 19 UrhWG dem Deutschen Patentamt überträgt. Aus den im Urheberwahrnehmungsgesetz und § 102 a GWB angelegten Überschneidungen von Kartellaufsicht und Fachaufsicht, von Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und den Angemessenheitsgeboten des Urheberwahrnehmungsgesetzes folgen schwierige Abgrenzungsfragen. Unstreitig ist zwar der Grundsatz, daß Urheberwahrnehmungsgesetz und GWB bei Vorliegen der jeweiligen Tat18

248

EuGH 27.3.1974, BRT./. Phonior und SABAM, 127/73, Slg. 1974, 55 = Schulze, RzU, EuGH 3 mit Anm. v. Mestmäcker.

II. Urheberrechtliche Vcrwcrtungsgcscllschaften im Kartcllrecht

bestandsvoraussetzungen nebeneinander anwendbar sein können. 19 Ob die Tatbestandsvoraussetzungen der in Betracht kommenden verschiedenen Normen vorliegen, muß jedoch anhand einer Abwägung der Zwecke von GWB, insbesondere der Freistellungsvorschrift in S 102 a, und den im Urheberwahrnehmungsgesetz enthaltenen besonderen Vorschriften für Verwertungsgesellschaften entschieden werden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß bei der Anwendung der Mißbrauchsaufsicht im Rahmen von Bereichsausnahmen ebenso wie bei der Auslegung der §§ 22, 26 Abs. 2 auf marktbeherrschende Unternehmen, für die Bereichsausnahmen gelten, der Zweck der Freistellung zu berücksichtigen ist. Ein Mißbrauch liegt vor, wenn eine Wettbewerbsbeschränkung oder ihre Durchführung unter den besonderen Umständen des Einzelfalles Sinn und Zweck der Freistellung widerspricht.20 Trotz der positivrechtlichen Freistellung in § 102 a GWB kehren die Unsicherheiten, die sich in den Begründungen für die im Ergebnis unstreitige Unanwendbarkeit des Kartellverbots auf Verwertungsgesellschaften zeigen, bei der Ermittlung des Freistellungszwecks wieder. Die Meinung, es fehle an einem positiven Zulassungszweck21, beruht im Ausgangspunkt auf der vor Inkrafttreten des §102 a ganz überwiegenden Auffassung, daß die Bildung von Verwertungsgesellschaften von § l GWB nicht erfaßt werde, weil die Wahrnehmung von Urheberrechten nicht Gegenstand des Marktverkehrs sei, weil die Urheber keine Unternehmen seien oder weil ein Zusammenschluß zu einem Einheitsunternehmen vorliege, auf den die Vorschriften der Fusionskontrolle anwendbar seien.22 Selbst wenn man einer dieser Auffassungen 19

20

21 22

Überblick zuletzt bei Reinbothe, in: Schricker, Urheberrecht, Kommentar (1987) § 24 UrhWG, Anm. 3-5; auch den., Schlichtung im Urheberrecht (1978), S. 125-166; Menzel, a.a.O., S.90-116; Held, Fragen der kartellrechtlichen Mißbrauchsaufsicht über Verwertungsgesellschaftcn, Film und Recht 1980, S. 71-78. Allgemein zur Anwendbarkeit des Kartellrcchts auf die Verwertung von Urheberrechten und verwandten Schutzrcchtcn loewenheim, Urheberrecht und Kartell recht, UFITA, Bd. 79 (1977), S. 175-211. BGH 27.11.1964, „Zcitglciche Summcnmessung", WuW/E BGH 656; 5.7.1973, „Fernost-Schiffahrtskonferenz", WuW/E BGH 1272; für $ 26 Abs. 2 insbcs. Marken, in: Immenga/Mestmäckcr, Kommentar zum GWB (l980), S 26 Rn. 200. So Muschel, in: Immenga/Mcstmäcker, $ 102 a, Rn. 5-7. Zur letztgenannten Meinung Sandberger/Treeck, Fach- und Kartellaufsicht über Vcrwertungsgesellschaften, UFITA 1966, S. 165,194; ähnlich Mestmäckcr, Sind urheberrechtliche Verwertungsgescllschaften Kartelle? (l960), S. 30 ff., wo aus der unternehmerischen Vcrselbständigung der Wahrnehmung der Urheber249

6. Zur Anwendung von Kartcllaufsicht und Fachaufsicht

folgt - was hier offenbleiben kann -, ist die Freistellung in $ 102 a nicht überflüssig. Sie erklärt sich auch nicht daraus, daß der Gesetzgeber die Verwertungsgesellschaften wegen der gleichzeitig eingeführten Fachaufsicht nach dem Urheberwahrnehmungsgesetz kartellrechtlich privilegieren wollte.23 Die Freistellung in §102 a beseitigt zunächst diejenigen kartellrechtlichen Zweifelsfragen, die sich bei einer Auslegung des Kartellverbots anhand der „rule of reason" im amerikanischen Recht stellen und die in ähnlicher Weise entstehen, wenn es darauf ankommt, die Unanwendbarkeit von $1 GWB anhand ungeschriebener Tatbestandsmerkmale zu begründen.24 Der positive Freistellungszweck folgt daraus, daß es ohne den Zusammenschluß von Urhebern und Verlegern für die Werknutzer unmöglich wäre, sich rechtmäßig zu verhalten, während es für Urheber und Verlage ausgeschlossen wäre, ihre Rechte wirksam wahrzunehmen. Die Freistellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften dient mithin der Verwirklichung des Urheberrechts unter Berücksichtigung derjenigen wirtschaftlichen und technischen Bedingungen, welche für die Verwertung urheberrechtlicher Nutzungsrechte kennzeichnend sind.25 Mit diesem Zweck ist der Wettbewerb zwischen Urhe-

23 24

25

rechte in einem Gesamtrepertoirc gefolgert wird, daß es sich bei der GEMA um einen Zusammenschluß handelt, der wirtschaftlich einem Konzern gleichsteht. So Muschel, a. a. O., $ 102 a, Rn. 8. Zur Diskussion über die Kriterien, die bei der nach der Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court gebotenen Beurteilung nach der „rule of reason" erheblich werden, sei verwiesen auf Timbers, Urheberrecht und Kartellrecht, GRUR Int. 1980, S. 463-471 mit einer ausführlichen Darstellung der Rechtsentwicklung; Glenn A.Clark, Blanket Licensing: The Clash between Copyright Protection and the Sherman Act, 55 The Notre-Dame Lawyer, 729-750 (1980); Cirace, CBS v. ASCAP: An Economic Analysis of a Political Problem, Fordham Law Review 1978, 277 ff.; Comment, CBS v. ASCAP: Performing Rights Societies and the per se rule, 87 Yale Law Journal, 783 (1978); die Entscheidung des Court of Appeal, 2nd Cir., vom 3.4.1980, Columbia Broadcasting System Inc. v. American Society of Composers, Authors and Publishers, die nach Zurückvcrweisung durch den Supreme Court erging, ist abgedruckt in GRUR Int. 1980, S. 543. Ein Verstoß gegen das Kartellverbot wird hier mit der Begründung verneint, daß die Columbia Broadcasting System niemals versucht habe, Einzellizenzen von den Verwertungsgesellschaften zu erwerben. Zur Rechtsvergleichung auch Mestmäcker, Performing Rights Organisation in the Common Market: Comparative Observations, International Business Lawyer 1985, S. 71-75. Ähnlich Reinbothe, Schlichtung im Urheberrecht, a. a. O. S. 120, der den Freistellungszweck im ungestörten Ablauf der erlaubnisbedürftigen Tätigkeit

250

II. Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im Kartellrecht

bern und Verlegern in der Vergabe ihrer Nutzungsrechte an Werknutzer unvereinbar, soweit diese Rechte von Verwertungsgesellschaften rechtmäßig wahrgenommen werden. Im Rahmen der für die Anwendung der Mißbrauchsaufsicht gebotenen Interessenabwägung darf mithin das Interesse der Werknutzer an konkurrierenden Angeboten der Urheberberechtigten nicht berücksichtigt werden. Urheber und Verleger sind aus den gleichen Gründen von dem Zugang zum Markt für die Verwertung ihrer in die Verwertungsgesellschaft eingebrachten Rechte ausgeschlossen. Ein Mißbrauch im Sinne des GWB kommt nur in Betracht, wenn und soweit Verwertungsgesellschaften, die Bewegungsfreiheit von Werknutzern oder Mitgliedern im Wettbewerb einschränken, ohne daß diese Beschränkung für die wirksame Wahrnehmung der Rechte oder die sachgemäße Verteilung der Einnahmen an die Urheberberechtigten notwendig ist. Aus der Begründung zum Regierungsentwurf des Urheberwahrnehmungsgesetzes ergibt sich, daß für die Beurteilung der zugrundeliegenden „rein urheberrechtlichen Tatbestände" zuerst die Fachaufsicht berufen ist.26 Dem hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zur ausschließlichen Zuständigkeit des Deutschen Patentamts für die Anwendung des Willkürverbots in 5 7 UrhWG Rechnung getragen.27 Im deutschen und im europäischen Recht werden auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften die für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Rechtsnormen angewendet. Das UrhWG begründet darüber hinaus Pflichten, die für Unternehmen mit einer Monopolstellung kennzeichnend sind. Zu unterscheiden sind dabei wiederum die Beziehungen zu den Werknutzern und die zu den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft. Im Verhältnis zu den Werknutzern begründet das Urheberwahrnehmungsgesetz einen Kontrahierungszwang (§ 11), eine Tarifpflicht (§ 13), die Verpflichtung zum Abschluß von Gesamtverträgen (S 12). Für Streitigkeiten zwischen Verwertungsgesellschaften und Werknutzern sehen die §5 14-15 UrhWG ein Schiedsverfahren vor. Neben der Fachaufsicht

26 27

einer Vcrwcrtungsgesellschaft sieht. In dieser Formulierung wird jedoch der unmittelbare Bezug der Tätigkeit von Verwertungsgescllschaften auf die Verwirklichung der im öffentlichen Interesse liegenden urheberrechtlichen Schutzzwecke nicht deutlich. HaerteljSchiefler, a. a. O. S. 457, 458. Im einzelnen dazu unten S. 288. 251

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht

des Deutschen Patentamtes greift in diesen Fällen die Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamts ein. Sie kann auf §102 a oder §22 GWB gestützt sein. Ferner ist das für Marktbeherrscher geltende Diskriminierungsverbot des §26 Abs. 2 anwendbar. Die Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamts wird in den Fällen eingeschränkt, in denen ein Gesamtvertrag von der Schiedsstelle (§ 102 a Abs. 2 Satz 2) oder vom OLG München (§ 102 a Abs. 2 Satz 3) festgesetzt wurde. In diesen Fällen wirkt sich die Mißbrauchsaufsicht über urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften im wesentlichen als Schutz der Werknutzer vor überhöhten Tarifen der Verwertungsgesellschaften aus. Bei der Mißbrauchsaufsicht handelt das Bundeskartellamt „im Benehmen" mit dem Deutschen Patentamt (§ 19 UrhWG). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob und inwieweit die Vorschriften des GWB auf die Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern anwendbar sind. Diese Frage stellt sich auch im europäischen Gemeinschaftsrecht bei der Anwendung von Art. 86 auf die Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern.

III.

Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen auf die Beziehungen der Verwertungsgesellschaften zu ihren Mitgliedern

1.

Europäisches Gemeinschaftsrecht

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln, die infolge ihrer Alleinstellung in den einzelnen Mitgliedstaaten über eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes verfügen.28 Den relevanten Markt, auf dem die Deutsche Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) tätig ist, hat der Gerichtshof in denjenigen Dienstleistungen gesehen, die sich auf die Wahrung der Rechte beziehen, die den aus28

25.10.1979, Greenwich Film Production ./. SACEM, 22/79, Slg. 3275, 3288; 2.3.1983, GVL ./. Kommission, 7/82, Slg. 486, 506; 27.3.1974, BRT ./. Phonior undSABAM, 127/73, Slg. 313, 316.

252

III. Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

übenden Künstlern und den Herstellern zustehen. In den genannten Fällen hat der Gerichtshof angenommen, daß Art. 86 auf die Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern und auf die von ihnen abgeschlossenen Wahrnehmungsverträge anwendbar ist. Im Vordergrund steht bei dieser Rechtsprechung jedoch nicht der mögliche Wettbewerb zwischen einzelnen Urhebern oder Verlegern, sondern der Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften auf dem Gemeinsamen Markt um die Mitgliedschaft von Urhebern und Verlegern. Diese Betrachtungsweise läßt sich auf die GEMA-Entscheidungen der Kommission aus den Jahren 1971 und 1972 zurückführen. 29 In der ersten GEMA-Entscheidung verpflichtete die Kommission die GEMA, beim Erwerb der Rechte von Urhebern und Verlegern bestimmte Nutzungskategorien zu unterscheiden. In der zweiten GEMA-Entscheidung wurde diese Verpflichtung jedoch aufgehoben. Urheber und Verleger sind danach berechtigt, entweder alle ihre Rechte auf die GEMA zu übertragen oder nach bestimmten Nutzungsarten zu differenzieren. Es besteht jedoch keine Verpflichtung zu einer solchen Differenzierung. Der Zweck, den freien Zugang für Urheber und Verleger zu den nationalen Verwertungsgesellschaften zu sichern, tritt im SABAM-Urteil des Gerichtshofs besonders deutlich hervor. Zwar könne eine obligatorische Abtretung sämtlicher gegenwärtiger und zukünftiger Urheberrechte, bei denen nicht zwischen den allgemein anerkannten verschiedenen Verwertungsformen unterschieden werde, eine unangemessene Geschäftsbedingung darstellen; das gelte „wenn sie für einen längeren Zeitraum nach dem Austritt des Mitglieds verlangt wird".30 Das Beispiel, das der Gerichtshof für einen Mißbrauch nennt, ist also die Abtretung aller Rechte des Mitglieds, die selbst nach dessen Austritt für eine längere Zeit wirksam bleiben soll. Geschützt wird damit die Freiheit von Urhebern und Verlegern, die Vcrwertungsgescllschaft zu wechseln, wenn sie ihre Interessen nicht ausreichend gewahrt sehen. Aus diesem Grunde kommt dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Satzungen von Verwertungsgesellschaften ausschlaggebende Bedeutung zu. Sie sind das wichtigste Hindernis für die freie Wahl von Urhebern und Verlegern zwischen Verwertungs29 30

2.6.1971, ABI. L 134; abgeändert durch die Entscheidung vom 6.6.1972, ABI. L 166. A.a.O. S.317. 253

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht

gesellschaften im Gemeinsamen Markt. Das bestätigt eine auf Art. 86 gestützte Entscheidung der EG-Kommission, die sich gegen die Diskriminierung ausländischer Inhaber von Leistungsschutzrechten in der Satzung der Deutschen Gesellschaft zur Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten richtete. Der Gerichtshof entschied, der Gesellschaft sei es trotz fehlender Harmonisierung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts und insbesondere der Leistungsschutzrechte verwehrt, ihre Geschäftstätigkeit auf solche Künstler zu beschränken, bei denen sie die Gewißheit hatte, daß deren Rechte durch das deutsche Gesetz geregelt würden. Sie durfte insbesondere nicht die Möglichkeit ausschließen, daß bestimmte ausländische Künstler ohne Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland Zweitverwertungsrechte geltend machen konnten.31

2.

Deutsches Recht

Im deutschen Recht ist zu entscheiden, wie sich die Fachaufsicht des Deutschen Patentamts zur Mißbrauchsaufsicht der Kartellbehörden verhält. Dem entspricht die Frage, wie sich diejenigen Vorschriften des Urheberwahrnehmungsgesetzes, die für die Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern und zu anderen Wahrnehmungsberechtigten gelten, zu den Vorschriften des GWB verhalten. 5 6 UrhWG verpflichtet Verwertungsgesellschaften, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche auf Verlangen Dritter zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen, falls ihnen eine wirksame Wahrnehmung auf andere Weise nicht möglich ist. Nach § 27 GWB sind Wirtschafts- und Berufsvereinigungen auf Antrag verpflichtet, ein betroffenes Unternehmen aufzunehmen, wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellt und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb führt. Dieser Regelung geht $ 6 UrhWG jedoch als lex specialis vor. In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Urheberwahrnehmungsgesetzes heißt es dazu, es gebe zahlreiche Urheber, die nur gelegentlich Werke schafften oder schutzfähige Leistungen erbrächten. Wenn die Verwertungsgesellschaften ihnen volle Mitgliedschaftsrechte gewähren müßten, so bestünde die Gefahr, daß diejenigen Berechtigten majorisiert werden könnten, 31 A.a.O. S. 508/509. 254

III. Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

die mit ihren Rechten das wirtschaftliche Fundament der Verwertungsgesellschaft bildeten.32 An die Stelle des vom GWB gegebenen Aufnahmeanspruchs tritt mithin der von § 6 begründete Wahrnehmungszwang zu angemessenen Bedingungen.33 Eine ähnliche Rechtsfrage stellt sich im Verhältnis von § 7 UrhWG zu den für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Vorschriften des GWB. $ 7 UrhWG enthält ein Willkürverbot für die Verteilungspläne von Verwertungsgesellschaften. Durch Beschluß vom 2.6.1986 hat das Bundeskartellamt der GEMA die Anwendung einer von der Mitgliederversammlung beschlossenen Regelung in der Geschäftsordnung für das Wertungsverfahren in der Sparte E (ernste Musik) untersagt, wonach ein Berechtigter bei „Unverhältnismäßigkeit" von der Wertung ausgeschlossen werden kann. Den Verstoß gegen §26 Abs. 2 GWB begründete das Kartellamt im wesentlichen mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot in §7 UrhWG. Der Bundesgerichtshof bejahte in Übereinstimmung mit dem Kammergericht die Zuständigkeit des Bundeskartellamts. Das Gesetz gehe grundsätzlich von dem Nebeneinander von Fachaufsicht und Kartellaufsicht aus. Auch folge aus § 102 a GWB, der die Verwertungsgesellschaften von den §§ l, 15 GWB freistelle, daß die §§22, 26 Abs. 2, 37 a Abs. 2 unberührt bleiben sollten. Gleichwohl hat das Gericht den auf § 26 Abs. 2 gestützten Beschluß des Bundeskartellamts und den ihn bestätigenden Beschluß des Kammergerichts aufgehoben. Zwar seien die Urheberberechtigten Unternehmen im Sinne des GWB; auch handele es sich bei der Verteilung der Erträge um einen geschäftlichen Verkehr i. S. v. § 26 Abs. 2 GWB. Zu berücksichtigen seien aber bei der Ermittlung einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung die Besonderheiten urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften. Als solche Besonderheiten hebt der BGH hervor: „Das umfangreiche Regelwerk der Vcrteilungspläne, das aufgrund sachlich begründeter Unterschiede der verschiedenen Sparten und Bcrufsgruppcn in vielfältiger Hinsicht Unterschiede aufweisc, ohne daß diese Unterschiede schon zu einer Diskriminierung führten; die Pauschalierung in den Verteilungsplänen, die zu einer vom individuellen Aufkommen abweichenden Verteilung führten; 32 33

HaertellSchiefler, a. a. O. S. 431. MestmäckcrjSchulze, Urheberrechtskommentar, §6 UrhWG, Anm. 1; übereinstimmend Kammergericht 25.3.1987, l Kart 8/86 (nicht veröffentlicht). 255

6. Zur Anwendung von Kartellaufsicht und Fachaufsicht die Notwendigkeit eines ausreichenden Beurteilungsspiclraums für die Gremien der Vcrwcrtungsgcsellschaft, um Fehlentwicklungen bei der Verteilung entgegenzuwirken; die Befugnis der Verwcrtungsgesellschaft, zunächst gegen konkret befürchtete Mißbräuche einzuschreiten, um Erfahrungen zu sammeln, ohne sofort allgemeine Maßnahmen ergreifen zu müssen."

Der BGH trägt diesen Besonderheiten Rechnung, indem er in S 7 UrhWG eine partielle Sonderregelung sieht, die getrennte Zuständigkeiten von Bundeskartellamt und Aufsichtsbehörde begründet: Ob der Verteilungsplan als solcher und die darin getroffenen Regeln mit den Erfordernissen von § 7 UrhWG vereinbar sind, obliegt allein der Prüfung durch das Deutsche Patentamt; nur soweit sich die Anwendung einer Klausel im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit im Einzelfall als Diskriminierung darstellt, sind das Kartellamt oder die ordentlichen Gerichte berufen, $ 26 Abs. 2 anzuwenden. Wann diese Voraussetzung vorliegt, brauchte der BGH nicht zu entscheiden, weil das Bundeskartellamt die Unverhältnismäßigkeitsregelung als solche beanstandet hatte. Im verbleibenden Anwendungsbereich von § 26 Abs. 2 für Einzelfälle scheiden mithin diejenigen Kriterien als sachlich nicht gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung von vornherein aus, die den in den Verteilungsplänen enthaltenen Regeln entsprechen. Die im Einzelfall zu ermittelnden Grenzen für die Zuständigkeit des Bundeskartellamts ergeben sich u. a. daraus, dais" eine auf 5 26 Abs. 2 und § 37 a Abs. 2 gestützte Verfügung kein Verhalten untersagen kann, das eine Änderung des Verteilungsplans voraussetzt. Darüber hinaus wird es in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs notwendig sein, auch bei der Anwendung von § 26 Abs. 2 in den genannten Einzelfällen die Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzungen des GWB gegeneinander abzuwägen.34 Hier sind erneut die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus dem Zweck des § 102 a ergeben. Das Bundeskartellamt hat den Wettbewerbsbezug der Verteilung der Einnahmen u. a. daraus gefolgert, daß auch bei der Wahrnehmung der nicht auf Verwertungsgesellschaften übertragenen sog. „großen Rechte" Wettbewerbsbeziehungen bestünden. Damit wird aber die entscheidende Besonderheit, die für die Wahrnehmung der sog. „kleinen Rechte" durch Verwertungsgesellschaften bezeichnend ist, 34

Dazu im einzelnen Markert, in: Immenga/Mestmäcker, a. a. O., $ 26 Rn. 96 ff.

256

III. Die Anwendung von Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen

gerade verkannt. Denn der Wettbewerb, der bei der Lizenzierung der „großen Rechte" besteht, wird von den Verwertungsgesellschaften bei der Wahrnehmung der „kleinen Rechte" bestimmungsgemäß und in Übereinstimmung mit $102 a GWB ausgeschlossen. Durch die von $102 a GWB freigestellte Verpflichtung der Urheberberechtigten, ihre Rechte der GEMA zur ausschließlichen Nutzung zu übertragen, sind sie von dem Wettbewerb um die Vergabe der Rechte an Werknutzer ausgeschlossen. Schließlich führt die vom BGH hervorgehobene Notwendigkeit der Pauschalierung bei der Vergütung von Aufführungen ebenso zu einer vom Markt und vom Wettbewerb unabhängigen Verteilung wie das Wertungsverfahren. Die sich daraus ergebenden Unterschiede zwischen den Berechtigten begründen mithin keine sachlich ungerechtfertigte unterschiedliche Behandlung. Die Gründe, aus denen der Bundesgerichtshof dem Deutschen Patentamt die ausschließliche Zuständigkeit für die Anwendung von § 7 UrhWG zuweist, sprechen dafür, daß es sich ebenso wie im Falle von §6 UrhWG um eine dem GWB vorgehende aufsichtsrechtliche Sonderregelung handelt. Soweit Streitigkeiten über die Anwendung des Verteilungsplans zwischen Verwertungsgesellschaft und Mitgliedern im Einzelfall entstehen, sind dafür die ordentlichen Gerichte zuständig, so daß Lücken im Rechtsschutz nicht entstehen.

257

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht Die Märkte für Bild- und Tonträger werden geprägt durch schnelle Fortschritte in den Aufzeichnungs-, Kopier- und Wiedergabetechniken. Kompaktdiscs, digitale Leerkassetten (DAT) und Musikvideos sind im Begriff, die Schallplatte von ihrer lange Zeit beherrschenden Stellung zu verdrängen. Die Stereoqualität von Kabel- und Satellitensendungen verstärkt den Substitutionswettbewerb und erhöht zugleich die Möglichkeiten und die Qualität privater Vervielfältigungen. Die Bestrebungen zur Reform des Urheberrechts haben im wesentlichen die Anpassung an die neuen technischen Möglichkeiten seiner Nutzung zum Gegenstand.1 Die technische Entwicklung wird von einem weltweiten Wettbewerb der Hersteller von Unterhaltungselektronik angetrieben. Dieser Wettbewerb fördert seinerseits die internationale Unternehmens- und Verlagskonzentration. Die Unterhaltungselektronik ist infolge ihres engen Zusammenhangs mit den Fortschrittsindustrien der Kommunikations- und der Datenverarbeitung zum Gegenstand der Industriepolitik geworden. Das Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Urheberrecht und die technologische Herausforderung 2 zeigt die Gefahr, daß der Schutz des Urhebers vermeintlich vorrangigen Erfordernissen der Industriepolitik untergeordnet wird. Unabhängig von den Vorhaben der Rechtsangleichung findet das geltende Gemeinschaftsrecht auf die Ausübung von Urheberrechten Anwendung und modifiziert die Bedingungen seiner Nutzung. Daraus folgt die Aufgabe, das an die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und die internationalen Konventionen gebundene Urheberrecht schrittweise mit den Erfordernissen des Binnenmarktes in Einklang zu bringen. Diesen Fragen soll hier anhand der Urhebervergütung für Tonträger nachgegangen werden.

1

2

Dazu Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der Urheberrechtsnovclle 1985 und Fragen des Urheber- und Leistungsschutzrechts, Bundestagsdrucksache HI/4929 vom 7.7.1989, bes. S. 23/24 zu den digitalen Ton- und Bildträgern für Aufnahme und Wiedergabe. Komm. (88) 172, cndg. (Brüssel 7.6.1988); dem Rat vorgelegt am 23.8.1988, abgedruckt in: Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrccht (UF1TA) Bd. 110(1989) 113-292. 259

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

I.

Gewerbliches und kommerzielles Eigentum

Der Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Urhebervergütung für Tonträger folgt aus den Grundregeln, die für Bestand und Ausübung des „gewerblichen und kommerziellen Eigentums" i. S. von Art. 36 EWGV gelten. Art. 36 S. l enthält eine Ausnahme von dem Verbot mengenmäßiger Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen, die aus Gründen dieser Eigentumsrechte gerechtfertigt sind. Ihr gemeinsames Kennzeichen besteht in den von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten verliehenen Ausschließlichkeitsrechten sowie in ihrer kommerziellen Nutzung.3 Schon vor dieser generalisierenden Auslegung hatte der Gerichtshof Urheberrechte und urheberrechtsähnliche Rechte als kommerzielles und gewerbliches Eigentum im Sinne von Art. 36 anerkannt.4 Aus der Anwendung des Art. 36 auf Urheberrechte folgt, daß die Vorschriften über den freien Warenverkehr für Tonträger auch dann gelten, wenn sie geschützte Musikwerke enthalten.5 Der Umstand, daß das Urheberrecht Persönlichkeitsrechte umfaßt, steht der Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf seine kommerzielle Nutzung nicht entgegen.6

3

4

5 6

EuGH 24.1.1989, EMI Ekctrola ./. Patrizia Im- und Export, Rs. 341/87, Rn. 7 = GRUR Int. 1989,319, im Druck bei Schulze, RzU EuGH mit Anm. von Mestmäkker. Zum Anwendungsbereich des Art. 36 auf gewerbliche Schutzrechte zusammenfassend Eeier, Gewerblicher Rechtsschutz und freier Warenverkehr im europäischen Binnenmarkt und im Verkehr mit Drittstaatcn, GRUR Int. 1989, 603, 608 ff. EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran ./. GEMA, Rs. 55 und 57/80, Slg. 147, 162, Rn. 12 = GRUR Int. 1981, 229 - „Gebührendifferenz ". Dazu auch das Folgcurteil des BGH vom 27.2.1981, BGHZ 80, 101,108 f. = GRUR Int. 1981, 562 mit Anm. Ulmer; EuGH 9.4.1987, Basset./. SACEM, Rs. 402/85, Slg. 1763, 1767, Rn. 11 = GRUR Int. 1988, 243; für den urheberrechtlichen Schutz von Mustern und Modellen EuGH 14.9.1982 Keurkoop BV./. Nancy Kean Gifts Co., Rs. 144/81, Slg. 2853 - „Muster und Modelle" = GRUR Int. 1983, 643; für das Lcistungsschutzrecht des Tonträgcrherstellcrs EuGH 24.1.1989, - Ekctrola (oben Fn.3); noch offengelassen in EuGH 8.6.1971, Deutsche Grammophon ./. Metro, Rs. 78/70, Slg. 487, 499, Rn. 11 = GRUR Int. 1971,450; auch in Schulze, RzU EuGH l mit Anm. von Mestmäcker, zur neueren Rechtsprechung Joliet, Geistiges Eigentum und freier Warenverkehr: Die Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in den Jahren 1987 und 1988, GRUR Int. 1989, 177. So zuerst EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran (oben Fn.4), Rn. 8. Ebd., Rn. 12.

260

II. Bestand der Schutzrechte

Für alle Schutzrechte gilt der in ständiger Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, daß der EWG-Vertrag den Bestand dieser Rechte gewährleistet, ihre Ausübung aber den Vorschriften des EWG-Vertrages unterfallen kann. Die Unterscheidung von Bestand und Ausübung trifft der Gerichtshof anhand des „spezifischen Gegenstandes" der einzelnen Schutzrechte. Indem der Gerichtshof Ausübung und Bestand von Schutzrechten unterscheidet, trägt er zugleich der Eigentumsgarantie in Art. 222 EWGVertrag Rechnung. Der Wortlaut von Art. 36 zeigt, daß die dort genannten Rechte von der gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgarantie erfaßt werden. Art. 36 konkretisiert Inhalt und Schranken des Eigentums. Das gilt vor allem im Hinblick auf den vom Gerichtshof anerkannten grundrechtlichen Schutz des Eigentums in der Gemeinschaft.7 Im Schrifttum ist auch die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Gerichtshofs mit Art. 14 GG erörtert worden.8 Diese Frage hat jedoch ihre praktische Bedeutung verloren, da das Bundesverfassungsgericht die Hoheitsakte der Gemeinschaft nicht mehr anhand der Grundrechte überprüft. 9

II.

Bestand der Schutzrechte

Bestand und spezifischer Gegenstand der Schutzrechte entscheiden darüber, welche Schranken der Ausübung dieser Rechte durch das Gemeinschaftsrecht gezogen werden dürfen. Art. 36 grenzt aber vorbehaltlich von Maßnahmen der Rechtsangleichung auch die Kompetenzen der Gemeinschaft von der Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten ab. Im deutschen Schrifttum wurde diese Frage anhand der urheberrechtlichen Vergütungspflicht für Leerkassetten erörtert. Im Gesetzgebungsverfahren wurde gegen die geplante Regelung eingewendet, sie sei mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, weil die Leerkassettenabgabe dem Grundlegend EuGH 13.12.1979, Hauer./. Land Rheinland-Pfalz, Rs. 44/79, Slg. 3745-3749, Rn.10-30. Beispielhaft sei verwiesen auf Ritpp, Die gewerblichen Schutzrcchtc im Konflikt zwischen nationalen Grundrechten und Europäischem Gemcinschaftsrecht, NJW 1976, 993 ff.; Ipsen, Inhalt und Grenzen gemeinschaftsrechtlicher Einwirkungen auf die Marke als Eigentum, in: Hefermehl/Ipscn/Schlucp, Nationaler Markenschutz und freier Warenverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1979, 179-180. BVcrfG 22.10.1986, BVcrfGE 73, 339 - „Solange II". 261

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

aus supranationaler Sicht zu ermittelnden spezifischen Gegenstand des Urheberrechts widerspreche.10 Es ist zwar richtig, daß die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs generalisierende Aussagen über den spezifischen Gegenstand der einzelnen Schutzrechte enthält. Daraus folgt aber nicht, daß es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, gewerbliche und kommerzielle Ausschließlichkeitsrechte in ihrer Gesetzgebung zu schaffen und diese Rechte inhaltlich so auszugestalten, wie sie es für geboten halten. Generalanwalt Reischl hat im Verfahren Keurkoop die maßgebliche Frage zutreffend formuliert. Zu prüfen sei, ob sich der spezifische Gegenstand nach einer einheitlichen, gleichsam idealtypischen Ausgestaltung eines Schutzrechts bestimme oder ob bei der Bestimmung des spezifischen Gegenstandes von der jeweiligen nationalen Gesetzgebung unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Ausgestaltung auszugehen sei. Seine Antwort lautet: „Diese Frage kann meiner Ansicht nach aufgrund von Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift des Art. 36 des EWG- Vertrages nur in dem Sinne beantwortet werden, daß solange die einzelstaatlichen Vorschriften über den Schutz des gewerblichen Eigentums in der Gemeinschaft noch nicht vereinheitlicht sind, lediglich der mitgliedstaatliche Gesetzgeber über ihren Bestand entscheiden kann, folglich ist es grundsätzlich auch allein Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte gewährleisten wollen und wie diese im einzelnen ausgestaltet sein sollen, wobei allerdings die vom Vertrag gesetzten Grenzen zu beachten sind."11

Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof ein holländisches Gesetz gebilligt, das den urheberrechtlichen Schutz von Mustern und Modellen allein aufgrund einer Hinterlegung entstehen läßt, ohne daß geprüft werden muß, ob das hinterlegte Modell eine besondere geistige oder künstlerische Schöpfung ist und ob der Hinterleger auch der Urheber ist. Das Gemeinschaftsrecht erkennt das Urheberrecht mithin grundsätzlich so an, wie es der nationale Gesetzgeber ausgestaltet. Es gibt kein vom nationalen Recht verschiedenes supranationales Wesen des Urheberrechts.12 10

Sack, Die Urheberrechte der Leerkassettenvergütung - zur Problematik in den Regierungsentwürfcn einer Urheberrechtsnovelle von 1982 und 1983, vorgesehene Lcerkassettcnvergütung, Betriebsberatcr-Beilage 15/1984. 1 i EuGH 14.9.1982, Keurkoop BV./. Nancy Kean Gifts Co. (oben Fn. 4), Slg. 2880. 12 Mestmäcker, Die Vereinbarkeit der Lccrkassettenabgabe und der Geräteabgabe mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, GRUR Int. 1985, 13, 19; übereinstimmend Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht (1987) $ 17 Rn. 31; auch Beier, GRUR Int. 1989, 603 (oben Fn. 3), 609 f., der in diesem Zusammenhang 262

III. Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts

Zum Bestand des Urheberrechts, über dessen Voraussetzungen und Modalitäten beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die nationale Gesetzgebung entscheidet, gehört die Dauer des Urheberrechtsschutzes.13 Beschränkungen des innergemeinschaftlichen Handels, die auf verschiedenen Schutzfristen beruhen, sind nach Art. 36 gerechtfertigt. Wenn ein Tonträger in einem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht wird, wo die für ihn geltende Schutzfrist bereits abgelaufen ist, so kann sich der Inhaber des Rechts aufgrund des im Einfuhrland fortbestehenden Schutzes der Einfuhr widersetzen. Dieser Fall ist von dem anderen gesondert zu behandelnden zu unterscheiden, in dem der Rechtsinhaber die ihm geschützten Gegenstände in einem Mitgliedstaat selbst in Verkehr gebracht hat, in dem kein Urheber- oder Patentschutz besteht.

III.

Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts

Die mögliche Rechtfertigung von Einschränkungen des freien Warenund Dienstleistungsverkehrs durch die Ausübung von Schutzrechten ermittelt der Gerichtshof anhand ihres spezifischen Gegenstandes. Die wiederkehrende Formel hierzu lautet, daß die Erfordernisse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und die Wahrung der berechtigten Interessen an der Ausübung der ausschließlichen Eigentumsrechte an literarischen und künstlerischen Werken miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Zu verhindern sei insbesondere jede mißbräuchliche Ausübung dieser Rechte, die geeignet ist, künstliche Abschottungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes beizubehalten oder zu schaffen.14 Als spezifischen Gegenstand des Urheberrechts bezeichnet der Gerichtshof in allgemeiner Form die „übliche Verwertung eines Urheberrechts".15 Mit dieser Formulierung nimmt der Gerichtshof einen Grund-

13 14 15

die Unterscheidung des Gerichts von Bestand und Ausübung der Schutzrechte kritisiert. EuGH 24.1.1989, Electrola ./. Patrizia Im- und Export u. a. (oben Fn. 3), Rn. 11 und 12. Beispielhaft verwiesen sei auf EuGH 24.1.1989, Electrola ./. Patrizia u. a. (oben Fn.3), Rn.8. EuGH 9.4.1987, Basset./. SACEM (oben Fn. 4), Slg. 1763,1768, Rn. 16. Kritisch zur Definition des „spezifischen Gegenstandes" Götzen, Gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30-36 des EWG-Vertrags, GRUR Int. 1984, 146, 147 ff. Die von ihm vermißte nähere Analyse der Besonderheiten der gewerblichen Schutz263

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

gedanken des Urheberschutzes auf. Es ist der Anspruch auf angemessene Beteiligung des Urhebers an jeder wirtschaftlich gesonderten Nutzung seines Werkes. Die EG-Kommission hat zutreffend hervorgehoben, daß der Gerichtshof in diesem Urteil mit „ungewöhnlicher Deutlichkeit" darauf hingewiesen habe, daß der Bestand des Urheberrechts alle Ausübungshandlungen umfasse, die zu seiner normalen Verwertung gehören.16 Dies gilt auch dann, wenn Verwertungsgesellschaften, die über eine beherrschende Stellung verfügen, die ihnen übertragenen Rechte wahrnehmen. Aus dem Grundsatz der Beteiligung des Urhebers an jeder gesonderten wirtschaftlichen Nutzung seines Rechts folgt u.a., daß das Gemeinschaftsrecht nationalen Regelungen nicht entgegensteht, die dem Urheber das ausschließliche Recht zur Vermietung von Videokassetten vorbehalten, während dieses Recht in anderen Mitgliedstaaten nicht anerkannt ist.17 Dieses Recht kann der Urheber auch dann geltend machen, wenn er die Videokassetten in einem Mitgliedstaat selbst in den Verkehr gebracht hat, in dem im Gegensatz zum Einfuhrland ein Vermietungsrecht nicht besteht.18 Zu den gemeinschaftsrechtlich erheblichen Unterschieden in der Verwertung des Urheberrechts gehört die in körperlicher Form ($15 Abs. l

16 17

18

rechte hat der Gerichtshof, wie die hier behandelte neuere Rechtsprechung zeigt, besonders im Urheberrecht weitergeführt und ergänzt. Dazu auchjo/i'ef (obenFn.4), 178 f. 17. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1988) Tz. 8. EuGH 17.5.1988, Warner Brothers./. Christiansen, Rs. 158/86, GRUR Int. 1989, 668.Joliet (oben Fn. 4) hebt hervor, daß die Vermietung von Videokassetten zur Benutzung für private Zwecke gehöre, die vom Vertrieb ebenso zu unterscheiden sei wie von der öffentlichen Wiedergabe. Der nationale Gesetzgeber sei also nicht gehindert, verschiedene Abnehmerkreise durch eine entsprechende Ausgestaltung des Benutzungsrechts zu erfassen. Für das deutsche Urheberrecht hat das BVcrfG mit Beschluß vom 16.11.1989 die Rechtsprechung des BGH bestätigt, wonach die Erschöpfung des Verbreitungsrechts (§ 17 Abs. 2 UrhG) des Herstellers von Tonträgern auch für die Vermietung gilt. Diese Auslegung des geltenden Urheberrechts sei nicht willkürlich und verstoße auch nicht gegen die Eigentumsgarantie. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes besteht nicht, weil es eine Frage des nationalen Rechts ist, ob es ein gesondertes Vcrmietungsrecht anerkennt oder nicht. Zur Vereinbarkeit des Erschöpfungsgrundsatzes mit Art. 14 Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, 1974, 460.

264

III. Der spezifische Gegenstand des Urheberrechts

UrhG) und in unkörperlicher Form durch öffentliche Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 UrhG). Auf die Verwertung in körperlicher Form sind die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den freien Warenverkehr, auf die in unkörperlicher Form die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit anwendbar. Zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts, das in körperlicher Form verwertet wird, gehört die Befugnis des Urhebers, sein Recht in kommerzieller Form durch Lizenz zu nutzen 19 sowie über Herstellung (Vervielfältigung) und Verbreitung selbst oder über seinen Verleger zu entscheiden, insbesondere den Ort frei zu wählen, an dem das Werk in Verkehr gebracht wird.20 Zu dem spezifischen Gegenstand des Urheberrechts, das in unkörperlicher Form verwertet und der Allgemeinheit durch beliebig oft wiederholbare Vorführungen zugänglich gemacht wird, gehört die Befugnis, „für jede Vorführung eine Vergütung zu verlangen". Zu diesem Zweck können Nutzungsrechte auch unter territorialen Beschränkungen vergeben werden. 21 Es gibt keine „Erschöpfung" des Rechts durch Erstaufführung in einem Mitgliedstaat. Welcher Art der Verwertung eine nationale Regelung zuzuordnen ist, entscheidet der Gerichtshof anhand ihrer wirtschaftlichen Funktion. So sieht das französische Recht bei der öffentlichen Aufführung von Werken, die auf Tonträger aufgenommen sind, eine „zusätzliche Gebühr für die mechanische Vervielfältigung" vor. Der Gerichtshof entschied, der Sache nach handele es sich um eine besondere Art der Vergütung für die öffentliche Aufführung geschützter Werke. Dies gehöre zur „normalen Verwertung eines Urheberrechts". Sie falle als solche nicht unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung und stelle auch keine gegen Art. 36 Abs. 2 verstoßende willkürliche Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar.22 Die Verwertung des Urheberrechts in körperlicher und in nichtkörperlicher Form durch Aufführung treffen zusammen, wenn Tonträger aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, wo sie rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind, und im Einfuhrland zur öffentlichen Wiedergabe 19 20 21

22

EuGH 17.5.1981, Warner Brothers (oben Fn. 17), Rn.9. EuGH 20.1.1981, Mitsikvertrieb Membran (oben Fn. 4), Rn. 25. EuGH 18.3.1980, Coditel./. Cine Vog Films, Rs. 62/90, Slg. 881, 903 = Schulze, RzU EuGH 6 mit Anm. von Mestmäckcr= GRUR Int. 1980, 602; übereinstimmend EuGH 13.7.1989, Staatsanwaltschaft ./. Tournier, Rs. 395/87, Rn. 12, Slg. 2521. EuGH 9.4.1987, Basset./. SACEM (oben Fn. 4). 265

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

der geschützten Werke verwendet werden. In einem solchen Fall steht die Erschöpfung des Urheberrechts durch das erste Inverkehrbringen mit Zustimmung des Rechtsinhabers in einem anderen Mitgliedstaat den Vergütungsansprüchen aufgrund öffentlicher Aufführung nicht entgegen.23 Der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen der Verwertung eines Werkes in körperlicher und in nichtkörperlicher Form fordert die Abgrenzung der Vorschriften über den Waren- und den Dienstleistungsverkehr. Das französische Gesetz über die audiovisuelle Kommunikation vom 20.7.1982 schreibt eine zeitliche Staffelung für die Verwertung von Filmen zwingend vor. Vorrang genießen die Filmtheater, es folgt die Verwertung durch Videokassetten und schließlich die Sendung im Fernsehen. Aufgrund des Gesetzes wurde die Verwertung von Videokassetten untersagt, die sich in Großbritannien im freien Verkehr befunden hätten und von dort nach Frankreich eingeführt wurden. Der Gerichtshof hatte auf Vorlage eines französischen Gerichts darüber zu entscheiden, ob diese gesetzliche Regelung mit den Vorschriften über den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr vereinbar sei.24 Der Gerichtshof wendete zwar die Vorschriften über den freien Warenverkehr an, modifizierte jedoch die dafür geltenden Regeln, um den wirtschaftlichen Erfordernissen der Verwertung von Filmen Rechnung zu tragen. Geprüft wurde nämlich, ob eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels „nicht über das hinausgeht, was notwendig ist, um das angestrebte Ziel zu erreichen", und ob „dieses Ziel nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigt ist". Damit wendet der Gerichtshof im Ergebnis - wenn auch nicht in der Begründung - die besondere, nur für Dienstleistungen geltende Rechtfertigung nationaler Gesetze an, die unterschiedslos gelten und durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind.25

23 24

25

266

EuGH 13.7.1989, Staatsanwaltschaft./. Tonrnier (oben Fn. 21), Rn. 13. EuGH 11.7.1985, Cinetheque u. a../. Federation Nationale de Cinema Franc.aise, Rs. 60 und 61/84, Slg. 2605, 2622 = GRUR Int 1986, 114, auch in Schulze, RzU EuGH 11 mit Anm. von Mestmäcker. EuGH 18.3.1980, Debauve, Rs. 52/79, Slg. 856 = GRUR Int. 1980, 608, auch in Schulze, RzU EuGH 11 mit Anm. von Mestmäcker.

IV. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts

IV.

Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts

Eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung liegt vor, wenn sich der Inhaber eines Schutzrechts auf die ihm verliehene ausschließliche Verwertungsbefugnis beruft, um die Einfuhr von Gegenständen zu verhindern oder zu beschränken, die auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates von dem Rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind.26 Das Gleiche gilt, wenn bei der Einfuhr von Tonträgern eine Urhebergebühr erhoben wird, deren Höhe sich aus dem Unterschied zwischen der im Ursprungsland entrichteten und der im Einfuhrland üblichen Gebühr ergibt.27 Auch diese Belastung mit einer zusätzlichen Gebühr führe zur Abschottung der nationalen Märkte. Im folgenden ist diese Rechtsprechung zur gemeinschaftsrechtlichen Erschöpfung des Verbreitungsrechts in ihrer Bedeutung für Tonträger im einzelnen zu erörtern. Es handelt sich dabei um Grundsätze, die für andere Schutzrechte in ähnlicher Weise gelten. Eine erste Zusammenfassung dieser Grundsätze findet sich im Urteil Terrapin/Terranova. 28

26

27

28

Für Urheberrechte grundlegend EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran (oben Fn.4), Rn. 10. Siehe auch Ubertazzi, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1984, 327, bes. 311 ff.; zur Rechtsprechung im Bereich des Patent- und Warenzeichenrechts Schenncn, Erschöpfung gewerblicher Schutzrechte in der EG, Mitteilung der deutschen Patentanwälte 1989, 7, 11 ff. Ebd. Rn. 18. EuGH 22.6.1976, Terrapin ./. Terranova, Rs. 119/75, Slg. 1062, Rn. 6 = GRUR Int. 1976, 402. Wörtlich heißt es dort: „Nach allem kann der Inhaber eines gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechts, das nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschützt ist, sich auf diese Vorschriften nicht berufen, um sich der Einfuhr eines Erzeugnisses zu widersetzen, das auf dem Markt eines anderen Mitglicdstaats von ihm selber oder mit seiner Zustimmung rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist. Das Gleiche gilt, wenn das geltend gemachte Recht aus einer freiwilligen oder durch hoheitlichc Maßnahmen bewirkten Aufspaltung eines Warenzeichens hervorgegangen ist, das ursprünglich ein und demselben Inhaber gehörte; denn in diesem Fall wird die Hauptfunktion des Warenzeichens, dem Verbraucher die Identität des Warenursprungs zu garantieren, bereits durch die Aufspaltung des ursprünglichen Warenzeichens in Frage gestellt." 267

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gcmcinschaftsrecht

Auf die Besonderheiten anderer Schutzrechte wird im folgenden nur insoweit eingegangen, als es für die Beurteilung der Rechtsausübung von Urheberrechten erheblich ist.

1.

Die Entscheidung des Rechtsinhabers

Zu den Befugnissen, die dem Rechtsinhaber vorbehalten sind, gehört die freie Entscheidung darüber, in welchem Mitgliedstaat er die geschützten Gegenstände in Verkehr bringen will. An den von ihm selbst geschaffenen Markt ist der Rechtsinhaber gebunden.29 Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts tritt auch dann ein, wenn der Rechtsinhaber die geschützten Gegenstände in einem Mitgliedstaat in Verkehr bringt, in dem kein paralleles Schutzrecht besteht.30 Zutreffend hat Generalanwalt Reischl in Merck ./. Stephar auf den maßgeblichen Gesichtspunkt hingewiesen: Das Patentrecht garantiert seinem Inhaber keinen bestimmten Gewinn, sondern es gewährt dem Inhaber die Chance, einen Ausgleich für seine schöpferische Tätigkeit zu erhalten. Diese Gewinnchance nimmt der Inhaber durch das erste Inverkehrbringen auch dann wahr, wenn er dies in einem patentfreien Mitgliedstaat tut. Der Rechtsinhaber ist jedoch nicht gehindert, sein Ausschließlichkeitsrecht auszuüben, wenn die geschützten Gegenstände aus einem Mitgliedstaat eingeführt werden, in dem sie gemeinfrei sind, gemeinfrei geworden sind oder wenn das Schutzrecht einem rechtlich und wirtschaftlich selbständigen Rechtsinhaber zusteht.31 Dem ersten Inverkehrbringen durch den Rechtsinhaber steht es gleich, wenn es mit seiner Zustimmung erfolgt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die geschützten Gegenstände von einer rechtlich oder wirtschaft29 30

31

Dazu Mestmäcker (oben Fn. 18) 463; anderer Meinung aber Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag (1984) Art. 85, Rn. 225. EuGH 8.6.1971, Deutsche Grammophon ./. Metro (oben Fn.4), Slg. 487, 500, Rn. 12 für das Lcistungsschutzrecht nach $ 85 UrhG; übereinstimmend für das Patentrecht EuGH 14.7.1981, Merck ./. Stephar, Rs. 187/80, Slg. 2063, 2082, Rn. 13 = GRUR Int. 1982, 47. Kritisch Demaret, Patent- und Urheberrcchtsschutz, Zwangslizenzen und freier Warenverkehr im Gemeinschaftsrecht, GRUR Int. 1987, 5, 7. Für das Leistungsschutzrccht des Tonträgerhcrstellcrs EuGH 24.1.1989, Electrola./. Patrizia Import und Export (oben Fn. 3), Rn. 11; für das Patentrecht EuGH 29.2.1968, Parkc-Davis./. Pwbel, Rs. 24/67, Slg. XVI, 85, 112 = GRUR Int. 1968, 99; Besprechung Deringer, Gewerbliche Schutzrechte und EWG-Vertrag, GRUR Int. 1968, 105.

268

IV. Die gcmeinschaftsrechtlichc Erschöpfung des Verbreitungsrcchts

lieh von ihm abhängigen Person32 oder aufgrund einer von ihm erteilten Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden. Gesondert zu prüfen ist, ob diese Grundsätze auch dann gelten, wenn der Inhaber einer Zwangslizenz, die nach nationalem Recht die Zustimmung des Rechtsinhabers ersetzt, die geschützten Gegenstände in den Verkehr bringt. Im Falle Musikvertrieb Membran hatte der Gerichtshof über den Fall zu entscheiden, daß die deutsche Verwertungsgesellschaft der britischen Verwertungsgesellschaft die Befugnis zur mechanischen Vervielfältigung zu den dort geltenden gesetzlichen Bedingungen erteilt hatte. Nach section 8 des britischen Copyright Act wird das Urheberrecht des Komponisten eines Musikwerkes durch die Herstellung eines Tonträgers, auf dem dieses Werk aufgenommen ist, nicht verletzt, wenn das Werk bereits im Vereinigten Königreich von dem Urheber selbst oder mit seiner Zustimmung zum Zwecke des Inverkehrbringens auf Tonträger aufgenommen ist und wenn außerdem der Hersteller dem Inhaber des Urheberrechts seine Absicht mitteilt, das Werk zum Zwecke des Verkaufs aufzunehmen und ihm eine Lizenzgebühr in Höhe von 6,25 Prozent des Endverkaufspreises des Tonträgers zu zahlen. Aufgrund des Lizenzvertrages lag die Zustimmung des Rechtsinhabers zum Inverkehrbringen in Großbritannien zu den Bedingungen der Zwangslizenz vor. Dazu hat der Gerichtshof entschieden, daß es dem Berechtigten mit Rücksicht auf die gesetzliche Regelung zwar unmöglich sei, eine höhere als die gesetzliche Lizenz zu erzielen; gleichwohl verstoße die Geltendmachung des Anspruchs auf die Differenzlizenz gegen Art. 30. Denn das wesentliche Ziel des Vertrages, der Zusammenschluß der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, wäre nicht zu erreichen, wenn Privatpersonen aufgrund der verschiedenen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, den Markt aufzuteilen und verschleierte Beschränkungen im Handel zwischen den Mitglied Staate n herbeizuführen. 33 Die Erhebung der Differenzlizenz würde aber der Verwertungsgesellschaft erlauben, eine Abgabe auf Erzeugnisse zu erheben, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt wurden, „wo sie von dem Inhaber des Urheberrechts oder mit seiner Zustimmung in den Verkehr gebracht worden sind".34 32 33 34

EuGH 8.6.1971, Deutsche Grammophon ./. Metro (oben Rn. 4); 9.7.1985 Pharmon ./. Hoechst, Rs. 19/84, Slg. 2297, Rn. 22 = GRLJR Int. 1985, 822. EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran ./'. GEMA (oben Fn. 4), Rn. 14. Ebd., Rn. 18. 269

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrccht

Der Bundesgerichtshof hat im Folgeurteil35 entschieden, daß es für die Begründetheit des Schadenersatzanspruches nicht darauf ankomme, ob die Lizenz für Großbritannien durch Vertrag oder durch Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen erlangt worden sei. Das traf zwar im zu entscheidenden Falle zu, weil beide Voraussetzungen erfüllt waren; dem Urteil des EuGH kann jedoch keine Gleichstellung von Zustimmung und Zwangslizenz entnommen werden.36 Erst im Fall Pharmon/Hoechst hatte der Gerichtshof zu entscheiden, ob es der Zustimmung des Rechtsinhabers gleichsteht, wenn das erste Inverkehrbringen aufgrund einer Zwangslizenz erfolgt.37 Es handelte sich um die Einfuhr von Waren, für die in England und in den Niederlanden Parallelpatente bestanden. In England wurde auf das Patent eine Zwangslizenz erteilt. Der Gerichtshof entschied, dem Rechtsinhaber werde durch die Zwangslizenz sein Recht genommen, frei über die Bedingungen zu entscheiden, unter denen er sein Erzeugnis in den Verkehr bringen wolle.38 Das Urteil stellt klar, daß der spezifische Gegenstand des Patentrechts - dem insoweit der des Urheberrechts entspricht - auch darin besteht, das Recht im Wege der Lizenzvergabe an Dritte zu nutzen. Die Zwangslizenz entzieht dem Rechtsinhaber die Möglichkeit, durch das erste Inverkehrbringen der geschützten Gegenstände einen Ausgleich für seine schöpferische Tätigkeit zu erhalten. Das Urteil entspricht Art. 46 Abs. l des Gemeinschaftspatentübereinkommens. Danach gilt die Erschöpfung des Patentrechts durch Inverkehrbringen nicht für Erzeugnisse, die in einem Mitgliedstaat aufgrund einer Zwangslizenz hergestellt worden sind. Dadurch wird dem völkerrechtlichen Grundsatz Rechnung getragen, daß die Wirkung von Enteignungen auf das Hoheitsgebiet des enteignenden Staates begrenzt ist. Mit ähnlicher Begründung ist im Schrifttum geltend gemacht worden, die 35 36 37

3

BGH 6.5.1981, BGHZ 81, 282, 286 - „Gebührendifferenz III" = GRUR Int. 1982, 57 = GRUR 1982, 100 - „Schallplattenexport". Übereinstimmend OLG München 30.4.1987, Schulze, RzU OLG 294 mit Anm. von Erich Schulze. EuGH 9.7.1985, Pharmon ./. Hoechst (oben Fn. 32), Slg. 2281,2296; ausführlich zu diesem Urteil Demaret (oben Fn. 30), besonders S. 4-8, der einen Bruch mit der früheren Rechtsprechung erkennen will. Ein Widerspruch zum Urteil Musikvertrieb Membran hegt jedoch nicht vor, weil dort die streitigen Tonträger mit Zustimmung der deutschen Verwertungsgesellschaft in den Verkehr gebracht wurden.

»

270

Ebd., Rn.25.

IV. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts

Anerkennung von Zwangslizenzen als Zustimmung des Urhebers könne mit der verfassungsrechtlichen Garantie des Eigentums in Konflikt geraten.39

2.

Das erste Inverkehrbringen

Das dem Rechtsinhaber vorbehaltene Recht, die geschützten Gegenstände als erster in Verkehr zu bringen, ist erschöpft, wenn die Erzeugnisse „auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaates rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind".40 Besonders deutlich heißt es in dem Urteil Musikvertrieb Membran, es sei unzulässig, „bei der Einfuhr von Tonträgern, die sich bereits im Gemeinsamen Markt im freien Verkehr befinden, eine zusätzliche Belastung wegen ihres Grenzübertritts einzuführen".41 Fraglich und umstritten ist trotz dieser dem Wortlaut nach eindeutigen Rechtsprechung, ob es eine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung darstellt, wenn der Rechtsinhabersich mit der Unterlassungsklage gegen die Direkteinfuhr von Erzeugnissen wendet, die im Ausfuhrstaat nicht in den freien Verkehr gelangt waren. Ein solcher Sachverhalt liegt vor allem dann vor, wenn der Rechtsinhaber ein paralleles Schutzrecht lizenziert hat und der Lizenznehmer unter Verstoß gegen die Lizenz direkt exportiert. Hier wird das Schutzrecht nicht ausgenutzt, um Märkte abzuschotten, sondern die Ausübung dient dem Schutz des „spezifischen Gegenstandes des Rechts". Norbert Koch hat die maßgeblichen Erwägungen treffend formuliert: „Die Ausübung des Schutzrechts ist nach Artikel 36 39

40

41

Krüger-Nieland, Urheberrechtliche Zwangslizenzen und freier Warenverkehr, in: Festschrift für Kutscher (1981) 247, 259; auch Reimer, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1981, 70 ff. Die abweichende Beurteilung staatlicher Zwangsmaßnahmen im Falle Hag (EuGH 3.7.1974, Van Zitylen Freres ./. Hag, Rs. 192/73, Slg. 731 = GRUR Int. 1974, 338) folgt aus dem von Patentrecht und Urheberrecht verschiedenen spezifischen Gegenstand des Warenzeichens. Es gehört nicht zum Bestand des Warenzeichens, durch rechtsgeschäftliche Übertragung oder Lizensierung verkehrsfähig zu sein. Die Auslegung des Hag-Urteils ist Gegenstand einer Vorlage des BGH vom 24.11.1988 nach Art. 177 an den EuGH, GRUR Int. 1989, 409. EuGH 31.10.1974, Centrafarm ./. Sterling Drug, Rs. 13/74, Slg. 1174, Rn. 15 = GRUR Int. 1974,454; auch 14.7.1981,Mcrd./. Sfep/wr(oben Fn. 30). Slg. 2082, Rn. 14. 20.1.1981 Musikvertrieb Membran ./. GEMA (oben Fn. 4), Rn. 18. 271

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

zulässig, wenn die Einfuhr unter Überschreitung derjenigen Grenzen der Lizenz erfolgt, die der Lizenzgeber kraft des spezifischen Gegenstandes des Schutzrechts mit dem Verletzungsanspruch verteidigen kann."42 Die Frage wurde dem Gerichtshof in dem bereits erörterten Pharmon-Fall im Zusammenhang mit einer auf das Gebiet Großbritanniens begrenzten Zwangslizenz gestellt. Der Zwangslizenznehmer hatte die ihm lizenzierten Produkte direkt nach Holland exportiert. Generalanwalt Mazz/m hielt es in Übereinstimmung mit der EG-Kommission „nur von geringer Bedeutung", wie und wo das patentierte Erzeugnis in den Verkehr gebracht wurde.43 Das Urteil ist zwar auf die im Falle der Zwangslizenz fehlende Zustimmung des Rcchtsinhabers gestützt, gleichwohl wird in den Gründen hervorgehoben, daß sich der Rechtsinhaber der Einfuhr widersetzen könne, wenn es sich um Erzeugnisse handelt, „die ohne seine Zustimmung erstmals in den Verkehr gebracht wurden".44 Da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Nutzung des Urheberrechts und des Patentrechts durch die Vergabe von Lizenzen zu deren spezifischen Gegenstand gehört, ist es widersprüchlich, wenn man in der Verhinderung lizenzwidriger Einfuhren stets einen Verstoß gegen Art. 30 sieht. Eben dies ist aber die Auffassung der Kommission. Die Geltendmachung schutzrechtlicher („dinglicher") Ansprüche durch den Rechtsinhaber oder den Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts soll stets gegen Art. 30 verstoßen.45 Die von den schutzrechtlichen Wirkungen zu unterscheidenden schutzrechtlichen Bindungen seien sodann nach den Wettbewerbsregeln zu beurteilen. Diese Auffassung wird nicht nur für das Patentrecht, sondern auch für das Urheberrecht vertreten.46 Auf ihr beruht ferner die Stellungnahme der Kommission zur schutzrechtlichen Wirkung von Patentlizenzverträgen nach Art. 43 Abs. 2 des Übereinkommens über das Europäische Patent für den Gemeinsamen Markt. Sie lautet: „Eine Regelung der vertraglichen Lizenz enthält das am 15. Dezember 1975 in Luxemburg unterzeichnete Übereinkommen über das Europäische Patent für den Gemeinsamen Markt. Nach Art. 43 Abs. l dieses Übereinkommens kann das Gc42 43 44

45 46

Grabitz(-Kocft) (oben Fn. 29), Art. 85, Rn. 227; auch Mestmäcker (oben Fn. 18), §35 III 3. EuGH 9.7.1985, Pharmon ./. Hoechst (oben Fn. 32), Slg. 2288. Ebd., Rn. 26. Nachweise zur Kommissionspraxis bei Koch, in: Grabitz (Hrsg.) (oben Fn. 29), Art. 85, Rn. 267. 6. Bericht über die Wettbcwerbspolitik (1977) Tz. 162.

272

IV. Die gemcinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts mcinschaftspatent ganz oder teilweise Gegenstand von Lizenzen für alle oder einen Teil der Hoheitsgebiete sein, in denen es Wirkung hat, wobei die Lizenz entweder ausschließlich oder nicht ausschließlich sein kann. Nach Art. 43 Abs. 2 können gegen einen Lizenznehmer, der gegen eine Beschränkung seiner Lizenz nach Abs. l verstößt, die Rechte aus dem Gcmeinschaftspatcnt geltend gemacht werden. Die Kommission hat bei den Beratungen des Übereinkommens darauf hingewiesen, daß die ausschließliche Lizenz in den Anwendungsbereich des Art. 85 fallen kann, so daß sich ihre Zulässigkcit nach Art. 85 Abs. 3 beurteilt. Mit der Einführung des Art. 43 Abs. 2 konnte sie sich nicht einverstanden erklären, weil er die Möglichkeit vorsieht, gegen einen Lizenznehmer die Patentverletzungsklage zu erheben, falls dieser lizensierte Erzeugnisse an Abnehmer außerhalb seines Lizenzgebietes - aber innerhalb des Gemeinsamen Marktes liefert."47

Auch im Schrifttum ist die Meinung vertreten worden, territoriale Vertriebsbeschränkungen der genannten Art verstießen gegen Art. 30, soweit sie mit Hilfe des nationalen Patentrechts durchsetzbar seien.48 Die schutzrechtliche Wirkung von territorial beschränkt eingeräumten Lizenzen sei mit Artt. 30, 36 unvereinbar, weil es nicht die den freien Warenverkehr am geringsten beeinträchtigende Lösung sei. Im Gegensatz zu dieser Rechtsauffassung hat der Gerichtshof im Falle „Maissaatgut" entschieden, daß eine offene ausschließliche Lizenz nicht als solche gegen Art. 85 Abs. l verstößt.49 Nach deutschem Recht ist der Inhaber einer solchen Lizenz auch im Verhältnis zum Lizenzgeber befugt, die ihm übertragenen Rechte aus dem Schutzrecht geltend zu machen. Die Anwendung von Artt. 30, 36 auf diese Beziehung zwischen Rechtsinhaber und Lizenznehmer wurde vom Gerichtshof jedoch nicht einmal erörtert, obwohl vorab klargestellt wird, daß auf das den Gegenstand der Lizenz bildende Sortenschutzrecht die Vorschriften über den Warenverkehr grundsätzlich anwendbar sind (Rn. 35). Daraus ist zu entnehmen, daß das lizenzwidrige grenzüberschreitende erste Inverkehrbringen der geschützten Gegenstände die schutzrechtlichen Befugnisse des Rechtsinhabers nicht erschöpft.

47 48

49

S.Bericht über die Wcttbewcrbspolitik (1976) Tz. 11. Johannes, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht im Europäischen Gemeinschaftsrecht (1973) 78 ff.; auch Schlieder, Die Auswirkungen des EWGVertrages auf die gewerblichen Schutzrcchtc, GRUR 1973, 578, 580. EuGH 8. 6.1982, Nungesser./. Kommission, Rs. 258/78, Slg. 2070, Rn. 58 = GRUR Int. 1982, 530 mit Anm. von Pietzke. Zur Interpretation des Urteils auch Schö'dermeier, Die Ernte der „Maissaat": Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Art. 30 und 85 EWG-Vertrag, GRUR Int. 1987, 85. 273

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

In den Lizenzverträgen zwischen Verwertungsgesellschaften und Tonträgerindustrie war zunächst die territoriale Ausschließlichkeit der Lizenz vereinbart. Diese wurde von den beteiligten Unternehmen jedoch aufgehoben.50 Davon unberührt bleibt die räumliche Beschränkung der nicht ausschließlichen Lizenz. Zutreffend hat der Bundesgerichtshof anhand des BIEM-Normalvertrages festgestellt, daß Lizenzen an Tonträgerhersteller in der Regel nur territorial beschränkt und nicht weitweit vergeben werden.51 Die EG-Kommission hat im Anschluß an die erwähnte Änderung der Vertragspraxis die Auffassung vertreten, daß Tonträger, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt wurden, im Gemeinsamen Markt „verkehrsfähig" seien und überall ungehindert vertrieben werden könnten.52 Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes läßt sich ein solcher Grundsatz aus den im einzelnen erörterten Gründen nicht entnehmen. Die „erste Verwertungschance", die zur Erschöpfung des Urheberrechts führt, besteht in dem Inverkehrbringen in einem anderen Mitgliedstaat, nicht in der Erteilung einer Herstellungslizenz. Die gegenteilige Rechtsauffassung würde dem Recht des Urhebers, den Ort des ersten Inverkehrbringens frei zu wählen, die wirtschaftliche Bedeutung nehmen. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Schutzrechts entzieht dem Rechtsinhaber die Kontrolle über die Vertriebswege, nicht aber die Befugnis durch einfache, auf das Gebiet eines Mitgliedstaats bezogene Lizenz, über den Ort des ersten Inverkehrbringens frei zu entscheiden.53 Für die Urhebervergütung folgt daraus, daß bei Importen nichtlizensierter Tonträger aus EG-Mitgliedstaaten die Inlandsvergütung gefordert werden kann. Bei lizenzierten Tonträgern, die im Exportland noch nicht in den freien Verkehr gelangt waren, kann die Differenzlizenz gefordert werden.54 Von der Anwendbarkeit der Artt. 30, 36 auf lizenzwidrige Einfuhren zu unterscheiden, ist die hier nicht zu erörternde Frage der Anwendung der Wettbewerbsregeln. Zusammenfassend ist festzustellen: Die Befugnis, Urheberrechte durch Lizenzen zu nutzen, gehört zum spezifischen Gegenstand dieses Rechts. Mit der Einräumung von Lizenzen sind die schutzrechtlichen Befugnisse 50 51 52 53 54

13. Bericht über die Wcttbewerbspolitik (1983) Tz. 150. BGH 28.10.1987, GRUR 1988, 373, 374/75 - „Schallplattenimport III". 15. Bericht über die Wettbewerbspolitik (1985) Tz. 21. Dazu schon Gcneralanwalt Roemer in Deutsche Grammophon./. Metro (oben Fn. 4), Slg. 508. So zutreffend OLG München 30.4.1987, Schulze, RzU, OLGZ 294 Ziff. 11 zu Art. V, 7 des festgesetzten Normalvertrages.

274

IV. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung des Verbreitungsrechts

des Rechtsinhabers nicht erschöpft. Die Geltendmachung schutzrechtlicher Ansprüche gegen die lizenzwidrige Direkteinfuhr verstößt nicht gegen Artt. 30, 36.

3.

Konzerninterne Warenbewegungen

Das Verbreitungsrecht des Urhebers ist erschöpft, wenn die geschützten Gegenstände im Ausfuhrland auf den Markt gekommen sind. Dies setzt ein Umsatzgeschäft zwischen dem Berechtigten und einem unbeteiligten Dritten voraus. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erfüllt, wenn zwischen dem Hersteller in Großbritannien und dem Importeur in der Bundesrepublik rechtliche und wirtschaftliche Bindungen konzernrechtlicher Art bestehen und die Schallplatten unmittelbar ohne Einschaltung des Marktes bezogen wurden.55 In einem solchen Falle handele es sich um rein konzerninterne Warenbewegungen, die wirtschaftlich wie ein innerbetrieblicher Vorgang zu werten seien. Ein geschäftlicher Verkehr mit echten Außenbeziehungen liege nicht vor. Unter diesen Umständen werde das wesentliche Ziel des EWG-Vertrages, den Zusammenschluß der nationalen Märkte zu ermöglichen, nicht berührt. Nach Zurückverweisung entschied das OLG Frankfurt, daß es sich bei den Lieferungen von Schallplatten aus Großbritannien in die Bundesrepublik nicht um eine bloß konzerninterne Warenbewegung gehandelt habe. Die fraglichen Schallplatten seien Restposten einer für den britischen Markt bestimmten Produktion gewesen. Sie hätten nicht mehr abgesetzt werden können und seien teilweise vom Handel retourniert worden. Auch sei die Entscheidung, diese Platten zu erwerben, von dem damaligen Geschäftsführer der importierenden Konzernfirma getroffen worden, ohne daß bindende Weisungen der amerikanischen Konzernmutter oder der britischen Konzernschwester vorgelegen hätten. Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Frankfurt bestätigt.36 Mit den Gründen der vorausgegangenen eigenen Entscheidung des BGH ist dieses Ergebnis unvereinbar. Maßgeblich sind nämlich nicht mehr die Besonderheiten konzerninterner Warenbewegungen, sondern die Modalitäten der konzerninternen Willensbildung, 55 56

BGH 6.5.1981 (oben Fn. 35) 289. BGH 20.2.1986, GRUR 1986, 668 - „Gebührendifferenz IV" mit Anm. von Kühn, auch in Schulze, RzU BGHZ Nr. 342 mit Anm. von Mestmäcker. 275

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschafts recht

die sich einer sicheren Feststellung von außen ohnehin entziehen. Das Urteil widerspricht dem Gemeinschaftsrecht aber auch deshalb, weil es unerheblich ist, ob der britische Lizenznehmer im Widerspruch zu seinen urheberrechtlichen Befugnissen an ein verbundenes Konzernunternehmen oder an einen Dritten in einem anderen Mitgliedstaat liefert. Das folgt aus dem bereits hervorgehobenen Grundsatz, daß eine Erschöpfung gewerblicher Schutzrechte und Urheberrechte nur eintritt, nachdem der geschützte Gegenstand in den freien Verkehr gelangt ist. Nicht gewürdigt wurde vom Bundesgerichtshof ferner die praktisch wichtige Frage, inwieweit es sich bei den in der Bundesrepublik eingeführten Schallplatten um echte Retouren handelte, die in Großbritannien im Handel angeboten wurden und sich dort als unverkäuflich erwiesen hatten. Der Umstand allein, daß sich Waren beim Hersteller als unverkäuflich erweisen, würde nämlich nicht ausreichen, um sie als im Freiverkehr befindlich anzusehen.

4.

Rechtsfolgen von Verstößen gegen Artt. 30, 36 im nationalen Recht

Diejenige Rechtsausübung, die gegen Artt. 30, 36 verstößt, führt zur Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts. Ist die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen nach § 97 UrhG mit Artt. 30, 36 unvereinbar, so entfällt mangels widerrechtlicher Verletzung eines geschützten Rechts die Anspruchsgrundlage. Der BGH hat entschieden, es entfalle wegen des Vorranges des Gemeinschaftsrechts „die Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung".57 Die Abwicklung von Schuldverhältnissen, die gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, ist nach nationalem Recht zu beurteilen. Leistungen, die im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht erbracht wurden, müssen nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung erstattet werden. Ist anläßlich der Einfuhr von Tonträgern die Differenz zwischen der im Ausfuhrland gezahlten und der im Inland geltenden Lizenz entrichtet worden, so kann sie nach §812 BGB zurückgefordert werden.58 Der Europäische Gerichtshof hat im Falle Defrenne jedoch entschieden, daß die Rechtsfolgen der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Gleichbe57



BGH 27.2.1981, BGHZ 80, 101, 109 - „Schallplattenimport" = GRUR Int. 1981, 562 mit Anm. von Ulmer = GRUR 1981, 587. BGH 28.4.1988, Az I ZR 79/86 - „Differenzlizenz" = GRUR 1988, 606.

276

V. Das Vergütungssystem für Tonträger

handlung von Mann und Frau nur mit Wirkung für die Zukunft - also für die Zeit nach Erlaß des Urteils - geltend gemacht werden können. 59 Der BGH sieht die Erklärung für diese Rechtsprechung in den Besonderheiten arbeitsrechtlicher Daucrschuldverhältnisse. Art. 30 EWGV gelte dagegen seit Inkrafttreten des EWG-Vertrages unmittelbar, der Rechtsprechung des EuGH komme somit nur deklaratorische Bedeutung zu.

V.

Das Vergütungssystem für Tonträger

Die Regeln der Urhebervergütung für Tonträger sind auf internationaler Ebene durch Vereinbarungen zwischen der Vereinigung von Verwertungsgesellschaften im Bureau International de FEdition Mechanique (BIEM) und der Vereinigung der in der International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) zusammengeschlossenen Herstellern von Tonträgern entwickelt worden.60 Zu den Aufgaben des BIEM gehört die Festsetzung der den Inhabern der Urheberrechte von allen Tonträgerfabrikanten zu zahlenden Vergütung sowie die Festlegung des Inkassomodus, seiner Verteilung unter die Bezugsberechtigten und der Kontrolle dieser Geschäfte. Auf dieser Grundlage wurde zwischen BIEM und IFPI ein sogenannter Normalvertrag für die Schallplattenindustrie vereinbart.61 Der gegenwärtig in der Bundesrepublik geltende Gesamtvertrag, zu dessen Inhalt der mit den Mitgliedern der IFPI auszuhandelnde Mustervertrag gehört, wurde vom OLG München aufgrund von §§ 14,15 in Verbindung mit §12 Urheberwahrnehmungsgesetz a. F. durch Beschluß festgesetzt.62 Gegen das durch den BIEM- Normalvertrag geprägte Vergütungssystem hat die EG-Kommission außerhalb formaler Verfahren Einwände aufgrund der Wettbewerbsregeln erhoben. Sie betrafen außer den bereits erwähnten territorial beschränkten Herstellungslizenzen die Berechnung der Urhebervergütung bei Exporten nach den Bedingungen des Bestimmungslandes sowie die Regelung von Lohnpressungen. 59 60

61 62

EuGH 8.4.1976, Defrenne ./. Sabena, Rs. 43/75, Slg. 455, 480. Die ursprüngliche Satzung des BIEM i. d. F. vom 17. Mai 1954 ist abgedruckt bei Erich Schulze, Urheberrecht in der Musik und die deutsche Urheberrcchtsgesellschaft (2. Aufl. 1956) 367-388. ]n der Fassung vom 31.12.1955, abgedruckt bei Schulze (vorige Fn.) 389-414. Der vollständige Text des festgesetzten Vertrages ist abgedruckt bei Schulze (oben Fn. 36). 277

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

1.

Das Bestimmungslandprinzip

Die Urhebervergütung wurde aufgrund des Normalvertrages in der Regel anhand der durchschnittlichen Einzelhandelspreise im Verkaufsland berechnet. Diese Art der Berechnung stimmt mit dem Grundsatz des Normalvertrages überein, daß die Werke des BIEM-Repertoires in jeder Hinsicht die gleichen Vorteile wie diejenigen der nationalen Repertoire genießen sollen.63 Die Kommission wendete gegen diese Praxis ein, daß die Hersteller sehr unterschiedliche Gebühren zu zahlen hatten, die sich nach dem Land des Verkaufs gerichtet hätten. Dadurch sei es auch unmöglich gemacht worden, daß Kosten- oder Preisvorteile, die sich im Land der Herstellung ergeben hätten, an die Verbraucher im Lande des Verkaufs weitergegeben worden seien.64 Die Gebühren für Verkäufe in der Gemeinschaft wurden daraufhin nach den von den Herstellern veröffentlichten Verkaufspreisen an die Einzelhändler berechnet. An der Ablehnung des Bestimmungslandprinzips hat die Kommission jedoch nicht festgehalten. In einer unveröffentlichten Stellungnahme heißt es dazu, es treffe zu, daß die Kommission das Bestimmungslandprinzip grundsätzlich als unvereinbar mit der Idee des Gemeinsamen Marktes ansehe, da es tendenziell an dessen Aufspaltung in einzelne nationale Märkte festhalte. Dennoch erscheine es nicht als ausgeschlossen, daß es im bestimmten Umfang und für einen vorübergehenden Zeitraum nach Art. 85 Abs. 3 freigestellt werden könnte, um allen an der Vergabe und Nutzung von urheberrechtlich geschützten Musikwerken Beteiligten eine Anpassung zu ermöglichen.65 Der Grund für diese veränderte Beurteilung wird darin zu suchen sein, daß die Kommission den Widerspruch erkannt hat, der zwischen der Vergütung nach den Bedingungen des Herstellungslandes und dem Prinzip der Beteiligung des Urhebers an den durch die Verwertung seines Rechts erzielten geldwerten Vorteilen besteht. Die fortbestehenden rechtlichen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten fuhren zu bis heute ungelösten 63

64 65

Das gleiche Prinzip liegt anderen Gegenseitigkeitsvcrträgen zugrunde, durch die sich die Verwertungsgesellschaften die Wahrnehmung ihres Repertoires übertragen. Im Diskothekcnurteil 395/87 vom 13.7.1989 (siehe unten Fn. 72) hat der EuGH auf den Zusammenhang dieser vertraglichen Regelungen mit dem in den geltenden internationalen Urheberrechtsabkommen normierten Prinzip der Inländerbchandlung hingewiesen (Rn. 18). 13. Bericht über die Wettbcwerbspolitik (1983) Tz. 149. Schreiben der EG-Kommission vom 27.3.1987 in der Sache IV/30.744 GEMANormalvertrag; IV 30.370 GEMA ./. MCPS.

278

V. Das Vergütungssystem für Tonträger

Konflikten mit dem Postulat eines einheitlichen Marktes. So hat es das OLG München abgelehnt, Exporte in die Mitgliedstaaten der EG als Inlandsumsätze zu behandeln; die Vergütung sei vielmehr den Bedingungen anzupassen, die in den Bestimmungsländern zwischen den Wahrnehmungsgesellschaften und den Tonträgerherstellern vereinbart seien.66 Dadurch soll den verschiedenen Wettbewerbsverhältnissen auf den Märkten für Tonträger Rechnung getragen werden. Im Urteil Musikvertrieb Membran hat der Europäische Gerichtshof jedoch alle Argumente zurückgewiesen, die darauf abzielten, den Verschiedenheiten der Marktverhältnisse bei der Höhe der Urhebervergütung Rechnung zu tragen.67 Die Kommission bezeichnete es als Widerspruch zu einem Grundprinzip des gemeinsamen Marktes, wenn man Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen mit Hilfe der Urhebervergütung ausgleichen wolle.68

2.

Lohnpressungen

Lohnpressungen haben die Herstellung von Tonträgern zum Gegenstand, die eine Fertigungsstätte im Auftrag und für Rechnung inländischer oder ausländischer Auftraggeber durchführt. 69 Bei grenzüberschreitenden Lohnpressungen unterrichtet der Fertigungsbetrieb die nationale Verwertungsgesellschaft und weist nach, daß sein Auftraggeber das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht erworben hat. Da die Vervielfältigung als solche eine Vergütungspflichtige Nutzung des Urheberrechts darstellt, hängt die Rechtmäßigkeit der Lohnfertigung von der vertraglichen Zustimmung der Urheberberechtigten ab. Liegt sie vor, so wird die Vervielfältigung dem Auftraggeber als Hersteller zugeordnet. Die im Normalvertrag enthaltenen Regeln gelten für vertraglich vereinbarte Lohnpressungen zwischen unabhängigen Unternehmen und für Konzernpressungen. Ihre Funktion muß im Zusammenhang mit dem Prinzip der Vergütung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes gesehen werden. Sie gewährleistet die übliche Urhebervergütung im 66

OLG München 30.4.1987 (oben Fn. 36), Rn. 10, Art. V 6 - Exporte. EuGH 20.1.1981 (oben Fn. 4), Rn. 14-16. 6 8 Ebd., S. 158. 67

69

Zur urheberrechtlichen Beurteilung solcher Sachverhalte EuGH 24.1.1989, EMI Electrola ./. Patrizia Import und Export (oben Fn. 3); auch BGH 3.7.1981, Schulze, RzU BGHZ 295. 279

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

Verkaufsland unabhängig davon, wo die Tonträger hergestellt wurden. Bei der von der Kommission vertretenen Auffassung, daß jede Herstellungslizenz zum gemeinschaftsweiten Vertrieb berechtige, führt die Anerkennung von Konzernpressungen dazu, daß gemeinschaftsweit tätige Unternehmen den Auftrag zur Lohnfertigung von dem Mitgliedstaat aus erteilen können, wo die Bedingungen für sie am günstigsten sind. Auf dieser Grundlage sind sie sodann in der Lage, im Widerspruch zur räumlich begrenzten Lizenz, die Tonträger in einem beliebigen Mitgliedstaat - auch im Staat der Lohnfertigung - zu vertreiben. Die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA hat deshalb vorgeschlagen, die Herstellung Von Tonträgern generell an der Quelle zu lizenzieren, also auch in Fällen, in denen es sich um traditionelle Lohnpressungen handelte. In diesem Vorschlag sah die Kommission eine Beeinträchtigung der Freiheit der Tonträgerherstellung.70 Bei Lohnpressungen handele es sich um eine zwischen den europäischen Verwertungsgesellschaften übliche Praxis. Jede Herstellungslizenz habe Gültigkeit für die gesamte Gemeinschaft und berechtige zur Produktion - auch im Wege der Lohnherstellung - in jedem Mitgliedstaat. Bei dieser Rechtsauffassung verliert aber die Lohnpressung ihren rechlichen und ihren wirtschaftlichen Sinn. Es handelt sich vielmehr um eine Konsequenz aus der bereits zurückgewiesenen Auffassung, daß offene, gebietsmäßig beschränkte Lizenzen unzulässig seien.

3.

Zentrale Lizenzierung

Ein Teil der erörterten Konflikte entfallt bei zentraler Lizenzierung der Herstellung und des Vertriebs von Tonträgern durch eine Verwertungsgesellschaft mit Wirkung für den gesamten Gemeinsamen Markt. Alle Beteiligten haben ein nachhaltiges wirtschaftliches Interesse an der dadurch möglichen Rationalisierung der Lizenzierung, der Herstellung und des Vertriebs. Eine solche Regelung ist urheberrechtlich jedoch nur möglich, wenn die zentral lizenzierende Verwertungsgesellschaft mit Zustimmung aller Berechtigten handelt, über deren Repertoire sie aufgrund nicht ausschließlicher, aber territorial begrenzter Gegenseitigkeitsverträge verfügt. Im übrigen erfolgt auch bei zentraler Lizenzierung die Abrechnung nach den Bedingungen des Bestimmungslandes. 70

280

15. Bericht über die Wettbewerbspolitik (oben Fn. 52) Tz. 81.

VI. Die Vcrgütungshöhc

VI.

Die Vergütungshöhe

1.

Gemeinschaftsrecht

Als Rechtsgrundlage für eine gemeinschaftsrechtliche Kontrolle der Höhe der Urhebervergütung kommt Art. 86 lit. a) in Betracht. Die Vorschrift nennt als Beispiel des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen. Ob dieser Tatbestand des sog. Ausbeutungsmißbrauchs vorliegt, ermittelt der Gerichtshof anhand einer Prüfung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein wichtiges Hilfsmittel, um die Angemessenheit der Gegenleistung zu ermitteln, ist der Preisvergleich.71 Preisunterschiede zwischen Mitgliedstaaten begründen als solche nicht den Verdacht eines Mißbrauchs und verstoßen auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot. Die Politik der Gemeinschaft ist vielmehr daraufgerichtet, die bei getrennten Märkten möglichen Preisunterschiede mittelbar, nämlich durch Abbau der Markttrennung, zu beseitigen. Preisunterschiede können jedoch ein Indiz für den Mißbrauch sein, wenn sie groß sind und durch sachliche Unterschiede nicht erklärt werden können. In den Diskothekenurteilen vom 13.7.1989 hat der EuGH diesen Grundsatz wiederholt und durch die Umkehr der Beweislast ergänzt.72 Bei vergleichsweise ungewöhnlich hohen Lizenzgebühren sei es Sache des betroffenen Unternehmens, die Differenz mit objektiven Unterschieden zwischen den Verhältnissen in dem betreffenden Mitgliedstaat und den in allen anderen Mitgliedstaaten herrschenden Verhältnissen zu begründen. Hier ist nicht den Besonderheiten der Urhebervergütung nachzugehen, die von den Diskotheken zu entrichten ist. Festzuhalten ist jedoch, daß dem Prinzip der Vergleichsmärkte für die Beurteilung der Höhe der Urhebervergütung im Gemcinschaftsrecht nach der angeführten Rechtsprechung erhebliches Gewicht zukommt. Den Urteilen ist jedoch keine Verpflich-

71

72

EuGH 8.6.1971, Deutsche Grammophon ./. Metro (oben Fn.4), Rn. 19 für einen Prcisvcrgleich zwischen Inlandspreisen und Preisen für re-importierte Erzeugnisse. EuGH 13.7.1989,Staatsanwaltschaft./. Toitrnier, Rs. 395/87, Rn. 18; 13.7.1989, Colucaceau ./. SACEM, Rs. 110/88, 241/88 und 242/88, Rn. 25. Diese auf Vorlage französischer Gerichte ergangenen Urteile haben den langjährigen Tarifkonflikt der SACEM mit den französischen Diskotheken zum Gegenstand. 281

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gemeinschaftsrecht

tung der Verwertungsgesellschaften zu entnehmen, die Höhe der Urhebervergütung im Gemeinsamen Markt anzugleichen. Hier nicht zu erörtern sind die besonderen gemeinschaftsrechtlichen Probleme, die sich bei einem Preisvergleich ergeben, wenn die Preise in einem Mitgliedstaat frei ausgehandelt, in einem anderen Mitgliedstaat aber hoheitlich festgesetzt werden. Bei einer solchen Gestaltung muß zwischen der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Unternehmen und ihrer Anwendbarkeit auf den Mitgliedstaat unterschieden werden.73

2.

Zur Festsetzung von Tarifen nach dem Urheberwahrnehmungsgesetz

In der Bundesrepublik ist es nach dem Urheberwahmehmungsgesetz Aufgabe der Schiedsstelle, im Streitfall auf eine Einigung über die Höhe der Vergütung hinzuwirken und einen Einigungsvorschlag zu machen (§ 14 a Abs. 2). Bei Streitfällen, die den Abschluß oder die Änderung eines Gesamtvertrages zum Gegenstand haben, enthält der Einigungsvorschlag den Inhalt des Gesamtvertrages (§14c Abs. l Satz 2). Wird der Vorschlag abgelehnt, so ist für die Entscheidung über den Abschluß des Gesamtvertrages das OLG München ausschließlich zuständig (§ 16 Abs. 4). Nach altem Recht war die Entscheidung des OLG München endgültig. Die Novelle vom 1.1.1986 läßt gegen dessen Entscheidung die Revision zum Bundesgerichtshof zu (§16 Abs. 4 Satz 5). Der Beschluß des OLG München über die Festsetzung der Urhebervergütung von Tonträgern vom 30.4.1987 ist aufgrund alten Rechts ergangen. Bei seiner Entscheidung über die Vergütungshöhe hat das OLG im Anschluß an die Neufassung von § 13 Abs. 3 Satz l ermittelt, welche geldwerten Vorteile die Tonträgerhersteller im Vertragszeitraum durch die Verwertung des ihnen überlassenen Repertoires erzielen konnten. Frei ausgehandelte Verträge mit Dritten standen als Vergleichsmaßstab nicht zur Verfügung. Eine Fortsetzung der alten Regelung lehnte das Gericht mit Rücksicht auf veränderte wirtschaftliche Verhältnisse ab. Diese Veränderung sah es vor allem in den durch das Gemeinschaftsrecht bewirkten veränderten Wettbewerbsverhältnisse auf dem Inlandsmarkt für Ton73

Im einzelnen dazu Mestmäcker, Staat und Unternehmen im europäischen Gemeinschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988), 526-586 (bes. 549 ff.).

282

VI. Die Vergütungshöhe

träger. Die niedrigen gesetzlichen Lizenzgebühren in Großbritannien seien zwar kein geeigneter Maßstab für die Inlandsvergütung, sie müßten aber bei der Würdigung der Wettbewerbslage auf dem Tonträgermarkt berücksichtigt werden. Als wichtigsten Maßstab für die Angemessenheit der Vergütung zog das Gericht sodann die Verhältnisse in Frankreich und in anderen EG-Ländern heran. Das Konzept des Vergleichsmarktes, wie es der Europäische Gerichtshof zugrundelegt, und das des OLG München scheinen sich auf den ersten Blick zu entsprechen. Darüber dürfen jedoch die verschiedenen Rechtsgrundlagen und ihre jeweils verschiedenen systematischen Bezüge nicht vernachlässigt werden. Nach dem Urheberwahrnehmungsgesetz hat das Gericht die notorisch schwierige Aufgabe, einen Vertrag festzusetzen, der den legitimen Interessen beider Vertragspartner soweit wie möglich Rechnung trägt. Es geht um Kriterien für einen „arm's length bargain". Das Gericht muß sich an den gegensätzlichen Erwartungen der Vertragspartner orientieren und sie zum Ausgleich bringen, indem es sie auf die Interessen „vernünftiger Lizenzvertragspartner" (OLG München) zurückführt. Bei dem Mißbrauchsverbot für marktbeherrschende Unternehmen besteht die Aufgabe dagegen darin, vom Wettbewerb nicht oder nur unzureichend kontrollierte Verhaltensspielräume zu begrenzen. Der Vergleich mit den Verhältnissen auf anderen Märkten hat den Zweck, Hinweise auf die vom Wettbewerb zu erwartende Begrenzung der unternehmerischen Handlungsfreiheit zu gewinnen. Der Gerichtshof hält insbesondere den Vergleich der Verkaufserlöse des Erzeugnisses mit den Gestehungskosten des Anbieters für ein Indiz des Mißbrauchs.74 In den bereits diskutierten Diskothekenurteilen wird auf die verschiedene Höhe der Kosten der Verwertungsgesellschaften als mögliches Indiz des Mißbrauchs verwiesen.75 Hier ist nicht auf die Einwände einzugehen, die gegen den Kostenmaßstab als solchen geltend gemacht werden können. 76 Auch wenn man diese Einwände außer acht läßt, ist es unerläßlich, zwischen den Betriebskosten der Verwertungsgesellschaften und der Angemessenheit der von ihnen angewendeten Lizenzgebühren zu unterscheiden. Bei den Kosten der Verwertungsgesellschaft handelt es sich ganz überwiegend um Gemeinkosten; sie können schon deshalb einzelnen Verwertungsformen des Repertoires nicht exakt zugerechnet wer74 75 76

14.2.1978, United Brands ./. Kommission, Rs. 27/76, Slg. 207, Rn. 248/257. EuGH 13.7.1989, Rs. 395/87, Rn.42; Rs. 110/88 u.a., Rn.29 (beide oben Fn.72). Dazu Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb (1984), 218 ff. 283

7. Zur Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gcmcinschaftsrccht

den. Überhaupt ungeeignet ist der Kostenmaßstab, wenn ein angemessenes Entgelt für die Nutzung von Urheberrechten ermittelt werden soll. Der Urheber wird an der Verwertung seines Werkes nicht beteiligt, weil ihm Kosten erstattet werden sollen, sondern weil ihm aufgrund seines Eigentums die Beteiligung an dem Wert der Nutzung zugewiesen ist.

284

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften im europäischen Wettbewerbsrecht I.

Überblick

Auf die Rechtsbeziehungen der Verwertungsgesellschaften zu Urheberberechtigten und Musikverbrauchcrn können die Wettbewerbsregeln anwendbar sein. Das Gleiche gilt für die Gegenseitigkeitsverträge, die Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt untereinander und mit Verwertungsgesellschaften aus Drittstaaten über die Wahrnehmung ihrer Repertoires im Ausland abschließen. In Betracht kommt die Anwendung des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen in Art. 85 und die des Verbots der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung im Gemeinsamen Markt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verfügen Vcrwertungsgesellschaften über eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes für die Wahrnehmung der zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Nutzungsrechte, wenn sie ihre Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaates als einziges Unternehmen anbieten. Die beherrschende Stellung besteht gegenüber den Urheberberechtigten, die auf die Wahrnehmung ihrer Rechte durch die Verwertungsgesellschaft angewiesen sind, und sie besteht gegenüber den Musikverbrauchern, die für die von ihnen angebotenen Erzeugnisse oder Dienstleistungen die Einwilligung des Urheberberechtigten benötigen.' Die Ausnahmevorschrift des Art. 90 Abs. 2 für Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, ist auf Vcrwertungsgesellschaften nicht schon deshalb anwendbar, weil sie gesetzlich geschützte geistige Eigentumsrechte wahrnehmen. 2 Das gleiche gilt, wenn sie einer besonderen Aufsicht unterliegen, wie es nach dem 1

2

EuGH 27. März 1974 ßRT ./. Fonior und SABA M, Rs. 127/73, Slg. 313, 316; 25. Oktober 1979 Greenwich Film Production./. SACCM, Rs. 22/79, Slg. 3275,3288; 2. März 1983 CVL ./. Kommission, Rs. 7/82, Slg. 486, 506. Grundlegend für die Verwaltungspraxis der Kommission sind die GEMA-Entscheidungen vom 20. Juni 1971 („GEMA I"), ABI. L 134/15, und vom 6. Juli 1972 („GEMA II"), ABI. L 166/22. EuGH 27. März 1974SABAM (vorige Fn.), S. 318, Rn.24.

285

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften

deutschen Urheberwahrnehmungsgesetz zutrifft. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, die deutsche Gesetzgebung übertrage die Wahrnehmung von Urheberrechten nicht bestimmten Unternehmen, sondern regele allgemein die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften. Die im Gesetz vorgesehene Überwachung gehe zwar weiter als die bei anderen Unternehmen, gleichwohl reiche das für die Anwendung von Art. 90 Abs. 2 nicht aus.3 Auch kartellrechtliche Freistellungen, die mit aufsichtsrechtlichen Sonderregelungen im Recht eines Mitgliedstaates verbunden sind, stehen der Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln nicht entgegen. In einem Grundsatzurteil vom 27. Januar 1987 hat der Gerichtshof zur Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf die Versicherungswirtschaft Stellung genommen.4 Gegen die Anwendung der Wettbewerbsregeln wurde geltend gemacht, daß die Versicherungswirtschaft einer besonderen staatlichen Aufsicht unterliege und die angegriffenen Vereinbarungen nach S 102 GWB vom Kartell verbot freigestellt seien. Der Gerichtshof hat dazu entschieden, daß eine Ausnahme von den Wettbewerbsregeln nur dort anzuerkennen sei, wo sie der EWG-Vertrag ausdrücklich vorsehe. Das treffe für die Landwirtschaft und für den Verkehr, nicht aber für die Versicherungswirtschaft zu. Auch für urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften enthält der EWG-Vertrag keine Sonderregelung. Daraus folgt, daß Aufsichtsmaßnahmen des Patentamts nach § 18 WahrnG, angenommene Einigungsvorschläge der Schiedsstelle nach den §S 14,15 und selbst gerichtliche Entscheidungen über die Angemessenheit von Tarifen und Gesamtverträgen nach § 16 WahrnG der Beurteilung nach den Wettbewerbsregeln unterliegen. Diese Vorschriften gelten ebenso wie das nationale Kartellrecht neben dem Gemeinschaftsrecht. Führt die Anwendung dieser Vorschriften im Einzelfall zu Konflikten, so daß die Gebote des Gemeinschaftsrechts nicht befolgt werden können, ohne gegen die des nationalen Rechts zu verstoßen, so kommt dem Gemeinschaftsrecht Vorrang zu.5 Die Rechtsstellung der Verwertungsgesellschaften weist in den Mitgliedstaaten zwar erhebliche Unterschiede auf; Einigkeit besteht jedoch darüber, daß die Bildung von Verwertungsgesellschaften als solche nicht verboten ist. Das folgt in der Bundesrepublik Deutschland aus §102 a 3 4 5

EuGH Z.März 1983 „GVL" (oben Fn. 1), S.504, Rn.31, 32. Verband der Sachversicherer e. V. und Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft./. Kommission, Rs. 45/85, Slg. 447 ff. EuGH 13. Februar 1969 Wilhelm ./. Bitndeskartellamt, Rs. 14/68, Slg. l ff.; seither ständige Rechtsprechung.

286

I. Überblick

GWB. In Frankreich haben die Gerichte im Anschluß an ein Votum der Wettbewerbskommission in zahlreichen Einzelfällen entschieden, daß die kolkektive Wahrnehmung von Urheberrechten als solche nicht gegen das Kartellverbot und nicht gegen das Verbot des Mißbrauchs beherrschender Stellungen in Art. 50-58 der Preisverordnung Nr. 45/483 verstößt.6 Im Bericht vom 17. November 1981 kam die Wettbewerbskommission zu dem Ergebnis, daß die kartellrechtlichen Vorschriften auf urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften anwendbar seien und die SACEM in Frankreich über eine marktbeherrschende Stellung verfüge.7 Ein Verstoß gegen das Kartellverbot und das Verbot des Mißbrauchs beherrschender Stellungen wurde jedoch für die Praxis der Blankettlizenzen ebenso verneint wie für die internationalen Gegenseitigkeitsverträge.8 Auch in den Vereinigten Staaten hat der Supreme Court die mit der Praxis der Blankettlizenzierung verbundene Festsetzung einheitlicher Preise für das gesamte Repertoire einer Verwertungsgesellschaft nicht als eine per se verbotene Wettbewerbsbeschränkung nach Sect. I Sherman Act beurteilt.9 Entscheidend war die Erwägung des Gerichts, daß die Lizenzierung eines Gesamtrepertoires mehr sei als die Summe von Einzellizenzen; die Verwertungsgesellschaft schaffe ein neues Produkt und einen neuen Markt, auf dem einzelne Komponisten und Verleger wegen prohibitiv hoher Transaktionskosten ihre Rechte nicht selbst wahrnehmen könnten. Das Berufungsgericht, an das die Sache zur Beurteilung nach der rule of reason zurückverwiesen wurde, verneinte einen Verstoß, weil die Kläger niemals versucht hätten, Einzellizenzen von der Verwertungsgesellschaft zu erwerben.10

6 7 8

9 10

Verordnung vom 30. Juni 1945 in der Fassung des Gesetzes Nr. 77/806 vom 19. Juli 1977. Abgedruckt in: European Court Cases (ECC) 1983, 570. Tribunal de Grande Instance de Paris 15. Dezember 1982 („Princess SACEM"), European Court Cases (ECC) 1983, 332, 337; bestätigt Cour d'Appel de Paris, l« Chambre, 24. April 1985, Bull. Jurisprudence SACEM Nr. 120, S. 50-58; bestätigt Cour de Cassation, l« Chambre Civile, 10.März 1987, Bull. Jurisprudence SACEM Nr. 121, S. 29-31. Broadcast Music, Inc. v. Columbia Broadcasting System, Inc., 441 U.S. l (1979). Columbia Broadcasting System, Inc. v. Amencan Society of Composers and Publishers (ASCAP), 620 F 2 d 930, 936 (2 d Cir. 1980), Cert, denied 450 U.S. 970 (1981). 287

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Vcrwertungsgescllschaftcn

Im Rahmen der Auslegung der Wettbewerbsregeln trägt auch der Europäische Gerichtshof den wirtschaftlichen und rechtlichen Besonderheiten Rechnung, die für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten gelten. Besondere Bedeutung kommt dabei den jüngsten Urteilen des Gerichtshofs zu, die den langjährigen Tarifstreit der französischen Verwertungsgesellschaft SACEM mit Diskotheken in Frankreich zum Gegenstand haben.11 Im folgenden sollen diese weitgehend übereinstimmenden Urteile im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 85 und 86 erörtert werden. Die folgenden, für die Praxis von urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften allgemein wichtigen Sachverhalte bilden den Gegenstand der Urteile: die Gegenseitigkeitsverträge, durch die sich Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt ihre Repertoires zur Wahrnehmung nach den Bedingungen des jeweiligen Inlandes übertragen (dazu unter II); die Praxis der Blankettlizenzen, durch die Musikverwertern das Gesamtrepertoire der Verwertungsgesellschaft lizenziert wird (dazu unter III); die zulässige Höhe der von der SACEM geforderten Urhebervergütung (dazu unter IV).

II.

Gegenseitigkeitsverträge

1.

Privatrechtliche Grundlagen

Verwertungsgesellschaften, die Musikurheberrechte wahrnehmen, bieten Musikverbrauchern in aller Regel das Weltrepertoire an. Dieses Repertoire erwerben sie durch ein Netz von Verträgen, die sie wechselseitig über die Wahrnehmung ihrer Repertoires abschließen. Die Verträge begründen die nichtausschließliche Befugnis und die Verpflichtung, die Urheberrechte des Vertragspartners wahrzunehmen. Die überlassenen Rechte müssen zu den Bedingungen wahrgenommen werden, die für das eigene Repertoire aufgrund der nationalen Gesetzgebung und der Vertragspraxis gelten. Die Vergütungen werden für Rechnung des Vertragspartners eingezogen. In den Verträgen ist vereinbart, welche Anteile an den Kosten der Wahrnehmung als Entgelt einbehalten werden. Es handelt sich mithin um einen Vertragstyp, der Elemente eines Lizenzvertrages mit einem Dienstvertrag verbindet, der eine Geschäftsbesor11

EuGH 13. Juli 1989, Staatsanwaltschaft./. Tournier, Rs. 395/87 („Wettbewerb, Urheberrechte, Höhe der Vergütungen, Gegcnscitigkeitsvcrträge"); 13.Juli 1989 Lucazeait./. SACEM, Rs. 110/88, 241/88 und 242/88.

Z8S

II. Gcgcnscitigkeitsvcrträgc

gung zum Gegenstand hat. Das Interesse der Vertragspartner ist darauf gerichtet, ein möglichst vollständiges Repertoire anbieten zu können und die Wahrnehmung der eigenen Rechte im Ausland zu sichern, ohne dort eine eigene Organisation aufbauen zu müssen. Konflikte mit Musikverbrauchern entstehen, wenn diese - wie es für die Diskotheken in Frankreich zutrifft - nicht mit „ihrer" nationalen Verwertungsgesellschaft kontrahieren wollen, sondern einzelne nationale Repertoires unmittelbar erwerben möchten. Solange die Gegenseitigkeitsverträge eine Ausschließlichkeitsverpflichtung enthielten, war der Erwerb einzelner nationaler Repertoires aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Diese Ausschließlichkeitsklauseln sind von den Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt jedoch mit Rücksicht auf das Kartellverbot in Art. 85 Abs. l EWGV aufgehoben worden. Gleichwohl hat sich keine Praxis entwickelt, bei der Verwertungsgesellschaften ihr Repertoire ganz oder teilweise unmittelbar an Musikverbraucher in anderen Ländern lizenzieren. Dem Gerichtshof wurde die Frage gestellt, ob daraus auf einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln zu schließen sei.

2.

Wettbewerbsrechtliche Beurteilung

Die einseitige Weigerung einer Verwertungsgesellschaft, ihr Repertoire Musikverbrauchern in anderen Mitgliedstaaten unmittelbar zu lizenzieren, verstößt nicht gegen Art. 86. Der räumlich relevante Markt, auf dem die beherrschende Stellung besteht, ist das Gebiet des Mitgliedstaates, in dem die Verwertungsgesellschaft tätig ist. Die Weigerung, Musikverbraucher außerhalb des relevanten Marktes zu lizenzieren, begründet keinen Verstoß gegen das Mißbrauchsverbot, weil die Geschäftsverweigerung nicht auf der beherrschenden Stellung beruht. In Betracht kommt jedoch ein Verstoß gegen das Verbot wettbewerbsbeschränkender Verträge und Verhaltensweisen in Art. 85. Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, daß Gegenseitigkeitsverträge ohne Ausschließlichkeitsklauseln normale Dienstleistungsverträge sind, die keine Wettbewerbsbeschränkung zum Gegenstand haben. Diese Beurteilung folgt einmal aus dem wirtschaftlich legitimen Zweck, die eigenen Rechte ohne eine aufwendige eigene Organisation im Ausland wahrzunehmen. Sie wird vom Gerichtshof ergänzend mit dem geltenden internationalen Urheberrechtsabkommen begründet. Danach haben die Inhaber der durch die Gesetzgebung eines Vertragsstaates anerkannten Urheberrech289

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften

te in den Gebieten jedes anderen Vertragsstaates Anspruch auf denselben Schutz vor Verletzung dieser Rechte wie die Angehörigen des anderen Staates.12 Diese Erwägung wurde von den Verfahrensbeteiligten nicht vorgebracht. Sie enthält die bedeutsame Feststellung, daß das Prinzip der Inländerbehandlung von den Verwertungsgesellschaften ohne Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht nachvollzogen werden darf. Dies bedeutet jedoch keine gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung gleicher Verwertungsbedingungen; vielmehr handelt es sich um ein weiteres Indiz dafür, daß die einzelnen Gegenseitigkeitsverträge nach Zweck und Wirkung nicht auf eine Wettbewerbsbeschränkung gerichtet sind. Darin liegt ein wichtiger Gegensatz zu Verträgen, durch die sich konkurrierende Anbieter von Waren gegenseitig den Vertrieb ihrer Erzeugnisse übertragen und dadurch Alleinstellungen in den Mitgliedstaaten begründen. Sie beschränken in aller Regel den Wettbewerb und sind nicht freistellungsfähig. Deshalb werden in den Gruppenausnahmen für Alleinvertriebsund Alleinbezugsvereinbarungen wechselseitige Alleinvertriebs- und Alleinbezugsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern von der Freistellung ausgeschlossen.13 Das Fehlen von Ausschließlichkeitsvereinbarungen schließt einen Verstoß gegen Art. 85 Abs. l nicht aus, falls die faktische Alleinstellung der nationalen Verwertungsgesellschaften auf abgestimmten Verhaltensweisen beruht. Diese Prüfung hält der Gerichtshof für notwendig, weil die EG-Kommission darauf hingewiesen hatte, daß die Streichung der Ausschließlichkeitsklauseln keine Änderung des Verhaltens der Verwertungsgesellschaften bewirkt hatte.14 Zur Beurteilung dieser Frage bezieht sich der Gerichtshof auf seine Rechtsprechung zum Parallelverhalten von Unternehmen im Oligopol.15 In diesem ersten einschlägigen Urteil werden abgestimmte Verhaltensweisen wie folgt gekennzeichnet: „Die aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen erfüllen daher schon ihrem Wesen nach nicht alle Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung, sondern können sich insbesondere auch aus einer im Verhalten der Beteilgten zutage tretenden Koordinierung ergeben. Zwar ist ein Parallel verhalten für sich allein noch nicht 12

13 14 15

290

Rs. 395/87 Rn. 18; Rs. 110/88 Rn. 12. In Bezug genommen wird damit Art. 5 der Berner Übereinkunft zum Schütze von Werken der Literatur und Kunst vom 9. September 1986 in der Stockholmer Fassung vom 14. Juli 1967. Art. 3 a Verordnung Nr. 1983/83 vom 22.Juni 1983, Art. 3 a Verordnung Nr. 1984/83 vom 22. Juni 1983. Rs. 395/87 Rn. 21, Rs. 110/88 Rn. 15. 14. Juli 1972 ICI./. Kommission, Rs. 48/69, Slg. 619, 658, Rn. 64/67.

III. Blankettlizcnzcn einer abgestimmten Verhaltensweise gleichzusetzen, doch kann es ein wichtiges Indiz für eine solche darstellen, wenn es zu Wettbewerbsbedingungen führt, die im Hinblick auf die Art der Waren, die Bedeutung und Anzahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen."

Ein Verstoß würde nach Meinung des Gerichts vorliegen, wenn nachgewiesen würde, daß nationale Verwertungsgesellschaften ausländischen Musikverbrauchern systematisch den direkten Zugang zu ihrem Repertoire verwehren.16 Bei Fehlen eines solchen Nachweises wird die Feststellung eines Verstoßes zu einer Frage der Beweis Würdigung. Zu prüfen ist insbesondere, ob das übereinstimmende Verhalten auch ohne eine darauf gerichtete Absprache als normales individuelles Verhalten erklärbar ist. Als ein Indiz für das Vorliegen von Gründen, die die Verwertungsgesellschaften auch unabhängig von einer Absprache davon abhalten können, direkt zu lizenzieren, hat der Gerichtshof - in Übereinstimmung mit der EG-Kommission - die Notwendigkeit angesehen, bei direkter Lizenzierung ein eigenes Wahrnehmungs- und Kontrollsystem aufzubauen.

III.

Blankettlizenzen

Die Weigerung, ausländische Musikverbraucher direkt zu lizenzieren, ist zu unterscheiden von der Praxis, Musikverbrauchern nur das Gesamtrepertoire zu lizenzieren. Den Urteilen liegt die Weigerung der SACEM zugrunde, den französischen Diskotheken ein Teilrepertoire, nämlich das anglo-amerikanische Repertoire zur Verfügung zu stellen. Die französischen Gerichte fragten nach der Vereinbarkeit dieser Praxis mit dem Kartellverbot des Art. 85. Der Gerichtshof verweist zunächst auf seine Beurteilung der zwischen Verwertungsgesellschaften und ihren Mitgliedern abgeschlossenen Berechtigungsverträge.17 Diese Verträge waren vom Gerichtshof aufgrund des Vorlageersuchens eines belgischen Gerichts nicht nach Art. 85, sondern nach Art. 86 zu beurteilen. Der Gerichtshof sah die Verpflichtung zur Übertragung aller Urheberrechte auf die Verwertungsgesellschaft als 16 17

Rs. 395/87 Rn. 23 und Rs. 110/88 Rn. 17. 27. März 1974 BRT./. SABAM, Rs. 127/73 (oben Fn. 1) 313.

291

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaftcn

gerechtfertigt an, weil anderenfalls eine wirkungsvolle Wahrnehmung der Rechte und Interessen der Urheber gegenüber bedeutenden Musikverbrauchern nicht möglich sei. Zu prüfen sei jedoch, ob die umstrittenen Praktiken die Grenzen des zu diesem Zweck Unentbehrlichen überschreiten. Dabei sei dem Interesse des einzelnen Urhebers Rechnung zu tragen, seine freie Verfügung über sein Werk nicht stärker als notwendig eingeschränkt zu sehen. Es mag zunächst überraschen, daß der Gerichtshof die Beurteilung von Mitgliederbeziehungen nach Art. 86 in Bezug nimmt, während in den zu entscheidenden Fällen Lizenzverträge mit Musikverbrauchern nach Art. 85 zu beurteilen waren. Ein Vergleich der Urteile zeigt jedoch, daß der Gerichtshof im Rahmen von Art. 85 die gleichen Maßstäbe anwendet wie im Rahmen von Art. 86. Die Gemeinsamkeit folgt aus der Feststellung des Gerichts, daß die Verwertungsgesellschaften ein legitimes Ziel verfolgen, wenn sie sich von ihren Mitgliedern alle Rechte zur Wahrnehmung übertragen lassen und wenn sie gegenüber den Verbrauchern von Musik um den Schutz der Rechte und Interessen ihrer Mitglieder bemüht sind.18 Auf dieser Grundlage wird sodann in beiden Fällen geprüft, ob die getroffenen Vereinbarungen über das zur Erreichung des legitimen Zieles Notwendige hinausgehen. Diesen Maßstab der Verhältnismäßigkeit wendet der Gerichtshof immer dann an, wenn die zu beurteilenden Verhaltensweisen unabhängig von einer eventuell bezweckten oder bewirkten Wettbewerbsbeschränkung rechtlich und wirtschaftlich legitimen Zwecken dienen. Kommission und französische Regierung trugen im Verfahren vor, die Aufteilung des Gesamtrepertoires in vermarktungsfähige Teile führte bei Musikverbrauchern und bei den Verwertungsgesellschaften zu großen Schwierigkeiten. Die Musikverbraucher könnten nicht länger frei wählen, welche Musik sie benutzen wollten, während die Verwertungsgesellschaften zu verstärkter kostensteigernder Kontrolle gezwungen seien.19 Der Gerichtshof hat diesen Gesichtspunkt im Ergebnis akzeptiert. Eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung liegt nur vor, „wenn der von den Diskothekenbetreibern befürwortete direkte Zugang zu einem Teilrepertoire die Interessen der Textdichter, Komponisten und Musikverleger vollständig schützen könnte, ohne daß die Kosten für die Verwaltung der 18 19

Rs. 395/87 Rn.31. Diese Frage wurde dem Gerichtshof in dem Parallelverfahrcn nicht gestellt und wird dort also nicht behandelt. Sitzungsbericht II l b.

292

IV. Die Höhe der Urhebervergütung

Verträge und die Überwachung der Verwertung der geschützten Musikwerke dadurch erhöht werden". Dieser Maßstab ist generalisierbar. Er wird in aller Regel dazu führen, daß die Lizenzierung des Gesamtrepertoires nicht gegen die Wettbewerbsregeln verstößt.

IV.

Die Höhe der Urhebervergütung

1.

Die Auslegungsersuchen

Aufgrund des Gemeinschaftsrechts kann die Höhe der Urhebervergütung unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauchs einer beherrschenden Stellung (Art. 86 Satz 2 lit. a) überprüft werden. Im Gegensatz zu $22 GWB, wonach die Kartellbehörde ermächtigt ist, Mißbräuche zu untersagen, enthält Art. 86 ein unmittelbar geltendes Verbot. Demgemäß kann es von den Gerichten in den Mitgliedstaaten angewendet werden, wie es die französischen Gerichte in den vorliegenden Fällen getan haben. Im Vorlageverfahren des Art. 177 äußert sich der Gerichtshof nur zu den Fragen, die ihm von den nationalen Gerichten gestellt werden. In beiden Verfahren wurde der Gerichtshof gefragt, ob ein Mißbrauch vorliegt, wenn eine Verwertungsgesellschaft einen Satz für die Vergütung festsetzt, „der ohne objektiv zu rechtfertigenden Grund um ein Mehrfaches höher ist als der von allen Verwertungsgesellschaften der Mitgliedsländer der EG praktizierte Satz, so daß die Vergütung nicht dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistungen entspricht". Die Vorlagefragc in der Rechtssache 395/87 unterscheidet sich jedoch dadurch von den Fragen in der Rechtssache 110/88, daß sie neben dem Vergleich der von Musikverbrauchern zu zahlenden Vergütung das Verhältnis von erzielter Vergütung und Höhe der Ausschüttung an die Mitglieder als mögliches Indiz eines Mißbrauchs erwähnt. Die EG-Kommission hat den Gerichtshof im Verfahren darauf hingewiesen, daß es sich bei der Höhe der Tarife und der Höhe der Ausschüttung an die Mitglieder um verschiedene Fragen handele. Gleichwohl hat der Gerichtshof in beiden Urteilen - und nicht nur in der Rechtssache 395/87 - die Verwaltungs- und Wahrnehmungskosten und deren Auswirkung auf die Ausschüttung an die Mitglieder in die Beurteilung nach Art. 86 einbezogen.

293

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften

2.

Maßstäbe für Preismißbrauch

Der Gerichtshof bezeichnet es als Indiz für den Mißbrauch einer beherrschenden Stellung, wenn eine Verwertungsgesellschaft für die von ihr erbrachten Leistungen Tarife anwendet, „die bei einer auf der gleichen Grundlage erfolgten Gegenüberstellung merklich höher sind als die in den anderen Mitgliedstaaten praktizierten Tarife".20 Ein möglicher Verstoß folgt mithin nicht aus der Tarifdifferenz als solcher. Vielmehr ist zwischen dem Verbot unangemessener Preise und dem Verbot von Diskriminierungen in Art. 86 Satz 2 lit. c zu unterscheiden. Die wichtigsten Anwendungsfälle für das Diskriminierungsverbot sind nach der Rechtsprechung Diskriminierungen zwischen Abnehmern, die auf ihren Absatzmärkten im Wettbewerb stehen.21 Marktbeherrschende Unternehmen sind durch dieses Verbot jedoch nicht gehindert, Preise zu berechnen, „die der Markt hergibt, wenn sie die vom Vertrag aufgestellten Regeln zur Regulierung und Koordinierung des Marktes beachten".22 Es besteht mithin keine Verpflichtung, einen Gemeinsamen Markt zu verwirklichen, der aus wirtschaftlichen Gründen nicht existiert. Eine Grenze folgt nach der Rechtsprechung lediglich daraus, daß diejenige Preispolitik von Unternehmen unzulässig ist, die ihrerseits die Trennung nationaler Märkte erst ermöglicht oder sie verstärkt. Diese Voraussetzungen liegen bei den hier zu beurteilenden Tarifen für Diskotheken nicht vor. Vom Diskriminierungsverbot zu unterscheiden ist das Verbot des Preismißbrauchs im Sinne von Art. 86 Satz 2 lit. a. Bei den Indizien, die für die Ermittlung des Preismißbrauchs zu berücksichtigen sind, muß zwischen dem Vergleich mit Preisen auf anderen Märkten und dem Vergleich von Kosten und Preisen des marktbeherrschenden Unternehmens unterschieden werden. a)

Vergleichsmarkt

Die Mißbrauchsaufsicht soll die vom Wettbewerb nicht oder nur unzureichend kontrollierten Handlungsspielräume marktbeherrschender Un2

° Rs. 395/87 Rn. 38, Rs. 110/88 Rn. 25. 16. Dezember 1975 Suiker Linie ./. Kommission, Rs. 40/73, Slg. 2021 Rn. 525. 22 EuGH 14. Februar 1978 United Brands ./. Kommission, Rs. 26/76, Slg. 302 Rn.233. 21

294

IV. Die Höhe der Urhebervergütung

ternehmen begrenzen. Der Zusammenhang mit dem System unverfälschten Wettbewerbs legt es nahe, marktbeherrschende Unternehmen zu verpflichten, sich so zu verhalten, als ob Wettbewerb bestünde. § 22 Abs. 4 Ziff. 2 GWB nennt in der Neufassung von 1980 als Beispiel eines Mißbrauchs die Forderung von Entgelten oder sonstigen Geschäftsbedingungen, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Dabei sind insbesondere die Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb zu berücksichtigen. Die Neufassung des Gesetzes entspricht der voraufgegangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Generalklausel in §22 und zur Konkretisierung anderer Mißbrauchsbegriffe im GWB.23 Das Konzept des „als ob"-Wettbewerbs ist häufig kritisiert worden.24 Der Vergleich der Preise marktbeherrschender Unternehmen mit den auf Vergleichsmärkten erzielbaren Preisen hat den Zweck, das „als ob"-Wettbewerbskonzept praktikabel zu machen. Es kann aber auch verwendet werden, um das vom Europäischen Gerichtshof für maßgeblich gehaltene Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu ermitteln. Als Vergleichsmärkte hat der Gerichtshof einmal Teilmärkte herangezogen, auf denen das beherrschende Unternehmen selbst tätig ist und dort vergleichsweise niedrige Preise fordert. Ein Beispiel bietet der Vergleich der Inlandspreise eines beherrschenden Unternehmens mit den Preisen der reimportierten Erzeugnisse dieses Unternehmens aus einem Mitgliedstaat, in dem es durch Tochtergesellschaften vertreten ist.23 Ein Vergleich mit den Preisen und Bedingungen anderer Unternehmen auf räumlich getrennten Märkten setzt voraus, daß die Struktur der Märkte und der Unternehmen ähnlich ist und nicht durch staatliche Maßnahmen beeinflußt wird. 26 Auch in den Diskothekenurteilen wird hervorgehoben, daß objektive Unterschiede zwischen den in Betracht kommenden 23

24

25 26

WuW/E BGH 667 ff. für die Mißbrauchsaufsicht über erlaubte Kartelle; WuW/E BGH 1451 („Valium l"); sowie WuW/E BGH 1682 („Valium 2") für die Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen; WuW/E BGH 1221, 1223/24 für die Mißbrauchsaufsicht über Versorgungsunternehmen nach $ 104 GWB. Vgl. nur Monopolkommission, Anwendung und Möglichkeiten der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen seit Inkrafttreten der Kartellgesetznovelle, 1975, S. 31 ff. EuGH S.Juni 1971 Deutsche Grammophon ./. Metro, Rs. 78/70, Slg. 501 Rn. 19. 14. Februar 1978 United Brands ./. Kommission (oben Fn. 22) S. 284 Rn.44. 295

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Verwertungsgesellschafr.cn

Märkten geeignet sind, den Verdacht des Mißbrauchs auszuräumen.27 Bestehen solche Unterschiede oder werden sie im Amtsverfahren von dem betroffenen Unternehmen behauptet, so liegt ein Verstoß nur vor, wenn ein „übertriebenes Mißverhältnis zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem tatsächlich verlangten Preis" besteht.28 Dieses Urteil bestätigt, daß der Gerichtshof den Preismißbrauch anhand des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung beurteilt.29 Die Schwierigkeiten, die der Kostenermittlung im Einzelfall entgegenstehen können, rechtfertigen es nach Meinung des Gerichtshofs nicht, auf diesen Maßstab zu verzichten.30 Die Diskothekenurteile gehen über die bisherige Rechtsprechung zu Art. 86 in einer wichtigen Beziehung hinaus. Bei Feststellung merklich höherer Tarife, die von dem marktbeherrschenden Unternehmen einseitig festgesetzt werden, ist es Aufgabe des betroffenen Unternehmens, den Unterschied zu rechtfertigen.31 Die Umkehr der Beweislast knüpft mithin an die Höhe der Differenz und an den Umstand an, daß die Tarife einseitig festgesetzt werden. In der Rechtssache 395/87 hebt das vorlegende Gericht nämlich hervor, daß über die Vergütung nicht verhandelt werden könne. Im Verfahren ungeklärt geblieben sind die Voraussetzungen der Vergleichbarkeit. Objektive Unterschiede bestehen zwischen Frankreich und anderen Mitgliedstaaten vor allem in der Art und Weise der Berechnung der Urhebervergütung. In Frankreich wird die Vergütung als Prozentsatz der in der Diskothek getätigten Umsätze berechnet. In der Bundesrepublik und anderen Mitgliedstaaten sind dagegen die Fläche und die Besucherkapazität maßgeblich. Die Kommission führt gegenwärtig eine Untersuchung durch, deren Zweck es ist, die vergleichbare Höhe der Urhebervergütung für „typische Diskotheken" in der Gemeinschaft zu ermitteln. Dazu hat die Kommission vor dem Gerichtshof erklärt, daß auch diese Vergleichsmethode die erheblichen Unterschiede nicht berücksichtige, die hinsichtlich der Gewohnheiten des Diskothekenbesuchs und der verschiedenen gesellschaftlichen Gewohnheiten und herkömmlichen Bräuche bestünden. 27

28

Rs. 395/87 Rn. 38, Rs. 110/88 Rn. 25.

United Brands (oben Fn. 22) Rn. 44. Dazu auch EuGH 13. November 1975 General Motors./. Kommission, Rs. 26/ 75, Slg. 382 Rn. 15/16. 30 United Brands (oben Fn. 22) S. 305 Rn. 248/257. 29

31

Rs. 395/87 Rn. 38, Rs. 110/88 Rn. 25.

296

IV. Die Höhe der Urhebervergütung

b)

Zur Rechtfertigung vergleichsweise hoher Tarife

Die SACEM hat - wie es ihr angesichts der vom Gerichtshof angenommenen Umkehr der Beweislast obliegt - die Höhe der Vergütung für die Nutzung von Urheberrechten in französischen Diskotheken mit den Besonderheiten des französischen Urheberrechts und den im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten verschiedenen Inkassogewohnheiten begründet. Der Gerichtshof hat diese Einwände zurückgewiesen. Das gilt zunächst für die Besonderheit des französischen Urheberrechts, wonach neben einer Vergütung für das Aufführungsrecht eine „zusätzliche Vervielfältigungsgebühr" bei der Aufführung von Musik durch Tonträger zu entrichten ist. In einem früheren Vorlageverfahren hatte der Gerichtshof diese Besonderheit des französischen Rechts nicht beanstandet. Die „zusätzliche Vervielfältigungsgebühr" sei wirtschaftlich Teil der Vergütung für die Aufführung und als solche auch dann gerechtfertigt, wenn eingeführte Tonträger verwendet würden. 32 Die SACEM machte ferner geltend, die Höhe der Vergütung sei auf die umfassende Wahrnehmung der Rechte bei Kleinverbrauchern zurückzuführen. Auch dieses Argument hat der Gerichtshof zurückgewiesen. Dazu stützt er sich auf die Höhe der Betriebskosten der SACEM, die auf einen besonders hohen Personalbestand zurückzuführen seien. Auch würden die Mitglieder benachteiligt, weil die Inkasso-Verwaltungsund -Abrechnungskosten besonders hoch seien. Der Gerichtshof hält es „nicht für ausgeschlossen, daß der schwerfällige Verwaltungsapparat mit fehlendem Wettbewerb auf dem betroffenen Markt" zu erklären sei. Aus dem Sitzungsbericht ergibt sich, daß die SACEM bei der Ausschüttung des Aufkommens von Diskotheken an ihre Mitglieder einen Kostensatz von 30 Prozent berechnet. Der in den Urteilen hervorgehobene Zusammenhang zwischen den Betriebskosten der Verwertungsgesellschaft und der Angemessenheit von Tarifen bedarf näherer Prüfung. Im Verfahren haben EG-Kommission und französische Regierung dargelegt, daß die Kosten ein von vornherein ungeeigneter Maßstab für die Angemessenheit von Urhebervergütungen sind. Der Grund ist einfach: Der Urheber erhält keine Vergütung für den Aufwand der ihm im Zusammenhang mit der Werkschöpfung entstanden ist, der Vcrgütungsanspruch folgt vielmehr unmittelbar aus dem 32

9. 987 Basset./. SACEM, Rs. 402/85 Slg. S. 174 = Schulze, RzU EuGH (im Druck) mit Anmerkung von Mestmäckcr.

297

8. Zur Rechtsstellung urheberrechtlicher Vcrwcrtungsgesellschaftcn

Eigentum am Werk. Die Höhe dieses Anspruchs soll sich in der Regel nach den geldwerten Vorteilen bestimmen, die durch die Verwertung erzielt werden. Diese Vorteile sind ihrerseits unabhängig von den Kosten der Verwertungsgesellschaft. Der Gerichtshof zieht jedoch die Möglichkeit in Betracht, daß eine Verwertungsgesellschaft in der Lage sein könnte, diese Vergütung mißbräuchlich zu erhöhen, um ihre eigenen Verwaltungskosten auf die Musikverbraucher abzuwälzen. Dies setzt die Prüfung voraus, inwieweit die Tarife unabhängig von der angemessenen Beteiligung der Urheberberechtigten an der Nutzung ihrer Werke allein wegen der Kosten der Verwertungsgesellschaft überhöht sind. Ein Indiz für diesen Tatbestand sieht der Gerichtshof in dem Vergleich zwischen der von den Musikverbrauchern gezahlten und der an die Mitglieder ausgeschütteten Vergütung. Aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen ist indessen nicht ersichtlich, wie anhand einer solchen Betrachtungsweise über die Angemessenheit von Tarifen geurteilt werden kann. Rechtlich besteht kein Zusammenhang zwischen den Beziehungen der Mitglieder zur Verwertungsgesellschaft und den Beziehungen der Verwertungsgesellschaft zu den Musikverbrauchern. Diese Verselbständigung der Wahrnehmung der Rechte in Verwertungsgesellschaften ist deren wesentlicher Zweck. Erst die Trennung von Aufkommen und Verteilung ermöglicht es den Verwertungsgesellschaften, die ihnen im Urheberwahrnehmungsgesetz übertragene Aufgabe der Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen zu erfüllen und Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen zu unterhalten. Diese Funktionen werden von Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt im wesentlichen in gleicher Weise wahrgenommen, ohne daß in anderen Rechtsordnungen gesetzliche Regelungen wie in den §§ 7 und 8 des deutschen Urheberwahrnehmungsgesetzes enthalten sind. Zu berücksichtigen ist ferner, daß Wahrnehmungs- und Verwaltungskosten im wesentlichen Gemeinkosten sind, die einzelnen Verwertungsarten auch nicht annähernd exakt zugerechnet werden können. Im Verhältnis zu den Mitgliedern ist die Zurechnung der Verwaltungskosten ein unselbständiger Bestandteil des Verteilungsplans. Gewiß ist es im Interesse der Mitglieder und der Musikverbraucher, daß Verwertungsgesellschaften die ihnen übertragenen Rechte möglichst effektiv und kostengünstig wahrnehmen. Die Mißbrauchsaufsicht nach Art. 86 ist dazu indessen ein wenig geeignetes Instrument. Es gibt dazu ein weit wirksameres Mittel, das überdies der Idee des Gemeinsamen 298

IV. Die Höhe der Urhebervergütung

Marktes besser entspricht. Es ist die vom Gerichtshof mit Recht betonte Notwendigkeit, die Freizügigkeit der Urheberberechtigten und damit deren Wahl zwischen den verschiedenen Verwertungsgesellschaften in der Gemeinschaft zu gewährleisten.33 Diese Freizügigkeit ist geeignet, den Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um Mitglieder und Repertoire zu fördern.

33

EuGH 27. März 1974 SABAM (oben Fn. 1).

299

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsverbot* Der BGH und das LG München haben dem EuGH im wesentlichen übereinstimmende Fragen zur Auslegung von Art. 7 EWGV bezüglich seiner Anwendung auf die Leistungsschutzrechte derjenigen ausübenden Künstler nach §125 Abs. 1-6 UrhG vorgelegt, die ausländische Staatsangehörige sind, jedoch einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft angehören. Die Vorlagefrage des LG München lautet: „1. Untcrfällt das Urheberrecht dem Diskriminicrungsverbot des Art. 7 Abs. l EWGV? 2. Wenn ja: Hat dies die (unmittelbar geltende) Wirkung, daß ein Mitgliedstaat, der seinen Staatsangehörigen für alle ihre künstlerischen Darbietungen Schutz gewährt, unabhängig vom Ort der Darbietung diesen Schutz auch den Angehörigen anderer Mitglicdstaaten gewähren muß, oder ist es mit Art. 7 Abs. l vereinbar, die Schutzgewährung für Staatsangehörige anderer Mitglicdstaaten an weitere Voraussetzungen (i. E. $ 125 Abs. 2-6 des Deutschen UrhG vom 9.9.1965) zu knüpfen?"

Die Vorlagefrage des BGH ist dem Beschluß vom 25.6.1992 zu entnehmen. Der BGH hat im Vorlagebeschluß zu erkennen gegeben, daß er den Grundsatz der Inländcrbehandlung im vorliegenden Fall für unanwendbar hält, weil Art. 7 EWGV nur „für den Anwendungsbereich des Vertrages" gelte, für das Urheber- und Leistungsschutzrecht aber unmittelbar keine Gemeinschaftsgesetzgebung bestehe. Abgesehen von Teilbereichen sei es auch nicht Gegenstand einer Harmonisierung gewesen, wie sich aus dem Urteil des EuGH vom 24.1.1989, Rs. 241/87 (EMI Electrola ./. Patrizia Import & Export, Slg., S. 92) ergebe. Im Hinblick auf die Vorlagefragen ist im einzelnen zu prüfen, - ob §125 UrhG eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält (dazu I); - ob die Diskriminierung, falls sie vorliegt, in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt (dazu II); Dem Aufsatz liegt ein Rcchtsgutachtcn zu den Vorlagefragcn des BGH (Rs. C-326/92) und des LG München (Rs. C-92/92) an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zugrunde, das der Verfasser für Warner Music Germany und EMI Electrola Deutschland GmbH erstellt hat. 301

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimicrungsverbot

schließlich welche Rechtsfolgen sich bei einem eventuellen Verstoß im deutschen Recht ergeben (dazu III).

I.

Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit

Die Ansprüche, die in den genannten Verfahren gegen die Vervielfältigung bzw. Verbreitung von Tonträgern mit Aufnahmen ausübender Künstler geltend gemacht werden, wären nach § 125 Abs. l in Verb, mit §§ 73, 75 UrhG begründet, wenn es sich um deutsche Staatsangehörige handeln würde. Nach S 75 darf die Darbietung eines ausübenden Künstlers nicht ohne dessen Einwilligung auf Bild- oder Tonträger aufgenommen und nicht vervielfältigt werden. Das gilt unabhängig vom Ort der Darbietung. Nach § 96 dürfen rechtswidrig hergestellte Vervielfältigungsstücke weder verbreitet noch zur öffentlichen Wiedergabe benutzt werden. Diese Rechte stehen ausländischen Staatsangehörigen nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des §125 Abs. 3 und 4 zu (§125 Abs. 2). Das Recht, die Vervielfältigung von Bild- und Tonträgern zu verbieten (§75 Satz 2), steht dem ausländischen ausübenden Künstler nur zu, wenn die Bild- oder Tonträger im Geltungsbereich des Gesetzes (Bundesrepublik) erschienen sind, es sei denn, daß die Bild- oder Tonträger früher als 30 Tage vor Erscheinen in der Bundesrepublik außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik erschienen sind ($ 125 Abs. 3). Im übrigen bestimmen sich die Rechte der ausländischen ausübenden Künstler nach dem Inhalt der Staatsverträge (§ 125 Abs. 5). Einschlägig ist das internationale Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen vom 26.10.1961 (Rom-Abkommen). Es ist von der Bundesrepublik und Großbritannien, nicht aber von den Vereinigten Staaten ratifiziert worden. Art. 4 des Abkommens verpflichtet die beteiligten Staaten zur Inländerbehandlung, falls die Darbietung in einem anderen der Konvention angehörenden Mitgliedstaat stattfindet oder die Darbietung auf einem nach Art. 5 geschützten Tonträger festgelegt wird. Soweit ein ausländischer Staatsangehöriger, der einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft angehört, ein Recht nicht geltend machen kann, das ihm zustehen würde, wenn er deutscher Staatsangehöriger wäre, liegt eine 302

I. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit

verschiedene Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Sinne von Art. 7 EWGV vor. Die typische Fallgestaltung betrifft die Darbietung in einem Staat, der nicht der Konvention angehört, durch einen Künstler, der einem Mitgliedstaat der EG angehört. In diesen Fällen stehen dem ausländischen Berechtigten nur die Rechte aus § 125 Abs. 6, nicht aber das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht zu. So liegt es auch in den Fällen, welche die deutschen Gerichte veranlaßt haben, den EuGH anzurufen. Der Inhalt des Diskriminierungsverbots in Art. 7 wird im Schrifttum streitig erörtert. Streitig ist insbesondere, ob Art. 7 Abs. l ein absolutes Diskriminierungsverbot enthält1 oder ob es sich um ein relatives Diskriminierungsverbot handelt, das nicht eingreift, wenn die unterschiedliche Behandlung aus objektiven sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.2 Der Gerichtshof hat Art. 7 als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes interpretiert, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört. Wörtlich heißt es dazu: „Danach dürfen vergleichbare Lagen nicht unterschiedlich behandelt werden, soweit eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist".3

Dieser Auslegung ist zu folgen. Soweit nämlich der Vertrag spezielle Ausprägungen des Diskriminierungsverbots nach Art. 7 enthält, wie es etwa für Art. 48, 52 und 59 EWGV zutrifft, 4 sieht der Vertrag gleichwohl die Möglichkeit der Rechtfertigung aus objektiven Gründen vor (Art. 48 Abs. 3, Art. 55, Art. 66). In den Fällen, in denen der Vertrag keine „besonderen" Bestimmungen enthält, wird Art. 7 autonom angewendet.5 Auch in diesen Fällen lassen sich objektiv rechtfertigende Gründe nicht von vornherein ausschließen.6 Es ist zu prüfen, ob die fremdenrechtlichen Vorschriften in § 125 UrhG durch solche objektiven sachlichen Gründe gerechtfertigt werden können. Das deutsche BVerfG hat bei 1 2 3

4 5 6

So Grabitz, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, Lose Blatt-Lieferung, Stand: 1989, Art. 7, Rn. 2. So Zuleeg, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWGVertrag, 4. Aufl. 1991, Rn.2. 16.10.1980 Hochstrass ./. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Rs. 147/79, Slg. 3005, 3019; ähnlich schon EuGH 12.2.1974 Sotgiu ./. Deutsche Bundespost, Rs. 152/73, Slg. 153, 165. EuGH 30.5.1989, Kommission ./. Griechenland, Rs. 305/87, Slg. 1473, 1476. EuGH ebd., S. 1477. Übereinstimmend Zuleeg, a. a. O., Art. 7, Rn. 2. 303

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsvcrbot

diesen Vorschriften einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz in Art. 3 GG verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt: „Die kollisionsrechtlichen Regelungen der §§ 121 und 125 UrhG verfolgen daher das Ziel, andere Staaten zu beeinflussen, internationalen Verträgen bcizutreten oder zumindest Gegenscitigkcitsabkommcn abzuschließen, welche deutschen Anspruchstcllern im Ausland einen erhöhten Schutz gewähren (vgl. BT-Drs. IV/270, S. 112 zu $ 131 des RegE; es folgen weitere Hinweise auf das Schrifttum). Das hierzu gewählte Mittel einer gezielten Benachteiligung von Angehörigen bislang „unentschlossener Staaten" entspricht einem allgemeinen Völkerrechtssatz. Dieser berechtigt jede Nation, die Belange ihrer Angehörigen in fremden, souveränen Staaten zu wahren."7

Diese Argumente sind im Schrifttum auf die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der deutschen fremdenrechtlichen Vorschriften übertragen worden.8 Ein Anreiz für ausländische Staaten multilateralen oder bilateralen Abkommen über den Schutz von Immaterialgüterrechten beizutreten, ergebe sich erst daraus, daß aus dem Beitritt Vorteile für die eigenen Urheber- bzw. Leistungsschutzberechtigten erwüchsen. Wenn ein Staat ausländischen Urhebern oder Leistungsschutzberechtigten von vornherein den gleichen Rechtsschutz gewährte wie den eigenen Staatsangehörigen, so bestünde insoweit für andere Staaten kein Anlaß, sich an einem Schutzabkommen zu beteiligen. Auch die unterschiedliche Behandlung ausländischer ausübender Künstler durch § 125 UrhG diene der Begründung und Effizienzsteigerung des internationalen Leistungsrechtsschutzes und damit dem Schutz der eigenen ausübenden Künstler im Ausland. Diese Argumentation beruht - wie das BVerfG besonders hervorhebt (ebd., S. 223) - auf dem Territorialitätsprinzip sowie auf dem völkerrechtlichen Grundsatz, wonach jede Nation berechtigt sei, die Belange ihrer eigenen Angehörigen in fremden souveränen Staaten zu wahren. Diese Gründe berücksichtigen indessen nicht die grundlegende Veränderung, die der EWG-Vertrag für die Rechtstellung der Mitgliedstaaten und ihrer Angehörigen bewirkt hat. Das Territorialitätsprinzip ist zwar für das überkommene internationale System der Urheber- und Leistungsschutzrechte kennzeichnend, es kann jedoch in einem Binnenmarkt, den Art. 8 a EWGV normiert, keine allgemeine Geltung mehr beanspruchen. Der Binnenmarkt ist dadurch gekennzeichnet, daß er ein Raum ohne Binnen7 8

23.1.1990, BVerfG, Bd. 81, 208, 224. Loewenheim, Der Schutz ausübender Künstler aus anderen Mitgliedstaaten der EG im deutschen Urheberrecht. Zur Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. l EWGV auf die Regelung des $ 125 UrhG, GRUR Int. 1993, 105, 114 f.

304

II. Diskriminierungen „im Anwendungsbereich des Vertrages"

grenzen ist, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist. Überholt ist in der Gemeinschaft aber auch das Gegenseitigkeitsprinzip. Es wird angewendet, um ausländische Staaten durch Diskriminierung von deren Staatsangehörigen zur Harmonisierung der fremdenrechtlichen Regelungen zu nötigen. Innerhalb der Gemeinschaft sind Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, dagegen durch Rechtsangleichung zu beseitigen. Aber auch solange solche Unterschiede noch bestehen, schließt es das Gleichbehandlungsgebot als eines der Grundprinzipien der Gemeinschaft aus, seine Anwendung von einem Gegenseitigkeitsabkommen abhängig zu machen.9 Dieser Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs allgemein. Ist ein gemeinschaftsrechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung begründet, so kann diesem Anspruch nicht das Fehlen eines Gegenseitigkeitsabkommens entgegengehalten werden. 10 Die Gründe, die vom BVerfG und dem deutschen Schrifttum für die Rechtfertigung von Diskriminierungen ausländischer Staatsangehöriger im 5 125 Abs. 2-6 angeführt werden, beruhen aber auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Sie sind deshalb ungeeignet, eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zum Nachteil von Angehörigen der Mitgliedstaaten zu rechtfertigen. Auf dieser Grundlage ist zu prüfen, ob die in § 125 UrhG enthaltenen Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen.

II.

Diskriminierungen „im Anwendungsbereich des Vertrages"

Die Geltung des Diskriminierungsverbots in Art. 7 EWGV ist auf den Anwendungsbereich des Vertrages beschränkt. Zu unterscheiden sind der räumliche und der sachliche Anwendungsbereich.

9 10

EuGH 22.6.1972, Frilli./. Belgien, Rs. 1/72, Slg. 457, 467. EuGH 2.2.1989, Cowan ./. Tresor Public, Rs. 186/87, Slg. 216, 220, Rn. 12.

305

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsverbot

1.

Der räumliche Anwendungsbereich

Der räumliche Geltungsbereich des Vertrages ergibt sich zunächst aus Art. 227. Davon zu unterscheiden ist die Frage, welche Bedeutung den extraterritorialen Bezügen des zu beurteilenden Sachverhalts bei der Anwendung der einzelnen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zukommt. Die extraterritoriale Reichweite von Art. 7 kann in den vorliegenden Fällen erheblich sein, soweit die künstlerischen Darbietungen außerhalb der Gemeinschaft stattfinden. Im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 7 auf die Rechtsbeziehungen im Rahmen eines weltweit tätigen Sportverbandes, der Wettkämpfe auch außerhalb der Gemeinschaft veranstaltet, hat der Gerichtshof entschieden: „Wegen seines zwingenden Charakters ist das Diskriminierungsverbot bei der Prüfung sämtlicher Rcchtsbeziehungen zu beachten, die aufgrund des Ortes, an dem sie entstanden sind oder an dem sie ihre Wirkungen entfalten, einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft aufweisen. Es ist Sache des einzelstaatlichen Richters, sich unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles ein Urteil über diesen räumlichen Bezug zu bilden und hinsichtlich der Rechtswirkungen dieser Beziehungen die Folgerungen aus einer etwaigen Verletzung des Diskriminierungsverbots zu ziehen."11

Wenn für Darbietungen, die in den USA stattfinden, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten keine Leistungsschutzrechte nach deutschem Recht zustehen, so folgt der notwendige räumliche Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft aus der ihnen vorenthaltenen Wahrnehmung leistungsschutzrechtlicher Befugnisse. Dadurch sind sie gehindert, diejenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Gebiet der Bundesrepublik und damit im Gebiet der Gemeinschaft auszuüben, die den deutschen Inhaber solcher Rechte zustehen. Dazu gehört insbesondere die Wahrnehmung der Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte. Ist der notwendige territoriale Bezug gegeben, so gilt Gemeinschaftsrecht für „sämtliche Rechtsbeziehungen".

2.

Der sachliche Anwendungsbereich

Im Hinblick auf den sachlichen Geltungsbereich wiederholt Art. 7 den Grundsatz, daß die Gemeinschaft nur innerhalb der ihr besonders zugewiesenen Befugnisse tätig wird. Der Gerichtshof hat den Inhalt von u 306

12.12.1974 Walrave ./. Union Cydiste International, Rs. 36/74, Slg. 1405, 1420.

II. Diskriminierungen „im Anwendungsbereich des Vertrages"

Art. 7 dahin bestimmt, „daß Personen, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden, genauso behandelt werden müssen, wie Angehörige des betreffenden Mitgliedstaates".12 Auch wenn die Materie grundsätzlich in die Zuständigkeit des staatlichen Gesetzgebers fällt, zieht das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Schranken: Derartige Rechtsvorschriften dürfen nämlich weder zu einer Diskriminierung von Personen führen, denen das Gemeinschaftsrecht einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, noch die vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten beschränken (ebd., S. 222). Unanwendbar ist der Artikel nur in den Bereichen, die „außerhalb des Gemeinschaftsrechts" stehen.13 Die diskriminierten Inhaber von Leistungsschutzrechten befinden sich hinsichtlich der Rechte, die ihnen die deutsche Gesetzgebung versagt, in einer gemeinschaftsrechtlich umfassend geregelten Situation. Das gemeinsame Kennzeichen der gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte im Sinne von Art. 36 EWGV, deren Bestand das Gemeinschaftsrecht garantiert und deren Ausübung es regelt, bilden die von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten verliehenen Ausschließlichkeitsrechte sowie deren kommerzielle Nutzung. Dazu gehören insbesondere die den ausländischen Rechts Inhabern vorenthaltenen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte.14 Die Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten ist eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne der Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrages. Das gilt einmal für die individuelle Begründung und Wahrnehmung dieser Rechte.15 Insbesondere ist der Abschluß von Exklusivverträgen zwischen ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern eine unternehmerische Tätigkeit.16 Ebenso sind auf die Tätigkeiten von Verwertungsgesellschaften, die Leistungsschutzrechte wahrnehmen, die Wettbewerbsregeln wie das Diskriminierungsverbot des Art. 7 anwendbar. 17 Schließlich kann die Ausübung der hier in Frage stehenden Rechte mit der Freiheit des Warenverkehrs (Art. 30) und insbesondere mit der des Dienstleistungsverkehrs vereinbar sein.18 Schließlich hat die Gemeinschaft - wie die Kommission in ihrer Stellungnahme in diesem Vorlageverfahren im einzelnen dar12 13 14 15

16

17 18

2.2.1989 Cowan ./. Tresor Public, Rs. 186/87, Slg. 216, 219. 13.2.1985 Gravier./. Stadt Lüttich, Rs. 293/83, Slg. 606, 612. EuGH 24.1.1989, EMI Ekctrola, a. a. O-, S. 95 für Tonträger. Nachweise aus der Praxis der Kommission bei Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, Lose Blatt-Ausgabe 1989, Art. 85, Rn. 7. EuGH 8.6.1991, Deutsche Grammophon ./'. Metro, Rs. 78/70, Slg. XVII, 487. EuGH 2.3.1983, GVL ./. Kommission, Rs. 7/82, Slg. 406. EuGH 6.10.1982, Coditel./. Cine Vog Films, Rs. 262/81, Slg. 3401.

307

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsverbot

stellt - die Harmonisierung von Leistungsschutzrechten im Wege der Rechtsangleichung in Angriff genommen. Der BGH hat in seinem Vorlagebeschluß gleichwohl Zweifel geäußert, ob die hier in Frage stehenden Diskriminierungen, die auf der deutschen Gesetzgebung beruhen, in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen. Die Umschreibung des Tätigkeitsbereichs der Gemeinschaft in Art. 3 EWGV dürfte nicht ausreichen. Ebensowenig führten weitgefaßte Ermächtigungsnormen wie Art. 100, 100 a ohne einen darauf gestützten Rechtsakt zur Geltung des Diskriminierungsverbots, da für das Urheberund Leistungsschutzrecht unmittelbar keine Gemeinschaftsgesetzgebung bestehe und es bislang außer in Teilbereichen zu keiner Harmonisierung gekommen sei, liege die Annahme nahe, daß der Anwendungsbereich des Vertrages nicht berührt sei. Gegen die Anwendung von Art. 7 auf die Darbietungen ausübender Künstler ist ferner eingewendet worden, Art. 7 sei selbst in Verbindung mit Art. 59 dann nicht anwendbar, wenn man annehme, daß Dienstleistungen vorlägen, weil das Gemeinschaftsrecht diejenigen wirtschaftlichen Betätigungen nicht erfasse, die auf der Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz des geistigen Eigentums beruhten.19 Das unterschiedliche Schutzniveau für Leistungsschutzrechte folge aber aus Unterschieden in den nationalen Rechtsordnungen, die nur durch Rechtsangleichung zu beseitigen seien (Art. 36, 222 EWGV) und die darauf bezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs eröffne nicht den Anwendungsbereich des Vertrages im Sinne von Art. 7, sondern beschränke ihn nur. Auch lägen bisher keine wirksamen Rechtsakte der Gemeinschaft vor, die Leistungsschutzrechte zum Gegenstand hätten. Der Richtlinienvorschlag zum Vermiet-Verleihrecht und zu bestimmten Leistungsschutzrechten sei vom Rat noch nicht angenommen. Mit dieser Argumentation wird die Rolle, die dem Gemeinschaftsrecht für Leistungsschutzrechte zukommt, im grundsätzlichen verkannt. Unhaltbar ist zunächst die Annahme, die Diskriminierung ausländischer darstellender Künstler falle nicht unter Art. 7, weil die Diskriminierung aus Unterschieden der nationalen Rechtsordnungen folge. Es ist unstreitig, daß sich Art. 7 auch gegen Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit richtet, die auf der Gesetzgebung der Mitgliedstaa19

Loewenlieim, a. a. O., S. 110.

308

II. Diskriminierungen „im Anwendungsbereich des Vertrages"

ten beruhen.20 Etwas anderes folgt aber auch nicht daraus, daß Leistungsschutzrechte den Gegenstand der diskriminierenden Gesetzgebung bilden. Art. 36, 222 enthalten - wie inzwischen unstreitig ist - keine Bereichsausnahme für die Rechte des kommerziellen und gewerblichen Eigentums, sondern sie bestätigen die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vertrages auch auf diese Rechte. Erfaßt werden von der Vorschrift - wie bereits hervorgehoben - alle gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte, die ihrem Inhaber Ausschließlichkeitsbefugnisse verleihen. Dazu gehören nach deutschem Recht die Inhaber von Leistungsschutzrechten (S 97 UrhG). Über die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts entscheidet der Gerichtshof in ständiger Praxis anhand der Unterscheidung des Bestandes der Rechte, die der Vertrag gewährleistet, und ihrer Ausübung, die den Vorschriften des Vertrages unterfällt. Was zum Bestand der Rechte gehört, ist anhand ihres spezifischen Gegenstandes zu ermitteln. Zu dem spezifischen Gegenstand des Urheberrechts gehört insbesondere die übliche Art ihrer wirtschaftlichen Verwertung. 21 Aus dieser Rechtsprechung folgt unmittelbar, daß auch diskriminierende Maßnahmen, welche die Verwertung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums zum Gegenstand haben, in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen.

3.

Zur Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots auf die Ausübung von Schutzrechten

Dieses Ergebnis wird durch das Verbot willkürlicher Diskriminierungen und verschleierter Beschränkungen des Handelsverkehrs in Art. 36 Satz 2 und durch die Generalisierung des zugrundeliegenden Rechtsgedankens in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt. Art. 36 Satz 2 steht im engen systematischen Zusammenhang mit Art. 7 und bestätigt die Anwendbarkeit des allgemeinen Gleichhcitssatzes im Recht des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Nach Art. 36 Satz 2 dürfen aufgrund des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigte Verbote kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder zur verschleierten Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten sein. Art. 36 steht zwar im Kapitel über den freien Warenverkehr und ist 20

Ztileeg, a. a. O., Art. 7, Anm. 18 unter Hinweis auf EuGH 3.7.1974, Casagrande ./. München, Rs. 9/74, Slg. 773, 779.

21

EuGH 9.4.1987, Basset./. SACEM, Rs. 402/85, Slg. 1763, 1768.

309

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsverbot

insoweit in seiner Anwendbarkeit begrenzt. Der Gerichtshof hat den hier zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken jedoch allgemeine Bedeutung beigemessen. Mit Bezug auf die Ausübung von Urheberrechten, die dem Publikum durch Vorführung zugänglich gemacht werden und deren Ausübung folglich in dem Bereich des Dienstleistungsverkehrs fällt, hat der Gerichtshof wie folgt entschieden: „Zwar sind nach Art. 59 Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verboten, doch erfaßt diese Bestimmung damit nicht die Grenzen für bestimmte wirtschaftliche Betätigungen, die auf die Anwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über den Schutz des geistigen Eigentums zurückgehen. Es sei denn, die Anwendung dieser Vorschriften stellte sich als ein Mittel willkürlicher Diskriminierung oder als eine versteckte Beschränkung in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten dar. Dies wäre der Fall, wenn es die Anwendung dieser Bestimmungen den Parteien eines Vertrages über die Einräumung eines Nutzungsrechts ermöglichen würde, künstliche Schranken für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten zu errichten."22

Diese Rechtsprechung bestätigt, daß die Diskriminierungsverbote des Vertrages auf die mitgliedstaatliche Gesetzgebung über gewerbliche und kommerzielle Eigentumsrechte anzuwenden sind. Wenn ein Mitgliedstaat seinen Staatsangehörigen gewerbliche oder kommerzielle Eigentumsrechte gewährt, die er den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten vorenthält, so weist diese Gesetzgebung keinen Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Bestand der in Frage stehenden Schutzrechte auf.23 Es handelt sich im Gegenteil darum, daß Angehörige anderer Mitgliedstaaten von denjenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Bundesrepublik ausgeschlossen werden, die deutschen Staatsangehörigen aufgrund $ 125 UrhG vorbehalten sind. Dazu gehört die Wahrnehmung des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts, von denen ausländische Staatsangehörige ausgeschlossen sind, sofern die in Frage stehenden Darbietungen oder die Erstvervielfältigung nicht in der Bundesrepublik oder einem Vertragsstaat des Abkommens von Rom stattgefunden haben. Das Argument, die Verbraucher in der Bundesrepublik könnten die Darbietungen des ausländischen ausübenden Künstlers genießen, weil dieser kein Verbotsrecht habe, so daß die in Deutschland nicht erbrachte Dienstleistung „in einem Verbot des Ge-

22 23

18.3.1980, Coditel I, Rs. 72/79, Slg. 881, 903, übereinstimmend EuGH 6.10.1982, Coditel II, Rs. 261/81, Slg. 3381, 3401. So aber Loewenheim, a. a. O., S. 112.

310

II. Diskriminierungen „im Anwendungsbereich des Vertrages"

nusses der Darbietung" bestehe,24 enthält eine petitio principii. Mit der Gesetzgebung zum gewerblichen und kommerziellen Eigentum entscheidet der Gesetzgeber darüber, welche Darbietungen dem Verbraucher als genehmigungsfrei und unentgeltlich oder als rechtlich geschützte gegen Entgelt zur Verfügung stehen sollen. Wenn der deutsche Verbraucher deutsche Darbietungen nur gegen Entgelt, ausländische aber unentgeltlich genießen darf, so tritt darin die Diskriminierung der ausländischen Rechtsinhaber um so deutlicher hervor. Die Wirkung besteht nämlich darin, ausländischen Rechtsinhabern die unternehmerische Nutzung ihrer Rechte vorzuenthalten, die den deutschen Rechteinhabern garantiert ist. Das in diesem Zusammenhang auch vom BGH im Vorlagebeschluß zur Rechtfertigung der deutschen diskriminierenden Gesetzgebung angeführte Urteil des EuGH vom 24.1.198925 steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, sondern bestätigt sie. Die Schutzfristen, die nach der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten für gewerbliche und kommerzielle Eigentumsrechte gelten, sind nicht harmonisiert. Die Schutzfristen gehören zum Bestand von Urheberrechten. Sie gelten aber in den staatlichen Rechtsordnungen für inländische ebenso wie für ausländische Staatsangehörige. Auch wenn die Mitgliedstaaten für die Gesetzgebung in diesem Bereich grundsätzlich zuständig sind, so schließt dies nicht aus, daß das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Grenzen zieht. Das gilt aufgrund des bereits zitierten Urteils vom 2.2.198926 insbesondere dann, wenn von dieser Gesetzgebung gegen den Anspruch auf Gleichbehandlung der Staatsangehörigen in den Mitgliedstaaten verstoßen wird. Dieser Grundsatz wird in dem vom BGH zitierten Urteil ausdrücklich bestätigt. Es heißt dort zur Rechtfertigung von Beschränkungen, die auf die Verschiedenheit nationaler Rechtsvorschriften zurückgehen: „Ein solcher Rechtfertigungsgrund wäre nicht gegeben, wenn die Handelsbeschränkungen, die die von dem Inhaber der ausschließlichen Rechte oder seinen Lizenznehmer angeführten nationalen Rechtsvorschriften auferlegen oder zulassen, ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Maßnahme zur Beschränkung des Handels darstellen könnten." 27

24 25

26 27

Loewenheim, a.a.O., S. 111. A.a.O., Slg., S.92, 96.

Cowan ./. Tresor Public, Rs. 186/87, Slg., S. 222. A.a.O., S.96, Rn. 13. 311

9. Schutz der ausübenden Künstler und EWG-Diskrimierungsvcrbot

Die Wirkung der streitigen Rechtsvorschriften in § 125 UrhG besteht aber gerade darin, daß sie Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Rechte vorenthalten, die den deutschen Staatsangehörigen gewährt sind. Zusammenfassend ist festzustellen: Die im deutschen Urhebergesetz enthaltenen Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit sind aus objektiven und sachlichen Gründen nicht zu rechtfertigen. Leistungsschutzrechte ausübender Künstler fallen in den Anwendungsbereich des Vertrages; insbesondere sind Angehörige der Mitgliedstaaten - wie der allgemein anwendbare Rechtsgrundsatz in Art. 36 Satz 2 zeigt gegen ungerechtfertigte Diskriminierungen geschützt.

III.

Rechtsfolgen im deutschen Recht

Das Diskriminierungsverbot des Art. 7 wird als ein die Rechtsordnung der Gemeinschaft kennzeichnendes Grundrecht bezeichnet.28 Das aus dem Grundrecht folgende Verbot ist eindeutig und klar. Es bedarf zu seiner Durchsetzung keines zusätzlichen Vollzugsaktes und läßt den Adressaten - hier den deutschen Gerichten - keinen Ermessensspielraum. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfüllt sein müssen, wenn ein gemeinschaftsrechtliches Verbot in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung zukommen soll.29 Der Gerichtshof hat zur unmittelbaren Wirkung des Diskriminierungsverbots in Fällen Stellung genommen, in denen die staatlichen Gerichte nach der Anwendung von Art. 7 in Verbindung mit Art. 59 bzw. Art. 48 gefragt hatten. Art. 7 gilt „unbeschadet" anderer Bestimmungen des Vertrages. Deshalb gehen die Vorschriften, die das Diskriminierungsverbot konkretisieren, Art. 7 grundsätzlich vor. Gleichwohl hat der Gerichtshof in solchen Fällen zwischen der Geltung der Vorschrift im Allgemeinen und der des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit unterschieden und „jedenfalls" diesem Diskriminierungsverbot unmittelbare Wirkung zuerkannt.30 Daraus folgt, daß die mit dem Diskriminierungsverbot unvereinbaren Vorschriften des natio28

Zulceg, a. a. O., Art. 7, Rn. 15; Grabitz, a. a. O., Art. 7, Rn. 2. Übereinstimmend Zuleeg, a. a. O., Art. 7, Rn. 15; Grabitz, a. a. O., Art. 7 Rn. 23. 30 EuGH 13.12.1974 Walrave./. Union Cydiste International, Rs. 36/74, Slg. 1405, 1421; übereinstimmend 14.7.1976Dona./.Mandero,Rs. 13/76,Slg. 1333,1341 mit weiteren Nachw. 29

312

III. Rechtsfolgen im deutschen Recht

nalen Rechts nicht mehr angewendet werden dürfen. Dies hat der Gerichtshof auch für einen Fall ausdrücklich entschieden, der ausschließlich Art. 7 zum Gegenstand hatte.31 Im Falle Defrenne ,/. Sabena32 hatte der Gerichtshof über die Gleichbehandlung von Mann und Frau in Arbeitsverhältnissen auf der Grundlage des Diskriminierungsverbots in Art. 119 zu entscheiden. In diesem Fall wurde die unmittelbare Wirkung des Diskriminierungsverbots bejaht, seine rückwirkende Geltung jedoch ausgeschlossen. Diese zeitliche Einschränkung der Geltung einer Vorschrift hat der Gerichtshof mit zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit begründet, die sich aus der Gesamtheit der betroffenen öffentlichen und privaten Interessen ergeben. Ausgeschlossen wurde die Geltendmachung von Ansprüchen für in der Vergangenheit liegende Zeiträume, soweit nicht bereits Klage erhoben war. Unstreitig ist damit zunächst, daß in allen bereits anhängigen Verfahren die geltend gemachten Ansprüche auch zuzusprechen sind. Darüber hinaus sind in den hier zu beurteilenden Fällen weder die rechtlichen noch die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben, die es rechtfertigen könnten, „die Objektivität des Rechts zu beugen".33 Das Diskriminierungsverbot des Art. 7 gehört nach seinem Wortlaut wie nach seiner Anwendung durch den Gerichtshof zu den seit Beginn der Integration schlechthin grundlegenden Rechtsprinzipien. Auch werden die Nutzer von Leistungsschutzrechten, die jetzt zur Zahlung solcher Vergütungen verpflichtet werden, die sie an deutsche Rechtsinhaber in gleichgelagcrtcn Fällen selbstverständlich leisten, nicht in unzumutbarer Weise belastet. Mit Recht hat der BGH das Defrenne-Urteil des EuGH mit den Besonderheiten arbeitsrcchtlichcr Dauerschuldverhältnisse erklärt.34 Der Rechtsprechung des Gerichtshofs komme bei Art. 30 EWGVertrag als einem unmittelbar geltenden Verbot des Gemeinschaftsrechts nur deklaratorische Bedeutung zu. Für das Diskriminierungsverbot in Art. 7 gilt nichts anderes. Für die Entscheidung der Fälle, die dem Vorlageverfahren zugrunde liegen, bedeutet dies, daß die Vorschriften des Urhcbergcsetzes auf Angehörige der Mitgliedstaaten so anzuwenden sind, wie sie für deutsche Staatsangehörige gelten. 3

'

32 33 34

3.7.1980, Pieck, Rs. 157/79, Slg. 2171, 2187. 18.4.1976, Rs. 43/75, Slg. 455, 480. EuGH, ebd., 480. 28.4.1988, GRUR 1988, 606.

313

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber gewerblichen und kommerziellen Eigentums im europäischen Gemeinschaftsrecht - Zum Verhältnis von Art. 36 und Art. 86 EGV 1.

Grundlagen

Art. 36 garantiert nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den Bestand des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Zu diesem Eigentum gehören Urheberrechte und verwandte Schutzrechte. Das gemeinsame Kennzeichen der von Art. 36 erfaßten Rechte besteht in den von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten verliehenen Ausschließlichkeitsrechten und deren kommerzieller Nutzung.1 Was zum gemeinschaftsrechtlich garantierten Bestand der Rechte gehört, muß anhand ihres „spezifischen Gegenstandes" ermittelt werden. In Einklang zu bringen sind die Erfordernisse des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und die Wahrung der berechtigten Interessen an der Ausübung der ausschließlichen Eigentumsrechte an literarischen und künstlerischen Werken. Zu verhindern ist jede mißbräuchliche Ausnutzung dieser Rechte, die geeignet ist, künstliche Abschottungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu schaffen oder beizubehalten. 2 Zu den Vorschriften, die diesem Zweck dienen sollen, gehören die Wettbewerbsregeln und insbesondere das Verbot der mißbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben in Art. 86. Die Vorschrift richtet sich gegen den Mißbrauch, nicht gegen Begründung oder Erwerb einer beherrschenden Stellung. Im Unterschied zu den Schutzrechten des Art. 36 ist die beherrschende Stellung nicht in ihrem Bestand geschützt. Sie soll durch das Mißbrauchsverbot des Art. 86 vielmehr begrenzt und soweit wie möglich dem Restwettbewerb auf dem Markt ausgesetzt werden. 1

2

EuGH 24.1.1989, EM/ Electrola ./. Patrizia Import Export, Rs. 341/87, Slg. 79, Rn.7. EuGH, ebd., Rn. 28.

315

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber

Diese ihrer Art nach verschiedenen Rechtspositionen treffen aufeinander, wenn darüber zu entscheiden ist, ob Schutzrechte geeignet sind, eine beherrschende Stellung zu begründen und - falls dies zu bejahen ist - ob ihre Ausnutzung zu einer den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigenden mißbräuchlichen Ausnutzung dieser Stellung führt. Das Mißbrauchsverbot hindert beherrschende Unternehmen zwar nicht, ihre unternehmerischen Eigeninteressen auf dem Markt zur Geltung zu bringen, es begrenzt diese Handlungsfreiheit jedoch zum Schutz von Geschäftspartnern, Wettbewerbern und Letztverbrauchern. Nach deutschem Verfassungsrecht gehört das Mißbrauchsverbot zur gesetzlichen Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums i. S. von Art. 14 Abs. l GG.3 Die gewerblichen und kommerziellen Eigentumsrechte sind dagegen als solche Gegenstand der grundrechtlichen Garantie des Privateigentums.4 Für das Gemeinschaftsrecht konkretisiert Art. 36 Inhalt und Grenzen des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Zum Bestand der Rechte gehört, daß sie ihrem Inhaber bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten und damit verbesserte Chancen im Wettbewerb vorbehalten. Im Gemeinschaftsrecht entstehen spezifische Probleme daraus, daß es sich nicht nur an Unternehmen und Inhaber von Schutzrechten, sondern ebenso an die Mitgliedstaaten richtet. Die Rechte aus Art. 36 beruhen auf der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten. Mit der Schaffung und Ausgestaltung dieser Rechte sind wesensgemäß einschränkende Wirkungen für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr verbunden. Sie folgen aus dem Ausschließlichkeitsrecht und aus der territorialen Begrenzung der staatlichen Gesetzgebung. Der EuGH hat deshalb schon in der Begründung solcher Ausschließlichkeitsrechte eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung i. S. v. Art. 30 EGV gesehen, weil das Ausschließlichkeitsrecht seinen Inhaber berechtigt, eine wirtschaftliche Tätigkeit im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu untersagen.5 Anhand von Art. 36 ist sodann zu entscheiden, ob diese Maßnahmen zum Bestand des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gehören und deshalb gerechtfertigt sind. 3 4 5

Näher Papier, in: Maunz/Dürig/Hcrzog/Scholz, GG Kommentar, Art. 14, Rn.435. Zur deutschen Rechtsprechung Papier, ebd., Rn. 187. EuGH 17.5.1988, Warner Brothers ./. Christiansen, Rs. 158/86, Slg. 2625, 2628, Rn. 18.

316

1. Grundlagen

Einen urheberrechtlichen Mißbrauchstatbestand entnimmt der Gerichtshof ferner Art. 36 Satz 2. Danach steht die Gewährleistung des Bestandes der Schutzrechte unter dem Vorbehalt, daß sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaatcn darstellen. Die nationalen Rechtsvorschriften dürfen den Inhabern dieser Schutzrechte und ihren Lizenznehmern solche Beschränkungen nicht „auferlegen" und sie dürfen sie auch nicht „zulassen" (Rn. 13). Dieses Verbot richtet sich, wie das angeführte Urteil zeigt, nicht nur gegen solche staatlichen Vorschriften, die den Rechtsinhaber zu einem gemeinschaftsrechtlich mißbilligten Verhalten zwingen; es richtet sich auch gegen die mißbräuchliche Ausnutzung von Schutzrechten, welche die staatliche Gesetzgebung nur „zuläßt". Die hier erheblichen Sachverhaltc betreffen also nicht eine Rechts- oder Marktstellung, die ein einzelnes Unternehmen vermöge seines Schutzrechts innehat, sondern sie betreffen die von der mitgliedstaatlichen Gesetzgebung für Inhaber der verschiedenen Schutzrechte eröffneten Möglichkeiten, mit Hilfe dieser Rechte den nationalen Markt abzuschotten oder andere Unternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr zu diskriminieren. In der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 36 stehen die Sachverhalte ganz im Vordergrund, bei denen die Ausübung von Schutzrechten zu unzulässigen Handelsbeschränkungen führt. Die gemeinschaftsrechtliche Erschöpfung von Schutzrechten durch das erste Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat bietet dafür die wichtigste und hier nicht erneut darzustellende Tatbestandsgruppe.6 Den Zusammenhang der für Schutzrechte geltenden Grundsätze mit den Wettbewerbsregeln und insbesondere mit Art. 86 hat der EuG H bereits in seinem ersten einschlägigen Urteil hergestellt.7 Dem systematischen entspricht der rechtstatsächliche Zusammenhang. Jede Ausübung eines Nachweise zuletzt bei Mailänder, Gcmeinschaftsrechtlichc Erschöpfungslehrc und freier Warenverkehr, in: Gisela Wild/Inc-Marie Schulte-Franzhcim/ Monika Lorenz-Wolf (Hrsg.), Festschrift für Alfred-Carl Gacdcrtz, 1992, S. 369 ff. Zum Urheberrecht Mcstmäcker, in: Mestmäckcr/Schulze, Urhebcrrechtskommcntar, 6. Abschnitt, Europäische Abkommen, $ 3 (Lieferung 1990). EuGH 8.6.1971, Deutsche Grammophon./. Metro, Rs. 78/70, Slg. 487,499, Rn. 10; im Ergebnis übereinstimmend EuGH 20.1.1981, Musikvertrieb Membran ./. GEMA, Rs. 55 und 57/80, Slg. 145, 163, Rn. 163.

317

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber

Schutzrechts zu Zwecken kommerzieller Nutzung ist eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne der Wettbewerbsregeln. Andererseits sind den Schutzrechten i. S. v. Art. 36 der Zweck und die Wirkung gemeinsam, ihre Inhaber nach Maßgabe der gesetzlichen Ausgestaltung dieser Rechte im Wettbewerb zu privilegieren. Die daraus entstehenden Konflikte betreffen im Gemeinschaftsrecht sein Verhältnis zur fortbestehenden Kompetenz der Mitgliedstaaten, über Inhalt und Schranken des gewerblichen und kommerziellen Eigentums zu entscheiden. Der spezifische Gegenstand der Schutzrechte weist in den Mitgliedstaaten auch innerhalb derselben Rechtskategorie, vor allem im Urheberrecht, grundlegende Unterschiede auf. Schließlich führt der Zweck der Wettbewerbsregeln, offene Märkte in einem Binnenmarkt zu gewährleisten, zu Konflikten mit dem Inhalt der Schutzrechte, die im mitgliedstaatlichen Kartellrecht nicht in den Blick kommen. So ist es ein Kennzeichen des Gemeinschaftsrechts, daß die genannten Fragen zugleich solche der Gesetzgebung und der Rechtsanwendung sind. Das folgt aus dem vom EuGH von Anfang an vertretenen Grundsatz, daß die aus der fehlenden Harmonisierung eines Rechtsgebiets folgenden Handelsschranken der Anwendung der unmittelbar geltenden Normen des Gemeinschaftsrechts nicht entgegenstehen.8

2.

Zwangslizenzierung von Urheberrechten nach Art. 86 EGV

Wichtige Anhaltspunkte für den sich aus dieser Situation ergebenden Einfluß des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das Urheberrecht sind drei im wesentlichen übereinstimmenden Urteilen des Gerichts I.Instanz (im folgenden „das Gericht") vom 10.7.1991 zu entnehmen.9 In einer auf Art. 86 gestützten Entscheidung vom 21.12.1988 warf die Kommission der irischen Rundfunkanstalt RTE und der britischen Rundfunkanstalt BBC vor, ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für wöchentliche Programmvorschauen mißbräuchlich auszunutzen, in8 9

Musikvertrieb Membran, ebd., 162, Rn. 14. Radio Tdefis Eiream (RTE) ./. Kommission, Rs. T-69/89, Slg. II 485-534; British Broadcasting Corporation (BBC)./. Kommission, Rs. T-70/89, Slg. 535-574; Independent Television ./. Kommission, Rs. T-76/89, Slg. II575-613. Im folgenden wird das RTE-Urteil zitiert.

318

2. Zwangslizenzicrung von Urheberrechten nach Art. 86 EGV

dem sie sich weigerten, diese Vorschauen für Hörfunk und Fernsehen anderen Unternehmen in Großbritannien zum Zwecke der Veröffentlichung und Verbreitung zur Verfügung zu stellen. Die genannten Unternehmen geben ihrerseits eine eigene Programmzeitschrift heraus. Ihnen steht an den Programmvorschauen nach irischem bzw. englischem Recht ein Urheberrecht zu. Mit dieser Begründung hatte ein irisches Gericht den Vertrieb einer Zeitschrift untersagt, in der die Vorausschauen ohne Zustimmung der Rechtsinhaber abgedruckt waren. Die Kommission nahm eine beherrschende Stellung der Rundfunkveranstalter auf zwei Teilmärkten an: auf dem Markt für die eigenen wöchentlichen Programmvorschauen sowie auf dem Markt für Programmzeitschriften in Irland und Großbritannien. Die betroffenen Unternehmen machten geltend, die von der Kommission angegriffene Weigerung, die Programmvorschauen Dritten zur Verfügung zu stellen, sei vom Bestand des Urheberrechts gedeckt. Die von der Kommission nach Art. 3 VO 17 angeordnete Verpflichtung, die wöchentlichen Programmvorschauen an Dritte zu lizensieren, entziehe ihnen das urheberrechtliche Vervielfältigungsrecht. Die angeführten Urteile des Gerichts, mit denen die Entscheidung der Kommission bestätigt wurde, sind nicht rechtskräftig. Der EuGH hat über das auf Rechtsfragen beschränkte Rechtsmittel (Art. 168 a EGV) noch nicht entschieden. Seit der Entscheidung der Kommission sind sechs Jahre vergangen. Das Urteil des Gerichts hat in Großbritannien und anderen Mitgliedstaaten eine lebhafte Diskussion über das Verhältnis von Urheberrecht und Wettbewerbsregeln ausgelöst.10 Im folgenden sollen die Fragen näher betrachtet werden, denen für die Entwicklung des Urheberrechts in der Europäischen Union allgemeine, 10

Grundlegend T. M. Cook, Copyright in the European Community, EuZW 1994, 7-13; Thierry Desurmont, Note, Revue internationale du droit d'autcur 1992, 250-272; Thomas Eilmansberger, Der Umgang marktbeherrschender Unternehmen mit Immaterialgüterrcchten im Lichte des Art. 86 EWGV, EuZW 1992, 625-634; Georges Friden, Recent Developments in EEC Intellectual Property Law: The Distinction Between Existence and Exercise Revisited, 26 Common Market Law Review 1989,193-217 (204 ff.); Andre Franfon, Urteilsanmerkung, Revue trimcstrielle dc droit commercial et de droit economique 1992, 372-376; Renejoliet, Propriete intellcctuelle ct libre circulation des merchandises, Droit des affaires internationales 1989, 815-835; Aidan Robertson, Compulsory Copyright Licensing Under EC Law?, The Law Quarterly Review Vol. 108, (1992) 39-43;Jiimes £. Thompson, Mandatory Licensing Under Article 86?, EWS 1992, 178, 184. 319

10. Rechtsstellung und Marktstcllung der Inhaber

über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Es sind dies: die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung von Rechtspositionen als gewerbliches und kommerzielles Eigentum (dazu unter 3.); das Verhältnis urheberrechtlicher Rechtsstellungen zum Mißbrauchsverbot für beherrschende Unternehmen in Art. 86 (dazu unter 4.); schließlich das Verhältnis von Copyright und Urheberrecht (dazu unter 5.).

3.

Die gemeinschaftsrechtliche Anerkennung von Rechtspositionen als gewerbliches und kommerzielles Eigentum i. S. v. Art. 36 Satz l

Die Kommission stellte im Verfahren vor dem Gericht die Wirksamkeit des nach irischem und britischem Recht begründeten Urheberrechts an den Programmvorschauen in Frage. Sie versuchte einen gemeinschaftsrechtlich verbindlichen, vom Recht der Mitgliedstaaten unabhängigen „spezifischen Gegenstand" des Urheberrechts zu definieren. Ob es gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt sei, das Urheberrecht an den Programmvorschauen aufrechtzuerhalten, sei im Licht der normalen Zwekke des Urheberrechts zu untersuchen. Zu berücksichtigen seien die Natur des geschützten Gutes unter seinen technischen, kulturellen oder innovativen Aspekten sowie die Rechtfertigung des Urheberrechts nach nationalem Recht. Die Programmvorschauen seien aber weder geheim noch innovativ, noch fortschrittsbezogen. Sie stellten einfache tatsächliche Informationen dar. Die Aufrechterhaltung des Urheberrechts könne deshalb nur mit dem Bestreben erklärt werden, ein Monopol zu schaffen.1' Bemerkenswert ist zunächst, daß die genannten Kriterien für die Anerkennung eines urheberrechtlichen Schutzes allenfalls patentrechtlich erheblich sein könnten. Die englische Rechtsprechung gewährt jedoch Kompilationen von Informationen wegen ihres kommerziellen Wertes urheberrechtlichen Schutz.12 Auch die von der Kommission zur Begründung herangezogene Rechtsprechung ist nicht geeignet, ihre Auffassung zu stützen. Der EuGH hat vielmehr durchgängig daran festgehalten, daß sich Voraussetzungen und Modalitäten des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts mangels einer Rechtsvereinhcitlichung oder Angleichung 1

1

12

320

Gericht, RTE-Urteil, Rn. 45. Nachweise bei Robertson (oben Fn. 10).

3. Die gcmcinschaftsrechtlichc Anerkennung als Eigentum

nach dem nationalen Recht bestimmen. 13 Im übrigen wird in den angeführten Fällen ebenso wie in den Fällen, die Urheberrechte zum Gegenstand haben, geprüft, ob die staatliche Gesetzgebung ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder zur verschleierten Beschränkung des zwischenstaatlichen Handels i. S. v. Art. 36 Satz 2 darstellt.14 Gesondert zu behandeln sind jedoch die Gründe, aus denen im Fall Warner das von der dänischen Gesetzgebung begründete urheberrechtliche Vermietrecht für Videokassettcn gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt wurde. Generalanwalt Mischo hat aus diesen Gründen nämlich entnommen, daß nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen sei, ob die staatlichen Rechtsvorschriften als zum Schutz des gesetzlichen oder kommerziellen Eigentums gerechtfertigt angesehen werden können. 13 Der EuGH betont zunächst, daß die nationalen Rechtsvorschriften unterschiedslos für im Inland hergestellte wie für die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Videokassetten gelten und deshalb keine willkürliche Diskriminierung i. S. v. Art. 36 Satz 2 vorliege (Rn. 12). Ergänzend werden jedoch Gründe angeführt, aus denen eine solche Rechtsvorschrift zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei. Angesichts der Entwicklung eines besonderen Marktes für die Vermietung von Bild- und Tonträgern sei der gesonderte Schutz notwendig, um den Filmherstellern eine Vergütung zu sichern, die der Zahl der tatsächlich erfolgten Vermietungen entspricht und ihnen einen angemessenen Anteil am Vermietungsmarkt sichert (Rn. 15). Unter diesen Umständen sei es gerechtfertigt, wenn der Rechtsinhaber die Vermietung von Videokassetten in Dänemark untersage, obwohl er sie in Großbritannien selbst in Verkehr gebracht hatte. Dem Urteil ist jedoch nicht zu entnehmen, daß die mitgliedstaatliche Begründung urheber13

14

15

Für Patente schon EuGH 29.2.1968, Parke, Davis, Rs. 24/67, Slg. 86, 113; übereinstimmend 30.6.1988, Thetford ./. Flammet, Rs. 35/87, Slg. 3601, 3605, Rn. 12-14; für Muster und Modelle 14.9.1982, Keurkoop, Rs. 144/81, Slg. 2853. Die Kommission hat ferner das Urteil vom 8.6.1982 Nungesser./. Kommission, Rs. 258/78, Slg. 2015, 2060, Rn. 23-43 zur Rechtfertigung ihrer Position in Bezug genommen. In diesem Fall handelte es sich jedoch um den vertraglichen Ausschluß der Einfuhr konkurrierender Erzeugnisse, der - wie der Gerichtshof feststellt - auch vom deutschen Saatgutvcrkehrsgesetz nicht gerechtfertigt werde. EuGH 18.3.1980, Coditel l, Rs. 72/79, Slg. 881, 903; 6.10.1982, Coditel U, Rs. 261/81, Slg. 3381,3401. Schlußanträgc in der Rs. 53/87 zum Urteil vom 5.10.1988, CICRA ./. Renault, Slg. 6067; Schlußanträge S. 6058, Rn. 21. 321

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber

rechtlicher Ausschließlichkeitsrechte vor dem Gemeinschaftsrecht nur Bestand hat, wenn sie gemeinschaftsrechtlich definierten Erfordernissen des spezifischen Gegenstandes dieser Rechte entspricht. Es enthält vielmehr eine wichtige Bestätigung des Grundsatzes, daß der Urheber an allen wirtschaftlich wichtigen Nutzungen seines Werkes zu beteiligen ist. Dazu sind die Mitgliedstaaten in Reaktion auf wirtschaftliche Entwicklungen auch dann berechtigt, wenn ihre Gesetzgebung neue Rechtsunterschiede begründet und daraus Handelsschranken entstehen.16 Die gemeinschaftsrechtlichen Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens werden jedoch überschritten, wenn Angehörige der Mitgliedstaaten beim Erwerb oder in der Ausübung des gewerblichen oder kommerziellen Eigentums im Vergleich zu Inländern diskriminiert werden.17 Hier trifft das Verbot der willkürlichen Diskriminierung i. S. v. Art. 36 Satz 2, das für den freien Warenverkehr gilt, mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 6 (Art. 7 a. F.) zusammen.18 Schon vor dem Phil Collins-Urteil hatte der Gerichtshof entschieden, daß das Recht aus einem Patent, das Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates vorbehalten ist, nicht geltend gemacht werden kann, um ein Ein- und Durchfuhrverbot i. S. v. Art. 36 zu rechtfertigen.19 Der EuGH hat seine Rechtsprechung zur Vorgreiflichkeit des mitgliedstaatlichen Rechts in der Normierung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums für Warenzeichen bestätigt. Auch die Frage der Verwechslungsgefahr gehöre zum Bestand des Warenzeichens und sei nach nationalem Recht zu beurteilen. Eine enge Auslegung dieses Begriffs im Gemeinschaftsrecht sei folglich nicht geboten.20

16

17 18

19 20

Die Frage ist in Deutschland im Zusammenhang mit der gesetzlichen Regelung der Leerkassettenabgabe streitig geworden. Gegen die deutsche Gesetzgcbungskompetenz Sack, Die Urheberrechte der Leerkassettenvergütung, BB Beilage 15/1984; dagegen Mestmäcker, Die Vereinbarkeit der Leerkassettenabgabe und der Geräteabgabe mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht, GRUR Int. 1985, 13-19. Grundlegend EuGH 20.10.1993, Phil Collins, Rs. C-92/92, C-326/92, in: EuZW 1993, 710. Anm. v.Gröger, EuZW 1994, S. 85 f. Generalanwaltjflcofa, Schlußanträge zum Phil Collins-Urteil; auch Mestmäcker, Schutz der ausübenden Künstler und Diskriminicrungsverbot, GRUR Int. 1993, 532,535. Urteil Thetford (oben Fn. 13), Rn. 16. EuGH 30.11.1993, Deutsche Renault AG./. Audi AG, Rs. C-317/91, EuZW 1994, 27-29.

322

4. Mißbrauch einer beherrschenden Stellung

4.

Mißbrauch einer beherrschenden Stellung

Auf diesem Hintergrund ist erneut das Verhältnis des schutzrechtlichen und des wettbewerblichen Mißbrauchsverbots - also das Verhältnis von Art. 36 Satz 2 zu Art. 86 - zu betrachten. Der EuGH definiert die beherrschende Stellung i. S. v. Art. 86 als Machtstellung eines Unternehmens, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.21 Die Unabhängigkeit des beherrschenden Unternehmens kann spiegelbildlich als wirtschaftliche Abhängigkeit von Wettbewerbern, Abnehmern oder Lieferanten in Erscheinung treten.22 Das gilt insbesondere dann, wenn ein potentieller Wettbewerber für den Zugang zum Markt auf den Geschäftsverkehr mit dem beherrschenden Unternehmen angewiesen ist.23 Gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte können zwar zur Begründung einer beherrschenden Stellung beitragen, sie begründen für sich allein eine solche Stellung jedoch nicht.24 Eine beherrschende Stellung kann jedoch darauf zurückzuführen sein, daß einem Unternehmen für bestimmte Produkte ein Schutzrecht zusteht, sofern dadurch der Wettbewerb auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt ausgeschlossen wird. Diese Voraussetzungen sah das Gericht in Übereinstimmung mit der Kommission im Fall Programmzeitschriften als gegeben an. Es grenzt zunächst die relevanten Märkte in Übereinstimmung mit der Kommission ab (Rn. 62). Danach besteht der allgemeine Markt für Informationen über Fernsehprogramme aus den Teilmärkten für wöchentliche Programmvorschauen und für Fernseh21

22 23 24

14.2.1978, United Brands, Rs. 27/76, Slg. 207, 286, Rn. 63/60 („Chiquita"); übereinstimmend 13.2.1979, Hoffmann-La Roche, Rs. 85/76, Slg. 461, 520, Rn. 38 („Vitamine"); 11.12.1980, L'Oreal, Rs. 31/80, Slg. 3775, 3793, Rn. 26. HoffmannRöche, ebd., Rn. 41; 9.11.1983, Michelin ./. Kommission, Rs. 322/81, Slg. 3461, 3503, Rn. 30. 23.5.1978, Hoffmann-La Roche, Rs. 102/77, Slg. 1139, 1168, Rn. 16. Für Patente zuerst EuGH 29.2.1968, Parke, Davis, Rs. 24/67, Slg. 86, 113; übereinstimmend für Warenzeichen EuGH 11.2.1971,Sircna./. Eda, Rs. 40/70, Slg. 69, 84; 15.6.1976, EMJ Records, Rs. 51/75, Slg. 811, 851, Rn.36; für Leistungsschutzrechte 8.6.1971, Deutsche Grammophon, Rs. 78/70, Slg. 487, 501, Rn. 16. 323

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber Zeitschriften. Auf beiden Teilmärkten, auch auf dem Markt für die urheberrechtlich geschützten Programmvorschauen, wird eine beherrschende Stellung angenommen. Anhang des spezifischen Gegenstandes des Schutzrechts war sodann zu prüfen, ob mit der Ausübung des Urheberrechts „in Wirklichkeit ein Ziel verfolgt wird, daß in offensichtlichem Widerspruch zu den Zwecken des Art. 86 steht" (Rn. 71). Auch diese Frage wird vom Gericht bejaht. Die Weigerung, Dritten die Programmvorschauen zur Verfügung zu stellen, stelle ein grundlegendes Hindernis für das Auftreten einer bestimmten Art von Erzeugnissen - nämlich umfassender Fernsehzeitschriften - auf dem Markt dar. Die beherrschende Stellung auf dem Markt für Programmvorschauen werde benutzt, um auch den Markt für Programmzeitschriften in Großbritannien und Irland zu monopolisieren (Rn. 74). Nach Überzeugung des Gerichts geht das Verhalten der beherrschenden Unternehmen über die bloße Ausübung des Urheberrechts und die Wahrnehmung berechtigter Eigeninteressen hinaus, weil die streitbefangenen wöchentlichen Programmvorschauen interessierten Abnehmern auf räumlich getrennten, nicht beherrschten Märkten außerhalb Irlands und Großbritanniens unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurden (Rn. 73). Auch Tageszeitungen wurden die für die täglichen Vorschauen notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt. Daraus schloß das Gericht auf den Zweck, die schutzrechtlich begründete beherrschende Stellung auf dem Markt für Programmvorschauen auszunutzen, um auch auf dem Zeitschriftenmarkt in Irland und Großbritannien eine beherrschende Stellung zu erlangen. Dieser Umstand wird in der teilweise heftigen Kritik an dem Urteil nicht ausreichend berücksichtigt. Ein solcher Marktmachttransfcr, der durch Geschäftsverweigerung des beherrschenden Unternehmens bewirkt wird, begründet jedoch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH einen Mißbrauch. Das gilt insbesondere dann, wenn dadurch der Zugang zum Markt für aktuelle oder potentielle Wettbewerber geschlossen wird. 25 Die Streitfrage, wie die rechtmäßige Ausübung eines Urheberrechts, das seinem Inhaber eine beherrschende Stellung verschafft, von der mißbräuchlichen Ausnutzung dieser Stellung abzugrenzen ist, hat durch das Urteil neue Nahrung erhalten. Im Schrifttum wird gegen das Urteil vor allem eingewendet, es stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des 25

Näher dazu Mestmäcker, Zum Begriff des Mißbrauchs in Art. 86 EGV, in: Festschrift für Peter Raisch, S. 441-467.

324

4. Mißbrauch einer beherrschenden Stellung

EuGH. In dessen Urteilen zum Geschmacksmusterrccht von Autoherstellern an von ihnen hergestellten Teilen26 seien gerade die Rechte bestätigt worden, die das Gericht den Rundfunkveranstaltern vorenthalte. Im Urteil Volvo heißt es in der Tat, die Befugnis des Inhabers eines geschützten Musters, Dritte an der Herstellung und den Verkauf oder der Einfuhr der das Muster verkörpernden Erzeugnisse ohne seine Zustimmung zu hindern, stelle gerade die Substanz seines ausschließlichen Rechts dar (Rn. 8; übereinstimmend Urteil Renault Rn. 11). Das Gericht hat sich jedoch auf die weitere Aussage des EuGH gestützt, wonach die Ausübung von Schutzrechten verboten sein kann, wenn sie in Verbindung mit einer beherrschenden Stellung zu mißbräuchlichen Verhaltensweisen führt. Als Beispiel nennt der EuGH unter anderem die willkürliche Weigerung, unabhängige Reparaturwerkstätten mit Ersatzteilen zu beliefern. 27 Die Bedeutung dieser Möglichkeit wird im Schrifttum unterschiedlich eingeschätzt. Im Vordergrund steht dabei die vom EuGH nicht entschiedene Frage, auf welchen Märkten für Ersatzteile die Autohersteller über eine beherrschende Stellung verfügen.28 Diese Frage kann auch hier offenbleiben. Hervorzuheben ist indessen der unmittelbare Zusammenhang, der in den Fällen des Machttransfers durch Geschäftsverweigerung zwischen der Abgrenzung des relevanten Marktes und der Feststellung eines Mißbrauchs besteht. Die über die Geschmacksmuster-Urteile hinausgehende Bedeutung des hier besprochenen Urteils besteht vor allem darin, daß die beherrschende Stellung auf dem Markt für öffentliche Programmvorschauen durch das Urheberrecht an diesen Vorschauen begründet wird.29

26

27 28

29

5.10.1988, Volvo ./. Vcng, Rs. 238/87, Slg. 6232; 5.10.1988, C/CRA ./. Renault, Rs. 53/87, Slg. 6067.

Urteil Volvo, Rn. 9. Näher dazu Friedrich-Karl Bcier, Mißbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausübung gewerblicher Schutzrechtc?, in: Festschrift für Karlheinz Quack, 1991, 15-32; Joliet, Geistiges Eigentum und freier Warenverkehr, GRURInt. 1989,177-185; auch Eichmann, Geschmacksmusterrccht und EWGVertrag, GRUR Int. 1990, 121-134 (131 ff.). Gegen diese Möglichkeit wendet sich Beier (oben Fn. 28), S. 31; mit dieser Begründung hält Eilmannsberger, (obcnFn. 10), 631 die Annahme einer beherrschenden Stellung für widersprüchlich. 325

10. Rechtsstellung und Marktstellung der Inhaber

5.

Copyright und Urheberrecht

Die von der Kommission verfügte und vom Gericht bestätigte Zwangslizenz auf die urheberrechtlich geschützten Programmvorschauen verweist auf übergreifende Fragen im Verhältnis von Urheberrecht und gewerblichen Schutzrechten.30 Im Schrifttum wird das Urteil teilweise als implizite Absage an die Konzeption des britischen Copyright Law gedeutet.31 T. M. Cook sieht in dem Urteil jedoch eine durch Richterrecht eingeleitete Entwicklung, die im Urheberrecht privates und öffentliches Interesse in eine neue Balance bringe.32 In der Tat führen rechtliche, wirtschaftliche und technische Ursachen dazu, dais" das Urheberrecht eine Bedeutung erlangt, die sich nicht mehr in der angemessenen Beteiligung des Urhebers an der wirtschaftlichen Nutzung seines Werkes erschöpft. Man kann diese Entwicklung als fortschreitende Ökonomisierung des Urheberrechts bedauern oder begrüßen; ändern läßt sie sich nicht. Sie vollzieht sich auf doppelte Weise: einmal durch die der Copyright-Tradition des anglo-amerikanischen Rechts entsprechende Erstreckung des Urheberrechts auf den Schutz technischer und wirtschaftlicher Leistungen. Das wichtigste Beispiel ist der Urheberrechtsschutz für Computerprogramme.33 Hinzu kommt eine dramatisch gestiegene wirtschaftliche Bedeutung des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte für die Kulturindustrie. Auf deren Märkten steht zwar für den Urheber die angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke ganz im Vordergrund. Gleichzeitig müssen jedoch die Interessen von Urhebern und Verlegern mit konkurrierenden unternehmerischen Interessen der Nutzer von Urheberrechten in Übereinstimmung gebracht werden. Dafür bietet das hier besprochene Urteil ein ebenso einfaches wie aufschlußreiches Beispiel. Die Rundfunkveranstalter wollen ihr Urheberrecht an den Programmvorschauen nicht dadurch nutzen, daß sie es gegen Entgelt lizensieren, sondern sie wollen ihr Vervielfältigungsrecht selbst unternehmerisch ausüben. Dies ist ein Interessenkonflikt, wie er für das Pa30 31 32 33

Näher dazu Schricker, in: Schricker, Urheberrecht, Kommentar 1986, Einl., Rn. 31-35. Robertson (oben Fn. 10), S.42; vorsichtiger J.E.Thompson (oben Fn. 10), 178-184. Oben Fn. 10, S. 12. Richtlinie 91/250 der EG vom 14.5.1991, AB1EG L 122/42 vom 17.5.1991; für das deutsche Recht 2. Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes vom 9.6.1993, BGB1. 1993 I, 910.

326

5. Copyright und Urheberrecht

tentrecht kennzeichnend ist und wie er in § 69 e UrhG für das Urheberrecht an Computerprogrammen geregelt wird. Die Vorschrift begründet eine Ausnahme vom Vervielfältigungsrecht bezüglich der Dekompilierung von Programmen zum Zwecke ihrer Interoperabilität. Rechtssystematisch handelt es sich um eine Zwangslizenz. Ein ähnlicher Konflikt entstand aus der sich abzeichnenden Möglichkeit der Monopolisierung des Tonträgermarktes mit Hilfe ausschließlicher Nutzungsrechte an Werken der Musik. Der Gesetzgeber hat ihn durch die bereits im LUG enthaltene, jetzt in §61 UrhG geregelte Zwangslizenz zugunsten von Tonträgerherstellern vermieden.34 Die Vorschrift hat nur deshalb keine praktische Bedeutung erlangt, weil das Recht der mechanischen Vervielfältigung von Anfang an durch Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wurde. Für sie gilt der jetzt in § 11 Urheberwahrnehmungsgesetz enthaltene Wahrnehmungszwang. In dieser Rechtsentwicklung tritt eine wichtige Funktion von Verwertungsgesellschaften hervor. Die Transformation der individuellen Urheberrechte der Mitglieder in ein treuhänderisch wahrzunehmendes Gesamtrepertoire verpflichtet die Verwertungsgesellschaften zur Gleichbehandlung der Unternehmen, die für ihre Tätigkeit auf die Nutzung dieser Rechte angewiesen sind. Damit werden die Interessenkonflikte auf die Höhe der Vergütung zurückgeführt. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, Vergütungsansprüche zu begründen, die kraft Gesetzes allein von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden können (§§ 53, 54 UrhG). Reinhold Kreile hat als Vorstand der GEMA das Schöpfungswort in den Mittelpunkt seines Einsatzes für die Urheber gestellt: „Am Anfang war der Autor." Daraus folgen wichtige, im vorhergehenden bereits angedeutete Konsequenzen für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten. Verwertungsgesellschaften vermeiden es in ihrer Tarifpolitik aus guten Gründen, sich die unternehmenspolitischen Ziele ihrer Vertragspartner zu eigen zu machen oder auf sie Einfluß zu nehmen. Die gleiche Maxime gilt im Innenverhältnis der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern insbesondere für die Gestaltung des Verteilungsplans. Damit wird Tatbeständen vorgebeugt, wie sie den Gegenstand des hier besprochenen Urteils bilden.

34

Näher Melichar, in: Schricker, Urheberrecht, Kommentar (oben Fn.30) $61. 327

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld von nationaler Regelungskompetenz und europäischem Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht aus Sicht der Verwertungsgesellschaften I.

Kulturindustrie

Der Versuch, geistiges Eigentum und Kultur vor die Klammer nationaler und europäischer Regelungskompetenzen zu ziehen, verweist zuerst auf die Kulturwissenschaften und die philosophische Ästhetik. Den Ausgangspunkt bildet auch hier das zu schützende Werk. Es gehört, wenn es das Licht der Welt erblickt, zuerst seinem Schöpfer allein. Aber jeder Künstler, sagt Rousseau, sucht den Beifall. Das Lob seiner Zeitgenossen ist der kostbarste Teil seiner Belohnung. 1 Also will der Urheber sein Werk nicht für sich behalten, er will es gedruckt, aufgeführt, vervielfältigt, produziert, reproduziert, verfilmt, gespeichert und abgerufen sehen. In einer Marktwirtschaft schlägt sich der Beifall des Publikums in den Vergütungen nieder, auf welche die Urheber und Künstler einen verfassungsrechtlich verbrieften Anspruch haben. Deshalb entstehen aus der Verwertung der Werke symbiotische Beziehungen zum Wirtschaftssystem und zu den Techniken, mit deren Hilfe sie genutzt werden. Spätestens mit dem Film wurde die Technik ästhetisch: „Der apparatfreie Aspekt der Realität ist hier (im Film) zu einem künstlichen geworden und der Anblick der unmittelbaren Wirklichkeit zu der blauen Blume im Lande der Technik."2

Arnold Gehlen, der wie kein anderer die Wechselbeziehungen von Kunst und Institutionen analysiert hat, spricht von der technisch geprägten Abhandlung über die von der Akademie zu Dijon im Jahr 1750 aufgeworfene Frage, ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und der Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen habe, in: Jean-Jacques Rousseau, Kulturkritischc und politische Schriften, Martin Fontius (Hrsg.), Bd. 1. S. 71. Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzicrbarkcit, in: dcrs., Gesammelte Schriften, Ticdcmann/Schweppcnhäuser (Hrsg.), 2. Aufl. 1978, Bd.I. 2.Teil. S. 435, 458. 329

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

Zwischenwelt des Kulturmilieus, das uns die Natur vertrete.3 Und ganz ähnlich sieht Benjamin in der Technik, die sich der Kunst bemächtigt hat, ein Gegenbild zur heutigen Gesellschaft, ihre zweite Natur.4 Bei solchen Diagnosen handelt es sich um mehr als bloße Zeitbilder. Sie münden unmittelbar, wenn auch unter ganz verschiedenem Vorzeichen, in die für uns im Mittelpunkt stehende Frage nach dem Verhältnis von Kultur und geistigem Eigentum auf der einen und den Regeln und Institutionen des Wirtschaftssystems auf der anderen Seite. In der erneut einflußreichen Theorie der Kulturindustrie von Horkheimer/ Adorno wird die Möglichkeit der Selbstbehauptung von Urhebern und Künstlern im marktwirtschaftlichen Verwertungsprozeß radikal geleugnet. In diesem Prozeß, heißt es dort, wandelten sich die Produkte der Künstler zur Warengattung, sie würden für die industrielle Produktion zugerichtet, von ihr erfaßt, ihr angeglichen, käuflich und fungibel.5 Im Verwertungsprozeß habe es die Technik der Kulturindustrie zur Standardisierung und zur Serienproduktion gebracht und damit das geopfert, wodurch die „Logik des Werkes" von der des gesellschaftlichen Systems sich unterscheide.6 Mit der Logik des Werkes wird nicht etwa berufen, was es zu bewahren gilt, sondern was als unwiederbringlich verloren ausgegeben wird: das ist die Möglichkeit der vom Urheberrecht geschützten, individuellen geistigen Schöpfung. Die Autoren würden auf diesen Hinweis antworten, daß das UrheberG Teil des Systems sei, das das falsche Bewusstsein hervorbringe, genauer wohl: Teil der geschäftlich oder politisch geplanten Unterwerfung jeder Individualität unter die jeweils dominierenden Herrschaftsinteressen. Selbst die Technik werde im Dienste der Kapitalverwertung manipuliert. Möge der Teilnehmer am Telefonverkehr sich die Rolle des Subjekts noch vorspielen können, so mache das demokratische Radio die Teilnehmer gleichermaßen zu Hörern, um sie autoritär den unter sich gleichen Programmen der Stationen auszuliefern. Keine Apparatur der Replik habe sich entfaltet, und die privaten Sendungen würden zur Unfreiheit verhalten.7 Aber mit der digitalen Technik tritt die Apparatur der Replik ihre Herrschaft an. Interaktive Dienste, Pay-TV und das Internet zumal 3

Zeit-Bilder, 1960, Teil XI, S. 191. Ebenda. 5 Kulturindustrie, in: Dialektik der Aufklärung, 1988, S. 128, 167. e Ebenda, S. 129. 7 Ebenda, S. 129-130. 4

330

II. Verwertung der Urheberrechte

haben die Verschwörungstheorie einer von oben gesteuerten Zuschauerkontrolle überholt. Bei Arnold Gehlen ist die Kunst zwar der letzte Hort der Subjektivität, aber deren Beliebigkeit wird dem Geltungsanspruch der Institutionen gegenübergestellt. Den Institutionen, auch den Institutionen des Kunstgewerbes, sei gemeinsam, daß sie auf Macht verwiesen seien. Sie entziehen sich nach Gehlen zweckrationaler Legitimation. Subjektive Rechte, das Urheberrecht eingeschlossen, haben in diesem System keine eigenständige Bedeutung.8

II.

Verwertung der Urheberrechte

Die hier nur angedeuteten Gesellschaftstheorien der modernen Kulturindustrie beruhen auf entgegengesetzten Vorverständnissen und zielen auf entgegengesetzte politische Folgerungen. Kontrapunktisch lassen sie jedoch die Umwelt hervortreten, in der urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften die ihnen anvertrauten Rechte zu wahren haben. Weil das Urheberrecht, wie Eugen Ulmer treffend hervorgehoben hat, verwertungsgeneigt ist, folgt es den wirtschaftlich-technischen Möglichkeiten seiner Nutzung wie ein Schatten. Andererseits verselbständigen sich die Verwertungsketten in den Großunternehmen der Reproduktions- und Unterhaltungsindustrie. Mit der Entfernung des Endprodukts vom Urheber nimmt die Tendenz zu, dessen Vergütung als lästigen Kostenfaktor zu marginalisieren. Demgegenüber ist es die heute weltweit jedenfalls im Grundsatz unbestrittene Aufgabe der Verwertungsgesellschaften, die Interessen der Urheberberechtigten auf allen Stufen der Rechteverwertung zur Geltung zu bringen. 9 Unter den Bedingungen digitalisierter und konvergierender Mediennutzungen kommt dieser Aufgabe erhöhte Bedeutung zu. Das Internet bietet dafür ein treffendes Beispiel. Der US Supreme Court sieht das Wesen des Internet nicht in seiner Nähe zu den elektronischen Näher dazu: Mestmäcker, Wege zur Rundfunkfrcihcit in Europa (1988), in: ders., Recht in der offenen Gesellschaft, 1993, S. 558. Dazu: World Intellectual Property Organisation (W/PO), Collective Administration of Copyright and Neighboring Rights; Study on, and advice for, the establishment and operation of collective administration organizations, Geneva, 1990. 331

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfcld

Medien, sondern in der persönlichen, interaktiven Kommunikation. Es bildet ein Forum der global gewordenen Kommunikation für Teilnehmer, die Sender und Empfänger zugleich sind.10 Diese dezentrale Struktur des Internet und die damit einhergehenden Möglichkeiten urheberrechtlicher Nutzungen führen dazu, daß die Wahrnehmung von Urheberrechten durch die einzelnen Berechtigten ebenso wenig möglich ist, wie sie es nach der Begründung des Aufführungsrechts durch das UrheberG von 1902 war. Der Sachzwang zu kollektiver Wahrnehmung verstärkt sich. Die Gründe, welche historisch zur kollektiven Wahrnehmung der Urheberrechte und zur Verteilung durch Verwertungsgesellschaften geführt haben, bleiben im Wahrnehmungsrecht ebenso erheblich wie im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht. In allen Rechtsordnungen ist anerkannt, daß der individuellen Lizenzierung von Urheberrechten prohibitive Transaktionskosten entgegenstehen. Der einzelne Urheberberechtigte - auch die Verleger - sind außerstande, die Nutzungen ihrer Werke zu kontrollieren. Entsprechend sind die Nutzer außerstande, sich die von ihnen benötigten Rechte zu verschaffen und damit das Risiko des schadensersatzpflichtigen rechtswidrigen Eingriffs auszuschließen. Verwertungsgesellschaften sollen ferner das strukturelle Ungleichgewicht ausgleichen, das zwischen der Vielzahl einzelner Urheber und den Großunternehmen der Kulturindustrie besteht. Deren Geschäft ist die Verwertung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten auf globalen Märkten. Im Wettbewerbsrecht wird zwar auch der einzelne Urheber als Unternehmer behandelt, wenn er seine Rechte dem Wirtschaftsverkehr zuführt. 11 Das gilt im Verhältnis zu Musikverbrauchern ebenso wie für die Beziehung der Urheber zu Verwertungsgesellschaften. Die Gleichbehandlung als „Unternehmen" ändert aber nichts daran, daß der einzelne Urheber gegenüber den seine Rechte nutzenden Großunternehmen keine Verhandlungsposition hat. Verwertungsgesellschaften schaffen eine Gegenmacht zugunsten der Urheberberechtigten. Der Europäische Gerichtshof hat dazu entschieden, daß es die Aufgabe der Verwertungsgesellschaften sei, die Rechte und Interessen (ihrer Mitglieder) gegenüber bedeutenden Musikverbrauchern und Verwertern, wie Rundfunkanstal10 1

'

26.6.1997, Reno ./. Civil liberties Union, Slip Opinion. KG 25.3.1984, WuW/E OLG 4040, 4044 „Wertungsvcrfahren"; insoweit bestätigend BGH 3.5.1988, WuW/E BGH 2497, 2502 „GEMA-Wertungsverfahrcn".

332

III. Freistellung vom Kartellverbot

ten und Tonträgerherstellern, wahrzunehmen. Um diese Aufgabe wirksam erfüllen zu können, „muß die Verwertungsgcsellschaft über eine Stellung verfügen, die voraussetzt, daß die der Vereinigung angeschlossenen Urheber ihre Rechte an sie abtreten, soweit das notwendig ist, um ihrer Tätigkeit das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen." 12

Die genannten Gründe ergänzen sich gegenseitig. Wo es bedeutenden Musikverwertern allenfalls möglich wäre, Lizenzen individuell zu erwerben, wie im Fall der Rundfunkveranstalter oder der Tonträgerhersteller, gewinnt der Gesichtspunkt der Gegenmacht um so größeres Gewicht. Damit sind die wesentlichen marktbezogenen Gründe genannt, aus denen das Kartellverbot auf Verwertungsgesellschaften nicht anwendbar ist.

III.

Freistellung vom Kartellverbot

Die Freistellung vom Kartellverbot ergibt sich im deutschen Recht aus dem neugefaßten § 30 GWB. Die Vorschrift lautet: „Die $$ l und 14 gelten nicht für die Bildung von Verwcrtungsgesellschaften, die der Aufsicht nach dem Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten unterliegen, sowie für Verträge und Beschlüsse solcher Verwcrtungsgesellschaften, soweit sie zur wirksamen Wahrnehmung der Rechte im Sinne von § l des Gesetzes über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrcchtcn erforderlich und der Aufsichtsbehörde gemeldet sind."

In anderen Rechtsordnungen, z.B. in Frankreich 13 und in den USA 14 folgt die Unanwendbarkeit des Kartellverbots auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften aus einer einschränkenden Auslegung des Verbotstatbestandes. Das gilt für die Verpflichtung der Urheberberechtigten, 12

13

14

Rs. 127/73, Belgische Radio en Televisic und Societc Beige des Auteitrs, Compositeurs et Editcitrs./. SV SABAM und NV Fonior, („SABAM"), EuGH, Slg. 1974. S. 313 (317, Rn. 9-11); übereinstimmend Rs. 395/87, Ministen public./.]. -L. Tournier, („Tournicr"), EuGH, Slg. 1989, S. 2565 (2575, Rn. 30) unter Hinweis auf die „globale Natur der von Vcrwerrungsgcsellschaftcn mit den Mitgliedern abgeschlossenen Verträge". Nachweise bei: Mestmäckcr, in: Mestmäckcr/Schulze, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, 6. Abschnitt, Lieferung 1990, S. 96 ff. Broadcast Music Inc../. Columbia Broadcasting System, 441 U.S. 1, 60 (1979). 333

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

ihre Rechte der Verwertungsgesellschaft ausschließlich zu übertragen, und es gilt für die Wahrnehmung der übertragenen Rechte durch Blankettlizenzen. Im Vereinigten Königreich hat die Monopolies and Mergers Commission empfohlen, die Verpflichtung der Urheberberechtigten aufzuheben, ihre Aufführungsrechte ausschließlich von der PRS wahrnehmen zu lassen. Sollten Mitglieder zu dem Ergebnis kommen, daß sie ihre Aufführungsrechte (life performances) für sich selbst genauso effektiv wahrnehmen könnten wie die PRS, dann sollten sie berechtigt sein, das zu tun; sie seien jedoch zu verpflichten, die zusätzlichen Kosten, die der Verwertungsgesellschaft dadurch entstehen könnten, in angemessener Höhe zu erstatten.15 Im europäischen Recht steht Art. 85 Abs. l EGV Verträgen zur Bildung von Verwertungsgesellschaften nicht entgegen. Diese Rechtslage ist seit dem Sabam-Urteil16 nahezu unstreitig.17 Sie wird jedoch vonjo/m Temple Lang, Direktor in der Generaldirektion IV der EG-Kommission, in Frage gestellt.18 Der Verfasser nimmt an, daß der Ausgleich der Verhandlungsstärke zwischen Urhebern und Musikverbrauchern im Rahmen von Art. 85 Abs. l EGV unerheblich sei. Ebenso zurückgewiesen wird das Argument der prohibitiven Transaktionkosten. Wörtlich heißt es: "The assumption that no member or group of members of a society could negotiate licences is no longer true, if it ever was, of big sound reproduction companies which can and do, enter into individual negotiations, in particular for reproduction rights, when the size and importance of the licensee makes it worthwhile to do so. It seems to follow that as far as such companies are concerned the main reason for ignoring Art. 85.1 is no longer convincing and such companies need exemption under Art. 85.3 for their participation in these societies, at least in their relations with licensees which are important enough to make individual negotiations appropriate. It is surprising that this issue has not been raised before now". 15

16 17

18

Monopolies and Mergers Commission, Performing Rights, A report on the supply in the U.K. of the services of administering performing rights and film synchronisation rights. Presented to Parliament by the Secretary of State for Trade and Industry by command of her Majesty, February 1996, No. 1.8; 2.112; 2.124. Die Empfehlung nimmt zwar die in der GEMA-Entscheidung II enthaltene Verpflichtung zur Spartcnlizenzierung in Bezug, hält sie aber nicht für ausreichend (No. 2.124). EuGH, a. a. O. (Fn. 12). Stockmann, Die Verwertungsgesellschaften und das nationale und europäische Kartellrccht, in: Becker (Hrsg.), Die Verwcrtungsgesellschaften im europäischen Binnenmarkt, 1990, S. 25, 40. Media, Multimedia and European Community Antitrust Law, Manuscript, Dec. 1997.

334

IV. Marktbeherrschende Unternehmen

Unrichtig ist die Annahme, die Anwendbarkeit von Art. 85 Abs. l EG V auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften sei „überraschenderweise" noch nicht erwogen worden. Vielmehr hat die Kommission in Verfahren gegen die GEMA und andere europäische Verwertungsgesellschaften zunächst die Meinung vertreten, ein Wettbewerb der Urheberberechtigten untereinander und mit der Verwertungsgesellschaft sei möglich und auf diese Wettbewerbsbeziehungen sei Art. 85 Abs. l EGV anwendbar. Jeder Musikverbraucher in der Gemeinschaft müsse die Möglichkeit erhalten, a) unmittelbar von Musikanbietern Lizenzen zu erhalten; b) Lizenzen unmittelbar von Verwertungsgesellschaften aus anderen Ländern zu erhalten. 19 An dieser Position hat die Kommission in den GEMA-Entscheidungen jedoch nicht festgehalten.20 Sie hat vielmehr ausschließlich Art. 86 EGV angewendet. In dem bereits zitierten Vorlageverfahren Sabam kam die Kommission in ihrer Stellungnahme der Sache nach auf Art. 85 EGV zurück. Zum Schutz der Urheber sei es ausreichend, wenn sie die Dienste der Verwertungsgesellschaft für den Fall in Anspruch nehmen könnten, daß sie sich einem übermäßigen wirtschaftlichen Druck seitens der Musikverbraucher ausgesetzt sehen.21 Diese Auffassung wurde von Generalanwalt Mayras, dem der EuGH gefolgt ist, zurückgewiesen, weil sie „der Natur der Sache und auch wirtschaftlichen Gegebenheiten widerspricht".22 Hiernach ist es unzutreffend, daß der EuGH die Anwendbarkeit von Art. 85 EGV auf die Bildung von Verwertungsgesellschaften bisher nicht in Betracht gezogen habe.23

IV.

Marktbeherrschende Unternehmen

Urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften sind marktbeherrschende Unternehmen i. S. v. § 19 Abs. 2 GWB, sofern sie in dem Gebiet, für das ihnen die Rechte zur Wahrnehmung übertragen sind, über eine Allein19 20 21 22 23

Nachweise bei Mestmäcker, in: Mestmäcker/Schulze, a.a.O. (Fn. 13), 6.Abschnitt, S. 86. Entscheidung der Kommission („GEMA I"), Abi. L 134, S. 15 vom 20.6.1971; Entscheidung der Kommission („GEMA II"), Abi. L 166, S. 22 vom 24.7.1972. EuGH, a.a.O. (Fn. 12), S.324/325. Ebenda, S. 325. So Temple lang, a. a. O. (Fn. 18), S. 49. 335

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

Stellung verfügen. Das Gebiet jedes Mitgliedstaates ist ein „wesentlicher Teil" des Gemeinsamen Marktes i. S. v. Art. 86 EGV. Demgemäß sind die in den Mitgliedstaaten der EG tätigen Verwertungsgesellschaften beherrschende Unternehmen i. S. v. Art. 86 EGV. Den sachlich relevanten Markt bilden die Dienstleistungen, welche die Verwertungsgesellschaften ihren Mitgliedern bzw. Musikverbrauchern bringen.24 Verwertungsgesellschaften sind nach der Rechtsprechung des EuGH keine Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse i. S. v. Art. 90 Abs. 2 EGV erbringen. Durch das UrhWG seien die Verwertungsgesellschaften in Deutschland nicht durch Hohcitsakt mit besonderen Aufgaben betraut.25 Für marktbeherrschende Unternehmen gelten das Mißbrauchsverbot in § 19 Abs. l GWB und das Diskriminierungsverbot in § 20 GWB (in der Fassung der 6. GWB-Novelle, die am 1.1.1999 in Kraft tritt). Der neue S19 Abs. l GWB ersetzt die Mißbrauchsaufsicht des Bundeskartellamts nach § 22 GWB durch ein unmittelbar anwendbares Mißbrauchsverbot. Der deutsche Gesetzgeber folgt damit dem Vorbild von Art. 86 EGV. Die wichtigste Rechtsfolge besteht darin, daß S 19 Abs. l GWB Schutzgesetz i. S. v. § 33 GWB ist. Bei Verstößen können Schadensersatz und Unterlassungsklagen ohne eine vorhergehende Entscheidung des Bundeskartellamts durch Zivilklage geltend gemacht werden.26 Insoweit entfällt im Ergebnis die für Bundespatcntamt und Bundeskartellamt geltende Benehmensregelung in § 18 Abs. l UrhWG. Im Gemeinschaftsrecht ist Art. 86 EGV auf die Beziehung der Verwertungsgesellschaft zu ihren Mitgliedern und auf die Beziehung zu Musikverwertern anwendbar. Für die Mitgliederbeziehung grundlegend ist das bereits zitierte SABAM-Urteil des EuGH.27 Die kollektive Wahrnehmung der Rechte und die zu diesem Zweck getroffenen Vereinbarungen sind rechtmäßig, sofern sie für die Erreichung des Gesellschaftszweckes unentbehrlich sind und die Freiheit des Mitglieds, sein Urheberrecht aus24

25

EuGH („SABAM"), a.a.O. (Fn. 12), S.316, Rn.3-4; Rs. 7/82, Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL)./. Kommission, („GVL"), EuGH Slg. 1983, S.483 (506); EuGH, („Tournier"), a.a.O. (Fn. 12), S.2576, Rn.35. EuGH („GVL"), ebenda, S. 504, Rn. 31.

26

Dazu auch: Begründung zum Rcgierungscntwurf eines 6. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. 13-9720 v. 29.1.1998,3.35.

27

EuGH („SABAM"), a. a. O. (Fn. 12), S. 317, Rn. 15.

336

V. Kulturelle und soziale Aufgaben von Vcrwcrtungsgcscllschaftcn

zuüben, nicht unbillig beeinträchtigt wird. Der Grundsatz, daß Verwertungsgesellschaften mit der kollektiven Wahrnehmung der ihnen übertragenen Rechte ein rechtmäßiges Ziel verfolgen, entspricht der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des EuGH. 28 Im Rahmen von Art. 86 EGV führt dies zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und einer umfassenden Abwägung der Interessen der Beteiligten. In den GEMA-Entscheidungen der Kommission sind die Pflichten der Verwcrtungsgesellschaften, insbesondere im Verhältnis zu ihren Mitgliedern, konkretisiert. 29 Diese Entscheidungen wurden im Verfahren SABAM billigend in Bezug genommen, im Ergebnis werden sie gegenwärtig von allen Verwertungsgesellschaften in der EG zugrundegelegt. Unabhängig von Art. 86 EGV ist jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 6 EGV) verboten.30 Damit wird zugleich die Freizügigkeit der Urheber im Gemeinsamen Markt und die Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen Verwertungsgesellschaften gewährleistet.

V.

Kulturelle und soziale Aufgaben von Verwertungsgesellschaften

Der verfassungsrechtlich legitimierte unstreitige Auftrag der Verwcrtungsgesellschaften besteht darin, den Urheber und sein Werk zu schützen und die Nutzungsrechte in Übereinstimmung mit dem mitgliedstaatlichen Urheberrecht gegenüber Musiknutzcrn wahrzunehmen. Dieser Auftrag ist immer auch ein kultureller Auftrag, weil er die lebenswichtigen wirtschaftlichen Interessen der Urheber zum Gegenstand hat. Indem das Urheberrecht Verwertungsinteressen des Urhebers schützt, nimmt es die Märkte in Bezug, auf denen Urheberrechte genutzt werden. Die Abhängigkeit der Urhebervergütung von der Entwicklung der Märkte begründet eine partielle Parallelität der Interessen von Urheberberechtigten und den Unternehmen, die deren Nutzungsrechte in körperlicher oder unkörperlicher Form auf Folgemärkten verwerten. Es ist diese 28 29

30

EuGH („Tournicr"), a. a. O. (Fn. 12), S. 2575, Rn. 31. Entscheidung der Kommission („GEMA I"), a.a.O. (Fn.20), S. 15; Entscheidung der Kommission („GEMA"), a. a. O. (Fn. 20), S. 22. EuGH („GVL"), a. a. O. (Fn. 24), S. 508, Rn. 53.

337

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

kommerzielle Nutzung der Urheberrechte, welche bei der Anwendung wirtschaftsrechtlicher Normen im Mittelpunkt steht. Im Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft führt dies bei der Verwertung in körperlicher Form (Tonträger) zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit und bei der Verwertung in unkörperlicher Form (Sendung und Aufführung) zur Anwendbarkeit der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit. Auf das Marktverhalten urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften sind die Wettbewerbsregeln anwendbar. In der kontinentaleuropäischen Tradition schützt das Urheberrecht aber nicht nur die wirtschaftlichen Interessen des Urhebers, die auf so vielen Märkten zur Geltung zu bringen sind, wie es unternehmerische Nutzungen seiner Rechte gibt. Der einzelne Urheber soll vielmehr auch vor den Risiken dieser Märkte und den damit für ihn verbundenen Lebensrisiken geschützt werden. In den Worten von Eugen Ulmer: „Das Urheberrecht erscheint im System des deutschen Rechts zwar nicht als Teil des Arbeitsrechts. In seinem vcrmögensrechtlichen Gehalt hat es aber die dem Arbeitsrecht verwandte Aufgabe der wirtschaftlichen Sicherung der Schöpfer literarischer und künstlerischer Werke."31

Weil zahlreiche Urheber dem sozial schwachen Teil der Bevölkerung angehören, folgt aus dem Sozialstaatsprinzip die Verpflichtung des Staates, zur Sicherung der Existenz von Urhebern aller Sparten beizutragen.32 Die kulturelle Seite des Urheberrechts kommt in dem besonderen Schutz der persönlichkeitsrechtlichen Interessen (droit moral) zum Ausdruck.33 Gleiches Gewicht haben jedoch die gesetzlichen Vorschriften, die eine von den Marktergebnissen abweichende oder sie korrigierende Förderung kulturell bedeutender Werke zum Gegenstand haben. Das UrhWG verpflichtet die Verwertungsgesellschaften, bei der Lizenzierung der ihnen übertragenen Rechte (Außenverhältnis) und bei der Verteilung des Aufkommens (Innenverhältnis) soziale und kulturelle Aufgaben wahrzunehmen. Für das Außenverhältnis heißt es in $ 13 Abs. 3 Satz 3 UrhWG: 31 32 33

Urheberrecht, 3. Aufl., S. 24. Schricker, Urheberrecht, Kommentar 1987, Einleitung, Rn. 14. Dazu: A.Dietz, Die USA und das „droit moral": Idiosynkrasie oder Annäherung? Anmerkungen zu einem Problemverhältnis anläßlich des Beitritts der Vereinigten Staaten zur Berner Konvention, GRUR Int. 1989, S. 627-634.

338

V. Kulturelle und soziale Aufgaben von Verwertungsgesellschaftcn „Die Verwertungsgesellschaft soll bei der Tarifgestaltung und bei der Einziehung der tariflichen Vergütung auf religiöse, kulturelle und soziale Belange der zur Zahlung der Vergütung Verpflichteten, einschließlich der Belange der Jugendpflege, angemessene Rücksicht nehmen".

Wird diese Verpflichtung erfüllt, etwa bei den Tarifen für Musik im Zusammenhang mit religiösen Veranstaltungen, so geht dies zu Lasten der Urheber, die primär dafür geeignete Werke schaffen; ein Ausgleich ist nur über den Verteilungsplan möglich. Für das Innenverhältnis heißt es in §7 Satz 2 UrhWG: „Der Verteilungsplan soll dem Grundsatz entsprechen, daß kulturell bedeutende Werke und Leistungen zu fördern sind. Die Grundsätze des Verteilungsplans sind in die Satzung aufzunehmen."

Schließlich heißt es in S 8 UrhWG: „Die Verwertungsgesellschaft soll Vorsorge- und Unterstützungseinrichtungen für die Inhaber der von ihr wahrgenommenen Rechte und Ansprüche einrichten."

Diese Aufgaben gehen über die einer Inkassogesellschaft hinaus. Aus der Begründung zum Regierungsentwurf des UrhWG ergibt sich, daß der Gesetzgeber damit die Praxis der GEMA in Bezug genommen hat.34 Die Förderung kulturell bedeutender Werke ist in der GEMA Aufgabe des Wertungsverfahrens. Die Sozialkasse der GEMA entspricht dem Gebot, Vorsorge und Unterstützungseinrichtungen zu unterhalten. Diesen Verpflichtungen ist gemeinsam, daß sie nur unter Korrektur der Marktergebnisse und der daraus folgenden Verteilung erfüllt werden können. Sie sind nach Vereinsrecht, Kartellrecht und europäischem Gemeinschaftsrecht zu würdigen. a) Zu prüfen ist zunächst die urheberrechtliche und vereinsrechtliche Legitimation für eine vom Inkasso abweichende, vereinsrechtliche Verwirklichung dieser Aufgaben. Weil der einzelne Urheber auf die Wahrnehmung seiner Rechte durch die Verwertungsgesellschaft unausweichlich angewiesen ist, führt die von den allgemeinen Regeln des Verteilungsplans abweichende Verwendung der Einkünfte zu Eingriffen 34

Hacrtd-Schiefler, Urhebergesetz und Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, Textausgabc mit Verweisungen und Materialien, 1996, S. 432/33. Näher zur Praxis der Verwertungsgesellschaften: Martin Vogel, Wahrnehmungsrccht und Vcrwertungsgescllschaften in der Bundesrepublik Deutschland, GRUR 1993, 513 (524). 339

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

in Urheber- und Mitgliedschaftsrechte, die der verfassungsrechtlichen Legitimation bedürfen. Peter Lerche hat die Vereinbarkeit von Satzung und Verteilungsplan der GEMA, welche das Wertungsverfahren regeln, mit der Eigentumsgarantie in Art. 14 GG im einzelnen untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß es sich um eine vcrfassungsgemäße Ausgestaltung des Inhalts des Eigentums handelt. Die an der Verwertungsgesellschaft Beteiligten seien zu einer „Solidargemeinschaft im Eigeninteresse" zusammengefügt.35 Das mitgliedschaftliche Urheberrecht wird als Eigentumsrecht durch Berechtigungsvertrag und Satzung ausgestaltet. Diese Ausgestaltung wirkt sich unmittelbar auf die Rechte aus, die auf die GEMA übertragen werden. Sie erhält die ausschließlichen Nutzungsrechte i. S. v. § 31 Abs. 3 UrheberG von dem Urheberberechtigten mit dem satzungsrechtlich geprägten, die kulturelle Aufgabe umfassenden Inhalt. Diese Ausgestaltung des Urheberrechts und des Mitgliedschaftsrechts hat verpflichtende und berechtigende Wirkung. Die Mitglieder von Verwertungsgesellschaften haben einen Anspruch darauf, daß bedeutende Werke und Leistungen gefördert werden. Ein Verzicht auf diese Tätigkeit für die Zukunft widerspräche den Soll-Vorschriften des UrhWG und begegnete selbst mit satzungsändernder Mehrheit Bedenken. Die Urheberberechtigten haben Anspruch auf die Förderung kulturell bedeutender Werke und Leistungen, und sie sind verpflichtet, die entsprechende Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel zu dulden. § 7 Abs. 2 UrhWG erkennt den von den Urheberberechtigten als Vereinsmitglieder geschaffenen Gehalt der kollektiv wahrgenommenen Urheberrechte an. Im Verteilungsplan der GEMA für das Aufführungs- und Senderecht heißt es zu der Verwirklichung von kulturellen und sozialen Zwecken: „Es werden aufgrund der Gegcnseitigkeitsvcrträgc jeweils 10% von der Vcrteilungssummc für soziale und kulturelle Zwecke bereitgestellt In Erfüllung des sozialen Zweckes geschieht dies zugunsten der GEMA-Sozialkasse und der Alterssicherung. Im übrigen werden die Mittel im Rahmen der verschiedenen Wcrtungs-

35

Peter Lerche, Rechtsfragen der Verwirklichung kultureller und sozialer Aufgaben bei der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten, insbesondere im Blick auf den sog. 10%-Abzug der GEMA, in: GEMA-Jahrbuch 1997/98, S. 84,105. Dort auch die Auseinandersetzung mit den Thesen von Hauptmann, Die Vergesellschaftung des Urheberrechts, 1994, bes. S. 65 ff.

340

V. Kulturelle und soziale Aufgaben von Verwertungsgcsellschaften und Schätzungsverfahrcn verteilt. Das Bctciligungsverhältnis wird von Vorstand und Aufsichtsrat cinvernehmlich festgelegt."

Entsprechend heißt es im Mustervertrag der CISAC (Art. 8 Abs. 2): „Wenn sie (die Gesellschaft) kein zusätzliches Inkasso für Pcnsionshilfc- oder Unterstützungskasscn ihrer Mitglieder oder für die Förderung der nationalen Künste oder für Fonds vornimmt, die auf irgendeine Weise dem vorerwähnten Zweck vorbehalten sind, hat jede der Gesellschaften die Möglichkeit, von der von ihr kassierten und auf die vertragschließende Gesellschaft entfallenden Summe höchstens 10% in Abzug zu bringen, die den betreffenden Zwecken zuzuführen sind."

b) Im deutschen Kartellrecht wird ein Wertungswiderspruch zwischen den wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben der Verwertungsgesellschaften durch die Freistellung vom Kartellverbot und durch die genannten Sollvorschriften ausgeschlossen. Zur „wirksamen Wahrnehmung" der Urheberrechte i. S. v. $1 UrhWG gehören die Bedingungen, unter denen es der Verwertungsgesellschaft möglich ist, ihre kulturellen und sozialen Aufgaben bei der „gemeinsamen Auswertung" (§ l UrhWG) zu erfüllen. Bei der Anwendung der für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Vorschriften (§§ 22, 26 Abs. 2 GWB, jetzt §§ 20, 21 GWB) ist der Freistellungszweck des $ 30 in die Abwägung der Interessen einzubeziehen. Der Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot sind die dafür erheblichen Kriterien zu entnehmen. Ob eine Behinderung unbillig ist oder eine Diskriminierung ohne sachlich gerechtfertigten Grund erfolgt, ist durch Abwägung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des GWB zu beurteilen. 36 Der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichtete Zweck des GWB wird durch den Zweck der Freistellung in §31 GWB modifiziert. 37 Das Verhalten der Vcrwertungsgesellschaften, das von der Freistellung gedeckt ist oder ihrem Zweck dient, ist sachlich gerechtfertigt. Entsprechend ist das Interesse der behinderten oder unterschiedlich behandelten Unternehmen nur abwägungsfähig, wenn es den gesetzlichen Wertungen des GWB und des UrhWG nicht widerspricht. Die Abwägung der Individualinteressen der Beteiligten besteht in einer Gesamtwürdigung der für ihre Position geltend gemachten Gründe. Im Verhältnis der Verwertungsgesellschaft zu einzelnen Mitgliedern führt 36 37

Zuerst BGHZ 38, 90, 102; seither ständige Rechtsprechung; Nachweise bei: Mnrkert, in: Immenga/Mcstmäckcr, GWB Kommentar, 2. Aufl. 1992, Rn. 196. Marken, ebenda, Rn. 215. 341

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

dies zur Konfrontation der von der Gesellschaft zu wahrenden Interessen der Mitgliedergesamtheit und den unternehmerischen Eigeninteressen von Mitgliedern. Zur normativen Interessenabwägung gehören bei der Anwendung der unternehmensbezogenen Normen des Kartellrechts auf das Innenverhältnis der Verwertungsgesellschaft spezifisch wahrnehmungsrechtliche und vereinsrechtliche Kriterien. Sie betreffen vorrangig die treuhänderischen Pflichten der Verwertungsgesellschaft gegenüber allen Wahrnehmungsberechtigten und die daraus folgenden Schranken für die unternehmerische Handlungsfreiheit einzelner Berechtigter. c) Im europäischen Wettbewerbsrecht fehlt eine Regelung, die der Verknüpfung von wirtschaftlich-unternehmerischen mit kulturellen und sozialen Aufgaben Rechnung trägt. Einen Ansatzpunkt bietet jedoch Art. 128 EGV. Danach gehört es zu den Aufgaben der Gemeinschaft, die Tätigkeit der Mitgliedstaaten im kulturellen Bereich zu fördern und zu ergänzen, insbesondere im Bereich des künstlerischen und literarischen Schaffens einschließlich im audiovisuellen Bereich Art. 128 Abs. 4 lautet: „Die Gemeinschaft trägt den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit aufgrund anderer Bestimmungen des Vertrages Rechnung." Die Vorschrift rechtfertigt keine allgemeine Ausnahme von zwingenden Vorschriften des Vertrages. Sie ist jedoch geeignet, der Verbindung von wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten bei der Wahrnehmung von Urheberrechten Rechnung zu tragen. Wichtige Hinweise sind der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zum Urheberrecht zu entnehmen. Zu beurteilen war die Gültigkeit der Richtlinie 92/100 EWG des Rates vom 19.11.1992 über das Verleih- und Vermietrecht.38 Der Kläger machte geltend, das durch die Richtlinie begründete ausschließliche Verleihrecht verstoße gegen das Grundrecht der freien Berufsausübung der bisher die Vermietung betreibenden Unternehmen. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung hat der EuGH entschieden, das Grundrecht auf freie Berufsübung und das Eigentumsrecht gehörten zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts.39 Diese Grundsätze seien jedoch im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion und die dem Gemeinwohl der Gemeinschaft dienenden Ziele auszulegen. Eingriffe in diese Rechte dürften nicht unverhältnismäßig sein. Nachdem 38 39

28.4.1998, Rs. C-200/96, Metronome Musik GmbH ./. Music Point Hokamp GmbH, EuGH, Slg. I 1953 = EuZW 1998, S. 406. Ebenda („Metronome Musik"), Rn. 21.

342

VI. Gegenscitigkeitsverträgc

der EuGH festgestellt hatte, daß die Richtlinie über das Vermiet- und Verleihrecht mit den Zielen der Gemeinschaft übereinstimmt, heißt es wörtlich: „Insoweit ist insbesondere daraufhinzuweisen, daß der Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst, das zum gewerblichen und kommerziellen Eigentum i. S. v. Art. 36 EGV gehört, einen der Gründe des Gemeinwohls darstellt, die Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen können.40 Außerdem gehört die kulturelle Entwicklung der Gemeinschaft zu den Zielen des Art. 128 EGV in der Fassung des Vertrages über die Europäische Union, der u.a. die Förderung des künstlerischen und literarischen Schaffens bezweckt."

Der EuGH fügt hinzu, das ausschließliche Vermietrecht sei auch dadurch gerechtfertigt, daß es dem Schutz hoher Investitionen der Tonträgerhersteller diene „und für die weitere Schaffung neuer Werke durch die Urheber unerläßlich" sei.41 Das Urteil bestätigt, daß Urheberrechte zu dem geschützten Eigentum i. S. v. Art. 36 EGV gehören; daß das Urheberrecht und die Gewährleistung seiner wirtschaftlichen Nutzung zur Kultur der Mitgliedstaaten und zu den kulturellen Zielen der Gemeinschaft gehören; daß diese Ziele bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Beschränkungen der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können. Diese Grundsätze sind auch bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln zu beachten.

VI.

Gegenseitigkeitsverträge

Die Internationalisierung des Musikgeschmacks, der Musiknutzung und die weltumspannende Organisation der Medienindustrien haben die Wahrnehmung der Urheberrechte internationalisiert. Dies geschieht mit Hilfe von Wahrnehmungsverträgen zwischen Verwertungsgesellschaften. Gegenstand der Verträge ist die wechselseitige Nutzung des Repertoires der beteiligten Gesellschaften, so daß aus der Summe der bilateralen Gegenseitigkeitsverträge in den Händen jeder Gesellschaft ein Weltrepertoire entsteht. Das Verhältnis dieser Gesellschaften zueinander 40 41

Ebenda, Rn. 23 m. w. N. Ebenda, Rn. 24. 343

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfcld

wird von den für sie national maßgeblichen, häufig jedoch unterschiedlichen urheberrechtlichen Prinzipien, nachhaltig beeinflußt. Der Gegensatz von Copyright und dem unentziehbaren Urheberpersönlichkeitsrecht ist dafür nur ein Beispiel. Damit hängen jedoch Gegensätze in den Aufgaben und dem Selbstverständnis der Verwertungsgesellschaften zusammen. Das wichtigste Beispiel ist gegenwärtig der von den angloamerikanischen Verwertungsgesellschaften angegriffene 10%-Abzug für kulturelle und soziale Zwecke durch die kontinentaleuropäischen Verwertungsgesellschaften. Die Gegenseitigkeitsverträge unterscheiden sich von der Rechtewahrnehmung gegenüber Musikverbrauchern und Musikverwertern. Ihr Gegenstand ist nicht nur die Wahrnehmung des fremden Repertoires; sie beziehen sich vielmehr auch auf die Beteiligung am Aufkommen nach den Regeln der jeweils wahrnehmenden Gesellschaft. Dadurch erhalten die Grundsätze, die sich die Mitglieder für die Verteilung des Aufkommens gegeben haben, Außenwirkung. Dem trägt die bereits zitierte Vorschrift im Verteilungsplan der GEMA Rechnung, wonach der 10%-Abzug „aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge" gewährt wird. Streitig geworden ist die Frage, ob die GEMA berechtigt ist, den Abschluß eines Gegenseitigkeitsvertrages zu verweigern, wenn die Schwestergesellschaft den 10%-Abzug nicht dulden will. Gemeinschaftsrechtlich könnte die Verweigerung des Vertragsabschlusses gegen Art. 86 EGV verstoßen. Die Vorschriften des deutschen UrhWG, die zu diesem Verhalten durch Soll-Vorschriften verpflichten, könnten mit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59 EGV) unvereinbar sein. Die Gegenseitigkeitsverträge enthalten in der EG keine Ausschlicßlichkeitsklausel. Sie sind in dieser Form „Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, die für sich allein den Wettbewerb nicht in einer Weise beschränken, die sie unter das Verbot von Art. 85 Abs. l EGV fallen lassen".42 Gleichwohl ist die Wahrnehmung der Rechte in den Mitgliedstaaten die Sache der jeweils zuständigen Verwertungsgesellschaft geblieben. Bei ihren Vertragsverhandlungen stehen sich die Partner als Monopolisten gegenüber. Das bilaterale Monopol besteht aber bei offenen Märkten. Die Märkte der beteiligten Gesellschaften sind bestreitbare Märkte. Rechtlich ist keine Gesellschaft gehindert, ihr Repertoire in den anderen Mitgliedstaaten selbst wahrzunehmen. 42

EuGH („Tournier"), a. a. O. (Fn. 12), S. 2573, Rn. 20.

344

VI. Gegcnscitigkcitsverträgc

Kommt kein Gegenseitigkeitsvertrag zustande, so entstehen verschiedene Möglichkeiten des Wettbewerbs. Die andere Gesellschaft kann, wie hervorgehoben, ihre Rechte in der Bundesrepublik selbst wahrnehmen. Davon zu unterscheiden ist der Wettbewerb der Verwertungsgesellschaften um Mitglieder. Die Freizügigkeit der Urheber im Gemeinsamen Markt gehört zu den von der Rechtsprechung des EuGH wiederholt hervorgehobenen positiven Wirkungen des Binnenmarktes. Die europäischen Verwertungsgesellschaften müssen die Freizügigkeit ihrer Mitglieder innerhalb des Gemeinsamen Marktes gewährleisten. Jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und jede Benachteiligung bei Kündigung des Wahrnehmungsvertrages und beim Übergang zu einer anderen Verwertungsgesellschaft ist gemeinschaftsrechtlich verboten. Erworbene Ansprüche dürfen bei dem Wechsel zu einer anderen Verwertungsgesellschaft nicht beeinträchtigt werden. Mitgliedschaftsjahre, die für Beteiligungsrechte erheblich sind, müssen unabhängig von einem Mitgliederwechsel anerkannt werden. Ferner besteht für die Urheber die Möglichkeit, Rechte getrennt nach Sparten und nach Verwaltungsgebieten (Staaten) zur Wahrnehmung zu übertragen.43 Der Wechsel der Urheberberechtigten von einer Gesellschaft zur anderen darf auch nicht dadurch behindert werden, daß die bisherige Heimgesellschaft mit der anderen Gesellschaft einen Gegenseitigkeitsvertrag geschlossen hat.44 Verweigert eine Verwertungsgesellschaft unter diesen Umständen den Abschluß eines Gegenseitigkeitsvertrages, weil die andere Gesellschaft den 10%-Abzug nicht dulden will, so kommt es gemeinschaftsrcchtlich letztlich darauf an, ob darin ein Mißbrauch oder eine Diskriminierung zu Lasten der Urheber zu sehen ist, die der anderen Verwertungsgesellschaft angehören. Ob eine Verwertungsgesellschaft auf dem Markt für die Wahrnehmung von Urheberrechten in der Bundesrepublik tätig werden will, ist eine unternehmerische Entscheidung. Abzuwägen sind die Kosten der Errichtung einer neuen Organisation im Vergleich zu den Erträgen, die bei Abzug von 10% und bei Wahrung der Gegenseitigkeit zu erwarten sind. Die den Vertragsschluß verweigernde Gesellschaft hat auf ihrem Markt eine beherrschende Stellung. Ein Mißbrauch liegt jedoch dann nicht vor, wenn das Verhalten einem berechtigten Interesse dient.4:> 43 44 45

Dazu die GEMA-Entscheidungen, a. a. O. (Fn. 20). Temple Lang, Role of Collection Societies, 1997, a. a. O. (Fn. 18), S. 11. Rs. 27/76, United Krands Company und United Brands Continental BV./. Kommission, 345

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

Zu den auch gemeinschaftsrechtlich schutzwürdigen Interessen gehört die durch das Wahrnehmungsgesetz geforderte Wahrnehmung kultureller und sozialer Aufgaben. Für die Mitglieder der ausländischen Verwertungsgesellschaft schließt die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Möglichkeit des Wechsels zu einer anderen Verwertungsgesellschaft den Diskriminierungsvorwurf aus.46 Sie haben beim Wechsel zu einer anderen Verwertungsgesellschaft die Möglichkeit, an den Vorteilen zu partizipieren, die mit dem 10%-Abzug finanziert werden. Führt man das Verhalten der Verwertungsgesellschaft, das durch die Vorschriften des Wahrnehmungsgesetzes geboten ist, auf diese Gesetzgebung zurück, so ist zu prüfen, ob es sich um eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit i. S. v. Art. 59 EGV handelt. Es handelt sich aus den bereits angeführten Gründen um eine nicht diskriminierende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. Solche Beschränkungen können nach der Rechtsprechung des EuGH durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.47 Zu den bereits anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört der Schutz des geistigen Eigentums.48 Die Interessen der Allgemeinheit, die §§ 7 und 8 UrhWG schützen sollen, sind, wie bereits dargelegt, durch Art. 128 Abs. 4 EGV legitimiert.

46

47 48

EuGH, Slg. 1978, S. 207 (298); Rs. C-310/93 P, BPB Industries plc und British Gypsum Ltd../. Kommission, EuGH, Slg. I 1995, S. 865 (904, Rn. 11). Melichar, Der Abzug für soziale und kulturelle Zwecke durch Verwertungsgesellschaften im Lichte des internationalen Urheberrechts, in: Becker (Hrsg.), Die Verwertungsgesellschaften im Europäischen Binnenmarkt, 1990, 47-61, hält eine urheberrechtliche Regelung mit teilweiser Sozialbindung für konventionsrechtlich zulässig, sofern keine Inländerdiskriminierung oder eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit i. S. v. Art. 7 (jetzt Art. 6) EGV vorliegt. Nicht berücksichtigt wird jedoch die Bedeutung, die der Freizügigkeit der Urheber im Gemeinsamen Markt zukommt. Bei freiem Mitgliederwechsel führt die Beteiligung nur der Mitglieder an dem 10%-Abzug nicht zu einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Rs. C-288/89, Sticking Collectieve Antenne voorzienimg Gouda u. a../. Commissariaat voor de Media, EuGH, Slg. I 4007, 4040, Rn. 13. Rs. 62/79, Coditel./. SA Cine Vog Films, EuGH, Slg. 1980, S. 881.

346

VII. Vergleich von Wirtschaftsrecht und Wahrnchmungsrccht

VII.

Vergleich von Wirtschaftsrecht und Wahrnehmungsrecht im Verhältnis von Verwertungsgesellschaften und Musikverbrauchern

Ein Vergleich des Wahrnehmungsrechts mit dem deutschen und europäischen Wirtschaftsrecht läßt Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen, die bei Wahrnehmung von Urheberrechten unter Berücksichtigung kultureller Aufgaben erheblich werden. Die Unterschiede erklären sich nicht nur durch die bereits erwähnten Vorschriften über kulturelle und soziale Aufgaben. Sie betreffen vielmehr auch die Modalitäten der Wahrnehmung und die Pflichten der Verwertungsgesellschaften im übrigen. Das deutsche UrhWG ist in dieser Hinsicht vorbildlich: Obwohl es die behördlichen Kontrollen für Verwertungsgesellschaften verstärkt, trägt es dazu bei, die spezifischen Erfordernisse der Wahrnehmung von Urheberrechten zu klären. a) Im Verhältnis zu den Musikverbrauchern, die auf die Nutzung des Repertoires der Verwertungsgesellschaft angewiesen sind, ist es unstreitig, daß Verwertungsgesellschaften, die über ein flächendeckendes Repertoire verfügen und in ihrem Verwaltungsgebiet eine Monopolstellung innehaben, verpflichtet sind, jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen oder Einwilligungen zu erteilen. Diese Verpflichtung, die jetzt in $ H UrhWG normiert ist, ergab sich noch vor Erlaß von Sondervorschriften aus § 826 BGB, sie folgt ferner aus dem Diskriminierungsverbot für marktbeherrschende Unternehmen in $ 21 Abs. 2 GWB, und sie folgt schließlich gemeinschaftsrechtlich aus Art. 86 EGV. b) Die praktisch wichtigste Frage im Verhältnis zu den Musikverwertern betrifft die Angemessenheit der Tarife. Nach 5 13 UrhWG sind in der Regel die geldwerten Vorteile zugrunde zu legen, die durch die Verwertung erzielt werden. Zu den Modalitäten der Tarifgestaltung gehört der Abschluß von Gesamtverträgen. § 12 UrhWG verpflichtet die Verwertungsgesellschaft, mit Vereinigungen, deren Mitglieder geschützte Werke oder Leistungen nutzen, Gesamtverträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen. Bei Streitfällen gilt das besondere Schiedsverfahren der §§14-17 UrhWG. Darauf ist hier nicht näher einzugehen. 347

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

Überschneidungen und Konflikte in der Beurteilung der Tarifhöhe haben sich im Verhältnis von Wahrnehmungsgesetz und deutschem Kartellrecht nicht ergeben. Das gilt jedoch nicht im Verhältnis zum europäischen Gemeinschaftsrecht. Art. 86 EGV verbietet es marktbeherrschenden Unternehmen insbesondere, unangemessene Preise oder sonstige Geschäftsbedingungen zu erzwingen. Ein solcher Verstoß liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, „wenn die Gebühren, die sie (Verwertungsgesellschaft) von Diskotheken fordert, erheblich höher sind, als die in den anderen Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren, sofern die Tarife, was ihre Höhe betrifft, miteinander auf einheitlicher Grundlage verglichen werden".49 Unter diesen Umständen trifft das Unternehmen die Beweislast für rechtfertigende besondere Umstände. In dem zitierten Verfahren wurden von der Kommission und vom Generalanwalt weitere Kriterien erörtert, aus denen auf überhöhte Wahrnehmungskosten zu schließen sei. Der EuGH hat darüber jedoch nicht entschieden. Im Anschluß an die zitierten Diskothekenurteile werden im Schrifttum die folgenden Kriterien für die Anwendung von Art. 86 EGV auf die Tarife von Verwertungsgesellschaften hervorgehoben:50 - zu hohe Kosten der Wahrnehmung; - zu lange Fristen für die Verteilung des Aufkommens; 49

50

EuGH („Tournier"), a.a.O. (Fn. 12), S.2579; übereinstimmend verb. Rs. 110/88, 241/88, 242/88, F. Lucazeau ./. SACEM, EuGH, Slg. 1989, S. 2811 (2831, Rn. 25). Parallel zu diesen Vorlagcverfahren beim EuGH hatten die Diskothckcnbctreibcr ein Amtsvcrfahrcn nach Art. 3 Verordnung 17 bei der EG-Kommission beantragt. In diesem Verfahren ermittelte die Kommission die in der Gemeinschaft von den Verwertungsgescllschaften angewendeten Gebührensätze in Diskotheken. Sie kam zu dem Ergebnis, daß diese Gebühren in allen Mitgliedsstaaten - außer in Italien - niedriger seien als in Frankreich. Bei diesem Stand des Verfahrens entschied die Kommission, es bestehe kein Gemeinschaftsinteressc an ihrer eigenen Entscheidung nach Art. 86 EGV. Nach den Grundsätzen der Dezentralisierung und Subsidiarität sei die Sache an die französischen Behörden bzw. Gerichte abzugeben. Die dagegen gerichtete Klage der Antragsteller wurde vom Gericht I. Instanz (Rs. T-114/92, EuG, Slg. II 1995, S. 147) teilweise, auf die dagegen erhobene Beschwerde vom EuGH im ganzen zurückgewiesen (Rs. C-72/95, EuGH. Slg. I 1996, S. 5547). Anerkannt wurde in diesen Entscheidungen der Ermesscnsspiclraum der Kommission in der Entscheidung über ein Gemeinschaftsintercsse an der Durchführung eines Kommissionsverfahrcns im Vergleich zur mitgliedsstaatlichcn Anwendung des Gcmeinschaftsrcchts. John Temple Lang, Media, Multimedia and European Community Antitrust Law, a. a.O.,(Fn. 18), S. 50-52; Bericht in: Music and Copyright v. 3.12.1997. S. 11.

348

VII. Vergleich von Wirtschaftsrccht und Wahrnehmungsrecht

- die unverhältnismäßige Belastung einer bestimmten Kategorie von Musiknutzern mit Aufführungsgebühren im Vergleich zu anderen, die einen intensiveren Gebrauch von dem lizensierten Repertoire machen; - das Verhältnis von Gewinn und Risiko, z. B. in Fällen, in denen ein Großunternehmen hohe Lizenzgebühren in Folge einer Tonaufnahme erzielt, deren Kosten bereits abgetragen sind; - die Frage, ob die Lizenzgebühren das Ergebnis echter Verhandlungen mit den betroffenen Musiknutzern sind; - die Begründung, die für eine Erhöhung der Lizenzgebühren gegeben wird; - die Frage, ob sich ändernde Marktverhältnisse, insbesondere wirtschaftliche Vertriebssysteme, in den Lizenzgebühren berücksichtigt werden; - schließlich, ob die Tarife einer behördlichen Aufsicht unterliegen. Von allgemeiner Bedeutung ist die Frage, unter welchen Umständen eine Verwertungsgesellschaft verpflichtet ist, nur einen Teil ihres Repertoires an bestimmte Nutzer zu lizenzieren. Eine solche Verpflichtung besteht nur, „wenn auch im Fall eines unmittelbaren Zugangs zu einem Tcilbcstand (des Repertoires) die Interessen der Musikautorcn. Komponisten und Musikverlegcr voll gewahrt werden können, ohne daß sich deswegen die für die Verwaltung der Verträge und die Überwachung der Nutzung der geschützten Musikwerke entstehenden Kosten erhöhten."51

Der EuGH berücksichtigt damit die globale Natur der Wahrnehmung der Rechte und prüft, ob sich die umstrittenen Praktiken im Rahmen des zur Erreichung des Zweckes Zulässigen halten.52 Zu den legitimen Zwecken der Verwertungsgesellschaft gehört nach deutschem Recht die Wahrnehmung der kulturellen Aufgaben; sie sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch im Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen. Die Marktstrukturen, von denen es abhängt, ob angemessene Tarife im Wege von Verhandlungen erzielt werden können, weisen grundlegende Unterschiede auf. In den Fällen ungleichgewichtiger Marktmacht kommt der Möglichkeit der Festsetzung der Tarife durch die Schiedsstelle bzw. die Gerichte besondere Bedeutung zu. Gemeinschaftsrechtlich bleibt Art. 86 EGV jedoch auch dann anwendbar, wenn das mitglied51 52

EuGH („Tournier"), a.a.O. (Fn. 12), S.2575, Rn.31. Ebenda, Rn.31.

349

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

staatliche Recht ein besonderes Verfahren zur Überprüfung der Tarife nach Art des deutschen Schiedsstellenverfahrens kennt.53 Bei den unter behördlicher Aufsicht festgesetzten Tarifen wird die Kommission jedoch das Subsidiaritätsprinzip beachten und nur in den Ausnahmefällen eingreifen, in denen die mitgliedstaatliche Entscheidung dem Genieinschaftsrecht offenbar nicht entspricht. In den besonders streitigen und durch ungleichgewichtige Marktmacht geprägten Verhandlungen zwischen den Verwertungsgesellschaften und der Tonträgerindustrie wirkt sich die potentielle Anwendung der Wettbewerbsregeln auf die nach nationalem Recht durchgeführten Verfahren aus. So berücksichtigen die Schiedsstelle und die Gerichte in ihren Entscheidungen über die Angemessenheit von Tarifen das Vergleichsmarktkonzept, dem im Rahmen von Art. 86 EGV aus den genannten Gründen eine besondere Bedeutung zukommt. Repräsentativ ist das Urteil des OLG München zur Festsetzung von Tonträgervergütungen.54

VIII. Wirtschaftsrecht und Wahrnehmungsrecht im Verhältnis von Verwertungsgesellschaft und Mitgliedern (Innenverhältnis) Dem Kontrahierungszwang im Verhältnis zu Musiknutzern entspricht der Wahrnehmungszwang im Verhältnis zu den Urheberberechtigten nach S 6 UrhWG. Die wichtigsten Vorschriften für das Innenverhältnis zwischen Verwertungsgesellschaft und Urheberberechtigten betreffen den Verteilungsplan. Nach $ 7 UrhWG hat die Verwertungsgesellschaft die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit nach festen Regeln aufzuteilen, die ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen.55 Überschnei53 54

55

Rs. C-18/93, Corsica Fernes Italia SRL./. Corpo dei piloti del porto di Genova, EuGH, Slg. I 1994, S. 1812 (1824, Rn.43). OLG München, 30.4.1987, in: Schulze, RzU, OLG 294; näher zu diesem Urteil: Mestmäcker, Die Urhebervergütung für Tonträger im europäischen Gcmeinschaftsrecht, Festschrift für Reichardt, 1990, S. 141-167; auch in: ders., Recht in der offenen Gesellschaft, 1993, S. 268-300. Frei von Willkür i. S. dieser Vorschrift ist eine Vertcilungsregelung, die, wie § 6 Abs. l UrhWG bestimmt, „angemessen ist" (so BVerfG vom 11.10.1988, BVerfG-Entscheidung 79, l, 14-15 unter Hinweis auf Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 7. Aufl. 1988, § 7 UrhWG, Rn. 2; Reinbothe, in: Schricker, Urheber-

350

VIII. Wirtschaftsrecht und Wahrnehmungsrecht im Verhältnis

düngen und Konflikte zwischen Wahrnehmungsrecht und Wettbewerbsrecht sind vor allem im Innenverhältnis der Verwertungsgesellschaften aufgetreten. Das gilt speziell für das Verhältnis von § 7 UrhWG, der feste Verteilungsgrundsätze fordert und ein Willkürverbot enthält, zum Diskriminierungsverbot in §21 Abs. 2 UrhWG und zum Mißbrauchsverbot in $ 20 UrhWG. Daß diese Konflikte überhaupt entstehen konnten, ist primär darauf zurückzuführen, daß die Rechtsprechung die Urheber in ihren Beziehungen zur Verwertungsgesellschaft als Unternehme qualifiziert. Einzelne Urheber - und zwar gerade die durch das Wertungsverfahren geförderten - haben diese Rolle im Sinne einer individuellen Gewinnmaximierung wahrgenommen. Das Verhältnis von § 7 UrhWG und des darin enthaltenen Willkürverbots zum GWB war Gegenstand eines Urteils des BGH vom 3.5.1988.56 Das Bundeskartellamt hatte der GEMA die Anwendung einer von der Mitgliederversammlung beschlossenen Regelung in der Geschäftsordnung für das Wertungsverfahren in der Sparte E (Ernste Musik) untersagt, wonach ein Berechtigter bei „Unverhältnismäßigkeit" von der Wertung ausgeschlossen werden kann. Den Verstoß gegen § 26 Abs. 2 GWB begründete das Kammergericht hauptsächlich mit einem Verstoß gegen das Willkürverbot in S 7 UrhWG.57 Der BGH bejaht zwar die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 26 Abs. 2 GWB neben § 7 UrhWG, verlangt aber bei der Ermittlung einer sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung die Berücksichtigung der Besonderheiten von urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften. Als solche werden hervorgehoben: „Das umfangreiche Regelwerk der Verteilungspläne, das aufgrund sachlich begründeter Unterschiede der verschiedenen Sparten und Berufsgruppen in vielfältiger Weise Unterschiede aufweise, ohne daß die Unterschiede schon zu einer Diskriminierung führten; die Pauschalierung in den Verteilungspläncn, die zu einer vom individuellen Aufkommen abweichenden Verteilung führten: die Notwendigkeit eines ausreichenden Beurteilungsspielraums für die Gremien der Verwertungsgesellschaft, um Fehlentwicklungen bei der Verteilung entgegenzuwirken; die Befugnis der Verwertungsgesellschaft, zunächst gegen konkret befürchtete Mißbräuche einzuschreiten, um Erfahrungen zu sammeln, ohne sofort allgemeine Maßnahmen ergreifen zu müssen."

56 57

recht, 1987, § 6 UrhWG, Rn. 13). Siehe auch: Vogel, GRUR 1993, a. a. O. (Fn. 34) S. 521. Zu den Vorschriften, die das Wertungsverfahren sowie Vorsorge und Unterstützungseinrichtungen betreffen (§7 Satz 2, $8 UrhWG), vgl. oben. WuW/E BGH 2497 „GEMA-Wertungsverfahren". KG 25.3.1987, WuW/E OLG 4040, 4043 „Wcrtungsverfahren". 351

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

Diesen Besonderheiten trägt das Gericht Rechnung, indem es in 57 UrhWG eine partielle Sonderregelung sieht, die getrennte Zuständigkeiten für Bundeskartellamt und Aufsichtsbehörde begründen. Ob der Verteilungsplan als solcher und die darin getroffenen Regeln mit den Erfordernissen von § 7 UrhWG vereinbar sind, obliegt allein der Prüfung durch das Deutsche Patentamt; nur soweit sich die Anwendung einer Klausel im Hinblick auf ihre Unbestimmtheit im Einzelfall als Diskriminierung darstellt, ist das Kartellamt berufen, § 26 Abs. 2 GWB anzuwenden.58 Gleiches Gewicht wie die wahrnehmungsrechliche und kartellrechtliche Beurteilung der Verteilungspläne und ihre Anwendung durch die Verwertungsgesellschaft haben die spezifisch vereinsrechtlichen Maßstäbe, nach denen die Mitgliederbeziehungen in Wirtschaftsvereinen beurteilt werden. Darauf kann hier nur hingewiesen werden, ohne den Gegenstand zu erschöpfen. Das Reichsgericht hat in seinen ersten Urteilen zu urheberrechtlichen Verwertungsgesellschaften hervorgehoben, daß es sich bei deren Beziehungen zu ihren Mitgliedern um gesellschaftsähnliche Verhältnisse handele, die durch besondere Treuepflichten geprägt seien.59 Dieser Gesichtspunkt wird in der neueren Rechtsprechung nur noch am Rande berücksichtigt. Größeres Gewicht wird der Nähe der Verwertungsgesellschaften zur Daseinsvorsorge und zur öffentlichen Verwaltung unter Hinweis auf ihre „staatsentlastende Tätigkeit" beigemessen.60 Die soziale, volkswirtschaftliche und ideelle Bedeutung von Verwertungsgesellschaften hat schon das Reichsgericht hervorgehoben.61 Das Gericht hat es jedoch abgelehnt, die Verwertungsgesellschaften deshalb dem öffentlichen Recht zu unterstellen. Das UrhWG, besonders die Pflichten der Verwertungsgesellschaften im kulturellen und sozialen Bereich, legen es nahe, sie zwischen der Erfüllung privater und öffentlicher Aufgaben anzusiedeln.62 Diese Zuordnung von Verwer58

59 60

61

62

Kritisch dazu: Stockmann, Die Verwertungsgcsellschaften und das nationale und europäische Kartcllrecht, a. a. O. (Fn. 17), S. 37. Stockmann befürchtet eine kartcllrcchtliche Rcgelungslücke, die man jedoch nur annehmen kann, wenn man die wahrnehmungsrechtlichc Regelung für unzulänglich hält. RGZ 78, 298, 301; RGZ 87, 215, 220. Beide Urteile betreffen die zwingende Geltung der Kündigung aus wichtigem Grunde nach $723 GBG. KG 27.10.1989 in: Schulze, RzU Nr. 92, S. 15, wo festgestellt wird, daß die Verwertungsgcsellschaften einer Behörde ähnlicher seien als einem Idealvcrein. RGZ 87, 215, 218.

Dazu: J. Kecker, Verwertungsgcsellschaften als Träger öffentlicher und privater

352

IX. Verwertungsgescllschaften und Mitglieder

tungsgesellschaften zum Öffentlichen ist geeignet, die kultur- und sozialpolitische Bedeutung der besonderen Pflichten nach dem UrhWG hervorzuheben. Eine solche Zuordnung wirkt aber nicht nur legitimierend, sie nähert die Verwertungsgesellschaften zugleich einer Verwaltungsbehörde an, die gegenüber den gegenwärtigen oder potentiellen Mitgliedern in einer besonderen Pflichtenstellung ist und für die der Vorbehalt des Gesetzes gilt. Die Konsequenz besteht darin, daß sich Mitglieder gerechtfertigt fühlen, wenn sie den Vertcilungsplan der Gesellschaft wie die Steuergesetzgebung des Staates betrachten, d. h. den Verteilungsplan ohne Rücksicht auf die Solidargemeinschaft ausnutzen. Das führt gerade in den Bereichen zu Konflikten, in denen Mitglieder durch das Wertungsverfahren begünstigt werden. Hier handelt es sich jedoch nicht um Konflikte zwischen Markt und Kultur. Die Konflikte entstehen vielmehr gerade daraus, daß einzelne Mitglieder ihre Beteiligung am Wertungsverfahren durch Aufführungen erhöhen, die nicht vom Markt kontrolliert werden. Hier ist es die von der Rechtsprechung auch anerkannte Aufgabe der Verwertungsgesellschaft, Mißbräuche durch entsprechende Gestaltung des Verteilungsplans auszuschließen.

IX.

Verwertungsgesellschaften und Mitglieder im Europäischen Gemeinschaftsrecht

Urheber werden, wie bereits hervorgehoben, auch im europäischen Gemeinschaftsrecht in ihren Beziehungen zur Verwertungsgesellschaft als Unternehmen behandelt. Ihren gegenwärtigen und potentiellen Mitgliedern steht die Verwertungsgesellschaft als marktbeherrschendes Unternehmen gegenüber. Im Schrifttum werden alle Entscheidungen des EuGH und der Kommission, welche Verwertungsgesellschaften betreffen, als Anwendungsfälle der sog. Essential Facilities Doctrine gekennzeichnet.63 Ungehinderter Zugang zu den Dienstleistungen von nationalen Verwertungsgesellschaften sei im Gemeinsamen Markt unerläßlich, um Aufgaben, in: Festschrift für Krcilc, 1994, S. 27-51; modifizierend: Lerche, in: GEMA - Jahrbuch 1997/98, a. a. O. (Fn. 35). S. 97. Temple Lang, Defining Legitimate Competition: Companies' Duties to Supply Competitors, and Access to Essential Facilities, Fordham Corporate Law Institute, 1994, S. 28; übereinstimmend: ders., Media, Multimedia und European Community Antitrust, 1997, a. a. O. (Fn. 18), S. 58. 353

11. Geistiges Eigentum und Kultur im Spannungsfeld

allen Eigentümern von Copyrights und Aufführungsrechten die Möglichkeit zu geben, die Vergütung zu erhalten, die ihnen zustehe. Die wesentliche Einrichtung bestehe in den Dienstleistungen, welche die Verwertungsgesellschaft für ihre Mitglieder durch die Einziehung der Lizenzgebühren erbringe. Diese Dienstleistung könne nur kollektiv erbracht werden. Die Verwertungsgesellschaften seien als beherrschende Unternehmen verpflichtet, ihre Dienstleistungen allen Urheberberechtigten diskriminierungsfrei anzubieten. Dieses Ergebnis ist als solches weitgehend unstreitig. Die Begründung verwischt jedoch die tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede zwischen dem Wahrnehmungszwang als einer Erscheinungsform des Kontrahierungszwangs und den besonderen Pflichten, die Inhaber von „wesentlichen Einrichtungen" nach Art. 86 EGV treffen können. Der Wahrnehmungszwang bezieht sich auf den Markt, auf dem Verwertungsgesellschaften ihre Dienstleistungen im üblichen Geschäftsverkehr für Inhaber der von ihnen wahrgenommenen Rechte anbieten. Dies ist auch der relevante Markt i. S. v. Art. 86 EGV.64 Die aus dem amerikanischen Antitrust-Recht übernommene Essential Facilities Doctrine begründet zwar auch einen Kontrahierungszwang. Er bezieht sich auf den Zugang und die unternehmerische Nutzung von Einrichtungen, die für innerbetriebliche Zwecke des verpflichteten Unternehmens bestimmt sind.65 Ferner muß dieser Zugang „wesentlich" für die Möglichkeit sein, auf einem vom Inhaber der Einrichtung beherrschten, angrenzenden Markt als Wettbewerber tätig zu werden.66 Rechtstatsächlich handelt es sich vor allem um den Zugang zu Telekommunikationsnetzen, zu Reservierungssystemen, zu Hafeneinrichtungen und zu Netzen der Energiewirtschaft.67 Wettbewerbsrechtlich handelt es sich um einen Anwendungsfall des Grundsatzes, wonach es mißbräuchlich ist, eine marktbeherrschende «4 Vgl. EuGH („GVL"), a. a. O. (Fn. 24), S. 506, Rn. 44. 65 Hierzu näher Deselaers, Die Essential Facilities Doctrine im Lichte des MagillUrteils des EuGH, EuZW 1995, S. 563-569; Marken, Die Anwendung des US-amerikanischen Monopolisierungsverbots auf Verweigerung des Zugangs zu „wesentlichen Einrichtungen", Festschrift für Mestmäcker, 1993, S. 661-672; Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, EG Wettbewerbsrecht, Kommentar, Bd. I, 1997, Art. 86, Rn. 214. 66 Eine positiv-rechtliche Ausprägung hat die Essential Facilities Doctrine in $ 33 TKG gefunden. 67 Überblick über die Praxis der Kommission bei Temple Lang, Defining Legitimale Competition a. a. O. (Fn. 63); Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, a. a. O. (Fn. 65), Art. 86, Rn. 258-285. 354

IX. Vcrwertungsgesellschaften und Mitglieder

Stellung auszunutzen, um auf einem benachbarten und getrennten Markt jeglichen Wettbewerb auszuschließen und so die marktbeherrschende Stellung auf einen anderen relevanten Markt zu erstrecken.68 Nur unter dieser doppelten Voraussetzung kommt eine Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens für die Entstehung von Wettbewerb unter Hintansetzung eigener unternehmerischer Interessen in Betracht. Der EuGH hat im Magill-Fall unter „außergewöhnlichen Umständen" marktbeherrschende Inhaber von Urheberrechten an Programminformationen verpflichtet, einem Anbieter von wöchentlichen Fernsehzeitschriften die dafür notwendigen Lizenzen zu erteilen.69 Die Programminformationen standen den beteiligten Fernsehveranstaltern infolge ihrer Programmtätigkeit zur Verfügung. Sie hatten „zwangsläufig" ein Monopol an diesen Informationen70, und zwar unabhängig davon, daß eben diese Informationen urheberrechtlich geschützt waren. Der Mißbrauch bestand in der Weigerung, einem Unternehmen, das auf einem anderen Markt, nämlich dem für wöchentliche Fernsehzeitschriften, tätig werden wollte, die dafür notwendige Lizenz zu erteilen und sich dadurch den abgeleiteten Markt vorzubehalten.71 Dieses marktstrategische Verhalten geht über den Inhalt des Urheberrechts und seine bestimmungsgemäße Ausübung hinaus. Das Urteil erlaubt keine Rückschlüsse auf die Verpflichtung einer Verwertungsgesellschaft gegenüber Wahrnehmungsberechtigten oder Musikverbrauchern. Insbesondere kann diesem Urteil keine Marktstrukturverantwortung der Verwertungsgesellschaft für den Wettbewerb auf den Märkten ihrer Vertragspartner entnommen werden.

68 69 70 71

Deselaers, a. a. O. (Fn. 65), S. 564; Mestmäcker, Zum Begriff des Mißbrauchs in §86 des Vertrages über die Europäischen Gemeinschaften, FS Raisch, S. 441. Verb. Rs. C-241/91 und C-242/91 RTE u. ITP./. Kommission, EuGH, Slg. I 1995, S. 743. Ebenda, S. 822, Rn. 47. Ebenda, S. 824, Rn. 56. 355

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte in der alten und „neuen" Musikwirtschaft I.

Netzwerkeffekte und vertikale Integration

Die Kulturindustrie bildet einen Schwerpunkt der europäischen Fusionskontrolle.1 Die Gründe sind vielfähig. Die Konvergenz traditionell getrennter, durch spezifische Inhalte und Funktionen definierter technischer Systeme hat zu neuen Verbindungen der Medienwirtschaft mit der Telekommunikation geführt. Die Vorhaben, das Infrastruktursystem für Pay-TV und E-Commerce durch Gemeinschaftsunternehmen zu entwickeln, sind dafür repräsentativ.2 Eine neue Qualität erhalten Wettbewerb und Konzentration in der Medienwirtschaft zusätzlich durch das Zusammentreffen von alter und neuer Ökonomie im Internet. Die Vielfalt der technisch möglichen individuellen und interaktiven Kommunikation führt dazu, daß Teilnehmer für sich selbst entscheiden können, ob sie als Sender, als Empfänger oder als beides zugleich beteiligt sein wollen. Diese Nutzungen betreffen zunehmend bisher von der Medienwirtschaft gegen Entgelt vermittelte Inhalte. Die Ubiquität des Internets, insbesondere die dezentrale, spontane und weltweite Entstehung virtueller Netze widerstrebt Online-Strukturen, die sich an tradierten Vertriebswegen und Nutzungsvcrhältnissen orientieren. National und territorial begrenzte Urheberrechte werden im Rahmen eines territorial unbegrenzten Kommunikationssystems genutzt und müssen unter diesen Bedingungen durchgesetzt werden. Überblick über die Entschcidungspraxis der EG-Kommission auf der Grundlage der Fusionskontrollverordnung (FKVO) in: Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbercich (KEK), Bericht über die Entwicklung der Konzentration und über Maßnahmen zur Sicherung der Meinungsviclfalt im privaten Rundfunk, Schriftenreihe dcrLandcsmcdicnanstaltcn, Band 17, 2000, S. 75 ff., im folgenden zitiert als „Konzcntrationsbericht der KEK". Entscheidungen der EG-Kommission: 9.11.1994, WuW/E EV 2231 „Media Service"; 27.5.1998, WuW/E EU-V 222 Bertclsmann/CLT-UFA/Kirch-Gruppc „Premiere"; 27.5.1998 Deutsche Telekom/CLT-UFA/Bcta Technik, WuW/ E-EU-V 237 „BetaRcscarch"; auch Bundcskartellamt 6.10.1998, WuW/E DE-V 53 „Premiere"; KEK 26.1.1999 „Premiere".

357

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte

Für die unternehmerische Nutzung von Kommunikationssystemen kommt den Netzwerkeffekten („network externalities") ausschlaggebende Bedeutung zu. Diese Effekte potenzieren sich im Internet. Netzwerkeffekte entstehen daraus, daß der Nutzen des Netzes für alle Beteiligten mit der Zahl der Teilnehmer steigt. Das Telefonnetz ist für diese Zusammenhänge repräsentativ. Für den Netzbetreiber erbringen neue Teilnehmer Beiträge zur Deckung der fixen Kosten, ohne daß bei gegebener Kapazität dafür zusätzliche Investitionen notwendig sind (die Grenzkosten zusätzlicher Nutzungen tendieren für den Betreiber gegen Null). Gleichzeitig erhöht sich der Nutzen des Netzes für alle Teilnehmer, weil deren Kommunikationsmöglichkeiten als aktive oder passive Teilnehmer verbessert werden. Die Größenvorteile von Netzen können nur bei einem entsprechend großen Verbraucherstamm („consumer base") verwirklicht werden. Richard A. Posner hat deshalb vorgeschlagen, diese spezifischen Größenvorteile („economies of scale") als Größenvorteile im Verbrauch zu kennzeichnen.3 Für den Wettbewerb in Netzen folgt daraus die schlechthin grundlegende Bedeutung, die dem Zugang zum Verbraucher in der New Economy zukommt. Die Technik der Übertragungswege und deren Kompatibilität mit den Empfangseinrichtungen beim Verbraucher bestimmen zugleich, welche Produkte auf diesem Wege vertrieben werden können. Der Wettbewerb der Anbieter wird zwar immer auch um die Kontrolle oder die Nutzung der Netze geführt. Über den Erfolg im Wettbewerb entscheiden jedoch die auf diesem Wege angebotenen Produkte. In der Medienwirtschaft geht es um Inhalte, also um Programme im weitesten Sinne. Die potentiellen Größenvorteile im Zugang zum Verbraucher können nachhaltig nur von Unternehmen genutzt werden, die über entsprechend breite und attraktive Programmressourcen verfugen. Aus dieser notwendigen unternehmerischen Verbindung von Übertragungstechnik und Empfangstechnik und den mit Hilfe dieser Technik angebotenen Produkten entstehen neue Anreize zur Konzentration: zur horizontalen Konzentration der Programmanbieter und zur vertikalen Konzentration mit den verschiedenen Verwertungsstufen.4 Netzwerkeffekte und vertikale Integration erhalten im Internet eine neue Qualität. Es handelt sich nämlich um Strukturen, die mit dem Netz nicht gegeben sind. Sie müssen vielmehr unter Berücksichtigung der tech3 4

Antitrust in the New Economy, Manuskript, August 2000. Näher dazu: Konzentrationsbcricht der KEK, S. 43 f.

358

II. Konzentrationsvorhaben

nischen Eigenarten des Netzes und der individuellen Wahlfreiheit der Teilnehmer entwickelt werden. In der Medienwirtschaft sind neue vertikale Verwertungsstufen nicht möglich, ohne zugleich Vorsorge für die Wahrung der Urheberrechte und die Erfassung neuer Nutzungen zu treffen. Deshalb ist es gegenwärtig ungewiß, welche unternehmerischen Nutzungen des Internet sich durchsetzen und zu neuen Strukturen führen werden. Davon hängt zugleich ab, welche Wettbewerbswirkungen vom Internet auf die „alte Ökonomie" ausgehen oder ausgehen werden.

II.

Konzentrationsvorhaben

Die EG-Kommission hatte Konzentrationsvorhaben von Großunternehmen der Medienwirtschaft nach der Fusionskontrollverordnung (FKVO) darauf zu prüfen, ob sie geeignet waren, eine beherrschende Stellung zu begründen oder zu verstärken.5 In diesen Verfahren waren die einleitend gekennzeichneten wirtschaftlichen und technischen Bedingungen in ihrer Bedeutung für die Musikwirtschaft zu würdigen. Im Fall Time Warner/EMI waren Gegenstand des Konzentrationsvorhabens die Unternehmensbereiche Tonträger und Musikverlag. Geplant war die Gründung von zwei Gemeinschaftsunternehmen. Ein in den USA zu gründendes Unternehmen sollte das Musikgeschäft in den USA, Kanada oder Japan, ein in Großbritannien zu gründendes Unternehmen das Musikgeschäft in Europa übernehmen. Time Warner bezeichnet sich als das führende Medienunternehmen der Welt. Zu den Unternehmensbereichen gehören außer Tonträgern und Musikverlagen das Fernsehen, der Verlag von Zeitungen und Büchern, die Produktion von Kino- und 5

Es handelt sich um die folgenden Zusammenschlußvorhaben 14.6.2000, Case No. COMP/M.1852, Time Warner/EMI; 19.6.2000, Case No. COMP/M.1845 America Online/Time Warner, endgültige Entscheidung vom 11.10.2000 (noch nicht veröffentlicht). 13.10.2000, COMP/M.2050 - Vivendi/Canal+/Seagram. Die Entscheidungen ergingen nach Art. 6 § l c FKVO, weil ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit der Vorhaben mit dem Gemeinsamen Markt bestanden. Das Vorhaben Time Warner/EMI wurde von den beteiligten Unternehmen aufgegeben. AOL/Time Warner wurde mit der Auflage gebilligt, daß die Bertclsmann-Bcteiligung an AOL aufzugeben war. Vivendi wurde unter der Auflage gebilligt, daß der nicht diskriminierende Zugang zum Musikrepertoire von Universal gewährleistet wurde. 359

12. Untcrnchmenskonzcntrationen und Urheberrechte

Fernsehfilmen sowie der Betrieb von Kabelnetzen. EMI ist weltweit hauptsächlich in den Bereichen Tonträger und Musikverlag tätig. Es bezeichnet sich als das drittgrößte Musikunternehmen der Welt.6 Die EG-Kommission hat das Zusammenschlußvorhaben unter Berücksichtigung des gleichzeitig angemeldeten Gemeinschaftsunternehmens von AOL/Time Warner geprüft. Die Verbindung von Time Warner mit AOL als dem weltweit größten Internet Service Provider hat die EG-Kommission im Hinblick auf Durchsetzung und Wirkung dieser vertikalen Integration im Internet geprüft. Der entsprechende Schwerpunkt kennzeichnet das Verfahren „Vivendi". In den genannten Verfahren werden die Wertschöpfungsstufen und der Wettbewerb in der Musikindustrie umfassend analysiert: der Erwerb von Urheberrechten durch Musikverlage und die Lizenzierung im Wege der kollektiven Verwertung; die Produktion der Tonaufnahmen bis hin zum Vertrieb des Produktes in körperlicher (Tonträger) und unkörperlicher (online) Form. Einbezogen ist insbesondere der Vertrieb urheberrechtlich geschützter Werke über das Internet. In der Würdigung der Kommissionsentscheidungen ist zu berücksichtigen, daß es sich um Verfahren handelt, die einvernehmlich oder durch einseitige Entscheidung der beteiligten Unternehmen beendet wurden. Im Fall Time Warner/EMI fehlt eine Stellungnahme der Beteiligten, weil sie das Vorhaben unter dem Eindruck der Kommissionsentscheidung aufgegeben haben. Gleichwohl sind die Kriterien wichtig, nach denen die EG-Kommission die Konzentrationsvorhaben geprüft hat. Ihre Bedeutung geht in wichtigen Beziehungen über die Einzelfälle hinaus. Das gilt insbesondere - für die Abgrenzung der relevanten Märkte einschließlich der Abgrenzung von Zukunftsmärkten; - für die Beurteilung der Marktverhältnisse im Internet, - schließlich für die Beurteilung der Unternehmenskonzentration in ihren Auswirkungen auf Urheberberechtigte und Verwertungsgesellschaften. Der Abgrenzung der relevanten Märkte kommt außer für die Fusionskontrolle ausschlaggebende Bedeutung für die Anwendbarkeit der Mißbrauchsaufsicht über beherrschende Unternehmen zu (Art. 82 EGV). Die Näher dazu Reid, Note: Content and Broadband and Service, 26 J. Legis. 377 ff., der die geplante Fusion aus der Perspektive des amerikanischen AntitrustRechts analysiert. 360

III. Märkte für die Leistungen von Musikverlagcn

Abgrenzungskriterien der Fusionskontrolle und der Mißbrauchsaufsicht entsprechen sich nicht vollständig. In der präventiven Fusionskontrolle als Marktstrukturkontrolle kommt der zukünftigen Entwicklung der Wettbewerbsverhältnisse besondere Bedeutung zu. Insbesondere sind hier in die Marktabgrenzung dynamische Elemente einzubeziehen. Maßgeblich ist, wie sich die betroffenen Märkte in der Zukunft und mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickeln werden. 7 Es ist ein Kennzeichen der New Economy, daß in die Prüfung von Zusammenschlußwirkungen auch Zukunftsmärkte einzubeziehen sind.8 Die beherrschende Stellung wird in zwei Schritten ermittelt: Die Marktverhältnisse, die für den Verhaltensspielraum des zukünftigen Unternehmens in Betracht zu ziehen sind, ergeben sich aus den relevanten Produktmärkten und den räumlichem Märkten. 9 Auf dieser Grundlage ist sodann zu entscheiden, ob zu erwarten ist, daß das Unternehmen über einen vom Wettbewerb nicht oder nur unzureichend kontrollierten Vcrhaltensspielraum verfügt.

III.

Märkte für die Leistungen von Musikverlagen

Die EG-Kommission nimmt an, daß der Zusammenschluß von Time Warner/EMI zu beherrschenden Stellungen des zusammengeschlossenen Unternehmens auf mehreren relevanten Märkten des Musikverlagsgeschäfts führen werde. Das Musikverlagsgeschäft wird von der Kommission gekennzeichnet als Erwerb und Verwertung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten. Daraus folgen die wesentlichen Tätigkeiten: Die Entdeckung von Autoren, deren künstlerische und finanzielle Unterstützung, der Rechtsschutz des Werkes, die kommerzielle Auswertung des Werkes und die Verwaltung der Ursprungsrechte des Autors, insbesondere die Einziehung der Vergütungen. Die wichtigsten Einnahmen entfallen auf die Einziehung der Vergütung für die Nutzung der Werke, insbesondere auf die Vergütungen für die mechanischen Rechte, die 7 8

9

Immenga, in: Immenga/Mcstmäcker, EG-Wcttbewerbsrecht, Bd I 1997, FKVO Art. 2, Rn. 39. Dazu Mestmäckcr, Alte Monopole und neue Märkte in der Telekommunikation, in: Krusc/Maier (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik, Festschrift für Kantzenbach, 1996, S. 167 ff. Dazu Bekanntmachungen der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbcwerbsrechts der Gemeinschaft, ABI. C 372 v. 9.12.1997.

361

12. Unternehmenskonzcntrationen und Urheberrechte

Filmrechte („synchronisation right") und die Aufführungsrechte. Der größte Teil dieser Tätigkeiten sei Verwertungsgesellschaften übertragen. Die Musikverleger erzielten mehr als drei Viertel der weltweiten Verlagsumsätze mit Hilfe von Verwertungsgesellschaften (Nr. 68). Die Kommission läßt unentschieden, ob den Verlegern oder den Verwertungsgesellschaften die Wahrnehmung der Urheberrechte übertragen ist, welche die Online-Nutzung zum Gegenstand haben. Sicher sei, daß den Berechtigten bei unberechtigter Nutzung ihrer Werke im Internet ein Verbotsrecht zustehe (Nr. 69).10

1.

Produktmärkte

Die beteiligten Unternehmen machten geltend, es bestehe ein einheitlicher relevanter Markt für die Gesamtheit der musikverlegerischen Tätigkeiten. Die Kommission ist dem nicht gefolgt. Die Nutzung der Urheberrechte finde auf verschiedenen relevanten Märkten statt. Aus Sicht der Nachfrager seien die verschiedenen Nutzungsrechte nicht substituierbar. Aber auch aus der Sicht der Anbieter bestünden verschiedene Märkte für mechanische Rechte, Aufführungsrechte, Filmrechte und die im Verfahren außer Betracht bleibenden Notenrechte. Dabei stützt sich die Kommission insbesondere auf die unterschiedlichen, auf Grundlage des Tarifsystems der Verwertungsgesellschaften praktizierten Vergütungssätze.11 Bei der Online-Verwertung sei der Markt für die Lizenzierung des Vertriebs von dem Markt für die Nutzung der online übermittelten Werke durch die Endnutzer zu unterscheiden. Ähnlich wie bei Tonträgern komme eine weitere Unterscheidung der Produktmärkte für klassische 10

11

Siehe dazu Art. 3 Abs. l sowie Erwägungsgrund 25 des Gemeinsamen Standpunktes (EG) Nr. 48/2000 vom 28.9.2000 im Hinblick auf den Erlaß (...) der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABI. EG 2000 Nr. C 344, l ff. Zur Rechtsentwicklung näher Kreile/Becker. Rechtedurchsctzung und Rechteverwaltung durch Verwertungsgesellschaften in der Informationsgesellschaft, GEMA Jahrbuch 2000/2001, S. 84-109. Die GEMA hat sich die Online- und Multimedia-Rechte von den Mitgliedern durch den Bercchtigungsvertrag i. d.F. vom 19. Juli 1996 übertragen lassen. Noch weitergehend Conseil de la Concurrence, die jedem einzelnen, durch einen gesonderten Tarif erfaßten Nutzungssachverhalt einen eigenen Markt zuordnet, Schulze, RzU, Ausl., Frankr. 36, S. 35 f.

362

III. Märkte für die Leistungen von Musikverlagen

Musik und Pop-Musik in Betracht. Die Frage könne jedoch offen bleiben, weil eine genaue Zuordnung schwierig sei und der Erwerb und die Verwertung von Nutzungsrechten in der Regel spartenübergreifend stattfinde. Letztlich unentschieden bleibt ferner, ob getrennte Märkte für nationales und internationales Repertoire anzunehmen sind, wobei das anglo-amerikanische Repertoire (Großbritannien, Irland, USA, Kanada, Australien, Neuseeland) als internationales Repertoire bezeichnet wird. Eine beherrschende Stellung des zusammengeschlossenen Unternehmens sei unabhängig davon zu erwarten, ob man die genannten Märkte getrennt oder ob man sie als einen einheitlichen Markt behandele.

2.

Räumliche Märkte

Zwischen den beteiligten Unternehmen und der Kommission war streitig, ob es sich im Musikverlagsgeschäft um einen Weltmarkt, um einen europaweiten Markt oder um nationale Märkte handelt. Obwohl Musikverlagsverträge regelmäßig alle Werke eines Autors für die ganze Welt zum Gegenstand haben, nimmt die Kommission an, daß für die Verwertung der Urheberrechte nationale Märkte bestünden. Die Verwertung der Nutzungsrechte, insbesondere die Festlegung der Vergütung, erfolge nämlich durch nationale Verwertungsgesellschaften. Bei den mechanischen Rechten würde das Vergütungsniveau zwar in Verhandlungen zwischen BIEM und IFPI festgelegt. Die Einziehung der Vergütungen und ihre Verteilung blieben aber überwiegend national bestimmt. Zu demselben Ergebnis kommt die Kommission für die Online-Verwertung von Aufführungsrechten. Mangels eines europaweiten Nutzungsrechts für die Online-Verwertung sei auch hier von nationalen Märkten auszugehen. Eine rechtmäßige Nutzung sei nur möglich, wenn das Nutzungsrecht in dem Staat erworben werde, wo die Vergütungspflichtige Tätigkeit stattfinde.

3.

Entstehen oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung

Wichtigstes Indiz für eine beherrschende Stellung sind in der Regel die Anteile eines Unternehmens am relevanten Markt. Sie werden anhand der Umsätze ermittelt, die auf dem relevanten Markt erwirtschaftet 363

12. Untcrnchmcnskonzcntrationen und Urheberrechte

werden. Die Aussagekraft von Marktanteilen für die vom Wettbewerb nicht kontrollierten Verhaltensspielräume ist jedoch in Abhängigkeit von den Eigenarten der Märkte verschieden. Wegen der Besonderheiten der Lizenzierung von Urheberrechten an Werken der Musik hielt es die Kommission für notwendig, die Marktanteile anhand einer Kombination von Umsatz und Zahl der kontrollierten Nutzungsrechte zu ermitteln. Selbst die so abgegrenzten Marktanteile genügen nach Ansicht der Kommission nicht, um die vom Wettbewerb nicht kontrollierten Verhaltensspielräume zutreffend zu beurteilen. Ergänzend zu berücksichtigen seien das internationale Repertoire, das Gewicht der Altrechte (Kataloge) und die Finanzkraft. Zu den Bestimmungsgründen einer beherrschenden Stellung gehören ferner die Bedingungen für den Zugang zum Markt sowie die von den Nachfragern ausgeübte gegengewichtige Marktmacht. a)

Marktanteile

Die beteiligten Unternehmen wollten die Marktanteile anhand der Vergütungen berechnen, die von den Verwertungsgesellschaften an die Gesamtheit ihrer Mitglieder ausgeschüttet werden. Die Kommission legte dagegen zutreffend nur die an die Musikverlage ausgeschütteten Beträge zu Grunde. Marktanteile sollen das Potenzial kennzeichnen, über das ein Unternehmen im Wettbewerb verfügt. Im Verhältnis der Verleger zu den Autoren besteht aber kein Wettbewerbsverhältnis. Auf der Grundlage der an die Verlage ausgeschütteten Beträge ermittelt die Kommission „basic market shares". Ergänzend berücksichtigt sie die auf Teilberechtigungen entfallenden Vergütungen, weil die Verfügung über die Nutzung des Werkes die Zustimmung des Berechtigten voraussetze und ihm damit eine umfassende Kontrolle über die wirtschaftliche Verwertung der geschützten Werke möglich sei. Um diese Berechnung zu ermöglichen, hatten die „majors" der Kommission die auf die 200 ertragreichsten Werke entfallenden Vergütungen und die dabei anzutreffenden Teilberechtigungen mitzuteilen (Nr. 104). Der auf Teilberechtigungen entfallende Umsatz wurde den ausgeschütteten Beträgen prozentual zugeschlagen. Daraus ergaben sich die „korrigierten Marktanteile" („corrected market shares"). Anhaltspunkte für die Marktstellung des zusammengeschlossenen Unternehmens ergaben sich ferner daraus, daß der korrigierte Marktanteil beim mechanischen Recht dreimal größer war als der des nächsten Wettbewerbers im europäischen Wirtschaftsraum im ganzen und mehr als 364

III. Märkte für die Leistungen von Musikvcrlagen

doppelt so hoch in den einzelnen Mitgliedstaaten (Nr. 106). Ähnliche Relationen bestehen bei den Aufführungsrechten. Die Kommission nimmt an, daß selbst diese „sehr hohen Marktanteile", die in der Größenordnung von 30 bis 40% angegeben werden, die Marktmacht des zusammengeschlossenen Unternehmens unterschätzen. b)

Repertoire

Eigenständige Bedeutung mißt die Kommission der Verfügung über das internationale Repertoire bei. Das Gesamtaufkommen aus dem angloamerikanischen Repertoire war bei den beteiligten Unternehmen dreimal höher als das des nächsten Wettbewerbers. Dabei wurde das Aufkommen in allen Staaten zu Grunde gelegt, in denen die beteiligten Unternehmen tätig sind. Die daraus folgende Marktstellung verleihe dem zusammengeschlossenen Unternehmen die Eigenschaft eines „unvermeidlichen" Geschäftspartners („unavoidable trading partner") im Verhältnis zu den Autoren, den Nutzern und den Verwertungsgesellschaften (Nr. 111). Die maßgeblichen strategischen Vorteile folgten aus dem Angebot eines potentiellen „One-stop-shop". Das zusammengeschlossene Unternehmen sei nicht mehr auf die kollektive Wahrnehmung der mechanischen Rechte und der Aufführungsrechte angewiesen. Das werde zu einer bisher nicht gekannten Marktmacht in der Verfügung über das internationale Repertoire führen (Nr. 111). Eine weitere Verstärkung der Marktstellung des zusammengeschlossenen Unternehmens folgert die Kommission aus dem Umfang der Altrechte (Katalog). Sie stellten ein verlässliches Vergütungsaufkommen sicher und verringerten damit das mit dem Erwerb von neuen Rechten verbundene, besonders hohe Verwertungsrisiko. Obwohl die Zahl der geschützten Rechte keine zureichende Grundlage für die Ermittlung der Marktanteile darstelle, erlaubten die Kataloge doch Rückschlüsse auf die Marktstärke des Unternehmens. Die Tiefe und Breite der Kataloge übertreffe bei weitem die der anderen „majors". Der Katalog des zusammengeschlossenen Unternehmens werde umfangrcifer sein als der aller anderen „majors" (Nr. 114). Auch dieser Umstand trage dazu bei, daß das Unternehmen ein unvermeidlicher Geschäftspartner sein würde und in der Lage wäre, ohne die Vermittlung von Verwertungsgesellschaften die wichtigsten mechanischen Rechte und Aufführungsrechte direkt zu lizenzieren.

365

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte

c)

Finanzkraft

Im Wettbewerb der Musikverlage komme der Finanzkraft wegen der hohen Risiken des Verlagsgeschäfts hervorgehobene Bedeutung zu (Nr. 117). Sie sei maßgeblich für den Risikoausgleich, für die Fähigkeit, Autoren durch Vorschüsse zu finanzieren, schließlich für die Möglichkeit des Erwerbs von erfolgreichen, unabhängigen Verlagen. Ein besonders wichtiger Wettbewerbsfaktor sei die Zahlung von Vorschüssen an Textdichter oder Komponisten. In diesem Bereich begründe die Finanzkraft12 die Fähigkeit, die Kosten der Wettbewerber zu erhöhen. Diese seien nämlich gezwungen, in die den Autoren gebotenen Bedingungen einzutreten und seien dazu gerade deshalb immer weniger in der Lage (Nr. 118).

d)

Zugang zum Markt

Die Stärke und Bestandskraft einer Marktstellung hängt wesentlich von den Bedingungen ab, unter denen neue Wettbewerber in den Markt eintreten können. Trotz der kaum übersehbaren Zahl von Musikverlagen, die nicht selten von Komponisten für die Verwertung ihrer eigenen Produkte gegründet werden, nimmt die Kommission an, daß davon auf der Ebene der „majors" keine wesentlichen Wettbewerbswirkungen ausgehen. Die Größenvorteile der „majors" könne ein neu in den Markt tretendes Unternehmen nur schwer erreichen. Es fehle an Wettbewerbern, die in der Lage seien, mit den „majors" auf gleicher Ebene zu konkurrieren. e)

Gegengewichtige Marktmacht durch Verwertungsgesellschaften

Gegengewichtige Marktmacht gehört in der Musikwirtschaft zu den die Marktstruktur bestimmenden Merkmalen. Der EuGH hat darin eine wichtige Funktion von Verwertungsgesellschaften gesehen. Für die Wahrung der Rechte ihrer Mitglieder komme es darauf an, deren Rechte und 12

Allein das von den Verwcrtungsgcsellschaften an das zu gründende Gemeinschaftsunternehmen ausgeschüttete Vcrgütungsvolumen aus dem mechanischen Vervielfältigungsrecht und dem Aufführungsrecht würde die Summe der vergleichbaren Tantiemen aller anderen drei Majors übersteigen, EMI/ Time Warner, Ziff. 116.

366

III. Märkte für die Leistungen von Musikverlagen

Interessen gegenüber bedeutenden Musikverbrauchem, insbesondere Rundfunkanstalten und Tonträgerherstellern, zu wahren. Um diese Rechte und Interessen wirkungsvoll wahrnehmen zu können, müsse die Vereinigung über eine Stellung verfugen, die voraussetze, daß die angeschlossenen Urheber ihre Rechte an diese abtreten, soweit es notwendig sei, „um ihrer Tätigkeit das erforderliche Volumen und Gewicht zu verleihen".13 Angesichts der fortschreitenden Konzentration in der Musikwirtschaft hat die Kommission neue Konfliktsituationen analysiert und zusätzliche Aufgaben der Verwertungsgesellschaften anerkannt. Im Fall Time Warner/EMI hebt die Kommission hervor, daß das zusammengeschlossene Unternehmen angesichts der Größe seines Repertoires in der Lage sei, seine Rechte direkt zu lizenzieren und deren Nutzung zu kontrollieren. Das treffe jedenfalls für die Verwertung des mechanischen Rechts gegenüber der Tonträgerindustrie und für das Aufführungsrecht gegenüber den Rundfunkveranstaltern zu (Nr. 130). Diese Werknutzer bezeichnet die Kommission als „large scale user". Die Wahrnehmung des mechanischen Vervielfältigungsrechts ebenso wie die des Senderechts ist im Vergleich zur Kontrolle des Aufführungsrechts erheblich kostengünstiger durchzuführen. Dies gilt im Hinblick auf die vor- wie auch auf die nachvertraglichen Transaktionskosten. Angesichts der begrenzten Anzahl von Lizenznehmern und der Art und Weise der Vergütungspflichtigen Nutzungen sind die Anforderungen an das Vertrags- wie auch an das Kontrollnetzwerk geringer als in anderen Bereichen. Werde der Anteil des zusammengeschlossenen Unternehmens am Vergütungsaufkommen den Verwertungsgesellschaften entzogen, so belasteten die Wahrnehmungskosten, die überwiegend Fixkosten sind, ein geringeres Vergütungsaufkommen. Die Alleinstellung des zusammengeschlossenen Unternehmens werde deshalb dazu führen, daß sich die Kosten der Wahrnehmung für die Verwertungsgesellschaften und damit auch für diejenigen Wettbewerber erhöhten, die auf deren Leistungen angewiesen seien. Im Verhältnis zu den Musiknutzern sei das beherrschende Unternehmen in der Lage, seine Marktmacht unmittelbar zur Geltung zu bringen. Die Bedeutung der von Verwertungsgesellschaften ausgeübten gegengewichtigen Marktmacht zeigt sich, wenn man eine Situation annimmt, 13

27.3.1974, BRT ./. Phoneo und SABAM, Slg. 1974, 313, Ziff. 9-11. 367

12. Untcrnehmenskonzentrationcn und Urheberrechte

wie sie bei Direktlizenzierung durch Großverlage entstehen würde. Verwertungsgesellschaften starken die Wettbewerbsfähigkeit der selbständigen Verlage. Sie gewährleisten zugleich den Schutz der Urheberberechtigten, die ihre Rechte nicht auf den beherrschenden und allein lizenzierenden Verlag übertragen. In der amerikanischen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht im CBS-Fall hervorgehoben, wie unrealistisch die Annahme sei, daß ein einzelner Urheber gegenüber dem größten Musikverlag der Welt eine wirkliche Wahlfreiheit habe, wenn ihm etwa die Aufführung seiner Werke im Rundfunk in Aussicht gestellt werde.14 Auch die Kommission erkennt das öffentliche Interesse an der wirksamen und gleichmäßigen Wahrung der Rechte der Urheber durch Verwertungsgesellschaften an. Der Risiko- und Kostenausgleich, den Verwertungsgesellschaften bewirken, wird von der Kommission nicht als wettbewerbswidrige Quersubventionierung verworfen. Vielmehr wird die Möglichkeit des beherrschenden Verlages, mittelbar die Kosten der Verwertungsgesellschaft und ihrer verbleibenden Mitglieder durch Direktlizenzierung zu erhöhen, als schädliche Wirkung der Konzentration festgestellt. Auch die Interessen der Musiknutzer sieht die Kommission bei Verwertungsgesellschaften in besseren Händen als bei einem direkt lizenzierenden Großverlag.

IV.

Vertikale Integration im Internet

1.

Marktstruktur und Marktverhalten

Die Liberalisierung in der Telekommunikation hat in Verbindung mit der technischen Entwicklung zu neuen Erscheinungsformen der vertikalen Integration in der Medienwirtschaft geführt. Im Rahmen der Fusionskontrolle kann ein Zusammenschluß untersagt werden, der infolge erhöhter vertikaler Integration zur Verstärkung einer beherrschenden Stellung führt. Konflikte mit den Erfordernissen wirksamen Wett14

368

„... we have some difficulty even contemplating the feared situation of individual songwriters displaying reluctance to arrange to have their songs performed on a national television network, especially one owned by the giant of the world in the use of music rights." CßS v. ASCAP, 620 F.2 d. 931, 938 (2nd Cir. 1980) mit Verweis auf das crstinstanzlichc Urteil CBS v. ASCAP, 400 F.Supp. 737, 771, 779 (S.D.N.Y 1975).

IV. Vertikale Integration im Internet

bewcrbs entstehen dort, wo das integrierte Unternehmen auf einer oder mehreren Wirtschaftsstufen über beherrschende Stellungen verfugt. Bei dieser Marktlage sind die geringer integrierten Unternehmen von dem beherrschenden Unternehmen abhängig, wenn sie für den Bezug ihrer Vorprodukte oder im Vertrieb auf dessen Leistungen angewiesen sind. Diese Situation ist besonders dort anzutreffen, wo Leistungen über Leitungsnetze erbracht werden und der Netzbetreiber über eine Alleinstellung oder eine beherrschende Stellung verfügt. Aus der Sicht der Wettbewerber spricht man bei einer besonders starken Stellung des vertikal integrierten und beherrschenden Unternehmens von einer „essential facility".13 In den hier besprochenen Entscheidungen verwendet die EGKommission den neuen Begriff des „unvermeidlichen Geschäftspartners". Die Alternative zur Untersagung des Zusammenschlusses besteht in diesen Fällen darin, das beherrschende Unternehmen durch Auflagen zu verpflichten, marktausschließendes oder diskriminierendes Verhalten zu unterlassen. Hier berührt sich die Fusionskontrolle mit der Mißbrauchsaufsicht. Die Wahl zwischen einer präventiven Strukturkontrolle und einer nachträglich wirkenden Verhaltenskontrolle gehört zu den umstrittenen Grundsatzfragen der Wettbewcrbspolitik. Eines der wichtigsten Argumente für die präventive Strukturkontrolle sind die Schwierigkeiten, Verhaltenspflichten gegen Unternehmen durchzusetzen, die gezwungen werden sollen, die eigenen Wettbewerber zu fördern. Die FKVO enthält keine §§40 Abs. 3, 42 Abs. 2 GWB entsprechende Vorschrift, wonach Auflagen im Rahmen der Fusionskontrolle nicht darauf gerichtet sein dürfen, die beteiligten Unternehmen einer laufenden Vcrhaltenskontrolle zu unterstellen. Gleichwohl folgt aus dem Zweck der Fusionskontrolle, daß auch im europäischen Recht Grenzen für verhaltensbestimmende Auflagen bestehen. Ein Zusammenschluß, der zu einer beherrschenden Stellung führt und zu untersagen ist, wird nicht dadurch genehmigungsfähig, daß sich das Unternehmen verpflichtet, seine beherrschende Stellung nicht zu mißbrauchen. 16 Jenseits der eindeutigen Abgrenzung von Fusionskontrolle und Mißbrauchsaufsicht sind die Grenzen zulässiger Auflagen im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 FKVO jedoch unscharf. So hat das Gericht erster Instanz entschieden, strukturorientierte Verpflichtungen verdienten zwar den Vorzug; nicht ausgeschlossen 15

16

Überblick bei Mestmäckcr/Schweitzer, Nctzwettbcwcrb, Netzzugang und „Roaming" im Mobilfunk, 1999, S. 67-72. EuG 25.3.1999, Gcncor./. Kommission, Slg. 1999 II 759, Rn. 317.

369

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte

sei es jedoch, daß auch verhaltensbestimmende Verpflichtungen im Einzelfall geeignet sein könnten, die Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung zu verhindern.17 Die Eigenart des Problems folgt aus der Schwierigkeit, anhand der geplanten Markt- und Unternehmensstruktur zu prognostizieren, mit welchem Marktwirkungen zu rechnen ist. Die in Zusammenschlußverfahren übliche Versicherung der Unternehmen, man werde von den neuen strategischen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen, ist insoweit in sich widersprüchlich, als es in der Regel diese strukturellen Vorteile sind, die den Zusammenschluß lohnend erscheinen lassen. Die Prognose der Zusammenschlußwirkungen begegnet zusätzlichen Schwierigkeiten, wenn es sich um Märkte handelt, die in der Entwicklung begriffen sind.18 Für diese Fälle ist charakteristisch, daß finanzstarke Unternehmen, die auf ihren Märkte über starke Stellungen verfügen, der durch neue Techniken möglich werdenden potentiellen Konkurrenz zuvorkommen möchten. Für die Entwicklung der Medienmärkte und der Wettbewerbsbedingungen kommt der Kombination von Programmressourcen, Zugang zu den Übertragungs- bzw. Vertriebswegen und Zugang zum Empfänger (Letztverbraucher) eine Schlüsselrolle zu. Vor dem Hintergrund sinkender Kommunikationskosten kommt es für die dauerhafte Erschließung des Marktes darauf an, die Attraktivität des Programmangebots zu verbinden mit der Kompatibilität der Sende- und Empfangstechniken. Dies unterstreicht die Bedeutung der Urheberrechte, die eine umfassende Verfügungsbefugnis über die Inhalte sicherstellen.

2.

Internet

a)

Märkte

Die genannten Fragen stellen sich in prinzipiell gleicher Weise für Unternehmen, die das Internet für das Online-Angebot urheberrechtlich l? Ebd., Rn. 319. 18

In dem Verfahren „Media Service" (vergl. oben Fn. 2) definierte die EG-Kommission als Zukunftsmärkte die neue Infrastruktur, welche die technische, betriebliche und administrative Abwicklung von überwiegend entgeltfinanziertem Fernsehen und anderen Kommunikationsdiensten einschließlich der Zugangskontrolle und des Kundenmanagements umfaßt.

370

IV. Vertikale Integration im Internet

geschützter Programme nutzen wollen.19 Die für die zukünftige Entwicklung wahrscheinlich wichtigste und gleichzeitig mit den größten Unsicherheiten behaftete Prognose der EG-Kommission betrifft die Abgrenzung relevanter Märkte und die Entstehung beherrschender Stellungen im Zugang zum Internet und im Angebot von Programmen über das Internet. Obwohl die in Betracht zu ziehenden relevanten Produktmärkte noch im Entstehen begriffen sind, hält es die EG-Kommission für möglich, daß die Unternehmen, die im traditionellen Musikverlagsgeschäft beherrschend sind, ihre Position im Zusammenwirken mit einem beherrschenden Service Provider auf das Internet übertragen könnten. In der Wirtschaftspresse hat man deshalb von der „Regulierung des Unbekannten" gesprochen.20 Schlüsselstellungen seien auf zwei getrennten Märkten zu erwarten: auf dem Markt für die Verbreitung von Musik über das Internet und für die Software, die beim Empfänger die Musiknutzung ermöglicht („player software"). Das Online-Musikgeschäft umfaßt nach den Feststellungen der Kommission die folgenden Aktivitäten: - „Downloading", d. h. die entgeltliche Übertragung von Musikdateien an den Endnutzer, der diese sodann in verschiedener Form nutzen kann; - die Übertragung von Musik in Echtzeit („streaming"). Die beteiligten Unternehmen nahmen einen einheitlichen relevanten Markt für Tonträger und über das Internet verfügbare Musik an („downloadable music"). Die Kommission entschied sich dagegen für einen selbständigen relevanten Internetmarkt. 21 Die Nachfrager hätten über jeden Computer mit einem Internetanschluß direkten Zugriff auf die Musik. Die Nutzung könne auf bestimmte Einzelwerke und Ausschnitte von Einzelwerken beschränkt werden. Es sei möglich, individuelle Kompilationen zu schaffen. Dafür sei eine gesonderte Software zur Nutzung der gespeicherten Musik notwendig. Auch die Angebotsseite unterscheide sich grundlegend von der traditionellen Herstellung und dem Vertrieb von Tonträgern. 19

20

21

Musik ist für die schmalbandige nctzvermittelte Verbreitung besonders geeignet, weil das Vorprodukt (die Aufnahme) bereits in digitalisierter Form vorliegt und dadurch erheblich Konverticrungskosten eingespart werden. Financial Times vom 7. September 2000, HargreavesfWatm/Harding, Regulating the unknown. So auch in der Entscheidung vom 13.10.2000, COMP/M.205O - Vivendi/ Canal+/Seagram, Ziff. 26. 371

12. Unternchmenskonzentrationen und Urheberrechte

Die Übertragung in Echtzeit („streaming") vergleicht die EG-Kommission mit einer virtuellen Jukebox. Diese Art der Nutzung werde bisher zwar unentgeltlich gestattet. Es bestünden jedoch konkrete Pläne, die Nutzung Abonnenten vorzubehalten. „Downloadable music" und „Streaming music" werden zu einem relevanten Markt zusammengefaßt. Die Abgrenzung eines besonderen Marktes für die Online-Verbreitung von Musik über mobile Netzwerke, insbesondere über WAP-fähige Handys, sieht die Kommission in der Entscheidung Vivendi/Canal +/Seagram angesichts der dazu notwendigen und zur Zeit nicht verfügbaren Übertragungskapazitäten als verfrüht an (Nr. 32). Auch das Vorhandensein einer entsprechenden Nachfrage sei momentan unklar. Gleiches gilt für den ebenfalls im Entstehen begriffenen Markt für den Download von breitbandigen Inhalten, insbesondere Filmen (Nr. 55). Von den Märkten für Online-Musik („content") zu unterscheiden ist der Markt für Empfängersoftware („player software"). b)

Beherrschende Stellungen

Die Kommission nimmt an, daß AOL/Time Warner infolge der beherrschenden Stellung im Angebot von geschützter Musik und infolge der technischen Vorherrschaft von AOL in der Übertragungstechnik und in der Empfängersoftware in der Lage sei, diese beherrschenden Stellungen auf den entstehenden Markt für Online-Musikvertrieb zu erstrecken. Nach der zunächst geplanten Fusion zwischen EMI und Time Warner hätte das Unternehmen die Kontrolle über ein weltweit einzigartiges Repertoire erlangt, das nahezu die Hälfte der weltweit geschützten Musikwerke und insbesondere des wirtschaftlich besonders bedeutsamen anglo-amerikanischen Repertoires umfaßt. Neben dem Repertoire von EMI und Warner Music Group wäre auf Grund der strukturellen Kooperation von AOL und Berteismann darüber hinaus der Zugang zu den Urheberrechten der Bertelsmann Music Group gewährleistet. Damit hätte AOL als Anbieter von Online-Diensten exklusiv auf das Repertoire von drei der fünf Majors zurückgreifen können. Urheberrechtlich läßt die Kommission zwar offen, welche Rechte bei der Internetnutzung im einzelnen betroffen sind und wem sie zustehen. In jedem Fall sei jedoch die Zustimmung der Rechteinhaber notwendig, die diese Rechte in der Regel auf einen Musikverlag übertragen würden. Aus der beherrschenden Stellung auf den Märkten für Tonträger- und Auf372

IV. Vertikale Integration im Internet

führungsrechte folge eine vergleichbare Stellung auf dem Markt für die Rechte der Online-Verbreitung. Diese Stellung im Wettbewerb werde durch die herausragende Vertriebsstärke von AOL gefestigt. AOL gilt als weltweit größter Anbieter von umfassenden Internet-Dienstleistungen. Neben dem Zugang zum Internet bietet AOL über sein Portal ein breit gefächertes Angebot von speziellen Diensten an. Mit seinem „instant messaging"-Dienst kann es auf einen Kundenstamm von über 130 Millionen registrierten Nutzern zurückgreifen22; allein das US-amerikanische Portal von AOL zählt mit weit über 59 Millionen Besuchern zu der beliebtesten Website in den USA. Erst durch die hohe Qualität der von Time Warner eingebrachten Inhalte wird darüber hinaus eine langfristige Kundenbindung erreichbar. Auf diese Weise würde das zusammengeschlossene Unternehmen über ein dominierendes Netzwerk zum Vertrieb eigener Inhalte, insbesondere von Musik, verfügen. Auch konkurrierende Anbieter, insbesondere Tonträgerhersteller, seien gezwungen, AOL als Plattform für den Online-Vertrieb ihrer Titel zu nutzen. Es sei mit einer „essential facility" in den Händen von AOL für den Vertrieb von Internetmusik zu rechnen. Es bestehe die Gefahr, daß AOL seine beherrschende Stellung mißbrauche und konkurrierenden Tonträgerherstellern den Zugang zum eigenen Vertriebsnetz überhaupt nicht oder nur zu unangemessenen Bedingungen gewähre. Zu berücksichtigen war darüber hinaus die Fähigkeit und der erklärte Wille des geplanten Gemeinschaftsunternehmens, technische Standards für die Nutzung proprietärer Software-Systeme durchzusetzen. Zitiert wird die Unternehmensstrategie von AOL/Time Warner: „Es kommt darauf an, Standards für den digitalen Download-Vertrieb von Musik und deren Rechtsschutz zu schaffen und den AOL-Kunden die dafür notwendige Technik zur Verfügung zu stellen („to deploy functionality"), um die kritische Massenakzeptanz zu erreichen." Angesichts der Verfügungsbefugnis über das weltweit größte Musikrepertoire und der Vertriebsstärke von AOL wäre das zu gründende Unternehmen nach Einschätzung der Kommission in der Lage, diese Standards 22

Bei der FCC ist mittlerweile ein Verfahren anhängig, mit dem Konkurrenten wie Microsoft versuchen, die Interoperabilität des Systems mit anderen Kommunikationstechnologien zu erreichen, vgl. New York Times vom 18.12.2000. 373

12. Unternehmenskonzcntrationen und Urheberrechte

tatsächlich gegenüber konkurrierenden Herstellern durchzusetzen. Dies gelte sowohl für die Formatierungs- wie auch für die Empfangstechnik. Danach könnte das Unternehmen seine eigenen Musik-Dateien in der Weise formatieren, daß sie nur von der eigenen Empfangstechnik („player software") gelesen werden könnten. Konkurrierende Empfangstechniken seien dann nicht mehr in der Lage, diese Musik abzuspielen (Nr. 56). Umgekehrt sei das Unternehmen in der Lage, konkurrierende Anbieter von player Software zu veranlassen, die Formate konkurrierender Tonträgerhersteller nicht zu unterstützen. Es genüge bereits die Drohung, die eigene Formatierungstechnik nicht zu lizenzieren. Auf diese Weise werde die Kontrolle über die Inhalte mit einer Kontrolle über die technischen Standards verknüpft.23

3.

Gefestigte Stellung im Internet

Ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung für die Lizenzierung der Internetrechte innehabe und gleichzeitig über ein weit verzweigtes Vertriebsnetz sowie über die technischen Kapazitäten verfüge, könne Sendetechnik, Empfangstechnik und Inhalte („content") so aufeinander abstimmen, daß eine dauerhafte Kundenbindung („stickiness") erreichbar sei (Nr. 162). Die proprietäre Formatierung der Inhalte in Verbindung mit der proprietären Musiksoftware beim Empfänger lasse die Entstehung einer weltweit beherrschenden Stellung erwarten. Das neue Unternehmen gewinne damit die Rolle des „gatekeepers" und könne die Bedingungen für die Verbreitung von Musik über das Internet diktieren. Es bestehe die Gefahr, daß das Unternehmen konkurrierenden Anbietern von musikalischem Online-Vertrieb das eigene Repertoire überhaupt nicht oder nur zu unangemessenen Bedingungen zur Verfügung stelle.24 23

24

In letzterer Hinsicht brauche das Unternehmen auch keine Konkurrenz von anderen „majors" zu fürchten. Es sei angesichts fehlender technischer Ressourcen und eines zu kleinen Repertoires nicht zu erwarten, daß diese eigene proprietäre Empfangcrsoftware etablieren könnten (Nr. 56). Eine ähnliche Problematik ergab sich im Fall Vivcndi/Canal+/Seagram. Die beherrschende Stellung folgte aus der Verknüpfung von attraktiven, urheberrechtlich geschützten Inhalten von Universal mit der Verfügung über digitale Netzwerke und der damit verbundenen Vertriebsstärke. Die Kommission billigte den Zusammenschluß, nachdem sich Universal verpflichtet hatte,

374

V. Märkte für Tonträger

Gleichzeitig bestehe die bereits erwähnte Gefahr, daß konkurrierenden Tonträgerherstellern der Zugang zum Vertriebsnetz erschwert oder verweigert werde. Neben dieser unmittelbaren Behinderung von Wettbewerbern auf der vorgelagerten Wirtschaftsstufe sei zu befürchten, daß AOL durch technische Einrichtungen subtilere Formen der Diskriminierung einsetze. Damit ist die Strategie des „walled garden" angesprochen.23 Die digitale Netztechnik erlaubt es einem Service Provider die Angebote eigener Dienstleistungen den Nutzern bevorzugt anzubieten und umgekehrt Verknüpfungen zu konkurrierenden Dienstleistungen zu blockieren, ohne daß dies für den Kunden erkennbar wird. Je mehr Inhalte AOL erwerbe, desto geringer werde der Anreiz für die Kunden, sich diesem geschlossenen System zu entziehen. Im Verfahren AOL/Time Warner erhob die Kommission keine Bedenken im Hinblick auf den Markt für breitbandigen Internetzugang, weil die Unternehmen auf den europäischen Märkten über kein eigenes Breitbandnetz verfügen. Diese Problematik bildet den Kernpunkt des USamerikanischen Genehmigungsverfahrens. Die Federal Trade Commission (FTC) beabsichtigt, das Zusammenschlußvorhaben unter weit reichenden Auflagen zu genehmigen. Die Auflagen sollen den diskriminierungsfreien Zugang zu den Kabelnetzen von Time Warner für konkurrierende Internet Service Provider gewährleisten.26

V.

Märkte für Tonträger

Im Hinblick auf den Tonträgermarkt kam die EG-Kommission im Verfahren Time Warner/EMI zu dem Ergebnis, daß der Zusammenschluß zu

25 26

den Zugang zum Repertoire zu nicht diskriminierenden Bedingungen während der kommenden fünf Jahre zu gewährleisten. Gleichzeitig wurde ein Schlichtungsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten über die Bedingungen des Zugangs vereinbart (Nr. 77 ff.) Dies entspricht dem Ansatz nach der Regulierung urheberrechtlicher Verwcrtungsgcsellschaftcn: Abschlußzwang mit Zwangsschlichtung. AOL/Time Warner, Ziff. 71; Vivcndi/Canal+/Scagram, Ziff. 64. Vgl. FTC File No. 0010105, Doc No. C-3989 In the Matter of America Online, Inc. and Time Warner Inc., verfügbar unter: http://www.ftc.gov/opa/ 2000/12/aol.htm. 375

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte

einer gemeinsam beherrschenden Stellung der vier Großunternehmen führen würde. Zu dieser oligopolistischen Gruppe zählen außer Time Warner noch EMI, Universal, Sony und Berteismann.

1.

Produktmarkt

Bei dem Produktmarkt wird der Markt für Tonträger (offline) von der Online-Vermarktung unterschieden. Der Online-Markt sei ein vom Tonträgermarkt verschiedener relevanter Markt. Das folge aus den Verschiedenheiten des Vertriebsweges, der Preisbildung und der Art und Weise der Nutzung. Der Online-Markt wird von der Kommission jedoch außer acht gelassen, weil von ihm - auch nach Meinung der beteiligten Unternehmen - für die absehbare Zukunft kein wesentlicher Beitrag zum Umsatz erwartet werden könne (Nr. 11). Offen geblieben ist, ob eine weitergehende Differenzierung der Märkte zwischen dem Kerngeschäft der Tonträgerhersteller, nämlich der Akquisition von Künstlern sowie der Aufnahme („label activities"), und der Herstellung und dem Vertrieb der Tonträger vorzunehmen ist (Nr. 8). Innerhalb des Tonträgermarktes hat die Kommission in Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen die Märkte für klassische Musik und populäre Musik (Pop-Musik) unterschieden.27 Innerhalb der populären Musik seien verschiedene Sparten zu unterscheiden, die ihrerseits selbständige relevante Märkte bilden könnten; Entsprechendes gelte für Pop-Musik im Unterschied zu Kompilationen, die auf der Grundlage der Katalogbestände hergestellt wurden. Diesen aus der Sicht der Musiknutzer ausgeprägten Unterschieden entsprächen auch Spezialisierungen der Hersteller. Sie blieben im zu entscheidenden Fall jedoch außer Betracht, weil die beteiligten Großunternehmen („majors") in allen Sparten tätig seien. Ebenso außer Betracht blieb die (kollektive) Verwertung von Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller, da das erzielte Vergütungsaufkommen nur einen unbedeutenden Teil ihres Umsatzes ausmacht (Nr. 14). 27

Kommission vom 27.4.1992, Case No IV/M. 202 - Thorn EMI/Virgin Music, Ziff. 9.; 21.9.1998 Case No IV/M. 1219 - Seagram/Polygram, Ziff. 12.

376

V. Märkte für Tonträger

Die praktische Bedeutung eines Vorbehalts für die Abgrenzung engerer relevanter Märkte folgt daraus, daß die Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung vorliegen kann, wenn sich ein Großunternehmen mit einem entsprechend spezialisierten Hersteller zusammenschließt.

2.

Räumliche Märkte

Die Internationalität der Tonträgermärkte scheint axiomatisch zu sein. Das trifft ohne Einschränkung jedoch nur für die Produktion und den Vertrieb auf der ersten Stufe zu. In diesen Bereichen ist die Unternehmensstrategie der „majors" unstreitig global. Räumlich getrennte nationale Märkte nimmt die Kommission dagegen im Groß- und Einzelhandel an. Tonträger würden nur selten grenzüberschreitend zwischen den Mitgliedstaaten gehandelt. Maßgeblich hierfür seien die kurzen Lieferfristen und die örtlich spezialisierten Vertriebsstrategien. Parallelimporte seien gegenwärtig ohne Bedeutung (Nr. 17).28 Auf dieser Grundlage prüft die Kommission die Marktverhältnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten und für die Gemeinschaft im ganzen. Die Feststellung räumlich getrennter nationaler Märkte kann bei der Ermittlung der Angemessenheit der Urheberrechtsvergütung für das mechanische Vervielfältigungsrecht relevant sein. Wegen der Erschöpfung des Verbreitungsrechts kann bei Parallelimporten aus Großbritannien, wo zu niedrigeren Vergütungssätzen lizenziert wurde, keine Differenzlizenzgebühr geltend gemacht werden.29 Im Gesamtvertragsverfahren zwischen der GEMA und der deutschen Landesgruppe der IFPI nahm das OLG München an, daß eine niedrigere ausländische Urheberrechtsvergütung und die Möglichkeit von Parallelimporten geeignet seien, die Wettbewerbsbedingungen auf dem Inlandsmarkt zu beeinflussen.30 Die Wettbewerbsnachteile inländischer Tonträgerhersteller müssten bei der Bemessung der Urheberrechtsvergütung berücksichtigt werden. Demgegenüber hebt die Kommission hervor, daß Parallelimpor28

29

30

So auch schon die Feststellung in der Entscheidung Seagram/Polygram, Ziff. 19. Dort wurde der Anteil von Parallelimporten auf eine Größenordnung von nicht mehr als 5% der gesamten Verkäufe geschätzt. EuGH vom 20.1.1981, Rs. 55 u. 57/80, Musikvertrieb Membran ./. GEMA, Slg. 1981, 147 ff. = GRUR 1981, 229 ff. - Gebührendiffcrenz II. Schulze, RzU OLGZ 294, S. 39.

377

12. Unternehmenskonzentrationen und Urheberrechte

te nur in äußerst geringem Umfang zu verzeichnen sind. Sie seien nach Aussage der beteiligten Unternehmen in erster Linie auf Währungsschwankungen zurückzuführen. Der Höhe der nationalen Urheberrechtsvergütung kommt mithin bei der unternehmerischen Entscheidung über die Strategien auf den europäischen Tonträgermärkten nur untergeordnete Bedeutung zu.

3.

Gemeinsam beherrschende Stellung

Die Struktur der Tonträgerindustrie wird durch die dominierende Stellung der „majors" geprägt. Die Kommission nimmt an, daß der Zusammenschluß Time-Warner/EMI geeignet sei, eine gemeinsam beherrschende Stellung dieser vier Großunternehmen zu begründen. Die überlegene, die Marktstruktur prägende Stellung der „majors" sei hauptsächlich zurückzuführen auf den hohen Grad der vertikalen Integration. Sie umfasse das Engagement der ausübenden Künstler, die Aufzeichnung der Musik, die Herstellung und den Vertrieb der Tonträger sowie die korporative Verbindung mit Musikverlagen. Die Unternehmensstrategie sei global und erfasse alle Bereiche der Musikmärkte. Das umfassende, diversifizierte Repertoire ermögliche einen Risikoausgleich, der den unabhängigen Wettbewerbern nicht zugänglich sei. Die spiegelbildlichen Nachteile unabhängiger Hersteller erklärten, daß sie gegenüber den „majors" keine eigenständige wettbewerbliche Strategie entwickeln könnten. Die unabhängigen Hersteller seien im Vertrieb häufig auf die „majors" angewiesen und wer erfolgreich sei, werde von den „majors" häufig aufgekauft. Auf diesem Hintergrund wendet die EG-Kommission die in der bisherigen Verwaltungspraxis und in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte entwickelten Kriterien für eine gemeinsam beherrschende Stellung auf den Tonträgermarkt an.31 Dafür sind alle Umstände erheblich, welche die Reaktionsverbundenheit der Mitglieder des Oligopols bestimmen und Verdrängungswettbewerb unter ihnen ausschließen oder unwahrscheinlich erscheinen lassen. Der Markt für Tonträger sei stabil und lasse ein ausgeglichenes Wachstum erwarten. Das Produkt sei trotz ausgeprägter Eigenarten der einzelnen Werke in der Preis- und Abgabe31

Grundlegend EuGH 21.3.1998, Frankreich ./. Kommission, Slg. 1998 I 1504, Rn. 152-178; auch EuG 25.3.1999, Gencor ./. Kommission, Slg. 1999 II 759, Rn. 124—157; die Kriterien im einzelnen werden in Rn. 169-297 geprüft.

378

V. Märkte für Tonträger

politik weitgehend standardisiert. Hohe Markttransparenz folge aus der dauernden Verbindung mit den Einzelhändlern. Diese hätten genaue Kenntnis der Rabattpolitik aller Anbieter und begründeten damit ihre eigenen Rabattforderungen. Zwischen den „majors" beständen ferner intensive kommerzielle und strukturelle Verbindungen. Der Zugang zum Markt sei auf dieser Ebene des Marktes schwierig. Die Kostenstrukturen seien symmetrisch und der Handel sei nicht in der Lage, gegengewichtige Marktmacht auszuüben. Abweichendes Verhalten eines Oligopolmitglieds könne infolge der kommerziellen und strukturellen Verbindungen sanktioniert und verhindert werden. Dies sind zugleich die Gründe, aus denen die Kommission annimmt, der Zusammenschluß werde den Konzentrationsgrad erheblich erhöhen und die Möglichkeit zu koordinierter Preispolitik schaffen oder verstärken. Es sei zu erwarten, daß das zusammengeschlossene Unternehmen den im Vergleich zu den anderen Majors günstigeren Händlerabgabepreis (PPD) von Warner Music anheben werde, ohne Gefahr zu laufen, Marktanteile zu verlieren (Nr. 49). Auf diese Weise werde der insgesamt nur schwach ausgeprägte Preiswettbewerb auf den Tonträgermärkten zusätzlich geschwächt. Auch die geltend gemachten Effizienzsteigerungen des zusammengeschlossenen Unternehmens seien nicht geeignet, die von Preiserhöhungen zu erwartenden Nachteile auszugleichen (Nr. 56). Eine weitere Gefahr des Zusammenschlußvorhabens erblickt die Kommission in der fortschreitenden Marginalisierung unabhängiger Tonträgerhersteller. Diese spezialisierten sich in der Regel auf besondere Musiksparten (im Gegensatz zum Mainstream-Repertoire der Majors) und seien damit Garanten kultureller Vielfalt. Eine verringerte Auswahl an unterschiedlichen Musikrichtungen sei nicht wünschenswert (Nr. 55).

379

13. Gegenseitigkeitsvertrage von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt - Die Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller als Testfall (Simulcasting) Die EG-Kommission will die Organisation und Praxis urheberrechtlicher Verwertungsgesellschaften an die Erfordernisse des Binnenmarktes anpassen.1 Dazu gehört die Überprüfung der Gegenseitigkeitsverträge, durch die sich Verwertungsgesellschaften ihre Rechte zur Wahrnehmung in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen übertragen. Die Kommission hält die Neubewertung für notwendig, um den durch das Internet und die Digitaltechnik veränderten Bedingungen der Wahrnehmung und Kontrolle von Urheberrechten Rechnung zu tragen. Für die neue wettbewerbsrechtliche Beurteilung der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten beruft sich die Kommission u.a. auf ihre Entscheidung Simulcasting.2 Die Entscheidung stellt eine neue Art von Gegenseitigkeitsverträgen der Verwertungsgesellschaft.cn der europäischen Tonträgerhersteller nach Art. 81 Abs. 3 von dem Verbot des Art. 81 Abs. l EG frei. Gegenstand der Verträge ist die gegenseitige Wahrnehmung der auf die Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller zur Wahrnehmung übertragenen Leistungsschutzrechte im Verhältnis zu Sendeanstalten im Internet, den sog. Simulcastern. Danach soll jede der beteiligten Gesellschaften berechtigt sein, das Gesamtrepertoire dieser Gesellschaften mit Wirkung für den europäischen Wirtschaftsraum an Nutzer zu lizenzieren (One-StopShop). Die Kommission folgert aus ihrer Entscheidung, daß die traditionelle territoriale Begrenzung der Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften unter den neuen Bedingungen der Digitaltechnik überholt sei.3 Die Praxis der Vcrwertungsgesellschaften kön1

2

3

Mitteilung der Kommission v. 16.4.2004 an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuß: Die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt, KÖM (2004) 261 cndg., im folgenden zitiert als Mitteilung Vcrwertungsgesellschaften. Kommission v. 8.10.2002, ABI. 2003 L 107/58 - IFPI/Simulcasting = WuW/E EU-V831. Zusammenfassende Stellungnahme der Kommission zur Bedeutung der Entscheidung im 22. Bericht über die Wettbcwcrbspolitik 2002, Rn. 146-150. 381

13. Gcgenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt

ne so ausgestaltet werden, daß die Nutzer (Simulcaster) die Wahl hätten, von welcher Verwertungsgesellschaft im europäischen Wirtschaftsraum sie eine Gesamtlizenz für die Repertoires aller beteiligten Gesellschaften für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum erwerben könnten.4 Zu prüfen ist, ob die von den Verwertungsgesellschaften der Tonträgerhersteller in Aussicht genommenen und von der Kommission gebilligten oder geforderten Regelungen allgemein wichtige gemeinschaftsrechtliche Maßstäbe für die kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten erkennen lassen. Die Kommission fügt den Sachverhalt der Entscheidung Simulcasting in einen technischen und rechtlichen Zusammenhang ein, der vorab darzustellen ist.

I.

Die Wahrnehmung der Rechte der Tonträgerhersteller an Tonträgern im Internet

Das Internet hat die Bedingungen, unter denen die Tonträgerindustrie ihr Produkt - den Tonträger - vermarktet und vor unberechtigtem Eingriffen schützen kann, grundlegend verändert. Der unbefugte Zugriff richtet sich nicht mehr nur auf das Endprodukt, den Tonträger („Raubkopien"): Das Internet ermöglicht es, die auf Tonträger aufgenommene Musik ohne Träger im ganzen oder getrennt nach einzelnen Titeln zu komprimieren, zu speichern, zu übermitteln, abzurufen, abzuhören oder erneut aufzuzeichnen. Urheber, Verwertungsgesellschaften, Musikverlage und Tonträgerhersteller haben die unerlaubte Nutzung ihrer Produkte im Internet von Anfang an nachhaltig bekämpft. Der Fall Napster ist repräsentativ für den Kampf gegen unbefugte Nutzung von Urheberrechten und Leistungsschutzrechten im Internet.5 Die Ausbreitung immer neuer Formen des unentgeltlichen Zugriffs auf geschützte Tonträger war damit jedoch nicht beendet.6 Es war deshalb unerläßlich, den Teilnehmern des Internet Möglichkeiten zur rechtmäßigen und entgeltlichen Nutzung urheberrechtlich geschützter Musik anzubieten. Das Internet war als ein neuer Vertriebsweg für das entgeltliche Angebot neuer Produkte (streaming, downloading, burning) zu nutzen. Zu diesem 4 5 6

Mitteilung Verwcrtungsgcsellschaftcn, sub 3.4. A&M Records Inc. v. Napster Inc., 239 Fn. 3 d 1004 (9th Cir. 2001). Überblick über die Entwicklung in den USA bei First, Online Music Joint Ventures: Taken for a Song.

382

I. Die Wahrnehmung d. Rechte d. Tonträgcrhersteller an Tonträgern im Internet

Zweck gründeten die großen Tonträgerhersteller in den USA zwei Portale7, welche die Produkte der Mutterunternehmen im Internet vertreiben. Die Antitrust-Behörden prüften unter anderem, ob die Tonträgerindustrie damit den Zweck verfolgte, die Entwicklung eines Musikmarktes im Internet zu behindern, um ihre tradierte starke Stellung auf dem oligopolistischen Tonträgermarkt zu stabilisieren. Diese Bedenken erwiesen sich jedoch angesichts der Entwicklung der neuen Märkte als unbegründet.8 Eine Voraussetzung für die wirksame Wahrnehmung der Leistungsschutzrechte im Internet war deren rechtliche Anpassung an die neue technische Umwelt. Das ist in den letzten Jahren weltweit geschehen. Das Schutzrecht der Hersteller von Tonträgern wurde im Grundsatz als echtes Ausschließlichkeitsrecht ausgestaltet und auf das der digitalen Technik angepaßte Recht der öffentlichen Wiedergabe und des Senderechts erstreckt.9 Der WPPT trat mit der Ratifizierung durch die Europäische Union und die Bundesrepublik am 20. Mai 2001 in Kraft. 10 In Deutschland gewährten die §§ 85, 86 UrhG a. F. den Herstellern von Tonträgern nur ein Vcrvielfältigungs- und Verbreitungsrecht, aber kein Recht der öffentlichen Wiedergabe und kein Senderecht.11 Das am 13. Dezember 2003 in Kraft getretene Gesetz über die Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft12 hat die für die Verwertungsrechte der Hersteller von Tonträgern geltenden Vorschriften in § 85 UrhG neu gefaßt. Der deutsche Gesetzgeber hat damit die Richtlinie 2001/29 EG vom 22.Mai 200l13 in deutsches Recht umgesetzt. Artikels Abs.2 der Richtlinie begründet für die Tonträgerhersteller in bezug auf ihre Ton7 8

9 10

11 12 13

Musicnet und Pressplay. Department of Justice, Antitrust Division: Statement Regarding the Closing of its Investigation into The Major Record Labels' Prcssplay and MusicNet Joint Ventures, issued December 23, 2003, availabe at http://www.usdoj.gov/atr/ public/press_releases/2003/201946.htm. Zuerst der unter der Herrschaft der WIPO verhandelte WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT). Siehe dazu Dünnwald, ZUM 2004, 161; zur Entwicklung Kreile, ZUM 1996, 964-966. In den USA gilt für die Rechte am Tonträger der Digital Performance Right in Sound Recordings Act (DPRA), Public Law 104-39; Ergänzt durch den Digital Millenium Copyright Act (DMCA), 17 USC § 106-114. Zur Rechtsentwicklung Schricker-Vogc/, § 85 UrhG Rn. 1-9. Gesetz v. 10.9.2003, BGB1.11774; Überblick bei Lamber/Schwipps, GRUR 2004, 293-300; auch Dünnwald, ZUM 2004, 161-181. ABI. 2001 L 167/70.

383

13. Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt

träger das ausschließliche Recht, zu erlauben oder zu verbieten, daß die Tonträger drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, daß sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind. Entsprechend begründet § 85 Abs. l UrhG das Recht, den Tonträger öffentlich zugänglich zu machen. Das Recht ist übertragbar und kann nach den für Urheberrechte geltenden Regeln lizenziert werden (§ 85 Abs. 2 UrhG). Von dieser Möglichkeit machen die am Freistellungsverfahren Simulcasting beteiligten Verwertungsgesellschaften in der im folgenden darzustellenden Weise Gebrauch.

II.

Musiklizenzen Online - Ein Experiment

Durch die von der EU-Kommission freigestellte Vereinbarung ermächtigen sich die beteiligten Verwertungsgesellschaften gegenseitig, in ihrem jeweiligen Verwaltungsgebiet Lizenzen für die Simultanübertragung ihrer auf Tonträger aufgenommenen Werke an Sendeanstalten zu lizenzieren. Die Simultanübertragung wird definiert als „die gleichzeitige Verbreitung über das Internet von Tonbandaufzeichnungen mit der Übertragung der Rundfunk- und/oder Fernsehsignale durch Rundfunkund Fernsehsender" (Entscheidung Simulcasting, Rn. 2). Diese Lizenz ist eine Mehrgebietslizenz, weil sie den beteiligten Verwertungsgesellschaften das Recht einräumt, Lizenzen nicht nur für ihr eigenes, sondern für die Verwertungsgebiete aller beteiligten Gesellschaften zu erteilen. Sie ist ferner eine Mehrprogrammlizenz, weil sie jeder beteiligten Verwertungsgesellschaft das Recht einräumt, Lizenzen für Programme von Simulcastern, die in den Verwaltungsgebieten aller beteiligten Gesellschaften im europäischen Wirtschaftsraum ihre Niederlassung haben, zu erteilen. Die Kommission hat die Freistellung davon abhängig gemacht, daß die beteiligten Verwertungsgesellschaften gegenüber den Lizenznehmern ausweisen, welcher Teil der den Simulcastern berechneten Lizenzgebühr auf die Kosten entfällt, die der einzelnen Verwertungsgesellschaft durch die Verwaltung der Simultanübertragungslizenz entstehen (sogenannte Verwaltungsgebühr, Rn. 103). In der den Sendeanstalten zu erteilenden Lizenz dürfen Lizenz- und Verwaltungsgebühren nicht vermischt werden (Entscheidung Simulcasting, Rn. 99). Die Kommission beurteilt die Märkte für die Verwaltung und Lizenzerteilung der Simultanübertra384

II. Musiklizenzen Online - Ein Experiment

gungsrcchte als verschiedene neue Märkte (Entscheidung Simulcasting, Rn. 48). Die genannten Märkte sind zu unterscheiden von der Übertragung und Verwaltung der Leistungsschutzrechte im Verhältnis der Verwertungsgesellschaften zueinander. Die letztgenannten Vereinbarungen hält die Kommission für weitgehend unbedenklich, weil die Rechtsübertragungen nicht ausschließlichen Charakter haben (Entscheidung Simulcasting, Rn. 65). Diese Teile der Entscheidung sind nur im Zusammenhang mit der vertraglichen Regelung der Lizenzgebühren verständlich. Die Lizenzgebühr, die jede Verwcrtungsgesellschaft ihren Lizenznehmern in Rechnung zu stellen hat, ergibt sich aus der Summe der von jeder beteiligten Verwcrtungsgesellschaft in ihrem Gebiet zugrunde gelegten Lizenzgebühr. Der Gesamttarif, der von einer Gesellschaft für die Erteilung einer Mehrprogramm/Mehrgebietslizenz berechnet wird, enthält mithin neben dem eigenen Tarif die verschiedenen, von jeder der teilnehmenden Gesellschaften festgesetzten nationalen Tarife (Entscheidung Simulcasting, Rn. 65). Dies sei die notwendige Folge des von der Rechtsprechung des EuGH anerkannten Rechts der Rechteinhabcr, für jede öffentliche Wiedergabe eines geschützten Werkes eine Vergütung zu erhalten (Entscheidung Simulcasting, Rn. 66, 70). Die Gesamtgebühr ist gegenwärtig unbekannt, weil sich die Gesellschaften zur Zeit der Entscheidung noch nicht über die Struktur des Tarifs geeinigt hatten. Die Kommission erklärt das mit dem Charakter des Vertrages als eines Experiments und verweist auf die von den Unternehmen erwogenen Möglichkeiten. Wegen der bisher nur geringen Einnahmen aus der Lizenzierung von Simultanübertragungen komme ein Pauschalbetrag in Betracht. Dieser könne sich aus dem Prozentsatz der mit der Simultanübertragung in dem Gebiet jeder einzelnen Verwertungsgescllschaft erzielten Einnahmen ergeben. Eine andere Möglichkeit sei ein Gesamttarif, der einem auf der Tonspur beruhenden Satz entspreche, der an die Programmnutzung und die Auswahl der Musikwerke je Site gebunden wäre (Entscheidung Simulcasting, Rn. 25 in Verbindung mit Rn. 65). Bei dieser Art der Lizenzierung stehe die Gcsamtgebühr (wenn sie einmal gefunden sein sollte) von Anfang an fest. Folglich werde der Preiswettbewerb spürbar eingeschränkt (Entscheidung Simulcasting, Rn. 67). Der eigentlich wettbewerbsbeschränkendc Charakter des vorgesehenen Systems folge jedoch daraus, daß ein Preiswettbewerb auch bei dem Teil der Lizenzgebühren fehle, mit dem Verwaltungsdienste der erteilenden Gesellschaft bewertet würden. Wörtlich heißt es: 385

13. Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaftcn im Binnenmarkt „Durch die Vermischung zwischen den beiden Gebühren können die Benutzer nicht die Effizienz der einzelnen Gesellschaften ermitteln und werden daran gehindert, auf die Lizenzdicnstleistungen derjenigen Gesellschaft zurückzugreifen, die sie zu den niedrigsten Kosten anbietet" (EntscheidungSiOTwtos?Yn£, Rn. 71).

Ähnlich wie bei der Gesamtlizenzgebühr handelt es sich auch hier um ein Experiment. Die Parteien haben nämlich „nachgewiesen, daß sie noch nicht über die Verwaltungs- und Buchhaltungsstrukturen verfügen, um die Trennung von Urheberrecht und Verwaltungsgebühr unverzüglich umsetzen zu können" (EntscheidungS//n«tazj£m£, Rn. 106). Die Parteien erkennen jedoch die besondere Bedeutung an, welche die Kommission dem Grundsatz der Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr bei der Erbringung der Dienstleistungen an Mehrgebietsnutzer beimißt (Entscheidung Simulcasting, Rn. 104). Die Verwaltungsgebühr sei von jeder erteilenden Gesellschaft gemäß ihren Kosten zu berechnen. Auf diese Weise werde der Wettbewerb zwischen den Verwertungsgesellschaften gefördert, weil die Nutzer in die Lage versetzt würden, die Effizienz jeder Verwertungsgesellschaft, mit welcher sie in Vertragsbeziehungen treten können, besser zu beurteilen und „zu verstehen" (Entscheidung Simulcasting, Rn. 121). Festzuhalten ist, daß es sich bei den Vereinbarungen, für welche die Kommission eine bis zum 3I.Dezember 2004 befristete Freistellung unter der Bedingung der Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr erteilt hat, um Absichtserklärungen der beteiligten Unternehmen handelte. Die Befristung der Entscheidung entspricht der Frist, die den beteiligten Unternehmen zur Verfügung steht, um die von der Kommission geforderten Vereinbarungen auch zu verwirklichen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Simultanübertragungslizenz ist - wie die Kommission hervorhebt - bisher so gering, daß eine Einigung der Parteien noch nicht möglich war (Entscheidung Simulcasting, Rn. 25). Trotz dieser rechtstatsächlichen Ungewißheiten sieht die Kommission in der Entscheidung Simulcasting ein Präjudiz von weitreichender, grundsätzlicher Bedeutung für die wettbcwerbsrechtliche Beurteilung der kollektiven Wahrnehmung von Urheber- und Leistungsschutzrechten im Internet. 14 Diese Meinung wird von den Kommentatoren der Entscheidung Simulcasting gestützt.15 14 15

Mitteilung Vcrwcrtungsgesellschaften, sub 3.4; Wettbcwcrbsbcricht 2002 Rn. 146-150. Mensching, Committee on Legal Affairs and the Internal Market, Draft Report

386

III. Gcgcnseitigkeitsvcrträge

III.

Gegenseitigkeitsverträge

Die Entscheidung Simulcasting soll die Grundsätze weiterentwickeln, welche für die Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften im Gemeinsamen Markt gelten. Durch diese Verträge übertragen sich Verwertungsgesellschaften gegenseitig die Gesamtheit ihrer Rechte zur Wahrnehmung und zwar zu den Bedingungen, zu denen sie ihre eigenen Rechte wahrnehmen. Den zur Wahrnehmung so übertragenen Rechten ist gemeinsam, daß sie zwar in der Regel ausländischen Staatsangehörigen gehören, die Administration der heimischen und übertragenen Rechte jedoch infolge des Territorialitätsprinzips nach Maßgabe der staatlichen Gesetzgebungen notwendig übereinstimmt. Diesen Grundsatz, der in Art. 5 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst weltrechtlich normiert ist, nimmt der EuGH in Bezug, um die Gegenseitigkeitsverträge der Verwertungsgesellschaften zu würdigen. Wörtlich heißt es: „Somit streben die von den Verwertungsgesellschaftcn miteinander geschlossenen Verträge über die gegenseitige Vertretung ein doppeltes Ziel an: Zum einen bezwecken sie, in Einklang mit dem in den internationalen Übereinkommen niedergelegten Grundsatz die Gesamtheit der geschützten Musikwerke ohne Rücksicht auf deren Herkunft einheitlichen Bedingungen für die in ein und demselben Staat ansässigen Benutzer zu unterwerfen; zum anderen ermöglichen sie es den Verwertungsgesellschaften, sich für den Schutz ihrer Bestände in einem anderen Staat auf die von der dort tätigen Verwertungsgescllschaft aufgebaute Organisation zu stützen, ohne genötigt zu sein, diese Organisation durch ein eigenes Netzwerk von Verträgen mit den Benutzern und eigene, an Ort und Stelle vorgenommene Kontrollen zu ergänzen."16

16

on a Community Framework for Collecting Societies in the Field of Copyright, and on the Commission Report to the Council, The European Parliament and the Economic and Social Committee on the Question of Authorship of Cinematographic or Audiovisual Works in the Community; Pereira, EC Competition Policy News Letter, 2003, 44-49; Ungcrer, Application of Competition Law to Rights Management in the Music Market, Some Orientations, Brüssel 11. Juni 2003, COMP/C2/HO/rdo; Wainwright, IP Transactions and Infringements of Articles 81 and 82 - New Developments in EU Law, Alicante, 14. März 2003, Rn. 63-68; Capubianco, EIPR 2004, 113-121. EuGH v. 13.7.1989 - Rs. 395/87 Tournier, Slg. 1989, 2521, 2572 Rn. 19; übereinstimmend EuGH v. 13.7.1989 - Rs. 110/88 SACEM, Slg. 1989,2811, 2828 Rn. 13.

387

13. Gegcnscitigkeitsverträge von Vcrwertungsgcscllschaftcn im Binnenmarkt

Läßt man zunächst die Gründe für diese positive gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der Gcgenseitigkeitsverträge unberücksichtigt, so ergibt sich rechtstatsächlich der folgende Befund: Die Gegenseitigkeitsverträge setzen die Verwertungsgesellschaften instand, den Nutzern der von ihnen wahrgenommenen Werke das Weltrepertoire urheberrechtlich geschützter Musik zu lizenzieren. Ermöglicht wird ein globaler, wenn auch territorial begrenzter One-Stop-Shop. Die EG-Kommission sieht in der territorialen Begrenzung der von den Verwertungsgesellschaften erteilten Lizenzen einen Widerspruch zum Binnenmarkt. Auch wenn die Urheberrechte territorial begrenzt seien, so gelte dies doch nicht in gleicher Weise für die Verwertungsgcsellschaftcn.17 Das Territorialitätsprinzip, das für Urheberrechte gelte, sei auf die Leistungen der Verwertungsgesellschaften nicht anwendbar. Es gebe keine natürliche territoriale Begrenzung der Dienstleistungen dieser Gesellschaften, zumal die meisten grenzüberschreitenden Dienstleistungen auf der Grundlage verschiedener regionaler Gesetze erbracht würden. Die Verwertungsgescllschaften seien nicht gehindert, grenzüberschreitende Lizenzen zu erteilen und infolge neuer technischer Entwicklungen auch in der Lage, die Nutzung ihres Repertoires im Ausland grenzüberschreitend zu kontrollieren. Entfallen sei damit die vom Europäischen Gerichtshof betonte Notwendigkeit, für den Schutz der eigenen Werke in einem anderen Staat die Dienste einer anderen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen, ohne genötigt zu sein, dafür eine eigene Organisation aufzubauen. Das möge bei analoger Technik der Übertragung und Nutzung von Urheberrechten richtig gewesen sein. In der neuen Welt der Digitaltechnik seien Verwertungsgesellschaften in der Lage, ihre Lizenzierungs- und Kontrolltätigkeit grenzüberschreitend mit Hilfe technischer Mittel auszuüben. Zum spezifischen Gegenstand des Urheberrechts gehört bei den Werken, die dem Publikum durch beliebig oft wiederholbare Vorführungen zugänglich gemacht werden (Aufführungsrecht), die Befugnis, für jede Vorführung eine Vergütung zu verlangen. Deshalb verstoßen Verträge der Rechtcinhaber, die der Nutzung dieses Rechts dienen, nicht gegen die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkchr. Sie können recht17

Mensching, Draft Report on a Community Framework for Collecting Societies in the Field of Copyright, and on the Commission Report to the Council, the European Parliament and the Economic and Social Committee on the Question of the Authorship of Cinematographic or Audiovisual Works in the Community.

388

III. Gcgcnscitigkeitsvcrträgc

mäßig unter räumlichen Begrenzungen abgeschlossen werden. Das gilt auch dann, wenn die zugrunde gelegten räumlichen Grenzen Staatsgrenzen sind. 18 Artikel 85 Abs. l EGV (Art. 81 EG) steht solchen Lizenzverträgen nicht entgegen, die dem Lizenznehmer ein ausschließliches Recht für das vorbehaltenc Gebiet einräumen. Wörtlich heißt es: „Der Umstand allein, daß der Inhaber des Urheberrechts an einem Film einem einzigen Lizenznehmer das ausschließliche Recht eingeräumt hat, diesen Film im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats während eines bestimmten Zeitraums vorzuführen und somit dessen Verbreitung durch Dritte zu verbieten, reicht jedoch nicht für die Feststellung aus, daß eine derartige Vereinbarung als Gegenstand Mittel oder Folge einer nach dem EWG-Vertrag verbotenen Kartcllabsprachc anzusehen ist."19

Diese Grundsätze sind auch dann zu beachten, wenn Urheberrechte durch Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden. Das erkennt die Kommission in der Entscheidung Simulcasting für die Berechnung der Lizenzgebühren ausdrücklich an (Rn. 67). Die Gegenseitigkcitsverträge urheberrechtlicher Vcrwertungsgesellschaften sind dafür wichtige Beispiele. Auf diese Verträge ist Art. 81 EG nur anwendbar, wenn sie bezwekken oder bewirken, ausländischen Nutzern systematisch den Zugang zu den eigenen Beständen dieser Gesellschaften zu verweigern.20 Ein solcher Fall liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn Gegenseitigkcitsverträge mit Ausschließlichkeitsklauseln vereinbart werden. Auch die ohne Ausschließlichkeit vereinbarten Gegenseitigkeitsverträge können gegen Art. 81 EG verstoßen, wenn die übereinstimmende Vertragspraxis einer Mehrzahl von Verwertungsgesellschaften als abgestimmte Verhaltensweise zu beurteilen sein sollte. Die Tatsache allein, daß das Verhalten der Verwertungsgesellschaften übereinstimmt, reicht dafür jedoch nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Parallelverhalten von Unternehmen zwar ein Indiz für ein verbotenes abgestimmtes Verhalten sein. Dieses Indiz ist jedoch widerlegt, wenn das übereinstimmende Verhalten aus anderen Gründen als dem der wettbewcrbsbeschränkendcn Verhaltensabstimmung erklärbar ist.21 Als einen solchen Grund hebt 18 19 20 21

EuGH v. 18.3.1980 - Rs. 62/79 Coditd ./. Cine-Vog Films, Slg. 1980, 881, 902 Rn. 10-17. EuGH v. 20.6.1982-Rs. 262/81 Coditd.l. Cine-VogFilms, Slg. 1982,3381,3401 Rn.15. EuGH v. 13.7.1989 - Rs. 395/87 Tottrnier, Slg. 1989, 2565, 2773 Rn. 23. Urteil Tournier, Rn.24. Näher Grocben/Schwarze-Scftröfer, Art. 81 EG Rn. 40-53. Kritisch zum Urteil Tournier: Wünschmann, Kollektive Verwertung von Urheber- und Leistungsschutzrecht.cn, S. 173 ff. 389

13. Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften im Binnenmarkt

der EuGH hervor, daß es für Verwertungsgesellschaften unwirtschaftlich sei, bei grenzüberschreitender Lizenzierung ein eigenes Verwaltungsund Kontrollsystem in anderen Ländern aufzubauen. An diesen Teil des EuGH-Urteils knüpft die EG-Kommission an. Die vom EuGH anerkannte Erklärung für das übereinstimmende Verhalten der Verwertungsgesellschaften in der Lizenzierung ihres Repertoires treffe unter den durch die Digitaltechnik veränderten Umständen nicht mehr zu. Insoweit handelt es sich um eine Beweisfrage, die auf dem Gebiet der Tatsachenwürdigung liegt. Die Beweisfrage ist jedoch von dem Rechtsgrund zu trennen, aus dem sie überhaupt erheblich ist. Der Rechtsgrund verweist auf die treuhänderischen Pflichten der Verwertungsgesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern.22 Eine Verfügung über die ihr von den Mitgliedern anvertrauten Rechte ist nur rechtmäßig, wenn sie mit den Pflichten vereinbar ist, welche die Verwertungsgesellschaften gegenüber ihren Mitgliedern aufgrund Satzung oder Gesetz haben. Diese Pflichten und die ihr dienenden unternehmerischen Funktionen haben sich im internationalen und im neuen digitalen Kontext nur in dem Sinne verändert, daß sie unter dramatisch erschwerten Bedingungen wahrzunehmen sind. Auch an internationalen Gegenseitigkeitsverträgen dürfen sich Verwertungsgesellschaften nur beteiligen, wenn die Interessen ihrer Mitglieder an der wirksamen Wahrnehmung ihrer Rechte gewährleistet sind. Der vom EuGH in Bezug genommene Grundsatz der Inländerbehandlung, den die Gegenseitigkeitsverträge verwirklichen, gewährleistet, daß die Mitgliederinteressen ohne Diskriminierung in Übereinstimmung mit den national verschiedenen Urhebergesetzen gewahrt werden. Das Digital Rights Management (DRM) ist nach der zutreffenden Feststellung der EG-Kommission gegenwärtig nicht geeignet, ein angemessenes Gleichgewicht der beteiligten Interessen, nämlich der Interessen der Urheber und anderer Rechteinhaber oder derjenigen der rechtmäßigen Nutzer, Verbraucher und anderer beteiligter Dritter zu gewährleisten.23 Unter den Bedingungen des Internet ist die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte im Interesse der Urheber ähnlich unerläßlich, wie sie es zur Wahrnehmung der Aufführungsrechte von Anfang an gewesen ist. Ein Vergleich einzelner Funktionen anhand alter und neuer Techniken 22 23

Insoweit übereinstimmend die Entscheidung Simulcasting, Rn. 111. Mitteilung Verwertungsgcscllschaftcn, sub I.2.5.

390

III. Gcgenseitigkcitsvcrträge

reicht nicht aus, um die Praxis der Gegenseitigkeitsverträge zutreffend zu beurteilen. Im Internet ist nämlich die wichtigste Aufgabe von Verwertungsgesellschaften noch zu bewältigen: die Entwicklung von Märkten für urheberrechtlich geschützte Musik. Soweit es sich um unternehmerisch nutzbare Urheberrechte handelt, wurde die Entwicklung von Märkten dadurch begünstigt, daß die Nutzer ein nachhaltiges Eigeninteresse daran haben, ihre Produktion bzw. ihr Programm ohne Einzellizenzierungen und ohne das Risiko von Schadensersatz- und Unterlassungsklagen planen und durchführen zu können. In der Mehrzahl der Fälle entstehen Märkte für Urheberrechte jedoch erst aus der Erfassungsund Kontrolltätigkeit der Verwertungsgesellschaften. Diese Tätigkeit führt zur Herausbildung von Nutzergruppen, deren typisierte Nachfrage ihren Niederschlag in Tarifen und Gesamtverträgen findet. Es gehört zu den Aufgaben der Verwertungsgesellschaften, solche Nutzerbeziehungen, die sich als Märkte stabilisieren können, im Internet zu entwickeln. Der einzelne Urheber steht der Ubiquität des Internet und der Vielfalt der technischen Möglichkeiten, Urheberrechte unentdeckt zu nutzen, hilflos gegenüber. Diese Interessenlage ist so ausgeprägt, daß sie häufig in bezug genommen wird, um das Urheberrecht für faktisch obsolet zu erklären. Die Entscheidung Simulcasting ist für die genannte Interessenlage jedoch nicht repräsentativ. Die Simultanübcrtragungslizenzen knüpfen nämlich an die tradierten und stabilen Vertragsbeziehungen zu Sendeanstalten an. Deren Interesse an einem Gesamtrepertoire für die Planung ihrer Programme ist weitgehend unstreitig. In der Entscheidung Simulcasting heißt es zum Sachverhalt, daß die beteiligten Unternehmen ihren Vereinbarungen das Bestimmungslandprinzip zugrunde legten (Rn. 63). Das ist zutreffend, soweit die Mehrgebietslizenz die Nutzung der lizenzierten Werke unabhängig vom Standort der lizenzierenden Gesellschaft zum Gegenstand hat. Aus der Berechnung der Gcsamtlizenzgebühr anhand der Summe der von jeder Verwertungsgesellschaft in ihrem Gebiet festgesetzten Lizenz folgt jedoch, daß für die Vergütung das Ursprungslandprinzip gilt. Hier setzt sich das auch von der Kommission anerkannte Territorialitätsprinzip für Urheberrechte durch. Der Bezug auf das Territorium, auf das die wahrgenommenen Urheberrechte begrenzt sind, hat jedoch auch für ihre effektive Wahrnehmung durch Verwertungsgesellschaften maßgebliche Bedeutung. Die Ermittlung Vergütungspflichtiger Nutzungen von Urheberrechten im Internet hat einen eindeutigen territorialen Bezug. Die Urheber und ihre Verwertungsgesellschaften „konkurrieren" mit Anbietern, die urhe391

13. Gcgenseitigkeitsverträgc von Verwcrtungsgcscllschaften im Binnenmarkt

berrechtlich geschützte Werke in technisch ganz verschiedener Weise zum Nulltarif verfügbar machen. Der rechtliche und faktische Zugriff auf solche Anbieter ist erfahrungsgemäß nur territorial möglich. Die rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen fordern eine „physische Präsenz" der lizenzierenden Verwertungsgesellschaft im Verwaltungsgebiet, in dem der Lizenznehmer seinen wirtschaftlichen Sitz hat.

IV.

Die Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr

Mit dem System der Gegenseitigkeitsverträge ist die Lizenzierungspraxis der Vcrwertungsgesellschaften unmittelbar verbunden. Zu ihr gehört in der Regel die Berechnung einer umfassenden und pauschalen Gebühr. Im Urteil Tournier (Rn. 45) hatte der EuGH zu entscheiden, ob diese Art der Lizcnzberechnung ein Indiz für einen Mißbrauch einer beherrschenden Stellung sei. Dazu heißt es wörtlich: „Die umfassende Natur der Gebühr könnte in der Tat nur insoweit unter dem Gesichtspunkt des in Art. 86 EGV (Art. 82 EG) ausgesprochenen Verbots beanstandet werden, als auch andere Methoden geeignet wären, das legitime Ziel des Schutzes der Interessen der Musikautoren, Komponisten und Musikverlcgcr zu verwirklichen, ohne daß sie zugleich zu einer Erhöhung der Kosten der Verwaltung der Vertragsbestände und der Überwachung der Nutzung der geschützten Musikwerke führen würden."

Damit erweist sich die Art und Weise der Berechnung der Lizenzgebühr als Folgefrage zu den bereits erörterten grundlegenden Funktionen der Gegenseitigkeitsverträge von Verwertungsgesellschaften. Die Entscheidung Simulcasting führt jedoch durch die dort geforderte Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr zu neuen Abgrenzungsfragen. Sie sind unter Beachtung des Grundsatzes zu beantworten, daß Verwertungsgesellschaften, auch wenn sie beherrschende Unternehmen sind, vom Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft nicht gehindert werden dürfen, ihre legitimen unternehmerischen Interessen wahrzunehmen. 24 Bei Verwertungsgesellschaften gehört dazu die Möglichkeit, die Rechte ihrer Mitglieder gegenüber bedeutenden Musikverbrauchern und Musikher24

EuG v. 22.11. 2001 - Rs. T-139/98

392

5, Slg. 2001, 11-3413, 3450 Rn. 79.

IV. Die Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr

stellern zu wahren und dafür über das notwendige Volumen und Gewicht zu verfügen.25 Die Kommission hat die Freistellung der Gegenseitigkcitsverträge in der Entscheidung Simulcasting davon abhängig gemacht, daß die traditionell einheitliche Lizenzgebühr in eine Lizenzgebühr und eine Verwaltungsgebühr aufgeteilt wird (Rn. 100). Im Wettbewerbsbericht 2002 heißt es dazu (Rn. 149): „Da die Parteien einverstanden waren, zwischen den eigentlichen Tarifen für die Benutzung und ihren eigenen Verwaltungsgebührcn, mit denen die Vcrwaltungskosten der Verwertungsgescllschaft gedeckt werden sollen, zu unterscheiden und beide gesondert zu berechnen, erhöht sich auch die Transparenz hinsichtlich der den Verwcrtungsgcscllschaften entstehenden Kosten. Eine größere Kostcntransparenz bedeutet, daß Rundfunkveranstalter im EWR die effizienteste EWR-Verwertungsgescllschaft für ihre Simukasting-Lizcnz auswählen können."

Einem Gebot der Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr kann für die Lizenzierungspraxis urheberrechtlicher Verwertungsgcsellschaften in der Zukunft grundlegende Bedeutung zukommen. Es ist deshalb geboten, die Vereinbarungen näher zu betrachten, die den Rechtsgrund für diese Berechnung der Gebühren bilden sollen. Die vertragsrcchtlichen Grundlagen sind dabei im Hinblick auf die Freistellung der Vereinbarung nach Art. 81 Abs. 3 EG ebenso zu berücksichtigen wie die Märkte, auf die sie sich beziehen und die sie teilweise schaffen sollen.

1.

Relevante Märkte und Relevante Verträge

Die Entscheidung Simulcasting unterscheidet als relevante Märkte Dienstleistungen zur Verwaltung von Rechten zwischen Verwertungsgescllschaften (Rn. 35-36) und den durch die Vereinbarung geschaffenen nachgeordneten Markt für Simultanübcrtragungslizenzen (Rn. 37-38). Innerhalb dieses Marktes unterscheidet die Kommission weiter neue Märkte für Lizenzerteilung und Verwaltung von Simultanübcrtragungsrechten (Rn. 48). Vertragliche Dienstleistungen, für die ein Entgelt in Betracht kommt, werden aufgrund der Gegenseitigkeitsvcrträge jedoch nur zwischen den beteiligten Verwertungsgesellschaften erbracht. Die hier entstehenden Kosten sollen, so die Kommission, aber nicht dort berechnet werden, wo sie entstehen, sondern als Teil der Verwaltungs25

EuGH v. 27. 3. 1974 - Rs. 127/73 BRT ./. SABAM, Slg. 1974, 313, 317 Rn. 9/11.

393

13. Gegenscitigkcitsverträgc von Verwertungsgesellschaftcn im Binnenmarkt

gebühr, die den Nutzern auf dem Folgemarkt in Rechnung zu stellen ist. Das ergibt sich aus den Gründen, mit denen es die Unternehmen rechtfertigen, noch nicht in der Lage zu sein, die Trennung von Urheberrechtsund Verwaltungsgebühr auf der Grundlage der Dienstleistungen durchzuführen, „die sie sich gegenseitig" im Rahmen ihrer Vereinbarungen erbringen (Rn. 105,106). Die Verwaltungsgebühr, die getrennt auszuweisen ist, soll mithin auf dem Folgemarkt für eine Leistung berechnet werden, deren Kosten auf einem anderen relevanten Markt anfallen, nämlich zwischen den beteiligten Verwertungsgesellschaften. Auf selten der Nutzer - der Marktgegenseite des neuen Marktes - gibt es aber keine Nachfrage, die zwischen Lizenz- und Verwaltungsgebühr unterscheidet. Die Nachfrage richtet sich allein auf die Hauptleistung, nämlich auf die Lizenzierung der von den Verwertungsgesellschaften vertretenen Urheber- oder Leistungsschutzrechte (so auch die Entscheidung Simulcasting, Rn. 74). Damit stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage für die von der Kommission geforderte gespaltene Lizenzgebühr. Die Kommission selbst stellt zunächst fest, daß die Zusammenlegung von Lizenz- und Verwaltungsgebühren, die gegenüber den Benutzern zu einer nicht untergliederten Gesamtlizenz führt, nicht als unmittelbar an die angemeldete Vereinbarung gebunden oder für das Bestehen der Vereinbarung objektiv erforderlich angesehen werden könne (Rn. 72). Die Vermischung zwischen Urheberlizenz- und Verwaltungsgebühr stehe auch in keinem direkten Zusammenhang mit dem Zweck der angemeldeten Vereinbarung (Rn. 73). Die Kommission scheint damit dartun zu wollen, daß die Vermischung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr keine Nebenabrede sei, deren Beurteilung mit der an sich rechtmäßigen kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten notwendig übereinstimme. Diese fehlende „logische Verknüpfung" verweist aber vor allem darauf, daß die Vereinbarung der Verwertungsgesellschaften und die mit Nutzern abzuschließenden Lizenzverträge rechtlich und wirtschaftlich selbständige Vereinbarungen sind. Das führt zu der Frage, wie die Verträge zu beurteilen sind, die Teilnehmer an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung (hier die Verwertungsgesellschaften) auf Grund dieser Vereinbarung mit Dritten (hier die Stmulcaster) abschließen. Einer Begründung bedurfte nicht der fehlende Zusammenhang von Gegenseitigkeitsverträgen und Nutzerverträgen, der Begründung bedarf die Befugnis der Kommission, die Nutzerverträge mit einem von ihr selbst festgesetzten Angebotsinhalt - der Offenlegung einer Verwaltungsgebühr - in die 394

IV. Die Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr

freizustellende Vereinbarung einzubeziehen. Diese Frage brauchte die Kommission nicht abschließend zu entscheiden, weil die beteiligten Unternehmen der entsprechenden vertraglichen Regelung auf Verlangen der Kommission zustimmen. Nicht beantwortet ist damit jedoch die Frage, ob die Kommission, wie sie erkennbar unterstellt, eine solche Regelung auch durch Auflagen oder Bedingungen erzwingen könnte. Eine Freistellungsentscheidung kann nur im Hinblick auf Vereinbarungen ergehen, die gegen Art. 81 Abs. l EG verstoßen; Bedingungen und Auflagen nach Art. 8 VO 17 bzw. Art. 10 VO 1/2003 setzen außer einer solchen Vereinbarung voraus, daß sie unerläßlich sind, um auf diese Vereinbarung Art. 81 Abs. 3 EG anwenden zu können. 26 Diese scheinbar selbstverständlichen Voraussetzungen bedürfen hier einer gesonderten Prüfung, weil der Sachverhalt durch die Zustimmung der Unternehmen so verändert wurde, daß eine entsprechende Auflage nicht ergehen mußte. Das gilt auch deshalb, weil die von der Kommission gewollten Ergänzungen der Vereinbarung auf die Schaffung eines Produkts gerichtet sind, das in der wirtschaftlichen Wirklichkeit bisher nicht anzutreffen war. Auszugehen ist von der Frage, ob die Gegenseitigkeitsverträge eine Freistellung rechtfertigen, die mit der Auflage verbunden wird, in Verträgen mit Nutzern die Verwaltungsgebühr getrennt von der Lizenzgebühr auszuweisen.

2.

Entscheidungsbefugnisse der Kommission im Freistellungsverfahren

Die Entscheidung 5/#7/// 5 />7£ ist auf Art. 8 Abs. l VO 17 gestützt, wonach Freistellungen für einen bestimmten Zeitraum gewährt werden können. Dieselbe Vorschrift ermächtigt die Kommission, eine Freistellung mit Bedingungen und Auflagen zu versehen. Nach der Verordnung 1/2003, die am I.Mai 2004 in Kraft getreten ist, gibt es keine Freistcllungsentscheidungen mehr. Ähnliche Befugnisse der Kommission folgen jedoch aus Art. 7 Abs. l i. V. m. Art. 9 Abs. l VO 1/2003.27 Diese Befugnisse sind ein wichtiges Instrument, um die Vereinbarungen, für die eine Freistellung in Betracht kommt, im Sinne der Kommission auszugestalten und 26 27

EuG v. 15.9.1998-verb. Rs. T-374/94,T-375/94,T-384/94,T-388/94Eziropran Night Services, Slg. 1998,11-3141, 3223 Rn. 206. Näher dazu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wetrbewerbsrecht, $20 Rn. 34 ff. und Rn. 44 ff. 395

13. Gegenscitigkeitsvcrträge von Vcrwcrtungsgesellschaftcn im Binnenmarkt

zu verändern. Im Verfahren Simulcasting waren die Beteiligten auf Ersuchen der Kommission bereit, der Regelung zuzustimmen, wonach in den Gebühren für die Lizenznehmer der Mehrgebiets- und Mehrprogrammlizenzen der als Verwaltungsgebühr zu berechnende Teil gesondert auszuweisen sei (Rn. 4,103-107). Die Bereitschaft der an einer wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung beteiligten Unternehmen, den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen, um die erstrebte Freistellungsentscheidung zu erhalten, erlaubt jedoch nicht den Schluß, daß die Kommission in ähnlich gelagerten Fällen die entsprechende Regelung auch erzwingen kann. Das gilt zumal dann, wenn die von der Kommission gewünschten Ergänzungen der Vereinbarung auf die Schaffung eines neuen Marktes gerichtet sind, den es in dieser Form ohne die ergänzte Vereinbarung nicht geben würde. Diese Befugnis setzt voraus, daß die Gegenseitigkeitsverträge gegen Art. 81 Abs. l EG verstoßen und die Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG ohne die Trennung von Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr nicht gewährt werden könnte. Schon die erste Voraussetzung - der Verstoß der Gegenseitigkeitsverträge gegen Art. 81 Abs. l EG - begegnet nach den eigenen Feststellungen der Kommission erheblichen Zweifeln. Eine Wettbewerbsbeschränkung wird von der Kommission deshalb weitgehend ausgeschlossen, weil mit der Vergabe von Mehrgebiets/MehrProgrammlizenzen ein neues Produkt geschaffen werde, daß es ohne die Zusammenarbeit der Vcrwertungsgesellschaftcn nicht geben würde (Rn. 62). Schließlich seien die schwerwiegendsten Bedenken mit Bezug auf den Markt der Verwaltungsdicnstleistungen für Simultanübertragungsrechte weitgehend zerstreut, weil die bilateralen Vereinbarungen nicht ausschließlichen Charakter haben (Rn. 68). Ergänzend hebt die Kommission das berechtigte Interesse der Verwertungsgesellschaften hervor, ein Mindestmaß an Kontrolle über die Bedingungen zu haben, zu denen ihr Repertoire von anderen Verwertungsgesellschaften lizenziert wird (Rn. 10). Schließlich wird die Kumulation der Lizenzgebühr der beteiligten Gesellschaften zu einer Gesamtlizcnz zutreffend mit der territorialen Selbständigkeit der wahrgenommenen Rechte und dem Anspruch der Rechteinhaber auf angemessene Vergütung für jede öffentliche Wiedergabe ihres Werkes begründet (Rn. 66). Verstoßen aber die Gegenseitigkeitsverträge nicht gegen Art. 81 Abs. l, so entfällt, wie dargelegt, die Möglichkeit der Freistellung ebenso wie die Verbindung der Freistellung mit einer Auflage. Im Ergebnis nimmt die Kommission jedoch eine spürbare Einschränkung des Preiswettbcwcrbs an, weil die 396

IV. Die Trennung von Lizenzgebühr und Vcrwaltungsgebühr

beteiligten Unternehmen durch die Gesamtlizenz in ihrer Freiheit beschränkt würden, selbst das Entgelt für die Mehrprogramm./Mehrgcbietslizenz gegenüber den Nutzern festzusetzen (Rn. 67). Damit ist zwar der für Art. 81 Abs. 3 vorgreifliche Verstoß gegen Art. 81 Abs. l EG begründet, damit ist jedoch nicht entschieden, daß die Freistellung der Gegenscitigkeitsverträge mit einer Auflage verbunden werden darf, wonach die den Nutzern anzubietenden Lizenzverträge die Lizenzgebühr und Verwaltungsgebühr getrennt ausweisen müssen. Bei den Verträgen, welche die Verwertungsgesellschaften auf Grundlage der Gegenseitigkeitsvcrträge mitSimulcastern abschließen, handelt es sich um Verträge, die rechtlich und wirtschaftlich von den Gegenseitigkeitsverträgen zu trennen sind. Insbesondere sind die Nutzer in keiner Weise an dem Abschluß der Gegenseitigkeitsverträge oder der Festlegung der Lizenzgebühren beteiligt. Das gemcinschaftsrechtlich maßgebliche Kriterium für die Reichweite des Verbots in Art. 81 Abs. l und für eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 ist die Nichtigkeitsfolge in Art. 81 Abs. 2 EG. Das folgt schon aus dem Wortlaut von Art. 81 Abs. 3. Generalanwalt Mischo hat diesen Zusammenhang knapp gekennzeichnet: „Die Freistellung verleiht Vereinbarungen Wirksamkeit, die ansonsten grundsätzlich verboten und gemäß Art. 85 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 81 Abs. 2 EG) nichtig wären."28 Ein der Freistellung zugänglicher Vertrag liegt mithin nur vor, wenn er ohne die Freistellung nach Art. 81 Abs. 2 EG nichtig wäre. Indem maßgeblichen Urteil heißt es dazu, daß sich „die Nichtigkeit nach Art. 85 Abs. 2 EGV (Art. 81 Abs. 2 EG) nur auf die mit Art. 85 Abs. l unvereinbaren vertraglichen Bestimmungen erstreckt. Die Auswirkungen dieser Nichtigkeit auf die übrigen Bestandteile des Vertrages, auf die aufgrund des Vertrages erteilten Aufträge und durchgeführten Lieferungen sowie auf die daraus folgenden Zahlungsverpflichtungen sind nicht nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilen. Über diese Auswirkungen hat das nationale Gericht nach seinen eigenen Rechtsvorschriften zu entscheiden." 29 Schon aus dem zitierten Wortlaut dieses Urteils folgt, daß das Gcmeinschaftsrecht keine Geltung für die auf Grund einer wettbewcrbsbeschränkenden Vereinbarung abgeschlossenen Folgcverträgc beansprucht. Gcneralanwalt Colomer hat diese Konsequenz in Überein28

29

Schlußanträge in EuGH v. 18.12.1986 - Rs. 10/86 VAG France .·. Magnc, Slg. 1986, 4071, 4079. EuGH v. 14.12.1983 - Rs. 319/S2 Sofrf£(Coditel I); ECJ 6 Oct 1982 ECR 1982, 3381, 3401 Coditel./. Cine Vog Films (Coditel II).

410

II. International copyright law on global markets

The prohibition of discriminations for reasons of nationality is applicable to member state legislation that make the recognition of copyrights or neighbouring rights of nationals of Member States conditional upon reciprocity of these rights.15 Modifications in the application of competition rules may be necessary if and when they interfere with legitimate economic and/or social and cultural functions of copyrights.

II.

International copyright law on global markets

Goods and services protected by copyrights and neighbouring rights account for substantial shares of international trade and trade in the European Internal Market. The tension between the national creation and territorial protection of copyrights and their global use and exploitation has driven the development of international copyright law. After the classic Paris Convention (1884) and Berne Convention (1886) more than a century elapsed until intellectual property rights were addressed by international trade law as well. Most important is, of course, the "Treaty on Trade Related Aspects of International Property Rights" as part of the WTO (TRIPs). The preamble to TRIPs is forthright and informative in this respect. Intellectual property rights are recognised and guaranteed as private rights that reflect the underlying public policy objectives of national systems. The challenge is to reduce the tensions flowing from the use and abuse of property rights when they interfere with international trade. Trade law obligations and sanctions are to reinforce the Berne and Paris conventions. There is even a carefully limited reference to license contracts that restrict competition (Article 40). The WIPO-Copyright Treaty of 1996 is designed to address the impact of digital technologies on the protection of copyright. It provides for a right of distribution (Art. 6 (1)) and a right of communication to the public (Art. 8).16

14

15

16

EC Commission Decision of 8 Oct 2002, OJEC L 107/58, 13 April 2003 par. 67 IFPI/Simulcasting with respect to online exploitation. ECJ 20 Oct 1993 ECR 1993, 5171, Collins ./. /MAT.

For details see WIPO, Intellectual Property on the Internet: A Survey of Issues; 411

14. Collecting Societies in Law and Economics

A majority of collecting societies have organised themselves in two international organisations: CISAC17 and BIEM.18 The international organisations of collecting societies follow closely major principles of the Berne Convention: Territorial protection of copyrights, national treatment and reciprocity in the recognition of the internal governance of the affiliated societies. CISAC coordinates technical activities of the author's societies, to ensure their collaboration in this field and to introduce common tools between the societies, subject to the understanding, however, that each society is master of its internal organisation (Statutes Article 4 III). One of the "common tools" is a model contract of reciprocal representation for performance rights. These contracts create a worldwide network. In this network every national collecting society owns or manages the world repertoire particularly national copyrights owned by foreigners. The Court of Justice interpreted the contractual guarantee of national treatment as in harmony with Section 5 of the Berne Convention.19 In the words of the Court: "Consequently it is apparent that reciprocal representation contracts between copyright-management societies have a twofold purpose: First, they are intended to make all protected musical works, whatever their origin, subject to the same conditions for all users in the same member state, in accordance with the principle laid down in the international provisions; Secondly they enable copyright management societies to rely, for the protection of their repertoires in another State, on the organisation established by the copyright-management society operating there, without being obliged to add to that organisation their own network of contracts with users and their own local monitoring arrangements."

The reciprocal representation contracts have been amended through the "Santiago Agreement". The agreement authorizes each party to grant non exclusive licenses for the online exploitation of musical works pertaining to the repertoire of the other party on a worldwide basis to users. Users are the content providers. As a rule, the society with authority to grant such licenses is the society of the country where the content provider has its actual or economic location. The agreement entered into by all EU col-

17 18

19

WIPO Dec 2002 par. 47 at > http://www.wipo.int/copyright/ecommerceen/ ip-survey.html