Entzweite Freunde: Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989 [1 ed.] 9783666351228, 9783525351222


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German Pages [582] Year 2016

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Entzweite Freunde: Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989 [1 ed.]
 9783666351228, 9783525351222

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Analysen und Dokumente Band 47 Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

Vandenhoeck & Ruprecht

Georg Herbstritt

Entzweite Freunde Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989

Vandenhoeck & Ruprecht

Umschlagabbildung: Flugblatt, das Mitte November 1988 in Ostberlin während Ceaușescus Staatsbesuch in der DDR verbreitet wurde. Das MfS sammelte in kürzester Zeit 51 Exemplare davon ein. Her­ gestellt und verbreitet hatte das Flugblatt Jens Jarkowski, ein Ostberliner Fernmeldemonteur. Quelle: BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3792, Bl. 145

Mit 32 Abbildungen und 11 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-1064 SBN 978-3-666-35122-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /  Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Inhalt

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Fragestellung und Quellenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. »Bruderorgane«: die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate. . . 25 1.1 Anfänge: Die Securitate etabliert sich in Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.2 Die geheimdienstliche Zusammenarbeit gegen die rumänische Emigration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.2.1 Die »Balkan-Akte« des MfS: eine Dokumentation der Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.2.2 Eine Reaktion auf den Ungarnaufstand 1956: MfS und Securitate bekämpfen die rumänische Emigration intensiver. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.2.3 Die Securitate sucht Spuren ehemals internierter Legionäre auf dem Gebiet der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.2.4 Die geplante Entführung des ehemaligen Legionärskommandanten Ilie Gârneaţă aus München . . . . . . . 54 1.2.5 Entführung oder Anwerbung und die Ratschläge des KGB: ein Westberliner Polizist im Visier von Securitate und MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1.2.5.1 Die Bearbeitung eines Westberliner Polizisten von 1955 bis 1959. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1.2.5.2 Die Securitate lässt das MfS im Unklaren: der vermeintliche Überläufer Gheorghe Mandache alias Rudolf Baumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1.3 Die »Rumänische Kolonie Berlin« und die gemeinsamen Menschenraubaktionen von Securitate und MfS in den 1950erJahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1.3.1 Die »Rumänische Kolonie Berlin« im Visier von Securitate und MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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1.3.2

Die Entführung des Emigranten Vergiliu Eftimie in Berlin, Herbst 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1.3.3 Theodor Bucur und Petre Tonegaru: Ein Informant wird entführt, ein Informant wird geschont, Frühjahr 1953. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1.3.4 Ungeklärte Entführungsfälle in Berlin 1950/51: Eugen Luca (alias Panaitescu) und Eugen Bisoc. . . . . . . . 84 1.3.5 Ein Mitglied der »Rumänischen Kolonie« in DDRHaft und als Händler zwischen West und Ost . . . . . . . . . 87 1.3.6 »Gerda«: von der Hermannstädter Metzgerei-Verkäuferin zum Securitate-Lockvogel in Berlin. . . . . . . . . . 88 1.3.7 MfS-Informanten in der »Rumänischen Kolonie« . . . . . . 93 1.3.8 Eine Rufmordkampagne gegen den Vorsitzenden der »Rumänischen Kolonie« 1956/57. . . . . . . . . . . . . . . . 97 1.3.9 »Gerda« und die Entführung des Legionärs Traian Puiu, Januar 1958. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1.3.10 Von der Waffen-SS zur Securitate: »Gerhard« und »Gerda« und die Entführung des Emigranten Oliviu Beldeanu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1.3.11 »Gerda« in den Fängen der amerikanischen Spionageabwehr, Herbst 1958. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1.4 Rumänische Emigranten werden in Berlin auch ohne MfSBeteiligung entführt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1.5 Zwischenbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1.6 Rumäniendeutsche Verbände in Berlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1.7 Der Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 in den Akten des MfS. 117 1.8 Probleme, Spannungen und Grenzen in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Unterbrechung der Zusammenarbeit und Versuche der Wiederannäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2.1 1964 – Die Zusammenarbeit wird unterbrochen . . . . . . . . . . . . . 127 2.2 Die rumänische Autonomiepolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.2.1 Die April-Deklaration 1964. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2.2.2 Zum Rückzug der sowjetischen Truppen 1958. . . . . . . . 138

Inhalt

2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.2.7

SED-Kritik an rumänischen Sonderpositionen, 1963. . . Rumänische Alleingänge 1965 bis 1969 und zunehmende Differenzen zwischen Rumänien und der DDR . Eine Zwischenbilanz des MfS: die Lageanalyse zu Rumänien 1969 und Vergleiche mit Polen und Ungarn. Sowjetische Einmarschpläne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategie: Rumänien trotz allem einbinden. . . . . . . . . . .

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143 150 160 165 167

2.3 Abgrenzung und Wiederannäherung zwischen Securitate und MfS, 1964 bis 1973. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Wechselhaft: der Austausch geheimdienstlicher Informationen 1964 bis 1973. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Unergiebig: die Zusammenarbeit im Bereich der operativen Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Beständige Kontakte: eine Chronik der Zusammenarbeit aus Sicht der Securitate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 MfS-Maßnahmen gegen Rumänien, 1968 . . . . . . . . . . 2.3.5 Spionageabwehr Ost: die Anti-KGB-Abteilung der Securitate, 1968/69. . . . . . 2.3.6 Die Securitate-Führung gibt sich kooperationsbereit: Einladungen an Erich Mielke und der Überraschungsbesuch von Spionagechef Nicolae Doicaru in Ostberlin, 1971. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Letzte Kooperationsangebote aus Bukarest, 1972 bis 1973. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7.1 Das MfS wahrt Distanz gegenüber den Offerten der Securitate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7.2 Noch einmal gemeinsam: Aktionen gegen westdeutsche Fluchthelfer, September 1973. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.8 Multilaterale Aspekte: die Beziehungen der Securitate zu anderen sozialistischen Geheimdiensten . . . . . . . 2.3.9 Zwischenbetrachtung: kein »Eiserner Vorhang«, aber kaum Kontakte und keine regulären Arbeitsbeziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.4 Die geheimdienstlichen Beziehungen in den 1970er- und 1980erJahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Glückwunschtelegramme dokumentieren Distanz. . . . . 2.4.2 Die geheimen Regierungsfernschreibverbindungen . . . . 2.4.3 Staatsbesuche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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172 173 178 181 182 184

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2.4.4 2.4.5

Rüstungsimporte aus Rumänien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstreisen: nur wenige MfS-Mitarbeiter reisen nach Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Ansprechpartner des MfS in der rumänischen Botschaft in Ostberlin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Zwischenbetrachtung: Die Securitate mutiert aus MfS-Perspektive zum Außenseiter . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Ausdrückliche Belege für nicht mehr existierende Arbeitsbeziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9 Außenseiter MfS: der geheimdienstliche Urlauberaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.10 Die sozialistischen Geheimdienste und der Top-Terrorist Carlos. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.11 Fluchthilfe und Schmuggel: die (Parallel-)Vorgänge »Emigrant« und »Detectivul«. . .

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2.5 MfS-Chef Mielke berät sich mit der KGB-Führung. . . . . . . . . . . 238 2.6 Die politische Wiederannäherung Rumäniens und der DDR in den 1980er-Jahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2.7 Die Zusammenarbeit anderer Sicherheitsbehörden Rumäniens und der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Ein feindliches Bruderland: Das MfS in Rumänien seit 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.1 Die DDR-Botschaft in Bukarest als Spionagestützpunkt des MfS seit 1968/69. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.2 Die deutsche Minderheit in Rumänien: Nutzen und Ärgernis für das MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3.2.1 Die deutsch-deutsche Konkurrenz in Rumänien . . . . . . . 269 3.2.2 Nützlich für das MfS: die Spitzenfunktionäre der deutschen Minderheit . . . . . 277 3.2.3 Ein Ärgernis für das MfS: rumäniendeutsche Schriftsteller. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3.2.3.1 Junge Schriftsteller als »reaktionäre Gruppe«: Klausenburg (Cluj), 1972. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3.2.3.2 Das MfS beargwöhnt Schriftstellerkontakte zwischen der DDR und Rumänien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

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3.2.3.3 Temeswar (Timișoara) 1982: die deutschsprachige Literaturszene im Banat aus einer MfS-Perspektive . . . . 304 3.2.3.4 Zwischenbetrachtung: Das MfS beobachtet, greift in Rumänien aber nicht ein. 322 3.3 DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Tourismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Studenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Flucht über Rumänien in den Westen . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Die Folgen ausbleibender Kooperation: DDR-Flüchtlinge werden doppelt verurteilt, das MfS beklagt Überwachungslücken. . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Doppelt verurteilte Flüchtlinge und die Argumente der DDR-Justiz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.3 Die Überwachung funktioniert auch ohne direkte Beteiligung des MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.4 Hafterfahrungen und Misshandlung von Flüchtlingen . 3.3.3.5 Flucht über Rumänien: statistische Übersicht. . . . . . . . . 3.3.3.6 Fluchtwege und Fluchtmotive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.7 Das MfS kontrolliert die rumänische Grenzsicherung. . 3.3.3.8 DDR-Flüchtlinge sterben an der rumänischen Grenze. . 3.3.3.9 Exkurs: Flucht und Ausreise aus rumänischer Perspektive . . . . .

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4. Der wirtschaftliche Niedergang Rumäniens in den 1980er-Jahren und die Reaktionen des MfS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 4.1 1983 – Das MfS und seine Verbündeten sammeln verstärkt Informationen aus Rumänien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 4.2 IM-Berichte aus Rumänien: Alltagsinformationen und Kolportagen, Hungerrevolten und Putschversuche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 4.3 Opposition und Widerstand in Rumänien in den MfS-Akten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 4.4 HVA- und CIA-Analysen über Rumänien 1982/83 . . . . . . . . . . . 432 4.5 Der rumänische Sonderweg aus einer sowjetischen Perspektive . . 434

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4.6 Der Ostblock in der Krise: die monatlichen Lageberichte des MfS über Rumänien und andere verbündete Länder seit 1984. . . . . . . 437 4.7 Der Arbeiteraufstand in Kronstadt (Brașov) 1987. . . . . . . . . . . . . 440 4.8 Die Krise in Rumänien wirkt auf die DDR zurück. . . . . . . . . . . . 442 4.8.1 Anti-Ceaușescu-Proteste in der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . 442 4.8.2 Verbot rumänischer Zeitschriften in der DDR. . . . . . . . 453 4.8.3 Das MfS bemüht sich, internationale kirchliche Proteste gegen das Ceaușescu-Regime zu unterbinden. . 454 5. Im Visier des MfS: Rumänen in der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 5.1 Rumänische Einrichtungen in der DDR werden überwacht. . . . . 457 5.2 Händler und Reisende oder Schmuggler und Spione?. . . . . . . . . . 463 5.3 Fluchtversuche von Rumänien über die DDR in den Westen. . . . 467 5.4 Rumäniendeutsche wollen in die DDR übersiedeln . . . . . . . . . . . 471 5.5 Rauschgiftschmuggel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 6. Nur eine Randerscheinung für das MfS? Emigranten und Ausgewanderte aus Rumänien in den 1970er- und 1980er-Jahren und die »Westarbeit« der Securitate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 6.1 Über Jahrzehnte im Blick der Geheimdienste: der Emigrant Vasile C. Dumitrescu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 6.2 Die jüngere rumänische Emigration, 1970er- und 1980er-Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 6.3 Die Flucht des Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa in den Westen, 1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 6.4 Rumäniendeutsche Landsmannschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 6.5 Von Temeswar (Timișoara) nach Berlin: das MfS und die ausgewanderten rumäniendeutschen Schriftsteller, 1986 bis 1989. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487

Inhalt

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6.6 Exkurs: die Westarbeit der Securitate in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 7. Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Dokumenteneditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexika, Nachschlagewerke, Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Organisationsstrukturen von Securitate und MfS und Anmerkungen zu übersetzten Begriffen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Zuständigkeiten der Securitate- und MfS-Abteilungen. . . . . . . . . 561 Zur Schreibweise von Ortsnamen in Rumänien. . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Decknamenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Ortsregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 Angaben zum Autor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 Quellen der Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

Vorwort Im November 2005 stellten wir auf der Bukarester Buchmesse unser Buch »Stasi și Securitatea« (»Stasi und Securitate«) vor. Es ging ebenso wie das hier vorliegende Buch den wechselhaften Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Rumäniens und der DDR nach, und es fragte ebenso nach den Folgen der geheimdienstlichen Tätigkeit für die betroffenen Menschen. Für unsere Forschungsarbeit standen uns zu jener Zeit aber nur Dokumente aus der Berliner Stasi-Unterlagen-Behörde zur Verfügung. In Rumänien existiert zwar seit 1999 eine vergleichbare Einrichtung: der Landesrat für das Studium der Securitate-​ Archive (CNSAS). Der Landesrat verfügte damals jedoch nicht selbst über die Securitate-Akten, denn diese verblieben bei den Nachfolgern der Securitate, dem Inlandsgeheimdienst SRI und dem Auslandsnachrichtendienst SIE. Ging beim Landesrat ein Antrag auf Akteneinsicht ein, fragte dieser bei den beiden Diensten nach, ob dort entsprechende Unterlagen vorhanden seien. Der rumänische Autor, Stejărel Olaru, beantragte im August 2002 beim CNSAS Einsicht in sämtliche Unterlagen, die gemeinsame Aktivitäten zwischen Securitate und Stasi in den Jahren 1948 bis 1989 dokumentieren. Die Antwort des CNSAS erfolgte immerhin schon nach zwei Monaten und war nicht überraschend. Der Inlandsgeheimdienst SRI ließ ausrichten, er habe keine Akten zu dieser Thematik gefunden, während sich der Auslandsnachrichtendienst SIE auf die Bemerkung beschränkte, der Antrag überschreite den Rahmen des Aktenöffnungs­ gesetzes von 1999. Da wir aufgrund dieser Mitteilungen ohne Dokumente aus dem Securitate-​ Archiv auskommen mussten, befanden wir uns in der für einen Forscher unerfreulichen und unbefriedigenden Situation, das Verhältnis zwischen Stasi und Securitate sowie deren Zusammenarbeit nur aus der deutschen Perspektive betrachten zu können. Das bedeutete naturgemäß, dass wir damals nur ein lückenhaftes Bild zeichnen konnten. Einige Aspekte fehlten oder waren fehlerbehaftet. Somit blieb unsere Arbeit unvollständig. In dem Buch »Stasi și Securitatea« konnten wir gleichwohl zeigen, dass die beiden Staatssicherheitsdienste insbesondere bis 1964 selbstverständlich zusammenarbeiteten. Wir formulierten mit unserem Buch deshalb auch den Appell, die Securitate-Akten zugänglich zu machen. 2006 kam tatsächlich Bewegung in diese Angelegenheit. Die Securitate-Unterlagen wurden zum größten Teil dem CNSAS übergeben, wo sie inzwischen regulär eingesehen werden können. Ursprünglich beabsichtigten wir, das Buch »Stasi și Securitatea« einfach ins Deutsche zu übertragen. Doch vor dem Hintergrund der faktischen Aktenöffnung in Rumänien seit 2006 schien es uns geboten, das Thema noch einmal neu

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Vorwort

anzugehen und die nun zugänglichen Securitate-Akten mit einzubeziehen, was mit einiger Verzögerung dann auch geschehen ist. Das Ergebnis liegt mit diesem Buch vor. Die vorliegende Fassung hat der deutsche Autor, Georg Herbstritt, erarbeitet. Von unserem Selbstverständnis her bleibt es trotzdem ein grenzüberschreitendes Gemeinschaftsprojekt. Die Inspiration dazu kam aus Bukarest, und es ist getragen von der Idee, dass der Blick des jeweils anderen die eigene Perspektive erweitert. Stejărel Olaru, Georg Herbstritt

Einleitung Am 15. Dezember 1989 protestierte in der westrumänischen Stadt Temeswar (Timișoara) eine kleine Gruppe von Menschen gegen die angedrohte Zwangsversetzung des reformierten Pastors László Tőkés in ein nordsiebenbürgisches Dorf. Innerhalb weniger Tage erwuchs daraus ein landesweiter antikommunistischer Aufstand gegen die verhasste Ceaușescu-Diktatur. Am 22. Dezember 1989 mussten Elena und Nicolae Ceaușescu aus Bukarest fliehen. Drei Tage später wurde das Diktatoren-Ehepaar hingerichtet. Berichte über viele Tausend Tote schockierten die Öffentlichkeit in Rumänien und in ganz Europa. Vor allem der rumänische Geheimdienst Securitate wurde in den Medien für die gemeldeten Massaker verantwortlich gemacht. In der DDR kam es wie in anderen Ländern zu Sympathiekundgebungen für die Aufständischen in Rumänien. Gleichzeitig wurde in der DDR die eigene Geheimpolizei, das Ministerium für Staatssicherheit (»Stasi«) von vielen Menschen immer häufiger in einem Atemzug mit der Securitate genannt. In dieser Situation sah sich das Ministerium für Staatssicherheit, das sich inzwischen »Verfassungsschutz der DDR« nannte, veranlasst, sich in einer Pressemitteilung am 23. Dezember 1989 in aller Form von der Securitate zu distanzieren: Pressestelle des Verfassungsschutzes 23.12.1989 Im Namen der mit der Bildung des Auslandsnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes der DDR beauftragten Angehörigen gab am Abend ein Sprecher folgende Erklärung ab. Die Angehörigen beider im Aufbau befindlicher Dienste distanzieren sich auf das entschiedenste von den Verbrechen der gegen das rumänische Volk vorgehenden Einheiten des dortigen Geheimdienstes. Sie versichern dem rumänischen Volk und den auf seiner Seite kämpfenden bewaffneten Kräften ihre volle Solidarität. Mit einer Spende aus dem Solidaritätsaufkommen von 500 Tausend Mark auf das Konto 444 werden sie sich an der Hilfeleistung für Rumänien beteiligen. Weder das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit noch das aufgelöste Amt für Nationale Sicherheit haben jemals Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst Securitate unterhalten. Sie haben mit diesem Organ niemals zusammengearbeitet.1 1  BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8407, Bl. 2. Diese Pressemitteilung wurde im »Neuen Deutschland«, der maßgeblichen Zeitung in der DDR, am 28.12.1989, S. 2, fast wörtlich so veröffentlicht. Bei der Kontonummer 444 handelte es sich um ein allgemein bekanntes Spendenkonto in der DDR, auf das jedermann zugunsten verschiedenster Hilfsprojekte einzahlen konnte. In den MfS-Finanzunterlagen ist für den Zeitraum vom 12. bis 16.1.1990 tatsächlich eine Über-

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Die DDR-Geheimpolizei hatte zu diesem Zeitpunkt genug eigene Probleme und konnte nicht daran interessiert sein, auch noch mit den Schreckensmeldungen über die Securitate in einen Zusammenhang gebracht zu werden. Ebenso musste sie sich seit Anfang Dezember 1989 gegen Gerüchte verwahren, sie würde geheime Unterlagen nach Rumänien ausfliegen.2 weisung in Höhe von 500 000 Mark auf das Konto 444 zugunsten Rumäniens ausgewiesen. BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 682, Bl. 33 f. Bei wem der Betrag letztlich ankam, wäre noch zu untersuchen. Eine namentliche Auflistung einzelner MfS-Mitarbeiter, die damals Geld für Rumänien spendeten, in: BStU, MfS, HA II, Nr. 41989, Bl. 64 und HA III, Nr. 176, Bl. 19. Eine knappe, zuverlässige Übersicht über die damaligen Ereignisse in Rumänien und die späteren Deutungsmuster bietet Grosescu: Interpretationen der rumänischen Dezemberereignisse, S. 123–136. Während des Umsturzes in Rumänien kamen 1 104 Menschen ums Leben, und zwar wurden 162 Menschen bis zum Sturz Ceaușescus am 22.12.1989 getötet, 942 hingegen erst in den Tagen danach. Siehe ebenda, S. 128. Siehe auch die zuverlässige Chronologie von Ursprung: Die rumänische Revolution. – In der vorliegenden Studie werden die Eigenbezeichnung »MfS« und das umgangssprachliche Wort »Stasi« synonym benutzt. Der Begriff »Staatssicherheitsdienst« wird verwendet, wenn der geheimpolizeiliche Charakter des MfS im Vordergrund steht, während der umfassendere, allgemeine Begriff »Geheimdienst« vor allem dann gebraucht wird, wenn es um allgemeinere Aspekte geht. »Nachrichtendienst« bzw. »Auslandsnachrichtendienst« bezieht sich auf die Tätigkeit von Auslandsspionage. 2  Anfang Dezember 1989 kursierte in der Öffentlichkeit eine Meldung, wonach Stasi-Akten vom DDR-Flughafen Berlin-Schönefeld nach Rumänien ausgeflogen würden. Wie kam diese Meldung zustande? Eine mögliche, plausible Erklärung findet sich in der Erinnerung des Thüringer Theologen Ehrhart Neubert. Neubert gehörte 1989 in Ostberlin zu den Mitbegründern des »Demokratischen Aufbruchs«. Dem Autor des vorliegenden Buches schrieb Ehrhart Neubert am 7. Oktober 2010 auf diese Frage Folgendes: »Lieber Herr Herbstritt, ja ich war der erste, der das ›Gerücht‹ öffentlich gemacht hat. Das ist auch bei Christoph Links in ›Chronik der Wende‹ (welche Ausgabe weiß ich nicht mehr) abgedruckt worden. Das Datum lässt sich dort nachlesen. Dem Gerücht lag Folgendes zugrunde. An einem Abend besuchte mich ein Herr in der Torstraße, der sich als Mitarbeiter der Interflug auf dem Flughafen Schönefeld vorstellte. Mir erschien dies glaubhaft, weil er viele Details zu erzählen hatte, die mit der Interflug und deren damaligen Zustand zu tun hatten. Er berichtete, dass vom Flughafen wiederholt einige Maschinen nach Rumänien gestartet seien. Diese Maschinen wären nicht ordentlich im üblichen Verfahren abgefertigt und registriert worden. Das Personal, das das Flugzeug mit verschiedenen Kisten und Kästen beladen hätte, wäre nicht das ihm teilweise bekannte Personal gewesen. Er vermutete, dass in der Fracht Akten gewesen wären, da offenbar eine Kiste (o. Ä.) aufgegangen sei und herausgefallenes Papier hastig wieder eingesammelt wurde. Auch hätte ihm ein Fahrer des Ladeguts gesagt, dass die Genossen Stasiakten wegbringen würden. Der Mann wollte auf keinen Fall mit Namen in der Öffentlichkeit genannt werden, weil er fürchtete, verfolgt zu werden. Er bat mich flehentlich um Diskretion. Ich kann mich an den aufgeregten Menschen gut erinnern, einen Namen weiß ich nicht mehr. Die Interflug hat offiziell die Angelegenheit nach meiner Veröffentlichung dementiert. Klar. Mir erschien dies damals glaubhaft, da uns bekannt war, dass das MfS sich über die Akten hermachte. Offenbar, so glaubte ich damals, gab es auch Erhaltenswertes, denn noch stand nicht fest, dass das MfS völlig aufgerieben werden würde usw. Immerhin herrschten in Rumänien noch die befreundeten Kommunisten. Außerdem hatte m.E.n. die Stasi an einer solchen Desinformation kein Interesse, da es die Leute nur noch mehr aufgebracht hätte. Außerdem wurden mir im Demokratischen Aufbruch viele solche Gerüchte zugetragen, die zum Teil auch stimmten. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher wie damals.

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Für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) stand die eigene Fortexistenz auf dem Spiel. Am 7. November 1989 musste Erich Mielke zurücktreten, der seit 1957 das Ministerium für Staatssicherheit als Minister geleitet hatte. Am 4. Dezember 1989 begannen DDR-Bürger damit, die Stasi-Bezirksverwaltungen zu besetzen und Akten zu beschlagnahmen. Das Ministerium für Staatssicherheit versuchte, durch Umbenennungen und Umstrukturierungen seine finstere Vergangenheit loszuwerden. Die letzte sozialistische DDR-Regierung beschloss am 14. Dezember, das MfS, das sich zu diesem Zeitpunkt »Amt für Nationale Sicherheit« nannte, in einen Inlandsgeheimdienst und einen Auslandsnachrichtendienst zu zerlegen und damit das westdeutsche Modell nachzuahmen. Der DDR-Inlandsgeheimdienst nannte sich fortan »Verfassungsschutz« und trug damit den gleichen Namen wie der westdeutsche Inlandsgeheimdienst, der indes mit der DDR-Geheimpolizei nicht zu vergleichen war. Es handelte sich also um einen Etikettenschwindel. In der Pressemitteilung vom 23. Dezember 1989 versteckte sich das MfS bereits hinter dem vermeintlich besser klingenden Namen »Verfassungsschutz«. Doch nicht nur darin bestand die Desinformation. Geheuchelt war auch die Solidarität mit den Aufständischen, denn in der DDR gehörte das MfS nicht zu den Unterstützern der Demokratiebewegung und der friedlichen Revolution. Auch die Aussage, nie mit der Securitate zusammengearbeitet zu haben, entsprach nicht der Wahrheit. Es ist bemerkenswert, dass frühere MfS-Mitarbeiter in ihren Veröffentlichungen auch noch 20 Jahre nach dem Untergang der DDR an dieser Falschbehauptung festhielten.3 Die damalige Pressemitteilung wurde auch im englischsprachigen Raum unkritisch aufgegriffen und als vermeintlicher Beleg für die isolierte Stellung der Securitate weiterverbreitet.4 Ihr Inhalt war gleichwohl nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, denn die Securitate befand sich seit Mitte der 1960er-Jahre tatAber nachprüfenswert (in Rumänien) wäre die Sache schon. Obgleich ich den rumänischen Organen absolut misstraue.« In die Öffentlichkeit gelangte das Gerücht konkret dadurch, dass Ehrhart Neubert noch am selben Abend, als er von den vermeintlichen Vorgängen am Flughafen Schönefeld erfuhr, ein Rundfunkinterview gab, in dem er darüber erzählte. Schriftliche Mitteilung Ehrhart Neuberts an den Verfasser vom 23.4.2015. – Neubert nimmt oben Bezug auf Bahrmann; Links: Chronik der Wende, S.113. Das Gerücht kam demnach am 4.12.1989 auf, allerdings schreiben Bahrmann/Links von Akten des Zentralkomitees der SED, die angeblich nach Rumänien ausgeflogen werden sollten, nicht von Stasi-Akten. Die [Ost-]»Berliner Zeitung« berichtete am 5.12.1989 ebenfalls von Vermutungen, es würden SED-Akten nach Rumänien ausgeflogen. Die DDR-Tageszeitung »Neue Zeit«, S. 2, schrieb unspezifischer einfach von »Aktenmaterial und anderen Gütern«. 3  So schreiben ehemalige führende MfS-Hauptamtliche in ihrem Standardwerk »Die Sicherheit«: »Keine Zusammenarbeit gab es mit den Sicherheitsorganen Chinas, Rumäniens und Albaniens.« In: Grimmer u. a. (Hg.): Die Sicherheit, Bd. 1, S. 107. Dass. in: Großmann; Schwanitz (Hg.): Fragen an das MfS, S. 96. 4  Burke: Romanian and Soviet Intelligence in the December Revolution, S. 27.

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Abb. 1:

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Erstürmung der MfS-Zentrale in der Berliner Normannenstraße (hier: Haus 18) am 15.1.1990. Die Proteste richteten sich auch gegen die Securitate.

sächlich in einer Sonderposition unter den osteuropäischen5 Geheimdiensten. Rumänien schlug damals einen politischen Sonderweg ein und scherte immer wieder aus dem östlichen Bündnissystem aus, indem es verstärkt mit westlichen und blockfreien Staaten kooperierte und sich dem sowjetischen Rivalen China annäherte. All das wirkte sich auch auf die Geheimdienste aus. Während die übrigen osteuropäischen Geheimdienste seit der Wende von den 1960er- zu den 1970er-Jahren begannen, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren, blieb die Securitate nun meistens außen vor. Die rege Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren reduzierte sich in der Folgezeit auf wenige und überwiegend formale Verbindungen. Aus der Perspektive des Ministeriums für Staatssicherheit mutierte Rumänien in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre vom zuverlässigen Verbündeten zu einem potenziell feindlichen Bruderland. An die Stelle regulärer Zusammenarbeit beider Staatssicherheitsdienste traten Distanzierung und gegenseitige Beobachtung.

5  Mit »osteuropäisch« werden in diesem Buch die europäischen Länder innerhalb des sowjetischen Machtbereichs bezeichnet. Es handelt sich um eine politische Zuordnung für die Zeit des Kalten Krieges.

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Fragestellung und Quellenbasis Das vorliegende Buch geht vor dem Hintergrund der skizzierten Entwicklung im Wesentlichen zwei Fragen nach. Zum einen erkundet es, wie sich die Beziehungen zwischen Stasi und Securitate in den rund vier Jahrzehnten ihrer Existenz gestalteten: Wie entwickelte sich die Zusammenarbeit der beiden Staatssicherheitsdienste, welche Ziele verfolgte sie, weshalb kam sie im Laufe der 1960er-Jahre weitgehend zum Erliegen, und wie kompensierte das MfS daraus resultierende Überwachungslücken? Zum anderen untersucht es, inwieweit sich das MfS mit Ereignissen und Entwicklungen in Rumänien sowie mit den Menschen, die dort lebten, von dort stammten oder dorthin reisten, befasste: Je deutlicher sich die rumänische Autonomiepolitik in den 1960er-Jahren herausbildete, desto mehr begriff das MfS Rumänien als einen Problemfall und reagierte auf seine Weise darauf. Es baute inoffizielle Informationskanäle auf, verfasste Analysen und Berichte über die Lage im Land und versuchte auf seine Weise, die Auswirkungen des rumänischen Sonderweges einzudämmen. Somit zeichnen sich drei Phasen in den bilateralen Beziehungen ab. In den 1950er- und frühen 1960er-Jahren kooperierten beide Staatssicherheitsdienste wie selbstverständlich miteinander. Als die Rumänische Arbeiterpartei im April 1964 in einer öffentlichen Erklärung ihren Anspruch auf einen nationalen Sonderweg verkündete, vollzog die Securitate diesen Schritt mit und setzte die Zusammenarbeit mit den Verbündeten weitgehend aus. Die nun folgende zweite Phase von 1964 bis 1973 ist geprägt von Versuchen der Wiederannäherung und anhaltender Distanzierung. Nach 1973 ist in den bislang durchgesehenen Akten keine reguläre Zusammenarbeit mehr dokumentiert. Bereits Ende der 1960erJahre setzt eine dritte Phase ein, in der beide Geheimdienste auch Stellung gegeneinander beziehen. Das findet seinen Ausdruck beispielsweise darin, dass die Securitate nun eine Abteilung einrichtet, die Aktivitäten der verbündeten sozialistischen Geheimdienste abwehren soll, während das MfS eine verdeckte Spionageresidentur in Bukarest etabliert. Die Kapitel dieses Buches folgen dieser Entwicklung. Schildert das erste Kapitel die intensive Zusammenarbeit beider Staatssicherheitsdienste, so untersucht das zweite Kapitel Ursachen, Verlauf und Folgen der Distanzierung, während die Kapitel drei bis sechs verschiedene Aspekte der erwähnten dritten Phase beleuchten. Um den genannten Fragen nachzugehen, wurden die überlieferten MfS-Akten umfassend nach Rumänien-Bezügen durchgesehen. In den Securitate-Unterlagen wurde insbesondere nach Dokumenten über die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste beider Länder geforscht. Immer wieder beziehen sich die archivalischen Überlieferungen beider Seiten aufeinander, sie ergänzen sich und ergeben gemeinsam betrachtet ein stimmiges Bild. Dies gilt vor allem für die Zeit bis 1973.

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Neben der archivalischen Überlieferung von MfS und Securitate wurden weitere Aktenbestände herangezogen, um einzelne Sachverhalte genauer rekonstruieren zu können. Hierzu zählten insbesondere Unterlagen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR sowie punktuell Akten aus den rumänischen Nationalarchiven, den Archiven der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität zu Berlin und des Bundesnachrichtendienstes. In diesem Buch wird bewusst ein Schwerpunkt darauf gelegt, die genannte Aktenüberlieferung vorzustellen. Das Buch zeichnet sich daher durch einen dokumentarischen Charakter aus und bietet eine Grundlage für künftige Analysen und vergleichende Arbeiten. Indem die archivalischen Dokumente im Mittelpunkt stehen, bietet dieses Buch nicht zuletzt eine Dokumentation der Beziehungen zweier Geheimdienste. Es erzählt aus jenen Geheimdienstakten, die für die beiden genannten Fragen von Bedeutung sind. Inhaltlich spannt es dadurch einen weiten Bogen, denn es geht fast alle Felder ab, auf denen die beiden Geheimdienste gemeinsam oder in Abgrenzung zueinander unterwegs waren. Die (ost-)deutsch-rumänischen Verflechtungen werden auf diese Weise aus der eigentümlichen Perspektive der Geheimdienste dargestellt. Dazu zählen die politische Geschichte jener Jahrzehnte, der rumänische Sonderweg und seine Bedeutung innerhalb des östlichen Bündnisses. Neben den Mitarbeitern und Zuträgern der Geheimdienste kommen fast von selbst auch jene Menschen in den Blick, gegen die die Geheimdienste vorgingen: Menschen, die in gemeinsamen Aktionen von MfS und Securitate vom Westen in den Osten verschleppt wurden, die Opfer von Erpressung und Überwachung wurden, die sich als mutige oder verzweifelte Bürger gegen Unterdrückung wehrten, als Schriftsteller Freiräume behaupteten oder aus unterschiedlichen Motiven heraus in den Westen zu fliehen versuchten. Eine Aktenüberlieferung auszubreiten verlangt zugleich, die Fehlstellen mit zu bedenken. Im MfS-Aktenbestand fehlen weitgehend die Unterlagen der Hauptverwaltung A (HV A), also der lange Jahre von Markus Wolf geleiteten Auslandsspionage-Abteilung. Diese Unterlagen beseitigte die HV A in der ersten Jahreshälfte 1990, nachdem ihr das Recht zugebilligt wurde, sich in Eigenregie aufzulösen.6 Die dadurch entstandenen Lücken, sowie einige weitere, werden in diesem Buch in ihrem jeweiligen Zusammenhang angesprochen. In Rumänien gibt es seit Ende 1999 eine der deutschen Stasi-Unterlagen-​ Behörde entsprechende Einrichtung, den »Landesrat für das Studium der Securitate-Archive« (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii, 6 Süß: Staatssicherheit am Ende, S.  739; die »Arbeitsgruppe Sicherheit« des »Zentralen Runden Tisches« hatte sich demnach in einer Beschlussempfehlung am 23.2.1990 dafür ausgesprochen, dass die HV A sich selbst auflösen sollte, was dann auch umgesetzt wurde. Der Beschluss ist abgedruckt in: Gill; Schröter: Das Ministerium für Staatssicherheit, S. 213 f.

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­ NSAS). Die Securitate-Akten gingen aber größtenteils erst 2006 in die Obhut C des CNSAS über. Bis dahin verblieben sie bei den Nachfolgern der Securitate, also dem rumänischen Inlandsgeheimdienst und dem Auslandsnachrichtendienst.7 Wie lückenhaft bzw. vollständig die Akten an den CNSAS übergeben wurden, lässt sich nicht feststellen. Für das vorliegende Buch wurde in den Jahren 2008 bis 2010 im Archiv des CNSAS recherchiert. Die Erschließung der Akten ist allerdings immer noch im Gange, mit interessanten Aktenfunden ist weiterhin zu rechnen. Die verzögerte Aktenöffnung brachte es mit sich, dass in Rumänien erst in den vergangenen zehn Jahren in größerer Zahl Quelleneditionen und aktengestützte Forschungsarbeiten über die Securitate erschienen sind. Die vorliegende Studie hat davon profitiert, wie dem Literaturverzeichnis zu entnehmen ist. Diese Publikationen sind wichtig, um der dominierenden Memoirenliteratur früherer Geheimdienstmitarbeiter fundierte Erkenntnisse gegenüberzustellen. Trotz einiger noch bestehender Unzulänglichkeiten ergeben die gesichteten und hier vorgestellten Unterlagen doch ein recht dichtes Bild des historischen Geschehens und lassen bestimmte Schlussfolgerungen zu. Das Buch geht daher über eine reine Dokumentation hinaus und analysiert zahlreiche Fragen. Während der Recherchen für dieses Buch wurden auch viele Gespräche geführt, etwa mit Menschen, deren Angehörige von den Entführungen der 1950er-Jahre betroffen waren, mit Menschen, die Fluchtversuche unternahmen, mit früheren Mitarbeitern beider deutschen Botschaften in Rumänien oder mit rumäniendeutschen Schriftstellern und Germanisten. Allen Gesprächspartnern sei an dieser Stelle gedankt. Ihre Erinnerungen haben geholfen, die damalige Zeit besser zu verstehen und einige Aktenüberlieferungen kritisch gegenzuprüfen. Sofern in diesem Buch auf konkrete Informationen aus einem Gespräch Bezug genommen wird, wird in den Fußnoten darauf hingewiesen. Für die rumänischsprachige Vorläuferstudie »Stasi și Securitatea« hat der rumänische Autor Stejărel Olaru auch einige Securitate-Offiziere befragt, unter ihnen den früheren Oberst Ioan Rusan und den früheren Hauptmann Marian Romanescu.8 Die Gesprächsanfrage an einen früheren, fachkundigen MfS-Offizier im Februar 2014 blieb ohne Antwort. Die zentrale Stellung der Staatssicherheitsdienste in den sozialistischen Ländern bringt es fast wie selbstverständlich mit sich, dass eine Geschichte ihrer Beziehungen zugleich auch eine Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehun7  Bormann: Die rechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Rumänien, S. 178–185. Siehe auch die kritische Analyse von Andreescu: Landesrat erweist sich als Mittel zur Verschleierung und nicht zur Enttarnung der Securitate; ders.: Über den institutionalisierten Misserfolg der Aufarbeitung. 8  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 7. Rusan leitete ein Securitate-Referat, das für Spionageabwehr gegen das MfS zuständig war, Romanescu gehörte der Spezialeinheit für Terrorbekämpfung der Securitate (USLA, auch: U.M. 0620) an.

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gen beinhaltet. Wo es grenzüberschreitende Kontakte gab, waren auch die Geheimdienste nicht weit, um diese zu überwachen. Zugleich wirkten sich die gesamtstaatlichen Beziehungen mitunter auf das Verhältnis der beiden Staatssicherheitsdienste aus. Rumäniens erklärter Anspruch auf einen nationalen Sonderweg seit 1964 bewirkte unmittelbar auch eine Distanz zwischen den Geheimdiensten. Die schrittweise Entspannung zwischen den politischen Führungen in Ostberlin und Bukarest in den 1970er- und 1980er-Jahren führte hingegen nicht zu einer Re-Intensivierung der bilateralen Geheimdienstkontakte. Indem die vorliegende Studie auch den staatlichen und politischen Rahmen der Geheimdienstbeziehungen darstellt, erzählt sie zugleich eine Geschichte der deutsch-rumänischen Beziehungen während des Kalten Krieges. Die ostdeutsch-rumänischen Beziehungen – zu denen immer auch die westdeutschen Sonderbeziehungen zu beiden Ländern gehören – sind bislang kaum Gegenstand größerer Abhandlungen gewesen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang nur die 2010 erschienene, verlässliche Monografie des Potsdamer Historikers Peter Ulrich Weiß über die Kulturpolitik zwischen den beiden deutschen Staaten und Rumänien in den Jahren 1950 bis 1972, die er mit einer detailreichen Darstellung der gesamtstaatlichen Beziehungen verknüpft.9 Die Geschichte der Beziehungen zwischen MfS und Securitate werden in dem vorliegenden Buch aber nicht nur als bilaterale Angelegenheit gesehen, sondern auch in das multilaterale Beziehungsgefüge der osteuropäischen Geheimdienste eingeordnet. Nur wenn man danach fragt, wie das MfS mit anderen Verbündeten kooperierte, lassen sich die Besonderheiten in den Beziehungen zur Securitate erkennen. Und nur wenn man die Außenbeziehungen anderer sozialistischer Geheimdienste betrachtet, werden auch einige Sonderpositionen des MfS sichtbar. Deshalb werden hier auf der Grundlage von Sekundärliteratur auch Länder wie Polen, Ungarn und Bulgarien einbezogen. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die gründlich recherchierten Arbeiten der Historiker Tytus Jaskułowski und Stefano Bottoni. Jaskułowski hat das Verhältnis der polnischen und der ostdeutschen Staatssicherheit anhand der archivalischen Überlieferung beider Institutionen untersucht und dabei viele Konfliktfelder zwischen den beiden Verbündeten offengelegt.10 Stefano Bottoni hat die Akten der sozialistischen Geheimdienste Ungarns und Rumäniens ausgewertet und deren Beziehungen und spätere Gegnerschaft analysiert.11 Damit ermöglicht er einen direkten Vergleich zu den Beziehungen zwischen MfS und Securitate. Auf der Grundlage bulgarischer Dokumente hat Jordan Baev die Beziehungen zwischen 9  Weiß: Kulturarbeit. 10  Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen. In diesem Beitrag fasst Jaskułowski einige Aspekte seiner polnischsprachigen Monografie »Przyjaźń, której nie było« zusammen. 11  Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«; ders.: Zögernde Spione.

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den Staatssicherheitsdiensten Rumäniens und Bulgariens knapp skizziert.12 Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem bulgarischem Geheimdienst ist Gegenstand einer Untersuchung von Christopher Nehring, die derzeit im Entstehen ist und die sich auf die einschlägige Archivüberlieferung in Berlin und Sofia stützt.13 Erst die Zusammenschau dieser Forschungsarbeiten macht deutlich, dass jeder der sozialistischen Geheimdienste in gewissem Umfang eigene und nationale Interessen verfolgte und auch mit der rumänischen Abweichung zunächst unterschiedlich umging. Nicht zuletzt lässt sich hier ein Phänomen beobachten, das bisher nur für andere Zeiträume oder Regionen thematisiert wurde: dass Geheimdienste auch verbündeten Ländern misstrauen und sie nachrichtendienstlich bearbeiten.14 Es bleibt zu hoffen, dass Forschungsarbeiten über die sozialistischen Staatssicherheitsdienste die multilaterale Perspektive in größerem Maße als bisher berücksichtigen. Die Studien von Jaskułowski, Bottoni und Nehring führen ebenso wie die hier vorgelegte Arbeit die Geheimdienstakten aus jeweils zwei Ländern zusammen, um bilaterale Geheimdienstbeziehungen umfassend zu analysieren.15 Sie gehen damit über bisherige Studien hinaus, die grenzüberschreitende Untersuchungen entweder auf einzelne Themenfelder begrenzten,16 oder die sich auf die Aktenüberlieferung nur eines Landes stützten.17 Ebenso gehen sie weiter als ei12  Baev: KGB v Bălgarija, S. 275–277. Ich danke Christopher Nehring, der diese Seiten aus dem Buch Baevs für mich übersetzte. Teile davon finden sich in deutscher Sprache in: Baev; Grozev: Bulgarien. 13  Nehring: Die Zusammenarbeit der bulgarischen Staatssicherheit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR; ders.: Die Zusammenarbeit der HV A mit der bulgarischen Aufklärung (in Vorbereitung). 14  Alexander (Hg.): Knowing your Friends. 15  Möglicherweise gibt es noch andere, vergleichbare Studien, die dem Verfasser mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht bekannt geworden sind. 16  Siehe bspw. Domnitz: Kooperation und Kontrolle; Slachta: Megfigyelt ­s zabadság; Vilímek: Tschechoslowakische und DDR-Opposition. Domnitz untersucht die internationale Kooperation der Staatssicherheitsdienste am Beispiel der MfS-Operativgruppen; Slachta erforscht die geheimdienstliche Zusammenarbeit am Beispiel der Überwachung des Tourismus; Vilímek konzentriert sich auf die grenzüberschreitende Verfolgung Oppositioneller. Thematisch breiter angelegt ist Vilímeks Übersichtsdarstellung »Unter scharfer Beobachtung«, in der er verschiedene Felder der geheimdienstlichen Kooperation der Staatssicherheitsdienste der DDR und der ČSSR abgeht. 17  In den 1990er-Jahren (und darüber hinaus) stützten sich seriöse Studien über die internationale Zusammenarbeit der Staatssicherheitsdienste hauptsächlich auf MfS-Unterlagen, da die entsprechenden Archive anderer Länder noch nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich waren. So beispielsweise die im Literaturverzeichnis genannten, immer noch lesenswerten Studien von Monika Tantzscher; ferner Borodziej; Kochanowski: Der DDR-Staatssicherheitsdienst; Dalos: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und der Staatssicherheit der Volksrepublik Ungarn; Ehlert: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem MdI Kubas; Marquardt: Die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB; ders.: Die Kooperation des MfS mit dem KGB und anderen Geheimdiensten. Die zwangsläufige Dominanz der MfS-Perspektive

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nige durchaus verdienstvolle Sammelbände, die zwar Studien über verschiedene osteuropäische Geheimdienste nebeneinander stellen, aber keine länderübergreifenden Analysen vornehmen.18 Unbestritten kam dem sowjetischen KGB die entscheidende Rolle bei der Gestaltung der bi- und multilateralen Geheimdienstkooperation zu. Welche Strategien der KGB im Umgang mit der Securitate entwickelte und welche er seinen Verbündeten in dieser Frage nahelegte, erschließt sich aus der Aktenüberlieferung sowie der aktengestützten Literatur nur bruchstückhaft. Hier besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

versucht insbesondere Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen, aufzubrechen. 18  Kamiński; Persak; Gieseke: Handbuch der kommunistischen Geheimdienste; Grúňová (Hg.): NKVD/KGB Activities.

1. »Bruderorgane«: die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

1.1 Anfänge: Die Securitate etabliert sich in Berlin Das geteilte Berlin hatte in der Zeit des Kalten Krieges den zweifelhaften Ruf, eine »Hauptstadt der Agenten« zu sein. Insbesondere vor dem Bau der Mauer am 13. August 1961 war es in Berlin leicht möglich, unauffällig zwischen Ost und West hin- und herzupendeln. Rund zweieinhalb Millionen DDR-Bürger flohen bis 1961 in den Westen, und die meisten von ihnen benutzten die offene Grenze in Berlin, nachdem die DDR bereits im Jahre 1952 die Grenze nach Westdeutschland abgesperrt hatte. In diesen Flüchtlingsstrom schleusten die östlichen Geheimdienste ihre Agenten ein, die sich wie normale Flüchtlinge im Westen niederließen, um dann ihre geheimdienstliche Arbeit zu beginnen. Umgekehrt nutzten die westlichen Geheimdienste von Berlin aus die Möglichkeit, Informationen über die Situation in der DDR zu sammeln.19 Begleitet wurde die Konfrontation der Geheimdienste von offenen politischen und propagandistischen Auseinandersetzungen. Als die Volksrepublik Rumänien und die DDR im Oktober 1949, wenige Tage nach der offiziellen Gründung der DDR, diplomatische Beziehungen aufnahmen, eröffnete sich dem rumänischen Geheimdienst die Möglichkeit, unter dem Dach der diplomatischen Mission in Ostberlin Fuß zu fassen und sich somit an einem geheimdienstlich attraktiven Standort zu etablieren. Zumindest seit 1950, so belegen es Akten im Bukarester Securitate-Archiv, entfaltete die Securitate aus der rumänischen Botschaft heraus geheimdienstliche Aktivitäten in beiden Teilen Berlins und nach Westdeutschland hinein und erfuhr hierbei auch bald Unterstützung vonseiten des MfS. Die in Ostberlin stationierten Securitate-Offiziere beschäftigten sich damals vor allem damit, rumänische und rumäniendeutsche Emigranten in Westberlin und Westdeutschland zu verfolgen. Die Emigrantenverbände sollten mit Agenten unterwandert, ausspioniert und beeinflusst werden, um sie schließlich daran zu hindern, kritisch oder gar feindlich gegen das kommunistische Regime in Rumänien aufzutreten. Gewiss befanden sich unter den Emigranten viele ehemalige oder noch aktive Legionäre, also Angehörige der faschistischen Bewegung Rumäniens. Aber die Aktionen der Securitate galten grundsätzlich allen Gegnern der neuen »volksdemokrati19  Siehe exemplarisch Steury (Hg.): On the Front Lines of the Cold War; Bailey u. a.: Die unsichtbare Front.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

schen Ordnung«. Die Securitate warb in Berlin lebende Emigranten aus Rumänien an, die ihre Landsleute aushorchten und mithalfen, Emigrantenverbände lahmzulegen. Über Berlin versuchte die Securitate in den 1950er-Jahren auch, Agenten nach Westdeutschland einzuschleusen. Der westlichen Spionageabwehr blieb das nicht verborgen. Im April 1960 ließ die Bundesregierung eine ausführliche Dokumentation veröffentlichen, in der beschrieben wurde, wie die DDR und ihre östlichen Verbündeten von Ostberlin aus die Bundesrepublik zu unterwandern und auszuspionieren versuchten. Der »sowjetische Sektor Berlins«, wie Ostberlin im westlichen Sprachgebrauch auch genannt wurde, hatte sich nach den Erkenntnissen der Bundesregierung in den 1950er-Jahren zu einer der »größten Agentenzentralen der Welt« entwickelt.20 Die rumänische Botschaft in der Parkstraße 23 im Ostberliner Bezirk Pankow, rund 1 000 Meter von der Grenze zu Westberlin entfernt gelegen, fungierte nach damaligen, zutreffenden Erkenntnissen als Spionageresidentur für den rumänischen Geheimdienst, der von dort aus seine Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Staaten steuerte. Der Bericht der Bundesregierung erwähnte den rumänischen Agenten Petre Tonegaru, der schon 1949 angeworben worden und auftragsgemäß als angeblicher Flüchtling über Westberlin in die Bundesrepublik gegangen sei, um dort bis zu seiner Verhaftung 1956 Spionageaufträge auszuführen. Über ihn wird in einem der nachfolgenden Kapitel noch zu sprechen sein. Er wurde ebenso von der rumänischen Spionageresidentur in Ostberlin gesteuert wie der Rumäniendeutsche Johann Galter, der 1958 als Agent zum Einsatz kommen sollte. Von Ostberlin aus, so der Bericht weiter, wurde schließlich auch die rumänische Handelsvertretung in der Bundesrepublik in Frankfurt/M. für Geheimdienstzwecke gesteuert.21 Dort fungierte von Mai 1957 bis Anfang 1959 Ion Mihai Pacepa als Resident für die rumänische Auslandsspionage.22 In Absprache mit Pacepa kamen im Frühjahr und Sommer 1958 zwei hauptamtliche Securitate-Mitarbeiter, Ștefan Ciuciulin und Constantin Horobeţ, in die Bundesrepublik, um dort Agenten zu treffen und Spionageaufträge auszuführen. Ciuciulin hatte im Jahr zuvor Johann Galter geheimdienstlich darauf vorbereitet, in die Bundesrepublik überzusiedeln und dort rumänische Exilkreise in Süddeutschland auszuspionieren. Horobeţ hatte die rumänischstämmige Ehefrau eines US-Armeeangehörigen angeworben, der in der Bundesrepublik stationiert war. Sie sollte umfassend über die US-Streitkräfte berichten, die in Rheinland-Pfalz stationiert 20 Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S.  32. Einen kurzen, informativen Überblick über Berlin als Zentrum der Ost-West-Spionage unter besonderer Berücksichtigung westlicher Geheimdienste sowie antikommunistischer Widerstandsorganisationen in den 1950er-Jahren bieten Engelmann; Fricke: »Konzentrierte Schläge«, S. 62–97. 21  Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 48. 22  Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd.  2, S.  38–54; ders.: Moștenirea Kremlinului, S. 164–179. Deletant: Rumänien, S. 367 f.

Die Securitate etabliert sich in Berlin

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Abb. 2:

In diesem Gebäude in der Parkstraße 23 in Berlin-Pankow residierte seit den 1950er-Jahren bis 1990 die rumänische Botschaft. Aufnahme ca. Mitte der 1970er-Jahre

Abb. 3:

Die Residenz des rumänischen Botschafters in Ostberlin, Pfeilstraße 23. Sie lag nur 500 Meter von der Botschaft entfernt.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

waren. Ihre Zusammenarbeit mit der Securitate war jedoch nur eine scheinbare, da sie sich umgehend ihrem Ehemann offenbarte. Am 18. Juli 1958 wurde Horobeţ in Worms verhaftet, und fast zeitgleich auch Ciuciulin sowie einen Monat später Johann Galter. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe verurteilte Horobeţ am 5. Mai 1959 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus, das Oberlandesgericht Karlsruhe verhängte gegen Ciuciulin am 21. Mai 1959 eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.23 In diesem Zusammenhang wurden die geheimdienstlichen Aktivitäten zweier weiterer Mitarbeiter der rumänischen Handelsvertretung bekannt, die aber nicht gefasst werden konnten, Ivan Bichel und Stefan Deutsch.24 Pacepa überstand diese Ereignisse unbeschadet und stieg schließlich zum stellvertretenden Leiter der rumänischen Auslandsspionage und engen Vertrauten Nicolae Ceaușescus auf. 1978 setzte er sich als ranghöchster kommunistischer Geheimdienstmitarbeiter in die Bundesrepublik ab.25 In seinem 1999 erschienenen »Schwarzbuch der Securitate« weist Pacepa darauf hin, dass die Handelsvertretung in Frankfurt keinen diplomatischen Status besaß. Ihre Mitarbeiter genossen daher keine diplomatische Immunität, und die Handelsvertretung verfügte deshalb nicht über eine chiffrierte Nachrichtenverbindung nach Bukarest. Wichtige Informationen und geheimdienstliches Material habe man aus diesem Grunde im Auto nach Ostberlin transportiert und dem dortigen Verbindungsoffizier in der rumänischen Botschaft übergeben, der sich darum gekümmert habe, die Dinge nach Bukarest weiterzuleiten.26 Pacepa erinnert außerdem an die damalige Unterordnung der rumänischen Auslandsspionage 23  Die Urteile gegen Horobeţ und Ciuciulin sind vorhanden in: Bundesarchiv Koblenz, Bestand B 362/4687 (Horobeţ) und B 362/4688 (Ciuciulin). Das Urteil gegen Horobeţ ist zudem im Wortlaut veröffentlicht in: Herbstritt: Eine Handelsvertretung als Spionagestützpunkt, S. 102–112. Ciuciulin war auch in die Vorgänge um Helene Michel und Ferdinand Dorogi einbezogen, die an anderer Stelle noch beschrieben werden, und vermutlich auch in die um ­Petre Tonegaru und Theodor Bucur. Vgl. ACNSAS, fonds S.I.E., dosar nr. 1007, vol. 1, Bl.  20  f.; ACNSAS, fond S.I.E., dosar nr. 201, Bd. 1, vol. 90–97. 24  Der Spiegel 15 (1961) 37 v. 6.9.1961, S. 17; Bergh: Köln 4713, S. 302. Pacepa erwähnt den Hauptmann Ivan Bichel als Mitarbeiter seiner Frankfurter Residentur. Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 50. 25  Ion Mihai Pacepa (* 1928), Chemiestudium, ab 1951 Securitate-Mitarbeiter, zunächst im Bereich Sabotageabwehr, 1956 in der Auslandsspionage, 1956 der Securitate-Residentur in Frankfurt/M. zugewiesen, trat diese Funktion erst 1957 an, 1959–1963 Leiter der Abteilung 3 (Deutschland, Österreich, nordische Länder) der Auslandsspionage, 1963 Oberst und Stellvertreter des DGIE-Chefs Doicaru, 1967 Generalmajor, 1972 Staatssekretär im Rat für Staatssicherheit und 1. Stellvertreter Doicarus, 1974 Generaloberst, 23./24.7.1978 Flucht in die Bundesrepublik und von dort in die USA, am 17.8.1978 in Rumänien in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die biografischen Daten folgen der Quellenedition von Ţăranu (Hg.): Ion Mihai ­Pacepa în dosarele Securităţii 1978–1980, S.  27  f., und Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 162–164. Teilweise abweichend hiervon Deletant: Rumänien, S. 367 f. 26  Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 39.

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unter die des KGB, was ihm damals aber auch die Möglichkeit eröffnete, wichtige Dokumente auch mithilfe der in der Bundesrepublik stationierten KGB-Residenten in den Osten zu schaffen.27 Diese Schilderungen erscheinen durchaus plausibel, während Pacepas Erinnerungen an vielen anderen Stellen irreführend und fehlerhaft sind.28 Erst das deutsch-rumänische Handelsabkommen vom 17. Oktober 1963 wertete die Handelsvertretung zu einer halbdiplomatischen Einrichtung auf, indem es beispielsweise deren Leiter und drei seiner Stellvertreter diplomatische Immunität zugestand und die Räumlichkeiten der Handelsvertretung für »unverletzlich« erklärte.29 Als Rumänien und die Bundesrepublik Deutschland 1967 diplomatische Beziehungen aufnahmen, eröffnete sich der Securitate die Möglichkeit, in der Bundesrepublik unter dem Dach ihrer Botschaft eine »legal abgedeckte Residentur« zu errichten, was die Spionagetätigkeit erleichterte. Der Bericht der Bundesregierung aus dem Jahre 1960 nannte mehrere rumänische Geheimdienstmitarbeiter beim Namen.30 Als Leiter der rumänischen Spionageresidentur in Ostberlin in den Jahren 1956/57 wurde zutreffend Oberst Aurel Moiș angeführt, der noch 1957 zu einem der stellvertretenden Leiter des rumänischen Auslandsspionagedienstes aufstieg.31 Ihm folgte Pavel Sabău 27  Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 164–166. Pacepa erinnert daran, dass die Sowjet­ union damals schon diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik unterhielt und daher in ihr dortiges Botschaftspersonal als Diplomaten getarnte Geheimdienstmitarbeiter einbauen konnte. Zutreffend charakterisiert Pacepa die damalige rumänische Auslandsspionage als »kleine Schwester« des KGB. Ebenda, S. 152. 28 Pacepa ordnet Ciuciulin und Horobeţ falsche Vornamen zu, irrt sich in der Datierung und in den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. So schreibt er, er habe sich im Herbst 1958 mit Horobeţ und Ciuciulin in Frankfurt getroffen, was nicht sein kann, da beide schon im Juli 1958 verhaftet worden waren. Pacepa zufolge hatten die beiden die Aufgabe, Informationen über ballistische Raketen der USA zu beschaffen, wobei die Securitate diesen Spionageauftrag vom KGB erhalten habe. Er ordnet diese Aktion in das Umfeld der »Sputnik-Krise« und die – wie er schreibt – von Chruščëv am 18.11.1958 verkündete Blockade Westberlins ein. Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 44 f., 47–51. Tatsächlich hatte Chruščëv keine Blockade Westberlins angeordnet oder verhängt, sondern in einer Rede am 10. November 1958 sowie in diplomatischen Noten an die Westmächte am 27.11.1958 ultimativ deren Abzug aus Westberlin gefordert und die Umwandlung Westberlins in eine freie Stadt verlangt. Die sowjetische Berlin-Blockade war ein Ereignis der Jahre 1948/49. Zutreffend ist, dass Ciuciulin und Horobeţ unter anderem Informationen über US-Raketen beschaffen sollten. – Zahlreiche weitere Beispiele für Pacepas fehlerhafte Darstellungen in: Herbstritt: Eine Handelsvertretung als Spionage­ stützpunkt, S. 102–104, sowie in Anm. 1214. 29  Zum Handelsabkommen vom 17.10.1963 siehe S.  144–147. Ein erstes »Handels- und Zahlungsabkommen« zwischen Rumänien und der Bundesrepublik wurde am 8.2.1954 in Wien abgeschlossen. Es war das erste Abkommen zwischen beiden Staaten überhaupt, konnte damals aber nicht als Staatsabkommen abgeschlossen werden. 30  Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 48. 31 Aurel Moiș (1918–1998) wurde kurz nach Kriegsende, wahrscheinlich 1946, Leiter des rumänischen Geheimdienstes Siguranţa in Temeswar. Mit Gründung der Securitate durch das Dekret Nr. 221 vom 28.8.1948 wurde er stellvertretender Leiter der Securitate-Regionalverwal-

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nach, der schon 1956 nach Ostberlin kam und zuvor eine hohe Funktion in der rumänischen Auslandsspionage bekleidete. Beide fungierten offiziell als Botschaftsräte. Weitere schon damals bekannte Mitarbeiter waren demnach Major A ­ lexandru Ionescu und Major Petre Niţu. Niţu war dem Bericht zufolge seit 1959 offiziell Mitarbeiter der rumänischen Handelsvertretung, die ihren Sitz in der Puschkinallee 39 im Ostberliner Bezirk Treptow hatte. Der Bericht der Bundesregierung legte aus naheliegenden Gründen nicht die Quellen offen, auf die er sich stützt und enthält einige kleinere Fehler bei Datierungen und der Schreibweise von Namen. Gleichwohl belegt er, dass die westliche Spionageabwehr vor dem Mauerbau 1961 über gute Einblicke in die geheimdienstlichen Aktivitäten der östlichen Seite verfügte. Die Kenntnisse über Rumänien stammten unter anderem aus den damaligen Ermittlungen gegen die enttarnten Securitate-Offiziere Stefan Ciuiciulin und Constantin Horobeţ und den Securitate-Informanten32 Johann Galter und Petre Tonegaru. Die inzwischen zugänglichen Akten aus den Archiven von Stasi und Securitate bestätigen die damals im Westen veröffentlichten Erkenntnisse und erweitern sie erheblich. Ebenso wie die Securitate unterhielten die Geheimdienste anderer Ostblockstaaten Residenturen in Ostberlin.33 Über die bulgarische liegt inzwischen eine eigene Forschungsstudie vor. Demnach funktionierte die bulgarische Residentung Temeswar und 1953/54 deren Leiter. 1954 übernahm er die Leitung der Securitate-Regionalverwaltung Kronstadt. 1955 wechselte er unter der Legende eines Botschaftsrats zur Securitate-Residentur nach Ostberlin und stieg 1957 zum stellvertretenden Leiter der rumänischen Auslandsspionage in Bukarest auf. 1962 erfolgte seine Entlassung aus der Auslandsspionage und seine Herabstufung vom Oberst zum Oberstleutnant. Vgl. insbes. den Dokumentenband: Securitatea: Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. X, 10 f., 17, 213, sowie die kurzen biografischen Daten zu Moiș in: http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/MOIS_ AUREL.pdf (Stand: 9.6.2016). Die Entsendung Moiș’ nach Ostberlin hatte möglicherweise den Zweck, den Konflikt mit seinem Rivalen und stellvertretenden Auslandsspionagechef Nicolae Doicaru zu entschärfen. Letztlich obsiegte Doicaru, der Ende 1959 zum Chef der Auslandsspionage aufstieg. Vgl. Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 26 f. Vgl. auch die Niederschriften der zeugenschaftlichen Vernehmungen von Moiș durch die rumänische Militärstaatsanwaltschaft am 19.8.1992 und 7.9.1993: Procuratura României, Procuratura Direcţia Procuraturilor Militare, dosar nr. 393/P/1992. Ich danke der Bukarester »Fundaţia Academia Civică« (Stiftung Bürgerakademie), die mir Einsicht in diese Niederschriften gewährte. – M ­ arius Oprea betont, wie außerordentlich grausam Moiș Ende der 1940er-/Anfang der 1950er- Jahre Regimegegner verfolgte. Siehe Oprea: Banalitatea răului, S. 561 f. 32  Der Begriff »Informant« wird in dieser Studie für jene Menschen gebraucht, von denen die Staatssicherheitsdienste mit einer gewissen Regelmäßigkeit Informationen erhielten. Häufig, aber nicht immer, war den Informanten bewusst, dass sie für einen Staatssicherheitsdienst arbeiteten. 33  Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 32–49. Einige Hinweise auf die Anfänge der polnischen Operativgruppe in Ostberlin in: Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S.  183. Ausführlich zu den Anfängen der polnisch-ostdeutschen Geheimdienstkontakte und der polnischen Operativgruppe in Ostberlin siehe Jaskułowski: Przyjaźń, której nie było, S. 52– 100. Eine deutsche Übersetzung von Jaskułowskis Buch ist vorgesehen.

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tur in den 1950er-Jahren wie die rumänische: Sie richtete sich in der bulgarischen Botschaft in Ostberlin ein, wirkte nach Westberlin und Westdeutschland und leitete das bulgarische Handelsbüro in Frankfurt/M. an. In ihrer Wirkung war sie weniger effizient als die rumänische Residentur.34 Die Securitate-Niederlassung in Ostberlin firmiert in den MfS-Akten der 1950er- und 1960er-Jahre meistens als »Berliner Gruppe« der »Verwaltung für Nationale Sicherheit der Volksrepublik Rumänien« oder als »Rumänische Gruppe in Berlin«. Vereinzelt findet sich spätestens seit 1957 auch der Begriff »Operativgruppe« als Synonym für die geheimdienstlichen Residenturen der Verbündeten.35 Das MfS richtete später seinerseits Vertretungen in mehreren sozialistischen Ländern ein, beginnend in den 1950er-Jahren in der Sowjetunion und ab den 1960er-Jahren bei weiteren Verbündeten, nicht jedoch in Rumänien. Im Sprachgebrauch der DDR-Staatssicherheit handelte es sich ebenfalls um »Operativgruppen«. Ein wichtiges Merkmal dieser frühen Residenturen und der späteren Operativgruppen bestand darin, dass sie mit Zustimmung des jeweiligen Gastlandes etabliert wurden. Darin unterschieden sie sich grundsätzlich von den diplomatischen Vertretungen der Ostblockstaaten in Westeuropa, die zwar ebenfalls mit Geheimdienstpersonal durchsetzt waren, aber selbstverständlich ohne Einwilligung der westlichen Gastländer. Die Residenturen bzw. Operativgruppen verfügten nur über eng begrenzte Kompetenzen für eigene Aktivitäten, etwa bei der geheimdienstlichen Überwachung eigener Staatsbürger im jeweils anderen Land. Sie fungierten zudem als Verbindungsstelle zwischen den jeweiligen Geheimdiensten, über die Anfragen und Informationen ausgetauscht wurden.36 Zu welchem Zweck kooperierte das MfS mit anderen sozialistischen Geheimdiensten? Allgemein formuliert, folgte das MfS einer Art von Sicherheitsdoktrin. Sie lief darauf hinaus, alles abzuwehren, was als Bedrohung für die DDR und die anderen sozialistischen Länder angesehen wurde. Diese Perspektive war al34   Nehring: Die Residentur der bulgarischen Aufklärung. 35   Vgl. exemplarisch Korrespondenz zwischen der DDR-Staatssicherheit und der »Rumänischen Gruppe« im Oktober und November 1955 in: BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, Bd. D 13, Bl. 3, sowie BStU, MfS, AS 76/56, D 7, Bl. 5. Der Begriff »Operativgruppe« für die Securitate-Residentur findet sich beispielsweise in einem Gesprächsvermerk der HA II/5a vom 4.7.1957. BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 155; ferner in einer Aktennotiz des Leiters der MfS-Abteilung X, Willi Damm, vom 31.8.1958; BStU, MfS, AP 5638/70, Bl. 37; ebenso in einer MfS-Aktennotiz vom 24.3.1961 betreffend »Besprechung des Gen. Minister mit dem Leiter der rumänischen Operativgruppe in Berlin«; BStU, MfS, AP 3526/76, Bl. 21. Die Kurzbezeichnung »Securitate« wird in MfS-Akten nicht benutzt. 36  Zu den MfS-Operativgruppen siehe die umfassende Studie von Domnitz: Kooperation und Kontrolle; zum Begriff »Operativgruppe« ebenda, S. 19–22. Das MfS entsandte 1954 einen ersten Verbindungsoffizier nach Moskau, der dort in den folgenden Jahren eine Operativgruppe aufbaute. Weitere Operativgruppen stationierte das MfS in Bulgarien (1962), Ungarn (1964) und der Tschechoslowakei (1965); Polen ließ erst 1980 eine MfS-Operativgruppe im Land zu.

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lerdings von einem ausgeprägten und aggressiven Feindbilddenken sowie ideologisch begründeten Verzerrungen geprägt. Das führte im MfS zu einer schematischen Wahrnehmung der Wirklichkeit und rechtfertigte auch offensive Handlungen gegen tatsächliche und vermeintliche Gegner. Dasselbe lässt sich über die Securitate sagen. Die Kooperation war für beide Seiten kein Selbstzweck, sondern wurde nur dort praktiziert, wo sie auch für die eigenen Ziele vorteilhaft schien. Dabei konnte durchaus der Erfolg des Verbündeten auch für die eigene Position von Nutzen sein.37 Unterstützung gewährte man auch in der Erwartung, bei Bedarf selbst von einem Verbündeten unterstützt zu werden. Als beide Geheimdienste Anfang der 1950er-Jahre ihre Zusammenarbeit begannen, profitierte davon in erster Linie die rumänische Seite. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten sich in der Bundesrepublik rumänische und rumäniendeutsche Flüchtlinge und Emigranten in zahlreichen Vereinigungen, Verbänden, Landsmannschaften. Sie lehnten durchweg das kommunistische Regime in Rumänien ab. Doch ob sie tatsächlich eine ernsthafte Bedrohung für dessen Machterhalt darstellten, ist fraglich. Die Securitate sah seit Beginn der 1950erJahre eine ihrer Hauptaufgaben jedoch darin, diese Gruppen lahmzulegen und als politische Faktoren auszuschalten. Da diese in Richtung Rumänien wirkten, waren die Sicherheitsinteressen der DDR nur indirekt berührt. Dennoch gab es aus MfS-Perspektive gute Gründe, die Securitate zu unterstützen. Denn der Erfolg eines Verbündeten trug immer auch zur Machtsicherung des gesamten sozialistischen Staatensystems bei. Das MfS war mit der Situation im geteilten Deutschland besser vertraut und hatte insofern einen Heimvorteil, von dem die Securitate gerne profitierte. Es unterstützte die Securitate-Residentur damals logistisch und technisch. Nur in Einzelfällen betrachtete das MfS rumänische oder rumäniendeutsche Verbände auch als unmittelbares Sicherheitsproblem für die DDR. Das galt beispielsweise für die »Rumänische Kolonie Berlin«. Die Securitate unterhielt Mitte der 1950er-Jahre Residenturen in zehn Ländern der westlichen Welt.38 Auch die Residentur in Ostberlin zählte im Selbst37 Einige solcher Prinzipien des Erfahrungsaustauschs und der Zusammenarbeit fasste ­Erich Mielke im November 1969 bei seinem Gespräch mit der KGB-Führung zusammen. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5128, Bl. 73 f. 38  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I, 27.10.1955: Raport privind analiza muncii Direcţiei I pe perioada de la 1 ianuarie-15 octombrie 1955 [Ministerium für Innere Angelegenheiten, Hauptabteilung I: Bericht über die Analyse der Arbeit der Hauptabteilung I in der Zeit vom 1. Januar bis 15. Oktober 1955]; veröffentlicht in: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 373–389. Der Bericht ist von Vasile Vâlcu unterzeichnet, der die Auslandsspionage vom 1.9.1952 bis 16.12.1955 leitete. Die Securitate unterhielt diesem Bericht zufolge 1955 je eine Residentur in Ägypten, Argentinien, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Österreich, den USA und je zwei Residenturen in Deutschland (Frankfurt/M. und Berlin) und der Türkei (Istanbul, Ankara). Die österreichische Residentur war mit sechs operativen Mitarbeitern, einem Funker und einem Fahrer am stärksten besetzt. Weitere Residenturen sollten in Belgien, den Niederlanden, der Schweiz und Syrien eingerichtet werden. Ebenda, S. 385.

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verständnis der Securitate dazu, weil ihr hauptsächliches Einsatzgebiet in Westberlin und Westdeutschland lag. Sie stellte aber insofern eine Ausnahme dar, als dass sie in einem verbündeten Land stationiert war. Von daher besaß sie eine Doppelfunktion: sie bildete einerseits eine Auslandsrepräsentanz, sicherte die direkte Kooperation mit dem MfS und agierte innerhalb dieses Rahmens auch in der DDR. Insofern entsprach sie den späteren MfS-Operativgruppen in einigen sozialistischen Ländern. Andererseits wirkte sie in ein westliches, gegnerisches Land hinein. In dieser Doppelfunktion widerspiegelt sich die Situation des geteilten Deutschlands. Die Ostberliner Residentur umfasste im Herbst 1955 drei operative Mitarbeiter, einen Funker und einen Fahrer. Ihre personelle Ausstattung entsprach somit dem Durchschnitt einer damaligen Securitate-Residentur. Die Residentur in Frankfurt/M. verfügte hingegen nur über zwei operative Mitarbeiter und einen Fahrer.39 Schriftliche Vereinbarungen über die Zusammenarbeit der beiden Geheimdienste sind bislang nicht bekannt. Gesichert ist jedoch, dass es im Herbst 1955 zu einer grundsätzlichen Absprache zwischen beiden Seiten kam. Damals, vom 4. bis 11. Oktober 1955, hielt sich der rumänische Innenminister, Generaloberst Alexandru Drăghici, in der DDR auf. Ihm unterstand die Securitate. Den äußeren Anlass seines Besuches bildeten die Feiern zum 6. Jahrestag der Gründung der DDR, an der eine offizielle rumänische Regierungsdelegation teilnahm. Ihr gehörten neben Drăghici auch Petre Borilă, erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, Gheorghe Stoica, rumänischer Botschafter in der DDR und Maxim Berghianu, 1. Sekretär der Rumänischen Arbeiterpartei im Kreis Kronstadt (Brașov, damals Stalinstadt, Orașul Stalin) an. Unbemerkt von der Öffentlichkeit reisten auch mindestens vier hochrangige Securitate-Mitarbeiter nach Ostberlin, unter ihnen Drăghicis Stellvertreter Generalmajor Vasile Vâlcu, der Leiter der Auslandsspionageabteilung der Securitate DIE, und Oberst Eugen Szabó, der die Spionageabwehr-Abteilung der Securitate leitete.40 Drăghici und seine Securitate-Begleiter führten Gespräche mit ihren Kollegen der DDR-Staatssicherheit und vereinbarten, auf welchen Gebieten man künftig zusammenarbeiten werde. Ein späterer Securitate-Bericht nennt als Inhalt der damaligen Vereinbarung die folgenden Punkte: 39 Ebenda. 40  Ein großer Festtag steht bevor. In: Neues Deutschland v. 5.10.1955, S. 1; Ausländische Regierungsdelegationen abgereist. In: Neues Deutschland v. 12.10.1955, S. 1. Während die Berichte des »Neuen Deutschlands« den Aufenthalt der offiziellen rumänischen Regierungsdelegation belegen, ist die Anwesenheit der genannten Securitate-Mitarbeiter nur in dem Verzeichnis der überreichten Gastgeschenke der DDR-Staatssicherheit dokumentiert, wobei fast alle Namen falsch geschrieben wurden. Vgl. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1501, Bl. 249, darin sind neben Drăghici, Vâlcu, und Szabó noch der Securitate-Mitarbeiter Simion aufgelistet, der nicht näher identifiziert werden kann, da kein Vorname angegeben ist, sowie ein weiterer »Begleiter« ohne Namensnennung.

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Gemeinsamer Kampf gegen die feindlichen Zentren in Westberlin und Westdeutschland; Möglichkeiten seitens der Organe des MdI [= Securitate], Bürger der DDR oder Personen mit Wohnsitz auf dem Gebiet der DDR zu nutzen; Modalitäten des Kampfes gegen Grenzübertritte feindlicher Agenturen sowie Maßnahmen im Hinblick auf die Entsendung eigener Agenturen; Probleme betreffend die Schaffung des ›Rumänischen Komitees für die Rückkehr in die Heimat‹; Austausch von Erfahrungen und Ergebnissen auf dem Gebiet der operativen Technik.41

Drei Monate zuvor hatte die DDR-Staatssicherheit bereits bilaterale Kooperationsvereinbarungen ähnlichen Inhalts mit den Staatssicherheitsdiensten der Tschechoslowakei und Polens getroffen. Hierüber gibt es – im Gegensatz zum rumänischen Fall – jeweils ein schriftliches Protokoll, das von den Führungen der Staatssicherheitsdienste unterschrieben wurde und im Fall der ostdeutsch-tschechoslowakischen Vereinbarung die handschriftlich vermerkte Zustimmung von SED-Chef Walter Ulbricht trägt.42 Diesen bilateralen Vereinbarungen war eine multilaterale Geheimdienstkonferenz vom 5. bis 7. März 1955 in Moskau vorangegangen, an der die Innenminister oder Geheimdienstchefs aller Staaten des späteren Warschauer Pakts teilnahmen. Dort steckte der KGB den Rahmen für die künftige Zusammenarbeit der Staatssicherheitsdienste untereinander ab und benannte die Ziele und die verschiedenen Felder der Kooperation. Die Vereinbarung zwischen Securitate und DDR-Staatssicherheit vom Oktober 1955 griff einige dieser Bereiche auf, die im März 1955 in Moskau vorgegeben wurden.43 Die beiden Staatssicherheitsdienste erfüllten 41  Republica Socialistă România, Ministerul de Interne, Serviciul Relaţii și Protocol, Nr. 006877, 27.7.1973: Notă privind relaţiile cu Ministerul pentru Securitatea Statului din R.D. Germană [Sozialistische Republik Rumänien, Ministerium des Innern, Abteilung Beziehungen und Protokoll, Nr. 006877, 27.7.1973: Bericht über die Beziehungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen D.R.]; ACNSAS, fond documentar, D 13362, vol. 7, Bl. 54–61, hier: 54. Abgedruckt im Anhang als Dokument 3, S. 520–527. 42  Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 6. bis 7. Juli 1955 in Berlin zwischen dem Ministerium des Innern der Tschechoslowakischen Republik [...] und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik [...] getroffen wurden, 7.7.1955; unterzeichnet von Stasi-Chef Ernst Wollweber und dem tschechoslowakischen Innenminister Rudolf Barák; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1861, Bl. 1–8. Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 20.6. bis 22.6.1955 in Berlin zwischen dem Komitee für Öffentliche Sicherheit der Volksrepublik Polen [...] und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik [...] getroffen wurden, 22.6.1955; unterzeichnet von den Stellvertretern von Stasi-Chef Wollweber, Erich Mielke und Markus Wolf, sowie von ihren polnischen Pendants, dem 1. stellvertretenden Leiter des Komitees für Öffentliche Sicherheit, Antoni Alster, und dem Spionagechef und stellvertretenden Leiter des Komitees, Witold Sienkiewicz; IPN BU [Instytut Pamięci Narodowej, Biuro Udostępniania, dt.: Institut für Nationales Gedenken, Abteilung für die Freigabe [von Dokumenten]] 1583/161, Bl. 1–10. Ich danke Christian Domnitz, der mir das ostdeutsch-polnische Protokoll zugänglich gemacht hat. 43  Im Archiv des MfS ist die Moskauer Konferenz offenbar nur bruchstückhaft dokumentiert, und zwar im »Protokoll der Dienstbesprechung vom 22. März 1955«. BStU, MfS, SdM,

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Abb. 4:

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Der rumänische Innenminister Alexandru Drăghici (in Uniform) trifft am 4.10.1955 zu einem Besuch in der DDR ein. Neben ihm ZK-Sekretär Albert Norden, vorne links Delegationsleiter Petre Borilă.

insofern die Erwartungen des KGB. Zugleich konnten sie sich des Rückhalts ihrer politischen Führungen sicher sein, die die bilateralen Beziehungen zu intensivieren begannen.44 Für das MfS war die Moskauer Konferenz zusätzlich noch von Bedeutung, weil es damals als formell gleichberechtigt in den Kreis der osteuropäischen Staatssicherheitsdienste aufgenommen wurde, wie der Historiker Jens Gieseke feststellt.45 Nr. 1921, Bl. 104–111. Dieses Protokoll gibt einen zusammenfassenden Bericht von Stasi-Chef Ernst Wollweber über die Moskauer Konferenz und einige dort gefasste Beschlüsse wieder. Ich danke meinem Kollegen Roger Engelmann für seinen Hinweis auf dieses Dokument. Sehr viel umfassender ist die Konferenz in den bulgarischen Staatssicherheitsakten dokumentiert. Darüber schreibt in deutscher Sprache erstmals ausführlich Christopher Nehring in seiner Dissertation »Die Zusammenarbeit der HV A mit der bulgarischen Aufklärung«. 44   Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Rumänien und der DDR 1957–1962 siehe Stanciu: Frăţia socialistă, S. 193–198, der hier den Staatsbesuch Dejs in der DDR vom 24. bis 28.4.1957 als einen Versuch schildert, die bilateralen Beziehungen anzuregen. 45  Gieseke: Deutsche Demokratische Republik, S. 200. Gieseke stützt sich hier auf das lückenhafte »Protokoll der Dienstbesprechung vom 22. März 1955« (wie Anm. 43), seine Schlussfolgerung ist dennoch schlüssig.

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Doch schon vor den Absprachen und Vereinbarungen des Jahres 1955 arbeiteten die sozialistischen Geheimdienste zu gegebenen Anlässen wie selbstverständlich zusammen. Das überrascht nicht, wenn man deren Entstehungsgeschichte und das politische System betrachtet, in das sie eingebunden waren. Die Sowjetunion führte in allen Ländern ihres Machtbereichs bald nach dem Zweiten Weltkrieg ihr eigenes, diktatorisches Herrschaftssystem ein. Die neuen Machthaber in den »Volksdemokratien« waren Iosif Stalin treu ergeben, seien es SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in Ostberlin oder der Generalsekretär der Rumänischen Arbeiterpartei (RAP) Gheorghe Gheorghiu-Dej in Bukarest. Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) im Februar 1956 bildete dann eine »tiefe Zäsur in der Entwicklung des Weltkommunismus«, wie es der Kommunismusforscher Hermann Weber formuliert.46 Drei Jahre nach Stalins Tod im März 1953 rechnete sein Nachfolger Nikita Chruščëv in einer Geheimrede mit einigen Auswüchsen des Stalinismus ab. Chruščëv kündigte zudem an, dass der »Aufbau des Sozialismus« je nach nationalen Besonderheiten in den einzelnen Ländern unterschiedlich vorangehen könne. Der XX. Parteitag, so Hermann Weber, »wurde zum Ausgangspunkt einer Spaltung des monolithischen Stalinismus«.47 Ulbricht und Gheorghiu-Dej reagierten verunsichert und entsetzt auf Chruščëvs Geheimrede. Sie hielten nach Auffassung des Politikwissenschaftlers Vladimir Tismăneanu die »Entzauberung des Stalin-Mythos für einen schweren strategischen und ideologischen Fehler«.48 Doch als geübte Taktiker verstanden sie es beide, ihr politisches Überleben zu sichern, Gegner rechtzeitig auszuschalten und die Folgen der Entstalinisierung einzudämmen.49 Während der Unruhen in Polen im Sommer 1956 und der ungarischen Revolution im Oktober/November 1956 bewährten sie sich zudem als verlässliche Bündnispartner Moskaus. Beide Parteiführer reagierten also zunächst sehr ähnlich auf die Entstalinisierung. Erst zu Beginn der 1960er-Jahre traten die Unterschiede zutage. Walter Ulbricht blieb ein verlässlicher Verbündeter der Sowjetunion, ohne deren Hilfe der ostdeutsche Teilstaat nicht hätte existieren können. Gheorghiu-Dej hingegen brach das monolithisch erscheinende Bündnis nun auf und schlug einen nationalkommunistischen Kurs in Distanz zu den bisherigen Verbündeten ein. Der Historiker Cezar Stanciu hebt hervor, dass Dejs »Nationalstalinismus« nicht nur ideologisch begründet war, sondern auch darauf abzielte, die innen46  Weber, Hermann: Geschichte der DDR, S. 188. 47  Ebenda, S. 189. 48  Tismăneanu: Stalinism, S. 144. 49  Weber, Hermann: Geschichte der DDR, S.188–199; Tismăneanu: Stalinism, S.  143– 167. Ulbricht entmachtete 1957 beispielsweise Karl Schirdewan, einen der einflussreichsten SED-Funktionäre, sowie Stasi-Chef Ernst Wollweber. Gheoghiu-Dej ließ 1957 die beiden Politbüro- und ZK-Mitglieder Miron Constantinescu und Iosif Chișinevschi aus ihren hohen Funktionen entfernen. Stanciu: Frăţia socialistă, S. 129–132.

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politische Situation Rumäniens von Veränderungen und Verwerfungen in verbündeten Ländern abzukoppeln und auf diese Weise das eigene Regime abzusichern.50 Die Geheimpolizeien standen noch mehr als die politischen Führungen unter dem prägenden Einfluss der Sowjetunion. Die sowjetischen Sicherheitsdienste übertrugen das eigene Modell auf die Länder Ostmittel- und Südosteuropas und bauten dort neue geheimpolizeiliche Strukturen auf. Eine Vielzahl sowjetischer Berater sorgte dafür, dass die neuen Staatssicherheitsdienste dem sowjetischen Vorbild folgten. Sie steuerten bis weit in die 1950er-Jahre hinein unmittelbar die Tätigkeit von MfS und Securitate, waren in allen zentralen und regionalen Abteilungen dieser Staatssicherheitsdienste präsent und übten unmittelbare Entscheidungsbefugnisse in operativen und personellen Fragen aus. Der Begriff des Beraters täuscht hier über ihre faktischen Leitungsfunktionen hinweg und stellt einen »Euphemismus« dar, wie der Osteuropahistoriker Andreas Hilger zutreffend feststellt.51 Auch bei der Auswahl des Führungspersonals sicherte sich die sowjetische Seite von vornherein ihren Einfluss. Von der Gründungsgeneration des MfS gehörten nach Erkenntnissen des Berliner Historikers Ilko-Sascha Kowalczuk rund 25 Prozent zur »Russen-Gruppe«. Das waren Kommunisten, die bereits vor 1945, viele schon seit den 1920er-Jahren, für die sowjetischen Geheimdienste oder die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) gearbeitet und zum Teil längere Zeit in der Sowjetunion gelebt hatten. Einige gehörten der KPdSU an oder besaßen die sowjetische Staatsbürgerschaft. Zur »Russen-Gruppe« zählt Kowalczuk etwa die drei Chefs der DDR-Staatssicherheit Wilhelm Zaisser (1950–1953), Ernst Wollweber (1953–1957) und Erich Mielke (1957–1989) oder den langjährigen Spionagechef Markus Wolf (1952– 1986). Zaisser und Wolf kamen nach dem Krieg als sowjetische Staatsbürger zurück nach Deutschland.52 Während das MfS eine Neugründung darstellte, formten die sowjetischen Sicherheitsdienste die bestehenden rumänischen Einrichtungen, den Inlandsnachrichtendienst »Siguranţă« und den Spionagedienst »Serviciul Special de Informaţii (SSI)« innerhalb kürzester Zeit strukturell und personell nach ihrem Modell um. Unter den hauptamtlichen Mitarbeitern des MfS befanden sich keine früheren Angehörigen des nationalsozialistischen Sicherheitsapparats. Anders verhielt es sich in Rumänien. Im Mai 1946 betrug beispielsweise der Anteil 50  Stanciu: Frăţia socialistă, S. 278. 51  Hilger: Sowjetunion (1945–1991), S. 50. 52  Kowalczuk: Stasi konkret, S.  67–71. Kowalczuk unterteilt die Gründergeneration des MfS in vier Gruppen. Neben der »Russen-Gruppe« sind das die »Häftlingsgruppe«, die »Antifa-Gruppe« und die Gruppe der »unbeschriebenen Blätter«. Auch in den drei letztgenannten Gruppen fanden die Sowjets genügend politisch und ideologisch zuverlässige Personen für Führungspositionen in den zu schaffenden Sicherheitsapparaten. Zur sowjetischen Personalpolitik in den ostdeutschen Sicherheitsapparaten vgl. auch Gieseke: Die Stasi, S. 42–47.

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unter den SSI-Mitarbeitern, die schon unter der faschistischen Militärdiktatur Ion Antonescus bis zum 23. August 1944 dem SSI angehörten, noch 58 Prozent. Lediglich die Führungspositionen des SSI hatten damals bereits zu 90 Prozent neue Kräfte inne.53 Im rumänischen Fall gab es ebenso wie im ostdeutschen eine einflussreiche »Russen-Gruppe«. Zu ihr zählten Emil Bodnăraș, Gheorghe Pintilie (ursprünglich Pantelei oder Timofei Bodnarenko, auch »Pantiușa«), Alexandru Nicolschi (ursprünglich Boris Grünberg) und Serghei Nicolau (ursprünglich Sergej Nikonov). Die vier Genannten waren bereits zwischen Mitte der 1920er-Jahre und 1940 vom sowjetischen NKVD oder dessen Vorgänger als Agenten angeworben worden. Bodnăras gehörte von 1944 bis zu seinem Tod 1976 den Führungsgremien der Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) bzw. der Rumänischen Arbeiterpartei an. Er überwachte ab 1945 die Umwandlung des SSI und machte Serghei Nicolau zu dessen Direktor (1947–1951). Pintilie transformierte gemeinsam mit den sowjetischen Beratern die »Siguranţă« in eine kommunistische Geheimpolizei und war von 1948–1952 erster Securitate-Chef. Alexandru Nicolschi stieg ab Herbst 1944 in der Hauptverwaltung der Polizei (»Direcţia Generală a Poliţiei«) auf und wurde zum 1. September 1948 einer der beiden Stellvertreter Pintilies.54 MfS und Securitate fungierten anfangs faktisch als Filialen der sowjetischen Sicherheitsdienste. Erst gegen Ende der 1950er-Jahre entwickelten sie sich zu Juniorpartnern des KGB. In beiden Staatssicherheitsdiensten verringerte der KGB im Herbst 1958 seine direkte Präsenz und reduzierte die Anzahl seiner bislang einflussreichen Berater. In der DDR wurden die verbliebenen KGB-Berater zudem zu Verbindungsoffizieren herabgestuft.55 Die bilaterale und multilaterale 53  Ich danke dem CNSAS-Kollegiumsmitglied Claudiu Secașiu für diese Daten. Die neuen Führungskräfte des SSI hatten sich Secașiu zufolge beispielsweise in der Division »Tudor Vladimirescu« bewährt. Die Sowjets hatten diese Division im Herbst 1943 aus rumänischen Kriegsgefangenen gebildet und setzten sie im Kampf gegen Deutschland und seine Verbündeten ein. Von Claudiu Secașiu befindet sich eine umfassende Studie in rumänischer Sprache über den SSI in der Transformationsphase 1944–1951 in Vorbereitung. Siehe auch Banu, Florian: Rezension zu Mihai Șerban, S. 290–292; Banu zitiert hier aus einem Überprüfungsbericht, den eine hochrangige Kommission der Rumänischen Arbeiterpartei am 14.1.1952 für das Politbüro des ZK der RAP schrieb. Demnach wurden noch bis weit in das Jahr 1951 hinein SSI-Spezialisten aus der Antonescu-Zeit im SSI und seiner Nachfolgeeinrichtung (Hauptabteilung A der Securitate, zuständig für Auslandsspionage) beschäftigt und übten dort Einfluss hinsichtlich der Arbeitsmethoden und der politischen Ausrichtung aus. 54  Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 702–706; Deletant: Rumänien, S. 342 f., 385–387, 389–393. Beide Publikationen erwähnen die grausamen, sadistischen Charakterzüge und Handlungen Pintilies und Nicolschis. 55  Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final, S. 155–165. Der Rückzug sowjetischer Berater in Rumänien wurde demnach in einem Brief des ZK der KPdSU an das ZK der RAP vom 14.1.1957 angeregt: Die »Institution der sowjetischen Berater« solle aufgelöst und die »Anzahl sowjetischer Spezialisten verringert« werden, hieß es

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Zusammenarbeit der Staatssicherheitsdienste wurde dadurch nicht beeinträchtigt. Vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte liegt es nahe, dass MfS und Securitate auch ohne förmliche Vereinbarungen wie selbstverständlich kooperierten, wenn es im konkreten Fall nützlich erschien. In welcher Weise der KGB in den 1950er-Jahren beratend, fordernd oder koordinierend die Zusammenarbeit seiner Filialgründungen beeinflusste, ist in den ostdeutschen und rumänischen Akten allerdings kaum überliefert.56 Auf jeden Fall überrascht es vor diesem Hintergrund nicht, dass die Securitate schon vor der Grundsatzvereinbarung mit dem MfS vom Oktober 1955 eine Residentur in Ostberlin unterhielt. Sie wird in den MfS-Akten erstmals am 8. Juli 1955 ausdrücklich als eigenständige Formation erwähnt, und zwar als die »Berliner Gruppe« der »Verwaltung für Nationale Sicherheit der Volksrepublik Rumänien«. Damals hatte sich die »Berliner Gruppe« an die DDR-Staatssicherheit gewandt und persönliche Daten über einen Archivar aus Jena angefordert.57 Sodann wird sie in einem kurzen Aktenvermerk am 27. September 1955 genannt. Demnach hatte sie dem MfS verschiedene Unterlagen »zur Auswertung und zum Verbleib« übergeben.58 Um welche Inhalte es dabei ging, ist nicht ersichtlich. Die alltäglichen Geheimdienstkontakte zwischen der Securitate-Residentur in Ostberlin und dem MfS dokumentieren sich auch für die Folgezeit in ganz verschiedenen, verstreut abgelegten MfS-Akten. So ersuchte die Residentur am 9. November 1955 in einem kurzen Schreiben das MfS um technische Unterstützung. Sie übergab einen Brief und ein Päckchen mit schwarz-braunen Körnern und bat darum, beides chemisch und physikalisch zu untersuchen. Schon nach zwei Tagen erhielt sie beides zurück. Die DDR-Kollegen konnten bei dem Brief keinerlei Hinweise auf eine Geheimschrift feststellen. Und die schwarz-braunen Körner analysierten sie eindeutig als Pfeffer.59 Interessant ist an diesem Fall nicht das lapidare Ergebnis der Analyse, sondern die Tatsache, darin. Ebenda, S. 164. Zur Entwicklung in der DDR siehe Engelmann: Diener zweier Herren, S. 71. Gegenüber Ungarn regte Chruščëv im April 1958 den Abzug der sowjetischen Berater an. Bis 1960 verließen die letzten Berater das ungarische Innenministerium, eine kleinere Anzahl an »Verbindungsoffizieren« verblieb dort jedoch bis Anfang der 1990er-Jahre. Baráth: Soviet Counsellors, S. 97 f. 56  Ein konkretes Beispiel für die zentrale Rolle des KGB in der Zusammenarbeit von MfS und rumänischer Residentur wird in Kapitel 1.2.5 beschrieben. 57  Schreiben des SfS vom 10.10.1955 an das Ministerium des Innern, Verwaltung für Nationale Sicherheit der Volksrepublik Rumänien, Berliner Gruppe. In diesem Schreiben werden die angeforderten Informationen übermittelt, wobei auf eine »Anforderung vom 8.7.1955« der Securitate-Residentur Bezug genommen wird, das Anforderungsschreiben selbst ist jedoch nicht überliefert. BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, Bd. D 13, Bl. 3. 58  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 2, Bl. 312. 59  BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 7, Bl. 5–7.

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dass solche Aktenvorgänge die Existenz der »Berliner Gruppe« der Securitate namentlich belegen. Auch in den Folgejahren unterstützte das MfS die Ostberliner Securitate­ gruppe, beispielsweise mit Informationen über einzelne Personen oder indem es im Auftrag der rumänischen Kollegen Briefe abfing und sie ihnen übergab. Das MfS führte auch in Westberlin Personenermittlungen für die Securitate durch.60 Aus Bukarest richtete die Securitate auch immer wieder direkte, schriftliche Anfragen an die DDR-Staatssicherheit und bat darum, zu bestimmten Personen Nachforschungen anzustellen.61 Solche direkten Anfragen auf der Ebene der Geheimdienst-Minister oder ihrer Stellvertreter gab es parallel zur Kooperation mit der Residentur. Zum Alltag der Zusammenarbeit gehörte damals auch der Austausch von Spionageinformationen, den das MfS ebenfalls teils mit der Residentur, teils direkt mit Bukarest praktizierte.62 Das MfS leistete der Ostberliner Securitate-Residentur auch schon vor 1955 konkrete »Amtshilfe«, etwa im Falle der beiden rumänischen Spitzen-Jockeys Joan Pall und Aristide Cucu. Pall und Cucu hatten sich am 23. September 1954 nach Westberlin abgesetzt, nachdem sie zuvor am »Internationalen Rennsport-Meeting« in Hoppegarten in Ostberlin teilgenommen hatten. Die DDR-Staatssicherheit verhaftete daraufhin zwei Tage später einen Westberliner Bekannten der beiden Reitsportler, verhörte ihn und schickte ihn mit dem Auftrag zurück, deren genauen Aufenthaltsort zu ermitteln und sie zur Rückkehr zu bewegen. Diese Maßnahmen erfolgten weitgehend in Absprache und auf Wunsch der Securitate-Residentur.63 Pall und Cucu blieben jedoch im Westen und setzten ihre Karrieren dort fort. Pall wurde in der Bundesrepublik einer der erfolgreichsten Jockeys überhaupt.64 Kurios ist ein IM-Bericht über das vermeintliche Fluchtmotiv Cucus: »Er [Cucu] hatte von seinem Trainer den Auf60  [MfS:] Informationsaustausch mit den Bruderorganen; BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl.  90  f., 93–98. [MfS, Abt. X:] Kurierbuch SR Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1042, Bl. 2–67. Einige Beispiele für den Datenaustausch über einzelne Personen sowie gemeinsame Absprachen zwischen 1955 und 1963 in BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 14–16, 19–28, 66– 71, 73, 80, 90 f., 94 f. 61  Vgl. bspw. die Anfrage des damaligen Stellvertreters Drăghicis, Generalleutnant Gheorghe Pintilie, vom 7.9.1955, in der er die DDR-Staatssicherheit darum bittet, zu einem in Dresden lebenden Rentner zu ermitteln; BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 14, Bl. 1–11, oder die Anfrage Drăghicis an Mielke vom 14.10.1959 nach Informationen über einen Westberliner Journalisten; BStU, MfS, AP 15942/62, Bl. 10–12, 15 f., 27–29, 38–40. Hierzu auch BStU, MfS, Bestand »Rosenholz« sowie BStU, MfS, HV  A/MD/6, SIRA-TDB 21, jeweils Recherche zu Reg.-Nr. XV/6414/60. Ferner BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 18, 62 f., 82 f. 62  Zum Informationsaustausch siehe ausführlich Kapitel 2.3.1. 63  BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 12, Bl. 2, 16–19, 24–28, 33, 36; seitens der Residentur war Vasile Turcu mit dem Vorgang befasst. Turcu wird in dieser Akte neutral als Mitarbeiter der rumänischen Botschaft bezeichnet. 64  König: Jockeys auf deutschen Bahnen, S. 195, 212.

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trag erhalten, beim Rennen den russ[ischen] Champion gewinnen zu lassen. Jedoch habe er es auch so gewollt, aber sein Pferd habe es nicht verstanden und so habe er gesiegt. Hinterher habe ihm sein Trainer gedroht, er solle man erst nach Rumänien zurückkommen, da werde man ihn kalt stellen.«65 Es mag dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein ungehorsames Pferd den Jockey zur Flucht trieb oder der IM hier eine Kolportage weitergab. Doch unabhängig davon illustriert dieser Vorfall ein Aufgabengebiet der Securitate-Niederlassung, nämlich rumänische Staatsbürger daran zu hindern, sich über die offene Grenze in Berlin in den Westen abzusetzen.

1.2 Die geheimdienstliche Zusammenarbeit gegen die rumänische Emigration 1.2.1 Die »Balkan-Akte« des MfS: eine Dokumentation der Zusammenarbeit Tatsächlich waren Exilanten, Flüchtlinge und Emigranten aus Rumänien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Aufnahme gefunden hatten, in besonderem Maße von der Zusammenarbeit zwischen Securitate und MfS betroffen. In einem Gespräch mit MfS-Mitarbeitern bezifferte Aurel Moiș im Dezember 1956 ihre Anzahl mit »zirka 10 000 Rumänen und Volksdeutschen aus Rumänien«.66 Sofern das MfS ihn hier zutreffend zitiert, lag Moiș mit dieser Zahlenangabe weit entfernt von den tatsächlichen Größenordnungen. Bereits zu Beginn der 1950er-Jahre lebten in der Bundesrepublik über 150 000 Menschen, die vor dem Krieg in Rumänien ihre Heimat hatten; knapp 4 000 von ihnen waren ethnische Rumänen, die übrigen hingegen Angehörige der deutschen Minderheit.67 Die Securitate fürchtete die antikommunistischen Aktivitäten der Emigranten und war deshalb bestrebt, möglichst viel über sie 65  MfS, Abteilung VII, 2.10.1954: Bericht v. 1.10.1954; BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 12, Bl. 64 f. Verfasser des Berichts war IM »Rose«, der zufällig auf dem 131. Polizeirevier im Westberliner Bezirk Charlottenburg arbeitete, an das sich die beiden Flüchtlinge gewandt hatten und wo ihr dolmetschender Begleiter diese Version ihres Fluchtgrundes erzählte. Der Bericht wurde von Erich Mielke persönlich abgezeichnet. In Westberlin berichtete »Die Neue Zeitung« am 13.10.1954 unter der Überschrift »Jockeis [!] nach dem Westen geflohen« über Pall und Cucu. Demnach hatten sie in einem Radiointerview mit der »Stimme Amerikas« erklärt, ihre Flucht schon seit drei Jahren geplant zu haben. Der Artikel ist vorhanden in: ebenda, Bl. 67. 66  MfS, HA II/5, 12.12.1956: Bericht über die durchgeführte Aussprache mit den rumänischen Genossen; BStU, MfS, AOP 4288/65, Teilvorgang (TV) 3, Bd. 1b, Bl. 132. 67 Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik 1957, S.  41. Demnach lebten 1950 in der Bundesrepublik 152 372 Menschen, die am 1.9.1939 ihren Wohnsitz in Rumänien hatten, darunter befanden sich 3 776 Personen »mit nichtdeutscher Muttersprache«.

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in Erfahrung zu bringen und sie gezielt zu bekämpfen. Das geteilte Berlin bildete hierfür eine günstige Basis, und das MfS mit seinen guten gesamtdeutschen Möglichkeiten und Erkenntnissen war in dieser Phase ein wichtiger Verbündeter. Wenn hier von »Emigranten« geschrieben wird, so umfasst dieser Begriff mehrere, verschiedenartige Kategorien von »Auswanderern«, denn es gab sehr verschiedene Motive für Flüchtlinge, Exilanten und andere, ihre angestammte Heimat in Rumänien zu verlassen beziehungsweise nicht dorthin zurückzukehren.68 Aus der Perspektive des MfS handelte es sich bei den überwachten Emigrantenverbänden dagegen grundsätzlich um »konterrevolutionäre« und »volksfeindliche« Vereinigungen, die das gemeinsame Ziel verfolgten, die »kapitalistische Gesellschaftsordnung in ihren Heimatländern [wieder herzustellen]«.69 Zweimal Emigration: Vom Heimweh Wenn Rumänen ins Exil gehn, lassen sie sich überall in der Welt entlang den Schienensträngen nieder oder, wenn noch Platz ist, in der Nähe von Bahnhöfen. Um für alle Fälle ein wenig näher zu Hause zu sein. Entlang den Gleisen wandernd, oder wenn der Zug pfeift, stehn sie dann ständig mit der Heimat in Verbindung.

68  Eine kurze begriffliche Gegenüberstellung von »Exil« (als Flucht vor unmittelbarer persönlicher Bedrohung und ohne Aussicht auf baldige Rückkehr) und »Emigration« (Auswanderung aus persönlichen oder wirtschaftlichen Erwägungen mit der Möglichkeit zurückzukehren) nimmt Behring: Rumänische Schriftsteller im Exil, S. 10–15, vor. Im Folgenden soll der Begriff »Emigration« jedoch, wie oben dargelegt, die verschiedenen Personengruppen umfassen und wird hier in einem politisch-historischen Kontext gebraucht. Vgl. dagegen die soziologische Untersuchung von Breckner: Migrationserfahrung. Breckner untersucht Wanderungsbewegungen von Rumänien nach Deutschland im 20. Jahrhundert und bezeichnet diese als »Migration«. 69  Wörterbuch für die politisch-operative Arbeit, hg. von der Juristischen Hochschule des MfS, Potsdam 1969, JHS GVS 160-300/69, K 465, Stichwort »Emigrantenorganisationen, Konterrevolutionäre«.

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Vor allem im Frühjahr, wenn der Erdmagnetismus den Reiherflug stört, hocken sie selbst nach Generationen traurig auf dem Gepäck und horchen, wie das Heimweh im Bahndamm dröhnt.70 Marin Sorescu

Auszug aus dem »Wörterbuch der Staatssicherheit« des MfS (1985) Emigrantenorganisationen, feindliche reaktionärer Zusammenschluss von Personen, die aus Feindschaft gegenüber dem Sozialismus ihre Herkunftsländer verlassen haben und gegen diese einen aktiven Kampf führen mit dem Ziel, die in diesen Ländern bestehende Macht der Arbeiterklasse zu zerstören und die kapitalistische Gesellschaftsordnung wieder herzustellen. [...]71

Im Archiv des MfS sind gemeinsame Aktionen der Geheimdienste gegen die Emigration vor allem in der länderübergreifenden Akte mit dem Decknamen »Balkan« dokumentiert. Die Akte »Balkan« umfasst 19 Bände und zeigt, wie das MfS seit Mitte der 1950er-Jahre mit den Geheimdiensten Ungarns, Rumäniens, Bulgariens und Albaniens zusammenarbeitete, um Emigranten aus diesen Ländern, die nun in der Bundesrepublik lebten, zu überwachen oder zu bekämpfen. Sie enthält einige Berichte über Besprechungen mit den Geheimdiensten dieser Länder, Hinweise auf inoffizielle Mitarbeiter und Belege für konkrete Aktionen gegen einzelne Personen.72 Innerhalb des MfS war hierfür die Hauptabtei70  Ich danke meinem Kollegen Andreas Schmidt, der mich mit diesem Gedicht bekannt machte. Die deutsche Übertragung des Gedichtes stammt von Oskar Pastior. Der Ort der Erstveröffentlichung ließ sich noch nicht finden. 71  Suckut (Hg.): Das Wörterbuch der Staatssicherheit, S. 106. Bei der hier zitierten, von Suckut edierten Fassung des MfS-Wörterbuchs handelt es sich um die zweite Auflage von 1985. Das »Wörterbuch« wurde von der Hochschule des MfS erarbeitet und bietet vor allem einen Einblick in die Denkweise des MfS. 72  Der Objektvorgang »Balkan« trägt die Signatur BStU, MfS, AOP 4288/65. Er wurde zwar erst 1960 angelegt, doch wurden darin zahlreiche Unterlagen zusammengeführt, die im Rahmen der Kooperation mit den kommunistischen Geheimdiensten Albaniens, Bulgariens, Rumäniens und Ungarns bei der Bekämpfung von Emigranten seit Mitte der 1950er-Jahre entstanden waren. Über »rumänische Emigrantenorganisationen in Westberlin und Westdeutschland« hatte die HA II/5 des MfS bereits im Januar 1957 einen eigenen Aktenvorgang eröffnet, der 1960 in die Balkan-Akte einfloss. Er hatte den Zweck, »eine bessere und erfolgreiche Bearbeitung der [rumänischen Emigrantenorganisationen] zu erreichen«, wie die federführende

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lung II/5 zuständig. Ihr Aufgabengebiet bestand seit Juni 1956 darin, »feindliche Emigrantenorganisationen, die das Gebiet der UdSSR und Volksdemokratien betreffen« sowie den »Sender ›Freies Europa‹ in Westdeutschland« und die Grenze der DDR zu Polen und der Tschechoslowakei zu bearbeiten.73 Somit existierte im MfS damals ein eigenes Referat, das sich mit Emigranten aus den sozialistischen Ländern befasste. Das ist insofern bemerkenswert, weil die DDR mit diesem Personenkreis eigentlich nichts zu tun hatte. Denn es ging um Menschen, die aus Rumänien oder anderen ostmittel- und südosteuropäischen Ländern stammten und die nun in der Bundesrepublik lebten. Die DDR spielte für sie kaum eine Rolle. Im März 1965 fertigte ein Mitarbeiter der MfS-Hauptabteilung II/5, Oberfeldwebel Horst Löschinger, den Abschlussbericht zum Objektvorgang »Balkan« an. Darin vermerkte er, dass von den »befreundeten Sicherheitsorganen« seit 1962 keine Informationen mehr über Emigranten oder Emigrantenorganisationen übergeben wurden und der Vorgang daher »keine Perspektive« mehr habe.74 Die Thematik hatte bis Mitte der 1960er-Jahre offenbar an Brisanz verloren, woran die Geheimdienste allerdings ihren Anteil hatten. Der Objektvorgang »Balkan« enthält unter anderem Notizen über Absprachen zwischen der rumänischen Residentur und MfS-Mitarbeitern. Allein zwischen Mai und Dezember 1956 wurden fast jeden Monat gemeinsame Besprechungen oder Aktionen durchgeführt. Rumänischerseits beteiligten sich damals vor allem Aurel Moiș und sein Mitarbeiter Vasile Turcu daran, seitens des MfS der Leiter der Hauptabteilung II/5, Hauptmann Walter Schneider, sowie Leutnant Erhard Schierhorn, gelegentlich auch der Leiter der MfS-Hauptabteilung II, Oberst Josef Kiefel. Dabei ging es häufig darum, dass die Residentur beim MfS Unterstützung anforderte, um bestimmte Personen zu überwachen und gegebenenfalls in den Osten zu entführen.75 HA II/5 am 21.1.1957 festhielt. Ebenda, Bd. I, Bl. 6. Vergleichbare Vorgänge hatte das MfS im Juli 1955 bereits über bulgarische und im April 1956 über ungarische Emigrantenverbände angelegt; im September 1958 folgte ein Vorgang über albanische Organisationen in der Bundesrepublik, hinzu kam im Februar 1956 ein Objektvorgang über »Radio Free Europe« in München. Auch diese Vorgänge gingen 1960 in die Balkan-Akte ein. Vgl. BStU, MfS, AOP 4288/65, Bd. I, Bl. 4–13. Siehe auch Herbstritt: Die »Balkan«-Akte des Ministeriums für Staatssicherheit. 73  MfS, Stellvertreter des Ministers [Beater], 16.6.1956: Schreiben an den Leiter der Bezirksverwaltung Gera betr. Strukturveränderung in der Hauptabteilung II und in den Abteilungen II der Bezirksverwaltungen; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 3818, unpaginiert. Zuvor lagen die Zuständigkeiten bei der HA II/6, ehe sie an die HA II/5 übergingen. Ich danke Roland Wiedmann, der mich auf dieses Schreiben hinwies und auch komplizierte Fragen zur MfS-Struktur kompetent und zuverlässig beantwortete. 74  BStU, MfS, AOP 4288/65, Bd. I, Bl. 21. Siehe auch die in Anm. 154 erwähnten Aktenvermerke, wonach das MfS die Überwachung der rumänischen Emigration in Westberlin schon 1962 beendet hatte. 75  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 83–138. Der Name »Moiș« wurde vom MfS als »Meuse« geschrieben, »Turcu« als »Turko«. Schierhorn »qualifizierte« sich in den Folgejah-

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1.2.2 Eine Reaktion auf den Ungarnaufstand 1956: MfS und Securitate bekämpfen die rumänische Emigration intensiver Am 23. Oktober 1956 begann in Ungarn ein antikommunistischer Aufstand, den die sowjetische Armee ab November 1956 blutig niederschlug. Die kommunistischen Geheimdienste machten die Emigrantenverbände maßgeblich für den Ausbruch des Ungarnaufstandes verantwortlich und verstärkten deshalb seit Herbst 1956 ihre Arbeit gegen sie. In einem MfS-internen Papier von April 1957 hieß es dazu: »Der konterrevolutionäre Putsch in Ungarn hat gezeigt, dass es unbedingt notwendig ist, den Emigrantenorganisationen, die sich meist wie andere Organisationen als ›biedere Vereine‹ tarnen, noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen als bisher.« Im MfS ging man damals davon aus, dass weitere Aufstände vorbereitet würden. In dem eben zitierten Papier wurde die Bekämpfung der Emigrantenverbände deshalb als vorbeugende Maßnahme interpretiert; es gehe darum, dass »alle Versuche des Gegners, weitere Putschversuche im soz[ialistischen] Lager zu versuchen, bereits im Keime erstickt« werden.76 Das MfS hatte dabei insbesondere Rumänien und Bulgarien im Blick. Ein »Informator« des MfS hatte Anfang Dezember 1956 berichtet, was er angeblich von einem führenden CSU-Politiker mitgeteilt bekommen hatte: Der habe mit dem bundesdeutschen Spionagechef Reinhard Gehlen gesprochen und erfahren, dass der US-amerikanische Spionageabwehrdienst CIC (Counter Intelligence Corps) im Frühjahr 1957 »große Provokationen in Bulgarien und Rumänien« plane. Derselbe Informator hatte Ähnliches bereits über Ungarn berichtet, lange bevor dort der Aufstand ausbrach. Deshalb war das MfS offenbar geneigt, solche Berichte aus dritter Hand wichtig zu nehmen.77 Auch ein Bericht vom 11. Dezember 1956, der sich auf Informationen »aus rumänischen Emigrantenkreisen in Österreich« berief, sagte Aufstände in Rumänien und Bulgarien voraus.78 Kurz zuvor hatten die Arbeiterproteste in der polnischen Stadt Posen (Poznań) ebenfalls die kommunistischen Machthaber aufgeschreckt. Das MfS leitete aus den

ren auf dem Gebiet der Emigrantenverbände und verfasste 1971 an der MfS-Hochschule eine 71 Seiten umfassende Diplomarbeit über die Bekämpfung der russischen Emigrantenorganisation NTS. BStU, MfS, JHS MF VVS 160-639/71. 76 [MfS: Auskunftsbericht, ca. 26.4.1957:] Ungarische Emigration; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 1, Bl. 11–21, Zitat auf Bl. 21. 77  Betr.: Vorbereitung von Provokationen durch den CIC in Bulgarien, Rumänien und Volkspolen, 6.12.1956, ohne Absenderangabe; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 79. Die HA II/5 leitete diese Information mit Schreiben vom 2.1.1957 an die Abteilung X weiter, die für die Verbindungen des MfS zu den anderen kommunistischen Geheimdiensten zuständig war. Ebenda, Bl. 80. 78  Betr.: Tätigkeit einer rumänischen Emigrantengruppe in Innsbruck, 11.12.1956, ohne Absenderangabe; ebenda, Bl. 81 f.

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Ereignissen des Jahres 1956 ausdrücklich die Notwendigkeit ab, mit den anderen kommunistischen Geheimdiensten enger zusammenzuarbeiten.79 Die Unruhe im MfS verstärkte sich noch dadurch, dass DDR-Bürger im Herbst 1956 offen mit den Aufständen in Polen und Ungarn sympathisierten und ihre Hoffnung ausdrückten, dass es auch in der DDR wieder losgehen möge. Das MfS hatte in der DDR im Laufe des Jahres 1956 zwar immer wieder Arbeiterproteste registriert. Doch diese waren bis zum Herbst 1956 zumeist unpolitisch geblieben. Erst unter dem Eindruck der Ereignisse in Polen und Ungarn begannen die Protestierenden, politische Forderungen zu erheben und beispielsweise den Rücktritt Walter Ulbrichts zu verlangen. Vor diesem Hintergrund durchleuchtete das MfS nun auch die DDR-Bevölkerung auf die vermeintlichen Gefahren hin. So forderte beispielsweise die MfS-Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) am 7. November 1956 die nachgeordneten MfS-Kreisdienststellen dazu auf, alle Personen zu erfassen, die aus Albanien, Bulgarien, Rumänien oder Ungarn stammten und im jeweiligen Kreis wohnten. Dabei sollte vermerkt werden, wer von ihnen Beziehungen in den Westen unterhielt. Aus dem Kreis Reichenbach im Vogtland ist eine entsprechende Personenaufstellung im Objektvorgang »Balkan« überliefert. Demnach lebten dort 148 Menschen, die aus den angefragten Ländern stammten und Kontakte in den Westen hatten, wobei allerdings nur vier von ihnen aus Rumänien kamen sowie einer aus Bulgarien, die übrigen 143 hingegen aus Ungarn. Hinzu kamen im Kreis Reichenbach weitere 174 Personen aus den genannten Ländern, die keine Westverbindungen hatten. Es ist davon auszugehen, dass in den anderen DDR-Bezirken ebensolche Personendaten zusammengestellt wurden.80 Knapp drei Wochen später begannen die MfS-Bezirksverwaltungen damit, alle bereits aktiven inoffiziellen Mitarbeiter, die ursprünglich aus einem der genannten vier Länder stammten, an die Zentrale nach Ostberlin zu melden. Dabei sollte geprüft werden, welche dieser IM auf Emigrantengruppen in der Bundesrepublik angesetzt werden könnten. Die überlieferten Antworten aus den 79  MfS, vermutlich HA II/5: Lektion: Der Kampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen die imperialistischen Geheimdienste, die sich mit dem Aufbau von Kanälen und Einschleusen von Agenten nach den Volksdemokratien befassen, undatiert [1957]; BStU, MfS, AOP 452/60, Bd. I/1, Bl. 112. 80  Anschreiben der MfS-Kreisdienststelle Reichenbach vom 26.11.1956 an die Abt. II/5 der BVfS Karl-Marx-Stadt, betr.: Personen aus den Volksdemokratien Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Albanien. Die BVfS Karl-Marx-Stadt hatte die Aufstellung mit Schreiben vom 7.11.1956 angefordert. BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 1, Bl. 215. Vgl. auch BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd.  2, Bl.  49–138, darin MfS-Ermittlungen in verschiedenen Bezirken der DDR zwischen dem 7.11.1956 und 30.7.1957 zu weiteren 19 rumänienstämmigen DDR-Bürgern. Zu den Sympathiebekundungen mit Polen und Ungarn siehe Bispinck (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1956 (im Druck), darin insbes. die Einleitung sowie die Informationen Nr. 45/56, 49/56, 272/56, 279/56, 283/56.

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Bezirken Dresden, Halle und Neubrandenburg vermitteln den Eindruck, dass auf diese Weise kaum geeignete IM gefunden wurden. Im Bezirk Halle verfügte das MfS über keine IM aus Rumänien, im Bezirk Dresden waren es zwei Rumäniendeutsche aus Siebenbürgen, von denen einer als Bergarbeiter, der andere als Lokführer arbeitete, und im Bezirk Neubrandenburg gab es drei rumäniendeutsche IM, von denen zwei Dorfbürgermeister waren und einer in der Landwirtschaft beschäftigt war.81 Aus beruflichen, persönlichen oder gesundheitlichen Gründen erschien keiner der fünf IM geeignet, auf Emigrantenverbände im Westen angesetzt zu werden, und mindestens zwei von ihnen verweigerten schon einige Wochen nach ihrer Anwerbung jede weitere Zusammenarbeit, weil sie sich aus Prinzip nicht als Spitzel betätigen wollten.82 Auffällig ist hier, wie auch in einigen anderen Zusammenhängen, dass einige MfS-Offiziere offensichtlich mangelhafte Geografiekenntnisse besaßen. Das folgende Beispiel soll nicht nur als Beleg für dieses Phänomen dienen, sondern darüber hinaus aufzeigen, dass auch der Apparat des MfS mit vielen inneren Unzulänglichkeiten zu kämpfen hatte: Unter den Antworten aus den MfS-Bezirksverwaltungen befand sich auch der Hinweis aus Neubrandenburg auf den IM »Drohne«. »Drohne«, so meldete die Bezirksverwaltung Neubrandenburg nach Ostberlin, sei 1911 in »Heldsdorf/Ungarn Siebenbürgen« geboren. Diese Feststellung war auch zutreffend, da Heldsdorf (rumänisch: Hălchiu, ungarisch: Höltövény) wie Siebenbürgen insgesamt 1911 Teil des Königreichs Ungarn war. Weiter berichtete die Bezirksverwaltung Neubrandenburg, dass die Geschwister von »Drohne« noch dort in Siebenbürgen lebten, und »Drohne« gerne einmal nach Ungarn fahren wolle, um seine Geschwister zu besuchen. Dem zuständigen MfS-Offizier war in der gesamten Personenbeschreibung nicht aufgefallen, dass Siebenbürgen bereits seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, seit 1918/20, zu Rumänien gehörte und »Drohne« also familiäre Beziehungen nach Rumänien pflegte und nicht nach Ungarn.83

81  Vgl. die Antwortschreiben und Aufstellungen der BVfS Dresden, Halle und Neubrandenburg zwischen dem 29.11. und 4.12.1956, die jeweils auf eine entsprechende Anforderung der HA II/5 vom 27.11.1956 Bezug nehmen; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1a, Bl. 260– 269. Abgefragt wurden Verbindungen nach Albanien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn. 82  BStU, MfS, BV Dresden, AIM 35/58, Personalakte, Bl. 56–58; BStU, MfS, BV Dresden, AIM 332/59, Personalakte, Bl. 19–24. Siehe auch Anm. 83. 83  Schreiben der BVfS Neubrandenburg, Abt. II, an die HA II/5 des MfS vom 4.12.1956; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1a, Bl. 269. Ebenso in der IM-Akte zu »Drohne«: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AIM 481/69, Personalakte, Bl.  21. Die Führungsoffiziere von »Drohne« vermerkten zwischen Januar 1956 und Januar 1957 sowie erneut 1960 mehrfach in den Akten, dass »Drohne« auf Landsmannschaften im Westen angesetzt werden könnte, weil er auch dorthin verwandtschaftliche Beziehungen hatte, aber seine Berichte an das MfS blieben auf das Geschehen an seinem Arbeitsplatz auf dem Volkseigenen Gut Schmölln beschränkt.

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Ebenfalls noch ganz unter dem Eindruck des Ungarnaufstands stellte die MfS-Hauptabteilung II/5 Anfang November 1956 einen 14 Punkte umfassenden Fragenkatalog für die Securitate-Residentur zusammen. Das MfS wollte umfassend darüber informiert werden, welche rumänischen Emigrantenorganisationen der Securitate in der Bundesrepublik Deutschland bekannt waren, wo diese jeweils ihren Sitz hatten, wie sie arbeiteten und welche Ziele sie verfolgten, wie sich ihre Mitglieder in politischer und sozialer Hinsicht zusammensetzten, welche Verbindungen sie zu westlichen Geheimdiensten unterhielten und in welcher Weise sie Aktionen gegen Rumänien durchführten.84 Bei zwei Besprechungen am 10. Dezember 1956 und am 11. Januar 1957 beantworteten die Mitarbeiter der Residentur derartige Fragen. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1956 hatte die Securitate dem MfS eine umfassende Dokumentation über rumänische und rumäniendeutsche Vereinigungen mit Sitz in der Bundesrepublik übergeben. Die Übersetzung, die das MfS damals anfertigen ließ, umfasste 81 Schreibmaschinenseiten. Die Dokumentation gliederte sich in zwei Teile. Zunächst benannte sie zahlreiche Emigrantenverbände sowie Gliederungen der rumäniendeutschen Landsmannschaften, beschrieb deren Entwicklung und politische Ausrichtung, listete Verbandsadressen auf und machte Angaben über die jeweiligen Vorstandsmitglieder. Im zweiten Teil beschrieb sie, auf welche Weise die präsentierten Institutionen in die Spionagetätigkeit gegen Rumänien eingebunden sein sollten.85 Diese Übersicht über die Emigration aus Rumänien lag offenbar über ein halbes Jahr lang unbeachtet beim MfS. Erst nach der Besprechung mit der Residentur am 10. Dezember 1956 begann die Hauptabteilung II/5 damit, die Securitate-Dokumentation systematisch durchzusehen und zu allen darin genannten Organisationen ein eigenes Dossier anzulegen. Auf diese Weise entstanden zwischen dem 14. und 19. Dezember 1956 Informationsübersichten über rund BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AIM 481/69, Personalakte, Bl. 13, 15, 18, 21, 23, 30, sowie Arbeitsvorgang, passim. 84  MfS HA II/5, 9.11.1956: Aussprache mit den rumänischen Genossen am 10.12.1956, um folgende Fragen über die rumänische Emigration in Westberlin u. Westdeutschland zu klären; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 127 f. 85  Die ins Deutsche übersetzte Version der Dokumentation ist vorhanden in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 4, Bl. 41–74, 76–122 und trägt keinen Titel. Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Russischen, die ihrerseits auf einer rumänischen Vorlage basierte. Teil 1 wurde im MfS bis zum 21.4.1956 vollständig ins Deutsche übersetzt, Teil 2 bis zum 6.7.1956. Bedingt durch die russische Vorlage, wurden die meisten Namen fehlerhaft in die deutsche Fassung bzw. in das lateinische Alphabet rückübertragen. Aus den Akten geht nicht hervor, wann und auf welchem Weg diese Dokumentation das MfS erreicht hatte. Eine systematische Auswertung dieses Materials nahm die HA II/5 jedenfalls erst ab der zweiten Dezemberhälfte 1956 vor. Die rumänische Ursprungsversion erstellte im Dezember 1955 das Presse- und Informationsbüro der Auslandsspionage-Abteilung der Securitate (»Direcţia I-a, Biroul de Presă și Informaţii«) unter dem Titel: Emigraţia politică Romînă (1944–1955) [Die rumänische politische Emigration (1944–1955)]; vorhanden in: ACNSAS, fond documentar, D 184.

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30 Verbände, die allerdings nur aus wortwörtlichen Abschriften aus der Securitate-Dokumentation bestanden. Besonders hervorgehoben wurden zwei Dachverbände: Der »Bund der rumänischen Verbände und Institutionen in der deutschen Bundesrepublik und Westberlin« (Uniunea Asociaţiilor și Instituţiilor Românești din Republică Federală Germană și Berlinul de West[!], UARG) mit Sitz in Bonn und die »Koordinationszentrale der Rumänen« in München.86 Eine dritte Gruppe bildeten die Landsmannschaften und Hilfsorganisationen der Siebenbürger Sachsen, der Banater Schwaben und der Bukowina-Deutschen, deren Untergliederungen und Funktionäre ebenfalls ausführlich charakterisiert wurden.87 Hinzu kamen die rumänische Abteilung des Rundfunksenders »Radio Free Europe« und die »rumänische katholische Mission«, die beide in München ansässig waren.88 Über die UARG und die mit ihr assoziierten Vereinigungen übernahm das MfS resümierend die undifferenzierte Einschätzung der Securitate: »Dieser U.A.R.G. gehören alles nur Legionäre an oder Kriminelle und faschistische Personen, die gegen die VRR [Volksrepublik Rumänien] eingestellt sind.«89 Als »Legionäre« wurden und werden die Anhänger der rumänischen Faschisten bezeichnet, die der 1927 von Corneliu Zelea-Codreanu gegründeten »Legion ›Erzengel Michael‹« angehörten; seit 1930/31 trat die »Legion« vor allem unter dem Namen »Eiserne Garde« auf.90 MfS und Securitate unterstellten der UARG, »Spionage, Diversion und Terror gegen die VRR« zu betreiben.91 Die »Koordi86  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 98–111, 154–158. Zu den heute noch bestehenden Institutionen, die hier der UARG zugerechnet werden, gehört die »Rumänische Bibliothek« in Freiburg im Breisgau; ebenda, Bl. 108 f. Eine Auflistung von Mitgliedsverbänden in der UARG findet sich in der Gründungssatzung der UARG vom 15.1.1955, S. 5 f., vorhanden in: Vereinsregister beim Amtsgericht Bonn, VR 2438. 87  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 68–70, 135–137, 163–172, 179–183, 193 f., 197–203; TV 1, Bd. 4, Bl. 61–74. Die Verbände der Banater Schwaben und Bukowina-Deutschen wurden im Gegensatz zu denen der Siebenbürger Sachsen in der rumänischen Vorlage nur ganz knapp beschrieben. Vgl. ACNSAS, fond documentar, D 184, S. 106–116; im Dossier des MfS fehlen die von der Securitate übermittelten Angaben über die Banater Schwaben und Bukownina-Deutschen völlig. Eine Aufstellung von Mitgliedern des Bundesvorstandes der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen von 1957, die das MfS lediglich einer Zeitschrift entnahm, in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 5439, Bl. 18 f. 88 Vgl. hierzu die Abschnitte »Die rumänische katholische Mission« und »Der Sender ›Freies Europa‹ (›Free Europe‹) (Rumänische Abteilung ›Die Stimme des freien Rumänien‹)« in der Securitate-Dokumentation; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 4, Bl. 55–60. Eine fast buchstabengetreue Abschrift des MfS vom 18.12.1956 zur »rumänischen katholischen Mission« in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 186–188, bzw. vom 14.12.1956 zu RFE in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 2, Bl. 196–198. 89  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 101. 90  Zur Geschichte der »Legionäre« siehe Heinen: Die Legion »Erzengel Michael«. 91  MfS, HA II/5, 9.1.1957: Aufstellung über feindliche Dienststellen und Residenten sowie deren Bearbeitung durch die Hauptabteilung II; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 2, Bl. 353.

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nationszentrale der Rumänen« betrieb nach Auffassung der kommunistischen Geheimdienste ganz allgemein »Feindtätigkeit gegen die VRR«, während die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in München lediglich der »Spionage gegen die VRR« verdächtigt wurde.92 Im Falle der UARG dürfte die Behauptung sogar zutreffend sein, dass Legionäre diesen Verband dominierten. Immerhin wählte die UARG mit dem Theologen und Publizisten George (Gheorghe) Racoveanu einen Legionär zum Vorsitzenden.93 In ihrer Satzung vom 15. Januar 1955 gab sich die UARG zwar betont unpolitisch: sie wolle als Dachverband die Aktivitäten ihrer Mitglieder »auf geistigem, kulturellem, sozialem und nationalem Gebiet koordinieren«.94 Diese Absichtserklärung steht einer legionären Dominanz allerdings nicht entgegen. Die pauschale Verunglimpfung der rumänischen Exilgruppen in den Geheimdienstdossiers ist jedoch grundsätzlich nicht erkenntnisfördernd. Die Art und Weise, wie das MfS und seine Verbündeten die Emigrantenverbände charakterisierten, illustriert vor allem das verengte geheimdienstliche Feindbilddenken. Die wiederholte Behauptung, die antikommunistischen Bewegungen seien nur von westlichen Geheimdiensten gesteuert, verkennt die Authentizität antikommunistischen Widerstands. Ebenso wenig ist es angemessen, jede Verbindung der Emigranten in ihre alte Heimat als Spionage einzustufen, wie es Securitate und MfS hier taten. Gleichwohl gab es in den 1950er-Jahren nicht wenige Verbindungen zwischen westlichen Geheimdiensten und Emigrantenverbänden.95 Interessanterweise attestierte die Securitate den rumänischen Mitarbeitern von »Radio Free Europe« immerhin, dass sie nicht den Legionären zuzurechnen seien. Dem Securitate-Dossier zufolge stießen die Legionäre wegen ihrer »antisemitischen Einstellung« bei der Leitung des Radiosenders auf Ableh-

92  Ebenda, Bl. 353 f. 93  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 102. Das Vereinsregister beim Amtsgericht Bonn, VR 2438, verzeichnet Racoveanu als UARG-Vorsitzenden von der Vereinsgründung 1955 bis August 1959, als er von dem früheren General Ion Gheorghe abgelöst wurde. Zu Racoveanu vgl. auch seine kurze Erwähnung in: Heinen: Die Legion »Erzengel Michael«, S. 186, ferner Bichir: Când satana îţi dă târcoale, S. 23–36. Bichir belegt hier anhand einiger Dokumente Racoveanus Zugehörigkeit zu den Legionären in den 1930er- und 1940er-Jahren. Nach Einschätzung Vasile C. Dumitrescus bildete die UARG eine politische Plattform jener Legionäre, die gegen Horia Sima eingestellt waren. Dumitrescu: O istorie a exilului Românesc, S. 116. Zu Dumitrescu siehe Kapitel 6.1. 94 Satzung der UARG, S.  1, vorhanden in: Vereinsregister beim Amtsgericht Bonn, VR 2438. 95  Über die Förderung der Emigrantenverbände durch westliche Dienststellen siehe ausführlich Stöver: Die Befreiung vom Kommunismus, insbes. S. 283–340; die rumänische, bulgarische und albanische Emigration erwähnt Stöver hierbei nur beiläufig auf S. 302, ausführlich geht er hingegen auf den genannten Seiten auf die Emigrantenverbände polnischer, tschecho­ slowakischer und ungarischer Herkunft ein.

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nung und hätten somit noch keine Gelegenheit gehabt, Positionen bei dem Sender mit eigenen Leuten zu besetzen.96 Grundsätzlich ist es aber zutreffend, dass unter den rumänischen Exilfunktionären in der Bundesrepublik neben Vertretern bürgerlicher, liberaler oder monarchistischer Gruppierungen in ganz erheblicher Anzahl auch Anhänger oder Sympathisanten der Legionäre waren. Um diesen Sachverhalt wusste selbstverständlich auch die westliche Seite. Im Februar 1955, also fast gleichzeitig mit der Securitate, stellte auch die CIA eine Übersicht über die rumänischen Emigrantenorganisationen in der Bundesrepublik zusammen. Sie führte 20 Gruppen und Verbände auf und ordnete das jeweilige Führungspersonal politisch ein. Genau die Hälfte dieser Organisationen wurde demnach von Legionären geleitet, von denen einige aktive Anhänger Horia Simas waren.97 Sima, seit 1938 Anführer der Legionärsbewegung, rief aus seinem spanischen Exil heraus auch Mitte der 1950er-Jahre noch zu einem heiligen Krieg und bewaffneten Kampf gegen den Kommunismus auf, um die christlichen Werte zu retten.98 Sehr viel mehr als in anderen Ländern bedienten sich die rumänischen Faschisten auch christlich-mystischer Begriffe. Doch wenn die Securitate hier mit Unterstützung des MfS Emigranten verfolgte, so tat sie das in erster Linie, um die kommunistische Herrschaft in Rumänien abzusichern. Es ging ihr weniger darum, antidemokratische Faschisten zu verfolgen. Das politische Spektrum ihrer Gegner war daher breit und erfasste in den 1950er-Jahren selbstverständlich auch das rechtsextreme Lager. 1.2.3 Die Securitate sucht Spuren ehemals internierter Legionäre auf dem Gebiet der DDR Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, weshalb Aurel Moiș seine MfS-Kollegen bei der Besprechung am 10. Dezember 1956 darum bat, ihm Dokumente über jene Legionäre zur Verfügung zu stellen, die sich bis 1945 in Deutschland aufgehalten hatten.99 Der historische Hintergrund dieser Anfrage reicht in die 96  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 4, Bl. 57 (wie Anm. 88). 97 [CIA:] Rumanian Refugee Organizations in Germany, Report No: OFP/1518, FAJO/320, 14.2.1955. Der CIA-Bericht stützt sich auf einen »gewöhnlich vertrauenswürdigen rumänischen Leiter der Emigration, der mit Emigranten aller politischen Richtungen in Deutschland und Österreich in Verbindung steht«. Der Bericht ist im Internet abrufbar unter http://www.foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/1705143/SIMA%2C%20 HORIA%20%20%20VOL.%202_0063.pdf (Stand: 9.6.2016). Neben den 20 rumänischen Organisationen listet der Bericht auch vier rumäniendeutsche Verbände auf. Ich danke Douglas Selvage, der mich auf dieses Dokument hinwies. 98  Sima: Europe at the Crossroads, S. 36–38. 99  MfS, HA II/5, 12.12.1956: Bericht über die durchgeführte Aussprache mit den rumänischen Genossen (wie Anm. 66), Bl. 132.

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Jahre 1940/41 zurück. Am 14. September 1940 hatte der rumänische Militärdiktator und Ministerpräsident, General Ion Antonescu, mehrere Legionäre in seine Regierung aufgenommen. Ihr Führer, Horia Sima, erhielt das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten und erklärte Rumänien zum »Nationallegionären Staat«. Zwischen Antonescu und Sima kam es in der Folgezeit zu erheblichen Spannungen. Vom 21. bis 23. Januar 1941 versuchten die Legionäre, Antonescu durch einen Putsch auszuschalten und die Macht im Staat uneingeschränkt an sich zu ziehen. Antonescu gelang es jedoch, den Aufstand der Legionäre niederzuschlagen. Er hatte hierfür die ausdrückliche Rückendeckung Adolf Hitlers, dem ein zuverlässiger militärischer Verbündeter wichtiger war als die Machtergreifung der weniger verlässlichen rumänischen Faschisten. Die deutsche Seite hegte allerdings die Erwartung, dass Antonescu die Aufständischen amnestieren würde. Als er jedoch damit begann, Tausende von Legionären verhaften zu lassen, griffen deutsche Wehrmachtsstellen und der Sicherheitsdienst ein und ermöglichten über 300 Legionären, unter ihnen Horia Sima und Ilie Gârneaţă, nach Deutschland ins Exil zu gehen. Der rumänische Militärgerichtshof verurteilte Sima, Gârneaţă und acht weitere hochrangige Legionäre am 15. Juni 1941 dennoch zu lebenslänglicher Zwangsarbeit wegen ihrer Verantwortung für die bewaffnete Rebellion.100 Die meisten der geflüchteten Legionäre kamen zunächst nach Rostock, wo sie in der Rüstungsindustrie arbeiteten, etwa bei den Heinkel-Flugzeugwerken. 14 führende Legionäre, unter ihnen Horia Sima und Ilie Gârneaţă, erhielten eine Villa in Berkenbrück bei Fürstenwalde, rund 65 Kilometer südöstlich von Berlin, als Aufenthaltsort zugewiesen. Sie standen unter Gestapo-Aufsicht und mussten sich jeder politischen Aktivität enthalten. Im Dezember 1942 setzte sich Horia Sima nach Rom ab, wurde aber schon nach elf Tagen festgenommen und nach Deutschland zurückgebracht und fortan im Konzentrationslager Sachsenhausen nördlich Berlins interniert, die anderen führenden Legionäre in Dachau bei München. In Rostock verblieben rund 150 Legionäre, während die meisten Legionäre, auch solche, die bislang unbehelligt in Deutschland lebten, in das Sonderlager Fichtenhain überstellt wurden, das zum Konzentrationslager Buchenwald in Thüringen gehörte. Unter ihnen befanden sich George Racoveanu, der spätere Vorsitzende der UARG, und Vergiliu Eftimie, den die Securitate 1956 vergeblich zur Mitarbeit zu erpressen versuchte und der ab 1957 die »Rumänische Kolonie Berlin« leitete. Die internierten Legionäre lebten unter vergleichsweise günstigen Umständen; sie blieben Sonderhäftlinge mit deutlich besserer Unterbringung, Verpfle100  Heinen: Die Legion »Erzengel Michael«, S.  430–432, 442–453, 520–522. Ein Auszug aus dem Urteil des Militärgerichtshofs (Curtea Militară de Casare și Justiţie) befindet sich in der Securitate-Überwachungsakte Gârneaţăs: ACNSAS, fond informativ, i 211932, vol. 1, Bl. 366. Der Legionärsaufstand ging einher mit einem Judenprogrom in Bukarest. Legionäre brachten in jenen Tagen etwa 120 jüdische Einwohner um und misshandelten mehr als 1 000 weitere schwer. Vgl. Ioanid: The Holocaust in Romania, S. 57–60.

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gung und Behandlung.101 Nachdem der rumänische König Michael I. am 23. August 1944 in Absprache mit den rumänischen Parteien Ion Antonescu stürzte und das Land zwei Tage später Deutschland den Krieg erklärte, griff die deutsche Regierung auf Horia Sima zurück, ließ ihn im Dezember 1944 eine »nationalrumänische« Regierung mit Sitz in Wien bilden und erkannte diese als die legale rumänische Regierung an.102 Da die Internierungsorte der Legionäre größtenteils auf dem Gebiet der späteren DDR lagen, konnte Aurel Moiș durchaus damit rechnen, dass das MfS aufschlussreiche Dokumente finden würde. Doch es fand sich angeblich nichts. Zu dem Lager bei Rostock ermittelte die MfS-Hauptabteilung II/5 lediglich durch Befragung eines »Veteranen der Arbeiterbewegung«, dass es ein solches gegeben hatte und rumänische Legionäre dort untergebracht waren. Wahrscheinlich hätte das MfS bei gründlicher Recherche mehr herausfinden können. Wie der Kenntnisstand des MfS zu den übrigen Internierungsorten war, ist nicht überliefert.103

101  Köpernik: Faschisten im KZ, S.  120–128, 143, 161, 194–196, 199–201, 204–208. ­ einen: Die Legion »Erzengel Michael«, S. 459–461. Weitere Internierungsorte waren demH nach die Konzentrationslager Dachau und Ravensbrück; mit Ausnahme Dachaus lagen alle Lager auf dem Gebiet der späteren DDR. Siehe auch Ioanid: The Holocaust in Romania, S. 55 f., der knapp auf die Präsenz führender Legionäre in Deutschland zwischen 1941 und 1945 eingeht. Über Eftimies Internierung berichtete sein Sohn Hans Eftimie im Gespräch mit dem Verfasser am 23.5.2008. Siehe ferner Logigan: Rumäniens Eiserne Garde, S. 413–459. Logigan, selbst Legionär, der sich später aber von dieser Bewegung distanzierte, beschreibt hier als Zeitzeuge den Aufenthalt der Legionäre in Deutschland 1941–1944. Siehe auch Vălenaș: Convorbiri cu Mircea Dimitriu, S. 14 f., 94–108. Darin schildert Dimitriu aus seiner ungebrochen legionären Perspektive seine Zeit als Legionär in Deutschland seit 1938. Einige Schreiben aus dem sowie an das Reichssicherheitshauptamt zwischen Februar und Dezember 1943, die sich mit der Versorgung der Sonderhäftlinge befassen, stellte die HA IX/11 des MfS 1974 aus DDR-Archivbeständen zusammen. Den Anlass hierfür bildeten Untersuchungen in den USA gegen den dort lebenden rumänisch-orthodoxen Erzbischof Valerian (Viorel) Trifa. Trifa war vor dem Krieg Führer der legionären Studentenbewegung gewesen, maßgeblich am Legionärsputsch 1941 beteiligt und kam dann mit anderen führenden Legionären nach Berkenbrück und später nach Dachau. BStU, MfS, HA IX/11, FV 123/69, Bd. 37, Bl. 1–8, 16, 20–28; zu Trifa siehe auch International Commission on the Holocaust in Romania: Final Report, S. 36. 102  Heinen: Die Legion »Erzengel Michael«, S. 461–463. 103  MfS HA II/5, 22.1.1957: Ermittlungen über ein Lager in Rostock, welches mit rumänischen Legionären belegt war; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 150. Vgl. auch MfS, HA II/5, 11.1.1957: Betr.: Bericht über die durchgeführte Aussprache mit den rumänischen Genossen; ebenda, Bl. 134–138, hier 135 f. Demnach forderten die zuständigen MfS-Verbindungsoffiziere am 11.1.1957 Moiș und Turcu auf, ihnen eine Namensliste der in Rostock und Buchenwald (Fichtenhain) internierten Legionäre zu übergeben, um gezielt nach diesbezüglichen Dokumenten suchen zu können. Aus den Akten geht nicht hervor, ob eine solche Liste übergeben wurde.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

1.2.4 Die geplante Entführung des ehemaligen Legionärskommandanten Ilie Gârneaţă aus München Im Falle des früheren Legionärskommandanten Ilie Gârneaţă trat die Securitate-Residentur im Frühjahr 1956 mit einer konkreten Bitte an die ostdeutschen Kollegen heran. Bei einer gemeinsamen Besprechung am 25. Mai 1956 weihte Aurel Moiș seine MfS-Verbindungsoffiziere Kiefel und Schneider in den Plan ein, Ilie Gârneaţă aus seinem neuen Wohnort München zu entführen. In der entsprechenden Gesprächsnotiz des MfS hieß es dazu: Die rumänischen Genossen planen, diesen G. nach der Volksrepublik Rumänien zurückzuholen, er müsste zu diesem Zweck erst einmal unfreiwillig nach der DDR gebracht werden. Sie haben für diese Maßnahme zwei GM [Geheime Mitarbeiter], welche mit eingeschaltet werden können, jedoch zur Durchführung bitten sie noch um zwei Personen von uns. Unsererseits wurde vorgeschlagen, dass die rumänischen Genossen einen Plan erstellen, aus dem zu ersehen ist, wie der Stand der Vorarbeiten zur Durchführung dieser Maßnahme ihrerseits ist, um bei der nächsten Besprechung dann konkreter über die weitere Vorbereitung sprechen zu können.104

Ilie Gârneaţă wanderte bald nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien aus, erwarb die dortige Staatsbürgerschaft und nahm den Namen Antonio Gjini an. Unter dieser Identität kehrte er spätestens Mitte der 1950er-Jahre nach Europa zurück und ließ sich in München nieder. Er engagierte sich in der rumänischen Emigrantenszene und versuchte eine von Horia Sima unabhängige Legionärsgruppe aufzubauen. Insofern stand er in offener Gegnerschaft zum kommunistischen Regime in Bukarest. In der bayerischen Landeshauptstadt fand er zunächst eine Bleibe bei einem vermeintlich engagierten Emigranten der jüngeren Generation, dem schon erwähnten Securitate-Agenten Petre Tonegaru. Auch nachdem Gârneaţă im Sommer 1955 eine andere Unterkunft gefunden hatte, blieben beide in Kontakt. Die Securitate gelangte auf diesem Wege an »wertvolle Informationen über die Führung der Legionäre«, wie es in einem Securitate-Vermerk hieß.105 Auf dieser Grundlage gab die Securitate-Zentrale im Juli 1955 der Residentur in Ostberlin die Anweisung, beim MfS vorstellig zu werden. Das MfS solle 104  MfS, HA II, 25.5.1956: Besprechung mit den rumänischen Genossen am 25.5.1956; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 93. Der Name »Gârneaţă« wird hier fälschlich »Gornata« geschrieben, der Vorname mit »Vasile« angegeben. Seinen Tarnnamen, unter dem er in München lebte, gibt diese Besprechungsnotiz mit »Gini« an. Vgl. auch die diesbezügliche Korrespondenz in BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 7–9. 105  Notă [Bericht] vom 1.7.1955 und vom 13.7.1955; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 3, Bl.  183, 193. Im Stadtarchiv München liegt die Einwohnermeldekarte von »Antonio Gjini« vor, womit die Securitate-Informationen eine Bestätigung finden. Vgl. schriftliche Mitteilung des Stadtarchivs München an den Verfasser vom 23.7.2014.

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angefragt werden, ob es die Möglichkeit besitze, »einen oder mehrere Kommandanten der Emigration, die sich in München befinden, heimlich festzunehmen«. Die Namen der potenziellen Entführungsopfer solle man den »deutschen Freunden« vorerst nicht nennen.106 Inwieweit die Securitate-Residentur dieses Thema damals mit dem MfS besprach, ist nicht bekannt. Überliefert ist nur die oben zitierte Besprechung des Entführungsplans gegen Gârneaţă vom Mai 1956. Von dem Informanten Petre Tonegaru erhielt Aurel Moiș im März 1956 eine Skizze der Münchner Wohnung Gârneaţăs, Angaben über seine dortigen Lebensgewohnheiten und seinen Umgangskreis. Ebenso wusste Tonegaru von dessen Deckidentität.107 Auf dieser Grundlage stellte die Securitate im März 1956 Überlegungen an, Gârneaţă direkt aus München nach Rumänien zu verschleppen.108 Zwei Monate später erfolgte dann die Anfrage beim MfS, ihn auf dem Weg über die DDR zu ergreifen. Womöglich erschien dies risikoärmer und somit erfolgversprechender. Doch dann machte die Verhaftung und Enttarnung Tonegarus im Juli 1956 in Bayern diese Planungen hinfällig. Noch im Juni 1956 hatte die Securitate-Zentrale geglaubt, Tonegaru verwenden zu können, um die Entführung der Spitzen-Legionäre Sima und Gârneaţă und anderer vorzubereiten und durchzuführen.109 Nun fiel dieser Agent aus. Die Securitate verfolgte den Entführungsplan gegen Gârneaţă daraufhin offenbar nicht weiter. Gleichwohl blieb Gârneaţă 1960 im Fahndungsbuch der Securitate noch zur Festnahme ausgeschrieben.110 Und verschiedene Securitate-Diensteinheiten befassten sich mit ihm bis zu seinem Tode 1971, trugen Informationen über ihn zusammen, überwachten seine Aktivitäten in der Emigration ebenso wie seine 106  Notă [Bericht] vom 1.7.1955 (wie Anm. 105). 107  Ministerul de Interne, Direcţia I, 20.3.1956: Nota despre Girneata [Bericht über Girneata]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 19, vol. 1, Bl. 23 f., sowie das Schreiben Moiș’ an die Securitate-Zentrale vom 23.3.1956, in: ebenda, Bl. 25. Die Securitate änderte die Schreibweise des Namens »Gârneaţă« in »Gîrneaţă«, da eine Rechtschreibreform 1954 das »â« generell durch »î« ersetzte, was in zwei Schritten 1964 und 1993 wieder rückgängig gemacht wurde. Tonegaru erscheint in dieser Akte unter seinem Decknamen »Schulz«. 108  Despre Girneata [»Über Girneata«], vorgelegt am 31.3.1956. Ungezeichneter Bericht, basierend auf Beobachtungen des Informanten »Schulz«; ebenda, Bl. 26–29, insbes. 28. 109  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 29.6.1956: Analiza. Privind pe Tonegaru Petre conspirativ »Schulz« aflat în Germania occidentală [Ministerium für Innere Angelegenheiten, Hauptabteilung I: Analyse betreffend Petre Tonegaru, Deckname »Schulz«, der sich in Westdeutschland befindet]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 3, Bl. 242–249, hier 248. Die Analyse unterzeichneten der Leiter der Abteilung I innerhalb der Hauptabteilung I, Oberst M. Protopopov, und der ihm unterstellte Leiter des Referats I, Nicolae Sporiș. Sporiș führte seit 1955 auch eine Akte über das in München ansässige »Rumänische Institut« (Institutul Românesc) und verantwortete in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre Maßnahmen gegen Radio »Freies Europa« sowie die rumänische Abteilung der BBC in London. Vgl. Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 369 f., 651–653, 687–690. 110  Nanu; Dobre (Hg.): Au ales libertatea, S. 330 f. Zu diesem Fahndungsbuch siehe auch Anm. 162.

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Verbindungen zu Familienangehörigen in Rumänien, von denen einige als Securitate-Informanten fungierten.111 Das MfS befasste sich hingegen nicht weiter mit ihm. 1.2.5 Entführung oder Anwerbung und die Ratschläge des KGB: ein Westberliner Polizist im Visier von Securitate und MfS 1.2.5.1 Die Bearbeitung eines Westberliner Polizisten von 1955 bis 1959 Die Geschichte des Westberliner Polizisten Ferdinand Dorogi zeigt einmal mehr, wie selbstverständlich Erpressungen und Entführungen in den 1950er-Jahren Teil der geheimdienstlichen Kooperation waren. Sie führt sodann vor Augen, dass die MfS-Akten nur einen unvollständigen Ausschnitt der Securitate-Aktivitäten abbilden, auch wenn beide Geheimdienste zusammenarbeiteten. Und sie verweist auf die Einbeziehung des sowjetischen Geheimdienstes in die gemeinsamen Aktionen von Stasi und Securitate. Die DDR-Staatssicherheit befasste sich erstmals im September 1955 aktiv mit dem Westberliner Kriminalpolizisten Ferdinand Dorogi. Stasi-Ermittler erhielten damals den Auftrag, alles Mögliche über seine Person herauszufinden. Am 12. Juni 1956 leitete das MfS erneut Überprüfungsmaßnahmen zu Dorogi ein. Die IM »Karl« und »Melanchton«, die über enge Verbindungen zur Westberliner Polizei verfügten, lieferten im Rahmen dieser Ermittlungen einige Personendaten. Die Angaben über Dorogis aktuelle Adresse, sein Arbeitsgebiet und seinen Leumund erstrebte das MfS für eine »befreundete Dienststelle«, wie es in den Akten absichtsvoll unklar hieß.112 111  Die zweibändige Akte des Auslandsgeheimdienstes über Gârneaţă trägt die Signatur ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 19, die dreibändige Akte des Inlandsgeheimdienstes die Signatur ACNSAS, fond informativ/arhiva operativa, i 211932. Zur Einbeziehung von in Rumänien verbliebenen Familienangehörigen in die Überwachung siehe unter anderem ACNSAS, fond informativ/arhiva operativa, i 211932, vol. 1, Bl. 4–6, 14 f., 46. 112  SfS, HA II/6a, 28.9.1955: Ermittlungsauftrag an die Abt. VIII; BStU, MfS, HA VIII/ RF/1765/31 (8012/55), o.  S., sowie MfS, HA II/6, 12.6.1956: [Ermittlungsauftrag an die MfS-Verwaltung Groß-Berlin, Abt. IV]; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 92. Entsprechende Berichte von »Karl« und »Melanchton« in: BStU, MfS, AP 1140/57, Bl. 71, 74. »Melanchton« arbeitete bis 1957 bei der Westberliner Polizei, »Karl« nur bis 1951, danach bis 1958 bei der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«, jedoch schöpfte er noch bis in die 1970erJahre erfolgreich Westberliner Polizisten sowie einen Verfassungsschützer ab. Ausführlicher zu beiden IM siehe Petersen; Staadt: Inoffizielle MfS-Mitarbeiter in der Westberliner Polizei bis 1972, S. 251 f., 255 f. Vgl. auch die Berichte über Dorogi in den IM-Akten von »Melanchton«: BStU, MfS, AIM 9544/66, Bd. A 1, Bl. 20, 416 und »Karl«: BStU, MfS, AIM 2703/58, Bd. A 11, Bl. 213, Bd. A 12, Bl. 21, 38.

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Zwei Gesprächsvermerke des MfS erhellen den Hintergrund etwas: Am 25.  Mai 1956 bat der Leiter der Securitate-Residentur, Aurel Moiș, seine MfS-Ansprechpartner Josef Kiefel und Walter Schneider darum, Informationen über Dorogi zu beschaffen, was offenkundig die erneuten Überprüfungsmaßnahmen seitens des MfS veranlasste.113 Am 14. Juni 1956 legten Moiș und Turcu ihren beiden MfS-Kollegen dann einen fertigen Plan über die Anwerbung oder Entführung Dorogis vor, wozu sie jedoch kurzfristig auf die Mithilfe der ostdeutschen Kollegen angewiesen seien.114 Sie wollten den Umstand ausnutzen, dass Dorogi aus Rumänien stamme und ein Teil seiner Familie noch dort lebe. Aktuell halte sich Dorogis Bruder Doru mit einer Sportdelegation aus Rumänien im Ostberliner Stadtteil Grünau auf. Der Bruder sei inoffizieller Mitarbeiter der Securitate und solle als Lockvogel dienen. Wörtlich heißt es in dem Gesprächsvermerk: Der Bruder des D. ist GM der rumänischen Freunde. Mit ihm versuchen die rumänischen Genossen, den D. in den demokratischen Sektor zu bestellen, um ihn anzuwerben. Sollte eine Anwerbung nicht infrage kommen, so wird D. von den rumänischen Genossen sofort übernommen und in die Volksrepublik Rumänien gebracht.115

Der Maßnahmenplan ging davon aus, dass Dorogi bereit sei, in den nächsten fünf Tagen nach Ostberlin zu kommen und sich mit seinem Bruder in Grünau zu treffen. Zu diesem Treffen würden dann »zufällig« zwei Mitarbeiter der Residentur hinzustoßen und ihn um eine Aussprache bitten. Kiefel und Schneider sagten ihren rumänischen Kollegen logistische Unterstützung zu: Telefongespräche der beiden Brüder würden überwacht, der vorgesehene Treffort in Grünau werde von vier MfS-Mitarbeitern abgesichert, und der Securitate stehe das konspirative Objekt »Wald« zur Verfügung, wohin sie Dorogi verbringen könnte, um die »Aussprache« mit ihm durchzuführen.116 Inwieweit die beiden Geheimdienste diesen Plan tatsächlich umsetzten, verraten die MfS-Unterlagen nicht. Umso aussagekräftiger sind hingegen die Securitate-Akten: Ferdinand Dorogi, aus einer multiethnischen Banater Familie stammend, hatte demnach 1937 als junger Mann seine Heimatstadt Temeswar verlassen, lebte längere Zeit in Wien und kam schließlich nach Berlin, wo er unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in den Polizeidienst im britischen Sektor der geteilten Stadt übernommen wurde. Im Juli 1954 fing die Securitate einen Brief Dorogis an seine Eltern in Temeswar ab. Darin berichtete er, dass er

113  Besprechung mit den rumänischen Genossen am 25.5.1956 (wie Anm. 104), Bl. 93 f. 114  MfS, HA II/6, 14.6.1956: Bericht [über die Besprechung zwischen Moiș, Turcu, Kiefel und Schneider am 14.6.1956]; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 85–87. 115  Ebenda, Bl. 85. 116  Ebenda, Bl. 86 f.

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in Westberlin bei der Kriminalpolizei arbeite und zum Kommissar aufsteigen könnte.117 Diese knappe Mitteilung genügte, um die Geheimdienstmaschinerie in Gang zu setzen. Die Abteilung für Auslandsspionage der Securitate leitete in den folgenden Monaten umfassende Ermittlungen ein, um an Dorogi heranzukommen und legte über ihn eine Akte mit dem Decknamen »Herman« an.118 Im Juli 1955 schickte sie über die Residentur in Ostberlin ein Gesuch an den ostdeutschen Geheimdienst, Informationen über Dorogi zu beschaffen. Wie aus den Stasi-Akten hervorgeht, leitete die DDR-Staatssicherheit entsprechende Ermittlungen erst im September ein. Diese Verzögerung wird auch in den rumänischen Unterlagen vermerkt und damit erklärt, dass der Verbindungsoffizier des MfS zwar guten Willen zeige, aber sehr beschäftigt sei.119 In Temeswar rekrutierte die Securitate zwischen Juni 1955 und April 1956 drei Informanten: Dorogis früheren Lehrmeister, den Friseur Johann Schmitz, seinen Vater Johann (Ioan) Dorogi und seinen Halb- oder Stiefbruder Doru. Der Friseurmeister Schmitz fühlte sich von der Securitate jedoch derart überrumpelt und eingeschüchtert, dass er anfangs zu keinem Gespräch in der Lage war und in seiner Verzweiflung mit Selbstmord drohte, um den Geheimdienst loszuwerden. Nur mit Mühe vermochte der Securitate-Offizier ihn zu beruhigen und ihm einige Informationen über Dorogi zu entlocken. Für eine Geheimdienstoperation kam er nicht infrage.120 Dagegen fand sich der Vater Johann Dorogi bereit, Briefe an seinen Sohn nach Westberlin zu schreiben, deren Inhalt die Securitate ihm diktierte.121 So bat Johann Dorogi also auf Anweisung der Securitate seinen Westberliner Sohn, ihm wichtige Medikamente zukommen zu lassen. Da der Postweg für den Medikamentenversand ausschied, bedurfte es eines Kuriers, mit dem sich Ferdinand Dorogi in Berlin treffen musste. Auf dieser einfachen Ausgangslage basierte der Anwerbungsplan vom 28. Mai 1956, den Aurel Moiș am 14. Juni 1956 seinen MfS-Kollegen zusammenfassend vortrug. In der Akte »Herman« umfasst der Plan acht Seiten. Er enthält die selben Punkte, die in der MfS-Akte wiedergegeben sind, geht aber auch darüber hinaus. Sollte Ferdinand Dorogi nach Rumänien entführt werden, so heißt es da, wolle man dort sein dienstliches Wissen ausbeuten und ihn dazu benutzen, 117  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 1, Bl. 3 f., 19–23. 118  Der Aktenvorgang »Herman«, eröffnet am 27.7.1955, wurde am 2.12.1959 als »dosar individual« mit zwei Bänden archiviert: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 2, Bl. 126. 119  Scrisoarea operativa nr. 21/0 [Operatives Schreiben Nr. 21/0 der Securitate-Residentur an die Zentrale vom 18.7.1955]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 1, Bl. 34. 120  Über die Securitate-Gespräche mit Schmitz siehe verschiedene Berichte und Erwähnungen in: ebenda, Bl. 32 f., 35, 39, 43–48. 121  Mehrere dieser Briefe sind vorhanden in: ebenda, vol. 1, Bl. 49–51, 70, 78 f, 83–88, 143, 147 f., 163–165, 167, 171, 293–298; ferner eine schriftliche Schweigeverpflichtung Johann Dorogis vom 2.12.1955; ebenda, Bl. 52 f.

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Aktionen der Imperialisten öffentlich zu entlarven. In den Plan war die gesamte Securitate-Hierarchie involviert: Referatsleiter Ștefan Ciuciulin und sein vorgesetzter Abteilungsleiter Gheorghe Rozsa arbeiteten den Plan aus, während der Leiter der Auslandsspionageabteilung Generalmajor Mihai Gavriliuc und sein Stellvertreter Oberst Nicolae Doicaru ihn genehmigten und auch Innenminister Alexandru Drăghici zustimmte.122 Die Residentur in Ostberlin wurde eng einbezogen. Der gesamte Plan scheiterte im Juni 1956 jedoch einfach deshalb, weil ­Ferdinand Dorogi sich konsequent weigerte, nach Ostberlin zu kommen, um dort seinen Bruder zu treffen und ihm die Medikamente für den Vater mitzugeben. Der Bruder kannte die Hintergründe und Ziele des Planes nicht, hielt sich aber an die Maßgaben der Securitate, keinesfalls nach Westberlin zu reisen.123 In dieser Situation sollten nun die sowjetischen Berater konsultiert werden. Die Securitate-Zentrale in Bukarest untersagte der Residentur per Telegramm am 15. Juni 1956, Ferdinand Dorogi gewaltsam von West- nach Ostberlin zu verschleppen. Stattdessen wies sie Aurel Moiș an, alle Unterlagen des Vorgangs »Herman« umgehend in Ostberlin dem »Chef des sowjetischen Geheimdienstes« vorzulegen und ihn zu fragen, wie man weiter vorgehen solle. Im Ergebnis dieser Konsultation setzte die Securitate den Anwerbungsversuch fort, verlagerte ihn aber nach Westberlin.124 Schon einige Tage später fuhr Vasile Turcu in den Westberliner Bezirk Tempelhof und stattete Ferdinand Dorogi zuhause am Kaiserkorso unweit des Polizeipräsidiums unangemeldet einen Besuch ab. Turcu, der über gute Deutschkenntnisse verfügte, trat als Mitarbeiter der in Ostberlin ansässigen rumänischen Handelsvertretung auf und gab an, mit Dorogis Bruder bekannt zu sein. Das Gespräch verlief überraschend unkompliziert und fand wenige Wochen später seine Fortsetzung. Turcu bot sich an, Medikamente für den kranken Vater nach Temeswar mitzunehmen, woran Dorogi Interesse hatte. Dagegen ging er nicht auf Turcus Angebot ein, in Westberlin Waren für die Handelsvertretung zu beschaffen und auf diese Weise Geld zu verdienen.125 122  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, Serv. II, Bir. I: Plan de recrutare [Ministerium für Innere Angelegenheiten, Hauptabteilung I, Abteilung II, Referat I: Anwerbungsplan], 28.5.1956, in: ebenda, Bl. 90–97. Rozsa war Mitte der 1950er-Jahre auch der direkte Vorgesetzte Ion Mihai Pacepas. Vgl. Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 158. 123  Plan de recrutare (wie Anm. 122), Bl. 96. Ferner: Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, Serv. II, Bir. I, Nr. 3638, 14.6.1956: Telegrama; ebenda, Bl. 109. Dies., Nr. 10908, 15.6.1956: Extras din telegrama; ebenda, Bl. 116 f. Der Bruder trug den Decknamen »Lică«, während Moiș in der Akte »Herman« den Tarnnamen »Vladimir« führte. 124  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, Serv. II, Bir. I, Nr. 10908, 15.6.1956: Extras din telegrama, ebenda, Bl. 117. Ferner Telegramme der Securitate-Zentrale an die Residentur, Nr. 3641 vom 22.6.1956 und Nr. 3645 vom 26.6.1956; ebenda, Bl. 118, 120. 125  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, Serv. II, Bir. I, Nr. 2832, 30.6.1956: Extras din telegrama; ebenda, Bl. 121. Ferner: Scrisoare [Brief ] nr. 115/0 nebst beigefügtem »Raport«

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Der KGB behielt den Vorgang im Blick. Im November 1956 suchte ein sow­ jetischer Berater die Securitate-Residentur auf, um über »Herman« und einen weiteren Fall zu sprechen. Der Berater hatte aus Moskau den Auftrag bekommen, die Residentur insbesondere in diesen beiden Fällen zu unterstützen. Er riet dazu, behutsam vorzugehen und nicht zu rasch die direkte Anwerbung zu versuchen. Denn dies könne dazu führen, dass »Herman« die Verbindung komplett abbreche.126 Zwischen Juli 1956 und März 1959 trafen sich Dorogi und Turcu 27-mal in Westberlin. Vereinzelt nahm auch Aurel Moiș an den Gesprächen teil. Mehrfach hielt Dorogi vereinbarte Termine nicht ein. Turcu passte ihn dann an einem der nachfolgenden Tage auf dem Weg zur oder von der Arbeit ab oder rief ihn sogar in dessen Polizeidienststelle an, um ein neues Treffen auszumachen. Die geheimdienstliche Dimension der Begegnungen war Dorogi rasch bewusst geworden. Am 4. Januar 1957 erklärte er sich in einem Gespräch mit Turcu und Moiș bereit, für sie zu arbeiten und sie mit allen gewünschten Informationen zu versorgen. So berichtete es zumindest Moiș umgehend nach Bukarest. Seit dieser Zeit galt er für die Securitate als rekrutierter Agent.127 Faktisch übte er aber weiterhin größte Zurückhaltung und berichtete lediglich sehr allgemein aus seinem dienstlichen Wissen. Nur um den Jahreswechsel 1957/58 wurde er konkreter und offenbarte einige Interna der westlichen Spionage. Dazu zählten die Namen von sechs Deutschen, die in britischem, amerikanischem und französischem Auftrag angeblich Agenten in der DDR rekrutierten und führten. Detailliertere Angaben lieferte er über den deutschen Agentenführer Karl Behnisch, der für den französischen Geheimdienst als Resident in Westberlin fungierte, und mit dem er auch persönlich gesprochen hatte.128 Behnisch unterhielt in der DDR und in Polen ein [= Bericht der Residentur an die Zentrale über die Kontaktaufnahme zu Dorogi/»Herman«, per Kurier am 16.7.1956 nach Bukarest geschickt]; ebenda, Bl. 124–134. Vasile Turcu führt in der Akte »Herman« den Tarnnamen »Mircea«. 126  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 121, Nr. 5311, 21.11.1956: Extras din telegrama; ebenda, Bl. 209 f. Die dreistellige Ziffer nach der Bezeichnung der Hauptabteilung – im vorstehenden Fall die »121«, gibt die exakte Diensteinheit an; die erste Ziffer bezeichnet die Hauptabteilung, die zweite die Abteilung, die dritte das Referat, sodass »121« für HA I, Abt. 2, Ref. 1 steht. 127 Aurel Moiș berichtete der Bukarester Zentrale telegrafisch über diese Zusage Dorogis. Zugleich teilte er mit, dass Dorogi aus Sicherheitsgründen darum gebeten habe, die Verbindung vorübergehend auszusetzen, weshalb es im März und April 1957 keine Treffen gab. Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 121, Nr. 82, 5.1.1957: Extras din telegrama de la Berlin; ebenda, Bl. 251 f. In einer rückblickenden Begutachtung des Vorgangs »Herman« durch die Bukarester Zentrale heißt es dementsprechend, Dorogi sei im Januar 1957 rekrutiert worden: Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 191, 3.7.1959: Referat privește pe Dorogi, Ferdinand, conspirativ »Herman«; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 2, Bl. 123–125. 128 Berichte über die Treffen Dorogis mit Turcu und Moiș am 12.12.1957, 9.1.1958, 25.2.1958: Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 121, 10.2.1958: Extras din telegrama

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Informantennetz, mit dem er insbesondere Truppen- und Güterbewegungen auf dem Schienenweg zwischen der Sowjetunion und der DDR zu überwachen versuchte. Am 2. Oktober 1958 entführte das MfS Karl Behnisch gewaltsam von Westberlin in die DDR.129 Wie Vasile Turcu später notierte, ging Dorogi angeblich davon aus, dass die DDR-Staatssicherheit diese Entführung (auch) mithilfe seiner Informationen vorbereitete.130 In Wirklichkeit war das MfS aber nicht auf Dorogis Angaben angewiesen, da es seit 1955 insgesamt 27 IM an Behnisch herangeschleust hatte und daher schon sehr genau Bescheid wusste.131 Bemerkensnr. 7055 din 13.12.1957; dies., 10.2.1958: Extras din telegrama nr. 184 din 10.1.1958; dies., 1.3.1958: Extras din telegrama nr. 1304 din 26.2.1958; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol.  2, Bl.  82  f, 85  f, 88  f. Ferner der ausführliche Bericht über das Treffen vom 25.2.1958, ebenda, Bl.  90–94, sowie die von der Securitate zusammengestellte Übersicht »Date asupra unor agenti ai serviciilor de spionaj imperialiste in Berlin vest, sursa ›Herman‹« [Daten über Agenten imperialistischer Spionagedienste in Westberlin, Quelle »Herman«]; ebenda, Bl. 95 f. Über Behnisch teilte Dorogi dessen Klar- und Decknamen mit, ferner Wohnadresse, Telefonnummer und die Orte, wo dieser sich in Westberlin mit seinen Informanten aus der DDR traf. 129  MfS, HA II/3, 17.7.1962: Schlussbericht Operativ-Vorgang »Tegel«, in: BStU, MfS, AOP 20495/62, Bd. 7, Bl. 343–351. Zeitungsberichte über die Entführung in: ebenda, Bd. 14, Bl. 241–244, 263, 266 (ausführlich bspw. die »Berliner Morgenpost« v. 4.10.1958, S. 3, und das »Spandauer Volksblatt« v. 5.10.1958). Behnisch wurde in der DDR zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Er kam erst frei, nachdem der Journalist Karl Wilhelm Fricke 1972 in einer Deutschlandfunk-Sendung namentlich auf sein Schicksal und das anderer Menschenraub-Opfer aufmerksam machte. Fricke: Der Wahrheit verpflichtet, S. 67. 130  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 121, 28.3.1959: Raport. Asupra contactării lui Herman [Bericht über die Kontaktaufnahme mit Herman]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 2, Bl. 112–119, hier 114. 131  MfS, HA II/3, 17.7.1962: Schlussbericht Operativ-Vorgang »Tegel« (wie Anm. 129), Bl.  348. Auch die Securitate-Residentur wusste über Behnischs Aktivitäten Bescheid. Denn das MfS hat sie am 29.6.1956 darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Informant Behnischs, der zugleich als IM »Marco« für das MfS arbeitete, einen Mitarbeiter der rumänischen Handelsvertretung kontaktierte, um ihn perspektivisch für Behnisch anzuwerben. Im Februar 1957 erörterte das MfS mit der Securitate-Residentur außerdem den Fall eines jungen Pankower Lehrers, der in der rumänischen Botschaft und Handelsvertretung Deutschunterricht erteilte und zugleich Verbindungen zu Behnisch unterhielt. BStU, MfS, AOP 20495/62, Bd.  1, Bl.  278, 281 f., 305, 311 f.; Bd. 3, Bl. 126 f., 216–218; Bd. 5, Bl. 16 f.; Bd. 7, Bl. 36; BStU, MfS, AIM 879/72, Bd. [A] 1, Bl. 248, 257–259; Bd. A 2, Bl. 20, 25 f., 31–34. Der junge Lehrer hatte unter anderem den Securitate-Offizier Vasile Turcu unterrichtet, wie einem Vernehmungsprotokoll vom 21.10.1957 zu entnehmen ist, welches insgesamt 18 Mitarbeiter der rumänischen Botschaft und Handelsvertretung auflistet, denen der junge Lehrer Deutschunterricht erteilt hatte. BStU, MfS, BV Frankfurt/O., AU 19/58, Bd. 4, Bl. 67. Das MfS hatte den Lehrer am 9.10.1957 festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Das Bezirksgericht Frankfurt/O. verurteilte ihn am 24.2.1958 wegen »Sammlung von Nachrichten« sowie »unbefugten Waffenbesitzes« zu zwei Jahren Zuchthaus. BStU, MfS, BV Frankfurt/O., AU 19/58, Bd. 4, Bl. 41; Bd. 5, Bl. 197–236. Das Oberste Gericht der DDR änderte das Urteil in »Nichtanzeige von Verbrechen und unbefugtem Waffenbesitz« und setzte das Strafmaß auf ein Jahr und neun Monate Gefängnis fest. Denn der junge Lehrer hatte nachweislich keine Informationen weitergegeben und den Kontakt zu Behnisch nach der vierten oder fünften Begegnung im Mai 1956 abgebrochen, als er Behnischs nachrichtendienstlichen Hintergrund erkannt hatte. Allein weil er die-

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wert bleibt dennoch Dorogis Bereitschaft, solche Namen zu nennen. Denn als erfahrener Polizist muss er darum gewusst haben, welchem Risiko er diese Menschen aussetzte. Dorogi selbst wies aus gutem Grund auch weiterhin alle Überzeugungsversuche der Securitate-Offiziere zurück, zu einem Treffen nach Ostberlin zu kommen. Interessanterweise verzichteten sie aber offenbar darauf, ihn allzu sehr unter Druck zu setzen.132 Die überlieferten Akten liefern keine schlüssige Begründung, warum Dorogi drei Jahre lang Gespräche mit Securitate-Offizieren in Westberlin führte und sie gleichzeitg auf Distanz zu halten versuchte. Finanzielle Motive spielten kaum eine Rolle, denn nur wenige Male übergaben ihm die Securitate-Offiziere kleinere, dreistellige D-Mark-Beträge. Reizte ihn das Doppelspiel, wollte er seinem Vater helfen, oder wussten seine Westberliner Dienstvorgesetzten von den Gesprächen und wollten auf diesem Weg Einblicke in die östlichen Spionageaktivitäten erhalten? Oder war er trotz seiner großen Furcht, eines Tages von der westlichen Spionageabwehr enttarnt zu werden, nur zu schwach, um die Verbindung von sich aus mit klaren Worten zu beenden, wie das sein Landsmann Vergiliu Eftimie getan hatte? Folgt man der Securitate-Akte, führte eine geheimdienstliche Panne im Frühjahr 1959 abrupt zum Ende dieses Kontakts: Der Securitate-Mitarbeiter Gheorghe Mandache hatte sich demnach nach Westberlin abgesetzt und Dorogi dort dekonspiriert. Die Verbindung wurde deshalb umgehend eingestellt und der Vorgang »Herman« archiviert. Ob Dorogi verhaftet oder verurteilt wurde, war dem aktenführenden Mitarbeiter in der Bukarester Securitate-Zentrale an-

sen Sachverhalt nicht anzeigte, sprach das Oberste Gericht dieses Urteil aus. BStU, MfS, BV Frankfurt/O., AU 19/58, Bd. 4, Bl. 103; Bd. 5, Bl. 139–150. 132  Um Dorogi unter Druck zu setzen, fälschte die Securitate im Sommer 1956 eine Ausgabe der Temeswarer Regionalzeitung der Rumänischen Arbeiterpartei, des »Drapelul Roșu« (»Die Rote Fahne«). Die Fälschung, von der 15 Stück hergestellt wurden, zeigte auf der ersten Seite ein Foto von Dorogis Vater. Der dazugehörige Artikel beschrieb ihn als einen alten, herausragenden Kommunisten und berichtete über seine Leistungen als Arbeiter in der Produktion. Ein Exemplar davon sollte Turcu an Dorogi mit dem Kommentar überreichen, er könne stolz auf seinen Vater sein. Im Kalkül der Securitate gefährdete es Dorogis berufliche Position, wenn in der Westberliner Polizei bekannt würde, dass er aus einem kommunistischen Elternhaus stamme. Dorogi könnte sich daher zu einer Zusammenarbeit mit der Securitate bereitfinden, wenn diese im Gegenzug darauf verzichte, diese Karriere gefährdende Information weiterzuverbreiten. Die Securitate zögerte dann jedoch, dieses »Komprimat« einzusetzen und verzichtete am Ende ganz darauf. Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, Serv. II, Bir. I, 21.7.1956: Plan. Privind acţionarea asupra lui »Herman« [Plan betreffend das Handeln gegenüber »Herman«]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 201, vol. 1, Bl. 136–140, insbes. 138; ferner die Erwähnung dieses Planes in verschiedenen Notizen zwischen August 1956 und März 1957, in: ebenda, Bl. 149, 160 f., 168, 201, 291.

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geblich nicht bekannt.133 Tatsächlich ist Dorogi Polizeibeamter des Landes Berlin geblieben. 1.2.5.2 Die Securitate lässt das MfS im Unklaren: der vermeintliche Überläufer Gheorghe Mandache alias Rudolf Baumann Dass Gheorghe Mandache in der Akte »Herman« das Attri­but »Vaterlandsverräter« trägt, verwundert auf den ersten Blick nicht, führt allerdings in die Irre. Denn Mandaches Flucht in den Westen war nur eine scheinbare. Wie der rumänische Historiker und Geheimdienstmitarbeiter Cristian Troncotă schreibt, hatte die Securitate ihren Mitarbeiter Mandache in den 1950er-Jahren für zwei Jahre zur geheimdienstlichen Ausbildung in die Sowjetunion geschickt, wo der KGB ihn als Agenten rekrutiert habe. Unter dem Decknamen Rudolf Breuman[!] habe ihn der rumänische Auslandsgeheimdienst in die DDR entsandt, und am 13. März 1959 sei gemeldet worden, er habe sich gemeinsam mit seiner ostdeutschen Verlobten nach Westberlin abgesetzt. Von dort sei er nach Westdeutschland gegangen, um Spionageaufträge für den KGB auszuführen.134 Nun gibt es zwar gute Gründe, solchen abenteuerlichen Erzählungen zu misstrauen, zumal Troncotă sich nur allgemein auf Dokumente der früheren Securitate beruft, ohne sie konkret zu benennen. Doch in diesem Fall stützen MfS-Akten diese Darstellung in wesentlichen Punkten – wenngleich die deutschen Namen, wie so oft in rumänischen Akten und Publikationen, ungenau wiedergegeben sind. Die MfS-Akten belegen, dass der ostdeutsche Geheimdienst im August 1958 auf Wunsch der rumänischen Kollegen dabei half, einen Securitate-Offizier unter einer Legende in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) unterzubringen. Dort sollte er sich auf einen längeren Einsatz in der Bundesrepublik vorbereiten und nahm intensiven Deutschunterricht. Er gab sich als Student aus und führte den Namen Rudolf Baumann. Die MfS-Akten verzeichnen auch Bau133  Ministerul Afacerilor Interne, Direcţia I-a, 191, 3.7.1959: Referat privește pe Dorogi, Ferdinand, conspirativ »Herman« [Bericht betreffend Dorogi, Ferdinand, Deckname »Herman«]; ebenda, Bl. 123–125. Dieser Abschlussbericht wurde in der Abteilung 9 des Auslandsspionagedienstes verfasst, während Dorogi bis dahin von der Abteilung 2 bearbeitet und geführt wurde. Vgl. auch die formale Abverfügung der Akte »Herman« ins Archiv vom 20.12.1959. Der zuständige Securitate-Mitarbeiter notierte hierbei, dass sich aus einer Mitteilung der Berliner Residentur ergebe, dass »Herman« durch den »Vaterlandsverräter« Mandache im Westen dekonspiriert worden sei. Seine Notiz gibt demnach die Version wieder, die ihm die Residentur übermittelt hatte. Ebenda, Bl. 126. 134  Troncotă: Duplicitarii, S. 124 f. Troncotă, studierter Historiker, war von 1984 bis 1989 Securitate-Offizier und von 1994 bis 2009 Dozent an der nachrichtendienstlichen Akademie des rumänischen Inlandsnachrichtendienstes SRI. Für seine Publikationen standen ihm daher schon frühzeitig Securitate-Unterlagen zur Verfügung.

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manns rumänischen Namen Mandache und seine frühere Teilnahme an einem Lehrgang für Staatssicherheitsmitarbeiter in der Sowjetunion. Mitte März 1959 flüchtete er den MfS-Unterlagen zufolge mit seiner ostdeutschen Verlobten nach Westberlin und meldete sich dort beim Landesamt für Verfassungsschutz. Daraufhin zog die Securitate umgehend einen Mitarbeiter aus Halle und zwei aus Leipzig ab, die ebenfalls für eine Aufgabe im Westen vorgesehen waren.135 Wie ein Westberliner Stasi-Spitzel wenige Wochen später meldete, habe der Verfassungsschutz aus Baumanns Aussagen zahlreiche neue Erkenntnisse gewonnen.136 Sollte diese Aussage zutreffen, so war es Baumann offenbar gelungen, gegenüber den westlichen Geheimdiensten seinen wahren Auftrag zu verschleiern. Als sich zwei MfS-Offiziere zwischen 1970 und 1972 nochmals mit dem Vorgang befassten, fiel ihnen eine Unstimmigkeit im damaligen Verhalten der rumänischen Residentur auf. Sie folgerten daraus, dass »Baumann durch die rumänischen Genossen nach Westdeutschland abgesetzt wurde«. Die Securitate habe das MfS damals jedoch bewusst auf eine falsche Fährte gesetzt, um die inszenierte Flucht »allseitig glaubhaft erscheinen zu lassen«.137 Immerhin hatte das MfS dem vermeintlichen Überläufer noch bis 1963 in Westdeutschland hinterhergespürt. Über eine Beteiligung des KGB an Baumanns Flucht sagen die MfS-Akten zwar nichts aus, doch sie stützen insgesamt die These, wonach Mandache alias Baumann eben kein Überläufer war. Die bislang bekannten Securitate-Akten ergeben ein widersprüchliches Bild. Einerseits erarbeitete die Securitate 1974 einen Plan, Mandache zu entführen

135 MfS, Abt. X, 29.4.1959: Sachstandsbericht, betr.: Republikflucht des rumänischen Bürgers Baumann, Rudolf; BStU, MfS, AOP 826/73, Bd. 1, Bl. 26–38, sowie die späteren Sachstandsberichte vom 23.3.1961 und 1.7.1963, in: ebenda, Bl. 155–163, 212–216. MfS, Abt. X, undatiert [1959]: Rumänien – Legalisierungen; BStU, MfS, Abt. X, 2159, Bl. 64. Die Akte AOP 826/73 [MfS], 23.3.1961: Sachstandsbericht über den Operativvorgang 302/61, 23.3.1961; BStU, MfS, AP 3526/76, Bl. 12–20. MfS, Abt. XXI, 13.11.1972: Abschlussinformation zum Op. Vorgang »Student«; BStU, MfS, HA II, 36086, Bl. 3–8. 136  Betr.: Geflüchteter Offizier des rumänischen Geheimdienstes, 28.4.59; BStU, MfS, AIM 2703/58, Bd. A 22, Bl. 174. Die Meldung geht auf IM »Karl« (wie Anm. 112) zurück. 137  MfS, Abt. XXI, 21.8.1970: Bericht zum Vorgang »Student«, Reg.-Nr. 302/61; BStU, MfS, AOP 826/73, Bd. 3, Bl. 5–7, hier 5. Baumann lebte 1958/59 als Untermieter bei einer Mitarbeiterin der BVfS Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Am 23.3.1959 meldete sie ihrer Parteigruppe sein Verschwinden. Kurz darauf kamen Vertreter der rumänischen Botschaft zu ihr und holten seine persönlichen Sachen ab. Dabei brachte sie ihre Sorge um ihre Sicherheit zum Ausdruck, da er die Wohnungsschlüssel mitgenommen habe. Wenig später übergaben ihr die Botschaftsmitarbeiter (Angehörige der Operativgruppe) daraufhin den Original-Schlüsselbund Baumanns, an dem auch noch der Schlüssel einer Kassette hing, die ihm gehörte. Die MfS-Mitarbeiter wunderten sich: »[E]s ist unwahrscheinlich, dass der Baumann, welcher flüchtig wird bzw. desertiert, noch vorher seine Schlüssel bei der Botschaft abgibt.« Ebenda, Bl. 5. Zu den MfS-Fahndungen nach Baumann siehe auch BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 76 f.

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und nach Rumänien zurückzuholen, andererseits verbreitete sich die Ahnung, Mandache könnte sich im Auftrag des KGB in den Westen abgesetzt haben.138 Doch weshalb brach die Securitate-Residentur nach Mandaches Übersiedlung in den Westen die Verbindung zu Dorogi ab? Musste sie wirklich damit rechnen, dass Mandache alias Baumann gegenüber westlichen Geheimdiensten auspackte? Wusste Mandache überhaupt von der Verbindung zu Dorogi? Gehörte der Kontaktabbruch zur geheimdienstlichen Legende, um auch innerhalb des eigenen Apparats die inszenierte Flucht glaubhaft erscheinen zu lassen? Benutzten Moiș und Turcu, die Mandaches Hintergrund sicherlich kannten, diese Gelegenheit womöglich als willkommene Begründung gegenüber nicht eingeweihten Mitarbeitern in der Bukarester Zentrale, weshalb sie den kaum noch erfolgversprechenden Anwerbeversuch abbrachen? Auf diese Weise entlasteten sie sich von dem denkbaren Vorwurf, eine mehrjährige Anwerbe-Operation nicht zum Erfolg führen zu können. Oder wurde ihnen einfach der Aufwand zu groß, nachdem sie 1957/58 nach Bukarest zurückgegangen waren und jedes Treffen nun eine lange Anreise bedingte? Der Fall Dorogi mit allen seinen Facetten steht beispielhaft für das geheimdienstliche Treiben im geteilten Berlin vor dem Mauerbau. Darüber hinaus zeigt er, wie sich die Aktenüberlieferungen von Stasi und Securitate ergänzen und korrigieren. Und nicht zuletzt ist er ein Beispiel dafür, dass sich auch verbündete Geheimdienste nicht gerne gegenseitig in die Karten schauen lassen. Soweit es sich aus den überlieferten Unterlagen erschließt, gerieten die im Westen lebenden Flüchtlinge und Emigranten aus Rumänien auch nach dem Ungarnaufstand zumeist nur dann in den Blick der DDR-Geheimpolizei, wenn die Securitate beim MfS Unterstützung anforderte. Eine Ausnahme bildete die Situation in Westberlin, wo das MfS am ehesten direkt eigene Interessen berührt sah und daher intensiver gegen diesen Personenkreis vorging und die Zusammenarbeit mit der Securitate entsprechend enger war. Davon waren nicht nur Einzelpersonen wie Ferdinand Dorogi betroffen, sondern auch die in Westberlin ansässigen Vereinigungen wie die »Rumänische Kolonie Berlin« und die Berliner Landesverbände der Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben. Wie die Geheimdienste gegen die »Rumänische Kolonie Berlin« vorgingen, wird im folgenden Abschnitt ausführlich beschrieben. 138  Unter dem Eindruck der Flucht Pacepas untersuchte die Securitate frühere Fluchtfälle. General Gheorghe Marcu, Abteilungsleiter in der rumänischen Auslandsspionage, wies in einem Bericht vom 22.8.1978 über flüchtige Securitateoffiziere auf die Möglichkeit hin, dass Mandaches Flucht eine KGB-Operation gewesen sein könnte. Ein Bericht der Pacepa-Untersuchungskommission der Auslandsspionage vom 29.9.1979 formuliert diesen Verdacht nicht; er erwähnt, dass Mandache von 1956 bis 1958 zur Ausbildung in der Sowjetunion war und dann mit MfS-Unterstützung auf einen Westeinsatz vorbereitet wurde. Ferner erinnert er an den Plan von 1974, Mandache zurückzuholen. Beide Berichte sind veröffentlicht in: Ţăranu (Hg.): Ion Mihai Pacepa în dosarele Securităţii 1978–1980, S. 219–225, 379–400.

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1.3 Die »Rumänische Kolonie Berlin« und die gemeinsamen Menschenraubaktionen von Securitate und MfS in den 1950er-Jahren In Westberlin existierte mit der »Rumänischen Kolonie Berlin« (»Colonia Româna Berlin«) ein Emigrantenverband, der beiden Geheimdiensten ein Dorn im Auge war.139 Für das MfS war dieser Verein ein Problem, weil er zwar seinen Sitz in Westberlin hatte, aber er auch Kontakte zu Landsleuten in Ostberlin und in der DDR pflegte. Ein Verzeichnis, das ein Stasi-IM 1957 beschaffte, enthielt die Namen von 81 Vereinsmitgliedern, von denen 46 in Ostberlin oder in der DDR lebten.140 Die »Rumänische Kolonie« war deshalb eine von damals noch zahlreichen antikommunistischen Organisationen, die im Verständnis des MfS in die DDR hineinwirkten. Für die Securitate war die Kolonie einer von mehreren rumänischen Emigrantenverbänden in der Bundesrepublik, die es zu bekämpfen galt. Wenn im Folgenden die Ereignisse um die »Rumänische Kolonie Berlin« ausführlich dargestellt werden, so geschieht das deshalb, weil an diesem Beispiel besonders anschaulich gezeigt werden kann, wie in den 1950er-Jahren kommunistische Geheimdienste kooperierten und welche konkreten Folgen diese Kooperation für die betroffenen Menschen hatte. Der Blick wird sich aber nicht auf die Kolonie beschränken können. Denn Berlin bildete für die Geheimdienste auch die Ausgangsbasis für Aktionen im Westen Deutschlands, und die »Rumänische Kolonie« wurde für solche Aktionen instrumentalisiert. Das damalige Geschehen lässt sich erst rekonstruieren, seit neben den Stasi-Akten auch die Securitate-Akten freigegeben sind und es möglich ist, diese Überlieferungen zusammenzuführen. Die Akten beider Geheimdienste ergänzen sich in diesem Falle, und erst zusammen betrachtet ergibt sich ein umfassendes Bild. 1.3.1 Die »Rumänische Kolonie Berlin« im Visier von Securitate und MfS Die Geschichte der »Rumänischen Kolonie« lässt sich zumindest bis zum 15. Januar 1922 zurückverfolgen. Damals wurde die Satzung der »Rumänischen Kolonie zu Berlin« (»Colonia Româna din Berlin«) beschlossen, und zwei Monate später wurde der Verein offiziell in das Vereinsregister eingetragen.141 Womög139  Das hier folgende Kapitel ist teilweise in einem Aufsatz vorab veröffentlicht: Herbstritt: Menschenraub in Berlin. 140  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 48–50. 141  Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsregister 95 VR 3615 +1942.

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lich reichen seine Wurzeln weiter zurück. So gibt es eine »Ungarische Kolonie Berlin« bereits seit 1846, und diese existiert noch heute.142 Auch Zuwanderer aus anderen Ländern organisierten sich in Berlin traditionell in »Kolonien«. Am 4. Mai 1941 löste sich die »Rumänische Kolonie« auf, wobei die Gründe hierfür nicht bekannt sind.143 Zur damaligen Zeit lebten rund 500 rumänische Familien in Berlin, außerdem circa 2 000 alleinstehende Rumänen wie Studenten, Beamte, Militärangehörige oder Kaufleute.144 Wie viele von ihnen der Kolonie angehörten, lässt sich nicht mehr ermitteln. 1946 gründete sich die Kolonie neu, und zugleich fand ein Generationswechsel statt. Im Vorstand betätigten sich nun vor allem jüngere Emigranten.145 Einige von ihnen waren in den 1930er-Jahren als Studenten nach Berlin gekommen und wollten nach dem Krieg nicht nach Rumänien zurückkehren. Zu dieser Gruppe zählten Gheorghe Drăghincescu, der die Kolonie bis 1957 als Vorsitzender leitete und sein lange Zeit amtierender Nachfolger Vergiliu Eftimie. Ob sie vor dem Krieg bei den Legionären aktiv waren, die sich in den 1930er-Jahren in Berlin als Gruppe organisiert hatten, ist nicht ersichtlich.146 Die Kolonie bezeichnete sich in ihrer neuen Satzung als die Interessensvertretung der in Berlin lebenden Rumänen und gab sich ausschließlich soziale, kulturelle und nationale Aufgaben.147 Tatsächlich entfaltete sie keine ausgeprägte 142  Zur Geschichte der ungarischen Kolonie Berlin siehe die von ihr herausgegebene ungarischsprachige Festschrift: Magyar Kolónia. Ich danke meinem Kollegen Hans-Jürgen Rother für die notwendige Übersetzung aus dem Ungarischen. 143  Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsregister 95 VR 3615 +1942. 144  Diese Zahlen nennt Meinhardt: Die Gläubigen wurden nicht gefragt, S. 11. 145  Obgleich rasch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegründet, wurde die Kolonie erst 1955 erneut in das Vereinsregister eingetragen. Der Anmeldung zum Vereinsregister war ein Verzeichnis der fünf Vorstandsmitglieder beigegeben, von denen drei unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurden, zwei im Jahre 1923. Siehe Landesarchiv Berlin, B Rep. 020, Nr. 7351 sowie Amtsgericht Charlottenburg, Vereinsregister 95 VR 2371 Nz +1998. Eine Vereinssatzung in rumänischer Sprache vom 12.6.1948 in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 92 (dosar de obiectiv »Lena« privind Colonia Română din Berlin), Bl. 52–54. 146  Der Alt-Legionär Mircea Dimitriu berichtet in einem Interview, dass er sich 1938, als er nach Berlin kam, bei der dortigen Legionärsgruppe engagierte (»... activam în continuare în cadrul cuibului meu la Berlin«). Er gebraucht hierfür den Begriff »cuib« (»Nest«), was die kleinste Struktureinheit der Legionäre war. Vălenaș: Convorbiri cu Mircea Dimitriu, S. 14, 94 f. Zu den Strukturen der Legionäre vgl. Heinen: Die Legion »Erzengel Michael«, S. 145. Zu Drăghincescu, der bereits 1928 als Student nach Berlin kam, vgl. dessen selbst verfassten Lebenslauf vom Oktober 1948 für die Freie Universität Berlin; darin findet sich kein Hinweis auf Verbindungen zu den Legionären; FU Berlin, Universitätsarchiv, Lektoren-Akte Philosophische Fakultät, G. Draghincescu. Eftimie war in den 1930er-Jahren ein überzeugter Anhänger der Legionäre; ob er sich der Berliner Legionärsgruppe angeschlossen hatte, ist nicht bekannt. Vgl. Gespräch des Verfassers mit dem Sohn Eftimies, Hans Eftimie, am 23.5.2008. 147  Satzung der Rumänischen Kolonie Berlin vom 4.9.1955, vorhanden in: Landesarchiv Berlin, B Rep. 020, Nr. 7351. Die Kolonie wurde am 7.10.1955 in das Vereinsregister eingetragen. Vgl. ebenda. Ein »Statut« der Kolonie aus dem Jahre 1947 mit Änderungen vom 12. Juni

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politische Tätigkeit. Sie war ein Treffpunkt für rumänische Emigranten in Berlin, bot Beratung und ganz vereinzelt auch ein kulturelles Programm an, und vor allem verteilte sie Hilfsgüter, die von kirchlichen Einrichtungen gespendet wurden. Insbesondere die US-amerikanische »National Catholic Welfare Conference« (NCWC; Nationale Katholische Wohlfahrts-Konferenz) tat sich in den 1950er-Jahren als Sponsor der Kolonie hervor. Als 1949 Hilfspakete mit Zucker und Schokolade verteilt wurden, registrierte die Kolonie 221 Empfänger in beiden Teilen Berlins, unter ihnen auch mehrere Rumäniendeutsche.148 Die Zahl der Vereinsmitglieder dürfte geringer gewesen sein, da sich auch Ehepartner und Kinder unter den 221 Empfängern befanden. Die praktische, materielle Unterstützung für rumänische Landsleute in Westberlin blieb bis in die frühen 1970er-Jahre hinein die hauptsächliche Aktivität der Kolonie. In einem Informationsbericht an das MfS charakterisierte die Securitate im April 1956 die »Rumänische Kolonie Berlin« in zwei Sätzen: »Die Kolonie betreibt eine feindliche Tätigkeit, indem sie sich mit Hetzpropaganda gegen die VRR [Volksrepublik Rumänien] beschäftigt. Sie beschäftigt sich auch mit der Verteilung der durch die Amerikaner ausgegebenen sogenannten Unterstützung.«149 Wenn man bedenkt, dass den meisten anderen Emigrantenverbänden außerdem unterstellt wurde, Spionage zu betreiben und von faschistischen Funktionären angeleitet zu sein, so wurde die »Rumänische Kolonie« hier als ein vergleichsweise harmloser Verband dargestellt. In den 1950er-Jahren verfügte die Kolonie über ein eigenes Büro im ErnstReuter-Haus in der Straße des 17. Juni 112 im Westberliner Bezirk Charlottenburg, später diente die jeweilige Wohnung des Vereinsvorsitzenden als Büro und ein Restaurant in der Niebuhrstraße im Bezirk Charlottenburg als Vereinslokal. Obwohl die »Rumänische Kolonie« in ihrer Satzung den Anspruch formulierte, im Verband der Ausländer-Kolonien Berlins die Rumänen zu vertreten, war sie nicht der repräsentative Dachverband für alle in Berlin lebenden Rumänen. Faktisch entwickelte sie sich in den 1950er-Jahren zu einem überschaubaren, locker organisierten Kreis nationalistisch ausgerichteter, intellektueller Rumänen.150 Der Kreis der aktiven Vereinsmitglieder verkleinerte sich schon in diesem Jahrzehnt rasch. Zwar zählte die Kolonie auch in den 1970er-Jahren noch 150 Mit1948, das mit der Satzung von 1955 weitgehend identisch ist, wurde vom MfS aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt und ist vorhanden in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 57–61. 148 Lista de donatie [Schenkungsliste], als Abschrift vorhanden in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 40–45. 149  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 4, Bl. 49 sowie TV 1, Bd. 3, Bl. 9. 150  Gespräch des Verfassers mit dem Sohn Vergiliu Eftimies, Hans Eftimie, am 23.5.2008. Verschiedene Informationen der Securitate und des MfS über die Kolonie mit mehreren Fotos der Vorstandsmitglieder in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 6–62 sowie TV 1, Bd. 4, Bl. 49.

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glieder, doch die meisten wurden nur noch formal in der Vereinskartei geführt. Faktisch war die Kolonie auf zwei aktive Mitglieder geschrumpft: die beiden seit Jahrzehnten amtierenden Vorsitzenden bzw. Vorstandsmitglieder Stelian Pletea und Vergiliu Eftimie, beide Jahrgang 1913. Die letzte Vereinssitzung fand 1985 statt. 1998 löschte das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg den Verein von Amts wegen aus dem Vereinsregister. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits seit sechs Jahren mit der »Deutsch-Rumänischen Gesellschaft« ein neuer Interessensverband in Berlin.151 Für den Niedergang der Kolonie sind mindestens zwei Ursachen in Betracht zu ziehen. Die Vereinsmitglieder selbst haben ihren Teil dazu beigetragen, sei es durch Rivalitäten, Desinteresse oder das Unvermögen, sich anderen politischen Strömungen und einer jüngeren Generation gegenüber zu öffnen.152 Aber auch die Geheimdienste haben auf dieses Ziel hingearbeitet. Die Securitate führte in den 1950er-Jahren die Zielobjekt-Akte »Lena«. Mit diesem Decknamen bezeichnete sie die »Rumänische Kolonie Berlin«. Die Akte »Lena« besteht aus einem einzigen Band und enthält verschiedene Berichte über die rumänischen Emigranten in Berlin seit Beginn der 1950er-Jahre. Man findet darin die Decknamen mehrerer Informanten, aber keine Maßnahmepläne, obwohl die Securitate konkrete Aktionen gegen Mitglieder der Kolonie durchführte. 1963 wurde die Akte geschlossen. Die verantwortliche Hauptabteilung I der Securitate (Direcţia I, damals für Auslandsspionage zuständig) stellte in ihrem Abschlussbericht vom 5. Januar 1963, mit dem die Akte »Lena« geschlossen wurde, fest: Um die Aktivitäten dieser Flüchtlingsgruppe zu hintertreiben und ihnen entgegenzutreten, unternahmen unsere Organe eine Reihe informativ-operativer Maßnahmen. In Folge dieser Maßnahmen und Ereignisse, die in Westberlin geschehen sind, hat die Mehrzahl der aktiven rumänischen Flüchtlinge Westberlin verlassen und sich in der BRD oder anderen kapitalistischen Ländern niedergelassen.153 151  Amtsgericht Charlottenburg, Registerakten, Vereinsregister 95 VR 2371 Nz +1998. Zur »Deutsch-Rumänischen Gesellschaft« siehe http://www.deruge.org (Stand: 9.6.2016). 152  Kenntnisse aus dem Innenleben der rumänischen Kolonie Berlin verdanken wir den überlieferten Spitzelberichten, die sich in den Akten von Securitate und MfS befinden. Bis Mitte der 1950er-Jahre berichteten vor allem die Securitate-Informanten Theodor Bucur, Petre Tonegaru und Helene Michel, 1957/58 auch mehrere MfS-Informanten. Davon wird in diesem Kapitel 1.3 noch die Rede sein. Siehe auch die Protokolle der Generalversammlungen der »Rumänischen Kolonie Berlin« 1955 bis 1984, in: Amtsgericht Charlottenburg, Registerakten, Vereinsregister 95 VR 2371 Nz +1998, sowie Anm. 150. 153  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 92 (dosar de obiectiv »Lena« privind Colonia Română din Berlin), Bl. 132. Wie aus dieser Akte hervorgeht, wurde die »Rumänische Kolonie« trotzdem auch 1976 noch von der Securitate beobachtet. Der hier auszugsweise zitierte Abschlussbericht wurde von den Securitate-Offizieren Petre Bodor und Teodor Duma von der Securitate-Hauptabteilung I/3 unterzeichnet und ist veröffentlicht in: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 569 f.

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Die Securitate schrieb sich hier den Niedergang der »Rumänischen Kolonie Berlin« als Resultat und Erfolg ihrer geheimdienstlichen Arbeit zu. Parallel hierzu führte das MfS die bereits erwähnte Akte »Balkan«, in der es unter anderem die »Rumänische Kolonie« bearbeitete. Folgt man dieser Akte, so beendete das MfS im Juni 1962 die Überwachung der Mitglieder der »Rumänischen Kolonie«. MfS-Leutnant Werner Kamilli begründete diesen Schritt in verschiedenen, teilweise widersprüchlichen Aktenvermerken: Die Kolonie habe sich aufgelöst (was nicht stimmte), ferner seien »die rumänischen Genossen dort verankert« (was wahrscheinlich zutraf), und »eine weitere Feindtätigkeit konnte nicht nachgewiesen werden« (was zutreffend war).154 Die »Rumänische Kolonie Berlin« entwickelte sich nicht zu einem bedeutenden Emigrantenverband. Das war zu Beginn der 1950er-Jahre aber noch nicht so deutlich absehbar. Immerhin hatte dieser Verein seinen Sitz in der bisherigen deutschen Hauptstadt. Doch es zeichnete sich bald ab, dass Westberlin auf der politischen und geographischen Landkarte der Bundesrepublik an die Peripherie gerückt war. Auch die maßgeblichen Zentren der rumänischen und der rumäniendeutschen Emigration bildeten sich anderswo heraus, nämlich in Süddeutschland, vor allem in München und Freiburg. Insbesondere in München erschienen in nennenswertem Umfang Bücher, Zeitschriften und Zeitungen des rumänischsprachigen Exils.155 Ebenso befanden sich die Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben mit ihren Bundesgeschäftsstellen in der bayerischen Landeshauptstadt. International hatten rumänische Emigrantenverbände in Frankreich, aber auch Spanien, Italien und den USA, erhebliche Bedeutung.156 Dort brauchte die Securitate nicht auf Zuarbeiten des MfS zu hoffen. Gleichwohl nutzte die Securitate die exponierte Lage Berlins in Einzelfällen auch dazu, um rumänische Exilanten beispielsweise aus Frankreich über Berlin nach Rumänien zu verschleppen. Für das MfS und seine Sicherheitsinteressen spielte jedoch Berlin die zentrale Rolle. Aus diesem Grund findet man in den MfS-Akten über die rumänische Emigration im Wesentlichen Unterlagen über die Verhältnisse in der geteilten Stadt.

154  BStU, MfS, AP 11830/62, Bl. 17; MfS, AP 11832/62, Bl. 55; MfS, AP 11835/62, Bl. 27; MfS, AP 11836/62, Bl.  33, jeweils Abschlussvermerke des MfS-Leutnants Kamilli von der HA II/5 vom 18. und 19.6.1962. 155  Bărbulescu: Geborgenheit in der Fremde, S. 114; demnach lebten in den 1950er-Jahren rund 1 250 Rumänen in München. 156  Vgl. bspw. die Überblicksdarstellung von Behring: Rumänische Schriftsteller im Exil. Einen Überblick über die exilrumänischen Vereinigungen und Periodika weltweit gibt Binder: Exilul ca experienţa culturală, ohne indes den Einfluss der »Legionäre« innerhalb des Exils (hinreichend) zu thematisieren.

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1.3.2 Die Entführung des Emigranten Vergiliu Eftimie in Berlin, Herbst 1956 Die Geheimdienstaktionen gegen die rumänischen Emigranten in Berlin lesen sich in den Akten stellenweise wie ein Kriminalroman, was auch auf den folgenden Seiten durchscheinen darf. Nebenbei wird aufgezeigt, wie sich rumänische und deutsche Aktenüberlieferungen im Laufe der Recherchen immer wieder passend zusammengefügt haben. Man kann die Darstellung der Ereignisse zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen lassen. Zum Beispiel im Herbst 1956. Am 28. November 1956 unternimmt Vergiliu Eftimie einen Einkaufsbummel in Ostberlin. Vergiliu Eftimie ist zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender der »Rumänischen Kolonie Berlin«. Ein Jahr lang hat er den kommunistischen »Ostsektor« Berlins nicht mehr betreten, denn zu groß war die Angst vor dem langen Arm der Securitate. Immer wieder waren Landsleute plötzlich spurlos verschwunden. Nun wagt er sich wieder einmal in den Osten, gemeinsam mit einer Bekannten. Sie treffen sich am Alexanderplatz im Ostteil Berlins. Doch beim MfS weiß man schon Bescheid, man beschattet ihn. Fast drei Stunden lang gehen Eftimie und seine Bekannte durch verschiedene Läden. Dann verabschieden sie sich. Seine Bekannte sagt, sie will noch jemanden besuchen. Vergiliu Eftimie geht zu einem Friseur. Als er den Friseurladen wieder verlässt und zur U-Bahnstation spaziert, nachmittags um 14.20 Uhr, immer noch im Ostteil Berlins, hält plötzlich ein Auto neben ihm, vier Männer springen heraus, verlangen seinen Ausweis, schieben ihn in den Wagen, bringen ihn zur Polizeiinspektion Prenzlauer Berg und erklären ihn für verhaftet. Ganz offensichtlich hat er sich strafbar gemacht, denn er hat ungarische Wurst und rumänische Alkoholika in Ostberlin eingekauft, um sie nach Westberlin mitzunehmen. Die MfS-Mitarbeiter treten ihm gegenüber als Kriminalbeamte auf. Da er staatenloser Rumäne ist, rufen sie Mitarbeiter der rumänischen Botschaft hinzu. Diese treffen nach einer Stunde ein und können ihm schon wenig später mitteilen, dass er wieder frei sei, da sich der rumänische Vizekonsul für ihn eingesetzt habe. Nun fordern ihn die rumänischen »Diplomaten« auf, mit ihnen mitzukommen, um noch einige Fragen zu klären. Dieser Vorfall ist in der »Balkan«-Akte des MfS dokumentiert. Dort gibt es einen zweiseitigen »Festnahmebericht«, den MfS-Hauptmann Walter Schneider anfertigte.157 Darin ist vermerkt, dass das MfS »auf Bitten der rumänischen Genossen« Eftimie an jenem 28. November 1956 bei seinem Weg durch Ostberlin beschattete, ihn unter dem beschriebenen Vorwand festnahm und an die Securitate übergab. Der Bericht endet mit der lapidaren Feststellung: »Besondere

157  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 100 f.

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Vorkommnisse waren keine vorhanden. Bei der Festnahme leistete Efdimir [!] keinen Widerstand.«158 Was mit Vergiliu Eftimie danach passierte, ist in dem Festnahmebericht nicht vermerkt. In der »Balkan«-Akte wird sein Schicksal an anderer Stelle beiläufig erwähnt. Denn Anfang Juli 1957 erkundigten sich MfS-Offiziere bei einer Besprechung mit der Securitate-Residentur danach, ob Eftimie als Agent für sie arbeite. Das Interesse des MfS rührte daher, dass es Anfang 1957 die Kontaktperson »Gogu« auf die »Rumänische Kolonie« angesetzt hatte. »Gogu«, ein rumänischer Handwerker, trat der Kolonie auftragsgemäß als Mitglied bei. Doch die Leitungsmitglieder der Kolonie, die ihn zum Teil schon seit Jahren kannten, misstrauten ihm, da er im Ostteil der Stadt lebte. Er wurde von ihnen verdächtigt, »von drüben geschickt worden [zu] sein (Botschaft oder Polizei)«.159 Aber sie ließen ihn als Mitglied zu, und so konnte er dem MfS im Laufe des Jahres 1957 regelmäßig über die Inhalte von Diskussionen und Gesprächen in der rumänischen Kolonie berichten, auch über seine Gespräche mit Eftimie.160 Das MfS wollte nun von der Securitate wissen, ob ihnen Eftimie sagen könne, wie groß das Misstrauen in der Kolonie gegenüber »Gogu« tatsächlich sei. Die rumänischen Geheimdienstkollegen gaben erstaunlich bereitwillig Auskunft: Mit Eftimie habe man sich nur noch einmal getroffen. Danach habe er die Zusammenarbeit verweigert und man habe den Kontakt abgebrochen.161 Mit anderen Worten: Eftimie wurde am 28. November 1956 in Ostberlin vom MfS verhaftet, um als Securitate-Spitzel angeworben zu werden. Aber wie lange blieb er in Haft, wie wurde er unter Druck gesetzt, und wie entkam er der Securitate wieder? Es wäre zu erwarten, dass sich in den Archiven der Securitate ein entsprechendes Dossier findet, aber das ist nicht der Fall. Sein Name steht nur in einem Fahndungsbuch der Securitate aus dem Jahre 1960. Darin sind die Kurzbiografien von insgesamt 2 352 Emigranten enthalten. Bei Vergiliu Eftimie heißt es, wie bei den anderen Einträgen auch: »Falls er identifiziert wird, ist er festzunehmen.«162 Zur Begründung hieß es knapp, er entfalte »feindliche Aktivitäten ge158  Ebenda, Bl. 101. 159  MfS, HA II/5, 19.3.1957: Treff bericht; BStU, MfS, AIM 1519/58, Bd. A, Bl. 29; ähnlich ebenda, Bl. 36, 92. 160  BStU, MfS, AIM 1519/58, Bd. A, insbes. Bl. 29, 36, 44–47, 90–92. 161  MfS, HA II/5, 3.7.1957: Rücksprache mit Rum. Genossen; MfS, HA II/5, 4.7.1957: Bericht, Betreff: Rücksprache mit den Gen. der rumänischen Operativgruppe am 4.7.1957; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 152, 155. Darüber hinaus hatte die HA II/5 am 10. Dezember 1956 der Operativgruppe die Frage vorgelegt, welche Angaben der »festgenommene Vizepräsident« über die »Rumänische Kolonie« gemacht habe. Ebenda, Bl. 127. 162  Buletin Nr. 1 de urmăriţi pentru infracţiuni care primejduiesc securitatea RPR [Bekanntmachung Nr. 1 der Verfolgten, deren Gesetzesverstöße die Sicherheit der VRR gefährden]; ACNSAS, fond documentar, D 181, vol. 1–5. Dieses Fahndungsbuch ist in gekürzter Fassung publiziert worden von Nanu; Dobre (Hg.) unter dem pathetischen Titel »Au ales li-

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Abb. 5:

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Der Vorsitzende der Rumänischen Kolonie Berlin, Gheorghe Drăghincescu (Mi.), sein Stellvertreter Vergiliu Eftimie (re.) und der kurzzeitig auf sie angesetzte IM »Gogu« (li.), etwa 1956/57

gen die VRR«.163 Es mag dahingestellt bleiben, ob Eftimie schon in früheren Fahndungsbüchern stand. Aber die Securitate-Residentur wusste auch 1960, wo er in Westberlin lebte und hätte seiner durchaus noch habhaft werden können. Eftimie seinerseits tat gut daran, Ostberlin nach dem November 1956 nicht mehr zu betreten. Vergiliu Eftimie ist 1992 gestorben. Seine Angehörigen schilderten in einem Gespräch mit dem Verfasser am 23. Mai 2008, wie sie sich an den Herbst 1956 erinnern. Er sei am frühen Morgen des 29. Novembers völlig verändert nach Hause gekommen und eine Woche lang nicht ansprechbar gewesen. In seinem Handeln sei er erkennbar vorsichtiger geworden. Aber was sich in jener Nacht ereignet hatte, habe er nie erzählt.

bertatea!« [Sie wählten die Freiheit!], darin zu Vergiliu Eftimie S. 270 f. Der Titel des Bandes ist irreführend, da in diesem Fahndungsbuch auch führende Faschisten wie Horia Sima zur Fahndung ausgeschrieben wurden, die weder vor noch nach 1945 für eine freiheitliche Gesellschaft eintraten. 163  Nanu; Dobre (Hg.): Au ales libertatea, S. 271.

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Vergiliu Eftimie war demnach nur eine Nacht in der Hand der Securitate, doch was ihm dort widerfuhr, genügte bereits, um ihn dauerhaft einzuschüchtern. Im Juni 2008 ist im Familienarchiv Eftimie ein wertvolles Dokument wieder gefunden worden: ein Gedächtnisprotokoll. Vergiliu Eftimie hatte es zwischen Herbst 1957 und Herbst 1958 in deutscher Sprache verfasst. Darin hielt er fest, wie er an jenem Tag in Ostberlin sofort bemerkte, dass er beobachtet wurde, kaum dass er am Alexanderplatz aus der U-Bahn gestiegen war. Er beschreibt seinen Weg durch Ostberlin, die Festnahme und vor allem die Stunden, in denen er sich in Securitate-Gewahrsam befand.164 Vergiliu Eftimie nennt in seinem Gedächtnisprotokoll mehrere Namen. Die beiden Securitate-Offiziere, die ihn auf der Polizei-Inspektion abholten und dann die Nacht hindurch verhörten, stellten sich demnach mit ihren Decknamen Mureșeanu und Alexandrescu vor. Dem Stasi-Festnahmebericht zufolge handelte es sich dabei um Aurel Moiș und Vasile Turcu.165 Und Eftimie erwähnt die Namen zweier Emigranten, die im Folgenden noch eine erhebliche Rolle spielen werden: Zum einen erinnert er an Theodor Bucur, von dem er nur weiß, dass er 1953 nach Rumänien verschleppt worden ist, und Eftimie befürchtet zu Recht, dass ihm dasselbe Schicksal bevorstehen kann. Er weiß aber nicht, dass Bucur ein absurd-tragisches Schicksal erlitten hat, denn Bucur diente der Securitate knapp drei Jahre lang als Informant, führte ab 1952 den Decknamen »Traian Lucaci« und wurde 1953 dennoch von der Securitate gekidnappt. Zum anderen nennt er seine Bekannte beim Namen, mit der er am 28. November 1956 durch Ostberlin lief: Helene Michel. Nur weil Eftimie ihren Namen in seinem Gedächtnisprotokoll erwähnt, konnte im März 2009 im Archiv des CNSAS erfolgreich nach ihrer Akte recherchiert werden. Bei Helene Michel handelt es sich demnach um die in Westberlin lebende Securitate-Agentin »Gerda«, die einen aktiven Anteil daran hatte, dass neben Vergiliu Eftimie auch die weitaus bekannteren rumänischen Emigranten Traian Puiu und Oliviu Beldeanu gekidnappt werden konnten.166

164  »Mein Vorfall Anfang November 1956«. Gedächtnisprotokoll von Vergiliu Eftimie. Fotokopie im Archiv des Verfassers. 165  MfS, HA II/5, 29.11.1956: Bericht, Betr.: Festnahme des Efdimir[!], wohnhaft Westberlin; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 101. Moiș trat als Mureșeanu auf, Turcu als Alexandrescu. Der Festnahmebericht erwähnt hier noch einen dritten Securitate-Offizier der Residentur, der bei Eftimies Verhaftung zugegen war, und gibt dessen Familienname mit Stahl an. Hauptmann Stahl beteiligte sich im August 1956 auch an einer gemeinsamen Überwachungsmaßnahme in Rudolstadt im Süden der DDR. Vgl. die Aufzeichnungen des MfS zur »Aktion Rudelstadt[!]« in: ebenda, Bl. 102–125, hier 107, 120, wobei die Schreibweise seines Namens fehlerhaft sein kann. 166  Die Agentin »Gerda« war bislang nur unter ihrem Decknamen bekannt. Über ihre Rolle bei der Entführung Beldeanus berichtete ausführlich Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S. 109, 114, 130 f., 146, 257, 266 f.

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1.3.3 Theodor Bucur und Petre Tonegaru: Ein Informant wird entführt, ein Informant wird geschont, Frühjahr 1953 Als der rumänische Historiker Stejărel Olaru und der Verfasser des vorliegenden Bandes im Jahr 2002 begannen, die Kooperation zwischen der Securitate und dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu erforschen, da stießen sie im Berliner Stasi-Archiv auf ein einziges Dokument, in dem der Name Theodor Bucur vorkam. Es handelte sich um einen Festnahmebericht und einige ergänzende Notizen. Demnach war Theodor Bucur ein in Westberlin lebender Emigrant, der am 27. März 1953 im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg vom MfS verhaftet wurde, nachdem er sich zuvor in der Bibliothek der Ostberliner Humboldt-Universität aufgehalten hatte. Das MfS hielt Theodor Bucur eine Woche lang fest und übergab ihn dann den rumänischen Kollegen, die ihn nach Rumänien verbrachten. Bucurs Ehefrau Hildegard sprach am 1. April 1953 beim Polizeipräsidium in Ostberlin vor und verlangte Auskunft über das Schicksal ihres Mannes. Doch sie erhielt die wahrheitswidrige Antwort, ein Herr Bucur sei hier nicht bekannt.167 Dieses MfS-Dokument ließ viele Fragen offen: Wer war Theodor Bucur? Warum wurde er entführt? Was geschah mit ihm? Gleichwohl war dieses Dokument wichtig, weil es erstmals belegte, dass es neben dem bekannten Entführungsfall Oliviu Beldeanu weitere rumänische Emigranten gab, die in gemeinsamen Aktionen von Securitate und MfS in Berlin gekidnappt wurden. Die weiteren Recherchen in Berliner Archiven sowie bei der Familie Bucur beantworteten dann einige der offenen Fragen. Theodor Bucur, 1915 in Bukarest geboren, hatte in Jassy (Iași) studiert, erhielt dann ein Stipendium nach Paris, wo er von 1939 bis 1941 blieb. 1942 kam er als Stipendiat nach Berlin und promovierte hier im Sommer 1943 im Fach Geschichte zum Thema »Die rumänischen Donaufürstentümer unter der russischen Besetzung von den Jahren 1853 bis 1854«. 1944 nutzte er die ihm angebotene Möglichkeit, vertretungsweise als Rumänisch-Dozent an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, der späteren Humboldt-Universität, zu unterrichten. Auch nach dem Krieg blieb er in Berlin, wo er inzwischen eine deutsche Staatsbürgerin geheiratet hatte. Obwohl die 1945 aufgelöste Auslandswissenschaftliche Fakultät eng mit der SS und insbesondere dem Sicherheitsdienst (SD) verwoben war, galt Bucur nach dem Krieg als politisch unbelastet, und die nun in Ostberlin gelegene Humboldt-Universität übernahm ihn als Hochschullehrer für Rumänisch. Es kam damals häufig vor, dass Menschen im einen Teil

167  BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D1, Bl. 1–10. Den Befehl zu Bucurs Verhaftung hatte der damalige Leiter der MfS-Abteilung IV, Rolf Markert, gegeben. Die Abteilung IV war zu dieser Zeit für Spionageabwehr zuständig. Ebenda, Bl. 2.

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Berlins wohnten, aber im anderen Teil Berlins arbeiteten.168 Im Herbst 1952 verlor Bucur seine Stelle als Universitätsdozent. Politische Gründe waren hierfür vermutlich nicht maßgebend. Die SED-Führung ergriff 1952 zwar zahlreiche Maßnahmen gegen das »Grenzgängerwesen«.169 Doch im Falle Bucurs ging es darum, den promovierten Historiker durch einen qualifizierten Rumänisten zu ersetzen. Dies war das erklärte und durchaus plausible Anliegen von Bucurs Vorgesetztem an der Humboldt-Universität, dem auch heute noch bekannten und angesehenen Sprachwissenschaftler und Romanisten Victor Klemperer. Klemperer setzte sich spätestens seit Sommer 1952 persönlich bei Volksbildungsministerin Elisabeth Zaisser dafür ein, den Rumänisten Werner Draeger an die Humboldt-Universität zu bekommen, um Bucurs Stelle zu übernehmen.170 Victor Klemperer notierte in seinem Tagebuch, wie Bucurs Ehefrau im Mai 1953 zu ihm kam und berichtete, ihr Mann sei spurlos verschwunden: Grauenhaft war mir in Berlin der Besuch der jungen Frau Bucur. Der Mann, staatenlos gewordener Rumäne, [...] ist als rumän. Lektor von uns entlassen worden, als Draeger, der Wissenschaftler kam. Aber nun weinte seine Frau, er sei seit 6 Wochen verschwunden, offenbar verhaftet, u. sie bekomme keine Auskunft, wo er sich befinde. Dieses Verschwindenlassen ist grauenvoll – warum sagt man nicht offen: Untersuchungshaft?171

Bucurs plötzliches Verschwinden ist den Romanisten in Berlin sehr deutlich in Erinnerung geblieben. Zwar berichteten die Westberliner Zeitungen, anders 168 Siehe hierzu Roggenbach: Das Berliner Grenzgängerproblem. Demnach pendelten noch 1952 rund 100 000 Personen täglich von oder nach Westberlin. Ebenda, S. 137. Zur Auslandswissenschaftlichen Fakultät siehe Botsch: »Politische Wissenschaft« im Zweiten Weltkrieg sowie die Biografie über Franz Alfred Six, den Dekan der »Auslandswissenschaftlichen Fakultät«: Hachmeister: Der Gegnerforscher, S. 116–143. 169 1952 initiierte die SED-Führung einen »Abschottungsschub«, den Roggenbach als »Zäsur« charakterisiert. Wer in Westberlin lebte und im Osten arbeitete, sollte zum Umzug in den Osten gedrängt oder entlassen werden. Ebenda, S. 133–139. 170  Klemperer: So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. II, S.  307 (Eintrag vom 17.8.1952), S. 334 (Eintrag vom 26.11.1952), S. 335 (Eintrag vom 1.12.1952). Siehe auch Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, Phil. Fak. 935 (Promotionen), Bl. 54–73, und UK B 524 (Personalakte Theodor Bucur). In der Personalakte befindet sich ein Schreiben Klemperers vom 26.8.1952, in dem er sich für die Anstellung des qualifizierten Rumänisten Werner Draeger einsetzt und Bucurs Entlassung beantragt. Volksbildungsministerin Zaisser war die Ehefrau des MfS-Chefs Wilhelm Zaisser. 171  Klemperer: So sitze ich denn zwischen allen Stühlen, Bd. II, S.  380 (Eintrag vom 15.5.1953). Klemperer hatte sich vom 7. bis 15.12.1952 zu einem Fachaustausch in Bukarest und Klausenburg aufgehalten und war insofern mit den rumänischen Verhältnissen vertraut. Siehe ebenda, S. 337–349. Ich danke meinem Kollegen Joachim Uhlisch, der mich auf Klemperers Tagebucheintrag zu Bucur hinwies. Ilko-Sascha Kowalczuk ordnet die Entführung Bucurs in die Repressionsgeschichte der frühen Nachkriegszeit an der Humboldt-Universität ein. Siehe Kowalczuk: Die Humboldt-Universität zu Berlin und das Ministerium für Staatssicherheit, S. 448 f.

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als bei anderen Entführungsfällen, nicht über Bucurs Verschwinden.172 Aber sein Fall geriet nicht in Vergessenheit. Das belegen beispielsweise Unterlagen aus dem Archiv der Freien Universität in Westberlin. Noch vier Jahre später erwähnt die Balkan-Abteilung des Romanischen Seminars der Freien Universität in einem völlig anderen Zusammenhang, dass Theodor Bucur »auf mysteriöse Weise verschleppt worden« war.173 Unter den rumänischen Emigranten in Westberlin, aber auch in Westdeutschland, führte jenes Ereignis zu einer tief sitzenden Angst, eines Tages ebenfalls spurlos zu verschwinden. Der abschreckende Effekt jener Entführung ist unübersehbar, und er tritt auch in dem oben erwähnten Gedächtnisprotokoll Eftimies zutage. Aber war das schon alles, was die Securitate beabsichtigte hatte? Der 1992 verstorbene Theodor Bucur hat seiner Familie Aufzeichnungen hinterlassen, aus denen hervorgeht, dass er rund 900 Tage lang in Rumänien inhaftiert blieb, ohne den Grund dafür zu kennen. Als er schließlich entlassen wurde, verbot man ihm, zu seiner Frau nach Westberlin zurückzukehren. Er musste sich in Rumänien eine neue Existenz aufbauen, gründete eine Familie, versuchte beruflich wieder Fuß zu fassen, war aber immer wieder verschiedenen Schikanen der Behörden ausgesetzt. So wurde ihm sein in Berlin erlangter Doktorgrad nicht anerkannt, und zwar mit der Begründung, seine Doktorarbeit sei nicht in der erforderlichen Stückzahl gedruckt worden. Tatsächlich war es Theodor Bucur im kriegszerstörten Berlin 1944/45 nicht möglich gewesen, seine Promotion als Buch herauszugeben, eine maschinenschriftliche Fassung befindet sich aber bis heute in der Bibliothek der Humboldt-Universität und hätte von den Bukarester Behörden angefordert werden können. In den 1960er-Jahren wurde er wegen Bigamie vor Gericht gestellt, da seine erste, Berliner Ehe formal noch gültig war. Diese Verfahren wurden aber bald eingestellt.174 Im Oktober 2002 ließ der rumänische Inlandsgeheimdienst SRI dem Historiker Stejărel Olaru auf einen entsprechenden Antrag hin mitteilen, man habe keine Dokumente über gemeinsame Aktionen von Securitate und MfS in der Zeit von 1948 bis 1989 finden können, während der rumänische Auslandsgeheimdienst SIE zu dieser Problematik nur mitteilte, eine derartige Anfrage überschreite den vom Aktenöffnungsgesetz Nr. 187/1999 vorgesehenen Rahmen.175

172  Siehe auch die Broschüre: Menschenraub. Überfallen und in die Zone entführt, die v. a. auf der Auswertung von Presseberichten basiert und die Namen vieler Entführungsopfer nennt. Weder die Entführung Bucurs noch andere Aktionen des rumänischen Geheimdienstes werden darin angesprochen. 173  Schreiben der FU Berlin, Romanisches Seminar, Balkan-Abteilung, 23.2.1957; vorhanden in: FU Berlin, Universitätsarchiv, Bestand Personalakten, P. A. Drăghincescu, Gheorghe, Mappe II. 174  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 33–36. 175  Ebenda, S. 20.

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Erst sechs Jahre später konnten vom Verfasser dieser Zeilen schließlich entsprechende Unterlagen eingesehen werden. Der Inlandsgeheimdienst SRI hatte zwischenzeitlich die Securitate-Akte über Theodor Bucur freigegeben. Es handelt sich um eine 1971 angelegte Überwachungsakte (»DUI«). Sie dokumentiert vor allem Bucurs Protest gegen die verschiedenen behördlichen Schikanen sowie die Bemühungen seiner ersten Ehefrau, über die 1967 eröffnete bundesdeutsche Botschaft in Bukarest sowie über andere Personen Nachrichten über das Schicksal ihres verschollenen Mannes zu erhalten. Diese Akte enthält aber auch einen Bericht über ein Gespräch Bucurs mit Securitate-Offizieren im Juni 1973, der den gesamten Fall in ein anderes Licht stellt. Bucur wies in jenem Gespräch 1973 darauf hin, dass er zwischen 1950 und 1953 der rumänischen Botschaft in Berlin schriftliche und mündliche Informationen über rumänische Flüchtlinge geliefert habe. 1953 habe er mithelfen sollen, den in Ostberlin lebenden und in Dresden tätigen rumänischen Hochschullehrer Ion Popinceanu zu überwachen und zu verhindern, dass dieser sich in den Westen absetze. Als Popinceanu, den die Securitate als ehemaligen Legionär einstufte, dann doch in den Westen flüchtete, habe die Securitate in Ostberlin ihn dafür verantwortlich gemacht und verhaften lassen, um sich selbst reinzuwaschen und von ihrem eigenen Versagen abzulenken.176 Bucur bezichtigt sich hier also der Securitate-Mitarbeit und stellt sich zugleich als Sündenbock dar, der für die Fehler anderer habe büßen müssen. Erst die Akte des Auslandsgeheimdienstes SIE erhellt schließlich den gesamten Vorgang. Demnach hatte sich Folgendes zugetragen. Theodor Bucur hatte 1950 beschlossen, seine in Rumänien lebende Mutter nach Berlin zu holen, weil sie hilfsbedürftig war und er sehr an ihr hing. Er reichte einen entsprechenden Antrag bei der rumänischen Botschaft in Ostberlin ein. Bei dieser Gelegenheit, so heißt es in den Akten des SIE, bot er zugleich an, Informationen zu liefern. Es mag dahingestellt bleiben, ob Bucur sich tatsächlich aus eigener Initiative heraus als Informant anbot, oder ob die Initiative nicht doch von der Securitate ausging. Auf jeden Fall lieferte er fortan zahlreiche Berichte über die rumänische Emigration, erhielt dafür jährlich mehrere Hundert Deutsche Mark (West) und schrieb schließlich am 15. Februar 1952 eigenhändig eine Verpflichtungserklärung mit dem Decknamen »Traian Lucaci«.177 Im September 1952 unterlief der Securitate-Residentur tatsächlich ein für Bucur verhängnisvoller Fehler. Sie hatte versehentlich zwei Agenten zur glei-

176  Raport privind discuţiile purtate cu Bucur Theodor urmărit prin d.u.i. [Bericht über die mit Theodor Bucur geführten Diskussionen, der in einem OV verfolgt wird], vom 27.6.1973; ACNSAS, fond informativ, i 211930, vol. 1, Bl. 17–20. 177  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 270. Die IM-Akte des SIE zu Bucur besteht aus drei Bänden und enthält zahlreiche von ihm verfasste Berichte.

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Abb. 6:

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Theodor Bucur war rumänischer Emigrant in Berlin, Securitate-Spitzel und Entführungsopfer. Fotos aus seiner Securitate-Akte

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chen Zeit in ein konspiratives Haus in der Ostberliner Mühlenstraße178 bestellt – Theodor Bucur und den Studenten Petre Tonegaru. Beide kannten sich recht gut aus der »Rumänischen Kolonie Berlin«, und als sie sich nun überraschend und ungeplant in einem Ostberliner Treffquartier der Securitate begegneten, wusste jeder sofort vom anderen, was ihn an diesen Ort geführt hatte. Diese gegenseitige Dekonspiration barg aus geheimdienstlicher Sicht ein erhebliches Risiko, weil jeder der beiden den jeweils anderen im Westen enttarnen könnte. Einige Monate später, im Februar 1953, starb Bucurs Mutter in Rumänien. Die Securitate analysierte die nun entstandene Situation und kam zu folgendem Befund: Theodor Bucur ist nach dem Tod seiner Mutter, die er nach Berlin holen wollte, nicht mehr auf das Wohlwollen der rumänischen Behörden angewiesen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass er sich im Westen offenbart und dabei auch über Tonegaru berichten könnte. Als Informant ist Bucur weniger wertvoll als Petre Tonegaru. Um Tonegarus Mission nicht zu gefährden, muss Theodor Bucur aus dem Weg geräumt werden, was die Securitate mit den Worten umschrieb, »er sei in das Land zu holen«.179 Gemeinsam mit den Kollegen vom MfS arbeitete die Securitate einen Entführungsplan aus und setzte ihn in die Tat um. Am 23. März 1953 ließ das MfS Theodor Bucur in der Eberswalder Straße im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg verhaften, nur wenige Meter von der Sektorengrenze zu Westberlin entfernt, und in das Volkspolizei-Gefängnis in der Keibelstraße einliefern. Das MfS beschuldigte ihn, er sei in bestimmte Vorgänge an der Humboldt-Universität verwickelt, wofür ihm eine Strafe von bis zu 25 Jahren Gefängnis drohe. Um welche Vorgänge es sich dabei hätte handeln sollen, wird in den Akten nicht ausgeführt. Grundsätzlich hatte sich die Situation an den DDR-Universitäten seit Sommer 1952 verschärft, nachdem SED-Generalsekretär Walter Ulbricht auf der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 erklärt hatte, an den Hochschulen herrsche ein verschärfter Klassenkampf. An der Humboldt-Universität wurden infolge dessen im November 1952 134 Studierende relegiert. Außerdem mussten alle Studenten die Universität verlassen, die in Westberlin ihren Wohnsitz hatten. Diese Anordnung kam offenbar auf einen dringenden Wunsch der Sowjetischen Kontrollkommission zustande.180 Es gab also einiges an Konfliktpotenzial, auf das sich das MfS gegenüber Bucur beziehen konnte. Zugleich deutete das MfS ihm gegenüber auch einen Ausweg an: Sofern die rumänischen Behörden ihn wieder als rumänischen Staatsangehörigen anerkennen würden, könnte er nach Rumänien abgeschoben werden. Aus Angst vor der angedrohten Gefängnisstrafe ging Bucur darauf ein, beantragte die zwischenzeitlich aufgegebene ru178  Der genaue Ort kann nicht lokalisiert werden, da es im Ostteil Berlins mehrere Straßen dieses Namens gibt. 179  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 408 f. 180  Kowalczuk: Geist im Dienste der Macht, S. 428–430.

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mänische Staatsbürgerschaft sowie seine Ausweisung aus der DDR. Daraufhin wurde er am 3. April 1953 nach Rumänien ausgeflogen.181 In der »Rumänischen Kolonie« kursierten verschiedene Gerüchte darüber, weshalb Bucur verschwunden sei. Wie Petre Tonegaru der Securitate-Residentur in Ostberlin berichtete, glaubten einige, er sei wegen illegaler Geschäfte verhaftet worden oder weil er nicht alle Bücher an die Ostberliner Bibliotheken zurückgegeben habe; andere meinten, er sei von einem Berufskollegen aus Westberlin denunziert worden, um ihn als Konkurrenten auf eine Stelle an der Freien Universität auszuschalten, wieder andere vermuteten, er habe Beziehungen zum rumänischen Geheimdienst unterhalten.182 Man suchte nach verstehbaren Erklärungen, wies dem Opfer wie selbstverständlich eine Mitverantwortung an seinem Schicksal zu und kolportierte erneut Gerüchte. Als Theodor Bucur im Oktober 1955 aus dem Gefängnis entlassen wurde, war Petre Tonegaru immer noch für die Securitate im Einsatz. Tonegaru war 1943 als 19-Jähriger zur Offiziersausbildung nach Deutschland geschickt worden. Nach dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 internierten ihn die Deutschen angeblich bis Kriegsende im Konzentrationslager Lieberose (Jamlitz) rund 50 Kilometer südwestlich von Frankfurt/Oder. Danach ließ er sich im Ostteil Berlins nieder. Im April 1949 stellte er bei der kürzlich eingerichteten rumänischen Repatriierungskommission in Ostberlin einen offiziellen Antrag, mit seiner Familie nach Rumänien zurückzukehren. Bei diesem Anlass kam er mit Petre Suciu in Verbindung, dem Vorsitzenden der »Repatriierungskommission beim Oberkommando der Verwaltung der UdSSR in der so-

181 Raport. Asupra agentului Radu, 8 aprilie 1953 [Bericht über den Agenten Radu, 8.4.1953], unterzeichnet von »Apostol«, einem Securitate-Offizier der Ostberliner Residentur, in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 2, Bl. 369–379. Bucur trägt hier, wie auch in anderen Vermerken, den Decknamen »Radu«. Zu seiner Entführung siehe zusammenfassend auch dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 408–411. In zwei anderen Securitate-Vermerken heißt es fälschlicherweise, Bucur sei am 14.4.1953 nach Rumänien zurückgebracht worden. Siehe dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 432 und vol. 3, Bl. 322. Derartige sachliche Fehler kommen häufig in internen Vermerken vor und deuten auf eine schlampige Arbeitsweise hin. 182  Siehe die Berichte in Tonegarus IM-Akte vom 10.11.1953 und 12.1.1954; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 3, Bl. 2–7, 21–24. Insgesamt umfasst die Tonegaru-Akte sieben Bände mit rund 2 000 Seiten. Parallel dazu existiert eine Akte des Inlandsgeheimdienstes über Tonegaru unter der Signatur ACNSAS, fond informativ, i  234404. Tonegaru führte bei der Auslandsspionage die Decknamen »Loveanu«, »Steiner«, »Șerban« und »Schulz«. Die Securitate-Offiziere der Ostberliner Residentur, Klein und Turcu, unterzeichneten ihre Berichte an die Bukarester Zentrale ebenfalls mit wechselnden Tarnnamen. (Klein nannte sich »Cristea« und »Grigor«, Turcu unter anderem »Teodoru« und »Miron«.) In Bukarest führten die zahlreichen und wechselnden Tarn- und Decknamen zu Verwirrung und Problemen bei der Auswertung der Berichte, weshalb die Securitate-Zentrale die Ostberliner Residentur tadelte und sie zu mehr Übersichtlichkeit und Systematik aufforderte. ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 263: Notă [Bericht], September/Oktober 1951.

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wjetisch besetzten Zone in Deutschland«183. Suciu führte ihn der Securitate als Agent zu.184 1951 übersiedelte Tonegaru nach Westberlin, um die »Rumänische Kolonie« besser ausspionieren zu können. Außerdem sollte Westberlin eine Zwischenstation auf dem Weg nach Westdeutschland werden. Diesen Weg nahmen in den 1950er-Jahren auch andere Securitate-Agenten, die von Rumänien aus in Absprache mit dem MfS zunächst in die DDR entsandt wurden. Dort erhielten sie eine neue Biografie sowie die DDR-Staatsbürgerschaft und machten sich mit den deutschen Verhältnissen vertraut, um dann als Agenten in die Bundesrepublik weiterzuziehen.185 Schon 1949 bekleidete Tonegaru in der »Rumänischen Kolonie« die Funktion des Vorsitzenden der Zensorenkommission; angeblich hatte er sich auf Anweisung der Securitate um dieses Amt bemüht.186 Im Oktober 1952 verzog er nach Freiburg, wo er die »Rumänische Bibliothek« ausspionierte, und ein reichliches Jahr später ging er nach München, wo er sich wiederum den maßgeblichen rumänischen Emigrantenkreisen anschloss und sich im Frühjahr 1955 zum Sekretär des »Verbands der Rumänen in Süddeutschland« (»Asociaţia Românilor din Sudul Germaniei«) wählen ließ.187 Er lieferte massenweise Berichte über rumänische Emigrantenverbände und einzelne Emigranten in der Bundesrepublik. Heute gleicht seine IM-Akte einer detailreichen Chronik über die rumänische Emigration in Berlin und Süddeutschland. Seine Berichte benutzte die Auslandsspionageabteilung der Securitate augenscheinlich in großem Umfang für ihre Dokumentation über die rumänische politische Emigration, die sie 1956 auch dem MfS zur Verfügung stellte.188

183  Mit dem »Oberkommando der Verwaltung der UdSSR ...« dürfte die »Sowjetische Militäradministration in Deutschland« (SMAD) gemeint gewesen sein. – Die Repatriierungskommission sollte ihre Arbeit am 7.2.1949 aufnehmen. Ihr Dienstsitz befand sich im Ostberliner Bezirk Pankow in der Wollankstraße 7, wie die »Tägliche Rundschau« am 1.2.1949 ankündigte. Siehe den Zeitungsausschnitt in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 21995, Bl. 102. Im Herbst 1955 rief das Politbüro der RAP ein »Rumänisches Repatriierungskomitee« ins Leben, das offensiv für die Rückkehr nach Rumänien warb und von der früheren Repatriierungskommission zu unterscheiden ist. Das neue Komitee hatte auch die propagandistische Aufgabe, den Darstellungen der rumänischen Emigration entgegenzutreten, wonach die Bevölkerung in Rumänien wie in einem Gefängnis lebe und nur auf eine Gelegenheit warte zu fliehen. Stanciu: Frăţia socialistă, S. 120. 184  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 2, 19, 76–79; vol. 3, Bl. 194. 185  Vier Übersiedlungsvorhaben der Securitate mithilfe des MfS aus den Jahren 1958/59 sind dokumentiert in: BStU, MfS, HA II, 36086, Bl. 1–8; MfS, AP 11781/73, Bd. 1, Bl. 108– 132, Bd. 5, Bl. 58–88 sowie MfS, Abt. X, Nr. 2159, Bl. 63–65, darunter der weiter oben beschriebene Fall Gheorghe Mandache alias Rudolf Baumann. 186  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 23. 187  Ebenda, vol. 3, Bl. 172. 188  Zu der Dokumentation siehe Anm. 85. Zu den offenkundigen Zuarbeiten Tonegarus siehe dessen SIE-Akte: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 4, Bl. 1–77, 217–224, 246–375.

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Trotz allem schätzte die Bukarester Securitate-Zentrale Tonegarus Berichte als oberflächlich und insgesamt nicht ergiebig genug ein. Bis zum Schluss beklagte sie wiederholt, das hohe Agentengehalt stehe in keinem Verhältnis zum Wert der gelieferten Informationen.189 Im Sommer 1956 wurde Tonegaru von den bundesdeutschen Behörden enttarnt und wegen Spionage für Rumänien zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.190 Das MfS schickte unmittelbar nach Tonegarus Verhaftung mehrmals einen Agenten nach München, um die Situation zu erkunden. Die SIE-Unterlagen legen die Vermutung nahe, dass Tonegaru sich in München dem Emigranten Ilie Gârneaţa gegenüber offenbart hatte, der dann anderen davon berichtete. Auf jeden Fall hatte sich Tonegaru den Einschätzungen der Securitate zufolge nicht zu dem Spitzenagenten entwickelt, der er hätte werden sollen. Und seine Verhaftung führte dazu, dass aus Sicherheitsgründen mehrere Securitate-Offiziere aus der rumänischen Handelsvertretung in Frankfurt/M. sowie aus der Residentur in Ostberlin nach Rumänien abgezogen werden mussten, unter ihnen Vasile Turcu.191 Theodor Bucur erhielt aber zu keinem Zeitpunkt die Erlaubnis, in die Bundesrepublik zurückzukehren. Als er dies ab 1968 beim rumänischen Passamt ausdrücklich beantragte, intervenierte die Securitate und wies das Passamt darauf hin, Bucurs Rückkehr nach Deutschland »könnte negative Konsequenzen haben, weil er möglicherweise von den westdeutschen Behörden, den reaktionären rumänischen Emigrantenverbänden oder Radio ›Freies Europa‹ für feindliche Äußerungen über unser Land benutzt werden könnte«192. Der Fall Tonegaru spielte hingegen keine Rolle mehr, denn die bundesdeutschen Behörden hatten diesen Fall schon 1960 öffentlich gemacht, und inzwischen war Tonegaru nach Kenntnis der Securitate bereits verstorben. 1971 schlug Securitate-Chef Ion ­Stănescu in einer Randnotiz vor, Bucur zumindest in die DDR übersiedeln zu lassen.193 Doch am Ende blieb Bucur weiterhin in Rumänien.

189 Interne Notizen, wonach Tonegaru keine interessanten Informationen bringe, aber sehr viel Geld bekomme, finden sich immer wieder. Siehe bspw. die Berichte vom 26.5.1951 und 3.5.1956 in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 126 f. und vol. 3, Bl. 238–240. 190 Tonegaru wird namentlich genannt in der vom Bundesamt für Verfassungsschutz herausgegebenen Broschüre: Ost-Berlin. Agitations- und Zersetzungszentrale, S. 48. Tonegarus Verurteilung wird auch in der Akte zu Bucur erwähnt: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 409. 191  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 3, Bl. 251–273. Turcu nahm in der Folgezeit trotzdem noch einzelne Treffen in Westberlin wahr, beispielsweise, wie weiter oben dargestellt, mit dem Polizisten Ferdinand Dorogi. 192  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 1, Bl. 410 f., 417. 193  Ebenda, Bl. 408–411.

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1.3.4 Ungeklärte Entführungsfälle in Berlin 1950/51: Eugen Luca (alias Panaitescu) und Eugen Bisoc Theodor Bucur war nicht der erste Angehörige der »Rumänischen Kolonie«, der plötzlich spurlos verschwand, auch wenn sein Fall bei seinen Landsleuten besonders nachhaltig in Erinnerung blieb. Schon 1950 und 1951 ereigneten sich zwei ähnlich beunruhigende Vorfälle. Wie in der »Rumänischen Kolonie« darüber gesprochen wurde, berichtete Petre Tonegaru der Securitate-Residentur ausführlich. Einer der spurlos Verschwundenen war Eugen Luca. Er trat auch unter dem Namen Emil Panaitescu auf, hatte aber nichts mit dem gleichnamigen bekannten Archäologen Emil Panaitescu zu tun. Wie aus den Berichten Tonegarus hervorgeht, befand sich Eugen Luca im März 1950 in Polizeigewahrsam in Ostberlin. Einige Gerüchte besagten, er werde auf Anweisung einer höheren Stelle festgehalten, obwohl nichts gegen ihn vorliege, außer dass er Ausländer sei. Andere wollten wissen, er sei bei Schwarzmarktgeschäften erwischt worden. Luca nahm bis dahin aktiv am Vereinsleben der »Rumänischen Kolonie« teil; Tonegaru kannte ihn seit 1947/48.194 Über sein weiteres Schicksal wusste Tonegaru nichts zu berichten. Im Archiv des DDR-Außenministeriums findet sich aber eine Notiz vom 31. März 1950, wonach »Emil Panaitescu« in einem Ostberliner Polizeigefängnis in der Dircksenstraße einsaß. Die diplomatische Mission Rumäniens in Ostberlin hatte am 29. März 1950 in einer Verbalnote darum gebeten, ihn an Rumänien auszuliefern. Das DDR-Innenministerium arrangierte daraufhin, dass er am 21. April 1950 den tschechoslowakischen Behörden übergeben wurde, um von dort aus nach Rumänien weitertransportiert zu werden.195 Wie es zu Lucas/Panaitescus Verhaftung kam und weshalb er nach Rumänien zurückgeholt wurde, ist noch völlig unklar. Fest steht bislang nur, dass er damals unfreiwillig von Westberlin nach Rumänien verbracht wurde. Im November 1951 verschwand Eugen Bisoc spurlos aus Westberlin. Bisoc war im August 1951 offiziell mit einer Gruppe junger Rumänen nach Ostberlin gekommen, um an den kommunistisch geprägten »III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten« teilzunehmen. Er nutzte diese Gelegenheit, um sich nach Westberlin abzusetzen. Tonegaru nennt noch einen weiteren Studenten mit Namen, der damals ebenfalls in Westberlin blieb. Bisoc jedoch hatte das Pech, sich in Westberlin mit Petre Tonegaru anzufreunden und bei ihm wohnen zu dürfen. Tonegaru informierte die Securitate-Residentur detailliert über Bisocs Alltag, seine politischen Ansichten und seine Zukunftspläne. Im Oktober 1951 berich194  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 39–45. 195  PA AA, Bestand MfAA, A 15511, s.p.: Schreiben von Staatssekretär Ackermann an Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, vom 31.3.1950; Antwortschreiben Warnkes an Ackermann vom 18.4.1950.

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tete Tonegaru, Bisoc wolle nach München übersiedeln und habe von dort bereits eine Einladung erhalten.196 Doch wenige Tage später fehlt von Bisoc jede Spur. Sein Verschwinden sorgte unter den Rumänen in Berlin für Unruhe. Am 23. November 1951 schilderte Tonegaru seiner Führungsstelle, welche Versionen in den Westberliner Emigrantenkreisen darüber kursieren. Einige glaubten, Bisoc sei in den Westen geschickt und nun zurückgezogen worden; andere vermuteten, er sei aus Heimweh gutgläubig nach Rumänien zurückgereist; wieder andere meinten, er sei versehentlich mit der S-Bahn im Ostsektor umhergefahren und von der DDR-Volkspolizei verhaftet und den rumänischen Behörden übergeben worden, da er womöglich zur Verhaftung ausgeschrieben gewesen sei; einige nahmen an, er sei in den Osten entführt worden, andere hielten es für möglich, dass er nach Frankreich zur Fremdenlegion gegangen sei.197 Allein die Bandbreite dieser Vermutungen zeigt, wie hilflos und unsicher die Emigranten auf solche Vorfälle reagierten. Tatsächlich wurde jedoch auch Eugen Bisoc gewaltsam nach Rumänien zurückgebracht, wobei auch in seinem Fall die genauen Umstände noch unklar sind. Aus einer internen Notiz vom 10. Oktober 1951 geht allerdings hervor, dass ein Securitate-Offizier der Ostberliner Residentur mit Tonegaru die Möglichkeit besprach, eine bestimmte Person in den »demokratischen Sektor zurückzuholen«. Dass es sich dabei um Bisoc handeln sollte, notierte der Securitate-Offizier zwar in den Akten, offenbarte es aber gegenüber Tonegaru nicht.198 Überlegungen zu einer Entführung hat es also gegeben. Im Archiv des MfS existiert zu Bisoc eine nur neun Seiten umfassende Akte. Darin findet sich ein kurzer Festnahmebericht. Demnach hatte sich Bisoc am 26. Oktober 1951 mit der S-Bahn oder Eisenbahn verfahren, landete versehentlich in Potsdam-Babelsberg und geriet am dortigen Bahnhof zufällig in eine Personenkontrolle der DDR-Grenzpolizei, die ihn festnahm und verhörte. Bisoc, der einen Westberliner Ausweis besaß, sagte angeblich aus, er sei am 9. August 1951 nach Westberlin gekommen und zunächst zu einer englischen Dienststelle gebracht worden, wo er zwei Wochen geblieben sei; danach habe er sich eine eigene Bleibe gesucht.199 Auffällig ist, dass der Festnahmebericht erst am 15. November 1951 verfasst wurde und somit erst drei Wochen nach Bisocs Verhaftung. Unter dem gleichen Datum teilte die MfS-Landesverwaltung Brandenburg dem stellvertretenden MfS-Chef Erich Mielke mit, dass der Fall Bisoc sofort nach dessen Verhaftung vom sowjetischen Instrukteur übernommen wor196  Berichte Tonegarus über Bisoc in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 152, vol. 1, Bl. 214 f., 218–228, 234, 259–261, 264–287, 290–293. 197  Ebenda, Bl. 296 f. 198  Ebenda, Bl. 263. »Demokratischer Sektor« war im kommunistischen Sprachgebrauch die Bezeichnung für Ostberlin. 199  Bericht, betr. Festnahme des Bisoc, Eugen; BStU, MfS, AP 5460/57, Bl. 4.

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den sei.200 Ob Bisoc unter Spionageverdacht stand, ob er tatsächlich nur aus Versehen in die DDR eingereist war, ob die rumänischen Behörden ihn zur Festnahme ausgeschrieben hatten oder ob er in einen Hinterhalt geraten war, all das lässt sich nicht sicher feststellen. Sicher ist nur, dass sich die Securitate im Herbst 1951 bemühte, Bisocs habhaft zu werden und Bisoc danach tatsächlich in die Fänge der kommunistischen Geheimdienste geriet. Folgt man den MfS-Unterlagen, so wandte sich Erich Mielke ebenfalls noch am 15. November 1951 in einem Schreiben an den Staatssekretär im DDR-Außenministerium, Anton Ackermann; darin bezog sich Mielke auf die Informationen der MfS-Landesverwaltung Brandenburg vom gleichen Tage. Er bat das DDR-Außenministerium, die diplomatische Mission Rumäniens über Bisocs Verhaftung zu informieren und dessen Überstellung an die rumänischen Behörden zu organisieren. Dabei ist bemerkenswert, dass das MfS Bisoc trotz seines Westberliner Ausweises als rumänischen Staatsangehörigen titulierte.201 Mielkes Schreiben wirft die Frage auf, ob er auf eigene Initiative hin die rumänische Vertretung informieren wollte, oder ob die Securitate bereits zuvor mit einem Festnahmeersuchen an ihn herangetreten war. Das DDR-Außenministerium kam Mielkes Bitte nach. Staatssekretär Ackermann, zu diesem Zeitpunkt auch Chef der DDR-Auslandsspionage, informierte das MfS am 19. Dezember 1951 über die erfolgten Absprachen. Eugen Bisoc, der sich noch beim MfS in Haft befand, werde in Absprache mit der diplomatischen Mission Rumäniens am 2. Januar 1952 den tschechoslowakischen Behörden übergeben, die sich um seinen Weitertransport in Richtung Rumänien kümmern würden.202 In den Securitate-Akten zu Theodor Bucur wird beiläufig auf die Verschleppung Bisocs Bezug genommen. Dort wird beschrieben, wie der Chef der rumänischen diplomatischen Mission in Ostberlin, Ichim Rusu, im März 1953 mit Anton Ackermann über die geplante Entführung von Theodor Bucur verhandelte. Ackermann vermittelte den rumänischen »Diplomaten« den direkten Kontakt zu MfS-Mitarbeitern, die dann gemeinsam die Aktion gegen Bucur planten und ausführten.203 Am 30. März 1953 informierte die Securitate-Residentur die Zentrale in Bukarest darüber, dass Bucur mit dem Flugzeug und in 200  MfS, Verwaltung Brandenburg, Schreiben an MfS, Staatssekretär Mielke, 15.11.1951; ebenda, Bl. 3. Sowjetische Geheimdienstmitarbeiter waren zu dieser Zeit als sogenannte Instrukteure oder Berater in vielen MfS-Diensteinheiten präsent, kontrollierten den Aufbau und die Arbeit des MfS und besaßen faktisch Weisungs- und Vetobefugnisse. 201  MfS, Staatssekretär, 15.11.1951, Schreiben an Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Staatssekretär Ackermann; ebenda, Bl. 2. 202 Schreiben vom Büro des Staatssekretärs [des MfAA] vom 19.12.1951 an das MfS, z. Hd. von Herrn Reuscha, Berlin-Lichtenberg, Normannenstraße 22; ebenda, Bl. 5. Dass. in: PA AA, MfAA, A 15511, s.p. Die DDR-Auslandsspionage wurde erst im Juli 1953 in das MfS eingegliedert. 203  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 6748, vol. 2, Bl. 373 f.

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Begleitung eines Securitate-Mitarbeiters nach Rumänien gebracht werde. Als Begründung für den Transport per Flugzeug führte sie an: »Wir glauben, dass ein anderer Weg nicht sicher ist, bedenkt den Fall von Bisoc.«204 Nimmt man alle Angaben zu Bisoc zusammen, so deuten sie darauf hin, dass Bisoc unfreiwillig und aus politischen Gründen verschleppt wurde. 1.3.5 Ein Mitglied der »Rumänischen Kolonie« in DDR-Haft und als Händler zwischen West und Ost Am 5. Mai 1953, nur wenige Wochen nach Theodor Bucur, verhaftete die DDR-Polizei in Ostberlin ein weiteres Mitglied der »Rumänischen Kolonie«, einen damals 30 Jahre alten Bauingenieur.205 Er war während des Krieges als Student von Bukarest nach Berlin gekommen, gründete hier nach Kriegsende eine Familie und schlug sich nicht zuletzt mit verschiedenen Schwarzmarktgeschäften durch, was ihn in Westberlin gelegentlich in Konflikt mit Polizei und Justiz brachte. Als Fuhrunternehmer war er in den Kaffeehandel zwischen der DDR und der Bundesrepublik einbezogen und hielt sich daher immer wieder in Ostberlin auf. Als er dort festgenommen wurde, geschah dies angeblich wegen Spionageverdachts. Die Securitate-Residentur war in diesem Falle wahrsheinlich nicht involviert.206 Tatsächlich wurde ihm in Ostberlin der Prozess gemacht. Die Generalstaatsanwaltschaft von Groß-Berlin (Ost) klagte ihn an, er habe sich den geheimen Vertrag über den Transit-Kaffeehandel der DDR beschafft, einem US-Geheimdienst übergeben und damit die DDR-Wirtschaft geschädigt. Das Stadtgericht Berlin verurteilte ihn daraufhin wegen »faschistischer Propaganda« zu vier Jahren Haft, die er vollständig verbüßen musste. Vermutlich bestand sein hauptsächliches Delikt faktisch darin, sich in dieser unübersichtlichen Zeit am Ost-West-Handel bereichert zu haben. Seine angeblichen Kontakte zu US-Stellen galten damals in der DDR-Propagandasprache indes als »faschistische Betätigung«.207 Es ist nicht überliefert, wie man in der »Rumänischen Kolonie« 204  Ebenda, vol. 2, Bl. 319. Es wird allerdings nicht ausgeführt, worin bei dem Rücktransport Bisocs das Sicherheitsproblem bestanden hatte. 205  Festnahmebericht und Haftbefehl in: BStU, MfS, AU 919/58, Bd. 3, Bl. 4, 6. 206  Siehe das Schreiben von Staatssekretär Anton Ackermann an den Chef der Deutschen Volkspolizei, Karl Maron, betr.: »Auskunft über inhaftierte ausländische Staatsangehörige«, 27.10.1953. Demnach hatte sich die rumänische Botschaft erst am 23.10.1953 mit der Frage an Ackermann gewandt, ob Berichte über die Verhaftung zweier rumänischer Staatsbürger zutreffend seien und ob eine Unterredung mit den beiden, die in der Anfrage namentlich genannt werden, seitens der Botschaft möglich sei. Einer der beiden war der hier erwähnte Bauingenieur; PA AA, MfAA, Staatssekretär, A 15510. 207  Der Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin, Anklageschrift vom 10.8.1953 – Aktenzeichen I c 83/53; Stadtgericht Berlin, Strafsenat I c, Urteil vom 19.10.1953 – Aktenzeichen (101c) I c 83.53 (123.53); beide in: ebenda, Bl. 56–59, 131–139.

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auf seine Verhaftung reagierte und was man über seine Verurteilung und seine Haftbedingungen genau wusste. Aber es ist wahrscheinlich, dass auch sein Fall die Emigranten beunruhigte. Seine enge Verbundenheit zur »Rumänischen Kolonie« kam darin zum Ausdruck, dass er noch im Jahr seiner Haftentlassung 1957 in deren Vorstand gewählt wurde und bis Mitte der 1960er-Jahre verschiedene Vorstandsämter bekleidete.208 Er selbst knüpfte Ende der 1950er-Jahre erneut berufliche Kontakte nach Ostberlin und ließ sich vom MfS als inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen »Toni« anwerben. Nach reichlich einem Jahr brach das MfS im März 1961 die Verbindung zu ihm ab, da es ihn verdächtigte, als Doppelagent für die westliche Seite tätig zu sein.209 Den Securitate-Akten zufolge nahm der rumänische Geheimdienst erst 1967 Verbindung zu ihm auf, als er sich aus geschäftlichen Gründen in Rumänien aufhielt, brach diese aber vier Jahre später wieder ab – ebenfalls wegen des Verdachts einer Doppelagententätigkeit.210 Diese schillernde Biografie steht wahrscheinlich nicht repräsentativ für die »Rumänische Kolonie«, wirft aber ein bezeichnendes Licht auf bestimmte Verhältnisse und Milieus im geteilten Berlin. 1.3.6 »Gerda«: von der Hermannstädter Metzgerei-Verkäuferin zum Securitate-Lockvogel in Berlin Als Vergiliu Eftimie am 28. November 1956 in einem Landhaus außerhalb Ostberlins von den Securitate-Offizieren Aurel Moiș (»Mureșeanu«) und Vasile Turcu (»Alexandrescu«) vernommen wurde, wusste er von mehreren Landsleuten, die spurlos verschwunden waren, und dass ihm nun das gleiche Schicksal bevorstehen könnte. Seinem Gedächtnisprotokoll zufolge befragten ihn Moiș und Turcu zu Interna der »Rumänischen Kolonie« und einzelnen Emigranten und leerten nebenbei mehrere Flaschen Cognac mit ihm. Sie drohten ihm nicht und übten keine körperliche Gewalt gegen ihn aus. Doch war allen Beteiligten klar, dass er in dieser Situation der rumänischen Geheimpolizei völlig ausgeliefert war. Das war Drohung und Gewalt genug. Er willigte deshalb in jener Nacht in eine Zusammenarbeit mit der Securitate ein, hatte aber schon damals 208  Protokolle der Generalversammlungen der »Rumänischen Kolonie Berlin« 1957 bis 1965, in: Amtsgericht Charlottenburg, Registerakten, 95 VR 2371 Nz +1998. 209  BStU, MfS, AIM 2117/61, Personalakte, Bl.  33–40, 182; in dieser Akte, Bl.  23–26, auch ausführliche autobiografische Angaben. Mitte der 1980er-Jahre begann sich die HV A für ihn zu interessieren, ohne dass ein Grund dafür ersichtlich ist. Siehe Auskunft der Abt. X an die HV A vom 14.12.1984; BStU, MfS, Abt. X, AP 6925/77, Bl. 39. 210  ACNSAS, fond informativ, i 211933, Bl. 1, 10 f., 14, 19–47, 190. Diesen Vorgang führte die Spionageabwehrabteilung der Securitate, die ihn einer Randnotiz vom 1.12.1969 zufolge als potenziellen Agenten der USA oder der Sowjets verdächtigte. Ebenda, Bl. 19. Dem Betreffenden gegenüber trat der Securitate-Offizier als Mitarbeiter des rumänischen Außenhandelsministeriums auf.

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den Vorsatz, nicht als Agent tätig zu werden. Dreimal traf er sich in den folgenden Wochen in Westberlin noch mit Moiș und Turcu, die ihn zu überzeugen versuchten: »Herr Eftimie, in der Welt ist eine Tendenz der Entspannung, und wir Rumänen müssen uns vereinigen. Deshalb Ihre Mitarbeit ist so notwendig für uns.« Eftimie hielt dagegen und betonte seine rechte, legionäre Weltanschauung: »[Es] ist unter meine Würde, solche Sachen zu tun. Ich wundere mich, dass Sie mich gerade gewählt haben, obwohl Sie wissen, dass politisch wir totfeinde sind. [...] [S]ie wissen wohl, dass zwischen Legionäre und Kommunisten keine Brücken der Verständigung gibt.«211 Zu einem weiteren, bereits vereinbarten Treffen im März 1957 ging er nicht mehr hin, und seit dieser Zeit ließ die Securitate von ihm ab. Ob Eftimie zum Zeitpunkt seiner Vernehmung schon ahnte, welche Rolle Helene Michel alias »Gerda« spielte, lässt sich nicht feststellen. In seinem Gedächtnisprotokoll schreibt er nichts darüber. Er erwähnt nur, dass er gemeinsam mit ihr durch Ostberlin ging. Der Stasi-Bericht vom 29. November 1956, der Eftimies Verhaftung schildert, nennt Helene Michel nicht beim Namen, aber er führt ihre Funktion an. Eftimie befand sich demnach »in Begleitung eines weiblichen GM’s [Geheimen Mitarbeiters] der rumänischen Genossen«.212 Nimmt man diese beiden Quellen zusammen, so drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass Helene Michel für die Securitate arbeitete. Für Vergiliu Eftimie wurde der Sachverhalt nach einiger Zeit eindeutig. Er gelangte zu der Überzeugung, dass Helene Michel ihn vorsätzlich nach Ostberlin gelockt hatte, um ihn der Securitate auszuliefern. Schließlich meldete er sich bei der Polizei in Westberlin und berichtete detailliert, was ihm widerfahren war. Womöglich fertigte er in diesem Zusammenhang auch das erwähnte Gedächtnisprotokoll an. Er räumte gegenüber der Westberliner Polizei auch ein, sich bei der Securitate unter Druck als Informant verpflichtet zu haben.213 Von diesen Vorfällen wurde auch die amerikanische Spionageabwehr CIC in Westberlin in Kenntnis gesetzt. Bei ihr trafen im Laufe des Jahres 1958 aber noch mehr Informationen ein, die sich auf Helene Michel bezogen. Spätestens im Herbst 1958 stand für das CIC fest: Helene Michel ist eine hochkarätige Agentin des rumänischen Geheimdienstes und war in min211  Gedächtnisprotokoll Vergiliu Eftimie (wie Anm. 164). Die grammatikalischen Fehler sind Eftimies begrenzten Deutschkenntnissen geschuldet. Der Securitate gelang es indes oft genug, auch Legionäre anzuwerben. Siehe Totok: Securitatea și legionarii. Totok erinnert hier an die Legionäre Silviu Crăciunaș und Nicolae Ștefănescu (alias N. S. Govora), die als Emigranten aktiv an umfangreichen Desinformationen der Securitate mitwirkten. Weitere Beispiele für die Kooperation rechtsgerichteter oder legionärer rumänischer Emigranten mit der Securitate in: Ioniţă, Sorin Gabriel: Publicaţiile »Curentul«, »Carpaţii« și »Stindardul« în arhivele Securităţii. 212  BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 100. 213  Zusammenfassender Bericht der Securitate-Residentur vom 29.10.1958 über die Vernehmung von »Gerda« durch die CIC; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 314–316, hier 315.

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destens zwei Fällen aktiv daran beteiligt, rumänische Emigranten aus dem Westen zu entführen. Am 25. Oktober 1958 griff das CIC zu und unterzog Helene Michel einem zehnstündigen Verhör.214 Wer war Helene Michel? Über ihre Biografie und ihre Agentenkarriere geben zwei umfangreiche Dossiers aus dem Archiv des CNSAS Auskunft.215 Helene Michel war Siebenbürger Sächsin aus Petersdorf (Petrești) bei Mühlbach (Sebeș) in Südsiebenbürgen. Nach ihrer Schulzeit arbeitete sie in Hermannstadt (Sibiu) als Verkäuferin in einer Metzgerei. Ab 1942 wurde sie in einem deutschen Armeekrankenhaus in Galatz (Galaţi) als Krankenschwester eingesetzt und folgte den deutschen Truppen bei ihrem Rückzug aus Rumänien. Sie ließ sich im Westteil Berlins nieder, arbeitete wieder als Metzgereiverkäuferin, gründete eine Familie. Schon in den ersten Nachkriegsjahren freundete sie sich mit Exilrumänen an. Den späteren Vorsitzenden der »Rumänischen Kolonie Berlin«, Gheorghe Drăghincescu und dessen Stellverteter Vergiliu Eftimie kannte sie aus dieser Zeit. Ihre Mutter und einer ihrer Brüder waren in ihrer Heimatgemeinde geblieben, wo Helene Michel sie besuchte. Um das Visum zu beantragen, musste sie zwangsläufig die rumänische Botschaft in Ostberlin aufsuchen, denn ein Generalkonsulat eröffnete Rumänien in Westberlin erst 1974. Dabei geriet sie in den Blick der Securitate. Am 15. Juni 1956 unterschrieb sie in Ostberlin eine Verpflichtungserklärung und benutzte den Decknamen »Gerda«. Ihre geheimdienstliche Anwerbung führte Ion Dumbravă durch, der der Securitate-Residentur angehörte, sich offiziell aber als Konsul in Ostberlin aufhielt.216 Was sie dazu motivierte, mit der Securitate zusammenzuarbeiten, bleibt weitgehend im Dunkeln. Die Bindung an ihre Mutter und der Wunsch, sie weiterhin besuchen zu können, werden beiläufig als Erklärung genannt, ferner der Agentenlohn, den sie fortan bezog. Die Securitate hatte keine allzu hohen Erwartungen an sie, und so war es umso überraschender, dass sie in den kommenden zwei Jahren in spektakuläre Geheimdienstoperationen eingebunden wurde. Es verhält sich hier genau umgekehrt wie bei Petre Tonegaru, von dem sich die Securitate sehr viel erhoffte, der aber nie die vorgesehene Position erreichte. Helene Michel sollte in Westberlin nur für kleinere Ausforschungsaufträge benutzt werden und ihre Adresse als Tarnanschrift für geheimdienstliche Zwecke bereitstellen. Sie brachte hierfür günstige Voraussetzungen mit: Ihr Mann, obwohl Westberliner, war bei der Deutschen Reichsbahn beschäftigt, also bei 214  Siehe mehrere Berichte und Schreiben vom 25. und 29.10.1958 über die Vernehmungen von »Gerda« durch die CIC; ebenda, Bl. 302–316. 215  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, 3 Bde.; ferner die dreibändige IM-Akte des Inlandsgeheimdienstes: ACNSAS, fond reţea, R 292579. 216  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 63–66. Handgeschriebene Verpflichtungserklärung in: ebenda, vol. 1, Bl. 55.

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einem DDR-Unternehmen, das aber den S- und Fernbahnbetrieb in ganz Berlin durchführte. Sie durfte somit legal in Ostberlin einkaufen und hatte also immer einen Grund, in den Ostteil der Stadt zu fahren. Im Übrigen setzte die Securitate sie auf die »Rumänische Kolonie« und auf die »Vereinigung der Deutschen aus Rumänien« (»Asociaţia Germanilor din Romînia«) an, aus der 1955/56 die Berliner Landesverbände der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben hervorgingen.217 Von dort beschaffte sie Informationen über die offiziellen Aktivitäten und nahm Kontakte in die Reihen der Vorstandsmitglieder auf. Ihre langjährigen guten Beziehungen zu den nunmehrigen Leitungsmitgliedern der »Rumänischen Kolonie«, Drăghincescu und Eftimie, kamen ihr jetzt zugute, und Berichte über diesen Personenkreis bildeten ab Sommer 1956 den Schwerpunkt ihrer Agententätigkeit, während sie über die Rumäniendeutschen weniger Informationen lieferte.218 Ihre Berichte enthalten, ebenso wie jene von Bucur und Tonegaru, interessante und detaillierte Schilderungen über das Leben der rumänischen Emigranten in Berlin. Sie zeigen die schwierigen materiellen Lebensumstände auf, referieren interne Debatten, weisen auf die innere Zerrissenheit der »Rumänischen Kolonie« hin, charakterisieren einzelne Personen, kolportieren viele Gerüchte, verweisen auf die Schwierigkeiten vieler Emigranten, in ein geregeltes Leben zurückzufinden, und lassen erahnen, in welchem Zustand äußerer und innerer Unsicherheit viele Emigranten damals lebten. Folgt man Helene Michels eigenen Spitzelberichten, so war sie damals eine attraktive und begehrte Frau und schon deshalb in der »Rumänischen Kolonie« immer gerne gesehen und von dort aus häufig ins Cafe Kranzler am Kurfürstendamm eingeladen. Außerdem konnte sie aus dem Osten berichten. Als sie im Sommer 1956 aus Rumänien zurückkehrte, studierten Drăghincescu, Eftimie und andere ihren Reisepass, betrachteten die Stempel und Unterschriften, und fragten nach den Modalitäten der Visaerteilung. Und sie kaufte auf entsprechende Wünsche hin in Ostberlin den begehrten rumänischen Pflaumenschnaps, den Ţuica, ein.219 Wie nun der Plan entstand, Vergiliu Eftimie nach Ostberlin zu entführen, geht aus den Akten nicht hervor. Zu ihm selbst sind keine Unterlagen aufzufinden. Offenkundig handelte es sich um einen kurzfristig beschlossenen Plan. Denn erst am 27. September 1956 informierte Helene Michel in einem handschriftlichen Bericht die Securitate über ein Gespräch mit Vergiliu Eftimie, das den Ausgangspunkt für seine spätere Entführung bildete. Eftimie habe sie an217  Meinhardt; Schöpf: 1955–2005 – 50 Jahre Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Berlin, S. 7–9. 218  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 1, 9 f., 75–78, 88–90, 96–99, 108–113, 128 f., 218; vol. 2, Bl. 9, 66. 219  Ebenda, vol. 1, Bl. 98 f., 103–105, 113, 128 f.

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gesprochen und nach dem Laden in Ostberlin gefragt, wo man den Ţuica bekomme. Er wolle dort selbst welchen einkaufen, um sie nicht immer mit seinen Einkaufswünschen zu belästigen. Zwar sei er im vergangenen Jahr in Ostberlin festgenommen worden, als er dort eingekauft habe, und er habe befürchtet, die DDR-Behörden würden ihn an Rumänien ausliefern. Aber es sei noch einmal gut ausgegangen, da er nur für acht Mark Waren bei sich hatte.220 Helene Michel erhielt nun offenkundig den Auftrag, Eftimie in seinem Vorhaben zu bestärken, wieder einmal nach Ostberlin zu fahren. Schließlich erzählte sie ihm, sie habe einen Kleiderstoff bekommen und wolle daraus ein Kostüm anfertigen lassen, und er möge ihr doch den Schneider vorstellen, den er in Ostberlin kenne. Eftimie sagte zu, und so verabredeten sie sich für den 28. November 1956 zum gemeinsamen Einkaufsbummel in Ostberlin, wo Eftimie dann in die vorbereitete Falle ging.221 Aus Eftimies Aufzeichnungen geht hervor, dass er schon seit Längerem im Blickfeld der Securitate stand. Seit März 1955 erhielt er zuhause in Westberlin in dreimonatigem Abstand Besuch von einem Mitarbeiter der rumänischen Botschaft, der sich als Alexandrescu vorstellte, und den Eftimie später als den Securitate-Mitarbeiter Vasile Turcu identifizierte. Zweimal überbrachte Turcu einen Brief von Eftimies Mutter aus Rumänien, und immer wieder lud er ihn zu einem Glas Wein und zum Gespräch in die Botschaft nach Ostberlin ein. Noch im August 1956 wies Eftimie diese Offerte zurück: »Ich werde niemals kommen, seitdem Bucur Teodor, frühere[r] Lektor an der Humboldt-Universität, in Ostberlin verhaftet worden ist und nach Rumänien verschleppt ist.«[sic!] Woraufhin Turcu entgegnete, Bucur sei freiwillig nach Rumänien gegangen, um einer Gefängnisstrafe in der DDR zu entgehen. Die Mitarbeiter der rumänischen Botschaft würden niemanden belästigen.222 In mehreren Securitate-Vermerken aus den Jahren 1958 und 1959 wird die Rolle Helene Michels erwähnt: »Sie hat uns geholfen, den Legionär Eftimie in die Falle zu locken.«223 Doch wie die Securitate die Entführung vorbereitete und durchführte, wie sie Eftimie verhörte und später noch einige Zeit in Westberlin bedrängte, all das ist in den bislang durchgesehenen Securitate-Akten nicht dokumentiert, sondern nur ansatzweise in den Stasi-Akten und ausführlich in Eftimies Gedächtnisprotokoll. Die Securitate-Zentrale kam schon wenige Wochen später zu der Einschätzung, die Entführungs-Aktion sei als gescheitert anzusehen. Der stellvertretende Chef der Auslandsspionage, Nicolae Doicaru, ließ die Residentur in Ostberlin deshalb am 21. Dezember 1956 telegrafisch anweisen, die Verbindungen zu Helene 220  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 113, 128 f. 221  Gedächtnisprotokoll Vergiliu Eftimie (wie Anm. 164). 222 Ebenda. 223  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 218, 246; vol. 2, Bl. 66; die Entführung lief offenbar unter dem Codenamen »Werg«.

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Michel und Vergiliu Eftimie sofort abzubrechen und den Vorgang »Gerda« zu archivieren.224 In dem schriftlichen »Beschluss über das Schließen der Personenakte und deren Übergabe in die Aufbewahrung des Archivs« vom 24. Dezember 1956 und in späteren Vermerken wurde der Agentin Helene Michel bescheinigt, sie arbeite »bereitwillig für uns«, aber ihre geheimdienstlichen Möglichkeiten seien sehr eingeschränkt. Außerdem habe sie begonnen, ihre Kontakte zur Securitate für eigene materielle Interessen auszunutzen. Sie sei zu einem Ballast geworden.225 Möglicherweise trennte sich die Securitate auch deshalb von »Gerda«, um sie nach der »verfehlten« Aktion gegen Eftimie zu schützen. In den verschiedenen Vermerken wird jedoch nur auf ihre äußerst schwachen Informationslieferungen und Möglichkeiten abgehoben. Die Residentur in Ostberlin setzte sich indes über die Anweisung aus Bukarest hinweg und nutzte Helene Michel auch weiterhin als Quelle. Vor allem ihre guten Beziehungen zu Gheorghe Drăghincescu, dem Vorsitzenden der »Rumänischen Kolonie«, erschienen der Securitate-Residentur wichtig, und so lieferte »Gerda« auch nach 1956 Berichte über die rumänischen Emigranten in Westberlin. Als Drăghincescu im Sommer 1957 nach München umzog, hielt Helene Michel den Kontakt zu ihm. Insgesamt blieb die Auslandsspionage-Abteilung der Securitate in Bukarest aber unzufrieden: »Gerda«, so heißt es im Juni 1958 rückblickend in einem Vermerk, habe aus der rumänischen Kolonie und den rumäniendeutschen Verbänden in Berlin letztlich keine brisanten Informationen beschaffen können und keine illegalen Aktivitäten dieser Gruppen aufgedeckt. Dass diese Gruppen womöglich gar keine illegalen Aktivitäten durchführten, wurde nicht in Erwägung gezogen.226 Da »Gerda« als Informantin nicht die erhofften Leistungen erbringen konnte, hatte die Securitate beschlossen, sie bei Menschenraubaktionen als Lockvogel einzusetzen: »Angesichts der Tatsache, dass ›Gerda‹ keine Möglichkeiten der Informationsbeschaffung hat, wird ihre Nutzung auf der Linie des Anlockens solcher Elemente beschlossen, die das Ziel unserer Arbeit sind, sodass unsere Organe gegen diese vorgehen können.«227 1.3.7 MfS-Informanten in der »Rumänischen Kolonie« MfS und Securitate tauschten sich insbesondere zwischen 1956 und 1958 über ihre Erkenntnisse aus der »Rumänischen Kolonie« aus, ohne sich gegenseitig Einblick in das Informantennetz zu gewähren. In mehreren Fällen teilte das MfS der Residentur mit, dass es einen bestimmten Emigranten in Westberlin 224  Ebenda, vol. 1, Bl. 242 f. 225  Ebenda, vol. 1, Bl. 143, 218. 226  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 246. 227 Ebenda.

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bearbeiten wolle und erkundigte sich vorab danach, ob die rumänischen Kollegen etwas dagegen einzuwenden hätten.228 Mindestens vier eigene Informanten hatte das MfS seit dem Jahreswechsel 1956/57 auf die »Rumänische Kolonie« angesetzt. Alle vier lebten in Ostberlin. Das war zur damaligen Zeit nicht ungewöhnlich. Dieselbe Situation stellt die Historikerin Heike Amos beispielsweise im Hinblick auf die Vertriebenenverbände fest: Die IM, die das MfS Ende der 1950er-Jahre auf die Westberliner Verbände der Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem ehemals deutschen Osten ansetzte, hatten ihren Wohnsitz fast alle in Ostberlin.229 Wer waren die vier MfS-Informanten im Umfeld der »Rumänischen Kolonie«? Der rumänische Handwerker »Gogu« wurde weiter oben bereits genannt. Der Informant »Viktor« war den MfS-Unterlagen zufolge ein aus Bukarest stammender rumäniendeutscher Fotograf und geriet in den Blick des MfS, als es gezielt nach DDR-Bürgern suchte, die aus Südosteuropa stammten und noch Beziehungen in ihr Herkunftsland unterhielten.230 »Viktor« war mit einem Angehörigen der »Rumänischen Kolonie« schon seit Längerem bekannt. Nachdem »Viktor« im Sommer 1957 vom MfS angeworben wurde, lieferte er ausführliche Berichte über seinen Bekannten und dessen Umfeld. Außerdem verkehrte er nun regelmäßig in einem Lokal am Kurfürstendamm, in dem sich auch rumänische Emigranten trafen; gelegentlich hatte er auch andere Treffpunkte in Westberlin zu observieren. Ende Mai 1958 schickte ihn das MfS für eine Woche nach München, wo er Kontakte zu rumänischen Emigranten suchte. Seine Personenbeschreibungen und Gesprächsnotizen sollten im Juni 1958, einer Randnotiz zufolge, auch der Securitate-Residentur übergeben werden.231 Während »Viktor« als Rumäniendeutscher leicht direkte Kontakte zur Emigrantenszene knüpfen und ausbauen konnte, fehlte dem Künstler »Peter« ein solcher biografischer Hintergrund. Das MfS warb ihn im Sommer 1956 als IM an und schickte ihn regelmäßig zu Erkundungen nach Westberlin. Seit Jahresende 1956 bis Mitte 1958 forschte er vor allem rumänische Emigranten in Westberlin aus, beobachtete gelegentlich die Wohnhäuser von führenden Mitgliedern der Kolonie in Westberlin, registrierte ein- und ausgehende Personen und pflegte Kontakt zum Inhaber des Lokals am Kurfürstendamm, in dem auch 228  Vgl. bspw. die Absprachen zwischen der HA II/5 des MfS und der rumänischen Operativgruppe vom 4.7.1957; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 152–156. Der Informationsaustausch über die »Rumänische Kolonie« ist auch in Unterlagen dokumentiert, die der Securitate-Zentrale am 10.7.1957 von der Operativgruppe zugingen. ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 161–164. 229  Amos: Vertriebenenverbände, S. 71. 230  BStU, MfS, AIM 2596/60, Bd. P, Bl. 8, 14, 32–39; Bd. A I, Bl. 153–222, darin Bl. 221. Randnotiz betr. Übergabe der Informationen an »die rumänischen Genossen«. Berichte von »Viktor« aus München sind auch abgelegt in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 2, Bd. 1, Bl. 7–26. 231  BStU, MfS, AIM 2596/60, Bd. A I, Bl. 9–149.

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»Viktor« im Auftrag des MfS verkehrte. Das MfS setzte »Peter« aber auch zweimal in Westdeutschland ein. So berichtete er dem MfS schon Ende Dezember 1956 über seinen Besuch beim »Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben« in München. Sechs Wochen später lieferte er eine Beschreibung eines Hauses in München, in dem der »Verband Freier Rumänen in Süddeutschland« seinen Sitz hatte. Da »Peter« keinerlei Bezüge zu diesen Vereinigungen und zu Rumänien überhaupt hatte, blieben seine Berichte oberflächlich.232 Bei »Edgar« handelte es sich um einen jüngeren DDR-Bürger, der Anfang 1957 aus nicht-politischen Gründen vom Ökonomiestudium ausgeschlossen wurde. Ihn warb das MfS zu diesem Zeitpunkt als geheimen Mitarbeiter an. »Edgar« galt als interessant, weil es verwandtschaftliche Verbindungen zwischen ihm und dem Leiter der »Rumänischen Kolonie« in Westberlin, Gheorghe Drăghincescu, gab und er deshalb unkompliziert Zugang zu ihm hatte.233 Die vier »Geheimen Informatoren« wussten selbstverständlich nichts vonein­ ander und auch nichts von den Informanten der Securitate. Von Beginn ihrer Tätigkeit ab Ende 1956/Frühjahr 1957 trafen sie sich unabhängig voneinander jede Woche mit ihrem jeweiligen Führungsoffizier, um Bericht zu erstatten und neue Aufträge entgegenzunehmen. Ab Sommer 1957 reduzierten sich die Treffen auf zwei bis drei im Monat, was immer noch viel war. Allein die Häufigkeit dieser Treffen ist ein Indiz dafür, wie wichtig die Emigrantenorganisationen nach den Ereignissen in Ungarn genommen wurden.234 Dies kontrastiert mit dem Inhalt der gelieferten Meldungen, die keine Hinweise auf konkrete Aktionen der »Rumänischen Kolonie« gegen den kommunistischen rumänischen Staat enthielten. Die vier Agenten berichteten über Meinungsäußerungen und politische Standpunkte der rumänischen Emigranten, über das allgegenwärtige Misstrauen aufgrund der (berechtigten) Angst vor Überwachung durch die Geheimdienste Rumäniens und der DDR, über finanzielle Probleme der Kolonie, über ihre Verbindungen zu anderen Einrichtungen, sie spekulierten über Kontakte einzelner Emigranten zu westlichen Geheimdiensten, und sie lieferten Charaktereinschätzungen und Fotografien von Mitgliedern der Kolonie.235 232  BStU, MfS, AIM 512/63, Bd. P, Bl. 35–39, 42–60, Bd. A II, Bl. 11–42, 47–49, 56, 62–79, 88–133, 144, 148–153; Bd. A III, Bl. 13–50, 64 f.; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 146–148, 192–194. 233  BStU, MfS, AIM 4902/60, Bd. P, Bl. 33–35. 234  KP (ab 17.8.1957: GI) »Gogu«: BStU, MfS, AIM 1519/58; GM »Edgar«: BStU, MfS, AIM 4902/60. Auszüge aus ihren Berichten auch in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 14–26, 30 f., 38–62. GI »Viktor«: BStU, MfS, AIM 2596/60; GI »Peter«: BStU, MfS, AIM 512/63. 235  Ebenda. Vgl. auch die Personendossiers zu weiteren Vorstandsmitgliedern der Rumänischen Kolonie bzw. anderen rumänischen Emigranten in Westberlin, die auf den Berichten von »Edgar«, »Gogu«, »Peter« und »Viktor« beruhten. BStU, MfS, AP 3272/62; AP 11830/62; AP 11832/62; AP 11835/62.

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»Edgar« erwies sich als die ergiebigste Quelle, denn er beschaffte dem MfS einen Schlüsselabdruck der Westberliner Wohnung Drăghincescus sowie zahlreiche Unterlagen aus dessen Verbandstätigkeit wie Briefe, Aufzeichnungen, Mitgliederlisten und Telefonverzeichnisse.236 Auf diese Weise gelangte die DDR-Geheimpolizei im Juli 1957 in den Besitz zahlreicher Interna aus der Kolonie; diese Aktion war mit der rumänischen Residentur abgestimmt worden.237 So erhielt das MfS unter anderem eine namentliche Übersicht über rund 50 eingeschriebene Mitglieder der »Rumänischen Kolonie« mit Wohnsitz in Ostberlin und in der DDR.238 Punktuelle Absprachen zwischen dem MfS und der Securitate-Residentur gab es auch bei der Beobachtung anderer rumänischer Emigranten in Westberlin.239 Alle vier Quellen versiegten jedoch nach relativ kurzer Zeit schon wieder. »Gogu«, so notierte sein Führungsoffizier Werner Kamilli, habe sich im März 1958 mit Hinweis auf sein Alter und seine schlechte Gesundheit aus der Zusammenarbeit zurückgezogen.240 »Edgar« reiste im Spätherbst 1957 nach München. Denn dort hatte Drăghincescu eine Arbeit bei »Radio Free Europe« aufgenommen, und er blieb bis zu seiner Pensionierung 1975 bei dem Sender angestellt. »Edgar« sollte nun versuchen, ihn für das MfS anzuwerben. Er stellte eine gute Bezahlung in Aussicht, doch der Anwerbungsversuch misslang, weil sich die Familie Drăghincescu nicht ködern ließ. Bei seiner Rückreise in die DDR wurde »Edgar« im November 1957 am Grenzbahnhof Ludwigsstadt von der Bayerischen Grenzpolizei festgenommen. Er konnte der Spionage überführt werden, legte ein Geständnis ab und wurde in München vor Gericht gestellt. Bereits im März 1958 durfte er in die DDR zurückkehren, wo er noch im selben Jahr starb.241 »Viktor« lieferte seit Mitte 1958 immer weniger verwertbare Informationen. Seine Führungsoffiziere machten dafür einerseits private Probleme verantwortlich, bescheinigten ihm andererseits aber auch, er habe das MfS im Laufe 236  MfS, HA II/5, 25.7.1957: Übersicht über das von »Edgar« übergebene Material von Drăghincescu; BStU, MfS, AIM 4902/60, Bd.  A, Bl.  62  f., sowie weitere Übersichten in: ebenda, Bl. 64–70; teilweise als doppelte Ablage in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 39–61. Dokumentation der Schlüsselabdrucke in: BStU, MfS, AIM 4902/60, Arbeitsvorgang, Bl. 21 f., 31, 39, 42, 45 sowie in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 3, Bl. 305; in letztgenannter Akte, Bl. 292–304 und 306–308 weitere Berichte von »Edgar«. 237  MfS, HA II/5a, 4.7.1957: Rücksprache mit den Gen. der rumänischen Operativgruppe am 4.7.1957; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 3, Bd. 1b, Bl. 155. Darin heißt es zu Drăghincescu: »Es wurde eine gemeinsame Aktion vorgeschlagen, um das Material einzusehen oder wegzunehmen, womit die Genossen einverstanden waren.« 238  MfS, HA II/5, 24.7.1957: Aufstellung von Personen, die bei der rum. Kolonie als Mitglieder registriert sind; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 48–50. 239  In zwei Personendossiers zu rumänischen Emigranten in Westberlin vermerkte das MfS an jeweils einer Stelle eine Absprache mit der Securitate über die observierte Person. BStU, MfS, AP 3272/62, Bl. 2; AP 11832/62, Bl. 6. 240  MfS, HA II/5, 28.3.1958: Abschlussbericht; BStU, MfS, AIM 1519/58, Bd. P, Bl. 38. 241  BStU, MfS, AIM 4902/60, Arbeitsvorgang, Bl. 76–119, und Personalakte, Bl. 50–69.

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der Zeit immer mehr »ausgenutzt«, um materielle und berufliche Vorteile zu erlangen. Im Frühjahr 1960 endete seine Agentenkarriere. In seiner IM-Akte heißt es dazu nur, er sei in den Westen geflüchtet.242 Der Westberliner »Tagesspiegel« meldete hingegen am 30. April 1960, dass »Viktor« in Westberlin verhaftet wurde, »weil er seit vier Jahren im Auftrag des SSD Rumänen in Westberlin und Westdeutschland bespitzelt hat«.243 Auch »Peter« berichtete nur bis Mitte 1958 aus Westberlin. Danach ließ ihm eine neue berufliche Tätigkeit keine Zeit mehr, um in Westberlin Personen zu überwachen. Das MfS setzte ihn noch bis 1962 in der DDR als IM ein und trennte sich dann von ihm.244 Die ausgefallenen Informanten wurden offensichtlich nicht durch neue ersetzt.245 1.3.8 Eine Rufmordkampagne gegen den Vorsitzenden der »Rumänischen Kolonie« 1956/57 Der Vorsitzende der »Rumänischen Kolonie« Gheorghe Drăghincescu, der seit Herbst 1948 als Lektor für Rumänisch und Ungarisch an der Freien Universität Berlin unterrichtete, war 1956/57 einer Rufmordkampagne ausgesetzt, die mit dazu führte, dass er Berlin verließ. Sie stellte seine persönliche Integrität und seine wissenschaftliche Qualifikation infrage. Der Rektor der FU Berlin hatte mehrfach Briefe mit ehrenrührigen Behauptungen über Drăghincescu erhalten. Einer der harmloseren Vorwürfe lautete, er habe seinen beruflichen Werdegang gefälscht und in Rumänien nicht einmal das Abitur abgelegt.246 Nun kam es in der frühen Nachkriegszeit häufiger vor, dass Menschen nachteilige Aspekte ihrer Biografie verheimlichten und darauf vertrauten, dass ihre Angaben aufgrund der Kriegswirren und der Teilung Europas nicht mehr überprüfbar waren. Deshalb wäre Drăghincescu keine Ausnahme gewesen und der ihm gemachte Vorwurf brauchte in der damaligen Zeit nicht abwegig erscheinen. 242  MfS, HA II/5, 3.5.1960: Abschlussbericht sowie MfS, HA II/5, 17.6.1960: Beschluss über das Abbrechen der Verbindung; BStU, MfS, AIM 2596/60, Bd. P, Bl. 49–51. 243 Unter Spitzelverdacht verhaftet. In: Der Tagesspiegel v. 30.4.1960; vorhanden in: BStU, MfS, AIM 2596/60, Bd. P, Bl. 48 f. 244 MfS, HA II/5/B, 15.9.1958: Beurteilung, betr. GI »Peter« sowie MfS, HA V/1/4, 29.11.1962: Abschlussbericht für GI »Peter«; BStU, MfS, AIM 512/63, Bd. P, Bl. 58 f., 75. 245  So sind in den Personendossiers, die das MfS zu rumänischen Emigranten in Westberlin angelegt hatte (vgl. die Signaturen in Anm. 154 und 235) und die erst 1962 geschlossen wurden, fast ausnahmslos Berichte der vier hier genannten IM eingeflossen. Im Dossier BStU, MfS, AOP 11832/62, Bl. 51 f., befindet sich darüber hinaus ein einziger Bericht eines Informanten »Georg« vom 15.6.1959. Auch der Objektvorgang »Balkan« deutet darauf hin, dass schon ein bis zwei Jahre nach dem Ungarnaufstand die Emigrantenorganisationen nicht mehr so intensiv im Blickfeld des MfS standen. 246  FU Berlin, Universitätsarchiv, Bestand Rektorat, 1580; Bestand Personalakten, P. A. Drăghincescu, Gheorghe, Mappe II.

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Die heute wieder zugänglichen Schülerverzeichnisse der Stadt Temeswar bestätigen hingegen Drăghincescus eigene Angaben. Er hatte im Juni 1928 als Klassenbester sein Abitur abgelegt.247 Wer in den 1950er-Jahren etwas anderes über ihn behauptete, beteiligte sich also bewusst oder unbewusst an einer Rufmordkampagne. Wer sie initiiert hatte, geht aus den bislang bekannten Unterlagen allerdings nicht hervor. In der Akte »Lena« schreibt die Securitate von »informativ-operativen Maßnahmen«, die sie gegen rumänische Emigranten in Westberlin ergriffen habe; die meisten aktiven rumänischen Emigranten hätten infolge dessen Westberlin verlassen. Details werden in dieser Akte nicht angeführt.248 Eine Rufschädigung würde jedoch in das Repertoire dieser Maßnahmen passen. Ein Bericht des IM »Edgar« legt hingegen die Vermutung nahe, dass hier mittels übler Nachrede ein Familienzwist ausgetragen wurde.249 Möglicherweise instrumentalisierten Securitate und MfS einen bestehenden Konflikt für ihre Ziele. Drăghincescu verlor 1957 seine Anstellung an der Freien Universität. Die zuständige Fachabteilung begründete die Kündigung vor allem mit seiner fehlenden Promotion.250 Doch auch ehrenrührige Anwürfe aus der Rufmordkampagne wurden universitätsintern als einer von mehreren Gründen für die Kündigung geltend gemacht.251 Drăghincescu wechselte daraufhin nach München zum »Radio Freies Europa«. 1.3.9 »Gerda« und die Entführung des Legionärs Traian Puiu, Januar 1958 Zum Jahreswechsel 1957/58, etwa um die Zeit, als Gheorghe Drăghincescu Berlin verließ, besuchte Helene Michel ihre Familie in Rumänien. Nicolae Doicaru hatte ausdrücklich zugestimmt, dass sie ein Einreisevisum erhielt und Geschenke für zwei andere Familien mitnehmen durfte.252 Im Januar 1958 reiste sie über Ungarn und Österreich nach Berlin zurück. In Wien, das belegt später auch ihr Reisepass, hielt sie sich für einige Tage auf. Denn während ihres Aufenthaltes in Rumänien hatte sie nicht nur ihre Familie besucht, sondern auch 247  ANR, Filiale Temeswar, fond 41: Liceul Constantin Diaconovici-Loga din Timișoara, nr. 25: Matricola școlară anul școlar 1927/28, vol. III: Clasele V, VI, VII, VIII. Drăghincescu ist hier als Schüler der Abiturklasse 8 R (»secţia reala«) verzeichnet, was er in einem Lebenslauf für die Freie Universität Berlin mit »Oberrealgymnasium« verdeutschte. Siehe FU Berlin, Universitätsarchiv, Lektoren-Akte Philosophische Fakultät, G. Drăghincescu. 248  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 92, Bl. 132 (wie Anm. 153). 249  MfS, HA II/5, 25.3.1957: Treff bericht; BStU, MfS, AIM 4902/60, Bd. A I, Bl. 7–12. 250  Schreiben des Romanischen Seminars an den Kurator vom 21.12.1956; FU Berlin, Universitätsarchiv, Bestand Personalakten, P. A. Drăghincescu, Gheorghe, Mappe I. 251  Schreiben des Romanischen Seminars vom 23.2.1957; ebenda, Mappe II. 252  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 206.

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von der Securitate einen neuen Auftrag entgegengenommen, der sie in die österreichische Hauptstadt führen sollte. Das Opfer war dieses Mal einer der prominentesten Legionäre, Traian Puiu. Puiu hatte sich im Januar 1941 am Aufstand der faschistischen Legionäre gegen den Militärdiktator Ion Antonescu beteiligt und war nach dessen Niederschlagung nach Deutschland geflüchtet. Nachdem Rumänien am 23. August 1944 die Allianz mit Deutschland aufkündigte und Ion Antonescu gestürzt wurde, richteten die Nationalsozialisten in Wien eine rumänische Gegenregierung ein, die vom Anführer der Legionäre, Horia Sima, geleitet wurde. Traian Puiu unterstützte in Wien diese Gegenregierung. Nach dem Krieg wurde er Generalsekretär der Legionärsbewegung und ließ sich schließlich dauerhaft in Wien nieder.253 Dort verdiente er seinen Unterhalt als Immobilienmakler. Als Helene Michel im Januar 1958 nach Wien kam, bezog sie eine Wohnung, setzte sich anschließend mit Puiu in Verbindung und sagte ihm, sie suche eine neue Wohnung. Sie schlug ihm vor, zu ihr nach Hause zu kommen, um die Einzelheiten zu besprechen. Als Puiu bei ihr eintraf, erwarteten ihn dort bereits mehrere Securitate-Mitarbeiter. Sie überwältigten ihn, flößten ihm ein Einschläferungsmittel ein und schafften ihn nach Rumänien, wo ein Gericht ihn zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilte. 1964 wurde er im Rahmen einer großen Amnestie aus der Haft entlassen. Helene Michel löste sofort nach jener Aktion im Januar 1958 ihre Wiener Wohnung auf und kehrte nach Westberlin zurück.254 Die Securitate, so heißt es in den Unterlagen, honorierte ihren Einsatz mit 4 000 DM, was damals das Zehnfache eines durchschnittlichen Monatsgehaltes darstellte, und bescheinigte ihr, sie habe »Ehrlichkeit, Hingabe und Mut« bewiesen.255 1.3.10 Von der Waffen-SS zur Securitate: »Gerhard« und »Gerda« und die Entführung des Emigranten Oliviu Beldeanu Schon kurze Zeit später richtete sich die Aufmerksamkeit der Securitate auf den rumänischen Emigranten Oliviu Beldeanu. Er hatte zwar mit den faschistischen Legionären nichts zu tun, hatte aber im Februar 1955 mit vier anderen Emigranten die rumänische Gesandtschaft in Bern überfallen, um gegen das kommunistische Regime zu protestieren. Dabei erschossen sie einen Mitarbeiter der Gesandtschaft. Der rumänische Historiker Marius Oprea geht davon aus, dass dieser Vorfall die Initialzündung für den Aufbau einer professionellen rumänischen Auslands253  Ioniţoiu: Victimele terorii comuniste, S. 480 f. 254  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 47–49. 255  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 67.

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spionage darstellte. Und ihr erstes und vorrangiges Ziel sei seit 1955 die rumänische Emigration im Westen gewesen. Diese sollte mit Agenten durchsetzt, kompromittiert und schließlich unwirksam gemacht werden.256 Beldeanu war von einem Schweizer Gericht zwar zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden, kam aber schon im Oktober 1957 wieder frei. Die Schweizer Behörden verwiesen ihn umgehend des Landes. Er siedelte deshalb nach München über.257 Von dort, so der Plan der Securitate, sollte er nach Rumänien entführt werden. Helene Michel wurde inzwischen direkt von der Bukarester Securitate-Zentrale gesteuert, wo Oberst Aurel Moiș die Verbindung zu ihr hielt. Zwischen März und Juli 1958 trafen sie sich vier Mal, und »Gerda« erhielt ihre neue Rolle zugewiesen. Ihre Aufgabe bestand darin, »Oliviu Beldeanu und die anderen Mitglieder der Terroristenbande Beldeanus in eine Falle zu locken«.258 Sie überredete damals ihren Bruder Alfred Bohlinth, der schon 1941 zur Waffen-SS eingezogen worden war259 und 1956 von Österreich nach Schweden emigrierte, sich in München niederzulassen. Innerhalb kürzester Zeit brachte sie ihn mit der Securitate in Verbindung, die ihn im Mai 1958 zur Mitarbeit verpflichtete und ihn fortan unter dem Decknamen »Gerhard« bzw. »Gherhard« führte. Die Securitate unterstützte ihn mit 2 000 US-Dollar dabei, in München eine Kantine und Metzgerei zu eröffnen und ihm somit die lange ersehnte berufliche Selbstständigkeit zu ermöglichen. »Gerda« half in dem neuen Betrieb ihres Bruders mit.260 Die Securitate wusste zu diesem Zeitpunkt, dass Alfred Bohlinth seit 1942 beim Sicherheitsdienst (SD) eingesetzt war, der dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler unterstand. 1943 arbeitete Bohlinth als Wachmann im Büro von Ernst Kaltenbrunner, dem Chef des SD261, anschließend bei der Gestapo in Berlin. Über die Zeit beim SD bemerkte er in seinem handgeschriebenen Lebenslauf, den er im Frühjahr 1956 für die Securitate verfasste: »Ich kannte alle Vorgesetzten gut und waren mit meinem Dienst zufrieden.« 1944 ließ er sich zur »Grenzbefehlsstelle West« nach Italien versetzen. Dort arbeitete er nach eigenen Angaben in der Kartei, in der auch italienische Widerstandskämpfer verzeichnet 256  Oprea: Șase feluri de a muri, S. 110–112. 257  Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S. 97 f. 258  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 234–241, 244–246, 249 f. 259  Die meisten Rumäniendeutschen kämpften im Zweiten Weltkrieg zuerst in der rumänischen Armee, ab 1943 jedoch in der Waffen-SS.  Nur wenige Rumäniendeutsche gehörten schon vor 1943 der Waffen-SS an. Siehe Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu; ebenso Böhm: Die Gleichschaltung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien, S. 279–340. 260  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1871, vol. 1, Tabelle über ausbezahlte Geldbeträge, vor Bl. 1 eingeordnet, sowie Bl. 2–5, 27; ferner fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 64, 68. 261  SS-Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner (1903–1946) leitete seit 30.1.1943 das Reichssicherheitshauptamt. Ihm unterstanden sowohl der Sicherheitsdienst als auch die Gestapo. Vgl. Black: Ernst Kaltenbrunner, S. 143, 323.

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waren.262 Securitate-Major Vasile Turcu schätzte Bohlinth in dem »Bericht über die Anwerbung von ›Gherhard‹« im Mai 1958 dennoch als »loyal und aufrichtig« gegenüber der Securitate ein und stellte fest, er habe ihnen gegenüber offen berichtet.263 Der Anwerbungsbericht erweckt sogar den Eindruck, die Securitate betrachtete Bohlinths Kenntnisse des nationalsozialistischen Spionage- und Sicherheitsdienstes eher als vorteilhaft. Zu dessen Motivation, nun mit der Securitate zu kooperieren, vermerkte Turcu noch, er sei auf dem »Wege der Überzeugung« angeworben worden.264 Diese Einschätzung erscheint vor dem Hintergrund der finanziellen Unterstützung allerdings fragwürdig. In der Kantine von »Gerhard« fand nun Ioan Chirilă, einer der fünf Emigranten der Beldeanu-Gruppe, eine Anstellung, und stand somit unter Kontrolle von Securitate-Informanten.265 Durch »Gerda« und »Gerhard«, so hieß es in einem späteren Bericht, »hatte die Zentrale die Möglichkeit, einen Teil der feindlichen Tätigkeiten dieser Gruppe zu kennen und die Aktion zur Verhaftung Oliviu Beldeanus zu organisieren«.266 Auch wenn »Gerda« und »Gerhard« die Einzelheiten dieser Securitate-Operation nicht kannten, kam vor allem »Gerda« eine wichtige Rolle dabei zu.267 Oliviu Beldeanu wurde schließlich am 31. August 1958 von einem Securitate-Agenten mit dem Versprechen nach Westberlin gelockt, eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu erhalten. Noch am gleichen Tag chauffierte ihn der Agent »George« über die Sektorengrenze nach Ostberlin. Bei »George« handelte es sich um einen aus Rumänien stammenden Griechen namens Gheorghe Kehaioglu (Kehayoglu), der in Westberlin lebte und als inoffizieller Mitarbeiter für die Securitate arbeitete.268 Unmittelbar an der Sektorengrenze lauerten ihnen bereits MfS-Mitarbeiter auf. Nach einem kurzen Schusswechsel nahmen sie Beldeanu in der Wilhelmstraße an der Ecke zur Leipziger Straße fest. Das MfS war allerdings erst am Vortag von der Securitate-Residentur über den Entführungsplan in Kenntnis gesetzt worden. Eigentlich wollte die Secu262  Die biografischen Angaben folgen einem undatierten handgeschriebenen Lebenslauf Bohlinths in seiner Securitate-Akte, ca. April 1958, in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1871, vol. 1, Bl. 2 f.; die rumänische Übersetzung vom 18.4.1958, in: ebenda, Bl. 4 f., sowie dem Anwerbungsbericht vom 26.5.1958, in: ebenda, Bl. 6–11, und einer von der Securitate angefertigten Personeneinschätzung vom 2.6.1958, in: ebenda, Bl. 26–29. 263  Ebenda, vol. 1, Bl. 6–11. 264 Ebenda. 265  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 64, 68. 266  Ebenda, vol. 2, Bl. 68. In der Akte »Gerda« befinden sich für den Zeitraum Frühjahr und Sommer 1958 mehrere Berichte über Beldeanu, Einzelheiten der Entführung und die Wiedergabe eines Gespräches mit Beldeanu: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 234– 241, 249 f., 253–264, 275–280. 267  Ebenda, vol. 1, Bl. 255. 268  Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S.  109. Pelin: Culisele spionajului românesc, S. 31. Vgl. auch BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 72.

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ritate Beldeanu von eigenen Kräften festnehmen lassen. Ein rumänisches Militärsonderflugzeug mit fünf Securitate-Mitarbeitern war am 30. August 1958 in Schönefeld bei Berlin eingetroffen. Unter ihnen befand sich auch Aurel Moiș, der frühere Leiter der Securitate-Residentur in Ostberlin und nunmehrige stellvertretende Chef der Auslandsspionage-Abteilung der Securitate. Noch am gleichen Tag, einem Samstag, rief der Chef der Securitate-Operativgruppe Pavel Sabău abends bei Major Willi Damm zu Hause an und bat dringend um ein Gespräch. Damm leitete die MfS-Abteilung X (lies: »zehn«), und zwar von deren Gründung am 1. März 1956 bis 1989. Aufgabe der Abteilung war es, die Zusammenarbeit des MfS mit den anderen kommunistischen Geheimdiensten zu koordinieren. In dem Gespräch am nächsten Morgen informierte Sabău Damm über die für den gleichen Tag geplante Festnahme Beldeanus und bat das MfS darum, zwei oder drei Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, um diese Aktion »abzusichern«. Damm entgegnete jedoch, dass im »demokratischen Sektor von Berlin« – so die damals offizielle Bezeichnung der DDR für den Ostteil der Stadt – nur DDR-Behörden Personen festnehmen dürften. Die »rumänische Operativgruppe« habe dazu »keine Berechtigung«. Damm legte diesen Vorgang sofort dem Staatssicherheitsminister Erich Mielke vor, der die Verhaftung Beldeanus durch Mitarbeiter des MfS genehmigte. So zeigte dieser Vorgang nebenbei, welche Grenzen den Residenturen bzw. Operativgruppen gesetzt waren. Viele Zeitungen in Deutschland und Europa berichteten über den Vorfall. In Ostberlin titelte das »Neue Deutschland« am 2.9.1958 auf der ersten Seite »Terrorist festgenommen« und meldete wahrheitswidrig, Beldeanu sei zufällig in eine Personenkontrolle geraten, habe daraufhin das Feuer eröffnet, sei deshalb festgenommen worden, und erst bei der anschließenden Vernehmung habe man seine Identität festgestellt. Die Westberliner »B.Z.« vom gleichen Tage überschrieb ihren Bericht mit »Feuergefecht in Ostberlin. Roter Geheimdienst verhaftet Exilrumänen«, veröffentlichte ein Foto Beldeanus und schrieb von einer Verfolgungsjagd zweier Autos, ehe Beldeanu und sein Begleiter in der Wilhelmsraße von den »Beamten des Staatssicherheitsdienstes« niedergeschossen worden seien.269 Das MfS überstellte Beldeanu zwei Tage nach seiner Festnahme der Securitate, die ihn nach Rumänien ausflog. Dort verurteilte ihn im November 1959

269  Diese und einige weitere Zeitungsberichte über das Ereignis sind vorh. in der MfS-Akte »Vorgang Beldeanu«. BStU, MfS, AP 5638/70, Bl. 43 f. Die Securitate stellte in einem Sonderbericht vom 20.9.1958 über die Festnahme Beldeanus auch die Pressereaktionen aus beiden Teilen Deutschlands, der Schweiz, Österreichs, Frankreichs und Großbritanniens zusammen, wobei viele Zeitungen die auch im »Neuen Deutschland« veröffentlichte, falsche ADN-Meldung übernahmen. Die Berichte sowie verschriftete Rundfunkmeldungen sind veröffentlicht in: Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S. 259–266.

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Abb. 7:

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Das MfS inszenierte auf diesem nachgestellten Foto seine Version der Festnahme Oliviu Beldeanus. Es warb 1959 mit diesem Motiv auf Plakaten für seine Ausstellung »Nato-Agenten ohne Chance«.

das Militärtribunal der zweiten Militärregion (»Tribunalul Militar al R. II. M.«) zum Tode. Am 18. Februar 1960 wurde er im Zuchthaus Jilava hingerichtet.270 270 »Vorgang Beldeanu«; BStU, MfS, AP 5638/70, Bl. 5 f., 27, 34–38; vgl. auch BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2655, Bl. 64. Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 49–54. Ausführlich sowie mit Hinweisen auf die damals noch nicht identifizierten »Gerda« und »Gherhard«[!] siehe Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S. 108–111, 114, 130 f., 146, 257, 266 f. Vgl. auch die Erwähnung des Vorgangs in Totok: Zwischen autoritärer Demokratie und pluralistischer Transparenz, S. 41, sowie ders.: Von der Siguranta zur Securitate, S. 43–47. Eine Materialzusammenstellung mit zeitgenössischen Veröffentlichungen aus der DDR und Rumänien über den Fall Beldeanu sowie entsprechenden Auszügen aus einer öffentlichen MfS-Ausstellung (»Nato-Agenten ohne

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»Gerda« war schon bald darauf von München nach Berlin zurückgekehrt, wo sie am 10. September 1958 mit Nicolae Doicaru zusammentraf: »Sie erschien zu der Begegnung mit Genossen Oberst Doicaru Nicolae, der sie über die Art instruierte, wie sie im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Aufgaben ihre weiteren Aktivitäten fortsetzen sollte. Bei dieser Gelegenheit erstattete ›Gerda‹ einen Bericht über die Stimmung unter den Flüchtlingen in München nach der Verhaftung Beldeanus sowie über die Maßnahmen, die sie dort unternahmen, um ihn zu suchen.«271 Ende September 1958 wurde »Gerda« zur Berichterstattung nach Rumänien beordert. Die Securitate verfasste als Vorwand ein Telegramm, aus dem hervorging, dass ihre Mutter in Siebenbürgen schwer erkrankt sei. Erich Mielke informierte seinerseits bereits am 1. September 1958 das MfS-Kollegium über den Vorfall und hob das »vorbildliche Zusammenarbeiten der rumänischen und unserer Sicherheitsorgane« bei dieser Aktion hervor.272 In einer MfS-internen Chronik hieß es später, dass die Mitarbeiter der verantwortlichen MfS-Diensteinheit auf diese »Festnahme [...] besonders stolz sein [können], weil gerade an diesem Beispiel gezeigt wurde, dass sie es auch vermögen, Aufträge zu erfüllen, bei denen sie keine Vorbereitungszeit zur Verfügung haben«.273 Für Nicolae Doicaru bereitete der Fall Beldeanu seinen Aufstieg zum Spionage-Chef vor. Im November 1959 schlug Innenminister Alexandru Drăghici dem Zentralkomitee der Rumänischen Arbeiterpartei vor, Doicaru zum Leiter der Auslandsspionage zu ernennen. Drăghici begründete seinen Vorschlag insbesondere damit, dass Doicaru bei zwei Auslandsoperationen seine überragenden Fähigkeiten bewiesen habe: Er [Doicaru] leistete einen effektiven Beitrag in einer Reihe schwieriger auswärtiger Probleme, darunter diese: Er vollendete die von der Leitung des Ministeriums gestellte Aufgabe, den in Wien befindlichen Legionärskommandanten Puiu Traian zu entführen und ins Land zu schaffen, und anderes. Er organisierte den direkten Kampf gegen den Legionär Beldeanu, wobei er sich nicht scheute, für die genaue Durchführung des Auftrags sein Leben einzusetzen. Er ist ein befähigter Offizier,

Chance«, vom 20.6. bis 7.7.1959 im Ausstellungszentrum am Bahnhof Friedrichstraße in Ostberlin gezeigt), in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 9696, Bl. 329–436; BStU, MfS, WR 11710, Bl. 1–16. Teile des Ausstellungstextes zu Beldeanu zitiert Totok: Von der Siguranta zur Securitate, S. 43 f. 271  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 255. Ein weiterer Bericht von »Gerda« vom 16.9.1958 über die Entführung Beldeanus und die Reaktionen in München in den darauffolgenden Tagen ist veröffentlicht in: Olaru: Cei cinci care au speriat Estul, S. 266 f. 272  Protokoll der Kollegiumssitzung vom 1.9.1958; BStU, MfS, SdM, Nr. 1554, Bl. 288. 273  BStU, MfS, HA VIII, Nr. 6178, Bl. 13; in ebenda, Bl. 14–16, auch detaillierte Schilderung des Ablaufs der Verhaftung.

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der in den 15 Jahren seiner Tätigkeit für die Securitate reichhaltige Erfahrungen gesammelt hat [...].274

Diese Menschenraubaktionen waren demzufolge für die Securitate von herausragender Bedeutung und Doicaru hierfür besonders geeignet. Wie Ion Mihai Pacepa berichtet, hatte der rumänische Auslandsgeheimdienst im Frühjahr 1957 sogar eigens eine neue Einheit gegründet, die »Gruppe  Z«, die ausschließlich Entführungen durchführen sollte und die direkt Nicolae Doicaru unterstanden habe. Diese Gründung sei auf Anraten des KGB-Generals Ivan Fadejkin erfolgt, der innerhalb der sowjetischen Auslandsspionage eine ebensolche Einheit (13. Abteilung der 1. KGB-Hauptverwaltung) leitete und der zuvor mehrere Jahre in Berlin im Einsatz war. Er kannte insofern die besonderen Verhältnisse in der geteilten Stadt. Die beiden Einheiten kooperierten Pacepa zufolge eng miteinander.275 1.3.11 »Gerda« in den Fängen der amerikanischen Spionageabwehr, Herbst 1958 In Westberlin gab es in den 1950er-Jahren zahlreiche Menschenraub-Aktionen durch die kommunistischen Geheimdienste. Die Zahl der versuchten und vollendeten Entführungen wird auf 600 bis 700 geschätzt, wobei rund die Hälfte der Entführungsversuche gelang. Viele der Entführungsopfer wurden im Osten zu Gefängnisstrafen verurteilt, einige erhielten die Todesstrafe und wurden 274  Referat de cadre al colonelului de securitate Doicaru Nicolae propus pentru a fi numit în funcţia de șef al Direcţiei I din M.A.I. [Kaderbegutachtung des Securitate-Oberst Doicaru Nicolae, vorgeschlagen zur Ernennung zum Leiter der Hauptabteilung I im Ministerium für Innere Angelegenheiten], 18.11.1959; Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 194–198, Zitat 196. Die Begutachtung bzw. Beurteilung wurde von der Kaderabteilung der Securitate verfasst, von Drăghici unterschrieben und dem Sekretariat des ZK der RAP zur Entscheidung zugeleitet. Zur Biografie Doicarus siehe auch unten, S. 190. 275  Pacepa: Cartea neagră a Securităţii, Bd. 2, S. 31–37. Pacepas Angaben über Fadejkins Laufbahn (er führt ihn auch unter dem Namen Fadeev) stimmen überein mit den quellengestützten Daten in Petrov: Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland, S. 276 f. Petrov führt die biografischen Angaben weit über das Jahr 1954 hinaus weiter. Differenzen gibt es nur beim Dienstgrad. Während Pacepa ihn für 1957 als General tituliert, kennt Petrov erst für 1958 Belege über dessen Generalsrang. Die Angaben Pacepas über die 13. Abteilung der 1. Hauptverwaltung des KGB decken sich mit Petrov sowie mit CIA-Erkenntnissen von 1964. Vgl. »Soviet Use of Assasination and Kidnapping. A 1964 view of KGB methods«, im Internet unter https://www.cia.gov/library/center-for-the-study-of-intelligence/kent-csi/vol19no3/html/ v19i3a01p_0001.htm (Stand: 9.6.2016). Aufgrund dessen erscheinen auch Pacepas Aussagen über die »Gruppe Z« und Doicarus Rolle hierin plausibel. Daneben belegt die weiter oben dokumentierte Securitate-Akte des Westberliner Polizisten Ferdinand Dorogi eine enge Abstimmung zwischen KGB und Securitate auf diesem Gebiet.

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hingerichtet.276 Schon im September 1949 beschlossen der Westberliner Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung deshalb ein Gesetz, das die Verschleppung von Personen aus Westberlin unter Strafe stellte. Zwei Jahre später verschärfte das Westberliner Abgeordnetenhaus dieses Gesetz. Wer einem östlichen Geheimdienst Informationen über einen Menschen lieferte und damit dessen Entführung herbeiführte, konnte mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestraft werden.277 Längst nicht jede Entführung wurde allgemein bekannt. Doch die Entführung Oliviu Beldeanus hatte in der westlichen Presse für Aufmerksamkeit gesorgt. Auch das CIC, die amerikanische Spionageabwehr, befasste sich mit dem Fall Beldeanu. Während Helene Michel sich im Herbst 1958 in Rumänien aufhielt, verdichteten sich beim CIC die Verdachtsmomente gegen sie. Wie die Securitate später vermutete, hatte ein in Bayern lebender Redakteur der rumänischen Exilzeitschrift »Stindardul« die Amerikaner auf diese Spur aufmerksam gemacht. Schließlich griffen die Amerikaner zu und unterzogen Frau Michel nach ihrer Rückkehr am 25. Oktober 1958 in Westberlin einem zehnstündigen Verhör. Zwar stritt sie ab, für den rumänischen Geheimdienst zu arbeiten, aber ihre Kontakte zur rumänischen Botschaft waren hinlänglich bekannt. Die Amerikaner konfrontierten sie unter anderem mit den Entführungsfällen Eftimie und Beldeanu. Da sie in die genauen Entführungspläne nicht eingeweiht war, konnte sie den Amerikanern indes nicht viel sagen. Ihre häufigen Reisen nach Rumänien, die für Emigranten ungewöhnlich waren, begründete sie mit einer Legende, die mit der Securitate abgestimmt war: Sie habe mit dem damaligen rumänischen Konsul Ion Dumbravă eine intime Beziehung gehabt und er habe ihr deshalb jede Unterstützung gewährt. Die Amerikaner ließen sich davon nicht beeindrucken und drohten ihr an, sie umgehend verhaften zu lassen. Zugleich offerierten sie ihr einen Deal: Sie solle 276  Siehe hierzu insbesondere die umfassende, quellenbasierte Studie von Muhle: Auftrag: Menschenraub. Muhle unterscheidet zwischen »Verschleppung« und »Entführung« und fragt sowohl nach den Opfern der Menschenraub-Aktionen als auch nach den Tätern, den involvierten IM. Siehe auch Fricke; Ehlert: Entführungsaktionen der DDR-Staatssicherheit, insbes. S. 1180 f. Gemeinsame Entführungsaktionen des MfS und des tschechoslowakischen Geheimdienstes StB in Berlin bis 1961 erwähnt Horalíková: Die Anfänge der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsapparaten der DDR und der ČSSR, S. 227. Das MfS bzw. seine Vorläufer entführten in sowjetischem und ungarischem Auftrag 1949 den Ungarn István Stolte und 1950 die Pflegetochter Noel Fields, Erica Wallach-Glaser. Beide wurden nach Ostberlin gelockt und hier festgenommen. Daran erinnert Tantzscher: Die Stasi und die »Kaffeehaus-Tschekisten«, S. 49. Ausführlich zum Schicksal Erica Wallach-Glasers in: Barth; Schweizer (Hg.): Der Fall Noel Field, Bd. 2, S. 417 f. 277  Gesetz über die Verschleppung von Personen aus den Berliner Westsektoren. In: Verordnungsblatt für Groß-Berlin, 5. Jahrgang, Teil I, Nr. 62 vom 20.9.1949, S. 331. Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 7. Jahrgang, Nr. 33 vom 26.6.1951, S. 1 f. Ich danke meinem Kollegen Roland Wiedmann, der mich auf diese Gesetze hinwies.

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mithelfen, Ion Dumbravă nach Westberlin zu locken. Dafür verzichte man darauf, sie auf der Stelle festzunehmen. »Gerda« ließ sich darauf ein, offenbarte sich aber schon am nächsten Tag ihren rumänischen Genossen. Diese entschieden, dass sie dieses Spiel mitspielen sollte. Wiederum einen Tag später sprach sie erneut mit dem amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter in Westberlin, mit dem sie in den darauffolgenden Wochen noch mehrfach zusammentraf. In einem 17 Seiten langen Bericht beschrieb sie am 29. Oktober 1958 der Securitate alle Einzelheiten der Befragungen durch die Amerikaner.278 Der CIC-Mitarbeiter blieb gegenüber Helene Michel misstrauisch und forderte sie immer wieder auf, ihre Loyalität gegenüber dem CIC unter Beweis zu stellen. Vor allem bestand er darauf, ihren Reisepass zu sehen, um ihre Reisetätigkeit nachvollziehen zu können. Helene Michel zögerte, und in der Zentrale breitete sich Unruhe aus. Denn in ihrem Pass war auch ihre Einreise nach Österreich, von Rumänien und Ungarn her kommend, belegt. Und zwar eben zu jener Zeit, als Traian Puiu von der Securitate in Österreich gekidnappt wurde. Nun galt es also, Spuren zu verwischen. Die Securitate versuchte, für Helene Michel einen Reisepass zu fälschen, in dem der verfängliche österreichische Stempel nicht mehr enthalten sein sollte. Doch die Passfälscher der Securitate scheiterten, denn sie verfügten damals nicht über das Papier, das für die bundesdeutschen Reisepässe verwendet wurde. Folgt man den Securitate-Unterlagen, so bemerkte man dieses Problem erst, nachdem man den gefälschten Pass hergestellt hatte.279 Die Amerikaner drängten in der Zwischenzeit immer heftiger darauf, Helene Michels Pass zu sehen. Um die Situation zu entschärfen, beorderte die Zentrale Helene Michel etwa Ende Januar 1959 nach Rumänien. Als Vorwand diente eine tatsächliche Erkrankung ihrer Mutter in Siebenbürgen. Ihre Familie folgte kurz danach. In der Zentrale arbeitete man nun zwei Varianten aus, wie auf die entstandene Situation reagiert werden könnte: Variante 1 sah vor, dass »Gerda« mit ihrer Familie nach Westberlin zurückkehrt. Dort solle sie dem CIC-Mitarbeiter erzählen, man habe ihnen in Rumänien die Pässe gestohlen. Und ihre Bemühungen, mit Ion Dumbravă Kontakt aufzunehmen, seien gescheitert. Letzteres war sogar plausibel, da Dumbravă sich zu jener Zeit in Kairo aufhielt, was den Amerikanern bekannt war. Variante 2 stellte die persönliche Sicherheit der Agentin in den Vordergrund. Demnach sollte Helene Michel aus dem Westen abgezogen werden und mithilfe des MfS in die DDR übersiedeln. Aus Sicht der Securitate barg dieser Schritt mehrere Risiken: Die Agentin wäre für die geheimdienstliche Arbeit verloren; 278  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 1, Bl. 302–310, 314–316, 354–360; vol. 2, Bl. 69–74. 279  Ebenda, vol. 2, Bl. 69.

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der Verdacht gegen sie würde sich erhärten und somit auch ihr Bruder in München einem stärkeren Verdacht ausgesetzt werden. Auch sei nicht auszuschließen, dass sie eines Tages ohne Zustimmung der Securitate in die Bundesrepublik zurückkehre, wo mehrere ihrer Familienangehörigen lebten.280 Während sich Helene Michel im Februar 1959 in Rumänien aufhielt, wurden in der Bundesrepublik die Gerüchte lauter, sie und ihr Bruder seien Agenten, wobei nicht zuletzt ihr unerklärlich hoher Lebensstandard Misstrauen erregte. So blieb Helene Michel weiterhin in Rumänien, bis im April 1959 Innenminister Alexandru Drăghici persönlich entschied, die zweite Variante umzusetzen.281 Nun trat das MfS auf den Plan und bemühte sich im Frühjahr 1959, die Familie unauffällig in Leipzig anzusiedeln, sorgte für Wohnung und Arbeit, beschaffte DDR-Personalausweise und arrangierte die erforderlichen behördlichen Formalitäten.282 Ihr Bruder, »Gerhard«, lebte hingegen weiterhin unbehelligt in der Bundesrepublik und stand noch weitere drei Jahre mit der Securitate in Verbindung.283 Schon wenige Wochen nach »Gerdas« Umzug nach Leipzig, so stellte der rumänische Spionagechef Generalmajor Mihai Gavriliuc in einem Befehl zu einem geheimdienstlichen Auftrag fest, hätten auch die Amerikaner von ihrem Aufenthalt in der DDR gewusst.284 Als größeres Problem erwies sich jedoch ihr Lebenswandel in Leipzig, der sich offenbar alles andere als unauffällig gestaltete. Das MfS forderte die Securitate deshalb wiederholt auf, »Gerda« aus Leipzig abzuziehen. Doch es dauerte noch ein weiteres Jahr, bis Innenminister Drăghici im Februar 1962 einem Vorschlag zustimmte, die Familie in Rumänien anzusiedeln, und erst einige Monate später traf sie schließlich in Kronstadt ein.285

280  Ebenda, vol. 2, Bl. 74. 281  Ebenda, vol. 2, Bl. 63, 70, 74. 282  Die sogenannte Legalisierung der Familie in Leipzig und die Kooperation beider Geheimdienste hierbei in der Zeit vom 27.4.1959 bis 3.1.1962 ist detailliert dokumentiert im Vorgang »Morgenstern« der MfS-Abteilung X. BStU, MfS, AP 11781/73, Bd. 5, Bl. 2–57. Vgl. auch die korrespondierenden Akten in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 116, 161, 168. 283  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1871, vol. 1, Bl. 36–42, 70 f., 93–95, 102–106, 112–124, 131–133, 138–140, 143–146, 178. Demnach kam es am 2.11.1959 auf der Transitstrecke nach Berlin erstmals nach der Beldeanu-Entführung wieder zu einem Treffen zwischen »Gerhard« und einem Securitate-Offizier, dem bis März 1962 einige weitere folgten. Die Securitate wollte »Gerhard« auf amerikanische und bundesdeutsche Militärangehörige in Bayern ansetzen, zu denen er Kontakte hatte. Zugleich argwöhnte Doicaru jedoch, »Gerhard« arbeite in Wirklichkeit für einen US-Geheimdienst. Die Securitate war misstrauisch, weil »Gerhard« zwar von vielen Menschen der Securitate-Mitarbeit verdächtigt wurde, er nach eigenen Angaben aber nie von den bundesdeutschen Behörden vernommen wurde. Seine IM-Akte wurde förmlich erst am 27.7.1965 geschlossen. 284  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 155. 285  Ebenda, vol. 2, Bl. 276–278, 365 f., 412.

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Abb. 8:

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DDR-Personalausweis der rumäniendeutschen Securitate-Agentin »Gerda«, den das MfS für ihre Übersiedlung von Westberlin in die DDR bereitstellte.

In Westberlin blieb der Fall »Gerda« aktuell. Ihr Ehemann, der sich gelegentlich in Westberlin und Westdeutschland aufhielt, wurde im Januar 1962 zum Westberliner Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm vorgeladen, dort mit dem Spionageverdacht gegen seine Ehefrau konfrontiert und ausführlich über ihre Aktivitäten befragt. Er gab an, dass seine Frau nun in Leipzig wohne und dort als Übersetzerin für die rumänische Handelsvertretung arbeite. Die Darstellung der Westberliner Polizei, sie habe Eftimie im Auftrag der Securitate nach Ostberlin gelockt, wies er entschieden zurück.286 Es hat den Anschein, dass die Familie Michel an den geheimdienstlichen Verstrickungen schließlich zerbrochen ist. Während ihre Familie Mitte der 1960er-Jahre nach Westberlin zurückkehrte, blieb »Gerda« in Rumänien, heiratete Mitte der 1970er-Jahre erneut, arbeitete in Hotels in und bei Kronstadt und diente nun der Kronstädter Kreisverwaltung der Securitate (Inspectoratul Judeţean Brașov – Securitate) als Informantin. 1972 reiste sie erstmals wieder in

286  Ebenda, vol. 2, Bl. 371–379. Ausführlicher wird in der Akte von »Gerhard« über die Vernehmung des Ehemannes von Frau Michel berichtet. Siehe ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1871, vol. 1, Bl. 153–161.

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den Westen. Unter ihrem Mädchennamen besuchte sie unbehelligt nahe Angehörige in Westberlin.287 Wie sie über ihre Geheimdienstarbeit in den 1950er-Jahren dachte und was sie dazu motivierte, kann man aus den Akten nicht mit letzter Sicherheit herauslesen. Nur eine persönliche Notiz findet sich, und darin schreibt sie Mitte der 1960er-Jahre: »Ich habe in meinem Leben nur für andere gelebt und habe mich aufgeopfert ...«288 Sicherlich handelt es sich bei diesem Satz um eine Selbstrechtfertigung, die von Zynismus und Verdrängung gekennzeichnet ist. Immerhin erhielt sie für ihre verhängnisvollen Aktivitäten allein in den Jahren 1956 bis 1958 insgesamt etwas über 10 000 DM-West, ferner rund 200 DDR-Mark, 530 österreichische Schilling und knapp 10 000 rumänische Lei. Mit diesen Summen waren auch ihre Unkosten abgedeckt.289 Zur damaligen Zeit verdiente ein Berufstätiger in der Bundesrepublik im Durchschnitt rund 420 DM brutto im Monat. »Gerda« wurde von der Securitate demnach fast wie eine Vollzeit-Kraft bezahlt. Der Securitate-Offizier Marin Dumirescu, der am 24. Dezember 1956 die Akte »Gerda« analysierte, hatte bereits damals auf ihre entsprechende Motivation hingewiesen. »Gerda« habe in letzter Zeit immer mehr versucht, ihre Verbindungen zur Securitate »für eigene materielle Interessen auszunutzen«.290

1.4 Rumänische Emigranten werden in Berlin auch ohne MfS-Beteiligung entführt Constanţa Magoș und Aurel Decei lebten als Rumänen im Exil und fielen in den 1950er-Jahren den Menschenraubaktionen der Securitate zum Opfer. Ihr Schicksal dokumentiert, dass die Securitate auch ohne MfS-Beteiligung Menschen nach Berlin lockte, sie im Ostteil der Stadt festnahm und nach Rumänien verschleppte. An beide sei hier kurz erinnert. Constanţa Magoș war im Frühjahr 1948 von Rumänien nach Paris geflüchtet. In der französischen Hauptstadt schloss sie sich der rumänischen Emigration an. Unter anderem stand sie in enger Verbindung mit dem Fliegerkommandeur Mihail Opran, der in Paris einen »Nachrichtendienst rumänischer Militärs im Exil« aufbaute und daher die Aufmerksamkeit der Securitate auf sich zog. Der rumänische Geheimdienst entwickelte 1951 zunächst den Plan, Constanţa Magoș in den sowjetischen Sektor von Berlin oder Wien zu locken, sie dort als Agentin zu rekrutieren und nach Paris zurückzuschicken. Mithilfe eines von 287  ACNSAS, fond reţea, R 292579, vol. 1, Bl. 10 f., 13, 15–17, 36–38, 42, 118, 121, 145, 166 f., 186 f. 288  Ebenda, vol. 1, Bl. 46. 289  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 1007, vol. 2, Bl. 9. 290  Ebenda, vol. 1, Bl. 143.

Entführung rumänischer Emigranten

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der Securitate gesteuerten Briefwechsels wurde Constanţa Magoș am 12. August 1951 nach Ostberlin gelockt in dem Glauben, etwas für ihren Ehemann erreichen zu können. In Ostberlin wurde sie bereits von einer Securitate-Gruppe unter Leitung des Majors Isidor Hollinger erwartet. Zu dieser Zeit fanden die Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt, was die Securitate-Offiziere sich zunutze machten, da ihr Aufenthalt in Ostberlin sich so legendieren ließ und in der Menge der Ostberlin-Besucher womöglich gar nicht auffiel. Entgegen der ursprünglichen Planung sollte Constanţa Magoș nun nach Rumänien verbracht werden. Man sagte ihr, ihr Mann wolle sich von ihr trennen, falls sie nicht zu ihm zurückkehre. Daraufhin willigte sie nach anfänglichem Zögern in ihre Rückkehr ein, und gemeinsam mit den Securitate-Offizieren Virgil Georgescu und Maria Bucicov reiste sie nach Rumänien. Dort wurde sie umgehend inhaftiert. Es folgten lang andauernde Verhöre, in denen sie unter Druck umfassende Angaben über die rumänische Emigration machte. Erst 1959 wurde sie aus der Haft entlassen, um weitere fünf Jahre Zwangsaufenthalt an einem ihr zugewiesenen Ort zu nehmen. 1964 durfte sie dann nach Bukarest zurückkehren.291 Aurel Decei, einer der herausragenden Orientalisten seiner Zeit und außergewöhnlich sprachbegabt, verließ Rumänien im September 1940, als er Presseattaché an der rumänischen Gesandtschaft in Istanbul wurde. Er gehörte keiner Partei an, stand aber der Nationalen Bauernpartei (Partidul Național Țărănesc, PNȚ) und persönlich dem Parteivorsitzenden Iuliu Maniu nahe. Nach dem Krieg erhielt er Asyl in der Türkei, arbeitete dort in seinem Beruf und engagierte sich zugleich in der rumänischen Emigration. Seit 1950 fungierte er als Repräsentant des weltweit organisierten Rumänischen Nationalkomitees (»Comitetul Naţional Român«) in der Türkei. Die Türkei bildete in den 1950er-Jahren eine Drehscheibe zwischen Ost und West, und die Securitate verdächtigte ihn, gleich mehrere westliche Nachrichtendienste mit Informationen zu versorgen. 1954 begann die Securitate damit, Pläne für seine Anwerbung auszuarbeiten. Am 8. April 1956 suchte ihn der rumänische Konsul in Istanbul, Gheorghe Pele, zuhause auf. Pele war zugleich Securitate-Offizier und sollte in den folgenden zwei Jahrzehnten mehrfach zwischen Diplomatie und Geheimdienst wechseln.292 Er legte Decei einen Brief seiner Mutter vor. Decei erfasste sehr schnell, 291  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 30–32; ausführlicher über die Biografie von Constanţa Magoș siehe die Studie von Secașiu: Preliminariile unei proces politic, auf die sich auch Olaru und Herbstritt beziehen. In den MfS-Akten finden sich keine Hinweise auf Constanţa Magoș. 292  Gheorghe Pele (*  1924), Kriegsteilnehmer, 1946–1948 Gendarmerie-Offiziersschule, zugleich Jurastudium, 1949–1951 militärische Ausbildung in der Sowjetunion, danach Büroleiter einer Grenzdivision, Dezember 1955–1961 Karriere in der Securitate-Auslandsspionage bis zum stellvertretenden Leiter der DGIE, verbunden mit längeren Auslandseinsätzen u. a. in Italien und der Türkei, ab 1961/62 im Außenministerium, 1962/63–1966 stellvertretender Außenminister, 1966–1969 Botschafter in Österreich, 1970–1974 Leiter des Passamts (Passbehörde),

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dass seine Mutter den Brief nach Vorgaben der Securitate abgefasst hatte. Dennoch empfing er in den Folgemonaten auch den rumänischen Diplomaten Aurel Ștefănescu, der zugleich als Securitate-Resident in der Türkei fungierte. Decei lehnte aber jede Form der Zusammenarbeit mit den rumänischen Behörden ab. Daraufhin plante die Securitate seine Entführung, um auf diese Weise eine prominente Stimme des antikommunistischen Exils mundtot zu machen. Im August 1957 nahm der Securitate-Agent Gheorghe Kehaioglu, der später auch in die Entführung Oliviu Beldeanus einbezogen war, Verbindung zu Decei auf. Kehaioglu führte sich über einen gemeinsamen Bekannten geschickt bei Decei ein. Er gab sich als ein aus Bukarest geflohener Händler aus. Eines Tages bat er Decei, ihm dabei zu helfen, 30 000 US-Dollar sowie 100 Armbanduhren von Westberlin in die Türkei auszuführen. Er solle dafür 1 000 Dollar bekommen. Am 18. Dezember 1957 traf Decei in Westberlin ein. Am Tag darauf traf er sich mit Kehaioglu, der vorgab, mit ihm zu einer Verwandten in Westberlin zu fahren. Tatsächlich steuerte Kehaioglu seinen Wagen nach Ostberlin und brachte ihn in ein Haus, wo Securitate-Offiziere ihn festnahmen und wenige Tage später nach Rumänien verbrachten. Die 23-bändige Securitate-Akte zu seiner Person enthält keine näheren Angaben über die Umstände seiner Festnahme in Ostberlin und seine Verschleppung nach Rumänien. Dort wurde er zum Tode verurteilt, was nach seinem Gnadengesuch jedoch zu lebenslänglicher Zwangsarbeit umgewandelt wurde. In den frühen 1960er-Jahren wurde er entlassen. Er arbeitete zunächst im Staatsarchiv und anschließend am Geschichtsinstitut »Nicolae Iorga« der rumänischen Akademie, vermochte unter den gegebenen Umständen aber nicht mehr, seine außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen fortzuführen. Er starb 1976 im Alter von 71 Jahren.293 In beiden Fällen war es der Securitate mit vergleichsweise einfachen Tricks gelungen, ihre Opfer nach Berlin zu locken und im Ostteil der Stadt festzunehmen. Über beide Entführungsopfer gibt es keine MfS-Unterlagen. Und die Securitate-Akten enthalten keine Hinweise darauf, dass das MfS an diesen beiden Entführungen beteiligt war. Die Securitate-Residentur konnte insofern durchaus eigenständig agieren.

1974–1983 Leiter des rumänischen Interpol-Büros; siehe insbes. Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 252–254, Bd. II, S. 196 sowie Crișan: Piramida puterii, S. 270. 293  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 37–47. Siehe auch Opriș, Ioan: Aurel Decei sau destinul disperării, S. 1 f., 13, 20, 72, 81, 105 ff., 146 sowie das bei Opriș veröffentlichte Dokument 15, Bl. 1 f. Opriș dokumentiert in seinem Buch ausführlich die 23-bändige Akte, die die Securitate über Decei geführt hat. Wie Marinescu: O contribuţie, S. 475 f., schreibt, behaupten Autoren wie Pacepa und Alexandru Nichita, die in Kapitel 1.3 genannte »Gerda« und das MfS seien in Deceis Entführung einbezogen gewesen. Diese Behauptung ist unzutreffend, ihr widersprechen sowohl die Akten Deceis als auch jene von »Gerda«.

Zwischenbetrachtung

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1.5 Zwischenbetrachtung Inzwischen liegen die geschilderten Vorfälle weit über ein halbes Jahrhundert zurück. Sie wirkten aber über die 1950er-Jahre hinaus, indem sie einer gesamten Emigrantengeneration vor Augen führten, zu welchen Maßnahmen die kommunistischen Geheimdienste auch im Westen greifen konnten. Sie verbreiteten eine Atmosphäre der Angst und des permanenten Misstrauens, die auf viele Menschen lähmend wirkte oder sie zumindest vorsichtig werden ließ. Die kommunistischen Geheimdienste ließen nicht nur durch die Entführungen, sondern auch durch versuchte Anwerbungen, kurzzeitige Verhaftungen und ausgesprochene Drohungen ihre unsichtbare Präsenz allgemein spürbar werden und verunsicherten auch diejenigen, die nicht direkt von einer solchen Aktion getroffen wurden. Die überlieferten Stimmungsberichte der Stasi- und Securitate-Informanten dokumentieren das eindrucksvoll. Der Vorsitzende der »Rumänischen Kolonie« Gheorghe Drăghincescu sprach im Juni 1957 gegenüber »Edgar« davon, dass bereits einige Angehörige der Kolonie in der DDR verhaftet worden seien; er habe in seinen Kreisen dringend dazu geraten, nicht mehr nach Ostberlin und in die DDR zu fahren.294 Übereinstimmend berichteten »Edgar« und »Gogu« davon, wie die Mitglieder der »Rumänischen Kolonie« in dieser Zeit ihren gegenseitigen Argwohn artikulierten und selbst engste Angehörige verdächtigten, sie zu verraten.295 »Gogu« teilte dem MfS im März 1957 mit, die »Rumänische Kolonie« habe seit dem Ungarnaufstand ihre Verbindungen nach Ostberlin weitgehend eingestellt und auch keine Post mehr dorthin verschickt, um den kommunistischen Behörden keine Informationen über die Kolonie in die Hand zu geben.296 Solche Vorsichtsmaßnahmen erscheinen verständlich, aber die daraus resultierende Selbstbeschränkung gehörte zugleich zu den Zielen der kommunistischen Geheimdienste und wurde von diesen als Erfolg ihrer Verunsicherungsstrategie verbucht. Auch im Berliner Landesverband der Siebenbürger Sachsen ging man damals wie selbstverständlich davon aus, dass sowohl die rumänische Botschaft in Ostberlin als auch das MfS ihre Spitzel in dem Verband platziert hatten.297 Der Kreis der Betroffenen geht daher weit über die Anzahl der entführten Menschen hinaus. Und auch noch 30 Jahre später spähte die Securitate mehr oder weniger verdeckt Emigranten in der Bundesrepublik aus, plante und verübte Anschläge. Auf diese Weise wurde auch die Angst immer wieder neu ge-

294  BStU, MfS, AIM 4902/60, Arbeitsvorgang, Bl. 52–55. 295  Ebenda, Bl. 52; BStU, MfS, AIM 1519/58, Bd. A, Bl. 59–61, 92. 296  BStU, MfS, AIM 1519/58, Bd. A, Bl. 30. 297  MfS, HA II/5, 1.4.1957: Aktenvermerk [zu einem Bericht des GM »Heinz Adam«]; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 86.

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nährt, was ein wesentlicher Bestandteil der geheimdienstlichen Strategie und Methode war.298

1.6 Rumäniendeutsche Verbände in Berlin Die Angehörigen der deutschen Minderheit aus Rumänien hatten sich 1951 in Westberlin in der »Vereinigung der Deutschen aus Rumänien« zusammengeschlossen. Rivalitäten zwischen einzelnen Gruppen führten dazu, dass Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben 1955/56 je eigene Landesverbände gründeten und die »Vereinigung der Deutschen aus Rumänien« im März 1956 aufgelöst wurde.299 Als die MfS-Hauptabteilung II/5 nach dem Ungarnaufstand damit begann, inoffizielle Mitarbeiter zu suchen, die sie in diese Verbände einschleusen könnte, wurde sie mit »Heinz Adam« schnell fündig. »Heinz Adam«, mit bürgerlichem Namen Robert Schneider, stammte aus Siebenbürgen und lebte seit Kriegsende in der Nähe Berlins. Er gehörte zu den wenigen Siebenbürger Sachsen, die sich sofort nach Kriegsende für die neue, sowjetisch geprägte Gesellschaftsordnung einsetzten, trat im Sommer 1945 der KPD bei und war seit 1946 Mitglied der SED. Hatte er sich in Rumänien als Landarbeiter durchschlagen müssen, so konnte er nun in Ostberlin Agrarwissenschaften studieren und bekleidete Mitte der 1950er-Jahre eine Stellung als Hauptreferent im DDR-Landwirtschaftsministerium. Im April 1951 besuchte er erstmals eine Versammlung der Siebenbürger Sachsen in Westberlin, wo er in Diskussionen offen die Politik der DDR verteidigte. Unaufgefordert legte er der SED-Betriebsparteiorganisation der Ostberliner Humboldt-Universität anschließend einen empörten Bericht über diese Veranstaltung vor, der auch dem MfS zur Kenntnis gelangte und den Anlass für seine Anwerbung als inoffizieller Mitarbeiter bildete. Was er fortan in recht allgemeiner Form über verschiedene Veranstaltungen der Rumäniendeutschen in Westberlin berichtete, schätzte sein Führungsoffizier als unbedeutend ein. Das MfS setzte ihn deshalb hauptsächlich zur Überwachung der DDR-Landwirtschaft ein und nutzte seine Verbindungen zu Fachkollegen in Westberlin.300 Im Oktober 1956 beschlossen die Führungsoffiziere Leutnant Gerhard Trummer und Unterleutnant Bernhard Schenk, ihn aus Sicherheitsgründen nicht mehr für die Westarbeit einzusetzen,

298  Siehe zu diesem Aspekt auch Kapitel 6.5. 299  Meinhardt; Schöpf: 1955–2005 – 50 Jahre Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Berlin, S. 7–9. 300  BStU, MfS, BV Magdeburg, AIM 544/60, Personalakte, Bl. 9–36, 66–68, 72. Einzelne IM-Berichte 1951–1956 in: ebenda, Arbeitsvorgang, Bd. I, passim, sowie in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 79–85; in: AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 71–78 auch Schriftwechsel zur Übergabe des GM »Heinz Adam« von der HA III an die HA II/5.

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da seine MfS-Anbindung Außenstehenden bekannt geworden war.301 Doch als die MfS-Hauptabteilung II/5 Anfang 1957 begann, intensiver gegen die Westberliner Emigrantenverbände vorzugehen, mussten derartige Sicherheitsbedenken zurücktreten. So wurde »Heinz Adam« im März 1957 mit dem Auftrag nach Westberlin geschickt, ausführliche Informationen über Mitglieder, Strukturen und Aktivitäten des Landesverbandes der Siebenbürger Sachsen zu beschaffen. Er berichtete daraufhin über Vereinsversammlungen sowie vereinzelt über familiäre, berufliche und finanzielle Verhältnisse von Verbandsmitgliedern und spekulierte über ihre möglichen geheimdienstlichen Verbindungen; von Interesse war auch die Frage, ob jemand gelegentlich nach Ostberlin fuhr oder dies grundsätzlich vermied. Vor allem aber sollte er versuchen, ein gutes Verhältnis zum Verbandsvorsitzenden Oskar Schuster aufzubauen. Bei seinen Landsleuten in Westberlin stieß »Heinz Adam« anfangs auf ein gewisses Misstrauen, weil es ungewöhnlich war, dass ein Ostberliner Regierungsangestellter regelmäßig nach Westberlin kam und dort einem Vertriebenenverband angehörte. Dass er seine MfS-Auftraggeber letztlich nicht zufriedenstellte, lag aber daran, dass er beruflich sehr stark beansprucht war und nicht die nötige Zeit fand, um die Ausforschungsaufträge in Westberlin durchzuführen. Im Februar 1958 zog ihn das MfS aus diesem Bereich ab.302 Andere MfS-Agenten unter den rumäniendeutschen Verbänden in Westberlin sind derzeit nicht bekannt. In einem Gespräch mit »Heinz Adam« hatte Oskar Schuster jedoch geäußert, es hätten sich ihm gegenüber bereits »drei Rumänen aus dem Osten« als Spitzel offenbart.303 Ob sie im Dienst des MfS oder der Securitate gestanden hatten, bleibt dabei offen. Es ist anzunehmen, dass auch die Securitate Agenten in diese Verbände eingeschleust hatte, ähnlich wie sie das auch gegen die »Rumänischen Kolonie« praktizierte. Wie die Securitate in Westberlin gegen Rumäniendeutsche vorging, sei hier am Beispiel von Franz Kleitsch beschrieben. Kleitsch war seit Anfang der 1950er-Jahre stellvertretender Landesvorsitzender der »Vereinigung der Deutschen aus Rumänien« in (West-)Berlin und ab 1955 erster Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Banater Schwaben. Er war bereits 1936 als Student nach Deutschland gekommen und blieb nach dem Krieg in Berlin, wo er in der Westberliner Senatsverwaltung in der Abteilung für Vertriebene und Flüchtlinge arbeitete. Die Securitate begann im Mai 1954 damit, ihn unter dem Deck301  MfS, HA III/5/N, 12.10.1956: Betr.: Perspektive für die weitere Zusammenarbeit mit dem GM »Heinz Adam«; BStU, MfS, BV Magdeburg, AIM 544/60, Personalakte, Bl. 72. Die HA III, die »Heinz Adam« damals führte, war für die geheimdienstliche Überwachung der DDR-Volkswirtschaft zuständig. Sie wurde 1964 in HA XVIII umbenannt. 302  BStU, MfS, BV Magdeburg, AIM 544/60, Personalakte, Bl. 75, sowie Arbeitsvorgang, Bd. I, Bl. 221–231, 234 f., Arbeitsvorgang, Bd. II, Bl. 7–14, 20–37. Einige Treff berichte befinden sich auch in: BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 86–94. 303  BStU, MfS, BV Magdeburg, AIM 544/60, Arbeitsvorgang, Bd. II, Bl. 8.

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namen »Robert« zu bearbeiten. Er sollte entweder als Agent angeworben oder auf andere Weise in seiner Leitungsfunktion bei der Landsmannschaft neutralisiert werden.304 Wie die meisten Emigranten hatte er noch Angehörige in Rumänien und war somit potenziell erpressbar. In seinem Fall waren es die betagten Eltern, die 1955 bei den rumänischen Behörden den Antrag stellten, zu ihrem Sohn nach Westberlin übersiedeln zu dürfen. Ihr zweiter Sohn war im Krieg ums Leben gekommen, andere nahe Angehörige hatten sie nicht. Als die rumänischen Zivilbehörden im Frühjahr 1957 ihren Ausreiseantrag genehmigten, griff die Securitate ein und sorgte dafür, dass diese Entscheidung zurückgezogen wurde und sie die bereits ausgehändigten Ausreisepapiere wieder zurückgeben mussten.305 Stattdessen warb die Securitate einen Haus-Mitbewohner der Eltern in Neu-Arad (Aradul Nou) als Spitzel an, um auf diesem Wege mehr Informationen über Franz Kleitsch zu bekommen.306 Zuvor überprüfte sie das Verhalten seiner Eltern vor 1945. Die Eltern hatten die nationalsozialistische Bewegung in Rumänien aber nicht aktiv unterstützt, sodass die Securitate kein kompromittierendes Material in der Hand hatte.307 Die verweigerte Ausreisegenehmigung verfehlte ihre Wirkung nicht. Franz Kleitsch trat noch 1957 von seinem Amt als Landesvorsitzender der Banater Schwaben zurück, um seine Eltern vor weiteren Problemen zu bewahren. Er ging zu Recht davon aus, dass seine Eltern aufgrund seiner Funktion nicht zu ihm nachziehen durften. Auch die rumänischen Behörden hatten seinen Eltern gegenüber entsprechende Andeutungen gemacht.308 Mit seinem Rücktritt hatte die Securitate eines ihrer Ziele erreicht. Doch die folgenden Versuche, ihn geheimdienstlich anzuwerben, scheiterten. Kleitsch wich dem Druck schließlich aus, indem er 1963 nach Köln übersiedelte. Dort fand er in der Ungarnredaktion des Deutschlandfunks eine Anstellung. Nun erst durften seine Eltern aus

304  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 263, Bl. 9 f. Die biografischen Angaben stützen sich auch auf Hinweise von Brigitte Kleitsch, der Witwe von Franz Kleitsch, in einem Gespräch mit dem Verfasser am 22.4.2008, ferner auf einen kurzen biografischen Eintrag in: Petri: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums, Sp. 949 f. Ich danke Ernst Meinhardt, der mich auf Franz Kleitsch aufmerksam gemacht hat. 305  Fernschreiben der Securitate-Hauptabteilung I an die Regionalverwaltung der Securitate in Temeswar v. 11.4.1957; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 263, Bl. 13. 306  ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 263, Bl. 15–20, 23 ff. 307  ACNSAS, fond informativ, i 211925, betreffend die Vergangenheit von Franz Kleitsch senior, der demnach lediglich ein einfaches Mitglied der »Deutschen Volksgruppe in Rumänien« (Grupul Etnic German, GEG) war. 308 Gespräche des Verfassers mit dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Banater Schwaben Berlin-Brandenburg e. V., Ernst Meinhardt, am 17.4.2008 und mit Brigitte Kleitsch am 22.4.2008.

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Rumänien zu ihm übersiedeln. Und es dauerte noch einmal über zwei Jahre, bis die Securitate den Aktenvorgang zu Franz Kleitsch Ende 1966 archivierte.309

1.7 Der Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 in den Akten des MfS In den Jahren 1958 bis 1961 fanden in Rumänien viele politische Strafprozesse statt, in denen unschuldige Menschen kriminalisiert und zu Unrecht zu hohen Haftstrafen, zu Kerker und Arbeitslager verurteilt wurden. Das kommunistische Regime beabsichtigte damit, die eigene Macht zu sichern, indem es die Bevölkerung einschüchterte und potenziellen politischen Widerstand auszuschalten versuchte. Hintergrund dieser Repressionswelle, der nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 100 000 und 300 000 Menschen zum Opfer fielen, waren der Ungarnaufstand im Herbst 1956 und die fast zur gleichen Zeit ausgebrochenen Unruhen in Polen. Die rumänischen Machthaber unternahmen alles, um ähnliche Entwicklungen von vornherein zu unterbinden. Außerdem wollten sie angesichts des sowjetischen Truppenrückzugs aus Rumänien 1958 demonstrieren, dass sie innenpolitisch das Land weiterhin unter Kontrolle hatten.310 Mehrere dieser inszenierten Schein- und Schauprozesse richteten sich gezielt gegen Angehörige der ethnischen Minderheiten. So fanden 1958 und 1959 mehrere Gruppenprozesse gegen Siebenbürger Sachsen statt, wie der »Schwarze-Kirche-Prozess«, der »Sankt-Annen-See-Prozess«, der Heltauer Prozess und der Kronstädter Schriftstellerprozess, ebenso gegen Banater Schwaben.311 309  Die Auslandsspionage-Abteilung der Securitate schloss ihre Akte über Kleitsch bereits am 15.7.1959; der zuständige Oberleutnant Vasile Macovei begründete das damit, dass die westdeutsche Spionageabwehr auf die Aktivitäten der Securitate gegenüber Kleitsch aufmerksam geworden sei. ACNSAS, fond SIE, dosar 263, Bl. 80. Die Securitate-Hauptabteilung II beendete den Vorgang erst am 21.11.1966. ACNSAS, fond informativ/arhiva operativa, i 211928, Bl. 2. 310  Rusan: Das repressive kommunistische System in Rumänien, S. 434–437. Demnach hatte das Innenministerium in diesen Jahren gegen 323 207 Menschen Verfolgungsakten angelegt. Über die Schwierigkeiten, verlässliche Opferzahlen zu ermitteln, siehe Weiß: Zwei Regime – ein System, S. 690–692. Über die Anzahl der politisch Verfolgten in Rumänien gibt es prinzipiell nur sehr vage Angaben. Die sogenannte Tismăneanu-Kommission schätzt die Zahl der aus politischen Gründen Verfolgten und Inhaftierten im kommunistischen Rumänien auf 500  000 bis 2  000  000. Siehe Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final, S. 14, 779. Hierbei ist die Begrifflichkeit ebenso unscharf wie die Spannbreite der angegebenen Zahlen. 311  Volkmer: Der Schwarze-Kirche-Prozeß, S.  62  f. Demnach wurden 1958–1960 rund 120 000 Menschen verurteilt. Kroner: Politische Prozesse gegen Deutsche im kommunistischen Rumänien, S. 39–44. Bergel: Ein Schriftstellerprozess und seine späten Folgen. Verfälschende Darstellungen Motzans, Sienerths und Bergels in diesen Publikationen etwa durch Auslassungen und verkürzte Übersetzungen aus dem Rumänischen dokumentiert Totok: Empathie für alle Opfer. Den »Erzschwabenprozess« von 1960 erwähnt Totok: Die Zwänge der Erinnerung,

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Folgt man den bislang bekannten MfS-Unterlagen, so hatte die DDR-Staatssicherheit mit diesen Prozessen nichts zu tun. Das ist auch plausibel, da es sich um eine innerrumänische Angelegenheit handelte und die rumänischen Repressionsorgane nicht auf Unterstützung aus der DDR angewiesen waren. Dennoch beschäftigte der Kronstädter Schriftstellerprozess 1959 auch das MfS. Die Art und Weise, wie das geschah, offenbart das spezielle Sicherheitsdenken der Geheimdienste und liefert ein weiteres Beispiel für die geheimdienstliche Zusammenarbeit.312 Im April 1959 ermittelte das MfS gegen den damals 36-jährigen DDR-Schriftsteller Günther Deicke.313 Er stand im Verdacht, als Redakteur der »Neuen Deutschen Literatur« die »Liberalisierungstendenzen in der deutschen Gegenwartsliteratur« vertreten zu haben und »ideologische Diversion« zu betreiben.314 Die »Neue Deutsche Literatur« war eine der wichtigsten Literaturzeitschriften der DDR. Sie wurde Ende 1952 gegründet und erschien monatlich. Das MfS fungierte gegenüber Deicke ganz klassisch als Ideologie- und Gedankenpolizei. Bei den Ermittlungen fand es heraus, dass Deicke vom 1. Oktober bis 1. November 1957 als Vertreter des (Ost-)Deutschen Schriftstellerverbandes nach Rumänien gereist war und dort unter anderem die Autoren Andreas Birkner und Georg Scherg und die Germanistin und Übersetzerin Hermine Pilder-Klein getroffen und mit ihnen gesprochen hatte. Auch wenn die DDR-Geheimdienstmitarbeiter nichts Genaues wussten, so hatten sie doch immerhin auf irgendeine Weise davon gehört, dass die Genannten »als Staatsfeinde mit noch anderen Personen verhaftet worden sein [sollen]«.315 Deicke hatte in der April-Ausgabe 1958 der »Neuen Deutschen Literatur« ausführlich und wohlwollend die rumäniendeutsche Literaturszene vorge-

S.  49. Ungefähr zeitgleich mit dem Kronstädter Schriftstellerprozess wurden auch viele ethnisch rumänische Schriftsteller Opfer der politischen Justiz. Vgl. hierzu Gabanyi: Partei und Literatur, S. 75–77. 312  Die Ausführungen in diesem Kapitel 1.7 sind mit geringen Veränderungen vorab als Aufsatz veröffentlicht worden: Herbstritt: Der Kronstädter Schriftstellerprozess. 313 Die nachfolgenden Ausführungen und Zitate beziehen sich auf ein Schreiben der HA V des MfS (damals für die Verfolgung von politischer Opposition, Kirchen und Schriftstellern zuständig) an die MfS-Abteilung X vom 15.4.1959. BStU, MfS, AP 1244/62, Bl. 3 f. Die Schreibweise der Namen ist oft fehlerhaft und wird hier vom Autor stillschweigend verbessert; aus Hermine Pilder-Klein wurde an manchen Stellen beispielsweise Pilka Klein, wobei Pilka der Vorname sein sollte. 314  BStU, MfS, AP 1244/62, Bl. 3. »Ideologische Diversion« war ein zentraler Begriff im kommunistischen Sprachgebrauch. Er beinhaltete die Anschuldigung, ein Mensch verbreite abweichende politische oder ideologische Auffassungen. Im Weltbild von SED und MfS galten Einflüsse aus dem Westen als die Hauptursache für derartige Entwicklungen. Vgl. Das MfS-Lexikon, S. 72. 315  BStU, MfS, AP 1244/62, Bl.  3. Zunächst ist an dieser Stelle nur von Birkner und ­Pilder-Klein die Rede; Scherg rückte erst kurz darauf mit ins Blickfeld.

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stellt.316 Und in der DDR-Kulturzeitschrift »Aufbau« veröffentlichte er einige Wochen später sieben freundliche und schlichte Landschafts- und Stimmungsgedichte über Rumänien, die er als »Skizzen einer Rumänienreise« betitelte.317 In der MfS-Akte zu Deicke werden diese beiden Veröffentlichungen nicht erwähnt. Auf seine Verbindungen zu den genannten Schriftstellern nach Rumänien war das MfS offenbar aus anderen Quellen aufmerksam geworden. In der Denklogik der DDR-Staatssicherheit war es fast zwangsläufig, dass Günther Deicke nun in den Verdacht geriet, von seinen siebenbürgischen Gesprächspartnern geistig infiziert worden zu sein und staatsfeindliche Ideen in die DDR mitgebracht zu haben. MfS-Major Paul Kienberg übermittelte deshalb der Securitate die Bitte, Andreas Birkner und Hermine Pilder-Klein zu ihren Kontakten zu Deicke zu vernehmen; die Securitate bezog dann auch Georg Scherg in die Vernehmung mit ein. Kienberg ließ der Securitate einen Fragespiegel zukommen, der folgenden Inhalt hatte: 1. Unter welchen Umständen ist Deicke mit den rumänischen Staatsbürgern Birkner und Klein zusammengekommen? 2. Welche Probleme hat Deicke mit ihnen besprochen? Wie reagierte er auf die von Birkner und der Klein vorgebrachten Argumente? 3. In welchen Beziehungen stand Deicke zu diesen Personen? 4. Haben diese ihn über ihre staatsfeindlichen Absichten informiert? 5. Wurde Deicke durch Birkner und die Klein mit weiteren Personen in Verbindung gebracht? 6. Was ist ihnen sonst über Deickes Verhalten während seines Aufenthaltes in der Volksrepublik Rumänien bekannt geworden? Deicke hat in Bukarest im Deutschen Club eine Vorlesung gehalten, wobei er Werke von negativ eingestellten Schriftstellern gelesen haben soll. Im Zusammenhang damit bitte ich Sie, feststellen zu lassen, über welche Schriftsteller Deicke eine Vorlesung hielt und welche Fragen er behandelte.318

Unterzeichnet war diese Bitte um Amtshilfe von Erich Mielke, der sie mit Datum vom 24. April 1959 persönlich an den rumänischen Innenminister Alexandru Drăghici richtete. Die Securitate kam dem Ersuchen der Ostberliner Kollegen bald nach. Am 11. Mai 1959 verhörte sie Andreas Birkner, einen Tag später Hermine Pilder-Klein und Georg Scherg. 316  Deicke: Deutsche Literatur in der rumänischen Volksrepublik. Auf diesen Aufsatz verweist auch Peter Motzan in seinem Aufsatz »Risikofaktor Schriftsteller. Ein Beispielfall von Repression und Rechtswillkür«, S. 60. 317  Deicke: Skizzen einer Rumänienreise. 318  BStU, MfS, AP 1244/62, Bl. 3–6. Kienberg war zu dieser Zeit stellvertretender Leiter der MfS-Hauptabteilung V, die 1964 in Hauptabteilung XX umbenannt wurde und von ihm von 1964 bis 1989 geführt wurde.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

Alle drei befanden sich bereits seit 1958 in Haft. Birkner und Scherg gehörten, gemeinsam mit Wolf von Aichelburg, Hans Bergel und Harald Siegmund, zu den fünf siebenbürgisch-deutschen Autoren, die dann am 19. September 1959 im sogenannten Schriftstellerprozess in Kronstadt zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden, Birkner zu 25 Jahren, Scherg zu 20 Jahren. Scherg kam am 12. Oktober 1962 wieder frei, Birkner am 7. April 1964. Die Urteilsbegründung, »Aufwiegelung gegen die soziale Ordnung durch Agitation«, war durchweg konstruiert.319 Hermine Pilder-Klein wurde in einem Gruppenprozess ebenfalls völlig zu Unrecht, aus politischen Gründen, zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ihr wurde zum Verhängnis, dass ihr Bruder Karl Kurt Klein, inzwischen ein bekannter Germanistikprofessor in Innsbruck, im Mai 1957 bei einem Festakt im Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Rede gehalten hatte, in der er beiläufig auch die gegenwärtige Not seiner Landsleute in Siebenbürgen ansprach und sie einige Monate später von ihm eine Kopie des Redemanuskripts erhielt, dieses vervielfältigte und anderen zu lesen gab. Daraus konstruierte die rumänische Justiz eine Anklage »wegen Aufbewahrung und Verbreitung verbotener Schriften«. Von Juni 1958 bis Dezember 1963 befand sie sich deshalb in politischer Haft, und zwar in Gefängnissen in Bukarest, Kronstadt, Zeiden (Codlea), Klausenburg (Cluj) und Miercurea Ciuc.320 Die Vernehmungsprotokolle, die Alexandru Drăghici mit Schreiben vom 11. Juni 1959 an Erich Mielke schickte, enthielten indes nichts Belastendes gegen Günther Deicke. Hermine Pilder-Klein hatte demnach ausgesagt, sie habe Deicke in Bukarest bei seinem Vortrag über »die heutigen Gedichte in der DDR« im Friedrich-Schiller-Kulturhaus gehört. Anschließend habe sie mit ihm drei bis vier Minuten über den in Leipzig lebenden rumäniendeutschen Lyriker und Übersetzer Georg Maurer gesprochen.321 Von Georg Scherg notierte die Securitate, Deicke sei im Herbst 1957 an seine Schule nach »Orașul Stalin« (Stalinstadt, damalige amtliche Bezeichnung für Kronstadt/Brașov) gekommen und habe dort mit dem Lehrerkollegium gesprochen. Er habe ihm dann die Stadt gezeigt und mit ihm einen Ausflug in die Umgebung nach Rosenau (Râșnov), Tartlau (Prejmer) und zur Törzburg (Schloss Bran) unternommen. Deicke sei an der deutschen Literatur Siebenbürgens sehr interessiert und wolle darüber etwas in der DDR-Monatsschrift »Neue Deutsche Literatur« veröffentlichen. Deshalb habe er Deicke seine Novelle »Hoinarul Schneeweiss«322 und weitere Texte mit319  Motzan: Risikofaktor Schriftsteller, S. 63, 75–81. Auszugsweise Übersetzung des Urteils in: Motzan; Sienerth (Hg.): Worte als Gefahr und Gefährdung, S. 375–396. 320  Kroner: Politische Prozesse gegen Deutsche im kommunistischen Rumänien, S.  44; ­Sienerth: Eine Festrede und ihre Folgen. 321  Vernehmungsprotokoll der Beschuldigten Pildner, Hermina[!], 12.5.1959; BStU, MfS, AP 1244/62, Bl. 18 f. 322  Eine Novelle Schergs unter diesem Titel ließ sich bislang nicht ermitteln.

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gegeben. Deickes Vortrag in Kronstadt über »die neue Tendenz in der deutschen Literatur« sei auf großes Interesse gestoßen. Er, Scherg, habe Deicke keinen anderen Personen vorgestellt. Die Frage des Vernehmers, ob er Deicke von seinen »staatsfeindlichen Absichten« berichtet habe, verneinte Scherg.323 Ähnliche Aussagen protokollierte die Securitate von Andreas Birkner, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch evangelischer Pfarrer in der Gemeinde Pretai (Brateiu) bei Mediasch (Mediaș) war. Auch ihm stellte man die Frage, ob er mit Deicke staatsfeindliche Gespräche geführt habe, was Birkner verneinte. Auch er sei von Deickes Besuch überrascht worden, habe mit ihm Mediasch und die Umgebung besichtigt, ihn einem Redakteur der deutschsprachigen Tageszeitung »Neuer Weg« und drei siebenbürgischen Pfarrern vorgestellt und ihm seine Schriften »Feuer im Weinberg« und »Aurikeln« zur Veröffentlichung mitgegeben. Deicke sei über die regionale Literatur gut informiert gewesen und habe ihm berichtet, er sei bereits mit Hans Bergel und Georg Scherg zusammengetroffen. Nach seiner Weiterreise habe es keinen Kontakt mehr zwischen ihnen gegeben.324 Dass Georg Scherg im Mai 1957 eine schriftliche Verpflichtung unterzeichnet hatte, der Securitate als Informant zu dienen, teilte diese dem MfS nicht mit.325 Es gibt in den MfS-Unterlagen nicht einmal eine Andeutung darauf. Das MfS schlussfolgerte aus den Vernehmungsprotokollen, Deicke sei während seines damaligen Aufenthaltes in Rumänien »nicht verdächtig aufgefallen«.326 Es schloss die Akte, ohne gegen Deicke weiter vorzugehen. Leztlich blieben Deickes Verbindungen nach Rumänien, seine Beiträge in der »Neuen Deutschen Literatur« und im »Aufbau« im Frühjahr 1958 über die rumäniendeutschen Schriftsteller und die Veröffentlichung von Birkners Erzählung »Aurikeln«327 für ihn ohne nachteilige Folgen. Es ist erwähnenswert, dass 323 Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten Scherg, Georg, 12.5.1959; BStU, MfS, AP 1244/62, Bl. 23 f. 324 Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten Birkner, Andreas, 11.5.1959; ebenda, Bl. 20–22. 325  Zur Aktenlage mit Bezug auf Georg Scherg und Wolf von Aichelburg siehe Laza: Relaţiile cu Securitatea. Von Scherg ist demnach eine schriftliche Verpflichtungserklärung vom 15.5.1957 und der Deckname »Mihail Petrescu« überliefert. 1967 schloss die Securitate Schergs IM-Akte. Laza erwähnt in ihrem Aufsatz außerdem Wolf von Aichelburg, der von der Securitate angeworben werden sollte, sich dieser Absicht jedoch entzog. In der MfS-Terminologie würde es sich in seinem Falle lediglich um einen »IM-Vorlauf« handeln. Laza stellt ihn daher ungerechtfertigt und unnötigerweise unter IM-Verdacht. Laza betont, dass in beiden Fällen keine Berichtsakten überliefert sind, sodass bislang nicht bekannt sei, ob oder in welchem Umfang sie tatsächlich für die Geheimpolizei tätig gewesen seien. Sofern sie Berichte abgeliefert haben sollten, könnten diese eventuell noch in den Akten der Ausgespähten gefunden werden. Die Führungsoffiziere hätten die Informationen indes in beiden Fällen als wertlos charakterisiert. 326 Schreiben des Leiters der MfS-Abteilung X, Willi Damm, an den Leiter der MfS-Hauptabteilung V, Fritz Schröder, 14.7.1959; ebenda, Bl. 25. 327  Birkner, Andreas: Aurikeln. In: Neue Deutsche Literatur 10 (1958) 4, S. 84–100. In derselben Ausgabe wurde auch das Gedicht »Der Pflüger« von Werner Bossert (S. 83) veröffent-

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

Deicke in der April-Ausgabe 1958 der »Neuen Deutschen Literatur« auch vier Gedichte von Oskar Pastior abdruckte und ihn als den »wohl begabtesten unter den jungen Lyrikern« der Rumäniendeutschen vorstellte.328 Denn über 50 Jahre später rückte Pastior in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit: Als die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller 2009 den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, galt diese Auszeichnung gerade auch ihrem Roman »Atemschaukel«, an dessen Entstehung der 2006 verstorbene Pastior entscheidenden Anteil hatte.329 Eine öffentliche Zurechtweisung erfuhr Deicke 1958 von dem rumäniendeutschen Germanisten und Literaturkritiker Heinz Stănescu aus Bukarest, der eine zentrale Position innerhalb der rumäniendeutschen Literatur innehatte, und der literarisch eine dogmatische sozialistische Linie vertrat. Stănescu war bis 1952 hochrangiger Securitate-Offizier gewesen, wurde dann entlassen und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er verpflichtete sich 1953 noch in der Haft, künftig als IM »Abrud« für den rumänischen Geheimdienst zu arbeiten und tat dies tatsächlich bis in die 1970er-Jahre hinein; seinen Decknamen wechselte er später in »Silviu«, dann in »Traian«.330 Im August 1958 veröffentlichte Stănescu in der »Neuen Deutschen Literatur« einen dreiseitigen »offenen Brief« an Deicke.331 Darin kritisierte er neben vielem anderen Deickes Auffassung, wonach die meisten rumäniendeutschen Schriftsteller der Zeitspanne 1933 bis 1944 sich zwar vom Faschismus hätten missbrauchen lassen, aber »in ihren Werken dem Faschismus nicht das Wort geredet« hätten. Sachlich lag Stănescu mit seiner Kritik zwar richtig. Aber Deickes Aufsatz verstand sich vor allem als wohlwollende Präsentation einer wenig bekannten Literaturlandschaft und nicht als zeitgeschichtliche Analyse. Indem die Redaktion der »Neuen Deutschen Literatur« Stănescus Replik publizierte, setzte sie Deicke dem gefährlichen Verdacht aus, er nehme NS-belastete rumäniendeutsche Schriftsteller bewusst in Schutz. Stănescu licht sowie die nachfolgend genannten Gedichte von Oskar Pastior (S. 81–83). Von Scherg erschien in der NDL 1958 kein Text. 328  Deicke: Deutsche Literatur in der rumänischen Volksrepublik, S.  79. Die Gedichte »Vom Vorübergehen«, »Späte Stunde«, »Landschaft« und »Licht auf Nausikaa« von Oskar Pastior in: ebenda, S. 81–83. 329  Im Herbst 2010 wurde Pastiors Informantentätigkeit für die Securitate zwischen 1961 und 1968 bekannt und sorgte für kontroverse Debatten insbesondere unter den rumäniendeutschen Schriftstellern. Herta Müller und Ernest Wichner äußerten sich zurückhaltend oder nachsichtig. Vgl. hierzu ein Interview Müllers und einen Beitrag Wichners in der FAZ v. 18.9.2010, S. 31, 33, ebenso der von Wichner herausgegebene Band »Versuchte Rekonstruktion«. Dagegen beurteilte Richard Wagner dessen Informantentätigkeit als »unentschuldbar« und sah ihn moralisch diskreditiert. Vgl. Wagner, Richard: Vom Nachlass zur Hinterlassenschaft. In: Neue Zürcher Zeitung v. 18.11.2010. 330  Zu Stănescu siehe ausführlich Sienerth: Zielstrebig, leidenschaftlich, übereifrig. Ferner die Darstellung Stănescus in Totok: Im Visier der Securitate, S. 72–75. Weitere biografische Angaben zu Stănescu in Anm. 765. 331  Stănescu: Nochmals zur rumäniendeutschen Literatur.

Der Kronstädter Schriftstellerprozess 1959

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selbst hatte in der März-Ausgabe 1958 des »Aufbau« über aktuelle Entwicklungen der rumäniendeutschen Literatur geschrieben, aber das heikle Feld der NS-Vergangenheit ebenfalls ausgespart. Stănescu bescheinigte den rumäniendeutschen Schriftstellern, sie seien erfolgreich in der neuen, »volksdemokratischen« Gesellschaftsordnung angekommen. In dieses zweifelhafte Lob bezog er auch den damals jungen Hans Bergel mit ein. Bergel habe mit seinen letzten Erzählungen bewiesen, dass er künstlerisch und in der Wahl seiner Themen »vorangekommen« sei.332 Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit dem Kronstädter Schriftstellerprozess noch ein Bericht, den das MfS im November 1958 von seinem inoffiziellen Mitarbeiter »Hannes« erhielt. »Hannes«, mit bürgerlichem Namen Johannes Schellenberger, war zu dieser Zeit in der Ostberliner Zentrale des DDR-Schriftstellerverbandes als Sekretär der Nachwuchsabteilung tätig.333 Am 5. November 1958 sprach er mit seinem Führungsoffizier Benno Paroch über die bereits ein Jahr zurückliegende Rumänienreise Deickes und kontrastierte sie mit einer späteren Rumänienreise des DDR-Schriftstellers Karl Veken. Deicke habe sich in Siebenbürgen mit deutschsprachigen Schriftstellern unterhalten und »offensichtlich ihren Standpunkt [vertreten]«, denn er habe nach seiner Rückkehr »keine Mitteilung dem Schriftstellerverband über dieses geführte Gespräch« gemacht. Später sei Karl Veken in Siebenbürgen mit denselben Schriftstellern zusammengetroffen. Veken habe bei diesen Personen eine »profaschistische Ideologie« festgestellt, sich von ihnen aber nicht ideologisch beeinflussen lassen. Stattdessen habe er über seine diesbezüglichen Beobachtungen einen Bericht an das Zentralkomitee der Rumänischen Arbeiterpartei geschrieben. Kurze Zeit später, so »Hannes«, sei diese »profaschistische Gruppe, der auch ein Geistlicher angehörte, festgenommen worden«.334 Sicherlich ist diese Meldung des IM »Hannes« mit Vorsicht zu lesen, weil er nur aus zweiter Hand berichtete. Ob Karl Veken Schriftsteller wie Andreas Birkner und Georg Scherg tatsächlich bei der Rumänischen Arbeiterpartei denunzierte und welche Auswirkungen dies dann gehabt hätte, müsste in den rumänischen Archiven eingehender untersucht werden. Veken hat den Akten zufolge nie für das MfS gearbeitet. Er gehörte aber bereits in der Weimarer Republik seit 1929 der Kommunistischen Partei Deutschlands an, wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und erlebte das Kriegsende im Konzentrationslager Sachsenhau332  Stanescu[!]: Neue deutsche Erzähler aus der Rumänischen Volksrepublik. Dieser Beitrag Stănescus ist im Wesentlichen eine Rezension der Anthologie »Deutsche Erzähler aus der Rumänischen Volksrepublik«, Bukarest 1956. Stănescu verweist in seinem Beitrag in der NDL auf seine Rezension im »Aufbau«, gibt in der NDL aber irrtümlich einen falschen Erscheinungsjahrgang seiner Rezension im »Aufbau« an. 333  Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 869–871. 334 MfS-Hauptabteilung V/1/IV: Treff bericht, 8.11.1958; BStU, MfS, AIM 11823/68, Bd. A/II, Bl. 174. Auszugsweise auch in: BStU, MfS, AIM 10774/84, Bl. 65.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

sen.335 Seine Denunziation könnte demnach seiner ureigenen politischen Überzeugung entsprungen sein. Insgesamt zeigt dieser Vorgang um Günther Deicke, in welcher Weise das MfS mit den Repressionsmaßnahmen in Rumänien verbunden war. Ideologisch gab es mit den rumänischen Genossen noch keine Differenzen. Wer damals in Rumänien als Staatsfeind galt, war das auch für das MfS. Handlungsbedarf sah man zu dieser Zeit in Ostberlin erst dann, wenn staatsfeindliches Gedankengut auf die DDR überzugreifen drohte.

1.8 Probleme, Spannungen und Grenzen in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit Die bisher geschilderten Vorgänge zeugen von einer routinierten und wie selbstverständlich praktizierten Kooperation zwischen den Staatssicherheitsdiensten beider Länder. Dissonanzen und Grenzen in der bilateralen Zusammenarbeit scheinen nur selten durch. Dennoch hat es sie gegeben. Das liegt schon in der Natur geheimdienstlicher Tätigkeit begründet: Kein Geheimdienst lässt den anderen gerne in seine Karten schauen; der Kreis der Mitwisser und Eingeweihten wird prinzipiell möglichst klein gehalten, und generell zählen Argwohn und ausgeprägtes Misstrauen in diesem Metier zur Grundausstattung. So beantwortete das MfS Anfragen der Securitate natürlich nicht so detailliert, wie es dazu eigentlich in der Lage war. Als Beispiel dafür mag ein Briefwechsel zwischen den Ministern Drăghici und Mielke aus den Jahren 1959/60 dienen. Im Oktober 1959 bat Drăghici das MfS um Informationen über einen Westberliner Journalisten und begründete sein Ansuchen damit, dass man eine Person aus dem Umfeld des Journalisten bearbeite. Mielke ließ sich mit der Antwort fünf Monate Zeit und beschränkte sich darin auf Angaben, die auch im öffentlich zugänglichen Jahrbuch der Journalisten enthalten waren. Nur in allgemeiner Form teilte er ihm ferner mit, der betreffende Journalist sei Ende 1959 ins Visier des MfS geraten. Tatsächlich arbeitete die HV A jedoch daran, einen nachrichtendienstlichen Kontakt zu dem Journalisten aufzubauen, um ihn anzuwerben. Dies deutete Mielke selbstverständlich nicht einmal an.336

335  Biografische Daten in: Schriftsteller der DDR, S. 570 f. 336  BStU, MfS, AP 15942/62, Bl.  10–12, 15  f., 27–29, 38–40. Vgl. auch BStU, MfS, Bestand »Rosenholz« sowie BStU, MfS, HV  A/MD/6, SIRA-TDB 21, jeweils Recherche zu Reg.-Nr. XV/6414/60; zu dem Journalisten legte die HV  A demnach am 31.12.1959 eine IM-Vorlaufakte an. Ob er von der HV A als IM angeworben wurde, geht daraus nicht hervor. 1964 wurde der Vorgang archiviert. In der gerichtlich verbotenen und aus dem Verkehr gezogenen Studie von Pingel-Schliemann; Frank: Giftspinne im Äther, war der Fall auf S. 195–205 ausgiebig erörtert worden.

Probleme in der geheimdienstlichen Zusammenarbeit

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Umgekehrt weihte die Securitate auch das MfS nicht in ihre Operationen ein, selbst wenn das MfS Hilfestellung gab, wie das am Beispiel des vermeintlichen Überläufers Mandache alias Baumann fassbar geworden ist. Im März 1961 führte der damalige Leiter der Operativgruppe, Petre Bodor, ein Gespräch mit Erich Mielke. Der Aktenvermerk hierüber ist eines der wenigen Dokumente, das unmittelbar Probleme und Spannungen in der bilateralen Zusammenarbeit belegt und beschreibt.337 Demnach waren sich die beiden Geheimdienste mehrfach in die Quere gekommen. Bodor benannte Mielke sechs Personen in Ost- und Westdeutschland, zu denen die Securitate Kontakte aufgebaut hatte und deren Anwerbung vorgesehen war. Darunter befand sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Behrisch. Sowohl im Falle dieses Politikers als auch in den anderen Fällen hatte die Securitate beim MfS nachgefragt, welche Erkenntnisse dort über die Betreffenden vorlagen. Das gab dem MfS die Möglichkeit einzugreifen. So bat Erich Mielke seinen rumänischen Amtskollegen Alexandru Drăghici im Januar 1961 ganz direkt, die Securitate möge die Verbindung zu dem SPD-Abgeordneten »aus wichtigen operativen Gründen« abbrechen und etwa vorhandene Unterlagen dem MfS übersenden.338 Wie Petre Bodor nun gegenüber Mielke darlegte, schätzte man in Bukarest die Arbeitsergebnisse der Operativgruppe als »ungenügend« ein; dies sei auch auf die Interventionen des MfS zurückzuführen.339 Ob diese Aussprache praktische Folgen hatte, geht aus den Akten nicht hervor. Zu erheblichen Verstimmungen kam es offenkundig zwei Jahre später, als Markus Wolf in Bukarest mit Alexandru Drăghici zusammentraf. Es gibt darüber keine direkte Aufzeichnung, doch noch acht Jahre später sprach Nicolae Doicaru gegenüber Wolf diese Angelegenheit an und räumte ein ungeschicktes Verhalten der rumänischen Seite ein.340 Mochte die geheimdienstliche Kooperation auch ihre Grenzen haben, so erfüllte sie bis 1964 dennoch ihre oftmals verhängnisvolle Funktion. Dann jedoch 337  MfS, 24.3.1961: Aktennotiz. Betr.: Besprechung des Gen. Minister mit dem Leiter der rumänischen Operativgruppe in Berlin – Gen. Bodor – ; BStU, MfS, AP 3526/76, Bl. 21 f. 338 Schreiben Mielkes an Drăghici vom 28.1.1961; ebenda, Bl.  9. Anfragen zu Behrisch beim MfS seitens der Operativgruppe am 23.11.1960 sowie seitens Drăghicis vom 22.1.1961 in: ebenda, Bl. 2, 7 f. Behrisch stand bereits seit 1955 im Blickfeld der HV A, ohne als IM angeworben zu werden. Stattdessen wechselte Behrisch 1961 zur SED-nahen »Deutschen Friedensunion«, die er vom 24.2.1961 bis zum Ende seiner Parlamentszugehörigkeit am 15.10.1961 im Bundestag vertrat. Siehe Der Deutsche Bundestag 1949 bis 1989 in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Gutachten, S. 217 f., 317. 339  Aktennotiz (wie Anm. 337), Bl. 22. 340 Notiz über ein Gespräch mit dem [...] Genossen Generalleutnant Doicaru am 18.3.1971 [...]; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 196–213, hier 207 f. Die Notiz ist im Anhang auf S.  507–517 als Dokument 1 abgedruckt. In dieser Notiz wird die Begegnung Wolfs mit Drăghici nicht datiert. Sehr wahrscheinlich fand sie im ersten Quartal 1963 statt; für diesen Zeitraum ist eine Reise Wolfs nach Bukarest belegt. Siehe BStU, MfS, OTS 2443, Bl. 8, 21.

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Die Zusammenarbeit zwischen Stasi und Securitate

vollzog die Securitate einen Bruch, und die Zusammenarbeit mit dem MfS kam weitgehend zum Erliegen. Diese Phase ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

2. Unterbrechung der Zusammenarbeit und Versuche der Wiederannäherung

2.1 1964 – Die Zusammenarbeit wird unterbrochen Im November 1967 richtete das MfS in Ostberlin ein internationales Arbeitstreffen aus: die Tagung der »Gruppe für Koordination der Funkabwehr europäischer sozialistischer Länder«. Zu Beginn hielt Erich Mielke eine ausführliche Begrüßungsansprache an die versammelten Funkexperten der verbündeten Geheimdienste. Darin führte er unter anderem aus: »Um so bedauerlicher ist es, dass auf unserer heutigen Beratung die Sicherheitsorgane der Sozialistischen Republik Rumänien nicht vertreten sind, da sie – wie Ihnen bekannt ist – auf der Tagung der Gruppe für Koordination im Februar 1965 in Prag offiziell ihren Austritt aus unserer Gemeinschaft erklärt haben.« Welche praktischen Folgen das hatte, erläuterte er unmittelbar im Anschluss: »Auf diese Tatsache mussten und müssen wir uns einstellen und mit verdoppelten Anstrengungen die dadurch entstandene Lücke in der umfassenden Überwachung des Äthers schließen, um dem Feind keine Möglichkeit zu geben, auf diesem Abschnitt Überraschungen zu starten.«341 Das Manuskript dieser Begrüßungsansprache Erich Mielkes ist eines der wenigen MfS-Dokumente, das direkt und offen den Riss zwischen der Securitate und den übrigen sozialistischen Staatssicherheitsdiensten thematisiert, der sich ab Mitte der 1960er-Jahre auftat. Die rumänische Seite hatte demnach den bisherigen Verbündeten den Rücken gekehrt. Dieser Schritt verursachte ihnen Probleme, für die sie nun eine Lösung finden mussten. Der rumänische Sonderweg,

341  Redemanuskript: Begrüßung der Teilnehmer der Tagung der Gruppe für Koordination der Funkabwehr europäischer sozialistischer Länder am 20.11.1967; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5101, Bl. 6–44, hier 8. Den Austritt der Securitate aus der Koordination der Funkabwehrdienste 1965 erwähnt auch MfS-Oberstleutnant Fritz Reimann in seiner Diplomarbeit, die er 1977 an der MfS-eigenen Hochschule in Potsdam einreichte. Sie trug den Titel »Hauptaufgaben und Wirkungselemente der Koordination aller zusammenarbeitenden Funkabwehrdienste sozialistischer Länder unter Beachtung der jeweiligen politisch-operativen Lagebedingungen und neuester wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse im Bereich der Funkelektronik«. BStU, MfS, HA III, Nr. 15317, S. 19. Die Securitate beteiligte sich auch später nicht mehr an der »internationalen Zusammenarbeit der Funkabwehrdienste (FAD) der sozialistischen Länder«. Vgl. hierzu ein Schreiben des Leiters der Abt. F vom 22.3.1974 an den Leiter der Abt. X; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2497, Bl. 74 f.; ferner eine Übersicht des MfS aus den 1980er-Jahren in: BStU, MfS, HA III, Nr. 379, Bl. 40.

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Unterbrechung der Zusammenarbeit und Wiederannäherung

wie er hier zutage tritt, fand offenkundig nicht die Zustimmung der Verbündeten. Vielmehr wurde er entgegen ihrer Interessen eingeschlagen. Denselben Eindruck vermittelt ein von Markus Wolf angefertigter Aktenvermerk über den Besuch der Stasi-Führung in Moskau im April 1967. Erich Mielke war damals mit seinen Stellvertretern Markus Wolf und Alfred Scholz in die sowjetische Hauptstadt gereist. Dort informierten KGB-Chef Vladimir Semičastnyj und andere hochrangige KGB-Mitarbeiter ihre ostdeutschen Kollegen in den Gesprächen unter anderem über die aktuellen Beziehungen zur Securitate. Seit 1963 gebe es keinen KGB-Vertreter mehr beim rumänischen Geheimdienst. Die Zusammenarbeit beschränke sich auf einen »sporadischen Informationsaustausch außenpolitischer und militärischer Informationen«, der über die rumänische Botschaft in Moskau abgewickelt werde. Als Ende 1966 der rumänische Innenminister Moskau besucht habe, habe man ihm vorgeschlagen, Vertreter oder Delegationen auszutauschen, aber bislang noch keine Reaktion darauf erhalten. Lediglich eine Delegation des Operativ-Technischen Sektors der Securitate sei Anfang 1967 in Moskau gewesen und habe ihre KGB-Kollegen zu einem Gegenbesuch eingeladen. Daneben finde ein Urlauberaustausch statt, in dessen Rahmen je 20 Geheimdienstmitarbeiter Urlaub im jeweils anderen Land verbringen würden.342 Diese beiden MfS-Dokumente künden unmittelbar von einem Bruch der Securitate mit ihren Verbündeten. Die intensive und selbstverständlich gewordene Zusammenarbeit, von der in diesem Buch bislang die Rede gewesen ist, war 1964 an ihr Ende gelangt. Es handelte sich um einen ungewöhnlichen Einschnitt, über den im Folgenden noch einiges anzumerken ist. Überraschend ist die spärliche Überlieferung zu dieser Zäsur in den MfS-Unterlagen. Abgesehen von diesen beiden Dokumenten sind bislang keine MfS-Akten aus dieser Zeitspanne bekannt geworden, die dieses Ereignis thematisieren. Der beginnende Alleingang der Securitate hinterließ in den MfS-Akten vor allem auffällige Leerstellen. So setzte der rege Austausch von Spionageinformationen zwischen MfS und Securitate ab Mitte 1964 für etwa drei Jahre weitgehend aus. Auch darauf wird später noch näher einzugehen sein. Ein anschauliches Beispiel für solche Leerstellen bilden die Kurierbücher der Abteilung X, die für die Kontakte zu den sozialistischen Geheimdiensten zuständig war. Sie führte zu jedem verbündeten Staat ein Kurierbuch. Darin re342  Besprechungen mit dem Komitee für Staatssicherheit der UdSSR vom 3. bis 6. April 1967 in Moskau; BStU, MfS, SdM, Nr. 1432, Bl. 1–11, hier 8. An dem Gespräch beteiligten sich seitens des KGB neben Semičastnyj, der im Mai 1967 von Jurij Andropov abgelöst wurde, der Leiter der I. Hauptverwaltung (Auslandsspionage) Aleksandr Sacharovskij und sein 1. Stellvertreter A. B. Randakevichius, der Leiter der II. Hauptverwaltung (Spionageabwehr) Sergej Bannikow, der Leiter der 11. Abteilung Vladimir Burdin und der Leiter der Deutschlandabteilung in der I. Hauptverwaltung, Sergej Kondrašev sowie der KGB-Vertreter in der DDR für die Verbindungen zum MfS und MdI, Ivan Fadejkin.

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gistrierte sie wie in einem Posteingangsbuch die Sendungen, die der jeweilige Geheimdienst über die Abteilung X an das MfS schickte. Sie notierte zu jedem Posteingang das Eingangsdatum und ein Stichwort zum Inhalt der Sendung. Ferner vermerkte sie, ob die Post von der jeweiligen Residentur bzw. Operativgruppe in Ostberlin oder von der Zentrale aus der jeweiligen Hauptstadt kam. Das überlieferte Kurierbuch zu Rumänien umfasst die Zeitspanne von 1959 bis 1979. Demnach gingen bei der Abteilung X zwischen 1959 und 1963 jedes Jahr durchschnittlich rund 160 Sendungen von der Securitate ein: Informationsberichte, Anfragen oder Auskünfte zu Einzelpersonen, Mitteilungen über Objektveränderungen, Abmachungen über die Bereitstellung von Blanko-Formularen, Presseberichte und anderes. Bei knapp 80 Prozent dieser Sendungen firmierte die »Berliner Gruppe« der Securitate als Absender, der restliche Teil kam direkt aus Bukarest. Dieser Informationsfluss versiegte im Mai 1964 fast vollständig. Die Securitate-Operativgruppe ließ dem MfS im Mai 1964 nur noch drei Sendungen mit Pressemeldungen zukommen und wandte sich dann im November noch ein letztes Mal mit einem Anliegen an die Abteilung X. In den darauffolgenden Jahren ist kein einziger Posteingang seitens der rumänischen »Berliner Gruppe« mehr verzeichnet, und auch in keiner anderen MfS-Akte findet sie mehr Erwähnung. Offenkundig kooperierte sie nicht mehr so wie bisher mit dem MfS. Von der Securitate-Zentrale aus Bukarest registrierte die Abteilung X ab 1965 nur noch zwei bis drei Posteingänge pro Jahr. Einen derartigen Bruch erlebte das MfS mit keinem anderen Verbündeten.343 Der oben zitierte Aktenvermerk von Markus Wolf, wonach es seit 1963 keinen KGB-Vertreter mehr bei der Securitate gebe, deutet darauf hin, dass die rumänische Seite bereits seit einiger Zeit auf den 1964 vollzogenen Bruch hingearbeitet hatte. Die rumänischen Historiker Luminiţa und Florian Banu zeigen überzeugend anhand von Dokumenten aus dem Bestand des Zentralkomitees der Rumänischen KP, wie sich der Abzug der sowjetischen Berater seit 1958 schrittweise und zunächst sogar einvernehmlich vollzog und 1963 zum Ab343  Kurierbuch SR Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1042. In anderen Fällen ist dagegen die mitunter umfangreiche Korrespondenz der Abt. X mit den »Berliner Gruppen« einiger Länder zum Teil bis in die erste Januarhälfte 1990 nachgewiesen, so in den überlieferten Kurierbüchern zu Bulgarien, der Tschechoslowakei, Ungarn, Kuba, der Mongolei und Vietnam. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1042–1044, 1047, 1048. Der Sonderfall Albanien, das in den 1960er-Jahren vollständig mit den Staaten des Warschauer Pakts brach, bleibt hier unberücksichtigt. Vgl. ergänzend zu den Kurierbucheinträgen noch die Anfragen Mielkes an die rumänischen Innenminister Drăghici und Onescu vom 7.9.1964, 10.10.1964 und 17.2.1966 nach Auskunft über einzelne Personen, die ins Visier des MfS geraten waren, sowie die Antworten aus Bukarest vom 1.10.1964, 3.12.1964 und 24.3.1966; ferner eine letzte Anfrage des MfS an die Securitate-Operativgruppe vom 2.11.1964; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2499, Bl. 82–87; Abt. X, Nr. 1964, Bl. 1–6, 20, 24 f. Für Juli 1966 findet sich dann erstmals ein Vermerk in den MfS-Akten, wonach das MfS keine Personenüberprüfungen bei der Securitate veranlassen kann. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1964, Bl. 27; siehe hierzu auch Kapitel 2.4.8, insbes. Anm. 569.

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schluss kam: Im Januar 1957 bot das Zentralkomitee der KPdSU der rumänischen Parteiführung in einem Brief an, die »Institution der sowjetischen Berater [aufzulösen]« und die »Anzahl sowjetischer Spezialisten [zu verringern]«. Die KPdSU begründete diesen Schritt damit, dass Rumänien inzwischen über genügend eigene qualifizierte Kräfte verfüge. Im September 1958 wandte sich das ZK der KPdSU erneut an die Bukarester Parteiführung und erklärte, »der weitere Verbleib sowjetischer Berater und Spezialisten« könne sich »hemmend« auf die rumänischen Mitarbeiter auswirken, weshalb alle sowjetischen Berater und Spezialisten zurückgerufen werden sollten. Wie Luminiţa und Florian Banu schreiben, reagierten die Sowjets damit auf häufiger werdende Reibereien und Konflikte zwischen den sowjetischen Beratern und den einheimischen, selbstbewusster gewordenen Kräften in den sozialistischen Ländern.344 Im Herbst 1958 zog die Sowjetunion einen großen Teil ihrer Berater sowohl aus Rumänien als auch aus der DDR ab. Dieser Schritt musste den Sowjets nicht abgetrotzt werden. In der Politbürositzung der Rumänischen Arbeiterpartei am 13. Mai 1963 sprach Innenminister Alexandru Drăghici die Präsenz der sowjetischen Berater in seinem Ministerium an und plädierte dafür, auf ihren vollständigen Abzug hinzuwirken. Im Auftrag des Politbüros verfasste er einen Brief an den KGB und führte aus, der Verbleib der beiden Berater im Innenministerium – zu dem auch die Securitate gehörte – sei nicht länger notwendig, da man ja auf der Führungsebene beider Institutionen zusammenarbeite.345 Sollte die in dem Politbüro-Protokoll angegebene Zahl von zwei Beratern zutreffend sein, so wäre ihre Bedeutung schon zu diesem Zeitpunkt sehr zurückgegangen. Wie Luminiţa und Florian Banu schreiben, seien die sowjetischen Berater bald nach Drăghicis Brief aus allen Bereichen verschwunden. Lediglich im rumänischen Verteidigungsministerium seien nach dem Frühjahr 1963 noch sowjetische Berater verblieben.346 Die beiden Historiker sehen in dem schrittweise erfolgten Abzug der sowjetischen Berater eine Voraussetzung für den erweiterten außenpolitischen Handlungsspielraum Rumäniens, wie er dann in der »Aprildeklaration« von 1964 zum Ausdruck kam, in der sich die Rumänische Arbeiterpartei offen von Moskau distanzierte. Von der »Aprildeklaration« wird im folgenden Kapitel die Rede sein. Die plausiblen Forschungen von Luminiţa und Florian Banu decken sich in ihrer Datierung mit dem oben zitierten Aktenvermerk von Markus Wolf, wonach der KGB seit 1963 keine Vertreter mehr bei der Securitate gehabt habe. Dagegen ging der britische Rumänienexperte Dennis Deletant in den 1990er-Jah344  Banu; Banu: Consilierii sovietici, S. 214 f. 345  Ebenda, S. 217. Banu; Banu zitieren aus dem Sitzungsprotokoll des Politbüros der RAP vom 13.5.1963. 346  Ebenda, S. 217.

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ren auf der Grundlage der damals zugänglichen Informationen noch davon aus, dass Parteichef Gheorghe Gheorghiu-Dej den Führungswechsel in Moskau von Nikita Chruščëv zu Leonid Brežnev im Oktober 1964 dazu genutzt habe, um seine Autonomiepolitik gegenüber der Sowjetunion voranzutreiben. Konkret habe Gheorghiu-Dej damals vom sowjetischen Botschafter in Bukarest verlangt, die noch verbliebenen KGB-Berater aus dem Land abzuziehen und sich weder von Leonid Brežnev noch vom Widerspruch der KGB-Führung umstimmen zu lassen. Die KGB-Berater hätten daher im Dezember 1964 Rumänien verlassen.347 Deletant folgt hier in seiner Schilderung den Erinnerungen Ion Mihai Pacepas, die jedoch mit großer Vorsicht zu lesen sind.348 Deletant zufolge habe sich die Auslandsspionageabteilung der Securitate im Gegenzug verpflichten müssen, sich weiterhin an der vom KGB koordinierten Informationsbeschaffung zu beteiligen. So habe der KGB beispielsweise weiterhin von der erfolgreichen rumänischen Spionage gegen das NATO-Hauptquartier profitiert, die der Securitate-Resident Mihai Caraman bis 1969 steuerte. Deletant nimmt ferner an, dass die Spionageziele Rumäniens und der Sowjetunion in den 1960er-Jahren noch deckungsgleich gewesen seien, sodass sich für den rumänischen Spionageapparat damals noch kein Loyalitätskonflikt ergeben habe.349 Der von Deletant und Pacepa plastisch beschriebene Konflikt von Herbst 1964 könnte sich auf die sowjetischen Militärberater bezogen haben, oder auch darauf, dass Gheorghiu-Dej im Herbst 1964 darauf bestanden haben soll, dass die Rumänische Arbeiterpartei in die Kontakte zwischen KGB und Securitate einzubeziehen war, wie in dem Abschlussbericht der Tismăneanu-Kommission vermutet wird.350 Zwischenzeitlich veröffentlichte Quellen aus dem rumänischen Nationalarchiv verweisen noch auf einen anderen Aspekt dieses sowjetisch-rumänischen Geheimdienstkonflikts: Die sowjetische Seite hatte offenkundig schon zeitig damit begonnen, ein Netz mit verdeckten Agenten in Rumänien aufzubauen. Sie konnte daher den Abzug der Berater einigermaßen gelassen hinnehmen. Über entsprechende Erkenntnisse informierte Nicolae Ceaușescu im August 1963 das Politbüro der Rumänischen Arbeiterpartei. Demzufolge hätten die sowjetischen Berater schon in den 1950er-Jahren heimlich Agenten in Rumänien rekru347  Deletant: Rumänien, S. 349 f. Deletants Handbuchbeitrag basiert auf seiner umfassenden Monographie »Communist Terror in Romania«, hier S. 284–287. Zu Caraman siehe auch Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S. 55, 91. 348  Siehe Deletant: »Communist Terror in Romania«, S. 284, wo als Belegstelle zutreffend Pacepa: Moștenirea Kremlinului, S. 253, angegeben ist. 349  Deletant: Rumänien, S. 349 f.; ders.: »Communist Terror in Romania«, hier S. 284– 287. Leider nennt Deletant nicht die archivalischen Quellen, auf die er sich hier offenbar stützt. Zu Caraman siehe auch Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S. 55, 91. 350  Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final, S. 164 f.

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triert.351 Im Juli 1964 sprachen der rumänische Ministerpräsident Ion Gheorghe Maurer und Politbüromitglied Emil Bodnăraș während eines Arbeitsbesuchs in Moskau dieses Thema gegenüber ihren sowjetischen Gesprächspartnern offen an. Die Sowjetunion unterhalte ein Agentennetz in Rumänien, welches das Land ausspioniere und daher nicht zur Freundschaft zwischen beiden Ländern beitrage. Rumänien habe nun Gegenmaßnahmen beschlossen. Der sowjetische Verhandlungsführer Nikolaj Podgornyj, Präsidiumsmitglied des Zentralkomitees der KPdSU, wies die Vorwürfe erwartungsgemäß und wenig überzeugend zurück. Die Sowjetunion spioniere nicht in Rumänien. Er unterstellte Maurer und Bodnăraș, sie hätten hier ein »künstliches Problem« geschaffen, um von den antisowjetischen Bekundungen im Rahmen der »Aprildeklaration« abzulenken.352 Frühere Securitate-Mitarbeiter erinnern gerne daran, dass die rumänische Regierung schon Anfang der 1960er-Jahre damit begonnen habe, den Geheimdienstapparat zu nationalisieren. Beispielsweise habe sie pro-sowjetische Offiziere aus wichtigen Führungspositionen entfernt.353 Und nach der »April-Deklaration« der RAP sei der Informationsaustausch der rumänischen Auslandsspionage mit den anderen sozialistischen Ländern sofort unterbrochen worden.354 Das zuletzt Genannte widerspiegelt sich tatsächlich in der vorhin geschilderten MfS-Aktenüberlieferung. Die rumänische Erinnerungsliteratur neigt allerdings dazu, die Securitate-Hauptamtlichen zu Vorkämpfern für die nationale Unabhängigkeit zu stilisieren. So habe Nicolae Doicaru im August 1962 die Auslandsresidenten angewiesen: »Gebt nichts mehr an die Russen«, und Arbeitskontakte zu den sowjetischen Beratern seien schon damals weitgehend unterbunden worden, behauptete beispielsweise im Herbst 2008 der frühere Se351  »Meeting of the Political Bureau of the Romanian Workers Party (Excerpts)«, 30.8.1963, History and Public Policy Program Digital Archive, Transcript of Meeting of Political Bureau of the Central Committee of the Romanian Workers Party 30 August 1963, ANIC, fond Comitetul Central C.C. al P.C.R., secţia Cancelarie, dosar nr. 44/1963, Bl. 75–82, im Internet unter http://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/117987 (Stand: 9.6.2016). 352  Ein Protokoll des Gesprächs in englischer Übersetzung, das auf mehrere Tage verteilt vom 7. bis 11.7.1964 geführt wurde, ist im Internet abrufbar unter http://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/116569 (Stand: 9.6.2016): »Conversations Between Delegations of the Romanian Workers Party and the Communist Party of the Soviet Union in Moscow, July 1964 (excerpts)«, July, 1964, History and Public Policy Program Digital Archive. Das Original befindet sich in ANR, Fond C.C. al P.C.R., Secţia Relaţii Externe, dosar 35/1964, vol. II, filele 1-237. Es ist als Dokument Nr. 4 veröffentlicht in Buga: O vară fierbinte, S. 4–197. Für das CWIHP übersetzt von Larry L. Watts. 353  Troncotă: Duplicitarii, S. 22 f., 126. Vgl. aber auch die quellengestützte Studie des Historikers Ioniţă, Nicolae: Politica de cadre în Securitate; Ioniţă kommt zu dem Ergebnis, dass die Personalveränderungen auf der mittleren Führungsebene der Securitate überhaupt keiner Strategie folgten und demzufolge nicht eine gezielte Nationalisierung oder Desowjetisierung darstellten. 354  Troncotă: Duplicitarii, S. 16.

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curitate-Oberst Vasile Dumitru Fulger.355 Ob Doicaru eine solche Anweisung wirklich erteilt hat, ließ sich bislang nicht überprüfen. Doch die nationalistische Memorialistik verschweigt wesentliche Aspekte. Abgesehen davon, dass sie die Eigenschaft der Securitate als Unterdrückungsinstrument weitgehend ausblendet, übersieht sie die sowjetische Initiative für den Abzug der Berater; ebenso registriert sie nicht, dass die Sowjets unter Nikita Chruščëv gewissen Nationalisierungstendenzen in den sozialistischen Ländern generell mehr Raum gewährten. Und erst recht nicht thematisiert sie die vergeblichen Versuche der Securitate-Führung einschließlich Doicarus gegen Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er-Jahre, sich den übrigen sozialistischen Geheimdiensten wieder anzunähern. Auch darauf wird noch einzugehen sein. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass die Securitate in den frühen 1960er-Jahren allmählich auf Distanz zu den Verbündeten ging und 1964 die Zusammenarbeit aussetzte. Die MfS-Akten bilden diese Zäsur zwar bruchstückhaft, aber doch deutlich ab.

2.2 Die rumänische Autonomiepolitik Der Sonderweg, den die Securitate in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre einschlug, ordnet sich in die damaligen außenpolitischen Autonomiebemühungen Rumäniens ein. Die Securitate folgte der Linie des Parteichefs Gheorghe Gheorghiu-Dej und seit 1965 seines Nachfolgers Nicolae Ceaușescu, die auf Distanz zu ihren östlichen Verbündeten gingen. In diesem Kapitel 2.2 soll daher die rumänische Autonomiepolitik näher betrachtet werden, und zwar aus rumänischer Perspektive ebenso wie aus der argwöhnischen Sicht von SED und MfS. Vor dem Hintergrund der zu skizzierenden politischen Entwicklung wird dann in den Kapiteln 2.3 und 2.4 die Beziehung der Staatssicherheitsdienste beider Länder dargestellt.

355  Spionii români rup tăcerea. Foști ofiţeri din DIE și SIE publică un Dosar operativ despre relaţiile României cu KGB, GRU și puterea sovietica, la 40 de ani la invadarea Cehoslovaciei de către URSS [Die rumänischen Spione brechen das Schweigen. Frühere Offiziere von DIE und SIE veröffentlichen eine Operativ-Akte über die Beziehungen Rumäniens mit dem KGB, der GRU und der Sowjetmacht, 40 Jahre nach dem Einmarsch der UdSSR in der Tschechoslowakei]. In: Ziua v. 2.10.2008, im Internet unter http://ziarero.antena3.ro/articol. php?id=1222936726 (Stand: 9.6.2016). Der Autor dieses Artikels, Victor Roncea, ist für seine nationalistischen Verschwörungstheorien bekannt.

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2.2.1 Die April-Deklaration 1964 Auffallend ist der enge zeitliche Zusammenhang der geheimdienstlichen Distanzierung mit der »April-Deklaration«, die eine wichtige Etappe auf dem rumänischen Sonderweg bildete. Dabei handelte es sich um eine Erklärung des Zentralkomitees der Rumänische Arbeiterpartei, die zum Abschluss einer achttägigen Beratung am 22. April 1964 abgegeben wurde.356 Die RAP verteidigte darin ihre politischen und wirtschaftspolitischen Positionen, für die sie von ihren Verbündeten mehrfach kritisiert worden war. Den Ausgangspunkt der Erklärung bildete jedoch der damalige chinesisch-sowjetische Konflikt, in dem sich die RAP weigerte, sich auf die sowjetische Seite zu stellen. Stattdessen betonte sie das Prinzip der Unabhängigkeit und Gleichberechtigung aller kommunistischen Parteien und die Souveränität jedes sozialistischen Landes. In der westlichen Welt wurde das mitunter als eine »Unabhängigkeitserklärung« Rumäniens aufgefasst. Dieser Begriff ist wohl zu hoch gegriffen. Doch die rumänische Parteiführung markierte mit der April-Deklaration deutlich und öffentlich ihren Willen, nationale Sonderwege zu gehen.357 Eine neuere rumänische Darstellung stellt die April-Deklaration auf eine Stufe mit dem »Prager Frühling«.358 Doch diese Parallele führt in die Irre. Denn während 1968 die Menschen in der Tschechoslowakei für innenpolitische Reformen und Freiheitsrechte kämpften, strebte die rumänische Führung lediglich danach, die Abhängigkeit von Moskau zu verringern. Echte Reformen strebte Parteichef Gheorghiu-Dej nicht an. Er war kein Anhänger des Maoismus oder gar liberaler Ideen und stand ideologisch insofern den sowjetischen Positionen weiterhin sehr nahe, auch wenn er sich geschickt der von Chruščëv eingeleiteten Entstalinisierung entzo356  Die »Erklärung zum Standpunkt der Rumänischen Arbeiterpartei in den Fragen der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung, angenommen auf dem erweiterten Plenum des ZK der RAP vom April 1964« wurde in der Tageszeitung der RAP, »Scînteia«, am 26.4.1964, S. 1–3, abgedruckt, ebenso am selben Tag in deutscher Sprache in der Bukarester Tageszeitung »Neuer Weg«, sowie zeitgleich als Broschüre in Massenauflage in rumänischer, ungarischer, deutscher und serbischer Sprache herausgegeben. Ebenfalls veröffentlicht in der April-Ausgabe der Parteizeitschrift »Lupta de clasă. Organ teoretic și politic al C.C. al P.M.R.« [Der Klassenkampf. Theoretisches und politisches Organ des ZK der RAP] 44  (1964)  4, S. 3–35. Zunächst war am 23.4.1964 nur ein knappes Kommunique veröffentlicht worden. Vgl. »Scînteia« und »Neuer Weg«, jeweils 23.4.1964, S. 1. 357  Frickenhelm: Die rumänische Abweichung, S. 363–375. Frickenhelm geht hier detailliert auf den Inhalt der Deklaration ein und hebt das geschickte Argumentieren der Rumänen hervor, die ihre Position ideologisch unangreifbar machten. Hacker: Der Ostblock, S. 674–678, weist auf unklare Formulierungen in der Deklaration hin. Vgl. auch Deletant: Communist Terror in Romania, S. 282–284, sowie die Themenausgabe zur April-Deklaration von Dosarele Istoriei 9 (2004) 4. Zur Entstehung der April-Deklaration vgl. den mit einer ausführlichen Einführung versehenen Dokumentenband von Banu; Ţăranu (Hg.): Aprilie 1964 – »Primăvara de la București«. 358  Vgl. bspw. Banu; Ţăranu: Aprilie 1964 – »Primăvara de la București«.

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gen hatte. Gleichwohl leitete er 1964 eine Phase innenpolitischer Entspannung ein, indem er bis Frühjahr 1964 beispielsweise die meisten politischen Häftlinge aus den Gefängnissen entließ. Die brutalen Jahre des stalinistischen Terrors waren vorbei, und selbst die späteren Jahre der Diktatur Ceaușescus erreichten bei Weitem nicht mehr jenes Ausmaß an Gewalt.359 Im Zusammenhang mit der April-Deklaration bleibt entscheidend, dass es Gheorghiu-Dej damals gelang, den chinesisch-sowjetischen Streit für das rumänische Autonomiestreben auszunutzen.360 Die zeitgenössische Presse in der Bundesrepublik ordnete die April-Deklaration zunächst in den chinesisch-sowjetischen Konflikt ein und stellte den Aspekt in den Mittelpunkt, dass die rumänischen Kommunisten die Positionen Pekings und Moskaus als gleichwertig betrachteten. Rumänien entziehe sich insofern dem sowjetischen Verlangen, Chinas Politik zu verurteilen.361 Erst mit dem zeitlichen Abstand mehrerer Monate rückte in der bundesdeutschen Publizistik das rumänische Autonomiestreben, der »Nationalkommunismus«, stärker in den Blick.362 Die US-Außenpolitik deutete das Signal aus Bukarest als einen Versuch des Landes, seine außenpolitischen Beziehungen als ein »unabhängiger sozialistischer Staat« zu gestalten und griff es gerne auf, obwohl Rumäniens Parteinahme für China den US-amerikanischen Sicherheitsinteressen in Südostasien entgegenstand. Der Historiker Constantin Buchet erinnert daran, dass die USA nach der Kubakrise im Oktober 1962 nach Möglichkeiten gesucht hätten, die sowjetische Machtstellung in Europa mithilfe einer Differenzierungspolitik aufzuweichen. Schon seit 1963 seien die bilateralen Beziehungen der USA zu

359  Zu Gheorghiu-Dejs Festhalten an stalinistischen Auffassungen siehe Tismaneanu: Stalinism, S. 136–186. Tismăneanu charakterisiert Gheorghiu-Dejs letzte Regierungsjahre als ein Bemühen, sich dem »Chruschtschowismus« zu widersetzen. Zum Vergleich der Diktaturen Gheorghiu-Dejs und Ceaușescus siehe Weiß: Zwei Regime – ein System, S. 694, 696 f. 360  Radchenko: Two Suns in the Heavens, S. 44, 86, 100–102. 361  Ein Rückschlag für Moskau im ideologischen Streit mit Peking. In: Süddeutsche Zeitung v. 27.4.1964, S. 1. Die rumänischen Kommunisten vermeiden nach einer Dauersitzung jede Verurteilung der Chinesen. Ähnlich, da vom selben Korrespondenten Harry Schleicher, der Beitrag in der »Frankfurter Rundschau« vom 27.4.1964, S. 4. Die »FAZ«, 27.4.1964, S. 1, und die »Welt«, 27.4.1964, S. 5, begnügten sich jeweils mit einer elfzeiligen Kurzmeldung, wonach Rumänien danach strebe, den chinesisch-sowjetischen Konflikt zu überwinden. 362  In der »Zeit« vom 10.7.1964 analysierte Wolfgang Leonhard die Entwicklung in Rumänien unter der klaren Überschrift »Rumäniens Weg in die Selbständigkeit. Ein Maßstab für die Auflockerung im Ostblock«, im Internet unter http://www.zeit.de/1964/28/rumaeniens-weg-zur-selbststaendigkeit (Stand: 9.6.2016). »Der Spiegel« 18  (1964)  34 vom 19.8.1964 machte mit dem Titel auf: »Der Ostblock weicht auf. Bukarest Sommer 1964«, darin der Beitrag S. 58–65, der auch anderen sozialistischen Staaten Unabhängigkeitsstreben attestiert. Ähnlich die »FAZ«, 11.9.1964: Rumänien auf dem Weg zum Nationalkommunismus. Die Führung in Bukarest hat sich aus der sowjetischen Bevormundung befreit.

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Rumänien intensiviert worden, und die April-Deklaration habe diesen Bemühungen zusätzlichen Auftrieb gegeben.363 Die DDR-Medien verschwiegen hingegen die damals offen zutage getretene rumänische Abweichung. Das »Neue Deutschland« vom 23. April 1964 beschränkte sich auf eine elf Zeilen knappe Meldung auf seiner vorletzten Seite. Darin übernahm es nichtssagende Teile des offiziellen rumänischen Kommuniques, wonach die erweiterte Plenartagung des ZK der RAP Berichte über Verhandlungen mit den kommunistischen Parteien Chinas, Nordkoreas und der Sowjetunion gebilligt habe und der »Tätigkeit des Politbüros des ZK der RAP ›im Zusammenhang mit der öffentlichen Polemik in der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung‹« zugestimmt habe. Anders ging das »Neue Deutschland« hingegen mit dem kommunistischen China um. Allein im April 1964 griff es in drei großen, parteiamtlichen Beiträgen die chinesische Politik direkt an.364 Diese Berichterstattung folgte damit einer Linie, die der Leiter der Abteilung »Internationale Verbindungen« des ZK der SED, Peter Florin, in einem vertraulichen Schreiben am 12. Mai 1964 den Mitgliedern und Kandidaten des Zentralkomitees der SED erläuterte, und zu deren Empfängerkreis auch Erich Mielke gehörte. Florin analysierte darin zunächst die April-Deklaration, verwies auf die politischen Differenzen zwischen Rumänien und seinen Verbündeten und bemängelte, die Rumänische Arbeiterpartei vermeide »eine klare und parteiliche Stellungnahme«.365 Dennoch gab er die Verhaltensmaxime aus, die Meinungsverschiedenheiten nicht öffentlich auszutragen und zu vertiefen, sondern Rumänien weiterhin in die Zusammenarbeit einzubinden. Die SED-Führung wollte den Streit nicht eskalieren lassen: In der Öffentlichkeit werden wir nicht auf diese unterschiedlichen Auffassungen der rumänischen Genossen eingehen, oder gar eine Polemik beginnen. Bei Anfragen einzelner Genossen sollte zunächst die Übereinstimmung der RAP in den Grundfragen der Strategie und Taktik der kommunistischen Weltbewegung hervorgehoben werden. Es sollte jedoch nicht verschwiegen werden, dass die RAP in den Fragen des Kampfes gegen die Politik der chinesischen Führer andere Auffassungen vertritt. [...] Unter Berücksichtigung dieser Haltung der RAP treten wir konsequent für die allseitige Entwicklung der partei- und staatlichen Beziehungen ein. Gegenüber rumänischen Genossen vertreten wir offen den Standpunkt unserer Partei, ohne dabei in eine polemische Auseinandersetzung über die Haltung der RAP einzutreten.366 363  Buchet: Reacţii americane, S. 128, 134. 364  Neues Deutschland v. 23.4.1964, S. 7. 365 SED, ZK, 12.5.1964, Vertrauliche Verschlusssache ZK 07 115/64: Schreiben Peter Florins an die Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees; BStU, MfS, SED-KL, Nr. 1179, Bl. 35–41, Zitat 40. 366  Ebenda, Bl. 40. Die Maxime Florins vorwegnehmend, reagierte Harry Ott in der vom ZK der SED herausgegebenen Zeitschrift »Einheit. Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus« im Mai 1964 auf die rumänische April-Deklaration. In seinem Beitrag »Für die Einheit der kommunistischen Weltbewegung auf der Grundlage des Marxismus-

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Wenige Monate später hatte Erich Mielke Gelegenheit, mit seinem rumänischen Amtskollegen Alexandru Drăghici über diese Fragen zu sprechen. Drăghici nahm am 23. September 1964 in Ostberlin als Leiter der rumänischen Delegation an den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl teil. Bei dieser Gelegenheit traf er sich auch zu Gesprächen mit Erich Mielke, der ihn auf bestimmte Sonderpositionen Rumäniens ansprach.367 Wie diese Diskussion verlief, ist in den bislang eingesehenen Akten nicht überliefert. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die Securitate in ihrem Zuständigkeitsbereich die Ideen der April-Deklaration umsetzte und sich von ihren Verbündeten abzusondern begann. Für diese Annahme sprechen nicht nur die schon erwähnten zeitlichen Zusammenhänge. Sondern belegt ist auch, dass Innenminister Alexandru Drăghici in seinem Ministerium – und dazu gehörte auch die Securitate – die April-Deklaration und ihre nationalistische und antisowjetische Auslegung verbreitete und popularisierte.368 Die rumänische Abweichung hatte ihren Anfang allerdings nicht erst 1964 genommen. Gleichwohl änderte die Securitate die Außenbeziehungen zu ihren Verbündeten erst im Gefolge der April-Deklaration. Frühere Ansätze einer Autonomiepolitik hatten noch nicht zu solch weitreichenden Konsequenzen geführt. Auf den folgenden Seiten wird solchen früheren Ansätzen einer Autonomiepolitik nachgegangen, um den historischen Hintergrund auszuleuchten und bestimmte Argumentationsmuster zu hinterfragen. Untersucht wird zunächst der Abzug der sowjetischen Truppen aus Rumänien 1958 und sodann die kri-

Leninismus« greift er die chinesische Abweichung an und resümiert, »dass die falschen Auffassungen und die schädliche Politik der Führer der KP Chinas bei der übergroßen Mehrzahl der Bruderparteien auf entschiedene Ablehnung stoßen«. In: »Einheit« 19 (1964) 5, S. 59–74, Zitat 73. Rumänien erwähnt er nicht ein einziges Mal, jedoch hebt er andere verbündete Länder lobend hervor, sodass die anti-rumänische Stoßrichtung offenkundig ist. Ott war damals Leiter des Sektors »Sozialistische Länder« im MfAA, machte später Karriere als Botschafter in der Sowjetunion (1974–1980), ZK-Mitglied (1976–1989) und stellvertretender Außenminister (1982–1990). 367  Notă privind relaţiile cu Ministerul pentru Securitatea Statului ... [Bericht über die Beziehungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit ...] (wie Anm. 41). In dem Bericht heißt es auf Bl. 56, Mielke habe gegenüber Drăghici Fragen zur »Position unserer Partei und unseres Staates gegenüber einigen internationalen Problemen« aufgeworfen. Nähere Ausführungen macht der Bericht nicht. Der Bericht ist im Anhang auf S. 520–527 abgedruckt. Vgl. insbes. S. 522. Drăghici traf am 22.9.1964 in Ostberlin ein. Zu seiner Delegation gehörten noch das Staatsratsmitglied Ludovici Tacaci (Ludovic Takács) und Rumäniens Botschafter in der DDR Ștefan Cleja; Ausländische Delegationen zur Trauerfeier. In: Neues Deutschland v. 23.9.1964, S. 1; Partei- und Regierungsdelegationen zu den Trauerfeierlichkeiten. In: Neues Deutschland v. 24.9.1964, S. 5. 368  Banu; Banu: Alexandru Drăghici la ora naţionalismului.

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tische Perspektive der SED-Führung auf den südosteuropäischen Verbündeten im Herbst 1963. 2.2.2 Zum Rückzug der sowjetischen Truppen 1958 Viele zeitgeschichtliche Darstellungen setzen den Beginn des rumänischen Sonderwegs im Sommer 1958 an, als die Sowjetarmee endgültig das Land verließ. So vertreten beispielsweise die rumänischen Historiker Constantin Hlihor und Ioan Scurtu die nationalistisch geprägte Auffassung, »der Abzug der sow­ jetischen Truppen erwies sich als ein bedeutender Wendepunkt im Prozess der schrittweisen Loslösung von Moskau und der Durchsetzung rumänischer Selbstständigkeit und Souveränität«369. Dabei heben sie die Beharrlichkeit und das verhandlungstaktische Geschick der rumänischen Führung gegenüber der Sowjetunion hervor, was schließlich in den Folgejahren zu »positiven und spektakulären Ergebnissen« geführt habe, die für die Führer der anderen sozialistischen Länder unvorstellbar gewesen seien.370 Tatsächlich war es die rumänische Parteiführung, die im August 1955 in einem Gespräch mit dem sowjetischen Parteichef Nikita Chruščëv von sich aus die Möglichkeit eines vollständigen Truppenabzugs ansprach. Den Anlass bildete die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am 15. Mai 1955, der die Viermächte-Verwaltung Österreichs beendete und das Land in die Unabhängigkeit und Neutralität entließ. Damit war automatisch die bisherige Rechtsgrundlage für die sowjetische Truppenpräsenz in Ungarn und Rumänien entfallen.371 Die Sowjetunion hätte ihre Truppen innerhalb von 40 Tagen nach 369  Hlihor; Scurtu: The Red Army in Romania, S. 190. Ähnlich beispielsweise die Erinnerungen des Leiters der Propaganda-Abteilung im ZK der RAP/RKP von 1956 bis 1968 und späteren stellvertretenden Ministerpräsidenten Paul Niculescu-Mizil in seinem Aufsatz aus dem Jahre 2004 »O politică naţională«, insbes. S. 26. Erinnerungskultur und Geschichtsdiskurse in Rumänien nach 1989 sind generell in weiten Teilen nationalistisch geprägt, wie Dietmar Müller: Strategien des öffentlichen Erinnerns, feststellt. Müller erwähnt hier, S. 65, ausdrücklich auch Ioan Scurtu; ähnlich auch Hausleitner: Nationalismus, S. 111–114. 370  Hlihor; Scurtu: The Red Army in Romania, S. 191. 371  Ebenda, S. 172–175. In den Friedensverträgen der Siegermächte mit Ungarn (Artikel 22 (1)) und Rumänien (Artikel 21 (1)) vom 10.2.1947 hieß es jeweils gleichlautend, dass »alle alliierten Streitkräfte« aus dem jeweiligen Land innerhalb von 90 Tagen nach Inkrafttreten des Vertrages zurückzuziehen seien, jedoch die Sowjetunion so viele Truppen in den beiden Ländern stationieren könne, »wie sie für die Aufrechterhaltung der Verbindungen der Sowjet-Armee mit der Sowjet-Besatzungszone in Österreich benötigt«. Vgl. Menzel (Bearb.): Die Friedensverträge von 1947, S. 46, 152, 183. – Stephen Fischer-Galati datierte in seinem damals viel beachteten Buch »The New Rumania. From People’s Democracy to Socialist Republic«, S. VII, 52–57, den Beginn des rumänischen Sonderwegs mit den ersten Bemühungen der rumänischen Führung um einen Truppenabzug auf das Jahr 1955, was inzwischen aber kaum noch so gesehen wird. Vgl. Deletant: Romania under Communist Rule, S. 141 f.

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Inkrafttreten des österreichischen Staatsvertrags aus Ungarn und Rumänien abziehen müssen.372 Doch mit der Gründung des Warschauer Pakts am 14. Mai 1955 war rechtzeitig ein neuer vertraglicher Rahmen für den Verbleib sowjetischer Truppen geschaffen worden. Ihm folgte am 15. April 1957 die Unterzeichnung eines bilateralen Truppenstationierungsabkommens. Darin vereinbarten beide Länder eine vorübergehende Stationierung sowjetischer Truppen in Rumänien und regelten die damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen.373 Von dem Truppenabzug im darauffolgenden Jahr versprach sich Chruščëv außenpolitische Vorteile. Er konnte den NATO-Staaten damit eindrücklich seine Abrüstungsbereitschaft beweisen, ohne ein großes militärisches Risiko einzugehen.374 Denn Rumänien hatte keine gemeinsame Grenze mit westlichen Ländern und hatte sich während des Ungarnaufstands 1956 als loyaler Verbündeter gezeigt. Der 1965 verstorbene Parteichef Gheorghe Gheorghiu-Dej und sein Nachfolger Nicolae Ceaușescu unterschieden zudem klar zwischen der Sowjetunion und dem sowjetischen System, worauf Dennis Deletant hinweist: Mochten sie auch antirussische Ressentiments bedienen, so boten sie als bewährte, stalinistisch geprägte Kommunisten dennoch die sichere Gewähr dafür, das sowjetische Herrschaftsmodell in Rumänien zu erhalten. Deletant misst dem sowjetischen Truppenabzug deshalb vor allem eine psychologische Bedeutung bei. Gheorghiu-Dej habe ihn gleichermaßen als sowjetischen Vertrauensbeweis und als ein den Sow­ jets abgerungenes Zugeständnis auffassen dürfen. Und er habe es verstanden, mithilfe dieser Doppeldeutigkeit seinen politischen Handlungsspielraum zugunsten rumänischer Nationalinteressen zu erweitern.375 Die meisten Darstellungen zur rumänischen Zeitgeschichte behandeln den sowjetischen Truppenabzug ausschließlich aus nationaler Perspektive. Sie über372  Meissner (Hg.): Der Warschauer Pakt, S. 12. 373  Gleichzeitig mit dem Warschauer Vertrag vereinbarten die acht Unterzeichnerstaaten am 14.5. 1955 auch den »Beschluss der Warschauer Paktmächte über die Errichtung eines gemeinsamen Oberkommandos«, welcher die Stationierung von Truppen der »Vereinten Streitkräfte« in den Mitgliedsstaaten auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen vorsah. In Ausführung dieses Beschlusses unterzeichnete die Sowjetunion mit Polen (17.12.1956), der DDR (12.3.1957), Rumänien (15.4.1957) und Ungarn (27.5.1957) Truppenstationierungsabkommen. Die Vertragstexte in deutscher Sprache finden sich in Meissner (Hg.): Der Warschauer Pakt, 1962, S. 97–102, 117–143. Siehe außerdem die Erläuterung in: ebenda, S. 54. In weiteren Sprachen findet sich das sowjetisch-rumänische Truppenstationierungsabkommen in: http:// treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%20274/v274.pdf (= United Nations – Treaty Series, Bd. 274, Nr. 3964; Stand: 9.6.2016). Mit der ČSSR schloss die Sowjetunion nach der Niederschlagung des Prager Frühlings ein Truppenstationierungsabkommen am 16.10.1968. Vgl. Umbach: Das rote Bündnis, S. 127. In Umbachs Darstellung fehlt das sowjetisch-rumänische Abkommen. 374  Hlihor; Scurtu: The Red Army in Romania, S. 172, 185 f. Deletant: Communist Terror, S. 269–276; Deletant: Romania under Communist Rule, S. 134–136. 375  Deletant: Communist Terror, S. 275; ders.: Romania under Communist Rule, S. 136, 141.

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sehen daher, dass Rumänien nach 1958 nicht das einzige Ostblock-Land ohne fremde Truppen war. Aus Bulgarien hatte sich die Sowjetarmee bereits 1947 zurückgezogen, und in die Tschechoslowakei marschierte sie erst im August 1968 ein, nachdem sie das Land bald nach Kriegsende verlassen hatte.376 Der Truppenabzug aus Rumänien fiel außerdem in eine Demobilisierungsphase der sowjetischen Streitkräfte in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre. Ihm war 1957 ein Abzug von 70 000 sowjetischen Soldaten aus der DDR vorausgegangen.377 Gerade die nationalistisch geprägte rumänische Geschichtsschreibung übersieht diese Zusammenhänge gerne. Anstatt dessen interpretiert sie den damaligen Truppenabzug vor allem als einen weiteren Beleg für die grundsätzlichen Besonderheiten der rumänischen Geschichte. Gelegentlich wird Rumänien fälschlicherweise sogar ausdrücklich als das einzige Land Europas bezeichnet, aus dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt fremde Truppen zurückzogen.378 Einen differenzierten Ansatz hat der rumänische Militärhistoriker Petre Opriș entwickelt. Er lehnt den Begriff »Truppenabzug« ab, weil dieser im militärischen Bereich etwas endgültiges ausdrücke. Für den österreichischen Fall 1955 sei dieser Ausdruck zutreffend. Doch die Vorgänge 1958 in Rumänien seien mit »Truppenverlegung« oder »Umgruppierung der sowjetischen Streitkräfte« angemessener charakterisiert. Opriș begründet seine Auffassung mit der Tatsache, dass die Sowjetarmee in Rumänien, entsprechend einer zwischenstaatlichen Abmachung vom 24. Mai 1958, Munitions-, Ausrüstungs- und Treibstoffdepots behielt. Diese hätten ihr im Kriegsfall sofort zur Verfügung gestanden. Außerdem sei Rumänien in den strategischen Planungen und in Militärübungen des Warschauer Pakts auch weiterhin als Verbündeter vorgekommen, der sich an Kämpfen gegen die NATO in Italien, Griechenland und der Türkei beteiligen würde. Daran habe sich auch nach 1968 nichts geändert, auch wenn die rumänische Armee seither kaum noch an Militärübungen auf dem Gebiet anderer Staaten teilgenommen habe. Gleichwohl räumt auch Opriș ein, dass die rumänische Si376  Zu Bulgarien vgl. Baev: Bulgarisch-sowjetische militärische Zusammenarbeit, insbes. S. 43. Zu Bulgarien und der Tschechoslowakei siehe auch Umbach: Das rote Bündnis, S. 127, 145, 180–185, 207, der hier die rumänische Autonomiepolitik im Kontext von »Renationalisierungstendenzen« innerhalb des östlichen Militärbündnisses zwischen 1960 und 1968 betrachtet und verschiedentlich auf die ČSSR, Rumänien und Bulgarien verweist, wo die Sowjet­a rmee nicht bzw. für einen längeren Zeitraum nicht stationiert war. Der sowjetische Rückzug aus Bulgarien erfolgte aufgrund des Artikels 20 des Friedensvertrags der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs mit Bulgarien vom 10.2.1947 – im Wortlaut veröffentlicht in Menzel (Bearb.): Die Friedensverträge von 1947, S. 168. Vgl. auch Ostblock [Der Ostblock weicht auf ]. In: Der Spiegel 18 (1964) 34, S. 58–65. Darin wird auf S. 60 die aktuelle Truppenstärke der Sowjetarmee in der DDR mit 400 000 Mann angegeben, in Polen mit 30 000, in Ungarn mit 70 000, während in den übrigen Ostblockstaaten demnach keine sowjetischen Truppen stationiert waren. 377  Umbach: Das rote Bündnis, S. 137 f. 378  Exemplarisch hierfür die Erinnerungen des rumänischen Politikers Niculescu-Mizil: O politică naţională, S. 26. Vgl. auch Weiß: Der Abzug der sowjetischen Soldaten, S. 623, 629.

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cherheitspolitik der Sowjetunion ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre zahlreiche Probleme bereitete und damit einen Sonderfall darstellte.379 So beharrte Ceaușescu mit Erfolg darauf, die Befehlsgewalt und Kontrolle über die rumänischen Streitkräfte zu behalten und ließ, mit Ausnahme von Stabsübungen, keine Manöver mit den verbündeten Armeen auf dem Territorium Rumäniens zu. Er beschränkte dadurch den Einfluss des Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Pakts, betonte aber gleichzeitig seine prinzipielle Bündnisloyalität.380 Im Juni 1964 waren hingegen Einzelheiten eines Gesprächs zwischen dem rumänischen Außenminister Corneliu Mănescu und seinem US-Kollegen Dean Rusk an die Öffentlichkeit gelangt, die Zweifel an der rumänischen Haltung nährten. Demnach soll sich Mănescu am 4. Oktober 1963 am Rande der UNO-Generalversammlung in New York auf eigenen Wunsch mit Rusk getroffen haben. Mănescu habe dabei gegenüber Rusk erklärt, Rumänien sei von der Sowjetunion nicht über ihre damaligen Raketenstationierungspläne auf Kuba informiert worden, weshalb sich sein Land bei etwaigen militärischen Konflik379  Opriș, Petre: România în organizaţia tratatului de la Varșovia, S. 106, 149 f., 153–158, sowie Gespräch des Verfassers mit Opriș am 21.11.2008. In den zurückgelassenen Depots, die von rumänischen Kräften bewacht wurden, befanden sich, wie Opriș, S. 106, ferner ausführt, im Jahr 1971 noch 484 Waggons mit Infanterie- und Artilleriemunition, 52 Waggons mit Munition für die Luftstreitkräfte, 9 844 Tonnen Treibstoff, 322,3 Tonnen Öl sowie für die sowjetische Schwarzmeerflotte 337,1 Tonnen Artilleriemunition, 22 Waggons à 10 Tonnen Seeminen, 21 Torpedos, 30 U-Boot-Abwehrgranaten, 5 000 Tonnen Teer/Öl, 2 000 Tonnen Diesel, 1 941 Tonnen Flugbenzin und 120 Tonnen Öl. – Drei rumänische Manöverkarten des Warschauer-Pakt-Manövers »Sojus-73«, die Opriș, S. 319–321, abdruckt, illustrieren die Einbindung Rumäniens in das Militärbündnis bei gleichzeitiger Distanz. Hierzu in deutscher Sprache ders.: Die rumänische Armee und die gemeinsamen Manöver des Warschauer Paktes, insbes. 186, 190–195, 200. Die Depots, die die Sowjetarmee in Rumänien behielt, erwähnt auch Deletant: Romania under Communist Rule, 1998, S. 136. Die Abmachung vom 24.5.1958 zwischen den Verteidigungsministerien Rumäniens und der Sowjetunion über die Modalitäten des Truppenrückzugs und die Einlagerung von Ausrüstung für die Rote Armee in Rumänien ist veröffentlicht in: Scurtu (Hg.): România. Retragerea trupelor sovietice 1958, S. 276–280, sowie in englischer Übersetzung in: Hlihor; Scurtu: The Red Army in Romania, S. 265–267. Vgl. zu diesem Themenkomplex auch die Dokumentensammlung »Romania and the Warsaw Pact: Documents Highlighting Romania‘s Gradual Emancipation from the Warsaw Pact, 1956–1989«, wo wichtige Akten aus dem Bestand des ZK der RKP in englischer Übersetzung zusammengestellt sind. 380  Rijnoveanu: Rumänien und die Militärreform des Warschauer Paktes, S. 216. Dies.: Die Auswirkungen der Krisen des Ostblocks 1956 und 1968 auf das rumänische Sicherheitskonzept, S. 160 f. Die prinzipielle Bündnistreue Rumäniens in den 1980er-Jahren betont Opriș, Petre: Eine seltsame Partnerschaft: Die rumänisch-sowjetischen Beziehungen, S. 109. Vgl. auch Armin Wagner: Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik, S. 341–347. Wagner stellt hier anhand von Akten des SED-Politbüros und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR dar, wie sich Rumänien Ende der 1960er-Jahre erfolgreich gegen sowjetische und ostdeutsche Bemühungen stemmte, dem Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Pakts mehr Befugnisse einzuräumen.

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ten neutral verhalten werde.381 Als der polnische Parteichef Władysław Gomułka im März 1967 zu politischen Gesprächen nach Ungarn reiste, behauptete er gegenüber seinen Gastgebern, Gheorghiu-Dej habe während der Kuba-Krise einen persönlichen Brief an US-Präsident John F. Kennedy geschrieben und habe darin angeblich erklärt, Rumänien würde sich im Falle eines Kriegs zwischen dem Warschauer Pakt und der NATO neutral verhalten. Woher Gomułka sein vermeintliches Wissen bezog und ob es diesen Brief tatsächlich gegeben hat, ist bislang nicht erforscht.382 Dieser möglichen Neutralitätserklärung standen auch gegenteilige Aussagen gegenüber. Noch 1976 sah sich Nicolae Ceaușescu bei seinem Treffen mit Leonid Brežnev auf der Krim zu der Klarstellung veranlasst: »Im Falle eines Krieges werden wir Rumänen an der Seite der Sowjetunion kämpfen. [...] Rumänien wird an der Seite der Sowjetunion stehen, wie es vor 100 Jahren an der Seite Russlands gekämpft hat.«383 Das rumänische Lavieren verunsicherte nicht nur die Verbündeten, sondern auch die potenziellen Gegner im Westen. Denn Rumänien erwies sich damit für beide Seiten als ein Land, auf das man sich nicht verlassen konnte. Der amerikanische Geheimdienst CIA konstatierte im April 1983 in einer geheimen Analyse über den Warschauer Pakt: »Es ist nicht klar, welche Rolle die rumänischen Streitkräfte in einer Kriegszeit hätten.« Und zwei Monate später legte die CIA in einer Einschätzung dar, dass Rumänien von der Sowjetunion als der »am wenigsten verlässliche Verbündete« wahrgenommen werde. Im Kriegsfall sei jedoch damit zu rechnen, dass die Sowjetunion alle ihre Verbündeten zu militärischer Gefolgschaft zwingen werde. Die rumänische Armee sei aber höchstwahrscheinlich nur zur rückwärtigen Absicherung einer sowjetisch-bulgarischen Offensive auf der Balkanhalbinsel und gegen die Türkei vorgesehen.384 381  Archiv der Gegenwart, S. 11284, Eintrag vom 19.6.1964. Demnach berichtete die New York Herald Tribune am 18.6.1964 unter Berufung auf »französische diplomatische Quellen« von dieser Neutralitätserklärung Rumäniens gegenüber den USA im Kriegsfalle. Hierauf geht auch Frickenhelm: Die rumänische Abweichung, S. 281 f., ein; ähnlich auch »Der Spiegel« 18 (1964) 34, S. 60. Der US-Diplomat Raymond Garthoff wurde damals von Rusk über das Gespräch informiert und bestätigt nachträglich die damalige Zeitungsmeldung: Garthoff: When and Why Romania Distanced Itself from Warsaw Pact. S. 111. 382  Protokół z nieoficjalnej wizyty tow. W. Gomułki i tow. J. Cyrankiewicza na Węgrzech/ Budapeszt, 8–9 marca 1967 r. [Gesprächsprotokoll von dem Besuch von Gen. W. Gomułka und Gen. J. Cyrankiewicz in Ungarn/Budapest, 8.–9. März 1967]; Archiwum Akt Nowych (AAN) [»Neues Staatsarchiv«, Teil des polnischen Staatsarchivs], KC PZPR, sygn. 2600, Bl. 245–273. Ich danke meinem Kollegen Douglas Selvage, der mir den Inhalt dieses Gesprächsprotokolls zugänglich machte. 383  Aktennotiz über die Unterredung zwischen Genossen Honecker und Genossen Martinow am 9. August 1976, S. 8; BArch, DY 30/13876 (Abteilung Internationale Verbindungen). Martinow informierte Honecker im Auftrag Brežnevs über Ceaușescus Reise in die Sowjet­u nion. 384  Director of Central Intelligence: Employment of Warsaw Pact Forces Against NATO. Interagency Intelligence Memorandum NI IIM 83-10002 [April 1983], S. 9, im Internet abruf-

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Während die CIA von den übrigen Warschauer-Pakt-Staaten zu wissen glaubte, wo sie im Kriegsfall aufmarschieren würden und welche Kriegsziele sie verfolgten, gestand sie im rumänischen Fall ihre Unsicherheit ein. Ähnlich liest sich der »Militärische Lagebericht 1989« des Bundesnachrichtendienstes. Der Lagebericht dokumentierte die Strategie und das militärische Potenzial des Warschauer Pakts. Versteckt in einer Fußnote offenbarten die BND-Autoren die Ungewissheit: »Mit einer Beteiligung rumänischer Kräfte als op[erative] Gruppierung an offensiven Kampfhandlungen gegen die NATO ist derzeit – außer evtl. symbolischer Beteiligung – kaum zu rechnen.«385 Rumänien stellte sich in diesem Bereich als unberechenbar für die östliche wie für die westliche Seite dar. Es ist insofern nicht überraschend, dass die partielle Autonomie schließlich in den 1980er-Jahren in die außenpolitische Isolation führte. 2.2.3 SED-Kritik an rumänischen Sonderpositionen, 1963 Die rumänische Abweichung war im November 1963 Gegenstand eines vertraulichen Positionspapiers des SED-Zentralkomitees. Das elfseitige Papier trug den Titel »Information über die Haltung der Führung der Rumänischen Arbeiterpartei zur Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern und zu den Meinungsverschiedenheiten in der kommunistischen Weltbewegung«.386 Es richtete sich an die Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees der SED. Schon ein halbes Jahr vor der April-Deklaration legte es die Spannungen zwischen den Verbündeten offen. Interessanterweise stellte der Bereich der militärischen und staatlichen Sicherheit kein Problemfeld dar. Weder thematisierte das Papier die Abwesenheit sowjetischer Truppen in Rumänien, noch zweifelte es die militärische Bündnistreue des Landes an. Offenkundig sah die SED in diebar unter http://www.foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/89801/DOC_000 0261340.pdf; ders.: Military Reliability of the Soviet Union’s Warsaw Pact Allies. National Intelligence Estimate NIE 12/11-83 [Juni 1983], S. 4 f., 14, 19, 21 f., im Internet abrufbar unter http://www.foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/89801/DOC_0000262471. pdf (Stand: 9.6.2016). 385 Bundesnachrichtendienst: Militärischer Lagebericht 1989. Darstellung des Bedrohungspotentials Warschauer Pakt. Darstellung des militärischen Potentials Jugoslawien, Albanien. BND 33-2400/89 geh., Az. 04-02-01, Anlage B 4, S. 1, Fn. 5; BArch Koblenz, B 206/173. Ich danke Ilko-Sascha Kowalczuk, der mir dieses Dokument zur Verfügung gestellt hat. 386  ZK der SED, 12.11.1963: Information über die Haltung der Führung der Rumänischen Arbeiterpartei zur Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen Ländern und zu den Meinungsverschiedenheiten in der kommunistischen Weltbewegung; BStU, MfS, SdM, Nr. 1108, Bl. 44–56. Die damalige SED-Analyse beschreibt in ihrer Grundaussage durchaus zutreffend die beginnende rumänische Abweichung. Ein SED-Papier mit sehr ähnlicher Argumentation vom 8.7.1964 findet sich im Archivbestand des DDR-Außenministeriums. Hieraus zitiert Lemke: Jugoslawien und Rumänien, S. 85.

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sem Bereich damals keine Schwierigkeiten. Die SED warf der politischen Führung Rumäniens in diesem Papier vielmehr vor, sich von Nationalismus und wirtschaftlichem Egoismus leiten zu lassen und deshalb die gemeinsame Linie der kommunistischen Bruderparteien verlassen zu haben. In der Wirtschaftspolitik widersetze sich Rumänien einer engeren Zusammenarbeit innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und strebe danach, möglichst viele Produkte im eigenen Land herzustellen. Ideologisch nähere sich die Rumänische Arbeiterpartei damit der These der chinesischen Kommunisten »alles aus eigener Kraft«. Darüber hinaus baue Rumänien seine Wirtschaftsbeziehungen zu westlichen Ländern aus. In der rumänischen Geschichtsschreibung beobachtete die SED »nationalistische Tendenzen«, die einerseits antirussisch ausgerichtet waren, andererseits die faschistische Militärdiktatur unter Ion Antonescu verharmlosten. Ein weiteres Ärgernis bot Rumäniens Haltung im chinesisch-sowjetischen Konflikt, der Mitte 1963 zum offenen Bruch zwischen den beiden kommunistischen Großmächten geführt hatte. Rumänien verhalte sich abwartend und pflege weiterhin gute Beziehungen zur Volksrepublik China, anstatt sich vorbehaltlos auf die Seite Moskaus zu stellen, bemängelte die SED sachlich zutreffend. Ebenso korrekt war die Feststellung, dass Rumänien sich nicht mit der wirtschaftlichen Arbeitsteilung innerhalb des RGW abfinden wollte. Die rumänische Führung befürchtete zu Recht, dem Land sei längerfristig lediglich die Rolle des Brot- und Gemüselieferanten für die industriell höher entwickelten Länder in Ostmitteleuropa zugedacht.387 Doch das SED-Papier akzeptierte die diesbezüglichen rumänischen Bedenken nicht. Es behielt vielmehr die Position bei, die Walter Ulbricht auch bei seinem Staatsbesuch in Rumänien vom 15. bis 19. September 1962 vertreten hatte. Ulbricht war damals mit einer großen Regierungsdelegation in das Land gereist und beharrte dort auf der ökonomischen Arbeitsteilung innerhalb des RGW. Sein Besuch verschlechterte die zwischenstaatlichen Beziehungen ebenso wie das persönliche Verhältnis der beiden Parteichefs.388 Was die SED aber vor allem aufbrachte, war die eigenständige Deutschlandpolitik der rumänischen Kommunisten. Rumänien strebe verbesserte Beziehungen zur Bundesrepublik an und empfinde die Deutschlandpolitik der DDR »als störend und hinderlich«, hieß es in dem SED-Papier. Verwiesen wurde in diesem Zusammenhang auf das Handelsabkommen, das Rumänien und die Bundesrepublik Deutschland am 17. Oktober 1963 abgeschlossen hatten. Die DDR sei entgegen der ursprünglichen Abmachungen nicht von der rumänischen Seite über die westdeutsch-rumänischen Verhandlungen informiert 387 Frickenhelm: Die rumänische Abweichung, darin zur Entstehung wirtschaftlicher Sonderpositionen Rumäniens S.  126–154, zur rumänischen Haltung im chinesisch-sowjetischen Konflikt S. 331–362; Auerbach, Ludwig: Bukarest contra Ostberlin. 388  Frickenhelm: Die rumänische Abweichung, S. 256, 267. Gabrisch; Tuitz: Rumänien und der RGW, S. 76 f.

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Abb. 9:

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Staatsbesuch Walter Ulbrichts in Rumänien. Im Chemiekombinat Onești-Borzești überreicht er Gheorghe Gheorghiu-Dej (Mi.) am 17.9.1962 ein Bildnis Ernst Thälmanns. Oben die überlebensgroßen Porträts beider Parteiführer.

worden. Vielmehr habe Rumänien die Verhandlungen vor der DDR »streng geheim gehalten«.389 Denselben Eindruck hatten bemerkenswerterweise auch die bundesdeutschen Diplomaten, die die Gespräche in Bukarest führten. In einer vertraulichen Aufzeichnung für das Auswärtige Amt in Bonn hielten sie fest: »Die Rumänen wünschten offensichtlich, die Anwesenheit [unserer] Delegation in Bukarest geheimzuhalten.«390 Rumänien und die Bundesrepublik betrieben mit diesem Handelsabkommen eine Geheimpolitik hinter dem Rücken der DDR, und der Wortlaut des Ver389 Information über die Haltung der Führung der Rumänischen Arbeiterpartei (wie Anm. 386) Bl. 47 f. 390 Aufzeichnung der Legationsräte [Gisela] Rheker und [Joachim] Freiherr von Marschall [von Bieberstein] vom 7.10.1963 betr. Errichtung einer Handelsvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, hier: Deutsch-rumänische Gespräche in Bukarest vom 30.9.– 4.10.1963. In: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963, Bd. III, S. 1294.

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trages war in der Bundesrepublik noch bis zum Jahr 2009 als »vertraulich« eingestuft. Er blieb daher unveröffentlicht. Die Geheimhaltung lag vor allem darin begründet, dass das Handelsabkommen eine höchst umstrittene Festlegung enthielt: sein Geltungsbereich umfasste die Währungsgebiete des rumänischen Leu und der Deutschen Mark der Bundesrepublik Deutschland. Durch diese Formulierung war auch Westberlin in den Vertrag eingeschlossen.391 Rumänien hatte damit faktisch die Zugehörigkeit Westberlins zur Bundesrepublik hingenommen. Die DDR drängte Rumänien daraufhin ohne Erfolg, die Berlin-Klausel zurückzunehmen, wie das SED-Papier bedauernd feststellte.392 Wäre die DDR vorab über die rumänische Verhandlungstaktik informiert gewesen, hätte sie den Vertragsabschluss gewiss zu verhindern versucht. Mit der Einbeziehung Westberlins war immerhin einer der empfindlichsten Konfliktpunkte im deutsch-deutschen Verhältnis berührt. Für Berlin galten zwischen 1945 und 1990 bestimmte Sonderrechte der vier alliierten Siegermächte. Deshalb war weder Westberlin ein integraler Bestandteil der Bundesrepublik noch Ostberlin ein vollwertiger Bestandteil der DDR. Gleichzeitig versuchten beide deutsche Teilstaaten, ihre jeweilige Hälfte Berlins möglichst eng in den eigenen Staatsverband zu integrieren. In der DDR galt bis 1989 die Sprachregelung von der »selbstständigen politischen Einheit Westberlin«. Vor diesem Hintergrund musste die SED das Verhalten Rumäniens 1963 als Affront auffassen. Da nutzte es auch nichts, dass der Wortlaut des Handelsabkommens nie veröffentlicht wurde, denn die Einbeziehung Westberlins war allgemein bekannt.393 Rumänien war im Hin391  Das Handelsabkommen vom 17.10.1963 bestand aus einem »Protokoll über den Austausch von Handelsvertretungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Rumänischen Volksrepublik« sowie aus einem Anhang, der einen vertraulichen Briefwechsel beider Seiten enthielt, in dem die Gültigkeit des Handelsabkommens für die Währungsgebiete DMWest und Leu festgestellt wurde. Der Briefwechsel bildete einen integralen Bestandteil des Abkommens. Da er jedoch vertraulich war, konnte das Abkommen nicht im Wortlaut veröffentlicht werden. Vgl. hierzu AA, Referat III A  1 an Referat II  5 vom 17.2.1964 betr. Übergabe des damals ebenfalls als vertraulich eingestuften »Auszug aus dem HPA-Protokoll Nr. 1/64 v. 7.1.1964«; PA AA, B 42, Nr. 71. Ich danke Elisabeth Ernst, die mich auf das HPA-Protokoll aufmerksam gemacht hat. Der vollständige Vertragstext ist vorhanden in: PA AA, BILAT RUM 77. Die Vertraulichkeit des Vertrages wurde erst im Februar 2009 auf Antrag des Verfassers aufgehoben. Vgl. auch die »Verordnung über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an die Handelsvertretung der Rumänischen Volksrepublik« vom 16.5.1964. In: Bundesgesetzblatt, Teil II, Nr. 21, 22.5.1964, S. 583. Darin wird der quasi-diplomatische Status der Handelsvertretung verkündet und beschrieben, wobei diese Verordnung fast wörtlich die Punkte 7 bis 11 des Handelsabkommens wiedergibt, ohne es jedoch zu erwähnen. Einblick in den Aufbau der Handelsvertretung gibt Weiß: Kulturarbeit, S. 123–128. 392  Information über die Haltung der Führung der Rumänischen Arbeiterpartei (wie Anm. 386), Bl. 47 f. 393  Zur Vertraulichkeit vgl. Anm. 391. Über die Einbeziehung Westberlins (»Berlin-Klausel«) berichtete beispielsweise der »Spiegel« am 20.11.1963, S.  28 f.: Ostpolitik. Möglichkeiten und Ansätze. Demgegenüber gab das Auswärtige Amt in einer amtlichen Mitteilung am 17.10.1963 lediglich den Abschluss des Abkommens bekannt und beschränkte sich im Übri-

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blick auf die Handelsmissionen aber nur bedingt ein Außenseiter. Denn bereits sieben Monate zuvor hatten Polen und die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls ein Handelsabkommen abgeschlossen, das sich auf die beiden Währungsgebiete erstreckte. Allerdings hatte Polen diesen Sachverhalt diplomatisch geschickt kaschiert, während Rumänien die bundesdeutsche Berlin-Klausel nach anfänglichem Widerstand offenkundiger akzeptierte. Damit gab Rumänien zugleich das Vorbild für vergleichbare Regelungen in den Handelsverträgen der Bundesrepublik mit Ungarn und Bulgarien ab. Bundesdeutsche Diplomaten bezeichneten das rumänische Entgegenkommen in der Berlin-Frage als einen »Musterfall« für die Abkommen mit weiteren Ostblockstaaten. Da die Handelsvertretungen faktisch einen diplomatischen Status hatten, bereiteten sie das Feld für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor und waren deshalb für die Frühphase der Ostpolitik äußerst bedeutend.394 Einen weiteren Grund zur Klage bot die unkooperative Haltung Rumäniens in den SED-Kampagnen gegen Nazi- und Kriegsverbrecher. 1957 hatte die DDR damit begonnen, in lautstarken Propagandaaktionen die NS-Verstrickungen von Personen des öffentlichen Lebens der Bundesrepublik anzuprangern. Sie führte diese Aktivitäten bis Ende der 1960er-Jahre durch. Die Anschuldigungen trafen häufig zu, doch setzte die DDR-Propaganda auch Fälschungen in Umlauf. Denn das primäre Ziel war nicht die Verfolgung der Nazi- und Kriegsverbrecher, sondern die politische Diskreditierung der Bundesrepublik. Die Sowjetunion, Polen und die Tschechoslowakei stellten der DDR einschlägige Dokumente zur Verfügung und erlaubten dem MfS umfassende Recherchen in ihren Archiven. Rumänien übte hingegen Zurückhaltung. Das SED-Papier erwähnte den Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR gegen Kanzleramtschef Hans Globke: Obwohl Rumänien nicht bestritten habe, belastendes Material gegen Globke zu besitzen, habe es die DDR nur ungenügen auf die Aussage, »Aufgabe der Handelsvertretungen [sei] die Durchführung der zwischen beiden Staaten bestehenden oder abzuschließenden Handels- und Zahlungsabkommen«; abgedruckt in: Auswärtiges Amt (Hg.): Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, S. 504. 394  Von einem »Musterfall« schrieb Ministerialrat Eberhard Bömcke am 14.12.1963 in einem VS-vertraulichen Fernschreiben an das Bonner Auswärtige Amt. In: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963, Bd. III, S. 1631. Die Handelsverträge der Bundesrepublik Deutschland mit Polen (7.3.1963), Rumänien (17.10.1963), Ungarn (9.11.1963) und Bulgarien (6.3.1964) sahen unter anderem die gegenseitige Einrichtung von Handelsmissionen vor, die faktisch einen diplomatischen Status hatten. Vgl. Auswärtiges Amt (Hg.): Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, S. 63–65, 494–497, 504. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Ostblockstaaten lediglich mit einfachen Handelsvertretungen in der Bundesrepublik präsent gewesen. Mit der ČSSR kam ein solches Abkommen erst am 3.8.1967 zustande. Siehe auch Hacker: Der Ostblock, S. 724. Zu den Feinheiten diplomatischer Formulierungen in den Handelsverträgen mit Polen, Rumänien und Ungarn vgl. auch die Beiträge Ostpolitik: Gegen Quittung. In: Der Spiegel v. 26.6.1963, S. 25; Ostpolitik. Möglichkeiten und Ansätze. In: Der Spiegel v. 20.11.1963, S. 28 f.

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gend unterstützt.395 Das Land behinderte insofern die damals laufenden Kampagnen der SED gegen bekannte bundesdeutsche Politiker. Ein internes Papier des DDR-Außenministeriums bekräftigte diese Aussage. Zwischen 1961 und 1964 habe Rumänien seine Haltung grundlegend gewandelt. Habe das Land bis 1961 die DDR-Kampagnen gegen die »Militarisierungs- und Faschisierungspolitik« der Bundesrepublik mit eigenen Stellungnahmen unterstützt, sei das später nicht mehr der Fall gewesen. Die rumänische Presse habe sich in den folgenden Jahren auf nüchterne Meldungen über einzelne Kriegsverbrecher beschränkt und dabei aus westdeutschen Medien wie »Spiegel« und »Stern« zitiert und somit die Anstrengungen der DDR unterschlagen, Nazi- und Kriegsverbrecher zu entlarven. Über die NS-Vergangenheit des Bundespräsidenten Heinrich Lübke habe die rumänische Presse nicht berichtet, und von den DDR-Protesten gegen die »widerrechtlich« in Westberlin durchgeführte Wiederwahl Lübkes im Frühsommer 1964 habe sie sich faktisch sogar distanziert. Ebenfalls 1964 habe die DDR-Botschaft mehrfach intervenieren müssen, damit Rumänien einige Zeugen zum Auschwitz-Prozess nach Frankfurt/M. ausreisen ließ.396 Rumänien hatte durchaus Gründe für sein Verhalten, gehörte es doch bis zum 23. August 1944 zu den engsten Verbündeten Nazi-Deutschlands. Gewiss agierte es aber auch deshalb vorsichtig, um seine Hinwendung nach Westen nicht zu behindern. Rumänien trat auch als Außenseiter auf, als vom 28. bis 30. September 1965 die sozialistischen Länder in Prag eine nicht öffentliche Tagung »über die Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen in Westdeutschland« durchführten. Alle verbündeten Länder waren dort mit Delegationen vertreten, mit Ausnahme Rumäniens, das nur am zweiten Verhandlungstag den 2. Sekretär der rumänischen Botschaft in Prag als Beobachter entsandte.397 Eine Ausnahme bildete demnach die Strafverfolgung des SS-Sturmbannführers Gustav Richter. Offenbar schon zu Beginn der 1960er-Jahre übergab die Securitate der HV A einige Dokumente über Richter.398 Richter fungierte von 1941 bis 1944 als »Judenbeauftragter« des Reichssicherheitshauptamts an der deutschen Gesandtschaft in Bukarest, war Mitarbeiter Adolf Eichmanns und 395  Information über die Haltung der Führung der Rumänischen Arbeiterpartei (wie Anm. 386), Bl. 47. Grundlegend zu dieser Thematik Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, darin zur Kooperation des MfS mit der Sowjetunion, Polen und der ČSSR S. 182–190. Siehe ebenso Weinke: Der Kampf um die Akten. 396  MfAA, 3. Europäische Abteilung, LS SRR, 31.1.1966. Betr.: Beziehungen SRR/DDR (Zusammenfassung der Haltung der SRR zu den Entlarvungen und Prozessen gegen Nazi- und Kriegsverbrecher); PA AA, MfAA, A 7532, Bl. 3–5. 397 Schreiben der Abt. Agitation an Mielke, 5.10.1965: Berichterstattung über die Tagung sozialistischer Staaten zur Frage der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen in Westdeutschland; BStU, MfS, HA IX, Nr. 20689, S. 1–9, hier 1, ähnlich die Aktennotiz und der Verlaufsbericht der Abt. Agitation zur Prager Tagung in: HA IX, Nr. 20028, Bl. 1–13. 398 Schreiben der HV  A, Abt. VII/F, Oberstleutnant Wagenbreth, 28.1.1966, an die Hauptabteilung IX; BStU, MfS, HA IX/11, RHE-West 270, Bd. 1, Bl. 105.

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unterstützte die Judenverfolgung und Judenvernichtung des damaligen rumänischen Regimes. 1961 begann die westdeutsche Justiz gegen ihn zu ermitteln und richtete schließlich im Frühjahr und Sommer 1965 Rechtshilfeersuchen an das rumänische Justizministerium, im Dezember desselben Jahres dann auch an die Generalstaatsanwaltschaft der DDR. Letztere informierte hierüber die Ermittlungsbehörden der anderen sozialistischen Länder. Während die rumänische Justiz die Anfrage aus der Bundesrepublik unbeantwortet ließ, zeigte sich die DDR-Generalstaatsanwaltschaft gegenüber der Bundesrepublik kooperativ. Zugleich startete sie mit Unterstützung des MfS eigene Ermittlungen. In diesem Rahmen bat sie die Generalstaatsanwaltschaft Rumäniens, dort lebende Zeugen über Gustav Richter zu vernehmen. Dem kamen die rumänischen Justizbehörden nach. Im März 1967 übersandten sie Niederschriften von fünf Zeugenbefragungen, die im Januar und Februar 1967 in Bukarest durchgeführt worden waren, sowie weitere Unterlagen an die DDR-Generalstaatsanwaltschaft. Welche dieser Dokumente dann von der DDR-Generalstaatsanwaltschaft der bundesdeutschen Justiz übergeben wurden, geht aus den Akten nicht hervor. In einer Notiz heißt es lediglich, es seien in diesem Fall »Beweismittel« auch aus Rumänien an die Oberstaatsanwaltschaft im rheinland-pfälzischen Frankenthal übergeben worden.399 Indirekt wurde auf diesem Wege das bundesdeutsche Rechtshilfeersuchen an Rumänien doch noch beantwortet. Das rumänische Verhalten in diesem Fall wirkt insgesamt widersprüchlich. Das Positionspapier der SED offenbarte bereits ein halbes Jahr vor der April-Deklaration 1964, wie sehr sich die rumänische Abweichung vom gemeinsamen Kurs zu einem beachtlichen Konfliktpotenzial aufgebaut hatte. Nach der April-Deklaration verstärkten sich die Differenzen. Einige davon sollen im Folgenden näher betrachtet werden, um dann vor diesem Hintergrund die Entwicklung der geheimdienstlichen Beziehungen zu analysieren.

399  Siehe die Korrespondenz sowie Aktennotizen in: BStU, MfS, HA IX/11, RHE-West 270, Bd. 1, Bl. 5, 14, 18, 21, 23, 120–188; Bd. 3, Bl. 159. Vgl. auch die von William Totok herausgegebene und eingeleitete Dokumentation »›Die Tätigkeit deutscher Nachrichten- und Abwehrstellen in Rumänien‹. Auszug aus den Aufzeichnungen von Gustav Richter«. Totok zufolge kam Richter bei Kriegsende in die Sowjetunion, wo ihm ein Prozess gemacht wurde; 1955 wurde er in die Bundesrepublik entlassen und dort wegen seiner Tätigkeit als »Judenbeauftragter« 1982 zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ebenda, S. 204. Zum Umgang der DDR mit derartigen Rechtshilfeersuchen aus der Bundesrepublik siehe Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 88–95.

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2.2.4 Rumänische Alleingänge 1965 bis 1969 und zunehmende Differenzen zwischen Rumänien und der DDR Die nationalkommunistischen Tendenzen führten zu überraschenden Konstellationen. So entdeckten 1965/66 rumänische Journalisten einige Thesen des prominenten DDR-Regimekritikers Robert Havemann für sich. Havemann hatte 1942/43 in Berlin einer Widerstandsgruppe angehört, war verhaftet und im Dezember 1943 vom nationalsozialistischen Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden. Er erlebte das Kriegsende im Zuchthaus Brandenburg, engagierte sich später in verschiedenen Funktionen für den Aufbau der DDR, war bis 1963 Volkskammerabgeordneter und IM des MfS und lehrte von 1952 bis 1964 als Professor für angewandte physikalische Chemie an der Ostberliner Humboldt-Universität. Unter dem Eindruck der vorsichtigen Entstalinisierung nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 begann er, die dogmatische Erstarrung des Marxismus offen zu kritisieren und setzte sich für Meinungsfreiheit und offene Diskurse ein, ohne seine marxistische Überzeugung und die SED-Mitgliedschaft aufzugeben. Die Dogmatiker der SED warfen ihm »Revisionismus« vor. Sie drängten ihn zwischen Sommer 1963 und Ende 1965 aus seinen politischen und akademischen Ämtern und aus seinem wissenschaftlichen Beruf. Seit 1964 konnte er nur noch im Westen publizieren. Mit Datum vom 22. Dezember 1965 veröffentlichte der »Spiegel« einen Artikel Havemanns unter dem Titel »›Die Partei ist kein Gespenst‹. Plädoyer für eine neue KPD«. Darin plädierte er für einen demokratischen, undogmatischen Kommunismus in Deutschland. Daraufhin folgten Berufsverbot und gesellschaftliche Ausgrenzung. Walter Ulbricht unterstellte Havemann in Reaktion auf diesen Artikel umgehend, mit seinen Thesen »einen politischen Kampf gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht zielbewusst« zu führen.400 Wenige Wochen später fand in der DDR-Botschaft in Bukarest ein Pressegespräch statt. Dabei ließen die rumänischen Journalisten ihr wohlwollendes Interesse an Havemanns Position erkennen. Sie sprachen darüber, dass der »Spiegel«-Artikel auch von vielen ihrer Kollegen und darüber hinaus in Rumänien beachtet worden sei. Die Haltung der SED-Führung lehnten sie hingegen ab.401 Folgt man dem entspre400  Florath; Müller (Hg.): Die Entlassung, S. 32–48. Das angeführte Ulbricht-Zitat, ausgesprochen auf dem als »Kahlschlag-Plenum« bekannt gewordenen 11. Plenum des ZK der SED in: ebenda, S. 48, 113 f. Ulbricht bezog sich demnach auf Vorabveröffentlichungen. Vgl. auch Florath; Theuer: Robert Havemann. Biographie, Lebensdaten, Dokumente, S.  41–46, sowie dies. (Hg.): Robert Havemann Bibliographie, S. 36. Havemanns Artikel erschien im »Spiegel« 19 (1965) 52 v. 22.12.1965, S. 30–32; textkritisch ediert in: Müller; Florath (Hg.): Die Entlassung, S. 116–122. 401  MfAA, 3. Europäische Abteilung, LS SRR, 14.2.1966: Information aus einem Vermerk der Botschaft Bukarest; PA AA, MfAA, A 7529, Bl. 142. – Havemanns Thesen wurden auch in anderen sozialistischen Ländern diskutiert. Vgl. hierzu eine beiläufige Notiz vom 12.1.1966 in: Müller; Florath (Hg.): Die Entlassung, S. 165. In Polen erschien 1965 eine sachliche Re-

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chenden Aktenvermerk der DDR-Botschaft in Bukarest, so sympathisierten die rumänischen Journalisten vor allem mit jenen Ausführungen Havemanns, die man als Argumente für mehr Souveränität der einzelnen kommunistischen Parteien heranziehen konnte.402 Havemann hatte in seinem Beitrag auf eigenständige Politik- oder Denkansätze innerhalb der kommunistischen Parteien Schwedens, Italiens, Österreichs und Polens hingewiesen und diese als Beispiele für die Möglichkeiten eines demokratischen Kommunismus angeführt. Es ist bezeichnend für die Stimmung in Rumänien, dass daraus in erster Linie Argumente für die nationale Unabhängigkeit abgeleitet wurden, nicht aber für einen politischen Pluralismus. Nach außen hin übte die rumänische Presse allerdings Zurückhaltung und widmete Havemanns »Spiegel«-Artikel nicht eine Zeile.403 Dagegen sah sich das »Neue Deutschland« zu einer sofortigen Reaktion auf den »Spiegel«-Beitrag genötigt. Die SED-Zeitung unterstellte Havemann in einer Stellungnahme am 21.[!] Dezember 1965, er habe seinen Beitrag faktisch im Auftrag westdeutscher Stellen veröffentlicht, um die westdeutsche Arbeiterschaft zu spalten.404 Mit seiner Parteinahme für China torpedierte der Balkanstaat 1964/65 auch die Bemühungen der Sowjetunion, einen Zugriff der Bundesrepublik auf Atomwaffen zu verhindern. 1963 hatten die USA den Aufbau einer multilateralen Atomstreitmacht innerhalb der NATO vorgeschlagen. Damit wären Länder wie die Bundesrepublik, die nicht selbst über Atomwaffen verfügten, an der atomaren Bewaffnung beteiligt worden. Die Sowjetunion unter Leonid Brežnev versuchte diesen Plan zu vereiteln und beabsichtigte, einen Atomwaffensperrvertrag mit den USA nur unter der Bedingung zu unterzeichnen, dass die Pläne einer multilateralen Atomstreitmacht aufgegeben würden. Zur selben Zeit unternahm China seine ersten Atombombentests und schickte sich an, zur Atommacht aufzusteigen. In dieser Situation lehnte Rumänien Ende 1964 mit Rücksicht auf China den sowjetischen Vorschlag eines Atomwaffensperrvertrages ab und verzension zu Havemanns 1964 nur im Westen erschienenen Buch »Dialektik ohne Dogma«. Vgl. Florath; Theuer (Hg.): Robert Havemann Bibliographie, S. 113, 116 f. (Nr. 1332, 1360, 1372); eine gekürzte deutsche Fassung der polnischen Rezension von Helena Eilstein in: Ost-Probleme 18 (1966) 4–5, S. 134–147. 402  Information aus einem Vermerk der Botschaft Bukarest (wie Anm. 401). 403 In den überregionalen Parteizeitungen in rumänischer und deutscher Sprache, der »Scînteia« und dem »Neuen Weg«, konnten in dem fraglichen Zeitraum 19.12.1965 bis 20.2.1966 keinerlei Berichte zu Havemann gefunden werden, ebenso wenig in den Ausgaben der theoretischen Monatszeitschrift des ZK der RAP, »Lupta de clasă« [Der Klassenkampf ], für die Jahre 1964 bis 1966. 404 Havemann will die KPD spalten. In: Neues Deutschland v. 21.12.1965, S. 2. Die »Spiegel«-Ausgaben wurden vorab unter anderem von dpa ausgewertet und Meldungen daraus verbreitet. Deshalb konnte das »Neue Deutschland« bereits am 21.12.1965 auf die »Spiegel«-Ausgabe reagieren, die als Erscheinungsdatum den 22.12.1965 trug. Ich danke meinem Kollegen Bernd Florath für diesen Hinweis auf die zeitliche Abfolge.

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weigerte seinen Verbündeten somit die Gefolgschaft. Die rumänische Haltung verärgerte vor allem die politischen Führungen in Polen und der DDR, die sich von den westdeutschen Absichten in besonderer Weise bedroht sahen und diese auch propagandistisch heftig bekämpften. Doch Rumänien war nicht gewillt, auf die Befindlichkeiten der DDR-Führung und deren Interessen im Rahmen der innerdeutschen Systemauseinandersetzung Rücksicht zu nehmen.405 Ebenso eigenwillig und entgegen den Interessen der DDR-Führung agierte Rumänien, als es am 31. Januar 1967 mit der Bundesrepublik vereinbarte, volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen, obwohl die Bundesrepublik weiterhin für sich beanspruchte, als einziger deutscher Staat die Interessen aller Deutschen zu vertreten.406 Die Bundesrepublik erkannte damals weder die DDR noch die Oder-Neiße-Grenze gegenüber Polen an. Mit ihrem Alleinvertretungsanspruch marginalisierte sie die DDR auf der internationalen Bühne. Sie betrachtete es entsprechend der »Hallstein-Doktrin« als unfreundlichen Akt, wenn ein Land die DDR als Staat anerkannte. Deshalb hatte sie im Oktober 1957 die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen, nachdem Jugoslawien diesen Schritt gegangen war. Die übrigen sozialistischen Länder unterhielten ihrerseits seit 1949 diplomatische Beziehungen nur zur DDR, nicht aber zur Bundesrepublik. Lediglich die Sowjetunion unterhielt seit 1955 offizielle zwischenstaatliche Beziehungen auch mit der Bundesrepublik und somit mit beiden deutschen Staaten. Rumänien ignorierte nun wie schon 1963 in dem Handelsabkommen die besonderen Befindlichkeiten der DDR-Führung hinsichtlich der sensiblen deutschlandpolitischen Statusfragen. Ebenso überging Rumänien die polnische Position hinsichtlich der Oder-Neiße-Grenze. Als kurz darauf, vom 8. bis 10. Februar 1967, die Außenminister der Warschauer-Pakt-Staaten in Warschau konferierten, setzten Polen und die DDR mit sowjetischer Hilfe noch einmal ihre Forderungen durch. Ihre Verbündeten erklärten sich bereit, nur dann mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen aufzunehmen, wenn die Bundesrepublik die DDR und die polnische Westgrenze anerkenne, ihre Ansprüche auf Westberlin aufgebe und einige weitere Bedingungen erfülle. Rumänien war auf der Tagung nur mit seinem stellvertretenden Außenminister vertreten und blieb von den eigentlichen Verhandlungen ausgeschlossen. Der damalige Forderungskatalog wird häufig als »Ulbricht-Doktrin« bezeichnet, doch die polnische Parteiführung hatte an seinem Zustandekommen ebensolchen Anteil wie die DDR. In der DDR, mehr noch als in Polen, wuchs die Angst, das Land könnte innerhalb des sozialistischen Lagers isoliert 405  Selvage: The Warsaw Pact and Nuclear Nonproliferation, S. 2, 15, 36–45. 406 Kunze: Ceaușescu, S.  171–174. Als zeitgenössisches Dokument siehe Gemeinsames deutsch-rumänisches Kommuniqué über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien vom 31. Januar 1967. In: Auswärtiges Amt (Hg.): Die Auswärtige Politik der Bundesrepublik Deutschland, S. 588 f.

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werden, wenn weitere verbündete Staaten dem rumänischen Beispiel folgten.407 Erich Mielke teilte diese Befürchtung. In Gesprächen mit seinen Amtskollegen warnte er vor der angeblichen Strategie der Bundesrepublik, die sozialistischen Länder gegeneinander auszuspielen und einzelne Staaten aus dem sowjetischen Block herauszubrechen, um die DDR zu isolieren. Die auf Entspannung und Verständigung angelegte neue Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt ab 1969 verstärkte Mielkes Befürchtungen noch.408 Die Historikerin Monika Tantzscher erinnert daran, dass der SED-Staat aufgrund seines Legitimationsmangels, der Teilung Deutschlands und der anhaltenden Fluchtbewegung von Ost nach West in besonderer Weise unter Druck stand: »Westdeutschland als Feind Nummer Eins konnte den anderen Ostblockstaaten nicht in gleicher Weise als Totengräber des eigenen Staates erscheinen, im Gegenteil, erhoffte man sich doch bei einer Normalisierung der Beziehungen [...] vorteilshafte Handelsbeziehungen und für die Modernisierung der Wirtschaft dringend notwendige Kredite.«409 Die Parteizeitungen der DDR und Rumäniens trugen die politischen Differenzen offen aus, während Polen auf öffentliche und offizielle Beschwerden gegenüber Rumänien verzichtete. Das »Neue Deutschland« unterstellte Rumänien in einem namentlich nicht gekennzeichneten Kommentar am 3. Februar 1967, mit seinem Schritt gefährde es den Frieden und die Sicherheit Europas. Solange 407  Selvage: Poland, the GDR, and the »Ulbricht Doctrine«. Selvage weist nicht nur auf die Rolle Polens hin, sondern auch auf die Tatsache, dass Moskau schon am 24.1.1967 seinen Verbündeten eine Außenministerkonferenz zur Frage der diplomatischen Beziehung zur Bundesrepublik ankündigte, also noch vor der Einigung Rumäniens mit Bonn. Am 25.1.1967 übersandte die DDR-Regierung den verbündeten Ländern eine Denkschrift, in der sie ihre Erwartung formulierte, dass sozialistische Länder erst dann diplomatische Beziehungen zur BRD aufnehmen, wenn sich die Warschauer-Pakt-Staaten zuvor auf gemeinsame Positionen verständigten. Ebenda, S. 235. Vgl. auch Lemke: Jugoslawien und Rumänien, S. 86–89, der das entschiedene Auftreten der SED-Führung gegen die rumänisch-westdeutsche Verständigung auch mit dem »merkwürdig inaktiv[en]« Verhalten der Sowjetunion in dieser Frage erklärt. Theurer: Bonn – Belgrad – Ost-Berlin, S. 238, hebt darauf ab, dass Ulbricht die Sowjetführung leicht für ein härteres Vorgehen gewinnen konnte, da »auch das sowjetische Prestige einige Kratzer abbekommen habe«. 408  Siehe die Konzeptionen für die Gespräche Mielkes mit den Führungen der Staatssicherheitsdienste der ČSSR (November 1965); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5200, Bl.  33–37; Bulgariens (August 1966); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5471, Bl. 172–178; Polens (März 1967); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5433, Bl. 11; Ungarns (Mai 1967 und September 1971); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5463, Bl. 11, 119; der Sowjetunion (November 1969 und Mai 1971); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5128, Bl. 26–30 und ZAIG, Nr. 5132, Bl. 23–31. Die Furcht vor einer außenpolitischen Isolierung der DDR verstärkte sich nach Aufnahme der westdeutsch-rumänischen Beziehungen, existierte bei Mielke aber auch schon davor. 409  Tantzscher: Die Stasi und die »Kaffeehaus-Tschekisten«, S. 48. Tantzscher sieht in dieser »besonderen Fragilität des SED-Staates« die Ursache dafür, dass das MfS stärker ausgebaut wurde als die meisten anderen sozialistischen Geheimdienste und diesen aus diesem Grund überlegen gewesen sei.

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die Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch nicht aufgebe, hätte Rumänien unter keinen Umständen diplomatische Beziehungen aufnehmen dürfen. Rumänien habe mit diesem Schritt die revanchistische Deutschlandpolitik der Bundesregierung akzeptiert, was zu bedauern sei.410 Die »Scînteia« wies diese Vorwürfe zurück. Vielmehr habe Rumänien der historischen Tatsache Rechnung getragen, dass zwei deutsche Staaten existierten, weshalb notwendiger Weise normale Beziehungen zu beiden deutschen Staaten gepflegt werden müssten. Rumänien trage so zur politischen Entspannung in Europa bei. Zutreffend argumentierte die »Scînteia«, Rumänien habe einen Beitrag dazu geleistet, den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik zu beseitigen. Denn entgegen der bisherigen »Hallstein-Doktrin« akzeptiere die Bundesrepublik, dass Rumänien beide deutsche Staaten anerkannte.411 Diese Argumentation entsprach weitgehend dem Standpunkt, den der stellvertretende sowjetische Außenminister Vladimir Semënov noch Mitte Januar 1967 gegenüber Walter Ulbricht vertreten hatte. Vor allem aus Rücksicht auf die polnischen und ostdeutschen Bedenken, und um die Einheit der sozialistischen Staaten möglichst zu wahren, unterstützte Moskau jedoch auf der Warschauer Außenministerkonferenz die Haltung der beiden Staaten gegenüber Rumänien.412 Auch wenn Rumänien sich damals mit seinem diplomatischen Alleingang als unzuverlässiger Verbündeter der DDR erwies, so schlug es gleichwohl eine Richtung ein, die in der Sache selbst auch von anderen sozialistischen Staaten mit Verständnis aufgenommen wurde. Die HV A gelangte über ihre Agenten im Bonner Auswärtigen Amt an einige Interna der westdeutsch-rumänischen Annäherung. In drei Informationsberichten setzte sie die DDR-Staats- und Parteiführung Ende Januar und Anfang Februar 1967 über einige westdeutsch-rumänische Abmachungen im Zuge der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen in Kenntnis. Aus Bukarest dürfte die DDR-Führung damals kaum derartige Informationen bekommen haben. Erkennbar war in den Berichten das Bestreben beider Verhandlungspartner, zu einer Übereinkunft zu gelangen: »[...] strittige Fragen [seien] ausgeklammert bzw. nur am Rande erwähnt worden«, fasste die HV A diese Zielstrebigkeit zusammen. Die Bundesregierung sei den rumänischen Wirtschaftsinteressen weit 410  Europäische Sicherheit erfordert Verzicht auf Revanchepolitik. In: Neues Deutschland v. 3.2.1967, S.  1. In derselben Ausgabe wurde auf S.  7 der offizielle rumänische Standpunkt wiedergegeben, wie ihn die rumänische Nachrichtenagentur »Agerpres« verbreitete. Zugleich druckte das »Neue Deutschland« mehrere Pressekommentare aus osteuropäischen Zeitungen ab, die durchweg gegen Rumänien argumentierten. Zuvor hatte das »Neue Deutschland« in zwei Kurzmeldungen über die westdeutsch-rumänische Verständigung berichtet. Siehe Manescu in Westdeutschland. In: Neues Deutschland v. 31.1.1967, S. 7; Diplomatische Beziehungen Rumänien – Bonn vereinbart. In: Neues Deutschland v. 1.2.1967, S. 7. 411  Scînteia, 4.2.1967; eine deutsche Übersetzung ist vorhanden in: BStU, MfS, SdM, Nr. 990, Bl. 111–119. Zu dem Schlagabtausch in der Presse siehe auch Weiß: Kulturarbeit, S. 181 f. 412  Selvage: Poland, the GDR, and the »Ulbricht Doctrine«, S. 233–237, 240.

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entgegengekommen. Sie habe sogar zugesagt zu prüfen, »inwieweit hinderliche EWG-Vereinbarungen [...] zugunsten der Einfuhr rumänischer Waren geändert, umgangen oder außer Kraft gesetzt werden können«. Die sowjetische Note vom 29. Januar 1967, in der die Moskauer Führung insbesondere die Bundesregierung wegen der Verständigung mit Rumänien angriff, aber die selbstverständlich auch gegen Rumänien gerichtet war, habe der rumänische Außenminister Mănescu in Bonn nicht kommentiert, sondern nur erklärt, »es handele sich dabei ausschließlich um eine westdeutsch-sowjetische Angelegenheit«. Über Ausreisemöglichkeiten für Angehörige der deutschen Minderheit habe die rumänische Delegation nicht verhandeln wollen, jedoch eine spätere Prüfung und Regelung zugesagt.413 Fast alle Länder, zu denen die Bundesrepublik damals diplomatische Beziehungen unterhielt, würden auch weiterhin die Hallstein-Doktrin akzeptieren und den Bonner Schritt nicht zum Anlass nehmen, ihrerseits nun die DDR anzuerkennen.414 Eine wichtige HVA-Quelle für dieses Thema saß damals auch in Warschau, nämlich die Fremdsprachensekretärin des Auswärtigen Amts Helge Berger. 1966 war Berger von Bonn an die bundesdeutsche Handelsvertretung nach Warschau versetzt worden. Da diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen erst im September 1972 aufgenommen wurden, kam der Handelsvertretung eine Ersatzfunktion zu. Die Handelsvertretung wurde von einem Diplomaten, Heinrich Böx, geleitet. Er führte in Warschau unter anderem vertrauliche Gespräche mit dem rumänischen Botschafter Tiberiu Petrescu. Böx informierte das Auswärtige Amt in Bonn über den Inhalt dieser Gespräche; seine Sekretärin Helge Berger übergab Ablichtungen der entsprechenden Fernschreiben an die HV A. Der Inhalt dieser Papiere dürfte der DDR aufschlussreiche Hinweise über die westdeutsch-rumänischen Beziehungen geliefert haben.415 413  Einzelinformation [der HV A], Nr. 121/67 über die Ergebnisse der westdeutsch-rumänischen Gespräche zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Reaktion dritter Staaten zur Bonner Ostpolitik, 10.2.1967; BStU, MfS, HVA, Nr. 221, Bl. 50–58, Zitate 50 f. Diese Information ging an Ulbricht, Honecker, Stoph, Axen, Winzer und den KGB. 414  Einzelinformation [der HV  A], Nr. 80/67 über Maßnahmen der Bonner Regierung zur Vorbereitung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den sozialistischen Ländern, 26.1.1967, sowie Einzelinformation [der HV A], Nr. 107/67 über die Reaktion des Auslands auf die Demarchen der Bundesregierung hinsichtlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Rumänien, 4.2.1967; BStU, MfS, HVA, Nr. 221, Bl. 90, 246 f. Diese Informationen gingen an Ulbricht, Honecker, Axen, Winzer und den KGB. 415  Schwan; Heindrichs: Das Spinnennetz, S.  275–278. In der SIRA-Teildatenbank 12 sind allein für die Jahre 1969 bis 1976 insgesamt 438 Informationslieferungen von Helge Berger (Decknamen: »Nova«, »Komtess«) unter ihrer Reg.-Nr. XV/2091/66 verzeichnet, 22 davon behandeln rumänische Themen; über die Jahre davor liegen keine Erkenntnisse vor, da die SIRA-Teildatenbank erst 1969 einsetzt. BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12. Petrescu war von Februar 1966 bis Mai 1971 rumänischer Botschafter in Polen; Böx leitete die bundesdeutsche Handelsvertretung von Oktober 1966 bis zu seiner Pensionierung im Juni 1970, wobei er

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1967 beschritt Rumänien auch in der Israel-Politik einen Sonderweg, indem es nach dem Sechs-Tage-Krieg als einziges Ostblockland die diplomatischen Beziehungen zu Israel nicht abbrach.416 Ein HVA-Informant meldete im darauffolgenden Jahr, die Sowjetunion mache sich die rumänischen Kontakte zu Israel zunutze, um über Rumänien unauffällig weiterhin Handel mit Israel zu betreiben. Dieser Hinweis schien Markus Wolf wichtig genug, um ihn Ende 1968 Minister Mielke vorzulegen.417 Er zeigt wiederum, dass die rumänischen Abweichungen den sowjetischen Interessen nicht unbedingt entgegenstanden. Ende Februar 1968 kam es in Budapest zu einem offen ausgetragenen Streit um die rumänische Politik. Damals fanden sich in der ungarischen Hauptstadt die Vertreter von über 60 kommunistischen Parteien zu einer Konsultativtagung zusammen. Ihnen war aufgegeben, die für Juni 1969 in Moskau angesetzte III. Kommunistische Weltkonferenz vorzubereiten und die sowjetische Führungsrolle in der kommunistischen Welt wieder herzustellen. Doch der rumänische Delegationsleiter Paul Niculescu-Mizil sprach sich ausdrücklich gegen ein kommunistisches Führungszentrum aus. Er verwahrte sich gegen jede diskriminierende Kritik an irgendeiner kommunistischen Partei und nahm beispielsweise die chinesische KP in Schutz. Als er auch noch das Fehlen der china­ freundlichen KP Israels auf der Konferenz ansprach und somit die rumänische Nahostpolitik zum Thema machte, beschimpfte ihn der syrische Delegierte als »Chauvinist«. Selbst nach einer Intervention Ceaușescus brachte die Konferenz keine solche Entschuldigung gegenüber der rumänischen Delegation zustande, die diese akzeptiert hätte. Die Rumänen reisten daraufhin vorzeitig aus Budapest ab. Erich Honecker, der die SED-Delegation in Budapest leitete, erstattete dem Zentralkomitee seiner Partei Bericht über diese Tagung. Darin bescheinigte er der rumänischen Seite eine »Obstruktionspolitik« und unterstellte ihr, deren Delegation sei bereits mit der Vorgabe nach Budapest gereist, »das Konsultativtreffen zu sprengen«.418 Kurz nach dem Treffen griff die rumänische Botzunächst die Amtsbezeichnung »Ministerialdirigent« führte, ab Januar 1970 dann »Botschafter«. Berger wechselte 1970 von Warschau nach Bonn und war ab 1972 für das Auswärtige Amt in Paris tätig. 1976 wurde sie enttarnt und verhaftet und 1977 zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. 416 Kunze: Ceaușescu, S. 174–176. 417  Über die Beziehungen Israels zur Sozialistischen Republik Rumänien (SRR) [undatiert, ca. Ende 1968]; von Wolf am 19.12.[1968] Minister Mielke zur Kenntnisnahme vorgelegt; BStU, MfS, SdM, Nr. 1436, Bl. 144 f. Siehe auch die Erinnerungen des israelischen Botschafters in Rumänien, Govrin: Israeli–Romanian Relations. 418  Păiușan; Ion; Retegan: Regimul comunist din România, S. 136; die Konferenz dauerte vom 26.2. bis 5.3.1968, die Rumänen reisten am 29.2. ab. Kommunismus. Welttreffen: Treue Krebse. In: Der Spiegel 22 (1968) 10, 4.3.1968, S. 89–91. MfS, HV A, Berlin, 7.2.1969: Die Lage in der Sozialistischen Republik Rumänien und der imperialistische Einfluss in diesem Land; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5481, Bl. 13. Der »Bericht über das Konsultativtreffen der kommunistischen und Arbeiterparteien in Budapest«, den Erich Honecker auf der 5. Tagung

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schaft in Ostberlin diesen Vorfall auf. Sie verschickte mehrere Publikationen an einen breiten Empfängerkreis in der DDR, in denen unter anderem die rumänische Haltung in Budapest begründet und die Zweckmäßigkeit dieser und weiterer, bereits geplanter Konferenzen der kommunistischen Parteien bezweifelt wurde. Das MfS stand nun vor der Frage, wie es mit diesen non-konformen Schriften eines verbündeten Landes umgehen sollte. Man wagte nicht, sie einfach zu konfiszieren. Zunächst erging daher eine Information über den Sachverhalt an Walter Ulbricht und andere hochrangige SED-Funktionäre. Als die Botschaft nur wenige Wochen später erneut verschiedene Materialien zu dieser Thematik in der DDR verbreitete, stieg im MfS die Unsicherheit. Es bat deshalb den für Sicherheitsfragen zuständigen ZK-Sekretär Erich Honecker ausdrücklich um eine Grundsatzentscheidung, wie man in solchen Fällen künftig verfahren solle.419 Welche Empfehlung Honecker dem MfS gab, geht aus den bislang bekannten Akten nicht hervor. Der rumänische Sonderweg erreichte seinen sichtbaren Höhepunkt, als die rumänische Staats- und Parteiführung am 21. August 1968 in einer öffentlichen Verlautbarung den soeben erfolgten Einmarsch der Armeen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei verurteilte. Darin hieß es: [...] Das Zentralkomitee, der Staatsrat und der Ministerrat geben ihrer tiefen Besorgnis über die [...] flagrante Verletzung der nationalen Souveränität eines freien und unabhängigen sozialistischen Bruderstaates Ausdruck. Nichts kann ein solches Vorgehen [...] rechtfertigen. [...] Die Partei und die Regierung, das ganze Volk erklären sich auch bei dieser Gelegenheit mit dem tschechoslowakischen Brudervolk und der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei vollkommen solidarisch.420 des ZK am 21.3.1968 vorlegte, ist vorhanden in: BStU, MfS, SED-KL, Nr. 1178, Bl. 91–113, Zitat 100. Des Weiteren die Beiträge Nach dem Budapester Konsultativtreffen: Verschärfte Gegensätze in der Frage der kommunistischen Einheit. In: Wissenschaftlicher Dienst Südosteuropa 17 (1968) 3, S. 37–41, und Die KP als »Führer der Nation«. Eine rumänische Selbstrechtfertigung 17 (1968) 4, S. 70–72. – An der III. Kommunistischen Weltkonferenz im Juni 1969 in Moskau nahm Nicolae Ceaușescu teil. Doch die Konferenz vermochte es nicht, die auseinanderstrebenden kommunistischen Richtungen wieder dem Führungsanspruch Moskaus unterzuordnen. Vgl. hierzu knapp Kommunismus. Weltkonferenz. In: Der Spiegel 23 (1969) 25, 16.6.1969, S. 94 f. 419  MfS, ZAIG: Einzel-Information Nr. 307/68 über den Versand von rumänischen Publikationen an Redaktionen und Funktionäre in der DDR durch die Botschaft der Sozialistischen Republik Rumänien in Berlin, 18.3.1968; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1475, Bl. 1–5. Zu den Empfängern der Information 307/68 gehörten unter anderem Ulbricht, Honecker, Stoph, Axen und Winzer. Die Einzel-Information Nr. 379/68 vom 6.4.1968 »über den Versand rumänischer Publikationen durch die Botschaft der Sozialistischen Republik Rumänien in Berlin« ging nur an Honecker und Winzer und enthielt in einem Nachsatz die oben erwähnte Bitte um eine Grundsatzentscheidung; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1475, Bl. 3–6. 420  Zit. nach: Dokumentation: Zur Besetzung der CSSR. Die Stellungnahmen der südosteuropäischen Parteiführungen. In: Wissenschaftlicher Dienst Südosteuropa 17 (1968) 8–9, S. 129–140, hier 134.

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Am gleichen Tag verkündete Nicolae Ceaușescu in einer öffentlichen Rede vor rund 100 000 Bukarestern, sein Land werde umgehend damit beginnen, »bewaffnete patriotische Garden« aufzustellen, um die »Unabhängigkeit und die Sicherheit des sozialistischen Vaterlandes zu verteidigen [...]: das ganze rumänische Volk wird es niemandem gestatten, das Territorium unseres Vaterlandes zu verletzen«.421 Vor der Bukarester Nationalversammlung betonte er am folgenden Tag noch einmal, dass die Besetzung der Tschechoslowakei Unrecht sei: »Die Truppen der fünf sozialistischen Länder sind in die Tschechoslowakei eingedrungen, ohne von den legalen und gewählten Organen des Landes gerufen worden zu sein [...].«422 Schon eine Woche vor der Besetzung der Tschechoslowakei hatte Ceaușescu in einer Rede vor Absolventen rumänischer Kriegsschulen am 14. August 1968 erklärt: Es kann keine Rechtfertigung dafür geben, dass auf irgendeine Weise der Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Intervention in interne Angelegenheiten irgendeines Mitgliedlandes des Warschauer Vertrages zugelassen wird. Die Regelung interner Angelegenheiten steht lediglich den Parteien und den Völkern der Länder zu; jegliche Art von Einmischung kann der Sache des Sozialismus, der Freundschaft und Zusammenarbeit unter den sozialistischen Ländern nur schaden.423

Am Tag darauf reiste er zu seinem zweiten Besuch im laufenden Jahr in die Tschechoslowakei. In Prag verlängerte er am 16. August 1968 den rumänisch-tschechoslowakischen »Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand« um weitere 20 Jahre.424 Diese Vertragsverlängerung wäre eigentlich eine Routineangelegenheit gewesen. Denn die meisten Länder der sowjetischen Einflusssphäre hatten erstmals 1948/49 gegenseitige, bilaterale Freundschafts- und Beistandsverträge mit einer Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen, sodass nun die Vertragsverlängerungen anstanden. Mit der reform­ orientierten Tschechoslowakei unterzeichneten Bulgarien und Ungarn noch im April bzw. Juni 1968 aktualisierte Freundschaftsverträge. Mit Rumänien kam es 1968/69 hingegen zu keiner einzigen Verlängerungen eines solchen bilateralen Vertrages. Das war ein sichtbarer Ausdruck des gespannten Verhältnisses 421  Ebenda, S. 134 f. 422  Ebenda, S.  135. Rumänien wurde von den anderen Warschauer-Pakt-Staaten nicht in die Vorbereitungen der Okkupation der ČSSR einbezogen, sodass Ceaușescu »vom Beginn der militärischen Operation am 21. August 1968 überrascht« wurde, wie Carmen Rijnoveanu meint. Siehe Rijnoveanu: Die Auswirkungen der Krisen des Ostblocks 1956 und 1968 auf das rumänische Sicherheitskonzept, S. 157 f. Die immer wieder zu lesende Darstellung, Ceaușescu habe sich geweigert, sich an der Intervention in der ČSSR zu beteiligen, ist daher unzutreffend. 423  Zit. in: Meissner: Die »Breshnew-Doktrin«. Dokumentation, S. 146 f. 424  Păiușan; Ion; Retegan: Regimul comunist din România, S. 136, 139. Ceaușescu war bereits vom 21. bis 23. Februar 1968 in der Tschechoslowakei gewesen.

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des südosteuropäischen Landes zu seinen Verbündeten. Lediglich Rumänien und die Tschechoslowakei pflegten im Sommer 1968 solche zwischenstaatliche Beziehungen, auf deren Grundlage ein aktualisierter Freundschafts- und Beistandsvertrag abgeschlossen werden konnte. In diesem brisanten Zeitraum bedeutete diese Vertragsverlängerung keine Routineangelegenheit, sondern ein demonstratives Einverständnis zweier sozialistischer Länder, die sich immer weiter von Moskau entfernten.425 Die aufsehenerregenden Staatsbesuche des französischen Präsidenten Charles de Gaulles im Mai 1968 und des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon im August 1969 in Bukarest verstärkten den Eindruck einer rumänischen Sonderposition. Nixons Rumänien-Reise war zugleich der erste Staatsbesuch eines US-Präsidenten in einem sozialistischen Land nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Auswertungsabteilung des MfS analysierte in einem 34 Seiten umfassenden Papier für Stasi-Chef Mielke dieses Ereignis. Sie bescheinigte der rumänischen Führung eine »nationalistisch-opportunistische Position« und eine »Missachtung der politischen Gesamtinteressen der sozialistischen Staatengemeinschaft«. Rumänien habe es dem Westen ermöglicht, politisch und ideologisch in ein sozialistisches Land einzudringen und leiste »der ideologischen Diversionstätigkeit des USA-Imperialismus objektiv Hilfe«.426 Zugleich wertete sie den Nixon-Besuch als ein Beispiel für die neue US-amerikanische Ostpolitik, die auf »Dialog und Begegnung« anstatt auf »Konfrontation« setze. Und sie gab zu bedenken, dass es den USA nicht so sehr um Rumänien gehe, sondern um ihr Verhältnis zur Sowjetunion. Die gesamte Analyse zeigt, wie sehr die MfS-Führung von einer tief sitzenden Angst geprägt war. Sie ordnete Rumäniens demonstrative Hinwendung nach Westen und die westlichen Reaktionen hierauf als einen Bestandteil der sich abzeichnenden Entspannungspolitik ein; sie nahm diese Politik vor allem als Bedrohung wahr und lehnte sie daher ab. Ebenso waren Erich Mielke und Markus Wolf lange Zeit Gegner der Ostpolitik Willy Brandts, auch wenn Markus Wolf nachträglich ein gegenteiliges Bild von sich aufbaute.427 Weil das MfS befürchtete, Nixons begeisterter Empfang in Bukarest könnte auch in der DDR-Bevölkerung auf Zustimmung stoßen und zu politisch unerwünschten Reaktionen führen, erging an die zuständigen MfS-Abteilungen die

425  Zu den Freundschaftsverträgen siehe ausführlicher in Kapitel 2.2.7. 426  MfS, ZAIG, 28.8.1968: Bericht über den Besuch des USA-Präsidenten Nixon in Rumänien am 2./3.8.69 (unter besonderer Berücksichtigung der politischen Aussagen des X. Parteitages der RKP vom 6.–12.8.1969); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5482, Bl. 1–34, hier 4–6. Neben Mielke erhielt nur die HVA-Abteilung VII (Auswertungsabteilung) noch ein Exemplar dieses Berichts. 427  Zur Ablehnung der Ostpolitik durch Mielke und Wolf siehe Suckut: Probleme mit dem »großen Bruder«.

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Anweisung, die Stimmungen auf dieses Ereignis zu dokumentieren.428 Auch auf solche Weise wirkte die rumänische Politik auf die DDR zurück und veranlasste das MfS zu Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen im eigenen Land. 2.2.5 Eine Zwischenbilanz des MfS: die Lageanalyse zu Rumänien 1969 und Vergleiche mit Polen und Ungarn Bereits im Februar 1969 hatte die HV A eine umfassende Analyse über »die Lage in der Sozialistischen Republik Rumänien und den imperialistischen Einfluss in diesem Land« erarbeitet.429 Auch im Rückblick erweist sich dieses Papier als treffende Zustandsbeschreibung. Es zeigt zugleich, wie kritisch die HV A die Position Rumäniens einschätzte. Der rumänische Sonderweg wurde als bedrohliche Realität wahrgenommen und nicht nur als vordergründige Propaganda, mit der Ceaușescu sein Ansehen im Westen verbessern wollte. Die HV A legte ihre Analyse nur einem exklusiven Empfängerkreis vor: Erich Mielke, seinem ersten Stellvertreter Bruno Beater, dem für die Bekämpfung von Kirchen, Untergrund und Opposition zuständigen Mielke-Stellvertreter Fritz Schröder, und dem Leiter der Abteilung X des MfS, Willi Damm. Sie stellte in ihrem Papier die aus ihrer Sicht relevanten Entwicklungen in Rumänien seit Beginn der 1960erJahre zusammen. Grundsätzlich bescheinigte sie der Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) eine »rechtsopportunistische nationalistische Linie«. Die RKP habe sich innerhalb der »kommunistischen Weltbewegung« isoliert und nehme eine »destruktive Haltung« innerhalb des Warschauer Pakts und des RGW ein. Sie setze den Warschauer Pakt und die NATO gleich und befinde sich damit in Übereinstimmung mit der jugoslawischen Sicht. Die rumänische Haltung zu den Ereignissen in der Tschechoslowakei sei »kaum als Sympathie für die innenpolitische Entwicklung der CSSR zu verstehen, sondern als Unterstützung für nationalistische Tendenzen in der CSSR-Politik.« Die HV A verwies auf den wachsenden Personenkult um Ceaușescu, auf seine Versuche, die Staatsgewalt noch stärker zu zentralisieren sowie auf die offensichtlichen Probleme mit den großen ungarischen, deutschen und serbischen Minderheiten im 428  MfS, ZAIG, 1.8.1969: Schreiben an die Leiter der HA/Abt. XX: Aufklärung der Versuche zur Ausnutzung des Nixon-Besuches in Rumänien für feindliche Tätigkeit; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5820, Bl. 34; daraus abgeleitet die ähnlich formulierte Anweisung des Leiters der BVfS Karl-Marx-Stadt an die MfS-Kreisdienststellen vom 4.8.1969; BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 3909, Bl. 54. 429  MfS, HV A, Berlin, 7.2.1969: Die Lage in der Sozialistischen Republik Rumänien und der imperialistische Einfluss in diesem Land; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5481, Bl. 1–38; für die nachfolgenden Ausführungen und Zitate siehe insbes. Bl. 4–8, 10, 13, 15 f., 17–19, 22, 26–30. Bei dem erwähnten Tarzan-Darsteller handelt es sich um Johnny Weissmüller, der allerdings nicht aus Siebenbürgen stammte, sondern aus dem westrumänischen Banat.

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Land. Die rumänischen Sicherheitsorgane würden intensiver als in der DDR von der Parteiführung kontrolliert und von dieser »nur noch allgemein auf ›ausländische‹ Subversions- bzw. Spionagetätigkeit orientiert, ohne zwischen sozialistischen und imperialistischen Ländern zu differenzieren«. Zu den Beziehungen zwischen Rumänien und der DDR schrieb die HV A, die rumänische Seite setze diese Beziehungen »an die letzte Stelle«. Rumänien habe die DDR in ihrem Kampf gegen den »westdeutschen Revanchismus« nicht unterstützt und zeige an den deutschlandpolitischen Problemen kein Interesse. Die RKP pflege gute Kontakte zu sozialdemokratischen Parteien und rechne selbst die bundesdeutschen Sozialdemokraten zu den »progressiven Kräften«. Das widersprach vollkommen dem ideologischen Weltbild des MfS und Teilen der SED, für die die SPD fast in gleichem Maße wie die konservative CDU eine »aggressive«, »revanchistische« Politik vertrat. Völlig unverständlich war für die HV A die Tatsache, »dass westliche Tarzan-Filme in Rumänien allein aus dem Grund aufgeführt werden, weil der Hauptdarsteller aus Siebenbürgen stammt«. Ferner würden in Rumänien Filme mit »antimarxistischen Tendenzen« zugelassen, und das »antisowjetische Machwerk ›Dr. Schiwago‹« von Boris Pasternak sei unter rumänischen Studenten weit verbreitet. Die HVA-Analyse dokumentiert die große ideologische Kluft zwischen der SED und der RKP in dieser Zeit. Das Land war für die linientreuen SED-Funktionäre politisch und ideologisch unzuverlässig geworden. Es bot »eine Reihe von Ansatzpunkten für das Eindringen der imperialistischen Ideologie«. Mit einer Änderung dieser nationalistischen Ausrichtung rechnete die HV A nicht, denn es sei Ceaușescu gelungen, »die internationalistischen Kräfte in der Parteiführung zurückzudrängen«, wenngleich er sie nicht völlig ausgeschaltet habe. Zu diesen marginalisierten Spitzenpolitikern und -funktionären zählte die HV A insbesondere Chivu Stoica, Gheorghe Apostol, Emil Bodnăraș, Alexandru Bârlădeanu und Alexandru Drăghici, die sich alle bereits seit den 1930er- oder frühen 1940er-Jahren der damals illegalen rumänischen KP angeschlossen hatten.430 Auch außerhalb der Partei erkannte die 430 Stoica (auch: Chivu, Stoica; 1908–1975) wurde 1967 als Staatsratsvorsitzender von Nicolae Ceaușescu abgelöst. Apostol (1913–2010) und Bodnăraș (1904–1976) verloren 1967 ihre Funktionen als Stellvertreter des Ministerpräsidenten; der Wirtschaftspolitiker und rumänische Repräsentant beim RGW, Bârlădeanu (1911–1997), legte 1968 seine politischen Ämter nieder und Alexandru Drăghici (1913–1993), der bis 1965 Innenminister war, wurde im April 1968 auch als stellvertretender Ministerpräsident abgelöst. Die hier Genannten wurden entweder in weniger bedeutende Ämter abgeschoben oder erhielten gar keine Funktionen mehr. Ceaușescu entmachtete in dieser Phase noch weitere Gefolgsleute seines Vorgängers Gheorghiu-Dej, um seine Macht zu sichern. Einigen von ihnen schob er die Verantwortung für die Verfehlungen des Stalinismus zu. Tismăneanu: Stalinism, S. 198–206. Apostol und Bârlădeanu gehörten im Frühjahr 1989 zu den Unterzeichnern des »Briefes der Sechs«, in dem sie mit vier weiteren Altkommunisten offen mit der Politik Ceaușescus abrechneten. Ihr Brief wurde im März 1989 über westliche Rundfunkstationen in Rumänien bekannt. Vgl. ebenda, S. 227 f. sowie ausführlich Petrescu, Cristina: From Robin Hood to Don Quixote, S. 217–274.

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HV A keine nennenswerte Opposition gegen Ceaușescu. Sie erwähnte lediglich eine Demonstration am 24. Dezember 1968 in Bukarest, an der rund 800 Studenten teilgenommen hätten. Sie hätten Kirchenlieder gesungen, »Freiheit wie bei Tito« gefordert und »antisowjetische Losungen« verbreitet. Wenige Monate bevor die HV  A diese Einschätzung über Rumänien verfasste, erstellte sie ähnlich angelegte Länderanalysen über Polen und Ungarn.431 Sie entstanden unmittelbar nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei. Auch sie dienten dazu, Auskunft über die politische Stabilität des jeweiligen Landes zu geben. Ein Vergleich der Länderanalysen macht deutlich, wo für die HV  A der prinzipielle Unterschied zwischen Polen und Ungarn auf der einen Seite und Rumänien auf der anderen Seite lag. Im Falle Polens und Ungarns hatte die HV A keine Zweifel, dass die jeweiligen Parteiführungen grundsätzlich »auf dem Boden der Grundlagen des Marxismus-Leninismus« standen und in außenpolitischen Grundfragen zuverlässig die Positionen der anderen sozialistischen Länder teilten. Als problematisch empfand die HV A in diesen beiden Ländern die zahlreichen dissidentischen und oppositionellen Gruppen und Strömungen. In Polen lagen die März-Unruhen des Jahres 1968 erst wenige Monate zurück; damals demonstrierten Zehntausende Studenten für Meinungs- und Versammlungsfreiheit und für die Abschaffung der Zensur. Die HV A machte hierfür, gemäß ihrem monokausalen Weltbild, westliche Einflussnahme verantwortlich, benannte aber auch polnische Intellektuelle wie den Philosophen Leszek Kołakowski und die Publizisten Jacek Kuroń und Karol Modzelewski als führende Köpfe einer liberalen Opposition.432 In Ungarn erachtete die HV A die dortige Presse als zu liberal, weil dort »alle Stimmen zu Wort kommen« würden und man sich erst im Nachhinein mit abweichenden Positionen auseinandersetze. Als Beispiel hob die HV  A Interviews mit dem »revisionistischen Philosophen« Georg Lukács hervor, die in ungarischen Zeitungen erschienen waren. Ferner gebe es unter ungarischen Schriftstellern und Intellektuellen, in Wirtschaftskreisen sowie bei Radio- und Fernsehleuten Sympathien mit den politischen Reformen des Prager Frühlings.433 Im Falle Rumäniens war es also die Staats- und Parteiführung, die aus der Perspektive des MfS und gewiss auch der SED von der gemeinsamen politischen Linie der sozialistischen Länder abgewichen war und gleichsam die Dissidenz verkörperte, während eine innere Opposition dort keine Rolle spielte. In Polen 431  Einschätzung der Lage in der Volksrepublik Ungarn und der imperialistischen Tätigkeit gegenüber diesem Lande, 28.8.1968; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5127, Bl. 37–56. Zur Lage in der Volksrepublik Polen und der imperialistischen Tätigkeit gegenüber diesem Lande, 8.9.1968; ebenda, Bl. 19–36. Beiden Papieren fehlt eine Verfasserangabe. Ein Vergleich mit der Lageeinschätzung zu Rumänien, der Aufbau der Analyse und der Ablageort legen die Urheberschaft der HV A nahe. 432  Ebenda, Bl. 20. 433  Ebenda, Bl. 40 f.

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und Ungarn erschien die politische Führung verlässlich, aber das widerständige Potenzial in der Bevölkerung bereitete dem MfS Sorge. In einer späteren Lageeinschätzung vom Dezember 1971 stellte das MfS fest, dass sich die rumänische Parteiführung insbesondere in außenpolitischen Fragen inzwischen noch weiter von den »politischen Grundpositionen der Bruderländer« entfernt habe. Es analysierte, wie Ceaușescu nach seiner ausgedehnten Asienreise vom 1. bis 24. Juni 1971, die ihn nach China, Nordkorea, Nordvietnam und in die Mongolei führte, seine Politik zu ändern begann: Mit chinesischer Rückendeckung und Wirtschaftshilfe forciere er die außenpolitische Unabhängigkeit Rumäniens und komme den »großmachtchauvinistischen und antisowjetischen Zielen der chinesischen Führung entgegen«. Seine »Vorschläge für die Verbesserung der politisch-ideologischen Tätigkeit, zur marxistisch-leninistischen Erziehung der Parteimitglieder und aller Werktätigen« würden die nationalistischen Positionen der RKP nach innen und außen noch stärker als bisher theoretisch begründen.434 Dieser 17-Punkte-Plan, den das Exekutivkomitee der RKP am 6. Juli 1971 annahm, bildete in der Tat den Auftakt der neosta­ linistischen und verstärkt nationalistischen Politik, die bis 1989 Ceaușescus Herrschaft prägte. Ceaușescus Eindrücke auf seiner Asienreise werden häufig als Auslöser für diesen Politikwechsel und die rumänische Variante der Kulturrevolution beschrieben, die darin bestand, Kultur und Kunst wieder stärker unter die Kontrolle von Partei und Staat zu stellen und sie für das Herrschaftssystem Ceaușescus zu instrumentalisieren. Doch war diese Asienreise nicht die Ursache für diese Politik, denn die Grundlagen hierfür wurden bereits zuvor gelegt. So verweist die Politikwissenschaftlerin Anneli Ute Gabanyi darauf, dass die Ziele der 1971 ausgelösten »Kulturrevolution«, die auf eine »Verhärtung der Parteilinie im literarisch-künstlerischen Bereich« hinausgelaufen seien, schon vom ZK-Dezemberplenum 1967 »abgesteckt worden« seien. Der polnische Historiker Adam Burakowski macht darauf aufmerksam, dass eine so groß angelegte Kampagne eine gewisse Vorbereitungszeit benötigte und kaum in den zwei Wochen zwischen Ceaușescus Rückkehr aus Asien und den Beschlüssen vom 6. Juli 1971 entstanden sein konnte. Burakowski zitiert aus dem Protokoll der Sitzung des Exekutivkomitees vom 25. Juni 1971; demzufolge erinnerte Ceaușescu daran, dass er bereits vor seiner Chinareise dem Sekretariat des ZK Veränderungen in der Propaganda- und Erziehungsarbeit des Volkes angekündigt habe. Was er in China und Korea gesehen habe, habe ihm gezeigt, dass er mit seinem Vorhaben richtig liege. Burakowski folgert daher, dass der Einfluss der Asienreise auf die

434  MfS, ZAIG, 16.12.1971: Auskunft über einige Aspekte der Innen- und Außenpolitik der Führung der Rumänischen Kommunistischen Partei; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5483, Bl. 1–18, insbes. 2 f., 5.

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Abb. 10: Diese Karikatur in der DDR-Gewerkschaftszeitung »Tribüne« vom 5.8.1971 thematisiert den rumänischen Sonderweg. Das MfS missbilligte diese offene Darstellung.

»Juli-Thesen« nur »minimal« gewesen sei. Sie habe Ceaușescu lediglich in seinen bereits getroffenen Entscheidungen bekräftigt.435 Das MfS nahm in seiner damaligen Analyse bemerkenswerterweise nur den Nationalismus und den Personenkult kritisch wahr. Die verschärften innenpo-

435  Gabanyi: Partei und Literatur, S. 176; Burakowski: Dictatura, S. 155–159. Der Bukarester Historiker und Politikwissenschaftler Dragoș Petrescu sieht die Asienreise Ceaușescus ebenfalls nicht als Ursache der Kulturrevolution, begründet dies aber nur mit einem Nebenaspekt: Partei und Securitate hätten bereits im Januar 1969 die zwei Jahre zuvor eingeführten, vergleichsweise großzügigen Reisemöglichkeiten wieder zurückgenommen. Siehe Petrescu: Closely Watched Tourism, S. 353. Thomas Kunze und Valdimir Tismăneanu gehen auf diesen zeitlichen Vorlauf weniger ein. Kunze zufolge war Ceaușescu von den Veränderungen in China und dem Personenkult um Mao Zedong und Kim Il Sung »fasziniert« gewesen. Kunze: Ceaușescu, S. 188. Valdimir Tismăneanu schätzt ein, diese Reise habe »Ceaușescus Hang zum Stalinismus erheblich verstärkt«. Tismăneanu: Stalinism, S. 206. Einen Überblick über die 1971 eingeleiteten Veränderungen bieten Weiß: Kulturarbeit, S. 236–238 und Kunze: Ceaușescu, S. 190– 192. Dazu zählten die »Kaderrotation«, die Machtkonzentration im Familienclan Ceaușescu, gesteigerter Personenkult und Nationalismus, das Kontaktverbot der einheimischen Bevölkerung mit Ausländern, antiintellektuelle und ideologische Ausrichtung des Kulturlebens. Eine umfassende Analyse des Ceaușescu-Personenkults, seiner Entstehung und Praktizierung in: Ursprung: Herrschaftslegitimation, S. 184–327.

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litischen Repressionen, die 1971 mit der »Kulturrevolution« einsetzten, thematisierte es hingegen nicht. 2.2.6 Sowjetische Einmarschpläne Rumäniens Sonderweg provozierte die Verbündeten. Innerhalb der sowjetischen Partei- und Staatsführung gab es Überlegungen, in Rumänien militärisch einzugreifen, um dieser Politik ein Ende zu setzen. Doch letztlich entschied sie sich, den schwierigen Verbündeten mit gewissem Druck und anderen Mitteln wie den Freundschafts- und Beistandsverträgen so weit in die Bündnisstrukturen einzubinden, dass die eigenen Sicherheitsinteressen nicht ernsthaft in Gefahr gerieten. Eine militärische Intervention schätzte man in Moskau offenbar riskanter ein als die langwierige Strategie des Einbindens. Nicolae Ceaușescu seinerseits leitete schon wenige Tage, nachdem er die Besetzung der Tschechoslowakei öffentlich verurteilt hatte, eine Politik der Beschwichtigung gegenüber Moskau ein, traf sich in den folgenden zwei Jahren mehrfach mit Leonid Brežnev und versicherte ihm die Bündnistreue Rumäniens. Zugleich ging er von seinen Sonderpositionen nicht ab und lavierte insofern geschickt zwischen Bündnisloyalität und partiellem Autonomiestreben.436 Aus den MfS-Unterlagen sind bislang zwei Dokumente bekannt, die von sowjetischen Einmarschplänen künden. Im Februar 1970 legte Markus Wolf seinem Minister Erich Mielke eine diesbezügliche Meldung vor, die auf Erkenntnissen einer »zuverlässigen Quelle« der HV  A basierte. Demnach hatte Griechenland die übrigen NATO-Mitglieder darüber informiert, »dass die Sowjetunion ein komplettes Interventionsprogramm der VR [Volksrepublik] Rumänien ausgearbeitet hat«. Rumänien habe Gegenmaßnahmen getroffen und bereite sich auf einen Partisanenkrieg vor. Weiter hieß es in der Meldung, die griechischen Erkenntnisse deckten sich mit Informationen aus anderen Quellen, die dem NATO-Hauptquartier bereits vorlägen.437 Ende 1973 gelangte Erich Mielke an ein brisantes Dokument, das er sich von Generalmajor Alfred Scholz438 »inoffiziell« hatte beschaffen lassen. Es handelte sich um eine sechs Seiten umfassende Aktennotiz über ein Gespräch zwischen dem sowjetischen Verteidigungsminister Marschall Andrei Grečko und SED-Generalsekretär Erich Honecker am 16. November 1973 in Ostberlin. Grečko brachte gegenüber Honecker in drastischen Worten seinen Ärger über 436  Stanciu: Crisis management, S. 360–372. 437 HV  A, Abt. VII: NATO-Bericht über Rumänien [23.2.1970]; BStU, MfS, SdM, Nr. 352, Bl. 1 f. 438  Alfred Scholz leitete von 1960/61 bis 1975 im MfS die »Arbeitsgruppe des Ministers«, die unter anderem für Mobilmachungsplanungen und Sabotagevorbereitungen zuständig war. 1975 wurde er einer der Stellvertreter Mielkes.

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den rumänischen Sonderweg zum Ausdruck und äußerte, »dass es mit Rumänien auf die Dauer so nicht weiter gehen kann. Es muss also etwas getan werden, um diesen Zustand zu beseitigen.« In dem Gesprächsvermerk hieß es weiter: »Er [Grečko] habe dem Genossen Breshnew gemeldet, dass die Sowjet-Armee dazu bereit sei und die Aktion schneller erledigt sein würde, als das in der CSSR der Fall war.«439 Grečko verfügte über einschlägige Erfahrungen, sodass seine Bereitschaft, militärisch gegen Rumänien vorzugehen, mehr als bloße Rhethorik bedeutete. In seiner früheren Eigenschaft als damaliger Oberbefehlshaber der sowjetischen Besatzungstruppen in der DDR hatte er maßgeblichen Anteil an der Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953, und als sowjetischer Verteidigungsminister gehörte er 1968 zu den Hauptverantwortlichen des Einmarschs in der Tschechoslowakei.440 Die rumänischen Gegenmaßnahmen sind hinlänglich bekannt. Im August 1968 hatte Ceaușescu nicht nur den Einmarsch des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei öffentlich verurteilt, sondern unmittelbar danach auch eine Teilmobilisierung angeordnet. Noch im Frühherbst 1968 ließ er die »Patriotischen Garden« reaktivieren und führte eine »Volkskriegs-Doktrin« ein, die sich an den Vorstellungen eines Guerillakrieges gegen einen übermächtigen Aggressor orientierte. Schon am 24. August 1968 trafen sich Ceaușescu und Josip Broz Tito in der jugoslawischen Grenzstadt Werschetz (Vršac), wobei Tito seinem rumänischen Amtskollegen Unterstützung zusagte, insbesondere die Versorgung mit Waffen und Munition sowie Rückzugsmöglichkeiten der rumänischen Armee nach Jugoslawien unter Zurücklassung schwerer Waffen. Hochrangige rumänische Militärs diskutierten im Juni 1969 in Jugoslawien Fragen der Einbeziehung des ganzen Volkes in die Landesverteidigung; sie folgten damit einer Vorgabe des »Ständigen Präsidiums« des ZK der RKP, das in seiner Sitzung am 11. September 1968 neue Strategien der Landesverteidigung beschlossen hatte, die 1972 in ein nationales Verteidigungsgesetz einflossen. Rumänien und Jugoslawien begannen 1969 auch gemeinsame Rüstungsprojekte.441 439 Aktennotiz über die Zusammenkunft des Genossen Erich Honecker mit Genossen Marschall Andrej Grečko. O. U., 17.11.1973; BStU, MfS, SdM, Nr. 1577, Bl.  50–55. Auszugsweise veröffentlicht und kommentiert in: Wenzel: Sowjetischer Verteidigungsminister Gretschko wollte Einmarsch in Rumänien. Wenzel macht darauf aufmerksam, dass Fritz Streletz, der als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates an dem Gespräch teilnahm und die Aktennotiz anfertigte, Grečkos Invasionsdrohung nur handschriftlich festhielt. Grečkos Aussage sei ihm zu brisant gewesen, um sie seiner Sekretärin zum Abtippen vorzulegen. 440  Kowalczuk: 17. Juni 1953, S. 121–123. Grečkos Rolle 1968 erwähnen mehrere Beiträge in dem Sammelband von Bischof; Karner; Ruggenthaler: The Prague Spring and the Warsaw Pact Invasion of Czechoslovakia, S. 10, 15, 23, 47 f., 106, 118, 151, 359, 362, 444. 441  Rijnoveanu: Die Auswirkungen der Krisen des Ostblocks 1956 und 1968 auf das rumänische Sicherheitskonzept, S. 159–161; Kunze: Ceaușescu, S. 179 f.; Opriș, Petre: România în organizaţia tratatului de la Varșovia, S. 149–152. Ein Protokoll des Gesprächs Ceaușescu – Tito ist in rumänischer Sprache ediert in: Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comu-

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2.2.7 Strategie: Rumänien trotz allem einbinden Alle diese Spannungen und Drohgebärden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rumänien integraler Bestandteil des östlichen Bündnisses blieb. Die Sowjetunion und die übrigen Ostblockstaaten bemühten sich auf verschiedenen Ebenen, das Land möglichst weitgehend in das eigene Lager einzubinden. Ein Beispiel dafür sind die schon angesprochenen bilateralen Freundschaft- und Beistandsverträge. Die sowjetisch beherrschten Staaten hatten, überwiegend 1948/49, eine erste Serie solcher Verträge untereinander abgeschlossen. Die Laufzeit betrug 20 Jahre, sodass 1968/69 eine Neufassung anstand. Die Freundschaftsverträge enthielten zwar eine Klausel, wonach sie sich nach 20 Jahren automatisch verlängerten, wenn dem nicht ausdrücklich widersprochen werde. Doch Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und die Sowjetunion schlossen zwischen 1965 und 1969 neue bilaterale Freundschafts- und Beistandsverträge untereinander ab und passten sie den aktuellen politischen Gegebenheiten an. Nur mit Rumänien gab es Schwierigkeiten. Erst am 7. Juli 1970 ersetzten die Sowjetunion und Rumänien ihren im Februar 1948 abgeschlossenen Freundschafts- und Beistandsvertrag durch ein neues Abkommen. Der Sekretär des ZK der KPdSU, Konstantin Katušev, informierte Walter Ulbricht am 17. Juli 1970 in einem Gespräch über die sowjetischen Erwartungen an die Vertragsunterzeichnung. Katušev führte darin aus: Man [muss] die Lage in der RKP und SRR nehmen, wie sie ist. Die RKP wird zunächst ihren besonderen Kurs in der Außenpolitik und der kommunistischen Weltbewegung fortsetzen. Wir müssen dafür kämpfen, um auf allen Gebieten die SRR wieder stärker an uns heranzuziehen. Deshalb war die Unterzeichnung des Beiniste din România: Istoria Comunismului din România. Vol. II: Documente Nicolae Ceaușescu (1965–1971), S. 435–450. Vgl. auch MfS, Abt. X, 30.9.1969: Information der Sicherheitsorgane der VR Ungarn: Reaktion des Westens auf die tschechoslowakischen Ereignisse – Ziele und Methoden der Tätigkeit der westlichen Staaten und ihrer Geheimdienste gegenüber der Tschecho­ slowakei; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2306, Bl. 79–98, hier 96: In dieser Information behauptete der ungarische Geheimdienst, die USA hätten am 16.8.1968 Rumänien offiziell darüber informiert, »dass in den nächsten Tagen eine militärische Aktion der Sowjetunion zu erwarten sei«; die Aktion würde ein Manöver gegenüber der ČSSR sein; dieses solle aber davon ablenken, »dass das Hauptziel Rumänien sein wird«. Diese Mitteilung der USA habe »offensichtlich eine große Rolle bei der Organisierung des Treffens Ceaușescu und Tito« gespielt, so der ungarische Geheimdienst. Die Zuverlässigkeit dieser ungarischen Geheimdienstinformation konnte bislang nicht geprüft werden. – Umbach: Das rote Bündnis, S. 262, 272, weist darauf hin, dass auf sowjetische Veranlassung hin in den meisten Ländern des Warschauer Pakts die nationalen Streitkräfte an der Westgrenze konzentriert wurden; dies habe sich nicht nur in die damalige Offensivstrategie des Bündnisses eingefügt, sondern diesen Ländern an ihrer Ostgrenze die Möglichkeit genommen, sich wirksam gegen eine eventuelle sowjetische Invasion zu stellen. Lediglich die nationale Militärdoktrin Rumäniens mit ihrer territorialen Volkskriegskonzeption sei davon abgewichen. Rumänien orientierte sich in Reaktion auf die Invasion des Warschauer Pakts in der ČSSR an der jugoslawischen Verteidigungskonzeption.

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standspaktes eine positive Aktion. Sie ermöglicht es den Bruderstaaten, ihrerseits die Verträge mit der SRR abzuschließen und damit politisch einzuwirken.442

Polen und Bulgarien folgten dem sowjetischen Beispiel am 12. bzw. 19. November 1970, Ungarn am 24. Februar 1972. Lediglich die Tschechoslowakei hatte den Freundschaftsvertrag mit Rumänien fristgerecht am 16. August 1968 erneuert.443 Wie der Historiker Douglas Selvage zeigt, verweigerte sich Rumänien in den Verträgen 1970/72 allzu weitgehenden Formulierungen hinsichtlich einer engen Zusammenarbeit der sozialistischen Staatengemeinschaft. Stattdessen betonten die Verträge mit Rumänien stärker die Prinzipien der nationalen Souveränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten.444 Die DDR bildete einen Sonderfall. Denn sie wurde erstmals in den 1960er-Jahren in dieses Vertragsgeflecht aufgenommen, beginnend mit dem Freundschaftsund Beistandsvertrag mit der Sowjetunion vom 12. Juni 1964, dem ebensolche Verträge der DDR mit Polen (15.3.1967), der Tschechoslowakei (17.3.1967), Ungarn (18.5.1967) und Bulgarien (7.9.1967) folgten. Der Historiker Peter Ulrich Weiß sieht hinter den Freundschaftsverträgen des Jahres 1967 eine Reaktion der DDR auf die kurz zuvor aufgenommen diplomatischen Beziehungen zwischen Rumänien und der Bundesrepublik. Im Sinne der »Ulbricht-Doktrin« hätten die Verbündeten auf die deutschlandpolitische Linie der DDR eingeschworen werden sollen.445 Der erste – und einzige – Freundschaftsvertrag zwischen der DDR und Rumänien wurde folgerichtig erst 1972 unterzeichnet. Als der rumänische Außenminister Corneliu Mănescu vom 10. bis 14. Dezember 1968 zu offiziellen Ge442  Vermerk über eine Information des Genossen K. F. Katuschew, Sekretär des ZK der KPdSU, über Ergebnisse der Reise der Delegation unter Leitung des Genossen A. N. Kossygin, zur Unterzeichnung des sowjetisch-rumänischen Freundschafts- und Beistandsvertrages; BArch, DY 30/3656 (Büro Ulbricht), S. 91–95, Zitat 94. 443  Eine unvollständige Übersicht der bilateralen Freundschafts- und Beistandsverträge innerhalb des Ostblocks sowie Hinweise auf einige nationale Sonderpositionen Rumäniens in diesem Vertragsgeflecht in: Umbach: Das rote Bündnis, S.  122–127. Alle Verträge mit DDR-Beteiligung wurden ein oder zwei Tage nach ihrer Unterzeichnung im Wortlaut im »Neuen Deutschland« veröffentlicht. Diese sowie alle übrigen Verträge sind in der Vertragssammlung der Vereinten Nationen (United Nations Treaty Series) enthalten und können dort online über eine Datenbank abgerufen werden (http://untreaty.un.org/). Eine Analyse der älteren Beistandsverträge bietet Meissner: Die bilateralen Bündnisverträge der osteuropäischen Länder. Meissner stellte damals, im August 1967, die Frage, ob Rumänien bereit sein werde, im Folgejahr die Beistandsverträge zu erneuern. Er schätzte den Handlungs- und Entscheidungsspielraum der rumänischen Seite als groß ein, stellt aber nicht die Frage, inwieweit die Sowjetunion damals eine Erneuerung des Vertrags mit Rumänien anstrebte. Ebenda, S. 582 f. 444  Selvage: The Truth about Friendship Treaties, S. 334. 445  Weiß: Kulturarbeit, S. 184. Weiß zitiert hier auch Michael Lemke, der die Verträge von 1967 als »erzwungenen intersystemischen Schulterschluss« charakterisiert. Lemke: Jugoslawien und Rumänien, S. 89.

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sprächen in die DDR kam, vereinbarten zwar beide Länder bereits, möglichst bald Verhandlungen über den Abschluss eines Freundschaftsvertrages aufzunehmen.446 Doch die Verhandlungen zwischen Bukarest und Ostberlin zogen sich über mehrere Jahre hin. Nachdem der Vertrag am 1. Oktober 1970 paraphiert wurde, lud Nicolae Ceaușescu seinen ostdeutschen Kollegen Walter Ulbricht wenige Tage später ein, noch im Dezember 1970 zur Vertragsunterzeichnung nach Bukarest zu reisen.447 Doch Ulbricht nahm die Einladung nicht an. Erst am 12. Mai 1972 schlossen beide Seiten schließlich den »Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand« mit einer Laufzeit von 20 Jahren ab. Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker reiste am 11. und 12. Mai 1972 zur Vertragsunterzeichnung mit einer Regierungsdelegation nach Bukarest.448 Offenkundig bemühte man sich um politische Annäherung. Dem MfS war allerdings die Zweigleisigkeit der rumänischen Außenpolitik nicht entgangen. Schon im Sommer 1968, so heißt es in einem MfS-Informationsbericht, paraphierten Rumänien und die Bundesrepublik einen Freundschaftsvertrag.449 Dieses Vertragswerk wurde allerdings erst 1973 unterschrifts­ reif.450 Zwischen 1975 und 1977 schloss die DDR mit den Verbündeten, außer mit Rumänien, neue bilaterale Freundschafts- und Beistandspakte. Sie sollten den veränderten Verhältnissen in der Deutschland-, Ost- und Entspannungspolitik Rechnung tragen. Wurden in den 1967 zustande gekommenen Verträgen beispielsweise noch »die Kräfte des westdeutschen Militarismus und Revanchismus und deren Alleinvertretungsanmaßung«451 angegriffen, fehlen derartige Formulierungen in den Verträgen der 1970er-Jahre. Bereits der Freundschaftsvertrag zwischen Rumänien und der DDR verzichtete darauf und reagierte insofern als erster auf die Veränderungen in der politischen Großwetterlage. Auch wenn in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre kein neuer Freundschaftsvertrag 446  Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949 bis 1999. Bd. 5: Oktober 1966 – April 1970. Sankt Augustin 2000, S. 4713. 447 Schreiben Ceaușescus an Ulbricht, 10.10.1970; BArch, DY 30/3656 (Büro Ulbricht), S. 96 f. 448  Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der DDR und Rumänien vom 12.5.1972, abgedruckt in: Neues Deutschland v. 13.5.1972, S.  1. Frühere DDR-Diplomaten führen die lange Verhandlungsdauer auf die Führungskrise in der DDR infolge des Wechsels von Ulbricht zu Honecker zurück. So der ehemalige DDR-Botschafter in Rumänien, Siegfried Bock in: Bock; Muth; Schwiesau (Hg.): Alternative deutsche Außenpolitik?, S. 63. 449 Die Paraphierung 1968 wird beiläufig erwähnt in einem MfS-Informationsbericht vom 28.8.1970: Äußerungen von rumänischen Politikern gegenüber westdeutschen Vertretern; BStU, MfS, SdM, Nr. 578, Bl. 164. 450  Siehe S. 275. 451  Hier exemplarisch zitiert aus dem Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der DDR und Bulgarien vom 7.9.1967. In: Neues Deutschland v. 8.9.1967, S. 1.

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zwischen Rumänien und der DDR abgeschlossen wurde, so strebte die DDR doch engere Beziehungen zu Rumänien an. Sie folgte damit den Vorgaben aus Moskau. Mehrfach hatte beispielsweise Leonid Brežnev in Gesprächen mit Erich Honecker in den 1970er-Jahren die rumänische Außenpolitik als »gefährliches Spiel« und als »Fehler« bezeichnet. Doch die Sowjetunion zeige »große Geduld«, und sie »ringe um die Rumänen«.452 Dabei nötigte Ceaușescu in seinem Bemühen um Eigenständigkeit dem sowjetischen Parteichef durchaus Respekt ab: »Was für ein Gauner ist er doch!«, äußerte Brežnev 1976 im Gespräch mit Honecker über den rumänischen Kollegen und seine eigenwillige Außenpolitik.453 Und zwei Jahre später meinte Brežnev gegenüber Honecker etwas ratlos: »Es ist schwer, etwas zu seinem [Ceaușescus] Verhalten zu sagen. Im Grunde ist er ein Verräter. Der Teufel soll wissen, was bei ihm noch alles möglich ist.«454 Im Sinne des »Ringens um die Rumänen« gab der stellvertretende DDR-Außenminister Herbert Krolikowski 1977 das Ziel vor, Rumänien durch aktive Zusammenarbeit fest im Bündnis der Bruderländer zu verankern, Rumänien weiter in das gemeinsame, abgestimmte und koordinierte außenpolitische Vorgehen der sozialistischen Staatengemeinschaft einzubeziehen und die Zusammenarbeit mit der SRR im Rahmen des Warschauer Vertrages und des RGW zu festigen. Dabei sind alle Ansatzpunkte für die Herausbildung der Gemeinsamkeiten und für die Überwindung der Sonderpositionen der SRR zu nutzen.455

Diese Strategie prägte über Jahre hinweg die Außenpolitik der sozialistischen Länder gegenüber Rumänien. Legt man die Sicht des MfS zugrunde, so unterschied sich der Freundschaftsvertrag der DDR mit Rumänien in einem entscheidenden Detail von den übrigen, die die DDR in den 1970er-Jahren abschloss. In den Verträgen der DDR mit der Sowjetunion (1975) sowie mit Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien (jeweils 1977) hieß es stets in Artikel 3 fast gleichlautend, beide Seiten »werden konsequent die Zusammenarbeit zwischen den Organen der Staatsmacht sowie zwischen den politischen und gesellschaftlichen Organisationen

452 Niederschrift eines Gesprächs zwischen Erich Honecker und Leonid Brežnev am 18.6.1974 in Moskau, ediert in: Hertle; Jarausch (Hg.): Risse im Bruderbund, S. 73. Sinngemäß ähnliche Äußerungen Brežnevs in Gesprächen mit Honecker am 19.8.1976 und 19.7.1977 in: ebenda, S. 118, 144. 453 Gesprächsvermerk über ein Treffen Erich Honeckers und Leonid Brežnevs auf der Krim am 19.8.1976, ediert in: ebenda, S. 120. 454 Bericht über ein Treffen Erich Honeckers und Leonid Brežnevs auf der Krim am 25.7.1978, ediert in: ebenda, S. 151. 455  MfAA, Abt. SOE, LS SRR, 17.2.1977: Orientierung zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Sozialistischen Republik Rumänien im Jahre 1977; PA AA, MfAA, C 730/78.

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fördern«.456 Eine Dissertation an der MfS-Hochschule aus dem Jahre 1978 erläuterte den Sinngehalt der Formulierung »die Zusammenarbeit zwischen den Organen der Staatsmacht«: Dieser Halbsatz sei in allen Freundschaftsverträgen der DDR mit den anderen sozialistischen Ländern enthalten und verpflichte das MfS dazu, die Zusammenarbeit »mit den Sicherheitsorganen dieser Staaten« zu pflegen und weiterzuentwickeln.457 Was die MfS-Studie nicht thematisierte war der Umstand, dass dieser Halbsatz im Vertrag der DDR mit Rumänien aus dem Jahre 1972 fehlte. Vielmehr beschränkte sich der Artikel 3 dort auf die Absichtserklärung, beide Seiten »werden die Zusammenarbeit zwischen den gesellschaftlichen Organisationen beider Länder unterstützen«.458 Eine ausdrückliche Aufforderung oder Verpflichtung, mit den rumänischen Sicherheitsorganen zusammenzuarbeiten, konnte das MfS aus diesem Freundschaftsvertrag ausdrücklich nicht ableiten. Die Distanz zwischen MfS und Securitate scheint insofern auch in den damaligen Freundschaftsverträgen durch. Allerdings sollte man diesem Sachverhalt keine grundsätzliche Bedeutung beimessen. Die Freundschaftsverträge waren keine zwingende Voraussetzung für die geheimdienstliche Zusammenarbeit. In den 1950er- und 1960er-Jahren kooperierte das MfS ohne eine derartige vertragliche Grundlage mit der Securitate und den anderen verbündeten Geheimdiensten. Die Geschichte dieser Verträge veranschaulicht einerseits den Riss zwischen Rumänien und seinen Verbündeten. Sie zeugt aber auch von dem Bemühen der

456 Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der DDR und der Sowjetunion vom 7.10.1975, DDR und Ungarn vom 24.3.1977, DDR und Polen vom 28.5.1977, DDR und Bulgarien vom 14.9.1977, DDR und Tschechoslowakei vom 3.10.1977. Wortlaut jeweils im »Neuen Deutschland« v. 8.10.1975, S.  1; 26./27.3.1977, S.  1; 31.5.1977, S. 2; 14.9.1977, S. 1; 4.10.1977, S. 2. Obiges Zitat aus dem Vertrag zwischen der DDR und Polen. Die übrigen sozialistischen Länder schlossen untereinander keine neuen Freundschaftsverträge mehr ab. 457  Niebling, Gerhard (Oberstleutnant, HA IX); Schmidt, Horst (Oberstleutnant, JHS): Grundlegende Aufgaben des MfS im Zusammenhang mit dem zunehmenden Aufenthalt von Ausländern in der DDR. Diss. JHS.  Potsdam-Eiche 1978; BStU, MfS, JHS 21872, Bd.  2, S. 354. Der Zeitpunkt der Vertragsabschlüsse wird in dieser MfS-Studie teilweise falsch angegeben. 458  Eine mögliche Erklärung für das Fehlen dieses Halbsatzes im Vertrag Rumänien – DDR liegt in der zeitlichen Abfolge der Vertragsabschlüsse: 1967 war in den bilateralen Verträgen der DDR mit Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien »über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand« ebenfalls nicht von den »Organen der Staatsmacht« die Rede, ebenso wenig in den analogen bilateralen Verträgen anderer Ostblockstaaten untereinander zwischen 1968 und 1972, eingeschlossen Rumänien. Erst der erwähnte Vertrag DDR – Sowjetunion vom 7.10.1975 gebrauchte diese Formulierung, die dann die folgenden Verträge 1977 übernahmen. Der Vertrag Rumänien – DDR orientierte sich in dieser Hinsicht wahrscheinlich noch an den bisher gebräuchlichen Formulierungen.

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sozialistischen Staaten, das Land weiterhin vertraglich im östlichen Bündnis zu verankern. Ein wenig bekanntes Beispiel für die Ausfüllung dieser Verträge sei hier noch genannt: Die rumänische Diplomatie bot der DDR, ganz im Sinne dieser Verträge, wiederholt ihre sogenannten »Guten Dienste« an. Davon machte die DDR unter anderem in Chile Gebrauch: Nach dem Militärputsch General Augusto Pinochets gegen den sozialistischen Staatschef Salvador Allende am 11. September 1973 hatten die Länder des Warschauer Pakts noch im gleichen Monat die diplomatischen Beziehungen zu Chile unterbrochen. Nur Rumänien vollzog, wie sechs Jahre zuvor gegenüber Israel, den Schritt seiner Verbündeten nicht mit. Das Land nahm zwar ebenso wie die DDR chilenische Flüchtlinge auf, hielt aber an den zwischenstaatlichen Beziehungen fest. Vier Jahre später übernahm Rumänien in Chile eine Schutzmachtfunktion für die DDR. Die rumänische Botschaft in Santiago de Chile vertrat nun bis 1990 auch deren Interessen und übernahm bestimmte Konsularfunktionen für die DDR. Den DDR-Außenpolitikern war der neuerliche rumänische Alleingang 1973 zunächst ein Ärgernis, aber man nahm 1977 die »Guten Dienste« Rumäniens gerne an, weil man anderenfalls ein politisch noch weiter fernstehendes Land als Schutzmacht hätte in Anspruch nehmen müssen.459

2.3 Abgrenzung und Wiederannäherung zwischen Securitate und MfS, 1964 bis 1973 Wie wirkte sich die rumänische Abweichung nun auf die Zusammenarbeit der Geheimdienste aus? Inwieweit vollzogen sie die Politik ihrer Parteiführungen mit? Diese Fragen sind nicht nur für die Geheimdienstgeschichte von Interesse. 459  So die rückblickende Wertung Joachim Naumanns, ehemaliger Botschafter der DDR in Kuba (1967–1973), Mexiko (1983–1988) und Venezuela (1989–1990). Naumann zufolge übernahm 1973 zunächst Finnland die Schutzmachtfunktion für die DDR, das sich aber 1977 ebenfalls aus Chile zurückzog. Der frühere Diplomat Joachim Krüger erinnert an weitere Alleingänge Rumäniens: Im Mai 1978 habe das Land mit dem Pol-Pot-Regime in Kambodscha einen Freundschaftsvertrag geschlossen, 1979 verweigerte Rumänien eine Verurteilung Chinas im damaligen militärischen Konflikt mit Vietnam. Die Ausführungen Naumanns und Krügers sind als Diskussionsbeiträge veröffentlicht in: Bock; Muth; Schwiesau (Hg.): Alternative deutsche Außenpolitik?, S. 73 f. Siehe auch Protokoll über die Wahrnehmung von Schutzmachtfunktionen für die Deutsche Demokratische Republik durch die Sozialistische Republik Rumänien in der Republik Chile, 29.9.1977; BStU, MfS, ZOS, Nr. 1177, Bl. 95–99. Die Vereinbarung trat am 1.10.1977 in Kraft und wurde 1987 ergänzt. BStU, MfS, ZOS, Nr. 1177, Bl. 88–107 und BStU, MfS, Rechtsstelle, Nr. 748, Bl. 186–206. Trotz der politischen Entwicklung weitete die DDR den Handel mit Chile von 1973 bis 1975 noch aus. Siehe hierzu Dufner: Chile als Partner, Exempel und Prüfstein, S. 541 f. Ungarn, das seine diplomatischen Beziehungen zu Chile am 26. September 1973 aussetzte, beauftragte Österreich damit, fortan seine Interessen in Chile zu vertreten. Siehe Dömény: Hungarian-Latin-American Relations.

Abgrenzung und Wiederannäherung 1964 bis 1973

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Ihre Beantwortung zeigt darüber hinaus exemplarisch, wie groß innerhalb des östlichen Bündnisses die Divergenz in einem sicherheitsrelevanten Bereich sein konnte. In Kapitel 2.1 wurde anhand einiger Beispiele bereits ein Zusammenhang zwischen der rumänischen Autonomiepolitik und dem Rückzug der Securitate aus dem Verbund der sozialistischen Staatssicherheitsdienste 1964 aufgezeigt. Das folgende Kapitel weitet die Perspektive nun auf den Zeitraum zwischen 1964 und 1973. Es betrachtet Akten aus den Archiven von MfS und Securitate, die über die Entwicklung der geheimdienstlichen Beziehungen in diesen Jahren Auskunft geben. Anschließend erfolgt ein Ausblick auf die 1970er- und 1980erJahre. Darin wird gezeigt, dass die Verbindungen zwar nie völlig abbrachen, aber es keine regulären Arbeitskontakte zwischen MfS und Securitate mehr gab. Bemerkenswert ist, dass bislang keine Dokumente gefunden werden konnten, die die Außenseiterposition der Securitate als grundsätzliches Problem erörtern. Auch darauf wird einzugehen sein. 2.3.1 Wechselhaft: der Austausch geheimdienstlicher Informationen 1964 bis 1973 Zu den Standards der geheimdienstlichen Zusammenarbeit zählt der Austausch von Spionageerkenntnissen. Folgt man einer Übersicht des MfS, so erhielt der ostdeutsche Geheimdienst zwischen 1959 bis 1971 insgesamt 637 nachrichtendienstliche Informationen von den rumänischen Kollegen. Durchschnittlich bedeutete das knapp 50 Informationen jährlich, die sich jedoch sehr ungleich über die Jahre verteilten. In den Jahren 1961 und 1962 und 1968 bis 1970 lieferte die Securitate überdurchschnittlich viele, zwischen Frühjahr 1964 und Spätherbst 1966 hingegen insgesamt nur 16 Informationen. Das thematische Spektrum deckte weite Bereiche der Weltpolitik ab. Häufig ging es um Hinweise auf politische, wirtschaftliche und militärische Strategien der USA, Frankreichs und Großbritanniens, ihren weltweiten Einfluss zulasten der sozialistischen Länder auszubauen, und gelegentlich wurden erkannte Praktiken westlicher Geheimdienste mitgeteilt. Weitere regionale Schwerpunkte bildeten die politischen Verhältnisse in Italien, die Politik des Vatikans sowie seit Mitte der 1960er-Jahre auch verstärkt Berichte über die Türkei, Israel, Ägypten und Indien. Nur ganz wenige Informationen befassten sich mit der Bundesrepublik Deutschland. Dazu zählte als Besonderheit eine Liste mit den Namen von 156 Deutschen, die im Visier der westdeutschen und der belgischen Sicherheitsbehörden standen. Vor allem Mitglieder der verbotenen KPD befanden sich auf dieser Überwachungsliste, die die Securitate in Belgien beschafft hatte. Da MfS und SED

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sich um die Sicherheit der westdeutschen KPD kümmerten, waren derartige Namenslisten für sie von unmittelbarem Nutzen.460 Der ganz überwiegende Teil der Spionageinformationen wurde innerhalb des MfS an die für Auslandsspionage zuständige Hauptverwaltung A gegeben. Die HV A zog daraus jedoch nur wenig Gewinn. Die rumänische Seite stellte mit ihren zahlreichen Informationslieferungen vor allem ihre Kooperationsbereitschaft formal unter Beweis. Inhaltlich erwiesen sich die meisten Informationen als wenig interessant. Zwischen 1961 und 1964 bewertete die HV A nur neun Securitate-Informationen als »wertvoll«, weitere zwei als »teilweise wertvoll«. Diese enthielten vor allem Angaben über die Geheimdienste Griechenlands, Israels, Großbritanniens und der USA. Das Gros der rumänischen Informationsberichte jener Jahre schätzte die HV A lediglich als »brauchbar« oder »teilweise brauchbar« ein.461 In späteren Jahren fielen die Beurteilungen noch schlechter aus. So legte der stellvertretende HVA-Chef, Generalmajor Hans Fruck, im Frühjahr 1967 Minister Mielke eine Einschätzung der rumänischen Informationslieferungen vor. Demnach erschienen die Informationen der Securitate aus dem laufenden Jahr »insgesamt glaubwürdig«, allerdings würden sie kaum Themen behandeln, die die DDR direkt beträfen oder die für eine Beurteilung der bundesdeutschen Politik hilfreich seien. Abgesehen von einigen Berichten über außenpolitische Aktivitäten westlicher Länder seien viele Informationen daher nur von begrenztem Wert.462 Im Frühjahr 1971 analysierte die HV A 20 Spionageinformationen aus Rumänien, die Nicolae Doicaru bei einem Überraschungsbesuch in Ostberlin mitgebracht hatte. Die meisten enthielten für die HV A keine echten Neuigkeiten. Überwiegend bestätigten sie lediglich bereits vorhandene Hinweise oder Erkenntnisse, und mehrfach waren sie schon veraltet. Zwei der Informationen hielt die HV A für unglaubwürdig. So bezweifelte 460 Informationsaustausch (Übersichten) Rumänien 1957–1971; BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl. 3–89; für die Jahre 1969 und 1970 ähnlich auch in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1964, Bl. 28–64. Die Überwachungsliste liegt vor in: BStU, MfS, HA II/19, Nr. 13801, Bl. 3–10. Die darauf verzeichneten deutschen Kommunisten oder Sympathisanten sollten bei Reisen nach Belgien von den dortigen Behörden überwacht werden. Die Liste ging auch an den Leiter des »Büro der Leitung II«, Oberst Gerhard Harnisch, der im MfS für Schutz und Hilfe für die westdeutschen Kommunisten zuständig war. Vgl. hierzu Mensing: SED-Hilfe für West-Genossen. Auf dieser »Warnliste« stand auch der in Ostberlin lebende KPD-Funktionär Harry Schmitt, der später die geheime DKP-Militärorganisation leitete. Darauf verweist Hermann Weber in seinem Aufsatz »Wer war ›Ralf Forster‹?«, S. 304. Ebenso stand der frühere Bundestagsabgeordnete Arno Behrisch auf der Liste, den die Securitate 1960/61 zu kontaktieren versucht hatte. Siehe hierzu Anm. 338. 461  [Informationen aus der VR Rumänien, 1958–1970]; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2498, hier Bl. 15–76. 115 Informationen erachtete die HV A als »brauchbar«, 16 als »teilweise brauchbar«, einige wenige auch als »unbrauchbar« oder »zweifelhaft«. Außerhalb des Zeitraums 1961 bis 1964 befinden sich in dieser Akte keine Informationseinschätzungen. 462  Einschätzungen von Informationen der Sicherheitsorgane der Sozialistischen Republik Rumänien, 19.5.1967; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 237–241.

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die HV A, dass es im Februar 1971 zu ernsthaften Verstimmungen zwischen den USA und der Bundesrepublik gekommen sei, und auch an eine Kehrtwendung der französischen Politik gegenüber den Ostblockstaaten mochte man in Ostberlin zu diesem Zeitpunkt nicht glauben.463 In die umgekehrte Richtung flossen weitaus weniger Informationen. Das MfS dokumentierte zwischen 1957 und 1964 insgesamt nur die Übergabe von 96 nachrichtendienstlichen Informationen an die Securitate. Darunter befanden sich die schon erwähnten 19 Informationen, die über die »Berliner Gruppe« an die Securitate gegeben wurden. Die Ostdeutschen wählten ihre Informationen aber gezielter aus. Oft handelte es sich um Berichte über politische, wirtschaftliche und religiöse Aktivitäten, die von der Bundesrepublik in Richtung Rumänien entwickelt wurden und die somit für die Empfänger in Bukarest unmittelbar von Bedeutung sein konnten. Dazu gehörten beispielsweise aus dem Jahr 1961 Informationen über das Bundesministerium für Vertriebene, Berichte aus Bundestagsausschüssen über die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den sozialistischen Ländern Europas, eine Information über ein Treffen katholischer rumänischer Emigranten in Brüssel sowie in den frühen 1960er-Jahren auch mehrere Berichte über westliche Konzerne und ihre Wirtschaftsbeziehungen in den Ostblock.464 Rein qualitativ blieb der Informationsaustausch zwischen beiden Nachrichtendiensten womöglich ausgeglichen. Doch rein numerisch schickte die Securitate sehr viel mehr Berichte nach Ostberlin als sie von dort im Gegenzug erhielt. Bemerkenswert ist der zeitliche Ablauf. Das MfS übergab bis April 1964 kontinuierlich Berichte an die Securitate und brach seine Lieferungen dann abrupt ab. Für die Jahre 1965 bis 1968 sind in den MfS-Unterlagen nur noch sechs Berichte angeführt, die für die Securitate bestimmt waren, wobei in diesen sechs Fällen kein Übergabevermerk vorhanden ist; sie wurden womöglich nie ausgehändigt.465 Spätestens im Juli desselben Jahres stellte die HV A die Informationslieferungen an die Securitate endgültig ein.466 Für spätere Jahre liegen keine 463 Einschätzung von Informationen der Sicherheitsorgane der SR Rumänien [14.4.]– 20.5.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 221–227, 353–355, 363 f. Vgl. auch Anm. 500. Zum Besuch Doicarus im März 1971 siehe Kapitel 2.3.6. 464 Informationsaustausch (Übersichten) Rumänien 1957–1971; BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl.  90–101. Siehe außerdem die Auflistung von Einzelinformationen, die zwischen 1958 und 1964 im Auftrag verschiedener MfS-Abteilungen über die Abt. X an die Securitate weitergeleitet wurden. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2499, Bl. 1–79. Neben den 96 Spionageinformationen verzeichnet die MfS-Auflistung zwischen 1958 und 1964 ferner rund 60 Übergaben von Presseberichten, Kommentaren sowie nicht näher bezeichneten »Mitteilungen über pers. und Objektveränderungen« an den rumänischen Staatssicherheitsdienst. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2499, Bl. 1–79. 465  BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl. 101 f. 466  Diese Feststellung geht von der Voraussetzung aus, dass die MfS-interne Übersicht »Informationsaustausch Rumänien« nicht aufgrund der archivalischen Überlieferungslage im Juli

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Hinweise mehr vor, dass das MfS Berichte aus seiner Spionagetätigkeit an die Securitate gegeben hat. Die Securitate stellte die regelmäßigen Informationslieferungen an das MfS ebenfalls im April 1964 ein, allerdings nicht so konsequent wie die deutsche Seite. Im August und September 1964 übersandte sie dem MfS noch 15 Spionageinformationen und 1965 einen Bericht über Fluchtversuche von DDR-Bürgern über Rumänien. Im November 1966 kehrte sie dann zu ihrer früheren Praxis zurück und übersandte dem MfS wieder alle ein bis zwei Monate einige Spionageberichte mit Themen aus aller Welt. Von daher ergibt sich das Bild eines ersten tiefen Einschnitts der bilateralen Beziehungen im Jahre 1964. Der zweite Einschnitt fand demnach 1968 statt: Die Securitate hatte die Informationslieferungen wieder aufgenommen, doch das MfS zog nicht mit. 1973 beendete die Securitate die nachrichtendienstlichen Informationslieferungen an das MfS, die ohnehin nur noch eine Einbahnstraße waren. Diese Zäsur lässt sich anhand der elektronischen Datenbank »SIRA« der HV A belegen. SIRA steht als Abkürzung für »System der Informationsrecherche der HV A«. Die HV A hatte diese Datenbank Anfang der 1970er-Jahre in Betrieb genommen und über die Jahre hinweg ausgebaut. Die HV A speicherte darin nach einem bestimmten System die bei ihr eingegangenen Informationen. Insbesondere registrierte sie die Titel der Berichte oder Dokumente, vergab Schlagworte für die spätere Recherche und hielt Angaben zu Art und Umfang der jeweiligen Information fest. Die meisten Informationen erhielten eine Note (»Einschätzung«), sodass man erkennen kann, was die HV A für besonders wertvoll erachtete. Häufig verzeichnet die Datenbank auch den Ursprung der Information, sie gibt also Hinweise auf die Quelle. Sofern die Information von einem befreundeten Geheimdienst kam, ist dieser als Quelle angegeben. Für die Zeit ab 1980/81 enthält die SIRA-Datenbank auch Nachweise darüber, welche Informationen die HV A an andere Geheimdienste weitergab. Insgesamt erfasste die HV A in der SIRA-Datenbank rund 450 000 Spionageinformationen, die sie zwischen 1969 und 1989 von den verschiedensten Quellen erlangte. Offensichtlich unrichtige oder allzu unwichtige Berichte verzeichnete die HV A zumeist nicht.467 1968 endet, sondern dass es danach tatsächlich keine Informationslieferungen mehr von Ostberlin nach Bukarest gegeben hat. Für diese Annahme spricht, dass dieselbe Übersicht Informationslieferungen der Securitate an das MfS bis 1971 nachweist. BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl. 1, 89, 102. 467  SIRA wurde zwar erst Anfang der 1970er-Jahre in Betrieb genommen, die HV A speicherte nachträglich aber Informationen ab Entstehungsjahr 1969 ein, in einzelnen Fällen davor. Das Benotungssystem umfasste die Stufen »I« (»sehr wertvoll«), »II« (»wertvoll«), »III« (»mittlerer Wert« – diese Note wurde am häufigsten vergeben), »IV« (»geringer Wert«), »V« (»ohne Wert«). Ausführlich zum Thema SIRA vgl. Konopatzky: Möglichkeiten und Grenzen der SIRA-Datenbanken sowie ders.: Die Datenbanken der Spionageabteilung der DDR-Staatssicherheit. Eine überarbeitete Fassung der Diplomarbeit von Konopatzky wird derzeit (2016) als Internetdokumentation des BStU vorbereitet.

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Ausweislich der SIRA-Datenbank erhielt die HV A zwischen Juli 1969 und Januar 1973 insgesamt 33 Informationen von der Securitate, davon 32 im Zeitraum von Juli 1969 bis April 1971.468 Das war im Vergleich mit den Nachbarländern sehr wenig: Aus Ungarn erhielt die HV  A zwischen 1969 und Ende 1972 immerhin 536 Spionageinformationen, aus Bulgarien 153. Mehr noch: Der Informationsaustausch nahm seit den 1970er-Jahren zu. In den 20 Jahren von 1969 bis 1989 registrierte die HV A insgesamt rund 5 800 Informationslieferungen von der ungarischen Staatssicherheit und rund 5 200 von der bulgarischen, von der Securitate hingegen nur die schon erwähnten 33 Informationen, deren letzte im Januar 1973 in Ostberlin eintraf. Zwischen 1980 und 1989 erhielten die Ungarn im Gegenzug von der HV A rund 2 800 Informationen und die Bulgaren rund 4 300, die Rumänen keine einzige. Am meisten profitierte indes die Sowjetunion: Die HV A händigte dem »großen Bruder« praktisch alle relevanten Spionageerkenntnisse aus, weswegen man sie in dieser Hinsicht als eine Filiale des KGB bezeichnen kann.469 Der Informationsaustausch zwischen dem ostdeutschen und dem rumänischen Spionageapparat war hingegen nach markanten Einschnitten 1964 und 1968 im Jahre 1973 schließlich zum Erliegen gekommen. Die hier skizzierte Praxis des Informationsaustauschs deutet zwar die Außenseiterposition der Securitate an. Dennoch darf man die Haltung des MfS gegenüber dem rumänischen Verbündeten nicht unbesehen verallgemeinern. Aus den bislang zugänglichen Securitate-Akten ist beispielsweise zu ersehen, dass KGB und Securitate mindestens bis Mitte der 1970er-Jahre Spionageinformati-

468  BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA-TDB 11–14, Recherche nach Absender »Rumänien« bzw. Diensteinheitenschlüssel 5080. Die Informationen beinhalteten wie schon in den Jahren zuvor weltweite Entwicklungen, von der englischen Europapolitik und der französischen Außenpolitik über griechische Innenpolitik, lateinamerikanische Partisanen, die »Sozialistische Internationale«, militärische Kooperation der skandinavischen Länder, NATO-Infrastrukturprogramme bis hin zu den Länderberichten des Internationalen Währungsfonds und Informationen aus Westberlin. 32 dieser Informationen erhielt die HV A zwischen 1969 und 1971, einige davon brachte Doicaru bei seinem Besuch in Ostberlin im März 1971 mit (vgl. Kapitel 2.3.6). Nach seinem Besuch erhielt die HV A nur noch ein einziges Mal eine Information von der Securitate, und zwar im Januar 1973. Details zu einigen dieser Informationen in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 219–227. 469  BStU, MfS, HV  A/MD/2-5, SIRA-TDB 11–14, Recherche nach Informationslieferungen aus und nach den genannten Ländern (Diensteinheitenschlüssel 5010 (ČSSR), 5030 (UdSSR), 5040 (Ungarn), 5050 (Bulgarien), 5060 (Polen), 5080 (Rumänien). Exakte Vergleichszahlen: Anzahl der Spionageinformationen, die die HV A zwischen 1969 und 1972 erhielt aus der Sowjetunion: 1 523; aus Polen: 206; aus der ČSSR: 115. Anzahl der Spionageinformation, die die HV A zwischen 1969 und 1989 erhielt aus der Sowjetunion: 25 013; aus Polen: 3 448; aus der ČSSR: 6 295; aus Ungarn: 5 753; aus Bulgarien: 5 219. Anzahl der Spionageinformationen, die die HV A zwischen 1980 und 1989 übergab an die Sowjetunion: 93 181; an Polen: 2 982; an die ČSSR: 4 157; an Ungarn: 2 793; an Bulgarien: 4 285.

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onen austauschten.470 Selbst wenn es sich hierbei nur noch um eine gelegentliche und förmliche Art der Zusammenarbeit gehandelt haben sollte, so zeigt sie doch, dass sich das MfS zu dieser Zeit noch strikter von der Securitate abgrenzte als einige der Verbündeten.

Abb. 11: Im Januar 1973 verzeichnet das MfS in der SIRA-Datenbank letztmalig den Erhalt einer Spionageinformation von der Securitate.

2.3.2 Unergiebig: die Zusammenarbeit im Bereich der operativen Technik Ein anderes, wichtiges Gebiet der geheimdienstlichen Zusammenarbeit bildete die sogenannte operative Technik. Die Staatssicherheitsdienste arbeiteten kontinuierlich an technischen Neuerungen, mit denen Überwachung, Kontrolle und Spionage effizienter durchgeführt oder Fälschungen perfekter hergestellt werden konnten. MfS und Securitate tauschten sich seit den späten 1950er-Jahren sporadisch über solche Innovationen aus. Dem MfS war jedoch daran gelegen, die Kontakte in geordnete Bahnen zu lenken und feste Formen der operativ-technischen Zusammenarbeit zu vereinbaren. Zu diesem Zweck reiste im April 1963 eine Securitate-Delegation unter Leitung des Auslandsspionagechefs, Generalmajor Nicolae Doicaru, und dem Abteilungsleiter für operative Technik der Securitate, Major Ovidiu Diaconescu, nach Ostberlin. Im Vorfeld ihrer Reise übermittelten sie dem MfS eine Liste mit Themen, über die sie zu sprechen wünschten. Demnach interessierten sie sich unter anderem für die akustischen und optischen Möglichkeiten der Infrarotstrahlen, ferner für Abhörgeräte, Mi470  Vgl. Anm. 590.

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kro-Fotografie, Geheimschreibmittel sowie für neue Techniken, um gefälschte Dokumente herzustellen. Beim MfS lösten diese Anfragen einige Irritation aus. Deuteten sie doch darauf hin, dass die Securitate die neuesten technischen Entwicklungen kannte und womöglich über umfangreiche und aktuelle Erfahrungen und Kenntnisse verfügte. Einen so hohen technischen Standard traute das MfS den Bukarester Genossen aber nicht zu und hielt es daher auch für denkbar, dass die Securitate zwar auf technische Fragestellungen aufmerksam geworden war, aber nicht über Lösungen verfügte. In Ostberlin konferierten Doicaru und Diaconescu zwischen dem 8. und 10. April 1963 mit HVA-Chef Generalmajor Markus Wolf und dem Leiter des Operativ-Technischen Sektors des MfS, Oberst Herbert Hentschke. Wolf war einige Zeit zuvor bereits in Bukarest gewesen. Im Verlauf der Gespräche führten MfS-Mitarbeiter mehrere technische Neuentwicklungen vor und gewannen zugleich den Eindruck, dass die Securitate zwar gerüchteweise von allen möglichen Entwicklungen gehört hatte, aber keineswegs technisch auf der Höhe der Zeit war. Sie vermieden es, den rumänischen Kollegen einen allzu tiefen Einblick in den eigenen Kenntnisstand zu geben. Das ist nicht überraschend, denn Argwohn und Misstrauen gehören zur geheimdienstlichen Grundausstattung und prägten auch die Beziehungen unter den Verbündeten. Am Ende vereinbarten beide Geheimdienste damals schriftlich, sich gegenseitig mit operativ-technischer Ausrüstung zu beliefern. Die Securitate bestellte unter anderem verschiedene Spezialkameras und drei geräusch­ arme Bohrmaschinen. Das MfS orderte in Bukarest Kristall-Mikrofone sowie technische Angaben über Fernschalt-Technik und Abhörzentralen. Im Juni 1963 reiste Oberst Hentschke mit drei Kollegen zu einem fünftägigen Gegenbesuch nach Bukarest, wo sie wiederum mit Doicaru und Dioconescu zusammentrafen sowie von Vasile Negrea, dem für Sicherheitsfragen zuständigen Stellvertreter des rumänischen Innenministers, empfangen wurden. Die Securitate kümmerte sich auch um ein touristisches Beiprogramm, weigerte sich zum Ärger der MfS-Kollegen aber ausdrücklich, schriftliche Vereinbarungen abzuschließen. So blieb es auf Wunsch der rumänischen Seite bei mündlichen Absprachen über eine vertiefte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der operativen Technik.471 Knapp zwei Jahre später, im März 1965, resümierte Oberst Hentschke, dass die Absprachen zunächst von der rumänischen Seite und sodann auch vom MfS größtenteils nicht eingehalten worden seien.472 Etwa gegen Ende des Jahres 1969 ermahnte die Securitate das MfS schriftlich, die 1963 getroffenen Abmachungen einzuhalten. Der neue Leiter des Operativ-Technischen Sektors, Oberst Günter Schmidt, bilanzierte daraufhin den 471 Materialsammlung zur technischen Zusammenarbeit MfS-Securitate 1960–1971; BStU, MfS, OTS, Nr. 2443. 472  Ebenda, Bl. 41.

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Stand der Zusammenarbeit und musste feststellen, dass beide Seiten ihren Zusagen über technischen Austausch und die Lieferung von Geräten nicht nachgekommen waren. Die Zusammenarbeit sei mit der Zeit einfach eingeschlafen, stellte er fest.473 Im Sommer 1970 legte die Securitate dem MfS technische Dokumentationen über Funksteueranlagen vor und bot die entsprechenden Geräte zum Einsatz in der DDR an. Als Nicolae Doicaru im März 1971 überraschend zu einem Arbeitsbesuch nach Ostberlin kam, übergab er eine ganze Reihe weiterer technischer Beschreibungen, beispielsweise für Funkverbindungen, Abhöreinrichtungen und Geheimfotografie. Die technischen Spezialisten des MfS werteten die Unterlagen aus und zeigten sich an einigen Geräten interessiert.474 Allerdings gibt es keine Belege für irgendeine Form der Zusammenarbeit auf diesem Gebiet nach diesem Zeitpunkt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Beispielsweise stellte das MfS im Sommer 1969 fest, dass die Securitate über eine Firma in der Schweiz Peilgeräte des Herstellers Rohde & Schwarz beschaffte oder dies zumindest beabsichtigte. Diese Beobachtung schien wichtig genug, dass Erich Mielke persönlich einen entsprechenden Bericht darüber dem Leiter der KGB-Vertretung beim MfS in Berlin-Karlshorst, Ivan Fadejkin, übergab.475 Aus den Akten geht nicht hervor, weshalb die Securitate Ende 1969 nochmals die Initiative ergriff und das MfS an die Kooperationsabsprache von 1963 erinnerte. Auffallend ist die zeitliche Nähe zu einer Entscheidung des rumänischen Ministerrats vom 15. Dezember 1969. Er ordnete den Aufbau einer speziellen Fabrik unter der Kontrolle der Securitate an, in der technische Ausrüstung für geheimdienstliche Operationen entwickelt und hergestellt werden sollte. Securitate-Chef Ion Stănescu stellte 255 Securitate-Mitarbeiter für diese Fabrik ab.476 Ganz offensichtlich versuchte sich das Land auf diesem speziellen Gebiet von anderen unabhängig zu machen. Vor diesem Hintergrund zielte der rumänische Vorstoß Ende 1969 wahrscheinlich darauf ab, möglichst viel technisches Know473  Korrespondenz zwischen den Leitern der Abt. X und des OTS des MfS sowie Notizen und Darlegungen insbesondere von OTS-Chef Schmidt zwischen 11.11.1969 und 16.7.1970, in: ebenda, Bl. 42–47, 49. Ebenso: BStU, MfS, OTS, Nr. 1620, Bl. 84 f. 474  Auflistung technischer Geräte, zu denen die Securitate dem MfS Dokumentationen bzw. Beschreibungen übergab, sowie Stellungnahmen hierzu seitens des OTS, 20.7.1970– 8.5.1971; BStU, MfS, OTS, Nr. 2443, Bl. 48, 50–72. Zum Besuch Doicarus im März 1971 siehe ausführlich unten, Kapitel 2.3.6. 475 »Freunde-Informationen III« [Journal zum Postausgang an den KGB von Erich Mielke]; BStU, MfS, SdM, Nr. 570, Bl. 188 f. 476  Deletant: The Securitate and the Police State in Romania, 1964–1989, S. 28. Securitate-Chef Ion Stănescu erließ unmittelbar nach der Ministerratsentscheidung den Befehl Nr. 5144 vom 15.12.1969, in dem er die Schaffung einer »Militäreinheit für spezielle Produktion« (»Unitatea militară de producţie specială«) innerhalb der Securitate mit 255 Mitarbeitern anordnete. Der Befehl ist vorhanden in ACNSAS, fond MI/DMRU, dosar nr. 7387, vol. 6, Bl. 420 f., im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/7387_006%20fila%20420. pdf (Stand: 9.6.2016).

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how vom MfS abzuschöpfen, um die eigene Entwicklung zu stärken. Sofern dies die Absicht war, führte das nicht zum Ziel. Auch später lebte die Zusammenarbeit nicht mehr auf. Das belegt beispielsweise ein Bericht des Operativ-Technischen Sektors des MfS aus dem Jahre 1987. Darin werden die Geheimdienste aufgelistet, mit denen der OTS planmäßig und langfristig auf der Basis bilateraler Abkommen zusammenarbeitete. Es waren genau sieben Geheimdienste, und zwar die der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Bulgariens, Kubas und Vietnams. Rumänien gehörte nicht dazu.477 2.3.3 Beständige Kontakte: eine Chronik der Zusammenarbeit aus Sicht der Securitate Im Securitate-Archiv befindet sich ein acht Seiten umfassender »Bericht über die Beziehungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen D. R.«. Angefertigt hatte ihn die »Abteilung Beziehungen und Protokoll« der Securitate bzw. des Innenministeriums im Juli 1973.478 Es handelt sich hierbei um eine weitgehend unkommentierte Chronik der Zusammenarbeit beider Geheimdienste zwischen 1955 bis 1973. Weshalb diese Übersicht erstellt wurde und für wen sie bestimmt war, ist nicht ersichtlich. Gleichwohl handelt es sich um ein bemerkenswertes Dokument, weil es aus Securitate-Perspektive die Entwicklung der bilateralen Beziehungen darstellt. Von einer Unterbrechung oder einer Eintrübung der Beziehungen ist darin nicht die Rede. Das Dokument listet einfach in zeitlicher Reihenfolge auf, wann man in welcher Angelegenheit kooperierte und Informationen austauschte. Es beschränkt sich hierbei offenkundig auf die als bedeutsam angesehenen Vorgänge. Doch selbst in dieser nüchternen Chronik sticht das Jahr 1964 als Zäsur hervor. Denn für die Jahre 1955 bis 1963 dokumentiert sie eine intensive geheimdienstliche Zusammenarbeit. Zwischen 1964 und 1973 weiß sie hingegen nur noch über den Austausch einiger nachrangiger Informationen zu berichten. Für das Jahr 1969 hält sie fest, dass das MfS mehrere Anfragen aus Bukarest hinsichtlich des Austauschs von Informationen, Erfahrungen und Urlaubsplätzen entweder gar nicht oder ablehnend beantwortete. Und selbst mit den Absprachen über die Einrichtung einer geheimen Regierungsfernschreibverbindung zwischen Ostberlin und Bukarest ließ sich das MfS 1969/70 auffallend viel Zeit, obwohl es hierbei um ein Projekt der Regierungen ging. Für die Jahre 1969 bis 1972 nennt die Chronik vor allem Beispiele 477  Übersicht über den Umfang der internationalen Zusammenarbeit des OTS, 28.4.1987; BStU, MfS, SdM, Nr. 2158, Bl. 79. 478  Notă privind relaţiile (wie Anm. 41); der Bericht ist im Anhang, S.  520–527, abgedruckt.

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für die Kooperationsbereitschaft der rumänischen Seite: Sie hält fest, dass die Securitate dem MfS immer wieder Informationen übermittelte, Vorschläge zur Zusammenarbeit unterbreitete und Treffen von Mitarbeitern anregte, das MfS sich jedoch stets distanziert und ablehnend verhielt. Aus dieser rumänischen Perspektive reduzierte sich die Zusammenarbeit beider Geheimdienste 1964 zwar drastisch, doch riss die Verbindung nie ab. Und es war demnach die Securitate, die seit Ende der 1960er-Jahre immer wieder auf die ostdeutschen Verbündeten zugegangen war. Insgesamt bestätigt dieses Dokument den Eindruck, dass sich die Securitate seit 1964 von den anderen sozialistischen Staatssicherheitsdiensten abgrenzte, jedoch Ende der 1960er und Anfang der 1970er-Jahre diesen Schritt zumindest partiell wieder rückgängig zu machen wünschte. Vermutlich scheiterte dieses Ziel nicht nur am Verhalten der Verbündeten, die im Umgang mit dem unzuverlässigen Partner Vorsicht walten ließen, sondern wurde auch bald nicht mehr weiter verfolgt. Vielmehr trug die Securitate die Selbstisolation im Rahmen der nationalistischen Autonomiepolitik Ceaușescus mit. Aus den bislang bekannten Unterlagen ist nicht eindeutig ersichtlich, von welchen Absichten sich die Securitate bei den Versuchen der Wiederannäherung leiten ließ. Die Securitate lavierte, taktierte und versuchte sich rückzuversichern: sie signalisierte Kooperationsbereitschaft, um von gewissen Vorteilen der Zusammenarbeit zu profitieren und Zweifel an der Bündnistreue zu zerstreuen, und sie hielt sich damit zugleich den Rücken frei, um ein größeres Maß an Autonomie gegenüber den Verbündeten zu erlangen. 2.3.4 MfS-Maßnahmen gegen Rumänien, 1968 Ende der 1960er-Jahre verhärteten sich die Fronten. Im Archiv des MfS gibt es mehrere Dokumente, die davon künden. Doch es befinden sich darunter keine Grundsatzdokumente zu diesem Sachverhalt, sondern vor allem MfS-interne Regelungen, die auf die gegebene Situation reagierten. Sie belegen, wie das MfS begann, Rumänien als Sicherheitsrisiko zu behandeln. So untersagte Erich Mielke in einem Schreiben vom 11. April 1968 allen MfS-Mitarbeitern, Privatreisen nach Rumänien und in die Tschechoslowakei zu unternehmen. Zur Begründung führte er an, er halte es »in Anbetracht der jetzigen Lage und Situation für erforderlich, ... dass bis auf weiteres solche Reisen unterbunden werden«.479 Welche Entwicklungen er im Blick hatte, konkretisierte Mielke nicht. 479  MfS, Minister: Schreiben vom 11.4.1968; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2946, Bl. 1. Die Anweisung wurde nach zwei Jahren wieder aufgehoben. Vgl. hierzu MfS, Minister: Schreiben vom 10.6.1970; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2994, Bl. 1. Grundsätzlich regelte damals die von

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Im Juni 1968 überprüfte das MfS gezielt Bürger aus Rumänien, Österreich und der Tschechoslowakei, die längerfristig in der DDR lebten, wobei vor allem deren Auslandsreisen von Interesse waren.480 Ab Mitte September 1968 stellte das MfS systematisch Auskunftsberichte über diejenigen DDR-Bürger sowie in der DDR lebende Ausländer zusammen, die Rumänisch, Serbokroatisch oder Chinesisch sprachen. Die Auskunftsberichte umfassten drei bis vier Seiten und sollten unter anderem Angaben darüber enthalten, ob die betreffenden Personen Verbindungen ins Ausland unterhielten und ob sie die Arbeit des MfS unterstützen würden. Listenweise verzeichnete das MfS damals auch die Namen von DDR-Bürgern, die Verbindungen nach Rumänien, Jugoslawien oder China unterhielten und vermerkte in jedem einzelnen Fall, ob der oder die Betreffende als IM eingesetzt werden könnte.481 Im Oktober 1968 legte die HV A den Objektvorgang »Speicher« an. Darin erfasste sie systematisch Informationen, die sie in Rumänien beschaffte. Tatsächlich stand hinter diesem Vorgang mehr: Die HV A richtete damals eine »legal abgedeckte Residentur« in der DDR-Botschaft in Bukarest ein, also einen Spionagestützpunkt, wie sie das ansonsten nur in westlichen sowie außereuropäischen Ländern tat. Darauf wird später noch näher einzugehen sein.482 Schlaglichtartig wird hier deutlich, wie das MfS Front gegen Rumänien machte. Aus MfS-Perspektive gehörte das Land nun zusammen mit China, Jugoslawien und (bis August 1968) der Tschechoslowakei zur Gruppe der unbotmäßigen sozialistischen Staaten.

Mielke unterzeichnete »Auslandsreiseordnung« vom 1.9.1965 den privaten Reiseverkehr von MfS-Angehörigen in sozialistische Länder. BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 2995. Für Privatreisen nach Rumänien galten für MfS-Angehörige allerdings noch in den 1980er-Jahren Einschränkungen. Vgl. S. 227. 480  MfS, 1. Stellvertreter des Ministers [Beater], 7.6.1968, an BVfS Suhl: Vervollständigung der vorliegenden Daten über ausländische Bürger, die zeitweilig in der DDR wohnen; BStU, MfS, BV Suhl, Abt. VII, Nr. 5127, Bl. 1 f. 481 Auskunftsberichte über Personen mit den genannten Sprachkenntnissen forderte der stellvertretende MfS-Chef Fritz Schröder mit Schreiben vom 23.9.1968 bei zahlreichen MfS-Abteilungen an; viele Namenslisten und vereinzelte Auskunftsberichte sind vorhanden in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 18342. Vgl. auch MfS, HA XX/1, 28.10.1968: Liste über DDR-Bürger, die Verbindungen nach Rumänien, Jugoslawien und China unterhalten; BStU, MfS, HA XX/ZMA, Nr. 4094, Bl. 2–6. Diese Liste der HA XX/1 enthält 17 Namen von Personen, die als Kultur-Funktionäre Kontakte nach Rumänien hatten, darunter aktive IM; soweit derzeit feststellbar, eignete sich aber keiner für eine intensive Informationsbeschaffung. 482  Siehe Kapitel 3.1.

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2.3.5 Spionageabwehr Ost: die Anti-KGB-Abteilung der Securitate, 1968/69 Als die HV A im Februar 1969 die Lage in Rumänien analysierte, fiel ihr auf, dass die Securitate ihre Tätigkeit neu ausrichtete: Sie unterscheide in ihrer Arbeit nicht mehr zwischen sozialistischen und imperialistischen Geheimdiensten, sondern solle generell die Aktivitäten »ausländischer« Geheimdienste abwehren, stellte die HV A damals fest.483 Diese Beobachtung wird weder in diesem HVA-Papier noch in anderen MfS-Dokumenten vertieft. Dabei handelte es sich um eine zutreffende und brisante Erkenntnis. Denn Nicolae Ceaușescu hatte bald nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei im August 1968 angeordnet, eine Abteilung zu schaffen, die ausschließlich Aktivitäten anderer sozialistischer Geheimdienste in Rumänien überwachen und abwehren sollte: die »Spionageabwehr Ost«. Diese vereinfachend auch als Anti-KGB-Abteilung bezeichnete Einheit unterstand spätestens seit 1972 der Auslandsspionageabteilung der Securitate und trug die Bezeichnung U.M. 0920/A. Zu ihrem Chef wurde Oberstleutnant Constantin Iosif ernannt. Nachdem Ion Mihai Pacepa im Juli 1978 in den Westen geflüchtet war, wurde die Abteilung noch im Sommer 1978 in U.M. 0110 umetikettiert. Ihr letzter Leiter war von 1983 bis 1989 Victor Neculicioiu.484 Zu Recht bezeichnet Dennis Deletant die Existenz der Anti-KGB-Abteilung als »einzigartig für einen Mitgliedsstaat des Warschauer Pakts«.485 Eine aktengestützte Untersuchung über die Arbeit dieser Abteilung gibt es bislang jedoch nicht. Einblicke in diese Abteilung gewähren daher im Wesentlichen die teils fragwürdigen Erinnerungen früherer Securitate-Offiziere. Die »Spionageabwehr Ost« schottete sich auch innerhalb des Geheimdienstapparats ab. Sie erhielt ein eigenes Überwachungszentrum und eine eigene Abteilung für operative Technik. Sie zapfte Telefone und Chiffrierverbindungen der sozialistischen Botschaften an und beschattete Menschen, die ihr verdächtig erschienen. Der Hauptsitz der Abteilung firmierte offiziell als eine Außenstelle des »Instituts für internationale Konjunktur«, was wiederum eine Tarneinrichtung der Auslandsspionageabteilung war. Die Abteilung U.M. 0110 gliederte sich in vier »informative« Abteilungen und war mit zuletzt 304 Mitarbeitern besetzt, davon 264 im Offiziersrang. Zwei Unterabteilungen befassten sich ausschließlich mit der Sowjetunion, eine mit

483  Die Lage in der Sozialistischen Republik Rumänien (wie Anm. 429), Bl. 6 f. 484  Zur Tätigkeit der U.M. 0920/A bzw. U.M. 0110 vgl. Oprea: Moștenitorii Securităţii, S. 54–56, der die Gründung dieser Abteilung auf das Jahr 1969 datiert; Deletant: Rumänien, S. 353 f.; Troncotă: Duplicitarii, S. 142–149; Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 109–118. 485  Deletant: Rumänien, S. 353.

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Ungarn und Jugoslawien, die vierte mit den übrigen sozialistischen Ländern, also auch mit der DDR.486 Das »Anti-Stasi-Referat« bestand aus drei Offizieren und wurde von Major Ioan Rusan geleitet, der nach 1989 im Geheimdienst blieb und Chef des rumänischen Inlandsnachrichtendienst SRI in Hermannstadt wurde. Seinen Angaben zufolge konzentrierte sich das »Anti-Stasi-Referat« darauf, die Mitarbeiter der DDR-Institutionen in Rumänien zu überwachen. Dazu zählten die Botschaft, die Handelsvertretung oder die Repräsentanz der DDR-Fluggesellschaft »Interflug«. Mindestens zwei Stasi-Informanten mit Zugang zu interessanten, internen Informationen will Rusans Abteilung angeblich 1989 identifiziert haben.487 Die geringe Personalstärke der Anti-Stasi-Abteilung lässt sich als Indiz dafür werten, dass die Securitate die Stasi-Präsenz in Rumänien als nachrangiges Problem einstufte. Welche Informationen die Anti-KGB-Abteilung zusammentrug, welche Personen und Institutionen in Rumänien sie observierte und was sie insgesamt bewirkte, lässt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht sagen. Unbekannt ist derzeit ebenfalls noch, in welchem Umfang die Securitate auch offensiv in der DDR oder anderen sozialistischen Ländern spionierte. Cristian Troncotă behauptet, die Anti-KGB-Abteilung habe zurückhaltend agiert, weil Ceaușescu die Sowjetunion nicht zu sehr provozieren wollte; der Abteilungsleiter Constantin Iosif habe eine Dienstreise nach Moskau unternommen, und das Personal der Abteilung sei zum Teil prosowjetisch eingestellt gewesen. All dies erkläre den Misserfolg dieser Abteilung.488 Gegenprüfen lassen sich solche Darstellungen bislang kaum. Auf jeden Fall hatte das MfS frühzeitig, zumindest in Grundzügen, von der Neuausrichtung der Securitate erfahren. Das Misstrauen zwischen der Securitate und den anderen sozialistischen Geheimdiensten wuchs.

486  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 112. 487  Ebenda, S. 113–117. Ioan Rusan deutete demzufolge an, dass Eduard Eisenburger und Elena (»Nuţi«) Pîngulescu das MfS mit Informationen versorgt haben sollen. Zu Eisenburger siehe ausführlich in der vorliegenden Studie S. 277–282. Über Pîngulescu liegen im MfS-Archiv keine Hinweise vor. Pîngulescu war Kabinettschefin von Tamara Dobrin, die dem ZK der RKP, dem Staatsrat und der »Großen Nationalversammlung« angehörte und Vizepräsidentin des »Rates für Sozialistische Kultur und Erziehung« (Consiliul Culturii și Educaţiei Socialiste, CCES) war. 488  Troncotă: Duplicitarii, S. 147–149.

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2.3.6 Die Securitate-Führung gibt sich kooperationsbereit: Einladungen an Erich Mielke und der Überraschungsbesuch von Spionagechef Nicolae Doicaru in Ostberlin, 1971 Das MfS behielt offenkundig auch nach 1968 seine distanzierte Haltung gegenüber der Securitate bei. Anders stellt sich in den Akten die Taktik der Securitate gegenüber dem MfS dar. Seit 1964 war die rumänische Seite deutlich auf Distanz zu den ostdeutschen Kollegen gegangen. Doch spätestens Ende der 1960er-Jahre versuchte sie, eine Wiederannäherung in die Wege zu leiten. Andeutungsweise kam das in der bereits erwähnten Chronik der Zusammenarbeit zum Ausdruck. Offenkundig fuhr die Securitate eine zweigleisige Strategie. Sie strebte nach Autonomie und versuchte zugleich, die Verbündeten nicht länger zu verstimmen. In diesem Sinne unternahm Securitate-Chef Ion Stănescu489 im Herbst 1970 einen entsprechenden Vorstoß. Er schrieb am 10. Oktober 1970 an Erich Mielke und lud ihn noch vor Jahresende zu einem Erfahrungsaustausch nach Rumänien ein. Sollte es Mielke nicht mehr möglich sein, nach Bukarest zu kommen, sei er bereit, seinerseits mit einer Delegation nach Ostberlin zu reisen. Die Securitate strebe danach, so Stănescu, »die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der befreundeten Länder auf der Grundlage guter Beziehungen und der gegenseitigen Achtung – die zwischen den Sicherheitsorganen der Sozialistischen Republik Rumänien und der Deutschen Demokratischen Republik hergestellt sind – zu entwickeln und zu verstärken«.490 Im Vorfeld dieser Einladung gab sich Stănescu betont kooperationsbereit: er informierte Mielke telegrafisch über verschiedene Sachverhalte und regte gemeinsame Beratungen von Spezialisten beider Geheimdienste über intensivere Grenzkontrollen und die Verhinderung von Flugzeugentführungen an.491 Auch die Art und Weise, wie Stănescus Einla489 Ion Stănescu (1929–2010), ein Gefolgsmann Ceaușescus, machte in den 1950er-Jahren zunächst eine Parteikarriere, war im ZK der RAP unter anderem für die Kaderpolitik in den Ministerien für Inneres und die bewaffneten Organe verantwortlich. 1964–1967 Erster Sekretär der Parteileitung der Region Oltenien mit Sitz in Craiova, 1967–1973 Securitate-Chef (1967– 1972 als Leiter des »Rates für Staatssicherheit« im Rang eines Ministers, nach Auflösung des »Rates für Staatssicherheit« 1972 als Innenminister). Im März 1973 auf einen unbedeutenden Posten im ZK der RKP abgeschoben, angeblich als Reaktion auf den Selbstmord des Leibarztes Nicolae Ceaușescus. Ab 1977 Wiederaufstieg, mehrere Funktionen im Ministerrang, zuletzt 1984–1990 Tourismusminister. 1965–1989 ZK-Mitglied, 1969–1974 Kandidat des Exekutivkomitees des ZK der RKP, 1965–1980 Abgeordneter der »Großen Nationalversammlung«; Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 765 f. Als Erster Sekretär der Parteileitung duldete er 1966 die »Existenz einer unabhängigen literarischen Publikation« in Craiova, der »Povestea Vorbii« (Die Geschichte der Rede). Vgl. Gabanyi: Partei und Literatur, S. 145, dennoch kein Vertreter freier Ideen. 490 Brief Stănescus an Mielke, 10.10.1970; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 234 f. 491 Telegramme Stănescus an Mielke vom 17.9., 22.9. und 5.10.1970; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 236 f.; Abt. X, Nr. 2320, Bl. 74 f. Am 14.9.1970 war ein rumänisches Flugzeug auf

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dung überbracht wurde, sollte unterstreichen, wie wichtig dem Securitate-Chef die Kooperation mit dem MfS sei: Ioan Lupu, damals 3. Sekretär an der rumänischen Botschaft in Ostberlin, hatte am 12. Oktober beim MfS angerufen und für den Folgetag um einen Gesprächstermin für Botschafter Nicolae Ghenea bei Erich Mielke gebeten. Der Botschafter sei soeben aus Rumänien zurückgekehrt, teilte Lupu noch mit. Mielke-Stellvertreter Bruno Beater ließ jedoch ausrichten, Mielke befinde sich »im Manövergebiet« und könnte den Botschafter allenfalls am 16. Oktober empfangen – »wenn es sehr dringend ist«. Dem Botschafter war es tatsächlich eilig, sodass Mielke ihn am 16. Oktober vormittags empfing und das Schreiben Stănescus überreicht bekam.492 Wie die Besprechung verlief, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall blieb Mielke bei seiner ablehnenden Haltung. Er wies sein Vorzimmer an, die Antwort an den rumänischen Ministerkollegen zunächst herauszuzögern und Stănescu dann mitzuteilen, dass die vorgeschlagene Zusammenarbeit »nicht möglich« sei, »da unterschiedliche Aufgaben u[nd] unterschiedl[iches] Herangehen« dem entgegenstünden.493 Daher kam es auch nicht zu einer persönlichen Begegnung beider Geheimdienstchefs. Deshalb reiste im März 1971 der stellvertretende Securitate-Chef und Leiter der rumänischen Auslandsspionage, Nicolae Doicaru, nach Ostberlin. Dieser Besuch ist in den MfS-Unterlagen gut dokumentiert.494 Doicaru beabsichtigte, die bilaterale Zusammenarbeit wieder zu beleben. Daraus lassen sich indirekte Einblicke in das damalige Verhältnis beider Geheimdienste gewinnen. Von »guten Beziehungen« und »gegenseitiger Achtung«, wie Stănescu es formuliert hatte, war man demnach in Wirklichkeit weit entfernt. Insgesamt hinterließ Doicarus Besuch beim MfS keinen günstigen Eindruck. Doicaru war entgegen der üblichen Gepflogenheiten unangemeldet in Ostberlin eingetroffen. Trotzdem empfing ihn Markus Wolf am 18. März aber zu einem dreistündigen Gespräch. Darin erklärte Doicaru zunächst, er sei gerade auf der Rückreise von Kopenhagen nach Bukarest und wolle einen kurzen Zwischenaufenthalt in Ostberlin dazu nutzen, um über die erforderlichen Sicherheits-

der Route Bukarest – Budapest – Prag entführt und nach München umgeleitet worden. Siehe auch Anm. 950. 492  [MfS], Berlin, 13.10.1970: Aktenvermerk; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2307, Bl. 74. Das Einladungsschreiben Stănescus trägt einen Eingangsstempel des Mielke-Vorzimmers, datiert vom 16.10.1970; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 234. Der Botschafterbesuch bei Mielke am 16.10.1970 um 10.00 Uhr ist vermerkt im Arbeitsbuch des Mielke-Vorzimmers: BStU, MfS, SdM, Nr. 1428, Bl. 11. Ioan Lupu war 1984 in Anschlagsvorbereitungen auf Exilrumänen in der Bundesrepublik verwickelt. Siehe S. 496. 493  Arbeitsbuch des Mielke-Vorzimmers; BStU, MfS, SdM, Nr. 1428, Bl. 10. 494  Notiz über ein Gespräch mit […] Doicaru am 18.3.1971; Notiz über ein Gespräch mit [...] Doicaru, am 19.3.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 214 f. Beide Notizen sind im Anhang, S. 507–519, abgedruckt.

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Abb. 12: Ein Mitarbeiter des Sekretariats des Ministers notiert die Anweisung Mielkes, wie mit der Anfrage von Securitate-Chef Stănescu zu verfahren ist: hinauszögern und ablehnen.

maßnahmen für den bevorstehenden Besuch von SED-Chef Walter Ulbricht495 in Bukarest zu sprechen. Vermutlich war Doicaru in Kopenhagen gewesen, um den Besuch des rumänischen Außenministers Corneliu Mănescu vorzubereiten, der vom 19. bis 22. März 1971 Dänemark besuchte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs behauptete er gegenüber Wolf, seine Reise nach Kopenhagen sei nur ein Vorwand gewesen, um zu einem Gespräch mit der MfS-Führung zu kommen. War dies schon ungeschickt genug, so verschlimmerte er die Situation noch dadurch, dass er hartnäckig darauf beharrte, zu Erich Mielke vorgelassen zu werden. Doicaru legte Wolf eine ganze Reihe an Themen und ausgearbeitete Papiere vor, sodass Wolf das Gespräch mit der Feststellung eröffnen musste, er sei auf so viele Einzelfragen nicht vorbereitet und sei daher eigentlich überfordert. Das Gesprächsprotokoll lässt einige Rückschlüsse auf den Stand der Zusammenarbeit zu. Nachdem sich Wolf und Doicaru mehrere Jahre lang nicht mehr gesehen hatten, war es nun innerhalb kurzer Zeit zu drei Begegnungen gekommen; vor dem Gespräch in Ostberlin hatten sie auf einer internationalen Geheim­dienst-Beratung in Budapest496 sowie anlässlich der 50-Jahr-Feier der 495  Walter Ulbricht war im Oktober 1970 von Nicolae Ceaușescu zur Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrags nach Rumänien eingeladen worden, doch er trat die Reise nicht an. Erst Erich Honecker folgte, im Mai 1972, dieser Einladung. Vgl. Anm. 447. 496  Vom 7. bis 10. Dezember 1970 fand in Budapest eine Beratung der Auslandsspionage-Abteilungen der Ostblock-Geheimdienste statt. Vgl. hierzu das nicht namentlich gekennzeichnete Redemanuskript der DDR-Delegation; BStU, MfS, SdM, Nr. 355, Bl.  23–45, sowie eine knappe Zusammenfassung der Tagungsergebnisse in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5132, Bl. 116. Der rumänische Securitate-Chef Ion Stănescu bezog sich in einem Schreiben an Erich Mielke vom 16.3.1971 auf die Budapester Beratung und nahm diese zum Anlass, Mielke einige Spionageinformationen aus dem wissenschaftlich-technischen Bereich anzubieten; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 183. Über die Budapester Tagung schreibt ausführlich

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sowjetischen Aufklärung in Moskau497 miteinander gesprochen. Markus Wolf wiederholte nun, dass zuerst politische Grundsatzfragen auf der Ebene der beiden Staats- und Parteiführungen geklärt sein müssten, bevor es zu einer »engen tschekistischen Zusammenarbeit« kommen könne. An einer bloß formalen Zusammenarbeit, wie sie es in bestimmten Fragen derzeit gebe, habe man kein Interesse. Doicaru wollte hingegen keine Grundsatzfragen diskutieren, sondern die Zusammenarbeit auf den Gebieten forcieren, auf denen es eben gerade möglich war. Darüber hinaus lag ihm vor allem daran, atmosphärische Verbesserungen zu erreichen. Er bedauerte, dass sich die Beziehungen beider Geheimdienste »auf einem so niedrigen Niveau befinden, wie sie zur Zeit sind«, und er schilderte, wie die Securitate erst kürzlich ihre Beziehungen zu den polnischen und ungarischen Kollegen intensiviert habe; mit dem bulgarischen Geheimdienst habe man sogar ein Protokoll über die Zusammenarbeit unterzeichnet.498 Mit KGB-Chef Jurij Andropov habe er in Moskau gesprochen, und dieser habe ihm schriftlich seinen baldigen Besuch in Bukarest zugesagt. Doicaru lud Erich Mielke und Markus Wolf zur Bärenjagd nach Rumänien ein und bot ersatzweise an, dass der rumänische Securitate-Chef Ion Stănescu auch in die DDR kommen würde, um dort mit Mielke Hirsche und Wildschweine zu schießen und sich bei dieser Gelegenheit zu unterhalten. Dieses Angebot war indes das genaue Gegenteil dessen, was Markus Wolf unter der Klärung von Grundsatzfragen verstand. Zudem ließ Doicaru die taktischen Überlegungen der Securitate-Führung durchblicken: Sie tat sich mit Kooperationsangeboten hervor, um den Verdacht zu entkräften, eine Außenseiterin zu sein. In diesem Sinne äußerte sich Doicaru in der Unterredung mit Markus Wolf, wenn er sagte: »Wir habe die Initiative übernommen, um diese Kontakte zu festigen, weil wir nicht wollen, dass mit den Fingern auf uns gezeigt wird, dass wir abseits gestanden haben.« So blieb das gesamte Gespräch von inhaltlichen Missverständnissen und Differenzen geprägt, verstärkt noch durch die Unterschiede zwischen rumänischer und deutscher Mentalität. Hinzu kamen persönliche Verschiedenheiten zwischen Markus Wolf (1923–2006) und Nicolae Doicaru (1922–1991) hinsichtlich ihrer Herkunft, Ausbildung und Persönlichkeit. Wolf war Sohn eines kommunistischen Arztes und Schriftstellers, verbrachte die NS-Zeit mit der Familie in der SowjeNehring: Die Zusammenarbeit der HV A mit der bulgarischen Aufklärung, wobei er sich auf eine gute bulgarische Aktenüberlieferung stützt. Im Securitate-Archiv befinden sich die Aufzeichnungen Doicarus über die Budapester Tagung, über die Florian Banu: De la colaborare la izolare, ausführlich schreibt. Banu zufolge fand die Tagung vom 8.–11.12.1970 statt. 497 Als offizieller Gründungstag der sowjetischen Auslandsspionage-Abteilung gilt der 20. Dezember 1920, als innerhalb der Tscheka, also der KGB-Vorgängereinrichtung, die INO (Inostrannyj otdel – (russ.) Auslandsabteilung) eingerichtet wurde. Vgl. Andrew; Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB, S. 45. 498  Zu den damaligen Securitate-Vereinbarungen mit Ungarn und Bulgarien siehe Kapitel 2.3.8.

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tunion, begann dort Flugzeugbau zu studieren, kehrte 1945 nach Deutschland zurück und setzte dort seine 1943 begonnene Arbeit als Redakteur fort, um 1951 in die Auslandsspionage zu wechseln. Er zeichnete sich durch analytische Prägnanz und gute Bildung aus und stellte innerhalb des MfS eher eine Ausnahme dar. Doicaru entstammte einer Bauernfamilie und absolvierte das »Industriegymnasium« (höhere Berufsschule) in Focșani, das er regulär nach der 11. Klasse beendete. Während seiner Gymnasialzeit gehörte er dem Jugendverband der faschistischen Legionärsbewegung an, den »Kreuzbruderschaften« (»Frăţiile de Cruce«). Nach der Schule wurde er ab Herbst 1941 zum Funker ausgebildet, war bis 1945 Kriegsteilnehmer und begann danach über die RKP sofort eine Karriere im neuen Sicherheitsapparat. Nach Funktionen in regionalen Securitate-Dienststellen zwischen 1948 und 1955 übertrug man ihm im Juni 1955 die Funktion des stellvertretenden Leiters der Auslandsspionage, was einen bemerkenswerten Aufstieg bedeutete. Von 1959 bis 1978 war er Leiter der Auslandsspionage. Er galt als machtbewusst und extrem fleißig. Nebenbei belegte er von 1958 bis 1960 Kurse in der »Arbeiterschule« (»școala muncitorească«) des Innenministeriums, von 1960 bis 1963 ein Fernstudium an der Parteihochschule »Ștefan Gheorghiu«, und im Januar 1967 erwarb er ein Diplom im Fach »Politische Ökonomie« am Bukarester Institut für Wirtschaftswissenschaften »V.I. Lenin«. Er war es gewohnt, dass sich ihm alle Türen öffneten.499 Doch als Markus Wolf seinem rumänischen Kollegen zum wiederholten Male darlegte, dass Erich Mielke keine Zeit für ihn habe, konnte sich der impulsive Nicolae Doicaru kaum noch beherrschen und entgegnete, Rumänien sei nicht auf gute Verbindungen zur DDR angewiesen. Er fühlte sich offenbar brüskiert, weil er nicht von Mielke empfangen wurde und derartige Zurücksetzungen nicht gewohnt war, und er brachte zum Ausdruck, in Rumänien würde so etwas im umgekehrten Fall nicht passieren. Die ostdeutsche Seite sah sich hingegen von Doicarus spontanem Besuch überrumpelt, da sie dadurch keine Zeit für eine inhaltliche Vorbereitung hatte, wie Markus Wolf mehrfach entschuldigend sagte. Markus Wolf war zudem durch die Leipziger Messe, die ein wichtiger Ost499  Zur Biografie Wolfs siehe Fricke: Markus Wolf (* 1923) sowie Gieseke: Wer war wer, S. 77 f. Zur Biografie Doicarus siehe Banu, Florian: Nicolae Doicaru. Banu äußert in diesem durchaus materialreichen biografischen Aufsatz die unbelegte und somit spekulative Vermutung, Doicaru sei pro-sowjetisch ausgerichtet gewesen und habe die Rückendeckung der Sowjets besessen. Zu Doicaru vgl. auch Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 194–198; Bd. II, S. 758 f., sowie Membrii C.C. al P.C.R., S. 222 f. Wolf leitete die DDR-Auslandsspionage von Ende 1952 bis zu seinem Ruhestand 1986. Doicaru wurde im April 1972 Ceaușescus nationaler Sicherheitsberater. Im März 1978 musste er aus dem Spionageapparat ausscheiden und wurde zum Minister für Tourismus degradiert; im September 1978 verlor er auch dieses Amt, nachdem sein langjähriger Stellvertreter Ion Pacepa in den Westen geflohen war. 1990 ernannte ihn der damalige Vizepremierminister Gelu Voican Voiculescu, zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste, zu seinem Berater. Doicaru starb im Februar 1991 infolge eines Jagdausflugs.

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Abb. 13: Der rumänische Spionagechef Nicolae Doicaru (Mi.), sein Stellvertreter Ion Mihai P ­ acepa (re.) und Securitate-General Eugen Luchian (li.), 1976

Abb. 14: Auszeichnung von MfS-Mitarbeitern durch Walter Ulbricht aus Anlass des 20. Jahrestages des MfS im Februar 1970, u. a. mit Willi Stoph, Walter Ulbricht, Markus Wolf (3. v. l.), Pëtr Abrasimov, Erich Honecker, Erich Mielke (ganz rechts)

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West-Treffpunkt war, zeitlich sehr in Anspruch genommen. Erich Mielke ließ Doicaru ausrichten, solche spontanen, unangemeldeten Arbeitsbesprechungen seien »nicht opportun«. Arbeitsbesprechungen müssten vorab von den zuständigen Ministern beider Seiten genehmigt werden und über die Abteilung X des MfS abgestimmt werden. Direkte Verbindungen zwischen einzelnen Abteilungen beider Geheimdienste gebe es nicht, so Mielke. Die ostdeutsche Seite mag tatsächlich Probleme mit der rumänischen Art gehabt haben. Doch auch unabhängig davon ist zu erkennen, wie hinhaltend die MfS-Führung auf die Offerten des rumänischen Partners reagierte. Doicarus Besuch und die Unterlagen, die er aus diesem Anlass mitbrachte, zeigen eine große Kooperationsbereitschaft der rumänischen Seite. So legte Doicaru in Ostberlin bereits den unterschriftsreifen Entwurf eines Protokolls vor, in dem die Zusammenarbeit zwischen Securitate und MfS förmlich vereinbart werden sollte. Der Inhalt des Protokolls lässt erkennen, auf welchen Gebieten die Interessen der Securitate lagen. Es sollten sowohl allgemeine politische, wirtschaftliche und militärische Informationen ausgetauscht werden, die beide Geheimdienste im Westen sammelten, als auch Hinweise auf die Tätigkeit und konkrete Aktionen westlicher Geheimdienste, Kirchen, Rundfunksender oder Emigrantenorganisationen gegen Rumänien und die DDR. Auch gemeinsame operative Aktionen gegen westliche Geheimdienste waren vorgesehen. Bürger des jeweils anderen Landes, die in den Westen flüchten wollten, sollten festgenommen und ihrem jeweiligen Land überstellt werden. Ferner sah das Protokoll vor, sich über operative Technik und geheimdienstliche Arbeitsmethoden auszutauschen.500 Doicaru gab sich also äußerst geschäftig und sprach verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit an. Er offerierte aber nicht das, was für die ostdeutsche Seite akzeptabel gewesen wäre. Entscheidend dürfte der Einwand Markus Wolfs gewesen sein, man sei an einer bloß formalen Zusammenarbeit nicht interessiert, bevor nicht einige grundsätzliche Fragen der bilateralen Beziehungen geklärt seien. Die rumänische Seite – und das gilt nicht nur für die Securitate – wich konkreten, bindenden Abmachungen damals gerne aus. Wenn Markus Wolf im Namen des MfS die Angebote Doicarus zurückwies, so tat er das wohl nicht aus prinzipiellen Erwägungen. Denn grundsätzlich war das MfS durch500  Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen dem Rat für Staatssicherheit der Sozialistischen Republik Rumänien und dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik [1971]; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 240–250. Einige der von Doicaru übergebenen Dokumente und Informationen, die die Securitate ins Deutsche übersetzt hatte, befinden sich in: ebenda, Bl.  264–337. Eine Kurzübersicht der übergebenen Dokumente in ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 184. Vgl. ferner Anm. 463. In den übergebenen Dokumenten ging es demnach um Urlaubsplätze für Geheimdienstmitarbeiter im jeweils anderen Land, um ein Kooperationsangebot bei der Beschaffung von Spionageinformationen sowie um einen Erfahrungsaustausch bezüglich technischer Geräte; ferner übergab Doicaru mehrere Einzelinformationen aus dem Bereich der politischen Spionage sowie über westdeutsche Fluchthelfer und Fluchtversuche von DDR-Bürgern.

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aus daran interessiert, mit der Securitate zu kooperieren. Doch das MfS war offenkundig nicht bereit, die rumänischen Konditionen zu akzeptieren, die nur auf formale Zusagen hinausliefen, aber weder den Sonderweg der Securitate und Rumäniens insgesamt tangieren, noch in eine substanzielle Zusammenarbeit münden würden. Vermutlich sah Markus Wolf, dass die Securitate vor allem Kooperationsbereitschaft signalisierte, um die Verbündeten auf diese Weise zu beruhigen – und um sich so den Rücken für den nationalen Sonderweg freizuhalten. Die MfS-internen Gesprächsnotizen des Treffens zwischen Wolf und Doicaru sparen eine wesentliche Verhandlungsmaxime der rumänischen Seite aus: Die Securitate-Führung hatte sich entschieden, grundsätzlich nur bilaterale Abmachungen zu treffen, aber sich keinen multilateralen Vereinbarungen anzuschließen. Sie bewahrte sich auf diese Weise einen größeren Handlungsspielraum und entzog sich den Einschränkungen für die nationale Souveränität, die die forcierte multilaterale Zusammenarbeit mit sich brachte.501 In den derzeit bekannten Unterlagen finden sich keine Hinweise darauf, wie innerhalb des MfS über die angebotene Kooperation beraten wurde. Belegt ist, dass die MfS-Führung ihr Verhalten gegenüber der Securitate eng mit dem sow­ jetischen Verbündeten abstimmte. So sprach Erich Mielke, als er im Mai 1971 sein jährliches Arbeitstreffen mit der KGB-Führung in Moskau durchführte, den Besuch Doicarus direkt an.502 Und als Markus Wolf im November 1971 seine kommende Jahresberatung mit seinem KGB-Kollegen Fëdor Mortin , dem Leiter der 1. Hauptverwaltung des KGB (Auslandsspionage), vorbereitete, nahm er sich ebenfalls vor, in Moskau die »Probleme der operativen Arbeit im Zusammenhang mit der Entwicklung in China, Rumänien und Jugoslawien und evtl. anderen Ländern« zu erörtern.503 Über den Inhalt dieser Gespräche sagen die Akten allerdings nichts.

501  Im Vorfeld der Budapester Geheimdienstberatung (siehe Anm. 496) beschloss die Securitate-Führung am 21.5.1970, den einladenden Kollegen aus Ungarn »mit den höflichsten Worten mitzuteilen, dass seitens der Sicherheitsorgane der S.R. Rumänien eine Delegation an der Beratung teilnehmen wird, aber wir keinerlei Vereinbarung unterzeichnen werden. Wir sollen aufzeigen, dass wir die Zusammenarbeit zwischen unseren Organen und den Sicherheitsorganen der sozialistischen Länder schätzen, die durch zweiseitige Vereinbarungen gut zu regeln ist, und dass wir im Hinblick auf das Prinzip der Konspiration eine andere Form der Zusammenarbeit nicht nützlich finden«. Zit. in: Banu, Florian: De la colaborare la izolare. 502  Siehe unten, Anm. 618. 503  MfS, HV A, 9.11.1971: Plan der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der befreundeten sozialistischen Staaten für das Jahr 1972; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2245, Bl. 24–52, hier 26 f. Rumänien zählte in diesem Plan nicht zu den befreundeten sozialistischen Staaten.

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2.3.7 Letzte Kooperationsangebote aus Bukarest, 1972 bis 1973 2.3.7.1 Das MfS wahrt Distanz gegenüber den Offerten der Securitate Die Securitate bemühte sich auch in den beiden folgenden Jahren noch um bessere Beziehungen zum MfS. Ion Stănescu entsandte im Juni 1972 seinen Stellvertreter Generalmajor Nicolae State nach Ostberlin, wo er mit Mielkes erstem Stellvertreter Generalleutnant Bruno Beater zu einer besseren Verständigung zu gelangen versuchte.504 Offenbar blieb auch State erfolglos. Im Oktober 1972 bat Stănescu seinen ostdeutschen Amtskollegen darum, das MfS möge drei Securitate-Offiziere in der DDR zu einem Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der operativen Technik empfangen. Er berief sich hierbei ausdrücklich auf die erzielte Übereinkunft zwischen Beater und State. Doch Erich Mielke wies Stănescus Ersuchen schroff ab. Nicht nur, dass er sich mit einer Antwort drei Monate Zeit ließ; er belehrte Stănescu auch darüber, dass Beater und State sich keineswegs über derartige Besuche verständigt hätten. Gegenwärtig, so Mielke, sehe man keine Möglichkeit für diese Form des Erfahrungsaustausches.505 Die letzten nachweisbaren Versuche der Securitate, die Verbindungen zum MfS wiederzubeleben, datieren aus dem Jahre 1973. Am 8. August 1973 ging beim MfS ein Telegramm aus Bukarest ein. Darin informierte die Securitate, ihr lägen Hinweise auf einen DDR-Bürger vor, der für die USA spioniere. Und er trage sich gegenwärtig mit dem Gedanken, über Rumänien in die Bundesrepublik zu fliehen. Nähere Einzelheiten wollte die Securitate »aus Gründen der Konspiration« nicht telegrafisch übermitteln. Sie bot dem MfS jedoch an, bei Interesse einige Mitarbeiter nach Rumänien zu entsenden, um den mutmaßlichen Spionagefall gemeinsam zu bearbeiten.506 Auf diese Weise angefüttert, wollte das MfS das Angebot nicht ausschlagen. Schon eine Woche später machten sich drei MfS-Offiziere auf den Weg nach Bukarest. Einer von ihnen war Hauptmann Werner Kamilli, der als Rumäniendeutscher bis 1950 in Siebenbürgen gelebt hatte und vom MfS unter anderem als Dolmetscher für Rumänisch und Ungarisch eingesetzt wurde.507 504  Die Begegnung wird in einem Telegramm Stănescus an Mielke vom 31.10.1972 sowie in Mielkes Antwort-Telegramm vom 30.1.1973 erwähnt. ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 179, 181. Ebenso in der Chronik der Zusammenarbeit: ACNSAS, D 13362, vol. 7, Bl. 59 (wie Anm. 41). Weitere Dokumente der Begegung sind bislang nicht bekannt. 505  ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 179, 181. 506  Telegramm aus Bukarest vom 8.8.1973 Nr. 006903 sowie Antworttelegramm des MfS vom 11.8.1973; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2490, Bl. 36 f. Das Telegramm Nr. 006903 liegt auch in rumänischer Sprache vor, mit Datum vom 7.8.1973: ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 21. 507 Kamilli, im siebenbürgischen Mediasch geboren und im benachbarten Schäßburg ­(Sighișoara) aufgewachsen, siedelte 1950 in die DDR nach Leipzig über, wo sein Vater bereits

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Der Sachverhalt war schnell erklärt und hätte keiner Dienstreise bedurft: Ein IM der Securitate, der im westlichen Ausland lebte, hatte kürzlich in Hermannstadt einen DDR-Bürger kennengelernt. Der DDR-Bürger vertraute ihm seine geheime Geschichte an und bat ihn um Unterstützung bei seinem Fluchtvorhaben. Doch der Securitatespitzel informierte seinen Führungsoffizier über das Gespräch. Die Securitate legte nun den drei MfS-Offizieren die Personendaten des DDR-Bürgers vor und versetzte das MfS somit in die Lage, den Spionageund Fluchtverdacht zu prüfen. Der Chef der rumänischen Spionageabwehr, Securitate-Oberst Aristotel Stamatoiu, bot ihnen zudem an, den Securitate-IM für eine eventuelle Operation des MfS zur Verfügung zu stellen.508 Das MfS untersuchte tatsächlich die Vorwürfe gegen den derart denunzierten DDR-Bürger, doch bestätigten sich diese nicht. Er blieb daher unbehelligt.509 Möglicherweise hatten der Securitate-Informant oder sein Führungsoffizier den Gesprächsinhalt aufgebauscht. Dieser vermeintliche Spionagefall diente der Securitate jedoch ohnehin nur als Vorwand, um sich dem MfS wieder anzunähern. Diesen Eindruck hatten zumindest die drei MfS-Offiziere. In ihrem Dienstreise-Bericht führten sie hierfür mehrere Beispiele an. So habe Oberst Stamatoiu den vorliegenden Fall als Beispiel für die gemeinsamen Interessen beider Geheimdienste angeführt und vom »Kampf gegen den gemeinsamen Feind« gesprochen. Ausdrücklich habe er erklärt, er wünsche »eine Verbesserung der zukünftigen Zusammenarbeit«. Wenige Stunden vor ihrer Abreise empfing Nicolae Doicaru die drei MfS-Offiziere kurzfristig noch zu einem halbstündigen Gespräch. Auch er betonte das Interesse an einer besseren geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Doicaru und Stamatoiu gaben ihnen einen überraschenden Vorschlag mit auf den Weg: Das MfS solle während der Urlaubssaison einen ständigen Mitarbeiter in Rumänien einsetzen. Dieser könne sich mit den festgenommenen DDR-Flüchtlingen befassen und ihre Rückführung in die DDR koordinieren. Die drei MfS-Offiziere erwähnten auch die gute Betreuung durch die rumänischen Kollegen, die ihnen eine Stadtbesichtigung in Bukarest und einen Theaterbesuch organisierten. Ihr seit mehreren Jahren lebte. Aufgrund seiner Ungarisch- und Rumänischkenntnisse und seiner politischen Überzeugung wurde er 1957 beim MfS als Übersetzer eingestellt, zunächst in der HA II/5, von 1966 bis 1989/90 in der Abt. X. Auch seine Ehefrau und seine Kinder wurden hauptamtliche MfS-Mitarbeiter. BStU, MfS, KS 27011/90, Bl. 5–9, 15, 23–27, 59, 62, 110 f., 134, 140–142, 152 f. 508  Bericht der Sicherheitsorgane der SR Rumänien, 20.8.1973 [= Information der drei nach Rumänien entsandten MfS-Offiziere Werner Kamilli (Abt. X), Günter Roth (HA IX), Manfred Krüger (HA II) über den von der Securitate mitgeteilten Sachverhalt]; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2490, Bl. 30–32. Stamatoiu war erst zum Jahreswechsel 1972/73 zum Leiter der Hauptabteilung III (Spionageabwehr) befördert worden; seit 1967 hatte er dort als stellvertretender Leiter fungiert. Siehe die Kurzbiografie in: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 181 f. 509  BStU, MfS, BV Erfurt, AOP 1390/76.

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eigenes Verhalten beschrieben sie in ihrem Dienstreise-Bericht als betont zurückhaltend. Eine Einladung Stamatoius zu einem Erfahrungsaustausch in seinen Diensträumen hätten sie abgelehnt, indem sie sich auf den eng begrenzten Zweck ihrer Dienstreise berufen hätten. Das Angebot zu einem längeren Aufenthalt in Rumänien hätten sie mit Hinweis auf ihre dienstlichen Verpflichtungen zurückgewiesen. Konkrete Abmachungen oder Zusagen umgingen sie; sie beschränkten sich auf die Zusicherung, die angesprochenen Fragen und Informationen in Berlin vorzulegen.510 Die Tendenz dieses Dienstreise-Berichts lässt erkennen, mit welcher Maßgabe die drei MfS-Offiziere nach Rumänien gekommen waren: größtmögliche Distanz zu dem schwierigen Verbündeten zu wahren. Die rumänische Seite fertigte für ihre internen Zwecke zwei Gesprächsvermerke über das Treffen an.511 Sie stehen zu den MfS-Aufzeichnungen nicht in Widerspruch, setzen aber andere Akzente. Sie gehen detaillierter auf einzelne Gesprächsinhalte ein, erwähnen ein breiteres Spektrum besprochener Themen und lassen die MfS-Delegation keinesfalls als zugeknöpft erscheinen. Die Kooperationsangebote an das MfS werden darin lediglich an zwei Stellen erwähnt und erscheinen in keiner Weise aufdringlich. 2.3.7.2 Noch einmal gemeinsam: Aktionen gegen westdeutsche Fluchthelfer, September 1973 Vier Wochen später reiste Hauptmann Kamilli kurzfristig erneut nach Rumänien. Diesmal begleitete er den MfS-Hauptabteilungsleiter Heinz Fiedler und den ihm nachgeordneten Abteilungsleiter Franz Mattern. Zu ihrem Aufgabengebiet gehörten die Überwachung des Tourismus und des grenzüberschreitenden Verkehrs und somit auch die Verhinderung von Fluchtversuchen.512 Die 510  Bericht über die durchgeführte Dienstreise in die Sozialistische Republik Rumänien, 20.8.1973; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2490, Bl. 24–26. Der Bericht wurde von den MfS-Offizieren Kamilli, Roth und Krüger (wie Anm. 508) unterzeichnet. 511  Ministerul de Interne, Direcţia III-a, 20.8.1973: Notă raport privind problemele discutate cu delegaţia organelor de securitate din R.D.G. pe linie de contraspionaj [Ministerium des Innern, Hauptabteilung III, 20.8.1973: Bericht über die Probleme, die mit der Delegation der DDR-Sicherheitsorgane auf der Linie der Spionageabwehr diskutiert wurden], sowie: Direcţia secretariat-juridică, Serviciul probleme speciale, Nr. 006967, 30.8.1973: Notă privind vizita în R.S.R. pe linia Direcţiei a III-a a unei delegaţii din R.D.G. (M.S.S. – contraspionaj) [Vermerk über den Besuch einer Delegation aus der DDR (MfS – Spionageabwehr) in der SRR auf der Linie der Hauptabteilung III]; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 13– 17 sowie 18 f. 512  Heinz Fiedler und Franz Mattern waren 1980/81 die Hauptverantwortlichen für die nur knapp fehlgeschlagenen Mordanschläge des MfS auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch. Mattern und ein von ihm geführter IM mussten sich dafür 1994 vor dem Berliner Landgericht

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MfS-Führung fragte beim rumänischen Innenminister Emil Bobu zwar vorab an, ob die drei Mitarbeiter in Bukarest empfangen werden könnten. Doch seitens des MfS erachtete man ihr Anliegen als derart dringlich, dass man eine Antwort aus Bukarest gar nicht erst abwartete. Als die drei MfS-Leute am 10. September 1973 in Bukarest eintrafen, hatte die Securitate sie überhaupt noch nicht erwartet.513 So war es dieses Mal das MfS, das den rumänischen Verbündeten überrumpelte. Was drängte das MfS zu solcher Eile? Das MfS hatte zwischen Juni 1972 und September 1973 eine groß angelegte Aktion gegen die Westberliner Fluchthelferorganisation Löffler durchgeführt. Gemeinsam mit den verbündeten Geheimdiensten spürte es Überwachungslücken im internationalen Flug- und Bahnverkehr auf. Punktuell unterstützte auch die Securitate die Maßnahmen. Die Fluchthelferorganisation hatte sich mit einigem Erfolg darauf spezialisiert, DDR-Bürger auf dem Umweg über andere sozialistische Länder in den Westen auszuschleusen. Sie nutzte gezielt einige damals noch bestehende Defizite in der grenzüberschreitenden Kooperation der sozialistischen Sicherheitsbehörden aus. Insbesondere gab es damals keine Vereinbarungen mit Rumänien zur grenzüberschreitenden Überwachung der Flugzeugpassagiere.514 Am 4. September 1973 nahmen rumänische Grenzkontrolleure in einem Fernzug, der von Sofia über Bukarest und Belgrad nach München verkehrte, einen DDR-Bürger fest. Der DDR-Bürger hatte einen verfälschten bundesdeutschen Reisepass vorgelegt. Die Kontrolleure gaben ihm gegenüber vor, die Fälschung erkannt zu haben. Tatsächlich hatte das MfS jedoch am Tag zuvor verantworten. Mattern verstarb während des Prozesses, während Fiedler sich im Dezember 1993 in der Untersuchungshaft selbst getötet hatte. Vgl. Welsch: Ich war Staatsfeind Nr. 1, S. 242, 274, 294–296, 314  f., 431, 435–446. Das Urteil zu dem Strafverfahren, das zunächst auch gegen Mattern geführt wurde, ist veröffentlicht in: Marxen; Werle (Hg.); Schissau; Schäfter (Mitarb.): Strafjustiz und DDR-Unrecht. Dokumentation. Bd. 6: MfS-Straftaten, S. 219–250. 513 Mielke-Stellvertreter Beater erkundigte sich am 8.9.1973 telegrafisch bei Innenminister Bobu, ob die drei genannten MfS-Mitarbeiter am 10.9.1973 in Bukarest empfangen werden könnten. Bobu telegrafierte am 10.9.1973 zurück, dass dies am 12.9.1973 möglich wäre. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2490, Bl. 49, 51. In einer Information an das ZK-Mitglied Ion Coman vom 21.9.1973 wies Bobu ausdrücklich darauf hin, dass die MfS-Delegation am 10.9.1973 mittags in Bukarest eingetroffen sei, ohne die Antwort seines Ministeriums abgewartet zu haben. ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 35. 514  Dokumentation des Ministeriums für Staatssicherheit über seit Juni 1972 durch die Sicherheitsorgane der Deutschen Demokratischen Republik und der anderen sozialistischen Staaten verhinderte Aktionen der Menschenhändlerorganisation Loeffler, 24.9.1973; BStU, MfS, HA IX, Nr. 12946, Bl. 1–3. Ähnlich in: BStU, MfS, AU 10297/75, Bd. 16, Bl. 127–129. Das Fehlen von Vereinbarungen mit Rumänien und die daraus resultierenden Lücken bei der Überwachung der Flugreisenden erwähnt auch ein Bericht der HA VI von Ende 1973 in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2497, Bl. 62. Die von Löffler benutzte Methode des »Passabtauschs«, bei der DDR-Bürger im sozialistischen Ausland bundesdeutsche Pässe erhielten und damit in den Westen ausreisten, erläutert Detjen: Ein Loch in der Mauer, S. 261, 274.

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telegrafisch die rumänischen Sicherheitsbehörden detailliert über den bevorstehenden Fluchtversuch des DDR-Bürgers informiert und dessen Festnahme verlangt. Die rumänischen Grenzkontrolleure kamen diesem Ersuchen nach. Sofort nach der Festnahme unterzogen sie ihn einem strengen Verhör. Wenig später holten sie auch den Westberliner Fluchthelfer aus dem Zug und verhafteten ihn. Wahrscheinlich hatte der DDR-Bürger ausgesagt, dass der Fluchthelfer, der ihm den Westpass gegeben habe, im selben Zug sitze. Die Grenzkontrolleure lieferten beide nach Bukarest in ein Untersuchungsgefängnis ein. Der DDR-Bürger wurde drei Tage später nach Ostberlin ausgeflogen und in MfS-Untersuchungshaft eingeliefert. Ein Ostberliner Stadtgericht verurteilte ihn in einem nichtöffentlichen Prozess zu drei Jahren und zwei Monaten Haft, wovon er knapp die Hälfte verbüßen musste.515 Was die rumänische Seite nicht wusste: Der Westberliner Fluchthelfer, Edgar Bader, arbeitete seit 1972 als IM »Bold« für das MfS und war ein hochkarätiger Stasi-Spitzel im Fluchthelfer-Milieu. Allein in den Jahren 1973 und 1974 verhaftete das MfS einer internen Einschätzung zufolge 35 fluchtwillige DDR-Bürger, die Bader an das MfS verraten hatte. Baders Verhaftung in Rumänien war nicht vorgesehen gewesen. Kaum hatte das MfS davon erfahren, setzte es alles in Bewegung, um ihn schnell wieder freizubekommen. Dabei musste seine Freilassung so erfolgen, dass sie in Westberliner Fluchthelferkreisen kein Misstrauen hervorrief. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, weshalb die drei MfS-Mitarbeiter am 10. September so übereilt in Bukarest eintrafen. Trotz ihrer überraschenden Ankunft wurde die MfS-Delegation noch am 10. September zu einem ausführlichen Gespräch empfangen. Daran nahmen zwei hochrangige Securitate-Angehörige teil, nämlich Generalmajor Ionel Gal, der den Rang eines stellvertretenden Innenministers bekleidete, und der Leiter der Securitate-Untersuchungsabteilung, Oberst Gheorghe Vasile. Am Folgetag fand dann noch ein ausführliches Gespräch mit dem Leiter des rumänischen Pass­amts, Generalmajor Gheorghe Pele und seinem Stellvertreter Valeriu Socol, statt. Die rumänischen Gesprächspartner betonten erneut ihr Interesse an einem Erfahrungsaustausch und ihre Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit mit dem MfS und sagten ihre Unterstützung bei der unauffälligen Freilassung des IM »Bold« zu. Der Fall gestaltete sich indes so kompliziert, dass Kamilli und Mattern Ende September 1973 erneut in die rumänische Hauptstadt flogen, denn die Securitate verlangte eine Kaution von 20 000 D-Mark für die Freilassung des IM »Bold« – ein Betrag, den das MfS aufzubringen hatte. In Rumänien war es damals gängige Praxis, verhaftete Bürger aus westlichen Ländern gegen solche Devisenbeträge wieder freizulassen. Die MfS-Delegation versuchte zwar, die Zah515  BStU, MfS, AU 10271/75, Bd. 1, Bl. 14 f.; Bd. 3, Bl. 49–54; Bd. 7, Bl. 10 f. Die vorfristige Haftentlassung erfolgte zur Bewährung und in die DDR.

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lung zu umgehen, doch die Securitate bestand darauf und argumentierte, der Fall sei bereits bei der Staatsanwaltschaft in Bearbeitung, und der IM »Bold« würde sich in Westberlin verdächtig machen, wenn er anders behandelt werde als andere westliche Ausländer. Die MfS-Mitarbeiter bezahlten daher noch Ende September die verlangte Summe und bekamen ihren IM umgehend frei.516 Die Gesprächsvermerke der beteiligten Securitate- und Stasi-Mitarbeiter über diese Aktion widersprechen sich in der Sache nicht, vermitteln aber wiederum einen unterschiedlichen Gesamteindruck. Securitate-Hauptmann Dumitru Dănău, der die MfS-Delegation als Dolmetscher betreut hatte, schilderte die letzten Begegnungen Ende September 1973 als harmonisch und freundschaftlich: Oberstleutnant Mattern habe sich beeindruckt gezeigt von der »Sorgfalt«, mit der die Securitate den Bitten des MfS entsprochen habe, er habe die »außergewöhnliche Zusammenarbeit« beider Sicherheitsdienste gelobt, den rumänischen Gesprächspartnern nochmals seinen besonderen Dank ausgesprochen und sich für eventuell verursachten Ärger entschuldigt. Hauptmann Kamilli habe ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass sein Abteilungsleiter Willi Damm, verantwortlich für die internationalen Beziehungen des MfS und die »rechte Hand« Erich Mielkes, wahrscheinlich im kommenden Monat nach Rumänien reisen werde.517 Anders liest sich der Bericht von MfS-Hauptmann Kamilli über die letzten Septembertage 1973 in Bukarest. Er 516  Der Vorgang ist dokumentiert in: BStU, MfS, AIM 15616/91, Bd. I/1, Bl. 19, 200 f., 204 f., 208–220, 234–238, 249; BStU, MfS, A 307/83, Bd. 4, Bl. 46–48, 178–186, 195–200, 211–216; BStU, MfS, ZKG, Nr. 1179, Bl.  1–9; BStU, MfS, ZKG, Nr. 14428, Bl.  121–124. Ebenso in den deutschen und rumänischen Gesprächsvermerken und Berichten über die Reisen der MfS-Delegation: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 342–351; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 34–39, 48–52, 55, 60–65. Ferner in mehreren Telegrammen: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2490, Bl. 44–52, 64 f.; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 43 f., 53 f., 66 f., 70, 74 f. Edgar Bader alias IM »Bold« wurde im Februar 1974 vom MfS mit der »Medaille für Waffenbrüderschaft in Silber« ausgezeichnet. In den 1980er-Jahren war er dann in den Goldhandel des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski involviert. Siehe Seiffert; Treutwein: Die Schalck-Papiere, S. 162–171. Der DDR-Bürger, den er 1973 den rumänischen Behörden und damit dem MfS auslieferte, wurde am 7.9.1973 in die DDR ausgeflogen und dort zu drei Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt; Ende 1974 wurde er vorzeitig entlassen und in die Bundesrepublik abgeschoben. Siehe BStU, MfS, HA IX, Nr. 17699, Bl. 75. Mattern und Kamilli hielten sich außerdem ab dem 20.9.1973 noch für drei Tage in Bukarest auf, wo sie nicht nur über die Freilassung des IM »Bold« verhandelten, sondern eine weitere Aktion der Fluchthelferorganisation Löffler vereitelten, diesmal auf der Flugroute Sofia – Bukarest – Frankfurt/M. Dabei wurde eine vierköpfige Familie aus der DDR verhaftet, die auf diesem Weg in den Westen gelangen wollte. Ministerul de Interne, Direcţia secretariat-juridică, Nr. 07106, 5.10.1973: Raport; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 48–52; vgl. zu dieser Aktion auch das Schreiben des Leiters der HA VI, Fiedler, an den Leiter der Abt. X vom 18.9.1973 sowie die MfS-Dokumentation vom 24.9.1973 (wie Anm. 514). 517 Ministerul de Interne, Direcţia secretariat-juridică, Nr. 07088, 2.10.1973: Raport; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 37–39. Ob Damm die angekündigte Reise durchführte, ist nicht bekannt. Zu Dănău siehe auch Anm. 1000.

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enthält nichts von dem Überschwang der rumänischen Darstellung, sondern eine nüchterne und kritische Bilanz. Die MfS-Mitarbeiter fühlten sich demnach wie Bittsteller, die die Securitate rasch abzufertigen wünschte: Während des ganzen Aufenthaltes war zu bemerken, dass sich keine Leitungsmitglieder (wie sonst üblich) um uns gekümmert haben. Die ganzen Gespräche und Maßnahmen von Seiten der rumänischen Genossen hatten zum Ziel, dass auf dem schnellsten Weg die Kaution eingezahlt wird und sie die Person entlassen können. Auf unsere Bitte, über WTSCH [abhörsicheres Telefonsondernetz] mit Berlin zu sprechen lehnten sie dies mit der Begründung von großen Schwierigkeiten ab und sagten, dass wir ihnen mitteilen sollen worum es geht und sie dann selbst mit Berlin sprechen würden.518

Das Vorgehen gegen die Fluchthelferorganisation Löffler im September 1973 ist die letzte gemeinsame Aktion von Securitate und MfS, die in deren Akten noch dokumentiert ist.519 Die überlieferten Aufzeichnungen hinterlassen ein widersprüchliches Bild: Das MfS erhoffte sich um diese Zeit eine direkte Kooperation, um Fluchtversuche effizienter zu bekämpfen; doch auf die Offerten der rumänischen Seite ging es nicht ein. Die Securitate gab vor, ihre Bündnistreue unter Beweis zu stellen, nutzte die Situation aber zugunsten des eigenen Landes aus, indem sie beispielsweise auf der Bezahlung der Kaution in westlicher Währung bestand. Obwohl beide Staatssicherheitsdienste seit Jahren auf Distanz zueinander gegangen waren, fanden sie aus konkretem Anlass dennoch zueinander. Doch reguläre Arbeitskontakte, wie sie MfS und Securitate bis 1964 unterhalten hatten, kamen nicht wieder zustande.

518  MfS, Abt. X, 3.10.1973: Bericht [von Hauptmann Kamilli] über die Dienstreise mit Gen. Oberstleutnant Mat[t]ern/HA VI vom 27.–29.9.1973 nach Bukarest; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 339–341. 519 Der frühere Fluchthelfer Wolfgang Welsch geht aufgrund der ihn betreffenden MfS-Unterlagen davon aus, dass das MfS in Kooperation nicht nur mit dem bulgarischen, sondern auch dem rumänischen Staatssicherheitsdienst seine Fluchthilfeaktionen bekämpfte: Im Sommer 1976 habe das MfS die Securitate ersucht, seine Frau bei einer Zwischenlandung in Bukarest zu verhaften. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, weil sie den Transitraum des Bukarester Flughafens nicht verlassen habe. Welsch: Ich war Staatsfeind Nr. 1, S. 294 f. Welsch gibt in seinem Buch keine Archivsignaturen an, sodass sein diesbezügliches Zitat aus den MfS-Unterlagen nicht überprüfbar ist. Dass das MfS ein derartiges Ersuchen nach Bukarest richtete, ist trotz des distanzierten Verhältnisses beider Geheimpolizeien denkbar; womöglich erfolgte das Ersuchen auf dem Umweg über das DDR-Konsulat. Zu Welsch siehe auch Anm. 512.

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2.3.8 Multilaterale Aspekte: die Beziehungen der Securitate zu anderen sozialistischen Geheimdiensten Um die Entwicklung der Beziehungen zwischen Securitate und MfS zu deuten, hilft ein vergleichender Blick in andere sozialistische Länder. Aus ungarischer Perspektive hat der Budapester Historiker Stefano Bottoni die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Ungarns und Rumäniens untersucht und hierfür die archivalischen Überlieferungen beider Institutionen ausgewertet. Auch Bottoni stellt für 1964 ein »Einfrieren der Kontakte« fest und interpretiert dies als Folge der rumänischen April-Deklaration.520 Die zuvor recht intensive Kooperation sei weitgehend zum Erliegen gekommen. Ende der 1960er-Jahre habe es jedoch Versuche einer Wiederannäherung gegeben, und im Mai 1969 schlossen die Leiter beider Staatssicherheitsdienste eine knappe, nur zwei Seiten umfassende Kooperationsvereinbarung. Bottoni vermutet dahinter sowjetischen Druck, doch konkrete Belege finden sich in den von ihm eingesehenen Unterlagen nicht. Deshalb mag die Motivation an dieser Stelle offen bleiben. Faktisch stagnierte die bilaterale Zusammenarbeit aber auch nach 1969. Im April 1972 unterzeichneten die Innenminister beider Länder einen umfassenderen, 15 Seiten langen Kooperationsvertrag für ihre Staatssicherheitsdienste. Bottoni sieht darin einen Versuch des ungarischen Parteichefs János Kádár, die sowjetische Kritik an der ungarischen Reformpolitik und den schlechten Beziehungen zu den Nachbarländern zu parieren.521 Doch habe auch dieses Abkommen keine grundlegende Veränderung mehr herbeigeführt. In einem zusammenfassenden Bericht des ungarischen Innenministeriums im Oktober 1982 hieß es dazu unter anderem: »Infolge der bekannten, eigenartigen Politik Rumäniens verkümmerte die Zusammenarbeit allmählich und hörte später, seit Anfang der 1970er-Jahre, ganz auf. [...] Auch auf der Ebene der III. Hauptverwaltung [also des ungarischen Staatssicherheitsdienstes] hörte die Zusammenarbeit vor etwa 10 Jahren auf.«522 In den 1980er-Jahren schlug die Nicht-Kooperation schließlich in direkte Konfrontation um. Ungarischen Geheimdiensterkenntnissen zufolge organisierte die Securitate etwa ab 1982 Militärspionage in Ungarn und schleuste seit 1989 520  Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«, S. 17. Den zweiten Teil seiner Untersuchung publizierte Bottoni unter dem Titel »Zögernde Spione«.. 521  Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«, S.  20–22. Zur unmittelbaren Vorgeschichte zählt Bottoni hier die Staatsbesuche Kádárs in Moskau im Januar 1972 und in Bukarest im Februar 1972. 522  Zit. in: ebenda, S. 25. Der ungarische Staatssicherheitsdienst war formal eine Abteilung des Innenministeriums; er firmierte dort als Hauptabteilung III (1962–1990) bzw. Hauptabteilung II (1956–1962). Bis 1956 wechselten die Bezeichnungen mehrmals; sie lautete von 1949 bis 1953 »Államvédelmi Hatóság« (Staatsschutzbehörde, Amt für Staatssicherheit, ÁVH), von 1946 bis 1948 »Államvédelmi Osztály« (Staatsschutzabteilung, Abteilung für Staatssicherheit ÁVO). Paul Lendvai zufolge ist die Abkürzung ÁVO bis heute geläufig. Vgl. Lendvai: Der Ungarn-Aufstand 1956, S. 120. Vgl. auch Ungváry; Tabajdi: Ungarn, insbes. S. 485–494.

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in den wachsenden Flüchtlingsstrom von Rumänien nach Ungarn ihre Agenten ein. Der ungarische Geheimdienst begann seinerseits im Herbst 1989 damit, getarnte Offiziere nach Rumänien zu entsenden.523 Der bulgarische Historiker Jordan Baev erwähnt in seiner Studie über den KGB in Bulgarien einige Aspekte der Beziehungen zwischen dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst KDS und der Securitate. Demnach begannen beide Staatssicherheitsdienste 1956/57 damit, Informationen auszutauschen. In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre habe der Informationsaustausch seinen größten Umfang erreicht, sei Ende 1971 drastisch zurückgefahren worden und 1975 ausgelaufen. Bilaterale Kooperationsvereinbarungen seien 1959 auf der Linie der Spionageabwehr und 1963 auf der Linie der Auslandsspionage abgeschlossen worden. Trotz der politischen Differenzen habe sich die Zusammenarbeit beider Staatssicherheitsdienste in den 1960er-Jahren auf vielen Gebieten verstärkt. Dies sei wahrscheinlich auf die guten persönlichen Beziehungen des bulgarischen Innenministers Angel Solakov zu seinen rumänischen Kollegen Cornel Onescu und Ion Stănescu zurückzuführen. Solakov, seit 1965 Chef des bulgarischen Staatssicherheitsdienstes und seit Dezember 1968 Innenminister, habe die Zusammenarbeit der beiden Balkan-Geheimdienste gefördert. Gemeinsame Geheimdienstoperationen habe es nach 1965 wegen der außenpolitischen Sonderpositionen Rumäniens aber nicht mehr gegeben. Am 1. Juni 1968 sei ein neuer zweiseitiger Kooperationsvertrag abgeschlossen worden, der nicht nur eine Absichtserklärung geblieben sei. Darin unterschied sich der bulgarische Fall offenbar vom ungarischen. Knapp drei Jahre später, am 22. Februar 1971, sei ein weiteres Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen dem bulgarischen Innenministerium und dem rumänischen Rat für Staatssicherheit, also zwischen den beiden Staatssicherheitsdiensten, unterzeichnet worden.524 Die Forschungsergebnisse Bottonis und Baevs bestätigen übereinstimmend die Ausführungen Nicolae Doicarus bei seinem Besuch in Ostberlin im März 1971, als er über die sich entwickelnden Beziehungen der Securitate nach Ungarn und Bulgarien sprach. Sie belegen ferner, dass die Geheimdienste dieser 523  Bottoni: Zögernde Spione, S. 14 f., 31, 34–37. 524  Baev: KGB v Bălgarija, S. 275–277. Ich danke Christopher Nehring, der diese Seiten aus dem Buch Baevs für mich übersetzte. Teile davon finden sich in deutscher Sprache in Baev; Grozev: Bulgarien, S. 156 f., 196. Ein Entwurf des Zusammenarbeitsvertrags von 1963 ist abrufbar im Digitalarchiv des Washingtoner Wilson-Centers unter http://digitalarchive.wilsoncenter.org/document/110916 (Stand: 9.6.2016). Vgl. auch die Akte ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 2: Dosar Nr. G 4/1973: Referitor documente, corespondenti și alte materiale, referitoare la colaborarea dintre M. interne ale R.S.R și organele similare din R.P. Bulgaria, 1.1.–31.12.1973 [Akte Nr. G 4/1973 betreffend Dokumente, Korrespondenz und andere Unterlagen betreffend die Zusammenarbeit des MdI der SRR mit ähnlichen Organen der VR Bulgarien]; diese Akte enthält unter anderem gegenseitige Anfragen zu Informationen über westdeutsche Bürger sowie eine bulgarische Information für die Securitate über einen rumänischen Emigranten in Paris, Bl. 94 f., 198, 205–210.

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Länder Kooperationsvereinbarungen auch in einer Phase abschließen konnten, in der auf Regierungsebene die Erneuerung von Freundschafts- und Beistandsverträgen nicht möglich war. Die geheimdienstlichen Beziehungen zwischen den Ländern mussten nicht zwangsläufig mit den politischen Beziehungen korrelieren. Die Rolle der Sowjetunion beurteilt Baev hingegen anders als Bottoni. Wie Baev schreibt, wurde Solakov im Juli 1971 von Angel Canev (Tzanev) als Innenminister abgelöst; Canev habe dann dem direkten oder indirekten Druck aus Moskau nachgegeben und bis zum Jahresende 1971 die Zusammenarbeit mit der Securitate weitgehend ausgesetzt. Bis 1975 hätten beide Geheimdienste noch sporadisch mehr oder weniger wertlose Informationen ausgetauscht. In einem Schreiben an KGB-Chef Jurij Andropov habe es Canev im Dezember 1971 als einen großen Fehler seines Vorgängers bezeichnet, derart »enge Beziehungen zu den rumänischen Sicherheitsdiensten« errichtet zu haben und dabei »jede Form der Wachsamkeit« vermisst haben zu lassen. Wie als Beweis für diese Aussage habe Canev im Januar 1972 Andropov über Spionageaktivitäten Rumäniens, Jugoslawiens und Albaniens gegen Bulgarien informiert. Und in einem Gespräch mit Andropov im März 1972 habe Canev gemeldet, dass die Kontakte des bulgarischen Geheimdienstes zur rumänischen Staatssicherheit »auf Eis gelegt« worden seien.525 Aus den bislang durchgesehenen MfS-Unterlagen geht hervor, dass Erich Mielke am 5. Juni 1967 in Sofia in einer Besprechung mit Angel Solakov neben anderen Fragen auch die rumänischen Sonderpositionen thematisierte. Einzelheiten hierüber sind jedoch nicht dokumentiert.526 Der tschechoslowakische General Jan Šejna, der sich im Februar 1968 in den Westen absetzte, berichtet in seinen Erinnerungen ebenfalls von einer sowjetischen Intervention, allerdings aus einer früheren Phase. Nikita Chruščëv habe 1962 den tschechoslowakischen Präsidenten und KP-Generalsekretär Antonín Novotný angeschrieben und ihn aufgefordert, bestimmte Spionageerkenntnisse nicht mehr mit den Rumänen auszutauschen. Dazu hätten vor allem Informationen über China und pro-chinesische Parteien sowie über Jugoslawien und Albanien gezählt, aber auch Spionagedetails über die NATO. Der Anlass hierfür sei Rumäniens Neutralität in den chinesisch-sowjetischen Auseinandersetzungen gewesen.527 Sofern Šejnas Erinnerung zutrifft, wäre der Einschnitt von 1964 525  Baev: KGB v Bălgarija, S. 277 f.; Baev; Grozev: Bulgarien, S. 156 f. 526 Handschriftliche Aufzeichnungen Mielkes über sein Gespräch mit Solakov am 5.6.1967; BStU, MfS, SdM, Nr. 1432, Bl. 21–29. 527  Sejna: We will bury you, S. 66. Šejna (1927–1997) gehörte eigenen Angaben zufolge dem ZK der KPČ und dem Nationalen Verteidigungsrat der ČSSR an. Er gilt als einer der ranghöchsten Überläufer aus dem Ostblock. Vgl. auch Troncotă: Duplicitarii, S. 16, der die obige Erinnerung Šejnas ebenfalls anführt, aber irrtümlich davon schreibt, Chruščëv habe sich erst 1964 an Novotný gewandt. – Rumänien stand 1960/61 im chinesisch-sowjetischen Konflikt noch auf der Seite der Sowjetunion, rückte 1962 aber von ihr ab, weil es die wirtschaftli-

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nicht aus heiterem Himmel gekommen, sondern es hätte schon zwei Jahre zuvor Risse in den geheimdienstlichen Beziehungen gegeben – was auch manche früheren Securiate-Offiziere behaupten.528 Die eigentliche Zäsur bildete dennoch das Frühjahr 1964, und sowohl die MfS-Akten wie auch die Literatur legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Bruch 1964 zunächst von der Securiate vollzogen wurde. Dieser länderübergreifende Blick verdeutlicht zumindest dreierlei: Erstens signalisierte die Securitate-Führung Ende der 1960er-Jahre die Bereitschaft und den Willen, sich den Verbündeten wieder anzunähern, aus welcher Motivation heraus auch immer. Zweitens verfügten die Verbündeten ihrerseits offenbar über einen gewissen Entscheidungsspielraum, mit dem das MfS damals anders umging als die ungarische oder die bulgarische Staatssicherheit. Drittens regelte selbstverständlich der KGB in letzter Instanz die Verhältnisse zwischen den verbündeten Geheimdiensten. Hier spricht die bulgarische Überlieferung sehr dafür, dass der KGB die Securitate zu Beginn der 1970er-Jahre in gewissem Rahmen aus der internationalen Kooperation ausgrenzte. Offenkundig war das MfS den sowjetischen Empfehlungen schon vorauseilend sowie konsequenter gefolgt als die ungarischen und bulgarischen Kollegen. Was bislang jedoch noch fehlt sind verlässliche, tiefergehende Einblicke in das bilaterale Verhältnis zwischen KGB und Securitate in diesem Zeitraum. Die bislang eingesehenen Securitate-Akten belegen lediglich punktuell einige Arbeitskontakte.529 So tauschten KGB und Securitate noch 1976 Spionageinformationen aus.530 Im selben Jahr erhielt die Securitate auf ihre Anforderung hin auch technische Ausrüstung für die Funküberwachung vom KGB. Der rumänische Innenminister Teodor Coman hatte sich in dieser Sache schriftlich mit der Bitte an Jurij Andropov gewandt, der KGB möge eine Expertendelegation empfangen, um die damit verbundenen Fragen zu klären. Andropov entsprach diesem Ersuchen. Coman hatte seine Anfrage mit einem Hinweis »auf die beständigen Kooperationsbeziehungen« zwischen dem KGB und dem rumänischen Innenmisterium eingeleitet. Bei dieser Formulierung handelte es sich allerdings um eine Floskel, die nichts über den tatsächlichen Stand der Beziehungen ausdrückt.531

che Arbeitsteilung im RGW ablehnte, wie Banu; Ţăranu: Aprilie 1964 – »Primăvara de la București«, S. LIX–LXII, schreiben. 528  Siehe Anm. 355. 529  Recherchiert wurde bis Ende 2010 im Archiv des CNSAS nach Aktenbeständen, deren Betreff die Zusammenarbeit der Securitate mit ähnlichen Einrichtungen anderer Länder zum Inhalt hat. 530  Siehe Anm. 590. 531  Schreiben Comans an Andropov vom 8.7.1976 und Abschrift des Antwortschreibens Andropovs vom 10.9.1976, in: ACNSAS, fond documentar, D 10782, vol. 14, Bl. 12, 20.

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Als charakteristisch für den Stand der Beziehungen und das rumänische Lavieren zwischen Bündnisloyalität und Autonomie kann womöglich ein kurzer Schriftwechsel zwischen Coman und Andropov aus dem Jahre 1975 angesehen werden. Der KGB, so Andropov in einem Schreiben am 16. Juni 1975, würde sich freuen, wenn Coman in diesem Jahr mit seiner Familie seinen Urlaub in der Sowjetunion verbringen würde; den Zeitraum und den Urlaubsort möge er selbst bestimmen. Coman ließ sich mit einer Antwort fast sieben Wochen Zeit, um dann mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns die – so wörtlich – »liebenswürdige Einladung« unter dem Vorwand abzulehnen, sein Jahresurlaub sei leider schon weitgehend aufgebraucht.532 Der moldauische Historiker Igor Cașu konnte einige Dokumente einsehen, die der KGB in der Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik zurückgelassen hatte. Cașu leitet daraus die vorläufige Schlussfolgerung ab, dass sich die Beziehungen zwischen KGB und Securitate in den 1960er- und 1970er-Jahren analog zu den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Rumänien veränderten, sich also verschlechterten. Gleichwohl hätte die Securitate dem KGB zumindest bis in die erste Hälfte der 1970er-Jahre dabei geholfen, bessarabische Nationalisten zu verfolgen, die in der Moldauischen SSR lebten und die Vereinigung der Moldau bzw. Bessarabiens mit Rumänien anstrebten. Dies erscheint auf den ersten Blick paradox, da das nationalkommunistische Rumänien schon 1964 die moldauische Frage offen aufgeworfen hatte.533 Cașu nennt als konkretes Beispiel den Fall der im Untergrund in der Moldauischen Sowjetrepubik tätigen »Nationalen Patriotischen Front«. Deren Leiter Alexandru Usatiuc-Bulgăr sei Anfang Juni 1971 nach Bukarest gereist, wo er am 12. Juni darum gebeten habe, Ceaușescu persönlich zu sprechen, was jedoch abgelehnt worden sei. ­Ceaușescu befand sich damals ohnehin noch auf einer ausgedehnten Asienreise. Usatiuc habe daher lediglich ein sechsseitiges Memorandum über die Notwendigkeit der Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien hinterlassen. Ende Juni 1971 habe Securitate-Chef Ion Stănescu seinen KGB-Kollegen Jurij Andropov über ­Usatiuc-Bulgărs Besuch informiert und ihm dazu auch eine Kopie des Memorandums gesandt. Usatiuc-Bulgăr sei vom KGB daraufhin streng überwacht, ein halbes Jahr später verhaftet und im Juli 1972 gemeinsam mit einigen Mitstreitern zu mehreren Jahren »Besserungsarbeit« in verschiedenen Arbeitslagern verurteilt worden. Cașu stützt sich hier auf Akten, die der KGB über Usatiuc und 532 Schreiben Andropovs an Coman vom 16.6.1975 (in der rumänischen Übersetzung irrtümlich auf den 16.4.1975 datiert) und Antwort Comans vom 9.8.1975, in: ACNSAS, fond documentar, D 13352, vol. 11, Bl. 53–55. 533  1964 wurden in Rumänien die »Aufzeichnungen über die Rumänen« von Karl Marx veröffentlicht. Damit brachte die rumänische Führung ihre Kritik an der sowjetischen Besetzung Bessarabiens zum Ausdruck. Bezeichnenderweise besorgte die CSU-nahe Hanns-SeidelStiftung später eine deutsche Ausgabe. Siehe Marx: Aufzeichnungen über die Rumänen; vgl. auch Anm. 1202.

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seine Gruppe angelegt hatte. Wie Cașu annimmt, habe Ceaușescu befürchtet, Usatiuc könne ein »agent provocateur« des KGB sein. Er habe daher Stănescu angewiesen, Usatiucs Memorandum an Andropov zu senden. Indem die Securitate den KGB hier unterstützte, ging sie gegen den vom eigenen Regime propagierten Nationalismus vor. Doch die rumänische Partei- und Geheimdienstführung achtete nach Auffassung Cașus darauf, die Sowjets nicht zu sehr zu provozieren. Für Cașu drücken sich hierin die Grenzen der rumänischen Unabhängigkeit von Moskau aus.534 Der rumänische Historiker Florian Banu bietet eine durchaus plausible Erklärung für die schwachen, aber in den 1970er-Jahren noch existierenden Arbeitskontakte zwischen KGB und Securitate an. Banu sieht die Securitate seit Ende der 1960er/Anfang der 1970er-Jahre zunehmend in einer isolierten Position. Neben politischen Ursachen habe zu dieser Lage auch die Weigerung der Securitate beigetragen, sich in multilaterale Abmachungen einzufügen. So habe Nicolae Doicaru bei der Beratung der östlichen Spionagechefs in Budapest Ende 1970 darauf bestanden, ausschließlich bilaterale Vereinbarungen zu treffen. Gemeinsame multilaterale Institutionen wie den damals schon angesprochenen Datenspeicher SOUD schienen ihm nicht hinnehmbar, weil jeder Geheimdienst ausschließlich der jeweiligen Partei- und Staatsführung unterstehen dürfe. Doch die Versuche der Securitate-Führung seien gescheitert, mithilfe bilateraler Abkommen die Isolierung zu durchbrechen. Nach Banus Auffassung habe die Sowjetunion jedoch kein Interesse an einer völligen Isolierung des rumänischen Verbündeten gehabt, nicht zuletzt deshalb, weil man ihn nicht dem Westen in die Arme habe treiben wollen. Insofern konstatiert Banu auch im Bereich der Staatssicherheitsdienste die Strategie, Rumänien trotz aller Eigenwilligkeiten beharrlich in die östlichen Bündnisstrukturen einzubinden. In diesem Sinne interpretiert Banu den fortgesetzten Informationsaustausch in den 1970er-Jahren als einen Versuch beider Seiten, sich wie Verbündete zu verhalten. Einige Aktionen und Kooperationsofferten des KGB gegenüber der Securitate dienten Banu zufolge jedoch nur dazu, die prinzipielle Loyalität des rumänischen Verbündeten zu testen. Dies gelte im Fall Usatiuc und in dem ähnlich gelagerten Fall Dumitru Covalciuc. Covalciuc, ein ethnischer Rumäne aus der Nordbukowina (in der ukrainischen Sowjetrepublik gelegen), hatte angeblich zwischen 1967 und 1970 Verbindungen zu einem früheren Mitarbeiter des ehemaligen rumänischen Aus534  Cașu: Political repressions in Moldavian SSR after 1956, S. 118–122. Dieser Fall wird auch von Troncotă: Duplicitarii, S. 146, erwähnt. Auch Troncotă schreibt davon, Ceaușescu habe befürchtet, Usatiuc könne ein »agent provocateur« des KGB sein. Troncotă bescheinigt der rumänischen Führung hierbei »übermäßige Vorsicht« und »endemische Angst« gegenüber den Sowjets. Doch auch Troncotăs Lesart attestiert der Securitate faktische Grenzen ihrer Autonomie. Kunze: Ceaușescu, S. 186, datiert Usatiucs Bukarest-Reise auf Juni 1970 und interpretiert die Verständigung zwischen Securitate und KGB in diesem Fall als Beleg für die in der Praxis angeblich gar nicht so schlechten rumänisch-sowjetischen Beziehungen.

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landsnachrichtendienstes aus der Antonescu-Zeit (SSI) hergestellt und für antisowjetische Aktionen genutzt. Die Nordbukowina hatte ebenso wie das Gebiet der Moldauischen Sowjetrepublik vor dem Zweiten Weltkrieg zum Königreich Rumänien gehört. Auch die Bitte des KGB an die Securitate im Juni 1971, bei der Diskreditierung des rumänienstämmigen Pastors Richard Wurmbrand zu helfen, diente nach Banus Einschätzung vor allem dazu, die Securitate einzubinden und ihre Zuverlässigkeit zu prüfen. Denn tatsächlich sei der KGB in diesem Fall überhaupt nicht auf die Unterstützung der Securitate angewiesen gewesen.535 2.3.9 Zwischenbetrachtung: kein »Eiserner Vorhang«, aber kaum Kontakte und keine regulären Arbeitsbeziehungen Es war gewiss kein »Eiserner Vorhang«, der seit den späten 1960er- oder frühen 1970er-Jahren die Securitate von den übrigen Verbündeten trennte. Aber die Securitate geriet damals unverkennbar in eine Außenseiterposition, die sie bis 1989 behielt. Hatte sie 1964 selbst den Abstand gesucht, so wahrten nun die Verbündeten Distanz. Die Amtszeit des Securitate-Chefs Ion Stănescu (Juli 1967 bis März 1973), einem treuen Gefolgsmann Nicolae Ceaușescus, war rumänischerseits von einer Doppelstrategie geprägt. Die Securitate institutionalisierte mit ihrer Anti-KGB-Abteilung die Abwehr gegen ihre Verbündeten und bot ihnen zugleich ihre Zusammenarbeit an. Letztlich sorgte offenbar der KGB dafür, dass diese zweifelhaften Kooperationsofferten ins Leere liefen. Somit verharrte die Securitate in einer Außenseiterposition – partiell autonom, partiell isoliert. Dies geschah zu einer Zeit, Anfang der 1970er-Jahre, als die anderen sozialistischen Staatssicherheitsdienste ihre Zusammenarbeit intensivierten. Die enger werdende Zusammenarbeit hing unmittelbar mit der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Integration der Ostblockstaaten zusammen sowie mit den zunehmenden Begegnungen zwischen Ost und West in Europa seit Beginn der Entspannungspolitik. Immer häufiger kam es zu grenzüberschreitenden Begegnungen, sei es in Wirtschaft und Handel, in der Politik, in der Wissenschaft oder in der Freizeit. Die Geheimdienste reagierten auf ihre Art und Weise auf diese Trends und weiteten ihre Zusammenarbeit beständig aus. Lediglich die Securitate war davon ausgenommen.536 Die engere Zusammenarbeit 535  Banu, Florian: De la colaborare la izolare; siehe auch Anm. 501. Richard Wurmbrand (1909–2001) wuchs in Bukarest in einer deutsch-jüdischen Familie auf, kam auf Umwegen zum Christentum; 1948–1956 und 1959–1964 inhaftiert und misshandelt, konnte danach in die USA auswandern. Prangerte Kommunismus und Christenverfolgung im Ostblock an und stieß damit auf große Resonanz. Zu Wurmbrand als Feindbild der Securitate siehe Totok: Mit tückkischer Durchtriebenheit (III), S. 68–77. 536  Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder.

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sowie die Außenseiterposition der Securitate schlugen sich in vielen bilateralen und multilateralen Abkommen nieder. Exemplarisch sei hier der 1977 gegründete Informationsverbund SOUD genannt, dem die Geheimdienste aus der Sowjetunion, Polen, der DDR, der Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien, der Mongolei, Kuba und seit 1984 auch Vietnam angehörten, nicht jedoch Rumänien. In diesen internationalen Geheimdienst-Datenspeicher, der beim KGB in Moskau eingerichtet wurde, übermittelten die beteiligten Geheimdienste Informationen über politische Gegner, Diplomaten und Journalisten aus dem Westen, Angaben über Mitarbeiter westlicher Geheimdienste und Daten über terroristische Vereinigungen.537 Seit den 1960er-Jahren erregte die rumänische Politik mit ihren Alleingängen immer wieder international Aufsehen, führte das Land in den 1980er-Jahren aber zunehmend in die Isolation. Rumänien blieb gleichwohl ein integraler Bestandteil des östlichen Bündnissystems, was vor diesem Hintergrund gelegentlich in Vergessenheit gerät. Betrachtet man verschiedene Bereiche der Zusammenarbeit zwischen Rumänien und der DDR – etwa die Kooperation der herrschenden Parteien, den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, die Wirtschaft und das Militär – so fällt auf, dass es auf diesen Gebieten zum Teil zwar auch Stagnation gab, aber auf keinem Gebiet war die Distanz größer als bei den Staatssicherheitsdiensten. Der Alleingang der Securitate bzw. ihre isolierte Stellung war deutlich ausgeprägter als das in anderen Bereichen der zwischenstaatlichen Beziehungen der Fall war. Mochte die Securitate bis zu einem gewissen Grad auch von den Verbündeten ausgegrenzt worden sein, so entsprach dieser Sonderweg doch der Autonomiepolitik unter Nicolae Ceaușescu. Gerade die Gründung einer Anti-KGB-Abteilung 1968 zeigt, dass die Securitate auch aktiv ihren Sonderweg gestaltete und absicherte. Die Beziehungen zwischen der Securitate und anderen Staatssicherheitsdiensten entwickelten sich im Verlauf der 1970er-Jahre letztlich ähnlich wie jene zwischen der Securitate und dem MfS, wie der vergleichende Blick nach Ungarn und Bulgarien belegt. Unterschiedliche Strategien im Umgang mit der Securitate fallen im Wesentlichen in den Jahren 1968 bis 1972 auf. In den MfS-Unterlagen bildet sich des Weiteren auch die multilaterale Zusammenarbeit ab, in die die Securitate in den 1970er- und 1980er-Jahren ebenfalls nicht mehr eingebunden war, wie im Fall des Informationsverbundes SOUD. Im Detail lassen sich aber auch nach 1972 länderspezifische Unterschiede feststellen. Diese können durchaus in den unterschiedlichen Sicherheitsinteressen der einzelnen Länder begründet liegen. Ungarn und Bulgarien waren als direkte Nachbarn Rumä537  Wegmann; Tantzscher: SOUD. 1960 hatte der KGB noch „aus Gründen der Konspiration“ den ungarischen Vorschlag abgelehnt, eine „Zentrale Registratur“ aller sozialistischen Geheimdienste einzurichten; Bericht über den Ablauf der Konferenz der Sicherheitsorgane der sozialistischen Länder vom 20. bis 25. Mai 1960; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2275, Bl. 15.

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niens unmittelbarer von dessen Politik betroffen als die weiter entfernte DDR, deren Hauptaugenmerk der Lage in Mitteleuropa galt und für die wiederum die unmittelbaren Nachbarn und Verbündeten Polen und Tschechoslowakei wichtiger waren. Die entscheidende Rolle des KGB lässt sich jedoch trotz einiger plausibler Thesen wie jenen von Florian Banu nur bruchstückhaft erfassen.

2.4 Die geheimdienstlichen Beziehungen in den 1970erund 1980er-Jahren In den folgenden Abschnitten wird dokumentiert, wie sich das Verhältnis zwischen Securitate und MfS in den 1970er- und 1980er-Jahren in den Archivunterlagen niederschlägt. Diese Übersicht stützt sich vor allem auf MfS-Akten, da die bislang eingesehenen Securitate-Akten zu dieser Fragestellung, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht über das Jahr 1973 hinausreichen. In einem ersten Schritt werden die Bereiche beschrieben, in denen weiterhin Kontakte nachweisbar sind; in einem zweiten Schritt werden Akten vorgestellt, die das Fehlen einer Zusammenarbeit belegen. Da die Akten der HV A 1989/90 weitgehend beseitigt wurden, bestehen für diesen Bereich noch gewisse Unsicherheiten. In der Zukunft könnten neu zugängliche Akten in der Bukarester Securitate-Akten-Behörde jedoch einige verbleibende Überlieferungslücken womöglich noch schließen. 2.4.1 Glückwunschtelegramme dokumentieren Distanz Per Telegramm tauschten Erich Mielke und der jeweils amtierende rumänische Innenminister bis zum Herbst 1989 mehr oder weniger regelmäßig Glückwünsche zum Jahreswechsel, zum 1. Mai und zum jeweiligen Staatsfeiertag aus. Insofern pflegte man auf höchster Ebene eine kontinuierliche Verbindung. Die Telegramme Mielkes nach Rumänien unterschieden sich allerdings inhaltlich entscheidend von denen nach Polen, Ungarn, Bulgarien und in die Tschecho­ slowakei. Während Mielke den rumänischen Innenminister zu solchen Anlässen nur allgemein beglückwünschte und ihm und seinen Mitarbeitern Erfolg und Wohlergehen wünschte, bezog er sich in den Telegrammen an die Innenminister der anderen vier Länder stets auch auf die bisherige und künftige Zusammenarbeit. Zum Jahreswechsel 1988/89 telegrafierte Mielke wortgleich an die Innenminister der vier genannten Länder, denen stets auch der Geheimdienstapparat unterstand, unter anderem: »Angesichts der sich ständig verändernden internationalen Lage wird unsere brüderliche Zusammenarbeit auch im Jahr 1989 Garant für die Erreichung unserer gemeinsamen Ziele zur Sicherung des Friedens und zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften unserer Völker sein.« Die

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zur gleichen Zeit abgesandten Neujahrsgrüße Mielkes an den rumänischen Innenminister Tudor Postelnicu fielen hingegen deutlich kürzer aus, beschränkten sich wie in den Vorjahren auf allgemeine Grußformeln und sprachen mit keiner Silbe Aspekte der Zusammenarbeit an.538 So kommt in diesen Grußtelegrammen anschaulich der unterschiedliche Charakter der geheimdienstlichen Beziehungen zum Ausdruck. Mielkes Grußtelegramme nach Rumänien glichen im Wortlaut weitgehend denjenigen, die der Stasi-Chef zu solchen Anlässen auch dem jugoslawischen Innenminister übersandte. Der Unterschied bestand hier im Übermittlungsweg: Nach Rumänien telegrafierte Mielke direkt, die Glückwünsche an den jugoslawischen Amtskollegen leitete das MfS über das DDR-Außenministerium nach Belgrad.539 Die Glückwunschtelegramme der rumänischen Innenminister an Erich Mielke waren ebenso knapp und allgemein gehalten. Letztmalig hatte zum Jahreswechsel 1972/73 Ion Stănescu bei dieser Gelegenheit die Zusammenarbeit beider Geheimdienste angesprochen: »[W]ir bringen unseren Wunsch zum Ausdruck, alles uns Mögliche zu tun, damit im Jahr 1973 die Beziehungen zwischen dem MdI der S.R. Rumänien und dem MfS der DDR im Interesse der Verteidigung der revolutionären Errungenschaften unserer Völker eine fruchtbare Entwicklung zum gegenseitigen Vorteil erfahren.«540 Stănescu erscheint 538  MfS Berlin – Der Minister, 27.12.1988, Telegramm an die Minister des Innern der CSSR, VRP, UVR, VRB; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1421, Bl. 71. Ähnliche Glückwunschtelegramme zwischen Mielke und den Innenministern dieser Länder aus den Jahren 1974, 1981– 1984, 1986–1989 in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 611, Bl. 252–254, 282, 295 f., 305, 315 f., 337, 373 f., 396 f.; Abt. X, Nr. 990, Bl. 70; Abt. X, Nr. 1420, Bl. 19, 21, 66, 81, 117; Abt. X, Nr. 1421, Bl. 18, 85, 128; Abt. X, Nr. 1475, Bl. 24; SdM, Nr. 715, Bl. 39–43. MfS Berlin – Der Minister, 27.12.1988, Telegramm an den Minister des Innern der SRR; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1421, Bl.  67. Ähnliche Glückwunschtelegramme Mielkes an rumänische Innenminister aus den Jahren 1972–1975, 1979, 1981–1984, 1986–1989 in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 611, Bl.  255  f., 284, 303, 339, 371, 394; Abt  X, Nr. 989, Bl.  180, 182  f.; Abt.  X, Nr. 1420, Bl.  17, 63, 83, 115; Abt. X, Nr. 1421, Bl.  16, 77, 120; Abt. X, Nr. 1475, Bl.  23; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 217, 222; D 13212, vol. 5, Bl. 14, 18; D 13285, vol. 20, Bl. 5, 69; D 13352, vol. 6, Bl. 80; D 13362, vol. 7, Bl. 8–19. Weitere Nachweise über versandte Glückwünsche der MfS-Führung nach Bukarest 1988/89 in einem Kurierbuch der Abt. X: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1050, Bl. 73, 116, 158. 539  Glückwunschtelegramme zwischen Mielke und dem jeweiligen »Bundessekretär für Innere Angelegenheiten der SFRJ« aus den Jahren 1981, 1982, 1983, 1986 und 1988 mit Hinweisen auf Einbeziehung des MfAA in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 611, Bl. 426 f., 446 f., 584–591, 594; Abt. X, Nr. 1420, Bl. 15 f., 61 f., 79 f., 107; Abt. X, Nr. 1421, Bl. 66. 540 Telegramm Stănescus an Mielke, undatiert [Jahresende 1972]; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 220. Weitere Glückwunschtelegramme der rumänischen Innenminister oder des Securitate-Chefs Stănescu an Mielke aus den Jahren 1968, 1973, 1974, 1976, 1979, 1981–1983, jedoch jeweils ohne irgendeine Bezugnahme auf Kooperation, in: ACNSAS, fond documentar, D 10782, vol. 7, Bl. 16; D 13134, vol. 11, Bl. 225; D 13212, vol. 5, Bl. 14, 18, 58; D 13285, vol. 20, Bl. 1, 71; D 13354, vol. 4, Bl. 83, 85, 89 f., 95 f., 102, 104, 108; D 13362,

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hier einmal mehr als derjenige, der die Securitate aus ihrer Außenseiterposition herausführen möchte. Doch bei Mielke stieß seine Offerte offenkundig nicht auf Widerhall. 2.4.2 Die geheimen Regierungsfernschreibverbindungen Eine kontinuierliche Zusammenarbeit bestand weiterhin auf einem technischen Gebiet. Seit Mitte der 1960er-Jahre arbeiteten die Geheimdienste der osteuropäischen Länder unter Leitung des KGB daran, ein einheitliches, geheimes und abhörsicheres Fernsprechnetz für Regierungsverbindungen zwischen ihren Hauptstädten aufzubauen. An den Beratungen und Absprachen für dieses internationale Projekt nahmen auch Securitate-Offiziere teil.541 Im Sommer 1973 richteten die Regierungen Rumäniens und der DDR auf dieser Grundlage eine geheime Regierungsfernschreibverbindung zwischen Bukarest und Ostberlin ein. Fernschreibstellen befanden sich jeweils in den Gebäuden der Vorsitzenden des Ministerrats beider Länder und im Sitz der Zentralkomitees von RKP und SED. Die Fernschreibverbindung wurde von den Geheimdiensten beider Länder betrieben und unterhalten. Deshalb standen die zuständigen Fachabteilungen bis 1989 in gegenseitigem Kontakt. Bei der Securitate war dies die Abteilung »Nachrichten und Funkabwehr« (= Unitatea specială de transmisiuni și contrainformaţii radio«, später in Unitatea Specială »R« umbenannt), die damals von Oberst Iuliu Plăpcianu geleitet wurde, beim MfS die Abteilung »Nachrichten« (Abteilung N) unter ihrem Leiter Oberst Karl Zukunft, die für die technischen Voraussetzungen zu sorgen hatte, sowie die Abteilung XI, die für das Chiffrie-

vol. 7, Bl. 8–19; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 611, Bl. 182–185; SdM, Nr. 715, Bl. 44; SdM, Nr. 741, Bl. 7. 541 Arbeitsgruppe des Ministers, Oberst Zukunft, 6.1.1966: Bericht über die vom 7.– 11.12.1965 in Moskau stattgefundene Arbeitstagung der Leiter für Regierungsverbindungen der sozialistischen Länder; BStU, MfS, Abt. N, Nr. 232, Bl. 2–29. Siehe auch Ministerul de Interne, Nr. 740 din 17 mai 1973: Tovarasului Nicolae Ceaușescu Secretar General al Partidului Comunist Roman: Raport; ACNSAS, D 13134, vol. 11, Bl. 82–84; in diesem Bericht des Innenministeriums an Ceaușescu über den Stand der Einrichtung modernisierter, direkter Regierungsfernschreibverbindungen zwischen Rumänien und seinen Verbündeten erwähnt Innenminister Bobu eine Tagung der Warschauer Vertragsstaaten in Moskau am 15./16.8.1967, auf der Entscheidungen über bilaterale Regierungsfernschreibverbindungen getroffen worden seien. Vgl. auch die an Honecker, Stoph, Florin und den KGB gegebenen MfS-Informationen Nr. 912/70 vom 1.9.1970 und Nr. 967/70 vom 12.9.1970 über eine »Störung der geheimen Regierungsverbindung der Botschaft der SRR in der DDR«; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 1846, Bl. 1–7. Demnach hatten MfS und Securitate früher vereinbart, dass das MfS die geheime Regierungsverbindung (»WTsch-Anschluss«) in der rumänischen Botschaft in Ostberlin installierte und dort eine regelmäßige monatliche Wartung durchführte, die Securitate dasselbe in der DDR-Botschaft in Bukarest tat.

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ren und Dechiffrieren zuständig war und damals von Oberst Erich Schürrmann geleitet wurde.542 Als Oberst Karl Zukunft bei der Leitung des MfS im November 1973 den Antrag stellte, im April 1974 einen seiner Stellvertreter sowie zwei Spezialisten für vier Tage nach Bukarest entsenden zu dürfen, um den Probebetrieb der Regierungsfernschreibverbindung auszuwerten, erhielt er hierfür die gewünschte Genehmigung. Im November 1974 beantragte er für den gleichen Personenkreis erneut eine Dienstreise nach Bukarest, die im April 1975 vorgesehen war. Erneut sollte der Probebetrieb analysiert werden, außerdem technische Neuerungen besprochen werden. Doch dieses Mal versagte ihm die MfS-Führung die Zustimmung, während die Dienstreisen aus gleichem Anlass in die übrigen Bruderländer selbstverständlich durchgeführt werden durften. Ob die Reisesperre später wieder aufgehoben wurde, ist nicht ersichtlich.543 Im Frühjahr 1976 musste einer seiner Mitarbeiter, der OibE »Jörg«, nach Bukarest reisen, um die Urlaubsvertretung für den Funker an der DDR-Botschaft zu übernehmen. In einem vorbereitenden Gespräch machte ihn ein Mitarbeiter der Abteilung »Nachrichten« ausdrücklich »auf die besondere politische Situation« in Rumänien aufmerksam und gab ihm spezielle Verhaltensregeln mit auf den Weg. Das kam bei Einsätzen in andere Ostblockstaaten nicht vor. »Jörg« begab sich als MfS-Mitarbeiter offenkundig in ein problematisches Land.544 542  Vereinbarung zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Sozialistischen Republik Rumänien über die Organisation und Unterhaltung einer geheimen Fernschreibverbindung zwischen Berlin und Bukarest [o. D., ca. Juli 1973] sowie mehrere Begleitschreiben zwischen dem 6.6. und 31.7.1973; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1492, Bl. 1–43; Abt. X, Nr. 1761, s.p.; Abt. X, Nr. 247, Bl. 251. Den Securitate-Akten zufolge trat die Vereinbarung am 23.7.1973 in Kraft. ACNSAS, D 13134, vol. 11, Bl. 88 f., 99–122, 159 f., 167 f. Mehrere Telegramme des von 1974 bis 1990 amtierenden Leiters der Abt. XI des MfS, Generalmajor Wolfgang Birke, an seine rumänischen Kollegen Oberst Constantin Dobre, Victor Danciu, Stelian Pintelie und Iuliu Plăpcianu von der Abt. »Nachrichten und Funkabwehr« der Securitate zwischen 1978 und Sommer 1989, in denen der Empfang von Briefen und Paketen bestätigt wird, sind vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 81–84; Abt. X, Nr. 537, Bl. 69–74; Abt. X, AP 15432/83, Bl. 8 f., 69 f.; ACNSAS, fond documentar, D 13352, vol. 6, Bl. 70–76. Zu Struktur und Aufgaben der Unitatea Specială »R«, deren Führungspersonal vor 1989 und dessen Karrieren nach 1989 vgl. Oprea: Moștenitorii Securităţii, S. 82 f. Ein analoges Abkommen zwischen den Regierungen der DDR und der Sowjetunion »über die Einrichtung einer geheimen Regierungstelegrafieverbindung zwischen Berlin und Moskau« war bereits am 7.5.1969 unterzeichnet worden. Vgl. BStU, SdM, Nr. 423, Bd. 147–152. Ein ebensolches Abkommen zwischen der ČSSR und Rumänien wurde am 20.8.1974 abgeschlossen. Vgl. http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/rsr/spoluprace01ro.pdf (Stand: 9.6.2016). 543  Dienstreisepläne der Abt. N für die Planjahre 1974 und 1975 in das sozialistische Ausland; BStU, MfS, Abt. N, Nr. 31, Bl. 1, 5, 21, 26, 39. Ich danke Roland Wiedmann für entsprechende Hinweise. 544  BStU, MfS, AOibE 16553/91, Bl. 22, 70. Worin die Verhaltensregeln im Einzelnen bestanden, ist in der Akte nicht festgehalten.

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2.4.3 Staatsbesuche Begegnungen zwischen den Geheimdiensten gab es selbstverständlich anlässlich von Staatsbesuchen. Als Nicolae und Elena Ceaușescu vom 8. bis 10. Juni 1977 in die DDR reisten, befand sich in ihrer Begleitung unter anderem der Securitate-Generalleutnant Iulian Vlad. Vlad war im Mai 1977 in den Rang eines Staatssekretärs im rumänischen Innenministerium aufgestiegen und für verschiedene Sonderaufgaben zuständig. Am 3. Oktober 1987 wurde er Chef der Securitate und blieb es bis zum 30. Dezember 1989. Im Juni 1977 trat er in Ostberlin als Leiter der Abteilung Personenschutz der Securitate auf. Daher traf er bei dieser Gelegenheit mit dem Leiter der Hauptabteilung Personenschutz beim MfS, Generalmajor Günter Wolf zusammen.545 Die Hauptabteilung Personenschutz hatte unter anderem die Aufgabe, für die Sicherheit von Staatsgästen zu sorgen. Insofern handelte es sich hier um die üblichen Kontakte zwischen den Sicherheitsbehörden, die dem konkreten Anlass des Staatsbesuchs geschuldet waren. Im Vorfeld des damaligen Staatsbesuches ging dem MfS von rumänischer Seite eine Liste mit den Namen von 164 ehemaligen rumänischen Staatsbürgern zu, die nun in der Bundesrepublik Deutschland oder in Österreich lebten. Unter ihnen befanden sich einige ehemalige Angehörige der ungarischen Minderheit in Rumänien sowie mehrere bekannte Rumäniendeutsche, von denen sich zumindest einige vor 1945 den Nationalsozialisten angeschlossen hatten und die sich nun in den Kreisen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in der Bundesrepublik profilierten, wie etwa der Schriftsteller Heinrich Zillich und der Journalist und Publizist Hans Hartl, aber auch der »Auschwitzapotheker« und Kriegsverbrecher Victor Capesius. Ebenso fand sich auf dieser Liste der Name von Noel Bernard, dem Leiter der rumänischsprachigen Abteilung des Senders »Radio Freies Europa« in München, der über jeden NS-Verdacht erhaben war. Die rumänischen Behörden unterstellten diesem Personenkreis eine »feindliche Einstellung« gegenüber dem sozialistischen Rumänien sowie die Be545  »Liste der Personen, die die Partei- und Staatsdelegation der Sozialistischen Republik Rumänien auf ihrem offiziellen Freundschaftsbesuch in die Deutsche Demokratische Republik begleiten«, sowie »Ablaufplan für den offiziellen Freundschaftsbesuch der Partei- und Staatsdelegation der Sozialistischen Republik Rumänien unter Leitung des Generalsekretärs der Rumänischen Kommunistischen Partei und Präsidenten der Sozialistischen Republik Rumänien, Genossen Nicolae Ceaușescu, in der Deutschen Demokratsichen Republik, Juni 1977«, S. 12; beide in BArch, DY 30/IV B 2/20 (Abteilung Internationale Verbindungen)/148. Zum formalen Ablauf des Staatsbesuchs vgl. auch die Meldungen in: BStU, MfS, HA PS/MF/711 und HA PS/MF/1271. Vgl. auch MfS, Minister, 3.6.1977: Befehl Nr. 18/77 – Besuch einer Partei- und Regierungsdelegation der Sozialistischen Republik Rumänien in der Deutschen Demokratischen Republik; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 6144, S. 1–6, darin weist Mielke der HA PS eine besondere Verantwortung zu. Zur Biografie Vlads siehe Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 766 f.

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reitschaft, »kompromittierende Tätigkeiten bzw. Akte durchzuführen«.546 Welche rumänische Institution diese Liste erstellte, ist nicht zu erkennen, ebenso wenig lässt sich feststellen, ob sie dem MfS direkt oder über offizielle, diplomatische Wege zuging. Gleichwohl ist eine Urheberschaft der Securitate anzunehmen. Die MfS-Hauptabteilung VI, die die Ausweise und Reisepässe an den DDR-Grenzen kontrollierte, speicherte die Daten dieser Personen, um sie während des Staatsbesuchs an einer Einreise in die DDR zu hindern. Weitergehende Maßnahmen leitete das MfS nicht ein. Die Namensliste lässt aber Rückschlüsse darauf zu, welche ehemaligen Staatsbürger die rumänischen Sicherheitsbehörden als besonders gefährlich einstuften. Eine ähnliche Liste leiteten die rumänischen Sicherheitsbehörden dem MfS in Vorbereitung des Ceaușescu-Besuchs in der DDR am 17. und 18. November 1988 zu. Darin warnten sie vor 51 Emigranten, von denen die meisten in der Bundesrepublik lebten, und denen man »den Eintritt in die Deutsche Demokratische Republik verbieten sollte und die, falls sie sich zur Zeit in Ihrem Lande aufhalten, aus den zu besuchenden Orten entfernt oder streng überwacht werden sollten«.547 Unter den Personen, die hier mit Geburts- und Wohnort aufgezählt wurden, befanden sich Ioan Chirilă und Dumitru Ochiu, die im Februar 1955 gemeinsam mit Oliviu Beldeanu und zwei anderen die rumänische Gesandtschaft in Bern überfallen hatten. Ganz überwiegend enthielt diese Liste aber Namen von Personen, die erst in den 1950er-Jahren geboren wurden, darunter kaum noch Rumäniendeutsche oder Rumänienungarn, und niemanden, der in der Emigration eine bedeutende Rolle spielte. Die »Hauptabteilung Personenschutz«, die diese Liste ursprünglich bekam, reichte sie an weitere MfS-Abteilungen weiter. Das MfS verfügte für den Zeitraum des Staatsbesuchs eine Einreisesperre gegen die benannten Personen, unternahm aber keine weiteren Maßnahmen.548 546 MfS, HA VI: Aktion »Kampfbund 18/77« [Staatsbesuch Ceaușescu]; BStU, MfS, HA VI, Nr. 3810, Bl. 2–16. Zu den oben namentlich Genannten siehe Totok: »Die Finger zu rostigen Krallen gebogen«; Böhm: Porträt Heinrich Zillich (1898–1988); ders.: »Jede Zeit und jede Nation besitzt ihre Originale«. Porträt Hans Hartl; ders.: Vom NS-Volkstum- zum Vertriebenenfunktionär, S. 37–40, 212; Schlesak: Capesius, der Auschwitzapotheker. – Ein Maßnahmenplan der Securitate gegen Bernard vom 18.8.1980 in englischer Übersetzung in Cummings: Cold War Radio, S. 229–233; zu Bernard siehe außerdem Johnson: Radio Free Europe, S. 152– 155, 198. 547 So der erklärend vorangestellte Satz vor der Namensliste; BStU, MfS, HA II, Nr. 29509, Bl. 126–134. 548  Ebenda, Bl.  126  f. Dieselbe Liste, aber ohne Bearbeitungsvermerke, in: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 702, Bd. 2, Bl. 47–54. Möglicherweise steht eine Beobachtung des Berliner Historikers Dirk Moldt in direktem Zusammenhang mit dem damaligen Staatsbesuch: Moldt betreute Ende der 1980er-Jahre als Mitarbeiter der Volkssolidarität einige Menschen, die in unmittelbarer Nähe der MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg lebten. Eines Tages beobachtete er während seiner Arbeit eine rumänische Fahrzeugkolonne, die aus dem MfS-Gelände auf die Ruschestraße rollte und nach Norden davonfuhr. Da er sich schon damals für Rumänien in-

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2.4.4 Rüstungsimporte aus Rumänien Eine weitere Verbindung nach Rumänien, wenngleich nicht zur Securitate, unterhielt das MfS im Rahmen der »speziellen Importe«, also der Einfuhr von Rüstungsgütern. Das MfS bezog in den Jahren 1984 bis 1989 aus Rumänien Munition für (über)schwere Maschinengewehre mit 14,5 Millimeter-Kaliber, die auch auf Türmen von Panzern montiert werden konnten, und Panzergranaten für rückstoßfreie Panzerbüchsen. Als Besteller gegenüber Rumänien trat die DDR-Armee auf. Derartige Ausrüstung war beispielsweise bei der Verfügungstruppe des MfS, dem »Wachregiment Feliks Dzierzynski«, in Gebrauch. Als die rumänische Rüstungsindustrie 1988 den 1 000. Schützenpanzerwagen an die DDR auslieferte, richtete das dortige Verteidigungsministerium aus diesem Anlass im Herstellerwerk einen kleinen Festakt aus. Die Einladung hierzu ging an den stellvertretenden DDR-Außenhandelsminister, der zugleich Leiter des »Speziellen Außenhandels« war. Zur DDR-Delegation gehörte neben Vertretern der Nationalen Volksarmee auch ein Oberst des MfS-Wachregiments. Dieser reiste im Folgejahr erneut mit einer NVA-Delegation nach Rumänien, um an der jährlichen »Qualitätskonferenz« teilzunehmen. So blieben die Handelsbeziehungen in diesem speziellen Bereich bis zuletzt stabil. Die letzten nachweisbaren Bestellungen nach Rumänien, die das MfS über den »Ingenieur-technischen Außenhandel« der Nationalen Volksarmee aufgab, datieren vom 29. Dezember 1989. Damals orderte man noch eine ganze Reihe kleiner Ersatzteile. Erst Ende März 1990 erfolgten die letzten Stornierungen.549 In der rumänischen Handelsbilanz schlug der Rüstungsexport in die DDR positiv zu Buche. Rumänien importierte Ende der 1980er-Jahre für rund 14 Millionen Rubel jährlich Rüstungsgüter aus

teressierte, fielen ihm diese Fahrzeuge auf. Eine exakte zeitliche Einordnung ist Dirk Moldt rückblickend allerdings nicht mehr möglich. Schriftliche Mitteilungen Moldts an den Verfasser vom 7. und 8.10.2015. 549  Übernahme-/Übergabeprotokolle und Eingangsmeldungen aus den Jahren 1984 bis 1989 in: BStU, MfS, BCD, Nr. 2661, Bl.  107; BCD, Nr. 2662, Bl.  237–245, sowie zur Bewaffnung der HV  A Bl.  104–106; BCD, Nr. 2663, Bl.  7, 91–93, 124–127; BCD, Nr. 2664, Bl. 175 f., 213, 215, 234 f., 262 f.; BCD, Nr. 2737, Bl. 76 f., 267, 270; BCD, Nr. 3292, Bl. 56–59; BCD, Nr. 3617, Bl. 1–11, 36–46, 102–126. Einfuhrverträge und Stornierungen sowie Bestelllisten nach Rumänien von Oktober 1989 bis März 1990 in: BStU, MfS, VRD, Nr. 6139, Bd. 2, Bl. 188–263, hier 195–197, 205–208. Zu dem Festakt im September 1988 und der »Qualitätskonferenz« im September 1989 siehe entsprechende Schreiben in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1125, Bl. 120; Abt. X, Nr. 1126, Bl. 26. Ein Verzeichnis der »Partnerorganisationen des speziellen Außenhandels« in den Ländern des Warschauer Pakts ist vorhanden in: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 8702, Bl. 1 f. Ich danke meinem früheren Kollegen Hans-Jürgen Zeidler für seine technischen Erläuterungen. Zu Bewaffnung und Struktur des Wachregiments siehe Koch; Lapp: Die Garde des Erich Mielke, S. 137–142, sowie Wiedmann: Die Organisationsstruktur, S. 26–38.

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der DDR, exportierte nach dorthin aber entsprechende Waren für rund 45 Millionen Rubel.550 2.4.5 Dienstreisen: nur wenige MfS-Mitarbeiter reisen nach Rumänien Für die Jahre 1988 und 1989 sind in großem Umfang Finanzunterlagen des MfS überliefert. Aus ihnen geht hervor, dass Rumänien keine verbotene Zone für MfS-Mitarbeiter darstellte. Doch zugleich dokumentieren sie das Fehlen regulärer Arbeitsbeziehungen zwischen den Staatssicherheitsdiensten beider Länder. Sie belegen für das Jahr 1988 insgesamt 53 Dienstreisen von MfS-Mitarbeitern nach Rumänien, für das Jahr 1989 insgesamt 56. Vermerkt sind darin solche Dienstreisen, für die die Finanzabteilung des MfS den jeweiligen Mitarbeitern Geld in rumänischer Landeswährung ausbezahlte. Eine geheimdienstliche Zusammenarbeit lässt sich daraus dennoch nicht ableiten, eher das Gegenteil ist daran abzulesen. So geht aus den Finanzunterlagen zwar hervor, dass 1988 vier und 1989 noch einmal fünf Mitarbeiter der Abteilung »Nachrichten« Dienstreisen nach Rumänien unternahmen, und der letzte von ihnen hielt sich noch in der ersten Novemberhälfte 1989 dort auf. Doch sie hatten entweder die Funkstelle in der DDR-Botschaft in Bukarest zu betreuen, oder sie waren nur auf der Durchreise nach Bulgarien.551 Bei den meisten Dienstreisenden nach Rumänien handelte es sich um Angehörige des MfS-Sportvereins »SV Dynamo« (1988: 19 Reisen, 1989: 21 Reisen), die Trainingsaufenthalte absolviert haben dürften, sodann um Mitarbeiter der Hauptabteilung Personenschutz (1988: 5 Reisen, 1989: 16 Reisen), die nicht operativ tätig waren, ferner um Mitarbeiter und IM der Hauptabteilung VI, die ohne Wissen der Securitate DDR-Touristen vor Ort überwachten sowie um Mitarbeiter der Linien IX und XIV, die unter anderem festgenommene Republikflüchtlinge sowie deren Fahrzeuge in die DDR zurückführten. Zwei Mitarbeiter der Hauptabteilung I, deren Aufgabe die Absicherung der DDR-Armee und ihres vom MfS unabhängigen militärischen 550 Dieses Handelsvolumen nannte der damalige stellvertretende rumänische Verteidigungsminister Victor-Atanasie Stănculescu in einem Gespräch am 28.8.1989 mit dem DDR-Militärattaché und einem Mitarbeiter der DDR-Botschaft. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14056, Bl. 1. 551  MfS, Abt. Finanzen: Valuta 1988, A-Währung, hier: Forint, Rubel, Lei; BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 1606, Bl.  91–94. Dass. für 1989; BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 2322, Bl. 85–88. Vgl. auch die entsprechenden Einzelbelege in: BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 1598, Bl. 192 f., 200–203, 254–260, 264–269, 282–292, 296–298, 321 f., 327–332, 343–348 u. ö.; Abt. Finanzen, Nr. 2223, Bl.  177  f., 181  f., 194  f., 213–216, 229  f,. 235  f., 250  f. u.  ö. Details zu einzelnen Dienstreisen in: BStU, MfS, AOibE 16634/91, Bl.  18–24, 54–56; AOibE 16974/91, Bl.  155; AOibE 16553/91, Bl.  112–114; AOibE 16641/91, Bl.  120–122; BStU, MfS, KS 15016/90, Bl. 87, KS 15019/90, Bl. 91; BStU, MfS, AOibE 16830/91, Bl. 91; AOibE 16969/91, Bl. 166 f.; AOibE 16595/91, Bl. 18 f.

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Nachrichtendienstes war, reisten im April 1988 nach Bukarest, um in Abstimmung mit der HV A IX/B »operative Aufgaben« durchzuführen. Die Abteilung IX/B der HV A war maßgeblich verantwortlich für die Auswahl und die Anleitung der vom MfS gestellten Sicherungskräfte in den Auslandsvertretungen der DDR. Das lässt die Annahme zu, dass sich die beiden Mitarbeiter der Hauptabteilung I um Sicherheitsbelange der Botschaft kümmerten. Für die HV A stattete die Finanzabteilung des MfS 1988 fünf und 1989 drei Dienstreisende mit rumänischen Lei aus. Sie waren offensichtlich an die HVA-Residentur in der DDR-Botschaft in Bukarest angebunden. Der letzte erfasste Dienstreisende der HV A war ein »Offizier im besonderen Einsatz« (OibE), der in dem Vorgang »Trommler« geführt wurde und sich Mitte November 1989 mit 15 000 Lei (umgerechnet 5 782,50 DDR-Mark) auf den Weg nach Rumänien machte.552 Die meisten dieser Stasi-Dienstreisen dienten zweifelsfrei nicht dazu, Kontakte mit dem rumänischen Bruderorgan aufzunehmen. Ein Vergleich mit dem Nachbarland Ungarn, zu dessen Staatssicherheitsdienst das MfS reguläre Arbeitsbeziehungen unterhielt, erhellt die Besonderheiten des rumänischen Falles: 1988 zahlte die Finanzabteilung des MfS 909-mal ungarische Forint an MfS-Mitarbeiter aus, die nach Ungarn reisten, 1989 immerhin noch 763-mal; und das Aufgabenspektrum dieser Dienstreisenden war

552 BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 1606, Bl.  91–94; MfS, Abt. Finanzen, Nr. 2322, Bl.  85–88 (wie Anm. 551). Neben den genannten Abteilungen entsandten die BVfS Frankfurt/O. und Leipzig, das Wachregiment Feliks Dzierzynski, die Abt. 26 und die Verwaltung »Rückwärtige Dienste« 1988/89 Mitarbeiter nach Rumänien. Unter den IM der HA VI befanden sich auch die IM »Wolfgang Reebe« und »Howard«, auf die unten, S. 324–328, nochmals eingegangen wird. Zur HV A IX/B vgl. hier BStU, MfS, Sekr. Neiber, Nr. 7, Bl. 235 f., sowie Abt. X, Nr. 537, Bl. 15. »Trommler«, Reg.-Nr. XV/2842/78, gehörte innerhalb der HV A zur Arbeitsgruppe 1 des SWT. Sie hatte die Aufgabe, Wissenschaftler und Techniker zu betreuen, die für die HV A in den legal abgedeckten Residenturen innerhalb der DDR-Botschaften tätig waren; er reiste bereits 1988 zweimal nach Rumänien. Während für die Jahre 1988 und 1989 neben den Einzelbelegen auch Gesamtübersichten in gebundenen Büchern mit ausbezahlten Fremdwährungen überliefert sind, sodass von einer einigermaßen vollständigen Übersicht ausgegangen werden kann, liegen beispielsweise für das Jahr 1984 nur Einzelbelege vor. Aus ihnen lassen sich für 1984 in 42 Fällen Auszahlungen aus der MfS-Kasse in Lei für Dienstreisen nach oder durch Rumänien nachweisen. Die Verteilung nach MfS-Diensteinheiten entspricht etwa denen der Jahre 1988 und 1989. Siehe BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 5391, Bl. 88–121, 324–337, 350–352; Abt. Finanzen, Nr. 5392, Bl. 115–122, 625–656; Abt. Finanzen, Nr. 5393, Bl. 435–437; Abt. Finanzen, Nr. 5394, Bl. 76–90, 212–215, 271–273, 497–499; Abt. Finanzen, Nr. 5395, Bl.  330–337, 353  f., 533  f., 766–773; Abt. Finanzen, Nr. 5396, Bl.  99–103, 112–114, 253–272, 534–537, 585–587; Abt. Finanzen, Nr. 5397, Bl. 53–60, 82–85, 370–378; Abt. Finanzen, Nr. 5398, Bl. 250–261, 270–273, 482–485, 585–588; Abt. Finanzen, Nr. 5399, Bl. 671–674, 693–696; Abt. Finanzen, Nr. 5400, Bl. 5–7, 35–38, 164–166, 259–264, 386– 388; Abt. Finanzen, Nr. 5401, Bl.  142–145, 258–260, 480–495; Abt. Finanzen, Nr. 5402, Bl. 216–220, 346–348.

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offenkundig breiter und beinhaltete auch Begegnungen mit ungarischen Kollegen.553 2.4.6 Ansprechpartner des MfS in der rumänischen Botschaft in Ostberlin Im Dezember 1988 stellte das MfS eine Übersicht über seine Außenposten in den verbündeten und befreundeten Ländern zusammen. In allen Ländern des Warschauer Pakts unterhielt es damals eine Operativgruppe, nur in Rumänien nicht. In zahlreichen anderen Staaten fungierten MfS-Verbindungsoffiziere als Scharnier zu den dortigen Staatssicherheitsorganen, und zwar in Äthiopien, Afghanistan, Kuba, Nicaragua, Laos, Nordkorea, Südjemen und Vietnam. Eine andere Übersicht aus den frühen 1980er-Jahren listete im Gegenzug auf, welche Länder mit Operativgruppen in Ostberlin vertreten waren. Die Gruppe der Länder ist fast identisch mit der eben genannten. Die Liste nennt die Leiter der Operativgruppen, ihre Stellvertreter und weitere Mitarbeiter, deren Ostberliner Wohnanschriften und Telefonnummern. Rumänien nimmt hier erneut eine Außenseiterposition ein. Anstelle einer Operativgruppe führte das MfS lediglich einen 2. Sekretär der rumänischen Botschaft mit Namen, Adresse und Telefonnummer an. Er galt dem MfS offenbar als direkter Ansprechpartner für Belange der Staatssicherheit und wahrscheinlich auch als Verbindungsmann zur Securitate. Denn dass der rumänische Geheimdienst in der Botschaft umfassend präsent war, ist anzunehmen. Gleichwohl legt diese Übersicht die Schlussfolgerung nahe, dass die übrigen sozialistischen Geheimdienste in Ostberlin sehr viel enger mit dem MfS in Verbindung standen als die Securitate.554

553 BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 1606, Bl.  3–58; MfS, Abt. Finanzen, Nr. 2322, Bl.  2–54 (wie Anm. 551). Nach Ungarn reisten demnach Mitarbeiter von sehr viel mehr MfS-Abteilungen, etwa Mitarbeiter der (Haupt-)Abteilungen III, X, XX, XXII, des Operativ-Technischen Sektors, des Zentralen Medizinischen Dienstes sowie fast aller MfS-Bezirksverwaltungen. Die Außenseiterposition der Securitate schlägt sich auch in ähnlich gelagerten Dokumenten nieder. So führte die MfS-Abteilung X Übersichten über Gastgeschenke, die von den verschiedenen MfS-Diensteinheiten an befreundete Geheimdienste gegeben wurden. Die überlieferten Verzeichnisse für 1976 und 1988 belegen die Übergabe von Gastgeschenken an die Geheimdienste aller Warschauer Pakt-Staaten sowie Kubas, Vietnams, des Südjemens und andere; nur der rumänische Geheimdienst fehlt auf den Empfängerlisten. Vgl. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 597, Bl. 1–8; Abt. X, Nr. 613, Bl. 2–9. 554  BStU, MfS, Abt. X, Nr. 129, Bl. 11–15, 20 f., 28, sowie Abt. X, Nr. 876, Bl. 35–65, 72– 82, 104, zu Rumänien Bl. 72 f. Vgl. auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle.

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2.4.7 Zwischenbetrachtung: Die Securitate mutiert aus MfSPerspektive zum Außenseiter Die vorgenannten Beispiele illustrieren das bescheidene Niveau der Beziehungen zwischen Securitate und MfS. Auf vielen Gebieten gab es in den 1970erund 1980er-Jahren jedoch schlichtweg überhaupt keine Arbeitsbeziehungen mehr. Im MfS-Archiv sticht diese Nicht-Kooperation dadurch hervor, dass Rumänien in vielen Zusammenhängen einfach nicht vorkommt, wo ansonsten alle verbündeten Staatssicherheitsdienste des Warschauer Pakts Erwähnung finden. Die MfS-Akten der 1970er- und 1980er-Jahre sind voll von Belegen für eine beständige und intensive Zusammenarbeit des MfS mit den übrigen Staatssicherheitsdiensten des Ostblocks. Sie dokumentieren Kooperationsvereinbarungen, gemeinsame Arbeitsbesprechungen, einen regelmäßigen Austausch von Informationen über Personen und Sachverhalte und verschiedene Formen von »Amtshilfe«.555 Ein anschauliches Beispiel sind die Jahrespläne oder Jahresbilanzen der einzelnen MfS-Hauptabteilungen. Denn sie gehen in einem eigenen Abschnitt auf beabsichtigte oder stattgefundene Kooperationen mit den entsprechenden Geheimdienst-Abteilungen anderer Länder ein. Daran lässt sich die (formale) Intensität der Zusammenarbeit ablesen. In diesen Ausarbeitungen oder Übersichten kam Rumänien in den 1970er- und 1980er-Jahren als einziges Ostblockland nie vor.556 Die Securitate zählte hier für das MfS nicht zu den »befreundeten Sicherheitsorganen«. 555  Siehe hierzu die zahlreichen Beispiele in den im Literaturverzeichnis angeführten Publikationen von Tantzscher und Domnitz. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Informationspolitik des MfS nach dem Übertritt des hochrangigen Bf V-Mitarbeiters Hansjoachim Tiedge in die DDR am 19.8.1985. Tiedge war Spionageabwehrexperte und verriet dem MfS sein diesbezügliches Wissen. Das MfS gab einige der damals gewonnenen Erkenntnisse über Bf V-Operationen an seine Verbündeten in der Sowjetunion, Polen, der ČSSR, Ungarn, Bulgarien und Kuba weiter, offenkundig aber nicht an Rumänien. Vgl. die entsprechende Korrespondenz zwischen dem 16. und 30.9.1985 in: BStU, MfS, SdM, Nr. 149, Bl. 1, 14–44. Andere Beispiele dafür, dass das MfS die Securitate in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht mit Informationen versorgte, die ansonsten an die übrigen verbündeten Geheimdienste in Europa gingen, in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2388, Bl. 49, 60, 88 f., 167; Abt. X, Nr. 2389, Bl. 68 f., 105; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 15206, Bl. 4 f. 556  Exemplarisch hierfür einige Jahrespläne und -berichte und vergleichbare Übersichten der MfS-Hauptabteilungen II (BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 112–114 und HA II, Nr. 22872, Bl. 81 f.), HA VI (BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 2, Bl. 165–182; HA VI, Nr. 36, Bd. 2, Bl. 40, 267–280 und HA VI, Nr. 2485, Bl. 27–133), HA IX (BStU, MfS, JHS 20126), HA XIX (BStU, MfS, HA XIX, Nr. 5508, Bl. 1–12), HA XX (BStU, MfS, ZAIG/Fo/242, Bild 4) sowie Sekretariat Mittig (BStU, MfS, Sekr. Mittig, Nr. 85, Bl. 12 ff.; dem Mielke-Stellvertreter Generalleutnant Rudi Mittig unterstanden einige wichtige operative Diensteinheiten). Auch die ausführlichen Jahresarbeitspläne der HV A, die für die Jahre 1972 und 1973 überliefert und von Markus Wolf unterzeichnet sind, sahen keinerlei Zusammenarbeit mit den rumänischen Kollegen vor, sondern nur mit denen der Sowjetunion, Polens, der ČSSR, Ungarns und Bulgariens. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2039, Bl. 65–84 und Abt. X, Nr. 2245, Bl. 24–52.

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Es handelte sich im Übrigen nicht nur um ein bilaterales Problem zwischen Securitate und MfS.  Auch im internationalen Verbund der Staatssicherheitsdienste blieb die Securitate nun außen vor. Sie beteiligte sich nicht mehr an den ranghohen, multilateralen Beratungen und Tagungen der kommunistischen Geheimdienste, egal ob es um gemeinsame Strategien bei der Spionageabwehr, um koordinierte Bekämpfung westlicher Einflüsse auf die sozialistischen Länder (»politisch-ideologische Diversion«) oder um Erfahrungsaustausch bei der Auslandsspionage ging.557 Ein grundsätzliches methodisches Problem ist an dieser Stelle zu bedenken. Die Tatsache, dass in den Akten keine Nachweise über einen Sachverhalt vorhanden sind, bedeutet nicht notwendigerweise, dass es diesen Sachverhalt nicht gegeben hat. Nicht alle Akten sind erhalten geblieben, und nicht alle Begebenheiten sind verschriftet worden. Es mag also durchaus sein, dass es im Einzelfall Absprachen zwischen Securitate und MfS gab, die in den Archiven nicht dokumentiert sind. Doch der eben skizzierte Blick auf die internationalen Verbindungen des MfS in ihrer Gesamtheit zeigt, dass die Securitate sich tatsächlich in einer Außenseiterposition befand und dieser Eindruck nicht auf theoretisch denkbaren Überlieferungslücken basiert. Eine grundsätzliche Stellungnahme der MfS-Führung zu dem rumänischen Problem ist bislang nicht bekannt geworden, ebensowenig eine Verhaltensrichtlinie für die MfS-Mitarbeiter, wie mit dem südosteuropäischen Verbündeten umzugehen wäre. Das gilt auch in umgekehrter Richtung aus Perspektive der Securitate. Nachfolgend werden mosaikartig solche MfS-Dokumente beschrieben, die das Fehlen einer regulären Zusammenarbeit ausdrücklich benennen. Es

557  Siehe bspw. Tagungsunterlagen oder -berichte folgender multilateraler Beratungen, an denen die Delegationen der Geheimdienste in der Regel von einem stellvertretenden Geheimdienstchef geleitet wurden: Tagungen zu Problemen der Bekämpfung der PID [Politisch-ideologische Diversion] in Havanna, März 1974; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5487 und 6083; in Budapest, 23.–29.5.1977; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5106; in Moskau, 6.–12.4.1980; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5166–5167; in Sofia, 14.–18.11.1983; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8690–8691; in Prag, 14.–17.10.1986; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5113; ferner Tagung der Leiter der Abwehrdienste in Prag, 17.–21.3.1975; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5104 und BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2297; Beratung der Bruderorgane zu Problemen der Bekämpfung des Terrorismus in Prag, 3.–5.4.1979; BStU, MfS, HA XXII, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 1–78; Beratung zu Fragen Terrorismusbekämpfung und Terrorabwehr in Sofia, 26.11.1987; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5118; Beratung der Leiter der Aufklärungen in [Ost-]Berlin, 17.–21.10.1988; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5121 und ZAIG, Nr. 6082; Multilaterale Arbeitsberatung der Leiter der wissenschaftlich-technischen Aufklärung [Wirtschaftsspionage] in Budapest, 22.–26.10.1979, sowie in Sofia, 10.–14.10.1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2231, Bl. 55 f. und Abt. X, Nr. 2034, Bl. 75. In den Tagungsunterlagen werden die jeweils teilnehmenden Länder aufgeführt, wobei Rumänien stets fehlt, ohne dass dies kommentiert wird. Teilnehmer sind stets die Geheimdienste der übrigen Warschauer Pakt-Staaten, gelegentlich auch Kuba, Vietnam oder die Mongolei. Zu den PID-Tagungen siehe ausführlich Süß: Wandlungen der MfS-Repressionstaktik.

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sind Indizien, die die Außenseiterrolle der Securitate belegen. Sie datieren alle aus den 1970er- und 1980er-Jahren. 2.4.8 Ausdrückliche Belege für nicht mehr existierende Arbeitsbeziehungen Ein konkretes Beispiel für die fehlende Zusammenarbeit ist die Instruktion zum Mielke-Befehl Nr. 1/75. Diese Instruktion regelte detailliert die Maßnahmen des MfS, um Menschen daran zu hindern, aus der DDR zu fliehen. Das MfS hatte demnach die Möglichkeit, DDR-Bürger sowie westliche Fluchthelfer auch in mehreren sozialistischen Staaten zu überwachen; genannt wurden beispielhaft Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien. Dann folgte der ausdrückliche Hinweis darauf, dass es dem MfS jedoch in Rumänien nicht möglich sei, derartige Überwachungsmaßnahmen durchzuführen.558 Daran änderte sich auch in späteren Jahren nichts. Auf einer Dienstkonferenz in Anwesenheit Erich Mielkes sprach der Leiter der MfS-Hauptabteilung VI/1, Oberstleutnant Dietrich Krause, im März 1982 dieses Problem direkt an. Er referierte zunächst über die vorhandenen Möglichkeiten des MfS, den »Bruderorganen« die Personendaten von Fluchthelfern und Fluchtwilligen zu übermitteln, um gezielte Fahndungen in den betreffenden Ländern auszulösen. Einschränkend fügte er dann hinzu, »dass es keine Möglichkeiten gibt, derartige oder analoge Maßnahmen mit den Sicherheitsorganen der Sozialistischen Republik Rumänien durchzuführen«.559 Krause vertrat deshalb die Auffassung, dass Fluchtvorhaben von DDR-Bürgern, die über Rumänien führen sollten, »grundsätzlich im Innern der DDR aufgeklärt und verhindert werden müssen«.560 Ganz offensichtlich gab es hier keinerlei Zusammenarbeit zwischen MfS und Securitate, was indes lediglich als Tatsache erwähnt wurde, mit der umzugehen war.

558  MfS, 1. Stellvertreter des Ministers: Auszug aus der Instruktion zum Befehl Nr. 1/75 zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR und der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels, 15.1.1976; BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. IX, Nr. 642, S. 120. 559  Diskussionsbeitrag des Leiters der HA VI/1, Oberstleutnant Krause [auf der Dienstkonferenz vom 25.3.1982]; BStU, MfS, ZKG, Nr. 16806, Bl. 62, 203. Krause leitete von 1986 bis 1989 die MfS-Operativgruppe in der ČSSR. Vgl. ferner BVfS Halle, Abt. BKG, 27.12.1984: Einschätzung zum Abschluss des OV »Küste«; darin wird bedauert, dass eine offenbar über Rumänien geglückte Ausschleusung einer DDR-Bürgerin 1983 nicht aufgeklärt werden konnte, da »notwendige Überprüfungen bei den Sicherheitsorganen der SR Rumänien [im Gegensatz zu Ungarn und der ČSSR] nicht möglich sind«. BStU, MfS, BV Halle, BKG, Sach Nr. 1490, Bl. 32 f.; zu diesem Vorgang auch ebenda, Bl. 7–10, 27–31. 560  BStU, MfS, ZKG, Nr. 16806, Bl. 203 (wie Anm. 559).

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Denselben Sachverhalt thematisierte 1982 eine über 600 Seiten umfassende Dissertation an der MfS-eigenen Hochschule in Potsdam. Die Forschungsarbeit stellte die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten des MfS dar, DDR-Touristen im sozialistischen Ausland zu überwachen.561 Hierbei nahm die Zusammenarbeit des MfS mit den verbündeten Staatssicherheitsdiensten breiten Raum ein. Nur mit Rumänien gab es keine Kooperation. So hieß es diesbezüglich: Bei der Gestaltung der Kontroll- und Sicherungsprozesse im Reise- und Touristenverkehr von Bürgern der DDR in die SR Rumänien ist vor allem zu beachten, dass es seitens des MfS kein operatives Zusammenwirken mit den Sicherheitsorganen dieses Staates gibt. Damit werden die Möglichkeiten der Durchführung politisch-operativer Maßnahmen zu Bürgern der DDR während ihres dortigen Aufenthaltes wesentlich begrenzt und erfordern bei Notwendigkeit eine intensive Vorbereitung der operativen Kräfte, die zum Einsatz kommen. Dieses Erfordernis ergibt sich auch aus der Tatsache, dass es in zurückliegenden Jahren Hinweise über Handlungen des rumänischen Sicherheitsorgans zur Feststellung operativer Kräfte des MfS gab.562

Mit anderen Worten: Es fehlte nicht nur an Kooperationsbeziehungen, sondern die Securitate spürte den MfS-Spitzeln in Rumänien nach, die dort DDR-Bürger überwachten. Die Überwachungsparanoia der Securitate kam hier der Überwachungsparanoia des MfS in die Quere. Die Untersuchungsabteilung des MfS führte unter anderem die Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger, die bei Fluchtversuchen im sozialistischen Ausland festgenommen wurden. Sie arbeitete hierbei eng mit den entsprechenden Abteilungen der anderen sozialistischen Geheimdienste zusammen. Doch auch hier gab es eine Ausnahme: »Die Linie IX des MfS [= Untersuchungsabteilung] unterhält keine Beziehungen zu den Sicherheitsorganen der Sozialistischen Republik Rumänien«, hieß es in einer Übersicht aus dem Jahre 1982.563 561 Ott, Werner (Oberst, HA VI); Tichter, Helmut (Oberstleutnant, BV Frankfurt/O.), Schweinoch, Hubertus (Oberstleutnant, JHS), unter aktiver Mitarbeit von Major Hochmuth: Forschungsergebnisse zum Thema: »Aktuelle und perspektivische Erfordernisse sowie politisch-operative Arbeitsprozesse zur Sicherung des Reise- und Touristenverkehrs aus der DDR nach anderen sozialistischen Staaten«. Diss. JHS. Potsdam-Eiche 1982; BStU, MfS, JHS 21925. 562  Ebenda, S. 482. 563  HA IX/10, 19.11.1982: Information über die Zusammenarbeit der Linie IX des MfS mit den Untersuchungsabteilungen der Bruderorgane; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17600, Bl. 23– 26, Zitat 25. Dieser Informationsbericht macht im Übrigen knappe Angaben über die Kooperation mit den Untersuchungsabteilungen der Geheimdienste der Sowjetunion, Polens, der ČSSR, Ungarns und Bulgariens. Sämtliche Jahresberichte der HA IX für die Jahre 1971 bis 1988 enthalten entweder gleichlautende Feststellungen wie die oben zitierte, oder sie bringen die Nicht-Zusammenarbeit mit Rumänien dadurch zum Ausdruck, dass das rumänische »Bruderorgan« als einziges in der Aufzählung der Kooperationspartner fehlt. Siehe BStU, MfS, HA IX, Nr. 2801 und 2855 (Jahresbericht für 1971); HA IX, Nr. 2856 (1972); HA IX, Nr. 2857 (1973); HA IX, Nr. 2858 (1974); HA IX, Nr. 2802 (1975); HA IX, Nr. 2803 (1976); HA IX, Nr. 2804 (1978); HA IX, Nr. 3710 (1979); HA IX, Nr. 2805 (1980); HA IX, Nr. 2806 (1981);

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Ein vergleichbares Bild bietet eine HVA-Dienstanweisung aus dem Jahre 1984. Markus Wolf regelte darin die »Zusammenarbeit der HV  A mit den Aufklärungsorganen der sozialistischen Bruderländer«.564 Die Dienstanweisung fixierte und präzisierte die formalen Abläufe der Kooperation. Dies betraf insbesondere die Bereiche des Informationsaustausches, der gemeinsamen Bearbeitung von Vorgängen sowie die Durchführung von bi- und multilateralen Arbeitsberatungen. Diese Regelungen galten ausdrücklich nur für acht »Bruderorgane«. Rumänien gehörte nicht dazu.565 Insofern erscheint für diesen Zeitraum auch die Erinnerung Werner Großmanns plausibel, der 1986 als Nachfolger von Markus Wolf Chef der HV A wurde: er führt aus, dass sich die Leiter der kommunistischen Auslandsspionageapparate immer wieder zu gemeinsamen Absprachen trafen, an denen nur die Rumänen nicht teilnahmen.566 Ein anderes Beispiel sind die Reisen von MfS-Mitarbeitern nach Rumänien, die dort immer wieder Autos abholten und in die DDR überführten. Meistens handelte es sich hierbei um Autos von DDR-Bürgern, die bei einem Fluchtversuch festgenommen und mit dem Flugzeug in die DDR zurückgeführt worden waren. Mitarbeiter der MfS-Abteilung XIV chauffierten die Pkw wieder in die DDR. Ihre Ein- und Ausreise konnte das MfS zumindest bis 1967 direkt bei der Securitate ankündigen. In späteren Jahren musste das MfS die Rückführungsaktionen stets über das DDR-Außenministerium dem DDR-Konsul in Bukarest avisieren, der dann die betreffenden rumänischen Behörden informierte und alles Nötige veranlasste. Dagegen meldete das MfS vergleichbare Reisen seiner Mitarbeiter bei den befreundeten Geheimdiensten in der TschechosloHA IX, Nr. 608 und 2807 (1982); HA IX, Nr. 2808 (1983); HA IX, Nr. 3711 (1984, 1985); HA IX, Nr. 540 (1986); HA IX, Nr. 422 (1987); HA IX, Nr. 420 (1988). In diesen Jahresberichten gibt es jeweils ein kompaktes Kapitel über die internationale Zusammenarbeit. In der Dissertation von Ott und anderen (Anm. 561) wird auf S. 65 ebenfalls die fehlende Zusammenarbeit der Untersuchungsorgane beider Staaten festgestellt. Vgl. ebenso Schneider, Rolf-Dieter (Hauptmann, HA IX/9): Das Zusammenwirken der Linie Untersuchung des Ministeriums für Staatssicherheit und der Untersuchungsorgane der Bruderorgane sozialistischer Länder im erfolgreichen Kampf gegen den staatsfeindlichen Menschenhandel. Diplomarbeit. JHS.  Potsdam-Eiche 1986; BStU, MfS, HA IX, Nr. 515. Schneider untersucht in seiner Diplomarbeit ebenfalls die Zusammenarbeit der HA IX mit den Untersuchungsabteilungen der Geheimdienste der vorhin aufgezählten Länder. Das Fehlen Rumäniens in seiner Diplomarbeit begründet Schneider etwas verklausulierter, indem er einleitend (Bl. 8) schreibt, dass die Zusammenarbeit mit Rumänien auf diesem Gebiet »einige Besonderheiten aufweist«. 564 MfS, Stellvertreter des Ministers [Markus Wolf ], 16.1.1984: Dienstanweisung Nr. HV A 1/84 zur Regelung der Zusammenarbeit der HV A mit den Aufklärungsorganen der sozialistischen Bruderländer; BStU, MfS, HV A, Nr. 1200, Bl. 1–9. 565  Die Dienstanweisung galt für die Zusammenarbeit der HV A mit den Auslandsspionageabteilungen der Geheimdienste der Sowjetunion, Polens, der ČSSR, Ungarns, Bulgariens, Kubas, der Mongolei und Vietnams. Ebenda, Bl. 8 f. 566  Mündliche Auskunft Großmanns an Peter Veleff, zit. in: Veleff: Spionageziel Schweiz?, S. 35. Großmann lässt allerdings offen, seit wann die Securitate an den gemeinsamen Absprachen nicht mehr teilnahm.

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wakei, Ungarn und Bulgarien direkt an und verband sie mit der Bitte um Unterstützung.567 Nur in einer Notiz von 1986 benannte die MfS-Abteilung  X das Problem direkt. Damals sollten zwei MfS-Mitarbeiter in Rumänien einen dort hergestellten »ARO«-Geländewagen abholen. Den Geheimdiensten in der Tschechoslowakei und Ungarn wurde diese Dienstreise wie üblich avisiert, und sie wurden darum ersucht, die MfS-Kollegen an der Grenze nicht zu kontrollieren. Zugleich erhielten die MfS-Mitarbeiter den warnenden Hinweis, »dass eine Avisierung an der rumänischen Grenze nicht möglich ist«!568 Mehrfach finden sich in den Aktenbeständen des MfS Schreiben von verschiedenen MfS-Diensteinheiten an die Abteilung X, in denen vergeblich darum gebeten wird, Anfragen an die Securitate weiterzuleiten. Meistens ging es den anfragenden MfS-Offizieren darum, Informationen über einen rumänischen Staatsbürger oder Angaben über DDR-Bürger mit Verbindungen nach Rumänien zu erhalten. Zu den Aufgaben der Abteilung X gehörte es, solche Anfragen an den verbündeten Geheimdienst weiterzuleiten und die erhaltenen Antworten zu übermitteln. Bis in die erste Jahreshälfte 1966 funktionierte dieses Prinzip auch zwischen MfS und Securitate. Doch als die MfS-Verwaltung Berlin im Juli 1966 die Abteilung X bat, bei der Securitate Informationen über zwei Rumänienurlauber einzuholen, gab die Abteilung X erstmals zur Antwort, »dass Ermittlungen zzt. nicht möglich sind«569. Ob sich diese Situation in den folgenden Jahren nochmals änderte, lässt sich noch nicht mit letzter Sicherheit sagen. Doch zumindest ab den frühen 1970er-Jahren hatte sich dieser Zustand verfestigt. So hatte die MfS-Abteilung XXI 1970 Ermittlungen in einem Spionagefall wieder aufgenommen, den man 1959 noch gemeinsam mit der Securi567  Direkte Avisierungen von MfS-Mitarbeitern bei der Securitate, die im Juni 1963 und September 1967 nach Rumänien reisten, sind dokumentiert in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2106, Bl. 74 f., Abt. X, Nr. 2306, Bl. 13–15 und Abt. X, Nr. 2327, Bl. 63–65. Das Prozedere über den DDR-Konsul findet sich in Vermerken der Abteilung XIV aus den Jahren 1982 bis 1988. BStU, MfS, HA IX, Nr. 17353, Bl. 61–63, 70 f., 142–146, 177–180, 186 f., 199–201; ähnlich in: BStU, MfS, Abt. XIV, Nr. 1207, Bl. 147–150, 215–217, 290–293, 459, hierin auch Hinweise auf direkte Avisierungen bei den verbündeten Geheimdiensten der anderen Länder. 568 MfS, Abt. X: Notizen über eine Dienstreise, 15.–22.5.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 75, 78–81. 569  Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin, Abt. IX, 8.7.1966, Schreiben an Abt. X: Aufenthaltsüberprüfung in der Sozialistischen Republik Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1964, Bl. 27. Im April 1966 hatte die Abt. X eine ähnliche Rechercheanfrage der KD Oschatz noch etwas neutraler mit dem Satz beantwortet, »dass keine Ermittlungen eingeleitet werden«. Ebenda, Bl. 26. Ende 1966 konzipierte das MfS eine multilaterale Beratung, bei der es darum gehen sollte, Fahndungsmaßnahmen im grenzüberschreitenden Reiseverkehr zu intensivieren und mit den verbündeten Geheimdiensten zu koordinieren. Zu der Beratung sollten Vertreter aller verbündeten Geheimdienste eingeladen werden, mit Ausnahme der Rumänen. Darin drückte sich ebenfalls die schon damals manifeste Außenseiterposition der Securitate aus. MfS, Abt. X, 21.12.1966, Oberstleutnant Damm: Schreiben an den Leiter der HA Passkontrolle und Fahndung, Oberst Switalla, 21.12.1966; BStU, MfS, HA VI, Nr. 1431, Bl. 1 f.

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tate untersucht hatte, ohne damals zu einem Ergebnis zu gelangen. Nun sollte die Abteilung X bei der Securitate nachfragen, ob dort noch Interesse an diesem Fall bestehe. Doch die Abteilung X übermittelte den Kollegen der Abteilung XXI im Herbst 1972 lediglich die Information, dass »zzt. keine Koordinierung mit den rumänischen Genossen möglich ist« und »keine Möglichkeit besteht ..., mit den rumänischen Genossen in Kontakt zu kommen«.570 Für die folgenden Jahre finden sich solche Antworten regelmäßig in den MfS-Unterlagen. Noch 1987 schrieb ein MfS-Oberstleutnant aus Magdeburg die Abteilung X in Ostberlin an und bat darum, zu einer jungen Frau eine »Personenüberprüfung bei den rumänischen Sicherheitsorganen« durchführen zu lassen. Die Abteilung X antwortete darauf, wie in früheren Jahren, mit dem Satz, »dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Überprüfungen bei den Sicherheitsorganen der SRR möglich sind«.571 Weitere Erläuterungen gab sie nicht; selbst die regelmäßig gebrauchten Zeitangaben wie »gegenwärtig« oder »zur Zeit« wurden nicht spezifiziert. Nur in einer einzigen Akte findet sich bislang auch eine Begründung: Im Dezember 1986 hatte die »Zentrale Koordinierungsgruppe« (ZKG) des MfS auf 14 Seiten zusammengefasst, welche Aktivitäten die »Internationale Gesellschaft für Menschenrechte« (IGfM) seit 1977 im Zusammenhang mit Rumänien entwickelt hatte; die IGfM galt als besonders sozialismusfeindlich. Der Leiter der Abteilung 5 der ZKG, Oberstleutnant Armin Ullmann, hielt diese Erkenntnisse für so bedeutend, dass er den Vorschlag machte, sie auch der Securitate zu übergeben. Doch sein Vorgesetzter, Oberst Manfred Nothing, wies das zurück und teilte ihm mit: »mit den Rumänen gibt es keine Verbindung, ist auch zzt. nicht gewollt«.572 Offenbar waren zahlreiche MfS-Offiziere nicht über die 570  MfS, Abt. XXI, 13.11.1972: Abschlussinformation zum Op. Vorgang »Student«; BStU, MfS, HA II, Nr. 36086, Bl. 3. Die Abteilung XXI war 1960 aus der HA II (Spionageabwehr) herausgelöst und 1980 wieder eingegliedert worden. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Aufenthaltsorte von in den Westen geflüchteten MfS-Mitarbeitern zu ermitteln, auch im Hinblick auf deren mögliche Entführung in die DDR. Bei dem angesprochenen Spionagefall handelte es sich um den vermeintlichen Überläufer Mandache alias Baumann. Vgl. hierzu Kapitel 1.2.5.2. 571  Antwort der Abt. X an die BVfS Magdeburg, 28.8.1987; BStU, MfS Abt. X, Nr. 537, Bl. 22. Ähnliche Schreiben aus dem Jahr 1987 in: ebenda, Bl. 23–29; aus dem Jahr 1977 in: BStU, MfS, Abt. X, AP 15432/83, Bl. 62–65; aus dem Jahr 1979 in: BStU, MfS, BV Rostock, Abt. KuSch, Nr. 203, Bl. 138–140, 358 f.; aus dem Jahr 1980 in: BStU, BV Erfurt, AIM 168/85, Bd. I/1, Bl. 198; aus dem Jahr 1985 in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 17284, Bl. 6. 572  ZKG: Information über Aktivitäten der IGfM, insbesondere ihrer Arbeitsausschüsse »Bürgerrechtsbewegung und politische Gefangene in Rumänien« (AA Rumänien) und »Deutsche in Rumänien«, mit dem Ziel der Diskriminierung und Verleumdung der SR Rumänien, 4.12.1986, daran angeheftet die von Nothing, damals Stellvertreter des Leiters der ZKG, mit seiner Paraphe abgezeichnete Notiz über die nicht existierende Verbindung zur Securitate; BStU, MfS, AOP 6072/91, Bd. 36, Bl. 214–227. Vgl. in dieser Sache auch den Entwurf eines letztlich nicht abgeschickten Schreibens des Leiters der ZKG, Generalmajor Gerhard Niebling, an den Leiter der Abt. X, 4.12.1986; ebenda, Bl. 39. Zur dienstlichen Laufbahn Nothings und Ullmanns vgl. Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, S. 10–12. Die erwähnte Paraphe

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schlechten Beziehungen mit der Securitate im Bilde, was das eigentlich Bemerkenswerte an diesen Anfragen ist. Selbst ein Hauptabteilungsleiter im MfS verblüffte die Abteilung X 1987 mit seiner Bitte, Namenslisten an die »Bruderorgane der CSSR, VRB, UVR und SRR« zu senden.573 In einzelnen Fällen wandte sich das MfS umständehalber an den Generalstaatsanwalt der DDR, der wiederum den DDR-Konsul in Bukarest aufzufordern hatte, bei den »rumänischen Sicherheitsorganen« Auskünfte über eine bestimmte Person einzuholen.574 Dieser Weg diente insofern als Ersatz für die fehlenden Direktbeziehungen. Er verlangte allerdings vom MfS, das stets auf Geheimhaltung achtete, andere Institutionen in die eigene Arbeit einbeziehen zu müssen. 2.4.9 Außenseiter MfS: der geheimdienstliche Urlauberaustausch Das MfS verhielt sich auch beim geheimdienstlichen Urlauberaustausch sehr reserviert gegenüber Rumänien. Zwischen den sozialistischen Geheimdiensten war es zur Tradition geworden, jeden Sommer einigen Mitarbeitern aus den verbündeten Ländern Ferienplätze im jeweils eigenen Land bereitzustellen. Das rumänische Innenministerium beteiligte sich seit 1959 daran und nahm jährlich rund 100 Urlauber auf, die je zur Hälfte aus dem Geheimdienstapparat und den übrigen Abteilungen der Innenministerien entsandt wurden. In den Jahren 1966 bis 1969 halbierte das rumänische Innenministerium sein Kontingent und folgte damit einer Empfehlung des Sekretariats des Zentralkomitees der RKP. So erhielt das DDR-Innenministerium im Sommer 1968 in Rumänien noch Urlaubsplätze für vier Personen und das MfS noch für zwei. Ab 1970 wurden die Kapazitäten wieder deutlich erweitert. Doch das MfS klinkte sich aus diesem Austauschprogramm nun vollends aus. Während die übrigen sozialistischen lässt sich durch einen Schriftvergleich Oberst Nothing zuordnen. Vgl. seine Unterschrift in der Kaderakte Ullmanns; BStU, MfS, KS 29278/90, Bl. 118. – Im Herbst 1987 fertigte das MfS auch ausführlichere Dokumentationen über die IGfM an; jene über die IGfM-Aktivitäten zu Rumänien umfasste rund 160 Seiten. Aber auch diese Dokumentation wurde nicht an die Securitate übergeben. Dagegen erhielten die Geheimdienste Bulgariens, Ungarns und Polens vom MfS jeweils länderspezifische Dokumentationen über die IGfM. BStU, MfS, ZKG, Nr. 14063, insbes. Bl. 2, sowie ZKG, Nr. 14064. 573  MfS, HA VI, Leiter [Generalmajor Fiedler], 7.1.1987, an Abteilung X, Leiter, Genossen Generalmajor Damm: Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der VR Bulgarien, CSSR, Ungarischen VR und SR Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2126, Bl. 17. Die Verblüffung des zuständigen Mitarbeiters der Abteilung X drückte sich darin aus, dass die Worte »Bruderorgane« und »SRR« unterstrichen waren: Offenkundig passte beides nicht zusammen, die SRR war in dieser Aufzählung deplaziert. 574 Ein entsprechendes Vorgehen regte die HA IX/9 des MfS am 21.4.1983 in einem Schreiben an, da eine rumänische Staatsbürgerin bei der Einreise in die DDR unter dem Verdacht verhaftet wurde, »Personenschleusungen« vorzubereiten; sie hatte mehrere Reisepässe mit verschiedenen Identitäten bei sich. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 457, Bl. 169–172.

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Geheimdienste seit 1970 wieder mehr Mitarbeiter zum Urlaub nach Rumänien schickten, entsandte das MfS in diesem Rahmen keinen einzigen Mitarbeiter mehr. Anders verhielten sich das Innenministerium und das Verteidigungsministerium der DDR, die sich weiterhin am Urlauberaustausch mit Rumänien beteiligten.575 In dieser Angelegenheit nahm somit das MfS eine Außenseiterposition ein, die weder von seinen geheimdienstlichen Verbündeten noch von anderen DDR-Institutionen geteilt wurde. Weshalb sich das MfS so entschied, ist nicht ersichtlich. Überraschend ist dieser Befund insbesondere deshalb, weil der KGB, an dem sich das MfS üblicherweise orientierte, den Urlauberaustausch mit dem schwierigen rumänischen Verbündeten beibehielt. Das MfS führte den Urlauberaustausch in den 1970er- und 1980er-Jahren hingegen nur mit seinen zuverlässigeren Partnern fort.576 Eine Außenseiterrolle nahm Rumänien auch in den internen Regelungen über private Auslandsreisen für hauptamtliche MfS-Mitarbeiter ein. Ihnen war es in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre ausdrücklich verboten, Einzelreisen nach Rumänien zu unternehmen. Privatreisen in dieses Land waren ihnen nur im Rahmen organisierter Gruppenreisen gestattet, die das Reisebüro der DDR oder das FDJ-Reisebüro anboten. Für die übrigen verbündeten Länder in Europa galt diese Einschränkung nicht.577 2.4.10 Die sozialistischen Geheimdienste und der Top-Terrorist Carlos Ein Gebiet, auf dem eine Zusammenarbeit aller osteuropäischen Geheimdienste zu erwarten gewesen wäre, war der internationale Terrorismus, insbesondere der Fall des Top-Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos. In Westeuropa und im Nahen Osten beging er mit seinen Gefolgsleuten seit 1973 Mord­ anschläge, nahm Geiseln und legte Bomben. Bis zu seiner Verhaftung 1994 war er der meistgesuchte Terrorist der Welt. Wie man inzwischen weiß, hielten sich 575  Siehe hierzu Schriftverkehr und Statistiken in: ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 59, Bl. 1–6, 10, 16 f., 37, 45 f., 56, 63–66, 71–73, 82, 118, 130–132, 164–170, 179–188; D 13353, vol. 20, Bl. 37, 48 u. ö.; D 13353, vol. 34, Bl. 37–39 u. ö. Die Statistiken reichen bis 1973. Wie sich der multilaterale Urlauberaustausch später gestaltete, ist daher nicht ersichtlich. In den MfS-Akten gibt es keine Hinweise auf Urlauberaustausch mit der Securitate. 576  Abmachungen des MfS mit den Geheimdiensten Polens, der ČSSR, Ungarns und Bulgariens aus den 1970er- und 1980er-Jahren zum Urlauberaustausch sind vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nrn. 201 und 202. 577  MfS, Minister, 5.7.1985: Ordnung Nr. 13/85 über private Reisen von Angehörigen und Zivilbeschäftigten des MfS in das sozialistische Ausland – Auslandsreiseordnung (Privatreisen); BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 8428, Bl. 1–11, hier 6. Ob die Sonderregelung für Einzelreisen nach Rumänien erst mit der Ordnung Nr. 13/85 eingeführt wurde, oder ob diese Ordnung eine bereits bestehende Praxis festschrieb, geht aus den Vorgängerregelungen nicht eindeutig hervor.

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Carlos und seine Gefolgsleute zwischen 1979 und 1983/84 überwiegend in den europäischen sozialistischen Ländern auf. Er gab sich als antiwestlicher und antizionistischer revolutionärer Kämpfer, doch der Publizist Oliver Schröm beschreibt ihn zutreffend als Auftragskiller und Waffenhändler, der außerdem ganz persönliche Ziele mit seinen Handlungen verfolgte. Nachdem der irakische Geheimdienst ihm Probleme bereitete, verließ er im Januar 1979 Bagdad, um in Budapest sein neues Basislager einzurichten und von dort aus Terroraktionen zu planen und in die Wege zu leiten. Auch mit den Geheimdiensten der DDR, der Tschechoslowakei, Bulgariens und Jugoslawiens trat er in Verbindung und hielt sich zeitweilig in diesen Staaten auf.578 Ostberlin diente ihm seit März 1979 – wenn auch nur kurzzeitig – als ein »logistisches Zentrum«, wie es in einem MfS-Bericht an Erich Mielke hieß.579 Den rumänischen Behörden misstraute er anfangs, da das Land als einziges innerhalb des Warschauer Pakts diplomatische Beziehungen zu Israel unterhielt. Er befürchtete, dort in die Fänge des israelischen Geheimdienstes Mossad zu geraten. Doch auf Vermittlung des PLO-Vertreters in Bukarest kam es am 15. August 1979 in Prag zu einem ersten Treffen zwischen Carlos und rumänischen Unterhändlern – den Securitate-Offizieren Sergiu Nica und Ion Deaconescu. Sie zerstreuten seine Vorbehalte gegenüber Rumänien und boten ihm finanzielle und logistische Hilfe für seine Aktionen an.580 578  Umfassend hierzu Schröm: Im Schatten des Schakals. Zu den Verbindungen Carlos’ zu den osteuropäischen Geheimdiensten siehe ebenda, S. 185–276. Vgl. auch die Erinnerungen von Carlos’ Ehefrau Magdalena Kopp: Die Terrorjahre; darin zu den Aufenthalten in Rumänien insbes. S. 132–141, 207–211. In rumänischer Sprache und auf der Grundlage zusätzlicher Akten und Recherchen siehe Tofan: Șacalul Securităţii. Tofan hinterfragt durchaus plausibel einige Aussagen Schröms; so bezweifelt Tofan, S. 135 f., dass Carlos von Rumänien eine Million Dollar erhalten habe, denn es erscheine unwahrscheinlich, dass Ceaușescu eine solche Summe bewilligt habe, von der indes Schröm, S. 220 f., schreibt. 579  MfS, 11.4.1979: Information zu politischen Sicherheitsrisiken für die DDR, die sich ergeben aus dem Aufenthalt und den festgestellten Aktivitäten des hinlänglich bekannten und beim Gegner in Festnahme-Fahndung stehenden »internationalen Terroristen« »Carlos« in der Hauptstadt Berlin [und] verstärkten Bestrebungen von Kräften arabischer Staaten im Zusammenwirken mit der palästinensischen Befreiungsbewegung, Gewaltakte in der BRD/WB u. a. westlichen Staaten zu organisieren; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 1, Bl. 16–21. Unter dieser Archivsignatur ist der OV »Separat« abgelegt, in dem das MfS seine Informationen über Carlos zusammenführte. 580  MfS, Abteilung XXII, 28.8.1979: Operativ-Information; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 1, Bl. 109 f. MfS, Abteilung XXII/1, 15.11.1979: Sachstandsbericht zur bisherigen Bearbeitung der »Carlos«-Gruppierung; ebenda, Bl. 150. MfS, 10.1.1980: Bericht über politisch-operative Erkenntnisse zur Herausbildung, Stellung, ideologischen Positionen, Plänen und Absichten, Mitgliedern, Verbindungen der »Carlos«-Gruppierung und der sich daraus ergebenden Gefahren und Sicherheitsrisiken für die DDR und die anderen sozialistischen Staaten; BStU, MfS, HA XXII, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 231–275, hier 245. Ähnlich in dem zeitgleich angelegten, umfangreichen Dossier über Carlos: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 19953, Bl. 3 ff., hier 14 f. Siehe auch Tofan: Șacalul Securităţii, S. 23–25; demnach trat Nica in Prag unter dem Namen An-

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Die osteuropäischen Geheimdienste hegten Sympathien für Carlos, da man den Westen als gemeinsamen Gegner hatte. Zugleich störte sie sein unberechenbares und unbeherrschtes Wesen, weil es den Regeln der Konspiration zuwiderlief. Denn die betreffenden kommunistischen Länder fürchteten einen internationalen Prestigeverlust, falls bekannt würde, dass sie Carlos unterstützten. Tatsächlich verdichteten sich im Westen bald die Hinweise auf seinen Aufenthalt in den sozialistischen Ländern.581 Trotzdem ließen ihn die osteuropäischen Geheimdienste zunächst gewähren und unterstützten ihn logistisch, anstatt ihn zu verhaften, genau wissend, dass er ohne sie in seinen Handlungsmöglichkeiten ganz erheblich eingeschränkt wäre.582 Damit duldeten sie nicht nur, sondern förderten faktisch die blutigen Anschläge, die die Carlos-Komplizen insbesondere in den Jahren 1982 bis 1984 in Frankreich sowie auf französische Einrichtungen in anderen Ländern verübten; darunter das Bombenattentat auf das Westberliner »Maison de France« am 25. August 1983, bei dem ein Mensch ums Leben kam.583 Sie machten sich somit zu Mittätern seiner Terrorakte. Allein die Securitate ging noch einen Schritt weiter. Als einziger der osteuropäischen Geheimdienste bediente sie sich aktiv der Terrorgruppe und erteilte ihr Aufträge. Der Leiter der rumänischen Auslandsspionage DIE, General Nicolae Pleșiţă, empfing Carlos im Oktober 1980 aus diesem Grund persönlich zu einem Gespräch. Die Securitate beauftragte Carlos unter anderem mit einem Bombendrei Niţescu auf. Nica war damals Abteilungsleiter in der Spezialeinheit für Terrorbekämpfung (USLA, U.M. 0620) der Securitate. 1981 betraute ihn Auslandsspionagechef Nicolae Pleșiţă mit der Leitung der Abteilung U.M. 0544/R, die 1979 in Reaktion auf die Flucht Pacepas gegründet wurde. Ihre Aufgabe bestand u. a. darin, geflüchtete Rumänen »zurückzuholen«, aber auch Proteste rumänischer Emigranten etwa bei Auslandsreisen Ceaușescus zu verhindern. Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 56–58. 581  Das Bundeskriminalamt bekam vom israelischen Geheimdienst Mossad schon 1979 den Hinweis, dass Carlos sich in der DDR aufhalte. In den Folgejahren erhielten die bundesdeutschen Behörden weitere solche Informationen. Siehe Wunschik: Gleiche Gegner, verwandte Methoden, unterschiedliche Strategien, S.  390–394. Im September 1985 schrieb die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der DDR an das DDR-Außenministerium und teilte mit, der Bundesregierung lägen Informationen über einen Aufenthalt von Carlos und anderen Terroristen in der DDR vor und sie bitte um Einleitung entsprechender Maßnahmen sowie um Informationsaustausch. Ähnlich wurden französische Diplomaten in Ungarn vorstellig; [MfS], November 1986: Sachstandsbericht zum aktuellen Stand der operativen Bearbeitung des Vorganges »Separat«; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 5, Bl. 67–77, hier 75 f. 582  MfS, Abt. XXII/8, 7.5.1984: Sachstandsbericht zum Stand der Bearbeitung des OV »Separat«; ebenda, Bd. 4, Bl. 78. 583 Schröm: Im Schatten des Schakals, S.  223–271. Zu Maßnahmen des ungarischen Geheimdienstes bereits aus dem Jahre 1979, Carlos diskret wieder loszuwerden siehe ebenda, S. 187, 195–200. Der MfS-Offizier Helmut Voigt wurde 1994 vom Landgericht Berlin zu einer 4-jährigen Haftstrafe verurteilt, weil er dem Carlos-Komplizen Johannes Weinrich den Sprengstoff zukommen ließ, mit dem Weinrich das Attentat in Westberlin verübte. Weinrich selbst wurde im Jahr 2000 vom selben Gericht wegen dieses Attentats zu lebenslanger Haft verurteilt. Vgl. Schißau: Strafverfahren wegen MfS-Unrechts, S. 157, 320 f.

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anschlag auf das Gebäude des Senders »Radio Free Europe« in München. Tatsächlich führte die Carlos-Gruppe diesen Anschlag am 21. Februar 1981 aus, bei dem acht Menschen schwer verletzt wurden und Sachschaden von rund vier Millionen D-Mark enstand. Da sie die Anschläge von Budapest aus vorbereitete, erfuhr der ungarische Geheimdienst schon vorab davon und informierte darüber umgehend auch den KGB.584 In einer Beratung mit dem MfS zwei Monate nach dem Attenat legte der ungarische Oberstleuntant József Varga die Erkenntnisse seines Geheimdienstes dar, wonach die Securitate die Carlos-Gruppe damit beauftragt habe, das Attentat in München durchzuführen sowie Briefbombenattentate auf rumänische Exilanten zu verüben. Die Carlos-Gruppe habe von den Rumänen im Gegenzug unter anderem Waffen und gefälschte Reisedokumente erhalten.585 Der rumänische Journalist und Historiker Liviu Tofan belegt anhand mehrerer Quellen, dass die Securitate den Auftrag zum Anschlag auf den Radiosender gegeben hatte.586 Dass die Securitate die Carlos-Gruppe auch explizit beauftragt hatte, Briefbombenattentate auszuführen, hält Tofan zumindest für sehr wahrscheinlich, aber nicht eindeutig für erwiesen. Am 3./4. Februar 1981 hatten der Schriftsteller und Dissident Paul Goma, der frühere Minister Nicolae Penescu, die beide in Paris lebten, sowie der in Köln ansässige Publizist Șerban Orescu Postsendungen mit Sprengsätzen erhalten, die Penescu und Orescu schwer verletzten.587 Die sozialistischen Geheimdienste tauschten sich seit 1979, als Carlos und seine Gefolgsleute erstmals in Prag, Ostberlin und Budapest einreisten, intensiv über ihr Vorgehen gegenüber dieser Terrorgruppe aus. Sie behandelten sie zunächst entgegenkommend und zielten darauf ab, möglichst viele Einzelheiten über diese Gruppe zu erfahren, sie von Anschlägen innerhalb des Ostblocks ab584  Schröm: Im Schatten des Schakals, S. 212–221; Tofan: Șacalul Securităţii, S. 14, 21 f., 41, 134 f. u. ö. 585  MfS, Abteilung XXII, 28.4.1981: Bericht über die Konsultationen mit den Sicherheitsorganen der Ungarischen Volksrepublik zum Vorgang »Separat«; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 2, Bl. 144–149, hier 145 f. Varga war der Verbindungsoffizier zur Carlos-Gruppe. 586  Tofan: Șacalul Securităţii, S. 109–121, 134 f., 204 f. Tofan druckt neben anderen Dokumenten das Faksimile eines Kurzberichts des rumänischen Auslandsgeheimdienstes von Anfang 1990 ab. Daraus geht die Auftraggeberschaft der Securitate für den von der Carlos-Gruppe verübten Anschlag auf RFE direkt hervor. Ebenda, S.  204  f. Aus diesem Kurzbericht zitiert auch Wilhelm Dietl in seinem Artikel »Die Killerbrigade des Karpaten-Diktators«. In: Focus (1997) 49, 1.12.1997, S. 116–121, im Internet unter http://www.focus.de/politik/deutschland/ terrorismus-die-killerbrigade-des-karpaten-diktators_aid_167297.html (Stand: 9.6.2016). 587  Ebenda, S. 53–55, 135. Die Briefbombenattentate führte wahrscheinlich ein mit Carlos kooperierender ETA-Terrorist durch. Ein Bezug zu Spanien ergab sich insofern, als Goma, Penescu und Orescu im November 1980 in Madrid eine Pressekonferenz veranstalteten und auf die Menschenrechtsverletzungen in Rumänien hinwiesen. Sie nutzten damals die öffentliche Aufmerksamkeit, weil zur gleichen Zeit in der spanischen Hauptstadt die KSZE-Nachfolgekonferenz stattfand.

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zuhalten und ihre Präsenz gegenüber dem Westen zu verheimlichen. Später ging es ihnen dann darum, die Gruppe diskret wieder loszuwerden, ohne sie sich zum Gegner zu machen. Bis 1983/84 war ihnen dies weitgehend gelungen, als Carlos sein »Hauptquartier« nach Damaskus verlegte. Der elfbändige Operativvorgang »Separat«, in dem das MfS seine Informationen über Carlos zusammenführte, enthält zahlreiche Hinweise und Dokumente auf die Absprachen der verbündeten sozialistischen Geheimdienste.588 Lediglich für eine Zusammenarbeit mit Rumänien findet sich in den MfS-Akten kein einziger Hinweis.589 Angesichts der Brisanz des Falles hätte es durchaus nahegelegen, dass sich die Geheimdienste aller osteuropäischen Länder über ein abgestimmtes Vorgehen im Fall Carlos verständigt hätten. Gewiss ist nicht auszuschließen, dass es in dieser Sache beispielsweise einen bilateralen Austausch zwischen sowjetischen und rumänischen Dienststellen gab, der sich in den bislang zugänglichen Akten in Berlin und Bukarest nicht niedergeschlagen hat.590 Für das MfS stellte Rumäniens Haltung gegenüber Carlos jedoch ein Problem dar. Der stellvertretende Stasi-Minister Gerhard Neiber, der im MfS für den Umgang mit Carlos verantwortlich war, schrieb diesbezüglich am 11. September 1980 an Mielke: Mielke möge sich beim KGB für eine multilaterale Beratung einsetzen, und der KGB solle dann das gemeinsame Vorgehen der »sozialistischen Bruderorgane« koordinieren. Neiber bezog Rumänien hierin nicht mit ein. Denn, wie er weiter schrieb, solle ein Ziel des koordinierten Vorgehens darin bestehen zu verhindern, »dass ›Carlos‹ sich gezwungen sieht, die Angebote zum Aufenthalt in Rumänien oder Jugoslawien anzunehmen«.591 In diesem Satz 588  Neben dem OV »Separat« (wie Anm. 579) siehe auch BStU, MfS, HA XXII, Nr. 11, Bd. 2, Bl. 88–97, 231–286; HA XXII, Nr. 284, Bd. 4, Bl. 1–69; HA XXII, Nr. 5203, Bl. 29; HA XXII, Nr. 5537, Bd. 3, Bl. 46–133; HA XXII, Nr. 19465, Bl. 38–58, 87–89, 97–104, 121– 132; HA XXII, Nr. 19658, Bl. 3–13; HA XXII, Nr. 19664. In die Absprachen war neben den Geheimdiensten der Sowjetunion, Polens, der DDR, der Tschechoslowakei, Ungarns und Bulgariens auch der kubanische einbezogen. Zu Carlos’ Weggang nach Damaskus vgl. Schröm: Im Schatten des Schakals, S. 221 f., 266, 274 f. u. ö. 589  Weder der OV »Separat« (wie Anm. 579) noch andere MfS-Dokumente zu dieser Thematik enthalten Hinweise auf eine Kooperation der Securitate mit den anderen sozialistischen Geheimdiensten. Auch Schröm und Tofan sind bei ihren Recherchen in rumänischen und anderen Archiven auf keine Hinweise einer Kooperation zwischen der Securitate und anderen sozialistischen Geheimdiensten in dieser Sache gestoßen. Ausdrücklich hierzu Tofan: Șacalul Securităţii, S. 103. 590  Die Securitate erhielt am 13.11.1976 vom KGB »zur operativen Nutzung« eine umfassende, 122 Seiten umfassende Übersicht mit Informationen über terroristische Gruppen weltweit. ACNSAS, fond documentar, D 10782, vol. 14, Bl. 55–59. In den bislang eingesehenen Securitate-Akten ließ sich ein Informationsaustausch in dieser Sache zu späterer Zeit bislang nicht feststellen. Nach fortgeschrittener Aktenerschließung im Archiv des CNSAS wird aber eine erneute Recherche angebracht sein. 591  Stellvertreter des Ministers [Neiber], 11.9.1980, Schreiben an Mielke; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 1, Bl. 294. Was Jugoslawien betrifft, so lagen dem ungarischen Geheimdienst noch 1986 Hinweise auf »feste Beziehungen« zwischen dem dortigen Sicherheitsdienst und der

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ist implizit die Aussage enthalten, dass es den übrigen sozialistischen Geheimdiensten nicht möglich sei, das Verhalten Rumäniens und Jugoslawiens gegenüber Carlos zu beeinflussen. Carlos hielt sich vor allem 1982 und im ersten Halbjahr 1983 über längere Zeiträume hinweg in Rumänien auf und verlagerte auch Waffen und Ausrüstungsgegenstände dorthin. Während die anderen Ostblockstaaten ihn damals in seinen Bewegungsmöglichkeiten einschränkten und er seine Basis im Libanon infolge des Libanonkriegs verloren hatte, kam ihm die Hilfe Rumäniens nun gelegen. Allerdings missfiel ihm in Rumänien die »intensive umfassende Kontrolle durch die rumänischen Sicherheitsorgane, sodass sich Gruppenmitglieder und Verbindungspersonen kaum unkontrolliert bewegen können«, wie das MfS schon bald herausfand. Die strenge Überwachung in Rumänien, so die Vermutung des MfS, habe Carlos dazu bewogen, in der zweiten Jahreshälfte 1983 seine Hauptoperationsbasis nach Damaskus zu verlegen. Er oder seine Gefolgsleute reisten zu Kurz- oder Transitreisen aber weiterhin in die Ostblockstaaten ein.592 Die Securitate ging ihrerseits seit Ende 1984 allmählich auf Distanz zu Carlos. Der ungarische Geheimdienst brachte die veränderte Haltung Rumäniens mit bestimmten Maßnahmen der deutschen Bundesregierung in Zusammenhang. Diese hatte im November 1984 fünf rumänische Diplomaten ausgewiesen, denen sie Mordanschläge und Entführungsversuche an rumänischen Emigranten vorwarf.593 Liviu Tofan hingegen führt die rumänische Distanzierung von Carlos auf die Abberufung Nicolae Pleșiţăs vom Posten des Chefs der Auslandsspionage im Dezember 1984 zurück.594 Ob es noch weitere Gründe für die rumänische Führung gab, ihr Verhalten gegenüber Carlos zu ändern, ist angesichts der dürftigen rumänischen Aktenlage in dieser Sache nicht ersichtlich. Dass die anderen sozialistischen Geheimdienste auf die rumänische Haltung Einfluss genommen hätten, ist in den MfS-Akten an keiner Stelle belegt. Anstatt Carlos-Gruppe vor, die weiterhin ein Haus in Belgrad zur Verfügung hatte und Waffentransporte durch das Land gestattet bekam. [MfS:] Sachstandsbericht zum aktuellen Stand der operativen Bearbeitung des Vorgangs »Separat«, November 1986; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 5, Bl. 67–77, hier 74. 592  [MfS,] 11.5.1982: Information über den aktuellen Stand der Aufklärung, operativen Kontrolle und Bearbeitung der Gruppe »Separat«; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 3, Bl. 62– 66. MfS, Abt. XXII, 24.9.1982: Operative Erkenntnisse zur »Carlos«-Gruppe; ebenda, Bl. 151– 157, hierin Bl. 153 das Zitat über die umfassende Kontrolle seitens der Securitate. MfS, Abt. XXII/8, 29.11.1983: Bericht über die aktuelle Situation in der Gruppe »Separat«; ebenda, Bl.  265–269. MfS, Abt. XXII, 8.5.1984: Vorgehensweise bei der weiteren Bearbeitung der Gruppe »Separat«; ebenda, Bd. 4, Bl. 113–119. Vgl. auch Tofan: Șacalul Securităţii, S. 77–79, 84; Schröm: Im Schatten des Schakals, S. 235, 254. 593  [MfS,] November 1986: Sachstandsbericht zum aktuellen Stand der Bearbeitung des Vorganges »Separat«; BStU, MfS, AOP 17463/91, Bd. 5, Bl. 67–77, hier 74. Zur Ausweisung der Diplomaten siehe unten, S. 496. 594  Tofan: Șacalul Securităţii, S. 92.

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dessen wird gerade die Nicht-Kooperation thematisiert. Als sich die Geheimdienste der Sowjetunion, der DDR, Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Bulgariens, Kubas und Vietnams im November 1987 im bulgarischen Varna zu einer Beratung über »Probleme der Bekämpfung des Terrorismus« trafen, kam das Problem »Carlos« zwar nur noch am Rande vor. Ausdrücklich sprachen die bulgarischen Geheimdienstvertreter aber die rumänische Sonderrolle an. Es sei »unnormal«, erklärten sie gegenüber der MfS-Delegation, die von Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber geleitet wurde, dass man mit Rumänien zwar eine lange, gemeinsame Grenze habe, aber »noch keine Beziehungen« auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung. Indes beabsichtige man, »die Beziehungen zur SR Rumänien zu aktivieren und in Hinsicht auf die Terrorbekämpfung Kontakte mit Griechenland, der SFR Jugoslawien, Österreich, Syrien und Zypern aufzunehmen«. Dabei sollten sich die Kontakte auf konkrete, einzelne Vorgänge beschränken. Bezogen auf Griechenland, Jugoslawien und Österreich gebe es bereits positive Anzeichen.595 Ob die angestrebten Arbeitskontakte mit Rumänien schließlich hergestellt werden konnten, ist aus den vorliegenden Dokumenten nicht ersichtlich. Es gibt keine positiven Hinweise darauf. 2.4.11 Fluchthilfe und Schmuggel: die (Parallel-)Vorgänge »Emigrant« und »Detectivul« Im Herbst 1973 hatte das MfS noch mit rumänischer Unterstützung Fluchthelfer verfolgt, die DDR-Bürger über das südosteuropäische Land ausschleusten. Zehn Jahre später kam in einem ähnlich gelagerten und gut dokumentierten Fall keine Kooperation mehr zustande. Das Besondere an der nachfolgenden Fallstudie besteht darin, dass hier zu einem Sachverhalt und denselben Personen sowohl Akten vom MfS als auch von der Securitate überliefert sind. Sie bestätigen letztlich die Außenseiterrolle der Securitate. Im August 1984 eröffnete das MfS den Vorgang »Emigrant«.596 Er richtete sich gegen mehrere Personen, die Fluchthilfe, Antiquitätenschmuggel sowie Schwarzhandel mit Elektronikartikeln und Anderem betrieben. Dieser Perso595  MfS, Dezember 1987: Multilaterale Beratung der Bruderorgane zu Problemen der Bekämpfung des Terrorismus vom 24.–27. November 1987 in Varna/VR Bulgarien; BStU, MfS, HA XXII, Nr. 5537, Bd. 3, Bl. 14, 36 f. Vgl. auch das Referat des bulgarischen Delegationsleiters bei dieser Beratung, in der er ebenfalls die Absicht verkündete, »die Beziehungen zur SRR zu aktivieren« sowie Kontakte zu weiteren Ländern wie den oben genannten aufzunehmen. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14714, Bl. 97 f. 596  BStU, MfS, AOP 14806/89. Der Vorgang, der bis 1989 auf fünf Bände anwuchs, wurde von der MfS-Hauptabteilung VI/1 geführt. In die Akten flossen auch Ermittlungsergebnisse gegen den betreffenden Personenkreis aus dem Jahre 1983 ein, unter anderem OV »Sepp«. BStU, MfS, BV Frankfurt, AOP 1438/84.

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nenkreis verhalf vor allem rumänischen Staatsbürgern über Ungarn und Österreich zur Flucht in den Westen. In umgekehrte Richtung wurden Waren illegal nach Ungarn gebracht und dort auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die MfS-Akten vermerken ferner die verbotene Ausfuhr von Kunstgegenständen aus Rumänien in die Bundesrepublik. Die Gruppe setzte für ihre Aktionen nach Erkenntnissen des MfS präparierte Lastkraftwagen ein.597 Das MfS war 1983 auf sie aufmerksam geworden, als inoffizielle Mitarbeiter aus der DDR darüber berichteten, dass diese Gruppe eventuell auch DDR-Bürger in den Westen ausschleusen könnte und Namen potenzieller Flüchtlinge nannten. Vom tschechoslowakischen Geheimdienst erhielt das MfS 1983 ebenfalls derartige Hinweise.598 Das MfS sah sich deshalb zum Handeln veranlasst und führte fünf Jahre lang Ermittlungen durch. Erst am 27. November 1989 beendete es den Vorgang »Emigrant«. Der zuständige MfS-Referatsleiter Wolfgang Grünert vermerkte in seinem Abschlussbericht, die Gruppe habe zwar rumänische Staatsbürger ausgeschleust sowie Waren geschmuggelt, aber »die Ausschleusung von Bürgern der DDR« habe »nicht eindeutig bewiesen werden« können.599 Das MfS arbeitete im Rahmen dieses Vorgangs eng mit den Geheimpolizeien Ungarns, der Tschechoslowakei und Bulgariens zusammen. Deren Informationsaustausch und zahlreiche Absprachen sind in der Akte ausführlich dokumentiert; der tschechoslowakische Geheimdienst führte parallel zum MfS-Vorgang »Emigrant« die Akte »Nákupčí« (vom MfS als »Einkäufer« übersetzt) über den gleichen Personenkreis.600 Nur mit den Rumänen gab es, den Akten zufolge, 597  Siehe den Eröffnungsbericht der MfS-Hauptabteilung VI/1 zum OV »Emigrant« vom 25.7.1984 und den Abschlussbericht vom 27.11.1989, sowie mehrere Zwischenberichte und Sachstandsinformationen insbesondere aus den Jahren 1984 und 1985, in: BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd.  1, Bl.  9–14, 64  f., 105–111, 144–148, 162  f,. 184–186, 223–225, 243–248; Bd. 4, Bl. 166–169, 174 f., 211 f.; Bd. 5, Bl. 180–184. Siehe ferner die in Anm. 600 bezeichneten Belegstellen mit weiteren Angaben zu den Aktivitäten des observierten Personenkreises. Die Funkaufklärung des MfS hatte über einen ihrer Abhörstützpunkte Kenntnis von der Flucht dreier Rumäniendeutscher aus dem Dorf Saderlach (Zădăreni, Kreis Arad) erlangt. Die drei namentlich Genannten waren demnach zum Jahreswechsel 1982/83 von Ungarn aus mit einem Lkw nach Österreich ausgeschleust worden. Ob dies von derselben Fluchthelfergruppe organisiert wurde, bleibt offen. Vgl. [MfS, HA III:] »Schleusung« von rumänischen Staatsbürgern durch einen ungarischen Lkw-Fahrer nach Österreich; BStU, MfS, HA II, Nr. 43260, Bl. 37 f. sowie ergänzend hierzu BStU, MfS, ZKG, Nr. 893, Bl. 15–19. 598  BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd. 1, Bl. 10, 112–116; Bd. 4, Bl. 103–106, 111–115. Der erste Hinweis seitens des ČSSR-Geheimdienstes an das MfS in dieser Angelegenheit datierte vom 31.5.1983. Siehe BStU, MfS, Abt. X, Bl. 22–27. 599  MfS, HA VI/1, 27.11.1989: Abschlussbericht zum Operativen Vorgang »Emigrant«, Reg.-Nr.: XV/4166/84; BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd. 1, Bl. 243–248, hier 248. 600  BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd.  1, Bl.  25–27, 37, 46  f., 66–101, 142  f., 149–156, 178, 200, 213–215, 226–231, 234, 238 f.; Bd. 2, Bl. 102–107, 114–119, 141–146, 168; Bd. 4, Bl.  152  f., 174  f., 289–291. Die Blattangaben aus Bd.  2 beinhalten im Wesentlichen Daten des IM »Lilie«, eines IM des bulgarischen Sicherheitsdienstes, der sich 1987 als Stipendiat des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht mehrere Monate lang

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keinerlei Zusammenarbeit in diesem Vorgang. Dabei hätte das nahegelegen – nicht nur, weil die Gruppe »Emigrant« in Rumänien besonders aktiv war, sondern auch, weil ihre beiden Hauptpersonen Rumäniendeutsche waren: ein Siebenbürger Sachse und ein Banater Schwabe, die beide schon längere Zeit in der Bundesrepublik lebten.601 Das MfS sammelte Daten über sie, sandte eigene IM an ihre Wohnorte und erhielt Hinweise von den Kollegen der drei genannten Länder. Einige Helfer der Gruppe wurden 1984 in einer gemeinsamen Aktion des MfS mit den ungarischen und tschechoslowakischen Geheimpolizeien in Ungarn verhaftet und dort 1985 zu Haftstrafen verurteilt.602 In diesem Zusammenhang teilte der ungarische Untersuchungsführer Urban seinem MfS-Kollegen Klaus-Dieter Dähne mit, dass es »keinerlei Kontakte zu den Sicherheitsorganen der SRR« gebe.603 Diese Auskunft kann durchaus zutreffend sein, da es seit Mitte der 1970er-Jahre keine nennenswerte Zusammenarbeit mehr zwischen den Staatssicherheitsdiensten Ungarns und Rumäniens gab.604 Sie beinhaltet aber auch einen anderen Aspekt: Wenn damals die Frage im Raum stand, ob die ungarische Staatssicherheit in dem konkreten Vorgang mit der Securitate in Verbindung gestanden habe, so heißt das, dass das MfS die Möglichkeit einer fallbezogenen Kooperation nicht grundsätzlich ausgeschlossen hatte – sie lag theoretisch im Bereich des Möglichen. Doch auch die rumänische Aktenüberlieferung lässt diese Möglichkeit im konkreten Fall als unwahrscheinlich erscheinen. Denn über die beiden Hauptpersonen des Vorgangs »Emigrant« hatte die Securitate bereits seit den frühen 1970er-Jahren Akten geführt, als sie schon dort wegen illegalen Handels aufin München aufhielt, und den das MfS für Observierungen einsetzen konnte. Siehe auch BStU, MfS, Abt. X, Nr. 223, Bl. 18–210, darin umfangreicher Schriftverkehr des MfS mit den »Bruderorganen« aus der ČSSR, Ungarn und Bulgarien zwischen Mai 1983 und August 1989 in dieser Angelegenheit. 601  BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd. 1, Bl. 243–248; Bd. 2, Bl. 2–239; Bd. 3, Bl. 2–220. Die Bände 2 und 3 führte das MfS als Handakten zu den beiden Rumäniendeutschen. Parallel zum OV »Emigrant« führte das MfS die Operative Personenkontolle »Roman« über einen aus Rumänien stammenden Antiquitätenhändler. »Roman« stand mit einer Person des Vorgangs »Emigrant« in Verbindung und wurde vom MfS wegen ähnlich gelagerter Aktivitäten überwacht. Obwohl »Roman« noch Kontakt zu Verwandten in Rumänien unterhielt, erkundigte sich das MfS lediglich bei den Geheimdiensten der ČSSR, Ungarns und Bulgariens nach Informationen über »Roman«, nicht aber beim Geheimdienst Rumäniens. BStU, MfS, AOPK 7080/91, Bl. 1, 37–40, 98, 100, 119. 602  BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd. 1, Bl. 28, 35, 187–190, 192 f., 207–212; Bd. 3, Bl. 44, 154 f.; Bd. 4, Bl. 170–173, 194–199, 229–232, 289. 603 MfS, HA IX/10, 21.5.1984: Information zu in der Untersuchungsabteilung Budapest bearbeiteten Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder einer kriminellen Menschenhändlerbande; BStU, MfS, AOP 14806/89, Bd. 4, Bl. 170–173, hier 173. 604  Die Zusammenarbeit zwischen den Staatssicherheitsdiensten Ungarns und Rumäniens war schon seit Mitte der 1960er-Jahre in weiten Teilen zum Erliegen gekommen und »setzte [ab 1975] ... praktisch aus«. Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«, S. 21, 25.

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fielen. Beide waren wegen entsprechender Delikte in Rumänien bereits verurteilt worden.605 Einer der beiden Rumäniendeutschen kehrte bald nach seiner Auswanderung in die Bundesrepublik wieder besuchsweise nach Rumänien zurück. Mindestens drei Securitate-Diensteinheiten befassten sich daraufhin mit ihm: Die Kreisverwaltung der Securitate in Arad führte über ihn den Operativen Vorgang »Konstantin«. Im Abschlussbericht dieses Vorgangs im September 1982 hieß es unter anderem, der Betreffende habe Kulturgüter aus Rumänien aus- und Handelswaren zu Spekulationszwecken eingeführt sowie Mitarbeiter des Zolls und des Innenministeriums an den Grenzübergängen korrumpiert.606 Auch der Auslandsgeheimdienst der Securitate führte über ihn eine Akte und belegte ihn unter anderem mit den Decknamen »Detectivul« und »Karl«. Die rumänischen Sicherheitsbehörden erhielten demnach 1972/73 schriftliche Berichte von ihm, und mindestens einmal quittierte er den Empfang von 100 Lei von den »Milizorganen«. 1974 forderte der Auslandsgeheimdienst die Kreisverwaltung der Securitate in Alba Iulia (Karlsburg) auf, den Kontakt zu »Detectivul« abzubrechen, da es sich um einen unseriösen, abenteuerlichen Wichtigtuer handele, der womöglich von westlichen Stellen nach Rumänien geschickt worden sei.607 1981 verzeichnete der Auslandsgeheimdienst namentlich mindestens vier korrupte, rumänische Grenzoffiziere, die »Detectivul« geholfen haben sollen, Wertgegenstände aus dem Land zu schaffen. Das Einreiseverbot, das die Securitate gegen »Detectivul« Ende der 1970er-Jahre erwirkte, schien ihn und seine Gruppe nicht allzu sehr zu behindern. Es wurde nach wenigen Jahren wieder aufgehoben, obwohl die Securitate wusste, dass er sich im Land als Fluchthelfer betätigte.608 Der Auslandsgeheimdienst charakterisierte den Personenkreis 1981 zwar als »feindlich gegenüber Rumänien«, aber wahrscheinlich

605  ACNSAS, fond informativ, i 259139, vol. 2, Bl. 21–24. ACNSAS, M.I. Sibiu, dosar nr. 59651 (= SB-Fi-667), Bl. 1 f. 606 Ministerul de Interne, Inspectoratul Judetean Arad, Nr. 320/SF/oo882, 24.9.1982: Raport cu propuneri de închidere al D.U.I. »Konstantin« [Ministerium des Innern, Kreisverwaltung Arad, Nr. 320/SF/oo882, 24.9.1982: Bericht mit Vorschlägen, den OV «Konstantin« zu schließen]; ACNSAS, fond informativ, i 259139, vol. 2, Bl. 219. 607  Schreiben der U.M. 0920, Nr. F 327/0026489 vom 10.10.1974 an die Securitate-Kreisverwaltung in Alba Iulia (Inspectoratul Judeţean al Ministerului de Interne Alba – Securitate), nebst beigefügtem Bericht vom 18.9.1974; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 28573, vol. 1, Bl. 2–5. Vgl. auch ebenda, Bl. 32, wonach die Securitate-Kreisverwaltung 1975 erneut Kontakt zu »Detectivul« aufnahm. Handschriftliche Berichte und die Quittung über 100 Lei in: ebenda, vol. 2, Bl. 9–16, 21–24, 159. Das MfS verdächtigte »Detectivul« 1987 der Zusammenarbeit mit der Securitate. Vgl. BStU, MfS, ZKG-Dok, SLK/1109/87, Karte 1. 608  Siehe insbes. die entsprechenden Berichte und Aktenvermerke des rumänischen Auslandsgeheimdienstes (in der Akte als U.M. 0544 und der ihr nachgeordneten U.M. [0]225 bezeichnet) aus den Jahren 1981 und 1984; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 28573, vol. 2, Bl. 160– 164, 169, 173–176.

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bestand in bestimmten rumänischen Kreisen Interesse an seinen Geschäften.609 Im März 1985 schloss der Auslandsgeheimdienst die Akte.610 Irgendein Hinweis auf Informationsaustausch in dieser Angelegenheit mit den Sicherheitsdiensten anderer Länder findet sich in den rumänischen Akten nicht, obwohl sie alle in derselben Angelegenheit gegen denselben Personenkreis vorgingen. Die Securitate verfügte in diesem Fall über viele Daten, die sich das MfS auf anderen Wegen beschaffen musste. In den rumänischen Akten scheinen außerdem die Merkmale eines besonders korrupten und zugleich totalitären Machtapparates durch, der sich durch ein hohes Maß an Willkür und Rechtlosigkeit auszeichnet und der selbst die eigenen Regeln permanent unterläuft. Dieser Aspekt kann hier nur vermerkt, aber nicht vertieft werden. Zu den MfS-Offizieren, die im Rahmen des Vorgangs »Emigrant« gegen die Fluchthelfer vorgingen, gehörte Oberstleutnant Klaus Mikolajczak. Miko­ lajczak reichte im Dezember 1985 an der MfS-Hochschule in Potsdam eine Diplomarbeit ein, die die Kooperation mit den »befreundeten Sicherheitsorganen« bei der Bekämpfung von Fluchtvorhaben zum Thema hatte. Seine Ausarbeitung stützte er auf die praktischen Erfahrungen, die er mit dem Vorgang »Emigrant« und zwei weiteren Operativvorgängen gegen international agierende Fluchthelfer gemacht hatte.611 Mikolajczak stellte dar, in welchen Situationen er die Zusammenarbeit mit den »befreundeten Sicherheitsorganen« als »notwendig« erachtete: Dies war dann der Fall, wenn DDR-Bürger oder ihre Helfer eine Flucht über das Territorium eines befreundeten sozialistischen Landes planten, oder wenn sich Bürger aus befreundeten sozialistischen Staaten – auch wenn sie bereits im Westen lebten – als Fluchthelfer betätigten.612 Folgt man seinen Kriterien, so hätte das MfS notwendigerweise zusammen mit der Securitate gegen die rumäniendeutschen Fluchthelfer vorgehen müssen. Doch ebenso wie in der Akte »Emigrant« gibt es in Mikolajczaks Diplomarbeit nicht einen einzigen Hinweis auf eine Kooperation mit der rumänischen Geheimpolizei. Die Securitate kam bei Mikolajczak im Kreis der »befreundeten Sicherheitsorgane« nicht 609 Siehe die beiden Schreiben der U.M. 0544, Nr. 225/f. 9/0045724 vom 29.7. und 21.8.1981, an die U.M. 0625, in: ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 28573, vol. 2, Bl. 169 f., sowie Bericht der U.M. 0544, Nr. 225/f. 9/0045723 vom 17.8.1984, in: ebenda, Bl. 174. Darin werden vertragliche Handelsbeziehungen zwischen den observierten Personen und dem rumänischen Außenhandelsunternehmen I.C.E. Coop erwähnt. Auch die schon erwähnten Korruptionsermittlungen sprechen dafür, dass »Detectivul« Förderer in Rumänien hatte. 610  Ebenda, Bl. 176 f. 611 Mikolajczak, Klaus (Oberstleutnant, MfS, HA VI/1): Einige wesentliche Aufgaben und Maßnahmen in der vorgangsbezogenen Zusammenarbeit mit den befreundeten Sicherheitsorganen (CSSR, UVR und VR Bulgarien) zur Aufklärung, Bekämpfung und Zurückdrängung von Straftaten des staatsfeindlichen Menschenhandels und der ungesetzlichen Grenz­ übertritte. Diplomarbeit an der JHS. Potsdam-Eiche 1985; BStU, MfS, JHS 20402, Bl. 63. 612  Ebenda, Bl. 51.

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vor. Aber auch die fehlende Präsenz der Securitate sprach er mit keiner Silbe an. Dagegen hob er die Möglichkeiten hervor, die dem MfS aus der Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der Tschechoslowakei, Ungarns und Bulgariens erwuchsen: Gemeinsam spionierte man im westlichen Ausland Fluchthelfer aus, und das MfS durfte die Reisedatenspeicher der drei genannten Geheimdienste nutzen, sodass man in Ostberlin bei Bedarf jederzeit über Einreisen westlicher Staatsbürger in diese Länder informiert wurde.613 Über einen vergleichbaren Datenzugriff verfügte das MfS in Rumänien offenkundig nicht. Der Fluchtweg über Rumänien bildete für das MfS zwar Teil eines Problems, die Securitate jedoch keinen Teil der Lösung.

2.5 MfS-Chef Mielke berät sich mit der KGB-Führung Die Außenseiterposition der Securitate im Kreis der osteuropäischen Staatssicherheitsdienste ist offenkundig. Doch wie schätzte die MfS-Führung diese Situation ein? Inwieweit sah sie die eigenen sicherheits- und machtpolitischen Interessen gefährdet? Welcher Handlungsbedarf resultierte hieraus, welche Strategien entwickelte sie im Umgang mit der Securitate, und welche Absprachen tätigte sie mit den Leitern der anderen sozialistischen Geheimdienste? Auf diese Fragen geben die bislang bekannten Akten erstaunlich wenig Auskunft. Es liegt keine Analyse des MfS vor, die den Sonderweg der Securitate behandelte; es sind keinerlei Handlungsempfehlungen der MfS-Führung an Mitarbeiter bekannt, wie mit der Securitate umzugehen sei; es fehlen zentrale, grundsätzliche Dokumente zu dieser Problematik. In einer Rede vor MfS-Offizieren in Gera brachte Erich Mielke im Januar 1979 seine Sorgen über den rumänischen Sonderweg zum Ausdruck. Er führte aus, dass die Partei- und Staatsführung Rumäniens [...] in einer Reihe prinzipieller Fragen Positionen beziehen, die denen der sechs anderen Teilnehmerstaaten des Warschauer 613  Ebenda, Bl. 52–55. In gleicher Weise wie Mikolajczak behandelte auch Oberst Gerhard Niebling, Leiter der ZKG und somit maßgeblich für die Verhinderung von Fluchten verantwortlich, damals den rumänischen Fall: er kam schlichtweg nicht vor. In einer grundlegenden, an mehrere MfS-Abteilungen und -Bezirksverwaltungen übersandte »Information über den Missbrauch von Reisen in die CSSR, UVR, VRB und SRR zu Straftaten gemäß §  213 StGB durch Bürger der DDR sowie operative Erfahrungen zu ihrer wirkungsvollen Verhinderung« vom 22.9.1983 wird zwar auch Rumänien als eines der Länder erwähnt, von dem aus DDR-Bürger Fluchtversuche starteten. Doch während Niebling die »Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der CSSR, der UVR und der VRB« als eine der Möglichkeiten ansprach, um Fluchtversuche zu verhindern, fehlt Rumänien in seiner Aufzählung. Eine Zusammenarbeit war demnach nicht vorgesehen, das offenkundige Defizit wurde aber nicht thematisiert. BStU, MfS, HA VII, Nr. 6049, Bl. 61–74, Zitat 70.

Mielke berät sich mit der KGB-Führung

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Vertrages entgegengesetzt sind. Das ist eine sehr ernste Sache. Die Partei- und Staatsführung Rumäniens propagiert diese Vorgänge in einer Weise, die dem Gegner Munition für sein antisozialistisches Vorgehen liefert, [und] die unsere Feinde in Verfolgung ihres strategischen Planes zur Spaltung unseres Bruderbundes geradezu ermuntert; die ihnen Auftrieb verleiht. Aus diesen gegnerischen Bestrebungen ergeben sich auch für unsere politisch-operative Arbeit neue Probleme.614

Mielke sprach hier zwar von Problemen für das MfS, die der rumänische Sonderweg verursachte. Doch er gab keine Hinweise, wie mit diesem Verbündeten und seinem Geheimdienst umzugehen sei. Vielmehr richtete er auch in diesem Kontext den Blick auf den Gegner im Westen, auf dessen Bestrebungen sich das MfS einstellen müsse. Doch selbstverständlich suchte die MfS-Führung eine konkretere Antwort auf die rumänische Problematik und orientierte sich an den Vorgaben des KGB. Dies ist anhand einiger MfS-Unterlagen belegbar. Bei seinen bilateralen Besprechungen mit der KGB-Führung, die mindestens einmal jährlich stattfanden, hatte Erich Mielke das rumänische Problem mehrfach angesprochen. Davon künden die entsprechenden Verhandlungsunterlagen, die er sich von seinen Mitarbeitern für diese Besprechungen zusammenstellen ließ. Grundsätzlich wurden bei diesen Anlässen alle Probleme erörtert, die zum jeweiligen Zeitpunkt für wichtig erachtet wurden. Dazu gehörten allgemeine Einschätzungen der internationalen Lage ebenso wie konkrete Fragen der zweiseitigen Zusammenarbeit zwischen KGB und MfS. In den überlieferten Unterlagen ist dokumentiert, dass Mielke den jeweiligen KGB-Chef neben Anderem um dessen Einschätzung zu bestimmten Fragen bat. Für die 1960er-Jahre sind entsprechende Verhandlungsunterlagen nur sehr lückenhaft überliefert oder aber noch nicht auffindbar. Der Bericht über Mielkes Besprechungen mit KGB-Chef Vladimir Semičastnyj am 30.  November und 1. Dezember 1964 thematisiert Rumänien überhaupt nicht, sondern nur die antisowjetische Politik Chinas und Albaniens. Im April 1967 war Rumänien Gegenstand der Beratungen zwischen Semičastnyj und Mielke in Moskau. Der überlieferte Gesprächsvermerk hält jedoch nur fest, dass die sowjetische Seite über die weitgehend unterbrochenen Verbindungen zur Securitate informierte. Bei Mielkes Besprechungen mit KGB-Chef Jurij Andropov vom 10. bis 14. November 1969 sprach Andropov das schlechte sowjetisch-chinesische Verhältnis an. Beide Geheimdienstchefs kritisierten den Unterlagen zufolge außer-

614  Rede Erich Mielkes auf der Delegiertenkonferenz der BV Gera am 15.1.1979; als Tonband überliefert in: BStU, MfS, ZAIG/Tb/163.

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dem einmütig die Haltung Jugoslawiens und Rumäniens hinsichtlich der deutschen Frage, mehr jedoch nicht.615 Erkennbar ist seit den 1970er-Jahren, dass Mielke im Hinblick auf Rumänien zwei Ebenen interessierten: Die Bedeutung der außenpolitischen Sonderpositionen Rumäniens, weil sich daraus Probleme für den Zusammenhalt des östlichen Bündnisses ergeben konnten, und der Umgang mit der Securitate. Die Bewertung der rumänischen Außenpolitik ging beim MfS einher mit der Furcht vor chinesischen Großmachtambitionen. So legte Mielke der KGB-Führung im Frühjahr 1972 die Frage vor, wie sie die chinesischen Bemühungen beurteile, »in Südosteuropa einen antisowjetischen Block zusammenzuzimmern und in der sozialistischen Staatengemeinschaft stärkeren Einfluss auszuüben [...]«.616 Diese Frage zielte auf Chinas gute Beziehungen zu Rumänien, Jugoslawien und Albanien und thematisierte zugleich den außenpolitischen Sonderweg Rumäniens. Der ausgedehnte Staatsbesuch Ceaușescus in China vom 1. bis 9. Juni 1971 durfte als Aussage über die außenpolitische Orientierung Rumäniens verstanden werden. Das MfS schätzte in diesen Jahren den chinesischen Einfluss auf der Balkanhalbinsel unter machtpolitischen Gesichtspunkten offenbar bedrohlicher ein als ein Abgleiten Rumäniens in die westliche Hemisphäre. Bei seinen Gesprächen mit der KGB-Führung thematisierte Mielke in den 1970er-Jahren jedes Mal die chinesischen Machtambitionen in Südosteuropa. Er warnte vor dem chinesischen »Großmachtchauvinismus«, der sich primär und direkt gegen die Sowjetunion richte.617 Nur zweimal, und zwar in den Verhandlungsunterlagen für 1971 und 1979, ist festgehalten, dass Mielke sich bei KGB-Chef Jurij Andropov bzw. der KGB-Führung danach erkundigte, wie sich das MfS gegenüber Rumänien ver615  BStU, MfS, SdM, Nr. 576, Bl. 14–19; SdM, Nr. 577, Bl. 68; SdM, Nr. 1473, Bl. 5, 14; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5128, Bl. 1–88. Zu der Besprechung vom 3. bis 6.4.1967 siehe S. 128 f. 616  Thesen (Probleme) für Gespräche des Gen. Minister mit führenden Vertretern der sow­ jetischen Sicherheitsorgane (Anfang Februar 1972); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5134, Bl. 8. Fast wortgleich in den Verhandlungsunterlagen vom 11.3.1972; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5135, Bl. 10. 617  Siehe hierzu Mielkes Verhandlungsunterlagen für Gespräche mit der KGB-Führung; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5132, Bl. 33 (Mai 1971); BStU, MfS, SdM, Nr. 578, Bl. 239 (27.7.1971); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5134, Bl.  8 und ZAIG, Nr.  5135, Bl.  10 (Frühjahr 1972); ZAIG, Nr. 5138, Bl. 38 (Dezember 1973); ZAIG , Nr. 5153, Bl. 18 (Juli 1976); ZAIG, Nr. 5155, Bl. 10 (Juni 1977); ZAIG, Nr. 5159, Bl. 18 f. (28./29.3.1978); ZAIG, Nr. 5162, Bl. 10–12 (Juli 1979, hier ist die Rede vom chinesischen »Großmachtchauvinismus«). In den Unterlagen für die Gespräche im Juni 1970 werden die sozialistischen Problemstaaten China, Jugoslawien und Rumänien zwar in einer Reihe genannt, die damit verbundenen Probleme aber nicht näher bezeichnet. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5131, Bl. 54. Vgl. auch die deutlichen Warnungen vor China und seinen Bindungen zu Rumänien in der Analyse der ZAIG: Zu einigen charakteristischen Tendenzen der gegenwärtigen Außenpolitik der chinesischen Führung und zu einigen Maßnahmen zur Erreichung ihrer großmachtchauvinistischen Ziele, 21.7.1971; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5001, Bl. 1–20, hier 5, 7–12; dass. in: BStU, MfS, SdM, Nr. 578, Bl. 246–265. Zur Asienreise Ceaușescus siehe auch S. 163 f.

Mielke berät sich mit der KGB-Führung

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Abb. 15: Erich Mielke (re.) beriet sich regelmäßig in Moskau mit dem KGB. Während seines B ­ esuchs am 25./26.4.1988 wurde er auch von Michail Gorbačëv (li.) empfangen. Neben Gorbačëv KGB-Chef Viktor Čebrikov, neben Mielke MfS-Chefdolmetscher Bernd Salevsky

halten solle. 1971 wies Mielke auf die westlichen Einflüsse in Jugoslawien und Rumänien hin und fragte dann: »Wie schätzt man Entwicklung in Rumänien ein? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für unsere politisch-operative Arbeit? (Siehe unsere Informationen, Besuch Doicaru, Festlegungen bei Andropov-Besuch in Berlin). Welche Taktik wird [das] KfS einschlagen?«618 Bei seinem Gespräch mit Andropov im Juli 1979 sprach Mielke neue, relevante Entwicklungen in Rumänien an, wobei nicht erkennbar ist, worauf er sich konkret bezog. Er erkundigte sich, welche »neuen Erfordernisse [sich] daraus für die politisch-operative Arbeit, auch für [die] Zusammenarbeit der Bruderorgane«, ergeben würden, und fragte weiter: »Gibt es bestimmte Aktivitäten

618  Thesen für Verhandlungen mit führenden Vertretern der Sicherheitsorgane der UdSSR (Mai 1971); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5132, Bl. 28. Wahrscheinlich nahm Andropov an diesen Verhandlungen teil. In der Akte ist das aber nicht vermerkt.

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Unterbrechung der Zusammenarbeit und Wiederannäherung

seitens der rumänischen Sicherheitsorgane, die in [der] Arbeit unserer Organe zu beachten wären?«619 Aus diesen Aufzeichnungen lässt sich ableiten, dass das MfS in den 1970er-Jahren vom KGB Vorgaben erbat und erhielt, wie es gegenüber Rumänien und der Securitate vorgehen sollte. Welche Ratschläge und Anweisungen der KGB-Chef damals im Einzelnen erteilte, kann man aus diesen Unterlagen aber nicht herauslesen, denn überliefert sind für diese Jahre lediglich die Gesprächsvorbereitungen Mielkes, nicht aber die Protokolle über die auf dieser Grundlage geführten Gespräche, in denen die Antworten der sowjetischen Gesprächspartner festgehalten wären.620 Seit Ende der 1970er-Jahre verlagerten sich aus der Perspektive von MfS und KGB die außenpolitischen Herausforderungen hinsichtlich Rumäniens. Eine Ursache hierfür war der Politikwechsel in China. Der chinesische Reformpolitiker Deng Xiaoping hatte auf dem 3. Plenum des 11. Kongresses der chinesischen KP im Dezember 1978 neben der Wirtschaftspolitik auch die Außenpolitik neu ausgerichtet und leitete damit eine Normalisierung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen ein, die im Laufe der 1980er-Jahre allmählich einsetzte.621 Schon bei seinen Beratungen mit KGB-Chef Jurij Andropov im Juli 1979 gab Mielke zu verstehen, dass er diese Entwicklung mit großem Interesse verfolge. Zugleich stimme er mit seinen sowjetischen Kollegen überein, »dass weiterhin höchste Wachsamkeit erforderlich« sei und die bisherigen Maßnahmen (»Aufklärung, Abwehr, aktive Maßnahmen«) gegen China weitergeführt werden sollten.622 Je mehr China und die Sowjetunion sowie die sowjetisch dominierten Staaten in der Folgezeit ihre Beziehungen normalisierten, desto weniger konnte noch von einer provozierenden Sonderrolle Rumäniens auf diesem Gebiet die Rede sein. Die China-Problematik spielte in den bilateralen Gesprächen Mielkes mit der KGB-Führung auch in den 1980er-Jahren noch eine Rolle, denn man sah deutlich, wie sich China anschickte, zu einer dritten Weltmacht aufzustei619  Hinweise für Beratung mit Vorsitzenden des KfS, Gen. Andropov (Juli 1979); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5162, Bl. 25. 620  Diese Gesprächsprotokolle sind erst für die 1980er-Jahre überliefert. Vgl. unter anderem BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5382 (11.7.1981); ZAIG, Nr. 5383 (9./10.9.1982); ZAIG, Nr. 5385 (1./2.4.1985); ZAIG, Nr. 5387 (26.9.1987); ZAIG, Nr. 5193 (25./26.4.1988). Das Gesprächsprotokoll vom 11.7.1981 vermerkt auf der ersten Seite, dass den eigentlichen Gesprächen ein 75-minütiges Vieraugengespräch ohne Dolmetscher zwischen Mielke und Andropov vorausging; über dessen Inhalt gibt das Protokoll keine Auskunft. Die aufschlussreiche Mitschrift eines Gesprächs Mielkes mit dem stellvertretenden KGB-Chef im April 1989 wurde ediert von Süß (Hg.): Erich Mielke und KGB-Vize Leonid Schebarschin über den drohenden Untergang des Sozialistischen Lagers. 621  Liu; Mastny (Hg.): China and Eastern Europe 1960s–1980s, S.  148–155, 178–182. Ähnlich Radchenko: Two Suns in the Heavens, S. 205, demzufolge sich die chinesisch-sowjetischen Beziehungen seit 1982 zu verbessern begannen. 622  BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5162, Bl. 13.­

Mielke berät sich mit der KGB-Führung

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gen. Aber für den europäischen Raum verlor das chinesische Großmachtstreben dennoch an Brisanz.623 Für die DDR markierte Honeckers Staatsbesuch in China Ende Oktober 1986 den erfolgreichen Abschluss dieses Normalisierungsprozesses.624 Nur aus Bulgarien sind noch deutliche Warnungen überliefert: Als sich die sozialistischen Geheimdienste, wie üblich ohne Rumänien, im November 1983 in Sofia zu einer Beratung über Probleme der ideologischen Diversion versammelten, fanden die bulgarischen Gastgeber klare Worte über China. Der bulgarische erste stellvertretende Innenminister, Generaloberst Grigor Šopov [Schopow] warnte seine Kollegen vor der »wachsenden Aktivität Chinas zur Erweiterung seiner Positionen« insbesondere in Jugoslawien und Rumänien. Rumänien beabsichtige, »bei den bevorstehenden organisatorischen und kadermäßigen Veränderungen in seinen Sicherheitsorganen Erfahrungen der Geheimdienste Chinas zu nutzen«.625 Die Sonderrolle Rumäniens trat für Mielke und seine sowjetischen Amtskollegen spätestens seit den frühen 1980er-Jahren in den Hintergrund. Stattdessen beunruhigten sie zunehmend bestimmte Entwicklungen in anderen verbündeten Ländern. Seit den späten 1970er-Jahren sprach Mielke in den bilateralen Gesprächen immer ausführlicher die Frage an, wie man den Oppositionsbewegungen, Dissidenten und Bürgerrechtsgruppen insbesondere in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn entgegentreten könnte.626 Durchaus zutreffend erkannte er, dass diese Strömungen das Machtmonopol der herrschenden kommunistischen Parteien allmählich sehr viel mehr infrage stellten als die Sonder­ entwicklungen Rumäniens. In seinen Gesprächskonzepten wird dem rumänischen Problem letztmals 1982 größere Bedeutung beigemessen, als Mielke sich auf das Treffen mit dem neuen KGB-Chef Vitalij Fedorčuk am 9.  und 10. September 1982 vorbereitete. Mielke thematisierte dabei vor allem den wirtschaftlichen Niedergang des Landes, den Zusammenbruch der Versorgung der Bevölkerung und die drohende Zahlungsunfähigkeit. Erst in zweiter Linie be-

623 Siehe hierzu insbes. die Verhandlungsunterlagen Mielkes für Gespräche mit der KGB-Führung für die Jahre 1982, 1984 und 1985; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5171, Bl. 26 f. und ZAIG, Nr. 5383, Bl. 63 f. (9./10.9.1982); ZAIG, Nr. 5175, Bl. 93, 98 f. (22.–26.5.1984) und ZAIG , Nr. 5176, Bl. 3 (25./26.7.1984); ZAIG, Nr. 5385, Bl. 10 f. (1./2.4.1985). 624  Liu; Mastny (Hg.): China and Eastern Europe 1960s–1980s, S.  152, 180, 190. Vgl. auch die Binnensicht des früheren DDR-Diplomaten Joachim Krüger: Die DDR und die VR China, insbes. S. 214–216. 625  Referat des Leiters der Delegation des Ministerium des Innern der Volksrepublik Bulgarien, Generaloberst G. Schopow; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8690, Bl. 77. 626  Siehe hierzu die in den Anmerkungen 617, 618, 619, 620 und 623 genannten Verhandlungsunterlagen Mielkes für Gespräche mit der KGB-Führung, wobei diese Fragen oft an mehreren Stellen in den Unterlagen vorkommen, insbes.: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5171, Bl. 95 f., 115–119. Siehe auch ebensolche Verhandlungsunterlagen für weitere Jahre: ZAIG, Nr. 5381, Bl. 3–14 (23.6.1981); ZAIG, Nr. 5393, Bl. 1 f. (Frühjahr 1989).

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unruhigten ihn noch die außenpolitischen Sonderpositionen.627 Wie Fedorčuk gegenüber Mielke die Lage in Rumänien einschätzte, geht aus den MfS-Unterlagen nicht hervor. Bekannt ist aber, dass KGB und MfS im Frühjahr 1983 damit begannen, systematisch Informationen über die Stimmung und die Lage im Land zu sammeln.628

2.6 Die politische Wiederannäherung Rumäniens und der DDR in den 1980er-Jahren Seit Mitte der 1980er-Jahre näherten sich Rumänien und die DDR politisch wieder an, was sich in mehreren Staatsbesuchen Nicolae Ceaușescus in Ostberlin (Oktober 1984, Mai 1985, November 1988, Oktober 1989) sowie Erich Honeckers in Rumänien (August 1984, Oktober 1987) zeigte. Honeckers Aufenthalt in Bukarest anlässlich des rumänischen Staatsfeiertages am 23. August 1984 war bemerkenswert, weil er damals als einziger Parteichef eines Ostblocklandes angereist war. Seit 1985 vereinbarten Rumänien und die DDR Programme und Abkommen über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit.629 Rumänien fügte sich etwa seit Ende 1984 insgesamt wieder enger in das östliche Bündnis ein, weil es nur auf diese Weise wirtschaftliche Unterstützung von der Sowjetunion und den übrigen Verbündeten erwarten konnte. Die Moskauer Führung übte damals massiven wirtschaftlichen Druck auf Rumänien aus, um es von seinen außenpolitischen Sonderpositionen abzubringen.630 Der frühere DDR-Botschafter in Rumänien, Siegfried Bock, beobachtete indes bereits seit Ende der 1970er-Jahre eine »Altmännerfreundschaft« zwischen Nicolae Ceaușescu und Erich Honecker.631 Nach Auffassung des rumänien627  Hinweise für Gespräche des Gen. Minister in Moskau, 9. und 10. September 1982; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5171, Bl. 95a. 628  Siehe hierzu Anm. 1057 und 1061. 629  Ghermani: Rumäniens Deutschlandpolitik, S. 249–251. 630  Siehe hierzu auch die Kapitel 4.5 und 4.6. Ebenso hieß es in einer Ausarbeitung (»Information über die Innen- und Außenpolitik der Sozialistischen Republik Rumänien sowie über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Sozialistischen Republik Rumänien«) des MfAA oder des ZK der SED für Erich Honecker in Vorbereitung seiner Rumänienreise 1987, das Land wende sich seit dem XIII. Parteitag der RKP im November 1984 wieder verstärkt den sozialistischen Ländern zu. Gründe hierfür seien »objektive Sachzwänge«, nämlich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sowie die politischen Gespräche der sowjetischen Führung mit der Rumäniens; BArch, DY 30/12263 (Abteilung Internationale Verbindungen), Bl. 37 f. 631  Bock; Muth; Schwiesau (Hg.): DDR-Außenpolitik im Rückspiegel. Diplomaten im Gespräch, S. 165. Bock (geb. 1926) war von 1977 bis 1984 Botschafter in Rumänien, anschließend bis 1988 Leiter der Abteilung Südosteuropa im MfAA. Schon 1962 bis 1966 arbeitete er als Botschafstrat an der DDR-Botschaft Bukarest. – Honecker war im Februar 1977 und Juni 1980 zu Freundschaftsbesuchen nach Rumänien gereist. Peter Ulrich Weiß sieht hingegen mit

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deutschen Publizisten William Totok erleichterten die »biographisch ähnlich geprägten Erfahrungen« der beiden Diktatoren ihre »freundschaftliche Annäherung« in den 1980er-Jahren.632 Einige rumänische Diplomaten in Ostberlin hielten es im Vorfeld des Ceaușescu-Besuches in Ostberlin 1984 für wünschenswert, dass Erich Honecker bessere Beziehungen zwischen Rumänien und der Sowjetunion vermitteln sollte. Sie unterstellten damit ebenfalls ein gutes Einverständnis zwischen den beiden Parteichefs.633 Bald darauf fanden beide Politiker in ihrer Ablehnung der sowjetischen Reformen unter Michail Gorbačëv eine starke gemeinsame Basis. Außerdem waren sich beide Staatschefs darin einig, »das Vordringen westlicher Menschenrechtsvorstellungen im Ostblock zu verhindern«, wie der Berliner Historiker Hermann Wentker hervorhebt. Differenzen habe es allerdings im Hinblick auf eine Reform des Warschauer Pakts gegeben. Auch Ceaușescus Aufruf vom 19. August 1989, gemeinsam Front gegen die neue polnische Regierung zu machen, sei der DDR-Führung zu weit gegangen.634 Anneli Ute Gabanyi charakterisierte im Oktober 1989 die Entwicklung als ein »Sonderbündnis der Dogmatiker im Ostblock«, zu dem neben der DDR und Rumänien auch die ČSSR gehörte, und erinnerte an »auffallend zahlreiche Treffen führender Funktionäre« aus diesen drei Ländern seit dem Frühsommer 1989.635 So traf sich Hermann Axen, Politbüromitglied und maßgeblich für die DDR-Außenpolitik verantwortlich, im Rahmen seiner Rumänienreise am 21. April 1989 mit Nicolae Ceaușescu. Der DDR-Botschafter in Bukarest, Herbert Plaschke, übermittelte Axen im Vorfeld seiner damaligen Reise eine Lageeinschätzung. Mitglieder der rumänischen Parteiführung hätten sich demnach sehr besorgt über die Entwicklung in Polen und Ungarn gezeigt und im Kontrast dazu den Konsens mit der DDR hervorgehoben. Die rumänische Seite, so Plaschke, »konstatiert mit der SED und der DDR in allen wesentlichen Grundfragen übereinstimmende und einheitliche Auffassungen zur gegenwärtigen Sozialismusentwicklung und stellt fest, dass die SRR und die DDR jetzt besonders deshalb im offenen Schussfeld des Westens seien, weil sie dessen Angriffen am entschiedensten entgegenträten«.636 In dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker und der Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages DDR – Rumänien 1972 das »Ende der Eiszeit« zwischen beiden Ländern gekommen. Bereits seit dieser Zeit hätten sich die bilateralen Beziehungen verbessert, wobei sich die »Parteibeziehungen zwischen SED und RKP als ›Kernstück der Beziehungen‹ erweitern sollten«. Weiß: Kulturarbeit, S. 244, 250. 632  Totok: »Wer zu spät kommt ...«, S. 7. 633  MfS, HA II/AG 4, 1.10.1984: Information zum geplanten Aufenthalt des Generalsekretärs der RKP Nicolae Ceaușescu anlässlich des 35. Jahrestages der Gründung der DDR in Berlin; BStU, MfS, HA II, Nr. 22854, Bl. 184. 634  Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen, S. 529 f. 635  Gabanyi: Ideologiedebatte, S. 647–662. 636  Information [des DDR-Botschafters in Bukarest Herbert Plaschke] zu aktuellen Aspekten der inneren Lage in der SRR sowie zur rumänischen Außenpolitik, 29.3.1989; BArch,

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Abb. 16: Beginn einer Altmännerfreundschaft? Erich Honecker und Nicolae Ceau­ șescu in Temeswar am 5.2.1977 nach Rückkehr von einem Jagdausflug

Abb. 17: Bei seinem Freundschaftsbesuch in Rumänien am 28./29.10.1987 demonstriert Erich Honecker seine enge Verbundenheit mit Nicolae Ceaușescu.

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diesem Sinne versicherten sich dann auch Ceaușescu und Axen bei ihrer Begegnung »weitgehender Übereinstimmung« in den aktuellen politischen Fragen.637 Ceaușescu, der sein Land zum Außenseiter im Ostblock gemacht hatte, suchte nun Verbündete und verlangte ein engeres Zusammengehen. Als sich die Generalsekretäre der Warschauer-Pakt-Staaten Anfang Juli 1989 zu einer Tagung trafen, wehrte sich Ceaușescu auch in diesem Kreis gegen Reformen und verlangte von seinen Amtskollegen »Zusammenarbeit« und »Solidarität« mit seinen Politikvorstellungen und äußerte, »insbesondere im Sturm muss man zusammenhalten, zusammenstehen, um zu gewährleisten, dass unser Schiff des Sozialismus diesen Sturm, diesen Orkan übersteht und weiter vorankommt«.638 Das informelle Bündnis der politischen Hardliner in Bukarest und Ostberlin Ende der 1980er-Jahre wirkte sich auf das Verhältnis der beiden Geheimdienste offenkundig nicht mehr aus. Es blieb distanziert. Das illustriert beispielsweise der Befehl Nr. 13/89, den Erich Mielke am 14. Juli 1989 erließ. Dieser regelte die Arbeit der Operativgruppen und Verbindungsoffiziere des MfS bei »befreundeten ausländischen Sicherheitsorganen«. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, enthielt der Befehl in einer Anlage eine Liste der »befreundeten ausländischen Sicherheitsorgane«. Neben dem sowjetischen KGB waren die Innenministerien Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns, Bulgariens und Vietnams aufgeführt.639 Rumänien kam auch in dieser Aufzählung nicht vor.

DY 30/IV 2/2.035 (Büro Axen)/52, Bl. 33–49, Zitat 46. 637 Siehe die entsprechenden Gesprächsvermerke und Berichte in: BArch, DY 30/IV 2/2.035 (Büro Axen)/52, Bl. 84–109. Zur Wiederannäherung Honeckers und Ceaușescus siehe auch Totok: »Wer zu spät kommt ...«; Totok zitiert hier aus dem Stenogramm des Gesprächs der beiden Parteichefs vom 17.11.1988. 638  Stenografische Niederschrift des informellen Treffens der Generalsekretäre nach der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages in Bukarest, Sonnabend, 8. Juli 1989; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 4602, Bl. 1–54, Zitat 49. 639  MfS, Minister: Befehl Nr. 13/89 über den Einsatz, die Führung und Leitung der Operativgruppen/Verbindungsoffiziere des Ministeriums für Staatssicherheit bei befreundeten ausländischen Sicherheitsorganen, vom 14.7.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 243, Bl. 292–294. Zu den vielen Hinweisen, die die Außenseiterposition der Securitate unterstreichen, gehören auch die Belegungslisten für die MfS-Gästehäuser im Zeitraum April bis Spätherbst 1989: Demnach beherbergte das MfS Kollegen aus der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien, dem Süd-Jemen, Kuba, Nicaragua, Mocambique, Tansania, Äthiopien, Afghanistan, Nordkorea, Vietnam und von der PLO. Reisezweck waren angeblich dienstliche Gespräche sowie Urlaubs- und Kuraufenthalte. Rumänien fehlte auch hier. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 955; Abt. X, Nr. 1205. Ähnliches für die 1980er-Jahre auch in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 826; Nr. 2427; Nr. 2475; Nr. 2477.

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Unterbrechung der Zusammenarbeit und Wiederannäherung

2.7 Die Zusammenarbeit anderer Sicherheitsbehörden Rumäniens und der DDR Die große Distanz zwischen Securitate und MfS ist auch deshalb bemerkenswert, weil andere sicherheitsrelevante Institutionen beider Länder sich nicht so weit voneinander entfernten wie die beiden Staatssicherheitsdienste. In den MfS-Unterlagen widerspiegeln sich beispielsweise kontinuierliche Arbeitsbeziehungen der rumänischen Polizei- und Zollbehörden mit den entsprechenden DDR-Einrichtungen sowie multilateral innerhalb der Warschauer-Pakt-Staaten.640 Ebenso dokumentieren sie die regelmäßigen Kontakte der Grenztruppen der DDR und Rumäniens bis Ende der 1980er-Jahre. So besuchte 1983 der stellvertretende DDR-Verteidigungsminister und Chef der Grenztruppen, Klaus-Dieter Baumgarten, für vier Tage mit einer Delegation Rumänien; 1982 reisten der Leiter der rumänischen Grenztruppen, Vasile Petruţ und im Juni 1986 sein Nachfolger Constantin Călinoiu mit einer kleinen Delegation zu Arbeitsbesuchen in die DDR.641 Mitarbeiter des Bereichs Technik/Bewaffnung des DDR-Verteidigungsministeriums führten jedes Jahr Koordinierungsabsprachen mit ihren rumänischen Fachkollegen durch. In einem MfS-Bericht ist ein sol640  Exemplarisch hierfür: Vermerk über bilaterale Gespräche des Leiters der Zollverwaltung der DDR [Gerhard Stauch] mit Delegationen anderer Zollverwaltungen [...], 21.10.1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 376, Bl. 122–134, hier 129, Gespräch mit dem Leiter der rumänischen Zollverwaltung, Miti. Ferner zwei Schreiben des DDR-Innenministers und Chefs der Deutschen Volkspolizei, Friedrich Dickel: Am 15.11.1966 teilte er Mielke mit, dass Rumänien auf dem Gebiet der Zivilverteidigung weiterhin mit seinen Verbündeten kooperieren wird. BStU, MfS, AGM 223, Bl. 69 f., 80. Am 26.10.1987 informiert er ZK-Sekretär Egon Krenz über eine kriminalpolizeiliche Expertentagung der sozialistischen Länder in Rumänien. BArch, DY 30/ IV 2/2.039 (Büro Krenz)/191. Siehe auch ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 10: Dosar Nr. G 9/1973, Referitor documente, corespondenţi și alte materiale, referitor relaţiile ministrului de interne cu organele similare din R.D.Germană [Akte Nr. G 9/1973 betreffend Dokumente, Korrespondenz und andere Unterlagen, betreffend die Beziehungen des Ministeriums des Innern mit ähnlichen Organen der DDR]; diese Akte besteht aus Dokumenten über die Zusammenarbeit des MdI der DDR mit seinem rumänischen Pendant. Demnach fand 1973 Delegations- und Erfahrungsaustausch statt zu Themen wie der Bekämpfung von Eigentumsdelikten, Gesetzesverletzungen auf den Gebieten Transport, Waffen, Munition, Giften, den Feuerwehren, der Kaderarbeit, den operativen Diensten der Miliz in Großstädten, der Verkehrs­ polizei, dem Leitungsprinzip und der Verwaltung in Strafvollzugsanstalten, dem staatlichen Archivwesen, der Kriminalpolizei und dem Urlauberaustausch. Ferner wurde Fachliteratur ausgetauscht. Grundlage hierfür bildete demnach die Vereinbarung beider Innenministerien vom 7.9.1972. – Die wahrscheinlich erste größere Studie in deutscher Sprache über die rumänische Miliz (Polizei) ist die 2014 an der Universität Potsdam eingereichte Dissertation von Cirniala: Volkspolizei und Herrschaftslegitimation im sozialistischen Rumänien 1960–1989. Sie ermöglicht partiell einen Vergleich zur DDR-Volkspolizei, behandelt aber nicht den Aspekt der Kooperation. 641  MfS, HA I, 6.6.1986: Information über den Besuch einer Delegation der Grenztruppen der Sozialistischen Republik Rumänien in der DDR; BStU, MfS, HA I, Nr. 5715, Bl. 2–9; ähnlich in: BStU, MfS, ZOS, Nr. 2685, Bl. 107 f.

Zusammenarbeit der DDR mit anderen Sicherheitsbehörden Rumäniens

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ches Treffen, das vom 12. bis 14. Dezember 1983 in Bukarest stattfand, festgehalten. Die DDR-Delegation wurde damals vom Kommandeur des Militärtechnischen Instituts der Nationalen Volksarmee (NVA), Generalmajor Karl-Heinz Müller, geleitet und traf sich mit dem stellvertretenden rumänischen Verteidigungsminister und Chef des Bereichs Technik/Bewaffnung, Generaloberst Victor-Atanasie Stănculescu. Die rumänische Seite regte bei dieser Gelegenheit an, gemeinsam neue Waffen zu entwickeln. Stănculescu, der gut Deutsch sprach, überraschte Generalmajor Müller damals in einem Vieraugengespräch jedoch vor allem mit seiner offenen, kritischen Schilderung der kata­strophalen Versorgungslage der Bevölkerung. Müller gewann den Eindruck, »dass Stanculescu auf Teilgebieten mit der gegenwärtigen politischen Führung und der Entwicklung in der SRR nicht übereinstimmt«, wie es in einer MfS-Notiz über dieses Gespräch heißt.642 Dieser Eindruck dürfte zutreffend gewesen sein. Denn Stănculescu setzte sich noch während des Dezemberaufstands 1989 von Ceaușescu ab und organisierte sofort nach dem Sturz Ceaușescus am 22. Dezember 1989 den Prozess gegen das Diktatorenehepaar.643 Vom 24. bis 27. Mai 1988 besuchte der rumänische Verteidigungsminister Generaloberst Vasile Milea mit seinem Stellvertreter Ilie Ceaușescu, einem Bruder des rumänischen Diktators, und anderen führenden Militärs von Heer, Luftwaffe und Marine, die DDR und besichtigte dort verschiedene Armeeeinheiten. Im Juli 1989 reiste eine Delegation der Politischen Hauptverwaltung (PHV) der NVA unter Leitung von Generaloberst Horst Brünner zum Gegenbesuch nach Rumänien, wo Brünner am 20. Juli zu einem 40-minütigen Gespräch von Nicolae Ceaușescu empfangen wurde.644 Neben dem Staatssicherheitsdienst unterhielt jedes Ostblockland auch einen Militärgeheimdienst (Militäraufklärung), der jeweils dem Verteidigungsminis­ terium unterstand und institutionell vom Staatssicherheitsdienst unabhängig war. In der Sowjetunion war das die GRU (Glavnoe Razvedyvatel’noe ­Upravlenie = Hauptverwaltung Aufklärung), in der DDR die »Verwaltung Aufklärung«, in Rumänien die DIA (»Direcţia de Informaţii Armatei« = Informationsabteilung der Armee).645 Im Kreis der Militärgeheimdienste pflegte Ru642  MfS, HA I, Abteilung Mf NV, 5.1.1984: Information zur Sozialistischen Republik Rumänien; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14072, Bl. 132 f. 643  Ursprung: Die rumänische Revolution. 644  MfS, HA I, 17.5.1988: Information über den Besuch einer Militärdelegation der SR Rumänien in der DDR; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2685, Bl.  213  f., 222  f. Generaloberst Horst Brünner: Bericht über die Reise einer Delegation der PHV der NVA in die SRR; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 25182, Bl. 1–10. Siehe auch Nicolae Ceaușescu empfing DDR-Militär in Bukarest. In: Neues Deutschland v. 21.7.1989, S. 5. 645  Die Bezeichnungen wechselten mehrfach; in der DDR nannte sich der Militärnachrichtendienst beispielsweise »12. Verwaltung« (1959–1964), »Verwaltung Aufklärung« (1964– 1980), »Bereich Aufklärung« (1980–1990), in Rumänien trug er zeitweilig die Bezeichnung »Direcţia Informaţii Militare« (DIM). Eine Übersicht über die Militärgeheimdienste der sozi-

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mänien weiterhin eine Zusammenarbeit mit den Verbündeten, die ähnlichen Einschränkungen unterlag wie die militärische Kooperation innerhalb des Warschauer Pakts, aber deutlich weiterreichte als das im Bereich der Staatssicherheitsdienste der Fall war. In den MfS-Akten findet sich beispielsweise ein Bericht über die Tagung der Chefs der Militärgeheimdienste des Warschauer Paktes im April 1985 in Prag. Verfasst hatte ihn der Leiter der DDR-Militäraufklärung, Generalmajor Alfred Krause. Krause geht darin auf die rumänischen Sonderpositionen ein. Zunächst stellt er fest, dass alle Militärgeheimdienste des östlichen Militärbündnisses mit ihren Leitern und Stellvertretern anwesend gewesen seien, außerdem Beobachter aus Kuba. Der Chef der rumänischen Militäraufklärung, Vizeadmiral Ștefan Dinu, sei allerdings aus Bukarest angewiesen worden, sich nur an der Arbeit im Plenum zu beteiligen, nicht aber in den einzelnen Sektionen. Die übrigen Tagungs­teilnehmer hätten dies akzeptiert, ebenso den rumänischen Wunsch, die zweiseitige Zusammenarbeit beizubehalten. »Der Materialaustausch mit der rumänischen Aufklärung soll unter Beachtung der Konspiration und Geheimhaltung auf der Basis der Gegenseitigkeit fortgesetzt werden«, notierte Alfred Krause in seinem Bericht.646 Ștefan Dinu erinnert sich in seinen 2009 erschienenen Memoiren genau so, wie Krause es damals schilderte. Dinu erwähnt außerdem noch, dass Rumänien immer an den jährlichen Beratungen der Leiter der östlichen Militärgeheimdienste teilgenommen habe, aber es habe nach 1964 solche Treffen nicht mehr selbst ausgerichtet, sodass sie in Rumänien nicht mehr stattfanden. Er vertritt die patriotische Ansicht, die rumänische Militäraufklärung habe sich 1964 infolge der April-Deklaration aus der »Bevormundung« der sowjetischen GRU befreit und fortan aus eigener Entscheidung heraus nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit mit den anderen Militärgeheimdiensten des Warschauer Pakts kooperiert.647 Der Berliner Geheimdienstexperte Bodo Wegmann bestätigt in seiner umfassenden Studie über die DDR-Militäraufklärung ebenfalls die abgestufte Einbindung Rumäniens auf diesem Gebiet. So habe es bei multilateralen Vereinbarungen meistens Punkte gegeben, denen die rumänische Seite nicht zustimmen durfte. Anders als Dinu sieht Wegmann jedoch die sowjetische GRU als diejenige Instanz, die hier über den Grad der Einbindung Rumäniens entschieden habe. Die GRU, so Wegmann, habe die »Leitlinie ausgegeben, mit Ceaușescus alistischen Länder und ihre Zusammenarbeit mit der DDR-Militäraufklärung in Wegmann: Die Militäraufklärung der NVA, S. 510–517. 646  Ministerium für Nationale Verteidigung, Chef Aufklärung: Bericht über die Konferenz der Chefs Aufklärung der General-(Haupt-)stäbe der Armeen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages vom 10.–13.04.1985 in Prag; BStU, MfS, HA I, Nr. 4203, Bl. 148–154, insbes. Bl. 149–152. Ich danke meinem Kollegen Stephan Wolf, der mich auf dieses Dokument aufmerksam gemacht hat. 647  Dinu: Condamnat la discreţie, S. 203 f., 211–213.

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Armee könne an sich zusammen gearbeitet werden«. Das habe vor allem die »technische und operativ-taktische Aufklärung sowie den militärdiplomatischen Dienst« betroffen. Dagegen habe die GRU die rumänischen Kollegen in »hochprozentige« Angelegenheiten nicht einbeziehen wollen.648

648  Wegmann: Militäraufklärung, S. 516 f.

3. Ein feindliches Bruderland: Das MfS in Rumänien seit 1968

Die Entfremdung zwischen Securitate und MfS, so legen es die Akten nahe, vollzog sich in einem mehrjährigen Prozess zwischen 1964 und 1973. Am Ende stand ein dauerhafter Abstand. Rumänien erscheint in den 1970er- und 1980er-Jahren aus MfS-Perspektive als ein feindliches Bruderland. Das folgende Kapitel geht der Frage nach, wie das MfS in diesen beiden Jahrzehnten mit dieser Situation umging. Es zeigt, dass das MfS die Situation in Rumänien aufmerksam verfolgte, Informationen im Land sammelte und dafür auch Informanten rekrutierte. Hierbei kam der deutschen Minderheit eine besondere Rolle zu: dort fand das MfS zwei seiner wichtigsten Informanten, dort entdeckte es vor allem unter den jüngeren Schriftstellern in Klausenburg und Temeswar aber auch eine kritische, aufmüpfige Generation, die sich für einige Jahre erstaunlich offen artikulierte. Doch es griff nicht aktiv in die inneren Angelegenheiten des Landes ein. Aus Sicht des MfS führte die ausbleibende Kooperation mit der Securitate allerdings zu einem Sicherheitsdefizit, weil es DDR-Bürger bei ihren Reisen in Rumänien nicht mehr geheimdienstlich unter Kontrolle halten konnte. Indes gelang es dem MfS bald, dieses vermeintliche Defizit mithilfe anderer Institutionen der DDR und Rumäniens auszugleichen.

3.1 Die DDR-Botschaft in Bukarest als Spionagestützpunkt des MfS seit 1968/69 Ein markanter Einschnitt in den bilateralen Geheimdienstbeziehungen ist 1968/69 zu verzeichnen. Damals gründete nicht nur die Securitate eine Abwehrabteilung gegen sozialistische Geheimdienste, sondern das MfS konterte umgehend mit einer ebenso ungewöhnlichen Maßnahme: Es richtete in Bukarest eine »legal abgedeckte Residentur« ein. Eine legal abgedeckte Residentur ist ein Spionagestützpunkt, der unter der Legende einer offiziellen Niederlassung, zumeist einer Botschaft oder einer Handelsvertretung, arbeitet – also unter einem legalen Dach. Das Geheimdienstpersonal wird in die Repräsentanz eingebaut und betreibt Spionage, hat nach außen hin jedoch offizielle Funktionen. Diese Methode ist auch heute noch weltweit üblich. Doch Rumänien war innerhalb des sowjetischen Machtbereichs in Europa das einzige Land, in dem die HV A eine ausdrücklich als solche bezeichnete, legal abgedeckte Residentur unterhielt. In

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Das MfS in Rumänien seit 1968

Bukarest befand sich die DDR-Botschaft – und somit auch die HVA-Residentur – nahe des Stadtzentrums in der Strada Dumbrava Roșie 6–10.649 Seit die DDR ab 1973 von den meisten Staaten der Welt international anerkannt wurde und somit weltweit Botschaften eröffnen konnte, bot sich der HV A in großem Umfang die Möglichkeit, legal abgedeckte Residenturen einzurichten. In den 1980er-Jahren verfügte die HV A in fast allen Staaten der Welt außerhalb des Ostblocks über eine legal abgedeckte Residentur und nutzte sie für die Spionage. Intern fasste die HV A ihre Legalresidenturen in Ländergruppen zusammen. Die Staaten einer Ländergruppe wiesen jeweils gemeinsame politische oder geografische Merkmale auf. Zur Ländergruppe A gehörten alle NATO-Staaten, zur Ländergruppe B die westlich orientierten, demokratischen, europäischen Staaten, die nicht Mitglied der NATO waren, die Ländergruppe C umfasste die arabischen Staaten und Israel, die Ländergruppe D die Länder Afrikas, die Ländergruppe E die lateinamerikanischen Staaten, die Ländergruppe F weite Teile Asiens sowie Australien und Neuseeland. Und dann gab es noch eine kleine Ländergruppe G, zu der nur fünf Staaten gehörten: China, Albanien, Jugoslawien, Kuba und Rumänien. Die HV A sah Rumänien hier in einer Reihe mit einigen abtrünnigen sozialistischen Staaten; lediglich Kuba bildet in dieser Gruppe eine Ausnahme.650 Schon diese formale Zuordnung veranschaulicht, dass die HV A mit Rumänien nachrichtendienstlich und sicherheitspolitisch anders umging als mit den übrigen verbündeten Ländern des östlichen Bündnisses. Dies schlug sich selbst in HVA-internen Regelungen nieder. So schrieb die Dienstreise-Anordnung der HV A vor, dass HVA-Mitarbeiter ihre geplanten Dienstreisen in westliche Länder und nach Jugoslawien, Kuba und Rumänien bereits im Jahr vor der vorgese-

649  Außer den Gebäuden in der Strada Dumbrava Roșie 6–10 nutzte die DDR-Botschaft zwei Liegenschaften für den Handelspolitischen Bereich in der Calea Dorobanţilor 14–16 sowie in der Aleea Compozitorilor 30. Vgl. Botschaft Bukarest, 10.4.1974: Ordnung für den Dienstbetrieb der Botschaft der DDR in der SRR; PA AA, MfAA, C 1624/76, Bl. 77–98, hier 78. 650  HV A, Abt. VIII: Analyse zum Stand, zur Wirksamkeit und den Ergebnissen der Konterarbeit in Objekten legal abgedeckter Residenturen, 25.11.1985; BStU, MfS, HV  A, Nr. 407, Bl. 1–31. Die Arbeit der legal abgedeckten Residenturen wurde in der Dienstanweisung Nr. HV A 1/81 über Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse der Residenten legal abgedeckter Residenturen vom 15.8.1981 und einer entsprechenden Durchführungsbestimmung geregelt. Sie löste die Dienstanweisung 2/74 aus dem Jahre 1974 ab. BStU, MfS, HV A, Nr. 796, Bl. 1–18. Über frühere Regelungen ist derzeit nichts bekannt. Die DA 2/74 ist im Archiv des BStU derzeit nicht nachgewiesen, jedoch einige zugehörige Durchführungsbestimmungen, siehe BStU, MfS, HVA, Nr. 1194, Bl. 2–25. Siehe auch die Mitteilung der HA Kader und Schulung vom 17.3.1988, wonach Albanien, Kuba und Rumänien bei der HV A »bereits seit Jahren als Bestandteil des Stellenplanteils Legale Auslandsresidenturen geführt« wurden. BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f. Die Arbeit mit den »Legal abgedeckten Residenturen« fiel in den Zuständigkeitsbereich der HVA-Abteilung III.

Die DDR-Botschaft in Bukarest als Spionagestützpunkt

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henen Reise bei der »Arbeitsgruppe Sicherheit« der HV A anmelden mussten.651 Ebenso gab es im MfS die Festlegung, die Namen jener DDR-Bürger an die HV A zu melden, die für mehr als fünf Monate aus beruflichen Gründen in ein Land reisten, das aus nachrichtendienstlicher Sicht von Bedeutung war. Diese Festlegung galt für Reisen in sämtliche westlichen Staaten sowie in vier sozialistische Länder, nämlich China, Jugoslawien, Rumänien und Kuba.652 Das MfS stand mit dieser Einteilung der Welt nicht allein. Eine Parallele findet sich beispielsweise in der Organisationsstruktur der für Auslandsspionage zuständigen Ersten Hauptverwaltung des KGB, also dem Pendant zur HV A. Dort war die Fünfte Abteilung in den 1980er-Jahren für Spionage in den Beneluxländern, Frankreich, Spanien, Portugal, der Schweiz, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Albanien und Rumänien zuständig, was den besonderen Status Rumäniens aus der Sicht des KGB zeigt.653 Auch die Nachbarländer Ungarn und Bulgarien beobachteten aufmerksam die besonderen Beziehungen zwischen China, Albanien, Jugoslawien und Rumänien.654 Der britische Zeithistoriker Martin S. Alexander hat in den 1990er-Jahren die Spionage unter verbündeten Staaten im 20. Jahrhundert untersucht und charakterisiert sie als ein allgemein übliches, selbstverständliches Phänomen. Denn 651  MfS, Stellvertreter des Ministers [Großmann], 7.12.1987: Meldung der für das Jahr 1988 geplanten operativen Reisen von Mitarbeitern und OibE in Länder des NSW sowie SFRJ, SRR und Kuba; ähnlich für die Jahre 1985 und 1989 in: BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XV, Nr. 1031, Bl. 2 bzw. Abt. XV, Nr. 1000, Bl. 1–5. 652  KD Aschersleben, Leiter, 1.9.1982: Festlegungen zur Umsetzung der Dienstanweisung 3/82 des Leiters der Bezirksverwaltung zur Lösung von Aufgaben im und nach dem Operationsgebiet; BStU, MfS, BV Halle, KD Aschersleben, Sach Nr. 1273, Bl. 26–31, hier 31. Die hier angeführte DA 3/82 wurde am 30.8.1985 überarbeitet und erweiterte den Kreis der nachrichtendienstlich interessanten, sozialistischen Länder um Albanien und Ungarn. BStU, MfS, BV Halle, KD Artern, Sachakte Nr. 3, Bl. 14. 653  Andrew; Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB, S. 690 f. Andrew und Mitrochin verweisen außerdem darauf, dass der KGB 1971 13 »Illegale« nach Rumänien entsandte, weit mehr als beispielsweise in die Nachbarstaaten Ungarn und Bulgarien: »Schwerpunkte der Informationsbeschaffung der 1971 mit westlicher Tarnung nach Rumänien entsandten Illegalen waren die Beziehungen Rumäniens zu den USA und China, die rumänischen Ansprüche auf sowjetisches Territorium in Bessarabien und der Nordbukowina, die politische und wirtschaftliche Basis der Opposition gegen die Sowjetunion, die Haltung der deutschen und ungarischen Minderheiten, der Ceaușescu-Kult und der Zustand der KP Rumäniens.« Andrew; Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB, S. 374 f. 654  Beratung der Leiter der Abwehrdienste der Staatssicherheitsorgane der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, Prag, 17.–21. März 1975; dort die Reden von Generaloberst Grigor Schopow [Šopov], 1. Stellvertreter des bulgarischen Innenministers, und von Generalmajor László Havasi; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5104, Bl. 55 f., 90. Anders als in der MfS-Akte angegeben war Havasi Leiter der Hauptabteilung III/II (Spionageabwehr) (1.1.1974–30.6.1977) sowie stellvertretender Leiter der ungarischen Staatssicherheit (= Hauptverwaltung III des MdI). Beide Geheimdienstler schildern, wie chinesische Diplomaten in ihren Ländern besondere Beziehungen zu den Botschaften der anderen drei genannten Staaten unterhielten.

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es sei für ein Land stets von Bedeutung, seine Verbündeten richtig einschätzen zu können. Zwar müsse man nicht jede fundierte Einschätzung eines Verbündeten schon als klassische Spionage werten, doch seien die Grenzen zwischen »einschätzen« und »spionieren« fließend.655 Bildeten die Maßnahmen der HV  A gegenüber Rumänien einen solchen Fall von »knowing your friends«? Die Einrichtung einer Spionageresidentur und die wiederholte Zuordnung Rumäniens zu Ländern wie China, Jugoslawien und Albanien legt die Schlussfolgerung nahe, dass die HV A hier noch einen Schritt weiter ging. Rumänien nahm in dieser Hinsicht eine Zwitterstellung ein. Es blieb ein mit der DDR verbündetes Land. Doch zugleich behandelte die DDR-Staatssicherheit es mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie ein gegnerisches, westliches Land. Rumänien unterschied sich darin in einem entscheidenden Punkt von Polen, wo das MfS nach den dortigen Aufständen 1980/81 ebenfalls aktiv wurde, und zwar in einem noch größeren Ausmaß. Auch in Polen baute das MfS ein Informantennetz aus DDR- und polnischen Bürgern auf, von dem der polnische Staatssicherheitsdienst nichts wissen sollte. Parallel verstärkten dort die Geheimdienste beider Staaten aber zugleich auch ihre offizielle, einverständliche Zusammenarbeit. Auf beiden Strecken zielte das MfS darauf ab, die polnische Reform- und Protestbewegung um die Gewerkschaft »Solidarność« zu bekämpfen. Es handelte sich also um Unterstützung für die Machthaber in Polen.656 Wie der polnische Historiker Tytus Jaskułowski hervorhebt, gestaltet sich die damalige Zusammenarbeit jedoch äußerst konfliktreich und bewirkte kaum etwas. Die polnische Seite habe zudem die verdeckten Maßnahmen des MfS, Informationen in Polen zu sammeln, erkannt; ferner seien die MfS-Auswerter nicht in der Lage gewesen, die Lage in Polen zutreffend zu erfassen und zu analysieren.657 Gleichwohl ging es dem MfS seit 1980 in Polen darum, dazu beizutragen, eine gesellschaftliche Entwicklung zu unterdrücken. 655  Alexander: Introduction: Knowing Your Friends, Assessing Your Allies, S. 8. In seinem Ausblick sagt Alexander zutreffend voraus, dass Spionage unter Freunden (»knowing your friends«) die passende Form in einer »neuen Welt-Unordnung« zu Beginn des 3. Jahrtausends sein wird. Ebenda, S. 14. 656  Ausführlich hierzu Tantzscher: »Wir fangen an, neue gute Traditionen in der Zusammenarbeit zu schaffen«; Borodziej; Kochanowski; Schäfer: Grenzen der Freundschaft. 657 Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen, S. 275–277. Jaskułowski zufolge spionierte das MfS in den 1980er-Jahren mit etwa 100 IM in Polen, darunter 50, »die regelmäßig nach Polen reisten, 30 weitere, die sich ständig in Polen aufhielten und 20 Doppelagenten, d. h. polnische Anbieter bzw. bestplazierte IM, die z. B. im Umfeld der Solidarność agierten«. Ebenda, S. 276. Höhere Zahlen nennen Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 205 (150 IM im Jahr 1985) sowie Tantzscher: »Wir fangen an, neue gute Traditionen der Zusammenarbeit zu schaffen«, S. 107 (500 Zuträger im November 1986). Somit war die IM-Präsenz auf jeden Fall größer als in Rumänien. Jaskułowski setzt sich in seinen materialreichen Studien von früheren, einseitigen Sichtweisen ab, die das MfS im Kontrast zum polnischen SB als deutlich souveräner darstellten. Seine komplett gegenteilige Sicht wirkt indes ebenfalls überzeichnet.

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Dagegen positionierte sich das MfS im Hinblick auf Rumänien nach 1968 gegen das Land insgesamt, sowohl gegen die Führung als auch gegen ein mögliches Unruhepotenzial in der Bevölkerung; mit diesen Zielstellungen lieferte das MfS der SED-Führung Informationen aus und über Rumänien. Wie arbeiteten die Legalresidenturen der HV A? Welchen Stellenwert besaßen die DDR-Botschaften als Spionagestützpunkte für die Tätigkeit der HV A? Darüber gibt das MfS-Archiv nur bruchstückhaft Auskunft, da die HVA-Akten 1989/90 weitgehend beseitigt worden sind. Markus Wolf, der die Auslandsspionage von 1953 bis 1986 leitete, favorisierte die sogenannte legale Linie nicht, sondern setzte bevorzugt auf die »illegale Linie«.658 Das bedeutete, die HV A steuerte ihre Agenten gerne direkt aus der Zentrale: die Agenten reisten zur Berichterstattung oder zu Instruktionen in die DDR oder in sichere Drittstaaten, oder die HV A schickte Kuriere zu ihnen. Das war unauffälliger als die Anbindung an eine Legalresidentur. Vor allem in der Bundesrepublik führte die HV A auf diese Weise ein großes Agentennetz. Anfangs stand ihr ohnehin nur die »illegale Linie« zur Verfügung, da die DDR erst 1974 eine diplomatische Niederlassung, die »Ständige Vertretung«, in Bonn eröffnete. Doch sie behielt ihre Strategie bis in die 1980er-Jahre hinein bei. Die engen innerdeutschen Beziehungen und die geographische Nähe begünstigten im geteilten Deutschland diese Methode. In anderen Staaten spielte die jeweilige DDR-Botschaft oder Handelsvertretung hingegen eine wichtigere Rolle für die Spionageaktivitäten der HV A.659 Da HVA-Akten weitgehend fehlen, kommt dem Datenbanksystem SIRA der HV A eine umso größere Bedeutung als historischer Quelle zu. SIRA ermöglicht einen Einblick in die weltweiten Spionageaktivitäten der HV A und auch ihrer Residenturen in den 1970er- und 1980er-Jahren – auch mit Bezug auf Rumänien. Rund 450 000 Spionageinformationen aus diesen zwei Jahrzehnten erfasste die HV A in dieser Datenbank. Davon bezog sich der ganz überwiegende Anteil auf Personen, Sachverhalte und Entwicklungen in der Bundesrepublik. Das westliche Deutschland blieb für die HV A, wie für die DDR insgesamt, stets der wichtigste Bezugspunkt. Rumänien bildete hingegen ein deutlich nachrangiges Ziel für die HVA-Aktivitäten. Lediglich 3 052 Informationen weisen in der SIRA-Datenbank einen direkten oder indirekten Bezug zu Rumänien auf. 658  Referat des Gen[ossen] Generalleutnant Wolf zum zentralen Führungsseminar vom 1. bis 3. März 1971, veröffentlicht in: Knabe (Hg.): Die West-Arbeit des MfS, S. 333–348, hier 336 f. Demnach präferierte Wolf die »illegale Linie« für Spionage in NATO-Staaten, wollte hingegen in Drittstaaten auch die Möglichkeiten der Legalresidenturen intensiv nutzen. 659  Über Aufgaben und Funktionsweise der Legalresidenturen haben nach 1990 einige HVA-Mitarbeiter berichtet: Günther: Wie Spione gemacht wurden; Berliner: Der Resident; Fischer: Als Diplomat mit zwei Berufen. Siehe auch MfS, Minister: Befehl Nr. 9/80 über die Zusammenarbeit der Diensteinheiten des MfS bei der politisch-operativen und der operativ-technischen Arbeit in den Auslandsvertretungen der DDR im Operationsgebiet, vom 20.6.1980; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4826, Bl. 1–3. Vgl. außerdem die Fallstudie des Historikers Douglas Selvage: Die Legal abgedeckte Residentur (LAR) der Hauptverwaltung A in Washington.

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Und davon stammte nur ein kleiner Teil von der Bukarester HVA-Residentur. Mochte Rumänien auch ein schwieriger Verbündeter sein, so stand es gleichwohl nicht im Mittelpunkt des Sicherheitsdenkens der HV A. Die meisten der 3 052 Spionageinformationen mit Rumänienbezug behandelten entweder die westliche Rumänienpolitik oder betrafen gesamteuropäische Fragen, in denen Rumänien nur als eines unter mehreren Ländern vorkam. Oftmals gaben sie Auskunft darüber, wie bundesdeutsche Politiker die Situation in Rumänien einschätzten, oder welche Erkenntnisse die bundesdeutschen Geheimdienste über Rumänien besaßen. Dementsprechend saßen die ergiebigsten HVA-Quellen zum Thema Rumänien nicht in Bukarest, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu gehörten in erster Linie die HVA-Spione im Bonner Auswärtigen Amt und im Bundesnachrichtendienst.660 Vor allem die BND-Mitarbeiterin Gabriele Gast lieferte der HV  A mehrfach Spitzeninformationen über die inneren Verhältnisse in Rumänien sowie über die rumänische Außenpolitik – was auf eine entsprechend gute Informationslage im BND schließen lassen könnte. Denn Gabriele Gast arbeitete als Regierungsdirektorin in der BND-Auswertungsabteilung, wo die beschafften Spionageerkenntnisse zusammenflossen und zu Berichten und Analysen für politische Entscheidungsträger aufbereitet wurden. Auch quantitativ war Gabriele Gast mit 147 Informationen zu rumänischen Angelegenheiten eine der ergiebigsten Quellen der HV A.661 In der SIRA-Datenbank bildet sich die Informationsbeschaffung der Legalresidenturen erst seit Beginn der 1980er-Jahre eindeutig ab. Bis 1980 ist in der SIRA-Datenbank bei jeder Spionageinformation lediglich vermerkt, welcher 660 Zu nennen sind hier die bekannten Spione im Bonner Auswärtigen Amt Hagen Blau (»Merten«, Reg.-Nr. XV/6427/60), Herbert Kemper (»Harry«, Reg.-Nr. XV/381/69), Ludwig Pauli (»Adler«, Reg.-Nr. XV/15905/60) und Klaus Kurt von Raussendorff (»Brede«, XV/13864/60), die HVA-Agenten beim Bundesnachrichtendienst Gabriele Gast (»Gisela«, Reg.-Nr. XV/34/69; »Gerald«, Reg.-Nr. XV/378/68; »Denkmal«, Reg.-Nr. XV/22/65; »Reinhard«, Reg.-Nr. XV/3331/77) und Alfred Spuhler (»Peter«, Reg.-Nr. XV/96/72), der HVASpion im Brüssler NATO-Hauptquartier Rainer Rupp (»Topas«, Reg.-Nr. XV/333/69) sowie ein Mitarbeiter beim westdeutschen »Bundesverband der deutschen Industrie« mit dem Decknamen »Jack«, Reg.-Nr. XV/2001/73. Vgl. BStU, MfS, HV  A/MD/2-5, SIRA-TDB 11-14: Recherchen zum Suchbegriff »Länderhinweis Rumänien« in Verbindung mit den genannten Reg.-Nrn.. Allein diese acht westdeutschen HVA-Quellen beschafften bereits 620 der 3 052 Informationen mit Rumänienbezug. Näheres zu diesen Spionen in: Herbstritt; Müller-Enbergs: Das Gesicht dem Westen zu, S. 48 f., 61, 87, 396–399; Müller-Enbergs (Hg.): Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2, S. 45, 200, 219, 232, 240, 249. 661  BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, Recherche zur Reg.-Nr. XV/3331/77 (»Reinhard«). Gabriele Gast lieferte demnach zwischen 1984 und 1987 sieben Informationen zur inneren und äußeren Lage Rumäniens, die die HV A als »sehr wertvoll« und somit als Spitzeninformation einstufte. Nur rund 2 Prozent aller Informationen, die die HV A erfasste, wurden als Spitzeninformationen bewertet. Zu Gast siehe zusammenfassend Wössner: Angriffe des MfS auf den Bundesnachrichtendienst, S. 397–399.

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Informant sie beschaffte. Ob er zu einer Legalresidentur gehörte, weist die SIRA-Datenbank erst seit 1981 aus. Die nachrichtendienstliche Leistungsfähigkeit einer Legalresidentur lässt sich daher nur für die 1980er-Jahre feststellen. Mit Bezug auf Rumänien ergibt sich folgendes Bild: Zwischen 1981 und 1989 registrierte die HVA-Zentrale 179 Informationslieferungen der Bukarester Residentur.662 Insgesamt erfasste die HV A in diesem Jahrzehnt 1 252 Informationen mit Rumänien-Bezug. Die Residentur steuerte also rund 14 Prozent zu diesem Informationsaufkommen bei. Im Vergleich zur Spitzenagentin Gabriele Gast war das eine eher bescheidene Ausbeute. Ausweislich der SIRA-Datenbank stammten die 179 Informationslieferungen von 21 verschiedenen Informanten der Bukarester Residentur. Mehrheitlich handelte es sich bei ihnen um DDR-Bürger und fest angestellte Mitarbeiter der DDR-Botschaft. Einige von ihnen hatten beim MfS den Status eines »Offiziers im besonderen Einsatz« (OibE), und zwar Edgar Gladitz (»Ivo«), Klaus Neumann (»Kuhnert«) und Bernd Schwarz (»Mark«). Neumann wurde 1984 in Bukarest von Wilfried Hertzsch (»Brey«) abgelöst, der dessen Funktion als »Hauptamtlicher Sicherheitsbeauftragter« (HSB) übernahm.663 Einen »Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten« gab es in jeder größeren DDR-Botschaft. Er war sowohl den Botschaftsmitarbeitern als auch den zuständigen Stellen des Gastlandes bekannt und galt beiden als Ansprechpartner für Sicherheitsfragen. Offiziell unterstand er dem Botschafter und wurde von der Abteilung Schutz des DDR-Außenministeriums angeleitet. Inoffiziell unterstand er hingegen dem Residenten der HV A in der Botschaft.664 Das Außergewöhnliche 662  Informationen der Bukarester Residentur sind in der SIRA-Datenbank mit der Residenturnummer 251 gekennzeichnet. 663  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nrn. XV/2806/78 (»Ivo«), XV/2404/80 (»Kuhnert«), XV/286/84 (»Mark«), XV/3906/83 (»Brey«). Bernd Schwarz (»Mark«) war bereits von 1972 bis 1983 für die Abteilung III der HV A in dem IM-Vorgang »Schenk« unter der Reg.-Nr. XV/490/72 erfasst. Vgl. ebenda sowie BStU, MfS, HV A/MD/6, SIRA-TDB 21, ZV8245002. Zu den vier hier Genannten vgl. jeweils auch die auf ihren Klarnamen ausgestellte Kaderkarteikarte in: BStU, MfS, HA KuSch. Zu Neumann (»Kuhnert«) vgl. auch BStU, MfS, KS 5608/90, zu Hertzsch (»Brey«) BStU, MfS, HA KuSch, Nr. 891, Bl. 1, 33 sowie BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl. 164, 167, 172, 203, 217, 224 und AIM 16142/91, Bd. 2, Bl. 212. Zu Schwarz auch BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl. 141, 211 f., 217, 224. Zu Gladitz (»Ivo«) vgl. auch BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl.  137. Zur Aufgabe des Residenten vgl. Dienstanweisung Nr. HV  A 1/81 (wie Anm. 650). Die Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten »Brey« und »Kuhnert« waren bei der HV A IX angebunden, die Residenten »Ivo« und »Mark« bei der HV A III. 664  Die Funktion des »Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten« wird derartig in einer MfS-Studie zur Geschichte der MfS-Spionageabwehr beschrieben: Forschungsgruppe des MfS, 21.6.1988: Konzeption für die Realisierung des präzisierten Forschungsauftrages vom 10.2.1988 zum Thema »Der Beitrag und die Verantwortung der Organe für Staatssicherheit im Kampf zur Sicherung des Friedens und der erfolgreichen Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Erfüllung des Klassenauftrages des IX. und X. Parteitages der SED, insbesondere bei der Bekämpfung der Spionagetätigkeit der imperialistischen Geheimdienste«; BStU, MfS, HA II/6, Nr. 1057, Bl. 154 f. Hierzu auch Labrenz-Weiß: Die Hauptabteilung II,

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im Falle Rumäniens bestand darin, dass es die HV A war, die den Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten in Bukarest stellte. Das tat sie ansonsten vorwiegend im westlichen oder neutralen Ausland. In den DDR-Botschaften in Warschau, Prag, Budapest und Sofia entsandte hingegen die Hauptabteilung II des MfS, also die Spionageabwehr, die Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten.665 Als Resident der HV A in Bukarest fungierte in den frühen 1980er-Jahren Edgar Gladitz, der offiziell als 1. Sekretär in der Botschaft arbeitete. 1983 kehrte er in die DDR zurück. In den Jahren 1983 bis 1985 übernahm Bernd Schwarz die Arbeit des Residenten. Nach außen hin bekleidete er die Funktion eines 2. Sekretärs der Botschaft. Die Aufgabe der Residenten bestand darin, sich regelmäßig mit den Mitarbeitern der DDR-Botschaft zu treffen, die als IM geführt wurden. Dabei sollte der besondere Charakter dieser Treffen vor den anderen Mitarbeitern möglichst geheim gehalten werden. Sie waren auch dafür zuständig, die Verbindungen zur HVA-Zentrale in Ostberlin aufrechtzuerhalten. Über Kurierpost und chiffrierte Telegramme übermittelten sie zumindest monatlich die Informationen, die ihnen von den inoffiziellen Mitarbeitern und Kontaktpersonen zugegangen waren. Faktisch glich die Arbeit des Residenten in mancher Hinsicht der eines Führungsoffiziers. Als IM der Residentur wurden in den 1980er-Jahren unter anderem der Kulturattaché der DDR-Botschaft Klaus Behling (»Christian Becher«), der Presseattaché Roland Buchwald (»Reinhard Walter«) und der Botschaftsrat Siegfried Anders (»Nexö«) geführt.666 Weitere Mitarbeiter der DDR-Botschaft, die in den 1980er-Jahren zugleich als Informanten der Residentur zuarbeiteten, waren »Ulme«, »Feder«, »Carl«/»Karl« und »Zink«; ihre Klarnamen lassen sich noch nicht 100-prozentig identifizieren.667 Zur Legalresidentur gehörte ferner der IM-Vorgang »Tanne«. Unter diesem Decknamen hatte die Residentur zwei DDR-Bürger erfasst, die außerhalb der Botschaft auf wissenschaftlich-kulturellem Gebiet in Rumänien tätig waren.668 Ebenso war die Kontaktperson »Berger«, der rumäniendeutsche Journalist und S. 50. Zu den Aufgaben der HSB siehe auch die Ausführungen des früheren HVA-Obersten Gotthold Schramm: Der BND und die Auslandsvertretungen der DDR, S. 140. 665  Struktur der HA II/10, Kaderbestand am 31.12.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 66–72. – Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 30. 666  BStU, MfS, AIM 16159/89 (»Christian Becher«, erfasst für HV A IX/B); AIM 1619/91 (»Reinhard Walter«, erfasst für HV  A III/3); BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd.  2, Bl. 66; BStU, MfS, HA XX, AP 76609/92 (Anders, erfasst für HV A III/A/3). Außerdem BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nrn. XV/3761/83 (»Christian Becher«), XV/4358/77 (»Reinhard Walter«), XV/295/85 (»Nexö«). 667  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nrn. XV/6680/82 (»Ulme«), XV/2672/77 (»Feder«), XV/425/82 (»Carl«), XV/6374/81 (»Zink«), alle vier erfasst für die HV A III. 668 BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nr. XV/1852/71 (»Tanne«), erfasst für die HV A III. Die Akte zu dem IM mit der Deck-Bezeichnung »Tanne« wurde von der HV A am 31.8.1971 angelegt. Vgl. BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«.

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Politiker Eduard Eisenburger, der Residentur zugeordnet. Von »Tanne« und »Berger« erhielt die Legalresidentur Informationen, und von beiden wird später noch die Rede sein.669 Gespräche mit einem italienischen Journalisten in Bukarest verbuchte die Legalresidentur ab 1984 in dem Vorgang »Volker«.670 Über sieben Informanten der Legalresidentur liegen keine Hinweise auf ihre Identität vor.671 Somit ist nicht klar, ob sie Botschaftsmitarbeiter oder rumänische Staatsbürger waren oder einen anderen Hintergrund hatten. Technische Unterstützung erhielt die Residentur vom Funker der Botschaft, der für die Funkverbindung zur HVA-Zentrale sorgte und meist als »Offiziers im besonderen Einsatz« an das MfS angebunden war.672 Gemessen an der Anzahl der gelieferten Informationen erwies sich »Ivo« als ergiebigste Quelle der Residentur. In den zwei Jahren 1981 und 1982 registrierte die HV A von ihm 30 Informationseingänge. Häufig berichtete er über die Sicht westlicher Diplomaten auf die Situation in Rumänien. »Ivo« informierte die HV A Anfang April 1981 auch über die »Aktion einer illegalen sog. freien Gewerkschaft in der SRR«. Es war dies die einzige Meldung der Residentur überhaupt, die auf eine Oppositions- oder Widerstandsbewegung in Rumänien hindeutete. Vermutlich bezog sich diese Meldung auf die Arbeiterunruhen im Februar 1981 in Bukarest, Ploiești und Pitești. Über die Gründung der freien Gewerkschaft SLOMR im Februar 1979 scheint die bukarester HVA-Residentur hingegen keine Berichte oder Meldungen verfasst zu haben; zumindest sind solche nicht im Archiv überliefert.673 In den 1970er-Jahren verfügten insbesondere die Informanten »Spree« und »Neubert« über gute Zugänge in Rumänien, »Zobel« darüber hinaus auch im nachfolgenden Jahrzehnt. Unter dem Decknamen »Spree« führte die HV A den DDR-Diplomaten Wolfgang Seidel, der auch das Pseudonym »Wolfgang Sperling« benutzte. Seidel nahm im Herbst 1973 seinen Dienst als außerplanmäßi669  Zu »Tanne« siehe Anm. 709 und 769, zu »Berger« S. 277–282. 670  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nr. XV/1671/68 und XV/5692/84 (»Volker«), erfasst für die HV A III. Die HV A führte den Vorgang »Volker« als »Operative Personenkontrolle«. Das deutet darauf hin, dass »Volker« lediglich als »Kontaktperson« galt, die abgeschöpft wurde, jedoch kein IM war. 671  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nrn. XV/232/73 und XV/2518/87 (»Boris«); XV/2557/80 (»Fuchs«); XV/2806/78 (»Hafen«); XV/4597/87 (»Meister«); XV/1671/68 und XV/6289/82 (»Norbert«); XV/355/73 (»Ritter«); XV/320/72 (»Zobel«). Alle Vorgänge sind für die HV A III erfasst. Vgl. auch Anm. 487. 672  BStU, MfS, AIM 3425/85, Bd.  I/1, Bl.  83  f., 90–93; BStU, MfS, AOibE 10185/89, Bd. II/1, Bl. 1, 5 f., 17 f., 34–36, 44 f., 50 f., 78, 81–87, 169–171. Vgl. auch HV A, Stellvertreter [Jänicke], 8.5.1974: 2. Durchführungsbestimmung zur DA 2/74 über die Gewährleistung der Funkverbindung zwischen der HV A und den »legalen« Residenturen – Funkverbindung »legale« Residenturen – ; BStU, MfS, HVA, Nr. 1194, Bl. 2–6. 673  BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA-TDB 11-14: Recherche zur Reg.-Nr. XV/2806/78 (»Ivo«). Zu den Arbeiterunruhen im Februar 1981 siehe Petrescu, Dragoș: Workers and Peasant Workers, S. 138. Zu der Gewerkschaftsgründung vgl. auch unten, S. 423.

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ger Sekretär in der Bukarester DDR-Botschaft auf. Zwischen 1974 und 1979 verzeichnete die HV  A von ihm insgesamt 46 Informationen. Es waren ausschließlich Berichte über Rumänien. Häufig ging es darin um die Außenpolitik des Landes, an zweiter Stelle standen innenpolitische Themen bis hin zu Personalveränderungen in der rumänischen Staats- und Parteiführung. Die berufliche Position Seidels als Botschaftssekretär in der »Politischen Abteilung« der Botschaft und seine inoffizielle Funktion als »Offizier im besonderen Einsatz« der HVA-Abteilung III lassen den Schluss zu, dass er damals zur Bukarester HVA-Residentur gehörte.674 »Neubert« fungierte zwischen 1972 und 1978 als Informationsquelle der HV A. Er lieferte in diesem Zeitraum 18 Informationen. Sie behandelten fast ausschließlich rumänische Angelegenheiten; dazu gehörten interne Vorgänge in der RKP und der rumänischen Staats- und Parteiführung. Offenkundig hielt sich »Neubert« in diesem Zeitraum ebenso wie Seidel dauerhaft in dem Land auf. Ob »Neubert« rumänischer Staatsbürger war oder ein deutscher Mitarbeiter der DDR-Botschaft, geben die Akten nicht preis.675 Von dem Informanten »Zobel« registrierte die HV  A zwischen 1974 und 1987 insgesamt 22 Berichte, die sie zum Teil überdurchschnittlich wertvoll einschätzte. »Zobel« informierte ebenfalls ausschließlich aus innerrumänischer Perspektive, gab Einschätzungen zur Lage im Land, berichtete über Interna der Rumänischen KP, machte Angaben zu einzelnen Politikern und Funktionären und informierte die HV A offenbar fundiert über »Kräftegruppierungen in der Führung der SRR«. Er gehörte vermutlich schon seit 1974 zu den Informanten der Residentur, für die 1980er-Jahre belegen dies die SIRA-Daten eindeutig. In den Jahren von 1980 bis 1984 erhielt die HV A keine Informationen von ihm; der Grund für diese Pause ist nicht erkennbar. Ebenso wie bei »Neubert« ist auch bei »Zobel« nichts Näheres über seine Herkunft und Position bekannt.676 674  BStU, MfS, HV A/MD/2-5, SIRA-TDB 11-14, Recherche zur Reg.-Nr. XV/3436/72, (»Spree«). Zu Wolfgang Seidel vgl. auch BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Reg.-Nr. XV/3436/72; ferner BStU, MfS, HA KuSch, Nr. 52, Bl. 26 f.; HA KuSch, Nr. 157, Bl. 87, 121; HA KuSch, Kaderkarteikarte Seidel, Wolfgang; BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XVIII, Nr. 5035, Bl. 8, 33, 35; PA AA, MfAA, C 452/75, Bl. 55 f., 63 f. (Protokolle über Dienstberatungen beim Leiter der Vertretung der DDR in Bukarest 1972–74); PA AA, MfAA, C 453/75, C 1624/76 (Arbeitspläne der DDR-Botschaft Bukarest 1971–75). Seit August 1988 war Seidel an der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn eingesetzt. 675  BStU, MfS, HV A /MD/2-6, SIRA-TDB 11-14 und 21, Reg.-Nr. XV/1709/72 (»Neubert«); IMA-Vorgang, HVA III. Der Vorgang »Neubert« wurde 1981 archiviert, außer den 18 Rumänien-Informationen, die die HV A zumeist als durchschnittlich wertvoll (Note »III«) einstufte, lieferte »Neubert« keine weiteren Berichte. Da die SIRA-Daten nur für die 1980er-Jahre Auskunft über die Anbindung an eine Residentur geben, »Neubert« jedoch nur in den 1970er-Jahren Berichte lieferte, ist nicht erkennbar, ob er Informant für die Residentur war. 676  BStU, MfS, HV A/MD/2-6, SIRA-TDB 11-14 und 21, Reg.-Nr. XV/320/72 (»Zobel«), IMA-Vorgang HVA III/A/3; Zitat: BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE8601013.

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Als inoffiziellen Mitarbeiter führte die HV A auch einen Korrespondenten der DDR-Nachrichtenagentur ADN, der in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in Bukarest arbeitete. Zwischen 1976 und 1979 registrierte die HV A unter seinem Decknamen »Strahl« allerdings nur sieben Informationen. Darin ging es vor allem um die rumänische Außenpolitik.677 Damit blieb er gewiss hinter seinen Möglichkeiten zurück. Wahrscheinlich erhielt die HV A von ihm nur die Hintergrundberichte, die er ohnehin als Korrespondent verfasste. Ob er an die Residentur angebunden war und inwieweit er sich geheimdienstlich betätigte, geht aus den überlieferten Unterlagen nicht hervor. In Schwierigkeiten geriet »Strahl«, als seine rumäniendeutsche Mitarbeiterin, die zudem auch noch in der DDR-Botschaft arbeitete, von einer Urlaubsreise in die Bundesrepublik nicht zurückkehrte. Offenbar überzeugte er aber die ADN-Generaldirektion und das MfS davon, dass seine geflohene Kollegin im Westen keine sensiblen Informationen preisgeben könnte. So durfte er dann in den 1980er-Jahren für längere Zeit in westeuropäischen Ländern arbeiten, um dann nach dem Umsturz als dpa-Korrespondent erneut aus Rumänien zu berichten.678 Neben der HV A führten auch andere Abteilungen des MfS inoffizielle Mitarbeiter an der Botschaft, die demnach nicht zur HVA-Residentur gehörten. Dazu zählten beispielsweise Dieter Hadel und Dieter Lumpe, die die DDR auf wirtschaftlichem Gebiet in Rumänien vertraten. So war Hadel seit 1984 als Handelsattaché in Bukarest eingesetzt. Er arbeitete bereits seit 1964 als inoffizieller Mitarbeiter »Hans Alberts« für das MfS. In welchem Umfang er aus Bukarest berichtete, erschließt sich aus den unvollständig erhalten gebliebenen Unterlagen nicht.679 Dieter Lumpe kam als Leiter des »technisch-kommerziellen Büros« für Werkzeugmaschinen und Werkzeuge ebenfalls 1984 an die DDR-Botschaft nach Bukarest und wurde aus diesem Anlass als inoffizieller Mitarbeiter wieder angeworben, nachdem er bereits von 1955 bis 1961 als Agent in der Bundesrepublik eingesetzt war. Als ein Repräsentant der DDR-Industrie hatte er Beziehungen zu vielen rumänischen Betrieben, über die er dem MfS unter seinem Decknamen »Lamm« in den Jahren 1985 bis 1987 gelegentlich berichtete. Sein letzter Führungsoffizier, der MfS-Hauptmann Wolfgang Stenzel, war mit Lumpes Leistungen jedoch unzufrieden und stellte die Zusammenar677  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz« sowie BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12: Recherche zu Reg.-Nr. XV/1055/67 (»Strahl«). 678  BStU, MfS, HA XX, Nr. 2163, Bl. 48–55, 61–66, 71 f., 75–77. In der SIRA-TDB 12 sind zwischen 1980 und 1985 noch 23 Informationen von »Strahl« aus Westeuropa nachgewiesen. 1986 archivierte die HV A den Vorgang »Strahl«. Siehe auch den kurzen Nachruf in: Siebenbürgische Zeitung v. 15.4.1994, S. 2. 679 Hadel wurde von 1964 bis 1986 von der Linie XVIII (Überwachung der Volkswirtschaft) des MfS als IM geführt. Dann übernahm ihn Hans-Werner Bromme von der HA II/10 des MfS (vgl. Anm. 861) als Führungsoffizier, da er den Informationsbedarf der HA II/10 zur politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Rumäniens und zu bestimmten Personenkreisen bedienen sollte. BStU, MfS, AIM 12827/91, Bd. I/1, Bl. 8, 39 f., 322, 339–341, 361.

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beit mit ihm im Juni 1989 ein. Stenzels Begründung ist aufschlussreich, denn sie zeigt gleich mehrere Grenzen des Spionagegeschäfts auf. So wies Stenzel auf die ungünstigen äußeren Rahmenbedingungen hin – gemeint war die Tätigkeit im Ausland – die keine regelmäßigen Treffen zugelassen hätten. Allerdings habe sich Lumpe auch nicht bei ihm gemeldet, wenn er sich zu Besuchen oder Dienstreisen in der DDR aufgehalten habe, wie es eigentlich vereinbart gewesen sei. Lumpe habe daraufhin Geheimschreibmittel ausgehändigt bekommen, mit denen er seine Berichte über Rumänien verfassen und an eine Deckadresse übersenden sollte, aber er habe davon keinen Gebrauch gemacht. Insofern ließ sich Lumpe kaum vom MfS steuern und war faktisch schon 1987 aus der IM-Tätigkeit ausgestiegen, da er später keine Berichte mehr lieferte.680 Die 179 Informationen, die die HV A in den 1980er-Jahren von der Bukarester Residentur verzeichnete, bezogen sich inhaltlich zur Hälfte auf die Auslandsbeziehungen Rumäniens, zur anderen Hälfte auf rein innenpolitische Themen. So erhielt die HV A neben allgemeineren Berichten über die innere Lage des Landes wiederholt auch Informationen und Einschätzungen zur Situation in der Führungsebene von Staat und Partei. Über die Lage der deutschen Minderheit und deren Exodus in die Bundesrepublik kamen aus der Bukarester HVA-Residentur vereinzelt Informationen. Kein einziger Bericht aus der Residentur wurde von der HV A als Spitzeninformation eingeschätzt, eine ganze Reihe jedoch als überdurchschnittlich bedeutend.681 Das Bemerkenswerte an der Bukarester Legalresidentur der HV A ist in erster Linie ihre Existenz als solche. Denn sie zeugt von dem besonders kritischen Blick der HV A gegenüber dem verbündeten Rumänien. Erst in zweiter Linie ist es der Inhalt der Spionageinformationen, der Beachtung verdient. Denn zahlreiche Berichte der Bukarester Legalresidentur gelangten ohnehin gleich zweimal an das MfS. Zum einen übersandten die Mitarbeiter der DDR-Botschaft in ihrer offiziellen Funktion Informationen, die sie in Rumänien etwa gesprächsweise erlangten, an das DDR-Außenministerium nach Ostberlin, wie das Diplomaten eben zu tun pflegen. Das Außenministerium reichte Kopien oder Zusammenfassungen solcher Berichte an das Lagezentrum der HV A weiter. Zum anderen berichteten sie mitunter über die gleichen Sachverhalte auf inoffiziellem 680  BStU, MfS, AIM 12957/89, Bd. I/1, Bl. 155–164, 185 f., Bd. II/1, Bl. 14–18, 22–32, 40–45, 50–52. Lumpe wurde ab 1984 von der HA II/10 des MfS geführt; 1955–1961 hatte ihn die HV A geführt. Dem Führungsoffizier Stenzel unterstanden weitere in Rumänien eingesetzte IM, etwa der Außenhandelsökonom »Johannes Hofmann« (Anm. 1073) sowie einige Studierende (Anm. 860), ebenso überwachte er in der OPK »Marder« Rumänen in Berlin (Anm. 1164). 681  19 Informationen der Bukarester Residentur erzielten die Note »II« (»wertvoll«), 159 die Standardnote »III« (»mittlerer Wert«), eine blieb ohne Einschätzung. Zu den Notenstufen vgl. auch Anm. 467. Die 19 Informationen mit der Note »II« kamen von 13 verschiedenen Informanten der Residentur. Es existierte also nicht eine Quelle, die gehäuft überdurchschnittlich wichtige Informationen lieferte.

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Wege direkt an die HV A. Die Grenzen zwischen einem gut informierten Diplomaten, der sein Außenministerium informiert, und einem inoffiziellen Mitarbeiter in der Botschaft, der seiner Geheimdienst-Zentrale Bericht erstattet, sind fließend.682 Ein wesentlicher Unterschied zwischen außenpolitischer und geheimdienstlicher Berichterstattung besteht in den Absichten, die der jeweilige Empfänger der Information hegt. Ein Außenministerium erwartet von seinen Botschaften möglichst präzise Informationen und Hintergrundberichte, um solide einschätzen zu können, in welchem Zustand sich ein Land befindet, mit welchen Veränderungen und Entwicklungen dort zu rechnen ist und was bei der Gestaltung der bilateralen Beziehungen zu beachten ist. Ein Geheimdienst versucht darüber hinaus mit seinen speziellen Methoden, sich ein inoffizielles Netz an Informanten aufzubauen, um an möglichst exklusive Informationen zu gelangen und gegebenenfalls auch aktiv tätig zu werden. Um das zu erreichen, benötigt er zunächst einmal möglichst detaillierte, auch sehr private Informationen über alle möglichen Personen, die theoretisch als Informanten infrage kommen könnten.683 Im MfS-Archiv ist eine Akte der Bukarester Residentur erhalten geblieben, anhand derer man diese beiden Aspekte nachvollziehen kann. Es handelt sich um die HVA-Unterlagen über den Kulturattaché Klaus Behling. Behling stand seit den frühen 1970er-Jahren im diplomatischen Dienst der DDR und war mehrere Jahre in Südostasien eingesetzt. Doch erst als er 1981 an die DDR-Botschaft nach Bukarest kam, begann sich die HV A für ihn zu interessieren. 1983 warb sie ihn als inoffiziellen Mitarbeiter an. Offensichtlich hatte die HV A ein gesteigertes Interesse daran, an der DDR-Botschaft in Bukarest in großem Umfang geheimdienstlich verankert zu sein.684 Viele Berichte Behlings, die beispielsweise über die HVA-Residenten und »Offiziere im besonderen Einsatz« Klaus Neumann, Bernd Schwarz und Wilfried Hertzsch an die HV A gelangten, befassten sich mit den Aktivitäten westlicher Botschaften und ihrer Mitarbeiter in Rumänien. Besondere Aufmerksamkeit galt der bundesdeutschen Vertretung: Wie verhielt sie sich gegenüber der deutschen Minderheit und der Auswanderungsproblematik, welche kulturellen und kulturpolitischen Initiativen entwickelte sie in Rumänien, welche ihrer Mitarbeiter waren möglicher682  Berichte der Bukarester DDR-Botschaft an das DDR-Außenministerium über Entwicklungen in Rumänien befinden sich u. a. in folgenden Aktenbeständen des MfS: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 21–24, 79 f.; BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 7120, 14027–14029, 14034, 14054, 14059. 683  Recht anschaulich beschreibt Kurt Berliner aus seiner eigenen Erfahrung als HVA-Resident und DDR-Diplomat diese Überschneidungen und Unterschiede der diplomatischen und der nachrichtendienstlichen Arbeit, etwa während seiner Zeit an der DDR-Botschaft in Brüssel von 1976 bis 1982. Berliner: Der Resident, S. 162–164, 201–222. 684  BStU, MfS, AIM 16159/89, Bd. I/1, Bl. 12–15 f., 366 f., 463 f., 478–481.

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weise auch geheimdienstlich tätig? Der andere Schwerpunkt seiner Berichte galt der Situation in Rumänien: Wie äußerten sich rumänische Staatsbürger zu konkreten Problemen ihres Landes, gab es Hinweise auf eine oppositionelle Kulturszene? All das waren Themen, die sich noch im Rahmen der diplomatischen Informationsgewinnung bewegten. Hinzu kamen aber auch Charakterisierungen einzelner Personen, die gelegentlich weit in den privaten und intimen Bereich reichten. Gerade Letzteres machte das Besondere der geheimdienstlichen Berichterstattung aus. Die HVA-Auswerter in Ostberlin analysierten Behlings Berichte auf ihre Weise. Sie versuchten zu erkennen, welche seiner rumänischen Gesprächspartner als Informanten interessant waren. Zu diesem Zweck unterteilten sie sie in drei Kategorien. Zur ersten Kategorie zählten diejenigen, zu denen Behling seine Beziehungen festigen sollte, um sie kontinuierlich auszuhorchen oder »abzuschöpfen«, wie es im Geheimdienstjargon heißt. Das zielte gegen sechs rumänische Staatsbürger, fünf davon Angehörige der deutschen Minderheit. Unter anderem horchte Behling demnach den damaligen evangelischen Stadtpfarrer von Bukarest Günter Ambrosi aus. Über eine zweite Kategorie von Menschen sollte er hingegen zielgerichtet weitere Informationen einholen, um eine Grundlage für eine spätere Anwerbung als IM der HV A zu schaffen. Konkret hatte die HV A damals zwei Westdeutsche und eine Französin im Blick, die in kulturellen oder diplomatischen Einrichtungen ihrer Länder in Bukarest arbeiteten. Die dritte Kategorie war mit »Werbevorhaben« überschrieben. Ihr war nur ein einziger Name zugeordnet: der des integren und prominenten Rumäniendeutschen Gerhardt Csejka. Csejka war Literaturkritiker und Redakteur der deutschsprachigen Bukarester Zeitschrift »Neue Literatur« und hatte unter anderem die jungen Schriftsteller der »Aktionsgruppe Banat« gefördert.685 Behling hatte zu ihm einen vermeintlich vertrauensvollen Kontakt aufgebaut, beide kannten sich und trafen sich immer wieder einmal. Die HVA-Zentrale schätzte Behlings Kontakte zu ihm nun als so gut ein, dass sie dem Residenten vorschlug, Csejkas Anwerbung vorzubereiten. Doch Csejka wanderte kurze Zeit später in die Bundesrepublik aus und durchkreuzte somit unbewusst die Strategie der HV A. Denn von deren Plänen hatte er noch überhaupt nichts mitbekommen, und der Vertrauensmissbrauch des Kulturattachés blieb für ihn insofern ohne Folgen. Auf welche Weise die HV A Behling instruierte, auf bestimmte Menschen zuzugehen, um sie abzuschöpfen, geht aus seiner IM-Akte nicht hervor. Die Akte verweist indes auf bestimmte Schwierigkeiten der Bukarester HVA-Residentur. Im Falle des Kulturattachés lag der HVA-Zentrale daran, dass er gute Kontakte zu regimekritischen Menschen in Rumänien pflegte. Zugleich musste sie ihn auf 685  Zu Gerhardt Csejka siehe u. a. seinen Aufsatz »Ich habe den Klassenfeind erkannt«; darin kommentiert Csejka den Inhalt seiner 3  582 Seiten umfassenden Securitate-Überwachungsakte.

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die Risiken hinweisen, die sich für ihn als inoffiziellen Mitarbeiter daraus ergaben: Weil die Securitate seine Kontaktpartner gewiss überwachte, musste auch er damit rechnen, verstärkt in den Blick der rumänischen Geheimpolizei zu geraten und als HVA-Informant enttarnt zu werden. Ebenso musste er bedenken, dass der eine oder andere seiner rumänischen Gesprächspartner an die Securitate angebunden sein konnte und dorthin berichtete. Ein anderes Problem für die HV A bestand darin, dass der Botschafter der DDR in Rumänien von der geheimdienstlichen Anbindung seines Kulturattachés nichts wusste und auch nichts erfahren sollte. Auch das schränkte die nachrichtendienstlichen Möglichkeiten ein. Der Kulturattaché konnte für die HV A nur solche Aufträge ausführen, die mit seinen dienstlichen Aufgaben in der Botschaft zusammenhingen.686 Die Furcht der HV A vor den Überwachungsmaßnahmen der Securitate war auch dem damaligen DDR-Militärattaché in Bukarest, Karl-Heinz Friedewald, bekannt. Friedewald versuchte ebenfalls, nachrichtendienstlich Informationen in Rumänien zu beschaffen. Dabei arbeitete er nicht nur dem Militärgeheimdienst des DDR-Verteidigungsministeriums zu, sondern berichtete als IM »Kurt Fischer« gleichzeitig auch der Militärabwehr des MfS. Einer seiner MfS-Führungsoffiziere, Oberleutnant Harald Krautz, notierte nach einem Gespräch mit Friedewald im Oktober 1985 über die Lage in Rumänien: »Der IM schätzt ein, dass eine op[erative] Arbeit unter oder mit den Landesbürgern aus Gründen der Sicherheit nicht möglich ist. Die Erfahrungen des R/MfS [Residenten des MfS, hier der HV A] besagen das Gleiche. Dem R/MfS ist diese Arbeit strikt verboten worden.«687 Wie konsequent die HVA-Residentur sich an dieses angebliche Verbot hielt, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall war äußerste Vorsicht geboten, zumal die rumänischen Behörden Kontakte zwischen Landesbürgern und Ausländern generell immer strenger kontrollierten. Gleichwohl ermöglichte die diplomatische Abdeckung auch weiterhin einen gewissen Handlungsspielraum. Die lückenhafte Aktenüberlieferung lässt es nicht zu, die Arbeit der Bukarester HVA-Residentur detaillierter zu beschreiben. Wie man anhand der SIRADatenbank erkennen kann, berichteten nur sehr wenige Informationsquellen in nennenswertem Umfang direkt aus Rumänien. Und ob es sich bei ihnen um Informanten im geheimdienstlichen oder im diplomatischen Sinne handelte, lässt sich ohne zusätzliche Angaben nicht sicher sagen. Das Agentennetz dieser HVA-Residentur dürfte insgesamt überschaubar gewesen sein. Die SIRA-Datenbank bietet auch einen Anhaltspunkt für die Frage nach den Anfängen der legal abgedeckten Residentur in Bukarest: Im Oktober 1968 legte 686  BStU, MfS, AIM 16159/89, Bd. I/1, Bl. 439–441, 479–482, Bd. II/1, Bl. 67 f., 86–93, 98, 100 f., 104 f., 126 f. u. ö. 687  [MfS, HA I, Äußere Abwehr, UA-2:] Treff bericht vom 14.10.1985; BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl.  187–192, hier 189. Ähnlich auch der Treff bericht vom 30.8.1986, in: ebenda, Bl. 223 sowie: Militärattaché Bukarest, 15.10.1984: Sicherheitsanalyse des Auslandsapparates Bukarest zur vollen Erfüllung der militärischen Hauptaufgabe; ebenda, Bl. 170 f.

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die Abteilung III der HV A einen Objektvorgang mit dem Decknamen »Speicher« an, also jene Abteilung, die für die Legalresidenturen verantwortlich war. Für diesen Objektvorgang sind mehrere Informanten registriert, die noch in den 1980er-Jahren der HVA-Residentur in Bukarest zuarbeiteten.688 Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass die neu gebildete HVA-Residentur in Bukarest als Objekt »Speicher« geführt wurde. Im Mitrochin-Archiv findet sich eine geringfügig abweichende Datierung. In einer kurzen Notiz, die auf Informationen der Auslandsspionageabteilung des KGB beruhte, heißt es dort: »1969 richtete das MfS der DDR Residenturen in Belgrad und Bukarest ein.«689 Auf jeden Fall ist die Einrichtung dieser Residentur ein Indiz dafür, dass die HV A in Rumänien seit dieser Zeit ein »Operationsgebiet« sah.690 Die Securitate überwachte die Arbeit der HVA-Residentur schon frühzeitig, wobei nicht erkennbar ist, ob sie zwischen diplomatischem und geheimdienstlichem Personal zu unterscheiden vermochte. Als Nicolae Doicaru im März 1971 nach Ostberlin kam, gewährte er dem MfS – ungewollt oder absichtsvoll – Einblick in die Überwachungstätigkeit. Doicaru übergab damals Erkenntnisse der Securitate darüber, in welchem Umfang Angehörige der bundesdeutschen Botschaft sich mit DDR-Bürgern in Bukarest befassten oder versuchten, Kontakte aufzubauen. Doicaru informierte in diesem Zusammenhang offenbar auch über DDR-Bürger und ihre Kontakte zu rumänischen Staatsbürgern. Seine Informationen sollten offenbar zumindest vordergründig dem MfS dabei 688  Unter der Registriernummer des Objektvorgangs »Speicher«, XV/1671/68, verzeichnet die SIRA-Datenbank 35 bei der HV A eingetroffene Informationen, und zwar in den Jahren 1970 bis 1984. Sie betreffen ausschließlich Rumänien und stammten von den Informanten der Bukarester Residentur »Berger«, »Norbert«, »Ulme« und »Volker«. Siehe BStU, MfS, HV A/ MD/2-6, SIRA-TDB 11-14 und 21: Recherchen zum Suchbegriff »Länderhinweis Rumänien« und zum Merkmal »Residentur Rumänien« sowie zur Reg.-Nr. XV/1671/68. 689  Mitrokhin Collection, Churchill Archives Centre, Churchill College, Cambridge. Manuscript Extracts from KGB First Chief Directorate Files. MITN 2/19/1, Envelope K-19, Socialist Countries-I (Part I), Items 1-371, Item 292. Ich danke meinem Kollegen Douglas Selvage, der mir diese Notiz zur Verfügung stellte. Das »Mitrochin-Archiv« ist eine Sammlung handschriftlicher Aufzeichnungen aus KGB-Akten. Die Aufzeichnungen fertigte KGB-Oberst Vasilij Mitrochin zwischen 1972 und 1984 an, als er für das Archiv der Ersten Hauptverwaltung des KGB (Auslandsspionage) verantwortlich war. Er brachte sie 1992 bei seinem Übertritt nach Großbritannien mit. Auf dem Mitrochin-Archiv basieren die Bücher von Christopher Andrew und Wassili Mitrochin: Das Schwarzbuch des KGB sowie dies.: Das Schwarzbuch des KGB 2. 690 Die ausdrückliche Bezeichnung Rumäniens als »Operationsgebiet« (in der Abkürzung »OG«) im Zuständigkeitsbereich der HV  A findet sich in einem Schreiben von Oberst Claus Brüning, Leiter der Abt. XV der BV Leipzig, an die HVA-Zentrale in Ostberlin vom 22.6.1988. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XV, Nr. 144, Bl. 86. Üblicherweise bezeichnete das MfS nur westliche und neutrale Länder als »Operationsgebiet«. In Krisenzeiten fand der Begriff gelegentlich auch für verbündete Länder Verwendung, so auch 1968/69 für die ČSSR und in den 1980er-Jahren für Polen. Vgl. Das MfS-Lexikon, S. 252, sowie Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 190.

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helfen, DDR-Bürger zu identifizieren, die in Rumänien westlichen Kontaktanbahnungsversuchen ausgesetzt sein könnten oder aus anderen Gründen ein sicherheitspolitisches Risiko darstellen könnten. Doch Markus Wolf sah darin vor allem einen Hinweis darauf, dass die Securitate die Tätigkeit der HVA-Residentur im Blick hatte. In einem Schreiben an Willi Damm, den Abteilungsleiter für internationale Beziehungen des MfS, resümierte Wolf: »Unsere Kontaktpolitik zu rumänischen Bürgern sowie die Verbindungen zu anderen Mitarbeitern nichtsozialistischer Vertretungen werden ständig verfolgt, wobei Beobachtungen und der Einsatz operativer Abhörtechnik offensichtlich zu den bevorzugten Methoden der rumänischen Sicherheitsorgane gehören.«691

3.2 Die deutsche Minderheit in Rumänien: Nutzen und Ärgernis für das MfS 3.2.1 Die deutsch-deutsche Konkurrenz in Rumänien In den 1950er-Jahren beanspruchte die DDR noch, ebenso wie die Bundesrepublik, der Staat für alle Deutschen zu sein. Doch seit Mitte der 1960er-Jahre sollte die nationale Identität der DDR nach dem Willen der SED-Führung in den Hintergrund treten. Stattdessen wurde die politische Identität der DDR als sozialistischer Staat stärker betont.692 Die DDR verstand sich im Gegensatz zur Bundesrepublik auch nicht als Schutzmacht oder Interessenvertreterin deutscher Minderheiten in anderen Ländern. Allenfalls in den 1950er-Jahren trat die DDR gelegentlich in dieser Rolle auf. So konkurrierten beide deutsche Staaten in den 1950er-Jahren darum, Rumäniendeutschen die Auswanderung nach Deutschland zu ermöglichen. Die DDR organisierte zu Beginn der 1950erJahre für rund 1 500 Rumäniendeutsche die Ausreise nach Deutschland. Etwa ein Drittel von ihnen ging in die DDR, zwei Drittel in die Bundesrepublik. Die 691  HV  A, Leiter [Wolf ], 14.4.1971: Schreiben an Leiter der Abt. X, Genossen Oberst Damm, persönlich; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 219 f. 692 Beispielhaft lässt sich diese Entwicklung anhand der drei DDR-Verfassungen veranschaulichen: In der ersten Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 hieß es in Artikel 1: »Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf. […] Es gibt nur eine deutsche Staatsangehörigkeit.« In der zweiten, völlig neu gestalteten DDR-Verfassung vom 9. April 1968 lautete Artikel 1: »Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen. […]« Die modifizierte DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1974 eliminierte den nationalen Bezug. Artikel 1 lautete jetzt: »Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei […]«

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DDR-Botschaft in Bukarest profilierte sich damit als Vertreterin deutscher Belange.693 Doch sie reduzierte unmittelbar danach ihr Engagement für die ausreisewilligen Rumäniendeutschen. Manche DDR-Diplomaten plädierten zwar auch noch in den 1960er-Jahren dafür, Angehörige der deutschen Minderheit in der DDR aufzunehmen. Sie begründeten das einerseits mit dem öffentlichen Prestigegewinn gegenüber der Bundesrepublik, andererseits mit dem pragmatischen Argument, auf diese Weise dringend benötigte Arbeitskräfte ins Land zu holen.694 Doch setzte sich diese Auffassung nicht durch, sodass schon im Verlauf der 1950er-Jahre Übersiedlungen aus Rumänien in die DDR fast nur noch im Rahmen von Familienzusammenführungen genehmigt wurden.695 SED-Generalsekretär Walter Ulbricht misstraute den Rumäniendeutschen und fürchtete offenbar, die früheren NS-Funktionäre unter ihnen könnten alte Verbindungen wiederaufnehmen und die innere Sicherheit Rumäniens gefährden. Er mahnte seinen rumänischen Kollegen Gheorghe Gheorghiu-Dej daher zur Vorsicht. Darüber berichtete Gheorghiu-Dej dem Zentralkomitee der Rumänischen Arbeiterpartei auf einer Sitzung im Januar 1953: Ich habe aus der Diskussion mit Genossen Walter Ulbricht etwas behalten, was er im Zusammenhang mit dem, was wir für die deutsche Bevölkerung tun – Schulen usw. – gesagt hat: ›Passt auf, dass ihr keine Überraschungen erlebt!‹. Nicht viel mehr. Was ich daraus geschlossen habe, ist, dass sie [die kommunistischen Bruderstaaten] nicht begeistert sind von unserer liberalen Art, gar der fehlenden Wachsamkeit im Umgang mit der deutschen Bevölkerung. Wir müssen sehr ernsthaft darüber nachdenken.696 693  Zwischen November 1950 und Dezember 1951 stellte die diplomatische Mission bzw. die Botschaft der DDR in Rumänien sieben Transporte zusammen und ermöglichte damit 1 500 Menschen, von Rumänien nach Deutschland überzusiedeln. Vgl. [MfAA, ca. 1951/52:] Bericht über die bisher durchgeführte Familienzusammenführung aus der Rumänischen Volksrepublik in die Deutsche Demokratische Republik; PA AA, MfAA, C 522/76, S. 16 f. 694  Vgl. verschiedene Vermerke in: PA AA, MfAA, A 4566, A 7545, C 522/76. Siehe auch Gheorghiu: Die Rumäniendeutschen. Gheorghiu berichtet anhand einiger Quellen aus dem rumänischen Außenministerium, wie beide deutsche Staaten in den 1950er-Jahren darin konkurrierten, Rumäniendeutschen die Ausreise in die DDR bzw. BRD zu ermöglichen. Die große Übersiedlungsaktion 1950/51 fehlt allerdings in ihrer Darstellung. 695  Bevor 1967 die bundesdeutsche Botschaft in Rumänien eröffnet wurde, erreichten die DDR-Botschaft jährlich Anträge rumänischer Staatsbürger auf Übersiedlung in die DDR. Vgl. [DDR-]Botschaft Bukarest, Konsularabt., 25.10.1966: Einschätzung über die ständigen Ausreisen aus der SRR nach der DDR u. WD [Westdeutschland]; PA AA, MfAA, A 7545, S. 2–8. Die Zahl der Antragsteller war demnach gering (1963: 137 Personen, 1964: 66, 1965: 32, 1. Halbjahr 1966: 10). Dieser Einschätzung zufolge hätten die meisten Antragsteller keine Verwandten in der DDR, sondern würden sich in der DDR bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen erhoffen. Da weder die rumänischen noch die ostdeutschen Behörden Interesse an solchen Übersiedlungen hätten, würden kaum Anträge genehmigt, was sich herumspreche und den gewünschten Abschreckungseffekt erziele. Die Zahl der Übersiedlungsanträge werde daher weiter sinken, so die Prognose der DDR-Botschaft 1966. 696  Protokoll Nr. 1 der Sitzung des Politbüros des ZK der RAP vom 14. Januar 1953, veröffentlicht in: Weber; Baier: Die Deutschen in Rumänien, S. 362–370, hier 369 f. Zu diesem

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Als Gheorghiu-Dej im April 1957 einen ausgedehnten Staatsbesuch in der DDR absolvierte, spielte das Thema der deutschen Minderheit praktisch keine Rolle in den Diskussionen mit seinen ostdeutschen Gesprächspartnern, wie der Historiker Cezar Stanciu hervorhebt.697 Mitte der 1970er-Jahre gehörten der deutschen Minderheit in Rumänien noch rund 360 000 Menschen an. Sie lebten in den Verhältnissen einer Diktatur, und die Minderheitenpolitik des kommunistischen Rumäniens war zu keiner Zeit »liberal«. Trotzdem verfügte die deutsche Minderheit über ein bemerkenswert hohes Maß an kultureller Autonomie wie muttersprachlicher Unterricht und deutschsprachige Tageszeitungen, Zeitschriften, Rundfunksendungen und Buchverlage. Auch in den Religionsgemeinschaften pflegten sie ihre kulturellen und ethnischen Traditionen. Sie waren als ethnische Minderheit sichtbar und wahrnehmbar, sehr viel mehr als etwa damals die Donauschwaben in Ungarn. Der ehemalige DDR-Botschafter in Rumänien, Siegfried Bock, charakterisierte rückblickend das Verhalten der DDR gegenüber den Rumäniendeutschen als eine »absolute Zurückhaltung«. Diese Zurückhaltung sei »eine Folge der prinzipiellen Haltung der SED und der DDR in der Frage deutscher Minderheiten im Ausland« gewesen.698 Bock führt dafür drei Gründe an: Zum einen hätten die deutschen Minderheiten früher als »fünfte Kolonne des deutschen Imperialismus und Militarismus« gegolten. Zum zweiten habe die DDR-Diplomatie eine Einflussnahme auf die Minderheit als »Verletzung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer [...] Staaten« betrachtet. Und drittens sei in der DDR etwa seit Mitte der 1960er-Jahre der Begriff der »deutschen Nation« durch den der »sozialistischen Nation« ersetzt worden; somit sei für die DDR eine aktive Politik zugunsten deutscher Minderheiten »gegenstandslos« geworden.699 Die DDR fühlte sich für die Rumäniendeutschen zwar nicht verantwortlich, aber ihr Augenmerk richtete sich sehr wohl auf sie. Denn die DDR-Politik war stets auf den größeren deutschen Teilstaat, die Bundesrepublik Deutschland, fixiert. Dazu gehörte unter anderem der nie überzeugend eingelöste Anspruch, im Wettbewerb mit der Bundesrepublik das bessere Deutschland aufzubauen. Die Bundesrepublik verkörperte das vermeintliche Weltniveau, das die DDR anstrebte, sie war das Modell, an dem viele DDR-Bürger ihren eigenen Lebensstandard maßen, und sie galt den Herrschenden in der DDR als der Ort, von dem aus das DDR-System permanent bedroht wurde. Auch die DDR-GeheimZitat siehe auch Beer: Rumänien: Regionale Spezifika, S. 301. 697  Stanciu: Frăţia socialistă, S. 195 f. 698  Bock, Siegfried: Zu den Beziehungen zwischen der DDR und Rumänien, S. 66. Bock war von 1977 bis 1984 Botschafter in Rumänien. 699  Ebenda, S. 66 f.

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dienste folgten dieser Sichtweise und konzentrierten ihre Spionageaktivitäten auf die Bundesrepublik. Die diplomatischen Mitarbeiter der DDR-Botschaft in Bukarest beobachteten deshalb nicht nur die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in Rumänien, sondern auch sehr genau das Verhalten ihrer bundesdeutschen Kollegen in diesem Land. Für die Bundesrepublik stellte die deutsche Minderheit jedoch ein zentrales Element in den westdeutsch-rumänischen Beziehungen dar. Die Bundesrepublik setzte sich für die Interessen der deutschen Minderheit in Rumänien ein, unterstützte faktisch aber vor allem ihre Auswanderung in den Westen, was unter den Rumäniendeutschen allerdings nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Für die meisten Rumäniendeutschen bildete die Bundesrepublik dennoch ihre Bezugsgesellschaft, also das Land, mit dem man sich in besonderer Weise identifizierte. Diese Situation war für die DDR Grund genug, der deutschen Minderheit ebenfalls Aufmerksamkeit zu schenken. Seit 1964 gab es in der DDR mit der Gesellschaft »Neue Heimat« sogar eine eigene Institution, die den Auftrag hatte, sich gezielt an die Auslandsdeutschen in Europa und weltweit zu wenden, gleichsam die DDR-Variante des in der Bundesrepublik nach 1945 fortgeführten »Vereins für das Deutschtum im Ausland«. Die »Neue Heimat« verteilte Zeitschriften, Bücher und Unterrichtsmaterial auch unter den Rumäniendeutschen. Aber ihre Aufgabe bestand im Grunde genommen nicht darin, die Auslandsdeutschen zu betreuen, sondern auch unter dieser Personengruppe die DDR als den besseren deutschen Staat zu propagieren und auf die internationale diplomatische Anerkennung der DDR hinzuwirken. Nachdem der ostdeutsche Staat zu Beginn der 1970er-Jahre international diplomatisch anerkannt wurde, trat sie seit 1972/73 kaum noch in Erscheinung.700 Doch die kulturelle Nähe der Rumäniendeutschen zum binnendeutschen Sprachraum schuf auch auf andere Weise vielfältige Verbindungen in die DDR. Schließlich war die DDR in Rumänien mit vielen interessanten Angeboten im Bereich von Literatur, Kunst und Theater präsent, und die Buchhandlungen in den deutschen Siedlungsgebieten Rumäniens führten in nennenswertem Um700  Gesellschaft »Neue Heimat«. Gründungsversammlung in Berlin. In: Neues Deutschland v. 5.12.1964, S. 1; Die Auslandspropaganda der »DDR«. In: SBZ Archiv 16 (1965) 1–2, S. 4 f.; Woitzik: Die Auslandsaktivität der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 180 f.; DDR umwirbt die Deutschen in Südosteuropa. In: Süddeutsche Zeitung v. 25.3.1970, S.  2; »Gesellschaft ›Neue Heimat‹«. In: DDR-Handbuch, hg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. 3. Aufl., Köln 1985, Bd. 1, S. 548; MfS, HV A, 16.3.1979: Information Nr. 157/79 über eine Einschätzung der kulturpolitischen Auslandsarbeit der DDR durch BRD-Regierungskreise; BStU, MfS, HV  A, Nr. 76, Bl.  200–203. Als Präsident der »Gesellschaft Neue Heimat, Vereinigung in der DDR für Verbindungen mit Bürgern deutscher Herkunft im Ausland« fungierte bis 1975 der Schriftsteller Ludwig Renn, danach der Schauspieler Hans-Peter Minetti. Organisatorisch war die Gesellschaft der »Liga für Völkerfreundschaft« angegliedert. Eine Vorläufereinrichtung der »Gesellschaft Neue Heimat« war der 1960 gegründete »Arbeitskreis zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur«.

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fang Bücher aus DDR-Verlagen in ihren Sortimenten. Für die deutsche Minderheit waren all das besondere Anziehungspunkte, und aus ihrer Perspektive eröffnete somit gerade auch die DDR bemerkenswerte Zugänge in den deutschen Kulturraum.701 Ein Positionspapier der DDR-Botschaft Bukarest plädierte 1979 sogar dafür, auf die deutsche Minderheit »gezielter als bisher« zuzugehen. Die Botschaft selbst könne sich enger mit der offiziellen Minderheitenvertretung, dem »Rat der Werktätigen Deutscher Nationalität«, austauschen; die direkten Kontakte zwischen dem Bezirk Gera und dem Kreis Temesch (Judeţ Timiș) auf kulturellem Gebiet könnten ausgebaut werden und weitere Direktbeziehungen zwischen DDR-Bezirken mit den Kreisen Hermannstadt und Kronstadt, wo viele Deutsche lebten, aufgenommen werden. Die Direktkontakte einiger DDR-Zeitungen mit den regionalen deutschsprachigen Zeitungen in Rumänien sollten intensiviert werden, bei der Erarbeitung deutschsprachiger Schulbücher sollte kooperiert werden, und in einer DDR-Literaturzeitschrift sollten Texte rumäniendeutscher Autoren veröffentlicht werden. Diese und weitere Bemühungen sollten dem Positionspapier zufolge dazu dienen, weiterhin die SED-Politik unter der deutschen Minderheit zu propagieren.702 Auch wenn diese Vorschläge größtenteils nicht umgesetzt wurden, so belegen sie doch das besondere Bewusstsein der DDR-Diplomaten für die rumäniendeutsche Minderheit. Die Systemkonkurrenz der beiden deutschen Staaten beschränkte sich in Rumänien allerdings nicht auf die deutsche Minderheit. Mit ihren wissenschaftlichen und kulturellen Angeboten rangen beide deutsche Staaten seit den 1960er-Jahren um Einfluss auf die Gesellschaft des außenpolitisch schwankenden Balkanstaates.703 Als Rumänien mit der Bundesrepublik am 22. Januar 1971 ein Protokoll über die Zusammenarbeit im Hochschulbereich unterzeichnete, warnte die DDR-Botschaft in Bukarest das Außenministerium in Ostberlin, »dass Westdeutschland sich systematisch alle wichtigen Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens der SRR erschließt und [...] dass 701  Lindemann; Müller: Auswärtige Kulturpolitik der DDR, darin insbesondere das Kapitel »Der Sonderfall Rumänien«, S. 174–183; Weiß: Nicht begnadet. Zur kulturellen Selbstdarstellung und Außenwirkung der DDR in Rumänien. Berichte der DDR-Botschaft in Bukarest an das DDR-Außenministerium über das BRD-Kulturzentrum in Bukarest aus den Jahren 1979, 1982 und 1984 sind vorhanden in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 144 f., 259 f.; ZAIG, Nr. 14054, Bl. 41 f. – An die Bedeutung des DDR-Buchangebots in Rumänien erinnert aus eigenem Erleben beispielsweise der Kronstädter Philologe Wolfgang Wittstock in seinem Beitrag »Bilanz grenzüberschreitender Kulturarbeit«, S. 18. 702  Botschaft Bukarest, Pol. Bereich, 12.3.1979: Einschätzung der Nationalitätenpolitik der RKP und Schlussfolgerungen für unsere Arbeit; PA AA, MfAA, ZR 906/86. Direktkontakte bestanden demnach zwischen der »Volkswacht« (Gera) und der »Neuen Banater Zeitung« (Temeswar), dem »Neuen Tag« (Frankfurt/O.) und »Die Woche« (Hermannstadt) sowie der »Volksstimme« (Magdeburg) und der »Karpatenrundschau« (Kronstadt). 703  Zur deutsch-deutschen Rivalität in Rumänien bis 1972 siehe die sehr detaillierte und umfassende Studie von Weiß: Kulturarbeit.

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dieser Einfluss nicht nur ein schön gefärbtes Bild über Westdeutschland, sondern auch völlig verzerrte Vorstellungen über die Politik der DDR nach sich zieht«.704 Auch manche HVA-Berichte reflektieren diese Situation: Im Mai 1971 legte die HV A Erich Honecker und anderen führenden DDR-Politikern einen Bericht über aktuelle Entwicklungen Rumäniens vor, der diese Sorge mit konkreten Beispielen untermauerte. Außerdem stellte die HV A fest, die nationalistische Politik Rumäniens habe unter anderem dazu geführt, dass man dort im Wissenschaftsbereich unkritisch gegenüber »bürgerlichen Theorien und Auffassungen« geworden sei. Als Beispiele nannte sie Soziologie, Pädagogik, Literatur und Kunstwissenschaft. Die Bundesrepublik und andere westliche Staaten würden unter dem Deckmantel der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit ihre Ideologie in Rumänien verbreiten. Vor allem westdeutsche Institutionen verschickten »wissenschaftliches und politisches Material«, das an den Universitäten in Bukarest und Klausenburg sogar in Vorlesungen verwendet werde. Der rumänische Unterrichtsminister Mircea Maliţa, so die Erkenntnisse der HV A, verhalte sich »gegenüber den westlichen Infiltrationsbemühungen entgegenkommend«.705 Die Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages zwischen der DDR und Rumänien am 12. Mai 1972 habe nichts an dieser Situation geändert, schätzte das MfS in einem weiteren Informationsbericht im September 1972 ein.706 Denn die Bundesrepublik bemühe sich auch weiterhin mit einigem Erfolg, die wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Rumänien einschließlich der deutschen Minderheit auszubauen, wofür 1972 ein kulturelles Austauschprogramm zwischen beiden Ländern abgeschlossen worden sei. Die Bundesrepublik strebe zugleich danach, den kulturellen Einfluss der DDR in Rumänien zurückzudrängen.707 704 [DDR-]Botschaft Bukarest, politischer Bereich, 2.2.1971: Informationsbericht vom 20.1.1971 bis 2.2.1971, S. 30–33; BArch, DY 30/IV A 2/20 (Abteilung Internationale Verbindungen)/383. 705  MfS, HV  A: Information über einige außen-, wirtschafts- und innenpolitische Probleme Rumäniens, undatiert [10.5.1971]; BStU, MfS, HV  A, Nr. 181, Bl.  55–63. Vgl. auch BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE7100917 (mit Datum vom 6.5.1971); demnach basierte diese Information auf der Zuarbeit der DDR-Botschaft in Bukarest, eines Ostberliner Wissenschaftlers und zweier westdeutscher Diplomaten, die im Bonner Auswärtigen Amt für die HV A spionierten. 706  MfS, ZAIG: Information über einige Probleme der Beziehungen der Sozialistischen Republik Rumänien und der BRD sowie der SRR und der DDR, 5.9.1972; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2066, Bl. 1–7. Das MfS fertigte diesen Bericht für Innenminister Friedrich Dickel in Vorbereitung seines Arbeitsbesuchs in Rumänien vom 6. bis 8.9.1972. Zu diesem Arbeitsbesuch vgl. auch Anm. 888. 707  Ebenda, Bl.  4  f. Die westdeutsch-rumänischen Abkommen vom 29.6.1973 schufen eine umfassende Grundlage für die Ausweitung der bilateralen Beziehungen. Die Eröffnung des bundesdeutschen Kulturzentrums in Bukarest im November 1979 war dann das sichtbarste Zeichen für die kulturelle Präsenz der Bundesrepublik in Rumänien. Es war zugleich das erste BRD-Kulturinstitut in einem sozialistischen Land. Aus DDR-Sicht handelte es sich um einen

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Solche Warnungen verhallten praktisch ohne Wirkung. Vom 26. bis 30. Juni 1973 reiste Nicolae Ceaușescus zum Staatsbesuch in die Bundesrepublik. Bei dieser Gelegenheit unterzeichneten beide Länder eine »Gemeinsame Erklärung« sowie acht zwischenstaatliche Vereinbarungen, was in der Summe einem Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit entsprach.708 Als Anfang Oktober 1973 Klaus von Dohnanyi, der damalige Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, in Rumänien mit Ministerpräsident Ion Gheorghe Maurer über eine engere kulturelle Zusammenarbeit beider Länder sprach, stellte die HV A einige Wochen später erneut einen warnenden Bericht an führende SED-Außenpolitiker zusammen.709 Die Bundesregierung habe finanzielle Mittel beispielsweise für die Ausweitung des Studentenaustausches und für Literaturbeschaffung aus dem jeweils anderen Land angeboten, und Ministerpräsident Maurer habe sich positiv über eine Vertiefung der kulturellen Beziehungen geäußert. Die HV A warnte vor den Folgen: Es gebe zunehmend »antisowjetische Äußerungen« in rumänischen Hochschulkreisen, und dies sei in erheblichem Maße eine Folge der bundesdeutschen Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit in Rumänien. Namentlich der bundesdeutsche Balkanspezialist und Lektor an den Universitäten in Jassy (Iași) und Bukarest Klaus Steinke wirke in diese Richtung.710 Diese HVA-Einschätzung verzerrte allerdings den Charakter der wissenschaftlich ausgerichteten Lektorentätigkeit Klaus Steinkes und blendete aus, dass »antisowjetische Äußerungen« von der rumänischen Politik gefördert wurden. Steinke vermittelte im Rahmen seiner Arbeit selbstverständlich Sichtweisen und wissenschaftliche Methoden, wie sie im Westen üblich waweiteren Versuch, die rumänische Intelligenz mit westlichen Ideen zu infiltrieren. Da die Einrichtung von Kulturinstituten auf Gegenseitigkeit basierte, richtete Rumänien ein solches in München ein. Anfang der 1970er-Jahre war auch zwischen den Außenministerien der DDR und Rumäniens die Einrichtung von Kulturinstituten angesprochen worden. Vgl. Weiß: Kulturarbeit, S. 255 f. Die DDR eröffnete aber kein Kulturinstitut in Bukarest; womöglich wollte man vermeiden, dass Rumänien aufgrund der Gegenseitigkeit dann auch in der DDR ein solches Haus eröffnet und dort (kultur-)politisch heikle Themen präsentiert hätte. In den HVA-Berichten wird das Thema der Kulturinstitute nicht angesprochen. 708  Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949 bis 1999. Bd. 6: April 1970–November 1973. Sankt Augustin 2000, S. 6064–6067. 709  MfS, HV A: Information Nr. 1154/73 über die Kultur- und Öffentlichkeitsarbeit der BRD in der SRR und der SFRJ, 26.11.1973; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 31252, Bl. 1–4. Zu den Empfängern gehörten der für Außenpolitik verantwortliche ZK-Sekretär Hermann Axen, Außenminister Otto Winzer und andere. Die HV A stützte sich in diesem Bericht unter anderem auf den IM-Vorgang »Tanne«. Zu »Tanne« vgl. Anm. 668 und 769. 710  Ebenda, Bl. 3. Steinke hatte seine Lektorentätigkeit in Jassy am 1.3.1969 aufgenommen, setzte sie vom 1.5.1973 bis 30.9.1977 in Bukarest fort und kehrte danach in die Bundesrepublik zurück. Vgl. außerdem die Erinnerungen von Heller: Von »Horea« zu »Hans«. Heller schildert darin u. a. seinen wissenschaftlichen Forschungsaufenthalt als westdeutscher Geograf 1972 in Rumänien und beschreibt, wie die Securitate durch subtiles Wirken im Hintergrund einen konstruktiven, längerfristigen wissenschaftlichen Austausch hintertrieb.

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Abb. 18: Bundeskanzler Willy Brandt (re.) und Partei- und Staatschef Nicolae Ceau­ șescu unterzeichnen am 29.6.1973 in Bonn Abkommen über wirtschaftliche, industrielle und technische Zusammenarbeit.

ren. Doch gehörte das einfach zum Charakter des akademischen Austauschs. Er verteilte Bücher aus Beständen der bundesdeutschen Botschaft, darunter auch Übersetzungen des russischen Literaturnobelpreisträgers Aleksandr Solženicyn. Aber er betrieb keine antisowjetische Propaganda – zumindest durfte er später als Slawist stets ohne Probleme in die Sowjetunion reisen.711 Somit zeugt dieser HVA-Bericht in erster Linie von der Befürchtung, die Bundesrepublik könne in Rumänien auf dem Umweg über Wissenschaft und Kultur an politischem Einfluss gewinnen. Sowohl auf der politischen als auch auf der geheimdienstlichen Führungs­ ebene der DDR war man sich der deutsch-deutschen Rivalitäten in Rumänien bewusst und sah auch die besondere Rolle der deutschen Minderheit. Man war aber seit den frühen 1950er-Jahren nicht mehr bereit, die Schutzmacht-Politik der Bundesrepublik gegenüber den Auslandsdeutschen zu imitieren, nur um erfolgreicher konkurrieren zu können. In der Praxis fanden die Rumäniendeutschen aber auch seitens der DDR in besonderer Weise Beachtung. Denn die sprachliche und kulturelle Nähe erleichterte Kontakte zwischen DDR-Bürgern 711  Ich danke Klaus Steinke für seine schriftlichen Auskünfte vom 21.7.2015.

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und Rumäniendeutschen. Aus geheimdienstlicher Perspektive bedeutete dies gleichzeitig eine Chance und eine Gefahr. Die Chance lag darin, über die Minderheit leichter an Informationen über das Land zu gelangen, da es keine Sprachbarriere gab. Die Gefahr bestand darin, dass unbequemes Gedankengut in die DDR einsickern könnte, ebenfalls durch keine Sprachbarriere gehindert. Diese Furcht des MfS kam beispielsweise im Zusammenhang mit dem Kronstädter Schriftstellerprozess von 1959 zum Vorschein, wovon hier bereits die Rede war. Sie trat auch in späteren Jahrzehnten wieder zutage. Davon wird eines der folgenden Kapitel handeln. 3.2.2 Nützlich für das MfS: die Spitzenfunktionäre der deutschen Minderheit Dem MfS gelang es im Laufe der 1980er-Jahre, die beiden ranghöchsten politischen Repräsentanten der deutschen Minderheit in Rumänien, Eduard Eisenburger und Ernst Breitenstein, als Informanten zu gewinnen. Beide bewegten sich in einer Grauzone zwischen diplomatischen Gesprächen, persönlichem Gedankenaustausch und geheimdienstlicher Informationsübermittlung. Der Begriff des »inoffiziellen Mitarbeiters« in seinem landläufigen Gebrauch bildet diese eigentümliche Konstellation zwischen Vertretern zweier verbündeter Länder nur unzureichend ab. Eduard Eisenburger Der Siebenbürger Sachse Eduard Eisenburger, bereits seit vielen Jahren Mitarbeiter deutschsprachiger Zeitungen, war 1968 Mitbegründer der deutschsprachigen Kronstädter Wochenzeitung »Karpatenrundschau« und leitete sie von Anfang an und über zwei Jahrzehnte als Chefredakteur. Etwa im selben Zeitraum war er Abgeordneter in der »Großen Nationalversammlung«, dem rumänischen Parlament, Mitglied des Staatsrats und des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei sowie Vorsitzender des »Rates der Werktätigen deutscher Nationalität in der Sozialistischen Republik Rumänien«. Die letztgenannte Funktion machte den in Kronstadt lebenden Eisenburger im politischen System der Ceaușescu-Zeit zum Repräsentanten der deutschen Minderheit in Rumänien. Daneben bekleidete er weitere Funktionen, beispielsweise von 1975 bis 1989 als Mitglied der Parlamentariergruppe Rumänien – Bundesrepublik. Eisenburger starb 62-jährig am 3. August 1990. Seine zahlreichen Ämter und Funktionen machten ihn wie selbstverständlich zu einem Ansprechpartner für die Diplomaten beider deutscher Staaten. Auch Gastdozenten aus beiden Ländern und Vertreter des bundesdeutschen Kulturin-

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stituts in Bukarest standen mit ihm in Verbindung. Seine guten und persönlichen Beziehungen zu Mitarbeitern der DDR-Botschaft weckten jedoch schon in den frühen 1970er-Jahren das Misstrauen der rumänischen Geheimpolizei. Ungeachtet seiner hohen politischen Funktion begann die Securitate-Kreisverwaltung Kronstadt im Oktober 1971 damit, Eisenburger für mehrere Jahre zu überwachen, sein Telefon abzuhören und Wanzen in seinem Redaktionsbüro in Kronstadt zu installieren. Allein aus den Jahren 1972 und 1973 liegen mehrere Hundert Seiten an Abhörprotokollen vor, die der Securitate dazu auch noch Übersetzungs-Leistungen abverlangten, da viele der belauschten Gespräche in deutscher Sprache geführt wurden.712 Insbesondere zu dem DDR-Diplomaten Alfred Mayer[!] unterhalte er »verdächtige Verbindungen«, hieß es in einer Aktennotiz.713 Der hier genannte Alfred Meyer war von 1958 bis 1961 und 1967 bis 1972 Presseattaché in Bukarest. Im Dezember 1978 entschied sich die Kronstädter Securitate-Kreisverwaltung schließlich, die Überwachung Eisenburgers zu beenden, da sich in dem gesamten Zeitraum »keine besonderen Aspekte ergeben« hätten.714 Der Anfangsverdacht hatte sich demnach nicht bestätigt, und die Akte wurde geschlossen. Seit 1981 führte die HV A Eisenburger als »Kontaktperson« unter dem Decknamen »Berger« und als Informationsquelle ihrer Bukarester Residentur.715 Zwischen 1982 und 1987 gingen bei der HV A insgesamt 25 Informationen von »Berger« ein.716 Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass Eisenburger aus Sicht der Bukarester Residentur in diesem Zeitraum ein beständiger und wichtiger Informant war. Zu seinen regelmäßigen Gesprächspartnern zählte damals der Presseattaché der DDR-Botschaft von 1981 bis 1986, Roland Buchwald, der zugleich zu den inoffiziellen Mitarbeitern der Bukarester HVA-Residentur gehörte. Wie Roland Buchwald sich erinnert, unterhielt der Botschaftssekretär Edgar Gladitz, zugleich HVA-Resident in Bukarest, seit Ende der 1970er- oder Anfang 712 ACNSAS, fond informativ, i  88363, vol. 2–3. Demnach führte die Abteilung III der Kronstädter Securitate-Kreisverwaltung, zuständig für Spionageabwehr, die Überwachung ­Eisenburgers durch. Abhörprotokolle sowie daraus abgeleitete Notizen mit Bezug zur DDR-Botschaft in: ebenda, vol. 2, Bl. 112–116, 177–189, vol. 3, Bl. 116–119, 246–261. Unklar ist, weshalb nur Abhörprotokolle bis 1973 überliefert sind, obwohl der Vorgang erst 1978 eingestellt wurde. Die DDR-Botschaft firmiert hier und in anderen Securitate-Akten unter der Deckbezeichnung »Gladiola«. 713  Consiliul Securităţii Statului, direcţia a III-a, 320, 17.12.1971: Notă [Rat für Staatssicherheit, Hauptabteilung III, 320: Bericht]; ACNSAS, fond informativ, i 88363, vol. 2, Bl. 183. 714  Insp. Jud. Brașov, 4.12.1978: Raport [Kreisverwaltung Kronstadt: Bericht]; ACNSAS, fond informativ, i 88363, vol. 1, Bl. 2. 715 BStU, MfS, Bestand »Rosenholz«, Recherche zu den Reg.-Nrn. XV/1671/68 und XV/5855/84 in Verbindung mit dem Decknamen »Berger«. Diensteinheit: HVA III/03, verantwortliche Mitarbeiter: Achim Graupner (1981–1987), Bernd Schwarz (seit 1987). Die HV  A vergab für jeden Vorgang einen Decknamen, den der Betreffende aber nicht kennen musste. 716 BStU, MfS, HV  A/MD/2-5, SIRA-TDB 11-14: Recherchen zu den Reg.-Nrn. XV/1671/68 und XV/5855/84 in Verbindung mit dem Decknamen »Berger«.

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der 1980er-Jahre einen beständigen Kontakt zu Eduard Eisenburger und nutzte ihn als Informanten. Im Herbst 1981 stattete Roland Buchwald Eisenburger seinen ersten Besuch ab, der noch keinen informellen oder geheimdienstlichen Charakter hatte. Es war der offizielle Antrittsbesuch des Presseattachés, dem weitere Besuche in halbjährlichem Abstand folgten. Bevor Gladitz 1983 in die DDR zurückkehrte, schickte er Buchwald mit einigen Lebensmitteln und einem Brief zu Eisenburger. Buchwald sollte Grüße an Eisenburger ausrichten und ihm sagen, er werde fortan die »guten Beziehungen« fortsetzen, die bislang Gladitz zu ihm gepflegt habe. Auf diese Weise wurde Buchwald bei Eisenburger eingeführt. Gladitz brachte gegenüber Buchwald klar zum Ausdruck, was er von den Gesprächen mit Eisenburger erwartete und welche Informationen von Interesse seien. Vor allem interessierte sich die HV A für Eisenburgers Einschätzungen der rumänischen Politik gegenüber den westlichen Ländern, der Einflüsse des Westens auf Rumänien sowie der Zuverlässigkeit Rumäniens als Bündnispartner des Ostens. Daneben interessierten die Positionen einzelner rumänischer Politiker und Funktionäre, ihre Zuordnung zum Kreis um Elena oder um Nicolae Ceaușescu sowie wirtschaftspolitische Fragen, die für den DDR-Handel relevant sein konnten. Gladitz‘ Nachfolger als Residenten erneuerten gelegentlich in allgemeinerer Form die Themenvorgaben oder übermittelten Instruktionen.717 In der Gestaltung dieses Kontaktes verfügte Buchwald über gewisse Freiräume. Vor allem aber erlebte er Eisenburger als einen »väterlichen Freund«.718 Diese Feststellungen sind bemerkenswert, denn sie deuten an, dass Eisenburger kein einfacher, gesteuerter IM war, sondern eher eine der DDR gegenüber loyale Kontaktperson. Eisenburgers Informationen und Einschätzungen betrafen verschiedene Aspekte der rumänischen Innen- und Außenpolitik und wurden von der HV A fast ausnahmslos als durchschnittlich wertvoll (Note: III) eingeschätzt. Die HV A führte diese Informationen mit anderen Berichten zusammen und fertigte daraus mehrfach kurze Informationsberichte für die Partei- und Staatsführung in der DDR. Im November 1984 sprach Eisenburger mit seinem Gesprächspartner von der DDR-Botschaft ausführlich über die »innenpolitische Lage vor dem XIII. Parteitag der RKP«. Die HV A schätzte diesen Gesprächsinhalt als überdurchschnittlich wertvoll ein (Note: II) und fasste ihn exklusiv zu einem drei Seiten langen Bericht zusammen, den sie der DDR-Führungsspitze vorlegte.719 717  Schriftliche Mitteilung Roland Buchwalds an den Verfasser vom 27.10.2015. Das MfS warb Buchwald 1977 als inoffiziellen Mitarbeiter an, als er eine Stelle in Ostberlin im »Internationalen Pressezentrum« antrat, das dem Außenministerium unterstellt war. 718  Schriftliche Mitteilung Roland Buchwalds an den Verfasser vom 27.10.2015. 719  Information [Nr. 429/84] über die Lage in Rumänien und in der RKP vor dem XIII. Partei‑ tag der RKP, 15.11.1984; BStU, MfS, HV A, Nr. 32, Bl. 1–3; der Bericht basiert ausschließlich auf (»abgeschöpften«) Angaben von »Berger«. Vgl. hierzu die Datensätze SE8407643 und SA8450429 in: BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12.

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Auf diese Weise gelangte Eisenburgers Lagebeurteilung an SED-Generalsekretär Erich Honecker, Ministerpräsident Willi Stoph, Außenminister Oskar Fischer und dessen Stellvertreter Herbert Krolikowski, die Politbüromitglieder Hermann Axen, Kurt Hager und Werner Krolikowski sowie den Leiter der Abteilung für internationale Beziehungen im Zentralkomitee der SED, Günter Sieber. Ein weiteres Exemplar leitete die HV A, wie in vielen Fällen üblich, dem sowjetischen Geheimdienst KGB zu. Der Bericht schätzte die Machtposition des Ehepaares Ceaușescu als »unumstritten« ein, thematisierte aber auch die weit verbreitete Unzufriedenheit sowohl in weiten Teilen der Bevölkerung als auch innerhalb der kommunistischen Partei, wobei er die »realitätsfremde und widersprüchliche Politik Ceaușescus« als eine wesentliche Ursache für diese negative Stimmung nannte. Die häufigen Personalveränderungen unter mittleren und höheren Funktionären, die sogenannte Kaderrotation, beschrieb er als Gegenreaktion Ceaușescus auf diese Tendenzen sowie als Versuch, seine Machtposition zu festigen. Den »politisch-ideologischen Zustand« der Rumänischen Kommunistischen Partei bewertete der Bericht als »besorgniserregend«, weil die Parteimitglieder fast nur noch mit den Werken Nicolae Ceaușescus vertraut gemacht würden, während »die Klassiker des Marxismus/Leninismus eine untergeordnete Rolle spielten«. Die HV A gab in ihren Berichten ihre Informationsquellen selbstverständlich nicht preis; im vorliegenden Fall gab sie zur Herkunft ihrer Erkenntnisse jedoch immerhin »informierte Führungskreise der RKP« an. Das signalisierte eine beachtenswerte Insiderinformation. Der frühere Securitate-Major Ioan Rusan äußerte sich im Dezember 2004 über die Stasi-Aktivitäten in Rumänien. Rusan leitete bis 1989 das Anti-Stasi-Referat der Securitate und später die Filiale des rumänischen Inlandsgeheimdienstes SRI in Hermannstadt. Seinen Ausführungen zufolge hatte seine Dienststelle schon vor 1989 erkannt, dass Eisenburger vom MfS angeworben worden sei.720 Die Überwachung Eisenburgers, die seitens der Kronstädter Securitate 1978 eingestellt worden war, wurde offenbar von Rusans Referat wieder aufgenommen. Von Zeit zu Zeit beobachtete das Anti-Stasi-Referat nach Angaben Rusans, wie Mitarbeiter der DDR-Botschaft Eisenburger in den 1980er-Jahren mit Lebensmitteln und Benzin versorgten. Aus Securitate-Sicht handelte es sich dabei um wertvolle Gegenleistungen in den Jahren des großen Mangels.721 Die spärlich überlieferten Unterlagen der DDR-Auslandsspionage lassen zwei verschiedene Interpretationen zu. Eisenburger firmiert in den HVA-Karteien 720 Stasi s-a implicat în Revoluţia Română [Die Stasi war in die rumänische Revolution verwickelt]. In: Jurnalul Naţional, 1.12.2004; im Internet unter http://jurnalul.ro/special-jurnalul/stasi-s-a-implicat-in-revolutia-romana-55750.html (Stand: 9.6.2016). Rusan nennt ­Eisenburger nicht namentlich, sondern nur seine Funktionen als Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender des »Rates der Werktätigen deutscher Nationalität« (Consiliul Oamenilor Muncii de Naționalitate Germană), der Eisenburger bis 1989 war. 721  Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 116.

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als »Kontaktperson« und nicht als »inoffizieller Mitarbeiter«. In den Begriffsbestimmungen der HV A heißt es, »Kontaktpersonen« seien Menschen, zu denen ein HVA-Mitarbeiter regelmäßig Kontakt habe, und von denen nachrichtendienstlich interessante Informationen zu gewinnen seien. Kontaktpersonen würden »abgeschöpft« und sollten nicht erfahren, dass ihr Gesprächspartner ein Mitarbeiter der HV A sei. Kontaktpersonen ließen sich demzufolge nicht so einfach in eine bestimmte Richtung steuern.722 Allerdings kannte die HV A auch Ausnahmen. Manche Informanten, die wie ein IM mit der HV A kooperierten, verzeichnete die HV A trotzdem nur als »Kontaktperson« und nicht als »IM«. Das kam beispielsweise dann vor, wenn eine Anwerbung als IM aus politischen Gründen unzweckmäßig erschien.723 Diese Erwägung kann im Hinblick auf Eisenburger, der ein hochrangiger politischer Funktionär eines verbündeten Landes war, ausschlaggebend gewesen sein. Seine Registrierung als »Kontaktperson« schließt daher nicht aus, dass er aus Sicht des MfS die Kriterien eines inoffiziellen Mitarbeiters erfüllte. Aus den SIRA-Daten geht hervor, dass Eisenburger seine DDR-Gesprächspartner nur mündlich über die Lage in Rumänien informierte. Er fertigte keine schriftlichen Berichte an und übergab keine Dokumente.724 Insofern bewegte er sich formal im Rahmen diplomatischer Hintergrundgespräche. Erst seine Gesprächspartner von der DDR-Botschaft fassten die Gespräche schriftlich zusammen und ließen sie der HV A zukommen.725 722  In der Durchführungsbestimmung zu den MfS-Richtlinien 1/68 und 2/68 ordnete Markus Wolf am 1.8.1972 an: »Kontaktpersonen dürfen den tatsächlichen Bezugspartner nicht erkennen. Sie werden zur Beschaffung von Informationen und operativen Hinweisen genutzt«; zit. in: Müller-Enbergs (Hg.): Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2, S. 451. Ausführlicher und differenzierter zur Arbeit mit Kontaktpersonen: MfS, HV A: 5. Kommentar zur Richtlinie 2/79 des Ministers. Die Gewinnung operativ bedeutsamer Informationen durch die Diensteinheiten der Aufklärung des MfS, Februar 1982; veröffentlicht in: ebenda, S. 687–726, hier 699–706. 723  In der HVA-Aktenordnung 1/84 hieß es, in Kontaktperson-Akten sollten u. a. Menschen erfasst werden, »deren Werbung als IM aus politischen, operativen oder anderen Gründen nicht möglich, zweckmäßig oder notwendig ist«; MfS, HV A, 1. Stellvertreter des Leiters, 15.5.1984: Ordnung Nr. HV A 1/84 über die operative Aktenführung im Bereich der HV A und der Abteilungen XV der Bezirksverwaltungen – Aktenordnung HV A; ediert in: Müller-Enbergs (Hg.): Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Teil 2, S. 830–857, hier 842. 724  Dass Eisenburger lediglich Gespräche führte, aber keine Schriftstücke übergab, dokumentieren die ihn betreffenden SIRA-Daten. Vgl. Anm. 716. Als die HV A 1984 den Vorgang »Berger« unter einer neuen Reg.-Nr. (XV/5855/84) erfasste (bis dahin lief der Vorgang »Berger« unter der Nummer des Residentur-Vorgangs »Speicher«, XV/1671/68), legte sie für den Vorgang »Berger« eine Akte »Operative Personenkontrolle« (OPK) an und nicht etwa eine IMAkte. BStU, MfS, HV A/MD/6, SIRA-TDB 21. Kontaktpersonen führte die HV A häufig in OPK-Akten. Die HVA-Registratur ordnete »Berger« demnach nicht als IM ein. 725  In der DDR-Botschaft in Bukarest gab es einen »Toten Briefkasten«, in den zum Beispiel der DDR-Attaché Roland Buchwald seine Berichte über die Gespräche mit Eisenburger

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Unklar bleibt, weshalb die HV A Eisenburger erst 1981 förmlich als Kontaktperson registrierte, nachdem er doch schon lange zuvor gute Verbindungen zu DDR-Diplomaten unterhielt. Erreichten diese Beziehungen 1981 eine neue Qualität? Zumindest zeichneten sich diese Verbindungen durch Beständigkeit, Kontinuität und Verlässlichkeit aus, und die HV A profitierte unmittelbar davon. Die Schilderung des Securitate-Majors Ioan Rusan ist insofern zutreffend und deckt sich mit den Erinnerungen des DDR-Diplomaten Roland Buchwald, der den Informationskontakt zu Eisenburger mehrere Jahre lang pflegte. Aufgrund der offiziellen Funktionen Eisenburgers, die auch vertrauliche Hintergrundgespräche mit Diplomaten eines verbündeten Landes zuließen, ist es in seinem Falle schwierig zu entscheiden, inwieweit er die fließende Grenze zwischen dem diplomatischen und dem nachrichtendienstlichen Kontakt überschritten hatte. Loyalität gegenüber der DDR kam in seinem Verhalten auf jeden Fall zum Ausdruck. Ernst Breitenstein Was sich bei Eduard Eisenburger nur in Umrissen beschreiben lässt, wird in den Akten bei einem anderen prominenten Rumäniendeutschen deutlicher fassbar: die Versuche des MfS, hochrangige Rumäniendeutsche systematisch auszuhorchen oder »abzuschöpfen«. Die Rede ist hier von Ernst Breitenstein, der von 1949 bis 1954 und von 1976 bis Jahresende 1988 als Chefredakteur die überregionale deutsche Tageszeitung Rumäniens, den »Neuen Weg«, leitete.726 In der Zeit dazwischen war er stellvertretender Chefredakteur. Breitenstein gehörte von November 1979 bis November 1989 als Kandidat dem ZK der RKP an, war von 1975 bis 1980 und von 1985 bis 1989 Abgeordneter in der »Großen Nationalversammlung«, dem damaligen »Parlament«, und fungierte ab 1988 als Stellvertreter Eisenburgers im »Rat der Werktätigen deutscher Nationalität«. Da seine Mutter Jüdin war, litt er als Jugendlicher unter der antisemitischen Stimmung und Politik Rumäniens, und eine höhere Schulbildung blieb ihm verwehrt. Er engagierte sich in der mitgliederschwachen, illegalen rumänischen Kommunisablegte, sofern er sie nicht dem Residenten persönlich übergab. Der HVA-Resident oder der Hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte leerte den »Toten Briefkasten« und leitete die Berichte nach Ostberlin weiter, so die schriftliche Mitteilung Buchwalds an den Verfasser vom 27.10.2015. 726  Nachfolgende biografische Daten in: Crișan: Piramida puterii, vol. I, S. 61; Ernst Breitenstein gestorben. In: Neuer Weg v. 22.5.1990, S. 3. Außerdem die Unterlagen zur Wiederaufnahme Breitensteins in die RAP/RKP aus den Jahren 1949 bis 1956 mit biografischen Angaben, autobiografischen Aufzeichnungen und der Entscheidung der Parteikontrollkommission vom 29.8.1956 zur Wiederaufnahme in die Partei, in: ANR, fond CC al PCR, Secţia Cadre, B 1736, S. 5–9, 22–30, 46–48. Ich danke Hannelore Baier, die mir Einblick in diese Kaderunterlagen gewährte.

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tischen Partei, schloss sich 1939 zunächst dem kommunistischen Jugendverband U.T.C. und der »Roten Hilfe« an und wurde Anfang 1942 Mitglied des Hermannstädter Kreiskomitees der RKP. Im Oktober 1943 wurde er deshalb, als 20-Jähriger, von den rumänischen Sicherheitsbehörden gefangen genommen und nach einem Prozess zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Inhaftiert war er in der Haftanstalt in Karansebesch (Caransebeș). Dort saßen auch die späteren Parteiführer Gheorghiu-Dej und Ceaușescu ein, und mit ihnen etliche andere Kommunisten, die dann nach 1944 viele Schlüsselpositionen im Rumänien der frühen Nachkriegsjahre innehatten.727 In den Verhören mit der damaligen Geheimpolizei »Siguranţă« soll er Angaben über andere Parteigenossen gemacht haben. Aufgrund dieses Verdachts nahm ihn die RKP erst im August 1956 wieder als Parteimitglied auf. Möglicherweise blieb er aus diesem Grunde auch später von höchsten Parteifunktionen ausgeschlossen. In den Anfangsjahren der Rumänischen Volksrepublik wurde er als Vertreter der stalinistischen Politik wahrgenommen, der sich aber schon damals auch für die deutsche Minderheit des Landes einsetzte. Später ging er zu den Auswüchsen der CeaușescuDiktatur auf Distanz, trug sie aber im Rahmen seiner Ämter und Funktionen gleichwohl mit. Den Sturz der Diktatur überlebte er um wenige Monate, er starb am 20. Mai 1990. Breitenstein absolvierte von 1959 bis 1962, gemeinsam mit seinem späteren Nachfolger als Chefredakteur des »Neuen Wegs«, Hugo Hausl, ein Diplom-Fernstudium an der damaligen Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig. Vier- bis sechsmal jährlich hielten sie sich damals zu Konsultations- und Prüfungskursen in Leipzig auf. Dort wurden sie von einem wissenschaftlichen Oberassistenten, Heinz Halbach, fachlich betreut. Halbach wurde 1977 Professor an der Sektion für Journalistik der Leipziger Universität und ging 1992 in den Vorruhestand. Mit Breitenstein pflegte er seit dessen Studienzeiten einen zwar lockeren, aber doch kontinuierlichen Kontakt.728 Im März 1983 ließ Erich Mielke alle relevanten MfS-Abteilungen anweisen, die Informationsbeschaffung zu Rumänien zu intensivieren und zu systematisieren.729 Auch die Auslandsspionageabteilung des MfS, die HV A, war dabei angesprochen. In der Leipziger Bezirks-Dependance der HV A, der Ab727  Siehe die Erinnerungen des damaligen RKP-Mitglieds und Mitgefangenen in Karansebesch, Pavel Câmpeanu: Ceaușescu: The Countdown, S. 70–72. Câmpeanu schreibt von einer »Omnipräsenz« der ehemaligen kommunistischen Karansebesch-Häftlinge im Machtgefüge der frühen 1950er-Jahre und erwähnt dabei auch Breitenstein. 728  Personeneinschätzung zu Ernst Breitenstein vom 24.4.1983, unterzeichnet von »Klaus Wagner«; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 3, Bl. 21–24. Professorenkatalog der Universität Leipzig (catalogus professorum lipsiensis), Eintrag zu Heinz Halbach, im Internet unter http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Halbach_1134 (Stand: 9.6.2016). 729  Ausführlicher hierzu siehe unten, Kapitel 4.1, insbes. Anm. 1057.

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teilung XV, nutzte man für diese Aufgabe den Leipziger Journalistikprofessor Heinz Halbach, der unter den Decknamen »Taube« und »Klaus Wagner« an sie angebunden war.730 Wie aus den umfangreich überlieferten Akten in diesem Falle hervorgeht, sollte Halbach seine Verbindungen zu Breitenstein wieder beleben. Die HV A strebte danach, Breitenstein zu einem beständigen »Abschöpfkontakt« zu entwickeln. Zwischen ihm und seinem früheren Mentor Halbach sollte ein enges Vertrauensverhältnis entstehen, in dessen Rahmen er gegenüber Halbach möglichst offen und umfassend über die innere Situation Rumäniens sprechen sollte. Aus Perspektive der HV A ging es darum, an Informationen zu gelangen, die zur »Festigung der Einheit und Geschlossenheit der SSG [sozialistischen Staatengemeinschaft]« beitragen konnten. Anders ausgedrückt, man wollte den rumänischen Sonderweg möglichst zuverlässig einschätzen und eventuell Ansatzpunkte finden, um bündnistreue Kräfte in Rumänien zu fördern. Außerdem sollte die DDR bei der rumänischen Führungsspitze in einem möglichst günstigen Licht erscheinen.731 Aufgrund dieser Zielstellung wurde Breitenstein bei der HV A, ohne sein Wissen, unter dem Decknamen »Einheit« als Kontaktperson registriert. Zu Beginn dieser Operation ließ sich die HV A von »Klaus Wagner« im April 1983 eine Charakteristik Breitensteins vorlegen. Im Mai des folgenden Jahres finanzierte sie ihm eine Reise zu Breitenstein nach Bukarest.732 Fortan trafen sich beide nach einem ausgeklügelten Plan der HV A ein- bis zweimal jährlich in der DDR oder in Rumänien. Da dieser Plan tatsächlich aufging, bildete die Informationsbeschaffung aus der Rumänischen Kommunistischen Partei für die Leipziger HVA-Filiale seit 1985 einen ihrer zentralen Schwerpunktvorgänge.733 Dementsprechend betrieb sie einen erheblichen Aufwand, um Breitenstein diskret, aber wirkungsvoll für 730  BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 11 f., 16 f., 34, 44–48, Bd. 3, Bl. 30– 35, 80–99, 307. BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. OT Dokumente-Reisepässe betr. Halbach, Heinz. BStU, MfS, Bestand Rosenholz, Recherche zu Reg.-Nr. XV/1001/66 und XV/2877/80. 731  Siehe Pläne und Konzeptionen der Abt. XV der BV Leipzig zum »Abschöpfkontakt ›Einheit‹«, beispielsweise vom 28.11.1984, 16.4.1985, 11.3.1986, [Juli/August] 1986 sowie ein Abschöpfbericht vom 30.8.1986; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 13–15, 45– 48, 53 f., 89–92, 123–128, Bd. 2, Bl. 64–67. 732  Personeneinschätzung zu Ernst Breitenstein (wie Anm. 728). Kostenbelege der Quelle »Klaus Wagner«; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 3, Bl. 30–34. Der Vorgang wurde von der Abteilung XV der BVfS Leipzig in Absprache mit der HVA-Abteilung III geführt. Ebenda, Bd. 1, Bl. 48. Im Jahre 1990 wehrten sich Leipziger Bürgerrechtler mit Erfolg dagegen, dass Stasi-Akten mit Bezug zur Auslandsspionage vernichtet wurden. Während die Aktenbestände der HV A und der ihr nachgeordneten Abteilungen XV in den Bezirksverwaltungen 1990 fast restlos beseitigt wurden, sind die Leipziger Unterlagen bis heute erhalten und erlauben Einblicke in die Arbeit der DDR-Auslandsspionage, wie im vorliegenden Falle im Hinblick auf die Operation mit Ernst Breitenstein. 733  Jahresberichte des »Stellvertreters Aufklärung« der BV Leipzig für die Jahre 1984 bis 1986 sowie Jahresarbeitsplan 1987; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XV, Nr. 89/04, Bl. 13–34, ins-

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ihre Zwecke auszunutzen. Zum Auftakt sorgte die HV  A dafür, dass er vom Rektor der Leipziger Universität für die erste Dezemberwoche 1985 eine persönliche Einladung zur 575-Jahr-Feier dieser Einrichtung erhielt. Gerne folgte Breitenstein dieser Einladung. Die HV A ließ für ihn ein eindrucksvolles Besuchsprogramm arrangieren, zu dem mehrere Empfänge und Gespräche mit Professoren, Außenpolitikern und Medienvertretern in Leipzig und Ostberlin gehörten, dazwischen gab es Stadtbesichtigungen und Kulturprogramm. Außerdem bekam er die Ehrennadel der Karl-Marx-Universität verliehen. Während sich Breitenstein nach seiner Rückkehr in einem Brief an den 1. Prorektor aufrichtig für all diese Dinge und insbesondere für die Begleitung und Betreuung durch seinen früheren Mentor Halbach bedankte, registrierte die Leipziger HVA-Filiale in ihren Akten zufrieden den erfolgreichen Abschluss der ersten Etappe ihres Planes. Und »Taube« berichtete, dass Breitenstein die Legende nicht durchschaut habe.734 Im August 1986 verbrachte Breitenstein dann auf Anregung Halbachs einen zweiwöchigen Urlaub in der DDR, in dessen Rahmen man ihm auf seine Bitte hin auch ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Präsidenten der DDR-Volkskammer, Horst Sindermann, arrangierte; beide kannten sich noch aus den späten 1950er- oder frühen 1960er-Jahren.735 Umgekehrt kam es in den Jahren 1985 bis 1988 wie »zufällig« zu einem jährlichen kurzen Gegenbesuch bei Breitenstein. Zweimal bildeten Dienstreisen Halbachs nach Sofia einen willkommenen Vorwand für einen Zwischenstopp in Bukarest, einmal ein arrangierter Kuraufenthalt in den Karpaten, einmal eine »private Einladung« an Halbach seitens der DDR-Botschaft in Bukarest. Das MfS investierte etliche Tausend DDR-Mark in diese Begegnungen und übernahm die Kosten von der Hotelrechnung bis hin zum Plüschtier, das als Gastgeschenk für Breitensteins Enkelkind übergeben wurde.736

bes. Bl. 15; Abt. XV, Nr. 89/05, Bl. 16–31, insbes. Bl. 20; Abt. XV, Nr. 89/06, Bl. 10–31, insbes. Bl. 13; Abt. XV, Nr. 1792, Bl. 1–25, insbes. Bl. 7. 734  BVfS [Leipzig], Abt. XV, 10.12.1984: Bericht über den Aufenthalt von »Einheit« in der DDR vom 1. bis 7.12.1984; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 21–43, insbes. 21–23 und 34. Diess., 16.4.1985: Konzeption zur weiteren operativen Arbeit im Vorgang »Einheit«, in: ebenda, Bl. 45–48, hier 45. Brief Breitensteins an den 1. Prorektor der Universität Leipzig vom 17.12.1984, in: ebenda, Bl. 44. 735  BVfS [Leipzig], Abt. XV, [März 1986]: Operativer Einsatz zu »Einheit« vom 14.[– 21.3.1986]; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd.  1, Bl.  112–120, hier 118  f. Weitere Aktennotizen, Briefe und Berichte zum DDR-Urlaub Breitensteins und seiner Begegnung mit ­Sindermann im August 1986 in: ebenda, Bd. 1, Bl. 121–129, Bd. 2, Bl. 1–12, 16, Bd. 3, Bl. 25 f., 54 f. 736 Einsatzpläne, Reiseberichte, abgeschöpfte Informationen und Abrechnungen vom 16.4.1985 bis 28.10.1988 in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 45–84, 89–94, 97–120, Bd. 2, Bl. 12, 19, 46–67, 73–93, Bd. 3, Bl. 30–42, 55–58, 77–100, 120–123, 165–169. Vgl. auch BStU, MfS, Abt. Finanzen, Nr. 1598, Bl. 200–203.

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Da man in Leipzig mit Breitensteins baldiger Pensionierung rechnete, intensivierte man auch die Kontakte zu seinem vermuteten und dann auch tatsächlichen Nachfolger als Chefredakteur Hugo Hausl, der von der HV A, ohne es zu wissen, als Kontaktperson mit dem Decknamen »Wende« registriert wurde.737 Die HV A war mit dem Vorgang zunächst sehr zufrieden. Nach jeder Begegnung Halbachs mit Breitenstein erhielt sie von »Klaus Wagner« bzw. »Taube« eine umfangreiche Ausarbeitung über die innenpolitische Situation Rumäniens. Es handelte sich um Einschätzungen und Hintergrundinformationen, die ­Breitenstein im politischen Meinungsaustausch mit seinem DDR-Gesprächspartner gegeben hatte. Dazu gehörten Ausführungen zum Einfluss und zur Position hochrangiger rumänischer Politiker innerhalb der Partei- und Machthierarchie sowie zu aktuellen Personalveränderungen in der Staats- und Parteiführung, Überlegungen zu möglichen Nachfolgern Ceaușescus, Einschätzungen zu Parteitagen der RKP, außenpolitische Positionen und Beziehungen Rumäniens, Angaben zur Stimmung in der Partei und in der Bevölkerung, zur Situation der Volkswirtschaft oder zur Lage der Massenmedien.738 Auf diese Weise gelangte die HV A an kompetente und fundierte, kritische, durchdachte und verlässliche Informationen aus Rumänien, wie es der bedächtigen Art Breitensteins entsprach. So waren seine Auskünfte im Gegensatz zu vielen anderen Berichten frei von Gerüchten, Kolportagen oder Vermutungen. Vor den Begegnungen übermittelten HVA-Mitarbeiter an »Taube« bzw. »Klaus Wagner« ihre Fragen, die er dann in den Gesprächen geschickt und diskret abarbeitete.739 Die Informationsauswerter der HV A schätzten die meisten der Berichte als überdurchschnittlich wertvoll ein.740 Sie führten die Informationen, wie im Falle Eisenburgers, mit den Erkenntnissen aus anderen Quellen zusammen und fertigten für Erich Honecker und andere hochrangige DDR-Politiker Einschätzungen über die 737 Einsatzpläne, Reiseberichte, abgeschöpfte Informationen und Abrechnungen vom 31.7.1985 bis 13.10.1988 in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 50–53, 63–66, 89–92, 117, 119, Bd. 2, Bl. 16–18, 20–44, 64–67, Bd. 3, Bl. 59–76. 738  Die Berichte aus den Jahren 1984 bis 1988 wurden zum Teil mit »Klaus Wagner« unterzeichnet und von der HV A dem Vorgang »Taube« zugeordnet. Sie umfassen jeweils 7 bis 20 hand- und maschinengeschriebene Seiten und sind vorhanden in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 25–33, 54–69, 71–84, 99–111, Bd. 2, Bl. 4–10, 50–62, 76–90, Bd. 3, Bl. 43–54, 80–99. Ihnen entsprechen in der SIRA-Teildatenbank 12 die Informationseingänge SE8404704 vom 4.7.1984, SE8408543 vom 17.12.1984, SE8505850 vom 9.8.1985, SE8602656 vom 27.3.1986 und SE8610159 vom 29.12.1986, die jeweils der Quelle »Taube« zugeordnet sind, sowie SE8606795 vom 4.9.1986 und SE8703753 vom 11.5.1987, die der Quelle »Einheit« zugeordnet sind. Beide Quellen sind unter Reg.-Nr. XV/2877/80 erfasst. 739  BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 51, 69, 91 f., 125, 134, Bd. 2, Bl. 65. 740  Von den sieben Informationsberichten der Jahre 1984 bis 1987 (siehe Anm. 738), deren Benotung in der SIRA-Teildatenbank 12 dokumentiert ist, wurden sechs mit der überdurchschnittlich guten und eher selten vergebenen Note »II« versehen, eine mit der durchschnittlichen Einschätzung »III«.

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Lage in Rumänien an. Auf diese Weise gelangten auch Breitensteins Darlegungen bis ins Machtzentrum der DDR.741 Folgt man den Gesprächsaufzeichnungen des IM »Taube« bzw. »Klaus Wagner«, so wusste Breitenstein, dass der Inhalt ihrer Gespräche innerhalb der SED ausgewertet wurde, um die Beziehungen zwischen beiden Ländern und ihren kommunistischen Parteien zu verbessern. Er hatte demnach auch keine Probleme damit, da er in der DDR mit zahlreichen SED-Vertretern gesprochen hatte und sie als offen, realistisch und zugleich kritisch erlebte. Das beeindruckte ihn positiv, und das vermisste er offenbar in der rumänischen KP allzu oft. ­Breitenstein, der sich als politischer Mensch verstand, ordnete diese Kontakte demzufolge als Meinungsaustausch unter Genossen ein. Und er wünschte ausdrücklich, mit diesen Gesprächen zum gegenseitigen Verstehen beizutragen.742 Da er seinem Gesprächspartner aus Leipzig vertraute, hielt er sich auch mit kritischen Anmerkungen über Ceaușescu nicht zurück. Mehrfach verglich er ihn, den Akten zufolge, ganz nüchtern mit Adolf Hitler. Beispielsweise habe er im »Neuen Weg« lange Zeit Ceaușescu mit dem sachlich nicht korrekten Titel eines »Oberbefehlshabers« bezeichnet, um den korrekten Titel eines »Obersten Befehlshabers« zu umgehen, denn jene Bezeichnung habe ihn allzu sehr an Hitlers »Führer und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht« erinnert, berichtete Breitenstein seinem Leipziger Gastgeber. Erst nach einer Rüge des Zentralkomitees der rumänischen KP habe er nachgeben müssen. Ebenso erinnere ihn der Bau des riesigen Palastes im Zentrum Bukarests an Hitlers gigantomanische Bauprojekte. Das Verhältnis des politisch einflussreichen ZK-Mitglieds und mehrfa-

741  Die in Anm. 738 mit Datum angeführten Eingangsinformationen (SE) flossen in folgende Lageberichte für Honecker und andere ein: Information über westliche und rumänische Einschätzungen zu innen-, wirtschafts- und außenpolitischen Fragen der SR Rumänien, vom 10.8.1984; BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SA8450308. Information über einige Aspekte der rumänischen Innen- und Außenpolitik im Zusammenhang mit dem Staatsbesuch des Genossen Ceaușescu in der DDR vom 28.5. bis 30.5.85, vom 20.5.1985; BStU, MfS, HV A/ MD/3, SIRA-TDB 12, SA8550203 sowie BStU, MfS, HVA 36, Bl. 225–232. Information über einige Hintergründe der jüngsten Kaderveränderungen im Ministerrat der SR Rumänien, vom 24.9.1986; BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SA8650432 sowie BStU, MfS, HVA 43, Bl. 260–263. Der Bericht vom 14.4.1986 über die »personelle Situation in der Führungsspitze der SR Rumänien« vom 14.4.1986 ging lediglich an das MfAA. BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SA8672249 sowie BStU, MfS, HVA 57, Bl. 352 f. Den Bericht »über BRD-Einschätzungen zu möglichen Entwicklungen in der Innenpolitik der SR Rumänien im Falle eines Führungswechsels« vom 12.1.1987 legte die HV A nur Egon Krenz und dem KGB vor. BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SA8750014. 742  Treff berichte und Einsatzpläne der Begegnungen von »Taube« mit »Breitenstein vom 10.12.1984, 31.7.1985, 11.3.1986 und 2.9.1986, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 35 f., 38, 67, 90, Bd. 2, Bl. 3 f. BVfS Leipzig, Stellvertreter Aufklärung, 25.11.1986: Jahresbericht 1986, Bl. 13; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XV, Nr. 89/06, Bl. 13.

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chen Ministers Emil Bobu zu Ceaușescu verglich er mit dem Verhältnis Martin Bormanns, des Chefs der NSDAP-Parteikanzlei, zu Adolf Hitler.743 Die HV A und der von ihr eingesetzte IM »Taube« bzw. »Klaus Wagner« nutzten Breitensteins positive Haltung gegenüber der DDR und sein Vertrauen in seinen Leipziger Gesprächspartner systematisch aus. Vertrauen vorzutäuschen und auszunutzen gehörte im MfS gewiss zum Alltag. So definierte das MfS in seinem »Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit« den Begriff »Vertrauensverhältnis« wie folgt: »[...] Zwischen IM und operativ interessierender Person wird in der Regel von vertraulichen Beziehungen gesprochen, die ausdrücken sollen, dass die operativ interessierende Person zum IM volles Vertrauen hat, während der IM ihr gegenüber ein Vertrauen vortäuscht.«744 So verhielt es sich offenbar auch hier. Allerdings war Breitenstein aufmerksam genug, um nicht doch auch Verdacht zu schöpfen. Als er im März 1986 von Heinz Halbach in Bukarest besucht wurde, fragte er den Gast aus der DDR einmal unvermittelt, was »denn hinter all dem steckt«. Dieser reagierte einigermaßen überzeugend: er erinnerte Breitenstein an das erklärte Interesse der SED an seinen Ratschlägen, mit denen die Beziehungen zwischen beiden Ländern verbessert werden könnten.745 Auf dieser Ebene wurden die Gespräche dann weiter geführt, wobei Breitenstein sich vorübergehend vorsichtiger ausdrückte, wie der IM aus Leipzig registrierte.746 Im Oktober 1986 analysierten die verantwortlichen HVA-Offiziere den bisherigen Verlauf ihrer Aktion und schrieben darüber in einer Aktennotiz unter anderem: »Es wurde eingeschätzt, dass bei dem bisher erreichten Stand der Bearbeitung ›Einheit‹ als KP [Kontaktperson] eingestuft werden kann. Eine direkte Werbung der KP darf und braucht nicht zu erfolgen. Auf der anderen Seite liefert ›Einheit‹ bewusst Informationen mit hohem Vertraulichkeitsgrad.«747 Andeutungsweise kann man aus dieser Analyse entnehmen, dass Breitenstein schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nur als »Kontaktperson« geführt wurde und nicht als inoffizieller Mitarbeiter. Vielleicht fürchtete die HV A, er 743  Treff- und Informationsberichte nach Gesprächen von »Taube« mit Breitenstein vom 10.12.1984 und Ende Juli 1985, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 34 f., 78. – Emil Bobu (1927–2014) gehörte in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den engsten Gefolgsleuten Ceaușescus, der bis hin zur Selbstverleugnung dem Diktator folgte. Selbst als das Ehepaar Ceaușescu am 22.12.1989 vom Dach des ZK-Gebäudes aus flüchtete, begleitete Bobu sie in ihrem Hubschrauber. 1990 rechtskräftig zu zehn Jahren Haft verurteilt, von denen er einige Jahre absaß. Mihai: Emil Bobu (n. 1927). 744  Suckut (Hg.): Das Wörterbuch der Staatssicherheit, S. 405. 745  BVfS [Leipzig], Abt. XV, [März 1986]: Operativer Einsatz zu »Einheit« vom 14.[– 21.3.1986]; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 113. 746  Ebenda, Bl. 113, 116 sowie BVfS Leipzig, Abt. XV, 2.9.1986: »Einheit«. Aufenthalt in der DDR vom 8.8.–29.8.1986; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 2, Bl. 3–5. 747  BVfS Leipzig, Abt. XV, 6.10.1986: Aktennotiz zum Vorgang »Einheit«/»Wende«; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 2, Bl. 16.

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könne sich im Falle eines direkten Anwerbungsversuches völlig zurückziehen, vielleicht spielten politische Rücksichtnahmen eine Rolle. Auf jeden Fall wurde er nicht als IM eingestuft. Auch wenn er als ergiebige Informationsquelle ausgenutzt werden konnte, so fehlten doch einige Merkmale, die ihn erst zu einem bewusst handelnden IM gemacht hätten: Breitensteins Gesprächspartner »Taube« trat ihm stets als Leipziger Hochschullehrer und SED-Genosse gegenüber. Die »Legende« wurde seitens der HV A konsequent und mit einigem Aufwand aufrechterhalten und der geheimdienstliche Hintergrund sorgsam verborgen. Da sich beide seit Langem persönlich kannten, existierte nicht von vornherein die Grauzone in die nachrichtendienstliche Sphäre, die bei der Begegnung mit Diplomaten gegeben war. Ihre Begegnungen wurden vor niemandem geheim gehalten. Vielmehr informierte Breitenstein die RKP über die politischen Inhalte seiner Gespräche, was er seinen Leipziger Gesprächspartner auch wissen ließ.748 Er bediente sich auch keiner geheimen Kommunikationswege oder Decknamen. Und die HV A rechnete stets noch mit der Möglichkeit, dass Breitenstein im Auftrag einer »›Sonderabteilung‹ seines ZK« handeln könnte, ohne dass es dafür jedoch konkrete Hinweise gab.749 Im Herbst 1988 bemühte sich die HV A, Breitenstein an getarnte HVA-Mitarbeiter in der DDR-Botschaft in Bukarest zu übergeben. Im Oktober 1988 war »Taube« eigens nach Bukarest gereist, um Breitenstein mit dem neuen Botschaftsrat der DDR und stellvertretenden Botschafter, Siegfried Anders, bekannt zu machen, den die HV A unter dem Decknamen »Nexö« als IM führte.750 Breitenstein sollte an die DDR-Botschaft angebunden werden, weil er dann häufiger und kontinuierlicher hätte abgeschöpft werden können. Anders’ Position ließ einen legalen und plausiblen Kontakt zu Breitenstein zu, sodass sich die bisherige Legende einer offiziellen Beziehung aufrechterhalten ließ. ­Breitenstein signalisierte im Hinblick auf Anders prinzipiell Gesprächsbereitschaft. Er knüpfte sie indes an bestimmte Bedingungen. Beispielsweise verlangte er die Zusicherung, dass seine Verbindungen zu DDR-Diplomaten die zwischenstaatlichen Beziehungen beider Länder nicht belasten dürften, und dass Einschätzungen über einzelne Personen niemandem in Rumänien Schaden zufügen dürften.751 748  Treff berichte von »Taube« vom 10.12.1984, 30.8.1986, 2.9.1986, 20.12.1986, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 39, 41, Bd. 2, Bl. 5, 36, Bd. 3, Bl. 53 f. 749  BVfS Leipzig, Abt. XV: Einsatzkonzeptionen vom 16.4.1985 und [April] 1987; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 39, 46, Bd. 2, Bl. 48. Im Securitate-Archiv sind, den Recherchen des CNSAS vom November 2008 zufolge, keine Unterlagen über Breitenstein vorhanden. 750  BVfS Leipzig, Abt. XV, 13.10.1988: Einsatzplan IM »Taube« vom 22.10.–27.10.1988 nach Rumänien; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 2, Bl. 66. Zu Anders vgl. auch oben, Anm. 666. 751  Einsatzplan IM »Taube« (wie Anm. 750), Bl. 66 f. [BVfS Leipzig, Abt. XV:] Notizen zur operativen Situation im Vorgang »Einheit« nach dem Aufenthalt 10/88 von »Taube« in der SRR; BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 2, Bl. 74 f.

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Solche Forderungen ergeben indes nur dann einen Sinn, wenn ihm inzwischen grundsätzlich bewusst war, dass seine DDR-Kontakte mehr als nur einen politischen Meinungsaustausch darstellten. Sie gingen darüber hinaus und dienten den Interessen der DDR. Das entsprach offenbar seinem politischen Wollen, denn für ihn stimmte die Politik der SED mit seinen eigenen »alten Idealen« überein, während er über die Zustände in Rumänien enttäuscht war, wie er seinem Leipziger Gesprächspartner gelegentlich mitteilte.752 Er wandte sich demnach also der DDR zu, weil er die Ceaușescu-Herrschaft ablehnte und dem Diktator die Loyalität aufgekündigt hatte. Insofern sind dies Indizien dafür, dass Breitenstein der SED-Führung bewusst interne Informationen aus Rumänien lieferte. Von daher kann man ihn als politischen Informanten für die DDR ansehen. Da diese Kontakte aber innerhalb des sozialistischen Lagers, zwischen zwei verbündeten Ländern, unterhalten wurden, erscheinen sie in einem anderen Licht als ähnliche MfS-Anbindungen westdeutscher Funktionsträger. Die Parteinahme Breitensteins für die SED bildete einen Akt des Widerstands gegen das Ceaușescu-Regime. Diese Konstellation ist gewiss ungewöhnlich, folgt aber aus den Besonderheiten der damaligen Zeit. 3.2.3 Ein Ärgernis für das MfS: rumäniendeutsche Schriftsteller Während das MfS von den offiziellen Repräsentanten der deutschen Minderheit Eisenburger und Breitenstein profitierte, registrierte es unter den rumäniendeutschen Schriftstellern mit Sorge unkonventionelle und politisch abweichende Verhaltensweisen. Vor allem von einigen DDR-Schriftstellern, die Rumänien bereisten, erhielt das MfS überraschende Nachrichten. Es leitete aber keine systematische Überwachung oder gar Verfolgung rumäniendeutscher Schriftsteller ein, sondern beschränkte sich zumeist darauf, Berichte über sie zu sammeln und intern zu analysieren. Der Blick des MfS und seiner linientreuen DDR-IM auf die deutschsprachigen Schriftsteller Rumäniens offenbart allerdings interessante Unterschiede im (deutschsprachigen) Literaturbetrieb und in den Zensurpraktiken zwischen den beiden sozialistischen Staaten. 3.2.3.1 Junge Schriftsteller als »reaktionäre Gruppe«: Klausenburg (Cluj), 1972 Am 15. Februar 1972 verfasste die HV A eine fünf Seiten lange »Information über Verbindungen zwischen rechten Kräften in der BRD und einer reaktio752  Treff berichte von »Taube« vom 10.12.1984 und 31.7.1985 und Einsatzplan für »Taube« vom 11.3.1986, in: BStU, MfS, BV Leipzig, AIM 2984/91, Bd. 1, Bl. 35, 51, 90.

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nären Gruppe in Rumänien«. Sie leitete diesen als »streng geheim« deklarierten Bericht führenden DDR-Außenpolitikern zu. Dieser Bericht gehört zu den eigentümlichsten, die die HV A in den 1970er-Jahren der Partei- und Staatsführung vorlegte.753 Worum ging es darin? In Siebenbürgen hatten sich nach Erkenntnissen der HV A rund 100 Intellektuelle der deutschen Minderheit zu einer »antikommunistischen«, »nationalistischen« und »reaktionären« Gruppe zusammengeschlossen. Das »geistige Hauptzentrum« der Gruppe bilde die Universität in Klausenburg. Die HV A glaubte sich sogar in der Lage, die fünf führenden Köpfe der Gruppe identifiziert zu haben. Ihrem Bericht zufolge waren das die jungen rumäniendeutschen Germanisten und Schriftsteller Franz Hodjak, Bernd Kolf, Michael Markel, Brigitte Tontsch und Peter Motzan. Zu jedem dieser fünf lieferte der HVA-Bericht eine kurze Personeneinschätzung. Die Gruppe sei gegenüber allem Rumänischen zutiefst feindlich eingestellt und strebe danach, Siebenbürgen aus dem rumänischen Staatsverband herauszulösen. Darüber hinaus unterhalte sie Verbindungen zur Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, also zu »rechten Kräften« in der Bundesrepublik. In ihrer akademischen und literarischen Tätigkeit würde sie westliche Auffassungen propagieren, faschistische Denktraditionen fortführen und die DDR-Literatur herabsetzen. Mit der Realität hatte diese Schilderung so gut wie nichts zu tun. Die angebliche Gruppe war ein Hirngespinst. Es gab sie in Wirklichkeit nicht. Die fünf genannten Germanisten kannten sich als Freunde oder Kollegen in Klausenburg, doch sie bildeten nicht einmal ansatzweise eine Gruppe. Ebenso wenig leiteten sie irgendeine größere Gruppe an. Auch unterhielten sie keine Beziehungen zu den Landsmannschaften in der Bundesrepublik. Es gehörte jedoch zu einer beliebten Methode aller kommunistischen Geheimdienste, aus mehr oder weniger lockeren, kollegialen und zwischenmenschlichen Beziehungen eine Gruppe zu konstruieren und ihr zu unterstellen, vom Westen ferngesteuert zu sein. Die Existenz solcher »staatsfeindlicher Gruppen« bediente hervorragend das stalinistische Verschwörungs- und Feindbilddenken und passte zu den Bedrohungs­ szenarien des MfS. »Gruppenbildung« fügte sich daher ohne Weiteres in die geheimdienstlichen Denkweisen ein und wies auf eine besondere Gefährdung der staatlichen Sicherheit hin, die hier durch die angeblichen Pläne für eine Autonomie Siebenbürgens konkretisiert wurde. Indes war es völlig verfehlt, den Genannten eine reaktionäre und nationalistische Gesinnung zu unterstellen. Sie gehörten damals zur jüngeren Generation der deutschen Minderheit, hatten die engen ethnischen, nationalen Grenzen für sich überwunden und ließen sich nach 753  MfS, HV A: Information über Verbindungen zwischen rechten Kräften in der BRD und einer reaktionären Gruppe in Rumänien, vom 15.2.1972; BStU, MfS, HV  A, Nr. 380, Bl. 223–227. Dieser HVA-Bericht ist, mit einer Einführung versehen, ediert in: Herbstritt: Die »Klausenburger Gruppe«.

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westlichen Maßstäben zum Teil als links oder links-liberal einordnen. Einige von ihnen heirateten über die ethnischen Grenzen hinweg, was damals keineswegs selbstverständlich war. Mit rumänischen und ungarischen Kollegen pflegten sie intensiven fachlichen Austausch. Franz Hodjak, Bernd Kolf und Peter Motzan arbeiteten an der im Dezember 1968 gegründeten Klausenburger Literaturzeitschrift »Echinox« mit, die dreisprachig mit rumänischen, ungarischen und deutschen Beiträgen erschien. »Echinox« förderte den Austausch und die Verständigung zwischen den drei siebenbürgischen Nationalitäten und entwickelte sich, wie Anneli Ute Gabanyi schon 1975 konstatierte, »zu einem Forum freimütiger Diskussion«.754 Das kommunistische Regime und die CeaușescuDiktatur lehnten alle fünf tatsächlich ab, aber als »wütende Antikommunisten«, wie es in dem HVA-Bericht hieß, betrachteten sie sich nicht. Vier von ihnen waren in den frühen 1970er-Jahren der Rumänischen Kommunistischen Partei beigetreten. Sie waren keine Widerständler, sondern pflegten lediglich »Gesinnungsalternativen«, wie Michael Markel es rückblickend einschätzte.755 Für die DDR hatten sie auf politischer Ebene keine großen Sympathien. Doch als Germanisten beachteten sie selbstverständlich die DDR-Literatur, wo sie ihrer Auffassung nach literarische Qualitäten aufwies.756 Keiner der fünf kämpfte für ein autonomes Siebenbürgen oder hatte die Absicht, Kronstadt zu einer freien deutschen Stadt auszurufen, wie es die HV A ihnen unterstellte. Solche Anschuldigungen gehörten indes zum gängigen Repertoire der rumänischen Nationalkommunisten, die insbesondere unliebsamen Angehörigen der ungarischen, aber auch der deutschen Minderheit, immer wieder »Irredentismus« unterstellten, also eine Gesinnung, die davon ausgeht, eine bestimmte Region sei so lange noch nicht erlöst, so lange sie nicht mit ihrem Mutterland vereinigt sei. Auf irredentistische Handlungen stand damals in Rumänien eine Haftstrafe von 15 bis 20 Jahren, aber auch die Todesstrafe 754  Gabanyi: Partei und Literatur, S.  162. Die damaligen Verhältnisse in Klausenburg und die Bedeutung der Zeitschrift »Echinox« beschreiben beispielsweise Werner Söllner in seinem Nachwort in Hodjak: Siebenbürgische Sprechübung, S. 129–132; Franz Hodjak in einem Gespäch mit Stefan Sienerth: »Von der Suche nach einem Ort«, insbes. S. 281 f.; ebenso Franz Hodjak im Gespräch mit Axel Helbig: »Jede Definition der Freiheit schränkt die Freiheit ein«, insbes. S. 31–34; Peter Motzan in einem Gespräch mit Stefan Sienerth: »Am Rand der Mitte«, insbes. S. 19 f. Zu »Echinox« siehe auch Poantă: Efectul »Echinox« sowie Poenar (Hg.): Dicţionar Echinox A–Z. 755  Markel: Im Fadenkreuz der Verleumdung, S. 396. 756  Ich danke Franz Hodjak, Bernd Kolf, Michael Markel, Brigitte Tontsch und Peter ­Motzan, die in dem Dokument der HV  A als die »führenden Personen« der Klausenburger Gruppe genannt werden, für ihre hilfreichen Auskünfte. Ein besonderer Dank gilt Peter Motzan für seine umfassenden Hinweise auf literatur- und zeitgeschichtliche Zusammenhänge, die in diesen Abschnitt eingeflossen sind. Einen Überblick über die junge rumäniendeutsche Literaturszene (mit Spitzen gegen die Banater Szene) in den 1970er-Jahren sowie deren Bezüge zur DDR-Literatur bietet Cotârlea: Schreiben unter der Diktatur, S. 44–52.

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konnte verhängt werden. Nicolae Ceaușescu sprach noch am 20.  Dezember 1989, zwei Tage vor seinem Sturz, in einer landesweit übertragenen Rede von »irredentistischen Kreisen«, die neben anderen für den Aufstand in Temeswar verantwortlich seien.757 Dass der Irredentismus-Vorwurf in ein Dokument der DDR-Staatssicherheit Eingang gefunden hat, ist jedoch ungewöhnlich, denn er kommt im Repertoire des MfS ansonsten nicht vor. Merkwürdig ist an dem HVA-Bericht auch ein auffälliger Bruch in seiner Argumentationsführung. Geht es zunächst um gewaltige politische Anschuldigungen, so handelt er in seinem zweiten Teil von einem vergleichsweise unbedeutenden Richtungsstreit unter rumäniendeutschen Germanisten. Demnach vertraten die fünf genannten Klausenburger falsche »literaturtheoretische Ansichten«. Dagegen nehme der Bukarester Germanist und Literaturkritiker Heinz Stănescu eine politisch zuverlässige Haltung ein und spreche sich für ein »radikales Zuschlagen« gegen die Klausenburger Kollegen aus. Eine »mittlere Linie« vertrete hingegen Viktor Theiß, der in Bukarest als Germanistikprofessor lehrte.758 Wie war die HV  A auf die rumäniendeutschen Germanisten und Schriftsteller aufmerksam geworden, und auf welcher Grundlage maßte sie sich an, derartige Urteile über sie zu fällen? Darüber geben die Stasi-Unterlagen keine Auskunft. Doch lassen sich diese Hintergründe mit Hilfe der Akten rekonstruieren, die die Securitate über die inkriminierten Klausenburger Literaten angelegt hatte. Beispielsweise überwachte die Securitate von 1963 bis 1989 den Germanistik-Dozenten an der Universität Klausenburg, Michael Markel. Aus seinen Akten geht hervor, was der rumänische Staatssicherheitsdienst ihm unterstellte: »Widerstand gegen die Partei- und Staatspolitik, Bildung einer staatsfeindlichen Gruppe, deutsch-nationalistische Einstellungen, [...] Beziehungen zu Ausländern, [...] Verdacht landesfeindlicher sowie nachrichtendienstlicher Propaganda

757  Als »terre irredente« (unerlöste Gebiete) galten aus italienischer Perspektive seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einige teilweise italienischsprachige Gebiete Österreich– Ungarns, die an das italienische Mutterland angeschlossen werden sollten. Daraus leitete sich der Begriff »Irredentismus« ab, der auch auf andere Regionen angewendet wird. Zum strafrechtlichen Aspekt vgl. Antoniu; Popa; Daneș: Codul Penal pe înţelesul tuturor, S. 143 f. sowie den ebenda auf S. 368 abgedruckten Artikel 155 des rumänischen Strafgesetzbuches in der am 21.6.1968 angenommenen und am 24.3.1970 geänderten Fassung. In den 1950er-Jahren war für derartige Handlungen ausschließlich die Todesstrafe vorgesehen. Vgl. Rumänisches Strafgesetzbuch. Amtlicher Text, mit den Abänderungen bis zum 1. Dezember 1960. Berlin [West] 1964, S. 60, Artikel 184, auszugsweise vorhanden in: BStU, MfS, ZAGG, Nr. 2678, Bl. 23–33. Eine deutsche Fassung der Rede Ceaușescus vom 20.12.1989 ist abgedruckt in der Bukarester Tageszeitung »Neuer Weg« v. 22.12.1989, S. 1. 758  BStU, MfS, HV A, Nr. 380, Bl. 224 f. (wie Anm. 753).

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und Spionagetätigkeit«.759 Dieses Konstrukt scheint auch in der HVA-Information durch. Ihr fehlt im Übrigen jeder Hinweis auf das tatsächliche Agieren der Securitate und die Folgen für die Betroffenen, denn die Überwachung ging einher mit konkreten Maßnahmen. Unter anderem wurde Markel 1967 mehrfach von der Straße weg verhaftet und eingesperrt. Nachdem er Jahrzehnte später seine Akten gelesen hatte, schrieb er: »Druck- und Drohgebärden stellen sich nun als fehlgeschlagene Anwerbungsversuche heraus, gleichwohl haben sie mich nachhaltig geprägt und auf Dauer behindert und gelähmt.«760 Die Securitate-Akten über Michael Markel lassen die Annahme zu, dass die HV A Versatzstücke der Securitate-Paranoia übernommen hatte. Auf welchem Weg dies geschah, erhellt der Operativvorgang »Horaţiu«, den die Securitate im März 1984 gegen den Klausenburger Schriftsteller und Lektor im Dacia-Verlag Franz Hodjak eröffnete. Die Securitate beabsichtigte mit dem Vorgang »Horaţiu«, Franz Hodjak systematisch zu überwachen, seine politische Haltung zu überprüfen und seine Kontakte ins Ausland zu kontrollieren.761 In die »Horaţiu«Akte gingen zahlreiche Aktenstücke aus früheren Überwachungsmaßnahmen ein. Demnach hatte die Klausenburger Regionalverwaltung der Securitate bereits im Juli 1966 damit begonnen, Informationen über den damals erst 21-jährigen Franz Hodjak zusammenzutragen. Im Dezember 1970 weitete sie den Kreis der verdächtigten Personen aus. Insbesondere 1972 häufen sich in der Akte Spitzelberichte, Notizen und interner Schriftverkehr, die sich hauptsächlich genau gegen jene fünf Literaten richteten, die auch in dem HVA-Bericht von 1972 namentlich genannt sind.762 Faktisch handelte es sich bei der »Horaţiu«-Akte, sofern sie die frühen 1970erJahre betrifft, um die geheimpolizeilich verzerrte Dokumentation eines Konflikts innerhalb der rumäniendeutschen Literaturwissenschaft: In den »sieben schillernden Jahren der rumäniendeutschen Lyrik«763 zwischen 1965 und 1971 waren gerade von Klausenburg neue Impulse für die Germanistik in Rumänien ausgegangen. Junge Schriftsteller und Literaturwissenschaftler beschritten methodisch und inhaltlich neue Wege und ließen die engen Vorgaben der stalinistischen Kulturpolitik hinter sich.764 Von dieser Strömung fühlte sich vor allem 759  Hier zitiert aus der zusammenfassenden Darstellung Markels zum Inhalt der ihn betreffenden Securitate-Akten: Markel: Im Fadenkreuz der Verleumdung, S. 394 f. 760  Ebenda, S. 394. 761  ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 2. Franz Hodjak gilt hier ein besonderer Dank dafür, dass er Einblick in die ihn betreffenden Securitate-Akten gewährt hat und als Zeitzeuge auch vieles aus seiner Erinnerung berichtete. 762  ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 19–70. 763 Vgl. Motzan: Sieben schillernde Jahre. Rumäniendeutsche Lyrik in der Zeitschrift »Neue Literatur«. 764  Beispielhaft für den werkimmanenten Ansatz und die politisch kritische Lyrik standen drei Bücher, die 1971 im Dacia-Verlag unter der Verantwortung Franz Hodjaks erschienen: Die von Brigitte Tontsch herausgegebenen »Interpretationen deutscher und rumänien-

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der Germanist und Literaturkritiker Heinz Stănescu bedroht, der seine bestimmende Position innerhalb seines Fachgebiets in Gefahr sah. Stănescu beharrte auf einer dogmatischen sozialistischen Linie. Nicht nur als Wissenschaftler und Ideologe, sondern auch als inoffizieller Mitarbeiter der Securitate mit dem Decknamen »Traian« zog Stănescu gegen die Neuerungen zu Felde.765 Als der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu im Juli 1971 eine »Kulturrevolution« durchführte und der pseudoliberalen Phase ein Ende setzte, verspürte Stănescu wieder Rückenwind. Im ersten Halbjahr 1972, als der Richtungsstreit besonders heftig geführt wurde, lieferte er mindestens vier umfangreiche Berichte bei der Securitate ab, die in der Akte »Horaţiu« überliefert sind. Darin breitete er Lügen, Halbwahrheiten und Tatsachen aus und vermischte sie zu einem denunziatorischen Gebräu. Der HVA-Bericht bietet einen zusammenfassenden Ausschnitt davon. Immer wieder ist in Stănescus Ausführungen von der »Klausenburger Gruppe« oder der »Gruppe Motzan« die Rede,766 ihre vermeintlichen Förderer deutscher Lyrik«, der von Michael Markel herausgegebene Band »Transylvanica I. Studien zur deutschen Lyrik aus Siebenbürgen« sowie der Gedichtband »Zwischen 7 und ∞ [unendlich]« von Bernd Kolf. Ich danke Peter Motzan, der mich auf diese Bücher aufmerksam machte und ebenso auf die quasi amtliche Zurückweisung der darin enthaltenen Auffassungen in der Rezension des Bukarester Germanisten Prof. Dr. Victor Theiss: Interpretationen und Interpreten. Bemerkungen zu dem Band »Interpretationen deutscher und rumäniendeutscher Lyrik«. In: Neuer Weg v. 22.1.1972, S. 3 f. Für die Securitate verfasste ihr Informant »Teodorescu« am 3.4.1972 eine sehr ähnlich formulierte Kritik dieses Bandes. Siehe ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 34–39. 765  Heinz Stănescu (1921–1994) wirkte zumindest seit den späten 1950er-Jahren als Germanist in Bukarest, wobei er zugleich die rumäniendeutsche Literatur ideologisch überwachte. 1967 veröffentlichte er im Bukarester Literaturverlag in deutscher Sprache ein Büchlein unter dem Titel »Berichte«, in dem er die rumäniendeutsche Literatur und ihre Schriftsteller unter dem Aspekt des sozialistischen Realismus untersuchte und sie einer ideologischen Bewertung unterzog. Darin kommt eine sehr ähnliche Sicht zum Ausdruck wie in dem Bericht der HV A. Der rumäniendeutsche Schriftsteller Dieter Schlesak, der 1969 in die Bundesrepublik auswanderte, charakterisierte Stănescu um 1970 als den »Geheimpolizisten der rumäniendeutschen Literatur«. Mitteilung Schlesaks an den Verfasser vom 18.8.2005. Eine Zusammenstellung der Veröffentlichungen Stănescus besorgte Kelp: Bibliographie der Arbeiten von Heinz Stanescu. Diese Bibliografie umfasst 372 Titel. Stănescu setzte sich 1976 in die BRD ab. Zu seiner Biografie siehe die Literaturhinweise in Anm. 330. Unklar bleiben die Motive Stănescus. Fühlte er sich als früherer Securitate-Hauptmann, der er bis 1952 war, dem Geheimdienst weiterhin eng verbunden? Handelte er aus politischer oder fachlicher Überzeugung, trieben ihn seine persönlichen Ambitionen an, oder war er einfach nur ein willfähriger, leicht erpressbarer Handlanger der Geheimpolizei, die ihn 1952 wegen seiner Homosexualität entlassen hatte, ihn zu einem Jahr Gefängnis verurteilen ließ und ihn noch während der Haft als IM anwarb? 766  ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 49, 52. Es ist nicht zuletzt auch bezeichnend für die Art der Aktenführung bei der Securitate, dass ein Bericht über eine angebliche »Gruppe Motzan« in der Akte über Franz Hodjak abgelegt wurde. Eine eigene Überwachungsakte zu Peter Motzan unter der Deckbezeichnung »Mocanu« legte die Securitate 1976 an und schloss sie schon 1977, nach eineinhalb Jahren, wieder: ACNSAS, fond informativ, i 24776, vol. 3.

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und Sympathisanten werden namentlich angeführt, der Dacia-Verlag wird zu einem Kampfinstrument der vermeintlichen Gruppe erklärt und die Zeitschrift »Echinox« zu deren Presseorgan.767 Die HV A bezog ihre Pseudo-Informationen nicht von der Securitate. Der Informationsaustausch zwischen beiden Staatssicherheitsdiensten war zu dieser Zeit schon weitgehend eingestellt. Ohnehin hätte der Bericht über die »Klausenburger Gruppe« die Securitate in ein schlechtes Licht gestellt, da er den Eindruck vermittelt, sie sei nicht in der Lage, die Entstehung einer derart gefährlichen Gruppe zu unterbinden. Der HVA-Bericht ist offenkundig von Heinz Stănescu inspiriert, obwohl er nicht auf der Gehaltsliste des MfS stand. In der »Horaţiu«-Akte ist dokumentiert, dass Heinz Stănescu dem Securitate-Offizier Gheorghe Năstase am 1. Februar 1972 einen mehrseitigen Bericht über die »Klausenburger Gruppe« ablieferte. Darin zitierte Stănescu insbesondere rumäniendeutsche Schriftsteller, Germanisten und Redakteure, die sich negativ über ihre Klausenburger Kollegen geäußert haben sollen. Er führte aber auch die Meinung eines DDR-Germanisten an, der sich damals längere Zeit in Rumänien aufhielt; dieser hatte in einem Gespräch mit ihm am 24. Januar 1972 in Bukarest angeblich die Auffassung vertreten, es gebe in Klausenburg eine organisierte antimarxistische Gruppe, die Widerstand gegen die ideologische Linie Ceaușescus leiste und darin von einer höheren Stelle ermutigt werde.768 Es mag dahingestellt bleiben, ob sich der DDR-Germanist tatsächlich in diesem Sinne geäußert hatte, oder ob Stănescu ihm seine eigene Auffassung unterschob. Festhalten lässt sich zumindest, dass beide miteinander über dieses Thema im Gespräch waren. Der DDR-Germanist wiederum war bei der HV A seit 1971 in dem IM-Vorgang »Tanne« erfasst und der Bukarester HVA-Residentur als Informant zugeordnet.769 Ob »Tanne« mit der HV A bewusst kooperierte oder von einem als Diplomat getarnten HVA-Mitarbeiter der DDR-Botschaft in Bukarest unbewusst abgeschöpft wurde, muss offen bleiben. Beachtenswert ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Gespräch am 24. Januar und der Erstellung des HVA-Berichts am 15. Februar 1972. Es spricht also vieles dafür, dass die verzerrte Darstellung eines rumäniendeutschen Richtungsstreits auf dem Weg über den IM-Vorgang »Tanne« ungefiltert von Bukarest nach Ostberlin in die

767  Die vier Berichte Stănescus finden sich in ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 29–32, 47–52 (unvollständig), 60–63. 768  Ebenda, Bl. 49. 769  Die SIRA-Datenbank der HV  A ordnet für die Jahre 1972–1976 sowie 1986–1987 insgesamt 25 Informationslieferungen dem IM-Vorgang »Tanne«, Reg.-Nr. XV/1852/71, zu. Davon beziehen sich 24 unmittelbar auf Rumänien. Da die SIRA-Datenbank für die frühen 1970er-Jahre unvollständig überliefert ist, ist der Bericht über die »reaktionäre Gruppe« darin nicht nachgewiesen. Zu »Tanne« siehe auch Anm. 668 und 709.

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MfS-Akten geraten ist.770 Ohne dass Stasi und Securitate voneinander wussten, bezogen sie sich auf dieselbe Ursprungsquelle – den Informanten Heinz ­Stănescu. Das MfS erfasste die fünf Klausenburger Germanisten infolge des HVA-Berichts in einer Kartei.771 Außerdem überwachte das MfS danach für einige Zeit die Korrespondenz, die einer der fünf mit Fachkollegen in der DDR führte.772 Im Übrigen verfolgte das MfS die Vorgänge in Klausenburg nicht weiter. Dagegen führte die Securitate ihre geheimpolizeilichen Maßnahmen fort. Im Mai 1972 setzte sie sich das Ziel, weitere »zweifelhafte« und »feindselige« Publikationen der Klausenburger Schriftsteller zu verhindern.773 Und im März 1977 ließ Oberst Alexandru Pereș, einer der leitenden Mitarbeiter der Securitate-Kreisverwaltung in Klausenburg, erneut überprüfen, inwieweit Peter Motzan, Michael Markel und Brigitte Tontsch »Initiatoren einer separatistischen Aktion mit nationalistischem Charakter und negativen Auswirkungen auf die jungen Menschen im Bereich der Philologie« seien.774 Doch eine ernsthafte politische Bedrohung für den rumänischen Staat vermochte die Securitate am Ende nicht zu erkennen. In zwei Vermerken aus den Jahren 1977 und 1981 stellte sie fest, der 1972 entstandene Verdacht gegen die Klausenburger Germanisten hinsichtlich ihrer nationalistischen und staatsfeindlichen Gesinnung habe sich nicht bestätigt.775 770  Auf die Verbindungen zwischen Stănescu und »Tanne« hat mich Franz Hodjak aus seiner eigenen Erinnerung heraus bereits hingewiesen, lange bevor die »Horaţiu«-Akte zugänglich war. Seine Erinnerungen werden durch die Akteneinsicht bestätigt. Noch drei Jahre später, am 15.5.1975, nahm Securitate-Offizier Gheorghe Năstase einen IM-Bericht Stănescus entgegen, in dem er erneut auf die pro-westlichen Unterrichtsmethoden und Lehrinhalte an der Klausenburger Germanistik hinweist und sich wiederum auf einen in Rumänien tätigen DDR-Germanisten bezieht. ACNSAS, fond informativ, i 211715, Bl. 71. 771  Die MfS-Hauptabteilung XX erfasste die fünf Klausenburger Germanisten auf Kerb­ lochkarten. Sie übertrug die Personeneinschätzungen des HVA-Berichts auszugsweise auf die Karteikarten. Das Kerblochkartensystem diente dem MfS dazu, in seinem immensen Datenbestand Personen mit bestimmten Merkmalen und Eigenschaften gezielt herauszufinden. 772  Recherche in der Auslands-Postüberwachungskartei des MfS (Abt. M/02) in: BStU, Abt. AR 2, nach den Namen der fünf sowie BStU, MfS, AOP 9443/83, Bd. 5, Bl. 53–56. 773  ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 53. 774  ACNSAS, fond informativ, i 24776, vol. 3, Bl. 4 f. Pereș, Jahrgang 1931, arbeitete von 1951 bis zu seiner Pensionierung 1985 als hauptamtlicher Mitarbeiter für die Securitate, von 1952 bis 1985 in Klausenburg. 1972–1973 war er Leiter der Securitate-Kreisverwaltung Klausenburg, in den Jahren 1972, 1976, 1978–1981 und 1983–1984 fungierte er als stellvertretender Leiter. Vgl. http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/PERES%20ALEXANDRU.pdf (Stand: 9.6.2016). Folgt man dem edierten Befehl von Securitate-Chef Ion Stănescu vom 18.2.1968, wurde Pereș schon damals stellvertretender Leiter der Securitate-Kreisverwaltung im Kreis Klausenburg sowie Chef der Securitate-Dienststelle für die Stadt Klausenburg. Vgl. Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 47. 775 ACNSAS, fond informativ, i  24776, vol. 3, Bl.  84  f.; ACNSAS, fond informativ, i 128810, vol. 1, Bl. 5, 65–67. Zu Peter Motzan legte die Securitate 1983 erneut einen Akten-

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Hätte die HV A ihren Bericht über die »Klausenburger Gruppe« für sich behalten, so wäre er heute vielleicht nicht einmal mehr einer Erwähnung wert. Doch sie verschickte ihn an einen ausgesuchten Empfängerkreis. Dazu gehörten insbesondere die SED-Funktionäre Hermann Axen und Paul Markowski. Axen war seit 1962 Leiter der Außenpolitischen Kommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. Als ZK-Sekretär war er für internationale Verbindungen zuständig und galt seit Ende der 1960er-Jahre als »Architekt der DDR-Außenpolitik«. Markowski war seit 1966 Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED und gehörte seit 1971 der Außenpolitischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED an. In seiner Eigenschaft als Abgeordneter der Volkskammer war er außerdem Mitglied im dortigen Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. Ein weiteres Exemplar des Berichts bekam Außenminister Otto Winzer. Ferner erhielten die Stellvertreter Mielkes, Bruno Beater und Fritz Schröder, und der Leiter der MfS-Hauptabteilung XX, Paul Kienberg, je ein Exemplar. Die Hauptabteilung XX hatte unter anderem die Aufgabe, die Kirchen, das kulturelle Leben und den politischen Untergrund zu überwachen und zu bekämpfen. Zu den Empfängern des Berichts gehörte außerdem der sowjetische Geheimdienst KGB, was nichts Außergewöhnliches war, weil die HV A einen großen Teil ihrer Informationen dem KGB zur Verfügung stellte.776 Der Bericht ging somit genau an diejenigen DDR-Politiker, die für die Außenpolitik maßgeblich verantwortlich waren. Sie bekamen dadurch ebenso wie die erwähnten leitenden MfS-Mitarbeiter das Bild vermittelt, in Rumänien gebe es Raum für große, oppositionelle Strömungen, die in der DDR undenkbar waren. So ein Bericht konnte Folgen für die Politik der DDR gegenüber Rumänien nach sich ziehen, denn er wurde von der HV A erstellt, um der politischen Führung Hintergrundinformationen und Entscheidungshilfen zu geben. Dass dieser Bericht vor allem falsche Behauptungen enthielt, spielte für seine mögliche Wirkungsgeschichte keine Rolle. In seiner Tendenz passte er in das damals gängige Bild von Rumänien als einem politisch-ideologisch unberechenbaren Land. Für die Empfänger mochte er auch deshalb glaubwürdig erscheinen, weil im ideologisch geprägten Weltbild der SED fast alles, was mit deutschen Minderheiten im östlichen Europa zu tun hatte, auch in dem Ruf stand, »reaktionär« und »revanchistisch« zu sein. vorgang an: Dosar de urmărire preventivă 5180 privînd »Milea«; vgl. ACNSAS, fond informativ, i 24776, vol. 1–2. Nachdem Motzan am 9.11.1988 einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gestellt hatte, wurde er aus dem Hochschuldienst entlassen. Die Akte »Milea« wurde am 28.11.1989 geschlossen. 776  Der Verteiler ist auf dem Bericht vermerkt, wobei die Namen der Empfänger abgekürzt wurden; die Abkürzung »AG« auf dem Verteiler bedeutete UdSSR bzw. KGB. BStU, MfS, HV A, Nr. 380, Bl. 223. Zur Biografie der genannten Funktionäre vgl. Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien. Zur HA XX siehe Auerbach, Thomas u. a.: Hauptabteilung XX.

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Doch was wollte die HV  A mit diesem Bericht bezwecken? Glaubten die HVA-Analytiker tatsächlich an die Behauptungen, die sie hier verbreiteten? Waren sie derart ahnungslos? Ging es ihnen ernsthaft darum, die politische Führung auf ein vermeintlich heikles innenpolitisches Problem Rumäniens aufmerksam zu machen und eine Warnung auszusprechen? Oder scherte sich die HV A in diesem Fall gar nicht so sehr um den Wahrheitsgehalt des Berichts, sondern ging es ihr darum, Rumänien in einem ungünstigen Licht erscheinen zu lassen? Immerhin bereiteten sich beide Länder zu dieser Zeit darauf vor, erstmals einen Freundschafts- und Beistandsvertrag abzuschließen. Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs – der Vertrag wurde am 12. Mai 1972 unterzeichnet – drängt sich zumindest die Frage auf, ob die HV A mit diesem Bericht eine bestimmte Stimmung erzeugen und somit politischen Einfluss nehmen wollte. Eine Antwort steht noch aus. 3.2.3.2 Das MfS beargwöhnt Schriftstellerkontakte zwischen der DDR und Rumänien Die vermeintlichen Umtriebe der »Klausenburger Gruppe« zu Beginn der 1970er-Jahre bildeten im Sicherheitsdenken des MfS keine unmittelbare Bedrohung. Doch sobald Rückwirkungen auf die DDR zu erwarten waren, stellte sich die Lage anders dar. Das MfS strebte deshalb danach, die Kontakte zwischen Schriftstellern beider Länder zu erfassen, um bei Bedarf frühzeitig eingreifen zu können. Im November 1977 ließ Oberstleutnant Horst Machts, stellvertretender Abteilungsleiter in der HV A mit Zuständigkeit für die Legalresidenturen, ein vierseitiges Papier über die »Kontakte zwischen Schriftstellern der DDR und der Sozialistischen Republik Rumäniens« erstellen.777 Es beruhte auf den Angaben eines nicht näher genannten »zuverlässigen inoffiziellen Mitarbeiters«. Machts schickte das Papier an die MfS-Hauptabteilung XX/7, also an jene Abteilung, die maßgeblich für die geheimdienstliche Bearbeitung von Kultur, Kunst und Literatur verantwortlich war. Die Abteilungen für Auslandsspionage und Inlandsrepression kommunizierten auf direktem Wege. Einleitend räumte Machts ein, dass die HV A noch nicht genügend wisse: »Der volle Umfang der Palette der Kontakte zwischen Schriftstellern der DDR und der SRR ist nicht bekannt und daher auch schwer einzuschätzen und nur 777  HV A, Abteilung III, 2.11.1977, Schreiben an die Hauptabteilung XX/7: Kontakte zwischen Schriftstellern der DDR und der Sozialistischen Republik Rumänien; BStU, MfS, AIM 6999/91, Bd. I/1, Bl. 325–328. Das Schreiben ist unterzeichnet von Horst Machts, der von 1973 bis 1983 stellvertretender Leiter der HVA-Abt. III war, von 1983 bis 1990 deren Leiter. Das hier zitierte Papier ist veröffentlicht in: Herbstritt: Literatur und Machts, S. 56–58.

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in Kleinarbeit allmählich zu erfassen.« Ein Problem für die HV A bestehe darin, dass viele DDR-Schriftsteller bei Reisen nach Rumänien die DDR-Botschaft in Bukarest nicht informierten, sodass dort kein Überblick über die vorhandenen Kontakte bestehe. »Insgesamt entsteht sogar der Eindruck, dass die [DDR-] Schriftsteller den Kontakt zur Botschaft umgehen«, so Machts. Diese Aussagen bedeuten im Umkehrschluss nichts anderes, als dass die HV A umfassenden Zugriff auf die Informationen der DDR-Botschaft in Bukarest hatte und sie von dort auch wesentliche Informationen bezog. Trotzdem bot Horst Machts seinen Kollegen im MfS an, sich an ihn zu wenden, falls sie »an weiteren Hinweisen und Aspekten zu den Verbindungen der Schriftsteller der SRR und der DDR interessiert sein« sollten. Das deutet darauf hin, dass er über mehr Informationen verfügte oder sich zumindest in der Lage sah, sie bei Bedarf selbstverständlich zu beschaffen. Machts schilderte in seinem Papier trotz seines begrenzten Kenntnisstandes im Einzelnen die angeblichen oder tatsächlichen Kontakte eines rumänienungarischen und vier rumäniendeutscher Schriftsteller zu DDR-Schriftstellern. Der in Bukarest lebende Schriftsteller und Publizist János Szász, Sekretär der ungarischen Abteilung des Rumänischen Schriftstellerverbandes, stand demnach mit Jurek Becker in Verbindung, und beide besuchten sich gegenseitig. Auch bei dem Redakteur der »Neuen Literaur«, Gerhardt Csejka, sei Jurek Becker 1975 gewesen. Weder Szász noch Csejka verträten marxistisch-leninistische Positionen. Csejka gebe sich zudem für »politische Provokationen im Verhältnis der DDR und BRD« her. Er verehre den Liedermacher Wolf Biermann und bewundere seinen Mut. Diese Behauptung musste auf das MfS provozierend wirken. Denn Wolf Biermann gehörte zu den prominentesten DDR-Dissidenten, der gemeinsam mit Robert Havemann den Kern einer sozialistischen Opposition in der DDR bildete. Seit 1965 hatte er in der DDR Publikations- und Auftrittsverbot, und im November 1976 wurde er gegen seinen Willen aus der DDR ausgebürgert und lebte seither in der Bundesrepublik. Über Bernd Kolf hieß es in dem HVA-Papier, er habe 1975 bei einer Reise in die DDR die Schriftsteller Reiner Kunze, Sarah und Rainer Kirsch, Adolf Endler und Karl Mickel getroffen. Kolf habe in der westdeutschen Zeitschrift »Akzente« einen Artikel über das kritische Verhältnis von DDR-Lyrikern zu ihrem Staat schreiben wollen. Bei ihm seien »politische Fehlschritte« zu befürchten. Franz Hodjak galt der HVA als »junger Nachwuchslyriker«, der »die gesellschaftliche Wirklichkeit auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus künstlerisch zu bewältigen« versuche. Hierbei fehle ihm jedoch noch der politische Überblick. Dies erkläre seine Verbindung zu den »sogenannten Dissidenten«, nämlich den DDR-Schriftstellern Reiner Kunze, Günter Kunert und Jürgen Rennert. Über Gerhard Ortinau, ehemals Mitglied der Temeswarer »Aktionsgruppe Banat«, wusste Horst Machts nur zu berichten, dass er gegen den

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rumänischen Staat und die sozialistische Gesellschaft eingestellt sei und mit dem DDR-Schriftsteller Heinz Czechowski in Verbindung stehe.778 Auf welche Quellen Horst Machts sich hier stützte, geht aus seinem Papier nicht hervor. Der Hinweis auf die DDR-Botschaft in Bukarest, Horst Machts’ Zuständigkeit für die Legalresidenturen und der in den Blick genommene Personenkreis deuten jedoch erneut auf den Informanten »Tanne« hin. Das MfS und die DDR-Botschaft wachten offenkundig gemeinsam über den deutschsprachigen Literaturbetrieb in Rumänien. Noch Mitte der 1980er-Jahre protestierte die DDR-Botschaft gegen die Darstellung der DDR-Literatur in den deutschsprachigen Schulbüchern Rumäniens. Sie beanstandete damals eine Textanalyse des Romans »Nachdenken über Christa T.« von Christa Wolf und die Präsenz Günter Kunerts in dem Schulbuch. Kunert hatte Ende 1976 öffentlich gegen die Ausbürgerung des Liedermachers und Dissidenten Wolf Biermann protestiert und war 1979 selbst aus der DDR gedrängt worden. Der Klausenburger Germanist Michael Markel musste aufgrund der Intervention der DDR-Botschaft eine Stellungnahme für den Schulbuchverlag verfassen. Er rechtfertigte sich unter anderem mit dem Hinweis, Günter Kunert besitze noch einen DDR-Pass und sei deshalb nicht zu beanstanden.779 Einer der Schriftsteller, der dem MfS ausgiebig über seine Rumänien-Kontakte berichtete, war Horst Deichfuß. Deichfuß arbeitete seit 1966 bis kurz vor seinem Tod im Oktober 1989 als IM »Warnot« für die MfS-Bezirksverwaltung in Halle an der Saale. Seine Hauptaufgabe bestand darin, die Mitglieder des DDR-Schriftstellerverbandes im Bezirk Halle, dem er selbst als Funktionär angehörte, geheimdienstlich zu überwachen. Darüber hinaus nutze das MfS seine Verbindungen nach Rumänien und zu den »Donaudeutschen«, wie es in seiner Akte heißt. Als sich das MfS im November 1976 dafür interessierte, welche Meinungen es unter den Schriftstellern zur Ausbürgerung Wolf Biermanns gebe, lieferte Deichfuß dem MfS auch eine Einschätzung darüber, wie der rumänische Schriftstellerverband voraussichtlich reagieren werde:

778  Ebenda. Bei János Szász handelt es sich um den 2006 verstorbenen Schriftsteller und Ehemann der rumäniendeutschen Schriftstellerin Anemone Latzina; vgl. Cotârlea: Schreiben unter der Diktatur, S. 67, 221 u. ä. Zu den DDR-Schriftstellern siehe Walther: Sicherungsbereich Literatur, passim. Anders als in seiner Erstauflage von 1996 schreibt Walther in der durchgesehenen Taschenbuchausgabe von 1999 differenzierter über die Kontakte des MfS zu Jürgen Rennert und deutet auf S. 425 f. an, dass Rennert faktisch nicht als IM tätig wurde. Ich danke meinem Kollegen Roger Engelmann für diesen Hinweis. Das hier vorgestellte Papier von Horst Machts ist in der MfS-Akte von Jürgen Rennert überliefert und hat deshalb die HVA-Aktenbeseitigung überdauert. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass in den bislang durchgesehenen MfS-Akten keine Hinweise auf die engen Verbindungen des DDR-Schriftstellers Heinz Kahlau zu Schriftstellern in Rumänien enthalten sind; siehe zu Kahlau und Rumänien u. a. Olărescu: Rezeption, S. 88 ff. 779  Schriftliche Mitteilung Michael Markels vom 20.12.2005 an den Verfasser.

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Beispielsweise kann ich mir durchaus vorstellen, dass eine solche Maßnahme beim Schriftstellerverband in Rumänien auf völliges Unverständnis stoßen wird. Das war damals schon der Fall, als es um Solschenizyn ging. [...] Ich nehme es beinah sicher an, dass alle diese Verbandsfunktionäre, die ich dort kennen gelernt habe, eine solche Maßnahme ablehnen werden.780

Für sein Buch »Rumänische Rhapsodie«, das 1987 in Ostberlin erschien, hatte Deichfuß in den zurückliegenden Jahren etwa 30 Studien- und Besuchsreisen nach Rumänien unternommen und dem MfS darüber mehrfach und ausführlich berichtet. Da seine IM-Akte in der Wendezeit offensichtlich ausgedünnt wurde, sind nur seine Reiseschilderungen aus den Jahren 1983 bis 1989 überliefert.781 Aus früheren Jahren liegen lediglich die knapp gehaltenen »Treffberichte« vor, die sein Führungsoffizier, Hauptmann Matthias Steffens, verfasste. Sie erwähnen auch Rumänienberichte des IM »Warnot« aus den Jahren 1981 und 1982. Am 7. Juli 1982 vermerkte Hauptmann Steffens über einen solchen Bericht, den er soeben erhalten hatte: »Bericht ist zwar schriftstellerisch aufbereitet, enthält aber reale Einschätzungen und Details zur gegenwärtigen Situation/Lage in der SR [Sozialistischen Republik] Rumänien.«782 In seinen IM-Berichten aus den Jahren 1983 und 1984 nannte Deichfuß viele seiner Gesprächspartner und Bekannten in Rumänien mit Namen. Darunter befanden sich etliche Angehörige der deutschen Minderheit, die er in Bukarest, Jassy, Hermannstadt und Temeswar traf, aber auch in Dörfern wie dem siebenbürgischen Stolzenburg (Slimnic) nördlich von Hermannstadt oder dem Ort Wiseschdia (Vizejdia) im Banat nahe der jugoslawischen Grenze. Häufig übermittelte er dem MfS Hinweise zu ihren politischen Auffassungen oder Charaktereigenschaften. Später führte er hingegen kaum noch Namen an, sondern beschrieb vor allem die allgemeine Stimmung und Lage in Rumänien.783 Deichfuß stellte sich selbst als einen zuverlässigen Vertreter der DDR-Politik in Rumänien dar und informierte das MfS darüber, wie seine Gesprächspartner zur DDR standen. Im Frühjahr 1983 besuchte er unter anderem den Temes780  BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. I/1, Bl. 1a, 87–95, II/2, Bl. 237 f. Den Decknamen »Warnot« suchte sich Deichfuß selbst aus. Es handelte sich dabei um eine Figur aus seinem Roman »Serpentinen«, wie ein MfS-Offizier notierte. Ebenda, Bd. I/1, Bl. 44. Deichfuß wurde von der Abteilung XX/7 der BVfS Halle geführt. Zur Rumänien-Belletristik Deichfuß’ siehe auch knapp Olărescu: Rezeption, S. 87 f. 781  Im Inhaltsverzeichnis der Akte Deichfuß’ sind auch Informationslieferungen über Rumänien aus den Jahren 1981 und 1982 und einige dazugehörige Vermerke der MfS-Bezirksverwaltung verzeichnet, aber die entsprechenden Seiten, immerhin 91 an der Zahl, existieren nicht mehr. BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. I/1, Bl. 4 f., 73–75. 782  BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. II/3, Bl. 324 f., 335 f., 386 f.; Bd. II/5, Bl. 181. Zitat: Bd. II/3, Bl. 403 f. 783  BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. II/4, Bl. 92–105, 182–198, 281–289, Bd. II/5, Bl. 127–136, 211–220, 226–233, 296–302.

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warer Journalisten, Politiker und Schriftsteller Nikolaus Berwanger. Berwanger prägte maßgeblich und auf unkonventionelle Weise das Leben der deutschen Minderheit im Banat, war Chefredakteur der deutschsprachigen Tageszeitung »Neue Banater Zeitung« und der ranghöchste rumäniendeutsche RKP-Funktionär im Westen Rumäniens. In der ersten Hälfte der 1970er-Jahre stand er den kritischen, jungen Schriftstellern der »Aktionsgruppe Banat« zwar noch ablehnend gegenüber und verspottete sie beispielsweise in einem Mundartgedicht 1975 als abgehobene »Glashausschwaben« (»glashausschwowe«). Doch nachdem die Securitate 1975 die Aktionsgruppe zerschlagen hatte, wandte sich Berwanger ihnen zu. Er förderte nun ihre literarische Arbeit, bot ihnen Freiräume und schützte sie vor dem Zugriff der Securitate.784 Horst Deichfuß vermerkte über ihn, er stehe beiden deutschen Staaten aufgeschlossen gegenüber und tendiere in vieler Hinsicht zur DDR. Um ihn für seine vermeintlich DDR-freundliche Haltung zu belohnen oder ihn darin zu bestärken, setzte sich Deichfuß beim MfS dafür ein, in einem DDR-Verlag einen Gedichtband von Berwanger herauszubringen.785 1983 hatte Berwanger erstmals einen Gedichtband in der Bundesrepublik veröffentlicht, und er trat dort, ebenso wie in Österreich und der Schweiz, bei Lesungen und Literaturgesprächen auf. Als Berwanger im Herbst 1984 dem stärker werdenden Druck der rumänischen Sicherheitsorgane auswich und von einer Reise in den Westen nicht zurückkehrte, erübrigten sich Deichfuß’ Bemühungen, sodass in der DDR kein Buch von ihm erschien. Deichfuß hat vermutlich Berwangers Ansatz, eine eigenständige rumäniendeutsche Literatur zu befördern, nicht erfasst. Doch er sah zutreffend die Rivalität der beiden deutschen Staaten in Rumänien. In dieser Hinsicht handelte er der Situation entsprechend, wenn er versuchte, um Persönlichkeiten wie Nikolaus Berwanger zu werben und sie für die DDR einzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht

784  Zur Person Berwangers siehe die biographische Skizze von Richard Wagner: Das Gedicht. Der Jargon. Die Legitimation; ferner die von Horst Samson herausgegebene Themenausgabe der Zeitschrift »Matrix«, Heft 41, 11 (2015) 3. Zum Konflikt Berwangers mit der »Aktionsgruppe Banat« siehe auch Harlacher: Nikolaus Berwanger – Leben und Schaffen eines Rumäniendeutschen, S. 37–40, dort auch das Gedicht »glashausschwowe« abgedruckt, sowie Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 74–76, 108 f., 134 f. Vgl. ferner »Das Schweigen um Berwanger brechen«. Interview mit Harald Berwanger über seinen Vater, den Schriftsteller und Journalisten Nikolaus Berwanger, über Erinnerung und Vergessen und über den Begriff Heimat. In: Fernbach: Interferenzen, S. 143–150. Berwanger war aufgrund seiner Parteifunktion zwar Gesprächspartner der Securitate, was die Geheimpolizei indes nicht daran hinderte, ihn auch zu überwachen, mehrere Spitzel auf ihn anzusetzen und zunehmend die Freiräume zu beschneiden, die er sich und anderen geschaffen hatte. ACNSAS, fond informativ, i 210847, vol. 1–4: Mapa de lucru privind Berwanger Nicolaus [Arbeitsakte (wörtlich: Arbeitsmappe) betreffend Nikolaus Berwanger]. Ich danke Harald Berwanger, der mir Einsicht in die Akten über seinen Vater gewährte. 785  BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. II/4, Bl. 99.

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überraschend, dass die DDR-Botschaft in Bukarest die Schriftstellerkontakte von Horst Deichfuß unterstützte.786 3.2.3.3 Temeswar (Timișoara) 1982: die deutschsprachige Literaturszene im Banat aus einer MfS-Perspektive Im Frühjahr 1982 bereiste der freischaffende Schriftsteller Erich Kriemer Rumänien. Kriemer kam aus der Bezirksstadt Gera in Thüringen, war Funktionär im DDR-Schriftstellerverband und beim MfS als inoffizieller Mitarbeiter mit dem Decknamen »Buche« erfasst. Anders als für Deichfuß bildete Rumänien für ihn keinen erkennbaren Arbeitsschwerpunkt. Aus der Sicht des MfS besetzte er eine »Schlüsselposition«, sofern es darum ging, das literarische Leben im Bezirk Gera politisch und ideologisch unter Kontrolle zu halten und unliebsame Entwicklungen schon im Vorfeld abzuwürgen. Er hatte sich aus MfSSicht vor allem 1976 bewährt, als etliche prominente DDR-Schriftsteller heftig gegen Wolf Biermanns Ausbürgerung protestierten. »Buche« habe auch in dieser Phase zuverlässig die Linie des MfS durchgesetzt und mitgeholfen, gegen kritische Schriftsteller wie Reiner Kunze vorzugehen, heißt es in einem Bericht.787 Kriemer bereiste Rumänien von Ende Mai bis Mitte Juni 1982 und sprach mit Schriftstellern und Funktionären der deutschen Minderheit. Nach Gera zurückgekehrt, schilderte er seinem Führungsoffizier Peter Trost ausgiebig seine Eindrücke und Begegnungen. Trost hielt die Beobachtungen für wichtig genug, um daraus einen acht Seiten langen Bericht anzufertigen. Seine Vorgesetzten schickten den Bericht an die MfS-Zentrale in Ostberlin und baten darum, 786  Botschaft Bukarest, Pol. Bereich, 12.3.1979: Einschätzung der Nationalitätenpolitik der RKP und Schlussfolgerungen für unsere Arbeit; PA AA, MfAA, ZR 906/86, S. 4. Hier erwähnt die Botschaft, Direktkontakte zwischen Deichfuß und dem siebenbürgischen Schriftsteller Georg Scherg unterstützt zu haben. 787  BStU, MfS, BV Gera, Auskunftsbericht zu Reg.-Nr. X/872/80, IME »Buche«. Demnach arbeitete Kriemer seit 1968 als »Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit« (GMS) konspirativ mit dem MfS zusammen, seit Mai 1980 wurde er als IM »Buche« geführt und insbesondere gegen kritische Schriftsteller im Bezirk Gera eingesetzt. »Buche« wurde vom Referat 7 der Abteilung XX der BVfS Gera geführt. Dieses Referat hatte die Aufgabe, die »politische Untergrundtätigkeit«, die »unter Nutzung des Freiraums Kunst/Kultur« ausgeübt wurde, zu bekämpfen. 1989 waren in diesem Referat vier hauptamtliche Mitarbeiter und ein Referatsleiter beschäftigt. 1982 wird dies nicht wesentlich anders ausgesehen haben. Vgl. auch die MfS-Diplomarbeit von Jahn, Rolf (Oberleutnant in der BV Gera, Abt. XX/7): Die Realisierung der Einheit von Erkennen feindlicher Ziele und Absichten der politisch-ideologischen Diversion und der offensiven vorbeugenden Verhinderung ihrer gesellschaftsschädigenden Auswirkungen durch den Einsatz von IME-Schlüsselpositionen im Prozess der politisch-operativen Sicherung und Durchdringung des Bereiches Literaten/Texter im Bezirk Gera. Diplomarbeit an der JHS. Potsdam-Eiche 1984; BStU, MfS, JHS 20133, insbes. S. 80, wo auf IM »Buche« direkt Bezug genommen wird. Zu Kriemer vgl. auch Haase: Mielke contra Pegasus, S. 34, 38.

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ihn in angemessener Weise auszuwerten.788 Denn Kriemer betrachtete die Situation in Rumänien, mehr noch als Deichfuß, mit den strengen Blicken eines linientreuen DDR-Ideologen und vermittelte deshalb den Eindruck, Rumänien sei ein liberales Land. Eine solche Meldung musste das MfS aufhorchen lassen. Zudem ging aus Kriemers Ausführungen hervor, dass die rumäniendeutschen Schriftsteller der DDR ablehnend gegenüberstanden. Im Hinblick auf die deutsch-deutsche Konkurrenzsituation in Rumänien schätzte Kriemer die Position der DDR schwächer ein als etwa sein Kollege Horst Deichfuß. Erich Kriemer hielt sich zu einem Zeitpunkt in dem Land auf, als der latente Konflikt zwischen den jüngeren rumäniendeutschen Schriftstellern in Temeswar und der Securitate gerade wieder eskaliert war. Sein Bericht hat deshalb einen eigentümlichen zeitgeschichtlichen Wert bekommen und wird nachfolgend ausführlich dargestellt und in seinen zeitlichen Zusammenhang eingeordnet.789 Zu Beginn seiner Reise stattete Kriemer der Redaktion der Monatszeitschrift »Neue Literatur« in Bukarest einen Besuch ab. Die »Neue Literatur« war die deutschsprachige Zeitschrift des rumänischen Schriftstellerverbandes. In seinem Bericht charakterisierte er zwei Mitarbeiter der Redaktion. Den Chefredakteur Emmerich Stoffel790 lobte er, weil es sich um einen »bewährten Kom788  Gemeinsames Schreiben von Oberst Werner Weigelt, stellvertretender Leiter der BVfS Gera (»Stellvertreter Operativ«) und Oberstleutnant Henry Müller, Leiter der Abteilung XX der BVfS Gera, vom 16.7.1982 an die HA XX des MfS betr. »Inoffizielle Information zur Lage in Rumänien«; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 869, Bl. 87. 789  Der Bericht ist vorhanden in: BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 869, Bl.  88–95 sowie ediert in: Herbstritt: Rumäniendeutsche Literatur im Visier des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, S. 118–123. Der Bericht nennt weder den Klarnamen noch den Decknamen seiner Quelle. Kriemers Urheberschaft ergibt sich aus einem Vergleich dieses Berichtes mit einem Bericht des Securitate-Informanten »Voicu« zum selben Sachverhalt. Eine Gegenüberstellung der Spitzelberichte von »Buche« und »Voicu« findet sich in: Herbstritt: Doppelt überwacht. Der Bezirk Gera war der Partnerbezirk des Kreises Temesch, was in diesem Zusammenhang keine erkennbare Rolle spielte und sich offenbar auch nicht in den archivalischen Hinterlassenschaften des MfS im Bezirk Gera niedergeschlagen hat. Die Partnerschaft zwischen den Bühnen der Stadt Gera und dem Deutschen Staatstheater Temeswar erwähnt Lippet: Das Leben einer Akte, S. 110, Fn. 120. 790  Emmerich Stoffel (1913–2008), schon in der Zwischenkriegszeit in seiner Banater Heimat kommunistisch tätig, in den 1930er-Jahren mehrfach inhaftiert, wobei er unter anderem mit Nicolae Ceaușescu in derselben Zelle einsaß, 1949/50 Generalsekretär des deutschen antifaschistischen Komitees in Rumänien, 1950 Ministerialrat im Nationalitäten- (Minderheiten-) Departement, 1951–1956 als Diplomat an der rumänischen Botschaft in Bern, wo er den Überfall Oliviu Beldeanus miterlebte, 1965–1974 Mitglied des ZK der RKP, 1974–1979 Mitglied der zentralen Revisionskommission, von 1959 bis 1990 Chefredakteur der »Neuen Literatur«, ohne selbst literarisch begabt, ambitioniert oder aktiv zu sein. Paul Schuster, bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik im November 1971 langjähriger Redakteur der »Neuen Literatur«, erinnert sich dahingehend, dass Stoffel seine Ahnungslosigkeit auf literarischem Gebiet offen eingestanden, die Entwicklung der »Neuen Literatur« jedoch aktiv gefördert habe; er habe den Schriftstellern Freiräume geboten, seine »schützende Hand« über sie gehalten und den Druck der Zensur in gewissem Rahmen abgeschwächt. Schuster, Paul: »Ich stehe zwischen allen möglichen

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munisten« handele. Dessen Stellvertreter Arnold Hauser kritisierte er, weil er für die Bundesrepublik mehr Sympathien hege als für die DDR. Die Zeitschrift »Neue Literatur« schätzte er unter literarischen Aspekten als unbedeutend ein. Zu diesem Urteil gelangte er offenbar vor allem deshalb, weil es in der »Neuen Literatur« einen »Hang für die Außenseiter in der DDR-Literatur« gebe. Sie drucke beispielsweise Texte von Uwe Kolbe und Lutz Rathenow ab.791 Diese Feststellung war heikel, denn Kolbe und Rathenow gehörten zu jenen oppositionellen Schriftstellern, gegen die das MfS und die Zensurbehörden der DDR bereits vorgingen. Kolbe hatte erst wenige Monate zuvor ein Publikationsverbot ereilt. Rathenow wurde im Herbst 1980 für zehn Tage in der MfS-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen gefangen gehalten, nachdem er ohne offizielle Genehmigung sein erstes Buch in der Bundesrepublik veröffentlicht hatte.792 In Temeswar sprach Kriemer mit Nikolaus Berwanger und bescheinigte ihm eine »distanzierte Haltung gegenüber der Sowjetunion und der DDR«. Er unterhielt sich auch mit Mitgliedern des Literaturkreises »Adam Müller-Guttenbrunn«. Junge Schriftsteller wie Richard Wagner, Johann Lippet und William Totok prägten damals diesen Kreis. Sie waren frühere Mitglieder der »AktionsStühlen«, S. 342, 344 f. Gerhardt Csejka, Redakteur der »Neuen Literatur« von 1970–1986, ist in seiner Beurteilung Emmerich Stoffels zurückhaltender, bescheinigt ihm aber ebenfalls, dass er den Redakteuren und Autoren immer wieder Freiräume gewährte. Allerdings habe es in der 10-köpfigen Redaktion keine offenen Diskussionen gegeben. Csejka: Ich habe den Klassenfeind erkannt, S. 263; etwas ausführlicher in rumänischer Sprache das Interview Corina Bernics mit Gerhardt Csejka: Sub cenzură, în redacţia Neue Literatur. In: Observator cultural Nr. 628, Juni 2012, im Internet unter http://www.observatorcultural.ro/Grupul-de-Actiune-Banat-in-atentia-Securitatii*articleID_27121-articles_details.html (Stand: 9.6.2016). Siehe auch die biografische Anmerkung zu Stoffel in: Totok: Mit tückischer Durchtriebenheit (III), S. 66. 791 MfS-Bezirksverwaltung Gera, Abteilung XX/7, 12.7.1982: Inoffizielle Information über einen Aufenthalt in Rumänien; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 869, Bl. 88 f. Im Juni 1979 veröffentlichte die »Neue Literatur« (Heft 6/1979, S.  83–90) unter dem Titel »Da sitzt einer und schreibt« eine Würdigung Rathenows für den DDR-Schriftsteller Günter Kunert zu dessen 50. Geburtstag, in der er unter anderem Kunert positiv gegenüber Bertolt Brecht abgrenzte. Kunert war im Januar 1977 aus der SED ausgeschlossen worden und übersiedelte im Oktober 1979 mit einem DDR-Visum in die Bundesrepublik. In Heft 10/1979, S. 74, druckte die »Neue Literatur« das Gedicht »Buckow, am See« von Lutz Rathenow ab. Rathenow hatte beide Texte einfach per Post an die Redaktion der »Neuen Literatur« geschickt. Gespräch des Verfassers mit Lutz Rathenow am 19.5.2015. Im August 1981 veröffentlichte die »Neue Literatur« einige Gedichte von Uwe Kolbe, die sie aus seinem 1980 in der DDR erschienenen Erstlingswerk »Hineingeboren« entnommen hatte. In derselben Nummer erschien außerdem eine Rezension über diesen Gedichtband. Die Rezension verfasste der in Rumänien tätige DDR-Lektor Horst ­Nalewski. Neue Literatur 32 (1981) 8, S. 71–76, 115 f. Kriemers Kritik erscheint überspitzt, denn die »Neue Literatur« druckte beispielsweise 1981 auch Texte von Volker Braun, Heinz Kahlau, Christa Wolf und einigen Nachwuchsschriftstellern aus der DDR. 792 Zu Kolbe und Rathenow siehe Veen (Hg.): Lexikon Opposition und Widerstand, S. 216 f., 293, sowie Walther: Sicherungsbereich Literatur, passim.

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gruppe Banat«, die von 1972 bis 1975 in Temeswar bestanden hatte.793 In der »Aktionsgruppe« hatten sie neue literarische Formen ausprobiert und in Anlehnung an die westeuropäische Protestbewegung nach 1968, aber auch inspiriert durch das Freiheitsstreben des Prager Frühlings, eine politisch links orientierte Gesellschaftskritik geäußert. In erster Linie wollten sie aber eine moderne und kritische Literatur schaffen, die im gesamten deutschen Sprachraum Anschluss finden und Bestand haben sollte. In diesem Sinne äußerte sich Nikolaus ­Berwanger auch gegenüber Erich Kriemer. Die rumäniendeutschen Schriftsteller, so Berwanger, wollten nicht ein Anhängsel der bundesdeutschen oder der DDR-Literatur sein, sondern eine eigenständige und unabhängige Literatur schaffen. Selbstbewusst prophezeite Berwanger: »Sicher habe das, was hier in deutscher Sprache geschrieben werde, ziemliches Gewicht. Vielleicht nicht gleich, später ganz bestimmt.«794 Berwangers Prophezeiung erfüllte sich für alle sichtbar im Oktober 2009, als Herta Müller den Literaturnobelpreis zuerkannt bekam. Sie gehörte seit 1977 dem Literaturkreis »Adam Müller-Guttenbrunn« an.795 Das demonstrative Selbstbewusstsein dieser Schriftsteller verweigerte sich 793  Zur »Aktionsgruppe Banat« siehe Totok: Zwänge der Erinnerung, S.  61–122; Wagner, Richard: Die Aktionsgruppe Banat; Wichner (Hg.): Ein Pronomen ist verhaftet worden; Solms (Hg.): Nachruf. Verschiedene Forschungsarbeiten über die »Aktionsgruppe Banat« nennen Olivia Spiridon in einer Rezension in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 29 (2006) 1, S. 123 f., sowie der Mitbegründer der Gruppe, Anton Sterbling: »Am Anfang war das Gespräch«, S. 85. Vgl. ferner Lippet: Das Leben einer Akte, darin die deutsche Wiedergabe der Akten aus dem Überwachungsvorgang, den die Securitate gegen Lippet geführt hatte. Am 5.10.2010 hatte der Dokumentarfilm »An den Rand geschrieben. Rumäniendeutsche Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate« von Helmuth Frauendorfer Premiere, in dem die Banater Schriftsteller auf ihre Zeit in Temeswar in den 1970er- und 1980er-Jahren zurückblicken. Zum Selbstverständnis der »Aktionsgruppe« als primär literarische Gruppe rückblickend auch der Artikel »Rumäniendeutsche Autoren berichten aus ihren Securitate-Akten«. In: Siebenbürgische Zeitung v. 26.10.2009, im Internet unter http://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/ kultur/9381-rumaeniendeutsche-autoren-berichten-aus.html (Stand: 9.6.2016). Zur »Aktionsgruppe Banat« gehörten Albert Bohn, Rolf Bossert, Werner Kremm, Johann Lippet, Gerhard Ortinau, Anton Sterbling, William Totok, Richard Wagner, Ernest Wichner. 794  Inoffizielle Information (wie Anm. 791), Bl.  90. Ebenso wie damals Berwanger äußerte sich 14 Jahre später auch Richard Wagner, der Wortführer der »Aktionsgruppe«, in einem Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Stefan Sienerth: Es sei ihm in erster Linie um Literatur gegangen, um eine »an der westlichen Moderne orientierten Literatur«. Auswandern sei lange Zeit keine Option gewesen, sondern er habe sich »mit dem Regime auseinandersetzen [wollen]«. Dabei habe er »keine Dissidenz an[gestrebt], sondern eine Art loyaler Kritik. Zuerst kam das Literarische«. Wagner, Richard: »Ich stelle meine Herkunft nicht aus«, S. 310, 314. Die von Wagner angesprochene Auseinandersetzung mit dem Regime führte allerdings folgerichtig in die Dissidenz. 795  Nachdem Herta Müller den Literaturnobelpreis gewonnen hatte, erinnerte der schwedische Journalist Richard Swartz an die prägende Rolle Nikolaus Berwangers für den Schriftstellerkreis, dem auch Müller angehörte: »Der Kreis des Niki Berwanger. Eine verkannte Provinz: Die rumäniendeutschen Dichter«. In: Süddeutsche Zeitung v. 17./18.10.2009, S. 13.

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Abb. 19: Mitglieder des Temeswarer Adam-Müller-Guttenbrunn-Literaturkreises bei einer Lesung in Arad, Anfang der 1980er-Jahre: Bettina Gross, Herta Müller, Helmuth Frauendorfer, Horst Samson, Eduard Schneider, William Totok, Johann Lippet (v. li. n. re.)

dem deutsch-deutschen Systemwettbewerb. Doch Kriemer interpretierte es pauschal als Ablehnung gegenüber der DDR. Die literarischen und politischen Ansätze dieser Gruppe führten zwangsläufig zum Konflikt sowohl mit den Traditionen der rumäniendeutschen Landsleute als auch mit der sozialistischen Staatsmacht. Im Herbst 1975 zerschlug die Securitate die »Aktionsgruppe Banat«. Sie nahm drei Mitglieder der Aktionsgruppe, Richard Wagner, Gerhard Ortinau und William Totok, sowie den Literaturkritiker und Förderer der Aktionsgruppe Gerhardt Csejka, im Oktober 1975 für eine Woche in Untersuchungshaft, unterzog sie strengen Verhören, führte zugleich Hausdurchsuchungen durch und beschlagnahmte Manuskripte und Aufzeichnungen. William Totok wurde Mitte November 1975 erneut verhaftet. Die Securitate bereitete gegen ihn ein Strafverfahren wegen »staatsfeindlicher Propaganda« vor. Totok blieb siebeneinhalb Monate in Haft. Ende Juni

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1976 entließen ihn die Sicherheitsbehörden aus dem Gefängnis, nachdem sein Fall im Westen publik geworden war und dort zu Protesten geführt hatte.796 Kriemer fertigte Personeneinschätzungen über Nikolaus Berwanger und den jungen Temeswarer Schriftsteller und Redakteur Horst Samson an und schilderte die »ideologischen Positionen« seiner Gesprächspartner. Diese konfrontierten ihn unter anderem mit der Tatsache, dass am Ende des Zweiten Weltkrieges fast alle arbeitsfähigen Rumäniendeutschen für fünf Jahre zur Zwangsarbeit in sowjetische Lager deportiert worden waren, und er hatte den Eindruck, dass die Deportierten besonders angesehen seien, was für ihn unfassbar war.797 Tatsächlich wurde das lange tabuisierte Thema der Deportation gerade zu dieser Zeit nicht nur offen, sondern öffentlich im Literatur- und Kulturbetrieb der Banater Schwaben in Temeswar behandelt. Von den älteren Schriftstellern war es Ludwig Schwarz, der in seinem 1981 erschienenen Mundart-Roman »Es dritti Buch vum Kaule-Baschtl« einiges über die Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion schrieb sowie ausführlicher, wenn auch beschönigend, die Zwangsumsiedlung vieler Banater Schwaben 1951 in die Bărăgan-Steppe im Südosten Rumäniens behandelte.798 Von den jüngeren Schriftstellern war es Johann Lippet, der 1980 sein Gedichtbändchen »biographie. ein muster« veröffentlichte, 796  Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 89–118; ders.: Zwanzig Jahre; ders.: Streiflichter, S. 33–56. 797  Inoffizielle Information (wie Anm. 791), Bl. 89–92. – Im Januar 1945 wurden die rumäniendeutschen Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren und die Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren – insgesamt etwa 75 000 Menschen – für mehrere Jahre zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Diese Maßnahme basierte auf einem Befehl Stalins vom 16.12.1944, wonach gezielt die arbeitsfähigen Deutschen, die sich auf den Gebieten Rumäniens, Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens und der Tschechoslowakei befanden, zur Wiederaufbauarbeit in die Sowjetunion zu deportieren seien. Baier: Stalins Geheimbefehl Nummer 7161; Karner: Im Archipel GUPVI, S. 25–27; Klein, Günter: Im Lichte sowjetischer Quellen. Vgl. auch Georg Weber u. a.: Die Deportation von Siebenbürger Sachsen. – Am 17. Juni 1951 deportierten die rumänischen Sicherheitsorgane etwa 40 000 Einwohner aus dem Banat entlang der Grenze zu Jugoslawien in die Bărăgan-Steppe, unter ihnen rund 10 000 Rumäniendeutsche. Sie durften erst fünf Jahre später zurückkehren. Den Hintergrund der Deportation bildeten die Spannungen zwischen Jugoslawien und dem sowjetisch beherrschten Ostblock. Das Grenzgebiet sollte von vermeintlich unzuverlässigen Grenzbewohnern gesäubert werden. Rumänien befestigte die Grenze damals sogar mit Minen, die einige Jahre später wieder abgeräumt wurden (vgl. auch Anm. 981). Totok: Die Deportationen in den Bărăgan, darin S. 20 Verweis auf die schon in den 1980er-Jahren einsetzende Aufarbeitung. – Eine frühe, zeitgenössisch geprägte Darstellung der beiden Zwangsmaßnahmen findet sich in der vom damaligen Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte herausgegebenen Dokumentation, die zu großen Teilen auf Zeitzeugenberichten aufbaut: Das Schicksal der Deutschen in Rumänien, Bd. 3, S. 75E–80E, 110E–114E, 229–282, 379–400. Siehe zu dieser Dokumentation auch Beer: Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Ein Namensverzeichnis der Deportierten, die während der Zwangsarbeit in der Sowjetunion sowie im Bărăgan verstarben, veröffentlichten Rusan; Ion (Hg.): Cartea Morţilor din închisori, lagăre, deportări, S. 465–723. 798  Schwarz: Es dritti Buch vum Kaule-Baschtl.

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in dem er die Verschleppung der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion literarisch aufarbeitete.799 Im gleichen Jahr erlebte Hans Kehrers Stück »Zwei Schwestern« am Deutschen Staatstheater Temeswar 43 Aufführungen; auch darin ging es um die Erinnerungen an Deportation, Enteignung und Entrechtung ­ eter der Banater Schwaben seit 1945.800 Über dieses Theaterstück verfasste P Kottler, Lektor am Lehrstuhl für germanische Sprachen an der Universität Temeswar, eine Rezension in der Bukarester Zeitschrift »Neue Literatur«, die unter der bemerkenswerten Überschrift »Ein Recht auf Wahrheit« stand. Kottler führte damals aus: [...] manche Sondermaßnahmen aber – wie z.B. die ›Pflichtarbeit‹ in der Fremde, verbunden mit den Schwierigkeiten bei der Rückkehr in die Heimat, oder Zwangsumsiedlungen in den Bărăgan – gehörten im Falle der deutschen Bevölkerung zu den schmerzlichsten Eingriffen in ihre Existenz, die nachhaltig auf ihr Bewusstsein einwirkten. Und es ist an der Zeit, auch im literarischen Schaffen ein offenes Wort darüber zu sagen, denn auch diese Bevölkerung hat ein Recht auf Wahrheit.801

Ebenfalls 1980 legte der Temeswarer Historiker William Marin eine Geschichte der Banater Deutschen vor. Darin führte er aus, dass es ungerechtfertigt und falsch gewesen sei, die Rumäniendeutschen zur »Aufbauarbeit« in die Sowjetunion zu schicken, denn man könne keinesfalls von einer »Kollektivschuld der Deutschen an den faschistischen Verbrechen« sprechen.802 Zunächst hatte allerdings Ceaușescu selbst diese Tabus gebrochen. Vor dem »Rat der Werktätigen deutscher Nationalität« sprach er am 10. Februar 1971 von »Maßnahmen, die viele Werktätige deutscher Nationalität zu Unrecht betroffen haben«, und auf der Landeskonferenz der RKP im Juli 1972 bezeichnete er konkret die »Umsiedlung der deutschen und serbischen Bevölkerung« sowie die »völlige Enteignung der im Besitz der Deutschen befindlichen Landwirtschaftsflächen« als Fehler; 799  Lippet: biographie. ein muster. Schon 1977 hatte Lippet sein Manuskript von »biographie. ein muster« im Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn vorgetragen. Vgl. Schuster, Diana: Die Banater Autorengruppe, S. 87. 800 Kehrer, Hans (eigentlich Stefan Heinz): Zwei Schwestern. Eine schwäbische Passion. Schauspiel in banatschwäbischer Mundart. Erstaufführung am 26.4.1980 in Temeswar. 801  Kottler: Ein Recht auf Wahrheit, S. 96. 802  Marin: Kurze Geschichte der Banater Deutschen, S. 189 f. Marins Darstellung folgt generell der Linie der rumänischen Nationalkommunisten. Noch zurückhaltender und verharmlosender als Marin formulierten Eisenburger und Kroner (Hg.): Sächsisch-schwäbische Chronik, S. 188 f., 229. Der Aufarbeitung waren insofern ideologische Grenzen gesetzt, als sie das politische System nicht grundsätzlich infrage stellen durfte. 1975 war die Zensur noch gegen einen Text von William Totok eingeschritten. In seinem in der »Neuen Literatur« 26 (1975) 7, S. 47, erschienenen Gedicht »Autobiografie« mussten fünf Zeilen durch Auslassungszeichen ersetzt werden. Darin hatte Totok direkt und mit derben Worten an die Zwangsarbeiter am Donau-Schwarzmeer-Kanal erinnert. Ich danke William Totok für die Bereitstellung der unzensierten Urfassung seines Gedichtes.

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dadurch seien den Betroffenen – ebenso wie der gesamten Volkswirtschaft und Politik – »schwere Schäden« entstanden, so Ceaușescu.803 1977 und 1978 registrierte die Securitate dann, wie Nikolaus Berwanger im Literaturkreis »Adam Müller-Guttenbrunn« dazu anregte, sich literarisch mit den Deportationen in die Sowjetunion und in den Bărăgan zu beschäftigen.804 In der DDR gab es hingegen keinen Raum, wo vergleichbare geschichtliche Ereignisse öffentlich benannt oder gar betrauert werden konnten, weder die Zwangsaussiedlungen aus dem innerdeutschen Grenzgebiet 1952 und 1961 noch die Verurteilung zahlreicher Unschuldiger zu Zwangsarbeit in der Sowjet­ union durch die Sowjetischen Militärtribunale (SMT) in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR.805 Für Kriemer war der unterschiedliche Umgang mit der jüngsten Vergangenheit mit den Händen zu greifen. Zu den Besonderheiten jener Jahre in Temeswar gehörte auch die »Neue Banater Zeitung«. Formal war sie lediglich eine regionale Tageszeitung der rumänischen KP in deutscher Sprache. Insofern entsprach sie den regionalen Tageszeitungen in den DDR-Bezirken, beispielsweise der »Volkswacht« in Gera. Allerdings eröffnete Chefredakteur Berwanger um diese Zeit den jungen Banater Schriftstellern in seiner Zeitung großzügige Publikationsmöglichkeiten und beschäftigte zeitweilig einige von ihnen in der Redaktion. Insbesondere protegierte er damals frühere Mitglieder der »Aktionsgruppe Banat«, denen er mit dem Literaturkreis »Adam Müller-Guttenbrunn« auch noch ein weiteres Forum bot. Berwangers Handeln führte zu der paradoxen Situation, dass die Securitate in dieser Phase regelmäßig Beiträge in der »Neuen Banater Zeitung« als staats803  Zit. in: Eisenburger; Kroner (Hg.): Sächsisch-schwäbische Chronik, S. 188 f.; Marin: Kurze Geschichte der Banater Deutschen, S. 192; Totok: Die Deportationen in den Bărăgan, S. 23; Klein, Günter: Im Lichte sowjetischer Quellen, S. 153. 804  Notă [Bericht] Nr. 003316, 13.5.1977, Nr. 003445, 27.6.1977, Nr. 003476, 21.4.1978; ACNSAS, fond informativ, i 210847, vol. 2, Bl. 48, 57 f. 805  Im Rahmen der Aktionen »Ungeziefer« (1952) und »Festigung« (1961) wurden rund 11 000 DDR-Bürger zwangsweise und überfallartig aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere umgesiedelt. Den äußeren Anlass bildete die Abschottung der innerdeutschen Grenze durch die DDR. Eine Rückkehr in ihre angestammten Orte wurde nur wenigen genehmigt. Ausführlich hierzu Bennewitz; Potratz: Zwangsaussiedlungen. Zwischen 1945 und 1955 verurteilten SMT rund 40 000 Deutsche, oftmals aus willkürlichem Anlass oder politischen Gründen. Etwa die Hälfte der Verurteilten wurde zur Verbüßung ihrer Strafe in Arbeitslager in die Sowjetunion deportiert, von wo die letzten 1955 zurückkehrten. Erst in den 1990er-Jahren rehabilitierten russische Gerichte auf entsprechenden Antrag hin viele der Verurteilten. Drescher: Haft am Demmlerplatz, S. 17–21. Rund 1 000 Deutsche wurden von SMT zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet. Vgl. Roginskij u. a. (Hg.): »Erschossen in Moskau ...« Siehe auch Hilger u. a. (Hg.): Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2. Nach Bennewitz; Potratz, S. 80, gab es in der DDR kein förmliches Verbot, über das Thema »Zwangsaussiedlung« zu sprechen, dennoch hätten die Opfer darüber geschwiegen. Erst in jüngster Zeit wird im Hinblick auf politisches Unrecht intensiver danach gefragt, welche längerfristigen Folgen das Beschweigen traumatischer Erfahrungen nach sich zieht. Siehe hierzu Drescher u. a. (Hg.): Bis ins vierte Glied.

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feindlich einstufte, trotzdem es sich um eine Parteizeitung handelte. Über Nikolaus ­Berwanger führte die Securitate seit 1968 eine Akte. Darin sammelte sie seit den späten 1970er-Jahren immer mehr Artikel, Gedichte und Kurzprosa aus der »Neuen Banater Zeitung«, die entweder Berwanger selbst oder die jungen Banater Autoren verfasst hatten, und die der Staatssicherheitsdienst wahlweise als »staatsfeindlich«, »negativ« oder »pessimistisch« gegenüber den gegenwärtigen Verhältnissen einschätzte.806 Am 26. Juni 1982 schickte der Temeswarer Securitate-Chef, Oberstleutnant Aurelian Mortoiu, seiner übergeordneten Dienststelle in Bukarest eine Sammlung von Textausschnitten aus der »Neuen Banater Zeitung«, die er als staats- und parteifeindlich wertete.807 Die Texte waren zwischen Februar und April 1982 erschienen. Zu den beanstandeten »staats- und parteifeindlichen« Autoren gehörten unter anderem Nikolaus Berwanger, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok und Richard Wagner. In Temeswar fand Erich Kriemer gerade im Frühjahr 1982 eine Mischung aus Freiräumen und Repression vor, für die es in der DDR keine direkte Entsprechung gab. Die Banater Schriftsteller sparten ihm gegenüber auch nicht mit Kritik am offiziellen DDR-Literaturbetrieb. Sie sprachen ihn darauf an, dass viele wichtige DDR-Schriftsteller aus politischen Gründen in den Westen gegangen seien und inzwischen in der Bundesrepublik lebten.808 Kriemer erwähnte in seinem Bericht außerdem zusammenfassend ein Geschehen, das erst kurze Zeit zurücklag. Horst Samson hatte ihm darüber erzählt. Es sei an dieser Stelle etwas ausführlicher beschrieben: Am 11. Februar 1982 hatte sich der Literaturkreis »Adam Müller-Guttenbrunn« zu einem seiner regelmäßigen Treffen zusammengefunden. Diese Veranstaltung wurde am Tag davor in der überregionalen deutschsprachigen Tageszeitung in Rumänien, »Neuer Weg«, mit der folgenden kurzen Meldung auf Seite 4 angekündigt: Sitzung des Literaturkreises wj. Temeswar. – Auf der nächsten Sitzung des Literaturkreises ›Adam Müller-Guttenbrunn‹ in Temeswar wird Richard Wagner neue Gedichte lesen. Im zweiten Teil der am Donnerstag um 17 Uhr beim Sitz der Schriftstellervereinigung stattfindenden Zusammenkunft werden Lieder von Wolf Biermann zu Gehör gebracht.

Für einen linientreuen Schriftsteller wie Erich Kriemer bildete schon diese Zeitungsnotiz eine offene Provokation. Nicht nur, dass in Temeswar eine öffentliche Veranstaltung mit Liedern von Wolf Biermann stattfinden sollte, war aus 806  ACNSAS, fond informativ, i 210847, vol. 2, Bl. 167–170, 270, 366, 371 f. u.v.a.m. 807  Inspectoratul Judeţean Timiș al Ministerului de Interne, Serviciul 1/A [Kreisverwaltung Temesch des MdI, Abt. I/A], 26.6.1982: Schreiben an das Ministerul de Interne, Direcţia I, persönlich an den Leiter der Hauptabteilung I, Generalmajor Aron Bordea; ACNSAS, fond documentar, D 13381, vol. 23, Bl. 137–154. Im Internet unter http://halbjahresschrift. blogspot.com/2010/09/securitate-nbz.html (Stand: 9.6.2016). 808  Inoffizielle Information (wie Anm. 791), Bl. 89–91.

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dieser Perspektive ungeheuerlich, sondern mehr noch die Tatsache, dass in der Tageszeitung »Neuer Weg« auch noch dazu eingeladen wurde. Denn der »Neue Weg« war nicht irgendeine Zeitung, sondern er war das offizielle deutschsprachige »Organ der Volksräte der Sozialistischen Republik Rumäniens«, also faktisch die deutschsprachige Version der Parteizeitung der Rumänischen Kommunistischen Partei. Mehr noch als die anderen, ohnehin gleichgeschalteten Medien, sollte der »Neue Weg« die Parteilinie vertreten. Er bildete im rumäniendeutschen Kontext das Pendant zur Tageszeitung »Neues Deutschland«, dem Sprachrohr der SED.809 Der Literaturkreis »Adam Müller-Guttenbrunn« traf sich am 11. Februar 1982 wie vorgesehen zu seiner Sitzung. Doch einige Stunden zuvor war Horst Samson, der den Biermann-Liederabend mit initiiert hatte, vom regionalen Kreisparteikomitee nachdrücklich aufgefordert worden, sein Vorhaben nicht umzusetzen. Man teilte ihm mit, die DDR-Botschaft habe dagegen protestiert.810 Wie William Totok schon 1988 in seinen autobiografischen Aufzeichnungen festhielt, seien an jenem Abend dennoch einige Biermann-Lieder abgespielt worden. Horst Samson hingegen erinnert sich dahingehend, dass er infolge der ausgesprochenen Drohung ein Tonband mit einer Paul-Celan-Lesung in die Sitzung mitgebracht habe, das dort abgespielt worden sei. Die Biermann-Lieder habe man erst nach der Sitzung in einem kleineren Kreis bei ihm zuhause noch am 809  Zur Zeitung »Neuer Weg« siehe insbes. Müller, Annett: Abschied in Raten. Ferner Schuster, Egon: Vom Huldigungstelegramm zur Information; Olhausen: Politische Kommunikation im Wandel, S. 206–213. In der »Neuen Banater Zeitung« erschien die Ankündigung des Biermann-Liederabends nicht. 810  Vom Protest der DDR-Botschaft berichtete der IM »Voicu« am 21.2.1982 schriftlich seinem Führungsoffizier. »Voicu« schilderte die Ereignisse so, wie Horst Samson sie ihm kurz zuvor erzählt hatte. ACNSAS, fond informativ, i 210845, vol. 2, Bl. 255. In den Unterlagen des DDR-Außenministeriums und der DDR-Botschaft in Bukarest hat sich bislang kein schriftlicher Beleg für die behauptete Intervention seitens der DDR finden lassen. Aus dem Jahr 1982 sind im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes allerdings sehr viel weniger Gesprächsvermerke der DDR-Botschaft in Bukarest überliefert als etwa 1983, was auf größere Überlieferungslücken für 1982 schließen lässt. Der Biermann-Liederabend wird lediglich in einem »Vermerk über ein Gespräch mit Genossen [Erwin] Lessl, stellvertretender Chefredakteur der ›Neuen Banater Zeitung‹ und Genossin Berwanger, Leiterin des Sekretariats am 25.08.1982 in Timisoara« erwähnt. Den Vermerk fertigte der 1. Sekretär der DDR-Botschaft Edgar Gladitz am 14.9.1982 an. Darin heißt es: »Die Frage nach den Ursachen der Aggressivität des Gen. Berwanger im letzten Gespräch bzw. ob er glaube, die Botschaft der DDR behandele ihn nicht richtig, wurde von Gen. [Erwin] Lessl nur in der Weise beantwortet, dass er sagte: ›Es wurde uns einmal unbegründet nachgesagt, dass im Guttenbrunn-Literaturzirkel Wolf Biermann gelesen wurde. Vielleicht hat sich das auf die Haltung von Mitarbeitern der Botschaft ihm gegenüber ausgewirkt. Ich weiß aber genau, dass es so etwas nicht gab‹«. PA AA, MfAA, ZR 685/83. Dass Interventionen der DDR-Botschaft durchaus üblich waren, erwähnt aus eigener Erfahrung der frühere Klausenburger Verlagslektor Franz Hodjak in einem Interview: »Jede Definition der Freiheit schränkt die Freiheit ein«, S. 33; ebenso auch Markel (wie Anm. 779) sowie Weiß: Kulturarbeit, S. 227, 385; vgl. hierzu auch Anm. 835.

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Abb. 20: Der alljährliche Höhepunkt des Temeswarer Literaturkreislebens – die Verleihung des AMG-Literaturpreises. Hier bedankt sich Horst Samson für den ihm zugesprochenen Preis (Juni 1982). Im Bild: Eduard Schneider, Helmuth Frauendorfer, Franz Binder (Radio Temeswar), William Totok, Horst Samson (stehend), Richard Wagner, Nikolaus Berwanger (v. li. n. re.).

selben Abend angehört.811 Die Securitate beanstandete anschließend zumindest nur die 24 Gedichte, die Richard Wagner an diesem Abend vorgetragen hatte, denn angeblich hätten viele davon auf die Auswanderung der deutschen Minderheit und fehlende Freiheiten in Rumänien Bezug genommen.812

811  Totok: Zwänge der Erinnerung, S.  142. Ich danke William Totok, der mich auf die Ankündigung im »Neuen Weg« aufmerksam machte und in einem Gespräch am 5.2.2010 präzisierte, dass an dem besagten Abend die Spanien-Lieder Biermanns abgespielt worden seien. Die Biermann-Lieder hatte Ernest Wichner bereits 1976 auf einer Tonband-Kassette nach Temeswar mitgebracht, wie die Securitate schon damals von ihrem Spitzel »Gruia« erfahren hatte. Siehe Totok: Streiflichter, S. 54 f. Wichner war Mitglied der Aktionsgruppe Banat und übersiedelte 1975 in die Bundesrepublik. – Ebenso danke ich Horst Samson für seine schriftlichen Mitteilungen vom 21.8.2005 und 11.6.2008. Wie Samson hier ausführt, hatte er einige Zeit vor der Februar-Sitzung des Literaturkreises bei einem Angestellten des bundesdeutschen Kulturinstituts in Bukarest die Biermann-Doppel-LP »Eins in die Fresse, mein Herzblatt« auf Tonband-Kassetten überspielt und nach Temeswar mitgenommen. 812  Notă de analiză în cadrul dosarului de urmărire informativă »Ziaristul« [Auswertungsbericht im Rahmen des OV »Journalist«], undatiert [Juli 1982]; ACNSAS, fond informativ, i 184945, Bl. 145–147, hier 145.

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Dass der Biermann-Liederabend in der Zeitung angekündigt wurde, erscheint auf den ersten Blick frech und mutig. Doch in Wirklichkeit hatten die Temeswarer Schriftsteller diese Provokation überhaupt nicht beabsichtigt. Horst Samson hatte den zuständigen Redakteur des »Neuen Wegs«, Walter Jass, über den Ablauf der bevorstehenden Literaturkreis-Sitzung informiert, aber er hatte ihn ausdrücklich gebeten, den Namen Biermann nicht in der Zeitungs-Ankündigung zu erwähnen, um Ärger zu vermeiden. Ob es nur die Gedankenlosigkeit des Redakteurs war, dass es anders kam, oder ob hier vorsätzlich ein Anlass geschaffen wurde, um den Literaturkreis angreifbar zu machen, ist noch nicht geklärt.813 Erich Kriemer nahm jedoch in erster Linie einige Freiräume wahr, über die die deutschsprachige Literatur in Rumänien im Gegensatz zu der in der DDR verfügte. Während er sich daran störte, versuchten einige kritisch gestimmte Menschen in der DDR, an diesen Freiräumen teilzuhaben. Ihr Interesse galt vor allem der Bukarester Zeitschrift »Neue Literatur«. Ulrich Schacht, der in der DDR Theologie studierte und 1973 als Oppositioneller wegen »staatsfeindlicher Hetze« zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde, gehörte schon früh zu denen, die sich deshalb bewusst nach Rumänien orientierten. Er las zwischen 1969 und 1973 die »Neue Literatur« und die Kulturseiten rumäniendeutscher Publikationen, wo ihm beispielsweise Texte von Gottfried Benn auffielen, die in der DDR nicht gedruckt wurden. »Somit bekam plötzlich die deutschsprachige Presse aus dem kommunistischen Rumänien für uns einen Wert im Kampf gegen das System in der kommunistischen DDR!«, beschrieb er fast 40 Jahre später die Situation, die nur auf den ersten Blick paradox erscheint.814 Auch Paul Schuster, rumäniendeutscher Schriftsteller und bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik im November 1971 langjähriger Redakteur der »Neuen Literatur«, erinnert sich dahingehend. Die »Neue Literatur« sei beispielsweise von 813  Mitteilung Horst Samsons (wie Anm. 811) und Gespräch des Verfassers mit Richard Wagner am 22.1.2010, sowie Bericht des IM »Voicu« vom 21.2.1982 (wie Anm. 810). Wagner ist davon überzeugt, dass die Securitate für die Biermann-Ankündigung in der Zeitung sorgte, um Provokation und Konflikt herbeizuführen. Samson hingegen nimmt an, dass Redakteur Jass lediglich unbedacht und leichtsinnig handelte. Samson begründet das in einem Schreiben an den Verfasser vom 21.8.2005 damit, dass es Jass selbst war, der ihn nach Erscheinen der Ankündigung vor dem heraufziehenden Ärger warnte und ihm mitteilte, dass die DDR-Botschaft »telefonisch bei der NW-Chefredaktion heftige Beschwerde erhoben habe«. 814 Butmaloiu: Erinnerungen eines ehemaligen Dissidenten. Schacht wurde 1976 aus DDR-Haft in die Bundesrepublik entlassen; er ist als Schriftsteller und Journalist tätig. Von Gottfried Benn erschienen in der »Neuen Literatur« 21 (1970) 5, S. 86, das Gedicht »Der Sänger« und in 24 (1973) 4, S. 102 f. die Gedichte »Ach, das ferne Land« und »Reisen«. In der DDR erschienen allerdings schon 1968 und 1969 zwei Anthologien mit expressionistischen Gedichten, darin 18 Gedichte von Benn. Es waren die ersten Benn-Texte, die in der DDR erschienen. Bilke: Dichter der Sintflut, S.  852. Zu den Nischen, die die »Neue Literatur« manchen DDR-Schriftstellern bot, vgl. auch Schenker: Eine Internationale der Dissidenz, S. 10.

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DDR-Studenten aus Jena und Weimar bestellt worden. Ihnen habe sie als »Geheimtipp« gegolten, da darin immer wieder Texte veröffentlicht worden seien, die in der DDR schon verboten waren, beispielsweise von Wolf Biermann.815 Der Schriftsteller Lutz Rathenow war damals einer der Jenaer Abonnenten der »Neuen Literatur«, vielleicht sogar der erste in der Thüringer Universitätsstadt. Er suchte in den frühen 1970er-Jahren nach »deutschsprachigen Nischen« und stieß dabei auf die »Neue Literatur«, die er seit 1973 abonnierte. In Jena gründete und leitete Rathenow von 1973 bis 1975 den »Arbeitskreis Literatur und Lyrik«. Dort stellte er regelmäßig Texte aus der »Neuen Literatur« vor. Ihm war der eigenständige Charakter der jungen rumäniendeutschen Lyrik aufgefallen. Sie erschien ihm als die »verwestdeutschte Variante eines osteuropäischen Ansatzes, der darin bestand, eine mehrdeutige Lyrik zu schreiben«, so Rathenow rückblickend. Die Banater Schriftsteller nahm er als engagiert und geerdet wahr, im Gegensatz zu der späteren, von Sascha Anderson und Rainer Schedlinski geprägten Literaturszene des Prenzlauer Bergs. Die »Neue Literatur« fungierte somit in den Jahren 1973 bis 1975 als Medium, das den aufmüpfigen Jenaer Literaturkreis mit dem aufmüpfigen Temeswarer Literaturkreis, der »Aktionsgruppe Banat«, verband – ohne dass die Rumäniendeutschen davon wussten. Die Mitglieder beider Kreise gehörten derselben Generation an, suchten ähnliche literarische Anregungen und provozierten jeweils die Staatsmacht, die dann fast zur selben Zeit die beiden Kreise auflöste. Damals machten die Autoren der beiden Literaturkreise vergleichbare Erfahrungen, doch erst viele Jahre später kam es zu persönlichen Begegnungen.816 In Rumänien standen fast alle Securitate-Offiziere, die die deutschsprachige Literaturszene in Temeswar und anderenorts überwachten, vor einem Problem, das Stasi-Offiziere nicht hatten: Sie verfügten nicht über deutsche Sprachkenntnisse. Daher kam in Rumänien den Informanten, den inoffiziellen Mitarbeitern der Securitate, eine umso größere Bedeutung zu. Insbesondere Franz Schleich, Redakteur der »Neuen Banater Zeitung«, tat sich als IM »Voicu« bis zu seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Ende März 1983 damit hervor, die veröffentlichten Texte seiner Temeswarer Arbeits- und Schriftstellerkollegen für die 815  Schuster, Paul: »Ich stehe zwischen allen möglichen Stühlen«, S. 345. Die »Neue Literatur« veröffentlichte im Frühjahr 1968 eine Reihe von Vietnam-Gedichten, darunter reihte sie auch drei Gedichte von Wolf Biermann ein, und zwar »Morgenspruch des General Ky«; »Traum des General Ky« und »Vietnam«. In: Neue Literatur 19 (1968) 5–6, S. 121 f. 816  Gespräch des Verfassers mit Lutz Rathenow am 19.5.2015. Zum Jenaer Literaturkreis siehe ausführlich Scheer: Vision und Wirklichkeit, S.  13–99, darin S.  20 auch Ausführungen zur »Neuen Literatur«. Eine knappe Darstellung des Jenaer Literaturkreises in: Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR, S. 240 f., 293 f. Siehe auch Anm. 791. Über Rathenows Begeisterung für die »Neue Literatur« berichtete auch der IM »Hermann Schneider« am 4.1.1979 seinem Führungsoffizier und benannte einen Ostberliner Schriftstellerkollegen Rathenows als einen weiteren Abonnenten dieser Zeitschrift. BStU, MfS, BV Berlin, AIM  64/91, Bd.  II/7, Bl. 17. Zu »Hermann Schneider« siehe S. 415.

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Securitate-Offiziere zu übersetzen und zu interpretieren. Eifrig wies er sie auf offene und versteckte Kritik hin und lieferte Hintergrundinformationen.817 Als die Securitate im Februar 1983 den Operativvorgang »Cristina« gegen Herta Müller eröffnete, begründete Leutnant Ion Beleţescu die Notwendigkeit dieser Verfolgungsmaßnahme ausschließlich mit Argumenten, die Franz Schleich der Securitate im Vorjahr geliefert hatte. Herta Müller hatte 1982 im Bukarester Kriterion-Verlag ihren Erzählband »Niederungen« mit Geschichten des banatschwäbischen Dorflebens veröffentlicht. Franz Schleich bot seinem Führungsoffizier daraufhin eine Interpretation des Buches, die in dem Satz gipfelte: »Kritik und wieder Kritik, eine solch destruktive Kritik, dass man sich fragt, welchen Zweck solche Texte wohl verfolgen?!«818 Als die Temeswarer Schriftsteller die Dezember-Ausgabe 1981 der »Neuen Literatur« als »Sonderheft Banat« gestalteten, erläuterte »Voicu« anschließend seinem Führungsoffizier, welche Inhalte und problematischen Aussagen die Texte von Nikolaus Berwanger, Helmuth Frauendorfer, Bettina Gross, Herta Müller, Horst Samson, Eduard Schneider, William Totok, Richard Wagner und Balthasar Waitz enthielten. Sie thematisierten angeblich eine triste und perspektivlose Gegenwart.819 William Totok hatte seinem Gedicht »Freundliche Fremdheit« die Widmung »für Nina und Wolf« vorangestellt, was »Voicu« in seinem IM-Bericht zu einer Erläuterung veranlasste: »Wer ist Nina, wer ist Wolf? Ich nehme an, es ist die Rede von Nina Hagen und Wolf Biermann, zwei Dissidenten aus der DDR, die jetzt in der BRD leben.«820 Auf solche Weise in Kenntnis gesetzt, notierte der verantwortliche Securitate-Oberstleutnant Nicolae Pădurariu unter diesen Spitzelbericht als Resümee: die angeführten Schriftsteller seien für ihre tendenziösen Texte bekannt, es seien Informationen bei weiteren Quellen einzuholen und der kommunistischen Partei sowie der Securitate-Zentrale in Bukarest Bericht zu erstatten.821

817  Die Verfolgungs- und Überwachungsakten der Banater Schriftsteller enthalten viele Berichte des IM »Voicu« mit Einschätzungen ihrer Texte. Siehe beispielsweise die Akten über Berwanger, Samson, Totok und Wagner: ACNSAS, fond informativ, i 210847, vol. 2, Bl. 148, 175, 210, 219, 265–269, 270–286, 294–297, 328–349, 354–362, 366  f., 371  f.; i  184942, Bl. 92–95, 119–123, 134, 137, 140, 279–286; i 210845, vol. 2, Bl. 59, 255–257, vol. 3, Bl. 38– 46; i 184945, Bl. 129–134. Auszüge aus den Berichten des IM »Voicu« sind veröffentlicht in: Lippet: Das Leben einer Akte, S. 63, 67 f., 74–78; Totok: Streiflichter, S. 58; ders.: Zwanzig Jahre, S. 108. 818  Notă [Bericht] des IM »Voicu«, 16.3.1982; ACNSAS, fond informativ, i 233477, vol. 1, Bl. 5. Ferner der Eröffnungsbericht zum OV (D.U.I.) »Cristina« in: ebenda, Bl. 1. 819  Notă [Bericht] des IM »Voicu«, 6.1.1982; ACNSAS, fond informativ, i 184945, Bl. 129– 134. 820  Ebenda, Bl. 132. Totoks Gedicht mit der Widmung »für Nina und Wolf« in: Neue Literatur 32 (1981) 12, S. 33 f., sowie als Nachdruck in Solms (Hg.): Nachruf, S. 54 f. 821  Notă (wie Anm. 819), Bl. 134.

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Wenige Monate später ging die Securitate direkt gegen Horst Samson und William Totok vor. Am 14. Mai 1982 führte sie bei beiden Hausdurchsuchungen durch. Die Securitate-Offiziere begründeten ihr Vorgehen mit dem Protest der DDR-Botschaft gegen den Biermann-Liederabend. Dabei handelte es sich jedoch nur um einen Vorwand, denn dieser Vorfall lag inzwischen drei Monate zurück. In Wirklichkeit wollten sie die Gedächtnisprotokolle von William Totok beschlagnahmen, in denen er die Erinnerungen an seine Haftzeit 1975/76 niedergeschrieben hatte.822 Von ihrem Informanten »Voicu« wusste die Securitate, dass William Totok seine Gedächtnisprotokolle an Horst Samson gegeben hatte. Um ihren Informanten zu schützen, behauptete die Securitate unzutreffenderweise, sie sei auf Initiative der DDR-Botschaft tätig geworden. Zum Schein beschlagnahmte sie bei Horst Samson tatsächlich die Tonbänder mit den Biermann-Liedern, und wie zufällig »entdeckte« sie bei ihm dann noch William Totoks Aufzeichnungen, die sie ebenfalls mitnahm. Horst Samson und William Totok wurden in den folgenden Wochen mehrfach bei der Securitate verhört. Eine längere Haft blieb ihnen aber erspart, nicht zuletzt Dank des Einsatzes von Nikolaus Berwanger.823 Kriemers Bericht aus Temeswar enthält einige sachliche Fehler. So werden darin die zeitlichen Abläufe falsch wiedergegeben. Die beiden Ereignisse von Februar und Mai 1982 verschmelzen zu einem einzigen und es heißt irrtümlich, die Securitate habe bereits unmittelbar vor dem Biermann-Literaturabend Hausdurchsuchungen durchgeführt. Entscheidend ist jedoch das Bild, das dieser Bericht vermittelte: das Bild einer selbstbewussten und eigenständigen Literaturszene mit geistigen und praktischen Freiräumen, die deutlich über das hinausgingen, was SED und MfS in der DDR zu dulden bereit waren. Aus dieser ideologischen Betrachtungsweise heraus musste Rumänien als ein Tollhaus erscheinen, in dem unhaltbare Zustände herrschten. Für die Betroffenen existierte allerdings auch eine Kehrseite: Sie hatten sich zwar beachtliche Freiräume herausgenommen, doch die Staatsmacht nahm das auf Dauer nicht hin. Genauso wie sie 1975 die »Aktionsgruppe Banat« zerschlug, ging sie 1982 mit Hausdurchsuchungen und Verhören auf der Grundlage konstruierter Anschuldigungen wieder gegen die Banater Schriftsteller vor, insbesondere gegen William Totok und Horst Samson. Die Maßnahmen verfehlten ihre Wirkung nicht: »Der Erfolg der Securitate bestand darin, dass es ihr gelungen ist, unser Projekt psychologisch zu erschüttern«, resümierte Richard Wagner 25 Jahre später diese Zäsur des Jahres 1982.824 In seiner Aktendokumentation aus dem Jahr 2009 wählte Johann Lippet für die 1982 einsetzenden Repressi822  Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 142. 823  Totok: Zwanzig Jahre, darin S. 108–110 entsprechende Auszüge aus Berichten von Securitate-Informanten. 824  Wagner, Richard: Das Gedicht. Der Jargon. Die Legitimation, S. 176.

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onen die Überschrift »Apokalyptische Vision«.825 William Totok beschrieb bereits 1988, nachdem er in die Bundesrepublik ausgewandert war, in einem autobiografisch gehaltenen Buch die Vorgänge um den umstrittenen Literaturabend. Auch in seiner Erinnerung stehen die Repressionen im Vordergrund, denen die kritische, rumäniendeutsche Kulturszene in den 1970er- und 1980er-Jahren ausgesetzt war. Dabei macht er deutlich, dass die Securitate aus politischen und nicht aus ethnischen Gründen gegen diesen Literaturkreis vorging. Die Verfolgung richtete sich nicht gegen die nationale Minderheit, sondern gegen unangepasste, systemkritische Schriftsteller.826 Die deutsche Minderheit litt zwar unter den Auswüchsen des rumänischen Nationalkommunismus, verfügte in mancher Hinsicht aber auch über Nischen und Freiräume, die die rumänische Mehrheitsgesellschaft nicht hatte. Doch auf die unbotmäßigen Schriftsteller in Temeswar verstärkte die Securitate in den Folgejahren den Druck, bis sie schließlich im Laufe des Jahres 1987 das Land verließen und in die Bundesrepublik übersiedelten.827 Das MfS registrierte punktuell, wie sich einige der rumäniendeutschen Schriftsteller zunehmend bedrängt und entmutigt fühlten. Beispielsweise überwachte es spätestens seit 1984 den Telefonanschluss von Elisabeth Ernst in Bonn, 825  Lippet: Das Leben einer Akte, S. 61–66, darin Auszüge aus Securitate-Akten zu den Vorfällen zwischen Februar und Mai 1982. 826  Totok: Zwänge der Erinnerung, S.  137–155, sowie Mitteilung Horst Samsons (wie Anm. 811). Ob die hier beschriebenen Vorgänge der DDR-Führung zur Kenntnis gegeben wurden, lässt sich anhand der MfS-Akten nicht feststellen. Am 23.4.1982 verfasste die HV A den elfseitigen Informationsbericht Nr. 193/82 »über westliche und rumänische Einschätzungen zu innen- und außenpolitischen Fragen der SR Rumänien«, der unter anderem Honecker, Axen, Außenminister Oskar Fischer und dem KGB vorgelegt wurde. Darin ging es neben politischen und wirtschaftlichen Fragen auch um »politisch-ideologische Diversion« und westliche »Feindtätigkeit«, was in der Stasi-Sprache auf die Vorgänge in Temeswar passt. Der Bericht ist in der HVA-Datenbank nachgewiesen, im Archiv der BStU aber nicht mehr vorhanden. BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SA8202682; der Bericht hätte abgelegt sein müssen in: BStU, MfS, HV A, Nr. 15. Vgl. auch Neue Banater Zeitung v. 13.6.1982, S. 1–3, mit ausführlicher Berichterstattung und Dokumentation zur Verleihung der Literaturpreise des »Adam MüllerGuttenbrunn-Literaturkreises« am 12.6.1982 an Horst Samson und Helmuth Frauendorfer. 827  Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 142–155. 1987 wanderten unter anderem Helmuth Frauendorfer, Johann Lippet, Herta Müller, Horst Samson, William Totok und Richard Wagner in die Bundesrepublik aus. Die zunehmende Bedrückung unter den Banater Schriftstellern und die zermürbenden Schikanen sind unter anderem Thema einiger ihrer autobiografisch geprägten Romane, etwa »Ausreiseantrag« von Richard Wagner (1988), »Protokoll eines Abschieds und einer Einreise oder Die Angst vor dem Schwinden der Einzelheiten« von Johann Lippet (1990) und »Herztier« von Herta Müller (1994). Mit dem zeitlichen Abstand von rund 30 Jahren erzählt Herta Müller in einem oftmals romanhaft gehaltenen Gesprächsband über die damalige Lage der bedrängten Temeswarer Schriftstellerinnnen und Schriftsteller, zu denen sie selbst gehörte, unter anderem: »Die Freundschaften waren sehr eng. Man hat es nicht immer leicht miteinander, wenn einer auf den anderen angewiesen ist. Der Ton wurde oft rau, wir hatten dünne Nerven«. In: Müller, Herta: Mein Vaterland war ein Apfelkern, S. 116.

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die im Auswärtigen Amt arbeitete. Ernst war zeitweilig als Diplomatin an der Botschaft in Bukarest eingesetzt und hatte sich mit den jungen rumäniendeutschen Schriftstellern angefreundet. Im Juni 1984 verfasste das MfS einen Informationsbericht auf der Grundlage abgehörter Telefongespräche, die Elisabeth Ernst von Bonn aus mit Bekannten in der Bundesrepublik führte. Den Gesprächen entnahm das MfS, dass Herta Müller ihre Stimmung als »niedergeschlagen und hoffnungslos« bezeichnet hatte. Trotzdem wolle sie sich zur Wehr setzen: »Ich fange jetzt an, mit der Kampfansage an alle diese Schweine. Ich lasse mir das nicht bieten und halte nicht den Mund«, zitierte eine Gesprächspartnerin von Elisabeth Ernst aus einem Brief Herta Müllers.828 Das MfS erfuhr auf diesem Wege auch davon, mit welchen Argumenten die rumänischen Behörden Herta Müller im Sommer 1984 eine Reise ins österreichische Klagenfurt verweigerten: In einem Brief an die [...] teilt [Herta Müller] ihr mit, dass sie ein Gespräch mit einem Parteisekretär hatte. Dieser sagte zu ihr, sie sei eine Person mit seltsamen Ansichten, die man nicht ins Ausland reisen lassen könne. In einem weiteren Gespräch mit einem anderen Funktionär wäre ihr weiter mitgeteilt worden, dass sie grundsätzlich nicht mehr reisen darf, worüber sie sich sehr empörte.829

Aus den Akten geht hervor, dass das MfS die Telefonate Elisabeth Ernsts vor allem auch mit dem Ziel abhörte, Informationen über ihre Kontakte zu (ehemaligen) rumänischen Staatsbürgern sowie über die »gesellschaftliche Lage in Rumänien« zu erlangen.830 Aus den Akten geht nicht hervor, wie das MfS mit dem Wissen aus diesen belauschten Telefongesprächen umging. Gleichwohl bleibt der Umstand bemerkenswert, auf welchen (Um-)Wegen sich das MfS Informationen über rumäniendeutsche Schriftsteller beschaffte. Als Erich Kriemer am 7. Juni 1982 mit Horst Samson eine heftige politische Diskussion führte, nahm daran auch der Temeswarer Securitate-Informant Franz Schleich (IM »Voicu«) teil, damals ein Arbeitskollege William Totoks und Horst Samsons bei der »Neuen Banater Zeitung«. Aufschlussreich ist ein Vergleich der Informationen, die Kriemer und Schleich ihren Führungsoffizieren von dieser Diskussion übermittelten. Denn die beiden IM wussten nicht um den geheimdienstlichen Hintergrund des jeweils anderen und hatten verschiedene Auftraggeber. Teilweise schilderten sie den Verlauf der Diskussion fast identisch, teilweise informierten sie über Aspekte, die der jeweils andere in 828  [HA III:] Kontakte von Bürgern der BRD und WB in die SR Rumänien. Information G/15715/13/06/84; BStU, MfS, HA II, Nr. 42946, Bl. 153–157, Zitate 154 f. 829  Ebenda, Bl. 154. Herta Müller hatte damals eine Einladung zum Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt erhalten. 830 Siehe hierzu die entsprechenden »Zielkontrollaufträge« der für die Telefonüberwachung verantwortlichen MfS-Hauptabteilung  III (»Funkaufklärung«); BStU, MfS, HA III, ZKA-Z, Bl. 6430, 10604, 14750.

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seinem IM-Bericht nicht ansprach. Während Kriemer mehr die geistigen Freiräume hervorhob, stand bei Schleich der Druck im Vordergrund, dem die rumäniendeutschen Schriftsteller ausgesetzt waren. In dieser Hinsicht unterschied sich die Wahrnehmung der beiden Informanten. Der entscheidende Unterschied bestand aber darin, wofür die beiden Geheimpolizeien ihr Wissen benutzten. Kriemers Bericht diente offenbar nur dazu, die MfS-Zentrale zu informieren, um die Situation in Rumänien einschätzen zu können. Er zog aber keine weiteren Maßnahmen nach sich. Schleichs Meldung diente dem zuständigen Securitate-Offizier hingegen als eine Entscheidungsgrundlage für weitere geheimpolizeiliche Maßnahmen. Nachdem Securitate-Oberstleutnant Nicolae Pădurariu durch IM »Voicu« von der Diskussion zwischen Kriemer und Samson erfahren hatte, wies er an, Samson noch intensiver geheimpolizeilich zu bearbeiten. Und Pădurarius Vorgesetzter notierte an den Rand von »Voicus« Spitzelbericht: »Samson ist ein feindliches Element. Er soll mit allen Mitteln bearbeitet werden, über die wir verfügen.«831 Auch wenn hier zwei Informanten über den gleichen Sachverhalt und die gleichen Personen berichteten, so unterschieden sich ihre Meldungen nicht nur hinsichtlich ihrer Wahrnehmung, sondern auch hinsichtlich der daraus resultierenden Konsequenzen. Erst als 1987 einige von ihnen nach Westberlin übersiedelten und Kontakte zu Ostberliner Dissidenten aufnahmen, reagierte das MfS direkt. Es ließ sie bei Besuchen in der DDR überwachen oder verhängte Einreiseverbote und hielt sie und ihre Ideen auf diese Weise fern.832 Wie Kriemers Rumänien-Bericht aus dem Jahre 1982 zeigt, war das MfS als politische Polizei mit den Zuständen in Rumänien nicht zufrieden. Das mag überraschen, weil das Herrschaftssystem in Rumänien damals insgesamt brutaler als in der DDR war. Doch gemessen an den strengen ideologischen Vorgaben von SED und MfS existierten in Rumänien auch manche bemerkenswerte Freiräume. Aus heutiger Perspektive liefert dieser Bericht daher Ansatzpunkte für einen innerkommunistischen Systemvergleich: In der DDR wurden vor allem weltanschauliche Abweichungen vom Marxismus-Leninismus streng verfolgt, in Rumänien war in erster Linie die Kritik an der nationalistischen Politik und am Personenkult um das Herrscherehepaar Ceaușescu tabu. Zensur und Repression setzten in der DDR an anderen Stellen an als in Rumänien. Die reichhaltige 831  Ausführlich hierzu Herbstritt: Doppelt überwacht, S.  50–53. Pădurariu (1932 – ?), in den Securitate-Akten gelegentlich auch »Păduraru« geschrieben, war von 1953 bis zu seiner Pensionierung 1987 Securitate-Offizier in Temeswar, zuletzt im Rang eines Oberstleutnants. Vgl. http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/PADURARIU%20NICULAE.pdf. Er war, wie Willliam Totok feststellt, in den 1970er- und 1980er-Jahren der »Koordinator« der Aktionen gegen die rumäniendeutschen Schriftsteller im Banat. Totok, William: Operationen der Securitate. 1974, 1981, 1984. Im Internet unter http://halbjahresschrift.blogspot. de/2009_08_01_archive.html (Stand: 9.6.2016). Ähnlich ders.: Zwanzig Jahre, S. 102. 832  Siehe hierzu unten, Kapitel 6.5.

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deutschsprachige Literatur Rumäniens befand sich zudem in einem »schalltoten Winkel«, wie Gerhardt Csejka es ausdrückte: Weder die rumänische noch die westdeutsche Seite schenkten ihr viel Beachtung, was gewisse Freiräume ermöglichte. Aufgrund der gemeinsamen Sprache fielen die unterschiedlichen Zensurpraktiken jedoch bei der Begegnung ostdeutscher und rumäniendeutscher Literatur unmittelbar auf.833 Kriemer beendete seinen Bericht im Übrigen mit einer allgemeinen »politisch-ideologischen« Einschätzung der rumänischen Bevölkerung. Darin hieß es: »Der von Ceaușescu vertretene Nationalismus, der zu einer antisowjetischen Einstellung der Bevölkerung geführt hat, die auch unsere DDR einschließt, wird von den meisten Menschen mitgemacht.« Ergänzend zitierte er den eingangs genannten »bewährten Kommunisten« Emmerich Stoffel. Dieser sehe deutliche Parallelen zwischen der aktuellen Lage Rumäniens und derjenigen Polens im Sommer 1980, habe aber auch auf einen Unterschied hingewiesen: »Die Bevölkerung begehre nicht auf, sei geduldiger als in Polen und sei der Meinung, dass es auch wieder besser werden müsse.«834 3.2.3.4 Zwischenbetrachtung: Das MfS beobachtet, greift in Rumänien aber nicht ein Die Stasi-Berichte aus den 1970er- und 1980er-Jahren über rumäniendeutsche Schriftsteller und Dissidenten beleuchten exemplarisch einige markante ideologische und sicherheitspolitische Differenzen und Konfliktfelder, die es aus der Perspektive des MfS zwischen Rumänien und der DDR gab. Gleichwohl griff das MfS nicht direkt in Rumänien ein. Anders als die Securitate verfolgte es dort weder Dissidenten noch Nationalisten. Allenfalls die DDR-Botschaft übte eine aktive Kontrollfunktion aus, indem sie gegen Publikationen in Rumänien Protest einlegte.835 Aber das MfS beobachtete sehr interessiert, wie sich rumäniendeutsche Schriftsteller zur DDR positionierten. 833 Csejkas Bild vom »schalltoten Winkel« zitiert Paul Schuster: »Ich stehe zwischen allen möglichen Stühlen«, S. 345. Wie sich die Zensurpraxis in einigen sozialistischen Staaten unterschied, zeigen die Studie von Reichardt: Von der Sowjetunion lernen? sowie der von Ivo Bock herausgegebene Sammelband »Scharf überwachte Kommunikation«. Die beiden Bücher behandeln vergleichend die Sowjetunion, Polen, die DDR und die ČSSR. Rumänien ist nicht mit einbezogen. 834  Inoffizielle Information (wie Anm. 791), Bl. 94. 835  Zu den Interventionen der DDR-Botschaft siehe S. 301 und 313, Anm. 810, sowie grundsätzlich Weiß: Kulturarbeit, S. 227, 385. Demnach hatte sich Ewald Moldt, DDR-Botschafter in Rumänien von 1965–1970, durch besonders häufige Belehrungen, Proteste und Interventionen hervorgetan. Moldt wurde 1970 stellvertretender DDR-Außenminister und war von 1978 bis 1988 Ständiger Vertreter der DDR in Bonn.

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In den 1980er-Jahren erschienen im Ostberliner Verlag »Volk und Welt« schließlich zwei Anthologien mit moderner rumäniendeutscher Prosa und Lyrik. Darin veröffentlichten auch viele jener Schriftsteller, die in den MfS-Berichten kritisch erwähnt worden waren.836 Falls diesen beiden Publikationen ein politisches Kalkül zugrunde lag, so mochte es durchaus darin bestanden haben, diese Autoren für die DDR einzunehmen.

3.3 DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge Kritische Schriftsteller und ihre Literatur standen immer unter besonderer Beobachtung der Staatssicherheitsdienste. Aber sie bildeten eine überschaubare Gruppe. Was Rumänien betrifft, so betrieb das MfS sehr viel mehr Aufwand, um DDR-Bürger zu überwachen, die dort Urlaub machten, studierten oder sich aus anderen Gründen in dem Land aufhielten. Es galt, Fluchtversuche zu verhindern, die DDR-Bürger von Rumänien aus unternahmen, um beispielsweise über Jugoslawien in die Bundesrepublik zu gelangen. Ebenso trachtete das MfS danach, Begegnungen zwischen Ost- und Westdeutschen im Auge zu behalten. Diese Absichten verfolgte das MfS in allen verbündeten sozialistischen Ländern. Doch da Securitate und MfS nicht zusammenarbeiteten, operierte die ostdeutsche Geheimpolizei in Rumänien unter erschwerten Bedingungen. 3.3.1 Tourismus Um Urlauber gezielt überwachen zu können, benötigte das MfS einen Überblick über die hauptsächlichen Reiseziele. Es stellte daher Listen mit den Hotels und Gaststätten jener Ferienorte zusammen, wo besonders viele DDR-Bür836  Es handelte sich um die Bände: Ein halbes Semester Sommer. Moderne rumäniendeutsche Prosa. Berlin [Ost] 1981, und Der Herbst stöbert in den Blättern. Deutschsprachige Lyrik aus Rumänien. Berlin [Ost] 1984. Herausgeber war in beiden Fällen Peter Motzan, den die HV A zehn Jahre zuvor als Kopf einer »reaktionären Gruppe« in Siebenbürgen charakterisiert hatte. Die Bände enthielten Texte unter anderem von Nikolaus Berwanger, Arnold Hauser, Franz Hodjak, Johann Lippet, Horst Samson, William Totok und Richard Wagner. Nach Mitteilung von Peter Motzan vom 4.8.2006 an den Verfasser ging die Initiative zu diesen Buchprojekten von der Cheflektorin beim Bukarester Kriterion-Verlag Hedwig Hauser aus. Hauser habe eine entsprechende Idee beim Ostberliner Verlag »Volk und Welt« angeregt, woraufhin der Verlag mit ihm Kontakt aufgenommen habe. Zu den Bedingungen von »Volk und Welt« habe allerdings gehört, dass keine in den Westen ausgewanderten Rumäniendeutschen in die Anthologien aufgenommen werden durften, 1981 sei außerdem ein betont sozialismusfreundliches Nachwort erwartet worden, 1984 habe der Begriff »rumäniendeutsch« nicht verwendet werden dürfen, so Motzan.

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ger Urlaub machten. An der rumänischen Schwarzmeerküste im Großraum Constanţa waren das Ende der 1970er-Jahre sieben Hotels sowie acht Gaststätten, Diskotheken oder Clubs in Mamaia, Eforie-Nord und Eforie-Süd, Olimp, Neptun, Saturn und Mangalia sowie ein internationales Jugendlager in Costinești. In den Karpaten gehörten dazu elf Hotels und vier Gaststätten in Kron­ stadt und den südlich davon gelegenen Ferienorten Bușteni und Sinaia sowie in der Schulerau (Poiana Brașov). Hinzu kamen, über das Land verstreut, mehrere bekannte Heil- und Kurbäder.837 Innerhalb des MfS oblag es der Hauptabteilung VI, Reiseverkehr und Tourismus unter Kontrolle zu halten. Eine nachgeordnete Abteilung befasste sich mit den organisierten Auslandsreisen, die DDR-Bürger über die Reisebüros buchten. Diese nachgeordnete Abteilung VI/3 etablierte in den Sommermonaten ein kleines Spitzel-Netz in Rumänien. Es bestand etwa aus einem halben Dutzend DDR-IM. Im Sommer 1987 waren fünf inoffizielle Mitarbeiter dieser Abteilung fest stationiert. Offiziell weilten sie als Repräsentanten des Reisebüros oder des Jugendreisebüros der DDR an der rumänischen Schwarzmeerküste. Als Leiter dieser Gruppe fungierte damals ein langjähriger leitender Mitarbeiter des Reisebüros der DDR, Robert Wollstein, der bereits seit 1965 als IM »Howard« für das MfS arbeitete. Er leitete als »Führungs-IM« (FIM) die vier inoffiziellen Mitarbeiterinnen »Irene«, »Maria«, »Sarah« und »Monika Schütz« an, erteilte ihnen Aufträge und nahm ihre Berichte entgegen. 1988 kamen die IM »Anna« und »Wilhelm« hinzu, sodass IM »Irene« in diesem Jahr in den Karpaten eingesetzt wurde. In der Sommersaison 1989 übernahm Werner Kuc unter dem Decknamen »Wolfgang Reebe« die Aufgabe des Führungs-IM; Kuc war von 1959 bis 1966 hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter gewesen. Die Liste der Themen, für die sich das MfS interessierte, war lang. Grundsätzlich sollten die DDR-Bürger unter Kontrolle gehalten und abweichendes Verhalten registriert werden: Welcher Reisende separierte sich von der Reisegruppe, wer traf sich mit Westdeutschen, wer fiel mit kritischen Wortmeldungen auf? Ein besonderes Problem für das MfS bildeten die westlichen Einflüsse, denen die DDR-Bürger im Urlaub ausgesetzt waren: Ost- und Westdeutsche konnten sich in Rumänien ohne Zustimmung des MfS treffen, manche verliebten sich 837  HA VI, Bereich Auslandstourismus, 7.6.1978: Orientierung für die Instruierung operativer Kräfte zur Absicherung des Reise- und Touristenverkehrs von Bürgern der DDR in die SR Rumänien; BStU, MfS, HA VI, Nr. 11893, Bl. 1 f., 113 f., 120. Ähnliches Dokument vom 20.6.1985: BV Magdeburg, Abt. VI: Hinweise, Orientierungen für die Auftragserteilung und Instruierung operativer Kräfte zur vorbeugenden politisch-operativen Sicherung des entsendenden Tourismus von Bürgern der DDR nach anderen sozialistischen Staaten; BStU, MfS, BV Magdeburg, Abt. XX, Nr. 3465, Bl. 20–27. Siehe vergleichend auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 87–115. Hier wird die Urlauberüberwachung des MfS in Bulgarien geschildert, die die MfS-Operativgruppe in Absprache mit dem bulgarischen Geheimdienst sehr viel intensiver durchführte.

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ineinander, oder DDR-Oppositionelle erfuhren von Westdeutschen Unterstützung. An erster Stelle aber stand das Problem der »Republikflucht«. Die inoffiziellen Mitarbeiter meldeten auch, wie westliche Reisebüros in Rumänien auftraten. Außerdem hatten sie den Auftrag, über die innenpolitischen Verhältnisse zu berichten.838 Neben den fest installierten IM befanden sich in den DDR-Touristengruppen in sehr viel größerer Anzahl Mitreisende, auch die Leiter von Reisegruppen, die als IM oder hauptamtliche MfS-Mitarbeiter ihre Landsleute ausspionierten und Namen und Verhaltensweisen weitermeldeten. Darüber hinaus entsandte das MfS in den 1980er-Jahren einige jüngere, in der FDJ organisierte hauptamtliche Mitarbeiter nach Rumänien, die getarnt als normale Camping­ urlauber DDR-Touristen überwachten. Dieser geheimdienstliche Einsatz junger Stasi-Offiziere geschah ohne Wissen oder Absprache mit der Securitate und war insofern brisant.839 Vor allem in den späten 1960er- sowie in den 1970er-Jahren fürchtete das MfS die politischen Einflüsse, denen DDR-Bürger an der Schwarzmeerküste 838 MfS, AG SR [Sicherung des Reiseverkehrs]/Referat 5, 9.6.1966: Touristenreise Nr. 5512 mit beigefügtem »Komplexauftrag« sowie IM-Bericht »Touristenreise nach Mamaia SR Rumänien in der Zeit vom 5.–22.7.66«; BStU, MfS, A 93/85, Bd. A 2, Bl. 75–82; ebenso der »Komplexauftrag« vom 6.5.1966 in: BStU, MfS, AIM 2286/75, Bl. 66 f. HA VI, Bereich AT [Auslandstourismus]/Koord., 24.11.1976: Vorlage zur Berichterstattung in der erweiterten Leitungssitzung am 6.12.1976. Thema: Auswertung der Ergebnisse der politisch-operativen Sicherung des Tourismus im sozialistischen Ausland; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13712, Bl. 110– 125. HA VI, Auswertungs- und Kontrollgruppe, 27.8.1987: Übersichtsblatt zum Bestand der IM/GMS der Abteilung 3 – Stand vom 31.7.1987; BStU, MfS, HA VI, Nr. 7, Bl.  195–199. BStU, MfS, AIM 14853/89, Bd. 3, Bl. 5–14, 30 f., 35–40, 50–61, 102–108, Bd. 10, Bl. 218– 221 (FIM «Howard«); AIM 14753/89, Bd. I/1, Bl. 44 f., 93 f., Bd. I/3, Bl. 328–330, Bd. II/7, Bl. 2–4; AIM 14721/89, Bd. I/1, Bl. 99 f., 122, 154–160; Bd. I/2, Bl. 235 (IM »Maria«); AIM 14848/89, Bd.  I, Bl.  138–140 (IM »Sarah«), AIM 14689/89, Bd.  I, Bl.  224–230, 237–239, 250, 254 (IM »Monika Schütz«); zu den IM »Anna«, »Irene« und »Wilhelm« vgl. BStU, MfS, AIM 14853/89, Bd. 10, Bl. 219 f. Vgl. auch den »Kontrollbericht« der HA VI, Auswertungsund Kontrollgruppe, vom 16.12.1982 für das Jahr 1982; damals umfasste das Spitzelnetz der HA VI/3 in Rumänien fünf IM, angeführt vom FIM »Frank Richter«. BStU, MfS, HA VI, Nr. 34, Bd. 2, Bl. 428. 839  Insbesondere die HA VI des MfS entsandte hauptamtliche Mitarbeiter zu diesem Zweck nach Rumänien. BStU, MfS, HA KuSch, KS 9255/90, Bl. 53, 56, 67; BStU, MfS, HA VI, Nr. 16453, Bl. 11–13, 26–28, 37–39; BStU, MfS, HA VI, Nr. 20560, Bl. 61–65, 148. Zum »Treffen der Freundschaft«, einer offiziellen mehrtägigen Begegnung der Jugendverbände beider Länder (FDJ und UTC) vom 6. bis 10.9.1988 in Rumänien, entsandte das MfS ebenfalls einen hauptamtlichen Mitarbeiter: den 2. Sekretärs der FDJ-Kreisleitung im MfS, Oberleutnant Matthias Zieger; dessen nüchterner Reisebericht ist vorhanden in: BStU, MfS, SED-KL, Nr. 3515, Bl. 1–9; ident. auch in: SED-KL, Nr. 3647, Bl. 73–81. Berichte hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter über ihre Rumänienreisen mit gewöhnlichen DDR-Reisegruppen aus dem Jahre 1978 sind vorh. in: BStU, MfS, BV Halle, Abt. XIV, Sach Nr. 1362, Bl.  80  f. Auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S.  129  f., erwähnt den Einsatz junger MfS-Hauptamtlicher auf Campingplätzen in Rumänien sowie in Ungarn und vermutet, dass das MfS in Ungarn ebensowenig wie in Rumänien den dortigen Staatssicherheitsdienst davon in Kenntnis setzte.

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oder in den Karpaten gelegentlich ausgesetzt waren. Rückblickend erscheint das banal. Doch für das überwachungsbegierige MfS bestand hier ein grundsätzliches Problem, nämlich das des Kontrollverlusts: Die »eigene« Bevölkerung war der Überwachung des Geheimdiensts partiell entzogen. Und selbst auf die Reiseleiter, die das MfS als IM rekrutiert hatte, war kein Verlass. Viele Reiseleiter seien sich nicht im Klaren darüber, »dass sie die Reiseleitung nicht erhalten haben, um einen billigen Urlaub zu verleben, sondern in erster Linie die Interessen der Staatssicherheit dabei wahrnehmen müssen«, hieß es 1969 in einer MfS-Analyse. In Folge dieses Befundes sollten Reiseleiter-IM künftig gründlicher geschult und instruiert werden.840 Ein inoffizieller Mitarbeiter, der im August 1974 als Reiseleiter eine DDR-Touristengruppe in Predeal in den Karpaten südlich von Kronstadt begleitete, berichtete dem MfS ausführlich über einen politisch unkorrekten Vorfall: In seinem Hotel waren auch Reisegruppen aus den USA und Spanien untergebracht; einige der Spanier machten Musik, sangen internationale Schlager, darunter auch israelische. Im Anschluss an diese Volkslieder kam es zu Hochrufen – wie ›es lebe Spanien, es lebe Israel, es lebe Rumänien‹. Im Anschluss daran klatschten alle anwesenden Ausländer mit Ausnahme unserer Reisegruppe, auch alle rumänischen Staatsbürger, Beifall. Der Leiter dieses Hotels stand in der Tür und freute sich sichtbar über die Stimmung des internationalen Publikums in seinem Hotel.841

Der IM war offenkundig stolz darauf, seiner Reisegruppe den Spaß an diesem Abend verdorben zu haben – falls ihm das wirklich gelungen sein sollte. Zumindest stellte er seine Wachsamkeit unter Beweis: auch in den Karpaten sorgte er sich um die anti-israelische Politik der DDR. Der Militärattaché der DDR in Bukarest benannte 1975 in einem Bericht, der dem MfS zuging, einige Probleme. Diese machten vor allem dem MfS zu schaffen. Rumänien lasse es zu, dass in den Urlaubsorten die Bundesrepublik glorifiziert werde, indem bundesdeutsche Touristik-Unternehmen ihre Firmen-Logos und Kataloge in den Hotels verbreiteten und auch bundesdeutsche Flaggen vor den Hotels gehisst würden. Die rumänischen Tourismusbehörden würden außerdem Ost- und Westdeutsche in denselben Hotels unterbringen. Das bedeutete aus Sicht des MfS, die Rumänen unterstützten die westdeutsche Seite darin, DDR-Bürger politisch zu beeinflussen. Selbst die Mitglieder der ru840  BV Karl-Marx-Stadt, Referat Reisen und Touristik, 14.5.1969: Material zur Schulung der Reiseleiter-Mitarbeiter, -IM und -GMS; BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. 26, Nr. 164, Bd. 1, Bl. 86–100, Zitat 87. Das Schulungsmaterial enthält neben einem allgemeinen Teil auch länderbezogene Hinweise auf besondere »Sicherheitsrisiken« in der ČSSR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. 841  Bericht zur Rumänienreise [August/September 1974]; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 154, Bl. 153 f.

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mäniendeutschen Landsmannschaften, die für das MfS generell als Revanchisten galten, dürften in Rumänien ungehindert Urlaub machen, beobachtete der Militärattaché.842 Die Zeiten, als das MfS von der Securitate noch darin unterstützt wurde, Urlauber unter Kontrolle zu halten, waren schon lange vorbei. Lediglich aus dem Jahre 1962 ist ein Bericht der Securitate an das MfS dokumentiert, in dem es darum ging, dass DDR-Touristen in Rumänien »der volksdemokratischen Ordnung feindlich gegenüber traten«.843 In den 1970er- und 1980er-Jahren musste das MfS auf solche Zuarbeiten verzichten. Anstatt dessen gab es genügend Anzeichen dafür, dass die Securitate versuchte, die MfS-Aktivitäten in Rumänien zu kontrollieren. Bezeichnend hierfür ist ein Sachstandsbericht des MfS von Anfang 1975. Darin ging es um verschiedene Aspekte, wie in der kommenden Reisesaison DDR-Touristen im sozialistischen Ausland überwacht werden sollten. Im Hinblick auf Rumänien und Jugoslawien ist in diesem Papier von einer »Spezifik« dieser beiden Länder die Rede, die »höhere Anforderungen« an die dort eingesetzten IM-Netze stellten. Praktisch hieß das, die dorthin entsandten IM wurden gründlicher in ihre Aufgabe eingewiesen als es sonst für den Einsatz in sozialistischen Ländern üblich war.844 Worin diese Spezifik unter anderem bestand, schilderte ein IM, den das MfS in der Urlaubszeit in Rumänien einsetzte: Die Securitate habe zu Beginn der Feriensaison 1976 in den Räumen der DDR-Reisebürovertretung am Schwarzen Meer in Mangalia-Saturn Schlüsselabdrücke von Panzerschrank und Schreibtisch genommen, stellte der IM fest.845 Dem Führungs-IM »Wilfried Klopsch«, der von 1975 bis 1978 sowie 1984/85 in Rumänien eingesetzt war, gab das MfS 1975 die Warnung mit auf den Weg, er werde in Rumänien unter Bedingungen arbeiten, »wie sie [im sozialistischen Ausland] normalerweise nicht üblich sind«.846 Daran änderte sich bis 1989 nichts. Als die MfS-Hauptabteilung  VI den Führungs-IM »Wolfgang Reebe« 1989 wieder zur Touristenüberwachung nach Rumänien schickte, mahnte es ihn schriftlich, die »Regeln der Konspiration« einzuhalten, weil die Mitarbeiter des DDR-Reisebüros »den gezielten Kontrollmaßnahmen des rumänischen Sicherheitsorgans« ausgesetzt seien.847 842  Militärattaché – Bukarest –, 16.9.1975: Information. Entwicklung des Tourismus in der SR Rumänien bis zum Ende des Jahres 1974. Besondere Bemühungen der SR Rumänien zum Ausbau des Tourismus mit der BRD; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1442, Bl. 1–8, insbes. 5. 843  Informationsaustausch mit den Bruderorganen; BStU, MfS, AS, Nr. 312/83, Bl. 35. 844  MfS, HA VI, 18.2.1975: Bericht über den Stand der Vorbereitung der Aufgaben und Maßnahmen zur Sicherung des Tourismus der DDR in das sozialistische Ausland; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40, Bd. 1, Bl. 157–165, hier 162. 845  HA VI, 24.11.1976: Vorlage (wie Anm. 838), Bl. 118. 846  BStU, MfS, A 133/79, Bd. 6, Bl. 173. 847  Arbeitsauftrag für den FIM »Wolfgang Reebe«; BStU, MfS, AIM 14753/89, Bd. II/7, Bl. 2–4, hier 2.

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Eine besondere Schwierigkeit bestand für das MfS in Rumänien darin, die Informationen der inoffiziellen Mitarbeiter unbeobachtet von der Securitate an die MfS-Zentrale in Ostberlin weiterzuleiten. Die zuständige MfS-Hauptabteilung VI/3 hatte deshalb schon vor Beginn der Urlaubssaison festgelegt, wo sich beispielsweise der Führungs-IM »Howard« mit dem »Offizier im besonderen Einsatz« (OibE), Deckname »Ulli«, treffen sollte: Im Februar und September 1988 sollten Treffen am Sitz des DDR-Reisebüros in Bukarest stattfinden, im Frühjahr und im Spätherbst sollten sie sich in Ostberlin treffen, und in den Monaten Mai bis August sollte es drei Treffen an der bulgarischen Schwarzmeerküste in Varna geben. Auch der Führungs-IM »Wilfried Klopsch« war in den 1970er-Jahren regelmäßig zur Berichterstattung nach Bulgarien beordert worden. Denn in Bulgarien unterhielt das MfS in Absprache mit dem dortigen Geheimdienst eine eigene Operativgruppe, die unter anderem in Varna eine »konspirative Wohnung« für ihre geheimdienstliche Tätigkeit nutzte. Über eine Operativgruppe und die damit verbundenen Möglichkeiten verfügte das MfS in Rumänien nicht. Es bot sich deshalb an, die Treffs nach Varna zu verlegen, das zudem näher an den rumänischen Badeorten lag als Bukarest. Der Führungs-IM besaß außerdem eine Telefonnummer des MfS in Ostberlin, von der er in dringenden Fällen Gebrauch machen sollte. In Ausnahmefällen durfte er sich auch an den Sicherheitsbeauftragten der DDR-Botschaft in Bukarest wenden und die Kommunikationswege der HV A zwischen Bukarest und Ostberlin benutzen.848 Die DDR-Botschaft verfügte zudem über die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden. Erfuhr sie von einem IM den Namen eines der Flucht Verdächtigen, so veranlasste sie die rumänischen Behörden dazu, diesen vorläufig festzunehmen.849 Sie übernahm insofern Funktionen, die in anderen Ländern die MfS-Operativgruppe innehatte. Darüber hinaus schickte die in Bulgarien stationierte MfS-Operativgruppe ihre IM zu grenzüberschreitenden Erkundungen nach Rumänien. So ging einer ihrer IM 1976 in Constanţa einem Hinweis nach, wonach Angehörige der türkischen Minderheit in Rumänien als Fluchthelfer tätig seien: Angeblich vermittelten sie Fluchtwillige im Hafen von Constanţa auf türkische Handelsschiffe, die dort vor Anker lagen.850 848  BStU, MfS, AIM 14853/89, Bd. 3, Bl. 59 f., 115; AIM 14753/89, Bd. II/7, Bl. 2, 8–10, 48, 62 f.; AIM 15613/91, Bd. I/2, Bl. 361 und Bd. I/3, Bl. 45 f. Zu den Operativgruppen im Allgemeinen vgl. auch Domnitz: Kooperation und Kontrolle. 849  HA VI, Operatives Leitzentrum, 24.4.1974: Information Nr. 387/74; BStU, MfS, AOP 13457/76, Bd. 1, Bl. 70. DDR-Botschaft Bukarest: Schreiben an MfAA Berlin über »Besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1981«, 29.1.1982, in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 159– 171, hier 165. 850  HA VI, 24.11.1976: Vorlage (wie Anm. 838), Bl. 113; weitere Angaben zu diesem angeblichen Fluchtweg enthält das Dokument nicht.

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Das kleine IM-Netz unter dem Dach des DDR-Reisebüros bestand nicht aus professionellen Agenten, sondern einfachen IM. Ihre Berichte gingen nur selten über Banalitäten hinaus. So erfuhr das MfS, dass sich einige DDR-Bürger von ihrer Reisegruppe absetzten und sich zum Teil auch mit Westdeutschen unterhielten, dass sie in Tauschgeschäften mit Rumänen kleine Geschäfte machen wollten, dass sie mit dem Service in den Hotels unzufrieden waren, dass sie sich kritisch über die DDR äußerten und dergleichen mehr. Nur vereinzelt berichteten die IM davon, dass Rumänen an DDR-Bürger herangetreten seien um ihnen anzubieten, sie über Istanbul oder Jugoslawien in den Westen zu bringen.851 Insgesamt lieferte das von IM »Howard« geleitete IM-Netz in der Urlaubssaison 1987 genau 175 Informationen an das MfS, 1988 waren es 108. In beiden Jahren befanden sich darunter jeweils nur zwei Informationen, in denen es um illegale Ausreisemöglichkeiten in den Westen ging. Äußerst marginal waren auch Hinweise auf Aktivitäten anderer Geheimdienste.852 Brisante Informationen waren in den Urlaubsgebieten an der Schwarzmeerküste und in den Karpaten kaum zu gewinnen. Das schließt nicht aus, dass manche DDR-Bürger aufgrund dieser IM-Berichte Schwierigkeiten bekamen, nachdem sie in die DDR zurückgekehrt waren. Das MfS benutzte auch die Repräsentanz der DDR-Fluggesellschaft Interflug in Bukarest, um an Informationen über den Reiseverkehr zu gelangen. Als die Interflug im Sommer 1982 ihren langjährigen Mitarbeiter Kurt Hanne nach Bukarest schickte, um dort für die kommenden sieben Jahre die kleine Interflug-Repräsentanz zu leiten, begann zugleich das MfS, seine Anwerbung vorzubereiten. Im April 1983 verpflichtete sich Hanne bereitwillig als IM und wählte sich den Decknamen »Bruno«. In seiner schriftlichen Verpflichtungserklärung, die ihm sein Führungsoffizier, Hauptmann Karl-Heinz Schwanse, diktierte, hieß es lediglich, er solle das MfS über die »Aktivitäten imperialistischer Geheimdienste« informieren. Praktisch ging es jedoch um andere Aufgaben: Hanne sollte das Geschehen auf dem Bukarester Flughafen Otopeni im Blick behalten und über die dortige Sicherheitslage und die Passagierkontrollen berichten, ein gutes Verhältnis zu den leitenden TAROM-Mitarbeitern herstellen, ferner die fünf rumänischen Mitarbeiter seiner Interflug-Betriebsvertretung überwachen und schließlich allgemein über die Lage in Rumänien berichten. Sein Führungsoffizier hoffte zunächst, den IM alle fünf Wochen zu treffen, wenn er sich zu Arbeitsbesprechungen in der DDR aufhielt. Doch tatsächlich 851  BStU, MfS, AIM 14721/89, Bd. I/2, Bl. 44–48, 76; AIM 14753/89, Bd. II/7, Bl. 54 f.; AIM 14769/89, Bd. II, Bl. 255–265; AIM 14848/89, Bd. I, Bl. 155 f., Bd. II, Bl. 222; AIM 14849/89, Bd.  II, Bl.  5–21; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl.  2  f. Meldungen über mögliche Fluchtwege in den Westen: BStU, MfS, AIM 14849/89, Bd. II, Bl. 10–13; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 53 f. 852  Analyse der Arbeitsergebnisse des in der SRR eingesetzten FIM-Netzes während des Saisoneinsatzes 1988; BStU, MfS, AIM 14853/89, Bd. 10, Bl. 216–221.

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ergab sich durchschnittlich nur zwei Mal im Jahr die Gelegenheit hierzu. Die Berichte des IM »Bruno« bereiteten dem MfS wenig Anlass zur Sorge. Seine offizielle Arbeit wurde zwar dadurch erschwert, dass die Kollegen der TAROM häufig »Gegenleistungen« für ihre Unterstützung erwarteten. Aber wie IM »Bruno« im Januar 1986 meldete, war der Flughafen sicher: bewaffnete Kräfte bewachten den Flughafen intensiv, und die Passagiere würden gründlich kontrolliert.853 Wie viele DDR-Bürger jährlich nach Rumänien reisten, lässt sich noch nicht verlässlich in Zahlen fassen. Allenfalls für den sogenannten organisierten Tourismus liegen einigermaßen plausible Statistiken vor, also für Urlaubs- und Kurreisen, die die DDR-Reisebüros anboten. Diese Zahlen waren zwischen den zuständigen Behörden der DDR und Rumäniens nicht strittig:

853  BStU, MfS, AIM 6058/91, Bd. I/1, Bl. 12–22, 49–73; Bd. II/1, Bl. 3–33. Hanne wurde von der MfS-Hauptabteilung XIX/2 geführt. Das Büro der Interflug-Betriebsvertretung befand sich den IM-Schilderungen zufolge in einer Seitenstraße zur Șosea Kiseleff im Bukarester Botschaftenviertel; auch das Büro des Vereinten Oberkommandos des Warschauer Pakts liege in unmittelbarer Nähe, wie IM »Bruno« dem MfS mitteilte. Ebenda, Bd. II/1, Bl. 10. Übersichten zur Bukarester Interflug-Repräsentanz auch in: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 143, Bl. 4, 14– 20, 26–28, 57; HA XIX, Nr. 146, Bl. 40–46; HA XIX, Nr. 2583, Bl. 34; HA XIX, Nr. 4849, Bl. 51 f. Weitere IM-Berichte über den Bukarester Flughafen 1982/83 in: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 2338, Bl. 64–68, 122–125.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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Tab. 1: Anzahl der DDR-Bürger, die im Rahmen des »organisierten Tourismus« nach Rumänien reisten, 1970–1987854 Jahr

Anzahl der Urlauber

1970

10 543

1971

11 181

1972

14 348

1973

20 740

1974

24 888

1975

31 100

1978

31 100

1981

34 568

1982

27 230

1983

16 090

1984

23 098

1985

23 700

1986

25 000

1987

26 809

Des Weiteren reisten in diesem Zeitraum jährlich etwa zwischen 5  000 und 10 000 DDR-Bürger aus dienstlichen Anlässen nach Rumänien. 854  Für die Jahre 1973–1978: [MfAA/DDR,] Abt. SOE, LS SRR, 26.4.1979: Zum Stand der touristischen Beziehungen zwischen der DDR und der SRR, Anlage 3; PA AA, MfAA, ZR 731/83. Die Zahlen beinhalten Touristen des DDR-Reisebüros sowie den organisierten Jugendtourismus. Für die übrigen Jahre finden sich die Zahlen in verschiedenen MfS-Unterlagen. Das MfS erhielt diese Zahlen direkt oder indirekt vom Ministerrat der DDR und von der DDR-Botschaft in Bukarest, wobei zum Teil auch rumänische Datenerhebungen genannt werden. Im Einzelnen: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 227, 261; Abt. X, Nr. 247, Bl. 15; Abt. X, Nr. 2083, Bl. 113; AS, Nr. 155/74, Bd. 22, Bl. 241; BStU, MfS, JHS MF VVS 160-283/72, S. 123 f. Für 1970–1974 nur geringfügig abweichende Angaben im Statistischen Jahrbuch der DDR 1975, S.  371  f. Für die späteren Jahre weisen die statistischen Jahrbücher die Jugendtourist-Reisen nicht mehr einzeln nach Ländern aus, weshalb sie in dieser Tabelle fehlen. In andere sozialistische Länder reisten weitaus mehr DDR-Touristen; alleine im organisierten Tourismus kamen 1974 rund 43 000 DDR-Urlauber nach Ungarn, rund 100 000 nach Bulgarien. Zur Gesamtzahl der Reisenden vgl. Anm. 858. Eine HVA-Analyse vom 7.2.1969 (wie Anm. 429), Bl. 38, gibt die Zahl der DDR-Touristen in Rumänien für das Jahr 1967 noch mit 67 000 an.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

Erhebliche Differenzen gibt es bei den Angaben über den Individualtourismus von DDR-Bürgern. Das rumänische Tourismusministerium ging in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre von jährlich rund 152 000 bis 236 000 Einzelreisenden und 193  000 bis 228  000 Transitreisenden aus.855 DDR-Diplomaten in Bukarest schätzten diese Zahlen jedoch als »unreal« ein. Sie vermuteten, dass die rumänische Seite viele Transitreisende als Individualtouristen statistisch erfasste. Zudem zähle das rumänische Tourismusministerium jeden Transit- und Individualreisenden sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise, sodass die rumänischen Zahlenangaben von vornherein zu halbieren seien.856 Sehr wahrscheinlich liegen die Zahlen und Einschätzungen der DDR-Seite näher an der Wirklichkeit. Die rumänische Seite hatte politische und wirtschaftliche Gründe, die Zahlen hochzuhalten. Unter anderem verlangte sie auf dieser Basis von der DDR beachtliche Ausgleichsleistungen.857

855  [DDR-]Botschaft Bukarest, Konsularabteilung, 26.11.1984: Einschätzung der Touristensaison; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 225–233, hier 227. Dies., 15.12.1982: Information über die Touristensaison in der SRR im Jahre 1982; ebenda, Bl. 261–268, hier 261. 856 Ebenda, Bl.  261. Ferner Botschaft der DDR in der SRR, Politische Abteilung, 1.10.1987: Einschätzung über den Reiseverkehr und Tourismus 1987 in der SRR; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2083, Bl. 113–116. 857  Im Tourismus zwischen der DDR und Rumänien ergab sich zumeist ein Passivsaldo zulasten der DDR, das heißt, DDR-Urlauber nahmen in Rumänien mehr Leistungen in Anspruch als umgekehrt. Die DDR musste den Tourismussaldo daher durch Warenlieferungen wie Nahrungsmittel oder Industriegüter ausgleichen. Dabei klafften die Daten mitunter weit auseinander. Für 1980 berechnete die rumänische Seite beispielsweise den Benzinverbrauch der DDR-Bürger in Rumänien mit 5,3 Millionen Litern, die DDR-Seite hingegen nur mit 1,2 Millionen Litern. Vgl. Ministerium für Verkehrswesen, Hauptverwaltung Auslandstourismus, 16.3.1981: Bericht über die Verhandlungen mit dem Ministerium für Tourismus der SR Rumänien in der Zeit vom 9.–13. März 1981 in Bukarest; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 179– 183, hier 182. Zu den von Rumänien gewünschten Gütern, die die DDR als Ausgleichsleistungen für den Tourismus liefern sollte, vgl. Ministerrat der DDR: Entscheidungsvorschlag für die Erweiterung des Tourismus mit der SRR und die Bezahlung des daraus entstehenden Tourismussaldo, 26.9.1988; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 11–19, insbes. 16–19; Abt. X, Nr. 247, Bl. 16. Angesichts der prekären Wirtschaftslage Rumäniens ist anzunehmen, dass dort die Versuchung größer war, die Statistik zu manipulieren als aufseiten der DDR. Auch politisch hatte Rumänien kein Interesse daran, rückläufige Zahlen in der Tourismusbranche zu verkünden. Aus den Statistiken ist nicht ersichtlich, wie der Tourismussaldo berechnet wurde. Eine Statistik, die der DDR-Ministerrat oder das ZK der SED im Vorfeld des Ceaușescu-Besuchs in Ostberlin im Mai 1985 zusammenstellen ließ, weist für die Jahre 1980–1984 jeweils nur rund 10 000 rumänische Touristen im organisierten Reiseverkehr aus, also deutlich weniger als umgekehrt. Die Gesamtzahl der DDR-Touristen in Rumänien sank demnach zwischen 1980 und 1984 außerdem von 46 500 auf 37 400, in umgekehrter Richtung stieg sie in dieser Zeit hingegen von 53 500 auf 104 200. Vgl. Positionspapier Tourismus DDR–SRR, Mai 1985; BStU, MfS, HA II, Nr. 212, Bd. 2, Bl. 61–63, hier 61. Ab 1985 ging die Zahl rumänischer Reisender in die DDR nach Erkenntnissen der DDR-Botschaft in Bukarest »rapide« zurück. Vgl. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2083, Bl. 114 f. (wie Anm. 856).

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Zumindest lässt sich ein Trend feststellen: in den 1970er-Jahren reisten zunehmend mehr DDR-Bürger nach Rumänien, in den 1980er-Jahren ging ihre Zahl wieder zurück. Im Vergleich mit Ungarn und Bulgarien stand Rumänien allerdings immer an letzter Stelle.858 Dabei unterschieden sich die formalen Voraussetzungen für Reisen nach Rumänien nicht von denen in die beiden Nachbarländer. Seit 1972 benötigten DDR-Bürger für Individualreisen keine Einladung mehr aus Rumänien, sondern nur die schriftliche Genehmigung seitens der Deutschen Volkspolizei.859 Doch die schlechte Versorgungslage, der zunehmend ramponierte Ruf des Landes sowie das von Nicolae Ceaușescu erlassene Verbot, Ausländer in Rumänien privat zu beherbergen, schreckten vor allem in den 1980er-Jahren viele DDR-Bürger von Reisen nach Rumänien ab. Die Schwierigkeiten des MfS, Reisende in Rumänien zu überwachen, wurden in gewisser Weise dadurch ausgeglichen, dass Rumänien als Reiseziel für DDR-Bürger vergleichsweise unattraktiv war.

858  Gesamtzahl der DDR-Bürger, die nach Rumänien reisten (die Gesamtzahl beinhaltet neben organisierten und privaten Urlaubsreisenden beispielsweise auch Dienst- und Geschäftsreisende): 17 170 (1970), 21 463 (1971), 53 578 (1977), 58 164 (1978); hingegen nach Bulgarien: 110 080 (1970), 126 658 (1971), 139 922 (1977), 167 756 (1978); nach Ungarn 168 562 (1970), 205 171 (1971), 356 377 (1977), 472 162 (1978); siehe Kirst, Alfred; Heine, Karl-Heinz (beide Hauptmann, HA VI): Die Angriffe des Gegners gegen den Touristenverkehr der DDR in das sozialistische Ausland und die operativen Erfordernisse der wirksamen Gestaltung der Sicherung des Tourismus des Reisebüros der DDR in den Ballungszentren des sozialistischen Auslandes durch Sicherungssysteme des MfS. Diplomarbeit an der JHS. Potsdam-Eiche 1972; BStU, MfS, JHS MF VVS 160-283/72, S. 124, sowie MfS, HA VI, Leiter, 23.1.1979: Jahresanalyse über die Entwicklung der politisch-operativen Lage und die Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit im Verantwortungsbereich der Linie VI 1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4725, Bl. 136–260, hier 259. Für die Jahre 1977 und 1978 identische Zahlen zu Bulgarien und Ungarn im Statistischen Jahrbuch der DDR 1979, S. 328, während für Rumänien darin keine Zahlen angegeben sind. Bis 1984 stiegen die Reisezahlen nach Bulgarien (167 914 DDR-Bürger) und Ungarn (540 547 DDR-Bürger), während sie nach Rumänien offenbar rückläufig waren. Siehe Rommel, Bernd (Leutnant, HA VI/Bereich Auslandstourismus): Die Suche, Auswahl, Gewinnung und Qualifizierung von inoffiziellen Mitarbeitern, die zum überörtlichen disponiblen Einsatz in der VRB, CSSR, UVR gelangen sollen und die Gestaltung einer kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit den Bezirksverwaltungen/Abteilungen VI hinsichtlich der Bereitstellung von überörtlich einsetzbaren inoffiziellen Mitarbeitern. Diplomarbeit an der JHS. Potsdam-Eiche 1985; BStU, MfS, JHS 20311, Bl. 5. 859  Zu den Reisebestimmungen siehe Privater Reiseverkehr mit Rumänien vereinfacht. In: Neues Deutschland v. 15.6.1965, S. 2, sowie Neues Reiseverkehrsabkommen mit der SR Rumänien. In: Neues Deutschland v. 29.3.1972, S. 2. Vgl. auch Anm. 891.

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3.3.2 Studenten Neben den Touristen bildeten die DDR-Studentinnen und -Studenten eine andere wichtige Gruppe, die das MfS in Rumänien im Blick behalten wollte. Auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen entsandte die DDR jedes Jahr Studierende an rumänische Universitäten, die dort in verschiedenen Fachrichtungen einen Teil ihres Studiums absolvierten. Bislang liegt noch keine Übersicht vor, wie viele im Laufe der Jahrzehnte diese Möglichkeit in Anspruch nahmen beziehungsweise nach Rumänien delegiert wurden. Ebenso wenig kann man beim derzeitigen Forschungsstand abschätzen, wie intensiv das MfS unter den Studierenden inoffizielle Mitarbeiter anwarb. Innerhalb des MfS hatten mindestens drei Abteilungen Interesse daran, diese Personengruppe für sich zu nutzen: Die Hauptabteilung XX/8, die das gesamte Bildungswesen der DDR überwachte, die Hauptabteilung II/10, die sowohl DDR-Niederlassungen im sozialistischen Ausland als auch die Botschaften der sozialistischen Länder in der DDR kontrollierte, sowie die HV A. Hinzu kam noch der Militärattaché. Als MfS-Hauptmann Wolfgang Stenzel im Sommer 1985 nacheinander zwei DDR-Studentinnen anwarb, die nach Bukarest delegiert werden sollten, sagte er ihnen unverblümt, woran das MfS interessiert war. In erster Linie sollten sie ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus der DDR überwachen, auf ihr allgemeines Verhalten achten, politische Meinungsäußerungen registrieren und Kontakte zu westlichen Studierenden erfassen. In zweiter Linie ging es darum, über Stimmungen und Meinungen innerhalb der rumänischen Bevölkerung zu berichten.860 Stenzels Kollege, Hauptmann Hans-Werner Bromme, der im Sommer 1985 vier Studentinnen vor ihrer Abreise nach Bukarest anwarb, argumentierte in den Anwerbegesprächen anders. Er behauptete, die DDR-Studierenden seien in Rumänien der Gefahr ausgesetzt, von »imperialistischen Geheimdiensten« angesprochen zu werden. Aufgabe der IM sei es, dem MfS dabei zu helfen, sie vor den »feindlichen Zugriffen« zu schützen.861 In der Praxis taten aber auch diese Studentinnen nichts anderes, als ihre Studienkolleginnen und -kollegen auszuspähen und allgemeine Stimmungsberichte aus Rumänien zu liefern. Da die IM nichts voneinander wussten, sondern sich nur als Studierende kannten,

860  BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2787/90, Bd. I/1, Bl. 54–56; BStU, MfS, BV Berlin, Vorl.-AIM 6770/88, Bl. 56 f. Führungsoffizier Stenzel von der HA II/10 arbeitete schwerpunktmäßig Richtung Rumänien. Vgl. Anm. 680. 861 BStU, MfS, AIM 22616/91, Bd.  I/1, Bl.  45–47; AIM 22617/91, Bl.  79–81; BStU, MfS, Vorl.-AIM 13152/91, Bd. I/1, Bl. 36–38; BStU, MfS, BV Rostock, AIM 391/91, Bd. I/1, Bl. 39 f. Bromme war Mitarbeiter der HA II/10 des MfS und arbeitete ebenso wie sein Kollege Stenzel schwerpunktmäßig Richtung Rumänien. Vgl. Anm. 679 und S. 458.

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berichteten sie dem MfS auch gegenseitig voneinander. Unwissend kontrollierte sich das IM-Netz dadurch selbst.862 Im Sommer 1986 warb Hauptmann Hans-Werner Bromme erneut eine Studentin für einen Einsatz in Bukarest an. Bevor er sie ansprach, notierte er sich, welche geheimdienstlichen Perspektiven er sich von ihr erhoffte: Erstens sollte sie in Bukarest mit Rumänen Kontakt aufnehmen und sie über die gesellschaftliche und politische Situation aushorchen. Zweitens sollte sie auf längere Sicht Beziehungen zur rumänischen Botschaft in Ostberlin aufbauen. Drittens sollte auch sie über ihre DDR-Studienkolleginnen und -kollegen in Rumänien berichten und dem MfS dadurch die Grundlage liefern, um weitere Studierende anzuwerben. Dieser Plan, in den die Betreffende nicht eingeweiht wurde, zeugt von weiterreichenden geheimdienstlichen Ambitionen.863 Ein Problem für das MfS bestand wiederum darin, die Kontakte zu den studentischen IM aufrechtzuerhalten. In den anderen sozialistischen Ländern hatte das MfS für solche und andere Zwecke Operativgruppen stationiert, denen hauptamtliche MfS-Mitarbeiter verschiedener Abteilungen angehörten. In Rumänien gab es diese Möglichkeit nicht. Deshalb erhielten die IM, bevor sie zum Studium nach Rumänien reisten, eine Telefonnummer ihres Führungsoffiziers in Ostberlin. Wenn sie in den Semesterferien in die DDR kamen, mussten sie sich dort melden und einen Trefftermin mit dem Führungsoffizier vereinbaren, um ihre Berichte abzuliefern und neue Aufträge entgegenzunehmen. In dringenden Fällen sollten sie mit dem Studentenbetreuer in der DDR-Botschaft in Bukarest Verbindung aufnehmen.864 Unter den bislang gesichteten MfS-Unterlagen befindet sich nur eine Information, die auch nachrichtendienstlich interessant erscheint. Ein DDR-Student an der Universität Klausenburg berichtete seinem Führungsoffizier, wie die Securitate ihn im Abstand von mehr als zwei Jahren zweimal anzuwerben versuchte. Die Securitate habe ihn aufgefordert, über die ausländischen Studierenden in Klausenburg zu berichten und ihm dafür »materielle Vorteile« versprochen.865 Wirklich überraschend dürfte diese Mitteilung nicht gewesen sein, denn das MfS warb auf gleiche Weise systematisch ausländische Studierende in der DDR an. Auch der DDR-Militärattaché betätigte sich in Rumänien als Agentenführer. Zwischen Sommer 1983 und Frühjahr 1987 war Oberst Karl-Heinz Friedewald 862 BStU, MfS, AIM 22616/91, Bd.  I/1, Bl.  78  f.; BStU, MfS, Vorl.-AIM 11270/87, Bd. I/1, Bl. 90. 863  BStU, MfS, Vorl.-AIM 11270/87, Bd. I/1, Bl. 90 f. 864  BStU, MfS, AIM 22617/91, Bl. 80 f.; BStU, MfS, Vorl.-AIM 13152/91, Bd. I/1, Bl. 37; BStU, MfS, BV Rostock, AIM 391/91, Bd. I/1, Bl. 40. 865  Information zu Aktivitäten des rumänischen Sicherheitsorganes in der SR Rumänien unter ausländischen Studenten, 3.10.1986; BStU, MfS, HA II, Nr. 18663, Bl. 219. Der Student wurde von der Hauptabteilung II/10 geführt.

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als Militärattaché in Bukarest akkreditiert. Er diente zugleich als IM »Kurt ­Fischer« der Militärabwehr des MfS und berichtete seinen Führungsoffizieren ausführlich über seine Arbeit. Zudem kooperierte er eng mit dem »Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten« und dem HVA-Residenten in der DDR-Botschaft. Er diente faktisch beiden Spionageapparaten der DDR – dem MfS und dem Militärgeheimdienst des DDR-Verteidigungsministeriums.866 Die entsprechenden Treffberichte bieten aufschlussreiche Einblicke in seine Arbeit. Friedewald hatte demzufolge unter anderem die Aufgabe, DDR-Studenten in Rumänien als »agenturische Mitarbeiter« zu gewinnen, wie die Informanten beim DDR-Militärgeheimdienst bezeichnet wurden. Mit ihrer Hilfe sammelte er persönliche Daten von Studenten aus Drittländern, die dann nach Rückkehr in ihre Heimatländer nachrichtendienstlich angesprochen werden sollten. Im Frühjahr 1985 stand Friedewald mit acht DDR-Studenten in Rumänien in Verbindung, von denen fünf bereits als Informanten erfasst waren, während bei dreien die Anwerbung zwar in den Blick genommen wurde, aber noch nicht vollzogen war. Er traf sich mit ihnen in Rumänien an öffentlichen Orten, etwa in Gaststätten, Museen oder einfach im Freien. Der Militärattaché suchte insbesondere Kontakte in den Nahen Osten, aber auch Studenten aus Griechenland und Angola gerieten damals mittels der DDR-Studenten in den Blick der DDR-Militäraufklärung. Aus Sicht des Militärattachés erwies es sich allerdings als hinderlich, »dass es allen DDR-Studenten im Einsatzland verboten ist, Kontakte zu anderen Auslandsstudenten aufzunehmen«. In der Praxis ließ sich diese Kontaktsperre nicht konsequent durchsetzen, denn DDR-Studenten wollten und konnten Kontakte zu anderen Auslandsstudenten nicht völlig umgehen. Trotzdem hatte diese Forderung eine gewisse Wirkung. Friedewalds Führungsoffizier Major Hans-Dieter Zillmann mahnte ihn zur Vorsicht, um nicht »in das Blickfeld der rumänischen Abwehr [zu] geraten« und damit die zwischenstaatlichen Beziehungen zu beeinträchtigen.867 Einige DDR-Studenten kehrten von ihrem Rumänienaufenthalt nicht in die DDR zurück, sondern unternahmen erfolgreiche Fluchtversuche in den Westen. Gewiss waren das nur Ausnahmen. Doch es waren genug, um das MfS auch in dieser Hinsicht misstrauisch auf Rumänien blicken zu lassen. Das MfS 866 Friedewald wurde von der MfS-HA I, Abt. Äußere Abwehr/UA-2, als IM geführt. Zu seiner Kooperation mit dem Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten und dem Residenten in der DDR-Botschaft, die beide von der HV A geführt wurden, siehe Friedewalds Auskünfte an seine Führungsoffiziere sowie deren Vermerke. BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl. 137, 141, 151 f., 164, 167, 172, 189, 196 f., 203, 211, 217, 224 sowie BStU, MfS, AIM 16142/91, Bd. 2, Bl. 212. 867  MfS, HA I/Äußere Abwehr/UA-2, 12.4.1985: Treff bericht [mit] IMS »Kurt Fischer« am 10.4.1985; BStU, MfS, AIM 7887/87, Bl. 151–162, Zitate 154, 161. Vgl. auch den inhaltlich ähnlichen Treff bericht mit »Kurt Fischer« vom 24.1.1986 in: ebenda, Bl. 194–207, insbes. 202 f. Weitere Berichte mit Auskünften über die Zusammenarbeit des Militärattaches mit Studenten in: ebenda, Bl. 140 (für 1984), sowie in: BStU, MfS, HA I, Nr. 17340 (für 1985).

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verhinderte deshalb beispielsweise 1983 den Studienaufenthalt eines Zahnmedizinstudenten aus dem Bezirk Magdeburg am Institut für Medizin und Pharmazie in Klausenburg. Der Student hatte von den zuständigen Ministerien für Hochschulwesen (DDR) und Erziehung (Rumänien) bereits die erforderlichen Genehmigungen erhalten. Aber ein IM hatte dem MfS hinterbracht, der Student trage sich mit Fluchtabsichten. Dieser vage Verdacht sowie das Wissen darum, dass in der Vergangenheit einige wenige Studenten von Rumänien aus in den Westen geflüchtet waren, genügten dem verantwortlichen Stasi-Obersten Gerhard Niebling, um den vorgesehenen Studienaufenthalt zu unterbinden.868 Zweieinhalb Jahre vor dem politischen Umbruch in Osteuropa endete dieses Kapitel geheimdienstlicher Arbeit. Denn wegen der schwierigen Lebensumstände in Rumänien rief das DDR-Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen im Sommer 1987 die Studentinnen und -Studenten aus dem Balkanstaat zurück und verteilte sie auf verschiedene Universitäten innerhalb der DDR.869 Damit hatte das MfS eine Möglichkeit verloren, in Rumänien zu agieren. 3.3.3 Flucht über Rumänien in den Westen Zu den größten politischen Problemen der DDR gehörte in der gesamten Zeit ihres Bestehens die massenhafte Flucht ihrer Einwohner in den Westen. Bevor die DDR-Führung am 13. August 1961 in Berlin die Mauer bauen ließ, war es noch relativ einfach, aus der DDR über Westberlin in die Bundesrepublik zu gelangen. In den zwölf Jahren zwischen Gründung der DDR 1949 und dem Mauerbau 1961 flohen 2,6 Millionen Menschen aus der DDR. Der Mauerbau bremste diese Fluchtbewegung, die aber nie ganz zum Erliegen kam. In zunehmendem Maße suchten die Menschen nun über andere osteuropäische Länder einen Weg in den Westen. Sie gingen im Allgemeinen davon aus, dass dort die Grenzen nicht so perfekt gesichert seien wie in der DDR. Auf Rumänien bezogen glaubten manche, die Grenze zu Jugoslawien werde allenfalls so bewacht wie zwischen anderen sozialistischen Ländern auch; zudem hofften einige, die schlechten Beziehungen Rumäniens zu den anderen sozialistischen Staaten würden Fluchtversuche begünstigen.870 Auch westdeutsche Fluchthelfer versuch868  MfS, ZKG, Leiter [Niebling], 4.11.1983: Stellungnahme zum Schreiben der BV Magdeburg [...]; BStU, MfS, HA XX, Nr. 1572, Bl. 149, sowie damit verbundene Schriftwechsel in: ebenda, Bl. 147 f., 150–153. Niebling zufolge wusste die ZKG von »einigen Fällen«, in denen DDR-Studenten den Studienaufenthalt in Rumänien zur Flucht genutzt hatten. 869  BStU, MfS, Vorl.-AIM 11270/87, Bd. I/1, Bl. 96; BStU, MfS, BV Berlin, Vorl.-AIM 6770/88, Bl. 69; BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2787/90, Bd. I/1, Bl. 82. 870 Von derartigen Erwägungen berichtet die DDR-Botschaft Bukarest: Schreiben an MfAA Berlin über »Besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1981«, 29.1.1982 in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 280–292, hier 282; identisch in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 159–

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ten, Lücken im »Eisernen Vorhang« außerhalb der DDR zu finden und zu nutzen. Aus diesen Gründen erstreckte sich das Problem der »Republikflucht« für die DDR auf fast alle sozialistischen Staaten.871 Folgt man den Statistiken des MfS, so wurden zwischen 1963 und 1988 14 746 DDR-Bürger in anderen Ostblockstaaten bei Fluchtversuchen entdeckt, festgenommen und per Flugzeug in die DDR zurückgebracht, wo sie dann zumeist eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen mussten. Vor allem an den Westgrenzen der Tschechoslowakei (8  495 Personen) und Ungarns (3 769 Personen) versuchten DDR-Bürger demzufolge in jenen Jahren vergeblich, in den Westen zu gelangen, weniger waren es demnach in Bulgarien (1 654 Personen) und Rumänien (461 Personen).872 Andererseits glückte zwischen 1972 und 1988 immerhin 2 137 DDR-Bürgern die Flucht über eines dieser Länder in den Westen, und in einer ähnlichen Größenordnung wurden DDR-Bürger über diese Länder von Fluchthelfern ausgeschleust.873 Die Zahlen sind allerdings mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Anderen Angaben zufolge scheiterten zwischen 1971 und 1989 rund 25 000 Fluchtversuche von DDR-Bürgern über andere sozialistische Länder.874 171, hier 161. Ebenso auch in den autobiografischen Erinnerungen der Familie W. aus Jena, von der vier Geschwister 1969 und 1970 über die Donau nach Jugoslawien flüchteten. Ihre Geschichte wird erzählt in: Albert; Salier: Grenzerfahrungen kompakt, S. 355–362. Eine weitere erfolgreiche Flucht über die Donau, die im August 1987 unternommen wurde, schildert Schätzlein: Flucht aus der DDR, S.  372  f. Siehe auch die autobiografische Erinnerung von Regina Albrecht: Nur 180 Meter, S. 242–258. Albrecht wurde im Juli 1971 von einem westdeutschen Fluchthelfer im umgebauten Tank seines Autos über die rumänisch-jugoslawische Grenze gebracht und erinnert sich an ein vergleichsweise legeres Gespräch ihres Fluchthelfers mit den rumänischen Grenzkontrolleuren. 871  Ausführlich hierzu Tantzscher: Die verlängerte Mauer. Detailliertere Angaben zur Anzahl der Flüchtlinge in: Effner; Heidemeyer (Hg.): Flucht im geteilten Deutschland, S. 27–31. 872  Tantzscher: Verlängerte Mauer, S. 76. Die hier wiedergegebenen Zahlen beziffern diejenigen Flüchtlinge, die nach MfS-Angaben per Flugzeug in die DDR zurückgebracht wurden. Insgesamt wurden in Rumänien mehr DDR-Flüchtlinge gefasst, wie aus Tabelle 2, S. 360 f. hervorgeht. 873  Tantzscher: Verlängerte Mauer, S. 77, die Angaben über geglückte Fluchtversuche sind nicht nach Ländern aufgeschlüsselt. Die Anzahl der Ausschleusungen wird mit 3 295 Personen angegeben. Diese Ziffer schließt offenbar aber Ausschleusungen über Berlin und die innerdeutsche Grenze ein. 874  Summarisch nennt Tantzscher: ebenda, S. 16, 69, eine Zahl von rund 25 000 DDR-Bürgern, die von 1971 bis 1989 an der Flucht über diese Länder »gehindert wurden«, von denen die erwähnten 14 746 Personen per Flugzeug in die DDR zurückgebracht wurden. Die Differenz zwischen 25 000 »gehinderten« Fluchtversuchen und 14 746 Rückführungen auf dem Luftweg bedarf noch der Klärung. Entweder wurden viele DDR-Flüchtlinge nicht auf dem Luftweg zurückgeführt (denn nur darauf bezieht sich die MfS-Statistik), oder ihr gescheiterter Fluchtversuch wurde dem MfS erst bekannt, nachdem sie selbstständig in die DDR zurückgereist waren, oder sie wurden bereits in der DDR verhaftet, noch ehe sie in das osteuropäische Land ausreisen konnten, von wo aus sie in den Westen zu fliehen beabsichtigten. Tantzscher gibt an gleicher Stelle die Zahl der DDR-Bürger, denen zwischen 1961 und 1988 die Flucht über andere

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Dem MfS lag daran, dass die Behörden der verbündeten Länder die Flüchtlinge möglichst rasch an die DDR auslieferten. Eine gesetzliche Grundlage hierfür bildeten die Rechtshilfeverträge aus den Jahren 1956 bis 1958.875 Rumänien erfüllte bis 1968 weitgehend diese Erwartungen. Es überstellte festgenommene Flüchtlinge zumeist dem DDR-Konsul in Bukarest, der ihre Rückführung in die DDR veranlasste. Gelegentlich verurteilten zunächst rumänische Gerichte die Flüchtlinge, verfügten dann jedoch umgehend deren Ausweisung in die DDR.876 In einigen Fällen informierte die Securitate-Führung bis 1973 Erich Mielke persönlich über die Festnahme von Flüchtlingen, und beide Geheimdienste verständigten sich direkt über die Einzelheiten der Rückführung.877 Die ersten in Rumänien verhafteten DDR-Flüchtlinge waren nach derzeitigem Kenntnisstand die beiden Dresdner Studenten Gisbert Rother und Horst Haker. Sie hatten sich in Budapest von den Botschaften Jugoslawiens und Rumäniens Transitvisa in ihre DDR-Papiere eintragen lassen und reisten damit an die rumänisch-jugoslawische Grenze. Dort verwehrte man ihnen aber die Ausreise nach Jugoslawien. Als sie darauf insistierten, ausreisen zu dürfen, nahmen die rumänischen Grenzer sie fest. Es folgten zwei Wochen Untersuchungshaft in Temeswar. Danach überstellte die Securitate sie im Oktober 1962 in der benachbarten Kreisstadt Arad dem MfS. Das MfS beorderte eigens dafür ein Flugzeug nach Arad. In Budapest nahm es zwei weitere Flüchtlinge auf. Mit insgesamt nur vier Flüchtlingen sowie Wachpersonal flog es in die DDR zurück. Rother und Haker verbrachten weitere zwei Monate in Untersuchungshaft in Dresden und wurden dann wegen »Verstoßes gegen das Passgesetz« zu jeweils sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.878

Ostblockstaaten (auch mit Unterstützung von Fluchthelfern) in den Westen gelang, mit etwa 7 000–8 000 an. 875  Rechtshilfeverträge der DDR mit der Tschechoslowakei (11.9.1956), Polen (1.2.1957), Ungarn (30.10.1957), der Sowjetunion (28.11.1957), Bulgarien (27.1.1958) und Rumänien (29.3.1958); Tantzscher: Verlängerte Mauer, S. 47–62. 876  So wurden 1965 drei DDR-Bürger im Hafen von Constanţa und einer am Flughafen Bukarest-Băneasa verhaftet, als sie mit westdeutschen Pässen auszureisen versuchten. Nach rumänischem Recht wurden sie in Schnellverfahren abgeurteilt und anschließend der DDR-Botschaft überstellt. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1964, Bl. 15. 877  Telegramm von Securitate-Chef Ion Stănescu an Erich Mielke vom 6.9.1967 mit den Namen von drei in Rumänien festgenommenen DDR-Flüchtlingen und Antwort-Telegramm Mielkes vom 16.9.1967, in dem er Stănescu die Ankunft von sieben MfS-Mitarbeitern in Bukarest ankündigt, die die Flüchtlinge und deren Pkw in die DDR zurückführen sollten; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2106, Bl. 70–75 sowie BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, AU 1355/69, Bd. 1, Bl. 11 f. 878  Haker: Dresden, 1962. Das Ende einer Reise, S. 13 f., 36–39, 120–123, 172 u. ö. Haker zitiert in diesem autobiografischen Buch auch ausführlich aus den ihn betreffenden Untersuchungsakten der Securitate und des MfS. – Fluchtversuche wurden bis 1968 als Verstöße gegen das Passgesetz geahndet. Das Passgesetz stellte in § 8 das ungenehmigte Verlassen der DDR un-

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3.3.3.1 Die Folgen ausbleibender Kooperation: DDR-Flüchtlinge werden doppelt verurteilt, das MfS beklagt Überwachungslücken Im Laufe des Jahres 1968, vermutlich im Herbst, rückte Rumänien stillschweigend von der bisherigen Praxis ab. Festgenommene DDR-Flüchtlinge wurden fortan fast ausnahmslos in Rumänien vor Gericht gestellt und verurteilt und verbüßten ihre Haftstrafe in einem rumänischen Gefängnis. Die Strafen beliefen sich auf vier bis 18 Monate Haft. Meistens mussten sie nur die Hälfte dieser Zeit absitzen.879 In der DDR erwartete sie allerdings – trotz der bereits erfolgten Verurteilung in Rumänien – ein erneutes Gerichtsverfahren und eine weit höhere Haftstrafe: ein Strafmaß von zwei bis zweieinhalb Jahren Haft war die Regel. Manche Flüchtlinge wurden dann aus der DDR-Haft heraus in die Bundesrepublik entlassen, häufig im Rahmen des Häftlingsfreikaufs. Seit Frühjahr 1969 bemühten sich das MfS, das DDR-Außenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft darum, die rumänischen Behörden von ihrem neuen Prozedere abzubringen. Innerhalb des MfS befasste sich die Untersuchungsabteilung mit dieser Thematik. Sie hatte wie eine Staatsanwaltschaft die Befugnis, im Rahmen von Strafverfahren Ermittlungen und Untersuchungen durchzuführen. In Fällen von »Republikflucht« nahm die Untersuchungsabteilung grundsätzlich die Ermittlungen auf. Sie kooperierte mit den entsprechenden Abteilungen anderer sozialistischer Geheimdienste mit Ausnahme der Securitate. Von ihnen erhielt sie zum Beispiel Dokumentationen mit detaillierten Angaben über die Fluchtversuche von DDR-Bürgern, die in dem entsprechenden Land verhaftet und an die DDR ausgeliefert wurden. Die direkten geheimdienstlichen Kontakte versetzten die Untersuchungsabteilung des MfS in die Lage, ihre Interessen in den verbündeten Ländern besser durchzusetzen. Auf dem »kurzen Dienstweg« der Geheimdienste wurden beispielsweise Personen in die DDR abgeschoben, die in der Tschechoslowakei oder in Ungarn verhaftet worden waren, deren Abschiebung jedoch von den Justizbehörden der beiden Staaten nicht genehmigt worden wäre. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen: Im Januar 1969 flohen zwei junge DDR-Bürger über die tschechoslowakische Grenze bei Cheb (Eger) in den Westen. Sie waren bereits 600 Meter weit auf bayerisches Gebiet gelangt, doch die tschechoslowakischen Grenzer verfolgten sie und holten sie mit Waffengewalt zurück. Die Untersuchungsabteilung des tschechoslowakischen Geheimdienstes StB befürchtete nun, die Justizbehörter Strafe; das Strafmaß belief sich auf bis zu drei Jahren Haft. Der Straftatbestand »Ungesetzlicher Grenzübertritt« (§ 213) wurde überhaupt erst 1968 geschaffen. Vgl. Anm. 942. 879  Schreiben des MfAA/DDR, Konsularbteilung, Sektion II, an das MfS Berlin, 9.5.1969, nebst Anlage; BStU, MfS, HA XX, Nr. 18810, Bl. 9–11.

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den ihres Landes könnten die beiden Flüchtlinge in die Bundesrepublik abschieben, da sie ja widerrechtlich von dort zurückgeholt worden waren. Um dies zu vermeiden, schaffte die Untersuchungsabteilung des StB die beiden Flüchtlinge noch am Tag ihrer Festnahme an den DDR-Grenzübergang Schönberg und überstellte sie Mitarbeitern der MfS-Untersuchungsabteilung.880 1969 und 1970 erreichte die Untersuchungsabteilung des MfS aufgrund der »höheren Form der Zusammenarbeit mit dem ungarischen Bruderorgan«, dass zwei Westdeutsche von Ungarn an das MfS ausgeliefert wurden. Den einen verdächtigte das MfS der Spionage, den anderen der Fluchthilfe. Die Untersuchungsabteilung des ungarischen Geheimdienstes hatte sich »gegen die politischen und juristischen Einwände der ungarischen Justizorgane« durchgesetzt.881 In dieser Feststellung dokumentierte sich ein längerfristiger Konflikt zwischen dem MfS und der ungarischen Staatsanwaltschaft. Wie der Historiker Christian Domnitz feststellte, lehnte die ungarische Staatsanwaltschaft mehrfach Auslieferungsersuchen des MfS ab. Auch ein Gespräch zwischen Generalstaatsanwalt Károly Szijártó und Erich Mielke, das 1977 auf Bitten des Stasi-Chefs zustande kam, brachte keine Annäherung.882 Doch die direkten Geheimdienstkontakte ermöglichten es dem MfS, die offiziell vorgesehenen Wege zu umgehen und somit Hindernisse zu überwinden, die den eigenen Interessen im Wege standen. Was im Falle einiger verbündeter Länder wie Ungarn und der Tschechoslowakei funktionierte, war dem MfS mit Rumänien seit 1968 aber nicht mehr möglich. Das MfS musste es hinnehmen, in Rumänien die Kontrolle und Verfügungsgewalt über DDR-Bürger zu verlieren. Im Archiv des MfS sind mehrere Aktenvermerke der MfS-Untersuchungsabteilung zwischen 1969 und 1973 überliefert, in denen dieser Zustand beklagt wird und Veränderungen angeregt werden. In einem Vermerk für Erich Mielke kritisierte Oberstleutnant Gerhard Niebling die rumänischen Behörden insbesondere deshalb, weil sie die zuständigen DDR-Stellen entweder überhaupt nicht oder nur unvollständig und verspätet über Verhaftungen von DDR-Bürgern informierten und oftmals auch keine Einzelheiten über die Fluchtversuche mitteilten. Außerdem gebe es kein geregeltes Verfahren bei der Überstellung verhafteter oder haftentlassener DDR-Bürger an die DDR-Botschaft in Bu880  MfS, HA IX, 16.1.1969: Bericht über den Stand der bisherigen Untersuchung in den gegen [...] und [...] eingeleiteten Ermittlungsverfahren; BStU, MfS, SdM, Nr. 1439, Bl. 197– 205, hier 197 f. Westliche Medien machten den Vorfall demnach rasch publik. 881  MfS, HA IX, 12.5.1970: Zusammenarbeit mit der U-Abteilung für Staatssicherheit des MdI der Ungarischen Volksrepublik; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 203 f. Einen dieser beiden Vorgänge benennt auch Tantzscher: Die Stasi und die »Kaffeehaus-Tschekisten«, S. 50. Vgl. auch Tantzscher: Verlängerte Mauer, S. 44, wonach sich in den 1970er-Jahren insbesondere polnische und tschechoslowakische Behörden immer wieder weigerten, ehemalige DDR-Bürger, die nun als Bundesbürger Fluchthilfe für andere leisteten, an die DDR auszuliefern. 882  Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 132.

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karest. Niebling bescheinigte den rumänischen Behörden eine »inkonsequente Strafverfolgung gegen Grenzverletzer«. Für die gründlichen Deutschen war das nicht hinnehmbar.883 Diese rumänische Informationspolitik führte dazu, dass die DDR-Behörden manche DDR-Bürger bereits im Westen glaubten, obwohl sie in Wirklichkeit seit mehreren Wochen in einem rumänischen Gefängnis einsaßen.884 Mit einem gewissen Bedauern notierte Niebling, dass wesentlich mehr DDR-Bürger in Rumänien festsaßen als umgekehrt und es deshalb nicht möglich sei, die rumänische Seite in dieser Sache unter Druck zu setzen. Niebling betrachtete allerdings den Rechtshilfevertrag zwischen Rumänien und der DDR vom 24. September 1958 als eine ausreichende Grundlage, um mit der rumänischen Seite über eine Veränderung der aktuellen Praxis zu verhandeln.885 Als Innenminister Friedrich Dickel Anfang September 1972 zu einem Arbeitsbesuch nach Rumänien reiste, wies ihn das MfS vorab noch auf eine Besonderheit hin: Mehrfach würden DDR-Flüchtlinge von den rumänischen Behörden nach ihrer Festnahme oder nach ihrer Haftzeit nicht der DDR überstellt, sondern einfach nur aus dem rumänischen Polizeigewahrsam oder Gefängnis entlassen, was ihnen die Möglichkeit gebe, erneut die Flucht zu versuchen.886 Tatsächlich wagten mehrere DDR-Bürger in dieser Situation einen zweiten Fluchtversuch und gelangten so in den Westen, anstatt in die DDR zurückzukehren. Zwischen Sommer 1969 und Sommer 1972 glückte auf diese Weise mindestens 23 DDR-Bürgern im zweiten Anlauf die Flucht in den Westen.887 883  Oberstleutnant Niebling, HA IX/9, 13.11.1969: Möglichkeiten der Veränderung der Übernahme- und Übergabepraxis straffällig gewordener Personen im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Problematik in der SR Rumänien; BStU, MfS, HA IX, Nr. 12586/MF, S. 1–5, Zitat S. 2. Niebling war zu dieser Zeit Leiter der Abteilung 9 innerhalb der HA IX; 1979 wurde er stellvertretender Leiter der HA IX und 1983 Leiter der ZKG, die sich ausschließlich mit der Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung befasste. 884 Vgl. bspw. Abschlussbericht des Volkspolizeikreisamtes Hildburghausen vom 23.9.1969, in: BStU, MfS, BV Suhl, AU 269/70, Bd. 1, Bl. 40–42. 885  Oberstleutnant Niebling, HA IX/9, 13.11.1969 (wie Anm. 883), S. 2, 4. Ähnlich die Einschätzung vom 14.4.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 224–227. 886  MfS, ZAIG: Information über einige Probleme ... (wie Anm. 706), 5.9.1972; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2066, Bl. 6; ferner: MfS, HA VI, 30.8.1972: Probleme, die durch den Minister des Innern der DDR in seinen bevorstehenden Gesprächen mit dem Minister des Innern der SRR an die rumänische Seite herangetragen werden könnten; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 282 f. 887 Eigene Recherche nach namentlich benannten Fluchtfällen. Die tatsächliche Zahl kann auch höher liegen. Unter den 23 im zweiten Anlauf Geflüchteten befanden sich sieben Minderjährige in elterlicher Begleitung. Im Einzelnen: BStU, MfS, AS, Nr. 155/73, Bd.  2, Bl. 94–97; AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 2–4; AOP 4739/86, Bd. 5, Bl. 137; HA VI, Nr. 15721, Bl. 268, 272 f., 275, 278 (wie Anm. 945); HA IX, Nr. 67, Bl. 30, 41; HA, IX/MF/12701; Abt. X, Nr. 247, Bl. 226, 313, 316; HA XX, Nr. 9401, Bl. 1–3; BStU, MfS, BV Gera, Abt. VI, Nr. 3289, Bl. 97; BV Leipzig, Abt. XIV, Nr. 230/02, Bl. 42–53; BV Rostock, AU 160/73, Bd. 1, Bl. 36 f., 74–78; ACNSAS, fond documentar, D 12001, Bl. 129; D 13134, vol. 9, Bl. 100–102,

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In den Ländern, mit deren Geheimdiensten das MfS regulär zusammenarbeitete, gab es so etwas nicht. Während seines Aufenthalts in Bukarest vom 6. bis 8. September 1972 unterzeichnete Dickel ein Protokoll über die Zusammenarbeit beider Innenministerien. Außerdem hatte das rumänische Innenministerium für ihn eine namentliche Zusammenstellung jener DDR-Bürger vorbereitet, die 1971 und in den ersten sieben Monaten des Jahres 1972 in Rumänien gegen Gesetze verstoßen hatten und dort auch zu Haftstrafen verurteilt worden waren – darunter 31 Personen wegen Fluchtversuchen.888 Somit erhielt Dickel in Bukarest jene Informationen, die Mielkes Ministerium auf direktem Wege damals nicht bekam. Im Herbst 1971 setzte sich beim MfS der Eindruck fest, Rumänien verkaufe inhaftierte DDR-Bürger an die Bundesrepublik.889 Erich Mielke machte im Oktober 1971 Außenminister Otto Winzer hierauf aufmerksam und schrieb ihm, »dass in der letzten Zeit einer größeren Anzahl von DDR-Bürgern, die nicht im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente waren, vonseiten der zuständigen Organe der Sozialistischen Republik Rumänien – teilweise unter Zahlung einer ›Kaution‹ in westlicher Währung – die Ausreise aus der SRR nach der BRD ermöglicht wurde.«890 Was genau den DDR-Bürgern »ermöglicht« wurde, geht aus den Akten nicht hervor. Das MfS stellte lediglich fest, dass einige DDR-Bürger, die in Rumänien wegen Fluchtversuchs verurteilt wurden, umgehend wieder frei kamen, nachdem westdeutsche Verwandte oder Freunde eine Kaution oder eine Geldstrafe in westlicher Währung entrichtet hatten. Wenig später befanden sie sich in der Bundesrepublik. Offen bleibt, ob sie einen erneuten Fluchtversuch unternahmen, oder ob die rumänischen Behörden ihnen offiziell die Ausreise genehmigten. Formal stand einer solchen Ausreisegenehmigung damals nichts im Wege, wie Mielke gegenüber Winzer einräumte.891 107–108. Der Leiter des rumänischen Passamts Gheorghe Pele nennt in der hausinternen Zeitschrift der Securitate, der »Securitatea«, die Namen zweier DDR-Bürger, die im zweiten Anlauf in den Westen gelangten: Pele, G ­ h[eorghe]: Salt calitativ în rezolvarea cererilor pentru călătorii în străinătate [Qualitativer Sprung bei der Lösung von Anträgen auf Auslandsreisen]. In: Securitatea (1970)  2, S.  43–48, hier 46. Zur Zeitschrift »Securitatea« siehe S.  387, zu Gheorghe Pele Anm. 292. 888  Ministerul de Interne, Direcţia Secretariat-Juridică, Serviciul Probleme Speciale, RDG 1972: Dosar Nr. G/9, Referitor materiale privind vizita în RS România a ministrului de interne al Republicii Democrate Germane în perioada 6–8 sept. 1972 [Ministerium des Innern, Rechtsabteilung, Abt. für Sonderfragen, DDR 1972: Akte Nr. G/9 betreffend Unterlagen über den Besuch des DDR-Innenministers in der SR Rumänien vom 6. bis 8.9.1972]; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 9, Bl. 96–108, 116. 889  Schreiben des Leiters der BVfS Dresden, Generalmajor Rolf Markert, 15.10.1971, an Erich Mielke; BStU, MfS, AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 3 f., hier 4. 890 Schreiben Mielkes an Winzer, 25.10.1971; ebenda, Bl. 6 f. 891 Mielke wies in seinem Schreiben an Winzer darauf hin, dass erst das in Vorbereitung befindliche neue Reiseverkehrsabkommen zwischen Rumänien und der DDR in einem Zusatzprotokoll die gegenseitige Verpflichtung enthalte, Bürgern beider Länder die Ausreise in Dritt-

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Zwischenzeitlich hatten die Generalstaatsanwälte beider Länder Verhandlungen aufgenommen, in die auch das MfS seine Forderungen einbrachte. Am 25. September 1972 unterzeichneten beide Seiten ein Protokoll. Die rumänische Seite akzeptierte nun die Wünsche der DDR und verzichtete fortan darauf, DDR-Bürger, die über Rumänien in den Westen fliehen wollten und dabei verhaftet wurden, in Rumänien vor ein Gericht zu stellen. Ausnahmen bildeten solche Fälle, in denen ein Flüchtling die »rumänische Souveränität« in besonders schwerer Weise verletzte. Auch Verkehrsunfälle von DDR-Bürgern, bei denen rumänische Staatsbürger zu Tode kamen, sowie einige andere Delikte, ahndete die rumänische Justiz bis Ende der 1980er-Jahre weiterhin selbst. Die DDR musste der rumänischen Seite im Gegenzug zusichern, die verhafteten Flüchtlinge innerhalb von fünf Tagen durch ihren Konsul in Bukarest zu übernehmen und in die DDR auszufliegen. Der DDR-Konsul erhielt von den rumänischen Behörden auch Ermittlungsakten oder Beweismaterialien, die er dem MfS weiterleitete. Sie dienten der Untersuchungsabteilung des MfS dazu, die Strafverfahren gegen die Betreffenden in der DDR vorzubereiten. Das MfS war mit dieser Regelung nicht voll zufrieden, denn es hatte weiterhin keinen direkten Zugriff in Rumänien. Oberstleutnant Niebling hatte schon 1969 den Weg über die DDR-Botschaft und ihre Konsularabteilung kritisch bewertet, weil das MfS vom entscheidenden Informationsfluss zwischen den rumänischen Sicherheitsstaaten nur zu genehmigen, wenn sie die dafür erforderlichen Dokumente vorlegen könnten. Ebenda, Bl. 7. Dieses Abkommen wurde am 23.11.1971 unterzeichnet und trat am 2.4.1972 in Kraft. Darin hieß es nun in dem vertraulichen Zusatzprotokoll: »Die zuständigen Organe der beiden Staaten werden die notwendigen Maßnahmen treffen, damit Bürger des anderen Staates nicht nach dritten Staaten ausreisen, für die die Reisedokumente keine Gültigkeit haben.« Eine Kopie des Abkommens ist vorhanden in: BStU, MfS, BdL, Nr. 553, Bl. 129–138, Zitat 137. An den Verhandlungen zwischen den Regierungsdelegationen der DDR und Rumäniens über die Aufhebung der Visumspflicht vom 4. bis 13.5.1970 in Ostberlin nahm auch der Leiter der MfS-Abteilung X, Willi Damm, teil; das Verhandlungsprotokoll weist Damm als Oberst im MfS aus. PA AA, MfAA, C 1678/76. Das MfS hatte bereits im Vorfeld des ersten Reiseverkehrsabkommens zwischen beiden Ländern, das am 15.6.1965 in Kraft trat, verlangt, eine derartige Regelung in das Abkommen aufzunehmen, setzte sich damals aber nicht durch. Vgl. hierzu MfS, HA Passkontrolle und Fahndung, 2.4.1964: Stellungnahme zum Entwurf des Abkommens über die Aufhebung der Visapflicht für private Reisen zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Rumänischen Volksrepublik; BStU, MfS, SdM, Nr. 1068, Bl. 70–72, hier 71. Zu den Reiseverkehrsabkommen siehe auch oben, Anm.  859. Einige (Kautions-)Zahlungen zugunsten von DDR-Bürgern, die danach in den Westen gelangten, werden in verschiedenen Schriftstücken erwähnt in: BStU, MfS, AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 2–4, 11 f., 17 f., 23, 35. In einem Fall wird die Summe mit 3 000 DM angegeben. Ebenda, Bl. 35. Aus rumänischer Sicht folgten diese Zahlungen dem Staatsrats-Dekret Nr. 24/1970 über die Umwandlung von Haft- in Geldstrafen; darauf wies DDR-Botschafter Hans Voß in einem Schreiben an DDR-Generalstaatsanwalt Josef Streit vom 20.10.1971 hin. BStU, MfS, AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 9 f. Das Dekret wird in deutscher Sprache auszugsweise zitiert in einem Vermerk des DDR-Außenministeriums vom 13.8.1987 »Zum Problem der Kaution in der Sozialistischen Republik Rumänien«. BStU, MfS, HA IX, Nr. 13696, Bl. 116 f.

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behörden, dem rumänischen Außenministerium und der DDR-Botschaft in Bukarest ausgeschlossen bliebe und diesen somit auch nicht beeinflussen könne. Doch diese Einschränkung musste das MfS nun hinnehmen.892 Der DDR-Konsul meldete daher auch in den 1970er- und 1980er-Jahren dem DDR-Außenministerium, wenn die rumänischen Behörden DDR-Bürger an ihn überstellten. Die »Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten« des MfAA setzte dann das MfS in Kenntnis. Der Konsul organisierte auch den Rückflug der Flüchtlinge; anfangs setzte er sie gelegentlich als normale Passagiere ohne Begleitung auf dem Bukarester Flughafen in eine Linienmaschine, und die Verhaftung erfolgte erst nach der Landung in Ostberlin. Später wurden sie mit Flugzeugen des MfS von Bukarest nach Ostberlin gebracht, wobei auf dem Flughafen Bukarest-Otopeni neben dem DDR-Konsul auch ein Mitarbeiter der MfS-Untersuchungsabteilung anwesend war. Ein direkter Kontakt zwischen MfS und Securitate kam dabei nicht zustande.893 In den 1980er-Jahren wurden die Festgenommenen erst in dem MfS-Flugzeug übernommen, wo MfS-Mitarbeiter als Sicherungskräfte fungierten. In Ostberlin wurden sie meistens zuerst in die MfS-Untersuchungshaftanstalt in der Magdalenenstraße eingeliefert und von dort aus in die MfS-Untersuchungshaftanstalt der regional zuständigen Bezirksstadt überstellt.894 Folgt man den bislang bekannten 892 Schreiben der DDR-Generalstaatsanwaltschaft an den stellvertretenden DDR-Außenminister Moldt vom 25.1.1971 sowie Notiz über ein Gespräch des stellvertretenden Leiters der Hauptabteilung VI, Thiele, mit der Konsularabteilung des DDR-Außenministeriums am 12.2.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1478, Bl. 1–3. [MfS, HA IX,] 25.9.1973: Übersicht über die vom 1.1. bis 15.9.1973 wegen Angriffen auf die Staatsgrenze der Sozialistischen Republik Rumänien festgenommenen und in die DDR überführten DDR-Bürger; BStU, MfS, HA IX, Nr. 250, Bl.  1–4. Vermerk des DDR-Konsuls in Bukarest, Richter, über sein Gespräch mit dem rumänischen Generalstaatsanwalt Filimon Ardeleanu am 20.12.1973; BStU, MfS, Abt X, Nr. 154, Bl. 134–136. Das Protokoll vom 25.9.1972 ist im MfS-Archiv noch nicht aufgefunden worden, doch der rumänische Innenminister Bobu erwähnt es andeutungsweise in Telegrammen an Mielke vom 8., 10. und 13.7.1973. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2009, Bl. 76, 79; Abt. X, Nr. 2010, Bl. 62. Zu diesen Telegrammen siehe auch Anm. 952. 893  BStU, MfS, HA IX, Nr. 250, Bl. 1–4 (wie Anm. 892). Siehe auch BStU, MfS, HA IX, Nr. 13696, Bl. 116 (wie Anm. 891); HA IX, Nr. 17599, Bl. 133, 253; HA IX, Nr. 17600, Bl. 99. Hier werden einige Formalitäten der Überstellung verhafteter Flüchtlinge von Rumänien an die DDR in den späten 1970er- und in den 1980er-Jahren benannt. Innerhalb des MfS waren die HA VI, HA IX und die Abt. XIV mit diesen Angelegenheiten befasst. 894  Das Übergabeverfahren schildert aus MfS-Perspektive Rast, Michael (Oberleutnant, MfS Berlin, Abt. XIV): Die Aufgaben bei der politisch-operativen Absicherung der Rückführungen und Überführungen von inhaftierten Personen aus dem bzw. in das sozialistische Ausland mit einem Luftfahrzeug des MfS und die daraus resultierenden Verhaltensanforderungen an die Mitarbeiter der Abteilung XIV des MfS.  Fachschulabschlussarbeit an der JHS.  Potsdam-Eiche 1982; BStU, MfS, Abt. XIV, Nr. 306, Bl. 15, 29. Die Sicherungskräfte in diesen Flugzeugen stellte die MfS-Abteilung XIV, welche innerhalb des MfS für den Haftvollzug zuständig war. Sie betrieb u. a. die Untersuchungshaftanstalten des MfS. Vgl. Beleites: Abteilung XIV: Haftvollzug.

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MfS-Unterlagen, blieb es bis 1989 bei der im Herbst 1972 vereinbarten Praxis. Daran änderte auch der neue Rechtshilfevertrag zwischen beiden Staaten vom 19. März 1982 nichts. Nur vereinzelt registrierte das MfS noch Ausnahmen. So verurteilte ein Gericht in der südrumänischen Grenzstadt Giurgiu noch im August 1973 ein Ehepaar aus Halle (Saale) wegen eines Fluchtversuchs zu je einem Jahr Freiheitsstrafe. Doch schon nach einer Woche wurde das Ehepaar aus rumänischer Haft entlassen und dem DDR-Konsul ausgeliefert.895 Im März 1974 verurteilte ein rumänisches Gericht erneut zwei DDR-Bürger wegen eines Fluchtversuchs zu acht bzw. sechs Monaten Haft, von denen sie die Hälfte verbüßen mussten. Danach überstellten die rumänischen Behörden sie der DDR, wo ein Gericht sie noch einmal zu einer Freiheitsstrafe verurteilte.896 Insgesamt erlitten zwischen 1968 und 1974 rund 100 DDR-Flüchtlinge eine doppelte Verurteilung. Etwa 75 von ihnen saßen einen Teil der Strafe tatsächlich auch in rumänischen Gefängnissen ab, ehe sie in die DDR zurückgebracht und dort erneut verurteilt und inhaftiert wurden.897 Sie waren somit in besonderem Maße Leidtragende der ostdeutsch-rumänischen Dissonanzen. In späteren Jahren kam es nicht mehr vor, dass sich DDR-Bürger wegen eines einfachen Fluchtversuchs vor rumänischen Gerichten verantworten mussten. Nur wenn aus rumänischer Sicht besondere Umstände vorlagen, sah sich die dortige Justiz weiterhin zuständig. 1981 verurteilte beispielsweise ein rumänisches Gericht einen DDR-Flüchtling aus dem Bezirk Dresden zu sechs Monaten Haft, von denen er die Hälfte in Rumänien verbüßen musste. Die 895  BStU, MfS, HA IX, Nr. 250, Bl.  4 (wie Anm. 892); BStU, MfS, AS, Nr. 138/75, Bl. 11 f. Der Ehemann wurde gegen eine Kaution in Höhe von 12 200 Lei aus der Haft entlassen; das Urteil gegen die Ehefrau wurde zur Bewährung ausgesetzt. 896  Gericht Deta, Kreis Temesch, Urteil vom 6.4.1974 – Akte Nr. 275/1974, Strafurteil Nr. 97; in deutscher Übersetzung vorhanden in: BStU, MfS, AU 3737/75, Bd. 3, Bl. 200–202. Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow, Urteil vom 12.11.1974 – Aktenzeichen 611 S 353.74, vorhanden in: BStU, MfS, AU 3737/75, Bd. 4, Bl. 31–34; demnach wurden die beiden Flüchtlinge in der DDR nochmals zu 18 bzw. 14 Monaten Haft verurteilt. 897 Zwischen 1965 und 1974 verurteilten rumänische Gerichte nach gegenwärtigem Kenntnisstand 108 DDR-Bürger wegen eines Fluchtversuchs. 5 von ihnen wurden in den Jahren 1965 und 1966 verurteilt und unmittelbar nach der Verurteilung in die DDR abgeschoben. Die übrigen 103 Verurteilungen erfolgten zwischen 1968 und 1974. 12 der verurteilen DDR-Flüchtlinge zwischen 1968 und 1974 saßen einen Teil der verhängten Strafe in Rumänien ab, unternahmen nach der Haftentlassung aber einen erneuten, diesmal erfolgreichen Fluchtversuch und entgingen dadurch der Abschiebung in die DDR und somit einer doppelten Strafe. 10 der Verurteilten wurden umgehend aus der rumänischen Haft entlassen und in die DDR abgeschoben, etwa weil westliche Freunde oder Verwandte in Rumänien eine Kaution bezahlten in der Hoffnung, den Flüchtlingen doch noch die Ausreise in den Westen zu ermöglichen. Bei 7 DDR-Flüchtlingen legen die Akten nahe, dass sie in Rumänien wegen ihres Fluchtversuchs belangt wurden, doch sind die Akten nicht eindeutig. 74 DDR-Flüchtlinge verbüßten im Zeitraum 1968–1974 zwischen 1 und 10 Monaten Strafhaft in Rumänien. Es handelt sich hier um vorläufige Angaben; künftige Recherchen können noch weitere Fälle zutage fördern. Zur Quellenbasis siehe Anmerkungen auf Seite 361 f.

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DDR-Botschaft verlangte zwar seine umgehende Auslieferung, doch die rumänischen Behörden kamen diesem Begehren nicht nach. Ihre Begründung: Der DDR-Bürger habe gemeinsam mit einem Schweizer Bürger versucht, rumänische Grenzposten zu bestechen, um nach Jugoslawien ausreisen zu dürfen. Da die Tat gemeinsam begangen worden sei, müsse auch das Gerichtsverfahren gegen beide gemeinsam geführt werden. Der Schweizer Bürger kam allerdings günstiger davon: Er wurde zwar als der Geldgeber zu acht Monaten Haft verurteilt, durfte aber gegen Zahlung einer Kaution in die Schweiz zurückkehren, ohne die Strafe antreten zu müssen.898 3.3.3.2 Doppelt verurteilte Flüchtlinge und die Argumente der DDR-Justiz Solange DDR-Flüchtlinge von rumänischen Gerichten abgeurteilt wurden und ihre Strafen in dem Land absaßen, ergab sich für die ostdeutschen Behörden ein juristisches Problem. Denn in der Strafprozessordnung der DDR war im Prinzip festgelegt, dass niemand wegen ein und derselben Handlung zweimal bestraft werden durfte. Allerdings bezog sich der entsprechende Paragraf 14 nur auf DDR-Gerichte, denn er lautete: »Niemand darf wegen einer Handlung, über die ein Gericht der Deutschen Demokratischen Republik rechtskräftig entschieden hat, erneut strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.«899 Deshalb konnten DDR-Bürger, die bereits in Rumänien wegen ihres Fluchtversuchs verurteilt worden waren, in der DDR erneut vor Gericht gestellt werden. Das Strafgesetzbuch der DDR verlangte in Paragraf 80 lediglich, dass die im Ausland bereits verbüßte Strafe in der DDR anzurechnen sei: »Ein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik kann auch dann nach ihren Strafgesetzen zur Verantwortung gezogen werden, wenn er im Ausland eine nach ihren Gesetzen strafbare Handlung begeht. [...] In diesen Fällen ist eine im Ausland wegen derselben Handlung bereits vollzogene Strafe anzurechnen.«900 Der Rechtsgrundsatz »Ne bis in idem« (»Nicht zweimal gegen dasselbe«: Verbot dop-

898  DDR-Botschaft Bukarest (wie Anm. 870), in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 283 f. sowie ergänzend: BStU, MfS, ZKG, Nr. 17275, Bl. 1–13. Der DDR-Bürger wurde nach Rückkehr in die DDR vom Kreisgericht Dresden zu weiteren dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, ebenso seine Ehefrau, die in Rumänien nicht verurteilt worden war. Auf die Verurteilung in Rumänien nahm das Dresdner Urteil in keiner Weise Bezug. BStU, MfS, BV Dresden, AU 632/82, Strafakte Bd. II, Bl. 32–40. 899  Strafprozessordnung der DDR § 14: Verbot doppelter Strafverfolgung; Zitat Absatz 1. Dieser § 14 StPO blieb zwischen 1968 und 1989 unverändert. 900  Strafgesetzbuch der DDR § 80, Absatz 2. Dieser Absatz blieb zwischen 1968 und 1989 inhaltlich unverändert.

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pelter Strafverfolgung) griff also nicht bei Auslandsstraftaten. Auch im heutigen Deutschland verhält es sich so.901 Insoweit schienen die Regeln klar zu sein. Doch faktisch taten sich die Untersuchungsabteilung des MfS sowie die DDR-Justiz erkennbar schwer mit dieser Sachlage. Erstmals kehrte im Mai 1969 ein Flüchtling in die DDR zurück, der zuvor in Rumänien wegen seines Fluchtversuchs zu einer längeren Haftstrafe verurteilt worden war und diese auch im Land verbüßte. Der damals 22-jährige Betonfacharbeiter aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) war in der zweiten Septemberhälfte 1968 durch die Donau nach Jugoslawien geschwommen, wurde dort einen Tag später von Sicherheitskräften aufgegriffen, umgehend an Rumänien ausgeliefert und vom Militärgericht in Temeswar zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Davon musste er knapp acht Monate absitzen, ehe er Ende Mai 1969 an die DDR überstellt wurde.902 Hier nahm ihn das MfS sofort in Untersuchungshaft und begann mit den strafrechtlichen Ermittlungen. Doch schon nach wenigen Tagen stellte das MfS die Ermittlungen ein und entließ den jungen Mann nach Hause. In der Einstellungsverfügung des MfS hieß es: »Da [...] bereits für seine strafbare Handlung in der SR Rumänien zur Verantwortung gezogen wurde und eine Haftstrafe von 7 1/2 Monaten verbüßte, wird das in der DDR gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt.«903 Die Verfügung stützte sich in ihrer Begründung auf die Paragrafen 14 (Verbot doppelter Strafverfolgung) und 141 der Strafprozessordnung. Paragraf 141 verlangte, ein Untersuchungsverfahren einzustellen, wenn »die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafverfolgung fehlen«. Der Untersuchungsführer des MfS hatte sich zuvor mit der Bezirksstaatsanwaltschaft darauf verständigt, dass das Strafmaß des Temeswarer Gerichts sowie die Dauer der tatsächlich verbüßten Haftstrafe »als angemessen für [die] begangene strafbare Handlung« anzusehen seien.904 Jene Verfahrenseinstellung leuchtet unmittelbar ein, denn das rumänische Strafrecht kriminalisierte Fluchtversuche ebenso wie das DDR-Strafrecht.905 Eine Doppelbestrafung stand zu diesem Zeitpunkt daher nicht zur Diskussion. Doch das änderte sich bald. Denn dem MfS fiel in den folgenden Monaten auf, dass die rumänischen Gerichte gegen die Flüchtlinge geringere Strafen verhäng901  Vgl. hierzu Grundgesetz Artikel 103, Absatz 3 (Verbot der Doppelbestrafung), StPO/ BRD § 153c, Absatz 2 (Möglichkeiten der Nichtverfolgung von Auslandstaten; Stand: 2013) sowie StGB/BRD, § 51, Absatz 3 (Anrechnung einer im Ausland für dieselbe Tat erlittene Strafe; Stand: 2007). Für Verurteilungen innerhalb der Europäischen Union strebt Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens an, dass es in den Schengener Vertragsstaaten nicht mehr zu Doppelbestrafungen kommt. 902  BStU, MfS, HA XX, Nr. 9154, Bl. 3 f. und HA, IX/MF/12701, s.p. 903  BVfS Karl-Marx-Stadt, Untersuchungsabteilung, 6.6.1969: Verfügung; BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, AU 1500/69, Bl. 109 f. 904 [BVfS Karl-Marx-Stadt, Untersuchungsabteilung,] 6.6.1969: Abschlussbericht; ebenda, Bl. 105–107. 905  Zum rumänischen Strafrecht siehe Anm. 942.

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ten und die tatsächlich verbüßten Haftzeiten kürzer waren, als es in der DDR vorgesehen war. Diese sogenannte Rechtsfolgendifferenz mochte das MfS offenkundig nicht hinnehmen und beurteilte das Problem der Doppelbestrafung spätestens seit dem Jahreswechsel 1969/70 anders. Infolgedessen wurden die meisten der in Rumänien verurteilten DDR-Flüchtlinge fortan in der DDR erneut verurteilt. Im Regelfall führte das MfS die strafrechtlichen Ermittlungen und gab die Verfahren dann an die Justiz ab.906 Obwohl das DDR-Recht die Doppelbestrafung ausdrücklich zuließ, bemühten sich einige DDR-Juristen, den Eindruck einer doppelten Bestrafung für eine einzige Tat zu verschleiern. Manche Staatsanwälte und Richter interpretierten einen Fluchtversuch nicht als eine einzige Tat, sondern konstruierten daraus zwei unterschiedliche Tatbestände. In dieser Art argumentierte beispielsweise das Kreisgericht Gräfenhainichen im Dezember 1971 und verurteilte zwei junge DDR-Bürger, die im Frühjahr 1971 über Rumänien nach Jugoslawien fliehen wollten, von rumänischen Grenzern aufgegriffen wurden und deshalb zunächst in Rumänien eine mehrmonatige Strafe verbüßten. Nach Auffassung des DDR-Gerichts seien die beiden jungen Männer in Rumänien lediglich »wegen des Eindringens in das Grenzgebiet« verurteilt worden. Darüber hinaus hätten sie sich aber auch strafbar gemacht, weil sie in der DDR eine Touristenreise nach Rumänien buchten und dies von vornherein in der Absicht getan hätten, diese Reise zur Flucht in den Westen zu nutzen. Insofern hätten sie sich »durch falsche Angaben eine Genehmigung zum Verlassen der DDR erschlichen«. Da sie außerdem beabsichtigten, nicht mehr in die DDR zurückzukehren, sei von einem »versuchten ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall« auszugehen. Diese Sachverhalte hätten jedoch, so das Kreisgericht Gräfenhainichen, für die Verurteilung in Rumänien keine Rolle gespielt. Wenn nun in der DDR eine Verurteilung »wegen Erschleichens nach § 213 StGB« erfolge, so könne nicht von einer »doppelten Strafverfolgung« die Rede sein. Die beiden jungen Männer wurden deshalb zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und neun Monaten bzw.

906  Vgl. bspw. BStU, MfS, BV Suhl, AU 269/70; BV Magdeburg, AU 39/71, AU 40/71; BV Leipzig, AU 1233/71; BV Potsdam, AU 1089/71. Diese vier Untersuchungsvorgänge führte das MfS gegen Menschen, die zwischen November 1969 und Februar 1971 in die DDR zurückkehrten, nachdem sie in Rumänien wegen ihres Fluchtversuchs bereits zwischen zwei und acht Monaten Haft verbüßt hatten. DDR-Gerichte verurteilten sie erneut, das Strafmaß betrug nun zwischen 12 und 27 Monaten Haft. In dem in Leipzig geführten Verfahren erwähnt das Urteil, dass die in Rumänien bereits verbüßte Strafe anzurechnen sei. BStU, MfS, BV Leipzig, AU 1233/71, Bd. 7, Bl. 82–97, 119–123. Anders entschied das MfS in Halle: Ein junger DDR-Bürger, der wegen eines Fluchtversuchs in Rumänien zwischen August 1970 und Mai 1971 in Rumänien seine Strafe absaß, wurde in der DDR nicht erneut vor Gericht gestellt; offenbar erschien die erlittene Haft aus MfS-Sicht ausreichend. BStU, MfS, BV Halle, BKG, Sach Nr. 2175, Bl. 2, 4.

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zu einem Jahr und sieben Monaten verurteilt, ohne dass ihre in Rumänien verbüßte Haft berücksichtigt wurde.907 In Rostock legte ein Rechtsanwalt in einem ähnlichen Fall Berufung gegen das Urteil ein und verlangte ausdrücklich, die in Rumänien verhängte Strafe auf das Strafmaß anzurechnen. Der Rechtsanwalt vertrat die Auffassung, dass das rumänische Gericht im Wesentlichen den gleichen Tatbestand abgeurteilt hätte wie nun das Kreisgericht Rostock. Mit seiner Berufung hatte er jedoch keinen Erfolg. Das Bezirksgericht Rostock bestätigte das Strafmaß von zwei Jahren und drei Monaten Haft und stellte lapidar fest, der Angeklagte sei vom Kreisgericht Rostock wegen Verletzung von DDR-Gesetzen verurteilt worden »und nicht wegen Verletzung der Gesetze der Volksrepublik Rumänien«.908 Mit dieser Argumentation machten es sich die Rostocker Juristen besonders einfach: Sie ignorierten schlichtweg die Tatsache, dass rumänische und ostdeutsche Gesetze hier denselben Tatbestand unter Strafe stellten. Derartige Winkelzüge der DDR-Justiz führten dazu, dass die davon Betroffenen insgesamt längere Haftzeiten absitzen mussten. In einem anderen Fall stellte das Kreisgericht in Eisenberg hingegen ausdrücklich fest, dass die beiden Angeklagten bereits durch ein Gericht im rumänischen Constanţa »wegen derselben Handlung« verurteilt worden seien. Die Eisenburger Juristen sahen darin zwar kein Hindernis für eine erneute Verurteilung, aber sie rechneten die in Rumänien verbüßte Haftzeit wie selbstverständlich auf das Urteil an.909 Das Bezirksgericht Erfurt berücksichtigte in einem Urteil nicht die in Rumänien tatsächlich verbüßte Haftzeit von zwei Monaten, sondern rechnete die dort ausgesprochene Gefängnisstrafe von 14 Monaten auf die Gesamtstrafe an.910 Das Kreisgericht Potsdam-Stadt verurteilte ei907  Kreisgericht Gräfenhainichen (Bezirk Halle), Urteil vom 15.12.1971 – Aktenzeichen S 84/71, vorhanden in: BStU, MfS, BV Halle, AU 998/72, Bd. 5, Bl. 76–82, insbes. 78–80. Beide mussten ihre Strafe fast vollständig absitzen. Der o. g. Paragraf 213 des DDR-Strafgesetzbuches behandelte den »ungesetzlichen Grenzübertritt«, also die Flucht aus der DDR. Eine weitgehend identische Argumentation gebrauchte in einem vergleichbaren Fall das Bezirksgericht Erfurt, 1. Strafsenat, in seinem Beschluss vom 5.11.1971 – Aktenzeichen 1 BSR 248/71, 222-551/71, vorhanden in: BStU, MfS, BV Erfurt, AU 839/72, Bd. 3, Bl. 15. 908 Beschluss des Berufungsstrafsenats beim Bezirksgericht Rostock vom 7.11.1973 – Aktenzeichen 3  BSB 536/73, S  1136/73, S.  3  f., vorhanden in: BStU, MfS, BV Rostock, AU 1153/74, GA/ASt Bd. 3, Bl. 43–46, hier 45 f. Vgl. auch Urteil des Kreisgerichts Rostock vom 19.10.1973, Aktenzeichen S 1136/73 – 221-1173/73. Es ist, zusammen mit der Berufung des Rostocker Rechtsanwalts, vorhanden in: ebenda, Bl. 32–42. 909  Kreisgericht Eisenberg/Thüringen, Urteil vom 21.10.1971 – Aktenzeichen S 32/71 – 221-26/71, vorhanden in: BStU, MfS, BV Gera, AU 964/71, Vollzugsakte, Bl. 19–26, hier 26. 910  Bezirksgericht Erfurt, 1. Strafsenat, Urteil vom 19.5.1972 – Aktenzeichen 1 BS 7/72, 211-6/72, vorhanden in: BStU, MfS, BV Erfurt, AU 839/72, Bd. 2, Bl. 133–144. Das Strafmaß fiel mit viereinhalb Jahren Gefängnis dennoch sehr hoch aus, da das Bezirksgericht Erfurt den Fluchtversuch als »schweren Fall« einstufte und eine Tateinheit mit »staatsfeindlichen Verbindungen« nach § 100 Abs. 1 StGB/DDR erkannte.

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nen Flüchtling, der bereits in Rumänien acht Monate in Strafhaft verbracht hatte, zu weiteren 20 Monaten Gefängnis. Die Potsdamer Richter behaupteten, dies sei ein vergleichsweise mildes Strafmaß und trage dem Umstand Rechnung, dass der Betreffende bereits in Rumänien wegen der gleichen Sache eine Haft verbüßt habe.911 Zu den doppelt verurteilten Flüchtlingen gehörte 1970/71 der Slawist und spätere langjährige Mitarbeiter der »Forschungsstelle Osteuropa« in Bremen, Wolfgang Schlott. In einem Interview mit der »taz« fast 40 Jahre danach erinnerte Schlott an die Ignoranz im Westen: Die Bremer Jura-Professoren, denen er 1971 von seiner doppelten Verurteilung erzählte, interessierten sich überhaupt nicht für dieses fragwürdige Verfahren.912 Mit strafrechtlichen Folgen mussten im Übrigen auch DDR-Bürger rechnen, die sich in Rumänien (und anderswo) nach Fluchtwegen erkundigten, jedoch wieder in die DDR zurückkehrten, ohne einen Fluchtversuch durchgeführt zu haben. Denn auch Vorbereitungshandlungen standen gemäß Strafgesetzbuch unter Strafe. Auf dieser Grundlage verurteilte beispielsweise das Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow am 22. August 1972 eine damals 23-jährige Studentin der Ostberliner Humboldt-Universität zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Sie habe »Verrat an unserer Gesellschaft geübt«, argumentierte das Gericht.913

911  Kreisgericht Potsdam-Stadt, Urteil vom 20.5.1971 – Aktenzeichen 211-10.71, vorhanden in: BStU, MfS, AU 1089/71, SV-Überwachungsheft, Bl. 38–45. Im Unterschied zu anderen Gerichten bildeten die Potsdamer Richter also keine neue Gesamtstrafe, bei deren Verbüßung dann die Haftzeit in Rumänien berücksichtigt wurde. Vielmehr kam die von ihnen verhängte Strafe zu der in Rumänien verbüßten Strafe hinzu. 912  Taz. Die Tageszeitung, Regionalausgabe Nord, 12.10.2009, S. 23: Das Montagsinterview. Der Bremer Slawist Wolfgang Schlott saß in der DDR im Gefängnis. Doch auch den Kapitalismus hält er für fragwürdig: »Es geht ja immer wieder um das Ego«. 913 Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow, Urteil vom 22.8.1972 – Aktenzeichen 611 S 270/72, 211-61-72, vorhanden in: BStU, MfS, ASt 79/85, HA Bd. 1, Bl. 65–71, Zitat 71. Die Studentin gehörte einem politisch widerständigen Kreis von Studierenden der Humboldt-Universität an. Ihre Verurteilung wegen Fluchtvorbereitung erscheint vor diesem Hintergrund als der Versuch von MfS und Justiz, politisch unliebsames Verhalten zu bestrafen, ohne daraus ein politisches Strafverfahren machen zu müssen. Vgl. auch Kowalczuk: Die Humboldt-Universität zu Berlin und das Ministerium für Staatssicherheit, S. 439–441. Kowalczuk erinnert hier an eine Flugblattaktion zweier Studenten der Humboldt-Universität, Rainer Schottlaender und Michael Müller, Ende 1969, die zu Widerstand gegen die ideologische Indoktrination aufriefen. Das MfS habe daraufhin vergeblich eine »monatelang andauernde Fahndungsaktion [entfacht]«. Das rigide Vorgehen des MfS erklärt sich auch vor diesem Hintergrund.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

3.3.3.3 Die Überwachung funktioniert auch ohne direkte Beteiligung des MfS Direkte Kontakte zwischen den Untersuchungsabteilungen des MfS und der Securitate waren selbst in jenen Fällen, in denen die DDR-Behörden gegen bereits in Rumänien verurteilte Flüchtlinge vorgingen, nicht vorgesehen und kamen auch nicht zustande. Kurzzeitig schien es so, als bahne sich eine Änderung an: Im Mai 1978 empfing der rumänische Generalstaatsanwalt Gheorghe Bobocea eine Delegation aus der DDR, der ein Abteilungsleiter der DDR-Generalstaatsanwaltschaft, die Konsulin der DDR in Bukarest sowie Oberstleutnant Peter Pfütze von der Untersuchungsabteilung des MfS angehörten. Wenige Tage danach kam Bobocea zu einem Besuch nach Ostberlin, wo er am 18. Mai auch mit Erich Mielke zusammentreffen sollte. Das MfS hatte diese Konsultationen auf dem Umweg über die DDR-Generalstaatsanwaltschaft angeschoben. Als Anknüpfungspunkt nutzte es den Umstand, dass sich damals drei rumänische Staatsbürger beim MfS in Untersuchungshaft befanden, weil sie versucht hatten, über die DDR in den Westen zu fliehen. Die Untersuchungsabteilung des MfS, also die Hauptabteilung IX, schöpfte nun die Hoffnung, direkte Kontakte zur Untersuchungsabteilung der Securitate aufbauen zu können.914 Doch dazu kam es nicht. Im Jahresbericht für 1987 notierte die MfS-Hauptabteilung IX/10, wie schon in früheren Jahren: »Eine direkte Zusammenarbeit zwischen der HA IX und den rumänischen Sicherheitsorganen gibt es bisher nicht.«915 Und im Jahresbericht für 1988 hieß es zu Rumänien: 914  MfS, HA IX/9, AG Ausland, 28.12.1978: Bericht der Hauptabteilung IX/9, Arbeitsgruppe Ausland, über die Zusammenarbeit mit den Linien Untersuchung der Bruderorgane sozialistischer Staaten [...], BStU, MfS, HA IX, Nr. 17600, Bl.  99. MfS, HA IX, 12.5.1978: Einschätzung zu Problemen der Rechtshilfebeziehungen zwischen der DDR und der Sozialistischen Republik Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl.  124–127; MfS, HA IX/9, 5.5.1978: Bericht über die Dienstreise in die Sozialistische Republik Rumänien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 132–135. Darin wird der geplante Besuch Boboceas bei Mielke erwähnt; ob der Besuch tatsächlich stattfand, ist nicht zu ersehen, aber sehr wahrscheinlich. Der Bericht erwähnt nicht, in welcher offiziellen Funktion der MfS-Mitarbeiter Pfütze in Bukarest auftrat. Vgl. auch BStU, MfS, HA IX, Nr. 13696, Bl. 116 (wie Anm. 891). Demnach verständigten sich 1978 die Generalstaatsanwälte beider Länder mündlich darüber, wie die Ermittlungsergebnisse im Falle von Flüchtlingen übergeben werden sollten. Dass MfS-Mitarbeiter als Mitglieder offizieller Regierungsdelegationen nach Rumänien reisten, ist auch in anderen Zusammenhängen belegt. Vgl. beispielsweise die Verhandlungen über ein zweiseitiges Regierungsabkommen über die »Zusammenarbeit beim Schutz der zivilen Luftfahrt vor rechtswidrigen Handlungen« im April 1984. Zur Delegation des DDR-Ministeriums für Verkehrswesen gehörte damals auch Oberst Rudi Ziegenhorn, der als »Vertreter des Passkontrollorgans der DDR« geführt wurde. Als stellvertretendem Leiter der MfS-Hauptabteilung VI unterstanden ihm die DDR-Passkontrolleinheiten, da diese Teil des MfS waren. BStU, MfS, Rechtsstelle, Nr. 632, Bl. 323–330. 915  HA IX/10, 5.1.1988: Jahresbericht 1987; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17599, Bl. 133. Ähnlich auch noch im darauffolgenden Jahr; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 17.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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Ausgehend von der Tatsache, dass es zwischen der Hauptabteilung IX und der Untersuchungsabteilung des MdI der SR Rumänien keine Arbeitskontakte gibt, wurden – wie bisher praktiziert – die wegen Angriffe[n] auf die rumänische Staatsgrenze festgenommenen Bürger der DDR durch Vermittlung des MfAA, unter aktiver Einbeziehung des Konsulates der DDR-Botschaft in Bukarest, an die beauftragten Mitarbeiter der HA IX/10 übergeben.916

Mit dem »MdI der SR Rumänien« ist hier die Securitate gemeint, die dem Innenministerium unterstand. Dem ausufernden Kontrollbedürfnis des MfS blieben in Rumänien insofern bis 1989 Grenzen gesetzt. Die fehlenden Handlungsmöglichkeiten des MfS in Rumänien dokumentierte auch der Leiter des Bereichs Auslandstourismus der MfS-Hauptabteilung VI, Oberstleutnant Werner Ott. Ott schilderte im September 1976 in einem Bericht, dass Angehörige der türkischen Minderheit Rumäniens in der rumänischen Hafenstadt Constanţa angeblich DDR-Bürger auf türkische Handelsschiffe brachten und sie auf diesem Weg in die Türkei ausschleusten. Dieses und andere Probleme, so Ott, werde man gemeinsam mit den »Bruderorganen – außer SFRJ und SRR – bearbeite[n]«. Das MfS sah demnach keine Möglichkeit, diesen Fluchtweg in Zusammenarbeit mit der Securitate zu versperren, was theoretisch doch nahegelegen hätte.917 Eine nennenswerte Lücke in der Überwachung der DDR-Bürger existierte trotzdem allenfalls in den frühen 1970er-Jahren, als die rumänischen Behörden auch mit der DDR-Botschaft nicht so beständig kooperierten, wie es die ostdeutsche Seite sich gewünscht hätte. In Briefen und Vermerken artikulierten die DDR-Diplomaten ihren Ärger und dokumentierten ihre Bemühungen, insbesondere mit dem Passamt (Passdirektion, Passbehörde) und ihrem damaligen Leiter Gheorghe Pele verlässliche Abmachungen zu treffen. Immer wieder machten sie damals die Erfahrung, dass die »mit den zuständigen Organen der SRR getroffenen Vereinbarungen auf diesen Gebieten [...] vonseiten der SRR größtenteils nicht oder nur vorübergehend eingehalten werden«, wie Botschafter Hans Voß sich im Herbst 1971 beklagte.918 Die betreffenden DDR-Institutionen, insbesondere MfS, Außenministerium und Generalstaatsanwaltschaft, tauschten 916  HA IX/10, 13.1.1989: Jahresbericht 1988; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 66. 917  MfS, HA VI, Bereich AT/Koord., Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 29.9.1976; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13711, Bl. 229–235, hier 230. 918  Schreiben des DDR-Botschafters in Rumänien Hans Voß an DDR-Generalstaatsanwalt Josef Streit, 20.10.1971; BStU, MfS, AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 9 f. Vermerke von Oktober 1971 mit Beschwerden des DDR-Konsulats Bukarest über das Verhalten der rumänischen Passdirektion, die angeblich den Aufforderungen des Konsulats nicht nachkam und somit die Flucht bereits gefasster DDR-Bürger ermöglichte, in: ebenda, Bl.  11–19. Siehe ebenso Botschaft Bukarest, Konsularabteilung, 22.2.1972: Vermerk über ein Gespräch mit dem Direktor für Pässe, Fremdenkontrolle und Kontrolle des Grenzübergangs, Genossen Pele, am 21.2.1972, in: ebenda, Bl. 44–46.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

sich in diesen Fragen aus, sodass das MfS von dieser Seite regelmäßig über den jeweiligen Stand informiert wurde. Es dauerte noch einige Jahre, bis die DDR-Botschaft in Bukarest eine funktionierende Zusammenarbeit mit dem rumänischen Passamt, das wiederum eng mit der Securitate verzahnt war, etabliert hatte. Das Passamt informierte die DDR-Botschaft nun umgehend telefonisch, wenn Flüchtlinge verhaftet wurden und erteilte zumeist auch weitergehende Auskünfte.919 In der DDR-Botschaft führte man die seit Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre erkennbar gestiegene Kooperationsbereitschaft darauf zurück, dass auch immer mehr Rumänen Fluchtversuche unternahmen und die rumänischen Behörden deshalb großes Verständnis für die Anliegen der DDR hätten.920 Sofern die verhafteten DDR-Bürger mit einem eigenen Fahrzeug nach Rumänien gereist waren, wurden Mitarbeiter der MfS-Abteilung XIV damit beauftragt, deren Autos oder Motorräder in die DDR zurückzubringen.921 Auch hierbei waren keine direkten Absprachen zwischen MfS und Securitate möglich. Um solche Fahrzeuge zu avisieren, musste sich die MfS-Abteilung XIV zunächst an die Kollegen der Hauptabteilung IX wenden, die dann über das DDR-Außenministerium wiederum das Konsulat der DDR in Bukarest informierten, wo dann die nötigen Formalitäten veranlasst wurden. In den anderen Ostblockstaaten konnte sich das MfS in solchen Fällen hingegen direkt mit dem jeweiligen Geheimdienst absprechen.922 919  BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl.  164–167 (wie Anm. 849). Ähnlich der Bericht des DDR-Konsulats an das MfAA in Ostberlin über ein Gespräch in der Passdirektion am 9.10.1979; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9679, Bl. 56–59. Die »Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten« übersandte dem MfS derartige Berichte ganz offiziell. Den Bericht vom 9.10.1979 adressierte der Leiter der »Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten« beispielsweise an das »Ministerium für Staatssicherheit, Leiter des Arbeitsbereiches Passkontrolle, Genossen Generalmajor Fiedler«; Fiedler war Leiter der MfS-Hauptabteilung VI. MfS und MfAA kooperierten also auch auf nachgeordneter Ebene offiziell miteinander. Zum Passamt (Passdirektion, Passbehörde) sowie zur Flucht rumänischer Staatsbürger aus ihrem Land siehe unten, Kapitel 3.3.3.9. 920  DDR-Botschaft Bukarest: Schreiben an MfAA Berlin über »Besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1981«, 29.1.1982, in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, hier Bl. 166 (wie Anm. 849) sowie dass. (Reiseverkehr 1980, datiert vom 13.1.1981), in: BStU, MfS, HA IX, Nr. 633, Bl. 3–16, hier 8. 921  1988 schafften Mitarbeiter der MfS-Abteilung XIV, deren Hauptaufgabe es war, die MfS-Untersuchungshaftanstalten zu betreiben, fünf Autos sowie je ein Motorrad und ein Moped von verhafteten DDR-Bürgern aus Rumänien zurück in die DDR. Vgl. HA IX/10: Jahresbericht 1988, 13.1.1989; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 69. 922 Rahaus, Bernd (Oberleutnant, MfS Berlin, Abt. XIV): Die wesentlichsten Aufgaben in Vorbereitung und Realisierung der Rückführung von sichergestellten Fahrzeugen aus dem sozialistischen Ausland durch die Abteilung XIV des MfS und die daraus resultierenden spezifischen Anforderungen an die eingesetzten Mitarbeiter. Fachschulabschlussarbeit an der JHS. Potsdam-Eiche 1983; BStU, MfS, Abt. XIV, Nr. 294, Bl. 11.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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Für die betroffenen Flüchtlinge aus der DDR spielte die Sonderrolle der Securitate faktisch keine Rolle mehr. Sie wurden, wie in anderen sozialistischen Ländern auch, von Grenzsoldaten verhaftet, waren mitunter schlimmen Schikanen ausgesetzt, wurden nach einer gewissen Zeit in die DDR zurückgeführt und dort verurteilt. Gelegentliche Ausnahmen von dieser Verfahrensweise kamen vor, machten die Grenze aber nicht durchlässiger. Das mussten unter anderem zwei Frauen aus dem Bezirk Neubrandenburg erleben, die im Juli 1986 auf der Donau bei einem Fluchtversuch festgenommen wurden. Sie verbrachten zwei Tage im Gewahrsam der rumänischen Grenzpolizei in Turnu Severin. Dann wurden sie freigelassen und mit ihrem Auto zum Grenzübergang Nadlac geleitet, von wo aus sie über Ungarn und die Tschechslowakei nach Hause zurückkehrten. Die vermeintliche Freiheit erwies sich jedoch als trügerisch. Denn die Grenzpolizei meldete dem rumänischen Passamt den Vorfall. Das Passamt informierte die DDR-Botschaft über den Fluchtversuch, diese wiederum das Außenministerium in Ostberlin, und letzteres leitete den Vorgang an das MfS weiter. Knapp vier Wochen nach ihrer Rückkehr in die DDR wurden die beiden Frauen vom MfS verhaftet und zu drei beziehungsweise eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.923 Rein formal hatten DDR-Flüchtlinge aus Rumänien in den 1980er-Jahren einen anderen Status als die Flüchtlinge aus Ungarn und Bulgarien. Dort leiteten die Sicherheitsdienste in jedem Fall ein Ermittlungsverfahren mit Haft ein, während Rumänien sie möglichst bald in den Transitbereich des Flughafengebäudes in Bukarest schaffte und ihre Ausweisung verfügte. Die Untersuchungshaft in Ungarn und Bulgarien galt dem MfS als Haftzeit, die auf die Strafzeit angerechnet wurde, die Gefangenschaft in Rumänien betrachtete das MfS hingegen nur als »Gewahrsam« und nicht als anzurechnende Haftzeit.924 Die fehlende Kooperation zwischen Securitate und MfS führte also nur kurzzeitig zu einer Überwachungslücke. Bedenkenswert ist an dieser Stelle zudem der Befund des Historikers Christian Domnitz, wonach es die MfS-Operativgruppen in der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien nicht geschafft hatten, »ausschlaggebende eigene Beiträge zur Verhinderung von Fluchten zu leisten – die Hauptarbeit erledigten die Partnerdienste«. Domnitz sieht diese Operativgruppen daher vor allem als Ausdruck der »Kontrollanmaßung« des MfS gegenüber den DDR-Bürgern im Ausland.925 Auch innerhalb des MfS gestand man sich Ende der 1980er-Jahre recht offen ein, dass die Operativgruppen in den drei 923  BStU, MfS, BV Neubrandenburg, AU 264/87. 924  MfS, HA IX/10: Information vom 27.8.1986; BStU, MfS, HA IX, Nr. 8568, Bl. 1–4. Über ihren fünftägigen »Gewahrsam« auf dem Flughafen Bukarest im Sommer 1982 nach missglücktem Fluchtversuch berichtet Jutta Gallus ausführlich in Veith: Die Frau vom Checkpoint Charlie, S. 31–35. 925  Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 100, 239.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

genannten Ländern faktisch weitgehend wirkungslos waren.926 Fluchtversuche scheiterten zumeist an den Überwachungs- und Grenzsicherungsmaßnahmen des jeweiligen Landes. Vor diesem Hintergrund spielte das Fehlen einer MfS-Operativgruppe in Rumänien keine ausschlaggebende Rolle. Doch die »Kontrollanmaßung« des MfS erfuhr durch die fehlenden Kontakte zur Securitate auf Dauer einen Dämpfer. 3.3.3.4 Hafterfahrungen und Misshandlung von Flüchtlingen Wie die festgenommenen Flüchtlinge in Rumänien behandelt wurden, darüber geben die MfS-Akten nur selten Auskunft. Gelegentlich enthalten die Untersuchungsakten des MfS Schilderungen darüber. Beispielsweise verfassten Flüchtlinge während ihrer MfS-Untersuchungshaft persönliche Niederschriften, die zu den Akten genommen wurden, und in denen sie auch detailliert über erlittene Übergriffe und Gewalt schreiben.927 Ein MfS-Bericht von November 1978 fasste einige häufig erlittene Erfahrungen zusammen: Die Befragung der in der SRR festgenommenen Bürger durch die Abt. IX zeigt ein widersprüchliches Verhalten der rumänischen Sicherheitsorgane. Bei der Festnahme in Grenznähe gehen sie sehr forsch, teilweise grob vor, was bis zur körperlichen Misshandlung der Festgenommenen geht. Nachdem sich die Grenzsicherungskräfte bzw. Miliz dann vergewissert haben, dass es sich bei den Festgenommenen um DDR-Bürger handelt, lässt das Interesse stark nach. In der Folgezeit werden selbst elementare Sicherheitserfordernisse nicht mehr beachtet. [...] Der Transport vom Festnahmeort nach Bukarest erfolgte mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf Kosten der DDR-Bürger und in Begleitung von Milizionären. [...] So wurden 2 Lehrlinge bei der Festnahme zusammengeschlagen und mit Fußtritten zur nächsten Grenzwache getrieben. Einer Körperdurchsuchung wurden sie jedoch erst nach 2 Tagen auf dem Flughafen unterzogen.928

Ein MfS-Bericht aus dem Jahre 1971 sprach die Überbelegung in den rumänischen Haftanstalten an und führte aus: »Die DDR-Bürgerin [...] aus Gera war bis 3 Wochen vor ihrer Entbindung in einer Gemeinschaftszelle in der Strafvoll926  Ebenda, S. 231. 927  Siehe bspw. BStU, MfS, AU 11777/74, Bd. 1, Bl. 188; MfS, BV Potsdam, AU 1799/85, Bd. 1, Bl. 131–137. 928  ZKG, Abt. 3, 24.11.1978: Der ZKG vorliegende Hinweise zur Rumänienproblematik; BStU, MfS, ZKG, Nr. 18990, Bl. 1–4, Zitat Bl. 2 f. Einige Schicksale von DDR-Flüchtlingen in Rumänien beschreibt Appelius: Fluchtweg Rumänien.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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zugsanstalt Vacaredi[!] (Rumänien) inhaftiert, in der für 60 weibliche Häftlinge nur 25 Betten zur Verfügung standen.«929 Mit großem zeitlichem Abstand haben einige DDR-Flüchtlinge inzwischen über ihre Erfahrungen in Rumänien berichtet. Dazu gehört Ingrid Vitzthum.930 Am 1. September 1972 hatte sich die damals 25-jährige Lehrerin gemeinsam mit ihrer Schwester von einem westdeutschen Freund im Kreis Temesch nahe an die jugoslawische Grenze heranfahren lassen. Als sie nachts die Grenze überquerten, stießen sie auf eine Gruppe rumänischer Grenzsoldaten, die sich zum Schlafen auf das Feld gelegt hatten. Die Soldaten stellten sie und prügelten zunächst auf sie ein – »[s]ei es, dass sie in uns Verräter sahen oder nur Störenfriede für ihren Schlaf«, so Ingrid Vitzthum. Die sich anschließende Haft in rumänischen Gefängnissen beschreibt sie vor allem als trostlos. Zwar erlebte sie keine körperliche Gewalt mehr, aber üble hygienische Zustände, überbelegte Zellen, Schikanen seitens des Wachpersonals, Arbeit in einem obstverarbeitenden Betrieb. Schon neun Tage nach ihrer Verhaftung fand in Deta der Gerichtsprozess statt, an dem sie in Gefängniskleidung teilnahm. Das Urteil lautete auf neun Monate Haft. Einige Wochen später wurde sie mit anderen Häftlingen in einem fensterlosen Zugwaggon nach Bukarest gebracht. Im Bukarester Gefängnis Văcărești, einem früheren Kloster, saß sie weitere Wochen ihrer Haftstrafe ab, ehe sie Anfang 1973 in die DDR ausgeflogen wurde, um dort erneut vor Gericht gestellt zu werden. Sie gehörte zu den letzten Flüchtlingen, die noch doppelt verurteilt wurden. 1975 kam sie aus dem Gefängnis frei und wurde in die Bundesrepublik abgeschoben. Die beiden Studenten Heinz Schmerschneider und Hans-Werner Thiemann durchschwammen gemeinsam am 30. Juli 1974 am helllichten Tage bei Orșova unbeobachtet die Donau. Sie versuchten, sich nach Belgrad durchzuschlagen. Doch schon nach wenigen Stunden griffen jugoslawische Grenzsoldaten sie in der Nähe der Gemeinde Tekija auf und nahmen sie fest. Nur mit Badehosen bekleidet und ohne irgendwelches Gepäck bei sich, behaupteten sie nun, aus Westdeutschland zu stammen und während des Badens ausgeraubt worden zu sein. Ein Gericht im nahegelegenen Kladovo akzeptierte diese Version zwar, verurteilte sie aber zu zehn Tagen Gefängnis, da sie sich ohne Ausweispapiere im Grenzgebiet aufgehalten hatten. Die jugoslawische Gefängnishaft gestaltete sich für die 23- und 20-jährigen Studenten erträglich. Doch es gelang ihnen nicht, ihre westdeutsche Legende überzeugend durchzuhalten. Nach Verbüßung der zehntägigen Haftstrafe wurden sie deshalb nach Rumänien abgeschoben. Kör929  MfS, Untersuchungsabteilung, 4.12.1971: Einschätzung der Übernahme- und Übergabepraxis straffällig gewordener DDR-Bürger aus der Sozialistischen Republik Rumänien und straffällig gewordener rumänischer Staatsbürger in der DDR; BStU, MfS, AS, Nr. 155/74, Bd. 36, Bl. 37–42, hier 41. Mit »Vacaredi« war die Bukarester Haftanstalt Văcărești gemeint. 930  Vitzthum: Nichts konnte mich mehr halten. Die nachfolgende Schilderung sowie das Zitat in: ebenda, S. 248–253, 263 f.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

perliche Gewalt blieb ihnen in Rumänien erspart, während zwei Rumänen, die gemeinsam mit ihnen aus Jugoslawien zurücküberstellt wurden, sofort im Arrest hinter der Grenze verprügelt wurden. Später vergleicht Heinz Schmerschneider die Methoden in Rumänien und der DDR und kann der balkanischen Prügelstrafe sogar etwas Positives abgewinnen: Die beiden rumänischen Mithäftlinge seien schon nach einer Woche abgeurteilt worden und mit Strafen von je sechs Monaten davongekommen. »In der Gesamtbilanz erscheint uns dies als die humanere Art der Bestrafung. Lieber hätten wir die Schläge eingesteckt, als nach einem langwierigen Justizverfahren jahrelang hinter Gittern zu schmoren«, so Schmerschneider. Nach dem mehrstündigen Grenzarrest mussten Heinz Schmerschneider und Hans-Werner Thiemann dann etwa eineinhalb Wochen in dem völlig überfüllten Gefängnis in Turnu Severin verbringen. Ihre Gefängniszelle maß etwa 24  Quadratmeter. Darin befanden sich drei Doppelstockbetten, die sich nun zwölf Menschen teilten: Je zwei Häftlinge schliefen in einem Bett. Die August-Sonne schien durch das Glasbausteinfenster und heizte die verqualmte Zelle unerträglich auf. Die Verpflegung war ungenügend, miserabel und oftmals ungenießbar, sodass sie Hunger litten. Zweimal am Tag durften sie die Zelle zum Toilettengang verlassen. Immerhin blieben sie zusammen, teilten sich einen Schlafplatz und konnten miteinander absprechen, welche Aussagen sie in den Verhören machen sollten, die ihnen demnächst in der Stasi-Haft bevorstehen würden.931 Traumatisierende Misshandlungen erlitt hingegen die damals etwa 20-jährige Krankenschwester Eike-Christine Radewahn, die Ende November 1984 mit zwei Freunden in der Nähe des Eisernen Tores durch die Donau nach Jugos­ lawien schwimmen wollte. Rumänische Grenzsoldaten entdeckten sie noch am Ufer, gaben Schüsse ab und nahmen sie unverletzt fest. Die Historiker Tobias Voigt und Peter Erler schildern, was Eike-Christine Radewahn anschließend widerfuhr: »Barfuß und nass muss sie mehrere Stunden mit Handschellen an einen Zaun angekettet ausharren. Sie verkühlt sich Nieren und Blase und zieht sich eine Mittelohrentzündung zu. Die rumänischen Soldaten betrachten sie als Freiwild. Sie wird gedemütigt, begrapscht, vergewaltigt.«932 Wenige Tage später wurden sie und ihre beiden Freunde in die DDR ausgeflogen und vom MfS in 931 Schmerschneider: Freies Wasser, S. 24–35, 40–62, 67–91, Zitat 69. Schmerschneider und Thiemann wurden am 19.8.1974 in die DDR ausgeflogen und in das MfS-Untersuchungsgefängnis in Halle (»Roter Ochse«) eingeliefert. Das Kreisgericht Halle verurteilte sie wegen ihres Fluchtversuchs jeweils zu zwei Jahren Haft. Im November 1975 wurden ihre Strafen zur Bewährung ausgesetzt und sie in die Bundesrepublik abgeschoben. BStU, MfS, BV Halle, AU 1008/75, Bd. 1, Bl. 167–170; Bd. 3, Bl. 88; Bd. 4, Bl. 73. In ebendieser Akte, Bd. 7, Bl. 49–52 befindet sich das Urteil des jugoslawischen Gerichts in serbokroatischer und rumänischer Sprache. 932  Voigt; Erler: Medizin hinter Gittern, S. 28–30, Zitat 28 f.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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Untersuchungshaft genommen. Einige Zeit verbrachte Radewahn im MfS-eigenen Haftkrankenhaus in Berlin-Hohenschönhausen, wo man ihre Mittelohrentzündung notdürftig behandelte. Im Mai 1985 verurteilte das Kreisgericht Potsdam sie wegen des Fluchtversuchs und »ungesetzlicher Verbindungsaufnahme« zu drei Jahren Gefängnis. Im November 1985 wurde sie im Rahmen des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik entlassen. Doch die traumatischen Erfahrungen ließen sie nicht los, wie Voigt und Erler schreiben: »[N]och immer und zu oft schieben sich die Bilder der Vergangenheit bis in ihren Alltag, blockieren ihr Leben. Seit 2003 bezieht sie wegen Erwerbsunfähigkeit eine kleine Rente.«933 3.3.3.5 Flucht über Rumänien: statistische Übersicht Die MfS-Mitarbeiter kümmerten sich nicht um die menschlichen Tragödien. Als relevant galten ihnen nur die bekannten Sicherheitsaspekte: Fluchtversuche waren zu verhindern, Flüchtlinge zu bestrafen und Nachahmer abzuschrecken. Um diese Aufgaben möglichst gründlich zu erfüllen, hatte das MfS Anfang der 1970er-Jahre große Anstrengungen unternommen, festgenommene DDR-Bürger wieder möglichst rasch von den rumänischen Behörden überstellt zu bekommen. Die damaligen Bemühungen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der betroffene Personenkreis relativ klein war. Die folgende Tabelle 2 zeigt, wie viele DDR-Bürger in Rumänien bei Fluchtversuchen verhaftet und an die DDR übergeben wurden. In der Tschechoslowakei und Ungarn lagen die Zahlen um ein Vielfaches darüber, und auch in Bulgarien waren sie höher.934 Der Tabelle ist aber auch zu entnehmen, dass immer wieder Fluchtversuche gelangen. Die nachfolgenden Zahlen verstehen sich als vorläufige Angaben. Künftige Recherchen können durchaus noch zu geringfügigen Änderungen führen.

933  Ebenda, S. 30. 934  Nach Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 95 f., 122 f., 149 f., scheiterten zwischen 1963 und 1988 8 320 DDR-Bürger bei Fluchtversuchen über die ČSSR, 3 355 über Ungarn, 1 452 über Bulgarien. Im selben Zeitraum gelang 518 DDR-Bürgern die Flucht über Bulgarien in den Westen. Über die Anzahl der geglückten Fluchtversuche über die ČSSR und Ungarn liegen für den Gesamtzeitraum keine Angaben vor. Domnitz verweist in diesem Zusammenhang auf Inkonsistenzen der MfS-Statistiken. Die hier genannten Zahlen entsprechen in ihrer Größenordnung den oben (S.  338) erwähnten MfS-Statistiken über die Anzahl jener DDR-Bürger, die in diesem Zeitraum per Flugzeug aus diesen Ländern in die DDR zurückgeführt wurden.

360

Das MfS in Rumänien seit 1968

Tab. 2: Fluchten und Fluchtversuche von DDR-Bürgern über Rumänien in den Westen, 1962–1989 Anzahl der DDR-Bürger, denen über Rumänien die Flucht in den Westen gelang**

Jahr

Anzahl der DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch über Rumänien in den Westen von rumänischen Sicherheitskräften festgenommen wurden*

1962

2

1963

4

1964

2

6

1965

7

4

1966

4

6

1967

11

9

1968

5

1

1969

28

12

1970

45

11

1971

43

19

1972

62

8

1973

77

1

1974

32

3

1975

22

2

1976

15

3

1977

12

4

1978

9

17

1979

21

17

1980

51

19

1981

33

23

1982

10

15

1983

15

6

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12

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

Anzahl der DDR-Bürger, denen über Rumänien die Flucht in den Westen gelang**

Jahr

Anzahl der DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch über Rumänien in den Westen von rumänischen Sicherheitskräften festgenommen wurden*

1985

2

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1986

2

1

1987

4

3

1988

12

30

1989 (1.1.–30.9.) Summe

361

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* Die Festgenommenen wurden – zum Teil nach einigen Wochen oder Monaten Haft in Rumänien – in die DDR überstellt. Die Zahlen basieren teilweise auf den Angaben in: Tantzscher: Verlängerte Mauer, S.  76 (siehe hierzu auch Anm. 874), die die Anzahl der per Flugzeug zurückgeführten DDR-Flüchtlinge angibt. Ferner wurden die Jahresberichte der MfS-Hauptabteilung IX (Signaturen siehe Anm. 563) und weitere MfS-interne Datensammlungen berücksichtigt. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 219–223, 243–249, 253–258; Abt. X, Nr. 247, Bl. 124, 225; Abt. X, Nr. 1144, Bl. 3; BStU, MfS, HA IX, Nr. 250, Bl. 1; HA IX, Nr. 2445, Bl. 66–68; HA IX, Nr. 13585, Bl. 24; HA IX, Nr. 17599, Bl. 13, 21, 133, 152, 230, 253; HA IX, Nr. 17600, Bl. 83. Um die MfS-Statistiken gegenzuprüfen, wurde für die vorliegende Untersuchung versucht, möglichst viele der Flüchtlinge in den MfS-Akten namentlich zu ermitteln. Vollständigkeit war hierbei nicht möglich, da es im MfS-Archiv keine zentrale Ablage für Akten der Flüchtlinge gibt. Von den 542 verhafteten Flüchtlingen, die in dieser Spalte ausgewiesen sind, konnten in den MfS-Unterlagen die Namen von 460 Personen (und häufig auch eine Dokumentation des Fluchtversuchs) ermittelt werden. Unter den 460 Personen befanden sich 61 Kinder oder Jugendliche in elterlicher Begleitung. Innerhalb des MfS unterschieden sich die Datenerhebungen der HA IX von denen der ZKG. Flucht über einen Drittstaat bedeutete bei der HA IX, dass ein DDR-Bürger in einem Drittstaat bei einem Fluchtversuch gefasst und an die DDR überstellt wurde. Die ZKG zählte zu den verhinderten Fluchtversuchen über Drittstaaten gelegentlich auch solche, bei denen der Flüchtling noch in der DDR festgenommen wurde, bevor er also den jeweiligen Staat erreicht hatte. Die ZKG-Daten sind daher in einigen Fällen irreführend und werden in dieser Spalte nicht berücksichtigt. Eine »Kurze Lageeinschätzung« der ZKG vom 19.9.1983 weist aus, dass 1982 und 1983 etwa 50 Prozent derjenigen, die »Angriffe gegen die Staatsgrenzen der anderen sozialistischen Staaten [richteten]«, noch in der DDR festgenommen wurden. BStU, MfS, ZKG, Nr. 13163, Bl. 44, 61. Auf diese Differenzen weist auch ein MfS-internes Schreiben vom 23.12.1977 hin. BStU, MfS, ZKG, Nr. 12786, Bl. 24. ** Die Zahlen basieren für das Jahr 1964 auf einem Schreiben Mielkes an Honecker vom 7.8.1964. BStU, MfS, SdM, Nr. 1116, Bl. 59–61; für die Jahre 1965 bis 1968 auf den Angaben in Tantzscher: Verlängerte Mauer, S.  79; für 1969 auf Zahlen der DDR-Botschaft Bukarest; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 268; für 1989 auf einer zusammenfassenden MfS-internen Statistik der Fluchtversuche über sozialistische Länder; BStU, MfS, ZKG, Nr. 11071, Bl. 2. Die Daten für die Jahre 1970 bis 1988 beruhen ausschließlich auf eigenen Re-

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cherchen in den verstreut überlieferten Meldungen über gelungene Fluchtvorhaben, wobei in jedem Einzelfall der Name der Geflüchteten ermittelt wurde. Es ist anzunehmen, dass bei der Recherche nicht alle einschlägigen Meldungen in den MfS-Unterlagen gefunden wurden. Zu den ergiebigen Aktenbeständen gehören diesbezüglich BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721; HA IX, Nrn. 67, 633, MF/12701; ZKG, Nrn. 268, 532, 11880, 12637, 16359, 17067, 17486, Bd. 2, Nr. 17487, Bd. 1. Größere Differenzen zwischen den oben ausgewiesenen, erfolgreichen Fluchten und summarischen statistischen Übersichten des MfS gibt es für die Jahre 1974 und 1975 (10 bzw. 14 gelungene Fluchten über Rumänien laut MfS, HA VI: Jahresanalyse über die Entwicklung der politisch-operativen Lage und die Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit im Verantwortungsbereich der Linie VI 1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4724, Bl. 65). Eine gelungene Flucht 1972 wird lediglich in einer Securitate-Akte erwähnt, nicht jedoch in MfS-Unterlagen, siehe ACNSAS, fond informativ, i 259139, vol. 1, Bl. 191 f. Unter den 185 Flüchtlingen der Jahre 1970 bis 1988 befanden sich 37 Kinder oder Jugendliche in elterlicher Begleitung. Die genauen Umstände einer Flucht konnte das MfS oftmals nicht in Erfahrung bringen. 1973 verließen über 1 000 DDR-Bürger ihr Land, ohne dass das MfS bis Jahresende den genauen Fluchtweg ermitteln konnte (oftmals fand es den Fluchtweg auch dann nicht, wenn es die Ermittlungen im Folgejahr weiterführte), 1976 traf das noch auf 334 Menschen zu, in den 1980er-Jahren nur auf etwa 25 pro Jahr. Vgl. das Referat Mielkes auf der Dienstkonferenz vom 15.7.1974, in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8661, Bl. 81 sowie: ZKG, AKG, 16.2.1983: Analyse zum Stand der Aufklärung des ungesetzlichen Verlassens der DDR im Jahre 1982 (besonders mit unbekannter Begehungsweise); BStU, MfS, ZKG, Nr. 17068, Bl. 149–169, hier 150. Aus den Jahren, zu denen die Tabelle keine Angaben macht, sind bislang keine erfolgreichen Fluchtversuche bekannt geworden. – Daten über verhaftete DDR-Flüchtlinge liefen auch in der DDR-Botschaft in Bukarest zusammen und könnten eventuell in deren Archivüberlieferung im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes durchgesehen werden. Eine vergleichende Analyse der MfS-Hauptabteilung VI führte 1982 zu dem Befund, dass die Zahlenangaben der DDR-Botschaft und des MfS hinsichtlich der gescheiterten Fluchtversuche in den zurückliegenden vier Jahren kaum voneinander abwichen. Erhebliche Abweichungen stellte man hingegen bei den Zahlen der geglückten Fluchtversuche fest: Hier waren dem MfS sehr viel mehr Fälle bekannt als der Botschaft. BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 172.

Die hohen Fluchtziffern zu Beginn der 1970er-Jahre (1972/73) waren nicht auf Rumänien begrenzt. Auch an den Westgrenzen der Tschechoslowakei, Ungarns und Bulgariens zählte das MfS damals mehr aufgegriffene DDR-Flüchtlinge als in anderen Jahren. Der Historiker Christian Domnitz sieht dies im Zusammenhang mit der innerdeutschen Wanderungsbewegung insgesamt: 1970 habe es die höchste Zahl an DDR-Zuwanderern (Fluchten und genehmigte Ausreisen) in die Bundesrepublik gegeben. »Möglicherweise«, so Domnitz, »antizipierten DDR-Bürger mit einer Flucht über Drittländer die Reaktion des MfS auf Konjunkturen innerdeutscher Fluchten. Von 1970 an hatte die DDR Selbstschuss­ anlagen an der innerdeutschen Grenze installiert.«935 Die in Kapitel 2.3.7.2 935  Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 97. 1972 gelang über die ČSSR, Ungarn und Bulgarien zusammengenommen 198 DDR-Bürgern die Flucht in den Westen, 1 261 scheiterten; 1973 flüchteten über die Grenzen dieser drei Länder 164 DDR-Bürger in den Westen, während 942 festgenommen wurden. Ebenda, S. 18.

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Abb. 21: Rumänienkarte aus einer Dissertation an der Stasi-Hochschule in Potsdam, die sich mit der Überwachung von DDR-Touristen im sozialistischen Ausland befasste.

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erwähnten gemeinsamen Aktionen des MfS und der anderen sozialistischen Geheimdienste gegen westdeutsche Fluchthelfergruppen zwischen Sommer 1972 und Herbst 1973 bildeten wahrscheinlich eine Reaktion auf die gestiegenen Flüchtlingszahlen. 3.3.3.6 Fluchtwege und Fluchtmotive Die Mehrzahl der DDR-Flüchtlinge versuchte, zu Fuß über die Grenze von Rumänien nach Jugoslawien zu gelangen. Die naturräumlichen Gegebenheiten entlang der Landgrenze erschienen hierfür günstig, handelte es sich doch um das weite, überwiegend landwirtschaftlich genutzte Flachland der ungarischen Tiefebene (pannonisches Becken). Andere wollten die Donau durchschwimmen oder mit einem Schlauchboot überqueren. Die meisten wählten hierfür den Donauabschnitt um das »Eiserne Tor«, zwischen den Städten Orșova und Turnu Severin, denn dort verliefen die Fernstraße und die Eisenbahntrasse zwischen Temeswar und Bukarest direkt entlang der Donau, die hier die Grenze zu Jugoslawien bildete. Somit konnte man sich hier unverdächtig bis an die Grenze begeben.936 Weitaus weniger suchten einen Fluchtweg über das Schwarze Meer, indem sie in Constanţa in Ausflugsboote nach Istanbul oder in westliche Handelsschiffe stiegen. Häufiger nutzten sie westliche Reisepässe, die sie von Verwandten, Freunden, Fluchthelfern oder der bundesdeutschen Botschaft in Bukarest erhielten. Einige unternahmen ihren Fluchtversuch alleine. Weitaus öfter ließen sich Freunde oder Familien gemeinsam auf das Risiko des verbotenen Grenzübertritts ein. Folgt man den Zahlen in der obenstehenden Tabelle, glückte fast jedem dritten DDR-Flüchtling über Rumänien die Flucht in den Westen. Dagegen fassten die rumänischen Sicherheitskräfte rund 70 Prozent der DDR-Flüchtlinge. Unter den Flüchtlingen befanden sich viele Jugendliche und junge Erwachsene. Knapp die Hälfte war zwischen 15 und 25 Jahren alt, viele andere nur unwesentlich älter.937 Ein wesentliches Motiv der jungen Flüchtlinge brachte der damals 23-jährige Student Heinz Schmerschneider aus Halle gegenüber dem Stasi-Vernehmer vor, nachdem sein Fluchtversuch über die Donau im Sommer 1974 gescheitert war:

936 Siehe auch S.  374 die dort zitierte Beschreibung dieses Grenzgebietes durch die DDR-Botschaft. 937  Von 485 DDR-Bürgern, die (erfolgreiche oder gescheiterte) Fluchtversuche über Rumänien unternahmen, liegen Altersangaben vor. 231 von ihnen waren zwischen 15 und 25 Jahren alt, weitere 108 zwischen 26 und 30, die übrigen zwischen 31 und 58. Unberücksichtigt bleiben hier Kinder und Jugendliche in Begleitung ihrer Eltern.

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»Ich wollte die Welt kennenlernen und sah nur im illegalen Verlassen der DDR die Möglichkeit, das Ausreiseverbot in kapitalistische Länder zu umgehen. Ich bin der Meinung, dass das Leben eines Menschen sehr kurz ist und er nicht nur das Teil Deutschlands, also die DDR kennen will, sondern auch die nichtsozialistischen Länder.«938

Auch im MfS wusste man, entgegen der offiziellen Propaganda, um dieses Motiv. Eine MfS-Analyse aus dem Jahre 1977 stellte fest, dass sich die jungen Flüchtlinge in erster Linie mehr Freiheit und bessere Lebensbedingungen erhofften; einige sähen in der Flucht auch einen Ausweg aus privaten oder gesellschaftlichen Konflikten; daneben gebe es einige, die sich einer Bestrafung wegen des einen oder anderen Vergehens entziehen wollten. Dass die Flucht auch explizit ein Ausdruck politischer Gegnerschaft gegen die SED und die Realitäten der DDR sein konnte, formulierte die MfS-Analyse allerdings nicht in dieser Deutlichkeit.939 Auch Heinz Schmerschneider hatte sich diesbezüglich gegenüber seinem Vernehmer zurückgehalten. Wie Schmerschneider rückblickend schreibt, bildete die fehlende Reisefreiheit nur eines von mehreren seiner Fluchtmotive. An erster Stelle habe seine grundsätzliche Ablehnung des SED-Systems gestanden: »Ich bin erstickt in der DDR, habe keine Luft bekommen, alle Luft von Lügen verpestet.« Gegenüber dem MfS-Vernehmer habe er jedoch das eher unpolitische Motiv der Reisefreiheit angeführt, um nicht auch noch wegen »Staatsverhetzung« verurteilt zu werden und die ohnehin schon schwierige Lage in der Stasi-Untersuchungshaft nicht noch schwieriger zu machen.940 Bedenkt man das jugendliche Alter vieler Flüchtlinge, so war der Schusswaffengebrauch an der rumänischen Grenze (wie auch an jeder anderen Grenze) erst recht absolut unverhältnismäßig. Auch die Kriminalisierung der oft jungen Flüchtlinge durch Behörden und Justiz in der DDR zeugt allenfalls von der Schwäche und Hilflosigkeit des Systems, das nach außen hin die Auffassung vertrat: »Jeder ungesetzliche Grenzübertritt, in der Absicht nicht mehr in die DDR zurückzukehren und sich ins kapitalistische Ausland zu begeben trägt, unabhängig vom Motiv, Verratscharakter.«941 Im DDR-Strafgesetzbuch galt der »un938  Vernehmungsprotokoll vom 20.8.1974; BStU, MfS, BV Halle, AU 1008/75, Bd.  1, Bl. 62. 939  ZKG, 24.1.1977: Jahresanalyse 1976 über die Pläne, Absichten, Maßnahmen, Mittel und Methoden feindlicher Zentren, Organisationen und Einrichtungen zur Inspirierung und Organisierung des Verlassens der DDR und die Entwicklung, den Stand und die Wirklichkeit der politisch-operativen Arbeit zur Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des Verlassens der DDR, der damit verbundenen Untergrundtätigkeit sowie zur Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels; BStU, MfS, ZKG, Nr. 2164, Bl. 1–58, hier 40 f. 940  Schmerschneider: Freies Wasser, S. 77–88, Zitat 77. 941 Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow, Urteil vom 18.11.1980 – Aktenzeichen 611 S 608/80, 211-129-80, vorhanden in: BStU, MfS, AU 14261/82, Bd. 1, Bl. 185–189, hier 189.

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gesetzliche Grenzübertritt« als eine »Straftat gegen die staatliche Ordnung« und konnte mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden, ab 1979 sogar mit bis zu acht Jahren. Auch Vorbereitung und Versuch waren strafbar. Im rumänischen Strafgesetzbuch gab es analoge Formulierungen, die Höchststrafe betrug dort seit 1968 drei Jahre Gefängnis.942 Die involvierten Institutionen erwiesen sich für die DDR-Flüchtlinge als unberechenbar. Die bundesdeutsche Botschaft in Bukarest stellte einigen DDR-Bürgern bundesdeutsche Reisepässe aus, andere schickte sie mit der Auskunft wieder weg, ihr Ausreiseanliegen in keiner Weise unterstützen zu können.943 Da die in Bukarest ausgestellten Pässe keine Einreisevisa enthielten, eigneten sie sich eigentlich nicht für die Ausreise aus Rumänien. Dennoch ließen die rumänischen Grenzer 1970 zwei junge DDR-Bürger unter Vorlage solcher Pässe nach Jugoslawien ausreisen.944 Einige DDR-Bürger, die einfach mit ihren DDR-Papieren an die rumänisch-jugoslawische Grenze fuhren und angaben, im Transit durch Jugoslawien nach Bulgarien reisen zu wollen, hatten mitunter noch Glück, dass sie von den rumänischen Kontrolleuren lediglich zurückgewiesen wurden, ohne dass darüber eine Meldung an die DDR-Botschaft erfolgte oder sie gar verhaftet wurden.945 Andere wurden hingegen von rumänischen Sicherheitskräften bereits in einiger Entfernung der Grenze festgenommen und anschließend in einer nahegelegenen Stadt oder Gemeinde zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Das Urteil mit Haftstrafe erging gegen ein Ehepaar, das im Juli 1980 über Rumänien nach Jugoslawien zu fliehen versucht hatte. 942  In der DDR wurde 1968 ein grundlegend neues Strafgesetzbuch eingeführt und damit auch der § 213 (»Ungesetzlicher Grenzübertritt«). Zuvor wurden Fluchtversuche juristisch als Verstöße gegen das Passgesetz geahndet. Vgl. Anm. 878. Im rumänischen StGB bedrohte § 245 den ungesetzlichen (»betrügerischen«) Grenzübertritt mit einer Gefängnisstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren; auch der Versuch war strafbar. Ebenso wie in der DDR galt »ungesetzlicher Grenzübertritt« als »Straftat gegen die staatliche Ordnung«. Siehe Antoniu; Popa; Daneș: Codul Penal pe înţelesul tuturor, S. 396, 398. 943  BStU, MfS, HA IX, Nr. 12960. Diese Akte enthält Aussagen von DDR-Bürgern über ihre Behandlung in der bundesdeutschen Botschaft in Bukarest zwischen 1973 und 1987. Die Aussagen kamen in Verhören zustande, denen die Betreffenden vom MfS unterzogen wurden, nachdem ihr Fluchtversuch gescheitert war und sie sich in Untersuchungshaft befanden. 944  Pele: Salt calitativ (wie Anm. 887), S. 46. 945 Vgl. beispielhaft die folgenlose Zurückweisung eines DDR-Bürgers durch rumänische Grenzkontrolleure im September 1971, der nur seinen DDR-Ausweis vorlegte: BStU, MfS, ASt 80/85 HA, Bl. 26, 45; ferner die folgenlose Ausweisung von vier jungen DDR-Bürgern aus dem Land durch die rumänischen Behörden 1968, nachdem sie bei einem Fluchtversuch an der Grenze zu Jugoslawien festgenommen worden waren. BStU, MfS, AU 11777/74, Bd. 1, Bl. 40. Vgl. ferner Botschaft Bukarest, Sektion Konsularwesen, 26.1.1973: Zusammenfassender Bericht über besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 267–279. Hierin wird generell die ungenügende Informationspolitik der rumänischen Grenz- und Passbehörden gegenüber der DDR-Botschaft bemängelt.

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Das Strafmaß legten die rumänischen Gerichte willkürlich fest. Identische Delikte wurden einmal mit fünf, einmal mit 14 Monaten Haft geahndet.946 Der eine oder andere Flüchtling tauchte nach seiner Haftentlassung noch für Monate in Rumänien unter und suchte nach einer erneuten Möglichkeit, das Land Richtung Westen zu verlassen. Einer schrieb in dieser Situation an seine Angehörigen, vielleicht um sie zu beruhigen, er habe in Rumänien geheiratet.947 Unberechenbar erwies sich die örtliche Bevölkerung. Selten erhielt ein Flüchtling von Einheimischen Tipps oder Unterstützung, eher verrieten sie ihn bei den Behörden.948 Obwohl Securitate und MfS keine regulären Arbeitsbeziehungen unterhielten, informierten die Rumänen ihre ostdeutschen Kollegen bis Anfang der 1970er-Jahre gelegentlich über Vorfälle oder Beobachtungen. Hatte die Securitate im Jahr 1969 das MfS in keinem einzigen Fall über die Verhaftung von DDR-Flüchtlingen in Kenntnis gesetzt, sondern lediglich die DDR-Botschaft benachrichtigt, so änderte sie ihre Informationspolitik in der Folgezeit immer wieder.949 Am 5. Oktober 1970 übermittelte Securitate-Chef Ion Stănescu telegrafisch die Namen und Personalausweisnummern dreier DDR-Bürger, die vier[!] Monate zuvor die bundesdeutsche Botschaft in Bukarest aufgesucht hatten, an Erich Mielke. Den Grund für diese Besuche, so Stănescu, kenne man nicht. Selbstverständlich suggerierte er damit, es habe sich um Vorbereitungen einer Flucht gehandelt. Stănescu beabsichtigte mit diesem Telegramm jedoch vor allem, Kooperationsbereitschaft und Geschäftigkeit zu signalisieren. Denn nur fünf Tage später lud er Erich Mielke schriftlich zu einem Arbeitsbesuch und Erfahrungsaustausch nach Bukarest ein, um die Zusammenarbeit zu intensivieren.950 Aus einem ähnlichen Kalkül heraus telegrafierte Nicolae Doicaru am 12. März 1971 an Markus Wolf. Er nannte ihm die Namen dreier DDR-Bürger, die wegen Fluchtversuchen in Rumänien in Haft saßen, und gab einige Hintergrundinformationen.951 Die Flucht-Thematik gehörte zwar nicht zu Doicarus Aufgabenbereich, und ebenso war Wolf hierfür der falsche Adressat. Doch sechs 946  Vgl. BStU, MfS, HA, IX/MF/12701, passim. 947  Schriftwechsel hierzu in: BStU, MfS, AS, Nr. 84/86, Bl. 171–187. 948  DDR-Botschaft Bukarest (wie Anm. 870); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 284, 290 f.; identisch in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 163, 169 f. (wie Anm. 849) mit den Namen von fünf DDR-Flüchtlingen, die von Bewohnern grenznaher Dörfer angezeigt wurden. 949  Die ausbleibenden Informationen im Jahr 1969 werden erwähnt in: Hauptabteilung XX/5, 3.1.1970: Vorschläge zur Verfahrensweise festgenommener DDR-Bürger in der SR Rumänien; BStU, MfS, HA VI, Nr. 1798, Bl. 2. 950 Telegramm Stănescus an Mielke vom 5.10.1970; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2320, Bl. 74 f. Siehe auch Anm. 490 und 491. Das MfS registrierte die drei von Stănescu benannten DDR-Bürger in einer allgemeinen Ablage, leitete aber keine Ermittlungsverfahren gegen sie ein. 951  Telegramm aus Bukarest von Doicaru an Wolf vom 12.3.1971, Nr. 007179; BStU, MfS, AS, Nr. 155/73, Bl. 473 f.

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Tage später reiste Doicaru ohne Vorankündigung nach Ostberlin, um über bessere Beziehungen zwischen beiden Geheimdiensten zu verhandeln. Es liegt auf der Hand, dass er mit solchen Informationen seine MfS-Gesprächspartner günstig stimmen wollte. Stănescus Nachfolger, Innenminister Emil Bobu, informierte Erich Mielke im Juni und Juli 1973 telegrafisch über die Festnahme von mindestens acht DDR-Flüchtlingen.952 Die Flüchtlinge, die es nach Jugoslawien schafften, waren damit noch nicht am Ziel. Insbesondere bis Mitte der 1970er-Jahre schickten die jugoslawischen Behörden sie zumeist umgehend nach Rumänien zurück. Rumänien überstellte sie dann der DDR, wo sie zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Einige von ihnen gelangten danach im Rahmen der Häftlingsfreikäufe schließlich doch noch in die Bundesrepublik. Zu ihnen gehörte einer der besten deutschen Pferde­ sportler, Lutz Mäder: Er durchschwamm 1973 die Donau, doch die jugoslawischen Sicherheitskräfte verhafteten ihn, lieferten ihn nach Rumänien aus und die rumänischen Behörden an die DDR. In der DDR verbüßte er ein Jahr Haft und wurde dann in die Bundesrepublik abgeschoben.953 Manche Flüchtlinge wurden in Jugoslawien zunächst zu einigen Tagen bis hin zu einem Monat Haft verurteilt, um anschließend doch noch nach Rumänien abgeschoben zu werden, oder, was dann häufiger vorkam, die Möglichkeit zu erhalten, zur bundesdeutschen Botschaft in Belgrad zu gelangen und mit einem dort ausgestellten Reisepass nach Westdeutschland weiterzureisen.954 Das seit 1964 gültige rumänisch-jugoslawische Auslieferungsabkommen sah vor, dass Jugoslawien die aus Rumänien kommenden Flüchtlinge zurückschickte.955 Im August 1972 traf der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher mit seinem jugoslawischen Amtskollegen Luka Banović jedoch eine 952  Telegramme aus Bukarest von Bobu an Mielke vom 30.6.1973, Nr. 006803; 8.7.1973, Nr. 006824; 10.7.1973, Nr. 06827; 13.7.1973, Nr. 06835; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 190 f., 195, 205 sowie BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2009, Bl. 76, 79; Abt. X, Nr. 2010, Bl. 62; AS, Nr. 137/75, Bd. 2, Bl. 15. Bobu begründete die telegrafischen Informationen mit einer Vereinbarung vom 25.9.1972. Vgl. Anm. 893. Noch kurz zuvor, am 29.6.1972, ging beim MfS das Telegramm Nr. 006546 mit Informationen über DDR-Flüchtlinge ein, das rumänischerseits mit der Bemerkung versehen war: »Wir teilen Ihnen diese Angaben zur Kenntnisnahme des Genossen Minister Dickel mit.« – Adressat dieses Telegramms an das MfS war also der DDR-Innenminister. BStU, MfS, AS, Nr. 139/75, Bd. 2, Bl. 38 f. 953  König: Jockeys auf deutschen Bahnen, S. 100–102. Mäder setzte seine Karriere in der Bundesrepublik fort und brachte es bis Ende der 1990er-Jahre zu einem der erfolgreichsten Jockeys in Deutschland; kaum einer erreichte mehr Turniersiege als er. Ebenda, S. 212. 954  Seine 20-tägige Haft in Jugoslawien im April/Mai 1982 beschreibt Mühlroth in: Eine Eisenbahn, S. 74–86. Mühlroth, ein Rumäniendeutscher, wurde nach diesen 20 Tagen in das Flüchtlingsauffanglager in Padinska Skela bei Belgrad gebracht und durfte sich dann zur bundesdeutschen Botschaft begeben. 955  Das Abkommen von 1964 erwähnen Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 2, S. 15.

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Abb. 22: Skizze aus der rumänischen Strafakte zweier DDR-Flüchtlinge, die 1974 bei Orșova über die Donau nach Jugoslawien (»RSFI«) schwammen. Jugoslawien lieferte sie an Rumänien aus, Rumänien an die DDR.

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Abmachung, wonach geflüchtete DDR-Bürger in Jugoslawien von der bundesdeutschen Botschaft betreut werden durften. Jugoslawien gewährte ihnen die Möglichkeit, sich mit der bundesdeutschen Botschaft in Verbindung zu setzen und mit bundesdeutschen Pässen legal in die Bundesrepublik weiterzureisen.956 Diese Abmachung scheint erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung tatsächlich praktiziert worden zu sein. Ein Jahresbericht der MfS-Hauptabteilung VI – zuständig für die Überwachung des Reiseverkehrs – beschreibt diese Übereinkunft 1976 als Realität. Die DDR-Geheimpolizei beklagte darin: Es muss hervorgehoben werden, dass besonders von den Organen der SFRJ keine Unterstützung bei der Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR erfolgt. So ist zu verzeichnen, dass Bürgern der DDR, denen der Grenzübertritt in die SFRJ gelungen war, nach Verbüßung einer Haftstrafe von 2–3 Wochen die Ausreise in NSL [nichtsozialistische Länder] gestattet wurde. Eine Auslieferung solcher Täter an die DDR wird seitens der SFRJ abgelehnt unter Berufung auf ihre Unterzeichnung der ›Flüchtlingskonvention‹ und die Durchsetzung der Schlussakte von Helsinki. Das Auslieferungsersuchen durch den Generalstaatsanwalt der DDR sowie diesbezügliche Aktivitäten der DDR-Botschaft in Belgrad wurden abgelehnt.957

Abweichend hiervon schob Jugoslawien im August 1981 zwei DDR-Jugendliche nach Rumänien ab, die zuvor über die Donau nach Jugoslawien geflohen waren und danach dort zwei Wochen in Haft saßen. Die Jugendlichen gaben nach ihrer Rückkehr an, sie seien auf ihren eigenen Wunsch hin von den jugoslawischen Behörden nach Rumänien zurückgebracht worden. Doch in der DDR-Botschaft in Bukarest hielt man diese Aussage für äußerst zweifelhaft.958 Eine Reaktion des MfS auf die veränderte jugoslawische Haltung seit Mitte der 1970er-Jahre bestand darin, die Fluchtversuche von DDR-Bürgern über Ungarn, Rumänien und Bulgarien nach Jugoslawien sowie das jugoslawische Grenzregime genauer zu analysieren. Zu diesem Zweck legte das MfS im Oktober 1978 das Dossier »Jugo« an.959 Innerhalb des jugoslawischen Sicherheitsapparats gab es bei einigen Mitarbeitern Vorbehalte dagegen, die DDR-Flüchtlinge zu unterstützen. Mitte der 1980er-Jahre regte das jugoslawische Innenministerium (Bundessekretariat für Innere Angelegenheiten) gegenüber dem MfS eine begrenzte, aber kontinuierliche bilaterale Zusammenarbeit an. Im Mai 1987 reiste eine MfS-Delegation zu 956  Ebenda. Ausführlicher in Genscher: Erinnerungen, S. 929. 957  HA VI, 24.11.1976: Vorlage (wie Anm. 838), Bl. 118. 958  Siehe DDR-Botschaft Bukarest (wie Anm. 870); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 281; identisch in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 15721, Bl. 160 (wie Anm. 849). 959  HA VI, Bereich Auslandstourismus, Abt. 3, 16.10.1978: Eröffnungsbericht zum Anlegen des operativen Materials »Jugo«; BStU, MfS, HA VI, Nr. 12462, Bl. 114–118; Teile des Dossiers in: ebenda, Bl. 119–147 und HA VI, Nr. 12463, Bl. 1–45 u. ö. Auch die HV A steuerte Informationen zu »Jugo« bei. Vgl. BStU, MfS, HA VI, Nr. 12463, Bl. 1.

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entsprechenden Sondierungen mit dem jugoslawischen Sicherheitsdienst nach Belgrad und Zagreb. Bei dieser Gelegenheit boten die Gastgeber unter anderem an, DDR-Flüchtlinge entweder in das Land zurückzuschicken, von dem aus sie nach Jugoslawien gelangt seien, oder sie direkt in die DDR abzuschieben. Man werde entsprechende Möglichkeiten finden, versprachen sie. Voraussetzung sei allerdings, dass der jeweilige Flüchtling noch nicht beim Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen in Jugoslawien bekannt geworden sei. Ebenfalls sei man bereit, DDR-Bürger am Betreten der bundesdeutschen Botschaft in Belgrad zu hindern oder ihnen die Ausreise mit bundesdeutschen Pässen aus Jugoslawien zu verweigern. Das MfS müsse dem jugoslawischen Sicherheitsdienst lediglich rechtzeitig entsprechende Informationen zukommen lassen; die Ausreise könne man jedoch nur unterbinden, wenn der Flüchtlingskommissar noch nicht informiert worden sei.960 In den überlieferten Akten fanden sich aber bislang keine Hinweise darauf, dass der jugoslawische Sicherheitsdienst bis 1989 noch in dieser Richtung tätig geworden wäre. Doch ersichtlich wird hier noch einmal die schwankende Position Jugoslawiens zwischen West und Ost. Botschaftsbesetzungen Immer wieder besetzten DDR-Bürger westdeutsche Botschaften in den sozialistischen Ländern, um ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu erzwingen. Im Jahre 1984 häuften sich derartige Versuche, insbesondere in Prag. Prag war für viele DDR-Bürger nicht nur die nächstgelegene auswärtige Hauptstadt, sondern auch am einfachsten erreichbar, weil eine Einreise in die Tschechoslowakei ohne vorherigen Antrag möglich war. Die bundesdeutschen Botschaften waren allerdings nicht in der Lage, den fluchtwilligen DDR-Bürgern eine sofortige Ausreise in den Westen zu ermöglichen. Doch viele der Botschaftsbesetzer durften nach ihrer Rückkehr in die DDR schon bald darauf in die Bundesrepublik übersiedeln. So erreichten 1984 rund 350 DDR-Bürger auf dem Umweg über 960  Bericht über die vom 19.5. bis 22.5.1987 in der SFRJ mit Vertretern des Bundessekretariats für Innere Angelegenheiten (BSfIA) geführten Gespräche, 28.5.1987; BStU, MfS, ZKG, Nr. 3446, Bl.  23–35. Die MfS-Delegation wurde von den Leitern der Abt. X, Damm, und ZKG, Niebling, angeführt. Der von Damm verfasste Bericht wurde von Mielke mit dem Kommentar versehen »einverstanden; Auswertung mit allen zuständigen Linien«; ebenda, Bl.  23. Das Gespräch ging auf eine Initiative des jugoslawischen Sicherheitsdienstes während der Olympischen Winterspiele in Sarajevo im Februar 1984 zurück, als man gegenüber dem MfS Interesse an einer Zusammenarbeit signalisierte. Die jugoslawische Seite interssierte sich vor allem für Fragen der Terrorabwehr und Informationen über exiljugoslawische – insbesondere kroatische – Emigrantenverbände in der Bundesrepublik; [Stellvertreter des Ministers, Neiber:] Vorschlag für eine begrenzte Zusammenarbeit des MfS mit den Sicherheitsorganen der SFRJ, Entwurf, 4.4.1984; BStU, MfS, ZKG, Nr. 3445, Bl. 10–13. Vgl. auch Tantzscher: Verlängerte Mauer, S. 63.

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Prag ihre rasche Ausreise aus der DDR. Unter ihnen befand sich eine Nichte von DDR-Ministerpräsident Willi Stoph; ein damals öffentlich bekannter Umstand, der der DDR-Führung besonders unangenehm war.961 Eine MfS-Übersicht, die sich alleine auf die letzten dreieinhalb Monate des Jahres 1984 bezog, zählte noch 211 Botschaftsflüchtlinge. Davon hielten sich 182 in der diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik in Prag auf, 17 in Budapest, elf in Warschau und ein Flüchtling in Bukarest. Letzterer harrte vom 4. November bis 8. Dezember 1984 in der bundesdeutschen Botschaft aus. Nachdem er sie verlassen hatte, übergaben ihn die rumänischen Behörden der DDR-Botschaft, die ihn noch am selben Tag in die DDR ausfliegen ließ. Die DDR-Behörden hatten von dem Botschaftsflüchtling erstmals durch einen diskreten Hinweis des stellvertretenden rumänischen Außenministers Constantin Oancea an DDR-Botschafter Herbert Plaschke erfahren. Insgesamt stellte Rumänien im Hinblick auf die Botschaftsbesetzungen nur einen Nebenschauplatz dar. Doch angesichts der grundsätzlichen Brisanz registrierte das MfS zufrieden, dass Rumänien gegen die Botschaftsflüchtlinge Stellung bezog und die offizielle DDR-Position »uneingeschränkt« unterstützte, wonach das Verhalten der Bundesrepublik in dieser Angelegenheit »völkerrechtswidrig« sei.962 3.3.3.7 Das MfS kontrolliert die rumänische Grenzsicherung Da sich Rumänien in der Summe als unzuverlässiger Verbündeter erwies, versuchte das MfS, sich selbst ein Bild von der rumänischen Grenzsicherung zu machen. Viele Hinweise erhielt es im Rahmen der Ermittlungsverfahren gegen jene Flüchtlinge, die an der Grenze gefasst worden waren. Daneben entsandte es inoffizielle Mitarbeiter mit der Aufgabe nach Rumänien, die Situation an der Grenze auszukundschaften. In einem MfS-Bericht über das »Grenzregime SRR – SFRJ« aus dem Jahre 1978 heißt es dazu: Nach bisherigen Feststellungen wird die Grenze der SRR in Richtung SFRJ durch Grenzposten als Streifen und gedeckt gesichert. Beauftragten IM, die versuchten, die 961  Mayer: Flucht und Ausreise, S. 317–335. Vgl. auch Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, S. 41. 962  MfS, 14.1.1985: Hinweise zu Auswirkungen von Ausreisen der »Botschaftsfälle«; MfS, 15.1.1985: Teilanalyse zu den Fällen/Personen, die sich seit dem 13.9.1984 in den Botschaften der BRD in Prag, Budapest, Warschau und Bukarest in provokatorischer Weise aufgehalten haben. Beide in: BStU, MfS, ZKG, Nr. 3222, Bl. 3–7 bzw.  8–11, insbes.  6 und 8. – Zur Botschaftsbesetzung in Bukarest vgl. auch DDR-Botschaft Bukarest, Konsularabteilung: Schreiben an MfAA Berlin über »Besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1984«, 13.12.1984; in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 219–223, hier 221. – Constantin Oancea war von 1967 bis 1974 der erste Botschafter Rumäniens in der Bundesrepublik.

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Grenze zu fotografieren, wurde Stunden später von Grenzposten der Film abgenommen. Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass insb. im grenznahen Raum bei Turnu Severin eine Tiefensicherung unter Einbeziehung der Bevölkerung erfolgt.963

Bemerkenswert sind hier weniger die inhaltlichen Feststellungen als der beiläufig erwähnte Hinweis darauf, mit welchen Aufträgen das MfS seine IM in fremdes Grenzgebiet schickte. Im Frühjahr 1982 bereiste der IM »Jürgen« das Grenzgebiet rund um die kleine Grenzstadt Hatzfeld (Jimbolia), die etwa 40 Kilometer westlich von Temeswar gelegen ist. Danach beschrieb er seinem Führungsoffizier ausführlich das rumänische Grenzsicherungssystem. Seiner Darstellung nach war es für Ausländer kein ernsthaftes Problem, in die Grenzdörfer zu reisen. Zwar würden rumänische Posten etwa zehn bis 15 Kilometer vor der jugoslawischen Grenze an den Straßen und in den Zügen die Personalausweise kontrollieren, hinderten aber niemanden an der Weiterfahrt, sodass man faktisch ungehindert bis an die Grenze gelangen könne, die ebenfalls nicht allzu streng bewacht sei. Viele Einheimische würden diese Möglichkeit nutzen und nachts über die Grenze wechseln, um in Jugoslawien einzukaufen und in der folgenden Nacht zurückzukehren. Da sie wüssten, wann sich die Grenzposten wo aufhielten, sei dies nicht allzu riskant, obgleich die rumänischen Grenzsoldaten das Feuer auf entdeckte Grenzgänger eröffneten. DDR-Bürger hätten an diesem Grenzabschnitt nur dann eine Chance zu fliehen, wenn sie über gute Ortskenntnisse verfügten oder von Einheimischen unterstützt würden. Der Bericht des IM »Jürgen« unterschätzte die Wirksamkeit des rumänischen Grenzregimes, auch wenn dieses durchlässiger war als jenes der DDR. Da die Schwiegereltern des IM in einem der Dörfer nahe der jugoslawischen Grenze wohnten, hatte er im Gegensatz zu den meisten anderen DDR-Bürgern stets einen plausiblen Grund, um in diese Gegend einzureisen. In seinen Bericht floss viel von dem ein, was er von den dortigen Dorfbewohnern gehört hatte. Über die gescheiterten und auch tödlich geendeten Fluchtversuche berichtete er bezeichnenderweise nichts.964 Das MfS profitierte auch von den Kenntnissen der DDR-Diplomaten in Bukarest. Deren Berichte an das Außenministerium in Ostberlin erreichten in Kopie häufig das MfS. Über die Besonderheiten im Bereich Orșova – Turnu Se963  MfS, HA VI, B. AT, Abt. 3/1, 23.10.1978: Zuarbeit zum ungesetzlichen Verlassen von Bürgern der DDR über die SRR – Richtung SFRJ; BStU, MfS, HA VI, Nr. 12462, Bl. 78 f. Aus der Akte geht die Identität der »beauftragten IM« nicht hervor. 964  BV Erfurt, Abt. XI, 17.6.1982, Tonbandabschrift von IM-Bericht »Jürgen«: »Information über die Möglichkeit, die sozialistische Republik Rumänien in Richtung Jugoslawien ungesetzlich zu verlassen«; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 133–135. Zu IM »Jürgen« siehe BStU, MfS, BV Erfurt, AIM 168/85. Zum rumänischen Grenzregime sowie dem dortigen Schießbefehl siehe auch Kapitel 3.3.3.9.

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verin, wo die Donau die Grenze zwischen Rumänien und Jugoslawien bildete, schrieb beispielsweise 1983 das DDR-Konsulat: Eigene Beobachtungen ergaben, dass dieses Gebiet durch mangelhafte Markierung für ausländische Touristen als Grenzgebiet schwer erkennbar ist. Die E 94 führt in diesem Abschnitt direkt an der Donau entlang. Es ist für jeden möglich, sich bis an das Ufer zu begeben, ohne sich bewusst zu sein, dass er sich im Grenzgebiet aufhält. In der Nähe von Drobeta-Turnu Severin befindet sich z. B. auf dem Gelände zwischen der E 15 und der Donau ein Motel, dessen rückwärtiges Gelände bis unmittelbar an die Donau heranreicht und von den Bewohnern betreten werden kann. In größeren Abständen befinden sich am Ufer der Donau Steine mit der Aufschrift ›RSR‹, wo man nicht voraussetzen kann, dass sie von Touristen als Grenzsteine erkannt werden. Insofern kann bei Aufenthalten von DDR-Bürgern in diesem Gebiet nicht immer auf die Absicht eines illegalen Grenzübertritts geschlossen werden.965

Auch für das jugoslawische Grenzsicherungssystem interessierte sich das MfS. Offiziere der DDR-Grenztruppen, die im Sommer 1989 Gespräche mit dem jugoslawischen Generalstab führten, stellten ihre Erkenntnisse in einem Bericht zusammen. Ein Exemplar davon leitete Verteidigungsminister Heinz Keßler Erich Mielke zu. Demnach überwachten motorisierte und berittene bewaffnete Patrouillen die Staatsgrenzen, unterstützt von der ortsansässigen Bevölkerung. Jedoch gebe es keine »besonderen Grenzsicherungsanlagen, wie Grenzsignalzäune, Gräben, Spurstreifen, Selbstschutz[!]anlagen, Minensperren usw.«. Nur an der Grenze zu Albanien seien Drahtzäune und Erdbunker errichtet worden.966 Der stellvertretende Stasi-Minister Wolfgang Schwanitz fertigte anhand dieses Berichts eine knappe Einschätzung für Erich Mielke an, die nur aus zwei Sätzen bestand und unbeabsichtigt makaber ausfiel: Aus den bisher vorliegenden Erkenntnissen über das System der Grenzsicherung der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien ist ersichtlich, dass das Grenzsicherungssystem der SFRJ keinen unmittelbaren Vergleich mit dem Grenzsicherungssystem der DDR zulässt. Endgültige Aussagen können erst im Ergebnis der angestrebten Konsultation in der SFR Jugoslawien gemacht werden.967

Grenzübertritte und Fluchten erfolgten nicht nur entlang der Außengrenzen, sondern auch über den Flugverkehr. Aus diesem Verständnis heraus observierte das MfS die Flughäfen in anderen Ostblockstaaten, um Schlupflöcher durch den Eisernen Vorhang zu entdecken und zu schließen. Vom 10. bis 12. Dezem965  DDR-Botschaft Bukarest, Konsularabteilung: Schreiben an MfAA Berlin über »Besondere Vorkommnisse im Reiseverkehr 1983«, 12.12.1983, in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 243–250, hier 244. 966  Schreiben Heinz Keßlers an Honecker und Mielke sowie Entwürfe hiervon, August/ September 1989; BStU, MfS, Sekr. Neiber, Nr. 62, Bl. 100–112. 967  Schreiben Schwanitz‘ an Mielke, 29.8.1989; ebenda, Bl. 115.

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ber 1969 inspizierten zwei MfS-Mitarbeiter, Major Alwin Brandt und Hauptmann Günter Herfurth, inkognito den Bukarester Flughafen Băneasa. Ihr Erkundungsbericht, den sie ihren Vorgesetzten in Ostberlin vorlegten, fiel negativ aus. Eher nebensächlich war ihre Feststellung, dass die gesamte Flughafeneinrichtung »niveaulos und primitiv« sei. Bemerkenswerter war schon, dass die rumänischen Passkontrolleure Passagiere aus dem westlichen Ausland freundlich und schnell abfertigten, während sie sich gegenüber Reisenden aus sozialistischen Ländern streng und unhöflich verhielten. Als alarmierend schätzten die MfS-Beobachter hingegen die Tatsache ein, dass sich in den Warteräumen die ein- und ausreisenden Passagiere unkontrolliert begegnen konnten, zumindest dann, wenn normaler oder starker Betrieb auf dem Flughafen herrschte. Damit war es westdeutschen Fluchthelfern möglich, DDR-Bürgern einen bundesdeutschen Pass oder eine Bordkarte für einen Flug in den Westen zu übergeben und ihnen somit zur Flucht zu verhelfen. In der Stasi-Sprache hieß das »Schleusung mittels der Methode der Umwandlung«: DDR-Bürger mutierten unterwegs mittels bundesdeutscher Pässe in Bundesbürger. In Băneasa, so die Schlussfolgerung der beiden MfS-Offiziere, bestehe das »niveauloseste Kontrollsystem von allen der bisher erkundeten Flughäfen«. Die erkannten Mängel ließen sich zwar beheben, wenn die rumänischen Passkontroll-Einheiten in das geplante System der Zusammenarbeit zwischen den Passkontroll-Einheiten der sozialistischen Länder einbezogen würden. Dennoch warnten Brandt und Herfurth davor, mit den Rumänen zu kooperieren: »Unter den gegenwärtigen Verhältnissen (politische Lage, geringer Reiseverkehr von DDR-Bürgern in die SR Rumänien, nichtbestehende Kontakte zwischen den Passkontrollorganen der DDR und der SR Rumänien) wäre es unangebracht, konkrete Details unserer politisch-operativen Maßnahmen dem rumänischen Passkontrollorgan zu offenbaren.« Stattdessen schlugen sie vor, nur solche DDR-Bürger nach Rumänien reisen zu lassen, von denen man sicher war, dass sie nicht in den Westen fliehen wollten.968 Das Misstrauen der beiden MfS-Offiziere gegenüber Rumänien wurde offenbar auch von ihren Vorgesetzten geteilt. Als ihre Abteilung 1971 einen Perspektiv­plan für die Jahre 1972 bis 1975 vorlegte, wurde darin eine engere Kooperation mit den Passkontroll-Einheiten der anderen sozialistischen Länder

968  HA Passkontrolle und Fahndung, 23.12.1969: Bericht über die Durchführung der operativen Erkundungsreise in die Hauptstadt der SR Rumänien, Bukarest; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4780, Bl. 21–29; dem Bericht sind mehrere heimlich aufgenommene Fotos des beschriebenen Flughafens beigefügt. Vgl. ebenda, Bl.  39–46. In derselben Akte befinden sich auch die Erkundungsberichte der gleichen MfS-Offiziere über Flughäfen in Polen und Bulgarien. Die MfS-Hauptabteilung »Passkontrolle und Fahndung«, der Brand und Herfurth angehörten, wurde am 15.1.1970 zusammen mit zwei anderen Referaten zur HA VI fusioniert, die bis 1989/90 bestand. Die Passkontrolleure an den DDR-Grenzen waren hauptamtliche Mitarbeiter der HA VI.

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angestrebt, um bestehende Lücken in den Überwachungssystemen zu schließen. Lediglich mit Rumänien sah der Perspektivplan keine Zusammenarbeit vor.969 In der Folgezeit scheinen die rumänischen Sicherheitsbehörden die Flughafenkontrollen strenger durchgeführt zu haben. Dennoch war man im MfS mit den rumänischen Überwachungsstandards noch nicht zufrieden. Im Herbst 1975 resümierte der fachlich zuständige MfS-Oberst Manfred Thiele, im laufenden Jahr seien auf den Fluglinien zwischen der DDR, der Sowjetunion, Polens, der Tschechoslowakei, Ungarns und Bulgariens keine DDR-Bürger mehr mit der »Umwandlungsmethode« ausgeschleust worden. Thiele führte das auf die intensivere Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten der genannten Länder zurück. Sodann wies er auf einen Schwachpunkt hin: »Lücken und begünstigende Bedingungen im internationalen Flugverkehr bestehen nach wie vor auf den Fluglinien von und nach der SR Rumänien. Mit den Bruderorganen der VRB, UVR und CSSR wurden eine Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung dieser begünstigenden Bedingung beraten und vereinbart [...].«970 Eigentlich wäre es das Naheliegende gewesen, den angesprochenen Schwachpunkt mit dem rumänischen Staatssicherheitsdienst zu besprechen, doch dies kam für das MfS damals offenkundig nicht infrage. Anfang 1984 stellte das MfS erneut Überwachungslücken im internationalen Flugverkehr fest: Die ungarische Fluggesellschaft MALEV flog dreimal wöchentlich auf der Linie Budapest – Bukarest – Istanbul. In den Jahren 1982 und 1983 gelangten den MfS-Informationen zufolge sechs DDR-Bürger über diese Route in den Westen, indem sie in Bukarest »im Flugzeug sitzen blieben und somit ohne Komplikationen den Weiterflug nach Istanbul und damit den ungesetzlichen Grenzübertritt vollendeten«.971 Das MfS informierte hierüber direkt den ungarischen Staatssicherheitsdienst, um Gegenmaßnahmen zu erwirken. Um auch die rumänischen Sicherheitsbehörden einzubeziehen, musste das MfS hingegen einen Umweg gehen. Es wandte sich an das DDR-Außenministerium, das die rumänischen Sicherheitsbehörden auf den Sachverhalt hinwies und darum ersuchte, stärkere Kontrollen auf dieser Fluglinie durchzuführen. Konkret war es in diesem Fall der DDR-Botschafter in Bukarest Siegfried Bock, der ein Gespräch mit dem Leiter des Passamts Ion Ghenoiu vereinbarte und ihm das 969 [MfS, HA VI,] 26.10.1971: Zur Perspektivplanvorgabe 1972–1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 1460, Bl. 285 f. 970  MfS, HA VI, Stellv. Operativ [Oberst Manfred Thiele], 4.9.1975: Berichterstattung zum Thema: »Einschätzung der Wirksamkeit der Führungs- und Leitungstätigkeit in der Vorgangsentwicklung und -bearbeitung zur Aufklärung und zielgerichteten Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels und des ungesetzlichen Verlassens der DDR«; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40, Bd. 4, Bl. 10–17, Zitat 14. 971  ZKG, Abt. 2, 20.2.1984: Zusammenfassende Information über vorliegende Erkenntnisse zum Missbrauch der internationalen Fluglinie der »MALEV 202« Budapest – Bukarest – Istanbul durch Bürger der DDR zum ungesetzlichen Grenzübertritt; BStU, MfS, BV Magdeburg, AKG, Nr. 478, Bl. 85 f.

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Anliegen des MfS übermittelte.972 Faktisch füllten die DDR-Diplomaten in Rumänien in diesem wie auch in anderen Fällen die Überwachungslücke, die durch die fehlende direkte Kooperation mit der Securitate entstanden war. 3.3.3.8 DDR-Flüchtlinge sterben an der rumänischen Grenze An allen Westgrenzen der sozialistischen Länder starben DDR-Flüchtlinge.973 Mindestens drei DDR-Bürger kamen bei der Flucht über die rumänisch-jugoslawische Grenze ums Leben: Anfang Oktober 1970 versuchte der Ingenieur Anton Frank, der zuletzt in Leipzig gelebt hatte, die Donau schwimmend zu durchqueren. Am 11. Oktober 1970 barg ein Fischer im bulgarischen Bezirk Vidin seinen Leichnam. Ein nüchterner Aktenvermerk der DDR-Botschaft in Sofia gibt über das angebliche Geschehen Auskunft. Anton Frank war demnach am 2. Oktober, von Bulgarien kommend, nach Rumänien eingereist. An einem Donauabschnitt unterhalb des »Eisernen Tors« soll er kurz darauf bei dem Versuch ertrunken sein, durch den Fluss zu schwimmen. Sein Leichnam wurde bis an das bulgarische Ufer fortgetragen. Äußere Verletzungen, so der Bericht, seien nicht festgestellt worden.974 Im August 1972 erschossen rumänische Grenzsoldaten den Pädagogen ­Rudolph B. Er war im August 1972 mit zwei weiteren Personen nach Temeswar gefahren, wo man zunächst einige Tage Urlaub machte. Von dort erkundeten sie die rumänisch-jugoslawische Grenze in der Gegend um Hatzfeld. In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1972 versuchten sie schließlich, unweit von Hatzfeld auf dem Landweg nach Jugoslawien zu gelangen. Sie durchquerten unbemerkt ein großes Maisfeld und erreichten offenes Gelände in unmittelbarer Grenznähe. Versehentlich berührte einer der Flüchtenden, wie es später im Vernehmungsprotokoll hieß, einen Signaldraht. Dadurch seien die rumäni972 Dieser Verfahrensweg wird so beschrieben in: ebenda, Bl.  86. Ein Vermerk der DDR-Botschaft über das Gespräch Bocks mit Ghenoiu am 24.1.1984 ist vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 10, Bl. 240 f. 973  Siehe bspw. Pulec: Die Bewachung der tschechoslowakischen Westgrenze; Pulec nennt die Namen von 15 DDR-Bürgern, die zwischen 1950 und 1989 an der tschechslowakischen Grenze ums Leben kamen. Siehe ferner Appelius: Auf der Flucht erschossen. Appelius schreibt von 15 »namentlich bekannten« getöteten DDR-Flüchtlingen an der bulgarischen Westgrenze, vermutet aber eine deutlich höhere Opferzahl. 974  Botschaft der DDR, Konsularabteilung, Sofia, 23.10.1970: Aktenvermerk; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9440, Bl. 5 f. Vgl. auch die auf dem Aktenvermerk basierenden MfS-Berichte in: ebenda, Bl. 1–4. Ausführlicher die Darstellung in Appelius: Fluchtweg Rumänien, S. 995–997. Wie Appelius von Franks Schwester erfuhr, hatte der bulgarische Arzt, der Frank obduzierte, seiner Mutter erklärt, der Leichnam habe »Würgemale aufgewiesen« und Frank sei bereits tot gewesen, als er in die Donau geworfen worden sei. Ebenda, S. 996.

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Abb. 23: Dieses Denkmal erinnert an die Menschen, die bei der Flucht über die Donau ums Leben kamen. Es befindet sich an der Nationalstraße 6 südöstlich von Orșova Richtung Turnu Severin.

schen Grenzer alarmiert worden, die die Flüchtlinge nach kurzer Zeit entdeckten. Einer oder mehrere Grenzsoldaten zielten auf sie und töten Rudolph B. Ob sie zuvor Warnschüsse abgaben, lässt sich anhand der Akten nicht sicher feststellen. Die beiden anderen Flüchtlinge wurden festgenommen und wenige Tage danach an die DDR überstellt.975 Die Militärstaatsanwaltschaft Temeswar gab 975  BStU, MfS, BV Rostock, AU 160/73, HA Bd. 1, Bl. 48–50 Die abweichende Schilderung, die die MfS-Hauptabteilung VI von dem Vorgang gab (vgl. ebenda, Bl. 80), erscheint nicht plausibel. Demnach hätten die Flüchtlinge mit dem Auto am Grenzübergang Hatzfeld die Grenze zu »durchbrechen« versucht und die Grenzposten auf das fahrende Auto geschossen, wobei einer der Insassen tödlich getroffen worden sei. Dagegen spricht neben vielem anderen die von den rumänischen Untersuchungsorganen angefertigte Skizze des Unglücksortes weit entfernt von dem genannten Grenzübergang sowie die Tatsache, dass das angeblich beschossene Auto der Flüchtenden wenige Tage später als »verkehrsfähig und havarienlos« bezeichnet wurde. Siehe ebenda, AU 160/73, HA Bd. 1, Bl. 135 und AU 160/73, GA/ASt Bd. 3, Bl. 119. In der Untersuchungsakte der Staatsanwaltschaft Temeswar befindet sich das Untersuchungsprotokoll der Militärstaatsanwaltschaft vom 18.8.1972; darin heißt es über einen namentlich benannten Grenzsoldaten, dieser habe zunächst ein Alarmsignal gehört, und dann im Lichtschein einiger Blitze drei auf der Erde kriechende Personen wahrgenommen. Da diese auf seine Warnzeichen nicht reagierten, habe er die tödlichen Schüsse abgegeben. Ebenda, AU 160/73, GA/ASt Bd. 3, Bl. 46. In der verschrifteten Zeugenerklärung, die der genannte Grenzsoldat

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bei der gerichtsmedizinischen Abteilung des Kreises Temesch noch am 18. August 1972 einen Obduktionsbericht in Auftrag. Er lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Flüchtlinge um jeden Preis an der Flucht gehindert werden sollten und ihr Tod ohne Weiteres in Kauf genommen wurde. Denn es hieß darin unter anderem: »Der Schuss erfolgte aus einer Entfernung, aus der ein genaues Zielen nicht mehr möglich war. Während des Schusses befand sich das Opfer mit dem Rücken zum Schützen [...].«976 Ebenfalls am 18. August 1972 sprachen bereits zwei Vertreter des rumänischen Passamts beim DDR-Konsul in Bukarest vor. Folgt man seinem Gesprächsvermerk, so brachten seine rumänischen Gesprächspartner formelhaft ihr Bedauern über den tödlichen Ausgang der verhinderten Flucht zum Ausdruck. Zugleich erklärten sie, dass dieser Vorfall nicht öffentlich bekannt werden solle. Sie seien aber bereit, dem Wunsch der Angehörigen zu entsprechen und den Leichnam des Getöteten in die DDR überführen zu lassen. Dagegen äußerte der DDR-Konsul auf zynische Weise sein volles Verständnis für die tödlichen Schüsse und wischte somit die Bedauernsäußerung beseite. Die Grenzsoldaten hätten »befehlsgemäß und entsprechend ihrer Befugnisse gehandelt«; zudem müsse »ein Grenzverletzer in einem Staat mit geordnetem Grenzregime stets mit allen Konsequenzen rechnen, wenn er allen Warnungen zum Trotz sein Verbrechen vollenden will«, so der Konsul. Er setzte außerdem durch, dass der Getötete in Temeswar bestattet wurde. Denn dieser habe »seinen Staat verraten«, weshalb »kein Interesse an der Leichenüberführung in die DDR« bestehe.977 Der Geologe Günther Lange wurde im November 1973 von rumänischen Grenzsoldaten getötet. Ihm war es zunächst gelungen, durch die Donau zu schwimmen und die Kleinstadt Tekija am jugoslawischen Ufer zu erreichen. Die jugoslawischen Sicherheitskräfte schickten ihn jedoch nach Rumänien zurück. Doch er blieb nur kurz in rumänischem Gewahrsam, sei es, dass er rasch wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, sei es, dass er den Behörden entkam. Auf jeden Fall unternahm er kurz darauf einen zweiten Versuch, durch die Donau zu schwimmen. Dabei wurde er offenbar von rumänischen Grenzposten angeschossen und verletzt, sodass er ertrank. Sein toter Körper wurde kurze Zeit spä-

noch am selben Tag vor der Militärstaatsanwaltschaft abgab, ist bezeichnenderweise nur von der Festnahme zweier Personen die Rede, während die tödlichen Schüsse auf die dritte Person unerwähnt bleiben. Ebenda, Bl. 59 f. 976 Gerichtsmedizinisches Gutachten der gerichtsmedizinischen Abteilung des Bezirks Timiș vom 18.8.1972 (deutsche Übersetzung); BStU, MfS, BV Rostock, AU 160/73, GA/ASt, Bd. 3, Bl. 29–33, Zitat 33. 977  Botschaft Bukarest, Konsularabteilung, 22.8.1972: Vermerk über ein Gespräch in der Passdirektion des MdI der SRR am 18. August 1972; BStU, MfS, BV Rostock, AU 160/73, HA, Bd. 1, Bl. 138 f. Zur Bestattung des Getöteten in Rumänien vgl. einen weiteren Vermerk der Konsularabteilung vom 24.8.1972, in: ebenda, Bl. 140.

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ter in Tekija geborgen.978 Rudolph B. und Günther Lange wurden offenkundig Opfer des verschärften Schießbefehls an der rumänischen Grenze, der im Oktober 1971 erlassen worden war.979 3.3.3.9 Exkurs: Flucht und Ausreise aus rumänischer Perspektive Das MfS besaß in Rumänien weniger Aktionsmöglichkeiten als in anderen verbündeten Ländern.980 Deshalb hing der Erfolg eines Fluchtversuchs umso mehr davon ab, wie gründlich der rumänische Staat seine Außengrenzen überwachte. Tatsächlich sah sich die rumänische Führung demselben Problem gegenüber wie diejenige der DDR: Auch rumänische Staatsbürger versuchten in großer Zahl, aus ihrem Land zu fliehen und im Westen ein besseres Leben zu führen. Die rumänischen Grenzsicherungsmaßnahmen stellten daher eine Reaktion auf die Fluchtbereitschaft der einheimischen Bevölkerung dar. Dass auch DDR-Bürger diese Grenze zu überwinden versuchten, war aus dieser Perspektive nebensächlich. Anders als es der Bericht des IM »Jürgen« suggerierte, war die rumänische Grenze in Richtung Jugoslawien sehr wohl gut bewacht. Zwar gab es keine Selbstschussanlagen wie an der innerdeutschen Grenze, weniger Befestigungsanlagen und auch keine Minenfelder (Rumänien räumte die Minenfelder an der Grenze zu Jugoslawien bereits in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre wieder ab, die DDR begann an ihrer Westgrenze erst rund 30 Jahre später damit).981 Doch 978  In der rumänischen Tageszeitung »Jurnalul Naţional« vom 1.6.2005 schildert die Journalistin Marina Constantinoiu in ihrem Beitrag »Pentru mulţi dintre ›frontieriști‹ viaţa s-a încheiat în Dunare« [»Viele Flüchtlinge verloren in der Donau ihr Leben«] den tödlich verlaufenen Fluchtversuch Günther Langes im November 1973. Ich danke Cornelius Zach, der mich auf diesen Artikel aufmerksam machte. Eine deutsche Übersetzung der entsprechenden Passagen in Herbstritt: Über Rumänien in die Freiheit?, S. 13. In MfS-Dokumenten sind die Abschiebung Langes von Jugoslawien nach Rumänien am 13.10.1973 sowie sein Tod im November 1973 ohne Angabe eines Tages festgehalten. BStU, MfS, AS, Nr. 136/75, Bl. 90 und BStU, MfS, BV Rostock, Kerblochkartei Lange, Günter, Verhinderter Grenzdurchb. 198. Vgl. auch den Vermerk des DDR-Konsuls in Bukarest über ein Gespräch im rumänischen Außenministerium am 29.3.1974, der indirekt auf den Tod Günther Langes Bezug nimmt. PA AA, MfAA, C 1630/76. 979  Zum Schießbefehl an der rumänischen Grenze siehe Kapitel 3.3.3.9. 980  Das hier folgende Exkurs-Kapitel ist die leicht überarbeitete Fassung eines vorab veröffentlichten Aufsatzes: Herbstritt: Flucht aus Rumänien (1968 bis 1989). 981  Eine detaillierte tabellarische Übersicht über den Umfang der DDR-Grenzsicherungsanlagen in: Ritter; Lapp: Die Grenze, S. 165. Die Räumung der Minenfelder in Rumänien erfolgte, nachdem die feindseligen Spannungen zwischen den Ostblockstaaten und Titos Jugoslawien abgebaut waren. Siehe Armanca: Frontieriștii, S. 18. Wie die geheimdienstliche Arbeit der Grenztruppen während des Konflikts mit Jugoslawien zu funktionieren hatte, regelte die Directiva Ministerului Afacerilor Interne al Republicii Populare Române despre munca organelor de informaţii grănicerești cu agentura. Nr. 70 din 15 martie 1954 [Richtlinie des Innenministeriums der Rumänischen Volksrepublik über die Arbeit der Grenzorgane mit dem Informanten-

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gab es ebenso Wachtürme und Grenzsoldaten, die auf Flüchtlinge schossen, es gab Spürhunde und Stolper-/Signaldrähte, und auf den Zufahrtswegen in die grenznahen Orte sowie in den Eisenbahnen, die dorthin fuhren, fanden Personenkontrollen statt. Der Schriftsteller und Publizist William Totok stammt aus der Gemeinde Großkomlosch (Comloșu Mare) im Westen des Kreises Temesch, nur wenige Kilometer von der jugoslawischen bzw. serbischen Grenze entfernt gelegen. Aus eigener Anschauung schildert er die Situation im Grenzgebiet der 1970er- und 1980er-Jahre wie folgt: In der mehr als 20 Kilometer breiten Grenzzone herrschte eine Art nicht ausgerufener Ausnahmezustand. Verkehrswege, Bahnhöfe, Busse, Pkw wurden kontrolliert, bewaffnete Soldaten mit Hundestaffeln gehörten ins Straßenbild. Oft kam es in aller Öffentlichkeit zu brutalen und sadistischen Übergriffen auf ortsfremde Personen, die von den Patrouillen aufgegriffen wurden. Dies sollte auch zur Abschreckung eventueller Nachahmungstäter dienen.982

Zugleich gab es in dieser Region aber auch den »kleinen Grenzverkehr«: Die Einwohner der 20 Kilometer tiefen Grenzzone konnten Pässe erhalten, mit denen sie mehrmals jährlich die Gemeinden in einem 30 Kilometer breiten Grenzstreifen auf der jugoslawischen Seite bereisen durften. Viele nutzten diese Möglichkeit für Einkäufe, sei es für den Eigenbedarf, sei es, um damit Handel zu treiben. Allerdings erhielt längst nicht jeder Grenzbewohner diesen Pass. Rumänien hatte diesen »kleinen Grenzverkehr« in den 1960er-Jahren mit Jugoslawien ebenso wie mit Ungarn und Bulgarien vereinbart. Es handelte sich um eine gegenseitige Regelung, sodass auch Grenzbewohner dieser Länder regelmäßig in die rumänische Grenzregion einreisen durften.983 Totoks Schriftstellerkollegin Herta Müller wuchs weiter entfernt von der Grenze in dem Banater Dorf Nitzkydorf (Niţchidorf) auf und lebte dann bis zu netz. Nr. 70 vom 15. März 1954] nebst dazugehöriger Instrucţiuni cu privire la munca informativă a organelor informative grănicerești [Anweisungen betreffend die Arbeit der Grenzorgane mit Informanten]. In: Anisescu; Moldovan; Matiu (Hg.): »Partiturile« Securităţii, S. 329–345, 369–383. Jugoslawien beherbergte in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre politische Emigranten aus Rumänien, die dort ab 1953 für ca. zwei Jahre die Zeitung »Luptătorul. Organ al Asociaţiei emigranţilor politici din România în Iugoslavia« [»Der Kämpfer. Organ des Verbandes der politischen Emigranten aus Rumänien in Jugoslawien«] herausgaben. Siehe hierzu Dumitrescu; Frunză: Relaţii româno-iugoslave în anii ‚50. 982  Totok: Minderheiten und Securitate, S. 109. 983  Petrescu, Cristina: Entrepreneurial Tourism in Romania, S.  130  f. Wie die rumänische Zeithistorikerin Petrescu weiter schreibt, führte der »kleine Grenzverkehr« dazu, dass sich in den 1980er-Jahren in Temeswar aufgrund der Nähe zu Jugoslawien und Ungarn der größte »graue Markt« Rumäniens herausbildete. Vgl. auch die knappe Erinnerung der ebenfalls aus Großkomlosch stammenden Elisabeth Taugner an den »kleinen Grenzverkehr«, in: Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 2, S. 269.

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ihrer Auswanderung 1987 in Temeswar. In einem längeren Gespräch mit der Publizistin Angelika Klammer erzählt die Literaturnobelpreisträgerin von ihren Gedanken und Wahrnehmungen: Niemand kennt die Zahl der Fluchttoten. Es sind Tausende, aber über dieses Thema wird in Rumänien bis heute geschwiegen. […] Aber bei dem Elend war die Flucht zur Obsession geworden. Alle kannten gruselige Geschichten über Fluchttote. Ein Fluchtversuch ist zu zwei Dritteln Selbstmord, das sagte man so, und dann tat man es. Die Leute waren kaputt, der Tod schreckte sie nicht ab. Dieses ruinierte Leben oder gar keins, den Fliehenden war es egal. Außer der Armut war der Wunsch zu fliehen die zweite große Gemeinsamkeit im Land. Die Leute waren buchstäblich fluchtkrank.984

Auch 25 Jahre nach dem Ende der Ceaușescu-Herrschaft ist das rumänische Grenzregime noch kaum erforscht. Während das Geschehen an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer sowohl vor 1989 als auch danach immer große Aufmerksamkeit gefunden hat, gilt das für die rumänischen Grenzen nicht. Gewiss war die deutsche Teilung besonders einschneidend, und nicht von ungefähr ist der Fall der Berliner Mauer 1989 zu einem Symbol sondergleichen geworden. Die rumänischen Außengrenzen haben diese außerordentliche Wahrnehmung nicht erfahren. Aber nicht nur aus diesem Grund fehlen bis heute gründliche Untersuchungen des damals geschehenen Unrechts an der Grenze. Auch die Elitenkontinuität in Rumänien nach 1989 verhinderte einen kritischen Blick zurück. So haben bislang vor allem einzelne Journalisten und Filmemacher das Flüchtlingsschicksal an der rumänischen Westgrenze thematisiert und an die Todesopfer erinnert.985 Die aus dem rumänischen Banat stammenden Journalisten Doina Magheţi und Johann Steiner haben zudem Zeitzeugenberichte gesammelt und veröffentlicht. Insbesondere Angehörige der deutschen Minderheit aus Rumänien fanden 984  Müller, Herta: Mein Vaterland war ein Apfelkern, S. 131 f. 985  Armanca: Frontieriștii. Armanca leitete mehrere Jahre das Regionalstudio Temeswar des Rumänischen Fernsehens. Als Fernsehjournalistin produzierte sie 1998 den Film »Frontiera de sticlă« [Die gläserne Grenze] als Porträt über einen Flüchtling und 2000 den Dokumentarfilm »Li se spunea ›frontieriștii‹« [Man nannte sie ›Grenzgänger‹]. Ebenda, S. 8, 110. In ihrem Buch präsentiert sie einige Ergebnisse ihrer Recherchen und druckt mehrere Zeitzeugengespräche mit Flüchtlingen ab. In einem eigenen Kapitel, S. 141–170, erinnert sie an einige rumänische Journalisten, die mit ihren Recherchen und Artikeln auf die Flüchtlingsschicksale aufmerksam machten – insbesondere im Rahmen einer Serie im Mai und Juni 2005 in der Tageszeitung »Jurnalul Naţional«. Innerhalb dieser Serie erschien der oben (Anm. 978) angesprochene Artikel über den bei der Flucht erschossenen Günther Lange. Auf der Berlinale 2011 hatte der Kurzfilm »Apele tac« [»Die Gewässer schweigen« (auch als »Stille Wasser« übersetzt)] der Filmemacherin Anca Miruna Lăzărescu über eine Flucht durch die Donau eine viel beachtete Premiere.

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sich bereit, ihnen über ihre gelungenen oder gescheiterten Fluchtversuche zu berichten.986 Darüber hinaus geben Magheţi und Steiner einen Überblick über die bisherigen Veröffentlichungen in Deutschland und Rumänien und beschreiben auf diese Weise einige Merkmale des rumänischen Grenzregimes. Folgt man ihrer Darstellung, so gelangen an der rumänischen Westgrenze mehr Fluchten als an der innerdeutschen Grenze, aber vermutlich kamen auch mehr Menschen ums Leben. Gesicherte Erkenntnisse hierüber gibt es jedoch nicht. Offiziere der rumänischen Grenztruppen vertreten Magheţi und Steiner zufolge im Übrigen bis heute die Auffassung, der Schusswaffengebrauch an der Grenze sei rechtens und jeder Schuss gerechtfertigt gewesen.987 Die Temeswarer Fernsehjournalistin Brîndușa Armanca erhielt im Rahmen ihrer Recherchen vom Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen die Auskunft, dass zwischen 1969 und 1989 über 100 000 rumänische Staatsbürger politisches Asyl in westlichen Ländern beantragt hätten, davon alleine 50 000 im Jahr 1989.988 Diese Zahlen sind interpretationsbedürftig, belegen aber grundsätzlich eine weitverbreitete Bereitschaft unter rumänischen Staatsbürgern, das Land zu verlassen.989 Unter diesem Aspekt war die Situation in Rumänien derje986 Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, 2 Bde. In Band 1 floss die zuvor viersprachig (rumänisch, serbisch, deutsch, ungarisch) veröffentlichte Broschüre von Magheţi ein: Graniţa. Granica. Die Grenze. A határ. Die Einleitung zu Band 2 enthält einen Überblick über veröffentlichte Autobiografien von Flüchtlingen sowie über Romane, die sich mit dem Thema der Flucht aus Rumänien befassen und setzt die in der Einleitung zu Band 1 begonnene Überblicksskizze fort. Eine rumänische Übersetzung des ersten Bandes erschien 2009 in Iași unter dem Titel »Mormintele tac. Relatări de la cea mai sângeroasa graniţă a Europei«. Zwischenzeitlich sind noch die Erinnerungen von Mühlroth: Eine Eisenbahn, erschienen, in denen der rumäniendeutsche Publizist anschaulich über seine erfolgreiche Flucht 1982 als 18-Jähriger schreibt. Inwieweit aus der Perspektive der ungarischen Minderheit Rumäniens zu der Thematik veröffentlicht wurde, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. 987 Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 1, S. 14, 22; Bd. 2, S. 14. Die Grenzsoldaten wurden mit Drohungen und Vergünstigungen animiert, Jagd auf Flüchtlinge zu machen. 988  Armanca: Frontieriștii, S. 5, 17 f. 989  Von den knapp 50 000 Flüchtlingen des Jahres 1989 beantragten rund 27 000 Asyl in Ungarn, das demnach bereits als westliches Land angesehen wurde. Ebenda, S. 17 f. Diese Fluchtbewegung des Jahres 1989 ist vor dem Hintergrund der zugespitzten ungarisch-rumänischen Beziehungen und der entschiedenen Öffnung Ungarns nach Westen zu sehen und stellt insofern eine Besonderheit dar. Ungarn war die längste Zeit kein Zielstaat für Flüchtlinge aus Rumänien gewesen. Die Statistik besagt nicht, ob die Menschen über die Grenze flüchteten oder von genehmigten Reisen nicht zurückkehrten. Rumäniendeutsche sind in der Statistik nicht enthalten, da sie ohne Asylantrag in der BRD aufgenommen wurden. Die vermutlich sehr viel höher liegende Zahl gescheiterter Fluchtversuche erfasste die Statistik nicht. Armanca gibt auch Flüchtlingszahlen aus UNO-Quellen an, die bereits 1986 in der Belgrader Zeitung »Večernje Novosti« veröffentlicht wurden: 1984 beantragten demnach 2  686 Flüchtlinge aus Osteuropa Asyl in Jugoslawien, darunter 1 212 Rumänen; 1985 waren es 1 946 Flüchtlinge, darunter 1 126 Rumänen; ebenda, S. 33 f. Im November 1984 berichtete ein in Belgrad akkreditierter ungarischer Diplomat seinem DDR-Kollegen über ein Gespräch, das er soeben mit dem Leiter des UNO-Kommissariats für Flüchtlingsfragen in Jugoslawien, Živojin Bulat, geführt

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nigen in der DDR ähnlich, wo zwischen 1969 und 1988 rund 110 000 Menschen das Land ohne behördliche Genehmigung verlassen hatten.990 Die Situation eines geteilten Landes, die vielen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen Menschen aus beiden deutschen Staaten und die zahlreichen Anträge von DDR-Bürgern auf Übersiedlung in die Bundesrepublik verschärften aus MfS-Perspektive allerdings das Problem in der DDR. Reisefreiheit? Kurzzeitiges Experiment 1967 bis 1969 Der Bukarester Historiker und Politikwissenschaftler Dragoș Petrescu charakterisiert die Jahre 1967 bis 1969 als eine »Periode steigender Erwartungen«. Die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung habe sich seit Mitte der 1960er-Jahre allmählich verbessert, und das gesellschaftliche und politische Klima sei etwas liberaler geworden. Das Regime habe nun auch die Freizeitgestaltung gefördert, zu Urlaubsreisen (zunächst im Inland) ermutigt und eine entsprechende Infra­ stuktur geschaffen, es habe Reiseführer und Landkarten drucken lassen und Anderes mehr. Im August 1968 habe Rumänien mit einer eigenen Automobilproduktion begonnen und somit die Mobilität der Bevölkerung gesteigert. In dieser Phase, so Petrescu, habe das Ceaușescu-Regime das von der UNO ausgerufene »Internationale Jahr des Tourismus« 1967 zum Anlass genommen, die Grenzen in beide Richtungen weiter zu öffnen: Rumänien habe sich verstärkt als Reiseziel für westliche Touristen präsentiert, aber auch die Grenzen für die eigene Bevölkerung durchlässiger gemacht. Es habe sich so als unabhängiges und weltoffenes Land zeigen wollen.991 Die rumänische Führung wagte somit Ende der 1960er-Jahre den Versuch, mehr Bürgern als bislang Reisen ins westliche Ausland zu genehmigen. So bot hatte. Bulat gab demzufolge an, von Januar bis August 1984 hätten sich 2 642 Bürger aus europäischen sozialistischen Ländern an seine Institution gewandt (d. h., sich als Flüchtlinge gemeldet), davon 1 408 aus Rumänien und 1 031 aus der ČSSR. Für rund 1 000 von ihnen sei ein Aufnahmeland gefunden worden, darunter Australien (263), die BRD (197), die USA (183), Schweden (56), Kanada (50) und Italien (14). BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2231, Bl. 67 f. 990  Wendt: Die deutsch-deutschen Wanderungen, S. 390. Zwischen 1969 und 1988 siedelten außerdem rund 260 000 DDR-Bürger mit behördlicher Genehmigung in die BRD über. 1989 kamen rund 242 000 DDR-Bürger als Flüchtlinge und 102 000 DDR-Bürger mit Genehmigung in die BRD. In umgekehrte Richtung verzogen zwischen 1970 und 1988 rund 33 000 Bundesbürger in die DDR. Ebenda, S. 388. Wendt stützt sich offenkundig auf zeitgenössische bundesdeutsche Datenerhebungen. Aus verschiedenen MfS-Statistiken lässt sich für den Zeitraum 1976 bis 1988 hingegen eine Zahl von knapp 20 000 DDR-Flüchtlingen errechnen (einschließlich derer, die von genehmigten Reisen in den Westen nicht zurückkehrten, aber ohne Rentner). Siehe hierzu Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, S.  49. Weshalb die MfS-Statistik deutlich weniger Flüchtlinge ausweist als Wendt, ist nicht erkennbar. Möglicherweise liegt ein unterschiedliches Verständnis von »Flucht« zugrunde. 991  Petrescu, Dragoș: Closely Watched Tourism, S. 339–344.

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das staatliche Tourismusbüro Kurzreisen insbesondere nach Österreich und in die Türkei an. Tab. 3: Reisen rumänischer Staatsbürger ins westliche Ausland 1966–1969 (Anzahl der Reisenden)992 Jahr

Dienst­ reisen

Besuche bei Verwandten und Freunden

Urlaubsreisen

Westreisen insgesamt

davon verblieben im westlichen Ausland

1966

28 302

4 056

667

33 025

k. A.

1967

32 912

8 064

2 700

43 676

186 (= 0,4 %)

1968

27 224

24 976

12 884

65 084

644 (= 0,9 %)

Jan.– März 1969

2 974

3 262

2 585

8 821

239 (= 2,5 %)

1969

17 346

40 418

16 485

74 249

1 393 (= 1,9 %)

Im Frühjahr 1969 registrierten die Sicherheitsbehörden, dass der Anteil derjenigen, die von einer Westreise nicht zurückkehrten, kontinuierlich anstieg. Vor allem Urlauber verblieben im Westen, obgleich sie in besonderer Weise unter Beobachtung standen, denn die meisten Urlaubsreisen in westliche Länder er992  Diese und weitere Zahlen sind in Berichten zusammengestellt, die dem Sekretariat des ZK der RKP auf seinen Sitzungen am 8.4. und 11.11.1969 (vgl. Anm. 994) vorlagen: Notă privind situaţia rămînerilor în străinătate a unor cetăţeni români în cursul anului 1968 și trimestrul I/1969 [Bericht betreffend die Situation des Verbleibens rumänischer Staatsbürger im Ausland 1968 und im ersten Quartal 1969], ediert in: Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Istoria Comunismului din România. Vol. II: Documente Nicolae Ceaușescu (1965–1971), S. 522–529, sowie Informare privind rămînerea în străinătate a unor cetăţeni români în perioada 1 ianuarie – 30 septembrie 1969 [Information betreffend das Verbleiben rumänischer Staatsbürger im Ausland in der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1969]. In: ANR, fond CC al PCR, Secţie Cancelarie, dosar 137/1969, Bl. 69–77. Ich danke Hannelore Baier, die mir Einblick in die Akte 137/1969 gewährte. Außerdem: Comisia pentru problemele de pașapoarte și vize de pe lîngă consiliul de miniștri: Informare Cu privire la activitatea de pașapoarte și vize pe anul 1969 [Kommission für Pass- und Visafragen beim Ministerrat: Information betreffend die Tätigkeit [in Sachen] Pässe und Visa im Jahr 1969], ediert in: Comisia Prezidenţială: Istoria Comunismului din România. Vol. II, S.  549–557. Einige der »Nichtrückkehrer« reisten über die ČSSR und Jugoslawien in den Westen. Von den 1 393 »Nichtrückkehrern« des Jahres 1969 kehrten im selben Jahr 89 doch noch zurück, weitere 525 beantragten die Verlängerung ihres Visums, um sich die Rückkehr offenzuhalten. Ebenda, S. 551, 557.

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folgten als organisierte Gruppenreisen. Betrachtet man diesen Trend in absoluten Zahlen, so erscheint er kaum der Rede wert zu sein. Securitate-Chef Ion Stănescu reagierte jedoch schon im Januar 1969 mit einem internen Befehl, der eine gründlichere Überprüfung derjenigen verlangte, die eine Westreise genehmigt bekommen sollten. Auch Parteimitglieder und Informanten waren nun genauer zu durchleuchten.993 Die politische Führung sah das jedoch weniger gelassen. Das Sekretariat des Zentralkomitees der Rumänischen KP setzte das Thema der »Nichtrückkehrer« deshalb auf den Tagesordnungspunkt 1 seiner Sitzung am 8. April 1969, und am 11. November 1969 kam es erneut auf die Tagesordnung.994 Unter der Leitung von Nicolae Ceaușescu diskutierte der oberste Führungszirkel Ursachen und Folgen dieser Entwicklung und beschloss Gegenmaßnahmen. Dazu zählte unter anderem die Aufforderung an Securitate und Innenministerium, die Bürgerinnen und Bürger, die eine Westreise beantragten, noch gründlicher zu durchleuchten, um zuverlässig festzustellen, ob sie Fluchtabsichten hegten. Auch Ion Iliescu, der damals an der Beratung teilnahm und von 1990 bis 1996 und 2000 bis 2004 Staatspräsident war, sprach sich für eine strengere Auswahl bei der Vergabe von Westreisen aus.995 Zu den weiteren Beschlüssen zählte die Kürzung des Devisen-Etats für Urlaubsreisen, sodass weniger Urlaubsreisen angeboten werden konnten, verstärkte Propaganda in den Massenmedien, die einerseits zu Patriotismus und Heimatliebe aufrufen, andererseits das Leben im Kapitalismus in möglichst düsteren Farben darstellen sollte, bessere Überwachung der Reisegruppen während ihres Auslandsaufenthaltes und auch die Aufforderung an die rumänischen Diplomaten im Ausland, an die Geflüchteten heranzutreten und sie zur Rückkehr zu überreden. Die Daten, die der politischen Führung vorlagen, besagten, dass sich unter den Nichtrückkehrern sehr viele ausgebildete Fachkräfte und Arbeiter befanden. Gerade auch vor diesem Hintergrund verlangte Nicolae Ceaușescu, dass das Nichtrückkehren als ein »Verrat am Vaterland« propagiert werden sollte.996 Mit 993  Der Befehl 99 vom 28.1.1969 ist vorhanden in: ACNSAS, fond M.I./D.M.R.U., dosar nr. 3627, vol. 5, Bl.  76–82, im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/D%203627_005%20fila%20076-082.pdf (Stand: 9.6.2016). Hier zit. nach: Petrescu, ­Dragoș: Closely Watched Tourism, S. 347. 994  Partidul Comunist Român, Comitetul Central: Protocol Nr. 7 al ședinţei Secretariatul din ziua de 8 aprilie 1969 [Rumänische Kommunistische Partei, Zentralkomitee: Protokoll Nr. 7 der Sekretariatssitzung am 8. April 1969], ediert in: Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Istoria Comunismului din România. Vol. II: Documente Nicolae Ceaușescu (1965–1971), S. 529–541 sowie dass., Protocol Nr. 20 al ședinţei Secretariatul din ziua de 11 noiembrie 1969 [Protokoll Nr. 20 der Sekretariatssitzung am 11. November 1969]; ANR, fond CC al PCR, Secţie Cancelarie, dosar 137/1969, Bl. 2–5, 22–29. 995  Protocol Nr. 7 (wie Anm. 994), S. 535. 996  Protocol Nr. 20 (wie Anm. 994), Bl. 22. Vgl. auch Weiß: Kulturarbeit, S. 206. Demnach ließ Rumänien 1970 nur noch 100 junge Leute im Rahmen des bilateralen Jugendaus-

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dieser Diktion befand er sich in Übereinstimmung mit dem offiziellen Sprachgebrauch in der DDR. Lediglich der rumänische Innenminister Cornel Onescu plädierte für eine gelassenere Sichtweise. Onescu ging davon aus, dass viele Nichtrückkehrer eigentlich nur für einige Jahre im Ausland arbeiten, Geld verdienen und vielleicht ein Auto kaufen wollten und danach gerne zurückkehren würden. Er regte an, Rumänien solle dem Beispiel Jugoslawiens oder Ungarns folgen, die ihren Bürgern diese Möglichkeit einräumten. Rumänien würde davon mehrfach profitieren: Die Fachkräfte wären nicht dauerhaft für Rumänien verloren, sie kämen sogar mit zusätzlichen Kenntnissen und Erfahrungen zurück, und in der Zwischenzeit schickte jeder monatlich mehrere Hundert D-Mark nach Hause.997 Doch Nicolae Ceaușescu und andere Sekretariatsmitglieder sprachen sich gegen diese Idee aus. Sie befürchteten, dies würde den Auswanderungsdrang noch verstärken, anstatt ihn einzudämmen.998 An den Sekretariatssitzungen nahm auch Securitate-Chef Ion Stănescu teil. Er sorgte dafür, dass die Geheimpolizei ihren Teil zur Durchführung der beschlossenen restriktiven Maßnahmen leistete. In Stănescus Amtszeit begann die Securitate, sich des staatlichen Reisebüros O.N.T. (Oficiul Naţional de Turism) zu bedienen. Das O.N.T. hatte Reiseanträge mit der Begründung fehlender Devisen abzulehnen und auf diese Weise zu kaschieren, dass in Wirklichkeit die Securitate aus Furcht vor steigenden Flüchtlingszahlen die Reisemöglichkeiten ins Ausland einschränkte. Auch setzte sich Stănescu dafür ein, dass rumänische Staatsbürger höchstens noch jedes zweite Jahr überhaupt eine Auslandsreise genehmigt bekamen.999 Wie die Securitate mit dem Thema Flucht und Ausreise umging, erhellt ein Blick in die Zeitschrift »Securitatea« (»Die Sicherheit«). Dies war die hausinterne Vierteljahreszeitschrift der Securitate. Sie erschien von 1968 bis 1989. Ihre Auflagenhöhe betrug deutlich über 1 000 Exemplare; dennoch trug sie die Klassifizierung »streng geheim«.1000 Die Zeitschrift behandelte theoretische und praktische Fragen der geheimpolizeilichen und geheimdienstlichen tauschs in die Bundesrepublik reisen, während es 1969 noch 500 waren. Der Grund sei gewesen, dass 30 der 500 jungen Leute in der Bundesrepublik geblieben seien, von denen wiederum viele an Bildungsprogrammen teilgenommen hätten. 997  Protocol Nr. 7 (wie Anm. 994), S. 536; Protocol Nr. 20 (wie Anm. 994), Bl. 25 f. 998  Protocol Nr. 20 (wie Anm. 994), Bl. 27 f. 999  Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 765 f. 1000 Die Zeitschrift »Securitatea« ist im Internet einsehbar unter http://www.cnsas.ro/ periodicul_securitatea.html (Stand: 9.6.2016). Die Exemplare wurden durchnummeriert. Bei dem im Internet einsehbaren Heft 10 (2/1970) handelte es sich um das 1 601. Exemplar. Das Impressum weist den Securitate-Oberstleutnant Dumitru Dănău von 1982 bis 1989 als einen von zwei Redakteuren der Zeitschrift aus. Dănău war eigenen Angaben zufolge von 1961 bis 1989/90 Spionageabwehr-Offizier der Securitate, was ihn angeblich nicht daran hinderte, seine Deutschkenntnisse in einem einmonatigen Germanistikkurs 1971 in Göttingen zu perfektionieren. 1973 fungierte er als Dolmetscher und Betreuer für MfS-Delegationen in Rumänien

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Arbeit: Wie führt man unauffällig einen IM auf dem Lande, wo doch jeder jeden kennt; was ist bei weiblichen IM zu beachten; wie arbeitet man mit Residenten; welche Gefahren gehen von westlichen Botschaften und Geheimdiensten, vom internationalen Terrorismus, den Emigranten, der Yoga-Bewegung oder den Zeugen Jehovas aus; worauf ist beim Geheimschutz zu achten, und wie kooperiert man mit anderen staatlichen Institutionen wie etwa mit der Miliz. Andere sozialistische Geheimdienste fanden in der »Securitatea« nie Erwähnung, und über Auslandsoperationen der Securitate wurde allenfalls zurückhaltend geschrieben. Seit 1982/83 beschwor die Zeitschrift immer häufiger eine ernsthafte Bedrohung Rumäniens durch ausländische Mächte und griff die Politik Ungarns an – ganz offenkundig Reaktionen auf die hausgemachte innere Krise Rumäniens. So diente die »Securitatea« zu Informations-, Schulungs- und Indoktrinationszwecken, bot Erfahrungsaustausch und sogar Unterhaltung. Womöglich orientierte sie sich am Beispiel des unbeliebten Moskauer Verbündeten: der KGB verfügte bereits seit 1959 über eine ähnlich ausgerichtete, streng geheime, interne Zweimonatszeitschrift »KGB Sbornik« (»KGB-Magazin«).1001 Im MfS gab es hingegen keine derartige Mitarbeiterzeitschrift. Mehrere Beiträge in der »Securitatea« behandelten das Thema der »Nichtrückkehrer«. Den Anfang machte im Frühjahr 1970 Oberst Gheorghe Pele, Leiter des Passamts (Passdirektion, Passbehörde) im Innenministerium. Sein Artikel unter der Überschrift »Qualitativer Sprung bei der Lösung von Anträgen auf Auslandsreisen« informierte über die praktischen Folgen, die die Beschlüsse der obersten politischen Führung für die Sicherheitsorgane mit sich brachten und rief Securitate und Miliz dazu auf, möglichst viele Informationen über diejenigen zu sammeln, die eine Auslandsreise beantragten, um eventuelle Fluchtabsichten zu erkennen. Faktisch stand dahinter der Anspruch, die Gedanken der Menschen lesen zu wollen.1002 Dieser Artikel, und einige der nachfolgen(vgl. S.  199). 25 Jahre nach dem Ende der Securitate ist er immer noch schriftstellerisch tätig: http://www.samanatorul.ro/editura-online/html/dumitru_danau.html (Stand: 9.6.2016). 1001  Andrew; Mitrochin: Schwarzbuch des KGB, S. 17; Yasmann; Zubok: The KGB Documents, S. 1 f. 1002  Pele: Salt calitativ (wie Anm. 887), insbes. 43 f., 46 f. Pele leitete von 1970 bis 1974 im Innenministerium das Passamt (Passdirektion, Passbehörde) (Direcţia pentru pașapoarte, evidenţa străinilor și controlul trecerii frontierei) [Hauptabteilung für Pässe, Registrierung der Ausländer und Kontrolle der Grenzübergänge]. Zu Peles Werdegang siehe auch Anm. 292. Das Passamt kooperierte eng mit der Securitate, war ihr aber strukturell nicht eingegliedert, wie aus einer gemeinsamen Dienstanweisung von Innenministerium und Securitate vom 9.11.1968 hervorgeht: Ministerul Afacerilor Interne, Consiliul Securităţii Statului: Instrucţiuni P.K. oo2633 cu privire la sarcinile organelor Ministerului Afacerilor Interne si Consiliului Securităţii Statului, cu privire la soluţionarea cererilor pe linie de pașapoarte, vize, străini și cetăţenie [Anweisungen P.K. oo2633 hinsichtlich der Aufgaben der Organe des Ministeriums für Innere Angelegenheiten und des Rates für Staatssicherheit im Hinblick auf die Lösung von Ansuchen auf der Linie Pässe, Visa, Ausländer und Staatsangehörigkeit]; ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3626, vol. 4, Bl. 115–129, hier 115, im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/

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den, veranschaulicht, wie politische Beschlüsse an die Geheimdienstmitarbeiter durchgestellt wurden. Folgt man den Beiträgen in der »Securitatea« und anderen Quellen, so erfüllte die restriktivere Visavergabe und die engere Abstimmung zwischen den beteiligten Institutionen aus Verwaltung und Sicherheitsapparat zunächst ihren Zweck: die Anzahl der »Nichtrückkehrer« blieb 1971 und 1972 ungefähr auf dem Stand der Jahre 1968/69.1003 Doch schon 1973 zählten die Behörden 2 658 »Nichtrückkehrer«, 1974 noch 1 948.1004 Mit Einsetzen der Wirtschaftskrise entschieden sich noch mehr Menschen zu gehen. Im Jahr 1986 kehrten beispielsweise 5 351 rumänische Staatsbürger von Reisen ins westliche Ausland nicht in ihre Heimat zurück.1005 Daran vermochten auch die Securitate-Maßnahmen »Alfa« und »Atlas« nichts zu ändern.1006 Unter den »Nichtrückacte_normative/D%203626_004%20fila%20115-129.pdf (Stand: 9.6.2016). Weitere Beiträge, die sich (auch) mit »Nichtrückkehrern« befassen, finden sich in: Securitatea (1970) 4, S. 4–9 (wie Anm. 1009), (1975) 1, S. 16–26, (1976) 3, S. 3–7, (1981) 1, S. 27–34 (wie Anm. 1038), (1983) 3, S. 42–46. 1003  Artikel in der »Securitatea« (1970) 2, S. 43, 47, (1970) 4 (wie Anm. 1009), S. 9 und (1976) 3, S. 3, behaupten, die Anzahl der Nichtrückkehrer sei aufgrund der behördlichen Maßnahmen gesunken, ohne jedoch Zahlen anzugeben. Ein Informationsbericht des Passamts vom 24.11.1972 nennt für 1971 die Zahl von 864 »Nichtrückkehrern« und für die ersten zehn Monate des Jahres 1972 eine Zahl von 490; hinzu kommt für 1972 noch eine größere Anzahl von Personen (im dreistelligen Bereich), die teils mit Einverständnis rumänischer Auslandsvertretungen, teils ohne, ihren Auslandsaufenthalt verlängerten, um womöglich zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukehren. Wie viele Westreisen in diesem Zeitraum insgesamt stattfanden, wird nicht angegeben: Direcţia pentru pașapoarte ..., 24.11.1972: Informare privind unele aspecte ale rămînerilor în străinătate [Information über einige Aspekte des Verbleibens im Ausland]; ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3630, vol. 8, Bl.  35–41, hier 36  f., im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/3630_008%20fila%20035-041.pdf (Stand: 9.6.2016). 1004  Direcţia pentru pașapoarte ..., 1.7.1975: Program de măsuri [Maßnahmenprogramm]; ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3633, vol. 2, Bl. 81–89, hier 82 (Rückseite), im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/3633_002%20fila%20081-089.pdf (Stand: 9.6.2016). Wie viele Westreisen in diesem Zeitraum insgesamt stattfanden, wird nicht angegeben. 1005  Diese Zahl nennt Baier: Ceaușescu und die Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien, S. 151. Baier stützt sich hierbei auf einen Securitate-Bericht vom 20.2.1987: Notă privind cetăţenii români care au rămas ilegal în străinătate în anul 1986 [Bericht betreffend die rumänischen Bürger, die im Jahr 1986 illegal im Ausland verblieben]; ACNSAS, fond documentar, D 180, vol. 17, Bl. 22 f. Ich danke Hannelore Baier, die mir Einblick in diesen Securitate-Bericht gewährte. Wie viele Westreisen 1986 insgesamt stattfanden, wird in dem Bericht nicht angegeben. 1006  Nach der Flucht des Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa 1978 verschärfte die Securitate die Regeln für Auslandsreisen. Die Maßnahme »Alfa« galt Reisenden, die für maximal drei Monate ins Ausland reisten, zumeist also Urlauber oder Dienstreisende. Sie wurden vor Reisebeginn instruiert, wie sie sich zu verhalten hatten, wurden vor vermeintlichen Gefahren durch ausländische Geheimdienste gewarnt und mussten nach ihrer Rückkehr einen Reisebericht auf ihrer Arbeitsstelle abgeben. Die Maßnahme »Atlas« zielte auf längerfristige Auslandsaufenthalte: Die Securitate holte zunächst Informationen über die Betreffenden ein,

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Das MfS in Rumänien seit 1968

kehrern« befanden sich stets überproportional viele Rumäniendeutsche.1007 Sie erhielten in der Bundesrepublik auf der Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes ohne Weiteres die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Im Hinblick auf diese ethnische Minderheit stand der rumänische Staat insofern vor derselben Situation wie die DDR. Oberst Ioan Coșer von der Securitate-Kreisverwaltung Arad sprach 1975 von einer »Auswanderungspsychose« unter den Rumäniendeutschen, die von den Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben gefördert werde.1008 Immer mehr Menschen versuchen zu fliehen, 1968 bis 1972 Die kurzzeitige Lockerung der Ausreisepraxis Ende der 1960er-Jahre und die erneuten Restriktionen seit 1970 haben möglicherweise dazu beigetragen, einer anderen Form der Ausreise Vorschub zu leisten: der illegalen Überquerung der rumänischen Grenzen, der heimlichen Flucht aus dem Land. Die Securitate verzeichnete zwischen 1968 und 1972 eine tendenziell steigende Zahl an Fluchtversuchen, wie die nachfolgende Tabelle zeigt. Markant ist die Zunahme im Jahr 1971, was heftige Gegenmaßnahmen der rumänischen Behörden einschließlich der Securitate auslöste.

sprach sie dann direkt an und warb sie zumeist als Informanten oder Agenten an, sodass in den 1980er-Jahren die meisten rumänischen Staatsbürger, die längere Zeit im Ausland verbrachten, eine Securitate-Anbindung hatten, und das nicht nur im westlichen Ausland. Olaru; Herbstritt: Stasi și Securitatea, S. 174–177. 1007  1968 lag der Anteil der Rumäniendeutschen unter den »Nichtrückkehrern« bei 13,7 Prozent, 1969 bei 13,3 Prozent, 1986 bei 15,0 Prozent; Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Istoria Comunismului din România. Vol. II: Documente Nicolae Ceaușescu (1965–1971), S. 526; ANR, fond CC al PCR, Secţie Cancelarie, dosar 137/1969, Bl. 75 (wie Anm. 992); Baier: Ceaușescu und die Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien, S. 151. Der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung Rumäniens betrug gemäß der Volkszählung von 1977 rund 1,7 Prozent mit fallender Tendenz. Vgl. Marin: Kurze Geschichte der Banater Deutschen, S. 193. 1008  Se impune ridicarea calităţii și eficienţei muncii de securitate pe linia prevenirii și combaterii infracţiunilor de frontieră – convorbiri consemnate la I.J. Bihor, I.J. Arad, I.J. Timiș și București de căpitan Vasile Mihăila [Die Erhöhung der Qualität und Effizienz der Arbeit der Securitate auf der Linie der Vorbeugung und Bekämpfung der Grenzverletzungen – Gesprächsaufzeichnungen aus den Kreisverwaltungen Bihor, Arad, Temesch und aus Bukarest von Hauptmann Vasile Mihăila]. In: Securitatea (1975) 1, S. 16–26, Zitat 20.

DDR-Bürger in Rumänien: Touristen, Studenten, Flüchtlinge

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Tab. 4: Fluchten und Fluchtversuche über die rumänische Grenze in den Westen, 1968–19721009 1968

1969

1970

1971

1972 (Januar – Oktober)

1. Anzahl der Personen, die von rumänischem Staatsgebiet aus »Straftaten« an der Grenze begingen (»Grenzverletzer«) a. Rumänische Staatsbürger, die beim Fluchtversuch festgenommen wurden

570

867

693

1 197

744

b. Rumänische Staatsbürger, die von Grenzsoldaten oder Behörden benachbarter Länder festgenommen und an Rumänien zurücküberstellt wurden

92

80

157

116

160

gescheiterte Fluchtversuche rumänischer Staatsbürger (Summe a + b)

662

947

850

1 313

904

c. Rumänische Staatsbürger, die ein kapitalistisches Land erreichten

17

41

53

79

31

7

8

31

54

15

d. Spuren [von Grenzüberquerungen], deren Urheber nicht identifiziert werden konnten

1009  Zahlenbasis: U.M. 02802 Buc[urești], Serviciul C.I., 31.10.1972: Notă. Privind starea infracţionala la frontiera de stat a R.S. România în cursul anului 1968; 1969; 1970; 1971; 1972 bis 31.10.1972 [Bericht über den Stand der Gesetzesübertretungen an der Staatsgrenze der S.R. Rumänien im Lauf des Jahres 1968; 1969; 1970; 1971; 1972 bis 31.10.1972]; ACNSAS, fond documentar, D 12001, Bl. 170–174. Dies., 11.11.1972: Notă [Bericht]; ACNSAS, fond documentar, D 11999, Bl. 335–341, hier 335. Die U.M. 02802 bildete eine Abteilung innerhalb der Hauptabteilung IV der Securitate; der Unterzeichner der »Notă« vom 11.11.1972, Hauptmann Mircea Alexandru, war Abteilungsleiter (»șef serviciu«) innerhalb der Hauptabteilung IV. Vgl. CNSAS: Securitatea, 2006, Bd. II, S. 159. – Während die vorstehend genannten Quellen absolute Zahlen nennen, veranschaulichte Oberst Gheorghe Pele in einem Interview mit der Zeitschrift »Securitatea« die Entwicklung mit relativen Zahlen: 1969 unternahmen demnach 27,5 Prozent mehr Personen einen Fluchtversuch aus Rumänien als noch 1968. Im 1. Halbjahr 1970 lag die Zahl der Personen, die einen Fluchtversuch unternahmen, um 45,6 Prozent höher als im 1. Halbjahr 1969. Interviul nostru: Dinamica fenomenului infracţional de frontieră [Unser Interview: Die Dynamik des Phänomens der Grenzverletzungen]. In: Securitatea (1970) 4, S. 4–9, hier 4.

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Das MfS in Rumänien seit 1968

1968

gelungene Fluchtversuche rumänischer Staatsbürger (Summe c + d)

1969

1970

1971

1972 (Januar – Oktober)

24

49

84

133

46

»Grenzverletzer« mit rumänischer Staatsbürgerschaft insgesamt (Summe a + b + c + d)

686

996

934

1 446

950

e. Festgenommene Bürger anderer sozialistischer Staaten, die versuchten, die Grenze zu überwinden

12

50

135

85

60

f. Ausländische Fluchthelfer

10

22

63

31

34

2. Anzahl der Ausländer, die illegal über die rumänische Grenze ins Land eindrangen* 124

114

181

204

61

* Für 1970 und 1971 heißt es in der Statistik erläuternd, es handele sich um Ausländer aus sozialistischen Staaten; U.M. 02802, 31.10.1972: Notă (wie Anm. 1009), Bl. 172 f. Denkbar ist, dass sich darunter zahlreiche Jugoslawen befanden.

Diese Zahlenübersicht erstellte die Hauptabteilung (»direcţia«) IV der Securitate, zuständig unter anderem für die Überwachung des rumänischen Militärs einschließlich der Grenzbrigaden. Wie jede Statistik sollte auch diese nur als Näherungswert betrachtet werden. Folgt man einem Situationsbericht der Securitate-Kreisverwaltung Temeswar von November 1972, so gelang alleine an der Westgrenze des Kreises Temesch zwischen Januar und Oktober 35 rumänischen Bürgern die Flucht; 1971 waren es demnach sogar 76 gewesen.1010 Sollte dies so zutreffen, so wären damals die meisten der geglückten Fluchten vom Kreis Temesch aus erfolgt. Etwa die Hälfte der rund 550 Kilometer langen rumänisch-jugoslawischen Grenze entfiel auf den Kreis Temesch und zog sich durch leicht zugängliches Flachland. Die andere Hälfte der rumänisch-jugoslawischen Grenze verlief zum größten Teil inmitten der Donau. 1010  Unitatea Militară 02840 Timișoara, Biroul de Contrainformaţii, 23.11.1972: Situaţie privind persoanele care au reușit să treacă fraudulos frontiera și să ajungă în occident în perioada 1971–1972 [Situation betreffend der Personen, denen der ungesetzliche Grenzübertritt gelang und die im Westen ankamen im Zeitraum 1971–1972]; ACNSAS, fond documentar, D 11999, Bl. 283–288. Die U.M. 02840 übte auf Kreisebene Aufgaben der U.M. 02802 aus (siehe Anm. 1009).

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Die obenstehende Tabelle erfasst sehr wahrscheinlich nur jene Flüchtlinge, die außerhalb der zugelassenen Grenzübergangsstellen versuchten, die rumänisch-jugoslawische Grenze zu überwinden. Sie weist hingegen vermutlich nicht diejenigen Flüchtlinge aus, die mit gefälschten Pässen oder versteckt in Fahrzeugen den Weg über die Grenzübergangsstellen nahmen, oder die Linienflugzeuge in den Westen entführten. Dies legen der vorhin genannte Situationsbericht sowie zwei weitere Berichte nahe, die 1972 auf der Linie der Hauptabteilung IV verfasst wurden.1011 Der Beitrag der in der Tabelle bezifferten ausländischen Fluchthelfer bestand demnach beispielsweise darin, in ihren Autos rumänische Staatsbürger bis dicht an die Grenze heranzufahren, von wo aus sie die Flucht zu Fuß fortsetzten. Die Zahl von 60 festgenommenen Bürgern anderer sozialistischer Staaten in den ersten zehn Monaten des Jahres 1972 ist offenkundig zu gering angesetzt, wenn man bedenkt, dass in dem genannten Zeitraum alleine 62 DDR-Bürger an der rumänischen Grenze verhaftet wurden. Hinsichtlich der gelungenen Fluchten muss man zudem von einer Dunkelziffer ausgehen, denn wer es in den Westen geschafft hatte, konnte von der Securitate nicht mehr zu den Umständen seiner Flucht vernommen werden. Am ehesten erfuhr die Securitate Näheres auf dem Umweg über die Angehörigen, wenn die Geflohenen sich bei ihnen meldeten. Über die gelungenen Fluchten von Bürgern anderer sozialistischer Länder erfuhr die Securitate nur in Ausnahmefällen. Der Anteil der Rumäniendeutschen unter den Grenzgängern dürfte, ähnlich wie bei den Nichtrückkehrern, in diesen Jahren überproportional hoch gewesen sein. So registrierte die Securitate beispielsweise im ersten Halbjahr 1970 alleine 51 Jugendliche aus den Reihen der deutschen Minderheit, die bei einem Fluchtversuch an der Grenze zu Jugoslawien gefasst wurden.1012 Für den nachfolgenden Zeitraum müssten entsprechende Zahlen noch ermittelt werden. Sie dürften aber ähnlich hoch ausfallen. Die Ursache hierfür wird nicht nur darin zu finden 1011  U.M. 02840 Timișoara, 23.11.1972: Situaţie (wie Anm. 1010), Bl.  283–288. Siehe außerdem die beiden in Anm. 1018 genannten Berichte. Sofern in diesen Berichten Fluchtmethoden erwähnt werden, geht es stets um das direkte Überqueren der rumänisch-jugoslawischen Landgrenze jenseits der zugelassenen Grenzübergänge. Der Anteil der Grenzsoldaten unter den Flüchtlingen war demnach äußerst gering. Zur Situation unter den Grenzsoldaten, ihren möglichen Fluchtabsichten und ihrer Auslandsverwandtschaft, sowie zu Regelverstößen, anderen Vorfällen und tödlichen Unfällen unter Grenzsoldaten siehe für das Jahr 1972 die Akte ACNSAS, fond documentar, D 12000 (Buletine informative C.I.F. [Informationsberichte der Grenzaufklärung]). Am 14.9.1970 war ein rumänisches Flugzeug auf der Route Bukarest – Budapest – Prag entführt und nach München umgeleitet worden, am 27.5.1971 zwangen Flüchtlinge ein Flugzeug auf dem Inlandsflug von Oradea nach Bukarest zur Landung in Wien. Nach MfS-Informationen wurden zwischen 1969 und 1989 11 polnische, 7 tschechoslowakische und ein rumänisches Passagierflugzeug in die Bundesrepublik entführt. BStU, MfS, HA XXII, Nr. 702/2, Bl. 8. 1012  Sienerth: Operative Vorgänge der »Securitate«, S. 155.

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sein, dass die Rumäniendeutschen problemlos in der Bundesrepublik Aufnahme fanden, sondern auch darin, dass die Kreise Temesch und Karasch-Severin (Caraș-Severin) mit ihren langen Grenzen zu Jugoslawien eines der traditionellen Siedlungsgebiete der Banater Schwaben bildeten. Die Nähe zur jugoslawischen Grenze erleichterte offenbar den Entschluss, aus dem Land zu fliehen; die Menschen dort besaßen genauere Ortskenntnisse, und sofern sie im Grenzgebiet wohnten oder ihre Angehörigen dort lebten, gelangten sie leichter bis an die Grenze. Eine statistische Übersicht der Securitate weist für das Jahr 1972 insgesamt 1 297 »Grenzverletzer« aus. Davon stammten 335 aus dem Kreis Temesch und 97 aus dem Kreis Karasch-Severin. Auch aus anderen Kreisen entlang der Grenze sowie aus Kreisen, in denen viele Rumäniendeutsche lebten, kamen damals überproportional viele der »Grenzverletzer«.1013 Bemerkenswert ist die relativ hohe Zahl derjenigen, die in benachbarten Ländern festgenommen und an Rumänien zurücküberstellt wurden. Gemeint waren hiermit im Wesentlichen die Abschiebungen von Jugoslawien nach Rumänien. Diese Zahl verweist darauf, dass es doch recht vielen Menschen gelang, die rumänische Grenze illegal zu überqueren, was aus Sicht der Securitate auf Lücken im Grenzüberwachungssystem verwies. Doch solange die Kooperation mit dem Nachbarland funktionierte, fungierte Jugoslawien faktisch als Handlanger oder Partner des rumänischen Grenzregimes.1014 1013  U.M. 02802, București, Secţia C.I.F.: Situaţia – numerica a infractorilor de frontieră pe judeţe în perioada 01.01.–31.12.1972 [Die zahlenmäßige Situation der Grenzverletzer nach Kreisen im Zeitraum 1.1.–31.12.1972]; ACNSAS, fond documentar, D 12001, Bl. 243. Die Kreise, aus denen 1972 die meisten Flüchtlinge stammten, waren demnach Temesch (335), Bukarest (153), Arad (120), Karasch-Severin (97), Bihor (64), Constanţa (57), Kronstadt (52), Sathmar (Satu Mare) (44), Hermannstadt (41), Klausenburg (41) und Mehedinţi (37). Ob die Statistik nur die festgenommenen Flüchtlinge zählt oder auch die entkommenen, geht aus dem vorliegenden Dokument nicht hervor. Ebenso bleibt unklar, ob in der Gesamtzahl von 1 297 (in der Securitate-Statistik auf 1 300 gerundet) auch die Flüchtlinge aus anderen Herkunftsländern enthalten sind. 1014  Zum gegenseitigen Einvernehmen gehörte es auch, dass die Verhaftung jugoslawischer Fluchthelfer dem Nachbarland gemeldet wurde. Vgl. bspw. ein Schreiben von Securitate-Chef Ion Stănescu an den jugoslawischen Innenminister Radovan Stijačić (Stiacici) von 1970, in dem er ihm »im Rahmen des Informationsaustausches zwischen unseren Organen« eine Namensliste verhafteter jugoslawischer Fluchthelfer übersandte; ACNSAS, fond documentar, D 11986, Bl. 48. Nach Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 1, S. 24 f., schickte Jugoslawien ab 1976/77 rumänische Flüchtlinge nicht mehr automatisch zurück. Möglicherweise errichtete Rumänien aus diesem Grund in den folgenden Jahren an einigen Stellen entlang der Grenze wieder Stacheldrahtzäune. Der Siebenbürger Sachse Peter Schuster, dessen Flucht aus Rumänien im September 1979 nördlich von Basiasch (Baziaș) im Banat endete, berichtet von Stacheldrahtzaun, der relativ weit im Landesinneren neu errichtet worden sei und ihn sowie andere Flüchltinge über den tatsächlichen Grenzverlauf täuschte: Er glaubte irrtümlich, bereits in Jugoslawien zu sein, nachdem er den Stacheldrahtzaun überwunden hatte, bewegte sich weniger vorsichtig fort und wurde daraufhin von rumänischen Grenzsoldaten entdeckt und festgenomen. Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 2, S. 112.

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Über das weitere Schicksal der Festgenommenen, über Gewaltexzesse, Verhöre und Haft, sagen die Statistiken naturgemäß nichts aus. Und die Zahl derer, die auf der Flucht ums Leben kamen, fehlt ebenso. Diesen Aspekten gehen indes die erwähnten Bücher von Steiner und Magheţi sowie von Armanca mit ihren Zeitzeugenberichten und ersten Recherchen nach. Die Anzahl der »Grenzverletzer«, die die Securitate ausweislich der Tabelle 4 in den frühen 1970er-Jahren registrierte, ist ungefähr so hoch wie die Anzahl der »Grenzverletzer« an der innerdeutschen Grenze: Zwischen 1973 und 1979 wurden im DDR-Grenzgebiet insgesamt rund 7  000 Flüchtlinge festgenommen, jährlich also etwa 1 000.1015 Der Schusswaffengebrauch wird 1971 verschärft Die statistischen Angaben tragen zwar noch vorläufigen Charakter, vermitteln aber einen ungefähren Eindruck von der Dimension des Fluchtgeschehens. Ähnlich wie bei den »Nichtrückkehrern« ging es wiederum nur um einen überschaubaren Personenkreis, wenn man die Anzahl der geglückten Fluchten betrachtet. Doch die politische Führung erkannte auch hierin offenkundig den Beginn einer sich verstärkenden und bedrohlichen Fluchtbewegung und ging mit harten Maßnahmen dagegen vor: Am 26. Oktober 1971 erließ der Staatsrat das Dekret Nr. 367/1971 »über den Umgang mit Waffen, Munition und explosiven Stoffen«.1016 Dieses Dekret legitimierte und forcierte den Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge an der Grenze. Seinem Wortlaut nach erschien es zwar harmlos und internationalen Gepflogenheiten zu entsprechen. Es regelte den Besitz und den Gebrauch von Schusswaffen und erklärte hierbei den Schutz von Menschenleben zu einer maßgeblichen Aufgabe. Waffen durften 1015  Grafe: Die Grenze durch Deutschland, S. 210. Von den 7 000 gestellten Flüchtlingen wurde nur etwa jeder Fünfte von den Grenztruppen festgenommen, die übrigen wurden bereits gefasst, bevor sie den zwischen 100 und 2 000 Meter tiefen »Schutzstreifen« mit seinen Wachtürmen und Sicherungsanlagen erreicht hatten. Ebenda. Viele Flüchtlinge nahm die Polizei (Volkspolizei und Transportpolizei (Bahnpolizei)) schon fest, ehe sie nur in die etwa 5 Kilometer tiefe »Sperrzone« gelangte, die dem »Schutzstreifen« vorgelagert war. Eine Übersicht der DDR-Grenztruppen für den Zeitraum 1.12.1974 bis 30.11.1979 gibt die Zahl der »Grenzverletzer« in diesen fünf Jahren an der innerdeutschen Grenze insgesamt mit 4 956 an; von diesen wurden 3 984 bereits im Vorfeld von der Volkspolizei festgenommen, weitere 743 von den Grenztruppen, während 229 Flüchtlingen der »Grenzdurchbruch« gelang. Siehe Ritter; Lapp: Die Grenze, S. 78. Bis 1985/86 blieb die Zahl der »Grenzverletzer« bei jährlich etwas über 1 000 und stieg dann auf 1 600 bis 2 100 an. Ebenda, S. 164. Fluchtversuche über die Ostsee sind in diesen Angaben vermutlich nicht enthalten. 1016 Decret nr. 367 privind regimul armelor, muniţiilor și materiilor explozive, in: Buletinul Oficial nr. 135, 26.10.1971, im Internet unter http://www.lege-online.ro/lrDECRET-367-1971-%2821381%29.html (Stand: 9.6.2016).

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nur eingesetzt werden, wenn dies »absolut notwendig« und die »Anwendung anderer Verhinderungs- oder Zwangsmaßnahmen nicht möglich« sei – beispielsweise gegen Personen, die illegal in ein bewachtes Gebiet eindrangen, oder um »Straftäter« festzusetzen, deren Entkommen eine »außerordentlich schwere Gefahr« bedeuten würde. Bevor ein Schütze das Feuer eröffnete, musste er zudem die Person zweimal anrufen und zum Stehenbleiben auffordern und danach zunächst Warnschüsse in die Luft abgeben. Wenn er dann auf einen Menschen schoss, sollte er dem Dekret zufolge das Opfer lediglich bewegungsunfähig machen und möglichst auf die Beine zielen, »um zu vermeiden, dessen Tod zu verursachen«.1017 Bemühte man sich in der Theorie um einen humanen Anstrich, stand tatsächlich jedoch eine andere Absicht hinter diesem Dekret. Im Hinblick auf die Situation an der Grenze ging es in erster Linie darum, den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge zu legitimieren; Fluchtversuche sollten mit Waffengewalt verhindert werden, selbst wenn die Flüchtlinge dabei ums Leben kamen. Diese Zielsetzung lässt sich einem Bericht der Temeswarer Securitate von April 1972 entnehmen. Verfasst hatte ihn Securitate-Oberstleutnant Gheorghe Samoilă, der als Referatsleiter unter anderem für die Überwachung des rumänischen Militärs einschließlich der Grenzbrigaden im Kreis Temesch zuständig war. Samoilă schilderte darin einige Vorfälle an der Grenze in jüngster Zeit und ging mehrfach auf das Schusswaffendekret ein.1018 Vor Erscheinen des Dekrets ignorierten demnach viele Flüchtlinge die Aufforderungen der Grenzsoldaten. 1017  Ebenda, Artikel 1, 36, 37, 39. Mit dem Dekret Nr. 170 vom 15.7.1989 fügte der Staatsrat dem Artikel 36 des Dekrets 367/1971 zwei weitere Abschnitte f ) und g) an, die sich ausschließlich auf die Grenze bezogen. Artikel 36  f ) lautete: »Im Fall von Grenzverletzern, die Grenzsoldaten während ihres Wachdienstes angreifen oder sie versuchen zu entwaffnen, kann unter Vermeidung tödlicher Schüsse auf Grenzverletzer oder andere Personen von der Waffe Gebrauch gemacht werden.« Artikel 36  g) schrieb vor, dass verhaftete »Grenzverletzer«, die entkommen konnten, ohne Waffeneinsatz wieder aufzuspüren waren. Sollte ihre Flucht über die Grenze eine schwere Gefahr darstellen, durfte ihre erneute Festnahme auch mit Waffengewalt erfolgen. Decret nr. 170 din 15 iulie 1989 pentru completarea Decretului Consiliului de Stat nr. 367/1971 privind regimul armelor, muniţiilor și materialelor explozive și modificarea Decretului Consiliului de Stat nr. 678/1969 privind regimul de paza a frontierei de stat a Republicii Socialiste România, in: Buletinul oficial nr. 26, 17.7.1989, im Internet unter: http:// www.lege-online.ro/lr-DECRET-170-1989-%28709%29.html (Stand: 9.6.2016). Eine von der DDR-Botschaft in Bukarest angefertigte deutsche Übersetzung der Abschnitte f )und g) in: BStU, MfS, HA IX, Nr. 13696, Bl. 113. 1018  U.M. 02840 Timișoara, Biroul de Contrainformaţii, 18.4.1972: Raport; ACNSAS, fond documentar, D 12001, Bl. 54–59. Teile dieses Berichts fanden Eingang in einen Bericht der übergeordneten Securitate-Abteilung in Bukarest: U.M. 02802 București, Serviciul Contrainformaţii, 26.7.1972: Raport privind unele cauze care fac ca numărul celor ce reușesc să treacă fraudulos frontiera de stat să se menţină încă ridicat [Bericht über einige Gründe, weshalb die Zahl derjenigen, denen der ungesetzliche Grenzübertritt gelingt, so hoch bleibt]; ACNSAS, fond documentar, D 11999, Bl. 128–133. Gheorghe Samoilă (1927–2009) gehörte von 1951 bis zu seinem Ruhestand 1980 der Securitate an, wo er sich fast durchgängig mit Fragen der Si-

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Häufig sei es vorgekommen, dass Flüchtlinge zu zweit oder in kleinen Gruppen unterwegs waren, und wenn sie von Grenzsoldaten entdeckt wurden, rannten sie – zum Teil vor deren Augen – einfach in verschiedenen Richtungen zur Grenze, anstatt den Anweisungen der Soldaten Folge zu leisten. 1971 seien im Bereich der Grenzbrigade Temeswar 21 Gruppen mit insgesamt 45 Menschen auf diese Weise nach Jugoslawien gelangt. Nachdem das Dekret erlassen worden sei, hätten einige Flüchtlinge, »die Kenntnis von der Schusswaffenanwendung an der Grenze erlangten«, versucht, Grenzsoldaten zu bestechen, damit sie sie bei der Flucht unterstützten. Mit diesem Satz deutete Oberstleutnant Samoilă bereits an, dass das Dekret 367/1971 einen verschärften Schusswaffengebrauch herbeiführen sollte.1019 Oberst ­A lexandru, an den Samoilăs Bericht ging, wunderte sich über die vorhandene Risikobereitschaft in anderen Fällen: »Einige Flüchtlinge, obwohl sie die Bestimmungen des Dekrets 367/1971 hinsichtlich des Waffengebrauchs kennen, riskieren es dennoch und gehen an den Grenzstützpunkten vorbei, manchmal ohne die Warnrufe der Grenzsoldaten zu beachten.«1020 Oberstleutnant Samoilă kritisierte in seinem Bericht die bisherigen Anweisungen des Kommandanten der Grenztruppen, wonach die Grenzsoldaten in vielen Situationen gehalten waren, lediglich Einzelschüsse abzugeben, nicht jedoch Dauerfeuer auf Flüchtlinge zu eröffnen. Samoilă empfahl nun, die Grenzsoldaten über die »genaue Anwendung des Dekrets 367/1971« erneut zu unterrichten. Er regte in diesem Zusammenhang weiter an, dass der Kommandant der Grenztruppen seinen Befehl zum Waffengebrauch, den er der Brigade gegeben habe, abändern solle: Die Grenzsoldaten sollten selbst einschätzen, wann es nötig sei, Dauerfeuer auf Flüchtlinge zu eröffnen, die den Warnrufen nicht folgten, und wann Einzelschüsse genügten.1021 Samoilă muss gewusst haben, dass es den Grenzsoldaten bei Dauerfeuer viel weniger möglich war, einen Flüchtling lediglich bewegungsunfähig zu schießen und dessen Leben nicht zu gefährden. Seine Empfehlung konterkarierte daher bewusst den Wortlaut des Dekrets, wonach Menschenleben zu schonen seien. Sein Bericht deckt somit den tatsächlichen Charakter des Dekrets 367/1971 auf, und die Securitate betätigte sich als Einpeitscher. Auch wenn ihre Mitarbeiter selbst nicht mit dem Gewehr an der Grenze standen, trugen sie dazu bei, dass an der Grenze scharf geschossen wurde. Im August 1972 fiel dann auch der erste DDR-Bürger dem verschärften Schusswaffengebrauch zum Opfer. Der Waffengebrauch an der rumänischen Grenze glich nun somit jenem an der DDR-Grenze: Auch dort sollten Menschenleben angeblich geschont wercherung und Überwachung der rumänischen Westgrenze befasste. http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/SAMOILA%20GHEORGHE.pdf (Stand: 9.6.2016). 1019  U.M. 02840 Timișoara, 18.4.1972 (wie Anm. 1018), Bl. 54. 1020  U.M. 02802 București, 26.7.1972 (wie Anm. 1018), Bl. 129. 1021  U.M. 02840 Timișoara, 18.4.1972 (wie Anm. 1018), Bl. 59.

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den und daher nur gezielte Einzelschüsse abgegeben werden, um einen Fliehenden bewegungsunfähig zu machen. Doch anstelle von Einzelschüssen eröffneten die DDR-Grenztruppen das Feuer im Regelfall in Form von Feuerstößen. Ihre Dienstvorschriften sahen vor, »Grenzverletzer [...] festzunehmen oder zu vernichten«. Fluchten in den Westen sollten um jeden Preis verhindert werden.1022 An dem Bericht Samoilăs ist noch ein weiterer Aspekt erwähnenswert. Wie beiläufig erwähnte Samoilă zwei rumänische Todesopfer an der Grenze. Am 14. März 1972 wurde demnach Victor Ostrovan erschossen, als er gemeinsam mit einem anderen Flüchtling nachts die Grenze nach Jugoslawien überqueren wollte. Ein rumänischer Grenzsoldat, so heißt es in Samoilăs Darstellung, habe die beiden entdeckt. Sie hätten jedoch einen Moment der Unentschlossenheit des Grenzsoldaten genutzt, um mit Messern über ihn herzufallen. Bei dem folgenden Handgemenge sei Ostrovan tödlich getroffen worden, während sein Begleiter nach Jugoslawien hätte entkommen können.1023 Am 13. April 1972 wurde am Grenzabschnitt Cruceni (Gemeinde Foeni, Kreis Temesch) der Soldat Alexandru Bombar (Bondar) von einem anderen Grenzsoldaten erschossen.1024 Die rumänische Militärstaatsanwaltschaft nahm bei Todesfällen an der Grenze zwar Ermittlungen auf, doch hatten die Soldaten und Offiziere an der Grenze davon nichts zu befürchten.1025 Weitere Geheimdienstmaßnahmen, um Fluchten zu verhindern Die Securitate ergriff in den 1970er- und 1980er-Jahren noch zahlreiche andere Maßnahmen, um Fluchtversuche zu verhindern. Einige der geheimpolizeilichen Strategien und Methoden glichen denen in der DDR. Die Securitate rekrutierte zusätzliche IM, um die Grenzregion intensiver zu überwachen und um innerhalb der Bevölkerung genügend Zuträger zu haben, die über Fluchtpläne von Kollegen, Nachbarn oder Verwandten berichteten. Ferner bemühte sie sich 1022  Lapp: Grenzregime der DDR, S. 455 f., Zitat 456. Vgl. auch Maurer: Halt – Staatsgrenze, S. 361–384, der nuanciert über den Charakter des Schießbefehls sowie die Ablehnung desselben durch viele Grenzsoldaten schreibt und aufzeigt, wie die Befehlsgeber die Anwendung des Schießbefehls durchzusetzen versuchten. 1023  U.M. 02840 Timișoara, 18.4.1972 (wie Anm. 1018), Bl. 54 f. 1024  Ebenda, Bl. 58. Weitere Angaben über den Vorfall enthält der Bericht nicht. Auch der Bericht der U.M. 02802 București vom 26.7.1972 (wie Anm. 1018), Bl. 130, der den Familiennamen des Opfers mit »Bondar« angibt, nennt keine weiteren Einzelheiten. Es ist bemerkenswert, dass in der Zeitschrift »Securitatea« nie über Todesfälle an der Grenze geschrieben wurde, obwohl das Thema der Grenzsicherung und Fluchtverhinderung in dem Heft häufig aufgegriffen wurde. Nur ein einziges Mal wurde überhaupt die Möglichkeit des Schusswaffengebrauchs zur Fluchtverhinderung angesprochen, und zwar in der Securitatea (1984) 4, S. 51 (wie Anm. 1039). 1025  Armanca: Frontieriștii, S. 23.

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um eine intensivere Zusammenarbeit mit den örtlichen Parteiorganen und der Miliz, der Staatsanwaltschaft und der Justiz, den patriotischen Garden und den Grenzwachen. Soziale Kontrolle wurde auch instrumentalisiert und ausgeübt, indem Arbeitskollektive in entwürdigenden Zusammenkünften (»dezbatere publică«: »öffentliche Verhandlung«) diejenigen Kollegen zu verdammen hatten, deren Fluchtvorhaben aufgedeckt worden waren.1026 Im Juni 1976 gründete die Securitate innerhalb der Hauptabteilung  I einen neuen Arbeitsschwerpunkt, der sich ausschließlich mit der Verhinderung von Fluchtvorhaben rumänischer Staatsbürger befasste. Er trug die Bezeichnung »Personen mit der Absicht, die Grenze ungesetzlich zu überschreiten« (»Persoane cu intenţii de trecere frauduloasă a frontierei«). In diesem Arbeitsschwerpunkt führte die Securitate entsprechende Informationen und Kompetenzen zusammen. Die Hauptabteilung IV musste 43 ihrer Offiziere sowie einen Zivilangestellten an den neuen Arbeitsschwerpunkt abgeben.1027 Wieviele Mitarbeiter ihm insgesamt angehörten, ist 1026 Siehe hierzu die Beiträge in der Zeitschrift Securitatea (1975)  1, S.  16–26 (wie Anm. 1008); (1977) 2, S. 11–18 (wie Anm. 1041); (1979) 1, S. 60–63 (wie Anm. 1037); (1981) 1, S. 27–34 (wie Anm. 1038); (1983) 1, S. 35–40; (1983) 3, S. 42–46; (1987) 1, S. 69–71. Die »öffentliche Verhandlung« (»dezbatere publică«) verlief nach dem Muster einer stalinistischen »Entlarvungssitzung« (»ședinţă de demascare«). Vgl. Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 62, worin er über eine gegen ihn inszenierte »öffentliche Verhandlung« 1971 während seiner Armeezeit berichtet, weil er einen Brief an einen ausländischen Radiosender geschrieben hatte. Ausführlicher und anschaulich schildert Gibson: Symphonie der Freiheit, S. 52–58, wie sein Betrieb in Abstimmung mit Securitate und Partei im Juni 1977 eine Entlarvungssitzung gegen ihn inszenierte, weil er politisch unbequeme Diskussionen z. B. über Paul Goma unter Kollegen führte. Das »Volkstribunal« habe aber einen unerwarteten Ausgang genommen, weil die rumänischen Arbeiter (im Gegensatz zu den banatschwäbischen) für ihn Partei ergriffen hätten. 1027  Ordinul Ministrului de Interne nr. 00887 din 26.06.1976 referitor la perfecţionarea activităţii de cunoaștere, prevenire și neutralizare a acţiunilor de trecere frauduloasă a frontierei sau de rămânere ilegală în străinătate [Befehl des Innenministers Nr. 00887 vom 26.6.1976 betreffend die Vervollkommnung der Aktivitäten des Erkennens, Verhütens und Unwirksammachens von Handlungen des ungesetzlichen Grenzübertritts oder des ungesetzlichen Verbleibens im Ausland]; ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3634, vol. 2, Bl. 298–303, im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/3634_002%20fila%20298-305.pdf (Stand: 9.6.2016). Dieser Befehl wurde 1980 durch eine neue Anordnung abgelöst: Ordinul Ministrului de Interne nr. D/00129 din 15 martie 1980 privind activitatea de prevenire, descoperire și neutralizare a acţiunilor de trecere frauduloasă a frontierei de stat a Republicii Socialiste România sau de rămânere ilegală în străinătate [Befehl des Innenministers Nr. D/00129 vom 15.3.1980 betreffend die Aktivitäten des Verhütens, Aufdeckens und Unwirksammachens von Handlungen des ungesetzlichen Übertritts über die Staatsgrenze der Sozialistischen Republik Rumänien oder des ungesetzlichen Verbleibens im Ausland]; ACNSAS, fond documentar, D 13074, vol. 4, s.p., im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/D%20013074_004.pdf (Stand: 9.6.2016). In beiden Befehlen wiesen die damaligen Innenminister Teodor Coman bzw. Gheorghe Homoștean neben der Securitate auch der Miliz und dem Passamt Aufgaben zur Fluchtverhinderung zu und regelte deren Zusammenwirken. Unter anderem hatten Securitate und Miliz Erkenntnisse über Fluchtwillige, ihre möglichen Helfer und Fluchtmethoden an das Passamt zu übermitteln, wo diese Daten offenbar zentral

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noch nicht bekannt. Neben der Hauptabteilung I blieben indes auch andere Securitate-Abteilungen weiterhin aufgefordert, Fluchten zu verhindern. Innerhalb des MfS hatte es zum Jahreswechsel 1975/76 eine ähnliche Umstrukturierung und Aufgabenbündelung gegeben: Im Dezember 1975 richtete das MfS als eigenständige Abteilung die »Zentrale Koordinierungsgruppe Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung« (ZKG) ein, um das »ungesetzliche Verlassen der DDR« effizienter zu bekämpfen.1028 Die MfS-Bezirksverwaltungen richteten analog »Bezirkskoordinierungsgruppen« ein. Ende 1976 belief sich der Personalbestand der Koordinierungsgruppen auf 104 Stasi-Offiziere, stieg in den Folgejahren aber kontinuierlich an.1029 Auch andere MfS-Abteilungen befassten sich weiterhin damit, Menschen am Verlassen ihres Landes zu hindern. Doch ebenso wie in der DDR wollten auch in Rumänien immer mehr Menschen aus ihrem Land weggehen. Spätestens seit 1978 zählten Flucht und Ausreise zu den häufigsten Anlässen, weshalb sich die Securitate mit rumänischen Bürgern befasste, schreibt der rumänische Geheimdienstexperte Cristian ­Troncotă.1030 Die bislang durchgesehenen Dokumente widersprechen dieser Einschätzung nicht. Und für das MfS lässt sich für die 1970er- und 1980er-Jahre derselbe Befund feststellen.1031 Gelegentlich beschritt Rumänien auch diplomatische Wege, um die Fluchtbewegung einzuschränken. Im Oktober 1970 empfing Gheorghe Pele im Pass­ amt einen bundesdeutschen Botschaftsmitarbeiter und trug ihm mehrere Fälle vor, in denen Bundesbürger in Rumänien Fluchtvorhaben unterstützten. Ebenso informierte um diese Zeit die Hauptverwaltung (»Generalinspektorat«) der rumänischen Miliz bundesdeutsche Polizeidienststellen über Bundesbürger, die rumänischen Staatsbürgern bei der Flucht halfen.1032 Auch als der rumänische Innenminister und Geheimdienstchef Ion Stănescu im November 1972 zu einem Arbeitsbesuch in die Bundesrepublik reiste, thematisierte er bei seiner Begegnung mit Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher die Fluchthilfe. Stănescu überreichte Genscher eine umfangreiche Dokumentation mit Gesetzesverstößen von Bundesbürgern in Rumänien, darunter zahlreiche Fälle von zusammenlaufen sollten. Vgl. auch Troncotă: Duplicitarii, S. 50. Demnach war die Abteilung 3 der Hauptabteilung  I für die Bearbeitung von Dissidenten und Grenzgängern verantwortlich, und wie fast jede Securitate-Abteilung war auch diese regional in den Securitate-Kreisverwaltungen verankert. 1028  Zur ZKG vgl. die kompakte Übersicht in Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS 1950–1989, S. 481–484 sowie ausführlich Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe. 1029  Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, S. 22, 30–32. 1030  Troncotă: Duplicitarii, S. 47. 1031  Etwas über die Hälfte aller Verfahren, die die MfS-Untersuchungsabteilungen (Linie  IX) zwischen 1968 und 1989 in der DDR einleiteten, hatten »Fluchtdelikte im engeren Sinne« zum Gegenstand, gingen also von § 213 StGB/DDR aus. Spohr: In Haft bei der Staatssicherheit, S. 141 f. 1032  Interviul nostru: Dinamica. In: Securitatea (1970) 4, S. 8 f. (wie Anm. 1009).

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Fluchthilfe, ferner Devisenvergehen, Schmuggel, Verkehrsunfälle und Anderes.1033 Einige Maßnahmen, mit denen die Securitate Fluchtvorhaben zu verhindern und aufzudecken versuchte, setzte das MfS in der DDR nicht ein. Dazu gehörte die vorbeugende Verwarnung potenzieller Flüchtlinge. Securitate-Offiziere aus dem Referat des schon genannten Oberstleutnants Samoilă ermittelten beispielsweise im Frühjahr 1972 im Kreis Temesch 136 Einwohner, die vermutlich Fluchtabsichten hegten. Entsprechende Hinweise lieferten inoffizielle Mitarbeiter. In den drei Wochen vom 24. Mai bis 14. Juni 1972 suchten Securitate-Offiziere 100 der Verdächtigen auf, um diese von ihren Plänen abzubringen und Verwarnungen auszusprechen. Einige gaben ihre Fluchtgedanken zu.1034 Im gesamten Jahr 1972 führte die Securitate landesweit insgesamt rund 1 000 solcher prophylaktischer Verwarnungen durch, in einigen Fällen als inszenierte, demütigende »öffentliche Verhandlung«. Tab. 5: Vorbeugende Verwarnungen potenzieller Flüchtlinge durch die Securitate1035 1968

1969

Personen, gegen die die Securitate vorbeugende/öffentliche Beeinflussungsmaßnahmen ergriff (»Măsuri de influenţare obștească«)

108

42

– davon: »öffentliche Verhandlung« (»dezbatere publică«)

4

15

104

54

– davon: Verwarnungen (»avertizaţi«/»avertizate«) – davon: vorbeugende, warnende Gespräche (»preveniţi«/»atenţionate«)

1970 1971 1972 106

254

991

922

1033  Dosar Nr. G 22: Referitor vizita de răspuns a ministerului de interne al RSR la ministerul de interne federal al RFG (materiale pregatitoare, programe, rapoarte) [Akte Nr. G 22 betreffend den Gegenbesuch des Innenministers der SRR beim Bundesinnenminister der BRD (vorbereitende Unterlagen, Programme, Berichte)]; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 49, insbes. Bl. 99–115. Der Arbeitsbesuch fand vom 5. bis 7.11.1972 statt. Stănescu war lediglich ein knappes Jahr, vom 19.4.1972 bis 15.3.1973, Innenminister. 1034  U.M. 02840 Timișoara, Biroul de Contrainformaţii: Notă pentru buletin [Aufzeichnung für den (Tages-)Bericht]; ACNSAS, fond documentar, D 11999, Bl. 50–59. Diese Aufzeichnungen geben die Inhalte einiger der Gespräche wieder. Eines dieser Verwarnungsgespräche im Kreis Temesch stellte Securitate-Oberst Traian Popa in seinem Artikel »Despre prevenirea trecerii frauduloase a frontierei« [»Über die Vorbeugung ungesetzlicher Grenzübertritte«] in: Securitatea (1972) 2, S. 79–83, vor. 1035  Die Zahlen und Begriffe basieren auf Berichten des Serviciul C.I. [Abteilung Spionageabwehr] vom 31.10.1972; ACNSAS, fond documentar, D 12001, Bl. 170–174 (wie Anm. 1009). Die Zahlen von 1972 beziehen sich auf den Zeitraum von Januar bis Oktober.

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Im gesamten Jahr 1972 führte die Securitate landesweit insgesamt rund 1 000 solcher prophylaktischer Verwarnungen durch, in einigen Fällen als inszenierte, demütigende »öffentliche Verhandlung«. Gegen Jahresende wertete die verantwortliche Securitate-Abteilung diese Maßnahme als Erfolg, weil die Zahl der »Grenzverletzer« gesunken sei.1036 Sie wandte diese Methode deshalb auch in den folgenden Jahren an.1037 Ein weiterer Unterschied zwischen Rumänien und der DDR bestand darin, dass in Rumänien die einheimische Bevölkerung in gewissem Umfang aktiv Fluchtvorhaben unterstützte. Ortskundige Bewohner der grenznahen Orte fanden sich immer wieder bereit, Flüchtlinge über die Grenze nach Jugoslawien zu führen. Das Risiko für beide Seiten dürfte erheblich gewesen sein, konnte man doch nie wissen, ob der andere nicht ein Lockspitzel der Geheimpolizei war. Im Jahre 1980 ertappten die rumänischen Sicherheitsorgane über 95 dieser ortskundigen Grenzführer. Diese Zahl nannte Oberstleutnant Gheorghe Preoteasa, Mitarbeiter der Securitate-Hauptabteilung I, in einem Gespräch mit der Zeitschrift »Securitatea«.1038 Er fügte hinzu, dass die Zahl dieser »Schleuser« in den vergangenen Jahren gestiegen sei und deren Motivation lediglich darin bestehe, 1036  U.M. 02802 București, Serviciul C.I., 11.11.1972: Notă (wie Anm. 1009), Bl. 335– 337. Diesem Bericht zufolge hatte die Securitate von Januar bis Oktober 1972 gegen 1 321 potenzielle Fluchtwillige »vorbeugende Maßnahmen« angewandt. Diese Zahl liegt höher als die in Tabelle 5 angegebene; beide Zahlen wurden jedoch von derselben Securitate-Diensteinheit U.M. 02802 ermittelt. 1037  1978 wurden alleine im Kreis Karasch-Severin, der auf rund 180 Kilometer Länge an Jugoslawien grenzte, über 200 Fluchtwillige von der Securitate davor gewarnt, ihr Vorhaben umzusetzen, weitere 33 wurden förmlich verwarnt, und 21 wurden in öffentlichen Verhandlungen gedemütigt. Fota, Dumitru (Oberstleutnant): »Cazuri finalizate pe linia infracţiunilor de frontieră« [»Beendete Fälle auf der Linie der Grenzverletzungen«]. In: Securitatea (1979) 1, S. 60–63. 1038  Măsuri ce trebuie luate pentru perfecţionarea activităţii de prevenire și contracarare a acţiunilor de trecere frauduloasă a frontierei și de rămînere ilegală în străinătate. Masă rotundă [cu ofiţer Direcţiei I, Direcţiei a II-a, Securităţii municipiului București și Securităţii judeţului Timiș] [Maßnahmen, die zur Vervollkommnung der Vorbeugungs- und Vereitelungsaktivitäten gegen Handlungen des ungesetzlichen Grenzübertritts und des ungesetzlichen Verbleibens im Ausland ergriffen werden müssen. Rundtisch-Gespräch [mit Offizieren der Securitate-Hauptabteilungen I und II, der Securitate-Verwaltung des Munizipiums Bukarest und der Securitate-Kreisverwaltung Temesch]]. In: Securitatea (1981)  1, S.  27–34, hier 28  f. Die hier genannte Zahl von »über 95« sollte allenfalls als Näherungswert behandelt werden, solange das tatsächliche Geschehen nicht gründlicher erforscht ist. In den Ausgaben der Securitatea (1983) 3, S. 44 und (1984) 4, S. 50 (wie Anm. 1039) werden Grenzschleusungen durch Ortskundige erneut als Problem angesprochen, jedoch ohne statistische Angabe. Als Zeitzeuge berichtet der Siebenbürger Sachse Peter Schuster, wie er 1979 einem rumänischen Schleuserpaar in Reschitz (Reșiţa) 40 000 Lei bezahlte, das ihn und einen Freund jedoch nur bis in die Nähe der Grenze fuhr und sie dann aufforderte, alleine über die Grenze zu gehen. Auf dem Weg über die Grenze wurden die beiden Flüchtlinge dann von einem Grenzsoldaten gestellt. Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 2, S. 110 f.

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Geld zu verdienen. Über die Anzahl der gelungenen Fluchten mithilfe ortskundiger Führer liegen naheliegenderweise keine Angaben vor. Auch unter den Militärangehörigen im Grenzgebiet gab es aus Sicht der Securitate Mitte der 1980er-Jahre eine problematische Entwicklung: Immer häufiger versuchten Fluchtwillige, Grenzsoldaten oder deren Vorgesetzte zu bestechen, um sicher und ungehindert über die Grenze nach Jugoslawien zu gelangen. Darüber berichteten 1984 die beiden Obersten Ion Goiciu und Gheorghe Badea von der Securitate-Hauptabteilung IV in einem Beitrag für die »Securitatea«.1039 Fluchtwillige suchten demnach Militärangehörige zuhause auf oder übermittelten ihnen über Bekannte oder Verwandte ihr Anliegen. Einige bereiteten die Kontaktaufnahme angeblich von langer Hand vor, und mit Geschenken oder praktischer Hilfe bauten sie einen persönlichen Draht zu einem Militärangehörigen an der Grenze auf. Die Bestechungssumme, die sie boten, belief sich in einem Fall auf 60 000 Lei – das entsprach rund 20 Monatsgehältern oder knapp dem Neupreis eines Pkw »Dacia«. Auch Erpressungsversuche kamen offenbar vor, etwa wenn ein Fluchtwilliger davon wusste, dass ein Militärangehöriger bereits einmal einem Flüchtling geholfen hatte und nun drohte, dieses Wissen preiszugeben. Die Securitate-Obersten Goiciu und Badea behaupteten zwar, 98 Prozent der Bestechungsversuche an Militärangehörigen im Grenzgebiet würden von diesen zurückgewiesen und der Securitate gemeldet. Doch dürfte auch hier eine Dunkelziffer anzunehmen sein, falls diese Prozentangabe nicht ohnehin schon sehr optimistisch angesetzt war. Denn immerhin sah sich die Hauptabteilung IV damals veranlasst, ihre Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung zu intensivieren. Ein weiteres Problem aus Sicht der Securitate bildeten die Saisonarbeiter aus dem Landesinneren, die zu landwirtschaftlichen Arbeiten an der Westgrenze eingesetzt wurden und somit leicht fliehen konnten. Die Securitate-Dienststellen entlang der Grenze erhielten von ihren Kollegen im Landesinneren angeblich oftmals keine Hinweise auf die Zuverlässigkeit der Saisonarbeiter und sahen

1039 Goiciu, Ion; Badea, Gheorghe: Concluzii rezultate din analiza acţiunilor elementelor infractoare vizînd coruperea unor cadre și militari în termen în scopul favorizării trecerii frauduloase a frontierei de stat [Schlussfolgerungen, die sich aus der Analyse der Handlungen gesetzesübertretender Elemente ergeben, die es darauf abgesehen haben, Militärkader und Wehrpflichtige mit dem Ziel der Begünstigung des ungesetzlichen Übertritts über die Staatsgrenze zu bestechen]. In: Securitatea (1984) 4, S. 50–54. Aus der Perspektive von Flüchtlingen berichtet der aus dem Banat stammende Valentin Seifer, dass er einen hauptamtlichen Securitate-Mitarbeiter mit 60 000 Lei und einer Gasflasche bestochen hatte, sodass er ihn, seine Ehefrau und einen Bekannten über die Grenze nach Jugoslawien schleuste. Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 1, S. 329. Seifer zufolge hatte der Securitate-Mitarbeiter zuvor schon 49 Männern aus der Banater Gemeinde Sanktanna (Sântana) zur Flucht verholfen. Diese Erinnerung müsste anhand von Akten gegengeprüft werden.

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sich deshalb außerstande, diejenigen von Arbeiten in der Grenzzone fernzuhalten, deren Fluchtabsichten in ihren Heimatkreisen schon bekannt waren.1040 Die Securitate setzte auch gezielte Stimmungsmache ein, um gegen die Fluchtbereitschaft anzugehen. Der Temeswarer Securitate-Oberst Aurelian Mortoiu ließ etwa 1976/77 unter den Saisonarbeitern und anderen Beschäftigten im Grenzgebiet gezielt die Informationen verbreiten, dass die Grenzorgane den Befehl hatten, Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern, und dass die jugoslawischen Behörden Flüchtlinge nach Rumänien zurückschickten.1041 Diese Informationen, die Mortoiu durch IM und andere Vertrauenspersonen streute, waren zutreffend und dienten offenkundig der Abschreckung. Ergänzt wurde diese Stimmungsmache durch eine ebensolche Tendenz in der staatlichen Propaganda. Wie die DDR-Botschaft in Bukarest im Mai 1977 feststellte, bildeten Berichte gegen die Auswanderungsbestrebungen damals einen Schwerpunkt in den rumänischen Medien. Sie machten Stimmung für das Verbleiben im Land und stellten das Leben im Westen in düsteren Farben dar. Westliche »Abwerbungskampagnen« würden zurückgewiesen, und es kämen Angehörige der deutschen und jüdischen Minderheit sowie Rückwanderer zu Wort, die sich positiv über das sozialistische Rumänien äußerten. Das rumänische Fernsehen habe beim DDR-Fernsehen um Material über die Bundesrepublik gebeten, um entsprechende negative Sendungen zu produzieren.1042 Wenig später begann die Securitate im November 1977 unter der Leitung Generalleutnants Iulian Vlad mit der Aktion »Riposta II« (»Gegenstoß II«), die ebenfalls die Stimmung beeinflussen sollte. Ausgangspunkt für die Aktion »Riposta II« war die Überzeugung der Securitate, wonach die Auswanderungs- und Fluchtbestrebungen eine Folge propagandistischer und anderer Aktivitäten ausländischer Geheimdienste und reaktionärer Gruppen seien. »Riposta II« beinhaltete daher unter anderem eine breit angelegte Desinformationsmaßnahme. Sie sollte unter westlichen Politikern, Journalisten und anderen Multiplikatoren – insbesondere in der Bundesrepublik und den USA – ein positives Rumänienbild schaffen und sie gezielt davon abbringen, die Auswanderungsbestrebungen aus Rumänien gutzuheißen oder zu fördern.1043 1040  Auf dieses Problem verwies Hauptmann Nicolae Flore von der Securitate-Kreisverwaltung Temesch in: Securitatea (1981) 1 (wie Anm. 1038), S. 32. 1041  Prevenirea evenimentelor de frontieră – sarcină cu semnificaţii majore a întregul aparat [Die Verhinderung von Vorkommnissen an der Grenze – eine Hauptaufgabe für den gesamten Apparat]. In: Securitatea (1977) 2, S. 11–18, hier 13. 1042  Zu aktuellen Schwerpunkten der Propaganda der Massenmedien in der SR Rumänien, 2.5.1977 [ungezeichneter Bericht, der als Quelle die Auslandsvertretung Bukarest angibt]; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 11588, Bl. 23. 1043  Ministerul de Interne, 17.11.1977: Raport privind acţiunea »Riposta  II« (contracararea intenţiilor de emigrare ale cetăţenilor români) [Bericht über die Aktion »Gegenstoß II« (das Entgegenwirken gegen die Auswanderungsabsichten rumänischer Bürger)]; in: Securitatea.

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Vergleichende Zwischenbetrachtung: »Republikflucht« aus rumänischer und ostdeutscher Perspektive Ähnlich wie das MfS analysierte auch die Securitate immer wieder das Fluchtgeschehen und fertigte Statistiken und Berichte an, die über Motive und Fluchtmethoden Auskunft geben sollten, ebenso wie über die Sozialstruktur der Flüchtlinge. So lässt sich beispielsweise feststellen, dass in beiden Ländern die Mehrzahl der Flüchtlinge junge Leute bis etwa Mitte 20 waren, bei denen Risikobereitschaft und mitunter auch Abenteuerlust noch besonders ausgeprägt sind. Das »Abhauen« über die Grenze erscheint daher als eine Form des Jugendprotests und sollte unter diesem Aspekt eingehender betrachtet werden.1044 Während beide Geheimdienste das (Feind-)Bild des asozialen Flüchtlings pflegten, belegten ihre internen Daten, dass die meisten Flüchtlinge einen regulären Beruf ausübten. Aber es gab auch diejenigen, die keiner Beschäftigung nachgingen, es gab Vorbestrafte und solche, die aus dem Land flohen, weil die Polizei wegen einer Straftat nach ihnen fahndete.1045 In beiden Ländern gab es das Phänomen der Fluchthilfe: Im Westen lebende Freunde und Verwandte, aber auch Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 449–454; auch veröffentlicht in dem Dokumentenband: Acţiunea »Recuperarea«, S. 207–212. 1044  Zu Alter und Qualifikation der Flüchtlinge sowie zu Fluchtmotiven und Fluchtwegen siehe u. a. Securitatea (1970) 4, S. 4–9 (wie Anm. 1009); (1979) 1, S. 60–63 (wie Anm. 1037); (1981) 1, S. 27–29 (wie Anm. 1038); (1983) 3, S. 42–46; (1984) 4, S. 50–54 (wie Anm. 1039). Anschaulich schildert beispielsweise Anton Sterbling die »Problemlagen und Hintergründe«, die ihn als 17-jährigen Schüler im Banat dazu veranlassten, einen Fluchtversuch zu unternehmen, mit dem er vor allem protestieren und provozieren wollte. Sterbling: Flucht als Provokation?, S. 63 f. Aus MfS-Perspektive siehe exemplarisch den »Bericht Nr. 210/65 über festgestellte Ursachen, Bedingungen und Motive des illegalen Verlassens der DDR« vom 2.4.1965, den die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe des MfS anfertigte. Der Bericht ist veröffentlicht in: Florath (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1965, S. 134–153. 1045  Ein gemeinsamer Bericht von Securitate und anderen Abteilungen des Innenministeriums nennt für 1975 die Zahl von 1 474 (überwiegend wohl verhafteten, rumänischen) Flüchtlingen, davon waren 775 (= 52, 6 Prozent) Arbeiter in unterschiedlichen Tätigkeiten und Betrieben, 319 (= 21,6 Prozent) waren ohne Beschäftigung und führten ein »parasitäres Leben«, 246 (= 16,7 Prozent) waren Schüler oder Studenten, 73 (= 5,0 Prozent) Fachleute oder Beamte/ Funktionäre, 61 (= 4,1 Prozent) Spezialisten mit Hochschulausbildung. Von den 1 474 standen 24 (= 1,6 Prozent) bei der Miliz in der Fahndung, 19 (= 1,3 Prozent) waren wegen unterschiedlicher Delikte vorbestraft. Ministerul de Interne, 9.6.1976: Notă de prezentare a proiectului de ordin referitor la perfecţionarea activităţii de cunoaștere, prevenire și neutralizare a acţiunilor de trecere frauduloasă a frontierei sau de rămînere ilegală în străinătate [Bericht über die Vorlage eines Befehlsentwurfs betreffend die Vervollkommnung der Aktivitäten des Erkennens, Verhütens und Unwirksammachens von Handlungen des ungesetzlichen Grenzübertritts oder des ungesetzlichen Verbleibens im Ausland]; ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3634, vol. 2, Bl. 304–306, hier 304, im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_ normative/3634_002%20fila%20298-305.pdf (Stand: 9.6.2016) Von den im Jahre 1980 gefassten Flüchtlingen waren nach Angaben von Oberstleutnant Preoteasa 47,2 Prozent in Wirtschaftsbetrieben beschäftigt und 22 Prozent in Bildungseinrichtungen oder im ländlichen

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kommerziell arbeitende Fluchthelfer beschafften gefälschte Pässe oder boten Verstecke in ihren Fahrzeugen. Professionelle Fluchthelfer wie Wolfgang Löffler und Fritz Wagner waren sogar in beiden Ländern aktiv.1046 In beiden Ländern gab es Menschen, die mit individuellen Protestaktionen ihre Ausreise zu erzwingen versuchten. Und in beiden Ländern unterließ es die jeweilige Geheimpolizei, die Politik der herrschenden Partei deutlich als eine Ursache für das Flucht-Phänomen zu benennen. Es wäre gewiss aufschlussreich, diese vergleichende Betrachtung zu vertiefen. An dieser Stelle sollen jedoch einige Stichworte genügen. Aufschlussreich ist beispielsweise, was die Securitate-Obersten Traian Popa und Aurel Stancu 1982 in der Zeitschrift »Securitatea« berichteten. Sie schilderten die verzweifelten Handlungen Bukarester Bürger, die ihre Ausreise zu erzwingen versuchten, indem sie in den Hungerstreik traten, gegenüber den Behörden mit Selbstmord drohten, ihre Kinder von der Schule nahmen, mithilfe von Transparenten Öffentlichkeit herstellten oder sich im öffentlichen Raum anketteten. Andere suchten Hilfe aus dem Ausland und versuchten, Kontakt mit Radio Freies Europa oder westlichen Botschaften aufzunehmen, wieder andere taten sich mit Gleichgesinnten zusammen.1047 In einem Bericht der Securitate-Kreisverwaltung Temeswar wurden für die ersten zehn Monate des Jahres 1985 ebensolche Protestformen von Rumäniendeutschen im Kreis Temesch beschrieben und die Namen der Aufbegehrenden genannt.1048 Raum, während 30,8 Prozent ein »parasitäres Leben« führten. Securitatea (1981) 1, S. 27 f. (wie Anm. 1038). 1046 Fluchthilfe zugunsten rumänischer Staatsbürger erwähnt beispielsweise Gheorghe Pele in: Securitatea (1970)  4 (wie Anm. 1009), S.  4–9. Dort nennt er auch die Namen der Fluchthelfer Wolfgang Löffler und Fritz Wagner. Ebenda, S. 6. Aus Peles Formulierung geht nicht eindeutig hervor, ob Löffler und Wagner rumänische oder ostdeutsche Bürger aus Rumänien ausschleusten, oder ob dies andere Fluchthelfer taten. Eine Materialsammlung der Securitate-Hauptabteilung IV aus den Jahren 1969 und 1970 enthält hingegen Angaben über Fluchthilfe Löfflers zugunsten rumänischer Staatsbürger. ACNSAS, fond documentar, D 11986 (Documente despre cetăţeni straini întocmite de organele C.I.F. [Dokumente über ausländische Staatsbürger, ausgearbeitet von den Organen der C.I.F.]), Bl. 228–452. Einige Erkenntnisse über westdeutsche Fluchthelfer und DDR-Flüchtlinge in Rumänien stellte die Securitate in deutscher Sprache zusammen; diese Schriftstücke übergab Nicolae Doicaru dem MfS bei seinem Besuch in der DDR im März 1971. Siehe oben, Kapitel 2.3.6. Sie sind vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 264–337 und decken sich inhaltlich mit Peles Aussagen. Zum Wirken der beiden Fluchthelfer in der DDR siehe Detjen: Ein Loch in der Mauer, passim. 1047  Popa, Traian; Stancu, Aurel: Eficienţa măsurilor de prevenire luate în problema »persoane care au solicitat plecarea definitivă din ţară, pretabile să comită fapte antisociale« [Die Wirksamkeit der ergriffenen Vorbeugungsmaßnahmen hinsichtlich des Problems »Personen, die die endgültige [ständige] Ausreise aus dem Land beantragt haben und sich dazu hergeben, antisoziale Taten zu begehen«]. In: Securitatea (1982) 3, S. 49–54. 1048  Inspectoratul Judeţean Timiș al Ministerului de Interne, Serviciul I/A, 16.11.1985: Raport privind stadiul muncii de securitate în probleme »Prevenirea acţiunilor cu caracter naţionalist-fascist intreprinse de elemente din rîndul naţionalităţii conlocuitoare germane« [Kreis-

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Der Historiker und frühere DDR-Oppositionelle Bernd Eisenfeld hat über die Protestformen von DDR-Bürgern geschrieben, die die Ausreise aus ihrem Land erzwingen wollten. Dazu zählten Selbstmorddrohungen, Hungerstreiks und Arbeitsverweigerung; andere schlossen sich in Gruppen zusammen und versammelten sich öffentlich zu Schweigedemonstrationen. Manche suchten Kontakt zu westlichen Organisationen, Botschaften und Medien, wieder andere befestigten ein kleines weißes Band an ihrem Auto, womit sie sich als Ausreisewillige zu erkennen gaben. Eisenfeld interpretiert diese Protestformen als widerständiges Verhalten.1049 Es ist leicht zu erkennen, wie ähnlich die Mittel der Menschen in Rumänien und der DDR waren, mit denen sie gegenüber einem repressiven Staat ihren Wunsch nach Ausreise durchzusetzen versuchten. Die Anzahl derjenigen, die einen Antrag auf Übersiedlung in den Westen stellten, dürfte in der DDR allerdings um ein Vielfaches höher gelegen haben als in Rumänien, und entsprechend höher war in dieser Hinsicht in der DDR der Druck auf die Staatsmacht. Im Hinblick auf Rumänien bleibt hier festzuhalten, dass die steigenden Flüchtlingszahlen aus dem eigenen Land zu Beginn der 1970er-Jahre zu heftigen Gegenreaktionen der Staatsmacht führten. Wenngleich damals nur wenigen die Flucht über die Grenze gelang, so genügte offenkundig bereits die steigende Tendenz, um bei den (sicherheits-)politisch Verantwortlichen Alarmstimmung auszulösen. Doch sie vermochten den wachsenden Druck nur kurzfristig einzudämmen. Schon 1975 zählte die Securitate bereits 1 475 (überwiegend wohl misslungene) Fluchtversuche rumänischer Staatsbürger und damit eine Steigerung um 70 Prozent gegenüber 1974.1050 Folgt man den fragmentarischen Daten von Johann Steiner und Doina Magheţi sowie von Brîndușa Armanca, so stiegen die Flüchtlingszahlen in den Folgejahren weiter an.1051 Aufschlussreich ist hier auch ein Bericht der Securitate-Kreisverwaltung Temeswar vom November 1985, der die Probleme des Geheimdienstes mit der deutschen Minderheit im Kreis Temesch darstellte. Der deutschen Minderheit gehörten nach Securitate-Angaben 97 811 Menschen an und somit 14 Prozent der Gesamteinwohnerverwaltung Temesch des Innenministeriums, Abteilung I/A, 16.11.1985: Bericht über den Stand der Arbeit der Securitate auf dem Gebiet »Vorbeugung nationalistisch-faschistischer Aktivitäten, die von einigen Elementen der mitwohnenden deutschen Nationalität unternommen werden«; ACNSAS, fond documentar, D 13381, vol. 36, Bl. 78–108, hier 88–90. Diesen Bericht unterzeichneten der Chef der Kreisverwaltung, Oberst Ion Cristescu, und der Leiter der Abteilung I/A, Oberst Antonie Ianculescu; Empfänger war die übergeordnete Securitate-Hauptabteilung I in Bukarest. Ich danke William Totok, der mir Einblick in dieses Dokument gewährte. 1049  Eisenfeld: Die Ausreisebewegung, S.  207–210. Siehe auch die Regionalstudie über den Kreis Halberstadt von Renate Hürtgen: Ausreise per Antrag. 1050  ACNSAS, fond M.I./D.S.- J., dosar nr. 3634, vol. 2, Bl. 304 (wie Anm. 1045). 1051  Armanca: Frontieriștii, S. 18. Nach Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 1, S.  22, zählte die Grenzbrigade Temeswar zwischen 1980 und 1989 insgesamt rund 16  000 »Grenzverletzer«, von denen 4 000 die Flucht gelungen sein soll.

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zahl des Kreises. Der Auswanderungsdruck der Banater Schwaben war enorm. Die meisten dachten an Auswanderung, und rund 35  000 von ihnen hatten demnach bereits einen Ausreiseantrag gestellt. Die Rumäniendeutschen, so legt es der Bericht nahe, hofften damals auf Freikauf und Familienzusammenführung oder auf die Möglichkeit, eine Westreise aus dringenden familiären Gründen gemehmigt zu bekommen (schwere Krankheit oder Tod nächster Angehöriger), die sie zum Absprung nutzen könnten. Seltener als noch zu Beginn der 1970er-Jahre riskierten sie hingegen Fluchtversuche nach Jugoslawien. 665 Menschen aus dem Kreis Temesch wurden dem Bericht zufolge zwischen Januar und Herbst 1985 bei Fluchtversuchen verhaftet, somit rund doppelt so viele wie 1972. Doch nur 46 der Flüchtlinge gehörten der deutschen Minderheit an.1052 Die Bereitschaft, aus dem Land zu fliehen, war also auch in der rumänischen Mehrheitsbevölkerung ausgeprägt.

1052  Inspectoratul Judeţean Timiș, 16.11.1985: Raport (wie Anm. 1048), Bl. 79 f., 91.

4. Der wirtschaftliche Niedergang Rumäniens in den 1980er-Jahren und die Reaktionen des MfS

In den 1980er-Jahren sah sich das MfS gegenüber Rumänien vor einer neuen Herausforderung. Seit Mitte der 1960er-Jahre war es vor allem darum gegangen, die Folgen des rumänischen Autonomiestrebens einzugrenzen. Doch nun geriet Rumänien in eine schlimme Wirtschaftskrise. Das MfS sah daher die innenpolitische Stabilität des Landes bedroht. Es befürchtete, die Not der Menschen könnte zu Protesten und politischen Unruhen führen. Das folgende Kapitel zeigt auf, wie das MfS vor diesem Hintergrund Stimmungsberichte aus Rumänien sammelte und wie es die Lage im Land beurteilte. Es registrierte, wie die Securitate politischen Widerstand stets aufs Neue im Keim erstickte. Und dennoch wirkte die rumänische Krise gegen Ende der 1980er-Jahre auf die DDR zurück. Denn immer mehr DDR-Bürger solidarisierten sich offen mit den Menschen in Rumänien und kritisierten die DDR-Führung für ihr Zusammengehen mit dem rumänischen Diktator. Auch auf diesen Aspekt wird das folgende Kapitel eingehen.

4.1 1983 – Das MfS und seine Verbündeten sammeln verstärkt Informationen aus Rumänien Spätestens seit 1979 berichtete die MfS-Hauptabteilung XVIII, die für den Bereich der Volkswirtschaft zuständig war, zutreffend von zunehmenden ernsthaften Problemen der rumänischen Wirtschaft. Rumänien war immer weniger in der Lage, seine Exportverpflichtungen gegenüber der DDR einzuhalten. Im Sommer 1980 meldete die DDR-Botschaft aus Bukarest: »Genosse Ceaușescu habe eingeschätzt, dass auch in Rumänien Bedingungen für Proteste und Streiks wegen ernster ökonomischer Schwierigkeiten vorhanden sind.«1053 Das war ein Hinweis auf Parallelen zur Situation in Polen, wo im Sommer 1980 landesweit die Menschen streikten und wo sich im August 1980 die unabhängige Gewerkschaft Solidarność etablierte. In Rumänien hatte es bereits im Frühjahr 1979 Ansätze gegeben, eine freie Gewerkschaft zu gründen. Auch die Bergar1053 MfS, HA XVIII/7/4, 9.11.1979: Information zur Lage in der SRR; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 7472, Bl. 152 f. Innenpolitische Entwicklung Rumäniens (Quelle: Botschaft Bukarest) [September 1980]; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 232.

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Der wirtschaftliche Niedergang Rumäniens

Abb. 24: Menschen in Bukarest stehen 1986 nach Brot (»pîine«) an. Die Versorgungslage in Rumänien hatte sich in den 1980er-Jahren massiv verschlechtert.

Foto: Johannes Beleites

beiterstreiks im Schiltal (Valea Jiului) 1977 waren noch in frischer Erinnerung, und ab Beginn der 1980er-Jahre protestierten die Menschen im Schiltal und an anderen Orten immer häufiger gegen die schlechte Versorgungslage. So kam es beispielsweise im Februar 1981 in Bukarest, Ploiești und Pitești zu Arbeiterunruhen, die den Charakter von Hungerrevolten hatten.1054 Die MfS-Operativgruppe in Moskau erfuhr Mitte Mai 1981 von den ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten Rumäniens infolge seiner hohen Auslandsverschuldung und des Leistungsbilanz-Defizits seiner Wirtschaft.1055 Im Juni 1981 nahm Rumänien dann einen Bereitschaftskredit beim Internationalen Währungsfonds (IWF) auf, und im November des gleichen Jahres begann die rumänische Regierung, mit westlichen Banken und dem IWF über eine Umschuldung zu verhandeln. 1982 musste sich Rumänien für zahlungsunfähig erklären, leitete aber zugleich eine systematische Schuldentilgung ein. Im Frühjahr 1989 waren die Auslandsschulden schließlich zurückbezahlt. Das ging allerdings zulasten der eigenen Bevölkerung, deren Versorgung massiv eingeschränkt wurde. Im Herbst 1981 setzte die Lebensmittel-Rationierung ein, der weitere Ein1054  Petrescu, Dragoș: Workers and Peasant Workers, S. 138; Hausleitner: Politischer Widerstand in Rumänien, S. 69–73. 1055  MfS, Operativgruppe Moskau, 10.6.1981: Hinweis zur Finanzpolitik der SR Rumänien; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2783, Bl. 2.

1983 – Sammeln von Informationen aus Rumänien

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schränkungen beispielsweise beim Energieverbrauch folgten. Die Menschen hungerten und froren.1056 Rumänien war daher seit Beginn der 1980er-Jahre nicht mehr so sehr wegen seiner außenpolitischen Sonderrolle ein Unsicherheitsfaktor für die Verbündeten, sondern wegen seiner instabilen innenpolitischen Situation. Erich Mielke reagierte mit einer ungewöhnlichen Maßnahme auf diese Lage. Über den Leiter der »Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe« (ZAIG) des MfS, Werner Irmler, ließ er am 29. März 1983 alle infrage kommenden MfS-Abteilungen anweisen, entsprechend ihrer Möglichkeiten umfassend Informationen über die innere Lage Rumäniens zusammenzutragen. Praktisch bedeute das, dass vor allem inoffizielle Mitarbeiter aus der DDR, die Beziehungen nach Rumänien hatten, systematisch zur Informationsgewinnung genutzt werden sollten. Aber keinesfalls durfte dieses Vorhaben bekannt und das Erkenntnisinteresse des MfS erkennbar werden. Deshalb sollten die inoffiziellen Mitarbeiter äußerst vorsichtig und zurückhaltend arbeiten. Sie sollten nicht zu Aktivitäten animiert werden, die die Absichten des MfS hätten offenbaren können.1057 Im Bezirk Dresden ermittelte das MfS beispielsweise 22 aktive IM, die für diese Aufgabe prinzipiell geeignet erschienen.1058 Einer von ihnen war IM »Bernd Hempel«, ein Berufsoffizier aus Dresden. Bevor er sich im Sommer 1983 auf den Weg in das siebenbürgische Dorf Marktschelken (Șeica Mare) machte, bekam er eine entsprechende Anweisung schriftlich vorgelegt und musste sie unterschreiben: Im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit erhalten Sie für Ihre Urlaubsreise im Monat Juli 1983 in die Sozialistische Republik Rumänien folgenden Auftrag: Sie haben Ihre Bekannten in der SRR abzuschöpfen und im Ergebnis dessen uns nach Beendigung der Reise schriftlich mitzuteilen. Die Informationen sind in jedem Falle nur durch Abschöpfung zu beschaffen, ohne selbstständige Aktivitäten zur Beschaffung von Informationen zu unternehmen! 1056  Pissula: Rumäniens Mitgliedschaft im IWF; Schönfeld: Rumänien: Hoher Preis der Autonomiepolitik; Gabanyi: Schuldentilgung – und was dann? Vgl. auch Shafir: Romania. Politics, Economics, and Society, S.  110, 117–119; Gabrisch; Tuitz: Rumänien und der RGW, S. 73–91. 1057 MfS, ZAIG, Leiter: Schreiben an die Leiter der MfS-Diensteinheiten, 29.3.1983; BStU, MfS, BV Leipzig, Leitung, Nr. 1178, Bl. 4 f. Dass. in: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 7472, Bl. 209 f. u. ö. Vgl. auch die Antwortschreiben der Leiter der MfS-Bezirksverwaltungen Halle und Magdeburg vom 21.4. und 18.5. 1983, in denen Stimmungsberichte einzelner IM, die aus Rumänien zurückgekehrt waren, zusammengefasst sind. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 7–10, 15 f. Zur Umsetzung der Anweisung auf lokaler Ebene vgl. beispielhaft die Weiterleitung des Mielke-Befehls an eine MfS-Kreisdienststelle (Stadtroda, Bezirk Gera) sowie die Antwort der MfS-Kreisdienststelle Leipzig-Stadt, die fünf mögliche IM-Verbindungen nach Rumänien auflistete. BStU, MfS, BV Gera, KD SRO, Nr. 698, Bl. 1 sowie BStU, MfS, BV Leipzig, KD Leipzig-Stadt, Nr. 766, Bl. 1–18. Zur ZAIG siehe S. 437. 1058  BStU, MfS, BV Dresden, Leiter der BV, Nr. 10913, Bl. 36–49.

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Sie haben zur Realisierung dieser Aufgabe keinerlei schriftliche Aufzeichnungen zu verwenden, darunter fallen auch eventuelle Stichpunkte oder Notizen, die mit ins Ausland genommen werden! Die schriftliche Berichterstattung erfolgt erst beim nächsten Treff mit dem Mitarbeiter des MfS. [...] Dieser Auftrag ist streng geheim! zu behandeln.1059

Erich Mielke erhoffte sich von dieser Informationsbeschaffung Aufschluss darüber, wie sich die zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten Rumäniens auf die Lage im Land auswirkten. Er erwartete von seinen inoffiziellen Mitarbeitern frühzeitige Hinweise auf eine politische oder wirtschaftliche Destabilisierung, auf daraus resultierende soziale Spannungen, auf negative Stimmungen und Unmutsäußerungen in der rumänischen Bevölkerung, auf die Entstehung oppositioneller Strömungen und Gruppen und auf drohende Unruhen. Die MfS-Führung wollte wissen, wie stabil und verlässlich Rumänien noch war. Und sie wollte verhindern, dass eventuelle Proteste in Rumänien sich auf andere sozialistische Länder ausbreiteten.1060 Das MfS hatte zwar auch bisher schon Informationen über Rumänien gesammelt, doch nun begann eine intensivierte und planmäßige Informationsbeschaffung. Mielkes Anweisung vom März 1983 war vermutlich keine isolierte Maßnahme des MfS. So erinnert sich der frühere KGB-Offizier Oleg Gordievskij an eine »ausführliche Analyse« des KGB aus dem Jahr 1983, in der festgestellt wurde, »Rumänien stehe kurz vor dem Bankrott, dem Land drohe innerhalb der nächsten Jahre der wirtschaftliche Kollaps. In diesem Fall, so die Prognose, könnte das Regime die Macht verlieren und Rumänien ins westliche Lager abdriften. Zu der Zeit, als Gorbačëv Černenkos Nachfolge antrat [März 1985], wurde diese Prognose sehr ernst genommen.« Gordievskij, der zuletzt Leiter der KGB-Residentur in London war, bevor er sich 1985 in den Westen absetzte, schreibt weiter, er sei in seinen beiden letzten Jahren als Resident in London von der Moskauer KGB-Zentrale mehrfach aufgefordert worden, »über westliche Haltungen zu Rumänien zu berichten«.1061 Gordievskijs Darstellung deckt sich zeitlich und inhaltlich mit der Anweisung Mielkes. Der ungarische Staatssicherheitsdienst etablierte, ebenfalls im Jahre 1983, einen Spionagestützpunkt in der ungarischen Botschaft in Bukarest und sammelte systematisch Informationen über die wirtschaftliche, innenpolitische und 1059  BStU, MfS, BV Dresden, AIM 10/90, Bd. I/1, Bl. 148. Hervorhebung im Original. 1060  BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 7472, Bl. 209 f. (wie Anm. 1057). 1061  Gordiewski; Andrew: KGB. Die Geschichte seiner Auslandsoperationen, S. 824. Die von Gordiewski erwähnte Analyse wurde von der Elften Abteilung (Verbindungen zu verbündeten Diensten) der Ersten KGB-Hauptverwaltung (Auslandsspionage) erstellt.

IM-Berichte aus Rumänien

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sicherheitspolitische Lage sowie über die Situation der ungarischen Minderheit in dem Nachbarland.1062 Dieses zeitliche Zusammentreffen legt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich hier um eine gemeinsame nachrichtendienstliche Aktion der östlichen Geheimdienste gegen das Rumänien Ceaușescus handelte, die der KGB initiierte und anleitete.

4.2 IM-Berichte aus Rumänien: Alltagsinformationen und Kolportagen, Hungerrevolten und Putschversuche Die Berichte über Rumänien, die das MfS seit 1983 von seinen Informanten bekam, schilderten Lebensverhältnisse, Stimmungen und Meinungen bis hinab in kleine Ortschaften. Aus dem Banat fanden selbst Dörfer wie Lenauheim oder Kleinstädte wie Hatzfeld und Lugosch (Lugoj) Erwähnung, selbstverständlich auch Temeswar und siebenbürgische Städte wie Hermannstadt und Kronstadt.1063 Insbesondere dann, wenn DDR-Bürger durch Abstammung oder Heirat familiäre Beziehungen in diese Region hatten, profitierte das MfS von ihren detaillierten Berichten. Zu diesen Personen gehörte der bereits genannte IM »Jürgen«. Er meldete dem MfS beispielsweise, wie unkompliziert man in Temeswar an westdeutsche Bücher, Tageszeitungen und Zeitschriften gelangen könne, was in der DDR so nicht möglich war.1064 Die inoffizielle Mitarbeiterin »Kunze« war 1981 von der MfS-Bezirksverwaltung Dresden als IM angeworben worden. Sie war Rumäniendeutsche und siedelte aus familiären Gründen in den 1960er-Jahren aus dem siebenbürgischen Kreis Kronstadt in die DDR über, wo sie als Übersetzerin arbeitete. Bis 1985 berichtete sie dem MfS nach ihren jährlichen Besuchen in Rumänien von ihren dortigen Eindrücken. Dabei fasste sie sich zumeist sehr kurz und beließ es bei allgemeinen Aussagen. Vor dem Hintergrund ihrer Sprach- und Landeskenntnisse blieb sie deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück. Schon bald nach ihrer Anwerbung versuchte sie, sich dem MfS wieder zu entziehen und bat ihren Führungsoffizier, sie aus der inoffiziellen Zusammenarbeit zu entlassen, was sich bis 1987 hinzog.1065 Aus dem Kreis Jena reiste der Schriftsteller Ernst-Otto Luthardt als IM »Hugo« seit den späten 1970er-Jahren mehrfach nach Rumänien. 1987 veröf1062  Bottoni: Zögernde Spione, S. 16–18. 1063  BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 7–140; ZAIG, Nr. 14072, Bl. 1–182. 1064  BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 80, 137. 1065  BStU, MfS, BV Dresden, AIM 1033/88, Bd. I/1, Bl. 7–17, 218, Bd. II/1, Bl. 8–10, 41, 43, 49, 74–76, 81, 86–88, 96–100, 108–110.

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fentlichte er in der DDR ein reichhaltig bebildertes Buch über seine Rumänienreisen, »Die Hora nimmt kein Ende«. Als inoffizieller Mitarbeiter berichtete er dem MfS namentlich über rumänische Künstler, Schriftsteller und Geistliche aus der Region rund um Hermannstadt, auch aus kleineren Gemeinden wie Rășinari oder Rothberg (Roșie). Er lieferte besonders ausführliche Personenbeschreibungen und versuchte mehrfach die Frage zu beantworten, welche seiner Bekannten in Siebenbürgen Beziehungen zur Securitate haben könnten. Einen orthodoxen Klostervorsteher schilderte er plastisch als einen Mann »mit weitreichenden gesellschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen«, um damit das Gerücht zu untermauern: »Der Mann wurde von verschiedenen Bekannten und Freunden Rumäniens als Mitarbeiter der rumänischen Staatssicherheit eingeschätzt. Diese Deutung scheint mir wahrscheinlich.«1066 Bei einem siebenbürgisch-sächsischen Pfarrer analysierte er den materiellen Lebensstandard, die guten Beziehungen zu Menschen aus beiden deutschen Staaten, das Vorhandensein aktueller westdeutscher Tages- und Wochenzeitungen und dessen Meinungsäußerungen zu verschiedenen Themen, um dem MfS abschließend mitzuteilen: »Nach meinen Eindrücken ist es nicht ausschließbar, dass er ein Informant der rumänischen Sicherheitsorgane ist.«1067 Ähnlich schätzte er einen befreundeten rumänischen Künstler ein: »In den Gesprächen mit ihm wurde mir klar, dass er für die rum[änische] Staatssicherheit arbeitet, d. h., dass er verpflichtet ist, über seine Kontakte Bericht zu geben.« Luthardt fühlte sich in diesem Falle dadurch in seiner Vermutung bestärkt, dass ihm der befreundete Künstler von seinen direkten Kontakten zum Leiter der Hermannstädter Securitate-Kreisverwaltung berichtete. Auf diese Weise hörte er im Sommer 1986 auch Gerüchte über die Situation bei der Securitate in Hermannstadt: Dort gebe es »häufig Verwirrung über widersprüchliche Anweisungen und Instruktionen im speziellen Umgange mit Personen und mit Dienstobliegenheiten«. Zu derartiger Verwirrung komme es angeblich deshalb, weil abwechselnd Nicolae Ceaușescu und seine Ehefrau Elena Ceaușescu Anweisungen erteilten, in denen sie sich widersprechen würden. Auf ähnliche Weise identifizierte Luthardt einige Monate später auch einen Mitarbeiter einer rumänischsprachigen Hermannstädter Tageszeitung namentlich als Securitate-Angehörigen. Die MfS-Zentrale in Ostberlin nahm Luthardts Berichte einerseits aufmerksam und interessiert, andererseits aber auch skeptisch

1066  [MfS-]Kreisdienststelle Jena, Ref. PUT [politische Untergrundtätigkeit], 29.8.1986: Bericht über Rumänien-Aufenthalt vom 23.7.–3.8.1986; BStU, MfS, BV Gera, X/722/78, Bd. II/3, Bl. 35–47, hier 47. 1067 [MfS-]Kreisdienststelle Jena, Vorgangsgruppe OSL [Oberstleutnant] Horn, 27.9.1979: Bericht über eine Reise nach Rumänien vom 20.–29.8.1979 [...]; BStU, MfS, BV Gera, X/722/78, Bd. II/1, Bl. 37–42.

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zur Kenntnis. Man war sich des spekulativen Charakters einiger seiner Meldungen durchaus bewusst.1068 Von IM aus dem kirchlichen Bereich erfuhr das MfS von Bibelschmuggel und ungenehmigten Hilfstransporten nach Rumänien. Zu diesen Informanten gehörten die IM »Hermann Schneider« und »Schubert«. Beide wurden bereits als Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren vom MfS angeworben, in kirchliche Kreise eingeschleust und funktionierten zehn bis 15 Jahre als wichtige Zuträger. IM »Hermann Schneider« aus dem Ostberliner Stadtbezirk Weißensee begann 1974 eine kirchliche Ausbildung, wurde Mitarbeiter der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und engagierte sich bei der »Aktion Sühnezeichen«. Mit diesem Hintergrund gelang es ihm Anfang der 1980er-Jahre, gute Beziehungen zu Christen in Ungarn aufzubauen, die wiederum enge Verbindungen nach Siebenbürgen unterhielten. Seine ungarischen Bekannten schmuggelten Bibeln und politische Literatur sowie Kleidung und Lebensmittel nach Rumänien und verteilten sie dort vor allem unter den Angehörigen der ungarischen Minderheit. Zwischen 1982 und 1984 reiste »Hermann Schneider« mehrfach nach Ungarn und erstattete seinem Führungsoffizier anschließend ausführlich Bericht. Er gab die Namen und Daten seiner ungarischen Bekannten preis, die an diesen Aktionen teilnahmen. Es waren vor allem kirchlich engagierte Studenten, von denen zumindest einer auch in der »Samizdat-Boutique« von László Rajk jr. verkehrte. Ende Januar 1984 begleitete »Hermann Schneider« seine ungarischen Bekannten bei einem Hilfstransport nach Siebenbürgen und informierte das MfS hinterher detailliert darüber. Alle 14 Tage mache sich die Gruppe mit solchen Hilfsgütern auf den Weg in das Nachbarland. Aus Hermannstadt benannte »Hermann Schneider« einen katholischen Geistlichen und einen evangelischen, siebenbürgisch-sächsischen Theologiestudenten, mit dem er sich dort unterhalten hatte. Sein Führungsoffizier hielt den Reisebericht für bedeutend genug, um ihn der MfS-Zentrale zur Auswertung vorzulegen. Ob er auch den ungarischen Geheimdienstkollegen zur Kenntnis gegeben wurde, ist nicht ersichtlich. Der IM »Hermann Schneider« deutete an, dass selbst die ungarische Parteiführung den Schmuggel toleriere, weil auch sie die rumänische Nationalitätenpolitik ablehne. Womöglich beschrieb er das Phänomen der »Rucksack-Bewegung«, ein informelles Netzwerk junger ungarischer Staatsbürger und ungarischer Siebenbürger, das der ungarische Staatssicherheitsdienst zwar beob-

1068  Bericht (wie Anm. 1066), Bl. 38, 43 f.; dass. mit Kommentaren der MfS-Auswerter in Ostberlin versehen in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14072, Bl. 42–54, hier 45; [MfS-]Kreisdienststelle Jena, Ref. PUT II, 17.11.1986: Bericht [...]; BStU, MfS, BV Gera, X/722/78, Bd. I/2, Bl. 81– 85; ähnlich auch Luthardts Bericht vom 13.10.1987 über Begegnungen in Hermannstadt, Reschitz und Klausenburg im Juli und August 1987; ebenda, Bd.  II/3, Bl.  135–143. Luthardt wurde vom MfS bereits als 16-Jähriger zu Spitzeldiensten herangezogen. Ausführlich zu ­Luthardt vgl. Haase: Mielke kontra Pegasus, S. 75–104.

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achtete, aber nicht ernsthaft behinderte.1069 Den rumänischen Behörden blieben diese Vorgänge nicht verborgen. Sie verboten schließlich 1987 grundsätzlich jede Einfuhr von Publikationen aus Ungarn.1070 IM »Schubert« ließ sich im Auftrag des MfS taufen und engagierte sich im Laufe der 1980er-Jahre weisungsgemäß in kirchlichen Umweltkreisen und sozialdiakonischen Gruppen in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Im Sommer 1988 informierte er das MfS, wie engagierte junge Leute aus diesen Kreisen einen Hilfstransport nach Rumänien organisierten. Er beteiligte sich auch selbst daran, die Aktion vorzubereiten und durchzuführen. Mit zwei Autos – eines davon war der Wagen von IM »Schubert«, den er auch selbst steuerte – fuhren sie im Oktober 1988 nach Siebenbürgen. Auf diese Weise schafften sie 150 Bibeln, Lebensmittel und Medikamente dorthin. Zu den Empfängern dieser Lieferung gehörte die Gemeinde Rothberg (Roșia), wo der dortige siebenbürgisch-sächsische Dorfpfarrer Eginald Schlattner die Helfer aus Karl-Marx-Stadt willkommen hieß. Obwohl das MfS frühzeitig und detailliert über den Hilfstransport Bescheid wusste, verhinderte es ihn nicht.1071 1069  BVfS Berlin, Leiter [Wolfgang Schwanitz], 9.2.1984, Schreiben an den Leiter der ZAIG, Generalmajor Werner Irmler: Politisch-operativ relevante Verbindungen ungarischer Staatsbürger in die Sozialistische Republik Rumänien mit sozialismusfeindlichem Hintergrund; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14177, Bl.  164–166. Die ausführlichen Reiseberichte des IM »Hermann Schneider« aus Ungarn (1982–1984) und Rumänien (1984) und Angaben über seine dortigen Bekannten finden sich in: BStU, MfS, BV Berlin, AIM 64/91, Bd. II/8, Bl. 373–379, 382 f., 420–424, 428–430, 482–487, Bd. II/9, Bl. 127–135, 140 f. Ausführlich zur Identität und IM-Karriere des IM »Hermann Schneider«, der schon als 17-Jähriger 1973 eine Verpflichtungserklärung zur inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieb, siehe Krone; Schult (Hg.): »Seid untertan der Obrigkeit«, S. 91–113; ferner die kurze Erwähnung in: Kammerer: Aktion Sühnezeichen, S. 230, im Internet unter http://issuu.com/bar_m/docs/asf-buch (Stand: 9.6.2016). »Hermann Schneider« bespitzelte in den 1980er-Jahren für das MfS auch polnische katholische Kreise aus dem nahen Umfeld Lech Wałęsas. Zu Rajk jr. siehe Rother: Die freie Montagsuniversität, S.  286–288 u.  ö. Über die »Rucksack-Bewegung« ist bislang kaum geschrieben worden, vgl. hierzu Bottoni: Zögernde Spione, S. 36 f. 1070  Hausleitner: Wettlauf der Patrioten, S. 602, F 15. 1071  BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, XIV/110/80, Bd.  II/6, Bl.  3–6, 18, 36–40, 109, 120, 156, 257, 343. Wie sich Nadja Röder erinnert, die sich an dem Hilfstransport beteiligte, habe IM »Schubert« die Idee in ihren Kreis hineingetragen, auch Bibeln mitzunehmen. Die Bibeln seien wie die anderen Hilfsgüter direkt von Karl-Marx-Stadt mit dem Auto nach Siebenbürgen gebracht worden und nicht vorab in Prag zwischengelagert worden, wie es in der Akte des IM »Schubert« irrtümlich heißt – telefonische Auskunft von Nadja Röder an den Verfasser vom 6.8.2010. Der bürgerliche Name des IM »Schubert« wurde 2008 überregional bekannt. Damals hatte der IM gegen die Ausstellung »Christliches Handeln in der DDR« des evangelischen Pfarrers Edmund Käbisch geklagt und zunächst durchgesetzt, dass sein Name nicht mehr genannt werden durfte. Im März 2010 hob das Landgericht Zwickau diese Entscheidung wieder auf. Zu diesem Konflikt sowie zur Identität des IM siehe http://www.dr-kaebisch.de/index. php?site=im_schubert und http://f3.webmart.de/f.cfm?id=2165073&r=threadview&t=3290880 (Stand: 9.6.2016).

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Zu den bekannteren IM des MfS, die Beziehungen nach Rumänien pflegten, gehörte der Ostberliner Historiker Fritz Klein. Klein stammte aus einer gebildeten siebenbürgisch-sächsischen Familie. Obwohl seine Eltern in den 1920erJahren nach Berlin auswanderten und er hier aufwuchs, fühlte er sich seiner siebenbürgischen Herkunft stets verbunden. Er wurde Professor an der Akademie der Wissenschaften der DDR und gehörte zu den wenigen auch international geschätzten, marxistischen Neuzeithistorikern der DDR. 1975 hielt er sich mehrere Monate als Gastwissenschaftler in den USA auf. Aus diesem Anlass hatte die HV A unmittelbar zuvor Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn nach einer gewissen Vorlaufzeit als IM »Wilhelm« angeworben. Später wurde er an die Spionageabwehr des MfS übergeben, für die er bis 1989 bereitwillig über US-amerikanische Diplomaten und Wissenschaftler berichtete, mit denen er in Ostberlin häufig zusammentraf, ferner über die Ständige Vertretung der Bundesrepublik sowie über die Akademie der Wissenschaften der DDR. 1957 hatte er einen Anwerbeversuch des MfS noch zurückgewiesen; er sympathisierte damals mit den SED-Dissidenten um den Philosophen Wolfgang Harich, die im März 1957 in einem Schauprozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. 1961 wandte sich die Securitate über ihre Ostberliner Operativgruppe an das MfS, um Informationen über Klein und sein Umfeld zu bekommen. Das MfS beantwortete die Anfrage mit einigen knappen biografischen Angaben. 1962 überprüfte ihn das MfS in einem operativen Vorgang wegen des »Verdachts der Feindtätigkeit und Gruppenbildung«; da sich der Verdacht für das MfS nicht bestätigte, leitete es daraus keine Maßnahmen ab. Als Rumänien und die DDR 1978 eine bilaterale Historikerkommission einrichteten, wurde Klein zum Leiter der DDR-Sektion berufen. In dieser Eigenschaft erhielt er Einladungen der rumänischen Botschaft in Ostberlin und führte gemeinsame Tagungen mit Kollegen aus der DDR und Rumänien durch. Das MfS scheint von Kleins beruflichen und familiären Kontakten nach Rumänien allerdings nicht profitiert zu haben. Als Klein im Juni 1979 zu einem Historikerkongress ins rumänische Constanţa reiste, vermerkte sein damaliger Führungsoffizier Major Harry Sattler, Klein werde nach seiner Rückkehr darüber berichten. Doch bei den darauffolgenden Treffen sprach Klein offenbar nicht über seine Rumänienreise. Im Mai 1983 nahm Klein, wiederum in seiner offiziellen Funktion, an einer Historikertagung in Hermannstadt teil. Die Informationsausbeute für das MfS blieb gering. Sein Führungsoffizier Major Hans-Joachim Dahle vermerkte in der Akte: »Der IM berichtete mündlich über die Reisen in die UdSSR und die SR Rumänien, wobei er eine Reihe Erlebnisse am Rande der Kongresse nannte. Operativ auswertbare Informationen gaben sich auch nach gezielten Fragen aus diesem Bericht nicht.« Weitere Aufzeichnungen über Kleins Rumä-

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nienkontakte kommen in der gesamten Berichtsakte, die rund 400 Seiten umfasst, nicht vor.1072 Andere inoffizielle Mitarbeiter erwiesen sich als ergiebigere Informanten. So trafen beim MfS auch von außerhalb der traditionellen deutschsprachigen Siedlungsgebiete und der Urlaubsregionen Meldungen ein, darunter etliche aus der Hauptstadt Bukarest. Ausführlich berichtete beispielsweise der IM »Johannes Hofmann«, ein Ostberliner Außenhandelsökonom, den 1986 ein DDR-Außenhandelsbetrieb zu einem mehrjährigen Einsatz nach Rumänien entsandte. In vielen IM-Berichten war immer wieder von Protesten der rumänischen Bevölkerung gegen die katastrophale Versorgungslage die Rede; die inoffiziellen Mitarbeiter beschrieben das System der Tauschwirtschaft und nannten Schwarzmarktpreise für Nahrungs- und Genussmittel. Einige der Informanten berichteten von Streiks und sogar von einem Putschversuch gegen ­Ceaușescu.1073 Die meisten Berichte über das Rumänien der 1980er-Jahre, die im Stasi-Archiv noch erhalten sind, wurden von denjenigen MfS-Abteilungen zusammengetragen, die zusammenfassend als »Abwehrdiensteinheiten« bezeichnet werden. Das waren jene Teile des MfS, die primär für die innere Repression und die Überwachung in der DDR verantwortlich waren. Aus den Beständen der HV A sind nur wenige Akten überliefert. Insgesamt zeigen die beim MfS seit 1983 eingegangenen Berichte, dass tatsächlich viele MfS-Diensteinheiten die damalige Anweisung befolgt und inoffizielle Mitarbeiter zur Informationsgewinnung in Rumänien eingesetzt hatten. Das bedeutete jedoch nicht, dass nun jeder DDR-Bürger, der nach Rumänien reiste, für das MfS einen Bericht anfertigte. Die große Mehrheit der DDR-Bürger hatte mit dem MfS nichts zu tun. Selbst solche DDR-Bürger, die aus beruflichen Gründen für einen längeren Zeitraum in Rumänien lebten, waren zu einem größeren Teil nicht IM und fungierten nicht als geheimdienstliche Informationsquelle. 1072  BStU, MfS, AIM 16234/91, Bd. I/1, 13, 16 f., 28 f., 31, 183, 192, 205–207, 212–215, 425, 440–442; Bd. II/1, 20–22, 67, 95, 99 f., 103 f., 308 f., 402; Beifügung Bd. I/1, Bl. 1 f.; BStU, MfS, AP 3087/64, Bl. 9 f., 18 f., 26; BStU, MfS, AOP 7058/65, Bl. 61, 68, 123–126; BStU, MfS, HA XVIII, AP 58089/92, Bl. 10, 16–25, 29–32, 36 f., 48 f. Zum 35. Jahrestag der DDR erhielt Klein in seiner Eigenschaft als IM »Wilhelm« vom MfS die Verdienstmedaille der NVA in Bronze; MfS, Minister, 7.10.1984: Befehl Nr. K 5455/84 [»Kaderbefehl«]; BStU, MfS, HA KuSch, Nr. 2081, Bl. 1, 9. Siehe auch die Memoiren von Fritz Klein: Drinnen und Draußen, S. 193 f., 203 f., 275 f., 287–291, 304–310, 357–359. Klein geht hierin auf seine MfS-Anbindung ein, siehe S. 357–359. 1073  Entsprechende Berichte verschiedener IM aus den Jahren 1982–1986 u. a. vorh. in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 7–10, 15–20, 56–88, 117–119, 133–140; ZAIG, Nr. 14017, Bl.  9–37; ZAIG, Nr. 14020, Bl.  8  f., 24–26, 33  f.; ZAIG, Nr. 14036, Bl.  5–56; ZAIG, Nr. 14066, Bl. 5 f., 17 f.; ZAIG, Nr. 14072, Bl. 1–182; HA II, Nr. 29509, Bl. 5, 64. Führungsoffizier von »Johannes Hofmann« war Hauptmann Stenzel von der HA II/10, der schwerpunktmäßig Richtung Rumänien arbeitete. Vgl. Anm. 680. Rumänienberichte von »Johannes Hofmann« in: BStU, MfS, AIM 13148/91 sowie in: BStU, MfS, HA II, Nr. 22854, Bl. 185–188.

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Abb. 25: Der Bericht eines Leipziger IM von November 1984 über Streiks in Rumänien stößt bei dem informationsauswertenden MfS-Offizier auf Skepsis.

Es liegt auf der Hand, dass das MfS mit den eingesetzten IM kaum einmal brisante Informationen beschaffen konnte. Viele Fakten waren auch in westlichen Zeitungen nachzulesen. Und nicht alle Meldungen über Streiks und andere Protestformen entsprachen der Realität. Immer wieder wurden auch Gerüchte weitergegeben. Konkrete Schilderungen einzelner Streikaktionen, wie sie im Falle des Kronstädter Arbeiteraufstands vom 15. November 1987 vorliegen, findet man für andere Orte in den IM-Berichten nicht. Dabei streikten beispielsweise im September 1983 viele Berg­arbeiter in der Maramuresch (Maramureș) in Nordrumänien, um sich gegen die Kürzungen der Brotrationen und der Löhne zu wehren. Im November 1986 protestierten Arbeiter in den siebenbürgischen Städten Klausenburg und Turda gegen die erbärmliche Lebensmittelversorgung, und im Februar 1987 griff die Hungerrevolte auf die moldauische Großstadt Jassy (Iași) über.1074 Was die IM-Berichte aus Rumänien interessant macht, sind nicht so sehr die oftmals oberflächlichen und unkonkreten Beschreibungen der dortigen Verhältnisse. Interessanter sind Randnotizen und Kommentare, mit denen die MfS-Offiziere einige dieser Berichte versahen. Tauchte in einem Bericht das Wort »Streik« auf, dann wurde dieses Wort fett unterstrichen oder mit großen Fragezeichen versehen. Ganz offenkundig waren viele MfS-Offiziere mit ihrer Aufgabe überfordert, die Meldungen aus Rumänien angemessen auszuwerten, da sie nicht zwischen Fakten und Kolportagen unterscheiden konnten. Ein Stasi-Offi-

1074 Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S. 249.

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zier, der nicht an die Meldung von Streiks in Rumänien glauben wollte, notierte an den Rand eines solchen Berichtes: »Das muss konkret bewiesen werden!«1075 Im November 1984 erhielt die Auswertungsabteilung des MfS Informationen über einen Putschversuch hochrangiger Armeeangehöriger gegen Ceaușescu, der 1982/83 unternommen worden sei. Diese Information basierte auf einem Gespräch, das ein inoffizieller Mitarbeiter der Leipziger HVA-Dependance mit einem rumänischen Reserveoffizier geführt hatte. Die Auswertungsabteilung versah auch diese Meldung mit einem großen Fragezeichen und qualifizierte den gesamten Bericht als extrem subjektiv ab.1076 Allerdings lag dieser dicht an der Wirklichkeit, denn in den Jahren 1983/84 bereiteten rumänische Generäle und zurückgestufte Parteifunktionäre tatsächlich einen Putsch gegen den Staatsund Parteichef vor. Einer der damals Involvierten war Ion Iliescu, der nach dem Sturz Ceaușescus für viele Jahre rumänischer Staatschef wurde, ein anderer war General Nicolae Militaru, der sofort nach dem Umsturz im Dezember 1989 das Amt des Verteidigungsministers übernahm. Ein anderer der damaligen Mitwisser, der Parteiveteran Silviu Brucan, geht davon aus, dass das Vorhaben durch Indiskretion ruchbar geworden und deshalb nicht mehr durchführbar gewesen sei. Als Zeitpunkt sei der Staatsbesuch Ceaușescus in der Bundesrepublik vom 15. bis 17. Oktober 1984 vorgesehen gewesen.1077 Die Randnotizen der MfS-Offiziere auf derartige Meldungen zeugen von der ungläubigen, skeptischen Reaktion der DDR-Staatssicherheit, die sich mit der Vorstellung von Streiks, Unruhen und Putschen in Rumänien schwer tat. Das waren augenscheinlich Reizwörter, die innerhalb des MfS Befürchtungen und Unruhe auslösten. Derartige Meldungen dürften nicht nur an die Krise in Polen erinnert haben, sondern auch an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR. Auch damals waren es wirtschaftliche Schwierigkeiten und politi1075  Mit Randnotizen versehene IM-Berichte insbes. aus den Jahren 1983 und 1984 vgl. u. a. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 64–66; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14038, Bl. 1–3; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14072, Bl. 79–81, 124–126, Zitat 125. 1076  BV für Staatssicherheit, Abteilung XV, 8.11.1984: Information zur politischen Situation in Rumänien; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14072, Bl. 80. 1077  Brucan: The Wasted Generation, S. 131–134. Brucan zufolge hatten die gleichen Generäle schon 1976 einen Militärputsch in Erwägung gezogen. Ebenda, S. 132. Burke: Romanian and Soviet Intelligence in the December Revolution, S. 32, verweist auf die prosowjetische Orientierung Militarus. Die Politikwissenschaftlerin Anneli Ute Gabanyi erinnert in ihrer Dissertation »Systemwechsel in Rumänien«, S. 158 f., 174 f., daran, dass Ceaușescu seinen Besuch in der Bundesrepublik kurzfristig von vier auf zwei Tage verkürzte und somit früher als erwartet nach Rumänien zurückkehrte; allerdings datiert sie den Ceaușescu-Besuch irrtümlich auf August 1984. Vgl. auch Opriș, Petre: Un complot militar, insbes. S. 147 f., 149 f., 153. Opriș lässt die Frage offen, ob Militaru den Putsch plante, um sich an Ceaușescu zu rächen, der ihn 1978 als Armeekommandanten abberief, ihn zum stellvertretenden Minister für Industriebau machte und Ende 1983/Anfang 1984 in den Ruhestand schickte, oder ob Militaru, der von 1952 bis 1956 an einer Moskauer Militärakademie ausgebildet wurde, mit Unterstützung der Sowjets gegen Ceaușescu konspirierte.

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sche Unzufriedenheit gewesen, auf die die Arbeiter mit Streiks reagierten und die sich schließlich zu einem Massenaufstand ausgeweitet hatten. Offiziell bezeichnete die SED den Volksaufstand vom 17. Juni sofort als einen »faschistischen Putschversuch«, der vom Westen gesteuert worden sei. Folgerichtig hatte die DDR-Staatssicherheit damals die Aufgabe, die Hintermänner zu finden – obwohl sie wusste, dass der Aufstand nicht vom Westen angezettelt worden war. In den folgenden Jahren startete das MfS in den Tagen vor dem 17. Juni Sicherungsaktionen, um einen neuen Aufstand zu verhindern. Bis zum Schluss blieb dieser Tag für die herrschende Klasse in der DDR ein Trauma. Sehr deutlich kommt das in einer kurzen Äußerung Erich Mielkes vom 31. August 1989 zum Ausdruck. Die MfS-Führung beriet damals über die aktuelle Lage – es ging in dieser Beratung vor allem um die Folgen, die sich aus der Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich ergaben – , da stellte Erich Mielke plötzlich die Frage: »Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?« Ein MfS-Oberst antwortete ihm darauf: »Der ist morgen nicht, der wird nicht stattfinden, dafür sind wir ja auch da.«1078 Vor dem Hintergrund dieser Angst ist es nachvollziehbar, dass die Meldungen aus Rumänien über Streiks und Arbeiterproteste dem MfS Sorge bereiteten. Nicht zuletzt zeigten diese Unruhen, dass selbst der äußerst brutale Unterdrückungsapparat in Rumänien Aufstände nicht verhindern konnte, obwohl es jede Form von widerständigem Verhalten in Rumänien sehr viel schwerer hatte als etwa in Polen und Ungarn.

4.3 Opposition und Widerstand in Rumänien in den MfS-Akten Die MfS-Berichte dokumentieren in den 1980er-Jahren zwar ein gewisses Unruhepotenzial in Rumänien, aber ein Bereich kommt hierin fast nicht vor: politische Opposition und organisierter Widerstand. Ein Grund hierfür liegt auf der Hand: Während in anderen sozialistischen Ländern in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre dauerhafte, oppositionelle Gruppen und Netzwerke entstanden, kamen vergleichbare, vereinzelte Versuche in Rumänien nicht über Anfänge hinaus. Rumänische Regimekritiker und Dissidenten wie die Klausenburger Hochschullehrerin Doina Cornea oder der Bukarester Elektroingenieur Radu Filipescu blieben meistens isoliert und auf sich alleine gestellt. Doch auch die wenigen Anläufe engagierter Rumänen, Widerstand gegen das Ceaușescu-Regime zu etablieren, schlagen sich in den überlieferten Stasi-Un1078  Mitter; Wolle (Hg.): »Ich liebe euch doch alle ...«, S. 125. Fricke; Engelmann: Der »Tag X« und die Staatssicherheit, S. 19–31, 231–238. Eine Sammlung von MfS-Dienstanweisungen zur Absicherung des 17. Juni zwischen 1954 und 1977 in: BStU, MfS, BV Schwerin, BdL/Dok Nr. 400027 (ohne Seitenzählung).

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terlagen nur bruchstückhaft nieder. Sie vermitteln den Eindruck, dass das MfS keine Insiderkenntnisse darüber hatte und sich auch nicht intensiv damit befasste. Von der Securitate erhielt das MfS offenbar keine diesbezüglichen Informationen. Zumindest gibt es in den Stasi-Akten keinerlei Hinweise darauf. In den MfS-Berichten über Rumänien dominierten in den späten 1970er- und in den 1980er-Jahren folgerichtig Meldungen über eine allgemein unzufriedene Bevölkerung und über spontane Proteste. Welche Bruchstücke es in den MfS-Unterlagen über politische Oppositon und organisierten Widerstand trotzdem gibt, wird im Folgenden beschrieben. Als das MfS zwei Jahre nach der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki im Jahre 1975 eine Übersicht erstellte, welche »antisozialistischen, feindlich-negativen Kräfte« sich in den sozialistischen Staaten gebildet hätten, ging es darin vor allem um die »Charta 77« in der Tschechoslowakei und das polnische »Komitee zur Verteidigung der Arbeiter« sowie um »Helsinki-Gruppen« in der Sowjetunion. In Rumänien hielt das MfS lediglich eine »Bürgerrechtler-Gruppe« für erwähnenswert, der es acht Mitglieder namentlich zuordnete. Es handelte sich um den bekannten Schriftsteller und Dissidenten Paul Goma und seine Frau Ana Maria Năvodaru, den ungarischstämmigen Arbeiter Adalbert Feher, die deutschstämmigen Musiker Emilia und Erwin Gesswein von der Bukarester Philharmonie, die Maler Carmen und Sergiu Manoliu sowie den Konstruktionszeichner Șerban Ștefănescu. Sie hatten auf Gomas Initiative hin am 8. Februar 1977 als Erstunterzeichner einen »offenen Brief« an die Folgekonferenz der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Belgrad gerichtet und auf Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land hingewiesen. Somit waren sie öffentlich in Erscheinung getreten. Das MfS hielt in seiner Übersicht auch fest, dass sich Paul Goma Anfang 1977 in einem Brief an Pavel Kohout mit der »Charta 77« solidarisierte.1079 Die MfS-Übersicht erwähnt hingegen nicht, dass sich noch 200 rumänische Staatsbürger Gomas offenem Brief mit ihrer Unterschrift anschlossen. Allerdings löste dieser mutige Schritt in Rumänien keine breitere Bewegung aus. Vielmehr wurde Goma am 1. April 1977 verhaftet, kam nach fünf Wochen wieder frei und emigrierte schließlich am 20. November 1977 mit seiner Familie nach Frankreich.1080 1079 MfS, Minister: Zusammenfassung von Hinweisen über Aktivitäten antisozialistischer, feindlich-negativer Kräfte in einigen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft und über in diesem Zusammenhang erfolgte Reaktionen und Aktivitäten führender westlicher Kreise und einiger kommunistischer Parteien kapitalistischer Staaten, März 1977; BStU, MfS, BdL/ Dok, Nr. 6040, Bl. 4, 55–57; dass. auch in HA XVIII, Nr. 15966, Bl. 33–35. Einen verlässlichen Überblick über die Thematik bietet Hausleitner: Politischer Widerstand in Rumänien, S. 67–79. Eine tiefergehende Analyse von Widerstand und Dissidenz im Rumänien der 1970erund 1980er-Jahre bietet Petrescu, Cristina: From Robin Hood to Don Quixote, darin zu Paul Goma S. 115–170. 1080 Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S. 236–242. Radio Free Europe erfuhr von 192 Unterzeichnern des offenen Briefes; die Securitate registrierte 430 Menschen, die den Brief

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Eine oberflächliche Materialsammlung des MfS über »oppositionelle Kräfte in der SRR« aus den frühen 1980er-Jahren enthielt nur einen einzigen Namen, und zwar den von Vasile Paraschiv, einem Arbeiter und politischen Oppositionellen. Er galt dem MfS als »›regimekritischer‹ ehem. Gewerkschaftsführer«.1081 Tatsächlich gehörte Paraschiv zu den Gründungsmitgliedern der »Freien Gewerkschaft der Werktätigen Rumäniens« (Sindicatul Liber al Oamenilor Muncii din România, SLOMR). Diese Gewerkschaft entstand im Februar 1979 und bildete eine kurzlebige, organisierte Oppositionsbewegung. Gegründet von 20 couragierten Arbeitern und Intellektuellen, wurde SLOMR auf dem Umweg über den Radiosender Freies Europa landesweit bekannt. Ihr schlossen sich bis zu 2  000 Personen an. Die Securitate zerschlug die Bewegung innerhalb von zwei Monaten, und zahlreiche Anhänger wurden in die Gefängnisse geworfen.1082 Doch in den entweder unterzeichneten oder Kontakt zu Goma aufzunehmen versuchten. Petrescu, Cristina: From Robin Hood to Don Quixote, S. 134. 1081  MfS, HA II/AG 4: Oppositionelle Kräfte in der SRR [Zeitraum 5/81 bis 1/84]; BStU, MfS, HA II, Nr. 36396, Bl. 40 sowie VSH-Kartei der HA II/10. Vasile Paraschiv (1928–2011) protestierte zwischen 1968 und 1989 mehrfach offen gegen die Politik der RKP, forderte schon 1971 freie Gewerkschaften, schloss sich 1977 Goma und 1979 der freien Gewerkschaft SLOMR an, wurde mehrfach in die Psychatrie eingewiesen und bis 1989 wiederholt von Securitate-Mitarbeitern brutal zusammengeschlagen und misshandelt. Eine Westreise 1978 nutzte er, um in Paris öffentlich auf den Psychiatriemissbrauch in Rumänien hinzuweisen. Wie die meisten Oppositionellen Rumäniens blieb auch er letztlich ein isolierter Einzelkämpfer. Siehe Paraschivs autobiografische Publikation »Lupta mea pentru sindicate libere în România«, hierin zur Gewerkschaft SLOMR insbes. S. 77–80, 285–287. 1082  Ein zusammenfassender Überblick über SLOMR in: Scutaru: The Romanian Anti-Communist Resistance, S.  852–857; ferner Hausleitner: Politischer Widerstand in Rumänien, S. 73; Petrescu, Cristina: Von Robin Hood zu Don Quixote, S. 108. Siehe ferner das Interview mit dem SLOMR-Mitbegründer Ionel Cană in: România liberă, 18.2.2006: S.L.O.M.R., lupta celor puţini, und den verschrifteten Diskussionsbeitrag Canăs: Am avut un sindicat liber în 1979. Siehe ebenso die Erinnerungen des Temeswarer SLOMR-Sympathisanten Carl Gibson: Symphonie der Freiheit, sowie den kurzen Erinnerungsbericht des damals ebenfalls in Temeswar lebenden Gerhard Kneip (verschrifteter Diskussionsbeitrag, ohne Titel), in: Rusan (Hg.): Cei care au spus nu. Während Gibson für seine SLOMR-Unterstützung 1979 ein halbes Jahr ins Gefängnis gesperrt wurde und den politischen Anspruch der SLOMR-Bewegung betont, hebt Kneip hervor, dass die Temeswarer SLOMR-Anhänger fast nur Rumäniendeutsche waren und sie – wie Kneip selbst – nur das Ziel verfolgten, das Land verlassen zu können. In diesem Sinne argumentiert auch Richard Wagner in der »Banater Zeitung« v. 4.2.2009, S. 1, der von »Trittbrettfahrern« spricht. Wagners Artikel ist nachgedruckt in Gibson: Plagiat als Methode, S. 31 und wird von Gibson in: ebenda, S. 31–34, zurückgewiesen. Die Securitate beobachtete Gibsons regimekritische Äußerungen schon seit 1976. Nachdem Gibson im Oktober 1979 in die Bundesrepublik übergesiedelt war, setzte er sich im Westen öffentlich für die verbotene Gewerkschaftsbewegung ein, woraufhin ihn die Securitate im März 1981 für fünf Jahre auf die Liste der unerwünschten Personen setzte. Siehe hierzu Carl Gibson: Akteneinsicht in Bukarest: Sichtweise der Securitate oder objektive Aufklärung? In: Siebenbürgische Zeitung v. 18.11.2010, online unter http://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/kultur/10563-akteneinsicht-in-bukarest-sichtweise.html (Stand: 9.6.2016) sowie Scutaru: The Romanian Anti-Com-

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Abb. 26: Erst im Februar 1989 legte das MfS diese Karteikarte mit Daten über die rumänische Regimekritikerin Doina Cornea an.

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Abb. 27

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Die rumänische Regimekritikerin Doina Cornea und ihr Ehemann Leontin Iuhas in Klausenburg/Cluj, 1988, fotografiert während ihres Hausarrests vom niederländischen Botschafter Coen Stork

MfS-Unterlagen kommt dieses Ereignis praktisch nicht vor. Lediglich bei der HV A ging am 16. Juni 1979 ein vier Seiten umfassender Bericht mit dem Titel »Illegale rumänische Gewerkschaftsorganisation ›Freie Gewerkschaften der Werktätigen Rumäniens‹« ein. Diese Information hatte der tschechoslowakische Geheimdienst der HV A übermittelt. Der Bericht enthielt offenbar nur drei Namen, darunter die der Gewerkschaftsgründer Ionel Cană und Gheorghe Brașoveanu.1083 Knapp zwei Jahre später, am 2. April 1981, schickte »Ivo«, der HVA-Resident in der Bukarester DDR-Botschaft, eine weitere Meldung »zur Aktion einer illegalen sog. freien Gewerkschaft in der SRR« an die HV A.1084 Vermutlich stand munist Resistance, S. 855. Das MfS befasste sich nicht mit seiner Person. Die Abteilung ZKG 5 des MfS, zuständig für die Bekämpfung von »Feindorganisationen« wie der IGfM oder der »Hilferufe von drüben«, registrierte lediglich 1981 auf einer Karteikarte seinen Namen; sie war auf ihn in der Zeitschrift der IGfM aufmerksam geworden, in der Gibson einen Artikel veröffentlicht hatte. 1083  Der Bericht selbst ist nicht mehr überliefert, er ist lediglich in der HVA-Datenbank nachgewiesen: BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE7905281. 1084  Auch dieser Bericht ist nicht mehr überliefert, sondern lediglich in der HVA-Datenbank nachgewiesen: BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE8102886.

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diese Meldung im Zusammenhang mit den jüngsten Arbeiterunruhen im Februar 1981 in Bukarest, Ploiești und Pitești.1085 Die Französischdozentin Doina Cornea, die an der Universität Klausenburg lehrte, artikulierte 1982 erstmals offenen Protest gegen die Politik Ceaușescus. Im September 1983 wurde sie deshalb aus dem Universitätsdienst entlassen. Sie teilte ihre Kritik an den herrschenden Zuständen einer breiteren Öffentlichkeit in Rumänien mit, indem sie ihre politischen, philosophischen und moralischen Betrachtungen zur Lage des Landes sowie offene Briefe an Nicolae ­Ceaușescu über den Radiosender »Freies Europa« verlesen ließ. Wenige Tage nach dem Kronstädter Aufstand verteilten sie und ihr Sohn Leontin Iuhas Flugblätter in Klausenburg und riefen zur Solidarität mit den Protestierenden in Kronstadt auf. Beide wurden umgehend verhaftet, kamen aber aufgrund internationalen Drucks nach sechs Wochen wieder frei. Ab 1988 fanden sich einige mutige Menschen bereit, ihre offenen Briefe mitzuunterzeichnen. Gleichwohl blieb sie weitgehend isoliert und nur Dank ihrer Bekanntheit im Westen einigermaßen geschützt.1086 Das MfS erfasste Doina Cornea erst im Februar 1989 in seiner Kartei und ordnete sie zutreffend als »rumänische Oppositionelle« ein.1087 Diese Karteikartenerfassung geschah in unmittelbarer Reaktion auf einen Artikel in der Westberliner Tageszeitung »taz«. Die »taz« hatte über eine öffentliche Stellungnahme Gerd Frickenhelms berichtet, der sich bei »amnesty international« mit Menschenrechtsverletzungen in Rumänien beschäftigte. Frickenhelm hatte auf das Schicksal der »wenigen Oppositionellen, wie Doina Cornea und Radu Filipescu« aufmerksam gemacht und geäußert, dass ihnen »vor allem eine breite Öffentlichkeit im Westen helfen könne«.1088 Es ist bezeichnend, dass das MfS erst aufgrund des »taz«-Berichts überhaupt aktiv wurde und sein Wissen über Doina Cornea auch in den folgenden Monaten aus der »taz« bezog.1089 Offenbar nahm das MfS die rumänische Dissidenz nur oberflächlich wahr und fürchtete mehr die kritische, engagierte Menschenrechtsarbeit im Westen. 1085  Zu diesen Unruhen siehe Petrescu, Dragoș: Workers and Peasant Workers, S. 138. 1086 Zu Cornea siehe insbes. Petrescu, Cristina: From Robin Hood to Don Quixote, S. 307–317; ferner auch Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S. 261–272, sowie Hausleitner: Politischer Widerstand in Rumänien, S. 75 f. Siehe auch ihre Selbstzeugnisse in Cornea: Jurnal, mit Tagebuchauszügen und der Wiedergabe eines langen, 2002 geführten Gesprächs. 1087  BStU, MfS, HA XX/5-VSH-Karteikarte zu Cornea, Doina (siehe auch Abbildung, S.  424). Die HA XX/5, die die Karteikarte anlegte, war damals eigentlich dafür zuständig, ehemalige DDR-Bürger sowie Anhänger der westlichen blockübergreifenden Friedensbewegung zu bekämpfen, denen sie Unterstützung von Oppositionellen in der DDR unterstellte. Vgl. Auerbach, Thomas: Hauptabteilung XX, S. 111–120. 1088  »›Menschenrechtskomitee Rumänien‹ gegründet«. In: taz v. 23.1.1989, S. 7. 1089 Das MfS fasste auf der Karteikarte zu Cornea zwei Berichte aus der »taz« vom 2.5.1989, S. 8 (»Das ganze Land ist ein riesiges Gefängnis«) und 10.5.1989, S. 6 (»Rumänien: Doina Corea[!] verschwunden«) zusammen, die William Totok verfasst hatte. Selbst die falsche Schreibweise ihres Namens (»Corea«) übernahm das MfS.

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Der Bukarester Dissident Radu Filipescu fand 1986 Erwähnung im Bericht eines IM des MfS. Der DDR-IM hatte im September 1986 an einem internationalen Treffen von Anästhesisten im westlichen Ausland teilgenommen und dabei ein Gespräch zwischen einem bundesdeutschen Kollegen und ungarischen Anästhesisten mitgehört. Auf diese Weise erfuhr er davon, dass die Menschenrechtsorganisation »amnesty international« den damaligen bayerischen Minis­ ilipescu terpräsidenten Franz Josef Strauß dazu gewinnen wollte, sich für Radu F einzusetzen. Strauß war damals der einflussreichste Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes und verfügte über gute internationale Kontakte in Ost und West. Er sollte sich bei einem Arbeitstreffen der rumänischen und bayerischen Anästhesie-Gesellschaften, das in Bayern stattfinden sollte, in einer Rede für Radu Filipescus Freilassung aussprechen. Filipescu war 1983 in Bukarest zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil er selbstgedruckte Flugblätter verteilt hatte, die sich gegen Ceaușescu richteten. Filipescus Vater war ein international bekannter Anästhesist.1090 Es ist durchaus bezeichnend, dass das MfS offenbar nicht direkt aus Rumänien von diesen Bemühungen erfuhr, sondern nur auf dem Umweg über die Bundesrepublik. Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass Radu Filipescu auf internationalen Druck hin bereits im April 1986 aus der Haft entlassen worden war. Die für Herbst 1986 geplante Solidaritätsaktion war deshalb eigentlich überflüssig geworden. Doch die streng überwachten und eingeschränkten Kommunikationswege zwischen Ost und West brachten es offenbar mit sich, dass manche Unterstützungsaktionen noch liefen, während sich die Situation des Betreffenden schon wieder verändert hatte. Anfang 1989 registrierte das MfS Radu Filipescu dann ebenso wie Doina Cornea in seiner Kartei, nachdem »amnesty international« auf das Schicksal der beiden Oppositionellen hingewiesen hatte.1091 Im November 1988 verbreiteten DDR-Dissidenten im Rahmen des »Aktionstags Rumänien« einen Aufruf der illegalen rumänischen Gewerkschaft »Libertatea« (»Freiheit«) in deutscher Übersetzung.1092 Auch diese Gewerkschaft war tatsächlich eine Bürgerrechtsbewegung und keine Arbeiterorganisation. Gegründet im Mai 1988, gehörten ihr neben Radu Filipescu sechs weitere Oppositionelle und ehemalige politische Häftlinge der siebenbürgischen Strafan1090  BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 45 f. Vgl. auch Kennel: Es gibt Dinge, die muss man einfach tun. Filipescus Vater war unter anderem mit dem ehemaligen, langjährigen Ministerpräsidenten Ion Gheorghe Maurer gut bekannt, wie Kennel, S. 170, schreibt. Filipescus Mutter war mit dem ersten kommunistischen Ministerpräsidenten Rumäniens, Petru Groza (1884– 1958), verwandt. Vgl. auch Köpernik: 20 Jahre Freiheit in Rumänien. Interview mit Radu Filipescu sowie Hausleitner: Politischer Widerstand in Rumänien, S. 76. 1091  BStU, MfS, HA XX/5-VSH-Karteikarte zu Filipescu, Radu. Siehe auch Anm. 1087 und 1088. 1092  Rumänien: Appell der Gewerkschaft »Libertatea«. Als mehrfache Kopie vorhanden in einer MfS-Materialsammlung zum Aktionstag Rumänien; BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1505, Bl. 92 f., 201 f., 223 f., 245 f.

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stalt Aiud an, die weiterhin in Rumänien lebten. Sie hatten in Einzelaktionen öffentlich gegen die Ceaușescu-Herrschaft protestiert und deshalb Haftstrafen verbüßen müssen. Ihr Aufruf vom Juni 1988, der später im DDR-Untergrund verbreitet und vom MfS zum Teil konfisziert wurde, richtete sich an die Wiener Nachfolgekonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Darin forderten sie internationale Unterstützung, um den Missständen in Rumänien ein Ende zu setzen. Sie verlangten politische und wirtschaftliche Freiheiten und ausdrücklich das Ende der Zensur, Reisefreiheit, garantierte Rechte der nationalen Minderheiten, ausreichende Lebensmittelversorgung und die Freilassung namentlich benannter politischer Gefangener. Da die sieben rumänischen Oppositionellen offen agierten – sie unterzeichneten ihren Aufruf mit Namen und veröffentlichten ihn bereits im Juli 1988 in einer rumänischen Exilzeitschrift in Frankreich –, bestand für das MfS die Aufgabe in erster Linie darin, Rückwirkungen auf die DDR zu unterbinden.1093 Von einem inoffiziellen Mitarbeiter der Hauptabteilung VI, der ständig in Bukarest ansässig war, erfuhr das MfS im April 1989 von der Inhaftierung dreier rumänischer Journalisten. Sie waren bei der in Bukarest erscheinenden Zeitung »România liberă« (»Freies Rumänien«) beschäftigt und hatten angeblich illegale Druckschriften hergestellt. Der inoffizielle Mitarbeiter hatte über einen Mitarbeiter der rumänischen Nachrichtenagentur »Agerpres« von diesem Vorfall gehört. Nähere Einzelheiten wusste er nicht zu berichten, ebenso wenig kannte er die Namen der Verhafteten. In westlichen Medien hatte indes die Menschenrechtsorganisation »amnesty international« bereits die Namen der Betreffenden bekannt gemacht und gegen die schlimmen Haftbedingungen und den bevorstehenden politischen Strafprozess protestiert.1094 1093  Der Aufruf war in der Zeitschrift »Lupta/Le combat« (»Der Kampf«) in Heft 104, 7.7.1988, erschienen. Vgl. BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1505, Bl. 93. Zur Gewerkschaft »Libertatea« und ihren Gründungsmitgliedern, neben Filipescu waren das Iulius Filip, Marin Iancu, Gheorghe Năstăsescu, Carol Olteanu, Constantin Purcaru und Victor Toto, siehe auch ­K ennel: Es gibt Dinge, die muss man einfach tun, S. 191–201, sowie: Comisia Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final, S. 710, 724 f. Vgl. auch die autobiografischen Aufzeichnungen von Iulius Filip in seinem Buch »Renaștere Împlinită«, S. 98–109. Filip wurde demnach am 17.7.1988 zum Sitz der Klausenburger Miliz gebracht und von der Securitate fünf Tage lang verhört. Nach weiteren Schikanen gegen ihn und seine Familie wurde er ins Exil gedrängt und ging im Dezember 1988 in die USA. In ebenda, S. 84–97, schildert Filip auch den politischen Widerstand seines Mitgefangenen aus Aiud, Gheorghe Năstăsescu, der im Oktober 1989 ebenfalls den angebotenen Weg in die Emigration in die USA wählte. 1094  HA VI/AKG, 6.4.1989: Antisozialistische Aktivitäten in der SRR; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14057, Bl. 1 f. Der Tagesspiegel, 22.3.1989: Vor Prozess gegen vier rumänische Regimekritiker. Der Tagesspiegel nannte die beiden Journalisten von »România liberă«, Anton Uncu und Petre Mihai Băcanu, den Theaterkritiker der Zeitschrift »România Pitorească«, Mihai Creangă, sowie den Drucker im Bukarester Scînteia-Verlag, Alexandru Ghiroiu. Vgl. auch Comisia ­Prezidenţială pentru Analiza Dictaturii Comuniste din România: Raport Final, S. 449, sowie Frauendorfer: Das Recht auf Brot, Freiheit und Würde, S. 88 f.; ferner Kennel: Es gibt Dinge,

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In den überlieferten Informationsberichten der HV A für die politische Führung der DDR wird die Situation Rumäniens in den 1980er-Jahren zwar als »zunehmend kompliziert« charakterisiert, aber von einer Oppositionsbewegung ist darin nicht die Rede. Im November 1982 meldete die HV A unter Berufung auf »kompetente Führungskreise der RKP ..., Unruhen größeren Ausmaßes oder eine analoge Entwicklung wie in Polen seien nicht zu erwarten, da dem die rumänische Mentalität entgegenstehe«.1095 Ein halbes Jahr später zitierte die HV A westliche Diplomaten, wonach »eine Veränderung der gegenwärtigen Situation in Rumänien durch aktiven Widerstand oder Aktionen ›von unten‹« unwahrscheinlich sei. Eher sei mit einem Militärputsch zu rechnen, den einer der Sekretäre des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei durchführen könnte.1096 Die MfS-Anweisung vom 29. März 1983 zeugt allerdings davon, dass das MfS auch auf andere Entwicklungen in Rumänien vorbereitet sein wollte. Doch auch ein vierseitiger HVA-Bericht vom Dezember 1985 »über Entwicklungstendenzen in den Bereichen Ideologie, Kunst und Kultur in der SR Rumänien« sah keine oppositionellen Bewegungen entstehen. Darin hieß es zwar, die »wissenschaftliche und künstlerische Intelligenz« habe sich der Rumänischen Kommunistischen Partei entfremdet. Es herrsche in diesen Kreisen eine »pessimistische Grundstimmung«, auf die die Betreffenden aber vor allem mit »Individualismus« und individuellen Lösungsansätzen reagieren würden. Aus der Perspektive der Herrschenden gab es insofern keinen Anlass zur Besorgnis. Die HV A sah lediglich für die Zukunft die Gefahr, dass sich »kritisch eingestellte Kreise« der rumänischen Intelligenz der westlichen Ideologie zuwenden könnten. Eine Schlüsselrolle käme hierbei den westlichen Kulturinstituten und Bibliotheken in Rumänien zu, die westliches Gedankengut verbreiteten. Ferner hieß es in dem Bericht:

die muss man einfach tun, S. 208–212. Kennel gibt den Namen des Druckers geringfügig abweichend mit Alexandru Chivoiu an. Der IM meldete hingegen fälschlich den rumänischen Schriftsteller und Mitglied des ZK der RKP Ion Dodu Bălan und dessen Ehefrau als verhaftet. 1095  Information [Nr. 555/82] über westliche und rumänische Einschätzungen zu aktuellen innen- und außenpolitischen Fragen der SR Rumänien, 9.11.1982; BStU, MfS, HV A, Nr. 19, Bl. 460–463, hier 460 f. Die Information ging an Erich Honecker, Willi Stoph, Hermann Axen, Günter Mittag, Oskar Fischer und nachgeordnete Funktionäre sowie die Geheimdienste der Sowjetunion, Ungarns und Bulgariens. Vgl. BStU, MfS, HVA/MD/3, SIRA TDB 12, SA8222928. Auf welche Quellen sich die HV A hier stützte, ist nicht ersichtlich. 1096  Information [Nr. 139/83] über westliche und rumänische Einschätzungen zu innenund außenpolitischen Fragen der SR Rumänien, 4.5.1983; BStU, MfS, HV A, Nr. 24, Bl. 13– 21, hier 15. Die Information ging an Erich Honecker, Willi Stoph, Hermann Axen, Günter Mittag, Oskar Fischer und nachgeordnete Funktionäre. Sie basierte auf Zuarbeiten der Bukarester Residentur (»Berger«, »Ivo«, »Norbert«, »Volker« – siehe Kapitel 3.1) und westlicher Quellen wie dem HVA-Spion bei der Nato in Brüssel, Rainer Rupp (»Topas«), und der HVA-Agentin beim BND, Gabriele Gast (»Gerald«). Vgl. BStU, MfS, HVA/MD/3, SIRA TDB 12, SA8350139.

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Abb. 28: Flugblatt von Radu Filipescu, das er im Herbst 1987 in Bukarest verteilte: »Referendum: Versammelt euch jeden Freitag zwischen 18–22 Uhr – auf der Piaţa Sf. Vineri, Piaţa Unirii, B-dul [Boulevard] Magheru, B-dul Aviatorilor: wenn ihr mit der Führung des Genossen N. Ceaușescu unzufrieden seid – auf dem B-dul Victoriei Socialismului, Piaţa Palatului, Calea Victoriei: wenn ihr mit der Führung des Genossen N. Ceaușescu zufrieden seid – Am ersten Freitag eines jeden Monats sind die Abwesenden nicht zu entschuldigen.« Gegenwärtig bestehe bereits in rumänischen Intellektuellenkreisen eine gewisse Bereitschaft, die Anwendung allgemeiner Kategorien wie z. B. Demokratie, Freiheit und Liberalität im bürgerlichen Sinne als Alternative zu den entsprechenden Ansätzen in dem dogmatischen Weltanschauungskonzept der RKP zu akzeptieren. In Anfängen sei auch eine Kontakttätigkeit zum westlichen Ausland, vereinzelt sogar auf der Basis von Diskussionsgruppen, festzustellen.

Einschränkend ergänzte die HV A, dass die intensivsten Kontakte in das westliche Ausland von den ungarischen und deutschen Minderheiten gepflegt würden.1097 1097 Information über Entwicklungstendenzen in den Bereichen Ideologie, Kunst und Kultur in der SR Rumänien [6.12.1985]; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14042, Bl. 7–10. Die Infor-

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Im Januar 1987 beschaffte der DDR-Militärattaché in Bukarest dem MfS die Kopie eines Flugblattes, das handschriftlich in rumänischer Sprache verfasst war und in Bukarest kursierte. Darin rief eine »Rumänische Demokratische Aktion« (»Acţiunea democratică română«) für den 23. Januar 1987 zu einem Generalstreik auf, mit dem Ceaușescu gestürzt werden sollte. Im MfS stufte man diesen Vorfall als harmlos ein. Man ging davon aus, dass diese Flugblattaktion »in die Reihe einiger spontaner, voneinander isolierter Proteste der Bevölkerung in einzelnen Landesteilen der SRR einzuordnen [ist], die aus der schwierigen Versorgungslage resultieren«. Trotzdem ordnete das MfS an, den Vorfall näher zu untersuchen. Bereits am Vormittag des 24. Januar 1987 gab die HV A den zuständigen Diensteinheiten des MfS telefonisch Entwarnung: Das öffentliche Leben in Bukarest sei an diesem Morgen so normal wie an jedem anderen Tag angelaufen.1098 Auch in der westlichen Welt erlangte man Kenntnis von den Flugblattaktionen sowie von einem Manifest der »Rumänischen Demokratischen Aktion« und schätzte sie ebenso als wirkungslos ein. Allerdings mutmaßte man hinter dieser anonymen Vereinigung eine kleine, lose Gruppe jüngerer Leute, die vor allem in technischen Berufen oder als höhere Angestellte tätig seien.1099 Im Herbst 1987 tauchten in Bukarest erneut Flugblätter auf, die lediglich mit »A.D.R.« unterzeichnet waren und daher der »Rumänischen Demokratischen Aktion« zugerechnet wurden. Bei dieser Aktion handelte es sich jedoch um die einsame Tat Radu Filipescus. Er rief in seinem Flugblatt zu einem Referendum mation basierte auf Angaben zweier Quellen der Bukarester Residentur (»Ulme«, »Ch. Becher«, siehe Kapitel 3.1). Vgl. BStU, MfS, HVA/MD/3, SIRA TDB 12, SA8560117. Über die »komplizierte Lage« ist in den HVA-Informationsberichten 429/84 (wie Anm. 719) und 432/86 (»über einige Hintergründe der jüngsten Kaderveränderungen im Ministerrat der SR Rumänien«) die Rede. Letzterer basierte vor allem auf Zuarbeiten der Bukarester Residentur (»Berger«, ­»Feder«, »Zobel«), außerdem auf einem Abschöpfgespräch von »Taube« mit Ernst Breitenstein (zu ­Breitenstein siehe S.  282–290); die Empfänger waren Erich Honecker, Hermann Axen, Egon Krenz, Oskar Fischer und Günter Sieber. Vgl. BStU, MfS, HV A, Nr. 43, Bl. 260–263, hier 260 und BStU, MfS, HVA/MD/3, SIRA TDB 12, SA8650432. 1098  Inhalt und Bewertung eines in der SRR aufgetauchten staatsfeindlichen Flugblattes; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14021, Bl. 14–16 sowie HA I, Abt. Äußere Abwehr, UA 2: Information der militärdiplomatischen Auslandsvertretung in Bukarest zum Thema: Zur Entwicklung der innenpolitischen Situation und der Stimmung unter der Bevölkerung; BStU, MfS, HA I, Nr. 13698, Bl. 214–217. Der damalige Militärattaché Karl-Heinz Friedewald war als IM an das MfS angebunden. Vgl. Anm. 866. Seine Meldung über die Lage in Rumänien ging an das DDR-Außenministerium, das Verteidigungsministerium und an das ZK der SED. 1099  Siehe hierzu den drei Seiten umfassenden Hintergrundbericht von Vladimir Socor von der Research-Abteilung von Radio Free Europe/Radio Liberty vom 2.3.1988: »Romanian Democratic Action«. Im Internet unter: http://hdl.handle.net/10891/osa:13041e74-110c-48f89f43-dbcf67d2feaa (Stand: 9.6.2016) (= »Romanian Democratic Action«, 2 March 1988. HU OSA 300-8-3-5950; Records of Radio Free Europe/Radio Liberty Research Institute: Publications Department: Background Reports; Open Society Archives at Central European University, Budapest).

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über die Politik Ceaușescus auf und füllte die Abkürzung »A.D.R.« für sich mit der Bedeutung »Avem dreptul la referendum« (»Wir haben das Recht auf ein Referendum«). Er lehnte sich damit bewusst an die ihm bekannte »Rumänische Demokratische Aktion« an, um die Sicherheitsbehörden zu verwirren.1100

4.4 HVA- und CIA-Analysen über Rumänien 1982/83 Die MfS-interne Anweisung vom 29. März 1983 ist nur einer von mehreren Belegen dafür, dass die DDR-Staatssicherheit sich intensiver mit den Verhältnissen in Rumänien befasste. Knapp vier Wochen zuvor hatte Erich Mielke die MfS-Führung in einer Ansprache darauf aufmerksam gemacht, dass sich Nicolae Ceaușescu bei einer Tagung der Warschauer-Pakt-Staaten im Januar 1983 vehement gegen die Aufrüstungspläne der übrigen Verbündeten gewandt habe. Es habe »langwieriger Diskussionen [...] mit der rumänischen Delegation bedurft«, ehe ein gemeinsamer Beschluss über neue Rüstungsvorhaben habe gefasst werden können.1101 Und am 15. Dezember 1983 legte die HV A eine neue Analyse der rumänischen Politik und insbesondere der außenpolitischen Positionen Rumäniens vor. Die Politik der rumänischen Führung, so lautete einer der Kernsätze, widerspreche den grundlegenden Interessen der sozialistischen Staatengemeinschaft. Trotz aller Bemühungen seitens der Verbündeten lasse sich Rumänien nicht in eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einbeziehen. Mit Sorge registrierte man die Haltung Rumäniens gegenüber dem östlichen Militärbündnis: Der Warschauer Vertrag laufe 1985 aus, und Rumänien mache eine Verlängerung über dieses Jahr hinaus von einer Reihe weitgehender Bedingungen abhängig. Die westlichen Staaten würden Rumänien als »Störfaktor« in den östlichen Bündnissystemen benutzen und strebten längerfristig an, das Land aus dem Warschauer Pakt und dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) herauszulösen. Positiv vermerkte die HV A damals im Grunde genommen nur den Umstand, dass die rumänische Führung die innenpolitische Lage trotz Wirtschaftskrise und unzufriedener Bevölkerung im Griff habe und oppositionelle Strömungen keine Chance hätten. Die HV A sprach die allgemeine Empfehlung aus, Rumänien bei jeder sich bietenden Möglichkeit in die 1100  Mündliche Information vom 1.6.2015 sowie schriftliche Mitteilung vom 24.8.2015 von Radu Filipescu an den Verfasser. Siehe auch Socor: »Romanian Democratic Action« sowie Kennel: Es gibt Dinge, die muss man einfach tun, S. 168 f., 172 f., darin S. 169 auch die deutsche Übersetzung des Flugblatts. 1101 Referat Mielkes auf der erweiterten MfS-Kollegiumssitzung am 4.3.1983; BStU, MfS, ZAIG/Tb/186. Mielke bezieht sich auf die Tagung des »Politisch(en) Beratenden Ausschusses« (PBA) des Warschauer Pakts am 4./5.1.1983 in Prag, an der die Generalsekretäre der kommunistischen Parteien der Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts teilnahmen. Zum PBA vgl. Umbach: Das rote Bündnis, S. 135, 605.

HV A- und CIA-Analysen über Rumänien

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sozialistische Staatengemeinschaft einzubinden. Für die HV A als Spionageabteilung des MfS ergaben sich aus dieser Analyse gewisse Schlussfolgerungen hinsichtlich der Informationsbeschaffung. Einerseits sollte die HV A die westliche Rumänienpolitik stärker ins geheimdienstliche Visier nehmen und sich dabei vor allem auf die USA, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland konzentrieren. Andererseits sah sich die HV A vor die Aufgabe gestellt, Informationen über die rumänische Außen- und Innenpolitik zu erlangen. Das beinhaltete auch die Frage nach innerparteilichen Strömungen in der Rumänischen Kommunistischen Partei.1102 Wie bereits gezeigt wurde, beschaffte die HV A tatsächlich zahlreiche Informationen über Rumänien, wobei die Beziehungen zwischen Rumänien und den westlichen Ländern einen Schwerpunkt bildeten. Infolgedessen saßen die meisten relevanten HVA-Quellen zu diesem Thema in der Bundesrepublik, nur wenige hingegen im Land selbst. Kontrastiert man diese HVA-Perspektive mit einer im Jahr zuvor erstellten geheimen Analyse der CIA, so fallen vor allem die unterschiedlichen Schlussfolgerungen auf. Die US-Analytiker hatten im Frühjahr 1982 Überlegungen angestellt, inwieweit die Finanzprobleme der Ostblockstaaten dem Westen gewisse Möglichkeiten eröffneten, Einfluss auf die Politik dieser Länder zu nehmen. Sie sahen für den Westen zwei Optionen, nämlich eine eher restriktive oder eine eher liberale, nachgiebige Kreditpolitik gegenüber dem Osten zu verfolgen. Die CIA schätzte allerdings ein, dass der Westen keine einheitliche Strategie verfolgen werde, denn Westeuropa wolle, anders als die USA, den Handel mit dem Ostblock aus wirtschaftlichen, politischen und strategischen Gründen nicht reduzieren: Der Handel schaffe Arbeitsplätze, gegenseitige Abhängigkeiten (was sowjetisches »Abenteurertum« verhindern helfe) und könne auch als Druckmittel bei Verhandlungen eingesetzt werden. Westeuropa habe deshalb gegenüber Rumänien großes Interesse an einer Umschuldung. Denn falls das Balkanland seine Wirtschaft erneut nach Osten ausrichte, würde es auch seine begrenzte politische Handlungsfreiheit einbüßen. Diese Handlungsfreiheit beziehe sich zwar nur auf nebensächliche Angelegenheiten, sei für den Westen aber dennoch nützlich. Aktuell wickle Rumänien etwa 60 Prozent seines Außenhandels mit nichtkommunistischen Staaten ab.1103 1102  HV A, Abt. VII: Leiterinformation über die gegenwärtige Lage und Politik Rumäniens, Berlin, 15.12.1983; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 6267, Bl. 9–11. Eine weitere, von Markus Wolf bestätigte »Leiterinformation über westliche Wertungen zur aktuellen Lageentwicklung in der SR Rumänien« der HVA-Abteilung VII datierte vom 25.4.1986. Sie formulierte hinsichtlich der künftigen Informationsbeschaffung ähnliche Zielsetzungen wie 1983 und wurde den Mitarbeitern der Abteilungen XV zur Kenntnis gegeben. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14061, Bl. 36 sowie BStU, MfS, BV Gera, Abt. XV/70, Bd. 1, Bl. 93. 1103  Directorate of Intelligence: The Soviet Bloc Financial Problem as a Source of Western Influence. National Intelligence Council Memorandum, April 1982, im Internet unter www. foia.cia.gov/sites/default/files/document_conversions/89801/DOC_0000273390.pdf (Stand: 9.6.2016).

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Der wirtschaftliche Niedergang Rumäniens

Folgt man dieser CIA-Analyse, so übersah Ceaușescu bei seinem wahnhaften Autarkiestreben den Aspekt der wechselseitigen Abhängigkeit: Die rumänischen Auslandsschulden in Höhe von rund 11 Milliarden US-Dollar und die einsetzende Wirtschaftskrise boten dem Westen zwar einen Hebel, um Einfluss zu nehmen, doch hatten insbesondere die Westeuropäer aus Eigennutz heraus kein Interesse daran, das Land wirtschaftlich zu schwächen. Die CIA charakterisierte das Vorgehen namentlich der Westeuropäer demnach eher als nachgiebig, während die HV A die westliche Strategie als einheitlich und offensiv deutete.

4.5 Der rumänische Sonderweg aus einer sowjetischen Perspektive Die sowjetische Parteiführung überließ Erich Honecker und dem SED-Politbüro vertrauliche Berichte über die Gespräche der KPdSU-Generalsekretäre mit Nicolae Ceaușescu. Sie setzte die SED-Führung somit auch auf diese Weise darüber in Kenntnis, wie sie mit dem rumänischen Sonderweg umging. Zugleich übermittelte sie der SED damit ihre Erwartungen, wie sich die DDR gegenüber Rumänien verhalten sollte. Im Folgenden werden einige dieser Berichte näher betrachtet. Sie belegen, wie ernst die sowjetischen Parteiführer die rumänische Abweichung nahmen, und sie korrespondieren mit den Lageanalysen des MfS. Am 1. August 1979 trafen sich Leonid Brežnev und Nicolae Ceaușescu auf der Halbinsel Krim zu einem Gespräch. Darin übte Brežnev grundlegende Kritik an der rumänischen Außenpolitik. Rumänien beteuere zwar seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Bruderstaaten, handele aber völlig anders. Brežnev führte »die Verhaltensweise der rumänischen Führung zur Organisation des Warschauer Vertrags, zum chinesischen Problem [und] die Publikationen zur ›territorialen Frage‹ in der SRR« an und sprach davon, »dass ein gewisser Schatten über den sowjetisch-rumänischen Beziehungen liegt«. Und in der Nahostpolitik würden die »Handlungen Rumäniens [...] immer mehr in eine dem Wirken der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Länder entgegengesetzte Richtung verlaufen«.1104 Die Schlussfolgerungen, die die KPdSU-Führung aus diesem Gespräch zog, übermittelte sie der SED ebenfalls: Es sei ein »nützliches Gespräch« gewesen, das den »Nachweis der Haltlosigkeit der rumänischen Positionen« erbracht habe. »Die Erfahrungen zeigen, dass solche Gespräche nicht spurlos vorübergehen.« Man rechne zwar nicht mit »grundlegende[n] Veränderungen in der Politik Ceaușescus«, halte es aber »für zweckmäßig,

1104  [Vertrauliche Information des ZK der KPdSU an das ZK der SED,] 22.8.1979; BArch, DY 30/13975 (Abteilung Internationale Verbindungen), Bl. 69–74, hier 69–71. Ich danke Manfred Wilke, der mir diese Berichte zur Verfügung stellte.

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dass weiterhin auf Rumänien eingewirkt wird« und erwarte sich davon »einen bestimmten positiven Einfluss auf die rumänische Führung«.1105 Wenige Wochen nach seiner Wahl zum neuen Generalsekretär der KPdSU am 12. November 1982 traf sich Jurij Andropov mit Nicolae Ceaușescu. Erich Honecker erhielt am 30. Dezember 1982 von den Sowjets einen Bericht über dieses Gespräch. Darin werden zwei Bruchstellen deutlich. Auf wirtschaftlichem Gebiet verlangte Ceaușescu massive Hilfen der Sowjetunion. Insbesondere wollte er Rohstoffe geliefert haben, beispielsweise 10 Millionen Tonnen Erdöl, ferner Koks, Metalle und Anderes. Andropov lehnte eine Steigerung der Lieferungen jedoch ab. Auf militärischem Gebiet sprach Ceaușescu die Auflösung des Warschauer Pakts an, wenn die Laufzeit des Warschauer Vertrags 1985 auslaufe. Auf die Frage Andropovs, was Rumänien durch einen Austritt aus dem Warschauer Pakt gewinne, antwortete Ceaușescu demnach lapidar, Rumänien »würde in diesem Falle nichts verlieren«. Andropov reagierte hierauf mit einer deutlichen Ansage: »Was den Warschauer Pakt anbetrifft, so ist diese Frage indiskutabel, und sie mit uns zu besprechen ist sinnlos.«1106 Mit Andropovs Nachfolger Konstantin Černenko traf sich Nicolae ­Ceaușescu am 4. Juni 1984 in Moskau zu einem Arbeitsgespräch. Die Gesprächsinhalte wiederholten sich, doch der sowjetische Druck nahm zu. Ceaușescu stimmte in dieser Situation nun verbindlich der Verlängerung des Warschauer Vertrags und somit auch dem Verbleib seines Landes in dem Militärbündnis zu. Černenko zeigte sich dafür zu wirtschaftlichem Entgegenkommen bereit – »angesichts der komplizierten wirtschaftlichen Lage der SRR und der Notwendigkeit, dieses Land an den abgestimmten Kurs der Bruderländer anzunähern«. Die Notiz über dieses Gespräch, die Erich Honecker von den Sowjets übersandt wurde, charakterisiert Ceaușescus Taktik dahingehend, die offenkundigen Differenzen kleinzureden. Und als Ergebnis des Arbeitsgesprächs hieß es in dieser Notiz: »Allerdings unterliegt es keinem Zweifel, dass auch künftig durch gemeinsame Anstrengungen die aktive Arbeit mit der Führung der RKP fortgeführt werden muss.«1107 Das war faktisch die wiederholte Aufforderung an die SED, daran mitzuwirken, den rumänischen Sonderweg einzuhegen und den Druck auf das Land beizubehalten.1108 Aus rumänischer Perpektive erwies sich ­Ceaușescu 1105  Ebenda, Bl. 73 f. 1106  [ZK der KPdSU an das ZK der SED, Dezember 1982:] Unterredung zwischen Genossen Andropov und Ceaușescu; ebenda, Bl. 93–95. 1107  [Streng vertrauliche Information des ZK der KPdSU an das ZK der SED], 8.6.1984; ebenda, Bl.  136–140, Zitate 139  f. ­C eaușescus damalige Zustimmung zur Verlängerung des Warschauer Vertrags wird in einer späteren sowjetischen Information an Erich Honecker vom 22.10.1984 wiederholt. Ebenda, Bl. 145. 1108  Eine neue Dimension erhielten die sowjetisch-rumänischen Dissonanzen infolge der Reformpolitik Michail Gorbačëvs ab 1985. Die Perspektive der sowjetischen Führung auf das Jahr 1989 dokumentiert die Quellenedition von Karner; Kramer; Ruggenthaler; Wilke (Hg.): Der Kreml und die »Wende« 1989. Darin findet sich die Mitschrift der Politbürositzung vom

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hingegen als ein geschickter Verhandlungsführer, der sich den ohnehin unvermeidlichen Verbleib im Warschauer Pakt noch mit sowjetischer Wirtschaftshilfe erkaufen ließ.1109 Das Gespräch zwischen Černenko und Ceaușescu fand zum Jahresende eine Fortsetzung auf der Ebene hochrangiger Parteifunktionäre. Am 27. und 28. Dezember 1984 verhandelten der ZK-Sekretär und Ceaușescu-Vertraute Emil Bobu und der rumänische Außenminister Ștefan Andrei in Moskau mit Politbüromitglied Michail Gorbačëv und zwei Regierungsmitgliedern über die Entwicklung der bilateralen Beziehungen. Dabei wiederholte die sowjetische Seite unmissverständlich ihr Junktim zwischen Wirtschaftshilfe für Rumänien und dem politischen Wohlverhalten des Landes: »Wir hoben hervor, dass die Entwicklung der sowjetisch-rumänischen ökonomischen Zusammenarbeit in der Perspektive in untrennbarer Verbindung mit dem Zusammenwirken auf politischem Gebiet betrachtet wird«, hieß es in dem vertraulichen Gesprächsvermerk, den die sowjetische Seite zehn Tage später Erich Honecker übermittelte.1110 Die hier zitierten Ausschnitte aus den Gesprächen der sowjetischen Führung mit dem rumänischen Verbündeten zeigen eine weitgehende Übereinstimmung mit den MfS-Analysen über Rumänien. Zugleich belegen sie, wie sehr die sowjetische Führung mit Nicolae Ceaușescu rang, um Rumänien in den östlichen Bündnisstrukturen zu halten. Diese Dokumente widerlegen die Behauptung des Securitate-Überläufers Ion Mihai Pacepa und seiner Adepten, den rumänischen Sonderweg habe es realiter gar nicht gegeben. Vielmehr, so Pacepa, habe ­Ceaușescu die Führungsriege der rumänischen Auslandsspionage am 22. Februar 1972 auf die Operation »Horizont« eingeschworen. Diese Operation habe vorgesehen, dem Westen einen rumänischen Sonderweg vorzugaukeln, um daraus politische und wirtschaftliche Vorteile für das eigene Land und die kommunistische Welt insgesamt herauszuschlagen.1111 Die rumänische Politikwissen13.11.1986, auf der das tags zuvor stattgefundene Gipfeltreffen der Warschauer-Pakt- und RGW-Staaten besprochen wurde. Gorbačëv ließ bei dieser Politbürositzung seiner Verachtung Ceaușescus freien Lauf und äußerte: »Ceaușescu ist einfältig wie immer. Schlimmer als früher. Vor allem bezüglich der internationalen Fragen. Er redete viel unnützes Zeug zusammen und bei ihm gibt es viel Demagogie.« Ebenda, S. 148. Ich danke Ilko-Sascha Kowalczuk, der mich auf diesen Dokumentenband hinwies. 1109  So argumentiert Buga: Controverse româno-sovietice, S. 137. Buga stützt sich auf Akten der ZKs der KPdSU und der RKP. 1110  [ZK der KPdSU an das ZK der SED, 7.1.1985:] Über die Verhandlungen mit dem Mitglied des Politischen Exekutivkomitees und Sekretär des ZK der RKP E. Bobu und dem Kandidaten des Politischen Exekutivkomitees des ZK der RKP, Minister für Auswärtige Angelegenheiten der SRR, S. Andrei; BArch, DY 30/13975 (Abteilung Internationale Verbindungen), Bl. 153–157, Zitat 154. Neben Gorbačëv, der zweieinhalb Monate später zum Generalsekretär der KPdSU aufstieg, nahmen der ZK-Sekretär Konstantin Russakov, der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der Sowjetunion Nikolaj Bajbakov und der stellvertretende sowjetische Außenminister B. I. Aristov an der Verhandlung teil. 1111  Pacepa: Red Horizons, S. 8.

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schaftlerin Rodica Eliza Gheorghe formuliert in einer 2010 vorgelegten Studie die darauf aufbauende These, der rumänische Geheimdienst habe, in Absprache mit Moskau, die Rolle eines »trojanischen Pferds« übernommen: Der Westen habe dem vermeintlichen Abweichler Rumänien Einlass in Bereiche gewährt, die den Ostblockstaaten ansonsten verschlossen geblieben wären, etwa im Bereich der Atomenergie. Erst Pacepas Flucht in den Westen 1978 und seine Enthüllungen hätten diese Strategie durchkreuzt.1112 Dieser These kann hier nicht gefolgt werden. Derartige Überlegungen sind schon deshalb wenig plausibel, weil die politische Abweichung Rumäniens bereits in den letzten Amtsjahren von Ceaușescus Vorgänger Gheorghiu-Dej einsetzte.

4.6 Der Ostblock in der Krise: die monatlichen Lageberichte des MfS über Rumänien und andere verbündete Länder seit 1984 Rumänien war in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre nicht der einzige sozialistische Staat, der in einer ernsten Krise steckte. Ungleich brisanter entwickelte sich ab 1980 die innenpolitische Situation in Polen: Das Danziger Abkommen vom 31. August 1980 ebnete der legalen Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarność am 17. September 1980 den Weg. Die Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 vermochte den Widerstand der Menschen nicht zu brechen. Auch die Aktivitäten des MfS in Polen seit dieser Zeit erwiesen sich als unwirksam.1113 Im Hinblick auf beide Länder gab es koordinierte Maßnahmen der sozialistischen Geheimdienste, wie etwa die Informationsbeschaffung zu Rumänien seit 1983. Daneben verfolgte jeder Geheimdienst die Entwicklung aus je eigener Perspektive und zog daraus für sich selbst gewisse Schlussfolgerungen. Im MfS erkannten einige Analysten spätestens seit 1984, dass nicht nur einzelne Länder, sondern das gesamte sozialistische Staatensystem in Europa in einer ernsthaften Krise steckten. Beredtes Zeugnis hiervon gibt ein Aktenbestand der »Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe« (ZAIG). Die ZAIG war »die zentrale

1112  Gheorghe: The Romanian Intelligence Service during the Cold War, S. 3, 12, 26, 39– 41, 47 f. 1113  Tantzscher: »Wir fangen an, neue gute Traditionen in der Zusammenarbeit zu schaffen«, S. 117 f.; Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen, S. 276. Eine umfassende chronologische Darstellung des Zerfalls des Ostblocks und der Umwälzungen in den einzelnen Ländern bietet Preuße: Umbruch von unten, wobei Preußes zentrale These lautet, »dass Dissidenten, Oppositionsgruppen, alternative Gruppen und nationale Bewegungen in vielfältiger Hinsicht wichtige, wenn nicht sogar die entscheidenden Akteure waren«. Ebenda, S. 19.

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Schaltstelle im Apparat der Staatssicherheit«1114. Dort liefen die Informationen zusammen, die das MfS im In- und Ausland auf den verschiedensten Wegen gewann, dort wurden sie ausgewertet, analysiert und für verschiedene Zwecke und Empfänger aufbereitet. Beispielsweise erstellte die ZAIG täglich Berichte für die Partei- und Staatsführung, die über Entwicklungen in der DDR sowie weltweit informierten.1115 Im Februar 1984 eröffnete die ZAIG für den MfS-internen Gebrauch eine neue Berichtsreihe: Die »Monatsübersicht über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten«.1116 Fortan erhielt das Führungspersonal der DDR-Geheimpolizei bis Oktober 1989 einmal im Monat zusammenfassende Berichte über die innere Situation in der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Berichte über Polen fanden erst Anfang 1987 Aufnahme in diese Reihe, denn bis dahin gab es, bereits seit 1981, die »Wocheneinschätzungen« zu Polen.1117 Das selbstgesteckte Ziel dieser Berichtsreihe bestand darin, innenpolitische Entwicklungen in den genannten Ländern darzustellen, auf Probleme und Krisensymptome hinzuweisen und über oppositionelle Bewegungen zu informieren. Die verbündeten Geheimdienste durften von der Existenz dieser Berichtsreihe nichts erfahren.1118 Diese Unternehmung lässt sich mit dem britischen Zeithistoriker Martin S. Alexander als eine durchaus gängige Form des Umgangs unter Verbündeten charakterisieren, kam es hier doch darauf an, die »Freunde zu kennen, die Verbündeten einzuschätzen«.1119 Die ZAIG stützte ihre Monatsübersichten auf geheimdienstliche Quellen und diplomatische Kanäle ebenso wie auf westliche Medienberichte und offizielle Dokumente aus den jeweiligen Ländern. Auf diese Weise entstand unbeabsichtigt eine nüchterne Chronik der allmählichen Auflösung des Ostblocks. Die Berichte über Rumänien enthalten vier Themenschwerpunkte: sie stellten die außenpolitischen Sonderpositionen des Landes dar, untersuchten die krisenhafte wirtschaftliche Lage, betrachteten die Innenpolitik einschließlich der Stimmung in der Bevölkerung und berichteten generell über die internationalen 1114  Engelmann; Joestel: Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, S. 3. 1115  Die ZAIG-Berichte über die Lage in der DDR werden seit 2009 jahrgangsweise ediert; siehe beispielsweise die in Anm. 1044 und 1131 zitierten, von Florath und Joestel bearbeiteten ZAIG-Berichtsjahrgänge 1965 und 1988. Eine Übersicht der sehr viel zahlreicheren Auslandsberichte findet sich in: Verzeichnis der Ausgangsinformationen der Hauptverwaltung A. 1116  Die gesamte Berichtsreihe liegt vor in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5325–5338. 1117  Die Wocheneinschätzungen Polen liegen vor in: BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 5301–5324. 1118  ZAIG, Leiter [Irmler], 22.2.1984: Monatsübersicht über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5325, Bl. 1 f. Vgl. auch ZAIG, 22.8.1986: Informationsbedarf zu politisch-operativ bedeutsamen Aspekten der aktuellen Situation und der Lageentwicklung in europäischen sozialistischen Staaten; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 354–356. 1119  Alexander: Introduction: Knowing Your Friends, Assessing Your Allies, S. 1–14.

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Verbindungen Rumäniens. In ihrer verdichteten Form lassen sie Veränderungen und Entwicklungen deutlich hervortreten. Folgt man diesen MfS-Berichten, so verlor der außenpolitische Sonderweg Rumäniens ab Mitte der 1980er-Jahre an Bedeutung und stellte seit 1986 kein Problem mehr für die DDR und die anderen sozialistischen Länder – mit Ausnahme Ungarns – dar. Bis dahin hatte das MfS der rumänischen Führung regelmäßig unterstellt, um wirtschaftlicher Vorteile wegen eine Konfrontation mit dem Westen zu vermeiden und die Verbündeten in den Ost-West-Auseinandersetzungen nicht zu unterstützen. Sofern diese Argumentation überhaupt zutreffend war, kam dieses Handlungsprinzip nun dem Osten zugute: Rumänien ersuchte insbesondere die Sowjetunion um eine Steigerung ihrer Roh- und Brennstofflieferungen, auf die es dringend angewiesen war. In einem bilateralen Wirtschaftsabkommen am 18. März 1985 kam die Sowjetunion entsprechenden Wünschen entgegen, verlangte im Gegenzug aber unmissverständlich eine engere politische Kooperation Rumäniens innerhalb des Warschauer Pakts und des RGW.1120 Während die westlichen Staaten nach Beobachtungen des MfS seit 1986 deutlich auf Distanz zu Rumänien gingen, wandte sich das Land aus wirtschaftlicher Not heraus wieder dem Osten zu. Das rumänische Sonderverhältnis zu China verlor zur gleichen Zeit an Bedeutung, weil China damit begonnen hatte, seine Beziehungen zu den anderen sozialistischen Ländern Europas deutlich zu verbessern.1121 Ceaușescus öffentliches Zögern, den 1985 auslaufenden Warschauer Vertrag zu verlängern, schreckte das MfS schon seit Sommer 1984 nicht mehr. Denn aus zuverlässiger Quelle hatte das MfS zutreffend erfahren, dass der rumänische Führer bei seinem Besuch in Moskau im Juni 1984 gegenüber seinem sowjetischen Amtskollegen ­Konstantin Černenko bereits zugesagt hatte, Rumänien werde der Verlängerung des östlichen Militärbündnisses zustimmen.1122 Als Michail Gorbačëv in der Sowjetunion seine Reformpolitik begann, hatte sich die rumänische Führung insoweit wieder in die östlichen Bündnisstrukturen eingefügt. Zugleich fanden Nicolae Ceaușescu und Erich Honecker in ihrer Ablehnung von Glasnost und Perestroika sowie einer Öffnung in Richtung Westen fortan eine gemeinsame politische Verständigungsbasis. Das MfS konzentrierte sich in seinen Monatsübersichten über Rumänien daher in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre vor allem auf die innere Situation des Landes. In komprimierter Form wurden auch Inhalte aus jenen Berichten wiedergegeben, die das MfS seit Mielkes Anweisung vom März 1983 sammelte. Das MfS vermerkte sachlich bis kritisch den Personenkult um das Diktatoren­ ehepaar Ceaușescu und den ausufernden Nationalismus, schätzte die rumänische Wirtschaftsplanung wiederholt als realitätsfremd und unsozial ein, wusste 1120  ZAIG: Monatsübersicht 4/85; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5327, Bl. 110. 1121  ZAIG: Monatsübersicht 1/87; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5332, Bl. 33–37. 1122  ZAIG: Monatsübersicht 8/84 und 9/84; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5326, Bl. 61, 86.

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um die hungernde und im Winter frierende und leidende Bevölkerung und registrierte die permanente Angst der Menschen vor der Securitate. Die Begriffe, mit denen die Lage des Landes und die Stimmung der Bevölkerung beschrieben wurden, waren deutlich: »Skepsis«, »Pessimismus«, »Unzufriedenheit«, »Resignation«, »Enttäuschung«, »Gleichgültigkeit«, »Passivität«, »Atmosphäre der Angst und der Denunziation«, »Stagnation«, »gereizte und unwillige Stimmung«, »verzweifelt und hoffnungslos«, »Lethargie«, »die Grenze der sozialen Belastbarkeit [...] zum Teil überschritten«, und schließlich zum Jahreswechsel 1987/88: »Existenzangst«, denn insbesondere für Ältere und Kleinkinder »verschärft sich die Frage nach den Überlebenschancen unter Winterbedingungen«.1123 Die Analysten im MfS schwankten in der Beurteilung der Situation. Sie sahen einerseits die verstärkten sozialen Spannungen und das damit verbundene Unruhepotenzial, anderereits die sich ausbreitende Lethargie, Erschöpfung und Passivität der Menschen, das Ausbleiben einer organisierten Opposition und das folgenreiche Wirken der Geheimpolizei. Insgesamt zeichnen die Monatsübersichten das Bild eines zunehmend erstarrten Landes. Das drückte sich auch in einer Äußerlichkeit aus: Umfassten die monatlichen Berichte über Rumänien 1984 und 1985 – wie im Falle Ungarns – durchschnittlich acht Seiten, genügten 1988 und 1989 für Rumänien drei Seiten: fast nichts mehr in diesem Land bewegte sich. Dagegen nahm der Umfang der monatlichen Berichte aus Ungarn und den anderen Ländern Ende der 1980er-Jahre zu, denn dort bewegte sich immer mehr in Politik und Gesellschaft, in der Opposition und in den Kirchen. Angesichts dessen trat der langjährige Sonderfall Rumänien für das MfS in den Hintergrund.

4.7 Der Arbeiteraufstand in Kronstadt (Brașov) 1987 Eine besondere Bedeutung in der Reihe der lokalen Unruhen und Revolten erreichte der Arbeiteraufstand im siebenbürgischen Kronstadt am 15. November 1987. Es handelte sich um den größten Aufstand gegen ein kommunistisches Regime außerhalb Polens seit langer Zeit. Die spontane Erhebung wurde zwar schon im Laufe jenes Tages niedergeschlagen, doch wurde sie weltweit bekannt und löste Solidaritätsaktionen aus. Sie blieb daher nicht folgenlos. Auch in der DDR inspirierte sie viele Menschen zu Widerspruch und Protest, wie im nächsten Kapitel noch gezeigt wird. Sie ist außerdem die einzige Revolte in Rumänien, über die in den MfS-Akten konkret berichtet wird. Denn als am 15. November 1987 Tausende Menschen in Kronstadt gegen die Ceaușescu-Diktatur auf die Straße gingen, hielt sich auch ein Informant des MfS in der Stadt auf. Er war als gewöhnlicher Geschäftsreisender von seinem DDR-Betrieb für sechs 1123  Siehe jeweils die Rumänienkapitel in den Monatsübersichten der ZAIG; BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 5325–5338.

Der Arbeiteraufstand in Kronstadt 1987

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Wochen dorthin entsandt worden und wurde daher nur zufällig Zeuge des antikommunistischen Arbeiteraufstandes. Nachdem er in die DDR zurückgekehrt war, berichtete er seinem Führungsoffizier, was er selbst gesehen und was er von rumänischen Kollegen gehört hatte: Wie die Arbeiter im Traktorenwerk mit der Demonstration begannen (in Wirklichkeit nahm der Protestzug allerdings in der Lastwagenfabrik »Steagul Roșu« (»Rote Fahne«) seinen Anfang); wie die Polizei mit Wasserwerfern und Schützenpanzerwagen die Innenstadt abriegelte; dass Kinder an der Spitze des Demonstrationszuges liefen, um die erwachsenen Demonstranten zu schützen; dass das Rathaus von den Aufständischen gestürmt wurde und dass dort Papiere verbrannt wurden; dass Demonstranten verhaftet wurden.1124 Tatsächlich schlugen die rumänischen Sicherheitskräfte den Aufstand mit außergewöhnlicher Brutalität nieder. Sie misshandelten viele Teilnehmer. 61 Demonstranten wurden zu Zwangsarbeit verurteilt und in andere Teile des Landes verbannt. Der Aufstand hatte in den frühen Morgenstunden des 15. November 1987 als Protest von Arbeitern mit wirtschaftlichen Forderungen begonnen, doch ihrem Protestzug in die Innenstadt schlossen sich schätzungsweise 3 000 bis 4 000 Menschen an. Anders als bei früheren Streiks verlangten die Demonstranten in Kronstadt nicht nur bessere Lebensverhältnisse, sondern riefen zum Sturz Ceaușescus auf. Das war eine neue politische Dimension des Protests.1125 Bedeutender als der Augenzeugenbericht des IM war für das MfS eine Information, die es im Februar 1988 vom polnischen Geheimdienst erhielt. Sie handelte von einer Beratung der Securitate-Führung mit einem führenden Mitglied des Zentralkomitees der RKP am 12. Januar 1988, die noch ganz im Zeichen der Kronstädter Ereignisse stand. Die Securitate musste sich »Fehler und Mängel in der operativen Arbeit« vorwerfen lassen. Ganz offensichtlich war die Parteiführung der Ansicht, dass der Aufstand hätte verhindert werden müssen und dass immer noch zu viele Informationen über die Lage in Rumänien ins Ausland gelangten. Sie verpflichtete die Securitate nach Erkenntnissen des polnischen Geheimdienstes deshalb zu folgenden Maßnahmen: vertiefte operative Bearbeitung von Personen und Zentren, die eine feindliche Tätigkeit aufnehmen könnten; verstärkte operative Arbeit unter den Arbeitern, hauptsächlich in größeren Industriebetrieben; verstärkter physischer Schutz von großen Produktionsbetrieben; verstärkte Kontrolle der Kontakte von Ausländern zu rumä1124  BVfS Leipzig, Abt. II/4, 8.1.1988: Lage in Rumänien; BStU, MfS, HA II, Nr. 181, Bl.  191  f. Der IM wird in dem vorliegenden Bericht nur allgemein als »Quelle« bezeichnet. Auch IM »Johannes Hofmann« berichtete dem MfS über den Kronstädter Aufstand, wobei er sich auf Aussagen von Dienstreisenden und Mitarbeitern der Handelspolitischen Abteilung der DDR-Botschaft stützte, die sich am 15.11.1987 in der Stadt aufhielten. BStU, MfS, AIM 13148/91, Bd. II/1, Bl. 53–60. 1125  Zum Aufstand in Kronstadt siehe ausführlich Oprea; Olaru: The Day We Won‘t Forget. Ferner Petrescu, Dragoș: State against the Citizens and Citizens against the State, S. 137 f.

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nischen Bürgern; Vertiefung der Bearbeitung fremder diplomatischer Vertretungen und Institutionen, um Ausländer, die für die Aufklärung arbeiten, festzustellen; verstärkte Kontrolle des örtlichen Partei- und Staatsapparates (Haltung, Verhalten, Verhältnis zu den Pflichten); Erhöhung der Anzahl der Wachposten und Polizeistreifen in Orten, die durch feindliche Tätigkeit gefährdet sind.

Um diese Aufgaben zu erfüllen, wurde beschlossen, die technische Ausrüstung der operativen Diensteinheiten zu verbessern; den Personalbestand des Sicherheitsdienstes in den Industriebetrieben um 100 % zu erhöhen; die Rechte der Vertreter des Innenministeriums, die die territorialen Diensteinheiten des Sicherheitsdienstes kontrollieren, zu erweitern; die politische und operative Ausbildung der Angehörigen zu intensivieren ....1126

Wie der polnische Geheimdienst an diese Interna gelangte, ließ er das MfS selbstverständlich nicht wissen. Doch offenkundig verfügten die Polen über einen guten Draht in das innere der rumänischen Macht.

4.8 Die Krise in Rumänien wirkt auf die DDR zurück 4.8.1 Anti-Ceaușescu-Proteste in der DDR Die schwierigen Lebensverhältnisse und die zunehmenden Restriktionen in Rumänien in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wirkten in verschiedener Weise auf die DDR zurück und entwickelten sich aus Sicht des MfS zu einer innenpolitischen Herausforderung. Das lässt sich am Beispiel des Kronstädter Aufstandes vom 15. November 1987 zeigen. Wenige Wochen nach dem Aufstand versammelte sich am 25. Dezember 1987 eine Gruppe von elf DDR-Dissidenten mit brennenden Kerzen in der Nähe der rumänischen Botschaft in der Parkstraße in Ostberlin, um gegen die politische Repression in Rumänien zu protestieren und auf die schlechte wirtschaftliche Lage aufmerksam zu machen. DDR-Sicherheitskräfte lösten die kleine Versammlung sofort auf, an der sich unter anderem Ralf Hirsch und Stephan Krawczyk beteiligt hatten. Eine erneute Demonstration vor der rumänischen Botschaft, die am 1. Februar 1988 stattfinden sollte, konnte das MfS offenbar verhindern. Hirsch und Krawczyk waren Mitte 1126  Betrifft: Beratungen des Führungsaktivs des Sicherheitsdienstes des Innenministeriums Rumäniens. Arbeitsübersetzung aus dem Polnischen, 8.2.1988, Informationsnummer 88.30219; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14063, Bl. 1 f. Den Bericht verwertete das MfS in weiteren Meldungen. So fand er auch Eingang in die »Monatsübersicht Nr. 4/88 über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten«, die die ZAIG des MfS am 18.4.1988 erstellte. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5334, Bl. 127 f.

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Januar 1988 verhaftet und Anfang Februar 1988 in die Bundesrepublik abgeschoben worden.1127 Auch in anderen sozialistischen Ländern begannen Dissidentengruppen, sich für Rumänien zu engagieren. Insofern handelte es sich nicht um ein auf die DDR beschränktes Ereignis. So war es die tschechoslowakische »Charta 77«, die im Januar 1988 dazu aufrief, am 1. Februar überall in Europa vor den rumänischen Botschaften gegen Ceaușescu und für die Rechte der Menschen zu demonstrieren. Zumindest in Warschau und Budapest registrierte das MfS an diesem Tag dann tatsächlich Solidaritätsaktionen vor den Botschaften Rumäniens oder zumindest in ihrer Nähe. In Warschau beteiligte sich mit Zbigniew Bujak einer der führenden Solidarność-Aktivisten daran. Er wurde wie die anderen Demonstranten dort kurzzeitig festgenommen. Dagegen schritten die ungarischen Sicherheitskräfte in Budapest nach Erkenntnissen des MfS nicht ein.1128 Zum ersten Jahrestag am 15. November 1988 fand ein europaweiter »Aktionstag Rumänien« statt. Er hatte das Ziel, auf die verheerenden Zustände in Rumänien aufmerksam zu machen und das Ceaușescu-Regime international zu ächten. Protestaktionen fanden aus diesem Anlass in westlichen wie in östlichen Städten statt. In Budapest hatten die Behörden Demonstrationen an diesem Tag verboten, konnten den öffentlichen Protest damit aber nicht verhindern. Auch im polnischen Breslau (Wrocław) kam es nach MfS-Erkenntnissen zu Solidaritätskundgebungen mit der Bevölkerung Rumäniens.1129 In Westberlin beteiligten sich die rumäniendeutschen Schriftsteller Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, William Totok und Richard Wagner und die ausgebürgerte DDR-Dissidentin Freya Klier maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung des Aktionstags. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Petra Kelly und andere Parla1127  MfS, ZAIG, 4.1.1988: Wochenübersicht 1/88, Anlage 3: Hinweis über provokatorisch-demonstrative Aktivitäten feindlich-negativer DDR-Bürger gegenüber der Botschaft der Sozialistischen Republik Rumänien in der DDR; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4578, Bl. 23–25. MfS, HA XX, 23.1.1988: Information Nr. 43/88 über eine am 1. Februar 1988 durch feindlich-negative Kräfte geplante provokatorische Aktion gegen die Botschaft der SR Rumänien in der DDR; BStU, MfS, HA IX, Nr. 9664, Bl. 39–44. Ähnlich BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1652, Bl. 309– 316; HA VII, Nr. 6896, Bl. 257 f.; ZAIG, Nr. 15290, Bl. 1–3. Zu Hirsch und Krawczyk siehe die biografischen Einträge in Veen (Hg.): Lexikon Opposition und Widerstand, S. 181, 229 f. 1128  MfS, ZAIG: Monatsübersichten Nr. 1/88 vom 21.1.1988 und Nr. 2/88 vom Februar 1988 »über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten«; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5334, Bl. 22, 52 f. Der »Aufruf an die europäische Öffentlichkeit zu einem Ausdruck der Solidarität mit dem rumänischen Volk am 1. Februar 1988«, den die »Charta 77« am 2. Januar 1988 herausgab, ist in tschechischer Sprache ediert in: Císařovská; Prečan (Hg.): Charta 77: Dokumenty 1977–1989, Bd. 2, S. 971 f. Ich danke Ilko-Sascha Kowalczuk für den Hinweis auf die tschechische Edition und Christian Domnitz für die Übersetzungshilfe. 1129  MfS, ZAIG: Monatsübersicht Nr. 11/88 vom 22.11.1988 »über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten«; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5335, Bl. 134. Das MfS schreibt hier von Protesten anlässlich des Aktionstags Rumänien in London, Wien, München, Budapest und Breslau/Wrocław, fügt aber vorsichtshalber hinzu: »intern noch nicht bestätigt«.

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mentarier unterstützten das Anliegen. Bereits Ende Juni 1988 beschloss die Jahreskonferenz der »European Nuclear Disarmament« (END) im schwedischen Lund, an der unter anderem Petra Kelly teilnahm, für den 15. November 1988 Protestaktionen gegen die Politik Ceaușescus.1130 In der DDR engagierten sich aus Anlass dieses Aktionstages viele Menschen.1131 Mitglieder von unabhängigen Friedens- und Menschenrechtsgrup1130  Die Grünen im Bundestag, Arbeitskreis Außenpolitik Ost/West (Hg.): Ceaușescu isolieren!, S.  52. Ob die Initialzündung zu dem »Aktionstag Rumänien« von der Konferenz in Lund ausging oder die Idee von den seit 1987 in Westberlin lebenden rumäniendeutschen Schriftstellern zunächst dorthin getragen wurde, kann an dieser Stelle offen bleiben. Herta Müller und Richard Wagner hatten, neben anderen, bereits am 14.4.1988 an einem Informationsgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion in Bonn teilgenommen, wo verschiedene Protestformen gegen die Politik Ceaușescus diskutiert wurden. Vgl. ebenda, S. 6, 51. 1131  Zu den nachfolgenden Ausführungen vgl. insbes. die zusammenfassenden Berichte, Übersichten, Meldungen und Namenslisten sowie Originalmaterialien der Veranstalter in: BStU, MfS, ZOS, Nr. 2685, Bl. 262–292, 304–315, 354, 362, darin auch die angeführten Zitate; ähnlich in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 3810, Bl.  48–55, 60–76, 83; HA XXII, Nr. 5611, Bd. 14, Bl. 1; HA XXII, Nr. 631, Bd. 7, Bl. 2–21, 29–41; ZAIG, Nr. 14064, Bl. 1–10. Zu Vorbereitung, Verlauf, Teilnehmer und Resonanz des Aktionstages in Ostberlin siehe auch die Konvolute BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 6, Bl. 1–47, HA XX/9, Nr. 1297, Bl. 3–31, HA XX/9, Nr. 1505, Bl. 1–285; HA XX, Nr. 134, Bl. 423–451; HA XX/AKG, Nr. 983, Bl. 42–44; HA XX/4, Nr. 3307, Bl. 2–16; AOP 1056/91, Bd. 6, Bl. 498–500, 515–534. An das für Kirchenfragen zuständige SED-Politbüromitglied Werner Jarowinsky übersandte das MfS am 15.12.1988 eine »Information über Verlauf und Ergebnisse der ›Friedensdekade 1988‹ der evangelischen Kirchen in der DDR in der Zeit vom 6. bis 16. November 1988«; darin ist von Rumänien-Aktionen »in fast allen Bezirken der DDR« die Rede: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3710, Bl. 8–17, insbes. 12. Eine »Information über die Vorbereitung eines ›Europäischen Aktionstages – Rumänien‹ und in diesem Zusammenhang geplante Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in der DDR« des MfS vom 2.11.1988 wurde auch von Erich Honecker gelesen und von ihm am 3.11.1988 abgezeichnet. BStU, MfS, ZAIG, Nr. 3706, Bl. 1–8. Beide Informationsberichte sind veröffentlicht in: Joestel (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1988, o. S. (CD-ROM-Anlage), im Internet abrufbar unter http://www.ddr-im-blick.de (Stand: 9.6.2016). Beispiele für Aktionen in den Bezirken: Sammlung von Protestbriefen im Bezirk Dresden: BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XX, Nr. 10426, Bl. 16–55; Aktionen der Evangelischen Studentengemeinde Jena und des Arbeitskreises »Solidarische Kirche« in Thüringen; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6977, Bl. 23–76; HA VII, Nr. 5128, Bl. 46; HA XVIII, Nr. 3699, Bl. 1 f.; Gebete sowie Vorträge über Rumänien in evangelischen Gemeinden in Karl-Marx-Stadt und Zwickau; BStU, MfS, BV Karl-MarxStadt, Abt. XX, Nr. 535, Bl. 8–33. Ferner MfS-Bericht über die Rumänien-Aktion der evangelischen Kirche in Graustein bei Spremberg; BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, Nr. 1397, Bl. 1 f. und AKG, Nr. 9315, Bl. 585–589. Konflikt um eine rumänienkritische FDJ-Wandzeitung an der Universität Greifswald am 17.11.1988: BStU, MfS, BV Rostock, KD Greifswald, Nr. 108, Bl.  161–164 sowie BV Rostock/KA/185. Ferner »Aufruf zu einem europäischen Aktionstag Rumänien« mit einer Namensliste der Unterzeichner (darunter viele emigrierte rumänische und rumäniendeutsche Schriftsteller, in den Westen getriebene DDR-Dissidenten, westdeutsche Sozialdemokraten), in: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 919, Bl. 151–156; vom MfS abgefangene Protestbriefe von DDR-Bürgern in: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1778, Bl. 1–16; MfS-internes Rundschreiben (Telegramm) zur »Aktion ›Gastfreundschaft VI/88‹« vom 14.11.1988, in dem auf den Zusammenhang des Rumänien-Aktionstages mit dem Ceaușescu-Besuch hin-

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Abb. 29: Anonyme Protestpostkarte aus dem Bezirk Dresden gegen den Schulterschluss ­Honeckers mit Ceaușescu, sehr wahrscheinlich Mitte November 1988

pen, aber auch andere wie beispielsweise Mitarbeiter des Zentralinstituts für Kernforschung Rossendorf in Dresden, schrieben Briefe sowohl an Nicolae ­Ceaușescu als auch an die eigene Regierung in Ostberlin. In den Briefen an die DDR-Regierung kritisierten sie unter anderem, dass die DDR das Ceaușescu-­ Regime unterstütze und dass Ceaușescu von Erich Honecker mit dem Karl-

gewiesen wird; BStU, MfS, HA III, Nr. 455, Bl. 46 f., ähnlich in: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 17766, Bl. 3–6; ferner Abschriften abgehörter Telefongespräche des Deutschlandfunks sowie ausgewanderter rumäniendeutscher Dissidenten in Westberlin; BStU, MfS, HA III, Nr. 9213, Bl. 232 f., 236, 247. Zum Unmut in DDR-Betrieben siehe exemplarisch die Stimmungsberichte aus Karl-Marx-Stadt vom 1.8. und 8.12.1988. BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, AKG, Nr. 521, Bd. 2, Bl. 16; Bd. 3, Bl. 86. Zusammenfassend zu den Rumänienaktionen auch Neubert: Geschichte der Opposition, S. 771 f.; Schenker: Eine Internationale der Dissidenz, S. 12–14; Totok: »Wer zu spät kommt ...«, S. 16 f. Wie sich DDR-Oppositionelle auf den Aktionstag vorbereiteten, sich mit ausgebürgerten DDR-Dissidenten und Grünen-Politikern wie Petra Kelly darüber austauschten und vom MfS behindert wurden, widerspiegelt sich auch in ihren Telefonaten, die das MfS damals aufzeichnete, und die zwischenzeitlich als Quellenedition vorliegen. Siehe Kowalczuk; Polzin (Hg.): Fasse Dich kurz, S. 711 f., 724 f., 727 f., 731, 756–758.

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Marx-Orden geehrt wurde.1132 Ferner protestierten sie gegen die DDR-Medien und die Art und Weise, wie sie über Rumänien berichteten. Die DDR-Oppositionsgruppe »Initiative Frieden und Menschenrechte« (IFM) hatte bereits Mitte Oktober 1988 eine Erklärung zum bevorstehenden Aktionstag Rumänien ausgearbeitet und verbreitet; über den Westberliner Rundfunksender »Hundert,6« erfuhr am 13. Oktober 1988 auch die Ostberliner Bevölkerung davon. Die IFM verwies ebenfalls auf die schon genannten Missstände in Rumänien, auf den Personenkult um Ceaușescu, die Stadtzerstörung in Bukarest, die restriktive Minderheitenpolitik und die ständige Verletzung persönlicher und politischer Grundrechte. Sie forderte deshalb in ihrer Erklärung die DDR-Regierung auf, sich auf internationaler Ebene gegen die Politik Ceaușescus einzusetzen sowie den Freundschaftsvertrag mit Rumänien vorübergehend auszusetzen und wirtschaftliche Sanktionen gegen Rumänien zu verhängen, insbesondere keine rumänischen Lebensmittel mehr in die DDR einzuführen. »Die rumänische Bevölkerung braucht unsere Solidarität«, hieß es am Schluss der Erklärung. Bekannte DDR-Dissidenten wie Bärbel Bohley, Werner Fischer und Gerd Poppe beteiligten sich an den Aktionen. Viele evangelische Kirchgemeinden überall in der DDR veranstalteten um den 15. November 1988 herum kritische Diskussionen und Vorträge zur rumänischen Politik und Zeitgeschichte, informierten in Ausstellungen über die aktuelle Situation in Rumänien und hielten Gottesdienste und Fürbitten für Rumänien ab. In zwei Ostberliner Kirchgemeinden wurden Texte der im Vorjahr von Temeswar nach Westberlin ausgewanderten rumäniendeutschen Schriftsteller Helmuth Frauendorfer, Herta Müller, William Totok und Richard Wagner vorgetragen und verteilt.1133 Die staatlichen Stellen, insbesondere MfS und Volkspolizei, hatten zuvor intensiv versucht, auf die Pfarrer und andere Kirchenfunktionäre einzuwirken, um die Proteste wenigstens kleinzuhalten und sie nicht in die Öffentlichkeit hinauszutragen. Aus der Sicht des MfS waren diese Proteste besonders brisant, weil sie zeitlich mit dem Staatsbesuch Nicolae Ceaușescus in der DDR am 17. und 18. November 1988 zusammenfielen. Ceaușescu nahm bei dieser Gelegenheit persönlich den Karl-Marx-Orden entgegen, der ihm am Jahresanfang – bereits zum zweiten Male1134 – verliehen worden war. Viele DDR-Bürger empfanden diese Eh1132 Nicolae Ceaușescu bekam den Karl-Marx-Orden aus Anlass seines 70. Geburtstags bereits am 26.1.1988 verliehen, das heißt zugesprochen. Überreicht wurde der Orden aber erst am 17.11.1988, als Ceaușescu sich zu einem Arbeitsbesuch in der DDR aufhielt. Vgl. »Neues Deutschland« v. 26.1.1988, S. 1, sowie dass., 18.11.1988, S. 1. 1133  Hierzu ausführlicher unten, Kapitel 6.5. 1134  Schon aus Anlass seines 60. Geburtstages am 26.1.1978 verlieh die DDR Nicolae ­C eaușescu den Karl-Marx-Orden. Erich Honecker überreichte ihm den Orden persönlich während seines Staatsbesuchs in Rumänien im Juni 1980. Siehe Herzliche Gratulation für Nicolae Ceaușescu. Auszeichnung mit dem Karl-Marx-Orden. In: Neues Deutschland v. 26.1.1978, S. 1 sowie Ehrung mit Karl-Marx-Orden. In: Neues Deutschland v. 26.6.1980, S. 1.

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Abb. 30: Dieses Protest-Flugblatt stellte der Ostberliner Fernmeldemonteur Jens Jarkowski her und verbreitete es Mitte November 1988 während Ceaușescus Staatsbesuch in der DDR. Das MfS sammelte in kürzester Zeit 51 Exemplare davon in Ostberlin ein.

rung angesichts der notleidenden Bevölkerung Rumäniens als inakzeptabel und fühlten sich von der demonstrativen Ignoranz der DDR-Führung provoziert. Tatsächlich registrierte das MfS an diesen beiden Tagen mehrere Aktionen, die sich direkt gegen diesen Staatsbesuch richteten. In den Ostberliner Bezirken Mitte, Marzahn, Treptow und Köpenick wurden Flugblätter in Briefkästen verteilt oder an Bäumen befestigt; im Ostberliner Bezirk Marzahn identifizierte das MfS sogar fünf Schüler, die Protestflugblätter gegen Ceaușescu verschickten. Selbst in der Druckerei der SED-Parteizeitung »Neues Deutschland« in Berlin-Friedrichshain wurden sieben Flugblätter gefunden. Auch in Halle kam ein Flugblatt in Umlauf, auf dem als Absender nur »Leuna-Kumpels« angegeben war. In der Stadt Leipzig entdeckte das MfS an vier Häuserwänden Parolen gegen den rumänischen Diktator, in der Gemeinde Kahla bei Jena im Bezirk Gera (Thüringen) registrierte das MfS am Morgen des 18. November 1988 13 entsprechende Losungen. Die Texte und Parolen waren kurz gehalten: »Tretet auf gegen Diktator Ceaușescu – Glasnost« war in Treptow und Köpenick zu

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lesen; »Rumänien leidet unter Ceaușescu. Armut, politische Verfolgung, soziales Elend, Zwangsumsiedlungen. Berliner bildet Spalier« stand auf einem Flugblatt in Berlin-Mitte. Das MfS registrierte auch unter den Arbeitern in den Betrieben großen Unmut; Erich Honecker sei der einzige Staatsmann, der einem »Verbrecher« wie Nicolae Ceaușescu noch solche Ehren angedeihen lasse, äußerten beispielsweise Arbeiter in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Ferner drohten zwei anonyme Telefonanrufer mit Anschlägen. Auch im Westberliner Büro des Deutschlandfunks ging eine Attentatsankündigung gegen Ceaușescu ein; die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin informierte darüber umgehend das DDR-Außenministerium. Sofern das MfS die Urheber ausfindig machte, leitete es in den meisten Fällen ein Ermittlungsverfahren ein. Mehrere DDR-Dissidenten waren ab dem 15. November 1988 unter Hausarrest gestellt worden, andere wurden vorsorglich zur Volkspolizei vorgeladen und davor gewarnt, »sich in die Außenpolitik der DDR einzumischen«. Bei Peter Grimm, einem jungen Angehörigen der »Initiative Frieden und Menschenrechte«, beschlagnahmte das MfS am 4. November 1988 handschriftliche Aufzeichnungen zur rumänischen Geschichte und einen maschinenschriftlich verbreiteten Aufsatz des in die USA emigrierten rumänischen Politikwissenschaftlers Vladimir Tismăneanu mit dem Titel »Ceaușescu mit Siebzig«. Diese Unterlagen bedrohten angeblich die öffentliche Ordnung und Sicherheit.1135 Auch ein Vorfall am Institut für Biochemie an der Ostberliner Charité erhellt, wie verunsichert die DDR-Behörden zu dieser Zeit waren. An der Informationstafel des Instituts entdeckte ein Dozent am Nachmittag des 15. Novembers 1988 ein von Hand abgeschriebenes Lobgedicht auf Ceaușescu. Darin wurde Ceaușescu als »geliebter Führer« angesprochen, als »unser Stolz, unser Licht« und als »reinstes Metall kommunistischen Ruhms«.1136 Über die SED-Parteileitung an der Charité gelangte die Huldigung umgehend an die Stasi-Bezirksverwaltung Berlin, die sofort eine Reihe von Maßnahmen einleitete. Unter anderem hatte sie den politischen Gehalt zu prüfen. Dabei gelangte der zuständige MfS-Hauptmann Engelmann zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um »schriftliche Hetze« handele, sondern »im positiven Sinn als Huldigung für Ceaușescu angesehen werden kann«.1137 Tatsächlich gehörte das fragliche Gedicht zu den damals gängigen Ausdrucksformen des Personenkults in Rumänien. Sein Verfasser war höchstwahrscheinlich der Schriftsteller Ion Brad, der dem Zentralkomitee der rumänischen KP seit 1965 als Kandidat und seit 1974 als Mitglied angehörte und verschiedene hohe Funktionen in der Kultur-Außenpolitik be1135 Die beschlagnahmten Texte sowie Befragungsprotokoll und Beschlagnahme-Verfügung sind vorhanden in: BStU, MfS, HA IX, Nr. 189, Bl. 126–153. Peter Grimms Widerstandsbiografie wurde als »graphic novel« nachgezeichnet von Henseler; Buddenberg: Grenzfall. 1136  Kopie des handgeschriebenen Textes in: BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 2861, Bl. 13. 1137  Ebenda, Bl. 16.

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kleidete.1138 Die MfS-Bezirksverwaltung Berlin lud noch den einzigen rumänischen Medizinstudenten, den sie damals in Ostberlin ermitteln konnte, zu einem Gespräch vor. Der Student bestätigte die positiv gemeinte Aussage des Gedichtes. Doch wer es in dem Charité-Institut aufgehängt hatte, ließ sich offenbar nicht herausfinden.1139 Kurze Zeit nach dem Aktionstag und Ceaușescus Aufenthalt in der DDR reiste der evangelische Thüringer Landesbischof Werner Leich Anfang Dezember 1988 in die Bundesrepublik. Dort empfing ihn Bundeskanzler Helmut Kohl zu einem vertraulichen und offenen Gespräch, in dem es unter anderem um die Lage in Rumänien und um die kirchlichen Basisgruppen in der DDR ging. ­Helmut Kohl machte aus seiner Meinung über den rumänischen Diktator keinen Hehl: »Ceaușescu sei kein Präsident, sondern ein Psychopath«, berichtete Leich später dem Landeskirchenrat in Eisenach. Das MfS erfuhr offenkundig über seine IM im Landeskirchenrat vom Inhalt dieses Gesprächs und informierte darüber in einer vier Seiten umfassenden Meldung Erich Honecker.1140 Die Ostberliner Untergrundzeitschrift »Ostkreuz« widmete ihr Januarheft 1989 der Situation in Rumänien.1141 Von den rumäniendeutschen Autoren war Richard Wagner mit einem Beitrag vertreten.1142 Marianne Birthler, damals Stadtjugendwartin im Ostberliner evangelischen Stadtjugendpfarramt, veröffentlichte im selben Heft eine Übersicht über mehrere kirchliche Solidaritätsaktionen für Rumänien, die im Oktober und November 1988 in verschiedenen 1138 Zu Brad (* 1929) siehe Membri C.C. al P.C.R., S. 110. Auf der beschlagnahmten Abschrift des Gedichts ist als Autor der Name Ion Bradu angegeben; wahrscheinlich ist Ion Brad gemeint. Ein für Brad typisches Lobgedicht auf Ceaușescu in deutscher Übersetzung findet sich im »Volkskalender« der »Neuen Banater Zeitung« 1981. Es trägt den Titel »Inschriften« und enthält Verse wie »Rumäniens Führer hat seit jenen Jahren / Dies Wort gewandelt in ein Sternenlicht«. Ich danke Richard Wagner, der mir diese Seite aus dem »Volkskalender« in Kopie überließ. Eine ausführliche Darstellung des Ceaușescu-Personenkults bietet Ursprung: Herrschaftslegitimation, S. 184–327. Einige Beispiele für die Auswüchse des Personenkults schildert auch Kunze: Nicolae Ceaușescu – »Er ist der Honig der Welt«. 1139  BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 2861, Bl. 14–18. 1140  MfS, 21.12.1988: Information [Nr. 555/88] über ein Gespräch Landesbischofs Leich/ Eisenach mit Bundeskanzler Kohl in Bonn/BRD; BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 3294, Bl. 7–10, Zitat 10. Auch ediert in: Joestel (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1988, o. S. (CD-ROMAnlage), im Internet abrufbar unter http://www.ddr-im-blick.de (Stand: 9.6.2016). 1141  Ein Exemplar des Heftes ist vorhanden in: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1024, Bl. 104 ff. Ferner im Internet abrufbar unter http://www.ddr-samisdat.de/samisdat/issue/show/392 (Stand: 15.4.2014). Es handelte sich um die erste und zugleich einzige Ausgabe von »Ostkreuz«. Die Auflage betrug über 800 Exemplare. Ein nächstes Heft war bereits gesetzt, ein weiteres konzeptionell fertig, jedoch verhinderte das MfS den Druck bzw. die Vervielfältigung. Siehe Kowalczuk: Von »aktuell« bis »Zwischenruf«, S. 67. Auf der Internetseite www.ddr-samisdat.de ist das nicht zum Druck gelangte »Ostkreuz«-Heft von August 1989 einsehbar. 1142  Richard Wagner: Unter Brüdern; vorhanden in: BStU, MfS, HA XX/9, Nr.  1024, Bl.  153–158, im Internet unter http://www.ddr-samisdat.de/samisdat/issue/show/392?p=50 (Stand: 15.4.2014).

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Abb. 31: Ein in Rumänien übliches Lobgedicht auf Ceaușescu. Diese Abschrift hing am 15.11.1988 nur kurz in der Ostberliner Charité. Die ideologischen Aufpasser hielten es für bösartige Satire.

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Abb. 32: DDR-Bürger demonstrierten im November und Dezember 1989 vor der rumänischen Botschaft in Ostberlin. Diese Aufnahme entstand wahrscheinlich um den 21.12.1989.

Städten und Gemeinden in der DDR stattgefunden hatten. Einleitend stellte sie fest, dass der Aufruf zu dem Rumänien-Solidaritätstag in der DDR auf große Resonanz gestoßen sei, während Aufrufe zu anderen Aktionen ungehört geblieben wären. Als eine Ursache für das große Interesse an Rumänien benannte sie den Umstand, »dass die Aufmerksamkeit für Rumänien und alle Solidaritätsbekundungen auch eine DDR-innenpolitische Komponente haben«. Birthler formulierte sodann selbst eine innenpolitische Forderung: Die DDR-Regierung solle Impulse aus den reformorientierten Ländern Sowjetunion, Polen und Ungarn aufgreifen, anstatt sich Rumänien anzunähern.1143 1143  Birthler: Der Aktionstag Rumänien; vorhanden in: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1024, Bl.  194–197, Zitat 195, im Internet unter http://www.ddr-samisdat.de/samisdat/issue/ show/392?p=92 (Stand: 15.4.2014). Von Oktober 2000 bis März 2011 war Marianne Birthler die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. In ihren Erinnerungen erzählt sie auch über den Aktionstag Rumänien. Sie legt darin den Schwerpunkt aber auf die Versuche des MfS, die Solidaritätsveranstaltung in der Ostberliner Gethsemanekirche zu verhindern, indem es – letztlich vergeblich – versuchte, »die wichtigsten Akteure der Veranstaltung«, die Oppositionellen Gerd und Ulrike Poppe, Reinhard Weißhuhn und Werner Fischer, an einer Teilnahme zu hindern. Birthler: Halbes Land. Ganzes Land, S. 115, 142–144.

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Die von Rex Joswig mitbegründete DDR-Rockband »Herbst in Peking« trug die Rumänien-Kritik in den Kreis ihrer jugendlichen Konzertbesucher: Die Band hatte ein Spottlied auf Nicolae Ceaușescu, seinen Größenwahn und seine Gleichgültigkeit gegenüber der hungernden Bevölkerung verfasst und sang es bei öffentlichen Auftritten in der ersten Jahreshälfte 1989.1144 Folgt man den MfS-Unterlagen, war die Resonanz auf dieses Lied mit dem Titel »Immortality« begrenzt, weil die Band es auf Englisch sang.1145 Trotzdem fühlte sich die Staatsmacht provoziert. Am 10. Juni 1989 trug die Band bei der »8. Brandenburger Rocknacht« neben dem Ceaușescu-Spottlied weitere kritische Texte und Ansagen vor, die sich auf Verhältnisse in der DDR bezogen; und sie rief zu einer Schweigeminute für die Opfer des Massakers auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« in Peking auf. Daraufhin wurde die Band wenige Tage später verboten.1146 Der Aufstand von Kronstadt hatte somit nicht nur eine Solidaritätsaktion zugunsten der Menschen in Rumänien ausgelöst, sondern er war zugleich ein Anlass, dass Menschen in der DDR gegen ihre eigene Regierung protestierten und auch für sich selbst demokratische Grundrechte einforderten. Wiederum ein Jahr später, am 15. November 1989, hatte in der DDR bereits der politische Umbruch eingesetzt und die Berliner Mauer war seit sechs Tagen geöffnet. Nun demonstrierten rund 200 bis 300 DDR-Bürger vor der rumänischen Botschaft in Ostberlin und führten Transparente mit, auf denen sie Ceaușescus Sturz forderten und ihn mit Hitler und Stalin gleichsetzten. Dieses Mal lösten die DDR-Sicherheitskräfte die Kundgebung nicht auf.1147 Während des Umbruchs in Rumänien im Dezember 1989 zogen erneut zahlreiche DDR-Bürger protestierend vor die rumänische Botschaft.

1144  Schaum der Tage. Eine vorlaute Rockband macht DDR-Behörden Schwierigkeiten. In: Der Spiegel 43 (1989) 26, 26.6.1989, S. 85. Diesem »Spiegel«-Artikel zufolge sang die Band das Lied im Februar 1989 auf dem FDJ-Festival des politischen Liedes vor rund 600 Zuhörern. In dem Artikel ist der englische Liedtext abgedruckt. Am 10.6.1989 sang die Band das Lied bei der 8. Rocknacht in Brandenburg (Havel). 1145  MfS, ZOS, 11.6.1989: Vorkommnis bei der Veranstaltung Rocknacht in Brandenburg; BStU, MfS, HA XX, Nr. 6074, Bl. 130. 1146  Schaum der Tage (wie Anm. 1144). Siehe auch den MfS-Untersuchungsvorgang zum Auftritt der Band in Brandenburg: BStU, MfS, BV Berlin, AU 4067/89. Zu »Herbst in Peking« außerdem Kowalczuk: Endspiel, S. 162 und 342. Am 4.6.1989 schlug die chinesische Führung die Demokratiebewegung im Land blutig nieder, etwa 3 000 Menschen wurden getötet. Die SED-Führung sympathisierte schon am Folgetag offen mit diesem Vorgehen der chinesischen Machthaber. Vgl. Kowalczuk: Endspiel, S. 339–345. 1147  Vermerk der Protokollabteilung des DDR-Außenministeriums vom 16.11.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 22820, Bl. 1–5.

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4.8.2 Verbot rumänischer Zeitschriften in der DDR Nicht nur das MfS bemühte sich darum, Rückwirkungen der rumänischen Krise auf die DDR möglichst einzudämmen. Auch das DDR-Außenministerium wurde in diesem Sinne aktiv. Es veranlasste 1986 und 1987, die Auslieferung der in Bukarest herausgegebenen Monatszeitschriften in deutscher Sprache »Rumänien heute« (Heft 5/1986, Hefte 4, 6, 7, 8/1987) und »Rumänische Rundschau« (Hefte 4, 6, 7/1987) in der DDR zu unterbinden. Die jeweiligen Ausgaben wurden stattdessen im Papierwerk Schwedt zu Altpapier verarbeitet. Das Außenministerium begründete diese Maßnahme mit einigen Artikeln, in denen ungarische Wissenschaftler und ihre Sicht auf die Geschichte Siebenbürgens in polemischer Weise angegriffen wurden.1148 Als die ungarische Seite dagegenhielt und die deutschsprachige »Budapester Rundschau« im April 1988 über die Bedrängnis der ungarischen Minderheit in Rumänien berichtete, veranlasste das DDR-Außenministerium auch ein Auslieferungsverbot dieser Heft­ ausgabe.1149 Auf diese Weise sollte die nationalistische Polemik zwischen den beiden Ländern, die auf dem Gebiet der Geschichtsschreibung schon seit mehreren Jahren offen praktiziert wurde, von der DDR ferngehalten werden. Doch mehr noch handelte es sich um einen Versuch, die enormen Spannungen zwischen den »Bruderländern« Ungarn und Rumänien in der DDR möglichst wenig spürbar werden zu lassen und somit die offenkundigen Krisensymptome unter den Teppich zu kehren.1150 Zugleich kam hier die Strategie zum Zuge, die die SED-Führung im Umgang mit Rumänien seit den 1960er-Jahren verfolgte: die Probleme mit der rumänischen Abweichung wurden nach außen hin möglichst tief gehängt und sollten nicht öffentlich verhandelt werden. Im Kontrast hierzu stehen die Auslieferungsverbote der deutschsprachigen Ausgabe der sowjetischen Wochenschrift »Neue Zeit« und schließlich das Verbot der deutschsprachigen Ausgabe der sowjetischen Monatszeitschrift »Sputnik« in der DDR im Jahre 1988. In diesen Fällen versuchte die DDR, die Ver1148  Informationsberichte der HA XIX über die Nichtauslieferung der Monatszeitschriften »Rumänien heute« und »Rumänische Rundschau« 1986/87 in: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 2265, Bl. 48–55; HA XIX, Nr. 4848, Bl. 52; HA XIX, Nr. 6935, Bl. 27, 32, 39, 44; ZAIG, Nr. 14066, Bl. 1, 3, 8 f. Von der deutschsprachigen Ausgabe von »Rumänien heute« wurden demnach in der DDR 2 600 Exemplare vertrieben, von der »Rumänische[n] Rundschau« 280 Exemplare. Vgl. auch Taschenlexikon Rumänien, S. 180, 183; demnach erschien »Rumänien heute« in sechs Sprachen mit einer Gesamtauflage von 20 000 Exemplaren und wurde von der Auslandsredaktion von Agerpres herausgegeben, die »Rumänische Rundschau« erschien in vier Sprachen mit insgesamt 6 000 Exemplaren und wurde vom »Rat für Kultur und sozialistische Erziehung« finanziert. 1149  MfS, HA XIX, 20.4.1988: Information über die Nichtauslieferung der Zeitschrift »Budapester Rundschau«, Nr. 16/88, vom 18.4.1988 durch die Deutsche Post; BStU, MfS, HA XIX, Nr. 2265, Bl. 58; ähnlich auch 59, demnach wurden 1 215 Exemplare eingezogen. 1150  Sitzler: Zur Ethnogenese im Karpatenbecken.

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breitung kritischer, aufklärender Artikel über die Stalin-Ära zu verhindern, die in der Sowjetunion im Zeichen von Glasnost und Perestroika nun erscheinen durften. Auch diese Verbote sollten die Systemkrise der sozialistischen Länder kaschieren. Doch sie waren zugleich Ausdruck eines grundlegenden politischen Konflikts zwischen der reformfeindlichen DDR-Führung und der sich reformierenden Sowjetunion.1151 Im Falle Rumäniens bedeutete das Zeitschriftenverbot hingegen keineswegs eine prinzipielle Distanzierung von der Politik Ceaușescus. 4.8.3 Das MfS bemüht sich, internationale kirchliche Proteste gegen das Ceaușescu-Regime zu unterbinden Es ist deshalb nicht überraschend, wenn das MfS mithalf, die Reputation Rumäniens im Ausland zu schützen. So rechnete es sich das MfS als sein Verdienst an, im Juli 1989 eine kritische Erklärung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) zur Situation in Rumänien verhindert zu haben. Auf einer Sitzung des Zentralausschusses des ÖRK in Moskau hatten sich damals insbesondere die evangelischen Mitgliedskirchen aus den USA, der Bundesrepublik und Ungarn für eine solche Erklärung ausgesprochen, in der Menschenrechtsverletzungen und die Pläne zur Dorfzerstörung zur Sprache gebracht werden sollten. Doch »durch den gezielten Einsatz operativer Kräfte des MfS«, so hieß es in einem Bericht, sei es gelungen, »einen Kontakt zwischen den Delegationen aus der DDR und Rumänien zu diesem Problem herzustellen und das Vorgehen gegen die genannte Erklärung zu koordinieren«.1152 Gewiss überschätzte das MfS hier seinen Einfluss. Denn es waren nicht nur Geheimdienste, die den Ökumenischen Rat der Kirchen hier zum Schweigen gebracht hatten. Vielmehr gab es selbst bei westlichen Mitgliedskirchen des ÖRK prinzipielle Bedenken, Kirchenverfolgungen und andere Menschenrechtsverletzungen in den sozialistischen Staaten offen zu kritisieren. Befürchtete man damals doch, allzu klare Worte könnten auf die Staatsführungen in Osteuropa provozierend wirken und die Lage der östlichen Mitgliedskirchen noch erschweren. Letztere vertraten ohnehin, nolens volens, eine zurückhaltende Linie. So hatten rumänische Kirchenvertreter im Vorfeld der Moskauer ÖRK-Tagung ausdrücklich darum gebeten, der ÖRK möge »behutsam vorgehen«, um nicht »den ›Raum‹ zu gefährden, der ihnen zur Verfügung steht«.1153 Schon ein Jahr zuvor, im August 1988, 1151  Vgl. hierzu Kowalczuk: Sputnik-Verbot. In: Veen (Hg.): Lexikon Opposition und Widerstand, S. 343 f. sowie Wilke: Das Sputnik-Verbot 1988 in der DDR. 1152  MfS, HA XX/4: Information zur Zentralausschusstagung des »Ökumenischen Rates der Kirchen« (ÖRK) vom 16.–26.7.1989 in Moskau/UdSSR; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 1398, Bl. 256 f. 1153  Grundsätzlich zu dieser Problematik siehe Joppien (Hg.): Der Ökumenische Rat der Kirchen in den Konflikten des Kalten Krieges; darin S. 21–161 der Beitrag von Held: Ökumene

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hatte der ÖRK-Zentralausschuss in Hannover über Menschenrechtsverletzungen und geplante Dorfzerstörungen in Rumänien gesprochen; einige Mitglieder verlangten bereits damals einen öffentlichen Protest. Daraufhin drohte der orthodoxe Erzbischof von Hermannstadt und Metropolit von Siebenbürgen, Antonie Plămădeală, die Sitzung zu verlassen, falls die Diskussion fortgeführt werde. Er erinnerte an den Grundsatz des ÖRK, nur dann zu Problemen in einem bestimmten Land Stellung zu nehmen, wenn die Kirchen des betreffenden Landes konsultiert worden seien.1154 Antonie Plămădeală, dessen Kirche bekanntermaßen dem C ­ eaușescu-Regime hörig war, setzte damit offenkundig die politischen Vorgaben aus Bukarest durch. Er war damit auch deshalb erfolgreich, weil es sich der ÖRK zum Grundsatz gemacht hatte, in solchen Fragen zurückhaltend zu agieren. Heinz Joachim Held, damals Vorsitzender des Zentralausschusses des ÖRK, rechtfertigt die damalige Leisetreterei in Moskau rückblickend folgendermaßen: Eine Rücksichtnahme auf kommunistische Interessen lag in keinem Fall vor, wohl aber ein vorrangiges Achten auf die Wahrung der Gemeinschaft mit den Mitgliedskirchen in Rumänien und insofern eine primär kirchliche Option im Gegensatz zu einer ›politischen‹ Marschlinie zugunsten eines offenen Protestes gegen die Verletzung der Menschenrechte. Freilich, es war keine Sternstunde des ÖRK.1155

im Kalten Krieg. Held stellt auf S. 82–94 die Rumäniendebatten des ÖRK in Hannover und Moskau 1988/89 dar und zitiert auf S. 87 die Bitte der rumänischen Kirchenvertreter um behutsames Vorgehen. 1154  Held: Ökumene im Kalten Krieg, S. 83–85. Siehe auch Stan; Turcescu: Religion and Politics in Post-Communist Romania, S. 46–49, 123. Stan und Turcescu erinnern daran, wie der kommunistische rumänische Staat die orthodoxe Kirche schon bald nach Kriegsende durch Drohungen und Vergünstigungen gefügig machte. Als Ceaușescu seinen außenpolitischen Autonomiekurs begann, musste die orthodoxe Kirche analog hierzu als Mittler zwischen Ost und West im ökumenischen Dialog auftreten. Erzbischof Antonie Plămădeală war nach Stan und Turcescu einer der berüchtigsten kirchlichen Kollaborateure des kommunistischen Regimes, der sogar die Zerstörung alter Kirchen in Bukarest rechtfertigte, die Ceaușescus größenwahnsinnigen Bauprojekten zum Opfer fielen. In den 1990er-Jahren sympathisierte Antonie mit der nationalistischen Partei »România Mare« (»Großrumänien«). 1155  Held: Ökumene im Kalten Krieg, S. 92. Vgl. aber auch Heidingsfeld: Genesis, Formulierung und Rezeption des Eintretens für Menschenrechte im Ökumenischen Rat der Kirchen, S. 242; Oberkirchenrat Heidingsfeld, ab 1986 Leiter der Berliner Stelle des Kirchenamtes der EKD und zuvor Osteuropareferent im Kirchlichen Außenamt der EKD in Hannover, merkt hier rückblickend kritisch an, dass der ÖRK sich zwar immer wieder öffentlich und deutlich zu Menschenrechtsverletzungen in Südafrika und Lateinamerika geäußert habe, aber keine vergleichbaren Stellungnahmen zu kommunistischen Ländern abgegeben habe. – Entschiedener waren Christen in der DDR: So schrieb beispielsweise die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde zu Liebfrauen in Halberstadt im Juni 1988 einen Brief an Nicolae Ceaușescu und forderte ihn darin auf, das Dorfzerstörungsprogramm zurückzunehmen. BStU, MfS, HA XX/ AKG, Nr. 746, Bl. 3–7.

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Auch wenn das MfS seinen Einfluss bei der Verhinderung der rumänienkritischen Resolution vermutlich überschätzte, so bleibt an dieser Stelle doch die Tatsache festzuhalten, dass sich das MfS in solchen kontroversen Situationen aktiv für das Regime in Rumänien einsetzte.

5. Im Visier des MfS: Rumänen in der DDR 5.1 Rumänische Einrichtungen in der DDR werden überwacht Wenn sich das MfS mit Rumänien befasste, so zählten dazu auch rumänische Staatsbürger und rumänische Einrichtungen in der DDR. In erster Linie sind hierbei die offiziellen rumänischen Niederlassungen in Ostberlin zu nennen, und zwar die Botschaft und das Konsulat in der Parkstraße 19–23, die Handelsvertretung in der Florastraße 95, die Niederlassung der Fluggesellschaft ­TAROM am Frankfurter Tor 5 und das rumänische Touristenamt in der Leninallee 96. In der Bezirksstadt Halle, die ein Zentrum der DDR-Chemieindustrie bildete, unterhielt die rumänische Vereinigung »Interchim« ein Büro. Zum Jahresbeginn 1986 waren in diesen Einrichtungen zusammengenommen 41 Personen beschäftigt, hinzu kamen 46 Familienangehörige, sodass den rumänischen Niederlassungen in der DDR insgesamt 87 Personen zugeordnet wurden. Neun von ihnen waren akkreditierte Diplomaten.1156 Im MfS war die Hauptabteilung II, zuständig für Spionageabwehr im weitesten Sinne, unter anderem dafür verantwortlich, ausländische – insbesondere westliche – Botschaften in der DDR mit geheimdienstlichen Mitteln zu bearbeiten. Innerhalb der Hauptabteilung II gab es die Abteilung 10, deren Arbeitsschwerpunkt indes die sozialistischen Länder bildeten. Einerseits koordinierte die Hauptabteilung II/10 Hilfeersuchen der verbündeten sozialistischen Geheimdienste und war für die Arbeit der Operativgruppe Moskau zuständig. Andererseits übernahm sie die Überwachung der Botschaften einiger als problematisch eingeschätzter sozialistischer Länder in Ostberlin, darunter die Vertretungen Chinas, Jugoslawiens, Albaniens und Rumäniens, hinzu kamen zu einem späteren Zeitpunkt diejenigen Polens und Ungarns.1157 Es ist deshalb naheliegend, dass die Hauptabteilung II/10 auch Belege dafür sammelte, auf wel1156  HA II/10, 23.1.1986: Information zur politisch-operativen Lage an der Auslandsvertretung der SRR in der DDR; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 284, Bl. 143–147, 150–153; zum Teil identisch in: BStU, MfS, HA II, Nr. 212, Bd. 2, Bl. 194–203 und HA II, Nr. 33256, Bl. 1–15. Vgl. auch die allgemein gehaltene »Konzeption für die Organisierung der politisch-operativen Abwehrarbeit in den Vertretungen der ausländischen Fluggesellschaften in der DDR« der HA XIX/II vom 20.5.1975, die die Ziele der geheimdienstlichen Überwachung ausländischer Fluggesellschaften und ihrer Repräsentanzen in der DDR benennt. BStU, MfS, HA XIX, Nr. 1924, Bl. 21–30. Eine namentliche Zusammenstellung der rumänischen Mitarbeiter in der Ostberliner TAROM-Vertretung aus dem Jahr 1983 in: BStU, MfS, HA XIX, Nr. 3300, Bl. 173, 182–189. 1157  Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 11, 54, 56.

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che Weise Botschaftsmitarbeiter an den Geheimdienst ihres jeweiligen Landes angebunden waren. Von den neun rumänischen Diplomaten in Ostberlin hatte das MfS Ende 1985 drei namentlich als Mitarbeiter der Securitate identifiziert, wobei in einem Fall noch ein Rest an Unsicherheit bestand.1158 In den bislang erschlossenen MfS-Unterlagen findet man aber keine Hinweise darauf, in welcher Weise die Securitate die diplomatische Vertretung in Ostberlin seit 1964 für geheimdienstliche Zwecke nutzte. Wahrscheinlich interessierte sich die Securitate weniger für die DDR als vielmehr für Westberlin und die dort lebenden rumänischen Emigranten sowie für die besonderen geheimdienstlichen Möglichkeiten, die die geteilte Stadt als Ost-West-Drehscheibe bot. Die bis jetzt bekannten Securitate-Akten sagen nichts darüber aus, inwiefern der rumänische Geheimdienst in der DDR aktiv wurde, um hier Informationen zu sammeln oder Menschen zu überwachen. In Westberlin unterhielt Rumänien seit 1974 ein Generalkonsulat, das sich in der Matterhornstraße 79 im Bezirk Zehlendorf befand und nach Erkenntnissen des MfS in enger Beziehung zur Botschaft in Ostberlin stand.1159 Der inoffizielle Mitarbeiter mit dem Decknamen »Linda« gehörte zu denjenigen, von dem sich das MfS Informationen über die rumänischen Interessen in beiden Teilen Berlins erhoffte. Hauptmann Hans-Werner Bromme von der Hauptabteilung II/10, der auch einige DDR-Studenten in Rumänien als IM führte, hatte ihn Mitte der 1980er-Jahre angeworben. »Linda« war Rumäne und hatte seine Staatsbürgerschaft behalten, lebte aber aus familiären Gründen dauerhaft in der DDR. Für das MfS war er interessant, weil er Kontakte zur rumänischen Botschaft hatte und er ungehindert nach Westberlin fahren durfte. Von ihm erfuhr das MfS viele Einzelheiten über verschiedene Botschaftsmitarbeiter. In Westberlin spionierte »Linda« im Auftrag des MfS rumänische Landsleute aus. Neben anderen Treffpunkten rumänischer Emigranten konzentrierte er sich in Westberlin 1984 und 1985 auf die Gaststätten »Siebenbürgen« in der Bundesallee 181 und »Privileg«, anschließend auf die Pizzeria »San Marino« in der Kantstraße 12. Nach seinen Beobachtungen verkehrten in der Gaststätte »Siebenbürgen« auch rumänische Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter. Da das MfS auch Telefongespräche der rumänischen Botschaft abhörte, konnte 1158  Information zur politisch-operativen Lage (wie Anm. 1156), Bl. 146 f. Ein weiterer rumänischer Botschaftsrat, den das MfS als Securitate-Angehörigen verdächtigte, wird in einem Schreiben der HA II/10 an die BVfS Halle vom 8.3.1989 erwähnt. BStU, MfS, BV Halle, VIII/905/66, Bd. I/1, Bl. 96 f. Angesichts der damals engen Durchdringung des rumänischen diplomatischen Dienstes mit Geheimdienstmitarbeitern überrascht diese geringe Zahl. 1159  Information zur politisch-operativen Lage (wie Anm. 1156), Bl. 146. Vgl. auch HA II/10, 23.1.1986: Namentliche Aufstellung bisher erkannter Mitarbeiter des Generalkonsulats der Sozialistischen Republik Rumänien in Westberlin; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 284, Bl. 152 f. Siehe auch Schröder: Die ausländischen Vertretungen in Berlin, S. 170. Seinen Antrittsbesuch beim Regierenden Bürgermeister von Berlin absolvierte der rumänische Generalkonsul Marin Ungureanu am 25.11.1974. Vgl. Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (07), Nr. 0175854 f.

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es die Berichte von »Linda« mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen vergleichen.1160 Die Gaststätte »Siebenbürgen« wurde darüber hinaus in den Jahren 1984 und 1985 auch in einem eigenständigen Vorgang vom MfS bearbeitet und weitere inoffizielle Mitarbeiter dort eingesetzt, so die IM »Florian«, »Mehmet« und »Pavel«.1161 Der Personenkreis, der von »Linda« bespitzelt wurde, hatte mit der alten Emigration um die »Rumänische Kolonie« nichts zu tun. Es handelte sich überwiegend um jüngere Menschen. Die bislang erschlossenen Unterlagen und Karteikarten des MfS zeigen, dass längst nicht zu jedem rumänischen Diplomaten oder sonstigen Mitarbeiter einer rumänischen Repräsentanz in der DDR eine eigene Akte existierte. Die allermeisten waren offensichtlich nur allgemein in sogenannten Sicherungsvorgängen erfasst.1162 Erst wenn das MfS aus bestimmten Gründen mehr über eine Person in Erfahrung bringen wollte, stellte es systematisch Informationen zusammen. Beispielsweise wurde das MfS Mitte der 1980er-Jahre auf ein rumänisches Ehepaar aufmerksam, das zum technischen Personal der Botschaft in Ostberlin gehörte. Das Ehepaar beschaffte gegen entsprechende Bezahlung Visa für Rumänen, die in den Westen flüchten wollten. Davon wird in Kapitel 5.3 noch die Rede sein. Welche Kontrollmaßnahmen das MfS im Einzelnen gegen das Mitarbeiterehepaar der rumänischen Botschaft einleitete, ist in den Akten jedoch nicht überliefert.1163 Dagegen ist in einem anderen Fall die Überwachungsakte des MfS erhalten geblieben, die letztlich darauf abzielte, einen Mitarbeiter der rumänischen Botschaft als IM anzuwerben. Im Juli 1986 eröffnete die MfS-Hauptabteilung II/10 eine »Operative Personenkontrolle« (OPK) unter dem Decknamen »Marder«. Erst im Herbst 1989 stellte das MfS die Überwachung wieder ein. Bei »Marder« handelte es sich um einen Mitarbeiter in einer der genannten rumänischen Re1160 BStU, MfS, AIM 7582/91, Bd.  I/1, Bl.  136–139, 141–144, 170–172, 187–190, Bd. II/1, Bl. 8–13, 27–35, 38 f., 70–85, 89–103 (Informationen zur Botschaft), Bd. I/1, Bl. 97– 99, 110–116, 119–122, 126 f., 141–144, 148, 157–161, 174 f., 196–203, Bd. II/1, Bl. 17, 36 f., 40–42, 86–88, 93, 96, 100 f., 120 f. (Informationen aus Westberlin), Bd. I/1, Bl. 223, Bd. II/1, Bl. 71 (Telefonüberwachung. Die an diesen Stellen erwähnte Abteilung 26 war für akustische, fotografische und andere Überwachungsmaßnahmen zuständig, wobei die an einer Stelle erwähnte »Maßnahme A« ein MfS-Ausdruck für Telefonüberwachung war.) 1161  BStU, MfS, AOPK 15468/85, insbes. Bl. 10 f., 163–166, 403 sowie BStU, MfS, AIM 11514/91, Bd.  I/1, Bl.  253–265, Bd.  I/2, Bl.  202–207, Bd.  II/2, Bl.  126; BStU, MfS, AIM 13457/86, Bd. I/1, Bl. 447–453. 1162  Sicherungsvorgänge der HA II, Reg.-Nr. XV/3990/80 und XV/5761/80. Übersicht über rumänisches Botschaftspersonal in: BStU, MfS, HA II, Nr. 22854, Bl. 178–181; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 1268, Bl. 325–396; BStU, MfS, BV Dresden, Abt. II, Nr. 10033; BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II, Nr. 827. 1163 BStU, MfS, ZKG-Dok: Sichtlochkartei SLK/602/87 der HA VII/3, angelegt zu dem Fluchthelfer H.; zu diesem vgl. auch BStU, MfS, AOP 7250/87 und BStU, MfS, Abt. X, Nr. 545, Bl. 126–217.

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präsentanzen in Ostberlin. Er fiel dem MfS auf, weil er sowohl in der DDR als auch in Westberlin zahlreiche Kontakte zu interessanten Personen unterhielt. Im Rahmen der »Operativen Personenkontrolle« wollte das MfS herausfinden, ob die Vermutungen zutrafen, wonach »Marder« Angehöriger der Securitate sei und zugleich Kontakte zu CIA-Mitarbeitern in der Ostberliner US-Botschaft unterhalte. Zu diesem Zweck setzte das MfS einige inoffizielle Mitarbeiter auf ihn an, überwachte sein Telefon, protokollierte seine Reisen nach Westberlin und folgte ihm auch dorthin, registrierte fast rund um die Uhr seine Tätigkeiten, erfasste, mit welchen Personen er Kontakte hatte und fotografierte jeden, der seine Wohnung betrat. Wie in vielen anderen Fällen kam auch hier eine Fülle scheinbar belangloser Details zusammen, die das MfS unter geheimdienstlichen Aspekten auswertete und auszunutzen versuchte. »Marder« nutzte seine Reisemöglichkeiten nach Westberlin, um dort Unterhaltungselektronik einzukaufen, die es in den sozialistischen Ländern nicht gab, und um sie entweder in größerem Umfang nach Rumänien zu schaffen oder um sie an DDR-Bürger zu verkaufen, die üblicherweise nicht in den Westen reisen durften. Das war nichts Ungewöhnliches. Allerdings verstieß »Marder« gegen die Zoll- und Devisenbestimmungen der DDR, wenn er in Westberlin einkaufte und mit diesen Waren in der DDR Handel trieb. Nun hatte das MfS außerdem erfahren, dass »Marder« unbedingt in der DDR bleiben wollte. Ein inoffizieller Mitarbeiter berichtete über ihn: »Er möchte diesen Einsatz [als Mitarbeiter in der DDR] so lange wie möglich ausdehnen. Als Motiv gibt er an, dass man in Rumänien ... nicht leben kann. Die Lebensbedingungen sind derart schlecht, man bekommt nichts zu kaufen und kann kein normales Leben führen.« Auch diese Meinung war nichts Außergewöhnliches. Ein anderer inoffizieller Mitarbeiter hatte im Sommer 1988 im Gespräch mit »Marder« erfahren, dass in der rumänischen Botschaft in Ostberlin »einer gegen den anderen arbeitet, und jeder versucht, sich ins rechte Licht zu rücken, damit der Einsatz in der DDR möglichst lange dauert. Die Devise ist in etwa so, dass bei Verfehlungen diese Personen sofort gemeldet werden. ›Lieber zwei bis drei Mann ans Messer liefern, um damit seinen Einsatz zu verlängern, als selbst in die SRR abberufen zu werden.‹«1164 Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Meldungen bis ins letzte Detail zutreffend waren. Für das MfS ergab sich aber eine eindeutige und gewiss auch 1164  BStU, MfS, AOPK 13205/91, Bl. 3–15, 135–146, 180–223, 269–274, 288 f., 300– 309, 347–358. Angeführte Zitate 183, 306. Den Vorgang »Marder« führte Hauptmann S­ tenzel, der schwerpunktmäßig in Richtung Rumänien arbeitete. Vgl. Anm. 680. Zur Beliebtheit der DDR bei rumänischen Diplomaten trugen auch die Reisemöglichkeiten nach Westberlin bei, wie das MfS in einer entsprechenden Information vom 1.4.1985 festhielt. BStU, MfS, ZAIG Nr. 14027, Bl. 92. Bei den IM, die auf »Marder« angesetzt waren, handelte es sich um DDR-Bürger. Zu den vermuteten CIA-Kontakten siehe die Notiz in: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 891, Bl. 234. Ein Überwachungsauftrag der HA II/10 an die HA VIII/6 zu »Marder« vom 24.3.1987 in: BStU, MfS, HA VIII, Nr. 1202, Bl. 221–228.

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zutreffende Schlussfolgerung: »Marder« und einige seiner Kollegen waren potenziell erpressbar. Sie hatten sich einerseits in der DDR strafbar gemacht, wollten andererseits aber unbedingt im Land bleiben. Als die Hauptabteilung II/10 am 1. Dezember 1988 ihren Jahresarbeitsplan für 1989 vorlegte, hieß es darin über die OPK »Marder«: »Zu dem in der OPK bearbeiteten rumänischen Staatsbürger liegen Hinweise über kriminelle Handlungen (Schmuggel) vor. Außerdem besteht der Verdacht, dass die bearbeitete Person dem Sicherheitsorgan der SRR angehört.« Die Hauptabteilung II/10 setzte sich deshalb für 1989 folgende Ziele: Sie wollte konkret beweisen, dass »Marder« in Schmuggel-Geschäfte verwickelt war und dass er der Securitate angehörte, und sie wollte diese Beweise als »belastendes und kompromittierendes Material« verwenden, um mit »Marder« persönlich Kontakt aufzunehmen und ihn auf dieser Grundlage als inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben.1165 Letztlich erreichte das MfS keines seiner Ziele, weil die friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989 die Pläne des MfS hinfällig machte.1166 Der Vorgang »Marder« war nicht der einzige Versuch des MfS, Mitarbeiter rumänischer Auslandsvertretungen in der DDR für eine geheimdienstliche Zusammenarbeit anzuwerben. Allerdings gibt es noch keine Übersicht darüber, in welchem Umfang und wie systematisch das MfS in dieser Hinsicht arbeitete. Bemerkenswert ist aber, dass es solche Versuche schon in den 1950er-Jahren gegeben hatte. 1954 nahmen Mitarbeiter der MfS-Hauptabteilung II Kontakt zu einer Mitarbeiterin der rumänischen Botschaft auf, um sie als »Geheime Informatorin« anzuwerben. Bei ihr handelte es sich um eine Rumäniendeutsche, die seit 1949 dauerhaft in Ostberlin lebte. Das MfS erhoffte sich von ihr vor allem Informationen über die deutschen Angestellten innerhalb der Botschaft und interessierte sich insbesondere dafür, wer von ihnen Beziehungen nach Westberlin unterhielt. Insofern zielte diese Maßnahme zunächst einmal nicht gegen die Interessen der rumänischen Botschaft. Ohnehin scheiterte dieser Plan, weil die betreffende Mitarbeiterin sich weigerte, mit dem MfS zusammenzuarbeiten. Um dem Druck des MfS zu entgehen, kündigte sie schließlich sogar ihre Arbeitsstelle in der Botschaft, sodass das MfS kein Interesse mehr an ihr hatte.1167 Obwohl eigentlich die MfS-Hauptabteilung II die rumänische Botschaft überwachen sollte, waren auch andere MfS-Diensteinheiten mit ihren inoffiziellen Mitarbeitern dort aktiv. Zu einem der Diplomaten, der an die Securitate 1165  MfS, HA II/10, 1.12.1988: Jahresarbeitsplan 1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 20862, Bl. 83, sowie HA II/10, 14.2.1989: Ergänzung zum Maßnahmeplan zur weiteren Bearbeitung der OPK »Marder«; BStU, MfS, AOPK 13205/91, Bl. 326. Vgl. auch HA II/10, 8.8.1989: Vorschlag zur weiteren Bearbeitung der OPK »Marder« unter Einbeziehung des IMS »Andreas Münch«; BStU, MfS, AIM 13264/91, Bd. II/1, Bl. 101–104. 1166  BStU, MfS, AOPK 13205/91, Bl. 326–332, 373–379. 1167  BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 5, Bl. 2, 12 f., 18 f., 22, 27 f. Vgl. auch BStU, MfS, AS, Nr. 76/56, D 16, Bl. 1–3.

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angebunden war, unterhielt in den 1980er-Jahren beispielsweise die Abteilung III der HV A enge Verbindungen und schöpfte ihn als Informationsquelle ab. Er diente insofern der HV A als Kontaktperson.1168 Eine besonders ergiebige Quelle der Hauptabteilung XX war der Diplomphilosoph und Chefredakteur der »Urania«, Horst Reinhardt. Reinhardt hatte bereits von 1954 bis 1959 während seiner Zeit als Universitätsassistent und Dozent inoffiziell mit der MfS-Kreisdienststelle in Jena zusammengearbeitet und wurde gegen politisch Andersdenkende eingesetzt. Als er 1959 nach Ostberlin wechselte, beendete das MfS die Zusammenarbeit. 1967 nahm die MfS-Hauptabteilung XX/2 Kontakt zu ihm auf und warb ihn erneut als IM an. In den folgenden 22 Jahren entwickelte sich Reinhardt als IM »Renn« aus politischer Überzeugung zu einem eifrigen und zuverlässigen IM, der fast jede Woche Berichte für seine Führungsoffiziere anfertigte. Seine Berichte füllten im Laufe der Jahre 20 Aktenbände. Zwischen 1968 und 1983 pflegte er intensive Beziehungen zu Diplomaten der rumänischen Botschaft in Ostberlin. Von seinem Führungsoffizier Harry Käpernick erhielt er in diesem Zeitraum häufig genaue Vorgaben. So hatte er ausdrücklich den Auftrag, auf ein vertrauensvolles und persönliches Verhältnis zu seinem jeweiligen Gesprächspartner hinzuarbeiten, und oft bekam er bestimmte Fragen vorgelegt, die er mit den rumänischen Diplomaten erörtern sollte. Reinhardt stand auch mit den Botschaften Polens und der Tschechoslowakei in Beziehung, und seit 1984 bildete nicht mehr Rumänien den Schwerpunkt seiner Berichterstattung, sondern Polen.1169 Reinhardt versorgte das MfS mit einer Vielzahl an Informationen über innen- und außenpolitische Entwicklungen Rumäniens, die ihm seine Gesprächspartner in vertraulichen Hintergrundgesprächen mitteilten. Dabei handelte es sich nicht um Staatsgeheimnisse, aber doch um etliche Details, die es dem MfS ermöglichten, bestimmte Entwicklungen in Rumänien genauer einzuschätzen. Viele seiner Informationen fasste die Hauptabteilung XX zu ein- bis zweiseitigen Meldungen zusammen und übersandte sie der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG); dort liefen innerhalb des MfS alle relevanten Informationen zusammen.1170 Reinhardt verschaffte dem MfS auch einen Überblick über das Botschaftspersonal, wusste gelegentlich über dessen antisowjetische Einstellung zu 1168  Information zur politisch-operativen Lage (wie Anm. 1156), Bl. 147. HV A, Abt. III, 4.2.1986: Information zur rumänischen AV [Auslandsvertretung] in Berlin; BStU, MfS, AIM 7582/91, Bd. I/1, Bl. 221 f. 1169  BStU, MfS, AIM 15396/89, Bd. I/1, Bl. 11–22, Bd. II/1, Bl. 212–214. 1170  Ebenda, insbes. Bd. II/1, Bl. 274–281, 288 f., Bd. II/7, Bl. 59–66, Bd. II/8, Bl. 100, Bd. II/10, Bl. 73 f., 140–145, 217–221, 235–237, Bd. II/11, Bl. 141 f., 226 f., 255, Bd. II/12, Bl. 179–181, 303–305, Bd. II/13, Bl. 11 f., Bd. II/14, Bl. 197–200, 276–282, 302, Bd. II/17, Bl. 53 f., Bd. II/18, Bl. 179–182. Zusammenfassende Meldungen von Berichten des IM »Renn« u. a. in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 34–37, 120–124, 204, 222–224. Zur ZAIG siehe S. 437.

Händler und Reisende oder Schmuggler und Spione?

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berichten und gab auch andere Einblicke in manche Interna der rumänischen Botschaft. So hatte er Ende März 1983 von einem dort tätigen Diplomaten gehört, dass die rumänische Botschaft »immer stärker von den für ihre Tätigkeit notwendigen Informationen abgeschnitten sei. Vor allem würden Hintergrundinformationen aus dem eigenen Außenministerium und der Führung der RKP fehlen.« Weiter hieß es in dieser Meldung: Praktisch in allen Fragen, z. B. Mittelamerika- und Nahost-Krise, RGW-Gipfel und Konferenz der ideologischen Sekretäre in Moskau, sei die rumänische Botschaft in der DDR auf ›spekulative Meinungsbilder‹ angewiesen, wie sie sich aus der Auswertung offizieller Medien (einschließlich Westpresse) ergeben würden. ›Beunruhigend‹ sei, dass die Botschaftsangehörigen nicht exakt wüssten, was in der politischen Führung Rumäniens vor sich gehe... Zusätzlich irritiert würden die rumänischen Botschaftsangehörigen durch die angeblich spürbare Zurückhaltung sie interessierender Informationen seitens Außenministerium und Außenhandels-Institutionen der DDR und faktisch aller Diplomaten der sozialistischen Länder in der DDR. Die Diplomaten der UdSSR-Botschaft in der DDR würden sich in ›Sachfragen‹ völlig verschlossen zeigen.

Der hier zitierte Diplomat bat Reinhardt schließlich noch, ihm Informationen über die angesprochenen Themen zukommen zu lassen. Insbesondere interessierten ihn jedoch »alle Informationen, die das Verhältnis der DDR und der anderen RGW-Länder zu Rumänien berühren«.1171

5.2 Händler und Reisende oder Schmuggler und Spione? Die offiziellen rumänischen Niederlassungen in der DDR und ihre Mitarbeiter standen in besonderer Weise im Blickfeld des MfS. Auch den anderen Rumänen, die in der DDR lebten, galt prinzipiell eine gewisse Aufmerksamkeit. Denn sie kamen aus einem »operativ interessierenden« Staat, wie das MfS sich ausdrückte. Das galt ebenso für Jugoslawen, Chinesen und Vietnamesen sowie für Ausländer aus westlichen, arabischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern, aber nicht für Bürger anderer Ostblockstaaten. Andererseits handelte es sich bei den Rumänen in der DDR um eine kleine, überschaubare Gruppe. 1986 zählte das DDR-Innenministerium insgesamt 111 354 ausländische Staatsbürger, die sich »ständig oder längerfristig« in der DDR aufhielten. 1171  HA XX, Information 196/83, 2.4.1983: Äußerungen eines Mitarbeiters der rumänischen Botschaft in der DDR; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7120, Bl. 50–52. Vgl. auch die handschriftliche Vorlage dieser Meldung in: BStU, MfS, AIM 15396/89, Bd.  II/14, Bl.  190–192. Über antirussische und antisowjetische Auffassungen in der rumänischen Botschaft siehe u. a. den Bericht von »Renn« vom 4.3.1977; BStU, MfS, HA XX, Nr. 6248, Bl. 313 f.

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Im Visier des MfS: Rumänien in der DDR

Darunter befanden sich nur 682 Rumänen. Im Februar 1989 lebten, einer Übersicht des ZK der SED zufolge, 925 rumänische Staatsbürger längerfristig oder dauerhaft in der DDR. Eine 1991 erstellte Statistik gibt die Gesamtzahl ausländischer Staatsbürger in der DDR zum 31. Dezember 1989 mit 191 190 an, wovon 1 162 Rumänen waren. Das ist vergleichsweise wenig, denn Ende 1989 lebten auch rund 52 000 Polen, 15 000 Sowjetbürger, 13 000 Ungarn, 5 000 Bulgaren und 3 200 Tschechoslowaken in der DDR. Für ihre Kontrolle war das MfS jedoch nicht alleine zuständig. Beispielsweise hatte der polnische Staatssicherheitsdienst bereits 1978 in Ostberlin, Leipzig, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) und Dresden seine Verbindungsoffiziere stationiert. Sie hatten dort ausschließlich die Aufgabe, die polnischen Vertragsarbeiter zu überwachen. Die Staatssicherheitsdienste anderer Länder waren nicht derart massiv präsent. So war für die Kontrolle der ungarischen Arbeitskräfte in der DDR das MfS zuständig, kooperierte hierbei allerdings mit der ungarischen Staatssicherheit, insbesondere mit deren kleiner Operativgruppe in Ostberlin. Die rumänischen Staatsangehörigen fielen dagegen von ihrer Zahl her kaum ins Gewicht und lebten im Gegensatz zu den Vertragsarbeitern auch nicht in größeren Gruppen zusammen. Die meisten von ihnen waren mit DDR-Bürgerinnen oder -Bürgern verheiratet und aus diesem Grund in die DDR gezogen. Die übrigen rumänischen Staatsangehörigen hielten sich zum Arbeiten in der DDR auf, wobei sie vor allem in der Gastronomie oder als Musiker und Künstler tätig waren.1172 In einer »Information zum Aufenthalt rumänischer Bürger in der DDR« stellte die Hauptabteilung II im November 1988 zusammenfassend fest: »Während die Integration des überwiegenden Teils der hier lebenden Rumänen problemlos verläuft, wurden jedoch eine Reihe rumänischer Staatsangehöriger wegen Verstößen gegen die Zoll- und Devisenbestimmungen der DDR auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.« Dagegen registrierte das MfS keine politischen Aktivitäten rumänischer Staatsbürger in der DDR.1173

1172  HA II, AG Ausländer, 29.8.1986: Information zur Entwicklung des ständigen und längerfristigen Aufenthaltes von Ausländern in der DDR (außer BRD-Bürger und Westberliner); BStU, MfS, HA II, Nr. 22858, Bl. 77–79. HA II: Information zum Aufenthalt rumänischer Bürger in der DDR sowie in Westberlin und der BRD, undatiert [ca. 1986]; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 284, Bl. 148. Übersicht über Ausländer ab dem vollendeten 18. Lebensjahr mit ständigem Wohnsitz (Aufenthaltserlaubnis) und längerbefristetem Aufenthalt (Aufenthaltsgenehmigung) in der DDR, Stand: 22.2.1989; BArch, DY 30/IV 2/2.039 (Büro Krenz)/193. Statistisches Bundesamt (Hg.): Statistisches Jahrbuch 1991, S. 72. Zu den polnischen Offizieren in den vier genannten Städten vgl. die MfS-Dissertation von Niebling (wie Anm. 457), S. 368, sowie die knappe Erwähnung in: Borodziej; Kochanowski: Der DDR-Staatssicherheitsdienst, S. 16. Zu Ungarn siehe Rother: Strickmaschinen und Vertragsarbeiter. 1173  HA II, 10.11.1988: Information zum Aufenthalt rumänischer Bürger in der DDR; BStU, MfS, HA II, Nr. 33256, Bl.  16  f. Dies. mit Datum vom 23.5.1985, 17.5.1987 und 4.11.1988, in: BStU, MfS, HA II, Nr. 29509, Bl. 115–118.

Händler und Reisende oder Schmuggler und Spione?

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Manche Rumänen, die dauerhaft in der DDR lebten, durften ungehindert zwischen Ost- und Westberlin hin- und herreisen und machten von dieser Möglichkeit auch gerne Gebrauch. Wer die innerstädtische Grenze häufiger passierte, machte sich in den Augen des MfS allerdings verdächtig, entweder Schmuggler oder Spion zu sein. So überwachte das MfS zwischen 1986 und 1989 zwei rumänische Musiker, die im Norden der DDR lebten, in den Operativen Personenkontrollen »Note« und »Musiker«. Beide fuhren häufig nach Westberlin, doch in beiden Fällen ließen sich weder Schmuggel noch Spionage feststellen.1174 Wenn rumänische Staatsbürger dem MfS in den 1980er-Jahren in der DDR Probleme bereiteten, so ging es dabei gleichwohl vor allem um verbotene Geschäfte zwischen West- und Ostberlin. Der Vorgang »Marder« bildete insofern keine Ausnahme. Zeitgleich zu diesem Vorgang führte die Hauptabteilung II/10 in den Jahren 1986 und 1987 beispielsweise auch eine Operative Personenkontrolle gegen einen anderen Mitarbeiter einer offiziellen rumänischen Niederlassung in Ostberlin durch. Diese OPK lief unter dem bezeichnenden Decknamen »Händler«. Schon die Namensgebung deutete darauf hin, dass sich das MfS hier nicht für mögliche geheimdienstliche Aktivitäten des Betreffenden interessierte, sondern für die Geschäfte, die er unter dem Schutz seiner offiziellen Funktion tätigte. Das MfS beobachtete, wie er in größerem Umfang Elektrogeräte in Westberlin besorgte und in seine Ostberliner Wohnung schaffte. Da er die Geräte aber in der DDR nicht weiterverkaufte, machte er sich nach DDR-Gesetz nicht strafbar. Nach eineinhalb Jahren stellte das MfS den Vorgang deshalb wieder ein. Der zuständige MfS-Offizier vermerkte hierzu: Es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden ..., dass diese Waren für den Weitertransport nach Rumänien bestimmt sind. Zumal aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Situation in der SRR diese Waren sich spekulativ weiterverkaufen lassen und die dabei erzielten Gewinne zur finanziellen Sanierung der Familien der Botschaftsangehörigen in der SRR genutzt werden.1175

1174  BStU, MfS, BV Schwerin, AKG, ZMA 5070 (»Note«), Bl.  10–32 und ZMA 5194 (»Musiker«), Bl. 9–33. Das MfS rechnete »Note« dem Kreis der Rumänen zu, die sich in der Westberliner Gaststätte »Siebenbürgen« trafen. Im Fall »Note« wandte sich das MfS mit sogenannten Überprüfungsersuchen an die Geheimdienste der Sowjetunion, Ungarns und Bulgariens, um mehr über den rumänischen Staatsbürger zu erfahren. Bei der Securitate fragte das MfS, wie üblich, nicht nach. BStU, MfS, HA II, Nr. 32359, Bl. 100. 1175  BStU, MfS, AOPK 9498/87, Bl. 2 f., 6–8, 113–119. Auch die Halbjahresbilanz der HA II/10 vom 30.6.1988 erwähnt im Hinblick auf die rumänische Botschaft als einziges Pro­blem die »spekulativen Aktivitäten rumänischer Diplomaten«, während die Sicherheitsinteressen der DDR nicht tangiert wurden. BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 59. Ähnliche Vorgänge, die jedoch rumänische Staatsbürger außerhalb der offiziellen Niederlassungen betrafen, waren die OPK »Tarom«, die zwischen 1982 und 1985 lief. BStU, MfS, AOPK 10513/85 sowie die OPK »Kettchen« in den Jahren 1984 und 1985; BStU, MfS, AOPK 9628/85.

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Im Visier des MfS: Rumänien in der DDR

Nicht nur das MfS sah in dem unerlaubten Handel im geteilten Berlin ein permanentes Problem, sondern auch die »offizielle« DDR. Das DDR-Außenministerium bemühte sich 1987/88 in Gesprächen mit der rumänischen Botschaft in Ostberlin, Reisen rumänischer Staatsbürger nach Westberlin einzuschränken. Ähnliche Probleme gab es Mitte der 1980er-Jahre auch im Bezirk Leipzig. Die Flugzeugbesatzungen der rumänischen Fluggesellschaft TAROM nutzten ihre kurzen Aufenthalte am Flughafen Leipzig-Schkeuditz, um mit Taxis in die umliegenden Gemeinden zu fahren und dort in großem Stil alltägliche Dinge einzukaufen, an denen in Rumänien Mangel herrschte: Lebensmittel, Kaffee und andere Genussmittel, Seife, Zahnpasta. Dabei verstießen sie gleich doppelt gegen die Zollgesetze der DDR, indem sie die zulässigen Höchstgrenzen überschritten und sie Dinge ausführten, für die Ausfuhrverbote galten. Im Sommer 1985 hatten die Hamsterkäufe der TAROM-Mitarbeiter nach Informationen des Leipziger Zollamts angeblich dazu geführt, dass es in einigen Ortschaften rund um den Flughafen Leipzig-Schkeuditz keinen Kaffee mehr zu kaufen gab. Das übergeordnete Zollamt in Ostberlin lud deshalb den Leiter der ­TAROM-Vertretung in der DDR, Romulus Crăciun, am 1. August 1985 zu einer Aussprache ein und bat ihn dringend, gegen diese Praxis vorzugehen. 1986 stellte das MfS mit Genugtuung fest, dass die rumänische Botschaft stärker als bisher versuchte, Gesetzesverstöße durch rumänische Staatsbürger einschließlich ihrer Diplomaten zu verhindern.1176 Im April 1986 trafen sich die Leiter der Zollverwaltungen der DDR und Rumäniens in Ostberlin; es war nach acht Jahren die erste derartige Begegnung. Die DDR-Seite trug ihre Beschwerden vor: Rumänische Staatsbürger brachten aus ihrer Heimat alle möglichen Waren illegal in die DDR, verkauften sie dort und besorgten sich im Gegenzug in der DDR Dinge wie Schuhe und Kindertextilien, die auch in der DDR knapp waren und teilweise hoch subventioniert wurden, und die nicht ausgeführt werden durften. Ertappten sie dabei die DDR-Behörden, wurden sie nach Rumänien zurückgeschickt und durften für zwei bis drei Jahre nicht mehr in die DDR einreisen. Für die Zollverwaltung der DDR war es eine gute Nachricht, die die Kollegen aus Bukarest überbrachten: dass rumänische Staatsbürger seit Anfang 1986 nicht mehr als Individualtouristen ins Ausland fahren durften, sondern touristische Reisen nur noch in Reisegruppen zugelassen wurden. Denn das erleichterte die Überwachung.1177 1176  Vermerk über ein Gespräch in der HA Konsularische Angelegenheiten am 15.3.1988; BStU, MfS, HA II, Nr. 181, Bl. 111 f., 173 f. Information der Zollamts-Bezirksverwaltung Leipzig vom 15.7.1985 sowie Gesprächsvermerk des Zollamts [Ost-]Berlin I vom August 1985; BStU, MfS, HA XIX, Nr. 3300, Bl. 174–177. Information und Vermerk der HA II/10: Information zur politisch-operativen Lage (wie Anm. 1156), Bl. 144; Information zum Aufenthalt rumänischer Bürger in der DDR (wie Anm. 1172), Bl. 148. 1177  Information zum Besuch einer Delegation des Generaldirektors für Zoll der Sozialistischen Republik Rumänien bei der Zollverwaltung der DDR; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247,

Fluchtversuche von Rumänien über die DDR in den Westen

467

Die beiden Zollverwaltungen reagierten mit ihren Vereinbarungen auf die bis dahin ständig steigende Anzahl rumänischer Staatsbürger, die als Touristen in die DDR kamen. Waren 1975 erst 36 500 Reisende aus Rumänien gekommen, so belief sich ihre Zahl 1980 auf rund 53 500 und stieg bis 1984 auf 104 200 an. In umgekehrter Richtung gab es, wie schon gezeigt, einen gegenteiligen Trend: Immer weniger DDR-Bürger reisten nach Rumänien.1178

5.3 Fluchtversuche von Rumänien über die DDR in den Westen Wie das MfS feststellen konnte, versuchten rumänische Touristen immer wieder, über die DDR in den Westen zu gelangen. Eine häufig praktizierte Methode bestand darin, an den Grenzübergängen nach Westberlin oder an den Ostsee-Häfen Warnemünde und Sassnitz den rumänischen Reisepass vorzulegen und darauf zu hoffen, unbehelligt nach Westberlin oder Skandinavien durchgelassen zu werden, obwohl in dem Pass keine Ausreisegenehmigung nach westlichen Staaten eingetragen war. Folgt man den bislang erschlossenen MfS-Akten, so wiesen die DDR-Grenzkontrolleure die Betreffenden in solchen Fällen zurück, ohne weitere Maßnahmen gegen sie einzuleiten.1179 Doch wenn ein Rumäne seinen Pass verfälschte oder eigenhändig ein Visum für ein westliches Land in seinen Pass eintrug, galt das als Fluchtversuch, und das MfS verhaftete ihn und übergab ihn den rumänischen Behörden. Äußerst selten kam es vor, dass rumänische Staatsbürger versuchten, zu Fuß über die innerdeutsche Grenze in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Eine Fluchtmethode, die von Rumänen häufiger angewandt wurde, bestand darin, sich in Arad, Kurtitsch (Curtici) oder Großwardein (Oradea) in Güterzüge einschließen zu lasBl. 31 f. Beispiele für Einreisesperren gegen Rumänen in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 3–6. Siehe auch die Beobachtungsprotokolle der Hauptverwaltung der DDR-Zollverwaltung, Abteilung Transitüberwachung, Dienststelle Beobachtung, vom 12.12.1983, 23.1., 16.8.1984. Diese dokumentieren, wie Rumänen in Ostberlin in der Nähe des Alexanderplatzes sowie am Centrum-Warenhaus am Ostbahnhof Glaswaren zu verkaufen versuchten. BStU, MfS, HA VIII, Nr. 2798, Bl. 199 f., 279 f., 353 f. 1178 Positionspapier Tourismus DDR-SRR (wie Anm. 857), Bl.  61. Demnach kamen 1980–1984 jährlich rund 10  000 Rumänen im Rahmen organisierter Touristenreisen in die DDR, die übrigen unabhängig von staatlichen Reisebüros. 1179  Siehe hierzu auch die Erinnerungen von Gerhard Dabi, der im rumänischen Hermannstadt lebte und 1978 über die DDR in den Westen flüchten wollte. Er legte seinen rumänischen Pass an den Grenzübergangsstellen Berlin-Friedrichstraße und Rostock-Warnemünde vor, wo ihn die DDR-Grenzer zurückwiesen, ohne ihn weiter zu verfolgen: Dabi, Gerhard: Mit dem Kopf durch die Wand. In: Steiner; Magheţi: Die Gräber schweigen, Bd. 2, S. 218–238, hier 224–227. Dieselbe Erfahrung schildert der Rumäniendeutsche Hans Füger aus Frauendorf (Axente Sever) mit den Grenzübergangsstellen Berlin-Friedrichstraße (1983) und Hirschberg (1987). Ebenda, S. 256, 264 f.

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Im Visier des MfS: Rumänien in der DDR

sen, die Exportgüter für das westliche Ausland transportierten. Sofern die Züge von Rumänien über die DDR in die Bundesrepublik fahren sollten, gelangten die Rumänen zumeist unentdeckt bis in die DDR. Erst an der Grenze zur Bundesrepublik fielen sie den DDR-Kontrolleuren auf. Ein Grund hierfür lag darin, dass die DDR-Kontrolleure an der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und der DDR keine Spürhunde einsetzten; diese kamen erst an der innerdeutschen Grenze zum Einsatz. Die festgenommenen Rumänen blieben in der Regel ungefähr einen Monat in der DDR inhaftiert, bevor sie aufgrund des bestehenden Rechtshilfeabkommens den rumänischen Behörden übergeben wurden. Einige überstellte die DDR schon nach zwei Wochen, andere erst nach zwei Monaten.1180 Das MfS konnte in dieser Zeit einen Untersuchungsvorgang gegen die Betreffenden einleiten, der nach ihrer Abschiebung wieder eingestellt wurde.1181 Die Flüchtlinge wurden in Flugzeugen des MfS nach Rumänien ausgeflogen, doch zu direkten Kontakten zwischen den Geheimdiensten beider Länder kam es hierbei nicht. Sofern das MfS eine Untersuchungsakte über die rumänischen Flüchtlinge anlegte, leitete es diese der DDR-Generalstaatsanwaltschaft zu, welche die Akte dann der rumänischen Generalstaatsanwaltschaft übergab.1182 In einem Fall wandte sich die Securitate 1977 mit der Bitte an die DDR-Behörden, eine namentlich benannte, fünfköpfige Gruppe Rumänen aus dem Kreis Hermannstadt, die unterwegs in die DDR sei, an einer Weiterreise in den Westen zu hindern.1183 Insgesamt blieb die Zahl der Rumänen, die einen Fluchtversuch über die DDR in den Westen versuchten, sehr gering, wie die folgende Tabelle zeigt.

1180  HA VI/OLZ [Operatives Leitzentrum]: Auszug aus dem Lagebericht vom 18.4.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 33. Zu den einzelnen Fluchtversuchen vgl. auch BStU, MfS, HA IX, 12186/MF (wie Anm. 1184). 1181  Exemplarisch hierfür BStU, MfS, BV Schwerin, AU 428/87. 1182 Vgl. hierzu HA IX/9, 5.4.1978: Vorschlag [zur Rückführung eines rumänischen Flüchtlings, der am 10.3.1978 in einem Güterzug an der innerdeutschen Grenze verhaftet wurde]; BStU, MfS, Abt. X, AP 15432/83, Bl. 28–30. 1183  Telegramm aus Bukarest von Oberst Constantin Dobre, 7.6.1977. Das Telegramm ging beim MfS ein und richtete sich an die »zuständigen Organe des MdI der DDR«, jedoch leitete das MfS entsprechende Fahndungsmaßnahmen ein und setzte das MdI darüber nur in Kenntnis. BStU, MfS, Abt. X, AP 15432/83, Bl. 8–13. Die avisierten Rumänen reisten tatsächlich nie in die DDR ein. Zum Telegramm-Austausch zwischen Securitate und MfS siehe auch Anm. 542.

Fluchtversuche von Rumänien über die DDR in den Westen

469

Tab. 6: Anzahl der rumänischen Staatsbürger, die von den DDR-Sicherheitskräften bei dem Versuch festgenommen wurden, illegal in den Westen zu gelangen und nach Rumänien zurückgeführt wurden.1184 Jahr

Anzahl der Festgenommenen

1971

2

1972

3

1973

3

1974

3

1975

4

1978

5

1979

13

1980

5

1981

3

1984

0

1985

2

1986

0

1987

7

1988

4

Summe

54

Diese Tabelle bildet die Fluchtbewegungen allerdings nur teilweise ab. Beispielsweise meldete die MfS-Hauptabteilung IX/10 in ihrem Jahresbericht für 1986, es seien in dem Berichtsjahr keine rumänischen Staatsbürger wegen Fluchtversuchen inhaftiert und an die rumänischen Behörden überstellt worden. Andererseits erfasste das MfS an anderer Stelle allein zwischen August und Dezember 1184  Die Zahlen sind den Jahresberichte der HA IX/10 für die Jahre 1984–1988 entnommen: BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 68; HA IX, Nr. 17599, Bl. 22, 153, 230; außerdem: BStU, MfS, HA IX, MF/12645, verfilmtes Dokument 1818, S. 4; HA IX, MF/12186 (unpaginiert). Bei letzterem Dokument handelt es sich um eine namentliche Zusammenstellung rumänischer (und anderer) Staatsbürger, die zwischen 1972 und 1981 wegen »ungesetzlichen Grenzübertritts« an der Westgrenze der DDR festgenommen und zunächst von der HA IX übernommen wurden, wobei die Umstände der Festnahme jeweils kurz beschrieben werden. Ob die Vorgänge für 1976 und 1977 fehlten, oder ob in diesen Jahren keine Rumänen festgenommen wurden, ist nicht feststellbar. Nähere Angaben zu einzelnen Fluchtversuchen in: BStU, MfS, HA II, Nr. 29509, Bl. 111; HA VI, Nr. 1247, Bl. 11; HA IX, Nr. 9279, Bl. 2–10; HA  IX, Nr. 14091, Bl.  27; HA XVIII, Nr. 1683, Bl.  1–16; BStU, MfS, BV Schwerin, AU 428/87; BStU, MfS, AU 5743/80; BStU, MfS, BV Schwerin, KD Schwerin, Nr. 5326, Bl. 2; BStU, MfS, AOP 2398/80, Bl. 116, ferner die Hinweise in Anm. 1179.

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Im Visier des MfS: Rumänien in der DDR

1986 namentlich 17 rumänische Staatsbürger, die mit ihrem Pass aus der DDR nach Westberlin oder Skandinavien ausreisen wollten, ohne eine entsprechende Ausreisegenehmigung zu besitzen und deshalb zurückgewiesen wurden.1185 Offensichtlich galt ihr Verhalten aber nicht als Republikflucht und wurde deshalb vom MfS nicht in den Jahresstatistiken erfasst. Wie groß der Auswanderungsdruck aus Rumänien über die DDR in den Westen tatsächlich war, ist deshalb noch nicht in Zahlen fassbar. Eher zufällig wurde das MfS Mitte der 1980er-Jahre auf eine andere Fluchtmöglichkeit aufmerksam. Das MfS ermittelte damals gegen mehrere Rumäniendeutsche, die in Südwestdeutschland lebten und DDR-Bürgern über die Tschechoslowakei zur Flucht in den Westen verhalfen. Im Zuge dieser Ermittlungen entdeckte das MfS noch einen weiteren Fluchtweg: Mindestens 18 rumänische Staatsbürger, die als Touristen in die DDR gekommen waren, beschafften sich Anfang der 1980er-Jahre in Ostberlin Visa nach Schweden und gelangten auf diese Weise problemlos in den Westen. Sie hatten sich zu diesem Zweck an einen ebenfalls in Südwestdeutschland ansässigen Fluchthelfer gewandt. Dieser hatte ihre Pässe einem rumänischen Ehepaar übergeben, das zum technischen Personal der rumänischen Botschaft in Ostberlin gehörte. Das Ehepaar trug dann gegen entsprechende Bezahlung – das MfS ging von 6 000 DM aus – innerhalb kürzester Zeit das gewünschte Visum ein. Welche Maßnahmen das MfS daraufhin einleitete, ist in den Akten nicht überliefert. Die DDR fungierte zeitweilig auch als Transitland. So reisten in der ersten Jahreshälfte 1985 etliche Rumänen mit Fremdenpässen durch die DDR nach Westberlin oder über die Hafenstadt Sassnitz auf Rügen nach Schweden, um Asyl zu beantragen. Der rumänische Staat hatte den Ausreisewilligen zuvor die Staatsbürgerschaft entzogen und sie des Landes verwiesen, ohne dass sie bereits ein Aufnahmeland gefunden hatten. Das MfS beschränkte sich damals darauf, die Reisenden zu beobachten, während das DDR-Außenministerium auf diplomatischer Ebene mit Rumänien über dieses Vorgehen verhandelte. Denn auch die DDR geriet durch diese Situation unter Druck.1186

1185  HA IX/10, 5.1.1987: Jahresbericht 1986; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17599, Bl. 153; sowie Anlage zu einer Meldung der HA IX: Personen, die nicht im Besitz der Ausreisegenehmigung der SRR nach nichtsozialistischen Staaten bzw. Berlin (West) waren, Stand: 13.1.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 537, Bl. 36. 1186  Materialsammlung der HA VI: Überwachung Reisetätigkeit ehem. rumänischer Bürger mit Fremdenpässen, 3.6.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15729, Bl. 60–72. Das MfS zählte demnach allein vom 26.5. bis 5.6.1985 151 staatenlose Rumänen, die am DDR-Flughafen Berlin-Schönefeld eintrafen, und von denen 131 über Sassnitz nach Schweden ausreisten, sowie 20 nach Westberlin.

Rumäniendeutsche wollen in die DDR übersiedeln

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5.4 Rumäniendeutsche wollen in die DDR übersiedeln Die schlechten Lebensbedingungen in Rumänien veranlassten seit Mitte der 1980er-Jahre einige Rumäniendeutsche dazu, Anträge auf Übersiedlung in die DDR zu stellen und dies gegenüber den DDR-Behörden mit ihrer ethnischen Identität zu begründen. Die Konsularabteilung der DDR-Botschaft in Bukarest meldete im Januar 1986 dem Außenministerium in Ostberlin: Während in der Vergangenheit Anträge auf Übersiedlung in die DDR nur im Rahmen der Familienzusammenführung nach erfolgter Eheschließung gestellt wurden, nimmt seit Ende vorigen Jahres die Zahl schriftlicher und mündlicher Anfragen rumänischer Staatsbürger deutscher Nationalität nach Möglichkeiten einer Übersiedlung in die DDR zu.1187

Für die DDR-Botschaft in Bukarest war dies ein Phänomen, mit dem man seit Langem nicht mehr konfrontiert worden war, und mit dem man nicht umzugehen wusste. Denn bislang wanderten die Rumäniendeutschen vor allem in die Bundesrepublik aus. Sie erbat sich deshalb aus Ostberlin möglichst umgehend Informationen darüber, wie mit derartigen Anfragen und Anträgen umzugehen sei. In absoluten Zahlen handelte es sich allerdings um eine fast zu vernachlässigende Größenordnung. Ende 1985 hatten vier rumäniendeutsche Familien mit insgesamt 16 Personen bei der DDR-Botschaft in Bukarest ihre Übersiedlung in die DDR beantragt, außerdem hatten sechs weitere rumäniendeutsche Familien sich nach dieser Möglichkeit erkundigt.1188 Das DDR-Außenministerium reagierte ablehnend auf diese Ersuchen. Als sich die Leiter der Konsular­ abteilungen beider Außenministerien im März 1986 in Bukarest zu einer Besprechung trafen, informierte die DDR-Seite ihre rumänischen Kollegen über diese neue Entwicklung und teilte mit, »dass unsere Botschaft zunächst keine weiteren Anträge entgegennehmen werde, wenn nicht Eltern, Kinder oder Geschwister in der DDR wohnhaft sind«.1189 Diese Position war auch mit dem MfS abgestimmt, das vom DDR-Außenministerium um eine Meinungsäußerung gebeten worden war. Im MfS argwöhnte man, die Rumäniendeutschen wollten die DDR nur als Sprungbrett in den Westen benutzen. Da die meisten bereits Verwandte in der Bundesrepublik hätten, könnten sie in der DDR umgehend unter dem Vorwand der Familienzusammenführung ihre Übersiedlung in den Wes1187  Botschaft Bukarest, Konsularabteilung, 31.1.1986: Anträge und Anfragen auf Übersiedlung in die DDR; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 51. 1188  Ebenda, Bl. 51–58. Teilweise identisch in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 930, Bl. 215–223, 241–246 sowie in: BStU, MfS, Rechtsstelle, Nr. 235, Bl. 1–16. 1189  Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, HA Konsularische Angelegenheiten, 20.3.1986: Bericht über die Konsultationen zwischen der Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten des MfAA der DDR und der Konsularabteilung des MfAA der SRR vom 17.3. bis 19.3.1986 in Bukarest; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 47.

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Im Visier des MfS: Rumänien in der DDR

ten beantragen. Das MfS riet deshalb dazu, denjenigen Rumäniendeutschen, die bereits Westverwandtschaft hatten, die Übersiedlung in die DDR zu versagen.1190 Auf diese Weise verhinderte das MfS schon vorbeugend neue Ärgernisse, die ihm entstanden wären, wenn die Rumäniendeutschen die DDR tatsächlich nur als Transitland hätten benutzen wollen – wie es vor dem Mauerbau in Berlin 1961 durchaus vorgekommen war.1191 Diese Entwicklung verdeutlicht zugleich, wie auch die DDR mit den zunehmenden inneren Schwierigkeiten Rumäniens konfrontiert wurde. Darüber hinaus stand hier eine grundsätzliche Frage zur Entscheidung an, und diese wurde vom MfS, wie auch von anderen DDR-Institutionen, von vornherein eindeutig beantwortet: Die DDR wollte mit dem Auswanderungsdruck der Rumäniendeutschen nichts zu tun haben. Für die DDR-Behörden lag es zudem außerhalb ihres Vorstellungshorizonts, dass Rumäniendeutsche tatsächlich Interesse daran haben könnten, dauerhaft in der DDR zu leben. Das DDR-Außenministerium informierte das MfS auch über andere Schwierigkeiten mit Rumänien. Mitte der 1970er-Jahre fiel beispielsweise die rumänische Botschaft in Ostberlin bei der Presseabteilung des DDR-Außenministeriums wiederholt negativ auf. Denn die Botschaft ließ damals eine Vielzahl an Informationsmaterialien registrieren, die sie insbesondere zur Verteilung an DDR-Journalisten vorgesehen hatte. Die Presseabteilung merkte hierzu kritisch an, dass in diesen Materialien »mehr und mehr der rumänische Sonderstandpunkt zu verschiedenen internationalen Problemen dargelegt« werde. Doch man habe die meisten Materialien »im Interesse der Zusammenarbeit der Bruderländer« trotz erheblicher Bedenken zugelassen. Lediglich wenige Schriften seien nicht für die Verteilung in der DDR zugelassen worden; hierbei habe es sich »um geschichtliche Darstellungen [gehandelt], die sich gegen einige Nachbarländer richten«.1192

1190  Stellvertreter des Ministers [Neiber], 21.3.1986: Meinungsäußerung zur Übersiedlung von Bürgern der SSR[!] deutscher Nationalität; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 930, Bl. 225 f. Weitere MfS-Stellungnahmen hierzu in: ebenda, Bl. 224, 227–229. 1191  Gheorghiu: Die Rumäniendeutschen, S. 150. 1192 Presseabteilung [des MfAA], 15.7.1976: Information über den Vertrieb von Informationsmaterialien durch Botschaften nichtsozialistischer Länder, Rumäniens, Jugoslawiens und Chinas in der DDR. Berichtszeitraum: 1. Halbjahr 1976; BStU, MfS, HA IX, Nr. 10020, Bl. 276–279, Zitate 278. Die rumänische Botschaft hatte im Berichtszeitraum 40 Informationsmaterialien zur Registrierung vorgelegt, mehr als alle anderen Botschaften der vorab bezeichneten Ländergruppe zusammen. Bei drei Schriftstücken der rumänischen Botschaft untersagte das DDR-Außenministerium die Verteilung.

Rauschgiftschmuggel

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5.5 Rauschgiftschmuggel Immer wieder stellte das MfS Rauschgifttransporte fest, insbesondere am DDR-Flughafen Berlin-Schönefeld sowie an den innerstädtischen Grenzübergängen zwischen Ost- und Westberlin. Ein Transportweg führte über Bukarest mit der rumänischen Fluglinie TAROM nach Ostberlin und von dort weiter nach Westen. Welche Bedeutung diese Route für den internationalen Drogenhandel besaß, erschließt sich aus den MfS-Unterlagen allerdings nicht, ebensowenig, inwieweit die DDR in dieser Angelegenheit ein Problem sah, das mit Rumänien verhandelt werden müsste.1193

1193  HA VI: Dokumentation [Rauschgifttransport mit dem Luftfahrzeug der TAROM Linie RO 227 aus Bukarest, 7.11.1978]; BStU, MfS, HA VI, Nr. 642, Bl. 7–12. Der rumänische Innenminister Cornel Onescu hatte seinen DDR-Amtskollegen Friedrich Dickel bereits am 8.10.1970 telegrafisch informiert, auf welche Weise Rauschgiftschmuggler Rumänien als Transitland aus dem arabischen Raum in Richtung Westeuropa nutzten und sich erkundigt, ob es in der DDR ähnliche Fälle gebe. Dickel veranlasste offenkundig die Weiterleitung dieser Information an das MfS. BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2307, Bl. 70–73. In welchem Umfang die Sicherheitsbehörden beider Länder sich über diese Thematik austauschten, müsste noch erforscht werden.

6. Nur eine Randerscheinung für das MfS? Emigranten und Ausgewanderte aus Rumänien in den 1970er- und 1980er-Jahren und die »Westarbeit« der Securitate Alle sozialistischen Geheimdienste Europas verfolgten Regimegegner und Emigranten, die im westlichen Europa lebten. In diesem Buch wurde gezeigt, wie Securitate und MfS hierbei in den 1950er-Jahren zusammenarbeiteten. Infolge der damaligen Kooperation bieten die MfS-Akten für diese Zeit teilweisen Einblick in die entsprechenden Aktivitäten der Securitate. Mit Beginn des rumänischen Sonderwegs in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre endet diese Aktenüberlieferung. Fortan finden sich in den MfS-Unterlagen keine Belege mehr für abgestimmte Aktionen beider Geheimdienste im Westen. Ebenso wenig gibt es sie in den bislang eingesehenen Securitate-Dokumenten. Es kam zwar selbst noch in den 1980er-Jahren vor, dass beide Geheimdienste zur gleichen Zeit die gleichen Menschen überwachten oder verfolgten, die aus Rumänien stammten und nun im Westen lebten, doch in keinem dieser Fälle gibt es Hinweise, dass sich die beiden Geheimdienste hierüber informiert oder gar abgesprochen hätten. Hiervon wird in diesem Kapitel die Rede sein. Die MfS-Akten enthalten ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre auch keinerlei Insiderinformationen mehr über Securitate-Aktivitäten im Westen. Man könnte das damit erklären, dass Aktionen der Securitate im Westen die Sicherheitsinteressen der DDR nicht unmittelbar berührten und das MfS daher keine Veranlassung sah, die Securitate zu observieren. Als Erich Mielke beispielsweise 1983 seinen Apparat anwies, systematisch Informationen über Rumänien zu sammeln, gab er seiner Order auch einen Fragenkatalog bei. So sollte das MfS unter anderem herausfinden, wie westliche Geheimdienste die Lage in Rumänien einschätzten und in welcher Weise sie planten, die dortigen Verhältnisse zu beeinflussen. Einige HVA-Quellen innerhalb des Bundesnachrichtendienstes lieferten dann auch solche Daten. Dagegen lässt der damalige Fragenkatalog kein Interesse seitens des MfS an Securitate-Aktionen in Westeuropa erkennen.1194 Bei allen Aussagen und Schlussfolgerungen über dieses Themengebiet ist jedoch zu bedenken, dass die Akten der HV A weitgehend beseitigt, und die 1194 MfS, ZAIG, Leiter: Schreiben an die Leiter der MfS-Diensteinheiten (wie Anm. 1057); HV A, Abt. VII: Leiterinformation über die gegenwärtige Lage und Politik Rumäniens (wie Anm. 1102).

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Emigranten aus Rumänien und die »Westarbeit« der Securitate

Akten der Securitate-Auslandsspionage noch nicht erschöpfend ausgewertet worden sind. Realiter mag es in einzelnen Fällen Absprachen im Bereich der »Westarbeit« gegeben haben. Doch irgendwelche Unterlagen, die etwas Derartiges dokumentierten, sind bislang nicht bekannt geworden. Im Falle anderer Staatssicherheitsdienste belegen die Akten hingegen sehr wohl, wie man gemeinsam auch noch in den 1980er-Jahren Menschen im Westen ins Visier nahm. So übermittelte das MfS den bulgarischen Kollegen im Laufe des Jahres 1985 in großem Umfang Personendaten und andere Erkenntnisse über bulgarische Emigranten in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern. Dieser Datentransfer und Informationsaustausch lief unter der Deckbezeichnung »Aktion ›Balkan‹«.1195 Dabei handelte es sich zwar nicht um die direkte Fortführung der »Balkan«-Akte aus den 1950er-Jahren, doch die »Aktion ›Balkan‹« steht für eine Kontinuität der Geheimdienstbeziehungen zwischen Ostberlin und Sofia, wie es sie mit Bukarest eben nicht gab.

6.1 Über Jahrzehnte im Blick der Geheimdienste: der Emigrant Vasile C. Dumitrescu Von den zahlreichen rumänischen Emigranten, die in den 1950er-Jahren in den Unterlagen des MfS vorkommen, gab es offenbar nur einen einzigen, der auch noch 30 Jahre später den DDR-Geheimdienst beschäftigte. Das war Vasile C. Dumitrescu, der 1944 mit den deutschen Truppen Rumänien verlassen hatte. Im Zweiten Weltkrieg gehörte er dem Nachrichtendienst der rumänischen Armee an, der ihn unter anderem im rumänisch okkupierten Odessa sowie als Verbindungsoffizier zur Wehrmacht einsetzte. Dumitrescu hatte in den 1930er-Jahren in Bukarest ein Jurastudium absolviert. Im Gegensatz zu vielen Studenten seiner Generation hielt er sich aus Überzeugung von den faschistischen Legionären fern. In der rumänischen Nachkriegsemigration in der Bundesrepublik war das nicht zwangsläufig ein Vorteil. Anfangs engagierte er sich an herausgehobener Stelle in mehreren Emigrantenverbänden. Vergeblich versuchte er, die zerstrittenen Emigrantengruppen zum gemeinsamen Kampf gegen das kommunistische Regime zusammenzuführen. Dabei gewann er den Eindruck, die Verbände pflegten nur Geselligkeit und verfolgten ihre je eigennützigen Ziele. Deshalb wandte er sich 1954 von der organisierten Emigration ab und betätigte 1195  Informationsbedarf und Maßnahmeplan zur »Aktion ›Balkan«« der HA II und der Abteilung XXII des MfS vom 6. und 7.6.1985; BStU, MfS, HA II, Nr. 32403, Bl. 150–165, ähnlich in: BStU, MfS ZAIG, Nr. 26231, Bl. 94–105, darin jeweils namentliche Zusammenstellungen exilbulgarischer Aktivisten in Westeuropa einschließlich ihrer Adressen sowie eine Auflistung exilbulgarischer Institutionen und Treffpunkte. Siehe hierzu auch Nehring: Die Zusammenarbeit der bulgarischen Staatssicherheit mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR, S. 8.

Der Emigrant Vasile C. Dumitrescu

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sich ab 1955 für zwei bis drei Jahre als Redner in der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«. Schließlich fand er im Bereich der politischen Bildungsarbeit sein Tätigkeitsfeld. Er war politischer Ausbilder bei der Bundeswehr und Referent in den »Europa-Häusern«, die als Bildungseinrichtungen die Idee der europäischen Einigung vorantrieben.1196 Leiter des ersten Europa-Hauses, das noch heute in Marienberg existiert, war in den 1950er-Jahren und bis 1967 Adolf Kanter, den die HV A schon damals als IM »Fichtel« führte. Ob Kanter über Dumitrescu und andere rumänische Emigranten an die HV A berichtete, ist aufgrund der spärlichen Aktenüberlieferung nicht bekannt. Aus den bruchstückhaft überlieferten Unterlagen geht allerdings hervor, dass in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren Berichte über ungarische Emigrantentreffen in dem Europa-Haus an die HV A gelangten.1197 Insofern ist Vergleichbares auch für die rumänische Emigration denkbar. In den Informationen über die rumänische Emigration, die die Securitate etwa im Frühjahr 1956 dem MfS zuleitete, hieß es über Dumitrescu mit durchaus zutreffender Tendenz: »Dumitrescu Wasile[!] ist einer der aktivsten Mitglieder der ›Zentrale‹1198, beschäftigt sich mit Publizistik, liest Lektionen feindlichen Charakters, die gegen unsere Ordnung gerichtet sind und verlangt offen die Vereinigung aller rumänischen Flüchtlinge, die für die verschiedenen Geheimdienste tätig sind, damit ihre Tätigkeit wirksamer wird.«1199 Inwieweit ­Dumitrescu damals mit US-amerikanischen oder bundesdeutschen Geheimdiensten zusammenarbeitete, wie es in den Securitate- und MfS-Berichten hieß, lässt sich nicht klären. Es wäre für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich gewesen. Andererseits gehörte es zu den ständigen Argumentationsmustern der 1196  Zu Dumitrescus Biografie siehe Sussmann: Langfristige Wirkungen außerschulischer politischer Bildungsarbeit, darin S.  258–262 Selbstauskünfte Dumitrescus in einem Interview mit Sussmann. Ferner Dumitrescu: Curentul – eine rumänische Zeitung in Deutschland, S. 167; Bărbulescu: Geborgenheit in der Fremde, S. 31 f., 109; Frunză: Vasile C. Dumitrescu sau exilul ca profesie, S. X–XIV, XVII; Popescu: Cu Vasile C. Dumitrescu, despre ţară și exil. Siehe auch Dumitrescus Wortmeldungen zu zeitpolitischen Fragen in der Zeitschrift »Politische Studien«; darin von ihm zur Rolle der osteuropäischen Emigranten und ihrer Bedrohung seitens der sozialistischen Länder den Aufsatz »Schicksal und Aufgabe der osteuropäischen Emigration«. 1197  Herbstritt: Die »Balkan«-Akte des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 341. ­K anter brachte es zum dienstältesten West-IM der HV A. Er fungierte seit 1948 als Informant für die ostdeutschen Kommunisten sowie seit den 1950er-Jahren für die HV  A und beendete seine Agententätigkeit erst 1989/90. Eine biografische Skizze über Kanter erarbeitet derzeit Harald Breitbach. 1198  Gemeint ist die am 8.7.1954 gegründete »Koordinationszentrale der Rumänen« in München, ein Dachverband verschiedener Emigrantengruppen aus Rumänien. 1199  MfS, HA II/5, 15.12.1956: Abschrift: Die Koordinationszentrale der Rumänen in München; BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 155–158, hier 157; ähnlich in: ebenda, Bl. 123 f. und in: TV 1, Bd. 4, Bl. 43 f., 51 f. Zu den Informationen der Securitate an das MfS über die rumänische Emigration vgl. auch Anm. 85.

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Emigranten aus Rumänien und die »Westarbeit« der Securitate

östlichen Geheimdienste, jede Form von Opposition und Widerstand als geheimdienstgesteuert zu charakterisieren und ihren authentischen Charakter zu negieren. Nachdem sich Dumitrescu aus den Emigrantenverbänden zurückgezogen hatte und sich als Publizist und Referent profilierte, erfasste ihn die HV A zwischen 1963 und 1989/90 in dem Objektvorgang »Globus«. In dieser Akte registrierte die HV A noch 14 weitere in der Bundesrepublik, Österreich, der Schweiz und Großbritannien ansässige Menschen als Beobachtungsziele, die politisch engagiert und publizistisch aktiv waren, unter ihnen Sebastian Haffner und Richard Löwenthal.1200 1978 initiierte Dumitrescu in München die Wiedergründung einer der wichtigsten rumänischen Tageszeitungen der Zwischenkriegszeit, des »Curentul«. Diese 1928 gegründete Zeitung verortete sich politisch zunächst in der Richtung der Nationalen Bauernpartei mit ihren bürgerlich-nationalen Positionen, ergriff seit 1940 allerdings Partei für die totalitäre, antidemokratische und antisemitische Politik des Militärdiktators Ion Antonescu. Der neue »Curentul«, den Dumitrescu als verantwortlicher Redakteur, Verleger und Alleingesellschafter bis 1992 herausgab, sollte an die Anfangszeit des »Curentul« anknüpfen. Er erschien zwar nur zweimonatlich und in einer Auflage von 500 Exemplaren. Dennoch handelte es sich um einen beachteten Versuch, bürgerliche Traditionen der rumänischen Zwischenkriegszeit wieder aufzunehmen und am Leben zu erhalten. Doch als Vertreter des »alten Exils« fand Dumitrescu in den 1980er-Jahren nur noch begrenzt Zugang zur jüngeren Emigrantengeneration.1201 Securitate und MfS nahmen das Wiedererscheinen des »Curentul« wahr, doch sie tauschten sich darüber nicht aus. Zumindest gibt es in den Akten keinen Hinweis darauf. Erkennbar ist hingegen, wie unterschiedlich beide Staats1200  BStU, MfS, Bestand »Rosenholz« sowie BStU, MfS, HV  A/MD/6, SIRA-TDB 21, jeweils Reg.-Nr. XV/1261/63; 1988/89 zu einem »Sicherungsvorgang« umgewidmet. Der Vorgang wurde von der HVA-Abt. VII/F (ab 1966: Abt. X) geführt, die für westliche Journalisten und Desinformation zuständig war. Der eigentliche Aktenvorgang ist nicht überliefert, er fiel 1990 wahrscheinlich der generellen HVA-Aktenvernichtung zum Opfer. Daher lässt sich nicht mehr feststellen, welche Informationen die HV A über die Betroffenen hier zusammentrug. 1201  Die erste Ausgabe des neuen »Curentul« erschien am 11.1.1978, die letzte Ausgabe im Spätherbst 1992. Dumitrescu gelang es nicht, den »Curentul« wieder in Rumänien zu etablieren, er verstarb am 12.12.1992 im 76. Lebensjahr. Die seit 1997 in Bukarest erscheinende Zeitung gleichen Namens ist eine Neugründung, die lediglich dem Namen nach an den alten »Curentul« anknüpft. Vgl. hierzu Chirovici, Eugen: Palatul lui Pamfil Șeicaru »curentează«. [Der Palast Pamfil Șeicarus »elektrisiert«]. In: Cotidianul v. 30.9., 2.10.1997, jeweils S. 3. Bărbulescu: Geborgenheit in der Fremde, S. 31 f., 80 f., 108 f. Zum Selbstverständnis des »Curentul« siehe Dumitrescu: Curentul – eine rumänische Zeitung in Deutschland, S. 175–178. Demnach wollte der »Curentrul« einen kritischen, sachlichen, anspruchsvollen und freien Journalismus in rumänischer Sprache pflegen und zielte auch auf Leserschaft unter den kommunistischen Funktionären Rumäniens.

Der Emigrant Vasile C. Dumitrescu

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sicherheitsdienste dieses Ereignis gewichteten. Während das MfS es nur oberflächlich registrierte, sah sich die Securitate zum Handeln veranlasst. Die Securitate entwickelte umgehend den Plan, den »Curentul« zu unterwandern und ihn dazu zu benutzen, in ihrem Sinne auf das westeuropäische rumänische Exil einzuwirken. Die Voraussetzungen dafür schienen günstig. Denn mit dem Journalisten Pamfil Șeicaru führte sie seit den frühen 1970er-Jahren unter dem Decknamen »Vlad« eine prominente Figur des rumänischen Exils als ihren Einflussagenten. Șeicaru hatte den »Curentul« 1928 begründet und war bis 1944 dessen Eigentümer und Herausgeber. 1944 floh er ins spanische Exil. Im Juni 1945 wurde er wegen seiner publizistischen Unterstützung des Antonescu-Regimes in Abwesenheit zum Tode verurteilt, jedoch 1966 von Ceaușescu durch ein geheim gehaltenes Dekret begnadigt. Im August 1976 ermöglichte ihm die Securitate heimlich eine Heimweh-Reise nach Rumänien. Mitte der 1970er-Jahre verzog er nach Dachau bei München, wo er im Oktober 1980 starb. Er beteiligte sich an der Wiedergründung des »Curentul« und übertrug seine Eigentums- und Herausgeberrechte 1978 an Vasile Dumitrescu.1202 Șeicarus Artikel im wiedergegründeten »Curentul« erfüllten die Erwartungen der Securitate aber nur selten, und auf Vasile Dumitrescu vermochte Șeicaru keinen Einfluss zu nehmen. Dumitrescu brachte in der Zeitung seine bürgerlich-konservative Grundüberzeugung sowie seine nüchterne Kritik an der kommunistischen Herrschaft zur Geltung. Die Securitate versuchte daraufhin in den 1980er-Jahren, Dumitrescus Tätigkeit zu behindern. Einer seiner Freunde und Weggefährten im Exil, Victor Frunză, erinnert sich an gezielt gestreute Ge-

1202  Zu Șeicarus Biografie und Securitate-Anbindung siehe Zamfirescu: Cârtiţele Securităţii, S. 93–243, mit zahlreichen Auszügen aus Șeicarus Securitate-Akte, die auch Berichte über Dumitrescu enthalten. Zur totalitären und antidemokratischen Ausrichtung des »Curentul« seit 1940 sowie Șeicarus Verurteilung als Kriegsverbrecher am 4.6.1945 siehe International Commission on the Holocaust in Romania: Final Report, S. 92–99, 318 f. Siehe auch ­Ioniţă, Sorin Gabriel: Publicaţiile »Curentul«, »Carpaţii« și »Stindardul« în arhivele Securităţii, Teil I, S. 70–74. Dumitrescu erfuhr Ioniţă zufolge unmittelbar nach Șeicarus Abflug nach Bukarest im August 1976 von dessen Reise. Er wusste daher, dass Șeicaru sich mit dem kommunistischen Regime eingelassen hatte. Die Reise gefährdete zugleich Dumitrescus Reputation in der Bundesrepublik, was für die Securitate eine erwünschte Nebenfolge gewesen wäre. Für Șeicaru bildeten die antisowjetische Grundhaltung und die rumänische Autonomiepolitik unter ­C eaușescu eine Verständigungsbasis mit dem Bukarester Regime. Șeicaru brachte in den 1970er-Jahren seine Sympathie für die rumänische Autonomiepolitik und ihren Nationalismus auch in deutschsprachigen Essays zum Ausdruck. Siehe hierzu Șeicaru: Die Donau – Fluß der fünf Meere; ferner den Einführungstext Șeicarus zu Karl Marx: Aufzeichnungen über die Rumänen, S. 9–17. In der Bukarester Zeitschrift »Neue Literatur« 29 (1978) 4, S. 119, erschien eine wohlwollende Rezension dieser deutschen Ausgabe der »Aufzeichnungen über die Rumänen«, die mit dem Satz endete: »Zu diesem hochinteressanten Band schrieb der Historiker Pamfil Șeicaru eine Einleitung.«

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rüchte und an den aus Rumänien unternommenen Versuch, Dumitrescu auf juristischem Wege seine Rechte an der Zeitung »Curentul« streitig zu machen.1203 Innerhalb der Securitate befassten sich mehrere Abteilungen mit Vasile ­Dumitrescu. Die überlieferten Akten umfassen den Zeitraum 1951 bis 1969 und 1985 bis 1987.1204 1957 übermittelte das MfS der Securitate-Residentur in Ostberlin einige Angaben über Dumitrescu, die auf diesem Wege der rumänischen Auslandsspionage zugingen. Dazu gehörte die unzutreffende Behauptung, Dumitrescu sei in den zurückliegenden Jahren mehrfach nach Rumänien gereist.1205 Eine spätere Zusammenarbeit beider Geheimdienste gegen den unbequemen Emigranten ist weder in den rumänischen noch in den deutschen Akten dokumentiert. In den MfS-Unterlagen findet sich im Übrigen kein Hinweis auf Securitate-Aktivitäten gegen Dumitrescu. Das MfS gelangte über eigene Kanäle an einige Informationen über Dumitrescu. So hörte es Telefongespräche zwischen einem konservativen Politiker und dem Chefredakteur einer bundesdeutschen Tageszeitung ab. Dabei erfuhr es von Dumitrescus Beziehungen zu ihnen sowie von deren Überlegungen, den »Curentul« zu unterstützen.1206 Mehrere MfS-Abteilungen erfassten ihn ab den späten 1970er-Jahren aufgrund seiner publizistischen und politischen Tätigkeiten in ihren Karteien.1207 1203  Ioniţă, Sorin Gabriel: Publicaţiile »Curentul«, »Carpaţii« și »Stindardul« în arhivele Securităţii, Teil I, S. 71 f.; Frunză: Vasile C. Dumitrescu sau exilul ca profesie, S. XXVII–XXVIII. 1204  ACNSAS, fond informativ, i 211927, 2 Bde., Zeitraum 1951–1969. Diese Akte wurde von der Spionageabwehr (damals Hauptabteilung II) geführt. ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 972, Zeitraum 1956–1960 und 1985–1987. Diese Akte wurde von der Auslandsspionageabteilung geführt. 1986/87 bearbeitete die Auslandsspionageabteilung Dumitrescu unter dem bezeichnenden Tarnnamen »Idealistul« [der Idealist]. Die Securitate sammelte Informationen über Dumitrescus Umfeld und Aktivitäten in der BRD sowie seine Verwandten und Bekannten in Rumänien. Vermutlich geben die beiden Akten die Maßnahmen der Securitate gegen Dumitrescu nur unvollständig wieder, da sie beispielsweise die von Frunză erwähnten Aktionen nicht dokumentieren. 1205  Schreiben des MfS, Abt. X, Major Damm, 25.4.1957, an Ministerium des Innern der Volksrepublik Rumänien, Verwaltung für Nationale Sicherheit, Berliner Gruppe, betr.: Äußerungen von Dumitrescu; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 972, Bl. 126 f. 1206  Vgl. hierzu die Zusammenfassung des vom MfS abgehörten Telefonats: Information A/4821/10/78 über »Verbindungen von Springerpresse und CDU zu einer in der BRD erscheinenden rumänischen Exilzeitung«; BStU, MfS, AP 2004/80. Ferner einige Vermerke in dem zu einem bundesdeutschen Politiker angelegten Operativvorgang, in: BStU, MfS, AOP 2165/91, Bd. 1, Bl. 130, 136, 151, Bd. 4, Bl. 19. 1207 Die Abt. X des MfS erfasste Dumitrescu im Oktober 1978 als Journalisten und brachte ihn mit einem Westberliner Dolmetscher der US-Militärpolizei in Verbindung. Die HA II registrierte ihn als den Herausgeber des »Curentul« und verdächtigte ihn zudem einer BND-Mitarbeit in den 1950er-Jahren; die Abteilung XXII verzeichnete ihn im Mai 1977 als Teilnehmer an einer Veranstaltung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung sowie im Folgejahr ebenfalls als »Hrsg. der rumänischen Exilzeitung ›Karentul‹[!]«.

Die jüngere rumänische Emigration

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Mit Bezug auf Dumitrescu hätte auch in den 1980er-Jahren noch eine Zusammenarbeit der Staatssicherheitsdienste beider Länder nahegelegen. Aber sie ist in den überlieferten Stasi- und Securitate-Akten in keiner Weise erkennbar, ebenso wenig mit Bezug auf andere rumänische Emigranten.

6.2 Die jüngere rumänische Emigration, 1970er- und 1980er-Jahre Über die jüngere rumänische Emigration finden sich in den MfS-Unterlagen nur wenige Spuren. So sammelte das MfS einige allgemeine Informationen über ausgereiste oder geflohene Dissidenten wie Paul Goma, Monica ­Lovinescu und Virgil Tănase, die in Paris lebten, über den nach Dänemark geflohenen Victor Frunză oder die in der Bundesrepublik ansässig gewordenen Publizisten Emil Georgescu und Șerban Orescu.1208 Wie die Securitate diese Menschen ausspionierte, sie von angeheuerten Schlägern zusammenschlagen ließ oder ihnen Briefbomben zusandte, um sie zum Schweigen zu bringen, dokumentieren die MfS-Unterlagen nicht. In den Jahren 1975 bis 1977 fertigte das MfS für den internen Gebrauch Übersichten über osteuropäische Emigrantenorganisationen in den westlichen Staaten an; sie enthielten Angaben über einzelne Verbände, ihre Mitglieder und Sympathisanten, ihre Zielstellungen, politische Ausrichtungen und Publikationen.1209 Das MfS reagierte damit auf seine Weise auf die Entspannungspolitik, 1208  MfS, HA II/AG 4: Exilrumänen NSW [ab Januar 1984]; BStU, MfS, HA II, Nr. 36396, Bl. 44. Diese Übersicht verweist auf personenbezogene Unterlagen über die oben Genannten, die das MfS in »Zentralen Materialablagen« (ZMA) zusammenstellte. Die Unterlagen sind im Archiv des BStU offenbar nicht mehr vorhanden. Die Karteikarten, die das MfS zu diesen sechs anlegte (wobei Frunză irrtümlich als »Prunza« erfasst wurde), deuten darauf hin, dass das MfS lediglich offen zugängliches Material über sie sammelte. Der HV A ging im Oktober 1978 ein Exposé zum Thema »Macht und Konflikt im Sozialismus« zu, das sie mit ­Șerban ­Orescu in Verbindung brachte – sei es, dass es von ihm verfasst wurde, sei es, dass seine 1978 erfolgte Emigration Thema dieses 31 Seiten umfassenden Papiers war. BStU, MfS, HV A/ MD/3, SIRA-TDB 12, SE7821897. Das Dokument ging der HV A von IM »Stups« zu, einer Sekretärin des Kölner Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst). Zu »Stups« siehe BStU, MfS, HV A/MD/6, SIRA-TDB 21, Reg.-Nr. XV/13212/60 sowie ­Müller-Enbergs: Die Hauptverwaltung A (HVA), S. 313, 315. 1209 MfS, Minister: Entwicklungstendenzen im Vorgehen antisozialistischer Emigrantenorganisationen gegen die sozialistischen Staaten, die in der politisch-operativen Arbeit zu beachten sind, 10.7.1975; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4780, Bl. 1–21. MfS, Minister: Hinweise auf zunehmende subversive Aktivitäten antisozialistischer Emigrantenorganisationen und ihres Zusammenwirkens mit anderen feindlichen Zentren, Einrichtungen und Organisationen, 30.6.1976; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4782, Bl. 1–31; mit fast gleichlautendem Titel die Aktualisierung vom 21.12.1977; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4783, Bl. 1–30. In der Einführung zur Übersicht vom 10.7.1975 verlangte Mielke von den zuständigen MfS-Abteilungen, die enthal-

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die nach der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 und dem damit verbundenen KSZE-Prozess Gestalt angenommen hatte, und die den Menschenrechtsfragen neues Gewicht gab. Die rumänische Emigration kam in den damaligen MfS-Übersichten allerdings so gut wie nicht vor, abgesehen von beiläufigen Erwähnungen des im Pariser Exil lebenden rumänischen Publizisten und Mitglieds der »Liga für die Verteidigung der Menschenrechte in Rumänien« Mihai Korne sowie des Schriftstellers und Dissidenten Anatol E. Baconsky, der nur zeitweise in Westeuropa lebte und (angeblich) in der Emigrantenzeitschrift »Kontinent« veröffentlichte.1210 Wie zufällige Fundstücke befinden sich unter den MfS-Unterlagen auch fünf Ausgaben des ersten Jahrgangs der Monatszeitung »Românul Liber« (»Der Freie Rumäne«), die seit 1985 von der im Jahr zuvor gegründeten »Uniunea Românilor Liberi« (»Verband Freier Rumänen«) unter ihrem Vorsitzenden Ion Raţiu in London herausgegeben wurde.1211 Insgesamt hinterlassen alle diese Dokumente den Eindruck, dass sich das MfS darauf beschränkte, die rumänische Emigration nur oberflächlich und auf der Grundlage offen zugänglicher Materialien im Blick zu behalten. Manche Emigrantengruppen wie die nach Spanien geflohenen Legionäre oder der im Schweizer Exil lebende Ex-König Michael kommen überhaupt nicht vor. Aus den MfS-Akten erfährt man daher auch nichts über Securitate-Agenten im westlichen Ausland. So wird der schon genannte Einflussagent Pamfil ­Șeicaru in den MfS-Unterlagen an keiner Stelle erwähnt. Ein anderes wichtiges Beispiel ist Ivan Denes, den die Securitate mit wenigen Unterbrechungen von 1948 bis 1989 als IM führte. Denes lebte von 1972 bis zu seinem Tod 2011 in Westberlin, spionierte ausgewanderte Rumäniendeutsche wie die Schriftsteller Paul Schuster und Oskar Pastior aus und fungierte als Einflussagent gegen Paul Goma, Anatol Baconsky und andere.1212 In den MfS-Unterlagen erscheint Ivan Denes hingegen nicht als Securitate-Agent, sondern nur in seiner öffentlich bekannten Eigenschaft als politisch weit rechts stehender, antikommunistischer Publizist, über den das MfS heimlich Informationen sammelte.1213 Weder die Stasi-Akten noch die der Securitate enthalten einen Hinweis darauf, dass sich die beiden Geheimdienste in irgendeiner Weise über ihn ausgetauscht hätten.

tenen Informationen »in der politisch-operativen Arbeit zu beachten«; BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4780, Bl. 1. 1210  BStU, MfS, BdL/Dok Nr. 4783, Bl. 6 und BdL/Dok Nr. 4782, Bl. 23. Zu Korne siehe auch Scutaru: The Romanian Anti-Communist Resistance, S. 844. 1211  BStU, MfS, HA XXII, Nr. 1154/4, Bl. 240–253; HA XXII, Nr. 20968, Bl. 43–48, 53. 1212  Totok: Minderheiten und Securitate, S. 81; ders.: Ivan Denes; ders.: Mit tückischer Durchtriebenheit (III), S. 70-73. 1213 BStU, MfS, Karteikartenrecherche in Beständen der HA II, HA III, HA XX, HA XXII, ZAIG/5, ZKG.

Die Flucht des Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa

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6.3 Die Flucht des Securitate-Generals Ion Mihai Pacepa in den Westen, 1978 Am 23. Juli 1978 flog der stellvertretende Leiter des rumänischen Auslandsnachrichtendienstes, Generalleutnant Ion Mihai Pacepa, im Auftrag Nicolae ­Ceaușescus nach Bonn. Als rumänischer Unterhändler sollte Pacepa am Folgetag mit dem Staatsminister im Bundeskanzleramt Hans-Jürgen Wischnewski über ein Joint Venture verhandeln. Doch er nahm den Termin nicht wahr, sondern begab sich in die Bonner US-Botschaft, beantragte Asyl und wurde am 27. Juli 1978 in die USA ausgeflogen. In Rumänien verurteilte ihn die Militärabteilung des Obersten Gerichtshofs am 17. August 1978 zum Tode. Pacepa gilt als ranghöchster Überläufer eines sozialistischen Geheimdienstes während des Kalten Krieges. Er nahm ein immenses Herrschaftswissen mit, gehörte zu den Vertrauten des Diktatorenehepaares Ceaușescu und kannte unzählige Geheim­ dienstoperationen. Sein 1987 erschienenes Enthüllungsbuch »Red Horizons« fand dementsprechend große Aufmerksamkeit. Es wurde ausschnittsweise über »Radio Free Europe« verlesen und somit in Rumänien bekannt.1214 Sowie die Securitate von Pacepas Flucht Wind bekam, begann sie mit umfassenden Ermittlungen in alle Richtungen.1215 Es liegt auf der Hand, dass sich auch die anderen sozialistischen Geheimdienste sofort mit den Folgen von ­Pacepas Flucht beschäftigten und mögliche Gefahren für die eigenen Spionageaktivitäten analysierten. Die aufgefundenen MfS-Unterlagen geben hierüber allerdings nur wenig Aufschluss. Erwähnenswert ist im Wesentlichen ein 56 Seiten umfassender Auskunftsbericht für die MfS-Führung vom 12. September 1978. Er referiert, wie Pacepas Flucht bekannt wurde, wie Rumänien gegenüber den USA auf diplomatischem Wege vergeblich dessen Auslieferung verlangte und wie der DDR-Militärattaché in Bukarest die Folgen der Flucht auf die rumänische Innen- und Sicherheitspolitik einschätzte. Breiten Raum nehmen sodann Auszüge aus westlichen Pressemeldungen ein.1216 Ergänzende Materialien 1214  Pacepa: Red Horizons, S. 421–424. Die erste rumänischsprachige Ausgabe erschien 1988, die bislang letzte, um einige Kapitel erweiterte im Jahr 2010 im Bukarester Humanitas-Verlag. Pacepas Erinnerungsbücher und Interviews stoßen auch rund 40 Jahre nach seiner Flucht immer noch auf beachtliche Resonanz. Allerdings enthalten sie zahlreiche Ungenauigkeiten, Irrtümer und Fehler. Vgl. hierzu Anm. 28, sowie einige weitere Beispiele in Herbstritt: Menschenraub in Berlin, S. 27–32 – darunter auch Pacepas unscharfe Erinnerung an die in Kapitel 1.3 genannte Securitate-Agentin »Gerda«. Zu Pacepas Biografie siehe auch Ţăranu (Hg.): Ion Mihai Pacepa în dosarele Securităţii 1978–1980, S. 26–46. 1215  Den Ermittlungsaufwand der Securitate in Sachen Pacepa belegt die von Ţăranu herausgegebene Dokumentensammlung »Ion Mihai Pacepa în dosarele Securităţii 1978–1980«. 1216  Auskunftsbericht zur Desertion des Generalleutnants Mihai Ion Pacepa (Sozialistische Republik Rumänien) in die USA, Berlin, 12.9.1978; BStU, MfS, HA II, Nr. 194, Bl. 1–65; in doppelter Ausfertigung auch vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 22, Bl. 1–112, ferner in BStU, MfS, HA II, Nr. 40959, Bl. 1–66. Der Bericht ging u. a. an Mielke, Beater, Wolf, an die

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zu dem Bericht, die Markus Wolf am 28. September 1978 an Mielke-Stellvertreter Bruno Beater übersandte, enthalten ebenfalls keine Insiderinformationen oder MfS-internen Analysen über den Fall Pacepa.1217 Angesichts der Brisanz des Falles muss man davon ausgehen, dass sich das MfS sehr viel intensiver mit Pacepa befasste, als es die hier beschriebenen Aktenstücke erkennen lassen. Wahrscheinlich machen sich auch hier die fehlenden HVA-Unterlagen bemerkbar. Die Datenbank der HV A gibt über den Vorfall kaum Auskunft. Sie enthält nur eine einzige Information zu Pacepa. Demnach hatte die HV A am 13. Oktober 1978 vom polnischen Geheimdienst einen zwei Seiten langen Bericht über »Positionen der amerikanischen Regierung bezüglich der rumänischen Reaktionen auf den Verrat Pacepas« erhalten.1218 Weder der Auskunftsbericht vom 12. September 1978 noch die Datenbank der HV A enthalten irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass das MfS direkt an Informationen aus rumänischen Geheimdienstkreisen gelangte.

6.4 Rumäniendeutsche Landsmannschaften An den Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, die ihren Sitz in der Bundesrepublik hatten, zeigte das MfS in den 1970er- und 1980er-Jahren ein ähnlich geringes Interesse wie an der rumänischen Emigration überhaupt. Schon in den 1960er-Jahren hatte dieses Interesse nachgelassen.1219 Unter den Landsmannschaften waren es vor allem die mitgliederstarken Verbände der Sudetendeutschen und der Schlesier sowie der »Bund der Vertriebenen«, gegen die das MfS Maßnahmen ergriff, außerdem der »Bund der Mitteldeutschen« als ein Verband von DDR-Flüchtlingen. Das MfS nahm auch Leiter mehrerer MfS-(Haupt-)Abteilungen und an den KGB (»Freunde«). Wer den Auskunftsbericht erarbeitete, ist nicht ersichtlich. 1217  Schreiben von Markus Wolf an Bruno Beater vom 28.9.1978 mit sechs Anlagen zum »Operativkomplex SRR«; BStU, MfS, HA II, Nr. 18663, Bl. 221–253. Diese Anlagen enthalten allgemeine Einschätzungen über das Unruhepotential und die Unzufriedenheit in der rumänischen Bevölkerung, knappe Informationen über die früheren Securitate-Überläufer Ion ­Iacobescu und Gheorghe Virgil Tipănuţ, eine Übersicht über personelle Veränderungen in Leitungsfunktionen von Staat und Partei seit 1976 sowie einige militär- und außenpolitischen Informationen. 1218  BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE7821343. Zu bedenken ist hier, dass die HV A Informationen über fremde Geheimdienste vor allem in der SIRA-Teildatenbank 14 speicherte. Die Teildatenbank 14 ist jedoch nur für die Jahre 1980 bis 1989 erhalten geblieben. Sie lässt allerdings erkennen, dass in den 1980er-Jahren keine HVA-Quellen im rumänischen Geheimdienst oder seiner unmittelbaren Umgebung platziert waren. 1219  Zu den wenigen Spuren der rumäniendeutschen Landsmannschaften in den Unterlagen des MfS vgl. Herbstritt: Stasi in Siebenbürgen, insbes. S. 188 f.

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durchaus wahr, wie der politische Einfluss der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände im Laufe der 1970er-Jahre zurückging und sie dementsprechend auch für die geheimdienstliche Bearbeitung an Relevanz verloren.1220 Über die Landsmannschaften der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben gibt es kaum Unterlagen im MfS-Archiv. Als das MfS in den 1960er-Jahren systematisch damit begann, in den verschiedensten Archiven über eine mögliche nationalsozialistische Vergangenheit gegenwärtiger Funktionsträger in der Bundesrepublik zu suchen, stieß es auch auf Siebenbürger Sachsen wie ­Heinrich Zillich und Hans Hartl, die vor 1945 in Rumänien den Nationalsozialisten nahestanden und nach 1945 bedeutende Funktionen in der Landsmannschaft oder in der Südosteuropaforschung innehatten.1221 Doch offenbar sank das Interesse des MfS an den ausgewanderten Rumäniendeutschen spätestens seit den 1970er-Jahren rapide ab. Von der Securitate scheinen keine Anfragen mehr gekommen zu sein, und für die DDR und ihre Sicherheitsinteressen waren sie unbedeutend. Anders als etwa die Landsmannschaften der Schlesier und Pommern in Bezug auf Polen und somit indirekt auch auf die DDR, stellten die Rumäniendeutschen die Grenzen des rumänischen Staates nicht infrage. Zwischen dem kommunistischen Rumänien und den von NS-belasteten Funktionären dominierten rumäniendeutschen Landsmannschaften entwickelten sich sogar erstaunlich gute Beziehungen. Die Landsmannschaftsfunktionäre folgten schon Ende der 1960er-Jahre Einladungen der rumänischen Botschaft zu Empfängen, und offizielle Vertreter Rumäniens nahmen an dem jährlichen Landsmannschaftstreffen der Siebenbürger Sachsen zu Pfingsten im fränkischen Dinkelsbühl teil. Zu Pfingsten 1970 kamen sogar Bundeskanzler Willy Brandt und der rumänische Botschafter Constantin Oancea nach Dinkelsbühl. Mit Oancea nahm erstmals der Botschafter eines sozialistischen Landes an einem Landsmannschaftstreffen in der Bundesrepublik teil. Zum Pfingsttreffen 1973 entsandte die rumänische Führung den Minderheitenfunktionär Eduard Eisenburger aus Kronstadt nach Dinkelsbühl. Und Nicolae Ceaușescu empfing während seines Besuches in der Bundesrepublik Ende Juni 1973 offiziell den Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Erhard Plesch und seine beiden Stellvertreter.1222 Während sich das MfS offenkundig nicht 1220  Amos: Vertriebenenverbände, S. 167–220, 226–259. 1221  Siehe die entsprechenden Materialsammlungen des MfS in: BStU, MfS, HA IX/11, FV 143/69, Bd.  3, Hefter 2, Bl.  296–301, Hefter 4, Bl.  523–524, Bd.  16, Bl.  48, 69, 109; HA IX/11, FV 13/71, Ordner 5, H. 28, Bl. 165. Das MfS rechnet Zillich an einer Stelle den gegenwärtig (um 1970) rechtsradikalen Schriftstellern zu, Hartl den konservativen Südosteuropaforschern. Ebenda, FV 13/71, Ordner 5, H. 28, Bl. 165; FV 143/69, Bd. 16, Bl. 109. Zu beiden siehe auch Anm. 546. Zu den systematischen Archivrecherchen des MfS zu NS-belasteten Personen in der Bundesrepublik vgl. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit. 1222  Die genannten sowie weitere Begegnungen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen mit Repräsentanten des rumänischen Staates zwischen 1968 und 1973 sind zusammengestellt in: [MfAA,] Abt. Südosteuropa, LS SRR, 23.6.1969: Einschätzung der Tätigkeit der

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sehr um diese Entwicklung kümmerte, sah sich das DDR-Außenministerium umso mehr zum Handeln veranlasst. Schon im Juni 1969 erarbeitete die Südosteuropa-Abteilung des MfAA eine Argumentationshilfe für die DDR-Diplomaten in Bukarest. Diese sollten in Gesprächen mit dem rumänischen Außenministerium darauf hinweisen, dass auch die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen »offen revanchistische, antisozialistische Zielstellungen« vertrete, die zumindest indirekt auch gegen Rumänien gerichtet seien. Die offizielle Anerkennung der Landsmannschaften stelle »eine direkte Verletzung der Interessen der DDR, der CSSR und anderer sozialistischer Länder« dar. Die meisten Führer der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen seien »ehemalige aktive Faschisten aus Rumänien«. Um die Argumentation zu untermauern, stellte die Südosteuropa-Abteilung eine Übersicht zusammen, welche NS-Funktionen einzelne Landsmannschaftsfunktionäre der Siebenbürger Sachsen vor 1945 in Rumänien innehatten.1223 Die pragmatische Haltung des Landes spiegelte sich im Zitat eines rumänischen Diplomaten: »Es ist besser, wir arbeiten mit ihnen, als sie gegen uns.«1224 Für die offizielle DDR schien diese Sichtweise indiskutabel. Weder in den Akten der DDR-Diplomatie noch in denen der DDR-Staatssicherheit klingt hingegen die zweite Ebene des rumänischen Umgangs mit den Landsmannschaften an. Denn während man sich auf offizieller Ebene freundlich begegnete, unternahm die Securitate zugleich systematische und erfolgreiche Versuche, die Landsmannschaften zu unterwandern und für die nationalkommunistische Politik Ceaușescus zu vereinnahmen. Exemplarisch sei hier der Fall des Siebenbürger Sachsen Fritz Cloos genannt. Er bekleidete bis 1945 wichtige Funktionen in den rumäniendeutschen NS-Organisationen, verbüßte sodann zehn Jahre Haft in einem sowjetischen Gefangenenlager, ließ sich 1956 in Rumänien als Securitate-Spitzel anwerben und siedelte 1961 auftragsgemäß in die Bundesrepublik über. Dort betrieb er im Sinne seiner geheimen Auftraggeber Desinformation und versuchte die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen zu einer kooperativen Haltung gegenüber dem kommunistischen Rumänien zu bringen. Seine Agententätigkeit dauerte bis 1987 und füllte bei der Auslandsspionageabteilung der Securitate zwei Dutzend Aktenordner. IrgendSiebenbürger Landsmannschaft in Westdeutschland (Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V.); PA AA, MfAA, C 1662/76, Bl. 10–18 sowie Botschaft Bukarest, Pol. Bereich, 30.7.1973: Vermerk über ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rates der Werktätigen deutscher Nationalität, Gen. Eduard Eisenburger, am 27.7.1973 in Brasov; ebenda, Bl. 1 f. An gegenseitige Einladungen von rumänischem Generalkonsulat und Landsmannschaften in Westberlin erinnern Meinhardt; Schöpf: 1955–2005 – 50 Jahre Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Berlin, S. 13. 1223  [MfAA,] Abt. Südosteuropa, LS SRR, 23.6.1969: Einschätzung der Tätigkeit ... (wie Anm. 1222), Bl. 17 f. 1224  Ebenda, Bl. 13.

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welche Hinweise auf Absprachen mit dem MfS enthalten sie nicht.1225 In den MfS-Unterlagen wiederum taucht Fritz Cloos nicht auf. Für das MfS genügte es offenbar, Informationen wie die aktuelle Adresse der Siebenbürgischen Landsmannschaft und das Eröffnungsjahr des »Siebenbürgischen Museums« in Gundelsheim am Neckar in einer Handakte zusammenzuführen. Dokumente über Differenzen zwischen der siebenbürgischen Landsmannschaft und dem »Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen« fielen dem MfS dadurch in die Hände, dass eine kirchliche Mitarbeiterin aus Westberlin entsprechende Unterlagen in ihrem Gepäck mitführte, als sie, aus Südeuropa kommend, über den DDR-Flughafen Schönefeld bei Berlin nach Hause reiste. Das MfS fotografierte diese Unterlagen bei der Gepäckkontrolle heimlich ab und fertigte daraus einen zusammenfassenden Informationsbericht an.1226 Dementsprechend finden sich im MfS-Archiv auch keine Unterlagen über den Freikauf der Rumäniendeutschen, den die Landsmannschaften sehr befürworteten. Weder beschaffte sich das MfS auf eigene Faust Informationen über die Freikaufaktionen, noch gewährte die Securitate Einblick in die geheimen und heiklen Verhandlungen mit der Bundesrepublik. Von einem entsprechenden Erfahrungsaustausch auf politischer Ebene zwischen der DDR und Rumänien ist ebenfalls nichts bekannt. Dabei hätte das durchaus nahegelegen, verhandelte die Bundesrepublik doch auch mit der DDR über den Freikauf von Menschen.1227

6.5 Von Temeswar (Timișoara) nach Berlin: das MfS und die ausgewanderten rumäniendeutschen Schriftsteller, 1986 bis 1989 Für Westberlin galten im MfS andere Maßstäbe als für Westdeutschland. In der westlichen Halbstadt interessierte sich das MfS noch intensiver für alle möglichen Facetten des politischen und gesellschaftlichen Lebens als im Westen 1225  Totok: Mit tückischer Durchtriebenheit (II), S. 147–153, 158–166. 1226  BStU, MfS, HV A, Nr. 1045, Bl. 108–118. Das abfotografierte Dokument trug den Titel »Bericht der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen für die Zeit vom 21.4.1980 bis 31.3.1983«. Ebenda, Bl.  111–118. Das MfS fertigte daraus den zweiseitigen Informationsbericht »Interne Auseinandersetzungen zwischen der ›Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen‹ in der BRD und dem ›Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen im Diakonischen Werk der EKD‹ über die Propagandatätigkeit zur Unterstützung der Aussiedlung von Deutschen aus der SR Rumänien nach der BRD«. Ebenda, Bl. 109 f. Die hier angesprochene Auseinandersetzung war indes kein Geheimnis. 1227 Zum Thema Freikauf der Rumäniendeutschen siehe Baier; Meinhardt: Kauf von Freiheit, sowie die Quellenedition »Acţiunea ›Recuperarea‹«. Zum Freikauf aus der DDR siehe ­Wölbern: Der Häftlingsfreikauf aus der DDR, darin S. 502 f. eine kurze vergleichende Betrachtung beider Vorgänge.

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Deutschlands. Von den rund 3  000 Bundesbürgern einschließlich der Westberliner, die Ende der 1980er-Jahre als IM für das MfS arbeiteten, lebten etwa 750 in Westberlin, also jeder vierte. Zahlreiche DDR-IM, die mit kurzzeitigen Ausforschungs- oder Kurieraufträgen über die Mauer geschickt wurden, vergrößerten noch die Stasi-Präsenz in Westberlin. Es ist von daher nicht völlig überraschend, Berichte über dort lebende rumäniendeutsche Schriftsteller in den MfS-Unterlagen wiederzufinden. Am 27. Juni 1986 übersandte die HV A einen einseitigen Bericht über »Diskussionen um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin im Zusammenhang mit Verbindungen ausreisewilliger rumänischer Schriftsteller« an die Kollegen der Hauptabteilung XX. Letztere hatte die Aufgabe, Schriftsteller, Oppositionelle und Kirchenleute in der DDR zu bearbeiten und ebenso deren Sympathisanten in Westberlin. In dem dazugehörigen Anschreiben bat die HV A »um konsequenten Quellenschutz«. Trotzdem lässt sich die Quelle dieses Berichts identifizieren. Der Bericht basierte auf den Angaben einer Westberliner Schriftstellerin, die seit 1983 unter dem Decknamen »Gisela Becker« als IM für die HV  A registriert war.1228 »Gisela Becker« berichtete aus Gesprächen zwischen Schriftstellern aus ihrer Umgebung. Immer häufiger werde in diesen Kreisen über die Probleme der bedrängten Temeswarer Schriftsteller diskutiert sowie über die Repressionen, denen sie in ihrem Land zum Teil schon seit Jahren ausgesetzt seien. Darüber hinaus würden »verdeckte und demonstrative Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin« für Aufmerksamkeit sorgen: Es wird diskutiert, dass der rumänische Geheimdienst neben der Suche nach Manuskripten, Briefen usw. auch bestrebt ist, die Westberliner Lektoren und Kontaktpartner der rumänischen Dissidenten einzuschüchtern. So wurde bekannt, dass bei der Lektorin der rumänischen Schriftstellerin Herta Müller (Ausreiseantrag gestellt, war vor einiger Zeit in Westberlin zu Lesungen) eingebrochen wurde. [...] Bei dem Einbruch sei das einzige Interesse offenbar die Durchsuchung ihrer Papiere zu Herta Müller gewesen, da weder Wertsachen entwendet noch sonstige Schäden angerichtet wurden. Dass es sich um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes handelte, folgert sie auch daraus, dass nachts häufig Telefonanrufe kommen, wo in schlechtem Deutsch (mit rumänischem Akzent) Drohungen wegen der Unterstützung der rumänischen Dissidenten ausgesprochen werden. Derartige Anrufe sollen auch andere Mitglieder des VS [Verband deutscher Schriftsteller] erhalten haben, nicht allein zum Fall Herta Müller. So wird davon gesprochen, dass Ernst[!] Wichner (ehemaliges Mitglied des Westberliner VS-Vorstandes und enger Vertrauter des [...]) wegen die1228  HV A, Abt. IV, 27.6.1986: Diskussionen um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin im Zusammenhang mit Verbindungen ausreisewilliger rumänischer Schriftsteller; BStU, MfS, HA XX/ZMA, 4094, Bl. 44 f. Der Bericht enthält keinen Hinweis auf die Quelle, allerdings ist er auch in der SIRA-Teildatenbank 14 (BStU, MfS, HV A/MD/5) unter der Nummer SE8607331 erfasst. Dort werden außerdem der Deckname und die Regis­ triernummer der Quelle genannt: IM »Gisela Becker«, Reg.-Nr. XV/3749/83.

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ser Anrufe beim Staatsschutz in Westberlin vorsprach und dort eine Bearbeitung der Vorgänge eingeleitet wurde.1229

Als dieser Bericht am 27. Juni 1986 bei der HV  A niedergeschrieben wurde, hatte Ernest Wichner, einst Mitglied der Aktionsgruppe Banat und 1975 in die Bundesrepublik übergesiedelt, bereits die Öffentlichkeit alarmiert und diesen Schritt auch dem rumänischen Generalkonsulat in Westberlin angekündigt. Die Securitate stellte ihre Drohanrufe daraufhin sofort ein. In der Wochenzeitung »Die Zeit« schilderte Benedikt Erenz am 20. Juni 1986 in einem kurzen Artikel unter der Überschrift »Telephon-Terror« das Vorgehen der Securitate: Fast jede Nacht läutet das Telephon. Schlaftrunken hebt der Mann den Hörer ans Ohr – und hört – vom Tonband – einen eigenen Text. Die fremde Stimme liest das Ende einer Erzählung, die der Angerufene geschrieben hat: ›... und brüllt noch, als sie auf ihn einschlagen, alle ... auf ihn einschlagen, und solange auf ihn einschlagen, wie er sein Lachbrüllen brüllt ... und noch etwas länger auf ihn einschlagen ...‹ Wer schlägt da mit dem Telephon auf einen Verfolgten ein, dem nicht zum Lachen, nur noch zum Brüllen zumute ist? Wer hört das Brüllen? Dem 1952 geborenen DeutschRumänen Ernest Wichner, der ausreisen durfte und zur Zeit mittellos in Westberlin lebt, verlangt die Polizei hundert Mark ab, ehe sie eine Fangschaltung genehmigt. Nein, niemand sagt, ­Ceaușescus berüchtigter Geheimdienst erlaube sich da einen makabren Literatur-Scherz. Aber nachdem der gleichaltrige deutsch-rumänische Schriftsteller Rolf Bossert, im Februar 1986, unter ungeklärten Umständen (›Fenstersturz‹) in Frankfurt gestorben ist, sollte die Berliner Polizei, die so viele Menschen observiert, diesem Dichter Schutz nicht versagen.1230

In ihrem Bericht stellte »Gisela Becker« die Rolle des rumäniendeutschen Schriftstellers Paul Schuster besonders heraus, der bereits seit 1972 in Westberlin lebte. Er setze sich als Mitglied im »Verband deutscher Schriftsteller« sehr für seine verfolgten Kollegen in Rumänien ein: »Sein Einfluss im Westberliner VS sollte nicht unterschätzt werden, [er] trägt gegenwärtig auch zur Mobilisierung der Solidarität mit den Verfolgten in Rumänien bei«, warnte sie.1231 »­Gisela 1229  Diskussionen um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin (wie Anm. 1228). Siehe auch Müller, Herta: Cristina und ihre Attrappe, S. 26. Hier schreibt Herta Müller aus ihrer Erinnerung über den Einbruch bei ihrer Lektorin sowie im Verlag. 1230 Die Zeit, Nr. 26, 20.6.1986, S.  42. Auch andere Zeitungen berichteten darüber. Vgl. Delius, Friedrich Christian: Zimmermann, übernehmen Sie! In: Frankfurter Rundschau, v. 14.6.1986, S. 12, und Wiesner, Herbert: In geschlossener Formation. In: Süddeutsche Zeitung v. 16./17.6.1986, S. 36. Auszüge aus den beiden zuletzt genannten Zeitungsartikeln sind abgedruckt in Totok: Zwänge der Erinnerung, S. 154. 1231  Diskussionen um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin (wie Anm. 1228), Bl. 44 f. Zu Paul Schuster siehe seine autobiografischen Auskünfte »Ich stehe zwischen allen möglichen Stühlen« und die Nachrufe von Dieter Schlesak: Zum Tode von Paul Schuster, S. 130, und von Hans Bergel: Paul Schuster: »ein Mensch mit seinem Widerspruch«.

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­Becker« war durch teils enge persönliche Freundschaften mit dem Kreis der rumäniendeutschen Schriftsteller in Berlin verbunden. Der von der HV  A aufbereitete Bericht macht deutlich, dass die Aktivitäten der Securitate in Westberlin für das MfS kein Problem darstellten, aber sehr wohl die systemkritischen Aktionen der rumäniendeutschen Schriftsteller in Westberlin und in Temeswar. Wenn die Securitate im Sommer 1986 in Westberlin aktiv wurde, weil dort einige Schriftsteller zur »Solidarität mit den Verfolgten in Rumänien« aufriefen, so agierte sie auch im Sinne des MfS. Zumal der Bericht prophezeite, »dass diese Problematik in näherer Zukunft Zündstoff für politische Auseinandersetzungen liefert.«1232 Insofern hatten Securitate und MfS hier die gleichen Interessen. Eines abgestimmten Vorgehens bedurfte es nicht. Im März 1987 verließen schließlich William Totok, Herta Müller und ihr Mann Richard Wagner Temeswar und siedelten nach Westberlin über, zermürbt von dem Druck, den die Securitate auf sie ausgeübt hatte. Ihr Freund und Schriftstellerkollege Helmuth Frauendorfer folgte im Dezember des gleichen Jahres. Von Westberlin aus setzten sie ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Ceaușescu-Regime fort und nutzten die hiesigen Möglichkeiten, sich politisch frei zu betätigen. In Interviews, Artikeln und Podiumsdiskussionen machten sie ihre eigenen Erfahrungen sowie die katastrophalen Zustände in Rumänien öffentlich und nahmen an politischen Aktionen teil, in denen sie die menschenverachtende Politik Ceaușescus anprangerten.1233 Für das MfS blieb das zunächst marginal, weil nicht die DDR unmittelbar, sondern vermeintlich nur der Sozialismus rumänischer Prägung angegangen wurde. Das änderte sich, als sie schon nach kurzer Zeit ausgebürgerte DDR-Dissidenten wie Jürgen Fuchs, Freya Klier oder Wolfgang Templin kennenlernten. Sie lebten ebenfalls in Westberlin, gehörten der gleichen Altersgeneration an und setzten sich auf vergleichbare Weise mit dem politischen System in der DDR auseinander. Und sie vermittelten ihnen Kontakte zu den in Ostberlin verbliebenen Freunden und den dortigen Bürgerrechts-Gruppen, zu denen sie selbst nicht mehr fahren durften.

In: Siebenbürgische Zeitung v. 20.5.2004, S. 9. Ferner Sienerth: Der siebenbürgisch-deutsche Schriftsteller Paul Schuster. 1232  Diskussionen um Aktivitäten des rumänischen Geheimdienstes in Westberlin (wie Anm. 1228), Bl. 44 f. 1233  Die nachfolgenden Ausführungen beruhen, außer auf den angegebenen schriftlichen Quellen, auch auf Gesprächen des Verfassers mit Helmuth Frauendorfer, William Totok und Richard Wagner, die im März sowie zwischen Oktober und Dezember 2009 geführt wurden. Dieser Abschnitt erschien anlässlich der Nobelpreisverleihung an Herta Müller unter der Überschrift »Im Fadenkreuz der Geheimdienste. Wie Securitate und Stasi die Nobelpreisträgerin Herta Müller drangsalierten« in der Tageszeitung »Die Welt« am 10.12.2009, S. 23.

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In der Folge trugen die rumäniendeutschen Schriftsteller ihre Erlebnisse und Erkenntnisse auch nach Ostberlin, beteiligten sich dort an privaten oder kirchlichen Lesungen und knüpften Verbindungen zu politisch engagierten, kritischen Menschen. Von da an wurde das MfS aktiv. Als Richard Wagner und William Totok im Juni 1987 am »Kirchentag von unten« in der evangelischen Kirche »Zum Vaterhaus« am Baumschulenweg in Ostberlin teilnahmen, verlas der dortige Pfarrer aufgrund eines fingierten Telegramms vorab eine Absage, sodass ihre Lesung von weniger Zuhörern besucht war. Im Publikum aber befanden sich mindestens zwei IM: der DDR-Schriftsteller Rainer Schedlinski, vom MfS als IM »Gerhard« geführt, und der Dresdner Journalist Eckhard Bahr, der beim MfS als IM »Hans Reimann« erfasst war. IM »Gerhard« meldete danach, dass die beiden Gäste aufgrund ihrer »gebrochenen Aussprache« und der Akustik in der Kirche nur schwer zu verstehen gewesen seien. IM »Hans Reimann« hob dagegen auf die Gefahr ab, dass »diesen Rumänen« die Möglichkeit gegeben werde, »sich in der Öffentlichkeit in der DDR zu artikulieren«. Dies passe in die »Politik des Gegners gegenüber Rumänien«. Es werde versucht darzustellen, so merkte er weiter an, »wie unmenschlich Sozialismus sein kann und dass der Sozialismus manchmal menschenfeindlicher sein kann als Faschismus«. Damit wurde er dem Anliegen von Wagner und ­Totok gewiss nicht gerecht, doch das MfS war alarmiert. Nachhaltigen Eindruck hinterließ Herta Müller, als sie Ende September 1988 im Kreiskulturhaus Treptow in Ostberlin an einer Veranstaltung teilnahm. IM »Gerhard« berichtete dem MfS, Herta Müller habe die Auffassung vertreten, die DDR-Nachwuchsautoren sollten sich besser organisieren, um »mehr politische Wirksamkeit gegenüber dem Staat« zu erreichen.1234 Die vier ausgewanderten rumäniendeutschen Schriftsteller beteiligten sich im Herbst 1988, zusammen mit anderen osteuropäischen Dissidenten, maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung des europaweiten »Aktionstags Rumänien«, der am 15. November 1988 stattfand. In Westberlin organisierte Freya Klier an diesem Tag an der Gedächtniskirche ein öffentliches Schauspiel. Dort trat Helmuth Frauendorfer, mit einem Ceaușescu-Kopf verkleidet, in der Rolle des Diktators auf, während Herta Müller und Richard Wagner, ebenso wie ­Jürgen Fuchs, Texte vortrugen.1235 1234  BStU, MfS, AIM 1054/91 (IM »Gerhard«), Bd. I/1, Bl. 15, 36 f., Bd. II/3, Bl. 315 f., 329; Beifügungs-Band 1, Bl.  8, 15–17. Vgl. auch BStU, MfS, HA XX/ZMA, 4094, Bl.  45– 49. Schedlinskis umfangreiche Spitzeltätigkeit beschreibt Walther: Sicherungsbereich Literatur, S. 763–768. BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2576/90 (»Hans Reimann«), Bd. I/1, Bl. 87, Bd.  II/5, Bl.  47–53, 185–187. Zum Auftritt Totoks und Wagners 1987 in Ostberlin auch ­Schenker: Eine Internationale der Dissidenz, S. 11. 1235  Schriftlicher Hinweis von Freya Klier an den Verfasser vom 21.12.2009 sowie Lebende Flamme. Morddrohungen gegen Rumäniendeutsche in Westberlin weisen auf Aktivitäten des Bukarester Geheimdienstes »Securitate«. In: Der Spiegel 42 (1988) 46 v. 14.11.1988,

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Gleichzeitig waren die Rumäniendeutschen auch in Ostberlin präsent. Darüber informierte Erich Mielke bereits vorab am 2. November 1988 SED-Chef Erich Honecker in einem acht Seiten langen Informationsbericht über die Pro­ bleme rund um den »Aktionstag Rumänien«. Darin hieß es unter anderem, in der Ostberliner Gethsemane-Kirche im Prenzlauer Berg solle während des Aktionstages »Prosa und Lyrik jetzt in Westberlin lebender ehemaliger Rumäniendeutscher verlesen werden«.1236 Gemeint waren damit Herta Müller und Richard Wagner. Außerdem, das registrierte das MfS, wurden dann auch Texte von William Totok und Helmuth Frauendorfer verlesen. Und zwar nicht nur in der Gethsemane-Kirche, sondern auch im Rahmen eines »Informations- und Fürbittgottesdienstes zur Situation in Rumänien« im evangelischen Gemeindezentrum »Am Fennpfuhl« im Ostberliner Bezirk Lichtenberg.1237 Die Aktivitäten der Rumäniendeutschen waren in dieser Phase somit auch in der DDR zu einer Chefsache geworden. Über die unliebsamen Rumäniendeutschen hatte das MfS zwischenzeitlich systematisch Informationen zusammengetragen und deren Aktivitäten in beiden Teilen Berlins dokumentiert. Mehrere Stasi-IM, die im Westteil der Stadt lebten, berichteten über die Vorbereitungen des »Aktionstags Rumänien« in Westberlin.1238 Die Daten der Rumäniendeutschen übermittelte das MfS auch S. 112 f. Vom MfS protokollierte ARD-Meldung über den Aktionstag in Westberlin und die Morddrohungen in: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 6106, Bd. 24, Bl. 8. 1236  MfS, 2.11.1988: »Information über die Vorbereitung eines ›Europäischen Aktionstages – Rumänien‹ ...« (wie Anm. 1131), Bl. 3. Dass damit Herta Müller und Richard Wagner gemeint waren, ergibt sich aus dem Bericht der HA XX/9 vom 14.10.1988: Information über geplante feindlich-negative Aktivitäten im Zusammenhang mit der Situation in der SR Rumänien. BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 6, Bl. 3, 15. 1237  MfS, 17.11.1988: Übersicht über durchgeführte/geplante Aktivitäten feindlich negativer Kräfte in der DDR im Zusammenhang mit dem »Europäischen Aktionstag – Rumänien« am 15. November 1988 und dem bevorstehenden Besuch N. Ceaușescus in der DDR am 17./18. November 1988; BStU, MfS, ZOS, Nr. 2685, Bl. 282 f., 286. MfS, HA XX/9, 14.10.1988: Information über geplante feindlich-negative Aktivitäten (wie Anm. 1236), Bl. 16. Die im Gemeindezentrum »Am Fennpfuhl« ausgegebenen Texte von Totok und Herta Müller sowie weitere kritische Info-Materialien sind vorh. in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 8584, Bl. 80–91. Vgl. auch die MfS-interne Materialsammlung zum Aktionstag in: BStU, MfS, HA XX/9, Nr. 1505. In dem Gemeindezentrum sollte ferner Manfred (Ibrahim) Böhme eine Geschichte von Frauendorfer vortragen. BStU, MfS, AOP 1056/91, Bd. 6, Bl. 532. Böhme wurde seit 1968 als IM geführt, 1990 war er kurzzeitig Vorsitzender der DDR-SPD. Vgl. hierzu Baumann: Manfred »Ibrahim« Böhme. 1238  Allein in einem Rapport der HA XX/5 (zuständig für die Verfolgung von DDR-Kritikern in Westberlin) für den Zeitraum 1. bis 20.11.1988 werden vier in Westberlin ansässige IM dieser Abteilung genannt, die über Vorbereitung und Durchführung des Aktionstages berichteten. BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 6138, Bl. 178 f. Im Einzelnen: IM »Carola«; BStU, MfS, AIM 8830/91 und IM »Streit«; BStU, MfS, AIM 8826/91. »Carola« durfte 1975 nach einem gescheiterten Fluchtversuch von Ost- nach Westberlin zu dem Westberliner »Streit« übersiedeln, der sich als Fluchthelfer betätigte. Beide spionierten für das MfS zunächst Fluchthilfeaktio-

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an den zentralen Datenspeicher der sozialistischen Geheimdienste in Moskau, »SOUD«. Außerdem wurden sie vorsorglich ausgesperrt, indem die DDR Einreiseverbote gegen sie erließ.1239 Helmuth Frauendorfer war zusätzlich ins Visier der DDR-Auslandsspionage (HV  A) geraten, weil er sich in Westberlin in der »Initiative Freiheit für Andersdenkende« betätigte, in der ausgebürgerte DDR-Dissidenten und engagierte Westberliner ihren Protest gegen das SED-Regime fortsetzten und von hier aus ihre in der DDR gebliebenen Freunde unterstützten. Nachdem er im August 1988 für den Deutschlandfunk eine Sendung über die beiden letzten »Betonköpfe Honecker und Ceaușescu« produziert hatte, verweigerte man ihm bis zum Mauerfall die Einreise in die DDR. Die HV A rechnete ihn dem Personenkreis zu, der vom Westen aus »steuernd auf die politische Untergrundtätigkeit in der DDR« einwirkte.1240 Ähnlich erging es Herta Müller und Richard Wagner. Nachdem der Westberliner Rundfunksender RIAS am 14. Oktober 1988 eine Lesung der beiden ausgestrahlt hatte, traf auch sie das Verdikt der Einreisesperre. Bereits am darauffolgenden Tag, als sie an einer Rumänien-Veranstaltung in der Dresdner Versöhnungskirche teilnehmen wollten, verweigerten die DDR-Behörden ihnen das Einreisevisum. In der Dresdner Tageszeitung »Die Union« vom 14./15. Oktober 1988 war ihre Teilnahme bereits angekündigt worden. Dass die Einreisesperre lediglich auf sechs Wochen befristet war, erfuhren sie erst Anfang der 1990erJahre aus den MfS-Akten. Denn seit dem Spätherbst 1988 hatte das Paar für einige Zeit vorsichtshalber auf weitere Einreisen in die DDR verzichtet, weil auch

nen aus, sodann ab Anfang der 1980er-Jahre als aktive Mitglieder den Westberliner Landesverband der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus« und in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre blockübergreifende Initiativen von Friedens- und Umweltgruppen. IM »Franz«; BStU, MfS, AIM 9207/91. »Franz«, bei dem es sich um den Westberliner Journalisten Gerd Fischer handelte, sollte seit Jahresanfang 1987 ebenfalls schwerpunktmäßig blockübergreifende Initiativen ausspähen und aus der DDR ausgebürgerte Regimekritiker wie Jürgen Fuchs und Roland Jahn überwachen. BStU, MfS, AIM 9207/91, Bd. I/1, Bl. 64–66. 1994 verurteilte das Kammergericht Berlin Gerd Fischer wegen seiner 20 Jahre währenden IM-Tätigkeit zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe. Siehe Haftstrafe für Stasi-Agenten. In: Mitteldeutsche Zeitung v. 23.7.1994. Der Westberliner Taxifahrer IM »Martin«, BStU, MfS, AIM 8881/91, wurde erst 1987 als 42-Jähriger vom MfS angeworben. Alle vier West-IM wurden an die »Initiative Freiheit für Andersdenkende«, die den Aktionstag für Westberlin maßgeblich vorbereitete, herangeschleust, ohne ursprünglich dazuzugehören. Auch IM der HV A werden die Vorbereitungen des »Aktionstags« beobachtet haben. Vgl. Anm. 1240. 1239 BStU, MfS, HA XX/AKG-VSH, Kerblochkarteikarten zu Frauendorfer, Müller, ­Totok und Wagner. Der Stempel »ZAIG-5« auf den Karteikarten verweist auf eine Erfassung im SOUD-Datenspeicher in Moskau. Federführend im Fall der vier Genannten war die MfS-Hauptabteilung XX/5, deren Aufgabe es war, DDR-Kritiker im Westen zu verfolgen. 1240  MfS, HV  A, Abteilung IX: Präzisierung des Informationsbedarfs zur Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit (PUT) gegen die Deutsche Demokratische Republik vom 29.02.1988; BStU, MfS, BV Leipzig, Abt. XV, Nr. 879, Bl. 38 f.

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sie beide nun in Westberlin Morddrohungen der Securitate ausgesetzt waren.1241 Die Einschüchterungsaktion der Securitate löste insofern eine – nachvollziehbare – Selbstbeschränkung aus, die das selbe Resultat zeitigte wie die Einreisesperre des MfS.  Gegen William Totok ließ das MfS im Herbst 1988 ebenfalls eine Einreisesperre in die DDR verhängen, die bis Ende November 1988 befristet war. Bei früheren Reisen, die Totok 1987/88 in die DDR unternommen hatte, hatte ihn das MfS mitunter auf Schritt und Tritt überwacht.1242 Auch er und Helmuth Frauendorfer erhielten im Herbst 1988 Briefe mit Morddrohungen von der Securitate. Als Absender dieser Drohbriefe, die in Baden bei Wien abgestempelt waren, hatte der rumänische Geheimdienst die fiktive »radikal-patriotische Organisation des rumänischen Exils ›Söhne des Avram Iancu‹« angegeben.1243 Herta Müller schreibt über die damaligen Drohungen der Securitate nach Westberlin hinein: »Ihre Schlinge war mir nachgereist.«1244 Die aus Rumänien herausgedrängten Banater Schriftsteller waren im Berlin der späten 1980er-Jahre also den Maßnahmen zweier kommunistischer Geheimdienste ausgesetzt. Das MfS beschränkte sich auf die »leise Form des Terrors«, wie der verstorbene Schriftsteller Jürgen Fuchs die vorbeugenden, administrativen und zersetzenden Maßnahmen der Geheimpolizei bezeichnete. Anders dagegen die Securitate, die den Ausgewanderten auch Spitzel nach 1241  Kerblochkarteien zu Müller und Wagner (wie Anm. 1239) sowie mündliche Mitteilung von Richard Wagner an den Verfasser vom 5.3.2009. Über die beabsichtigte Teilnahme in Dresden vgl. auch Bericht des IM »Hans Reimann« vom 19.9.1988. BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2576/90, Bd. II/5, Bl. 244; dass. in: BStU, MfS, HA XX/ZMA, Nr. 4094, Bl. 45. Wagner reiste vermutlich im April 1989 wieder nach Ostberlin, um über eine Hilfsaktion für Rumänienflüchtlinge in Ungarn zu beraten. Vgl. hierzu Bericht des IM »Hans Reimann« vom 8.6.1989; BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2576/90, Bd. II/6, Bl. 29. Der damals noch in Rumänien lebende Schriftsteller Franz Hodjak konnte sich wenig später an der Veranstaltungsreihe in der Dresdner Versöhnungskirche mit einer Lesung beteiligen. Vgl. hierzu BStU, MfS, BV Dresden, AIM 2576/90, Bd. II/5, Bl. 274 f. Dass er 16 Jahre zuvor vom MfS als angeblich führendes Mitglied einer vermeintlichen »reaktionären Gruppe« bezeichnet worden war, stand dem nicht mehr entgegen. 1242  Zu Totoks Überwachung durch das MfS siehe Herbstritt: Ein unwillkommener Besucher in der DDR. Vgl. auch das MfS-interne Auftragsersuchen zur Beobachtung Totoks vom 12.10.1987 in: BStU, MfS, HA VIII, Nr. 3446, Bl. 123–130, sowie die Kerblochkarteikarte zu Totok, HA XX/AKG-VSH mit Vermerk der Einreisesperre. Die in der Kerblochkarteikarte behauptete Reise Totoks nach Dresden hat nie stattgefunden. 1243  Der Spiegel 42 (1988) 46, S. 112 f. (wie Anm. 1235). Ebenso Berichte in »Die Zeit« und »Süddeutsche Zeitung«, jeweils 11.11.1988; als Faksimile zusammen mit einem Drohbrief abgedruckt im unpaginierten Anhang des Buches von Totok: Constrângerea memoriei. Solche Drohbriefe gehörten zum gängigen Repertoire der Securitate. Vgl. Kemper: Verrat an Österreich, S. 27, wo zwei solcher Drohbriefe von 1981 als Faksimile abgebildet sind. Sie sollten rumänische Emigranten davon abhalten, während Ceaușescus Staatsbesuch in Österreich vom 9. bis 12.6.1981 zu protestieren. 1244  Müller, Herta: Der König verneigt sich und tötet, S. 190.

Exkurs: Westarbeit der Securitate in den Berichten des Bf V

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Westberlin hinterherschickte und versuchte, sie durch Morddrohungen einzuschüchtern. Beide Geheimdienste agierten zur gleichen Zeit, aber offenbar ohne irgendeine Absprache miteinander.1245 Dennoch ergänzten sich deren Repressionsmaßnahmen zu einer zusammenhängenden Bedrohungskulisse. Und beide bedienten dabei die Sicherheitsinteressen ihrer Auftraggeber, also der SED und der Rumänischen Kommunistischen Partei. Doch letztlich scheiterten sie mit ihrer Absicht, diese kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen.

6.6 Exkurs: die Westarbeit der Securitate in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Seit Ende der 1960er-Jahre veröffentlicht das Bundesamt für Verfassungsschutz jedes Jahr einen allgemein zugänglichen Bericht, in dem es aus seiner Perspektive über die Gefahren schreibt, die von Links- und Rechtsextremisten sowie von fremder Spionage ausgehen. Zwischen 1972 und 1996 enthielten die Jahresberichte jeweils auch ein kurzes Kapitel über die Aktivitäten der Securitate und ihrer Nachfolgedienste in der Bundesrepublik. Somit bot diese Publikationsreihe schon vor 1990 punktuell Einblick in die »Westarbeit« der Securitate. An einige Themen und Vorfälle, die damals schon öffenlich verhandelt wurden, sei hier erinnert. So wiesen die Jahresberichte seit 1972 immer wieder öffentlich darauf hin, wie die Securitate gezielt unter rumäniendeutschen Auswanderern sowie unter deutschen Touristen in Rumänien Agenten zu rekrutieren versuchte. Ebenso erläuterten die Jahresberichte, in welchem Umfang die kommunistischen Länder ihre Botschaften, Handelsniederlassungen und andere staatliche Repräsen­ tanzen in der Bundesrepublik mit Geheimdienstmitarbeitern durchsetzt hatten. Je nach Land und Institution schwankte der Anteil angeblich zwischen 5 und 40  Prozent. Rumänien hatte in seinen verschiedenen Niederlassungen in der Bundesrepublik Mitte der 1970er-Jahre 87 Mitarbeiter mit rumänischer Staatsangehörigkeit beschäftigt. 1982 zählte der Verfassungsschutz beispielhaft drei Mordanschläge auf Regime­gegner in der Bundesrepublik auf, die er der Securitate zuschrieb. Dazu zählten der Überfall auf den Redakteur von »Radio Free Europe« in München, Emil Georgescu, und das Briefbombenattentat auf den in Köln lebenden Șerban Orescu. Beide überlebten die Anschläge 1981 schwer verletzt. 1984 beschrieb der Verfassungsschutz drei Aktionen der Securitate in der Bundesrepublik: einen Raubüberfall und eine versuchte Entführung, die sich jeweils gegen einen Exil1245  Weder in den hier zitierten MfS-Unterlagen noch in den Überwachungsakten, die die Securitate über die hier genannten Banater angelegt hatte, findet sich ein Hinweis auf Absprachen der beiden Geheimdienste.

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rumänen richteten, sowie die Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags auf »Radio Free Europe« in München. Ausnahmsweise benannte der Verfassungsschutz in diesen Fällen auch die Mitarbeiter der rumänischen Botschaft, die diese Securitate-Aktionen maßgeblich durchführten: Botschaftsrat Constantin Ciobanu, der Leiter der Konsularabteilung Ion Constantin sowie die Botschaftssekretäre Ion Grecu, Ioan Lupu und Dan Mihoc. In diesen Fällen aus dem Jahre 1984 konnte sich der Verfassungsschutz auf Angaben eines rumänischen Geheimdienstoffiziers stützen, der bis dahin in der rumänischen Botschaft in Bonn eingesetzt war und im September 1984 in die Bundesrepublik übergelaufen war. Die Securitate musste daraufhin die meisten ihrer Mitarbeiter in der rumänischen Botschaft nach Rumänien zurückziehen. Die fünf namentlich Genannten wurden von der Bundesregierung im November 1984 ausdrücklich aufgefordert, die Bundesrepublik zu verlassen.1246 Ioan Lupu kehrte am 1. April 1987 nach (Ost-)Deutschland zurück und fungierte bis 1990 als Botschaftsrat an der rumänischen Botschaft in Ostberlin, wo er bereits zwischen 1969 und 1975 eingesetzt war.1247 Im rumänischen Außenministerium sah man auch nach der Revolution keinen Anlass, sich von solchen Diplomaten zu trennen. Lupu blieb bis zu seiner Pensionierung 2005 im diplomatischen Dienst seines Landes.1248

1246  Vgl. die jährlichen Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die vom Bundesinnenministerium in Broschürenform unter wechselnden Titeln (bis 1982: »betrifft: Verfassungsschutz«; ab 1983: »Verfassungsschutzbericht«) herausgegeben werden und öffentlich zugänglich sind. Siehe insbes. die Berichte über die Jahre 1972, S. 124; 1973, S. 101 f., 109; 1974, S. 112, 117; 1975, S. 120; 1977, S. 135 f.; 1978, S. 140; 1982, S. 197, 200 f., 209 f.; 1983, S. 195 f.; 1984, S. 242 f.; 1986, S. 257, 264; 1991, S. 179 f.; 1992, S. 194; 1993, S. 199 f.; 1994, S. 216 f.; 1995, S. 257 f.; 1996, S. 222; 1997, S. 176. Die rumänische Botschaft in der Bundesrepublik hatte ihren Sitz bis Mitte der 1980er-Jahre in Köln, anschließend in Bonn. Über die Enttarnung der fünf Botschaftsmitarbeiter berichteten einige Medien ausführlich, unter anderem die Neue Zürcher Zeitung v. 14.10.1984: Absprung eines Rumänen in Bonn; Die Welt v.  9.11.1984: In Bonn schwerer Verdacht gegen rumänische Diplomaten; Quick v. 22.11.1984: Mordkommandos jagen den Überläufer. Die »Quick« veröffentlichte hier auch Fotos der fünf Genannten. Die Presseberichte sind vorhanden in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 9654, Bd. 1, Bl. 10– 18. Zu Georgescu siehe u. a. seinen Aufsatz »Das gefährliche Leben eines Publizisten im Exil«. Die Funkaufklärung des MfS erlangte detaillierten Einblick in die Überwachungsmaßnahmen des Bf V (Observationsgruppe Köln der Bf V-Abteilung IV) gegen die rumänische Botschaft in Bonn in der Zeit vom 23.10. bis 5.11.1984. Insbesondere stellte die MfS-Funkaufklärung fest, zu welcher Zeit Bf V-Mitarbeiter die von rumänischen Diplomaten genutzten Pkw an welchen Orten beobachteten. Vgl. hierzu MfS-HA III, 23.11.1984: Bericht zu einer Aktion des BRD-Verfassungsschutzes gegen Angehörige der diplomatischen Vertretung der Sozialistischen Republik Rumänien in der BRD, G/30967/22/11/84; BStU, MfS, HA II, Nr. 40768, Bl. 90–101 sowie ähnlich ebenda, Bl. 324–326. Ob das MfS seine Erkenntnisse an Rumänien weitergab, ist nicht ersichtlich. 1247  BStU, MfS, HA II, Nr. 212, Bd. 2, Bl. 194. 1248  Evenimentul zilei, 28.11.2007: Ei sunt »teroristi« de la Europa Libera; im Internet unter http://www.evz.ro/ei-sunt-teroristii-de-la-europa-libera-469718.html (Stand: 9.6.2016).

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Auch das MfS bezog sich gelegentlich auf diese allgemein zugänglichen Berichte. So erarbeitete die Abteilung IX/C der HV A im September 1978 eine interne, zweiseitige Mitteilung darüber, welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz über die Tätigkeit der Securitate besaß. Den größten Teil dieser Mitteilung hatte die HV  A IX/C indes wörtlich aus dem Verfassungsschutzbericht abgeschrieben.1249 Obwohl man diesen Fall nicht verallgemeinern darf, ist er erwähnenswert, weil er zeigt, dass nicht jedes Dokument aus dem MfS-Archiv exklusives Hintergrundwissen darstellt.

1249  HV A IX/C/12, 22.9.1978: Erkenntnisse der Abwehrorgane der BRD über die Tätigkeit des rumänischen Nachrichtendienstes; BStU, MfS, HA II, Nr. 18663, Bl. 227 f. Vgl. hierzu den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1977, S. 135 f. Aufgabe der Abteilung IX der HV A war die Gegenspionage, insbesondere die Unterwanderung westlicher Geheimdienste.

7. Schlussbetrachtung Die Beziehungen zwischen Securitate und MfS durchliefen drei Phasen. Beginnend in den frühen 1950er-Jahren entwickelte sich eine breit angelegte Zusammenarbeit, wie sie damals auch zwischen anderen sozialistischen Geheimdiensten aufgebaut wurde. Sowjetische Vorgaben an die östlichen Staatssicherheitsdienste, untereinander zu kooperieren sowie die Vorstellung, bei der Bekämpfung westlicher Einflüsse gleiche Interessen zu verfolgen, bildeten wesentliche Grundlagen der Zusammenarbeit. Die Securitate-Residentur bzw. -Operativgruppe in Ostberlin erhielt vom MfS auf entsprechende Anforderung hin jede Art geheimpolizeilicher Unterstützung – etwa bei der Entführung von Emigranten in den Osten, bei Personenkontrollen und der Postüberwachung oder bei der Bereitstellung von Häusern und Wohnungen für geheime Treffs. Die Zusammenarbeit umfasste auch den Austausch von Spionageinformationen und von Spionagetechnik sowie gegenseitige Besuche. Im Visier der gemeinsamen Operationen standen vor allem Emigranten und Flüchtlinge aus Rumänien, die in Westberlin lebten, aber auch in anderen Gegenden in Deutschland. Im April 1964 proklamierte die Rumänische Arbeiterpartei in einer öffentlichen Erklärung ihren Anspruch auf einen nationalen Sonderweg und grenzte sich von ihren Verbündeten ab. Die Securitate vollzog diesen Schritt mit und stellte die Zusammenarbeit mit dem MfS vorläufig ein. Die nun folgende Phase zwischen 1964 und 1973 ist geprägt von Abgrenzung und letztlich vergeblichen Versuchen der Wiederannäherung. Beide Staatssicherheitsdienste kooperierten in der zweiten Hälfte der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre wieder, wenngleich auf sehr niedrigem Niveau. Die dritte Phase überschneidet sich zeitlich mit der vorherigen. Nachdem Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 die Tschechoslowakei besetzt hatten und Nicolae Ceaușescu offen dagegen Position bezogen hatte, sahen beide Staatssicherheitsdienste im jeweils anderen Land auch einen potenziellen Gegner. Die Securitate gründete noch 1968 eine Abteilung, die sich auf die Abwehr sozialistischer Geheimdienste spezialisierte, während das MfS nun eine Spionageresidentur in der DDR-Botschaft in Bukarest einrichtete. Die Konfrontation mündete schließlich in dauerhafte Distanz. Nach 1973 ist in den Akten keine reguläre Zusammenarbeit mehr zwischen den beiden Staatssicherheitsdiensten dokumentiert, vielmehr wird an einigen Stellen die nicht mehr gegebene Zusammenarbeit angesprochen. Gleichwohl senkte sich kein »Eiserner Vorhang« herab, denn auch weiterhin gab es punktuell Verbindungen zwischen Securitate und MfS. Die bilateralen Geheimdienstbeziehungen lassen sich in zwei größeren Zusammenhängen betrachten: Sie sind Bestandteil der staatlichen Beziehungen

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zwischen Rumänien und der DDR, und sie ordnen sich in das multilaterale Beziehungsgefüge der sozialistischen Geheimdienste ein. Was den Aspekt der zwischenstaatlichen Beziehungen betrifft, so belastete das rumänische Autonomiestreben in den 1960er-Jahren das Verhältnis zwischen beiden Ländern und wirkte sich auch unmittelbar auf die geheimdienstlichen Beziehungen aus. In der Honecker-Ära entspannten sich die zwischenstaatlichen Beziehungen schrittweise. Die DDR folgte der sowjetischen Linie, Rumänien möglichst weitgehend in die östlichen Bündnisstrukturen einzubinden. Es gab zwar nach 1968 auch sowjetische Pläne für eine Invasion in dem südosteuropäischen Land. Doch letztlich schätzte die Sowjetunion den rumänischen Sonderweg nicht als derart bedrohlich ein, dass sie das Risiko und die Verluste einer militärischen Intervention in Kauf genommen hätte. So unterhielt auch die DDR im Rahmen dieser Politik des Einbindens in den 1970er- und 1980er-Jahren, trotz der zunehmend isolationistischen Tendenzen Rumäniens, zumindest mäßig ausgeprägte, beständige Arbeitsbeziehungen sowie Austausch zwischen den herrschenden Parteien RKP und SED, ebenso in den Bereichen des Militärs, der Wirtschaft, des Zolls, der Polizei und anderer. Dies kontrastiert mit der sehr viel größeren Distanz zwischen Securitate und MfS. Die Geheimdienstbeziehungen waren in diesen beiden Jahrzehnten deutlich schlechter als die zwischenstaatlichen Beziehungen insgesamt. 1964 grenzte sich die Securitate nicht nur vom MfS ab, sondern auch von anderen Verbündeten. So wurden damals die Beziehungen der Staatssicherheitsdienste Ungarns und Rumäniens »auf Eis gelegt«.1250 Schon im Jahr zuvor hatte Innenminister Alexandu Drăghici die letzten KGB-Berater aus dem Land gedrängt und erweiterte damit den rumänischen Handlungsspielraum. Der damalige Einschnitt betraf daher nicht nur die bilateralen Beziehungen zwischen Securitate und MfS, sondern offenbar die Außenbeziehungen der Securitate mit allen sozialistischen Staatssicherheitsdiensten. In den Folgejahren kam es jedoch zu einer bemerkenswerten Ausdifferenzierung. Die Securitate institutionalisierte mit ihrer Anti-KGB-Abteilung zwar seit Spätsommer oder Herbst 1968 die Abwehr gegen ihre Verbündeten, bot ihnen aber gleichzeitig wieder eine Zusammenarbeit an. Securitate-Chef Ion Stănescu zeigte sich in seiner Amtszeit von Juli 1967 bis März 1973 besonders umtriebig mit Kooperationsofferten. Im Juni 1968 und im Februar 1971 schloss die Securitate Kooperationsvereinbarungen mit ihrem bulgarischen Pendant, im Mai 1969 und April 1972 mit dem ungarischen. Das MfS reagierte hingegen ablehnend. In Ostberlin bezweifelte man den Sinn einer solchen Vereinbarung und glaubte, bestehende Differenzen würden damit allenfalls übertüncht. Eine inhaltsleere Vereinbarung, so die offenkundige Befürchtung beim MfS, könnte die Securitate als Beweis für ihre Bündnis­ treue anführen, ohne dass sie sich tatsächlich in die Bündnisdisziplin einbinden 1250  Bottoni: »Freundschaftliche Zusammenarbeit«, S. 17.

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ließe. In der Tat lässt das Vorgehen der rumänischen Seite dieses taktische Kalkül erkennen. Denn trotz ihrer demonstrativen Kooperationsangebote strebte die Securitate vor allem nach mehr Autonomie innerhalb des Bündnisses. Sie zeigte sich formal loyal, entfernte sich aber faktisch von ihren Verbündeten. Das wirft die Frage auf, inwiefern die damaligen rumänischen Kooperationsangebote dazu dienten, die Bündnispartner zu beschwichtigen. Die sozialistischen Geheimdienste verfolgten Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre unterschiedliche Strategien gegenüber dem schwierigen Verbündeten aus Rumänien. Das MfS bezog eine dezidiert ablehnende Haltung und verweigerte sich, anders als andere Verbündete, den Offerten aus Bukarest. Offenbar gab es hier zeitweilig einen gewissen Handlungsspielraum und kein einheitliches Vorgehen. Womöglich agierten Ungarn und Bulgarien offener, weil sie gegenüber dem unmittelbaren Nachbarn Rumänien andere strategische, sicherheitspolitische und geheimpolizeiliche Interessen hatten als die ferner gelegene DDR. Einiges deutet darauf hin, dass letztlich der KGB dafür sorgte, dass diese Kooperationsofferten Anfang der 1970er-Jahre faktisch ins Leere liefen. Somit verharrte die Securitate in einer Außenseiterposition, die sich als zweischneidig erwies. Einerseits brachte sie eine gewisse Autonomie mit sich, andererseits auch Isolation. Dass die Beziehungen zwischen den sozialistischen Geheimdiensten sehr verschieden ausgeprägt waren, hat der Berliner Historiker Christian Domnitz in seiner Studie über die MfS-Operativgruppen im sozialistischen Ausland gezeigt. Aus Sicht des MfS, so Domnitz, habe es mit dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst eine »gute Zusammenarbeit« gegeben, mit dem ungarischen eine zwar reguläre, aber auch »problematische« Zusammenarbeit. Einige Probleme habe das MfS nach dem »Prager Frühling« gehabt, den tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst »zu einer engen Kooperation zu bewegen«. Und mit der polnischen Seite habe lediglich eine »inszenierte Zusammenarbeit« stattgefunden.1251 Wie die HV A ihre Verbündeten einschätzte, berichtete 1979 der Überläufer Werner Stiller dem BND. Das Verhältnis zu den Staatssicherheitsdiensten Polens, der Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgariens sei »distanziert und kooperativ« und von Misstrauen und Eigeninteressen geprägt gewesen. Gegenseitige Unterstützung gewähre man sich nicht so sehr, um das sozialistische Lager zu stärken, sondern um bei Bedarf selbst Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Aus HVA-Sicht sei der bulgarische Dienst der beliebteste Verbündete gewesen, gefolgt von Ungarn, der Tschechoslowakei und mit einigem Abstand erst Polen. Die Securitate hingegen sei als »Feinddienst« wahrgenommen worden, so Stiller damals.1252 Aus polnischer Perspektive stellt der Historiker Tytus Jaskułowski 1251  Domnitz: Kooperation und Kontrolle, S. 240 f. 1252  Nehring: Der MfS-Überläufer Werner Stiller, S. 76 f., 82. Nehring stützt sich für seine Darstellung auf Dokumente aus dem BND-Archiv.

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fest, dass das MfS für den polnischen Staatssicherheitsdienst ein extrem unbeliebter und allenfalls ein »geduldeter Verbündeter« gewesen sei, mit dem deutlich weniger Austausch stattgefunden habe als mit anderen sozialistischen Geheimdiensten.1253 Das Beziehungsgefüge der sozialistischen Geheimdienste erweist sich als vielschichtig und durchaus auch geprägt von einzelstaatlichen Interessen. Erst die hier aufgezeigte multilaterale Perspektive lässt die Unterschiede erkennbar werden. Der rumänische Sonderweg bedeutete allerdings eine extreme Außenseiterposition, die andere Staatssicherheitsdienste untereinander nicht einnahmen. Die betont ablehnende Haltung des MfS gegenüber den Kooperationsofferten der Securitate bildete indes nur eine von mehreren Handlungsoptionen. Das MfS hielt um die Wende von den 1960er- zu den 1970er-Jahren einen größeren Abstand zur Securitate als manche anderen Staatssicherheitsdienste. Die Außenseiterposition der Securitate trat in den 1970er- und 1980er-Jahren umso deutlicher zutage, je enger die übrigen sozialistischen Geheimdienste kooperierten. Der letztlich maßgebende Einfluss des KGB auf das geheimdienstliche Beziehungsgefüge erschließt sich aus den überlieferten und zugänglichen Akten nur vage. Gewiss brach die Verbindung zwischen den Geheimdienstführungen in Moskau und Bukarest nicht ab. Doch die Rolle des KGB bleibt ein wichtiges Forschungsdesiderat. Unter sicherheitspolitischen Aspekten bescherte der rumänische Sonderweg dem MfS ein doppeltes Defizit: zum einen fiel die Securitate als verlässlicher Bündnispartner aus, es gab keine gemeinsamen Aktionen, keinen regulären Daten- und Erfahrungsaustausch mehr. Zum anderen sah das MfS in Rumänien und seinem Staatssicherheitsdienst ein potenzielles Risiko für die Einheit und die Sicherheit des gesamten sozialistischen Systems, und es traf entsprechende Vorkehrungen, indem es Rumänien mit nachrichtendienstlichen Mitteln bearbeitete. Da die bilateralen Verbindungen zwischen den beiden Staaten und den Menschen beider Länder nicht allzu eng waren, hielten sich die Auswirkungen für das MfS jedoch in Grenzen. Von Entwicklungen in Polen und der Tschechoslowakei war die DDR unmittelbarer betroffen. Doch was bedeuteten die geheimdienstlichen Verbindungen und Zerwürfnisse für die Menschen, die ins Zielfeld dieser Institutionen gerieten? Die gemeinsamen Aktionen von Securitate und MfS in den 1950er-Jahren trafen nicht nur die unmittelbaren Opfer, sondern verbreiteten darüber hinaus in größeren Kreisen Misstrauen untereinander und Angst vor dem »langen Arm« der östlichen Geheimdienste. Seit Ende der 1960er-Jahre beklagte das MfS hingegen, keinen direkten Zugriff mehr auf DDR-Bürger in Rumänien zu haben. So sah es sich in seinem ausufernden Kontrollbedürfnis eingeschränkt. Für einen kurzen 1253  Jaskułowski: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen, S. 269, 274.

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Augenblick profitierten einige DDR-Bürger davon, denen aufgrund fehlender geheimdienstlicher Absprachen die Flucht über Rumänien in den Westen gelang. Doch das MfS kompensierte das entstandene Überwachungsdefizit rasch, indem andere DDR-Institutionen wie das Konsulat in Bukarest oder die Generalstaatsanwaltschaft bestimmte Aufgaben übernahmen. Das MfS überwachte zudem mit eigenen IM DDR-Urlauber in Rumänien. Die Securitate wiederum observierte diese Stasi-Spitzel. So entstand eine Überwachungsparanoia. Rumänische Staatsbürger gerieten im Regelfall nur oberflächlich in den Blick des MfS. Das MfS registrierte beispielsweise einige Aktivitäten rumäniendeutscher Schriftsteller in Bukarest, Klausenburg und Temeswar und sammelte vor allem seit 1983 Stimmungsberichte aus dem rumänischen Alltag. Doch es beschränkte sich darauf, zu beobachten, ohne selbst vor Ort einzugreifen, wohl wissend, dass die Securitate das Land im Griff hatte. Erst als einige der Temeswarer Schriftsteller 1987 nach Westberlin ausgewandert waren, Beziehungen zu Dissidenten oder Oppositionellen in Ostberlin aufbauten und dort über ihre Erfahrungen in Rumänien berichteten, ergriff das MfS Maßnahmen gegen sie und verhängte Einreisesperren. Kritisch wurde es aus MfS-Perspektive schließlich, als in den späten 1980er-Jahren immer mehr DDR-Bürger im eigenen Land gegen die menschenverachtende Politik Ceaușescus protestierten und dabei zugleich die DDR-Führung für ihre Ceaușescu-freundliche Haltung angriffen. Das MfS sah zwar in der rumänischen Politik spätestens seit 1968 eine potenzielle Bedrohung für die »Einheit der sozialistischen Staatengemeinschaft« und spionierte daher in diesem Land, aber den oppositionellen Protest in der DDR gegen die Zustände in Rumänien bekämpfte es wie selbstverständlich. Denn hier ging es um grundsätzliche Machtfragen, und da wussten sich die Führungen beider Länder auf derselben Seite. Anders als es die eingangs zitierte Stasi-Presseerklärung vom 23. Dezember 1989 glauben machen wollte, sympathisierte das MfS mit den Aufständischen in Rumänien ebenso wenig wie mit denen in der DDR. In den Beziehungen zwischen Securitate und MfS sowie in der Sicht des MfS auf Rumänien widerspiegelt sich aus einer eigentümlichen Perspektive (ost-) deutsch-rumänische Geschichte. Der rumänische Sonderweg, der aus diesem Blickwinkel deutlich hervortritt, dient darüber hinaus als ein Maßstab dafür, wie groß der Handlungsspielraum eines sozialistischen Landes innerhalb des sowjetischen Machtbereiches sein konnte. Dass dieser Handlungsspielraum im Fall Rumäniens der eigenen Bevölkerung nicht zugute kam, darf dabei nicht vergessen werden.

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Dokumente Dokument 1 22. März 1971 Notiz über ein Gespräch mit dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für Staatssicherheit der Sozialistischen Republik Rumänien Genossen Generalleutnant Doicaru am 18.3.1971 von 10.00 bis 13.00 Uhr in Berlin-Pankow, Appartementhaus Archivbestand/Signatur: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 196–213. Vermerke: 4 Exemplare gefertigt, keine Angaben zu den Empfängern.

Das Gespräch erfolgte auf Bitte des Genossen Doicaru anlässlich seiner Durchreise von Dänemark nach der SRR. (siehe Fernschreiben)1254 Teilnehmer: Gen[osse Nicolae] Doicaru Gen[osse Vasile] Goga Leiter der Operativen Technik der Verwaltung für Aufklärung persönlicher Referent und Dolmetscher Gen[osse] Brica Gen[osse Markus] Wolf Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit Gen[osse Willi] Damm Leiter der Abteilung X Gen[osse Werner] Kamilli Dolmetscher der Abteilung X Nach der Begrüßung und Übermittlung von Grüßen der Minister trug Genosse Doicaru folgende Probleme vor: 1. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Besuch des Genossen Walter Ulbricht in der Sozialistischen Republik Rumänien bitten die Sicherheitsorgane der SRR um Mitteilung, ob und zu welchem Termin vonseiten des Ministeriums für Staatssicherheit die Entsendung eines stellv. Ministers oder anderen verantwortlichen Mitarbeiters vorgesehen ist, mit dem die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen beraten und abgestimmt werden könnten. 2. Unter Bezugnahme auf die Tagung in Budapest1255 übergab Genosse Doicaru eine Reihe von Informationen. 3. Anmahnung eines Fernschreibens der rumänischen Sicherheitsorgane über einen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Passkontrolle. 1254  Zu diesem Gespräch siehe auch Kapitel 2.3.6. 1255  Vom 7. bis 10. Dezember 1970 fand in Budapest eine Beratung der Auslandsspionage-Abteilungen der Ostblock-Geheimdienste statt. Vgl. Anm. 496.

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4. Übergabe von Informationen und Beweisdokumentationen in einigen Schleuservorgängen. 5. Anmahnung der Antwort des MfS auf den Briefwechsel und Vereinbarung über Wc-Verbindung1256 (unter konkreter Angabe der Tgb.-Nr. des Schriftverkehrs). 6. Unter Bezugnahme auf die Tagung in Budapest Übergabe von a) 1 Angebotsliste für den Austausch von wissenschaftlich-technischen Informationen; b) 1 Wunschliste zum gleichen Gebiet und Vorschlag zur Zusammenarbeit auf diesem Gebiet. 7. Übergabe eines Vorschlages einer Vereinbarung über den Urlauberaustausch von 3 Familien (6 Personen). 8. Fragen der operativen Technik a) Angebot verschiedener Kleinstgeräte der operativen Technik (Foto, Funk) mit Dokumentation. Die Geräte führte Genosse Goga mit. b) Übergabe einer Angebotsliste über diese Geräte mit Dokumentations-Angebotsliste c) Bitte um ein direktes Gespräch mit Spezialisten der operativen Technik und Genossen Goga. In diesem Zusammenhang Vorschlag zum gegenseitigen Austausch der Forschungs- und Entwicklungsthemen und gegenseitige Besichtigung und Erfahrungsaustausch. Dabei Verweis, dass in der SRR ein Institut mit 400 Spezialisten auf dem Gebiet der Forschung, Entwicklung und Produktion der operativen Technik existiert. 9. Bitte um eine Zusammenkunft mit Genossen Minister Mielke. Nähere Einzelheiten beabsichtigt Genosse Doicaru in einem persönlichen Gespräch mit Genossen Wolf mitzuteilen. 10. Übergabe eines Protokollentwurfs über die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen beiden Organen zum Studium und Einschätzung. Genosse Wolf: »Genosse Doicaru hat ein großes Programm entwickelt, das ausreichend für eine große offizielle Besprechung ist. Dazu sind wir in diesem Moment überfordert, da ich auf Einzelfragen nicht vorbereitet bin. Es ist möglich, dass zu einigen Fragen Genosse Damm etwas sagen kann, die nicht zu meinem Aufgabenbereich gehören. Prinzipiell möchte ich an den Anfang stellen: Viele Jahre haben wir uns gar nicht gesehen. Jetzt sehen wir uns in kurzer Zeit dreimal. Sie sind ein aktiver 1256 WČ- (WTSCH-)Verbindung: abhörsicheres Telefonsondernetz. Vgl. auch Kapitel 2.4.2.

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Kämpfer für diese Treffen. Ich habe bereits in Budapest gesagt, wie wir uns die Reihenfolge vorstellen. Unsere Länder arbeiten im System des Warschauer Paktes zusammen. Im letzten Jahr, besonders in der letzten Zeit, wurden eine ganze Reihe wichtiger Beschlüsse von den Partei- und Staatsführungen gefasst, Beschlüsse in einigen allgemeinen Grundfragen der internationalen Entwicklung. Auf verschiedenen anderen Gebieten der Wirtschaft und Verteidigung gibt es gemeinsame Beschlüsse und Maßnahmen. Auf der Linie Aufklärung haben wir uns in Budapest getroffen. Es gab allgemeine Befriedigung, dass über die Grundfragen der Einschätzung der Lage sowie der operativen Situation Übereinstimmung erzielt wurde. Ein äußerer Ausdruck ist unsere gemeinsame Anwesenheit und das Auftreten anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der sowjetischen Aufklärung in Moskau. Darüber habe ich dem Genossen Minister berichtet. Alles wurde aufmerksam und erfreut registriert. Ich habe auch über unser zweiseitiges Gespräch in Budapest berichtet. Dort habe ich Ihnen unseren Standpunkt dargelegt, welche Grundlagen für die Zusammenarbeit wir sehen und in welcher Reihenfolge wir uns das weitere Vorgehen vorstellen. Man kann von außen zum Kern vorgehen und das ist die Methode, die Sie bevorzugen. Man kann sich aber auch zunächst über die Kernfragen unterhalten. Wir sind noch beim Überlegen, welche Methode die bessere und richtigere ist. Man kann auf den verschiedensten Gebieten der Partei und in zwischenstaatlichen Beziehungen viel tun. Sicher wird es auch zwischen unseren Organen Beziehungen geben. Aber die Beziehungen zwischen Sicherheitsorganen haben einen besonderen Charakter. Nach unserem Standpunkt setzt die Zusammenarbeit auch auf bestimmten Teilgebieten die Klärung einiger Grundsatzfragen voraus. Ich bitte dies nicht als ›Nein‹ zu Ihren Vorschlägen aufzufassen. Ich habe bereits in Budapest gesagt, dass wir an einer engen Zusammenarbeit interessiert sind, wenn entsprechende Voraussetzungen gegeben sind. Wir sind noch beim Durchdenken und glauben, dass die bevorstehenden großen politischen Ereignisse eine bestimmte Bedeutung haben und Fragen auf Partei- und Staatsebene geklärt werden (Besuch Walter Ulbricht’s in Bukarest). Dies hat Bedeutung für die Zusammenarbeit. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich im persönlichen Gespräch noch einige Fragen stellen, die Voraussetzung für die Einschätzung über die Gestaltung der Zusammenarbeit sind. Ich sage dies nicht, um Ihre Vorschläge abzulehnen. Ich sage dies nur, dass Sie verstehen, wenn einiges von uns gründlich durchdacht

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wird, um die richtige Methode einer engen Zusammenarbeit für die Sicherheitsorgane zu finden. Wir wollen keine formelle Zusammenarbeit, die es in bestimmten Fragen gibt. Wir streben nach einer engen tschekistischen Zusammenarbeit. Dies auch inoffiziell, da das gesamte Gespräch nicht offiziell ist, da es nicht als Besuch von Minister zu Minister avisiert ist, wie dies bei offiziellen Gesprächen üblich ist. Zu dem, was ich in Budapest sagte, ist dies nichts Neues. Natürlich bin ich Aufklärer und danke für jede wertvolle Information, die ich erhalte. Aber wir sprechen offen miteinander, wie es sich unter Kommunisten gehört. Deshalb möchte ich auch keine diplomatischen Formulierungen, um richtig verstanden zu werden und keine Illusionen zu erwecken. Ich weiß nicht, ob ich den Minister erreichen kann und ob ich zu den Fragen der operativen Technik eine Antwort geben kann. Natürlich übergeben Sie uns die Listen und Materialien in der Erwartung der Gegenseitigkeit. Deshalb möchte ich eigentlich, obwohl ich Aufklärer bin und Sie neue Geräte bringen, von diesem Angebot keinen Gebrauch machen, solange es in dieser konkreten Frage keine prinzipielle Entscheidung und Vereinbarung gibt. Dann kann man sich über diese Fragen unterhalten und Muster zeigen, Fertigungsstätten besuchen usw. So wie es in der Vergangenheit war und wie es mit anderen Bruderorganen ist. Ich werde versuchen, den Genossen Mielke über diesen Punkt zu informieren. Aber ich glaube, dass wir diese Frage so herausgelöst nicht lösen können vor einer grundsätzlichen Entscheidung. Es ist auch praktisch schwierig, da alle Spezialisten in Leipzig sind. Diese Frage muß aber zunächst grundsätzlich entschieden werden. Dies schließt nicht unbedingt Einzelfragen aus. Aber man muss sich über einige Grundfragen bei einem offiziellen Treffen beraten und einigen können. Dann sind die anderen Dinge nicht kompliziert. Dies ist meine persönliche Meinung. Man kann auch anders vorgehen, wie Sie dies tun. Aber wir sind noch beim Überlegen. Das Gleiche betrifft den Austausch von wissenschaftlich-technischen Informationen. Dies ist ein sehr dankbares Gebiet, wo rasche Ergebnisse möglich sind, wenn entsprechende Voraussetzungen vorliegen. Man kann auch vorgehen nach dem Standpunkt des Genossen Doicaru. Ich werde darüber berichten, und wir werden dies durchdenken. Ich kann nur dasselbe sagen wie in Budapest. Wir werden die Listen studieren. Unsere Listen sind fertig. Diese werden mit anderen Ländern bereits ausgetauscht. Wir werden uns vorbereiten. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, können wir sehr schnell zusammenarbeiten.

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Die Abwehrfragen sind sehr wichtig für die Einschätzung der Bereitschaft und des Standes der Zusammenarbeit. Die Materialien werden studiert, und entsprechende Reaktionen werden erfolgen. Dasselbe betrifft die Wc-Verbindung und den Urlauberaustausch. Einige Bemerkungen für die Unterhaltung der Kontakte. Im Ministerium für Staatssicherheit werden die internationalen Kontakte unmittelbar vom Minister bzw. der internationalen Abteilung geführt. Wenn dieser richtige Weg eingehalten wird, kann man sich besser vorbereiten einschließlich der Zeitfrage. Mir ist es etwas unangenehm, Genossen Doicaru so zu empfangen. Sie sind im Hotel abgestiegen. Wir hoffen, dass Sie gut untergebracht sind. Aber es ist nicht angenehm für uns, Gäste so zu empfangen. Ich hoffe, bald die Gelegenheit zu haben, Ihnen mit mehr Zeit Berlin und die Republik zeigen zu können. Es ist besser, richtig vorbereitet zu sein und auch den richtigen Zeitpunkt abzustimmen. Mit Genossen Mielke konnte ich mich nur telefonisch verständigen. Der Genosse Mielke ist sehr stark beschäftigt. Zur Zeit laufen die Botschaftergespräche sowie die Verhandlungen mit dem Westberliner Senat und der westdeutschen Regierung. Hinzu kommt die Leipziger Frühjahrsmesse, die etwas anders und im größeren Rahmen als andere Messen ist. Sie kennen dies von früher. Aber die Zahl der teilnehmenden Länder und der Besucher ist nicht kleiner, sondern wesentlich größer geworden. Mein Stellvertreter ist ständig in Leipzig, und ich werde auch noch fahren müssen. Ein Teil des Arbeitsplatzes ist jetzt in Leipzig. Dies nur zur Erklärung, warum wir auf die richtige Vorbereitung und Abstimmung Wert legen. Nicht weil bürokratische oder protokollarische Gründe überbewertet werden, sondern weil dies einfach wichtig für die Zusammenarbeit ist. Trotzdem bin ich froh, Sie zu sehen. Jede Begegnung hat ihren Nutzen. Ich danke für das Material und die Informationen. Wir haben sicher Gelegenheit, die Informationen noch etwas gründlicher einzuschätzen, die wir von Ihnen erhalten. Wenn entsprechende Voraussetzungen gegeben sind, werden wir unseren Informationsbedarf gegenseitig präzisieren. Die in Budapest gestellten Aufgaben sind groß. Sie bedürfen einer weiteren Konkretisierung. Dort konnten die Probleme nur allgemein eingeschätzt werden. Wege zur Realisierung konnten noch nicht festgelegt werden. Dort war auch nicht die Zeit, diese Probleme zweiseitig bis zu Ende zu diskutieren. Wenn man die Beiträge gründlich studiert, sieht man die Unterschiede im Herangehen und in der Einschätzung bestimmter Probleme, wenn auch in den Grundfragen Übereinstimmung herrschte. Ich bin überzeugt, dass, wenn sich die Minister treffen sollten und wir uns zu einem größeren Gespräch zusammensetzen werden, wir auch über einige dieser

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Grundfragen der Einschätzung der Lage, der Einschätzung des Feindes und der angewandten Mittel und Methoden gründlich sprechen können. Es wäre sicherlich nützlich, eine klärende Aussprache zu führen. Sicher ist entscheidend, was die Führung unserer Parteien einschätzt, wie sie die Lage sehen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Unsere Zusammenarbeit beruht auf der Gemeinsamkeit der Politik unserer Parteien. Aber sie geht darüber hinaus von der Einschätzung des Feindes, seiner Stärke und seiner Mittel aus, von der Einschätzung: Wer ist der Feind, wo steht der Feind, wie stark ist der Feind und mit welchen Mitteln und Methoden kämpft er? Von dieser Einschätzung ausgehend müssen sich die Formen der Zusammenarbeit aufbauen und entwickeln.« Gen[osse] Doicaru: »Ich habe mit Freude zugehört, was Genosse Wolf gesagt hat. Einige Präzisierungen sind notwendig. Um klar zu verstehen: Wir sind als Kommunisten und Freunde gekommen. Genosse Ceaușescu hat Weisung gegeben, den Besuch des Genossen Walter Ulbricht sicherheitsmäßig richtig und qualifiziert vorzubereiten. Die Parteiführung erwartet mit großem Interesse die Begegnung mit der Parteiführung Ihres Landes. Die auf der Tagesordnung stehenden Probleme werden ganz bestimmt mit großer Verantwortung von beiden Seiten durchgeführt. Deshalb die Aufgabe: Was kann und muss getan werden als Mitglied der sozialistischen Gemeinschaft, um zu helfen, dass diese Begegnung auf hohem Niveau durchgeführt wird und fruchtbringende Ergebnisse im Kampf gegen den Imperialismus bringt. Von rumänischer Seite habe ich die Verpflichtung als Kommunist, dass auf der Linie der Staatssicherheit alles »im grünen Licht« (glatt) verläuft. Es geht nicht um persönliche Verhältnisse. In der offiziellen Tätigkeit halten wir uns an die Vorschriften, die von der Parteiführung und den leitenden Ministern gegeben werden. Wenn ich gekommen bin, dann nicht ohne Mandat und Auftrag.« Gen[osse] Wolf: »Das glaube ich, dass Sie nicht illegal hier sind.« Gen[osse] Doicaru: »Obwohl ich unter anderem Namen eingereist bin, da ich von der anderen Seite gekommen bin. Ich bin mit meinem Begleiter aus Kopenhagen gekommen, der bereits zurückgereist ist. Die Realisierung der Beschlüsse von Budapest braucht Zeit. Das ist klar. Aber wenn beschlossen wird, die Beziehungen zu verbessern, sollte man an gemeinsamen Interessen anknüpfen, die beide Seiten interessieren und auf dieser Basis die

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Verbindungen weiter entwickeln. Auf diesem Wege kann man die Sachen erledigen, wenn vorläufig für andere Probleme die Zeit noch nicht reif ist. Ich habe den Eindruck, dass im Mittelpunkt eine Nuance steht, aber das Endergebnis ist dasselbe. Auch Ihre Partei, Ihr Land kämpft gegen den Imperialismus. Auch wir kämpfen. Jeder mit mehr oder weniger ausgebildeten Methoden. Alles was wir tun, kann nichts weiter sein als Hilfe in diesem Kampf zu geben. Nach der Diskussion in Budapest haben wir unsere Parteiführung bis hinauf zum Genossen Ceaușescu informiert. Ebenso haben wir nach dem Treffen in Moskau informiert. Unsere Parteiführung kennt alle Details des Problems. Sie ist auch informiert über die Vorschläge, die wir Ihnen zur Verbesserung der Verbindungen gemacht haben. Genosse Stenescu1257 hatte ein Zusammentreffen mit einer Delegation unter Leitung des Genossen Solakov1258. Sie haben ein Protokoll über die Zusammenarbeit unterschrieben. Dieses respektiert, was in Budapest festgelegt wurde. Ich war in Warschau. Dort bin ich mit Genossen Milewski und Genossen Szlachcic zusammengetroffen1259. Mit beiden haben wir diskutiert und Probleme festgelegt. Ich muss sagen, dass ich über dieses Zusammentreffen mit den polnischen Genossen sehr zufrieden gewesen bin. Ich war dort als Leiter einer Delegation von 5 Genossen und konnte einen Tag mit Genossen Szlachcic diskutieren. Dabei wurden Probleme von beiderseitigem Interesse festgelegt. Ich habe einige Materialien übergeben und einiges Material erhalten. Mit der Volksrepublik Ungarn ist es ebenso. In Kürze findet ein Treffen zwischen Genossen Stenescu und Genossen Benkei1260 statt. Wir wünschen, und ich sage dies sehr offen, dass wir gemeinsam einen Weg finden bei Problemen, die von gemeinsamen Interesse sind. Genosse ­A ndropov wird nach dem Parteitag nach Bukarest kommen. Ich habe persönlich mit ihm in Moskau gesprochen. Nicht nur, dass er es gesagt hat, sondern er hat dies auch schriftlich bestätigt. Ich habe Genossen Stenescu mitgeteilt, dass Genosse Andropov sofort nach dem Parteitag kommt. Ebenso haben wir mit den sowjetischen Genossen begonnen Informationen auszutauschen. Einige Themen zu wissenschaftlich-technischen Informationen wurden übergeben und ausgetauscht.

1257 Ion Stănescu, Leiter der Securitate, siehe Anm. 489. 1258  Angel Solakov, Innenminister Bulgariens 1968–1971. 1259 Mirosław Milewski, General im polnischen Staatssicherheitsdienst, später polnischer Innenminister von Oktober 1980 bis Juli 1981; Franciszek Szlachcic, 1962–1971 stellver­ tretender polnischer Innenminister, 1971 für elf Monate Innenminister. Milewski und Szlachcic gehörten im polnischen Staatssicherheitsdienst zu den Leuten der »ersten Stunde«. Dudek; ­Paczkowski: Polen, S. 274 f., 283, 288, 332. 1260 András Benkei, ungarischer Innenminister 1963–1980.

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Was uns als rumänische Seite betrifft glauben wir, dass es mit nichts gerechtfertigt ist, dass sich unsere Beziehungen auf einem so niedrigen Niveau befinden wie sie zur Zeit sind. Genosse Wolf möge dies verstehen, aber ich möchte etwas in Erinnerung bringen. Ich habe mir sehr konkret das Gespräch mit Genossen Drăghici gemerkt. Sicher können Sie sehr gut verstehen, wenn in den gegenwärtigen Beziehungen so ein Moment entstanden ist. Das war ein Ereignis aus der vergangenen Periode. Dies brauchen wir nicht zu wiederholen. Das, was Ihnen in Bukarest passiert ist, das soll Doicaru in Berlin nicht passieren.« Gen[osse] Wolf: »Hierzu bitte ich um eine Erläuterung. Der Besuch liegt zwar lange zurück, aber ich habe nicht vergessen, um was es ging. Diese Episode spielt heute keine Rolle mehr. Welche Parallelität Genosse Doicaru sieht, ist nicht klar.« Gen[osse] Doicaru: »Ich möchte nur betonen, dass dies einem Doicaru nicht passiert. Ich bin gekommen mit offenem Herzen, wie zu Kommunisten, mit dem Wunsch, eine gute Sache für unsere Länder, für unsere Parteien zu machen. Auch wir können einen guten, dauerhaften Baustein unserer Zusammenarbeit und unserer Beziehungen schaffen. Jeder von uns weiß, wie wir helfen können und was wir zerstören können. Ich habe das Mandat vom Genossen Stenescu, dass ich bitten soll, für 10 Minuten vom Genossen Mielke empfangen zu werden. Ich habe verstanden, wie Sie gesagt haben, dass es schwierig ist. Er ist besetzt und es gibt Probleme. Trotzdem sprechen wir als Kommunisten. Wenn diese Sache sich nicht realisieren ließe, dann müsste ich Ihnen sagen, dass ich sehr enttäuscht bin. Ich kann als disziplinierter Soldat zu Genossen Stenescu gehen und sagen: Genosse Wolf hat mich gut empfangen. Das Material habe ich übergeben und gesagt, was wir machen wollen. Ich habe gebeten, mit Genossen Mielke zu sprechen. Aber dort kann ich nicht mehr kommandieren und kann nichts mehr sagen. Ich müsste zurückkommen als Soldat mit einem unerfüllten Auftrag. Nicht wegen meines Dienstgrades ist es unerwünscht. Wir sind Soldaten und Kommunisten, die für gemeinsame Interessen kämpfen. Ich bin derselben Meinung wie Genosse Wolf, wir müssen erreichen, dass sich Genosse Mielke mit Genossen Stenescu trifft. Wir haben gesagt, dass wir einen Baustein legen wollen für die Verbindungen der Parteien. Aber ich als Doicaru und Sie Genosse Wolf können 10 Bausteine für die Verbindung der beiden Minister legen. Mein Genosse Minister hat mir den Auftrag gegeben mitzuteilen, dass wir Genossen Mielke jederzeit empfangen werden. Ich weiß, dass er leidenschaftlicher Jäger ist. Dann können beide Minister auf Bärenjagd gehen und diskutieren. Genosse Stenescu hat gesagt: Bring’ gleich Genossen Wolf mit, der ebenfalls ein großer Jäger ist.

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Genosse Stenescu hat mir das Mandat gegeben, wenn die Genossen einverstanden sind und Genosse Mielke aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht kommen kann oder ›Bären‹ nicht gefallen, dann kann Genosse Stenescu in der DDR Hirsche oder Wildschweine schießen und man kann sich hier unterhalten. Hier können wir sehr viel Positives beitragen. Ebenso können wir ein Hindernis aufbauen. Dies wäre nicht im Sinne eines Kommunisten. Dies ist nicht die Aufgabe von Kommunisten, die gemeinsam gegen den US- und deutschen Imperialismus kämpfen sollen. Wir haben einen Protokollvorschlag mitgebracht über die zweiseitige Zusammenarbeit. Wir lassen ihn zum Studium da bis zum Zusammentreffen der Minister zur Festlegung der Grundlagen der Zusammenarbeit. Das bleibt ihnen überlassen. Wenn ich mich in bestimmten Fragen brutal ausgedrückt habe, dann bitte ich dies zu entschuldigen. Ich bin nicht nach Berlin gekommen, weil ich keine Arbeit in Bukarest habe und nicht nur, damit ich einen Tag in Berlin spazieren gehen kann. Ich bin aus viel schwerwiegenden[!] Gründen gekommen, aus viel höherem Interesse, als Kommunist und für den gemeinsamen Kampf, den wir führen. Ich bin nicht gekommen, um zu sagen, dass die Sozialistische Republik Rumänien nicht leben kann, wenn keine guten Verbindungen bestehen. Sie leben gut und wir werden gut leben. Aber es gibt bestimmte Sachen, die wir gemeinsam durchführen müssen. Wir haben uns in Budapest und Moskau getroffen. Wir haben die Initiative übernommen, um diese Kontakte zu festigen, weil wir nicht wollen, dass mit den Fingern auf uns gezeigt wird, dass wir abseits gestanden haben. Wir sind gekommen und haben offen unsere Probleme dargelegt. Ich bleibe bis Sonnabend in Berlin, d. h. Donnerstag und Freitag. Sonnabend 16.00 Uhr ist der Rückflug nach Bukarest. Für mich wäre es sehr schön, wenn ich meine Aufgaben erfüllen kann, mit denen ich hergekommen bin, d. h. dass ich eine Antwort zu den aufgeworfenen Problemen bekomme und als 1. Punkt ein 10-minutiges Gespräch mit Genossen Mielke. Ich kenne ihn, er kennt mich. Wir wechseln, weder er noch ich, unsere Rollen. Genosse Mielke bleibt Minister und Mitglied des ZK und ich bleibe, was ich bin. Wenn es möglich wäre, ihn zu sprechen, würde ich mich sehr freuen. Ebenso wäre es sehr lieb, wenn ich noch einmal mit Genossen Wolf zusammentreffen könnte. Ich habe verstanden, dass Sie wegfahren müssen in die Republik. Dies ist verständlich. Es gibt auch solche Fragen, und auch ich als stellv. Minister habe Aufgaben und Arbeit in Rumänien. Wenn Genosse Wolf nach Bukarest kommt, dann werde ich dies so machen, dass ich die Probleme, die ich in Rumänien habe, nach dem Besuch des Genossen Wolf durchführe.

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Ich bitte noch einmal um Entschuldigung, wenn ich sehr offen geworden bin.« Gen[osse] Wolf: »Ein offenes Wort ist unter Kommunisten immer richtig. Empfindlich sind wir überhaupt nicht, obwohl ich einige Sätze lieber nicht gehört hätte. Aber auch da sind wir nicht empfindlich. Ich möchte noch einmal sagen, bzw. zu einigen politischen Grundfragen kommen, nachdem Sie so temperamentvoll gesprochen haben, dass wir es so bedauern, dass Ihr Besuch nicht so vereinbart wurde, wie es unter uns üblich ist. Mir ist es tatsächlich schwer gefallen, hier in Berlin zu sein. Ich könnte Ihnen das sehr genau begründen, auch was den morgigen und übermorgigen Tag betrifft. Wenn ich Aussprachen mit Mitarbeitern in der BV hätte, aus meinem Apparat im Innern der DDR, könnte man alles verlegen und einen guten Freund empfangen. Selbstverständlich werde ich mich bemühen, den so deutlich vorgetragenen Wunsch, Genossen Mielke zu sprechen, dem Genossen Minister zur Kenntnis zu geben. Aber bei Gen. Mielke ist es auch so. Für uns ist dieser Termin sehr unpassend. Wir hätten diesen Termin auch nicht für einen offiziellen Besuch vorgeschlagen und zugestimmt, weil wir Gäste anders empfangen. Das wissen Sie von früher und das kann bestimmt jeder unserer Gäste bestätigen, dass nicht nur stellv. Minister, sondern auch andere Mitarbeiter immer vom Minister empfangen werden, wenn sie hier sind. Dies nur als Bemerkung, dass wir nicht die Absicht haben, Genossen Doicaru zu brüskieren oder schlecht zu behandeln. Deshalb haben wir Ihnen die Gelegenheit gegeben, aus Anlass Ihrer Durchreise, wie es uns bekannt ist, mit mir zu sprechen. Sonst hätten wir anders geantwortet und vorgeschlagen, den Besuch anders vorzubereiten. Ich habe Genossen Doicaru gut verstanden. Er hat dies zwar jetzt mit großer Inbrunst vorgetragen, aber ich kenne seine Gedankengänge und glaube, dass er als Kommunist diese Beziehungen anstrebt, über die er gesprochen hat. Ich habe nichts vergessen, was in Budapest und Moskau gesagt wurde, nicht nur am offiziellen Verhandlungstisch, sondern auch was außerhalb der offiziellen Verhandlungen gesprochen wurde. Ich glaube, ich verstehe ihn sehr gut und werde darüber auch noch einmal berichten. Wie ich bereits vorher sagte, hätte ich den Satz, dass die Sozialistische Republik Rumänien ohne uns und die DDR ohne Rumänien leben kann, lieber nicht gehört, da die Beziehungen unserer Länder nicht so sind, dass man solche Feststellungen treffen muss. Ich möchte dies der Ungeduld des Genossen Doicaru, schnell zu aktiven Formen der Zusammenarbeit zu kommen, zuschreiben. Niemand ist bei uns der Meinung, dass es ohne Zusammenarbeit zwischen unse-

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ren Ländern, unseren Parteien gehen würde und kein Mitglied unserer Partei hat vergessen, was 1969 in gemeinsamen Beschlüssen festgelegt wurde, alles zu tun, was unsere Einheit stärkt und nicht die Fragen in den Vordergrund zu stellen, wo es Unterschiede gibt. Das ist die Politik, die gemeinsame Politik unserer Parteien, und das ist auch die Grundlage für unsere Minister, für die Arbeit der Kommunisten in unseren Ministerien. Aber nur mit Deklarationen allein ist nichts getan. Es geht um den Weg, wie man zu einer echten tschekistischen Zusammenarbeit kommen kann und wie man diese Zusammenarbeit gestalten kann, dass sie nicht formell, nicht dekorativ ist, sondern zu einer echten Zusammenarbeit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind kommt. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten und unterschiedliche Methoden. Ich habe die Vorschläge des Genossen Doicaru sehr gut verstanden und auch verstanden, dass es nicht seine persönlichen Ideen sind, sondern dass dies abgestimmt ist. Wir werden über diese Vorschläge sehr genau berichten und diese Vorschläge sehr genau durchdenken. Unsere Begegnung ist sicher nicht ohne Nutzen. Wenn ich den gesamten Umfang der Probleme und das Mandat des Genossen Doicaru sehe, bedaure ich umsomehr, dass diese Reise nicht so eingeleitet, vorbereitet und gestaltet wurde, wie dies richtig gewesen wäre. Ich hatte bisher wirklich geglaubt, dass Genosse Doicaru auf der Durchreise war und dass er nicht nur ›guten Tag‹ sagt und versucht, seine mir bekannten Ideen an den Mann zu bringen. Aber ich hatte nicht erwartet, dass ein derartiger Umfang von Problemen vorgebracht wird, dass Genosse Doicaru mit einer komplexen Konzeption für offizielle Gespräche kommt. Dazu bin ich überfordert.« Im Anschluss an dieses Gespräch erfolgte ein 15-minutiges Gespräch zwischen Genossen Doicaru und Genossen Wolf unter 4 Augen. Dabei brachte Genosse Doicaru mehrmals betont seinen Wunsch zum Ausdruck, unbedingt ein Gespräch mit Genossen Mielke zu erhalten. Gleichzeitig teilte er Genossen Wolf mit, dass sein Aufenthalt in Kopenhagen nur ein Vorwand war, um zu einem Gespräch mit leitenden Genossen des MfS zu kommen. Anschließend gab Genosse Wolf im Appartementhaus ein Mittagessen für die anwesenden Genossen. Damm Oberst

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Dokument 2 22. März 1971 Notiz über ein Gespräch mit dem stellv[ertretenden] Vorsitzenden des Rates für Staatssicherheit der Sozialistischen Republik Rumänien, Gen[ossen] Doicaru, am 19.3.1971 von 14.00 bis 15.30 Uhr im Gebäude der Botschaft der Sozialistischen Republik Rumänien Archivbestand/Signatur: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 247, Bl. 214 f. Vermerke: 4 Exemplare gefertigt, keine Angaben zu den Empfängern.

Am Gespräch nahmen teil: Genosse Goga SRR Genosse Brica SRR Genosse Müller MfS Auf der Grundlage der Weisung des Genossen Minister wurde Genossen­ Doicaru Folgendes mitgeteilt: – Genosse Wolf und Genosse Damm haben Genossen Mielke alle Fragen und Probleme vorgetragen. Genosse Mielke hat den Auftrag gegeben, alles gründlich und gewissenhaft zu studieren. In nächster Zeit wird Gen. Stenescu1261 Antwort auf alle gestellten Fragen erhalten. Genosse Mielke bedauert sehr, dass es seine Zeit nicht erlaubt, Genossen Doicaru persönlich zu empfangen. Er bittet, Genossen Stenescu seine Grüße zu übermitteln. – Die Probleme der operativen Technik bedürfen ebenfalls einer tiefgründigen Prüfung und eines exakten Studiums, das eine bestimmte Zeit in Anspruch nehmen wird. Aus diesen Gründen ist es auch nicht zweckmäßig, Gespräche von Spezialisten durchzuführen. Auch in diesen Fragen wird eine Antwort erfolgen. – Zur Vorbereitung des Besuchs des Genossen Walter Ulbricht in Bukarest wird, wenn es erforderlich erscheint, im Rahmen der Protokolldelegation, ein verantwortlicher Mitarbeiter des MfS nach Bukarest kommen. – Zum Bedauern des Genossen Mielke erlaubt es seine Zeit nicht, die Einladung des Genossen Botschafters zu einem Zusammentreffen am Freitagabend anzunehmen. Das Gleiche betrifft Genossen Wolf. – Der Genosse Minister brachte zum Ausdruck, dass solche grundsätzlichen Besprechungen, wie sie am 18.3.1971 stattgefunden haben, nicht opportun sind. Für solche Besprechungen ist es erforderlich, dass ein Einverständnis 1261  Ion Stănescu, Leiter der Securitate, siehe Anm. 489.

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zwischen beiden Ministern getroffen wird. Die entsprechende Abstimmung sollte zweckmäßigerweise über die Internationalen Abteilungen abgestimmt werden. Im MfS ist dies die einzige Verbindung. Es gibt keine Verbindungen auf Linienebene. In der Erwiderung legte Genosse Doicaru nochmals ausführlich seinen Standpunkt dar, unbedingt eine Zusammenkunft mit Gen. Mielke sowie Gen. Wolf zu erreichen. Dabei verwandte er im Prinzip die gleichen Argumente wie beim Gespräch am 18.3.1971. Dabei betonte Gen. Doicaru, dass es nicht nur um eine schriftliche Beantwortung der aufgeworfenen Probleme, sondern um die Beratung der Fragen durch verantwortliche Mitarbeiter geht. Die rumänische Seite wäre sofort bereit, die beauftragten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in Bukarest zu empfangen. Dies wurde zum Anlass genommen, nochmals darzulegen, dass derartige Besprechungen auf der Ebene der Minister sowie der Internationalen Abteilung entsprechend abgestimmt und vorbereitet werden müssen, um solche für das MfS und Gen. Mielke unangenehmen Situationen zu vermeiden. Gleichzeitig wurde nochmals betont, dass die erteilte Auskunft die Antwort des Genossen Mielke ist. Im Anschluss bat Gen. Doicaru um einen kurzen Imbiss. Unter Bezugnahme auf den Cocktail des Militärattachés der MVR [Mongolische Volksrepublik] erfolgte die Verabschiedung um 15.30 Uhr. Von rumänischer Seite wurden für die Genossen Wolf, Damm, Müller und Kamilli kleine Aufmerksamkeiten in den Pkw gelegt. Damm Oberst

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Dokument 3 27. Juli 1973 Bericht über die Beziehungen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen D[emokratischen] R[epublik] Archivbestand/Signatur: ACNSAS, fond documentar, D 13362, vol. 7, Bl. 54–61. Dokumentenkopf: Absender/Verfasser: »Republica Socialistă România, Ministerul de Interne, Serviciul Relaţii și Protocol« [dt.: Sozialistische Republik Rumänien, Ministerium des Innern, Abteilung Beziehungen und Protokoll]. Laufende Nummer des Schriftstücks: Nr. 006877. Datum: 27.7.1973. – Geheimhaltungsgrad: »Strict secret, ex. unic« [dt.: Streng geheim, einziges Exemplar]. Titel des rumänischen Originals: »Notă privind relaţiile cu Ministerul pentru Securitatea Statului din R.D. Germană«. Übersetzung: Georg Herbstritt.

10.–11. Oktober 1955: Beratung in Berlin zwischen Vertretern des MdI der VRR und Vertretern des Staatssekretariats für Sicherheit der DDR. Bei dieser Gelegenheit wurden folgende Richtungen der Zusammenarbeit vereinbart: – Gemeinsamer Kampf gegen die feindlichen Zentren in Westberlin und Westdeutschland; – Möglichkeiten seitens der Organe des MdI, Bürger der DDR oder Personen mit Wohnsitz auf dem Gebiet der DDR zu nutzen; – Modalitäten des Kampfes gegen Grenzübertritte feindlicher Agenturen sowie Maßnahmen im Hinblick auf die Entsendung eigener Agenturen; – Probleme betreffend die Schaffung des »Rumänischen Komitees für die Rückkehr in die Heimat«; – Austausch von Erfahrungen und Ergebnissen auf dem Gebiet der operativen Technik. Oktober 1956: Auf Einladung des Staatssekretariats für Sicherheit der DDR reiste eine Delegation des MdI in die DDR, um die Technikabteilung der [Staats-]Sicherheit zu besuchen. Im Zeitraum 1959–19621262 wurde auf der Linie der Organe des Auslandsnachrichtendienstes mit den Sicherheitsorganen der DDR bei Aktionen zusammengearbeitet: – Festnahme Oliviu Beldeanus;

1262 Mehrere der nachfolgend genannten Aktionen fanden schon vor 1959 statt, etwa die Bereitstellung konspirativer Objekte, aber auch die Festnahme Beldeanus, die bereits am 31.8.1958 erfolgt war. Siehe hierzu Kapitel 1.

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– Beschaffung und Anfertigung von Identitätsdokumenten; Reisepässe, Personalausweise, verschiedene Ausweise und Dokumente, die für die nachrichtendienstliche Arbeit nötig sind; – auf unsere Bitte hin Unterstützung enttarnter Informanten und anderer in der operativen Arbeit genutzter Elemente bei der Wohnsitznahme in der DDR und der Eingliederung in das Arbeitsleben; – Unterstützung bei der Beschaffung technischen Materials in der Aktion »­R EMAG« – erforderlich für den Bau des Regierungszuges im eigenen Land; – Unterstützung bei der Verschickung der in Westberlin gekauften Autos; – Bereitstellung konspirativer Häuser, Treffpunkte und Adressen sowie Hilfe bei Maßnahmen der Gegenspionage und Spionageabwehr. Im selben Zeitraum taten unsere Organe Folgendes: – Sie machten die Organe der DDR aufmerksam auf Hinweise, denen zufolge der CIA-Agent C[..] V[...] feindliche Aktivitäten auf dem Gebiet der DDR ausführt,1263 und auf den Fall eines Schweizers, der auf dem Gebiet der DDR nachrichtendienstliche Tätigkeiten ausübt. – Es wurde auf eine von den BRD-Behörden vorgeschlagene Aktion aufmerksam gemacht, den Präsidenten der Nationalen Front, Prof. Dr. Erich Correns, zu kompromittieren. – Auf die Bitte der DDR-Organe wurden Überwachungsmaßnahmen gegen DDR-Bürger ergriffen, die sich in der VRR befanden. – Im Rahmen des Informationsaustauschs wurden Informationen operativen und dokumentarischen Charakters übersandt. Dezember 1962: Der stellvertretende Minister des Ministeriums für Staatssicherheit, Generalmajor Wolf, kommt zu einem Besuch in unser Land. 9.–11. April 1963: Generalleutnant Doicaru Nicolae und Major Diaconescu Ovidiu führen einen Besuch in der DDR beim Ministerium für Staatssicherheit durch, um über operative Arbeit und Technik zu sprechen.

1263  C[...] V[...] kam als Bessarabiendeutscher infolge des Zweiten Weltkriegs in das Gebiet der späteren DDR. 1951 und 1956 ging er in die Bundesrepublik, kehrte aber nach kurzer Zeit jeweils wieder in die DDR zurück. 1960 wurde er auf Veranlassung der Securitate in der DDR verhaftet und hier zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt. Ihm wurde Spionage vorgeworfen, weil er in den Flüchtlingsaufnahmeheimen in der Bundesrepublik angeblich geheimzuhaltende Informationen preisgegeben habe; ferner wurde auf seinem Dachboden eine alte Pistole gefunden. Etwas anderes wurde ihm nicht zur Last gelegt. Vgl. den betreffenden Untersuchungsvorgang: BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, AU 138/60; ferner BStU, MfS, AP 3526/76, Bl. 22 (wie Anm. 337).

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24. April 1963: Generaloberst Drăghici Alexandru richtet ein Telegramm an Minister Mielke, in dem er um Entsendung von Kadern in die VRR ersucht, die Apparaturen für operative Technik mitbringen und deren Funktionsweise praktisch vorführen sollen. September 1964: Generaloberst Alexandru Drăghici nimmt an den Trauerfeierlichkeiten für Otto Grotewohl teil. Bei diesem Anlass führt er Gespräche mit Erich Mielke. Die Diskussionen beziehen sich auf allgemeine Aspekte der politischen Ordnung, insbesondere auf die Position unserer Partei und unseres Staates gegenüber einigen internationalen Problemen. Die Fragen wurden von E. Mielke aufgeworfen. Januar 1966: Es wurden Daten über einen Beamten der westdeutschen Handelsvertretung in Bukarest, der Verbindung zu einem DDR-Bürger unterhielt, übermittelt. Dezember 1966: Den Sicherheitsorganen der DDR wurden Daten über den Westdeutschen D[...] F[...] von der westdeutschen Handelsvertretung übermittelt (auf der Linie der Abt. III)1264. 1967: Die Sicherheitsorgane der DDR übermitteln dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der VRR eine Nachricht auf der Linie ALA1265. Oktober 1967: Es werden Daten über den DDR-Bürger D[...] S[...] übermittelt, der illegal in die BRD ausreiste. 1968: Es werden 14 Unterlagen mit Informationen über 82 Fragen zu Politik und Spionage übermittelt. Februar 1968: Es werden Daten über 2 DDR-Bürger mitgeteilt, die die westdeutsche Botschaft in Bukarest besuchten. April 1968: Es werden Informationen über ein verdächtiges Treffen in der VRR zwischen einem Touristen aus der DDR und dessen Schwester aus der B.  R. Deutschland übermittelt. Mai 1969: Brief an Gen. Mielke betreffs Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem CSS der VRR und dem MfS der DDR über einen Urlauberaustausch hauptamtlicher Mitarbeiter. 1264  Hauptabteilung III der Securitate: Inlandsüberwachung. 1265  Apărarea Locală Antiaeriană (Lokale Luftabwehr).

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Juni 1969: Das MfS der DDR beantwortet den Brief und bittet um Verständnis dafür, dass es eine solche Vereinbarung nicht abschließen kann, weil es mit anderen Ländern langfristige Planungen gemacht hat. September 1969: Auf der Linie DGIE: Im Hinblick auf die Aktivierung des Informationsaustausches wurde das MfS der DDR um Dokumente gebeten. [handschriftliche Ergänzung:] Ergebnis? es wurde nicht geantwortet, es wurde nichts geschickt Oktober 1969: Auf der Linie DGTO: Dem MfS der DDR einen Vorschlag und ein Projekt für den Abschluss einer Vereinbarung über die Organisierung der Chiffrierverbindungen zwischen den Regierungen, Bukarest – Berlin, übermittelt. Oktober 1969: Auf der Linie DGTO: Es wurde um Unterstützung für den Ankauf von 10 Fernschreibgeräten des Typs T-63 gebeten, die bei dem Technik-Unternehmen in Berlin bestellt wurden. [handschriftliche Ergänzung:] es wurde positiv geantwortet Oktober 1969: Es wurde um Unterstützung bei der Beschaffung von 500 »Tessar«-Objektiven der Firma »Karl[!] Zeiss« gebeten. [handschriftliche Ergänzung:] es wurde nicht geantwortet Oktober 1969: Auf der Linie DGTO: Das MfS der DDR wurde um die Lieferung von 10 Spezialfernrohren für geheime Observationen gebeten. [handschriftliche Ergänzung:] es wurde nicht geantwortet. Oktober 1969: Auf der Linie DGTO: Es wurde eine technische Dokumentation über einen vollständigen Sender-Empfänger zum Abhören operativer Technik übersandt, den die DGIE produziert hat, und es wurde um Begutachtung und gegebenenfalls Bestellung seitens des MfS der DDR ersucht. Oktober 1969: Es wurden 10 Sende- und Empfangsgeräte für Infrarotstrahlen erbeten sowie eine genaue Angabe des Liefertermins. 1969: Austausch von Telegrammen zwischen beiden Ministerien im Fall des Bürgers H[...] R[...], der aus der DDR in die BRD flüchtete, und der sich bei unseren Organen in einem Untersuchungsverfahren befand. Dezember 1969: Das MfS der DDR antwortet auf unseren Brief bezüglich des Abschlusses einer Regierungsvereinbarung auf der Linie der Chiffrierverbin-

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dungen und schlägt Vorbereitung hinsichtlich dieser Verhandlungen für die zweite Jahreshälfte 1970 vor. März 1970: Das MfS der DDR wird über das Vorhaben der BRD-Spionageabwehr informiert, den Schweizer Bürger B[...] H[...], der nachrichtendienstlich für die DDR arbeiten solle, auf frischer Tat zu ertappen. September und Oktober 1970: Den DDR-Organen werden die Daten von 6  DDR-Bürgern übermittelt, die die westdeutsche Botschaft in Bukarest besuchten. Oktober 1970: Im Rahmen des Informationsaustauschs übermittelte der CSS dem MfS der DDR 8 Spionagedokumente und -materialien. Dezember 1970: Minister Mielke übermittelte Angaben zur Überprüfung des Bürgers R[...] B[...] und bat darum, die Möglichkeit zu prüfen, diesen den Organen der DDR zu übergeben. März 1971: Telegramm an Generalleutnant Wolf M. im Zusammenhang mit zwei DDR-Bürgern, die zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurden, weil sie die rumänische Grenze ungesetzlich überqueren wollten, um in die BRD zu fliehen, und die anschließend in die DDR geschickt wurden. März 1971: Im Rahmen des Informationsaustausches werden dem MfS der DDR folgende Informationen geschickt: – über Gruppen aus der BRD, die sich damit befassen, die Flucht rumänischer Staatsbürger zu organisieren; – Bericht über das von der BRD-Botschaft gezeigte Interesse an DDR-Bürgern sowie an den Fragen, bei denen die rumänischen Abwehrorgane gerne mit den Sicherheitsorganen der DDR zusammenarbeiten möchten. – Übermittelte Berichte im Zusammenhang mit 5 BRD-Bürgern; – Bericht über Bürger der BRD und Westberlins, die sich mit dem illegalen Herausholen von Bürgern aus sozialistischen Ländern befassen. April 1971: Es werden Informationen über Verbindungen eines DDR-Bürgers mit einem österreichischen Bürger übermittelt (auf der Linie der Spionage). Mai 1971: Telegramm: Im Rahmen des Informationsaustausches werden dem MfS der DDR Informationen übermittelt. Juli 1971: Auf der Linie der Abt. III werden Hinweise über 2 DDR-Bürger gegeben, die die BRD-Botschaft in Bukarest besuchten.

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Juni 1972: Aus Anlass des Besuches in der DDR, beim Ministerium des Innern der DDR, wurde Gen. Generalmajor State Nicolae von Gen. Beater, Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, empfangen, und bei dieser Gelegenheit wurde über den Wunsch unseres Ministeriums gesprochen, Kontakte auf der Linie der operativen Technik und der Regierungschiffrierverbindungen zu haben. Juli 1972: Im Rahmen des Informationsaustausches wurden dem MfS der DDR Angaben über die westdeutsche Bürgerin A[...] H[...] übermittelt, die von den Organen der westdeutschen Spionageabwehr verdächtigt wurde, Mitarbeiterin der Aufklärungsorgane der DDR zu sein. Oktober 1972: Telegramm, in welchem das Ministerium des Innern der SRR dem MfS der DDR vorschlägt, dass eine Delegation mit 3 Securitate-Offizieren, Spezialisten in operativer Technik, zu einem Erfahrungsaustausch in die DDR reisen. Januar 1973: Das MfS der DDR antwortet auf unser Telegramm, dass es keine Möglichkeiten gebe, einen derartigen Erfahrungsaustausch durchzuführen. Unser Ministerium wurde gefragt, ob es möglich ist, Gespräche über die Organisation der Unterhaltung der telegrafischen und telefonischen Regierungsverbindungen zu organisieren. März 1973: Es findet ein Besuch einer Delegation des MfS der DDR auf der Linie DGTO in der SRR statt. Der Text des Projekts einer Regierungsvereinbarung über die Errichtung und das Betreiben der telegrafischen Chiffrierverbindungen Bukarest – Berlin wurde ausgehandelt. Juni 1973: Dem MfS der DDR wird ein Telegramm geschickt, in welchem ihm bekanntgegeben wird, dass man hinsichtlich der Unterzeichnung der Regierungsvereinbarung über die Errichtung und das Betreiben der telegrafischen Chiffrierverbindungen die unbeschränkte Vollmacht erhalten habe.

526 Austausch von Glückwunschschreiben*

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SRR hat geschickt

DDR hat geantwortet

1967 – 23. August



ja

1968 – Neujahr

ja

nein

1968 – 1. Mai

ja

nein

1968 – 7. Oktober

ja

nein

1968 – 23. August



nein

1969 – Neujahr

ja

ja

1969 – 1. Mai

ja

ja

1969 – 23. August



nein

1969 – 7. Oktober

ja

nein

1970 – Neujahr

ja

nein

1970 – 1. Mai

ja

ja

1970 – 7. Oktober

ja

nein

1970 – 23. August



nein

1971 – Neujahr

ja

nein

1971 – 1. Mai

ja

nein

1971 – 23. August



nein

1971 – 7. Oktober

ja

nein

1972 – Neujahr

ja

ja

1972 – 1. Mai

ja

nein

1972 – 23. August



nein

1972 – 7. Oktober

ja

nein

1973 – Neujahr

ja

ja

1973 – 1. Mai

ja

nein

* Der 23.8. war Staatsfeiertag in Rumänien, der 7.10. in der DDR.

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Urlauberaustausch hauptamtlicher Mitarbeiter 1960 – 10 Familien 1961 – 10 Familien 1962 – 10 Familien 1963 – 10 Familien 1964 – 10 Familien 1965 – 10 Familien 1966 – Auf Vorschlag des MdI der VRR wird der Kaderaustausch nur mit 3 Familien durchgeführt. 1967 – 3 Familien 1968 – aus der DDR kommen nur 5 Personen. 29. Mai 1969: Gen. Stănescu Ion schlägt Gen. Mielke in einem Telegramm vor, dass ab 1969 mit dem Urlauberaustausch hauptamtlicher Mitarbeiter so verfahren wird: 4–6 Personen, und dass man in diesem Sinn eine Vereinbarung abschließt. Juni 1969: Gen. Mielke antwortet, dass »die Möglichkeiten, über die das MfS der DDR für den Urlauberaustausch auf internationaler Ebene verfügt, seit einigen Jahren auf der Grundlage gegenseitiger Übereinkommen für längere Zeiträume vergeben sind«. Juni 1972: Gen. Generalmajor State Nicolae übermittelt Gen. Mielke über dessen Stellvertreter Beater die Einladung, seinen Urlaub in der SRR zu verbringen.

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Abkürzungsverzeichnis ACNSAS

Arhiva Consiliului Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii – (rumän.) Archiv des Landesrats für das Studium der Securitate-Archive ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (DDR) AG Arbeitsgruppe AIM archivierter IM-Vorgang bzw. archivierter IM-Vorlauf AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe AMG Adam Müller-Guttenbrunn (banatschwäbischer Heimatschriftsteller, 1852– 1923, Namensgeber eines Temeswarer Literaturkreises) ANR Arhivele Naţionale ale României – (rumän.) Die Nationalarchive Rumäniens AOP archivierter Operativer Vorgang; archivierter (Feind-)Objektvorgang AOPK archivierte OPK-Akte AP Allgemeine Personenablage AS Allgemeine Sachablage AU archivierter Untersuchungsvorgang BArch Bundesarchiv BCD Bewaffnung und Chemischer Dienst Bf V Bundesamt für Verfassungsschutz BKG Bezirkskoordinierungsgruppe BND Bundesnachrichtendienst B.R. Bundesrepublik BRD Bundesrepublik Deutschland BStU Der/Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR BV Bezirksverwaltung BVfS Bezirksverwaltung für Staatssicherheit BZ Berliner Zeitung CC Comitetul Central – (rumän.) Zentralkomitee CDU Christlich Demokratische Union CI Contrainformaţii – (rumän.) Spionageabwehr, Gegenspionage CIA Central Intelligence Agency – (engl.) Zentraler Auslandsgeheimdienst CIC Counter Intelligence Corps – (engl.) Spionageabwehrdienst CIF Contrainformaţii frontiera – (rumän.) Grenzaufklärung CNSAS Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii – (rumän.) Landesrat für das Studium der Securitate-Archive CSS Consiliul Securităţii Statului – (rumän.) Rat für Staatssicherheit ČSSR Československá socialistická republika – (tschech., slowak.) Tschechoslowakische Sozialistische Republik CSU Christlich-Soziale Union CWIHP Cold War International History Project am Woodrow-Wilson-Center in Washington, D.C. DA Dienstanweisung DDR Deutsche Demokratische Republik DGIE Direcţia Generală de Informaţii Externe – (rumän.) Hauptverwaltung für Auslandsaufklärung DGTO Direcţia Generală de Tehnică Operativă – (rumän.) Hauptverwaltung für operative Technik

530 DIE

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Direcţia de Informaţii Externe – (rumän.) Hauptabteilung für Auslandsaufklärung; Departamentul de Informaţii Externe – (rumän.) Abteilung für Auslandsaufklärung D.S.- J. Direcţia Secretariat-Juridică – (rumän.) Rechtsabteilung DUI Dosar de urmărire informativă – (rumän.) Informative Verfolgungsakte (entspricht zumeist dem »Operativen Vorgang« (OV) beim MfS, manchmal auch der »Operativen Personenkontrolle« (OPK) EKD Evangelische Kirche in Deutschland EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FDJ Freie Deutsche Jugend FIM Führungs-IM FU Freie Universität (Berlin) FV Forschungsvorgang GI Geheimer Informator (bis 1968 Bezeichnung für bestimmte IM-Kategorien) GM Geheimer Mitarbeiter (bis 1968 Bezeichnung für bestimmte IM-Kategorien) GMS Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit GRU Glavnoe Razvedyvatel’noe Upravlenie – (russ.) Hauptverwaltung Aufklärung (militärischer Geheimdienst der UdSSR) HA Hauptabteilung; Handakte (jur.) HSB Hauptamtlicher Sicherheitsbeauftragter HV A Hauptverwaltung A (Aufklärung) IGfM Internationale Gesellschaft für Menschenrechte IM Inoffizieller Mitarbeiter IMS Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung IWF Internationaler Währungsfonds JHS Juristische Hochschule (des MfS) KD Kreisdienststelle KDS Komitet za dyrzhavana sigurnost – (bulg.) Komitee für Staatssicherheit KGB Komitet Gosudarstvennoj Bezopasnosti – (russ.) Komitee für Staatssicherheit KL Kreisleitung KP Kommunistische Partei KPČ Kommunistische Partei der Tschechoslowakei KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KS Kadersache KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LS Ländersektor (im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR) MAI Ministerul Afacerilor Interne – (rumän.) Ministerium für Innere Angelegenheiten MdI Ministerium des Innern MfAA Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR MfS Ministerium für Staatssicherheit MI Ministerul de Interne – (rumän.) Ministerium des Innern NATO North Atlantic Treaty Organization – (engl.) Nordatlantikpakt-Organisation NDL Neue Deutsche Literatur NKVD Narodnyi Komissariat Vnutrennich Del – (russ.) Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (UdSSR) NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSW nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet

Abkürzungsverzeichnis NVA NW OibE OPK ÖRK OTS OU

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Nationale Volksarmee Neuer Weg Offizier im besonderen Einsatz Operative Personenkontrolle Ökumenischer Rat der Kirchen Operativ-technischer Sektor Objektunterkunft (wurde in Schreiben der bewaffneten Organe als Ersatz für eine Ortsangabe verwendet) OV Operativer Vorgang PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin PCR Partidul Comunist Român – (rumän.) Rumänische Kommunistische Partei PLO Palestine Liberation Organization – (engl.) Palästinensische Befreiungsorganisation PS Personenschutz RAP Rumänische Arbeiterpartei RFE Radio Free Europe – (engl.) Radio Freies Europa RGW Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe RKP Rumänische Kommunistische Partei RSR Republica Socialistă România – (rumän.) Sozialistische Republik Rumänien SB Służba Bezpieczeństwa – (poln.) Sicherheitsdienst SBZ Sowjetische Besatzungszone SdM Sekretariat des Ministers SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SFRJ Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien SfS Staatssekretariat für Staatssicherheit (vom 23.7.1953–24.11.1955 Bezeichnung der DDR-Staatssicherheit) SIE Serviciul de Informaţii Externe – (rumän.) Auslandsnachrichtendienst SIRA System der Informationsrecherche der HV A SLOMR Sindicatul Liber al Oamenilor Muncii din România – (rumän.) Freie Gewerkschaft der Werktätigen Rumäniens SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SOE Südosteuropa SOUD Sistema Ob’edinnenogo Učëta dannych (o Protivnike) – (russ.) System der vereinigten Erfassung von Daten über den Gegner s.p. sine pagina – (lat.) ohne Seitenangabe SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SR Sozialistische Republik SRI Serviciul Român de Informații – (rumän.) Rumänischer Nachrichtendienst (Inlandsgeheimdienst) SRR Sozialistische Republik Rumänien SSD Staatssicherheitsdienst (im Westen zeitweise häufig gebrauchtes Synonym für MfS) SSI Serviciul Special de Informaţii – (rumän.) Spezialnachrichtendienst StGB Strafgesetzbuch SV Strafvollzug; Sportvereinigung TAROM Transporturile Aeriene Române – (rumän.) Rumänische Luftfahrtgesellschaft TDB Teildatenbank TV Teilvorgang UA Unterabteilung

532 UARG

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Uniunea Asociaţiilor si Instituţiilor Românești din Republică Federală Germană și Berlinul de West – (rumän.) Bund der rumänischen Verbände und Institutionen in der deutschen Bundesrepublik und Westberlin UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken U.M. Unitate Militară – (rumän.) Militäreinheit USLA Unitatea Specială de Luptă Antiteroristă – (rumän.) Spezialeinheit für Terrorbekämpfung UTC Uniunea Tineretului Comunist – (rumän.) Kommunistischer Jugendverband UVR Ungarische Volksrepublik VR Volksrepublik VRB Volksrepublik Bulgarien VRP Volksrepublik Polen VRR Volksrepublik Rumänien VS Verschlusssache VSH Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei VVS Vertrauliche Verschlusssache WČ/Wc siehe WTSCH WTSCH Vysokočastotnaja set’ (Wysokotschastotnaja set) – (russ.) Hochfrequenznetz; abhörsicheres Telefonsondernetz in den sozialistischen Ländern ZAIG Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe ZK Zentralkomitee ZKG Zentrale Koordinierungsgruppe ZMA Zentrale Materialablage ZOS Zentraler Operativstab

Literaturverzeichnis

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Organisationsstrukturen von Securitate und MfS

557

Organisationsstrukturen von Securitate und MfS und Anmerkungen zu übersetzten Begriffen Der Begriff »Securitate« (dt.: Sicherheit) bezeichnete und bezeichnet landläufig den Staatssicherheitsdienst des kommunistischen Rumäniens. Die offizielle, amtliche Benennung war dagegen etwas umständlicher und änderte sich mehrfach. Ebenso wechselten die Unterstellungsverhältnisse. Die Securitate bildete meistens eine mehr oder weniger autonome Abteilung innerhalb des Innenministeriums, wurde aber vorübergehend (1952/53 sowie mit Einschränkungen 1967–1972) aus dem Innenministerium herausgelöst. Tab. 7: Offizielle Bezeichnungen für den Staatssicherheitsdienst »Securitate«1266 Zeitraum

Bezeichnung/Erläuterung

28.08.1948– 30.03.1951

Direcţia Generală a Securităţii Poporului (DGSP), dt.: Hauptverwaltung für Volkssicherheit

30.03.1951– 20.09.1952

Direcţia Generală a Securităţii Statului (DGSS), dt.: Hauptverwaltung für Staatssicherheit

20.09.1952– 07.09.1953

Ministerul Securităţii Statului (MSS), dt.: Ministerium für Staatssicherheit

07.09.1953– 11.07.1956

Die Strukturen des Staatssicherheitsdienstes sind Teil des Ministeriums für Innere Angelegenheiten

11.07.1956– 21.07.1967

Departamentul Securităţii (DS), dt.: Abteilung für Sicher­heit

21.07.1967– 19.04.1972

Departamentul Securităţii Statului (DSS), dt.: Abteilung für Staatssicherheit. An der Spitze des DSS steht der Rat für Staatssicherheit (Consiliul Securităţii Statului, CSS), der faktisch neben dem Innenminister agiert. Der Vorsitzende des CSS, d. h. der Leiter der Securitate, hatte Ministerrang.

1266  Siehe hierzu insbes. Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. IX– XX sowie die in jenem Doppelband enthaltenen Dokumente. Ferner Deletant: Rumänien, S.  343–346, 351–353 sowie die Strukturübersichten in http://www.cnsas.ro/documente/cadrele_securitatii/Ministerul%20de%20Interne%20-1948-1978.pdf (Stand: 9.6.2016). Die Dekrete Nr. 710 vom 21.7.1967 und Nr. 295 vom 3.4.1968 über die Gründung und die Tätigkeit des Rates für Staatssicherheit, die einige Angaben zu Struktur und Aufgaben des Geheimdienstes machen, wurden bemerkenswerterweise im rumänischen Gesetzblatt veröffentlicht: Buletinul Oficial al Republicii Socialiste România, partea I, nr. 65, 22.7.1967, S. 564–567 sowie dass., nr. 43, 4.4.1968, S. 375–377; siehe Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 16–18, 74–79; deutsche Übersetzungen in: BStU, MfS, Abt. X, Bl. 85–94, 104–109.

Anhang

558 Zeitraum

Bezeichnung/Erläuterung

19.04.1972– 07.03.1978

Der Rat für Staatssicherheit und das Ministerium für Innere Angelegenheiten fusionieren am 19.4.1972 zum Minis­terium des Innern. Die Strukturen des Staats­ sicherheitsdienstes sind Teil des Innenministeriums.

07.03.1978– Dezember 1989

Departamentul Securităţii Statului (DSS), dt.: Abteilung für Staatssicherheit

Zum Vergleich: In der DDR wurde der Staatssicherheitsdienst per Gesetz am 8.2.1950 als »Ministerium für Staatssicherheit« gegründet. Am 23.7.1953 wurde das MfS als »Staatssekretariat für Staatssicherheit« in das Innenministerium eingegliedert. Am 24.11.1955 wurde es wieder zum eigenständigen »Ministerium für Staatssicherheit«, was es bis Herbst 1989 blieb. Nicht nur die Securitate wechselte mehrfach ihre Bezeichnung, sondern auch ihre einzelnen Abteilungen erhielten öfter neue Benennungen. Zudem gab es zwei Ordnungssysteme. Die Diensteinheiten der Securitate gliederten sich in Hauptabteilungen, Abteilungen und Referate, und zugleich galt jede Diensteinheit als eine »Militäreinheit« (Unitate Militară, U.M.) und führte eine numerische Kennzeichnung. Die Auslandsspionageabteilung der Securitate, das Pendant zur Hauptverwaltung A des MfS, trug nacheinander folgende Bezeichnungen: Tab. 8:

Bezeichnungen für die Auslandsspionageabteilung bzw. den Auslandsnachrichtendienst der Securitate1267

Zeitraum

Bezeichnung/Erläuterung

bis 30.03.1951

Serviciul Special de Informaţii (SSI), dt.: Spezialnachrichtendienst. Der SSI gehörte nicht zur Securitate.

30.03.1951– 07.09.1953

Direcţia A, dt.: Hauptabteilung A

Kennzeichnung als Militäreinheit (U.M.)

1267  Fundstellen wie Anm. 1266; ferner: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd.  I, S.  223–226 sowie die Übersicht über nummerischen Kennzeichnungen der Militäreinheiten in: http://www.cnsas.ro/documente/arhiva/Dictionar%20termeni.pdf (Stand: 9.6.2016).

Organisationsstrukturen von Securitate und MfS

559

Zeitraum

Bezeichnung/Erläuterung

Kennzeichnung als Militäreinheit (U.M.)

07.09.1953– 11.07.1956

Direcţia de Informaţii Externe (DIE), Hauptabteilung für Auslandsaufklärung; die DIE firmierte in diesem Zeitraum zugleich als Direcţia I, dt.: Hauptabteilung I.

U.M. 0123/I

11.07.1956–1963

Direcţia I, dt.: Hauptabteilung I

U.M. 0123/I

1963–19.04.1972

Direcţia Generală de Informaţii Externe (DGIE), dt.: Hauptverwaltung für Auslandsaufklärung (bis 1967 womöglich zugleich auch noch Direcţia I/Hauptabteilung I)

U.M. 0123/I (bis 1967); U.M. 0755 (ab 1967)*

19.04.1972–1978

Departamentul de Informaţii Externe (DIE), dt.: Abteilung für Auslandsaufklärung. Per Dekret 363 vom 23.6.1973 wurde der DIE direkt dem Oberkommandierenden der rumänischen Streitkräfte, Nicolae Ceaușescu, untergeordnet und von den übrigen Securitate-Abteilungen separiert, verblieb aber formal im Innenministerium.**

U.M. 0920

1978–1989

Centrul de Informaţii Externe (CIE), dt.: Zentrum für Auslandsaufklärung

U.M. 0544 (mit den nachgeordneten Abteilungen U.M. 0195, U.M. 0282, U.M. 0225, U.M. 0503, U.M. 0525, U.M. 0107)

* Der von Nicolae Doicaru unterzeichnete Befehl Nr. 01992 vom 1.12.1971 ordnete an, innerhalb der DGIE eine kollektive Führung für die operativ-technische Hauptverwaltung (Direcţia Generală Tehnico-Operative, DGTO) zu bilden. In diesem Befehl wird die DGTO als U.M. 0755 bezeichnet. Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. 162. ** Consiliul de Stat al Republicii Socialiste România: Decret [nr. 363] privind organizarea și funcţionarea Departamentului de Informaţii Externe, 23.6.1973 [Staatsrat der Sozialistischen Republik Rumänien: Dekret [Nr. 363] über den Aufbau und das Wirken der Abteilung für Auslandsaufklärung]; ACNSAS, fond SIE, dosar nr. 259, im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/S%20

560

Anhang

000259%20fila%20001-015.pdf (Stand: 9.6.2016). Dieses Dekret gab im Anhang die Personalstärke des DIE mit maximal 2 578 hauptamtlichen Mitarbeitern an. Vgl. auch Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. II, S. XV, dort irrtümlich als Dekret 362 bezeichnet.

Die Begriffe für die Securitate-Diensteinheiten sind in diesem Buch an die Terminologie des MfS angeglichen. Beispielsweise wird das rumänische »direcţia« mit »Hauptabteilung« wiedergegeben, weil eine »direcţia« bei der Securitate ungefähr die Bedeutung einer »Hauptabteilung« beim MfS hatte.1268 Im Einzelnen ergeben sich folgende Entsprechungen: Direcţia Generală Hauptverwaltung Direcţia Hauptabteilung serviciu Abteilung birou Referat Die Securitate gliederte sich ebenso wie das MfS analog zur staatlichen Verwaltungsstruktur. In der DDR gab es durchgängig eine dreistufige Struktur: Zentrale Ebene, Bezirksebene (bis 1952: Länderebene), Kreisebene. Entsprechend findet sich beim MfS die Ebene des Ministeriums in Ostberlin, dem 15 Bezirksverwaltungen nachgeordnet waren, denen wiederum insgesamt 209 Kreisdienststellen für Staatssicherheit unterstanden. Rumänien führte nach dem Zweiten Weltkrieg eine dreistufige Verwaltungsgliederung ein, schaffte sie aber 1968 zugunsten der traditionellen Zweigliederung wieder ab. Seither gibt es unterhalb der zentralstaatlichen Ebene lediglich die Kreise (derzeit 41) sowie die Stadt Bukarest. Die Securitate folgte dieser Struktur. Neben den zentralen Diensteinheiten war die Securitate seit 1968 in jedem Kreis (»judeţ«) mit einer Niederlassung vertreten. In ihrer Bedeutung sind sie zwischen den MfS-Bezirksverwaltungen und MfS-Kreisdienststellen anzusiedeln. Ihre rumänische Bezeichnung »Inspectoratul Judeţean« bzw. »Inspectorat de Securitate Judeţean« wird daher mit »Kreisverwaltung« bzw. »Securitate-Kreisverwaltung« wiedergegeben. Oft firmieren die Securitate-Kreisverwaltungen in den Akten der 1970er- und 1980er-Jahre ohne den Zusatz »Securitate«, beispielsweise als »Inspectoratul Judeţean Timiș al Ministerului de Interne«, also »Kreisverwaltung Temesch des Ministeriums des Innern«. 1268 Vom 15.–17.8.1973 hielt sich eine MfS-Delegation in Rumänien auf (siehe S. 194–196). Am Rande unterhielt man sich damals auch über die Organisationsstruktur des MfS. Securitate-Hauptmann Dumitru Dănău, der gut Deutsch sprach (vgl. Anm. 1000), verständigte sich mit dem MfS-Dolmetscher Werner Kamilli, einem gebürtigen Rumäniendeutschen (vgl. Anm. 507), auf folgende Gegenüberstellungen: Hauptabteilungen bzw. Hauptverwaltungen = direcţii, Abteilungen bzw. Verwaltungen = servicii oder secţii, Referate = birouri; ACNSAS, fond documentar, D 13134, vol. 11, Bl. 18 (wie Anm. 511).

Organisationsstrukturen von Securitate und MfS

561

Mit dem Begriff »Kreisverwaltung« wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Miliz (Polizei) in den ländlichen Gebieten zumindest seit 1969 im Auftrag der Securitate Menschen zu überwachen hatte. Indem die Securitate somit eigene Aufgaben an die Miliz übertrug, war sie faktisch auch auf lokaler Ebene unterhalb der Kreisebene präsent. Befehle des Securitate-Chefs, die Fragen der staatlichen Sicherheit in ländlichen Gebieten betrafen, galten daher nicht nur für Securitate-Offiziere, sondern unmittelbar auch für die Angehörigen der Miliz, die auf dieser Linie eingesetzt waren.1269 Die strukturellen Veränderungen Ende der 1960er-Jahre gingen in der Securitate einher mit personellen, ideologischen und methodischen Reformen, einer stärker »präventiv« ausgerichteten Überwachungsstrategie sowie öffentlicher Kritik Ceaușescus an früheren Verbrechen und am Machtmissbrauch des Staatssicherheitsdienstes.1270 Zuständigkeiten der Securitate- und MfS-Abteilungen Die nachfolgende Übersicht beschränkt sich auf solche Abteilungen, die in diesem Buch vorkommen, und aus deren Bezeichnung man nicht auf ihre Zuständigkeit schließen kann. Sie basiert für die Securitate im Wesentlichen auf den Veröffentlichungen, die in den Anmerkungen 1266 und 1267 genannt sind, für

1269 Ordinul Ministrului Afacerilor Interne și al Președintului Consiliului Securităţii Statului Nr. 175 din 1.8.1969 [Befehl des Ministers für Innere Angelegenheiten und des Präsidenten des Rats für Staatssicherheit Nr. 175 vom 1.8.1969]; ACNSAS, fond M.I./D.S.-J., dosar 3627, vol. 3, Bl.  77  f., im Internet unter http://www.cnsas.ro/documente/acte_normative/D%203627_003%20fila%20077-078.pdf (Stand: 9.6.2016). Diesem gemeinsamen Befehl folgten präzisierende Regelungen über die Heranziehung der Miliz für Aufgaben der Securitate im ländlichen Raum, so das gemeinsame Protokoll Nr. 465 des Innenministeriums und der Securitate vom 25.10.1969 (ACNSAS, fond M.I./D.S.-J., dosar 3627, vol. 4, Bl. 41– 45), der Befehl Nr. 875 des Innenministers vom 15.5.1976 (ACNSAS, fond M.I./D.S.-J., dosar 3634, vol. 2, Bl. 234–239), die Anordnung (hotârire) des Leitungsrats des Innenministeriums vom 22.6.1976 (ACNSAS, fond M.I./D.S.-J., dosar 3634, vol. 4, Bl. 219–221), die Verfügung (dispoziţie) des Innenministeriums Nr. 90514 vom 1.12.1977 (ACNSAS, fond M.I./D.S.-J., dosar 3635, vol. 6, Bl. 194–198) sowie der Befehl des Innenministers Nr. 140 vom 1.8.1981 (­ACNSAS, fond documentar, D 13074, vol. 29, Bl. 1–7). Diese Regelungen sind im Internet abrufbar unter http://www.cnsas.ro/acte_normative.html (Stand: 9.6.2016). 1270  Deletant: Ceaușescu and the Securitate, S.  71–84; Neagoe-Pleșa: 1968 – anul reformării agenturii Securităţii, S. 9–22. In einem Interview mit der Bukarester deutschsprachigen Tageszeitung »Neuer Weg« sprach Constantin Stoica, einer der Stellvertreter von Securitate-Chef Ion Stănescu, erstaunlich offen darüber, dass die Securitate wegen früher begangener »ungesetzlicher Übergriffe« nun reorganisiert worden sei. Dieses Interview war der Deutschen Presseagentur am 1.7.1970 eine längere Meldung wert. Vorhanden in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2253, Bl. 36. Ceaușescus Kritik zielte nicht zuletzt auf die Ablösung seines innerparteilichen Konkurrenten Alexandru Drăghici und die Erweiterung des Einflusses der Partei auf den Staatssicherheitsdienst.

Anhang

562

das MfS auf den Ausarbeitungen von Roland Wiedmann, welche im Literaturverzeichnis unter der Rubrik »Nachschlagewerke« angeführt sind.1271 Tab. 9: Zuständigkeit einzelner Securitate-Abteilungen Bezeichnung

Zuständigkeit

Kennzeichnung als Militäreinheit (U.M.)

Hauptabteilung I (Direcţia I)

1953–1963 (oder 1967): Auslandsspionage (informaţii externe); 1967–1989: Inlandsüberwachung (informaţii interne)

1953–1963: U.M. 0123/I 1967–1972: U.M. 0729 1972–1989: U.M. 0610

Hauptabteilung II (Direcţia II)

1956–1967: Spionageabwehr (contraspionaj); 1967–1989: Spionageabwehr im Bereich der Wirtschaft, Schutz der Volkswirtschaft (contrainformaţii economice)

1953–1967: U.M. 0123/U 1967–1972: U.M. 0805 1972–1989: U.M. 0617

Hauptabteilung III (Direcţia III)

1952–1967: Inlandsüberwachung, Bekämpfung subversiver Aktivitäten (informaţii interne, lupta împotriva activităţii subversive); 1967–1989: Spionageabwehr (contraspionaj)

1952–1967: U.M. 0123/T

Hauptabteilung IV (Direcţia IV)

1953–1963: Sabotageabwehr (contrasabotaj); 1967–1989: Militärische Abwehr, Überwachung des Militärs, der Grenzbrigaden u. a. (contrainformaţii militare)

1972–1989: U.M. 0625

1972–1989: U.M. 0632

1271  Eine detaillierte Übersicht der Zuständigkeiten der einzelnen Securitate-Abteilungen, zum Teil mit Angaben zur Personalstärke, in: Securitatea. Structuri – cadre, obiective și metode, Bd. I, S. 82–88, 94–172, Bd. II, S. 31–35.

Organisationsstrukturen von Securitate und MfS

563

Tab. 10: Zuständigkeit einzelner MfS-Abteilungen Abteilung X

1956–1989/90: Koordinierung und Organisierung internationaler Verbindungen

Abteilung XIV

1952–1989/90: Untersuchungshaftanstalten und Strafvollzug

Abteilung XXI

1960–1980: Innere Abwehr im MfS

Abteilung XXII

1975–1989: Terrorabwehr

Hauptabteilung I

1951–1989/90: Überwachung des Militärs (NVA, Grenztruppen)

Hauptabteilung II

1953–1989/90: Spionageabwehr, auch: Überwachung ausländischer Botschaften in der DDR

Hauptabteilung II/5

seit Juni 1956: Arbeit gegen Emigranten aus sozialistischen Ländern, die im Westen leben

Hauptabteilung III

1983–1989/90: Funkaufklärung, Funkabwehr

Hauptabteilung V

1953–1964: Überwachung des Staatsapparats, der Kirchen und des kulturellen Lebens, Bekämpfung oppositioneller Bewegungen

Hauptabteilung VI

1970–1989/90: Überwachung des grenzüberschreitenden Verkehrs und des Tourismus. Die HA VI stellte auch die Passkontrolleure an den Grenzen.

Hauptabteilung IX

1953–1989/90: Führen von Ermittlungsverfahren

Hauptabteilung XVIII

1964–1989/90: Sicherung der Volkswirtschaft

Hauptabteilung XIX

1964–1989/90: Überwachung der Post sowie des Verkehrs- und Nachrichtenwesens

Hauptabteilung XV

1953–1956: Auslandsspionage

Hauptabteilung XX

1964–1989/90: Überwachung des Staatsapparats, der Kirchen und des kulturellen Lebens, Bekämpfung oppositioneller Bewegungen

Hauptabteilung XX/7

1969–1989/90: Überwachung und Bekämpfung von Kultur, Kunst und Literatur

Hauptabteilung XXII

1989/90: Terrorabwehr

HV A

1956–1989/90: Auslandsspionage

564

Anhang

HV A, Abt. III

1958/59–1989/90: Arbeit in legal abgedeckten Residenturen, z. B. in DDR-Botschaften

HV A, Abt. VII

1959–1989/90: Auswertung beschaffter Spionageinformationen und Weitergabe an Entscheidungsträger in der Partei- und Staatsführung

HV A, Abt. IX

1973–1989/90: Gegenspionage

ZAIG

1965–1989/90: Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe

ZKG

1975–1989/90: Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung in den Westen

565

Zur Schreibweise von Ortsnamen in Rumänien Auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens leben traditionell Menschen unterschiedlicher Nationalität nebeneinander. Sie bedienen sich unterschiedlicher Sprachen, auch wenn es um Ortsnamen geht. Manche Ortsnamen variieren in den verschiedenen Sprachen nur geringfügig (Timișoara (rumänisch), Temeswar (deutsch), Temesvár (ungarisch), Temišvar (serbisch)), andere leiten sich von je unterschiedlichen Ursprungsbedeutungen ab (Sibiu (rumänisch), Hermannstadt (deutsch)). Der rumänische Gesetzgeber hat in dem Gesetz Nr. 215 vom 23. April 2001 über die örtliche Verwaltung, Artikel 90 (4), bestimmt, dass Ortsschilder auch in den Sprachen ethnischer Minderheiten angebracht werden können, sofern sie in dem jeweiligen Ort mindestens 20 Prozent der Einwohner stellen.1272 Dieses Gesetz geht davon aus, dass ein Ort in je unterschiedlichen Sprachen je unterschiedlich bezeichnet werden kann. Die vorliegende Publikation folgt dieser Sichtweise. Soweit sie sich der deutschen Sprache bedient, führt sie die Ortsnamen in dieser Sprache an; bei der Erstnennung ergänzt sie außerdem den entsprechenden rumänischen Ortsnamen. Sofern sie rumänische Quellen im Original zitiert, benutzt sie die rumänischen Ortsnamen. Für Literaturangaben werden die Erscheinungsorte so angegeben, wie sie in der jeweiligen Publikation erscheinen (etwa București, Bukarest, Bucharest).

1272 Zit. in deutscher Sprache in http://www.uni-koeln.de/jur-fak/ostrecht/minderheitenschutz/Vortraege/Rumaenien/Rumaenien_Tontsch.pdf (Stand: 9.6.2016).

567

Personenregister Abrasimov, Pëtr 191 Ackermann, Anton 84, 86 f. Aichelburg, Wolf von 120 f. Albrecht, Regina 338 Alexander, Martin S. 255, 438 Alexandru, Mircea 391 Allende, Salvador 172 Alster, Antoni 34 Ambrosi, Günter 266 Amos, Heike 94 Anders, Siegfried 260, 289 Anderson, Sascha 316 Andrei, Ștefan 436 Andropov, Jurij 128, 189, 203–206, 239– 242, 435, 513 Antonescu, Ion 38, 52f., 99, 144, 478 Apostol, Gheorghe 161 Ardeleanu, Filimon 345 Aristov, B. I. 436 Armanca, Brînduşa 382 f., 395, 407 Axen, Hermann 155, 157, 245, 247, 275, 280, 298, 319, 429, 431 B., Rudolph 377 f., 380 Băcanu, Petre Mihai 428 Baconsky, Anatol E. 482 Badea, Gheorghe 403 Bader, Edgar 198 f. Baev, Jordan 22 f., 202 f. Bahr, Eckhard 491 Baier, Hannelore 282, 385, 389 Bajbakov, Nikolaj 436 Bălan, Ion Dodu 429 Bannikow, Sergej 128 Banović, Luka 368 Banu, Florian 38, 129 f., 189 f., 206 f., 209 Banu, Luminiţa 129 f. Barák, Rudolf 34 Bârlădeanu, Alexandru 161 Baumann, Rudolf 63–65, 82, 125, 225 Baumgarten, Klaus-Dieter 248 Beater, Bruno 44, 160, 183, 187, 194, 197, 298, 483 f., 525, 527 Becker, Jurek 300 Behling, Klaus 260, 265 f. Behnisch, Karl 60 f. Behring, Eva 42, 70 Behrisch, Arno 125, 174

Beldeanu, Oliviu 74 f., 99–104, 106, 108, 112, 214, 305, 520 Beleţescu, Ion 317 Benkei, András 513 Benn, Gottfried 315 Bergel, Hans 117, 120 f., 123 Berger, Helge 155 f. Berghianu, Maxim 33 Bernard, Noel 213 f. Berwanger, Harald 303 Berwanger, Nikolaus 303, 306 f., 309, 311– 314, 317 f., 323 Bichel, Ivan 28 Biermann, Wolf 300 f., 304, 312–318 Binder, Franz 314 Birkner, Andreas 118–121, 123 Birthler, Marianne 449, 451 Bisoc, Eugen 84–87 Blau, Hagen 258 Bobocea, Gheorghe 352 Bobu, Emil 197, 211, 288, 345, 368, 436 Bock, Siegfried 169, 244, 271, 376 f. Bodnăraş, Emil 38, 132, 161 Bodnarenko, Pantelei/Timofei 38 Bodor, Petre 69, 125 Bohley, Bärbel 446 Bohlinth, Alfred 100 f. Böhme, Manfred 492 Bohn, Albert 307 Bombar (Bondar), Alexandru 398 Bömcke, Eberhard 147 Borilă, Petre 33, 35 Bormann, Martin 288 Bossert, Rolf 307, 489 Bottoni, Stefano 22 f., 201–203 Böx, Heinrich 155 Brad, Ion 448 f. Brandt, Alwin 375 Brandt, Willy 153, 159, 276, 485 Braşoveanu, Gheorghe 425 Braun, Volker 306 Brecht, Bertolt 306 Breitenstein, Ernst 277, 282–290, 431 Brežnev, Leonid 131, 142, 151, 165 f., 170, 434 Brica (Securitate-Offizier) 507, 518 Bromme, Hans-Werner 263, 334 f., 458 Brucan, Silviu 420 Brünner, Horst 249

568

Anhang

Buchet, Constantin 135 Buchwald, Roland 260, 278 f., 281 f. Bucicov, Maria 111 Bucur, Hildegard 75–77 Bucur, Theodor 28, 69, 74–81, 83 f., 86 f., 91 f. Bujak, Zbigniew 443 Burakowski, Adam 163 Burdin (Abteilungsleiter im KGB) 128 Călinoiu, Constantin 248 Cană, Ionel 425 Canev, Angel 203 Capesius, Victor 213 Caraman, Mihai 131 Carlos s. unter Ramírez Sánchez, Ilich Caşu, Igor 205 f. Ceaușescu, Elena 15, 213, 279, 414 Ceauşescu, Ilie 249, 479 Ceauşescu, Nicolae 4, 15 f., 28, 131, 133, 135, 139, 141 f., 152, 156–158, 160–167, 169 f., 182, 184–186, 188, 190, 205–208, 211, 213 f., 228 f., 240, 244–247, 249, 255, 275–277, 279 f., 283, 286–288, 290, 292 f., 295 f., 305, 310 f., 321 f., 332 f., 382, 384–387, 389 f., 409, 413 f., 418– 422, 426–428, 430–432, 434–437, 439– 450, 452, 454 f., 479, 483, 485 f., 489– 494, 499, 503, 512 f., 559, 561 Čebrikov, Viktor 241 Černenko, Konstantin 435 f., 439 Chirilă, Ioan 101, 214 Chișinevschi, Iosif 36 Chivoiu, Alexandru 429 Chivu, Stoica 161 Chruščëv, Nikita 29, 36, 39, 131, 133 f., 138 f., 203 Ciobanu, Constantin 496 Ciuciulin, Ștefan 26, 28 f., 59 Cleja, Ștefan 137 Cloos, Fritz 486 f. Codreanu s. unter Zelea-Codreanu, Corneliu Coman, Ion 197 Coman, Teodor 204 f., 399 Constantin, Ion 496 Constantinescu, Miron 36 Constantinoiu, Marina 380 Cornea, Doina 421, 424–427 Correns, Erich 521 Coșer, Ioan 390 Covalciuc, Dumitru 206 Crăciun, Romulus 466

Crăciunaș, Silviu 89 Creangă, Mihai 428 Csejka, Gerhardt 266, 300, 306, 308, 322 Cucu, Aristide 40 f. Czechowski, Heinz 301 Dabi, Gerhard 467 Dahle, Hans-Joachim 417 Dähne, Klaus-Dieter 235 Damm, Willi 31, 102, 121, 160, 199, 269, 344, 371, 480, 507 f., 517–519 Dănău, Dumitru 199, 387, 560 Deaconescu, Ion 228 Decei, Aurel 110–112 Deichfuß, Horst 301–305 Deicke, Günther 118–124 Deletant, Dennis 130 f., 139, 184 Denes, Ivan 482 Deng Xiaoping 242 Deutsch, Stefan 28 Diaconescu, Ovidiu 178 f., 521 Dickel, Friedrich 274, 342 f., 368, 473 Dimitriu, Mircea 53, 67 Dinu, Ştefan 250 Dobre, Constantin 212, 468 Dobrin, Tamara 185 Dohnanyi, Klaus von 275 Doicaru, Nicolae 30, 59, 92, 98, 104 f., 108, 125, 132 f., 174 f., 177–180, 187–193, 195, 202, 206, 241, 268, 367 f., 406, 507 f., 510–512, 514, 516–519, 521 Domnitz, Christian 34, 341, 355, 362, 443, 501 Dorogi, Doru 59 Dorogi, Ferdinand 28, 56–63, 65, 83, 105 Dorogi, Johann (Ioan) 58 Draeger, Werner 76 Drăghici, Alexandru 33, 35, 59, 104, 108, 119 f., 124 f., 130, 137, 161, 500, 514, 522, 561 Drăghincescu, Gheorghe 67, 73, 90 f., 93, 95–98, 113 Duma, Teodor 69 Dumbravă, Ion 90, 106 f. Dumirescu, Marin 110 Dumitrescu, Vasile C. 50, 476–481 Eftimie, Hans 53, 67 Eftimie, Vergiliu 52 f., 62, 67, 69, 71–74, 77, 88–93, 106, 109 Eisenburger, Eduard 185, 261, 277–282, 286, 290, 485 f. Eisenfeld, Bernd 407

Personenregister Endler, Adolf 300 Engelmann, Roger 35, 301 Erenz, Benedikt 489 Ernst, Elisabeth 146, 319 Fadejkin, Ivan Anisimovič 105, 128, 180 Fedorčuk, Vitalij 243 f. Feher, Adalbert 422 Fiedler, Heinz 196 f., 199, 226, 354 Field, Noel 106 Filip, Iulius 428 Filipescu, Radu 421, 426–428, 430–432 Fischer, Gerd 493 Fischer, Oskar 280, 319, 429, 431 Fischer, Werner 446, 451 Florath, Bernd 151 Flore, Nicolae 404 Florin, Peter 136, 211 Frank, Anton 377 Frauendorfer, Helmuth 307 f., 314, 317, 319, 443, 446, 490–494 Fricke, Karl Wilhelm 61 Frickenhelm, Gerd 426 Friedewald, Karl-Heinz 267, 335 f., 431 Fruck, Hans 174 Frunză, Victor 479–481 Fuchs, Jürgen 490 f., 493 f. Füger, Hans 467 Fulger, Vasile Dumitru 133 Gabanyi, Anneli Ute 163, 245, 292, 420 Gal, Ionel 198 Gallus, Jutta 355 Galter, Johann 26, 28, 30 Gârneaţă, Ilie 52, 54–56 Garthoff, Raymond 142 Gast, Gabriele 258 f., 429 Gaulle, Charles de 159 Gavriliuc, Mihai 59, 108 Gehlen, Reinhard 45 Genscher, Hans-Dietrich 368, 400 Georgescu, Emil 481, 495 f. Georgescu, Virgil 111 Gesswein, Emilia 422 Gesswein, Erwin 422 Ghenea, Nicolae 187 Ghenoiu, Ion 376 f. Gheorghe, Ion 50 Gheorghe, Rodica Eliza 437 Gheorghiu-Dej, Gheorghe 36, 131, 133–135, 139, 142, 145, 161, 270 f., 283, 437 Ghiroiu, Alexandru 428 Gibson, Carl 399, 423

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Gieseke, Jens 35 Gjini, Antonio 54 Gladitz, Edgar 259 f., 278 f., 313 Globke, Hans 147 Goga, Vasile 507 f., 518 Goiciu, Ion 403 Goma, Paul 230, 399, 422 f., 481 f. Gomułka, Władysław 142 Gorbačëv, Michail 241, 245, 436, 439 Gordievskij, Oleg 412 Grečko, Andrei 165 f. Grecu, Ion 496 Grimm, Peter 448 Gross, Bettina 308, 317 Großmann, Werner 223, 255 Grotewohl, Otto 137, 522 Groza, Petru 427 Grünberg, Boris 38 Grünert, Wolfgang 234 Hadel, Dieter 263 Hagen, Nina 317 Hager, Kurt 280 Haker, Horst 339 Halbach, Heinz 283–286, 288 Hanne, Kurt 329 f. Harich, Wolfgang 417 Harnisch, Gerhard 174 Hartl, Hans 213, 485 Hauser, Arnold 306, 323 Hauser, Hedwig 323 Hausl, Hugo 283, 286 Havasi, László 255 Havemann, Robert 150 f., 300 Heinz, Stefan 310 Held, Heinz Joachim 455 Hentschke, Herbert 179 Herfurth, Günter 375 Hertzsch, Wilfried 259, 265 Hilger, Andreas 37 Himmler, Heinrich 100 Hirsch, Ralf 442 f. Hitler, Adolf 52, 287 f., 452 Hlihor, Constantin 138 Hodjak, Franz 291 f., 294 f., 297, 300, 313, 323, 494 Hollinger, Isidor 111 Homoștean, Gheorghe 399 Honecker, Erich 142, 155–157, 165, 169 f., 191, 243–246, 274, 280, 286 f., 319, 429, 431, 434–436, 439, 444–446, 448 f., 492 f. Horobeţ, Constantin 26, 28–30

570

Anhang

Iacobescu, Ion 484 Iancu, Marin 428 Iliescu, Ion 386, 420 Ionescu, Alexandru 30 Iosif, Constantin 184 f. Irmler, Werner 411, 438 Iuhas, Leontin 425 f. Jarkowski, Jens 447 Jarowinsky, Werner 444 Jaskułowski, Tytus 22 f., 256, 501 Jass, Walter 315 Joswig, Rex 452 Käbisch, Edmund 416 Kádár, János 201 Kahlau, Heinz 301, 306 Kaltenbrunner, Ernst 100 Kamilli, Werner 70, 96, 194–196, 198–200, 507, 519, 560 Kanter, Adolf 477 Käpernick, Harry 462 Katušev, Konstantin Fjodorowitsch 167 f. Kehaioglu, Gheorghe 101, 112 Kehrer, Hans 310 Kelly, Petra 443–445 Kemper, Herbert 258 Kennedy, John F. 142 Keßler, Heinz 374 Kiefel, Josef 44, 54, 57 Kienberg, Paul 119, 298 Kirsch, Rainer 300 Kirsch, Sarah 300 Klammer, Angelika 382 Klein, Fritz 417 f. Klein, Karl Kurt 120 Klein (Securitate-Offizier) 81 Kleitsch, Brigitte 116 Kleitsch, Franz 115–117 Klemperer, Victor 76 Klier, Freya 443, 490 f. Kneip, Gerhard 423 Kohl, Helmut 449 Kohout, Pavel 422 Kołakowski, Leszek 162 Kolbe, Uwe 306 Kolf, Bernd 291 f., 295, 300 Kondrašev, Sergej 128 Korne, Mihai 482 Kottler, Peter 310 Kowalczuk, Ilko-Sascha 37, 76, 143, 351, 436, 443 Krause, Alfred 250

Krause, Dietrich 221 Krautz, Harald 267 Krawczyk, Stephan 442 f. Kremm, Werner 307 Krenz, Egon 248, 287, 431 Kriemer, Erich 304–309, 311 f., 315, 318, 320–322 Krolikowski, Herbert 170, 280 Krolikowski, Werner 280 Krüger, Joachim 172 Krüger, Manfred 195 f. Kuc, Werner 324 Kunert, Günter 300 f., 306 Kunze, Reiner 300, 304 Kuroń, Jacek 162 Lange, Günther 379 f., 382 Lăzărescu, Anca Miruna 382 Leich, Werner 449 Lessl, Erwin 313 Lippet, Johann 306–310, 312, 318 f., 323 Löffler, Wolfgang 197, 199 f., 406 Löschinger, Horst 44 Lovinescu, Monica 481 Lübke, Heinrich 148 Luca, Eugen 84 Luchian, Eugen 191 Lukács, Georg 162 Lumpe, Dieter 263 f. Lupu, Ioan 187, 496 Luthardt, Ernst-Otto 413–415 Machts, Horst 299–301 Macovei, Vasile 117 Mäder, Lutz 368 Magheţi, Doina 382 f., 395, 407 Magoș, Constanţa 110 f. Maliţa, Mircea 274 Mandache, Gheorghe 62–65, 82, 125, 225 Mănescu, Corneliu 141, 155, 168, 188 Maniu, Iuliu 111 Manoliu, Carmen 422 Manoliu, Sergiu 422 Marcu, Gheorghe 65 Marin, William 310 Markel, Michael 291–295, 297, 301 Markert, Rolf 75, 343 Markowski, Paul 298 Marschall von Bieberstein, Joachim Freiherr von 145 Mattern, Franz 196–199 Maurer, Georg 120 Maurer, Ion Gheorghe 132, 275, 427

Personenregister Meinhardt, Ernst 116 Meyer, Alfred 278 Michael I. von Hohenzollern 53, 482 Michel, Helene 28, 69, 74, 89–93, 98–100, 106–109 Mickel, Karl 300 Mielke, Erich 17, 32, 34, 37, 40 f., 85 f., 102, 104, 119 f., 124 f., 127–129, 136 f., 153, 156, 159 f., 165, 174, 180, 182, 186–194, 203, 209 f., 221, 231, 233, 238–244, 247 f., 283, 339, 341, 343, 345, 352, 367 f., 371, 374, 411 f., 421, 432, 475, 481, 483, 492, 508, 510 f., 514–519, 522, 524, 527 Mihoc, Dan 496 Mikolajczak, Klaus 237 f. Milea, Vasile 249 Milewski, Mirosław 513 Militaru, Nicolae 420 Minetti, Hans-Peter 272 Mitrochin, Vasilij 268 Mittag, Günter 429 Modzelewski, Karol 162 Moiş, Aurel 29 f., 41, 44, 51, 53–55, 57–60, 65, 74, 88 f., 100, 102 Moldt, Dirk 214 f. Moldt, Ewald 322, 345 Mortin, Fëdor 193 Mortoiu, Aurelian 312, 404 Motzan, Peter 117, 291 f., 295, 297 f., 323 Müller, Herta 122, 307 f., 317, 319 f., 381, 443 f., 446, 488, 490–494 Müller, Karl-Heinz 249 Müller, Michael 351 Nalewski, Horst 306 Năstase, Gheorghe 296 f. Năstăsescu, Gheorghe 428 Naumann, Joachim 172 Năvodaru, Ana Maria 422 Neculicioiu, Victor 184 Negrea, Vasile 179 Nehring, Christopher 23, 202 Neiber, Gerhard 231, 233 Neubert, Ehrhart 16 f. Neumann, Klaus 259, 265 Nica, Sergiu 228 Nicolau, Serghei 38 Nicolschi, Alexandru 38 Niculescu-Mizil, Paul 138, 156 Niebling, Gerhard 238, 337, 341 f., 344, 371 Nikonov, Sergej 38 Niţescu, Andrei 229

571

Niţu, Petre 30 Nixon, Richard 159 f. Norden, Albert 35 Nothing, Manfred 225 Novotný, Antonín 203 Oancea, Constantin 372, 485 Ochiu, Dumitru 214 Olaru, Stejărel 13 f., 21, 75, 77 Olteanu, Carol 428 Onescu, Cornel 129, 202, 387, 473 Opran, Mihail 110 Oprea, Marius 99 Opriș, Petre 140 Orescu, Şerban 230, 481, 495 Ortinau, Gerhard 300, 307 f. Ostrovan, Victor 398 Ott, Harry 136 f. Ott, Werner 222, 353 Pacepa, Ion Mihai 26, 28 f., 59, 65, 105, 112, 131, 184, 190 f., 229, 389, 436 f., 483 f. Pădurariu (auch: Păduraru), Nicolae 317, 321 Pall, Joan 40 f. Panaitescu, Emil 84 Paraschiv, Vasile 423 Paroch, Benno 123 Pasternak, Boris 161 Pastior, Oskar 122, 482 Pauli, Ludwig 258 Pele, Gheorghe 111, 198, 343, 353, 388, 391, 400, 406 Penescu, Nicolae 230 Pereș, Alexandru 297 Petrescu, Dragoş 164, 384 Petrescu, Tiberiu 155 Petruţ, Vasile 248 Pfütze, Peter 352 Pilder-Klein, Hermine 118–120 Pîngulescu, Elena 185 Pinochet, Augusto 172 Pintilie, Gheorghe 38, 40 Plămădeală, Antonie 455 Plăpcianu, Iuliu 211 f. Plaschke, Herbert 245, 372 Plesch, Erhard 485 Pleșiţă, Nicolae 229, 232 Pletea, Stelian 69 Podgornyj, Nikolaj 132 Popa, Traian 401, 406 Popinceanu, Ion 78 Poppe, Gerd 446, 451 Poppe, Ulrike 451

572

Anhang

Postelnicu, Tudor 210 Preoteasa, Gheorghe 402, 405 Protopopov, M. 55 Puiu, Traian 74, 99, 104, 107 Purcaru, Constantin 428 Racoveanu, George (Gheorghe) 50, 52 Radewahn, Eike-Christine 358 f. Rajk jr., László 415 Ramírez Sánchez, Ilich 227–233 Randakevichius, A. B. 128 Rathenow, Lutz 306, 316 Raţiu, Ion 482 Raussendorff, Klaus Kurt von 258 Reinhardt, Horst 462 f. Renn, Ludwig 272 Rennert, Jürgen 300 f. Rheker, Gisela 145 Richter, Gustav 148 f. Röder, Nadja 416 Romanescu, Marian 21 Roncea, Victor 133 Roth, Günter 195 f. Rother, Gisbert 339 Rother, Hans-Jürgen 67 Rozsa, Gheorghe 59 Rupp, Rainer 258, 429 Rusan, Ioan 21, 185, 280, 282 Rusk, Dean 141 f. Russakov, Konstantin 436 Rusu, Ichim 86 Sabău, Pavel 29, 102 Sacharovskij, Aleksandr 128 Salevsky, Bernd 241 Samoilă, Gheorghe 396–398, 401 Samson, Horst 308 f., 312–315, 317–321, 323 Sattler, Harry 417 Schacht, Ulrich 315 Schalck-Golodkowski, Alexander 199 Schedlinski, Rainer 316, 491 Schellenberger, Johannes 123 Schenk, Bernhard 114 Scherg, Georg 118–123, 304 Schierhorn, Erhard 44 Schirdewan, Karl 36 Schlattner, Eginald 416 Schleich, Franz 316 f., 320 f. Schlott, Wolfgang 351 Schmerschneider, Heinz 357 f., 364 f. Schmidt, Andreas 43 Schmidt, Günter 179 f. Schmitt, Harry 174

Schmitz, Johann 58 Schneider, Eduard 308, 314, 317 Schneider, Robert 114 Schneider, Walter 44, 54, 57, 71 Scholz, Alfred 128, 165 Schottlaender, Rainer 351 Schröder, Fritz 121, 160, 183, 298 Schröm, Oliver 228, 231 Schürrmann, Erich 212 Schuster, Oskar 115 Schuster, Paul 305, 315, 322, 482, 489 Schuster, Peter 394, 402 Schwanitz, Wolfgang 374, 416 Schwanse, Karl-Heinz 329 Schwarz, Bernd 259 f., 265, 278 Schwarz, Ludwig 309 Scurtu, Ioan 138 Secașiu, Claudiu 38 Șeicaru, Pamfil 479, 482 Seidel, Wolfgang 261 f. Seifer, Valentin 403 Šejna, Jan 203 Selvage, Douglas 51, 142, 153, 168, 268 Semënov, Vladimir 154 Semičastnyj, Vladimir 128, 239 Sieber, Günter 280, 431 Siegmund, Harald 120 Sienkiewicz, Witold 34 Sima, Horia 50–55, 73, 99 Simion (Securitate-Offizier) 33 Sindermann, Horst 285 Socol, Valeriu 198 Solakov, Angel 202 f., 513 Solženicyn, Aleksandr 276, 302 Šopov, Grigor 243, 255 Sporiș, Nicolae 55 Spuhler, Alfred 258 Stahl (Securitate-Offizier) 74 Stalin, Josef 36, 309, 452, 454 Stamatoiu, Aristotel 195 Stancu, Aurel 406 Stănculescu, Victor-Atanasie 216, 249 Stănescu, Heinz 122 f., 293, 295–297 Stănescu, Ion 83, 180, 186–189, 194, 202, 205–207, 210, 297, 339, 367 f., 386 f., 394, 400 f., 500, 513–515, 518, 527 State, Nicolae 194, 525, 527 Ştefănescu, Aurel 112 Ştefănescu, Nicolae 89 Ştefănescu, Şerban 422 Steffens, Matthias 302

Personenregister Steiner, Johann 382 f., 395, 407 Steinke, Klaus 275 f. Stenzel, Wolfgang 263 f., 334, 418, 460 Sterbling, Anton 307, 405 Stijačić, Radovan 394 Stoffel, Emmerich 305 f., 322 Stoica, Chivu 161 Stoica, Constantin 561 Stoica, Gheorghe 33 Stolte, István 106 Stoph, Willi 155, 157, 191, 211, 280, 372, 429 Stork, Coen 425 Strauß, Franz Josef 427 Streit, Josef 344, 353 Streletz, Fritz 166 Suciu, Petre 81 f. Szabó, Eugen 33 Szász, János 300 f. Szijártó, Károly 341 Szlachcic, Franciszek 513 Tacaci (Takács), Ludovici (Ludovic) 137 Tănase, Virgil 481 Tantzscher, Monika 153 Taugner, Elisabeth 381 Templin, Wolfgang 490 Theiß, Viktor 293 Thiele, Manfred 345, 376 Thiemann, Hans-Werner 357 f. Tiedge, Hansjoachim 219 Tipănuţ, Gheorghe Virgil 484 Tismăneanu, Vladimir 36, 135, 164, 448 Tito, Josip Broz 162, 166 Tofan, Liviu 228, 230–232 Tőkés, László 15 Tonegaru, Petre 26, 28, 30, 54 f., 69, 80–85, 90 f. Tontsch, Brigitte 291 f., 294, 297 Toto, Victor 428 Totok, William 245, 306–308, 310, 312–314, 317–321, 323, 381, 407, 426, 443, 446, 490–492, 494 Trifa, Valerian (Viorel) 53 Troncotă, Cristian 63, 185, 203, 206, 400 Trost, Peter 304 Trummer, Gerhard 114 Turcu, Vasile 40, 44, 53, 57, 59–62, 65, 74, 81, 83, 88 f., 92, 101 Tzanev, Angel 203 Uhlisch, Joachim 76

573

Ulbricht, Walter 34, 36, 46, 80, 144 f., 150, 152–155, 157, 167, 169, 188, 191, 245, 270, 507, 509, 512, 518 Ullmann, Armin 225 Uncu, Anton 428 Ungureanu, Marin 458 Usatiuc-Bulgăr, Alexandru 205 f. Vâlcu, Vasile 32 f. Varga, József 230 Vasile, Gheorghe 198 Veken, Karl 123 Vitzthum, Ingrid 357 Vlad, Iulian 213, 404 Voigt, Helmut 229 Voß, Hans 344, 353 Wagner, Fritz 406 Wagner, Richard 122, 306–308, 312, 314 f., 317–319, 323, 423, 443 f., 446, 449, 490– 494 Waitz, Balthasar 317 Wallach-Glaser, Erica 106 Weber, Hermann 36 Wegmann, Bodo 250 Weinrich, Johannes 229 Weiß, Peter Ulrich 22, 168, 244 Weißhuhn, Reinhard 451 Weissmüller, Johnny 160 Welsch, Wolfgang 197, 200 Wentker, Hermann 245 Wichner, Ernest 122, 307, 314, 488 f. Wiedmann, Roland 44, 106, 212 Winzer, Otto 155, 157, 275, 298, 343 Wischnewski, Hans-Jürgen 483 Wittstock, Wolfgang 273 Wolf, Christa 301, 306 Wolf, Günter 213 Wolf, Markus 20, 34, 37, 125, 128–130, 156, 159, 165, 179, 187–193, 219, 223, 257, 269, 281, 367, 433, 483 f., 507 f., 512, 514–519, 521, 524 Wolf, Stephan 250 Wollstein, Robert 324 Wollweber, Ernst 34–37 Wurmbrand, Richard 207 Zach, Cornelius 380 Zaisser, Elisabeth 76 Zaisser, Wilhelm 37 Zelea-Codreanu, Corneliu 49 Ziegenhorn, Rudi 352 Zillich, Heinrich 213 f., 485 Zillmann, Hans-Dieter 336

Zukunft, Karl 211 f.

575

Decknamenregister »Abrud« 122 »Adler« 258 »Alexandrescu« 74, 88, 92 »Alfa« 389 »Anna« 324 f. »Apostol« 81 »Atlas« 389 »Balkan« 41, 43 f., 46, 70–72, 97, 476 f. »Berger« 260 f., 268, 278 f., 281, 429, 431 »Bernd Hempel« 411 »Bold« 198 f. »Boris« 261 »Brede« 258 »Brey« 259 »Bruno« 329 f. »Buche« 304 f. »Carl« 260 »Carola« 492 »Ch. Becher« 431 »Christian Becher« 260 »Cristea« 81 »Cristina« 317 »Denkmal« 258 »Detectivul« 233, 236 f. »Drohne« 47 »Edgar« 95 f., 98, 113 »Einheit« 284–286, 288 f. »Emigrant« 233–235, 237 »Feder« 260, 431 »Fichtel« 477 »Florian« 459 »Frank Richter« 325 »Franz« 493 »Fuchs« 261 »Georg« 97 »George« 101 »Gerald« 258, 429 »Gerda« 74, 88–90, 93, 98–101, 103–105, 107–110, 112, 483 »Gerhard« 99–101, 108 f., 491 »Gherhard« 100 f., 103 »Gisela« 258 »Gisela Becker« 488–490 »Gladiola« 278 »Globus« 478 »Gogu« 72 f., 94–96, 113 »Grigor« 81 »Gruia« 314

»Hafen« 261 »Händler« 465 »Hannes« 123 »Hans Alberts« 263 »Hans Reimann« 491, 494 »Harry« 258 »Heinz Adam« 113–115 »Herman« 58–63 »Hermann Schneider« 316, 415 f. »Horaţiu« 294–296 »Howard« 217, 324 f., 328 f. »Hugo« 413 »Idealistul« 480 »Irene« 324 f. »Ivo« 259, 261, 425, 429 »Jack« 258 »Johannes Hofmann« 264, 418, 441 »Jörg« 212 »Jugo« 370 »Jürgen« 373, 380, 413 »Karl« 56, 64, 236, 260 »Kettchen« 465 »Klaus Wagner« 283 f., 286–288 »Konstantin« 236 »Kuhnert« 259 »Kunze« 413 »Kurt Fischer« 267, 336 »Lamm« 263 »Lena« 67, 69, 98 »Lică« 59 »Linda« 458 f. »Loveanu« 81 »Marco« 61 »Marder« 264, 459–461, 465 »Maria« 324 f. »Mark« 259 »Martin« 493 »Mehmet« 459 »Meister« 261 »Melanchton« 56 »Merten« 258 »Mihail Petrescu« 121 »Milea« 298 »Mircea« 60 »Miron« 81 »Mocanu« 295 »Monika Schütz« 324 f. »Mureşeanu« 74, 88

576 »Musiker« 465 »Nákupčí« 234 »Neubert« 261 f. »Nexö« 260, 289 »Norbert« 261, 268, 429 »Note« 465 »Pavel« 459 »Peter« 94 f., 97, 258 »Radu« 81 »Ralf Forster« 174 »Reinhard« 258 »Reinhard Walter« 260 »Renn« 462 f. »Ritter« 261 »Rose« 41 »Sarah« 324 f. »Schubert« 415 f. »Schulz« 55, 81 »Şerban« 81 »Silviu« 122 »Speicher« 183, 268, 281 »Spree« 261 f. »Steiner« 81 »Strahl« 263 »Streit« 492 »Student« 64, 225 »Stups« 481 »Tanne« 260 f., 275, 296 f., 301

Anhang »Tarom« 465 »Taube« 284–290, 431 »Tegel« 61 »Teodorescu« 295 »Teodoru« 81 »Toni« 88 »Topas« 258, 429 »Traian« 122, 295 »Traian Lucaci« 74, 78 »Trommler« 217 »Ulli« 328 »Ulme« 260, 268, 431 »Viktor« 94–97 »Vlad« 479 »Vladimir« 59 »Voicu« 305, 313, 315–318, 320 f. »Volker« 261, 268, 429 »Warnot« 301 f. »Wende« 286, 288 »Werg« 92 »Wilfried Klopsch« 327 f. »Wilhelm« 324 f., 417 f. »Wolfgang Reebe« 217, 324, 327 »Wolfgang Sperling« 261 »Ziaristul« 314 »Zink« 260 »Zobel« 261 f., 431

577

Ortsregister Aiud 428 Alba Iulia 236 Arad 236, 308, 339, 467 Aradul Nou s. unter Neu-Arad Baden bei Wien 494 Basiasch 394 Baziaş s. unter Basiasch Belgrad 210, 268, 368, 370 f., 383 Berkenbrück 52 f. Berlin 25 f., 57, 66 f., 75, 77, 82, 84, 91, 110 Berlin (Ost) 18, 25–31, 33, 57–59, 62, 66, 71–75, 78, 80 f., 83 f., 87–94, 96, 101 f., 104, 111 f., 137, 187 f., 194, 211, 213, 218, 228, 230, 351 f., 417, 442, 446–452, 457– 462, 464–466, 470, 472 f., 491 f., 496 Berlin (West) 25, 31, 34, 56, 58–64, 66, 68– 70, 73 f., 77, 81 f., 84 f., 87, 89–98, 101, 105–107, 109 f., 112, 114–116, 146, 198 f., 229, 443, 446, 448, 458, 460, 465–467, 470, 473, 482, 486, 488–495 Bern 99 Bonn 49, 319 f., 483, 496 Brandenburg an der Havel 452 Braşov s. unter Kronstadt Bratei (Brateiu) s. unter Pretai Bremen 351 Breslau 443 Buchenwald 52 f. Budapest 156 f., 188, 206, 228, 230, 372, 443, 513 Bukarest 52, 76–78, 111 f., 119 f., 125, 145, 148–151, 159, 162, 194 f., 197–200, 211 f., 216 f., 253 f., 259–268, 274 f., 289, 296, 302, 305, 320, 328 f., 335 f., 339, 345, 352, 354 f., 357, 366 f., 372, 375, 379, 406, 410, 412, 418, 426, 428, 430 f., 446, 471, 473, 486 Buşteni 324 Caransebeş s. unter Karansebesch Cheb 340 Chemnitz s. unter Karl-Marx-Stadt Cluj(-Napoca) s. unter Klausenburg Codlea s. unter Zeiden Comloşu Mare s. unter Großkomlosch Constanţa 328, 339, 350, 353, 364, 417 Costineşti 324 Cruceni 398 Curtici s. unter Kurtitsch

Dachau 52 f. Damaskus 231 f. Deta 357 Dinkelsbühl 485 Dresden 78, 339, 445, 464, 493 f. Drobeta-Turnu Severin s. unter Turnu Severin Eforie-Nord 324 Eforie-Süd 324 Eisenberg 350 Erfurt 350 Foeni 398 Frankenthal 149 Frankfurt/M. 26, 28, 31, 33, 83, 148, 489 Frankfurt/O. 273 Freiburg i. Br. 49, 70, 82 Galaţi s. unter Galatz Galatz 90 Gera 273, 304 f., 356 Giurgiu 346 Gräfenhainichen 349 Graustein 444 Greifswald 444 Großkomlosch 381 Großwardein 467 Gundelsheim 487 Halberstadt 455 Hălchiu s. unter Heldsdorf Halle 64, 358, 364, 447, 457 Hannover 455 Hatzfeld 373, 377, 413 Heldsdorf 47 Hermannstadt 90, 195, 273, 302, 413–415, 417, 455 Iaşi s. unter Jassy Istanbul 111, 376 Jamlitz 81 Jassy 275, 302, 419 Jena 39, 316, 444 Jilava 103 Jimbolia s. unter Hatzfeld Kahla 447 Karansebesch 283 Karl-Marx-Stadt 63 f., 348, 416, 444, 448, 464 Karlsburg s. unter Alba Iulia Kladovo 357 Klagenfurt 320

578

Anhang

Klausenburg 76, 120, 274, 291–297, 335, 337, 415, 419, 425 f. Köln 116, 230, 495 Kopenhagen 187 f. Kronstadt 108 f., 120 f., 273, 278, 292, 324, 413, 426, 440 f. Kurtitsch 467 Leipzig 64, 108 f., 283, 285, 447, 464, 466 Lenauheim 413 Lieberose 81 London 482 Ludwigsstadt 96 Lugoj s. unter Lugosch Lugosch 413 Lund 444 Magdeburg 273 Mamaia 324 Mangalia 324, 327 Marktschelken 411 Mediaş s. unter Mediasch Mediasch 121, 194 Miercurea Ciuc 120 Moskau 34, 128, 132, 189, 193, 239, 241, 435 f., 454 f., 493, 513 Mühlbach 90 München 49 f., 54, 70, 82 f., 85, 94–96, 98, 100 f., 104, 230, 477 f., 495 f. Neptun 324 Neu-Arad 116 Niţchidorf s. unter Nitzkydorf Nitzkydorf 381 Olimp 324 Oneşti-Borzeşti 145 Oradea s. unter Großwardein Orşova 357, 364, 369, 373, 378 Paris 110, 230, 482 Petersdorf 90 Petreşti s. unter Petersdorf Piteşti 261, 410, 426 Ploieşti 261, 410, 426 Poiana Braşov s. unter Schulerau Posen 45 Potsdam 85, 350, 359 Poznań s. unter Posen Prag 127, 148, 158, 228, 230, 250, 371 f. Predeal 326 Prejmer s. unter Tartlau Pretai 121 Răşinari 414 Râşnov s. unter Rosenau Ravensbrück 53

Reschitz 402, 415 Reşiţa s. unter Reschitz Rosenau 120 Roşia s. unter Rothberg Rostock 52 f., 350 Rostock-Warnemünde 467 Rothberg 414, 416 Sachsenhausen 52 Saderlach 234 Sanktanna 403 Sântana s. unter Sanktanna Sassnitz 467, 470 Saturn 324, 327 Schäßburg 194 Schmölln 47 Schulerau 324 Sebeş s. unter Mühlbach Şeica Mare s. unter Marktschelken Sibiu s. unter Hermannstadt Sighişoara s. unter Schäßburg Sinaia 324 Slimnic s. unter Stolzenburg Sofia 243, 377 Stolzenburg 302 Tartlau 120 Tekija 357, 379 f. Temeswar 15, 57 f., 62, 98, 246, 273, 293, 302, 304–307, 309–313, 315–320, 339, 348, 378 f., 392, 396 f., 406, 413, 446, 490 Timişoara s. unter Temeswar Turda 419 Turnu Severin 355, 358, 364, 373 f. Varna 233, 328 Vizejdia s. unter Wiseschdia Vršac s. unter Werschetz Warschau 152, 154 f., 372, 443, 513 Weimar 316 Werschetz 166 Wien 53, 98 f., 104, 110 Wiseschdia 302 Worms 28 Wrocław s. unter Breslau Zădăreni s. unter Saderlach Zagreb 371 Zeiden 120 Zwickau 444

579

Dank Am Ende dieses Buches steht ein großer Dank an all diejenigen, die mich bei der Entstehung dieser Studie auf unterschiedliche Weise unterstützt haben. So haben mich Fachkolleginnen und -kollegen immer wieder auf interessante Akten und Literatur aufmerksam gemacht oder haben sich die Zeit genommen, einzelne Fragen mit mir zu besprechen, so etwa Hannelore Baier, Ciprian Cirniala, ­Christian Domnitz, Bernd Florath, Christian Halbrock, Frank Joestel, Anneli Ute Gabanyi, Mieszko J­ackowiak, Stephan Konopatzky, Ilko-Sascha Kowalczuk, ­Christopher ­Nehring, Petre ­Opriș, Romulus Rusan, Andreas Schmidt, Claudiu Secașiu, Douglas ­Selvage, Joachim Uhlisch, Gudrun Weber, Angelika Weiss, Roland Wiedmann, M ­ anfred Wilke, Stephan Wolf und Cornelius Zach. Andere haben mir aus ihren persönlichen Erinnerungen erzählt, mit viel Geduld meine Nachfragen beantwortet und manchmal auch private Unterlagen zur Verfügung gestellt. Ich denke dabei beispielsweise an Harald Berwanger, Roland Buchwald, Ute Dumitrescu, Hans Eftimie, Elisabeth Ernst, Radu Filipescu, Gerhardt Csejka, Helmuth Frauendorfer, Carl Gibson, Uwe-Peter Heidingsfeld, Franz Hodjak, Leontin I­ uhas, ­Michael Markel, Ernst Meinhardt, Peter Motzan, Imma und M ­ athias Pelger, Lutz Rathenow, Nadja Röder, Horst Samson, Stefan Sienerth und Richard Wagner. Auf unterschiedliche Weise habe ich auch hilfreiche Unterstützung von Cristina Anisescu, Heike Brusendorf, Günter Czernetzki, M ­ enyhert Gretas, Alina Ilinca, Liliana Iuga, Rosemarie Müller, Hans-Jürgen Rother und Virgiliu Ţârău erfahren und noch von einigen anderen. Die Kollegen und Kolleginnen der BStU-Bibliothek haben mich stets freundlich bei Fernleihen fremdsprachiger Literatur unterstützt, allen voran Jörg Laurich, und im Lektorat haben Beate Albrecht, Thomas Heyden, Christin Schwarz und Ralf Trinks das Manuskript zur Druckreife gebracht. Stejărel Olaru hat mich vor vielen Jahren dazu motiviert, die Thematik dieses Buches systematisch zu untersuchen und somit einen entscheidenden Impuls gegeben. Ein besonderer Dank gilt William Totok, der über all die Jahre als interessierter Zeitzeuge, fachkundiger Forscher und geduldiger Zuhörer meine Arbeit an diesem Buch begleitet hat.

580

Anhang

Angaben zum Autor Georg Herbstritt wurde 1965 in Schluchsee geboren. Er studierte neuere und neueste Geschichte, osteuropäische Geschichte und katholische Theologie an der Universität Freiburg. Anschließend absolvierte er ein Archivpraktikum in Siebenbürgen. Nach mehrjähriger Tätigkeit beim Stasi-Landesbeauftragten in Mecklenburg-Vorpommern arbeitet er seit 1999 als Historiker in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin. 2007 Promotion an der Humboldt-Universität Berlin über die DDR-Spionage in der Bundesrepu­ blik Deutschland.

581

Quellen der Abbildungen Abb. 1:

Ralf Drescher, Berlin

S. 18

Abb. 2:

BStU, MfS, HA II, Nr. 33256, Bl. 5

S. 27

Abb. 3:

BStU, MfS, HA II, Nr. 33256, Bl. 7

S. 27

Abb. 4:

Berlin, rumänische Regierungsdelegation, Besuch, BArch, Bild 183-33246-0001, Foto: Krueger, 4.10.1955

S. 35

Abb. 5:

BStU, MfS, AOP 4288/65, TV 1, Bd. 3, Bl. 18

S. 73

Abb. 6:

ACNSAS, fond SIE, dosar 6748, vol. 1

Abb. 7:

BStU, MfS, ZAIG, Fo 3335, Bild 1

S. 103

Abb. 8:

BStU, MfS, AP 11781/73, Bd. 5, Bl. 57

S. 109

Abb. 9:

BArch, Bild 183-A0919-0043-003, Foto: Schneider

S. 145

Abb. 10:

BStU, MfS, ZAIG, Nr. 9922, Bl. 44

S. 164

Abb. 11:

BStU, MfS, HV A/MD/3, SIRA-TDB 12, SE7301771

S. 178

Abb. 12:

BStU, MfS, SdM, Nr. 1428, Bl. 10

S. 188

S. 79

Abb. 13:

CNSAS, Bukarest

S. 191

Abb. 14:

BStU, MfS, SdM/Fo, 173

S. 191

Abb. 15:

BStU, MfS, ZAIG/Fo/2917, Bild 11

S. 241

Abb. 16:

BArch Berlin-Lichterfelde, NY 4167/580

S. 246

Abb. 17:

BArch Berlin-Lichterfelde, NY 4167/581

S. 246

Abb. 18:

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – Bildbestand, Signatur: B 145 Bild-00014050, Fotograf: Engelbert Reineke

S. 276

Abb. 19:

William Totok, Berlin

S. 308

Abb. 20:

Horst Samson, Neuberg/Hessen

S. 314

Abb. 21:

BStU, MfS, JHS, Nr. 21925, Bd. 2, Bl. 33 (siehe Anm. 561)

S. 363

Abb. 22:

BStU, MfS, BV Halle, AU 1008/75, Bd. 7, Bl. 6

S. 369

Abb. 23:

Christof Kaiser, Berlin

S. 378

Abb. 24:

Johannes Beleites, Großkochberg

S. 410

Abb. 25:

BStU, MfS, ZAIG, Nr. 14072, Bl. 81a

S. 419

Abb. 26:

BStU, MfS, HA XX/5-VSH

S. 424

Abb. 27:

Doina Cornea, Klausenburg & Fundaţia Academia Civica, Bukarest, Fotograf: Coen Stork

S. 425

Abb. 28:

Radu Filipescu, Bukarest

S. 430

Abb. 29:

BStU, MfS, BV Dresden, Abt. XX, Nr. 10426, Bl. 17

S. 445

Anhang

582 Abb. 30:

BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 3792, Bl. 145 (Originalformat des Flugblatts: 20 x 23,5 cm)

S. 447

Abb. 31:

BStU, MfS, BV Berlin, Abt. XX, Nr. 2861, Bl. 13

S. 450

Abb. 32:

William Totok, Berlin

S. 451

Wir danken allen Lizenzträgern für die freundlich erteilte Abdruckgenehmigung. In Fällen, in denen es nicht gelang, Rechtsinhaber an Abbildungen zu ermitteln, bleiben Honoraransprüche gewahrt.