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German Pages 154 Year 1998
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR
SCHRIFTENREIHE DER G E S E L L S C H A F T FÜR
DEUTSCHLANDFORSCHUNG
B A N D 62
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR
Herausgegeben von Hans-Jörg
Biicking
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR / hrsg. von Hans-Jörg Bücking. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung ; Bd. 62) ISBN 3-428-09425-5
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5774 ISBN 3-428-09425-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
INHALT Vorwort Winfried Boll Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der einen Welt
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Rüdiger Korff Der Stellenwert der Entwicklungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 37 Jürgen Schroer Entwicklungspolitik in Castrop-Rauxel und anderswo. (Eine Weltpolitik als landespolitische Aufgabe) 49 Volker Lohse Kommunale Partnerschaften
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Wolf-Dieter Graewe Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der DDR
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Hans-Georg Schleicher Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik der DDR
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Ilona Schleicher Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit in der Tätigkeit von FDGB und FDJ
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Hans F. Illy Perspektiven der deutschen Entwicklungspolitik unter veränderten geopolitischen Bedingungen 139 Verfasser und Herausgeber
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VORWORT
Auf der Sondertagung am 25 und 26. April 1997, die in den Räumen der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung, Zentralstelle für öffentliche Verwaltung, in Berlin stattfand, und zu der die Gesellschaft für Deutschlandforschung einen interessierten Expertenkreis als Teilnehmer gewinnen konnte, wurde das Thema „Entwicklungspoltische Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR" erörtert. Die Beiträge dieses Bandes geben die dort gehaltenen Referate in überarbeiteter Form wieder. Damit knüpft die Gesellschaft für Deutschlandforschung an eine lange Addition der Beschäftigung mit dieser Thematik an. Abgesehen davon, daß „Die Dritte Welt und die beiden Staaten in Deutschland" schon im Jahre 1982 (Band VI der Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung) zentraler Gegenstand einer Arbeitstagung war, berühren auch andere Tagungen der Gesellschaft für Deutschlandforschung dieses Themenfeld immer wieder. Insofern gilt die Feststellung in dem Vorwort des von Hans F. Illy und Wolfgang Schmidt-Streckenbach herausgegebenen 20. Bandes „Studenten aus der Dritten Welt in den beiden deutschen Staaten" dieser Schriftenreihe weiterhin und darüber hinaus, wie weitere Tagungen der Fachgruppe Entwicklungspolitik in den Jahren 1987 und 1990 bezeugen. Nach dem Untergang der DDR und der Sowjetunion sowie dem Verfall der sozialistischen Regime weltweit mußte sich indessen die Perspektive der Betrachtung ändern, was sich schon in der geläufigen Bezeichnung „Dritte Welt" niederschlägt; die ehemals „Zweite Welt" ist durch diese Entwicklung nämlich abhanden gekommen. Rückt jetzt die „Dritte Welt" zur „Zweiten Welt" auf? Schon diese - absurde - Fragestellung zeigt auf, daß nicht allein die Entwicklungspolitik der DDR nunmehr vornehmlich nur noch von historischem Interesse ist. Unter veränderten geopolitischen Bedingungen hat sich Entwicklungspolitik vielmehr insgesamt neu zu orientieren. Insofern mag dieses Politikfeld pars pro toto demonstrieren, daß das wiedervereinigte Deutschland nicht als eine ungebrochene Fortsetzung der alten Bundesrepublik Deutschland verstanden werden kann. Dementsprechend hatte sich die Tagung daher eine Bestandsaufnahme der bisherigen entwicklungspolitischen Ansätze in den beiden deutschen Staaten zum Ziel gesetzt. Dabei sollte sich die Betrachtung weder auf die offiziellen
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Vorwort
staatlichen Maßnahmen beschränken noch sollte auf generell-theoretische Reflexionen zur Thematik verzichtet werden. So beleuchtet Winfried Boll einleitend die Trag- und Aussagefähigkeit des „Eine-Welt"-Konzepts unter den sich stetig verändernden Bedingungen einer Weltgemeinschaft, die zwar auch, aber nicht nur aus Staaten besteht, in der Regierungen, namentlich die deutsche, ebenso ihre Rolle zu spielen haben wie Nichtregierungsorganisationen. Rüdiger Korff greift manches davon, noch spezieller auf Deutschland bezogen, wieder auf, sowohl historisch, was die bundesdeutsche Entwickungshilfepolitik anbetrifft, als auch auf abstrakter Ebene: Zentraler Aspekt sind dabei die Dilemmata, in denen sich schnell jegliche Entwicklungshilfepolitik verfängt. Der Beitrag von Jürgen Schröer schlägt die Brücke von staatlicher zu nichtstaatlicher Entwicklungspolitik, indem er ein Konzept landespolitischer Förderung kleiner, lokaler Gruppen vorstellt, die als Multiplikatoren und Motivatoren helfen können, lokal globales Bewußtsein entstehen zu lassen: Moralität selbst wachsen zu lassen, um die Welt als „Eine" zu verstehen und individuelles Handeln daran auszurichten. Diesen Ansatz vertieft und konkretisiert Volker Lohse am Beispiel der kommunalen (Nord-Süd-)Partnerschaften, indem er deren Leistungsfähigkeit und (entwicklungs-)politische Wirksamkeit herausstellt, für die schon die Bezeichnung als „Partner-"schaften ein Signal setzt. Dabei analysiert er nicht nur ihre Ziele und Entstehungsgründe, sondern auch ihre Bedeutung für die Kommunen selbst sowie die Rechtsgrundlagen und Organisation. Beschäftigen sich die bisher genannten Beiträge entweder mit entwicklungspolitischen Fragestellungen, welche die alte oder neue Bundesrepublik Deutschland zu beantworten hatte bzw. hat, so leitet der Beitrag von Wolf-Dieter Graewe zu spezifischen Aspekten entwicklungspolitischer Zusammenarbeit in der DDR über, die bis zum Transformationsprozeß hierfür über keine zentrale Institution verfügte. Neben einem Überblick über deren Grundlagen, Ziele und Felder gewährt er einen Einblick in die Integration der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in die des wiedervereinigten Deutschland. Anknüpfend hieran handelt der Beitrag von Hans-Georg Schleicher exemplarisch - und vom Titel her bezeichnend - Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik der DDR am Beispiel Afrikas ab. Trotz der gegenüber der alten Bundesrepublik Deutschland prinzipiell verschiedenen, ideologisch determinierten Ansätze (z.B. Solidarität) werden auch hier, auf abstrakterer Ebene, ähnliche Dilemmata deutlich, wie sie durch den Kalten Krieg und Ost-West-Konflikt sowie die Außenwirtschaft provoziert werden.
Vorwort
Darüber, daß trotz aller Systemunterschiede und dementsprechend SED-geleiteten Massenorganisationen Parallelen zu nichtstaatlicher entwicklungspolitischer Zusammenarbeit in der alten wie neuen Bundesrepublik Deutschland erkennbar werden, gibt der materialreiche Beitrag von Ilona Schleicher über die entwicklungspolitische Zusammenarbeit von FDGB und FDJ Aufschluß. Der Nachweis, daß sich dieses Segment entwicklungspolitischer Zusammenarbeit basisgesteuert - nicht immer konfliktfrei in die offizielle SED-dominierte und staatliche Politik integrieren ließ, weist über das eigentliche Themenfeld hinaus und ist für generelle Systembetrachtungen interessant. Von Hans F. Illy angestellte kritische Reflexionen zu Perspektiven (neuer gesamtdeutscher Entwicklungspolitik unter veränderten geopolitischen Bedingungen schließlich runden diesen Band ab. Damit schließt sich der Kreis, werden doch ähnliche Probleme wie im ersten Beitrag angesprochen, jedoch unter anderer Perspektive und mit anderer Schwerpunktsetzung. Bedauerlich ist, daß ein vorgesehener Beitrag zu Beobachtungen kirchlicher Entwicklungsengagementes in der DDR entfallen mußte. Hierzu scheint sich abzuzeichnen, daß Erkenntnisse aus dem Hause des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR das ursprüngliche Konzept eines vorgesehenen Beitrages nachhaltig in Frage stellen könnten. So offenbart dieser Umstand in noch stärkerem Maße als die hier erschienenen Beiträge zur DDR-Entwicklungspolitik, in welchem enormen Umfang hierzu noch Forschungsbedarf besteht. War dem Veranstalter natürlich von vornherein bewußt, daß die aufgegriffene Thematik mit einer solchen Tagung nicht umfassend, sondern nur fragmentarisch abgehandelt werden konnte, mag dieses ein gebotener Anlaß sein, sich den aufgedeckten Forschungslücken zu einem späteren Zeitpunkt zu widmen und sich ein weiteres Mal mit entwicklungspolitischen Fragestellungen zu beschäftigen. Hans-Jörg Bücking
Winfried
Boll
ENTWICKLUNGSPOLITISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER EINEN WELT I. Der Begriff „eine Welt" begegnet uns zumeist als plakative Forderung und Vision, er soll unseren Denkhorizont bestimmen. Global Denken, Lokal Handeln. Wird er empirisch verwandt, erscheint er als Zusammenfassung der totalen Komplexität und Interdependenz aller menschlichen Verhältnisse mit ihrer Vielzahl von Kulturen, Staaten, Völkern und Sektoren menschlicher Lebensverhältnisse, der Art und Weisen darüber nachzudenken und darin zu agieren. Für die Diskussionen und Operationen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wurde die eine Welt in erste, zweite, dritte und vierte Welt zerlegt, um ein Arbeitsschema für die Probleme arm und reich, industrialisiert und nichtindustrialisiert im Staatensystem, bis hin in die gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten zu gewinnen. Allerdings wird der Realitätsgehalt der Vision von der einen Welt, die sich und die wir als Horizont und Aufgabe vernünftiger Politik begreifen sollen, als eine Vorstellung - im 2. Weltkrieg von Wendell Wilkie in seinem damals berühmten Buch „One World" bekannt gemacht - von verschiedenen Positionen aus angezweifelt. Obwohl die Realität des einen Erdballs als Wohnort der Menschheit natürlich nicht geleugnet werden kann und die Vernetzung und Verdichtung der wachsenden Menschheit fortschreitet, wird der plakative pathetische „Eine-Welt"-Begriff als Illusion eines brauchbaren politischen Handlungsrahmens kritisch hinterfragt. Unter der Überschrift „Keine Eine Welt" wird ihm politische Realität als Grundlage etwa für „global governance" abgesprochen, da die vorhandenen Machtstrukturen ihm heute noch dauerhaft entgegenstehen. „Merke: die „eine Welt" ist eine, die Vereinten Nationen sind eine andere, die Vereinigten Staaten bleiben eine ganz besondere Sache."1 Für entwicklungspolitische Überlegungen sind die Kontroversen interessant, die sich um die Einteilung der Welt in das gewohnte Schichtungssystem der dritten oder vierten „Welten" streiten. Ulrich Menzel konstatiert das „Ende der
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Hans Arnold in „Vereinte Nationen" 1/1997
Winfried Boll
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Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie" 2 , Nuscheier und Ortmanns halten dagegen, daß es die Dritte Welt in ihrem eigenen Bewußtsein noch gebe3 und zitieren Nyerere, der die Dritte Welt als Gruppe, die sich als Opfer und Ohnmächtige der Weltwirtschaft fühlen, definiert. Robert Cooper, zur Zeit Gesandter an der Britischen Botschaft in Bonn, unterscheidet zwischen vormodernen, modernen und postmodernen Staaten als unterschiedliche Akteure und Zielgruppen der heutigen Weltpolitik. 4 Huntington sieht wie früher Spengler die Zivilisationen als historisch tief fundierte, letztlich nur oberflächlich beeinflußbare Gegebenheiten in zunehmende Konflikte treiben. 5 Er hat lebhafte Kritik auf sich gezogen, obwohl Senghaas6, nachdem er die Vorstellung vom Kampf der Kulturen als „fixe Idee" abgekanzelt hatte, zum Schluß doch eingestehen muß, daß kulturelle oder vermeintlich kulturelle und zivilisatorische Unterschiede sehr wohl als Paniere ökonomischer, sozialer und machtpolitischer Interessen medienwirksam werden und sich dann als selbständige Motivationskomplexe hochpolitischer Art verfestigen können. Wir hatten das Beispiel der asiatischen Werte, die von Sprechern südostasiatischer Staaten als unverrückbare Konstanten einer westlichen und universalistischen Ansprüchen entgegenstehenden Identität behauptet werden, vor allem um die Forderungen nach „westlichen" Menschenrechtsforderungen abzuwehren. Allerdings hat inzwischen ein autoritärer Asiate wie Lee Kuan Yew, früherer Staatschef von Singapur, zugegeben, daß auch die asiatischen Werte keine Konstante sind, sondern sich im Prozeß der Modernisierung verändern können. Die bisherige Modernisierung der Welt im Hinblick auf Technik und Wissenschaft ist aber vom Westen ausgegangen und man kann sich streiten, inwieweit westliche Wertvorstellungen untrennbar damit verbunden sind oder sich durchaus auch mit nichtwestlichen Kulturmustern und Denkweisen vertragen, zumal es auch dort menschenrechtsorientierte Werte und Maximen gibt. Identitäten können durchaus vielseitig sein. Das hochmoderne Japan hat sehr viel vom Westen aufgenommen und ist doch ganz Japan in seiner traditionellen Kultur geblieben. McLuhan hat schon vor vielen Jahren die Welt als globales Dorf gesehen, nicht zuletzt durch die Verbreitung der Medien, die zunehmend Zugang zu allem an allen Orten ermöglicht. Auch die UNESCO hat immer wieder die 2 Ulrich Menzel: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie. Edition Suhrkamp: Neue Folge, Bd. 718, 1992 3
Franz Nuscheier: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik, Bonn 19954) Bruno Ortmanns: Ist die Dritte Welt wirklich am Ende? In „Aus Politik und Zeitgeschichte", Β 12/96, 15.03.96 4
Robert Cooper: The post-modern State and the World Order, London 1996
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Samuel Huntington: The Clash of Civilsation, New York 1996
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Dieter Senghaas: Die fixe Idee vom Kampf der Kulturen, in „Blätter für deutsche und internationale Politik", 2/97
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Verträglichkeit unerläßlicher universaler Normen mit dem postuliert, was sie „unsere schöpferische Vielfalt" (auf dem Erdball) nennt. So der Titel des Abschlußberichtes über die Dekade der Vereinigten Nationen „Kultur und Entwicklung". 7 Entwicklungspolitisch bleibt vorerst das von den großen internationalen Organisationen gebrauchte Einteilungsschema Industrieländer, Schwellenländer, „normale" (middle level income) Länder und am unteren Ende der Skala die weniger oder am wenigsten entwickelten besonders armen Länder (LDC least developed countries) für Orientierung und praktische Politik durchaus brauchbar. Dagegen sind die Schemata Ost-West, Nord-Süd überholt, und von den großen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen bleiben nur noch einige „Theorien mittlerer Reichweite". Die „Eine Welt" - brauchbar für moralische Appelle - ist für Entwicklungspolitik eher eine Bühne komplexer Vorgänge, die zweifellos auch Elemente globaler Ethik, mehr noch pragmatischer Spielregeln, Verfahren und Institutionen (Regime) erforderlich macht, aber sonst weniger eine große Theorie als neben einigen verläßlichen Grundsätzen vor allem Lernen, permanente Abstimmungen des Planens und Handelns aller Beteiligten und Flexibilität bei der Verfolgung der eigenen Ziele herausfordert. Zu oft wird vergessen, daß der Club of Rome, der Berichte über die „Grenzen des Wachstums" verbreitet hatte und dem blinden Fortschrittsglauben und auch der Maßlosigkeit rein ökonomischen Denkens Warnzeichen setzte, ebenso einen Bericht erstellen ließ: „Keine Grenzen für das Lernen". 8 Für entwicklungspolitische Realpolitik ist der Begriff Globalisierung wichtiger als der der „einen Welt". Globalisierung bezeichnet einen Prozeß. Er hat seinen Anfang in der Entdeckung, Eroberung und Kolonialisierung der Welt durch die Europäer. Zwei Weltkriege sind blutige Phasen geworden. Die Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre hatte globale Dimension. Auch ist der Begriff Weltmarkt nicht neu. Eine zusätzliche Dimension gewann die Globalisierung, lange überlagert vom ebenfalls globalen Ost-West-Konflikt durch die moderne Informatik, die Verdichtung der Verkehrsnetze und den Aufstieg der asiatischen und der lateinamerikanischen Länder. In die allgemeine Diskussion ist der Begriff der Globalisierung mit der verstärkten Ausnutzung der Weltmarktchancen durch Banken und Firmen zu Lasten der hiesigen Arbeitsplätze und Steuerverpflichtungen gekommen. Das Schlagwort dient oft auch nur als Vorwand und zur Bemäntelung ökonomischen
7 Our creative Diversity, Report of the World Commission on Culture and Development, UNESCO 1996 8 Aurelio Peccei (Hrg.): No limits to learning, Bridging the human gap, Oxford 1979
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und politischen Versagens bei der Bewältigung struktureller Herausforderungen. Wie sich die Globalisierungsdiskussion auf die Entwicklungspolitik auswirkt, soll im folgenden angedeutet werden: Ist Entwicklungspolitik noch zeitgemäß, fragt H. Sangmeister?9 Bleibt ihr nur noch die Reparatur einer meist ungerechten Weltwirtschaftsordnung und Heilung der Wunden lokaler Kriege und Katastrophen? Petra Pinzler 10 sieht die „Helfer auf dem Holzweg", die mit Entwicklungshilfe zu tun haben, in den selben Topf von Ignoranz und Illusionismus geworfen. Vom Begriff der Entwicklung als dem Kernstück aller Entwicklungstheorien bleibt ihr nur eine „quallige Amöbe". Sie sieht nur die Hilfsprogramme und Projekte, läßt als Ziele nur Armutsbekämpfung und „Good Governance" gelten und erhebt den Zeigefinger der Unfehlbarkeit: „Es bedarf mehr als einiger Hilfsprogramme, Umwelt und Demokratie zu sichern". „Spranger und seine Kollegen müssen das nur noch ernst nehmen", so einfach ist das. Für das Vorstandsmitglied einer wichtigen Bank sind alle Entwicklungshilfemaßnahmen nur ein unnötiger Überbau über einen Geldtransfer aus öffentlichen Haushalten in die Dritte Welt, den man auch durch Überweisung vom Haushalt der Industrieländer in Haushalte der Entwicklungsländer mit geringerem Aufwand erledigen könnte.11 Andererseits streiten andere wie Lothar Brock 12 für mehr Entwicklungshilfe: „Abschied von einer großen Idee? Entwicklungsarbeit wird nicht überflüssig - sie ist nötiger denn je." Und Paul Kevenhörster klagt auf einer ganzen Seite der FAZ 1 3 : „im Konzert der Interessen sind die Stimmen der Armen kaum zu vernehmen", und fragt dann zum „vergessenen Süden": „hat die Entwicklungspolitik noch eine Chance?" Leymer Klüver konstatiert die öffentliche Misere der Entwicklungspolitik und untersucht: „warum es so schwierig ist, die Menschen für die Dritte Welt zu interessieren". Wieder wird die Unfähigkeit und die Einfaltslosigkeit der Entwicklungsmanager in Organisationen und offiziellen Stellen angeklagt. Aber auch er meint nach der Feststellung, der Jargon der Entwicklungspolitik sei nervtötend: „Natürlich gibt es die Dritte Welt längst nicht mehr, sie hat es ohnehin nur als ideologisches Kunstprodukt gegeben." „Wer von einer Welt spricht, ist sicherlich ein guter Mensch, aber auch ein Ideologe. Unsere Welt ist reichlich zersplittert, und die Gegensätze zwischen reichen und armen Ländern sind zu real, als daß wir gebetsmühlenartig das Ideal von der einigen Welt bemühen sollten." Vor allem 9 Hartmut Sangmeister: 1st Entwicklungspolitik noch zeitgemäß? In „Aus Politik und Zeitgeschichte", B9/97 21.0297 10
Petra Pinzler: Helfer auf dem Holzweg, Die Zeit, 31.03.97
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Aus einem privaten Gespräch
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Lothar Brock: „Der Überblick", 4/96
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Paul Kevenhöster: Im Konzert der Interessen sind die Stimmen der Armen kaum zu vernehmen.
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fragt er: „Worüber sollen die Medien berichten, wenn es keine Auseinandersetzung über die Entwicklungspolitik gibt?" „Die SPD hat im Prinzip kein grundsätzliches anderes entwicklungspolitisches Konzept als der CDU-Minister, der seit sechs Jahren das Ressort regiert." Und als Folgerung: „Entwicklungspolitik ist auch für die Partei des entwicklungspolitischen Predigers Erhard Eppler und des einen Weltpropheten Willy Brandt völlig unin- teressant geworden." 14 Schließlich ist Unterhaltungswert für Medien das, was zählt, könnte man resümieren. Der genannte zuständige Minister Karl-Dieter Spranger 15 sieht demgegenüber die Entwicklungspolitik „in den besten Jahren". Er weist darauf hin, daß sie bisher eine Reihe von beachtlichen Erfolgen aufzuweisen hat: „Doppelt soviele Länder wie vor 30 Jahren können ihre Bevölkerung selbst ernähren. Länder, die noch vor 20 Jahren Hungersnöte hatten - China, Indonesien, Indien - exportieren heute Lebensmittel. Die Einschulungsrate hat sich in 25 Jahren verdoppelt. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte stieg die durchschnittliche Lebenserwartung in den Entwicklungsländern um 8 auf 62 Jahre. Nimmt man alle Entwicklungsländer zusammen, so sank die Geburtenrate in den vergangenen 20 Jahren um mindestens 1 Kind pro Frau. Um mehr als 3 Kinder pro Frau sank die Rate in Ländern, in denen der Zugang zur Familienplanung überdurchschnittlich verbessert wurde, etwa in Algerien, Bangladesch, Mexiko, Marokko und Thailand. Die Ergebnisse sind während einer Zeitspanne erzielt worden, in der sich die Weltbevölkerung von 3 Milliarden 1960 auf 5,7 Milliarden fast verdoppelt hat. Entwicklung ist also möglich. In der Welt bieten sich zahlreiche positive Beispiele, die den viel verbreiteten Entwicklungspessimismus Lügen strafen. Der imponierende und gesellschaftliche Aufholprozeß in Mittel- und Osteuropa ist bereits jetzt eine Erfolgsgeschichte " „Aber vor allem die Entwicklungsländer Asien und Lateinamerika stellen die Industrieländer mit einem erwarteten durchschnittlichen Wachstum von 5 % inzwischen in den Schatten. Viele asiatischen Länder können Wachstumsraten von über 7 % aufweisen und werden, wenn das Importwachstum der zehn führenden Wirtschaftsnationen Asiens anhält - einen Markt bilden, der
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Reymer Klüver: Die öffentliche Misere der Entwicklungspolitik, Süddeutsche Zeitung, 22723. Februar 1997 15
FAZ vom 19.04.97
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größer ist als der der europäischen Union und der Vereinigten Staaten zusammengenommen." Er weist dann daraufhin, daß nach Schätzung der Weltbank die Entwicklungsländer bis zum Jahr 2000 ihren Anteil an den Welteinfuhren von 24 % auf 30 % und bei den Exporten von 17 auf 22 % erhöhen können. Die Globalisierung der Märkte nach der Aufhebung der bipolaren Weltordnung bietet somit neue Chancen aller Länder auch für die ärmeren." Er vergißt da auch nicht, auf Probleme hinzuweisen, die ebenfalls globale Ausmaße angenommen haben, wie das Umweltproblem und der allgemeine wirtschaftliche Strukturwandel und folgert u.a. „wir werden unsere Anstrengungen im Kampf gegen die Armut fortführen und noch weiter intensivieren." Die Stellungnahmen für und gegen die Aktualität von Entwicklungspolitik sind zahlreich. Die Kontroversen werden nicht immer auf gleichem Niveau und oft populistisch und oftmals auch wie bei der schon genannten Petra Pinzler als eine Ansammlung von längst bekannten Versatzstücken entwicklungspolitischer Kritik und Klischees ausgetragen. II. Welche Optionen bleiben der Entwicklungspolitik Jahrhunderts. Vier Ebenen sind zu unterscheiden:
am Ende des 20.
1. Die Weltbühne, auf der unterschiedliche Akteure, Staaten, Staatenorganisationen, nicht-staatliche Kräfte, supranationale Institutionen, Einzelne und Gruppen mit ihren Ansichten und Interessen und mit unterschiedlicher Macht agieren. 2. Die Staatenwelt in ihren Organisationsformen und neuen Gebilden wie der Europäischen Union, 3. Die ökonomischen insbesondere finanziellen Akteure des Weltmarktes, 4. Die Netzwerke der nichtstaatlichen gesellschaftlichen Kräfte in ihren unterschiedlichsten Gebilden und „Kreuzungen sozialer Kreise" bis hin zu den Möglichkeiten des einzelnen zu beleuchten. Entwicklungspolitik ist und bleibt dabei ein Komplex von Veranstaltungen gemeinsamer Problemlösungsversuche und gegenseitiger Hilfe in einer Vielzahl von Ansätzen, Neben- und Unterzielen, mit deren bisheriger Geschichte vom „colonial development" seit Ende des 19. Jahrhunderts bis zur heutigen Entwicklungshilfeindustrie" man jeweils je nach Wunsch ganze Bücher voller Fehlschläge, Skandale, Unlauterkeiten und Mißerfolge oder andererseits auch voller Zielannäherungen und Zielerreichung, Erfolge und Erkenntnisse füllen kann. Nur eins verbietet sich, pauschale Urteile und die Arroganz des erhobenen
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Zeigefingers. Versuchen wir eine unvollständige schlaglichtartige Beleuchtung der wichtigsten heutigen Zielsetzungen, Strategien, Möglichkeiten und Ansätze. Dabei gehen wir von den Interessen und Möglichkeiten Deutschlands und Europas aus. Es bleiben die alten Oberziele Erhaltung des Friedens, Verwirklichung und Festigung einiger unerläßlicher universaler Systeme von Spielregeln, Regimen und flexibler Verfahren, Herrschaft des Rechts anstelle von Willkür, Verminderung der Kluft von arm und reich, vor allem Vermeidung von Extremen der absoluten Armut und des „stinkenden" übermächtigen Reichtums, Rettung und Erhaltung der Umwelt und der wichtigsten Ressourcen, wie Luft, Wasser Boden- und Meeresschätzen, Verwirklichung der bürgerlichen Freiheiten auf unterschiedliche Art, aber orientiert an universalen Menschenrechten, vielleicht aber auch Menschenpflichten und der Chance für jeden an Entscheidungen, die ihn betreffen, zu partizipieren. Orientiert an diesen sehr allgemein gefaßten Zielen stellen sich auf dem Feld der internationalen Beziehung vor allem die folgenden Aufgaben: Vorrang für die Förderung und Festigung der multilateralen Institutionen durch eine viel stärkere Zuwendung und Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland dabei auch des Interesses vor allem der politischen Klasse und der aktiven Minderheiten in diesem Lande. Unsere Beteiligung wird heute fast nur noch unter finanziellen Gesichtspunkten gesehen. Das Interesse an Rolle und Leistung der Weltinstitutionen beschränkt sich auf den Sicherheitsrat, von Ressortinteressen abgesehen. Es ist untragbar, wie sehr etwa die Befassung mit der UNO nur noch unter dem Gesichtspunkt Organisationsreform und Verwaltungseinsparungen läuft. Kaum einer befaßt sich mit den Wirkungen der einzelnen multilateralen Institutionen vor Ort, d.h. in den Entwicklungsländern oder im Osten. Wenn man von Reform spricht, hat man vor allem die großen Zentralen der Organisation und ihren Bürokratismus im Sinn, der immerhin bewirkt, daß Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammen arbeiten und etwas leisten. Was haben aber Länder wie Bangladesch, Ägypten oder Bolivien davon, daß soviel unterschiedliche UN-Agenturen dort tätig sind? Was leisten diese je für sich und gemeinsam vor Ort? Man wird Licht und Schatten finden, aber auch die Einsicht, daß gerade die Vielfalt, die manchem eiligen Journalisten oder Politiker als Chaos erscheint, der Pflanzboden für oftmals innovative und kühne Zusammenarbeit ist, was unmöglich würde bei straffer Zentralisierung und Betrachtung lediglich unter fiskalischen oder nationalen Interessegesichtspunkten. Die Wirkungsweisen der multilateralen Institutionen werden fast nur an ihren Verlautbarungen und manchmal auch der Arroganz des pseudo-diplomatischen Auftretens der von sich selbst überzeugten Vertreter der Hauptquartiere gemessen. Die Kunst des „indirect approach", das eigentliche Wesen der sanften Außenpolitik, um mit dem Bundespräsidenten zu sprechen, etwa auch eine Einflußpolitik durch Lernen, durch die Entwicklung schöpferi-
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scher Initiativen vor Ort wird für das Feld der multilateralen Institutionen selten bewertet. Durch eine stärke Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen auch in den Dialog mit den multilateralen Institution wird sich vielleicht einiges bessern. Die NGOs haben Interesse und Gespür für Wirkungen, die aus der beschränkten Sichtweise der Staatenpolitik und der politischen Klassen Nebensächlichkeiten sind, obwohl gerade diese gesellschaftlich verändern. Anders der Bereich des internationalen Finanzsystems, wenn man es denn ein System nennen kann. Hier ist harte direkte Politik, Durchstehen von Interessenkonflikten eingefahrener Institutionen, Phantasie und Zähigkeit gefragt. Ziel muß sein, das immense internationale Kapital, das auf der Suche nach Rendite um die Welt flutet, und das zweifellos nicht nur aus Mafiageldern, sondern aus durchaus nützlichen Potentialen wie Pensionsfonds und Bankenvermögen besteht, unter öffentliche Kontrolle zu bringen und an die Forderung nach einer Sozialfünktion des Eigentums zu binden. Die Dynamik der Märkte alleine ist noch nicht, wie oft interessegeleitet behauptet wird, sozial. Wenn vorerst drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yen unter der Kontrolle seriöser und verantwortlicher Zentralbanken besser kontrollierbare Rahmenbedingungen für das internationale fluktuierende Kapital schaffen, mag man Wege finden, den legitimen Anteil der Staaten auch an diesen privaten Gewinnen sicherzustellen, ob das nun durch die Tobinsteuer oder durch regulierte Wechselkurse oder auf anderem Wege realisiert werden mag. Das hier auch durchaus noch Quellen für die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit vorhanden sind, dürfte sicher sein. Nur auf multilateralem Weg lassen sich Fortschritte bei der Verwirklichung der Agenda 21 der Weltkonferenz von Rio ermitteln und voranbringen. Auch dies muß, wie die vorgenannten Punkte, Chefsache bleiben in Regierung, Politik und bei den Verbänden. Hier liegen die absoluten Prioritäten künftiger Politik. Diese Priorität muß sich im Dschungel aller sogenannter „näherliegenden" Interessen und Sorgen behaupten, man kann mit ihnen durchaus auch die Massen erreichen, wenn man Mut, Sachverstand und Überzeugungskraft aktiviert und sich nicht Wahlkampfberatern, Beratern und dem Modelldenken mancher Wissenschaftler völlig ausliefert. Wirklich wichtig ist heute: die Erhaltung der Umwelt, Anpassung des Bevölkerungswachstums an die Grenzen menschenwürdigen Lebens in den unterschiedlichen Weltregionen, Überwindung des absoluten Elends und der bittersten Armut, vor allem von Kindern und Frauen und extremer Unterdrückung und Rechtlosigkeit, wo sie noch Alltag ist, die Arbeit an globalen Rahmenbedingungen für sozialverträgliche freiheitliche Entwicklungen, die Einbindung jeglicher Übermacht in Spielregeln, die demokratisch verantwortlich bestimmt und überwacht sind. Dies ist in der politischen Öffentlichkeit weithin bekannt.
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Eine Serie von Weltkonferenzen hat geholfen, die weltweiten Probleme ins Bewußtsein zu rufen. Karrieren, Auflagen, Einschaltquoten, die Bilanzen der Profitzentren orientieren sich aber an sogenannten näherliegenden Alltagssorgen. Mit globalen Fragen gewinnt man keine Wahlkämpfe, heißt es. Das ist die Sprache des Verrats am Ende des 20. Jahrhunderts. Das wirklich Wichtige wird zwar mit ungeheurem Aufwand an Pathos, Wissenschaft, Geschäftigkeit beschworen, aber fast folgenlos. Bei denen, die an der Spitze der mächtigen Staaten entscheiden können, herrscht Unvermögen und Ratlosigkeit, in den Parlamenten sogar überwiegend Desinteresse. Trotzdem bleibt aktiven Minderheiten zu sagen und zu zeigen, was ist, wie man heute sagt, „was Sache ist". Vielleicht wird die Dynamik in anderen Weltteilen uns auf die Sprünge helfen, Wege ins globale Zeitalter zu finden. Auf nationaler und europäischer Ebene wird die Anpassung an die neuen globalen Machtstrukturen Vorrang haben. Dabei geht es vor allem um den Aufstieg Asiens und die ökonomische Dynamik Lateinamerikas. Unsere Bevölkerung ist darauf nicht vorbereitet. Sie sieht Arbeitsplatzkonkurrenz und Menschenfluten. Gott sei Dank ist das Wort von der gelben Gefahr noch nicht wieder aufgetaucht. Provinzialismus wird, wie gesagt, zum Verrat durch Desinteresse. Aber es fehlt auch an qualifizierter, politischer Meinungsbildung, etwa in den Reden derer, die man im Land und in Europa beachtet, an schulischer und vor allem an politischer Erwachsenenbildung sowie an Thematisierung in den Parteien. Es gibt außer erheblichen Chancèh auf den neuen Märkten, die noch nicht ausreichend genutzt werden, in der Tat auch Gefahren mit fast faschistischen Vorzeichen: Die Versuchung, sich durch Abkapselung und Konfrontation der vermeintlichen Drohungen zu erwehren, etwa auch „Kulturen" zu neuen gefährlichen Übermächten zu mythologisieren; eine andere Reaktionsvariante ist die würdelose Kapitulation der Krämerseelen vor systematischen Menschen-rechtsverletzungen. Die großen erfolgreichen Länder Asiens werden bald schon machtpolitisch, auch durch militärische, ja sogar atomare Rüstung in der Lage sein, ihren Anteil an den Weltrohstoffen einzuklagen, den Lieferanten, die sich von ihnen immer mehr abhängig machen, mehr als nur die Preise zu diktieren und sie durch Drohungen, Demütigungen und Verlockungen dahinzubringen, zentrale Werte unserer Zivilisation zu verleugnen oder hinten anzustellen, wie das etwa jetzt in den Diskussionen um die Politiken gegenüber Iran und China deutlich wird. Natürlich wachsen auch in anderen Erdteilen die Bäume des Erfolges nicht in den Himmel. Aber Rückschläge, Konflikte, Widersprüche sind Begleitumstände
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jeglichen Aufstiegs - siehe die Geschichte Europas, seine Verwirrungen, seiner unbeschreiblichen Grausamkeiten, bis hin zu kollektiven Selbstzerstörungen in zwei Weltkriegen. Asien wird seine überwältigende Mehrheit an Menschen und d. h., Potential für Ausbildung, Bildung, Organisation, wachsender Kaufkraft und seine natürlichen und kulturellen Grundlagen zur Geltung zu bringen. Wir werden uns darauf einstellen müssen oder aber an den Rand gedrängt werden. Das kann sich sehr plötzlich manifestieren, wenn ökonomische und vielleicht Finanzentwicklungen die Machtveränderungen schlagartig zur Geltung bringen und neue Machtverhältnisse dramatisch ihre Realität manifestieren. Das kann sich aber auch ohne den Signalwert vordergründiger Ereignisse vollziehen, d. h. vorerst den gewohnten Trott des Lebens in unseren engen Horizonten nicht so schnell stören, bis es zu spät ist, es sei denn wir passen uns an. Das wird schwer, wenn zu viele Energien mit vordergründigen Diskussionen vertan werden: Steuerfragen, Wahlkämpfe, selbst Euro oder nicht. Alles das ist wichtig, kann aber leicht die Horizonte noch wichtigerer Fragen verstellen. Die Schlußfolgerung für uns muß sein: langfristige, stabile, enge Beziehungen mit allen Staaten und Regionen der Erde und den wichtigsten Bevölkerungsgruppen und ihren Institutionen zu intensivieren. Das ist nicht nur eine Frage von Ministerreisen und diplomatischem Zeremoniell, sondern auch eine Aufgabe der Entwicklungpolitik durch nützliche und kooperative Präsenz überall tief in den inneren Strukturen anderer Völker und Kulturen, um die Akzeptanz unserer Lebensweise, Werte und Existenzmöglichkeiten zu verankern. Eine kooperative Wetmacht Europa, mit der unschätzbaren Chance zugleich in den wichtigsten Fragen einig aufzuteten, aber auch gleichzeitig seine kulturelle Vielfalt, sein ökonomisches Potential und den Reichtum seiner geschichtichen Erfahrungen einzubringen wird dieser Präsenz Rückhalt geben. III. Auch im 21. Jahrhundert wird Entwicklungspolitik ihren Stellenwert behalten, ja vielleicht noch ausbauen. Erst die zunehmende Globalisierung weist der Entwicklungspolitik eine langfristig gültige Rolle zu, der gegenüber die bisherige Entwicklungshilfe eine Art von Einübung im Übergang vom Kolonialismus zur Partnerschaft war, entlang der Linie: reich gibt arm oder aus bestimmten Interessenkonstellationen (Ost-West-Konflikt u. a.). Entwicklungspolitik konnte nur Fortsetzung der kolonialen Durchdringung der Völker der außereuropäischen Welt mit Elementen der „westlichen" Zivilisation sein. Das war und ist nicht (nur) Kulturimperialismus, sondern für die Betroffenen auch eine Chance, dazuzugehören (in der Welt der Staaten, Ver-
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bände, Organisationen), eine Chance zu Bildung und Ausbildung, im „trial and error" der Kulturauseinandersetzungen, der Staatsformen und Eliteselektionen, oft schmerzlich, besonders fur die Armen, Flüchtlinge, Bürgerkriegsopfer. Die Staaten und Gesellschaften der Dritten Welt mußten sich so Erfahrungen und Wissen aneignen, das ihnen die Konkurrenz zu den Industrieländern auf längere Sicht möglich macht. Daß das noch nicht überall gelang, ist kein Gegenargument. Entwicklung ist aber nicht nur eine Notwendigkeit für die „Dritte. Welt". Die Industrieländer lernen, daß eine totale Verwestlichung der Welt und schrankenlose Bereicherung Weniger nicht die Lösung sein können. Aber fast alle Menschen in der Welt wollen unser Lebens- und Konsumniveau, unsere Möglichkeiten durch Wissenschaft und Technik auch für sich selbst. Alle müssen sich daher von ihrer spezifischen Situation aus anstrengen, die Lebenswelt der Menschheit so fortzuentwickeln (sicher über viele Krisen, Zusammenbrüche, schreiende Ungerechtigkeiten), daß (Friede, zumindest als Überwindung von Kriegen) ein Mindestmaß an Spielregeln für alle (mit und ohne Weltethos), Entfaltung im Neben- und Miteinander (auch im Streit der vielfältigen Identitäten), ein menschenwürdiges Leben auch für die „Unterschichten", was immer das unter extrem differenzierten Lebensbedingungen heißen kann, möglich sind. Den Wandel dahin zu befördern, bleibt Aufgabe von mehr und mehr gegenseitiger Entwicklungspolitik und Kulturbeziehungen über Grenzen, zu der mehr und mehr, nicht nur finanzielle und technische Hilfe, sondern vor allem auch personelle Zusammenarbeit und gesellschaftliche Vernetzung, Interdependenz bei reziproker Abhängigkeit gehören muß. Wir haben unsere Entwicklungspolitik verstärkt daraufhin zu prüfen, was Erfolg verspricht - auch auf lange Sicht. Das ist nicht immer das, was man aus Empörung und Not und menschlichem Helfenwollen für vordringlich erachtet. Wir müssen einsehen, daß wir vieles angefangen haben, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu keinem Erfolg führen konnte, nur weil wir voller Mitleid, Solidarität oder aber aus handfesten Interessen oft der spontanen Meinung waren, hier muß man doch dringend etwas tun. Sicher ist, daß es für die Entwicklungspolitik weiterhin sinnvolle Aufgaben nicht nur in armen sondern auch in fortgeschrittenen Ländern gibt. Die größten Armutsgebiete der Erde sind nicht mit den am wenigsten entwickelten Ländern schlichtweg identisch. Die Zahl der Armen in Nordbrasilien, Indien, China, in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, ist größer als in den ärmsten Ländern mit Ausnahme von Bangladesch. Hier muß man, so gut es geht und man zugelassen wird, präsent bleiben. Vorrang haben die Strategie der armutsorientierten Selbsthilfe, d.h. der Stärkung, der Organisationsfähigkeit und auch der wirt-
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schaftlichen Selbsttätigkeit der Ärmsten, auch„Advokatentum", d.h. Beistand, dadurch, daß man sich zu ihren Sprechern auch bei den zentralen Regierungen und im internationalen Zusammenhang macht und die Fortsetzung der Förderung von Kleinstprojekten unterstützt. Das dumme Gerede von der „Politik aus einem Guß", sowieso nur eine Worthülse, wird der Erkenntnis weichen, daß wir es mit einer differenzierten Welt zu tun haben, die differenzierte Antworten verlangt, ja in einzelnen Bereichen sogar unterschiedliche Prinzipien. Der Umgang mit China wird anders sein als der mit Burkina Faso. Die Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit aber, nützliche Präsenz im inneren Gefüge fremder Gesellschaften und Kulturen, gibt uns auch eine Chance zu demonstrieren, was wir können und was wir sind. Entwicklungszusammenarbeit wird bedeutender und hoffentlich dazu führen, daß alle Völker, die zu mehr Wohlstand kommen, sich überall da hilfreich erweisen, wo es erforderlich ist. Was immer man zu Entwicklungshilfevorhaben im einzelnen kritisch sagen kann, niemand wird leugnen, daß sie ein Angebot an unsere eigene Gesellschaft sind, in Übersee zu lernen und sich auch selbst aus dem Blickwinkel anderer Teile der „Einen Welt" einzuschätzen. Der Slogan „Lernen und Helfen in Übersee", Bezeichnung für eine Arbeitsgemeinschaft von Nichtregierungsorganisationen, die zugleich Gesellschafter des Deutschen Entwicklungsdienstes ist, wird vielleicht zu einem normalen weltweiten Bildungsangebot. Gegenseitige Hilfe als ein Bindemittel der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert wird einige Zeit noch ihr einseitiges Gefälle in reich und arm behalten und die Häme, die Entwicklungshilfe sicher weiterhin begleiten wird, wird auch weiterhin vermuten lassen, daß der Wille und die Bereitschaft zu helfen, eine typische christliche Angelegenheit sei, die in anderen Kulturen nur mitleidig lächelnd entgegengenommen wird, ohne eine Chance auf Erwiderung. Es ist aber zu belegen, daß das nicht richtig ist. In vielen Teilen der Erde gibt es heute große Hilfsorganisationen und auch die Bereitschaft der Regierungen, nicht nur aus politischem Kalkül, sondern auch weil Teile ihrer eigenen Bevölkerungen ein Interesse daran haben, für die Welt menschlich zu erscheinen. Die Bereitschaft, Hilfe zu leisten, wird Quelle von Prestige im Selbst und Fremdbild der Völker sein, ein Element von Werbung und Ausweis von Potenz und Leistungsfähigkeit. Entwicklungspolitik wird wie auswärtige Kulturpolitik und kluge, d.h. dem Kunden dienende Außenwirtschaftspolitik operativ bedeutender für die auswärtigen Beziehungen als das Spiel der Staaten durch ihre Vertreter: Regierungen, Diplomaten, weil sie ein Feld operativer Gestaltungsmöglichkeiten bietet, wogegen Sicherheits-, Bündnis- und Staatenpolitik nach Vollendung der Durchorganisation der Staatenwelt in einigen großen Konglomeraten in Europa, Asien und Amerika vor allem auf Status quo, Erhaltung des Friedens, der territorialen Ordnungen und auf Krisenbewältigung ausgerichtet bleiben wird und auf die rechtlich „notarielle" Festschreibung von Veränderungen, die sich in der Welt-
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gesellschaft vollziehen. Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln das Potential, das im Wettbewerb der internationalen Beziehungen die Position der Völker und ihrer Zusammenschlüsse festlegt, wobei Forschungsleistungen und Angebote an Ideen und Bildern eine Schlüsselfunktion erhalten. Erfolgreich wirken sie bei langfristigem, stetigem Einsatz nach der Strategie des „indirect approach", weniger wenn sie zur Bewältigung aktueller Sorgen der Regierungen verschlissen werden. Wo selbst den Gipfeltreffen der Spitzen der mächtigsten Länder Hartherzigkeit bescheinigt wird, bahnen sich Schritt fur Schritt längst Veränderungen durch die Beweglichkeiten der „Netzwerke" der Zivilgesellschaft einen Weg in die Köpfe und Strukturen, wachsen allerdings auch die Chancen brutaler Kräfte in Wirtschaft und Kriminalität die globale Anarchie unkontrolierter Gier zum Merkmal des ausgehenden Jahrtausends zu machen.Goethe-Institute, Entwicklungshilfe, ja auch Diplomatie nach dem Profitcenter-Prinzip am Hereinholen von Großaufträgen für immer die gleiche kleine Zahl von Spitzenfirmen zu messen, verspielt die Wirkungschancen verläßlicher Beziehungspflege, die wirklichen Interessen unserer Länder zugunsten unserer Interessenten und von Regierungskonstellationen, die nur noch von der Hand in den Mund leben. Es mag sein, daß es weiterhin schwer sein wird, die Öffentlichkeit für diese Art der Politik zu interessieren, wenn man sie nicht durch aktuellen Klamauk interessant macht. Aber nichts hat dieser Politik in den vergangenen Jahren so geschadet als etwa die unsägliche Zeit des Abgeordneten Todenhöfer, der mit streitiger Entwicklungspolitik Sensationen schaffen und vergeblich seine Karriere zu fordern versuchte. Die Softplayers der internationalen Politik brauchen Kontinuität, längerfristige Perspektiven über den Tellerrand der nächsten Wahl, der nächsten Beförderung und der nächsten Bilanz hinaus, eine gewisse Abkoppelung auch von den aktuellen Streitigkeiten der Staaten, auch von der jeweils berechtigten Empörung über deren Mißgriffe etwa in der Menschenrechtsfrage, viel informelle Kontakte und Chancen für ihre spezifische Professionalität, bestehend in der Fähigkeit, die Welt und ihre Entwicklungen jeweils aus dem Blickwinkel der Partner, deren Weltsicht und Zukunftserwartung, aber auch deren Grenzen an Akzeptanz zu sehen, sich in Kulturen und Mentalitätslagen einzufügen, selbstbewußt, ohne die eigene Identität aufzugeben, ja auch ohne sich dem, was andere für selbstverständlich halten, gleich zu unterwerfen. Natürlich ist Entwicklungszusammenarbeit immer mit dem Anspruch an die Partner verbunden, auch zu lernen. Kulturen sind nicht festgefügte Gegebenheiten von Ewigkeitswert, sondern tiefgegründete aber veränderbare Komplexe mit ihrer eigenen Geschichte, ihrem eigenen Erbe, das, wie es in der Formel der UNESCO „Erbe der Menschheit" sich ausdrückt, auch uns allen gehört, auch beladen mit Erblasten, mit emotional verankerten Barrieren. Das gilt für die Aufnahme von Neuerungen, ohne die weder die Herausforderungen der ökonomischen als auch der begrenzten, oft oberflächlichen, aber doch unleug-
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bar wirksamen medien- und mobilitätsbestimmten kulturellen Globalisierung bestanden und genutzt werden können, wie fur die Übernahme einiger unerläßlicher ethischer Normen fur das Zusammenleben in einer interdependenten Staatenwelt und Weltgesellschaft bis hin zu jener handfesten Alltagsmoral oder Ehrenhaftigkeit, ohne die selbst nach Hayek auch der eiskalte Wettbewerb in Marktbeziehungen nicht funktionieren kann. Daher gehören auch Elemente der westlichen Zivilisation zum Erbe der Menschheit, das nach schrecklichen Ereignissen, wie Sklaverei, Hexenwahn, Revolution und Weltkriegen hart erkämpft, Anspruch auf universale Geltung erhebt. Anders als in Kolonialzeiten, als nicht die eine westliche Zivilisation, sondern ihre widersprüchlichen nationalen Stilarten in unterschiedlichen Kolonialstilen auf fremde Kulturen „furniert" (R.F. Behrendt) wurden, werden die Völker des „Westens", schon um nicht ihre eigene Identität zu verlieren, auf den Weltanspruch einiger ihrer „Werte": soziamoralische Leitideen (nach R. König) - kodifiziert etwa in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen nur bestehen können, wenn sie selbst offen bleiben für den Diskurs, nicht versuchen, bloße materielle Interessen weltethisch zu verbrämen. Sie müssen akzeptieren, „daß nicht ein konkretes Gesellschaftsmodell mit universalistischen Positionen identifiziert wird, sondern universalistische Werte und Normen als unvollendetes Projekt, das immer Ausblick und Entwurf ist, verstanden werden, deren Formulierung und partielle Realisierung ein Willensverhältnis darstellt, das selbst den zivilisatorischen Charakter des Universalismus ausmacht."16 Kritische Auseinandersetzung, Wettbewerb der Idee müssen auch in der Entwicklungspolitik sein, aber zum großen medienwirksamen Schlagabtausch eignet sie sich nicht. Jenes Maß an Differenzierung und Flexibilität, das sie in einer komplexen Welt benötigt, mag für viele, die nicht genau hingucken, dann schon Chaos sein. Was Entwicklungspolitik in viel höherem Maß als jetzt braucht, ist die Möglichkeit, nicht zu sehr den Schlagzeilenbedarf der Medien als den Informationsanspruch der Bevölkerung und vor allem dort der politischen Klasse und der aktiven Gruppen zu entsprechen. Es gibt viel mehr Nachfrage an Information und Orientierung, ja auch Suche nach vertieftem Verständnis als befriedigt werden kann. Im Konkurrenzverhalten der politischen Gruppen wird oft, vor allem im Haushaltsausschuß des deutschen Bundestages, wenn es um Mittel für Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit geht, zuerst der Drang der Minister gesehen, sich persönlich zu profilieren und dahinter erst das Informationsbedürfnis einer sehr langfristigen Sache, bei der die Ergebnisse der Tätigkeit der heutigen
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Becker/Fortkamp: „Westlicher Universalismus?", Neue Gesellschaft/Fankfurter Hefte, Mai 1996. Nuscheier, Messner: Weltkonferenzen, Bonn 1996
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Minister erst zureichend beurteilt werden können, wenn man sich an ihren Namen kaum mehr erinnert. IV. Das wirft natürlich auch die Frage nach der besten Organisationsform auf. Entwicklungszusammenarbeit muß weiterhin Kabinettsrang behalten. Zu bedeutend ist ihre Funktion in den auswärtigen Beziehungen. Auch ist sie mehr als ein Stück Außenpolitik oder auch nur Außenwirtschaftspolitik. Die Leichtfertigkeit, mit der die auswärtige Kulturarbeit mit ihrem Herzstück GoetheInstitut zum Zweck der Auftragsbeschaffung für die Wirtschaft in den Dienst eines nach allgemeiner Einschätzung schwachen Ministers und seiner Klientelpartei genommen wird, schreckt ab. Sie ist zugleich eine Bestätigung für das Festhalten an einem eigenen Entwicklungsministerium. Die langfristige Sacharbeit wird in Deutschland heutzutage vor allem in den großen Agenturen der Entwicklungszusammenarbeit geleistet. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die Carl-Duisberg-Gesellschaft (CDG), die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung (DSE), der Deutscher Entwicklungsdienst (DED) sowie eine Vielzahl von NROs bilden ein Netzwerk mit erheblichem Erfahrungspotential. Endlich kommt auch die lange gefrderte und vorbereitete Dezentralisierungsbewegung in die Gänge. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit geschieht vor Ort und muß auch in ihren Abläufen dort verantwortlich entschieden werden, nachdem die grundlegenden Entcheidungen in den Zentralen und Regierungsabkommen gefallen sind. Das Ministerium muß im Kabinett die Arbeitsgrundlagen sichern und unabhängig von sachfremden Ansinnen und auch anderen Ressortinteressen die politischen Möglichkeiten dieses Aufgabenfeldes nutzen und gestalten. Dabei bedarf es wie kein anderes Ministerium der Unterstützung durch eindeutige Richtlinien der Politik der gesamten Bundesregierung, d.h. durch den Kanzler. Ohne diese Hilfe ist Entwicklungspolitik ein ziemlich stumpfes Instrument, da ja auch eine ihrer Hauptaufgaben darin besteht, nicht nur den Wandel in anderen Staatengesellschaften und Kulturen zu begleiten und richtig verstanden zu fordern, sondern auch den Lernprozeß und d.h. auch den Anpassungsprozeß in der eigenen Gesellschaft und im Verantwortungsbereich aller Ressorts der Regierung. Es müßte sichergestellt sein, daß engere, durchaus legitime Interessen anderer Ressorts nicht die Glaubwürdigkeiten von Entwicklungszusammenarbeit aufs Spiel setzen. Wie jeder weiß, wäre eine andere Agrar-, Handels- und Finanzpolitik eine wirksamere politische Leistung, etwa bei der Förderung der ärmeren Staaten der Erde durch Öffnung unserer Märkte, für deren Exportmöglichkeiten, als die Entwicklungshilfe aller Geber zusammengenommen. Noch ist
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die Position des Entwicklungsministers schwach, ist sie einseitig gebunden an die zumeist als höher eingestuften Interessen des Auswärtigen Amts und des Agrar-, Wirtschafts- und Finanzministeriums. Da ein Kanzler auf Koalitionskonstellationen Rücksicht zu nehmen hat, wäre die Institution eines Parlamentsbeauftragten zumindest für Entwicklungspolitik und auswärtige Kulturarbeit nützlich, die sowieso in Zukunft - stärker als heute - als sich gegenseitig ergänzende Akteure auf dem gesellschaftlichen Feld der internationalen Beziehungen zu sehen sind. Gerade durch ihre Einflußmöglichkeiten auf Menschenrechtsfragen, Gesellschaftsverfassung und gesellschaftliche Wandlungsprozesse hat Entwicklungspolitik es mit dem weiteren Kulturbegriff zu tun und zweifellos auswärtige Kulturarbeit mit ihrem Angebot, die kulturelle Dimension Deutschlands besser zu verstehen und sich über gemeinsam interessierende kulturelle Fragen auseinanderzusetzen, auch etwas mit Entwicklung im weiteren Sinne. Ein Bundesbeauftragter für auswärtige Beziehungen kann regelmäßig durch einen Bericht weit über oft standespolitisch begrenzte Interessen des Auswärtigen Dienstes hinaus das gesamte Bild der internationalen Beziehungen der Bundesrepublik, auch in Ländern und Gemeinden, zu einer regelmäßigen etwa zweijährigen Darstellung über die Rolle Deutschlands in der Welt, die innere Zurüstung der Republik für die Wahrnehmung dieser Rolle und Erfolge und Mißerfolge der speziellen Institutionen für die sanfte Seite der Außenpolitik geben, die im Geflecht und Ordnungsrahmen der Staatenbeziehungen auf gesellschaftliche Veränderungen zielt. Der/die Beauftragte müßte eine eigene Inspektionsbefugnis haben, die auch Aufschlüsse über Potentiale und Defizite in der politischen Bildung in Sachen „Deutschlands Rolle in der Welt" bis hin zur permanenten Weiterbildung der „politischen Klasse" liefern. Dazu bedarf es keiner großen Behörde, sondern lediglich einer Instanz mit wenigen Personen, zu deren Aufgaben es gehört, Durchblick und Überblick zu verschaffen. Ohne exekutive Funktion könnte hier der Anfang gemacht werden, Langfristaufgaben, Langfristauswirkungen und Defizite der aktuellen Politik in den politischen Strukturen bewußt zu machen. V. Zu den längerfristigen Aufgaben der internationalen Beziehungen gehört es auch, dafür Sorge zu tragen, daß qualifizierter Nachwuchs für internationale Aufgaben auch in den Parlamenten angeworben und herangebildet wird. Daß sich jetzt in einer Fraktion des Parlaments - der CDU - junge Abgeordnete systematisch in Fragen der Außenpolitik weiterbilden und zu Worte melden, ist ein guter Anfang. Hier ist ein Aufgabenfeld der politischen Stiftungen, dafür zu sorgen, daß so dumme und unsinnige Behauptungen, wie die mit Außenpolitik könne man keine Wahlen gewinnen oder, der Bürger interessiere sich nicht für internationale Politik, durch Abgeordnete widerlegt werden, die eben auch mit
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Außenpolitik Wahlen gewinnen und sich durch ihre Kompetenz auch in Fragen der internationalen Politik, dazu gehören Entwicklungspolitik, auswärtige Kulturpolitik, Außenwirtschaftspolitik, profilieren. Es hängt tatsächlich nur von dem Mut und der Überzeugungfähigkeit der politischen Klasse ab, ob Außenpolitik wieder ein öffentliches Thema wird. Ihre Bedeutung für unsere Selbstbehauptung in der Welt, ist durchaus dem letzten Wähler einsichtig zu machen, wenn man sich traut, vor allem, wenn man selbst Bescheid weiß und Leidenschaft und Fähigkeit zu globalem Denken aufbringt, was bei vielen Politikern nicht der Fall ist. In der Alltagspolitik ist zu thematisieren, was der Aufstieg Asiens und auch Lateinamerikas mittelfristig für unser tägliches Leben bedeuten wird - keineswegs nur Einbußen, sondern auch Chancen - was aber andererseits auch eine erhebliche Anpassungsleistung erfordert, nicht an Verminderung unserer Arbeitsentgelte bis zur Gleichstellung mit asiatischen Kulis, sondern an Herausforderungen für eine neue Lernkultur des Vertrautseins mit der Vielfalt der Welt, für Innovation und sehr viel mehr persönliche und gesellschaftliche Kontakte. Die jetzige politische Klasse läßt unsere Bevölkerung völlig unvorbereitet Entwicklungen gegenüber, die gewaltige Machtsprünge etwa auch im Zugang zu den knappen Ressourcen der Erde verursachen können. Immerhin hat der Kanzler durch seinen Besuch im Pazifischen Asien deutlich gemacht, daß es keine Ecke der Welt gibt, die für uns unbedeutend ist, in der wir nicht alles tun müssen, nützlich und interessant präsent, zumindest bekannt zu sein und mit deren Sorgen und Sichtweisen wir uns nicht beschäftigen müssen. Es war schon einmal so, daß man im deutschen Bundestag für alle Weltgegenden einige Abgeordnete in allen Parteien hatten, die dort zu Hause waren, auch durch vielfältige menschliche Kontakte. Heute müssen wir wieder lernen, über die Welt informiert zu sein, weil wir globale Interessen haben, ökonomisch, kulturell und in dem Anspruch, daß die Welt die Menschenrechtsüberzeugungen des Westens teilen möge, von guten, engen Beziehungen mit allen Völkern abhängig sind. Außerdem können wir, wie schon gesagt, auch für uns Nützliches lernen, vor allem in der Einsicht, daß es neben Menschenrechten auch Menschenpflichten gibt, die sich nicht in der Beachtung der Gesetze, vor allem der Steuergesetze, erschöpfen. Hier gilt es Lebensformen in Lateinamerika, in Asien und in anderen Kulturen der Welt, mit unseren von Herkunft einseitig individualistisch und kapitalistisch dominierenden Motiven des materiellen Wachstums und der Bereicherung auszutarieren. Entwicklungspolitik als dauerhaftes Element internationaler Beziehungen, als wesentliches Kommunikationselement nützlicher Präsens, wo immer es möglich ist, und als langfristige Konstante in den kontroversen Auseinandersetzungen der Staatenwelt, der Fundamentalisten aller Art, auch des Ökonomismus, hat ihre Berechtigung, nicht nur beim Kampf gegen die Armut, sondern auch im Verkehr mit den mächtig aufstrebenden Schwellenländern, solange Entwicklungspolitik dort durch nützliche Assistenz eine Chance hat, gesellschaftliche
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Wandlungsprozesse in den politischen Klassen, den Mittelschichten und den Funktionseliten zu fördern. VI. Dabei bleibt das gesamte in mehr als 40 Jahren bewährte Instrumentarium der Entwicklungspolitik mit ihren erheblichen Erfahrungsinhalten, wenn auch in unterschiedlicher Dosierung oder auch in unterschiedlichen „Paktetzusammenstellungen", brauchbar. Auch ihre Zielsetzung bleibt brauchbar, auf den strategisch richtigen Ansatz kommt es an. Wir werden es immer mit Zielkonflikten zu tun haben, vor allem bei begrenzten Mitteln. Wo man Prioritäten setzt, muß immer etwas zurückstehen, und das gibt dann Anlaß zur harscher und durchaus verständlicher Kritik. Zielkonflikte können auch nicht in einem Himmel von abstrakten Prinzipien entschieden werden. Zu verschiedenen Zeiten, zu verschiedenen Orten und auch aus strategischen Gründen müssen andere Zielhierachien gewählt werden, auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle. Es gibt Länder und entwicklungspolitisch relevante Situationen, in denen bei ausreichendem Engagement baldige und weitreichende Wirkungen, auch von nicht unmittelbar armutsorientierten Projekten, zu erwarten sind: Die Stadtbahnen in Shanghai und Tunis funktionierten kurz nach der Einweihung bereits hervorragend und verbesserten das Leben von hunderttausenden von Menschen, zwar nicht grundlegend, aber doch für einen wichtigen Teil ihres Alltags. In den armen Ländern Afrikas südlich der Sahara, in Nepal oder Bangladesch braucht es die Bereitschaft zu einem hilfreichen Engagement noch für viele Generationen, um signifikante dauerhafte Verbesserungen zu erzielen, was aber wiederum nicht ausschließt, daß in einzelnen Bereichen das Elend schon kurzfristig gelindert werden könnte. Es bedarf beständiger Selbstkontrolle, um in den Erwartungshorizonten und Zielkonflikten realistisch zu bleiben, und es bedarf eines großen Aufwandes an Kenntnissen, zu Hause zu sein in fremden Kulturen und politischen Konstellationen, orientiert an globalen Trends, aber auch an Einsicht in die eigenen begrenzten Möglichkeiten, auch in fachlicher Hinsicht, um immer wieder gegen die Flut der Vereinfachungen und Klischees anzugehen, die so öffentlichkeits- und medienwirksam sind und doch jedes Verständnis verbauen: Die Forderung nach der Absolutsetzung von sog. Armutsbekämpfung, nach Entwicklungshilfe ohne Eigeninteressen oder genau entgegengesetzt nach der Priorität von Eigeninteressen im entwicklungspolitischen Gesamtkonzept. Von der Diffamierung bestimmter Kulturen (Islam) über die Anklage ineffektiver internationaler Organisationen, der pauschalen Diffamierung von „korrupten Eliten" bis zur Glorifizierung von Nichtregierungsorganisationen, die inzwischen sogar den Begriff der „Zivilgesellschaft" für sich gepachtet haben und schließlich zu dem beständigen Gip-
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fei der Naivität, der nach (erst) 40 Jahren Entwicklungszusammenarbeit feststellt, das Elend in der Welt sei ja nicht ausgerottet, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen noch immer an der Tagesordnung und letztlich die eigenen Wirtschaftsinteressen noch immer Sieger in jedem Konflikt. Auch solche Klischees haben jeweils einen realen, empirischen, belegbaren Untergrund und können durch hunderte Erlebnisse, Geschichten und Beweisen gestützt werden bleiben aber trotzdem an der Oberfläche, wenn sie nicht in Analysen eingebettet sind, die versuchen, die gesamten komplexe Wirklichkeit aufzuhellen. Aber mit schmissigen Formeln beeindruckt man die Öffentlichkeit und schafft sich den Podest, von dem man aus moralisch erhaben andere belehren kann. Schließlich gehört die aggressive Vereinfachung zu unserer Belehrungskultur (im Verhältnis Ostdeutschland - Westdeutschland besonders deutlich geworden); man denke auch an den ständig erhobenen Zeigefinger von Helmut Schmidt in seiner Amtszeit. Für die politisch Verantwortlichen und die an Auflagen und Einschaltquoten orientierten Medien bis hin zu mancher wissenschaftlichen Ausarbeitung ist Entwicklungspolitik - wie alle andere Politik - in erster Linie Innenpolitik. Die Frage ist, was kommt an? Hier bei, uns oder auch nur in der Szene, der man sich zugehörig fühlt. Richtig ist, daß dem populistischen Hinterherlaufen hinter Augenblickserwartungen in der veröffentlichten Meinung die Dimension der Zielkonflikte, der manchmal notwendigen Umwegstrategien und die Tatsache verschwiegen wird, daß wir Gott sei Dank nicht alleine Herren der entwicklungspolitischen Vorgänge sind, sondern Partner selbstbestimmender Träger in der Dritten Welt, und daß auch andere Staaten, auch internationale Agenturen und Organisationen, kirchliche und andere Partner mitreden und mitreden müssen. Empathie ist das Schlüsselwort entwicklungspolitischer Professionalität, die Fähigkeit vom anderen her zu denken - was nicht heißen darf, sich selbst aufzugeben - seine Befindlichkeiten zu analysieren, Dialogfähigkeit sind Grundbegriffe politischer Zusammenarbeit. Sicher gehört dann auch die Fähigkeit dazu, solche Prozesse der eigenen Öffentlichkeit, vor allem auch der politischen Klasse, zu vermitteln. Das setzt allerdings neben Interesse an internationalen Beziehungen und Weltpolitik bei den Medien in Politik und Wissenschaft die Bereitschaft voraus, Arbeit zu leisten, sich auf Sachverhalte einzulassen, zu recherchieren, zu analysieren und mitzudenken. Dazu kommt aber noch ein Weiteres, was man mit dem schlichten altmodischen Begriff „Demut" bezeichnet: Die Einsicht in die eigene Begrenztheit, konkret nach vielen Jahren Erfahrung das Wissen darum, wo wir etwas leisten und bewegen und wo nicht. Das mag unterschiedlich sein bei den unterschiedlichen entwicklungspolitischen Akteuren. Die Kirchen, die NROs haben einen anderen Zugang zu den Armen als die staatliche Zusammenarbeit; große Infrastrukturvorhaben, ohne die es nicht wietergehen kann, sind beispielsweise nicht ihre Aufgabe.
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Früher schien alles einfacher, zumindest oberflächlich gesehen. Der OstWest-Konflikt relativiert alles. Hauptsache, man tat was, was Sympathien bei denen weckte, die auch eine Stimme in der UNO hatten. Das war aber auch damals keineswegs die erste Motivation der entwicklungspolitischen Fachleute. Man konnte aber leichter das, was man aus sachlichen Gründen vorhatte, nämlich tatsächlich Entwicklung zu fördern und mit den Partnern zusammenzuarbeiten, dem Zeitgeist gegenüber legitimieren. Für einige Zielkonflikte gibt es auch in Zukunft keine grundsätzliche, immer gültige Lösung. Wonach sollen wir aber entwicklungspolitische Vorhaben für unsere Förderung auswählen? Natürlich zuerst nach wie vor nach einsichtigen Anträgen der Partner. Dann aber nach dem Maß der wachsenden Bedürfhisse in der Dritten Welt oder danach, was wir am besten leisten können? Zweifellos bleibt das unübersehbare Elend der absolut Armen, Hunger, Krankheiten, die Unterdrückung der Frauen, eine wichtige Herausforderung. Aber kommt man diesen Übeln mit unmittelbar zielgruppenorientierten Vorhaben nachhaltig, d.h. der Massenhaftigkeit des Elends entsprechend und auf Dauer an die Wurzel? Zweifellos sind Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, die sich auf einheimische Kirchen stützen können und manchmal auch Solidaritätsgruppen am ehesten geeignet, unmittelbar zielgruppenorientierte Arbeit für die Ärmsten der Armen zu leisten. Sicher sollten sie all die Mittel bekommen - auch aus öffentlichen Haushalten -, die sie sinnvoll verkraften können und das ist natürlich immer weniger als das, was bei dem Ausmaß der Armut zu leisten wäre. Anzumerken ist aber, daß es fast nie ohne die Einschaltung von aktiven Kräften in Partnerländern geht, die selbst nicht zu den Ärmsten der Armen gehören, eine gewisse Orientierung und Bildung haben und bereit sind, mit den Armen zu arbeiten und sie zu organisieren. Die Ärmsten der Armen können sich in spontanen Unruhen und Aufständen bemerkbar machen, aber nicht von vornherein, sondern erst ab einer gewissen einfachen Stufe der Entwicklung sich selbst organisieren, ihre Ansprüche vertreten, Öffentlichkeit und die Macht der Basis schaffen. Nicht das Elend, sondern die armutsorientierte Selbsthilfe sind Gegenstand von Entwicklungszusammenarbeit, die auf Dauer einigen Erfolg verspricht - wenn man genügend Geduld aufbringt und langfristig Horizonte hat. Was hier getan werden kann, sollte getan werden. Man muß allerdings einsehen, daß mit direkter basisbezogener Zusammenarbeit nachhaltige Entwicklung ganzer Länder und Kulturen wohl kaum erreicht werden kann, es sei denn, durch eine gewaltsame langwierige Revolution etwa nach dem Modell von Maos großem Marsch. Dafür sind aber die Zeiten nicht mehr günstig und die Frage nach der Wünschbarkeit durchaus offen.
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Also muß man sich auf die Rahmenbedingung konzentrieren, d.h. die Umstände, die Armut ermöglichen, verursachen, vielleicht auch beheben können. Der lange Jahre verfemte sogenannte „Durchsicker-Effekt" kann durchaus Chancen bringen, wenn auch zu einem hohen Preis, nämlich dem der vorrangigen Bereicherungen derer, die von schnellen Verbesserungen der Rahmenbedingungen und auch von ausländischen Hilfen zuerst profitieren können. Das ist ja bei uns auch nicht anders, wenn man in der neoliberalen Ideologie den Schutz des Reichtums der Wenigen verlangt in der Hoffnung, daß sie aus dem Übermaß des Reichtums und im Verlangen, ihr Vermögen noch zu vermehren, Investitionen tätigen, die dann wiederum den Armen oder bei uns den Arbeitslosen zugute kommen. Es war dies das Ärgernis von Brigitte Erlers „tödlicher Hilfe", daß bei Vorhaben für die Armen immer erst die Reicheren den Profit ziehen, d.h. die ersten Brunnen für besseres Wasser bekommen, die für die Versorgung der Armen gedacht waren. Dies ist nicht zu verhindern. Andererseits ist trotz aller zum himmelschreiender Korruption der Durchsicker-Effekt beispielsweise in weiten Bereichen in Indonesien, wenn auch noch keineswegs überall, mit Händen zu greifen. Anders geht es nicht. Man kann sagen, Armutsbekämpfung alleine rottet keine Armut aus. Dieser Tage gab ein leitender Mitarbeiter einer unserer Nichtregierungsorganisationen zu, daß mit den Hunderten von privaten Hilfsorganisationen in einem armen Land wie Burkina Faso eine dauerhafte Entwicklung bei allen Anstrengungen nicht zu erreichen ist, wenn nicht der Staat und die öffentlichen Einrichtungen insgesamt und auch der private Sektor Fortschritte machen. Man muß jede Chance nutzen, soziale Veränderungen zu fördern und zwar auch in den Ober- und Mittelschichten, vor allem in den Mittelschichten, d.h. aber diese Schichten zu stärken, weil sich nur dort jene Widersprüche entwickeln können, aus denen heraus auch das Führungspotential und die fachlichen Beistandsmöglichkeiten für die Armen entstehen kann. Dabei kann man in einer differenzierten zivilen Gesellschaft zumeist genug an Leidenschaft, Fachkompetenz und vernünftige Einsicht finden, Armutsprobleme anzugehen. Es sind auch die mehr oder minder gebildeten Schichten, aus der sich interne Dynamik entwickelt, politisch, sozial und natürlich auch ökonomisch. In der Zusammenarbeit mit vernünftigen Segmenten im mittleren Bereich der gesellschaftlichen Schichtungen liegt auch die entwicklungspolitische Zukunft für die Beziehung zu den weiterentwickelten und dynamischen Ländern. Und dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Regierung und das Eingehen auf vernünftige Wünsche, die wir mit unseren Mitteln nachhaltig befriedigen können, z.B. Verkehrsinfrastruktur, Energie, Beschaffung und Verteilung, vor allem Wasserversorgung und Lösung der so wichtigen Abwasserfragen, Umweltfragen generell, aber auch spezielle Bereiche der Wissenschaft, der Bildung, der sozialen Institutionen, der Technologie.
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Vorrangig ist dabei, was auf eine der wichtigsten Rahmenbedingungen mäßigend einwirken kann: die Bevölkerungsentwicklung. Einiges von dieser Entwicklungszusammenarbeit auch mit fortgeschritteneren Entwicklungsländern wird auch in Zukunft zweckmäßigerweise über Spezialagenturen der Vereinten Nationen gemacht, anderes auf europäischer Ebene oder von Staat zu Staat. Insofern wird sich die gute alte Projektorientierung fast aller Entwicklungshilfe nicht ändern. Reine Budgettransfers schaffen zu große Versuchungen, es sei denn, daß sie in strenge Systeme und gute Voraussetzungen eingebunden sind, wie das beim Marshall-Plan bei uns der Fall war, aber ausschließen sollte man auch Budgettransfer in speziellen Fällen nicht. So ergibt sich also, daß der Hauptvorteil von Entwicklungspolitik Flexibilität, Anpassung an spezielle Bedürfnisse unter Berücksichtigung der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Geben und Nehmen, ist. Die Vorstellung, wir wüßten fur alles eine Lösung in jedem Sektor, nur weil sich irgendwo eine Firma oder Consulting finden wird, die etwas anbietet, fuhrt zu Mißerfolgen. Als Staat und Wirtschaft sind wir fur die Förderungen von Infrastrukturen und spezieller fachlicher Zusammenarbeit gut, und dessen sollten wir uns nicht schämen. Der Amtseid eines Bundesministers verlangt, das Wohl des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, ist also durchaus auf eigene Interessen fixiert. Aber so, wie sich die eigenen Interessen mit der Übertragung von Rechten, ja sogar Hoheitsrechten, und der Einbindung in internationale Zusammenschlüsse von Europa bis zu Organen der Vereinten Nationen nicht nur vereinbaren, sondern dadurch sogar erst realisieren, gehört vernünftige Entwicklungspolitik - und das heißt auch, Bekämpfung der Armut - zu unseren handfesten Eigeninteressen, nicht nur, weil ein doch immer noch erheblicher Teil der Wähler das zu ihrem ausdrücklichen Interesse erklärt. Es gibt auch bei unseren Interessen kurzfristige und populistisch leicht verkaufbare Oberflächeninteressen und längerfristige, aber lebenswichtig auch weniger spektakuläre Interessen, die nicht im Auge zu behalten wie gesagt, Verrat bedeutet. Das Überlebensinteresse von Regierungen und Machtkonstellationen ist nicht schon mit den Interessen des Landes deckungsgleich. Dazu gehört, daß wir überall, wo es überhaupt geht, nützlich und auch demonstrativ präsent sind, wobei Entwicklungspolitik noch mehr als auswärtige Kulturpolitik die Chance hat, auf sehr praktische Weise nicht nur in den Hauptstädten, sondern in den Regionen und Dörfern und vielerlei fachlichen Strukturen hilfreich anwesend zu sein. Wir brauchen überall gute Beziehungen und es ist in der Tat richtig, keine Gegend der Welt in unserer Aufmerksamkeit zu vernachlässigen. Es gibt für uns keine nebensächlichen Gebiete und unwichtigen Länder, und seien es die kleinsten Inselstaaten im Pazifik.
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VII. Vielleicht wird man später - wenn dazu noch die Möglichkeit bleibt - die Menschheitsgeschichte in Großepochen einteilen, die unserer Gegenwart die Merkmale einer besonders kritischen Phase und die Aufgabe eines gelenkten Paradigmawechsels zuteilt. 1) Nach Millionen Jahren der Ausformung des Lebens auf diesem Stern bis zur Überlebensfähigkeit des homo sapiens, dann die 2) Bildung längerfristig dauerhafter Gesellschaften von Stämmen, Reichen und Großreichen, bis zu ersten Modellen von „Globalisierung" im damals möglichen Rahmen etwa im römischen Reich, und dann 3) die Entdeckung und Eroberung der Welt, geographisch, wissenschaftlich, politisch. Soweit möglich, wurde alles dem Menschen verfügbar gemacht von den kleinsten Einheiten der Materie bis zum Zugang zum Weltraum, alle Natur und schon fast alles Menschliche, medizinisch, psychologisch, sozial, kulturell mit steigender Beschleunigung. Die Formeln heißen Fortschritt und Wachstum, beide als ewig konzipiert, getrieben von der permanenten Unzufriedenheit mit dem, was heute ist. „Werde ich zum Augenblicke sagen, verweile doch..." 4) Diese Dynamik hat zugleich eine dramatische Vermehrung der Weltbevölkerung zur Folge und damit auch der Menschen, die an Wachstum und Dynamik aller Lebensbereiche teilnehmen wollen. Das Schwergewicht der Dynamik verlagert sich dabei nach Asien. 5) Heute überkreuzen und widersprechen sich mehrere Entwicklungslinien: a) die Fortsetzung des sich beschleunigenden Wachstums nach bisher „westlichem" Muster in Wissenschaft und Technik, Produktion, Kultur und seiner Ausbreitung auf neue Menschenmassen in der bisherigen Dritten Welt. b) Bremsbewegungen und Rückstände durch Abkoppelung wachsender Sektoren der Bevölkerung vom „mainstream" des Fortschrittes und Zunahme der Kluft zwischen arm und reich, Folgen der Zerstörung der Umwelt, Signale, daß vielfach die Grenzen der bisherigen Art von Fortschritt erreicht sind, Frage nach der Durchhaltbarkeit der - heute kapitalistisch verselbständigten - Dynamik. „Sustainibility" heißt das Schlagwort. Wird es gelingen, mit einem Mindestmaß an pragmatischer Weltordnung die Dynamik zu kanalisieren, vor allem den unvermeidlichen Konflikt zu vermeiden, zwischen dem Anspruch der neu (zum Teil wieder) in die Weltgeschichte aktiv eingetretenen Menschenmassen voll teilzuhaben, d. h. den Lebensstandard des Westens für die Mehrheiten der Weltbevölkerung zu erreichen, was beim heutigen Stand der Überbeanspruchung der Ressourcen noch undenkbar erscheint, und dem Kampf der Besitzenden um Wahrung ihrer Besitzstände. Das würde die Vorstellung eines Wohlstandsrahmens voraussetzen, der für eine Menschheit von bald acht Milli-
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arden sozial- und umweltverträglich ist, und Regelungen, Machtgleichgewichte, die das garantieren. Ob das im Wettbewerb auf kapitalistischer Grundlage zu machen ist, wird die entscheidende Frage des 21. Jahrhunderts sein. Daran kann sich aber auch ein verlustreicher Weltkonflikt, vielleicht sogar ohne großen militärischen Krieg, entzünden - in Nuancen, oder es gelingt in vielen Anpassungsschritten und bei gegenseitiger Durchdringung der Gesellschaften, erträgliche nachhaltige Gleichgewichtszustände zu schaffen, in dem Wettbewerb um bessere Positionen durchaus möglich, aber nicht für alle tödlich wird. Kooperation auf vielen Feldern, auch gegenseitige Hilfe als Dauereinrichtung, bleiben dabei unerläßlich - Entwicklungshilfe als Selbsthilfe der Weltgesellschaft in vielen Facetten, als Sicherheitsfaktor und als eine allgemein akzeptierte Aufgabe der Zielgesellschaften. Gelingt es nicht das Notwendige zu leisten, wird es nach einer Übergangsperiode globalen Denkens und gemeinsamer Versuche, globale Probleme erträglich zu machen, wohl wieder zum Zerfall der Menschheit nicht nach Ost und West oder Nord und Süd, aber nach Zonen kollektiver Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenarbeit und Außengebieten von Unstabilität, staatlichem und gesellschaftlichem Zerfall, Dauerelend und Dauergefahr kommen. Beispiele des Rückfalls in vorstaatliche Unberechenbarkeit sind schon gegeben in solchen Gebieten, die vom Rest der Staatenwelt inzwischen praktisch aufgegeben wurden, wie Somalia oder Sierra Leone. Das wäre eine vermeidbare Katastrophe. Nicht völlig unwahrscheinlich ist ein neuer Zerfall in Blöcke, etwa durch Weiterentwicklung des nordatlantischen Bündnisses zu einem Bündnis von Staaten westlicher Lebensweise unter Einschluß Australiens, Neuseelands, Japans, Koreas ohne vorgegebenes Feindbild, aber ohne den Rest der Welt, in dem sich die mächtigen Massenstaaten Asiens organisieren, um ihren Anteil an Rohstoffen, Handel, Wissen und Macht zu mehren. Man wird dann bei uns feststellen wie europäisch Rußland doch ist und um diese rohstoffreiche Brücke zu Japan und Korea werben. Lateinamerika wird einen eigenen Platz assoziiert zum „Westen" einnehmen, Südafrika und Indien müssen ihren Platz suchen, Ägypten auch. Der Westen ist dann aber nicht als Zivilisation anzusehen, sondern eher als die Interessengemeinschaft der Besitzenden, der Erstgeborenen der Industrialisierung. Es ist ratsam, über das atlantische Bündnis rechtzeitig hinauszudenken, das Risiko von Überraschungen zu vermeiden, auch dann, wenn wir, wie gesagt, auf eine globale Zivilgesellschaft der Kooperationen und gegenseitigen Durchdringung in sozial und kulturverträglichen Grenzen und bei Vermeidung nicht reziproker Abhängigkeiten hinzuarbeiten. Es wird Zeit, sich mit den mög-
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der einen Welt
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liehen Szenarien von morgen zu befassen, mit der Zeit nach dem Euro, der jetzt so viel Denkarbeit und Engagement findet. Die Weltbank hat inzwischen schon „Integration" als Zeitaufgabe festgemacht
Rüdiger Korjf
DER STELLENWERT DER ENTWICKLUNGSPOLITIK IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND In einem kurzen Beitrag läßt sich schwerlich die Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik nachzeichnen; nicht zuletzt deshalb weil die deutsche Entwicklungspolitik und Förderung entwicklungspolitischer Maßnahmen nie wirklich einheitlich war oder ist, und weil eine Vielzahl unterschiedlicher Träger in der Entwicklungshilfe involviert sind. Gerade die Entwicklungspolitik steht - vielleicht mehr als andere Politikbereiche - in Dilemmas: Sie ist einerseits eingebunden in internationale Verpflichtungen und damit abhängig von multilateralen Koordinations- und Entscheidungsmechanismen und andererseits in nationalstaatliche Politiken und der Konkurrenz um Kompetenzen mit anderen Ministerien vor allem dem Außen- und Wirtschaftsministeriums. So sind die Spielräume für eine eigenständige Politik und Programmatik sehr begrenzt, was sich u.a. darin äußert, daß das Budget des BMZ sehr niedrig ist, allerdings auch keinen größeren Schwankungen unterliegt. Diese Einschränkungen auf der Ebene der eigenständigen Politik muß nicht bedeuten, daß innerhalb der Entwicklungspolitik die Spielräume gering sind. Tatsächlich scheint es eher so zu sein, daß die relativ geringe politische Bedeutung eine relativ geringe Kontrolle und Supervision nach sich zieht, so daß die Handlungspielräume innerhalb der Entwicklungspolitik erstaunlich groß sind. Weiterhin wird Entwicklungspolitik als eine freiwillig geleistete „Entwicklungshilfe" beschrieben, die als solche nur moralisch begründbar ist. Gleichzeitig ist sie Interessenspolitik ganz unterschiedlicher Gruppen wie u.a. privaten Unternehmen und einer „Entwicklungslobby". Während moralisch verlangt wird, daß Entwicklungshilfe ohne Nutzenkalkül vergeben wird und an sich einzig der „Hilfe zur Selbsthilfe" dienen solle, muß sie sich auch darüber begründen, daß sie „sinnvoll" ist. Sinnvoll ist Entwicklungshilfe entweder in Form erfolgreicher Projekte, was immer sehr schwer nachweisbar ist, oder durch den Nutzen, den die BRD davon hat. Dieses gilt besonders in Phasen wirtschaftlicher Krisen, in denen es tatsächlich nur schwer vermittelt werden kann, daß Millionen in fernen Ländern versickern, während in der BRD selbst massive soziale Probleme bestehen. Der Slogan „Entwicklungszusammenarbeit sichert Arbeitsplätze bei uns" legitimiert Entwicklungshilfe, indem auf den Nutzen in der BRD Bezug genommen wird, doch widerspricht er dem moralischen
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Rüdiger Korff
Anspruch einer selbstlosen Hilfe. Diese Dilemma sind nicht zuletzt ein Grund dafür, daß die Entwicklungspolitik wenig Möglichkeiten für die Profilierung eines Politikers bietet. Ein Out-of-Area-Einsatz der Bundeswehr ist zwar ebenfalls umstritten, doch ist er sehr viel Medien und damit auch Publikums wirksamer als ein Kurzbericht über ein gelungenes ländliches Entwicklungsprojekt im Sahel. Entwicklungspolitik schafft keine Wählerstimmen. Nicht zuletzt aus diesem Grund war sie an sich nie ein eigenständiger Politikbereich, sondern immer in die allgemeine Politik der Bundesrepublik oder der Parteien integriert. Aktuelle innenpolitisch relevante Themen, Forderungen und teilweise auch Moden fließen in die Entwicklungspolitik ein. Neben innenpolitischen Themen reflektieren die Selbstdarstellungen und Richtlinien Diskussionen auf internationaler Ebene wie u.a. den Weltkongressen der Komitees der Vereinten Nationen in die Selbstdarstellungen ein und werden in den Richtlinien reflektiert. Demgegenüber hat der wissenschaftliche Diskurs relativ wenig direkte Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik und Entwicklungsprojekte. Es scheint, daß wissenschaftlicher Erkenntnisse erst mit einer Zeitverzögerung von mehr als einer Dekade in der Entwicklungspolitik aufgegriffen werden. Statt einer Darstellung der Geschichte der Institutionen oder von Entwicklungshilfe-Projekten möchte ich mich hier vor allem auf den öffentlichen entwicklungspolitischen Diskurs und die Rahmenbedingungen der Entwicklungspolitik beziehen und am Ende zwei Fragen diskutieren: 1. Was hat offizielle „Entwicklungspolitik" eigentlich mit Entwicklungsländern zu tun? 2. Welchen Sinn kann Entwicklungspolitik in einer sich globalisierenden Welt noch haben? Entwicklung der Entwicklungspolitik Die fünfziger Jahre waren von Dekolonialisierung und dem kalten Krieg gekennzeichnet. In dieser Zeit endeten die großen Kolonialreiche und es entstand eine Vielzahl neuer Staaten in Asien und Afrika. Doch auch nach der Unabhängigkeit sollten die engen Bindungen der neuen Staaten an die ehemaligen Kolonialmächte erhalten bleiben. So wurde die alte Kolonialpolitik und die damit verbundenen Institutionen in England, Frankreich und den Niederlanden zu entwicklungspolitischen Institutionen. Zum kalten Krieg gehörte der Wettlauf der Systeme, und die neuen Länder boten sich als Schauplatz der Konkurrenz an. Hier sollte sich die Überlegenheit des Westens zeigen. Deshalb galt es, die Orientierung der neuen Staaten am
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Ostblock zu verhindern. Sowohl die Aufrechterhaltung der bestehenden Beziehungen als auch die westliche Orientierung ließ sich am besten dadurch erreichen, daß die neuen staatlichen Institutionen in der Verwaltung, Bürokratie und dem Bildungswesen nach dem Muster der ehemaligen Kolonien aufgebaut wurden. Damit hatten die nach der Auflösung der Kolonialreiche obsoleten kolonialen Institutionen einen neuen Sinn erhalten. 1 Parallel zur Dekolonialisierung erfolgte der Wiederaufbau Europas nach dem II Weltkrieg, was in den späten fünfziger Jahren weitgehend abgeschlossen war. Die internationalen Institutionen wie Weltbank, IMF etc., oder auch nationale Organisationen wie die KfW, deren eigentliche Aufgabe der Wiederaufbau Europas, bzw. der BRD war, hatten damit ihren Zweck eingebüßt. Entwicklungshilfe bot sich auch für diese Institutionen als neues Betätigungsfeld an. So wie es gelungen war, daß zerstörte Europa in wenigen Jahren wieder aufzubauen, so wurde davon ausgegangen, daß auch der Aufbau der Entwicklungsländer in einigen Dekaden gelingen würde, (siehe dazu die Diskussionen im Deutschen Bundestag zur Entwicklungspolitik in den sechziger Jahren, zusammengestellt in den Materialien Nr. 57 des BMZ). Zusammenfassend hat die Entwicklungspolitik die Kolonialpolitik zum Vater und den Wiederaufbau Europas zur Mutter. Sie bot sich als Betätigungsfeld für bestehende Institutionen an, die ihre ursprüngliche Aufgabe verloren hatten. Aus dieser Verwandtschaft resultiert ein spezifisches, die Beziehungen zwischen Entwicklungsorganisationen und Entwicklungsländern prägendes Verhältnis. Die Institutionen verfügten über erprobte Lösungen und konnten Probleme der Entwicklungsländer definieren, die zu diesen Lösungen paßten. Dieses strukturell ungleiche Verhältnis wurde nicht zuletzt dadurch verstärkt, daß die Organisationen auch bereit dazu waren, für ihre Lösungen und Problemdefintionen mit Entwicklungshilfe zu zahlen. Das implizierte natürlich eine Ignoranz gegenüber denjenigen Problemen für die keine Lösungen vorhanden waren, die tatsächlich nicht wahrgenommen wurden, bzw. wahrgenommen werden konnten. Der klarste Ausdruck dieses Verhältnis war die Annahme der „nachholenden Entwicklung". Entwicklungspolitik
der BRD
Da die Bundesrepublik keine Kolonien hatte, war Entwicklungspolitik in den fünfziger Jahren ein eher randständiges Thema. Allerdings befaßte sich das BMWi wegen der starken Exportorientierung der BRD und das A A mit entwicklungspolitischen Fragen. So stellte eine Studie des B M W i schon 1954 1
Parkinson weißt in einer späteren Untersuchung daraufhin, daß die Anzahl der Angestellten im britischen Kolonialmisterium nach dem Ende des Kolonialreiches geradezu sprunghaft anstieg.
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fest: „Für die langfristige Entwicklung des deutschen Außenhandels ist es bedeutsam, daß die Bundesrepublik ... die in der technischen Hilfe liegenden Möglichkeiten nutzt und sich dadurch den bei ihrer Exportabhängigkeit wichtigen Platz auf den weniger entwickelten Märkten sichert". Während das B M W i Entwicklungshilfe als Instrument der internationalen Wirtschaftspolitik begriff, sah das AA in der Entwicklungshilfe vor allem ein Instrument der Außenpolitik, um deutsche Forderungen durchzusetzen. Dem AA ging es vor allem darum, den Alleinvertretungsanspruch der BRD im Kontext der Hallstein-Doktorin durchzusetzen. Allerdings hielten sich die Mittel fur Entwicklungshilfe mit 500.000 D M in engen Grenzen. Da unterschiedliche Ministerien involviert waren, die divergierende Interessen vertraten, bestand keine einheitliche Linie oder Zielrichtung. Bis 1960 wurden insgesamt 500 Mio. D M an bilateraler und 400 Mio. D M an multilateraler Entwicklungshilfe verwandt und mehr oder weniger zufällig für Projekte und Vorhaben ausgegeben. Eine Systematisierung der Entwicklungshilfe wurde notwendig, als Kennedy 1961 die erste Entwicklungsdekade ausrief. Der amerikanische Druck auf die Bundesregierung, die Entwicklungshilfe zu erhöhen, resultierte darin, daß 3,5 Milliarden D M für Entwicklungshilfe festgelegt wurden, ohne jedoch ein politisches Programm damit zu verbinden. Vor allem von Abgeordneten der SPD wurde verlangt, Entwicklungshilfemaßnahmen stärker zu koordinieren und in ein politisches Programm zu integrieren. In einer Rede 1961 brachte Kalbitzer folgendes Beispiel für die Unkoordiniertheit der Entwicklungspolitik: „Der Botschafter eines Entwicklungslandes wendet sich mit einem Projekt vorhaben an das AA, wo ihm mitgeteilt wird, daß das Projekt zwar interessant sei, aber nicht im Konzept der Bundesregierung vorgesehen sei. Vom BMWi wird ihm beschieden, daß das gerade das Projekt sei, auf das man schon lange gewartet habe." (Vgl. Materialien 57:20). Ähnlich forderte Deist 1960 statt einer spontanen und ad hoc Entwicklungshilfe eine Gesamtprogramm der Entwicklungspolitik mit definierten Schwerpunkten. (Materialien 57:9). Angesichts dessen, daß 2/3 der Menschheit unter Hunger litten und der Hungertod in vielen Ländern eine der Haupttodesursachen war, bestand schon in den sechziger Jahren Einigkeit darin, daß Armutsbekämpfung der Schwerpunkt der deutschen Entwicklungshilfe sein sollte. Armutsbekämpfung war einerseits eine moralische Pflicht der entwickelten Länder und für die Bundesrepublik politisch unproblematisch. 2 Entwicklungshilfe war so vor allem eine 2
Diefranzösische, britische und vor allem auch die amerikanische Entwicklungshilfe war eng mit politischen Zielrichtungen verbunden. Es ging darum, entweder die Blockzugehörigkeit zu erhalten und/oder die enge Bindung an das Mutterland. Bis auf den „Alleinvertretungsanspruch" verfolgte die BRD keine direkten politischen Ziele.
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internationale Sozialhilfe. Diese „Sozialhilfe" und Hilfe eine Entwicklung voranzutreiben begründete sich nicht nur aus einer Moral oder einem Mitleid sondern auch politisch, was Deist deutlich machte: „Während die deutsche öffentliche Meinung seit Jahren verbissen über die Bedeutung der Atomrüstung für die Zukunft der Menschheit debattiert, ist die Frage der Beziehungen zwischen den Industrieländern einerseits und den Entwicklungsländern andererseits zur für die Zukunft beherrschenden und die Zukunft entscheidenden Frage geworden." Allerdings nahm die Öffentlichkeit Entwicklungshilfe etwas anders wahr, nämlich als „großer Geschenkregen und Segen, den das Wirtschaftswunderland über die Steppen Afrikas und die Dschungel Asiens regnen lies". (Duve 1975:60). Von der Boulevardpresse wurden regelmäßig über goldene Wasserhähne und Betten berichtet, die aus Entwicklungshilfemitteln gekauft würden. 1961 wurde das BMZ gegründet. Seine Aufgabe war es, die Entwicklungshilfe zu koordinieren und eine Programmatik auszuarbeiten. Tatsächlich blieben die Kompetenzen jedoch sehr begrenzt. So wurde die Finanzhilfe weiterhin über das BMWi vergeben und über die KfW abgewickelt. Erst während der sozailliberalen Koalition wurde dieser zentrale Bereich der Entwicklungspolitik dem BMZ zugeordnet! Auch die technische Hilfe blieb bis 1964 beim AA. AA und BMWi hatten weiterhin ein Vetorecht in den Referentenausschüssen. Etwas polemisch beschreibt Nuscheier: „Das BMZ ging aus der schwierigen Koalitionsarithmetik nach der Bundestagswahl von 1961 hervor." (Nuscheier 1995:379) Nach Adenauer war es eine Rose ohne Dornen, die niemanden stechen konnte und einzig eine hübsche Zierde darstellte. In der ersten Phase der Entwicklungspolitik wurde davon ausgegangen, daß Unterentwicklung aus Defiziten wie Kapitalmangel, mangelndes technisches Wissen, Defizite der Infrastruktur etc. resultiert. Die Entwicklungsprojekte zielten deshalb darauf ab, diese Defizite über Entwicklungsinterventionen zu kompensieren, um ein sich selbst tragendes Wachstum zu ermöglichen. Das Beispiel für die Modernisierung der Entwicklungsländer lieferten die entwickelten modernen Gesellschaften. In der deutschen Entwicklungshilfe flössen deshalb vor allem eigene Erfahrungen ein. Die Modernisierung Deutschland, als erstes „Entwicklungsland", das erfolgreich eine nachholende Entwicklung praktiziert hatte, war eng gekoppelt an den Aufbau einer Schwerindustrie und der Modernisierung der Landwirtschaft. Beides waren Mechanismen, durch die sowohl Industrialisierung als auch eine Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung sich ergab. Entsprechend lag der Schwerpunkt der Entwicklungshilfe einerseits in technischen Industrieprojekten, von denen das Stahlwerk in Rourkela in Indien am bekanntesten wurde und landwirtschaftlichen Projekten, in denen recht direkt auf deutsche Erfahrungen aufgebaut wurde, wie ein Molkereiprojekt in Nordthailand zeigte.
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Die Bevorzugung von Großprojekten in dieser Phase hatte durchaus auch den Zweck, die eigene Exportwirtschaft zu unterstützen, was später zum Vorwurf des Neo-Imperialismus führte. Sicherlich spielte der eigene Nutzen eine wichtige Rolle bei den Entscheidungen, welche Projekte zu fordern seien, doch bin ich der Meinung, daß andere Formen von Projekten gar nicht denkbar im tatsächlichen Sinn gewesen wären. Der Hintergrund der eigenen historischen Entwicklungserfahrung sowohl in der Phase des Wiederaufbaus nach dem Weltkrieg, als auch während der „nachholenden" Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, implizierte ein Wissen, daß nur in diese Richtung gehen konnte. Deshalb ging es auch gerade der technischen Hilfe darum, parallel zu den Großprojekten technisches Wissen an die Entwicklungsländer zu vermittelt, so daß diese langfristig dazu in der Lage wären, eine eigenständige Modernisierung voranzutreiben; etwa in dem Sinne: Wir haben es erfolgreich gemacht und ihr könnt von uns lernen. Mit den Wahlen 1969 und der sozial-liberalen Koalition wurde E. Eppler Entwicklungshilfeminister. Eppler sah die Entwicklungshilfe als internationale Sozial- und Friedenspolitik. Nach dem der kalte Krieg zum Normalfall geworden war und sich die alte Politik des Wettlaufs der Systeme nach den Annäherungen zwischen Ost und West kaum halten lies, trat der Nord-Süd-Konflikt zunehmend ins Bewußtsein. Ein Faktor dafür war nicht zuletzt die Studentenbewegung in den späten sechziger Jahren. Über die Auseinandersetzung mit dem Krieg in Vietnam wurde Imperialismus, die Ausbeutung der Dritten Welt und internationale Solidarität zu einem Thema. Auf der internationalen Ebene begannen die Entwicklungsländer, ihre Mehrheit in den UN-Gremien fur eine eigenständige Politik zu nutzen und mit der OPEC wurde erstmals deutlich, welche potentielle Macht die Entwicklungsländer besitzen, die über strategische Rohstoffe verfugen. Eppler gelang es, die Entwicklungspolitik als eine dritte Säule der Außenpolitik neben der West- und Ostpolitik zu etablieren. Programmatisch fomuliert dient Entwicklungspolitik „dem Interessenausgleich zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern und ist somit in besonderer Weise geeignet zur Sicherung des Friedens in der Welt und zur globalen Zusammenarbeit beizutragen." Nach der Ölkrise und der damit beschleunigten internationalen wirtschaftlichen Verflechtung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre trat neben die eher moralisch begründete Sozial- und Friedenspolitik Epplers die stärker pragmatische Entwicklungspolitik Bahrs. Für ihn war Entwicklungspolitik nur als Teil der Handels-, Wirtschafts- und Außenpolitik der BRD sinnvoll. Das verlangte eine begründete Differenzierung der Entwicklungsländer. Auf der Tagung der Weltbank in Nairobi 1973 rief McNamara zum „Krieg gegen die Armut" auf und die Weltbank entwickelte Differenzierungen der Entwicklungsländer. Danach war fur die reicheren Entwicklungsländer eine
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Politik der internationalen Einbindung und Modernisierung sinnvoll, während es in den armen Ländern, den „LLDC", vor allem darum gehen sollte, daß die Grundbedürfnisse befriedigt werden. Die deutsche Entwicklungspolitik reagierte darauf mit einer Spezifizierung der Maßnahmen. Auf der einen Seite wurde „Entwicklungshilfe" an die armen Länder vergeben, auf der anderen Seite sollten Entwicklungsmaßnahmen in den reicheren Ländern die Handelsund Wirtschaftspolitik der BRD flankieren. Obwohl gerade fuhrende Sozialdemokraten in der internationalen Entwicklungspolitik involviert waren, vor allem ist die Brandt-Kommission zu nennen, spielte die offizielle Entwicklungspolitik als eigenständiges Politikfeld oder Säule der Außenpolitik eher eine Nebenrolle. Auch die „Wende" nach dem Regierungswechsel 1982 änderte daran nichts. Dem neuen Minister Warnke wird nachgesagt, daß er das BMZ zum bayrischen oder CSU Außenministerium ausbaute. Neben einer verstärkten Berücksichtigung bayrischer Beamter im BMZ und der stärkeren Förderung derjenigen Länder, in denen „Amigos" direkte Interessen hatten - wie etwa Togo - wurde die Entwicklungspolitik noch stärker der Gesamtpolitik untergeordnet und über deutsche Interessen legitimiert. Die Entwicklungspolitik sollte „dem deutschen Volk nutzen und Schaden von ihm wenden" wie es 1982 vom Bundestag einstimmig verabschiedet wurde. Zwar stand auch weiterhin eine Politik der Armutsbekämpfung in den Selbstdarstellungen, doch wurde zunehmend Entwicklungshilfe mit politischen Auflagen, vor allem einer strikten anti-kommunistischen Haltung verbunden. Anfang der achtziger Jahre zeigte sich, daß die Erwartungen der ersten zwei Entwicklungsdekaden (1. die von J.F. Kennedy ausgerufene „Dekade der Entwicklung" und 2. Der von McNamara geforderte „Krieg gegen die Armut") sich nicht realisiert hatten. Einerseits deutete sich die Schuldenkrise gerade der bislang relativ erfolgreichen Länder an, andererseits nahm Armut in den ärmsten Ländern weiterhin zu. Auf diesem Hintergrund eine Entwicklungspolitik zu legitimieren war problematisch. Die zunehmende Verarmung trotz Entwicklungshilfe zeigte, daß eine internationale Sozialhilfe wohl nur als Krisenhilfe einen Sinn haben könnte und die Probleme der Schwellenländer der siebziger Jahre (Brasilien, Argentinien, Mexiko) demonstrierten, daß auch dort Unterentwicklung ungelöst ist. Auf diesem Hintergrund ist naheliegend, daß Entwicklungspolitik als Interessenpolitik begründet wurde und eng mit der Politik der Weltbank und dem IMF verbunden war. Gerade die Bedeutung der Weltbank und des IMF nahm im Kontext der Schuldenkrise immens zu. Ging es Anfang der siebziger Jahre nach dem Ölpreisschock vor allem darum, einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft dadurch zu verhindern, in dem die Petro-dollars „recycelt" wurden, was mit ein Faktor fur die spätere Schuldenkrise wurde, so ging es nun darum, den Zusammenbruch des internationalen
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Finanzsystems durch den Staatsbankrott der überschuldeten Länder zu vermeiden. Von der Weltbank wurden deshalb Maßnahmen der „Strukturanpassung" entworfen und mit der Vergabe von Krediten gekoppelt. Diese Weltbankkredite waren außerordentlich wichtig, denn nur über Weltbankkredite konnten viele Länder ihre Kreditwürdigkeit behalten und damit waren die Privatbanken nicht gezwungen, einen großen Teil ihrer Außenstände abzuschreiben. An die Stelle der Politik des „Krieges gegen die Armut" trat die Politik der marktwirtschaftlichen Orientierung, der wirtschaftlichen Öffnung, dem Abbau der Staatsquote in Form einer aufgeblasenen Bürokratie und des Endes der Subventionierung von Konsumgütern. Diese Strukturanpassungsmaßnahmen wurden durch weitere Entwicklungshilfeprojekte flankiert, um die sozialen Folgen mindestens etwas abzufedern. Hier fand das BMZ seine wichtigsten Aufgaben. Durch die enge Verbindung mit der Weltbank war Entwicklungspolitik durch die Existenz der Weltbank, die ernsthaft von niemandem in Frage gestellt wurde, legitimiert. Im Ergebnis verband sich die deutschen Entwicklungspolitik eng mit der Politik der Weltbank. Damit traf die Kritik an der Weltbank, wie sie parallel zu den Treffen der Weltbank formuliert wurde, auch die bundesdeutsche Entwicklungspolitik. In der deutschen politischen Debatte kamen in den späten siebziger und achtziger Jahren neue Themen auf, die bald mit der Entwicklungspolitik verbunden wurden. Zu nennen sind vor allem der Umweltschutz und die Verbesserung der Position der Frauen. Inzwischen sind beides Kriterien für die Vergabe von Entwicklungsprojekten geworden und eine Umwelt- und Frauenkomponente muß nachgewiesen werden. So findet sich heute in der Entwicklungspolitik ein Nebeneinander recht unterschiedlicher Zielrichtungen und Forderungen. 1990 wurde u.a. unter dem Slogan „die Schöpfung bewahren" die Aufgabe der Entwicklungspolitik folgendermaßen skizziert:. „Es ist die Aufgabe der Entwicklungshilfe, den verderblichen Kreislauf: Armut - Bevölkerungswachstum - zunehmender Druck auf die natürlichen Ressourcen - Umweltzerstörung verschärfte Armut - an vielen Stellen gleichzeitig aufzubrechen und die Länder der dritten Welt dabei zu unterstützen, ihre Entwicklung in Einklang mit den Erfordernissen der Umwelterhaltung voranzutreiben." Allerdings hat die Aufnahme dieser Themen nicht dazu geführt, daß die Entwicklungspolitik eine größere Präsenz in der öffentlichen Diskussion gefunden hätte, obwohl ein sehr viel stärkeres Bewußtsein der globalen Problematiken inzwischen besteht. Die Zerstörung des Regenwaldes, das Elend von Flüchtlingen in Afrika, Bürgerkriege, Krankheit und Armut werden inzwischen sehr viel stärker auch in der Öffentlichkeit der BRD wahrgenommen, als es noch in den siebziger Jahren auch unter dem Slogan der internationalen Solidarität der Fall war. Allerdings wird die Lösung dieser Probleme nicht mit der
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Entwicklungspolitik der BRD identifiziert, sondern mit anderen Organisationen. Gerade in der letzten Dekade sind neue internationale Organisationen entstanden, die diese Themen bearbeiten und besetzt halten. Bei der Rettung des Regenwaldes wird nicht an das BMZ oder die GtZ gedacht sondern an Green Peace. Armutsbekämpfung wird mit Terre des Hommes, der Welthungerhilfe und den kirchlichen Organisationen (Brot für die Welt, Miserior) identifiziert. Der Bereich, in dem allerdings an Entwicklungshilfe gedacht wird, ist die Vermeidung von Armutsmigration (Asylproblem) durch Entwicklungshilfe. Faßt man die Entwicklung der Entwicklungspolitik zusammen, so muß festgestellt werden, daß es nicht gelungen ist, die offizielle deutsche Entwicklungspolitik als ein eigenständiges Politikfeld zu etablieren. Weder im Sinne einer Institutionalisierung als eigenständiger Politikbereich, wie es Eppler mit dem Konzept der „Nord-Süd Politik als weitere Säule der Außenpolitik" versuchte, noch als eine Thematik der öffentlichen Diskussion. Selbst die Kritik der Entwicklungspolitik als neo-imperialistisches Instrument zur Ausbeutung der Entwicklungsländer findet sich heute kaum noch. Ich möchte zum Abschluß auf die beiden anfangs genannten Fragen eingehen: 1. Was hat Entwicklungspolitik mit Entwicklungsländern zu tun? Der Vater der Entwicklungspolitik ist die Kolonialpolitik und die Mutter der Wiederaufbau Europas. Bestehende Institutionen hatten Lösungen und mußten sich, nachdem ihre eigentliche Aufgabe erfüllt war, passende Probleme suchen. So füllten die Entwicklungsländer der sechziger Jahre eine wichtige Funktion für die Selbsterhaltung dieser Organisationen. Man kann noch weiter gehen. Was würde passieren, wenn die Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich erfolgreich wäre? Im Unterschied zu vielen anderen Organisationen, deren Stellenwert steigt, wenn Sie demonstrieren können, daß sie ihre Aufgaben erfolgreich erfüllen, werden Organisationen der Entwicklungspolitik irrelevant, wenn sie erfolgreich sind. Organisationen der Entwicklungshilfe haben zum allgemeinen Ziel, Länder darin zu unterstützen, ihre Entwicklung selbständig zu gestalten. Sobald sie darin erfolgreich sind, also ihre Aufgaben erfüllen, werden sie irrelevant. Die Existenzerhaltung dieser Organisationen basiert also darauf, Entwicklungsdefizite und Unterentwicklung als weiterhin bestehendes Problem darzustellen. Polemisch formuliert müssen diese Institutionen im öffentlichen Diskurs immer wieder neu demonstrieren, daß sie ihre Aufgaben nicht lösen können! Das ist für einen Politiker natürlich wenig attraktiv. Man kann dieses Argument auch so formulieren, daß diese Organisationen an ihren Aufgaben scheitern, um erfolgreich zu sein, d.h. sich selbst zu erhalten. Betrachtet man die Entwicklungspolitik aus dieser Perspektive, wird deutlich, daß sie an sich recht wenig mit der Realität der „Entwicklungsländer" zu tun
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haben muß. Die Entwicklungspolitik bedarf, um überhaupt zu funktionieren, der Konstruktion der Entwicklungsländer und ihrer Defizite, die dann durch Entwicklungsmaßnahmen bearbeitet werden können. Wie alle Organisationen und Institutionen entwickelt auch die Entwicklungspolitik Ignoranzgrenzen um zu funktionieren, denn dadurch, daß mit neuem Wissen das Nichtwissen überproportional ansteigt, ist Ignoranz die Grundlage für Handlungsfähigkeit. 3 Ausdruck dieser Ignoranzgrenzen sind u.a. die geringe Integration der Experten in die Kultur der Partner und das oftmals kaum vorhandene Wissen und Interesse an den Spezifika der Länder und Regionen in Entwicklungsorganisationen. Ein weiterer Ausdruck ist die Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Untersuchungen. Gerade die Anthropologie und Entwicklungssoziologie verfugten über ein ausgefeiltes Instrumentarium zur Analyse von Entwicklungsprozessen, lokalen Organisationen und Kulturen, Interaktionen, Organisationen usw. Das heißt nicht, daß Anthropologie und Entwicklungssoziologie alle Probleme lösen können, doch ließen sich hiervon ausgehend neue Perspektiven und vor allem eine differenzierte Politik entwickeln. Bezeichnenderweise wird dieses Wissen inzwischen zunehmend von der Privatwirtschaft genutzt. Während in der Privatwirtschaft eine „Kultur der Partner" notwendig ist, da die Unternehmen nur bestehen können, wenn sie sich globalisieren, propagiert die offizielle Entwicklungspolitik immer noch alte Klischees der sechziger Jahre in von ihr untertstützten Serien, die sich grob zusammenfassen lassen: „Der Chefarzt der Schwarzwaldklinik hat sein Herz für die armen Menschen in der Dritten Welt entdeckt und praktiziert nun in Phuket." Ich selbst war häufiger in Phuket und würde die thailändischen Ärzte und Krankenhäuser „Prof. Brinkmann" eindeutig vorziehen. 2. Welchen Sinn kann Entwicklungspolitik in einer sich globalisierenden Welt noch haben? Wenn die Entwicklungspolitik kein eigenes Politikfeld darstellt, hat das BMZ überhaupt noch ein Objekt? Inzwischen bildeten sich auf nationaler Ebene eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, die Entwicklungsprojekte durchführen und stark durch Mittel des BMZ gefördert werden. Auch die Durchführung staatlicher Projekte erfolgt über eigenständige Organisationen wie die GtZ und KfW. Auf der übernationalen Ebene engagiert sich die EU, transnationale Organisationen der Vereinten Nationen und internationale Nichtregierungsorganisationen in der Entwicklungshilfe. So bedarf es des BMZ an sich nicht. Hinzukommen weitere Entwicklungen: Durch die Auflösung der sozialistischen Welt ist der Ost-West-Konflikt vorbei. Damit haben einerseits viele Länder ihre strategische Bedeutung als Puffer eingebüßt. Andererseits sind viele 3
Ignoranzgrenzen sind hier nicht negativ gemeint, sondern allgemein Grundlage für Handlungsfähigkeit angesichts einer überkomplexen Umwelt.
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Länder Ost- und Mitteleuropas im Rahmen der Transformationen zur Marktwirtschaft auf „Entwicklungshilfe" angewiesen, mindestens um drängende soziale Probleme in der Brisanz zu reduzieren. Zweifellos stehen europäische Länder uns kulturell, wirtschaftlich und politisch näher als exotische Regionen der Tropen, und ebenso ist eher zu erwarten, daß in diesen Ländern Entwicklungshilfe „sinnvoll" verwendet wird und nicht vor allem dazu dient, im wahrsten Sinne des Wortes abgewirtschaftete politische Eliten zu unterstützen. Während für Osteuropa Entwicklungspolitik leicht begründet werden kann, fällt dieses gegenüber den armen Ländern zunehmend schwer. Die Entwicklungen der letzten Dekade, die oftmals unter dem Begriff Globalisierung diskutiert werden, führten zu massiven Verlagerungen, die Menzel (1991) als „Ende der Dritten Welt" diskutiert. Während einige der Entwicklungsländer vor allem im fernen Osten sich zu „Newly Industrialized Countries" und Schwellenländern entwickelten, wurden ganze Regionen - vor allem in Afrika - aus der Weltwirtschaft abgekoppelt. Die Lebensbindungen in vielen dieser Länder haben sich trotz massivem Entwicklungs-Engagements deutlich verschlechtert. Weder läßt sich der Erfolg der ersten Ländergruppe auf Maßnahmen der Entwicklungshilfe zurückführen, noch resultiert die Unterentwicklung der anderen Gruppe aus der Entwicklungspolitik. Es wäre eine deutliche Überbewertung der Effizienz der Entwicklungspolitik, sie als Grundlage allen Übels darzustellen oder als Instrument der Ausbeutung. Das Problem ist, daß die Entwicklungspolitik gegenwärtig weder klar nachweisen kann, welche Wirkungen sie hat, noch als ein Politikfeld definiert ist. Aufgaben, die als relevant angesehen werden wie globaler Umweltschutz, Durchsetzung der Menschenrechte, nachhaltige Entwicklung etc. werden nicht oder nur am Rande mit den offiziellen Entwicklungsorganisationen identifiziert. Es fehlt offensichtlich ein entwicklungspolitischer Diskurs, der der Gegenwart angemessen ist. Literaturangaben Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1976: Materialien Nr. 57. 15 Jahre Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit - 15 Jahre Entwicklungspolitik im Spiegel der entwicklungspolitischen Debatten des deutschen Bundestages, Bonn. Duve, Freimut, 1975: Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland - ein historischer Rückblick. In Gerhard Leminsky, Bernd Otto unter Mitarbeit von Gerhard Breitenstein (Hrsg.), Gewerkschaften und Entwicklungspolitik, Köln: Bund Verlag, S. 57 - 67.
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Nuscheier, Franz, 1995: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. Bonn: Dietz Menzel, Ulrich, 1991: Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorien, Frankfurt: Suhrkamp
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ENTWICKLUNGSPOLITIK IN CASTROP-RAUXEL UND ANDERSWO (EINE-WELT-POLITIK ALS LANDESPOLITISCHE AUFGABE) Eine-Welt-Politik wird nach wie vor vor allem als Förderung von Entwicklungsprojekten in Übersee verstanden, so vom BMZ für die Politik der Bundesregierung betrieben und verantwortet. Seit in den sechziger Jahren die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen entwicklungspolitisch tätig wurde, hat sie niemals mit dieser Bundesaufgabe konkurrieren wollen. Wohl hat sie, auf wenige Länder Afrikas und Asiens beschränkt, ausgewählte Projekte dort gefördert, wo NRW mit der Kapazität seiner Wirtschaft und seiner Verwaltung besonders gute Voraussetzungen für eine Partnerschaft mitbrachte (Beschluß der Landesregierung vom 31.1.1984), zunächst in Tunesien, in Zimbabwe, in einigen chinesischen Provinzen, seit 1993 in Vietnam und im südlichen Afrika, natürlich auch, entsprechend der Kulturhoheit der Länder, Fortbildung ausländischer Stipendiaten, meist im technisch-industriellen Bereich. Wichtigste Landesaufgabe aber ist bis heute, in der Bürgerschaft den Lernprozeß zu fördern, den Entwicklungspolitik braucht, wenn sie Erfolg haben soll. Überall im Land haben sich, meist zunächst im Umfeld von Kirchengemeinden, freie Gruppen und Initiativen zusammengefunden, die an einem Fallbeispiel - häufig in Zusammenarbeit mit Partnern in Übersee - zu lernen suchen, auf welche Weise Wohlstand im Norden und Verarmung im Süden zusammenhängen, und durch welche politischen Schritte Spannungen nicht verschärft, sondern vermindert werden können. Diese Gruppen bilden die Basis, auf deren Funktionsfähigkeit auch die großen Nichtregierungsorganisationen angewiesen sind. Ihre Stärken und Schwächen sind in den letzten Jahren mehrfach analysiert worden (u.a. siehe die Studie der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz - Gabriel, Nuscheier u.a. -; Kurzfassung 1995 "Handeln in der Weltgesellschaft: Christliche Dritte-Welt-Gruppen"). Welches Potential politischen Lernens die Gruppen darstellen, wird zu unser aller Schaden von der politischen Öffentlichkeit meist nicht zur Kenntnis genommen: •
Hier lernen Menschen, am alltäglichen Beispiel von Kaffee oder Tee, daß die Worte "fair" und "Handel" einander in der Wirtschaft nicht ausschließen müssen.
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Hier lernen Menschen am Beispiel der Verwendung von Tropenholz danach zu fragen, wer in den Herkunftsländern gewinnt, deren Rohstoffe wir in Anspruch nehmen, und wer verliert.
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Hier lernen Menschen am Beispiel der Familienplanung, was es Menschen im Süden der Erde an politischer Energie und Phantasie kostet, um die kulturelle Wertordnung ihrer Vorfahren nicht einfach zu übernehmen, sondern für soziale Sicherung wie für gesellschaftliche Achtung andere Formen, andere Symbole zu finden.
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Hier lernen Menschen am Beispiel des Handels mit Waffen und anderem militärisch nutzbaren Material, wie die Industrienationen des Nordens ihre eigene Rüstung bezahlbar machen und wie sie die Machteliten des Südens dazu verführen, mit militärischen Abenteuern vom eigentlichen Problem ihrer Länder abzulenken.
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Hier lernen Menschen, gerade im Austausch mit Partnern im Süden, wie leicht Hilfe von außen die Selbsthilfe verhindern kann, die sie eigentlich hatte auslösen wollen. Hilfe kann süchtig machen: Gebern fällt es schwer, sich zurückzuziehen. Nehmern fällt es schwer, nicht immer neue Bereiche zu entdecken, für deren Bewältigung zunächst Hilfe von außen erforderlich ist: "Nichts kann Partnerschaft so verderben, wie das Geld, das der eine hat und das der andere braucht", hat vor vielen Jahren Hans-Otto Hahn eine der wichtigsten Erfahrungen von "Brot für die Welt" formuliert.
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Hier lernen Menschen am Beispiel "ihres" Partners in Übersee und "seines" Projektes, wie ohnmächtig Entwicklungspolitik bleibt, solange für die Wirtschafts- und Finanzpolitik des eigenen Landes der Ausgleich zwischen dem Norden und dem Süden von untergeordnetem Interesse ist. Verständlich, aber politisch fatal ist die Konsequenz mancher Gruppen, sich auf Spendenwerbung für "ihr" Projekt zurückzuziehen.
Die Landesregierung war gut beraten, als sie in ihrem Bemühen, mehr Menschen als bisher für Einsicht in die Notwendigkeit einer Eine-Welt-Politik zu gewinnen, diese Gruppen und Institutionen als Multiplikatoren und Motivatoren in Anspruch nahm. Ohne deren Selbstbestimmung in Frage zu stellen, was die inhaltlichen Schwerpunkte betrifft, unterstützt sie seit über 10 Jahren z. B. Ausstellungen, Projekt- und Seminarwochen, Kampagnen, mit denen Gruppen ihre Mitbürger und Mitbürgerinnen ins Gespräch ziehen wollen. Bewußt nahm sie die Zivilgesellschaft in dem ernst, was sie als Lerngemeinschaft zu leisten imstande ist, wo Parteipolitik den Streit der Interessen nicht produktiv hat organisieren können. Erfahrungen haben gezeigt, daß die Gruppen und Initiativen in dem Maße Erfolg haben, in dem sie der moralisierenden Drängelei absagen, sich auf exakte Recherche stützen und die Einwände der anderen Seite ernst
Entwicklungspolitik in Castrop-Rauxel und anderswo
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nehmen, für ihre Angst z. B. um Bestand ihrer Arbeitsplätze also nicht nur rhetorisch Verständnis zeigen. Die Gruppen sind es der Bürgerschaft schuldig, vor allem vier Fragen im Gespräch zu halten, wenn sie der Entwicklung einer Eine-Welt-Politik dienen wollen: •
die Frage nach dem, was Generationen im Prozeß der Entwicklung einander schulden
•
die Frage nach dem menschlichen Maß von Entwicklung in Politik und Wirtschaft
•
die Frage nach kulturellem Respekt vor Fremden
•
die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Einen Welt. 1. Die Frage nach dem, was Generationen im Prozeß der Entwicklung einander schulden
Erhard Eppler hat politisch der Einsicht gerecht werden wollen, daß der Norden anders zu leben und zu wirtschaften lernen muß, wenn Norden und Süden überleben wollen. Dafür hat der Kirchliche Entwicklungsdienst in den siebziger Jahren die Formel geprägt: "Wir müssen lernen, anders zu leben, damit andere überleben". Bisher hat diese Einsicht in der Öffentlichkeit vor allem Phantasie und Initiative mobilisiert, eben dies Lernziel entbehrlich zu machen, wenigstens aber den Beginn des Lernprozesses zu vertagen. Die älteren Generationen haben bis heute immer neue Gründe gefunden, nicht um der kommenden willen mit den Gütern haushalten zu müssen, die der ganzen Menschheit gehören (und also fair geteilt werden müßten), und die außerdem erschöpflich, also nicht erneuerbar sind. Junge Menschen, die an ihrer Zukunft interessiert sind, müssen von Älteren erwarten können, daß sie nicht auf Kosten der Kinder und Enkel leben, also erkennbare Quellen wachsender Gefahren rechtzeitig beseitigen. Dies um so mehr, als die ältere Generation bis jetzt erwartet, daß die heute Dreißig- bis Fünfzigjährigen in den nächsten Jahrzehnten die finanziellen Leistungen aufbringen werden, die zur sozialen Zukunftsfähigkeit des Ganzen erforderlich sind. 2. Die Frage nach dem menschlichen Maß von Entwicklung in Politik und Wirtschaft Die UN-Konferenz "Umwelt und Entwicklung" (Rio 1992) bezeichnet eine Wendemarke auch im Konzept von Entwicklung: Die technische Zivilisation selber hat zu der Einsicht geführt, daß sie auf natürliche Lebensgrundlagen angewiesen ist und bleibt. Vergangen ist die Zuversicht, durch bessere Technik
4*
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Jürgen Schroer
und deren intelligenteren Einsatz könne der Norden den Weg der beiden vergangenen Jahrhunderte, den Weg der Unterwerfung und des Verbrauchs der Natur, fortsetzen und könne also auch der Süden Entwicklung nach dem Muster des Nordens nachholen. Daß alle Welt zögert, die Versprechen von Rio einzulösen zeigt, welche starken Kräfte im Norden wie im Süden aufgeboten werden, um das Eingeständnis zu vermeiden, Allmacht des Menschen bzw. Machbarkeit aller Voraussetzungen stießen auf objektive Grenzen. Nicht nur die Kirchen und die ihr nahestehenden entwicklungspolitisch tätigen Gruppen und Initiativen, aber sie vor allem, sind es der politischen Öffentlichkeit schuldig, für eine „Kultur materieller Selbstbescheidung zu werben" (Wolfgang Thierse am 16.11.1992), in der Glaube und Vernunft gemeinsam tätig werden. Wo zum Beispiel die Nachfrage nach den Folgen als "Technikfeindlichkeit" verdächtigt werden soll, wird eine Koalition von Vernunft und Glauben unbestechlich Technik auf ihre Menschenfreundlichkeit prüfen, wird wenigstens auf dem Nachweis ihrer Verträglichkeit für die Menschen bestehen. Wo die Frage nach den Chancen einer Rückkehr der Vernunft in die Verkehrspolitik als "Autofeindlichkeit" veralbert wird, wird sie beharrlich Menschenfeindlichkeit einer Autogesellschaft enttarnen und damit Versuche einer menschenfreundlicheren Verkehrspolitik fördern. 3. Die Frage nach kulturellem
Respekt vor dem Fremden
Als "Geschäftsgrundlage" einer Eine-Welt-Politik ist nur gegenseitiger kultureller Respekt denkbar. Will der Norden lernen, sich den Süden nicht länger unterzuordnen, muß er zunächst Abschied von dem Wunsch nehmen, daß der Norden und seine Art zu leben, zu denken und zu wirtschaften, Vorbild aller Welt bleiben möchte. Bis heute bestimmt Eurozentrismus Schule und Universität in Europa, und mit ihm nehmen wir uns die Chance, die Fremdheit einer anderen Kultur auch als Bereicherung zu erkennen. Kirchen und ihre Missionare haben, gewollt oder ungewollt, zu dieser Entwicklung beigetragen, haben kulturellem Hochmut jedenfalls nicht wirksam genug widerstanden. Ob Kulturen ihre Friedensfähigkeit entdecken, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob Religionen, und Kirchen als deren soziale Gestalt, friedensfähig zu werden lernen. Selbstbescheidung des Nordens als Zeichen kulturellen Respekts ist aber nur im Widerspruch zu den Erwartungen der Macht- und Besitzeliten des Südens zu lernen. Sie haben weithin längst ihre überlieferte Kultur hinter sich gelassen und sind im übertragenen Sinn nach Norden ausgewandert. Sie haben sich das Konzept nachholender Entwicklung ganz und gar zu eigen gemacht. Müssen sie ihre Macht durch Wahlen legitimieren lassen, leistet der Norden Wahlhilfe: Coca Cola und Marlboro, Dallas und die Schwarzwaldklinik überbringen dem ent-
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legensten Dorf die missionarische Botschaft von der Welt, in der Kinder wissen, wo sie nachts ihr Bett finden und Eltern wissen, was sie ihren Kindern morgen zu essen geben. Wie soll da der Süden anderes wollen als nachholende Entwicklung, über die Grundsicherung hinaus? In welchem Maße nachholende Entwicklung erforderlich ist, ob und wie sie dazu dienen kann, Verarmung zu bekämpfen, ist eine komplexe politische Frage. Der Begriff läßt ganz und gar offen, wer was auf welches Ziel hin entwickeln will. Was aber die undifferenzierte Rede von nachholender Enwicklung in der politischen Diskussion so gefährlich macht, ist die ideologische Funktion des Begiffs: Er hindert uns, d.h. die Industrienationen,uns der Frage zu stellen,wohin wir uns entwickelt haben. Er redet uns ein, wir brauchten nicht zu lernen, um der gemeinsamen Zukunft der Einen Welt willen anders zu leben und zu wirtschaften. Der Begriff „nachholende Entwicklung" ist vorzüglich geeignet, uns lernunfähig zu machen, im Süden wie im Norden: Zu lernen hat, so redet er uns ein, nur der Süden, und zwar den Vorsprung des Nordens aufzuholen. Die es schon begriffen haben, werden anerkennend „Aufholländer" genannt. Es kommt fur sie nur noch darauf an, bei der Aufholjagd die Fehler zu vermeiden, die im Norden im Prozeß der Entwicklung unterlaufen sind. 4. Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit
der Einen Welt
Binnen weniger Jahre ist "Nachhaltigkeit" zur Leerformel verkommen: "Nachhaltig ist die Entwicklung, die kontinuierlich weitergeht" schrieb die Weltbank 1992 ganz und gar unangefochten in ihrem Jahresbericht. Ohne Schönfärberei formulierte dagegen Erhard Eppler ein Jahr später: "Nachhaltig ist eine Wirtschaft, die nicht an ihren eigenen Exkrementen erstickt". In der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie nicht nur berechnet, worauf wir im Norden zu verzichten lernen müssen, um nicht länger auf Kosten der nächsten Generation zu leben, sondern es hat auch Leitbilder entworfen, an denen Lebensqualität gemessen werden kann. "Rechtes Maß für Raum und Zeit", "gut leben statt viel haben" sind Stichworte, in deren qualitative Entfaltung auch die Kirchen und ihnen nahestehende Gruppen ihre kreative Kraft investieren können, im lebendigen Widerspruch zu dem herrschenden Aberglauben, mehr zu haben und schneller als andere zu sein seien Markenzeichen von Lebensqualität. Eine Landesregierung, die Zivilgesellschaft ernst nimmt, muß deren Fähigkeit fördern, zu agieren und zu reagieren. Will sie die freien Gruppen und Initiativen in Anspruch nehmen, um den genannten Lernprozeß in der Bürgerschaft zu fördern, dann dürfen die Gruppen nicht den größeren Teil ihrer Energie und Phantasie für ihr eigenes Überleben verbrauchen müssen. Darum unter-
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Jürgen Schroer
stützt die Landesregierung die Gruppen einerseits, indem sie einzelne Kleinprojekte ihrer überseeischen Partner fördert, andererseits indem sie die Tätigkeit von hauptamtlich hier arbeitenden Fachkräften ("Eine-Welt-Promotoren bzw. Promotorinnen") finanziell absichert. Beides trägt ihr immer wieder herbe Kritik, nicht nur von Seiten der parlamentarischen Opposition, ein: Einerseits wird ihr vorgeworfen, sie verschwende Mittel durch Verzettelung in Kleinprojekten an vielen Orten der Erde statt sie auf wenige Vorhaben möglichst in nur einem Land in Übersee zu konzentrieren (wie es z.B. Rheinland-Pfalz in Ruanda tut), andererseits möchte man lieber alle verfügbaren Mittel für Projektförderung in Übersee einsetzen, nicht aber ebenso zur Förderung von Verständnis und Lernprozessen im eigenen Lande. Es ist m.E. nicht nur die Knappheit der verfügbaren Mittel, die nicht erlaubt, beides zu tun, sondern es entspricht einer sinnvollen Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern, die Förderung von Verständnis und Lernprozessen im eigenen Land als Landesaufgabe ernst zu nehmen. Am Beispiel: daß aus Haushaltsmitteln des Landes Nordrhein-Westfalen eine Windkraftanlage für eine landwirtschaftliche Genossenschaft irgendwo in Peru mitfinanziert werden soll, ist kaum überzeugend zu begründen. Wenn aber mit dieser Finanzierung eine ostwestfälische Gruppe darin bestärkt wird, im beständigen Austausch mit ihrem peruanischen Partner daran zu arbeiten, daß mehr Ostwestfalen zu verstehen lernen, wie Wohlstand hier und Verarmung in Peru (und anderswo) auf eine komplizierte Weise zusammenhängen, dann trägt das zu der „Bewußtseinsbildung" bei, die das Land fördern möchte und auf deren Gelingen der Bund angewiesen ist, wenn er Eine-Welt-Politik nicht gegen den Willen der Bürgerschaft betreiben will. Zu dieser "Bewußtseinsbildung" sollen auch die Fachkräfte beitragen, die, übers Land verteilt, als Promotorinnen und Promotoren tätig sind, also Gruppen beraten und neue Personenkreise ins Gespräch ziehen. Ob und wie das Vorhaben gelingt (es hat erst im Juli 1996 begonnen) muß abgewartet werden. Wer es aber von vornherein als verfehlt ablehnt, muß nach den Motiven fragen. Erfahrungen, die große Hilfswerke ebenso gemacht haben wie örtliche Gruppen, haben gezeigt, daß manche potentielle Förderer sich verweigern, wenn sie aufgefordert werden, nicht nur Opfern zu helfen, sondern sich auch über Ursachen der Verelendung oder der Katastrophen Gedanken zu machen: Die Bereitschaft zu spenden kann offenbar mit einer Weigerung zu lernen korrespondieren. Wo Eine-Welt-Politik als eine Art internationaler Sozialhilfe des Nordens für den Süden mißverstanden wird, liegt es nahe zu meinen, es genüge, den Opfern zu helfen. Dies Konzept ist zwar längst widerlegt, aber Rückfälle, in NRW wie in allen anderen deutschen Ländern, werden überall dort auf fatale Weise erleichtert, wo Politik praktisch auf die Sorge um die Erhaltung vorhandener Arbeitsplätze um fast jeden Preis reduziert wird: Dort wird der
Entwicklungspolitik in Castrop-Rauxel und anderswo
Versuch, Eine-Welt-Politik als Querschnittsaufgabe begreifen, nahezu chancenlos.
aller Politikfelder
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zu
Der Vollständigkeit halber müssen noch zwei Faktoren genannt werden, die zum Programm der Landesregierung gehören: - der "konkrete Friedensdienst" - junge Erwachsene lernen durch Beteiligung an Arbeitsvorhaben überseeischer Partner deren Alltag kennen, - die Zeitung "Forum Eine Welt", von Gruppen mitgestaltet, vierteljährlich ca. 18.000 Exemplare kostenlos verteilt. "Verzicht ist nicht mehrheitsfähig - mit diesem Wort bewegen Sie nichts" warnte mich vor kurzer Zeit der Geschäftsführer einer großen Agentur, die mit dem Versprechen, dem Hunger in der Welt abzuhelfen, Spenden sammelte. Daß die Verdächtigung des Verzichts schon einmal deutsche Politik handlungsunfähig gemacht hatte, war anscheinend vergessen. Aber so wie die Verdächtigung des Verzichts die Weimarer Republik auf ihrer Suche nach Frieden mit dem Nachbarn gelähmt hatte, so ist die Verdächtigung eines Verzichts um des Ausgleichs zwischen dem Norden und dem Süden willen ebenso in der Lage, die notwendige Initiative politischer Vernunft zu lähmen. Verzicht als Äußerung politischer Vernunft, als Zeichen von Solidarität, und als Äußerung von Liebe zum Nächsten trägt keine Büßermiene zur Schau. Sie läßt sich nicht zu einer Art entwicklungspolitischer Prügelpädagogik verleiten. Auf der Suche nach einer Eine-Welt-Politik treffen sich die Argumente politischer Vernunft und der Solidarität mit denen der Nächstenliebe. Als Ministerpräsident Johannes Rau 1990 in seiner Regierungserklärung das Lernziel formulierte, wichtiger als mehr zu geben sei es zu lernen, weniger zu nehmen, sprach er von einer Erwartung an alle Bürgerinnen und Bürger, Christen wie Nichtchristen, traute er sich und seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu, um der eigenen Zukunft und um der Zukunft der Kinder willen Abschied von der Unvernunft unserer Wünsche nehmen zu können.
Volker Lohse]
KOMMUNALE PARTNERSCHAFTEN 1. Einführung a) Thema im Kontext des Seminars 2 Kommunale Partnerschaften führen politisch, ökonomisch, juristisch, publizistisch und in der öffentlichen Diskussion ein Schattendasein 3 ; so verwundert es auch nicht, daß sie von den an sich einschlägig arbeitenden Wissenschaftlern stiefmütterlich behandelt werden. Zwar werden sie jetzt (u.a.) in einem der gängigen Kommentare zum Grundgesetz 4 und in zwei Lehrbüchern des K o m munalrechts 5 kurz behandelt, aber das sind die berühmten Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Besonders wenig bekannt sind kommunale
Nord-Süd-Partner-
schaften, also Partnerschaften deutscher Kommunen mit Gemeinden oder Ge-
Prof. Dr. Volker Lohse, Bielefeld, begleitet seit 1985 wissenschaftlich und praktisch teilweise von Studenten unterstützt- die kommunale Partnerschaft der westfälischen Stadt RhedaWiedenbrück mit den in Mitteltogo gelegenen Ämtern (cantons) Aouda und Adjengré; er wirkt auch im Rahmen der kommunalen Dreieckspartnerschaft Bielefeld (Senne) - Concameau (Bretagne) - Mbour (Senegal) mit. Von 1992 bis 1995 war er im Rahmen der deutschen Technischen Zusammenarbeit als Rechtsberater des Premierministers der Republik Niger tätig. Als Kurzzeitberater baute er das Menschenrechtszentrum (MRZ) in Bujumbura (Burundi) mit auf und half/hilft bei der Schaffung der Rechtsgrundlagen ftlr die Dezentralisierung in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). 2 Dieser Aufsatz enthält die erweiterte, annotierte Fassung des Vortrags, den der Verfasser am 25. April 1997 in Berlin auf dem Seminar Entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und der DDR der Gesellschaft für Deutschlandforschung gehalten hat. 3
Während es einige brauchbare Untersuchungen mit Vergleichen der Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gibt (etwa Baske/Zieger: Die Dritte Welt und die beiden Staaten in Deutschland, Jahrbuch 1982 der Gesellschaft ftir Deutschlandforschung, Stuttgart 1983; Spanger/Bock: Die beiden deutschen Staaten in der Dritten Welt, Opladen 1987), fehlen entsprechende Publikationen für kommunale Partnerschaften, die von Kommunen in der BRD und -in weit geringerem Umfang- von Gemeinden der DDR (z. B. von Dresden mit Bombay) eingegangen wurden, soweit ersichtlich völlig. 4 5
Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG-Komm., Art. 28 GG Rdnr. 38.
Gern, Alfons, Deutsches Kommunalrecht, Baden-Baden 1994, S. 66 ff. (Rdnr. 71 ff.); Waechter, Kay, Kommunal recht, 2. Auflage, Köln pp. 1995, S. 41 ff. (Rdnr. 071 ff.).
Volker Lohse
58
meindeverbänden in Entwicklungsländern 6 , die auch als schaften
Entwicklungspartner-
bezeichnet werden. Sie sollen deshalb hier etwas näher untersucht
werden. Angesichts der Globalisierung vieler Probleme aus Politik, Wirtschaft, Recht, Kultur, U m w e l t etc., fur den die Kirchen 7 den etwas idealisierenden, aber einprägsamen und zutreffenden B e g r i f f v o m "Leben in der Einen Welt" gefunden haben, kann man den lokalen Bezug vieler Fragen des Friedens, der europäischen Einigung, der Demokratisierung und Verrechtsstaatlichung von Staaten (z.B. des ehemaligen Sowjetblocks), aber auch der Umweltprobleme, der Entwicklungspolitik und der Entwicklungszusammenarbeit nicht übersehen. Global
denken,
lokal
handeln
ist
dafür
seit einigen
Jahren
die
viel
gebrauchte, griffige Formel.
6
Eine Begriffsbestimmung von Entwicklungsländern versucht das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) herausgegebene Journalisten-Handbuch Entwicklungspolitik 1996, Bonn 1996, S. 284 ff. und versteht unter dem Begriff, der sich seit den fünfziger Jahren in Deutschland einprägte, Länder mit ungenügender Versorgung mit Nahrungsmitteln, niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, schlechter Gesundheitsversorgung, zu wenig Bildungsmöglichkeiten, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Lebensstandard bei oft extrem ungleicher Verteilung der vorhandenen Güter und Dienstleistungen, deren Wirtschaft geprägt ist von einer Struktur, die einerseits in traditionellen Formen (vornehmlich in der Landwirtschaft) verharrt und andererseits über einen modernen Sektor (meist im Industriebereich) verfügt; Entwicklungsländer sind oft gekennzeichnet von Kapitalmangel für Investitionen, von wachsenden außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten aufgrund hoher Verschuldung bei gleichzeitigem Verfall der Exporterlöse und anderen wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Näher zur Struktur von Entwicklungsländern (u.a.): Kaiser/Wagner: Entwicklungspolitik, 2. Aufl., Bonn 1988, S. 16 ff. und passim. Man muß sich bei der Verwendung des Begriffs Entwicklungsländer darüber klar sein, daß man von der großen Mehrzahl der etwa 200 Staaten der Erde spricht; neben den wenigen Staaten der 1. Welt der Industrieländer und der 2. Welt der noch kommunistischen Staaten bilden sie die 3. Welt. Von den Ländern an der Schwelle zur Industrialisierung reicht ihr buntes Bild bis zu den ärmsten Ländern des Planeten, die oft als 4. Welt bezeichnet werden (vgl. bereits Fritsch, Bruno, Die Vierte Welt, Stuttgart 1970, passim); diese etwa 50 ärmsten Länder werden nach einem von den Vereinten Nationen (VN) 1971 eingeführten Begriff als least developed countries (LLDC) bezeichnet. Vgl. auch den Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, BT-Dr. 13/3342, Bonn 1995; Cassen, Robert u.a.: Entwicklungszusammenarbeit. Fakten - Erfahrungen Lehren, Bern und Stuttgart 1990; Klemp, Ludgera: Entwicklungshilfekritik, Bonn 1988; Matthies, Volker (Hrsg.): Kreuzzug oder Dialog. Die Zukunft der Nord-Süd-Beziehungen, Bonn 1992; Nohlen/Nuscheler: Handbuch der Dritten Welt, bes. Band 1 : Grundprobleme, Theorien, Strategien, 3. Auflage, Bonn 1992; Wolff, Jürgen H.: Entwicklungspolitik - Entwicklungsländer. Fakten Erfahrungen - Lehren, München und Landsberg am Lech 1995. 7
Bereits 1948 nannte der Ökumenische Rat der Kirchen in Genf, dem außer der römischkatholischen Kirche alle bedeutenden christlichen Kirchen angehören, eine Zeitschrift "One World". 8
Vgl. statt vieler Brock, Lothar, Dritte Welt weltweit, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E + Z) 1997, S. 128 ff.
59
Kommunale Partnerschaften
Speziell
zu entwicklungspartnerschaftlichen
kommunalen
Verbindungen
wurden bereits mehrere, teilweise in "grauer Literatur" 9 dokumentierte, Tagungen, Seminare oder Workshops durchgeführt, z. B. in der Evangelischen A k a demie in Iserlohn in den Jahren 1986, 1987 10 Beckum die Hochschultage 1989, fur Europäische Partnerschaften
13
1988 u
1991 12 und 1996, in
in Wetzlar die 14. Fachtagung des Instituts
und internationale Zusammenarbeit
1991, in Remagen die Fachkonferenz Kommunale
(IPZ)
Entwicklungszusammen-
arbeit des IPZ in Zusammenarbeit m i t dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) 1994 14 und in Bonn von den Nord-Süd-Foren 1996 15 . Viele dort erörterte Themen, Argumente, Postulate sind heute Gemeingut. U n d auch Rechtstheorie und Rechtspraxis dazu entwickelten sich positiv, d.h. in die richtige Richtung weiter. Rechtliche Hindernisse, etwa i m Bereich der Kommunalaufsicht,
wurden
abgebaut, positive
Entwicklungen
Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz 1994 16 und durch das nordrhein-westfälische 1996 , das zur Ermutigung
(MPK)
fortgesetzt,
etwa
mit
in Dessau i m Jahre
Gemeindefinanzierungsgesetz
der K o m m u n e n zu eigenem Engagement
in
9
Aus diesen zahlreichen Veröffentlichungen, die -soweit ersichtlich- bisher nirgendwo gesammelt und bibliographiert wurden, sollen hier nur zwei zitiert werden: Chodinski/Glagow, Sinn und Unsinn örtlicher Entwicklungshilfe, Bielefeld 1988; Fischer/Frey/Paziorek (Hrsg.), Vom Lokalen zum Globalen, Düsseldorf 1990. 10
Begegnung mit der Dritten Welt in jeder Gemeinde, Tagungsprotokoll 100/87, Iserlohn 1987. 11 Vgl. den Tagungsbericht von Lohse: Rechtliche Aspekte der kommunalen Nord-Süd-Arbeit, in: Deutsche Verwaltungspraxis (DVP) 1989, S. 291 ff. 12
Vgl. den Tagungsbericht von Danckwortt, Basisgruppenarbeit statt Bürgermeisterreisen, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E + Z) 1992, S. 12 f. 13
Vom Lokalen zum Globalen -Eine Herausforderung für die Kommunen, Düsseldorf 1990.
14
Seminarbericht von Woesler/Utz/Steiner, Bonn 1994 (maschinenschriftlich). Der RGRE wurde als Rat der Gemeinden Europas (RGE) bereits 1951 gegründet. Vgl. den Tagungsbericht von Lohse, Nord-Süd-Foren tagten in Bonn, in: Deutsche Verwaltungspraxis (DVP) 1997, S. 109 f. 16
Um die positive Veränderung der Einstellung der Länder zu den kommunalen Partnerschaften ihrer Gemeinden/Gemeindeverbände, die aufgrund geduldiger Arbeit der Betroffenen erfolgte, nachvollziehen zu können, muß man sich die früheren Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz und der Innenministerkonferenz, besonders ihres Arbeitskreises (AK) III, ansehen, vgl. etwa den Beschluß der Ministerpräsidenten von 1962 oder den Beschluß des AK III vom 3./4. April 1962, in: v. Schwanenflügel, Entwicklungszusammenarbeit als Aufgabe der Gemeinden und Kreise, 1993, S. 106. 17 vom 20.März 1996 (GVB1. S. 124); vgl. dazu den Erlaß des Innenministeriums und des Finanzministeriums des Landes Nordrhein- Westfalen vom 10. Juli 1996 III Β 2 - 52.40.50 7740/96 mit Bezug auf den Runderlaß des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. Dezember 1994 III A 2 - 11.90.60 - η. v.
Volker Lohse
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kommunaler Entwicklungspartnerschaft entsprechende Aktivitäten mit 50 Pfennig/Einwohner im Jahre 1996 förderte und dafür insgesamt 9 Millionen D M im Landeshaushalt bereitstellte 18. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), das sich als erster Oberster Gerichtshof des Bundes (Art. 95 Abs. 1 GG) 19 mit kommunalen Partnerschaften beschäftigte, stellte im Jahre 1990 (BVerwGE 87, S. 237 (238)) dazu fest: "Der Anerkennung internationaler Partnerschaften als Angelegenheiten des durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG erfaßten örtlichen Wirkungskreises der Gemeinde steht nicht entgegen, daß eine internationale Städtepartnerschaft grenzüberschreitend wirkt. Örtliche Aufgaben werden auch sonst nicht allein dadurch zu überörtlichen, daß die Gemeinde sie in Zusammenarbeit mit einer anderen Gemeinde erfüllt." Daß diese Auslegung der Garantie kommunaler Selbstverwaltung richtig ist, zeigt auch ein einfaches Beispiel: Seit vielen Jahren betreibt ein städtisches Gymnasium in Bielefeld auf der ostfriesischen Insel Juist ein Schullandheim und allseits wird mit Recht angenommen, daß es sich um eine örtliche Angelegenheit der Stadt Bielefeld handelt. Auch wurde die Beteiligung von Kommunen an internationalen Verbänden, etwa der International Union of Local Authorities (IULA) und dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) als im Rahmen der gemeindlichen Aufgaben/Kompetenzen liegend allseits akzeptiert. 20 b) Begriffsbestimmung Der Begriff kommunale Partnerschaft kennzeichnet eine spezifische interkommunale Aktionsform, bei der es um die Verwirklichung von Belangen lokal gemeinnütziger Art geht. Partnerschaft 21 besagt, daß sich die Beteiligten als Teil eines Ganzen erkennen, von denen keiner beansprucht, für sich allein das Ganze zu sein. Ebenso wie im interpersonalen Bereich, aus dem der Partnerschaftsbegriff stammt, soll er eine solche interkommunale Beziehung 18
Nach Auskunft des zuständigen Beauftragten der Staatskanzlei in Düsseldorf, Jürgen Schroer, in Berlin am 25. April 1997 anläßlich des Seminars der Gesellschaft für Deutschlandforschung wurden die Mittel des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1996 (s.o. Fn.. 17) nahezu vollständig in Anspruch genommen. 19
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich wiederholt mit der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auseinandergesetzt, z.B. in BVerfGE 8, S. 122; (Gemeindliche Volksbefragungen); 79, 127 (151 f.) (Rastede-Beschluß), hatte aber keine Gelegenheit, zu kommunalen Partnerschaften Stellung zu nehmen, vgl. Heberlein,Horst, Die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG zur "kommunalen Außenpolitik", in: NVwZ 1992, S. 543 ff. 20
Vgl. statt vieler: Schneider, Das Rathaus, 1987, S. 410.
Vgl. statt vieler: Meyers, Paul: Bilanz und Perspektiven der Partnerschaften zu Gemeinden und Regionen, S. 2 f.
Kommunale Partnerschaften
61
zugleich beschreiben und realisieren helfen, die anstelle bloß partieller Interessenidentität von Werten wie freundschaftlicher Verbundenheit und dauerhafter Zusammengehörigkeit geprägt ist 22 Bei den kommunalen Partnerschaften handelt es sich um vereinbarte Freundschaftsverhältnisse zwischen zwei oder mehreren Gemeinden oder Gemeindeverbänden verschiedener Nationalitäten mit dem Ziel, die ständige (gast-) freundschaftliche Beziehung ihrer Bürger und von deren Vereinigungen zu ermöglichen und zu fördern und durch gegenseitige Verständigung das Gefühl der Zusammengehörigkeit -sowie im europäischen Bereich besonders das Gefühl der europäischen Einheit- zu schaffen*· Kommunale Partnerschaften sind durch einen gewissen Grad an Formalisierung gekennzeichnet, der u.a. zur Dauerhaftigkeit der Beziehungen beitragen soll. In der Regel wird die Partnerschaft förmlich vom Rat der Gemeinde beschlossen; es werden Partnerschaftsurkunden unterzeichnet und ausgetauscht.24 Die beschriebene Tätigkeit der Kommunen segelte bis vor einigen Jahren unter der mißverständlichen Flagge der "Kommunalen Außenpolitik" 25 , mißverständlich, weil die Pflege der auswärtigen Beziehungen nach Art. 32 Abs. 1 GG als Teil der auswärtigen Gewalt eine Kompetenz des Bundes beinhaltet (vgl. auch fur die Gesetzgebung Art. 73 Nr. 1 GG). Allerdings kann man bezüglich
Leitfaden für die Partnerschaftsarbeit, hrsg. v. Rat der Gemeinden und Regionen Europas/Deutsche Sektion, Düsseldorf 1990, S. 6; vgl. auch: Handbuch für die Praxis der Partnerschaftsarbeit (Loseblatt-Ausgabe), hrsg. von Woesler/v. Lennep für den Rat der Gemeinden Europas/Deutsche Sektion, Düsseldorf o.J., passim. 23
Vgl. Löwer, a.a.O. Fn 4.
24
Ausnahmsweise werden auch korrespondierende Schreiben von den Partnerkommunen gewechselt. 25
Vgl. aus der Literatur dazu z.B. Blumenwitz, Dieter, Kommunale Außenpolitik, in: v. Mutius, Albert (Hrsg.), Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft: Festschrift für Georg v. Unruh, Heidelberg 1983, S. 759 ff; Deutsches Institut ftir Urbanistik (Difu): Kommunale "Außenpolitik" -Zur Auslandsarbeit der Gemeinden und zu den innerdeutschen Partnerschaften, Berlin 1989, passim; Gern, Alfons, Deutsches Kommunalrecht, Baden-Baden 1994, S. 66 ff. (Rdnr. 071 ff.); Heberlein, Horst, Die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG zur "kommunalen Außenpolitik", in: NVwZ 1992, S. 543 ff.; Koschnick, Handlungsspielraum kommunaler Außenpolitik, in: v. Kodolitsch, Paul (Hrsg.), Kommunale Außenpolitik, Berlin 1989, S. 123 ff.; Sticker, Johannes, Kommunale Außenpolitik, 2. Auflage, Köln pp. 1982, passim; Graf Vitzthum, Außenpolitik der Gemeinden?, in: Randelzhofer/Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt (1984), Berlin 1986, S. 75 ff.
Volker Lohse
62
der
kommunalen
Partnerschaften
von
kommunalen Außenbeziehungen
sprechen. Klarer Begrifflichkeit entspricht es, kommunale Partnerschaften als Oberbegriff fiir die Unterbegriffe Städtepartnerschaften, Partnerschaften von Gemeinden (ohne Stadtrechte) und Partnerschaften von Gemeindeverbänden (z.B. Kreisen) zu verwenden. 27 Früher wurden die Begriffe Partnerschaft und Patenschaft teilweise durcheinandergebracht. 28 Heute wird der Begriff Patenschaft in diesem Bereich zu Recht kaum mehr verwandt. Pate29 hat begrifflich bei aller positiven Bewertung der Übernahme von Mitverantwortung des Paten fur das Patenkind etwas Paternalistisches, das einer gesunden, gleichberechtigten Beziehung im kommunalen Bereich nicht dienlich ist. Heute30 verwendet man den Begriff Patenschaft praktisch nur noch fur die Übernahme von Einzelmaßnahmen in (Kommunen in) Entwicklungsländern, d.h. für Projektpatenschaften. c) Ziele Kommunale Partnerschaften erfreuen sich, bei allem quantitativen und qualitativen Auf und Ab, in Deutschland steigender Beliebtheit. Und europaweit forderte unlängst der Regionalausschuß des Europäischen Parlaments (EP), das Jahr 1998 zum Europäischen Jahr der lokalen Demokratie und der kommunalen Partnerschaften auszurufen.
26
So auch Mayer, Ernst Georg, Auslandsbeziehungen deutscher Gemeinden, Bonn 1986, passim. 27
Zwar bilden die Städtepartnerschaften die große Mehrzahl der kommunalen Partnerschaften, es existieren aber auch Partnerschaften von Gemeinden ohne Stadtrechte und von Kreisen. Daher ist es zumindest ungenau, den Begriff Städtepartnerschaften als Oberbegriff (und nicht etwa nur pars pro toto) zu verwenden, wie es das BVerwG in dem erwähnten Urteil des 7. Senats vom 14. Dezember 1990 (BVerwGE 87, 237 (238) und Andreas Hildenbrand in: Nohlen, Dieter (Hrsg.): Lexikon Dritte Welt, 2. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 626 f. (in seinen wenig erhellenden Ausführungen) tun. Waechter, Kay, Kommunalrecht, 2. Auflage, Köln pp. 1995, S. 41 (Rdnr. 071), verwendet den tautologischen Begriff "Kommunale Städtepartnerschaft". 28
z.B. von Fiedler, Klaus P., Patenschaften deutscher Städte und Gemeinden in Entwicklungsländern, in: Der Städtetag 1981, S. 826 ff. 29
abgeleitet vom lat. pater = der Vater.
30
Veraltet insoweit Gerhardt, Kurt: Kommunale Zusammenarbeit mit Partnern in Afrika, in: Fischer/Frey/Paziorek (Hrsg.): Vom Lokalen zum Globalen, Düsseldorf 1990, S. 175 (177 ff.). 31
Vgl. bereits: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Ein Europa der Städte und Gemeinden, Brüssel und Luxemburg 1991, passim.
Kommunale Partnerschaften
63
Die kommunalen Entwicklungspartnerschaften haben sich neben der Entwicklungszusammenarbeit der Vereinten Nationen (VN) (United Nations Development Programme (UNDP) 32 , United Nations Children's Fund (UNICEF) etc.), der Europäischen Gemeinschaft (EG) (Lomé IV-Abkommen 33 mit 70 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP-Staaten), Kooperationsbzw. Assoziierungsabkommen im Rahmen der Mittelmeerpolitik etc.)34 , der Bundesrepublik Deutschland (Technische Zusammenarbeit TZ 35 , Finanzielle Zusammenarbeit (FZ) 36 etc.) und der deutschen Länder (vgl. die Partnerschaft des Landes Niedersachsen mit dem Sudan, des Landes Rheinland-Pfalz mit Ruanda etc.) einen kleinen, aber unverwechselbaren komplementären Platz gesichert. Diese Position im Konzert der Entwicklungszusammenarbeit hängt nicht zuletzt mit den aus dem globalen Denken stammenden, sich im lokalen Bereich auswirkenden Zielen zusammen: Die deutschen Kommunen wollen zusammen mit ihren ausländischen Partnern -
die (weitere) Verständigung zwischen den Völkern fordern und damit (auch) den Frieden stärken, der Gerechtigkeit in ihrem Bereich zu dienen, die Einhaltung elementarer Menschenrechte fordern/fördern, die (Gast-) Freundschaft der Bürger und ihrer Organisationen begründen und befördern, - den kommunalen Erfahrungsaustausch initiieren bzw. intensivieren, - die kommunale Selbstverwaltung in verschiedenen Ländern stärken, 37 - die V^rwaltungskontakte fur die Lösung kommunaler Probleme herstellen, 38 32
Das UNDP gibt seit 1990 jährlich einen Bericht über die menschliche Entwicklung (Human Development Report -HDR-) heraus, dazu: Kaul, Inge, Der Index der menschlichen Entwicklung, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E + Ζ) 1996, S. 298 ff. 33
Das 4. Abkommen wurde in Lomé im Dezember 1989 unterzeichnet und trat am 1. September 1991 in Kraft; es gilt grundsätzlich für 10 Jahre (ausnahmsweise wurde das Finanzprotokoll dazu auf fünf Jahre beschränkt), vgl. BMZ: Lomé IV, Entwicklungspolitische Materialien Nr. 82, Bonn 1991 und Commission Européenne, La Coopération UE - ACP en 1995, Brüssel 1996, passim. 34
Vgl. zur Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Gemeinschaft: Hager/Noelke, Communauté - Tiers Monde, Le défi de l'interdépendance, 2. Auflage, Brüssel 1980. 35
Im wesentlichen über die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Eschborn. 36
Im wesentlichen über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt a.M.
Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Förderung der lokalen Selbstverwaltung und der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit, Wesseling 1992, passim; Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), Kommunale Nord-Süd-Arbeit, Bonn 1994, passim. 38
Zur Rolle der kommunalen Verwaltung vgl. Pitschas, Rainer (Hrsg.), Entwicklungsrecht und sozialökonomische Verwaltungspartnerschaft, Berlin 1994.
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- das Zusammenleben der europäischen Nationen unterstützen und - sich gegenseitig Hilfe leisten, d.h. internationale Solidarität stärken. Gerade dieses letzte Z i e l n i m m t bei den kommunalen Nord-Süd-Partnerschaften einen besonderen Raum ein, wobei die materielle Hilfe generell von N o r d nach Süd fließt, aber gegenseitiges Verstehen, interkultureller Dialog, sorgsamer Umgang m i t Menschen und Ressourcen keineswegs auf einer Einbahnstraße 39 erfolgt; die K o m m u n e i m Norden und ihre Einwohner können bei sorgfältigem Beobachten, Zuhören, Diskutieren und solidarischen Aktionen viel 40
über die Partner und über sich selbst lernen. Sie leisten zusätzlich einen wichtigen Beitrag zu entwicklungspolitischer Information und Bewußtseinsbildung in Deutschland, sind hier eine
lokale
kleine Lobby für die 5. Welt. Die "Bonner Erklärung" der 6. Bundeskonferenz der Nord-Süd-Foren
hob unlängst noch einmal die Bedeutung der kommuna-
len Nord-Süd-Arbeit hervor und machte Vorschläge zu deren Verbesserung 42
39
Vgl. etwa bereits: Jenny, Hans, Afrika kommt nicht mit leeren Händen, Stuttgart 1973, passim. 40
Deshalb kommt auch dem Ansatz der (Welt-) Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) vom 1.-10. Juni 1992 in Rio de Janeiro -kurz Rio-Konferenz genanntund ihrem Aktionsprogramm Agenda 21, d.h. für das 21. Jahrhundert, hohe Bedeutung zu: Im Kapitel 28 der Agenda 21, der lokalen Agenda 21, werden Gemeinden im Norden und im Süden verpflichtet, lokale Programme/Pläne für eine zukunftsbeständige Entwicklung ihrer Gemeinde aufzustellen; dabei können kommunale Partner für die Gestaltung der Zukunft voneinander lernen. 41
Nord-Süd-Foren sind lokale Nord-Süd-Netzwerke, d.h. örtliche Zusammenschlüsse von einschlägig interessierten bzw. tätigen Gruppen, von denen sich 50 bereits 1988 unter dem Einfluß der Nord-Süd-Kampagne Interdependenz und Solidarität von 30 Mitgliedsstaaten des Europarats gebildet hatten. Zu ihrer ersten Bundeskonferenz trafen sie sich noch 1988 im Rahmen des vom Nationalen Organisationskomitee der Nord-Süd-Kampagne des Europarats, der Deutschen Sektion des Rates der Gemeinden Europas und der Stadt Mainz veranstalteten Kongresses Kommunale Entwicklungszusammenarbeit (KEZ), der mit der "Mainzer Erklärung" vom 4. November 1988 endete. Die Nord-Süd-Foren erörtern ortsbezogene Nord-Süd-Themen, helfen bei der Verbesserung der Lage von Ausländern in Deutschland, arbeiten an der Ausweitung kommunaler und regionaler Entwicklungszusammenarbeit (Partnerschaften, Projekte etc.) mit und wollen die Nord-Süd-Informations- und -Bildungsarbeit voranbringen. Heute sind rund 100 Nord-Süd-Foren in Deutschland tätig. Daneben gibt es andere dezentral organisierte Nord-Süd-Netzwerke für globalen Wandel, z.T. mit besonderen Schwerpunkten, etwa in der Umweltpolitik. Eine (Basis-) Materialsammlung zur KEZ erstellte Schmid, Raimund in: epd-Materialien III/96, Frankfurt a.M. 1996. 42
Dabei ging die 6. Bundeskonferenz davon aus, daß eine aktuelle besondere Möglichkeit dafür in der Erarbeitung Lokaler Agenden 21 (s.o. Fn 34) durch engagierte Bürger/Einwohner von einzelnen Gemeinden oder durch Bürger-/Einwohnervereinigungen besteht.
Kommunale Partnerschaften
65
d) Zahlen zu kommunalen Partnerschaften In unserer statistikbeflissenen Gesellschaft erstaunt es, daß sichere Zahlen zu kommunalen Partnerschaften bisher nicht vorliegen; selbst ihre genaue Zahl ist nicht bekannt. Insgesamt dürften deutsche Gemeinden/Gemeindeverbände etwa 4200 kommunale Partnerschaften eingegangen sein,43 davon über 3119 in Westeuropa (überwiegend mit französischen Kommunen) 44 , über 530 in Osteuropa, über 55 in Afrika, über 159 in Amerika (überwiegend in Mittel- und Südamerika), über 146 in Asien und eine in Australien; 45 von diesen Partnerschaften sind etwa 370, d.h. nicht einmal 10%, Nord-Süd-Verbindungen. Gemessen an der Zahl von insgesamt etwa 17000 Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland mag die Zahl der kommunalen Partnerschaften klein erscheinen, vor allem angesichts der Tatsache, daß einige Kommunen mehrere Partnerschaften haben, z.B. Köln: 19, Frankfurt a.M.: 13, die große Mehrzahl dagegen keine. Es gibt aber diverse -vor allem finanzielle- Gründe zu erklären, warum die Zahl der von deutschen Kommunen eingegangenen Partnerschaften nicht größer ist. Und im internationalen Vergleich schneidet Deutschland gut ab. Wie weit die vorhandenen kommunalen Partnerschaften (noch) mit Leben erfüllt sind, geht aus den Zahlen naturgemäß nicht hervor. 46 Daß kommunale Süd-Partnerschaften schwerer mit Vitalität zu erfüllen sind als z.B. WestPartnerschaften, erhellt aus Problemen unterschiedlicher Kulturen, Sprachen
43
Zu den wichtigen deutsch-deutschen kommunalen Partnerschaften, von denen vermutet werden kann, daß sie einen kleinen Beitrag zur Demokratisierung in der DDR geleistet haben, wird hier entsprechend dem Seminarthema nicht Stellung genommen; vgl. dazu: von Weizsäcker, Marianne Beatrice, Deutsch-deutsche Städtepartnerschaften 1986 - Januar 1990: Bestandsaufnahme und rechtliche Würdigung (Göttinger rechtswissenschaftliche Dissertation), Göttingen 1990. 44
Näher: Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE)/Deutsche Sektion (Hrsg. Redaktion Dietmar M. Woesler), Deutsch-französische Städtepartnerschaften, Bonn 1995, passim. 45
Diese Zahlen sind der Auflistung des Deutschen Städtetags entnommen: Leitermann, Walter: Die Partnerschaften der Städte, Gemeinden und Kreise, 3. Auflage, Köln 1993. Daß diese Liste unvollständig ist, zeigt schon das Beispiel der Stadt Rheda-Wiedenbrück, die vier kommunale Partnerschaften (mit Heiligenstadt (Thüringen), Oldenzaal (Niederlande) (ausgedehnt auf Biriwa (Ghana)), Aouda/Adjengré (Togo) und Palamos (Spanien) eingegangen ist, aber in der Liste gar nicht auftaucht. Vgl. ferner: Handbuch für Internationale Zusammenarbeit, Bonn 1980, II D 49 15, 21; Kamps, Marlies, 3000 Städtepartnerschaften und Städtefreundschaften, in: Der Städtetag 1989, S. 563 und Institut für europäische Partnerschaften und internationale Zusammenarbeit (IPZ) (für das BMZ), Kommunale Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 1992. 46 Vgl. Grunert, Thomas, Langzeitwirkungen von Städtepartnerschaften, Kehl a.R. und Straßburg 1981, passim. 5 Bücking
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etc. sowie der großen räumlichen Entfernung Kommune und der Partnerkommune im Süden.
zwischen der deutschen
Der finanzielle Aufwand aller deutschen Kommunen für ihre Partnerschaften/Partnerkommunen im Süden beträgt etwa 6 - 7 Millionen D M im Jahr. Insgesamt wenden Bund, Länder, private Träger etc. in Deutschland für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit jährlich 15 Milliarden D M auf. Allein für Stadtentwicklung in Entwicklungsländern investiert der Bund in diverse Projekte 855 Millionen D M p.a. Daneben erscheinen die finanziellen "Anstrengungen" der Kommunen unbedeutend. Es ist aber bereits darauf hingewiesen worden, daß die Bedeutung der kommunalen Nord-Süd-Arbeit weitgehend in anderen Bereichen liegt; e) Entstehung kommunaler Partnerschaften Die Frage, wie es zu den einzelnen kommunalen (Nord-Süd-) Partnerschaften kam, läßt sich nicht einheitlich beantworten. Auf der deutschen Seite steht fast immer das Engagement einzelner Menschen oder einzelner Gruppen am Anfang solcher Verbindungen. Dafür ist das Beispiel der Stadt Rheda-Wiedenbrück recht typisch: Den Anstoß gab die Aktion Dritte Welt der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden der Stadt.47 Sie wandten sich im Oktober 1975 in einem Schreiben an den Rat der Stadt Rheda-Wiedenbrück und baten um einen Zuschuß für ihre Aktion für notleidende Menschen in der 3. Welt. Da die Stadt aber nicht, wie im kommunalen Finanz- und Haushaltsrecht vorgeschrieben, den Einsatz solcher finanzieller Mittel bestimmen und kontrollieren konnte, entschloß sich der Haupt- und Finanzausschuß des Rats mit 15 Ja- und 1 Neinstimme bei 1 Enthaltung, d.h. fast einstimmig, 48 im Haushalt für 1976 bei der Haushaltsstelle
Gochermann, Martina und Christiane Marks haben 1991 diese Partnerschaft in einer Seminararbeit untersucht und dabei die von der Stadtverwaltung (Hauptamt) geführten Akten (Briefwechsel, Berichte von Reisenden etc.), Presseberichte und mündliche Berichte von Beteiligten ausgewertet (maschinenschriftlich); zur Entstehung und Entwicklung der Partnerschaft von 1975 bis 1992 ebda. S. 79 ff. 48
Die folgenden Beschlüsse des Haupt- und Finanzausschusses bzw. des Rates zu dieser Partnerschaft/diesen Partnerschaften erfolgten -soweit ersichtlich- bis heute einstimmig. Das ist für den Fall eines politischen "Machtwechsels" im Rat von Bedeutung. (Manche kommunale Nicaragua-Partnerschaften z.B. haben unter Machtwechseln in deutschen oder nicaraguanischen Partnerkommunen gelitten, obwohl doch auch sie zum Wohle aller Bürger abgeschlossen wurden. Das war auch bei der hessischen Stadt Mörfelden-Walldorf zu bedenken, die ihre Partnerschaft mit der Stadt Vitrolles in Südfrankreich nach dem dortigen Wahlsieg der Nationalen Front im Februar 1997 "vorerst unterbrochen hat", weil die Ziele der dortigen Bürgermeisterin Cathérine Mégret und ihrer Ratsmehrheit "den Inhalten der Städtepartnerschaft und dem rechtsstaatlichen
Kommunale Partnerschaften
67
00.633 "Pflege partnerschaftlicher Beziehungen" 3000 D M für eigene "Entwicklungshilfe" bereitzustellen. Es wurden alle dem Rat bekannten, in Entwicklungsländern auf Posten befindlichen Entwicklungshelfer/-experten aus Rheda-Wiedenbrück angeschrieben. Die Antworten wurden von interessierten Rats- und Verwaltungsangehörigen ausgewertet; ausgewählt wurde das Amt (canton) Aouda in Mitteltogo, für das sich der damals dort für das UNDP tätige Entwicklungshelfer Johann-Heinrich Brüning eingesetzt hatte; er ist auch jetzt noch einer der "Motoren" dieser Partnerschaft. Es folgte ein partnerschaftsbegründender Briefwechsel unter Einschaltung des Auswärtigen Amts und der deutschen Botschaft in Lome. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) erklärte mit Schreiben vom 16. Dezember 1976 das entwicklungspolitische Vorhaben der Stadt für aus seiner Sicht sinnvoll. Das erste Schreiben des Amtsbürgermeisters von Auda (Chef de Canton d'Aouda), Yélébidjo Badabou, der bis heute im Amt ist, datiert vom 14. November 1976. Aufgrund einer Untersuchung des Verf. 49 von 1986 wurde die Partnerschaft zuerst provisorisch, später auf Dauer auf das südliche Nachbaramt von Aouda, Adjengré, ausgedehnt. 2. Nord-Süd-Beziehungen deutscher Kommunen a) Notwendigkeit kommunaler Entwicklungspartnerschaften Ohne auf die seit Jahren im Gange befindliche Grundsatzdiskussion über Notwendigkeit oder Überflüssigkeit, Sachgerechtigkeit oder Erfolglosigkeit von Entwicklungszusammenarbeit hier eingehen zu können, bleibt nüchtern festzustellen, daß -wie oben bereits angedeutet- Vereinte Nationen, Europäische Gemeinschaft, Bundesrepublik Deutschland und deutsche Länder sowie Nichtregierungsorganisationen (NRO), Einzelprojekte, ja sogar einzelne Menschen50 versuchen, durch Entwicklungszusammenarbeit in/mit Entwicklungsländern Armut und Hunger zu bekämpfen, Rahmenbedingungen in diesen Ländern für deren Entwicklung zu verbessern (z.B. Demokratisierung und VerrechtsstaatSelbstverständnis" der deutschen Partnerstadt widersprächen wie Bürgermeister Brehl (SPD) nach einem einstimmigen Beschluß der Stadtverordnetenversammlung am 25. 2. 1997 erklärte.) 49
Den (letzten) Anstoß für das eigene Engagement des Verf. (u.a.) für diese Partnerschaft gab 1985 ein Hinweis eines Studenten in der Lehrveranstaltung zur deutschen Verfassungsgeschichte der Neuzeit mit der Behandlung der überseeischen Expansion des Kaiserreichs von 1884 bis 1918. Der Student zog eine gewagte Verbindung zu dem mediengeborenen, schnell verpufften "Tag von Afrika" und fragte, ob man nicht selbst im Kleinen, aber zukunftsorientierter und nachhaltiger helfen könne. Der Stadtdirektor von Rheda-Wiedenbrück nahm diese unentgeltliche Hilfe dankend an. Mehrere Besuche des Verf. in Aouda und Adjengré, davon zwei (1986 und 1992) mit Studenten, dienten der Intensivierung der Partnerschaft. 50
Ein Beispiel privater Entwicklungshilfe, die "Mindener Hilfe für Burkina Faso" (Eheleute Panthenius) untersuchte Berndt Bornemann (Seminararbeit), Bielefeld und Minden 1996, passim. 5*
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lichung 51 zu fördern), Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, Frauen- und Jugendförderung zu betreiben, gemeinsam die Schuldenkrise zu meistern, Katastrophenhilfe zu leisten etc. Ohne daß diese vielfältigen Bemühungen bis heute hinreichend koordiniert sind,52 haben sie alle ihren Stellenwert. Braucht man daneben also keine kommunalen Entwicklungspartnerschaften mehr? Falsch! Man braucht sie dringend als komplementäre Kraft. 53 - Einmal besteht weitgehend Einigkeit, daß die gesamte Entwicklungshilfe aller Geber noch viel zu gering ist und daß die Wohlstandsschere zwischen Nord und Süd immer mehr auseinandergeht.54 - Zum anderen erfüllen kommunale Nord-Süd-Partnerschaften begrüßenswerte komplementäre Aufgaben zu den Bemühungen der anderen Geber, d.h. sie werden in Bereichen tätig, die multinationale, staatliche oder private Hilfe/Kooperation nicht oder nicht so sachgerecht erreicht. - Schließlich leistet sie einen lokalen Beitrag vor allem in der Partnerkommune im Norden zur Bewußtseinsbildung in der Einen Welt. 55 Bohnet56 formulierte das so: "Das vielfaltige entwicklungspolitische Engagement auf kommunaler Ebene bildet aus zwei Gründen eine unverzichtbare Ergänzung der Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Erstens trägt es durch entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit und Bewußtseinsbildung dazu bei, eine breite gesellschaftliche Grundlage für die Entwicklungspolitik und ein gemeinsames Verantwortungsgefühl der Menschen für die ganze, die Eine Welt zu 51
Vgl. statt vieler: Heinz, Wolfgang S.: Menschenrechte und Dritte Welt, Frankfurt a. M. 1980, passim m.w.N. 52
Vgl. statt vieler: Röscheisen, Roland (Hrsg.): Nord-Süd-Politik an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, Unkel 1994, passim m.w.N. 53
So bereits die Enquête-Kommission Verfassungsreform: Sie hielt in ihrem Schlußbericht (BT-Dr 7/5924, S. 232) kommunale Partnerschaften für "sehr begrüßenswert". 54
Das läßt sich leicht an der Mehrzahl der 52 afrikanischen Staaten nachweisen, von denen 35 von den VN zu den LLDC gezählt werden und mehrere ein niedrigeres Bruttosozialprodukt pro Kopf aufweisen als bei der Erlangung der Unabhängigkeit. Süd-Korea, das noch 1960 mit Bangladesch gleichauf rangierte, erbringt heute eine Wirtschaftsleistung, die der von ganz Afrika südlich der Sahara entspricht (Brock, Lothar, Dritte Welt weltweit, in: Ε + Ζ 1997, S. 128 (129). Vgl. das Kurzprotokoll der 21. Sitzung des Bundestags-Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Entwicklungspolitische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit 29. November 1995 (Prot. Nr. 13/21). Das gilt beispielsweise für den Schulunterricht in der deutschen Partnergemeinde, vgl. World University Service (WUS), Der Nord-Süd-Konflikt Bildungsauftrag für die Zukunft, 2. Auflage, Wiesbaden 1991, passim. 56
Bohnet, Michael: Kommunale Entwicklungszusammenarbeit im Kontext der Entwicklungspolitik der Bundesregierung, Vortrag in Vertretung des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn am 13. September 1996, maschinenschriftlich, hier: S. 1 f.
vom
Kommunale Partnerschaften
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schaffen... Der zweite Aspekt für die Bundesregierung, unter dem die Mitwirkung der lokalen Ebene unverzichtbar ist, sind Demokratisierung und Dezentralisierung. Eine Demokratisierung, die sich nicht in Wahlen erschöpft, sondern tatsächlich auf einem politischen Bewußtsein und dem Engagement aller Bürger aufbaut, bedarf auch in den Entwicklungsländern einer breiten gesellschaftlichen Basis und des Einsatzes kleiner Gruppen und des einzelnen. Stadt- und Landschaftsplanung, Umwelt-, Wasser- und Gewässerschutz, Straßenbau, Gesundheitsversorgung, öffentliche Schulen, Kunst und Kultur sowie vieles mehr funktionieren am besten, das hat uns unsere Erfahrung gelehrt, wenn sie dezentral organisiert sind und die Städte und Gemeinden Mitwirkungsrechte haben. Da bei uns die Kommunalverwaltungen das entsprechende Fachwissen haben, brauchen wir in der Entwicklungszusammenarbeit ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen mit Partnern in den Entwicklungsländern zu teilen." Daß das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der kommunalen partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit einen so "hohen Stellenwert" (Bohnet) beimißt, ist auch deshalb bemerkenswert, weil die KEZ in der Entwicklungspolitischen Konzeption des BMZ vom Oktober 199657 überhaupt nicht erwähnt wird. b) Gemeinden an der Basis Bei dem sachgerechten Versuch, Selbsthilfestrukturen und -maßnahmen der Menschen in den Entwicklungsländern von unten aufzubauen, sitzen die Gemeinden an der Basis. Es bietet sich an -wie auch Bohnet ausführte- bei dieser Basisarbeit auf die Kenntnisse und Erfahrungen in deutschen Gemeinden zurückzugreifen. Seit den Pionierleistungen des Freiherrn vom Stein58 (u.a.) in der Städteordnung vom 19. November 1808,59 ja seit der Hanse™ oder den süddeutschen Städtebünden, haben deutsche Städte und Gemeinden Erfahrungen mit bürgerschaftlicher Selbstverwaltung gesammelt, die sie für ihre Partner fruchtbar machen können.
57
Entwicklungspolitik aktuell 072, Bonn 1996.
58
Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (geboren am 26. Oktober 1757 - gestorben am 29. Juni 1831), vgl. u.a. Schwab, Dieter, Die "Selbstverwaltungsidee" des Freiherrn vom Stein und ihre geistigen Grundlagen, Frankfurt a.M. 1971. 59
Vgl. Heffter, Heinrich, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1980 m.w.N. 60
Genossenschaftlicher Zusammenschluß von Männern, meist Kaufleuten. Die Deutsche Hanse umfaßte, im Jahre 1158 von Lübeck ausgehend, Handelsstädte des Nord- und Ostseeraums und griff weit in das Binnenland hinein. Die Hanse war als Städtebund organisiert und umfaßte in ihrer Blütezeit mehr als 160 Städte.
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Mit ihren geringen Mitteln fördern sie zumeist Kleinprojekte der/in den Partnerkommunen ("small is beautiful") und arbeiten damit basisnah und flexibel. (Selbst wenn ein solches Kleinvorhaben ausnahmsweise fehlschlagen sollte, ist der Schaden relativ klein und leicht zu begrenzen.)61 Die Vorschläge fur die Projekte kommen fast immer aus den Partnerkommunen und wurden dort in der Bevölkerung und den Vertretungsorganen breit diskutiert ("auspalavert"). Vielfach leisten die Einwohner der Partnerkommune bei der Projektrealisierung Hand- und Spanndienste, arbeiten also persönlich und mit ihren Hilfsmitteln, etwa unter Stellung der benötigten tierischen Zugkraft, am Projekt mit. 3. Rechtsgrundlagen kommunaler Partnerschaften a) Art. 32, 20 Abs. 1, 30, 24, 59, 115 Abs. 5 Satz 1 GG; Art. 73 Nr. 1 i.V.m. 71, 74 Nrn. 11,17 i.V.m. 72 GG; Art. 86, 87 GG Als die kommunalen Westpartnerschaften (nach zaghaften Versuchen nach dem 1. Weltkrieg 62 ) nach dem 2. Weltkrieg -vor allem mit Gemeinden in Frankeich 63 und Großbritannien- in den 50er Jahren zustandekamen und erst recht, seit in bzw. nach den 60er Jahren die kommunalen Nord-SüdPartnerschaften in größerer Zahl eingegangen wurden, herrschte nicht nur bei den Beteiligten in den Gemeinden/Gemeindeverbänden große Unsicherheit über die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen für die neue Handlungsform. 64 61 Von großen Entwicklungshilfe-Organisationen ist manchmal der Vorwurf zu hören, kommunale Entwicklungszusammenarbeit mache heute die Fehler, die sie vor 20 Jahren begangen hätten. Das erscheint aber angesichts der verschiedenen Dimensionen der Zusammenarbeit grundsätzlich fast ausgeschlossen. 62 Die erste kommunale Partnerschaft einer deutschen Gemeinde wurde im Jahre 1925 zwischen Kiel und Sonderburg (Dänemark), die zweite 1930 zwischen Wiesbaden und Klagenfurt (Österreich) begründet, vgl. Weinberger, in: Püttner, Günter, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, 2. Auflage, Berlin 1981, S. 510 ff. und Buchloh, Annemie, Städtepartnerschaften, in: Der Städtetag 1960, S. 437. 63
Die erste Partnerschaft einer deutschen Kommune nach dem Untergang des partnerschaftsfeindlichen national-sozialistischen Regimes wurde im Jahre 1950 von Ludwigsburg mit Montbéliard (Frankreich) geschlossen (vgl. auch Garstka, Hansjürgen, Die Rolle der Gemeinde in der Verständigung nach dem 2. Weltkrieg gezeigt am Beispiel der deutsch-französischen Verständigung, Stuttgart 1972. 64
Vgl. z.B. Heberlein, Horst, Rechtsprobleme kommunaler Entwicklungshilfe, in: DOV 1990, S. 374 ff.; ders., Kommunale Außenpolitik als Rechtsproblem, Köln 1989, passim; Oehm, Matthias, Rechtsprobleme Staatsgrenzen überschreitender interkommunaler Zusammenarbeit, Münster 1982, passim; Schlögel, Birgit, Grenzüberschreitende interkommunale Zusammenarbeit, Berlin 1982, passim; s.auch die Sachverständigenanhörung des Bundestags-Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 15. November 1989, Prot. Nr. 11/56, S. 32 ff.; weitere
Kommunale Partnerschaften
71
Der Bund verwies immer wieder auf seine Zuständigkeiten aus den Art. 32, 20 Abs. 1, 24, 30, 59, 115 Abs. 5 S. 1, 73 Nr. 1 i.V.m. 71, 74 Abs. 1 Nrn. 11, 17 i.V.m. 72 und 86 f. GG 65 mit den darin enthaltenen Macht- und Zuständigkeitsverteilungen zwischen dem Bund und den Ländern. 66 Nach Art. 32 Abs. 1 GG ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes. Nach Erlangung der Souveränität für auswärtige Angelegenheiten durch die Bundesrepublik Deutschland fand anfangs eine heftige Diskussion über den Umfang dieser Normierung statt; darin wurde schnell deutlich, daß die Verfassung selbst die Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt nicht ausschließlich dem Bund vorbehalten hat. Anders als in der Paulskirchenverfassung (§ 6 Abschnitt II Art. I RV 1849) und in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 78 RV 1919) hat das Grundgesetz im Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland die Länder "nicht nach außen abgeriegelt" 67 Und staatsrechtlich werden die Gemeinden (ohne originäre Staatsgewalt) den Ländern, die im Sinne des Staatsrechts und des Völkerrechts Staaten mit Staatsgebiet, Staatsvolk und (originärer) Staatsgewalt sind, zugerechnet. Bereits der Wortlaut von Art. 32 Abs. 2 und 3 GG verdeutlicht partielle auswärtige Gewalt der (deutschen Bundes-) Länder: "(2) Vor dem Abschlüsse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören. (3) Soweit die Länder für die Gesetzgebung zuständig sind, können sie mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen." Ergänzend versucht die bereits zitierte neueste entwicklungspolitische Konzeption des BMZ 6 8 mit Recht das für Angelegenheiten der Europäischen Union bei der Neufassung des Art. 23 GG in das GG aufgenommen Subsidiaritätsprinzip für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit fruchtbar zu machen. KonNachweise in: epd Entwicklungspolitik-Materialien 1/88, Frankfurt a.M. 1988. An der Universität Trier wurde dazu sogar eine juristische Klausur gestellt: Die umstrittene kommunale Entwicklungshilfe, in: Jura 1991, S. 99 ff. 65
Zur aktuellen Rechtslage wäre noch der 1992 neu gefaßte Art. 23 GG mit europabezogenen Zuständigkeiten des Bundes zu erwähnen. 66
Näher dazu Konrad, Hans-Joachim, Verfassungsrechtliche Probleme von Städtepartnerschaften, in: Dittmann/Kilian, Kompetenzprobleme der auswärtigen Gewalt, Tübingen 1982; Lohse, Volker, Zuständigkeiten für kommunale Entwicklungszusamenarbeit in der bundesstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: Rechtliche Aspekte der kommunalen Nord-SüdArbeit, Iserlohn 1988 (119/88), S. 6 ff. 67
v. Mangoldt/Klein, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, 2. Auflage, Berlin und Frankfurt a.M. 1966, Art. 32 GG, Anm. II 2. 68
Vom Oktober 1996, hier: S. 12 f.
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kret heißt das, daß Entwicklungspartnerschaften, soweit sie i m Rahmen ihrer Zuständigkeiten nach dem Grundgesetz, den Landesverfassungen und den einschlägigen Landesgesetzen, vor allem der jeweiligen Gemeindeordnung, von Kommunen wahrgenommen
werden können und wahrgenommen
werden,
rechtlich auch von ihnen wahrgenommen werden dürfen.
b) Art. 28 Absatz 2 Satz 1 GG Den von Art. 78 Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen in Konkretisierung des GG als "Gebietskörperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung durch ihre gewählten Organe " bezeichneten Gemeinden 6 9 muß nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 G G "das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft i m Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". 7 0 U n d Satz 2 ergänzt: " A u c h die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung." Kommunale Partnerschaften sind als freiwillige Aufgaben von Gemeinden und Gemeindeverbänden also verfassungsrechtlich grundsätzlich geschützt. Die Subsumtion von kommunalen genheiten
der örtlichen
Gemeinschaft
Partnerschaften
als Angele-
- oder, anders formuliert, des örtlichen
r»9 Zum Rechtscharakter der Gemeinden als Gebietskörperschaften vgl. statt vieler: Erichsen, Kommunalrecht, in: Grimm/Papier, Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, Frankfurt a.M. 1986, S. 105 ff.; v. Mutius, Albert, Kommunalrecht, München 1996, S. 38; Pagenkopf, Kommunalrecht, 2. Auflage, Köln pp., Band 1, S. 24 ff.; Schmidt-Aßmann, Eberhard, Kommunalrecht, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg. -bearbeitet von Badura, Peter), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Auflage, Berlin pp. 1995, S. 14 f.; Scholler, Grundzüge des Kommunalrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Auflage, Heidelberg 1993, S. 17 ff.; Waechter, Kay, Kommunalrecht, 2. Auflage, Köln pp. 1995, S. 15 ff., jeweils m.w. N. 70 Vgl. dazu statt vieler: BVerfGE 56, S. 298 (312 ff.); 86, S. 90 (107 ff.); Hesse,Konrad, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage, Heidelberg 1995, Rdnr. 464 ff. (S. 180 f.); Faber, in: Azzola u.a., GG-Alternativkommentar Band 1, Neuwied und Darmstadt 1984, Art. 28 GG, Rdnr. 33 ff.; Knemeyer, Franz-Ludwig, Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassung und Kommunalordnung, in: GmürFestschrift, Bielefeld 1983, S. 137 ff.; Köstering, Heinz, Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung als konstitutives und politisches Element unserer staatlichen Ordnung, in: Verwaltungsrundschau (VR) 1986, S. 241 ff.; Maurer, Hartmut, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, in: DVB1. 1995, S. 1037 ff.; v. Münch, Ingo, Staatsrecht, Band 1, 5. Auflage, Stuttgart Berlin Köln 1993, Rdnr. 865 ff. (S. 366 ff ); Schmidt-Bleibtreu/Klein, GGKomm., 8. Auflage, Bonn pp. 1995, Art. 28 GG, Rdnr. 8 ff.; Schoch, Friedrich, Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung nach der Rastede-Entscheidung des BVerfG, in: VerwArch 81 (1990), S. 18 ff.; Stargardt, Selbstverwaltung und Staatsverwaltung, in: DVP 1994, S. 66 ff.; Stein, Staatsrecht, 15. Auflage, Tübingen 1995; Stern, Das Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage, München 1984, Band 1, S. 405 ff; Stüer, Bernhard, Funktionalreform und kommunale Selbstverwaltung, Göttingen 1980, passim; Vogel, Jochen, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Auflage, Berlin pp. 1994, § 22, Rdnr. 130 ff. (S. 1097 ff.); Vogelsang/Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, Berlin 1991, passim.
Kommunale Partnerschaften
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Wirkungskreises - ist bei geographisch über das Gemeindegebiet herausgreifenden Maßnahmen nicht unproblematisch. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts71 - zuletzt modifiziert im Rastede-Beschluß (BVerfGE 79, 127 (151 f.) - fordert dazu, daß die Aufgaben "in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können". Anders gewendet: Gemeinden dürfen z.B. nicht zu allgemeinen, überörtlichen, hochpolitischen Fragen Resolutionen verfassen oder für oder gegen Bundes- oder Landespolitik Stellung nehmen, etwa ihr Gemeindegebiet zur "Atomwaffenfreien Zone" erklären. Der Bezug zur örtlichen Gemeinschaft ergibt sich insbesondere aus dem Anteil, den dort einzelne Bürger, Kirchengemeinden, Vereine, Initiativen, Projekte etc. an kommunalen Partnerschaften nehmen. Der Begriff "örtliche Gemeinschaft" ist nicht nur geographisch oder irgendwie technisch-quantitativ zu verstehen, hat vielmehr auch und vor allem soziologisch-politischen Gehalt.72 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft lassen sich also definieren als Vorhaben, deren bestmögliche Verwirklichung durch die organisierten eigenen Handlungskräfte der Menschen in einem geschlossenen Siedlungsraum für ihre gemeinsamen Lebensbdürfnisse von konkretem Interesse ist. Als juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen die Kommunen aufgrund ihrer Bindung an den Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 und 2, 28 Abs. 1 GG) nur innerhalb ihres gesetzlichen Aufgaben-/Zuständigkeitsbereichs handen,müssen also etwa - Bundestreue (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) halten, - Landestreue (vgl. Art. 78 ff Verf NRW) wahren, - gemeindeverfassungsrechtliche Vorschriften einhalten, z.B. aus der nordrheinwestfälischen Gemeindeordnung, - Grundsätze des kommunalen Haushaltsrechts und der kommunalen Vermögenswirtschaft beachten73 Kommunale Partnerschaften dürfen also nicht z.B. der erklärten Außen- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung oder erklärter Landespolitik widersprechen. Immanente rechtliche Grenze ist zudem das eigene Leistungsvermögen der Kommune; so hatte z.B. Berlin 1996 nur noch 290 T D M für kommunale Partnerschaften zur Verfügung (gegenüber 370 TDM im Jahre 1995) und 71
Vgl. etwa BVerfGE 8, S. 122 (134); 50, S. 195 (261); 79, 127.
72
Schmidt-Jortzig, Edzard, Gemeindliche Selbstverwaltung und Entwicklungszusammenarbeit, in: DÖV 1989, S. 142 ff. (insgesamt zu restriktiv). 73
Näher dazu: Schefold/v. Schwanenfliigel: Kommunale Entwicklungszusammenarbeit. Aufgaben und haushaltsrechtliche Grenzen, in: AfK 1991, S. 17 ff.
Volker Lohse
74
Frankflirt a.M. senkte den Etat für die Kontakte mit seinen 13 Partnerstädten binnen drei Jahren gar von 1 Mio D M auf 290 TDM (auch im Vergleich mit 74
dem städtischen Gesamthaushalt eine überproportionale Kürzung) . Die Gemeinden müssen zunächst sicherstellen, daß ihre Pflichtaufgaben erfüllt werden. Nur soweit danach noch Finanzmittel zur Verfügung stehen, dürfen sie freiwillige Aufgaben erfüllen (und auch das nur sparsam und wirtschaftlich). Fast ist es überflüssig hinzuzufügen, daß in einer Zeit fast leerer Kassen (auch) bei den Partnerschaftsausgaben gespart wird. Das ist besonders bei den Südpartnerschaften bedenklich und bedauernswert, weil sich die Partner auf kontinuierliche, nachhaltige und damit zukunftsbeständige Unterstützung ihrer Entwicklung verlassen, ja auf sie angewiesen sind. Dagegen sind erfahrungsgemäß der ordnungsgemäße Transfer der bereitgestellten Mittel und ihre zweckentsprechende Verwendung, die ebenfalls haushaltsrechtlich geboten sind, relativ leicht zu gewährleisten: Die verhältnismäßig geringen Geld- und Sachleistungen der Kommunen sind einfach zu kontrollieren. c) Präambel, Art. 26, 24 Abs. 2, 25, 9 Abs. 2 GG Die Bundesexekutive, besonders das BMZ, stützt sich bei ihrer Entwicklungs- Zusammenarbeit auf die Entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregie- rung vom 19. März 1986 und die Entwicklungspolitische Konzeption des BMZ vom Oktober 1996. Darauf beruhen ihre Haushaltsansätze. V. Schwanenflügel 75 will nun Staatszielbestimmungen als materiell-verfassungsrechtliche Grundsätze für staatliches Handeln auf allen Ebenen 6 für die Verpflichtung von Bund, Ländern und Gemeinden zur Entwicklungszusammenarbeit fruchtbar machen. Das Gebot der Friedenssicherung, abgeleitet aus der negativen Staatszielbestimmung des Verbots des Angriffskrieges (Art. 26 Abs. 1 GG/Präambel S. 1), und weitergehend die Verpflichtung zu internationaler Zusammenarbeit zur Völkerverständigung, abgeleitet aus Art. 9 Abs. 2 GG, sollen dazu beitragen, daß transnationale Aufgaben im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit (auch) auf die Örtlichkeit einer Kommune radizierbar sind. V. Schwanenflügel
Klemm, Thomas, Wenig Chancen für neue Städtepartnerschaften. Die Nachfrage ist größer als das Angebot der deutschen Kommunen, in: Frankfurter Allgemeine (FAZ) vom 30. Oktober 1996, S. 16. 75
Entwicklungszusammenarbeit und kommunale Selbstverwaltung, in: DVB1. 1996, S. 491 ff.
76
Zum Grundsatz der Einheit der Verfassung vgl. statt vieler: Müller, Friedrich, Die Einheit der Verfassung, Berlin 1979, S. 103, 136, 228 f. und passim.
Kommunale Partnerschaften
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räumt ein, daß sich keine konkreten Programme aus den beiden so gewonnenen Staatszielen - Erhaltung des Friedens u n d - Förderung der internationalen Zusammenarbeit zur Völkerverständigung ableiten lassen, weil sie schon wegen ihrer hohen Abstraktionsebene die Entscheidungen über das spezielle Ob und Wie von Partnerschaften dem Ermessen der betreffenden Organe überlassen. Dennoch ist sein Ansatz bedenkenswert; eine Staatszielbstimmung entzieht nämlich die Partnerschaften reiner Beliebigkeit der handelnden Organe. Das darf allerdings nicht zu allzu großem Optimismus in bezug auf die Umsetzungen der Zielvorstellungen verleiten. Im Gegenteil: Das Beispiel der konkreteren Verpflichtungen aus den Rio-Aktionsprogrammen stimmt eher skeptisch. d) Vertragscharakter kommunaler Partnerschaftsvereinbarungen? Die rechtliche Einordnung von Vereinbarungen zur Schaffung, Durchführung und Beendigung von kommunalen Partnerschaften ist schwierig. Ihrer (Rechts-) Natur nach kann es sich um - Vereinbarungen zwischen Nicht-Recht und Recht (letztlich außerhalb des Rechts im politisch-sozialen Bereich ("soft-law")) o d e r um - interkommunale Verträge handeln. Sollten die Partnerschaften nur auf dem politischen Willen, grenzübeschreitende menschliche Kontakte zu schaffen bzw. einen Rahmen für Zuammenarbeit abzustecken, ein gemeinsames kommunalpolitisches Programm darstellen, würde ein rechtlicher Bindungswillen der Partner fehlen; die Partner hätten softlaw geschaffen. Manche Partnerschaftsurkunden lassen in ihren Formulierungen in der Tat darauf schließen, daß die Partnerkommunen keine rechtlichen Bindungen eingehen woll(t)en. Dann fehlt es schon am Ob eines Vertrags. Andere hingegen verwenden Verben wie "verpflichten", "erfüllen" etc., die wie manche Überschriften solcher Übereinkommen auf deren Vertragscharakter hindeuten, z.B. beim "Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen den Städten Wuppertal und Kosice". Insgesamt überzeugen die Gründe der (noch) herrschenden Meinung 7 die den Vertragscharakter von Partnerschaftsübereinkommen strikt leugnet, zumin77
Nachweise bei Blumenwitz,Dieter, Der Schutz innerstaatlicher Rechtsgemeinschaften beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge, München 1972, S. 22; Fastenrath,Ulrich, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, München 1986, S. 46 f.
Volker Lohse
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dest für die Abkommen nicht, die einen Bindungswillen (Rechtsfolgewillen) erkennen lassen. Dem widerspricht nicht, daß die Partnerschaftsvereinbarungen über Verständigung, Freundschaft und Zusammenarbeit rechtlich nicht erzwingbar sind. Diverse als Verträge allgemein anerkannte Vereinbarungen enthalten (ganz oder teilweise) Naturalobligationen, die erfüllt werden können, aber nicht erfüllt werden müssen, z.B. im staatsrechtlichen Bereich Koalitionsabkommen zwischen politischen Parteien/Parlamentsfraktionen zur Mehrheits-/Regierungsbildung und im zivilrechtlichen Bereich verjährte Forderungen. Ferner sprechen die Ratifizierung in den Räten, das Dauermoment von kommunalen Partnerschaften und -bei Nord-Süd-Partnerschaften zusätzlich- die verläßliche Hilfeleistung für den Vertragscharakter von kommunalen Partnerschaftsvereinbarungen -und zwar unabhängig davon, ob sie in einer Urkunde oder durch Briefwechsel abgeschlossen wurden. Folgt man dieser Argumentation schließt sich die Frage an, ob es sich bei den interkommunalen Partnerschaftsverträgen um privatrechtliche oder um öffentlich-rechtliche Verträge und bei letzteren um völkerrechtliche, staatsrechtliche oder verwaltungsrechtliche Verträge handelt. Zwar sind die deutschen und die ausländischen Gemeinden im Partnerschaftsbereich gleichberechtigte Rechtssubjekte und das könnte nach der Subordinationstheorie (Subjektionstheorie) für privatrechtliche Beziehungen sprechen; da die Kommunen aber als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts in ihrem öffentlich-rechtlichen Zuständigkeitsbereich handeln und ihre Interessen auf öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung gerichtet sind, handelt es sich nach der modifizierten Subjektstheorie und nach der Interessentheorie dabei um öffentlich-rechtliche Verträge. Da Gemeinden weder Subjekte des Völkerrechts 78 noch des Staatsrechts7J sind, sind die kommunalen Partnerschaftsabkommen (koordinationsrechtliche) verwaltungsrechtliche Verträge (vgl. § 54 S. 1 VwVfG). V. Schwanenflügel bezeichnet sie -etwas mißverständlich- als "selbstbindende kommunalpolitische Verträge" 80.
78
Darauf, daß sie auch keine partiellen Völkerrechtssubjekte sind, weist mit Recht hin: Heberlein, Horst, Die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG zur "kommunalen Außenpolitik", in: NVwZ 1992, S. 543; sie müßten sich daher auch "weder durch das Nadelöhr der staatlichen Diplomatie zwängen noch einer staatsseitigen Einschaltung harren" (S. 544). 79
Sie sind vielmehr Körperschaften, die in ihr (Bundes-) Land staatsrechtlich vollständig integriert sind. 80
Entwicklungszusammenarbeit als Aufgabe der Gemeinden und Kreise, Berlin 1993, S. 82, 173; ders. DVB1. 1996, S. 491 (496).
Kommunale Partnerschaften
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4. Organisation kommunaler Partnerschaften Kommunale Partnerschaften leben vom bürgerschaftlichen Engagement. Dennoch greift normalerweise die Kommune (Rat, Bürgermeister, Verwaltung) Bürgervorschläge auf und hilft bei ihrer Realisierung (manchmal initiiert sie sogar Partnerschaften). Oft bleibt ihr die "Verwaltung" der Partnerschaft, z.B. Aktenführung, Archivierung, Kassenführung. Sie fällt unter die Organisationsgewalt von Rat und/oder Bürgermeister. Diese Arbeitsteilung zwischen Bürgern und Kommune hat sich nach der Erfahrung als nützlich erwiesen - und zwar unabhängig davon, ob ein Partnerschaftsverein von Bürgern/Gruppen/Privatorganisationen o.ä. besteht oder nicht: Die Verwaltung, etwa die Aktenführung, erfolgt dann nämlich professionell und sachkundig, vor allem aber kontinuierlich. Herrscht darüber bei den Interessierten weitgehend Einigkeit, so ist auffällig, wie verschieden die verwaltungsmäßige Anbindung kommunaler Partnerschaften in den deutschen Kommunen erfolgt. Zuständig ist (u.a.) -
das Büro des (Ober-) Bürgermeisters, das Büro des Rats, das Hauptamt, das Kulturamt, das Jugendamt, das Sozialamt, das gtadtarchiv, wechselnde Änter nach Bedarf, Beiräte, die Volkshochschule81
Das Zentrum für kommunale Entwicklungszusammenarbeit (ZKE) im GustavStresemann-Institut in Bonn dokumentiert seit 1996 Grundlagen, Organisation und Aktivitäten kommunaler Nord-Süd-Partnerschaften.
Näher: Dürste/Fenner, Volkshochschulen, internationale Kontakte und Partnerschaften, Bonn 1995, passim; dies., Volkshochschulen und kommunale Entwicklungszusammenarbeit, Bonn 1990, passim.
Volker Lohse
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5. Arbeitsfelder,
Erfahrungen
und Grenzen kommunaler
Nord-Süd-Partnerschaften
2
Als vertiefendes Beispiel werden nachstehend kurz einige Aspekte von Entwicklungspartnerschaften betrachtet, die wie oben ausgeführt, Solidarität in der Einen Welt zeigen (können), materiell zumeist von Nord nach Süd gehen, kulturell, sozial etc. aber keineswegs eine Einbahnstraße sind. Interkultureller Dialog, kommunalpolitischer Dialog, Bürgernähe, Familienleben, Umgang mit Ressourcen, Improvisationsfähigkeit bieten wechselseitig viele Chancen. Daß die Einbeziehung möglichst vieler Bürger hier wegen der entwicklungspolitischen Informations- und Bewußtseinsbildungsfunktion wichtig ist, ist ebenfalls bereits dargelegt worden. In Entwicklungspartnerschaften können deutsche Kommunen ihre Partnerkommune(n) unterstützen,83 indem sie u.a. - Geldmittel aus ihrem Haushalt für deren Projekte, Gruppen etc. zur Verfügung stellen, - Projekte ihrer Einwohner, Gruppen, Vereine, NRO usw. fördern, 84 etwa durch Räume, Informationsmaterial u.a.m., - ihre Bürger/Einwohner/Wirtschaftsunternehmen zu Geld- oder Sachspenden aufrufen (und ggf. den gespendeten Betrag aus eigenen Mitteln erhöhen). Die kommunale Entwicklungszusammenarbeit kann sich z.B. beziehen auf - Ernährungsförderung ("Kampf gegen den Hunger") 85, z.B. durch Anlegung eines Musterhofs, - Hilfe bei der sozialen Betreuung von Unterprivilegierten in der Partnergemeinde, - kulturelle Angelegenheiten·86 z.B. Schulen (Bau und/oder Unterhaltung, Förderung von Schulprojekten etc.), 82
Die Frage, ob Partnerschaften mit Gemeinden in Südosteuropa, etwa in BosnienHerzegowina, eher den Ost- oder den Südpartnerschaften zuzurechnen sind, ist -soweit ersichtlichbisher nicht erörtert worden. Auch die Möglichkeiten partnerschaftlicher Verbindungen von zwei Kommunen in Entwicklungsländern (Süd-Süd-Partnerschaften) müssen noch vertieft untersucht werden. 83
Vgl. bereits : Die Dritte Welt im Rathaus (hrsg. von der Staatskanzlei des Landes NordrheinWestfalen), Düsseldorf 1988, passim; Woesler/von Lennep, Handbuch für die Praxis der Partnerschaft (hrsg. vom Rat der Gemeinden Europas/Deutsche Sektion), Düsseldorf 1989, passim; Dienste in Übersee, Chancen und Grenzen von Partnerschaftsprogrammen, Stuttgart 1986. 84
Daftir zwei Beispiele: Delkeskamp/Nabanja-Makumbi/Rubruck, Die Mirembe-Partnerschaft Witzenhausen - Kayunga, Göttingen 1991; Graswurzel: Entwicklungspolitische Initiative auf kommunaler Ebene in der Stadt Oerlinghausen 1989, 1990 und 1991. 85
Dazu z.B. BMZ Warnke in der 191. Sitzung des 10. Deutschen Bundestages (BT-Prot. 10, S. 14442).
Kommunale Partnerschaften
79
- Brauchtumsförderung, - Wissenschaftsförderung, z.B. durch Austauch von Professoren, Assistenten, -
Studenten usw.,87 Jugendförderung, Austauschprogramme und work-camps (Begegnungen, Hospitationen, gemeinnützige Arbeiten), Sportmaßnahmen (bis hin zur Übersendung hier von Vereinen frühzeitig ausgemusterter Trikots, Sportgeräte usw.), Förderung von Vereinen, z.B. Frauenverbänden, Einrichtung von Ausstellungen über die deutsche Partnerstadt, Handwerker dort etc., Stadtplanungshilfe, Verwaltungsförderung (bis hin zur Förderung kommunaler Versorgungsein-
richtungen) , - Stadtsanierung und Denkmalspflege, - Umweltschutz, z.B. Hilfe bei der Abfallentsorgung, - Förderung von Infrastrukturmaßnahmen, z.B. Bau einer kleinen Brücke, eines Brunnens etc., - Förderung des Gesundheitswesens, z.B. Einrichtung einer Krankenstation, Bau einer Apotheke, - Wirtschaftsförderung (einschließlich Handwerks-, Industrieförderung), - Förderung von Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der Partnerkommune und nach außen, - Tourismusförderung, - Hilfe bei (anderen) Projekten der Partnergemeinde. Es kann sich dabei empfehlen, Partnerschaftsanstrengungen zu bündeln oder zu vernetzen: Dreiecks- oder Mehreckspartnerschaften verstärken die Mittel und das know-how, wenn z.B. eine deutsche Gemeinde zusammen mit ihrer französischen Partnergemeinde in einer Stadt in Afrika Partnerschaftsarbeit leistet, in der die Amtssprache Französisch ist; dadurch wird nicht nur die Kommunikation mit dem Südpartner erleichtert. 89 Für viele Kommunen in mehreren Staaten des frankophonen Afrika haben Partnerschaften mit deutschen Gemeinden besonde- re Bedeutung, weil Staaten wie Benin, Burkina Faso, Mali, der Niger 86
Vgl. Bliss, Frank, Kultur und Entwicklung, in: Ε + Ζ 1997, S. 138 ff.
87
Etwa in der Hochschulpartnerschaft der Universität Bremen mit der Universität Pune im Rahmen der Städtepartnerschaft der Freien Hansestadt Bremen mit der indischen Stadt Pune. 88
Zur Verwaltungsförderung vgl. u.a.: Frey, Rainer, Entwicklung durch kommunale Zusammenarbeit, in: Verwaltungsrundschau 1986, S. 284 ff. 89
Das zeigte sich z.B. bei der Ausdehnung der Partnerschaft von Lahnstein und Vence (Frankreich) auf Quahigouva (Burkina Faso).
Volker Lohse
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und die Zentralafrikanische Republik ernsthafte Dezentralisierungsanstrengungen unter- nehmen; dabei können alle Partner helfen. Größere Probleme und Schwierigkeiten, aber auch interessante Herausforderungen ergeben sich aus der -gegenüber den Westpartnerschaften- größeren räumlichen Distanz zum Partner, unterschiedlichem Klima, Sprachbarrieren, kulturellen Unterschieden, unterschiedlichen politischen und sozialen Systemen, bürokratischen Hindernissen, z.B. Visa, staatlicher Aufsicht usw. 6. Zusammenfassung und Ergebnis Kommunale Partnerschaften übernehmen nach allem häufig eine Scharnierfunktion. Als transnationale Bemühungen können sie einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zur Aussöhnung von Völkern leisten. Dabei spielen Verständigung und Solidarität eine größere Rolle als Wirtschaftsbeziehungen, gleichgültig, ob es sich um -Westpartnerschaften, - Südpartnerschaften und/oder - Ostpartnerschaften handelt. Menschliche solidarische Beziehungen zwischen Bürgern/Einwohnern und parallele Probleme kommunaler Gestaltung und Verwaltung schaffen die Grundlage fiir lebendige Partnerschaften. Oft sind Geduld und Hartnäckigkeit erforderlich, um eine umfassende Auseinandersetzung mit den Problemen außerdeutscher, ja außereuropäischer Partnergemeinden zu bewerkstelligen und eine Mittlerflinktion zwischen Nord und Süd, West und Ost wahrzunehmen. Diese Mühe wird durch vielseitige Bereicherungen im eigenen kommunalen Leben belohnt. Durch die Belebung der Kontakte auf der bürgernächsten, untersten Ebene werden Lernprozesse in Gang gesetzt, die auf beiden (oder mehreren) Seiten letztlich (auch) eine Stärkung des bürgerschaftlichen Selbstbewußtseins und kommunaler Selbstverwaltung bewirken. Auch werden eigene Initiativen (z.B. zum fairen Handel) geweckt und kreative Impulse gegeben. Ziele wie Friedensförderung, Verständigung, Armuts- und Hungerbekämpfung, Hilfe zur Selbsthilfe und Erkennen der Interdependenzen in der Einen Welt müssen auch in kleinen, überschaubaren Bereichen verfolgt werden. Darin liegt die Bedeutung kommunaler Partnerschaften.
Wolf-Dieter
Graewe
ENTWICKLUNGSPOLITISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER DDR Mein Beitrag gliedert sich in vier Teile: 1. Einfuhrende Bemerkungen 2. Grundlagen und Ziele der Entwicklungspolitik der DDR 3. Felder der Entwicklungszusammenarbeit bzw. Entwicklungshilfe 4. Bemerkungen zur Integration der DDR-EZ in die gesamtdeutsche EZ 1. Einführende
Bemerkungen
1.1 Begriffe, wie Entwicklungspolitik, Entwicklungszuammenarbeit, Entwicklungshilfe wurden im offiziellen Sprachgebrauch der DDR nicht verwendet, man sprach von antiimperialistischer Solidarität oder sozialistischer Hilfe. Dabei gab es natürlich eine bestimmte, sich im Laufe der Jahre auch wandelnde Politik gegenüber den Ländern, die wir zusammenfassend als Entwicklungsländer bezeichnen, eine Bezeichnung, die sich im offiziellen Sprachgebrauch auch erst allmählich und allenfalls partiell durchgesetzt hatte, es gab das Bestreben auf Zusammenarbeit und auch Hilfe. So können wir die eingangs genannten Begriffe auch im Kontext der DDR verwenden.
1.2 Es ist nicht möglich, in 45 Minuten die Gesamtheit der DDR-EP umfassend und detailliert darzustellen, es wird also Auslassungen geben, damit die Möglichkeit der Nachfrage und Ergänzung, wahrscheinlich bleiben auch Fragen offen. 1.3 Man kann den Gesamtkomplex der EP der DDR sicher von verschiedenen Standpunkten oder Erfahrungen aus betrachten, was dann auch zu unterschied6 Bücking
Wolf-Dieter Graewe
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liehen Darstellungen oder auch Bewertungen fuhren kann. Was meinen eigenen Standort betrifft, so sei gesagt, daß ich niemals im Auftrage der Regierung der DDR oder staatlicher Organisationen in einem Entwicklungsland war, daß ich offiziell nichts mit der EP der DDR zu tun gehabt habe. Während meiner mehr als 35jährigen Tätigkeit an der Humboldt-Universität in Berlin habe ich mich aber zum Teil sehr intensiv mit der EL-Problematik befaßt, besonders mit Ernährungs-, Bevölkerungs-, Ressourcen-, Handels- und auch Umweltfragen und in diesem Zusammenhang natürlich auch Kenntnis gehabt über den Entwicklungshilfe-Komplex, vorrangig der westlichen Industrieländer. Anfang Mai 1990 wurde ich in das neugegründete M WZ unter der Regierung de Maizière berufen. Die Aufgabe, vor die sich das M W Z gestellt sah, wobei wir damals von einer 1- bis 2jährigen Tätigkeit ausgingen, läßt sich in 4 Punkten zusammenfassen: - Formulierung vpn Grundlinien der Entwicklungspolitik der DDR 1 - Die Gestaltung neuer Felder der EZ, vor allem durch die Unterstützung von NRO's im Gebiet der DDR, sowohl der alten, im wesentlichen unter dem Dach der Kirchen tätigen, als auch der neuen, nach der Wende gegründeten2 - Bestandsaufnahme der bisherigen EZ der DDR, ihre Zusammenfassung und Bewertung (s. Abschnitt 3.) - Bemerkungen zur Integration der EZ der DDR in die gesamtdeutsche EZ (s. Abschnitt 4.) Natürlich sind wir im M W Z in mannigfaltiger Hinsicht von Mitarbeitern des BMZ und nahezu aller entwicklungspolitischen Organisationen und Institutionen der alten Bundesrepublik beraten worden. Ich habe diese Beratung immer als sehr kollegial und überwiegend als nützlich empfunden. 2. Grundlagen und Ziele der DDR-EP
2.1 Grundlage der DDR-Süd-Politik war zum einen ihre politische und außenpolitische Doktrin, d.h. Systemdenken und Systemauseinandersetzung, und zum zweiten die binnenwirtschaftliche Lage. Sicher wissen wir, daß auch die EP der westlichen Industrieländer von sicherheitspolitischem, außen- und wirtschaftspolitischem Denken geprägt oder zumindest beeinflußt wurde, in den großen Ländern stärker als in den kleinen.
1
Sie wurde erarbeitet und vom Ministerrat der DDR im Juni 1990 veröffentlicht. Im 2. Halbjahr 1990 hat das MWZ etwa 6,4 Millionen DM für NRO's einschließlich der Förderung entwicklungspolitischer Bildungsarbeit zur Verfügung gestellt. 2
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der DDR
83
Abgesehen von rein humanitärer Hilfe, die sehr unterschiedlichen Ländern gewährt wurde, basierte die DDR-EP entsprechend der außenpolitischen Doktrin vor allem auf 2 Eckpfeitern: dem antiimperialistischen Bündnis und der Unterstützung der gesellschaftlichen Transformation in Richtung auf den Sozialismus.
2.2 Unter Einbeziehung der eigenen wirtschaftlichen Gegebenheiten und Interessen lassen sich etwa 4 Ziele der DDR-Politik gegenüber den Entwicklungsländern benennen: - Das sogenannte antiimperialistische Bündnis; dies zeigte sich einmal in der Unterstützung spezifischer nationaler Befreiungsbewegungen, besonders in Afrika, einschließlich der PLO und des ANC. Zweitens äußerte sich das antiimperialistische Bündnis in der Unterstützung grundsätzlicher Forderungen der EL gegenüber den westlichen Industrieländern, z.B. im Hinblick auf die Herausbildung einer Neuen Internationalen Wirtschaftsordnung (NIWO), um die es besonders in den 70er Jahren Diskussionen gab. Diese Unterstützung ging indessen nur soweit, wie eigene ökonomische Interessen oder Belange nicht tangiert wurden. Sichtbar wurde dies beim integrierten Rohstoffprogramm oder auch den internationalen Rohstoffabkommen, denen die DDR, im Unterschied zur Bundesrepublik, auch zur UdSSR oder Bulgarien, nicht beitrat. - Die Vertiefung der Zusammenarbeit mit EL sozialistischer Gesellschaftsordnung oder -Orientierung. Hier galt eine sehr komplexe Strategie im Rahmen von Freundschaftsverträgen, die neben den üblichen Formen der Zusammenarbeit auch Parteibeziehungen und zum Teil die Zusammenarbeit mit Sicherheitsorganen einschließlich deren Förderung einbezog. - Die Festigung der staatlichen Beziehungen mit den sogenannten nichtpacktpaktgebundenen Ländern 3 Mit diesen Ländern wurden, entsprechend dem sogenannten Prinzip der friedlichen Koexistenz, gute staatliche und wirtschaftliche Beziehungen angestrebt. - Die Vertiefung der Außenwirtschaftsbeziehungen mit ökonomisch interessanten Partnern, wie z. B. dem Iran oder dem Irak.
3
Nach den Konferenzen von Colombo 1954 und Bandung 1955 hat sich die Bewegung der sogenannten Blockfreien etabliert, auch wenn das Gründungstreffen erst 1961 in Belgrad stattfand. 6*
Wolf-Dieter Graewe
84
2.3 Im Verlauf der Jahre wurden diesen allgemeinen Zielstellungen durchaus unterschiedliche Prioritäten eingeräumt, d.h. man kann von verschiedenen Phasen der DDR-Süd-Politik sprechen, wie dies auch L. Brock und H.J. Spanger in ihrem 1987 erschienenen Buch "Die beiden deutschen Staaten in der Dritten Welt" dargestellt haben.4 In Anlehnung an diese Autoren lassen sich 4 Phasen der DDR-Süd-Politik unterscheiden: - Die Phase des Blockdenkens oder der 2-Lager-Doktrin; unterstützt wurden nur Länder, die ideologisch eine allumfassende Linientreue befolgten. Bürgerliche Befreiungsbewegungen wurden in dieser Frühphase der DDR noch als Schwächung des revolutionären Potentials angesehen, Nehru, NKrumah oder Surkano als imperialistische Marionetten betrachtet. - Die Phase der Hallstein-Doktrin ab 1955; sie war gekennzeichnet einerseits durch den Kampf - wie es hieß - gegen die Alleinvertretungsanmaßung der Bundesrepublik und schließlich durch Werben um Zusammenarbeit und normale Beziehungen mit den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die DDR konzentrierte sich dabei besonders auf Länder, die den eigenen Wünschen auf Zusammenarbeit und Anerkennung aufgeschlossen waren, wie Ägypten, Algerien, Guinea, Mali, Kuba, bis Mitte der 60er Jahre auch Ghana und Indonesien. Als 1969/70 14 Staaten die DDR diplomatisch anerkannten, war die Hallstein-Doktrin überwunden. 5 - Mit dem Sieg der nationalen Befreiungsbewegung in Angola und Mosambik, sowie dem Sturz der Monarchie in Äthiopien praktizierte die DDR in einer Zeit allgemeiner Ost-West-Entspannung eine dezidiert antiimperialistische Südpolitik; sie basierte wesentlich auf dem Optimismus, daß die Erfolge in Afrika ein Indiz für eine Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse zugunsten des Sozialismus seien. - Bereits in der zweiten Hälfte der 70er Jahre begann die DDR ihre Südpolitik entsprechend den eigenen ökonomischen Interessen, d.h. Rohstoff- und Exportsicherung, zu verändern bzw. neu zu gestalten. Verstärkt wurde dies in den 80er Jahren, die durch eine Verschärfung des Ost-West-Konfliktes, zunehmende binnenwirtschaftliche Probleme, erhöhte Forderungen der EL auch an die sozialistischen Länder und schließlich die Afghanistan-Erfahrung geprägt waren. Die Festigung der Außenhandels- bzw. Außenwirtschaftsbeziehungen, offiziell auf der Basis des gegenseitigen Vorteils, trat in den Vordergrund. Dabei ging der Außenhandel der DDR mit den EL in den 80er
4
Westdeutscher Verlag Opladen 1987 Im Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik vom 21.12.1972 wurde dann das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten ausdrücklich anerkannt. 5
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der DDR
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Jahren anteilmäßig zurück. 6 Überdies war er stets durch eine positive Handelsbilanz geprägt, die dem Ausgleich der Handelsdefizite im Handel mit den westlichen Industrieländern dienen sollte. 2.4 Eine spezifische Besonderheit der DDR-EZ war das Fehlen einer zentralen entwicklungspolitischen Institution. Es gab nach meiner Kenntnis keine einheitliche Konzeption zur Umsetzung bestimmter Zielstellungen, keine einheitliche Planung und Leitung der gesamten EZ. Zu zahlreichen Ländern bestanden sehr komplexe Beziehungen, staatliche Kredite waren verknüpft mit kommerziellen Beziehungen, diese zum Teil zu Sonderbedingungen und auch verschiedenen Formen unentgeltlicher Leistungen. Beteiligt waren eine Vielzahl von Ministerien, Institutionen und Organisationen, d.h. die Leistungen wurden von verschiedenen Einrichtungen erbracht, zum Teil aus verschiedenen Quellen finanziert. Diese Komplexität der DDR-Zusammenarbeit mit zahlreichen EL hat es im Nachhinein vielfach sehr erschwert oder auch unmöglich gemacht, rein kommerzielle Beziehungen von eigentlichen Entwicklungshilfeleistungen zu trennen. Wahrscheinlich hat die in den 80er Jahren verstärkt einsetzende Forderung der Entwicklungsländer nach erhöhten Entwicklungshilfeleistungen auch der sozialistischen Länder dazu beigetragen, daß die Regierung der DDR die Staatliche Plankommission beauftragte, eine systematische Ermittlung und Erfassung dessen vorzunehmen, was nach eigenen Vorstellungen zum Komplex der EH zu zählen ist. 1988 wurde mit einer solchen Erfassung begonnen, die Jahre 1987 und 1986 wurden zurückgerechnet. Nun konnte die DDR auch im UNO-System (VN-System) mit quantitativen Aussagen der Entwicklungshilfe aufwarten, was insofern wichtig war, als daß sich die DDR im Verlauf der 80er Jahre auch zur Mitverantwortung bei der Lösung globaler Probleme bekannt hat. Die EH-Leistungen wurden am produzierten Nationaleinkommen7 gemessen und mit einer Größenordnung von etwa 0,86 % ausgewiesen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das NE etwa 2/3 des international üblichen BSP entspricht.
6
Ausfuhr 1980 = 7,2 %, 1989 = 5,5 %, Einfuhr 1980 6,2 %, 1989 = 4,1 % Die Summe des innerhalb einer gegebenen Zeitraumes in der materiellen Produktion durch die gesellschaftlich-produktive Arbeit neu geschaffenen Werte" ökonomisches Lexikon Verlag die Wirtschaft 1979 Berlin 7
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3. Felder der EZ bzw. EH Faßt man die Ergebnisse der Bestandsaufnahme der DDR-EZ zusammen, lassen sich 3 Felder benennen: 1. Die sogenannte unentgeltliche Hilfe, etwa vergleichbar der TZ der Bundesrepublik; sie umfaßte 1989 rd. 380-390 Mio M der DDR; gegenüber den Vorjahren bedeutet dies einen Rückgang um 70-100 Mio M; 2. die sogenannten Präferenzpreise, also Vorzugspreise; 1989 lag der Transferanteil bei etwa 700 Mio M, bei geringen Abweichungen gegenüber den Vorjahren; 3. Regierungskredite, im Mittel der letzten Jahre jeweils 1 Mrd. M, 1989 etwas mehr als 800 Mio M. 3.1 Die unentgeltliche Hilfe wurde finanziert zu 50 % aus dem Staatshaushalt, zu 45 % vom Solidaritätskomitee, dessen Fonds aus mehr oder weniger freiwilligen Spenden der Berufstätigen in der DDR (gemessen am Gewerkschaftsbeitrag) gebildet wurden, und zu 5 % aus Fonds gesellschaftlicher Organisationen. 3.1.1 Die unentgeltliche Hilfe kann als Kern der Entwicklungshilfe der DDR angesehen werden; sie umfaßte 6 verschiedene Ausgabenbereiche: 1. Die materielle Hilfe, d.h. Katastrophen-, Nahrungs- oder auch Warenhilfe fur etwa 100 Länder 8 2. Maßnahmen der Bildung, Aus- und Fortbildung 3. Der Experteneinsatz 4. Medizinische Betreuung, besonders für Angehörige von Befreiungsbewegungen, wie der SWAPO und dem ANC 5. Regierungsgeschenke, sie waren beschränkt auf bestimmte Länder und sicher von unterschiedlichem Nutzen; z.B. geologische Ausrüstungen für die Mongolei oder das Karl-Marx-Denkmal für Äthiopien 6. Freiwillige UN-Beiträge 9
8
1989 umfaßte dieser Posten etwa 88 Mio M oder 23 % der gesamten unentgeltlichen Hilfe; zuständig waren das Ministerium für Materialwirtschaft und das Staatliche Solidaritätskomitee 9 Rund 5,4 Mio DM für UNDP und rd. 1 Mio DM für die UNIDO
Entwicklungspolitische Zusammenarbeit in der DDR
87
3.1.2 Etwa 45 % der gesamten unentgeltlichen Hilfe entfielen auf Maßnahmen der Bildung, Aus- und Fortbildung mit den zwei Säulen der Berufsausbildung und der Fach- und Hochschulbildung. 10 Bei der beruflichen Aus- und Fortbildung ging es um die Ausbildung von Facharbeitern, Meistern und Lehrkräften für die berufliche Ausbildung. Beteiligt waren mehr als 100 Betriebe in der DDR. Der Bildungs- und Ausbildungsbereich war sicher der große Schwerpunkt der DDR-EZ. Die DDR verfügte über ein großes Netz spezialisierter Ausbildungseinrichtungen 11 und einen entsprechenden Stamm an Fachleuten. Dieser Schwerpunkt der Entwicklungshilfe kam der DDR in mannigfaltiger Hinsicht entgegen: - Die entwicklungspolitische Relevanz ist unumstritten - Er ist eine vergleichsweise ressourcenarme Investition - In die Ausbildung einbezogen waren auch potentielle Führungskräfte der Partnerländer, was sich auf die internationalen Beziehungen positiv auswirken sollte - Mit den Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen konnten auch gesellshaftliche Optionen im Hinblick auf den Sozialismus verbunden werden Diese sogenannte ML-Unterweisung hatte sicher einen gewissen Stellenwert, wie im gesamten Bildungswesen der DDR auch, sie darf aber nicht überbetont werden, in der Regel wurden durch die Ausbildung gute fachliche Qualifikationen erreicht. Ein anderer Gesichtspunkt scheint mir gravierender zu sein. Sieht man einmal von durchaus wichtigen Ausnahmen ab, im Bereich der Berufsausbildung die sogenannten FDJ-Projekte in Entwicklungsländern, im Hochschulwesen die Entsendung von Dozenten, so erfolgte die Aus- und Fortbildung überwiegend in der DDR und dies entsprechend der eigenen Systematik der Berufsbilder. Was für die DDR gut ist, ist auch für andere gut. Die Berufsausbildung wurde auch auf Empfehlung der DDR, entsprechend freier Ausbildungskapazitäten durchgeführt. Ohne eine Wertung vorzunehmen, die so allgemein auch nicht erfolgen kann, sei daraufhingewiesen, daß - alle Ausbildungsformen für das Entsendeland von Nutzen sein müssen,
10
Zuständig für die berufliche Aus- und Fortbildung war das Staatssekretahat für Berufsausbildung, für die Hoch- und Fachschulausbildung das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. Das Ministerium für Volksbildung gewährleistete die Deutschintensivausbildung. 11 Z.B. in Altenburg - Fachschule für Tropische Landwirtschaft, Zschortau - Institut für Internationale Landwirtschaft, Magdeburg - Institut für Berufspädagogik, Berlin - Institit für Berufliche Bildung, Potsdam - Institut für Weiterbildung des mittleren medizinischen Personals, Berlin Akademie für ärztliche Fortbildung
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- kombinierte Tätigkeitsmerkmale im allgemeinen den Vorrang vor Spezialkenntnissen haben, - Ausbildungsmaßnahmen generell besser in den Partnerländern vorzunehmen sind. Im Rahmen der Berufsausbildung waren 1988 etwa 6.900 Auszubildende aus Entwicklungsländern in der DDR, nach dem Stand vom 1.9.1990 waren es etwa 1.800, wovon sich 260 in der Deutsch-Intensivausbildung befanden. Die stärksten Kontingente kamen aus Vietnam, der Mongolei und Kambodscha. Die Hoch- und Fachschulausbildung umfaßte 1988 etwa 9.400 Studenten aus Entwicklungsländern, am 1.9.1990 waren es etwa 4.500 aus insgesamt 84 Ländern. An der Finanzierung der Ausbildung waren auch gesellschaftliche Organisationen beteiligt, wie der FDGB, die FDJ, das Solidaritätskomitee, auch die SED. Eine spezifische Form der Aus- und Weiterbildung umfaßte das medizinische Personal. Nach dem Stand vom Juni 1990 gab es in der DDR etwa 300 Ärzte zur Weiterbildung als Fachärzte, davon 13 auf kommerzieller Basis; dazu kamen 259 Fachkräfte des mittleren medizinischen Dienstes. Die Mediziner kamen aus 49 Ländern. Ein besonderes Problem, das mit der Aus- und Weiterbildung nichts zu tun hat, wohl aber mit Menschen aus Entwicklungsländern, waren die auf der Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen in der DDR tätigen Arbeitskräfte. Mitte 1990 waren es etwa 78.000, darunter 55.000 Vietnamesen, 12.000 Mosambikaner, 4.000 Kubaner und 1.000 Angolaner. Diese, als reine Arbeitskräfte behandelten Ausländer, die nur in der Anfangsphase der Vereinbarungen vielfach noch eine Ausbildung erhielten, mußten einen Teil ihrer Einkünfte in das Entsendeland transferieren, zur Schuldenrückzahlung an die DDR. Für Vietnam erbrachte das 1989 190 Mio M der DDR, für Mosambik 50 Mio M, für Kuba 40 Mio M. Obwohl Menschen hier wie Exportgüter behandelt wurden, gab es offensichtlich besonders in Vietnam und Mosambik viele Bewerber für eine solche Tätigkeit. Durch die veränderte Arbeitsmarktlage nach der Wende wurden diese Arbeitskräfte überwiegend nicht mehr gebraucht, was umfangreiche soziale und humanitäre Fragen aufwarf, die auch durch mannigfaltige Programme der Reintegration nicht aufgefangen werden konnten. 3.1.3 Ein weiterer großer Komplex im Rahmen der unentgeltlichen Hilfe war der Experteneinsatz, d.h. die Entsendung von Experten in Entwicklungsländer, meist im Rahmen von Projekten. In den Jahren 1986-1989 waren durchschnittlich 1.500 FK aus der DDR im Ausland tätig, vorrangig Experten für das Bildungswesen, medizinisches Personal, Ingenieure und Agrarspezialisten. Im Sommer 1990 waren es noch 170 in 15 Ländern. Trotz des Bemühens des MWZ
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vor Ort zu bleiben, waren im Sommer 1990 viele Experten in ihre Heimat zurückgekehrt, besonders medizinisches Personal. Die Rückkehr erfolgte zum Teil aus Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes in der DDR, zum Teil zur Regelung der finanziellen Verhältnisse nach der Währungsunion, auch aus Unsicherheit im Hinblick auf die weitere Bezahlung oder den Fortbestand des Projektes insgesamt, zumal manche Projekte 1990 ausliefen. Eine Sonderstellung in der Projektarbeit nahmen die bereits genannten FDJBrigaden oder EH-Brigaden ein. Vorrganig handelte es sich um Berufsausbildungsprojekte, zu denen als bekanntestes Projekt das Krankenhaus in Managua mit einer sehr großen Zahl Entwicklungshelfern kam. Der im Januar 1990 gebildete Entwicklungspolitische Runde Tisch hatte sich nachträglich für die Weiterfuhrung von 7 FDJ-Projekten eingesetzt; ihre Fortfuhrung wurde später auch Bestandteil der Koalitionsvereinbarung der Regierung de Maizière. Eine Bewertung der DDR-Projekte kann pauschal nicht erfolgen. Sicher ist, daß sie zumindest zum Teil sehr hohes Ansehen in den Partnerländern genossen. Sicher ist aber wohl auch, daß sie vielfach zu wenig auf Förderung der Eigenständigkeit der Partner ausgerichtet waren und entsprechend personalintensiv von Seiten der DDR betrieben wurden. Nach der Wende wurde auch deutlich, daß die produktionsorientierten Projekte, z.B. für Pfeffer, Kaffee, Kautschuk in Vietnam, zu wenig nach marktwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet waren, was durch die Abnahmegarantie der DDR offensichtlich nicht erforderlich schien. Natüdich gab es auch eine Reihe ideologisch dominierter Projekte, die sich aber überwiegend selbst aufgelöst hatten. 3.2 Die sogenannten Präferenzpreise wurden einigen Ländern im Rahmen von Handelsabkommen im Zusammenhang mit einer Kreditvergabe gewährt. Für Kuba bei Zucker, Nickel und Zitrusfrüchten, fur Vietnam bei Kaffee und Pfeffer, für Nicaragua alle Produkte mit einem Preiszuschlag von 100 %, in geringem Umfang auch für Laos, Kambodscha und die MVR. Rein rechnerisch sind Präferenzpreise eine Größe, die sich aus der Differenz der jeweils gültigen Weltmarktpreise zu der politischen Preisfestlegung ergibt. Sie enthalten also einen Transferanteil, der nach Berechnung der Staatlichen Plankommission 1989 in einer Größenordnung von etwa 710 Mio M der DDR lag. Die entwicklungspolitische Relevanz der Präferenzpreise ist umstritten; sicher ist, daß gewährte Kredite leichter zurückgezahlt werden konnten, sicher ist auch, daß andauernde Präferenzpreise kaum zu einer weltmarktorientierten Produktion beitragen können. Die Ermittlung der Nettotransfersumme im Sinne einer Deklarierung als EH wird zumindest durch 2 Aspekte erschwert. Einmal durch die Umrechnung von M der DDR bzw. dem Transferrubel, der als Verrechnungs-
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einheit im Handel zwischen den RGW-Ländern galt, in Dollar und zweitens durch den Tatbestand, daß Lieferungen ja in zwei Richtungen erfolgten, die Preise für DDR-Produkte und ihre Beziehung zu den Weitmarktpreisen im nachhinein indessen schwer zu ermitteln sind. Dessen ungeachtet bin ich schon der Auffassung, daß die Gewährung von Vorzugspreisen für die Partnerländer eine Hilfe war. Im Hinblick auf die zukünftige Behandlung der zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu Vorzugspreisen war es fast ein Glücksfall, daß alle Präferenzpreise - bis auf Kuba für nickel- und kobalthaltige Erzeugnisse - Ende des Jahres 1990 ausliefen. 12 3.3 Regierungskredite Nur in wenigen Fällen hat die DDR Darlehen ausgereicht, über die die Empfängerländer nach eigenem Ermessen verfügen konnten. In der Regel mußten die im Rahmen von Regierungsabkommen bewilligten Kredite innerhalb festgelegter Fristen durch Exportaufträge an die DDR ausgeschöpft werden. Die Laufzeit betrug 10-15 Jahre, die Zinsen lagen bei 1,5-4,5 %; zinslose Kredite erhielten Vietnam, Laos und Kambodscha. Auf der Grundlage von Regierungsabkommen wurden auch Sonderkredite zwischen Banken oder staatlichen Unternehmen für den Export von Waren abgeschlossen. Hier galt eine Laufzeit von 2-8 Jahren, bei Zinsen zwischen 4-8 %. Für bestimmte Waren wie Pharmaka, Textilien, Haushaltsgeräte wurden keine Kredite gewährt. Die Rückzahlung gewährter Kredite erfolgte durch landeseigene Produkte, ihre Abwicklung über Verrechnungs- und Clearingkonten. Die Gewährung von Krediten zeigte Anfang der 80er Jahre eine rückläufige Tendenz13, durch - ein Anwachsen überfälliger Forderungen aus früheren Jahren, - eine abnehmende Aufnahmefähigkeit oder -bereitschaft der Entwicklungsländer für Investitionsvorhaben aus dem Profil der DDR, - steigende wirtschaftliche Schwierigkeiten im eigenen Land. 4. Bemerkungen zur Integration der DDR-EZ in die gesamtdeutsche EZ Die im Vorsommer 1990 beginnenden zahlreichen Arbeitsgruppen und Konsultationen zwischen BMZ und MWZ standen unter der Fragestellung der Fort12 Vom MWZ wurden im 2. Halbjahr 1990 annähernd 15 Mio DM für Vorzugspreise bereitgestellt, davon rd. 3,3 Mio fur Gährungsalkohol aus Kuba, 0,7 Mio für Nickelkonzentrate aus Kuba und 8,7 Mio fiir die Lieferung von Magermilchpulver an Kuba als Ausgleichszahlungen. 13 1986 lag die Kreditvergabe bei 1,5 Mrd. M der DDR, 1987 bei 1,3 Mrd., 1989 bei 0,8 Mrd.
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fiihrung, Modifizierung oder Beendigung der DDR-EZ-Aktivitäten. Einig waren sich dabei alle Gesprächspartner, daß durch die Einheit den Entwicklungsländern kein Schaden zugefugt werden dürfe. Ob diese Zielstellung generell erreicht wurde, muß bezweifelt werden, denn es gab von Anfang an Problembereiche, neben relativ problemlosen und offenen Fragen. Zu den Problembereichen gehörte rein geographisch Kuba, wo eine Fortfuhrung staatlicher EZ aus politischen Gründen abgelehnt wurde, was bis zum heutigen Tage gilt. Eine kirchliche und NRO-Tätigkeit wurde damit naturgemäß nicht ausgeschlossen. Zu Kambodscha, Äthiophien, Angola und Afghanistan blieb die staatliche EZ der Bundesrepublik wegen fehlender diplomatischer Beziehungen bzw. interner Auseinandersetzungen zweitweilig ausgesetzt. Für Afghanistan gilt das bis heute. Problematisch, zumindest aus unserer Sicht, blieb auch die aus fehlender Rückzahlung von DDR-Krediten resultierende Schuldenproblematik. Das MWZ hatte im Frühsommer 1990 versucht, im Rahmen der LDC-Konferenz in Paris einen Schuldenerlaß in Höhe von etwa 400 Mio Dollar für die LDC-Länder zu gewähren, wobei sich das BMZ durchaus aufgeschlossen zeigte. Nicht eingeholt werden konnte die Zustimmung des BMF. Das BMF begründete seine Ablehnung mit noch ungeklärten Fragen der Qualifizierung der DDR-Kredite als EHLeistungen und der Notwendigkeit von Einzelprüfungen gemäß den OECDDAC-Kriterien. Hingewiesen wurde auch auf mögliche Reaktionen der Öffentlichkeit. 14 Nach dem Stand vom 1. Juli 1990 betrug der Forderungsbestand der DDR gegenüber Entwicklungsländern - ohne RGW-Länder - 6,2 Mrd. DM. Er setzte sich aus Regierungskrediten, Umschuldungsabkommen sowie Zahlungsabkommen zusammen. Diese Summe hat sich nach Informationen des BMF bis 31.12.1995 auf 4,2 Mrd. D M vermindert, durch reguläre Bezahlung (0,3 Mrd.), Vermarktung von Forderungen (0,6 Mrd.) sowie Teilschuldenerlasse im Rahmen bilateraler Umschuldungsabkommen der Bundesregierung (ca. 1 Mrd. DM). Hinzu kamen allerdings auch weitere Zinsbelastungen (ca. 0,2 Mrd.). Etwa die Hälfte aller ausstehenden Forderungen entfällt auf den Irak (1,325 Mrd.) und Syrien (0,91 Mrd.). Die Transferrubelguthaben der DDR gegenüber den früheren RGW- bzw. COMECON-Ländern betrugen 1990 12 Mrd. Transferrubel = 28 Mrd. DM. Nach Auffassung des BMF entsprachen diese Guthaben einem realen Gütertransfer. Mit 8 früheren RGW-Ländern 15 konnten Verhandlungen abgeschlossen und Zahlungen von insgesamt 1,17 Mrd. D M vereinbart werden. Von diesen
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Konsultation BMZ/MWZ in Konstanz 26727. Juni 1990 Ungarn, Polen, Albanien, Vietnam, Mongolei, Rumänien, Kambodscha, Laos
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wurden 657 Mio D M bereits realisiert. Mit 3 weiteren Ländern 16 gibt es noch Verhandlungen. Mit Rußland wurden diese für 8 Jahre ausgesetzt. 1 7 Zu den relativ problemlosen Bereichen gehörte der gesamte Komplex der Bildung, Aus- und Fortbildung, da generell Übereinkunft bestand, daß alle ausländischen Studenten und Auszubildenden ihre Ausbildung weiterführen und abschließen sollen, sofern es sich nicht um politische Ausbildungsgänge handelt, die es ohnehin nicht mehr gab. Über 4000 Studenten wurden entsprechend der Ressortverteitung in der Bundesrepublik dem A A zugeordnet, dem BMZ verblieben 2145 Auszubildende, die von der CDG bzw. der DSE übernommen wurden. Die CDG hatte in allen neuen Bundesländern Landesstellen eingerichtet, die DSE einige Ausbildungsstätten der früheren DDR integriert. 18 Zu Problemen im Ausbildungsbereich kam es bei der praktischen Realisierung der Beschlüsse, da zahlreiche Ausbildungsbetriebe und auch universitäre Bereiche nach der Wende geschlossen bzw. abgewickelt wurden. Es galt also entsprechend neue Ausbildungseinrichtungen zu finden. Für Projekte und den Experteneinsatz wurden Evaluierungen vereinbart, die darüber entscheiden sollten, ob und in welcher Form sie weiterzuführen sind. Nach der Bilanz vom 3.10.1990 waren von 106 Projekten in 15 Ländern 64 durch das BMZ vorgesehen 19, 4 Projekte wurden dem A A übergeben, bei 4 Projekten sollte die Weiterführung durch NRO erfolgen (Kambodscha, Laos, Vietnam). Bei 34 Projekten wurde eine Nichtweiterführung beschlossen, weil die Partner kein Interesse mehr hatten (z.B. Angola - Hafenlotse -, Jemen - polytechnischer Unterricht -, Indien - Schiffstechnik -), die Projekte vorwiegend kommerziellen Charakter hatten (Getreidesilo in Algerien, Mühlenberatung in Syrien), die entwicklungspolitische Relevanz nicht gegeben war (z.B. Berater der Schule für Staat und Recht in Mosambik oder Ausbildung für den Öffentlichen Dienst in Angola). Insgesamt kann man sagen, daß die EZ der Bundesrepublik durch die Integration von EZ-Vorhaben aus der früheren DDR sowohl länderweit (Mongolei, Mosambik, Äthiopien, Vietnam) als auch sektoral (Bildung, Gesundheit) erwei-
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Bulgarien, Tschechien und Slowakei sowie Kuba Vorlage BMF Nr. 63/96 Haushaltsausschuß 13. Wahlperiode 18 Tschortau als Außenstelle der Zentralstelle fiür Ernährung und Landwirtschaft in Felderfing, Magdeburg als Außenstelle der Zentralstelle fiir gewerbliche Berufsförderung in Mannheim, Berlin-Lichtenberg als Außenstelle der Zentralstelle fur Gesundheit in Berlin. 19 Davon 8 vom DED, 26 CIM-Verträge, 20 TZ- und 10 FZ 17
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tert wurde. Ob dies ausreicht für eine insgesamt positive Bilanz, bleibt - zumindest für mich - eine offene Frage, die allerdings kaum zu trennen ist von der allgemeinen Frage nach dem Stellenwert von Entwicklungspolitik in Politik und Öffentlichkeit in unserem Lande und der sich im Verlauf der letzten Jahre entwickelten EZ der Bundesrepublik zu den Schwerpunktländern der früheren DDR.
Hans-Georg Schleicher
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT UND AUSSENPOLITIK DER DDR: DAS BEISPIEL AFRIKA 7. Solidarität
und Entwicklungszusammenarbeit
Von 1976 bis 1989 stand Jahr für Jahr in schöner Regelmäßigkeit der Punkt "Information über die Hilfeleistung der DDR gegenüber Entwicklungsländern, in ökonomischer Hinsicht weniger entwickelten sozialistischen Ländern und von der DDR anerkannten nationalen Befreiungsbewegungen" auf der Tagesordnung des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der SED.1 Die Tatsache, daß die höchste Entscheidungsinstitution des Landes über die Veröffentlichung von Daten über jeweils im Vorjahr geleistete Hilfe befand, zeigt die Sensibilität dieser Problematik Entwicklungszusammenarbeit für die DDR. Der Begriff Entwicklungszusammenarbeit selbst wurde in der DDR nicht gebraucht. Analytiker haben immer wieder beklagt, wie undurchsichtig die Entwicklungszusammenarbeit der DDR insgesamt war und daß offensichtlich nur dem ehemaligen Politbüro ein genauer Überblick über Lieferungen und Leistungen vorgelegen haben dürfte. 2 Tatsächlich gab es in der zentralistischen Struktur der DDR keine zentrale entwicklungspolitische Institution, erst sehr spät (1988) ist überhaupt die Koordinierung entwicklungspolitischer Maßnahmen auf staatlicher Ebene fixiert worden. Entwicklungszusammenarbeit in der DDR war nicht eigenständig konstituiert, sie war in erster Linie Bestandteil der Außenpolitik, in zunehmendem Maße auch der Außenwirtschaftspolitik. Darüber hinaus spielten Kultur» und andere zwischenstaatliche Beziehungen, aber auch solche auf der Ebene formaler Nichtregierungsorganisationen eine Rolle. Die Lösung der Entwicklungsprobleme der Dritten Welt, deren globale Dimension erkannt wurde, deren Ursachen jedoch ausschließlich dem Erbe des Kolonialismus und der westlich dominierten neokolonialen Weltwirtschaftsordnung zugewiesen wurden, war im Verständnis der DDR nur durch tiefgrei1 Der letzte derartige Beschluß ist am 4.4.1989 zu den Hilfslieferungen für 1988 gefaßt worden. Vgl. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (SAPMO-BArch), DY 30/ J IV 2/2.A/3207: Information über Hilfeleistungen an Entwicklungsländer für 1988. 2 Vgl. Burghard Claus/Hans-Helmut Taake: Die Entwicklungspolitik der DDR - Ein Rückblick, in: Ulrich van der Heyden/Ilona und Hans-Georg Schleicher (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, Hamburg 1993, S. 245-258, hier S. 246-247.
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fende gesellschaftliche Veränderungen im Sinne einer sozial gerechteren Gesellschaftsordnung und durch die damit verbundene Befreiung von kolonialer und neokolonialer Abhängigkeit zu erreichen. Der "Entwicklungshilfe" westlicher Provenienz, die als neokoloniales Element der "Verwertungsbedürfnisse des Monopolkapitals" und als Druckmittel gegen die „antiimperialistischen Kräfte" in der Dritten Welt bezeichnet wurde, stellte man die Unterstützung der sozialistischen Staaten für die Entwicklungsländer auf der Grundlage von Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung und des gegenseitigen Vorteils im Interesse des sozialen Fortschritts gegenüber.3 Entwicklungspolitik konzentrierte sich folgerichtig auf die Unterstützung von Bemühungen in der Dritten Welt, die als Ansätze "progressiver gesellschaftlicher Veränderungen" perzipiert wurden. Das betraf zunächst den antikolonialen Befreiungskampf, später verlagerte sich der Schwerpunkt des entsprechenden Engagements der DDR auf die Unterstützung von Staaten einer "nichtkapitalistischen" bzw. "sozialistisch orientierten" Entwicklung. 4 Im politisch-ideologischen Verständnis der DDR war die nationale Befreiungsbewegung (hier als Gesamtheit der Kräfte des Dekolonialisierungsprozesses verstanden) einer der Hauptströme der revolutionären Weltbewegung unter Führung der Sowjetunion in der Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Die Zusammenarbeit mit der nationalen Befreiungsbewegung - entsprechend der genannten ideologischen Prämissen als "natürliches Bündnis" apostrophiert - wurde weitgehend fur die Systemauseinandersetzung instrumentalisiert. Von dieser verengten Sicht, die mit einer wenig realistischen Einschätzung der Lage und der Bedürfnisse der Entwicklungsländer verbunden war, begann man sich sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch in der Politik erst in den 1980er Jahren zu lösen. Zwei wichtige politisch-ideologisch determinierte Grundprinzipien der Außenpolitik, der proletarische Internationalismus und die antiimperialistische Solidarität, waren und blieben jedoch fur die Politik gegenüber den Entwicklungsländern und damit auch die Entwicklungszusammenarbeit mitbestimmend, internationale Solidarität war seit 1974 Verfassungsgebot in der DDR. Der aus der deutschen Arbeiterbewegung tradierte Begriff Solidarität wurde zu einem wichtigen Paradigma ostdeutscher Afrikapolitik. Solidarität als "edle Tradition klassenbewußten Handelns" wurde zur Staatspolitik und Herzenssache proklamiert, sie wurde als "moralische Norm und selbstverständliche Pflicht"
3 4
Vgl. Wörterbuch der Außenpolitik und des Völkerrechts, Berlin (Ost) 1980, S. 151-153
Die Positionen der DDR-Wissenschaftler zu dieser Frage wurden zusammengefaßt in: Autorenkollektiv (Leitung: Gerhard Brehme): Sozialistische Orientierung national befreiter Staaten. Grundprobleme, Hauptprozesse, Berlin (Ost) 1985.
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gegenüber Klassenbrüdern, Freunden und Verbündeten geübt.5 Es soll dabei nicht übersehen werden, daß bei einer Reihe von Vertretern der DDR-Führung tatsächlich aus eigenem persönlichen Erleben des illegalen Kampfes oder der Haft unter dem nationalsozialistischen Regime bzw. der Jahre im Exil der Begriff Solidarität eine emotional untersetzte große Bedeutung hatte. Das erklärt beispielsweise auch, warum Partei- und Staatschef Erich Honecker selbst in den 1980er Jahren trotz zugespitzter krisenhafter ökonomischer Entwicklungen keine Abstriche an der Hilfe für die Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika zuließ.6 Solidarität war ganz klar politisch-ideologisch, nicht primär entwicklungspolitisch determiniert. Dieser Begriff, der im Osten anders als im Westen Deutschlands gebraucht wurde, der in den letzten Jahren sehr umstritten, heftig diskutiert und teilweise als entwertet betrachtet wurde, ist trotz seiner ideologischen Determinierung und - darauf wird noch einzugehen sein trotz seiner politischen Instrumentalisierung, nicht einfach abzutun. Tatsächlich hat er für viele in und mit der Dritten Welt Engagierte in der DDR einen inhaltlichen Wert besessen, nur aus dem heraus überzeugtes und überzeugendes persönliches Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit erklärlich ist, das von Partnern in der Dritten Welt noch heute gewürdigt wird. Winfried Boll hat davon gesprochen, daß Entwicklungspolitik zu einem Teil der westdeutschen Identität geworden ist. Ohne das gleichsetzen zu wollen, hat spiegelbildlich auch in der DDR Solidarität eine identitätsstiftende Wirkung gehabt. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß dieser Begriff sehr unterschiedliche Reaktionen und Emotionen auslöst. 2. Entwicklungen in der Afrikapolitik Die ersten Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika waren unmittelbarer Bestandteil der Unterstützung der DDR für den Dekolonialisierungsprozeß. Sie reflektierten gleichzeitig ihre enge Verknüpfung mit der OstWest-Auseinandersetzung. Aufgrund der radikalen Veränderungen im Osten Deutschlands nach 1945 waren dort traditionelle Kontakte und Beziehungen zu Afrika weitgehend verlorengegangen. Das betraf - im Gegensatz zur Bundesrepublik - auch vorher bestehende Wirtschaftsverbindungen. Neue Beziehungen wurden in den 1950er Jahren über sogenannte gesellschaftliche, formal Nichtregierungs-Organisationen, vor allem die Gewerkschaften, hergestellt, und später auch für den Aufbau staatlicher Beziehungen genutzt. Es wurde versucht, das Fehlen historischer, 5
Vgl. Kurt Seibt: Internationale Solidarität - grundlegendes Prinzip der DDR-Politik (herausgegeben vom Solidaritätskomitee der DDR) o.O. (Berlin-Ost) o.J. (1978), S. 2. 6
Vgl. Interview mit Günter Sieber, ehemaliger Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED (1980-89), Strausberg 11.4.1996. 7 Bücking
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traditioneller wirtschaftlicher und kultureller Kontakte durch ideologische Affinität und betonte politische Gemeinsamkeiten zu kompensieren. Anknüpfungspunkte für den ostdeutschen Staat, der aufgrund der westdeutschen Hallstein-Doktrin zunächst international weitgehend isoliert war und nur schwer Zugang zu den von den Verbündeten der Bundesrepublik beherrschten Kolonialgebieten Afrikas hatte, boten insbesondere nach 1945 entstandene, zumeist von der UdSSR dominierte internationale Organisationen. 7 Hier konnte die DDR Kontakte zu nationalen Befreiungsbewegungen herstellen und ausbauen, hier wurde diesen erste Unterstützung gewährt. 1951 begann mit einer ersten Gruppe nigerianischer Studenten die Ausbildung von Afrikanern in der DDR. 8 Es entsprach der durch den Kalten Krieg geprägten Situation, aber auch dem Solidarverständnis der DDR, daß vor allem Konfliktsituationen Ansatzpunkte für das Engagement der DDR in Afrika boten - das waren in Nordafrika, das in diesem Beitrag weitgehend ausgeklammert wird, Ägypten während der Suezkrise und der Befreiungskrieg in Algerien, das waren im subsaharischen Afrika zunächst Guinea und der damalige Kongo (Zaire). Als Guinea aufgrund eines deutlichen Bruchs mit der Kolonialmacht Frankreich bei seiner Unabhängigkeit 1958 sich einem westlichen Boykott ausgesetzt sah, sprang die DDR gemeinsam mit anderen Ostblockstaaten in die Bresche. Das erste internationale Abkommen der Republik Guinea wurde mit der DDR abgeschlossen (Handelsund Kulturabkommen 17.11.1958). Afrika bot auf dem Höhepunkt des Dekolonialisierungsprozesses um das Jahr 1960 der auf diplomatische Anerkennung orientierten DDR-Außenpolitik einen gewissen Spielraum, den sie anderenorts infolge der westlichen Solidarität mit der Bundesrepublik nicht fand. Hier schien ein günstiges außenpolitisches Aktionsfeld, wo sich Prinzipien ("antiimperialistische Solidarität", Unterstützung des "revolutionären Weltprozesses") mit politischen und ökonomischen Eigeninteressen (internationale Anerkennung, Sicherung von Rohstoffimporten) verbanden. Die deklarierte Solidarität der DDR für den antikolonialen Kampf wurde durch politische und materielle Unterstützung, vor allem aber Ausbildungsleistungen unterlegt. Frühzeitig wurden Beziehungen zu nationalistischen Bewegungen entwickelt, die damals durchaus von prinzipiellen politischen Erwägungen bestimmt wurden und nicht notwendigerweise bereits langfristig auf eine spätere Nutzung für die Herstellung staatlicher Beziehungen ausgelegt waren.
7
Dazu gehörten u.a. der Weltgewerkschaftsbund (WGB), der Weltbund der demokratischen Jugend (WBDJ), der Internationale Studentenbund (ISB), die Internationale Demokratische Frauenföderation (IDFF) und die Internationale Organisation der Journalisten (IOJ). 8 Vgl. Hans-Georg Schleicher: Entwicklungspolitik der DDR, in: E+Z 36(1995)8, S. 102-105, hier S.204.
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Die Einbindung der Entwicklungszusammenarbeit in die Außenpolitik manifestierte sich bereits am Beginn einer eigenständigen Afrikapolitik der DDR in einem umfänglichen Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 4. Januar I960. 9 Dieser in erster Linie politisch, weniger ökonomisch geprägte Grundsatzbeschluß zur Afrikapolitik beinhaltete auch Festlegungen über die Ausbildung von Studenten und Facharbeitern, materielle Hilfe, den Einsatz von Lehrern und Spezialisten, Unterstützung auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet sowie im wissenschaftlich-technischen Bereich. Er traf darüberhinaus Festlegungen für die sogenannten gesellschaftlichen Organisationen und deren Aktivitäten gegenüber Afrika. Mit diesem Beschluß wurden gleichzeitig Institutionen geschaffen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die weitere Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika wurden: ein Solidaritätsfonds für afrikanische Befreiungsbewegungen, aus dem das Solidaritätskomitee der DDR hervorging, 10 ein Programm der Staatlichen Plankommission über die Bereitstellung von Experten zum Einsatz in Entwicklungsländern, das Afrika-Institut in Leipzig sowie Institute für Tropenmedizin und für tropische und subtropische Landwirtschaft in Rostock bzw. in Leipzig. Mit diesem Politbüro-Beschluß wurde die Afrikapolitik, als regionaler Teilbereich der Außenpolitik der DDR konstituiert, der Beschluß implizierte damit wichtige Elemente der Entwicklungszusammenarbeit. Wesentliche Determinanten der Afrikapolitik waren insbesondere in der Frühphase eine starke deutschlandpolitische Komponente mit der prononcierten Abgrenzung zur Bundesrepublik, das ausgeprägte Legitimations- und Prestigebedürfnis der DDR-Führung, die Einordnung in die von der Sowjetunion dominierte Politik der "Sozialistischen Staatengemeinschaft" und wirtschaftliche Eigeninteressen. Neben den deutschlandpolitisch geprägten Hauptaufgaben der DDR-Außenpolitik beinhalteten die Zielstellungen der DDR in Afrika das Streben nach diplomatischer Anerkennung, die Unterstützung "antiimperialistischer Kräfte" und der "nichtkapitalistischen Entwicklung" afrikanischer Staaten sowie die Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen. Regionale Schwerpunkte waren politisch bestimmt. Die Afrika-Politik trug anfangs voluntaristische Züge und ließ eine beträchtliche Diskrepanz zwischen angestrebten Zielen und der Realität des Machbaren erkennen. Schnell mußten Illusionen abgebaut werden. Der Durchbruch bei der diplomatischen Anerkennung gelang nur im Ausnahmefall (Zanzibar), statt dessen konzentrierte sich die DDR auf den systematischen Aufbau breitgefächerter Beziehungen zu einzelnen Schwerpunktländern. In dieser Phase wur9 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/20/53: Entwicklung der Beziehungen der DDR zu den afrikanischen Staaten. 10 22.7.1960 Gründung des "Komitees für die Solidarität mit den Völkern Afrikas", 1963 in Afro-Asiatisches Solidaritätskomitee der DDR, 1973 in Solidaritätskomitee der DDR umbenannt.
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den Grundlagen für das Instrumentarium ostdeutscher Entwicklungszusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlich-technischen und kulturell-wissenschaftlichen Zusammenarbeit gelegt. Bis 1969 konnte die Bundesrepublik mit der Hallstein-Doktrin die diplomatische Anerkennung der DDR verhindern, allerdings nicht deren politisch-diplomatische Isolierung durchsetzen. Die HallsteinDoktrin zwang die DDR zur Entwicklung einer Vielfalt entwicklungspolitisch geprägter nicht- und halbstaatlicher Beziehungen unterhalb der Schwelle der Anerkennung, die dann später als Grundlage der außenpolitischen Offensive der DDR in Afrika genutzt wurden. Die Auseinandersetzung mit der Hallstein-Doktrin erfolgte zu diesem Zeitpunkt sowohl auf politischem und propagandistischem, als auch auf entwicklungspolitischem Gebiet. Eine Reihe afrikanischer Konflikte gab der DDR Gelegenheit zur Demonstration ihrer Solidarität. Ansatzpunkte bot auch die teilweise antiwestliche Ausrichtung afrikanischer politischer Kräfte mit dem Streben nach sozioökonomischen Veränderungen, alternativen Entwicklungskonzepten und der Suche nach Verbündeten. Afrikapolitik wurden auch in der Folgezeit nicht im luftleeren Raum gestaltet. Der Ost-West-Konflikt blieb ein entscheidendes strukturierendes Prinzip für die Außenpolitik der DDR einschließlich ihrer entwicklungspolitischen Komponente. Das wurde Mitte der 1970er Jahre sehr deutlich, als sich die Ost-WestAuseinandersetzung in der Dritten Welt verschärfte und in Afrika ihre Süddimension erhielt. Entwicklungszusammenarbeit wurde noch stärker als zuvor nach strategischen, ideologischen und politischen Kriterien gestaltet. Die Afrikapolitik erhielt mit dem Zusammenbruch des portugiesischen Kolonialreiches in Afrika in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einen Schub. Eine wichtige Zäsur stellte die Parteinahme der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in den Machtkämpfen in Angola, Moçambique und Äthiopien sowie die Entscheidung dieser Staaten für eine enge politisch-ideologische Anlehnung an die sozialistischen Länder dar. Im südlichen Afrika wurde die Chance gesehen, dem Westen eine strategische Niederlage zuzufügen und den Einfluß der UdSSR und des Ostblocks insgesamt zu erweitern. Die DDR beteiligte sich vor allem durch ein konzentriertes systemstabilisierendes Engagement gegenüber den genannten Staaten und die massive Unterstützung von Befreiungsbewegungen. 11 Im Zuge dieser Entwicklung erlebte die DDR-Afrikapolitik Ende der 1970er Jahre ihren Höhepunkt. 1979 wurden mit den genannten Ländern die ersten Freundschaftsverträge außerhalb des sozialistischen Lagers unterzeichnet. Sehr rasch zeigte sich jedoch, daß die klassenkampf- und prestigeorientierte Afrikapolitik diesen 11 Materielle Hilfe, Ausbildungs- und andere Leistungen für die Befreiungsbewegungen Zimbabwes, Südafrikas und Namibias beliefen sich 1975 auf 3,15 Millionen Mark. Bis 1979 hatte sich ihr Umfang auf 16 Millionen Mark mehr als verfünffacht. Vgl. Ilona Schleicher: Statistische Angaben zur Solidarität mit Befreiungsbewegungen und Staaten im südlichen Afrika, in: Ulrich van der Heyden/Ilona Schleicher/Hans-Georg Schleicher: Engagiert fiir Afrika. Die DDR und Afrika Bd. II, Münster, Hamburg 1994, S. 147-157, hier S. 152.
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Umfangs für die DDR und vor allem für ihre gestreßte Ökonomie eindeutig überdimensioniert war. Krisengeprägte ökonomische Zwänge, die seit Anfang der achtziger Jahre stark eurozentristische Orientierung der Außenpolitik, nicht zuletzt aber die wachsende Erkenntnis vom Scheitern sozialistischer Experimente in Angola, Moçambique und Äthiopien bewirkten in den 1980er Jahren einen Abbau der Bedeutung Afrikas in der Außenpolitik der DDR. Die Afrikapolitik wurde den Schwerpunkten Friedenssicherung und Abrüstung untergeordnet und entsprechend reduziert, zehrte aber noch lange von den seit den 1960er Jahren aufgebauten Positionen. Von Anbeginn an ist die Afrikapolitik der DDR entscheidend von der Einbindung in das von der UdSSR dominierte östliche Bündnis bestimmt worden 12 . Als vielleicht wichtigster Juniorpartner der UdSSR in Afrika verfolgte die DDR en detail z.T. spezifische eigene Ziele (z.B. diplomatische Anerkennung, innenpolitische Legitimität, internationales Prestige, ökonomische Interessen). Die afrikanische Perzeption der DDR als Mittelmacht ohne eigene Großmachtinteressen gab ihr im Vergleich zur UdSSR oftmals größeren Spielraum. Bei prinzipieller Übereinstimmung mit der Sowjetunion setzte die DDR durchaus unterschiedliche Schwerpunkte in der Afrikapolitik. Ohne entsprechende dezidierte Festlegungen gab es in Afrika ein arbeitsteiliges Vorgehen mit engen Beziehungen der DDR zu den Befreiungsbewegungen und einer Konzentration auf die Staaten "sozialistischer Orientierung", dort wiederum vor allem auf die Bereiche Ausbildung, Landwirtschaft, Gesundheits- und Erziehungswesen, Sicherheitszusammenarbeit sowie politisch-ideologische Kooperation beim Aufbau staatlicher und politischer Strukturen. Die Entwicklungszusammenarbeit der DDR in Afrika wurde vor allem durch Ausbildungsleistungen, Warenlieferungen und den Einsatz von Fachkräften bestimmt. Politische Ausstrahlung erzielte diese Politik unter Nutzung der zentralistischen Strukturen der DDR durch den zeitlich wirkungsvollen, auf politisch und ökonomisch relevante Projekte und auf wenige Schwerpunktländer konzentrierten Einsatz der ansonsten eher begrenzten Mittel. Politisch-diplomatisch unterstützte die DDR die Entwicklungsländer bei ihren Bemühungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung. Dabei geriet man jedoch zunehmend in Konflikt mit der eigenen Außenwirtschaftspraxis.
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Vgl. Hans-Georg Schleicher: Juniorpartner der Sowjetunion: die DDR im südlichen Afrika, in: Michael Behrens/Robert von Rimscha (Hrsg.): Südafrika nach der Apartheid, Nomos 1994, S. 59-74.
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3. Implementierung der Entwicklungspolitik in Afrika: Entscheidungsprozesse, Institutionen und Instrumentarien Die Verwirklichung der Afrika- wie der Außenpolitik insgesamt erfolgte unter politischer Leitung der SED, nach entsprechender Vorbereitung in der Abteilung Internationale Verbindungen (IV) des ZK der SED, im Außenministerium und anderen Fachministerien wurden wichtige Entscheidungen durch das Politbüro bzw. durch das Sekretariat des ZK gefaßt, in der Spätphase der DDR zunehmend auch durch Honecker allein. Die Volkskammer (Parlament) spielte kaum eine Rolle im Entscheidungsprozeß. Parteibeschlüsse wurden anschließend im Präsidium des Ministerrates staatlich formalisiert. Die Führungsrolle der SED garantierte ungeachtet durchaus vorhandener Differenzen und unterschiedlicher Interessenlagen eine nach außen hin einheitliche Afrikapolitik, die weitgehend auch die "gesellschaftlichen Organisationen" und die Medien kontrollierte. So wenig wie Entwicklungspolitik als eigenständigen Politikbereich gab es in der DDR spezifische Organisationsformen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in ihrer Ganzheit. Das betraf auch Kriterien, Rahmenbedingungen, Zielstellungen und eine diesbezügliche Kontrolle der Entwicklungszusammenarbeit. Politische, später in wachsendem Maße auch außenwirtschaftliche Erwägungen waren für Planung und Durchführung der entwicklungspolitischen Maßnahmen ausschlaggebend. Politische Anleitung und Kontrolle der Entwicklungszusammenarbeit der DDR erfolgte wie in der Außenpolitik insgesamt durch den Apparat des ZK der SED. Bereits 1964 legte das Sekretariat des ZK fest, daß alle "gesellschaftlichen Organisationen" Jahrespläne für ihre Solidaritätsarbeit aufzustellen hatten, die in Abstimmung mit der Staatlichen Plankommission (SPK) und verschiedenen Ministerien zu koordinieren und dem ZK zur Bestätigung vorzulegen waren 13 . Im Dezember 1977 wurde vor allem unter dem Eindruck der im Verlauf des Jahres sprunghaft entwickelten Beziehungen zu den neuen Schwerpunktländern in Afrika die organisatorisch bei der SPK angesiedelte und vom Sekretär des ZK für Wirtschaftsfragen Günter Mittag geleitete "Kommission des Politbüros des ZK der SED zur Koordinierung der ökonomischen, kulturellen und wissenschaftlich-technischen Beziehungen der DDR zu Ländern Asiens, Afrikas und des arabischen Raumes" ("Mittag-Kommission") gegründet. 14 Die Zusammensetzung der Kommission mit mehreren Politbüromitgliedern und hochrangigen Wirtschaftsfunktionären (außerdem waren die Abteilung IV des ZK und die Ministerien für Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und Staatsicherheit
13 14
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3/947: Sitzung Sekretariat ZK 29.1.1964. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/2/1705: Protokoll Politbüro-Sitzung 20.12.1977.
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vertreten) unterstrich zum einen die gewachsene Bedeutung der Entwicklungsländer, zum anderen die Priorität außenwirtschaftlicher Aspekte. Wichtigstes Exekutivorgan für die Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit mit den Schwerpunktländern der Afrikapolitik wurde der Bereich "Kommerzielle Koordinierung" (KoKo) des Ministeriums für Außenhandel unter Leitung des Staatssekretärs Alexander Schalck-Golodkowski, der "Sonderbeauftragte der Parteiführung und der Regierung der DDR" 1 5 für diese Länder ernannte, dort zusätzliche Wirtschaftspolitische Abteilungen der Botschaften einrichtete und weitgehende Vollmachten gegenüber allen an der ökonomischen und Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Ländern beteiligten DDR-Institutionen erhielt. 16 Dabei kam es durchaus zu Kollisionen mit dem eigentlich für die Leitung der Gesamtbeziehungen zum jeweiligen Land vor Ort zuständigen DDRBotschafter. Komplexe Konzeptionen für die Zusammenarbeit mit den Schwerpunktländern wurden erarbeitet, in der Mittag-Kommission bestätigt und vom Sekretariat des ZK der SED beschlossen, an deren Umsetzung im Falle Moçambiques beispielsweise mehr als 20 DDR-Ministerien und darüberhinaus eine Reihe gesellschaftlicher Organisationen beteiligt waren. 17 Außenwirtschaftliche Faktoren hatten bereits in der Frühphase der DDRAfrikapolitik zeitweise eine größere Rolle gespielt. Anfang der 1960er Jahre bestand die Vorstellung, über die ökonomische Zusammenarbeit der sozialistischen Länder mit den neuentstandenen afrikanischen Staaten einen entscheidenden Beitrag zu deren Entwicklung leisten und damit ihre Abhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten reduzieren zu können. 18 Sehr schnell hatte die praktische Afrikapolitik gezeigt, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR den damit verbundenen Aufgaben nicht gewachsen war. Es waren vor allem politische Faktoren, die in der Folge die Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Staaten bestimmten. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, als mit Angola, Moçambique und Äthiopien auch ökonomisch interessante Länder Schwerpunkte der Afrikapolitik wurden. Die Lösung der Entwicklungsprobleme dieser Länder im marxistisch-leninistischen Sinne schien der DDR attraktive Möglichkeiten ökonomischer Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit zu bieten. Aber auch hier kehrte bald Ernüchterung ein. Keines dieser Länder bekam seine Entwicklungsprobleme in den Griff. Zusätzlich zu spezifischen indigenen und zu allgemeinen Entwicklungspoble15
Vgl. Bundesarchiv, Abteilungen Reich und DDR, Berlin (BArch), C-20 1/4-4009: Beschluß Präsidium Ministerrat 17.2.1978. 16 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3 A-3333: Einheitliche Leitung und Koordinierung Aktivitäten DDR gegenüber VRM (27.6.1979). 17
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/3 A-3375: Konzeption Beziehungen DDR-Moçambique (10.10.1979). 18 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/20/53: Entwicklung Beziehungen DDR-afrikanische Staaten 1961.
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men zeigte sich, daß in keinem dieser Länder die adaptierten Methoden zentralistischer Planwirtschaft funktionierten, ausschlaggebend für die Zuspitzung der Lage waren jedoch innere bewaffnete Konflikte, die teilweise durch Destabilisierung und Aggression von außen noch verschärft wurden. Von dieser Entwicklung waren auch DDR-Projekte betroffen. Zudem wurden die eigenen Schwierigkeiten der DDR-Wirtschaft immer gravierender. Die kritische ökonomische Lage der DDR und ihre hohe Verschuldung Anfang der 1980er Jahre führten zu einer aggressiven Exportoffensive mit der Orientierung auf die Erwirtschaftung harter Devisen um jeden Preis. Das hatte Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Als 1988 nach zweijährigen Vorbereitungen durch die SPK ein Arbeitsregime zur Koordinierung und Abrechnung entwicklungspolitischer Aktivitäten der DDR erstellt und in einer Ordnung zur Gestaltung der Entwicklungspolitik der DDR (Ministerratsbeschluß vom 7.11.1988) festgeschrieben wurde, war darin der Passus enthalten, daß Entwicklungshilfe "so zu gewähren (sei), daß ihr effektiver Einsatz mit den gesamtvolkswirtschaftlichen Interessen der DDR, den Zielen der Außenpolitik und der solidarischen Unterstützung der Entwicklungsländer übereinstimmt." 19 Im Klartext: die DDR verfolgte in ihrer Entwicklungspolitik wie die meisten westlichen Industriestaaten neben politischen auch handfeste außenwirtschaftliche Eigeninteressen. Mit der genannten Ordnung wurde erstmals - knapp zwei Jahre vor dem Ende der DDR - eine formal staatliche Koordinierung entwicklungspolitischer Maßnahmen in der DDR institutionell verankert. Dabei wurden neben den staatlichen Institutionen auch die "gesellschaftlichen Organisationen" erfaßt, insgesamt etwa 60 Akteure der Entwicklungszusammenarbeit. Die Entwicklungszusammenarbeit dieser "gesellschaftlichen Organisationen" wurde seit 1960 durch das Solidaritätskomitee koordiniert, das - formal selbständig - tatsächlich dem ZK der SED unterstand und in zunehmendem Maße als Instrument der DDR-Außenpolitik mit spezifisch entwicklungspolitischer Aufgabenstellung wirksam wurde. Seine Solidaritäts- (d.h. unentgeltlichen) Leistungen erhielten vor allem Befreiungsbewegungen, aber auch Entwicklungsländer. Seit Beginn der 1980er Jahre hat das Solidaritätskomitee verstärkt bislang staatlich finanzierte Entwicklungshilfe im Bildungsbereich übernommen. Solidaritätsmittel wurden auch zur Komplementierung außenwirtschaftlicher Aufgaben eingesetzt, beispielsweise durch die Errichtung sozialer Einrichtungen bei Projekten wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Solidarität erfüllte in der DDR auch eine innenpolitische Funktion. Aktionen der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, das Streben der Entwicklungsländer nach größerer politischer und ökonomischer Unabhängigkeit wurden als 19
Vgl. BArch, C-20 1/3-2734: Koordinierung und Abrechnung Hilfeleistungen DDR gegenüber Entwicklungsländern.
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Erfolge der revolutionären Weltbewegung und als Beweis für die Richtigkeit der eigenen Lehre propagiert. Insbesondere der Kampf gegen Kolonialismus und Rassismus und der Vietnam-Krieg haben eine beachtliche Resonanz in der Bevölkerung gefunden, die sich auch in der Bereitschaft zum persönlichen Engagement vor allem durch Spenden ausdrückte. Der Kampf der Befreiungsbewegungen in Afrika, die Forderung nach Freilassung Nelson Mandelas und der anderen politischen Gefangenen in Südafrika, die Aufnahme Verwundeter zur Heilbehandlung in der DDR haben dazu beigetragen, die Solidaritätsidee in der ostdeutschen Bevölkerung zu verwurzeln, das wurde besonders deutlich bei konkreten Spendenaktionen. Die Verhinderung eigeninitiativer basisorientierter Entwicklungszusammenarbeit hat hier jedoch ein beträchtliches entwicklungspolitisches Potential blockiert. Das verstärkte sich noch, als mit der zunehmenden politischen Verkrustung in der DDR auch die administrativen Fesseln der Solidaritätsarbeit zunahmen, entwicklungspolitische verstärkt vordergründig politischen und wirtschaftlichen Zielen untergeordnet wurden. Sektorale Schwerpunkte der DDR-Entwicklungszusammenarbeit waren Bereiche besonders intensiver Beziehungen zu den afrikanischen Staaten, in den 1980er Jahren Landwirtschaft, Aus- und Weiterbildung, Berufsausbildung, Gesundheitswesen, medizinische Hilfe, Handwerk, Ausbau der Infrastruktur, auch Journalismus und Sport. Im Bereich der universitären Aus- und Weiterbildung dominierten technische, mathematische und Naturwissenschaften mit durchaus entwicklungspolitischer Relevanz. Ausbildung und Bildung waren die Schwerpunkte der Technischen Zusammenarbeit. "Kaderausbildung" wurde als wirksamste Investition in die Zukunft betrachtet, das entsprach auch dem Verständnis von Entwicklung als gesellschaftlicher Aufgabenstellung. Die vertraglich geregelte Aufnahme von Gastarbeitern, in Afrika vor allem aus Moçambique und Angola, die ursprünglich mit einer Fach- bzw. Teilfacharbeiterausbildung angelegt worden war, diesen Anspruch aber mehr und mehr verlor, wurde schließlich trotz der entwicklungspolitischen Relevanz für die Entsendeländer sehr umstritten. Von Anbeginn an hat der Einsatz von DDR-Fachkräften im Bereich der wirtschaftlichen, wissenschaftlich-technischen und kulturellwissenschaftlichen Zusammenarbeit eine wichtige Rolle gespielt. Bereits 1960 wurde ein spezielles Programm für die Bereitstellung von Beratern und Experten für afrikanische Länder beschlossen - bezeichnenderweise mit der Argumentation, daß alternativ Kredite oder die kostenlose Lieferung von Ausrüstungen nicht möglich waren. 20 Der chronische Arbeitskräftemangel der DDR und die Sicherheitsbestimmungen bei der Kaderauswahl haben die Gewinnung von Fachkräften besonders für den Einsatz im "nichtsozialistischen Ausland"
20
Vgl. SAPMO-Barch, DY 30/IV 2/20/53: Bericht Erfüllung Politbüro-Beschluß 4.1.1960 (8.2.1961).
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erschwert und ließen die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zum Dauerproblem werden. Die Militär- und Sicherheitszusammenarbeit war ein wichtiger, wenngleich in seiner personellen und materiellen Dimension immer wieder überschätzter Bereich der Afrikapolitik. Ein Vergleich der militärischen mit der zivilen "solidarischen" (unentgeltlichen) Hilfe für die Schwerpunktländer Angola und Moçambique in den Jahren 1986-88 zeigt die Relationen: Angola erhielt für 2,05 Millionen Mark (M) Militär- und für 23,4 Mio M zivile Hilfe, Moçambique für 4,55 Mio M militärische und für 77,7 Mio M zivile Hilfe. 21 Aus dem entwicklungspolitischen Verständnis der DDR-Führung heraus handelte es sich bei den systemstabilisierenden Maßnahmen auf diesem Gebiet ebenfalls um "Entwicklungshilfe". Mit vergleichsweise geringen Mitteln wurde dabei in den Schwerpunktländern der Afrikapolitik und gegenüber den Befreiungsbewegungen relativ große Wirkung erzielt. Die sicherheitspolitische Kooperation insbesondere mit Angola, Moçambique und Äthiopien in Krisensituationen war für die Partner teilweise von existenzerhaltender Bedeutung, die militärische Operationsfähigkeit der Befreiungsbewegungen wurde gestärkt, es wurde z.T. langfristig wirksamer Einfluß ausgeübt, wobei aus der eigenen Sicherheitskonzeption herrührende Defizite nicht zu übersehen sind. 22 Zu dem knappen Dutzend Schwerpunktländern ostdeutscher Entwicklungszusammenarbeit zählten neben Kuba, Vietnam, Mongolei, Laos und Kambodscha, neben Südjemen, Nikaragua und Afghanistan die afrikanischen Staaten Angola, Moçambique und Äthiopien. Darüberhinaus waren Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika (African National Congress - ANC, South West African People's Organisation - SWAPO sowie bis 1980 die Zimbabwe African People's Organisation - ZAPU) bevorzugte Empfänger von Entwicklungshilfe. Die ausgeprägte Konzentration auf Schwerpunktländer zeigt sich z.B. auch daran, daß in Afrika 80 Prozent aller DDR-Fachkräfte in Moçambique, Äthiopien und Angola eingesetzt waren. 4. Entwicklungszusammenarbeit
in ihrer Bedeutung für die Afrikapolitik
Entwicklungszusammenarbeit war ein wichtiges Instrument der Afrikapolitik, sie war eng mit dieser verflochten, beide entwickelten sich interdependent. Ausgehend vom Verständnis, daß Entwicklungsprobleme nur durch gesellschaftliche Veränderungen zu lösen sind, wurde die Entwicklungszusammenarbeit der DDR vorrangig auf die bereits genannten, diesem Kriterium entspre21 Vgl. Ilona Schleicher (1994), S. 152; dieselbe: Dokumentation Militärhilfe, unveröff. Manuskript, S. 16. 22
Vgl. Hans-Georg Schleicher/Ulf Engel: DDR-Geheimdienst und Afrikapolitik, in: Außenpolitik 47(1996)4, S. 399-409, hier vor allem S. 408-409.
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chenden wenigen Partnerländer und Befreiungsbewegungen konzentriert. Diese waren auch die Schwerpunkte der Afrikapolitik. Dabei ging man von der These aus, daß fur den nichtkapitalistischen Entwicklungsweg (später sozialistische Orientierung) die Existenz des sozialistischen Weltsystems absolute Voraussetzung, für den beschleunigten Fortschritt auf einem solchen Wege die Kooperation mit den sozialistischen Ländern unbedingte Notwendigkeit sei. Gleichzeitig hieß es jedoch, die Lösung der Entwicklungsprobleme könne nicht nur von außen erfolgen, im Rahmen der Kooperation müßten Kräfte von innen, aus diesen Ländern heraus eine wichtige Rolle spielen.23 Die Nichtvergleichbarkeit von Konzepten und Strukturen der DDR-Entwicklungspolitik, fehlende Transparenz, die Fragwürdigkeit mancher Statistiken, aber auch die unterschiedliche Preisbildung und die Verwendung der „Valutamark" als Verrechnungseinheit erschweren eine vergleichende quantitative Bewertung der Entwicklungshilfeleistungen der DDR. Erstmals wurden 1976 in einem Bericht der DDR an den UN-Generalsekretär zur Unterstützung für die Befreiungsbewegungen des südlichen Afrika detaillierte Angaben über Solidaritätsleistungen gemacht. Grundlage dafür war der erste der eingangs erwähnten jährlichen Politbüro-Beschlüsse zu Veröffentlichungen über Entwicklungshilfeleistungen der DDR. Angaben zur jährlichen Entwicklungszusammenarbeit, die nach der Wende erstellt wurden, decken sich weitgehend mit den dem Politbüro vorgelegten Zahlen und beziffern die jährlichen Leistungen 1986-88 auf ca. 2,3 Milliarden Mark. 24 Die Entwicklungszusammenarbeit der DDR muß in ihrem historischen Kontext bewertet und mit den Maßstäben gemessen werden, die aufgrund ihres Konzepts und ihres Anspruchs an sie gestellt werden können. Die DDR hat mit Ausbildungsleistungen, Warenlieferungen, Präferenzpreisen und dem Einsatz von Fachkräften z.T. wirkungsvolle Hilfe für eine begrenzte Zahl politisch determinierter Partnerländer (darunter least developed countries - LDC) und Befreiungsbewegungen in Afrika gegeben. Unter Nutzung ihrer zentralistischen Strukturen wurde solche Entwicklungshilfe oft sehr konzentriert, zeitlich effizient und damit politisch wirkungsvoll geleistet. Gemessen an entwicklungspolitischen Effizienzkriterien und ihrer Nachhaltigkeit sind jedoch Defizite der DDR-Entwicklungszusammenarbeit nicht zu übersehen, beispielsweise aufwendige Ausbildungsleistungen in der DDR, unzureichende Ausbildung einheimischer Fachkräfte im Zusammenhang mit dem Einsatz eigener Spezialisten, Probleme aus dem chronischen Devisenmangel etc. Die DDR hat entsprechend ihrer proklamierten Zielstellung mit ihrer Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Stärkung des "sozialistischen Lagers" und seiner Verbündeten geleistet, aber 23 Vgl. Johann-Lorenz Schmidt: Die Entwicklungsländer. Ursprung Lage Perspektive, Berlin (Ost) 1976, S. 236-237. 24
Vgl. Hans-Georg Schleicher (1995), S. 204.
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auch versucht, eigene Probleme wie Rohstoffsicherung ohne den Einsatz von Devisen, den Absatz eigener Produkte und die Bilanzierung der Handelsbeziehungen mit seinen Partnern zu lösen. Das entsprach aus der Sicht der DDR der postulierten Politik des gegenseitigen Vorteils und wurde von ihren Partnern so akzeptiert. Interessanterweise haben afrikanische Partner die DDR und deren Schwerpunkte und Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit sehr realistisch perzipiert. Oftmals wurden beide deutsche Staaten nicht schematisch verglichen, sondern man ging mit wesentlich größeren Erwartungen an die Bundesrepublik mit ihrem um ein Vielfach größerem entwicklungspolitischen Potential heran. Die DDR wurde von Staaten wie beispielsweise Zimbabwe als politischer Bündnispartner bei den Bemühungen um eine neue Weltwirtschaftsordnung antizipiert, ihr Engagement für die Befreiungsbewegungen der Region wurde gewürdigt. Hinsichtlich der Entwicklungszusammenarbeit setzte man realistisch vor allem auf Möglichkeiten im Ausbildungsbereich und auf die Kooperation politischer und gesellschaftlicher Institutionen.25 Ungeachtet ihrer eingeschränkten ökonomischen Mittel und der politisch determinierten selektiven Politik hat sich die DDR vor allem in den 1960er und 1970er Jahren beträchtliches Ansehen durch die Unterstützung der Befreiungsbewegungen, durch schnelle und wirksame Hilfe in kritischen Phasen der Entwicklung einzelner Staaten in der Dritten Welt, auch durch die Unterstützung politisch oder ökonomisch besonders relevanter Projekte in Schwerpunktländern der Entwicklungszusammenarbeit, nicht zuletzt durch Leistungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung erworben. Von den Befreiungsbewegungen wurde hinsichtlich der ihnen gewährten Unterstützung die schnelle, effiziente und uneingeschränkte (nicht nur humanitäre) Hilfe hervorgehoben, die sich von der anderer sozialistischer Länder - was Schnelligkeit und Effizienz betrifft - positiv unterschied, in bezug auf die Uneingeschränktheit der Hilfe auch von so wichtigen Gebern wie den skandinavischen Staaten.26 In den 1980er Jahren bestand die reale Gefahr für die DDR, ihr Ansehen in der Dritten Welt zu verlieren, da die verstärkt ökonomisch determinierte Politik gegenüber den Entwicklungsländern die Aura von der altruistischen Hilfe der DDR zu zerstören begann. Die Forderung der DDR nach einer neuen Internationalen Wirtschaftsordnung hätte auf dem Prüfstand des eigenen Verhaltens zu den Ländern der Dritten Welt wohl kaum mehr standgehalten. Der Anspruch, mit dem sie einst angetreten war, als sozialistisches Land gegenüber den Entwicklungsländern einen neuen Typ von Wirtschaftsbeziehungen zu demonstrieren, ist nach anfänglichen Bemühungen immer mehr verlorengegangen und in den
25
Vgl. Interview mit Nathan Shamuyarira, langjähriger Informations^ 1980-87) und Außenminister Zimbabwes (1988-95), Harare 4.11.1995. 26 Vgl. Interview mit Festus Naholo, ehemaliger Logistik-Verantwortlicher der SWAPO, Windhoek 20.1.1996.
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1980er Jahren mit der Priorität außenwirtschaftlicher Forderungen in der Afrikapolitik der DDR zu "Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil" verflacht, eine Formel, mit der die Dominanz der eigenen Interessen notdürftig verdeckt wurde. Neben dem Trend des wachsenden Einflusses der Außenwirtschaft auf die Entwicklungszusammenarbeit und in durchaus ambivalenter Beziehung dazu entwickelte sich in den 1980er Jahren "neues Denken" gerade auch in entwicklungspolitischen Kategorien in der Afrikapolitik der DDR. Erste Ansätze dazu gab es bereits, bevor Gorbatschow in der UdSSR "neues Denken" zur Staatspolitik erhob. Parallel zu wissenschaftlichen Diskussionen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, gab es auch in der Politik neue Töne. Aus dem Bereich Internationale Verbindungen des ZK der SED wurde die "sozialistische Orientierung" einiger afrikanischer Länder ob ihrer schwachen sozialen und politischen Basis kritisch hinterfragt. In einzelnen Fällen reichte das bis in die Operationalisierung der Afrikapolitik, wenn Botschafter, aber auch Berater für Befreiungsbewegungen den Auftrag erhielten, ihren Partnern ausdrücklich von sozialistischen Experimenten abzuraten und sie auf stabile ökonomische Entwicklungen ihrer Länder und die Lösung der Entwicklungsprobleme zu orientieren. 27 Das war zu diesem Zeitpunkt weder beschlossene Politik noch offizielle Parteilinie, zumal in einflußreichen Bereichen des Parteiapparates am alten Schwarz-Weiß-Denken festgehalten wurde. Die Vertreter "neuen Denkens" fühlten sich durch die Gorbatschowsche Politik bestärkt. Die Analyse gescheiterter Sozialismuskonzepte in einigen afrikanischen Staaten, der Abbau konfrontativen Denkens angesichts existentieller Probleme bei der Sicherung des Friedens und bei der Abrüstung, aber auch angesichts verschärfter ökonomischer Krisenerscheinungen im eigenen Land schufen günstige Voraussetzungen für eine kritische Neubewertung der Afrikapolitik. Ausdruck dieser Entwicklung war eine Afrika-Konzeption mit Ausblick auf das Jahr 2000, die 1988/89 von einer Arbeitsgruppe des Außenministeriums und des Instituts für Internationale Beziehungen Potsdam-Babelsberg als erste derartige langfristige Regionalkonzeption für die DDR-Außenpolitik erstellt wurde. Die Konzeption enthielt eine weitgehend ideologiefreie Bewertung der Entwicklungsprobleme und -chancen in Afrika. In den Vordergrund wurden solche Probleme wie Unterentwicklung, Armut, Hunger, die Sicherung der Existenzbedingungen für die dramatisch wachsende Bevölkerung, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gestellt. Dabei wurde nicht nur das Fehlen objektiver und subjektiver Voraussetzungen für eine sozialistische Entwicklung einerseits und die Dominanz der marktwirtschaftlichen Entwicklung in Afrika andererseits konzediert, sondern letzterer sogar zugestanden, daß sie für den Kontinent durchaus 27
Vgl. Ulf Engel/Hans-Georg Schleicher: Die Afrikapolitik der beiden deutschen Staaten zwischen Konkurrenz und Koexistenz 1955-90, Hamburg 1998 (i.V.), Kapitel 3.4.
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noch ein beträchtliches Potential sozialen Fortschritts beinhalte. Schlußfolgernd wurde die Notwendigkeit einer systemübergreifenden Kooperation zur Lösung dieser Entwicklungsprobleme unterstrichen und konkret die Zusammenarbeit mit westlichen Staaten, politischen Kräften und Institutionen postuliert. 28 Aus heutiger Sicht mögen die Einschätzungen der Konzeption wenig aufregend erscheinen, Anfang 1989 waren sie für die Verhältnisse in den Führungsstrukturen der DDR mehr als problematisch. Langjährige Tabus wie die eigene Mitverantwortung für die Lösung der Entwicklungsprobleme wurden angesprochen, heilige Kühe geschlachtet wie die Abhängigkeit der Entwicklung von sozioökonomischen Veränderungen, die sich am osteuropäischen Sozialismusmodell orientieren. Nach umfangreichen Diskussionen im Außenministerium bestätigt, wurde die Konzeption bei der Außenpolitischen Kommission des Politbüros eingereicht, dort ist sie aber nicht mehr behandelt worden - offensichtlich waren einige Aussagen des Papiers doch zu kühn für die Führungsetage im ZK der SED. Die vorstehenden Darlegungen konzentrieren sich auf den Zusammenhang von Entwicklungszusammenarbeit und Außenpolitik am Beispiel der Afrikapolitik der DDR bis 1989/90. Auf die dann folgenden Entwicklungen mit einem völligen Überdenken der Entwicklungspolitik mit hoffnungsvollen Ansätzen einer Neuorientierung 1990, die durch das schnelle Ende der DDR für eine Operationalisierung in der Politik nur noch begrenzt zum Tragen kamen, soll hier nicht mehr eingegangen werden, zumal zu diesem Zeitpunkt ein afrikapolitischer Kontext kaum mehr gegeben war.
28
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/2.115/30: Bedeutung Afrikas in internationalen Beziehungen am Ende des 20. Jahrhunderts (16.3.1989).
Ilona Schleicher
ELEMENTE ENTWICKLUNGSPOLITISCHER ZUSAMMENARBEIT IN DER TÄTIGKEIT VON FDGB UND FDJ 1. Entwicklungspolitische
Elemente in der internationalen Arbeit des FDGB
1.1 Grundlagen entwicklungspolitischer
Aktivitäten des FDGB
Als Zeithistorikerin geht es mir bei der Behandlung des Themas weniger um eine Evaluierung des Agierens von FDGB und FDJ gegenüber der „3- Welt" auf der Grundlage heutiger entwicklunspolitischer Kriterien sondern um eine mehr historische Sicht auf die Problematik. Anknüpfend an die bisherigen Darlegungen zur Begrifflichkeit und zur allgemeinen Charakterisierung der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der DDR sollen hier einleitend zunächst einige FDGB-spezifische Aspekte hervorgehoben und der Platz des Gewerkschaftsbundes in der Politik der DDR gegenüber der „3. Welt" skizziert werden. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) sah sich in seinen Aktivitäten gegenüber Befreingsbewegungen und Entwicklungsländern in der internationalistischen Tradition der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Seiner Politik lag die marxistisch-leninistische Theorie vom Klassenkampf und ein Epocheverständnis zu gründe, das die Welt im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sah. Daraus abgeleitet leistete der Gewerkschaftsbund - nach seinem Selbtsverständnis „Klassenorganisation der Werktätigen" - „antiimperialistische Solidarität" mit der „nationalen Befreiungsbewegung" auf der Grundlage des „proletarischen Internationalismus" im Kampf gegen den gemeinsamen imperialistischen Gegner, gegen koloniale und neokoloniale Ausbeutung, für sozialen Fortschritt. Direkte Partner des FDGB waren Gewerkschaftsorganisationen in Asien, Afrika und Lateinamerika. Deren Unterstützung betrachtete der FDGB als Beitrag zur Stärkung der in der „3. Welt" entstehenden Arbeiterklasse und deren Kampf um nationale und soziale Befreiung. Die Entwicklung der Arbeiterklasse und ihrer gewerkschaftlichen Interessenvertretung galt als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche sozio-ökonomische Entwicklung der ehemaligen Kolonien. Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften in Entwicklungsländern diente zugleich der Kolportierung des marxistisch-leninistischen Gesellschafts- und
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Schleicher
Weltbildes. Das osteuropäische Sozialismusmodell wurde als Alternative zu einer kapitalistischen Entwicklung als Zielvorstellung propagiert. Die Fixierung auf die Dogmen des Marxismus-Leninismus und daraus abgeleiteten Vorstellungen über gesellschaftlichen Fortschritt hinderte den FDGB in starkem Maße daran, die Verhältnisse und die realen Bedürnisse der sozio-ökonomischen Entwicklung in afro-asiatischen und lateinamerikanischen Ländern wirklichkeitsnah zu erfassen und gemeinsam mit den Partnern eine adäquate Entwicklungsstrategie zu entwickeln. Die Einbindung des Gewerkschaftsbundes in die administrativ-zentralistische Gesellschaftsstruktur der DDR und seine Funktion als „Transmissionsriemen" der machtausübenden SED ließen ihm dafür auch wenig Spielraum. Sein Agieren in der „3. Welt" war fester Bestandteil der DDR-Außen- und Außenwirtschaftspolitik und an deren Vorgaben, Schwerpunktbildung und Ziele gebunden. In dieser Konstellation war der FDGB jedoch durchaus ein selbstbewußter Akteur, insbesondere in den 1960er Jahren. Er leistete eine beachtliche Unterstützung für antikoloniale Emanzipationsbewegungen, darüberhinausgehenden entwicklungspolitischen Effekten waren auf grund der genannten politischen und ideologischen Rahmenbedingungen jedoch Grenzen gesetzt. Die ersten Solidaritätsaktionen organisierte der FDGB während des KoreaKrieges und Unabhängigkeitskampfes in Indochina Anfang der 1950er Jahre. Mit der Unterstützung für den algerischen Unabhängigkeitskampf 1 begann sein Engagement in Afrika. In einem Aufruf des Bundesvorstandes an die Deutschen in der französischen Fremdenlegion vom Dezember I960 2 wird das Anliegen deutlich, die DDR von der mit der Kolonialmacht Frankreich verbündeten Bundesrepublik, wo die Legionäre rekrutiert worden waren, abzuheben und durch ausgeprägte antikoloniale Positionen den Legitimitätsanspruch des ostdeutschen Staates zu stärken. Die DDR-Außenpolitik nutzte die internationalen Beziehungen des FDGB, um die Hallstein-Doktrin zu unterlaufen und den Boden für staatliche Beziehungen zu bereiten. Westafrika war Anfang der 1960er Jahre in dieser Hinsicht 1 Bereits 1958-1959 entsandte der FDGB 18 Hilfslieferungen mit Arzneimitteln, Verbandstoffen, Sanitätskraftwagen, Wohn- und Sanitätszelten, Decken, Kleidung, Nähmaschinen sowie Betten und anderen Einrichtungsgegenständen für ein Kinderheim, bis 1962 gab er für algerische Partner M 5 Mill. aus. Der FDGB organisierte undfinanzierte die Aufnahme und medizinische Betreuung von verwundeten Kämpfern in der DDR. Mit seiner Unterstützung nahmen etwa 200 Algerier in der DDR eine Berufsausbildung auf. Vgl. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (SAPMO-BArch), DY 34/461; vgl. auch Unser Herz und unsere Hände den afrikanischen Brüdern. Die Afrika-Politik des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Dokumente und Beiträge hrsg. vom Bundesvorstand des FDGB, Berlin 1961, S. 9 U.160. 2 Aufruf des Bundesvorstandes des FDGB an die Deutschen in der französischen Fremdenlegion, in: Die Afrika-Politik des FDGB (1961), S. 19-24.
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
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ein Schwerpunkt. Delegationen des FDGB - wie die des damaligen Vorsitzenden Herbert Warnke nach Guinea und Ghana im Frühjahr 1960 - trugen mitunter den Charakter bedeutender diplomatischer Missionen.3 Angesichts der durch die internationale diplomatische Blockade eng begrenzten staatlichen Möglichkeiten spielte der FDGB in dieser frühen Phase auch die Rolle eines „Pioniers" entwicklungspolitischer Aktivitäten der DDR, insbesondere nach Afrika. Eingeordnet in die Ost-West-Rivalität um Einfluß auf dem Kontinent, der dabei war, den Kolonialismus abzuschütteln, und insbesondere angestachelt durch die deutsch-deutsche Auseinandersetzung forderten sich der FDGB und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegenseitig zu großem Eifer in der Entwicklung ihrer Beziehungen zu afrikanischen Partnern und - ganz der Atmosphäre des Kalten Krieges entsprechend - auch zu gegenseitigen Diffamierungen heraus.4 Dem Aufruf des FDGB „Unser Herz und unsere Hände den afrikanischen Kollegen" vom Januar 1960 folgte im Mai des gleichen Jahres die Initiative des DGB „Wir helfen", angestoßen wohl durch den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) und dessen Sorge, der FDGB und andere östliche Gewerkschaften könnten in Afrika Fuß fassen. Dieser bisher wenig erforschte wechselseitige Einfluß war offensichtlich beträchtlich. Bei Aufrechterhaltung einer gewissen Kontinuität in den Beziehungen nach Algerien und Westafrika verschoben sich die Gewichte im afrikanischen Engagement des FDGB in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre deutlich auf die „sozialistisch orientierten" Schwerpunktländer der DDR-Afrikapolitik Angola, Mosambik und Äthiopien. Die traditionellen Verbindungen zu Gewerkschaftsorganisationen, die mit den Befreiungsbewegungen African National Congress (ANC), Zimbabwe African People 's Union (ZAPU) und South West African People's Organisation (SWAPO) verbunden waren, wurden fortgeführt. Der eigentliche Schwerpunkt der FDGB-Aktivitäten hinsichtlich der geleisteten materiellen Hilfe war jedoch seit Mitte der 1960er Jahre bis zum Ende der DDR Vietnam, seit Mitte der 1970er Jahre erhielten auch Kambodscha und Laos umgfangreiche Unterstützung. In Lateinamerika konzentrierte sich der FDGB vor allem auf Kuba, Nikaragua und Chile.
3
Diese Reise und andere Aktivitäten des FDGB im Jahre 1960 und darüberhinaus folgten einem SED-Politbürobeschluß vom 4.1.1960 über Maßnahmen gegenüber afrikanischen Ländern. Siehe dazu Ilona Schleicher: FDGB-Offensive in Westafrika. Der Gewerkschaftsbund im Jahr Afrikas, in: Ulrich van der Heyden/Schleicher, Ilona und Hans-Georg (Hrsg.): Engagiert für Afrika. Die DDR und Afrika Bd. II, Münster/Hamburg 1994, S. 82-92. 4
Vgl. ebd. S. 90-92.
8 Bücking
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liehen Organisationen" der DDR eine zweifache Funktion. Er war von der SED zum Hauptfinanzier des im Juli 1960 gegründeten Solidaritätskomitees bestimmt worden, in dessen Regie der allergrößte Teil der „nichtstaatlichen" Entwicklungszusammenarbeit mit der „3. Welt" abgewickelt wurde. Gleichzeitig war der FDGB auch selbst Akteur, in dessen internationalen Beziehungen verschiedene Ansätze und Formen von Entwicklungszusammenarbeit zum Tragen kamen. Eine erste Durchsicht des reichlich vorhandene Quellenmaterials über die internationalen Verbindungen des Gewerkschaftsbundes vermittelt den Eindruck, daß seine Rolle als Akteur in den 1960er Jahren stärker ausgeprägt war als in der Folgezeit. 1.2 Der FDGB als finanzielle Hauptstütze des Solidaritätskomitees Bereits als im Rahmen der intensivierten DDR-Afrikapolitik die SED-Führung am 17. Februar 1960 den „Fonds für die Unterstützung der nationalen und Freiheitsbewegung in den afrikanischen Staaten" bilden ließ, wurde der FDGB per Parteibeschluß zu jährlichen finanziellen Beiträgen verpflichtet. 1960 hatte er aus seinem eigenen Zentralen Solidaritätsfonds M 2 Mill, zu überweisen.5 Diese Praxis wurde auch nach der Gründung des „Komitees der DDR für die Solidarität mit den Völkern Afrikas" am 22. Juli des gleichen Jahres beibehalten.6 Der Jahresbeitrag des FDGB für den Fonds des Solidaritätskomitees wuchs im Laufe der Zeit beträchtlich an. Er erreichte 1975 M 95 Mill, und bewegte sich zwischen 1977 und 1987 bei M 100 Mill., ehe er 1988/89 um M 20 Mill, bzw. M 25 Mill, zurückging (Tabelle 1). Daneben wandte der FDGB - gemessen an seinen Überweisungen an das Solidaritätskomitee - allerdings eher bescheidene Mittel für die materielle Unterstützung von Partnergewerkschaften auf (Tabelle 2). Während über das Solidaritätskomitee Hilfsgüter und Ausrüstungen verschiedener Art für Länder und Befreiungsbewegungen geliefert wurden, unterstützte der FDGB seine Partner vorwiegend mit Gütern für die Ausstattung von Gewerkschaftsbüros sowie von gewerkschaftlichen Bildungszentren und anderen Projekten (Tabelle 3). Daneben stellte er für die Befreiungsbewegungen nahestehenden Gewerkschaften direkt Hilfslieferungen von beträchtlichem Umfang zur Verfügung, insbesondere in akuten Notsituationen. So erhielt der South African Congress of Trade Unions (SACTU) 1964, als im Rivonia-Prozeß Mandela und mit ihm weitere ANC-Führer zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren und der Flüchtlingsstrom in die Nachbarländer
5
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3/676, Beschluß des ZK-Sekretariats 17.2.1960. 1963 wurde es in Afro-Asiatisches Solidaritätskomitee umbenannt, seit 1973 war seine Bezeichnung Solidaritätskomitee der DDR. 6
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Südafrikas anschwoll, Medikamente, Textilien u.a. für ca. M 170.000.7 Eine noch schwierigere Situation trat nach dem Soweto-Aufstand von 1976 ein. Zur Versorgung der Flüchtlinge erhielt SACTU 1978 Bekleidung u.a. im Werte von über M 3 Mill. 8 Außerdem finanzierte der FDGB aus dem eigenen Solidaritätsfonds die Ausbildung von ausländischen Gewerkschaftern an der Gewerkschaftshochschule in Bernau, in geringerem Umfang auch die von Facharbeitern und Studenten (Tabellen 4 und 5). Interessant hierbei ist, daß im Bildungssektor im Unterschied zur materiellen Hilfe Afrika traditionell Schwerpunkt war und neben den arabischen Ländern auch blieb. Die Überweisungen an das Solidaritätskomitee und die Ausgaben für die genannten gewerkschaftlichen Aktivitäten wurden im wesentlichen aus dem Erlös des Verkaufs von Spendenmarken, die die Gewerkschaftsmitglieder bei der monatlichen Beitragszahlung erwarben, sowie von Einzelsammlungen zu bestimmten Anlässen bestritten. Diese Praxis wurde nach der Wende kontrovers diskutiert, das Bild von Zwang und verordneter Solidarität dominierte die Meinungsbildung. Die Wirklichkeit ist indes differenzierter zu sehen. Es gab moralischen Druck, eine teilweise als lästig empfundene übereifrige Agitation, und auch Fälle von Nötigung sind bekannt. Wer in der DDR gelebt hat weiß aber auch, daß die Unterstützung von Befreiungsbewegungen und Entwicklungsländern in weiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung fanden. So weisen auch Proteste gegen Anordnungen von oben aus dem Jahre 1982, das Spendenaufkommen zu reduzieren, auf eine nicht zu unterschätzende Bereitschaft zu solidarischer Hilfe hin. Zu diesem Zeitpunkt drang insbesondere ZK-Wirtschaftssekretär Günter Mittag, der auch die Politbüro-Kommission zur Koordinierung der ökonomischen, kulturellen und wissenschaftlich-technischen Beziehungen mit den Ländern Asiens, Afrikas und des arabischen Raums leitete, verstärkt darauf, die Mittel für kostenlose Hilfe für Entwicklungsländer zu reduzieren und vorrangig in Schwerpunktländern zur Flankierung kommerzieller Vorhaben einzusetzen. Da die zur Verfügung stehende Warendecke infolge der sich zuspitzenden Krise der DDR-Volkswirtschaft immer dünner wurde, sollte die Lieferung materieller Güter zugunsten von Leistungen in der Ausbildung und für die medizinische Behandlung Verwundeter und Kranker vermindert werden. Auch das Spendenaufkommen des FDGB sollte gedrosselt werden. Im Mai 1982 faßte das ZKSekretariat einen entsprechenden Beschluß, der auf die wirtschaftlichen Hinter7 Vgl. SAPMO-BArch, DY 34/8312: Aufgliederung der Solidarität vom 1.1.-31.12.1964. Für 1966 sind Lieferungen an SACTU für M 72.550 nachgewiesen. 8 Vgl. SAPMO-BArch, DY 34/25413: Beschlüsse des Sekretariats des Bundesvorstandes, 18.1.1978 und 28.11.1978.
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gründe der neuen Bescheidenheit in der Solidarität jedoch mehr beiläufig einging. 9 In der gleich mitgelieferten offiziellen Argumentation fanden diese ebenfalls kaum Erwähnung. 10 Bei vielen Gewerkschaftsmitgliedern stieß es auf Ablehnung, daß sie plötzlich nur noch Spendenmarken im Wert von höchstens 10 M erwerben konnten bisher gab es auch Marken fur 20 und 50 Mark - und zusätzliche Sammlungen nicht mehr gewünscht waren. Zum allgemeinen Erstaunen korrigierte das ZKSekretariat - wie es hieß „auf grund vieler Anfragen aus den Gewerkschaftsorganisationen der Betriebe" - ein Jahr später den Spendenbeschluß.11 Solidarität war wieder gefragt. Zu diesem Zeitpunkt hatte man allerdings entdeckt, daß man das Spendenaufkommen sehr gut zur Ablösung von Mitteln des staatlichen Fonds für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern einsetzen konnte, so z.B. für die Ausbildungshilfe für Mosambik, Angola oder die Betreuung von Kindern der SWAPO in der DDR. Die Bereitschaft zur Hilfe konnte von der SED-Führung, wie sich hier deutlich zeigt, willkürlich als Instrument staatlicher Außen- und Außenwirtschaftspolitik gehandhabt werden, ohne der Bevölkerung die geringste Erklärung geben zu müssen. Zunehmende Kritik der Gewerkschaftsmitglieder richtete sich gegen den Formalismus in der Solidaritätsarbeit und ihre Organisierung von oben, die Basisinitiativen wenig Raum ließ, sowie gegen das mangelnde Mitspracherecht über die Verwendung der Spenden. Die Empörung war besonders groß, als bekannt wurde, daß aus dem zentralen Solidaritätsfonds des FDGB auf Anordnung der SED Jubelfeiern der FDJ finanziert wurden. Für eine Einschätzung der Leistungen des FDGB bei der finanziellen Unterstützung der Zusammenarbeit mit Partnern in der „3. Welt" ist die Analyse der politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der DDR von erstrangiger Bedeutung. Ausgewogenheit und Wirklichkeitsnähe erfordern jedoch zugleich, die Bemühungen des Gewerkschaftsbundes um ein solidarisches Verhalten seiner Mitglieder gegenüber Befreiungsbewegungen und Entwicklungsländern, differenziert und kritisch zu würdigen. Hier steht eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der Geschichte noch aus. Die Bereitschaft vieler Gewerkschafter, über den eigenen - damals DDRdeutschen - Tellerrand hinauszuschauen, hatte seinerzeit bei Partnern in afroasiatischen und lateinamerikanischen Ländern, dies sei trotzdem gesagt, eine nicht zu unterschätzende Anerkennung gefunden.
9
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A-3799: „Beschluß über die Gestaltung des Aufkommens von Solidaritätsspenden", 26.5.1982. 10 Vgl. ebd. 11 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/2/3 A-3948: Sekretariatsbeschluß, 8.6.1983.
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ 1.3 Der FDGB als Akteur entwicklungspolitischer
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Zusammenarbeit
Als Akteur entwicklungspolitischer Zusammenarbeit war der FDGB auf verschiedenen Gebieten tätig, die wie folgt unterschieden werden können: 1. Unterstützung beim Aufbau von Gewerkschaften und gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen durch die Ausbildung von Gewerkschaftsfunktionären an der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften und den Einsatz von Beratern und Lektoren bei Partnerorganisationen. Ergänzt wurde diese Form durch eine begrenzte materielle Hilfe fur Partner und ihre Bildungseinrichtungen. 2. Finanzierung und Betreuung von Delegierten ausländischer Gewerkschaften, die in der DDR eine beruflichen Ausbildung erhielten bzw. an Hochoder Fachschulen studierten. 3. Heilbehandlungen und Kuren für ausländische Gewerkschafter. 4. Personelle Betreuung und materielle Unterstützung von Projekten der Partnerorganisationen. In diesem Beitrag ist es nicht möglich, diese verschiedenen Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit eingehender qualitativ zu analysieren. Einige Fakten und Einschätzungen sollen jedoch eine erste Vorstellung von der Arbeit des FDGB in dieser Richtung vermitteln. Zur gewerkschaftlichen
Ausbildung
Die beratende und Lektorentätigkeit bei Partnerorganisationen begann im Ergebnis der bereits genannten Reise von Warnke nach Guinea und Ghana 1960. Lektoren des FDGB nahmen an der Schule des Générale des Travalleurs d'Afrique Noire (UGTAN) in Guinea und an der Gewerkschaftsschule des Trade Union Congress in Ghana ihre Arbeit auf. In der Regel dauerte ein solcher Einsatz 4-6 Wochen. Die Ausbildung von Ausländern an der Gewerkschaftshochschule in Bernau begann bereits 1955, bis 1986 nahmen 3.600 Gewerkschafter aus 91 Ländern an den dort angebotenen Kursen teil. 12 {Vgl. Tabelle 4). Im Mai 1959, noch vor der Eröffnung des „Instituts für internationale Gewerkschaftspolitik" im September 1960, begann der erste Kurs für afrikanische Gewerkschaftsfunktionäre. Die Lehrgänge waren auf die Vermittlung von - wie es damals hieß - „fundierten theoretischen Grundkenntnissen der ökonomischen und Erfahrungen der gewerkschaftspraktischen Arbeit, die es den Studenten ermöglichen, eigene Ideen 12
Vgl. Bilanz gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Der FDGB zwischen dem 10. und 11. Kongreß, hrsg. vom Bundesvorstand des FDGB, Berlin 1987, S. 45.
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und Vorschläge für die Lösung der grundlegenden Probleme des nationalen Aufbaus in ihren Staaten zu entwickeln, die sie befähigen, die Gewerkschaften ihrer Heimatländer allmählich zu Schulen der Demokratie und des Sozialismus zu machen."13 Es gab in den ersten Jahren auch Bemühungen, die gewerkschaftspolitische mit einer „polytechnischen Ausbildung" - beispielsweise mit der Vermittlung von Grundkenntnissen im Umgang mit Büromaschinen oder in der Fotografie - zu verbinden. Die Lehrkräfte der 1963 gegründeten „Fakultät für Ausländerausbildung" waren nach Einschätzung einer ehemaligen Mitarbeiterin darum bemüht, die Bedürfnisse der Partner genauer zu erkunden. Diese frühen hoffnungsvollen Ansätze einer regionalwissenschaftlich untersetzten Bildungsarbeit für Gewerkschaften aus Entwicklungsländern wurde durch die willkürliche Auflösung des „Ausländerinstitutes" in den 1970er Jahren stark beeinträchtigt. Die FDGB-Leitung diktierte Konzepte, „die auf eine Verschulung von ideologisch determiniertem 'Grundwissen' und einer 'marxistisch-leninistische Lehre über die Gewerkschaften' an sich und ohne Bezug zu den konkreten Bedingungen der unterschiedlichen Regionen und Länder sowie auf eine Propagierung angeblich exklusiver DDR-Sozialismusund FDGB-Erfahrungen setzten."14 Bemühungen von Reformkräften um eine wissenschaftlich-fachspezifische Versachlichung der Bildungsarbeit, die vor allem in den frühen Jahren anerkannte Ergebnisse in Lehre und Forschung und der „Bernauer" Ausbildung Achtung bei den Partnern eingebracht hatte, konnten sich letztlich nicht durchsetzen. 15 Facharbeiter,
Studenten, Heilbehandlungen und Kuren
Von 1960 bis 1986 finanzierte der FDGB mehr als 1.000 Gewerkschaftskollegen aus 61 Ländern eine Berufs,- Fachschul- oder Hochschulausbildung.16 Das ihm im Rahmen einer zentralen Planung zur Verfügung stehende Kontingent an Ausbildungsplätzen nutzte er entsprechend der außenpolitischen Schwerpunktbildung, aktuellen Erfordernissen der Solidarität sowie zur Pflege traditioneller Beziehungen zu langjährigen Partnern (vgl Tabelle 5). In den 1960er Jahren bis in die 1970er Jahre hinein war die Anzahl der Entsenderländer größer als später. Eine bemerkenswerte Kontinuität ist dabei in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaftsverbänden Angolas, Guinea-Bissaus,
13 Zit. nach Günter Griep/Charlotte Steinbrecher: 25 Jahre Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert" 1946-1971, Bernau 1971, S. 127. 14
Birgit Fröhlich: Gedanken zur Entwicklungszusammenarbeit der DDR mit Afrika, in: Ulrich van der Heyden/Ilona und Hans-Georg Schleicher (Hrsg.): Die DDR und Afrika. Zwischen Klassenkampf und neuem Denken, Münster/Hamburg 1993, S. 148-164, hier S. 157. 15 Vgl. Fröhlich (1993), S. 158. 16 Vgl. Bilanz (1987), S. 45.
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Kongos, Malis und Nigerias - 11 nigerianische Studenten waren 195117 die Pioniere Afrikas in der DDR - festzustellen. Das Schwerpunktland der DDRAfrikapolitik Mosambik hingegen, wo erst in den 1980er Jahren ein nationaler Gewerkschaftsverband entstand, spielt in der Ausbildungsstatistik bis 1981 kaum eine Rolle. Die gesonderte Rubrik „Krankenschwestern" (Fachschulausausbildung) verweist auf einen besonderen Schwerpunkt, die Ausbildung von Fachkräften fur das Gesundheitswesen, auch wenn dies hier quantitativ kaum ablesbar ist. Afrika war und blieb in der Ausbildungshilfe des FDGB an erster Stelle, von den 1970 bis 1979 zur Verfügung gestellten 362 Plätzen gingen 177 an Afrikaner. Medizinische Hilfe und Ausbildung waren ursprünglich eng miteinander verbunden. So qualifizierten sich bereits einige der vom FDGB eingeladenen im Befreiungskrieg verwundeten Algerier nach ihrer Genesung beruflich in der DDR. Eine ähnliche Praxis ist aus der Zusammenarbeit mit dem SACTU bekannt. Einige der vom Apartheidregime verfolgten Gewerkschaftsfunktionäre, die in der DDR in den 1960er Jahren medizinisch betreut wurden, bildeten sich anschließend beruflich weiter und waren später wieder in verantwortlichen gewerkschaftlichen Funktionen tätig. Projekte Projekte spielten in den entwicklungspolitischen Aktivitäten des FDGB offensichtlich eine untergeordnete Rolle, bekannt sind u.a. zwei Beispiele aus Tanzania. In einem Fall handelt sich um einen sechswöchigen Einsatz des damaligen Direktors des Erfurter Zoos und Lehrbeauftragten für Tierzüchtung und haltung in den Tropen und Subtropen an der Universität Leipzig auf einer Milchviehfarm des National Union of Tanganyika Workers (NUTA) in Kibarua unweit von Dar es Salaam Anfang 1967. Dr. Altmann war um ein Gutachten über den Einsatz von Zugochsen in diesem Gebiet gebeten worden. Ein von westlichen Experten vorgelegtes Papier, das davon abriet, war von mißtrauischen tanzanischen Funktionären als neokolonialer Versuch interpretiert worden, Afrikaner weiterhin an unproduktive Produktionsmethoden zu fesseln. Von einem östlichen Fachmann erwartete man offenbar eine gegenteilige Meinung bei der Beurteilung der Futtergrundlagen für die Zugochsen. Für Dr. Altmann lag die Wahrheit in der Mitte, aber er nach gründlicher Abwägung aller Argumente empfahl er schließlich die Haltung der Tiere. 18 Der Streit um die Verdau17
Vgl. Fröhlich (1993), S. 154. SAPMO-BArch DY, 34/4171: Bericht Altmanns über seine Beratungstätigkeit auf der Kibarua-Farm 31.12.1966-10.2.1967. 18
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ungsprobleme von Zugochsen - und darum ging es letztlich aus der Sicht der Veterinäre - illustriert in etwas skurriler Weise die damalige Ost-West-Rivalität im Süden sowie das Suchen der Afrikaner nach einem eigenen Weg unter Ausnutzung dieser Rivalität. Im zweiten Fall handelt es sich um eine langfristige Hilfe des FDGB für NUTA im Bereich des Gesundheitswesens. Seit April 1968 bis 1989 unterstützte der Gewerkschaftsbund die über viele Jahre von DDR-Ärzten geleitete NUTA Charitable Clinic in Dar es Salaam und ihre Ableger. In Zusammenarbeit mit diesen Ärzten stattete der FDGB diesen auf dem kurativ-ambulanten Sektor tätigen freien Träger des tanzanischeri Gesundheitwesens u.a. mit einem Labor, einem OP-Tisch, EKG und einer Röntgeneinrichtung aus und trug zur Versorgung mit Medikamenten und Verbandstoffen bei. Frau Dr. Christa Leeder, die sich als erste Ärztin aus der DDR große Verdienste beim Aufbau der Clinic erworben hat, schrieb nach dem ersten Jahr ihrer Tätigkeit in Dar es Salaam: „Vor dem Beginn meiner Tätigkeit wurden in der Klinik täglich von 2 Arzthelfern, 3 Hilfsschwestern, 2 Reinigungskräften, 1 Boten und einem Arzt, der für eine Stunde am Tag die Klinik besuchte, 100 bis 150 Patienten aus der näheren Umgebung der Dispensary behandelt. Zum Zeitpunkt meines Dienstantritts war kein Medikamentendepot, kein Laboratorium, keine Möglichkeit der kleinen Chirurgie und keine ausgebildete Schwester vorhanden. Die Klinik verfügte über kein Fahrzeug. Heute werden von einem Arzt, einem Arzthelfer, 2 ausgebildeten Schwestern, 3 Hilfsschwestern, 1 Krankenwärter, 1 Laborassistenten, 1 Boten und 3 Reinigungskräften 400 und mehr Patienten am Tag behandelt, die aus einem Einzugsbereich bis zu 200 km um Dar es Salaam kommen." 19 Dr. Leeder spezialisierte sich auf Tropenkrankenheiten, insbesondere tropische Kinderkrankheiten und führte prophylaktische Konsultationen ein. Dieses Herangehen - Prophylaxe war auch im der DDR-Gesundheitswesen großgeschrieben - und ihre medizinischen Leistungen brachten der Ärztin in Tanzania großes Ansehen ein. 20 Der FDGB engagierte sich auch in der Folgezeit und stieß dabei nicht selten auf DDR-typische Probleme der Beschaffung der notwendigen Instrumente und medizinisch-technischen Ausrüstungen, allein bis 1973 wandte er dafür fast M 1 Mill. auf. Die Nachfolger von Dr. Leeder und deren Teams versorgten täglich mehr als 1.000 Patienten und trugen dazu bei, daß die Gewerkschaftsklinik im Tanzania einen sehr guten Ruf hatte.
19
SAPMO-BArch, DY 34/11455: Bericht von Dr. C.Leeder an das Ministerium für Gesundheits- wsesen Tanzanias, 24.5.1969. 20 SAPMO-BArch, DY 34/11455: Brief des FDGB-Bundesvorstandes an den DDRGesundheits-minister, 22.4.1971.
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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Umgang mit dem widersprüchlichen Erbe des FDGB in der Entwicklungszusammenarbeit sicher nicht einfach ist. Eine sorgsame Erschließung und kritische Würdigung dieses Erbes auf der Basis tiefergehender Forschungen könnte meines Erachtens dazu beitragen, das nach der Wende von 1989 bei vielen Gewerkschaftsmitgliedern verschüttete Solidargefühl wiederzubeleben und für die pluralistisch angelegte Solidaritätsund Entwicklungszusammenarbeit im vereinten Deutschland nutzbar zu machen. Hier ist wohl vor allem der DGB in der Verantwortung. Ein von vielen erwartetes stärkeres Engagement der Gewerkschaften für entwicklungspolitische Themen sollte die kritische Aneignung der Erfahrungen ostdeutscher Gewerkschafter einschließen. 2. Die FDJ als entwicklungspolitischer
Akteur
2.1 Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit in der internationalen Tätigkeit der FDJ Der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oblag es im Rahmen der von der SED vorgegebenen politischen und ideologischen Aufgabenstellung u.a., die Jugendlichen der DDR fur die „antiimperialistische Solidarität" zu mobilisieren und ihre Aktivitäten für außenpolitische und außenwirtschaftliche Ziele zu nutzen. Die Jugendorganisation konnte dabei an Sympathien, die der antikoloniale Aufbruch in Afrika, die Abwehr der amerikanischen Intervention in Vietnam oder die revolutionären Bewegungen in Lateinamerika - erinnert sei hier nur an die Symbolfigur Che Guevara - besonders unter der Jugend auslösten, anknüpfen. Durch die Unterstützung der antikolonialen Emanzipationsbewegungen wurde in Teilen der Jugend eine Identifizierung mit der DDR gefordert. Anders als der FDGB war die FDJ im Gesamtgefüge der Entwicklungszusammenarbeit der DDR in erster Linie Akteur und weniger Geldgeber. Der Anteil der Organisation am Spendenaufkommen des Solidaritätskomitees schwankte beträchtlich. 1977 lag es bereits bei M 3 Mill., erreichte 1981 M 4 Mill., sank 1984/85 auf M 1 Mill. Nachdem 1986 noch einmal M 3 Mill, erreicht wurden, blieb es 1987-89 bei jährlichen Überweisungen von M 1 Mill. 2 1 Darüberhinaus verfügte die FDJ über einen eigenen nicht sehr großen Solidaritätsfonds. Die entwicklungspolitischen Aktivitäten der Jugendorganisation wurden zum größten Teil aus dem Staatshaushalt finanziert, teilweise auch durch das Solidaritätskomitee unterstützt.
21 Vgl. die ZK-Sekretariatsbeschlüsse SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A-4767 (2.12.88), 4652 (11.2.88), 4337 (11.12.85), 4036 (18.1.84), 3568 (15.12.80), 3103 (22.2.78) sowie den Politbürobeschluß SAPMO-BArch, J IV 2/2A-2972 (6.1.87).
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Als Elemente einer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der FDJ mit ihren Partnern, Jugendorganisationen in Entwicklungsländern und Jugendflügel von Befreiungsbewegungen, können ähnliche Formen ausgemacht werden, wie beim FDGB: Unterstützung des Aufbaus von Jugendorganisationen insbesondere in den „sozialistisch orientierten" Ländern durch den Einsatz von Beratern und die Ausbildung von Funktionären an der Hochschule der FDJ in Bogensee bei Berlin. Der erste internationale Lehrgang für Jugendfunktionäre fand bereits 1960 statt. An ihm nahmen ausnahmslos Afrikaner teil. Auch später war der Anteil afrikanischer Vertreter in den angebotenen Kursen hoch. 22 Ausbildungshilfe. Die FDJ stellte ausländischen Jugendorganisationen aus ihrem zentral zugewiesenen Kontingent jährlich direkt oder über den Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) bzw. den Internationalen Studentenbund (ISB) Stipendien für ein Hoch- und Fachschulstudium zur Verfügung. Bereits bis 1958 vermittelte die FDJ für 11 Afrikaner Studienplätze, von 1959-1961 48. 23 Diese Größenordnung dürfte sich - wenn überhaupt - in den Folgejahren nur wenig erhöht haben. In begrenztem Umfang half die FDJ auch mit der Aufnahme von Kranken zur medizinischen Behandlung in der DDR. Der wichtigste Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit bestand jedoch im Einsatz von „Brigaden der Freundschaft", auf die im folgenden näher eingegangen werden soll. 2.2. „ Botschafter im Blauhemd" - Die Freundschaftsbrigaden
der FDJ
Über einen Zeitraum von 25 Jahren sind in 20 Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und bei zwei Befreiungsbewegungen Freundschaftsbrigaden tätig gewesen. Insbesondere in Afrika haben sie ein wichtiges Kapitel der Zusammenarbeit der DDR mit Entwicklungsländern mitgeschrieben. Dem Einsatz der Brigaden der Freundschaft lag ein in verschiedenen Führungsgremien intensiv diskutierter Beschluß des Politbüros vom 17. September 1963 zu gründe. 24 Die Bildung der Brigaden ist damals in erster Linie als eine Maßnahme der Auslandspropaganda, mit der das Ansehen der DDR insbeson-
22
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/20/53: Information an das Sekretariat des Zentralrats der FDJ, Juli 1962. 23 24
Vgl. ebd. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30 /J IV 2/2/896.
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dere in Afrika erhöht werden sollte, in Angriff genommen worden. 25 Die Mitglieder der Freundschaftsbrigaden sollten als Werber für die internationale Anerkennung der DDR - um bei dem bekannten Begriff zu bleiben - als „Botschafter in den Blauhemden der FDJ" - in die Welt geschickt werden. Auslandsinformation, wie die Auslandspropaganda im DDR-Sprachgebrauch genannt wurde, blieb bis 1989 mit modifizierten Inhalten wichtiger Bestandteil der Tätigkeit der Brigaden. 26 1963/64 sah man in der Entsendung von FDJlern nach Afrika überdies „eine wirksame Gegenmaßnahme gegen die Tätigkeit des in Westdeutschland anläßlich des Kennedy-Besuches mit großem Aufwand gebildeten 'Deutschen Entwicklungsdienstes GmbH'", der nach Auffassung der Verantwortlichen in der DDR dazu beitragen sollte, „die neokolonialistische Politik Westdeutschlands gegenüber den jungen Nationalstaaten durchzusetzen." 27 Wie bereits hinsichtlich der internationalen Arbeit des FDGB bietet sich auch im Jugendbereich der durch die Rivalität des Kalten Krieges geprägte wechselseitige Einfluß auf entwicklungspolitische Aktivitäten im Osten und Westen als ein lohnendes Thema für weitere Forschungen an. Den politischen und fachlichen Zielstellungen der Freundschaftsbrigaden entsprach ein strenges Auswahlverfahren der Brigademitglieder, für das die jeweiligen Fachministerien sowie der Zentralrat und Bezirksleitungen der FDJ verantwortlich waren. Der Brigadeleiter mußte vom Sekretariat des ZK der SED bestätigt werden. „Die Teilnehmer an den Brigaden", so die Forderung, „sollen mit Freude und Begeisterung an dieser Aufgabe arbeiten und in ihrem Einsatz einen Auftrag der Partei und ihres Arbeiter-und-Bauern-Staates sehen, dessen vorbildliche Erfüllung oberstes Prinzip für jeden Teilnehmer ist. Die jungen Arbeiter, Techniker, Lehrer und Ärzte müssen außer ihrer fachlichen Qualifikation und hohen Einsatzbereitschaft auch bereit und in der Lage sein, unter komplizierten Bedingungen in jeder Form ihres Auftretens unsere Deutsche Demokratische Republik würdig zu vertreten." Sie sollten es als eine wichtige Aufgabe sehen, in ihren Einsatzländern „selbst zu lernen, sich mit den politischen und ökonomischen Verhältnissen, mit dem Leben der Jugend und der Bevölkerung vertraut zu machen, um die Erfahrungen nach ihrer Rückkehr erfolgreich auszuwerten und anwenden zu können." 28 Sowohl fachliche Qualifikation als auch politisches Wohlverhalten - wer die geforderte „ideologische Klarheit" nicht nachweisen konnte war von vornherein 25 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/20/2: Vorlage über die Bildung der Brigaden der Freundschaft (Aug. 1963). 26 Vgl. Benno-Eide Siebs: Die DDR und die Dritte Welt: Entwicklungspolitik in den achtziger Jahren, Hausarbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium an der Ludwig-MaximiliansUniversität, München April 1993, S. 91. 27 28
SAPMO-Barch DY 30/IV A2/20/2, Anm. 25. Ebd.
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chancenlos - waren also Voraussetzungen, um in einer Freundschaftsbrigade arbeiten zu können. Angesichts der Reisebeschränkungen für DDR-Bürger war die Tätigkeit in einer FDJ-Brigade ohne Zweifel ein Privileg. Über die Qualität der Brigadisten und ihrer Arbeit sagt dies indes noch nichts aus, sie war durchaus unterschiedlich. Bei den Partnern haben der Idealismus, die Einsatzbereitschaft und das fachliche Können vieler FDJler Anerkennung gefunden. Um ein realistisches Bild zu gewinnen, zu dem neben anzuerkennendem Engagement auch politisch-ideologischer Dogmatismus und die auch in Freundschaftsbrigaden um sich greifende DDR-typische Verspießerung gehörten, haben sich schon vor der Wende ostdeutsche Schriftsteller wie Landolf Scherzer und Jürgen Leskien, die selbst über Brigade-Erfahrungen verfügten, verdient gemacht.29 Ihren Einstand gaben FDJ-Brigaden 1964 in Mali (seit Juli) und als Bestandteil einer internationalen Brigade des ISB in Algerien (seit August). Mit dem Wiederaufbau des im Unabhängigkeitskrieg zerstörten Dorfes Les Qadhias in der Kabylei, der Schaffung von Wohnraum für 160 Familien, einer Schule und eines Handwerkerzentrums setzten Bauingenieure, Maurer, Schlosser, Ärzte und Krankenschwestern sowie Sportlehrer die traditionelle Unterstützung der DDR für Algerien aus der Zeit des Befreiungskrieges fort. In Mali waren ostdeutsche Agronomen, Viehzüchter, Spezialisten für Landtechnik und Baufachleute sowie ein Arzt mit der Aufgabe betraut worden, in einem Projekt einer Entwicklungsorgation des Gastlandes die Produktivität der Landwirtschaft durch den Einsatz von Technik und die Urbarmachung von Boden zu erhöhen, die Viehwirtschaft entwickeln zu helfen und den Partnern berufliche Kenntnisse zu vermitteln. 30 Die Tätigkeit der ersten Freundschaftsbrigaden entsprach einer entwicklungspolitischen Aufgabenstellung, die auch in der Folgezeit Grundlage der Arbeit war. Die praktische Entwicklungshilfe vor Ort sollte sich der ersten Konzeption zufolge bei Beachtung der konkreten Bedürfnisse der Gastländer auf folgende Schwerpunkte konzentrieren: Technische Hilf e durch die Unterstützung des Aufbaus von Betrieben, Werkstätten, Schulen, Klubs, sanitären Einrichtungen, die Errichtung kleiner Anlagen für die Versorgung mit Wasser und Strom und die Durchführung von Reparaturen u.a.; Mitarbeit und Hilfe in der Landwirtschaf t durch die Pflege und Einführung ertragreicher landwirtschaftlicher Kulturen, Bewässerung, Schäd-
29
Vgl. z.B. Jürgen Leskien: Ondjango - ein Angolanisches Tagebuch, Berlin 1980. Vgl. SAPMO-Barch, DY 30/J IV/2/2 A- 1076: Politbürobeschluß, 12.1.65: Erfahrungen des ersten Einsatzes von Brigaden der Freundschaft in Afrika mit Schlußfolgerungen für die weitere Arbeit. 30
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lingsbekämpfimg, Vermittlung von agrotechnischen Kenntnissen und Erfahrungen in der Arbeitsorganisation; Ausbildung von Fachkräften; Medizinische Betreuung durch erste Hilfe und Seuchenbekämpfung. 31 Auf all diesen Gebieten sind FDJ-Brigaden in der Folgezeit tätig gewesen. Als besonderer Schwerpunkt zeichnete sich bald die berufliche Ausbildung ab, landwirtschaftliche Projekte - von der Ausbildung von Fachkräften fur Landtechnik abgesehen - dagegen, erlangten keine große Bedeutung. Entwicklungshilfe
und Außenwirtschaft
Das Problem der Verkoppelung von Entwicklungshilfe mit wirtschaftlichen Interessen waren in der DDR ein Tabu. In der Propaganda wurde seinerzeit vielmehr der Altruismus von DDR-Solidarität betont, der diese deutlich vom neokolonialen Charakter westlicher Entwicklungshilfe unterscheide. In diesem Kontext wurden auch die Arbeit der FDJ-Brigaden einerseits und des DED andererseits gegenübergestellt. In der urprünglichen Konzeption der Freundschaftsbrigaden spielte die Entwicklung von Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Entwicklungsländern explizit tatsächlich noch keine Rolle, de facto war sie jedoch in der Arbeit der Freundschaftsbrigaden von Anfang an ein Faktor. Die von den Brigaden erwartete Auslandspropaganda war nicht nur als politische sondern auch als ökonomische Propaganda für die DDR zu verstehen. So stellte schon eine Auswertung der ersten Erfahrungen in Mali und Algerien heraus, daß die seitens der DDR zur Verfügung gestellten Maschinen und Materialien durch ihren fachgerechten Einsatz in den Freundschaftsbrigaden auf ihre Tauglichkeit getestet und sich auf diese Art und Weise den Wirtschaftsexperten der Einsatzländer empfehlen würden.32 Eine deutliche Verstärkung des außenwirtschaftlichen Aspekts erfolgte 1977/78. Eine in der bereits erwähnten „Mittag-Kommission" diskutierte Information für die SED-Führung über die Arbeit der FDJ-Brigaden konstatierte im April 1978: „Als eine spezifische Form der internationalen solidarischen Arbeit der FDJ ist die Tätigkeit der Freundschaftsbrigaden zu einem festen Bestandteil der außenpolitischen, außenwirtschaftlichen und wissenschaftlichtechnischen Beziehungen der DDR mit national befreiten Staaten Afrikas,
31 32
Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV A2/20/2, Anm. 25. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2 A 1076, Anm. 30.
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Asiens und des arabischen Raumes geworden." 33 Bis zu diesem Zeitpunkt waren in 11 Ländern 810 FDJ-Brigadisten zum Einsatz gekommen, vorwiegend in Afrika Die dafür aufgewandten Mittel beliefen sich von 1971 bis 1977 auf M 38,5 Mill., davon trug das Solidaritätskomitee mit M 21,6 Mill, mehr als die Hälfte. Beliefen sich die jährlichen Kosten in diesem Zeitraum im Durchschnitt auf M 5,7 Mill., so waren für 1978 M 8,2 Mill, vorgesehen. Für 1979/80 waren jährlich M 11 Mill, geplant.34 Diese beträchtliche Ausgabensteigerung ging entsprechend „der außenpolitischen Gesamtorientierung und außenwirtschaftlichen Erfordernissen der DDR und zur Gewährleistung einer hohen Effektivität der Brigadetätigkeit" mit einer Konzentration des Einsatzes der Brigaden auf außenpolitische Schwerpunktländer mit „sozialistischer Orientierung" wie Angola, Mosambik, Algerien, Äthiopien und die VDR Jemen einher. Die Festlegung der Einsatzgebiete sollte „unter Berücksichtigung des Prinzips der gegenseitig vorteilhaften Zusammenarbeit und eines echten Beitrages zur Lösung der politischen und ökonomischen Aufgaben der Einsatzländer und zur Realisierung der außenwirtschaftlichen Interessen der DDR" erfolgen. 35 Diese Orientierung erfolgte vor dem Hintergrund des verstärkten Engagements der DDR im Süden und am Horn Afrikas, die mit der Hoffnung des Ostblocks auf strategische Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten verbunden war. Zugleich strebte die DDR-Führung intensivierte Wirtschaftsbeziehungen zu den befreundeten Ländern an, die durch den Einsatz von Freundschaftsbrigaden an Schwerpunkten der Zusammenarbeit unterstützt werden sollten. Ziele waren der Aufbau langfristiger Exportlinien und die Versorgung der ostdeutschen Volkswirtschaft, in der sich Krisensymptome verstärkten, mit landwirtschaftlichen und mineralischen Rohstoffen. Diese Verflechtung von wirtschaftlichen Interessen und Entwicklungszusammenarbeit drängte in Angola und Mosambik die traditionelle Ausbildungshilfe der Freundschaftsbrigaden in den Hintergrund. Als genereller Trend auch für die anderen Einsatzländer läßt sich dies jedoch nicht feststellen. Sind von 1964 bis 1977 insgesamt über 1.00036 Facharbeiter und Teilfacharbeiter durch die Brigaden ausgebildet worden - das entspricht einem Jahresdurchschnitt von über 70 -, so erhöhte sich die Zahl der jährlich Ausgebildeten mit Abschlüssen in den 1980er Jahren deutlich auf ein mehrfaches (Vgl Tabelle 8). Hinzukommen die Qualifizierung technischer Fachkräfte im Prozeß der Arbeit sowie die Ausbildung von
33 S ΑΡΜΟ BArch DY 30 J IV 2/3A-3135: Beschluß des ZK-Sekretariats, 4.4.78: Information über die Arbeit der FDJ-Brigaden der Freundschaft in national befreiten Staaten; Konzeption fiir die Gestaltung der Arbeit 1978/79. 34 Vgl. ebd. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden jährlich etwa M 12,5 Mill, aufgewandt, die zu etwa 75% aus dem Staatshaushalt finanziert wurden. Vgl. Siebs (1993), S.93. 35 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/JIV 2/3A-3135, Anm. 33. 36 Vgl. ebd.
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Lehrausbildern und Lehrmeistern aus den Einsatzländern in der DDR. Ziel war, die von den Freundschaftsbrigaden bzw. unter ihrer Anleitung errichteten Ausbildungszentren schrittweise in die Hände qualifizierter nationaler Fachkräfte zu legen. In den bis 1989 fertiggestellten 16 Berufsausbildungszentren wurden über 15.000 Facharbeiter ausgebildet.37 Die Orientierung auf Schwerpunktländer bedeutete auch nicht die Reduzierung der Zahl der Einsatzländer im Vergleich zum Zeitraum vor 1977, sondern die Konzentration der mehraufgewandten Mittel insbesondere auf Angola, Mosambik, Äthiopien und ab 1983 auch auf Nikaragua. Bemerkenswert ist die Kontinuität der Arbeit in Algerien (ohne ISB seit 1967-61) und Guinea (196685). Insgesamt blieb das Betätigungsfeld der Freundschaftsbrigaden recht weit gefächert. Es reichte von der Arbeit von Ärzten und medizinischem Personal im Krankenhaus „Carlos Marx" in Nikaragua, über die Mithilfe bei der Errichtung und Instandhaltung von Betrieben in Kuba, den Aufbau von Ausbildungszentren und die berufliche Ausbildung in verschiedenen Ländern und beim ANC bis hin zu Ernteeinsätzen mit Mähdreschern in Äthiopien. Das klassische Beispiel für die Einbindung der Freundschaftsbrigaden in außenwirtschaftliche Aufgaben in Schwerpunktländern der DDR-Afrikapolitik ist Angola. Der Sonderfall Angola In Angola reisten die ersten Brigadisten 1977 an. Seit 1978 waren dort mindestens fünf, zeitweise sechs und acht Brigaden mit insgesamt 120 Mitgliedern im Jahresdurchschnitt im Einsatz. In keinem anderen Land hat es eine derartige Konzentration von Brigadisten gegeben. Die Tätigkeit der FDJ-Brigaden in Angola hatte von Anfang an primär außenwirtschaftliche Gründe, die man mit den Stichworten Import angolanischen Kaffees gegen den Export technischer Güter aus der DDR - vor allem L K W W50 aus Ludwigsfelde einschließlich der Serviceleistungen - und Vermeidung des Einsatzes von frei konvertierbaren Devisen zusammenfassen kann. Serviceleistungen zu garantieren, war in der DDR Außenwirtschaft eine generelle Schwachstelle - FDJ-Brigaden sollten diese Lücke schließen helfen. Das war zudem kostengünstig, denn die Bezahlung der Brigadisten lag erheblich unter der von normalen Experten. Der Einsatz von KFZ-Technikern und Kraftfahrern sollte zunächst helfen, den durch die kriegszerstörte Infrastruktur stark beeinträchtigten Kaffeetransport zu sichern sowie für die Kaffeeproduktion notwendige Technik zu reparieren und zu war-
37
Vgl. Neues Deutschland [Berlin], 29./30.7.89.
128
o
Schleicher
ten. Dies hatte Politbüromitglied Werner Lamberz im Juni 1977 mit der angolanischen Seite vereinbart. 38 Die für 1977 ursprünglich vorgesehene Zahl von 250 Brigadisten wurde nicht erreicht und zum Alter eines Großteils der über den FDJ-Apparat in KFZBetrieben schließlich 135 rekrutierten Fachleute wollte das Blauhemd der Jugendorganisation nicht mehr so recht passen. In Schnellkursen in Portugiesisch, Landeskunde und natürlich durch politische Schulung wurden sie auf ihren Einsatz vorbereitet. 1977/78 setzten sie den Transport von Kaffee aus den Anbaugebieten zu den Häfen Angolas wieder in Gang, 2.340 L K W und 20 Kaffeeschälmaschinen wurden repariert. 39 Seit 1979 war eine Reparaturbrigade des IFA-Werkes Ludwigsfelde für die Wartung und Reparatur der aus dem Heimatbetrieb gelieferten L K W W50 verantwortlich. Spielte die Ausbildung von angolanischen Fachkräften in den ersten Jahren kaum eine Rolle, so änderte sich dies Anfang der 1980er Jahre. 1982 begann eine FDJ-Brigade mit dem Aufbau eines Berufsausbildungszentrums in Cabinda, das im Oktober 1983 seine Arbeit aufnahm und vor allem Schlosser ausbilden sollte. 40 Ausbildung sollte aber fortan auch in den Reparatur- und Instandhaltungsbrigaden stärker berücksichtigt werden. 41 Die Qualifizierung von angolanischen technischen Fachkräften im Prozeß der Arbeit schwankte seit 1985 zwischen 35 und 50 jährlich. 42 Ziel war, den Einsatz der Brigadisten durch die schrittweise Übergabe der Verantwortung an angolanische Fachleute abzulösen. Möglicherweise spielte dabei auch eine Rolle, daß sich die Sicherheitslage der Brigaden, die u.a. in Luanda, Cabinda, Gabela, N'Dalatando, Uige, Lobito und Malange arbeiteten, durch den Bürgerkrieg in Angola drastisch verschlechterte. Im August 1983 mußten erstmals die Brigaden aus Malange und Gabela evakuiert werden, im Juli 1984 die aus Uige und N'Dalatando. 43 Unter komplizierten Bedingungen setzten die Brigaden ihre Arbeit in Angola bis 1989 fort. 38 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/ J IV 2/2 A-2087: Politbürobeschluß, 27.6.77: Reise der Partei- und Staatsdelegation in die VDR Jemen, Äthiopien, Angola, Kongo, Nigeria und Zambia vom 11.-25.6.77, Anlagen 1, 2, 3. 39 Vgl. Anette Neumann/Bettina Husemann: DDR-VR Angola: Fakten und Zusammenhänge zur bildungspolitischen Zusammenarbeit von 1975 bis 1989, in Heyden/Schleicher/Schleicher (1994), S. 158-178, hier S. 170. 40 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3A-4029: Sekretariatsbeschluß, 22.12.1983: Bericht über die Ergebnisse des Einsatzes der Brigaden der Freundschaft 1983 und Maßnahmen für die weitere Arbeit 1984. 41 Vgl. ebd. 42 Das geht aus den jährlichen Berichterstattungen an das Sekretariat des ZK der SED hervor. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A-4347, 4507, 4645, 4785. 43 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A-4029 und 4205: ZK Sekretariatsbeschlüsse, 22.12.1983 und 6.2.1985 zu den Jahresberichten 1983 und 1984.
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
129
Der Umgang mit den entwicklungpolitischen Aktivitäten der FDJ fiel nach 1989 offensichtlich leichter als mit denen des FDGB auf diesem Gebiet. Die entwicklungspolitische Relevanz der Arbeit der Brigaden war offensichtlicher, die quanitativen Ergebnisse waren nicht zu übersehen. Die Evaluierung insbesondere von Berufsausbildungsprojekten durch den DED fiel positiv aus, auch wenn die ungenügende Counterpartausbildung und die entsprechend lange Förderungsdauer mit hohem Personaleinsatz bemängelt wurden. 44 So wurden von den 1989/90 bestehenden 19 Projekten zunächst sieben fortgeführt, darunter das Carlos-Marx-Hospital in Managua und das Berufsausbildungszentrum in Mashayamombe/Zimbabwe. Bei aller notwendigen Kritik an den gesellschaftlichen Voraussetzungen der Tätigkeit der FDJ-Freundschaftsbrigaden bleibt festzustellen, daß durch das Engagement junger Ostdeutscher in Entwicklungsländern vor allem in der Ausbildung nachhaltige Ergebnisse erzielt wurden, die die Anerkennung ihrer Partner fanden. Im Verlaufe von 25 Jahren sind auf diesem Gebiet Wissen und Erfahrung akkumuliert und Leistungen erbracht worden, die eine kritische Würdigung verdienen. Tabelle 1
Entwicklung des Spendenaufkommes der DDR-Bürger 1960-89 (in Tausend Mark - TM) Jahr
Gesamtaufkommen
1960 19612 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969-73 19743 19754 1976 1977 1978 1979 1980
2.256,8 1.894,4 1.950,0 1.753,1 •2.154,0 2.500,0 19.500,0 34.711,0 43.712,4 Ka kA kA kA 161.531,8 * 175.000,0 227.700,0 kA
FDGB 1.500,0 •1.750,0 1.750,0 1.750,0 •2.150,0 KA KA KA KA KA 12.000,0 95.000,0 KA 105.000,0 •100.000,0 KA KA
sonstige Spenden1 756,9 144,4 200,0 3,1 •4,0 kA kA kA kA kA kA kA kA 56.531,8 •75.000,0 kA kA
44 Vgl. Burghard Claus/Hans-Helmut Taake: Die Entwicklungspolitik der DDR - Ein Rückblick, in: Heyden/Schleicher/Schleicher (1993), S. 245-258, hier S. 253; vgl. Antte Stoll: Mashayamombe: Von der FDJ-Brigade zum DED-Projekt, in: Heyden/Schleicher/Schleicher (1994), S. 141-146.
9 Bücking
o
130 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 Erläuterungen: * Plan
Schleicher
177.700,0 177.600,0 •150.000,0 174.200,0 183.700,0 195.900,0 202.400,0 201.500,0 188.415,7 kA: keine Angaben
100.000,0 100.000,0 •100.000,0 100.000,0 100.000,0 100.000,0 100.000,0 80.000,0 75.000,0
77.700,0 77.600,0 •50.000,0 74.200,0 83.700,0 95.900,0 102.400,0 121.500,0 113.415,7
1 sonstige Spenden: Bevölkerung, Nationale Front, VdgB, FDJ, VDJ, DFD, GST, Kulturbund, Konsum, des VKSK, NVA, Mdl, MfS, Zollverwaltung, VdN, Kirchen, Schulen. 2 Das Spendenaufkommen der Bevölkerung dürfte höher gelegen haben, die hier angegebene Summe berücksichtigt das 4. Quartal von 1961 nicht. 3 Die vom FDGB an das Solidaritätskomitee überwiesenen Beträge waren bestimmt für das südliche Afrika (M 8 Mill.), die PLO (M 2 Mill.) und Chile (M 2,0 Mill.). 4 Die vom FDGB überwiesenen Beträge waen bestimmt für Vietnam/Indochina (M 60 Mill.), das südliche Afrika (M 8 Mill.), die PLO (M 2 Mill.) und Chile (M 2,0 Mill.). Quelle: Schleicher, I.: Statistische Angaben zur Solidarität mit Befreiungsbewegungen und Staaten im südlichen Afrika, in: Heyden, U. van der/Schleicher, I. und H.-G. (1994), S. 150. Tabelle 2
FDGB-finanzierte Hilfslieferungen im Zeitraum 1970-79 in TM Insgesamt:
865.976,2
davon Solidaritätskomitee (SK):
828.200,0
Direktleistungen F D G B :
37.776,2
Länder
gesamt
über SK
FDGB diekt
Vietnam
513.766,0
511.000,0
2.766,0
24.700,4
14.500,0
10.200,4
11.000,0
kA
3.500,0
kA
281.648,6
261.400,0
20.248,6
45.861,2
41.300,0
4.561,2
übrige „soz." Länder davon: - Laos - Kampuchea Afrika, Naher Ost. Asien, Befr.beweg. Lateinamerika davon - chilen.Emigranten - Nicaragua
39.800,0 1.500,0
Quelle: SAPMO-BArch, DY 34/12262, Aufstellung vom 30.4.1980.
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
131
Tabelle 3
Hilfslieferungen des FDGB für EL über das Solidaritätskomitee und Direktlieferungen 1981 (in TM) Überweisung an Solidaritätskomitee gesamt: davon Ausgaben fur LDC:
Art der Lieferungen
100.000 22.000
FDGB
Empfänger
SK
Asien Afghanistan
64.200 5.200
VDR Jemen
3.500
Kambodscha
11.200
Medikamente med.-techn. Ausrüstungen Stoffe
933
Laos
5.200
Medikamente med.-techn. Ausrüstungen Druckereiausrüstungen
193
1.934 Medikamente Nähmaschin. Motorräder Verbandstoffe Schulhefte Bekleidung Arzneimittel 100t Zement Stoffe Nähmaschin.
Ausrüstg. fur El.-Galvanowerkstatt Schulmat. Textilien Bekleidung 9*
Art der Lieferungen
188
Lehrmaterial Geschirr Bestecke Möbel Textilien Textilien 10 Motorräder 10 Schreibmaschinen 10 Nähmasch. 20 Zelte 10 Fahrräder 10 Motorräd. 10 Nähmasch. Sportbekleid. Sportgeräte 20 Mopeds
20 Motorräder
o
132
Schleicher
Empfanger
SK
Art der Lieferungen
FDGB
Art der Lieferungen
Vietnam
35.900
Medikamente
607
20 Schreibmasch. 30 Fahrräder
PLO
3.200
Syrien
-
med.-techn. Ausrüstungen Medikamente Nähmaschin. Stoffe Bekleidung
2 Recorder Photoapparate
9 Recorder Photoapparate 2 Recorder Photoapparate
Libanon 32.000
Afrika Algerien
—
Angola
6.000
Äthiopien
GuineaBissau
8.200
—
295 1 Fertiggerichte Schulmaterial Stoffe Sportartikel Sportbekleid. 4 Fachkabinette 600 Decken Ausrüstg. für Traktoren- u. Landmasch in. Werkstatt Stoffe Nähmaschin. Medikamente 8 Röntgeneinrichtg. u.a. Medizintechn. Schulmaterial
154
8
2 techn.Geräte
Kinderbekleidung 3 Motorräder Sportbekleid. u. -geräte Lehrmaterial
5 Motorräder
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
Empfänger
SK
Madagaskar
—
Mosambik
9.200
Art der Lieferungen
Fertighäuser Ausrüstg. fur Sozialzentrum Moatize Baumaterial
FDGB 4 Schreibmaschinen 96
133
Art der Lieferungen
3 Motorräder Lehrmaterial
Sportbekleid. u. -geräte
Lehrmaterial 500t Zement 10t Betonstahl Arzneimittel Medizintechn. Stoffe Großkücheneinrichtung 30
Tanzania
—
ANC
2.300
SWAPO
3.000
Lateinamerika Chile
3.800
327
—
19
Lebensmittel 300t Zement Lehrmaterial 3 Betonmischer Stoffe Sportbekleid. Decken Stoffe Ausrüstung f. Bildungszentr. Kinderbekleid Uniformstoff Lebensmsittel
Einrichtung Arztstation
-
-
6 Reiseschreibmasch. Bekleidung
o
134
Schleicher
Empfänger
SK
Art der Lieferungen
El Salvador
600
Medikamente Verbandmittel
Kuba Nikaragua
FDGB
Art der Lieferungen
10 Uhren
-
3.200
Medikamente Schulmaterial Sportartikel
298
10 Fahrräder 5 Nähmasch. 10 Zelte 200 Luftmatratzen
Ausrüstung f. Berufsausbild. Europa Zypern
9 Motorräder Bekleidung Sportgeräte
54
54
Textilien Haushaltgeräte
Quelle: SAPMO-BArch, DY 34/254123, Aufstellungen vom 28.4.82
Tabelle 4
Ausbildung afro-asiatischer Gewerkschafter an der FDGB-Hochschule Mai 1959-Okt. 1964 (1.-5. Lehrgang) Jahr
Lehrgang
Mitte Mai 1959 Sept. 1960 Sept. 1961 Sept. 1962 Okt. 1964 gesamt
Teilnehmerzahl
1. 2. 3. 4. 5.
40 90 107 55 70 362
Zahl der Länder 8 23 25 11 15
Quelle: Griep, G./Steinbrecher, C.: 25 Jahre Hochschule der Deutschen Gewerkschaften "Fritz Heckert" 1946-1971, Bernau 1971, S. 14.
Ausbildung 1970-79 Teilnehmer insgesamt: davon Afrika Asien arab. Länder Lateinamerika
1533 596 68 793 76
Quelle: SAPMO-BArch, DY 34/12262, Aufstellung vom 30.4.80
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
135
Tabelle 5
FDGB-finanzierte Berufs-, Hoch- und Fachschulausbildung 1960-1980/81 (Afrika) 1960-1977 Stand 01.07.81 1977-1981 Land BP KS s BP KS s 1 5 7 Angola 3 2 3 5 5 Äthiopien 5 3 4 1 7 2 Benin -
-
-
Ghana Guinea Guinea-Bissau Kamerun Kapverden Kenia Kongo/B Lesotho Madagaskar Mali Mosambik Nigeria Sierra Leone Südafrika Sudan Tansania Togo Uganda Zaire Zimbabwe
4 5 17 4 -
7 21
3 2 28 1 138 4 3 37
-
-
-
-
-
9
1
1
3
-
-
-
1
-
-
-
-
4
-
4
6
-
2 3 -
3
-
-
-
-
2
2
1
-
1
7
4 4
-
-
2
-
1
2
1
-
1
-
1
-
1 1 -
-
1 -
-
9 3
-
-
22 15 2
1
1
-
2 -
BP: Berufspraktikanten KS: Krankenschwestern/pfleger S: Studenten Quelle: SAPMO-BArch, DY 34/12262, Übersicht zum 1.7.1981
-
o
136
Schleicher
FDGB-finanzierte Berufs-, Hochschul- und Fachschulausbildung in der DDR 1970-79 (regionale Verteilung) insgesamt:
362
davon - Berufspraktikanten
168
- Studenten
194
BerufsPraktikanten
Studenten
gesamt
- Afrika
70
104
174
- arab. Länder
63
55
118
9
17
26
- Lateinamerika
26
18
44
- gesamt:
168
194
362
- Asien
Quelle:SAPMO-Barch, DY 34/12262, Aufstellung vom 30.4.1980 Tabelle 6
Einsatz von FDJ-Brigaden 1964-1976 Land/ Jahr 19..
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
Algerien
1
1
-
1
1
2
2
2
2
2
2
2
2
-
I
Angola Ghana
-
2
2
Guin.-Bissau
-
-
-
Guinea
-
-
1
Kuba
-
-
-
1
1
1
-
I
-
1
3
3
3
-
1
1+
-
-
-
3
2
2
2
3
3
3
-
-
-
1
-
I
-
2
2
2
2
2
2
1
1
1
1
1
1
1
-
-
-
-
-
-
76
-
1 Mali Somalia Tansania/Sans.
-
-
1
1
1
1
1
1
1
VDR Jemen
1
Vietnam Zentralafr. Repbublik
gesamt/ Anz. Länder
1
1 -
-
-
-
1
-
-
-
-
-
1/1
3/2
5/4 7/4 6/4 7/4 7/5 9/5 8/4 7/4 7/4 8/5 8/8
-
-
12 Länder; davon Afrika: 9 unterstriche n: Beteiligung an W B D J bzw. ISB Brigade, nicht in Gesamtzahl enthalten Quelle: SAPMO-BArch, DY30/J IV 2/3 A-3135; Geschichte der FDJ, hrsg. vom Zentralrat der FDJ, Berlin 1979, S.650-653.
Elemente entwicklungspolitischer Zusammenarbeit von FDGB und FDJ
137
Tabelle 7
Land/ Jahr 19..
Einsatz von Freundschaftsbrigaden 1977-1989 78/ 80/ 77 79 81 82 83 84 85 86 87
88
89
Afghanistan
-
-
-
-
-
-
-
1
1
-
-
Algerien
2
2
2
2
-
-
-
-
-
-
-
ANC'
-
-
-
-
1
1
1
1
I
1
1
5
5
5 1
Angola
1
5
5
8
8
6
6
5
Äthiopien^
-
-
1
1
1
1
2
2
2
2
Guin.-Bissau
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
Guinea
2
2
2
2
1
1
1
-
-
-
-
1
1
Kuba
-
1
2
1
1
2
2
1
1
1
2
Laos
-
-
1
1
1
-
1
1
1
1
1
Mali
1
1
Mosambik
-
1
3
2
3
1
1
1
-
-
-
Nikaragua
-
-
-
-
1
1
2
2
2+1
2+1
2+1
Sao Tomé
-
-
-
-
-
-
-
1
1
1
1
Somalia
1
1
SWAPO· 1
-
-
-
1
-
-
-
-
Kambodscha
. 1 -
-
-
2
2
-
1
1
1
1
1
16/ 10
19/ 11
19/ 11
Tansania VDR Jemen
1
1
1
1
1
1
1
-
Zimbabwe
Brig, gesamt/ Anz. Länder
9/7
15/ 9
davon Brig. i.Afrika/ Anz. Länder
13/
14/
16/
15/
10/
11/
10/
10/
12/
11/
8/6
7
8
6
5
5
5
5
5
6
6
Anzahl Brigadisten
303
301
kA
332
286
220
347
268
kA
kA
kA
19/ 10
19/
19/
14/
9
9
8
17/ 9
15/ 9
unterstrichen: Beteiligung an Brigade des ISB, in jährlicher Gesamtangabe nicht enthalten 1 ANC: seit Febr. 1983-1986 beteiligte sich die FDJ mit 2 Ausbildern an einer Brigade des ISB im ANC-Ausbildungszentrum "Solomon Mahlangu" in Mazimbu/Tanzania. 1986-88 helfen 2 Bauingenieure beim Aufbau eines Transitlagers in Angola, sie werden in der Spalte „gesamt" nicht als Brigade gezählt. 1987-1989 war eine FDJ-Brigade im Ausbildungszentrum Dakawa/Tanzania einesetzt. 2 Äthiopien: Seit 1979 unterstützen außerdem jährlich ab September zeitweilige Brigaden in dreimonatigen Einsätzen die Einbringung der Getreideernte. Sie sind hier ebenso wie die
o
138
Schleicher
kurzzeitige Unterstützung der Errichtung des Karl-Marx-Denkmals 1984 in Addis Abeba nicht mit enthalten. 3 Unterstützung der SWAPQ in Angola durch einen Ingenieur beim Aufbau von Einrichtungen eines Camps (in Gesamtzahl nicht berücksichtigt). Quellen: SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A-1076, 3135, 3416, 3745, 3888, 4029, 4205, 4347, 4507, 4645, 4785. Tabelle 8
Jahr
Ergebnisse der Berufsausbildung durch FDJ-Brigaden 1984-88 1984 1987 1988 1985 « 1986
Lehrlinge/ Abschlüsse
1600/
1600/
900/
1185/
1360/
520
410
295
204
kA
Qualifizier. techn.Kader
kA
KA
220
151
291
Studium DDR Gesamt/Abschl.
59/27
41/16
kA/15
16/6
kA/17
Quellen: SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/3 A-3416, 3745, 3888, 4029, 4205, 4347, 4507, 4645; J IV 2/3-3778;
Hans F. Illy
PERSPEKTIVEN DER DEUTSCHEN ENTWICKLUNGSPOLITIK UNTER VERÄNDERTEN GEOPOLITISCHEN BEDINGUNGEN1 Das Ende des Ost-West-Konfliktes hat nicht nur überkommene Sichtweisen und gewohnte Instrumente in Frage gestellt, sondern die Natur und Wirkungsweise von Entwicklungspolitik überhaupt. Die etablierten nationalen und internationalen Organisationen versuchen, sich darauf einzustellen, aber in den Augen vieler Beobachter greifen diese Bemühungen zu kurz; sie fordern eine „globale Strukturpolitik" bzw. - wie Ulrich Menzel es nennt - „eine globale Sozialpolitik statt Entwicklungshilfe". 2 Dieser Forderung nach einer grundlegenden Reform der internationalen Entwicklungszusammenarbeit stehen jedoch die Routinen, aber auch die Eigeninteressen und das haushaltsrechfliche Besitzstandsdenken der entwicklungspolitischen Organisationen entgegen. Diese sind offensichtlich nicht in der Lage,-sich selbst in Frage zu stellen, und reagieren auf den Wandel in der Welt lediglich mit konzeptionellen Adaptationen und der Erweiterung ihres Angebotes. Im folgenden werde ich aus diesem Problemkomplex vier Themen herausgreifen und die wichtigsten Positionen darstellen: 1. „Das Ende der Dritten Welt?" - die Neuaufteilung der Welt. 2. Der Wegfall politischer Tabus und neue Formen der Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit. 3. Die amorphe neue Welt in Mittel- und Südosteuropa und in Zentralasien als besondere Herausforderung. 4. Die Forderung nach einer Ablösung der Entwicklungspolitik durch eine „globale Strukturpolitik".
1
Aktualisierte und überarbeitete Fassung eines Beitrages mit gleichem Titel in: Die Friedenswarte, 2, 1997. 2
Ulrich Menzel, Das Ende der Dritten Welt und das Scheitern der großen Theorie, Frankfurt am Main 1992, 5. 202ff.
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Zunächst jedoch einige ernüchternde Zahlen zur deutschen Entwicklungspolitik. Obwohl sich die Bundesregierung seit Jahren - auch auf dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995 - zur Verwirklichung des 0,7%-Zieles (Anteil der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit (EZ) am Bruttosozialprodukt) verpflichtet hat, sinkt dieser Wert immer weiter ab: 1990 waren es 0,42 %, 1995 nur noch 0,32 %; der Anteil des Entwicklungshilfeetats am Gesamthaushalt ist von 2,5 % in den Jahren vor der deutschen Einheit auf nun 1,7 % gesunken.3 Hatte man 1990 noch eine Freisetzung von Haushaltsmitteln durch Abrüstung und eine Steigerung der Ausgaben fiir Entwicklungspolitik erwartet, so ist genau das Gegenteil eingetreten. Auch der Entwicklungshilfeausschuß der OECD schlägt Alarm: 1995 sei die öffentliche Entwicklungshilfe seitens aller 25 Mitgliedsländer auf den tiefsten Stand seit zwei Jahrzehnten gesunken.4 Die Leistungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für Mittel- und Osteuropa sowie für Zentralasien steigen hingegen weiter an. Da insgesamt die Höhe der Leistungen zurückgeht, bedeutet dies einen wachsenden Anteil des Transfers in diese Ländergruppen. So sehr dort eine Unterstützung nötig ist: Ursprünglich sollten diese Mittel zusätzlich zu dem Volumen der Hilfe für die Länder des Südens zur Verfügung gestellt werden. Tatsächlich ist der Anteil der Zuwendungen für die besonders armen und strukturschwachen Länder; insbesondere das subsaharische Afrika, von 35,8 % (1993) auf nur noch 26,5 % (1995) der gesamten deutschen Entwicklungshilfe gefallen. Der Anteil der ,Least Developed Countries' fiel von 28,5 % (1993) auf 20,3 % (1995).5 Wenn „Zahlen Bände sprechen", dann hier. Diese Entwicklung bestätigt jene, die schon 1990 das Schlimmste befürchtet hatten - die zunehmende Marginalisierung der ,Dritten Welt'. Es zeigt sich, daß in einer Einsparungsphase im Binnenbereich die Entwicklungspolitik zu einem der ersten Opfer der Sparpolitik wird, und dies zu einem Zeitpunkt, da die Bundesrepublik den Anspruch auf ein größeres Mitspracherecht in internationalen Fragen erhebt, z.B. im UN-Sicherheitsrat.
3
Paul Kevenhörster, Im Konzert der Interessen sind die Stimmen der Armen kaum zu vernehmen. Der vergessene Süden - hat die Entwicklungspolitik noch eine Chance?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.8.1995. 4 Ingomar Hauchler, Entwicklungspolitik und Globalisierung, in: Entwicklung und Zusammenar- beit (E+Z), Nr. 4, 1997, S. 112. 5 Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe. Dritter Bericht 1994/95, Deutsche Welthungerhilfe Terre des Hommes, 1995, S. 26 und 34.
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1. „Das Ende der Dritten Welt?" - die Neuaufteilung der Welt „Begriffe wie ,Dritte Welt' und ,Nord-Süd-Konflikt"' - so Menzel - „hatten nur so lange eine solide Basis, solange das gemeinsame Interesse nach nationaler Unabhängigkeit der Kolonien auf der Tagesordnung stand. Seitdem machen sie aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme, der unterschiedlichen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und des fortschreitenden Differenzierungsprozesses keinen Sinn mehr, von der kulturellen und historischen Vielfalt der betroffenen Länder ganz zu schweigen. Existiert haben sie vor allem in der politischen Propaganda, in den Projektionen der westlichen Intellektuellen und in den großen Theorien über Entwicklung und Unterentwicklung". 6 So lautet fur ihn die Lehre des Jahres 1989: „Was bleibt, [...] ist die Erkenntnis, daß die ,Dritte Welt' Teil des kapitalistischen Weltsystems ist und das Ausscheren aus diesem Weltsystem sich nicht hat durchhalten lassen."7 In der Tat spricht einiges dafür, den Begriff der ,Dritten Welt' über Bord zu werfen 8, und dies nicht nur, weil sich auch die ,Zweite Welt' aufgelöst hat. Wichtiger ist die Feststellung, daß die Entwicklungsproblematik sich verallgemeinert hat und „die Entwicklungspolitik (...) sich zum Teil nach innen (kehrt)". 9 Drastischer ausgedrückt: „Während sie (die Erste Welt) der Dritten Welt vorgaukelt, sie zu sich emporzuziehen, fängt sie langsam an, sich nach deren Bilde zu gestalten".10 Wenn die Auswirkungen der ,Globalisierung' auf die eigene Wirtschaft und Gesellschaft immer spürbarer werden, wird auch die Frage nach der Effizienz der Entwicklungspolitik mit größerer Schärfe gestellt.11 Damit verbunden ist die Frage, ob das bisherige Instrumentarium der Entwicklungspolitik - etwa die eng definierte Aufgabenbestimmung des zuständigen Ressorts - diesen Herausforderungen überhaupt gerecht werden kann. 12 Die Reformüberlegungen und -forderungen werden zwar gehört, ändern aber zunächst wenig an der Praxis. Die Entwicklungshilfeorganisationen reagieren eher pragmatisch und in kleinen Schritten, ohne den Status quo in Frage zu 6
Ulrich Menzel (Fußnote 1), 5.41 f. Ibid., S. 67. 8 Vgl. hierzu Mark T. Berger, The End of the „Third World"?, in: Third World Quarterly 15, Nr. 2, 1994, 5. 257ff. 9 Lothar Brock, Dritte Welt weltweit, in: E+Z, Nr. 5/6,1997, S. 128. 10 Christoph Türcke, Und die Zweite Welt zerfällt, in: Die Zeit, 24.4.1992, vgl. auch Mark T. Berger (Fußnote 7), S. 267. 11 Ein Beispiel: Klaus Natorp, Solidarität mit Versagern?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.12.1994. Vgl. auch: Benjamin Barber, Coca Cola und der Heilige Krieg, Bern 7
12
Dieter Weiss, Neue Herausforderungen für die deutsche EZ, in: E+Z, Nr. 10, 1996.
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stellen. Dazu zählt auch die geographische Neudefinition der ,Dritten Welt' So unterscheidet die Weltbank heute: - erfolgreiche Schwellenländer, - Länder mit mittlerem Einkommen, - Armutsländer, - die Transformationsländer Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion. Die letzte Kategorie paßt dabei nicht zu den ersten drei, die nach dem ProKopf-Einkommen klassifizieren, sondern ist lediglich die Umschreibung der früheren ,Zweiten Welt' in Bewegung. In großen Teilen Ost- und Südostasiens findet eine Entwicklung von erstaunlicher Dynamik statt. Die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit zieht jedoch vor allem die Gruppe der Armutsländer - insbesondere im subsaharischen Afrika - auf sich, nicht zuletzt wegen der enttäuschend geringen Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit. Das Scheitern war schon in den 70er Jahren absehbar. Offenbar waren die dortigen Mißerfolgskonstellationen relativ resistent gegen Reformansätze; sie dürften es zumindest in den nächsten Jahren auch in einer ganzen Reihe von Ländern bleiben. Zu beachten ist allerdings, daß auf dem indischen Subkontinent, wo die absolute Armut besonders gravierend ist, in einzelnen Regionen dennoch ein reales Wachstum stattfindet, das über dem Bevölkerungszuwachs liegt und zusätzliche Spielräume fiir nationale Verteilungspolitiken eröffnet. „Der Beitrag der deutschen EZ kann auch hier immer nur bescheiden sein", heißt es dazu in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BMZ vom Februar 1995. „In der nächsten Legislaturperiode wird es nötig sein, aus dieser seit längerem zu beobachtenden Ausdifferenzierung der Ländergruppen des Südens klare konzeptionelle, instrumentelle und organisatorische Konsequenzen zu ziehen."13 Weiter heißt es dort: „Vor allem in den Ländern mit mittlerem Einkommensniveau und in den Armutsländern gehen wachsende soziale Spannungen mit dem Entstehen innenpolitischer Widerstandsgruppen einher, die sich partiell legitimations- und identitätsstiftender kultureller und religiöser Symbole bedienen (z.B. Islamischer Fundamentalismus). Zugleich werden in manchen Ländern Bestrebungen stärker, die eigenen Gesellschaften deutlicher gegenüber globalen Modernisierungstendenzen abzugrenzen:" Hieraus werden die folgenden Konsequenzen gezogen: „In der nächsten Legislaturperiode werden wir es mit einer wachsenden Zahl von Ländern zu tun 13
Neue Akzente in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit während der nächsten Legislatur periode, Februar 1995, 5.3.
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haben, die Entwicklungshilfe nicht mehr benötigen. Andererseits wird es eine ebenfalls wachsende Gruppe von Ländern geben, die über Jahrzehnte hinweg demonstriert haben, daß insbesondere angesichts unzureichender interner Rahmenbedingungen mit dem eingesetzten EZ-Instrumentarium Entwicklung nicht in Gang gebracht werden konnte. Dazwischen liegt die langsam schrumpfende Gruppe von Ländern, die weiterhin Spielräume für die etablierten entwicklungspolitischen Routinen bieten. Die Legitimierung solcher EZ-Routine dürfte in der deutschen Öffentlichkeit allerdings zunehmend schwieriger werden. Denn wo die Rahmenbedingungen für Entwicklung gegeben sind, findet diese offenbar statt, und EZ macht sich nach angemessener Zeit selbst überflüssig (Beispiele Südkorea, Thailand, Indonesien). Wo diese Rahmenbedingungen jedoch fehlen und EZ auch nicht in der Lage ist, hinreichend auf diese einzuwirken, bewirkt sie wenig. Demnach wird EZ immer nur Starthilfe und Schubverstärker sein können und früher oder später, mit Sicherheit aber nach fast 50 Jahren, von einer Legitimationskrise heimgesucht, wenn sie sich als Dauereinrichtung versteht." 14 Besonders das letzte Stichwort ist wichtig: In der Tat verhalten sich viele deutsche Organisationen weiterhin so, als gäbe es einen ,Dauerbedarf an Entwicklungsförderung. Die gute Grundidee, „Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten und sich dann zurückzuziehen, wenn diese funktioniert, bleibt weitgehend unbeachtet. „Der EZ verbleiben vor allem in der schrumpfenden Gruppe von Ländern mit mittlerem Einkommen ihre etablierten Tätigkeitsfelder. Teilweise findet dort durchaus Entwicklung statt, und fortgesetztes EZ-Engagement erscheint erfolgversprechend. Tatsächlich erzielte Entwicklungserfolge sollten dabei der deutschen Öffentlichkeit deutlicher vermittelt werden. Daneben sollten EZAktivitäten in Armutsländern weitergeführt werden. Hier wird sich die EZ in der nächsten Legislaturperiode allerdings mit unübersehbaren Mißerfolgen auseinandersetzen müssen, die häufig Ergebnis des Mangels an ,good governance' sind. Eine direkte Daueralimentation der Bevölkerungen durch EZ (z.B. Fortführung der Nahrungsmittelhilfen an Sahelländer) scheint zunehmend erforderlich zu werden." 15 Auch zu einem neuen Problem wird Stellung genommen, dem zunehmenden Bedarf an Katastrophenmanagement: „Wo langfristige Katastrophenvorbeugung nicht hinreichend wirksam geworden ist, wird die EZ künftig in wachsendem Maße mit Katastrophenphänomenen konfrontiert werden, die generell aus der immer unhaltbareren Diskrepanz von Bevölkerungsdruck einerseits und engen Ressourcenspielräumen sowie ökologischen Überlastungen andererseits 14 15
Ibid., S. 4f. Ibid., S. 5.
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resultieren. Von Fall zu Fall sind solche Diskrepanzen bereits in Form von bewaffneten Konflikten eskaliert. Der Anteil kurzfristiger Katastrophenhilfen gegenüber langfristig und strukturpolitisch angelegten EZ-Maßnahmen wächst. [...] Generell besteht auf dem Gebiet der Katastrophenhilfe akuter konzeptioneller und institutioneller Handlungsbedarf." 16 Diesen grundsätzlichen Feststellungen und Projektionen ist im Prinzip zuzustimmen. Die Wandlungsbereitschaft auf Seiten der etablierten Institutionen ist allerdings noch gering, da es auch um Verteilungsund Abstimmungsprobleme zwischen Ressorts und Durchführungsorganisationen gebt. Zwar sind innerhalb des gesamten OECD-Hilfevolumens die Aufwendungen für Not- und Krisenhilfe von 2% (1980) auf 10% (1996) gestiegen17, das entwicklungspolitische Instrumentarium paßt sich den neuen Erfordernissen aber nur graduell an. 18 Franz Nuscheier fordert z.B. „die Ablösung der herkömmlichen ,Projektitis' durch eine Programm- und Strukturhilfe, die darauf abzielen muß, die inneren Potentiale, Motivationen und Institutionen zu stützen und die Rahmenbedingungen für eine demokratische, soziale und umweltverträgliche Entwicklung zu verbessern". 19 Die Realität sieht noch anders aus: Die Entwicklungspolitik stellt sich nach wie vor weitgehend über,Projekte' dar. 2. Der Wegfall politischer Tabus und neue Formen der Konditionierung von Entwicklungszusammenarbeit Bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes wurden die internen Entwicklungshemmnisse in Gestalt von sich selbst bereichernden Eliten, mangelnden Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und übermäßigen Rüstungsausgaben wenig thematisiert. 20 Nun aber ist ein neuer Konsens darüber möglich, daß es ohne Demokratie und ohne Eigenanstrengungen der Länder, z.B. die Bereitschaft, die eigenen Ressourcen für Entwicklung (und nicht etwa für Aufrüstung) einzusetzen, keine Entwicklung geben kann. Die Überzeugung, daß die Vergabe deutscher Entwicklungshilfe mit Fortschritten bei der 16
Ibid., S. 5f. Vgl. zur neuen BMZ-Konzeption: Evita Schmieg, Krisenvorbeugung durch EZ, in: E+Z, 10, 1997, S. 262-264; Entwicklungspolitik zur Vorbeugung und Bewältigung von Katastrophen und Konflikten. Stelungnahme des Wiss. Beirates beim BMZ, Juni 1997. 17
Dieter Weiss (Fußnote 11), S. 261. Vgl. z.B. Peter Moßmann, Entwicklungszusammenarbeit als Prävention gegen Konflikte und Migration?, in: Rolf Hanisch/Peter Moßmann (Hg.), Katastrophen und ihre Bewältigung in den Ländern des Südens, Hamburg 1996, 5. 122ff. 18
19 Franz Nuscheler, Gegen den entwicklungspolitischen Pessimismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B12-96, 15.3.1996, 5.8. 20 Vgl. zum folgenden: Joachim Betz, Neue internationale Rahmenbedingungen und deutsche Entwicklungshilfe, in: Politische Bildung, Nr. 1, 1994, 5. 30ff.
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Demokratisierung und der Entwicklungsorientierung staatlichen Handelns verknüpft werden müsse, geht heute quer durch alle Parteien. Im Sinne dieser Konditionierung von Hilfe hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 1991 einen Kriterienkatalog erarbeitet, um entwicklungsfördernde Rahmenbedingungen noch stärker bei der Mittelvergabe zu berücksichtigen, Die fünf Kriterien, von deren Erfüllung der Umfang und die Art der gewährten Hilfe zumindest teilweise abhängig gemacht werden, sind: 1. Beachtung der Menschenrechte (Freiheit von Folter, Minderheitenschutz, Religionsfreiheit etc.), 2. Teilhabe der Bevölkerung an politischen Entscheidungen (demokratische Wahlpraxis, Vereinigungsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit), 3. Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit (transparentes staatliches Handeln, gleiches Recht für alle etc.), 4. Marktfreundliche Wirtschaftsordnung (Schutz des Eigentums, Wettbewerb, Preisfindung durch den Markt, Gewerbefreiheit), 5. Entwicklungsorientierung des staadichen Handelns (Armuts- und Umweltorientierung der staatlichen Politik, Begrenzung des Bevölkerungswachstums, Reduzierung übermäßiger Rüstungsausgaben). Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Carl-Dieter Spranger, selbst wies daraufhin, daß man sich bei der Vergabe von Entwicklungshilfe künftig an diesen fünf Kriterien orientieren werde. Er gab auch Empfänger an, die wegen des Fehlens dieser Voraussetzungen reduzierte Zuweisungen erhalten würden. Gleichzeitig erklärte er jedoch - in Anlehnung an ein oft gehörtes Argument gegen die politische Konditionierung von Entwicklungshilfe - man wolle die arme Bevölkerung eines Landes mit geringer Menschenrechtsorientierung durch den Entzug von Hilfe nicht doppelt bestrafen. Außer in Extremfällen sei man daher bereit, auch in diesen Ländern armutsund umweltorientierte Vorhaben weiter zu fordern, sofern sie nicht entwicklungswidrige Rahmenbedingungen stabilisierten. Es soll hier nicht über Sinn bzw. Unsinn der politischen Konditionierung von Entwicklungshilfe oder über den damit verbundenen Souveränitätsverlust der Hilfeempfänger räsoniert werden. An Ausführungen hierzu besteht wahrlich kein Mangel. 21 Fest steht, daß die genannten Kriterien, wenn sie denn angewendet werden, eine deutliche Verbesserung darstellen gegenüber einer 21
Vgl. z.B. Joachim Betz, Strukturanpassung und Konditionalität: Ausdehnung und Grenzen, in:Nord-Süd-Aktuell, Nr. 4, 1992, S. 608-618; Hans F. Illy, Soziale und politische Dimensionen der Strukturanpassung in Afrika, in: Journal für Entwicklungspolitik, Nr. 4, 1994, S. 441-458 (beide mit Verweisen auf die internationale Literatur). 10 Bücking
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Mittelvergabe, die ad hoc oder nach den wechselnden außenwirtschaftlichen (Rohstoffe, Absatzmärkte) und außenpolitischen (Nicht-Anerkennung der DDR, prowestliches Regime) Interessen erfolgt. Ein solches Vorgehen hat die deutsche Entwicklungspolitik lange Jahre gekennzeichnet. Dennoch sind einige kritische Anmerkungen am Platz: Es steht außer Zweifel, daß die Art und die Qualität der verfolgten Wirtschaftspolitik und Entwicklungsstrategie einen entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftlichen Ergebnisse, die Einkommensverteilung und die Armut in Drittweltstaaten haben und daß dieser Einfluß meist wichtiger ist als die außenwirtschaftlichen Faktoren (z.B. Steigen der Ölpreise, Fallen der ,terms of trade', internationales Zinsniveau). Dies wird auch von entwicklungsländernahen Autoren und Institutionen kaum mehr bestritten. Fehlgeleitete staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen, Korruption, die Unterdrückung von Minderheiten usw. haben in vielen Staaten erheblich zur Verelendung beigetragen. Etwas einfach macht es sich die Bundesregierung jedoch mit der Behauptung, daß demokratische Regierungsformen und die Partizipation aller Bevölkerungsteile notwendige Entwicklungsvoraussetzungen seien. Man mag aus ethischen Gründen demokratische Regime bevorzugen, deren größere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit muß erst noch nachgewiesen werden. Einschränkend muß man freilich sagen, daß die ,Entwicklungsdiktaturen', denen man noch bis weit in die 70er Jahre hinein eine gegenüber Demokratien überlegene Wirtschaftsleistung in der Dritten Welt nachsagte, sich meist als „Diktaturen ohne Entwicklung" 22 herausgestellt haben, die die staatlichen Mittel fur die Selbstprivilegierung verschwendeten und sich zu tiefgreifenden Wirtschaftsreformen ebensowenig in der Lage sahen wie schwache demokratische Regime. Worauf es offensichtlich ankommt, ist zum einen die Entwicklungsorientierung des Staates (,developmental state') und zum anderen die Handlungskongruenz zwischen Staat und Privatsektor (Beispiele: Japan, Südkorea, Taiwan). Ein Problem ist auch die menschenrechtliche Konditionierung von Entwicklungspolitik, über die Nuscheier schreibt: „Das wohlfeile Bekenntnis zu den Menschenrechten war aber nicht gegen einen von wirtschaftlichen Interessen bestimmten ,doppelten Standard' gefeit. Es zeichnete sich ab, daß die politische Konditionalität zwar gegen die vielen Habenichtse, aber nicht gegen politisch potente und wirtschaftlich attraktive Staaten (wie China, Indien,
22
Jürgen Rüland/Nikolaus Werz, Von der „Entwicklungsdiktatur" zu den Diktaturen ohne Entwicklung, in: Franz Nuscheier (Hg.), Dritte-Welt-Forschung, PVS-Sonderheft 16, Opladen 1985, S. 21 Iff.
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Indonesien oder die arabischen Staaten mit teilweise despotischen Regimes) angewandt wird. In das Fadenkreuz der menscbenrechtspolitischen Offensive gerieten vor allem die afrikanischen Staaten, die außer ein paar Rohstoffen, die es auf dem Weltmarkt in Hülle und Fülle zu Ramschpreisen gibt, wenig zu bieten haben und auf Überlebenshilfe von außen angewiesen sind." 23 Dieser ,doppelte Standard', der die Glaubwürdigkeit der menschenrechtlichen Konditionalität, wie sie 1991 auch in den neuen Vergabekriterien des BMZ verankert wurde, in Zweifel zieht, wurde 1992 durch die deutsche ChinaPolitik illustriert: Während der Bundesminister für Entwicklung sich an die Boykottbeschlüsse zu halten versuchte, die der Deutsche Bundestag nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz im überparteilichen Konsens verabschiedet hatte, sagte der Wirtschaftsminister China einen mit Zinssubventionen in Höhe von 203 Millionen Mark versehenen Großkredit zu. 3. Die amorphe neue Welt in Mittel- und Südosteuropa und in Zentralasien als besondere Herausforderung Die gegenwärtige Lage in den Ländern des zusammengebrochenen Staatssozialismus ist vor allem durch die Überlagerung und wechselseitige Verstärkung von drei Krisenphänomenen charakterisiert: - Die politische Legitimationskrise, ausgelöst durch den Zerfall des kommunistisch-zentralistischen Systems, ist von einer umfassenden Lösung noch weit entfernt. Der Ausgang ist in vielen Staaten nach wie vor ungewiß. - Der Transformationsprozeß von der Plan- zur Marktwirtschaft wird durch strukturelle Defizite in vielen Bereichen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems erschwert. Durch den Zusammenbruch des alten RGW-Handelssystems und seiner nicht auf Marktpreisen basierenden Austauschverhältnisse wird der Umbau zusätzlich beeinträchtigt. - Durch das Erstarken nationalistischer Strömungen werden diese Schwierigkeiten noch verstärkt. 24 Vor diesem Hintergrund kommen Beobachter der Region (aus der Stiftung Wissenschaft und Politik) zu folgender Zustandsbeschreibung: „Den festgefugten Ostblock, der zumindest aus der Perspektive des Westens in den Jahren des Kalten Krieges Realität zu sein schien, gibt es nicht mehr. Vielmehr gilt es, sich der Unterschiedlichkeit der Region bewußt zu werden. Die baltischen Staaten, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik,
23
Aus einem Text der „Stiftung Entwicklung und Frieden" 1994. Vgl. „Das BMZ als Partner in den Staaten Mittel- und Südosteuropas und in den Nachfolgestaaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion", Dez. 1993, S. 1. 24
in*
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Bulgarien, Rumänien, Albanien und Jugoslawien sind erst beträchtliche Zeit nach der Gründung der Sowjetunion, zumeist erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den sowjetischen Einflußbereich geraten. Demokratie und Marktwirtschaft waren hier zumindest in Ansätzen vor dem Krieg etabliert, Gewerbe und Industrie vielfach entwickelt und in den mitteleuropäischen Ländern anf durchaus mit Westeuropa vergleichbarem Standard. Die zentralasiatischen und kaukasischen Republiken sind hingegen von den europäischen Staaten und untereinander auf vielfältige Weise zu unterscheiden. Sie sind zum Teil echte russische bzw. später sowjetische Kolonien und durch die Dauer der Kolonisierung und das in der Geschichte wechselnde Verhältnis zum Zarenreich und zu den Nachbarn in gänzlich andere Orientierungen getrieben worden; heute werden sie von zwei gegenläufigen dynamischen Erscheinungen, dem Erstarken der fundamentalistischen Strömungen einerseits und den Beharrungskräften der Nomenklatura aus der sozialistischen Zeit andererseits, auf dem Weg zu einer demokratischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunft behindert. Rußland, die Ukraine und Weißrußland als dritte Gruppe stehen sich aufgrund der geschichtlichen Entwicklung zwar näher, sind aber keineswegs homogen, sondern aufgrund von geschichtlicher Erfahrung und kultureller Tradition in vielem unterschiedlich". 25 Es ist gleichwohl erstaunlich, wie rasch der Transformationsprozeß in einem Land wie der Mongolei abläuft, die fast siebzig Jahre sozialistisch geprägt war (eigene Anschauung im September 1997). Aber der politische Wandel ist offensichtlich rascher zu schaffen als der wirtschaftliche. In ökonomischer Hinsicht wird angemerkt: „ I m wirtschaftlichen Sektor konnten einige Staaten, begünstigt durch eine schon früher eingeschlagene Weltmarktorientierung und unterstützt von alten industriellen Traditionen, bereits Fortschritte erreichen: Ungarn, die Tschechische Republik, aber auch Slowenien, gefolgt von Polen, sind hier vor allem zu nennen. Die NachfolgeStaaten der Sowjetunion leiden hingegen an monolithischen Wirtschaftsstrukturen; eine Erbschaft aus den Zeiten stalinistischer Wirtschaftspolitik, die darauf gerichtet war, die Regionen in struktureller Abhängigkeit zu halten. In Südosteuropa werden in den Nachbarländern Serbiens hoffnungsvolle Ansätze durch die über Belgrad verhängten Sanktionen und die daraus resultierende Embargopolitik heeinträchtigt; der Agrarsektor in diesen Ländern ist vielfach durch die europäische Agrarpolitik in seiner grundsätzlich vorhandenen Exportfähigkeit zusätzlich behindert. Nennenswerte Fortschritte in der Zusammenarbeit sind in Moldawien und vor allen Dingen Albanien festzustellen, wo Anpassungsprogramme auf der Basis der Empfehlungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds Wirkungen - wenngleich auf niedrigem Anfangsniveau - zeigen. Auf der mehr praktischen Ebene ist es aber in allen Ländern das weit25
Ibid.
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gehende Fehlen von dinglichen Sicherheiten und korrespondierenden Rechtsinstitutionen, an dem vorhandene Investitionsabsichten und der Ausbau von Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu scheitern drohen." 26 Für die Zukunft werden grundsätzlich drei Entwicklungsszenarien für möglich gehalten: - Das ,Chaosszenario': Der weitere wirtschaftliche Niedergang und das weitere Auseinanderbrechen festgefügter Einheiten fuhrt zu kriegerischen Konflikten, und eine sich selbst verstärkende Spirale des Niedergangs setzt ein. - Das ,autoritäre Modell': Das System reagiert auf die Herausforderungen durch den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Niedergang mit der Installation einer autoritären Führerpersönlichkeit. - Das evolutionäre Modell': Es bilden sich allmählich stabile Strukturen und demokratische Willensbildungsprozesse heraus. Dieser Prozeß ist verbunden mit zunehmender wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung auf der Basis einer - in tragfähige rechtliche Strukturen eingebetteten - marktwirtschaftlichen Entwicklung. 27 Die ersten beiden Szenarien könnten katastrophale Auswirkungen auf die Europäische Union, vor allem auf Deutschland als Anrainerstaat, haben. Hier soll nur auf die Migrationsbewegungen, die mit diesen Szenarien einhergehen würden, verwiesen werden. Die einzig wünschenswerte Entwicklung kann somit aus westlicher Sicht nur das evolutionäre Modell' sein. Vor diesem Hintergrund erscheint je nach spezifischer Lage ein sehr unterschiedliches Vorgehen geboten. In einem Papier des BMZ vom Dezember 1993 fallen jedoch zwei Schlüsselsätze ins Auge: 1. „Die Transformationsprobleme in den neuen Staaten gleichen den Entwicklungsproblemen in den Ländern des Südens" 2. Es gelte, „Bildung und Ausbildung in Schlüsselbereichen zu vermitteln, westliches Know-how zu übertragen" (besonders im Managementbereich). 28 Wer heute noch so argumentiert, hat aus der bisherigen Entwicklungspolitik wenig gelernt. So ist z.B. von sozio-kulturell angepaßten Lösungen keine Rede mehr. Solche eindimensionalen Trausferstrategien tragen der angesprochenen Globalisierungsproblematik nicht im geringsten Rechnung. Entsprechend sieht die Realität aus: 17 Bundesressorts sind mit dieser Ländergruppe befaßt, viele Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind inzwischen dort engagiert. Von einer Koordination oder gar einer systematischen Nutzbar26 27 28
Ibid., S. 2. Ibid., S. 3. Ibid., S. 5 und 10.
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machung der Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für die neuen Herausforderungen im ,Osten' kann bisher keine Rede sein. 4. Die Forderung nach einer Ablösung der Entwicklungspolitik durch eine,,globale Strukturpolitik " Nicht nur die bisherigen Formen und Instrumente, sondern auch die grundsätzliche Sinnhaftigkeit des Nord-Süd-Transfers werden aus unterschiedlichen Motiven in Frage gestellt.29 Einige vertrauen auf die entwicklungsfördernde Wirkung marktwirtschaftlicher Mechanismen. Entwicklungshilfe wird vor diesem Hintergrund als eher entwicklungshemmend angesehen, denn sie führe zu einer Aufwertung des Staates, stabilisiere ungerechte Herrschaftsverhältnisse und ermögliche die Selbstbereicherung privilegierter Gruppen. Ein anderer Kritikpunkt ist, daß sich die stark an Einzelprojekten orientierte Entwicklungshilfe als unfähig erwiesen habe, umweit- und sozialverträgliche Wachstumsprozesse zu initiieren oder zu verstärken. Solange die Rahmenbedingungen nicht verändert würden, sei der Versuch, Entwicklung durch öffentlichen Ressourcentransfer zu fördern, zum Scheitern verurteilt. Die Entwicklungsorganisationen in Deutschland bekommen die wachsenden Zweifel an der Entwicklungshilfe zu spüren: Das Thema ,Nord-Süd' wird immer stärker an den Rand der öffentlichen Debatte gedrängt, der gesellschaftliche und parlamentarische Rückhalt für den Einsatz staatlicher Mittel in diesem Bereich sinkt, die Spendeneingänge vieler Organisationen gehen zurück. Die generelle Umbruchsituation zwingt zu einer Neudefinition des Selbstverständnisses und der Ziele der Entwicklungszusammenarbeit. Nur wenn es gelingt, die weit verbreitete Verunsicherung durch die Formulierung neuer Leitbilder aufzulösen, besteht die Chance, die Nord-Süd-Beziehungen als dauerhaften Bestandteil gesellschaftlicher und staatlicher Politik zu verankern. Mit der Orientierung auf nachhaltige Entwicklung und soziale Gerechtigkeit im internationalen Maßstab wird die Entwicklungszusammenarbeit zunehmend als Teil einer globalen Strukturpolitik verstanden. Der Ressourcentransfer in die ärmeren Länder ist nach diesem Verständnis nicht mehr ausschließlich ein ethisch-humanitär motivierter Ausdruck internationaler Solidarität, sondern Entwicklungspolitik soll als präventive Friedenspolitik der langfristigen Zukunftssicherung der Menschen in Nord und Süd dienen. So geht es auch um die langfristigen Überlebensinteressen der jetzigen und zukünftiger Generationen in den reichen Ländern.
29
Dieser Abschnitt orientiert sich weitgehend an der Argumentation in: „Die Wirklichkeit..." (Fußnote 4), S. 8-11.
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Die zunehmende Globalisierung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen verstärkt die Abhängigkeit der Lebensbedingungen im Norden von Entwicklungen in anderen Regionen. So sind die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Massenarmut im Süden ,globale' Probleme geworden. Werden z.B. Konflikte um lebenswichtige Ressourcen mit militärischen Mitteln ausgetragen, sind die Folgen soziale Desintegration und Migration. Zum Teil ist der Problemdruck im Süden auch das Ergebnis von Entscheidungen im Norden, zum Beispiel bei Rüstungsexporten und der Auslagerung,schmutziger' Industrien. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Wirtschaft immer mehr auf der Basis von Globalstrategien handelt, die sich dem steuernden Einfluß staatlicher Instrumente entziehen können. Im internationalen Raum fehlen noch Institutionen mit demokratisch legitimiertem globalem Mandat, wirksamen Instrumenten und Sanktionsmöglichkeiten.30 So nehmen die Bretton-Woods-Institutionen (Internationaler Währungsfonds und Weltbank) im Rahmen ihrer Kreditprogramme zwar starken Einfluß auf die wirtschafts- und ordnungspolitische Ausrichtung der Defizitländer, die auf den externen Ressourcenzufluß angewiesen sind. Jene Länder, die auf externe Kredite nicht angewiesen sind, können jedoch Ratschläge von dieser Seite ignorieren, ohne daß sie Konsequenzen befürchten müßten. Auch in der internationalen Umweltpolitik gibt es bisher kaum verbindliche Regelwerke zur Festlegung der Rechte und Pflichten von Staaten.31 Die Industriestaaten haben jedoch 1992 bei der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio weitreichende Verpflichtungen hinsichtlich einer nachhaltigen ökologischen Neuorientierung übernommen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt umfaßt das Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit auch die umweit- und entwicklungsverträgliche Umgestaltung des eigenen Landes und der eigenen Gesellschaft. Die Umsetzung einer globalen Strukturpolitik setzt voraus, daß die kurzfristigen nat ionalen Eigeninteressen, die bisher die wichtigste Grundlage der Außen-, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik von Staaten bilden, der langfristigen Zukunftssicherung fiir die ,Eine Welt' untergeordnet werden. Transferleistungen in ärmere Länder spielen eine immer wichtigere Rolle im Kontext globaler Strukturreformen. Zum einen können sie als Kompensation dafür dienen, daß Staaten Öko-Systeme, die von globaler Bedeutung sind, 30 Ernst-Otto Czempiel, Von der Staatenwelt zur Gesellschaftswelt. Wie nach dem Verschwinden des Ost-West-Gegensatzes der Frieden zu sichern ist, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.2.1995. 31 Vgl. zum Thema: Manfred Wöhlcke, Umwelt und Entwicklung im Nord-Süd-Kontext: Argumente, Interessen und Verantwortlichkeiten, in: Politische Bildung, Nr. 1, 1994, S. 43ff.
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schützen und nicht wirtschaftlich nutzen. Ein Ressourcen- und Technologietransfer ist auch die zentrale Voraussetzung dafür, daß nachhaltige Entwicklungspfade eingeschlagen werden (können). 32 Entscheidend ist, daß die aufgebrachten Mittel mit hoher Effektivität und Effizienz zum Einsatz kommen. Dies erfordert, daß die Vergabe von Entwicklungshilfe nach entwicklungspolitischen Prioritäten und nicht nach anderen Zielsetzungen, z.B. Exportförderung, erfolgt. Von dem gegenwärtigen Geflecht von Außen-, Außenwirtschafts- und Entwicklungspolitik zu einer „globalen Strukturpolitik" ist es noch ein weiter Weg.
32
1989.
Dieter Oberndorfer, Schutz der tropischen Regenwälder durch Entschuldung, München
VERFASSSER UND HERAUSGEBER Winfried Boll Fritz Zenkerstr. 26, 53572 Unkel Dr. Wolf-Dieter Graewe Friedrich-Engels-Str. 156, 15758 Zernsdorf Prof Dr. Hans F. Illy Arnold-Bergstraesser-Institut Windausstr. 16, 79110 Freiburg Dr. Rüdiger Korff Universität Bielefeld, Universitätsstraße, 33615 Bielefeld Prof Dr. Volker Lohse Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Abt. Bielefeld, Kurt-Schumacher-Str. 6, 33615 Bielefeld Dr. Hans-Georg Schleicher Pritschardstr. 14, 14159 Berlin Ilona Schleicher, Dipl.-Hist. Pritschardstr. 14, 14159 Berlin Jürgen Schroer Nord-Süd-Beauftragter des Ministerpräsidenten, Staatskanzlei NRW, Postfach, 40190 Düsseldorf