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German Pages [112]
Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 7
Mario Fubini
Entstehung und Geschichte der literarischen Gattungen
Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Ursula Vogt
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1971
Die Abhandlung erschien zuletzt unter dem Titel »Genesi e storia dei generi letterari« in dem Sammelband von Mario Fubini: Critica e poesia. Saggi e discorsi di teoria letteraria. Seconda edizione riveduta e accresciuta di nuovi studi. Editori Laterza, Bari 1966
Redaktion der Reihe: Lothar Rotsch
ISBN
3-484-22006-6
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1971 Alle Rechte vorbehalten · Printed in Germany Druck: H. Wörner Stuttgart Einband von Heinr. Koch Tübingen
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung Das Für und Wider der literarischen Gattungen Geschichte der Gattungsproblematik
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Nachwort von Ursula Vogt: Bemerkungen zur Diskussion über die literarischen Gattungen im 20. Jahrhundert
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Bibliographie
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Namenregister
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»Existieren die literarischen Gattungen?« Diese Frage, die man auch heute noch oft stellen hört, ist, so scheint mir jedenfalls, doppeldeutig: denn man kann leicht darauf antworten, daß nicht die Gattungen, sondern die einzelnen Werke existieren, und andererseits, daß die Gattungen in gewisser Weise existieren, wenn sie doch immer wieder in den Auseinandersetzungen der Dichter und Kritiker auftauchen. Man ersetzt sie also besser durch eine andere, zum Beispiel durch die vorläufige und zugleich wesentliche Frage: »Was sind die literarischen Gattungen?«, und, nachdem wir von Vico gelernt haben, daß »die Natur der Dinge nichts anderes ist als ihr Entstehen in bestimmten Zeiten und auf bestimmte Art und Weise«, durch folgende gleichwertige und gemäßere: »Wie entstehen die literarischen Gattungen?« Diese Frage kann man auf zweierlei Art beantworten, indem man den idealen Ursprung dieser rhetorischen Kategorien und die von ihnen im Werden der Kritik und der Dichtung ausgeübten Funktionen darlegt, oder indem man ihre historische Entwicklung erläutert, in der sich ihre Aufgabe und ihr Wesen und also auch ihre Grenzen immer klarer herausgestellt haben: diese beiden Antworten möchte diese Untersuchung in ihren zwei Teilen geben und auf diese Weise die Frage klären, ob die Gattungen in der Literaturgeschichte Legitimität besitzen.
VI
Das Für und Wider der literarischen Gattungen
Es wird gut sein, zuerst noch, einmal an die Formel des ästhetischen Urteils »Das ist schön« oder »Das ist häßlich« zu erinnern und an die Tatsache, die sie erhellt: die Anwesenheit des Kunstwerks in den Worten des Kritikers. In jedem Werk der Kritik, haben wir gesagt, ist implizit oder explizit immer eine Herbeirufung gegeben: aber weder die stilistischen Einsichten noch die Paraphrase noch die Zitate von einzelnen Stellen selbst scheinen zu genügen, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf die konkret gemeinte Poesie zu lenken, auf die sich die Rede dauernd bezieht und die natürlich nicht in den faktisch herausgegriffenen Worten liegt, sondern in ihrem Ton, in dem Ton, der, wie das Sprichwort sagt, die Musik macht, oder besser die Musik selbst ist. Deshalb ist es Ziel der Kritik, den Ton der Poesie zu bestimmen, so daß deutlich wird, was der Gegenstand des ästhetischen Urteils ist, das »das« des oben erwähnten Ausspruchs, und damit die Poesie so gelesen wird, wie sie gelesen werden soll: und diese Bestimmung ist ein wesentlicher Bestandteil des Urteils, das dadurch eine größere Bestimmtheit gewinnt. Selbstverständlich hilft dem Kritiker bei dieser seiner Arbeit außer der Erfahrung der Wirklichkeit im ganzen auch die Kenntnis der poetischen Werke, die ihm durch ihre Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit mit dem ihm vorliegenden Werk eine passende Definition nahelegen können: denn wenn wir ein Gedicht hören, müssen wir uns ihm einerseits anvertrauen, als ob kein anderes dichterisches Werk existierte, (»auch die höchste Schönheit der Kunst«, mahnte Wackenroder,1 »übt nur dann, wie sie soll, ihre volle Gewalt an uns aus, wenn unser Auge nicht zugleich seitwärts auf andere Schönheit blickt«), aber wenn wir dann später versuchen, anderen, und vor allen anderen uns selbst, unser Gefühl zu erklären, müssen wir mit dem Blick ein weiteres Gebiet umfassen, nämlich das unserer Erfahrung, die bei der Betrachtung der Schönheit dieses Gedichts vergessen schien und es dodi nicht war, und müssen uns von ihr erhellen lassen für eine vollständigere
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W. H . Wackenroder, Werke und Briefe, hrsg. von F. von der Leyen. Jena 1910, Bd. ι, S. 63.
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und sicherere Erkenntnis des neuen poetischen Individuums, das sich uns offenbart hat. So kommt es, daß wir unser Werk mit anderen vergleichen, die in gewisser Hinsicht wesensverwandt zu sein scheinen, oder es anderen entgegensetzen, die, vielleicht im Kontrast zum äußeren Schein, einen anderen Charakter haben, und daß wir auf diese Weise Klassen bilden oder uns schon vorhandener Klassen bedienen, unter denen die traditionellen literarischen Gattungen sind, wie die Epik, die Lyrik, die Dramatik usw., aber nicht nur sie allein; deshalb wird doch der einzigartige Wert jenes Individuum ineffabile, das das einzelne Werk darstellt, nicht verkannt, denn gerade dieses hat man immer im Auge, während man auf der Suche nach der Definition der ihm entsprechenden Gattung ist, und eben dieses will unsere Klassifizierung gebührend hervorheben. Was Wunder, wenn die G a t t u n g sich nie dem I n d i v i d u u m anpaßt? U n d wenn daher per definitionem nicht nur die Gattungen der antiken Rhetorik unangemessen sind, sondern auch die der gewandtesten und scharfsinnigsten Kritik unserer Tage, zum Beispiel die Gattung der »Poesie der Harmonie«, um nur eines der charakteristischsten Beispiele der Croceschen Kritik zu nennen, deren Unzulänglichkeit gegenüber der konkreten Poesie Ariosts Croce selbst anerkennt? Aber in diesem wie in jedem anderen Fall wird der jeder allgemeinen Definition innewohnende Mangel durch die Überlegung des Kritikers, von der sie nicht abgesetzt werden kann, aufgehoben: und die Definition der »Poesie der Harmonie« hat Gültigkeit, insoweit sie Negation oder Korrektur anderer Definitionen ist, der der epischen Poesie und der Ritterdichtung, der ironischen Poesie und der Liebeslyrik, und sie wird begleitet von Beispielen, in denen jene Harmonie sich verwirklicht, und von anderen, verschiedenartigen aus weniger bedeutsamen Werken des Ariost oder von Dichtern, die unverdientermaßen dem Dichter des »Furioso« gleichgestellt wurden - und so schimmert das dichterische Individuum, das Hauptperson der Darstellung ist, durch das Gewebe der allgemeinen Definitionen, durch die wir es besser kennenlernen, hindurch. Ebenso konnten die Diskussionen vergangener Zeiten über die Gattung dieses oder jenes Werks (zum Beispiel wieder der »Furioso«: epische Dichtung oder Romanzo?), trotz des Irrtums, der ihnen, wie wir sehen werden, zugrundelag, wirklich ästhetischen Wert haben und zur rechten Beurteilung dieser Werke beitragen: wenn uns heute scheint, daß wir wenig oder nichts über das wahre Wesen eines poetischen Gebildes erfahren, wenn es als Tragödie oder Komödie, als epische Dichtung oder Romanzo bezeichnet wird, so bedeutet das nicht, daß diese Benennungen, die für uns wirklich zu a l l g e m e i n sind, auf ihre Weise nicht einem wahren Erkenntniswillen genügt haben, indem sie den Lesern ein nützliches Orientierungsmittel in die H a n d gaben. 2
So ist es nicht nur in der Literaturgeschichte, sondern in jeder Art von Geschichte, in der wir uns solcher allgemeinen Definitionen bedienen, obwohl wir doch um ihre Unzulänglichkeit wissen. Man denke nur an die politische Geschichte, in der wir von feudalistischen und absolutistischen, von liberalen und totalitären Staaten sprechen; man denke an die kleine Geschichte, wenn wir sie so nennen können, die wir selbst von Tag zu Tag mit unseren Urteilen über die Menschen und die Dinge, unter denen wir leben, machen und die ganz durchwoben ist von ähnlichen Klassifizierungen und Definitionen. So sagen wir von diesem ode'r jenem Menschen, daß er etwa ein Deutscher oder ein Sizilianer oder ein Professor ist, und rufen auf diese Weise uns und unseren Gesprächspartnern Elemente aus unserer und ihrer Erfahrung ins Gedächtnis, die geeignet sind, den Charakter oder das Benehmen dieser Personen verständlich zu machen. Denn bei jedem Urteil haben wir eine neue Wirklichkeit vor uns, aber dem Urteil, das wir geben sollen, sind zahlreiche andere vorausgegangen, und sie können diesem die Richtung weisen; sie können das um so leichter, wenn wir in aller Kürze die Schlüsse daraus gezogen und sie in Klassen geordnet haben, die in unserem Gedächtnis die Funktion von S y m b o l e n f ü r die kompliziertere historische Wirklichkeit ausüben. Wehe aber, wenn diese Symbole, Klassen, Gattungen, oder wie wir sie sonst nennen mögen, mehr als einfache I n s t r u m e n t e sein wollen, und wenn wir glaubten, über diese Individuen f ü r immer ein Urteil gefällt zu haben, indem wir sie einer von diesen Klassen, die wir durch unsere Beobachtungen gebildet haben, zuordnen! Wehe auch, wenn wir dadurch Hilfsmittel, die nur approximativ und notwendigerweise fehlerhaft sind, zu Kriterien eines Urteils erheben, das sie zwar erleichtern, aber nicht endgültig bestimmen können ! Sie haben tatsächlich etwas P r o v i s o r i s c h e s an sich, weswegen ihr Wert in dem Moment selbst, in dem wir sie benützen, verneint werden m u ß : das Individuum, in dem wir Eigenschaften erkannt haben, die es mit anderen seiner Nation, seiner Landschaft, seines Berufes gemein hat, fällt mit keinem von ihnen zusammen und noch weniger mit der künstlichen, von uns gebildeten Klasse (der Deutsche, der Sizilianer, der Professor), und daher verlangt es von uns eine weitere Bestimmung, die wir durch andere allgemeine Definitionen hindurch verfolgen und die, einzeln genommen, alle unzulänglich sind und nur im Prozeß des Denkens, das sich ihrer bedient und sie übersteigt, Gültigkeit haben. Da die Klassifizierung Mittel und nicht Zweck ist, ist sie nicht Ziel des historischen Urteils: deshalb mißtrauen wir den Historikern, die sich mit diesen allgemeinen Definitionen zufriedenzugeben scheinen, als ob man etwas anderes von ihnen nicht erwartete, Taine zum Beispiel, von dem man audi heute noch wer weiß wieviele 3
Urteile in der Literaturgeschichte antreffen kann, während wir uns immer wieder den Büchern eines Sainte-Beuve zuwenden, der trotz gewisser ihm zusagender naturalistischer Konzeptionen ein so starkes Gefühl für die Individualität hatte. Der Gebrauch der literarischen Gattungen in der Kritik ist also durchaus legitim: legitim, wenn man in der Gattung nicht mehr als ein Mittel oder Instrument sieht, dessen Funktion sich darin erschöpft, diese Begriffe in Erinnerung zu rufen, die zur Bestimmung und Festlegung unseres Urteils notwendig sind, wenn dieser Gebrauch zur Entfaltung des kritischen Gedankengangs erforderlich ist und den Anforderungen des Kritikers vor diesem bestimmten Werk und in diesen besonderen historischen Bedingungen gerecht wird, so daß die Gattung aus der Überlegung selbst entstanden zu sein scheint, auch wenn sie eine der traditionellen Gattungen ist. Und ebenso wie die anderen Wissenschaften, in denen unsere Erfahrung gesammelt und geordnet wird, damit sie uns in den Urteilen, die wir geben müssen, hilft, wie die politische Wissenschaft, die Soziologie, die Psychologie, ist die Wissenschaft von der Dichtung oder die P o e t i k legitim, die dank der Klassifizierung der Gattungen eine ähnliche Funktion auf dem Gebiet der Literatur erfüllt und deren Nützlichkeit man am besten einsieht, wenn man in eine ästhetische Welt eintritt, die von denen ganz verschieden ist, die sich nach der uns vertrauten Poetik richten und bei denen man mehr als sonst die Schwierigkeit spürt, ein Urteil zu formulieren. So verstanden, postuliert die literarische Gattung natürlich den Begriff der Schönheit, wie die Poetik, die, wie man gesehen hat, ein Abriß der früher gefällten Urteile über poetische Werke ist, selbstverständlich jene Urteile voraussetzt und daher auch den Begriff der Schönheit, das heißt, die Ästhetik. Aber es kommt vor, daß sich die Gattung, uneingedenk ihres instrumentalen Charakters, selbst zum Kriterium des Urteils macht, indem sie sich die Funktion des Begriffs der Schönheit anmaßt und so mit diesem Begriff zusammenfällt: man fragt nicht mehr, ob ein Werk schön oder häßlich ist, sondern ob es eine Tragödie oder Komödie, ein Epos oder ein Roman ist, oder vielmehr, die beiden Fragen können nicht voneinander getrennt werden, weil Urteil und Klassifizierung, Ästhetik und Empirie eins sind: diese Einheit wird deutlich in der Einteilung der Dichtung, zu der die Theorie von den literarischen Gattungen führt, so wie sie in der Tradition aufgefaßt wurde oder wie man sie in anderer Form erneuert, wenn man den Gattungen eine ihnen nicht zustehende Wesenheit zuspricht. In der Tat wird mit dieser Unterteilung sozusagen die Vielfalt der Empirie in den Begriff der Poesie oder der Schönheit, der 4
nur einer sein kann, eingeführt, und auf der anderen Seite wird einzelnen Charakterzügen, die der Beobachtung einer Gruppe von Werken entnommen sind, der Charakter der Absolutheit gegeben, den allein der allgemeine Begriff der Poesie haben kann. Auf diese Weise ist man bestrebt, die Gattungen, die notwendigerweise nur annähernd sind, mit der den Begriffen eigenen Exaktheit zu definieren (man denke nur an die endlosen Diskussionen über das Wesen der Tragödie, des Epos, des Romans), und faßt sie (das versucht man jedenfalls) in einem geschlossenen System von wenigen Hauptgattungen zusammen, unter denen jeweils ebenso genau definierte und abgegrenzte kleinere Gattungen stehen, obwohl sie in unbegrenzter Zahl existieren und sich jeweils voneinander unterscheiden, da die Gesichtspunkte, unter denen man ein dichterisches Werk betrachten kann, unendlich viele sind (ein Werk kann unter jedem dieser Gesichtspunkte in eine verschiedene Klasse eingeordnet oder neben andere Werke gestellt werden). Nicht nur das: sondern diese Gattungen beanspruchen normative Bedeutung, und so muß es sein, wenn der an einen Dichter gerichtete Imperativ »Schaffe ein schönes Werk« durch andere Weisungen genauer bestimmt wird: »Schaffe eine Tragödie«, »Schreibe eine Komödie« usw., und der Imperativ muß notwendigerweise durch diese einzelnen anderen spezifiziert werden, da ja die Poesie, wie behauptet wird, »sich unterteilt« in die verschiedenen Gattungen und nur in den diesen Gattungen eigentümlichen Bestimmungen existiert. Daher die berühmten Regeln und die jahrhundertalten Auseinandersetzungen über ihre Legitimität: absurde und willkürliche Regeln, das geben alle bereitwillig zu, aber nicht alle sehen ein, daß sie die logische Konsequenz der Lehre von den Gattungen sind und daß man nicht, wie manche vorschlagen, zwar mit einigen Korrekturen an dieser Lehre festhalten und dann doch den Gattungen normative Bedeutung absprechen kann. 2 Logiker von ganz anderer Art als gewisse Literaten unserer Tage waren Scaliger und Castelvetro, die von der Existenz der literarischen Gattungen die Regeln ableiteten, die jeder Gattung zukommen, und von den Dichtern verlangten, sich nach diesen zu richten, wenn sie ihre Werke als Poesie anerkannt sehen wollten! »Oportet ut scandala eveniant«: die Frage der Regeln hat das Verdienst, den inneren Widerspruch, der in 2
D a ß man nicht-normative Gattungen zulassen kann, ist eine Behauptung, die häufig in Schriften über dieses T h e m a auftaucht. Idi finde sie unter anderem in einer » N o t a a Benedetto C r o c e « von L . Anceschi (in: Uomo, Febr. 1 9 4 5 , S. $0), w o über die Gattungen gesagt w i r d : »Sie legen nur den Toren und den Pedanten, dieser anderen A r t von Toren, Gesetze a u f . . .« W a s bedeutet nun diese N i d i t - N o r m a t i v i t ä t anderes, als daß die »Gattung« von ganz anderer N a t u r als die Poesie ist?
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dem zweideutigen Begriff der Gattung verborgen war, verschärft und die Geister zu einem innigeren Verständnis der Poesie geführt zu haben, die jenseits der Regeln und aller Gattungseinteilungen ist. Aber auch als diese Streitfrage gelöst schien und man den Dichtern nicht mehr kleinliche und genaue Regeln für die Tragödie oder das heroische Epos zu erteilen verlangte, blieb in dem weiterbestehenden Begriff der Gattung, wenn auch verborgen oder unbemerkt, die normative Tendenz vorhanden, welche nur überwunden werden kann, wenn man energisch die »Existenz« der Gattungen bestreitet und beim Studium der Poesie das Moment des Urteils von dem der Klassifizierung, die Ästhetik von der Empirie scheidet. Dem Begriff der Gattung ist nämlich eine Duplizität eigen, die unschädlich wird, wenn man sich ihrer bewußt wird, die aber, wenn sie unbemerkt bleibt, Quelle von Irrtümern und Mißverständnissen werden muß: das wird uns klar, wenn wir an das zurückdenken, was wir vom Ursprung und von der Funktion der Poetik wissen, die eine Zusammenfassung unserer Erfahrung von Dichtung ist und daher eine Sammlung von Symbolen, die auf konkrete historische Urteile verweisen. Daher haben wir es bei der Definition der traditionellen Gattungen mit ganz verschiedenen Elementen zu tun, dem allgemeinen Begriff der Schönheit als Aussage der Urteile und den Besonderheiten einiger dichterischer Werke: so werden diese Definitionen schließlich, wenn auch in verworrener Weise, zu Definitionen der Poesie ganz allgemein und die Kategorien Lyrik, Epik, Dramatik dienen dazu, gewisse Klassen von Werken zu bezeichnen, aber gleichzeitig sagen sie noch mehr aus, da jede von ihnen auf die Poesie anspielt, die in jenen Werken enthalten ist, aber nicht nur in ihnen. Das wissen oder müßten alle diejenigen wissen, die immer wieder im Lauf der Zeit versucht haben, diese Begriffe zu vertiefen, indem sie das in ihnen verborgene philosophische Moment weiterentwickelten, und daraus eine Definition der Poesie gewonnen haben, auch wenn sie der Überzeugung waren, nur eine Form oder einen Aspekt davon zu definieren, weil die Besonderheit eben dieser Form oder dieses Aspekts sich sehr bald als gemeinsames Merkmal aller wahrhaft poetischen Werke herausstellte und das Fehlen in anderen Werken dazu führte, diesen Werken poetischen Wert abzusprechen. Das ist das Los aller Diskussionen über das Wesen einer der »Grundformen« und ihrer Beziehungen zueinander. Das Beispiel Leopardis möge hier genügen. Nachdem dieser begonnen hatte, über die Gattungen der Dichtung nachzudenken und erkannt hatte, daß »sie nur drei große und wahre Unterteilungen habe: das Lyrische, das Epische und das Dramatische«, räumte er zuerst der lyrischen Gattung einen Vorrang vor den anderen ein und wurde dann 6
dazu veranlaßt, die anderen Gattungen auf diese »reine und wahre Poesie in ihrer ganzen Ausdehnung« zurückzuführen oder sogar Werken (und wären es auch die Werke der großen griechischen Tragiker!), die nicht in die lyrische Gattung paßten (für ihn Synonym für die Poesie überhaupt), poetische Qualitäten abzusprechen. 3 Wer dagegen versucht, aus der Gattung das allgemeine philosophische Moment zu entfernen, wird herausfinden, daß die Gattung sich dann auf den I n h a l t des Kunstwerks bezieht, und nicht auf die F o r m (jene einzige Form, die in sich die unendlichen Inhalte einschließt), und lyrisch, episch und dramatisch werden für ihn nur eine S t i m m u n g bezeichnen, eine T o n a r t , ebenso wie die vielen anderen noch subtileren und detaillierteren Bezeichnungen, die die Kritik von den Zeiten der Antike bis zu unseren Tagen geprägt hat, 4 ganz zu schweigen von jenen Klassifizierungen, die aus dem Inhalt (in seiner rohen Materialität verstanden) gezogen sind, aus dem »Gegenstand« oder sogar aus dem Umfang des Werkes. Mit diesem Ergebnis, zu dem man in unserer Zeit gekommen ist, hat man anders als früher das Allgemeine der Poesie von dem Besonderen der Gattungen unterschieden. Aber obwohl man die Richtigkeit dieser Feststellung anerkennen muß, ist daran festzuhalten, daß die Gattung, wenn sie auch gewisse Gruppen von Werken in den Sinn ruft, diese uns in ihrer Gesamtheit zurückrufen muß, das heißt, daß die Gattungsdefinition durch das C h a r a k t e r i s t i s c h e , auf das sie sich bezieht, auf die S c h ö n h e i t , in der das Charakteristische beschlossen ist, hinweist, und daß daher in der Gattung immer noch, wie wir gesagt haben, etwas ist, was mehr als die Gattung ist, der von ihr bezeichnete Inhalt, aber zugleich auch die Form, die mit ihm mitverstanden ist. Und nicht nur mitverstanden ist sie dann in einer Gattung, die bei der modernen Kritik eine außerordentliche Bedeutung bekommen hat, nämlich die der f r a g m e n t a r i s c h e n P o e s i e , die nicht einfach aus der Beobachtung des Inhalts, 3
4
G . Leopardi, Pensieri di v a r i a filosofia. Firenze 1924, Bd. 7, S. 169, 4 0 8 - 4 1 0 u. ö. Uber dieses Problem s. meine Einleitung zu den »Canti« (Torino 1930, 2 i9Ô4) und den A u f s a t z »L'estetica e la critica letteraria nei >Pensieri< di G . Leopardi«, in: Giornale storico della lett. ital., 97, 1 9 3 1 , S. 2 4 1 - 2 8 1 . Z u r Reduzierung der Gattung auf den Inhalt lese man den folgenden Passus aus K . Vosslers A u f s a t z »Dreierlei Begriffe v o m D r a m a « (in: Aus der romanischen Welt. Leipzig 1940, B d . 2, S. 144): »Mir scheint, daß die Kunstwissenschaft dem alten schulgewohnten Dogmatismus der festen Formgattungen nur dann entgehen kann, wenn sie E p i k , D r a m a t i k und L y r i k aufhört als ästhetische Begriffe zu denken und sie mit Entschlossenheit in die Gebiete der Soziologie und Psychologie verweist. D e r Umstand, daß diese Begriffe aus der Dichtung abstrahiert wurden, beweist keineswegs, daß sie zur Dichtung auch gehären . . .«
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sondern der Poesie in ihrem Werden, des Prozesses, durch den sich aus dem Charakteristischen die Schönheit entwickelt, entstanden ist. 5 Wie dem audi sei (und über die fragmentarische Poesie müßte man des längeren sprechen), in dieser Anwesenheit der allgemeinen Poesie in den Gattungsdefinitionen liegt die dauernde Gefahr, daß der Charakter der beiden Elemente verwechselt und daß infolgedessen die Gattung zum Kriterium des Urteils wird. So haben in der Vergangenheit sogar die in der gröbsten Weise inhaltsbezogenen Gattungen, auf die wir oben anspielten, manchmal zur Norm für die Dichter und zum Kriterium für die Kunstrichter werden können, aber man darf nun nicht glauben, daß diese Gefahr durch die Kritik an dem Begriff der literarischen Gattungen für immer aufgehoben sei, denn sie liegt in der Sache selbst. Sie muß immer von neuem beseitigt werden dadurch, daß wir von den Definitionen der Gattungen zur Wirklichkeit der Poesie zurückgehen, die uns die unauflösliche Verschiedenheit zwischen ihr und den Besonderheiten, die unsere Klassifizierungen aus ihr zu entwickeln suchen, fühlen läßt. Durch diese konkrete Erfahrung wird uns klarer, nicht etwa daß sich die Poesie, wie man zu sagen pflegt, in diese oder jene Gattung einteilt, sondern daß sie jede Klassifikation übersteigt, und nicht etwa, daß man von lyrischer, epischer, dramatischer Dichtung sprechen kann, sondern allenfalls von der Poesie der Lyrik, der Epik, der Dramatik. Alle Definitionen, die wir von einem dichterischen Werk geben können, werden sich, für sich genommen, immer als stofflich und eng erweisen im Vergleich zu der Schönheit, die in ihm leuchtet. Wenn uns so die Definitionen erscheinen, von denen wir wollten, daß sie der Individualität des einzelnen Werks so nahe wie möglich kommen sollten, was wird man dann von jenen allgemeiner gehaltenen Definitionen denken müssen, in denen sich sozusagen die kritische Erfahrung der Vergangenheit kristallisiert hat, und die als starre Gattungen erscheinen, die für unendlich viele Werke gelten und uns doch nicht das Charakteristische von einem einzigen Werk angeben können? Es darf uns nicht wundern, wenn sich die Kritik an einem Gedicht sehr oft als eine Kritik an der Gattung, der es untergeordnet worden ist, darstellt und daher versucht, aus der Enge jener Definition zur lebendigen, unendlichen Poesie zurückzuführen. Zu den Lesern, die sie unter der scheinbar toten Hülle suchen, sagt der Kritiker wie der Engel zu den weinenden Frauen am Grabe: »Sie ist nicht hier.« Aber die Kritiker, die ihr Augenmerk auf die zu geschlossenen Kategorien erstarrten Gattungen richten, sind, obwohl mit Geschmack und Feinfühligkeit ausgerüstet, doch geneigt, ihnen 5
Ober die »fragmentarische Poesie« vgl. meinen A u f s a t z »Arte, linguaggio, poesia« in: Critica e poesia, Bari 2 i 9 6 6 , bes. S. 2 6 7 - 2 7 0 . 8
eine Beständigkeit und eine Wesentlichkeit zuzuschreiben, die ihrem Urteil notwendig schaden muß. Daher unser Mißtrauen gegenüber Kritikern, die sich ausschließlich mit Werken des Theaters beschäftigen und die allzu oft schließlich eine Art Schirm zwischen sich und die Poesie stellen, die Gattung »Theater«, »Komödie«, »Drama«. Nicht daß es verboten wäre, das versteht sich, eine bestimmte, dem eigenen Geschmack entsprechende Gruppe von Werken zum Studium auszuwählen, oder daß unter den Theaterkritikern nicht auch feine Kenner der Poesie wären: aber sicher wird derjenige, der seine Studien nicht auf Werke einer und derselben Gattung beschränkt, sondern sich im Gegenteil daran gewöhnt hat, Werke in Betracht zu ziehen, die durch die Gattung, denen die Tradition sie zuweist, wie auch durch ihren eigentümlichen Charakter sehr verschieden sind, leichter die allgemeine und einzige Poesie jenseits der künstlichen Schemata der Gattungen erreichen und erkennen können. Immer deutlicher wird uns so der bisher dargelegte Begriff der Gattung als I n s t r u m e n t , dessen Wert sich an dem Nutzen mißt, den er uns bei unserer Arbeit als Kritiker erbringt. Weniger nützlich sind beispielsweise die oben erwähnten, die ganz grob verstanden vom Inhalt abgeleitet sind und aus denen die Poesie völlig verschwunden zu sein scheint; sie sind für eine äußerliche Klassifikation (notwendig für mnemonische oder andere praktische Bedürfnisse) weit besser geeignet als für die mehr auf dem inneren Wesen beruhende Klassifikation der Kritik. Aber von zweifelhafter Nützlichkeit scheinen uns audi jene Gattungen zu sein, die deutlicher das in ihnen eingeschlossene universale Element durchscheinen lassen und daher leichter, wie man gesehen hat, in eine Definition des Begriffes der Poesie umgewandelt werden können; und dazu gehören die drei klassischen Gattungen, über die neben vielen anderen Leopardi nachgedacht hat. Zwischen der groben Besonderheit der ersteren und der unterschiedslosen Universalität der letzteren befinden sich die Gattungen, die der Kritik am meisten nützen: aber vor allem ist es notwendig, daß sie sie dem eigenen Gebrauch anpaßt und sie je nach den Umständen von Mal zu Mal erneuert und verwandelt. Idi erinnere an die halb ernsten, halb scherzhaften Worte von Berchet, der in der Einleitung zu seinen »Fantasie«, nachdem er sein Werk als episch-lyrische Poesie charakterisiert hat, sich sofort korrigiert: »Ich habe >episdi-lyrisch< gesagt, aber um die der Romanzen zu definieren, hätte ich präziser sagen sollen, wie man von den Winden spricht, >episch-lyrisdi-lyrische PoesieIlias< oder der >Aeneis< unterlegen ist. Das erste, was man in einem Epos in Betracht ziehen muß, ist die Fabel, die vollkommen oder unvollkommen ist je nach der erzählten Handlung. Diese Handlung muß drei Eigen28
schaften besitzen.. ,«.14 Daher wieder die Diskussionen über die Legitimität dieser oder jener Gattung, mit der man Werke rechtfertigen konnte, die man schwer in die traditionell anerkannten Gattungen hatte einordnen können. Vor allen anderen Korrekturen oder Veränderungen legte sich also nahe, die aristotelische Zweiteilung in dramatische und erzählende Dichtung durch die Dreiteilung Dramatik, Epik, Lyrik zu ersetzen; denn man konnte klassischen und vorbildlichen Werken der lateinischen und der italienisdi-volkssprachlichen Literatur wie den »Oden« des Horaz oder vor allem dem »Canzoniere« des Petrarca nicht dichterischen Charakter absprechen, auch wenn überkonsequente Aristoteliker nicht zögerten, es zu tun. 15 Mancher glaubte, in Aristoteles selbst, in dem auf der ersten Seite der »Poetik« erwähnten »Dithyrambus«, die Anerkennung der dritten Gattung, der Lyrik, zu finden, aber über eine solche nur verbale Rechtfertigung gingen diejenigen hinaus, die bewiesen, daß auch Dichtungen wie die Petrarcas in die allgemeine Definition der Poesie als Nachahmung paßten und daher eine ebenso legitime Gattung ausmachten wie die, von denen Aristoteles gehandelt hatte, nämlich Epik und Dramatik. In der Folgezeit wurde die uns geläufige Dreiteilung zum allgemeinen Besitz. Und man dachte (um eine der Abhandlungen, die damals über die drei Gattungen geschrieben wurden, zu zitieren), daß es, »da alles, was man sprechend nachahmt«, entweder »erzählt« oder »dargestellt« sei, »drei Arten von Poesie« gebe, das heißt zuerst Werke, die »darstellen, ohne daß die Person des Dichters jemals interveniert, wie die Tragödie, Komödie und die anderen dramatisch genannten«, dann diejenigen, die »nicht darstellen, sondern durch die Person des Dichters die geschehenen Dinge erzählen und nie eine Überlegung einfügen, die nicht vom Dichter wäre, wie die dithyrambische und lyrische Dichtung, in der ein ununterbrochener Erzählton in Person des Dichters allein zum Ausdruck kommt«, und schließlich eine dritte Art, die aus den beiden anderen »entsteht«, »aus der erzählenden, in der der Dichter allein spricht, und der darstellenden, in der der Dichter nie spricht«, und in welcher »manchmal der Dichter spricht, manchmal die Personen sprechen, die er einführt« ; und das ist, so Schloß der Dichter, dessen Worte wir hier 14
15
J . Milton, Il paradiso perduto. Tradotto in verso Sciolto dal s. Paolo Rolli. Con la vita del poeta e con le annotazioni sopra tutto il poema di G. Addison. Paris 1742, S. i j (des 2. Teils). Vgl. die Studie Croces, La teoria della poesia lirica nella poetica del Cinquecento. In: Poeti e scrittori del pieno e del tardo Rinascimento. Bari 194J, Bd. 2, S. 1 0 8 - 1 1 7 ( e r erläutert dort besonders die Auffassung von Segni, der dieses Argument besser als andere behandelte). 29
zitieren, nämlich der Verfasser des »Pastor fido«, »die epische Dichtung, die auch >heroisch< genannt worden ist, vom großen Homer mit so herrlichem und leuchtendem Ruhm in griechischer Sprache verwirklicht, von Virgil in lateinischer, von Dante, Ariost und Tasso . . . in unserer Sprache«. Und was soll man von Dichtungen halten wie der horazischen Ode in Form eines Dialogs, »Donec gratus eram tibi«, »in der der Dichter als Dichter nie spricht«? Guarini löst den Zweifel durch folgende Antwort: »So wie ein Tropfen Wasser in einem großen Weingefäß nicht ausreicht, um zu bewirken, daß dies nicht unverdünnter Wein ist, so kann dieses einzige und kleine Ding unter so viel lyrischen Gedichten den Dichter nicht zum dramatischen Dichter machen.« Wie man sieht, weicht er der Frage aus, denn es handelt sich nicht darum zu wissen, ob Horaz ein lyrischer oder dramatischer Dichter ist, sondern ob dieses Gedicht eher zur einen als zur anderen dichterischen Art gehört und ob der Fall dieses »kleinen Dings« nicht ein Hinweis auf die Schwäche der vorgeschlagenen und jeder anderen ähnlichen Einteilung ist.16 Das ist nur eine kleine Einzelheit, aber ausreichend, um noch einmal zu beweisen, wie schlecht sich diese allgemeinsten Klassen definieren lassen, die uns, wenn sie nicht mit der allgemeinen Poesie verwechselt werden, auf den äußeren Anschein gegründet zu sein scheinen und von solcher Art sind, daß sie schwer voneinander unterschieden werden können. Ebenso instruktiv ist die Definition der Epik, die so vage und unpräzis ist, daß sie außer Homer und Vergil auch Dante umfaßt. Von ganz anderer Präzision können weniger allgemeine Gattungen wie die Tragödie und die Komödie sein, insofern als sie ihre Grundlage in genau abgegrenzten stilistischen Traditionen haben. Die Gattung des »heroischen Epos« selbst wurde besser bestimmt und entsprach genauer dem Ziel, das jene Kritiker sich vorgenommen hatten, wenn man dieses nicht mehr in der versöhnlichen Art des Guarini verstand, sondern sich bei seiner Definition die großen Epen der Antike vergegenwärtigte, wodurch es um so schwieriger wurde, mit dem so geprägten Typ die Epen der neuen Literatur von Dante, Ariost und selbst Tasso in Übereinstimmung zu bringen. Das ist ein Los, das allen · diesen empirischen Kategorien zufiel, die zwischen der leeren Allgemeinheit und einer Bestimmtheit schwanken, die sie einem besonderen historischen Gehalt entnehmen, den sie zur Norm erheben und zum Kriterium für ein Urteil machen, das notwendig an Einseitigkeit und Ausschließlichkeit krankt.
16
G. B. Guarini, Ii Pastor fido e il Compendio . . ., a cura di G. Brognoligo. Bari 1914, S. 221 und 222. 30
Jedenfalls waren die Diskussionen, die damals auf diesem beschränkten Gebiet geführt wurden, interessanter und nutzbringender; besonders waren es die über das »heroische Epos«, das als Form mit präzisen Eigenschaften ausgestattet sein mußte, die man den Dichtungen des Homer und Vergil entnommen hatte. Was waren im Vergleich mit dieser Gattung die Dichtungen Dantes und Ariosts? Etwas Ungeheuerliches und Abnormes oder, und das konnte für den »Furioso« gelten, eine unvollkommene Verwirklichung der Idee des heroischen Epos? Man dachte damals, daß die Dichtung des Ariost nicht mit dieser Gattung und ihren Regeln verglichen werden dürfe, sondern mit einer anderen Gattung, dem »Romanzo«, den die Antike nicht gekannt hatte - deshalb hatten Aristoteles und Horaz seine Regeln nicht angeben können - , so wenig wie die Sitten und Institutionen der neuen Zeit. Was als Abweichung von der Norm erschienen war, die Vielfalt der Handlung, die Verschiedenheit des Tons, die vom Autor in die Erzählung eingeschobenen Kommentare, war es nun nicht mehr, weil es mit anderen »Regeln« übereinstimmte, die für diese andere Gattung eigentümlich und charakteristisch waren. Diese Lösung (des Giambattista Giraldi Cintio und des Giambattista Pigna) war eine Huldigung und zugleich ein erster Schlag gegen die Lehre von den Gattungen. Denn während die Rechtfertigung des Ariostischen Werks im Rahmen einer Gattung mit den Methoden der damaligen Poetik übereinstimmte, versuchte man nicht nur die Grenzen dieser Poetik zu erweitern, indem man dichterische Formen zuließ, die der Antike unbekannt gewesen waren, sondern man wollte auch - und diese Kritiker scheinen sich dessen nicht bewußt gewesen zu sein - ihren Charakter ändern, indem man in gewisser Weise die Bedeutung des Begriffs der Gattung einschränkte. Das begreift man, wenn man auf die Opposition derer achtet, die die Gattung »Romanzo« nicht akzeptierten, und unter diesen waren nicht nur solche, die die neue Dichtung aus Fanatismus für die Antike verkannten (zu ihnen gehörte unter anderen Torquato Tasso). Denn die Gattungen waren als überhistorische Kategorien, die sozusagen ein geschlossenes System bildeten, aufgestellt worden, und es schien nicht möglich, weitere Gattungen zuzulassen, die in bestimmten Epochen entstanden und unabhängig von der »Kunst« waren, die, da von Aristoteles, für jene Kritiker nicht aufhörte, die »Kunst« aller Zeiten zu sein, wenn nicht diese frühere Konzeption einstürzen sollte. Aus diesem Grund nahm Guarini Stellung in der zweiten Polemik über die »neuen Gattungen«, die sich damals abspielte, nämlich der über die »Pastorale«, bei der er sein eigenes Werk zu verteidigen unternahm, das er lieber mit dem Namen Tragikomödie als mit dem Namen Pastorale bezeichnet wissen wollte. Er bestand nicht so sehr auf dem Recht, neue 31
Gattungen zu formen, als vielmehr auf der Vernünftigkeit der Gattung, zu der sein »Pastor fido« gehörte, und bewies, daß zwischen Tragödie und Komödie Raum für eine weitere Gattung war, in der die Eigenschaften der einen und der anderen »entschärft« sind, so daß sie sich in ein und demselben Werk versöhnen können. Die Tragikomödie, auch wenn sie — abgesehen von den antiken oder uns unbekannten Werken, die zu dieser Gattung gehören würden - im Cinquecento als neue Gattung erscheint, die mit dem »Sacrificio« von Beccari ihren Anfang nimmt, wird in Guarinis Abhandlung als ein weiteres dieser über und außerhalb der Geschichte stehenden Wesen oder idealen Modelle betrachtet. Daß dann die Dichter je nach der Epoche die eine oder andere Gattung vorzogen, war für ihn eine andere Frage, eine Frage der Zweckmäßigkeit und des Vorteils. So war die Tragödie in den Zeiten der Antike passender als in der neueren Zeit, »denn«, so fragt er sich (und diese Deduktion von der Theorie der Katharsis ist nicht nur bei ihm zu finden), »warum sollten wir es heute nötig haben, Furcht und Mitleid durch tragische Ansichten zu reinigen, wo wir doch die heiligen Vorschriften unserer Religion haben, die uns dasselbe durch das Wort des Evangeliums lehrt?«. In Übereinstimmung mit dem Denken und den Sitten seiner Zeit dagegen, für die »diese schrecklichen und gräßlichen Schauspiele übertrieben waren«, sah er seine Tragikomödie, die sich kein anderes Ziel setzte als das, »die Traurigkeit der Hörer durch Vergnügen zu reinigen«, und vereinbarte so, wie man sieht, den Aristotelismus mit seinem hedonistischen Ideal der Poesie, die Absolutheit der Gattungen mit den Erfordernissen der Zeit. Begann man mit Giraldi Cintio zu erkennen, daß »wie die Griechen und Römer die Kunst, über die sie geschrieben haben, ihren Dichtungen entnommen haben, auch wir sie den unseren entnehmen müssen«,17 so bedeutete dies eine erste, wenn auch schüchterne Annahme der Geschichtlichkeit der Gattungen und deshalb einen Anfang ihrer Auflösung als starre und unveränderliche Formen. Aber wie sollte man die Existenz verschiedener »Künste« der einzelnen Literaturen mit der einzigen »Kunst« vereinbaren, die auch Giraldi nicht leugnen wollte und an der alle festhielten, die nur ungern die neuen Gattungen zuließen oder sie wie Guarini innerhalb der aristotelischen Poetik unterbrachten? Man kann nicht behaupten, daß der Autor des »Discorso intorno ai romanzi« diesen Widerspruch wahrnahm, denn er war von einer anderen Aufgabe 17
G. B. Giraldi Cintio, DeTtomanzi, delle Comedie e delle Tragedie. Ragionamenti. Milano 1864, Teil i, S. 51 ( = Biblioteca r a r a , pubbl. d a G. Daelli, Bd. J2). 32
ganz in Anspruch genommen: er wollte die neue Dichtung des Ariost rechtfertigen, ohne sie zu entstellen. Aber auch die anderen Kritiker, die sich bemühten, die Werke der volkssprachlichen Literatur vor den strengen Klassizisten zu rechtfertigen, bemerkten ihn nicht. U m den Widerspruch zu erfassen und ihn möglicherweise aufzulösen, mußte man tiefer in den Begriff der »Kunst« oder der »Poetik« hineinsehen, das Beständige vom Zufälligen unterscheiden und das Problem der Gattungen auf radikalere Weise lösen als durch die Verfechtung einer sozusagen offenen Poetik, die im Lauf der Zeit und der verschiedenen Literaturen durch neue Gattungen bereichert werden konnte. *
Tiefer sah bekanntlich Giordano Bruno, der nicht vorschlug, neue Gattungen zu denen der klassischen Poetik hinzuzufügen, sondern erkannte, daß »es so viele Gattungen und Arten von wahren Regeln gibt, wie es Gattungen und Arten von wahren Dichtern gibt« (wahre Dichter natürlich, weil die anderen nur die Regeln der Dichtung anderer befolgen können). E r behauptete nicht, daß man von den modernen Dichtern ebenso einflußreiche Regeln ableiten könne wie von den antiken Dichtern, sondern er leugnete den Wert der Regeln, die zwar dazu dienen können, eine Idee vom Werk eines Dichters zu geben, nicht aber dazu, »andere Dichter zu belehren, die mit anderen Neigungen, Kunstmitteln und Leidenschaften Genies von gleichem, ähnlichem oder höherem R a n g sein könnten«. 18 Die Stelle, die wir soeben zitiert haben, ist in seinem Buch »Gli eroici furori« isoliert, jedenfalls ohne sichtlichen Zusammenhang mit den dort diskutierten Ideen, und ohne Weiterentwicklung im Denken des Autors und seiner Zeit blieben die Begriffe, die dort erwähnt werden. Und doch ist es keine zufällige Episode in der Spekulation des G. Bruno, weil es dem Innersten der Persönlichkeit des Philosophen entspringt; auch diese Stelle, wie so viele andere, ist Ausdruck seiner Polemik gegen die Pedanterie, die der äußere, ins Auge springende Aspekt des von ihm bekämpften aristotelischen Intellektualismus war. Der Geist, der die Vergeblichkeit dieser klassifizierenden Schemen, die f ü r das Werk des Dichters und f ü r das Urteil des Kritikers normativ sein sollten, wahrnimmt und gegen die »Regelvertreter« der Poesie die Freiheit f ü r das künstlerische Schaffen fordert (»Die Poesie entsteht nicht aus den Regeln, außer ganz durch Z u f a l l . . . « ) , ist der Neuplatoniker und Naturalist Bruno, wie wir ihn kennen, welcher in jedem Schematismus ein Hindernis f ü r die Intuition des Wahren entdeckt, eine Verkennung der ungeteilten 18
G. Bruno, Dialoghi morali, a cura di G. Gentile. Bari '1927, Bd. 1, S. 3 1 0 - 3 1 1 . 33
Kraft des Lebens vom ursprünglichen Impuls jedes Wesens bis zu den heroischen Leidenschaften erhabener Geister. Was Poesie ist, fragt er sich nicht (es existiert keine Ästhetik des Bruno). Und wenn er, nachdem er Regeln und Gattungen abgelehnt hat, auf derselben Seite angeben soll, was nun das Merkmal sei, an dem man die Dichter erkennt, beruft er sich zur Verdeutlichung seines Gedankens auf den abgenutzten Ausspruch des Horaz: »Am Singen der Verse; daran, daß sie mit ihrem Singen entweder zu erfreuen oder zu nützen oder zugleich zu nützen und zu erfreuen vermögen«; aber er weiß genau, w a s d i e D i c h t u n g n i c h t i s t : der Gegenstand, über den die »Regelvertreter« und »Pedanten« unaufhörlich diskutieren, wenigstens so, wie er in ihren Poetiken seziert, in Gattungen eingeteilt und auf kleinlich genaue und unnütze Regeln reduziert wird. Die Dichtung ist etwas anderes, eine »Leidenschaft« würde er sagen, wenn er sie mit eigenen Worten definieren müßte (übrigens erscheint dieser Ausdruck in bezug auf die Dichtung, wie wir gesehen haben, auf derselben Seite), und diese Betrachtungsart läßt alle Poetiken, denen das wahre Wesen der Poesie entgehen muß, als wertlos erscheinen. »Woran soll man aber die echten Dichter erkennen?« Diese Frage, die hier der Gesprächspartner an Tansillo, den Vertreter des Autors, richtet, ist uns nicht neu, ebensowenig wie die Art von Verwirrung, aus der sie entsteht; denn mit der Kritik an den Poetiken scheint ein sicherer Maßstab, wie er dort dargeboten war, verlorenzugehen (so sprach Tasso von den Dichtern, die »die Vorschriften derer, die über die Kunst geschrieben haben, einhalten und mit dem Maßstab dieser Regeln ihre Werke zu messen versuchen«19), und wir stehen allein den dichterischen Werken gegenüber, die wir beurteilen sollen, nur mit diesem Kriterium zur Identifikation eines Dichters: »Am Singen der Verse ...«. Wieviel leichter ist es zu urteilen, wenn man die genau definierten Typen des Epos, der Komödie, Tragödie vor sich hat! Nicht anders sind wir im sittlichen Leben verwirrt, wenn wir merken, daß die Klassen von guten und schlechten Handlungen, die Vorschriften, die zusammenfassen, was man tun und was man nicht tun soll, uns nicht sagen können, ob eine Handlung von uns oder von anderen gut oder schlecht ist, weil keine Klassifizierung, keine Vorschriftensammlung das Urteil des moralischen Gewissens ersetzen kann. In beiden Fällen ist das Bestreben deutlich, in einen festen Maßstab zu übersetzen, was eigentlich nicht materiell gefaßt werden kann, das Gute und das Schöne, das nur das moralische Gewissen und das ästhetische Bewußtsein erreichen können. Zwar sind diese Klassen und, so kann man sagen, diese Vorschriften für uns notwendig — wir 19
T. Tasso, Prose diverse, a cura di C. Guasti. Firenze, Bd. 2, S. 1 1 5 - 1 1 6 .
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haben das schon am Anfang dieser Studie gesagt - , damit uns unsere Erfahrung beim Urteilen und beim Handeln helfen kann, aber sie sind, wie wir ebenfalls wissen, nur ein Hilfsmittel, und müssen im richtigen Moment vergessen werden, damit nur die Stimme unseres Gewissens oder Bewußtseins spricht. Aufgabe des Philosophen ist es ja, uns von der Konkretheit dieser falschen Wesen zum Innersten unseres Bewußtseins zurückzulenken, von der Vielfalt dieser Klassen und ihrer Vorschriften zur wahren Inspiration durch das moralische Gewissen oder das ästhetische Bewußtsein. Und diese Aufgabe hat Bruno in der Schrift der »Eroici furori« erfüllt, indem er den Blick des Philosophen auf die Poetiken richtet, die in der Kultur seiner Zeit eine so wichtige Rolle spielten. Wie von einem lebhaften Licht war so das ganze Problem der Poetik, der Poetik als Vorschriftensammlung und als Definition der Gattungen, erhellt worden (in der zitierten Stelle ist kein Satz oder Wort ohne Gewicht). Freilich konnte der Gedankengang des Bruno, auch wenn man ihn kennengelernt und durchdacht hätte, einen endgültigen Sieg über den Empirismus der Poetiken nicht davontragen, weil die Dichtung Undefiniert blieb, folglich auch die Beziehungen zwischen Dichtung und Poetik und schließlich auch Funktion und Grenzen der Poetik. *
Den Sieg davontragen konnte auch nicht der Versuch, den etwa hundert Jahre später ein Denker von sehr viel geringerer Statur machte, um die Betrachtung der Poesie aus der Enge der Poetiken zu befreien und ihr Wesen zu bestimmen, das von den Klassifizierungen und den Vorschriften der Rhetoren sozusagen verdunkelt und verhüllt war. Idi meine damit Gian Vincenzo Gravina und seine Schrift »Discorso sopra l'Endimione di A. Guidi«, in dem die erste Kritik zu erblicken ist, die mit Vorbedacht am Begriff der Gattung geübt worden ist. Dort kann man lesen, daß das dichterische Vermögen »von ambitiösen und kleinlichen Vorschriften eingeschränkt ist«, »so daß kein Werk ans Licht des Tages kommen kann, ohne sogleich zur Prüfung vor das Tribunal der Kritiker geladen und in erster Linie nach Namen und Wesensart gefragt zu werden. So sieht man bald das Verfahren angestrengt, das die Juristen Präjudiz nennen«. Seinerseits versichert der Autor nicht zu wissen, ob das ihm vorliegende Werk, der »Endimione«, »eine Tragödie, eine Komödie oder Tragikomödie sei oder irgend etwas anderes, das sich die Rhetoren ausdenken können«, und er erklärt sich bereit, irgendeine von diesen »Vokabeln« anzunehmen, wenn sie so ausgeweitet würden, daß man unter sie die Geschichte des Guidi aufnehmen könne, und ebenso andere Namen nicht zurückzuweisen, wenn jene nicht ausgeweitet werden könnten (»denn wir 35
geben jedem die Freiheit in einer Sache, die kein Gewicht hat«). Aber »wenn kein Wort gefunden wird, wollen wir«, so schließt er, »uns nicht aus Mangel an Ausdrücken einer so schönen Sache berauben«.20 Diese Sprache ist neu für den, der die Poetiken des Cinquecento präsent hat; müssen wir mit Croce der Meinung sein, daß »diese Sätze, die ziemlich modern klingen, vielleicht nicht mit der angemessenen Bewußtheit und Tiefe formuliert worden sind«?21 Zu welchen letzten Konsequenzen Gravina auch kommen konnte, so scheint mir doch, daß diese Stelle nicht nur die tiefsinnigste ist, die er je geschrieben hat, sondern daß sie das erste und wesentliche Argument seiner Spekulation enthält: die Polemik gegen den Empirismus der Poetiken im Namen eines allgemeinen Begriffs der Poesie, der den Rechten der besonderen dichterischen Tätigkeit entsprach, die mehr als einmal gegen die Ansprüche der Regelvertreter im Italien des 17. Jahrhunderts und seiner eigenen Zeit verfochten worden waren, und zugleich seiner eigenen cartesianischen Geistesart Genüge leistete, die sich durch die begriffliche Doppeldeutigkeit gerade der Theoretiker der Poesie verletzt fühlte. Diese Theoretiker setzten das Zufällige absolut und das Absolute als zufällig und wußten statt einer einfachen und klaren Idee von der Poesie nur eine chaotische Menge von Vorschriften anzubieten. Aus dieser Polemik entsteht die »Ragione poetica«, in der er jenseits der von den einzelnen Literaturen abgeleiteten Regeln bis zu »einer ewigen Naturidee«, einem aller Poesie gemeinsamen »Grund« zurückgehen will; 22 und wenn die Ausführung auch der Absicht unterlegen ist, weil es ihm nicht gelang, die traditionellen Auffassungen über die Poesie wesentlich zu erneuern, so fehlt doch nicht die Wirkung des polemischen Gedankens, aus dem die Schrift und vorher der »Discorso sopra l'Endimione« entstanden war, der ihn überdies mit anderen zeitgenössischen Denkern Italiens verbindet und eine A r t Ferment der neuen ästhetischen Wissenschaft wird, die, wenn auch sehr langsam, an die Stelle der alten Poetiken tritt. Uns ist es wichtig, zu unterstreichen, daß Gravina in dem Moment, in welchem er die Notwendigkeit eines philosophischen Begriffs der Poesie fühlt, der dem Vorschriftenkanon der Rhetoren entgegengesetzt werden könnte, in den literarischen Gattungen eine typische Konstruktion der von ihm so bekämpften Mentalität sieht und daher die 20
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G . V . Gravina, Prose, a cura di E. Emiliani Giudici. Firenze 1857, S. 260 und 261. Β. Croce, Estetica, come scienza dell'espressione e linguistica generale. Bari '1928, S. 499; dt. Übers.: Ästhetik als Wissenschaft vom Ausdruck und allgemeine Sprachwissenschaft, übertr. v o n H . Feist und R . Peters. Tübingen 1930, S. 463 f. Gravina, Prose, op. cit., S. 5 und 6.
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Zielscheibe, auf die er die ersten Pfeile seiner Polemik zu richten hat. In diesen Vorschriften erkennt er ein doppeltes Hindernis für das richtige Urteil wie für die dichterische Schöpfung; denn sie schreiben dem ersteren diese »Vorentscheidung« über jedes Dichterwerk vor, der im besten Fall nichts über dessen wahres Wesen entnommen werden kann (»eine Sache, die kein Gewicht hat«), und lenken es ab von dem, was wirklich wichtig wäre, nämlich von der Schönheit oder Häßlichkeit des Werkes, während sie der letzteren willkürliche Grenzen setzen, die ein wahres und eigentliches Mißverstehen der ihr eigenen Freiheit bedeuten. Wehe, wenn ein Werk nicht zu den Definitionen der Gattungen, die die Kritiker aufgestellt haben, paßt! Es muß »verbannt und für alle Ewigkeit geächtet werden«. »Und doch«, so bemerkt er, »werden sie nie, so sehr sie auch ihre Aphorismen schütteln und erweitern, alle Gattungen der Werke, die die mannigfaltige und ständige Bewegung des menschlichen Geistes neu erschaffen kann, umfassen können. Weshalb ich nicht weiß, warum man nicht diesen für die Größe unserer Vorstellungen unerträglichen Zaum abnehmen sollte, um ihr freien Lauf zu lassen in jenen weiten Räumen, in die sie gelangen kann.« Diese Auffassung nahm viele Jahre später Paolo Rolli wieder auf, der mit Verehrung von Gravina als seinem Lehrer sprach, als er gegen Voltaire und gegen Addison selbst einige Abschweifungen des »Paradise lost«, die auch dem englischen Kritiker nicht mit den Regeln des Epos übereinzustimmen schienen, verteidigte: »Keine anderen Regeln als die melancholischen und verschwommenen Phantastereien einiger Kritiker schlossen die Abschweifungen a u s . . . Es scheint wirklich, als ob der Sekretär Addison zum Teil die Meinung dieser Kritiker begünstigte; und ich wundere mich, daß sich ein so schöner Geist, ein so ausgezeichneter Dichter nicht mit einem Hieb aus den dünnen Banden löste, die ihn mit Personen verbanden, die als Dichter bei Gelegenheit sich derselben Vollkommenheiten, die sie Mängel nennen, schuldig gemacht hätten oder als Dichter so dumm wie als Kritiker gewesen wären. Addison selbst sagt darüber: >Ich muß aber gestehen, daß in diesen Abschweifungen so viel Schönheit liegt, daß ich sie niemals aus seinem Epos heraushaben wollte.< Gab er nicht durch diese Worte den Abschweifungen die beste Sanktion, die er ihnen geben konnte und die man von einem so literarisch gebildeten Menschen erwarten konnte? Wenn er sie nicht aus dem Epos wegzuwünschen wußte, hielt er sie also für einen Schmuck für dieses. Eine solche Wirkung hebt jede beliebige Regel, die das verböte, auf. Ich möchte also mit gutem Grund sagen, daß jeder gute französische Dichter die Exkurse schätzen würde, die wunderschönen Abschweifungen Miltons, und man würde über die lachen, welche so strenge Grenzen den dichterischen Werken vorschreiben wollten, die umso wunderbarer sind, 37
je mehr sie hinreißen, als schönste Kinder der inspirierten menschlichen Seele, der zwar die Vernunft Grenzen setzt, aber sehr viel weitere als die des unendlichen Ozeans.« 23 Wie der Ausfall Brunos gegen die »Regelvertreter«, so ist auch die Polemik des Gravina gegen die Gattungen keine zufällige Episode. Man versteht sie besser, wenn man sich bei der Lektüre dieser Stelle aus dem »Discorso sopra l'Endimione« sein ganzes übriges Werk und das ihm zugrundeliegende Antriebsmoment vor Augen hält wie auch die anderen Schriften seiner Epoche, in denen ähnliche Ziele verfolgt werden. Ich denke etwa an Muratori und sein scharfsinniges Urteil über die Autoren der Poetiken des Cinquecento, die »bei der Schale der Dinge«, so sagte er, »stehengeblieben sind und uns nur die äußere Schönheit und den stofflichen A u f b a u der Dichtungen gezeigt haben, ohne ins Innere einzudringen und ohne ihre Seele und ihren Geist zu entdecken«, 24 oder an Ceva, der glaubte, daß die Vorschriften der Poetiken »der Regel ähnlich sind, die der römische Senat den Konsuln bei schwerwiegenden Anlässen gab und die besagte, sie sollten so handeln, daß die Republik keinen Schaden nehme«, 25 das heißt, daß sie ungeeignet seien, dem Dichter irgendeinen Hinweis über sein Werk zu geben außer dem, sich auf seinen guten Geschmack und sein gutes Urteil zu verlassen. In diesen und anderen, ähnlichen Meinungen war eine Abwertung der Gattungen enthalten, die auf der Beobachtung des »stofflichen Aufbaus der Dichtungen« gegründet waren oder, wie wir wissen, eng an den Regelkanon gebunden waren, über den Ceva so skeptisch dachte. Deutlicher und ausdrücklicher als jede andere jedoch ist die Aussage des Gravina über diesen Gegenstand. Beim Aufgang der modernen ästhetischen Spekulation scheint er uns daran zu erinnern, daß die Ablehnung der Gattungen die erste Voraussetzung f ü r eine philosophische Konzeption der Poesie ist. Das ist der glückliche Einfall, der lebendige Kern seines Denkens: wir erkennen es an der Lebhaftigkeit des Ausdrucks, an dem Gefühl, das er f ü r die befreiende K r a f t dieser höheren Konzeption hat, die der unendlichen Schöpferkraft des menschlichen Geistes gerecht werden kann, welche mit ihren neuen Werken immer den D r a n g der Rhetoren zur Klassifizierung zum Scheitern bringen wird. U m wieviel neuer und fruchtbarer ist der Geist dieser wenigen Zeilen, in denen die Argumente der Polemik des
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J . Milton, Il paradiso perduto, op. cit., S. 89-90. L. A. Muratori, Opere. In: La letteratura italiana. Storia e testi. MilanoNapoli o. J., Bd. 44, Teil ι , S. 62. T. Ceva, Memorie di alcune virtù del Signor conte F. de Lemene. . . Milano 1706, S. 97.
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Cinquecento gegen die neuen Gattungen wiederaufgenommen und überwunden werden, als etwa der des Becelli, des Autors der » N o v e l l a poesia«, 26 der etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf diese A r g u mente des Cinquecento zurückkommt, um den Italienern zu raten, die neuen, ihnen eigenen Gattungen w i e das Ritterepos und das Pastorald r a m a zu pflegen und nicht diejenigen, die sie mit den Griechen und R ö m e r n gemein haben, nämlich die Tragödie und das heroische Epos! W a r u m hat sich also G r a v i n a s K r i t i k an den Gattungen nicht entsprechend weiterentwickelt? U n d w a r u m schrieb der A u t o r des »Discorso sopra l'Endimione« selbst eine A b h a n d l u n g über die Tragödie? Wir haben gesagt, daß diesen kühnen Ansätzen nicht ein wirklich neues Denken folgte, das eine systematische Revision der traditionellen Poetik ermöglicht hätte. Z u einer solchen Revision konnte ihn auch nicht eine neue künstlerische E r f a h r u n g , die ihm abging, tragen, wie das gefühlskalte und nichtige Werk »Endimione« beweist, das ihn zur Darstellung seiner neuen Ideen veranlaßte. A b e r es gibt noch einen anderen, nicht nur f ü r ihn selbst gültigen G r u n d , der uns erklären kann, w a r u m er nach seiner K r i t i k an den literarischen Gattungen ein Buch über die Tragödie v e r f a ß t e und w a r u m ganz allgemein trotz aller K r i t i k die Poetik im G e f o l g e des A r i stoteles und der antiken Dichter, die das Cinquecento ausgearbeitet hatte, weiterbestand und ihre Wirksamkeit fast bis in unsere T a g e spürbar machen konnte. Diese Poetik w a r trotz aller Fehler ein Kompendium der literarischen E r f a h r u n g e n der europäischen K u l t u r . Durch zweckmäßige Anpassungen w a r e n , wenn auch erst nach lautstarken Polemiken, die neueren Werke in sie aufgenommen worden, und noch Lessing w i r d mit den gleichen Methoden zu zeigen versuchen, daß sie auch Shakespeares Werk aufnehmen kann. Die Fragen, die man dabei diskutierte, waren auch nicht rein willkürlich: so hatte sich in der klaren Unterscheidung der Gattungen, deren Grenzen mit so viel S o r g f a l t abgesteckt worden waren, angedeutet, daß der T o n jedes Kunstwerks durchgehend sein muß (das hatte auch Guarini anerkannt, als er mit Scharfsinn bewies, daß die beiden Gattungen der Tragödie und der K o m ö d i e sich in seiner T r a g i komödie vermischen könnten); ebenso w u r d e eine andere Bedingung f ü r jedes K u n s t w e r k in der Einheit der H a n d l u n g erkannt, v o n der man in Hinsicht auf die Tragödie und das heroische Epos so viel sprach und dabei über das Verhältnis zwischen H a u p t h a n d l u n g und Episoden und über die Rechtmäßigkeit dieser oder jener Episode diskutierte; selbst in
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Uber Becelli und über die meines Erachtens falsche modernistische Interpretation von Bertana und Toffanin vgl. meinen Band: Dal Muratori al Baretti, Bari 3 i968, S. 164, Anm. 166. 39
der Beschränkung der Zeit, die man den dramatischen Dichtern auferlegte (nicht mehr als vierundzwanzig Stunden!), hat man die Anerkennung eines ästhetischen Gesetzes gesehen, nach dem sich die Handlung eines dichterischen Werks nicht in einer chronikartigen Vielfalt zersplittern, sondern sich in einer idealen Gegenwart abspielen soll.27 Gewiß und das zu erkennen fällt leicht - , wir sind in der Lage, das Richtige in diesen Diskussionen oder angeblichen Gesetzen vom Zufälligen und Willkürlichen zu unterscheiden: aber man darf nicht vergessen, daß diese Poetik sozusagen die Gelegenheit war, um die Prinzipien, die man vorher in dieser besonderen Form darstellte, auszuprobieren, es war fast eine praktische Ästhetik oder, wenn man so will, ein Beispiel für jede mögliche dichterische Erfahrung. Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn selbst diejenigen, die sich im Namen einer höheren Idee der Dichtung zu Kritikern der Poetik machten, sich dann doch nicht enthalten konnten, auf das Gebiet der Poetik zurückzukehren, um über die Tragödie und die Komödie, die Personen, die Handlung oder die Episoden zu diskutieren. Die neue Ästhetik mußte in sich selbst über die Richtigkeit der Poetik entscheiden und die Grenzen der Poetik erkennen; aber so weit kamen weder Gravina, obwohl er eine Ahnung vom Richtigen hatte, noch Theoretiker von ganz anderem Format und größerer Kultur seiner und nicht nur seiner Zeit. *
So kam es, daß trotz der kritischen Ansätze, die dem Aufgang der neuen Wissenschaft vorangingen, und trotz der Kategorien dieser Wissenschaft, die sich langsam durchsetzten und klärten, die alte Poetik mit ihren Methoden und ihren Kategorien fortbestand, als ob es nicht möglich wäre, von dichterischen Werken zu sprechen, ohne auf die Begriffe zurückzugreifen, mit denen die kritische Überlegung in dieser Poetik formuliert war. Es wurden bekanntlich damals in und außerhalb Italiens Traktate und Aufsätze über diese oder jene Gattung geschrieben, die zwar einfacher und unbefangener als die des Cinquecento waren, aber doch immer auf ihren Methoden basierten. Wir erinnern, um nur ein Beispiel zu nennen, an das Werk des Calepio »Paragone della poesia tragica d'Italia con quella di Francia«, das außer wegen seines eigenen Verdienstes auch wegen seines Einflusses auf Lessings Denken oft genannt wird. Man bekräftigte im Namen des guten Geschmacks von neuem die Regeln, über deren Legitimität sich mehr als eine zweifelnde Stimme hatte hören 27
Über die Bedeutung der Renaissancekritik und die Richtigkeit ihrer Argumente vgl. L. Russo, La critica letteraria italiana e la poetica del Rinascimento, jetzt in: Problemi di metodo critico. Bari 1929, S. 8 1 - 1 0 5 . 40
lassen, und gegen die man protestierte, wenn sie von der Autorität der Kritiker der Vergangenheit auferlegt zu sein schienen. So macht es zum Beispiel Voltaire in seinem »Essai sur la poésie épique«, wenn er fordert, daß der Leser nicht mehr von Aristoteles, Castelvetro, Dacier, Le Bossu »tyrannisiert« werden dürfe, sondern selbst aus der Prüfung der besten Werke einer Gattung die Regeln ableiten solle. So machen es audi viele »vorurteilslose« Kritiker, die sich mit dem Kunstwerk auf gleiche Ebene stellen wollen, um es nur im Licht des guten Geschmacks und des gesunden Menschenverstands zu beurteilen, und die doch (man denke an Bettinelli und seine Äußerungen über Dante) die Gattungen und ihre Namen nicht vergessen können. Man versuchte, wie man es im Cinquecento getan hatte, neue Gattungen zu rechtfertigen, wie z. B. das »Rührstück« (oder »das städtische Drama«, wie es der aristokratische Alfieri nannte, »das ist«, kommentiert er, »wie wenn einer sagte, die Epopöe der Frösche«, da er nicht überzeugt war von dieser Erfindung seines Zeitalters, das »die Tragödie aus der Komödie hatte herausfischen wollen«); Diderot vertrat die Meinung, man müsse zwischen der Komödie und der Tragödie zwei weitere Zwischengattungen anerkennen, die ernsthafte Komödie und die bürgerliche Tragödie. »Voici donc le système dramatique dans toute son étendue. La comédie gaie qui a pour objet le ridicule et le vice, la comédie sérieuse qui a pour objet la vertu et les devoirs de l'homme. La tragédie, qui aurait pour objet nos malheurs domestiques; la tragédie, qui a pour objet les catastrophes publiques et les malheurs des grands.«28 Es ist, wie man sieht, eine Korrektur und eine Ergänzung der klassizistischen Poetik, die durch das Auftreten des dritten Standes notwendig wurde, aber in den Begriffen und in der Methode (wer hätte das von dem Neuerer, dem Präromantiker Diderot gedacht?) mit dem Charakter und dem Geist jener Poetik übereinstimmt. Aber man darf deshalb nicht glauben, daß sich in dieser neuen Poetik nichts geändert hätte, und daß ihre Macht noch so streng und ausschließlich wie im Cinquecento wäre. Nicht umsonst waren zuerst in Italien und dann audi in anderen Teilen Europas kritische Stimmen laut geworden, und nicht ohne Folgen hatte man die Wirklichkeit der Dichtung jenseits der Gattungsdefinitionen wahrgenommen. Es wurden noch Bücher über die Tragödie und über das Epos geschrieben und noch berief man sich in den Urteilen auf die Kategorie der Gattung. Aber langsam verbreitete sich eine Art von Kritik, in der man das Gefühl des Kritikers und des gemeinen Lesers dem dichterischen Werk gegenüber mit Aufrichtigkeit wiederzugeben trachtete, dieses Gefühl, von dem Dubos gesagt hatte, es 28
D . Diderot, Oeuvres complètes, ed. Assétat. Paris 1 8 7 5 , B a n d 7, S. 3 0 8 - 3 0 9 .
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sei der alleinige Richter bei Fragen des Geschmacks, und welches das Kriterium der Gattung wenn auch nicht zunichte machte, so doch sozusagen in die zweite Linie verbannte. Man glaubte noch an die Regeln und daran, daß nur die Werke, in denen sie beachtet wurden, mit dem »guten Geschmack« übereinstimmten, aber immer stärker wurde das Interesse f ü r die Werke, die aus der Zahl der auserwählten ausgeschlossen waren und doch einen ganz besonderen Zauber, einen inneren Reichtum besaßen, die die ersten nicht hatten; es waren dies die Werke der damals sogenannten primitiven Poesie, der Volkspoesie, ganz allgemein der Poesie, die fern vom klassizistischen Geschmack war und deshalb schwer in das Schema der noch herrschenden Poetik paßte. Es gab also eine zwar unregelmäßige, aber doch wirkliche Schönheit, die sich der Klassifizierung der Gattungen entzog, aber von dem Gefühl der Neuheit, der Überraschung, der Bewunderung, die diese Werke im Leser hervorriefen, bezeugt wurde. Voltaire schließlich, um zu seinem »Essai sur la poésie épique«, der von bemerkenswerter Wichtigkeit in der Geschichte dieser Frage ist, zurückzukommen, erneuerte in dieser Schrift nach den liberaleren Ansätzen sein klassizistisches Credo. Er begrüßte in »Italia liberata dai Goti« »l'aurore du bon goût« und lobte seinen Autor, weil er in Europa als erster ein Epos geschrieben habe, das »régulier et sensé, quoique faible« sei. Er pries weiter die Vollkommenheit von Tassos Epos (»Ii a peint ce que Homère crayonnait«) und schloß von seiner Untersuchung den »Orlando furioso« als Werk einer anderen und geringeren Gattung aus (»Ii ne faut pas confondre les espèces. L'>Orlando furioso< est d'un autre genre que P>Iliade< et l'>EnéideAthalie< de Racine, le >César< de Shakespeare, le >Caton< d'Addison, la >Mérope< 42
de M. Scipion Mafïei, le >Roland< de Quinault sont toutes de belles tragédies et j'ose dire toutes d'une nature différente: o n a u r a i t b e s o i n e n q u e l q u e s o r t e d ' u n e d é f i n i t i o n p o u r c h a c u n e d ' e l l e s . Il faut dans tous les arts se donner bien de garde de ces définitions trompeuses par lesquelles nous osons exclure toutes les beautés qui nous sont inconnues ou que la coutume ne nous a point encore rendues familières. Il n ' e n est p o i n t des a r t s , et s u r t o u t de c e u x qui d é p e n d e n t de l ' i m a g i n a t i o n , c o m m e des o u v r a g e s de la n a t u r e . N o u s p o u v o n s d é f i n i r les m é t a u x , les m i n é r a u x , les é l é m e n t s , les a n i m a u x , p a r c e q u e l e u r n a t u r e e s t t o u j o u r s l a m ê m e , m a i s p r e s q u e t o u s les o u v r a g e s des h o m m e s c h a n g e n t a i n s i q u e l ' i m a g i n a t i o n l e s p r o d u i t . « 2 9 Auch sollte sein Versuch, die Geschichte der bedeutendsten Epen aller Zeiten und aller Nationen zu schreiben, nicht ohne Wirkung bleiben. Darin hebt Voltaire nicht so sehr die größere oder geringere Beachtung der Gesetze einer Gattung hervor, f ü r die er eine so weitgefaßte Definition vorschlägt, daß sie die verschiedensten Werke in sich aufnehmen kann, ohne ein Epos dem anderen zu opfern, als vielmehr das, was sie unterscheidet, die besonderen Charakterzüge der Epoche und der Nation, aus welcher die einzelnen Werke kommen. Es ist ein Versuch, der noch unsicher ist wegen der bekannten Widersprüchlichkeiten im Denken Voltaires, jedoch ein Schritt weiter auf dem Weg zur Auflösung der Gattungen als statische und überhistorische Kategorien und zu ihrer Aufhebung in der Vielfältigkeit der einzelnen Werke. Sehr viel mehr als ein Versuch ist dagegen das, was Giambattiste Vico in größerem Zusammenhang und mit anderen Absichten vollzog. Seinen N a m e n kann man nicht einmal in dieser Überschau übergehen, auch wenn er im Gegensatz zu anderen italienischen und ausländischen Zeitgenossen keinerlei Zweifel in Hinsicht auf die literarischen Gattungen und der auf ihnen basierenden Kritik geäußert hat. Sein Interesse lag anderswo: Die Poetik der Renaissance, die die ganze bekannte Literatur nach Klassen eingeordnet hatte, erwies sich als ganz besonders geeignet f ü r seine Untersuchung über den Weg, den die einzelnen Nationen durchlaufen, und das Epos und die Tragödie, die Fabel und die Komödie, die Lyrik und ihre verschiedenen Formen wurden selbst Personen seiner Geschichte, nicht nur im Kapitel »Istoria de' poeti drammatici e lirici ragionata« seiner
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Voltaire, Oeuvres complètes. Paris 1877, Bd. 8, S. 330, 332, 337, 306-307. Die Hervorhebung ist von mir.
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»Scienza nuova seconda«, sondern in seinem ganzen Werk. Dadurch bekam diese Poetik eine solche Schlüssigkeit und Ausgewogenheit, wie sie sie nie vorher besessen hatte, und die Widersprüche, in die sich die Autoren dieser Renaissance-Poetik verstrickt hatten, wurden aufgelöst; denn jede dieser Gattungen und Untergattungen wurde auf die historische Welt zurückgeführt, aus der die Werke stammten, die die jeweilige Gattung bezeichnete, und ihr Aufeinanderfolgen enthüllte sich als ein weiterer Aspekt des Weges, den die Dinge des Menschen durchlaufen, da jede, um Vicos Worte zu gebrauchen, »zur eigenen Zeit« erscheint und da sie Zeugnis und Denkmal eben dieser Zeit ist. So unterscheidet Vico zwei, nein, drei »Arten« von lyrischen Dichtern, entsprechend den drei Epochen seiner idealen Geschichte, die antiken Lyriker, Autoren der H y m n e n an die Götter (denn diese religiöse Zeit durfte nichts anderes als die Götter loben), dann »die Dichter jener Lyrik, in der Achill zur Leier das Lob der dahingegangenen Helden singt«, schließlich die »melischen« Dichter, charakteristisch f ü r Zeiten wie die der »prunkvollen K r a f t Griechenlands«, in der Pindar sang, und f ü r die noch »aufwendigeren Zeiten Roms«, in denen H o r a z seine Oden dichtete; diese schrieben Verse, die man auf italienisch »arie per musica« nennt (»in der italienischen Sprache«, so fügt er hinzu, »ist die melische Poesie in ihrer delikateren und weicheren Periode gekommen« 30 ). So erkennt er in der Epopöe oder im Heldenepos, über das man im Cinquecento so viel diskutiert hatte, eine f ü r die primitiven Zeitalter kennzeichnende dichterische Form, wo Dichtung und Geschichtsdarstellung noch nicht voneinander getrennt sind und die Menschen nur die poetische Geschichtsdarstellung kennen. Er unterscheidet dieses Epos von dem Epos gleichen Namens, das aber von Dichtern gelehrterer Epochen beschrieben wird, von Dichtern, denen Philosophie nicht unbekannt ist, welche uns nach ethischen Auffassungen Helden darstellen, die von den stolzen und leidenschaftlichen Helden der primitiven Zeitalter sehr verschieden sind (man denke an den Aeneas Vergils und den homerischen Achill). Dabei entdeckt er die Affinität zwischen der griechischen Tragödie und dem primitiven Epos, das die Erinnerung an Zornausbrüche, H a ß und heroische Rachetaten aufrechterhält und ihr Personen und Gegenstände liefert (wo könnte sie geeignetere finden f ü r ihre Absichten, wo wundersamere durch Schrecken und Erhabenheit?). Er macht auf den gemeinsamen Ursprung der griechischen Tragödie und der Komödie aufmerksam, die ja ebenfalls reale Personen und wahre
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G . B. Vico, L a scienza nuova, giusta l'edizione del 1744, a cura di F. Nicolini. B a r i 1928, Bd. 2, §§ 9 0 5 - 9 1 4 , S. 4 2 - 4 3 ; dt. Obers.: Die Neue Wissenschaft. . ., übers, und eingel. von Erich Auerbach. München 1924, S. 342.
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Begebenheiten auf die Bühne bringt, welche sie dem Leben der Zeit entnimmt; womit er die Fortdauer barbarischer Geisteshaltung beweist, jener großzügigen Barbarei, die sich nicht zu verstellen weiß (nicht anders als Aristophanes hält sich auch Dante nicht davor zurück, »in seiner >Commedia< reale Personen auftreten zu lassen und wahre Erlebnisse der Hingeschiedenen darzustellen«). Schließlich setzt er von der antiken Komödie die moderne ab, deren Gegenstand nicht mehr Ereignisse des öffentlichen, sondern des privaten Lebens sind, und nicht mehr wahre Personen, sondern erfundene, worin sich ein tiefer Wandel in den Sitten und im Geschmack zeige. Dieser hat sich vor allem unter dem Einfluß der Philosophie vollzogen; denn sie inspiriert die Komödienschreiber bei der Darstellung ihrer Personen, die vielleicht mit einer weniger kräftigen Bildhaftigkeit gezeichnet sind, dafür aber mit einem feinen Gefühl für Probleme des sittlichen Lebens. Man hat zu Recht in diesen und anderen Beobachtungen Vicos eine Skizze für eine Literaturgeschichte gesehen, wie sie aber erst in der Romantik und in unserer Zeit zur Ausführung kommen sollte. 31 Aber man darf über der Zukunft, deren Vorläufer Vico ist, nicht die Vergangenheit vergessen, die er vor Augen hatte und die sein Ausgangspunkt war, in diesem konkreten Fall die traditionelle Poetik mit ihren Definitionen, ihrer Kasuistik, ihren Diskussionen, die Poetik, in deren Ausdrucksformen er seinen eigenen Gedanken formuliert (manchmal bemüht er sich, wie zum Beispiel in seinem Kommentar zur »Ars poetica« des Horaz, ihn schon in den antiken Texten aufzufinden) und welche uns in seinen Worten erneuert und verwandelt vorkommt. In dieser Hinsicht scheint uns seine Bedeutung darin zu liegen, d a ß er d i e k l a s s i s c h e P o e t i k h i s t o r i s i e r t h a t . Nun sind die historischen Nachrichten über die eine oder die andere Gattung, über ihren Ursprung und ihre Entwicklung nicht mehr Voraussetzung, unnötige Voraussetzung, für die Definition der Gattung und ihrer Gesetze, wie es in den Poetiken des Cinquecento der Fall gewesen war, auch etwa in Patrizis Poetik, deren Ziel es gewesen war, »als Geschichte nicht nur die Geburt der Poesie in fremden Nationen wie Griechen und Römern zu erforschen, sondern auch 31
B . Croce, Lineamenti di storia letteraria in G . B . Vico, in: Critica 6. J a h r g . , 1908, S. 480. D e r A u f s a t z wurde in die spätere Monographie hineingenommen: L a filosofia di G . Β. Vico, B a r i ' 1 9 3 3 , aber man halte sich die Schlußfolgerung des Aufsatzes, auf den ich im T e x t anspiele, v o r A u g e n : »Die Skizze einer Literaturgeschichte, die w i r seinen Werken entnommen haben, w a r ein genialer E n t w u r f oder eine Zeichnung, die zum Teil von den zwei folgenden Jahrhunderten ausgemalt wurde, zu einem gewissen Teil aber noch auszumalen bleibt.«
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ihr Wachsen, ihren Zustand, ihren Verfall und T o d ; und besonders von Jahrhundert zu Jahrhundert nachzuprüfen, welche Arten und Formen entstanden, um dann aus allen diesen Angaben das Wesen des Dichters und seine wahren Aufgaben zu definieren, ebenso wie die eigentlichen Zwecke und die wahren, wesentlichen Formen der Dichtungen sowie die Mittel zu ihrer Vollendung«. 32 Von Vico wurde Patrizi mit Recht in einer berühmten Stelle seines Werks neben die von ihm so bekämpften Aristoteliker gestellt (»Und aus allen diesen bisher dargestellten Gründen fällt alles, was über den Ursprung der Poesie zuerst von Piaton, dann von Aristoteles, schließlich von unseren Leuten wie Patrizi, Scaliger, Castelvetro gesagt worden ist, u m . . .«33). Bei Vico dagegen wird das Ziel die Geschichte selbst, in der diese »ungeordneten, zerrissenen, verstreuten« Nachrichten sich zu einer Einheit zusammenfinden, und das um so mehr, als sich durch alle Einzelheiten hindurch Vicos Konzeption von der Dichtung entfaltet, nicht als fernes und problematisches Ziel einer Untersuchung wie etwa bei Patrizi, sondern als Ausgangs- und Endpunkt der Untersuchung, als Gedanke, der sich in der Geschichte reflektiert und in der Geschichte weniger seine Bestätigung als seine volle Wirklichkeit findet. Wenn Vico über das primitive Epos und über das Epos der kulturell entwickelten Zeiten, über die alte und über die neue Komödie spricht, was tut er dann anderes, als die Entwicklung der in der Geschichte wirksamen Kategorie der Poesie zu verfolgen, indem er die verschiedenen Stadien darstellt von der primitiven Ungeschiedenheit von Poesie und Geschichte, als das Denken im ganzen noch phantasiegebunden war, bis zu den reiferen Epochen, als das Übergewicht der Philosophie in der Poesie selbst spürbar wird, sie d ä m p f t und schwächt? Was Gravina angestrebt, aber nicht verwirklicht hatte, nämlich von den Regeln der Poetik zu »einer ewigen Naturidee« aufzusteigen, von der diese und unendlich viele andere Regeln herkommen, wird nun bei Vico erreicht: auch die Gattungen ordnen sich der allgemeinen Kategorie der Intuition unter und sind nicht mehr, wie bei den Rhetoren, eine starre Konstruktion von in sich geschlossenen und voneinander unabhängigen Klassen, sie werden jetzt Instrumente der historischen Interpretation, auch wenn sich Vico dieser ihrer Eigenschaft nicht bewußt gewesen zu sein scheint. Es scheint so, denn er hatte, wie gesagt, nicht Gelegenheit, sich das Problem der Legitimität der Gattungen zu stellen; er nahm diese in
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F . Patrizi da Cherso, Della poetica, a cura di D . A . Barbagli. Firenze 1969, B d . ι , S. 1 8 7 . Vico, L a scienza nuova, op. cit., B d . ι , § 384, S. i j i ; dt. Übers.: Die N e u e W i s s e n s c h a f t . . ü b e r s , und eingel. von Erich Auerbach. München 1 9 2 4 , S. 1 5 9 .
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seine Spekulation auf, ohne sie einer Prüfung zu unterwerfen. Man versteht das, wenn man sich das Ziel seines Werkes vor Augen hält. Er wollte nicht eigentlich literarische Kritik treiben, sondern die Geschichte der menschlichen Kultur schreiben, eine Geschichte, an der die Poesie wohl teilhatte, aber nicht für sich, oder wenigstens nicht vorwiegend für sich, sondern als Zeugnis für den Charakter der verschiedenen Epochen. Nicht Urteile über Pindar oder Horaz zu geben, fühlte er als seine Berufung, sondern darzustellen, welcher Epoche der menschlichen Kulturentwicklung ihre Dichtung angehöre, nicht ein Urteil über die einzelnen Autoren der neuen Komödie (auch wenn er die entsprechenden Fragmente gekannt hätte), sondern über die neue Komödie als typisches Phänomen des nachsokratischen Griechenland, wofür ihm die Idee genügte, die er sich aus seinem Terenz und aus den Nachrichten, die uns die Antike über diesen Gegenstand hinterlassen hat, machte. Es kam ihm deshalb nicht darauf an, hinter den Klassen den individuellen und einmaligen Charakter eines Dichters zu suchen, wenn diese Klassen ausreichten, die gemeinsamen Charakterzüge einer Art von Dichtern, die ihn als Autor der »Scienza nuova« interessierte, zu bestimmen. Wir wissen, welche Funktion die Gattungen in der Geschichte der Kultur ausüben, in welcher das ästhetische Urteil implizit vorhanden oder vorausgesetzt oder auch einem anderen Zweck untergeordnet ist, wie es bei Vico auch in den Fällen ist (man denke nur an seine Homer- oder Dantekritik), in denen es größere Entfaltung und Wichtigkeit bekommt. Ja noch mehr: die Geschichte, die Vico verfolgte, war bekanntlich nicht eine Universalgeschichte, in der jede Nation ihren eigenen und bezeichnenden Platz hat, sondern eine t y p i s c h e G e s c h i c h t e , die ideale und ewige, allen Nationen gemeinsame Geschichte der »corsi« und »ricorsi«, die jede von ihnen durchläuft. Es gab also keinen Widerspruch, im Gegenteil: es bestand eine vollkommene Übereinstimmung zwischen Vicos Geschichte und den literarischen Gattungen, welche, was die Dichtung betrifft, eher die drei großen h i s t o r i s c h e n G a t t u n g e n charakterisierten, nämlich das Zeitalter der Götter, das Zeitalter der Helden und das Zeitalter der Menschen, in die sich die stufenweise Entwicklung der Menschheit unterteilt. Und die literarischen Gattungen, wie er sie aus den traditionellen Definitionen übernommen, modifiziert und seinem Gebrauch angepaßt hatte, machten es ihm auch möglich, unter einer und derselben Bezeichnung durch Hervorhebung ihrer Affinität scheinbar weit auseinanderliegende Objekte zusammenzufassen wie die geistliche Lyrik der Dichtertheologen und die religiösen Hymnen des christlichen Mittelalters, das Geschichtsepos des Heldenzeitalters der Griechen und die mittelalterlichen Ritterromane, die Dichtung Homers und Dantes. Warum hätte er also diese Gattungen 47
ablehnen sollen? Das Neue, das er in die Poetik gebracht hatte durch die fundamentale Entdeckung der Kategorie der Intuition, welche die Poetik koordiniert und klärt, war die historische Dimension. Daraus entstanden, wenn auch nicht ausdrücklich formuliert, neue Gattungen neben den traditionellen Gattungen, nämlich die primitive Poesie und die reflexive Poesie. In dieser Umformung wird die traditionelle Poetik noch ein langes und nicht unrühmliches Leben führen. Mehr von Vico zu verlangen, wäre absurd, denn er bleibt diesseits des »neuen«, wenn auch nicht immer »lieblichen« Stils der Romantiker, weil ihm das ganz romantische Interesse für das Individuelle, das Charakteristische, das Einmalige fehlt, das das Merkmal und der Ruhm einer Nation, eines menschlichen Wesens, eines Kunstwerks zu sein scheint.34 *
Um so schwerer erklärt sich die Fortdauer der Kritik an den Gattungen in der Romantik selbst, die doch den Abschluß der Krise der klassischen Poetik bezeichnete und das Heraufkommen einer neuen Kritik, die ganz darauf bedacht war, die Individualität des Kunstwerks zu erfassen, das allein als unabhängiger Organismus seine eigene Form schafft und nur in sich selbst seine Daseinsberechtigung findet. War nicht der Höhepunkt der langen Kritik an den angeblichen Vorschriften die Rebellion des Sturmes und Dranges, des unmittelbaren und notwendigen Vorgängers der Romantik, gewesen? Hatten die »Stürmer« nicht als wesentliches Ziel die Originalität im Widerspruch mit jeder Regel und Konvention angestrebt, welch letztere notwendig den innersten Impuls des Individuums hemmen oder fälschen muß? Hatten sie deshalb nicht vor allem die Werke geschätzt, die eine absolute Originalität auszeichnet und die deswegen außerhalb aller anerkannten Gattungen liegen? Als sich ihre verworrene und falsch verstandene individualistische Rebellion besänftigt oder erschöpft hatte, blieben ihre wesentlichen Impulse übrig. Herder hatte
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V g l . zu diesem Punkt F . Meineckes A u f f a s s u n g : »Erst recht fehlte ihm das Element v o n Subjektivität, von Beschäftigung mit den Bedürfnissen und Rätseln der eigenen Seele, das durch das Bewußtsein der eigenen Individualität audi einen Z u g a n g s w e g zu den Individualitäten der Geschichte später bahnen sollte. E r w a r versunken in die Menschheit als Ganzes, nicht in den Menschen als Individualität.« . . . » V i c o konnte mit seiner barocken und katholischen Empfindungsweise w o h l das geistesgeschichtliche Wunder vollbringen, eine fremdartige Mentalität der Menschheit tief zu verstehen, ohne v o n Individualitätsgedanken ergriffen zu sein, aber lehrte nun auch Entwicklung und nicht I n d i v i d u a l i t ä t . . . « (Die Entstehung des Historismus. München 2 i 9 4 6 , S. 6 7 und 70). 48
gelehrt, in der Geschichte der Poesie die Stimme der authentischen und einmaligen, nicht wiederholten und nicht wiederholbaren Inspiration zu erkennen. Alle jene dichterischen Werke, die im 18. Jahrhundert mit Verwunderung und Neugier als bewunderungswürdig, aber gleichzeitig audi als merkwürdig und außergewöhnlich betrachtet worden waren, wurden nun mit vollen Rechten in die Geschichte der Literatur aufgenommen, f ü r die das Schema der klassischen Poetik nicht mehr ausreichte. Die Kenntnis so vieler Werke, die damals wie nie zuvor mit dem Geist universaler Sympathie begriffen wurden, legte indessen neue Zusammenstellungen nahe, die nichts mehr mit den alten Gattungen, ja nicht einmal mit den Einteilungen der Künste zu tun hatten, und so kam Dante neben Shakespeare oder Michelangelo, Ariost neben Cervantes zu stehen. Was konnten die Gattungseinteilungen bedeuten, wenn man nicht nur in den verschiedenen Gattungen, sondern in allen Künsten die gleiche schöpferische A k t i v t ä t am Werk sah? Und wenn sich die Poetiken in der Ästhetik auflösten und man nicht mehr wie G r a v i n a von dem »Grund« aller Poesie spricht, sondern der allgemeinen Kategorie der Kunst? D a ließ sich die Stimme Wackenroders, in dem der »animus« der »Stürmer« verfeinert und gereinigt erscheint, hören, um an das Wunder zu erinnern, das sich im Kunstwerk vollzieht, an seine absolute Individualität, die doch zugleich absolute Universalität ist; und er mahnte, man solle nicht außerhalb der liebevollen Betrachtung eines Kunstwerks H i l f e f ü r das Verständnis seines einzigartigen und kostbaren Werks suchen. Es soll genügen, außer der am A n f a n g dieser Studie zitierten Stelle einige andere Worte von ihm anzuführen, in denen derselbe Gedanke zum Ausdruck kommt: »wie ich denn überhaupt glaube, daß das der echte Genuß und zugleich der echte Prüfstein der Vortrefflichkeit eines Kunstwerks sei, wenn man über dies e i n e alle andern Werke vergißt«, 35 und, so können wir hinzufügen, mit den anderen Werken auch ein künstliches Wesen wie die Gattung, die Wackenroder in seinem ästhetischen Mystizismus natürlich ignoriert. Aber die Romantiker konnten sich mit den erleuchteten Worten dieses Mystikers der Kunst, in dem sie jedoch einen brüderlichen Geist fühlten, nicht zufriedengeben. Sie wollten das Absolute der Kunst besser begreifen und zugleich die so zahlreichen und so verschiedenen Werke, die sich ihrem Gefühl offenbarten, und sie lehnten die rein negative, in ihrer G e w a l t impotente Rebellion der »Stürmer« ab. Warum sollten ihnen die alten Gattungen nicht helfen? »Und doch ist eine Theorie der Dichtarten grade das, was uns fehlt«, sagt einer der Gesprächspartner des »Ge85
Wackenroder, Werke und Briefe, op. cit., S. 172-173.
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sprächs über die Poesie« von Friedrich Schlegel." Schlegel und die anderen Romantiker ließen die kritischen Ansätze zu einer Reduktion des Gattungsbegriffs auf eine rein äußerliche Bezeichnung, die sich, um mit Muratori zu sprechen, nicht auf die Substanz, sondern nur auf die »stoffliche Anordnung der Dichtungen« bezieht, fallen und bemühten sich im Gegenteil darum, den Gattungen größere Absolutheit und philosophische Exaktheit zu geben, was sie vorher nicht besessen hatten. Vielleicht mußte die lange und bis ins einzelne gehende Arbeit der Traktatschreiber in Italien vorausgehen, damit sich dort eine vernünftige Skepsis gegenüber der Poetik und ihren Kategorien spürbar machen konnte. Diese Arbeit hatte in Deutschland nicht stattgefunden, und das ist einer der Gründe, weshalb selbst dem Anführer der Romantiker eine Theorie der Gattungen neu und anziehend erscheinen konnte (»Die Theorie der Dichtungsarten würde die eigentümliche Kunstlehre der Poesie s e i n . . . Die Dichtungsarten sind eigentlich die Poesie selbst«, liest man ebenfalls im »Gespräch«), und warum nodi heute deutsche Gelehrte über diesen Gegenstand Bücher und Abhandlungen schreiben. Selbstverständlich mußte man, und sei es auch per absurdum, audi auf diesem Wege zur Auflösung der Gattungen und infolgedessen zu einem tieferen Verständnis der Poesie gelangen, und es war nur natürlich, daß sich dieser Weg für eine Reflexion der Poetik anbot. Deshalb hat Schlegels Erörterung der aristotelischen Definition der Tragödie und des Epos ihre Berechtigung, auch wenn die Ergebnisse, wie es nicht anders sein konnte, wertlos sind. Schlegel beklagt dabei, daß »die Wissenschaft in der Zeit des griechischen Philosophen unfähig war, sich zu exakten Begriffen der Dichtarten zu erheben« und daß in der »Poetik« eine positive Charakterisierung des Epos, ohne jeden Vergleich mit der Tragödie, fehle. Diese Erörterung erlaubte ihm, von den unbestimmteren Gattungen, die man schwer definieren kann und welche den Dichtern mehr Freiheit zugestehen wie zum Beispiel dem Roman und dem Epos (»welches, da es die Wurzel und der Ursprung jeder Poesie ist, auf seine Weise formlos ist«), diejenigen zu scheiden, wie die dramatische Dichtung, die dagegen »präzise Theorien und strenge Prinzipien für das sichere Fortschreiten des Theaters erträgt, ja sogar fordert«. So wären die griechischen Tragödien verschiedene Beispiele ein und derselben Idee, Varianten eines einzigen Themas (wann haben sich die Klassizisten je so weit vorgewagt?), und das gleiche würde mit einigen
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Friedrich Schlegel, Kritische Schriften, hrsg. von W. Rasch. Darmstadt 1964, S. 492. V g l . auch die Einleitung zur italienischen Übersetzung: Federico Schlegel, Frammenti critici e scritti di estetica, intr. e versione di V . Santoli. Firenze 1 9 3 7 .
Einschränkungen für das romantische Theater gelten, während Dantes Komödie und der »Don Quijote« einsam in der Geschichte der Poesie dastehen.®7 Und berechtigt ist das Bestehen auf den literarischen Gattungen im späteren »Gespräch über die Poesie«, wo übrigens audi der entgegengesetzte Gedanke auftaucht und Beweis für Schlegels nicht bedeutungslose Unsicherheit diesem Argument gegenüber ist. Wer hat seiner Meinung nach recht? Die Gesprächspartner, die weniger für die Kritiker als für die Dichter eine klare Definition der Gattungen für notwendig halten (»Das Wesentlichste sind die bestimmten Zwecke, die Absonderung, wodurch allein das Kunstwerk Umriß erhält und in sich selbst vollendet wird. Die Phantasie des Dichters soll sich nicht in eine chaotische Überhauptpoesie ergießen, sondern jedes Werk soll der Form und der Gattung nach einen durchaus bestimmten Charakter haben«), oder seine Amalia, die in diesen Forderungen eine Mißachtung dessen, was Poesie eigentlich ist, und eine gefährliche Bedrohung für das dichterische Schaffen sieht? »Mich schauderts immer«, sagt sie, »wenn ich ein Buch aufschlage, wo die Phantasie und ihre Werke rubrikenweise klassifiziert werden.« Und später, als jemand die Unterscheidung zwischen den Gattungen mit diesem Argument verteidigt: »Ohne Absonderung findet keine Bildung statt, und Bildung ist das Wesen der Kunst« und hinzufügt, daß man daher diese Unterscheidungen als »Mittel« zulassen müsse, antwortet sie: »Diese Mittel werfen sich oft zum Zweck auf, und immer bleibt es ein gefährlicher Umweg, der gar zu oft den Sinn für das Höchste tötet, ehe das Ziel erreicht ist. . . . Und welche Mittel zu welchem Zweck? Es ist ein Zweck, den man nur gleich oder nie erreichen kann. Jeder freie Geist sollte unmittelbar das Ideal ergreifen und sich der Harmonie hingeben, die er in seinem Innern finden muß, sobald er sie da suchen will.« Und als dann ein anderer die Entstehung richtiger Schulen der Poesie für wünschenswert hält, Schulen, um »so wenigstens einige Arten und einige Mittel der Poesie in einen gründlichen Zustand zu bringen«, erwidert sie: »Warum wieder nur Arten und Mittel? - Warum nicht die ganze eine und unteilbare Poesie? Unser Freund kann gar nicht von seiner alten Unart lassen; er muß immer sondern und teilen, wo dodi nur das Ganze in ungeteilter Kraft wirken und befriedigen kann.«' 8 37
Z u dieser Auseinandersetzung mit der aristotelischen L X X X V I I - X C V I I der Einleitung von V . Santoli.
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F. Schlegel, Kritische Schriften, op. cit., S. 3 1 9 , 4 9 2 , 4 9 3 , 4 9 5 . Über die Diskussion über die Gattungen s. S. C L I - C L I I von Santolis Einleitung: »Das >Gespräch über die Poesie< ist philosophisch ein wenig enttäuschend. Es bedeutet in der T a t teilweise eine Rückkehr zu alten Positionen . . . D i e Dialoge des Gesprächs bleiben auch v o m begrifflichen Standpunkt aus ziemlich weit
»Poetik«
vgl.
51
S.
Die Wahrheit, versteht sich, müßte nach der Absicht des Autors aus dem dialektischen Kontrast der gegensätzlichen Meinungen hervorgehen. Aber als typisch fragmentarischem Denker ist ihm nicht mehr gelungen, als zwei Argumenten, die er und seine Romantikerfreunde als widersprüchlich empfanden, eine Stimme zu geben, ohne irgendeine Lösung des Widerspruchs anzudeuten. Sein Verdienst ist es - und deswegen wird er hier genannt - , mit so klaren Worten (nicht ohne Absicht sind sie in dem »Gespräch« einer Frau in den Mund gelegt) die Auffassung von der »einen und unteilbaren Poesie« verfochten zu haben, und zwar in einem Augenblick, als von ihm und nicht wenigen anderen neue Gattungsdefinitionen und neue Einteilungen der Dichtung formuliert wurden. Die frühere Unbefangenheit w a r nicht mehr möglich, und gegen die sich erneuernden Versuche einer philosophischen Systematisierung der literarischen Gattungen wird sich auch nach ihm nun immer leise oder laut die Forderung der Einheit und Unteilbarkeit der Poesie hören lassen, die in jeder dichterischen Schöpfung ganz zugegen ist und die mühsamen Schlußfolgerungen in Zweifel stellt. Er selbst fühlte dies, als er die »romantische Poesie« pries: »Ihre Bestimmung ist (nicht bloß), alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen . . . « , oder als er, und zwar viel besser, im Lied »die freieste Äußerung der Poesie« erkannte und es den größeren poetischen Werken gegenüberstellte, bei denen wir »nur gar zu leicht von dem poetischen Eindruck selbst auf den Gegenstand des Gedichts, auf die Grundsätze, Vorbilder und Zwecke des Künstlers, auf die Gesetze und die Idee der Gattung, welcher das Werk angehört, hinübergleiten« (»so ist das Lied dagegen ganz rein von solchen fesselnden Beziehungen. Frei von den Gesetzen der Kunst wie von den Beschränkungen der gemeinen Wirklichkeit, tönt die Stimme des Lieds aus der geheimnisvollen Tiefe des Menschengeistes und der Poesie hervor; abgerissen und einzeln, ja rätselhaft f ü r den Verstand, dem Gefühl aber deutlich...«), oder wenn er schließlich mit Worten, die auch unsere sein könnten, am Beispiel von Goethes »Meister« und der sogenannten Künstlerromane die Fehler hervorhob, zu denen das Kriterium der literarischen Gattungen führen kann : »Noch vor einem andern Mißverstand glauben wir das vortreffliche Werk bewahren zu m ü s s e n . . . Es besteht dieses Mißverständnis darin, daß man den Roman zu einer Gattung der Poesie macht und sich dadurch zu Vergleichungen verführen läßt, die immer unstatthaft sind und den wahren Gesichtspunkt durchaus verrücken, weil jeder Roman ein ganz eigentümhinter den >Fragmenten< zurück . . . D a sie verschiedene Gesichtspunkte und Geschmacksrichtungen widerspiegeln wollen, wiederholen sie in ihren Schwankungen, aber ohne reifere Formulierung, schon bekannte Begriffe und Thesen.« 52
lidies und sozusagen persönliches Werk, ja eigentlich ein abgesondertes Individuum f ü r sich ist, und gerade darin das Wesen desselben besteht. So denkt man sich z . B . den K ü n s t l e r r o m a n noch als eine Unterart der ganzen Gattung; dahin gehören denn >ArdinghelloStembaldMeisterSternbaldKlassifikation< ist und sich die G e s c h i c h t e nennt. In der Geschichte nimmt jedes Kunstwerk den ihm zukommenden Platz ein, diesen und keinen anderen.« 6 Wie w i r sehen, hat Croce seine Auffassung über die literarischen Gattungen z w a r grundsätzlich nicht revidiert, aber er scheint ihnen im Lauf seiner Beschäftigung mit dem Problem immer mehr Raum zuzubilligen. Jedoch wird auch deutlich, daß das eigentliche Problem dies ist: Wie können wir die literarischen Gattungen in der Geschichte der Literatur benützen, ohne daß sie zu abstrakten logischen Klassifikationen werden, ohne uns in nominalistische Diskussionen zu verlieren und ohne den historisch begründeten Gattungen normative Bedeutung zuzuschreiben? Wenn Croce glauben mochte, wenigstens die Ästhetik und die Kritik der Dichtung in Italien von den literarischen Gattungen befreit zu haben, 7 wurde die Diskussion doch weitergeführt - wenn auch nicht in Italien, so doch in anderen Ländern. So wurde 1939 in L y o n der 3. Internationale Kongreß f ü r Literaturgeschichte ganz dem Thema der literarischen Gattungen gewidmet, was Croce mit Mißfallen und Verachtung registrierte. 8 Man darf allerdings nicht außer acht lassen, daß in Italien die Literaturwissenschaft durch Croce wirklich von einer jahrhundertelangen Einengung durch die Gattungsregeln und Gattungsdiskussionen befreit worden w a r , während diese in Deutschland zum Beispiel erst im 18. Jahrhundert zur vollen Geltung gekommen waren. 6 Aber auch in Italien selbst w a r die Diskussion über die literarischen Gattungen nicht ein f ü r allemal abgetan. Im J a h r 1948 nahm Mario
5 9 7
ibidem, S. 5 1 . ibidem, S. 50. B. Croce, Die Dichtung. Einführung in die Kritik und Geschichte der Dichtung und der Literatur. Tübingen 1 9 7 0 , S. 1 4 4 ( = Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 1).
8
B. Croce, I >generi letterari a Congresso, in: L a Critica X X X V I I S. 3 9 6 - 3 9 7 .
9
V g l . Irene Behrens, Die Lehre von der Einteilung der Dichtkunst. H a l l e 1940 ( = Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 92).
(1939),
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Fubini das Problem wieder auf und setzte sich in einer ausführlichen Studie von neuem damit auseinander. 10 Der vorliegende Band ist das Ergebnis dieser Arbeit. Die Schrift besteht, ähnlich wie Croces »Ästhetik«, aus einem theoretischen und einem historischen Teil. Der theoretische Teil behandelt die Entstehung und die Funktion der literarischen Gattungen, während der historische Teil die Geschichte der Diskussion über die Gattungstheorie darstellt. Fubinis Schrift ist nur zu verstehen aus der ihr zugrundeliegenden Sorge um das einzelne, individuelle dichterische Werk, das er im Sinn des Idealismus als apriorische Synthese von Intuition und Expression versteht. So läßt er die literarischen Gattungen als Hilfsmittel zur Klassifizierung und Einordnung der unzähligen poetischen Werke zu, verwehrt ihnen aber absoluten Wert f ü r die Urteilsbildung; noch strikter lehnt er die Versuche ab, die Gattungen in ein hierarchisch geordnetes System zu pressen und ihnen normative Geltung zu geben. Ja, der Hauptanstoß f ü r Fubinis Auseinandersetzung ist gerade die Normativität der literarischen Gattungen, die vor allem in Italien auf Dichtern und Kritikern gelastet hatte. Die Gattungen sind nach Fubini entweder so allgemein, daß sie eher einer Definition der Poesie schlechthin nahekommen — wie zum Beispiel die seit der Renaissance üblichen drei grundlegenden Gattungen der Lyrik, der Epik und der Dramatik - , oder sie sind so gröblich vom Inhalt her gebildet, daß sie nur noch zu ganz äußerlichen, Gedächtniszwecken dienenden Klassifizierungen werden. Im einen wie im anderen Fall ist das individuelle Kunstwerk verfehlt. Ein Ausweg aus dieser Situation scheint die h i s t o r i s c h e Darstellung von literarischen Gattungen zu sein: die stilistische Tradition, die von den Dichtern vorgefunden, aufgenommen, modifiziert und weitergegeben 10
Mario Fubini, geboren 1900 in Turin, studierte in Turin und promovierte bei Ferdinando Neri mit einer später als Buch veröffentlichten Dissertation über A l f r e d de Vigny. N a d i Anfängen in der französischen Literaturwissenschaft ging er 1926 zur Italianistik über. Croces Lehre w a r f ü r seine geistige Formung ausschlaggebend. Zahlreiche bedeutende Veröffentlichungen zeigen, daß seine Interessen sowohl historischer und stilkritischer als auch methodologischer A r t sind (u. a. Werke über Foscolo, Vico, Alfieri, das Settecento, die Metrik des Trescento; der Sammelband »Stile, linguaggio e poesia«, später erweitert zu »Critica e poesia«, enthält die methodologischen Studien). Fubini w a r Ordinarius f ü r italienische Literaturwissenschaft an den Unversitäten Palermo, Triest und Mailand, seit 196$ vertritt er dieses Fach an der Scuola Normale Superiore von Pisa. Vgl. A . Attisani, L'estetica di F. De Sanctis e dell'idealismo italiano, in: Momenti e problemi di storia dell'estetica. Milano 1 9 6 1 , I V , S. 1 4 2 9 - 1 5 5 6 , sowie G . Grana, Mario Fubini, in: Letteratura italiana. I critici. Storia monografica della critica moderna in Italia. Milano 1970, ν , s. 3503-3532· 86
wird, besitzt historische Kontinuität. Man muß sie also in ihrer Evolution von der Entstehung bis zu ihrem Ende verfolgen und darstellen können. Nach Fubini ist dies aber ohne Entstellung und Verstümmelung der historischen Wirklichkeit nur möglich, wenn stilistische Traditionen, außerhalb der Synthese des Kunstwerks, als einzelne Komponenten des Werks dargestellt werden: »Denn die Gattungen werden, wie wir jetzt wohl erkennen können, gebildet, um stilistische Traditionen aufzudecken, die eine gewisse Beständigkeit und Kohärenz zu besitzen scheinen, und obwohl sie Abstraktionen sind, ihren Grund in der Geschichte haben und von der Geschichte ihre Bedeutung empfangen.« Fubini schlägt schließlich eine neue Einteilung der literarischen Gattungen vor: die von Goethe als die drei N a t u r f o r m e n bezeichneten Gattungen der Lyrik, der Epik und des Dramas will er als psychologische Klassen betrachtet wissen, die sogenannten Dichtarten, die auf stilistischen Traditionen beruhen, als die eigentlichen Gattungen. In dieser Richtung hat sich Fubini selbst in seiner literaturwissenschaftlichen Forschung bewegt. Da er von der Einheit von Intuition und Expression, von Gefühl und sprachlichem Ausdruck ausgeht, bemüht er sich, die einzelnen sprachlichen Erscheinungen (Metrik, Syntax, Wortschatz, grammatikalische Besonderheiten, rhetorische Figuren) so zu erforschen, »daß sie nicht als für sich stehende Teile des Ausdrucks gelten, sondern als Ausgangspunkt f ü r eine Betrachtung der sprachlichen Form, von dem aus man sie in ihrer Gesamtheit erkennen kann«. 11 Das ist nur in einer Analyse möglich, die provisorisch die postulierte Einheit des Kunstwerks aufhebt, um sie am Ende der Analyse wiederzufinden.12 Auch hierin macht sich Croces Einfluß bemerkbar, der in seiner »Ästhetik« Poesie und Sprache und somit auch Ästhetik und Linguistik gleichgesetzt hatte. Fubini bemühte sich stets um eine Analyse der dichterischen Sprache: »Fubini hat glänzend gezeigt, daß die Untersuchung der S p r a c h e (lingua) eines jeden Dichters oder Schriftstellers, insbesondere in ihrer Struktur und ihrer Dynamik - unter der Voraussetzung natürlich, daß sie nicht nach abstrakt philologischen und grammatikalischen Kriterien vorgenommen wird, sondern nach historischen Kriterien, um gerade das Entstehen des dichterischen Werkes zu erfassen - wesentlich f ü r das Verständnis der besonderen Sprache (linguaggio) dieser Schriftsteller ist, das heißt ihres Ausdrucks, letzten Endes ihrer dichterischen oder schriftstellerischen Produktion.« 1 3 In der Weiterführung der sprachlichen und 11
12 13
M . Fubini, Legittimità e limiti di una critica stilistica, in: Critica e poesia. B a r i 2 i 9 6 6 , S. 90. M . Fubini, Legittimità e limiti di una critica stilistica, op. cit., S. 105. A . Adelchi, L'estetica di F. D e Sanctis e dell'idealismo italiano, op. cit., S. 1 5 3 3 .
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stilistischen Analyse, wie sie sich f ü r Fubini als zwingend notwendig aus seiner Diskussion der literarischen Gattungen ergab, hat er sich außerordentlich verdient gemacht. Im Bereich der Stilkritik erklärte er sich der Arbeitsweise des vor kurzem verstorbenen Linguisten Benvenuto Terracini nahe, der in seinen stilistischen Studien Linguistik und Literaturwissenschaft einander anzunähern versucht hat. 14 Etwas unbefriedigend bleibt es jedoch, wie Fubini die Geschichte der literarischen Gattungen beurteilt. Seine negative Einstellung dazu ist wieder nur aus der Auflehnung gegen die seit dem Cinquecento bestehenden, von Aristoteles gar nicht so formulierten starren Gattungsdefinitionen und Gattungsregeln zu verstehen, von deren Joch Croces Angriff die italienische Literaturkritik befreit hatte. Jedoch wird gerade dieser Aspekt des Problems von anderen später wieder ins Auge genommen werden. Sehr interessant ist dagegen der historische Teil von Fubinis Darlegung. Im Unterschied zu Croce, der im historischen Teil seiner »Ästhetik« sozusagen die Geschichte eines »Irrtums« wiedergibt, da das Kapitel der literarischen Gattungen überhaupt in »jugendlichem Radikalismus« in heftiger Ablehnung der Gattungen geschrieben worden war, schreibt Fubini vielmehr die Geschichte der Rebellion gegen die literarischen Gattungen und die mit ihnen verbundenen Regeln. Er hört Dichter, Kritiker und Philosophen geradezu ab nach Anzeichen der Auflehnung. Nach einer kurzen Skizzierung des Wegs von Aristoteles' Poetik bis zu den Poetiken des Cinquecento und der Festlegung des strengen Regelkanons begegnen wir den ersten Anzeichen der Auflehnung bei Giraldi Cintio, der den Akzent auf die Geschichtlichkeit der Gattungen legt. Geradezu mit Begeisterung stellt Fubini Giordano Bruno vor als einen der ersten, die die Freiheit des künstlerischen Schaffens erkannt haben. Nach Gravina, Voltaire und Diderot, w o Anzeichen zu entdecken sind, daß das alte Regelsystem ins Wanken geraten ist, auch wenn sie noch in den Kategorien der Gattungen diskutieren, wird Giambattista Vico vorgestellt, der nun ganz deutlich die klassische Poetik historisiert, indem er »die Entwicklung der in der Geschichte wirksamen Kategorie der Poesie« darstellt 15 und damit das alte Regelsystem in Frage stellt. In der deutschen Romantik konstatiert Fubini ein f ü r ihn seltsam inkonsequentes Interesse an einer Gattungstheorie, das sich aber historisch erklären läßt durch den so ganz anderen Verlauf der Gattungsdiskussion in Deutsch-
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Vgl. Benvenuto Terracini, Analisi stilistica. Teoria, storia, problemi. Milano 1966 ( = Critica e filologia 3) S. S. 46 dieses Werks.
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land. Schiller schließlich hatte die Zweiteilung in naive und sentimentalische Dichtung, die später zum Gegensatz v o n klassischer und romantischer Dichtung wurde, vorgeschlagen. Für die Einheit der Poesie w a r diese A u f stellung gefährlicher, als es die vorhergehende Dreiteilung in L y r i k , E p i k und D r a m a t i k gewesen w a r (die j a entschärft werden konnte durch die V e r w a n d l u n g in die Kategorien des Lyrischen, des Epischen und des Dramatischen). Doch D e Sanctis befreite sich v o n den Begriffen der romantischen und klassischen Poesie und führte Vicos G e d a n k e n weiter, »indem er den statischen Gattungen der klassischen Poetik die D y n a m i k der Geschichte aufprägte« und die Geschichte der Gattungen mit der G e schichte der menschlichen K u l t u r in Verbindung brachte. Fubinis historischer A b r i ß endete ursprünglich mit Croce - erst in der zweiten A u f l a g e der Schrift w u r d e noch ein K a p i t e l über J o h n D e w e y hinzugefügt - , der f ü r Fubini zugleich Ausgangspunkt auch seiner eigenen Polemik wurde. A n der Geschichte der verschiedenen Fassungen v o n Croces »Ästhetik« zeigt Fubini, w i e dieser von »jugendlichem Radikalismus« zu einer konzilianteren Einstellung zu den Gattungen fortschreitet, wie die E i n w ä n d e v o r allem der historischen Methode berechtigt w a r e n und bis zu einem gewissen G r a d e von Croce berücksichtigt wurden. Dieser historische Teil stellt also die Befreiungsbewegung dar, die in der italienischen Literaturwissenschaft und -kritik v o m 16. Jahrhundert an nachzuweisen ist und schließlich in Croces Verteidigung der Autonomie der Poesie ihren Höhepunkt erreicht hat. Inzwischen sind z w a n z i g J a h r e vergangen, und in Italien haben sich die o f t heftigen Auseinandersetzungen
zwischen Crociani
und
Anti-
crociani beruhigt. A u s dem J a h r 1 9 5 1 stammt ein Essay v o n G i a n f r a n c o Contini, in dem er v o n der damaligen Bemühung seiner
Generation
spricht, »riuscire postcrociani senza essere anticrociani« (>Postcrocianer zu sein, ohne jedoch Anticrocianer zu seindekadenten< Liebe zur Literatur ( . . . ) und v o n der Praxis der Philologie und der Linguistik als > Wissenschaften ( . . ,)?« I e N e b e n der heute noch betriebenen Stilkritik gibt es neue Versuche, Literatur zu erforschen; strukturalistische und soziologische Methoden werden 16
Gianfranco Contini, L'influenza culturale di Benedetto Croce. Milano 1967, S· 55·
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ausprobiert, im Vergleich mit Frankreich etwas verspätet - wie dies ja auch f ü r Deutschland zu sagen ist. Während in Italien die Auseinandersetzung um Sein oder Nichtsein der literarischen Gattungen ging und ein K a m p f gegen den Z w a n g der Normativität der Gattungen sowie um die Einsicht in die Individualität und Einmaligkeit des künstlerischen Werkes w a r , bemühte man sich in Deutschland - neben der historischen Erforschung einzelner Gattungen oder Arten 1 7 - vor allem um eine Systematisierung der literarischen Gattungen. Die Dreiteilung in Epik, L y r i k und Dramatik hat sich in Deutschland und Frankreich, wie wir oben gesehen haben, relativ spät durchgesetzt. Nehmen wir als Beispiel des beginnenden 19. Jahrhunderts Friedrich Schlegel, in dessen Fragmenten ein Unbefriedigtsein über die Vielzahl der »Theorien der Dichtarten« zu spüren ist. Er erkannte, daß aus einer Definition der Dichtart, einer beliebigen Dichtart der Zusammenhang aller Dichtarten in einem System hervorgehen mußte. Die Dreiteilung in Epik, Lyrik und Dramatik sah er in der antiken Literatur verwirklicht, welche er als Naturpoesie definierte. Dasselbe sah er nicht f ü r die moderne Poesie gültig, woraus er folgerte, »daß eine Lehre von den Dichtarten historischer N a t u r sein muß, auf die klassische Dichtung beschränkt, der Begriff der modernen Dichtung aber ohne die Einteilung in Dichtarten auszukommen hat, genauer: dem Begriff einer einzigen Dichtart korrespondiert, welche alle anderen in sich vereinigt«; 1 8 diese w a r für F. Schlegel der Roman. Er verwendete schließlich die Namen der drei traditionellen Dichtarten (und nicht nur diese) in adjektivischer Form, wodurch die Mischung der Dichtarten in einem und demselben Werk theoretisch ermöglicht wird; aus diesem Grund stellt P. Szondi F. Schlegel in Zusammenhang mit Schillers Theorie von naiver und sentimentalischer Dichtung und mit Hölderlins Lehre vom Wechsel der Töne. 19 Obwohl F. Schlegel weit davon entfernt war, alle diese Ideen in einem durchdachten und schlüssigen System zu entwickeln, hat er damit doch manchen Versuch des 20. Jahrhunderts, die literarischen Gattungen systematisch zu ordnen, vorweggenommen. Emil Ermatinger hat, von drei konkreten Dichterfiguren ausgehend, die drei Grundformen der lyrischen, dramatischen und epischen Dichtung herausgearbeitet, die nach seiner Meinung nicht miteinander vereinbar 17
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Vgl. z . B . F. Beißner, Geschichte der deutschen Elegie. Berlin 1 9 4 1 , ^ 9 6 5 ; K . Viëtor, Geschichte der deutschen Ode. Darmstadt 2iç>6i. P . Szondi, Friedrich Schlegels Theorie der Dichtarten, in: Euphorion L X I V (1970) 2, S. 1 8 3 . ibidem, S. 196.
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sind. 20 Julius Petersen griff (nachdem er zunächst versicherte, sich »an rein formale Kennzeichen zu halten«, ohne normative Maßstäbe für Dichter oder Kritiker aufzustellen) einen Gedanken Goethes aus den Noten zum West-östlichen Divan auf. Dort spricht Goethe von den drei Naturformen der Dichtung, der klar erzählenden, der enthusiastisch aufgeregten und der persönlich handelnden, das heißt, der Epik, der Lyrik und dem Drama, und von ihrem reinen oder vermischten Auftreten in den einzelnen Dichtarten und wirft die Möglichkeit einer graphischen Darstellung der verschiedenen Kombinationen auf, ohne dem Einfall jedoch eine Verwirklichung zu geben. 21 Hier setzt J . Petersen an und konstruiert zuerst ein Dreieck, später einen Kreis oder vielmehr ein Rad, dessen Mitte die
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21
E. Ermatinger, Das dichterische K u n s t w e r k . Grundbegriffe der Urteilsbildung in der Literaturgeschichte. Leipzig-Berlin 1 9 2 1 . J . P e t e r s e n , Z u r Lehre von den Dichtungsgattungen, in: Festschrift A . Sauer. Stuttgart 1925, und: D i e Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. B a n d I: Werk und Dichter. Berlin 1939.
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Urdichtung ist, dessen Speichen Epos, Lyrik und Drama bilden und welches so die Bewegung der Dichtarten von Grundform zu Grundform verdeutlichen soll: »Dieses Rad, in dem die drei festen Grundformen als Speichen erscheinen, veranschaulicht in seiner Drehung alle möglichen Übergänge und Wandlungen, so daß es als Kompaß für eine der Analyse dienende Orientierung unter den Gattungsrichtungen zu benützen ist.«22 Dieser Versuch einer Systematisierung ist so schematisch und unvollkommen ausgefallen, daß man mit Mario Fubini sagen kann, daß das Ergebnis das ist, »die Poesie daraus ausgeschlossen zu haben«.23 Das Problem, Deduktion und Induktion bei der Gattungsdefinition miteinander zu verbinden, das schon E. Ermatinger beschäftigt hatte (und das im übrigen zentral für die Gattungsdiskussion ist), kehrt bei Karl Viëtor wieder. 24 Zunächst schlägt er vor, deutlicher zu unterscheiden zwischen den »letzten gestalterischen Grundhaltungen«, den Goetheschen Naturformen, wie Epik, Lyrik und Dramatik einerseits und den im eigentlichen Sinn Gattungen zu nennenden Arten, die auf verfolgbaren historischen Grundlagen beruhen. Damit gelangt er zu einer historisch begründeten Lehre von den literarischen Gattungen und formuliert die ihnen angemessene wissenschaftliche Methode in seiner »Geschichte der deutschen Ode«: »Jede Gattungsgeschichte kann nicht anders vorgehen, als indem sie diesen Wachstumsvorgang verstehend und darstellend wiederholt. Das Erste wird ein divinatorisches Erfassen des Gattungshaften an den dichterisch bedeutendsten Repräsentanten der Gattung sein, der zweite Schritt, der schon auf das geschichtliche Ganze der Gattung geht, führt zu den Anfängen der Gattungsgeschichte zurück.« 25 Im Jahr 1946 unternahm Emil Staiger mit seinem Werk »Grundbegriffe der Poetik« den Versuch, die Gattungsbegriffe neu zu formulieren. 26 Ihn bewegte Sorge um das Wesen des Kunstwerks, er lehnt Begriffe von Wissenschaft, die den Naturwissenschaften entlehnt sind, für die Literaturwissenschaft ab ebenso wie eine Poetik, die auf Normen zur Wertung von Dichtung gegründet ist, eine »Musterpoetik«. Darin steht er zweifellos Croce und Fubini nahe. Staiger geht bei seiner Definition der Grundbegriffe der literarischen Gattungen von der überkommenen Dreierzahl aus, ja er baut sie zu einem System aus, das nicht nur dichterische, sondern allgemein menschliche Grundhaltungen umfaßt. Wie schon F. Schlegel benützt er die adjektivi22 23 24 25 26
J. Petersen, Die Wissenschaft von der Dichtung, op. cit., S. 126. M . Fubini, Critica e poesia. Bari 1966, S. 224. K . Viëtor, Probleme der Gattungsgeschichte, in: D V j s I X (1931), S. 425-447. K . Viëtor, Probleme der Gattungsgeschichte, op. cit., S. 444. E. Staiger, Grundbegriffe der Poetik. Zürich 1946, 8i?68.
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sehen Formen des Lyrischen, Epischen und Dramatischen, da die Substantive Epos, Lyrik und D r a m a leicht zu »Fächern, in denen man Dichtung unterbringen kann«, werden und ins Zahllose vermehrt werden müßten. »Die Adjektive lyrisch, episch, dramatisch
dagegen erhalten sich als
N a m e n einfacher Qualitäten, an denen eine bestimmte Dichtung teilhaben kann oder auch nicht.« 27 Dem Lyrischen, dem Staiger einen Vorrang vor den anderen Grundhaltungen zuerkennt, ordnet er nun die Erinnerung, die Vergangenheit, die Abstandslosigkeit zwischen Subjekt und Objekt zu, dem Epischen die Vorstellung, die Gegenwart, die Perspektive eines sich festigenden Ichs und des Gegenstandes, dem Dramatischen die Spannung, die Zukunft, die Verabsolutierung von geistigem Selbst und W e l t : » F ü h l e n - Z e i g e n - B e w e i s e n : in diesem Sinn erweitert sich der Abstand.« 2 8 Diese Stufenfolge Staigers »entspricht den von Ernst Cassirer beschriebenen Stufen der Sprache«. 2 9 Es wird deutlich, daß Staigers »Frage nach dem Wesen der Gattungsbegriffe« letztlich »auf die Frage nach dem Wesen des Menschen« führt, seine Fundamentalpoetik soll »ein Beitrag der Literaturwissenschaft an die philosophische Anthropologie« werden. 3 0 E r hofft, mit seinem Werk »einen Sektor jener exakten Wissenschaft vom Dasein, welche die Ontologie verkündet, ausgearbeitet zu haben«. 3 1 Staigers in gewisser Weise großartiger Versuch einer Systematisierung der literarischen Gattungsbegriffe mußte natürlich auf viele Widerstände stoßen. Seine Methode ist der »hermeneutische Zirkel«; gerade der Ausgang seiner Betrachtungen von einem persönlichen Gefühl den dichterischen Texten gegenüber, das er für unumgänglich hält, rief Einwände hervor. Solch methodischer Ausgangspunkt mußte vielen im Namen einer wissenschaftlichen Methode, die persönliches Gefühl auszuschalten versucht, unannehmbar erscheinen. Zwei J a h r e nach E. Staiger hat Wolfgang Kayser sein Werk »Das sprachliche Kunstwerk« veröffentlicht. 3 2 Audi er beschränkt sich auf die drei »Grundhaltungen« des Lyrischen, Epischen und Dramatischen; von ihnen unterscheidet er die »Darbietungsform«. Es ist sein Ziel, Literaturwissenschaft und Literaturgeschichte zu trennen, »in den innersten K e r n eines Kunstwerks einzudringen und zu zeigen, wie sich von daher das geheime 27 28 29
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ibidem, S. 237. ibidem, S. 210. ibidem, S. 208; vgl. E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Teil I. Berlin 1923. E. Staiger, Grundbegriffe der Poetik, op. cit., S. 12. ibidem, S. 221-222. W. Kayser, Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einführung in die Literaturwissenschaft. Bern 1948, 1 3 ig68. 93
Leben bis in die letzten Verästelungen der Sprache, des Verses, der äußeren Form organisiert«. 33 Die Besinnung auf das Gattungshafte soll den Literaturwissenschaftler vor die »ewigen Gesetze« führen, »nach denen sich das sprachliche Kunstwerk bildet«. 34 Wesentlich andere Grundsätze leiten die neuesten Bemühungen um die literarischen Gattungen. Die Pariser Schule der semiotischen Wissenschaft, die sich um Roman Jakobsen, Algirdas Julien Greimas, Roland Barthes und andere schart, lehnt außer der Normativität auch die aristotelischen »Makro-Strukturen« ab und versucht, das Problem der Teilhabe verschiedener Gattungsformen an verschiedenen Werken zu lösen, indem sie von sprachlichen »Mikro-Strukturen« ausgeht, von »schémas syntaxiques élémentaires: répetition/attente pour le poétique, nom/verbe pour le narratif; de la sorte, le genre s'identifie à une cellule spécifique de discours et cette cellule peut très bien essaimer, transiter dans des oeuvres très diverses, relevant de »genres différents«. 35 Das heißt, die Gattung wird auf einen »type de discours« reduziert, wodurch in die Zahl der schon offiziell anerkannten literarischen Gattungen oder Arten neue Formen aufgenommen und vor allem definiert und beschrieben werden können. Wir sind hier weit von Staigers Grundhaltungen entfernt. Der semiotischliterarischen Forschung kommt es letzten Endes darauf an, »types de discours« zu definieren, nicht »types d'oeuvres«. Ein letztes Beispiel unter den jüngsten Versuchen, dem uralten Problem der literarischen Gattungen eine neue Lösung zu geben, das sich zwischen die oben beschriebenen extremen Standpunkte einordnen ließe, ist Hans Robert Jauss' interessanter Vorschlag einer neuen Gattungstheorie. 36 Nach den Strukturalisten, die, von der Form des Märchens und der Mythen ausgehend, die für die einzelnen Gattungen konstitutiven Strukturen und Funktionen herausgearbeitet haben, möchte sich Jauss zwischen »die einander entgegengesetzten Pole des Individuellen und des Kollektiven, des ästhtetischen Charakters und der praktischen oder sozialen Funktion der Literatur« 3 7 einordnen. Die mittelalterliche Literatur mit ihrer besonderen Problematik scheint dafür besonders geeignet zu sein. 33 34 33
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ibidem, S. 387. ibidem. R o l a n d Barthes, Linguistique et littérature, in: Langages, 1 2 , Dez. 1968 (mit Beiträgen von R . Jakobson und L. Stegagno Picchio, G . Genette, J . Cohen, S. Marcus, Ν . R u w e t , S. Jansen, T . T o d o r o v , J . Kristeva, M . Bakhtine), S. 7. Hans Robert Jauss, Littérature médiévale et théorie des genres, in: Poétique, ι (1970), S. 7 9 - 1 0 1 (französische Fassung eines Beitrags, der f ü r den »Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters« vorgesehen ist). Littérature médiévale et théorie des genres, op. cit., S. 79.
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Ausgehend von einer Kritik an Croces Theorie des Kunstwerks und der daraus folgenden Ablehnung der literarischen Gattungen f ü h r t J a u ß den Begriff des »Erwartungshorizontes« ein; das heißt, er lehnt es ab, das Kunstwerk als isoliertes Kunstprodukt ohne Zusammenhang mit einem Publikum zu sehen, 38 welches, aufgrund vorausgehender literarischer und allgemein menschlicher Erfahrungen, bestimmte Erwartungen dem Kunstwerk gegenüber hegt. Jauß f ü h r t also die literarischen Gattungen wieder in die Literaturwissenschaft ein, aber er betrachtet sie in ihrem geschichtlichen Zusammenhang und nimmt ihnen den Charakter der logischen Kategorie: »Es ist also möglich, eine literarische Gattung nicht im logischen Sinn zu definieren, sondern indem man Gruppen spezifiziert, und zwar in dem Maße, als diese auf autonome Weise Texte zu konstituieren vermag, wobei diese Konstitution ebenso synchronisch in einer Struktur nicht austauschbarer Elemente als audi diachronisch in einer sich durchhaltenden Kontinuität herausgearbeitet werden muß.« 39 J a u ß stellt nun synchronisch Strukturunterschiede zwischen den einzelnen Gattungen dar und diachronisch konstante und variable Elemente einer Gattung, die Kreation und Modifikation in der Kontinuität der Geschichte nachprüfbar werden lassen. Jauß wehrt sich gegen vereinfachende marxistische Widerspiegelungstheorien, versucht aber, die geschichtliche Beobachtung der literarischen Gattungen unter dem Gesichtspunkt der Aufnahme von Seiten des Publikums enger mit der historischen und gesellschaftlichen Realität zu verbinden. Nach dieser historischen Rechtfertigung der einzelnen Gattungen (nach Goethe der Dichtarten) greift Jauß auch das Problem der Systematisierung der Gattungen an. Er lehnt die Vorstellung in sich geschlossener, beziehungslos nebeneinanderstehender Gattungen ab und verlangt eine Untersuchung der Infrastrukturen, der diachronischen und synchronischen Beziehungen zwischen den literarischen Gattungen einer Epoche. Jauß verdankt dabei den literaturkritischen Methoden der russischen Formalisten viel, versucht aber ihr letzten Endes literaturimmanentes Vorgehen durch eine Rezeptions- und Wirkungsästhetik zu überwinden. Wenn es gelingt, den Erwartungshorizont des Publikums zu objektivieren, das 38
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Vgl. dazu P. Van Tieghem, La question des genres littéraires, in: Helicon, I (1938), 1 - 2 , S. 9 5 - 1 0 1 . Van Tieghem rechtfertigte damals die literarischen Gattungen, entgegen Croces Polemik, mit dem Hinweis auf die Zusammenarbeit zwischen Autor und Publikum: »Ces diverses aptitudes du public sont aussi importantes pour notre sujet que celles de l'auteur: elles inclinent dans la direction où il espère trouver des lecteurs ou des spectateurs attentifs et déjà par avance disposés à l'écouter« (S. 99). Littérature médiévale et théorie des genres, op. cit., S. 83. 95
heißt wissenschaftlich darzustellen, so wird durch die Beobachtung von »Horizontstiftung und Horizontveränderung« auch »das Verhältnis vom einzelnen Text zur gattungsgeschichtlichen Textreihe« 40 bestimmt. Damit wäre dann auch eine Überbetonung sowohl der soziologischen als auch der psychologischen Gesichtspunkte vermieden, denn »das Studium der Beziehungen zwischen Literatur und Gesellschaft, zwischen literarischem Werk und Publikum wird um so eher der soziologischen und psychologischen Vereinfachung entgehen, als es diesen Erwartungshorizont der Gattungen rekonstruiert, der im voraus die Absicht des Werkes und das Verständnis von Seiten der Leser darstellt und uns so eine historische Situation in ihrer vergangenen Aktualität wiedererstehen läßt«. 41 Der Vorschlag, die literarischen Gattungen in ihrer historischen Entwicklung und in ihren Beziehungen untereinander, zur sozialen und kulturellen Situation der jeweiligen Epoche und zum Publikum zu beobachten, scheint ein Ausweg aus der Aporie zu sein, die Croces ablehnende Haltung den Gattungen gegenüber geschaffen hatte. Man darf gespannt sein, diese neue Methode praktisch angewendet zu sehen, die auf so plausible Weise das Problem der Gattungstheorie in Angriff genommen hat.42
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H a n s Robert Jauss, Literaturgeschichte als Provokation. F r a n k f u r t 1 9 7 0 , S. 1 7 5 ( = Edition Suhrkamp 4 1 8 ) . Littérature médiévale et théorie des genres, op. cit., S. 97. Jauss gibt als ersten Versuch in dieser Hinsicht an : J . Rychner, L a chanson de geste: Essai sur l'art épique des jongleurs. Genève 1 9 J 5 .
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Bibliographie
Die nachfolgende internationale Bibliographie verzeichnet wissenschaftliche Arbeiten zum Thema der literarischen Gattungen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschienen sind. Sie stellt keinesfalls den Anspruch, vollständig zu sein. Ihr Ziel ist es vielmehr, dem am Thema interessierten Leser einen ersten Überblick zu geben und den Weg zu weiterer Spezialliteratur zu weisen. U. V.
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61, ''$0, 91 A, 92
Foscolo, U. 19, 63 *86A Fubini, M. 7 A, 8 A , 3 9 A , 75 A, 77 A, "'86-89, 9 2 Gaietti, A. 68 Genette, G. s: '94A Gentile, G. 72, 77 A Gigli, G. 16 Giraldi Cintio, G. B. 3 1 , 32, *88 Goldoni, C. 16, 17 Gozzi, C. 16 Gozzi, G. 16 Goethe, J . W. von 2 1 , 52, 53, 54, *8 7 , 91, 92, 95 Graf, A. 67
Grana, G. *86A G r a v i n a , G . Y . 35-40, 46, 49, 63, 70, »88 Greimas, A. J. »94 Grillparzer, F. 22 Guarini, G. B. 29, 30, 31 f., 39 Guidi, A. 35 G u i d o da Pisa 14 A Hegel, G . F . 5 4 f . , 58, 59 A, 65 A, 70, 71 Heinse, W. 53 H e r d e r , J. G. von 48 Hölderlin, F. "90 H o m e r 28, 30, 31, 42, 44, 47, 66 H o r a z 29, 30, 31, 34, 44, 45, 47 Isidor von Sevilla
14 A
Jakobson, R. '''94 James, W. 78 Jansen, S. »94 A Jauss, H . R . ^94-96 Kayser, W. Kristeva, J.
61, "'93 s: '94 A
Le Bossu, R. 41 Leopardi, G. 6, 7, 9, 62, 63 A Lessing, G. E. 39, 40 Longhi, P. 16 Lope de Vega 66 Machiavelli, Ν . ι6 Maffei, S. 4 2 Manzoni, Α. ι ι , 13, 19, ί>3 Α Mazzoni, F. 14 A Marcus, S. "'94A Marini, G. Α. 19 Meinecke, F. 48 A Michelangelo Buonarroti 49 Milton, J. 28, 37, 38 A Molière, J.-B. Poquelin gen. 16 Moravia, A. 19 Muratori, L. A. 38, 39, 50, 70 Mussato, A. 64 Nievo, I.
19
Ovid
13
Parodi, E. G. 65 Pasquali, G. 81 Patrizi da Cherso, F. Petersen, J. * j i f . Petrarca, F. 14, 29 Pigna, G. 31 P i n d a r 44, 47 Platon 24, 46 Poliziano, A. 14 Properz 13 Pulci, L. 13 Quinault, Ph.
45, 46
43
Racine, J. 13, 42, 66 R a j n a , P. 69 Rolli, P. 37 Rossi, V. 74 Rousseau, J . J . 5yf. Russo, L. 40 A Ruwet, N . *94 A Rychner, J. »96 A Sainte-Beuve, Ch.-A. 4 Santoli, V. 50 A, 51 A Scaliger, J. C. 5, 28, 46 Schelling, F. W. J. von 15, 57 Schiller, F. 55-57, 58 A, ':'89, 90 Schlegel, A . W . 57-59 Schlegel, F. 50-54, 58, "'90, 92 Scott, W. 19 Seneca 64 Shakespeare, W. 11, 13, 39, 42, 49, 59, 61, 63, 64, 65 A Soave, F. 20 Sophokles 13, 42, 59, 66 Spitzer, L. »89 Staiger, E, »92-93, 94 Stegagno Picchio, L. -""94 A Sturm und D r a n g 48, 49 Szondi, P. "90 Tasso, T. 30, 31, 34, 42, 61 Terracini, Β. *88 Tibull 13 Tieck, L. 53 Todorov, T. :f 94 A Toffanin, G. 39 A Trissino, G. G. 42 105
Valéry, P. 23 Van Tieghem, P. *9J A Verga, G . 19 Vico, G . V I , 43-48, 60, 65, 70, *86 A , 88, 89 Viëtor, K . 2 1 A , *9OA, 92 Vigny, A . de ''86 A Virgil 28, 30, 3 1 , 42, 44
106
Viscardi, A . 67 A Voltaire, F.-M. A . de 63 A , 67, *88 Vossler, K . 7 A , - ' 8 9 Wackenroder, W. H . Warren, A . 21A Wellek, R . 21 A
37, 4 1 , 4 2 L ,
1, 49