Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE): Herausgeber: Bundesverfassungsgerichts, Mitglieder des 3161464618, 9783161603136, 3161464613, 9783161464614

Die Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehört zu den einflussreichsten und meistzitierten Periodi

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Problematik und Vorgehen
1. Allgemeines
2. Zum Phänomen des Multinationalen Konzerns
2.1. Der Multinationale Konzern als wirtschaftliche Organisationsform
2.1.1. Zum Begriff des Multinationalen Konzerns
2.1.2. Multinationale Konzerne und Auslandsdirektinvestitionen
2.2. Geschichtliches
2.3. Mikro- und makroökonomische Bezüge des Multinationalen Konzerns
2.3.1. Wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsversuche für Auslandsdirektinvestitionen und Multinationale Konzerne
2.3.2. Volkswirtschaftliche Auswirkungen Multinationaler Konzerne im einzelnen
2.4. Der Multinationale Konzern als politisch-kulturelles Phänomen
2.5. Organisation und Aufbau von Multinationalen Konzernen
2.5.1. Zur juristischen Struktur von Multinationalen Konzernen
2.5.2. Zur wirtschaftlichen Struktur von Multinationalen Konzernen
2.6. Multinationale Konzerne und die Schweiz
2.6.1. Zur Auslandsaktivität schweizerischer Konzerne
2.6.2. Zur Aktivität ausländischer Konzerne in der Schweiz
3. Zum Entwicklungsstand des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne
3.1. Allgemeines
3.2. Völkerrecht
3.3. Nationale Rechte
3.4. Folgerungen aus dem Fehlen kohärenter Haftungsrechtsregelungen für Multinationale Konzerne
4. Beispiele zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne
4.1. Allgemeines
4.2. Der Fall Bhopal
4.3. Der Fall Amoco Cadiz
4.4. Der Fall Seveso
4.5. Der Fall Deltec (Compania Swift de La Plata)
4.6. Der Fall Badger
4.7. Der Fall Firestone
5. Generalisierung des Problems der Haftung Multinationaler Konzerne
5.1. Allgemeines
5.2. Der typische Haftungsfall
5.3. Bezugsebenen der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne
6. Ergebnis
II. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Bezugssystem des schweizerischen Haftungsrechts Multinationaler Konzerne
1. Allgemeines
2. Die Frage der Haftung Multinationaler Konzerne als Problem des internationalen Wirtschaftsrechts
3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung als Grundordnung des internationalen Wirtschaftsrechts der Schweiz
4. Beiträge der Internationalen Wirtschaftsverfassung zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne
4.1. Allgemeines
4.2. Die völkerrechtlich umrahmten Weltwirtschaftsstrukturen
4.2.1. Die allgemeine Weltwirtschaftsordnung
4.2.2. Weltwirtschaftsordnung der Direktinvestitionen?
4.2.3. Weitere völkerrechtliche Rahmenbedingungen
4.2.4. Vorgaben des Völkerrechts an die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz
4.3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Spiegel weltwirtschaftlicher Strukturen
4.3.1. Wohlstandssteigerung durch weltmarktlichen Wettbewerb als Topos der Internationalen Wirtschaftsverfassung
4.3.2. Inhalt der Internationalen Wirtschaftsverfassung im Bereich der internationalen Direktinvestitionen
4.3.3. Ziel eines wettbewerbsfähigen Haftungsrechts für Multinationale Konzerne
5. Ergebnis
III. Das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne als Funktion internationaler Effizienz
1. Allgemeines
2. Internationale Effizienz als Schlüsselkonzept
2.1. Positive Fundamente des Effizienzkonzepts
2.2. Normative Auswirkungen des Effizienzkonzepts
3. Effizienzanalyse des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne
3.1. Das Effizienzkonzept als Brücke zur Ökonomischen Analyse des Rechts
3.2. Das Unternehmenskonzept der Ökonomischen Analyse des Rechts
3.3. Effizienz des Prinzips beschränkter Haftung
3.3.1. Stand der bisherigen Diskussion
3.3.2. Effizienzkriterien zur Haftung Multinationaler Konzerne
3.3.3. Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne als Mittel zur Internalisierung politischer Risiken
3.4. Kategorien effizienter Ausnahmen zum Prinzip der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne
3.4.1. Allgemeines
3.4.2. Haftung der Konzernmutter als Anteilseignerin
3.4.3. Haftung der Konzernmutter bei Übernahme von Managementfunktionen ihrer Tochter
3.4.4. Haftung der Konzernmutter aus (isolierbarem) Drittverhalten gegenüber Tochtergläubigern
3.5. Sonderkonzernhaftungsrechte für bestimmte Gläubigergruppen
3.6. Materiellrechtliche Gleichbehandlung von Multinationalen Konzernen und rein nationalen Konzerngebilden
3.7. Effiziente Kollisions- und Prozeßrechtsregeln im Bereich der Haftung Multinationaler Konzerne
3.7.1. Allgemeines
3.7.2. Effizientes internationales Privatrecht im Konzernhaftungsbereich
3.7.3. Effizientes internationales Zivilprozeßrecht im Konzernhaftungsbereich
4. Relativierung des Effizienzkonzepts für das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne
4.1. Allgemeines
4.2. Modellbedingungen der Ökonomischen Analyse des Rechts
4.3. Systemtheoretische Einordnung der Ökonomischen Analyse des Rechts
4.3.1. Die Ökonomische Analyse des Rechts als Mittel zum Anschluß des Rechtssystems ans Wirtschaftssystem
4.3.2. Auswirkungen im Konzernhaftungsrecht
4.3.3. Zwischenergebnis
5. Die funktionale Methode als Mittel zur rechtlichen Umsetzung ökonomischer Systemzusammenhänge
6. Ergebnis
IV. Rechtsvergleichende Bestandesaufnahme geltender Rechte zur Haftung Multinationaler Konzerne
1. Allgemeines
2. Vergleich materieller Konzernhaftungsrechte
2.1. Rechtslage in Deutschland
2.1.1. Allgemeines
2.1.2. Das kodifizierte Aktienkonzernrecht
2.1.2.1. Allgemeines
2.1.2.2. Eingliederungskonzerne
2.1.2.3. Vertragskonzerne
2.1.2.4. Faktische Konzerne
2.1.3. Das ungeschriebene Konzernrecht
2.1.3.1. Allgemeines
2.1.3.2. Konzernhaftungsrechtliche Neuansätze
2.1.3.3. Konzernorganisationsrechtliche Neuansätze
2.1.4. Gemeinrechtliche Haftungsansätze
2.1.5. Sonderregelungen für internationale Konzerne
2.2. Rechtslage in Frankreich
2.2.1. Allgemeines
2.2.2. Konkursrecht
2.2.2.1. Verlustdeckungsklage (action en comblement de passif)
2.2.2.2. Konkurskonsolidierung (action en extension)
2.2.3. Gemeinrechtliche Haftungsansätze
2.2.4. Konzernarbeitsrecht
2.3. Rechtslage in der Europäischen Union
2.3.1. Allgemeines
2.3.2. Der Vorentwurf für eine Konzernrichtlinie (9. Richtlinie)
2.3.3. Der Statutsvorschlag für eine Europäische Aktiengesellschaft (SE-Statut)
2.4. Rechtslage in den Vereinigten Staaten
2.4.1. Allgemeines
2.4.2. Durchgriffsrecht (piercing the corporate veil)
2.4.2.1. Allgemeines
2.4.2.2. Theorien der Durchgriffsrechtsprechung in den USA
a) Die instrumentality-Doktrin
b) Die alter ego-Doktrin
c) Die agency-Doktrin
2.4.2.3. Einzelheiten zur Durchgriffsrechtsprechung in den USA
2.4.3. Funktionale Äquivalente der Durchgriffshaftung
2.4.3.1. Allgemeines
2.4.3.2. Konkursrecht
a) Fraudulent conveyance/voidable preference
b) Equitable subordination
c) Andere Institute
2.4.3.3. Konzernaußenrecht
2.4.3.4. Konzernmutterhaftung in Sonderrechtsbereichen
2.5. Großbritannien
2.6. Italien
2.7. Österreich
2.8. Liechtenstein
2.9. Holland
2.10. Portugal
2.11. Brasilien
2.12. Andere Staaten
2.13. Zusammenfassung
3. Vergleich von Kollisionsrechtsnormen zur Konzernhaftung
3.1. Allgemeines
3.2. Das Personalstatut von Tochtergesellschaften
3.3. Anknüpfungen des Durchgriffs
3.4. Anknüpfungen konzernaußenrechtlicher Haftungsfiguren
3.5. Anknüpfungen konkurs- bzw. verantwortlichkeitsrechtlicher Konzernhaftungsfiguren
3.6. Anknüpfungen des eigentlichen Konzernhaftungsrechts
3.7. Zusammenfassung
4. Vergleich prozessualer Bestimmungen zur Konzernhaftung
4.1. Allgemeines
4.2. Zuständigkeitsfragen
4.2.1. Gerichtsstand von Muttergesellschaften in Mutterländern
4.2.2. Gerichtsstände in Gastländern
4.2.2.1. Allgemeine Gastlandgerichtsstände
4.2.2.2. Gerichtsstand für Durchgriffs- und Konzernrechtsklagen
4.2.2.3. Gerichtsstände im Konzernaußenrecht, Verantwortlichkeitsrecht und Konkursrecht
4.3. Rechtshilfe und Vollstreckung
4.4. Zusammenfassung
5. Ergebnis
V. Die Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht
1. Allgemeines
2. Das materielle Konzernhaftungsrecht
2.1. Ausgangspunkt
2.2. Haftung der Konzernmutter als Aktionärin ihrer Tochter
2.2.1. Überblick
2.2.2. Der Haftungsdurchgriff
2.2.2.1. Allgemeines
2.2.2.2. Kategorien des Konzernhaftungsdurchgriffs
a) Unterkapitalisierung
b) Mißachtung von Formalitäten der Tochtergesellschaft und Vermögens- bzw. Sphärenvermischung
c) Institutsmißbrauch
d) Fremdsteuerung
2.2.2.3. Umwandlung von Mutterdarlehen in Anteilskapital als Zurechnungsdurchgriff
2.2.2.4. Zusätzliche allgemeine Durchgriffsvoraussetzungen
a) Nachweis eines Beherrschungstatbestands
b) Subsidiarität der Durchgriffshaftung
c) Kausalzusammenhang, Aktivlegitimation, Beweislast
2.2.3. Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen an die Muttergesellschaft
2.2.3.1. Rückerstattung von Dividenden und verdeckten Gewinnausschüttungen
2.2.3.2. Paulianische Anfechtung
2.2.4. Deliktische Ansprüche gegen die Konzernmuttergesellschaft aufgrund ihres Handelns als Aktionärin
2.2.4.1. Allgemeines
2.2.4.2. Rechtswidrige Ausübung des Stimmrechts
2.2.4.3. Verletzung von Treuepflichten des (Mehrheits-)Aktionärs
2.2.5. Zusammenfassung
2.3. Haftung der Konzernmutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter
2.3.1. Überblick
2.3.2. Rechtsfiguren des Verantwortlichkeitsrechts
2.3.2.1. Allgemeines
2.3.2.2. Faktische Organschaft
2.3.2.3. Doppelorganschaft
2.3.3. Parallele Verwendungsmöglichkeiten der faktischen Organschaft und der Doppelorgankonstruktion im Konzernkontext
2.3.3.1. Haftung aus faktischer Organschaft
a) Funktionale Rechtfertigung des Instituts
b) Haftungsvoraussetzungen
aa) Organqualität
bb) Pflichtwidrigkeit
cc) Verschulden
dd) Schaden
ee) Kausalzusammenhang
ff) Entlastung der Tochterverwaltung durch die Tochtergeneralversammlung?
2.3.3.2. Haftung aus Doppelorganschaft
2.3.4. Zusammenfassung
2.4. Haftung der Konzernmutter als Drittperson
2.4.1. Überblick
2.4.2. Drittpersonenhaftung gegenüber der Tochtergesellschaft
2.4.2.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten
a) Allgemeines
b) Das Problem der Doppelvertretung
c) Inhaltliche Schranken für Unternehmensverträge zwischen Konzerngesellschaften
d) Transfergeschäfte
2.4.2.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten
a) Allgemeines
b) Verletzung von Art. 27 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)
c) Verletzung des allgemeinen Gefahrensatzes
d) Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
e) Verletzung von Art. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)
2.4.2.3. Weiterführende Ansätze im Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag oder im Bereicherungsrecht?
a) Allgemeines
b) Geschäftsführung ohne Auftrag
c) Bereicherungsrecht
2.4.3. Drittpersonenhaftung gegenüber den Tochtergläubigern
2.4.3.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten
a) Allgemeines
b) Die Konzernmutter als Vertragspartei
c) Patronatserklärungen/Bürgschaften/Garantien
d) Haftung aus culpa in contrahendo
e) Vertragsumgehung
f) Vertragsrechtlicher Arbeitnehmerschutz
2.4.3.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten
a) Allgemeines
b) Widerrechtliches Handeln gemäß Art. 41 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)
c) Eingriffe in Forderungen Dritter
d) Geschäftsherrenhaftung gemäß Art. 55 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR)
e) Verletzung von Konzernvertrauen
2.4.4. Zusammenfassung
2.5. Zwischenergebnis
3. Konzernadäquater Ausbau der Organ- und Geschäftsherrenhaftung mittels sachgerechter Zuteilung der Beweislasten
3.1. Zur Beweislastverteilung im schweizerischen Recht
3.2. Konzernadäquater Ausbau der Organhaftung
3.2.1. Allgemeines
3.2.2. Die konzernrechtliche Organhaftung im einzelnen
3.2.2.1. Tochterkonkurs als Klagevoraussetzung
3.2.2.2. Schadensnachweis durch die Tochtergläubiger
3.2.2.3. Nachweis einheitlicher Leitung durch die Tochtergläubiger
3.2.2.4. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesellschaft
a) Beweis der Nichtexistenz eines qualifizierten Konzerns
b) Entlastung durch Beweis der fehlenden Verletzung von Sorgfaltspflichten bzw. des fehlenden Verschuldens
c) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität
d) Teilweise Entlastung durch Beweis der Verursachung eines bloß begrenzten Gläubigerschadens
3.3. Konzernadäquater Ausbau der Geschäftsherrenhaftung
3.3.1. Allgemeines
3.3.2. Die konzernrechtliche Geschäftsherrenhaftung im einzelnen
3.3.2.1. Nachweis einer widerrechtlichen und kausalen Schädigung durch die Tochtergesellschaft
3.3.2.2. Nachweis einheitlicher Leitung
3.3.2.3. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesellschaft
a) Beweis der fehlenden einheitlichen Leitung im Zeitraum der Schädigung
b) Entlastung durch Beweis des fehlenden funktionellen Zusammenhangs zwischen der einheitlichen Leitung und der Schädigung durch die Tochter
d) Entlastung durch Beweis der Anwendung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt
e) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität
3.4. Zwischenergebnis
4. Das internationale Privatrecht im Bereich der Konzernhaftung
4.1. Allgemeines
4.2. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Tochterstatuts
4.3. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Organhaftung
4.4. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung
4.5. Kollisionsregeln des Konzernaußenrechts
4.6. Kollisionsrecht der Durchgriffshaftung
4.7. Kollisionsrecht der paulianischen Anfechtungsklage
4.8. Zwischenergebnis
5. Das internationale Zivilprozeßrecht im Bereich der Konzernhaftung
5.1. Allgemeines
5.2. Internationales Gerichtsstandsrecht
5.2.1. Allgemeines
5.2.2. Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Organhaftung
5.2.3. Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung
5.2.4. Konzernaußenrechtliche Klagen
5.2.5. Durchgriffsklagen
5.2.6. Paulianische Anfechtungsklagen
5.2.7. Zwischenergebnis
5.3. Vollstreckung ausländischer Haftungsurteile gegen Multinationale Konzerne in der Schweiz
6. Ergebnis
VI. Der typische Fall der Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht
1. Allgemeines
2. Gerichtsstandsfrage
3. Anwendbares Recht
4. Materielle Rechtsinstitute
4.1. Haftung der Mutter als Aktionärin ihrer Tochter
4.2. Haftung der Mutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter
4.3. Haftung der Mutter als Drittperson
5. Rechtshilfe und Vollstreckung
VII. Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE): Herausgeber: Bundesverfassungsgerichts, Mitglieder des
 3161464618, 9783161603136, 3161464613, 9783161464614

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Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 59 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Professor Dr. Ulrich Drobnig, Professor Dr. Hein Kötz und Professor Dr. Dr. h.c. Ernst-Joachim Mestmäcker

Sachgerechte Haftungsregeln für Multinationale Konzerne Zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften im Kontext internationaler Märkte

von

Karl Hofstetter

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hofstetter, Karl A.: Sachgerechte Haftungsregeln für multinationale Konzerne : zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften im Kontext internationaler Märkte / von Karl Hofstetter. Tübingen : Mohr, 1995 (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht ; 59) ISBN 3-16-146461-8 / eISBN 978-3-16-160313-6 unveränderte eBook-Ausgabe 2022 NE:GT

© ]. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo gesetzt, in einer Auflage von 450 Exemplaren auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein, Pforzheim gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0340-6709

Meiner Frau Rita und meinen Kindern, Ella-Maria, Selina, Silvan.

the understandig of lawyers as to the MNE (sc. multinational enterprise) is often unsophisticated and erroneous, for there has been no merger between law and economics ..." (Detlev Vagts, The Multinational Enterprise: A New Challenge For Transnatio­ nal Law, 83 Harv. L. Rev. 739, 744 [1970])

Vorwort Die Multinationalen Konzerne (MNK) gehören zu den Hauptakteuren des mo­ dernen Wirtschaftslebens. Exxon, General Motors, Daimler-Benz, Nestle und Mitsubishi sind aus der Weltwirtschaft kaum mehr wegzudenken. Sie alle weisen mindestens drei Gemeinsamkeiten auf: 1. Größe, 2. Internationalität und 3. Struk­ turen, welche die Unternehmen in Dutzende oder gar Hunderte von Einzelgesellschäften mit Haftungsbeschränkung aufspalten: In typischen MNK-Haftungsfällen stellt sich entsprechend stets die Frage, ob und wie (ausländische) Konzernmut­ tergesellschaften für ihre Töchter einzustehen haben. Nebst einer (subsidiären oder solidarischen) Direkthaftung gegenüber den Tochtergläubigern ist immer auch an eine indirekte Haftung, d.h. eine bloße Verantwortlichkeit gegenüber den Tochtergesellschaften zu denken. Rechtstechnisch verwirklichen lassen sich Kon­ zernmutterhaftungen mittels verschiedener Rechtsinstitute. Innerhalb des hier aus­ schließlich interessierenden Zivilrechts stehen Konzern-, Gesellschafts-, Kon­ kurs-, Vertrags- und Deliktsrecht im Vordergrund. Die MNK-Haftungsproblematik wurde bisher vielerorts, unter anderem auch in der Schweiz, kaum ernsthaft thematisiert. Es fehlte insbesondere eine die mate­ riell- und internationalrechtlichen Fragen gemeinsam umspannende wirtschafts­ rechtliche Gesamtkonzeption. Die vorliegende Arbeit stellt deshalb den Versuch dar, im schweizerischen Recht einen solchen Ansatz zu entfalten. Die Recher­ chen wurden im wesentlichen Ende 1990 abgeschlossen. Wichtige nationale und internationale Entwicklungen wurden aber bis 1994 berücksichtigt. Die Schrift, welche von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich als Habilitationsarbeit entgegengenommen wurde, ist in erster Linie Frucht eines zweijährigen Forschungsstipendiums des Schweizerischen National­ fonds. Ich erhielt dadurch Gelegenheit zu einem rund einjährigen Aufenthalt an der Harvard Law School und zu wertvollen Kontakten mit Prof. Detlev Vagts, Dean Robert Clark, Prof. Reinier Kraakman, Prof. Steven Shavell sowie Vice Dean David Smith. Das zweite Forschungsjahr brachte mich und meine Familie zurück in die Schweiz nach Luzern. Ich arbeitete aber auch während dieser Zeit für je zwei Monate am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung in Lausan­ ne sowie am Europäischen Universitätsinstitut in Florenz. Vor allem der Aufent­ halt in Florenz bei Prof. Gunther Teubner brachte mir wesentliche weiterführende Anregungen. Allen genannten Personen und Institutionen gebührt mein aufrichtiger Dank. Ganz besonders danken möchte ich zudem Prof. Walter Schluep (Universität Zü­ rich), welcher die Arbeit in stets motivierender Weise betreute. Sein Schaffen war für mich der entscheidende Anreiz, um zeitweise aus der rechtspraktischen Tätig­

keit auszusteigen und mich diesem Projekt zu widmen. Auch den Herren Professo­ ren Roger Zäch und Kurt Siehr (beide Universität Zürich) danke ich für ihre Hin­ weise. Dank gebührt überdies meinen Sekretärinnen, allen voran Frau Regina Bütschi, welche die Schreibarbeiten betreuten. Die Schindler Management AG, für welche ich seit Herbst 1990 vollamtlich als Rechtskonsulent (heute in der Funk­ tion des General Counsel) tätig bin, stellte in großzügiger Weise ihre Infrastruktu­ ren zur Verfügung. Die Zentralbibliothek Luzern gewährte mir zeitweise einen Ar­ beitsplatz und steten Zugang zu ihrem vorbildlichen Bücherdienst. Mit den Her­ ren Professoren Klaus Hopt (Universität München), Raymond Vernon und Ar­ thur von Mehren (beide Harvard University) hatte ich wichtige Gespräche. Hilfrei­ che Informationen wurden mir freundlicherweise auch von Herrn Dr. Bruno Mai­ er (Rechtsabteilung Hoffmann-La Roche, Basel) zur Verfügung gestellt. Schließ­ lich möchte ich dem Schweizerischen Nationalfonds und der Josef Schmid Stif­ tung, Luzern, für ihre Schreib- bzw. Druckbeiträge danken.

Luzern, Dezember 1994

Karl Hofstetter

Inhaltsübersicht Vorwort ............................................................................................................ VII Abkürzungsverzeichnis.............................................................................. XX

I. Problematik und Vorgehen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Allgemeines ................................................................................................... 1 Zum Phänomen des Multinationalen Konzerns.................................. 3 Zum Entwicklungsstand des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne .. 22 Beispiele zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne......... 26 Generalisierung des Problems der Haftung Multinationaler Konzerne ... 44 Ergebnis ......................................................................................................... 46

II. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Bezugssystem des schweizerischen Haftungsrechts Multinationaler Konzerne 1. 2.

Allgemeines ................................................................................................... 48 Die Frage der Haftung Multinationaler Konzerne als Problem des interna­ tionalen Wirtschaftsrechts........................................................................... 48 3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung als Grundordnung des interna­ tionalen Wirtschaftsrechts der Schweiz.................................................... 51 4. Beiträge der Internationalen Wirtschaftsverfassung zur Haftungsproble­ matik Multinationaler Konzerne................................................................ 52 5. Ergebnis ......................................................................................................... 68

III. Das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne als Funktion internationaler Effizienz 1. 2. 3. 4.

Allgemeines ................................................................................................... 69 Internationale Effizienz als Schlüsselkonzept............................................. 69 Effizienzanalyse des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne............... 74 Relativierung des Effizienzkonzepts für das Haftungsrecht Multinationa­ ler Konzerne................................................................................................. 105 5. Die funktionale Methode als Mittel zur rechtlichen Umsetzung ökono­ mischer Systemzusammenhänge ................................................................ 113 6. Ergebnis .......................................................................................................... 117

IV.

1. 2.

Rechtsvergleichende Bestandesaufnahme geltender Rechte zur Haftung Multinationaler Konzerne

Allgemeines ................................................................................................... Vergleich materieller Konzernhaftungsrechte.............................................

119 121

3. 4. 5.

Vergleich von Kollisionsrechtsnormen zur Konzernhaftung.................... Vergleich prozessualer Bestimmungen zur Konzernhaftung.................... Ergebnis ..........................................................................................................

160 168 173

V. Die Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht Allgemeines ................................................................................................... 175 Das materielle Konzernhaftungsrecht........................................................ 175 Konzernadäquater Ausbau der Organ- und Geschäftsherrenhaftung mit­ tels sachgerechter Zuteilung der Beweislasten........................................... 230 4. Das internationale Privatrecht im Bereich der Konzernhaftung............. 245 5. Das internationale Zivilprozeßrecht im Bereich der Konzernhaftung .... 251 6. Ergebnis.......................................................................................................... 255 1. 2. 3.

VI. Der typische Fall der Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht 1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeines ................................................................................................... Gerichtsstandsfrage........................................................................................ Anwendbares Recht..................................................................................... Materielle Rechtsinstitute............................................................................ Rechtshilfe und Vollstreckung.......................................

256 256 256 257 258

VII. Zusammenfassung der Ergebnisse..............................................

260

Literaturverzeichnis ........................................................................................ Sachregister........................................................................................................

263 306

Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................ Abkürzungsverzeichnis....................................................................................

VII XX

I. Problematik und Vorgehen Allgemeines ................................................................................................... 1 Zum Phänomen des Multinationalen Konzerns........................................ 3 2.1. Der Multinationale Konzern als wirtschaftliche Organisationsform .. 3 2.1.1. Zum Begriff des Multinationalen Konzerns...... 3 2.1.2. Multinationale Konzerne und Auslandsdirektinvestitionen ...5 2.2. Geschichtliches ..................................................................................... 6 2.3. Mikro- und makroökonomische Bezüge des Multinationalen Kon­ zerns ................................................................................................... 8 2.3.1. Wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsversuche für Auslands­ direktinvestitionen und Multinationale Konzerne..................... 8 2.3.2. Volkswirtschaftliche Auswirkungen Multinationaler Konzer­ ne im einzelnen.................................................................. 11 2.4. Der Multinationale Konzern als politisch-kulturelles Phänomen .... 13 2.5. Organisation und Aufbau von Multinationalen Konzernen......... 15 2.5.1. Zur juristischen Struktur von Multinationalen Konzernen ... 2.5.2. Zur wirtschaftlichen Struktur von Multinationalen Konzernen................................................................................................... 16 2.6. Multinationale Konzerne und die Schweiz.................................... 20 2.6.1. Zur Auslandsaktivität schweizerischer Konzerne....... 20 2.6.2. Zur Aktivität ausländischer Konzerne in der Schweiz.............. 21 3. Zum Entwicklungsstand des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne . . 22 3.1. Allgemeines........................................................................................ 22 3.2. Völkerrecht........................................................................................ 23 3.3. Nationale Rechte............................................................................... 23 3.4. Folgerungen aus dem Fehlen kohärenter Haftungsrechtsregelungen für Multinationale Konzerne.......................................................... 26 4. Beispiele zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne............... 26 4.1. Allgemeines....................................................................................... 26 4.2. Der Fall Bhopal................................................................................. 27 4.3. Der Fall Amoco Cadiz...................................................................... 31 4.4. Der Fall Seveso................................................................................... 34 4.5. Der Fall Deltec (Compania Swift de La Plata)............................... 38 4.6. Der Fall Badger................................................................................. 41

1. 2.

15

4.7. Der Fall Firestone.................................................................... 43 Generalisierung des Problems der Haftung Multinationaler Konzerne... 44 5.1. Allgemeines............................................................................. 44 5.2. Der typische Haftungsfall....................................................... 44 5.3. Bezugsebenen der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne. 45 6. Ergebnis .......................................................................................................... 46 5.

II. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Bezugssystem des schweizerischen Haftungsrechts Multinationaler Konzerne Allgemeines ................................................................................................... 48 Die Frage der Haftung Multinationaler Konzerne als Problem des interna­ tionalen Wirtschaftsrechts........................................................................... 48 3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung als Grundordnung des interna­ tionalen Wirtschaftsrechts der Schweiz.................................................... 51 4. Beiträge der Internationalen Wirtschaftsverfassung zur Haftungsproble­ matik Multinationaler Konzerne............................................................... 52 4.1. Allgemeines........................................................................................ 52 4.2. Die völkerrechtlich umrahmten Weltwirtschaftsstrukturen......... 52 4.2.1. Die allgemeine Weltwirtschaftsordnung..................... 52 4.2.2. Weltwirtschaftsordnung der Direktinvestitionen?..... 55 4.2.3. Weitere völkerrechtliche Rahmenbedingungen....... 59 4.2.4. Vorgaben des Völkerrechts an die Internationale Wirtschafts­ verfassung der Schweiz....................................................... 60 4.3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Spiegel weltwirtschaftlicher Strukturen ...................................................... 61 4.3.1. Wohlstandssteigerung durch weltmarktlichen Wettbewerb als Topos der Internationalen Wirtschaftsverfassung............ 61 4.3.2. Inhalt der Internationalen Wirtschaftsverfassung im Bereich der internationalen Direktinvestitionen............................ 64 4.3.3. Ziel eines wettbewerbsfähigen Haftungsrechts für Multinatio­ nale Konzerne .................................................................... 67 5. Ergebnis.......................................................................................................... 68 1. 2.

III. Das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne als Funktion internationaler Effizienz 1. 2.

Allgemeines ................................................................................................... Internationale Effizienz als Schlüsselkonzept............................................. 2.1. Positive Fundamente des Effizienzkonzepts.................................... 2.2. Normative Auswirkungen des Effizienzkonzepts........................... 3. Effizienzanalyse des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne............... 3.1. Das Effizienzkonzept als Brücke zur Ökonomischen Analyse des Rechts................................................................................................. 74 3.2. Das Unternehmenskonzept der Ökonomischen Analyse des Rechts .

69 69 69 73 74

75

Effizienz des Prinzips beschränkter Haftung................................. 77 3.3.1. Stand der bisherigen Diskussion................................... 77 3.3.2. Effizienzkriterien zur Haftung Multinationaler Konzerne .... 3.3.3. Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften Multinatio­ naler Konzerne als Mittel zur Internalisierung politischer Risi­ ken ................................................................................................... 83 3.4. Kategorien effizienter Ausnahmen zum Prinzip der Haftungsbe­ schränkung von Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne ... 89 3.4.1. Allgemeines.................................................................... 89 3.4.2. Haftung der Konzernmutter als Anteilseignerin....... 90 3.4.3. Haftung der Konzernmutter bei Übernahme von Manage­ mentfunktionen ihrer Tochter........................................... 91 3.4.4. Haftung der Konzernmutter aus (isolierbarem) Drittverhalten gegenüber Tochtergläubigern........................................... 93 3.5. Sonderkonzernhaftungsrechte für bestimmte Gläubigergruppen ....97 3.6. Materiellrechtliche Gleichbehandlung von Multinationalen Konzer­ nen und rein nationalen Konzerngebilden............................................. 99 3.7. Effiziente Kollisions- und Prozeßrechtsregeln im Bereich der Haf­ tung Multinationaler Konzerne................................................................ 100 3.7.1. Allgemeines....................................................................... 100 3.7.2. Effizientes internationales Privatrecht im Konzernhaftungsbe­ reich ...................................................................................... 101 3.7.3. Effizientes internationales Zivilprozeßrecht im Konzernhaf­ tungsbereich ......................................................................... 104 4. Relativierung des Effizienzkonzepts für das Haftungsrecht Multinationa­ ler Konzerne................................................................................................. 105 4.1. Allgemeines....................................................................................... 105 4.2. Modellbedingungen der Ökonomischen Analyse des Rechts.... 106 4.3. Systemtheoretische Einordnung der Ökonomischen Analyse des Rechts........................................................................................................ 110 4.3.1. Die Ökonomische Analyse des Rechts als Mittel zum An­ schluß des Rechtssystems ans Wirtschaftssystem....................... 110 4.3.2. Auswirkungen im Konzernhaftungsrecht................... 111 4.3.3. Zwischenergebnis ......................................................... 112 5. Die funktionale Methode als Mittel zur rechtlichen Umsetzung ökono­ mischer Systemzusammenhänge ............................................................... 113 6. Ergebnis ......................................................................................................... 117

3.3.

IV. Rechtsvergleichende Bestandesaufnahme geltender Rechte zur Haftung Multinationaler Konzerne 1. 2.

Allgemeines ................................................................................................... Vergleich materieller Konzernhaftungsrechte............................................. 2.1. Rechtslage in Deutschland.............................................................. 2.1.1. Allgemeines....................................................................

119 121 121 121

81

2.1.2.

Das kodifizierte Aktienkonzernrecht.......................... Allgemeines................................................................... Eingliederungskonzerne ............................................. Vertragskonzerne.......................................................... Faktische Konzerne...................................................... 2.1.3. Das ungeschriebene Konzernrecht............................. 2.1.3.1. Allgemeines................................................................... 2.1.3.2. Konzernhaftungsrechtliche Neuansätze.................... 2.1.3.3. Konzernorganisationsrechtliche Neuansätze ........... 2.1.4. Gemeinrechtliche Haftungsansätze............................. 2.1.5. Sonderregelungen für internationale Konzerne........ Rechtslage in Frankreich............................................................... 2.2.1. Allgemeines................................................................... 2.2.2. Konkursrecht................................................................. 2.2.2.1. Verlustdeckungsklage (action en comblement de passif)....................................................................... 2.2.2.2. Konkurskonsolidierung (action en extension)........... 2.2.3. Gemeinrechtliche Haftungsansätze............................. 2.2.4. Konzernarbeitsrecht..................................................... Rechtslage in der Europäischen Union ........................................ 2.3.1. Allgemeines................................................................................. 2.3.2. Der Vorentwurf für eine Konzernrichtlinie (9. Richtlinie) . . . . 2.3.3. Der Statutsvorschlag für eine Europäische Aktiengesellschaft (SE-Statut)........................................................................... Rechtslage in den Vereinigten Staaten........................................... 2.4.1. Allgemeines................................................................... 2.4.2. Durchgriftsrecht (piercing the corporate veil).......... 2.4.2.1. Allgemeines................................................................... 2.4.2.2. Theorien der Durchgriffsrechtsprechung in den USA................................................................... a) Die instrumentality-Doktrin.................................. b) Die alter ego-Doktrin............................................. c) Die agency-Doktrin............................................... 2.4.2.3. Einzelheiten zur Durchgriffsrechtsprechung in den USA................................................................... 2.4.3. Funktionale Äquivalente der Durchgriffshaftung...... 2.4.3.1. Allgemeines................................................................... 2.4.3.2. Konkursrecht................................................................. a) Fraudulent conveyance/voidable preference......... b) Equitable Subordination.......................................... c) Andere Institute........................................................ 2.4.3.3. Konzernaußenrecht...................................................... 2.4.3.4. Konzernmutterhaftung in Sonderrechtsbereichen . . . Großbritannien ............................................................................... 2.1.2.1. 2.1.2.2. 2.1.2.3. 2.1.2.4.

2.2.

2.3.

2.4.

2.5.

121 121 121 122 124 127 127 127 129 130 132 132 132 133 133 134 134 135 136 136 136

140 141 141 142 142 142 143 143 143

144 146 146 146 146 147 148 148 149 150

2.6. 2.7. 2.8.

Italien ................................................................................................. Österreich.......................................................................................... Liechtenstein......................................................................................

2.9.

Holland...........................................................................................

151 153 155 155 156 156 157 158 160 160 160 161 163

2.10. Portugal............................................................................................ 2.11. Brasilien............................................................................................ 2.12. Andere Staaten................................................................................. 2.13. Zusammenfassung.......................................................................... 3. Vergleich von Kollisionsrechtsnormen zur Konzernhaftung.................... 3.1. Allgemeines............................................................................................ 3.2. Das Personalstatut von Tochtergesellschaften...................................... 3.3. Anknüpfungen des Durchgriffs............................................................ 3.4. Anknüpfungen konzernaußenrechtlicher Haftungsfiguren ............. 3.5. Anknüpfungen konkurs- bzw. verantwortlichkeitsrechtlicher Kon­ zernhaftungsfiguren .......................................................................... 164 3.6. Anknüpfungen des eigentlichen Konzernhaftungsrechts................. 166 3.7. Zusammenfassung................................................................................. 168 4. Vergleich prozessualer Bestimmungen zur Konzernhaftung.................... 168 4.1. Allgemeines........................................................................................ 168 4.2. Zuständigkeitsfragen ........................................................................ 169 4.2.1. Gerichtsstand von Muttergesellschaften in Mutterländern169 . . . . 4.2.2. Gerichtsstände in Gastländern....................................... 170 4.2.2.1. Allgemeine Gastlandgerichtsstände .......................... 170 4.2.2.2. Gerichtsstand für Durchgriffs- und Konzernrechtskla­ 171 gen . . ................................................................ 4.2.2.3. Gerichtsstände im Konzernaußenrecht, Verantwort­ lichkeitsrecht und Konkursrecht...................... 172 4.3. Rechtshilfe und Vollstreckung........................................................ 172 4.4. Zusammenfassung............................................................................. 173 5. Ergebnis......................................................................................................... 173

V. Die Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht 1. 2.

Allgemeines ................................................................................................... Das materielle Konzernhaftungsrecht........................................................ 2.1. Ausgangspunkt................................................................................... 2.2. Haftung der Konzernmutter als Aktionärin ihrer Tochter........... 2.2.1. Überblick......................................................................... 2.2.2. Der Haftungsdurchgriff................................................ 2.2.2.1. Allgemeines................................................................... 2.2.2.2. Kategorien des Konzernhaftungsdurchgriffs............. a) Unterkapitalisierung............................................... b) Mißachtung von Formalitäten der Tochtergesell­ schaft und Vermögens- bzw. Sphärenvermischung . c) Institutsmißbrauch .................................................

175 175 175 177 177 177 177 179 180 181 182

d) Fremdsteuerung ...................................................... 183 2.2.2.3. Umwandlung von Mutterdarlehen in Anteilskapital als ......................................... ............................... 184 2.2.2.4. Zusätzliche allgemeine Durchgriffsvoraussetzungen . . 185 a) Nachweis eines Beherrschungstatbestands.............. 185 b) Subsidiarität der Durchgriffshaftung........ 186 c) Kausalzusammenhang, Aktivlegitimation, Beweis­ last ............................................................ 186 2.2.3. Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen an die Mutter­ ................................................................................................ 187 2.2.3.1. Rückerstattung von Dividenden und verdeckten Ge­ winnausschüttungen ........................................ 187 2.2.3.2. Paulianische Anfechtung.............................................. 188 2.2.4. Deliktische Ansprüche gegen die Konzernmuttergesellschaft aufgrund ihres Handelns als Aktionärin............................ 190 2.2.4.1. Allgemeines.................................................................... 190 2.2.4.2. Rechtswidrige Ausübung des Stimmrechts................ 191 2.2.4.3. Verletzung von Treuepflichten des (Mehrheits-)Aktio191 närs..................................................................... 2.2.5. Zusammenfassung ........................................................ 192 2.3. Haftung der Konzernmutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter .... 193 2.3.1. Überblick........................................................................ 193 2.3.2. Rechtsfiguren des Verantwortlichkeitsrechts............. 193 2.3.2.1. Allgemeines.................................................................... 193 2.3.2.2. Faktische Organschaft.................................................. 194 2.3.2.3. Doppelorganschaft........................................................ 195 2.3.3. Parallele Verwendungsmöglichkeiten der faktischen Organ­ schaft und der Doppelorgankonstruktion im Konzernkontext. 196 197 2.3.3.1. Haftung aus faktischer Organschaft........................... a) Funktionale Rechtfertigung des Instituts. 197 b) Haftungsvoraussetzungen .......................... 197 aa) Organqualität ...................................................... 197 bb) Pflichtwidrigkeit.................................................. 198 cc) Verschulden ........................................................ 199 dd) Schaden ............................................................... 199 ee) Kausalzusammenhang......................................... 200 ff) Entlastung der Tochterverwaltung durch die Tochtergeneralversammlung? .................... 200 2.3.3.2. Haftung aus Doppelorganschaft.................................. 201 2.3.4. Zusammenfassung ........................................................ 203 2.4. Haftung der Konzernmutter als Drittperson................................ 205 2.4.1. Überblick........................................................................ 205 2.4.2. Drittpersonenhaftung gegenüber der Tochtergesellschaft206 .... 2.4.2.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten................ 206

a) Allgemeines ............................................................. 206 b) Das Problem der Doppelvertretung...................... 207 c) Inhaltliche Schranken für Unternehmensverträge zwischen Konzerngesellschaften ......................... 207 d) Transfergeschäfte...................................................... 209 2.4.2.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten.................. 210 a) Allgemeines ............................................................. 210 b) Verletzung von Art. 27 des Schweizerischen Zivil­ gesetzbuches (ZGB) ............................................. 210 c) Verletzung des allgemeinen Gefahrensatzes......... 211 d) Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlaute­ ren Wettbewerb (UWG)....................................... 213 e) Verletzung von Art. 2 des Schweizerischen Zivilge­ 213 setzbuches (ZGB) .................................................. 2.4.2.3. Weiterführende Ansätze im Recht der Geschäftsfuhrung ohne Auftrag oder im Bereicherungsrecht?......... 214 a) Allgemeines ............................................................. 214 b) Geschäftsführung ohne Auftrag............................. 214 c) Bereicherungsrecht.................................................... 215 2.4.3. Drittpersonenhaftung gegenüber den Tochtergläubigern217 .... 2.4.3.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten............... 217 a) Allgemeines ............................................................. 217 b) Die Konzernmutter als Vertragspartei.................... 217 c) Patronatserklärungen/Bürgschaften/Garantien . . . 219 d) Haftung aus culpa in contrahendo........................... 219 221 e) Vertragsumgehung .................................................... f) Vertragsrechtlicher Arbeitnehmerschutz................ 221 222 2.4.3.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten................. a) Allgemeines ............................................................. 222 b) Widerrechtliches Handeln gemäß Art. 41 des 222 Schweizerischen Obligationenrechts (OR)....... c) Eingriffe in Forderungen Dritter........................... 223 d) Geschäftsherrenhaftung gemäß Art. 55 des Schwei­ zerischen Obligationenrechts (OR).................... 225 e) Verletzung von Konzernvertrauen......................... 227 2.4.4. Zusammenfassung.......................................................... 228 2.5. Zwischenergebnis ............................................................................. 229 3. Konzernadäquater Ausbau der Organ- und Geschäftsherrenhaftung mit­ 230 tels sachgerechter Zuteilung der Beweislasten........................................... 3.1. Zur Beweislastverteilung im schweizerischen Recht.................... 230 3.2. Konzernadäquater Ausbau der Organhaftung............................... 231 3.2.1. Allgemeines..................................................................... 231 3.2.2. Die konzernrechtliche Organhaftung im einzelnen... 233 3.2.2.1. Tochterkonkurs als Klagevoraussetzung.................... 233

3.2.2.2. 3.2.2.3.

Schadensnachweis durch die Tochtergläubiger......... 233 Nachweis einheitlicher Leitung durch die Tochter­ gläubiger ............................................................ 233 3.2.2.4. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesell­ schaft ................................................................... 235 a) Beweis der Nichtexistenz eines qualifizierten Kon­ zerns ............................................................................. 235 b) Entlastung durch Beweis der fehlenden Verletzung von Sorgfaltspflichten bzw. des fehlenden Verschul­ dens ........................................................................ 236 c) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität...... 238 d) Teilweise Entlastung durch Beweis der Verursa­ chung eines bloß begrenzten Gläubigerschadens . . 239 3.3. Konzernadäquater Ausbau der Geschäftsherrenhaftung............... 239 3.3.1. Allgemeines.................................................................... 239 3.3.2. Die konzernrechtliche Geschäftsherrenhaftung im einzelnen . 240 3.3.2.1. Nachweis einer widerrechtlichen und kausalen Schä­ digung durch die Tochtergesellschaft,........................... 240 3.3.2.2. Nachweis einheitlicher Leitung,.................................. 241 3.3.2.3. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesell­ schaft, ................................................................. 242 a) Beweis der fehlenden einheitlichen Leitung im Zeitraum der Schädigung.................................... 242 b) Entlastung durch Beweis des fehlenden funktionel­ len Zusammenhangs zwischen der einheitlichen Leitung und der Schädigung durch die Tochter . . . 242 d) Entlastung durch Beweis der Anwendung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt........... 243 e) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität....... 244 3.4. Zwischenergebnis ............................................................................ 244 4. Das internationale Privatrecht im Bereich der Konzernhaftung............. 245 4.1. Allgemeines........................................................................................ 245 4.2. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Tochterstatuts......................... 246 4.3. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Organhaftung............... 247 4.4. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung .... 247 4.5. Kollisionsregeln des Konzernaußenrechts...................................... 248 Kollisionsrecht der Durchgriffshaftung........................................... 249 4.6. 4.7. Kollisionsrecht der paulianischen Anfechtungsklage.................... 250 4.8. Zwischenergebnis ............................................................................. 250 5. Das internationale Zivilprozeßrecht im Bereich der Konzernhaftung .... 251 5.1. Allgemeines........................................................................................ 251 5.2. Internationales Gerichtsstandsrecht ............................................... 251 5.2.1. Allgemeines.................................................................... 251 5.2.2. Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Organhaftung......... 252

Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaf­ tung ...................................................................................... 5.2.4. Konzernaußenrechtliche Klagen................................... 5.2.5. Durchgriffsklagen............................................................ 5.2.6. Paulianische Anfechtungsklagen.................................. 5.2.7. Zwischenergebnis ......................................................... 5.3. Vollstreckung ausländischer Haftungsurteile gegen Multinationale Konzerne in der Schweiz................................................................. 6. Ergebnis..........................................................................................................

5.2.3.

252 252 253 253 254 254 255

VI. Der typische Fall der Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht 1. 2. 3. 4.

Allgemeines ................................................................................................... Gerichtsstandsfrage........................................................................................ Anwendbares Recht..................................................................................... Materielle Rechtsinstitute............................................................................ 4.1. Haftung der Mutter als Aktionärin ihrer Tochter.......................... 4.2. Haftung der Mutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter............... 4.3. Haftung der Mutter als Drittperson................................................. 5. Rechtshilfe und Vollstreckung......................................................................

256 256 256 257 257 257 258 258

VII. Zusammenfassung der Ergebnisse...............................................

260

Literaturverzeichnis ........................................................................................ Sachregister........................................................................................................

263 306

Abkürzungsverzeichnis A.a.O./a.a.O. AcP ADI AG AJP Akron L. Rev. AktG Am. Econ Rev. Am. J. of Comp. Law Am. Jur. AöR ArbR ARSP ASEAN ASR Aufl. BankG BAWI BB BB1 Bd. Bez.Ger. BGE

BGer BGH BJM Boston U. Int. L. J. Brooklyn J. Int. L. BSP bzw. Cal. L. Rev. CC CEDIDAC Cin. L. Rev. DB DBW Del. J. of Corp. Law Den. J. of Int’l L. & Pol. d.h. Diss. DWiR DJT

Am angeführten Ort Archiv für die civilistische Praxis Auslandsdirektinvestitionen Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen Aktuelle Juristische Praxis Akron Law Review (deutsches) Aktiengesetz American Economic Review The American Journal of Comparative Law American Jurisprudence Archiv des öffentlichen Rechts Mitteilungen des Instituts für schweizerisches Arbeitsrecht Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Association of South East Asian Nations Abhandlungen zum schweizerischen Recht Auflage Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 Bundesamt für Außenwirtschaft Der Betriebs-Berater Bundesblatt Band (Schweiz.) Bezirksgericht Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Schweizerisches Bundesgericht (deutscher) Bundesgerichtshof Basler Juristische Mitteilungen Boston University International Law Journal Brooklyn Journal of International Law Bruttosozialprodukt beziehungsweise California Law Review (ital.) Codice Civile Centre du droit de l'entreprise de l’Universite de Lausanne Cincinnati Law Review Der Betrieb Der Betriebswirt Delaware Journal of Corporation Law

Denver Journal of International Law and Policy das heißt Dissertation Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Deutscher Juristentag

Duke J. Int’l L. E. Ebd./ebd. ECLR ed./ed. EFTA EG EGVÜ EMRK etc. EU EUI evtl. EuZW evtl. EWR E 2d FN F. Supp. Foreign Inv. L. J. GATT Geo. Wash. J. Int’l L. & Econ. GesRZ Giur. Comm. h.A. h.L. Harv. Bus. Rev. Harv. Int. L. J. Harv. L. Rev. HdSW HSG Hrsg. i.S. i.Z. ICLQ ICSID ILM ILO IMF Ind. Relations Law J. Int. Bus. Lawyer Int. Fin. Law Rev. Int. Lawyer Int. Tax & Bus. Law Iowa L. Rev. IPR IPRax IPRG

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Duke Journal of International Law Erwägung ebenda European Company Law Review edition/edition/editor(s) European Free Trade Association Europäische Gemeinschaft Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (Brüsseler Übereinkommen) von 1970 Europäische Menschenrechtskonvention etcetera Europäische Union European University Institute (Florenz) eventuell Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäischer Wirtschaftsraum Federal Reporter (Second) Fußnote Federal Supplement Foreign Investment Law Journal General Agreement on Tariffs and Trade

The George Washington Journal of International Law and Economics Der Gesellschafter Giurisprudenza Commerciale herrschende Auffassung herrschende Lehre Harvard Business Review Harvard International Law Journal Harvard Law Review Handwörterbuch der Sozialwissenschaften Handelshochschule St. Gallen Herausgeber im Sinne, in Sachen im Zusammenhang The International and Comparative Law Quarterly International Centre for the Settlement of Investment Disputes International Legal Materials International Labour Organisation International Monetary Fund Industrial Relations Law Journal International Business Lawyer International Financial Law Review The International Lawyer International Tax and Business Law Iowa Law Review Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts BG über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987 Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz Internationales Zivilprozeßrecht

J. Bus J. Fin. Econ. J. L. & Econ. J. Law Econ. & Org. J. of Bus. Law J. of Comp. Bus. & Cap. Market Law J. of Econ. Behav. and Org. J. of Int. Law & Econ. JuS JZ KJ KSZE

Journal Journal Journal Journal Journal

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Journal of Comparative Business and Capital Market Law Journal of Economic Behaviour and Organization Journal of International Law and Economics Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (heute OSZE) Law and Policy in International Business Liechtensteinische Juristenzeitung

L. & Pol. in Int. Bus. LJZ Loyola of Los Angeles Int. & Comp. L. J. Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Journal Lugano-Übereinkommen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die VollStreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssa­ chen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988 mit anderen Worten m.a.W. Man. L. J. Manitoba Law Journal Marq. L. Rev. Marquette Law Review Mich. L. Rev. Michigan Law Review Million (en) Mio. Multinationaler Konzern MNK MWSTV Verordnung über die Mehrwertsteuer vom 22. Juni 1994 N (Rand)-Note N. C. J. Int’l L. & Com. Reg. The North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation NFAE Neue Formen des Auslandsengagements NJW Neue Juristische Wochenschrift Northw. J. of Int. Law & Bus. Northwestern Journal of International Law and Business Nw. U. L. Rev. Northwestern University Law Review NZZ Neue Zürcher Zeitung OECD Organisation for Economic Cooperation and Development Organisation for European Economic Cooperation OEEC Ohio St. L. J. Ohio State Law Journal (deutsches) Oberlandesgericht OLG Bundesgesetz über das Obligationenrecht vom 30. März 1911 OR Oreg. L. Rev. Oregon Law Review ÖAR Ökonomische Analyse des Rechts OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (früher KSZE) ÖZW Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht PLI Practising Law Institute Pr Die Praxis des Bundesgerichts PrHG Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht vom 18. Juni 1993 RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RdW Rev. des Soc. Rev. jurisp. com. RIW Rnr SAG SFr. SchKG

sj SJIR SJZ SNB SSA SSHWR SSIR ST Sta. J. of Int. L. Sta L. Rev. StGB SyracuseJ. of Int. Law & Comm. SZW Tex. Int’l L. J. The Bus. Lawyer u.a. U. Chi. L. Rev. UNCTAD usw. U. Toronto L. Rev. UCLA Law Rev. UN u.U. UWG

Va. L. Rev. Vand. J. of Transnat’l L. vgl. Vol. WG WB1 WM WTO WuR Yale L. J. z.B. ZBJV ZfbF ZfOrg ZfRV ZGB ZGR

Österreichisches Recht der Wirtschaft Revue des Socits Revue de jurisprudence commerciale Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Schweizerische Aktiengesellschaft (neu: SZW) Schweizer Franken Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 Semaine judiciaire Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Schweizerische Juristenzeitung Schweizerische Nationalbank Schriften zum schweizerischen Arbeitsrecht Schweizer Schriften zum Handels- und Wirtschaftsrecht Schweizer Studien zum internationalen Recht Der Schweizer Treuhänder Stanford Journal of International Law Stanford Law Review Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 Syracuse Journal of International Law and Commerce Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (früher: SAG) Texas International Law Journal The Business Lawyer unter anderem The University of Chicago Law Review United Nations Conference on Trade and Development und so weiter University of Toronto Law Review University of California Los Angeles Law Review United Nations unter Umständen Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986 Virginia Law Review Vanderbilt Journal of Transnational Law vergleiche Volume BG über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908 Wirtschaftsrechtliche Blätter Wertpapier-Mitteilungen World Trade Organisation Wirtschaft und Recht Yale Law Journal zum Beispiel Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für betriebswissenschaftliche Forschung Zeitschrift für Organisation (neu: Zeitschrift Führung und Organisa­ tion) Zeitschrift für Rechtsvergleichung Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

XXIV ZHR ZIP

zit. ZPO ZSR

ZStrR z.Teil

ZVglRWiss.

Abkürzungsverzeichnis

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Schweizerisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht zum Teil Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

I. Problematik und Vorgehen 1. Allgemeines Im modernen Wirtschaftsrecht wird zunehmend mit Konzepten gearbeitet, wel­ che wirtschaftsrelevante Privat-1, Prozeß-2 oder Kollisionsrechtsfragen3 4gesamt­ wirtschaftlich funktionalisieren4. Dies trifft vor allem auf die Vereinigten Staaten5 und Deutschland6 zu. Auch in der Schweiz ist dank den wegweisenden Arbeiten Schlueps eine funktionale Wirtschaftsrechtsschule entstanden7. 1 Beispielhaft Schluep, Wirtschaftsrecht, 1 ff.; Baudenbacher, AGB, 74ff; mit zahlreichen Hin­ weisen auch Meier-Schatz, Unternehmenspublizität, 34 ff 2 Adams, Zivilprozeß, 2ff; Baudenbacher, Zivilprozeß, 161 ff; vgl. auch Adams, Rechts­ schutzversicherungen, 186ff. 3 Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 32ff; Siehr, Analyse, 269ff. 4 Mit kritischen Vorbehalten: Wohlmann, Auslegung, 461 ff; Druey, Buchbesprechungen, 118-119; Rehbinder, Gläubigerschutz, 97; Rehbinder M., Besprechung, 141; Niederhauser, Marktmacht, 43; vgl. auch Rittner, Wirtschaftsrecht, 24-25. 5 Hier ist es vor allem die Law and Econoniics-Schulc, welche sehr starken Einfluß auf das ameri­ kanische Wirtschaftsrecht, inklusive Privatrecht, ausübt. Allgemein: Posner, Economic, 3ff; Coase, Social, Iff; Calabresi/Melamed, 1089ff; Polinsky, Introduction, 11 ff; Cooter/Ulen, lff; Posner/Scott, passim; Coleman, Efficiency, 509ff; vgl. auch Cooter, Imperialism, 1260ff. Beiträge zur ökonomischen Analyse des Haftungsrechts: Posner, Economic, 147ff; Polinsky, Introduction, 37ff, 65ff, 95ff; Calabresi, Torts, 499ff.; Landes/Posner, lff; Shavell, Accident, lff; Schwartz, Proposals, 353ff; vgl. auch Siliciano, Corporate, 1820ff. Beiträge zur Haftung juristischer Personen: Posner, Economic, 367ff ; Clark, Corporate, 35 ff; Manne, Corporation, 359 ff; Posner, Creditors, 499 ff; Halpem/Trebilcock/Tumball, 117ff; Easterbrook/Fischel, 89ff; Note, Hazardous, 988ff; vgl. auch Leebron, Limited, 1565ff.; Kraakman, Liability, 857ff. 6 Im Gegensatz zur amerikanischen, berücksichtigt die ökonomisch-funktional argumentie­ rende deutsche Doktrin rechtsspezifische Gegebenheiten z. Teil stärker. Die moderne Diskussion vorbereitend bzw. einleitend: Böhm, Ordnung, 54ff; SchmidtRimpler, Grundfragen, 130ff; Schmidt-Rimpler, Wirtschaftsrecht, 686ff; Ballerstedt, Einfluß, 551 f.; Raiser/Sauermann/Schneider, passim; Raiser, Zukunft, 208ff; Mestmäcker, Recht, 455ff. und passim; Steindorff, Politik, 217ff; Steindorff, Steuerung, 621 ff; vgl. auch Wieacker, Sozialmodell, 18ff. Allgemeine Beiträge zu einer ökonomisch orientierten Analyse des Rechts: Schäfer/Ott, lff; Behrens, Grundlagen, lff; Assmann/Kirchner/Schanze, 3f., 21 ff, 75ff; Assmann/Brüggemeier/Hart/Joerges, 296ff. und passim; Hom, Rationalität, 397ff; Adams, Ökonomie, lff; Kübler, Effizienz, 687ff.; Neumann, Ansprüche, passim; Moritz, Wirtschaftsverfassung, lff; Mertens/ Kirchner/Schanze, 102 ff. Ergänzende Ansätze: Wiethölter, Privatrecht, 645ff; Wiethölter, Wirtschaftsrecht, 126ff; Hopt, Aspekte, 1017ff; Teubner, System, 149ff; Teubner, Governance, 149ff; Assmann, Wirt­ schaftsrecht, 278ff; vgl. auch Daintith/Teubner, 4ff; Reuter, Freiheitsethik, 199ff.

Der funktional-wirtschaftsrechtliche Ansatz vermochte die Diskussion zu Fra­ gen des Konzerns7 8 und der Konzernhaftung9 aber nur teilweise zu beeinflussen. Insbesondere das Phänomen des Multinationalen Konzerns (MNIC) wurde bislang kaum mit dieser Perspektive angegangen10. Auch bei der Verhandlung von MNKHaftungsfragen wurden Bezugnahmen auf übergreifende Gesichtspunkte der (in­ ternationalen) Wirtschaftsordnung meist vernachlässigt11. Zum Gesellschafts- und Konzemrecht allgemein: Kaiser, Konzembildung, 51 ff.; Pohmer, Konzemgestaltungen, 57ff; Kirchner, Konzemrecht, 214ff; Teubner, Unitas, Iff; Debus, Kon­ zemrecht, passim; vgl. auch Mestmäcker, Verhältnis, 455 ff; Kübler, Gesellschaftsrecht, 389ff; Kübler, Entwicklungstendenzen, 69ff; Kübler/Schmidt, lff Zum Haftungs- bzw. Konzemhaftungsrecht: Brüggemeier, Deliktsrecht, 385 ff; Brüggemei­ er, Produktehaftung, 51 lff; Adams, Verschuldenshaftung, passim; Lehmann, Durchgriff, 345 ff; Roth, Haftung, 371 ff; Teubner, Konzemhaftung, 261 ff; Adams, Eigentum, 47ff. 7 Schluep, Wirtschaftsrecht, lff; Schluep, Wettbewerb, 62ff; Schluep/Schürmann, 300ff; Schluep, Anmerkungen, 715ff; Schluep, Ueberbordungsgefahren, 177ff; Baudenbacher, Sugge­ stivwerbung, 134ff; Baudenbacher, AGB, 82f; Baudenbacher, Funktionszuwachs, 64ff; We­ ber, Wirtschaftsregulierung, 42ff; Meier-Schatz, Unternehmenspublizität, 39f.; Meier-Schatz, Entwicklung, 304-307; Meier-Schatz, Aufsichtsregeln, 192f.; Meier-Schatz, Handelsregister, 442f; Tschäni, Funktionswandel, 16ff; Hofstetter, Tariffähigkeit, 99ff; Schnyder, Wirtschafts­ kollisionsrecht, 32ff; Botschaft UWG, 1037ff. (dazu Baudenbacher, UWG, 15ff); vgl. auch Hotz, Analyse, 293ff; Kleinewefers, Theorie, 83ff; Weber, Vertragsrecht, 419ffi; Zäch, Ord­ nungsmacht, 186ff; Zäch, Privatrecht, 24ff; von der Crone, Rahmenverträge, 17ff, 25ff; Werlen, Grundlagen, 97ff. 8 In den USA hat z.B. Blumberg versucht, das amerikanische Konzemrecht (law of corporate groups) systematisch zusammenzufassen. Von einer (gesamtwirtschaftlich orientierten) Rechts­ theorie des Konzerns ist dieser Versuch aber weit entfernt; vgl. Blumberg I, 460-462; Blumberg II, 3-37,699-704; Blumberg III, 681-692; Blumberg IV, 119-124; vgl. auch Blumberg, Challenge, 65ff, und Blumberg/Straßer, 3ff. In Deutschland bemüht sich v.a. die (vorwiegend juristisch besetzte) Konzemverfassungsdis­ kussion um eine umfassende rechtliche Einordnung des Konzerns; vgl. Schneider, Konzemlei­ tung, 249ff; Hommelhoff, Konzemleitungspflicht, lff; Hommelhoff, Konzemmodelle, 107ff; Timm, Konzemspitze, lff; Teubner, Unitas, lff; Teubner, System, 149ff; vgl. auch den schwei­ zerischen Beitrag von Amstutz, Konzemorganisationsrecht, 349ff. und passim. 9 Z.B. Posner, Creditors, 499ff; Halpern/Trebilcock/Turnball, 117ff; Easterbrook/Fischel, 89ff; Clark, Corporate, 35ff; Kirchner, Konzemrecht, 214ff; Lehmann, Durchgriff, 345ff; De­ bus, Konzemrecht, lff; Kallfuß, Analyse, 19ff; Adams, Eigentum, 47ff; vgl. auch Koppensteiner, Rechtspolitisch, 80; Koch, Aspekte, passim. 10 Immerhin existieren zahlreiche Beiträge zu Rechtsfragen im Zusammenhang mit MNK; z.B. Vagts, Multinational, 729ff; Vagts, Review, 154ff; Aronofsky, Piercing, 31 ff; Wallace C., Control, 435ff; Hadari, Choice, lff; Wallace D., Investment, passim.; Chamey, Transnational, 748ff; Baade, Kollisionsrecht, 5ff; Tzouganatos, Means, 477ff; Note, Tried, 651 ff; Note, Bho­ pal, 25 lff; Bhopal-Symposium, 267ff; Großfeld, Unternehmensverfassung, 504ff; Großfeld, Unternehmensrecht, passim; Großfeld, Rechtsprobleme, 75ff; Großfeld, Internationalisierung, 106ff; Großfeld, Steuerrecht, 73ff; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 145ff; Harms, Rechtsproble­ me, 603ff; Behrens, Enteignungsrecht, 95ff; Hopt, Multinational, passim; Goldman/Franceskakis, 187ff; Wildhaber, Multinationale, 7 ff; Tiedemann, Strafrecht, passim; Birk, Aspekte, 29ff; Birk, Arbeitsrecht, 263ff; Ebenroth, Vermögenszuwendungen, 377ff; Ebenroth/Suva, 610ff; Mestmäcker, Multinationale, 543ff; Sandrock, IPR, 169ff; Koppensteiner, Gesellschaftsrecht, 92ff; Rehbinder, IPR, 122ff; Neumayer, Reflexions, 199ff; Weyer, Insolvenzschutz, 1506; Bayer/Buße/Lutter, passim; Lalive/Vischer, passim; Seminar SAV, passim; Immenga, Multina­ tional, passim; Symposium-Stanford, passim; Fatouros, Problemes, 495 ff.

Angesichts der weltwirtschaftlichen Bedeutung Multinationaler Konzerne ver­ mag das Fehlen überzeugender wirtschaftsrechtlicher Grundsätze zur MNK-Haftungsproblematik nicht zu befriedigen. Das gilt ganz besonders aus der Sicht der Schweiz. Ihr vielfältiger Bezug zur Tätigkeit Multinationaler Unternehmen ist no­ torisch. Fälle wie Seveso, Firestone und Schweizerhalle11 12 zeigen zudem auf, daß die Problematik der Haftung Multinationaler Konzerne auch hierzulande jederzeit ak­ tuell werden kann.

2. Zum Phänomen des Multinationalen Konzerns 2.1.

Der Multinationale Konzern als wirtschaftliche Organisationsform

2.1.1. Zum Begriff des Multinationalen Konzerns Der Ausdruck Multinationaler Konzern hat sich in den letzten zwanzig Jahren im modernen deutschen Sprachgebrauch etabliert. Als ursprünglich politischer Termi­ nus ist er nicht wissenschaftlich konzipiert. Seine juristische Bestimmung hat des­ halb wiederholt Mühe bereitet und bleibt umstritten13. Ähnliches läßt sich von dem im allgemeinen synonymisch verstandenen Begriff des Transnationalen Kon­ zerns sagen14. Man begnügt sich meist mit offenen Begriffsumschreibungen. So de­ finiert z.B. Wildhaber15: „Multinational ist ein Unternehmen von einer bestimmten Mindestgröße, das au­ ßerhalb seines Heimatstaates Produktions- oder Dienstleistungsbetriebe besitzt oder kontrolliert und diese seiner gemeinsamen Konzernstrategie eingliedert.“

Oft wird auch auf die OECD-Richtlinien für Multinationale Unternehmen ver­ wiesen, welche in den 70er Jahren erlassen wurden16. Diese weichen einer klaren Definition ebenfalls aus. Art. 8 der Richtlinien lautet in der deutschen Überset­ zung: 11 Vgl. Blumberg, Multinational, 1 ff; Vagts, Aspects, 181 ff; Behrens, Durchgriff, 331 ff; Lan­ gen, Haftung, lff; Laubacher, Haftungsproblematik, 42ff; Kaiser, Weltweit, 589ff; Schießl, Umstrukturierung, 513ff; weitergehend nun aber Hofstetter, Multinational, passim; allgemein recht weit fortgeschritten ist die Diskussion um die mikroökonomischen Bezüge des materiell­ rechtlichen Konzemhaftungsproblems; vgl. Blumberg III, 63ff, und die Hinweise vorne FN 9. 12 Zu diesen Fällen hinten 1.4.4. (Seveso) und 1.4.7. (Firestone). Die Rheinkatastrophe bei Schweizerhalle führte zwar nicht zu konzernhaftungsrechtlichen Problemen. Die Katastrophen­ natur des Unfalls brachte aber zumindest das Potential solcher Fragen an den Tag; vgl. zu Rechts­ problemen im Zusammenhang mit der Rheinverschmutzung durch Sandoz bei Schweizerhalle: Hinderling/Goepfert, 57ff. 13 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 145; vgl. die Hinweise zur Entstehung des Begriffs in Bulova Watch Co., Inc. v. K. Hattori & Co., Ltd., 508 F. Supp. 1322 (E.D.N.Y. 1981). 14 Ebenroth, Vermögenszuwendungen, lOff.; vgl. den geplanten UN-Kodex für Transnatio­ nale Unternehmen, welcher mit diesem Begriff operiert; hinten II.4.2.2. 15 Wildhaber, Multinationale, 62. 16 Verdroß/Simma, 269; Großfeld, Unternehmensrecht, 5f; Staudinger/Großfeld, Rnr 608; vgl. hinten II.4.2.2.

„Eine präzise rechtliche Definition der multinationalen Unternehmen ist für diese Leitsätze nicht erforderlich. Die multinationalen Unternehmen bestehen gewöhnlich aus Gesellschaften oder anderen Einheiten, die sich in privatem, staatlichem oder ge­ mischtem Eigentum befinden, in verschiedenen Ländern ansäßig und so miteinander verbunden sind, daß eine oder mehrere dieser Unter nehmensteile in der Lage sind, ei­ nen wesentlichen Einfluß auf die Tätigkeit der anderen Teile auszuüben und insbeson­ dere gemeinsam mit Ihnen über Kenntnisse und Ressourcen zu verfugen.“17

Vorausgesetzt ist danach die Aufteilung eines Unternehmens in mehrere Einhei­ ten, welche in verschiedenen Ländern lokalisiert, aber durch gemeinsame Kontrol­ le verzahnt sind. Der Multinationale Konzern wird damit von rein nationalen Un­ ternehmensgefügen unterschieden. Er wird aber auch abgegrenzt gegenüber trans­ nationalen Wirtschaftskonstrukten, welchen (idealtypisch) jegliches hierarchische Element fehlt. Hiezu gehören insbesondere rein vertragliche Beziehungen18 und Portfolioinvestitionen19. In der Definition der OECD-Richtlinien sind Elemente wie die Größe des Un­ ternehmens, die haftungsmäßige Abgrenzung der verschiedenen Unternehmens­ einheiten und eine allfällige Mindestzahl von Einzelgesellschaften und/oder Län­ derpräsenzen nicht enthalten. Ob auf solche und andere Aspekte sinnvollerweise Bezug zu nehmen ist, hängt in erster Linie vom Zweck eines MNK-Begriffes ab. Dieser besteht für die vorliegende Arbeit in der Schaffung eines sachadäquaten Aus­ gangspunktes zur Lösung des Problems der Haftung Multinationaler Konzerne. Weil sich die MNK-Haftungsfrage auf die Frage der zivilrechtlichen Verantwort­ lichkeit von Muttergesellschaften für ausländische Tochterunternehmen reduzie­ ren läßt20, darf vorliegend von einem Minimal-Tatbestand des Multinationalen Konzerns ausgegangen werden. Ein MNK besteht demnach aus einer in einem Mutterland ansäßigen Muttergesellschaft und einer in einem Gastland ansäßigen Tochter, welche durch Anteilsbesitz oder andere rechtliche Mechanismen beson­ ders eng miteinander verbunden sind. Weiter braucht dieser Ausgangstatbestand vorerst nicht spezifiziert zu werden. Differenzierungen, Ergänzungen und Schattie­ rungen können im Verlaufe der Arbeit nach Bedarf gezeichnet werden21. 17 Großfeld, Unternehmensverfassung, 514. 18 Differenzierend ist allerdings beizufügen, daß bekanntlich auch vertragliche Beziehungen zur Kontrollmacht der einen Vertragspartei über die andere führen können; vgl. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 146f; Teubner, Franchising, 295ff 19 D.h. rein passive Kapitalinvestitionen (Kredite, Minderheitsanteile), welche keine Kontroll­ macht über die getätigte Investition vermitteln; vgl. Hood/Young, 2f; Borner/Wehrle, 76£; Lindert/Kindleberger, 448; Barton/Fisher, 813ff 20 Auf Abwandlungen dieser Problematik, z.B. Fragen der Haftungsausdehnung auf Schwe­ stergesellschaften oder der Haftung von Mutter- für Enkelgesellschaften, kann nicht spezifisch eingegangen werden. Ihre adäquate Lösung dürfte aber - mutatis mutandis - der Haftungsrege­ lung für Mutter- im Verhältnis zu Tochtergesellschaften ähnlich sein; vgl. Rehbinder, Unterneh­ mensverbindungen, 583ff, 588, 591; Paschke, Durchgriffsproblematik, 196ff, 201, 205; Blum­ berg III, 543ff; Rehbinder, Konzemaußenrecht, 276ff, 352ff; Dennler, Durchgriff, 88-89, 93ff. 21 Im Prinzip ließen sich Varianten dahingehend bilden, daß als Muttergeselhchaft auch Perso­ nengesellschaften oder gar natürliche Personen erfaßt würden (vgl. den diesbezüglich offenen

2.1.2. Multinationale Konzerne und Auslandsdirektinvestitionen MNK entstehen primär aufgrund von Auslandsdirektinvestitionen (ADI) ur­ sprünglich national operierender Unternehmen. Obwohl die Begriffe MNK und ADI nicht deckungsgleich sind22, laufen ihre Entwicklungslinien in weiten Teilen parallel. Erst die Globalisierung der Märkte23 und die dadurch geforderten Aus­ landsdirektinvestitionen haben den Siegeszug des Multinationalen Konzerns er­ möglicht24. Zugleich ist zu vermerken, daß ADI nur eine Form der wirtschaftlichen Nut­ zung von Auslandsmärkten darstellen. Die Theorie zeichnet eine Skala zunehmen­ der unternehmerischer Auslandsverflechtung von Exporten über Lizenzvergaben zu ADI25. Vieles deutet darauf hin, daß der Vorstoß von Unternehmen über die Grenzen nicht selten mit Exporten beginnt und später in Direktinvestitionen aus­ mündet26. Auch wirtschaftsgeschichtlich hat sich das Schwergewicht internationa­ ler Transaktionen zunehmend vom Handel hin zu den Auslandsdirektinvestitio­ nen verlagert27. In neuerer Zeit scheinen sich sogenannte Neue Formen des Auslandsengagements (NFAE) zu aktualisieren28. Sie stellen einen Mitteltypus der Auslandsverflechtung mit beschränktem Eigenkapitaleinsatz und beschränkter Kontrolle dar. NFAE um­ fassen z.B. Beratungsverträge, Unterauftragsmechanismen (subcontracting) und Joint Ventures. Ihre wachsende Bedeutung unterstreicht die moderne unterneh­ mensorganisatorische Tendenz hin zu flexiblen und dezentralisierten Produktions­ formen29. Die Neuen Formen des Auslandsengagements ergänzen damit die Kom­ bination ADI/MNK mit zusätzlichen Facetten, allerdings ohne deren (evolutionä­ ren) Zusammenhang außer Kraft zu setzen. Ganz abgesehen davon ist der Über­ gang von ADI zu NFAE fließend, wie etwa am Beispiel der Joint Ventures deutlich wird.

Unternehmensbegrif im deutschen Konzemrecht; Emmerich/Sonnenschein, 44f.). So könnte evtl, eine Brücke zum Alleinaktionär (Ein-Mann AG) geschlagen werden. Auf diese zusätzliche Problematik soll im folgenden aber nicht eingegangen werden; vgl. dazu Schanze, Einmannge­ sellschaft, 17ff.; vgl. auch Koppensteiner, Rechtspolitisch, 103. 22 ADI können z.B. auch von der öffentlichen Hand oder natürlichen Personen ausgehen, wo­ mit sie unter Umständen außerhalb des MNK-Begriffs fallen; vgl. Schlup, Direktinvestitionen, 286-287; zudem zielt der Begriff ADI auf einen Prozeß, der Begriff MNK dagegen auf einen Zu­ stand. 23 Levitt, Globalization, 92ff; Debs, Financial Markets, 198ff. 24 Hout/Porter/Rudden, 98ff; auch die moderne Managementlehre nimmt immer stärker den Weltmarkt ins Visier; vgl. Macharzina/Engelhard, 315ff; Vernon/Wells, lff; Stopford/ Wells, lff. 25 Clasen, Trade, 9-15; Hood/Young, 6-10; Borner/Wehrle, 68ff, 77. 26 Nelson, Direktinvestitionen, 93, 217ff; Caves, Multinational, 68ff; vgl. auch Hood/ Young, 131 ff. 27 Borner/Wehrle, 68ff; vgl. auch Barton/Fisher, 23-25. 28 Hämisegger, Neue Formen, lff; Borner/Bürgin/Hämisegger, lff. 29 Teubner, Netzwerke, passim; vgl. im übrigen hinten 1.2.5.

2.2. Geschichtliches

Das Phänomen des in verschiedenen Ländern operierenden Unternehmens hat weit zurückliegende Wurzeln. Sein neuzeitlicher Ursprung kann bei den Handels­ gesellschaften der Kolonialmächte gesehen werden30. Diese operierten aber noch nicht als konzernmäßig verschachtelte Gesellschaften, sondern als Einheitsunter­ nehmen31. Die moderne Konzernorganisation ist eine Erscheinung des späten 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts32. Der in großem Stil operierende internationa­ le Konzern war jedoch selbst in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Welt­ krieg noch eine Ausnahme33. Unternehmen wie die deutsche LG. Farbenindu­ strie34 oder amerikanische Konzerne wie Standard Oil und Du Pont35 waren da­ mals noch keineswegs typisch36. Bis zum ersten Weltkrieg dominierten im internationalen Investitionsverkehr die Portfolioinvestitionen (vor allem Darlehen mit festem Zins). England trat dabei als weitaus wichtigste Gläubigernation auf37. Zwischen den beiden Weltkriegen nahmen dann internationale Direktinvestitionen an relativer Bedeutung zu. Das hatte z.Teil auch mit den nun als Gläubigernation auftretenden Vereinigten Staa­ ten zu tun. Die Depression der dreißiger Jahre und ein um sich greifender Protek­ tionismus ließen jedoch die internationalen Direktinvestitionen auch in dieser Zeit nur langsam anwachsen38. Die eigentliche Geschichte des Multinationalen Konzerns beginnt somit erst nach dem Zweiten Weltkrieg39. Sie war vorerst vor allem durch amerikanische Di­ rektinvestitionen in Europa, Kanada und Lateinamerika40 geprägt. Die Ergebnisse des Krieges, die amerikanische Marshallplanhilfe, der europäische Wirtschaftsauf­ schwung, die Liberalisierung des internationalen Handels, die Bildung einer (den internen Zollabbau beschleunigenden) europäischen Wirtschaftsregion und die Entwicklung hin zur Währungskonvertibilität waren alles Makrofaktoren, welche die Ausdehnung amerikanischer Unternehmen in den europäischen Raum förder­

30 Vagts, Multinational, 746 FN 25, erwähnt z.B. die englische East India Company; vgl. auch Hofer, Wandel, 403, welcher bereits bei den norditalienischen Handelsgesellschaften des 15. Jh. ansetzt. 31 Blumberg III, 9ff. 32 Blumberg III, 55f; Kocka/Siegrist, 55f; Hom, Unternehmensorganisation, 137f., 169­ 174; vgl. auch Nörr, Entwicklung, 156, 169 (danach soll im Jahr 1927 in der Weimarer Republik bereits über 60% des Nominalkapitals von Aktiengesellschaften in Konzernen eingebunden ge­ wesen sein). 33 Hertner, Fallstudien, 388f.; Franko, Multinationals, 23ff.; Nörr, Entwicklung, 175 FN 89. 34 Fischer, Dezentralisation, 476f. 35 Vagts, Multinational, 747; Vernon, Storm, 62f. 36 Immerhin läßt sich schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Internationalisie­ rung schweizerischer Unternehmen nachweisen; Halbheer/Harabi/Bachen, 65-66; vgl. auch Zünd, Kontrolle, 22ff. 37 Hood/Young, lOf. 38 Ebd. 39 Vagts, Multinational, 746f.; Hood/Young, 12. 40 Hood/Young, 22, Table 1.5; Vernon, Storm, 65, Table 6.

ten. Auf der Mikroebene kam die Komplementarität der technologischen und ka­ pitalmäßigen Ressourcen von US-Unternehmen und der immensen Nachfrage nach Investitionen und Arbeitsplätzen in Europa hinzu. Auch amerikanische Steu­ erpraktiken, welche die Gewinne von Tochtergesellschaften erst nach deren Repa­ triierung erfaßten, forderten den Ausbau von US-Direktinvestitionen im Aus­ land41. Die Direktinvestitionen amerikanischer Firmen in europäischen und anderen Ländern stiegen in den drei Dezennien nach dem Zweiten Weltkrieg äußerst rasch an42. Zwischen 1967 und 1978 verdreifachten sich z.B. die amerikanischen ADI43. Jean Jaques Servan-Schreiber hatte gar prophezeit, daß die von amerikanischen Fir­ men kontrollierten Unternehmen Europas zur drittgrößten Industriemacht der Welt heranwachsen würden44. Mit der Wiedererstarkung der westeuropäischen und japanischen Wirtschaften nahmen ab Mitte der Sechziger jahre auch die Direktinvestitionen von Unterneh­ men aus Ländern wie Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Japan und der Schweiz stark zu45. Die japanischen ADI verzwanzigfachten sich z.B. in der Zeitspanne zwischen 1967 und 1978 beinahe46. Diejenigen der Schweiz verfünf­ fachten sich im gleichen Zeitraum und sind seither nochmals kräftig gestiegen47. Die Auslandsdirektinvestitionen der Industrieländer wurden zum größten Teil in anderen Industrieländern plaziert48. Seit den achtziger Jahren sind auch die USA zu einem bedeutsamen Nachfragemarkt für ADI geworden49. Rund ein Vier­ tel der internationalen Direktinvestitionen verteilen sich auf Entwicklungslän­ der50. Umgekehrt treten aber auch Unternehmen aus Entwicklungsländern als Di­ rektinvestoren auf ausländischen Märkten auf51. Dasselbe gilt seit jeher auch für Oststaaten52. Damit ergibt sich nach einer rund dreißigjährigen, rasanten53 Entwicklung der internationalen Direktinvestitionen ein vielfältiges Bild, in welchem die Industrie­ 41 Hood/Young, 11-12. 42 Hood/Young, 12-13. 43 Borner/Wehrle, 79, Tabelle 11.

44 Vgl. Servan-Schreiber, Defi, passim. 45 Hood/Young, 13; Borner/Wehrle 79-84. 46 Zur Erfolgsgeschichte der japanischen MNK; vgl. Franko, Japanische MNK, lff. 47 Borner/Wehrle, 79, Tabelle 11; die schweizerischen ADI betrugen z.B. im Jahre 1986 rund 55,5 Milharden SFr.; vgl. Schlup, Direktinvestitionen, 284; im Jahre 1988 lag die Zahl be­ reits bei 70 Milliarden; vgl. Schlup, Ausland, 370. 48 Sog. intraindustrielle Direktinvestitionen; Borner/Wehrle, 80. 49 Dies hat in den USA eine vorher nie gekannte Furcht vor einem „Ausverkauf der Heimat“ ausgelöst; vgl. The Economist, March 19, 1988, 72ff; New York Times, July 1, 1988, D 1; New York Times Magazine, December 13, 1987, 63ff. 50 Borner/Wehrle, 81-84; vgl. auch Moran, Development, 173ff. 51 Hofer, Wandel, 41 lf. 52 Heenan, Moscow, 48ff; Hofer, Wandel, 412. 53 Die Entwicklung hat sich in den letzten Jahren relativ etwas verlangsamt; vgl. NZZ, 29. Juli 1987, 27 („Eine Studie der OECD; Ausmaß und Tendenzen der Direktinvestitionen“); Borner/ Wehrle, 77.

länder sowohl als Mutter- wie Gastländer im Zentrum stehen. Kein Land ist mehr absolut dominierend, obwohl die USA als Mutter- wie als Gastland bedeutende Marktanteile vorzuweisen haben54. Durch das exponentielle Wachstum der Auslandsdirektinvestitionen ist die Be­ deutung von Multinationalen Konzernen für die Weltwirtschaft entsprechend ge­ stiegen. Ein ansehnlicher Teil des Welt-Bruttosozialprodukts wird heute von MNK bereitgestellt55. Spekulationen gingen sogar dahin, daß bis zum Jahre 2000 rund 200 bis 300 Megafirmen die Hälfte der gesamten Weltproduktion tätigen würden56. Zusammen mit den Nationalstaaten und einzelnen internationalen Or­ ganisationen zählen die Multinationalen Konzerne somit zu den bestimmenden Akteuren der modernen Weltwirtschaft.

2.3.

Mikro- und makroökonotnische Bezüge des Multinationalen Konzerns

2.3.1. Wirtschaftswissenschaftliche Erklärungsversuche für Auslandsdirekt­ investitionen und Multinationale Konzerne

Die neuzeitliche internationale Wirtschaft nahm mit dem territorialstaatlichen Merkantilismus ihren eigentlichen Anfang57. Aber erst als Reaktion auf den Mer­ kantilismus hat sich eine moderne internationale Wirtschaftstheorie zu entwikkeln begonnen. Adam Smith58 und David Ricardo59 zeigten auf, daß die interna­ tionale Arbeitsteilung und der internationale Güterhandel allen Beteiligten zum Wohl gereichen können. Der internationale Warenaustausch stellt demzufolge kein Nullsummenspiel dar60. In neuerer Zeit wurde dieser Grundgedanke durch Heckscher, Ohlin und Samuelson weiter verfeinert61. Danach wird in einem Umfeld unterschiedlicher nationaler Faktorausstattungen mit Kapital und Arbeit die internationale Produkti­ vität optimiert, wenn in Ländern mit großzügiger Kapitalausstattung kapitalinten­ siv und in Ländern mit günstigem Arbeitskräfteangebot arbeitsintensiv produziert wird. Dieses einfache, von grundsätzlich immobilen Produktionsfaktoren ausgehen­ de Modell wurde im folgenden nach verschiedenen Seiten hin differenziert. Vor­ erst wies Leontief auf die Notwendigkeit hin, die nationalen Faktorausstattungen 54 Borer/Wehrle, 80-81; vgl. zu den jährlichen Trends im Bereich der ADI/MNK die in­ struktiven und wissenschaftlich recherchierten World Investment Reports, z.B. World Investment Report 1994, United Nations (Geneva and New York 1994). 55 Großfeld, Untemehmensrecht, 6, nennt als Anteil der MNK am Welt-BSP einen Sechstel; Wildhaber, Multinationale, 19, sprach 1978 von einem Viertel. 56 Küng, Weltwirtschaftspolitik, 98. 57 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 88ff.; Erler, Grundprobleme, 50ff.; Galbraith, Perspective, 31f. 58 Smith, Wealth, 488ff. 59 Ricardo, Principles, lff. 60 Meier, International, 13ff, 57ff. 61 Meier, International, 29f.; Hood/Young, 137-139; Rose, Außenwirtschaft, 296.

weiter zu unterteilen62. Seiner Unterscheidung vorteilhafter Ausstattung mit quali­ fizierten bzw. unqualifizierten Arbeitskräften wurden später insbesondere auch die technologischen63 und kulturell-politisch-sozialen 64 Vorteile nationaler Volkswirt­ schaften zur Seite gestellt. Die Verschiebbarkeit von Produktionsfaktoren über nationale Grenzen hinweg verlangte sodann auch nach einer Erklärung für den internationalen Transfer von Produktionsressourcen. Die Produktzyklustheorie Vernons65 zeigte auf, daß die konstanten Innovations- und Lernprozesse im Bereich der Technologie mit der Zeit zu einer Substitution von Exporten durch Lizenzen und Direktinvestitionen fuhren können66. Grund derartiger Prozesse ist die Veränderung komparativer Pro­ duktionsvorteile für alternde Produkte zugunsten technologisch weniger fortge­ schrittener Volkswirtschaften. Einen Erklärungsansatz für die Verschiebung von Kapital in andere Länder lie­ fert die Capital arbitrage-Theorie67. Sie sieht in Auslandsinvestitionen vor allem die Ausnützung relativer Differenzen bei Kapitalrenditen. Die japanische Schule (Koji­ ma, Ozawa)68 betont sodann die unterschiedliche Ausstattung von Ländern mit dem E-Faktor, worunter in erster Linie Management-Know-how zu verstehen ist (entrepreneurial endowment). Ihre Autoren weisen unter anderem daraufhin, daß die transnationale Verschiebung des E-Faktors positive Stimuli für einen gesamtwirt­ schaftlich effizienten Handel abzugeben vermag69. Ganz allgemein untermauern die dargestellten Ansätze, daß internationale Pro­ duktionsverlagerungen zur Senkung der (privaten wie sozialen) Produktionsko­ sten und somit zur Steigerung der weltwirtschaftlichen Effizienz beitragen kön­ nen70. Aber selbst wenn dadurch plausibel wird, daß die internationale Verschie­ bung von Produktionsfaktoren (Kapital, Technologie und Management-Knowhow) die weltwirtschaftliche Produktivität positiv zu beeinflussen vermag, fragt sich, weshalb diese Transaktionen so häufig die Form von Auslandsdirektinvestitio­ nen annehmen. An sich könnte die Verschiebung von Produktionsressourcen auch vertraglich, z.B. mittels Darlehen und Lizenzen, stattfinden71. Hier hat nun 62 Rose, Außenwirtschaft, 296-298; Hood/Young, 138-140. 63 Meier, International, 36f; Hood/Young, 140-142; vgl. hinten auch den von der japani­ schen Schule postulierten E-Faktor. 64 Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63ff. 65 Vernon, Product Cycle, 190ff; vgl. auch Wells, Product Life Cycle, passim. 66 Meier, International, 38ff; Nelson, Direktinvestitionen, 129ff; Borner/Wehrle, 91 ff; Hood/Young, 60 ff. 67 Halbheer/Harabi/Bachen, 69; Caves, Multinational, 31 ff. 68 Kojima/Ozawa, passim; Hämisegger, Neue Formen, 184ff; Nelson, Direktinvestitionen, 142-145; Hood/Young, 150. 69 Einen dynamischen Ansatz zur Erklärung moderner internationaler Arbeitsteilung liefert nun Porter, Nations, lff, 131 ff, der die Wettbewerbsvorteile einzelner Länder als Kombination von Faktorbedingungen, Nachfragebedingungen, nationalen bzw. branchenspezifischen Wettbe­ werbsbedingungen und firmenspezifischen Eigenheiten definiert; vgl. auch Borner/Porter, 61 ff. 70 Buckley, Theory, 17-18; Hood/Young, 361-362; Caves, Multinational, 295-296; Lindert/ Kindleberger, 448. 71 Buckley, Theory, 25 ff.

die mikroökonomische Firmen- und MNK-Forschung entscheidende Erklärun­ gen beigesteuert. In deren Zentrum steht das von Coase72 postulierte Transaktions­ kostenargument73. Hymer74, Kindleberger75, Buckley76, Caves77 und Williamson78 vertreten im Kontext dieser Perspektive die Ansicht, daß ADI und MNK entschei­ dend mit den Imperfektionen internationaler Märkte zu tun haben. Der Multina­ tionale Konzern erscheint deshalb als eine Substitution internationaler Märkte durch Unternehmensstrukturen79. 80 Die Ueberlegenheit firmenmäßig internalisierter Transaktionen gegenüber marktmäßig abgewickelten Vertragsformen leuchtet vor allem für den Bereich der Technologie- und Wissensmärkte ohne weiteres ein. Strukturelle Schwächen die­ ser Märkte (akute Externalitätenprobleme beim marktlichen Handel mit Informa­ tionen: Informationsparado^0) müssen ihre kontrollmäßige Vereinnahmung durch Unternehmen häufig als effizientere Alternative erscheinen lassen81. Die Plausibilität des Internalisierungsansatzes schließt aber andere Gründe für die Existenz von MNK nicht aus. Deren Multikausalität wird besonders von der eklektischen Schule betont82. Dunning nennt z.B. Eigentümervorteile des MNK-Investors (Patente) und Standortvorteile des Gastlandes als wichtige Mitursachen für

72 Coase, Firm, 386ff.; vgl. auch Chandler, Visible, lff.; Williamson, Institutions, 273-294. 73 Vgl. zur Firmentheorie auch Penrose, Firm, lff; Hart, Firm, lff; kritisch: Bratton, History, 1471ff 74 Hymer, Operation, lff 75 Kindleberger, Multinational, passim; Lindert/Kindleberger, 449ff 76 Buckley, Theory, lff; vgl. auch Buckley/Casson, passim. 77 Caves, Multinational, lff. 78 Williamson, Institutions, 290-294. 79 Caves, Multinational, 3ff; Hood/Young, 44ff, 87ff; Hämisegger, Neue Formen, 133ff; Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 31-34; Halbheer/Harabi/Bachen, 69ff. 80 Arrow, Risk, 152; Williamson, Institutions, 292-293. 81 Informationen, etwa in Form von Produktionstechnologie oder Managementwissen, eig­ nen sich aus verschiedenen Gründen schlecht für eine isolierte Übertragung qua Informations­ märkte. Vorerst sind Informationen regelmäßig mit Produktionsfaktoren (z.B. dem Wissen von Angestellten) oder Produkten (Funktionstechnik, Design) so eng verbunden, daß deren Übertra­ gung notgedrungen auch die Übertragung von Informationen mit sich fuhrt. Immaterialgüter­ rechtsschutz und Geheimhaltungsvorschriften können die so entstehenden Extemalisierungsgefahren höchstens beschränkt auffangen. Auch umgekehrt läßt sich ein Informationstransfer häu­ fig nur mittels physischer Produktionsträger (z.B. leitender Angestellter) bewerkstelligen. Zu­ dem haben Informationen die Eigenschaft, daß sie, nachdem Dritte sie erhalten haben, nicht mehr ohne weiteres zurückgenommen werden können, wie das für physische Produktionsgüter der Fall wäre. Dadurch können nach nicht zustande gekommenen oder aufgelösten Informations­ lieferverträgen ernsthafte Externalitätenprobleme entstehen, welche über das Immaterialgüter­ recht und vertragliche Kautelen wiederum nur z.Teil aufzufangen sind. Die Schwierigkeiten ei­ nes kontrollierten marktlichen Handels mit Informationen führen somit tendenziell dazu, daß diese unkompensiert zu Gemeingut werden; vgl. Caves, Multinational, 3—7; zu Problemen von Informationsmärkten im Bereich der Börse: vgl. Gilson/Kraakman, 545ff. 82 Dunning, Ecletic, 9ff; Dunning, Production, lff; vgl. auch Dunning, Analysis, passim; Clegg, Multinational, 12ff; Borner, Produktionsaktivitäten, 23ff; Buckley, Review, 70ff; Rugman, Theories, passim; Hood/Young, 87ff, 130ff.

ADI und MNK83. Damit rückt die Rolle von Zollschranken84 und anderen staatli­ chen Eingriffen (Steuerdisparitäten, Regulierungsgefällen) ins Blickfeld85. 86 Auch aus Oligopolsituationen werden internationale Expansionsanreize für Multinatio­ nale Konzerne abgeleitet (z.B. follow the leader-Strategien)86. Als mögliche Ursa­ chen von Firmenwachstum und -internationalisierung werden zudem Managerin­ teressen genannt87. In den siebziger Jahren war überdies ein Erklärungsansatz popu­ lär, welcher in der Expansion von Multinationalen Unternehmen die Verwirkli­ chung politischer Machtstrategien sah88.

2.3.2. Volkswirtschaftliche Auswirkungen Multinationaler Konzerne im einzelnen Das dargestellte Spektrum wirtschaftstheoretischer Erklärungsversuche zu Exi­ stenz und Wachstum Multinationaler Konzerne hat wesentliche volkswirtschaftli­ che Effizienzpotentiale projiziert. Dank ihrer internationalen Unternehmensstruk­ tur vermögen MNK die komparativen Produktionsvorteile verschiedener Standor­ te z.B. dann auszunützen, wenn die transnationale Verschiebung von Produktions­ technologie und Know-how verlangt ist. Die Verschiebbarkeit von Produktionsund Verkaufstechniken, Managementerfahrung, Unternehmenskultur oder Good­ will kann mit einem Minimum an Externalisierungsgefahren realisiert werden89. Die darin liegende Transaktionskostenersparnis90 wird noch ergänzt durch andere mögliche Vorzüge der MNK-Organisation. Zu nennen sind Skalenerträge (econo­ mies ofscale)91, Diversifikationspotentiale92 und die besonderen Fähigkeiten interna­ tional verzweigter Unternehmen, sich an Absatzmärkte93 und Faktorgegebenhei­ ten (Rohstoffe94, Arbeitsmärkte95, Kapitalmärkte96, staatliche Rahmenbedingun­ gen97) dynamisch anzupassen. Der MNK stellt mithin ein organisatorisches Instru­ ment dar, das der effizienten internationalen Allokation von Kapital- und Techno­ logieressourcen98 dienen kann. 83 Vgl. Breuß, Diensdeistungen, 122-125. 84 Hood/Young, 142-143. 85 Caves, Multinational, 226ff.; Halbheer/Harabi/Bachen, 75-78. 86 Caves, Multinational, 94ff.; Nelson, Direktinvestitionen, 126-127; Lindert/Kindleberger, 451. 87 Hood/Young, 90-99; Caves, Multinational, 286-295. 88 Hood/Young, 325-354; vgl. auch Cohen, Radical, passim; zu den verschiedenen Theorie­ ansätzen für ADI und MNK vgl. auch Burkard, Direktinvestitionen, 9ff. 89 Lindert/Kindleberger, 448—453; Caves, Multinational, 3-7; vgl. im übrigen vome 1.2.3.1. 90 Williamson, Institutions, 290-294; Hood/Young, 47-54. 91 Caves, Multinational, 7-8. 92 Hood/Young, 52-53. 93 Hood/Young, 141-142; vgl. dazu auch Porter, Advantage, 119ff. 94 Hood/Young, 53-54. 95 Hood/Young, 58-59. 96 Hood/Young, 51—52 (capital arbitrage-Argument; vgl. vome 1.2.3.1.). 97 Z.B. Zollschranken (Hood/Young, 142-143), Steuerklima (Caves, Multinational, 226­ 251), Investitionsklima (Hood/Young, 59; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63ff). 98 Technologie im weitesten Sinne, inkl. Managementwissen, Unternehmenskultur, Good­

Damit sollen mögliche negative volkswirtschaftliche Effekte Multinationaler Konzerne für Gast-99 oder Mutterländer100 nicht ignoriert werden. Die Wirt­ schaftswissenschaft hat sich denn auch intensiv mit den unterschiedlichen Auswir­ kungen von ADI bzw. MNK auf Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Zah­ lungsbilanz von Mutter- wie Gastländern auseinandergesetzt101. Den Entwick­ lungsländern als typischen Gastländern wurde besondere Aufmerksamkeit ge­ schenkt102. Die Beurteilung mußte dabei differenziert ausfallen. Für Mutterländer ist zu veranschlagen, daß ADI vorerst einen Abfluß an Investi­ tionskapital bedeuten. Darin liegt die Möglichkeit eines (zumindest kurzfristig) ne­ gativen Effekts auf die Beschäftigungslage103 und die Arbeitsproduktivität104. Der Kapitalabfluß kann zugleich die Zahlungsbilanz belasten und zu einer unerwünsch­ ten Pression auf die Mutterlandwährung fuhren105. Langfristig ist anderseits mit ei­ ner die Zahlungsbilanz des Mutterlandes positiv beeinflussenden Repatriation der Investitionsgewinne aus dem Ausland zu rechnen106. ADI können zudem die Ex­ porte des Mutterlandes stimulieren (Intra-MNK-Handel)107 und die Wettbewerbs­ position von Mutterlandfirmen verbessern108. Damit sind aus geglückten ADI lang­ fristig positive Auswirkungen auf Beschäftigung und Wohlfahrt im Mutterland zu erwarten109. Die Auswirkungen von ADI in Gastländern liegen zu denen im Mutterland z.Teil gegensätzlich110. Der anfängliche Kapitalimport hat einen günstigen Einfluß auf die Zahlungsbilanz und die Stärke der Gastlandwährung. Auch die Beschäfti­ gungseffekte dürften grundsätzlich vorteilhaft ausfallen. Ebenfalls positiv beein­ flußt werden können die Exporte des Gastlandes111. In den im Gastland getätigten Investitionen liegt damit ein unbestreitbares Wohlfahrtspotential. Es gilt aber eben­ so, volkswirtschaftliche Kosten und Gefahren von MNK-Investitionen zu beach­ ten. Dazu gehören die mögliche Belastung der lokalen Kapitalmärkte durch will etc.; der schweizerische Bundesrat spricht diesbezüglich in BB1 1990 I, 308, von „eigentli­ chen Gesamtpaketen unternehmerischer Leistungen“. 99 Hood/Young, 179-228. 100 Hood/Young, 282-324. 101 Vgl. z.B. die Untersuchungen bei Caves, Multinational, 31 ff.; Hood/Young, 179ff; Ver­ non, Storm, 103ff; Kindleberger/Audretsch, 263ff; Bergsten/Horst/Moran, lff. 102 Hood/Young, 179ff; Caves, Multinational, 252ff; Moran, Development, passim. 103 Caves, Multinational, 131-159; Lindert/Kindleberger, 474-476. 104 Blattner/Maurer/Weber, 81, 135/140, vermuten diesen Effekt für schweizerische ADI. 105 Lindert/Kindleberger, 458-461. 106 Ebd. 107 Caves, Multinational, 43-45. 108 Hood/Young, 284-294. 109 Blattner/Maurer/Weber, 72 (Tabelle 8), 79, 135/140, weisen empirisch einen grundsätzEch positiven Zusammenhang zwischen ADI und dem schweizerischen Bruttosozialprodukt nach. 110 Hood/Young, 179-228; Lindert/Kindleberger, 461-463, 465-474; Caves, Multinatio­ nal, 252-278. 111 Vgl. hiezu die Untersuchungen der japanischen Schule, vome 1.2.3.1., und Hämisegger, Neue Formen, 184ff.

MNK, die sich negativ auf die Zahlungsbilanz des Gastlandes auswirkenden Ge­ winnrepatriierungen oder unerwünschte Wettbewerbs- und strukturpolitische Ef­ fekte der MNK-Präsenz im Gastland112. Die volkswirtschaftliche Kosten/Nutzen-Abwägung durch Mutter- und Gast­ länder kann, sie muß aber nicht für jedes ADI-Projekt günstig ausfallen. Selektions­ instrumente in der Form von Märkten oder politischen Kontrollen113 haben folg­ lich darauf hinzuwirken, daß bloß effiziente ADI realisiert werden114. Das Konzept effizienter Auslandsdirektinvestitionen impliziert anderseits wiederum die These, daß in Multinationalen Konzernen grundsätzlich ein Potential zur Steigerung des globalen Wohlstands liegt115. Wie beim internationalen Handel (Optimalzölle116) sind auch bei Auslandsdirektinvestitionen Konfigurationen denkbar, durch welche langfristig alle Beteiligten und Betroffenen zusammen bessergestellt werden, als wenn es keine ADI/MNK gäbe117. Das Ziel effizienter Multinationaler Konzerne muß damit sowohl im Interesse von Mutter-, Gastländern wie Multinationalen Unternehmen selbst liegen118.

2,4. Der Multinationale Konzern als politisch-kulturelles Phänomen

Die dargestellten klassisch-wirtschaftstheoretischen Erklärungsversuche erken­ nen in Auslandsdirektinvestitionen und im Phänomen des Multinationalen Kon­ zerns letztlich legitime wirtschaftliche Ursachen. Ein vor allem in den siebziger Jah­ ren populärer Trend hat im Gegensatz dazu versucht, die MNK politisch-kulturell zu deuten119. Die Dependencia-SchuXe120 sah in MNK ein neoimperialistisches In­ 112 Hood/Young, 190-195. 113 Vor allem in Gastländern (Entwicklungsländern) sind Kontrollen von MNK-Investitio­ nen häufig - sie weisen aber ganz verschiedene Ausformungen auf und reichen von eigentlichen screening-Verfahren bis zu bloss formellen Meldepflichten; vgl. Guisinger, Control, 157ff.; Beh­ rens, Kontrolle, 233f.; Hood/Young, 229ff; Lindert/Kindleberger, 465ff; auch Mutterländer können Kontrollmechanismen für Auslandsinvestitionen ihrer MNK vorsehen, z.B. im Zusam­ menhang mit Kapitalexportrestriktionen; vgl. Hood/Young, 282ff; Caves, Multinational, 279ff. 114 Zu einer praktischen Methode des Vergleichs sozialer Nutzen- und sozialer Kosten-Effek­ te spezifischer MNK-Investitionsprojekte in Gastländern; vgl. Wells, Social Cost, 40ff; Encamation/Wells, 61 ff. 115 Vome 1.2.3.1.; Lindert/Kindleberger, 455, sprechen von „world cosmopolitain gains"; vgl. auch Caves, Multinational, 296, der von „global welfare maximizing arrangements" spricht. 116 Optimal tariffs, Meier, International, 84ff; Rose, Außenwirtschaft, 45 lff 117 Caves, Multinational, 295-297; zur Kritik am wirtschaftlichen Effizienzkonzept: hinten III.4. 118 Vgl. dazu das Zitat von Jan Tinbergen, wiedergegeben bei Meier, International, 5: „Even though it is not yet possible to establish a world government, we must force ourselves to be guided by the question, what would a world government do, if we are to see what the best policy is. We must make the interests of the world as a whole the basis of our own policy.“ 119 Hood/Young, 325 ff. 120 Grieco, Evidence, 35ff, unterscheidet vier politische Einstellungen zum MNK: Befürwor­ ter, harsche Kritiker (Dependencia-Schule), pragmatische Optimisten (Bargaining-Schule) und kri­ tische Pragmatiker.

strument der Industrieländer zur Beherrschung der Entwicklungsländer121. Diese Denkrichtung konnte sich zur Stützung ihrer Thesen auf Beispiele frappanter poli­ tischer Einmischung von MNK in politische Angelegenheiten von Gastländern (z.B. ITT/Chile) und auf Bestechungsaffären größten Ausmaßes (z.B. Lockheed) berufen122. Auch Fälle fragwürdiger Marketing-Praktiken (Nestle-Babynahrung) trugen zur politisch-kulturell fundierten Kritik an Multinationalen Unternehmen bei123. Die Phase dogmatischer Auseinandersetzungen um die MNK deckte sich zudem mit namhaften Nationalisierungen in Entwicklungsländern124. Sie lief auch parallel zur Diskussion um eine Neue Weltunrtschaftsordnung125. Die Politisierung der Multinationalen Konzerne machte dann aber schrittweise einer sachlich-pragmatischen Analyse des MNK-Phänomens Platz126. Der Erlaß von Richtlinien durch die Internationale Handelskammer (ICC), die OECD und die ILO trugen ebenfalls dazu bei, die internationale MNK-Debatte zu entschär­ fen127. Diese kanalisierte und institutionalisierte sich zudem teilweise im Rahmen der Diskussion um den Erlaß von Richtlinien für Transnationale Unternehmen durch die UN128. In neuester Zeit scheint die politische Sicht des Multinationalen Konzerns fast vollständig einer technokratischen Perspektive der Vor- und Nachteile von MNK gewichen zu sein129. Das mag nicht zuletzt mit der Verschuldung der Entwick­ lungsländer Zusammenhängen, für welche sich die Attraktivität von ADI aus die­ sem Grund erhöht hat130. Die seit den achtziger Jahren vor sich gehende Liberalisie­ rung des Kapitalverkehrs hat zudem für den Bereich der ADI ganz allgemein zu ei­ nem Rückzug der Politik zugunsten von Marktkräften geführt131. Geblieben ist aber die politische Einsicht, daß das Phänomen des MNK, genau­ so wie die Internationalisierung der Wirtschaft im allgemeinen, zu einer Relativie­ rung staatlicher Souveränität beigetragen hat132. Das Problem aller Staaten ist des­ halb anerkanntermaßen immer weniger die Vermeidung der bestehenden wirt­ schaftlichen Abhängigkeiten. Aus nationaler Sicht geht es zunehmend um deren

121 Barnet/Muller, lff. 122 Hood/Young, 348-353; Vagts, Host Country, 267-271. 123 Dobbing, Infant, lff. 124 Hofer, Wandel, 406-408; Vagts, Risks, lff. 125 Hofer, Wandel, 405. 126 Z.B. Vernon, Storm, lff; Hood/Young, lff; Ball, Global Companies, passim; Boel, Mul­ tinationales, 262ff. 127 Krulis-Randa, Macht, 143ff, Levy, Verhaltenskodizes, 179ff. 128 Hofer, Wandel, 416. 129 Vgl. z.B. Symposium-Boston, lff, und die in der dortigen (rein prozeduralen) Thematik zum Ausdruck kommende Regelungszurückhaltung. 130 Vgl. das in diesem Zusammenhang diskutierte Konzept der debt/equity swaps; Golds­ brough, Trends, 173ff. 131 Beispielhaft die Aufhebung des früher viel zelebrierten Canada Foreign Investment Re­ view Act im Jahre 1985; Glover/New/Lacourciere, 83ff; Barton/Fisher, 858-859. 132 Dazu Vernon, Sovereignty, lff; Rubin, Multinational, lff; Baum, Global, 410ff; Groß­ feld, Souveränität, 73-80; Hofer, Wandel, 403ff; Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 36-37.

bloße Diversifikation133 und in bezug auf MNK um die Koordination oder gar Har­ monisierung von staatlichen Regelungsaufgaben134.

2.5.

Organisation und Aufbau von Multinationalen Konzernen

2.5.1. Zur juristischen Struktur von Multinationalen Konzernen MNK können juristisch verschieden strukturiert sein. Sie sind jedoch regelmä­ ßig in eine Vielzahl von Einzelgesellschaften aufgespalten135. Eine Auswahl von 100 US-Konzernen hatte im Jahre 1981 durchschnittlich rund 50 Tochtergesell­ schaften136. Mobil Oil Corporation kontrollierte gar 525 Töchter rund um die Welt137. Für den englischen Konzern British Petroleum wurden über 1200 Töch­ ter angegeben, für den holländisch-britischen Konzern Unilever 800, für Nestle rund 600138. Die Verbindung zwischen Konzerngesellschaften kann ausnahmsweise partner­ schaftlich sein, wie im Falle der Gleichordnungskonzerne 139. Asea Brown Boveri (ABB)140 und Unilever141 sind Beispiele hiefür. Ueberall typisch ist aber der Unter­ ordnungskonzern, d.h. die direkte oder indirekte Mehrheits- und oft 100%ige Be­ teiligung von Muttergesellschaften an Tochter- bzw. Enkelgesellschaften142. Dieser Konzerntypus beherrscht auch die Konzernlandschaft in der Schweiz143. In Deutschland ist zudem die vertragliche Verbindung von Konzerngesellschaf­ ten über Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge relativ weit verbrei­ tet144. Es sind aber auch andere vertragliche Zusammenarbeitsformen zwischen Konzerngesellschaften denkbar145. Vor allem die Neuen Formen des Auslandsenga­ gements146 (Joint Ventures, Lizenzverträge, Beratungsverträge, subcontracting etc.) lassen den Uebergang von einer bloß vertraglichen Zusammenarbeit zur unterneh­ 133 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 371; Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 37. 134 Vernon, Storm, 21 lff.; Barton/Fisher, 855ff; Caves, Multinational, 295ff; Hood/ Young, 229ff; Nye, Multinational, 16; analog für den Bereich der Finanzmärkte generell, Baltensperger, Finanzmärkte, 174—177; vgl. auch Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 66ff. 135 Möglich wäre auch die Organisation als Einheitsunternehmen mit verschiedenen Betriebs­ stätten; vgl. Nelson, Direktinvestitionen, 44-47; diese Form ist allerdings nicht üblich; vgl. Blum­ berg I, 27-32, 463ff; Lutter, Struktur, 62ff; Hadari, Structure, 729ff 136 Blumberg I, 28. 137 Blumberg III, 4 FN 1. 138 Ebd. 139 Emmerich/Sonnenschein, 84—86. 140 ABB Geschäftsbericht 1989, 2-3. 141 Lutter, Struktur, 70f. 142 Vernon, Storm, 34 (Table 4). 143 Vgl. Who Owns Whom, passim; Nelson, Direktinvestitionen, 43-44; Graf, Verträge, 14— 15. 144 Emmerich/Sonnenschein, 141 ff; die Bedeutung der Vertragskonzerne in Deutschland ist aber begrenzt; vgl. Wiedemann, Experience, 28-29; Wiedemann, Unternehmungsgruppe, 13. 145 Emmerich/Sonnenschein, 185 ff; Vernon, Storm, 33; Graf, Verträge, 89f. 146 Vgl. vome 1.2.1.2.

merischen Einheit als kontinuierlich erscheinen147. Auch ein bestimmender Ein­ fluß von Gläubigern auf Unternehmen kann diese Trennlinie verwischen148. Der Befund wird unterstrichen durch die in den USA während den achtziger Jahren in großem Stil praktizierten leveraged buyouts149 oder die vor allem in der Schweiz und der BRD bedeutsamen Depotstimmrechte der Banken150.

2.5.2. Zur wirtschaftlichen Struktur von Multinationalen Konzernen Für Konzerne bzw. Unternehmensgruppen151 gilt, daß sie trotz juristischer Viel­ falt eine wirtschaftliche Einheit darstellen152. Das einheitsstiftende Moment liegt in der Ausrichtung aufkonzernweite Optimierungsziele153. Damit ist meist auch eine Zentralisierung gewisser Unternehmensfunktionen verbunden154. Sie kann die verschiedensten Ausformungen annehmen, wie eine Anzahl von Untersuchun­ gen unterstreichen155. Ganz allgemein wird eine Tendenz weg von den Archetypen fast völliger Zentra­ lisation (U-Form) bzw. Dezentralisation (H-Form) hin zu Mischformen zwischen diesen beiden Polen festgestellt156. Als Modell einer modernen Konzernstruktur wird die sog. M-Form postuliert157. Dieser multidivisionalen- oder Profit-Center­ Struktur werden entscheidende Transaktionskostenvorteile nachgesagt, welche

147 Hämisegger, Neue Formen, 59f.; Halbheer/Harabi/Bachen, 58-60, 72-74; Borner/ Wehrle, 180f. 148 Vgl. Lundgren, Control, 523ff.; Williamson, Institutions, 298f. 149 Vgl. dazu The Wall Street Journal Europe, July 30, 1990, 22 („Aquisition Binge Comes Full Circle“); Merchel, Buy-Out, 7ff.; Krebs, Buyout, 4ff. 150 Tillmann, Depotstimmrecht, 71 ff, 83ff 151 Der Begriff Untemehmensgruppe ist als untechnischer, weiter Begriff zu verstehen, welcher über den evtl, juristisch definierten Begriff Konzern hinausgehen kann; vgl. Wiedemann, Unter­ nehmensgruppe, 6ff. 152 Balz, Konzern, 286ff; Kaiser, Konzernbildung, 54, spricht von der „Polarität zwischen Einheit des Ganzen und Vielfalt der Glieder, die dem Konzern notwendig innewohnt“. 153 Uttendoppler, Konzerninteresse, 154; Spahni-Klaß, Cash Management, 11-12; darin un­ terscheidet sich dieser Tatbestand von der bloßen Kooperation; vgl. Schluep, Unternehmenskon­ zentration, 273. 154 Schluep, Unternehmenskonzentration, 269ff. 155 OECD, Structure, lff; Kenter, Steuerung, lff; Leksell, Headquarter, lff; Negandhi/ Welge, lff; Dunning, Decision Making, lff; Headlund, Autonomy, 25ff; Young/Hood/Hamill, lff; Ghertmann, Decisionmaking, lff; Chandler, Strategy, lff; Williamson, Institutions, 273ff; Slongo, Leitung, 15ff; Bleicher, Entwicklung, 330ff, 415ff; Bleicher, Forderungen, 55ff; Druey, Differenzierung, 85ff; Blumberg I, 33-37; 432ff; Rühli, Unternehmungsführung 1, 67ff, 157ff, 256ff; Rühli, Unternehmungsführung 2, 79ff, 183ff; Guex, L’autonomie, 211ff 156 OECD, Structure, 42ff; zur historischen Entwicklung der Strukturen von Großunterneh­ men: Chandler, Visible, lff; Wilkins, Maturing, lff. 157 Williamson, Institutions, 279ff; Chandler, Strategy, 282-283; Slongo, Leitung, 84ff; Blumberg I, 33-36; Vagts, Multinational, 751-753; Clark, Holding, 819-822; Teece, Theory, 39ff; vgl. auch Meier-Schatz, Unternehmenspublizität, 383ff.

sich durch die Verbindung von Hierarchie und konzerninternen Marktelementen ergeben können158. Empirische Untersuchungen bestätigen den beschriebenen Trend der be­ schränkten Dezentralisation zu einem guten Teil159. Sie zeichnen zugleich große Unterschiede der Organisationsstrukturen von MNK160. Es wird zudem eine Ent­ wicklungsdynamik konstatiert, die noch keineswegs abgeschlossen scheint161. Neu­ erdings verstärken sich Tendenzen hin zu multilokalen Matrix-Strukturen162, in de­ nen die MNK-Spitze vor allem als Zentrale zur Koordination von Informations­ strömen fungiert163. Obwohl das Organigramm eines MNK wichtige Hinweise auf dessen Funk­ tionsweise geben kann, wird damit kaum je das gesamte Bild der Konzernorganisa­ tion wiedergegeben164. In einem Organigramm liegt vorerst immer nur ein organi­ satorischer Wille, den es zuerst zu realisieren gilt165. Die Konzernrealität kennt zu­ dem eine Menge organisationsrelevanter Phänomene, welche auch ohne entspre­ chende Planung auftreten können166. Einflüsse der Konzernleitung auf Tochterge­ sellschaften lassen sich denn auch mit ganz verschiedenen Mitteln bewerkstelligen. Beispiele sind direkte Weisungen, Budgetvorgaben, Produktspezifikationen, blo­ ße Empfehlungen, standardisierte Methoden, die gezielte Besetzung von Schlüssel­ positionen, Rechenschaftspflichten, Inspektionen oder auch nur eine (enggeschnürte) verbindliche Unternehmenskultur167. 168 Zumindest ein Teil dieser Instru­ mente kann auch ohne Organigramm eingesetzt werden. Daneben sind bei der Be­ urteilung einer Konzernstruktur weitere unsichtbare Momente zu beachten, z.B. die Interessenkongruenz von Doppelorganen oder die Existenz informeller kon­ zerninterner Koalitionen168. Diese Strukturelemente vermögen die Tochterge­ 158 Williamson, Institutions, 287ff. 159 OECD, Structure, lOff 160 OECD, Structure, 13ff; Slongo, Leitung, 3, 87f. 161 OECD, Structure, 46ff, 53; Rühli, Anforderungen, 6ff; vgl. auch die in den letzten Jah­ ren erfolgten Restrukturierungen verschiedener Schweizer-MNK (z.B. Sandoz, Ciba-Geigy, Anova, Ascom, Bührle, Waadt, SKA usw.); NZZ 19. Jan. 1990, („Organisatorische Veränderun­ gen bei Ciba-Geigy: Absage an die Matrixorganisation“); Ascom-Journal 90, Sondernummer, 4ff; Bilanz 3/90, S.92ff. („Wie auf einer Großbaustelle“); Flubacher/Filli, 571; vgl. auch Wall Street Journal Europe, April 12/13,1991,1 („Change ofHeart: In a Tightening Market IBM Eu­ rope Rethinks its Corporate Structure. Firm’s Plan is to Centralize Internal Operations as it Decentralizes Marketing“). 162 Zur Matrix-Organisation: Mintzberg, Structure, 241-248; Davis/Laurence, lff; Thom, Matrix, 239ff. 163 OECD, Structure, 48-53, 55; vgl. auch Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 33-34, und Inter­ view Bamevik, 91, wo ABB als multidomestic enterprise dargestellt wird: „We are a federation of na­ tional Companies with a global coordination center. We are not homeless, we have many ho­ mes.“ 164 OECD, Structure, 10-11; Slongo, Leitung, 94—95. 165 Slongo, Leitung, 95; vgl. auch Druey, Konzemrechtsgespräch, 86-88, 104-105. 166 Druey, Konzemrecht, 306-307. 167 OECD, Structure, 11; Kenter, Steuerung, 66ff; vgl. auch Langenegger, Konzernunter­ nehmungspolitik, 46 ff. 168 Vgl. Slongo, Leitung, 59ff; OECD, Structure, 13; Leksell, Headquarter, lff, unterschei­

schäftsführung evtl, im Sinne der Intentionen des Muttermanagements zu beein­ flussen, ohne daß ein spezifischer Mutterinput nachgewiesen werden kann (yorauseilender Gehorsam). Die Kontextfaktoren, welche auf das organisatorische Verhältnis zwischen Kon­ zernführung und Einzelteilen des Konzerns einwirken, sind vielschichtig169. Un­ tersuchungen weisen auf folgende Aspekte hin, welche Konzernorganisations­ strukturen beeinflussen können: Industriesektor, Unternehmenstyp (z.B. Einzelproduktunternehmen/Konglomerat), Unternehmensnationalität, Konzerngröße, Internationalisierungsgrad und Unternehmensstrategie170. Auch Entstehung und Art der rechtlichen Beziehungen zwischen Mutter und Tochter, die Intensität der Geschäftstätigkeit innerhalb eines Konzerns (z.B. konzerninterner Handel) und Merkmale wie Größe, nationale Identität, Leistungssegment oder Alter der Toch­ ter können für die Konzernorganisation eine Rolle spielen171. Dasselbe gilt für ex­ terne Faktoren, wie wirtschaftliche, politische und soziale Gegebenheiten, techno­ logische Variablen oder den Wettbewerbsgrad172. Die gefundenen Zusammenhänge sind nicht immer eindeutig. Trotzdem erlau­ ben sie grobe Typenbildungen. So ist offenbar bei großen MNK, welche in ver­ schiedenen Ländern weitgehend standardisierte Produkte herstellen und häufig konzerninterne Transaktionen tätigen, tendenziell weniger Tochterautonomie zu erwarten. Umgekehrt weisen Tochtergesellschaften, welche zu weniger als 100% einem kleinen MNK angehören, nur den lokalen Markt abdecken und einer Akti­ vität nachgehen, die sich wenig von derjenigen anderer Konzerngesellschaften un­ terscheidet, im Durchschnitt anscheinend mehr Autonomie auf173. Im Spannungsfeld Zentralisation/Dezentralisation gibt es aber Führungsberei­ che, die kaum delegiert zu werden pflegen. Hiezu gehören nach Rühli174 die strate­ gische Gesamtleitung, die finanzielle Führung, die Kaderpolitik, die Sicherstel­ lung des technischen Schlüssel-Know-how, die operative Oberleitung der dezen­ tralen Einheiten und die Pflege der Unternehmenskultur175. Dabei ist zu beach­ ten, daß auch die zentralisierten Funktionen nicht unbedingt in der obersten Kon­ zerngesellschaft vereinigt zu sein brauchen. Insbesondere bei Holdingstrukturen ist die Ausdifferenzierung zentralisierter Managementaufgaben auf untergeordne­

det organisatorische, administrative und soziale Komponenten in den Beziehungen zwischen Konzernzentrum und einzelnen Konzernteilen. 169 OECD, Structure, 22f.; Kenter, Steuerung, 193f. 170 OECD, Structure, 22-30. 171 OECD, Structure, 30-35. 172 OECD, Structure, 36-41; Kenter, Steuerung, 326ff. 173 OECD, Structure, 35. 174 Rühli, Anforderungen, 7-8. 175 Schweizer, Konzernführung, Abbildung 5, bezeichnet folgende Konzemleitungs-Funktio­ nen als nicht delegierbar: Festlegung der Konzemzielsetzungen sowie der strategischen Konzepte und der Verhaltensrichtlinien zur Wahrung der Unternehmenseinheit, Sicherstellung leistungsfä­ higer Strukturen, Beschaffung und Zuteilung der erforderlichen Ressourcen, Koordination von divisionsübergreifenden Funktionen, Erfolgskontrolle und Auditing.

te rechtliche Einheiten, z.B. Management-, Finanz- und andere DienstleistungsgeSeilschaften, durchaus üblich176. Ganz generell wird in empirischen Untersuchungen bestätigt, daß ein Unter­ schied besteht zwischen strategischer und operativer Einflußnahme der Konzern­ führung auf Tochtergesellschaften177. Die strategische Einflußnahme, unterstützt durch eine zentralisierte Finanz- und Kaderpolitik, scheint conditio sine qua non jeder typischen Konzernorganisation darzustellen178. Auch das Cash-Management ist häufig zentralisiert oder teilzentralisiert, indem mittels periodischem pooling oder netting das Ziel einer optimalen Konzernliquidität verfolgt wird179. Operative Grundfunktionen wie Beschaffung, Produktion und Absatz180, d.h. Entscheide über Produktionsmengen, Marketing, Werbung, Personalpolitik (für untere Char­ gen) und sonstige Fragen des Produktionsalltags, sind jedoch oft im primären Kom­ petenzbereich des Tochtermanagements181. Dabei ist immerhin zu beachten, daß auch diese Entscheide von strategischen Vorgaben stark mitbeeinflußt sein kön­ nen182. Im übrigen ist bei der Einflußnahme der Konzernführung auf Tochtergesell­ schaften zwischen verschiedenen Einflußphasen (Anregungs-, Such-, Entscheidungs-, Realisierungs-, Kontrollphase)183 zu differenzieren, welche für eine be­ stimmte Angelegenheit ganz unterschiedlich zentralisiert bzw. dezentralisiert sein können. Zudem kann sich der Grad der Zentralisierung je nach internen und ex­ ternen Umständen relativ kurzfristig wandeln184. Wichtig scheint weiter der Hinweis, daß ein Tochtermanagement nicht nur den Einflüssen der Konzernleitung ausgesetzt ist. Politische oder rechtliche Auflagen des Gastlandes185, gewerkschaftliche Einflüsse oder eine institutionalisierte Arbeit­ nehmer mitbestimmung186 können die Abhängigkeit einer Tochtergesellschaft von der Konzernmutter stark relativieren. 176 Vgl. die Tendenz in der Schweiz, zunehmend von Stammhaus- zu Holdingstrukturen überzugehen und dabei (evtl, steuerrechtlich bedingte) Ausscheidungen von Management-, Fi­ nanz- und Dienstleistungsfunktionen aus der obersten Konzerngesellschaft vorzunehmen; Jakob, Strukturveränderungen, 19-21; Flubacher/Filli, 573f. 177 OECD, Structure, 54-55. 178 Schluep, Unternehmenskonzentration, 269ff.; Schoop, Probleme, 108ff.; Spahni-Klaß, Cash Management, 14ff.; Slongo, Leitung, 96-102; Ausnahmen bilden reine Holding- bzw. In­ vestmentgesellschaften, welche u.U. ohne zentralisierte Konzemleitung funktionieren; vgl. Slon­ go, Leitung, 81 ff.; Blumberg I, 432-434; Clark, Holding, 819ff. 179 Spahni-Klaß, Cash Management, 41 ff; auch im operativen Bereich können somit zentrali­ sierte Funktionen bestehen, nebst Cash-Management z.B. auch Stabsdienste wie Recht oder Controlling; vgl. Albers, Haftungsverhältnisse 59-70. 180 Slongo, Leitung, 68-71. 181 OECD, Structure, 11-12. 182 OECD, Structure, 12. 183 Slongo, Leitung, 21; OECD, Structure, 12. 184 OECD, Structure, 12. 185 OECD, Structure, 40-41. 186 Zu den dadurch bewirkten Problemen im deutschen Konzemrecht; vgl. Emmerich/Son­ nenschein, 86-90.

Im übrigen bedeutet eine dezentrale Struktur an der Konzernspitze noch keines­ wegs eine entsprechende Autonomie aller Tochtergesellschaften. Die Zusammen­ fassung mehrerer Töchter zu einem Profit-Center kann evtl, erst auf einer unteren Ebene zu einem weitgehenden Verlust der Tochter-Autonomie fuhren. Es recht­ fertigt sich deshalb, auch das Konstrukt des Teilkonzerns (Subkonzerns) im Auge zu behalten187.

2.6. Multinationale Konzerne und die Schweiz 2.6.1. Zur Auslandsaktivität schweizerischer Konzerne

ADI ragen innerhalb des generell hohen Auslandsengagements der Schweizer Wirtschaft188 besonders hervor189. Mit über 125 Milliarden Franken an bestehen­ den Direktinvestitionen im Ausland190 dürfte die Schweiz nach wie vor etwa 6% des Weltanteils an ADI besitzen191. Sie gehört damit zu den größten internationa­ len Direktinvestoren der Welt192. Die schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland bilden somit einen wesent­ lichen Teil der sog. sechsten Schweiz193, d.h. der schweizerischen internationalen Wirtschaft. Die Produktion schweizerischer Unternehmen im Ausland übersteigt z.B. diejenige des Exportsektors194. Auslandsdirektinvestitionen sind folglich ent­ scheidend mitverantwortlich für den hohen schweizerischen Lebensstandard195. Die Rückführung von Kapitalerträgen aus dem Ausland hat zudem dazu beigetra­ gen, daß die notorischen Handelsbilanzdefizite der schweizerischen Volkswirt­ schaft seit 1950 nie zu einer negativen Zahlungsbilanz führten196. Den Löwenanteil der schweizerischen ADI halten die Großkonzerne197, auch wenn sich in den letzten Jahren vermehrt mittlere oder gar kleinere Unternehmen in der Auslandsproduktion zu engagieren begannen198. Drei von vier Arbeitsplät­ 187 Von Greyerz, Teilkonzem, 149f.; Teubner, Konzemhaftung, 279. 188 Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 8-10; Halbheer/Harabi/Bachen, 64—66 (mit Hinweisen). 189 Halbheer/Harabi/Bachen, 60f. 190 Angaben der Schweizerischen Nationalbank für das Jahr 1993; vgl. NZZ vom 24./25. Sep­ tember 1994, 23. 191 Borner/Wehrle, 78-80. 192 Borner/Wehrle, 80; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 19-21. 193 Zum Begriff, Borner/Wehrle, 7-8. 194 Borner/Wehrle, 80. 195 Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 26-27; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 30-31; vgl. auch Fürer, Kleinstaat, 231 ff. und Niehans, Benefits, passim. 196 Kleinewefers/Pfister, 510, Tabelle 646. 197 Borner/Wehrle, 131-133; gemäß diesen Autoren werden die direkten Operationen der Schweizer Industrie im Ausland fast exklusiv im Schoße von rund 50 MNK mit Konzemsitz in der Schweiz getätigt - rund 80% dieser Tätigkeit entfällt auf die 15 größten MNK der Schweiz (Nestle, Ciba-Geigy, ABB, Hoffmann-La Roche, Alusuisse, Sandoz etc.); vgl. a.a.O., 133. 198 Nelson, Direktinvestitionen, 69-70; Borner/Wehrle, 155-167; dabei spielten im übrigen auch die NFAE eine gewichtige Rolle; vgl. Hämisegger, Neue Formen, 218ff; Borner/Wehrle, 157ff.

zen der größten Schweizer Industrieunternehmen befinden sich im Ausland199. Deren Schwergewichte liegen in den Produktionsbereichen Maschinen, Chemie und Nahrungsmittel200. Zu erwähnen sind überdies die sich verstärkt internationa­ lisierenden Dienstleistungskonzerne, vor allem die Versicherungen und Ban­ ken201. Regional absolut zentral ist der EU-Raum, welcher auch für die Exportin­ dustrie primären Charakter aufweist202. Innerhalb der EU sind als Investitionsstand­ orte in erster Linie Deutschland, England, Frankreich und Italien von Bedeu­ tung203. Außerhalb Europas ist der nordamerikanische Markt, besonders die USA, als Zielgebiet schweizerischer Auslandsdirektinvestitionen von großer Wichtig­ keit204. Die Schweizer Industrie tätigte zudem namhafte Investitionen in Entwick­ lungsländern205. Die große Bedeutung der Multinationalen Unternehmen für die schweizerische Volkswirtschaft wird zum Teil auch kritisch beurteilt. Man ver­ weist warnend auf ihre Macht in Politik und Gesellschaft ganz allgemein206.

2.6.2. Zur Aktivität ausländischer Konzerne in der Schweiz Die Direktinvestitionen ausländischer Konzerne in der Schweiz haben sich im Zuge der Internationalisierung der Weltwirtschaft parallel zu den Auslandsaktivitä­ ten schweizerischer MNK verstärkt207, auch wenn sie seit Anfang der neunziger Jahre zu stagnieren scheinen208. Schätzungen in den achtziger Jahren bezifferten ihre kapitalmäßige Summe auf ca. einen Drittel bis die Hälfte der schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland209. Borner/Wehrle schätzten 1984 die von auslän­ dischem Kapital beherrschten schweizerischen Arbeitsplätze auf ca. 120’000. Dies entsprach rund 4% der erwerbstätigen Bevölkerung der Schweiz210. 199 Borer/Wehrle, 150,134; dieselben Autoren (a.a.O., 133, Tabelle 16) weisen die Verhält­ nisse von Nestle bezüglich der angestellten Mitarbeiter aus - danach standen 1980 den 7.400 in der Schweiz arbeitenden Nestle-Angestellten 145.600 im Ausland gegenüber. 200 Bomer/Wehrle, 135-136. 201 Vgl. Schlup, Direktinvestitionen, 284. 202 Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 21-27; Bomer/Hämisegger/Knöpfel, 13-14; Schlup, Di­ rektinvestitionen, 284-286. 203 Bomer/Wehrle, 134; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 24—27. 204 Schlup, Direktinvestitionen, 284; Nelson, Direktinvestitionen, 21-25; Bomer/Wehrle, 134. 205 Rund 14% der schweizerischen ADI entfallen auf Entwicklungsländer; vgl. Schlup, Direkt­ investitionen, 284; Bomer/Wehrle, 81 ff. 206 Höpflinger, Imperium, 29 ff. 207 Bomer/Wehrle, 130; den größten Personalbestand in der Schweiz wiesen gemäß diesen Autoren die Firmen Siemens-Albis (BRD), Viscosuisse (F), IBM (USA), ITT (USA), Unilever (NL), Electrolux (S), Philips (NL), Scintilla (BRD), NCR (USA) und Philip Morris (USA) auf; vgl. a.a.O., FN 16; hier dürften sich inzwischen aber wesentliche Verschiebungen ergeben ha­ ben. 208 Der Geschäftsbericht der Vereinigung schweizerischer Industrie-Holdinggesellschaften 1993, S. 16, spricht gar von einem „dramatischen Rückgang“ der jährlichen Neuinvestitionen. 209 von Tschamer, Außenwirtschaft, verweist auf eine Schätzung von SFr. 17 Mio. für das Jahr 1983 bei einer Bezifferung der schweizerischen ADI auf SFr. 39.7 Mio. 210 Bomer/Wehrle, 130; Schweizer Unternehmen dürften andererseits im Ausland über

Ueberdies ist darauf hinzuweisen, daß in der Vergangenheit verschiedene Kon­ zernmutter- bzw. Konzernholdinggesellschaften (unter anderem aus steuerlichen Gründen) ihren Sitz vom Ausland in die Schweiz verlegten211. Inwiefern solche Konzerne heute als schweizerisch zu bezeichnen sind, dürfte in erster Linie von der Problemlage abhängen.

3. Zum Entwicklungsstand des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne

3.1. Allgemeines Trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung der MNK und der unbestreitba­ ren Aktualität der MNK-Haftungsproblematik212 wurde das Haftungsrecht Multi­ nationaler Konzerne bisher weder völkerrechtlich noch in den einzelnen Landes­ rechten sehr fortschrittlich angegangen213. Der Zustand demonstriert in drasti­ scher Weise den steten Rückstand der Gesetzespositivität gegenüber der Rechts­ wirklichkeit. Ganz allgemein hat sich bis anhin kein spezifisches Recht Multinationaler Kon­ zerne auszubilden vermocht, auch wenn sich die Literatur gelegentlich in dieser Richtung bemühte214. Desgleichen ist eine kohärente Kategorie MNK-Haftungsrecht bislang nirgends entwickelt worden215. Dieser Befund kann deshalb nicht er­ staunen, weil schon auf rein nationaler Ebene Konzernhaftungsprobleme erst zum Teil systematisch verarbeitet wurden. In vielen Ländern ist die Thematik noch kaum angepackt oder sogar noch nicht einmal richtig zur Kenntnis genommen worden216.

1 Mio. Arbeitnehmer beschäftigen (vgl. Jahresbericht der Vereinigung schweizerischer Industrie­ Holdinggesellschaften 1993, S.9). 211 Bomer/Wehrle, 131; Beispiele sind Pirelli, Kühne & Nagel, Merck, Jacobs-Suchard, Lieb­ herr. 212 Vgl. die Beispiele hinten I.4.; die praktische Bedeutung der Problematik geht im übrigen weit über die sporadisch auftretenden Gerichtsfälle hinaus, indem jede rationale Konzemplanung im Zusammenhang mit der Gründung und Führung einer ausländischen Tochter den Haftungs­ aspekt zu berücksichtigen hat; vgl. Schießl, Umstrukturierung, 513-517. 213 Generell wird dem Konzemrecht innerhalb des Gesellschaftsrechts eine eher untergeord­ nete Bedeutung beigemessen; vgl. Lutter, Europa, 332, FN 36; für die Schweiz: vgl. Meier-Hayoz/Forstmoser, 438ff.; Forstmoser, Aktienrecht, 298-301; von Greyerz, Aktiengesellschaft, 31­ 32; von Steiger, Aktiengesellschaft, 6; Siegwart, Kommentar, Einleitung N 152-214. 214 Z.B. Vagts, Multinational, 739ff.; Großfeld, Untemehmensrecht, passim; Barton/Fisher, 855ff. 215 Vome 1.1. 216 OECD, Verantwortlichkeit, 32ff.; Blumberg II, 605ff.; vgl. auch hinten IV.

3.2. Völkerrecht Das Völkerrecht hat sich erst sehr begrenzt zum Thema der Haftung Multinatio­ naler Konzerne vernehmen lassen. Es deckt im Vergleich zum internationalen Handel überhaupt das ganze Gebiet der ADI und MNK nur spärlich ab217. Aus völ­ kerrechtlichen Konstanten ergeben sich so nur wenige direkte Konsequenzen für das MNK-Haftungsrecht218. Insbesondere materielle Vorschriften sind im Völker­ recht, von EU-Gesetzesvorschlägen219 abgesehen, nirgends bindend festgeschrie­ ben220. Einzig unter den OECD-Verhaltensrichtlinien für Multinationale Unter­ nehmen, welchen aber kein rechtsverbindlicher Charakter eigen ist, kam es im Zu­ sammenhang mit dem Fall Badger zu einer Ausformulierung allgemeiner Prinzi­ pien zur MNK-Haftung221.

3.3. Nationale Rechte Die Haftungsbeschränkung juristischer Personen hatte ihre frühesten Wurzeln bei den englischen Handelsgesellschaften. Sie vermochte sich jedoch erst im Libe­ ralismus des 19. Jahrhunderts entscheidend durchzusetzen. Anstoß dazu waren un­ ter anderem die höheren Risiken und Kapitalbedürfnisse der neuen, hochtechni­ sierten und in bisher unbekannte Größendimensionen vorstoßenden Unterneh­ men (vor allem Eisenbahnen)222. Konzernstrukturen mit Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaften waren dabei aber kein Thema und in den USA bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Teil sogar untersagt223. Das wirtschaftliche Phänomen Konzern224 und dessen juristische Erfassung225 sind somit in erster Linie Erschei­ nungen des 20. Jahrhunderts. 217 Vgl. hinten H.4.2.; Barton/Fisher, 749f.; Verdroß/Simma, 212-220; Wildhaber, Multina­ tionale, 7ff.; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 145ff., 261 ff.; Müller/Wildhaber, 383f.; Mahari, Codes, 3ff; Caves, Multinational, 295-299; Vernon, Storm, 191 ff; dem entspricht eine traditio­ nell untergeordnete Beschäftigung der internationalen Wirtschaftswissenschaft mit dem Phäno­ men der ADI; vgl. Meier, International, passim; Rose, Außenwirtschaft, passim. 218 Hinten II.4.2. 219 Dazu hinten IV.2.3. 220 Auch die „Decision 24 of the Andean Common Market“ äußerte sich nicht zum MNK Haftungsproblem, obwohl sie detaillierte Bestimmungen zu den Investitionen von MNK in An­ denstaaten enthielt; 16 I.L.M. 138 (1977) - dasselbe gilt für die neue (liberalere) „Decision 220“; vgl. 27 I.L.M. 974 (1988). 221 Hinten 1.4.6. 222 Blumberg III, 18-19; für die Schweiz: Vogt, Theorie, 479-480; von May, Gründung, 19­ 21; zur Geschichte der Haftungsbeschränkung juristischer Personen allgemein: Blumberg III, 3-53; Orhnial, Liability, 81ff; Dodd, Evolution, 1351ff; Forstmoser, Aktienrecht, 71-85; Fick, Geschichte, lff. 223 Blumberg III, 55-62. 224 Vome 1.2.2. 225 Bzw. seine Entsprechungen wie Untemehmensgruppe (Wiedemann, Untemehmensgrup­ pe); verbundene Unternehmen (Tobler, Haftungsverhältnisse); corporate group (Blumberg I-IV); groups of Companies (Hopt, Multinational); groupes de societes (Houin, Groupes).

Sowohl in Deutschland226 wie in den USA227 wurden anderseits schon um die Jahrhundertwende die Gefahren erkannt, welche von mächtigen Unternehmens­ konglomeraten (in den USA damals vor allem trusts)228 ausgehen können. Die pri­ vatrechtlichen und die haftungsrechtlichen Auswirkungen von Konzernverschach­ telungen wurden aber erst in den Zwischenkriegsjahren ernsthaft thematisiert229. In den USA griffen namhafte Vertreter der Lehre (Douglas/Shanks, Latty, Bal­ lantine, Powell)230 und Justiz (Cardozo231, Hand232) die Problematik als erste auf. 1936 kam es zur wegweisenden New Yorker Entscheidung in Sachen Lowendahl. Sie leitete die amerikanische Durchgriffsrechtsprechung ein233. In Deutschland ste­ chen aus den Zwischenkriegsjahren die konzernrechtlichen Beiträge Kronsteins, Friedländers, Rosendorffs, Hamburgers und Haußmanns hervor234. In den deut­ schen Aktienrechtsrevisionen der Jahre 1931 und 1937 wurden zudem erstmals konzernrechtliche Vorschriften (von allerdings untergeordneter Bedeutung) kodi­ fiziert235. Für die Schweiz haben von Steiger, Capitaine, Siegwart, Frankenberg, Joß, Nägeli und Tobler bereits während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts Aspekte der Konzernproblematik aufgegriffen236. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Konzern generell stärker problematisiert. In den USA bildete sich eine allgemeine Durchgriffsrechtsprechung weiter237, wel­ che über die Arbeiten Sericks und Drobnigs238 auch Ausstrahlungen auf Europa und Lateinamerika239 zeitigte. Diese Durchgriffspraxis ist allerdings bis heute

226 Vgl. Ebenroth, Durchgriff, 124£, mit Hinweisen; vgl. auch Landesberger, Kartelle, pas­ sim. 227 Sherman Act von 1890, 15 U.S.C. lff 228 Vgl. Hom, Hochindustrialisierung, 171-172. 229 Blumberg III, 93-136. 230 Douglas/Shanks, 193ff; Latty, Subsidiaries, lff; Ballantine, Separate, 12ff; Powell, Pa­ rent, lff 231 Berkey v. Third Ave. Ry., 244 N.Y. 84, 95, 155 N.E. 58, 61 (1925). 232 Kingston Dry Dock Co. v. Lake Champlain Transp. Co., 31 F. 2d 265, 267 (2d Cir. 1929). 233 Lowendahl v. Baltimore & O.R.R., 247 A.D. 144, 287 N.Y.S. 62 (Ist Dept.); affd, 272 N.Y. 360; 6 N.E. 2d 56 (1936); vgl. Blumberg III, 112-117; vgl. im übrigen hinten IV.2.4. 234 Kronstein, Juristische Person, lff, 72ff; Friedländer, Konzemrecht, 59ff, 122ff; Rosen­ dorff, Konzerne, 11 ff, 35ff; Hamburger, Schuldenhaftung, lOff; Haußmann, Tochtergesell­ schaft, 53ff; vgl. auch die Hinweise bei Ebenroth, Durchgriff, 124f. 235 Nörr, Entwicklung, 155, 168ff; Emmerich/Sonnenschein, 4-8; hervorzuheben ist in die­ sem Zusammenhang insbesondere die Konzemdefinition in § 15 des Aktiengesetzes von 1937. 236 von Steiger, Holdinggesellschaften, 195a ff; Capitaine, Holdings, la ff; Siegwart, Kom­ mentar, Einleitung N 152; Frankenberg, Abhängigkeit, 158ff.;Joß, Konzemrechtsfragen, 132ff; Nägeli, Doppelgesellschaft, (Bd.I) 193ff; (Bd.2) 330 ff; Tobler, Haftungsverhältnisse, 37ff; vgl. Ebenroth, Durchgriff, 125f. 237 Blumberg III, 105-136. 238 Serick, Durchgriff, passim; Drobnig, Haftungsdurchgriff, passim. 239 Herrera, Disregard, 55ff; Pardinas, Dilemma, 35; Sericks Arbeit wurde ins Spanische über­ setzt; vgl. Puig, Aparencia, passim.

kaum konzernspezifisch verfeinert worden240. Ihre konzernhaftungsrechtliche Re­ levanz wird dadurch freilich nicht geschmälert241. Die deutsche Entwicklung führte in den Nachkriegsjahren über die amerikani­ sche hinaus. Eine 1965 dem Aktiengesetz angefugte Konzernrechtsnovelle ent­ hielt unter anderem auch konzernhaftungsrechtliche Bestimmungen242. Diesem Kodifikationsschritt waren mannigfaltige Beiträge und Untersuchungen der deut­ schen Lehre (z.B. Rasch, Würdinger, Mestmäcker, Ballerstedt) vorausgegang­ en243. 244 Auch die vielbeachteten ordoliberalen Thesen Walter Euckens und seine herausfordernde Sentenz vom Gleichlauf von Macht und Haftung144 verlangten nach adäquaten konzernrechtlichen Antworten. Die deutsche Konzerngesetzgebung von 1965 steht als systematischer Versuch, dem Konzern privatrechtlich Herr zu werden, bisher einzig da. Nur Brasilien und Portugal sind dem gesetzgeberischen Beispiel Deutschlands teilweise gefolgt245. Trotz der ursprünglich überschätzten praktischen Bedeutung der deutschen Kon­ zerngesetzgebung hat sich seit deren Inkrafttreten eine eigenständige deutsche Rechtsdisziplin Konzernrecht entwickelt. Sie hat sowohl Lehre wie Rechtspre­ chung zu kreativen Leistungen angespornt246. Dem haben andere Rechtsordnun­ gen wenig entgegenzusetzen. Blumberg247 hat zwar für die USA mit einer Zusam­ menfassung des amerikanischen Law of Corporate Groups begonnen. Die beeindrukkende Arbeit zeigt aber gerade auch eine gewisse Systemarmut des US-Konzern­ rechts248 und wohl auch des US-Rechts im allgemeinen auf. Vom französischen Konkurs- und Arbeitsrecht249 abgesehen, haben aber auch andere europäische Län­ der zum Konzernhaftungsrecht kaum Neues beigetragen250. Man wartet wohl auf die EU, welche in diesem Bereich zwei Gesetzesvorlagen entwickelte (ursprüngli­ cher SE-Entwurf, 9. Richtlinie)251. Auch ein schweizerisches Konzern- bzw. Konzernhaftungsrecht hat sich bisher, trotz einigem Bemühen der jüngeren Lehre (z.B. Druey, Albers, Ruedin, Petitpierre-Sauvain, Zweifel, von Graffenried, Bosmann, A. von Planta, Handschin, Zür­ cher)252, noch nicht durchsetzen können. Es gab immerhin ernsthafte Anstöße zu 240 Dazu hinten IV.2.4.; Blumberg III, 681-686. 241 Blumberg III, 105ff.; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 125ff. 242 Hinten IV.2.1. 243 Z.B. die Gutachten Raschs und Würdingers zum 42. deutschen Juristentag 1957, Bd 1/3, lff., 37f. (Rasch), resp. II F, 5ff. (Würdinger); Ballerstedt, Unternehmen, 7ff; Mestmäcker, Konzerngewalt, 287ff. 244 Eucken, Grundsätze, 279ff. 245 Hinten IV.2.10. und 2.11. 246 Hinten IV.2.1. 247 Blumberg I-IV, nun ergänzt durch Blumberg/Straßer. 248 Hinten IV.2.4. 249 Hinten IV.2.2. 250 Lutter, Europa, 335ff; hinten IV.2.5. ff. 251 Hinten IV.2.3. 252 Druey, Konzernrecht, 273ff; Albers, Haftungsverhältnisse, 7ff; Ruedin, Propositions, 99ff; Petitpierre-Sauvain, Groupes, passim; Zweifel, Konzemrecht, 24—29; von Graffenried, Konzemgesetzgebung, 133ff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 83ff; von Planta A., Hauptak­

gesetzgeberischer Tätigkeit253 sowie Vorschläge zur konzernadäquaten Auslegung bestehender Privatrechtsnormen254. Nachdem die gesetzgeberischen Bestrebun­ gen vorläufig vertagt wurden255, dürfte zumindest mittelfristig nur mehr die zweite Alternative von praktischer Bedeutung sein256. Die internationale Entwicklung des materiellen Konzernrechts (einschließlich des Konzernhaftungsrechts) scheint damit alles in allem eher schleppend voranzu­ kommen257. Fast noch ausgeprägter gilt dies für das IPR und das IZPR des Kon­ zerns258. Damit einher geht die noch kaum begonnene haftungsrechtliche Bewälti­ gung des Multinationalen Konzerns als Rechtskategorie sub specie259. 3.4. Folgerungen aus dem Fehlen kohärenter Haftungsrechtsregelungen für Multinationale Konzerne Der kurze Ueberblick über das geltende Haftungsrecht Multinationaler Konzer­ ne hat ergeben, daß in unterschiedlichem Grade rechtliche Fragmente bereitste­ hen, die zur sachgerechten Lösung von MNK-Haftungsfragen herangezogen wer­ den können. Es fehlt aber allerorts an einer wirtschaftsrechtlichen Gesamtkonzep­ tion, welche Fragen der Haftung Multinationaler Konzerne adäquat im Lichte der internationalen Wirtschaft funktionalisieren würde. Angesichts dieses Mangels empfiehlt sich eine Neustrukturierung der MNK-Haftungsproblematik. Hiefür müssen jedoch zuerst die einschlägigen Rechtsfragen anhand von Beispielen in­ duktiv erarbeitet werden.

4. Beispiele zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne 4.1. Allgemeines Bevor zu einer systematischen Generalisierung der Haftungsproblematik Multi­ nationaler Konzerne übergegangen werden kann, muß deren Komplexität und tionär, 48ff.; Handschin, Konzern, passim; Zürcher, Gläubigerschutz, 153ff; vgl. im übrigen hin­ ten V.2. 253 Zwischenbericht Aktienrecht, 192ff; Motion Koller, Sten Bull NR 1974, 889f; vgl. nun aber die abwartende Stellungnahme in Groupe de rflexion, 73 ff. 254 Hinten V.2. 255 Vgl. dazu die Botschaft zum neuen Aktienrecht, BB1 1983 II/2, 749: „Die Konzerne wer­ fen mannigfaltige Probleme auf, die in einer weiteren Revisionsphase gelöst werden müssen“; im­ merhin wird auch festgehalten: „Die Konzemrechtsgesetzgebung wird in naher Zeit an die Hand genommen“, a.a.O., 817. 256 Vgl. hinten V.3. 257 Vgl. die detaillierten rechtsvergleichenden Ausführungen hinten IV.2.; vgl. nun auch An­ tunes, Liability, passim. 258 Hinten IV.3. bzw. IV.4. 259 Immerhin finden sich gewisse Ansätze hiezu in einzelnen Gerichtsentscheiden, so vor al­ lem in den weiter hinten (1.4.) besprochenen Fällen Bhopal, Amoco Cadiz und Deltec.

Vielschichtigkeit aufgezeigt werden. Das läßt sich am besten anhand von Beispie­ len wie der Bhopal-Katastrophe tun. Das Unglück hat denn auch die rechtliche Diskussion zur Haftung Multinationaler Konzerne stark geprägt260. Die Fälle Seveso und Firestone demonstrieren sodann, in welcher Weise die schweizerische Rechtsordnung in die MNK-Haftungsproblematik miteinbezogen ist261.

4.2. Der Fall Bhopal

Union Carbide Corporation, die in den USA (Delaware) inkorporierte Mutter­ gesellschaft des gleichnamigen Chemie-Konzerns, besaß 50,9% der Aktien ihrer in­ dischen Tochtergesellschaft Union Carbide India, Ltd. Diese betrieb in Bhopal, In­ dien, eine Fabrik zur Produktion von Pestiziden, aus welcher in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 40 Tonnen Methylisozyanid-Gase entwichen. Die Fol­ gen der Katastrophe waren verheerend. Es gab mehr als 2000 Tote und eine im­ mense Anzahl Verletzter262. Gleich nach dem Unfall eilte eine Gruppe amerikanischer Anwälte an den Un­ fallort. Ihr erklärtes Ziel war, unter den Opfern und ihren Angehörigen Klienten für Haftpflichtklagen gegen Union Carbide zu werben. Innerhalb der nächsten Monate wurden nahezu 150 Klagen bei verschiedenen US-Gerichten eingereicht. Im Frühjahr 1985 erließ das indische Parlament ein Gesetz (Bhopal Gas Leak Dis­ aster Processing Act), mit welchem die rechtliche Vertretung aller Geschädigten dem indischen Staat überantwortet wurde. Dies führte schließlich zu einer alle Ansprü­ che indischer Unfallopfer konsolidierenden Klage gegen die Konzernmutter Union Carbide Corporation bei einem Bundesdistriktsgericht in New York263. Die indische Regierung machte geltend, die Beklagte habe zu jeder Zeit die gänzliche Kontrolle über ihre indische Tochtergesellschaft und die Produktionsan­ lagen in Bhopal ausgeübt. Insbesondere habe sie diese Anlagen entworfen, gebaut, besessen, verwaltet und überprüft. Union Carbide Corporation sei damit besser als irgend jemand sonst in der Lage gewesen, die Bhopal-Katastrophe zu verhin­ dern. Die indische Regierung behauptete im einzelnen folgende Anspruchsgrund­ lagen: 260 Symposium-Bhopal, passim; Vagts, Transnational, 141-142; Kolvenbach, Reflections, 357f.; Kolvenbach, Storm, 47ff.; Kolvenbach, Umwelthaftung, 322f.; Hillman, Liability, 66ff.; Seward, Bhopal, 695ff.; Note, Bhopal, 215ff; Schäfer, Bhopal, passim. 261 Vgl. auch andere publik gewordene Konzernhaftungsfälle: Raytheon-Elsi (Albers, Haf­ tungsverhältnisse, 117-118); BCI-HLB (Albers, Haftungsverhältnisse, 118-119); Banco Ambro­ siano (Schmitthoff, Ambrosiano, 361 ff); Herstatt (Lutter, Europa, 356); AEG (Kübler, AEG, 560ff); im Falle der Exxon-Ölkatastrophe in Alaska wurde die Haftung von Exxon Corp. als oberster Muttergesellschaft bisher offenbar nicht in Frage gestellt; vgl. NZZ vom 19. September 1994, 11, („Exxon zu hohem Schmerzensgeld verurteilt“). 262 Zum Unfallhergang, vgl. New York Times, Jan. 28, 1985, Al („The Bhopal Disaster: How It Happened“). 263 Complaint by the Union of India against Union Carbide Corporation, filed with the Uni­ ted States District Court, S.D.N.Y., April 8, 1985, 85 Civ. 2696 QFK).

1. Für hochgefährliche Aktivitäten, wie diejenige der Pestizidproduktion in Bhopal, müsse, ungeachtet der Delegation dieser Produktion an Tochtergesell­ schaften, eine Verantwortlichkeit des Geamtkonzerns (multinational enterprise liabili­ ty) angenommen werden. MNK-Muttergesellschaften hätten eine zwingende, nicht delegierbare Verpflichtung, solche Aktivitäten de lege artis durchzufuhren und für die höchsten verfügbaren Sicherheitsvorkehren besorgt zu sein. Zudem hätten sie die Pflicht, betroffene Regierungen und Bevölkerungsgruppen über die verbleibenden Produktionsrisiken vollumfänglich zu informieren. Diese Pflicht habe die Beklagte verletzt, womit sie haftbar sei264. 2. Für hochgefährliche Aktivitäten, wie diejenige in Bhopal, sei ohnehin eine Kausalhaftung (absolute liability) der dafür verantwortlichen Muttergesellschaft an­ zunehmen. 3. Die Produktionsanlagen in Bhopal hätten die für solche Aktivitäten geforder­ ten Sicherheitsstandards nicht erfüllt. Auch dafür hafte die Mutter (strict liability). 4. Die Versäumnisse der Beklagten im Zusammenhang mit dem Unfall stellten Sorgfaltspflichtverletzungen dar, womit sie auch wegen Fahrlässigkeit (negligence) hafte. 5. Die Beklagte habe gegenüber der indischen Regierung und den Betroffenen teils ausdrückliche, teils implizite Versicherungen abgegeben, wonach die Bhopal­ Anlagen den höchsten Sicherheitsstandards genügten. Da dies nicht der Fall gewe­ sen sei, hafte die Beklagte auch aus Gewährleistung (breach of warranty). 6. Da die Beklagte um die Unrichtigkeit der gegenüber den indischen Behör­ den abgegebenen Sicherheitsgarantien gewußt habe, hafte sie auch aus absichtli­ cher Täuschung (misrepresentation). Ohne daß es zu einer gerichtlichen Klärung der materiellen Rechtslage kam, wurde die Klage der indischen Regierung prozessual von der Hand gewiesen265. Das erstinstanzliche US-Bundesdistriktsgericht berief sich (trotz prinzipieller Zu­ ständigkeit) auf das amerikanischrechtliche Institut des forum non conveniens. Dieses stellt eine Verneinung der örtlichen Zuständigkeit ins Ermessen der Gerichte, so­ fern ein anderer, besser geeigneter Gerichtsstand zur Verfügung steht266. Das Di­ striktsgericht und die nachfolgende Appellationsinstanz prognostizierten, die indi­ schen Gerichte seien in einer besseren Lage, die spezifischen faktischen und in­ disch-rechtlichen Probleme dieses Falles zu lösen. Nach Abwägung aller tangier­ ten privaten und öffentlichen Interessen kamen beide Instanzen deshalb überein­

264 Zu dieser Theorie auch Hillman, Liability, 66-70; vgl. zu materiellrechtlichen Haftungs­ theorien im Zusammenhang mit Bhopal auch Westbrook, Theories, 321 ff. 265 In re Union Carbide Gas Plant Disaster at Bhopal, India, in December 1984, 634 F. Supp. 842 (S.D.N.Y. 1986), affd & mod. 809 F. 2d 195 (2nd Dist. 1987). 266 Bom/Westin, 208-242.

stimmend zum Schluß, daß dem Antrag der Beklagten zu folgen und die Klage, mit Bedingungen versehen267, von der Hand zu weisen sei268. Die indische Regierung klagte am 5. September 1986 erneut gegen Union Carbi­ de Corporation; diesmal vor dem Distriktsgericht in Bhopal269. Die Klägerin bezif­ ferte dabei die Schadenersatzsumme aufüber drei Milliarden US-Dollar. Das angeru­ fene Gericht erließ am 17. Dezember 1987 eine Verfügung, in welcher Union Carbi­ de Corporation zur provisorischen Bezahlung von rund US $ 270 Millionen ver­ pflichtet wurde. Die zuständige Appellationsinstanz (High Court Madhya Pradesh) bestätigte die Anordnung mit Urteil vom 4. April 1988. Sie reduzierte die Summe der provisorischen Schadenersatzzahlung aber auf rund US $ 195 Millionen270. Im Appellationsurteil wurde der Schluß gezogen, die Konzernmutter Union Carbide Corporation sei prima facie gegenüber den Opfern der Bhopal-Katastro­ phe haftbar. Das Gericht stützte sich dabei auf eine indisch-rechtliche Durchgriffstheorie (lifting bzw. pierdng the (corporate) veil)271. Das Urteil hielt unter Bezugnah­ me auf den die Haftungstrennung zwischen Gesellschaft und Alleinaktionär bestäti­ genden englischen Leitentscheid Salomon v. Salomon272 fest, seither sei „viel Wasser den Ganges hinuntergeflossen“273. Indische Präjudizien suggerierten, daß ein Haf­ tungsdurchgriff aufgrund von Billigkeitserwägungen (equitable considerations) gestat­ tet sei. So rechtfertige sich ein Durchgriff nicht nur im Falle der mißbräuchlichen Verwendung von Tochtergesellschaften (fraud or improper conduct), sondern auch dann, wenn es um die Durchsetzung des Zwecks (objectives) von Gesetzen gehe274. Die wirksame Umsetzung des Haftpflichtrechts verlange deshalb im vorliegenden Fall, daß auf die amerikanische Konzernmutter durchgegriffen werde. Erstens sei­ en die Mittel der indischen Carbide-Tochter zur Schadensdeckung völlig ungenü­ gend275. Zweitens habe Union Carbide Corporation eine umfassende faktische Kontrolle (real control9 full and effective control) über ihre indische Tochter ausge­ übt276. Das Gericht leitete den Kontrollbefund aus der Anteilsmehrheit der Beklag­ ten ab. Ihr sei dadurch möglich gewesen, die Zusammensetzung des Verwaltungsra­ tes (board) ihrer indischen Tochter sowie deren Management zu kontrollieren. 267 Die von der Appellationsinstanz modifizierten Bedingungen setzten ein rechtsstaatliches Verfahren vor den indischen Gerichten und die freiwillige Einlassung Union Carbides auf dieses Verfahren voraus. Zudem mußte Union Carbide aufjegliche Verjährungseinreden vor der indi­ schen Gerichtsbarkeit verzichten. Im Gegensatz zur Vorinstanz verfugte die Appellationsinstanz, daß die Beklagte sich einer späteren Vollstreckung des indischen Urteils in den USA nicht grund­ sätzlich widersetzen dürfe; vgl. a.a.O., 809 F. 2d, 195, 202-206. 268 Vgl. dazu auch Note, Bhopal, 215f. 269 Vgl. zum prozessualen Vorgehen in Indien auch Abraham/Abraham, 341 ff. 270 Order of the High Court of Madhya Pradesh (Judge Seth), April 4, 1988, Civil Revision, 26/88. 271 Order, a.a.O., 88-93. 272 1897 A.C. 22. 273 Order, a.a.O., 89. 274 Order, a.a.O., 89-91. 275 Die Aktiven der indischen Carbide-Tochter beliefen sich offenbar auf weniger als 100 Mio. US $; vgl. Hillman, Liability, 67. 276 Order, a.a.O., 91-93.

Wenn sie dies nicht getan habe, sei das ihre freie Wahl gewesen und könne sie nicht von Verantwortung befreien277. Im übrigen habe aber tatsächlich eine echte Ver­ strickung zwischen Mutter und Tochter bestanden, insbesondere punkto Personal und technologischer Unterstützung278. Daß alle konzerninternen Transaktionen offenbar mittels arm's length-Vertrigen abgewickelt worden seien, ändere an der Ab­ hängigkeit der indischen Tochter nichts. Die derart gestalteten Vertragsverhältnis­ se seien bloß die konsequente Weiterführung der Fiktion (fiction) einer rechtlichen Trennung der beiden Gesellschaften gewesen279. Das Gericht widersprach damit in seiner Analyse den verschiedenen faktischen und rechtlichen Einwendungen Union Carbides gegen den angeordneten Durch­ griff. Es ließ z.B. die Behauptung nicht gelten, eine Sabotage habe den Unfall ver­ ursacht280. Auch die These einer Mitverantwortung des indischen Staates, aus der Union Carbide einen verrechenbaren Haftungsanspruch gegen die klagende Re­ gierung ableiten wollte281, vermochte nicht durchzuschlagen. Dieser als Widerkla­ ge (counterclaim) ausformulierte Gegenanspruch beruhte auf den politischen Ein­ flüssen, welche der indische Staat angeblich auf Ursache und Schadenshöhe der Bhopal-Katastrophe hatte. Behauptet wurde insbesondere, Union Carbide sei im Zuge der Importsubstitutionspolitik Indiens gezwungen worden, das fragliche Pe­ stizid in Indien zu produzieren, nachdem man es früher nach Indien exportiert hat­ te. Der indische Staat habe damit die Produktionsrisiken bewußt auf sich genom­ men und habe sie im übrigen auch genau gekannt. Des weitern wurde ins Feld ge­ führt, die lokalen Behörden in Bhopal/Madhya Pradesh hätten den Bau von Wohnsiedlungen rund um die Pestizidproduktionsanlagen erlaubt, obwohl sie um die Risiken gewußt hätten282. Andere in der Bhopal-Diskussion erörterte mögliche (Mit-)Ursachen des Un­ falls fanden im Urteil keine Erwähnung. Dabei war von ungenügenden Admini­ strativkontrollen der indischen Staatsinstanzen hinsichtlich der Operationen und Sicherheitsvorkehren in Bhopal die Rede gewesen. Ebensowenig berücksichtigt wurde der potentielle risikoerhöhende Einfluß indischer Gesetze auf die Produk­ tion in Bhopal. So bestanden möglicherweise Auflagen zur Anstellung lokalen Per­ sonals oder zur Verwendung indischer Produktionsmittel. Auch die angeblichen Versäumnisse der indischen Behörden in der Unfallnacht wurden nicht themati­ siert283. Der Weiterzug des Appellationsurteils an den obersten indischen Gerichtshof führte zu intensivierten Verhandlungen zwischen der indischen Regierung und 277 Order, a.a.O., 92. 278 Vgl. auch New York Times, Jan. 28, 1985 („US Company Said to Have Had Control in Bhopal“). 279 Order, a.a.O., 91-93. 280 Order, a.a.O., 26. 281 Order, a.a.O., 26-27. 282 Order, a.a.O., 26-27. 283 Vagts, Transnational, 141-142; zu den Auflagen, mit welchen MNK in Drittweltländern konfrontiert sein können; vgl. Nair, Role, 519f; Guisinger, Control, 157ff.

Union Carbide. Diese endeten in einem Vergleich, gemäß welchem sich Union Carbide Corporation zur Bezahlung von US $ 470 Millionen an die Bhopal-Op­ fer bereitfand284. Der Fall Bhopal bringt die MNK-Haftungsproblematik in ihrer Komplexität und Bedeutung besonders gut zum Ausdruck. Er beleuchtet einerseits die Viel­ schichtigkeit der zu entscheidenden Rechtsfragen (internationale Zuständigkeit, IPR, materielle Rechtsfragen, Vollstreckung). Er läßt aber ebenso durchschim­ mern, daß die Beurteilung von MNK-Haftungsfragen durch Gastlandgerichte die Gefahr unerwarteter opportunistischer Rechtsauslegung mit sich bringt, was um­ gekehrt Multinationale Unternehmen von Investitionen in solchen Ländern abhal­ ten kann285.

4.3. Der Fall Amoco Cadiz Am 16. März 1978 strandete der Öltanker Amoco Cadiz im Ärmelkanal, unweit der bretonischen Küste, in den Hoheitsgewässern Frankreichs. Das Schiff war nach einem Bruch des Steuerrades außer Kontrolle geraten. Reparaturversuche und ein herbeigerufener Rettungsschlepper aus Hamburg hatten das Schiff nicht vor dem Abdriften zu bewahren vermocht. Es stieß in der steinigen Küstengegend auf Grund und brach in zwei Hälften. Die beträchtlichen Mengen auslaufenden Öls verschmutzten große Teile der französischen Bretagne-Küste. Die in Liberia inkorporierte Amoco Transport Company (ATC) war Eigentü­ merin des in Liberia registrierten Unglückstankers. Sie operierte von Bermuda aus. ATC, als Teil des multinationalen Öl- und Chemiekonzerns Standard Oil, wurde indirekt (mittels 100%iger Anteile) durch Amoco International Oil Compa­ ny (AIOC) beherrscht. Diese in den USA (Delaware) inkorporierte Gesellschaft agierte von Chicago aus. AIOC wiederum war eine Tochter der Konzernmutter Standard Oil Company (Standard). Auch deren Operationszentrum befand sich in Chicago. Ihr statutarischer Sitz war in Indiana (USA). Die USA hatten, anders als Frankreich, die haftungsbegrenzende International Convention On Civil Liability For Oil Pollution Damage (CLC) aus dem Jahre 284 Die Höhe der Zahlungsverpflichtung wurde in vielen Kreisen als zu niedrig empfunden (vgl. New York Times, March 4, 1989, 38: „Indian Anger Over Bhopal“; The American Lawy­ er, May 1989, 99-105: „Carbide’s Escape, India’s Awkward Strategy Forced the Settlement“); eine gerichtliche Anfechtung des Vergleichs vor dem obersten indischen Gericht aber blieb er­ folglos (New York Times, March 31, 1989, 44: „Bhopal Settlement Set Aside“; Luzerner Neue­ ste Nachrichten, 14.9. 1991, „US-Firma muß wegen Katastrophe von Bhopal nochmals vor Ge­ richt“; vgl. auch Plädoyer, 6/1991, S. 1 Iff.); die New Yorker Börse reagierte positiv auf den Ver­ gleich, indem die Aktien Union Carbides nach der Vergleichsankündigung einen Sprung nach oben taten; vgl. The Wall Street Journal, Feb. 15, 1989, A 3; bis zum Jahre 1994 waren im übri­ gen offenbar erst rund 10% der Vergleichssumme an die indischen Opfer verteilt worden: NZZ vom 3./4. Dezember 1994, 79. 285 Vgl. zu diesem Aspekt, The Wall Street Journal, Dec. 21, 1984 („The Welcome Mat: Third World Nations Still Court Investment After Indian Tragedy“); Financial Times, March 28, 1985 („Bhopal lesson for multinationals").

1969 nicht ratifiziert. Aus diesem Grunde und wohl auch deshalb, weil vor ameri­ kanischen Gerichten mit größeren Schadenersatzsummen gerechnet werden konn­ te, klagten der Staat Frankreich, rund 90 Gemeinden der französischen Bretagne­ Küste und zahlreiche private Gruppen (z.B. Fischer und Hoteliers) in den USA auf Schadenersatz. Die bei einem Bundesdistriktsgericht des Staates Illinois konso­ lidierten Klagen richteten sich unter anderem gegen die beiden Konzernoberge­ sellschaften AIOC und Standard. Gefordert wurden über zwei Milliarden US-Dol­ lar. Mit Urteil vom 18. April 1984286 bejahte das angerufene Gericht seine Zustän­ digkeit, weil die beiden beklagten Gesellschaften von Illinois aus operierten. Das Institut des forum non conveniens wurde nicht in Erwägung gezogen286 287. Da sich die Katastrophe auf französischem Hoheitsgebiet ereignet hatte, wäre grundsätzlich französisches Haftungsrecht zur Anwendung gekommen. Das Gericht stellte sich aber auf den Standpunkt, es sei nicht dargetan worden, daß sich das französische vom einschlägigen amerikanischen Recht unterscheide. Damit könne US-Recht angewandt werden288. Im übrigen sei die nach französischem Recht an sich gülti­ ge, haftungsbegrenzende CLC nach richtiger Auslegung auf die US-Gesellschaf­ ten AIOC und Standard ohnehin nicht anwendbar289. In materieller Hinsicht wurde festgehalten, die Ursachen des Unfalls seien auf Mängel beim Bau (fehlerhafte Steuereinrichtungen) und Betrieb des Tankers (In­ standhaltung des Schiffs, Auswahl und Ausbildung der Crew) zurückzufuhren ge­ wesen290. Das Gericht untersuchte deshalb die faktischen Verantwortlichkeiten rund um Bau, Erwerb und Betrieb des gestrandeten Öltankers291. Dabei stellte es fest, AIOC sei sehr direkt in die operativen Belange der Amoco Cadiz verstrickt ge­ wesen292. Auch Standards strategische Rolle bei der Entwicklung, Finanzierung und Ueberwachung von Aktivitäten rund um die Amoco Cadiz wurde betont293. Dies reichte aus, um die beiden Konzernobergesellschaften für alle Schäden voll­ umfänglich haftbar zu erklären294. Zu AIOC bemerkte das Gericht: „22. Als Akteurin, welche die Operation, die Instandhaltung und die Reparaturen der Amoco Cadiz sowie die Auswahl und das Training der Crew vollständig kontrollier­ te, hatte AIOC die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der Tanker seetüchtig sowie sorgfältig instandgehalten und repariert wurde und daß die Mannschaft adäquat ausgebildet war. 23. AIOC erfüllte ihre Pflicht fahrlässig, für die Seetüchtigkeit, die Instandhaltung 286 In re Oil Spill by the Amoco Cadiz off the Coast of France on March 16, 1978, MDL Dok ket No. 376/N.D. 111. 1984, American Maritime Cases, 2123-2199. 287 Ebd., a.a.O., 2188. 288 Ebd., a.a.O., 2188-2189. 289 In re Oil Spill, a.a.O., 2190-2191; kritisch hiezu, Bartlett, Amoco Cadiz, 6-14. 290 In re Oil Spül, a.a.O., 2154ff. 291 Ebd., a.a.O., 2129-2172. 292 Ebd., 2186-2189. 293 Ebd., 2181-2186. 294 Ebd., 2191-2194.

und die erforderlichen Reparaturen der Amoco Cadiz im allgemeinen und ihres Steue­ rungssystems im besonderen zu sorgen.“295

Bemerkenswert sind auch die Ausführungen zur obersten Konzernmutter Stan­ dard: „43. Als integriertes multinationales Unternehmen, welches mittels eines Systems von Tochtergesellschaften in den Bereichen der Exploration, Produktion, Verarbei­ tung, des Transports und des Verkaufs von Ölprodukten die ganze Welt abdeckt, ist Standard verantwortlich für die haftungsbegründende Tätigkeit ihrer 100%igen Toch­ tergesellschaften AIOC bzw. ATC. 44. Standard übte ihre Kontrolle über AIOC und ATC derart aus, daß diese als bloße Instrumente Standards taxiert werden müssen. Zusätzlich war Standard selbst ursprüng­ lich bei Planung, Bau, Betrieb und Management der Amoco Cadiz beteiligt und behan­ delte das Schiff als wäre es ihr eigenes. 45. Standard haftet deshalb für ihre eigene Fahrlässigkeit und die Fahrlässigkeit AIOCs und ATCs im Zusammenhang mit der Konstruktion, dem Betrieb, dem Unter­ halt, den Reparaturen und dem Training der Mannschaft der Amoco Cadiz296“.

Damit bejahte das Gericht die Haftung Standards nicht nur infolge Fahrlässig­ keit (Verhaltenshaftung), sondern ließ die Gesellschaft auch aus deren genereller Konzernkontrolle haften (Strukturhaftung). Es hob dabei folgende Kontrollindi­ zien hervor297: die konsolidierte Konzernbilanz; die Darstellung des Konzerns nach außen als Einheit; - die Selbstdarstellung Standards als Muttergesellschaft, welche die Konzernaufgabe der strategischen Planung, der Finanzierung, Koordination, Ueberwachung und ande­ rer zentraler Dienstleistungen wahrnahm; - die Absenz von Minderheitsaktionären in den fraglichen Tochtergesellschaften Standards; - die Tatsache, daß diese Tochtergesellschaften nur für den Standard-Konzern tätig waren; — die Tatsache, daß Standard, AIOC und ATC mittels eines Netzwerkes von Dop­ pel- und Mehrfachorganen (interlocking directors and officers) gemanagt wurden; - die untergeordnete Bedeutung der juristischen Trennung zwischen Standard, AIOC und ATC bei Einsatz, Entlohnung, Weisungsunterworfenheit und Versetzung vor allem höherer Angestellter; - die Tatsache, daß unter den Managern des Standard-Konzerns nur wenig oder gar kein Bewußtsein einer rechtlichen Trennung der fraglichen Einzelgesellschaften be­ stand; - die Tatsache, daß der konzerninterne Transfer der Amoco Cadiz zu ATC nicht als Geschäft unter Dritten abgehandelt, sondern bloß in der Rechtsabteilung Standards konstruiert wurde;

295 Ebd., 2191. 296 Ebd., 2194. 297 Ebd., 2181-2186.

- die teilweise ausdrücklich angeordnete und praktizierte Weisungsunterworfen­ heit ATCs und AIOCs gegenüber Standard; die bei Standard zentralisierte Finanzkontrolle (internal audits). Ins Gewicht fiel zudem auch folgendes:

- der Standard Verwaltungsrat (board of directors) faßte einen ausdrücklichen Ent­ scheid zum Bau der Amoco Cadiz; die Finanzierung geschah durch zwei Standard­ Töchter und wurde von Standard selbst koordiniert; - die Zuteilung der Eigentumsrechte an der Amoco Cadiz wurde durch die zentra­ len Buchhaltungs-, Steuer- und Rechtsdienste Standards erledigt; — AIOC und Standard-Angestellte koordinierten die Kursstrecken der Amoco Ca­ diz regelmäßig so, daß der Standard-Konzern über eine lückenlose Rohölzufuhr ver­ fugte; - die Amoco Cadiz wurde durch eine Standard-Tochter versichert; Versicherungs­ angelegenheiten wurden zudem zentral durch Standard-Angestellte geplant und koor­ diniert; - ein Ölkatastrophenplan innerhalb des Standard-Konzerns verlangte, daß sofort AIOC- und Standard-Personen benachrichtigt würden und erwähnte ATC gar nicht; entsprechend wurde denn auch das Katastrophenmanagement nach dem Amoco Cadiz­ Unfall von Standard selbst übernommen. Die Amoco Cadiz-Entscheidung wurde sowohl in tatsächlicher wie in rechtli­ cher Hinsicht kritisiert298. Es wurde darauf hingewiesen, daß sie über die bisheri­ ge, allerdings uneinheitliche amerikanische Konzernhaftungsrechtspraxis299 hin­ ausgehe300. Ein Bundesappellationsgericht bestätigte das Urteil jedoch in allen we­ sentlichen Punkten301. Die zuständigen Gerichte legten sich dann aber bei der Schadenersatzberechnung Zurückhaltung auf. Die Kläger erhielten vorerst „nur“ US $ 115 Millionen zugesprochen302. Diese Zahl wurde später allerdings erhöht303.

4.4. Der Fall Seveso Die Seveso-Katastrophe vom 10. Juli 1976 gilt als Mahnmal moderner Industrie­ risiken304. Sie löste zudem das Problem der Haftung schweizerischer Unterneh­ men für ihre ausländischen Tochtergesellschaften aus. Das Unglück (Austritt von Giftgas und Verseuchung eines ganzen Gebiets) ereignete sich in einem Betriebsge­ bäude der Icmesa S.p.A. in Meda/Seveso, Italien. Icmesa war seit den 60er Jahren unter Kontrolle der Holding-Gesellschaft Givaudan & Co. S.A. mit Sitz in Genf. Givaudan ihrerseits gehörte zu 100% dem in Basel ansäßigen Hoffmann-La Roche­ Konzern. 298 Bartlett, Amoco Cadiz, 1-23. 299 Hinten IV.2.4. 300 Bartlett, Amoco Cadiz, 14-19. 301 954 F. 2d 1279 (7th Cir. 1992). 302 New York Times, Feb. 22, 1989, Dl. 303 The Wall Street Journal Europe, July 25, 1990, 16. 304 Seveso, Separatdruck, 3; Koch/Vahrenholt, Seveso, 1 ff.; vgl. zu Rechtsfragen bei Großrisi­ ken auch Schmid, Großrisiken, 5ff.

Die Schäden des Unfalls überstiegen die Aktiven der Icmesa bei weitem305. Es stellte sich deshalb von Anfang an die Frage einer allfälligen Mithaftung Givaudans und des Hoffmann-La Roche-Mutterhauses. Der damalige Verwaltungsratspräsi­ dent von Hoffmann-La Roche, AdolfJann, gab allerdings gleich nach dem Unfall die beruhigende Erklärung ab: „Hoffmann-La Roche hat noch nie eine Tochter im Stich gelassen. Wir werden das auch in Zukunft nicht tun.“306 Von Seiten des Hoffmann-La Roche-Konzerns wurde offenbar auch später nie erwogen, Icmesa wegen der Unfallforderungen in Konkurs gehen zu lassen307. Die zuständigen italienischen, regionalen und lokalen Behörden sowie verschie­ denste Privatparteien machten in der Folge den Hoffmann-La Roche-Konzern vollumfänglich für die Unfallfolgen verantwortlich308. Während die durch den Gasaustritt aus den Icmesa-Anlagen verursachten Personenschäden anscheinend gering blieben, waren die Sachschäden massiv309. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erklärten sich Icmesa und Givaudan in mehreren Vergleichen mit dem italienischen Staat, der Provinz Lombardei, den betroffenen Gemeinden und Privaten Anfang der achtziger Jahre bereit, einen größeren Teil davon zu überneh­ men310. Ungeregelt blieben nur einige private, als wenig aussichtsreich eingestufte Klagen gegen Icmesa/Givaudan in Mailand311. Davor war es im Jahr 1979 aber zu zwei Klagen der Gemeinde Seveso gegen Gi­ vaudan in Genf und gegen das Mutterhaus von Hoffmann-La Roche in Basel ge­ kommen. Die zwei parallelen Klageschriften machten eine Haftung der beiden Obergesellschaften im Betrage von über SFr. 100 Millionen geltend312. Die ins Feld geführten Rechtsgründe waren vertraglicher und deliktischer Art313. Sie be­ ruhten zum Teil auf schweizerischem, zum Teil auf italienischem Recht. Gegen Givaudan konnte sich die Klägerschaft vor allem auf die im Prinzip unbe­ strittene technische Verantwortung der Beklagten für die Produktion bei Icmesa berufen. Der technische Direktor Givaudans war z.B. auch für die Produktionssi­ 305 Das Aktienkapital der Icmesa betrug bloß 1 Milliarde Lire (ca. 2 Mio. SFr.); vgl. Maier, Rechtlich, 27. 306 Vgl. NZZ Nr. 187, 12. August 1976. 307 Wohl nicht zuletzt aus verhandlungstaktischen Gründen blieb man aber strikte auf dem Standpunkt, die Katastrophenhaftung beschränke sich auf Icmesa und eine Schadensdeckung durch Givaudan bzw. Hoffmann-La Roche erfolge aus rein moralischen Erwägungen; vgl. Mai­ er, Rechtlich, 27. 308 Maier, Rechtlich, 27-29. 309 Seveso, Separatdruck, 4-9, 22-26; Maier, Rechtlich, 28-29; mit gegenteiligem Akzent, Koch/Vahrenholdt, 36-43. 310 Maier, Rechtlich, 28. 311 Maier, Rechtlich, 29. 312 Maier, Rechtlich, 28. 313 Vgl. Klage i. S. Commune di Seveso g. F. Hoffmann - La Roche & Cie., AG., beim Zivil­ gericht Basel-Stadt, vom 19. Dezember 1979; die Klage i.S. Commune di Seveso g. Givaudan & Co., S.A. und Givaudan S.A. vom 27. September 1979 in Genf führte als zweite Beklagte auch die Betriebsgesellschaft von Givaudan auf.

cherheit bei Icmesa verantwortlich. Zudem war der Generaldirektor Givaudans Verwaltungsratspräsident der Icmesa S.p.A. Die Klägerschaft sah unfallverursachende Fehler und Unterlassungen durch Gi­ vaudan unter anderem in folgenden Zusammenhängen:

- der Wahl des Standortes für die gefährliche Produktion in einem dicht besiedelten Gebiet; der Vernachlässigung öffentlichrechtlicher Meldepflichten und Bauvorschriften; - der Wahl eines Produktionsverfahrens, das besondere Gefahren in sich trug und nicht de lege artis war; - der Errichtung einer Fabrikationsanlage, welche die dem Stand der Technik ent­ sprechenden Schutzvorrichtungen nicht aufwies und zum Teil nicht gesetzeskonform war; der mangelhaften Instruktion von Mitarbeitern; der mangelhaften Beaufsichtigung der Anlage und der Mitarbeiter; — der unvorsichtigen Durchführung eines Produktionsprozesses kurz vor dem Wo­ chenende; der fehlenden Beaufsichtigung der Anlage vor und während des Unfalls. Gegen das Basler Stammhaus des Konzerns wurde geltend gemacht:

— das vom Verwaltungsratspräsidenten der Hoffmann-La Roche abgegebene Ver­ sprechen, man werde die Unfallschäden abdecken bzw. keine Tochtergesellschaft in Konkurs gehen lassen, sei einer kumulativen Übernahme der Haftung Icmesas und Gi­ vaudans (protnesse publice) gleichzusetzen; - der Einfluß der Beklagten auf die Standortwahl des potentiell dioxinabsondern­ den Produktionsprozesses zur Gewinnung von Trichlorophenol sowie ihr genereller konzernhierarchischer Einfluß auf Icmesa führten zu einer deliktischen Gefährdungs­ haftung der Mutter (Gefahrensatz, Art. 41 OR, nach schweizerischem Recht; Gefähr­ dungshaftung, Art. 2050 CC, nach italienischem Recht); - die Verwaltungsräte der Beklagten, welche zugleich Verwaltungsräte bei Givau­ dan waren, sowie der technische Direktor Givaudans hätten in ihren Funktionen bei Givaudan als Organe des Mutterhauses gehandelt. Ihre Fehler und Unterlassungen sei­ en deshalb auch der Beklagten anzurechnen (Haftung für Organe, Art. 55 ZGB); - die Beklagte sei Geschäftsherrin der Givaudan (Art. 55 OR, Art. 2049 CC) und hafte deshalb für die Handlungen bzw. Unterlassungen Givaudans. Das in Art. 55 OR geforderte Subordinationsverhältnis sei gegeben, da Givaudan (allgemein) von der Be­ klagten zugewiesene Verrichtungen erfüllte; — die Beklagte hafte als indirekte 100%ige Aktionärin Icmesas auch aus Art. 2362 CC, einer Sonderbestimmung des italienischen Rechts, welche die vollumfängliche Haftung des Alleinaktionärs für eine von ihm beherrschte Gesellschaft statuiere. In ihrer Klageantwort314 bestritt die Hoffmann La Roche & Cie., AG ihre Passiv­ legitimation und wies alle Klagegründe zurück. Die Beklagte stellte sich unter an­ derem auf den Standpunkt:

314 Klagebeantwortung i. S. Commune di Seveso g. F. Hoffmann-La Roche & Cie., AG vom 7. November 1981.

— die nach dem Unfall abgegebenen Versprechen ihres Verwaltungsratspräsidenten hätten höchstens moralische Verbindlichkeit gehabt und deshalb keine direkte Ver­ pflichtung gegenüber den Unfallopfern bewirkt; - eine deliktische Haftung der Beklagten falle schon deshalb außer Betracht, weil weder sie noch Givaudan oder Icmesa ein Verschulden treffe; - eine gesetzliche Organhaftung der Beklagten für die bei Givaudan tätigen Perso­ nen könne nicht in Frage kommen, weil Givaudan als unabhängiger „ganzer Konzern mit Tochtergesellschaften“ organisiert gewesen sei; - eine Haftung der Beklagten als Geschäftsherrin Givaudans sei nicht möglich, weil es an dem hiefür notwendigen Subordinationsverhältnis mangle; dieses könne zwi­ schen Mutter- und Tochtergesellschaften höchstens bei Rechtsmißbrauch angenom­ men werden; - die Spezialbestimmung des italienischen Rechts zur Mithaftung des Alleinaktio­ närs greife nur, wenn eine Gesellschaft in Konkurs sei. Die Bestimmung sei zudem eng auszulegen, sodaß eine bloß indirekte 100%ige Aktionärsstellung den Tatbestand nicht erfülle. Zu einem gerichtlichen Entscheid kam es weder in Genf noch in Basel. Beide Prozesse wurden vergleichsweise beigelegt und die Gemeinde Seveso mit SFr. 15 Mio. entschädigt315. Alles in allem bezahlte der Hoffmann-La Roche Konzern für Schäden und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Seveso-Katastrophe mehr als SFr. 300 Mio.316. Die Frage bleibt offen, inwiefern rechtliche, politische oder andere Gründe für die im Prinzip freiwillige Schadensdeckung durch Givaudan/Hofimann-La Roche verantwortlich waren. Aus rechtlicher Sicht war möglicherweise ausschlaggebend, daß die technische Verantwortung für die Icmesa-Produktion unbestrittenerma­ ßen sehr stark bei Givaudan zentralisiert war. Zugunsten einer freiwilligen Scha­ densübernahme könnte anderseits gewirkt haben, daß mit einem Protest der Öf­ fentlichkeit in Italien und ganz Europa gerechnet werden mußte, falls sich Hoff­ mann-La Roche auf die Haftungstrennung zwischen Icmesa und den übrigen Kon­ zerngesellschaften berufen hätte. Ein solcher Schritt wäre im übrigen wohl auch der geschäftlichen Reputation Hoffmann-La Roches abträglich gewesen. Morali­ sche Ueberlegungen mögen beim Entscheid ebenfalls eine Rolle gespielt haben317. Bei einem Vergleich mit dem kompromißloseren Verhalten Union Carbides in Sachen Bhopal oder Standard Oils in Sachen Amoco Cadiz318 ist zu beachten, daß erstens das Schadenersatzpotential im Falle Seveso (keine Todesopfer, keine An­ wendung amerikanischen Haftungsrechts) relativ geringer und keineswegs kon­ zerngefährdend war. Darüber hinaus besitzen Schweizer Konzerne, im Unter­ schied zu amerikanischen, zum Teil stille Reserven, deren Auflösung evtl, auch größere Schadenersatzzahlungen bilanzununrksam machen können319. Dadurch 315 Maier, Rechtlich, 28. 316 Seveso, Separatdruck, 3. 317 Maier, Rechtlich, 27; vgl. auch Rivista, Givaudan, 888ff. 318 Vorne 1.4.2. bzw. 4.3. 319 Diese Möglichkeiten sind unter dem neuen Aktienrecht nun allerdings eingeschränkt wor­ den; vgl. Art. 663b Ziff. 8 OR.

kann die Gefahr eines Zerfalls der Aktienkurse reduziert werden. Aber selbst wo dies trotzdem geschehen würde, bestehen für schweizerische Unternehmen, im Gegensatz zu amerikanischen, wesentlich geringere Ubernahmegefahren. Dafür verantwortlich sind sowohl Unterschiede im Aktienrecht (z.B. Zulässigkeit der Vinkulierung) wie in der Kontrollstruktur der Unternehmen (z.B. Depotstimmen der Banken). Die kapitalmarktbezogenen Gefahren für Unternehmen und Mana­ gement nach einer grundsätzlichen Anerkennung großer Schadenersatzverpflich­ tungen sind damit für Schweizer Unternehmen deutlich weniger ausgeprägt als für amerikanische. Daneben könnten zwischen schweizerischen und amerikanischen Großfirmen durchaus auch geschäftsethische Unterschiede bestehen. Der Fall Seveso deckt jedenfalls einen zusätzlichen Aspekt der MNK-Haftungs­ problematik auf, nämlich die verschiedenartigen Anreize, Tochterschulden freiwil­ lig zu übernehmen und nur in Ausnahmefällen auf die Tochtergläubiger abzuwäl­ zen320. Dies erklärt wohl auch die relativ spärlich auftretenden MNK-Haftungsfälle vor Gerichten.

4.5. Der Fall Deltec (Compania Sunft de La Plata) Anders als in den Fällen Bhopal, Amoco Cadiz und Seveso ging es im Fall Del­ tec321 nicht um eine Katastrophenhaftung gegenüber außervertraglichen Gläubi­ gern. Der Fall drehte sich um den Konkurs einer argentinischen Tochtergesell­ schaft des kanadischen Deltec-Konzerns und die Haftung des Gesamtkonzerns für vertragliche Tochterschulden. Die Entwicklungen rund um Deltec beleuchten aber auch die Querbezüge zwischen MNK-Haftungsrecht und politischen Fakto­ ren in Gastländern. Die argentinische Gesellschaft Compania Swift de La Plata war 1969 vom kana­ dischen Deltec-Konzern übernommen worden. Swift, die größte Fleischverpakkungsgesellschaft Argentiniens, hatte bereits vor der Uebernahme in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt322. Deltec stattete die Gesellschaft mittels Darlehen ande­ rer Konzernglieder mit neuem Kapital aus323. Nach der Machtübernahme der Ar­ mee im Jahre 1970 mußten dann die fleischexportierenden Betriebe Argentiniens zeitweise geschlossen werden. Die argentinischen Viehpreise waren in die Höhe getrieben worden, ohne daß eine Peso-Abwertung die Konkurrenzfähigkeit der ar­ gentinischen Fleischprodukte auf den Weltmärkten wiederhergestellt hätte324. Del320 Hirsch, Surveillance, 210-212, betont die starken Anreize (Reputation, Kreditwürdig­ keit), welche für eine konzeminteme Finanzsolidarität sprächen - er nennt aber auch Ausnahmesi­ tuationen, wo diese Anreize verlorengehen können (Kriege, Konfiskationen oder Generalstreiks in Gastländern; Gefährdung anderer Konzerngesellschaften; finanzielle Schwierigkeiten des Ge­ samtkonzerns). 321 Rohr, IPR, 459-462; Blumberg II, 660-669; Gordon, Deltec, 320f.; Gordon, Update, 43ff.; Note, Disregarded, 528ff.; Note, Deltec, 166f. 322 Note, Disregarded. 528. 323 Ebd. 324 Ebd.

tec versuchte aus diesem Grunde (und wegen Beschränkungen des Zugangs auslän­ disch beherrschter Unternehmen zu argentinischen Regierungskrediten) ihre ar­ gentinische Tochter wieder abzustoßen. Um das Verkaufsangebot attraktiver gestal­ ten zu können, beantragte Deltec eine mit 86% der Gläubiger vereinbarte gerichtli­ che Umschuldung (convocatorid) bzw einen gerichtlich abgesegneten Vergleich (con­ cordata). Ein sich dagegen wehrender Kleingläubiger vermochte jedoch zu errei­ chen, daß sich das zuständige Gericht dem Vorschlag Deltecs widersetzte und die Gläubigeransprüche der übrigen Deltec-Gesellschaften (diese entsprachen fast 40% der Gesamtschulden Swifts) strich. Die Haftung Swifts wurde zudem auf 19 weitere Deltec-Gesellschaften ausgedehnt. Uber alle diese Gesellschaften wurde der Konkurs angeordnet325. Die zweite Instanz kassierte zwar den Entscheid. Ein peronistisch inspirierter oberster argentinischer Gerichtshof hieß ihn jedoch im Herbst 1973 wieder gut326. Das oberste Gericht verwies in der Begründung seines Urteils auf die ökonomi­ sche Einheit („unidad socio-economica“) des Deltec-Konzerns, ohne ausdrück­ lich auf Betrugs- oder Mißbrauchskategorien abzustellen327. Es erachtete folgende Kriterien als ausschlaggebend328:

- Deltec hatte Swift bei Eingabe des Umschuldungsbegehrens als „unser Eigen­ tum“ bezeichnet; - Die Handlungsfreiheit Swifts war stark eingeschränkt und Swift verkaufte mehr als 80% ihrer Produktion an andere Deltec-Gesellschaften; zu Lasten Swifts waren konzerninterne Transferzahlungen durchgeführt worden; — Swift war von Darlehen und Garantien Deltecs abhängig; - vor der Eingabe des Umschuldungsgesuchs waren Aktiven Swifts abdisponiert worden; — die auf dem Spiel stehenden „überwiegenden Interessen Argentiniens“ verlang­ ten nach einer Haftungsausdehnung329. Eine anläßlich des Umschuldungsverfahrens gerichtlich aufgenommene Bilanz ergab Aktiven für Swift im Wert von 556 Mio. Pesos gegenüber Passiven (ein­ schließlich der konzerninternen Schulden) von rund 143 Mio. Pesos. Swift war so­ mit zur Zeit des Konkurserkenntnisses nicht überschuldet330.

325 Blumberg II, 661 f. 326 Compania Swift de La Plata, S.A. Frigorifica s/convocatoria de acreedores, 19 J.A. 579, 151 La Ley 516 (1973), 335; Note, Disregarded, 529; Gordon, Update, 43; Blumberg II, 663. 327 Blumberg II, 663; Gordon, Update, 44f., bezeichnet die Entwicklung als freie Rechtsfin­ dung; vgl. auch Note, Disregarded, 530f. 328 Vgl. Note, Disregarded, 531; Blumberg II, 663; Rohr, IPR 460-461. 329 Blumberg II, 664; Note, Disregarded, 534. 330 Blumberg II, 662; bei der späteren Liquidation des Unternehmens resultierten rund US $ 36 Mio. an Aktiven, denen US $ 18 Mio. an Drittgläubigeransprüchen gegenüberstanden (ohne die Ansprüche anderer Deltec-Gesellschaften) - ein nachträglich angemeldeter staatlicher An­ spruch von US $ 23 Mio. und Verfahrenskosten führten schlußendlich gleichwohl zu einem Defi­ zit in der Konkursabrechnung Swifts; vgl. Blumberg II, 662 FN 3; Gordon, Update, 55-60.

Das Prinzip der Deltec-Entscheidung wurde vom argentinischen Gesetzgeber zwei Monate später als Zusatzartikel (Art. 31) im Foreign Investment Act von 1973 le­ gislatorisch verankert: „Für Schulden, welche von einer einheimischen, unter ausländischer Kontrolle ste­ henden Gesellschaft eingegangen werden, haftet der ausländische Investor solida­ risch331.“

Der betreffende Artikel überholte alles, was bisher in lateinamerikanischen Staa­ ten und anderswo zum Problem der MNK-Haftung gegolten hatte. Er ging insbe­ sondere auch über die Richtlinien der Decision 24 of the Andean Common Market hinaus, welchen der argentinische Foreign Investment Act in seinen übrigen Teilen gefolgt war332. Die im Ausland stark kritisierte333 Deltec-Entscheidung konnte nicht durchge­ halten werden. Zusammen mit andern nationalistischen Auswüchsen der peronistischen Phase ergaben sich negative Auswirkungen auf ausländische Investoren. Nach 1973 flossen offenbar kaum mehr neue ausländische Direktinvestitionen nach Argentinien334. Zudem wurde im Zusammenhang mit einem US-Verfahren, in welchem sich die Anerkennung des Deltec-Entscheids als Vorfrage stellte, deut­ lich, daß eine Vollstreckung dieses Urteils außerhalb Argentiniens kaum möglich gewesen wäre. Das in jenem Fall zuständige erstinstanzliche New Yorker Gericht führte aus:

„Es bestehen kaum Zweifel, daß das Konkurserkenntnis (sc. gegen die klagende Del­ tec Banking Corp.) nicht mit amerikanischem Recht vereinbar ist. Es ist unbestritten, daß New Yorker Gerichte keine Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Urteile haben, welche den herrschenden Prinzipien von Gerechtigkeit und Fairneß widerspre­ chen. Das Erkenntnis, daß die Klägerin (sc. Deltec Banking Corp.) als konkursit zu gel­ ten habe, weil sie Teil einer Unternehmensgruppe ist, in welcher eine Gesellschaft in­ solvent wurde, kann gemäß unseren Rechtsvorstellungen unter Umständen als Konfis­ kation gewertet werden.“335 Nach dem Sturz der Peronisten wurde der Foreign Investment Act von 1973 als Ex­ zeß abgetan336. Die revidierte Fassung von 1976 hielt ausdrücklich fest, daß das Prinzip der Haftungstrennung auch zwischen Konzerngesellschaften gelte, soweit

331 Gordon, Update, 46. 332 Standard Regime for Treatment of Foreign Capital and for Treatment of Marks, Patents, Licenses and Royalties, Andean Commission, Decision No. 24 ofDec. 31, 1970; Gordon, Upda­ te, 45-47. 333 Blumberg II, 665. 334 Bruchou, Argentina, 7-9; Pardinas, Dilemma, 35; Gordon, Update, 48. 335 Deltec Banking Corp. v. Compagnia Italo-Argentina de Electricidad, S.A., 171 N.Y.C.J. 18, (1974); affd mem., 46 A.D. 2d 847, 362 N.Y.S.2d 391 (Ist Dept. 1974), vgl. Note, Deltec, 166ff; Blumberg II, 668, 682-683; Note, Disregarded, 538-540. 336 Vgl. Blumberg II, 666 FN 25.

diese ihre gegenseitigen Geschäfte gemäß den zwischen Dritten üblichen Grund­ sätzen führten337. Zuvor aber hatte das erstinstanzliche Konkursgericht den Konkurs Swifts auf 13 weitere Gesellschaften der Deltec-Gruppe im In- und Ausland ausgedehnt. Eine dieser Gesellschaften war die Ingenio La Esperanza S.A., welche nur teilweise von Deltec beherrscht war und deren Aktien an der Börse von Buenos Aires gehandelt wurden338. 339 Die Appellation des Konkurserkenntnisses gegen Esperanza erreichte den obersten argentinischen Gerichtshof fünf Wochen nach Erlaß des neuen Fo­ reign Investment Act von 1976339. Die Besetzung des Gerichts hatte zu diesem Zeit­ punkt gewechselt340. Das Gericht nahm die Gelegenheit wahr, das Deltec-Präjudiz dahingehend ein­ zuschränken, daß eine Haftungsausdehnung einer konkursiten Konzerngesellschäft auf andere Konzerngesellschaften nicht per se erfolgen könne. Es sei erfor­ derlich, daß Betrug bzw. eine andere Form des Mißbrauchs vorliege oder daß die konkursite Gesellschaft „im Interesse oder als Vertreterin“ der Konzernmutter ge­ handelt habe. Der Konkurs Esperanzas wurde entsprechend aufgehoben341. 342 Die im Esperanza-Urteil niedergelegten Grundsätze wurden später auch ins argentini­ sche Konkursgesetz aufgenommen (Art. 165 des Konkursgesetzes von 1983)342. Die Deltec-Entscheidung und ihre Folgen repräsentieren in concreto die Odys­ see eines Gastlandes in der Frage der Haftung Multinationaler Konzerne. Auch die faktische Beschränkung des Ermessens von Gastländern bei der Festlegung von MNK-Haftungsgrundsätzen wird deutlich. Neuinvestitionen durch Multinationa­ le Unternehmen und die evtl, notwendige Vollstreckung von Urteilen gegen aus­ ländische Muttergesellschaften im Ausland (Mutterland) können als Folge eines MNK-Haftungsentscheids gefährdet sein343.

4.6. Der Fall Badger Ein aufsehenerregender Fall, der mögliche völkerrechtliche Implikationen der Haftung Multinationaler Konzerne aufzeigte, war die Liquidation der belgischen Firma Badger Belgium N. V.344. Die Angelegenheit nahm ihren Auftakt im Januar 1977, als Badger Inc., eine von Cambridge (Mass./USA) aus operierende Tochter der Raytheon Inc., die Schließung ihrer Enkelgesellschaft Badger Belgium anord­ nete. Letztere hatte ihre Arbeitnehmer und die betroffene Allgemeinheit über die 337 Blumberg II, 666; Gordon, Update, 48-49. 338 Blumberg II, 667. 339 Gordon, Update, 50. 340 Blumberg II, 667. 341 Gordon, Update, 50-55. 342 Pardinas, Dilemma, 43-48. 343 Vgl. auch Note, Disregarded, 536f. 344 Blanpain, Badger, passim; Blanpain, OECD, 125ff.; Smith, Badger, 117ff., 125-136; Blumberg II, 635—640; Barton/Fisher, 892-895; Maher, Supranational, 289ff.; Mahari, Codes, 534-535. .

Schließungspläne im Dunkeln gelassen. Die bei Badger Belgium noch vorhande­ nen Aktiven reichten in der Folge nicht zur Zahlung der Abgangsentschädigungen aller Arbeitnehmer aus. Trotz des Vorhandenseins eines staatlichen Sonderfonds, der die Arbeitnehmer­ ansprüche zumindest teilweise abgedeckt hätte345, weigerten sich die belgischen Gewerkschaften, auf die Bezahlung der Ansprüche durch den Badger-Teilkonzern zu verzichten. Sie starteten eine Kampagne auf breiter Front. Nebst einer Klageein­ leitung in Belgien346 und dem Ersuchen um Unterstützung durch die belgische Regierung wurde auch TUAC347, das bei der OECD als Gewerkschaftsstimme agiert, eingeschaltet. Die belgische Regierung und TUAC leiteten eine Konsulta­ tivuntersuchung des Falles durch CIME348 ein. Dieses Gremium überwacht die Einhaltung und Fortentwicklung der OECD-Verhaltensrichtlinien für Multinatio­ nale Unternehmen349. Es besitzt aber keine Schiedsgerichts- oder Vermittlungs­ kompetenz für konkrete Streitfälle. Immerhin konnten auf diese Weise im März 1977 die gegensätzlichen Standpunkte der belgischen Gewerkschaften und des Raytheon-Konzerns im Rahmen der OECD auf Regierungsebene besprochen werden350. Nach den Konsultationen vor CIME kam es zu intensivierten Verhandlungen zwischen den belgischen Gewerkschaften, der belgischen Regierung und dem Badger-Teilkonzern. Diese endeten in einem Vergleich. Badger USA und Badger The Hague (die europäische Zentrale des Badger Konzerns) verpflichteten sich darin, die nötigen Summen zur Deckung der geltendgemachten Arbeitnehmerfor­ derungen an Badger Belgium zu überweisen351. Im Jahre 1979 veröffentlichte der CIME-Jahresbericht generelle Schlußfolge­ rungen aus dem Fall im Hinblick auf die Interpretation der OECD-Richtlinien. CIME sprach sich dabei allgemein zugunsten einer beschränkten „qualifizierten“ Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für ihre Töchter im Rahmen der tat­ sächlich ausgeübten Kontrolle aus. Daraus könne sich in spezifischen Fällen auch eine finanzielle Haftung der Mutter ergeben, z.B. dort, wo grundlegende Betriebs­ änderungen angeordnet wurden und es um eine Milderung deren negativer Effek­

345 Mahari, Codes, 534; der Sonderfonds war von Arbeitgeberbeiträgen finanziert worden; vgl. Barton/Fisher, 892. 346 Obwohl die Klage in Belgien evtl, durchgedrungen wäre, bestanden Befürchtungen, daß eine Vollstreckung in den USA nicht möglich sein könnte; vgl. Blumberg II, 638 FN 17. 347 Trade Union Advisory Committee. 348 Committee on International Investment and Multinational Enterprise. 349 Mahari, Codes, 507-534. 350 Während die belgische Regierung eindeutig für die belgischen Gewerkschaften Partei nahm, verhielt sich die US-Regierung zurückhaltender; vgl. Barton/Fisher, 893. 351 Die Aufteilung der Bezahlung reflektierte möglicherweise auch die Kontrollausübung über Badger Belgium, indem Badger The Hague evtl, unmittelbar auf die Geschäftsführung von Badger Belgium einwirkte, für grundsätzliche Entscheide aber die Einwilligung des amerikani­ schen Mutterhauses einholen mußte; vgl. Blumberg II, 636.

te gehe352. Damit hatte CIME sich im wesentlichen der Position der belgischen Ge­ werkschaften und der belgischen Regierung angeschlossen353. 354 Obwohl die OECD-Richtlinien keinen rechtsverbindlichen Charakter aufwei­ sen und auch der vorerwähnte CIME-Report die statuierten Pflichten der Mutter­ gesellschaft bloß als moralische Pflichten beschreibt („good management practice")354, kann der faktische Einfluß dieser Richtlininen und der CIME-Intervention auf das Verhandlungsresultat im Badger-Fall kaum verneint werden. Das Bei­ spiel darf damit als Indiz für eine gewisse rechtliche Relevanz internationaler MNK-Verhaltensrichtlinien {soft law) gewertet werden355.

4.7. Der Fall Firestone

Ein teilweise ähnlicher Sachverhalt lag auch dem Firestone-Fall zugrunde, in welchem die Schweiz als Gastland betroffen war356. Nachdem die Gewerkschaften und Arbeitnehmer der Firestone (Schweiz) AG, Pratteln, einem 100%igen Toch­ terunternehmen der Firestone Tire & Rubber Company, Akron (USA), für einige Zeit beschwichtigt worden waren, ordnete das US-Mutterhaus im März 1978 die Schließung des Schweizer Produktionsbetriebes an. Den Interventionen der Ge­ werkschaften sowie der Basler- und der Bundesregierung waren kein Erfolg beschieden: Firestone USA bestätigte den in Wiedererwägung gezogenen Schlie­ ßungsentscheid Anfang Mai 1978. Da die schweizerische Tochtergesellschaft genügend Aktiven aufwies, kam es nicht direkt zur Frage einer Haftung des US-Mutterunternehmens. Firestone Schweiz hingegen wurde von den betroffenen Arbeitnehmern beim Einigungs­ amt Baselland wegen Verletzung des Gesamtarbeitsvertrags auf Zahlung einer Kon­ ventionalstrafe eingeklagt. Der schiedsgerichtliche Entscheid fiel zugunsten der Klägerschaft aus. Er wurde 1980 vom Basler Obergericht und 1981 auch vom Bun­ desgericht bestätigt357. Das Einigungsamt stellte in seinem Urteil klar, daß sich die Schweizer Tochter­ gesellschaft, welche „sich dem unternehmerischen Gesamtkonzept der Mutterge­ sellschaft zu unterwerfen“ hatte, nicht mit dem Hinweis auf ihre Abhängigkeit ex­ kulpieren könne. Die „wirtschaftliche Einheit des Firestone-Konzerns“ habe dazu geführt, daß Handlungen oder Unterlassungen der Leitungsgesellschaft rechtlich 352 Grundlage dieser Folgerungen bildeten unter anderem Ziff. 8 der OECD-Richtlinien und Abs. 6 des Abschnitts Employment and Industrial Relations; Ziff. 8 bestimmt als Adressaten der Richtlinien die Einzelgesellschaften eines Konzerns in Übereinstimmung mit der Verteilung der konzerninternen Verantwortlichkeiten; Abs. 6 des Abschnitts über Arbeitnehmerbeziehungen sieht die Verpflichtung der verantwortlichen Konzerngesellschaften zur Notifikation und Koope­ ration im Falle einschneidender Veränderungen vor; vgl. Blumberg II, 637-638; Vagts, Transna­ tional, 135, 139. ' 353 Barton/Fisher, 895; Blumberg II, 639. 354 Blumberg II, 639, FN 18. 355 Dazu Thürer, Soft Law, 429ff. 356 Urteile Firestone, 5ff; Mahari, Codes, 538; Blanpain, OECD, 146ff. 357 Urteile Firestone, 11 ff, 57ff, 93ff.

auch die Beklagte treffen358. Das Einigungsamt stellte entsprechend eine Verlet­ zung des Gesamtarbeitsvertrags durch Firestone Schweiz fest, da das Mutterhaus die Pläne zur Schließung ihrer Schweizer Tochter ungebührlich lange zurückbehal­ ten hatte. Es verurteilte deshalb Firestone Schweiz zur Bezahlung von SFr. 2,6 Mil­ lionen an die Arbeitnehmer359. Das Basler Obergericht befand, die konzernrechtlichen Ueberlegungen des Ei­ nigungsamtes seien nicht willkürlich gewesen360. Es stellte die Interpretationsbe­ dürftigkeit geltenden Rechts im Hinblick auf moderne Konzernsachverhalte fest und stützte die vom Einigungsamt vorgenommene Verhaltensanrechnung. Es tat dies unter Hinweis auf die modifizierte Einheitstheorie des Konzerns. Obwohl sich in Sachen Firestone das Problem der finanziellen Mutterhaftung nicht stellte, hätte die Frage sehr wohl entstehen können, wenn Firestone Schweiz nicht genügend Aktiven besessen hätte, um die Vertragsstrafe gegenüber den kla­ genden Arbeitnehmern zu begleichen. Wie die zuständigen Instanzen (sofern es überhaupt Schweizer Gerichte gewesen wären) diesfalls entschieden hätten, bleibt zwar offen. Die vom Basler Obergericht und vom Bundesgericht geschützten Überlegungen des Einigungsamtes Baselland deuten aber immerhin an, daß der faktische Einfluß von Muttergesellschaften auf ihre Töchter auch im schweizeri­ schen Haftungsrecht Beachtung verlangt.

5. Generalisierung des Problems der Haftung Multinationaler Konzerne 5.1. Allgemeines Die dargestellten Haftungsfälle ermöglichen nun eine generalisierende Ausdiffe­ renzierung der MNK-Haftungsproblematik und deren Eingliederung in rechtlich relevante Bezugssysteme. Ausgangspunkt einer solchen Problemspezifizierung ist der für unsere Zwecke geprägte MNK-Begriff, d.h. eine einfache Unternehmens­ struktur, welche sich aus einer im Mutterland inkorporierten Muttergesellschaft und einer in einem Gastland ansäßigen Tochter zusammensetzt361.

5.2. Der typische Haftungsfall Angelpunkt der typischen MNK-Haftungsproblematik sind Forderungen von Gläubigern einer ausländischen Tochtergesellschaft. Sie richten sich gegen die im Mutterland ansäßige Mutter. Von dieser wird verlangt, daß sie direkt oder indirekt für ungedeckte Tochterschulden einstehe. 358 359 360 361

Urteile Firestone, 40. Ebd., 55. Urteile, Firestone, 79-83. Vorne 1.2.1.1.

Dabei stellt sich zuerst immer die Gerichtsstandsfrage. Die Wahl besteht hier im Prinzip zwischen Mutterland (vgl. Amoco Cadiz) und Gastland (vgl. Bhopal). In­ ternationalen Foren (vgl. Badger) kommt zumindest vorderhand nur komplemen­ täre Bedeutung zu362. Als zweites ist die Frage des anwendbaren Rechts zu entscheiden. Alternativen sind hier wiederum in erster Linie Mutterlandrecht (vgl. Amoco Cadiz) und Gast­ landrecht (vgl. Bhopal, Deltec). Auswirkungen internationalen Rechts (vgl. Bad­ ger) sind vor allem indirekt, d.h. mittels dessen Uebernahme durch nationale Rechte möglich. Erst in dritter Linie kommt die materielle Frage der Haftung der Muttergesell­ schaft ins Spiel. Hier drängen sich erneut Differenzierungen grundsätzlicher Na­ tur auf, z.B. die Unterscheidung direkter Haftpflichten der Mutter gegenüber den Tochtergläubigern (vgl. Bhopal, Amoco Cadiz, Deltec) und indirekter Haftungs­ verpflichtungen gegenüber der Tochtergesellschaft (vgl. Badger). Sinnvoll erscheint zudem eine Unterscheidung nach Gläubigergruppen. Vor­ erst sind staatliche von privaten Gläubigern zu trennen. Unter (den hier interessie­ renden) letzteren drängt sich eine separate Prüfung der vertraglichen (vgl. Deltec, Badger) und außervertraglichen Gläubiger (vgl. Bhopal, Seveso) auf. Bei den ver­ traglichen Gläubigern wiederum ist, zumindest hypothetisch, ein Unterschied zwischen großen Geschäftsgläubigern (z.B. Banken), kleinen Geschäftsgläubi­ gern, Konsumenten und Arbeitnehmern zu machen. Endlich muß materiellrechtlich auch eine Ausdifferenzierung der verschiede­ nen alternativen Rechtsmechanismen erfolgen, welche eine Konzernmutterhaf­ tung begründen können. Je nach Tatbestand, Rechtsordnung und betroffenen Gläubigern wird deshalb z.B. ein spezifisches Konzernrecht, der Durchgriff, das Konkursrecht oder ein konzernaußenrechtliches Institut (Delikts- bzw. Vertrags­ recht) im Vordergrund stehen. Wie anhand der Beispiele Bhopal und Deltec deutlich wurde, stellt sich in MNK-Haftungsfällen, welche von Gastlandgerichten beurteilt werden, als viertes Problem typischerweise das der Vollstreckung im Mutterland363. Zeitlich schon vorher kann die Frage der Rechtshilfe durch das Mutterland (oder bei umgekehr­ ter Gerichtszuständigkeit durch das Gastland) Bedeutung annehmen.

5.3. Bezugsehenen der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne

Die Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne erstreckt sich quer durch die Rechtsdisziplinen des IZPR, des IPR und des materiellen Rechts. Innerhalb dieser Kategorien ergibt sich eine weitere Verästelung. Im Bereich des IZPR ist z.B. nicht nur die internationale Zuständigkeitsfrage zu beantworten. Es stellen 362 Die Zuständigkeit von Drittländern kommt zumindest dann in Frage, wenn Kontakte zu deren Rechtsordnungen bestehen - auf diese zusätzliche Dimension der MNK-Haftungsproblematik wird im folgenden aber nicht näher eingegangen. 363 Auch die Möglichkeit einer Vollstreckung in Drittländern ist zu berücksichtigen.

sich auch das Rechtshilfeproblem und das Problem der Urteilsvollstreckung. Im Bereich des materiellen Rechts betroffen sind in erster Linie das Gesellschafts- und gegebenenfalls das Konzernrecht. Aber auch das Konkurs-, Vertrags- und Delikts­ recht sind zur Lösung von MNK-Haftungsfragen heranzuziehen. Auf der Ebene der betroffenen Rechtsordnungen ist ebenfalls eine mehrschichti­ ge Bezugsstruktur der MNK-Haftungsproblematik festzuhalten. Übergreifend, wenn auch nur bedingt präjudizierend, steht das Völkerrecht im Raum. Sehr di­ rekt betroffen sind anderseits die Rechtsordnungen des Mutterlandes und des Gast­ landes. Auch Drittländer können in MNK-Haftungsfragen miteinbezogen sein. Bereits signalisiert wurde sodann, daß der Multinationale Konzern und seine Haftungsstruktur gewichtige volks- bzw. weltwirtschaftliche Implikationen auf­ weisen. Eine international-wirtschaftsrechtlich orientierte Konzeption der MNKHaftungsproblematik verlangt deshalb zusätzlich den Einbezug dieser Funktionen. Daß es richtig ist, außerrechtliche (wirtschaftliche, politische) Faktoren in eine Ge­ samtbetrachtung der MNK-Haftungsproblematik miteinzubeziehen, zeigen auch die bereits dargestellten Haftungsbeispiele. Hinzuweisen ist etwa auf die rechtlich nur bedingt zu erklärenden Unterschiede zwischen der freiwilligen Uebernahme von Tochterschulden durch den Gesamtkonzern in den einen Fällen (z.B. Seveso) und dem strikten Beharren auf der Haftungstrennung in andern (z.B. Bhopal, Amoco Cadiz). In gleicher Weise sensibilisierend wirkt die in den Beispielen Del­ tec und Bhopal manifestierte Tatsache, daß Haftungsrechtsentwicklungen in Gast­ ländern zur Abschreckung potentieller MNK-Investoren beitragen können. Die Vielfalt der Bezugspunkte der Haftungsproblematik Multinationaler Kon­ zerne ruft geradezu nach einem Versuch, sie in ein adäquates rechtliches Gesamtsy­ stem zu fassen. An einem solchen Ansatz hat es bislang aber weitgehend gefehlt. Der MNK und seine Haftungsproblematik wurden, wenn überhaupt, fast durch­ wegs klassisch-zivilrechtlich abgehandelt. IZPR-, IPR- und materielle Konzern­ haftungsfragen wurden z.B. formal-rechtlich ausdifferenziert, ohne daß ihre Schnittpunkte im Rahmen einer international-wirtschaftsrechtlichen Perspektive genügend gewürdigt worden wären364. Im folgenden wird deshalb der Versuch unternommen, für das schweizerische Recht eine übergreifende, d.h. alle rechtlichen und wirtschaftlichen Bezugspunk­ te der MNK-Haftungsproblematik möglichst umfassend miteinschließende Ge­ samtperspektive zu entwickeln. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV stellt hiefür den adäquaten positiv-rechtlichen Rahmen dar.

6. Ergebnis Damit sind Ziele und Vorgehensweise dieser Arbeit entworfen. Es geht um die Entwicklung einer spezifisch wirtschaftsrechtlichen MNK-Haftungskonzeption, welche auf die Realität weltweit operierender Multinationaler Unternehmen zu­ 364 Vorne 1.1.

geschnitten ist und zudem für die Auslegung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts nutzbar gemacht werden kann. Der weitere Gedankengang wird sich des­ halb in fünf Etappen vollziehen: 1. Erarbeitung einer schweizerischen Internationalen Wirtschaftsverfassung (IWV) und deren Vorgaben für das schweizerische MNK-Haftungsrecht (Teil II). 2. Konkretisierung eines Haftungsmodells für Multinationale Konzerne auf der Grundlage der IWV (Teil III). 3. Rechtsvergleichende Bestandesaufnahme geltender Rechte zur Haftung Mul­ tinationaler Konzerne (materielles Recht, IPR, IZPR) (Teil IV). 4. Auslegeweise Aufbereitung der positivrechtlichen Bestimmungen des schwei­ zerischen Rechts zur Haftung Multinationaler Konzerne (materielles Recht, IPR und IZPR) unter Bezugnahme auf die Vorgaben der IWV (Teil V). 5. Zusammenfassende Darstellung eines Lösungsmusters für den typischen Fall der Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht (Teil VI).

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II. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Bezugssystem des schweizerischen Haftungsrechts Multinationaler Konzerne 1. Allgemeines Die Generalisierung der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne hat die grundsätzliche Wünschbarkeit eines positiv-rechtlichen Bezugssystems aufge­ zeigt, welches die Einbindung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts in inter­ nationale Wirtschaftsmechanismen reflektiert und deren Signale sachgerecht ins geltende Recht umzusetzen hilft. Dieses Postulat wird zusätzlich unterstrichen, wenn mit der modernen Wirtschaftsrechtslehre davon ausgegangen wird, wirt­ schaftsrelevante Rechtsnormen seien, wenn immer möglich, gesamtwirtschaftlich zu funktionalisieren1. Bisher wurden Funktionszusammenhänge zwischen Rechts­ normen und der Wirtschaftsordnung aber meist stillschweigend im bloß nationa­ len Kontext verhandelt1 2. Für die Erfassung des Multinationalen Konzerns und sei­ ner Haftungsproblematik genügt dies jedoch nicht. Gefordert ist eine explizit inter­ nationale Perspektive3.

2. Die Frage der Haftung Multinationaler Konzerne als Problem des internationalen Wirtschaftsrechts Die MNK-Haftungsproblematik kann aufgespalten werden in Fragen des Völ­ kerrechts und Fragen des nationalen Rechts4. Das gilt auch für andere Rechtspro­ bleme im Zusammenhang mit internationalen Wirtschaftstransaktionen5. Um die dabei auftretende normative Mischordnung in den Griff zu bekommen, muß das betreffende Normenkonglomerat geordnet werden. Nur so lassen sich verallgemei­ nerungsfähige Gesichtspunkte herausarbeiten, die der Auslegung und Rechtsfort­ bildung weiterzuhelfen vermögen6. 1 Vome 1.1. 2 Z.B. Schluep, Überbordungsgefahren, 179; Hofstetter, Tariffähigkeit, 95ff; Baudenbacher, AGB, 88ff; Posner, Economic, 29ff; Lehmann, Durchgriff, 345ff; Easterbrook/Fischel, 89ff. 3 Großfeld, Internationalisierung, 106ff. 4 Vome 1.5.3. 5 Großfeld, Unternehmensrecht, 4-5; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 5 Rnr 4. 6 Behrens, Wirtschaftsrecht, 483-484.

Damit ist die separate Rechtskategorie internationales Wirtschaftsrecht postuliert. Sie gruppiert sich um den einheitlichen Regelungsgegenstand internationale Wirt­ schaft7 8und öffnet den Blick für die Systemzusammenhänge dieses Mechanismus. Es ist deshalb kein Zufall, daß sich im Gefolge der zunehmenden Bedeutung und Ausbreitung des internationalen Wirtschaftsverkehrs das Konzept eines internatio­ nalen Wirtschaftsrechts immer stärker durchzusetzen scheint. Während sich ein sol­ ches in der dogmatisch unbeschwerteren US-amerikanischen Rechtskultur ganz selbstverständlich etablierte8, hat sein Auftauchen in der deutschen Lehre zum Teil begriffliche Fragen ausgelöst9. Eine frühe Auseinandersetzung mit dem Begriff des internationalen Wirtschafts­ rechts findet sich bei Georg Erler in einer beachtenswerten Monographie aus dem Jahre 195610. Erler vertrat die Auffassung, daß „die Abgrenzung und Einordnung des Begriffs des internationalen Wirtschaftsrechtes keine logische sein kann, son­ dern allein eine pragmatische, die die rechtlichen Vorgänge und Regelungen eines spezifischen Sachverhaltes einer möglichst zweckmäßigen zusammenfassenden wissenschaftlichen Klärung und Betreuung unterstellt“. Auf dieser Konzeption aufbauend, definierte er das internationale Wirtschaftsrecht als einen Komplex aus privatem und öffentlichem Landes- und Völkerrecht, welcher die „Förderung, Lenkung, Formalisierung, Koordinierung und Harmonisierung der über die Staatsgrenzen hinausgehenden und die Staatsgrenzen durchdringenden wirtschaft­ lichen Transaktionen“ normiere11. Auch Fikentscher schlägt einen entformalisierten, am soziologischen Tatbe­ stand Weltunrtschaft orientierten Begriff des Weltwirtschaftsrechts vor. Dieser umfaßt für ihn „das Recht der internationalen Wirtschaft, das international oder weltweit gilt“12. Der Begriff geht damit über das Wirtschaftsvölkerrecht und das Wirt­ schaftskollisionsrecht hinaus13. Ein von Fikentscher ebenfalls postuliertes, abstrak­

7 Ebd. 484. 8 Vgl. z.B. die umfangreiche amerikanische Literatur zum internationalen Wirtschaftsrecht: Barton/Fisher, 3f.; Vagts, Transnational, Iff.; Clasen, Trade, Iff; Folsom/Gordon, Iff; Jackson/ Davey, Iff; Wilson, International, Iff; Lowenfeld, Economic, passim. 9 Erler, Grundprobleme, 1-38; Behrens, Wirtschaftsrecht, 487ff; Fischer, Wirtschaftsrecht, 143ff; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 49ff; Seiffert, Problem, 159ff; Meeßen, Grundlagen, 398ff; Schanze, Investitionsverträge, 17ff; Mertens/Kirchner/Schanze, 280ff; Joerges, Vor­ überlegungen, 6ff; vgl. auch Hübner, Entwicklung, passim; Großfeld, Internationalisierung, 106f; Schwarzenberger, Principles, Iff; Carreau/Juillard/Flory, Iff; VerLoren, Weltwirt­ schaftsordnung, 632f; Oppermann, Weltwirtschaftsordnung, 449ff; von Hippel, Grundfragen, 9ff; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 113ff 10 Erler, Grundprobleme, 38. 11 Ebd. 12 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 51. 13 Ebd., 52, 58ff; vgl. auch die Hierarchie weltwirtschaftsrechtlicher Ebenen, a.a.O., 60: su­ pranationales Recht - materielles internationales und transformiertes Einheitsrecht - supranatio­ nales oder internationales Kollisionsrecht - nationales Kollisionsrecht - materielles Wirtschafts­ recht.

tes Weltwirtschaftsmodell scheint sich anderseits ausschließlich am Wirtschaftsvöl­ kerrecht zu orientieren14. Behrens15 definiert das internationale Wirtschaftsrecht als „Rechtsgebiet, wel­ ches die Rechtsnormen verschiedener Rechtsmaterien, soweit sie grenzüber­ schreitende Sachverhalte des Wirtschaftslebens ordnen, unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Weltwirtschaft systematisch zusammenfaßt“16. Er sieht die Einheit der Weltwirtschaft durch die internationale Arbeitsteilung, die wirtschaftspoliti­ sche Reaktionsverbundenheit der Volkswirtschaften, die Existenz internationaler Kollektivgüter sowie das Auftreten grenzüberschreitender externer Effekte prädispo­ niert17. Er beschreibt sodann die weltwirtschaftlichen Akteure (Staaten, internatio­ nale Organisationen, Individuen, MNK), die Koordinationsverfahren (Markt, Bü­ rokratie, kollektive Verhandlungen, Demokratie) und Ordnungsziele (Effizienz, Verteilungsgerechtigkeit), welche im Zusammenspiel das System Weltwirtschaft konstituieren18. Soweit Recht dieses Gesamtsystem gestalten helfe, sei es als inter­ nationales Wirtschaftsrecht zu konzipieren. Die Bemühungen der deutschen Lehre zeigen die Stoßrichtung auf, welche ein Begriff des internationalen Wirtschaftsrechts sinnvollerweise verfolgt. Es geht um die Destillation von Regeln des Völkerrechts und der betroffenen Landesrechte, welche sich um den Funktionsmechanismus internationale Wirtschaft drehen19. Dabei ist zwar vom Grundsatz der staatlichen Souveränität und Rechtsetzungsho­ heit auszugehen, womit dem Landesrecht Priorität zukommt. Daneben sind aber auch die landesrechtlich zum Ausdruck kommende Anerkennung des Wirtschafts­ völkerrechts und anderer international-wirtschaftlicher Tatsachen zu berücksichti­ gen. Erst dadurch wird die Ausarbeitung kohärenter Ordnungsgesichtspunkte im Bereich internationalen Wirtschaftens möglich. Die Lokalisierung des MNK-Haftungsrechts im internationalen Wirtschafts­ recht und die inneren Zusammenhänge dieser Rechtskategorie legen somit nahe, eine schweizerische Internationale Wirtschaftsverfassung (IWV) auszudifferenzie­ ren, welche sich als Bezugssystem des schweizerischen Rechts zur Haftung Multi­ nationaler Konzerne verwerten läßt. Angesichts des systemischen Charakters der internationalen Wirtschaft ist die IWV primär als Grundordnung des schweizeri­ schen internationalen Wirtschaftsrechts schlechthin aufzuziehen.

14 Ebd., 124-133. 15 Behrens, Wirtschaftsrecht, 487ff. 16 Ebd., 487. 17 Ebd., 487-489. 18 Ebd., 489-496. 19 Seiffert, Problem, 180; Fischer, Wirtschaftsrecht, 145ff; differenziert skeptisch bezüglich der Möglichkeit einer Herleitung homogener Konstanten scheint Joerges, Vorüberlegungen, 62f.

3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung als Grundord­ nung des internationalen Wirtschaftsrechts der Schweiz Das wirtschaftsrechtliche Bezugssystem IWV muß, um seine Leitbildfunktion wahrnehmen zu können, fundamentale Prinzipien des Kulturbereichs internationa­ le Wirtschaft der Schweiz reflektieren20. Die IWV ist mithin als Wirtschaftsverfas­ sung zu entwerfen21. Zwei Strukturparameter sind jeder Wirtschaftsverfassung ei­ gen: die Koordination und die Subordination22. Eine WirtschaftsVerfassung läßt vorerst planmäßig funktional verbundene Rechtsinstitute evident werden, die sich als Konstituanten eines Koordinationssystems erweisen23. Drei Koordinationsty­ pen stehen gemäß Schluep zur Verfügung: Markt, Kollektivverhandlungen und Plan24. Behrens nennt als vierten Typus noch die Demokratie25. Jede Wirtschafts­ verfassung enthält zudem spezifische Subordinationskonstanten. Sie repräsentieren die Ziele, welche mit den zur Verfügung stehenden Koordinationsmitteln ange­ strebt werden26. 27 Die IWV ist demzufolge als eine zu rechtlicher Geltung erhobene politische Grundent­ scheidung17 über die Koordinations- und Subordinationsparameter im Bereich der schweizerischen internationalen Wirtschaft zu konzipieren28. Ihr Zweck liegt in der positiv-rechtlichen Widerspiegelung wirtschaftlicher Gesamtzusammenhän­ ge, in welche die MNK-Haftungsproblematik eingebettet ist29. Als so strukturierte Grundordnung braucht die IWV keinen formellen Verfassungsrang aufzuweisen. Sie kann ihre Inhalte aus verschiedenen Rechtskomplexen beziehen und ist damit als materielle Wirtschaftsverfassung ins Visier zu nehmen. In dieser Form bietet sie auch die Chance, einer am international-wirtschaftlichen Umfeld orientierten Auslegung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts wichtige Signale geben zu können.

20 Schluep, Wirtschaftsrecht, 21. 21 Ebd., 15£; die IWV ist damit Verfassung im Sinne einer materiellen Grundordnung, ver­ gleichbar der materiellen kollektiven Arbeitsverfassung im schweizerischen Arbeitsrecht (Hofstet­ ter, Tariffähigkeit, 95 ff.) oder der Unternehmensverfassung im Unternehmensbereich (Rittner, Unternehmensverfassung, Iff; Tschäni, Unternehmensverfassung, 17ff). 22 Schluep, Wirtschaftsrecht, 32; Vallender, Grundzüge, Iff 23 Schluep, Wirtschaftsrecht, 15. 24 Schluep, Überbordungsgefahren, 177. 25 Behrens, Grundlagen, 11 Off. 26 Schluep, Wirtschaftsrecht, 19; Jöhr, Auftrag, 60. 27 Schluep, Wirtschaftsrecht, 13; bei der hier konstruierten IWV kann es allerdings nicht um einen konkreten Entscheid des schweizerischen Verfassungsgesetzgebers gehen; vielmehr reflek­ tiert die IWV eine letztlich auch vom schweizerischen Recht abgesegnete, innerhalb dieses Rah­ mens aber relativ autonome Grundordnung; vgl. Schanze, Investitionsverträge, 17, der ebenfalls von der Ordnung eines autonomen transnationalen Wirtschcrftsrechts spricht. 28 Vgl. auch Meeßen, Grundlagen, 402-403. 29 Schluep, Wirtschaftsrecht, 16 FN 37.

4. Beiträge der Internationalen WirtschaftsVerfassung zur Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne 4.1. Allgemeines

Die IWV, als der dem schweizerischen MNK-Haftungsrecht voranzustellende Bezugsrahmen, hat die Grundordnung des schweizerischen internationalen Wirt­ schaftsrechts zu reflektieren. Sie muß sich dabei primär auf das schweizerische Lan­ desrecht abstützen, soweit sich dieses direkt oder indirekt mit außenwirtschaftli­ chen Tatbeständen befaßt. Darüber hinaus muß die IWV aber auch die Grundkon­ stanten erfassen, welche sich dadurch ergeben, daß die schweizerische Außenwirt­ schaft bewußt und gewollt Teil der internationalen Wirtschaftsordnung ist. Deren völkerrechtliche und faktische Vorgaben sind deshalb von der IWV zu integrieren, soweit dies positiv-rechtlich vertreten werden kann. Es rechtfertigt sich somit, im folgenden zuerst die völkerrechtlich umrahmte Weltwirtschaftsordnung darzustel­ len, bevor die IWV im Rahmen des schweizerischen Landesrechts spezifiziert wird.

4.2. Die völkerrechtlich umrahmten Weltivirtschaftsstrukturen

4.2.1. Die allgemeine Weltwirtschaftsordnung Von einer Weltwirtschaftsverfassung des Völkerrechts im Sinne eines kohären­ ten Ordnungsrahmens für internationale Wirtschaftstransaktionen kann kaum ge­ sprochen werden30. Dennoch ist die Weltwirtschaft kein Chaos31. Zumindest seit dem zweiten Weltkrieg hat sich unter der Aegide der USA (Pax Americana) ein an marktwirtschaftlichen Modellvorstellungen ausgerichtetes Weltwirtschaftssystem entwickelt32. Es wurde auch durch die im Zuge der Erstarkung der Drittweltstaa­ ten versuchten weltwirtschaftlichen Systemveränderungen nicht verdrängt33. 30 Kaiser, Ordnungsrahmen, 251, bezeichnet die Weltwirtschaft als im „Rohzustand eines un­ geordneten laissez-faire". Es handle sich dabei zwar um eine „arbeitsteilige, marktwirtschaftlich verfaßte, durch Wettbewerb gesteuerte Wirtschaft“. Dagegen fehle ihr das zweite konstitutive Element einer ordoliberalen Wirtschaft, nämlich der echten Wettbewerb gewährleistende Ord­ nungsrahmen (a.a.O. 255). 31 Behrens, Wirtschaftsrecht, 496, spricht von einem „Netzwerk“. 32 Raiser, Ordnungsrahmen, 255; Erler, Grundprobleme, 97ff.; Fikentscher, Wirtschafts­ recht, 87ff.; vgl. auch Block, Origins, Iff.; Calleo, Economy, 1f.; Röpke, Ordnung, 1 ff.; Röp­ ke, Order, 207ff.; Hämisegger, Neue Formen, 21 ff; zu Szenarien der künftigen Entwicklung: vgl. Bergsten, World Economy, 96ff. 33 Vgl. etwa die Versuche zur Etablierung einer Neuen Weltwirtschtftsordnung (Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 116ff.) oder die unter der Führung der UNCTAD ins Leben gerufenen (be­ schränkt erfolgreichen) Rohstoffpufferabkommen; vgl. Müller/Wildhaber, 390-391; von Tschamer, Außenwirtschaft, 69ff; zu Fragen neuer Weltwirtschaftsstrukturen; vgl. Jolies, Nord­ Süd, 279ff; von Tschamer, Außenwirtschaft, 131-135; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 333ff, 353ff; Roethlisberger, Reflexions, 242ff; Makarczyk, Principles, passim; Dicke, Order, passim; vgl. auch etwa die weltwirtschaftlichen Postulate der katholischen Kirche in der Enzyklika „Sollicitude Rei Socialis" (New York Times, 20.2.88, K-4).

Der völkerrechtlich-organisatorische Rahmen der nach dem zweiten Welt­ krieg entwickelten Weltwirtschaftsordnung beruht wesentlich auf den institutio­ nellen Säulen IMF/Weltbank (Bretton Woods-Abkommen), GATT, OECD und UN/UNCTAD34. Dieser Grundordnung angefügt sind regionale Wirtschaftsorga­ nisationen wie der Anden Pakt35, Asean36, EFTA37, seit kurzem auch das North At­ lantic Free Trade Agreement (NAFTA) und am weitesten fortgeschritten die EU38. Der geltende institutionelle Rahmen der internationalen Wirtschaft verwirk­ licht auf globaler Ebene das ehrgeizige Projekt der Havanna Charta von 1948 zwar bloß bruchstückhaft39. Ein umfassend konzipierter übernationaler Wirtschafts­ rechtsraum vermochte sich nur im Rahmen der EU zu entwickeln40. Trotzdem darf die Bedeutung der geschaffenen Institutionen für das rasante weltwirtschaftli­ che Wachstum seit dem zweiten Weltkrieg nicht unterschätzt werden41. In der modernen Weltwirtschaft steht vor allem der GATT/WTO-Vertrag (wei­ terentwickelt im Rahmen der sog. Kennedy-, Tokyo- und Uruguay-Runden) als Hauptpfeiler eines relativ zollfreien Welthandels in zentraler Position42. Diese Kon­ stellation reflektiert die Tatsache, daß der Güterverkehr (Export/Import) im An­ fangsstadium der Wirtschaftsinternationalisierung die weitaus wichtigste Transak­ tionsform darstellte43. Erst in neuerer Zeit haben die transnationalen Verschiebun­ gen von Dienstleistungen, Technologie und Kapital ähnliche Bedeutung erlangt44. Währungskonvertibilität und Währungsstabilität sind für alle internationalen Transaktionsformen zentral. Diesen Zielen dienten nach dem zweiten Weltkrieg vor allem die Bretton Woods-Institutionen IMF und Weltbank45 sowie die Vorgänge­ rin der OECD, die OEEC46. Diese setzte den amerikanischen Marshallplan um, welcher einen entscheidenden Beitrag zum europäischen Wiederaufbau und zur Erreichung der allgemeinen Währungskonvertibilität in Europa leistete47. Darauf

34 BB11989 I, 321-390; Vagts, Transnational, 3f.; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 94f., 296f. 35 Naon, Pacto Andino, 237ff.; vgl. 27 ILM 974f. (1988); für 1995 ist zudem ein Wirtschafts­ raum (Mercosur) zwischen Brasilien, Argentinien und anderen lateinamerikanischen Staaten ge­ plant. 36 Hundt, ASEAN, passim; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 185. 37 Mayrzedt, EFTA, 133f. 38 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 493f. 39 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 96. 40 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 385f.; von Tschamer, Außenwirtschaft, 119-123; Senti, EG, 103ff; BB1 1988 III, 255-259, 264-279, 320f. 41 Barton/Fisher, 22-25; die Einkünfte der Schweiz aus der Außenwirtschaft machen heute z.B. rund 45% des Bruttosozialprodukts aus, während sie 1960 noch bei 26% lagen; vgl. BB11988 III, 295, 423-440 (Anhang 6). 42 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 308ff.; Senti, GATT, passim; Dunkel/Eberhard, 47ff., Sen­ ti, GATT-WTO, passim. 43 Hood/Young, 130ff. 44 Ebd., 10-13; vgl. vorne 1.2.1.2. 45 Lademann, Bretton Woods, 15ff.; Meier, Monetary, 21ff., 122f. 46 Levy, OECD, 81-83; Jacobi, GATT/OECD, 772f. 47 Levy, OECD, 81-83; Lademann, Bretton Woods, 29-31.

folgte unter dem Regime des IMF zwischen 1959 und 1971 eine Phase ausgepräg­ ter Währungsstabilität (Golden Age)43. IMF/Weltbank48 49 und OECD50 spielen auch seit dem Uebergang zum Floating wichtige Rollen im Hinblick auf den währungspolitisch bedeutsamen Zahlungsbi­ lanzausgleich nationaler Volkswirtschaften und die damit zusammenhängende Ko­ ordination und Anpassung nationaler Geld- und Wirtschaftspolitiken51. Die OECD hat sich darüber hinaus zu einem flexiblen weltwirtschaftlichen Forum ent­ wickelt, das in seiner Ausrichtung auf die Förderung des Weltwirtschaftswachs­ tums immer wieder neue Weltwirtschaftsthemen aufnimmt und zu verarbeiten sucht52. Wohl nicht zufällig hat die OECD 1976 auch die ersten Richtlinien für Multinationale Unternehmen erlassen53. Während GATT, OECD und ursprünglich auch IMF und Weltbank in erster Li­ nie auf den Wirtschaftsraum USA/Europa/Pazifik ausgerichtet waren bzw. ausge­ richtet sind, stellen die im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) geschaffenen Organisationen UNCTAD und UNIDO ein gewisses institutionelles Gegenge­ wicht der Entwicklungsländer dar54. Schon früh schwenkte die Weltbank auf ei­ nen entwicklungspolitischen Kurs ein55. Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Regimes begann auch der IMF, sich zunehmend dem Zahlungsbilanzaus­ gleich der Entwicklungsländer zu widmen56. Durch die im Zuge der Entkoloniali­ sierung seit den 60er Jahren massiv vermehrten Drittweltnationen ist zudem die UN selbst immer stärker zum wirtschaftlichen Forum der Dritten Welt gewor­ den57. Sie hat im Gefolge dieser Entwicklung eine Anzahl weltwirtschaftspoliti­ scher Vorschläge ausgearbeitet58. Über die UNCTAD läuft zudem seit Jahren ein weltwirtschaftlicher Nord-Süd Dialog59. Eine halbwegs institutionalisierte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ost­ staaten bestand schließlich bis vor kurzem nur im Rahmen der UN (vor allem ECE) und der OSZE (früher KSZE) (wirtschaftlicher Korb)60. Der nun eingesetz­

48 Maddison, Phases, 126ff.; Lademann, Bretton Woods, 31-32. 49 Lademann, Bretton Woods, 33-34; Meier, Monetary, 122ff; Fikentscher, Wirtschafts­ recht, 344ff; NZZ vom 29. Sept. 1989, 33 („Bestätigung der Aufgaben von Weltbank und IMF. Abschluß der Bretton Woods Arbeitstagung“). 50 Levy, OECD, 84f.; Jacobi, GATT/OECD, 781-782. 51 Vgl. BB1 1988 III, 307. 52 Levy, OECD, 84ff.; BB1 1989 I, 349-355, 374-375, 377f. 53 Vagts, Transnational, 131-141; vgl. hinten II.4.2.2. 54 BB1 1989 I, 365-367; Melzer, Dritte Welt, 159-168; Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 353f. 55 BB1 1989 I, 367f; Müller/Wildhaber, 388-389; Lademann, Bretton Woods, 24-27. 56 Müller/Wildhaber, 387-388; Meier, Monetary, 146ff; vgl. auch BB1 1988 II, 2453ff. 57 Verdroß/Simma, 81-82. 58 Vgl. den UN-Kartellkodex (Fikentscher, Wirtschaftsrecht, 212ff.), den Entwurf für einen UN-Technologietransferkodex (a.a.O., 234f.) und den Vorschlag für eine Neue Weltwirt­ schaftsordnung (a.a.O., 116ff.). 59 Jolies, Nord-Süd, 279ff.; BB1 1987 II, 149, 157f. 60 Probst, Staatshandelsländer, 739ff.; von Tschamer, Außenwirtschaft, 81 ff.; BB11989 I, 381­ 382, 348.

te Reintegrationsprozeß zwischen Ost- und Westeuropa wird diesbezüglich aber entscheidende institutionelle Umwälzungen bringen61. Die Schweiz ist als Mitglied von GATT/WTO, OECD62, IMF und Weltbank63 sowie als gesprächswillige Teilnehmerin am Nord-Süd Dialog64 weitgehend und aus freien Stücken in die beschriebene Weltwirtschaftsordnung integriert65. In noch ausgeprägterem Maße eingebunden sind die schweizerische Rechts- und Wirtschaftsordnung aber in den europäischen Raum66. Die Mitgliedschaften in EFTA und Europarat (einschließlich der Unterzeichnung der EMRK)67 sowie das Freihandelsabkommen mit der EG/EU68 assoziieren die Schweiz bereits jetzt eng mit dem für sie wichtigsten internationalen Territorium69. Auch das Nein von Volk und Ständen zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)70 dürfte den fort­ schreitenden Annäherungsprozeß an die EU aller Voraussicht nach nicht zum Er­ liegen gebracht haben71.

4.2.2. Weltwirtschaftsordnung der Direktinvestitionen? Von einer spezifischen Weltwirtschaftsordnung der Direktinvestitionen kann nur bedingt die Rede sein. Im Gegensatz zum Gebiet des internationalen Handels ist man von einem GATTfür Investitionen noch weit entfernt72. Auslandsdirektinve­ stitionen und Multinationale Konzerne unterstehen nur einem beschränkten völ­ kerrechtlichen Rahmen73. Dieser setzt sich zusammen aus völkerrechtlichem Ge­ wohnheitsrecht, z.B. im Bereich der Enteignungen74, und aus bilateralen Investi­ tionschutzabkommen, von denen die Schweiz einige abgeschlossen hat75. Diese 61 Vgl. NZZ 17./18. März 1990, 37 („Wirtschaftskonferenz der 35 KSZE-Staaten in Bonn“). 62 Jacobi, GATT/OECD, 764ff., 773ff; BB1 1989 I, 350ff. 63 Vgl. BB1 1989 I, 201; dazu Haas, Außenwirtschaftspolitik, 210ff. 64 von Tschamer, Außenwirtschaft, 131 ff.; Hofstetter, Außenpolitik, 39ff. 65 BB1 1988 III, 296-330; BB1 1989 I, 326-328; von Tschamer, Außenwirtschaft, 9ff. 66 Der Bundesrat spricht von einer „weltweiten Interdependenz mit klarem westeuropäi­ schem Schwergewicht“; vgl. BB1 1988 III, 296, 381; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 218ff. 67 BB1 1988 III, 255f. 68 BB1 1989 III, 296ff, 303ff. 69 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 232ff. 70 Abstimmung vom 6. Dezember 1992; vgl. NZZ vom 7.12.92. 71 Das Gesuch des schweizerischen Bundesrats um Beitrittsverhandlungen mit der EG/EU wurde z.B. auch nach dem EWR-Nein nicht zurückgezogen; vgl. Bericht über einen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Gemeinschaft vom 18.5.92. 72 Kindleberger/Goldberg, 295ff; Caves, Multinational, 295-299; Nye, Multinational, 16; Levy/Gattiker, 55. 73 Allgemein hiezu: Wildhaber, Multinationale, 7ff; BB11990 I, 308ff, spricht von bereits be­ stehenden Bausteinen einer internationalen Investitionsordnung. 74 Baldi, Schutz, 7ff; Huwyler, Enteignungsrecht, 6ff; vgl. auch Behrens, Enteignungsrecht, passim. 75 Baldi, Schutz, 10ff; UN, Bilateral, passim; Laviec, Protection, Iff; Aksen, Treaties, 357ff; Pogany, Treaties, 155ff; Krafft, Accords, 72ff; Levy/Gattiker, 59ff; von Tschamer, Außenwirt­ schaft, 91; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 199f.; zu geplanten Investitionsschutzabkommen der Schweiz mit Osteuropa, vgl. NZZ vom 11.1.90, 17.

Verträge zielen auf den Schutz vor Enteignungen und auf die möglichst weitgehen­ de Gleichbehandlung ausländischer Firmen mit einheimischen Unternehmen (na­ tional treatment)76. Auch die OECD77 und die Weltbank78 bemühen sich um eine Durchsetzung dieser Standards. In jüngster Zeit wurde zudem eine Multilaterale Investitionsgarantie-Agentur (MIGA) gegründet79. Sie dient der Versicherung nicht-geschäftlicher, d.h. vor allem politischer Risiken in Entwicklungsländern80. Auch die Schweiz ist ihr beigetreten81. Für Schweizer MNK tritt die MIGA damit neben die bereits früher eingerichtete, rein schweizerische Investitionsrisikogaran­ tie (IRG)82. Beim Enteignungsschutz zeichnet sich im übrigen ein Trend ab, den Expropriationsbegriff auszuweiten, indem nicht mehr nur der Extremfall vollstän­ diger Enteignung, sondern auch weniger weitgehende Maßnahmen (creeping expropriations) erfaßt werden83. In den beschriebenen völkerrechtlichen Institutionen kann ein Mittel gesehen werden, ADI generell auf eine vertragliche Grundlage zwischen MNK und Gast­ ländern zu stellen84. Angestrebt wird eine Bindung der Gastländer an das (auch völ­ kerrechtlich geltende) Vertrauensprinzip, d.h. den Grundsatz pacta sunt servanda85. Die Stoßrichtung von Investitions- bzw. Enteignungsschutz liegt damit in der Protektion berechtigter Erwartungen von MNK86. Flankierende Versicherungs­ möglichkeiten gegen nichtgeschäftliche Risiken tragen zusätzlich zur erhöhten Be­ rechenbarkeit von ADI bei87. Vor allem den Vertrauensschutz in umgekehrter Richtung peilen sodann die ver­ schiedenen in Kraft stehenden oder in Vorbereitung begriffenen Richtlinien zum Verhalten von Multinationalen Unternehmen an88. Ihre hauptsächliche Stoßrich­ tung besteht in der Verpflichtung der MNK auf die Achtung legitimer Interessen von Gaststaaten und ihrer Bevölkerung89. An erster Stelle ist die von der Schweiz 76 Levy/Gattiker, 59ff; von Tschamer, Außenwirtschaft, 90f. 77 Vgl. OECD, National Treatment, passim; die OECD verfolgt neuerdings das ambitiöse Projekt eines Wider Investment Instrument, welches einem GATTfür Investitionen nahekommen könnte; vgl. OECD, Feasibility Study ofa Wider Investment Instrument, March 5, 1993. 78 Guidelines on the Treatment of Foreign Direct Investment, 1992. 79 Ebenroth/Karl, MIGA, Iff.; Ebenroth/Karl, Kommentar, 17ff; Shihata, MIGA, Iff; Shihata, Factors, 671 ff; Feldman, MIGA, 347ff. 80 Zu Details: vgl. MIGA, Operational Regulations, 27 ILM (1988), 1227ff 81 BB1 1989 I, 373; 1989 I, 1341; 1987 I, 146ff, 201ff, 275ff. 82 Levy/Gattiker, 64f. 83 Vgl. Hefti, Protection, 12-14. 84 Schanze, Investitionsverträge, 45-46; von Tschamer, Außenwirtschaft, 90-91; Levy/Gatti­ ker, 61, sprechen vom Ziel des „Schutzes und der gerechten und billigen Behandlung“. 85 Wildhaber, Multinationale, 37-39; Hom, Entwicklung, 443. 86 Levy/Gattiker, 61. 87 Ebd. 88 Schanze, Investitionsvertrage, 45-46; allgemein Mahari, Codes, 500ff; Hom, Codes, pas­ sim; Steeg, Verhaltensregeln, Iff; Kolvenbach, Verhaltenskodizes, 381 ff; Hom, Entwicklung, 423ff; Metaxas, Entreprises, Iff; Coombe, Codes, 11 ff; Ebenroth, Code, passim; Wallace; Codes, 435ff; Robinson, Multinational, Iff. 89 Wallace, Codes, 459-463; von Tschamer, Außenwirtschaft, 91-92; vgl. Ziff. 6 der OECDRichtlinien: „....Observance of the guidelines is voluntary and not legally enforceable. However,

mitunterzeichnete OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinatio­ nale Unternehmen vom 21. Juni 1976 zu nennen90. Die in deren Annex enthaltenen MNK-Verhaltensrichtlinien (OECD-Richtlinien) verlangen, daß bei Konzernent­ scheiden die Ziele und Interessen der Gaststaaten gebührend berücksichtigt wer­ den. Die sprachlich sehr allgemein gehaltenen Richtlinien beziehen sich vor allem auf die Bereiche Informationspolitik, Wettbewerbsverhalten, Konzernfinanzie­ rung, Steuern, Technologie und Arbeitnehmerbeziehungen91. Die Ueberprüfung der Einhaltung der Richtlinien durch ein Sondergremium (CIME) sowie die insti­ tutionalisierte Vertretung der Gewerkschaften (TUAC) und der Arbeitgeber (BIAC) bei der OECD hat insbesondere im Arbeitnehmerbereich zu einer lebhaften Weiterentwicklung und Konkretisierung der OECD-Richtlinien geführt. Im Fall Badger ist z.B. eine qualifizierte Mitverantwortung ausländischer Konzernmütter für die finanziellen Verpflichtungen ihrer Tochtergesellschaften festgehalten wor­ den92. Die Bedeutung der OECD-Richtlinien als völkerrechtliches soft law darf trotz ihres grundsätzlich freiwilligen Charakters nicht unterschätzt werden93. Das Fazit fällt nach einer über zehnjährigen Erfahrung denn auch durchwegs positiv aus94. Das Bemühen um die Einhaltung der Richtlinien und der vorprogrammierte poli­ tische Druck bei ihrer Verletzung dürften einiges dazu beigetragen haben, daß sich die MNK-Diskussion in den letzten Jahren versachlichte95. Damit sind die OECDRichtlinien ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen, in Gastländern ein sachli­ ches, von größerem Vertrauen gegenüber Multinationalen Unternehmen gekenn­ zeichnetes Investitionsklima zu schaffen96. Nebst den OECD-Richtlinien existieren auch Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), welche sich insbesondere mit den Arbeitnehmerbezie­ hungen von MNK befassen97. Auch die Internationale Handelskammer (ICC) hat Leitsätze zu Auslandsdirektinvestitionen erlassen98. Für Lateinamerika ist sodann auf die frühere Richtlinie 24 des Andenpaktes zu verweisen99. Innerhalb der UN they should help to ensure that the operations of these enterprises are in harmony with national policies of the countries where they operate and to strengthen the basis of mutual confidence between enterprises and States“. 90 BB1 1976 II, 1512ff; 1979 II, 710. 91 Vgl. Vagts, Transnational, 134-140; Mahari, Codes, (Anhang 15ff.). 92 Vgl. vorne 1.4.6. 93 Thürer, Soft Law, 437-439; Baade, Effects, 3ff; Brownlie, Effects, 39ff; Hom, Lex Mercatoria, 45 ff. 94 Levy/Gattiker, 72; Mahari, Codes, XV; Robinson, Multinational, 7; von Tschamer, Au­ ßenwirtschaft, 92. 95 Gemäß Robinson, Multinational, 7, hat sich die MNK-Debatte zu einer MNK- Verhandlung gewandelt. 96 OECD-Richtlinien, Ziff. 2. 97 ILO, Dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpoli­ tik von 1977; vgl. Mahari, Codes, 544f. (Text im Anhang, 53ff); Robinson, Multinational, 171; Günter, Tripartite, 145ff; Guenter, ILO, Iff. 98 Mahari, Codes, 588ff. (Text, Anhang, 39ff). 99 Mahari, Codes, 574ff.

wird zudem seit langem über einen Kodex für transnationale Gesellschaften disku­ tiert100. In ihm sollten nach der Vorstellung der Industriestaaten sowohl Verpflich­ tungen der MNK wie Verpflichtungen der Gastländer (z.B. Enteignungsschutz) enthalten sein. Letzteres scheint das piece de resistance gewesen zu sein, welches einer Verabschiedung des Kodex (bisher) im Wege stand101. Zu den Grundlagen einer für die Schweiz relevanten Weltordnung der Direktinve­ stitionen gehört auch das Uebereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitig­ keiten (ICSID)102. Es schaffte eine freiwillige internationale Schiedsstelle für Dispu­ te zwischen MNK und Gaststaaten. Die Schweiz hat das Abkommen 1967 unter­ zeichnet103. Während die genannten institutioneilen Vorkehren vor allem die adäquate, d.h. vertragsgetreue Abwicklung bereits getätigter Auslandsdirektinvestitionen verfol­ gen104, zielt der OECD-Kodex für eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs auf eine Förderung von ADI schlechthin105. Dieser Kodex, dem die Schweiz ebenfalls beitrat106, verpflichtet die UnterzeichnerStaaten zur Begrenzung von Kapitalver­ kehrsbeschränkungen auf das für „eine wirkungsvolle wirtschaftliche Zusammen­ arbeit“ notwendige Ausmaß107. Bestrebungen, den transnationalen Direktinvesti­ tionsverkehr optimal zu entwickeln, manifestieren sich zudem innerhalb der WTO und der UNCTAD. In den 1994 abgeschlossenen WTO/GATT-Verhand­ lungen (Uruguay Runde)108 109 bemühte man sich z.B. erfolgreich um eine Rege­ lung der (protektionistischen) sog. handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen (TRIMS)109. Die UNCTAD arbeitet seit langem an einem internationalen Code zur Regelung des Technologietransfers110. Von ihr stammt auch ein Kodex zur Ver­ hinderung wettbewerbsbeschränkender Praktiken111.

100 Mahari, Codes, 676f. (Textentwurf, Anhang, 69ff.); Robinson, Multinational, 163ff.; UN, Discussion Paper, passim; Pope, UN Code, 129ff.; Fatouros, UN Code, 103ff.; Petersmann, Sovereignty, 310ff.; vgl. auch BB1 1989 I, 376; 1988 I, 10-20. 101 UN, Discussion Paper, Iff.; Levy/Gattiker, 72; von Tschamer, Außenwirtschaft, 92; vgl. auch BB1 1990 I, 309. 102 Levy/Gattiker, 66-67; Baldi, Schutz, 13; Shihata, ICSID, Iff; Soley, ICSID, 521ff; de Waart, ICSID, 116ff; Fallbeispiel: Amoco Asia Corporation et al. and Indonesia, 23 ILM (1984), 351 ff; 24 ILM (1985), 365ff; 26 ILM (1987), 1022ff. 103 AS 1968, 981. 104 Subrata, Expectations, 259ff. 105 Levy/Gattiker, 66; Haas, Außenwirtschafspolitik, 201 f. 106 Levy/Gattiker, 67; vgl. auch BB1 1989 I, 378. 107 OECD, Code de la liberation des mouvements de capitaux, Paris 1973; verwandt ist der Li­ beralisierungskodex für unsichtbare Transaktionen: OECD, Code de la liberation des operations invisibles courantes, Paris 1973. 108 Petersmann/Hilf, passim; Senti, GATT-WTO, passim. 109 Senti, GATT-WTO, 85ff. 110 Mahari, Codes, 650ff; Roffe, Transfer, 689ff; Wilner, UNCTAD, 177ff; Fikentscher, Technology, 189ff; Sygnia, UNCTAD, 210ff. 111 Mahari, Codes, 594ff; Nebel, Verhaltensregeln, 66ff.

4.2.3. Weitere völkerrechtliche Rahmenbedingungen

Ueber die beschriebenen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus hat das Völkerrecht nur weniges geschaffen, das bezüglich der Haftung Multinationa­ ler Konzerne relevant sein könnte. So existieren, von der EU abgesehen112, insbe­ sondere keine völkerrechtlich harmonisierten materiellen Konzernhaftungsnor­ men113. Auch im IPR fehlen völkerrechtliche Abkommen zu Fragen der Konzern­ haftung114. Immerhin gibt es eine Reihe von zivilprozessualen Staatsverträgen auf bilatera­ ler oder multilateraler Ebene, welche unter Umständen auf Gerichtsstands-, Anerkennungs-, Vollstreckungs- und Rechtshilfefragen in MNK-Haftungsprozessen Auswirkungen haben können115. Aus schweizerischer Sicht ist in diesem Zusam­ menhang vor allem auf das Lugano-Übereinkommen hinzuweisen. Es regelt die in­ ternationalen Gerichtsstände der Schweiz im innereuropäischen Rechtsverkehr116. Im IPR/IZPR ist sodann auch die völkerrechtliche Abgrenzung der räumli­ chen und sachlichen Souveränitätsbereiche von Bedeutung117. In sachlicher Hin­ sicht ist eine sinnvolle Anknüpfung verlangt118. Bei Souveränitätskonflikten wird ein sorgfältiges Abtvägen empfohlen, ausgehend vom Erfordernis einer engen Verbin­ dung zur erfaßten Handlung, beruhend auf den Topoi der Souveränität, Courtoisie, Nichteinmischung und Reziprozität, der Verhältnismäßigkeit, des Willkür- und Rechtsmiß­ brauchsverbots und des Vertrauensschutzes^9. MNK können bezüglich der gesetzgeberischen und richterlichen Hoheitsab­ grenzungen effiziente und damit im Prinzip schützenswerte Erwartungen aufbau­ en120. Aehnlich dem Rückwirkungsverbot im intertemporalen Recht stellt des­ halb das Vertrauensprinzip auch im Bereich des IPR/IZPR zu Recht einen Topos dar121. Es wurde hinsichtlich der von Gaststaaten erlassenen Hoheitsakte im Rah­ men der Weiterentwicklung der OECD-Richtlinien (Annex II) konkretisiert122.

112 Aus Schweizer Sicht ist EU-Recht im übrigen nicht Völkerrecht, sondern ausländisches Recht; vgl. BGE 104 IV 175f. (Adams); Mahari, Adams, 86f. 113 Vorschläge für eine Rechtsvereinheitlichung, wie im Bereich des Arbeitsrechts (ILO), des Wechsel- und Checkrechts (Genfer Übereinkommen), des Immaterialgüterrechts (Berner-, Pari­ ser- bzw. Madriderübereinkommen) oder des internationalen Kaufrechts (Wiener UN-Abkom­ men), fehlen für den Bereich der Konzernhaftung; vgl. Hom, Entwicklung, 434—438. 114 Hom, Entwicklung, 433—434; die Haager Abkommen z.B. befaßten sich bisher vor allem mit Ehe-, Kinder-, und Erbrechtsfragen; vgl. Schnyder, StaatsVerträge, 45f. und passim; für die von der Schweiz unterzeichneten Abkommen; vgl. SR 0.2.21-22. 115 Zu den von der Schweiz unterzeichneten Abkommen; vgl. SR 0.2. 0274. 116 Vgl. hinten V.5.2. 117 Verdroß/Simma, 634-787, v.a. 779f. 118 Ebd., 781. 119 Wildhaber, Multinationale, 52; Verdroß/Simma, 787; vgl. auch das Rechtsgutachten des schweizerischen Departements für auswärtige Angelegenheiten vom 19.10. 1979 in SJIR 37, (1981), 253; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 108-111. 120 Vgl. hinten III.2.2. 121 Mahari, Zuständigkeitskonflikte, 13. 122 OECD, 1986, 75-76 („Conflicting Requirements Imposed by Governments on MNE“).

Die geschaffenen Leitsätze erwähnen folgende bei der Hoheitsabgrenzung zu be­ rücksichtigende Elemente: das Völkerrecht; — die Respektierung der Interessen anderer Staaten; — die Berücksichtigung vertraglicher Verpflichtungen des hoheitlich handeln­ den Staats sowie möglicher Vergeltungsmaßnahmen anderer Staaten. Die Leitsätze fordern darüber hinaus zur Kooperation und Konsultation im Be­ reich der Regulierung Multinationaler Konzerne auf. Sie ermuntern ausdrücklich zur staatsvertraglichen Lösung solcher Fragen123.

4.2.4.

Vorgaben des Völkerrechts an die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz

Die Darstellung der auch von der Schweiz anerkannten und mitgetragenen Strukturen des völkerrechtlich umrahmten Weltwirtschaftssystems hat als Konden­ sat vorerst das koordinationstechnische Grundmodell des Wettbewerbs auf den Weltmärkten hervorgebracht124. Der Grundsatz des freien Wettbewerbs bestimmt nicht nur den Bereich des Handels, sondern auch den im Zusammenhang mit ADI/MNK besonders bedeutsamen Kapital- und Technologieverkehr125. Auch wenn das Ordo-Element dieses Wettbewerbs, d.h. seine völkerrechtlich­ institutionelle Abstützung, nur schwach und punktuell erscheint, handelt es sich beim Weltmarkt nicht um eine reine laissez faire-Veranstaltung126. Völkerrechtli­ che Verträge und diverse Formen internationaler Zusammenarbeit kleiden die Weltwirtschaft zumindest teilweise in rechtlich abgestützte Steuerungsschemen. Im Bereich der ADI/MNK sind z.B. die verschiedenen Arten des Investitions­ schutzes (Investitionsschutzabkommen, MIGA, ICSID) und die MNK-Richtlinien (OECD) zu erwähnen, welche die Schweiz unterzeichnet hat und welche ei­ nen marktkonformen gegenseitigen Vertrauensschutz zwischen MNK und Gast­ ländern verankern127. Die nationalen Rechtsordnungen sind aber auch aus völkerrechtlicher Sicht die entscheidenden hoheitlichen Steuerungsmechanismen der Weltwirtschaft. Durch den Schutz nationaler Souveränität und die Koordinationshilfe bei der Abgren­ zung kollidierender staatlicher Steuerungsansprüche stützt das Völkerrecht diese Struktur128. Als zusammenfassende Vorgabe des Völkerrechts an die IWV kann damit allge­ mein und auch für den Bereich der ADI/MNK die Lancierung des Wettbewerbs auf den Weltmärkten gesehen werden. Diesem Wettbewerb sind Ansätze eines völ­

123 OECD, 1986, 124 125 126 127 128

76. Von Hippel, Grundfragen, 18ff.; vome II.4.2.1. Vome II.4.2.2. Borner, Internationalisierung, 56f.; Hämisegger, Neue Formen, 21 ff. Vome H.4.2.2.; Seiffert, Problem, 174. Vome 11.4.2.3.

kerrechtlichen ordre public beigegeben129. Gerade im Bereich der MNK-Haftung überläßt das Völkerrecht den nationalen Rechten aber breiten Ermessensspielraum.

4.3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz als Spiegel weltwirtschaftlicher Strukturen

4.3.1. Wohlstandssteigerung durch weltmarktlichen Wettbewerb als Topos der Internationalen Wirtschaftsverfassung Die prinzipielle Einbindung der Schweiz in den weltwirtschaftlichen Wettbe­ werb widerspiegelt sich nicht nur in deren völkerrechtlichem Engagement. Sie kommt auch landesrechtlich deutlich zum Ausdruck, indem das schweizerische Wirtschaftsverfassungsrecht, gerade im Bereich der Außenwirtschaft, klare Züge einer liberalen Wettbewerbsordnung offenbart. In der rechtlichen Diskussion um das Konzept der schweizerischen Wirtschafts­ verfassung ist zwar umstritten, ob es sich dabei um eine Wirtschaftsverfassung der Handels- und Gewerbefreiheit (HGF)130, der Wettbewerbsfreiheit131 oder der Wirtschaftspolitik132 handelt133. Aehnlich unterschiedliche Akzente traten in den Auseinandersetzungen um eine Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfas­ sung hervor. Sie manifestierten sich z.B. in der Debatte um die Frage einer ge­ schlossenen oder offenen Wirtschaftsverfassung134. Unbestritten ist aber, daß spezi­ fischen Teilgebieten des Wirtschaftslebens eine eigenständige Wirtschaftsverfas­ sung zugrunde liegen kann135. Das gilt z.B. für das kollektive Arbeitsrecht, welches am Modell der Gruppenvereinbarungen orientiert ist. Es verlangt deshalb nach an­ dern verfassungsrechtlichen Funktionsbedingungen als ein System des individuel­ len Wettbewerbs unter Marktteilnehmern136. Deshalb ist für das kollektive Arbeits­ recht der Schweiz von einer (materiellen) kollektiven Arbeitsverfassung auszuge­ hen137. Aus analogen Erwägungen muß auch die IWV, als spezifische Grundordnung des internationalen Wirtschaftsverkehrs der Schweiz, separat ausdifferenziert wer­ 129 Hom, Entwicklung, 448-450; Großfeld, Internationalisierung, 116-117. 130 Marti, Wirtschaftsfreiheit, 21 ff. 131 Müller/Müller, 313£, 323. 132 Gygi, Wirtschaftsverfassung, 15ff; dieser Ansatz scheint sich durchzusetzen; vgl. Rhinow, Kommentar, N 23 zu Art. 31 BV; Schürmann, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 13-26; Vallender, Grundzüge, 84-85. 133 Vgl. zum Ganzen, Rhinow, Kommentar, N 17ff. zu Art. 31 BV; dabei ist aber unbestrit­ ten, daß die schweizerische Volkswirtschaft eine mixed economy darstellt, d.h. sowohl Markt- wie Planelemente und korporatistische Strukturen (Konkordanz) enthält; vgl. zur schweizerischen Wirtschaftsverfassung auch Zäch, WirtschaftsVerfassung, 74ff. 134 Schluep, Wirtschaftsverfassung, 335-377; Kaufmann, Sozialordnung, 285ff; Zäch, Ge­ schlossene, 131 ff. 135 Gygi, Wirtschaftsverfassung, 128ff. (Außenwirtschaftsverfassung), 135ff (Arbeitsverfas­ sung). 136 Schluep, Überbordungsgefahren, 177ff. 137 Hofstetter, Tariffähigkeit, 95ff.

den138. Der formell-verfassungsrechtliche Ursprung der IWV liegt in den Zollarti­ keln der BV139. Diese werden ergänzt durch verschiedene Gesetzgebungskompe­ tenzen des Bundes, vor allem aber dessen allgemeine außenpolitische Zuständig­ keit140. Die daraus folgende Offenheit der IWV rechtfertigt es, sie als Wirtschafts­ verfassung der Wirtschaftspolitik zu konzipieren141. Noch stärker als andere Berei­ che wird die außenwirtschaftsrechtliche Grundordnung von Bundesgesetzgeber und Bundesexekutive (Bundesrat, BAWI) mitbestimmt142. Beide bemühen sich durchwegs, die schweizerische Außenwirtschaft den Gegebenheiten und Entwick­ lungen der Weltwirtschaft anzupassen. Das Referenzmodell eines liberalen Wettbe­ werbs auf den Weltmärkten steht dabei deutlich im Zentrum143. Hieraus ergibt sich das Postulat einer möglichst liberalen Außenwirtschaftspolitik144. Das Bemühen um eine Liberalisierung des internationalen Wirtschaftsverkehrs in den Bereichen Handel, Dienstleistungen, Kapital und Technologie gehört denn auch zu den Kon­ stanten der schweizerischen Außenwirtschaftsgesetzgebung145 und Außenwirt­ schaftspolitik146. Die starke Beeinflussung der Außenwirtschaftspolitik durch das

138 Vgl. Haas, Außenwirtschaftspolitik, 37 Iff.; Rhinow, Kommentar, N 1 zu Art. 28 BV; Kä­ lin, Verfassungsgrundsätze, 368-369; Gygi, Wirtschaftsverfassung, 133—135; Junod, Problemes, 800-801; Schürmann, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 229-259; Kaufmann, Wirtschaftsartikel, 33ff 139 Rhinow, Kommentar, N 1 zu Art. 28 BV; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 30-31; Baldi, Bundeskompetenzen, 402; vgl. auch Lüchinger, Zollartikel, passim. 140 Rhinow, Kommentar, N 1 zu Art. 28 BV; Kälin, Verfassungsgrundsätze, 368; Haas, Au­ ßenwirtschaftspolitik, 92ff, 245ff; vgl. auch Binswanger/Büchi, 693ff. 141 Rhinow, Kommentar, N 17ff. zu Art. 28 BV; vgl. zur schweizerischen Außenwirtschafts­ politik auch Jolies, Außenwirschaftspolitik, 247ff.; Sommaruga, Spannungsfeld, 23ff; von Tschamer, Außenwirtschaft, 45 ff. 142 Binswanger/Büchi, 697-706; von Tschamer, Außenwirtschaft, 47-51; Sommaruga, Span­ nungsfeld, 39; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 130-195, 245 ff; vgl. die z.Teil wegweisenden au­ ßenwirtschaftlichen Botschaften des Bundesrates an das Parlament: BB1 1990 I, 301 ff; 1989 I, 192ff; 19821, 61 ff; 1978 1,1224ff; 1978 I, 467ff; 1974II, 298ff; 1971 II, 748ff; 1968 1,122ff; vgl. auch die jährlichen Berichterstattungen zur Außenhandelspolitik: BB1 1989 I, 321-394; BB1 1988, 1016ff, und den wiederum wegweisenden Europabericht des Bundesrates vom 24.8. 1988 (Bericht über die Stellung der Schweiz im europäischen Integrationsprozeß), BB1 1988 III, 249ff, sowie den Informationsbericht des BR über die Stellung der Schweiz im europäischen In­ tegrationsprozeß vom 26. November 1990. 143 Vgl. Kälin, Verfassungsgrundsätze, 368-369; Rhinow, Kommentar, N 70-80 zu Art. 28 BV; Binswanger/Büchi, 695; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 30-31. 144 Rhinow, Kommentar, N 80 zu Art. 28 BV; vgl. auch Haas, Außenwirtschaftpolitik, 30, 59ff; Baldi, Bundeskompetenzen, 403; spezifisch kommt diese Vorgabe zudem in Art. 29 BV zum Ausdruck, welcher den Bund auf eine Niedrigzollpolitik verpflichtet; vgl. Haas, Außenwirt­ schaftspolitik, 30. 145 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 157-244; von Tschamer, Außenwirtschaft, 46, Anhang 2.1.; Schürmann, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 233ff; vgl. auch BB1 1988 I, 1087-1090; BB1 1989 I, 340-393; BB11981 I, 61 ff. (Botschaft zum Bundesgesetz über außenwirtschaftliche Maß­ nahmen, SR 946.201) und Weber, Außenhandelsgesetzgebung, 11 ff. 146 von Tschamer, Außenwirtschaft, 38; Linder, Konstanz, 23; Haas, Außenwirtschaftspoli­ tik, 67, 59ff.

vorwiegend technokratisch besetzte Bundesamt für Außenwirtschaft (BAWI) dürf­ te ihre konzeptionelle Kohärenz noch zusätzlich gefördert haben147. Ohne die staats- und sicherheitspolitisch bedingten Liberalisierungsvorbehalte in den Bereichen Agrar-, Boden-, Ausländer- und Kriegsvorsorgepolitik148 zu ignorieren, kann deshalb für die Schweiz ganz allgemein vom außenwirtschafts­ rechtlichen Ordnungsleitbild eines freien Weltmarktes ausgegangen werden149. Auch die diversen staatlichen Unterstützungen der Außenwirtschaft (z.B. Export­ risikogarantie, Investitionsrisikogarantie) 150 ändern nichts daran, daß die IWV auf dem Gedanken des Liberalismus151 beruht. Von Tschamer152 faßt die Grundsätze der schweizerischen Außenwirtschaftspo­ litik folgendermaßen zusammen: - offener, fairer, von Schranken möglichst freier Wettbewerb im internationa­ len Austausch wirtschaftlicher Güter (Freihandel); Universalität der Außenwirtschaftspolitik; - Verzicht auf wirtschaftliche Neutralität, mit Ausnahme der Einschränkung von Waffenlieferungen; — Verzicht auf Beteiligung an wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen; - Fairneß (Gleichbehandlung, Reziprozität, Transparenz, Rechtssicherheit) in den weltwirtschaftlichen Beziehungen; Solidarität mit Entwicklungsländern; Ermöglichung regionaler Wirtschaftsintegration; - maximale Versorgungslage (primär privatwirtschaftliche Nahrungs-, Roh­ stoff- und Energieversorgung, Diversifikation, Wohlstandspläne); — Vermittlung eines positiven Image der Schweiz; - Sicherung spezifischer schweizerischer Interessen (öffentliche Ordnung, Landwirtschaft, Bevölkerungsstruktur, Kriegsvorsorge etc.). Dieser Katalog, welcher unter anderem auch die Tatsache reflektiert, daß Au­ ßenwirtschaft und Außenpolitik letztlich nur bedingt zu trennen sind153, program­ 147 von Tschamer, Außenwirtschaft, 47; Blankart, Verbindlichkeit, 39; Haas, Außenwirt­ schaftspolitik, 332ff.; Binswanger/Büchi, 697ff. 148 Zu diesen Vorbehalten; vgl. von Tschamer, Außenwirtschaft, 42; Ronzani, Arbeitskräfte, 833f.; Wittmann, Versorgungspolitik, 799ff.; Schürmann, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 138ff, 194ff., 248ff; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 55ff. 149 BB1 1989 I, 327; Rhinow, Kommentar, N 23 zu Art. 28 BV; Schürmann, Wirtschaftsver­ waltungsrecht, 230ff.; Sommaruga, Spannungsfeld, 31-34; von Tschamer, Außenwirtschaft, 38­ 42; Blankart, Verbindlichkeit, 39; vgl. auch NZZ Nr. 209, 9./10. Sept. 1989, 33, („Das Wettbe­ werbsprinzip in der Außenwirtschaft“). 150 Zu diesen Instrumenten; vgl. Haas, Außenwirtschaftspolitik, 147ff.; Schmidheiny, Investi­ tionsrisikogarantie, passim; einschlägige Gesetze: BG über die Exportrisikogarantie (ERG), vom 26.9.1958 (SR 946.11); BG über die Investitionsrisikogarantie (IRG), vom 20.3.1970 (SR 977.0); BG über den Bundesbeitrag an die Schweizerische Zentrale für Handelsförderung (OSEC), vom 25.6.1982 (SR 946.15). 151 von Tschamer, Außenwirtschaft, 31. 152 von Tschamer, Außenwirtschaft, 38-42; vgl. auch Borner, Schweiz AG, 141 ff. 153 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 42ff; Kälin, Verfassungsgrundsätze, 289ff; Rhinow, Kom­ mentar, N 23 zu Art. 28 BV; vgl. auch Art. 31 des Vorentwurfs für eine neue BV (in Experten­

miert Zielkonflikte vor. Diese werden noch zusätzlich verstärkt, wenn weitere ver­ fassungsrechtliche und politische Konstanten mitberücksichtigt werden154. Letzt­ lich resultiert daraus nicht bloß ein klassisches magisches Viereck155, sondern ein um­ fassenderes magisches Vieleck156 als Handlungsvorgabe der IWV. Trotz dieser operativen Zielvielfalt muß aber auch für die IWV der primäre Auf­ trag jeder Wirtschaftsverfassung, d.h. die Steigerung des Wohlstands157, im Vorder­ grund stehen158. Art. 2 BV und Art. 31 bis Abs. 1 BV schwebt zwar ohne Zweifel vor allem die nationale Wohlstandssteigerung vor159. Dieser Zieltopos ist jedoch in den Rahmen der von der IWV angestrebten Liberalisierung der Weltwirtschaft zu stellen160. Dabei wird der nationale Wohlstandsbegriff notwendigerweise interna­ tionalisiert, weil nationale Wohlstandsoptimierung in einer liberalen Weltwirt­ schaft verlangt, daß sich außenwirtschaftliches Handeln an der internationalen Wohlstandsentwicklung orientiert161.

4.3.2. Inhalt der Internationalen Wirtschaftsverfassung im Bereich der internationalen Direktinvestitionen Die IWV wird, wie dargetan, in ihrem materialen Gehalt zu einem beachtli­ chen Teil von der Gesetzgebung und Außenwirtschaftspolitik mitdefiniert. Es in­ teressiert deshalb, wie diese in concreto für den Bereich der internationalen Direkt­ investitionen ausgefallen sind. Dabei müssen sowohl die schweizerischen Direktin­ vestitionen im Ausland wie die ausländischen Direktinvestitionen in der Schweiz ins Visier genommen werden. Das Ziel einer möglichst weitgehenden Liberalisierung des internationalen Technologie- und Kapitalverkehrs steht wiederum im Zentrum162. Immerhin kennt auch das schweizerische Recht Bestimmungen, welche als staatliche Einfluß­ nahme auf den transnationalen Investitionsverkehr taxiert werden können. Ein kommission, Totalrevision BV): „Mit seiner Wirtschaftspolitik soll der Staat vor allem:.... i. die Außenwirtschaft fordern und auf die Ziele der Außenpolitik abstimmen.“; kritisch hiezu Rhi­ now, Kommentar, N 84 zu Art. 28 BV. 154 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 55f; zu den konfligierenden Zielen einer jeden Wirt­ schaftsverfassung: Schluep, Wirtschaftsrecht, 19; Jöhr, Auftrag, 18-21; Sieber, Ziele, 160ff; Tuchtfeldt, Bausteine, 188ff; Wittman, Ziele, 143ff.; Kneschaurek, Wandel, 125ff. 155 D.h. ein Zielviereck bestehend aus Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, Preisniveau­ stabilität und Zahlungsbilanzausgleich; vgl. Gygi, Wirtschaftsverfassung, 86-88; Haas, Außen­ wirtschaftspolitik, 55. 156 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 374-375. 157 Schluep, Wirtschaftsverfassung, 19. 158 Kneschaurek, Wandel, 126; von Tschamer, Außenwirtschaft, 37, 39; Binswanger/Büchi, 717, sprechen von „Wohlergehen in Freiheit“; BB1 1968 I, 1227; Gygi, Wirtschaftsverfassung, 86-87; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 39ff; Rhinow, Kommentar, N 23 zu Art. 28 BV; vgl. auch Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 21-22. 159 Vgl. Rhinow, N 23 zu Art. 28 BV; Haas, Außenwirtschaftspolitik, 39-42. 160 Rhinow, Kommentar, N 23 zu Art. 28 BV. 161 Vome I.2.3.2. 162 BB1 1984 I, 200; vgl. auch BB1 1976 I, 470.

Einbruch ins Prinzip der freien Direktinvestitionen mag vorerst in der restriktiven Ausländer-163 und vor allem Bodenpolitik164 der Schweiz gesehen werden. Beide verunmöglichen die Verlagerung ausländischer Aktivitäten in die Schweiz aber kei­ neswegs165. Auch das konjunktur-, währungs- und außenwirtschaftspolitische In­ strumentarium des Bundes erlaubt unter Umständen Einschränkungen ausländi­ schen Kapitalzuflusses in die Schweiz166. Direktinvestitionen wurden durch solche Maßnahmen bisher allerdings nie unmittelbar eingeschränkt167. Staatliche Be­ schränkungen für ausländische Direktinvestitionen bestehen zudem z.B. im Ban­ kensektor, wo nach wie vor am Gegenrechtserfordernis festgehalten wird168. Als Hindernis für ausländische Direktinvestitionen wird z.Teil auch auf die Vinkulie­ rungspraxis schweizerischer Unternehmen verwiesen169. Für schweizerische Direktinvestitionen im Ausland sind als mögliche Hindernis­ se die staatlichen Zuständigkeiten zur Kontrolle des Kapitalexportes zu erwähnen. Sie haben ihre verfassungsrechtliche Grundlage in den konjunktur-, außenwirt­ schafts- und bankenrechtlichen Zuständigkeiten des Bundes170. Umgesetzt wur­ den sie bisher aber nur im Bereich der Banken171. Art. 8 Abs. 1 BankG verleiht der Schweizerischen Nationalbank (SNB) das Recht, gewisse Kapitalexportgeschäfte, an denen Banken beteiligt sind, einer Bewilligungspflicht zu unterstellen172. Die primär auf die Verwirklichung eines Geldmengenaggregates als Zielgröße ausge­ richtete Geldpolitik der SNB beläßt der vor allem zur Beeinflussung von Wechsel­ kurs- und Zinsniveau geeigneten Kapitalexportkontrolle jedoch nur einen be­ 163 VO über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO), vom 6. Oktober 1986, SR 823.2. 164 BG über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (BewG), vom 16. De­ zember 1983, SR 211.412.41, (Lex Friedrich). 165 Vgl. die diesbezüglichen Rücksichtnahmen auf die Erfordernisse konzerninterner Perso­ nalrochaden, z.B. Art. 15 Abs. 4 lit. b BVO: „Für zeitlich begrenzte Tätigkeiten kann das BIGA befristete Verfügungen erlassen für Jahresbewilligungen an: b. Führungskräfte oder qualifizier­ te Fachleute international tätiger Firmen, die auf eine Schlüsselfunktion in einem Betrieb im Aus­ land vorbereitet werden“; vgl. auch den Bewilligungsgrund in Art. 8 Abs. 1 Ht.a BewG (Lex Friedrich), welcher den Landerwerb durch ausländische Direktinvestoren ermöglichen kann: „Der Erwerb wird bewilligt, wenn das Grundstück dienen soll: a) dem Erwerber als ständige Be­ triebsstätte seines Handels-, Fabrikations- oder eines anderen nach kaufmännischer Art geführten Gewerbes, eines Handwerksbetriebes oder eines freien Berufes“; die revidierte „Lex Friedrich“ wird den Erwerb von betrieblichen Grundstücken nun gar ohne Bewilligung ermöglichen, vgl. BB1 1994 I, 1837ff. 166 Vgl. z.B. die konjunkturpolitisch motivierten, damals notrechtlich abgestützten Negativ­ zinsen auf Schweizerfrankenkonti von Ausländem anfangs der 70er Jahre; Haas, Außenwirt­ schaftspolitik, 173-174; vgl. auch die Eingrifsmöglichkeiten unter dem BG über außenwirt­ schaftliche Maßnahmen, vom 25. Juni 1982, SR 946.201. 167 Haas, Außenwirtschaftspolitik, 170f., 184ff. 168 Art.3bis des BG über Banken und Sparkassen in der Fassung vom 18. März 1994; Senn, Gegenrecht, 35ff. 169 NZZ vom 7.11.89, 37; zur Vinkulierungsproblematik: Böckli, Zankapfel, 149ff; Schlu­ ep, Takeover, 89ff; Meier-Schatz, Verteidigungsvorkehren, 106ff. 170 Kiauser, Notenbankbefugnisse, 153. 171 Kiauser, Notenbankbefugnisse, 153ff. 172 Bodmer/Kleiner/Lutz, N 6ff. zu Art. 8 BankG.

grenzten Stellenwert173. Der direkte Kapitalexport zwischen nicht als Banken oder Finanzgesellschaften geltenden Konzernteilen ist zudem (wie alle Kapitalexporte von weniger als 10 Mio. Fr.) ohnehin bewilligungsfrei174. Da ADI ihren mikroökonomischen Grund unter anderem im Bestreben nach Verschiebung von Technologieressourcen haben175, könnte schließlich auch in schweizerisch-rechtlichen GeheimhaltungsVorschriften, vorab Art. 273 StGB (wirtschaftlicher Nachrichtendienst)176 und Art. 47 BankG (Bankgeheimnis)177, ein potentielles Hindernis für transnationale Direktinvestitionen gesehen werden. Beide Vorschriften ließen sich theoretisch auch auf die Aushändigung von Infor­ mationen schweizerischer Konzerngesellschaften an ihre ausländischen Mutter-, Tochter- oder Schwestergesellschaften anwenden178. Die Aussicht, konzerninter­ ne Informationen möglicherweise nicht frei zwischen schweizerischen und auslän­ dischen Konzerngesellschaften fließen lassen zu dürfen, könnte auf ausländische Direktinvestitionen in der Schweiz und schweizerische Direktinvestitionen im Ausland negativ einwirken. Allerdings ist anzufugen, daß beide Vorschriften nach herrschender Auffassung konzernfreundlich zu handhaben sind179. Dasselbe müß­ te richtigerweise auch für die Qualifikation der konzerninternen Verschiebung von Daten unter dem neuen Datenschutzgesetz gelten180. Das revidierte BankG in der Fassung vom 18. März 1994 enthält in Art. 4 quinquies nun gar eine Vorschrift, welche die Aushändigung von Informationen an Muttergesellschaften explizit er­ laubt. Sowohl die schweizerischen Direktinvestitionen im Ausland wie diejenigen von Ausländern in der Schweiz stoßen folglich auf keine prinzipiellen Hindernisse des schweizerischen Rechts. Der freie Kapital- und Technologieverkehr mit dem Aus­ land ist grundsätzlich in beiden Richtungen gewährleistet181. Der Befund eines auf Wohlstandssteigerung durch offenen weltmarktlichen Wettbewerb182 ausgerichte­ ten Leitbildes der IWV wird somit auch für den Bereich der internationalen Di­ rektinvestitionen bestätigt183. 173 Kiauser, Notenbankbefugnisse, 162. 174 Bodmer/Kleiner/Lutz, N 1 zu Art. 8 BankG. 175 Vgl. vome 1.2.3.1. 176 Gemäß Art. 273 Abs. 2 StGB macht sich strafbar: „.... wer ein Fabrikations- oder Geschäfts­ geheimnis einer fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation oder privaten Unternehmung oder ihren Agenten zugänglich macht, 177 Art. 47 BankG stellt die Offenbarung geheimer Kundeninformationen einer Bank gegen­ über Dritten unter Strafe. 178 Dies deshalb, weil ausländische Konzerngesellschaften As fremde private Unternehmung i.S. von Art. 273 StGB bzw. als Dritte i.S. von Art. 47 BankG eingestuft werden könnten; vgl. Stratenwerth, II, 249-250; Aubert/Kemen/Schönle, 289ff. 179 Gerber, Probleme, 257ff; Hauser/Rehberg, 228, 230; Aubert/Kemen/Schönle, 277f., 290, 292; Bodmer/Kleiner/Lutz, N 55, N 67ff. zu Art. 47 BankG. 180 Vgl. BG über den Datenschutz vom 19. Juni 1992, (SR 235.1), Art.4ff. 181 Vgl. NZZ vom 7. November 1989, (Nr. 259), 37 („Gute Noten der OECD für die Schweizer Kapitalverkehrspolitik“). 182 BB1 1990 I, 312-313. 183 Rhinow, Kommentar, N 23 zu Art. 28 BV; vgl. auch Borner, Schweiz AG, 49ff.

4.3.3. Ziel eines wettbewerbsfähigen Haftungsrechts für Multinationale Konzerne Die von der IWV positivrechtlich reflektierte liberale Weltwirtschaftsordnung impliziert den Wettbewerb auf allen Ebenen184. Die Liberalisierung der Kapital­ märkte hat besonders deutlich vor Augen geführt, daß nebst dem privaten Wettbe­ werb auch die Konkurrenz nationaler Wirtschaftsstandorte Beachtung verdient185. Im Kampf um internationale Investitionen bietet jede Volkswirtschaft Rahmenbe­ dingungen an, welche mit denen anderer Länder konkurrieren186. Ein erfolgver­ sprechendes Investitionsklima kann sich aus dieser Sicht z.B. durch Eigenschaften wie hohe industrielle Effizienz, einen starken Finanzsektor, günstiges oder hoch­ wertiges Humankapital bzw. attraktive Steuerverhältnisse auszeichnen187. Im Sy­ stem der liberalen Weltwirtschaft hat somit auch die Schweiz als Ganzes Züge ei­ nes Unternehmens188. Sie bietet Leistungen wie politische Stabilität189, sozialen Frieden, Rechtssicherheit und ein erfolgversprechendes wirtschaftspolitisches und wirtschaftsrechtliches Umfeld an190. Sie erhofft sich dafür als Gegenleistungen Inve­ stitionen durch (schweizerische und ausländische) MNK191. Wohlstandsoptimie­ rung im internationalen Wettbewerb setzt für die Schweiz somit voraus, daß sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu behaupten vermag192. Dies wiederum verlangt, daß sich das schweizerische internationale Wirtschaftsrecht an den Erfor­

184 Schluep, Wettbewerbsfähigkeit, 462ff; Blattner/Maurer/Weber, 45ff, unterscheiden Wettbewerb auf der Makro- (Volkswirtschaft), Meso- (Branche) und Mikroebene (Unterneh­ men). 185 Baltensperger, Finanzmärkte, 165ff; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63-78; von Tscharner, Außenwirtschaft, 109-113; Blattner/Maurer/Weber, 69ff; Blankart, Wettbewerb, 12. 186 Vgl. z.B. Zeitschrift Bilanz, Oktober 1989, 40ff, .Japan schlägt alle“; Letsch, Wettbe­ werb, 5 ff. 187 Nydegger, Faktoren, 86ff; von Tschamer, Außenwirtschaft, 110-111, unterscheidet 16 Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft; Blattner/Maurer/Weber untersu­ chen empirisch folgende exogene Indikatoren nationaler Wettbewerbsfähigkeit: Wachstum, Au­ ßenwirtschaft, F & E, Konzentration, soziopolitische Verhältnisse, makroökonomische Kontroll­ variablen; a.a.O., 136-139, Tabellen 32, 33. 188 Vgl. dazu die Studie von Borner, Schweiz AG, 91 ff. 189 Ueber die besondere Bedeutung dieses Faktors; vgl. Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 79ff. 190 von Tschamer, Außenwirtschaft, 113. 191 Vgl. zur unterschiedlich beurteilten schweizerischen Wettbewerbsfähigkeit: Letsch, Wett­ bewerb, 5ff; Halbheer/Harabi/Bachen, 142ff; Blattner/Maurer/Weber, 29-42, 129ff; Borner/ Wehrle, 219ff; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63ff; vgl. auch NZZ Nr. 122 vom 28./29.5. 1988, 33 („Schleichender Verlust komparativer Vorteile“) und die Hinweise bei Schelbert/Inderbitzin, 44-46. 192 Vgl. Nydegger, Wettbewerbsfähigkeit, 96; von Tschamer, Außenwirtschaft, 109-113; Leutwiler, Wirtschaftspolitik, passim; Meyer-Marsilius, Wettbewerbsfähigkeit, Iff; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63ff; BB1 1990 I, 312-313, vgl. auch Art. 29 Abs. 2 Kartellgesetz (dazu Schluep, Wettbewerbsfähigkeit, 469ff); Ritter, Standort, 12-13; Straubhaar, Wettbewerbsfähig­ keit, 283ff; Blankart, Wettbewerb, 11; Borner/Porter, 321 ff.

dernissen des Weltmarktes orientiert193. Das Ziel einer optimalen internationalen Wettbewerbsfähigkeit gilt folglich auch für das MNK-Haftungsrecht.

5. Ergebnis Das Recht der Haftung Multinationaler Konzerne ist Teil des internationalen Wirtschaftsrechts der Schweiz. Es ist damit sachgerecht dem Einflußbereich der schweizerischen Internationalen Wirtschaftsverfassung (IWV) zuzuordnen. Die IWV reflektiert die bewußte Einbindung der Schweiz in die Weltwirtschaft im all­ gemeinen und die europäische Wirtschaft im besonderen. Ihr Koordinationssy­ stem ist der offene internationale Wettbewerb. Unter ihren Subordinationsparame­ tern ragt für den Bereich des MNK-Haftungsrechts das Ziel der (primär nationa­ len) Wohlstandssteigerung hervor. Wohlstandssteigerung im weltwirtschaftlichen Wettbewerb setzt voraus, daß die schweizerische Volkswirtschaft ihre Wettbewerbs­ fähigkeit permanent zu verbessern trachtet. Auch das schweizerische MNK-Haf­ tungsrecht ist damit dem Ziel internationaler Wettbewerbsfähigkeit verpflichtet.

193 Vgl. vome II.4.3.1. und 4.3.2.; Porter, Nations, 712ff.; Knöpfel, Wettbewerbsfähigkeit, 63ff.; Halbheer/Harabi/Bachen, 53-54, 140f.; von Tschamer, Außenwirtschaft, 209-213; Borner/Hämisegger/Knöpfel, 15ff.; Bomer/Wehrle, 170ff.; Blattner/Maurer/Weber, passim; De Saussure/Blattner, passim; Schluep, Wettbewerbsfähigkeit, 453ff.; Kambly, Standort, 39.

III. Das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne als Funktion internationaler Effizienz 1. Allgemeines Die Vorgaben der Internationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) ru­ fen nach einer Konkretisierung, damit sie für die Auslegungsdiskussion zum schweizerischen MNK-Haftungsrecht nutzbar gemacht werden können. Hiezu bedarf es des Rückgriffs auf ökonomische Theorieansätze, welche auf den Grund­ parametern der IWV aufbauen1. Es ist deshalb erforderlich, die MNK-Haftungsproblematik im Kontext weltwirtschaftlicher Wettbewerbsmodelle zu analysieren. Dabei zeigt sich, daß dem Begriff der internationalen Effizienz eine Schlüsselrolle zukommen muß.

2. Internationale Effizienz als Schlüsselkonzept 2.1. Positive Fundamente des Effizienzkonzepts

In einem den Grundparametern der IWV entsprechenden ökonomischen Mo­ dell der Weltmärkte, auf welchen Mutter-, Gastländer und Multinationale Konzer­ ne rational ihre (Wohlstands-) Interessen verfolgen, kann davon ausgegangen wer­ den, daß sich tendenziell effiziente MNK-Haftungsrechtsregelungen ausbilden2. Das soll etwas näher beleuchtet werden. Das MNK/Weltmarkt-Modell muß auf der einen Seite das Mutterland und die dort ansäßigen MNK plazieren. Beide sind an einer Maximierung der Rendite aus MNK-Investitionen in Gastländern interessiert. Ihr gemeinsames Ziel ist die Profit­ maximierung bzw. die Minimierung von Risiken im Zusammenhang mit MNKGastlandinvestitionen. Am anderen Ende des Modells sind die Gastländer positioniert. Sie streben ihrer­ seits eine maximale Partizipation am Ertrag der in ihrem Territorium getätigten MNK-Investitionen an, einschließlich der Minimierung damit verbundener Risi­ ken. Diese gegensätzlichen Ausgangspositionen von Mutterländern und Multinatio­ nalen Konzernen auf der einen und Gastländern auf der anderen Seite müssen aber 1 Vgl. Schluep, Wirtschaftsrecht, 15-16. 2 In Anlehnung an Schanze, Investitionsverträge, 42f., läßt sich von einem Direktinvestitionspa­ radigma bzw. MNK-Haftungsparadigma sprechen.

Anreiz zu Verhandlungen sein, weil aus der Sicht aller Akteure ein Zustand mit MNK-Investitionen in Gastländern einem Zustand ohne solche Investitionen vor­ zuziehen ist3. Der durch die Investitionen zu erzielende Wohlstandszuwachs kann im ersten Fall auf alle Interessierten verteilt werden. Im zweiten Fall dagegen wäre er für alle verloren. Folglich kann davon ausgegangen werden, daß sich über vertragliche Mechanis­ men und deren Substitute Arrangements einpendeln, welche die weltmarktgerech­ te Realisation und Verteilung der Ertragschancen und Verlustrisiken von MNK-In­ vestitionen in Gastländern ermöglichen4. Ein funktionierender Marktwettbewerb zwischen Mutter-, Gastländern und Konzernen müßte somit dazu fuhren, daß die Allokation der MNK-Investitionen effizient erfolgt5. Dies schließt auch optimale Risikoverteilungen mittels Haftungsrecht mit ein. Etwas spezifischer können bezüglich der Aushandlung von Haftungsarrange­ ments für Aktivitäten Multinationaler Unternehmen in Gastländern vier Vertrags­ ebenen6 unterschieden werden: — MNK - Mutterland MNK - Gastland — MNK — Gastlandgläubiger — Mutterland — Gastland. Das zeitlich erste Vertragsarrangement wird intern zwischen dem Multinationa­ len Konzern und seinem Mutterland (bzw. spezifischen Mutterland-Interessen­ gruppen des MNK, z.B. Anteilshabern oder Gläubigern) gesetzt. In diesem Arran­ gement liegt insbesondere die Ermächtigung des Multinationalen Unternehmens, überhaupt im Gastland investieren zu können7. Angesichts der Interessenkongru­ enz der beiden Vertragspartner (Minimierung des Haftungsrisikos) brauchen dem MNK im Zusammenhang mit seiner Gastlandinvestition aber kaum haftungsrecht­ liche Auflagen gemacht zu werden. Immerhin bindet z.B. das zwingende IZPR und IPR des Mutterlandes den MNK auch in seinem Verhältnis zum Gastland und den Gastlandgläubigern. Als zweite Vertragsebene kann diejenige zwischen Multinationalem Konzern und Gastland gesehen werden. Hier kommt es zwar häufig zu ausdrücklichen Ver­ handlungen, wobei jedoch haftungsrechtliche Fragen kaum direkt angesprochen zu werden pflegen8. Das mit dem Prinzip der Haftungsbeschränkung juristischer Personen versehene Gastland-Gesellschaftsrecht und seine allfälligen Ergänzungs3 Vome I.2.3.2. 4 Vgl. mit analogem Ansatz auch Ebenroth/Bader, 661 ff. 5 Vgl. zu Relativierungen dieses effizienzorientierten Wettbewerbsmodells, hinten III.4. 6 Zu dem bisher noch zu wenig ausgeloteten Faktum der konsensualen Wirtschaftsregulierung im Weltmarkt ganz allgemein; vgl. Schanze, Investitionsverträge, 36ff; Sandrock, Wirtschaftsrecht, 66ff; Ebenroth/Bader, 661 ff. 7 Mutterlandsinteressen im Falle hoher Inflation (bzw. Währungszerfall) oder drohender Ar­ beitslosigkeit können z.B. für eine Beschränkung von Kapitalexporten durch MNK sprechen; vgl. Lindert/Kindleberger, 459, 475. 8 Zu solchen Verhandlungen; vgl. Ocran, Process, 405 ff.; Vagts, Host Country, 261 ff; Schan­ ze, Investitionsverträge, 51 ff; Smith/Wells, passim.

und Ausnahmeregelungen werden vom MNK meist stillschweigend akzeptiert (quasi als Allgemeine Geschäftsbedingungen). Das ändert aber nichts daran, daß die von Gastländern angebotenen Haftungsregimes in der Kosten/Nutzenrechnung eines potentiellen MNK-Investors eine Rolle spielen müssen9. In der Berech­ nung des Nettobarwerts10 einer Gastlandinvestition schlägt sich das anwendbare Haftungsrecht als potentieller Kostenfaktor nieder. Es ist Teil des kostenrelevanten Investitionsklimas im Gastland11. 12 Umgekehrt muß aber auch das Gastland eine all­ fällige Haftungsbeschränkung für Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne als potentielles Risiko in seine Kalkulation der von MNK-Projekten zu erwarten­ den sozialen Renditen aufnehmen12. Ein Vertrag zwischen dem Multinationalen Unternehmen und dem Gastland könnte für Fragen der MNK-Haftung ungefähr folgendermaßen aussehen: 1. Grundsätzliches MNK-Akzept des geltenden materiellen Haftungsrechts des Gastlands (z.B. Haftungsbeschränkung für MNK-Töchter und geltende Haftungs­ beschränkungsausnahmen), einschließlich der zugehörigen IPR- und IZPR-Bestimmungen; 2. MNK-Akzept eines gewissen Gastlandermessens im Bereich der Auslegung und der gesetzgeberischen Fortbildung des geltenden MNK-Haftungsrechts, so­ fern dieses Ermessen im Rahmen der Gastlandverfassung und des internationalen Rechts (z.B. staatsvertraglicher Investitionsschutz) ausgeübt wird; 3. Gastland-Akzept des rechtlichen „Gepäcks“, welches dem MNK durch des­ sen Vertrag mit dem Mutterland auferlegt wurde und welches z.B. konkurrierende Gerichtstandskompetenzen des Mutterlands, einen ordre public-Vorbehalt zugun­ sten von Mutterlandrecht und gewisse Limiten der Vollstreckbarkeit von Gastland­ urteilen im Mutterland beinhalten kann. Während in einem Umfeld vernachlässigbarer Verhandlungskosten der Multina­ tionale Konzern und das Gastland alle Details künftiger Haftungsfälle direkt aus­ handeln würden, legen die hohen realen Transaktionskosten nahe, die Verhand­ lung von Haftungsfragen z.Teil an MNK und Gastlandgläubiger zu delegieren. Dies setzt natürlich voraus, daß dadurch bessere Aussichten auf sachgerechte (effi­ ziente) Lösungen bestehen. Solches darf angenommen werden für sogenannt star­ ke Gläubigergruppen, z.B. Banken13. Es kann dagegen bezweifelt werden für soge­ nannt schwache vertragliche Gläubiger, z.B. unorganisierte Arbeitnehmer14. Es 9 Relativierende Aussagen über den Einfluß rechtlicher Regelungen zumindest auf Börsen-Investoren finden sich allerdings bei Weiß/White, 551f. 10 Der Nettobarwert (Net Present Value) ist ein theoretisch adäquates Instrument zur Messung von Renditeerwartungen im Zusammenhang mit Investitionen, indem alle aus einer Investition resultierenden künftigen Nettoerträge auf die Gegenwart zurückdiskontiert werden; vgl. Brealey/ Myers, 10 ff. 11 Zur Kostenrelevanz des Investitionsklimas; vgl. Stobaugh, Climates, 100-108; Rummel/ Heenan, 67-76. 12 Zur Berechnung der Rendite von Gastländern im Zusammenhang mit ADI; vgl. Encamation/Wells, 61-86. 13 Posner, Creditors, 501-505. 14 Halpern/Trebilcock/Turnball, 149-150.

fällt zudem völlig außer Betracht für außervertragliche Gläubiger ohne Vertragsbe­ ziehungen zum Konzern15. Das vom MNK akzeptierte Haftungsrechtspaket des Gastlandes wird deshalb effizienterweise eine Mischung aus zwingenden und dis­ positiven Normen enthalten. Marktimperfektionen im Umfeld der besprochenen Verhandlungsebenen sind unter Umständen auch dafür verantwortlich, daß Mutter- und Gastländer auf effi­ ziente Weise direkt miteinander zu haftungsrelevanten Vereinbarungen gelangen. Eine Möglichkeit wären Investitionsschutzabkommen, welche z.B. durch ein Ver­ bot konfiskationsähnlicher Haftungsrechte transaktionskostensparend sicherstellen könnten, was ohnehin jeder MNK auszuhandeln ein Interesse haben müßte16. Durch staatliche Vereinbarungen geschaffenes Völkerrecht ließe sich zudem ein­ setzen, um ineffiziente haftungsrechtliche Deregulierungswettbewerbe zwischen Gastländern zu verhindern. Solche könnten sich z.B. einstellen, falls schwache Gläubigergruppen (etwa Arbeitnehmer) in einzelnen Gaststaaten wirtschaftlich und politisch unterdrückt und damit haftungsrechtlich nur suboptimal geschützt würden. Dies könnte dazu fuhren, daß der Wettbewerb auch andere Gastländer zu einem suboptimalen Absenken des haftungsrechtlichen Schutzniveaus zwingen würde. Resultat wäre ein ineffizientes Rennen in den Abgrund (race for the bottomy7. International vorgeschriebene haftungsrechtliche Schutzminima (vgl. Bad­ ger-Fall)18 könnten hier deshalb effizienzfordernd wirken19. Als Fazit hat dieser modellhafte Beschrieb des Zustandekommens von MNKHaftungsrechtsregelungen im Weltmarkt demonstriert, daß der Wettbewerb unter Multinationalen Konzernen, Mutterländern, Gastländern und Gastlandgläubi­ gern zu diversen Vertragsebenen hinfuhren muß. Über sie wird letztlich die Lö­ sung aller MNK-Haftungsrechtsfragen (materielles Recht, IPR, IZPR) entschei­ dend mitbestimmt. Im Zentrum steht dabei der Vertrag zwischen dem Multinatio­ nalen Unternehmen und dem Gastland, welcher durch Verträge zwischen dem MNK und seinem Mutterland, dem MNK und seinen Gastlandgläubigern sowie Mutter- und Gastland ergänzt wird. Die Gestaltung des Haftungsrechts durch den MNK/Gastland-Vertrag und seine Substitute verspricht zudem langfristig effizien­ te Resultate. Einen funktionierenden Weltmarkt vorausgesetzt, hat das Effizienz­ konzept somit positive Bedeutung, weil verschiedenste komplementäre Marktme­ chanismen bewirken, daß Effizienz auch im MNK-Haftungsrecht auf Umsetzung drängt.

15 Ebd., 145-147. 16 Vgl. vome II.4.2.2. 17 Dazu insbesondere die amerikanische Debatte i.Z. mit Delaware; vgl. Cary, Delaware, 663ff.; Romano, Puzzle, 225ff; für das europäische Umfeld: vgl. Meier-Schatz, Harmonisie­ rung, 99ff. 18 Vome 1.4.6. 19 Zu diesem Themenkomplex im Arbeitsrecht generell; vgl. Hofstetter/Klubeck, 488-496.

2.2. Normative Auswirkungen des Effizienzkonzepts Die dargestellte positive Bedeutung des Effizienzkonzepts als Ordnungsparame­ ter im Bereich der Haftung Multinationaler Konzerne zeitigt überdies normative Auswirkungen20: Weil die Weltmärkte auf effiziente MNK-Haftungsrechtslösungen hinwirken, haben alle Akteure, welche auf ineffizienten Lösungen bestehen, dafür im Prinzip eine Prämie zu bezahlen. Sofern z.B. ein Gastland ein kraß ineffi­ zientes Haftungsregime anbietet, müßte der Weltmarkt mit Sanktionen antwor­ ten. Gleiches gilt für den Fall, daß haftungsrechtliche Urteile oder Entwicklungen bestehende MNK-Investitionen in einer Weise beeinträchtigen, welche klar außer­ halb der berechtigten Erwartungen betroffener Konzerne lagen. Aber auch weni­ ger krasse Beispiele ineffizienter MNK-Haftungsrechtsregelungen könnten ihren Preis haben: Falls sie das Investitionsklima im betreffenden Gastland negativ tangie­ ren, müßten ADI auf ein suboptimales Niveau absinken. Verstöße gegen das Effi­ zienzgebot müßten mit anderen Worten zu einem Wohlstandsverlust führen, wel­ cher durch den an den Präferenzen des betreffenden Gastlandes gemessenen Nut­ zengewinn nicht aufgewogen würde. Dies aber wird per definitionem nie im Inter­ esse eines ökonomisch-rational handelnden, d.h. der Maximierung seines Wohl­ stands verpflichteten Landes liegen. Ein wettbewerbsfähiges bzw. wohlstandsoptimierendes MNK-Haftungsrecht muß somit effizient sein21. Der Effizienzbegriff erhält damit für die Konkretisie­ rung eines optimalen MNK-Haftungsrechts im Sinne der IWV zentrale Bedeu­ tung. Diese wird noch dadurch gefestigt, daß für die Verfolgung bestimmter Vertei­ lungsziele qua Haftungsrecht (ökonomisch gesehen) deshalb kaum Raum besteht, weil Haftungsregeln für Umverteilungsmaßnahmen nicht geeignet sind. Hiefür stehen im Prinzip effizientere Instrumente (Steuern, direkte Transferzahlungen) zur Verfügung22. Der so aus dem Modell der Weltmärkte hergeleitete normative Effizienzbegriff muß selbstverständlich ein internationaler sein23. Substantielle Unterschiede zwi­ schen nationalen und internationalen Effizienzkonzepten könnten sich ohnehin

20 Zum Schritt von positiven zu normativen Effizienzanalysen: vgl. Shavell, Accident, 1-3 und 291 ff; Posner, Economic, 20-22. Selbstverständlich steckt in diesem Schritt vom Sein zum Sollen nicht bloß empirische Objektivität. Daß dies unmöglich wäre, hat schon David Hume be­ hauptet (Hume's Law) und später Arrow (Impossibility Theorem) nachgewiesen (vgl. Sen, Choice, 35 ff, 61 ff). Innerhalb des ökonomischen Modelldenkens ist der Schritt aber konsequent und hat darüber hinaus auch ganz allgemein rechtlich verwertbare (soziologische) Plausibilität; vgl. dazu hinten III.4. 21 Auch Blattner/Maurer/Weber, 50, gehen für ihre Untersuchung vom Gleichlauf der schweizerischen Wettbewerbsfähigkeit und der Effizienz der schweizerischen Volkswirtschaft aus: „Im Ergebnis betrachtet lassen sich Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz gleichsetzen“; das Pro-Kopf-Einkommen wird dabei als (unvollständige) zentrale Kennzahl der Effizienz aner­ kannt; a.a.O., 51-52; im gleichen Sinne auch Burkard, Direktinvestitionen, 162. 22 Shavell, Accident, 296; Polinsky, Introduction, 105ff; kritisch zu Verteilungsregimes an­ stelle von Effizienzregimes ganz allgemein: v. Weizsäcker, Property, 128ff. 23 Meier, International, 63ff, 77ff.

nur dann einstellen, falls Weltmarktimperfektionen Trittbrettfahrten24 einzelner Län­ der ermöglichen würden. Letztere Variante aber soll hier vernachlässigt werden, da sie den Kern der Aussagen zu optimalen MNK-Haftungsarrangements nicht trifft. Effizienz und internationale Effizienz werden im folgenden deshalb synonym verwendet25.

3. Effizienzanalyse des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne 3.1. Das Effizienzkonzept als Brücke zur Ökonomischen Analyse des Rechts

Die zentrale Rolle des Effizienzbegriffs für ein wohlstandsverpflichtetes bzw. wettbewerbsfähiges schweizerisches MNK-Haftungsrecht verlangt nach dessen Operationalisierung. Erst dadurch kann er konkrete Beiträge zur Herleitung öko­ nomisch-optimaler Haftungsarrangements für Multinationale Konzerne leisten. Zum Zwecke der Erarbeitung eines detaillierten Markt-Clearing-Modells26 für den MNK-Haftungsbereich drängt sich deshalb eine spezifische Hinwendung zur soge­ nannten Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR)27 auf. Diese hat das Effizienzkrite­ rium im Rahmen klar definierter ökonomischer Modellbedingungen bisher am er­ folgreichsten instrumentalisiert. Gerade im Gesellschafts- und Haftungsrecht weist die ÖAR eine Vielzahl differenzierter Beiträge auf28. Ihre Vorarbeiten bieten sich deshalb als Analysekontext für die folgenden Untersuchungen an. Das Effizienzkonzept der ÖAR ist einfach29: Da sich rechtliche Regelungen durchwegs auf kostenverursachende Transaktionen beziehen, setzt die ÖAR di­ rekt bei den Transaktionskosten an. Effizient ist eine rechtliche Regelung mithin dann, wenn sie ein Minimum an Transaktionskosten verursacht30. Das bedarf nähe­ rer Betrachtung. Wesentliche Schrittmacherdienste bei der Entwicklung der ÖAR leistete Coa­ se31. 32 Das nach ihm benannte Theorem besagt, daß sich in einer transaktionskosten­ losen (Ideal-) Situation von selbst ein Zustand der Effizienz einstellt32. Alle Nutzen­ potentiale eines sozialen Systems werden diesfalls über kostenlose Vertragsmecha­ nismen reibungslos realisiert und verteilt. In der realen Welt dagegen ist jede Trans­ 24 Das Trittbrettfahrer- bzw. free rider-Phänomen ist letztlich ebenfalls ein Externalitätenproblem; vgl. Weber, Wirtschaftsregulierung, 122. 25 Zum Problem auch Behrens, Grundlagen, 327-328. 26 Vgl. Barro, Macroeconomics, 1 17f. 27 ÖAR steht dabei nicht nur für die entsprechenden deutschsprachigen Untersuchungen, sondern vor allem auch für die amerikanische Law and Econotnics-Schule; vgl. vome 1.1. 28 Vome I.I., FN 5-6. 29 Polinsky, Introduction, 7-10; Posner, Economic, 11-15; Schäfer/Ott, 46ff. 30 Polinsky, Introduction, 13. 31 Coase, Social, Iff.; Coase, Law, 157ff. 32 Coase Theorem: vgl. Polinsky, Introduction, 11-12; Posner, Economic, 7; Schäfer/Ott, 70ff.

aktion, d.h. jede Zusammenlegung und jeder Austausch von Ressourcen, mit Ko­ sten verbunden. Ein effizienter Zustand kann unter realen Umständen somit da­ durch definiert werden, daß die Transaktionskosten möglichst niedrig gehalten werden33. Unter einen solchen Transaktionskostenbegriff fallen dann allerdings nicht bloß die direkten Kosten der Durchführung von Transaktionen. Auch die Kosten nicht realisierter Nutzenpotentiale werden mitumfaßt (Opportunitätsko­ sten)34. Transaktionskosten steht somit ganz allgemein für die Differenz zwischen dem unter transaktionskostenlosen Idealbedingungen realisierbaren Nutzenpoten­ tial und dem unter einer bestimmten Regelung erzielbaren sozialen Nutzen35. Der Transaktionskostenbegriff der ÖAR setzt keinen bestimmten Ausgangszu­ stand voraus36. Das Effizienzkonzept der ÖAR wird dadurch flexibel. Es kann durchaus in einem Umfeld operieren, in welchem relativ restriktive Bedingungen (z.B. durch Rechtsnormen) vorgegeben sind. Gefordert ist nur, daß Wahlmöglich­ keiten bestehen. Die ÖAR setzt bei der Auswahl von Varianten an und entschei­ det sich für diejenige, welche die geringsten Transaktionskosten, d.h. letztlich den größten sozialen Gesamtnutzen verspricht37. Konkret operiert sie dabei entweder mit dem Paretokriterium38 oder häufiger mit dem praktikableren Kriterium von Kaldor-Hicks39. Nach diesem ist eine rechtliche Regelung schon dann effizient, wenn sie im Vergleich zu ihren Alternativen pauschal geringere Transaktionsko­ sten, d.h. einen größeren sozialen Nutzengewinn, verspricht40. Dabei wird keine unmittelbare Kompensation der Verlierer durch die Gewinner vorausgesetzt. Es wird aber angenommen, daß eine solche zumindest langfristig in irgendeiner Form (Spezialentschädigung oder Generalkompensation) erfolgt41. 3.2. Das Unternehmenskonzept der Ökonomischen Analyse des Rechts

Die zuvor als black box verstandene Unternehmung wurde von Coase als Trans­ aktionskostenphänomen entdeckt42. Sie wird in der modernen ÖAR-Perspektive als Vertrag (nexus of contracts) der verschiedenen an der Unternehmung beteiligten Interessen (Anteilseigner, Arbeitnehmer, Manager, Konsumenten etc.) konzi­ 33 Polinsky, Introduction, 13; Schäfer/Ott, 83. 34 Posner, Economic, 6; Hotz, Analyse, 297. 35 Das Postulat der Minimierung von Transaktionskosten korrespondiert dadurch letztlich mit dem Postulat der Verhinderung von Verschwendungen sozialer Nutzenpotentiale (dead­ weight losses); vgl. Posner, Economic, 101, 255f. 36 Coase, Law, 170ff.; Schäfer/Ott, 70-71; Posner, Economic, 13. 37 Polinsky, Introduction, 7; Posner, Economic, 26. 38 Nach dem Paretokriterium gilt eine Variante gegenüber einer anderen (bestehenden) Va­ riante dann als überlegen, wenn zumindest eine Person bessergestellt werden kann, ohne daß zu­ gleich eine andere Person schlechtergestellt wird; vgl. Posner, Justice, 54£; Sen, Choice, 2Iff. 39 Coleman, Efficiency, 509ffi; Posner, Economic, 11-15; Schäfer/Ott, 30ff. 40 Coleman, Efficiency, 513-514. 41 Schäfer/Ott, 36-37; von Weizsäcker, Property, 129, f.; deshalb spricht man im Zusammen­ hang mit der Anwendung des Kaldor-Hicks Kriteriums zuweilen auch von potentieller Pareto-Superiorität; vgl. Posner, Justice, 91. 42 Coase, Firm, 386ff.

piert43. Dadurch wird es möglich, Organisationsstrukturen von Unternehmen, inkl. ihre rechtlichen Ausformungen im Innen- und Außenverhältnis, als Funk­ tion vertraglicher Transaktionskosten darzustellen44. Gesellschaftsrechtliche Institu­ te, z.B. Sorgfaltspflichten des Managements45, die Verteilung von Rechten zwi­ schen Anteilseignern und Arbeitnehmern46 sowie zwingende gesetzliche Regelun­ gen der Unternehmensorganisation47, können aus dieser Perspektive als effiziente Ergebnisse einer komplexen Vertragssituation erklärt werden. Organisation erscheint somit im Blickwinkel der ÖAR als lineare Verlängerung des Vertragsparadigmas48. Im Unterschied zu einfacheren Verträgen haben komple­ xere Arrangements aber besondere Marktimperfektionen auszukorrigieren. Die ty­ pische Vielfalt und Langfristigkeit von Organisationsverträgen läßt vor allem Op­ portunismusgefahren49 und Informationsdefizite50 akut erscheinen. Die damit zu­ sammenhängenden Transaktionsrisiken verlangen nach besonderen rechtlichen Absicherungen der Investitionen von Unternehmensbeteiligten51. Eine effiziente Zuteilung unternehmensbezogener Rechte (property rigths)52 er­ scheint folglich abhängig von den natürlichen Einflußmöglichkeiten der Beteilig­ ten auf das Organisationsgeschehen53, ihrer Diversifikationslage (asset specificity)54, den Gefahren kollektiver Entscheidfindung55 und der Notwendigkeit einer Dele­ gation von Machtbefugnissen an andere Beteiligte (Agenten, agents)56. Mit dieser Transaktionskostenlogik wird alsdann die grundsätzliche Überlegenheit einer Zu­ ordnung von unternehmerischer Leitungsmacht sowie von Profit- und Verlustrisi­ ken an die Kapitaleigentümer erklärt57. Transaktionskosten sollen zudem dafür ver­ antwortlich sein, daß sich bisher weder Arbeitnehmerbeteiligungen noch Mitbe­ stimmungsmodelle für Arbeitnehmer, Konsumenten oder öffentliche Interessen stärker durchsetzten,58 und daß das Unternehmensinteresse effizienterweise mit

43 Williamson, Governance, 1197ff.; Williamson, Institutions, vgl. auch Williamson, Markets, passim. 44 Williamson, Governance, 1197ff. 45 Easterbrook/Fischel, Corporate, 90ff; Anderson, Conflict, 738ff. 46 Jensen/Meckling, Codetermination, 469ff; Hansmann, Ownership, Iff. 47 Bebchuk, Freedom, 1848ff; Kübler, Entwicklungstendenzen, 72; Procaccia, Code, 182ff. 48 Williamson, Institutions, 68ff. 49 Williamson, Institutions, 47ff. 50 Ebd., 56ff. 51 Williamson, Governance, 1202ff. 52 Vgl. Schluep, Anmerkungen, 722ff. 53 Hansmann, Ownership, 12ff. 54 Williamson, Governance, 1202; Williamson, Institutions, 52ff; Hansmann, Ownership, 19-21. 55 Hansmann, Ownership, 15ff. 56 Ebd., 13ff. 57 Hansmann, Ownership, 23ff; Williamson, Governance, 1207ff. 58 Jensen/Meckling, Codetermination, 469ff; Hansmann, Worker, 1749ff; Hansmann, Ownership, 29ff; Williamson, Governance, 1207ff.

dem Interesse der Kapitaleigentümer auf Maximierung der Dividendenerträge (maximizing shareholder value) gleichgesetzt wird59. Auch das Haftungsrecht ist Teil des Unternehmensvertrags. Es stellt ein Instru­ ment zur effizienten Absicherung der Positionen und Investitionen von Unterneh­ mensbeteiligten dar60. Die MNK-Haftungsproblematik ist deshalb im folgenden vor diesem Hintergrund zu untersuchen.

3.3.

Effizienz des Prinzips beschränkter Haftung

3.3.1. Stand der bisherigen Diskussion Das Phänomen der juristischen Person mit Haftungsbeschränkung existiert in al­ len modernen Industriegesellschaften61. Es scheint auch durchwegs ähnlich be­ gründet zu werden, d.h. mit dem Argument der Ermöglichung wirtschaftlich sinn­ voller Investitionstätigkeit62. Dabei fehlen allerdings eindeutige empirische Bewei­ se positiver gesamtwirtschaftlicher Effekte der Haftungsbeschränkung63. Bis vor kurzem mangelte es auch an effizienzorientierten deduktiven Erklärungsansätzen. Erst die ÖAR hat es geschafft, die Effizienzimplikationen der Haftungsbeschrän­ kungjuristischer Personen deutlicher aufzudecken. Posner64, Halpern/Trebilcock/ Turnball65 und Easterbrook/Fischel66 leisteten wichtige Beiträge67. Posner erfaßt das Institut der Haftungsbeschränkung als dispositive Gesetzes­ norm, welche den Vertrag zwischen Anteilseignern und Gläubigern einer juristi­ schen Person regelt68. Die Norm reflektiert nach seiner Auffassung die typischen relativen Risikotragungsvorteile der beiden Gruppen. In den meisten Fällen müß­ 59 Z.B. Easterbrook/Fischel, Role, 1165ff.; Bebchuck, Freedom, 1825ff.; Brealey/Myers, 21­ 22; Mansfield, Microeconomics, 141-144; daraus ergibt sich auch die ausschließliche Verpflich­ tung des Unternehmensmanagements auf die Interessen des Anteilskapitals; vgl. Scott, Risk, 24­ 27. 60 Vgl. Coase, Social, 2-6; Williamson, Govemance, 1197ff.; Calabresi/Melamed, 1089ff. 61 OECD, Verantwortlichkeit, passim; Blumberg II, 605ff; auch das Recht der Volksrepu­ blik China kennt beispielsweise ein Haftungsprivileg für juristische Personen; vgl. Zheng, China, 595; Wolff, Haftungsverfassung, 747f. 62 Blumberg III, 3ff; Hicks, Liability, 11-12; Wüst, Unterkapitalisierung, 817; Hommelhoff, Produktehaftung, 768; Lehmann, Durchgriff, 353f; vgl. auch Albers, Haftungsverhältnisse, 18; Honsell, Gläubigerschutz, 173ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 202-204; für die Schweiz be­ zeichnet Vogt, Theorie, 485, die Einführung der Aktiengesellschaft als wichtigen Schritt „vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt“; vgl. auch von May, Gründung, 75—76, 88ff; zur gesamt­ wirtschaftlichen Funktion der AG mit Haftungsbeschränkung auch Kübler, Gesellschaftsrecht, 163 ff. 63 Blumberg III, 35-36; Dodd, Evolution, 1366-1373; Meiners/Mofsky/Tollison, 359—367; Forbes, Liability, 164—166. 64 Posner, Creditors, passim; vgl. auch Posner, Economic, 379-382. 65 Halpem/Trebilcock/Tumball, passim. 66 Easterbrook/Fischel, passim; Easterbrook/Fischel, Corporate, 40ff. 67 Daran anschließend auch Lehmann, Durchgriff, 345ff; Adams, Eigentum, 47ff; Debus, Konzemrecht, Iff; Roth, Haftung, 371 ff. 68 Posner, Creditors, 501-509.

ten folglich auch vertragliche Vereinbarungen zwischen Anteilseignern und Gläu­ bigern ein Haftungsprivileg enthalten. Vertragliche Gläubiger werden überdies selbst bei gesetzlich angeordneter Haftungsbeschränkung für das übernommene Risiko entschädigt (z.B. mittels höherer Darlehenszinsen). Die Effizienz des Insti­ tuts der Haftungsbeschränkung liegt aus Posners Perspektive somit darin, daß die für Normalfälle effiziente Risikoverteilung zwischen Anteilseignern und Gläubi­ gern gesetzlich vorweggenommen wird, wodurch ein Maximum an vertraglichen Transaktionskosten gespart werden kann69. Halpern/Trebilcock/Turnball erweitern das Vertragskonzept Posners, indem sie auch Reflexwirkungen der Haftungsbeschränkung auf Kapitalmärkte in Rech­ nung stellen70. Gemäß ihrer Argumentation ermöglicht erst die Haftungsbeschrän­ kung das Funktionieren liquider und übersichtlicher Anteilskapitalmärkte. Für An­ teilseigner, welche ihre maximalen Haftungsrisiken nicht im voraus kennen, müß­ te das Fehlen einer Haftungsbeschränkung zur Aufblähung der Transaktionskosten bei Erwerb und Verkauf von Anteilspapieren führen. Dadurch würden sowohl die primären wie sekundären Märkte für Anteilskapital in ineffizienter Weise beein­ trächtigt oder sogar zum Erliegen gebracht71. Easterbrook/Fischel bauen zum Teil auf den Argumenten Posners und Halpern/ Trebilcock/Turnballs auf, weisen aber weitere positive Einflüsse des Haftungsprivi­ legs auf die allgemeinen Kapitalkosten nach72. Die beiden Autoren erwähnen z.B. die Einsparung der Kontrollkosten von Anteilseignern bei der Überwachung des Unternehmensmanagements73 und der Vermögenslage anderer Anteilshaber74. Durch die Existenz liquider Märkte für Anteilspapiere würden zudem Unterneh­ mensübernahmemärkte geschaffen, welche ihrerseits zu Kontrollkosteneinsparun­ gen bei den einzelnen Anteilseignern führten75. Nach Easterbrook/Fischel fordert die Haftungsbeschränkung zudem die effiziente Diversifikation der Anteilsportfo­ lios76. Zugleich wird bestritten, daß diese Effizienzgewinne durch Effizienzeinbu­ ßen auf Kosten der Gläubiger aufgezehrt werden77. Als Begründung verweisen die Autoren unter anderem darauf, daß die (indirekte) Ermöglichung von Übernah­ memärkten durch das Haftungsprivileg sowohl im Interesse von Anteilseignern wie Gläubigern sei78. Zudem wird räsoniert, die Verschiebung eines Teils des Haf­ tungsrisikos auf die Gläubiger aktiviere deren zumindest partiell vorhandene Ko­ stenvorteile bei der Kontrolle des Unternehmensgeschehens79. Überdies sei es effi­ 69 Ebd., 509. 70 Halpem/Trebilcock/Tumball, 126-145; vgl. auch Grundfest, Future, 387ff.; (sowie die Replik darauf von Hansmann/Kraakman, Markets, 427ff.). 71 Ebd., 136. 72 Easterbrook/Fischel, 93—104. 73 Ebd., 94. 74 Ebd., 95. 75 Ebd., 95. 76 Ebd., 94. 77 Ebd., 98-99. 78 Ebd., 99. 79 Ebd., 100-101.

zient, nicht diversifizierbare Risiken möglichst gleichmäßig auf viele Risikoträger­ gruppen zu verteilen80. Die Effizienzargumente zugunsten des Instituts der Haftungsbeschränkung kön­ nen für sich einige Plausibilität beanspruchen, wo z.B. Publikumsaktionäre starken vertraglichen Gläubigergruppen (etwa Banken) gegenüberstehen81. Hier werden sich oft Kontrollkostenvorteile der Gläubiger bezüglich des Unternehmensgesche­ hens und evtl, auch relative Diversifikationsvorteile der Gläubiger nachweisen las­ sen. Beides würde für eine teilweise Abwälzung von Unternehmensrisiken auf die Gläubiger sprechen, zumal davon auszugehen ist, daß diese für ihre Risiken kom­ pensiert werden. Zudem ist anzunehmen, daß solche Gläubiger die Haftungsbe­ schränkung vertraglich außer Kraft setzen, wo diese ineffizient wäre82. Der Wert der gewöhnlich auf dem Spiel stehenden Forderungen, die Vigilanz der betreffen­ den Gläubiger und eine ohnehin aktivierte Vertragskommunikation mit der juristi­ schen Person ermöglichen in diesen Fällen eine einzelfallbezogene Risikoumlage­ rung. Dieses Modell muß aber revidiert werden, wo statt Publikumsgesellschaften Tochtergesellschaften zur Diskussion stehen. Zusätzliche Anpassungen sind nötig, wenn auch das Gläubigermodell geändert wird, z.B. durch Einbezug außervertrag­ licher Gläubigergruppen83. Zunächst wird eine Muttergesellschaft, welche die Leitung des Tochterunter­ nehmens bei sich zentralisiert, im Vergleich zu Publikumsaktionären ganz allge­ mein eine stark verbesserte Überwachungsposition einnehmen. Je stärker sie das Tochtermanagement kontrolliert, desto geringer fallen ihre Kontrollkosten bezüg­ lich des Tochtergeschehens aus84. Auch die Diversifikationsperspektive läßt unter Umständen eine Risikoverschiebung auf die Muttergesellschaft bzw. deren Anteils­ eigner als sinnvoll erscheinen85. Die suggerierte Relativierung der Haftungsbe­ schränkung von Tochtergesellschaften wird noch zusätzlich genährt durch die Tat­ sache, daß organisierten Märkten (einschließlich Übernahmemärkten) für Anteils­ papiere 100%iger Tochterunternehmen keine wesentliche Rolle zukommt86. Die Änderung des Gläubigermodells führt zu ähnlichen Fragezeichen87. Für au­ ßervertragliche Tochtergläubiger kann grundsätzlich kaum behauptet werden, sie besäßen im Vergleich zur Konzernmuttergesellschaft Vorteile bei der Überwa­ 80 Ebd., 101. 81 Skeptisch allerdings Meiners/Mofsky/Tollison, 351. 82 Posner, Creditors, 503. 83 Blumberg III, 74-80, 93-101. 84 Vgl. Blumberg III, 81-83; Landers I, 591-592; Eucken, Grundsätze, 279-285. 85 Die im Vergleich zu Publikumsaktionären evtl, günstigere Diversifikationslage einer Kon­ zemmutter bzw. deren Anteilseigner liegt unter anderem darin begründet, daß eine Konzemmut­ terhaftung die Haftungsbeschränkung der Muttergesellschaft nicht tangiert; vgl. auch Blumberg III, 68-69. 86 Immerhin wird die Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften auch bei einem priva­ ten Verkauf der Tochter die Transaktionskosten mindern, indem sie die Aussonderung der Toch­ terpassiven erleichtert. 87 Vgl. Blumberg III, 74f.

chung des Tochtergeschehens. Auch die relative Diversifikation wird normalerwei­ se eher gegen eine Risikoabwälzung auf diese Gläubigergruppe sprechen. Poten­ ziert wird das Problem außervertraglicher Gläubiger noch dadurch, daß sie infolge fehlender Vertragsbeziehungen zur juristischen Person eine ineffiziente Haftungs­ beschränkung nicht wegverhandeln können. Mangels vertraglicher Beziehungen zur Tochter- oder Muttergesellschaft werden außervertragliche Gläubiger für ihre Risikotragung auch nicht kompensiert88. In der ökonomisch-rechtlichen Literatur sind die außervertraglichen Gläubiger als Problem bei der Beurteilung der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaf­ ten anerkannt89. Zu Recht wird betont, daß die Haftungsbeschränkung juristi­ scher Personen bezüglich dieser Gläubiger die Gefahr einer Externalisierung von Risiken in sich trägt90. Als besonders akut muß dieses im Falle von Tochtergesell­ schaften gelten. Die Möglichkeit manipulativer Kontrollausübung durch Mutterge­ sellschaften schafft besondere Chancen einer unkompensierten Risikoabwälzung auf außervertragliche Gläubiger91. Halpern/Trebilcock/Turnball erwägen zugunsten außervertraglicher Gläubi­ gergruppen denn auch eine (selektive) Aufhebung der Haftungsbeschränkung juri­ stischer Personen. Als gewichtig scheinendes Gegenargument erörtern sie die Transaktionskosten (in Form von Kosten des Rechtsapparates), welche eine solche Ausnahmeregel mit sich bringen könnte92. Aus vergleichbaren Erwägungen meldet Posner Bedenken gegen komplexe Dif­ ferenzierungen der Haftungsbeschränkung an93. Er erwähnt immerhin die Mög­ lichkeit der Statuierung einer Durchgrifsvermutung für gewisse Gläubigergrup­ pen94. Posner scheint jedoch zugunsten außervertraglicher Gläubiger eine Lösung zu favorisieren, welche die Anteilseigner zur Hinterlegung einer zweckgebunde­ nen und risikoadäquaten Kapitalsumme verpflichten würde95. Easterbrook/Fischel schließlich betonen die Anreize, welche eine juristische Person so oder so dazu ermuntern sollten, außervertragliche Risiken zu versi­ chern96. Sie nennen z.B. das Interesse von Managern und Arbeitnehmern, auf eine Versicherung hinzuwirken, da hiedurch ein (für diese Gruppen besonders kostspie­ 88 Posner, Creditors, 520. 89 Ebd., 520; Halpem/Trebilcock/Tumball, 147-149; Easterbrook/Fischel, 103-104; Hansmann/Kraakmann, passim; Blumberg III, 74ff.; Stone, Enterprise, 65—77; Note, Torts, 1201­ 1204; vgl. auch Leebron, Limited, 1612ff.; Note, Hazardous, 992; Hommelhoff, Produktehaf­ tung, 769; Alexander, Liability, 387 ff, und die Replik darauf von Hansmann/Kraakman, Focus, 446ff. 90 Stone, Enterprise, 75. 91 Ebd., 71, einschließlich FN 269; Landers I, 592ff; Landers II, 529ff; vgl. zum Potential der Vermögensverschiebungen zu Lasten von Gläubigem allgemein auch Debus, Konzemrecht, 14ff. 92 Halpem/Trebilcock/Tumball, 145-146. 93 Posner, Creditors, 525. 94 Ebd., 523. 95 Ebd., 520. 96 Easterbrook/Fischel, 107-109.

liger) Konkurs der Gesellschaft unwahrscheinlicher werde. Das Problem der außer­ vertraglichen Gläubiger relativiere sich folglich. Soweit es hingegen bestehen blei­ be, seien insbesondere auch alternative Mechanismen zur Haftungsausdehnung in Erwägung zu ziehen. Die Autoren erwähnen die obligatorische Versicherung au­ ßervertraglicher Risiken, die persönliche Haftung der Unternehmensverwaltung oder die staatliche Kontrolle gefährlicher Aktivitäten97. Für alle diese Alternativen werden aber ihrerseits Ineffizienzpotentiale konstatiert98. Gegen eine Sonderbe­ handlung von Tochtergläubigern wird anderseits ins Feld geführt, daß dies zu ei­ ner ineffizienten Privilegierung unabhängiger juristischer Personen fuhren könn­ te99. Die bisherige ökonomisch-rechtliche Diskussion zur Haftungsbeschränkung ju­ ristischer Personen offenbart unbestreitbare Effizienzpotentiale des Haftungsprivi­ legs100. Sie relativiert diese jedoch für verschiedene Situationen, unter anderem für Tochtergesellschaften im allgemeinen und außervertragliche Gläubiger im beson­ deren. Sie weist zudem auf die grundsätzliche Wünschbarkeit von Differenzierun­ gen hin, z.B. zwischen Publikums- und Tochtergesellschaften oder zwischen ver­ traglichen und außervertraglichen Gläubigergruppen101. Sie deckt aber auch die Transaktionskostenproblematik solcher rechtlicher Differenzierungen auf. Als Re­ sultat verbleibt ein (theoretisch quantifizierbares) Abwägungsproblem, in welchem die Transaktionskosten (Effizienzverluste) einer undifferenzierten Anwendung des Haftungsprivilegs den Kosten eines differenzierteren Haftungsregimes gegenüber­ zustellen sind102. Diese Gleichung soll im folgenden für die Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne überprüft und spezifizert werden.

3.3.2. Effizienzkriterien zur Haftung Multinationaler Konzerne

Das Haftungsrecht ist ein Mechanismus zur Allokation von Risiken. Risiken werden am effizientesten von denjenigen Rechtssubjekten getragen, welche sie am kostengünstigsten kontrollieren können103. Soweit Risiken nicht kontrollier­ bar sind (systematische Risiken), werden sie effizienterweise auf möglichst viele Rechtssubjekte im Verhältnis zu deren Diversifikation bzw. Risikoeinstellung (Ri­ sikoneutralität, Risikoaversion) verteilt104. Damit sind zwei Effizienzkriterien für die Formulierung von Haftungsnormen erkennbar. Vorerst geht es um die Mes­ sung der relativen Kontrollkosten verschiedener möglicher Haftungsträger. Im Fal­ le der Konzernmutterhaftung ist mit anderen Worten zu prüfen, für welche Risi­ 97 Ebd., 114f. 98 Ebd., z.B. 116. 99 Ebd., 111. 100 Vgl. auch Debus, Konzemrecht, 41 ff. 101 Für Differenzierungen, insbesondere zwischen verschiedenen Gläubigergruppen, auch Roth, Haftung, 375ff. 102 Debus, Konzemrecht, 179ff; Landers I, 596; Easterbrook/Fischel, 114. 103 Calabresi, Torts, 517-519. 104 Easterbrook/Fischel, 101.

ken die Muttergesellschaft Kontrollkostenvorteile aufweist und welche Risiken die Tochtergläubiger kostengünstiger kontrollieren können105. Zudem muß auch die Diversifikation (Risikoeinstellung)106 der verschiedenen Haftungsträger eine Rol­ le spielen107. Einfach veranschaulicht kann davon ausgegangen werden, daß ein mit weniger Kontrollkosten konfrontiertes, besser diversifiziertes Rechtssubjekt in einem ansonsten transaktionskostenlosen Umfeld die Haftung vertraglich zuge­ sprochen bekäme, weil es die geringste Risikoprämie in Anschlag bringen müßte. Als Resultat könnte ein größerer Gesamtnutzen verbucht werden, als wenn ein teurerer Haftungsträger gewählt würde. Als drittes Effizienzkriterium gilt es aber noch, die Operationskosten verschiede­ ner Haftungsrechtsalternativen in Rechnung zu stellen. Sie sollen hier gesamthaft Rechtskosten genannt werden. Darin enthalten sind diejenigen (Opportunitäts-)Ko­ sten, welche aufgrund der Schaffung, Durchsetzung, Fehlerhaftigkeit oder Nicht­ durchsetzung von Haftungsrechten anfallen108. Jedes Haftungsregime verursacht solche Kosten. Sie sind aus Effizienzperspektive möglichst niedrig zu halten. Da sie aber in einem gegenläufigen Verhältnis zu den beiden ersten Kriterien (Kontrollko­ sten und Diversifikation) stehen können, wird es letztlich nur darum gehen, sie zu optimieren. Die Ausformulierung eines optimalen Haftungsrechts für Konzern­ muttergesellschaften reduziert sich aus OAR-Perspektive mithin auf einen trade off zwischen den drei erwähnten Effizienzkriterien109. Während aus der Perspektive der Kontrollkosten und der Diversifikation Haftungsregelungen mit hochdifferen­ zierten Unterscheidungen zwischen individuellen Haftungsträgern, verschiede­ nen Risiken, Kausalverläufen und Zeitabschnitten wünschbar wären, verlangt die Rechtskostenperspektive nach möglichst einfachen Regeln. Sie sollen einen mini­ malen Aufwand verursachen und die Chancen fehlerhafter Anwendung oder Nichtdurchsetzung des Haftungsrechts möglichst gering belassen. Entsprechend geht es im folgenden darum, eine optimale haftungsrechtliche Ri­ sikoallokation zwischen Konzernmuttergesellschaften auf der einen und Tochter­ gläubigern auf der andern Seite zu konstruieren110. Hiefür sind die relativen Kon­ trollkosten der Konzernmutter und der Tochtergläubiger für verschiedene Risiko­ kategorien zu prüfen. Zugleich sind Unterschiede der Diversifikation bzw. Risiko­ haltung dieser Subjekte in die Kalkulation miteinzubeziehen. Soweit eine Weiter­ 105 Posner, Creditors, 507; Easterbrook/Fischel, 99-100; Halpem/Trebilcock/Tumball, 134; Note, Hazardous, 993; Lehmann, Durchgriff, 366. 106 Der Einfachheit halber wird im folgenden nur mehr die Diversifikation problematisiert, obwohl die subjektive Risikoeinstellung von der objektiven Diversifikation unterschieden wer­ den muß; vgl. Brealey/Myers, 147ff 107 Easterbrook/Fischel, 101; Halpem/Trebilcock/Tumball, 142-143; Posner, Creditors, 502; Note, Hazardous, 995. 108 Posner, Creditors, 519-526; Easterbrook/Fischel, 110-111; Halpem/Trebilcock/Tum­ ball, 148; Note, Hazardous, 996ff; Shavell, Accident, 262ff; Kraakman, Liability, 867ff. 109 In der Terminologie Lehmanns (Durchgriff, 345) geht es somit um das Auffinden eines kri­ tischen Punkts für alle in Frage kommenden Rechtsregeln. 110 Lehmann, Durchgriff, 359; vgl. in diesem Zusammenhang auch Kirchner, Konzemrecht, 214ff; Pohmer, Konzemgestaltungen, 57ff; Roth, Haftung, 37Iff.

delegation des Haftungsrisikos an Dritte (Versicherungen, staatliche Institutionen) am kostengünstigsten erscheint, ist für das Verhältnis zwischen Konzernmutter und Tochtergläubiger zu entscheiden, welche der beiden sich am effizientesten mit solchen Institutionen arrangiert. Die Zuweisung des Haftungsrisikos kann dann die wünschbaren Anreize schaffen, um diese Drittarrangements zu verwirkli­ chen. Bei alldem sind aber auch die Rechtskosten verschiedener Haftungskonzep­ te zu vergleichen. Sie verlangen nach einer optimalen Vereinfachung des MNKHaftungsrechts111.

3.3.3. Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne als Mittel zur Internalisierung politischer Risiken, Die bisherige ökonomisch-rechtliche Diskussion zum Haftungsprivileg juristi­ scher Personen hat die Effizienz der Haftungsbeschränkung von Tochtergesell­ schaften nicht prinzipiell zu begründen vermocht. Ihre Analysen lassen im Gegen­ teil die Hypothese zu, Muttergesellschaften seien oft kostengünstigere Träger des Haftungsrisikos von Tochterunternehmen als die Tochtergläubiger111 112. Die poten­ tiellen Rechtskosten einer Sonderbehandlung konzernierter Gesellschaften (Admi­ nistrativkosten, Abgrenzungsprobleme, Verzerrungskosten durch Privilegierung nicht konzernierter Gesellschaften) werden dagegen als Grund dafür ins Feld ge­ führt, daß evtl, auch für Tochtergesellschaften effizienterweise am Haftungsprivi­ leg festgehalten werden sollte113. Die beschriebene Diskussion, welche sich im übrigen an rein nationalen Kon­ zernorganisationsformen orientiert, reicht zumindest im Kontext Multinationaler Konzerne nicht aus. Sie ignoriert die Tatsache, daß privates Wirtschaften auch poli­ tisch-staatlichen Einflüssen ausgesetzt ist114. Damit ist die Allgegenwart politischer Risiken angesprochen, welche gerade bei MNK-Investitionen in Gastländern eine besondere Rolle spielen115. Dort ist anerkannt, daß die Investitionsrisiken nebst ei­ ner wirtschaftlichen auch eine politische Komponente haben. Diese ist ebenfalls ins Kalkül erwarteter Investitionsrenditen (return on investment) miteinzubeziehen116. 111 Hofstetter, Europe, 594—596. 112 Vorne III.3.3.1.; vgl. auch Lehmann, Durchgriff, 363 ff. 113 Posner, Creditors, 524-525; Halpem/Trebilcock/Tumball, 148; Easterbrook/Fischel, 111; vgl. auch Debus, Konzemrecht, 117ff. 114 Roth, GmbHG, 6, spricht auf diesem Hintergrund von der zunehmenden „Zufälligkeit wirtschaftlichen Scheiterns“ aufgrund von externen Einflüssen, z.B. der staatlichen Konjunktur­ politik, Energiepolitik etc.; vgl. auch Wüst, Unterkapitalisierung, 817, welcher aus analogen Er­ wägungen in der beschränkten Haftung vor allem eine „Folge verlorener unternehmerischer Frei­ heiten“ sieht; mit ähnlichen Akzenten, Hommelhof, Produktehaftung, 769; ebenso Wiede­ mann, Gesellschaftsrecht, 544; vgl. auch Grundfest, Subordination, 23ff. 115 Vagts, Risks, Iff; vgl. auch Siegwart/Caytas/Mahari, passim; Rückversicherung, Risiko, 4f. 116 Rummel/Heenan, 67 ff; die Planungsalternative lautet dabei nicht bloß Investition/NichtInvestition, wie Schanze, Investitionsverträge, 48-49, zu suggerieren scheint, sondern es ist eine differenzierte Kosten/Nutzenrechnung verschiedener möglicher Investitionsarrangements vor­ zunehmen.

Politische Risiken wurden rechtlich bislang vor allem im Zusammenhang mit Expropriationsrisiken in sozialistischen- und Drittweltländern diskutiert. Landes­ oder völkerrechtliche Expropriationsschutzbestimmungen und nationale wie in­ ternationale Investitionsversicherungen zielen in erster Linie auf diese Extremfälle politischer Risiken117. Das Konzept der politischen Risiken muß wirtschaftlich ge­ sehen aber umfassender sein. Es muß alle staatlichen Akte miteinbeziehen, welche die berechtigten Erwartungen von Investoren in opportunistischer Weise enttäu­ schen118. Nebst radikalen Expropriationsmaßnahmen müßten damit aufjeden Fall auch sanftere Formen der Expropriation, z.B. konfiskationsähnliche Steuern, als Reali­ sation politischer Risiken taxiert werden können. In gleicher Weise sollten sich eine gescheiterte Finanzpolitik (z.B. Inflationsbekämpfung) bzw. ineffiziente wirt­ schaftspolitische Maßnahmen (z.B. Zollpolitik, Kapitalexportverbote) als Verwirk­ lichung politischer Risiken qualifizieren lassen. Dasselbe müßte für Fälle von Passi­ vität staatlicher Stellen, z.B. bei kriegsähnlichen Gefahren für Ruhe und Ord­ nung, gelten. Desgleichen beinhalten zivilrechtliche Akte des Gastlands, z.B. die Änderung des Haftungsrechts oder die Anwendung bestehenden Haftungsrechts durch Gastlandgerichte, politische Risiken, indem auch sie die legitimen Erwar­ tungen von MNK-Investoren deutlich verfehlen können119. Solche politischen Risiken gilt es deshalb vor der Plazierung einer MNK-Investition zu verteilen. Das ökonomische Modell der Weltwirtschaft suggeriert denn auch, daß dieser Allokationsprozeß vertraglich erfolgt und daß aufgrund des Wett­ bewerbs auf den Weltmärkten eine Tendenz besteht, diesbezüglich auf lange Frist zu effizienten Lösungen zu gelangen. Die Tatsache, daß Gastländer für MNK-Investitionen durchwegs die Organisationsform von Tochtergesellschaften mit Haf­ tungsbeschränkung anbieten120, mag somit bereits als empirisches Indiz dafür gewer­ tet werden, daß das Haftungsprivileg eine effiziente Verteilung politischer Risiken ermöglicht121. Wenn nun die politischen Gastlandrisiken auch in die theoretischen Überlegungen zum MNK-Hafhingsrecht miteinbezogen werden, wird zudem de­ duktiv erklärbar, weshalb die Haftungsbeschränkung von MNK-Tochtergesellschaften ein effizentes Instrument zur Internalisierung politischer Risiken darstellt. 117 Vgl. vorne II.4.2.2. und 4.3.2. 118 Z.B. eine unerwartete und unvorhersehbare Diskontinuität in der bisherigen Entwick­ lung; vgl. Rückversicherung, Risiko, 5. Aufgrund der relativen Immobilität einmal getätigter Gastlandinvestitionen (sunk cost) besteht ein beträchtliches Opportunismuspotential auf Seiten des Gastlandes. Man spricht deshalb zuweilen von obsolescing bargaining power oder gar einem Geiselpro­ blem; vgl. Schanze, Investitionsverträge, 46f. 119 Vgl. das Extrembeispiel Deltec, vorne 1.4.5., oder die Vorwürfe im Falle Bhopal, vorne 1.4.2. 120 Vorne III.3.3.1. 121 Auch die Tatsache, daß z.B. in kollektiven Patronatserklärungen von Mutterhäusern deut­ scher Banken die politischen Risiken meist ausgeschlossen werden, weist in diese Richtung; vgl. Schneider, Patronatserklärungen, 623; vgl. dazu auch die von Hirsch, Surveillance, 210-212, zi­ tierten Ausnahmen zur Finanzsolidarität innerhalb von Bankkonzernen (Kriege, Konfiskationen, Generalstreiks, d.h. Risiken welche ebenfalls als politische Risiken taxiert werden können).

Die Zuweisung von Eigentumsrechten an ausländische MNK im Zusammen­ hang mit deren Gastlandinvestitionen ermöglicht den effizienten Transfer von Ka­ pital- und Technologieressourcen in Gastländer. Das Eigentum an Gastlandtöch­ tern versetzt Multinationale Konzerne z.B. in die Lage, mögliche positive Externalitäten ihres Technologietransfers präventiv zu internalisieren122. Das Ermessen, welches anderseits mit der Eigentümerstellung an den Tochter-Ressourcen ver­ bunden ist, verleiht ausländischen MNK Kontrollmacht. Mit ihr verbindet sich im Prinzip effizienterweise auch eine Beteiligung an Gewinnen und Verlusten der Tochter123. Haftung ist eine mögliche Form (und manchmal die einzige), um eine Internali­ sierung der Verlustfolgen suboptimaler Ausübung von Kontrollmacht zu bewir­ ken. Insofern stimmt denn auch die Sentenz Euckens vom effizienten Gleichlauf von Macht und Haftung124. Wer immer einen potentiellen Kausalverlauf kontrol­ liert, ist grundsätzlich in der relativ besten Lage, dessen Realisierung zu verhin­ dern. Vorausgesetzt, Diversifikationsunterschiede erfordern keine Schattierungen, ist deshalb ein Rechtssubjekt, welches einen bestimmten Risikokomplex be­ herrscht, mit den relativ geringsten Ueberwachungskosten konfrontiert. Es muß folglich effizient sein, die Muttergesellschaft (unbeschränkt) in das Tochter-Haf­ tungsregime miteinzubeziehen, soweit sie Tochterrisiken kontrolliert. Dies gilt umsomehr, als MNK auch aus Diversifikationssicht zur Risikoübernahme nicht weniger geeignet scheinen als Tochtergläubiger125. Die MNK-Haftungsfrage reduziert sich damit auf die theoretische und prakti­ sche Ausscheidung der von der MNK-Konzernmutter kontrollierten Sphären des Tochtergeschehens. Dabei ist nach den obigen Ausführungen zum Phänomen der politischen Risiken evident, daß ein wesentlicher Teil der kausal auf die Wert­ Schöpfung des Tochterunternehmens einwirkenden Faktoren im Kontrollbereich des Gastlands Hegt. Die Effizienzperspektive würde dementsprechend verlangen, daß suboptimales Gastlandverhalten zur selektiven Haftungsbefreiung der Kon­ zernmutter fuhrt bzw. durch Haftungsansprüche des MNK gegen das Gastland kompensiert werden kann. Nun lassen sich aber in praxi diese Gastlandrisiken nur sehr lückenhaft ausdiffe­ renzieren oder durch Haftungsansprüche gegen das Gastland bzw. dessen Subjekte einfangen. Es schafft zwar wenig Probleme, krasses Schädigungsverhalten privater Gastlandsubjekte haftungsrechtlich zu markieren. Diebstähle, Sachbeschädigun­ gen oder spezifische Vertragsbrüche gegenüber der MNK-Gastlandtochter dürf­ ten materiellrechtlich denn auch meist zu Schadenersatzansprüchen fuhren. Be­ 122 Vome 1.2.3. 123 Vgl. Eucken, Grundsätze, 279 („Wer den Nutzen hat, muß auch den Schaden tragen“) und a.a.O., 281, („Wer für Pläne und Handlungen der Unternehmen .... verantwortlich ist, haf­ tet“); vgl. zur prinzipiellen Zusammengehörigkeit der Trias Kontrollmacht/Gewinnrisiko/Verlustrisiko auch Hansmann, Ownership, 4ff. 124 Eucken, Grundsätze, 281; vgl. auch Lehmann, Durchgriff, 366; differenzierend Wiede­ mann, Gesellschaftsrecht, 543 ff 125 Vome III.3.3.1.

reits bei der prozessualen Durchsetzung derartiger Haftungsansprüche besteht aber ein Potential suboptimalen Gastlandverhaltens, indem solche Ansprüche des MNK evtl, gar nicht oder nur über einen prohibitiven Kostenaufwand durchge­ setzt werden können. Dieses politische Risiko eines ineffizienten Rechtsapparates im Gastland wiederum wird kaum zur Formulierung von Haftungsansprüchen ge­ gen die verantwortlichen politischen Institutionen ausreichen. Überhaupt ist vor allem der Bereich des öffentlichen Gastlandhandelns haftungs­ rechtlich nur sehr begrenzt erfaßbar. Die Risiken suboptimaler Wirtschafts- bzw. Finanzpolitik oder die politischen Risiken ineffizienter (opportunistischer) Abän­ derungen bzw. Auslegungen von Gastlandrechtsnormen, auf welchen der MNK ursprünglich baute, sind kaum direkt haftungsrechtlich zu internalisieren. Die Staatshaltung ist denn auch überall limitiert und erfaßt meist nur bestimmte Hand­ lungen der Exekutive126. Die Legislative und die Rechtsprechung (evtl, mit Aus­ nahme krasser Justizirrtümer) werden nicht haftungsrechtlich zu steuern versucht. Für MNK-Investitionen in Gastländern bedeutet dies, daß Risiken, welche effi­ zienterweise durch die verantwortlichen Gastlandsubjekte und -Institutionen über­ nommen würden, nur ungenügend internalisiert werden. Damit können die Ko­ sten solch politischer Risiken auch auf Multinationale Unternehmen fallen. Ein ra­ tional agierender MNK wird diesen Kostenfaktor bei der Plazierung einer Gast­ landinvestition aber berücksichtigen und den Preis seines Engagements entspre­ chend erhöhen. Die Ineffizienzen, welche durch die fehlende Internalisierung po­ litischer Risiken entstehen, beeinträchtigen damit sowohl die Nutzenerwartungen von MNK wie diejenigen von Gastländern negativ. Entsprechend müssen beide ein Interesse daran haben, politische Risiken in Gastländern doch irgendwie auf das Gastland als deren effizienteren Träger zurückfallen zu lassen. Genau hiefür bietet sich nun der Mechanismus der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften an. Er stellt eine zweitbeste Lösung (second best solution) dar, um die politischen Risiken des Gastlandengagements von MNK effizient zu inter­ nalisieren. Durch die Konzipierung der MNK-Gastlandtochter als unabhängiges Rechtssubjekt und die Verpflichtung der Konzernmutter zur adäquaten Kapitali­ sierung ihrer Tochter wird der Spieß zwischen MNK und Gastland umgedreht. Statt das Gastland für suboptimales Handeln gegenüber dem MNK haften zu las­ sen, hinterlegt der Multinationale Konzern in Form des Eigenkapitals seiner Toch­ ter ein Haftungssubstrat, das diejenigen Risiken abdeckt, für welche er als kosten­ günstigster Risiko träger gelten muß. Darüber hinaus haftet der MNK nicht, da da­ von auszugehen ist, daß seine Risikotragungsvorteile bereits im Tochterkapital re­ flektiert sind. Durch diese Hinterlegung eines die effizienten künftigen Haftungen der MNK-Muttergesellschaft in diskontierter Form enthaltenden Tochterkapitals

126 Vgl. Kopp, Staatshaftungsrecht, passim; Stark, Gedanken, Iff.

wird es möglich, die restlichen, d.h. politischen Risiken zumindest teilweise127 auf das Gastland abzuwälzen128. Ein einfaches Beispiel soll dies veranschaulichen. Angenommen ein MNK entscheidet sich für die Gründung einer Tochtergesell­ schaft in einem Gastland. Das adäquate Kapital für die geplanten Aktivitäten wird übereinstimmend auf 5 Mio. angesetzt. Solide Voraussagen lassen zudem erwarten, daß die Tochter in den nächsten 5 Jahren 0,5 Mio. jährlichen Profit erwirtschaften wird. Es sind keine Dividendenauszahlungen geplant. Aufgrund einer lamentablen Wirtschafts- und Handelspolitik des Gastlandes muß die Tochtergesellschaft während den ersten Jahren ihres Bestehens Verluste schreiben. Ihr Eigenkapital steht am Ende des dritten Jahres bei 4 Mio. Zu diesem Zeitpunkt verursacht die Tochtergesellschaft einen Industrieunfall, dessen Schä­ den 4,5 Mio. betragen. Die Tochter meldet den Konkurs an, in welchem auch eine Darlehensschuld von 1 Mio. und Arbeitnehmerforderungen im Betrag von 0,1 Mio. kolloziert (festgestellt) werden. Den Aktiven im Wert von 4 Mio. stehen da­ mit Passiven im Wert von 5,6 Mio. gegenüber. Der Ausfall beträgt 1,6 Mio.

127 Nur teilweise deshalb, weil der MNK z.B. im Rahmen des Tochterkapitals auch bei einer Haftungsbeschränkung politische Gastlandrisiken mitträgt. 128 Der Einfachheit halber wird hier unterstellt, daß die vom MNK nicht kontrollierbaren Ri­ siken vom Gastland kontrolliert werden können. In der Realität existieren jedoch auch Risiken, welche weder vom MNK noch vom Gastland als Ganzes zu kontrollieren sind und evtl, auch nicht diversifiziert werden können (systematische Risiken). Solche Risiken werden effizienter­ weise zwischen MNK und Gastland in Proportion zur jeweiligen Risikotragungskapazität aufge­ teilt (Easterbrook/Fischel, 101). Der Mechanismus der Haftungsbeschränkung stellt allerdings kein Hindernis für diese Lösung dar, weil die Zuweisung unkontrollierbarer Risiken an den MNK über eine Erhöhung der Tochterkapitalisierung oder spezifische Versicherungslösungen bewerkstelligt werden könnte. Das Problem nicht-kontrollierbarer Risiken stellt sich gerade im Zusammenhang mit moder­ ner Produktionstechnologie, indem Risiken weder von Produzenten noch von staatlichen Instan­ zen voll unter Kontrolle gebracht werden können (Restrisiken). Die Größe dieser Risiken über­ steigt zudem evtl, das Risikotragungspotential aller Beteiligten (Großrisikeri). Im Bereich der Atomenergie behilft man sich dabei (im Prinzip effizient) mit einer spezifischen Aufteilung von Kontrollbefugnissen und Haftungsverantwortlichkeiten zwischen Produzenten, staatlichen In­ stanzen und privaten Versicherungen (vgl. Schmid, Großrisiken, 17-22). Die Risikotragung wird weltweit gepoolt (NZZ 4./5. August 1990, Nr. 178, 25£, 26; „Kernenergie und Versiche­ rung“). Das Haftungsprivileg von Produktionsunternehmen braucht dabei nicht angetastet zu werden. Gegen das Prinzip der Haftungsbeschränkung sprechen somit auch Großrisiken nicht. Im Gegenteil wird durch die Übertragung von Kontrollaufgaben an staatliche Instanzen ein zu­ sätzliches politisches Risiko geschaffen, indem solche Tätigkeiten suboptimal durchgeführt wer­ den können. Die staatliche Kontrolltätigkeit kann alsdann kausal für den Schadenseintritt werden (vgl. die diesbezüglichen Vorwürfe gegen den indischen Staat im Falle Bhopal, vome I.4.2.; vgl. auch den wissenschaftlich gestützten Vorwurf im Zusammenhang mit der US-Sparkassenkrise, wonach viele Konkurse von Sparkassen in erster Linie auf die ungenügende Pflichterfüllung staat­ licher Aufsichtsorgane zurückzuführen waren; New York Times, June 1, 1990: „Economic Sce­ ne: The True Cost of the Bailout“). Soweit solche Risiken nicht über Haftungs- oder Regreßan­ sprüche oder zumindest über Entlastungsbeweise des MNK auf den verantwortlichen Staat abge­ schoben werden können, liegt im Prinzip der Haftungsbeschränkung ein (zweitbester) Schutz­ schild auch gegenüber diesen politischen Risiken.

Falls die Gastlandpolitik sich erwartungsgemäß kompetent und effizient verhal­ ten hätte, würde die Tochter am Ende des dritten Jahres Aktiven im Wert von 6,5 Mio. aufgewiesen haben129. Sie hätte dadurch die Schäden des von ihr verursach­ ten Unfalls abdecken können. Da aber die Gastlandpolitik versagte, mußte die Tochtergesellschaft den Konkurs anmelden. Aus Effizienzperspektive wäre des­ halb eine Allokation des Konkursausfalls von 1,6 Mio. an das Gastland einer Haf­ tung der ausländischen Konzernmutter für die ungedeckten Forderungen vorzu­ ziehen. Durch diese Internalisierung würden die Anreize des Gastlands zu effizien­ tem Verhalten gestrafft und die Gefahr ineffizienter Wirtschaftspolitiken (auf lange Sicht) eingedämmt. Als Ergebnis müßte ganz allgemein die Wertschöpfung aus MNK-Investitionen gesteigert werden. Die Problematik der internen Verteilung der beschriebenen Konkursausfallrisi­ ken innerhalb des Gastlandes stellt im übrigen kein Argument gegen die prinzipiel­ le Effizienz der Haftungsbeschränkung von MNK-Tochtergesellschaften dar. Dies vorerst deshalb, weil verschiedenste Mechanismen eingesetzt werden können, um die politischen Risiken auch gastlandintern möglichst effizient zu plazieren. So können z.B. Sozialversicherungssysteme (Arbeitslosenkassen, Unfallversicherun­ gen) dafür sorgen, daß die Konkursausfallkosten bestimmter Gläubigergruppen auf breiter Basis durch das Gastland als Gesamtes getragen werden. Zum Schutz be­ sonders ungünstiger Träger des Risikos einer beschränkten Haftung von MNKTochtergesellschaften können zudem noch weitere Institute, z.B. Konkursprivile­ gien, eingesetzt werden. Überdies ist davon auszugehen, daß die potentiell betroffe­ nen Gläubiger des Tochterkonkurses in der einen oder anderen Form auch Betei­ ligte des politischen Prozesses im Gastland sind (z.B. als Stimmbürger). Eine Über­ wälzung der politischen Gastlandrisiken auf sie bietet deshalb schon ganz grund­ sätzlich die besseren Chancen einer effizienten Kontrolle130, als wenn diese Risi­ ken auf außenstehende MNK-Muttergesellschaften externalisiert würden131. Wenn somit die Alternative heißt: Zuordnung von politisch verursachten Verlu­ sten entweder an die Konzernmutter oder an die Tochtergläubiger, so spricht das Effizienzpostulat im beschriebenen Beispiel für eine Zuordnung an die Gläubiger, weil diese im Prinzip die effizienteren Subjekte zur Kontrolle oder zumindest zur Weiterdelegation politischer Gastlandrisiken an das Gastland als Ganzes bzw. die verantwortlichen Gastlandinstitutionen darstellen132. 129 Es soll vereinfachend davon ausgegangen werden, daß, wie geplant, keine Dividenden aus­ bezahlt worden wären. 130 Vor allem die Public Choice-Theorie hat aufgezeigt, daß auch politische Systeme als Weiter­ führung des Marktes mit anderen Mitteln gesehen werden können; vgl. Buchanan/Tollison I und II; Buchanan, Politikversagen, 34f. 131 Faktische Einflußmöglichkeiten von MNK auf die Politik von Gastländern könnten die­ sen Punkt zwar relativieren. Dabei gilt es aber zu beachten, daß MNK aufgrund ihrer höheren Mobilität einem ineffizient handelnden Gastland evtl, eher Investitionen vorenthalten werden, als sich um Details der Gastlandpolitik zu kümmern. Für die im Gastland ansäßige Bevölkerung, d.h. die potentiellen MNK-Gläubiger, besteht eine entsprechende Mobilität dagegen nicht in gleichem Ausmaß. 132 Zusätzliche Effizienzargumente zugunsten der Haftungsbeschränkung von Tochtergesell-

3.4.

Kategorien effizienter Ausnahmen zum Prinzip der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften Multinationaler Konzerne

3.4.1. Allgemeines Die Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften hat folglich fundamenta­ le Effizienzplausibilität. Ihr Korrelat ist die Pflicht zur adäquaten Kapitalisierung von Tochterunternehmen. Dadurch wird die haftungsrechtliche Kontrolle der Konzernmütter durch eine organisationsrechtliche Steuerung ersetzt. Dieser Substitu­ tionsmechanismus ist einer Haftpflichtversicherung vergleichbar, weil er mit der ex ante-Zahlung von Prämien anstelle von ex post eingreifenden Haftungssanktio­ nen operiert. Einem Versicherungssystem ähnlich sehen denn auch die Ineffizienz­ potentiale des Instituts der Haftungsbeschränkung aus. Vorerst können Fehler bei der Berechnung der adäquaten Kapitalisierung133 zu (ökonomischer) Über- oder Unterkapitalisierung fuhren134. Zudem bestehen die für Versicherungssysteme ty­ pischen sogenannten adverse selection- und moral hazard-Probieme. Die adverse selection-Problematik reflektiert die Tendenz, bei der Berechnung adäquater Kapitalisierungsstandards stets auf zu geringe Summen zu kommen, weil sich Akteure mit unterdurchschnittlichen Risiken weniger versichern als die­ jenigen mit überdurchschnittlichem Risiko135. 136 Die moral hazard-Probleme136 be­ zeichnen die Gefahren opportunistischen Verhaltens, welche sich dadurch erge­ ben können, daß der MNK seine Gastlandtochter riskanter agieren läßt als ur­ sprünglich (d.h. aufgrund der plazierten Kapitalisierung) vereinbart wurde137. Ähn­ lich einer Haftpflichtversicherung, welche aus diesem Grund z.B. absichtliche De­ likte von der Deckung ausschließen muß, fragt sich deshalb auch für den Bereich der MNK-Haftung, welche Fälle effizienterweise vom Haftungsprivileg ausge­ nommen und durch ein System der Konzernmutterhaftung ersetzt werden sollen. Es leuchtet jedoch sogleich ein, daß solche Ausnahmen die Effizienzeffekte der Haftungsbeschränkung abschwächen. Daraus ergibt sich die Forderung, sie mög­ lichst eng zu fassen, um den Internalisierungseffekt des Haftungsprivilegs für politi­ sche Risiken intakt zu halten. Vor dem Hintergrund dieser Perspektive drängen sich drei Kategorien effizienter Konzernmutterhaftungen auf. schäften, wie sie die ÖAR bisher entwickelt hat (vgl. vome 111.3.3.1.), sind damit natürlich nicht ausgeschlossen. 133 Zu den Schwierigkeiten einer betriebswirtschaftlich fundierten Berechnung adäquater Ei­ genkapitalisierungen; vgl. Hemmerde, Insolvenzrisiko, 277-299; Wüst, Unterkapitalisierung, 818; vgl. auch Dix, Capital, 484-486; Norton, Standards, 1299ff. 134 Die Berechnung adäquater Kapitalisierungen wird zwar z.Teil von Kreditmärkten über­ nommen, erspart aber eine zusätzliche rechtliche Prüfung durch Verwaltungsstellen (z.B. im Ban­ kenbereich; vgl. Lovett, Bank, 1365 ff.) oder durch Gerichte (z.B. im Zusammenhang mit Durchgriffsfragen; vgl. hinten III.3.4.2.) nicht. 135 Halpem/Trebilcock/Tumball, 141-142. 136 Vgl. Polinsky, Introduction, 69-70; Halpem/Trebilcock/Tumball, 140-141. 137 Opportunismusgefahren bestehen somit nicht nur auf Seiten des Gastlandes (vome III.3.3.3.), sondern auch aufseiten des MNK; vgl. Schanze, Investitionsverträge, 43ff, der dafür den Begriff Loyalitätsprobleme benutzt.

3.4.2. Haftung der Konzernmutter als Anteilseignerin Vorerst ist evident, daß das Versicherungssystem der Haftungsbeschränkung nur dann eine Chance hat, effizient zu funktionieren, wenn Tochtergesellschaften adä­ quat kapitalisiert sind und als grundsätzlich unabhängige Einheiten mit eigenen Aktiven und einer nachprüfbaren Rationalität operieren138. Aus diesen Prämissen folgt, daß es effizient ist, eine Konzernmutter haftbar zu machen, falls sie es als Ak­ tionärin versäumte, ihre Tochtergesellschaft so auszugestalten, daß diese systemge­ recht funktionieren konnte. Soweit die Konsequenzen von Systemabweichungen nachträglich isolier- und berechenbar sind (etwa bei Herbeiführung einer Unterka­ pitalisierung kurz vor Konkurs) vermögen evtl, schon beschränkte Sanktionen (z.B. die Rückgängigmachung der entsprechenden Transaktionen mittels paulianischer Anfechtungen139) das Effizienzgleichgewicht wiederherzustellen. In vielen Fällen aber dürften die Folgen der Handlungen oder Unterlassungen der Aktio­ närsmutter nicht mehr rekonstruierbar sein, womit als einzige effiziente Sanktions­ möglichkeit ein Durchgriff verbleibt140. 141 Dies ist im Prinzip unabhängig davon, ob der Konzernmutter eine Absicht nachgewiesen werden kann oder nicht. Ein effi­ zienter Durchgriff sollte mithin objektiv-steuerungstechnisch und nicht subjektiv­ moralisierend konzipiert werden. Das schließt allerdings nicht aus, etwa betrügeri­ sche Motive bei der Inkorporation einer Tochter als Anknüpfungstatbestand für ei­ nen Durchgriff zu wählen, z.B. wenn betrügerische Absichten normalerweise auch objektive Durchgriffsvoraussetzungen mit sich führen und durch Anknüp­ fung an den subjektiven Tatbestand Rechtskosten für den (zusätzlichen) Nachweis von objektiven Tatbestandsmerkmalen gespart werden können. Durchgriffstatbestände bei Gründungsschwindel (incorporation fraud)X4} sind Beispiele hiefür. Damit sind Haftungsinstrumente, die auf die Erhaltung des bestehenden Grund­ kapitals einer Tochtergesellschaft zielen (Rückerstattungspflichten bei Verletzung von Dividendenausschüttungsverboten142, paulianische Anfechtungsklagen) und haftungsrechtliche Instrumente, welche der Sicherung eines möglichst berechen­ baren adäquaten Grundkapitals dienen (z.B. Durchgriffe bei Vermögensvermi­ schung oder Unterkapitalisierung143, Durchgriffe bei Mißachtung von Tochterfor­ malitäten144), grundsätzlich effizient: Sie stellen Maßnahmen gegen die opportuni­ stische Unterwanderung des Haftungsprivilegs durch Konzernmuttergesellschaf­ ten dar145. Falls die Konzernmutter sich als passive Anteilseignerin ohne aktive Ein­ 138 Die Adäquanz, d.h. Effizienz der Eigenkapitalbasis von Unternehmen ist unter anderem eine Funktion ihres Geschäftsvolumens und der Art bzw. des Grades ihrer Geschäftsrisiken. Wo die Geschäftstätigkeit einer Tochter in keiner Weise separat gehalten wird, fehlt es deshalb an jeg­ lichen Grundlagen für die Berechnung einer adäquaten Eigenkapitalbasis. 139 Vgl. dazu das amerikanische Recht, hinten IV.2.4.3.2.a). 140 Vgl. wiederum die Durchgrifslösungen des US-Rechts, hinten IV.2.4.2. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd. 144 Ebd. 145 Posner, Creditors, 520-524; Easterbrook/Fischel, 109-113; Lehmann, Durchgriff, 367.

griffe ins operative Tochtergeschehen gebärdete, liegt in einer Beschränkung auf diese Institute möglicherweise gar ein haftungsrechtliches Optimum. Wo die Kon­ zernmutter dagegen aktiv ins Tochtermanagement eingriff, stellt sich die Situation anders dar.

3.4.3. Haftung der Konzernmutter bei Übernahme von Managementfunktionen ihrer Tochter Probleme bei der Berechnung adäquater Kapitalisierungen und Opportunismus­ gefahren sind auch dafür verantwortlich, daß die Ausübung von Managementfunk­ tionen durch die Konzernmutter effizienterweise aus dem Versicherungsmechanis­ mus der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften herausgelöst wird146. Das Effizienzparadigma der Tochtergesellschaft mit Haftungsbeschränkung basiert auf der Annahme einer adäquat kapitalisierten, unabhängig operierenden Einheit mit eigener Nutzenmaximierungsrationalität. Teil dieser Gleichgewichtsvorstel­ lung ist ein Tochtermanagement, welches qua Haftungsnormen auf die optimale Umsetzung des Tochterinteresses verpflichtet wird. Zum Haftungssubstrat der Tochtergesellschaft gehört damit nicht bloß das von der Konzernmutter als Anteils­ eignerin (Aktionärin) hinterlegte Eigenkapital, sondern auch die haftungsrecht­ lich abgesicherte Aussicht auf Erhaltung und Vermehrung dieses Kapitals durch die Agenten der Tochter147. Wo die Konzernmutter Managementfunktionen der Tochter an sich zog, bestün­ de somit eine Gefahr der Risikoexternalisierung, falls diese Managementaktivitä­ ten nicht ihrerseits mittels Erhöhung der Kapitalisierung der Tochter oder mittels Haftungsrecht kontrolliert würden148. Die Erhöhung der Kapitalisierungserforder­ nisse für Tochtergesellschaften, bei denen die Mutter sich nicht auf ihre Aktionärs­ rolle beschränkte, scheitert aus Effizienzperspektive aber am Rechtskostenargu­ ment. Ein solches Vorgehen müßte konsequenterweise alle, d.h. insbesondere auch absichtliche Schädigungen des Tochterinteresses einfangen149. Es leuchtet aber so­ fort ein, daß dies mit massivsten Opportunismusgefahren (moral hazard) verbunden wäre. Die Berechnung adäquater Kapitalhinterlegungen müßte entsprechend illu­ sorisch werden. Ein am Haftungsmechanismus für Tochtermanager orientiertes Haftungsregime (Geschäftsführer-bzw. Verwaltungsratshaftung) für Muttergesell­ schaften dagegen würde keine vergleichbaren Effizienzprobleme bieten. Es würde zwar in seinem Regelungsbereich den Effizienzeffekt der Haftungsbeschränkung als Instrument zur Internalisierung politischer Risiken aufheben. Falls dies gravie­ rend wäre, stünde es einem MNK aber frei, sich bewußt aus dem Management von Tochtergesellschaften herauszuhalten. Die Gefahren im Zusammenhang mit einer 146 Hofstetter, Europe, 576ff. 147 Hofstetter, Europe, 576. 148 Lehmann, Durchgriff, 366; Eucken, Grundsätze, 281; Hofstetter, Europe, 576. 149 Dies im Gegensatz zu privaten Haftpflichtversicherungen für Manager; Art. 14 Abs. 1 WG; Diezi, Versicherbarkeit, 95-96.

Geschäftsführerhaftung der Mutter ließen sich abgesehen davon auch durch den be­ sonders sorgfältigen Umgang mit der Tochtergesellschaft minimieren. Die Einverleibung der Tochter ins Konzernmanagement kann nun derart voran­ getrieben werden, daß auch das Konzept einer Management- (bzw. Geschäftsfüh­ rer- oder Verwaltungsrats-) Haftung illusorisch wird. Dieses baut auf dem Refe­ renzmodell einer unabhängigen, mit Eigennutzrationalität ausgestatteten Tochter­ gesellschaft auf150. Wo die Sphären von Tochter- und Muttergesellschaft bzw. die zwischen ihnen laufenden Transaktionen nachträglich nicht mehr zu isolieren sind, oder die Tochterrationalität schon a priori auf das Interesse des Gesamtkon­ zerns ausgerichtet wird, kann die Managementhaftung der Konzernmutter somit inoperabel werden. Solche Operationsprobleme reflektieren sich ökonomisch in einer Anschwellung der Rechtskosten, d.h. dem erhöhten Aufwand bei der Hand­ habung des betreffenden Haftungsrechts oder gar dessen Nichtdurchsetzung151. Letzteres muß zunehmend der Fall sein, je intensiver die Verkoppelung von Mut­ ter- und Tochtergesellschaften zu einem Konzern vorangetrieben wird152. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, daß Konzernmütter ihre Transaktionen mit Tochtergesellschaften auch in nachträglichen Haftungsprozessen kostengünstiger isolieren und reproduzieren können als Tochtergläubiger, ergibt sich somit für Fäl­ le intensiver Mutter/Tochterbeziehungen ein Effizienzargument zugunsten von Beweislastumkehren153: Die Leistungsfähigkeit einer Konzerninnenhaftung könn­ te erhöht werden, wenn die Konzernmutter beweisen müßte, daß ihre Übernah­ me von Managementfunktionen die Tochterinteressen nicht schädigend tangierte. Die Übertragung des Beweisrisikos auf die Mutter ließe zwar z.B. den Bereich der Nichtinternalisierung politischer Risiken anwachsen. Das wäre aber dann effi­ zient, wenn die Einbußen einer solchen Aufweichung des Haftungstrennungsprin­ zips geringer zu veranschlagen wären als die Einbußen aufgrund eines inoperablen Haftungsmechanismus für Muttergesellschaften. Dieser Schluß darf zumindest dann gezogen werden, wenn es Konzernmuttergesellschaften freisteht, durch Nichtübernahme von Managementfunktionen der Tochter die Haftungstrennung in ihrem ganzen Umfang zu erhalten. Im übrigen könnte das Beweisrisiko der Mutter auch durch besonders sorgfältige Dokumentation ihrer Managementein­ griffe bei der Tochter minimiert werden. Aus Rechtskostenperspektive sind unter Umständen noch weitere Korrekturen sinnvoll. Beweislastumkehren können ihrerseits Kosten verursachen, indem sie Be­ 150 Vgl. z.B. den entsprechenden Sorgfaltspflichtenkatalog für das schweizerische Recht; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 238ff; vgl. auch Hütte, Sorgfaltspflichten, 23f.; für das USRecht, Clark, Corporate, 253-261. 151 Hofstetter, Europe, 593-594. 152 Hofstetter, Europe, 593—594; vgl. diesbezüglich insbesondere die Erfahrungen des deut­ schen Rechts mit dem faktischen Konzern (hinten IV.2.1.2.4.) und auch die Ausführungen zur französischen Verlustdeckungsklage (hinten IV.2.2.2.1.). 153 Hofstetter, Europe, 595; so auch Lehmann, Durchgriff, 366-369; Posner, Creditors, 523; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 546; vgl. im übrigen die aus dieser Perspektive als effizienzför­ demd einzustufende Entwicklung der Rechtsprechung zum qualifizierten faktischen Konzern in Deutschland (hinten IV.2.1.3.2.).

weisaufwand, Fehlanwendungspotentiale und damit Unsicherheit bewirken. Wo die Konzernintegration von Tochter- und Muttergesellschaften annähernd total ist, ließe sich deshalb aus Effizienzperspektive eine solidarische Haftung von Konzern­ müttern für ihre Töchter begründen154. Dies wiederum jedenfalls dann, wenn einer solchen Einheitshaftung durch die Wahl von stärker dezentralisierten Konzernie­ rungsformen mit abgeschwächter Haftungsverantwortung ausgewichen werden könnte155. Eine Direkthaftung der Konzernmutter gegenüber Tochtergläubigern hätte insbesondere auch den rechtskostenmäßigen Vorteil, daß Ausgleichsansprü­ che nicht indirekt über die Tochtergesellschaft geltend gemacht werden müßten. Aus ÖAR-Perspektive ist damit der Schluß zu ziehen, daß Eingriffe der Kon­ zernmutter ins Tochtermanagement im Prinzip einem haftungsrechtlichen Kon­ trollmechanismus (Konzerninnenhaftung) zu unterstellen sind. Dieser hat idealiter die Verpflichtung jeglichen Managementhandelns der Mutter auf die Optimie­ rung des Tochterinteresses zu garantieren. Realiter vermag er zumindest spezifi­ sche Tochterschädigungen durch Muttereingriffe aufzufangen. Da die intensive konzernmäßige Verflechtung ein solches Haftungsregime aber ad absurdum fuh­ ren kann, erscheinen aus Effizienzperspektive diverse Korrekturmechanismen sinnvoll, z.B. die Umkehr von Beweislasten oder Konzerneinheitshaftungen.

3.4.4. Haftung der Konzernmutter aus (isolierbarem) Drittverhalten gegenüber Tochtergläubigern Das Modell der Tochtergesellschaft mit Haftungsbeschränkung geht davon aus, daß die Gastlandaktivitäten der Konzernmutter über ihre Tochter laufen. Wo dies nicht der Fall ist, weil die Muttergesellschaft selbständig vertragliche oder außerver­ tragliche Tatbestände setzt, wäre eine Berufung auf die Haftungsbeschränkung der Tochter selbstverständlich nicht sinnvoll. Daran ändert nichts, daß das Mutterver­ halten evtl, gegenüber Subjekten erfolgt, welche zugleich (aus anderem Grund) Tochtergläubiger sind. Drittverhalten der Mutter könnte im übrigen auch gar nicht effizient über eine entsprechende ex ante-Kapitalisierung der Tochter erfaßt werden, da solches Verhalten auch Absichtsakte miteinschließt. Das Opportunis­ muspotential (moral hazard) wäre diesfalls nicht kontrollierbar. Sofern eine Konzernmutter ihre Gastlandtätigkeiten auch außerhalb der Toch­ tergesellschaft oder parallel zu ihr gestaltet, spricht aus Effizienzperspektive somit alles dafür, dieses unabhängige Drittverhalten separat zu qualifizieren. Das Einste­ henmüssen der Mutter für direkte vertragliche oder außervertragliche Verpflich­ tungen gegenüber Tochtergläubigern ist deshalb grundsätzlich effizient156. Haftun­ gen aus Patronatserklärungen, culpa in contrahendo (bei Partizipation an den Ver­ 154 Vgl. diesbezüglich das Konstrukt des deutschen Eingliederungskonzerns (hinten IV.2.1.2.2.). 155 Soweit diese Ausweichoption nicht gegeben wäre, müßte die Einheitshaftung aber über­ schießen; vgl. dazu den früheren SE-Entwurf im EU/EG-Recht (hinten IV.2.3.3.); Hofstetter, Europe, 596. 156 Lehmann, Durchgriff, 360.

tragsverhandlungen der Tochter), UWG (bei unlauterem Wettbewerbsverhalten) oder allgemeinem Deliktsrecht (etwa bei direkter Schädigung von Konsumenten oder Arbeitnehmern der Tochter) können zu dieser Kategorie effizienter Konzern­ mutterhaftungen gezählt werden157. Nebst diesen naheliegend erscheinenden Haftungen für unabhängiges Drittver­ halten der MNK-Mutter sind aber noch weitere Fälle eruierbar, für welche eine se­ parate delikts- oder vertragsrechtliche Mutterhaftung Effizienzplausibilität besitzt. Es sind dies diejenigen Tatbestände, bei welchen die Konzernmutter zwar über die Tochtergesellschaft handelt, dabei aber direkt auf die Rechtspositionen spezifi­ scher Tochtergläubiger einwirkt158. Ein konkreter, effizienterweise mit Haftungs­ sanktionen zu versehender Muttereingrif dieser Art kann einmal in der Anstif­ tung der Tochter zu einem Vertragsbruch gesehen werden159. Auch Tatbestände des Erweckens von Konzernvertrauen könnten effizient mit Vertrags- oder delikts­ rechtlichen Haftungsfolgen versehen werden160. Generell werden Einmischungen von Muttergesellschaften in Tochterangele­ genheiten sinnvollerweise dann Vertrags- oder deliktsrechtlich ausdifferenziert, wenn dies rechtstechnisch möglich ist und die normspezifischen Interessen eine Feinsteuerung des entsprechenden Mutterverhaltens für besonders nutzbringend erscheinen lassen. Die Durchbrechung des Haftungsprivilegs rechtfertigt sich mit anderen Worten, wenn der Nutzen einer verhaltens- und gläubigerspezifischen Steuerung höher zu veranschlagen ist als die bewirkte Abschwächung der Effi­ zienzeffekte der Haftungsbeschränkung. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn das Mutterverhalten eng und spezifisch ist und der Konzernmutter die Option be­ lassen wird, einer Haftung dadurch zu entgehen, daß sie sich auf eine passive Aktio­ närsrolle beschränkt. Das projizierte Anwendungsfeld Vertrags- und deliktsrechtlicher (konzernaußenrechtlicher) Institute läßt sich jedoch nicht ein für allemal eingrenzen. Die rele­ vante Kosten-/Nutzenrechnung wird stark von der Ausgestaltung derartiger Haf­ tungsfiguren im Einzelfall abhängen. Zumindest einer zusätzlichen Haftungskon­ struktion kann aber grundsätzlich Effizienzcharakter zugesprochen werden: der deliktischen Mithaftung der Konzernmutter für Ansprüche außervertraglicher Toch­ tergläubiger. In einer haftungsrechtlichen Feinsteuerung des Mutterverhaltens ge­ genüber diesen Gläubigern liegt eine Chance, weil damit einer besonders großen Gefahr von Risikoexternalisierungen entgegengewirkt werden kann. Eine solche Gefahr besteht zwar generell für Deliktsgläubiger juristischer Personen161. Im Falle von Konzerntöchtern wird sie aber erhöht, indem die Konzernmutter mittels op­ 157 Zu diesen konzemaußenrechtlichen Instituten: vgl. das deutsche Recht (hinten IV.2.1.4.), aber auch das US-Recht (IV.2.4.3.3. und 2.4.3.4.) und das französiche Arbeitsrecht (IV.2.2.4.). 158 Diesen Haftungsansatz in den Vordergrund stellend auch Teubner, Konzernhaftung, 274ff. 159 Zu entsprechenden Regeln im US-Recht und im deutschen Recht; vgl. Blumberg III, 300-305; Rehbinder, Konzemaußenrecht, 343 ff. 160 Dazu Rehbinder, Konzemaußenrecht, 321-334. 161 Vome III.3.3.1.

portunistischer Managementeingriffe das Externalisierungspotential über die Ebe­ ne ungenügender Kapitalisierung hinaus verlängern und damit potenziert ausbeu­ ten kann162. Was allgemein zur Anmaßung von Managementfunktionen der Konzernmutter gesagt wurde, gilt deshalb vorerst auch in diesem Zusammenhang: Das Verhalten (und Unterlassen) der Mutter als Geschäftsführerin wird effizienterweise aus dem Bereich der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften herausgelöst. Aller­ dings würde eine bloße Konzerninnenhaftung der Konzernmutter zum Schutz au­ ßervertraglicher Tochtergläubiger als wenig sinnvolle Umwegsteuerung einzustu­ fen sein. Sie vermöchte die spezifischen Schutzinteressen der außervertraglichen Tochtergläubiger nicht zu reflektieren. Bei einem direkten Ausgleichsmechanis­ mus zwischen geschäftsführender Konzernmutter und außervertraglichen Tochter­ gläubigern dagegen bestünden diese Diffusionswirkungen einer Konzerninnenhaf­ tung nicht. Damit ist die Effizienz einer konzemaußenrechtlichen Haftungslösung vorge­ zeichnet, welche es zwar im Falle passiven Aktionärsverhaltens der Konzernmutter bei der bloßen Verpflichtung zu adäquater Kapitalisierung beläßt. Dadurch wird unter anderem eine Gleichbehandlung von Tochtergesellschaften und nicht-konzernierten juristischen Personen ermöglicht. Sobald sich die Mutter in die Ge­ schäftsführungsbelange der Tochter einmischt, müßte aber eine Haftungskontrolle einsetzen, welche auf spezifischen Schutzpflichten gegenüber außervertraglichen Tochtergläubigern baut. Die beiden ersten Kriterien der Effizienztrias Kontrollkosten/Diversifikation/Rechtskosten favorisieren dabei eine differenzierte Haftungs­ figur. Deren Sorgfaltsmaßstab hätte die durch Einmischung der Mutter in Tochter­ angelegenheiten entstandenen Kontrollkostenvorteile fallspezifisch zu reflektie­ ren. Eine Verschuldenshaftung im Sinne des allgemeinen Deliktsrechts, mit den Tatbestandserfordernissen Schaden, Widerrechtlichkeit, Kausalzusammenhang und Verschulden163, wäre aus dieser Perspektive optimal. Rechtskostenüberlegun­ gen sprechen dagegen für Abänderungen dieser haftungsrechtlichen Grundstruk­ tur. Wie im Falle einer Managementhaftung der Mutter164 würde insbesondere der stark integrierte Konzern kaum überbrückbare Schwierigkeiten der nachträgli­ chen Isolation allgemein-deliktsrechtlicher Tatbestandsvoraussetzungen mit sich führen. Beweislastumkehren zu Lasten der Konzernmutter ab einem bestimmten Integrationsgrad könnten damit effizienzfordernd wirken. So dürfte es z.B. sinn­ voll sein, der Mutter die Beweislast einer Nichtverletzung von Sorgfalts- bzw. Schutzpflichten aufzuerlegen, wenn ein bestimmter Konzernierungstatbestand nachgewiesen wäre. Das deutet auf die Effizienz einer deliktischen Geschäftsher­ renhaftung (yicarious liability) von Konzernmüttern hin165. Auch der Beweis des feh­ lenden Kausalzusammenhangs zwischen der Verletzung von Schutzpflichten und 162 Vgl. Stone, Enterprise, 71. 163 von Tuhr/Peter, 406f. 164 Vome III.3.4.3. 165 Zur ökonomischen Analyse dieser Haftungsfigur; vgl. Sykes, Vicarious, 1231 ff., 1280; Sy­ kes, Boundaries, 563ff; vgl. auch Shavell, Accident, 175-176.

der Schädigung von Tochtergläubigern könnte mit derselben Begründung effi­ zient der Muttergesellschaft auferlegt werden. Dabei sollte es der Konzernmutter aber möglich sein, den fehlenden Kausalzusammenhang dadurch nachzuweisen, daß sie z.B. die Verantwortung der politischen Behörden des Gastlands für den Schaden oder für die Illiquidität der Tochter dartut166. Auf diese Weise ließe sich der politische Risikointernalisierungseffekt des Haftungsbeschränkungsinstituts teilweise reaktivieren. Wenn nun überdies die Tatsache berücksichtigt wird, daß außervertragliche Haf­ tungsrisiken (d.h. soweit sie auf fahrlässiges, nicht absichtliches Verhalten zurückzu­ fuhren sind) fast durchwegs drittversichert werden können167, erscheint eine Kon­ zernmutterhaftung gegenüber außervertraglichen Tochtergläubigern zusätzlich ge­ rechtfertigt. Dadurch wird der Entscheid über die Zuordnung von Haftungsbe­ schränkungsrisiken an Konzernmütter oder Tochtergläubiger auf die Frage verla­ gert, welche der Parteien kostengünstiger mit Drittversicherern abschließen kann. Das dürfte meist die Konzernmutter sein, die möglicherweise bloß eine einzige konzerndeckende Haftpflichtpolice (Schirmpolice) auszuhandeln braucht. Die Konzernmutter stellt zudem den effizienteren Versicherungsnehmer dar, weil sie über die zu versichernden Risiken besser informieren kann und dem Drittversiche­ rer eine direktere Kontrolle ermöglicht. Die zersplitterte Gruppe der außervertrag­ lichen Tochtergläubiger dagegen dürfte im allgemeinen weniger kostengünstig zu Versicherungslösungen gelangen168. Solche Tochtergläubiger können evtl, nicht einmal kollektive Versicherungspläne abschließen, es sei denn, es bestünden staatli­ ehe Versicherungssysteme des Gastlands, welche die entsprechenden Risiken (teil­ weise) abdecken. Fallspezifische private Versicherungen wären aus Effizienzper­ spektive solch großflächigen staatlichen Versicherungssystemen aber vorzuziehen. Wenn somit grundsätzlich davon auszugehen ist, daß die außervertraglichen Haftungsrisiken von Konzernen gegenüber Tochtergläubigern versichert werden können und die Konzernmutter die effizientere Versicherungsnehmerin ist, wird 166 Vgl. dazu die Vorwürfe gegen den indischen Staat im Falle Bhopal; vome 1.4.2. 167 Zur Versicherbarkeit von Haftpflichtrisiken und den sich daraus ergebenden Konsequen­ zen für das Haftungsrecht; vgl. Shavell, Accident, 206ff.; Halpem/Trebilcock/Tumball, 138f.; Easterbrook/Fischel, 101 ff.; Polinsky, Introduction, 51 ff, 66ff; Posner, Economic, 186ff. 168 Differenzierend immerhin Shavell, Accident, 214, welcher anfuhrt, außervertragliche Gläubiger (Unfallopfer) seien evtl, dann die kostengünstigeren Versicherungsnehmer, wenn sie sich so oder so gegen die in Frage stehenden Schäden versichern würden (z.B. Lebensversicherun­ gen). Dagegen wäre nicht bloß der Einwand zu erheben, daß eine nahezu lückenlose Versiche­ rung aller potentiellen außervertraglichen Tochtergläubiger kaum besteht, sondern vor allem auch, daß die moral hazard-Probieme, d.h. die Gefahr opportunistischen Mutterverhaltens, bei ei­ nem Versicherungsvertrag zwischen Gläubiger und Versicherungsgesellschaf größer wären, als wenn die Versicherungsgesellschaf mit der Konzernmutter kontrahieren würde. Im letzteren Fall hätte die Versicherungsgesellschaft direktere Kontrollmöglichkeiten über den produzieren­ den Konzern, und die Versicherungsprämien müßten demzufolge tendenziell niedriger ausfal­ len. Anderseits ist naheliegend, von der Konzernmutter keine Versicherung für Schäden zu ver­ langen, welche nicht voraussehbar waren (vgl. dazu Merkisch, Umweltschäden, 226). Eine ent­ sprechende Haftungsgrenze muß im Prinzip aber schon für die Tochtergesellschaft gelten, sodaß sie sich für die (parallel) haftende Mutter gar nicht spezifisch stellt.

mittels Überwälzung von außervertraglichen Haftungsrisiken auf die Konzernmut­ ter ein effizienter Anreiz zum Abschluß konzernweiter Versicherungen gesetzt. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß konkretes Handeln und Unterlassen der Muttergesellschaft, welches Vertrags- oder deliktsrechtlich qualifiziert werden kann, vor allem dann zu effizienten Durchbrechungen des Haftungsprivilegs von Tochtergesellschaften Anlaß gibt, wenn über konzernaußenrechtliche Haftungsan­ sätze spezifische Interessenlagen zwischen Konzernmüttern und Tochtergläubi­ gern feingesteuert werden können. Dabei haben sich insbesondere auch die außer­ vertraglichen Tochtergläubiger als geeignete Zielgruppe einer spezifischen Kon­ zernmutterhaftung entpuppt.

3.5. Sonderkonzernhaftungsrechte für bestimmte Gläubigergruppen Die Herleitung effizienter Durchbrechungen der Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften führte unter anderem zum Postulat der Ausbildung delikts­ rechtlicher Haftungsfiguren zum Schutz außervertraglicher Tochtergläubiger vor spezifischen Risikoexternalisierungen durch den Konzern169. Darin liegt im Kern bereits ein Sonderkonzernhaftungsrecht für außervertragliche Tochtergläubiger. Es stellt sich deshalb weiter die Frage, ob nicht zusätzliche Sonderkonzernhaftungs­ rechte effizient sein könnten. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die In­ teressenlagen sogenannt schwacher Tochtergläubigergruppen zu untersuchen, d.h. von Arbeitnehmern, Konsumenten und anderen Kleingläubigern. Auch sie werden häufig als ineffiziente Träger des Haftungsrisikos von Tochtergesellschaf­ ten bezeichnet170. Arbeitnehmer investieren gewöhnlich alle Arbeitsressourcen einseitig in einen Arbeitgeber171. 172 Sie erscheinen somit aus Diversifikationssicht zur Übernahme von Haftungsbeschränkungsrisiken denkbar ungeeignet. Auch die Funktionstüchtig­ keit des vertraglichen Ausgleichsmechanismus, welcher zur vertraglichen Kompen­ sation von Risikoübernahmen führen müßte, ist im Falle von Arbeitnehmern in Zweifel zu ziehen. Die zum Teil als Machtungleichgewichte apostrophierten Informationsassymetrien172 im Arbeitsverhältnis können sich dahingehend auswirken, daß Arbeitnehmer ihre Verträge nicht effizient auszuhandeln bzw. (vertragliche) Rechte nicht effizient durchzusetzen vermögen. Ihre Situation gleicht damit derje­ nigen außervertraglicher Gläubiger, deren potentielle Diskriminierung letztlich ebenfalls als Problem prohibitiver Vertragskosten erfaßt werden kann173. Ähnliches läßt sich für Konsumenten und andere individuell schwache Gläubiger sagen. 169 Vome 111.3.4.4. 170 Blumberg III, 78ff.; Halpem/Trebilcock/Tumball, 143, 149-150; vgl. auch Roth, Haf­ tung, 376-377; Debus, Konzemrecht, 183; Windbichler, Arbeitsrecht, 29f. 171 Arbeitnehmer weisen damit in der Terminologie Williamsons (Institutions, 52f.) eine be­ sonders hohe asset specificity auf; vgl. auch Halpem/Trebilcock/Tumball, 149; Blumberg III, 80. 172 Williamson, Govemance, 1205, 1208, 1212, 1213; Edelmann, Common, 1-5; vgl. auch Schluep, Überbordungsgefahren, 179—180. 173 Posner, Creditors, 506; Roth, Haftung, 376-377.

Arbeitnehmer, andere Kleingläubiger und vor allem Konsumenten können frei­ lich selbst in einem außervertraglichen Rechtsverhältnis mit Tochtergesellschaften stehen. Die für außervertragliche Gläubiger postulierten Grundsätze der Konzern­ mutterhaftung werden alsdann auch ihre Situation auskorrigieren174. Den Beson­ derheiten von Arbeitnehmern oder Konsumenten könnte überdies durch spezifi­ sche außervertragliche Schutzpflichten Rechnung getragen werden175. Wo Arbeit­ nehmer, Konsumenten oder andere Kleingläubiger als vertragliche Gläubiger ohne parallele außervertragliche Ansprüche betroffen sind, bleibt jedoch die Frage nach ihrer spezifischen Sonderbehandlung. Denkbar wäre z.B. eine per se-Konzernmutterhaftung oder zumindest eine Konzernmutterhaftung unter erleichter­ ten Voraussetzungen. Für Kleingläubiger im allgemeinen ist eine konzernhaftungsrechtliche Privile­ gierung aber nicht nur deshalb abzulehnen, weil dadurch der politische Internali­ sierungseffekt des Haftungsbeschränkungsinstituts uferlos zu verwässern drohte, sondern vor allem auch deshalb, weil diese Gläubigerkategorie schwierig erfaßbar wäre. Welche Kleingläubiger würden effizienterweise durch (zwingendes) Kon­ zernhaftungsrecht geschützt, wo könnten vom Markt optimalere Resultate erwar­ tet werden? Die Rechtskosten (Ungenauigkeitskosten) einer derartigen Lösung würden wohl in keinem Verhältnis zum erzielten Effizienzgewinn stehen, zumal zum Schutze solcher Gläubiger weniger weit gehende Alternativmechanismen zur Verfügung stehen. Zu denken ist etwa an konzernaußenrechtliche Institute (z.B. Qualifikation der Konzernmutter als Vertragspartei bei vertrauenserweckendem Verhalten im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß176) oder an Konkursprivile­ gien. Auch für vertragliche Ansprüche von Konsumenten scheint eine konzernhaf­ tungsrechtliche Sonderlösung aus Effizienzperspektive nicht gerechtfertigt. Für Produkteschäden bietet bereits das außervertragliche Haftpflichtrecht die effizienz­ notwendigen Korrekturmöglichkeiten an177, womit als spezifisch vertragliche For­ derungen im wesentlichen nur noch Schadenersatzansprüche bei Nicht- oder Schlechterfüllung von Verträgen verbleiben. Hiefür werden im allgemeinen aber wiederum alternative Rechtsmechanismen (Konkursprivilegien, Konzernaußen­ recht) bereits ansprechende Korrekturarbeit leisten können. Auch die Förderung von Konsumentenorganisationen könnte als Teilsubstituierung einer haftungs­ rechtlichen Sonderbehandlung gesehen werden. In etwas verschobenem Licht stellt sich die Situation der Arbeitnehmer dar. Zwar sind auch für ihre Lohnansprüche Substitutionsmechanismen denkbar, wel­ che ein unkompensiertes Abwälzen von Haftungsbeschränkungsrisiken ausglei­ chen können. Staatliche Versicherungskassen, die Zulassung und Förderung ge­ werkschaftlicher Lohnverhandlungen (zwecks Ausgleichs der Informationsdefizite 174 175 276. 176 177

Vome 111.3.4.4. Vgl. Hommelhoff, Produktehaftung, 764ff, 770-771; Teubner, Konzemhaftung, 274­ Rehbinder, Konzemaußenrecht, 133ff Vome III.3.4.4.

individueller Arbeitnehmer), Mitbestimmungsmodelle (zwecks Eindämmung von Opportunismusmöglichkeiten des Konzerns) und Konkursprivilegien bieten sich an178. Im konzemaußenrechtlichen Bereich wären weitere Korrekturen denkbar, z.B. die extensive Auslegung des Arbeitgeberbegrifis179. Bei Eingriffen der Mutter­ gesellschaft in die Geschäftsführungsbelange der Tochter könnte zudem eine soli­ darische Mutterhaftung angeordnet werden, wenn Auswirkungen dieser Eingriffe auf den Lohnausfall der betreffenden Arbeitnehmer prima facie nachgewiesen wä­ ren180. Die Anordnung der Aushöhlung eines Tochterunternehmens durch die Mutter mit anschließender Konkursanmeldung (cash cow-Techniken, vgl. den Fall Badger)181 würde dann ohne weiteres zur Mithaftung der Mutter gegenüber den Tochterarbeitnehmern fuhren, ohne daß die Arbeitnehmer über (ihrerseits rechts­ kostenintensive) Konzerninnenhaftungen gegen die geschäftsführende Mutter vor­ gehen müßten182. Die negative Auswirkung solcher Lösungen auf die politische Risikointernalisierung könnte wiederum dadurch in Schranken gehalten werden, daß ihre Verfügbarkeit von Geschäftsführungseingriffen der Mutter abhängen und damit im Dispositionsbereich der Konzernmuttergesellschaft liegen würde.

3.6. Materiellrechtliche Gleichbehandlung von Multinationalen Konzernen und rein nationalen Konzerngebilden Die prinzipielle Effizienz der Haftungsbeschränkung von MNK-Tochtergesell­ schaften wurde primär (wiewohl nicht ausschließlich) darin gesehen, daß sie einen Mechanismus zur Internalisierung politischer Risiken in Gastländern darstellt183. Zugleich wurde aufgezeigt, daß dieses Konzept kein dogmatisches Festhalten am Haftungsprivileg für MNK-Töchter verlangt, sondern im Gegenteil nach gewich­ tigen Ausnahmekategorien ruft184. Im Hinblick auf die Normierung materiell­ rechtlicher Konzernhaftungsfragen stellt sich nun aber noch die Frage einer Gleich­ behandlung von MNK und nationalen Konzernen. Die Antwort hängt in erster Li­ nie davon ab, ob das Institut der Haftungsbeschränkung für Tochtergesellschaften

178 Vgl. auch den Vredeling-Vorschlag der EG, welcher unter anderem darauf abzielte, Arbeit­ nehmern von Tochtergesellschaften spezifische Informationsansprüche gegenüber Muttergesellschäften einzuräumen; Hofstetter, Betriebsschließungen, 25-26; vgl. auch Blanpain, Vredeling, 21 ff. In solchen Informationsrechten, z.B. im Zusammenhang mit Betriebsschließungen bei der Tochter, kann ebenfalls eine Teilsubstitution von Haftungsmechanismen erblickt werden. In den Fällen Badger (vome 1.4.6.) und Firestone (vome 1.4.7.) hätte eine rechtzeitige Information der Arbeitnehmer die Haftungsfrage evtl, gar nicht entstehen lassen. 179 Vgl. Windbichler, Arbeitsrecht, 118ff. 180 Vgl. den diesbezüglich noch weitergehenden Ansatz der solidarischen Mutterhaftung im brasilianischen Recht; hinten IV.2.11. 181 Vome 1.4.6. 182 Vgl. diesbezüglich insbesondere die vielversprechenden Ansätze im französischen Arbeits­ recht (hinten IV.2.2.4.) und die assumption of duty-Figur des US-Rechts (hinten IV.2.4.3.3.). 183 Vome III.3.3.3. 184 Vome III.3.4.

auch im Fall rein nationaler Konzerngebilde als effizienter Mechanismus zur Inter­ nalisierung politischer Risiken taugt. Dies ist im Prinzip zu bejahen. Obwohl nationale Konzerne in einem weiteren Sinn als Angehörige des politischen Systems ihres Landes angesehen werden kön­ nen, ist auch für sie das Konzept eines Investitionsvertrags zwischen der Konzern­ mutter und ihrer politischen Umwelt angebracht. Dies insbesondere in einer Welt­ wirtschaft mit zunehmend liberalisierten Kapital- und Technologiemärkten, in de­ nen die Gründung einer Tochtergesellschaft im Mutterland immer in den Kontext des Investitionswettbewerbs mit anderen Ländern zu stellen ist185. Politische Risi­ ken existieren auch im Mutterland. Ihre effizientesten Träger sind aber wiederum die verantwortlichen staatlichen Instanzen und die betroffenen politischen Institu­ tionen, keinesfalls jedoch der investierende Konzern allein. Sofern ein Land für na­ tionale Konzerne die Organisationsform der Tochtergesellschaft mit Haftungsbe­ schränkung nicht zulassen würde, müßte deshalb mit einem übermäßigen Abfluß von Investitionskapital ins Ausland gerechnet werden. Daraus wiederum folgt, daß die Analysen, welche die Ausbildung effizienter Ausnahmen zum Haftungsprivi­ leg von MNK-Tochtergesellschaften suggerieren186, für nationale Konzernstruktu­ ren zu analogen Resultaten führen. Unterschiede zwischen MNK und nationalen Konzernen, welche insbesondere in der Verankerung Multinationaler Konzerne in verschiedenen Rechtsordnungen liegen, lassen sich über das internationale Pri­ vat- und Prozeßrecht auffangen187. Wo dies nicht ausreicht (z.B. weil Multinationa­ le Unternehmen dank ihrer internationalen Flexibilität dem Rechtsapparat des Gastlandes auszuweichen vermögen), stehen diverse verwaltungsrechtliche Maß­ nahmen zur Verfügung, mit welchen sich das Gastland absichern kann (z.B. Bewil­ ligungsverfahren für MNK-Investitionen, Transferpreiskontrollen usw.)188. Grund­ legende haftungsrechtliche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Unterschieden somit nicht. Für eine Gleichbehandlung von Tochtergesellschaften inländischer und ausländischer Mütter spricht endlich auch das Rechtskostenargument, indem dadurch schwierige Abgrenzungen und kostspielige Gesetzesumgehungen erspart werden können.

3.7.

Effiziente Kollisions- und Prozeßrechtsregeln im Bereich der Haftung Multinationaler Konzerne

3.7.1. Allgemeines

Auch kollisions- und prozeßrechtliche Fragen können in das auf Effizienz ausge­ richtete MNK-Haftungsmodell integriert werden189. Die vier fundamentalen Ver­ 185 Vgl. vome 11.4.2.2. und 4.3.3. 186 Vome III.3.4. 187 Hinten III.3.7. 188 Zum gängigen Instrumentarium, vor allem in Entwicklungsländern; vgl. Nair, Role, 519ff.; Aranovich/Hewko, 379f. 189 Zu Versuchen, Kollisionsrechtsprobleme im Rahmen ökonomischer Modellvorstellun­

tragsebenen (Verträge zwischen MNK und Mutterland, MNK und Gastland, MNK und Gastlandgläubigern sowie Mutterland und Gastland) müssen im Prin­ zip genauso auf eine effiziente Lösung der IPR- und IZPR-Fragen des Haftungs­ rechts Multinationaler Konzerne hinwirken, wie sie ein effizientes materielles Konzernhaftungsrecht programmieren190. Internationale Kollisions- und Prozeßrechtsregeln allozieren Rechtsetzungsund Rechtsprechungsaufgaben, welche ihrerseits Administrativaufwand und Risi­ ken verursachen. Eine Minimierung dieser Transaktionskosten liegt im Interesse al­ ler Betroffenen. Somit kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß der Wettbewerb von Mutter- und Gastländern um Investitionen, die Konkurrenz zwi­ schen Multinationalen Unternehmen um attraktive Investitionsstandorte sowie das Streben von Gastlandgläubigern nach rechtlich abgestützter Investitionssicher­ heit einen effizienten Mix aus Kollisions- und Prozeßrechtsregeln hervorbringt, welcher die Bedürfnisse der Beteiligten langfristig optimiert191. Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsfunktionen im Zusammenhang mit MNK-Haftungsfragen werden primär zwischen Gast- und Mutterland verteilt. Auch Drittländer können in Betracht kommen. Selbst die Möglichkeit des Bei­ zugs privater Rechtsorgane (Schiedsgerichte) besteht. Die Zuteilung von Recht­ setzungs- und Rechtsprechungsaufgaben an Mutter- und Gastländer (sowie evtl, an Drittländer) sollte aus Effizienzperspektive in erster Linie von den relativen Ko­ sten abhängig gemacht werden, mit welchen die betroffenen Länder bezüglich der Kontrolle von MNK-Gastlandinvestitionen konfrontiert sind. Ein gewisses Gegen­ gewicht wird anderseits das (effiziente) Streben nach Risikominimierung darstel­ len, das bei denjenigen Beteiligten auftauchen muß, welche die betreffenden Funk­ tionen nicht zugewiesen erhalten. Die damit zusammenhängende Notwendigkeit einer Diversifikation mittels Institutionalisierung konkurrierender oder komple­ mentärer Rechtskompetenzen (checks and balances) macht deshalb eine gewisse Zer­ splitterung der Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsaufgaben im MNK-Haftungsbereich erforderlich.

3.7.2. Effizientes internationales Privatrecht im Konzernhaftungsbereich Aus dem Gesagten ergeben sich ökonomisch-normative Leitlinien eines effi­ zienten Konzernhaftungs-IPR. Zielgröße ist die maximale Reduktion von Trans­ aktionskosten, d.h. die Minimierung direkter Rechtsetzungskosten sowie die opti­ male Kontrolle der damit verbundenen Risiken. Es geht mit anderen Worten um die Ausformulierung komparativer Rechtsetzungsvorteile192 von Mutter- bzw. gen zu lösen; vgl. Siehr, Analyse, 269ff.; Posner, Economic, 553-554. Zu entsprechenden Versu­ chen im Prozeßrecht; vgl. Posner, Economic, 517-518; Adams, Zivilprozeß, passim; Note, Bho­ pal, 215ff.; Siehr, Analyse, 287ff. 190 Vome III.2.1. 191 Zur Funktionalisierung der Konkurrenz von Rechtsordnungen im Hinblick auf internatio­ nale Effizienzziele im Bereich des IPR; vgl. Siehr, Analyse, 272-274. 192 Posner, Economic, 554.

Gastländern im Zusammenhang mit der haftungsmäßigen Regulierung von MNK-Gastlandinvestitionen. Dabei lassen sich zwei Gruppen von Kriterien unter­ scheiden: Auf der einen Seite sind die dynamischen Faktoren zu plazieren. Zu ihnen zählt das allgemeine juristische Know-how der betreffenden Länder sowie die Schnellig­ keit, Flexibilität und Kompetenz ihres Rechtsetzungsapparates, möglichst nahe beim haftungsrechtlichen Effizienzoptimum zu legiferieren. Ebenso zu berücksich­ tigen ist die Fähigkeit, den gesamten administrativen Kostenaufwand für den Rechtsetzungsprozeß möglichst niedrig zu halten. Diese dynamischen Kostenfak­ toren lassen keine allgemeingültige Favorisierung von Mutter- oder Gastländern im Hinblick auf die in Frage stehende Rechtsetzungsaufgabe zu. Sie sprechen im Gegenteil für eine Flexibilisierung der Kollisionsregeln von Land zu Land und von Situation zu Situation193. Die statischen Kostenfaktoren dagegen verleihen dem Gastland einen komparati­ ven Rechtsetzungsvorteil. Dies vorerst deshalb, weil die haftungsrechtlich zu erfas­ senden Sachverhalte sich schwergewichtig im Hoheitsbereich des Gastlandes ab­ spielen. Die Kosten tatbeständlicher Abklärungen und der Koordination mit ver­ wandten Rechtsbereichen (das Gastland wird im allgemeinen nicht nur das Haf­ tungsrecht, sondern auch dessen Substitute und Komplementärbereiche regeln)194 dürften für das Gastland tendenziell am niedrigsten sein. Dieser Vorteil wird noch verstärkt, wenn man das in Rechtsetzungsaufgaben steckende Opportunismuspo­ tential in Betracht zieht. Angenommen, das Mutterland hätte die Kompetenz zur Haftungsrechtsetzung für alle MNK-Aktivitäten im Gastland, dann bestünde die Gefahr, daß das Mutterland dieses Recht opportunistisch zu Ungunsten der Gast­ landinteressen weiterentwickeln würde. Darin läge aus der Sicht des Gastlandes und der Gastlandgläubiger ein politisches Risiko, welchem keine direkten Kontroll- bzw. Internalisierungsmechanismen gegenüberstünden (außer natürlich die bewußte Mißachtung des Mutterlandrechts durch Gastlandgerichte über eine ordre public-Konstruktion)195. Umgekehrt erlaubt die Zusammenfassung der MNK-Gastlandaktivitäten in ei­ ner Tochtergesellschaft die beschränkte Allokation von Rechtsetzungskompeten­ zen ans Gastland, indem grundsätzlich das Mutterland für die Muttergesellschaft zuständig bleibt und das Gastland die Tochtergesellschaft regelt. Dadurch werden die politischen Risiken im Zusammenhang mit der Haftungsrechtsetzung bereits a priori diversifiziert. Der davon zu erwartende Effizienzgewinn wird noch gestei­ gert, wenn die Tochtergesellschaft mit Haftungsbeschränkung ausgestattet wird. Damit kann, wie dargetan196, das politische Risiko opportunistischen Handelns des Gastlandes teilweise internalisiert werden. 193 Aufgrund von Imperfektionen der einschlägigen Märkte folgt daraus aber noch keines­ wegs, daß die Zulassung privater Rechtswähl eine situationsangepaßte Kompetenzallokation ver­ bürgen würde; vgl. Siehr, Analyse, 280f. 194 Vgl. Hadari, Choice, Iff. 195 Vischer/von Planta, 20f. 196 Vorne 111.3.3.3.

Die prinzipielle Effizienz von Kollisionsnormen, welche dem Gastland die Rechtsetzungskompetenz bezüglich der Haftung von MNK-Tochtergesellschaften zuweisen, ist dadurch plausibel geworden. Die Effizienz der Anwendung von Gastlandrecht auf Fragen der Konzernmutterhaftung bedarf aber einer zusätzli­ chen Begründung, da sie ja gerade das als effizient eingestufte kollisionsrechtliche Trennungsschema Tochter/ Gastlandrecht — Mutter/Mutterlandrecht zu durchbre­ chen scheint. Zwar ist richtig, daß mit einer Ausdehnung der Rechtsetzungshoheit des Gast­ landes auf den Bereich der MNK-Mutterhaftung die politischen Risiken Multina­ tionaler Konzerne im Gastland steigen. Davon ausgehend, daß das Gastland mate­ riellrechtlich nur die als effizient beschriebenen Ausnahmekategorien der Kon­ zernmutterhaftung anerkennt (bei einer Ausweitung dieser Kategorien unter An­ wendung von Gastlandrecht könnte das Mutterland den ordre public-Vorbehalt an­ rufen und eine allfällige Urteilsvollstreckung im Mutterland verweigern197), ste­ hen diesem Negativfaktor aber überwiegende Effizienzvorteile gegenüber: Erstens bestehen für die Regelung der Ausnahmetatbestände tendenziell stati­ sche Kostenvorteile des Gastlandes, indem die zu beurteilenden Sachverhalte sich schwergewichtig im Gastland abspielen oder doch zumindest auswirken. Zweitens hätte es der MNK in der Hand, sich bei hohen politischen Risiken auf eine reine Holdingfunktion zu beschränken und die Tochtergesellschaft relativ risi­ kolos im Stile eines passiven Aktionärs zu fuhren. Drittens würden im umgekehrten Fall einer Zuweisung der betreffenden Rechtsetzungskompetenzen an das Mutterland die politischen Risiken der Gast­ landgläubiger steigen. Theoretisch würde dadurch ermöglicht, daß das Mutter­ landrecht (opportunistisch) auf die Haftungsbeschränkung der Gastlandtochter ver­ wiese, auch wenn diese z.B. völlig inadäquat kapitalisiert war oder nachträglich aus­ gehöhlt wurde. In gleicher Weise könnte das Mutterlandrecht unberücksichtigt las­ sen, daß die Muttergesellschaft eigenständig ins Gastlandgeschehen eingriff. Die­ ser Opportunismusgefahr vermag das Gastland weniger entgegenzusetzen als um­ gekehrt das Mutterland einer allfälligen opportunistischen Rechtsetzung des Gast­ landes. Denn das Mutterland wird gewöhnlich nicht auf die Durchsetzung seines Rechts im Gastland angewiesen sein, während Gastlandgläubiger zur Vollstrekkung der auf Gastlandrecht basierenden Konzernmutterhaftungen evtl, die Mithil­ fe des Mutterlandes benötigen. Die potentiellen Konflikte bei der Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Haftungsrechts Multinationaler Konzerne ließen sich dadurch ein­ dämmen, daß völkerrechtliche Kollisionsrechts- oder sogar Konzernhaftungsüber­ einkommen abgeschlossen würden198. Das dürfte aber deshalb schwierig sein, weil sich konkrete Haftungsrechtsoptima nur aus dem Zusammenhang eines Rechtssy­ stems herleiten lassen, wobei Haftungsrechtssubstitute und komplementäre Kon­ 197 Vgl. dazu die Nichtanerkennung der Deltec-Entscheidung durch ein US-Gericht; vorne 1.4.5. 198 Siehr, Analyse, 274ff., 278ff.

trollstrukturen mitberücksichtigt werden müssen199. Dieser Kontext wird aber in verschiedenen Ländern verschieden sein. Immerhin dürfte die Ausarbeitung sehr allgemeiner Minimalstandards zur MNK-Mutterhaftung, wie sie sich im Zusam­ menhang mit den OECD-Richtlinien bereits angebahnt haben200, Effizienzpoten­ tial besitzen. Dies vorerst deshalb, weil solche Richtlinien die Kosten einer langwie­ rigen und teuren Entwicklung separater nationaler MNK-Haftungsrechte senken können201. Der Effizienzgewinn aufgrund internationaler (Minimal-) Standards müßte zudem beträchtlich sein, wenn dadurch ein ineffizienter haftungsrechtli­ cher Deregulierungswettbewerb (race for the bottom) unter Gastländern vermieden würde202.

3.7.3. Effizientes internationales Zivilprozeßrecht im Konzernhaftungsbereich

Auch für das IZPR läßt sich eine effiziente Verteilung der Rechtsprechungs­ funktionen konzipieren. Kriterium müssen dabei die komparativen Rechtspre­ chungsvorteile sein, welche wiederum in dynamische und statische Faktoren aufge­ teilt werden können. In die Kategorie der dynamischen Faktoren fällt die allgemei­ ne Kompetenz des Rechtsprechungsapparates eines Hoheitsgebiets, d.h. seine Fä­ higkeit, Rechtsnormen schnell, kostengünstig und möglichst fehlerlos durchzuset­ zen203. Die dynamischen Faktoren lassen keine generalisierenden Aussagen über komparative Rechtsprechungsvorteile von Mutter- und Gastländern zu. Die stati­ schen Faktoren hingegen favorisieren wiederum das Gastland. Weil die haftungs­ rechtlich zu beurteilenden MNK-Aktivitäten schwergewichtig im Gastland lokali­ siert sind, spricht die Nähe und Vertrautheit der Gastlandgerichte mit dem Gast­ landterritorium für ihre Wahl204. Auch die Tatsache der (vermutlichen) Anwen­ dung von Gastlandrecht spricht für den Einsatz von Gastlandgerichten205. Das im Zusammenhang mit dem IPR entwickelte Argument der politischen Ri­ sikodiversifikation ist ebenfalls analog auf die Allokation von Rechtsprechungs­ kompetenzen übertragbar206. In der den Gastlandgerichten zugewiesenen Kompe­ tenz zur Beurteilung von Fragen der Haftung von Gastlandtöchtern liegt eine Di­ versifikation politischer Risiken, welche gegenüber einer einseitigen Zuweisung aller Rechtsprechungskompetenzen an Mutterlandgerichte als überlegen anzuse­ hen ist.

199 Vgl. vome III.3.4. 200 Vome 1.4.6. und II.4.2.2. 201 Zu entsprechenden, aus dieser Perspektive nicht erstaunlichen Konvergenzbewegungen in nationalen IPR-Gesetzen; vgl. Siehr, Rechtsangleichung, 216f. 202 Siehr, Analyse, 272-274. 203 Posner, Economic, 517; vgl. auch Baudenbacher, Rechtsverwirklichung, 28f. 204 Siehr, Analyse, 290-291. 205 Effizienz der Kongruenz von forurn und ius; vgl. Siehr, Analyse, 288; vgl. auch Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 95 ff. 206 Vome III.3.7.2.

Die Gerichte des Gastlandes sind folglich aus analogen Erwägungen, welche dem Gastland bereits die Rechtsetzungshoheit zuordnen207, zur Beurteilung effi­ zienter Mutterhaftungstatbestände am besten geeignet. Hinzu kommt, daß den MNK-Muttergesellschaften eine Verteidigung vor Gastlandgerichten im Prinzip kostengünstiger möglich sein dürfte als einem Gastlandgläubiger der Gang vor ein Mutterlandgericht208. Dies unter anderem deshalb, weil der MNK dabei auf das Erfahrungs- und Ressourcenpotential seiner Tochter greifen kann209. Zudem dürf­ ten Klagen gegen Konzernmuttergesellschaften nicht selten mit Klagen gegen Tochtergesellschaften Zusammenhängen210, womit ein weiteres Effizienzargument für die Zusammenlegung dieser Prozesse vor Gastlandgerichten spricht. Die mit der Übertragung von Rechtsetzungs- und Rechtsprechungsfunktionen an Gastlandgerichte verbundenen Opportunismusgefahren können evtl, effizient über prozeßrechtliche Gegenmechanismen des Mutterlandes unter Kontrolle ge­ halten werden. Dem Mutterland stehen hiefür insbesondere die Verweigerung der Rechtshilfe und der Vollstreckung von Haftungsurteilen der Gastlandgerichte zur Verfügung. Auch konkurrierende Zuständigkeiten können zum Arsenal dieser Kontrollinstrumente gezählt werden. Das internationale Effizienzoptimum wird aber durch den Einsatz von Gegenmaßnahmen des Mutterlandes verfehlt, wenn diese überschießen oder aus taktischer Rationalität überproportional eingesetzt werden211. Zur Verhinderung solch suboptimaler Reibungsverluste im Prozeß­ rechtsbereich bietet sich wiederum das Völkerrecht an212. Ihm dürfte besonderes Effizienzpotential zukommen, weil eine Vereinheitlichung prozessualer Rechts­ normen aufgrund ihrer relativen technischen Unabhängigkeit von anderen Rechtsgebieten praktisch besonders aussichtsreich erscheint.

4. Relativierung des Effizienzkonzepts für das Haftungsrecht Multinationaler Konzerne 4.1. Allgemeines Die bisherigen theoretischen Untersuchungen zum Haftungsrecht Multinatio­ naler Konzerne bauten konsequent auf ökonomischen Modellbedingungen, d.h. im speziellen derjenigen der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) auf. Eine unkritische Übernahme der dabei erzielten Resultate müßte aber zumindest dort zu inadäquaten rechtlichen Schlußfolgerungen fuhren, wo die Prämissen ökono­ mischer und juristischer Diskurse entscheidend auseinanderliegen. Es ist deshalb erforderlich, die Axiome des Effizenzkonzepts der ÖAR kritisch offenzulegen, 207 208 209 210 211 212

Ebd. Siehr, Analyse, 288. Blumberg I, 98-99. Vgl. vome die Fälle Amoco Cadiz (I.4.3.), Seveso (1.4.4.) oder Deltec (1.4.5.). Siehr, Analyse, 291-293. Ebd., 290; vgl. dazu die Auflistung bei Schack, Zivilverfahrensrecht, 19f.

um daraus Rückschlüsse für die rechtliche Verwertbarkeit des erarbeiteten MNKHaftungsmodells ziehen zu können.

4.2. Modellbedingungen der Ökonomischen Analyse des Rechts Das Effizienzkonzept der ÖAR basiert auf der Annahme, daß eine empirisch in­ dizierte Realität (Positivität) aus sich selbst heraus unzweideutige normative Schlußfolgerungen erlaubt213. Eine wertungsneutrale Deduktion vom Sein auf das Sollen ist aber nicht möglich (Hume's Law)214. Arrow hat denn auch aufgezeigt, daß schon unter relativ einfachen ökonomischen Randbedingungen nicht rein for­ mal auf ein gesellschaftliches Gesamtwohloptimum geschlossen werden kann215. Selbst der im wesentlichen prozedurale Ansatz der ÖAR kommt somit nicht ohne inhaltliche Wertungen aus216. Bereits das weiter vorne beschriebene Grundkonzept der ÖAR hat einige ihrer Wertungsprämissen aufgedeckt217. Die ÖAR geht z.B. stets von vorgegebenen rechtlichen Zuständen aus, welche nur selektiv problematisiert werden können. In der Reproduktion gegebener Zustände liegt aber immer auch eine Anerkennung der damit verbundenen, meist unterschiedlichen Ausgangschancen der Marktteil­ nehmer218. Die Verteilung der Ausgangschancen präjudiziert ihrerseits die Vertei­ lung des Endprodukts. Die angestrebte Ausblendung der Verteilungsproblematik stellt mithin eine Perspektivenbegrenzung der ÖAR dar219, welche das Rechtssy­ stem natürlich nicht tale quäle übernehmen kann220. Falls die ÖAR dagegen den Status quo global thematisieren wollte, müßte sie hy­ pothetische Vertragskonstruktionen bis zurück zum menschlichen Gesellschafts­ vertrag vornehmen. Die meist prohibitive Komplexität dieses Unterfangens leuch­ tet ein. Eine ökonomische Rechtsanalyse würde im übrigen selbst bei solch ambi­ tionierter Vorgehensweise nicht ohne Modellhypothesen auskommen. Es müßte diesfalls beispielsweise darüber spekuliert werden, ob die menschliche Gesellschaft 213 Vgl. vome III.2.1., 2.2. und 3.1. 214 Sen, Choice, 35f. 215 Arrow, Choice, 46f. und passim; Sen, Choice, 61 ff., 187ff; Schäfer/Ott, 37-39. 216 Zu prominenten prozeduralen Sozialtheorien, welche letztlich allesamt nicht ganz ohne Rückgriffe auf inhaltliche Vorgaben auskommen; vgl. von Hayek, Entdeckungsverfahren, 249ff; Habermas, Theorie, passim; Rawls, Theory, passim; Posner,Justice, 88ff; Luhmann, Le­ gitimation, passim; vgl. zudem Teubner, Episteme, 119ff. 217 Vgl. vome III.3.1. 218 Rose-Ackerman, Paradigm, 234. 219 Posner, Economic, 13, 431 ff; Polinsky, Introduction, 7ff; Schäfer/Ott, 5-7; sehr deut­ lich relativiert deshalb neuerdings Calabresi, Pointlessness, 121 Iff, 1227ff, die ÖAR. Diese ver­ mag aber immerhin die Ineffizienz bestimmter Umverteilungsmaßnahmen über Privatrecht auf­ zudecken; vgl. Polinsky, Introduction, 105f.; Coase, Law, 170f., 179ff; Posner, Economic, 26; v. Weizsäcker, Property, 139ff. 220 Vgl. insbesondere Okun, Equality, 6ffi, und passim; soweit allerdings eine in Frage stehen­ de Rechtsregel, wie das Haftungsrecht, ein ineffizientes Umverteilungsinstrument darstellt, kann bei seiner Beurteilung (aus ökonomischer Perspektive) der Verteilungsaspekt evtl, vernachlässigt werden; vgl. Schäfer/Ott, 6-7, 29; Polinsky, Introduction, 105 ff.

sich im Gründungsstadium in erster Linie für die Minimierung des Loses Unglück­ licher (John Rawls) oder die Maximierung des sozialen Gesamtreichtums (Ri­ chard Posner) entschieden hätte221. 222 Das Problem offenbart die von Calabresi zu Recht ins Feld geführte Unausweichlichkeit der Verteilungsfrage122. Eine weitere Modellhypothese der ÖAR besteht darin, im Referenzzustand transaktionskostenlosen Wirtschaftens vertragliche Lösungen für alle Fragen vor­ auszusetzen. Vertragsverhinderndes strategisches Verhalten wird dabei ausgeschlos­ sen223. Überdies geht diese Modellannahme davon aus, daß individuelle Präferen­ zen intersubjektiv verhandel- und quantifizierbar sind224. Anders wäre ein Ver­ gleich aller gesellschaftlichen Werte nicht mehr möglich, und ihr sozialer Nutzen könnte nicht in kardinalen Zahlen (Geld) ausgedrückt werden225. Die ÖAR setzt zwar keine idealen Marktbedingungen im realen Wirtschaftsle­ ben voraus. Ideale Marktbedingungen werden hingegen für das transaktionskosten­ lose Referenzmodell angenommen, wo über hypothetischen Wettbewerb vertrag­ lich zustandegekommene Effizienzzustände konstruiert werden226. Die Resultate des praktischen Wirtschaftslebens können so dem theoretischen Referenz-Gleich­ gewicht gegenübergestellt und z.B. mittels rechtlicher Maßnahmen in dessen Richtung zu steuern versucht werden. Dies setzt allerdings die Fähigkeit voraus, den hypothetischen Markt gedanklich vorzuvollziehen. Daß dies strenggenom­ men eine Illusion bleiben muß, hat insbesondere von Hayek aufgezeigt227. 228 Prak­ tisch vertraut die ÖAR deshalb auf der annähernden Funktionstüchtigkeit realer Märkte (zumindest im langfristigen historischen Ablauf)228 und zählt sie mit zu ih­ rem Referenzzustand. Dabei besteht allerdings die Gefahr einer Glorifizierung des Status quo und zusätzlich die Versuchung, existierende Wettbewerbsbedingungen, z.B. im Arbeitsmarkt229, nicht genügend zu hinterfragen. Dieser Gefahr scheinen insbesondere die amerikanische law and economics-Schule und einige ihrer Hauptre­ präsentanten (z.B. Posner, Easterbrook/Fischel230) teilweise zu erliegen.

221 Vgl. Rawls, Theory, passim; Posner, Justice, 99ff. 222 Calabresi, Pointlessness, 1227ff. 223 Schäfer/Ott, 70; Coase, Law, 159-163; vgl. auch Cooter, Cost, Iff; mit strategischen Ver­ haltensvarianten und den sich daraus ergebenden Gleichgewichtsmöglichkeiten befaßt sich dage­ gen die Spieltheorie; sie weist insofern differenzierend über die ÖAR hinaus: vgl. Ayres, Games, 1291 ff. 224 Posner, Justice, 79; Schäfer/Ott, 36; vgl. die diesbezügliche Kritik an der Transaktionsko­ stenökonomie bei Buchanan, Rights, 10ff; vgl. auch Sen, Choice, 92ff; Arrow, Choice, 9ff. 225 Schäfer/Ott, 36; Polinsky, Introduction, 10. 226 Coase, Law, 30-31, 174ff. 227 Vgl. von Hayek, Recht, Bd. 1, 50ff, 72f., Bd. 2, 34ff; Bd. 3, 97 ff. 228 Posner, Justice, 103ff, unterstellt z.B. die Effizienz der Ergebnisse des Common Law. 229 Vgl. Symposium-Chicago, 947ff, 988ff. 230 Posner, Economic, 306, 369ff; Easterbrook/Fischel, Corporate, Chapter I; vgl. auch Alchian/Demsetz, 777f; Cheung, Nature, Iff; Fama/Jensen, 301 ff; Jensen/Meckling, 305ff; Bebchuk, Freedom, 820ff; Procaccia, Code, 169ff; Behrens, Grundlagen, 309ff.

Die Hypothese rational-egoistisch handelnder Menschen (RENf31) stellt ein weiteres zentrales ÖAR-Axiom dar. Dieser methodologische Individualismus231 232 unterstellt, daß Individuen durchwegs, d.h. auch bei Einbindung in Kollektive233, konsequent ihr Eigeninteresse verfolgen234. Handeln im Fremdinteresse gibt es bloß, soweit für die Handelnden der Grenznutzen höher ist als die Grenzkosten. Die Verpflichtung des homo oeconomicus auf Kollektivinteressen kann demzufolge nur über direkten oder indirekten Zwang erreicht werden. Markt und Recht sind die beiden Hauptmechanismen, welche das diesbezügliche Individualverhalten steuern sollen235. 236 Der für ein Unternehmen handelnde Agent236 verhält sich demzu­ folge durchwegs rational-egoistisch und opportunistisch. Nur wo ihm z.B. Über­ nahmemärkte, Arbeitsmärkte oder das Haftpflichtrecht Sanktionen androhen, de­ ren mutmaßliche Individualkosten den mutmaßlichen Individualnutzen abwei­ chenden Normverhaltens übersteigen, wird angenommen, daß er den Unterneh­ mensnutzen in den Vordergrund stellt237. Mögliche Rationalitäts- bzw. Präferen­ zenwechsel von Individuen bei deren Einbindung in Unternehmen werden ver­ nachlässigt. Schon auf der Ebene gesamtwirtschaftlicher Wohlstandsmaximierung besteht deshalb die Gefahr, daß die REM-Hypothese auf suboptimale Fährten lenkt, in­ dem z.B. hochentwickelte und kostspielige Übernahmemärkte238 oder Haftungssy­ steme zur Kontrolle von Unternehmensagenten gefordert werden239, weil das REM-Axiom echte Identifikation mit dem Unternehmensinteresse nicht aner­ kennt240. Der Grenznutzen des Ausbaus marktlicher oder rechtlicher Kontrollme­ 231 Rational-egoistischer Mensch; er wird auch REMM genannt (resourceful, evaluative, maximizing man); vgl. Fezer, Rechtskritik, 822; Schluep, Anmerkungen, 721; Gäfgen, Entwicklung, 54£; Schäfer/Ott, 46f.; Posner, Economic, 3; Polinsky, Introduction, 10; Friedman, Kapitalismus, 256; Coase, Law, 2-5. 232 Assmann, Transformationsprobleme, 43 ff.; Behrens, Grundlagen, 34f; Schäfer/Ott, 46; Hotz, Analyse, 296-297, 303ff. 233 Williamson, Institutions, 47ff. 234 Schäfer/Ott, 46-53. 235 Vgl. immerhin die differenzierenden, über die ÖAR hinausgehenden Ansätze beim ÖARVertreter Clark, Morais, passim, wo nebst Markt und Recht auch religiöse und soziale Kontroll­ mechanismen analysiert werden. 236 Jensen/Meckling, 305 ff; Pratt/Zeckhauser, passim. 237 Vgl. z.B. Meier-Schatz, Aufsichtsregeln, 191 ff; Kraakman, Liability, 867 ff; Anderson, Conflict, 784ff; vgl. auch Fischel/Bradley, 261 ff; Easterbrook/Fischel, Role, 1161 ff; Jensen, Agency, 323ff. 238 Vgl. z.B. die äußerst aufwendigen Defensivtaktiken gegen Übernahmegefahren, welche vor allem in der US-Wirtschaft der 80er Jahre gewaltige Ressourcen beanspruchten; Meier­ Schatz, Verteidigungsvorkehren, 106 ff. 239 Vgl. z.B. Meier-Schatz, Aufsichtsregeln, 191 ff, und dortige Hinweise. 240 Meier-Schatz, Aufsichtsregeln, 221; Easterbrook/Fischel, Role, 1172ff; eine Identifika­ tion mit dem Unternehmen entspräche der kognitiven Konsonanz, welche von Weizsäcker, Pro­ perty, 137, anfuhrt; letztlich liefe dies auf einen institutionell bedingten Wechsel von Präferenzen hinaus; Gäfgen, Entwicklung, 51, 57; Teubner, Schleier, 382; zur Vernachlässigung der Präferen­ zenfrage in der ökonomischen Rechtsliteratur, vgl. insbesondere McAdams, Preferences, Iff; vgl. auch Bleicher, Management, 465, der im Zusammenhang mit dem einer Unternehmensorga­

chanismen kann entsprechend überhöht und ihr Ausbau zu weit getrieben wer­ den241. Als Folge davon kann ein Teil des durch Unternehmen erzielbaren volks­ wirtschaftlichen Mehrwerts (organizational surplus) verloren gehen242. Im Rahmen rechtlicher Diskussionen muß das REM-Axiom aber noch grund­ legendere Vorbehalte auslösen. Dem auf Selbstverwirklichung bedachten Individu­ um wird von modernen Rechtsordnungen wohl zurecht auch freiwilliges ethi­ sches Selbstbeschränkungspotential, d.h. die Fähigkeit unerzwungenen Handelns im Interesse von Kollektiven, zugemutet243. Im Kontext des verfassungsgestaltenden Privatrechts einer offenen Gesellschaft der Grundrechtsdemokratie!244 erscheint der REM deshalb schlicht als groteskes Menschenbild245. Auch die wirtschaftswissenschaftliche Literatur thematisiert zwar den mit fixen Präferenzen ausgestatteten, konsequent auf die Maximierung seines Individualnut­ zens programmierten homo oeconomicus zum Teil kritisch246. Dasselbe gilt für ande­ re Modellvorstellungen der ökonomischen Theorie247, z.B. die Annahme objekti­ ver Vergleichbarkeit individueller Nutzenkalküle248 oder die teilweise Ausblen­ dung der Verteilungsfrage249. Dabei wird aber deutlich, daß eine Theorie wie die ÖAR ihre eigenen Systembedingungen nur beschränkt selbst problematisieren kann250. Sie würde sonst Gefahr laufen, überkomplex und damit inoperabel zu wer­ den251. Da der Rechtsdiskurs die Axiomatik ökonomischer Denkweise aber nicht vorbehaltlos übernehmen kann252, scheint zwischen ÖAR und Rechtsordnung

nisation vorangestellten Menschenbild zwischen Mißtrauensorganisation und Vertrauensorgani­ sation unterscheidet. 241 Vgl. die bei Honsell, in Symposium Stark, 15ff., 20, 27, 39 anklingende These, das ökono­ mische Denken führe im Haftpflichtrecht zu überschießenden Regelungen. 242 Teubner, System, 167; vgl. in diesem Zusammenhang auch Shleifer/Summers, passim, welche auf die Möglichkeit hinweisen, daß durch feindliche Übernahmen und Auswechslung des Managements implizite Vertrauensbänder zwischen Arbeitnehmern und (bisherigem) Mana­ gement außer Kraft gesetzt und dadurch Übernahmekosten unkompensiert (d.h. als Externalitäten) auf Arbeitnehmer abgewälzt werden können. 243 Art. 16 ZGB; vgl. auch Kant, Metaphysik, 56f.; Hersch, Obscure, 40f. 244 Fezer, Rechtskritik, 822. 245 Schluep, Anmerkungen, 721; vgl. zur Kritik an der ÖAR auch von der Crone, Rahmen­ verträge, 19f. 246 Gäfgen, Entwicklung, 51, 55-57; Coase, Law, 2-5; Schäfer/Ott, 46ff.; Sen, Choice, 6. 247 Vgl. Galbraith, Perspective, 284ff.; Buchanan, Rights, passim; Arrow, Choice, 81 ff.; Ol­ son, Ökonomie, Iff; von Hayek, Recht, Bd.3, 97ff. 248 Buchanan, Rights, 9ff; vgl. auch Sen, Choice, 131 ff. 249 Okun, Equality, 6ff, 65ff; von Weizsäcker, Property, 127ff. 250 Vgl. diesbezüglich insbesondere die Diskussionen um die moderne Wirtschaftsethik, wel­ che deutlich die Grenzen ökonomischen Denkens offenbaren; Ulrich, Wirtschaftsethik, passim; Rich, Wirtschaftsethik, 19ff, 132ff, 173. 251 Vgl. Gäfgen, Entwicklung, 61-62; von Hayek, Recht, Bd. 1, 50ff, 72ff. 252 Vgl. die Kritik an der ÖAR aus der Perspektive der Rechtsordnung bei Fezer, Rechtskri­ tik, 817ff; die Antwort von Schäfer/Ott, JZ, 213ff, und die Replik von Fezer, Kritik, 213ff; vgl. zudem Coleman, Risks, Iff; zur Kritik an der ÖAR auch Posner, Economic, 22-26.

eine unüberbrückbare Kluft zu bestehen. Dieser gordische Knoten läßt sich jedoch mit Hilfe der Systemtheorie auflösen253.

4.3.

Systemtheoretische Einordnung der Ökonomischen Analyse des Rechts

4.3.1. Die Ökonomische Analyse des Rechts als Mittel zum Anschluß des Rechtssystems ans Wirtschaftssystem Die Systemtheorie setzt die Notwendigkeit zur Reduktion von Komplexität ins Zentrum ihrer Welt- und Gesellschaftsanalyse254. Alle von Menschen wahrgenom­ mene und gelebte Realität ist danach notwendigerweise kontingent255. Die gesell­ schaftliche Kommunikation faßt sie in funktional ausdifferenzierte Systeme, wel­ che relativ geschlossen und autonom operieren. Anders wäre die Komplexität des Daseins nicht zu bewältigen256. Die Autonomie sozialer Systeme löst deren selbstre­ ferenzielle Reproduktion aus257. Systeme und Subsysteme sind deshalb letztlich nur mehr aus sich selbst heraus vollständig zu erklären. Ihre eigendynamische Ra­ tionalität und Semantik hebt sie ab von ihrer Umwelt, wodurch eine objektivierte, logisch-harmonische Durchschaltung von einem System auf ein anderes schon prinzipiell zum Scheitern verurteilt ist258. In systemtheoretischer Sicht sind auch das Rechtssystem259 und das Wirtschafts­ system260 autonome gesellschaftliche Subsysteme. Sie repräsentieren ausdifferen­ zierte soziale Funktionen, zu deren Erfüllung sie systemfremde Realitäts- bzw. Umweltaspekte ausblenden müssen. Ihr notwendiger Reduktionismus bewirkt deshalb, daß sie sich gegenseitig nicht gänzlich verstehen und absorbieren kön­ nen261. Dies fuhrt zu intersystemischen Externalitäten262, indem das Wirtschaftssy­ stem in seinem Bereich dem Rechtssystem nicht vollumfanglich zu genügen ver­ mag und umgekehrt. Um aber den gegenseitigen Destabilisierungsdruck in Gren­ zen zu halten, ist jedes der beiden Systeme daran interessiert, die Signale des an­ dern Systems möglichst umfassend in die eigene Systemrationalität zu übertra­ gen263. Diese intersystemische Kommunikation gelingt jedoch nur über Interferen­ 253 Die komplementäre Erklärungsfunktion der Systemtheorie für das Verhältnis Recht/Wirt­ schaft tönt auch bei Schluep/Schürmann, 302, an; vgl. auch von der Crone, Rahmenverträge, 82£; Teubner, Schleier, 170ff.; Dürr, Recht, 134. 254 Luhmann, Systeme, Iff., Luhmann, Legitimation, 23-26; Luhmann, Wirtschaft, 43ff. 255 Z.B. auch Motivation; vgl. Luhmann, Wirtschaft, 38. 256 Im Gegensatz zur ÖAR basiert die Systemtheorie somit auf der Annahme, daß die Welt­ komplexität nicht mit einer kohärenten, übergreifenden Rationalität zu bewältigen ist, sondern daß bloße Teil- und Episodenrationalitäten möglich sind; vgl. Luhmann, Wissenschaft, 582. 257 Zu diesen Mechanismen der Autopoiesis; vgl. Teubner, System, 2Iff. 258 Vgl. Teubner, System, 87ff. 259 Vgl. Teubner, System, 36ff. 260 Vgl. Luhmann, Wirtschaft, 91 ff, 302ff. und passim. 261 Vgl. Teubner, System, 123ff. 262 Vgl. Wieland, Mindestmoral, 147 ff. 263 Das Recht wird dadurch zu Intersystemischem Kollisionsrecht-, Teubner, System, 123ff; vgl. auch Teubner, Reflexives Recht, 13ff; Luhmann, Wirtschaft, 324ff; Teubner/Willke, 4ff.

zen, d.h. sie kann nicht direkt und umfassend erfolgen, sondern muß bruchstück­ haft bleiben264. Das Rechtssystem kann folglich das Wirtschaftssystem und dessen ausdifferenzierte autonome Logik nie vollumfänglich internalisieren. Es muß aber bestrebt sein, zumindest Anschluß ans Wirtschaftssystem zu finden, um eine mög­ lichst stabile Koexistenz mit diesem zu bewerkstelligen265. Es ist nach dem Gesagten evident, daß das Rechtssystem vor allem dort An­ schluß an das Wirtschaftssystem suchen muß, wo das Recht selbst sich auf wirt­ schaftliche Effizienz beruft. Dann wird auch aus der Perspektive des Rechtssystems ein regulatorisches Optimum dadurch erreicht, daß möglichst direkt und umfas­ send wirtschaftliche Rationalität umgesetzt wird. In diesen Fällen ist von der ÖAR einiges zu erhoffen. Ihre Übersetzung wirtschaftlicher Effizienzlogik in juri­ stische Systemkategorien hat daher unzweifelhaftes Potential zur Steigerung der Anschlußfähigkeit des Rechtssystems ans Wirtschaftssystem266.

4.3.2. Auswirkungen im Konzernhaftungsrecht Die systemtheoretische Deutung des Verhältnisses zwischen Recht und Wirt­ schaft bestätigt zwar den möglichen Wert der ÖAR als Mittel zum Anschluß des Konzernrechts ans Wirtschaftssystem. Die Autonomie und Eigenrationalität des Rechtssystems verbietet jedoch eine unkritische Übernahme der Aussagen der ÖAR267. Dasselbe folgt aus dem emergenten Systemcharakter von Konzernen und ihren Teilen268. Verhalten und Strukturen von Konzernen können demzufol­ ge von der ÖAR nicht wirklich erfaßt werden, weil sich auch Konzerne eigendy­ namisch fortentwickeln269. Dadurch brechen sie ihrerseits aus der Steuerungsratio­ nalität der ÖAR aus270. 264 Teubner, System, 81 ff., 123ff; Luhmann, Wirtschaft, 324f. 265 Auch umgekehrt muß natürlich das Wirtschaftssystem Anschluß an das Rechtssystem bzw. andere Systeme suchen. Für Wirtschaftsakteure wäre es deshalb z.B. übers Ganze gesehen nicht rational, sich konsequent ökonomisch-rational zu verhalten. Genau in dieser Richtung scheint denn auch z.B. die Diskussion über Wirtschaftsethik zu gehen; vgl. Urich, Wirtschafts­ ethik, 91 ff; Rich, Wirtschaftsethik, 173. 266 Das Anschlußparadigma wird auch von der Wirtschaftsethik benutzt; vgl. Rich, Wirtschafts­ ethik, 172f; Wieland, Mindestmoral, 150f. 267 Vgl. z.B. Teubner, Dezentralität, 196ff, 204ff. 268 Teubner, System, 153, 160ff, 175; Teubner, Dezentralität, 199f.; vgl. zur Selbstreferenz wirtschaftlicher Organisationen auch Luhmann, Wirtschaft, 272ff, 302ff; Luhmann, Differentia­ tion, 4. Kap.; Luhmann, Organisation, 165ff; Luhmann, Funktionen, Iff; Teubner, System, 149ff; Teubner, Corporatism, 130ff; Teubner, Wesen, Iff; Teubner, Netzwerke, passim; Teubner, Franchising, Iff; vgl. auch Ladeur, Selbstorganisation, 179ff. 269 vgl. zum selbstreferenziellen Charakter von Konzernen und den sich daraus ergebenden ju­ ristischen Konsequenzen nun eingehend auch Amstutz, Konzemorganisationsrecht, 29Iff. und passim. Auch Druey, Konzemrecht, 306-307, verweist auf die Eigendynamik der Tochterabhän­ gigkeit im Konzern. 270 Teubner, System, 149-153; vgl. auch Teubner, Corporatism, 137ff; Teubner, Unterneh­ mensinteresse, 470ff; Teubner, Organisationsdemokratie, passim, und die Hinweise bei Rehbin­ der, Unternehmensverfassung, 308—310; zu einer systemtheoretisch beeinflußten Theorie des Wirtschaftsrechts auch Assmann, Wirtschaftsrecht, 328ff.

Das Nebeneinander autonomer Systeme in Form des Rechts, der Wirtschaft und der Konzerne271 spricht somit ganz grundsätzlich dafür, Konzernhaftungs­ recht nicht als starres inhaltliches Lenkungsinstrument, sondern als flexible proze­ durale Evolutionsbegleitung auszugestalten272. Offene und vielschichtig ansetzende Konzernhaftungskonzepte, z.B. im Rahmen des Konzernaußenrechts oder einer Kombination konzerninnen- und konzernaußenrechtlicher Haftungsmechanis­ men, sind aus dieser Perspektive zu favorisieren. Hierauf hat vor allem Teubner ein­ drücklich hingewiesen273. Das systemtheoretische Verständnis des Verhältnisses von Recht, Wirtschaft und Konzernen relativiert folglich den monistischen Steue­ rungsoptimismus der ÖAR im Konzernhaftungsbereich. Optimales Konzernhaf­ tungsrecht läßt sich nicht mehr bloß als kalkulierbares Deduktionsproblem be­ schreiben, sondern muß experimentell und diversifiziert ertastet werden274. Das Konzernhaftungsrecht selbst wird dadurch zum Entdeckungsverfahren275. Auch eine in dieser Weise offen und pluralistisch ansetzende Rechtsdialektik kommt freilich nicht ohne Rückgriff auf geschlossene Modellvorstellungen aus276. Die ÖAR be­ hält dadurch ihren Wert als Richtungsmuster (pattem prediction)277 für den wirt­ schaftlich orientierten konzernrechtlichen Diskurs.

4.3.3. Zwischenergebnis Der systemtheoretische Ansatz offenbart, daß die ÖAR notwendigerweise ei­ ner Modellrealität verpflichtet ist, welche primär das Wirtschaftssystem reflektiert. Ihre individualistisch278 ansetzende Kosten/Nutzen-Rationalität projiziert einen konstruktivistischen279 Weltgeist 280 281 230, welcher sich in systemtheoretischer Sicht als blo­ ßes Richtungsmuster verwerten läßt. Effizienz als kategorischer Imperativ231 der Wirt­ 271 Hierin liegt der Grund dafür, daß kein Konzemrecht je vollumfänglich befriedigen kann; vgl. Teubner, System, 89f 272 Teubner, System, 172-180; Teubner, Konzemhaftung, 276-279; Hommelhoff, Produkte­ haftung, 771. 273 Vgl. Teubner, Dezentralität, 204ff, passim; Teubner, System, 168ff; Teubner, Konzem­ haftung, 271 ff; vgl. auch Hofstetter, Ecological, 107ff. 274 Teubner, Dezentralität, 199, spricht in diesem Zusammenhang von einer Laviermaxime und verkündet den legitimen Opportunismus des Rechtssystems; a.a.O., 205. 275 Vgl. Kramer, Entwicklungstendenzen, 252; Lehmann, Evolution, 30; Teubner, Dezentra­ lität, 197; zum wirtschaftlichen Wettbewerb als Entdeckungsverfahren; vgl. von Hayek, Endekkungsverfahren, 249ff; Schips, Wettbewerb, 26, 33-34. 276 Der offene und fragmentarische Charakter des inneren Systems des Rechts bedingt den Rekurs auf außerrechtlichen festen Grund (vgl. Larenz, Methodenlehre, 229ff, 486ff); oder anders: L’ouvert s'appuye sur le ferme. 277 Vgl. von Hayek, Entdeckungsverfahren, 252. 278 Die Systemtheorie offenbart im Gegensatz dazu, daß Individuen nicht die einzigen Kogni­ tionszentren der Gesellschaft bilden; vgl. Teubner, Episteme, 130. 279 Zu einer wissenschaftstheoretischen Kritik am (historischen) Konstruktivismus; vgl. Pop­ per, Historicism, passim; vgl. auch von Hayek, Rationalismus, 75ff. 280 Vgl. Hegel, Grundlinien, 491 ff. 281 Vgl. Kant, Metaphysik, 29 ff

schäft verliert diesen Charakter im Bereich des Rechts. Das imperialistische Steue­ rungsparadigma der ÖAR wird dadurch relativiert, allerdings ohne durch ein spezi­ fisches Steuerungsmodell der Systemtheorie ersetzt zu werden282. Diese lanciert vielmehr eine Suche nach sozialen Evolutionsarrangements283, welche letzdich in­ kommensurable gesellschaftliche Subsysteme wie Recht, Wirtschaft und Konzer­ ne im Sinne eines sustainable development koordinieren sollen284. Die Systemtheorie macht deshalb bereits auf sozial- bzw. erkenntnistheoretischer Ebene deutlich, daß das Recht auch im Bereich der Konzernhaftung legitimerweise autonom oper­ iert285. Während die ÖAR zur Überordnung des Wirtschaftssystems im Verhältnis zum Rechtssystem tendiert, unterstreicht die Systemtheorie den notwendigen Au­ tonomiecharakter des rechdichen Diskurses. Sie bestätigt aber zugleich den Wert der ÖAR als Mittel zur Herstellung eines optimalen Anschlusses des Rechtssy­ stems ans Wirtschaftssystem286. Die ÖAR erhält damit für die rechtliche Diskus­ sion nicht mehr, aber auch nicht weniger als topischen Charakter287. Dies bedeutet freilich nicht, daß jede rechtliche Problembewältigung die Topoi der ÖAR zu be­ rücksichtigen hätte. Das Rechtssystem kann aus Gründen der internen Systemsta­ bilisierung z.B. ganz bewußt formallogische Auslegungsschlüsse bevorzugen und den Input der ÖAR auf die rechtspolitische Diskussion beschränken. Die Ver­ wendbarkeit der ÖAR im Bereich konkreter Auslegungsfragen ist folglich immer zuerst aus dem positiven Recht selbst abzuleiten.

5. Die funktionale Methode als Mittel zur rechtlichen Umsetzung ökonomischer Systemzusammenhänge Die Vorgaben der Internationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) für das MNK-Haftungsrecht sind mit Hilfe der ÖAR konkretisiert und unter Bezug­ nahme auf die Systemtheorie für den rechdichen Diskurs präpariert worden. Es bleibt nun noch zu untersuchen, wie sie konkret in die Auslegungsdiskussion zum geltenden schweizerischen MNK-Haftungsrecht eingebracht werden können. Hiezu bietet sich die funktionale Methode an. Diese wurde von Schluep entwik282 Vgl. Schluep, Selbstreferentielles Recht, 160f.; vgl. auch Assmann, Wirtschaftsrecht, 328 ff. 283 In den Worten von Hayeks, Entdeckungsverfahren, 257, läßt sich deshalb sagen, daß die ÖAR von oben herunter urteilt, während die Systemtheorie sich von unten hinauf vortastet. 284 Vgl. Becker, Risikogesellschaft, 19; Hofstetter, Ecological, 107ff. 285 In diesem Sinne auch Noll, zit. bei Schubarth, Geschäftsherr, 386f. 286 Man könnte in diesem Zusammenhang vom Paradox eines offenen Konstruktivismus spre­ chen; zu offeneren Perspektiven der ÖAR auch Rose-Ackerman, Progressive, 341 ff; Rose-Ak­ kermann, Paradigm, 233ff; Schäfer/Ott, JZ, 213ff; Schäfer/Ott, 7-9; Assmann, Transforma­ tionsprobleme, 2 Iff. 287 Die juristische Auslegung kommt somit nicht an der Abwägung verschiedener ökonomi­ scher und nicht-ökonomischer Interessen vorbei; vgl. Schluep, Schutz, 362ff; Schluep/Schür­ mann, 307f., und hinten III.5.

kelt und hat sich inzwischen im schweizerischen Wirtschaftsrecht etabliert288. Sie zielt auf die Optimierung des Beitrags von Rechtsnormen an die Koordinationsund Subordinationsvorgaben (Ziele) der Wirtschaftsverfassung289. Jede Wirtschaftsverfassung erhebt zwar den Anspruch, das Wirtschaftssystem zu konstituieren und folglich mitzugestalten. Es ist jedoch unbestritten, daß wirt­ schaftliche Realien dabei nicht einfach ignoriert werden können. Eine Wirtschafts­ verfassung, die den Anschluß ans Wirtschaftssystem sucht, kann sich mit anderen Worten nicht bloß an einem ethischen Sollen orientieren290. Sie hat auch davon ab­ weichende reale Phänomene (d.h. das soziologische Sein)291 in ihre Erwägungen miteinzubeziehen292. Diese Anerkennung des zumindest teilweise autonomen Charakters des Wirtschaftslebens durch die Wirtschaftsverfassung fuhrt zur Not­ wendigkeit, bei der Detaillierung wirtschaftsverfassungsrechtlicher Soll-Vorgaben die rechtliche Optik mit der wirtschaftlichen zu verzahnen293. Damit wird die Rolle der ÖAR im Rahmen der funktionalen Methode deut­ lich. Sie ist ein Instrument zur Einflechtung theoretisch geordneter wirtschaftli­ cher Realität in rechtliche Gedankengänge. Es ist aber evident, daß die Bedeutung der Ökonomischen Analyse des Rechts in diesem hermeneutischen Prozeß umso mehr relativiert wird, je stärker sich die Prämissen der funktional umzusetzenden Wirtschaftsverfassung von den Modellaxiomen der ÖAR unterscheiden. Die Öko­ nomische Analyse des Rechts kann im Rahmen der funktionalen Methode hinge­ gen dann eine zentrale Rolle spielen, wenn die Wirtschaftsverfassung, wie im Falle der IWV, als hauptsächliche Topoi Wettbewerb und Wohlstandssteigerung vor­ gibt. Auch diesfalls gilt es freilich zu beachten, daß gewisse von der ÖAR gesetzte Axiome, z.B. die REM-Hypothese, von der Rechtsordnung nicht uneinge­ schränkt geteilt werden294. Der funktionale Ansatz ist folglich unabhängig von der ÖAR. Er ist ein Instru­ ment des Rechts. Er setzt Gerechtigkeit295 um, d.h. die von der Wirtschaftsverfas­ sung projizierten Vorgaben. Je nach deren Inhalt kann die funktionale Methode 288 Schluep, Wirtschaftsrecht, 21; Schluep/Schürmann, Vorbem. Art. 6-19 KG, 300f.; Bau­ denbacher, Suggestivwerbung, 134f.; Baudenbacher, AGB, 82ff., 95ff.; Hofstetter, Tariffähig­ keit, 92, ff.; Meier-Schatz, Aufsichtsregeln, 192; Meier-Schatz, Handelsregister 443—444; Meier­ Schatz, Unternehmenspublizität, 44ff. (mit starker konzeptioneller Orientierung am prozedura­ len Wirtschaftsrechtsverständnis); Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 32f.; vgl. auch Zäch, Pri­ vatrecht, 3ff; Weber, Wirtschaftsregulierung, 41 ff; Furter, Wirtschaftsrecht, 17ff.; Offenheit für die funktionale Perspektive im Gesellschaftrecht andeutend auch Meier-Hay oz/ Forstmoser, 190; vgl. auch ZR 1989, Nr. 6 und die Besprechung dieses Entscheides in SZW 1990, 109ff, durch Homburger/Rauber. 289 Baudenbacher, Suggestivwerbung, 134-135, 139-140; Baudenbacher, AGB, 81-83, 117ff; Schluep, Wirtschaftsrecht, 21, Hofstetter, Tariffähigkeit, 92. 290 Schluep, Schutz, 364ff. 291 Ebd., 374ff. 292 Ebd., 377ff; Schäfer/Ott, JZ, 217f; vome III.4.3.1. 293 Schluep, Wirtschaftsrecht, 15-16. 294 Vome III.4.2. 295 Diese Gerechtigkeit kann, braucht aber nicht ökonomisch fundiert zu sein; vgl. Schäfer/ Ott, JZ, 215£; Schluep, Schutz, 385ff.

aber durchaus mit der Ökonomischen Analyse des Rechts konvergieren. Den aus der ÖAR abgeleiteten Argumenten kommt jedoch auch dann keine zwingende Bedeutung zu. Die funktionale Perspektive, als Ausdruck einer Sollensordnung, ist mit der ÖAR, welche auf einer (ohnehin nur modellhaft beschriebenen) Seinsordnung baut, nie vollständig deckungsgleich.296 Durch seine prinzipielle Unabhän­ gigkeit von der Ökonomischen Analyse des Rechts ist der funktionale Ansatz auch imstande, wirtschaftliche Koordinationssysteme umzusetzen, welche nicht unmit­ telbar an das Modelldenken der ÖAR anknüpfen, z.B. ein System der Gruppenver­ einbarungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts297. Weil er nicht ausschließ­ lich auf einen starr definierten Effizienzbegriff (z.B. Paretooptimalität oder KaldorHicks-Effizienz)298 verpflichtet ist, vermag der funktionale Ansatz überdies einem breiten Subordinationskatalog des Wirtschaftsverfassungsrechts gerecht zu wer­ den, z.B. spezifischen Strukturzielen, absolut verstandenen Freiheitsrechten oder politisch motivierten Verteilungsvorgaben299. Diese Öffnung im Vergleich zur ÖAR geschieht allerdings notwendigerweise auf Kosten hermeneutischer Strin­ genz. Sie fuhrt zu einer letztlich nur diskursiv zu bewältigenden Interessen- und Güterabwägung, innerhalb welcher der ÖAR aufgetragen ist, das ökonomisch Richti­ ge im Sinne von Leitsätzen (Richtungsmustern) vorzuschlagen300. Die ÖAR schützt den funktionalen Ansatz damit vor dem Abgleiten in einen konturlosen Pragmatismus, innerhalb dessen ökonomische Argumente bloß Zufallscharakter haben301. Dadurch wird ein optimaler Anschluß von Rechtsnormen ans Wirt­ schaftssystem ermöglicht302. Die Legitimation des funktionalen Ansatzes erfordert nebst der Ausformulie­ rung einer Wirtschaftsverfassung als Bezugssystem für die Auslegung zusätzlich des­ sen Rechtfertigung aus der auszulegenden Norm selbst. Gerade für das schweizeri­ sche Recht ist aufgrund von Art. 113 Abs. 2 BV klar, daß eine verfassungsorientier­ te Auslegung contra legem keinesfalls zulässig wäre303. Somit können dogmatische und personale Topoi der Rechtsordnung oder eines Gesetzes den funktionalen An­ satz unter Umständen ganz verdrängen304.

296 Der Grund dieser Inkongruenz liegt im systemtheoretisch begründbaren Spannungsver­ hältnis zwischen Rechtsordnung und Wirtschaftsordnung; vgl. vome III.4.3. 297 Hofstetter, Tariffähigkeit, 95 ff; auch das im schweizerischen Wirtschaftsrecht propagierte Konzept des wirksamen Wettbewerbs entzieht sich teilweise den Gleichgewichtsvorstellungen der ÖAR (vgl. dazu Schips, Wettbewerb, passim). Es kann aber von der funktionalen Perspektive ohne weiteres umgesetzt werden; vgl. Schluep, Wettbewerbsfreiheit, 65; Schluep, Schlüsselbe­ griff, 43 ff. 298 Vome III.3.1. 299 Schäfer/Ott, JZ, 216f. 300 Vome III.4.3.2.; vgl. auch Schluep, Anmerkungen, 721 f. 301 Vgl. vome III.4.3.3. 302 Vgl. vome III.4.3.1.; Schluep/Schürmann, 302. 303 Vgl. Campiche, Auslegung, 10-12; Häfelin/Haller, 42 FN 139. 304 Schluep, Anmerkungen, 721 FN 32; Schluep/Schürmann, 302ff; Schluep, Schutz, 380; Baudenbacher, AGB, 84ff.

Dadurch wird der Blick auf die Konkurrenz verschiedener Auslegungsmetho­ den und Auslegungselemente gelenkt. Unter ihnen hat sich der funktionale Ansatz im offenen rechtswissenschaftlichen Diskurs immer wieder neu zu behaupten305. Die funktionale Auslegung löst somit das Problem des Methodensynkretismus nicht306. Bei jeder Auslegung einer Norm ist vorfrageweise zu prüfen, welcher Me­ thode der Vorrang zu geben ist. Für die folgenden Untersuchungen darf freilich konstatiert werden, daß dem Problem der beschränkten Haftung juristischer Perso­ nen, um das es hier materiell geht, in erster Linie gesamtwirtschaftliche Funktion zukommt307. 308 Das von Hommelhof308 angesprochene Argument, beim Prinzip der Haftungstrennung handle es sich um ein humanitäres Grundbedüifnis, wirkt zumin­ dest im Zusammenhang mit der Haftungstrennung von Tochtergesellschaften we­ nig überzeugend. Es mag allenfalls für die Frage der Haftungsausdehnung auf natür­ liche Personen gültig sein309. Bei der Haftungsbegrenzung juristischer Personen geht es folglich nicht primär um personale Ziele der Rechtsordnung, sondern um die fundamentalen Aufgaben einer rechtlich fixierten Wirtschaftsordnung. Ausle­ gungsfragen im MNK-Haftungsrecht sind deshalb grundsätzlich funktional, d.h. im Lichte der Vorgaben der IWV, anzugehen310. Im übrigen ist mit Ueberzeugung an der Eigenständigkeit der funktionalen Aus­ legung festzuhalten311. Der funktionale Auslegungsansatz hat zwar Gemeinsamkei­ ten mit der verfassungskonformen und der teleologischen Auslegung. Mit jener ge­ mein hat er die Orientierung an Verfassungsnormen. Er unterscheidet sich von ihr aber durch seine spezifisch wirtschaftsverfassungsrechtliche Perspektive und die Ausrichtung auf ein ganzheitliches ordnungspolitisches Leitmodell. Dieses braucht nicht zwingend von formellen Verfassungsnormen determiniert zu sein, sondern kann, wie im Falle der IWV, durchaus auch von niedrigerrangigem Recht mitbestimmt werden. Mit der teleologischen Auslegung verbindet den funktionalen Ansatz die Orien­ tierung am Gesetzeszweck, wo sich ein solcher in der nötigen ordnungspolitischen Schärfe herleiten läßt. Die funktionale Auslegung läßt die teleologische Auslegung aber hinter sich, wo aus dem Gesetz selbst keine ähnlich weit greifenden Ausle­ gungsparameter gewonnen werden können wie aus der Wirtschaftsverfassung. Wo die teleologische Auslegung einer Norm z.B. personales Schutzdenken suggeriert, kann die funktionale Auslegung evtl, zusätzliche Bezüge zu einem umfassenden wirtschaftlichen Koordinationsmechanismus offenbaren. Diesfalls deckt sich der 305 Baudenbacher, AGB, 103ff.; Meier-Schatz, Handelsregister, 444; Schluep/Schürmann, 307£; vgl. auch Schluep, Schutz, 362ff. 306 Hofstetter, Tariffähigkeit, 94. 307 Vgl. vome I.3.3., III.3.1. und III.3.3.1. 308 Hommelhoff, Produktehaftung, 768. 309 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 543-544. 310 Vgl. zum Gegensatz funktional-personal auch Baudenbacher, AGB, 82ff, 95ff. 311 Entgegen den kritischen Stimmen, welche die Eigenständigkeit oder gar Berechtigung des funktionalen Auslegungsansatzes in Frage stellen; z.B. Rehbinder M., Besprechung, 141; Wohl­ mann, Auslegung, 472; vgl. zur Auseinandersetzung mit dieser Kritik auch Schluep/Schürmann, 303ff

Nahzweck der teleologischen Betrachtung mit dem Fernzweck der funktionalen Per­ spektive nicht312. Letzterer vermag ersteren zu ergänzen.

6. Ergebnis Die Vorgaben der Internationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) lei­ teten zu einem ÖAR-Modell über, welches über die funktionale Methode als Richtungsmuster in die Auslegungsdiskussion zum schweizerischen MNK-Haf­ tungsrecht eingebracht werden kann. Dabei zeigte sich, daß der Haftungsbeschrän­ kung von Tochtergesellschaften aus Effizienzperspektive eine wichtige Funktion als Internalisierungsmechanismus für politische Gastlandrisiken innewohnt. Zu­ gleich wurde deutlich, daß ihr drei Kategorien effizienter Konzernmutterhaftun­ gen zur Seite zu stellen sind. Die erste Kategorie effizienter Mutterhaftungen hat auf das Verhalten (und Un­ terlassen) der Konzernmutter als Anteilseignerin ihrer Tochter zu zielen. Dabei muß die Sicherung einer adäquaten Tochterkapitalisierung und die Aufrechterhal­ tung einer für Außenstehende überprüfbaren, separaten Funktionstüchtigkeit der Tochtergesellschaft im Vordergrund stehen. Die so konzipierte Ausnahmekatego­ rie weist auf die Effizienzpotentiale (enger) Durchgriffslösungen hin. Die zweite Ausnahmekategorie hat die Eingriffe der Konzernmutter in Ge­ schäftsführungsbelange der Tochter zu kontrollieren. Dabei geht es um die Ge­ währleistung optimalen Managementverhaltens der Mutter, idealiter mithin um die Sicherstellung einer Maximierung des Tochterinteresses. Dieses Konzept droht allerdings bei steigender Konzernintegration inoperabel zu werden. Das führt zum Postulat der Überwälzung von Beweislasten auf die Konzernmutter bzw. der Anerkennung von Konzerneinheitshaftungen bei entsprechender Totalin­ tegration. Die dritte Ausnahmekategorie muß beim selbständigen Handeln der Konzern­ mutter als Drittperson ansetzen. Soweit dadurch isolierbare direkte Beziehungen zu Tochtergläubigern geschaffen werden, welche konzernaußenrechdich eingefan­ gen werden können, eröffnen sich Feinsteuerungspotentiale, deren Ausnützung, trotz Durchbrechung des Haftungsbeschränkungsprinzips, effizienzfordernd wir­ ken können. Die systemtheoretische Perspektive erhöht die Bedeutung eines flexi­ bel und vielschichtig ansetzenden Konzernhaftungsrechts noch zusätzlich. Insbe­ sondere für das Verhältnis Konzernmutter - außervertragliche Tochtergläubiger gilt, daß Eingriffe der Konzernmutter in Tochterangelegenheiten zur Ausbildung effizienter Schutzpflichten der Mutter gegenüber diesen Gläubigern Anlaß geben. Während sich aus Effizienzperspektive für rein nationale Konzerngebilde analo­ 312 Hofstetter, Tariffähigkeit, 94—95; Baudenbacher, Suggestivwerbung, 134-135; vgl. auch Schluep, Funktionalität, 178, der den makrojuristischen Charakter der funktionalen Auslegung dem mikrojuristischen Charakter herkömmlicher auslegeweiser Interessenabwägung gegenüber­ stellt.

ge materiellrechtliche Konzernhaftungsregeln aufdrängen wie für Multinationale Konzerne, sind dem MNK-Haftungsmodell zusätzlich noch die IPR- und IZPRKomponenten hinzuzufugen. Für diese beiden Ebenen kann im Prinzip ein Kon­ gruenzpostulat aufgestellt werden: Die Haftung der Gastlandtöchter und die drei Ausnahmekategorien effizienter Konzernmutterhaftungen sind grundsätzlich dem Gastlandrecht und der Zuständigkeit der Gastlandgerichte zu unterstellen. Effizienzplausiblitität wurde aber auch für Gegenmechanismen des Mutterlandes, z.B. ordre public-Vorbehalte, konkurrierende Zuständigkeiten oder die Verweige­ rung der Vollstreckung von Gastlandurteilen, konstatiert.

IV. Rechtsvergleichende Bestandesaufnahme geltender Rechte zur Haftung Multinationaler Konzerne 1. Allgemeines Die wachsende Vernetzung der Weltwirtschaft läßt ein kostenloses Handeln ein­ zelner Staaten ohne Berücksichtigung ausländischer Rechte nicht mehr zu. Dieses Faktum ist für einen Staat wie die Schweiz, welcher fast 50% seines Bruttosozial­ produktes im internationalen Wirtschaftsverkehr verdient, von besonderer Rele­ vanz. Mit gutem Grund wird zwar immer wieder darauf hingewirkt, daß auch das Ausland die schweizerische Rechtshoheit respektiert. Das war in den achtziger Jah­ ren besonders im Verhältnis zu den USA nötig geworden1. Die Schweiz zeichnet sich aber zugleich durch das Bemühen aus, auf staatsvertraglicher Ebene zur Rechtskoordination und -harmonisierung mit andern Staaten beizutragen2. Aus­ ländische Entwicklungen spielen überdies auch bei rein nationalen Gesetzesvorha­ ben und -revisionen eine immer wichtigere Rolle. Das Ziel der Vermeidung von Rechtskonflikten mit den USA hat unter anderem zur Einführung einer Insider­ Strafnorm ins schweizerische StGB geführt3. Vor allem deutsches Recht hat zu­ dem bei der Auslegung und Weiterentwicklung schweizerischen Rechts schon im­ mer eine unbestreitbare Schrittmacher rolle gespielt4. In bezug auf die EU ist vom Bundesrat gar das Ziel postuliert worden, zwecks Erhaltung der Europafähigkeit der Schweiz seien unnötige Diskrepanzen zum bestehenden und geplanten EURecht zu vermeiden5. 1 Vgl. Honegger, Offenlegungspflichten, 51 ff 2 Vgl. diesbezüglich wiederum die publizitätsträchtigen Auseinandersetzungen mit den USA, z.B. im Insider- und Steuerbereich, wo später sog. Memoranda of Understanding unterzeichnet wur­ den; Honegger, Offenlegungspflichten, 197 ff. 3 Art. 161 Stgb; Forstmoser, Insiderstrafrecht, 122ff. 4 Zusammen mit dem französischen Recht z.B. schon bei der bundesgesetzlichen Einführung der modernen Gesellschaftsrechtsformen mit Haftungsbeschränkung; vgl. BB1 1880 I, 218f; BB1 1928 I, 275. 5 BB11988III, 345-347; Ziel ist die „Vermeidung unnötiger und vermeidbarer Rechtsdispari­ täten“ (BB11988 III, 301 £); angestrebt wird mithin eine „soweit als möglich parallele Rechtsent­ wicklung“ (a.a.O., 345); dabei sollen sowohl das „geltende“ wie das „geplante“ EU- bzw. EGRecht Orientierung sein (a.a.O., 345 und Anhang 6); auch die Gerichte werden zur Vermeidung unnötiger Rechtsprechungsdifferenzen aufgerufen (a.a.O., 347); diese Rechtsstrategie verfolgt letztlich die Erhaltung der Europafähigkeit der Schweiz (a.a.O., 379-380); vgl. auch Thürer, Eu­ ropaverträglichkeit, 561 ff; Meier-Schatz, Harmonisierung, 103 ff.

Der faktische Souveränitätsverlust der Staaten wird am Beispiel der Multinatio­ nalen Konzerne besonders deutlich6. Die (haftungsrechtliche) Steuerung von MNK ist deshalb möglichst mit dem internationalen rechtlichen Umfeld abzustim­ men7. Nur so lassen sich die Kosten positiver oder negativer Kompetenz- bzw. Normkonflikte sowie die Kosten rechtlich verursachter Wettbewerbsverzerrun­ gen minimieren8. Eine funktional ansetzende Aufbereitung der MNK-Haftungsproblematik kann folglich nicht an ausländischen MNK-Haftungsrechten vorbeise­ hen. Ihre vergleichende Untersuchung ist erforderlich, bevor zur Auslegung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts übergegangen wird. Bei der Auswahl der zu untersuchenden Rechtsordnungen sind primär diejeni­ gen Länder heranzuziehen, welche der Weiterentwicklung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts Impulse verleihen können. Rechtsordnungen, welche ei­ genständige, sachoptimale und zukunftsweisende Lösungen anzubieten haben oder für den schweizerischen Wirtschaftsraum besondere Bedeutung aufweisen, müssen im Vordergrund stehen. Deutschland, die EU, die USA, Frankreich und andere europäische Länder verdienen aus diesen Gründen besondere Beachtung. Bei den folgenden Recherchen interessiert, wie die vergleichsweise herangezo­ genen ausländischen Rechtsordnungen den sozialen Sachverhalt MNK-Haftung regeln. Es geht mithin, wie bei jeder sinnvollen Rechtsvergleichung, um die Dar­ stellung auslandrechtlicher Institute mit parallelen Funktionen. Auf deren unter­ schiedliche rechtssystematische Einordnung kommt es nicht an9. Da bei den fol­ genden Untersuchungen die Bestandesaufnahme ausländischer Realien im Zen­ trum steht, ist eine detaillierte kritische Auseinandersetzung mit den dargestellten Rechten nicht gefordert10.

6 Zum Souveränitätsverlust der Staaten angesichts des Auftretens von MNK: Baum, Global, 410f.; Vernon, Sovereignty, passim; Rubin, Multinational, Iff.; Großfeld, Souveränität, 73ff; Fischer, Souveränität, 24 ff 7 So auch der Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, Bundesrat Ar­ nold Koller, anläßlich einer Rede vom 28. Juni 1993 vor der Vereinigung schweizerischer Indu­ strie-Holdinggesellschaften in Bem: „Angesichts der starken internationalen Verflechtung schweizerischer Konzerne spricht viel dafür, daß ein umfassendes schweizerisches Konzemrecht ein internationales oder wenigstens ein europäisches sein sollte.“; vgl. auch Groupe de reflexion, 78; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 117, spricht für das IPR von der „(Mit-) Berücksichti­ gung konkurrierender Auslandsinteressen“. 8 Daneben vermittelt der Blick auf die Erfahrungen und Ideen anderer Rechtsordnungen na­ türlich auch kreative Anregungen bei der Ausformulierung nationalen Rechts. 9 Immenga, Möglichkeiten, 298-299. 10 Vgl. aber die an anderer Stelle mit ökonomischer Perspektive vorgenommene Beurteilung ausländischer Konzemhaftungsrechte; Hofstetter, Europe, 578ff; Hofstetter, Multinational, pas­ sim.

2. Vergleich materieller Konzernhaftungsrechte 2.1. Rechtslage in Deutschland

2.1.1. Allgemeines Auf die führende internationale Rolle des deutschen Konzernrechts wurde be­ reits hingewiesen. Auch in der Schweiz wird das deutsche Konzernhaftungsrecht aufmerksam mitverfolgt11. Selbst in den USA beginnt man sich des fortgeschritte­ nen Stands der deutschen Entwicklung gewahr zu werden12. Bei einer Darstellung des konzernhaftungsrechtlichen Status quo in Deutschland sind verschiedene Äste auseinanderzuhalten. Zentral sind vorerst das kodifizierte und das ungeschriebene Konzernrecht. Daneben existieren aber noch andere gesellschaftsrechtliche Haf­ tungsinstitute, z.B. der Durchgriff. Einen weiteren wichtigen Kreis bilden die vertrags-und deliktsrechtlichen Bestimmungen, welche zum Gebiet des Konzernau­ ßenrechts gezählt werden.

2.1.2. Das kodifizierte Aktienkonzernrecht 2.1.2.1. Allgemeines Obwohl bereits die Aktienrechte von 1931 und 1937 vereinzelt konzernrechtli­ che Vorschriften enthielten13, gelang dem deutschen Konzernrecht erst mit der Ak­ tienrechtsnovelle von 1965 eine eigentliche Pionierleistung14. Die dannzumal in Kraft gesetzten Vorschriften stellen noch heute die umfassendste Konzerngesetzge­ bung der Welt dar. Auf ihr bauen auch das deutsche GmbH-Konzernrecht und die EU-Konzernrechtsdebatte auf. Das deutsche Aktienkonzernrecht beruht auf ei­ ner Dreiteilung in Eingliederungs-, Vertrags- und faktische Konzerne.

2.1.2.2. Eingliederungskonzerne Die §§319-327 AktG regeln den Eingliederungskonzern als stärkste Form der konzernrechtlichen Integration15. Ein Eingliederungskonzern kann entstehen, wenn die Hauptgesellschaft alle oder zumindest 95% der Aktien einer von ihr ab­ hängigen Gesellschaft besitzt. Vorausgesetzt ist aber zusätzlich, daß die Hauptver­ sammlungen der beiden zu integrierenden Gesellschaften der Transaktion formell zustimmen. Die Eingliederung wird mit dem Eintrag ins Handelsregister wirksam. Minderheitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft sind mit einer Abfindung auszu­ 11 Druey, Konzernrecht, 292-93; Druey, Differenzierung, 93, 95-99; vgl. auch Lutter, Bun­ desrepublik, 152ff; Druey, Gutachten, H 3Iff. 12 Blumberg II, 642-643. 13 Emmerich/Sonnenschein, 4-8. 14 Ebd., 8. 15 Ebd., 128-141; Münchner Handbuch (Krieger), 884ff.

scheiden16, während die Gläubiger sich durch Geltendmachung eines Anspruchs auf Sicherheitsleistung gegen die Eingliederung in eine weniger solvente Hauptge­ sellschaft schützen können17. Nach erfolgter Eingliederung erhält die Hauptgesellschaft Leitungsmacht über die abhängige Gesellschaft18. Hiezu gehört auch das Recht zur Gewinnabschöp­ fung19. Grenze dieses Machtanspruchs und der Befolgungspflicht auf Seiten des Vorstands20 der abhängigen Gesellschaft bilden aber Weisungen, welche gesetzes­ oder sittenwidrig sind, sowie solche, durch die die eingegliederte Gesellschaft grundlos bewußt geschädigt würde21. Als Korrelat der Eingliederung und der mit ihr verbundenen Leitungsmacht be­ steht eine zwingende gesetzliche Mithaftung der Hauptgesellschaft für alle Altund Neuschulden der abhängigen Gesellschaft22. Eine Beendigung der Eingliede­ rung ist möglich. Die Mithaftung der Hauptgesellschaft für bisherige Schulden bleibt aber für fünf weitere Jahre bestehen23. Die Eingliederung kommt wirtschaftlich der Fusion nahe. Sie unterscheidet sich von dieser dadurch, daß die juristische Persönlichkeit der abhängigen Gesell­ schaft und ihre rechtliche Organisation erhalten bleiben. Dies kann Vorteile perso­ nalpolitischer, wettbewerblicher und steuerlicher Natur mit sich bringen. Die Ein­ gliederung ist bisher aber ohne praktische Bedeutung geblieben24.

2.1.2.3. Vertragskonzerne In der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers sollte der Vertragskonzern eine weit verbreitete Form der Konzernorganisation werden25. Dies aus zwei Gründen: Erstens sollte es nur über den Abschluß von Gewinnabführungsverträgen möglich sein, steuerrechtliche Gewinn- und Verlustverrechnungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften vorzunehmen (Organschaft)26. Zweitens sollte eine umfassen­ de Leitungsmacht von Muttergesellschaften über Tochtergesellschaften nur durch den Abschluß von Beherrschungsverträgen oder die (noch weitergehende) Einglie­ derung zulässig sein27. 16 §§319-320 AktG. 17 §321 AktG. 18 §323 AktG. 19 Emmerich/Sonnenschein, 138. 20 Keine Befolgungspflicht besteht aber auf Seiten des (evtl, mitbestimmten) Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft, so daß z.B. die Wahl der Vorstandsmitglieder gegen den Willen der Hauptgesellschaft erfolgen kann; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 137. 21 Ebd., 137; vgl. auch Münchner Handbuch (Krieger), 894-895. 22 §322 AktG. 23 §327 AktG. 24 Emmerich/Sonnenschein, 129. 25 §§291-310 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 143. 26 Ebd., 32-34, 166f. 27 Zur Konzemleitungsmacht des herrschenden Unternehmens im Vertragskonzem; vgl. Em­ merich/Sonnenschein, 302 ff.

In der Praxis aber haben Beherrschungs-, Gewinnabführungs- und andere Unternehmensverträge28 bisher keine dominierende Rolle gespielt28 29. Das Feld wird beherrscht vom faktischen Konzern. Der Grund hiefür Hegt nicht zuletzt darin, daß die konzernhaftungsrechtlichen Vorschriften zum faktischen Konzern weitge­ hend toter Buchstabe geblieben sind30. Vertragskonzerne entstehen durch Abschluß eines Beherrschungsvertrages, wozu sich häufig aus Steuerrechtfichen Gründen auch noch ein Gewinnabführungs-(Organschafts-) Vertrag gesellt31. Der Abschluß eines Beherrschungsver­ trags bedarf der (qualifizierten) Zustimmung der Hauptversammlungen beider Ge­ sellschaften sowie des (rechtsbegründenden) Eintrags im Handelsregister32. Durch Abschluß eines Beherrschungsvertrags kann der herrschenden Gesellschaft Lei­ tungsmacht eingeräumt werden. Diese beinhaltet auch ein Weisungsrecht gegen­ über dem Vorstand33 der abhängigen Gesellschaft. Der Beherrschungsvertrag kann nachteilige Weisungen zulassen. Solche dürfen aber nicht gesetzes- oder sittenwid­ rig sein. Sie dürfen die Überlebensfähigkeit der abhängigen Gesellschaft nicht ge­ fährden und müssen durch das Konzerninteresse gerechtfertigt sein34. Auch die pe­ riodische Gewinnabführung setzt eine entsprechende vertragliche Vereinbarung voraus35. Die umfassenden Eingriffsmöglichkeiten im Vertragskonzern wurden durch eine Reihe gesetzlicher Sicherungsinstitute zugunsten der abhängigen Gesell­ schaft zu kompensieren versucht. Im Vordergrund steht die jährliche Verlustüber­ nahmepflicht der herrschenden Gesellschaft36. Sie kann von einzelnen Gläubigern

28 Z.B. Betriebsüberlassungsverträge; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 302f.; Münchner Hand­ buch (Kantenwein/Krieger), 864 ff. 29 Die genaue Verbreitung von Unternehmensverträgen ist - trotz Handelsregisterpublizität nicht bekannt. Eine Auswertung aus dem Jahr 1973 fand bei 365 Konzernen mit rund 5700 ab­ hängigen Gesellschaften rund 1550 Unternehmensverträge, von denen ein überwiegender Teil aber offenbar nur Gewinnabführungsverträge darstellten. Eine andere Untersuchung aus dem Jahr 1971 belegt eine Zahl von 287 Beherrschungsverträgen, von denen 237 mit Gewinnabfüh­ rungsverträgen verbunden waren; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 25 FN 82; Wiedemann, Experience, 28-29, erwähnt eine Statistik, nach der zwischen 1970 und 1979 rund 130 neue Beherr­ schungsverträge abgeschlossen wurden; vgl. auch Geßler/Kropf, 5-7. 30 Emmerich/Sonnenschein, 316ff; vgl. hinten IV.2.1.2.4. 31 Emmerich/Sonnenschein, 142; ein Beherrschungsvertrag ohne Gewinnabführungsvertrag ist möglich - fraglich ist dagegen die umgekehrte Konstellation, welche evtl, zumindest einen Rückgewährungsanspruch der abhängigen Gesellschaft nach §311 AktG auslöst; vgl. Emmerich/ Sonnenschein, 161-162. 32 Ebd., 199ff. 33 Nicht aber gegenüber dem Aufsichtsrat, womit etwa für die Personalpolitik in mitbestimm­ ten oder nicht zu 100% beherrschten Tochtergesellschaften Fremdeinflüsse denkbar bleiben; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 154-155. 34 Emmerich/Sonnenschein, 302ff; vgl. zur Konzernleitung im Vertragskonzern auch Münchner Handbuch (Krieger), 828ff. 35 Emmerich/Sonnenschein 307-308; zum Gewinnabführungsvertrag auch Münchner Hand­ buch (Krieger), 848ff. 36 §302 AktG.

aber nur geltend gemacht werden, nachdem der Anspruch der abhängigen Gesell­ schaft gepfändet und an die betreffenden Gläubiger überwiesen wurde37. Nach Beendigung eines Beherrschungsvertrages steht den bisherigen Gläubi­ gern der abhängigen Gesellschaft als Ersatz für die nun aufgehobene Verlustüber­ nahmepflicht ein Anspruch auf Sicherheitsleistung gegen die herrschende Gesell­ schaft zu38. Er verwandelt sich in einen direkten Ausfallhaftungsanspruch, wenn feststeht, daß ein Konkurs gegen die abhängige Gesellschaft mangels Aktiven nicht durchgeführt wird39.

2.1.2.4. Faktische Konzerne Die meisten deutschen Unternehmensgruppen des Aktienrechts sind weder durch Eingliederung noch durch Beherrschungsverträge miteinander verbunden. Ihre wirtschaftliche Zusammengehörigkeit basiert auf dem direkten oder indirek­ ten 100%igen oder mehrheitlichen Aktienbesitz von Muttergesellschaften an ih­ ren Töchtern und Enkelgesellschaften. Diese Gebilde werden von der deutschen Lehre unter dem Begrifffaktische Konzerne zusammengefaßt40. Ihre Regelung im AktG41 umfaßt jedoch nicht alle Arten irgendwie verbundener Unternehmen42, welche nicht Eingliederungs- oder Vertragskonzerne sind. Vielmehr setzt auch der Auffangtatbestand des faktischen Konzerns die Abhängigkeit 43 einer Gesell­ schaft von einer anderen voraus. Bei einer Mehrheitsbeteiligung wird die Abhän­ gigkeit aber (widerlegbar) vermutet44. Die Anwendung der haftungsrechtlichen Vorschriften zum faktischen Konzern verlangt nicht, daß eine Unternehmensgruppe unter einheitlicher Leitung steht, d.h. einen formellen Konzern im Sinne des §18 AktG darstellt45. Innerhalb der Rechtskategorie faktische Konzerne unterscheiden Emmerich/Sonnenschein des­ halb zwischen einfachen Abhängigkeitsverhältnissen, einfachen faktischen Konzer­ nen und qualifizierten faktischen Konzernen46. Einfache Abhängigkeitsverhältnis­ se bestehen, wenn das Erfordernis der einheitlichen Leitung47 nicht erfüllt ist. An­ dernfalls ist von einem einfachen faktischen Konzern oder, wenn die Einflußnah­ 37 Emmerich/Sonnenschein, 268-269; Münchner Handbuch (Krieger), 805; Koppensteiner, Kommentar, N 23 zu §302 AktG. 38 §303 AktG. 39 Emmerich/Sonnenschein, 270. 40 Ebd., 318. 41 §§311-318 AktG. 42 §15 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 39f. 43 §17 AktG. 44 §17 Abs. 2 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 54f. 45 Ebd., 75; zum Begriff der einheitlichen Leitung: vgl. § 18 AktG und Emmerich/Sonnen­ schein, 76ff. 46 Ebd., 319. 47 Das Erfordernis wird vor allem dann als erfüllt betrachtet, wenn das Finanzwesen zentrali­ siert ist, aber u.U. auch dann, wenn andere wichtige Unternehmensbereiche zentral geleitet wer­ den; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 80-81.

me des Mutterunternehmens einen gewissen Intensitätsgrad überschritten hat, von einem qualifizierten faktischen Konzern auszugehen48. Für faktische Konzerne bestünde an sich ein grundsätzliches Verbot nachteiliger Einflußnahmen des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesell­ schaft49. Indem aber der Ausgleich aller voraussehbaren Nachteile eines schädli­ chen Eingriffs für zulässig erklärt wird, legalisiert das AktG konzernrechtliche Ver­ strickungen in faktischen Konzernen50. Zu Schadenersatz gegenüber der abhängi­ gen Gesellschaft ist das herrschende Unternehmen nur verpflichtet, wenn der Nachteilsausgleich nicht binnen eines Jahres erfolgte51. Die Ersatzpflicht ist zudem ausgeschlossen, wenn auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter ei­ ner unabhängigen Gesellschaft das fragliche Rechtsgeschäft vorgenommen oder die fragliche Maßnahme getroffen (bzw. unterlassen) hätte52. Zum Zwecke der Überprüfung des Nachteilsausgleichs sieht das AktG einen Abhängigkeitsbericht des Vorstands der abhängigen Gesellschaft vor, welcher den Abschlußprüfern und dem Aufsichtsrat vorzulegen ist53. Im übrigen bleibt der Be­ richt aber vertraulich54. In bestimmten Fällen kann zusätzlich eine Sonderprüfung angeordnet werden55. Die Haftungsordnung für faktische Konzerne hat sich vor allem bei intensiven Verstrickungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften als vollends unprakti­ kabel erwiesen56. Erfolgreiche Klagen gegen Mutterunternehmen aufgrund von §317 AktG sind offenbar unbekannt57. Es wurden überhaupt nur sehr wenige Kla­ gen aufgrund der §§317 und 318 AktG anhängig gemacht58. Die Gründe hiefür sind vielschichtig. Vorerst bestehen auf Seiten des Tochtermanagements nur wenig natürliche Anreize, gegenüber dem faktisch übergeordneten Muttermanagement Nachteilsausgleichs- bzw. Schadenersatzansprüche59 geltend zu machen60. Minder­

48 Ebd., 319; Münchner Handbuch (Krieger), 753ff. 49 §§311, 317 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 319. 50 Ebd., 318; Münchner Handbuch (Krieger), 760f. 51 §317 Abs. 1 AktG. 52 §317 Abs. 2 AktG. 53 §313, 314 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 348ff; Münchner Handbuch (Krieger), 777f. 54 Emmerich/Sonnenschein, 349. 55 §315 AktG. 56 Emmerich/Sonnenschein, 320. 57 Schießl, Liability, 501 FN 14. 58 Emmerich/Sonnenschein, 335; im Herstatt-Fall wurde bezeichnenderweise auf §317 AktG gar nicht eingegangen; vgl. BGHZ 75, 96. 59 Grundsätzlich möglich wären auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche; vgl. Emme­ rich/Sonnenschein, 356. 60 Immerhin unterstehen Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft einer Haf­ tung gemäß § 318 AktG, wenn sie bei Vorliegen von schädigenden Eingriffen ohne Nachteilsaus­ gleich gegen ihre Pflichten zur Erstattung bzw. Prüfung eines Abhängigkeitsberichts verstoßen. Der Vorstand untersteht zusätzlich den allgemeinen Haftpflichtvorschriften des §93 AktG; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 357-358. Im übrigen haften auch die gesetzlichen Vertreter des herr­ schenden Unternehmens, welche für die schädigenden Eingriffe verantwortlich waren; vgl. §317 Abs. 3 AktG.

heitsaktionäre der abhängigen Gesellschaft können nur Zahlung an die Gesell­ schaft verlangen61. Dasselbe gilt für die Gläubiger62, außer im Falle einer Pfändung und Überweisung der Ansprüche63. Im Konkursfalle wird das Klagerecht der Gläu­ biger durch die Konkursverwaltung der abhängigen Gesellschaft ausgeübt64. Für Minderheitsaktionäre, Gläubiger und die Konkursverwaltung sind die Ko­ sten und Risiken einer Geltendmachung von Ansprüchen gegen das herrschende Unternehmen aber meist prohibitiv65. Der geforderte Nachweis spezifischer Schä­ digungen und der Beweis des ausgebliebenen Nachteilsausgleichs dürften schon a priori nicht leicht sein66. Sie werden für Außenstehende geradezu unmöglich, wenn dabei die Durchforstung moderner Konzerngefüge vorausgesetzt wird67. Eine gewisse präventive Wirkung ist allenfalls noch vom Abhängigkeitsbericht zu erwarten, soweit er von sachkundigen und unabhängigen Abschlußprüfern erstellt wird68. Da dieser Bericht außenstehenden Dritten, vor allem Gläubigern, aber nicht zugänglich ist, dürfte auch er ihre Klägerposition nicht entscheidend verbes­ sern69. Die Haftungsordnung für den faktischen Konzern funktioniert besonders dann nicht, wenn die Verstrickungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften in­ tensiv waren. Die Rechtsprechung hat deshalb im Bereich des GmbH-Rechts die Figur des qualifizierten faktischen Konzerns geschaffen70. Die herrschende Lehre be­ nutzt sie auch im Aktienrecht71. Die Vorschriften für den faktischen Konzern wä­ ren damit nur noch auf locker organisierte Konzerne anzuwenden. Stärker inte­ grierte Konzernstrukturen, welche dem AktG unterstehen, müßten dagegen als qualifizierte faktische Konzerne eingestuft werden72. Die Gläubiger einer abhängi­ 61 §317 Abs. 4 i.V. mit §309 Abs. 4 AktG. 62 §317 Abs. 4 i.V. mit §309 Abs. 4 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 355. 63 Koppensteiner, Kommentar, N 35 zu §309 AktG unter Verweis auf Mertens, Kommentar, N 141 ff. zu §93 AktG. 64 §309 Abs. 4 AktG. 65 Emmerich/Sonnenschein, 355. 66 Vgl. zu den Einzelheiten: a.a.O., 329-342; Münchner Handbuch (Krieger), 771 ff. 67 Emmerich/Sonnenschein, 320. 68 Lutter, Konzemrecht, 460. 69 Emmerich/Sonnenschein, 349; immerhin besteht evtl, für Arbeitnehmervertreter im Toch­ ter-Aufsichtsrat die Möglichkeit, einen Jahresabschluß anzufechten, in welchem ein Schadener­ satzanspruch der Tochter gegen die Mutter aus unterlassenem Nachteilsausgleich nicht aktiviert wurde; vgl. BGH-Urteil vom 15.11. 1993, AG 1994, 124. 70 BGHZ 95, 330 (Autokran); Emmerich/Sonnenschein, 319, 342, 344—345; dieser Schritt wurde aber vorbereitet; vgl. z.B. Ulmer, Gläubigerschutz, 391 ff; Untemehmensrechtskommission, 847ff. 71 Emmerich/Sonnenschein, 347 (mit Verweisen); Lutter, Unternehmensgruppe, 263—267; Hoffmann-Becking, AG-Konzem, 69ff; Koppensteiner, AG-Konzem, 87ff; Münchner Hand­ buch (Krieger), 753ff; vgl. dazu auch die rechtspolitischen Ueberlegungen bei Hommelhoff, Gutachten, 32ff. 72 Sie sind nach einer Entscheidung des OLG Hamm sogar unzulässig; vgl. OLG Hamm, NJW 1987,1030, (Banning); anders aber OLG Mannheim, DB 1990,2011, (SEN); vgl. auch De­ cher, Zulässigkeit, 2005ff; Emmerich/Sonnenschein, 343; Timm, Banning, 977ff; vgl. in die­ sem Zusammenhang zudem den rechtspolitischen Vorschlag, wonach der herrschenden Gesell-

gen Gesellschaft hätten dann in erster Linie die Existenz eines qualifizierten fakti­ schen Konzerns zu beweisen, um direkte Ausfallhaftungsansprüche gegen die Mut­ tergesellschaft geltend machen zu können bzw. um in den Genuss von Beweiser­ leichterungen zu kommen73. Emmerich/Sonnenschein74 schlagen vor, das Vorhan­ densein eines qualifizierten faktischen Konzerns schon bei Abhängigkeit immer zu vermuten. 2.1.3. Das ungeschriebene Konzernrecht

2.1.3.1. Allgemeines Das Aktienrecht findet keine Anwendung, wenn das abhängige Unternehmen nicht die Form einer AG (oder KGaA)75, sondern einer GmbH oder Personenge­ sellschaft hat76. Für die in der BRD weitverbreitete und häufig in Unternehmens­ verbindungen integrierte GmbH77 fehlt es damit an einem geschriebenen Kon­ zernrecht78. Nachdem der Gesetzgeber ein entsprechendes Kodifikationsprojekt aufgab79, wurden die Gerichte, insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH), akti­ ver80. Sie schufen z.B. die für das Konzernhaftungsrecht äußerst bedeutsame Figur des qualifizierten faktischen Konzerns81. Das Richterrecht hat zudem eine Ge­ wichtsverlagerung in Richtung Konzernorganisationsrecht bewirkt82.

2.1.3.2. Konzernhaftungsrechtfiche Neuansätze Haftungsrechtlich besonders interessant sind die Entscheide ITT, Autokran, Tiefbau und TBB. Der BGH statuierte im Fall ITT83 eine strenge Treuepflicht des Mehrheitsgesellschafters. Diese bindet ihn strikt an die Förderung des separaten Tochterinteresses. Daraus fließt ein umfassendes Verbot, abhängige Gesellschaften zu schädigen84. Eine Verletzung dieses Verbots führt zu Beseitigungs-, Unterlasschäft in qualifiziert faktischen Konzernen durch die Aktionäre und Gläubiger eine Abhängig­ keitserklärung aufgezwungen werden könnte, welche zur Anwendung der Vorschriften des Ver­ tragskonzems fuhren würde; Wiedemann, Experience, 37-38. 73 Emmerich/Sonnenschein, 346-347; hinten IV.2.1.3.2. 74 Ebd., 346. 75 Koppensteiner, Kommentar, N 5 zu §291 AktG. 76 Emmerich/Sonnenschein, 361, 398. 77 Schätzungen zufolge sind mehr als 50% der GmbHs Teil von Unternehmensverbindungen; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 362-363. 78 Vereinzelte Konzemrechtsnormen, z.B. das Konzembilanzrecht, finden aber auch auf die GmbH Anwendung; vgl. Emmerich/Sonnenschein, 364-365. 79 Ebd., 363. 80 Zum deutschen Konzemrichterrecht, vgl. z.B. das konzemrechtliche Oktogen bei Wiede­ mann, Unternehmensgruppe, 38f.; Emmerich, Stand, 1f.; Emmerich/Sonnenschein, 367-368. 81 Emmerich/Sonnenschein, 378f.; vgl. auch Scheffler, Konzern, 173ff.; Lutter, Konzern, 179f.; Gäbelein, Definition, 185f.; Vonnemann, Tiefbau, 217f. 82 Emmerich/Sonnenschein, 22, 93ff., 367, 380-381, 400f. 83 BGHZ 65, 15. 84 Emmerich/Sonnenschein, 373-374.

sungs- und Schadenersatzansprüchen der betroffenen Gesellschaft85. Die Ansprü­ che können zudem von den Minderheitsgesellschaftern86, gemäß einem Teil der Lehre auch von den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft geltend gemacht wer­ den87. Der BGH trug dem Gläubigerschutz im Autokran-Urteil88 noch spezifischer Rechnung. Er nahm an, bei dauernd und umfassend ausgeübter Geschäftsleitung durch das herrschende Unternehmen liege ein qualifizierter faktischer Konzern vor. Dieser begründe die tatsächliche Vermutung, es sei „auf die eigenen Belange der einzelnen Gesellschaften der Unternehmensgruppe keine Rücksicht genom­ men worden“. Das herrschende Unternehmen könne sich aber befreien, indem „es dartut, der pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer einer selbständigen GmbH würde deren Geschäfte unter den gegebenen Umständen nicht anders ge­ führt haben“89. Falls dieser Beweis mißlinge, hafte das herrschende Unternehmen analog zu den Vorschriften des Vertragskonzerns90 für den von den Gläubigern er­ littenen Ausfall. Nach Eintritt des Konkurses könne dieser Anspruch in Analogie zu den Bestimmungen des Eingliederungskonzerns direkt geltend gemacht wer­ den91. Die Autokranentscheidung löste in der Literatur eine breite und im Grundsatz unterstützende Diskussion aus92. Sie wurde im Entscheid Tiefbau93 grundsätzlich bestätigt94. Dabei wurde aber der Entlastungsbeweis des herrschenden Unterneh­ mens neu gefaßt. Der BGH konzedierte, die Verlustübernahmepflicht diene unter anderem dazu, „die Außerkraftsetzung der Kapitalsicherungsvorschriften“ im qua­ lifizierten faktischen Konzern auszugleichen. Ein Entlastungsbeweis könne des­ halb nur erbracht werden, „soweit die eingetretenen Verluste auf Umständen beru­ hen, die mit der Ausübung der Leitungsmacht nichts zu tun haben“95. Damit schwenkte der BGH vom Konzept der Verhaltenshaftung über zum Konzept einer Struktur- bzw. Zustandshaftung96. Das Urteil gibt überdies Hinweise für die Fas­ sung des Begriffs des qualifizierten faktischen Konzerns97. Ein solcher kann z.B.

85 Ebd., 374-375. 86 Ebd., 375. 87 Ebd., 376-377; dazu eingehend Ulmer, Gläubigerschutz, 391 ff. 88 BGHZ 95, 330. 89 BGHZ 95, 344. 90 §303, 322 Abs. 2 und 3 AktG. 91 §322 Abs. 2 und 3 AktG. 92 Assmann, Gläubigerschutz, 881 ff; Rehbinder, Gläubigerschutz, 85ff; Stimpel, Innenhaf­ tung, 117ff; Ulmer, Kapitalerhaltungsschutz, 123ff; Lutter, GmbH, 1425ff; kritisch aber z.B. Altmeppen, Konzern, 53ff; Roth, Nachlese, 1054ff; Timm/Geuting, 821 ff. 93 BGHZ 107, 7 (= WM 1989, 528ff). 94 WM 1989, 531. 95 Ebd., 532; so auch Emmerich/Sonnenschein, 379-380, welche sich zugleich skeptisch zur Erbringlichkeit eines solchen Beweises äußern; vgl. auch OLG Köln, DB 1990, 1399ff. 96 Vonnemann, Tiefbau, 217; vgl. auch Schmidt, Tiefbau, 545f; Ziegler, Verlustausgleich, 1041 ff; Stimpel, Haftung, 144ff. 97 WM 1989, 532.

vorliegen, wenn die herrschende Gesellschaft alle finanziellen Entscheidungen an sich gezogen hatte98. Nachdem die Rechtsprechung zur Haftung qualifizierter faktischer Konzerne im Video-Urteil99 bekräftigt worden war, machte sich Kritik breit100. Dies führte zu einer Überprüfung der Darlegungs- und Beweislasten des Anspruchstellers im TBB-Entscheid101. Danach begründet die dauernde und umfassende Leitungs­ macht des herrschenden Unternehmens für sich allein noch nicht die Vermutung einer Vernachlässigung der Eigenbelange der abhängigen GmbH. Der Kläger hat vielmehr Umstände darzulegen und zu beweisen, welche eine solche Annahme na­ helegen. Dabei können ihm „Erleichterungen hinsichtlich seiner Substantiierungs­ pflicht in der Weise gewährt werden, daß der Beklagte nähere Angaben zu machen hat, wenn er im Gegensatz zum Kläger die maßgebenden Tatsachen kennt und ihm die Darlegung des Sachverhalts zumutbar ist“. Verschiedene Fragen im Rah­ men der Haftung für abhängige GmbH-Gesellschaften scheinen aber noch of­ fen102, so z.B. das Problem einer allfälligen Begrenzung der Haftung des herrschen­ den Unternehmens auf die Stammkapitaldeckungspflicht103.

2.1.3.3. Konzernorganisationsrechtliche Neuansätze Ein weiteres Verdienst des deutschen Konzernrichterrechts besteht darin, das Konzernorganisationsrecht verstärkt in den Brennpunkt gerückt zu haben104. Die Rechtsprechung übernahm die unter anderem von Lutter105, Schneider106 und Hommelhoff107 geforderte Erkenntnis, eine Beschränkung des Blickfeldes auf den haftungsrechtlichen Schutz abhängiger Gesellschaften sei weder besonders wirk­ sam noch adäquat. Konzernrechtliche Schutzvorkehren könnten und sollten be­ reits bei der Konzernbegründung ansetzen. Zudem wird richtig betont, im Kon­ 98 Vgl. auch Lindermann, Doppelmandat, 225ff.; Gäbelein, Definition, 185ff., und den Defi­ nitionsversuch bei Lutter, Konzern, 183: „Ein qualifizierter faktischer Konzern Hegt vor, wenn eine Gesamtbetrachtung ergibt, daß die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft in ihrem Kem auf die Muttergesellschaft übergegangen ist“. 99 BGH, Urteil vom 23.9. 1991, BB 1991, 2173ff.; vgl. Ebenroth/Wilken, 2229ff.; Schmidt, Stand, 1325f.; Kleindiek, Strukturkonzepte, 1330ff.; Roth, Nachlese, 1054ff.; vgl. auch BGH, in AG 3/92, 83f. (Stromlieferung); vgl. zudem: Westermann, Weichenstellungen, 197ff.; Bau­ der, Entwicklungen, 25ff.; Timm/Geuting, 821 ff; Hirte, Konzern, passim. 100 Hommelhoff, Gutachten, 72ff; Kalß, Juristentag, 26. 101 BGH vom 29.3. 1993, in DB, Heft 16 (1993), 825ff; vgl. dazu Gummert, Haftung, 217ff; Kiethe/Groeschke, 2149ff; vgl. auch das Urteil des BGH vom 19. Sept. 1994, in WM 1994, 2016ff, 2018f. 102 Vonnemann, Tiefbau, 222-223. 103 WM 1989, 531; Ziegler, Verlustausgleich, 1041 ff; Vonnemann, Tiefbau, 222; Ebenroth/ Wilken, 2232f.; vgl. aus rechtspolitischer Sicht auch Hommelhoff, Gutachten, 75ff. 104 Emmerich/Sonnenschein, 94; skeptisch Ebenroth, Konzemobergesellschaft, 1 ff. 105 Lutter, Rechte, passim. 106 Schneider, Konzemleitung, 249ff; Schneider, Konzernfinanzierung, 497ff; Schneider, Gründung, 121 ff. 107 Hommelhoff, Konzemleitungspflicht, passim.

zernkontext seien nicht nur die Interessen der Minderheitsbeteiligten und der Gläubiger abhängiger Gesellschaften besonderen Gefahren ausgesetzt. Auch die Rechtspositionen von Anteilseignern und Gläubigern der herrschenden Gesell­ schaft könnten durch eine Konzernbildung gefährdet werden108. 109 Die konzernorga­ nisatorische Diskussion läuft zum Teil unter dem Begriff Konzernverfassungsrecht 109. Drei Urteile verdienen in diesem Zusammenhang Erwähnung: Im Fall Süßen110 wurde erstmals deudich festgehalten, daß Beschlüsse der Gesell­ schafterversammlung, die die Abhängigkeit der GmbH begründen können, beson­ derer materieller BeschlußVoraussetzungen bedürfen111. Das Holzmüllerurteil112 konstatierte die Gefahrenpotentiale für die Aktionäre einer Gesellschaft bei der Ausgliederung einer 100%igen Tochter. Es sprach sich für eine verstärkte Mitsprachebefugnis und für verbesserte Interventionsrechte der Minderheitsaktionäre der herrschenden AG aus. Auch für den Bereich der Kon­ zernleitung wurden die Mitspracherechte der Minderheitsaktionäre festgeschrie­ ben. Sie gelten für alle Entscheide, welche in die Rechtsstellung der Aktionäre ein­ greifen. Dazu zählen insbesondere auch Kapitalerhöhungen bei Tochtergesellschaf­ ten. Das OLG Hamm stellte sich im Fall Banning113 auf den Standpunkt, der qualifi­ zierte faktische Konzern sei unzulässig. Daraus folgerten Emmerich/Sonnen­ schein114, daß zu dessen Bildung alle außenstehenden Gesellschafter ihre Zustim­ mung geben müßten. Der SEN-Entscheid des OLG Mannheim hat sich später aber explizit gegen das Banning-Urteil ausgesprochen115. Der Regelungsauftrag des deutschen Konzernrechts ist durch den Einbezug konzernorganisationsrechtlicher Probleme deutlich erweitert worden. Aus haf­ tungsrechtlicher Sicht ist dies deshalb von Interesse, weil damit ein prozeduraler Präventivschutz aktiviert wird, welcher das Haftungsrecht evtl, teilweise zu substi­ tuieren vermag116.

2.1.4. Gemeinrechtliche Haftungsansätze

Der spezifisch konzernrechtliche Gläubigerschutz steht zwar im Zentrum der deutschen Diskussion und Rechtsprechung. Nebst ihm bestehen aber noch gesellschafts-, delikts- und vertragsrechtliche Institute, die in gleicher Weise zu einer Haftung von Muttergesellschaften gegenüber Tochtergläubigern führen können117. 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Emmerich/Sonnenschein, 96. Ebd., 96; eingehend zum Ganzen, a.a.O., 93-110. BGHZ 80, 69. Wiedemann, Unternehmensgruppe, 43. BGHZ 83, 122. NJW 1987, 1030. Emmerich/Sonnenschein, 380. DB 1990, 2011; vgl. dazu Decher, Zulässigkeit, 2006. Emmerich/Sonnenschein, 22. Lutter, Unternehmensgruppe, 248f.; Schießl, Liability, 485—495

Ein mit der eigentlichen Konzernhaftung konkurrierendes Institut ist der Durchgriff. Er wird als rechtliche Reaktion auf die Fallkonstellationen der Sphä­ renvermischung, der Vermögensvermischung, der Unterkapitalisierung und des Institutsmißbrauchs konzipiert118. Seine Existenzberechtigung im Bereich des Konzernrechts wird z.Teil in Frage gestellt119. Zweifellos ist seine Bedeutung durch den Erlaß und den richterlichen Weiterausbau des deutschen Konzernhaf­ tungsrechts stark gesunken120. Vor allem seit den Untersuchungen Rehbinders121 ist sodann anerkannt, daß auch das Konzernaußenrecht einen wesentlichen Bestandteil des konzernhaftungs­ rechtlichen Instrumentariums darstellt. Die Schutzzwecke des Konzernrechts wer­ den dabei mit vertragsrechtlichen122 und deliktsrechtlichen123 Mitteln zu erreichen versucht. Beispiele sind die auslegeweise Bestimmung der richtigen Vertragspar­ tei124, die culpa in contrahendo im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen (Vertrauenshaftung)125 oder die deliktische Haftung der Muttergesellschaft als Ge­ schäftsherrin ihrer Tochter126. Ein auf spezifische Gläubigergruppen ausgerichte­ tes Konzernhaftungsrecht hat sich bisher aber noch nicht durchzusetzen ver­ mocht. Das Konzernarbeitsrecht z.B. hat haftungsrechtlich kaum eigenständige Er­ gebnisse vorzuweisen127. Auch die Bestimmungen des GmbH-Rechts zur Umqualifizierung von Gesell­ schafterdarlehen in Eigenkapital sind von zumindest indirekter konzernhaftungs­ rechtlicher Relevanz128. Analoge Grundsätze finden im Aktienrecht Anwen­ dung129. Schließlich wird in der BRD vereinzelt die Möglichkeit diskutiert, eine Mutter­ gesellschaft als faktisches Organ ihrer Tochter haften zu lassen. Diese Konzeption wurde insbesondere von Wilhelm in den Vordergrund gestellt130. Ihr sachliches Po­ 118 Lutter, Unternehmensgruppe, 248-254; Schmidt, Gesellschaftsrecht, 182ff.; Paschke, Durchgriffsproblematik, 196ff.; Schmidt, Sphärenvermischung, 2074; Franzmann, Durchgriffstatbestände, 171 ff.; Maier, Kapitalerhaltung, 9ff; Stimpel, Durchgriffshaftung, 601 ff.; Kübler, Gesellschaftsrecht, 318f. 119 Behrens, Durchgriff, 338; Wilhelm, Rechtsform, 285 ff; im Autokran-Urteil wurde er aber alternativ in Erwägung gezogen; vgl. BGHZ 95, 330. 120 Teubner, Konzemhaftung, 261; Rehbinder, Konzemaußenrecht, 85ff, 125. 121 Rehbinder, Konzemaußenrecht, passim; Emmerich/Sonnenschein, 265; Lutter, Unter­ nehmensgruppe, 254-257; Hommelhoff, Produktehaftung, 761 ff. 122 Rehbinder, Konzemaußenrecht, 131 ff. 123 Ebd., 485ff. 124 Ebd., 133ff; vgl. auch Schneider, Firma, 1985ff. 125 Lutter, Unternehmensgruppe, 254—257; Emmerich/Sonnenschein, 265; Rehbinder, Kon­ zemaußenrecht, 336f. 126 Rehbinder, Konzemaußenrecht, 529ff. 127 Windbichler, Arbeitsrecht, 118ff, 583ff; Birk, Arbeitsrecht, 263ff; Konzen, Arbeitsver­ hältnisse, 566ff; Wiedemann, Unternehmensgruppe, 91 ff; Martens, Grundlagen, 417ff. 128 §32a GmbHG; Kübler, Gesellschaftsrecht, 250ff; Schießl, Liability, 487ff; Priester, Ge­ sellschafterdarlehen, 1917ff. 129 Emmerich/Sonnenschein, 265; BGHZ 90, 370, 376f. 130 Wilhelm, Rechtsform, 285ff, 336f.; vgl. auch Roth, Geschäftsführer, 427-432; Stein, Or­ gan, 186ff; Schanze, Organhaftung, 42-44.

tential und ihre positiv-rechtliche Zulässigkeit werden aber von der herrschenden Lehre angezweifelt131.

2.1.5. Sonderregelungen für internationale Konzerne Das deutsche Konzernhaftungsrecht löst die spezifischen Probleme bei grenz­ überschreitenden Konzernstrukturen in erster Linie kollisionsrechtlich132. 133 Es be­ steht mithin keine spezifische Haftungsordnung für MNK133. Immerhin kann z.B. eine Eingliederung nur zwischen zwei Aktiengesellschaften mit Sitz in der BRD erfolgen134. Die Zulässigkeit grenzüberschreitender Beherrschungsverträge wird dagegen von der herrschenden Lehre bejaht135.

2.2.

Rechtslage in Frankreich

2.2.1. Allgemeines In Frankreich existiert keine umfassende Konzernrechtsregelung136, obwohl der Abgeordnete Couste in den 70er Jahren den Erlaß eines französischen Konzernge­ setzes vorschlug137. Art. 26 seines Entwurfs statuierte eine umfassende gesamt­ schuldnerische Haftung der herrschenden Unternehmung für Verpflichtungen der abhängigen Gesellschaft138. Das geltende französische Recht kennt immerhin vereinzelte Vorschriften von konzernhaftungsrechtlicher Tragweite. Sie haben zum Teil auch auf EU-Gesetzgebungsvorschläge eingewirkt139. Dem impressionisti­ schen140 Bild des französischen Konzern- bzw. Konzernhaftungsrechts zum Trotz rechtfertigt sich deshalb eine etwas vertiefte Auseinandersetzung mit diesem. Da­ bei sind das Konkursrecht, das allgemeine Zivilrecht und das Arbeitsrecht zu unter­ scheiden. 131 Ulmer, Gläubigerschutz, 413f.; Wiedemann, Unternehmensgruppe, 35—36, 84; Emme­ rich/Sonnenschein, 372; Vonnemann, Tiefbau, 217-219. 132 Koppensteiner, Kommentar, N 78f. zu §291 AktG; Behrens, Durchgriff, 331 ff; vgl. im übrigen hinten IV.3. 133 Das deutsche Konzemrecht wird somit in den Grenzen des IPR und IZPR auch auf MNK angewandt; Behrens, Durchgriff, 341 ff, 348ff; vgl. auch Ebenroth/Wilken, 2234. 134 Emmerich/Sonnenschein, 130. 135 Ebd., 415ff; Koppensteiner, Kommentar, N 94f. zu §291 AktG.; vgl. hinten IV.3.6. 136 Houin, Groupes, 45-58; Cozian/Viandier, 431 ff; Guyon, Affaires, 552ff; Schmidt, Un­ ternehmensgruppe, 276ff; Weißberg/Moissinac, 33ff; Guyon, Entwicklung, 232; Bejot, Ele­ mente, 169ff; vgl. auch Druey, Gutachten, 5 ff. 137 Brachvogel, Konzemrecht, 87ff; Houin, Groupes, 51—57; vgl. den Text des (revidierten) Couste-Vorschlags von 1979 bei Hopt, Multinational, 296-319. 138 Coust-Vorschlag von 1970, abgedruckt in ZGR 1972, S.76ff. 139 Vgl. die Figur des dirigeant defait, welche in den Entwurf von 1984 für eine EU- bzw. EGKonzernrichtlinie Aufnahme fand; hinten IV.2.2.2.1. und 2.3.2.; vgl. im übrigen auch die neue Gesellschaftsform der societe par actions simplifiee, welche insbesondere auf Konzemgesellschaften zugeschnitten ist: Beltz, Gesellschaftsform, 548 ff. 140 Cozian/Viandier, 447.

2.2.2. Konkursrecht 2.2.2.1. Verlustdeckungsklage (action en comblement de passifi Art. 180 des Konkursgesetzes vom 25.1. 1985141 sieht für den Fall einer konkurs­ rechtlichen Umstrukturierung oder Liquidation (redressment ou liquidation judiciaire) einer Gesellschaft vor, daß deren formelle oder faktische Geschäftsführer (dirigeants de droit ou de fait) zur Deckung des Ausfalls verpflichtet werden können, so­ fern ihnen eine Sorgfaltspflichtverletzung {faute de gestion) nachgewiesen wird142. Auch eine Muttergesellschaft kommt als faktische (oder sogar formelle) Geschäfts­ führerin in Frage. Sie muß sich aber aktiv in die Angelegenheiten ihrer Tochter ein­ gemischt haben. Eine bloße Mehrheitsbeteiligung reicht nicht aus143. Unter geltendem Recht wird (im Gegensatz zum früheren Art. 99 des Konkurs­ gesetzes von 1967144) aber weder das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung noch das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen Pflichtverletzung und Gesellschaftsschaden vermutet145. Diese Erschwerung der klägerischen Rechtspo­ sition sollte vor allem der haftungsrechtlichen Überbeanspruchung natürlicher Ge­ schäftsführerpersonen einen Riegel schieben146. Die Gläubiger und Konkursorga­ ne147 einer Tochtergesellschaft haben somit nachzuweisen, daß die Muttergesell­ schaft faktische Geschäftsführerin war, eine Sorgfaltspflichtverletzung beging und durch diese den Schaden der Tochter verursachte. Diese schwierige Beweislast wird einer Klage gegen Muttergesellschaften oft im Wege stehen148. Ein zusätzli­ ches Klagehindernis dürfte der Rozenblum-Entscheid aus dem Jahre 1985 darstel­ len149. In diesem strafrechtlichen Veruntreuungsverfahren (abus de biens sodaux) sprach sich das zuständige Gericht für eine rechtliche Anerkennung des Konzernin­ 141 Loi 85-98 du 25 janvier 1985; vgl. Dalloz, Code, 633. 142 Jeantin, Commercial, 677-685; Cozian/Viandier, 440; Zahn, Geschäftsleiterhaftung, 73f.; Lutter, Europa, 354—360; Junker, Geschäftsführung, 337ff.; Wiedemann, Unternehmens­ gruppe, 79-81. 143 Cozian/Viandier, 440-441. 144 Vgl. Anmerkungen in Dalloz, Code, 806-810; vgl. Sortais, Questions, 122ff. 145 Daigre, Responsabilite, 201-202. 146 Ebd., 204. 147 Jeantin, Commercial, 682-683. 148 Cozian/Viandier, 441; vgl. immerhin die Zahlenangaben bei Zahn, Geschäftsleiterhaf­ tung, 64 ff, wonach unter dem früheren Recht bei rund 15% der Konkurse von Kapitalgesell­ schaften eine Verlustdeckungsklage angestrengt wurde, wobei durchschnittlich 47% der Kon­ kursausfälle überwälzt werden konnten. So kam es für gesamthaft 6% der ausstehenden Forderun­ gen zu einer Deckung durch die Geschäftsführer; a.a.O. 69. Gemäß Schmidt, Unternehmensgruppe, 281, existieren nur wenige konzemhaftungsrechtli­ che Entscheidungen aufgrund von Verlustdeckungsklagen; als Begründung führt er an: „....Kom­ plexität und ... Unkenntnis der Bindungen innerhalb der Gruppe, ...Mangel an Information, ...Schwierigkeiten, den Einfluß der herrschenden Gruppe einzuschätzen und zwischen dringen­ der Empfehlung und zwingender Anordnung zu unterscheiden ...“. Vgl. auch die statistischen Angaben bei Wiedemann, Unternehmensgruppe, 79-80. 149 Cass. crim. 4fev. 1985; Cozian/Viandier, 442; Bouloc, Groupes, 187-190; Guyon, Ent­ wicklung, 255; Guyon, Fratemite, 444; vgl. auch Amstutz, Konzemorganisationsrecht, 418ff; Lutter, Privilegierung, 260ff.

teresses aus. Das Urteil statuierte, die interne Kreditierung von Konzerngesellschaf­ ten könne z.B. legitim sein, falls sie durch das Konzerninteresse gerechtfertigt sei, Leistung und Gegenleistung sich das Gleichgewicht hielten und die kreditgebende Gesellschaft dadurch nicht überfordert werde150.

2.2.2.2. Konkurskonsolidierung (action en extension) Die Verlustdeckungsklage an sich fuhrt nicht zum Konkurs einer als faktische Geschäftsführerin haftbaren Muttergesellschaft151. Formelle oder faktische Ge­ schäftsführer können jedoch gemäß Art. 182 des Konkursgesetzes von 1985 vom Konkurs der Gesellschaft miterfaßt werden, falls folgende alternative Voraussetzun­ gen erfüllt sind: Verfügung des Geschäftsführers über Gesellschaftsaktiven wie über eigene; — Einsatz der Gesellschaft als Vehikel (masque) für eigene Geschäfte des Ge­ schäftsführers; - konkursverursachende Ausbeutung der Gesellschaft durch den Geschäftsfüh­ rer; — Zerstörung von Dokumenten oder Führung fiktiver Buchhaltungen durch den Geschäftsführer; - betrügerische finanzielle Schädigung der Gesellschaft durch den Geschäfts­ führer152. Die Konkurskonsolidierung setzt somit besonders gravierende Fälle von Sorg­ faltspflichtverletzungen voraus. Wie bei der Verlustdeckungsklage handelt es sich bei der action en extension um eine Besonderheit des französischen Konkursrechts, welche zwar nicht spezifisch konzernrechtlich konzipiert ist, aber durchaus kon­ zernhaftungsrechtliche Bedeutung aufweist.

2.2.3. Gemeinrechtliche Haftungsansätze Auch das französische Recht kennt durchgriffsartige Rechtsfiguren. Unter den Stichworten confusion de patrimoine 153,fraude 154 oder societe defa^ade 155 existiert ein (bewußt) offengehaltener Rechtsbereich, der im Falle der Insolvenz einer Gesell­ schaft den Haftungsdurchgriff auf eine Mutterunternehmung erlaubt156. Die Vor­ aussetzungen des Durchgrifs sehen denjenigen in anderen Rechtsordnungen ähn150 Bouloc, Groupes, 189; vgl. auch Cour de Cassation (Ch. soc.), 3 avril 1990, Rev. des Soc., 1990, 625-628. 151 Cozian/Viandier, Socits, 441. 152 Zu diesen Voraussetzungen im Detail: vgl. Jeantin, Commercial, 685-689. 153 Cozian/Viandier, 440. 154 Guyon, Affaires, N 621; Beguin, Anmerkungen, 363, 364; vgl. auch a.a.O. 364-368 (filiale fictive). 155 Cozian/Viandier, 440, N. 1759. 156 Guyon, Affaires, N 621; Cozian/Viandier, 439-440; Beguin, Anmerkungen, 367-368.

lieh157. Es handelt sich um Ausnahmetatbestände, die bei entsprechenden Innen­ strukturen (Vermögensvermischung, Mißachtung der Gesellschaftsformalitäten)158 oder Außenstrukturen (Auftreten nach außen als Einheit)159 erfüllt sein können. Das Abstellen auf die Außenstrukturen (apparence)160 zeigt Verbindungen zum Kon­ zernaußenrecht. Ein solches scheint sich auch in Frankreich fallweise zu entwikkeln161. Von besonderem Interesse ist dabei das Arbeitsrecht.

2.2.4. Konzernarbeitsrecht Das französische Arbeitsrecht scheint für konzernrechtliche Fragen besonders sensibilisiert zu sein162. Es ging auch im Konzernhaftungsbereich eigene Wege. Die Rechtsprechung entschied, eine Muttergesellschaft hafte für Abgangsentschä­ digungen von Tochterarbeitnehmern unter gewissen Umständen solidarisch mit der Tochter163. Für eine derartige Mithaftung reicht jedoch die wirtschaftliche Ab­ hängigkeit der Tochter oder die allgemeine Einmischung der Mutter in finanzielle Tochter-Angelegenheiten nicht aus164. Es bedarf eines zumindest indirekten Eingrifs in die Personalpolitik, z.B. bei Anstellungen von Arbeitnehmern165. Auch di­ rekte Anweisungen der Muttergesellschaft an Arbeitnehmer der Tochter oder eine praktizierte Rechenschaftspflicht von Tochterarbeitnehmern gegenüber der Mut­ ter können genügen166. Die Rechtsprechung anerkennt damit, daß die Aufteilung von Arbeitgeberfunk­ tionen zwischen der Mutter- und Tochtergesellschaft das Auffinden des wirkli­ chen Arbeitgebers (ueritable employeur) schwierig machen kann167. Daraus wird ab­ geleitet, Tochterarbeitnehmer seien als typischerweise schwache Gläubigergruppe haftungsrechtlich zu privilegieren. In der Literatur scheint zudem die Tendenz zu bestehen, diese konzernarbeitsrechtliche Haftung auf alle Arbeitnehmeransprüche auszudehnen, d.h. sie nicht nur für Abgangsentschädigungen gelten zu lassen168. 157 Vgl. z.B. USA, hinten IV.2.4.2. 158 Beguin, Anmerkungen, 366-367; Schmidt, Unternehmensgruppe, 282-283; Gallet, No­ te, 294. 159 Beguin, Anmerkungen, 365-366; Schmidt, Unternehmensgruppe, 283—285; vgl. auch den Entscheid Aix 2e Ch., 11 janv. 1985, in Bulletin des arrets de la Cour d’Aix 1985/2, 59. 160 Sommaires de Jurisprudence, Rev. des Soc. (1989), 289-290. 161 Schmidt, Unternehmensgruppe, 278-280, 283-285, 286, 288-289; vgl. auch Daigre, Re­ sponsabilite, 199ff., welcher die Auffassung vertritt, nebst Art. 180 des Konkursgesetzes könnten parallel keine haftungsrechtlichen Institute des gemeinen Zivilrechts angerufen werden. 162 Guyon, Affaires, N 622; Teyssie, Travail, 319-320, 325-326, 477-479; Oppetit, Groupes, 69f. 163 Cass. soc. 13 mai 1969, Dr. soc. 1969, 513 (obs. J. Savatier). 164 Teyssie, Travail, 146 N 335. 165 Teyssie, Travail, 146 N 336; Weißberg/Moissinac, 35. 166 Teyssie, Travail, a.a.O.; Weißberg/Moissinac, a.a.O. 167 Teyssie, Travail, 146-147. 168 Teyssie, Travail, 147; Weißberg/Moissinac, 35; Dalloz, Travail, (Salaire/Paiement), 3 N4.

2.3,

Rechtslage in der Europäischen Union

2.3.1. Allgemeines Die Harmonisierung des Gesellschaftsrechts zählt zu den Prioritäten des Legisla­ tivprogramms der EU169. Im Zusammenhang mit dem in den achtziger Jahren neu beschleunigten Integrationsprozeß ist dies nochmals betont worden170. Auch das Konzernrecht gehört im Prinzip zum EU-Gesetzgebungs-Fahrplan171. Während aber ursprünglich drei Vorlagen konzernhaftungsrechtliche Normen vorschlugen, beinhaltet inzwischen nur noch der Vorentwurf einer 9. Richtlinie eigentliches Konzernhaftungsrecht172. Die ans französische Recht angelehnten Konkurskonso­ lidierungsvorschriften der ursprünglichen Konkursrichtlinie173 und die detaillier­ ten Konzernrechtsvorschriften im Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft wurden in überarbeiteten Vorschlägen fallengelassen174. Die 7. Richtlinie, welche eine Bilanzkonsolidierungspflicht für Konzerne statuiert, ist dagegen mittlerweile bindendes Recht geworden175. Sie unterstellt z.B. Schweizer Teilkonzerne im EURaum einer Konsolidierungspflicht176. Das EU-Produktehaftpflichtrecht schließ­ lich sieht eine solidarische Kausalhaftung aller Hersteller eines mangelhaften Pro­ dukts vor177. Bei extensiver Auslegung des Hersteller-Begriffs könnten davon auch Muttergesellschaften erfaßt werden, welche sich in die Angelegenheiten der mit der Produkteherstellung befaßten Tochtergesellschaften einmischten178. 179

2.3.2. Der Vorentwurf für eine Konzernrichtlinie (9. Richtlinie) Konzernhaftungsrechtlicher Angelpunkt des EU-Rechts bildet noch immer der Vorentwurf einer 9. Richtlinie (Konzernrichtlinie) 179. Mit der vorgeschlagenen 169 Lutter, Unternehmensrecht, 1f.; Abeltshauser/Pipkom, 1f.; Timmermanns, Rechtsan­ gleichung, 1-47. 170 Dine, Community, 322f.; Carreau/Lee, 501 ff.; Nobel, Weiterentwicklung, 153ff 171 Gleichmann, Bericht, 581; vgl. auch Hommelhoff, Fragen, 423ff; Hommelhoff, Binnen­ markt, 121 ff; Dine, Community, 326-328, erwähnt aber die 9. Richtlinie (vgl. hinten IV.2.3.2.) nicht einmal; vgl. auch Lutter, Vorschlag, 445; Wymeersch, Groups, passim (Bericht zuhanden der EG-Kommission). 172 Vgl. immerhin auch Art. 63 Abs. 2 Et. b des Vorschlags für eine 5. gesellschaftsrechtliche Richtlinie, und Art. 43 der 7. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, welche Tochtergesellschaften von bestimmten Verpflichtungen befreien, falls die Mutter für sie umfassend einsteht; Gleich­ mann, Bericht, 589ff. 173 Blumberg II, 655-656. 174 Vgl. Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft vom 25. Aug. 1989, KOM (89) 168 endg. - SYN 218. 175 Nießen, Bilanzrecht, 81 ff; vgl. auch die 12. RichtEnie zur Einpersonen-GmbH; Eckert, Harmonisierung, 54ff; Lutter, Unternehmensrecht, 66£; Roth, Nachlese, 1054ff, sieht in der 12. Richtlinie Schranken für die richterliche Entwicklung des GmbH-Konzemrechts in Deutsch­ land; vgl. dazu aber Wilhelm, Europarecht, 729ff. und das TBB-Urteil (DB 1993, 828f.). 176 Koberg/Sommerhalder, 6ff. 177 Dazu Stürmer/Koepke/Reischel, passim. 178 Hommelhoff, Produktehaftung, 764. 179 Immenga, Konzerne, 48ff; Lutter, Europa, 340-341; Lutter, Unternehmensrecht, 57ff.

Richtlinie verband sich die Hoffnung, sie könne zum Leitbild der künftigen euro­ päischen Konzernrechtsentwicklung, möglicherweise gar zum Grundstein eines Jus Commune Europae des Konzerns180 werden181. Der Vorentwurf wurde stark vom deutschen Konzernrecht und dessen Erfahrungen mitbeeinflußt182. Aber auch die französische Rechtsfigur des faktischen Geschäftsführers hat in den Zweit­ vorschlag von 1984 Eingang gefunden183. Dieser ersetzte den ersten Vorschlag von 1974/75 und versuchte, die zwischenzeitlichen Erfahrungen und Anregungen zu verarbeiten184. Der Entwurf strebt ein einheitliches europäisches Konzernrecht an, allerdings nur für Aktiengesellschaften185. Er basiert auf einer grundsätzlichen Un­ terscheidung zwischen eigentlichen Konzernen mit einer Konzernverfassung (Ver­ trags-, Eingliederungskonzerne, Konzerne des nationalen Rechts)186 und andern verbundenen Unternehmen187. Der Vorschlag wurde zumindest in der Literatur grundsätzlich positiv aufgenommen188. Bis zu einer allfälligen Inkraftsetzung dürf­ te allerdings noch einige Zeit verstreichen189, zumal die Akzeptanz für ein Kon­ zernrecht in verschiedenen europäischen Staaten außerhalb Deutschlands, z.B. auch in Frankreich und Italien, keineswegs gesichert scheint190. Der zweite Entwurf von 1984 stellt, anders als der erste Entwurf, die organische Konzernverfassung, d.h. die konsequente Anknüpfung konzernrechtlicher Rechts­ folgen an den Grundtatbestand der einheitlichen Leitung191, nicht mehr in den Vordergrund192. Eine eigentliche Konzernverfassung existiert nur mehr für Ver­ trags- und Eingliederungskonzerne sowie für analoge Konzernformen des nationa­ len Rechts193. Nur für sie wird das Primat des Konzerninteresses (Leitungsbefug­ nis194) statuiert195. Als Korrelat sieht der Entwurf für alle diese Konzernkategorien eine Schadenersatzpflicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft196 sowie eine subsidiäre solidarische Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Tochtergläu­ 180 Lutter, Europa, 369. 181 Emmerich/Sonnenschein, 37-38; Houin, Groupes, 56; vgl. auch Hübner, Durchgriff, 705 ff. 182 Hommelhof, Konzemrichtlinie, 131. 183 Abgedruckt in ZGR 1985, 446ff. 184 Zum früheren Vorschlag: Lutter, Gesellschaftsrecht, 47-49, 187 ff. (Text); Guyon, Critique, 155ff.; Böhlhoff/Budde, 163ff; Schilling, Konzemrecht, 415ff. 185 Art. 1 (Einführung zum Gesetz), ZGR 1985, 446-447. 186 Art.l3ff, 33ff, 38. 187 Art. 6-12. 188 Immenga, Konzerne, 63ff; Hommelhoff, Konzemrichtlinie, 125ff; Gambino, Gruppi, 5ff. 189 Optimistisch ursprünglich Nobel, Weiterentwicklung, 167. 190 Lutter, Europa, 341; Immenga, Konzerne, 52; vgl. auch Gleichmann, Bericht, 607. 191 Immenga, Konzerne, 59—63. 192 Zum ersten Entwurf, welcher die Einführung der organischen Konzemverfassung außerhalb des Vertragskonzems den Mitgliedsländern freistellen wollte; vgl. Lutter, Gesellschaftsrecht, 48­ 49, 212ff 193 Art. 13ff, 25, 33ff, 38. 194 Hommelhoff, Konzemrichtlinie, 140. 195 Immenga, Konzerne, 70-71, 72. 196 Art. 26, 35, 38.

bigern vor197. Diese Haftung kann nur ausgeschlossen werden, wenn die herr­ schende Gesellschaft nachweist, daß die Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Ge­ sellschaft auf Gründen beruht, die außerhalb ihres Einflußbereiches standen198. Hommelhoff199 hält fest, daß die im Gegensatz zum deutschen Aktienrecht auch für Vertragskonzerne vorgesehene subsidiäre Mithaftung der Muttergesell­ schaft vor allem die Tochtergläubiger schütze. Die an einer Erhaltung der Vermö­ genssubstanz der Tochter interessierten Minderheitsaktionäre und Arbeitnehmer würden aber, anders als bei der deutschrechtlichen Verlustausgleichspflicht, nur un­ genügend geschützt. Hiezu ist zu bemerken, daß der Entwurf die Stellung der Minderheitsaktionäre (Recht auf Auskauf oder jährlichen Dividendenausgleich)200 und der Arbeitneh­ mer (verschiedene Antragsrechte)201 durchaus zu verstärken sucht. Im übrigen böte selbst eine Verlustausgleichspflicht keine Garantie für die Maximierung des Ei­ gennutzens der Tochtergesellschaft202. Zudem bestehen bei der deutschrechtli­ chen Verlustausgleichspflicht für Vertragskonzerne beträchtliche prozessuale Risi­ ken203. Auch die geschäftsnotwendige Liquidität könnte durch sie nicht gewährlei­ stet werden204. Der Entwurf behandelt nebst den erwähnten Konzernformen (groupes de droit)205, für welche der Gläubigerschutz auf ein gemeinsames Niveau gehoben wurde, als zweite Großkategorie die rein faktischen Unternehmensverbindungen (groupes defait)206. Für sie spielt der Konzernbegriff keine Rolle mehr. Der Gläubi­ gerschutz setzt direkt beim Eingriff von Müttern in die Angelegenheiten ihrer Töchter an, ohne den Nachweis einer Konzern- oder Abhängigkeitsvorausset­ zung zu verlangen. In diesem rechtstechnischen Schritt wird eine bemerkenswerte Entwicklung gesehen207. Art. 9 lautet: „1. Jedes Unternehmen, das sich gegenüber einer Gesellschaft wie ein tatsächlicher Geschäftsführer verhält, haftet dieser gegenüber für jeden durch diese Einwirkung ent­ stehenden Schaden, der hervorgerufen wird durch einen Fehler der Geschäftsführung, und zwar unter den gleichen Voraussetzungen als wenn das Unternehmen Mitglied der Leitungsorgane der Gesellschaft wäre und folglich Sorge tragen müßte, daß das Interes­ se dieser Gesellschaft beachtet wird.

197 Art. 29, 35, 38. 198 Art. 29 Ziff. 2; Immenga, Konzerne, 77—80. 199 Hommelhoff, Konzemrichtlinie, 141-142. 200 Art. 14; vgl. auch Hommelhoff, a.a.O., 146-148. 201 Hommelhoff, a.a.O., 128-129. 202 Immenga, Konzerne, 78. 203 Immenga, Konzerne, 78, scheint deshalb die subsidiäre Mithaftung der Mutter als effizien­ tere Lösung vorzuziehen. 204 Immenga, Konzerne, 78; für einen Liquiditätsschutz auch Hommelhoff, Konzemrichtli­ nie, 144-146. 205 Immenga, Konzerne, 50. 206 Ebd., 50. 207 Ebd., 59, 63f.

2. Als tatsächlicher Geschäftsführer einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 1 gilt je­ des Unternehmen, das mittelbar oder unmittelbar einen bestimmenden Einfluß auf die Entscheidungsfindung der Leitungsorgane dieser Gesellschaft ausübt208.209 “ 210 Art. 9 orientiert sich für faktische Gruppenverhältnisse somit am französischen Modell des dirigeant de fait 209. Sein Funktionspotential darf aber evtl, optimisti­ scher beurteilt werden als dasjenige der französischen action en comblement de passif 210. Vorerst wird allen Gläubigern, vorbehältlich Sonderbestimmungen im Kon­ kursrecht, ein jederzeitiges Klagerecht zur Geltendmachung mittelbarer Schäden eingeräumt211. Gläubiger oder Aktionäre können zugleich Unterlassungs- und Be­ seitigungsansprüche geltend machen oder sogar Eingriffe der Gerichte in die Orga­ nisation der abhängigen Gesellschaft (z.B. Amtsenthebungen) erwirken212. Während die (wichtige) Beweislastverteilung und die (ebenso wichtigen) Pro­ zeßkostenrisiken gemäß Landesrecht zu regeln sind213, schreibt der Entwurf als vielleicht entscheidende Besserstellung der Gläubiger einen jährlichen Sonderbe­ richt für Tochtergesellschaften vor214. Der Begriff Tochtergeselhchcft wäre z.B. bereits bei einer Mehrheitsbeteiligung erfüllt215. Die Tochter-Leitungsorgane werden ver­ pflichtet, Bericht zu erstatten über jedes einzelne Rechtsgeschäft mit der Mutterge­ sellschaft, welches nachteilig war, besondere Risiken beinhaltete oder von den übli­ chen Geschäften abwich216. Der Bericht ist, anders als der Abhängigkeitsbericht im deutschen Recht, zusammen mit dem Jahresabschluß offenzulegen217. Beim Vorliegen von Umständen, welche auf eine Schädigung der Tochter durch die Mutter hinweisen, kann jeder Gläubiger zusätzlich die richterliche Einsetzung von Sonderprüfern verlangen218. Anders als im französischen Recht wird für faktische Unternehmensverbindun­ gen strikt am Schutz des unabhängigen Eigeninteresses von Tochtergesellschaften festgehalten219. Es ist dies die konsequente Verwirklichung einer Konzeption, wel-

208 ZGR 1985, 452-453. 209 Immenga, Konzerne, 66. 210 Vorne IV.2.2.2.1. 211 Art. 10 Ziff. 2; Art. 10 Ziff. 1 sieht zudem für Arbeitnehmer-Gläubiger auch ein Klage­ recht des bei der Gesellschaft zuständigen Arbeitnehmer-Vertreters vor. 212 Art. 11. 213 Immenga, Konzerne, 68-69; im deutschen Recht ergäbe sich damit eine Beweislastum­ kehr für Sorgfaltspflichtverletzung und Kausalzusammenhang (§ 93 AktG; vgl. Immenga, Konzer­ ne, 71), für das französische Recht dagegen nicht (Art. 180 Konkursgesetz). 214 Art. 7; Immenga, Konzerne, 64—66. 215 Art. 2. 216 Art. 7 Ziff 3; gemäß Art. 7 Ziff. 2 ist auch eine Gesamtübersicht zu erstellen, welche Hom­ melhoff (Konzernrichtlinie, 135) als besonders wichtig taxiert. 217 Art. 7 Ziff 5. 218 Art. 8; Hommelhoff, Konzemrichtlinie, 137ff, wäre für eine bessere Abstufung dieser Informations- und Kontrollrechte. 219 Art. 9 Ziff 1; vgl. Immenga, Konzerne, 64: „Maßstab für die Berichtspflicht und die Gel­ tendmachung von Ersatzansprüchen ist eindeutig das eigenständige unternehmerische Interesse der beeinflußten Gesellschaft“.

ehe die Anerkennung von Konzerninteressen für Vertrags- und Eingliederungs­ konzerne reserviert220. Dabei ist allerdings noch keineswegs sicher, ob die Haf­ tungsbestimmungen für faktische Unternehmensgruppen genügend Anreiz bie­ ten werden, eng verflochtene Unternehmen in Vertrags- oder Eingliederungskon­ zerne umzuwandeln221. Umgekehrt werden Zweifel angemeldet, ob das über­ haupt beabsichtigt sein soll, wenn man an die Vorteile der Flexibilität rein fakti­ scher Konzernorganisationen denke222.

2.3.3. Der Statutsvorschlag für eine Europäische Aktiengesellschaft (SE-Statut)

Eine konsequente Verwirklichung der organischen Konzernverfassung fand sich im Entwurf für ein SE-Statut (Societas Europae) von 1975223. Die konzernrecht­ lichen Vorschriften dieses Vorentwurfs wurden freilich im revidierten Vorschlag der EG-Kommission von 1989 samt und sonders fallengelassen224. Dies wurde da­ mit begründet, daß gegenwärtig keine spezifische Konzernrechtsregelung für die SE notwendig sei. Die Kommission verwies in diesem Zusammenhang auf ihre lau­ fende Beratung des Vorschlags für eine Konzernrichtlinie (9. Richtlinie)225. Der Vorschlag von 1989 enthielt deshalb in Art. 111 nurmehr eine konzernkollisions­ rechtliche Vorschrift. Sie bestimmte, daß konzernrechtliche Normen an das Recht am Sitz einer abhängigen SE anzuknüpfen seien. Aus rechtsvergleichendem Interesse sollen aber die Bestimmungen des früheren SE-Statuts trotzdem kurz zu­ sammengefaßt werden226. Der 7. Titel mit den Art. 223ff. sah vor, daß die konzernrechtlichen Bestimmun­ gen zur SE auf alle Unternehmensverbindungen mit einer herrschenden oder ei­ ner abhängigen SE-Gesellschaf Anwendung finden sollten227. Der Entwurf kon­ zentrierte alles auf einen Konzernbegriff. Dieser setzte die einheitliche Leitung eines herrschenden Unternehmens über eine abhängige Gesellschaft ins Zentrum228. Einheitliche Leitung war zu vermuten, wenn eine Gesellschaft von einem anderen Unternehmen beherrscht wurde229. Beherrschung wiederum war unter anderem zu vermuten, wenn eine Gesellschaft mehr als die Hälfte des Kapitals einer anderen Gesellschaft besaß230. Art. 239 ordnete sodann generell für alle Konzerne eine subsi­ diäre solidarische Mithaftung der Muttergesellschaft für Tochterschulden an: 220 Immenga, Konzerne, 68. 221 Immenga, a.a.O., 71, verweist auf den breiten unternehmerischen Ermessensbereich, in­ nerhalb dessen die Fremdbestimmung der abhängigen Gesellschaft unsanktioniert bleibt. 222 Hommelhoff, Konzemrichtlinie, 143. 223 Die SE ist eine ausschließlich, aber freiwillig dem EU-Recht unterstellte Gesellschafts­ form; vgl. Schluep, Bemühungen, 67-74. 224 KOM (89) 168 endg. - SYN 218; vgl. auch KOM (91) 174 endg. - SYN 218. 225 Ebd., 2. 226 Vgl. zum Entwurf: Lutter, Gesellschaftsrecht, 68-70, 415ff (Text). 227 Art. 224. 228 Art. 223 Ziff. 1. 229 Art. 223 Ziff. 2. 230 Art. 6 Ziff. 3.

„1. Das herrschende Unternehmen haftet für die Verbindlichkeiten der abhängigen Konzerngesellschaft. 2. Das herrschende Konzernunternehmen kann jedoch erst in Anspruch genom­ men werden, wenn der Gläubiger zuvor vergeblich die abhängige Konzerngesellschaft schriftlich in Verzug gesetzt hat.“ Über die Doppelvermutung von der Kapitalmehrheit zur Existenz eines Kon­ zerns wurde in diesem Vorschlag die gesamte Konzernwirklichkeit prima facie über einen Leisten geschlagen. Nur Entlastungsbeweise über die Nichtausübung einheitlicher Leitung oder die Absenz einer Beherrschung hätten Muttergesell­ schaften von der solidarischen Mithaftung für die Schulden ihrer Töchter befreien können. Damit hatte dieser Vorschlag zwar die Einfachheit für sich: Einheit der Haftung bei Einheit der Leitung. Er verkörperte aber zugleich die Gefahr, im Ein­ zelfall über das Ziel hinauszuschießen231. Der Vorschlag wird deshalb in dieser un­ differenzierten Form kaum mehr neu geboren werden. 2.4. Rechtslage in den Vereinigten Staaten

2.4.1. Allgemeines Der rechtsvergleichende Hinweis auf die Vereinigten Staaten empfiehlt sich nicht nur, weil dieses Land als Investitionsraum für die Schweiz von besonderer Be­ deutung ist232. Er drängt sich auch deshalb auf, weil die Problematik der Haftungs­ beschränkung juristischer Personen die Gerichte und die Rechtswissenschaft in den USA seit langem intensiv beschäftigt233. Im US-Recht hat sich unter dem Ti­ tel piercing the corporate veil eine Durchgriffskultur entwickelt, welche zumindest quantitativ andere nationale Rechte weit hinter sich läßt234. Die Dominanz der Durchgriffsfigur im amerikanischen Konzernhaftungsrecht dürfte anderseits der Bildung konzeptioneller Neuansätze im Wege gestanden haben235. Trotzdem ringt auch das experimentierfreudige amerikanische Fall-Recht mit Alternativen zum Durchgrifi236.

231 Hofstetter, Europe, 596; Lutter, Europa, 355. 232 Vorne I.2.6.I. 233 Vorne 1.3.3. und III.3.3.1.; vgl. auch Blumberg, Konzemrecht, 327ff.; Vagts, Strömun­ gen, 226ff. 234 Es war davon die Rede, die US-Durchgriffsfälle deckten ca. 3/4 der weltweit gefällten Ur­ teile zu Fragen der Durchgrifishaftung ab; so Prof. Detlev Vagts (Harvard) anläßlich eines Vor­ trags in New York am 9. Juni 1988. 235 Vgl. Blumberg III, 136. 236 Hinten IV.2.4.3.; zum Konzept funktionaler Äquivalente des Durchgriffs allgemein; vgl. Clark, Corporate, 35ff; zum amerikanischen Recht der Mutterhaftungen auch Drüke, Haftung, 4ff; Schießl, Umstrukturierung, 513ff; Fabritius, US-Recht, Iff; Vorpeil, Haftungsdurchgriff, 995ff; PLI, Parent Responsibility, passim.

2.4.2. Durchgriffsrecht (piercing the corporate veil)

2.4.2.1. Allgemeines Die nicht mehr zu überblickende Fülle amerikanischer Gerichtsentscheide zum Durchgrifi237, dessen weit über das Haftungsrecht hinausgehender Anwendungsbe­ reich238 und die wenig systematische Arbeits- und Denkweise im amerikanischen case law machen eine Strukturierung des US-piercing-Rechts schwierig. Zuweilen wird die amerikanische Durchgrifsrechtsprechung denn auch als jurisprudence by metaphor bezeichnet239. Das formalistische Eigenleben des Durchgriffs, losgelöst von seinem sozioökonomischen Umfeld, soll gemäß Blumberg denn auch dafür mitverantwortlich sein, daß sich im amerikanischen Recht keine besonderen Haf­ tungsregeln für den Konzern entwickeln konnten240. So präsentiert sich die ameri­ kanische Durchgriffsrechtsprechung als eine etwas unbestimmte Masse, welche we­ der deudich zwischen Konzernen und Einmanngesellschaften unterscheidet noch z.B. konsequente Unterschiede macht zwischen dem Durchgriff zugunsten ver­ traglicher oder außervertraglicher Gläubigergruppen241. 2.4.2.2. Theorien der Durchgriffsrechtsprechung in den USA Auch im amerikanischen Recht gilt die Haftungsbeschränkung für juristische Personen als Regel, der Durchgriff als Ausnahme242. Die Ausnahmesituationen werden unter den Titeln mere instrumentality, alter ego, adjunct, agency, mere conduit, de­ partment, sharn, shell etc. zusammengefaßt243. Inhaltliche Unterschiede zwischen diesen Kategorien werden nicht überall deutlich. Sehr häufig benutzt man sie auch als austauschbare Formeln244. Trotzdem lassen sich Fallgruppen mit eigenständi­ gen Ansätzen bilden. Die drei für den Konzernkontext interessantesten sollen kurz beschrieben werden245.

237 Blumberg III, 105ff; 21 FPD 3d, 318ff; 18 Am. Jur. 2d, 860f. 238 Z.B. Blumberg I, 455f.; Aronofsky, Piercing, 31 ff. 239 Blumberg III, 105-107; vgl. Clark, Corporate, 71-72. 240 Blumberg III, 681 ff; vgl. immerhin den Fall Amoco Cadiz (vorne 1.4.3.) und die Tatsa­ che, daß amerikanische Gerichte den Durchgriff im Konzemkontext tendenziell eher bejahen als in sonstigen Konstellationen; vgl. Blumberg III, 158-159, 689; Easterbrook/Fischel, 110-111. 241 Blumberg III, 107ff, 681 ff; auch hier besteht allerdings eine faktische Tendenz, den Durchgriff bei außervertraglichen Gläubigem eher zu bejahen als bei vertraglichen - einen konse­ quenten Unterschied zwischen den beiden Gläubigergruppen scheinen insbesonders die texani­ schen Gerichte zu machen; vgl. Blumberg III, 110-111; Blumberg, Enterprise Liability, 25ff; Heiden, Standards, 57ff. 242 Barber, Piercing, 371ff; 7 A.L.R. 3d, 1343ff; 38 A.L.R. 3d, 1102ff; Clark, Corporate, 71ff. 243 Blumberg III, 107. 244 Blumberg III, 111. 245 Zu den verschiedenen Durchgriffsdoktrinen: vgl. Blumberg III, 105ff.

a) Die instrumentality-Doktrin

Die instrumentality-Doktrin stammt aus den 1930er Jahren246. 247 Sie wurde erst­ mals im Fall Lowendahl247 angewandt. Ein Durchgriff verlangt danach die kumula­ tive Erfüllung folgender Voraussetzungen: 1. Eine übermäßige Kontrolle der Tochter-Gesellschaft durch die Mutter, wo­ bei eine 100%ige Beteiligung nicht ausreicht; gefordert ist eine totale Beherr­ schung. 2. Die Ausnützung der Beherrschung zum Zweck eines unrechtmäßigen oder unbilligen Aktes. 3. Die Verursachung eines Schadens durch den Unrechtsakt248. b) Die alter ego-Doktrin

Die alter ego-Doktrin249 verlangt folgende Durchgriffsvoraussetzungen: 1. Mutter- und Tochtergesellschaft stellen eine derart extreme Eigentümer- und Interesseneinheit dar, daß die Tochtergesellschaft als alter ego der Mutter erscheint. 2. Die Anerkennung der juristischen Existenz der Tochter durch die gerichtli­ chen Instanzen würde zu unrechtmäßigen oder ungerechten Resultaten fuhren250. c) Die agency-Doktrin

Die agency relationship stellt einen sehr weitgefaßten Tatbestand dar und umfaßt verschiedene rechtliche Beziehungen (Stellvertretung, Auftrag, Arbeitsverhältnis­ se), welche auf wirtschaftlichen Hierarchien aufbauen. In diesem Sinn ist die agency von den Richtern Cardozo251 und Hand252 auch auf den Konzern übertragen wor­ den. Danach kann die Kontrolle einer Muttergesellschaft über ihre Tochter derart absolut sein, daß die Tochter als reine Vertreterin (agent) und die Mutter als Ge­ schäftsherrin (principat) erscheint253. Eine agency-Beziehung zwischen Konzernmutter und Konzerntochter müßte im Bereich außervertraglicher Ansprüche gegen die Tochter grundsätzlich zur Mit­ haftung der Mutter fuhren können (Geschäftsherrenhaftung: vicarious liability)254. Auch für vertragliche Ansprüche von Tochtergläubigern müßte bei dieser Konstel­ lation eine agency-Haftung der Mutter möglich sein, da das amerikanische common 246 Blumberg III, 112ff. 247 Lowendahl v. Baltimore & Ohio Railroad, 247 A.D. 144; 287 N.Y.S. 62, 76 (Ist Dep.), affd., 272 N.Y. 360, 6 N.E. 2d 56 (1939). 248 Vgl. auch den vielzitierten New Yorker Taxi-Fall, welcher ebenfalls mit dem instrumentality-Begriff operiert; Walkovsky v. Carlton, 223 N.E. 2d 6 (N.Y. 1966); dazu auch Clark, Corpora­ te, 83f. 249 Blumberg III, 118ff.; Note, Alter Ego, 853ff. 250 Vgl. z.B. van Dom Co. v. Future Chern. & Oil Corp., 753 F. 2d 565 (7th Cir. 1985). 251 Berkey v. Third Ave Ry., 244 N.Y. 84, 95 (1925). 252 Kingston Dry Dock Co. v. Lake Champlain Transp. Co., 31 F. 2d 265, 267 (2d Cir. 1929). 253 Vgl. Blumberg III, 125f. 254 Restatement (Second) of Agency, §14f. (1941).

law für den Fall einer nichtdeklarierten agency eine solidarische Mithaftung des principal vorsieht255. Diese Haftungskonstruktionen, welche die agency-Figur für den Konzernkon­ text zu offerieren scheint, wurden von der amerikanischen Durchgriffsrechtspre­ chung aber nie richtig ausgeschöpft256. Das Codewort agency wurde häufig in Durchgriffszusammenhänge hineingetragen, welche im übrigen gar nicht nach der agency-Logik aufgebaut waren257. Eine kohärente agency-Theorie für Konzern­ haftungsfragen hat sich deshalb nicht zu entwickeln vermocht258.

2.4.2.3. Einzelheiten zur Durchgriffsrechtsprechung in den USA Die amerikanischen Durchgriffstheorien bauen auf den zwei Hauptelementen Kontrolle und Unrecht auf. Das Unrechtselement als zweite Voraussetzung des Durchgriffs zieht sich ziemlich konsequent durch die amerikanische Rechtspre­ chung259. Der Durchgriff wird damit mißbrauchsrechtlich konzipiert, indem er als Rechtsfolge einer illegitimen Situation erscheint. Theoretisch ließe zwar z.B. der agency-Ansatz eine Mutterhaftung auch dann zu, wenn der Mutter in ihrem Ver­ hältnis zur Tochter kein Vorwurf gemacht werden konnte. Die agency-Theorie ist aber, wie gezeigt, von den amerikanischen Gerichten nicht konsequent umgesetzt worden260. Dadurch hat sich eine nur auf Kontrollelemente abgestützte Durchgriffskonzeption bloß in (eher zufällig scheinenden) Einzelfällen ergeben261. Die amerikanischen Gerichte behelfen sich in diesem Zusammenhang mit Listen von Beweisrichtlinien262, welche die Erfüllung von Durchgrffivoraussetzungen indi­ zieren können. Dabei läßt sich keine Systematik nachzeichnen. Die Gewichtung der einzelnen Kriterien ist dem Richter im Einzelfall anheimgestellt. Blumberg zählt rund 17 solcher Kriterien einer Durchgriffshaftung im Konzernkontext auf263: 255 Restatement (Second) of Agency, §§186, 322 (1957); vgl. Solar Int’l Shipping Agency, Inc. v. Eastem Proteins Export, Inc., 778 F. 2d 922 (2d Cir. 1985). 256 Blumberg meldet freilich Skepsis bezüglich einer breiten Anwendbarkeit des agency-Instituts im Konzemhaftungsbereich an, da die agency den Nachweis einer vertraglichen Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft bedinge; vgl. Blumberg III, 126. 257 Blumberg III, 128. 258 Vgl. immerhin die Hinweise bei Blumberg III, 126, auf diverse New Yorker Entscheide, welche die Durchgriffsproblematik im Lichte der agency-Doktrin angingen; vgl. auch die differen­ zierenden Ansätze in Japan Petroleum Co. (Nigeria) Ltd. v. Ashland Oil, Inc., 456 F. Supp. 831 (1978), wo allerdings letztendlich agency- und instrumentality-Doktrin konvergieren. 259 Vgl. auch die übrigen, hier nicht einzeln dargestellten Durchgriffsdoktrinen, welche eben­ falls auf dem Unrechts-Element aufbauen; Blumberg III, 105ff.; vgl. auch Drüke, Haftung, 4ff., 20ff., 62f. 260 Blumberg III, 128. 261 Blumberg III, 126-127; vgl. auch Minton v. Cavaney, 56 Cal. 2d 576, 579-80; ohne Be­ zugnahme auf traditionelle Durchgriffsdoktrinen wurde dagegen im Falle Amoco Cadiz eine Mutterhaftung bejaht; vorne 1.4.3.; vgl. auch Drüke, Haftung, 107ff., 139f. 262 Blumberg III, 137ff. 263 Ebd., 138-140.

1. 100%ige- oder Mehrheitsbeteiligung der Mutter- an der Tochtergesellschaft. 2. Gemeinsame Verwaltungsräte und Direktoren der Mutter- und Tochterge­ sellschaft (Doppelorgane). 3. Die Muttergesellschaft kontrolliert die Finanzen der Tochtergesellschaft. 4. Die Muttergesellschaft hat die Gründung der Tochtergesellschaft veranlaßt. 5. Die Tochtergesellschaft ist unterkapitalisiert. 6. Die Muttergesellschaft bezahlt für die Tochtergesellschaft Löhne und Rech­ nungen. 7. Die Tochtergesellschaft fuhrt praktisch nur mit der Muttergesellschaft Ge­ schäfte. 8. Die Tochtergesellschaft besitzt nur die von der Muttergesellschaft übertrage­ nen Aktiven. 9. In Dokumenten und Stellungnahmen wird die Tochtergesellschaft ausdrück­ lich oder implizite als Betriebsabteilung der Muttergesellschaft dargestellt. 10. Die Muttergesellschaft benutzt die Aktiven der Tochtergesellschaft wie ihre eigenen. 11. Die Verwaltungsräte oder Direktoren der Tochtergesellschaft handeln nicht unabhängig im Interesse der Tochter, sondern aufgrund bindender Instruktionen der Mutter. 12. Die formalrechtlichen Erfordernisse der Gründung und Führung einer un­ abhängigen juristischen Person wurden für die Tochtergesellschaft nicht erfüllt. 13. Verträge, insbesondere Darlehensverträge, zwischen Mutter- und Tochter­ gesellschaft begünstigen einseitig die Mutter (Verletzung des arm^ length-Prinzips). 14. Mutter- und Tochtergesellschaft geben (wie dies im amerikanischen Recht möglich ist) gemeinsame Steuererklärungen ab (Consolidated tax returns). 15. Mutter- und Tochtergesellschaft veröffentlichen Konzernbilanzen. 16. Die Aktiven der Mutter- und Tochtergesellschaft sind vermischt und wer­ den nicht separat gehalten (commingling of assets). 17. Die Tochtergesellschaft arbeitet ohne Profit. Blumberg stellt zutreffend fest, daß diese Kriterien nicht auf die beiden durchgriffsbestimmenden Kategorien Kontrolle und Unrecht aufteilbar seien264. Das deu­ tet zugleich an, daß diese zwei Durchgriffsvoraussetzungen im amerikanischen Recht häufig vermengt werden265. Zumindest in der Doktrin wird anderseits eine Kategorisierung der Unrechtstatbestände versucht. Ihre Bedeutung ist aber wieder­ um mehr indikatorischer Natur, weil z.B. Unterkapitalisierung266 auch bei enger Kontrolle noch nicht zwingend den Durchgriff auslöst. Clark nennt folgende allge­ meine Durchgriffskategorien267: 1. Mißachtung gesellschaftsrechtlicher Gründungs- und anderer Formalitäten; 264 265 266 267

Ebd., 140. Ebd., 140. Vgl. Clark, Corporate, 74f. Ebd., 73.

2. Inadäquate Kapitalisierung; 3. Mißbräuchliche Verwendung und Vermischung von Gesellschaftsaktiven mit Aktiven des Anteilshabers; 4. Ausführung betrügerischer Handlungen [fraud) mittels der kontrollierten Ge­ sellschaft268. Die Unbestimmtheit bzw. Flexibilität des amerikanischen Durchgriffsinstituts kommt auch darin zum Ausdruck, daß verschiedene weitere Fragen der Anwend­ barkeit und der Wirkungen dieser Rechtsfigur nicht eindeutig feststehen269. Es ist z.B. offen, ob ein Durchgriff auch gegenüber einem Gläubiger mit Kontrollbefug­ nissen über die Tochtergesellschaft angeordnet werden könnte270. Die amerikani­ schen Gerichte sprechen sich überdies nicht eindeutig zum Zeitpunkt bzw. Zeit­ raum aus, in welchem die durchgriffsbestimmenden Voraussetzungen vorhanden gewesen sein müssen271. Unterschiedlich beantwortet wird zudem die Frage, ob zuerst gegen die Tochtergesellschaft vorzugehen sei272. 2.4.3. Funktionale Äquivalente der Durchgriffshaftung

2.4.3.1. Allgemeines

Trotz der dominierenden Rolle der piercing-Rechtsprechung besteht auch im US-Recht die Möglichkeit, eine Konzernmutterhaftung mittels anderer rechtli­ cher Instrumente zu begründen. Vor allem Clark hat eingehend die funktionalen Äquivalenzen zwischen dem piercing-Ansatz und den konkursrechtlichen Institu­ ten derfraudulent conveyance/preference bzw. equitable Subordination 273 untersucht. Das Produktehaftpflichtrecht274 und das Umwelthaftungsrecht275 haben die Durchgriffskonzeption z.Teil gar überholt und überflüssig gemacht. Zudem hat wieder­ um Clark276 darauf hingewiesen, daß auch gesellschaftsorganisatorische Vorschrif­ ten zur Erhaltung des Grundkapitals (z.B. Dividendenausschüttungsbeschränkun­ gen) den gleichen Zielen dienen wie der Durchgriff (Kapitalerhaltungsschutz).

2.4.3.2. Konkursrecht a) Fraudulent conveyance/voidable preference

Das amerikanische Pendant zur paulianischen Anfechtungsklage bilden die Institu­ te der fraudulent conveyance und der voidable preference277. Vom fraudulent conveyance-

268 269 270 271 272 273 274 275 276 277

Vgl. Walter Heller and Co. v. Video Innovations, Inc., 730 F. 2d 50, 53 (2d Cir. 1983). Blumberg III, 140f. Ebd., 133. Ebd., 148. Ebd., 151-153. Clark, Creditors, 505ff.; Clark, Corporate, 35ff.; hinten IV.2.4.3.2. Blumberg III, Preface xli - xliii, 159ff., 295ff.; hinten IV.2.4.3.3. Hinten IV.2.4.3.4. Clark, Corporate, 86ff. Das im Vordergrund stehende fraudulent conveyance-P^echt wurde über den Uniform Frau-

Recht erfaßt sind Transaktionen, mittels derer ein Schuldner versucht, bestimmte Gläubiger zu bevorzugen278. Als voidable preference gelten Gläubigerbevorzugun­ gen, welche innerhalb einer gewissen Frist vor Konkurseröffnung erfolgten279. Für Transaktionen zwischen insidern, wozu insbesondere auch konzernmäßig verbun­ dene Unternehmen zählen, beträgt die verlängerte Frist gemäß Art. 547 des USBankruptcy Code ein Jahr280. Im Unterschied zur US-Durchgriffsrechtsprechung sind die beschriebenen konkursrechtlichen Institute sehr spezifisch. Das limitiert aber zugleich ihre Bedeutung für den Konzernkontext. Ihre praktische Verwend­ barkeit ist auch deshalb beschränkt, weil die auf Einzeltransaktionen abstellenden Beweiserfordernisse bei eng verbundenen Konzernunternehmen de facto meist nicht mehr zu erfüllen sind281. 282 Das führte zur Entwicklung des Instituts der equita­ ble Subordination 282.

b) Equitable Subordination

Die im US-Konkursrecht besonders ausgeprägte Billigkeitsrechtsprechung hat in der Zwischenkriegszeit mit der Ausbildung einer Doktrin begonnen, welche die Gläubigeransprüche von Muttergesellschaften hinter die Ansprüche von Drittgläu­ bigern einer konkursiten Tochter zurückstellt283. Das geschah als ausdrückliche Reaktion auf die Unmöglichkeit, das einzeltransaktionsbezogene fraudulent convey­ ance /voidable preference-Recht auch in engverstrickten Konzernverhältnissen durch­ zusetzen284: 285 „It is impossible to recast Deep Rock’s history and experience so as to approximate what would be its financial condition at this day had it been adequately capitalized and independently managed and had its fiscal affairs been conducted with an eye single to its own interests."285

Die Voraussetzungen der equitable Subordination mußten demnach notwendiger­ weise weniger spezifisch sein als diejenigen derfraudulent conveyance. Das hat ander­ seits zu einer Annäherung der equitable Subordination an den Durchgriff geführt, in­ dem Unterkapitalisierung, Betrug oder andere Unrechtskategorien als Vorausset­

dulence Conveyance Act (UFCA) in mehr als der Hälfte der US-Staaten vereinheitlicht; vgl. Blumberg II, 285ff., 318. 278 Vgl. zu den Fallkategorien truth, primacy, evenhandedness, nonhindrance: Clark, Corporate, 42-46. 279 Vereinfachend kann dasfraudulent conveyance-Recht als das Äquivalent der kontinentaleuro­ päischen Absichts- und Schenkungspauliana erfaßt werden, das voidable preference-Recht dagegen als das Äquivalent der Uberschuldungspauliana. 280 Blumberg II, 365f. 281 Clark, Corporate, 38f., 51 f. 282 Ebd., 62f. 283 Pepper v. Litton, 308 U.S.295 (1939). 284 Taylor v. Standard Gas & Elec. Co., 306 U.S.307 (Deep Rock). 285 Ebd., 323.

zung verlangt werden286. Die Vorteile der equitable Subordination liegen damit in der erleichterten Beweislast der Kläger287. Als Nachteile sind die Breite und Unbe­ stimmtheit des Instituts zu nennen. Dadurch besteht z.B. die Gefahr, daß effiziente Darlehensvergaben der Mutter an die Tochter verhindert werden288.

c) Andere Institute

Ansätze einer haftungsrelevanten Durchbrechung der juristischen Persönlich­ keit von Tochtergesellschaften zeigen sich auch im Institut der substantive consolidation. Dieses setzt den Konkurs von Mutter- wie Tochtergesellschaft voraus, um als­ dann unter ähnlichen Voraussetzungen wie beim Durchgriff beide Konkursmas­ sen zusammenzulegen289.

2.4.3.3. Konzernaußenrecht Blumberg290 hat aufgezeigt, daß delikts- und vertragsrechtliche Institute zum gleichen Resultat fuhren können wie der Durchgriff. Auch in der amerikanischen Rechtsprechung gibt es verschiedene Ansätze, welche diesen Befund unterstrei­ chen. Vorerst hat sich unter den Stichworten apparent agency, apparent authority bzw. agency by estoppel eine Fallgruppe entwickelt, welche berechtigtes Gläubigervertrau­ en in die deklarierte Verpflichtungsabsicht der Muttergesellschaft zu schützen sucht291. Auch das deliktsrechtliche Institut des Eingriffs in Verträge Dritter ist ver­ einzelt zur Begründung von Mutterhaftungen verwendet worden292. Auf das (nicht voll ausgeschöpfte) Potential einer allgemeinen konzernhaftungsrechtlichen Ausweitung der agency wurde bereits hingewiesen293. Für den Bereich der Haftung von Arbeitgebern gegenüber Arbeitnehmern wird z.Teil die sogenannte Good Samaritan-Doktrin294 propagiert. Sie auferlegt ei­ ner Muttergesellschaft Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten, falls Funktio­ nen konzernweit zentralisiert wurden, welche die Sicherheit am Arbeitsplatz be­ treffen. Rechtstechnisch geschieht dies, indem eine Pflichtübernahme durch die Muttergesellschaft konstruiert wird, sobald diese sich in die betreffenden Tochter­ Bereiche eingemischt hat (assumption of duty)295. 286 Vgl. Clark, Corporate, 52ff; Blumberg III, 129ff. 287 Clark, Corporate, 62-65. 288 Ebd., 65, 68; Posner, Creditors, 516ff.; zur equitable Subordination aus Schweizer Sicht: Tschäni, Lehren, 65f. 289 Blumberg II, 399f. 290 Blumberg III, 159-160, 295ff.; Blumberg, Enterprise Liability, 35f. 291 Dunn Appraisal Co., v. Honeywell Information Systems, Inc., 687 F. 2d 877, (6th Cir. 1982); Heiden, Standards, 63ff., 66ff.; Blumberg III, 312ff. 292 Wyoming Constr. Co., v. Western Cas. & Surety Co., 275 F. 2d 97 (lOth Cir.), cert. den., 362 U.S.976 (1960); Blumberg III, 350f.; Heiden, Standards, 77. 293 Vome IV.2.4.2.2.C). 294 Blumberg III, 316f.; Heiden, Standards, 61; Note, Samaritan, 717f. 295 Boggs v. Blue Diamond Coal Co., 590 F. 2d 655, (6th Cir. 1979); Blumberg III, 318f.

Blumberg weist zudem darauf hin, daß auch das amerikanische Produktehaft­ pflichtrecht den Durchgriff zum Teil ersetzt296. Das US-Produktehaftpflichtrecht statuiert eine solidarische Kausalhaftung derjenigen Personen oder Gesellschaften, welche an Entwicklung, Produktion, Einfuhr, Verteilung, Installation oder Ver­ kauf eines defekten Produktes beteiligt waren297. Falls eine Muttergesellschaft eine der erwähnten Funktionen innehatte, ist sie bereits direkt aus Produktehaftung ver­ antwortlich, ohne daß es eines Durchgriffs durch die primär für die Produktion verantwortliche Tochter bedarf298.

2.4.3.4. Konzernmutterhaftung in Sonderrechtsbereichen Bereits die Good Samaritan-Doktrin und das Produktehaftpflichtrecht haben die Tendenz angedeutet, Konzernmutterhaftungen in Sonderrechtsgebieten leichter zuzulassen als im allgemeinen Recht. Dies läßt sich für drei weitere Bereiche nach­ weisen. Der erste Bereich ist die Pensionskassengesetzgebung (ERISA)299, wo ein Teil der Rechtsprechung Muttergesellschaften für Pensionskassenbeiträge von Töch­ tern haften ließ, ohne die von der Durchgriffsrechtsprechung geforderten Voraus­ setzungen zu verlangen300. Eine besondere Bevorzugung von Arbeitnehmergläubigern kommt sodann in den Gesellschaftsrechten New Yorks und Wisconsins zum Ausdruck301. Gemäß dem Recht Wisconsins unterliegen die Anteilshaber der in diesem Staat tätigen Ge­ sellschaften einer solidarischen Haftpflicht für Lohnforderungen von Arbeitneh­ mern. Die maximale Zusatz-Belastung der Anteilseigner darf aber den Nominal­ wert ihrer Anteile nicht übersteigen302. Das New Yorker-Recht unterwirft hinge­ gen die zehn größten Anteilshaber einer nicht als Publikumsgesellschaft operieren­ den juristischen Person der unbeschränkten Haftung für Arbeitnehmerforderun­ gen. Die Bestimmung wird allerdings nur auf (Tochter-)Gesellschaften angewandt, welche in New York inkorporiert und tätig sind303. Zu erwähnen ist schließlich auch das Umweltrecht, vor allem das Spezialgesetz CERCLA304. Dieses bezweckt die Räumung und Säuberung von Landstücken, 296 Blumberg III, 263ff., Preface xlii-xliii. 297 Restatement (Second) Torts, §402 A. 298 Vaughn v. Chrysler Corp., 442 F. 2d 619 (lOth Cir.), cert.den. 404 U.S. 857 (1971); vgl. aber die Zurückhaltung des Gerichts im Entscheid King v. Eastman Kodak Company, New York Law Journal, June 21, 1994. 299 Employee Retirement Income Security Act, 29 U.S.C. § 1301 (a) (14) (ERISA §4001 (a) (14). 300 Massachusetts State Carpenters Annuity Fund v. L.G. Dionne Construction Co., 112 F.R.D. 92 (D. Mass. 1986); Blumberg IV, 564f. 301 Blumberg III, 49-51; Ebke/Stadler, 413f. 302 Blumberg III, 51. 303 Ebd., 50. 304 Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act, 42 U.S.C. §§9601-9657 (1982).

auf welchen gefährliche Abfälle lagern. Für die Kosten dieser Maßnahmen haften die Benutzer und Eigentümer der betreffenden Landparzellen solidarisch. Soweit dies eine insolvente Tochtergesellschaft betrifft, wird ein spezialgesetzliches Interes­ se konstatiert, die Haftung auf die Muttergesellschaft auszudehnen305. Gemäß ei­ nem Teil der Rechtsprechung scheint nun in der Tat ein Durchgriff auf Mutterge­ sellschaften schon dann möglich, wenn eine bloße Kontrolle der Mutter über die Tochter nachgewiesen werden kann306. In State v. Ventron 307 308 hielt das zuständige Gericht z.B. fest:

„Given the extended liability of the Spill Act, we conclude that the legislature intended that the privilege of incorporation should not, under the circumstances that obtain here, become a device for avoiding statutory responsibility. A contrary result would permit corporations, merely by creating wholly-owned subsidiaries, to pollute for profit under circumstances when the legislature intended liability to be imposed"3°8.

2.5. Großbritannien

Das englische Recht hält für Konzerne grundsätzlich an der im Leitentscheid Sa­ lomon v. Salomon 309 unterstrichenen Selbständigkeit juristischer Personen fest310. Durchbrechungen dieses Prinzips sind unter geltendem Recht nur ausnahmsweise zugelassen311. Eher theoretischer Natur ist die Vorschrift, wonach ein Alleinaktionär nach sechs Monaten solidarisch für die Schulden der Gesellschaft haftet312. Die Vor­ schrift ist leicht durch die Zwischenschaltung von Treuhändern zu umgehen313. Art. 423 des Konkursgesetzes von 1986 (Insolvency Act) bestimmt sodann, daß Aktionäre, welche an betrügerischen Machenschaften (fraud) einer insolventen Ge­ sellschaft beteiligt waren, unbeschränkt für deren Schulden einzustehen haben. Ein Aktionär, welcher als faktischer Geschäftsführer handelte (shadow director), kann zudem für gesellschaftsschädigende Transaktionen (wrongful trading) verant-

305 Note, Hazardous, 986f. 306 Vgl. Kayser-Roth Corp., 724 F. Supp. 15 (D.R.I. 1989); Hofstetter, Ecological, 101 ff. 307 State v. Ventron, 182 NJ. Super 210, 440 A. 2d 4551 (App. Div. 1981), 94 NJ. 473, 463 A. 2d 893 (1983) - in jenem Fall ging es allerdings um ein analoges einzelstaatliches Umweltge­ setz; vgl. Freeman, Exposure, 111 ff; Blumberg IV, 624ff, 638ff. 308 Zitat bei Blumberg IV, 639; vgl. andererseits die Differenzierungen bei Aronofsky/Fuller, 59ff, und Hofstetter, Ecological, 106ff. 309 1897 A.C. 22; zum Konzern im englischen Recht allgemein; Höhener, Konzern, 11 ff; Hadden, Großbritannien, 329ff. 310 Heß, Durchgriff, 826ff, 829; Pennington, Company, 46ff; OECD, Verantwortlichkeit, 105ff; Palmer, Company, 213ff; Schmitthoff, Subsidiary, 218ff; Prentice, Groups, 99ff; Blum­ berg II, 609ff; Rohr, IPR, 46ff; vgl. auch Druey, Gutachten, 20ff. 311 Palmer, Company, 213-214. 312 Art. 24 Companies Act; Palmer, Company, 213. 313 Blumberg II, 610.

wörtlich gemacht werden314. Auch Muttergesellschaften, die sich in Tochterange­ legenheiten einmischten, können dieser Haftung unterstellt werden315. Nebst diesen gesetzlichen Vorschriften besteht auch eine gemeinrechtliche Durchgriffstheorie, welche sich um die Begriffe Mißbrauch (abuse) und Vertreter­ handeln (agency) dreht316. Ähnlich dem amerikanischen Recht handelt es sich bei diesen Begriffen nicht um klar definierte und sauber getrennte Kategorien. Man spricht sogar von Prinzipienwildnis317 bzw. Palmenjustiz318. 319 Der Tenor der engli­ schen Rechtsprechung scheint aber dahin zu gehen, den Durchgriff nur dann zuzu­ lassen, wenn die abhängige Gesellschaft mißbräuchlich oder in unlauterer Weise als bloßer Vorwand (sham, mask)319 eingesetzt wurde. Das Thema Konzernhaftung wurde auch in der Lehre und im Vorfeld von Ge­ setzgebungsprojekten wiederholt erörtert.320 Schmitthoff plädierte beispielsweise für eine vermutungsweise Haftung von Muttergesellschaften gegenüber Gläubi­ gern 100%iger Töchter321. Das British Consultative Committee of Accountancy Bodies schlug eine Patronatshaftung von Muttergesellschaften für ihre Töchter vor, welche erst bei einem öffentlich registrierten Widerruf hinfällig geworden wäre322. Der Vorschlag wurde vom Gesetzgeber aber nicht aufgenommen323.

2.6. Italien

Das italienische Konzernhaftungsrecht drehte sich lange Zeit vor allem um die Art. 2362/2497 des Codice Civile (CC)324. Diese sehen im Falle der Insolvenz von Gesellschaften einen Haftungsdurchgriff auf 100%ige Gesellschafter vor325. Die Frage, ob damit auch Muttergesellschaften zu Mitschuldnern ihrer 100%igen Töchter werden können, oder ob nur natürliche Personen von der Vorschrift er­ faßt seien, wird uneinheitlich beantwortet326. Sehr formalistisch wird aber von der 314 Palmer, Company, 213-214. 315 Prentice, Großbritannien, 106; Hommelhoff, Fragen, 426; Druey, Gutachten, 28; vgl. auch Pennington, Company, 53f; Palmer, Company, 214,1466ff; Blumberg II, 610-612; Dob­ son, Four Countries, 857-859; Rohr, IPR, 53; Lustenberger, Sorgfaltspflichten, 71 ff. 316 Schmitthoff, Subsidiary, 220; Pennington, Company, 53ff. 317 Prentice, Groups, 101. 318 Gower, zit. bei Prentice, Groups, 101. 319 Jones v. Lipman [1962], I.W.L.R. 832, 836; Schmitthoff, Subsidiary, 220; Prentice, Groups, 108-109; Palmer, Company, 220-221; Blumberg II, 612. 320 Woolridge, Groups, 107f; Hadden, Control, passim; Prentice, Groups, llOff; Schmitt­ hoff, Subsidiary, 228-229. 321 Schmitthoff, Subsidiary, 229. 322 Vgl. die Angaben bei Blumberg II, 613-614; Woolridge, Groups, 107ff. 323 Blumberg II, 614-615. 324 Rosa, Concept, 357-358; Cohn/Simitis, 210ff; Lutter, Europa, 357; Blumberg II, 648­ 650; Alessio, Italy, 128ff; Wiedemann, Unternehmensgruppe, 81; vgl. auch Druey, Gutachten, 16f. 325 Rosa, Concept, 357; Alessio, Italy, 129. 326 Rosa, Concept, 357; Alessio, Italy, 129-132; vgl. auch Jaeger, Considerazioni, 489, und dessen Verweis auf den Fall Raytheon.

herrschenden Lehre und Rechtsprechung das 100%-Erfordernis ausgelegt. Wie im englischen scheint auch im italienischen Recht die Zwischenschaltung von Treuhändern oder anderen Tochtergesellschaften zu genügen327, um die Nichtan­ wendbarkeit der Art. 2362 resp. 2497 CC zu bewirken328. Ursprünglich stieß auch das Konzept eines allgemeinen Durchgrifsrechts, be­ sonders bei Vermögensvermischung, auf eine gewisse Resonanz329. Die sehr re­ striktive Rechtsprechung im Zusammenhang mit den Art. 2362 und 2497 CC ent­ zog dann offenbar auch diesem Ansatz den Boden330. Seit aber im Jahre 1979 das sogenannte Legge Prodi in Kraft gesetzt wurde, scheint eine recht intensive italienische Konzernhaftungsdiskussion in Gang ge­ kommen zu sein331. Das Legge Prodi, welches ein spezielles Konkursverfahren für Unternehmen von besonderer öffentlicher Bedeutung (in erster Linie staatlich kontrollierte Konzerne) vorsieht, löste einen ganzen Strauß konzernrechtlicher Fragen aus332. Haftungsrechtlich interessant ist vor allem Art. 3, der bestimmt, daß Geschäftsführer einer Obergesellschaft, welche die insolvente abhängige Gesell­ schaft unter einheitlicher Leitung führten, für den der Gesellschaft zugefügten Schaden haften333. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob auch Muttergesellschaften selbst als (faktische) Geschäftsführer haftbar werden können334. Hinzuweisen ist noch auf den Entwurf für ein Unternehmensstatut (statuto delV impresa), welcher im Jahre 1985 von einer Expertengruppe zuhanden des Justizmi­ nisteriums erstellt wurde335. Die darin vorgesehenen Konzernhaftungsregeln schei­ nen sich stark am faktischen Konzern des deutschen Aktiengesetzes von 1965 orientiert zu haben336, allerdings ohne besondere Regelungen für den qualifizier­ ten faktischen Konzern vorzusehen337. Der Entwurf will Konzernleitungsbefugnis­ se legitimieren, die Mutter aber zugleich für unausgeglichene Schädigungen der Tochter haftbar machen338. Falls solche Schäden zur Insolvenz der Tochter führ­ 327 Corte di Cass. 9.12.82, Nr. 6712, Giur. ital. 1983 I, 1201: Credito Italiano c. Raytheon Company, The Machlett Laboratories, Inc., Corte di Appello di Palermo, 12 giugno 1982; Rosa, Concept, 357-358; Alessio, Italy, 131-132. 328 Di Sabato, Manuale, 334-336; kritisch dazu Rescigno, Konzern, 375ff. 329 Alessio, Italy, 132. 330 Ebd., 129; Rosa, Concept, 358; vgl. nun aber den Vorschlag i.Z. mit der italienischen Kon­ kursgesetzrevision, wo z.B. eine Schuldenhaftung des tyrannischen Gesellschafters (socio tiranno) bei Vermögensvermischung vorgesehen wird; Vanetti, Diskussion, 418 FN 68. 331 Vanetti, Diskussion, 402; Lutter, Europa, 337 FN 58; La Rosa, Gruppi, 11 ff. und passim; Abbadessa, Gruppi, passim; Franceschelli, Responsabilita, 3ff. und passim; vgl. auch Spada, Kon­ zern, 408ff. 332 Vanetti, Diskussion, 402ff. 333 Ebd., 403; vgl. auch Rescigno, Konzern, 383f. 334 Vanetti, Diskussion, 404, FN 31; das Konzept des dirigeant de fait (vgl. vorne IV.2.2.2.1. und IV.2.3.2.) wird in der Tat auch im italienischen Recht zum Teil propagiert (amministratore di fattö); vgl. Vanetti; Diskussion, 410 FN 48; Alessio, Italy, 133; Rescigno, Konzern, 366f. 335 Vanetti, Diskussion, 411 ff. 336 Ebd., 412. 337 Ebd., 413-414. 338 Ebd., 412-413.

ten, soll die Muttergesellschaft sogar unbeschränkt haften339. Der Entwurf ist auf unterschiedliches Echo gestoßen340 und wird kaum zu baldigen gesetzgeberischen Schritten fuhren341. 2.7. Österreich

In der wissenschaftlichen Debatte Österreichs hat nicht zuletzt die deutsche Dis­ kussion ein lebhaftes Interesse an konzernrechtlichen Fragen ausgelöst342. Das posi­ tive Konzernrecht Österreichs glich dagegen nach Auffassung Doralts vor kurzem noch einem „schlafenden und unerkannten Dornröschen“. Immerhin ist nun neu­ erdings auf gegenteilige Tendenzen hinzuweisen343. 344 In der Eumig-Entscheidung344 prüfte der OGH die Haftung einer Bank, welche im Zuge des Versuchs, eine GmbH zu sanieren, deren Stammkapital übernom­ men, eine Kapitalerhöhung durchgeführt und der Gesellschaft in erheblichem Umfang Kredite gewährt hatte. Nach Auffassung des Gerichts machte sich die Bank dabei der Beteiligung am strafrechtlichen Delikt der fahrlässigen Krida345 (Konkurs) schuldig. Die Bank hätte von Anfang an ernste Zweifel am Gelingen des Sanierungsversuches haben müssen, und deshalb sei damit zu rechnen gewe­ sen, „daß der Zusammenbruch des Unternehmens nur verzögert, aber nicht ver­ hindert werden konnte“346. Das Gericht bekannte sich damit zur Sorgfaltspflicht ei­ nes beherrschenden GmbH-Gesellschafters, welcher Einfluß auf die geschäftspoli­ tischen Entscheide der Gesellschaft nimmt (Sonder rechtsVerhältnis)347. Daraus könne sich bei Vorliegen einer Pflichtverletzung eine Haftung im Sinne von §1311 ABGB ergeben348. Die in der Eumig-Entscheidung zum Ausdruck kommende Konzeption dürfte derjenigen des faktischen Geschäftsführers verwandt sein, obwohl sie auf rein deliktischer Grundlage zu stehen scheint349. Sie greift jedenfalls deutlich über die bis an­ hin eher zaghafte österreichische Durchgriffs-Doktrin hinaus350. Die Entschei­ dung unterstreicht zudem eine auch im österreichischen Schrifttum zum Aus­ 339 Ebd., 413. 340 Ebd., 413f. 341 Ebd., 412. 342 Vgl. Doralt, Konzernrecht, 1f; Vanis, Konzern, 132ff.; Thöni, Verantwortlichkeit, 82ff., 126 ff.; Koppensteiner, Minderheitenschutz, passim; Nowotny, Anpassung, 64; Krejci, Unterneh­ mensverträge, 65ff. 343 Doralt, Konzemrecht, 2; vgl. anderseits die Ueberlegungen de lege ferenda bei Doralt, Ent­ wicklung, 221 ff; vgl. auch Kastner, Gesellschaftsrecht, 27ff; Maiberg, Gesellschaftsrecht, 217ff. 344 OGH vom 14.7. 1986, GesRZ 1987, 46-50; vgl. dazu auch Doralt, Entwicklung, 223f. 345 §159 Stgb. 346 GesRZ 1987, 50. 347 Vgl. auch OGH vom 7.11. 1989 (GesRZ 1990, 147-149). 348 § 1311 ABGB statuiert allgemein eine Haftung für den Fall, daß jemand ein Gesetz über­ tritt, welches „zufälligen Beschädigungen vorzubeugen“ sucht. 349 Jabomegg, Durchgriff, 48-49; vgl. auch Koppensteiner, Haftung, 5 (bezügl. dem die Ge­ schäftsführerhaftung regelnden §25 GmbH); Thöni, Verantwortlichkeit, 126ff. 350 Jabomegg, Durchgriff, 3ff; OECD, Verantwortlichkeit, 51-54.

druck kommende Tendenz, Konzernhaftungsprobleme nicht mehr nur über den klassischen Durchgriff zu lösen351. In diesem Zusammenhang tauchen z.B. die cul­ pa in contrahendo oder die Deliktshaftung gemäß § 1301 ABGB auf352. Während eine umfassende österreichische Konzernhaftungsregelung vorläufig noch nicht in Sicht ist und sich im übrigen wohl stark an die geplante 9. EU-Richt­ linie anlehnen würde353, enthält das Produktehaftpflichtgesetz (PHG) in § 16 eine Bestimmung, welche im Konzernkontext besondere Beachtung verdient354. Ob­ wohl das Gesetz der EU-Produktehaftpflichtrichtlinie nachgebildet ist, geht es in §16 über diese hinaus355. § 16 PHG verpflichtet Produzenten, im Hinblick auf die Deckung von Produktehaftpflichtansprüchen „durch Eingehen einer Versiche­ rung oder in anderer geeigneter Weise“ Vorsorge zu treffen. Bezüglich Art und Ausmaß dieser Vorsorge wird auf das „im Geschäftsverkehr Übliche“ verwiesen. Eine Verletzung der Vorsorgepflicht könnte zur Haftung der Anteilshaber gemäß § 1311 ABGB fuhren356. § 16 PHG statuiert gemäß Roth einen speziellen (und ver­ schleierten) Haftungsdurchgriff auf diejenigen Personen, in deren Kompetenz die Deckungsvorsorge lag357. Der Autor sieht in dieser Relativierung des Prinzips der beschränkten Haftung Parallelen zur Eumig-Entscheidung: Bei jener gehe es um die Einstellung der Geschäftstätigkeit358 nach Erschöpfung des Haftungsfonds hier um einen ausreichenden Haftungsfonds als Voraussetzung der Geschäftstätig­ keit. Auch im Falle des PHG ist nach Roth ein Verschulden Tatbestandsvorausset­ zung. Die unzureichende Deckungsvorsorge müsse deshalb ex ante erkennbar ge­ wesen sein359. Ganz allgemein beharrt Roth darauf, daß eine globale Überprüfung des Haf­ tungsprivilegs juristischer Personen einer sektoralen Relativierung dieses Prinzips vorzuziehen wäre. Letzteres führe zu einer evtl, nicht gerechtfertigten Bevorzu­ gung gewisser Gläubigergruppen, zu einem Plausibilitätsverlust der lex lata und zu einer Wertungsunsicherheit bei Lückenfüllung und Rechtsfortbildung360. Diese Kritik stößt in ähnliche Richtung wie diejenige Honsells, welcher in der Recht­ sprechung des OGH zur Haftung von GmbH-Mehrheitsgesellschaftern (Eumig) die Tendenz erblickt, das Haftungsprivileg auszuhöhlen und dessen Funktion als Instrument zur Förderung von Risikogeist und Unternehmertum zu ignorieren361.

351 Vgl. Jabomegg, 47ff; Thöni, Verantwortlichkeit, 90f., 126f. 352 Vgl. Koppensteiner, Haftung lff. 353 Nowotny, Anpassung, 64; Vanis, Konzern, 132ff.; eine Arbeitsgruppe befaßt sich nun aber mit dem materiellen Konzemrecht: vgl. Doralt, Entwicklung, 193. 354 Roth, Produktehaftung, 119f. 355 Ebd., 119 FN 1; vgl. vorne IV.2.3.4. 356 Roth, Produktehaftung, 119 ff. 357 Roth, a.a.O. 358 Ebd., 121. 359 Ebd., 124; vgl. zu § 16 PHG auch Karollus, Deckungsvorsorge, 123ff; Karollus, Strafrecht­ liches, 186 ff. 360 Roth, Produktehaftung, 124-125. 361 Honsell, Gläubigerschutz, 178.

2.8. Liechtenstein

Eine Besonderheit weist das Recht Liechtensteins auf. In Art. 221 des Personenund Gesellschaftsrechts vom 20. Januar 1926 (PGR)362 ist eine Verantwortlichkeits­ haftung der Großanteilshaber von Banken und Treuhandgesellschaften363 vorgese­ hen. Großanteilshaber ist gemäß Art. 221 Abs. 2 PGR, wer aufgrund eigenen An­ teilsbesitzes oder aufgrund eines anderen Rechtstitels über wenigstens einen Zehn­ tel der Stimmen oder einen Stimmenanteil verfugt, welcher bei den Versammlun­ gen des obersten Organs der Gesellschaft entscheidend ins Gewicht fällt364. Die Haftung des Großanteilshabers tritt ein, wenn dieser mittelbar oder unmittelbar veranlaßte, daß Mitglieder der Verwaltung bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalts­ pflicht eines ordentlichen Geschäftsführers verletzten. Entscheidungen zu Art. 221 PGR sind bisher aber offenbar keine ergangen365.

2.9. Holland Spezifische konzernhaftungsrechtliche Bestimmungen existieren im holländi­ schen Recht nicht366. Ursprünglich wurden als Möglichkeiten der Haftungsaus­ dehnung auf Muttergesellschaften offenbar vor allem der Durchgrift367 und die ac­ tio Pauliana 368 369 gesehen. Das Osby-Urteil369 setzte dann aber Maßstäbe für eine Kon­ zernmutterhaftung auf deliktischer Grundlage370. Zu beurteilen war die Frage der Haftung einer schwedischen Muttergesellschaft für ihre holländische Tochter. Die Mutter war mit der Tochter durch personelle Verflechtungen und ihre Rolle als al­ leinige Kreditgeberin eng verbunden. Sie hatte dabei durch ihre Finanzspritzen den Eindruck finanzieller Solidität der Tochter vermittelt. Das höchste Gericht, der Hoge Raad, argumentierte, eine Muttergesellschaft begehe unter Umständen eine unerlaubte Handlung, wenn sie sich die Aktiven der Tochter, einschließlich künftiger Vermögenswerte, fast vollständig als Sicherheit für ihre Forderungen ab­ treten lasse, so daß neuen Gläubigern keine Haftungssubstanz mehr zur Verfügung stehe371. Das Urteil schaffte damit einen konzernaußenrechtlichen Ansatz. Das nie­ derländische Recht scheint dem Richter zudem die Möglichkeit zu geben, die Be­ weislasten auf die beklagte Konzernmutter zu verlagern372. Gemäß holländischem 362 LGBL 1926/4; Seeger, Verantwortlichkeit, 103-107. 363 Von der Kompetenz, diese Haftung auch auf andere Gesellschaften auszudehnen, wurde bisher nicht Gebrauch gemacht; Art. 221 Abs. 4 PRG; vgl. Seeger, Verantwortlichkeit, 106. 364 Seeger, Verantwortlichkeit, 105. 365 Seeger, Verantwortlichkeit, 106, erwähnt keine. 366 Blumberg II, 640-642; OECD, Verantwortlichkeit, 99-102; Timmermann, Haftungs­ durchgriff, 419. 367 Roelvink, Piercing, 124—128. 368 OECD, Verantwortlichkeit, 100. 369 Wiedemann, Unternehmensgruppe, 81; Westermann, Osby, 201 ff 370 Vgl. Westermann, Osby, 202; Timmermann, Haftungsdurchgriff, 420f.; Slagter, Konzem­ recht, 13f. 371 Westermann, Osby, 208; weitere Fälle bei Timmermann, Haftungsdurchgriff, 419-421. 372 Timmermann, Haftungsdurchgriff, 421.

Gesetzesrecht können offenbar auch Verantwortlichkeitsansprüche gegen Mutter­ gesellschaften aus faktischer Geschäftsführung geltend gemacht werden373.

2.10. Portugal

Neben der BRD kennt in Europa einzig Portugal ein geschriebenes Konzern­ recht374. Der 6. Titel des revidierten Codigo das Sociedades Comerciais vom 24. Juni 1986 enthält 28 Artikel zu verbundenen Unternehmen (Sociedades coligadas)375. Un­ terschieden wird darin zwischen bloßen Beteiligungen und Gruppen 376. Haftungs­ rechtliche Bestimmungen existieren bloß für die Gruppen, d.h. für die zwei dazu­ gehörigen Unterkategorien des Totalbeherrschungskonzerns (Dominio total) und des vertraglichen Unterordnungskonzerns. Der Tatbestand des Totalbeherr­ schungskonzerns liegt vor, wenn eine Gesellschaft 100% der Aktien einer anderen besitzt377. 378 Der vertragliche Unterordnungskonzern setzt den Abschluß eines Un­ terordnungsvertrages (Contrato de subordinafdd) voraus378. Für beide Konzernfor­ men gilt gemäß Art. 501 eine direkte Mithaftung der herrschenden Gesellschaft ge­ genüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft379. Zusätzlich besteht gemäß Art. 502 eine Verlustausgleichspflicht bei Beendigung des Konzernverhältnisses380. Die Geschäftsführer der herrschenden Gesellschaft unterstehen überdies nach Art. 503 einer Verantwortlichkeitshaftung gegenüber der abhängigen Gesellschaft.

2.11. Brasilien

Brasilien ist neben Deutschland und Portugal der dritte Staat mit einem geschrie­ benen Konzernrecht381. Art. 246 des Aktiengesetzes statuiert für faktische Konzer­ ne382 eine Haftung des herrschenden Gesellschafters, falls dieser seine Leitungs­ macht mißbrauchte383. Eine Beherrschung bzw. Leitungsmacht liegt dann vor, wenn einem Aktionär bei Gesellschaftsbeschlüssen ein Uebergewicht zukommt und er die Mehrheit der Unternehmensverwaltung stellt384. Die Pflichten des herr­ schenden Gesellschafters ergeben sich aus den Art. 116 bzw. 117 des Aktiengeset­ zes. Art. 116 verpflichtet ihn, seine Macht so auszuüben, daß die beherrschte Ge373 Vgl. Lutter, Europa, 363-364; Slagter, Konzernrecht, 12ff. 374 Vgl. Pinto, Gesellschaften, 204ff.; Lutter/Overrath, 315ff.; Antunes, Liability, 326f. 375 Art. 481f.; vgl. Furtado, Codigo, 371f., und auch die Bemerkungen bei Blumberg II, 653; zur früheren Situation: OECD, Verantwortlichkeit, 102-104. 376 Relafao de participa^ao bzw. Rela^ao de groupo. 377 Pinto, Gesellschaften, 210; beide Gesellschaften müssen zudem ihren Sitz in Portugal ha­ ben; Pinto, a.a.O. 378 Ebd., 213f. 379 Ebd., 212. 380 Ebd., 212. 381 Rothmann, Brasilien, 223ff.; Comparato, 583ff.; Blumberg II, 669. 382 Ähnlich auch die Regelung für Vertragskonzerne; vgl. Rothmann, Brasilien, 234f. 383 Rothmann, Brasilien, 232. 384 Ebd., 227f.

Seilschaft ihren Zweck und ihre soziale Funktion erfüllt385. Art. 117 spezifiziert Fäl­ le des Machtmißbrauchs. Erwähnt wird z.B. die Liquidation einer „gutgehenden“ Gesellschaft, die Wahl von Unternehmensverantwortlichen, welche unzuverlässig oder fachlich ungeeignet sind, die Verleitung des Managements zu ungesetzlichen Handlungen oder der Abschluß von Transferverträgen. Die Schadenersatzansprü­ che gegen den herrschenden Aktionär stehen aber nur der abhängigen Gesell­ schaft zu und können von den Gläubigern nicht direkt geltend gemacht wer­ den386. Bestimmungen über das Einstehenmüssen der Muttergesellschaft für Toch­ terschulden sind dem brasilianischen Konzernrecht fremd387. 388 Das brasilianische Arbeitsrecht geht diesbezüglich weiter. Es bestimmt: „Immer dann, wenn ein oder mehrere Unternehmen ...unter Leitung eines anderen Unter­ nehmens stehen...., haften das Hauptunternehmen und jedes einzelne der unterge­ ordneten Unternehmen gesamtschuldnerisch für die Zwecke des Anstellungsverhältnisses"388. Damit weist das brasilianische Recht sogar über die haftungsrechtli­ chen Ansätze des französischen Konzernarbeitsrechts hinaus389.

2.12. AndereStaaten In Belgien390 findet auf einer Linie mit Frankreich und den Entwicklungen in der EU die Figur des faktischen Geschäftsführers Verwendung391. In Ungarn sind gar erste konzernrechtliche Schritte unternommen worden392. Falls ein Anteilsha­ ber mehr als drei Viertel des Kapitals oder der Stimmrechte einer Aktiengesell­ schaft erwirbt und diese unmittelbar leitet, haftet er unbeschränkt für die Gesell­ schaft393. In den skandinavischen Staaten dagegen existieren höchstens Ansätze394 konzernhaftungsrechtlicher Entwicklungen395. Auch das spanische Recht scheint wenig fortgeschritten396. Desgleichen weisen außereuropäische Länder wie Ja­

385 Ebd., 233. 386 Ebd., 232, 234. 387 Ebd., 248. 388 Ebd., 218f. 389 Vgl. vome IV.2.2.4. 390 Vgl. zu Belgien auch den Fall Badger; vome 1.4.6. 391 Geens, Konzernrecht, 163; Schanze, Vergleich, 495; Lutter, Europa, 363-364; vgl. auch van Ommeslaghe, Groupes, 59f; Dalhuisen, Insolvency, §3.03; Blumberg II, 632ff.; OECD, Verantwortlichkeit, 54f. 392 Vgl. den Hinweis bei Lutter, Konzern, 179. 393 Vörös, Grundzüge, 119. 394 Z.B. Dänemark: Haftung der Muttergesellschaft als Anteilseignerin bei Verstoß gegen Ge­ setz oder Satzung der Tochter; vgl. OECD, Verantwortlichkeit, 70; Hommelhoff, Fragen, 426. 395 Rohde, Groups, 142ff; vgl. auch OECD, Verantwortlichkeit, 70ff. (Dänemark), 79ff. (Finnland), 92ff. (Norwegen), 11 lff. (Schweden); Blumberg II, 651-653. 396 de la Gandara, Unternehmen, 166; vgl. auch Chulia, Compendio, 406ff; Irujo, Rechtsla­ ge, 289f, 294, verweist immerhin auf die Tendenz der spanischen Rechtsprechung, die Haf­ tung für Arbeitsverträge konzemübergreifend zu interpretieren.

pan397, Australien398 oder Kanada399 keine eigentlichen Konzernhaftungsrechte auf. In Neuseeland400 besteht immerhin ein modernes konkursrechtliches Instru­ mentarium, welches z.B. aus Billigkeitserwägungen eine Konkursausdehnung auf Muttergesellschaften erlaubt401. Im Zusammenhang mit den Fällen Bhopal402 403 bzw. Deltec403 wurde zudem aufkonzernhaftungsrechtliche Entwicklungen in Indien und Argentinien404 hingewiesen.

2.13. Zusammenfassung

Eine grobe Zusammenfassung der rechtsvergleichenden Untersuchungen zum materiellen Konzernhaftungsrecht ergibt, daß die Konzeption der Tochtergesell­ schaft mit beschränkter Haftung im Grundsatz überall anerkannt ist405. Ebenfalls durchwegs anerkannt, wenn auch in sehr unterschiedlichem Grade und auf ganz verschiedene Weise, ist das Prinzip einer möglichen Durchbrechung dieser Haf­ tungsschranke406 . Konzern- und konzernhaftungsrechtlich am weitesten fortgeschritten ist ein­ deutig das deutsche Recht. Es dürfte vor allem mit der Figur des qualifizierten fakti­ schen Konzerns einen zukunftsweisenden Beitrag zur Lösung der Konzernhaf­ tungsproblematik geleistet haben. Zumindest was den praktischen und theoretischen Aufwand anbelangt, fällt auch das US-Recht auf. Seine nach wie vor starke Konzentration auf das Durchgriffsinstitut dürfte jedoch einer weitergehenden Differenzierung des Konzernhaf­ tungsrechts im Wege gestanden haben. Daran ändert selbst die Kreativität des ame­ rikanischen Konkursrechts (equitable Subordination) nichts. Weiterführende Ansätze finden sich zudem im Bereich der US-Spezialrechte, z.B. im Umweltrecht. Auch die Good Samaritan-Doktrin im Bereich der Arbeitsplatzsicherheit zeigt mit ihrer Konstruktion einer assumption of duty interessante rechtstechnische Möglichkeiten auf. 397 Vgl. Hayakawa, Japan, 391 ff., 405ff, und die fehlenden konzemrechtlichen Hinweise bei: Ishikawa, Handelsrecht, passim; Kiuchi, Gründung, 145ff; Japanese Business Letter, Vol. 1/No. 9,1989 (Bankruptcy Law in Japan) bzw. Vol. 1/No. 10,1989 (Corporate Law in Japan); auch Ya­ mauchi, Konzemrecht, 154ff, erwähnt keine konzemhaftungsrechtlichen Grundsätze. 398 Blumberg II, 615ff; OECD, Verantwortlichkeit, 45ff. 399 Buckley/Connelly, 90ff; Blumberg II, 617-618; Sargent, Canada, 155ff.; OECD, Verant­ wortlichkeit, 59ff. 400 OECD, Verantwortlichkeit, 94ff; Blumberg II, 618ff. 401 Blumberg II, 619. 402 Vome 1.4.2. 403 Vome 1.4.5. 404 Zu Argentinien: vgl. auch Moeremans, Argentinien, 778ff; Dobson, Four Countries, 839 ff; Blumberg II, 660ff; Manovil, Argentinien, 249 ff 405 OECD, Verantwortlichkeit, 32. 406 OECD, Verantwortlichkeit, lff; Lutter, Europa, 361 ff; Blumberg II, 605ff; Hofstetter, Europe, 576ff; Dobson, Four Countries, 839ff; Hofstetter, Multinational, passim; Hopt, Multi­ national, passim; Woolridge, Groups, passim; Hadden, Control, passim; Sugarman/Teubner, pas­ sim.

Im französischen Recht finden sich ebenfalls eigenständige Beiträge. Die dort entwickelten Grundsätze zum dirigeant de fait dürfen neben dem deutschen Kon­ zernrecht mit Fug als der zweite europäische Ansatz bezeichnet werden, welcher besondere konzernhaftungsrechtliche Entwicklungsmöglichkeiten offenbart407. Probleme bieten allerdings die schwierigen Beweislasten der Gläubiger. Der Ent­ wurf einer 9. EU-Richtlinie versucht, sie mit detaillierten Informationspflichten des Konzerns abzufedern. Ansätze eines auf bestimmte Gläubigergruppen zugeschnittenen Konzernhaf­ tungsrechts zeigen sich in Österreich, Frankreich und Brasilien. In Österreich hat §16 PHG einen Mechanismus geschaffen, der ganz spezifisch auf den Konsumen­ tenschutz ausgerichtet ist. In Frankreich ist im Bereich des Arbeitsrechts die Haf­ tungsausdehnung auf Konzernmütter erleichtert worden. Brasilien ist diesbezüg­ lich sogar noch einen Schritt weiter gegangen, indem eine gesamtschuldnerische Haftung aller Konzerngesellschaften gegenüber Konzernarbeitnehmern statuiert wurde. Im übrigen fällt auf, daß in Europa der Schritt weg vom klassischen Durchgriff am weitesten gediehen ist. Die europäischen Rechte zeigen eine Entwicklung hin zu spezifischen Konzernhaftungs- bzw Konzernorganisationsrechten (Deutsch­ land, EU, Portugal). Auch die Konzeption des faktischen Geschäftsführers breitet sich aus (Frankreich, Belgien, EU, Großbritannien, Holland, evtl. Italien). Zudem gewinnt das Konzernaußenrecht an Bedeutung (Deutschland, Holland, Öster­ reich). Im Gegensatz dazu hat z.B. das amerikanische Recht, von einzelnen Ent­ scheiden (Amoco Cadiz) abgesehen, bisher weder ein spezifisches Konzernrecht geschaffen noch den Begriff des de facto-Direktors aufgenommen. Immerhin sind auch in den USA Tendenzen zur Ausbildung eines Konzernaußenrechts erkennbar. In bezug auf Entwicklungsländer haben die Fälle Bhopal und Deltec angedeu­ tet, daß die Herleitung konzernhaftungsrechtlicher Prinzipien durch einheimi­ sche Gerichte unter Umständen auch von der politischen Interessenlage in Einzel­ fällen abhängen kann. Ganz generell zeigt sich ein klarer Trend hin zu einer Differenzierung des Kon­ zernhaftungsproblems. Damit geht die Entwicklung weg vom tabula rasa-Konzept des traditionellen Durchgrifts. Die Tendenz in nationalen Rechten deckt sich folg­ lich bis zu einem gewissen Grad auch mit dem im Badger-Fall sehr allgemein aus­ formulierten OECD-Ansatz, welcher eine gezielte, selektive Verantwortung von Muttergesellschaften gegenüber Tochtergläubigern befürwortet408.

407 Vgl. Lutter, Europa, 357, 362f. 408 Vome 1.4.6.

3. Vergleich von Kollisionsrechtsnormen zur Konzernhaftung 3.1. Allgemeines Für die folgenden Kollisionsrechtsvergleiche ist beim Grundsatz der Haftungsbe­ schränkung juristischer Personen und bei den daraufanwendbaren Rechten anzu­ setzen. Davon ausgehend sind die verschiedenen Kategorien der Konzernmutter­ haftung (Konzernrecht, Durchgrif, Konkursrecht, Konzernaußenrecht, Geschäftsfuhrerhaftung) auf ihre allenfalls eigenständige kollisionsrechtliche Anknüp­ fung hin zu untersuchen.

3.2. Das Personalstatut von Tochtergesellschaften

Ein spezifisches IPR für Multinationale Konzerne existiert nicht409. MNK-

Rechtsprobleme und -Haftungsfragen werden durchwegs nach allgemeinen Kolli­ sionsrechtsgrundsätzen abgehandelt410. Dabei überwiegt im kontinentaleuropäi­ schen Recht nach wie vor der Savigny sehe411 Ansatz eines neutralen, Allseitigkeit anstrebenden IPR412. In den USA hat sich im Zuge der dortigen Kollisionsrechtsre­ volution eine starke Tendenz zur reinen Interessenabwägung (governmental interest analysis)413 durchgesetzt414. Ein in dieser Richtung laufender Trend ist allerdings auch im kontinentaleuropäischen Recht spürbar. Er äußert sich vor allem dort, wo Privatrecht wirtschaftsrechtlich gedeutet und damit seiner Neutralität bzw. Substitutierbarkeit durch Rechte anderer Länder beraubt wird415. Trotz dieser unterschiedlichen Tendenzen bestehen überall Grundsätze für ein allgemeines Personalstatut juristischer Personen. In den angloamerikanischen und in einigen europäischen Ländern dominiert das Gründungsstatut416, vor allem in Deutschland dagegen das Sitzstatut417. Die Gründungstheorie knüpft an den statu­ tarischen Sitz an, die Sitztheorie an den faktischen Verwaltungssitz. Für Tochterge­ sellschaften, welche in einem Gastland inkorporiert und tätig sind, führen aber bei­ 409 Sandrock, IPR, 173, 248-249. 410 Diesen Ansatz verteidigend: Neumayer, Konzernrecht, 129ff. 411 Joerges, Funktionswandel, 4f.; Keller/Siehr, 57-58; Siehr, Rechtsangleichung, 205-206. 412 Kegel, IPR, 369—373; Neumayer, Konzernrecht, 129 ff.; Ebenroth, Vermögenszuwendun­ gen, 377ff. 413 Vgl. Currie, Essays, 177ff, 188ff; Cavers, Choice, passim. 414 Joerges, Funktionswandel, 38ff; Scoles/Hay, 15ff; Tzouganatos, Means, 501 ff; Rohr, IPR, 76ff; Schnyder, Currie, 101 ff. 415 Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 23ff, 124ff; Basedow, Wirtschaftskollisionsrecht, 8ff; Luchterhandt, Konzemrecht, 70f; vgl. auch Westermann, Methodendiskussion, 68ff; Vagts, Review, 154ff. 416 Blumberg III, 616ff; Rohr, IPR, 91ff; Kozyris, Choice, 15ff. 417 BGHZ 78, 318, 334; BGHZ 97, 269, 271; Kegel, IPR, 363ff; Ebenroth, Kollisionsrecht, 9 ff. (unter anderem mit dem Argument, dadurch würden entwicklungspolitische Postulate unter­ stützt, a.a.O., 28ff); Sandrock, IPR, 180ff; Sandrock, Sitztheorie, 505ff; Wiedemann, Interna­ tional, 195ff; kritisch: Neumayer, Konzemrecht, 139ff.

de zur Anwendung des Gastlandstatuts. Eine stark zentralisierte Konzernleitung be­ gründet zudem auch nach der Sitztheorie noch keinen Tochterverwaltungssitz im Mutterland418. Fragen des Innenverhältnisses juristischer Personen werden grundsätzlich über­ all nach dem Personalstatut angeknüpft419. Für das Außenverhältnis, einschließlich das Verhältnis zwischen Tochtergesellschaften und ihren Gläubigern, werden z.Teil aber Sonderanknüpfungen vorgeschlagen oder praktiziert420. Das gilt unter Umständen auch für das Verhältnis Tochter-Mutter und umsomehr für die Bezie­ hungen zwischen Muttergesellschaft und Tochtergläubigern. Zur Aufschlüsselung dieser Anknüpfungsfragen empfiehlt sich deshalb eine Kategorisierung nach den materiellrechtlich vorherrschenden Mutterhaftungsinstituten.

3.3. Anknüpfungen des Durchgriffs

Im Zusammenhang mit Anknüpfungsregeln für den Durchgriffist darauf hinzu­ weisen, daß dieses Institut häufig sehr weit gefaßt ist und z.B. gesellschafts-, Ver­ trags-, delikts-, konkurs- oder verantwortlichkeitsrechtliche Situationen umfassen kann421. Auch bei der kollisionsrechtlichen Anknüpfung können sich deshalb Dif­ ferenzierungen aufdrängen422. Hinzu kommt, daß sich mit dem Durchgriff die Fra­ ge der grundsätzlichen Anerkennung einer (ausländischen) Gesellschaft vermi­ schen kann, welche unter Umständen wiederum eigenen Anknüpfüngsgrundsätzen unterliegt423. Abgesehen davon aber scheint eine internationale Tendenz zu be­ stehen, den Haftungsdurchgriff ans Tochterstatut anzuknüpfen424. In den USA trug der metaphorische Gebrauch der pierang-Doktrin zwar zu ei­ nem Mangel an Differenzierungen auch im kollisionsrechtlichen Bereich bei425. Die von amerikanischen Gerichten praktizierte Interessenabwägung steht zudem einer klaren Ausformulierung von IPR-Prinzipien ganz allgemein im Wege426. Sie läßt z.B. für den Staat Delaware, der als gesellschaftsrechtlich führend gilt, keine eindeutigen Kollisionsrechtsprinzipien zur Durchgriffshaftung erkennen427. Auch 418 Sandrock, IPR, 239-240; Ebenroth, Kollisionsrecht, 20-21. 419 Neumayer, Konzemrecht, 148-149; Kegel, IPR, 366ff.; Scoles/Hay, 91 lff.; Rohr, IPR, 157ff, 209ff. 420 Grasmann, System, 343ff; Sandrock, IPR, 242ff; Rehbinder, in Lalive/Vischer, 128­ 129; Koppensteiner, in Lalive/ Vischer, 106ff; vgl. auch Sandrock, Lehrstück, 227ff; Tzougana­ tos, Means, 489ff; Kozyris, Choice, 66f. 421 Hübner, Durchgriff, 703ff; Behrens, Durchgriff, 315f, 331 ff; Rehbinder, IPR, 122ff; Rehbinder, in Lalive/Vischer, 126ff, 128—129; Rohr, IPR, 43lff. 422 Besonders deutlich: Rehbinder, IPR, 130 und Rehbinder, in Lalive/Vischer, 128; Beh­ rens, Durchgriff, 343ff; Müller, Durchgrifslehre, 69ff; für das liechtensteinische Recht: vgl. Meier, Grundstatut, 279. 423 Ronca, IPR, 132ff; Latty, Pseudo, 137ff; Rohr, IPR, 119ff. 424 Rohr, IPR, 431; Behrens, Durchgriff, 346; Mann, Konzern, 85; Kegel, IPR, 366f.; Möl­ lers, Durchgriffshaftung, 53; Scoles/Hay, 948. 425 Blumberg III, 638ff. 426 Vgl. Note, Interest, 597ff; Posnak, Choice, 681 ff. 427 Buechner v. Farbenfabriken Bayer Aktiengesellschaft, 38 Del. Ch. 490, 154 A. 2d 684

das Restatement (Second) regelt den Fall nicht428. Trotzdem wird für das piercing­ Recht meist die Anknüpfung an das Tochterstatut empfohlen429. Bei spezifischen Delikts- oder Vertragsansprüchen, welche die Durchgriffsfrage auslösen, wird zu­ weilen auch auf den Handlungsschwerpunkt im betreffenden Fall abgestellt430. Bei einer Tätigkeit der Tochtergesellschaft im Gastland würde aber daraus wiederum die Anwendbarkeit des Gastlandrechts resultieren. Im deutschen Recht wird für die Anknüpfung des Durchgriffs nach herrschen­ der Auffassung ebenfalls auf das Tochterstatut abgestellt431. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Durchgriffsinstitut als kollektiver Gläubigerschutzmechanismus und nicht zum Schutz von Einzelgläubigern eingesetzt wird432. In letzterem Falle tendiert man zur Anwendung konzernaußenrechtlicher Sonderanknüpfungen, welche das Handlungs- bzw. Wirkungsstatut in den Vordergrund stellen433. Gras­ mann434 schlägt für das Außenverhältnis juristischer Personen (und damit auch für die Durchgriffsfrage) generell die Anknüpfung an das drittgünstigere Wirkungs- und Vbrnahmestatut vor (Differenzierungslehre). Sandrocks435 Überlagerungstheorie geht dagegen von der grundsätzlichen Anerkennung des Personalstatuts von Toch­ tergesellschaften im Außenverhältnis aus. Er möchte den Gläubigern aus Verkehrs­ schutzgründen aber zusätzlich eine Berufung auf das allenfalls günstigere Recht des Handlungsstaates ermöglichen. Für ein im Gastland tätiges Tochterunterneh­ men führen freilich auch die theoretischen Differenzierungen Grasmanns und Sandrocks grundsätzlich zur Anwendung von Gastlandrecht436. Das argentinische (Fall Deltec)437 und das indische Recht (Fall Bhopal)438 schei­ nen ebenfalls für die Anwendung des Gastlandrechts (Tochterstatuts) auf Durchgriffsfragen optiert zu haben. Bei einer Beurteilung der Kollisionsrechtssituation im Durchgriffsrecht ist frei­ lich zu vergegenwärtigen, daß bei Klagen gegen Muttergesellschaften im Tochter­ staat das Tochterstatut zugleich die lex fori darstellt. Inwiefern die Anwendung (1959); Pauley Petroleum, Inc. v. Continental Oil Co., 43 Del. Ch. 366, 231 A. 2d 450, (1967); Japan Petroleum Co (Nigeria) v. Ashland Oil, Inc., 456 F. Supp. 831 (D. Del. 1978); Advocat v. Nexus Industries, 497 F. Supp. 328 (D. Del. 1980); Blumberg III, 638f. 428 Restatement (Second) of Conflicts (1971) §307 erklärt zwar das Gründungsstatut auch auf Haftungsfragen anwendbar - diese Bestimmung muß aber im Lichte von § 302 gesehen werden. Danach muß an eine andere Rechtsordnung angeknüpft werden, falls zu dieser eine nähere Bezie­ hung besteht; vgl. Blumberg III, 620 FN 17, 623-624. 429 Vgl. American Protein Corp. v. AB Volvo, 844 F. 2d 56 (zit. in RIW 1988, 1000); Blum­ berg III, 637ff., 666; Kozyris, Choice, 64-65; Rohr, IPR, 445f. 430 Blumberg III, 643ff., 658ff, 669-670. 431 Neumayer, Konzemrecht, 148-149; Behrens, Durchgriff, 346; Kegel, IPR, 366f. 432 Behrens, Durchgriff, 344ff; Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 87ff. 433 Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 87ff; Rehbinder, in Lalive/Vischer, 128ff; Meier, Grundstatut, 279; vgl. hinten IV.3.4. 434 Grasmann, System, 460ff, 471. 435 Sandrock, IPR, 242-243. 436 Behrens, Durchgriff, 347f. 437 Vome 1.4.5. und Moeremans, Argentinien, 780-781, 783. 438 Vome 1.4.2.

von Gastlandrecht alsdann prinzipiell erfolgt bzw. bloß politisch motiviert ist, läßt sich im Nachhinein nicht immer mit Sicherheit eruieren439.

3.4. Anknüpfungen konzernaußenrechtlicher Haftungsfiguren Die Erkenntnis, daß konzernhaftungsrechtliche Probleme auch mit Hilfe von Instituten des allgemeinen Vertrags- und Deliktsrechts bewältigt werden können, hat in der kollisionsrechtlichen Diskussion zu einer verstärkten Betonung der da­ bei auftretenden Anknüpfungsfragen geführt440. Dies ist vor allem im deutschen Recht der Fall441. Für konzernaußenrechtliche Tatbestände (Bestimmung der rich­ tigen Vertragsparteien442, Vertrauenshaftungen443, culpa in contrahendo444, Ge­ schäftsherrenhaftungen, die Anwendung spezieller Arbeitnehmerschutzbestim­ mungen445 etc.) wird dabei überwiegend auf die allgemeinen IPR-Grundsätze ver­ wiesen. Das fuhrt für jedes Institut, je nach seiner Qualifikation, zu deliktsrechtli­ chen oder vertragsrechtlichen Anknüpfungen446. Im Deliktsrecht wird international grundsätzlich entweder an den Handlungs­ ort (lex loci delicti commissi) oder an den Erfolgsort angeknüpft447. Im Vertragsrecht orientiert sich das internationale Privatrecht meist an der engsten Verbindung448 (most significant relationship)449, was in concreto entweder zur Anwendung des Rechts am Ort des Vertragsschlusses450, am Ort der Vertragserfüllung451, am Sitz des Erbringers der vertragstypischen Leistung452 oder am Ort des Gravitätszen­ trums453 des Vertrages führt454. In einfachen (modellhaften) Konzernkonstellatio­ 439 Blumberg weist daraufhin, daß die Leitentscheide im Recht Delawares z.B. alle zur An­ wendung von Delaware-Recht führten; vgl. auch die Entscheide Bhopal, Amoco Cadiz und Del­ tec (vome 1.4.), welche ebenfalls alle zur Anwendung der lex fori führten. 440 Neumayer, Konzemrecht, 171 ff.; Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 106f.; Rehbinder, in Lalive/Vischer, 126-127; Rehbinder, IPR, 129ff.; Behrens, Durchgriff, 335ff; Rohr, IPR, 383ff; vgl. auch Beitzke, Deliktshaftung, 107ff. 441 Vgl. den dort betonten Unterschied zwischen Einzelgläubigerschutz (Konzemaußen­ recht) und Gesamtgläubigerschutz (z.B. Durchgrif); Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 87, 106; Rohr, IPR, 409ff; Behrens, Durchgriff, 331. 442 Rehbinder, IPR, 132. 443 Ebd., 132-133. 444 Ebd., 133. 445 Ebd., 134ff, 136; vgl. auch Knapp, in Lalive/Vischer, 147ff. 446 Rehbinder, in Lalive/Vischer, 106ff; Behrens, Durchgriff, 341-343; Meier, Grundstatut, 279. 447 Restatement (Second) of Conflicts ofLaw, §145-146; Scoles/Hay, 570ff; Blumberg III, 643; Kegel, IPR, 450-461; Schwimann, IPR, 164ff; Vitta, Corso, 296ff; Batiffol/Lagarde, N 554ff; Dicey/Morris, II, 1358ff. 448 Kegel, IPR, 425. 449 Restatement (Second) ofConflicts ofLaws (1971) § 188; Blumberg III, 658ff; Dicey/Morris, II, 1190-1191. 450 Scoles/Hay, 680; Batiffol/Lagarde, 290; Vitta, Corso, 270f. 451 Scoles/Hay, 680f.; Dicey/Morris, II, 1193-1194; Batiffol/Lagarde, 292f.; vgl. auch Schack, Erfüllungsort, 23ff. 452 Batiffol/Lagarde, 293ff; Schwimann, IPR, 123f.

nen, mit einer in einem Gastland inkorporierten und (ausschließlich dort) tätigen Tochtergesellschaft, resultiert aus diesen Grundsätzen aber durchwegs die Anwen­ dung von Gastlandrecht455 453. 454

3.5. Anknüpfungen konkurs- bzw. verantwortlichkeitsrechtlicher Konzernhaftungsfiguren

Für diejenigen konzernhaftungsrechtlichen Institute, welche (wie die französi­ sche Verlustdeckungsklage456, die amerikanische equitable Subordination 457 oder die paulianische Anfechtung458) im Konkursrecht verankert sind, stellt sich ebenfalls ein Sonderanknüpfiingsproblem. Dabei stößt man an die Grenzen, welche das nach wie vor bedeutsame459 Territorialitätsprinzip im internationalen Konkurs­ recht setzt460. Im Falle eines vollumfänglich im Gastland (als Konkursland der Toch­ tergesellschaft) durchgeführten Verfahrens gegen die Muttergesellschaft fuhrt dies zwar kaum zu praktischen Schwierigkeiten. Probleme stellen sich aber, wenn ge­ gen die Muttergesellschaft mittels Klage oder Vollstreckungsbegehren461 im Mut­ terland vorgegangen werden muß. Bei Verfahren am Konkursort der Tochtergesellschaft wird z.B. im französi­ schen Recht eine Anwendung des französischen Konkursrechts auf alle französi­ schen Aktiven der außerhalb Frankreichs agierenden Muttergesellschaft postuliert und praktiziert462. Das gilt sowohl für die extension de la faillite 463 464 wie die action en comblement de passif 464. Offen ist allerdings, ob diese Bestimmungen wegen ihrer konkursrechtlichen Natur auch von ausländischen Gerichten anerkannt bzw. ange­ wandt würden. Für die Konkursausdehnung wird die Frage in Deutschland ver­ neint465, für die Verlustdeckungsklage jedoch z.Teil bejaht466. Die Verlustdeckungs­ 453 Scoles/Hay, 683ff. 454 Art. 28 (I) (1) EBGB; Kegel, IPR, 426ff; Dicey/Morris, II, 1161 ff; Batiffol/Lagarde, 257ff; Vitta, Corso, 263ff; Schwimann, IPR, 120ff. 455 Behrens, Durchgriff, 347-348. 456 Vome IV.2.2.2.1. 457 Vome IV.2.4.3.2. b). 458 Vome IV.2.4.3.2. a). 459 Trotz gegenteiliger Tendenzen; vgl. Walder-Bohner, Konkursrecht, 51 ff.; Hanisch, Insol­ venzrecht, 1289ff; BGHZ 95, 256; Hanisch, Wende, 1233ff; Witz/Zierau, 929ff. 460 Scoles/Hay, 938ff; Nadelmann, Bankruptcy, 57 ff; Großfeld, Insolvenzrecht, 925-927; Hay, Auslandkonkurs, 247ff.; Hanisch, Probleme, 109ff.; Wagner, Insolvenzrecht, 362ff; von Marschall/Hanisch, 11 ff. 461 Hinten IV.4.3. 462 Houin, in Lalive/Vischer, 123. 463 Vgl. Loussouam/Bredin, N 381; Rohr, IPR, 462-463; dasselbe gilt für Art. 165 des argen­ tinischen Konkursgesetzes; Moeremans, Argentinien, 780. 464 Loussouam/Bredin, 449; Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 104; Pohlmann, Gesellschafts­ recht, 141-143; Rohr, IPR, 201-203. 465 Rehbinder, IPR, 127; Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 104. 466 Immenga/Klocke, 53-54; ebenso Rehbinder, IPR, 127; Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 104-105; Langen, Haftung, 214; Hanisch, Probleme, 131 ff; anders aber Großfeld, Insol­ venzrecht, 926-927.

klage des französischen Konkursrechts würde nach dieser Auffassung gesellschafts­ rechtlich ans Personalstatut der Tochter angeknüpft467. Das entspräche dem ganz allgemein für Verantwortlichkeitsansprüche gegen Geschäftsführer geltenden Kol­ lisionsrechtsgrundsatz468. Der Vorentwurf der EU (EG) für eine Konkursrechtsvereinheitlichung (Über­ einkommen über den Konkurs, Vergleiche und ähnliche Verfahren)469 aus dem Jah­ re 1970 hätte das französische Institut der Konkurserstreckung auf den gesamten EU-Raum ausgedehnt470. Ein zweiter Entwurf ließ dann allerdings diese Bestim­ mung, welche in andern Ländern auf Opposition stieß471, ersatzlos fallen472. Das Problem der Territorialität stellt sich auch im Zusammenhang mit dem ame­ rikanischen Institut der equitable Subordination, demfraudulent conveyance/voidable pre­ ference und dem paulianischen Anfechtungsrecht. Es besteht zwar durchwegs die Möglichkeit einer einseitigen Anwendung dieser Institute im Gastland473. Falls aber gegen Muttergesellschaften im Mutterland vorgegangen werden muß, stehen entsprechende konkursrechtliche Institute nur dann zur Verfügung, wenn der Gast­ landkonkurs im Mutterland anerkannt wird474. Immerhin kann schon eine teilwei­ se Anerkennung der Wirkungen des Gastlandkonkurses dazu führen, daß die Kon­ kursverwaltung der Tochtergesellschaft im Mutterland eine (evtl, gar nach Gast­ landrecht zu beurteilende) Anfechtungsklage erheben kann475. Das OLG Hamm hat z.B. in einem Entscheid aus dem Jahre 1976 die konkursrechtliche Anfech­ tungsklage einer luxemburgischen Konkursverwaltung in Deutschland zugelassen und dem luxemburgischen Konkursrecht unterstellt476. Im Mutterland besteht un­ ter Umständen auch die Möglichkeit einer Anfechtungsklage einzelner Gläubiger (Einzelanfechtung)477. Der Entwurf für ein EU-Konkursübereinkommen sieht da­

467 Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 104. 468 Rohr, IPR, 277ff; Ronca, IPR, 137; Dalhuisen, Insolvency, §3.09 (8) (a); Scoles/Hay, 919; Restatement (Second) of Conflicts ofLaws (1971) §309; Blumberg III, 669-670; vgl. auch Art. 7 des Vorschlags der ILA von 1960 (Rohr, IPR, 483); speziell zum belgischen und niederlän­ dischen Recht, welches auf Geschäftsführerhaftungen gegenüber einheimischen Gesellschaften Anwendung findet: Dalhuisen, Insolvency, 2/431. 469 RabelsZ 36 (1972), 734f. 470 Art.l. 471 Z.B. Rehbinder, IPR, 127-128; vgl. Behrens, Durchgriff, 334; Blumberg II, 655-656. 472 Thieme, Entwurf, 472-473; Großfeld, Insolvenzrecht, 927ff. 473 Dalhuisen, Insolvency, §3.09 (8), 2/431-432; 37 Am. Jur. 2d (Fraudulent Conveyances), §189; Scoles/Hay, 941 f., 943ff; vgl. auch 11 U.S.C. §541 (a); Großfeld, Insolvenzrecht, 925. 474 Hanisch, Probleme, 11 lff. 475 Hanisch, Probleme, 121 ff; Scoles/Hay, 941 ff; Wagner, Insolvenzrecht, 369, 371; vgl. aber Weinberg, Argentinien, 319. 476 OLG Hamm in NJW 77, 504 (mit Anmerkungen Oexmann); vgl. auch Geimer, IZPR, 486-487. 477 Vgl. Fragistas, Anfechtungsrecht, 452ff; Hanisch, Gläubigeranfechtung, 569ff; SchmidtRäntsch, Gläubigeranfechtung; passim Verschraegen, Gläubigeranfechtung, 272 ff.

gegen zwingend vor, daß sich das Anfechtungsverfahren am Konkursort (nach dor­ tigem Recht) vollzieht478. Zusammenfassend ergibt sich für die konkurs- bzw. verantwortlichkeitsrechtli­ chen Aequivalente der Konzernmutterhaftung ein nicht ganz eindeutiges Bild der Anwendbarkeit des jeweiligen Gastlandrechts. Die Mutter einer in einem Gastland inkorporierten, dort tätigen und in Konkurs gefallenen Tochtergesellschaft unter­ liegt zwar im allgemeinen dem Zugriff des Gastlandrechts. Dieses kann aber an die Grenzen des konkursrechtlichen Territorialitätsprinzips stoßen, wenn Mutterland­ gerichte ins Verfahren miteinbezogen werden müssen. Verantwortlichkeitsrechtli­ che Klagen, wozu evtl, auch die französische action en comblement de passif zu zählen ist, werden dagegen generell ans Personalstatut der betroffenen (Tochter-) Gesell­ schaft und damit ans Gastlandrecht angeknüpft.

3.6. Anknüpfungen des eigentlichen Konzernhaftungsrechts Eine recht intensive Diskussion um die kollisionsrechtliche Anknüpfung von Konzernrechtsvorschriften wird vor allem in Deutschland geführt479. Herrschen­ de Lehre und Rechtsprechung stehen grundsätzlich auf dem Standpunkt der An­ knüpfung an das Tochterstatut. Auf deutsche Tochtergesellschaften kommt damit deutsches Konzernrecht zur Anwendung480. Diese Verweisungsnorm gilt auf je­ den Fall für Konzernrechtsbestimmungen, welche die Tochtergesellschaft und ihre Gläubiger schützen. Für Konzernrechtsnormen zum Schutz der Aktionäre bzw. Gläubiger der Muttergesellschaft wird dagegen eine Anknüpfung ans Mutterstatut empfohlen481. Die Begründungen für diese kollisionsrechtlichen Regeln weichen allerdings voneinander ab482. Während etwa Neumayer483 auf Konzernvorschriften nur die klassischen, zu allseitigen Verweisungsnormen führenden neutralen Anknüpfungs­ Prinzipien anwenden möchte, tritt Koppensteiner für eine Sonderanknüpfung der Konzernrechtsvorschriften ein484. Noch weitergehend postuliert Luchterhandt eine wirtschaftsrechtliche Kollisionsrechtsperspektive für das Konzernrecht485. Er 478 Art. 15 (abgedruckt in ZIP 1980, 582ff.); vgl. von Marschall/Hanisch, 19, N 38; Lemontey, in ZIP 1981, 547ff., 560-561. 479 Z.B. Koppensteiner, Gesellschaftsrecht, 92ff; Immenga/Klocke, 27ff.; Bache, Unterneh­ mensvertrag, 21 ff; Klocke, Konzemkollisionsrecht, 40ff; Beitzke, Konzemrecht, 533ff; Reh­ binder, IPR, 122ff; Wiedemann, International, 203ff; Luchterhandt, Konzemrecht, 99ff; Kronke, Personengesellschaftskonzerne, 473ff; Ebenroth, Vermögenszuwendungen, 377ff; Brauer, Konzerne, 125ff; vgl. auch Bayer, Beherrschungsvertrag, passim; Ebenroth, Kommen­ tar, Rnr 332ff; Staudinger/ Großfeld, Rnr 389ff. 480 Emmerich/Sonnenschein, 327-328, 149-151; OLG Frankfurt (Urteil vom 23.3. 1988), AG 1988, 267ff, 272; Staudinger/Großfeld, Rnr 390-393; Ebenroth, Kommentar, Rnr 332­ 334; Wiedemann, International, 209. 481 Kronke, Personalgesellschaftskonzeme, 498. 482 Vgl. die Gegenüberstellung bei Ebenroth, Vermögenszuwendungen, 377ff. 483 Neumayer, Konzemrecht, 149ff. 484 Koppensteiner, Gesellschaftsrecht, 162ff. 485 Luchterhandt, Konzerne, 70ff.

kommt, von der wirtschaftsrechtlichen Funktion des Konzernrechts ausgehend, zum Schluß, daß der Geltungsbereich deutscher Konzernrechtsvorschriften bloß einseitig festgelegt werden könne. Im Resultat fuhrt aber auch Luchterhandts Sicht zur Anwendung deutschen Konzernrechts auf deutsche Tochtergesellschaf­ ten, da der mit Konzernvorschriften verfolgte Schutzzweck sich nach seiner Auffas­ sung in erster Linie auf die Gläubiger bzw. Minderheitsaktionäre deutscher Töch­ ter bezieht486. Der Grundsatz der Anwendung des Tochterstatuts für konzernrechtliche Vor­ schriften wurde ausdrücklich auch in Art. 111 des revidierten SE-Entwurfs von 1989 festgehalten487. Keine besonderen kollisionsrechtlichen Fragen stellen sich grundsätzlich bei Eingliederungskonzernen. Sie sind nach deutschem488 Recht nur zwischen deut­ schen Gesellschaften zugelassen. Auch die Bestimmungen zum portugiesischen To­ talbeherrschungskonzern sind nur anwendbar, wenn beide Gesellschaften ihren Sitz in Portugal haben489. Für Vertragskonzerne ist in Deutschland z.Teil streitig, ob sie im internationalen Kontext überhaupt als zulässig zu erachten sind490. Die herrschende Meinung be­ jaht die Frage aber491. Für Beherrschungsverträge zwischen ausländischen Müt­ tern und deutschen Töchtern bestreitet überdies ein Teil der Lehre die Möglich­ keit einer Parteiwahl. Das wird damit begründet, daß es sich beim Beherrschungs­ vertrag um einen satzungsändernden Organisations- und nicht um einen gewöhn­ lichen Schuldvertrag handle492. Offen ist auch die Frage, inwiefern in einem Be­ herrschungsvertrag zwischen deutschen Mutter- und ausländischen Tochtergesell­ schaften deutsches Konzernrecht für anwendbar erklärt werden kann. Aus französi­ scher493 und schweizerischer494 Sicht dürfte die Frage zu bejahen sein, obwohl gera­ de unter deutschen Autoren Zweifel an der Durchsetzbarkeit des deutschen Kon­ zernrechts im Ausland bestehen495. 486 Ebd., 125. 487 Vgl. im Gegensatz dazu den früheren Entwurf (Art. 324 Abs. 2), welcher das SE-Konzemrecht immer dann zur Anwendung gebracht hätte, wenn eine Konzemgesellschaft eine SE gewe­ sen wäre; die Norm hatte in erster Linie integrationspolitische Motive; vgl. Koppensteiner, in La­ live/Vischer, 92. 488 §319 AktG; Emmerich/Sonnenschein, 130. 489 Art. 418 Ziff. 4 lit. a) Codigo Dos Sociedas Comerciais; Pinto, Gesellschaften, 210. 490 Emmerich/Sonnenschein, 151; Rohr, IPR, 300f. 491 Unternehmensrechtskommission, N 1356ff, 1358; Emmerich/Sonnenschein, 151; Kop­ pensteiner, Rnr 94f. zu §291 AktG mit weiteren Nachweisen. 492 Koppensteiner, in Lalive/Vischer, 95ff.; Ebenroth, Vermögenszuwendungen, 378ff, mit der Begründung, die Richtigkeitsgewähr der Parteiautonomie sei aufgrund der ungleichen Spieße bei Abschluß des Vertrages nicht gegeben; anderer Ansicht ist Neumayer, Konzemrecht, 149ff, welcher auf allgemeinrechtliche Korrekturmöglichkeiten hinweist. 493 Goldman, in Lalive/Vischer, 30£, möchte sogar deutsche Konzemrechtsvorschriften zum Schutz französischer Aktionäre anwenden, falls eine französische Gesellschaft von einer deut­ schen beherrscht wird; vgl. dazu auch Rohr, IPR, 324f. 494 Schluep, in Lalive/Vischer, 48f. 495 Immenga/Klocke, 46ff.

3.7. Zusammenfassung

Der Vergleich von Kollisionsnormen im Bereich des Konzernhaftungsrechts deutet die Tendenz an, Fragen der Konzernmutterhaftung in einfachen Mutter/ Tochter-Konstellationen496 grundsätzlich dem Gastlandrecht zuzuordnen. Dieser Trend zeigt sich unabhängig von der materiellrechtlichen Haftungskategorie. So­ wohl im Bereich des eigentlichen Konzernrechts wie in den Bereichen des Haf­ tungsdurchgriffs, Konzernaußenrechts und Konkursrechts kommt auf ein im Gast­ land inkorporiertes und (ausschließlich) dort tätiges Tochterunternehmen tenden­ ziell Gastlandrecht zur Anwendung. Immerhin ist die Abgrenzung keineswegs eindeutig und kann bei komplizierten faktischen Verhältnissen vollends ihre Konturen verlieren. Bei den konkursrechtli­ chen Instituten besteht z.B. der Vorbehalt des Territorialitätsprinzips. Dieses wird allerdings bei Anfechtungsklagen oder der Verlustdeckungsklage des französischen Konkursrechts nicht mehr überall konsequent anerkannt. Im Bereich des Konzern­ außenrechts schließlich kann die Anknüpfung an den deliktsrechtlichen Hand­ lungsort durchaus zur (alternativen) Anwendung von Mutterlandrecht fuhren, wenn die Muttergesellschaft ihre widerrechtlichen Handlungen oder Unterlassun­ gen im Mutterland begeht. Auch vertragsrechtliche Anknüpfungen können bei en­ geren vertraglichen Beziehungen zum Mutterland die Anwendbarkeit von Mutter­ landrecht begründen. Im Grundsatz besteht aber ein Primat des Gastlandrechts. Die privatrechtliche Anknüpfung fuhrt damit zu ähnlichen Resultaten wie die Anknüpfung im öffentli­ chen Recht. Dieses tendiert ebenfalls zur Regelung der Tochtersphäre durch Gast­ landrecht497. Die so konzipierte Kompetenzaufteilung zwischen Mutter- und Gast­ ländern stimmt auch mit den von der OECD für Multinationale Unternehmen po­ stulierten Grundsätzen überein498.

4. Vergleich prozessualer Bestimmungen zur Konzernhaftung 4.1. Allgemeines

Eine Gesamtperspektive der MNK-Haftungsproblematik umfaßt auch Gerichts­ standsfragen, Rechtshilfe- und Vollstreckungsprobleme499. Sachlich muß vorab die Gerichtsstandsfrage von Interesse sein. Sie steht am Anfang der MNK-Haf­ tungsproblematik, weil von ihrer Lösung das anwendbare IPR und damit auch das 496 D.h. einer im Mutterland tätigen Mutter und einer (ausschließlich) im Gastland tätigen Tochter. 497 Hadari, Choice, lff.; Behrens, Durchgriff, 347f.; vgl. auch den Fall Fruehaufv. Massardy in Frankreich (Barton/Fisher, 883ff); OECD, Verantwortlichkeit, 17. 498 OECD-Richtlinien, Annex II; vome II.4.2.3. 499 Vagts, Aspects, 181 ff; Behrens, Durchgriff, 348-350; Kaiser, Weltweit, 589ff; Blumberg III, 671 ff.

anzuwendende materielle Recht abhängt. Im Bereich des Gerichtsstandsrechts ha­ ben sich überdies z.Teil Entwicklungen ergeben, welche besondere Beachtung er­ heischen. Im folgenden wird deshalb in erster Linie auf die Zuständigkeitsfrage ein­ gegangen. Sie soll wiederum nach materiellen Konzernhaftungskategorien diffe­ renziert werden.

4.2. Zuständigkeitsfragen 4.2.1. Gerichtsstand von Muttergesellschaften in Mutterländern Der allgemeine Gerichtsstand von Muttergesellschaften an deren Sitz wird durchwegs anerkannt500. Das fuhrt grundsätzlich dazu, daß Muttergesellschaften im Mutterland eingeklagt werden können. Eine gewichtige Ausnahme setzt hier aber das amerikanische Recht. Die US-Gerichte wiesen im Fall Bhopal die Klage der indischen Regierung aufgrund des prozessualen Instituts des forum non conveniens von der Hand501. Die amerikanische Gerichtsbarkeit erachtete sich nach ei­ ner Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen für unzustän­ dig. Die Klage wurde deshalb an die hiefur angeblich geeigneteren indischen Ge­ richte überwiesen. Entscheidend in Betracht fielen dabei folgende Tatsachen: - die beklagte amerikanische Muttergesellschaft begehrte die Ueberweisung und ließ sich freiwillig auf die indische Gerichtsbarkeit ein; - die indischen Gerichte und das indische Recht wurden zur Durchführung der Klage nach rechtsstaatlichen Grundsätzen für fähig erachtet; — die indischen Gerichte standen näher an den Beweismitteln; - der indische Staat bzw. die indische Gesellschaft hatten ein unmittelbares In­ teresse am Rechtskonflikt; — der Prozeß wäre für die amerikanischen Gerichte äußerst aufwendig gewor­ den; - die amerikanischen Interessen an einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfah­ ren konnten durch eine allfällige Rücknahme des Prozesses, die Verweigerung der prozessualen Rechtshilfe und die Verweigerung der Vollstreckung des indischen Urteils in den USA auch noch zu einem späteren Zeitpunkt gewahrt werden502. Das Institut des forum non conueniens ist offenbar auch dem englischen Recht be­ kannt503. Im kontinentaleuropäischen Recht wird es z.Teil postuliert504. 500 Bom/Westin, 25ff; vgl. auch Art. 2 EGVÜ (Herman/Basedow/Kropholler, 429ff). 501 Vome I.4.2.; Bom/Westin, 208f., 230ff. 502 In re Union Carbide Gas Plant Disaster at Bhopal, India, in December, 1984, 634 F. Supp. 842, (S.D.N.Y. 1986), affd. & mod. 809 F. 2d 195 (2nd Cir. 1987); vgl. auch Bom/We­ stin, 237ff.; Note, Bhopal, 215ff; Note, Tried, 651 ff.; vgl. zudem die dissenting opinion in De Melo v. Lederle Laboratories, 801 F. 2d 1958, 1059 (8th Cir. 1986). 503 Sein Ursprung liegt im schottischen Recht; vgl. Dicey/Morris, I, 389ff., 392. 504 Vgl. dazu die mehrheitlich ablehnende Diskussion in Deutschland; Nagel, IZPR, 46 N 106; Geimer, IZPR, 213ff; vgl. auch Blum, Forum, 191 ff.

4.2.2.

Gerichtsstände in Gastländern

4.2.2.1. Allgemeine Gastlandgerichtsstände Der allgemeine Gerichtsstand von Tochtergesellschaften befindet sich im Gast­ land505. Eine bloße Mehrheit oder die 100%ige Kontrolle der Mutter über ihre Tochter fuhren dagegen selbst in den USA nicht zu einem Gastlandgerichtsstand für Klagen gegen die Muttergesellschaft506. 507 Für die Begründung eines Mutterge­ richtsstandes im Gastland müssen grundsätzlich weitere Elemente spezifischer Gast­ landaktivität (doing business)5Q7 hinzukommen. Immerhin wird diesbezüglich die amerikanische Gerichtsbarkeit sehr extensiv zur Anwendung gebracht508. Einen sehr weiten Gerichtsstand zur Erfassung ausländischer Subjekte stellt auch der deutsche Vermögensgerichtsstand dar509. Er erlaubt eine Klage gegen eine Muttergesellschaft immer schon dann, wenn diese in Deutschland Vermö­ gensgegenstände liegen hat510. Die bloße Beteiligung an Tochtergesellschaften reicht hiefur aber nicht aus511. Ebenfalls exorbitante Züge trägt der französische Heimatgerichtsstand, der generell Klagen von Franzosen512 gegen Ausländer in Frankreich zuläßt513. Wie der deutsche Vermögensgerichtsstand ist aber auch der französische Heimatgerichtsstand zwischen den Unterzeichnerstaaten des EGVÜ (nicht aber gegenüber Angehörigen von Drittstaaten)514 derogiert worden515. Das Lugano-Übereinkommen brachte diese Einschränkung zugunsten weiterer Staa­ ten mit sich516.

505 Analog zum Gerichtsstand von Muttergesellschaften im Mutterland; vgl. vome IV.4.2.1. 506 Bom/Westin, 104; vgl. zur internationalen Zuständigkeit über ausländische Gesellschaf­ ten im US-Recht auch Welp, Zuständigkeit, passim. 507 Scoles/Hay, 334f. 508 Hay, Jurisdiction, 431 ff.; von Mehren R., Transnational, lff; Cohen, Jurisdiction, 59ff; Bom/Westin, 20ff; Blumberg I, 39ff, 81 ff, 103ff; Schack, Einführung, 17ff; Mann, Hoheits­ gewalt, 21 ff; Schnyder, Forum, 141. 509 §23 ZPO; Herman/Basedow/Kropholler, 314ff; Geimer, IZPR, 259ff; Nagel, IZPR, 49ff 510 Es kommt dabei allein auf den Lageort der Aktiven an; OLG Hamburg (1.12.1976), IPRspr. 1976 Nr. 147; Geimer, IZPR, 263£, verteidigt die ratio legis dieser Zuständigkeit am „Ort des Haftungsobjekts“ als „zuständigkeitsrechtliche Konsequenz der Universalität der Haf­ tung des Schuldners“; a.a.O., 262 Rnr 1358; Nagel, IZPR, 50; Herman/Basedow/Kropholler, 314ff. 511 Herman/Basedow/Kropholler, 324; anders aber offenbar Behrens, Durchgriff, 350. 512 Und andern EU-Angehörigen mit Wohnsitz in Frankreich; vgl. Batiffol/Lagarde, 484. 513 Art. 14 Code Civil; Batiffol/Lagarde, 981ff; vgl. auch Loussouam/Bourel, 715ff. 514 Gegenüber diesen werden die französischen und deutschen Heimat- bzw. Vermögensge­ richtsstände sogar noch erweitert, indem Urteile solcher Gerichtsstände in allen EGVÜ-Staaten anerkannt und vollstreckt werden müssen; vgl. Herman/Basedow/Kropholler, S. 445. 515 Art. 3 Abs. 2 EGVÜ; Herman/Basedow/Kropholler, 444ff. 516 Volken, Lugano, 561 ff

4.2.2.2. Gerichtsstand für Durchgriffs- und Konzernrechtsklagen

Spezifische Gastlandgerichtsstände für Durchgriffklagen gegen ausländische Muttergesellschaften finden sich, soweit ersichtlich, in keiner Rechtsordnung517. Insbesondere im amerikanischen Recht hat sich aber eine Judikatur herausgebil­ det, welche Gerichtsstandsfragen mit ähnlicher Perspektive angeht wie den mate­ riellrechtlichen Durchgriff518. Ein Gerichtsstand gegen Muttergesellschaften wird z.Teil angenommen, wenn die Mutter ihre Tochter als agent benutzte519 oder letzte­ re nur das alter ego der ersteren war520. Vor allem in neueren Zuständigkeitsentschei­ den fehlt freilich die Betonung des Unrechts-Elements als zuständigkeitsrechtliche Durchgriffvoraussetzung521. Haftungsdurchgriff und Zuständigkeitsdurchgriff sind damit nicht unbedingt deckungsgleich522. So sieht auch Blumberg im US-Ge­ richtsstandsrecht besonders deutliche Tendenzen in Richtung Konzerneinheitsbe­ handlung (enterprise-law)523. Verfassungsrechtlich ist jedoch unsicher, ob eine bloß auf die 100%ige Teilhaberschaft an einer Tochtergesellschaft abgestützte Zuständig­ keit den geforderten Minimalkontakt-Test erfüllen würde524. Ein der flexiblen und zugleich sehr extensiven amerikanischen Gerichtsstands­ praxis vergleichbares Zuständigkeitsrecht existiert in den kontinentaleuropäischen Zivilrechtssystemen nicht. Immerhin wäre auch hier ein Gerichtsstand gegenüber Muttergesellschaften unter sehr engen Durchgriffvoraussetzungen (Nichtanerken­ nung der separaten Existenz der Tochter und damit Existenz einer bloßen Ge­ schäftsniederlassung der Mutter) denkbar525. Die Zurückhaltung bei der Annahme solcher Gerichtsstände muß im gesetzesorientierten kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis aber naturgemäß größer sein. 517 Scoles/Hay, 261 ffBatiffol/Lagarde, 441 ff; Herman/Basedow/Kropholler, 299ff; Vit­ ta,, Corso, 7ff; Dicey/Morris, I, 264ff 518 Bom/Westin, 104ff; Blumberg I, 58ff, 81 ff; ähnlich auch für das deutsche Recht: Möl­ lers, Durchgriffshaftung, 77. 519 Frummer v. Hilton Hotels International, 281 N.Y.S. 2d 41 (1967). 520 Vgl. Cannon Mfg. Co. v. Cudahy Packing Co., 267 U.S. 333 (1925). 521 Taca Infi. Airlines v. Rolls Royce, 15 N.Y. 2d 97,204 N.E. 2d 329 (1965); Hargrave v. Fibreboard Corp., 710 F. 2d 1154 (5th Cir. 1983); vgl. auch Bulova Watch Co. v. K. Hattori & Co., 508 F. Supp. 1322 (E.D.N.Y. 1981); zum Zuständigkeitsdurchgriffin den USA auch Gei­ mer, IZPR, 41-42. 522 Bom/Westin, 105. 523 Blumberg I, 76-77; Blumberg verteidigt die Zuständigkeitsausweitung auf ausländische Muttergesellschaften mit folgender Begründung: - für US-Kläger wäre es schwierig, im Ausland gegen Konzemmuttergesellschaften zu klagen; - die Konzemmutter nutze den amerikanischen Wirtschaftsraum und schulde diesem damit Rechenschaft; - die Konzemmutter könne vernünftigerweise erwarten, in den USA belangt zu werden; - die Mutter sei mit wenig Problemen konfrontiert, wenn sie sich in den USA zu verteidigen habe, zumal sie die Infrastruktur ihrer Tochter benützen könne; a.a.O., 98-99. 524 Vgl. World Wide Volkswagen Corp. v. Woodson, 444 U.S. 286 (1980), 291-293; Asahi Metal Industry Co., v. Superior Court of California Solano County, 107 S. Ct. 1026 (1987). 525 Zur Nichtanerkennung juristischer Personen allgemein: Großfeld, Unternehmensrecht, 43ff.

Das europäische Recht kennt im übrigen keine speziellen Konzerngerichtsstän­ de. Insbesondere finden sich solche weder im deutschen noch im geplanten EURecht. Das deutsche Konzernrecht ist somit unter Umständen darauf angewiesen, vor ausländischen Gerichten durchgesetzt zu werden526.

4.2.2.3. Gerichtsstände im Konzernaußenrecht, Verantwortlichkeitsrecht und Konkursrecht Für konzernaußenrechtliche, verantwortlichkeitsrechtliche und konkursrecht­ liche Äquivalente der Konzernhaftung existieren z.Teil Spezialgerichtsstände. Besonders weit angelegt ist auch diesbezüglich das amerikanische Recht, wel­ ches für Delikts- oder Vertragsklagen gegen Muttergesellschaften die amerikani­ sche Zuständigkeit sehr leicht bejaht (long arm Statutes)527. 528 Das gilt z.B. im Pro­ duktehaftpflichtbereich, wo die voraussehbare Verwendung eines Konzernpro­ dukts in einem US-Staat zur Gerichtsstandsbegründung gegenüber der Mutter­ gesellschaft ausreicht, falls die Mutter mitverantwortlich war für das Einbringen des betreffenden Produkts in den stream of commerce 528. Auch in europäischen Rechten existieren konzernaußenrechtliche Spezialgerichtsstände. Hiezu zählen die Gerichtsstände am Ort der unerlaubten Handlung529, des Vertragsschlusses oder der Vertragserfüllung530. Auch für das Verantwortlichkeitsrecht531 oder das paulianische Anfechtungsrecht532 stehen evtl. Spezialgerichtsstände im Gastland zur Verfügung.

4.3. Rechtshilfe und Vollstreckung Die Begründung eines Gastlandgerichtsstandes gegen eine Muttergesellschaft reicht noch nicht aus, um einen Anspruch zu beweisen und durchzusetzen. Die 526 Behrens, Durchgriff, 350; Immenga/Klocke, 48. 527 Scoles/Hay, 312ff; häufig erfüllt ist aber auch bereits der allgemeine doing business-Ge­ richtsstand, falls eine Muttergesellschaft direkte Tätigkeiten im Gastland oder mit Wirkung für das Gastland ausübt; Helicopteres Nacionales de Colombia v. Hall, 466 U.S. 408 (1984); Born/ Westin, 29f. 528 Asahi Metal Industry Co. v. Superior Court of Cal., 107 S. Ct. 1026 (1987); Wessinger v. Vetter Corp., 685 F. Supp. 769 (D. Kan. 1987). 529 §32 Deutsche ZPO; Herman/Basedow/Kropholler, 344ff; Geimer, IZPR, 288ff; Dicey/ Morris, I, 303ff; Batiffol/Lagarde, 476ff; Vitta, Corso, 10-11; EGVÜ Art. 5. 530 §29 Deutsche ZPO; Geimer, IZPR, 285ff; Dicey/Morris, I, 315ff; EGVÜ Art. 5; vgl. auch Schack, Erfüllungsort, 151 ff. 531 Die Verlustdeckungsklage im französischen Recht kann z.B. am französischen Konkursort erhoben werden; vgl. vome IV.3.5. 532 Österreich: OGH vom 8.10.84, IPrax 1985, 295f.; für das geplante EU-Konkursüberein­ kommen (Art. 15): Thieme, 473f.; von Marschall/Hanisch, 19; in Deutschland gelten aber auch bei Anfechtungsklagen grundsätzlich die zivilprozessualen Gerichtsstände; Mentzel/Kuhn/Uhlenbrock, N 54 zu §29 KO; vgl. auch BGH in WM 1990, 326ff; nach US-Recht bestünde für fraudulent convevance-KlsLzen ebenfalls ein Gastlandgerichtsstand; vgl. 37 Am. Tur. 2d 54, § 188ff; Scoles/Hay, 940ff.

Gastlandgerichte bzw. die Gläubiger sind evtl, auch auf die Hilfe des Mutterlandes (oder von Drittländern) bei der Beweissammlung533 und der Urteilsvollstreckung angewiesen. Letzteres kann dann Probleme bieten, wenn vor Gastlandgerichten ein politischer Durchgriff gegen ausländische Muttergesellschaften angeordnet wur­ de534. Dies hat im Fall Deltec zur Verneinung der Anerkennung eines argentini­ schen Urteils vor amerikanischen Gerichten geführt535. Es wurde auch im Fall Bho­ pal als reelle Gefahr berücksichtigt und hat möglicherweise eine Vergleichslösung begünstigt536. Mutterländern steht damit im Rechtshilfe- wie im Vollstreckungsbe­ reich ein Schutzmechanismus zugunsten von Muttergesellschaften zur Verfü­ gung537. Die Vollstreckung ausländischer Urteile wird im allgemeinen jedoch ge­ währt, wenn die Voraussetzungen der Zuständigkeit, eines rechtsstaatlichen Verfah­ rens, der Wahrung des ordre public und evtl, des Gegenrechts erfüllt sind538.

4.4. Zusammenfassung Der grundsätzliche Trend der Zuweisung von Konzernhaftungsfragen ans Gast­ land ist im Prozeßrecht analog, obwohl weniger eindeutig feststellbar als im IPR. Tendenzen einer dem Kollisionsrecht vergleichbaren Aufspaltung der Hoheitsrech­ te von Gast- und Mutterländern zeigen sich z.B. in der amerikanischen Rechtspre­ chung, etwa bei der Anwendung des Instituts desforum non conueniens oder des Insti­ tuts des Zuständigkeitsdurchgriffs. Auch die OECD-Richtlinien weisen in diese Richtung539. Das Prozeßrecht wird überdies als Sicherheitsventil der Mutterländer eingesetzt, um gerichtliche Exzesse gegen Muttergesellschaften in Gastländern zu verhindern. Konkurrierende Zuständigkeiten, Rechtshilfe- und Vollstreckungs­ vorbehalte mögen hiefür wirksame Mittel sein. Zugleich ist allerdings das Streben nach Harmonisierung des IZPR zu betonen. Es hat in der EU zu einer Vereinheit­ lichung der Gerichtsstands- und Vollstreckungsrechte geführt (EGVÜ). Das Luga­ no-Übereinkommen stellt eine Fortsetzung dieser Entwicklung dar.

5. Ergebnis Die rechtsvergleichende Rundschau zur Haftung Multinationaler Konzerne hat aufschlußreiche Trends offenbart. Im materiellen Recht ist der Grundsatz der Haf­ 533 Zu Beweisfragen im internationalen Rechtsverkehr: Bom/Westin, 262f.; Coesten-Waltjen, Beweisrecht, passim; Junod/Hirsch, passim. 534 Blumberg I, 67 lf. 535 Deltec Banking Corp. v. Compania Italo Argentina de Electricidad, S.A., 171 N.Y.LJ. 18 (1974); Blumberg II, 682f.; vgl. vome 1.4.5. 536 Vgl. vome 1.4.2. 537 Blumberg II, 673ff; Blumberg III, 671ff. 538 Blumberg II, 677ff.; Scoles/Hay, 996ff.; Geimer, IZPR, 451 ff.; Wolff, Handbuch, 317ff; Dicey/Morris II, 419ff; Vitta, Corso, 72ff; Geimer/Schütze, Bd. 1/2, 1359ff; Stojan, Vollstrekkung, 35ff. 539 Annex II, vome II.4.2.3.

tungstrennung von Tochtergesellschaften durchwegs anerkannt und dabei selekti­ ven Ausnahmen unterworfen. Praktisch überall zur Disposition steht der Durch­ griff, auch wenn ihm in verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedliche Bedeu­ tung zukommt. Besonders in europäischen Jurisdiktionen stehen hingegen andere konzernhaftungsrechtliche Ansätze im Vordergrund. Die deutschrechtliche Figur des qualifizierten faktischen Konzerns, die Geschäftsführerhaftung von Konzern­ muttergesellschaften im französischen bzw. EU-Recht und die wachsende Rolle des Konzernaußenrechts stechen hervor. Im Bereich des IPR und IZPR zeigt sich ganz allgemein (aber nicht ausnahmslos) die Tendenz, Fragen der Konzernmutter­ haftung, zumindest in einfachen Mutter/Tochter-Konstellationen, der Hoheitsge­ walt des Gastlandes zu unterstellen.

V. Die Haftung Multinationaler Konzerne im schweizerischen Recht 1. Allgemeines Die Generalisierung der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne in Teil I hat aufgezeigt, daß sich in typischen MNK-Haftungsfällen vier Grundfragen stellen: die Gerichtsstandsfrage, die Frage des anwendbaren Rechts, die materiell­ rechtliche Frage der Konzernmutterhaftung und Fragen der Vollstreckung bzw. Rechtshilfe1. Lösungen für die beiden ersten Fragenkomplexe lassen sich aber erst formulieren, wenn die anwendbaren materiellrechtlichen Institute bekannt sind. Es ist deshalb unumgänglich, im folgenden zuerst die materiellrechtliche Seite des Haftungsproblems Multinationaler Konzerne zu behandeln2. Innerhalb des mate­ riellen Rechts wird sinnvollerweise kein Unterschied gemacht zwischen MNK und rein nationalen Konzernen3. Es empfiehlt sich aus funktionaler Sicht aber eine Aufteilung der Haftungskategorien analog zu Teil III (Haftung der Konzernmut­ ter als Aktionärin, Geschäftsführerin und Drittperson)4. Die Untersuchungen zum IPR und IZPR5 können alsdann an die materiellrechtlichen Ergebnisse an­ schließen.

2. Das materielle Konzernhaftungsrecht 2.1. Ausgangspunkt In der Schweiz existiert kein kodifiziertes Konzernrecht6, obwohl der Erlaß ei­ ner schweizerischen Konzerngesetzgebung seit langem gefordert wird7. Der Bun­ desrat hat zwar ein Gesetzesprojekt in Aussicht gestellt. Es scheint jedoch zweifel­ 1 Vome 1.5.2. 2 Nachfolgend V.2. und V.3. 3 Vome III.3.6. 4 Vome III.3.4. 5 Hinten V.4. und V.5. 6 Druey, Konzemrecht, 290-292; Böckli, Aktienrecht, 321 ff. 7 Zwischenbericht Aktienrecht, 192ff; Motion Koller vom 26. Juni 1973, Sten. Bull. 1973, 889£; vgl. auch Zweifel, Konzemrecht, 24ff; Zweifel, Holding, 165ff; von Graffenried, Kon­ zemgesetzgebung, 89ff; Tappolet, Schranken, 139; Ruedin, ZSR, 191-192; Ruedin, Propositions, 99ff; Plüß, Schutz, 107ff; Tschäni, Funktionswandel, 99ff; Druey, Konzemrecht, 379ff.

haft, ob sich ein solches in naher Zukunft realisieren läßt8. Das Konzernhaftungs­ problem muß daher vorläufig mit den Mitteln des geltenden Rechts gelöst werden. Verschiedene Bestimmungen inner- und außerhalb des schweizerischen Gesell­ schaftsrechts nehmen auf Konzerne Bezug. Beispiele hiefur sind Art. 659b, 663e, 671 Abs. 4, 707 Abs. 3, 708 Abs. 1 und 727e Abs. 2 OR, Art. 17 Abs. 3 MWSTV oder das Holdingprivileg in kantonalen Steuergesetzen9. Auch Rechtsprechung und Lehre haben geltende Normen z.Teil konzernadäquat uminterpretiert10. Die im Bereich der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit gefundenen Ansätze wurden sogar salopp bereits als Erledigung der konzernrechtlichen Gläubigerschutz- und Minderheitenproblematik dargestellt11. Die Analysen der vorangehenden Teile ha­ ben aber aufgezeigt, daß der Weg zu einer sachgerechten Lösung der MNK-Haftungsfrage kaum über einen simplen Konzerninnenhaftungsmechanismus fuhrt. Der von der Internationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) geforderte Wohlstands- bzw. Effizienztopos favorisiert ein Haftungskonzept, welches viel­ schichtig ansetzt, um der dynamischen Realität moderner Konzerne gerecht zu werden12. Das schweizerische Recht wird deshalb im folgenden kritisch an der IWV zu messen sein. Wo Divergenzen bestehen, ist zu prüfen, inwiefern sich sol­ che durch eine funktionale Auslegung auflösen oder vermindern lassen. Die anschließenden Ausführungen werden sich nur mit dem Aktienrecht befas­ sen. GmbH und Personengesellschaften dürften in der Schweiz, im Gegensatz zu Deutschland13, als Konzerntochtergesellschaften ohnehin von untergeordneter Be­ deutung sein14. Für das Genossenschaftsrecht erübrigt sich eine separate Behand­ lung, weil es zumindest teilweise auf analogen Bestimmungen aufbaut wie das Ak­ tienrecht15. Im übrigen sind gerade Tochtergesellschaften ausländischer Konzer­ ne16 erfahrungsgemäß in Form der AG konstituiert.

8 Vgl. die Botschaft zum revidierten Aktienrecht, BB11983 II, 749 und 817, sowie Groupe de reflexion, 69ff. 9 Zweifel, Holding, 130ff. 10 BGE 108 II 122ff. (Handelsregisterrecht); vgl. auch die konzernrechtlichen Erörterungen in BGE 108 Ib 37 E. 4c; 108 Ib 448; Pr 73 (1984), 257; SAG 1973, 49 (O’Ger ZH); Forstmoser, Verantwortlichkeit, 221 ff; Bosmann, Konzernverbundenheit, 83ff; Peter, SAG lff; Druey, Konzernrecht, 370 ff. 11 Vgl. Wohlmann, Besprechung, 35. 12 Vome III.3.4.; Teubner, System, 150-153; Teubner, Konzernhaftung, 271ff.; ähnliche An­ sätze bei Schanze, Vergleich, 497ff. 13 Die deutsche GmbH wird unter anderem deshalb als ideale Tochtergesellschaft gesehen, weil das deutsche Aktienrecht die Eigenverantwortlichkeit der Verwaltung statuiert und eine di­ rekte Einflußnahme der Aktionäre auf die Geschäftsführung, anders als bei der GmbH (dazu Ul­ mer, Gläubigerschutz, 399-301), grundsätzlich nicht zuläßt; vgl. Münchner Handbuch (Wies­ ner), 121 ff; die schweizerische AG scheint diesbezüglich flexibler; vgl. Forstmoser/Meier-Hayoz, 175ff. 14 Zu Personengesellschaften als Konzemspitze; vgl. Kaufmann, Konzemspitze, 2lff. 15 Gerade im Bereich des auch im Konzemkontext bedeutungsvollen Verantwordichkeitsrechts (hinten V.2.3.); vgl. Art.916ff. OR und Blickenstorfer, Verantwortlichkeit, 49ff. 16 Auf sie kommt das materielle schweizerische Recht zur Anwendung; vgl. hinten V.4.

2.2.

Haftung der Konzernmutter als Aktionärin ihrer Tochter

2.2A. Überblick Mehrheits- oder Alleinaktionäre sind in der Ausübung ihrer Ermessensmacht an Bedingungen zu binden, welche über diejenigen von Publikumsaktionären hin­ ausgehen17. Das hängt mit der Absenz eines die gegenseitige Kontrolle garantieren­ den und damit richtigkeitsgewährenden Aktionärspluralismus zusammen18. Ein funk­ tional optimiertes Konzernhaftungsrecht kontrolliert deshalb auch das Verhalten von Muttergesellschaften als Aktionärinnen ihrer Töchter19. Das schweizerische Recht ist freilich gerade in diesem Bereich bisher eher zurückhaltend geblieben20. Abgesehen von einer Konzernkonsolidierungspflicht21 werden auch im revidier­ ten Aktienrecht keine besonderen Pflichten des Mehrheits- oder Alleinaktionärs statuiert. Trotzdem bestehen Schutzinstrumente gegen Mißbräuche der Aktionärs­ stellung von Konzernmüttern. Für Tochtergläubiger steht dabei der Haftungs­ durchgriff im Vordergrund.

2.2.2. Der Haftungsdurchgriff

2.2.2.1. Allgemeines Die Konzeption des Durchgriffsinstituts ist umstritten22. Unter Haftungsdurch­ griff wird z.Teil ein sehr enger, subsidiärer Tatbestand der Haftungserweiterung auf die Gesellschafter verstanden23. Eine andere Auffassung versteht darunter nahe­ zu alle Tatbestände einer solchen Haftungsausdehnung24. Hinzu kommt, daß der Haftungsdurchgriff des Zivilrechts oft nur ungenügend von anderen Durchgriffs17 Vgl. dazu das deutsche GmbH-Recht; vome IV.2.1.3.2. 18 Druey, Konzernrecht, 312; Binder, Verfassung, 191 ff. 19 Vome III.3.4.2. 20 Meier-Hayoz/Forstmoser, 442f.; Pestalozzi, Konzemrecht, 252ff; vgl. immerhin den im schweizerischen Übernahmekodex zum Ausdruck kommenden (konzemrechtlichen) Minder­ heitenschutz: Meier-Schatz, Takeover, 57ff, 59; das künftige schweizerische Börsengesetz wird diesen durch die Einführung einer Angebotspflicht weiter ausdehnen; vgl. Hofstetter, Ubernahmeregelung, passim. 21 Art. 663eff. OR. 22 Vor allem in Deutschland wird ein Schulenstreit zwischen Vertretern einer subjektiven und Vertretern einer objektiven Durchgriffskonzeption geführt; als erster Vertreter der subjektiven Mißbrauchskonzeption gilt Serick, Durchgriff, 203ff; als Hauptvertreter der objektiven Norm­ anwendungslehre gilt Müller-Freienfels, Durchgriff, 522ff; herrschend ist die objektive Norman­ wendungslehre: Stimpel, Durchgriffshaftung, 604; Schanze, Einmanngesellschaft, 56ff; Wiede­ mann, Unternehmensgruppe, 18ff; Blumberg III, 682, fordert für das amerikanische Recht eben­ falls einen am jeweiligen Gesetzeszweck orientierten Durchgriffsansatz. Gemäß Kehl, Durch­ griff, 114, vermag die Normanwendungslehre aber nur den Zurechnungsdurchgriff zu erfassen, nicht dagegen den Haftungsdurchgriff; vgl. auch Dennler, Durchgriff, 29-30. 23 Vgl. Dennler, Durchgriff, 24ff; Rehbinder, Konzemaußenrecht, 125. 24 Vgl. Stimpel, Durchgriffshaftung, 606ff; Flume, Person, 79ff.

tatbeständen (Zurechnungsdurchgriff, öffentlich-bzw. steuerrechtlicher Durch­ griff etc.) abgegrenzt wird25. Die herrschende Lehre und Rechtsprechung in der Schweiz fassen den Durch­ griff als Ausfluß aus Art. 2 ZGB auf26. Das Institut erscheint dann als bloßes Ventil zur Korrektur rechtsmißbräuchlicher Situationen27. Diese enge Fassung überzeugt im Konzernhaftungskontext auch aus funktionaler Sicht28. Die Grobnatur des Durchgriffs eröffnet zuwenig Feinsteuerungsmöglichkeiten, um der komplexen Realität moderner Konzernorganisationen gerecht zu werden29. Der Durchgriffstatbestand taugt folglich nicht als konzernhaftungsrechtliches Allheilmittel. Die Er­ fahrungen des US-Rechts und die gegenteilige Entwicklung in Europa unterstrei­ chen dies30. Eine neue schweizerische Auffassung, welche von Kehl vertreten wird, möchte überhaupt auf den Haftungsdurchgriff verzichten31. An dessen Stelle wird eine deliktische Haftung postuliert, wobei Art. 2 ZGB als Widerrechtlichkeitsnorm einge­ setzt werden soll32. Dieser Ansatz überzeugt nicht. Es ist zwar richtig, daß dem Durchgriff auch im schweizerischen Recht verschiedene funktionale Äquivalente zur Seite stehen, welche letztlich zum selben Resultat fuhren können33. Diese Insti­ tute sind aber keineswegs flächendeckend und zielen überdies nicht primär auf das Aktionärsverhalten von Konzernmuttergesellschaften34. Die Nichterfüllung von Aktionärspflichten (z.B. adäquate Kapitalisierung der Tochter)35 könnte durch sie funktional wie dogmatisch nicht befriedigend sanktioniert werden. Für die Beibehaltung der Durchgriffsfigur spricht zudem, daß sie an enge objek­ tive Tatbestandskategorien anknüpfen kann. Sie ist damit z.B. nicht auf den Nach­

25 Vgl. Meier-Hayoz/Forstmoser, 32£; Dennler, Durchgriff, 15ff; Forstmoser, Aktienrecht, 23f., 33—34; Homburger, Durchgriff, 249ff; vgl. auch die schweizerische Durchgriffsrechtsprechung: z.B. BGE 113 II 31 ff; 112 II 503ff; 108 II 213ff; 108 II 122ff; 102 II 165ff; 98 II 96ff; 93 I 378ff; 85 II lllff; 81 II 455ff; 72 II 275ff; 72 II 67ff; 71 II 272ff; 58 II 162ff; 53 II 25ff; vgl. auch SJZ 1989, 85-86 (OGer Zürich, 13.7.88); ZR 90 (1991), Nr. 85; Hovagemyan, Transparence, 25ff. und passim; zurecht den Durchgriff hinterfragend deshalb Kehl, Durchgriff, 8ff. 26 BGE 71 II 272; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 83; Forstmoser, Aktienrecht, 29 N 108-110; Kehl, Durchgriff, 9; Handschin, Konzern, 312ff. (für den von ihm so definierten Durchgriff im en­ gen Sinn); Zürcher, Gläubigerschutz, 188. 27 Homburger, Durchgriff, 254ff; Dennler, Durchgriff, 30-31, 32ff; Forstmoser, Aktien­ recht, 27ff; vgl. auch Caflisch, Grenzen, 43£; so auch Zürcher, Gläubigerschutz, 188, 208.; ähn­ lich Kübler, Gesellschaftsrecht, 322; Ebenroth, Durchgriff, 127£, bemerkt, daß die schweizeri­ sche Lehre und Praxis sich „wohltuend“ von der „Illusion der deutschen Ansätze mit dogmati­ schen Begründungen“ abhebe. 28 Vome III.3.4.2. 29 Teubner, Konzemhaftung, 261, 277; Schanze, Vergleich, 498. 30 Vome IV.2.13. 31 Kehl, Durchgriff, 39ff; vgl. auch die in ähnlicher Richtung zielende, bereits früher vertrete­ ne Auffassung Wilhelms für das deutsche Recht: Wilhelm, Rechtsform, passim. 32 Kehl, Durchgriff, 49 ff. 33 Vgl. hinten V.2.3. und 2.4. 34 Vgl. hinten V.2.3.4. und 2.4.4. 35 Dazu spezifisch hinten V.2.2.2.2.

weis des Kausalzusammenhangs oder eines Verschuldens angewiesen36. Die von Kehl geforderte deliktische Lösung käme dagegen nicht ohne diese gesetzlichen Tatbestandsmerkmale aus37. Der Haftungsdurchgrif ist somit, funktional gesehen, kein überflüssiges38 Institut. Daran ändert nichts, daß nach der Meinung Kehls die Konstellationen der bisherigen bundesgerichtlichen Durchgrifspraxis evtl, eben­ so mittels alternativer Rechtsfiguren hätten gelöst werden können39. Kehl läßt im übrigen offen, ob die klagenden Gläubiger diesfalls nicht vor schwierigeren Be­ weisproblemen und damit vor wesentlich risikoreicheren Prozessen gestanden hät­ ten. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit, daß künftig Fälle auftreten könn­ ten, für die neben dem Durchgriff keine äquivalenten Instrumente zur Verfügung stehen40. Es besteht mithin kein Grund, den Durchgriff im Haftungsrecht a priori abzuschreiben. Dies auch deshalb, weil die von Kehl vorgeschlagene Verlagerung der Durchgriffsfrage ins Haftpflichtrecht auf gewichtige dogmatische Bedenken stößt. Die Tatbestandsvoraussetzung der Widerrechtlichkeit drohte nämlich zu ver­ wässern, wenn Art. 2 ZGB als Widerrechtlichkeits-Generalklausel aktiviert wür­ de41. Für die von Kehl als Argument gegen den Durchgriff ins Feld geführte Rechtssicherheit42 wäre damit aufjeden Fall nichts gewonnen.

2.2.2.2. Kategorien des Konzernhaftungsdurchgriffs Die in der in- und ausländischen Literatur und Rechtsprechung verwendeten Durchgrifiskategorien unterscheiden sich wenig. In der einen oder anderen Form werden immer wieder genannt: Unterkapitalisierung; — Mißachtung von Formalitäten der juristischen Person bzw. Vermögens- und Sphärenvermischung; — Institutsmißbrauch (fraud); - Kontrolle bzw. spezifisch konzernrechtliche Beherrschungsformen (Fremd­ steuerung)43. Auch das schweizerische Recht orientiert sich an diesen Kategorien44, sodaß die folgende Diskussion danach aufgebaut werden kann. 36 Vgl. hinten V.2.2.2.2. und 2.2.2.4. 37 Ob die von ihm postulierten Beweislastumkehren (vgl. Kehl, Durchgriff, 85 ff.) zulässig wä­ ren und überdies ausreichen, bleibt fraglich. 38 So Kehl, Durchgriff, 47. 39 Ebd., 51ff, lllff. 40 Kehl attestiert denn auch, daß seine Untersuchungen keine Vollständigkeit beanspruchen; a.a.O., 50. 41 Ebd., 61ff; vgl. dazu die Ausführungen hinten V.2.4.2.2.e). 42 Kehl, Durchgriff, 46. 43 Vome IV.2.1.4. (Deutschland); IV.2.2.3. (Frankreich); IV.2.4.2.3. (USA); IV.2.5. (GB). 44 Dennler, Durchgriff, 56ff; Forstmoser, Aktienrecht, 33, 35ff; Ebenroth, Durchgriff, 124ff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 59ff, 67ff. (mit vielen Hinweisen); vgl. auch Rauß, Haftungsdurchgriff, 307 ff; Caflisch, Grenzen, 249f.

a) Unterkapitalisierung Selbst in Fällen, in denen die Mindestkapitalvorschrift von Art. 621 OR45 nicht verletzt wurde, stellt sich die Frage, ob die Aktionäre eine Pflicht trifft, ihre Gesell­ schaft mit ausreichendem Kapital zu alimentieren bzw. zu realimentieren46. Aus Ef­ fizienzperspektive wäre dies im Prinzip gerechtfertigt. Jedes in der Kontrollsphäre der Aktionäre liegende Risiko wird am effizientesten von diesen selbst getragen47. Zur Abdeckung solcher Risiken bedarf es somit einer entsprechenden Kapitalisie­ rung der juristischen Person. Risiken sind anderseits aber einzelfallbezogen und dauernden Veränderungen ausgesetzt. Eine genaue Messung der Optimalkapitali­ sierung juristischer Personen bzw. Tochtergesellschaften ist deshalb praktisch kaum zu realisieren48. Die direkten und indirekten Rechtskosten (Prozeßkosten bzw. Kosten von Fehl­ kalkulationen) einer mit Durchgriffssanktionen verbundenen Pflicht zur adäqua­ ten Kapitalisierung juristischer Personen wären folglich sehr hoch49. Eine Fein­ steuerung der Kapitalausstattung von Tochtergesellschaften mittels Durchgrifsrecht kann somit nicht in Frage kommen. Es besteht allerdings auch kein Grund, den Tatbestand einer exorbitanten, offensichtlich mißbräuchlichen Abwälzung von Unterkapitalisierungsrisiken auf Gläubiger zu schützen. Zwar stimmt, daß Ver­ tragsgläubiger solche Risiken bei Vertragsschluß selber einschätzen und sich risiko­ angepaßte Gegenleistungen einhandeln können50. Damit sind aber die Marktim­ perfektionen bei der Aushandlung dieser Konditionen (z.B. für außervertragliche oder schwache Gläubiger) und die Kapital- bzw. Risikoveränderungen zu Lasten von Gläubigern nach Vertragsschluß (Opportunismusgefahren) noch nicht durch­ wegs eingefangen51. Folglich verbleibt Raum für eine Durchgriffskategorie Unterkapitalisierung. Sie läßt sich positiv-rechtlich durch eine funktionale Auslegung des Rechtsmiß­ brauchsverbots im Zusammenhang mit der gesetzlich verbrieften Haftungsbe­ 45 Zum Mindestkapital und seinen sieben Funktionen; vgl. von Greyerz, Aktiengesellschaft, 58f. 46 Eine Pflicht zur adäquaten Kapitalaustattung wird im schweizerischen Recht zumindest in­ direkt statuiert, indem die Verwaltung und Geschäftsführung einer AG bzw. Tochtergesellschaft die eingegangenen Risiken und das vorhandene Gesellschaftskapital aufeinander abzustimmen haben; vgl. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 244 N 808—811a; die entsprechende Pflicht trifit dann allerdings nicht die Aktionäre. 47 Vome III.3.3.3. 48 Vome III.3.4.1.; Hemmerde, Insolvenzrisiko, 277f. 49 Immerhin müssen aber z.B. im Bankenbereich Grobrisikoschätzungen bei der Ermittlung minimaler Eigenkapitalreserven vorgenommen werden. Auch im Versicherungsbereich werden ähnliche Risikokalkulationen zur Berechnung adäquater Prämien durchgeführt. Das dabei einge­ setzte Instrumentarium steht zwar den mit Durchgriffsfragen betrauten Richtern nicht in glei­ chem Ausmaß zur Verfügung. Branchenvergleiche und Expertengutachten sind jedoch auch in gerichtlichen Verfahren möglich. Die Verwandschaft der Bereiche Konzemhaftung und Eigenka­ pitalausstattung kommt im übrigen auch im CS-Holding-Entscheid des Schweizerischen Bundes­ gerichts zum Ausdruck; vgl. BGE 116 Ib 331 ff. 50 Posner, Creditors, 501 ff. 51 Vome III.3.3.1.

schränkung juristischer Personen herleiten. Dieses Privileg hat dann als miß­ braucht zu gelten, wenn die Eigenkapitalausstattung (inkl. Versicherungsschutz) von Tochtergesellschaften offensichtlich und eindeutig ungenügend war, um die vertraglich nicht abgegoltenen Risiken der Tochtergläubiger adäquat abzudecken. Die finanzielle Ausstattung der Tochter (inkl. Mutterdarlehen) muß klar unzurei­ chend gewesen sein und einen Mißerfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit vorpro­ grammiert haben52. Eine subjektive Willens- oder Wissensvoraussetzung der Mut­ tergesellschaft braucht dabei nicht gefordert zu werden, dürfte aber bei der voraus­ gesetzten Offensichtlichkeit regelmäßig vorliegen53. Ebensowenig rechtfertigt sich eine Beschränkung der Schadenstragung der Mutter auf die Nachzahlung adäqua­ ter Einlagen. Der hohe Mißbrauchsstandard schützt vor einem ineffizienten Über­ schießen des Durchgriffsinstituts und ermöglicht das (rechtskostensparende) Weg­ lassen zusätzlicher Tatbestandsrestriktionen.

b) Mißachtung von Formalitäten der Tochtergesellschaft und Vermögens- bzw. Sphärenvermischung

Auch Fälle der Mißachtung von Formalitäten einer juristischen Person54 und die Vermögens- bzw. Sphärenvermischung55 werden als Durchgriffskategorien dis­ kutiert. Sie können zusammengefaßt werden, da beiden ein rechtsmißbräuchli­ ches venire contrafactum proprium bei der Ausübung von Organisationsmacht zugrun­ de liegt. Beide Tatbestände laufen letztlich darauf hinaus, die funktionsnotwendige Unabhängigkeit der juristischen Person und ihrer Identität (Vermögen, interne Willensbildung, Auftreten nach außen) zu unterlaufen. Als rechtsmißbräuchlich sollte eine Berufung auf die Haftungsbeschränkung einer Tochtergesellschaft mit­ hin dann gelten, wenn eine vernünftige Kontrolle ihrer ausdifferenzierten Existenz von außen nicht mehr möglich ist. Diese Extremsituation kann gegeben sein, wenn im Gründungsstadium oder später wesentliche richtigkeitsgewährende For­ malitäten, wie periodische Tochter-Generalversammlungen, Kontrollstellenunter­ suchungen usw, nicht durchgeführt wurden. Sie kann aber auch vorliegen, wenn Vermögensmassen von Mutter- und Tochtergesellschaften in nicht mehr nachprüf­ barer Weise vermischt wurden, so daß eine Rekonstruktion ihrer Zugehörigkei­ ten nur noch willkürlich möglich wäre (gegenständliche Sphärenvermischung)56. 52 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 190; Bosmann, Konzemverbundenheit, 67-69. 53 Dadurch wird der Durchgriff objektiv-mißbrauchsrechtlich gefaßt, wie dies von der wohl herrschenden Lehre in der Schweiz getan wird; vgl. von Steiger, Holdinggesellschaften, 307a; Siegwart, Kommentar, Einleitung zu Art. 620ff. OR, N 164; Merz, Kommentar, N 288 zu Art. 2 ZGB; von Planta A., Hauptaktionär, 155; Albers, HaftungsVerhältnisse, 125; Ebenroth, Durch­ griff, 126f.; Forstmoser, Aktienrecht, 30; nicht eindeutig aber Dennler, Durchgriff, 29. 54 Forstmoser, Aktienrecht, 36; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 74ff; Drobnig, Haftungsdurch­ griff, 27 f. 55 Stimpel, Durchgriffshaftung, 606£; Ebenroth, Durchgriff, 132; Schmidt, Gesellschafts­ recht, 183-187; Forstmoser, Aktienrecht, 36; Dennler, Durchgriff, 56ff; Bolt, Protection, 39ff, 94f. 56 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 184.

Aufgrund der Subsidiarität der Durchgriffstatbestände gegenüber konzernauBenrechtlichen Instituten57 58 ist zweifelhaft, ob für eine bloß nach außen zum Aus­ druck kommende Sphärenvermischung (Gebrauch gleicher Namen, gleicher Bü­ roräumlichkeiten, gleicher Personen und gleicher Briefköpfe: haftungsbegründende Sphärenuertnischung)53 im Durchgriftsrecht noch Platz besteht. In solchen Fällen wird evtl, bereits die Bestimmung der richtigen Vertragspartei nach Vertrauens­ prinzip zur Mithaftung der Muttergesellschaft fuhren59. Auch gegenüber Nichtver­ tragsgläubigern kann freilich durch Identitätsvermischung ein gewisses Vertrauen aufgebaut werden. Vor dem Hintergrund des Bhopal-F2Hs60 ist beispielhaft auf den Kauf eines Hauses durch einen künftigen Anwohner in der Nähe eines Chemie­ werkes hinzuweisen. Sofern das Werk durch einen berühmten Konzernnamen be­ trieben wird, kann dies den künftigen Anwohner unter Umständen davon abhal­ ten, nähere Abklärungen über die in einem Katastrophenfall zur Verfügung stehen­ de Haftungssubstanz vorzunehmen. Der berühmte Konzernname kann damit kau­ sal sein für den Entscheid des künftigen Anwohners, das Haus von einem Dritten zu kaufen. Obwohl aus funktionaler Perspektive über die Durchgriftswürdigkeit solcher Fälle von Konzernvertrauen durchaus diskutiert werden könnte, spricht die restriktive Rechtsgrundlage (Art. 2 ZGB) und damit die Rechtssicherheit ge­ gen eine Ausweitung des Durchgriffsinstituts auf derartige Tatbestände61.

c) Institutsmißbrauch Die fraudulöse Schädigung Dritter mit Hilfe einer juristischen Person wird vor allem im amerikanischen Recht als Durchgriffskategorie betont62. Sie ist jedoch auch im deutschen63, französischen64, englischen65 und schweizerischen66 Recht anerkannt. In einem weiteren Sinne kann darunter der Einsatz der juristischen Per­ son zu unlauteren Zwecken, zu Gesetzes-67 und Vertragsumgehungen68 (Instituts­ mißbrauch) verstanden werden. Beim Haftungsdurchgrif kann es aber nur um den Mißbrauch des Instituts der Haftungsbeschränkung gehen69. Für einen breiter 57 Hinten V.2.2.2.4.b). 58 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 185. 59 Hinten V.2.4.3.1.b). 60 Vome 1.4.2. 61 So auch Bosmann, Konzemverbundenheit, 69; zum Schutz des Konzemvertrauens qua Konzemaußenrecht: hinten V.2.4.3.1. 62 Vome IV.2.4.2.3. 63 Stimpel, Durchgriffshaftung, 610f. 64 Vome IV.2.2.3. 65 Vome IV.2.5. 66 Forstmoser, Aktienrecht, 18, 35-36; von Planta A., Hauptaktionär, 161-163; Ebenroth, Durchgriff, 134. 67 Dennler, Durchgriff, 61; von Planta A., Hauptaktionär, 157-159. 68 Forstmoser, Aktienrecht, 38ff; Dennler, Durchgriff, 68ff.; von Planta A., Hauptaktionär, 159-161. 69 Kübler, Gesellschaftsrecht, 322; Stimpel, Durchgriffshaftung, 611; Ebenroth, Durchgriff, 134.

konzipierten, auf die Durchsetzung anderer Normzwecke ausgerichteten Durch­ griff* bietet Art. 2 ZGB (im Rahmen des Gesellschaftsrechts) keinen Raum70. Nur wenn die Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften des Aktien­ rechts umgangen wurden, um Dritte zu schädigen oder Risiken auf sie abzuwäl­ zen, läßt sich ein allgemeiner Haftungsdurchgrif wegen Institutsmißbrauchs recht­ fertigen71. Das ist hauptsächlich dann der Fall, wenn absichtlich Gründungsvor­ schriften, Kapitalrückerstattungs- oder Dividendenauszahlungsverbote (z.B. durch verdeckte Gewinnausschüttungen)72 verletzt wurden und eine nachträgli­ che Einschätzung der Folgen dieser Handlungen unmöglich ist. Es ist anderseits of­ fensichtlich, daß hier Überschneidungen auftreten können mit der Durchgriffska­ tegorie der Unterkapitalisierung oder der Kategorie Vermögens- bzw. Sphärenver­ mischung.

d) Fremdsteuerung

Das amerikanische Durchgriffsrecht73 hantiert z.Teil mit dem Begriff control. Im deutschen Recht wird die konzernbezogene Fremdsteuerung dagegen durch spezi­ fische Konzernrechtsbestimmungen abgedeckt74. Im schweizerischen Recht er­ wähnen einige Autoren die Fremdsteuerung als mögliche Durchgriffskategorie75. Es stellt sich folglich die Frage der Zulässigkeit eines eigentlichen Konzerndurch­ griffs. Zu denken wäre etwa an die Möglichkeit, spezifische Konzernkonstellatio­ nen (z.B. qualifizierte Konzerne) generell der Durchgriffshaftung zu unterstellen. Für einen solchen Einsatz des Durchgriffstatbestands bildet Art. 2 ZGB jedoch of­ fensichtlich keine adäquate Rechtsgrundlage76. Eine generelle Ausweitung des Durchgriffstatbestands auf Konzernverhältnisse würde den Rahmen der Ausle­ gung im schweizerischen Recht eindeutig sprengen. Art. 2 ZGB steht als einzige Grundlage des Durchgriff's fest. Sein enger Ansatz ist aus Rechtssicherheitsgrün­ den auch funktional nicht zu beanstanden. Ein Konzerndurchgriff* wäre damit nur möglich, falls das Verhältnis zwischen Konzernmutter und Tochter als rechtsmiß­ bräuchlich eingestuft werden könnte77. Rechtsmißbrauch setzt aber einen abzuleh­ 70 Bosmann, Konzemverbundenheit, 61, 79. 71 Dies schließt allerdings weitergehende Normzweckbetrachtungen im Rahmen des Organhaftungs- oder Konzemaußenrechts nicht aus; vgl. hinten V.2.3. und 2.4. Ob eine so konzipierte Haftungsausdehnung dann immer noch als Durchgriff zu bezeichnen ist, wie dies z.B. in Teub­ ners Begriff des sektoralen Konzemdurchgriffs antönt (Teubner, Dezentralität, 210), ist in erster Li­ nie eine terminologische Frage, die meines Erachtens aus Gründen der dogmatischen Klarheit verneint werden sollte. 72 Albers, HaftungsVerhältnisse, 129; Dennler, Durchgriff, 66ff. 73 Vome IV.2.4.2. 74 Schmidt, Gesellschaftsrecht, 185-187; Stimpel, Durchgriffshaftung, 609f.; Ebenroth, Durchgriff, 133-134. 75 Forstmoser, Aktienrecht, 33; Ebenroth, Durchgriff, 133-134; vgl. auch SJZ 1987, 505, (OGer Thurgau, RB 1985 Nr. 11) und Meier-Hayoz/Forstmoser, 32, welche auf BGE 72 II 275 ff. verweisen. 76 Bosmann, Konzemverbundenheit, 65, 69; vgl. auch von Büren, Konzern, 64ff. 77 In diese Richtung zielend Kehl, Durchgriff, 64, 87, und Vanis, Konzern, 143; auch Rue-

nenden Tatbestand voraus. Die Konzernorganisation ist aus Effizienzperspektive dagegen grundsätzlich positiv einzustufen78. Überdies ist der Konzern in der Schweiz mittlerweile als fait accompli anerkannt79. Eine per se angeordnete Rechtsmißbräuchlichkeit von Konzerngebilden ist damit ohne explizite Rechtsgrundla­ ge nicht (mehr) möglich. Folglich verbleibt für eine zusätzliche Durchgriffskatego­ rie konzernbezogener Fremdsteuerung im schweizerischen Recht de lege lata kein Raum.

2.2.2.3. Umwandlung von Mutterdarlehen in Anteilskapital als Zurechnungs­ durchgriff

In den USA (equitable Subordination) und in Deutschland werden im Falle des Konkurses von Tochtergesellschaften Darlehen einer Muttergesellschaft unter ge­ wissen Bedingungen in Anteilskapital umfunktioniert80. Die Voraussetzungen hiefür sind denjenigen des Durchgriffs ähnlich. Im schweizerischen Recht ist dieses Instrument des Gläubigerschutzes nirgends vorgesehen81. Das Steuerrecht kennt aber ein analoges Umwandlungskonzept82. Seine Übertragung auf den Konzern­ haftungskontext wird zumindest in der Literatur diskutiert83. Dabei wird das Insti­ tut parallel zum Haftungsdurchgriff behandelt, und seine Anwendung wird unter ähnlichen Voraussetzungen (Rechtsmißbrauch) bejaht84. In der schweizerischen Gesellschaftsrechtsprechung findet sich dagegen, soweit ersichtlich, kein Beispiel hiefur85. Die Umwandlung von Gläubigerforderungen der Muttergesellschaft (Substitu­ ierung von Gesellschafterdarlehen) ist nicht als Haftungsdurchgriff, sondern als Zu­ rechnungsdurchgriff zu qualifizieren. Jener fuhrt durchwegs zur Mißachtung der beschränkten Haftung der Tochtergesellschaft, was bei der Forderungsumwand­

din, Propositions, 101, spricht im Zusammenhang mit der Konzernierung von einer „contradiction flagrante avec certains principes ä la base de notre Systeme de droit positif; vgl. auch den Banning-Entscheid in Deutschland; vome IV.2.1.3.3.; Albers, Haftungsverhältnisse, 125; Dalleves, Problemes, 679-680; Gehriger, Faktische, 128; 78 Vome 1.2.3. und III.3.3. 79 Art. 663e OR; BB1 1983 II, 749; vgl. auch BGE 110 Ib 127; Forstmoser, Aktienrecht, 26; Caflisch, Grenzen, 43f. 80 Vome IV.2.1.4. bzw. IV.2.4.3.2.b). 81 Vgl. von Greyerz, Darlehen, 548-549. 82 Vallender, Aktionärsdarlehen, 433f. 83 Dennler, Durchgriff, 63ff; Albers, Haftungsverhältnisse, 128-129; Tschäni, Lehren, 77­ 78; vgl. auch Forstmoser, Aktienrecht, 35-36; von Greyerz, Darlehen, 553ff; Kehl, Durchgriff, 120. 84 Dennler, Durchgriff, 63ff.; Albers, HaftungsVerhältnisse, 128-129; von Greyerz, Darlehen, 555-556; vgl. anderseits Tschäni, Lehren, 78, der ein Abstellen auf Art. 4 ZGB (Billigkeit) postu­ liert. 85 Vgl. immerhin BGE 53 II 25; 81 II 455; aus dem Steuerrecht: BGE 96 I 115ff.

lung gerade nicht der Fall ist86. Als Zurechnungsdurchgriff87 läßt sich die Umwand­ lung dagegen begreifen, weil durch sie die Gläubigerstellung der Mutter der Schuldnerstellung der Tochter zugerechnet wird, womit die Mutterforderung in­ folge Vereinigung bei der Tochter untergeht88. Die Zurechnung muß wiederum aus Art. 2 ZGB abgeleitet werden. Sie setzt mit anderen Worten einen Rechtsmißbrauch voraus. Dieser kann unter denselben Voraussetzungen angenommen werden wie beim Haftungsdurchgriff. Er dient demselben Zweck, d.h. der Sicherung einer adäquaten Kapitalbasis für die Tochter­ gläubiger. Einer Umwandlung wird deshalb stattgegeben werden müssen, wenn eine Unterkapitalisierung oder ein Institutsmißbrauch vorliegt, eine Sphärenbzw. Vermögensvermischung im geforderten Grad gegeben ist oder die Organisations- und Geschäftsführungsformalitäten der Tochtergesellschaft systematisch mißachtet wurden. Für darüber hinausgehende Fallkonstellationen fehlt auch im Bereich der Forderungsumwandlung eine Rechtsgrundlage. Bloße Billigkeit (Art. 4 ZGB) reicht nach schweizerischem Recht und im Gegensatz zum US-Kon­ kursrecht nicht aus, um eine solche Rechtsfortbildung zu begründen89. 2.2.2.4. Zusätzliche allgemeine Durchgriffsvoraussetzungen a) Nachweis eines Beherrschungstatbestands

Im Konzernkontext können die Durchgriffsbetroffenen streitig sein. Das ist z.B. der Fall, wenn eine Muttergesellschaft ihre Tochter nur mittels Mehrheitsbe­ teiligung oder gar nur indirekt (über andere Töchter) beherrscht. Dann stellt sich die Frage, wer dem Durchgriff unterworfen sein soll. Zudem könnten Durchgriffs­ tatbestände (z.B. Institutsmißbrauch) im Prinzip auch von Nicht-Aktionären ge­ setzt werden (dominierende Gläubiger, Franchisegeber, Inhaber von Depotstimm­ rechten) . Es geht im Konzerndurchgriffsrecht mithin um die Bestimmung der bei der Einmanngesellschaft als selbstverständlich vorausgesetzten Durchgriffsbetroffe­ nen (Alleinaktionär)90. Im Konzernkontext rechtfertigt sich folglich die Einfüh­ rung eines Tatbestandselements der Beherrschung91. Dieses ist allerdings nicht eng, sondern dem Durchgriffsrecht entsprechend, einzelfallbezogen zu verstehen. 86 Wenn Dennler, Durchgriff, 66, von der Rückerstattung bereits zurückbezahlter Darlehen spricht, liegt auch darin kein Haftungsdurchgriff, sondern allenfalls eine nach paulianischem An­ fechtungsrecht zurückzufordernde Leistung bzw. eine Rückerstattung von Grundkapital. 87 Zum Zurechnungsdurchgriff: Stimpel, Durchgriffshaftung, 604; Wiedemann, Gesellschafts­ recht, 220; Forstmoser, Aktienrecht, 37-38; Kehl, Durchgriff, 8ff; zur Wissenszurechnung, vgl. BGE 112 II 506. 88 Art. 118 Abs. 1 OR; damit stellt sich auch das Problem nicht, in der Kreditgewährung an sich einen Rechtsmißbrauch zu erkennen; vgl. Dennler, Durchgriff, 58; Kehl, Durchgriff, 120. 89 Meier-Hayoz, Kommentar, N 56ff. zu Art. 4 ZGB; anders Tschäni, Konzemrecht, 78. 90 Albers, Haftungsverhältnisse, 125; Forstmoser, Aktienrecht, 30f. 91 Albers, Haftungsverhältnisse, 125; Bosmann, Konzemverbundenheit, 63—64; Dalleves, Pro­ blemes, 679; Gehriger, Faktische, 128; Forstmoser, Aktienrecht, 30; Caflisch, Grenzen, 236f.; Pe­ titpierre-Sauvain, Groupes, 68f.; Tappolet, Schranken, 132f.; Frankenberg, Abhängigkeit, 22ff; vgl. auch BGE 72 II 285, 287.

Seine Funktion besteht darin, den Grundsatz des Gleichlaufs von Macht und Haf­ tung in der differenzierten Konzernwirklichkeit zum Tragen zu bringen. Das Ele­ ment der Beherrschung wirkt deshalb als Schutzschild für diejenigen Aktionäre und anderen direkten und indirekten Tochterbeteiligten (z.B. Schwestergesell­ schaften), welche aufgrund ihrer einflußlosen Position keine Möglichkeit hatten, die Durchgriffstatbestände zu verhindern92. Als Beherrschung, welche zusammen mit dem entsprechenden Durchgriffstatbestand die Haftungsausdehnung auf die Muttergesellschaft auslösen kann, muß eine Mehrheitsbeteiligung ausreichen93. Aber auch eine einflußreiche Minder­ heitsbeteiligung (bei Zersplitterung des übrigen Aktienbesitzes), eine dominante Gläubigerstellung oder eine bloß indirekte Mehrheitsbeteiligung müssen die Vor­ aussetzung erfüllen können.

b) Subsidiarität der Durchgriffshaftung Im schweizerischen Recht wird zu Recht betont, daß das Institut des Haftungs­ durchgriffs subsidiär sei94. Die Mißbrauchskonzeption des Durchgriffs verlangt die Offensichtlichkeit einer Gläubigerschädigung. Diese liegt aber erst im Falle des Konkurses des Schuldners vor. Somit muß der Tochterkonkurs Tatbestandsvoraus­ setzung eines Durchgriffs auf die Muttergesellschaft sein95. Sobald jedoch über eine Tochtergesellschaft der Konkurs ausgesprochen wurde, besteht funktional kein Grund mehr, alternative rechtliche Möglichkeiten zu testen, bevor zum Durchgriff geschritten werden kann. Prozeßökonomische Gründe legen nahe, den Durchgriff alsdann ohne weiteres zuzulassen, falls seine (engen) Voraussetzun­ gen erfüllt sind.

c) Kausalzusammenhang, Aktivlegitimation, Beweislast

Die Beschränkung des Durchgriffs auf Extremfälle läßt es aus funktionaler Sicht (Reduktion von Rechtskosten) sinnvoll erscheinen, generell vom Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen dem durchgriffsbegründenden Tatbestand und dem Ausfallschaden der Tochtergläubiger abzusehen. Eine Durchgriffsklage kann deshalb von jedem Gläubiger angehoben werden, der im Konkurs der Tochterge­ sellschaft mit einem Ausfall zu rechnen hat. Der Anspruch des klagenden Gläubi­ gers geht auf direkte Deckung seiner vollen Forderung gegenüber der Tochterge92 Vgl. auch Posner, Creditors, 525. 93 Vgl. BGE 71 II 276; ZR 75 (1976), 81; Forstmoser, Aktienrecht, 31 FN 311. 94 Dennler, Durchgriff, 31; Bosmann, Konzernverbundenheit, 72; Forstmoser, Aktienrecht, 28 N 101, spricht vom Ausnahmecharakter des Durchgriffs; vgl. auch BGE 92 II 164; Hombur­ ger, Durchgriff, 251. 95 BGer, 11.6. 1992, in SZW 1993, 308; die Subsidiarität des Durchgriffs kommt auch durch seine auf Tatbestände des Rechtsmißbrauchs beschränkte materiellrechtliche Konzeption zum Ausdruck; vgl. vome V.2.2.2.2.

Seilschaft, unter Anrechnung einer bereits ausbezahlten Konkursdividende96. Durchgriffshaftung ist damit durchwegs Außenhaftung und nicht Innenhaftung. Sie ist auch in keinem Fall beschränkt. Sie umfaßt immer alle rechtmäßigen Forde­ rungen gegenüber der Tochtergesellschaft. Die Konkursverwaltung hat grundsätzlich keine Legitimation zur Geltendma­ chung von Durchgriffsansprüchen. Diese stehen den Gläubigern direkt zu. Die Möglichkeiten der Konkursverwaltung liegen anderswo, z.B. bei der Geltendma­ chung von paulianischen Anfechtungsansprüchen, Organhaftungen und Eigen­ tumsrechten oder bei der Nichtkollokation (Ablehnung der Feststellung) von For­ derungen der Muttergesellschaft97. Die Beweislast bezüglich der Durchgriffsvoraussetzungen liegt nach der aus Art. 8 ZGB abgeleiteten allgemeinen Beweislastregel98 bei den Gläubigern. Sie ha­ ben deshalb den Tochterkonkurs, die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung gegen die Tochter, die Beherrschung sowie den spezifischen Durchgriffstatbestand (Unterka­ pitalisierung, Sphären- bzw. Vermögensvermischung, Nichtbeachtung der Gesell­ Schaftsformalitäten oder Institutsmißbrauch) nachzuweisen.

2.2.3. Rückerstattung ungerechtfertigter Leistungen an die Muttergesellschaft

2.2.3.1. Rückerstattung von Dividenden und verdeckten Gewinnausschüttungen Das Aktienrecht untersagt unter bestimmten Umständen Leistungen an Aktio­ näre aus dem Eigenkapital der Gesellschaft99. Ungerechtfertigte, im bösen Glau­ ben empfangene Dividenden und andere Leistungen sind zurückzuerstatten100. Die Verjährungsfrist beträgt fünfJahre seit Empfang der Zahlungen101. Auch ver­ deckte Gewinnausschüttungen sind aufgrund von Art. 678 Abs. 2 OR102 oder im Rahmen des Verantwortlichkeits-103 bzw. Bereicherungsrechts104 zurückzuerstat­ ten105.

96 Der Anspruch auf eine noch nicht ausbezahlte Konkursdividende geht auf die Konzernmut­ ter über; vgl. Art. 149 OR. 97 Art. 240, 244, 285 SchKG; Art. 757 OR. 98 Differenzierend Meier, Beweislastverteilung, 705 ff. 99 Art. 675 OR; vgl. die Ausnahmen für Bauzinsen, Art. 676 OR; von Greyerz, Aktiengesell­ schaft, 62ff. 100 Art. 678 Abs. 1 OR. 101 Art. 678 Abs. 4 OR; vgl. zum Schutz des Grundkapitals auch Forstmoser/Meier-Hayoz, 207-208. 102 Vgl. Bochud, Darlehen, 202ff. 103 Graf, Verträge, 55ff, 174; Bochud, Darlehen, 205ff; vgl. hinten V.2.3. 104 Art. 62ff. OR; Böckli, Darlehen, 5; ein mögliches Hindernis bietet diesbezüglich aber evtl, die Irrtumsvoraussetzung in Art. 63 OR; vgl. hinten V.2.4.2.3.e). 105 Vgl. dazu Graf, Verträge, 173-174; Locher, Gewinnverwendung, 204ff; Böckli, Darle­ hen, 5; vgl. auch hinten V.2.4.2.1.e).

2.2.3.2. Paulianische Anfechtung Soweit konkrete Leistungen der Tochter an die Mutter nachweisbar sind, kön­ nen diese nach einem Konkurs der Tochtergesellschaft in den Anwendungsbereich der paulianischen Anfechtungsklage gelangen106. Von der Anfechtungsklage erfaßt sind grundsätzlich sowohl die Übernahme von Passiven wie die Veräußerung von Aktiven. Selbst die Anfechtbarkeit von Unterlassungen (transferts par omission) wird zum Teil in Erwägung gezogen107. Für sie besteht im geltenden Recht aber keine Grundlage. Als potentielle anfechtbare Transfergeschäfte zwischen Tochter- und Muttergesellschaft kommen hauptsächlich Dividendenauszahlungen, Gewinnaus­ schüttungen und andere Rechtsgeschäfte der Tochter-Generalversammlung108, z.B. ein Verkauf ganzer Unternehmensteile, in Frage. Weitere anfechtbare Geschäf­ te sind die (grundsätzlich von der Verwaltung der Tochter abzuschließenden) Miet-, Lieferungs-, Lizenz- und anderen Verträge, mit welchen Leistungen der Muttergesellschaft zu hoch abgegolten werden109. Clark hat für das amerikanische Recht auf die funktionale Äquivalenz von Durchgriff und konkursrechtlichen Anfechtungsklagen hingewiesen110. Auch im schweizerischen Recht wird festgehalten, daß die paulianische Anfechtung zum konzernhaftungsrechtlichen Instrumentarium gehöre111. In jüngster Zeit hat sich insbesondere Peter eingehend damit befaßt112. Das größte konzernhaftungsrechtliche Anwendungspotential scheint Art. 288 SchKG (Absichtsanfechtung) aufzuweisen113. Nach dieser Bestimmung sind an­ fechtbar, „ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Vornahme, alle Rechtshandlun­ gen, welche der Schuldner in der dem anderen Teile erkennbaren Absicht vorge­ nommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen“. Die breit angelegte Norm erfaßt alle Handlun­ gen während des Bestehens einer Mutter/Tochterbeziehung und kann bis funfjahre nach der anfechtbaren Rechtshandlung angerufen werden114. Art. 288 SchKG beruht auf einer objektiven und zwei subjektiven Voraussetzun­ gen. Objektiv verlangt ist eine Gläubigerbenachteiligung. Die Situation der betrof­ fenen Gläubiger muß nach der anfechtbaren Rechtshandlung schlechter sein als vorher, indem die Gesamtheit der Liquidationsmasse verringert wurde115. Eine Überschuldung (als Folge oder gar als Grund der anfechtbaren Rechtshandlung)

106 Art.285ff. SchKG. 107 Peter, SAG, 3. 108 Art. 698 OR. 109 Peter, SAG, 3. 110 Clark, Corporate, 35ff.; vgl. vome IV.2.4.3.2. 111 Ruedin, Propositions, 111; Dalleves, Problemes, 680-683; Bolt, Protection, 122-123; Pe­ titpierre-Sauvain, Groupes, 135-138; Hirsch, Multinationales, 76ff.; Vischer/Rapp, 201. 112 Peter, Groupes, passim; Peter, SAG, lff. 113 Bolt, Protection, 122; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 136ff. 114 Art. 292 SchKG. 115 BGE 101 III 92f.

muß nicht nachgewiesen werden116. Anderseits verhindern Gegenleistungen des Dritten, die zu einem Austausch gleichwertiger Leistungen 117 führten, die Anfechtbar­ keit. Somit stellt sich die Frage der Einstufung von allgemeinen und indirekten Lei­ stungen einer Muttergesellschaft zugunsten ihrer Töchter118. Damit verknüpft ist das grundlegende Problem der Erfassung des Interesses von Konzerntochtergesell­ schaften119. Für das geltende schweizerische Recht ist diesbezüglich am Konzept eines separaten Tochterinteresses festzuhalten120. Leistungen an Muttergesellschaf­ ten sind folglich wie Leistungen an Dritte einzustufen. Dadurch sind allerdings die Beweisschwierigkeiten noch nicht umschifft. Sie sind umso größer je intensiver die Verschachtelungen zwischen Mutter und Tochter sind. Ähnliche Probleme stellen sich bei den subjektiven Voraussetzungen der Ab­ sichtsanfechtung. Verlangt ist der Nachweis einer dolosen Absicht der Tochter und die Erkennbarkeit dieser Absicht für die Mutter. Obwohl das Wissen der einen Konzerngesellschaft möglicherweise auch der anderen zugerechnet werden kann121, ist damit die Beweisbarkeit einer subjektiven Schädigungsabsicht keines­ wegs gesichert. Noch stärker als für die objektive Schädigungsvoraussetzung wird hier mit dem Einwand gerechnet werden müssen, alle Transaktionen zwischen Mutter und Tochter hätten, über das Ganze gesehen, langfristig auch im Tochterin­ teresse gestanden - eine Schädigungsabsicht habe somit nie existiert122. Peter for­ dert deshalb, die Beweislast dafür, daß eine Transaktion auch im Tochterinteresse lag, der Mutter aufzuerlegen123. Enger als Art. 288 SchKG, aber trotzdem evtl, auch im Konzernkontext verfüg­ bar, sind die Art. 286 SchKG (Schenkungspauliana) und Art. 287 SchKG (Überschuldungspauliana)124. Von Art. 286 SchKG erfaßt sein können alle Leistungen der konkursiten Tochtergesellschaft im Zeitraum von sechs Monaten vor Konkurs­ eröffnung, sofern sie unentgeltlich waren oder in einem Mißverhältnis zu ihrer Ge­ genleistung standen. Abgesehen von der kurzen 6-Monatsfrist stellt sich auch hier wiederum das Problem der Isolierbarkeit des Tochterinteresses und der Bewertung der Gegenleistungen der Mutter. Immerhin kommt erleichternd hinzu, daß keine subjektive Anfechtbarkeitsvoraussetzung besteht125. Gemäß Art. 287 SchKG sind Transaktionen zwischen der konkursiten Tochter­ gesellschaft und ihrer Mutter, welche innerhalb einer 6-Monatsfrist vor Konkurser­ öffnung erfolgten, anfechtbar, falls die Tochter zum Zeitpunkt der Transaktion überschuldet war und eine der in Art. 287 SchKG aufgezählten Transaktionsfor­

116 117 118 119 120 121 122 123 124 125

Fritzsche, Konkurs, 283—284. BGE 65 III 147. Peter, SAG, 10. Ebd., 5. BGE 110 I b 127; vgl. hinten V.2.3.2.1. Dazu hinten V.2.3.3.1.b) bb). Peter, SAG, 9-10, 11-12; Dalleves, Problemes, 682. Peter, SAG, 12. Peter, SAG, 6-9. Ebd., 7.

men vorlag. Erfaßt sind danach die Begründung von Pfand- und Sicherungsrech­ ten, die Tilgung einer Geldschuld auf andere Weise als durch übliche Zahlung und die Bezahlung einer nicht verfallenen Schuld126. Aufgrund seiner engen Fassung dürfte der Anwendungsbereich von Art. 287 SchKG im Konzernhaftungskontext aber meist ohne Bedeutung sein127. Eine eigentliche Konzernpauliana existiert im schweizerischen Recht nicht. Sie ist z.B. auch im revidierten SchKG nicht vorgesehen128, obwohl sich Vischer/ Rapp129 im Zusammenhang mit der Revision des Aktienrechts dafür aussprachen. Ihr Vorschlag umfaßte eine Klage zur Rückerstattung aller einer Mutter in den letzten fünf Jahren vor dem Konkurs eingeräumten Begünstigungen. Mit einem Entlastungsbeweis sollte ermöglicht werden, die Rückerstattung auszuschließen, falls die Begünstigung nicht auf der Ausübung von Herrschaftsmöglichkeiten be­ ruhte. Auch Peter130 regt an, ein konzerngerechtes paulianisches Anfechtungsrecht über eine Revision des schweizerischen SchKG einzuführen. Er verweist vorerst auf die bereits geplanten Verlängerungen der Anfechtbarkeits- oder Verjährungsfri­ sten (für nahestehende Personen 131 132 im Falle von Art. 286 SchKG von sechs Monaten auf zwei Jahre, im Falle von Art. 287 SchKG von sechs Monaten auf ein Jahr und im Falle von Art. 288 SchKG von fünfJahren auf zehn Jahre). Er schlägt zusätzlich vor, eine Erweiterung der Überschuldungspauliana auf Fälle der Insolvenz und der Unterkapitalisierung in Betracht zu ziehen. Zudem möchte er bei konzerninter­ nen Transaktionen die Beweislast der Muttergesellschaft auferlegen.

2.2.4. Deliktische Ansprüche gegen die Konzernmuttergesellschaft aufgrund ihres Handelns als Aktionärin 2.2.4.1. Allgemeines

Eine praktisch kaum bedeutungsvolle Erweiterung erfährt der Schutz der Toch­ tergläubiger gegenüber der Aktionärsmutter durch Art. 4lff. OR. Dabei stellt sich besonders die Widerrechtlichkeit als eine die Gläubigerposition stark einschrän­ kende Voraussetzung dar. Die Konzernierung an sich ist unter geltendem schweize­ rischem Recht jedenfalls nicht widerrechtlich132. Auch die von Kehl postulierte Anwendung von Art. 2 ZGB als Widerrechtlichkeitsnorm vermöchte nicht über die Möglichkeiten des Durchgriffsrechts hinauszuweisen133. Sie würde zu einer 126 Den zugelassenen Entlastungsbeweis des Nichtkennens der Vermögenslage der Tochter wird die Muttergesellschaft meist kaum erbringen können, zumal auch hier eine konzemadäqua­ te Wissensanrechnung zu erfolgen hat; Peter, SAG, 8. 127 Ebd., 8. 128 Vgl. BB1 1994 V, 995f. 129 Vischer/Rapp, 202. 130 Peter, SAG, 13. 131 Vgl. mit ähnlicher Konzeption das US-Recht; vome IV.2.4.3.2. 132 Hinten V.2.4.2.2.c). 133 Kehl, Durchgriff, 61 ff; vgl. vome V.2.2.2.1. und hinten V.2.4.2.2.c).

bloßen Verlagerung des Rechtsmißbrauchsproblems ins Haftpflichtrecht fuhren. Zusätzliche Limiten setzt das Deliktsrecht dadurch, daß es den Nachweis des Scha­ dens, des Kausalzusammenhangs und des Verschuldens den Gläubigern auferlegt. Hinzu kommt die Tatsache, daß deliktische Ansprüche aus Aktionärshandeln in er­ ster Linie der geschädigten Gesellschaft zustehen. Von den Gläubigern könnten sie erst nach einer Abtretung gemäß Art. 260 SchKG geltend gemacht werden. Zwei spezifische Deliktstatbestände verdienen aber trotzdem eine nähere Untersu­ chung: die rechtswidrige Ausübung des Stimmrechts und die Verletzung von Treuepflichten des Mehrheitsaktionärs134.

2.2.4.2. Rechtswidrige Ausübung des Stimmrechts Ein Teil der Lehre möchte den (Mehrheits-) Aktionär bei der Ausübung seines Stimmrechts auf den Gesellschaftszweck verpflichten135. Die herrschende Lehre geht hingegen davon aus, daß der Aktionär, inkl. Mehrheitsaktionär, sein Stimm­ recht im Rahmen von Treu und Glauben frei ausüben kann136. Auch die bundesge­ richtliche Rechtsprechung gewährt dem Aktionär für sein Handeln weitgehendes Ermessen137. Damit ist die Muttergesellschaft innerhalb der Schranken des Rechts­ mißbrauchsverbots frei, ihre Stimmkraft bei der Tochter für konzernorientierte Ziele einzusetzen138. Sie ist gegenüber Minderheitsaktionären bloß an das Gebot der Gleichbehandlung und das Prinzip der schonenden Rechtsausübung gebun­ den139. Für die Gläubiger der Tochter bedeutet dies, daß sie (mittelbare) Ansprü­ che gegen die Konzernmutter aufgrund von Art. 41 OR höchstens bei krassen, per Stimmrechtseinsatz durchgeführten Tochterschädigungen (z.B. Abdisposition aller Vermögenswerte) geltend machen können. Der Schutzrahmen von Art. 41 OR ergänzt folglich denjenigen der paulianischen Anfechtung und des Durch­ griffs nicht entscheidend, zumal sich im Zusammenhang mit einer deliktischen Haftung noch schwierigere Beweisprobleme stellen können als bei den zwei ande­ ren Instituten.

2.2.4.3. Verletzung von Treuepflichten des (Mehrheits-)Aktionärs Im amerikanischen Gesellschaftsrecht140 und im deutschen GmbH-Konzern­ recht141 wurde eine Treuepflicht [fiduciary duty) des Mehrheitsaktionärs entwickelt. 134 Albers, Haftungsverhältnisse, 130-151. 135 Hinweise bei Albers, Haftungsverhältnisse, 142f 136 Schluep, Schutz, 312ff., 348; Albers, Haftungsverhältnisse, 143; Zweifel, Holdinggesell­ schaft, 99; Tappolet, Schranken, 128; von Steiger, Holdinggesellschaften, 315a; Siegwart, Kom­ mentar, N 196, 231 Vorbemerkungen zu Art.620ff. OR; vgl. auch Caflisch, Grenzen, 262f. 137 BGE 99 II 55; 100 II 389. 138 Vgl. Graf, Verträge, 28f. 139 Albers, Haftungsverhältnisse, 144f. 140 Clark, Corporate, 798-800. 141 Vgl. den ITT-Entscheid; vome IV.2.1.3.2.

Im schweizerischen Recht dagegen dominiert die Ansicht, den Aktionär treffe kei­ ne über die Liberierungspflicht und das Rechtsmißbrauchsverbot hinausgehende Verpflichtung142. Eine weitergehende Bindung des Hauptaktionärs wird nur für den Fall bejaht, daß er sich in die materielle Geschäftsführung seiner Gesellschaft einmischt. Dann untersteht er den Sorgfaltspflichten des Verantwortlichkeits­ rechts143. Beschränkt sich somit eine Konzernmutter auf die Ausübung ihrer (formellen und materiellen144) Aktionärsrechte, trifit sie über das allgemeine Gebot des Han­ delns nach Treu und Glauben hinaus keine spezifische Treuepflicht145. Dies gilt vor­ erst dann, wenn die Konzernmutter 100%ige Aktionärin ihrer Tochter ist, wird aber auch bejaht für den Fall, daß Minderheitsaktionäre vorhanden sind146. 147 Eine dem deutschen GmbH-Recht entsprechende Regelung (ITT-Urteil14) findet sich damit im geltenden schweizerischen Recht nicht. Für Tochtergläubiger folgt daraus, daß im Rahmen des Aktionärshandelns der Muttergesellschaft kaum Scha­ denersatzansprüche wegen Verletzung einer Treuepflicht geltend gemacht werden können, welche nicht bereits durch die Ansprüche aufgrund rechtswidriger Stimmrechtsausübung abgedeckt wären148.

2.2.5. Zusammenfassung Das Aktionärshandeln der Muttergesellschaft kann mittels verschiedener haf­ tungsrechtlicher Institute erfaßt werden. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem Durchgriffsinstitut zu. Es scheint besonders geeignet, die grundlegenden Miß­ brauchskategorien zu sanktionieren, für welche die Mutter als Aktionärin funktio­ nal sinnvoll haftet149. Aber auch für die paulianische Anfechtungsklage wurde eine mögliche Anwendungsbasis konstatiert. Als sehr schmal hat sich der potentielle An­ wendungsbereich des Deliktsrechts erwiesen.

142 Meier-Hayoz/Forstmoser, 282; BGE 105 II 114 (Togal); 104 II 32 (Ringier); Albers, Haf­ tungsverhältnisse, 131 ff; vgl. auch Wohlmann, Treuepflicht, 92ff; Zürcher, Gläubigerschutz, 175ff 143 Albers, Haftungsverhältnisse, 133-134; Meier-Hayoz/Forstmoser, 282; hinten V.2.3. 144 Graf, Verträge, 40ff. 145 BGE 83 II 64; Meier-Hayoz/Forstmoser, 60; Albers, Haftungsverhältnisse, 135-137; der von Albers, a.a.O., 137, erwähnte Kreditstop wäre wohl adäquater als Vertragsverletzung des Ak­ tionärs-Gläubigers, denn als Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu taxieren. 146 BGE 104 II 32. 147 Vgl. vome IV.2.1.3.2. (strenge Treuepflicht der Muttergesellschaft gegenüber der Toch­ ter). 148 Albers, Haftungsverhältnisse, 139-140; Druey, Konzemrecht, 310, weist zurecht darauf hin, daß auch mit einer konzemrechtlich ausgebauten Aktionärstreuepflicht die Konzemhaf­ tungsproblematik kaum befriedigend zu lösen wäre, da eine Konzemmutter nur in den wenig­ sten Fällen auf direkte Einflußnahmen über die GV angewiesen ist. 149 Vome III.3.4.2.

2.3.

Haftung der Konzernmutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter

2.3.1. Überblick Das Handeln der Konzernmutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter könnte grundsätzlich auch im Rahmen der besprochenen Haftungsinstitute relevant wer­ den, da z.B. der Durchgriff keine spezifische Beschränkung auf das Aktionärshan­ deln der Konzernmuttergesellschaft kennt. Wo die Mutter aber ins Management­ geschehen der Tochter eingreift, steht mit dem Verantwortlichkeitsrecht ein Instru­ mentarium zur Verfügung, das funktional wesentlich besser auf diese Handlungska­ tegorie zugeschnitten ist.

2.3.2. Rechtsfiguren des Verantwortlichkeitsrechts

2.3.2.1. Allgemeines

Im Zentrum des Verantwortlichkeitsrechts steht die Verpflichtung des Manage­ ments zur Förderung des Gesellschaftsinteresses150. Diese Vorgabe kann im schwei­ zerischen Recht bezüglich Tochtergesellschaften nur als Pflicht zur Förderung des Tochterinteresses verstanden werden151. Für eine Beachtung des dem Tochterinte­ resse widersprechenden Konzerninteresses fehlt eine konzernrechtliche Grundla­ ge. Diese müßte konsequenterweise auch von entsprechenden organisations- und haftungsrechtlichen Normen begleitet sein152. Im Gegensatz zu den auf das Aktionärshandeln der Mutter ausgerichteten Schutzvorschriften muß es bei den auf ihr Managementhandeln zielenden Haf­ tungsbestimmungen nicht nur um Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungs­ schutz, sondern weitergehend auch um die Mehrung des Kapitals gehen153. Öko­ nomisch ausgedrückt handelt es sich dabei um das Ziel der Optimierung des Netto­ barwerts (Net Present Value) des Eigenkapitals der Tochter154. Das Referenzmodell verliert allerdings seine klaren Konturen, wenn es im modernen europäischen Sinn unternehmensrechtlich verstanden wird. Dann ist die Unternehmensverwaltung aufWertschöpfüng im allgemeinen, d.h. auch auf Arbeitnehmer-, Gläubiger- und

150 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 240 ff. 151 von Planta F., Interessenkonflikt, 124ff, 135; Ruedin, Conflicts, 198-199, 204; Nenninger, Schutz, 95; Meier-Hayoz/Forstmoser, 441; Tappolet, Schranken, 124; Zweifel, Holding, 93; Albers, Haftungsverhältnisse, 93-94; Binder, Verfassung, 346-347; zum Problembereich Konzeminteresse/Untemehmensinteresse/Tochterinteresse allgemein: Uttendoppler, Konzem­ interesse, 127ff; von Planta F., Interessenkonflikt, 153ff; Albers, Haftungsverhältnisse, 94ff; Va­ nis, Konzern, 132f.; Binder, Verfassung, 54ff; Druey, Konzemrecht, 305f. 152 Zum derart aufgebauten deutschen Aktienkonzemrecht: vgl. vome IV.2.1.2. 153 BGE 99 II184; 80 IV 243, 248f.; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 245 N 819; Uttendopp­ ler, Konzeminteresse, 160 FN 11. 154 Zu dieser (amerikanischen) Konzeption: vgl. vome III.2.2.

Öffentlichkeitsinteressen (stakeholders statt shareholders) verpflichtet, welche dem Profitmaximierungsinteresse der Aktionäre evtl, vorgehen155.

2.3.2.2. Faktische Organschaft

Der Haupt- oder Alleinaktionär untersteht nach herrschender Auffassung dem aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsrecht, soweit er de facto Verwaltungs- bzw. Geschäftsführungsfunktionen seiner AG übernimmt156. Er gilt dann als Hinter­ mann, welcher gemäß dem materiellen (funktionellen) Organbegriff in gleicher Weise zur Sorgfalt verpflichtet ist wie ein formelles Organ157. Während ein Teil der Lehre davon ausgeht, daß nur natürliche Personen materielle Organqualität aufweisen können158, vertritt ein anderer Teil die Auffassung, daß auch eine Mut­ tergesellschaft faktisches Organ ihrer Tochter werden könne159. In der bundesgerichtlichen Rechtsprechung findet sich bisher zwar noch kein Urteil, welches die Organqualität einer Muttergesellschaft ausdrücklich be­ jaht hätte160. Immerhin wird in einem neuen Entscheid unwidersprochen fest­ gehalten, die Möglichkeit einer faktischen Organschaft juristischer Personen entspreche der überwiegenden Lehrmeinung161. Auch die Fassung des materiel­ len Organbegriffs durch das Bundesgericht deutet darauf hin, daß eine sich in die alltäglichen Geschicke ihrer Tochtergesellschaft einmischende Konzernmut­ ter diesen Begriff erfüllen könnte162. Als Organ gilt danach jedermann, der „ef­ fektiv und in entscheidender Weise an der Bildung des Verbandswillens“ teil­ nimmt163. Unter diese Definition fallen somit nicht bloß die formellen Mitglie­ 155 Uttendoppler, Konzeminteresse, 127ff; Binder, Verfassung, 54f.; vgl. auch Teubner, Un­ ternehmensinteresse, 470 ff. 156 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 222; von Planta A., Hauptaktionär, 81 ff; Albers, Haf­ tungsverhältnisse, 168ff; Kehl, Durchgriff, 53ff; Meier-Wehrli, Verantwortlichkeit, 22£; Hüt­ te, Sorgfaltspflichten, 19; Gehriger, Faktische, 45; Sauber, Verantwortlichkeit, 41ff, 49ff; Dalle­ ves, Problemes, 674ff; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 133f; 119 II 255ff; 117 II 570ff; BGE 107 II 349ff; 104 II 197; 102 II 359; 87 II 187; 81 II 227; 68 II 290; ZR 58 (1959), Nr. 70, 190; ZR 52 (1953), Nr. 93, 171; vgl. auch GVP 1983, Nr. 45, 111 (= SAG 58, (1986), 38, HGer SG vom 25.3. 1983). 157 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 222 N 706; Gehriger, Faktische, 83ff. 158 Begründet wird dies mit der Tatsache, daß Art. 707 Abs. 3 OR nur natürliche Personen als VR zulasse und sich damit für das Prinzip der vollen Eigenverantwortlichkeit der Organe ent­ schieden habe. Die auf Delegation angewiesene juristische Person komme deshalb nicht als Or­ gan in Frage; vgl. Albers, Haftungsverhältnisse, 169-171.; Zweifel, Holdinggesellschaft, 98; Bolt, Protection, 106ff, 111; Woernle, Hauptaktionär, 60; Gehriger, Faktische, 107. 159 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 221 ff, 223 N 710; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 135, 141; Meier-Wehrli, Verantwortlichkeit, 22f.; Kehl, Durchgriff, 55; Kaufmann, Konzemspitze, 90-91; Binder, Verfassung, 351; von Büren, Konzern, 63; Zürcher, Gläubigerschutz, 163; Hand­ schin, Konzern, 333ff. 160 Albers, Haftungsverhältnisse, 169; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 138; Forstmoser, Verant­ wortlichkeit, 123 FN 1387. 161 BGE 117 II 570ff, 574; vgl. auch BGE 119 II 255ff. 162 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 223 FN 710. 163 BGE 87 II 187.

der des Verwaltungsrates, sondern auch alle anderen Personen, welche „unter­ nehmenspolitische und -leitende“ Entscheide treffen oder mittreffen164. Dabei genügt nach Forstmoser165 nicht, daß ein Dritter (z.B. Vertragspartner) mit sei­ nem (im eigenen Interesse liegenden) Handeln auf Bereiche Einfluß nimmt, welche üblicherweise von Verwaltung und Geschäftsführung behandelt wer­ den166. Er muß dies vielmehr auch in der Art „so tun, wie wenn er Organ wä­ re“167. Vorausgesetzt ist ein gewisses Maß an Ermessen im Rahmen der ausge­ übten Entscheidungsgewalt168. Es wird jedoch keine regelmäßige Einflußnahme vorausgesetzt169.

2.3.2.3. Doppelorganschaft Einige der Autoren, welche sich einer materiellen Organqualität juristischer Per­ sonen verschließen, befürworten dagegen z.Teil die Möglichkeit einer Haftung der Konzernmutter aus Doppelorganschaft170. Gemäß dieser Konzeption haftet eine Muttergesellschaft, wenn die als Organe der Tochter handelnden Personen zu­ gleich Mutterorgane waren und dabei aus unerlaubten Handlungen oder sonstigem Ver­ halten eine Haftpflicht begründeten (Art. 55 Abs. 2 ZGB bzw. Art. 722 OR). Aller­ dings lehnt ein anderer Teil der Autorenschaft auch diese Konzernhaftungskon­ struktion ab171. Als Begründung wird ins Feld geführt, Tochterorgane könnten nicht zugleich als Organe der Mutter angesehen werden, da sie durch die Tochter­ gesellschaft in diese Funktion gewählt wurden (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR). Sie sei­ en damit selbstverantwortlich und rechtlich von Weisungen der Mutter unabhän­

gig. Auch A. von Planta172 vertritt die Auffassung, eine Doppelorganschaft setze im Prinzip ein rechtlich gültiges Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber ih­ 164 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 210 N 659. 165 Ebd., 210f. N 662f. 166 Vgl. auch Sauber, Verantwortlichkeit, 97ff., und den Waadtländer-Entscheid in JdT 1989 III, 7-12 (= SAG 1989, 190). 167 Forstmoser, Verantwortlichkeit, N 663. 168 BGE 107 II 349f., 355. 169 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 212 N 669; vgl. auch das neue Aktienrecht, wo in Art. 754 OR nun von mit der Verwaltung und Geschäftsführung „befaßten“ Personen gespro­ chen wird; a.a.O., 349. 170 Spiro, Doppelorgane, 639ff; v. Planta A., Doppelorganschaft, 597ff; Albers, Haftungsver­ hältnisse, 152ff; von Planta A., Hauptaktionär, 64ff, 86-87; Uttendoppler, Konzeminteresse, 114ff; Siegwart, Kommentar, N 198 zu Vorbemerkungen Art. 620ff OR; Schucany, E., Kom­ mentar, N 5 zu Art. 707 OR; Bolt, Protection, 111, 115ff; Woernle, Hauptaktionär, 23, 60; Tobler, Haftungsverhältnisse, 73f; Schucany, Vertreter, 82ff; vgl. auch Mestmäcker, Konzem­ gewalt, 258ff; Rehbinder, Konzemaußenrecht, 252f. 171 Zweifel, Holdinggesellschaft, 96-97; von Steiger, Holdinggesellschaften, 313a; Caflisch, Grenzen, 264; Faikeisen, Vertretung, §18 II; vgl. auch Vischer, Großaktiengesellschaft, 91-92 (unter Hinweis auf die bewußt andersartige Rechtslage für Vertreter von öffentlichen Rechtskör­ perschaften, Art. 762 OR); Capitaine, Holdings, 91a; Tappolet, Schranken, 132. 172 von Planta A., Hauptaktionär, 64ff; von Planta A., Doppelorganschaft, 597ff.

ren Tochterorganen voraus. Ein solches Weisungsrecht könne bestehen, wenn ent­ weder (mittels Zustimmung aller Tochteraktionäre) der Tochterzweck auf die In­ teressen der Mutter ausgerichtet worden sei, oder wenn eine Muttergesellschaft 100% der Aktien der Tochter besitze173. Der Autor spricht sich freilich für die An­ erkennung einer faktischen Doppelorganschaft aus, welche an den tatsächlichen Ein­ fluß der Muttergesellschaft auf ihre Tochtervertreter anknüpfe. Die so agierenden Mutterorgane sollten, so von Planta, im Rahmen ihres faktischen Handelns (aber offenbar nicht Unterlassens174) Art. 754 OR unterstehen und die Muttergesell­ schaft über Art. 55 ZGB verpflichten können175. Albers176 bejaht die Möglichkeit einer doppelten Organschaft sinngemäß des­ halb, weil Dürfen und Können im Falle von (Tochter-) Organen auseinanderlä­ gen und faktischen Raum für das Handeln der Tochterverwaltungsorgane im In­ teresse der Mutter schafften177. Er schlägt deshalb eine der besonderen Interessen­ lage178 des Konzerns entsprechende Lösung vor. Die Muttergesellschaft sollte nach seiner Auffassung „für alle unerlaubten Handlungen ihrer Vertreter im Ver­ waltungsrat der Konzerngesellschaften aus doppelter Organschaft haftbar wer­ den, welche nach der konkreten Konzernorganisation objektiv in den Bereich der einheitlichen Leitung fallen“179. Eine Muttergesellschaft würde demzufolge gegenüber der Tochter haften, falls diese durch das widerrechtliche Verhalten ei­ nes mutterabhängigen Tochterorgans im Rahmen der materiellen Konzernlei­ tung geschädigt wurde180.

2.3.3. Parallele Verwendungsmöglichkeiten der faktischen Organschaft und der Doppelorgankonstruktion im Konzernkontext Mit Forstmoser181 ist davon auszugehen, daß im geltenden schweizerischen Recht sowohl die faktische Organschaft wie die Doppelorgankonstruktion neben­ einander bestehen können. Beide Instrumente beruhen auf verschiedenen Voraus­ setzungen und beide können im Konzernkontext zu komplementären haftungsmä­ ßigen Resultaten führen. Das ist näher zu begründen:

173 von Planta A., Doppelorganschaft, 602-603. 174 Ebd., 605. 175 Ebd., 603ff., 606. 176 Albers, Haftungsverhältnisse, 152f. 177 Ebd., 157-158. 178 Ebd., 161. 179 Ebd., 162; vgl. die ähnliche Konzeption bei Rehbinder, Konzemaußenrecht, 256f. 180 Albers, Haftungsverhältnisse, 162-163. 181 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 223-225; vgl. auch Böckli, Aktienrecht, 543; von Büren, Konzern, 62£; Zürcher, Gläubigerschutz, 173f.; Handschin, Konzern, 317f., 329ff.; Ruepp, Aufteilung, 64f.

23.3.1. Haftung aus faktischer Organschaft

a) Funktionale Rechtfertigung des Instituts

Die Figur der faktischen Organschaft (Quasiorganschaft)182 ist aus funktionaler Warte deshalb zu bejahen, weil es wirtschaftsrechtliche Aufgabe des Verantwort­ lichkeitsrechts sein muß, alle Akteure, welche tatsächlich Ermessensmacht über Geschäftsführungsbelange einer Gesellschaft besitzen, haftungsmäßig zu erfassen. Die Erfahrung zeigt, daß Muttergesellschaften die Geschäftsführungsbelange von Töchtern ebenso beeinflussen können wie natürliche Personen. Die Einflußnah­ me braucht im übrigen nicht nur mittels direkter Weisungen von Mutterorganen zu erfolgen, sondern kann auch subtiler über Reglemente, Geschäftspraktiken, Unternehmenskonventionen und andere indirekte Mittel realisiert werden183. Die­ se Palette des Machteinflusses von Muttergesellschaften auf Angelegenheiten ihrer Töchter ist über die auf Identifikation spezifischen Personenhandelns angewiesene Doppelorganschaft nicht befriedigend zu erfassen. Eine funktionale Sicht drängt deshalb zur Beseitigung dogmatischer Bedenken im Zusammenhang mit Art. 707 Abs. 3 OR184 und zu einer extensiven Auslegung des Organbegriffs im Sinne eines effizienzfordernden Gesellschaftsrechts. Auch aus rechtsvergleichender Perspekti­ ve überzeugt diese Auslegung, weil sie eine Haftungskonstruktion ermöglicht, wel­ che sowohl im französischen wie im geplanten EU-Recht Niederschlag gefunden hat und damit in einem stützenswerten europäischen Trend liegt185.

b) Haftungsvoraussetzungen

aa) Organqualität Eine Muttergesellschaft ist immer dann als faktisches Organ ihrer Tochter zu be­ trachten, wenn sie sich über eigene Organe und Vertreter in die Verwaltungs- und Geschäftsführungsbelange der Tochter einmischt. Sie ist es allerdings auch nur, in­ soweit und solange sie diese Einmischung betreibt. Für Bereiche, welche sie aus­ spart, und für Zeiträume, während denen sie sich bloß auf die Ausübung ihrer Ak­ tionärsrechte in der GV der Tochter beschränkt, ist sie nicht als Organ zu betrach­ ten. Hier baut sie keine Kostenvorteile bezüglich der Kontrolle des Tochtergesche­ hens auf und sollte deshalb sowohl aus funktionalen wie personalen Gründen (Gleichbehandlung mit Aktionären nicht-konzernverbundener Gesellschaften) 182 Der Begrifffaktische Organschaft wird hier in gleicher Weise wie im französischen (vome IV.2.2.2.1.) und EU-Recht (vome IV.2.3.2.) verwendet und basiert auf dem tatsächlichen Ein­ fluß der Mutter auf Geschäftsführungsangelegenheiten der Tochter; vgl. von Planta A., Doppel­ organschaft, 604. 183 Dazu vome 1.2.5.2. 184 Dieser bestimmt, daß formell nur natürliche Personen als Organe von Aktiengesellschaften gewählt werden können; vgl. vome V.2.3.2.2. 185 Vome IV.2.2.2.1. und 2.3.2.

keinen zusätzlichen Haftungsrisiken ausgesetzt werden186. Reine Holdinggesell­ schaften (H-Form) unterstehen deshalb grundsätzlich keiner Organhaftung. Für in der M-Form organisierte Konzerne ist nach Konzernstufen (z.B. oberste Mut­ ter, oberste Einheit einer Division) und Kontrollbereichen zu unterscheiden187. In den kontrollierten Bereichen müßte eine Muttergesellschaft aber sowohl für Hand­ lungen wie für Unterlassungen verantwortlich werden können188. bb) Pflichtwidrigkeit Die Haftung einer Muttergesellschaft gemäß Art. 754 OR setzt voraus, daß ihr eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann189. Die Pflichtwidrigkeit ge­ mäß Art. 754 OR braucht freilich kein Delikt im Sinne von Art. 41 OR zu sein. Es genügt auch eine Verletzung vertraglicher bzw. vertragsähnlicher Bindungen des Organs190. Die einem Verwaltungs- oder Geschäftsführungsorgan auferlegten Sorgfaltspflichten sind zudem situationsbedingt, wenn sich auch in der Praxis Typi­ sierungen herausgebildet haben191. Für die als faktisches Organ operierende Kon­ zernmuttergesellschaft sind Sorgfaltspflichten dem Bereich, dem Zeitraum, dem Grad der Einmischung in Tochterangelegenheiten und den Schädigungspotentia­ len192 anzupassen193. Aus diesen Faktoren sind im Hinblick auf Unterlassungen auch adäquate Garantenpflichten194 abzuleiten. Die Muttergesellschaft muß sich aber durch eine überlegt vorbereitete, durchgeführte und überwachte Delegation entlasten können.195. Bei der Festlegung der Sorgfaltspflichten ist das gesamte verfügbare Organisa­ tionswissen und Handlungspotential der Konzernmutter in Rechnung zu stel­ len196. Entsprechend sind ausgeschöpfte und unausgeschöpfte Kontrollkostenvor­ 186 Vgl. den ähnlichen Ansatz i.Z. mit der Doppelorganschaft bei Albers, Haftungsverhältnis­ se, 162, und Bürgi, Kommentar, N 34 zu Art. 707 OR. 187 Albers, Haftungsverhältnisse, 60. 188 Vgl. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 215-216, und den dortigen Verweis auf die Abgren­ zungsschwierigkeiten; a.a.O., 216 N 1345. 189 Bürgi/Nordmann, N 64ff. zu Art. 753/754 OR; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 92f. 190 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 93; Referenzgröße ist grundsätzlich das Interesse der Tochter als unabhängige juristische Person; vgl. Pr 73 (1984), Nr. 257 (= BGE 110 Ib 127ff.). 191 Ebd., 238ff; vgl. auch Hütte, Sorgfaltspflichten, lff 192 Vgl. dazu von Planta F., Interessenkonflikt, 31 ff. 193 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 215f. 194 BGH (Urt. v. 5.12. 1989), ZIP 1990, 35ff; vgl. auch das Lederspray-Urteil, BGH, NJW 1990, 2560ff, welches eine sehr weitgehende (strafrechtliche) Generalverantwortung der ober­ sten Unternehmensleitung statuiert; vgl. dazu auch Handschin, Konzern, 110f., 335ff. 195 Art. 754 Abs. 2 OR; vgl. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 114ff; Bürgi/Nordmann, N 79 zu Art.753f; Horber, Kompetenzdelegation, 108ff; Böckli, Aktienrecht, 540f. 196 Zum Wissen der Mutter gehört auch das für sie effizient verfügbare Wissen anderer Kon­ zemgesellschaften; vgl. Watter, Walls, 112; BGE 112 II 503, 506; Sieger, Wissen, 38ff; Watter, Verpflichtung, 201 ff. Zudem ist bezüglich des Handlungspotentials der Mutter ihre Möglichkeit in Rechnung zu stellen, für Kontrollaufgaben Ressourcen anderer Konzemgesellschaften zu mo­ bilisieren. Alles hat sich somit am Referenzmodell einer (sozial) effizienten Organisation des in Frage stehenden Konzerns zu orientieren.

teile der Mutter in bezug auf Vorgänge bei der Tochter voll zum Tragen zu bringen (Organisationshaftung). Je stärker demzufolge die Mutter bei der Tochter enga­ giert ist und je näher ihr die Tochtertätigkeiten sachlich, personell und geogra­ phisch liegen, desto höher wird ein funktional adäquater Sorgfaltsmaßstab ange­ setzt werden müssen. Auch die Frage, ob z.B. die vollständige Ausrichtung des Geschäftsverkehrs ei­ ner Tochter auf die Mutter (ohne jegliche Diversifikation der Geschäftsbeziehun­ gen) bereits einem sorgfaltswidrigen Klumpenrisiko gleichkommt197, wird aus der Situation im Einzelfall heraus besser zu beurteilen sein als durch eine generelle Re­ gel. Dabei ist allerdings die Prämisse nicht außer acht zu lassen, der Konzern, auch der engverstrickte, sei im schweizerischen Recht als zulässig zu betrachten197 198. Anzufugen bleibt, daß Gläubiger nur dann einen Schadenersatzanspruch199 ha­ ben, wenn die von der Muttergesellschaft verletzten Vorschriften Gläubigerschutz­ bestimmungen sind200.

cc) Verschulden

Die Haftung gemäß Art. 754 OR setzt ein Verschulden des sorgfaltswidrig han­ delnden Organs voraus201. Dabei genügt auch leichtes Verschulden202. Anzulegen ist ein objektiver Verschuldensmaßstab, weshalb die subjektive Entschuldbarkeit ei­ nes schädigenden Verhaltens belanglos ist203. Es ist zudem anerkannt, daß besonde­ res Wissen (Fachkenntnisse) haftungsverschärfend wirken muß204. Auf die Kon­ zernmuttergesellschaft übertragen bedeutet dies, daß ihr die addierten Möglichkei­ ten und das aggregierte Wissen ihrer Gesamtorganisation anzurechnen sind205. Pa­ rallel zur Widerrechtlichkeit sind aber auch in bezug auf das Verschulden realisti­ sche, der Komplexität der Konzernrealität angepaßte Maßstäbe anzuwenden206.

dd) Schaden Das gemäß Art. 754 OR verantwortliche Organ haftet grundsätzlich für Schä­ den der Aktionäre und der Gesellschaft. Auch die Gläubiger sind nach dem Kon­ kurs der Gesellschaft berechtigt, ihren Schaden geltend zu machen207. Dabei soll es 197 BGE 113 II 52ff.; Böckli, Darlehen, 7-8. 198 Hinten V.2.4.2.2.c). 199 Nach einem neuen Entscheid des Bundesgerichts gibt es bloß mehr eine einzige Klage aus dem Recht der Gläubigergesamtheit; vgl. BGE 117 II 432f. 200 BGE 110 II 395; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 94f. 201 Bürgi/Nordmann, N 89ff. zu Art.753f. OR; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 104f. 202 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 104 N 286. 203 Ebd., 106-107; vgl. auch Böckli, Aktienrecht, 541. 204 Forstmoser, Verantwortlichkeit, IHN 306. 205 Art. 55 ZGB; dies bedeutet, daß die Organe als Einzelpersonen evtl, kein Verschulden trifit, daß aber ihr Zusammenspiel in einer Organisation den Verschuldenstest erfüllt. 206 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 108 N 300; 114f. 207 Art. 757 OR; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 56f.

gemäß neuester Bundesgerichtspraxis nur mehr eine einheitliche Klage aus dem Recht der Gläubigergesamtheit geben208. Die Schadensberechnung kann im übri­ gen schwierig sein, weil es das hypothetische, d.h. ohne Sorgfaltspflichtverletzung erzielbare Vermögen der Tochter zu ermitteln gilt209. Die Problematik ist diesbe­ züglich derjenigen beim Nachteilsausgleich im Zusammenhang mit dem fakti­ schen Konzern des deutschen Rechts vergleichbar210, auch wenn im Kontext des Art. 754 OR ein Ausgleich schon prinzipiell nur in Extremsituationen (d.h. bei ei­ ner nachweisbaren Sorgfaltspflichtverletzung) in Frage kommt.

ee) Kausalzusammenhang

Bei pflichtwidrigen Geschäftsführungseingriffen der Muttergesellschaft in die Belange der Tochter ist endlich vorausgesetzt, daß diese Eingriffe den geltend ge­ machten Schaden kausal verursachten211. Der Kausalzusammenhang muß sowohl natürlich wie adäquat sein212. An dieser Voraussetzung fehlt es insbesondere dann, wenn selbst ein pflichtgemäßes Verhalten der Konzernmutter den Schaden nicht verhindert hätte213. ff) Entlastung der Tochterverwaltung durch die Tochtergeneralversammlung?

Die Generalversammlung einer Aktiengesellschaft hat die unübertragbare Be­ fugnis, auf Schadenersatzansprüche gegenüber der Verwaltung mittels Dechargebeschluß zu verzichten214. Personen, welche in irgendeiner Weise an der Geschäfts­ führung teilgenommen haben, besitzen bei der Abstimmung über die Entlastung aber kein Stimmrecht215. Damit entfällt die Möglichkeit zur Dechargeerteilung nach richtiger Ansicht in einer 100%igen Tochtergesellschaft, wenn die Mutter selbst als faktisches Organ dem Verantwortlichkeitsrecht untersteht216. Beim Vor­ handensein von Minderheitsaktionären ist dagegen ein Dechargebeschluß mög­ lich. Ihr Effekt ist jedoch beschränkt. Vorerst zeitigt die Decharge keine Wirkung bezüglich Transaktionen, welche der GV verheimlicht wurden und bezüglich wel­ cher die GV unverschuldeterweise keine Kenntnis hatte217. Zudem sind die Gläubi­ ger der Tochter bei der Geltendmachung ihres Schadens durch einen Entlastungs­ beschluß nicht eingeschränkt218. 208 BGE 117 II 432f.; vgl. die Kritik bei Kunz, Verantwortlichkeit, 5ff. 209 Vgl. zum Schaden: Forstmoser, Verantwortlichkeit, 73ff.; vgl. dazu auch Amstutz, Kon­ zemorganisationsrecht, 422 ff. 210 Vome IV.2.1.2.4. 211 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 97ff. 212 Ebd., 98. 213 Ebd., 100. 214 Art. 758 OR, 698 Abs. 2 Ziff. 5 OR; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 140ff. 215 Art. 695 Abs. 1 OR; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 141 ff. 216 Ebd., 142 N 420; 145 N 431. 217 Ebd., 147 N 439. 218 Ebd., 157; vgl. auch BGE 117 II 432ff, 440f.; Kunz, Verantwortlichkeit, 7.

2.3.3.2. Haftung aus Doppelorganschaft Aus funktionaler Warte ist auch die Haftung von Konzernmuttergesellschaften qua Doppelorganschaft zuzulassen219. Diese ermöglicht den Tochtergläubigern, über die persönlichen Willensträger der Konzernmuttergesellschaft eine Konzern­ haftung zu begründen. Der Ausdruck Doppelorganschaft umfaßt diejenigen formel­ len oder materiellen Organe der Mutter, welche zugleich formelle oder materielle (faktische) Organe der Tochter sind220. Für Tochtergläubiger eröffnen sich da­ durch zwei Möglichkeiten einer Beanspruchung der Mutter: erstens die Berufung auf eine Konzerninnenhaftung für sorgfaltswidriges Verhalten der Doppelorgane gegenüber der Tochter bzw. der Gläubigergesamtheit221; zweitens die Begrün­ dung einer Außenhaftung, falls Doppelorgane den Tochtergläubigern widerrecht­ lichen Direktschaden zufugten222. Während für die Außenhaftung widerrechtliche Akte im Sinne von Art.4lff. OR im Zentrum stehen, stellt sich für die Konzerninnenhaftung die Frage, ob da­ mit auch sorgfaltswidriges Verhalten im Sinne von Art. 754ff. OR gemeint sein könne. Art. 722 OR schränkt die Haftung einer AG für ihre Organe zwar auf uner­ laubte Handlungen ein. Eine Mutterhaftung aus Art. 754ff. OR käme somit nur in Frage, falls Sorgfaltspflichtverletzungen von Doppelorganen zugleich unerlaubte Handlungen im Sinne von Art. 41 ff. OR wären. Da aber Art. 55 Abs. 2 ZGB eine Haftung auch für sonstiges Verhalten anordnet, ist abzuklären, inwiefern darin eine Erweiterung liegt. Egger223 sieht offenbar durch Art. 55 Abs. 2 ZGB bloß deliktische Handlungen abgedeckt. Pedrazzini/Oberholzer224 weisen hingegen ausdrücklich auf die auswei­ tende Formulierung dieses Artikels hin. Auch Spiro225 tendiert zur Auffassung, Art. 55 Abs. 2 ZGB lasse eine Doppelorganhaftung aus Art. 754ff. OR zu. Albers und Forstmoser226 dagegen beschränken den Anwendungsbereich der Doppelor­ ganschaft auf unerlaubte Handlungen. Aus funktionaler Perspektive ist einer extensiven Auslegung grundsätzlich der Vorzug zu geben. Im Vergleich zur faktischen Organschaft eröffnen sich dadurch allerdings kaum zusätzliche Möglichkeiten. Wo über eine Doppelorganschaft auf eine Haftung der Konzernmutter gemäß Art. 754 ff. OR geschlossen werden kann, ließe sich über die faktische Organschaft dasselbe auch erreichen. Die fakti­ sche Organschaft würde zudem oft einfacher zum Ziel führen, wie das Beispiel des Seveso-Falles zeigt227. Eine Organhaftung der obersten Gesellschaft des Hoffmann219 220 nisse, 221 222 223 224 225 226 227

Trotz der z.Teil geäußerten dogmatischen Bedenken; vgl. vome V.2.3.2.3. Spiro, Doppelorgane, 640; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 224; Albers, Haftungsverhält­ 152-153; differenziert, von Planta A., Doppelorganschaft, 600ff. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 225-229. Albers, Haftungsverhältnisse, 162-163. Egger, Kommentar, N 18ff. zu Art. 54/55 ZGB. Pedrazzini/Oberholzer, 214. Spiro, Doppelorgane, 646-647. Albers, Haftungsverhältnisse, 163; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 224-225. Vome 1.4.4.

La Roche Konzerns gegenüber Icmesa wäre zwar evtl, über Doppel- bzw. Drei­ fach-Organkonstruktionen zu begründen gewesen. Dafür hätte es aber des kompli­ zierten Nachweises bedurft, daß z.B. die Organe von Hoffmann-La Roche nicht nur Organe bei Givaudan waren, sondern zusätzlich als Organe Icmesas angesehen werden mußten. Durch diese Bindung an Einzelpersonen wird der Anwendungs­ bereich der Doppelorganhaftung eingeschränkt, weil das Institut, im Gegensatz zur faktischen Organschaft, nicht direkt an Organisationstatbestände anzuknüpfen vermag. In einem anderen Sinn aber fuhrt die Doppelorgankonstruktion über die fakti­ sche Organschaft hinaus. Sofern eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 41 ff. OR vorliegt, kann sie auch zu einer Haftung der Konzernmutter gegen­ über außervertraglichen Tochtergläubigern fuhren. Dies erlaubt funktional über­ zeugende Steuerungsmöglichkeiten, wie neuerdings am Beispiel Seveso demon­ striert werden kann. Sofern davon auszugehen war, daß der technische Direktor Givaudans, welcher für Produktionssicherheitsfragen bei Icmesa verantwortlich zeichnete, in dieser Funktion widerrechtliche Unterlassungen begangen hatte, hät­ ten die Seveso-Unfallopfer direkt auf Givaudan greifen können228. Eine Doppelorganschaft ist nur anzunehmen, falls die betreffenden Tochterorga­ ne zugleich für die Mutter handelten (in Ausübung geschäftlicher Verrichtungen: Art. 722 OR). Das führt richtigerweise zu dem von Albers229 vertretenen Postulat eines „funktionellen Zusammenhangs zwischen der haftungsbegründenden Hand­ lung und der materiellen Konzernleitung“. Eine Erstreckung der Haftung von Doppelorganen auf Konzernmuttergesellschaften kommt damit hauptsächlich im zentralisierten Unternehmensbereich in Frage. Zwecks Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs der Doppelorgane ist aus funktiona­ ler Warte wiederum nicht von den betroffenen Personen allein, sondern vom ag­ gregierten Wissen und Handlungspotential der Konzernmutter auszugehen230. Auch logisch drängt sich eine derartige Zurechnung auf: wenn die Doppelorgan­ schaft zugelassen wird, sollten umgekehrt auch die damit verbundenen Folgen (Konzernbezogenheit des Doppelorganhandelns) rechtliche Berücksichtigung fin­ den231. Das Konstruktionsschema der Doppelorganschaft läßt sich weiter variieren. Hin­ zuweisen ist vorerst auf Situationen, in denen Mutterorgane nicht Tochterorgane sind. Zumindest deliktisches Verhalten dieser Personen vermag dann über Art. 55 Abs. 2 ZGB möglicherweise eine Konzernmutterhaftung gegenüber der Tochter­ gesellschaft zu begründen232. Wiederum anders stellen sich Situationen dar, in wel­ chen Organe der Tochter als Hilfspersonen der Mutter eingestuft werden können. Auch hier eröffnen sich Möglichkeiten einer Konzerninnen- oder Konzernaußen­ 228 Vorne 1.4.4. 229 Albers, Haftungsverhältnisse, 161-162; ebenso Forstmoser, Verantwortlichkeit, 228; von Planta, A., Doppelorganschaft, 605-606; Bürgi, N 34 zu Art. 707 OR. 230 Vome V.2.3.3.1. b) bb). 231 E contrario BGE 112 II 506. 232 Albers, Haftungsverhältnisse, 164-167.

haftung, wobei Art. 55 OR anstelle von Art. 55 ZGB zur Anwendung gelangt233. Diese Varianten verweisen schwergewichtig jedoch bereits auf die dritte Konzern­ haftungskategorie, d.h. auf die Haftung der Konzernmutter als Drittperson234.

2.3.4. Zusammenfassung Das Handeln von Konzernmuttergesellschaften als Geschäftsführerinnen ihrer Töchter läßt sich unter schweizerischem Recht sinnvoll über die Rechtsfiguren der faktischen Organschaft und der Doppelorganschaft kontrollieren. Die Haftung aus faktischer Organschaft ist mit der französischen Verlustdeckungsklage ver­ wandt und gleicht der in der 9. EU-Richtlinie vorgesehenen Haftungsordnung für faktische Konzerne. Sie eröffnet die Möglichkeit, Muttergesellschaften zur Verant­ wortung zu ziehen, welche bei ihren Managementeingriffen die Interessen der Tochter verletzten. Das ist effizient235 und folglich auch aus funktionaler Perspekti­ ve zu befürworten. Es ist aber offensichtlich, daß mit einer Verantwortlichkeitskla­ ge gegen Muttergesellschaften nur grobe Verstöße gegen das Tochterinteresse er­ faßt werden können. Selbst in diesen Fällen ist ein Klageerfolg ungewiß, wenn man die schwierige Beweislast der klagenden Gläubiger (bzw. der Konkursverwal­ tung) berücksichtigt. Diesen ist auferlegt nachzuweisen, daß die Mutter Organstel­ lung besaß, ihre Sorgfaltspflichten schuldhaft236 237 verletzte und dadurch adäquat kau­ sal den Tochter- bzw. Gläubigerschaden herbeiführte237. Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Sorgfaltspflichtverletzung oder einer adäquat kausalen Tochter­ schädigung kann die Trennung von Mutter- und Tochterinteressen nahezu un­ möglich werden, falls das Zusammenwirken zwischen Mutter- und Tochtergesell­ schaft andauernd und intensiv war238. Ähnlich wie im Zusammenhang mit dem deutschrechtlichen faktischen Konzern oder der französischen Verlustdeckungskla­ ge können außenstehende Gläubiger somit vor einem prohibitiven Prozeßrisiko stehen239. Die Situation der klagewilligen Tochtergläubiger wird im schweizerischen Recht noch zusätzlich belastet durch die Prozeßkostenregelung240 sowie die Ab­ senz befriedigender Informationsmöglichkeiten241. Auch die Aktienrechtsrevision 233 Ebd., 174ff.; vgl. hinten V.2.4.3.2.d). 234 Hinten V.2.4. 235 Vome III.3.4.3. 236 Das Verschulden ist allerdings bei der Geltendmachung des Gesellschaftsschadens zu ver­ muten, da es sich hierbei um vertragliche Ansprüche handelt (Art. 97 OR); vgl. Forstmoser, Ver­ antwortlichkeit, 68—69. Angesichts des objektivierten Verschuldensmaßstabs spielt dies aber kaum eine Rolle; a.a.O., 69. 237 Vgl. Böckli, Aktienrecht, 541 f. 238 Druey, Konzemrecht, 307; Teubner, Konzemhaftung, 274. 239 Vome IV.2.1.2.4. bzw. 2.2.2.2.; Hofstetter, Europe, 593-594. 240 Die Prozeß- und Gerichtskosten werden z.B. auf der Basis des gesamten Schadens der Ge­ sellschaft und nicht des Schadens des klagenden Gläubigers berechnet; vgl. Forstmoser, Verant­ wortlichkeit, 186, 335. 241 Ruedin, ZSR, 190-191; vgl. zudem die Feststellungen zu den Schwächen des Verantwort­

brachte diesbezüglich kaum Linderung. Die neuen Möglichkeiten bei der Vertei­ lung der Prozeßkosten242 und die vorgesehene Sonderprüfung dienen in erster Li­ nie dem Schutz von Minderheitsaktionären243. Die Sonderprüfung244 erlaubt die­ sen, die Prozeßrisiken vor einer Verantwortlichkeitsklage realistischer abzuschät­ zen. Eine Sonderprüfung soll durch den Richter dann angeordnet werden kön­ nen, wenn die Generalversammlung ihr zugestimmt und ein Aktionär sie bean­ tragt hat. Ohne Zustimmung der Generalversammlung kann sie von 10% der Ak­ tienstimmen verlangt werden. Damit ist die Sonderprüfung aber gerade im (typi­ schen) Konzern mit einer 100%igen Aktionärsstellung der Mutter nicht verfüg­ bar245. Sie geht folglich weniger weit als der in der 9. EU-Richtlinie vorgesehene Sonderbericht, welcher auch von Gläubigern verlangt werden kann und welcher überdies spezifisch auf das Mutter/Tochterverhältnis zugeschnitten ist246. Die Doppelorgankonstruktion ist ein zweites Haftungsinstitut zur Kontrolle des Geschäftsführungshandelns von Konzernmüttern. Sie ist als funktional sinnvolle Ergänzung der faktischen Organschaft anzusehen und weist teilweise über deren Möglichkeiten hinaus. Sie erfaßt z.B. auch deliktische Handlungen gegenüber Tochtergläubigern, welche durch das Recht der faktischen Organschaft nicht ge­ deckt wären. Ein Beispiel hiefür ist die Mitwirkung von Doppelorganen bei der Verursachung einer Produktionskatastrophe in einem Tochterbetrieb (vgl. Seveso). Direkte Gläubigeransprüche könnten in diesem Fall über die faktische Organ­ schaft nicht konstruiert werden, da die Handlungen bzw. Unterlassungen der Orga­ ne wohl nicht als Verletzung aktienrechtlicher Gläubigerschutzbestimmungen ta­ xiert würden. Auch die Doppelorgankonstruktion löst freilich die Problematik der Geschäfts­ führungseinflüsse von Mutter- auf Tochtergesellschaften nur begrenzt. Dafür ist sie in ihrem typischen Anwendungsbereich zu eng. Sie setzt den Einsatz von Dop­ pelorganen voraus, d.h. von Personen, welche als Organe der Mutter einzustufen lichkeitsrechts (vor der Revision) in BB11983 II, 747ff., 834. „Vermutet der Aktionär das Vorlie­ gen einer haftungsbegründenden Handlung oder Unterlassung, wird ihm die Einleitung einer Verantwortlichkeitsklage in der Regel verunmöglicht, weil er die Klage nicht genügend substan­ tiieren und den Nachweis für die Haftungsvoraussetzungen nicht erbringen kann.“; auch Forst­ moser, Verantwortlichkeit, 335, bezeichnete das Verantwortlichkeitsrecht (vor der Revision) ganz allgemein als „stumpfe Waffe“. 242 Die Prozeßkosten können gemäß Art. 756 Abs. 2 OR der Gesellschaft (im Konzemkon­ text somit der Tochtergesellschaft) auferlegt werden. Nach einem Konkurs der Tochter aber dürf­ te dies kaum mehr von praktischer Bedeutung sein. 243 Zu den Neuerungen allgemein Forstmoser, Verantwortlichkeit, 341 ff. 244 Art. 697a ff. OR, Böckli, Aktienrecht, 505ff. 245 Gemäß Art. 716b Abs. 2 OR haben die Gläubiger nebst ihrem Einsichtsrecht in Jahresrech­ nung, Konzemrechnung und Revisionsbericht (Art. 697h OR) nun noch das Recht, eine schrift­ liche Mitteilung über die Organisation der Geschäftsführung zu beantragen. Das genügt für eine realistische Einschätzung der Prozeßchancen natürlich nicht. Immerhin hat im Konkurs der Tochtergesellschaft die Konkursverwaltung diejenigen Informationen zur Verfügung, welche die Tochtergesellschaft betreffen (Art. 222 SchKG). Das reicht unter Umständen aber ebenfalls nicht, um die Vorgänge zwischen Mutter und Tochter aufzudecken. 246 Vgl. vome IV.2.4.3.2.

sind und zugleich in die Willensbildung der Tochter eingreifen. Beeinflussungen, Weisungen und Druck auf die Willensbildung des Tochtermanagements, welche nicht spezifisch Doppelorganen zugeordnet werden können, lassen sich deshalb nicht erfassen247. Wie bei der faktischen Organschaft besteht zudem auch bei der Doppelorgan­ konstruktion die große Schwierigkeit, daß der geforderte Beweis einer Sorgfalts­ pflichtverletzung (bzw. unerlaubten Handlung) des Doppelorgans besonders in komplexen Konzernverhältnissen praktisch nur selten zu erbringen sein dürfte. Diese Beweisschwierigkeiten sind im übrigen nicht nur der faktischen Organ­ schafts- und der Doppelorgankonstruktion eigen. Sie müssen in gleicher Weise das Recht der persönlichen Verantwortlichkeit von Tochterverwaltungsräten und -ge­ schäftsführern aushöhlen248. Beweisschwierigkeiten vermindern damit den Wert dieser Personen als indirekte Garanten (gatekeepers)249 eines unabhängigen Tochter­ interesses. Die Kontrolle von Geschäftsführungseinflüssen der Konzernmutter auf Tochtergesellschaften ist im schweizerischen Recht somit nur ungenügend ge­ währleistet. Das mit dieser Aufgabe betraute Haftungsrecht schneidet in einer funk­ tionalen Gesamtbeurteilung schlecht ab, weil die Beweislasten der Tochtergläubi­ ger in komplexen Konzernverhältnissen prohibitiv sind. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob diesem Mangel mittels Beweislastumkehren abgeholfen werden kann250.

2.4.

Haftung der Konzernmutter als Drittperson

2.4.1. Überblick Konzernaußenrechtliche Haftungsformen stellen dann ein funktionales Opti­ mum dar, wenn die haftungsrelevanten Kausalabläufe isolierbar und einer differen­ zierten Vertrags- bzw. deliktsrechtlichen Steuerung zugänglich sind251. Diese auch dogmatisch sinnvolle Ausnützung des Potentials zivilrechtlicher Institute wurde vor allem durch E. Rehbinder252 systematisch angegangen. In den USA hat neuer­ dings Blumberg eine ähnliche konzernhaftungsrechtliche Perspektive propa­ giert253. In der schweizerischen Rechtsliteratur waren es schon früh z.B. von Stei­ ger und Tobler254, welche auf die Anwendungsmöglichkeiten des allgemeinen Zi­ vilrechts im Konzernhaftungsbereich hinwiesen. In neuerer Zeit wurde der Ansatz z.B. bei Druey, von Planta, Albers, Bosmann, Bolt, Kehl, Handschin und Zürcher 247 Auch über die Einstufung der Tochter als Organ der Mutter ließe sich in diesen Fällen kei­ ne Mutterhaftung begründen, da es der Tochter offenkundig an den erforderlichen Voraussetzun­ gen für die Organeigenschaft fehlt; vgl. BGE 117 II 570ff 248 von Planta F., Interessenkonflikt, 91 ff 249 Kraakman, Liability, 888ff 250 Vgl. vome III.3.4.3. und hinten V.3. 251 Vome III.3.4.4. 252 Rehbinder, Konzemaußenrecht, passim. 253 Vgl. vome IV.2.4. 254 von Steiger, Holdinggesellschaften, 305a ff; Tobler, HaftungsVerhältnisse, 37ff.

erörtert255. Es ist sinnvoll, für diese Kategorie der Konzernmutterhaftung vom Han­ deln der Mutter als Drittperson zu reden, weil die anwendbaren zivilrechtlichen Rege­ lungen im Prinzip unabhängig von der Position der Konzernmutter als Aktionärin oder Organ ihrer Tochter sind. Es drängt sich allerdings eine Unterscheidung auf zwischen der Haftung der Konzernmutter gegenüber der Tochter und der Haf­ tung der Konzernmutter gegenüber den Tochtergläubigern.

2.4.2. Drittpersonenhaftung gegenüber der Tochtergesellschaft

2.4.2.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten a) Allgemeines

Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zwi­ schen Mutter- und Tochtergesellschaften256. Mutter und Tochter können in den Schranken von Art. 19 OR alle zulässigen Verträge abschließen. Dazu gehören z.B. Franchiseverträge, Lizenzverträge, Kaufverträge, Mietverträge und andere Formen üblichen Leistungsaustauschs257. Konzernspezifisch hinzu kommen allen­ falls noch Unternehmensverträge, welche den Einfluß der Muttergesellschaft auf die Willensbildung der Tochter betreffen (z.B. Management- bzw. Weisungsverträ­ ge258) oder eine konzerninterne Umdisposition von Vermögensressourcen zum Gegenstand haben (z.B. Sanierungs-259 oder Gewinnabfiihrungsverträge260). An­ sprüche der Tochtergesellschaft können sich im Zusammenhang mit der Nichtig­ keit bzw. Anfechtbarkeit solcher Verträge ergeben261. Tochteransprüche lassen sich möglicherweise aber auch aus Nichterfüllung ableiten, wobei als Sanktionen so­ wohl Ansprüche auf Vertragserfüllung wie auf Schadenersatz in Frage kommen262. Alle diese Forderungen können von Tochtergläubigern im Konkurs der Tochterge­ sellschaft nach einer Abtretung gemäß Art. 260 SchKG auch direkt geltend ge­ macht werden. Die Nichterfüllung von Verträgen durch die Muttergesellschaft wirft kaum kon­ zernspezifische Probleme auf263. Die Frage der Gültigkeit bzw. Anfechtbarkeit von Verträgen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften kann hingegen mit grund­ sätzlichen Konzernrechtsfragen verbunden sein. Unternehmensverträge können z.B. über den statutarischen Zweck einer Tochtergesellschaft hinausweisen und 255 Druey, Konzernrecht, 375 ff.; Albers, Haftungsverhältnisse, 174ff; von Planta A., Haupt­ aktionär, lOOff; Bosmann, 83ff; Bolt, Protection, 98ff; Kehl, Durchgriff, 57ff; Handschin, Konzern, 297ff; Zürcher, Gläubigerschutz, 209ff. 256 Graf, Verträge, 96. 257 Ebd., 165ff. 258 Ebd., 95ff. 259 Ebd., lllff 260 Ebd., 104ff. 261 Vgl. z.B. Art. 21 OR, 23f. OR bzw. 30f. OR. 262 Art. 97ff. OR. 263 Anzuwenden sind im Prinzip Art. 97ff. OR bzw. die Spezialbestimmungen des entspre­ chenden Vertragstyps.

deshalb eine Mitwirkung der Tochter-Generalversammlung bedingen264. Es ist zu­ dem überhaupt zu klären, inwiefern Organe bzw. Vertreter der Muttergesellschaft im Hinblick auf den Abschluß von Mutter-Tochter Verträgen an der Willensbil­ dung der Tochter partizipieren dürfen (Doppelvertretung)265. Wiederum in erster Linie bei Unternehmensverträgen stellt sich sodann das Problem der Konkretisie­ rung von Art. 19 OR266 und Art. 21 OR. Die inhaltliche Gültigkeit kann aber auch bei Austauschverträgen ein konzernspezifisches Thema sein, falls die Mutter­ gesellschaft zu Lasten der Tochter begünstigt wird (Transfergeschäfte)267.

b) Das Problem der Doppelvertretung Wo ein Organ bzw. Stellvertreter der Muttergesellschaft über eine Stimmrechts­ ausübung in der Tochter-Generalversammlung oder die Einmischung in die Ge­ schäftsführung der Tochter auf den Abschluß eines Vertrages zwischen Mutter und Tochter hinwirkt, stellt sich die Frage der Auswirkung dieser potentiellen Interes­ senkollision auf die Gültigkeit des abgeschlossenen Vertrags. Lehre und Rechtspre­ chung widmen sich diesem Problem unter dem Stichwort der Doppelvertretung, welche grundsätzlich gleich behandelt wird wie das Selbstkontrahieren268. 269 Die Doppelvertretung, d.h. die direkte oder durch das Einschalten von Mittels­ leuten durchgeführte269 Unterzeichnung von Verträgen zwischen zwei Vertrete­ nen durch denselben Vertreter bzw. dasselbe Organ, ist zwar grundsätzlich unzuläs­ sig. Sie wird aber zulässig, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Ermäch­ tigung vorliegt270. Diese Ermächtigung wird in Konzernverhältnissen durchwegs vermutet, sodaß die Doppelvertretung der Gültigkeit von Verträgen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in praxi kaum je im Wege stehen dürfte271. c) Inhaltliche Schranken für Unternehmensverträge zwischen Konzern­ gesellschaften

Unternehmensverträge zwischen Konzerngesellschaften, d.h. Beherrschungs-, Gewinnabführungs-, Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsverträge, existieren hauptsächlich unter dem Regime des deutschen Konzernrechts272. Auch der Vor­ entwurf für eine 9. EU-Richtlinie sieht sie vor273. Im schweizerischen Recht wird 264 Graf, Verträge, 61 ff, 67-69. 265 Ebd., 71 ff; vgl. auch allgemein, Watter, Verpflichtung, 81 ff. 266 Graf, Verträge, 95 ff. 267 Ebd., 165ff. 268 Ebd., 71ff. 269 Ebd., 73; BGE 89 II 323. 270 BGE 106 Ib 148, 98 II 219, 95 II 621, 95 II 453; Graf, Verträge, 73. 271 Vgl. BGE 50 II 183ff; ZR 77 Nr. 44; von Steiger, Holdinggesellschaften, 324a, 325a; Graf, Verträge, 75; vgl. auch Zobl, Vertretungsmacht, 301 ff.; Bürgi, Kommentar, N 35-36 zu Art. 707 OR; Handschin, Konzern, 119. 272 Vome IV.2.1.2.3. 273 Vome IV.2.3.2.

ihre Zulässigkeit unterschiedlich beurteilt. Beherrschungsverträge zwischen schweizerischen Mutter- und deutschen Tochtergesellschaften sind zwar auch im schweizerischen Recht anzuerkennen274. Ausländische Mutter- und schweizeri­ sche Tochtergesellschaften275 können dagegen nur begrenzt rechtsgültige Unter­ nehmensverträge abschließen. Das hängt in erster Linie mit dem fehlenden kon­ zernrechtlichen Ausgleichsmechanismus im schweizerischen Recht zusammen. Die zwingenden organisationsrechtlichen Bestimmungen des schweizerischen Ak­ tienrechts behalten auch im Konzernkontext ihre Richtigkeitsgewähr. An eine Zu­ lassung unternehmensvertraglicher Bindungen schweizerischer Tochtergesellschaf­ ten ist somit nur innerhalb der zwingenden aktienrechtlichen Fundamentalordnung 276 zu denken277. Diese umfaßt insbesondere die Bestimmungen zu Kompetenzen und Mehrheitserfordernissen in der Generalversammlung, zur Bindung des Geschäftsfiihrungshandelns an den statutarischen Zweck und zur Unabhängigkeit der Verwaltung278. Bisweilen wird auch Art. 27 ZGB als eine die übermäßige vertragli­ che Bindung von Konzerngesellschaften ausschließende Norm ins Feld geführt279. Damit sind z.B. Beherrschungs- oder Weisungsverträge, welche einer MuttergeSeilschaft das Recht zur unbeschränkten Weisungserteilung einräumen, unter schweizerischem Recht als nichtig zu betrachten280. Sie würden die zwingende Selbstverantwortlichkeit des Tochter-Verwaltungsrats aufheben. Graf281 will sol­ che Verträge immerhin zulassen, wenn der (einstimmig zu ändernde) Zweckarti­ kel der Tochtergesellschaft festhält, die Geschäftstätigkeit der Tochter erfolge im In­ teresse der Mutter. Aufgrund der zwingenden Kompetenz der Tochter-Generalversammlung zur periodischen Bestimmung über die Gewinnverwendung282 wäre auch ein Gewinnabfuhrungsvertrag mit dem schweizerischen Recht grundsätzlich nicht verein­ bar283. Graf284 befürwortet dagegen die Zulässigkeit eines entgeltlichen Gewinnab­ führungsvertrags, wenn der Zweck der Tochtergesellschaft entsprechend angepaßt wurde. Eine unentgeltliche Gewinnabführung wäre nach ihm zulässig, wenn der

274 Schluep, in Lalive/Vischer, 48f. 275 Hier kommt schweizerisches Recht zur Anwendung; vgl. hinten V.4.; dasselbe gilt für Un­ ternehmensverträge zwischen schweizerischen Konzerngesellschaften. 276 Graf, Verträge, 97. 277 Dazu Graf, Verträge, 90f.; Steiger, Holdinggesellschaften, 291a ff. 278 Ebd., 19ff; vgl. auch Tappolet, Schranken, 114ff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 42 ff; von Steiger, Holdinggesellschaften, 293a ff; Uttendoppler, Konzeminteresse, 85 ff; von Planta A., Hauptaktionär, 28ff; Bolt, Protection, 73ff. 279 Vgl. dazu die Erörterungen bei Druey, Konzemrecht, 304; Handschin, Konzern, 124ff; Siegwart, Kommentar, N 166 Vorbemerkungen zu Art. 620ff. OR; von Steiger, Holdinggesell­ schaften, 278a-289a; Caflisch, Grenzen, 132; Tappolet, Schranken, 117; und hinten 2.4.2.2.b). 280 Graf, Verträge, 103; Bosmann, Konzemverbundenheit, 49ff. 281 Graf, Verträge, 103; ebenso Handschin, Konzern, 128f. 282 Art. 698 Ziff. 3 OR. 283 Graf, Verträge, 104ff. 284 Ebd., 106.

hiefür notwendige Verzicht auf Gewinnerzielung von sämtlichen Aktienstimmen der Tochter beschlossen wurde285. d) Transfergeschäfte Transfergeschäfte sind Geschäfte zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, welche das arm length-Prinzip verletzen und mit Dritten wesentlich günstiger hät­ ten abgeschlossen werden können286. Die in Transfergeschäfte einwilligende bzw. sie abschließende Verwaltung der Tochtergesellschaft kann für den bewirkten Tochter-Schaden grundsätzlich gemäß Art. 754 OR verantwortlich gemacht wer­ den287. Graf288 weist zudem überzeugend darauf hin, daß bei Transferverträgen, d.h. Austauschverträgen mit ungleichen Leistungspaaren, genauso wie bei einseiti­ gen Sanierungsbeiträgen289 der Tochter zugunsten anderer Konzerngesellschaften eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt. Ihre Vornahme durch die Tochter­ Verwaltung verstößt gegen die zwingende Kompetenz der Tochter-Generalver­ sammlung zur Bestimmung über die Verwendung des Bilanzgewinns290. Auch die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (Bilanzwahrheit und -klarheit) wird durch die Deklaration verdeckter Gewinnausschüttungen als Aufwand in Frage ge­ stellt291 . Transferverträge sind deshalb nichtig, es sei denn, es liege eine ausdrückli­ che Genehmigung der Tochter-Generalversammlung vor292. Tochtergesellschaf­ ten können folglich ihre im Zusammenhang mit Transfergeschäften erbrachten Leistungen grundsätzlich zurückfordern293. Allerdings stellen sich hier ähnliche Be­ weisprobleme wie bei einer Verantwortlichkeitsklage aus gleichem Grund294.

285 Ebd., 105. 286 Ebd., 167ff.; vgl. auch Wälde, Transfergeschäfte, 370ff; Pr 79 (1990), Nr. 218. 287 BGE 110 I b 133; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 240ff, 245 N 815. 288 Graf, Verträge, 165ff. 289 Ebd., 158ff. 290 Art. 698 Abs. 2 Ziff. 4 OR; Graf, Verträge, 159, 173-174; Locher, Gewinnverwendung, 204ff. 291 Graf, Verträge, 159, 174; Böckli, Darlehen, 5. 292 Graf, Verträge, 174; Böckli, Darlehen, 5; vgl. zudem den Entscheid BGE 117 IV 259ff. E.5., wonach verdeckte Gewinnausschüttungen oberhalb des Grundkapitals auch bei Einmann­ gesellschaften pflichtwidrig sind, wenn sie im Widerspruch zu zwingenden aktienrechtlichen Be­ stimmungen stehen, welche den Schutz des Gesellschaftsvermögens bezwecken. Gegen eine Zustimmung der (100%ig durch die Mutter beherrschten) Tochter-Generalver­ sammlung dürften meistens keine rechtlichen Anfechtungsmöglichkeiten (z.B. Rechtsmiß­ brauch, Doppelvertretung) zur Verfügung stehen. Durch die Einschaltung der Tochter-General­ versammlung kann die Verantwortlichkeit der Mutter als faktische Geschäftsführerin aber nicht umgangen werden, da es sich beim Abschluß von Transfergeschäften meist um materielle Ge­ schäftsführung handeln dürfte; Graf, Verträge, 36ff, 45; vgl. auch Zobl, Vertretungsmacht, 304ff, 312-313. 293 Art. 62ff. OR; bei freiwilliger Leistung zumindest dann, falls nachgewiesen werden kann, daß sich die Tochter über ihre Nichtschuld im Irrtum befand; vgl. Art. 63 Abs. 1 OR. 294 Graf, Verträge, 88, 174 FN 38; Wälde, Transfergeschäfte, 374.

2.4.2.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten

a) Allgemeines Nicht nur die Ausübung von Aktionärs- oder Organfunktionen durch die Mut­ tergesellschaft kann deliktische Ansprüche der Tochter entstehen lassen295. Jede wi­ derrechtliche Schädigung des Tochtervermögens durch Mutterorgane bzw. Mut­ tervertreter (Sachbeschädigungen, Diebstähle, ungetreue Geschäftsführung, Kon­ kursdelikte296) fuhrt zu Deliktsansprüchen gegen die Muttergesellschaft, soweit diese gemäß Art. 55 Abs. 2 ZGB, Art. 55 OR oder Art. 101 OR für das entspre­ chende Verhalten ihrer Organe und Hilfspersonen einzustehen hat. Konzernhaf­ tungsrechtlich von besonderem Interesse ist jedoch die Frage, inwiefern in der Be­ herrschung einer Tochtergesellschaft an sich ein Deliktstatbestand liegen könnte.

b) Verletzung von Art. 27 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)

In der Literatur wird das Problem erörtert, ob der Tatbestand der Konzernie­ rung per se eine Persönlichkeitsverletzung der Tochtergesellschaft im Sinne von Art. 27 ZGB darstelle297. Eine Bejahung dieser Frage298 würde zu deliktischen Schadenersatzansprüchen gegen die Muttergesellschaft führen. Die herrschende Lehre verneint dagegen eine konzernspezifische Anwendbarkeit von Art. 27 ZGB299. Vorerst wird angeführt, der Persönlichkeitsschutz dieses Artikels sei auf na­ türliche Personen zugeschnitten und seine Anwendbarkeit auf juristische Perso­ nen sei deshalb a priori beschränkt300. Juristische Personen dienten einem Zweck und seien nicht Selbstzweck301. Es habe somit nur einen Sinn, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit zu schützen, wenn hiedurch der Schutz von Beteiligten anvi­ siert werde302. Den Beteiligtenschutz deckten aber schon die spezielleren Bestim­ mungen des Gesellschaftsrechts ab303. Dieser Ansatz überzeugt. Soweit das Gesell­ schaftsrecht eine statutarische, vertragliche und faktische Beeinflussung durch Drit­ 295 Vome V.2.2.4. und 2.3.4. 296 Vgl. dazu auch die Eumig-Entscheidung in Österreich; vome IV.2.7.

297 Maurer, Persönlichkeitsrecht, 98ff.; Stehler, Überblick, 13; Dalleves, Problemes, 645ff.; Caflisch, Grenzen, 72f.; Druey, Konzemrecht, 304; vgl. auch die Minderheitsmeinung in ZR 58 Nr. 70. 298 Maurer, Persönlichkeitsrecht, 100. 299 Schluep, Freiheit, 357-358; Caflisch, Grenzen, 72ff.; Dalleves, Problemes, 645ff.; Rue­ din, ZSR, 169f.; Tappolet, Schranken, 117; von Steiger, Holdinggesellschaften, 285a ff.; Druey, Konzemrecht, 304; Stehler, Überblick, 13; vgl. auch Oesch, Minderheitenschutz, 134; Schmid, Genossenschaftsverbände, 156ff. 300 Vgl. von Steiger, Holdinggesellschaften, 285a ff; Egger, Kommentar, N 17 zu Art. 53 ZGB. 301 Stehler, Überblick, 13. 302 von Steiger, Holdinggesellschaften, 286a-289a; BGE 106 II 379. 303 Tappolet, Schranken, 117; Stehler, Überblick, 13; Bosmann, Konzemverbundenheit, 48; vgl. auch Maurer, Persönlichkeitsrecht, 100-101.

te zuläßt, sollte dies durch Art. 27 ZGB nicht wieder rückgängig gemacht werden können304.

c) Verletzung des allgemeinen Gefahrensatzes Die faktische Selbstbeschränkung von Konzerntöchtern, ihre Fremdbestim­ mung und ihre Eingliederung in eine übergeordnete Zweckorganisation schaffen besondere Gefahren für Minderheitsaktionäre und Gläubiger305. Diese Gefahren ergeben sich in erster Linie aus der gestörten Autonomie der Willensbildung und der Relativierung des Eigennutzstrebens der Tochtergesellschaft306. Dadurch wird die prozedurale Gewähr für deren sozial effizientes Verhalten aus den Angeln geho­ ben307. Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine Realisierung der beschriebenen Gefah­ ren (aus Gläubigersicht vor allem der Konkurs) zu einer Haftung der Muttergesell­ schaft wegen Verletzung des allgemeinen Gefahrensatzes fuhren kann. Gemäß bun­ desgerichtlicher Rechtsprechung308 handelt widerrechtlich, wer eine Gefahr schafft, ohne die nötigen Schutzmaßnahmen zu treffen309. Die neuere Lehre weist aber zu Recht daraufhin, daß der Gefahrensatz als solcher das Widerrechtlichkeits­ problem nur umformuliert, ohne es zu lösen310. Er wird aus diesem Grund nur für den Verschuldensnachweis als nützlich erachtet311. Insbesondere im Wirtschaftskampf ist unbestritten, daß Gefährdungen oder gar Schädigungen der Vermögenspositionen Dritter zulässig, ja marktwirtschaftlich er­ wünscht sein können312. Unzulässig sind dagegen z.B. UWG- und kartellrechts­ widrige Verhaltensweisen313. Eine Gefahrsetzung im Wirtschaftsleben muß somit besonders qualifiziert sein, um als unrechtmäßig zu gelten314. Für den Konzerntat­ bestand folgt daraus, daß die Konzernbildung keinesfalls per se als Schaffung einer widerrechtlichen Gefahr eingestuft werden kann. Der Konzern als solcher ist im schweizerischen Recht akzeptiert315. Zudem ist aus funktionaler Warte von Bedeu­ tung, daß der gesamtgesellschaftliche Nutzen der Konzernierung ihre soziale Risiko-/Kostenbelastung potentiell übersteigt316. Der Konzern ist damit mehr Chance 304 Schluep, Freiheit, 357. 305 Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß zugleich auch Gefahren für Aktionäre und Gläubiger der Konzernmutter entstehen können; vgl. dazu die Holzmüller-Problematik: vome IV.2.1.3.3; Debus, Konzemrecht, 11 ff. 306 Druey, Konzemrecht, 303-305, 344. 307 Vgl. vome III.3.4.3. 308 BGE 95 II 93; 93 II 329; 93 II 89; 90 II 86. 309 Brehm, Kommentar, N 51 zu Art. 41 OR. 310 Brehm, a.a.O.; Stark, Haftpflichtrecht, 57 N 238ff; Boßhard, Widerrechtlichkeit, 75ff. 311 Oftinger/Stark, 11 ff; Brehm, Kommentar, N 51 zu Art. 41 OR. 312 Stark, Haftpflichtrecht, 57 N 240; Oftinger/Stark, 25ff 313 Oftinger/Stark, a.a.O. 314 Boßhard, Widerrechtlichkeit, 86; Widmer, Gefahrensatz, 322; vgl. auch Shavell, Accident, 73 ff. 315 Vgl. vome V.2.2.2.2.d). 316 Vome 1.2.3.

als Gefahr. Die Auffassung Kehls, wonach das Konzernverhältnis an sich eine Ge­ fahr darstelle, wodurch umfassende Verkehrsschutzpflichten der Muttergesell­ schaft entstünden317, ist deshalb in dieser Allgemeinheit abzulehnen318. Man kann sich aber immerhin fragen, ob nicht bestimmte Konzernierungsfor­ men als widerrechtliche Gefahrsetzungen taxiert werden sollten. Die (umstritte­ ne) Banning-Entscheidung in Deutschland sprach sich z.B. für die Widerrechtlich­ keit des qualifizierten faktischen Konzerns im Aktienrecht aus, „weil in einer so en­ gen Unternehmensverbindung das Ausgleichssystem der §§311 ff. AktG außer Funktion gesetzt wird“319. Für einen der Banning-Entscheidung entsprechenden Auslegungsschluß bietet das schweizerische Recht aber keine Grundlage. Auch hier wird zwar im Falle qualifizierter Konzernierung das gesellschaftsrechtliche Si­ cherungsinstrumentarium zugunsten der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger von Tochtergesellschaften in weiten Teilen de facto außer Kraft gesetzt. Für eine Folgerung e contrario, daß deshalb jede Form der qualifizierten Konzernierung als grundsätzlich widerrechtlich zu betrachten sei, besteht aber zumindest im Bereich der Auslegung nicht genügend Raum. Vorerst kennt das schweizerische Recht den Begriff des qualifiziertenfaktischen Konzerns gar nicht. Zudem ist im schweizeri­ schen Recht keine Form der Konzernierung ausdrücklich verboten. Des weiteren wurden bisher gläubigerschädigende Mißbräuche mit qualifizierten Konzernfor­ men zumindest nicht derart offenkundig, daß eine klare funktionale Aussage zu­ gunsten einer prinzipiellen Widerrechtlichkeit dieser Figur gemacht werden könn­ te320. Eine generelle deliktsrechtliche Haftung der Muttergesellschaft ließe sich auch über das Kriterium der Weisungsgebundenheit der Tochter nicht befriedigend be­ gründen. Zwar kann eine Weisungsgebundenheit der Tochterverwaltung und Tochtergeschäftsführung im schweizerischen Recht nicht gültig vereinbart wer­ den321. Zudem kann eine Befolgung von Weisungen der Muttergesellschaft durch das Tochtermanagement zu Verantwortlichkeitsansprüchen fuhren, wenn dabei Sorgfaltspflichten verletzt wurden322. Die Ausübung einer Weisungsbefugnis an sich ist jedoch nicht widerrechtlich323. Vorerst kann niemand eine Drittperson am Versuch hindern, die Verantwortlichen der Tochtergesellschaft in ihrer Willensbil­ dung zu beeinflussen. Gelingt dies aber auf systematischer Basis, wird die Drittper­ son, d.h. die Konzernmutter, gesellschaftsrechtlich dadurch erfaßt, daß ihr fakti-

317 Kehl, Durchgriff, 64. 318 Vgl. auch Zürcher, Gläubigerschutz, 220ff; Verkehrsschutzpflichten der Konzernmutter gegenüber außervertraglichen Tochtergläubigem lassen sich aber im Zusammenhang mit der konzemrechtlichen Geschäftsherrenhaftung herleiten; vgl. hinten V.3.3.2.d). 319 OLG Hamm, Beschluß vom 3.11. 1986, NJW 1987, 1030; vgl. vome IV.2.1.3.3. 320 Zwischenbericht Aktienrecht, 192; Druey, Konzemrecht, 291. 321 Graf, Verträge, 103; Bosmann, Konzemverbundenheit, 42ff, 48; vgl. auch BGE 96 II 18. 322 Vome V.2.3. 323 Vgl. dazu auch ZR 58 Nr. 70.

sehe, aber rechtmäßige Organeigenschaft zugesprochen wird324. Ihr Verhalten kann dann nicht zugleich widerrechtlich sein.

d) Verletzung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)

Da die Einflußnahme Dritter auf das Management juristischer Personen an sich nicht unrechtmäßig ist, sondern bloß zur Anwendung des Organhaftungsrechts fuhrt, kann in der Ausübung eines Einflusses der Muttergesellschaft auf die Verwal­ tung und Geschäftsführung der Tochter per se auch keine Verletzung des UWG ge­ sehen werden325. Der Normalfall einer organisatorisch abgesicherten Unterwer­ fung des Tochterinteresses unter das Konzerninteresse stellt folglich kein wettbe­ werbsrechtliches Delikt dar, es sei denn, damit werde auf unlautere Weise, z.B. mit­ tels systematischen „Ausmelkens“ einer übernommenen Gesellschaft, eine den Konkurs der Tochter herbeiführende Konkurrentenvereitelung bezweckt326.

e) Verletzung von Art. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)

Kehl propagiert die These, wonach sich Art. 2 ZGB als Grundschutznorm im Sinne des Deliktsrechts konzipieren lasse, sodaß letztlich jede treuwidrige bzw. rechtsmißbräuchliche Einwirkung von Mutter- auf Tochtergesellschaften zu De­ liktsansprüchen gegen die Mutter fuhren könne327. Diese Auffassung vermag we­ der aus funktionaler noch aus dogmatischer Warte zu überzeugen. Funktional fällt ins Gewicht, daß dadurch die Grenzen legitimer Eingriffe in Tochtergesellschaften vollends der Einzelfallgerechtigkeit überlassen und damit der Konturlosigkeit preis­ gegeben werden. Mit Art. 2 ZGB als Widerrechtlichkeitsnorm wird denn auch bloß ein Zirkelschluß aktiviert: mißbräuchlich und damit haftungsbegründend ist, was mißbräuchlich ist! Die dadurch bewirkte Rechtsunsicherheit kann aber weder aus der Sicht von Konzernen noch aus der Perspektive von Tochtergläubigern wünschbar sein. Die Meinung Kehls läßt sich zudem auch dogmatisch nicht überzeugend be­ gründen. Die von ihm postulierte Wider rechtlichkeits-Generalklausel ist mit dem Zweck von Art. 2 ZGB kaum zu vereinbaren. Dieser zielt primär auf den Schutz ei­ nes öffentlichen Guts, d.h. von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr328. Tochter­ gesellschaften oder Tochtergläubiger liegen deshalb nicht im originären Schutzbe­ 324 Vome V.2.3.3.1. 325 Falls allerdings illegale Zwangsmittel eingesetzt wurden, könnten nebst gemeinrechtlichen (Drohung, Art. 29 OR) auch UWG-Delikte erfüllt sein, z.B. Unternehmensstörung; vgl. Schlu­ ep, Takeover, 95f.; Kehl, Durchgriff, 51, 80£, scheint aber auch hier extensiver vorgehen zu wollen, freilich ohne überzeugend dafür zu argumentieren. 326 Art. 2 UWG; dies setzt natürlich voraus, daß die übernommene Tochter eine Konkurren­ tin war; Schluep, Takeover, 100. 327 Kehl, Durchgriff, 62ff. 328 Das zeigt sich unter anderem darin, daß das Rechtsmißbrauchsverbot zwingendes Recht darstellt; vgl. Meier-Hayoz, Einleitungsartikel, 142; vgl. auch Kehl, Durchgriff, 62 FN 123.

reich dieses Artikels329. Widerrechtlichkeit setzt aber den Verstoß gegen Normen voraus, die dem Schutz des verletzten Rechtsgutes dienen330. Art. 2 ZGB läßt sich damit nicht als deliktsrechtliche Grundschutznorm für Konzernsachverhalte ein­ setzen331. Das schließt immerhin nicht aus, daß das Gebot von Treu und Glauben in spezifischen Zusammenhängen zur Herleitung oder Konkretisierung einer kon­ zernrelevanten Widerrechtlichkeitsnorm beitragen kann (z.B. culpa in contrahen­ do)332.

2.4.2.3. Weiterführende Ansätze im Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag oder im Bereicherungsrecht?

a) Allgemeines

Literatur und Rechtsprechung befassen sich immer wieder mit der Abgrenzung zwischen Delikt, Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigter Bereiche­ rung333. Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden dabei sowohl im Tatbe­ stands- wie im Rechtsfolgebereich gesucht und festgestellt334. Im Hinblick auf die Haftung von Konzernmuttergesellschaften interessiert in erster Linie, ob die Tatbe­ standsvoraussetzungen des Rechts der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Be­ reicherungsrechts über das Deliktsrecht hinauszuweisen vermögen.

b) Geschäftsführung ohne Auftrag

Verschiedene Autoren haben bereits Erörterungen über die mögliche Haftung von Konzernmuttergesellschaften aus Geschäftsführung ohne Auftrag ange­ stellt335. Nach richtiger Ansicht bietet diese Rechtsfigur für den typischen Kon­ zernsachverhalt aber kaum zusätzliche Chancen. Die Umsetzung von Interessen oder gar Weisungen der Mutter durch die Generalversammlung, die Verwaltung oder die Geschäftsführung der Tochter kommt einer konkludenten Einwilligung der Tochter gleich. Wo Mutterorgane direkt handeln, wird dieses Eingriffsverhal­ ten üblicherweise von der Tochtergesellschaft durch Stillschweigen genehmigt336. Eine Anfechtbarkeit oder gar Nichtigkeit dieser Zustimmung ist nicht leichthin an­ zunehmen, weil Tochterorgane grundsätzlich in unabhängiger Verantwortung handeln und schadenersatzpflichtig werden können. Die Konzernierung ist im 329 Vgl. auch Merz, Kommentar, N 17f. zu Art. 2 ZGB. 330 BGE 82 II 28; vgl. auch von Tuhr/Peter, 415f. 331 So aber Kehl, Durchgriff, 62, 65f. 332 Vgl. hinten V.2.4.3.1.d).; vgl. auch hinten V.2.4.3.2.e). 333 In letzter Zeit z.B. Lischer, Geschäftsführung, 156ff, 186ff; Schluep, Eingriffskondiktio­ nen, 193ff.; Holenstein, Wertersatz, 158ff; Schaufelberger, Bereicherung, lff 334 Z.B. Lischer, Geschäftsführung, 177, 181£, 187, 189f. 335 von Planta, Hauptaktionär, 89ff; Bolt, Protection, 114; Wohlmann, Treuepflicht, 129ff; Tappolet, Schranken, 131; Gehriger, Faktische, 115; Kaufmann, Konzemspitze, 87-88; Kehl, Durchgriff, 89; Zürcher, Gläubigerschutz, 230ff; vgl. auch Flume, Person, 88ff. 336 Vgl. von Planta, Hauptaktionär, 91.

schweizerischen Recht zudem erlaubt. Wo aber die gültige Einwilligung oder nachträgliche Genehmigung des Geschäftsherrn vorliegt, kann das Recht der Ge­ schäftsführung ohne Auftrag nicht mehr greifen337. Es ist vielmehr das Auftrags­ recht anzu wenden338. Dieses wird aber seinerseits verdrängt, wenn Art. 754f. OR zur Anwendung gelangen339. Das ist im Konzernkontext grundsätzlich der Fall340. Selbst wenn in Einzelfällen keine gültige Einwilligung oder Genehmigung der Tochtergesellschaft vorliegen sollte, z.B. weil der Eingriffder Mutter ohne Konsulta­ tion der Tochterorgane erfolgte und von diesen nachträglich explizit zurückgewie­ sen wurde, dürfte der Tatbestand der Geschäftsführung ohne Auftrag meist keine über das Deliktsrecht hinausreichende Haftungskontrolle ermöglichen. Eine echte Geschäftsführung ohne Auftrag341 könnte diesfalls wegen des fehlenden Handelns im Tochterinteresse342 und des mangelnden guten Glaubens343 der Mutter schon gar nicht vorliegen. Auch eine unechte Geschäftsführung ohne Auftrag344 würde den guten Glauben der Mutter voraussetzen345. Einzig die Geschäftsanmaßung ge­ mäß Art. 423 OR346 könnte erfüllt sein. Dieser Tatbestand setzt nach herrschender Lehre aber voraus, daß jemand in eigennütziger Weise ein fremdes subjektives Recht widerrechtlich ausübte bzw. sich widerrechtlich in subjektiv-rechtlich ge­ schützte Fremdinteressen einmischte347. Damit baut aber auch Art. 423 OR auf der Widerrechtlichkeit auf348. Die Geschäftsanmaßung kann folglich wie das Delikts­ recht für den Konzernkontext nur von sehr beschränkter Bedeutung sein349. Daß Art. 423 OR nach richtiger Auffassung wohl kein Verschulden voraussetzt350 und die vorgesehene Rechtsfolge der Herausgabe aller Vorteile an den Geschäftsherrn die Schadenskonzeption des Deliktsrechts evtl, übersteigt351, ändert an der limitier­ ten Verwertbarkeit der Geschäftsführung ohne Auftrag im Konzernbereich wenig.

c) Bereicherungsrecht

Die bundesgerichtliche Praxis zur Frage der Subsidiarität des Bereicherungs­ rechts ist uneinheitlich352. Zumindest ein Teil der Lehre geht aber davon aus, daß 337 Art. 419 OR. 338 Art. 424 OR. 339 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 187f. 340 Vgl. vome V.2.3. 341 Lischer, Geschäftsführung, 53 ff. 342 Ebd., 53. 343 Ebd., 62. 344 Darunter wird hier die nichtgebotene (altruistische) Geschäftsführung ohne Auftrag und die gut­ gläubige Geschiftseinmischung im Sinne Lischers, a.a.O., 14ff, verstanden. 345 Ebd., 65, 69f. 346 Ebd., 16. 347 Schluep, Eingriffskondiktionen, 194f. mit Hinweisen; Lischer, Geschäftsführung, 73f. 348 Schluep, a.a.O., 194; Holenstein, Wertersatz, 161 ff, 188. 349 Vome V.2.4.2.2.C). 350 BGE 97 II 177£; vgl. Holenstein, Wertersatz, 168ff. 351 Lischer, Geschäftsführung, 187 ff. 352 Vgl. dazu Schluep, Eingriffskondiktionen, 185.

zwischen Deliktsrecht (Art. 41 ff. OR), dem Anspruch aus Geschäftsanmaßung (Art. 423 OR) und dem Bereicherungsrecht (Art. 62ff. OR) alternative Konkur­ renz besteht353. Somit fragt sich, ob evtl, das Bereicherungsrecht im Konzernkon­ text über die als beschränkt konstatierte Bedeutung des Deliktsrechts und des Rechts zur Geschäftsführung ohne Auftrag hinauszuweisen vermag354. Insbesonde­ re die Eingriffskondiktion scheint auf den ersten Blick einen möglichen Ansatz­ punkt für eine funktional sinnvolle Steuerung von Konzernmutterverhalten abzu­ geben, da sie ohne das Erfordernis einer Vermögensverschiebung bzw. Entreicherung auskommt355. Anders als das Deliktsrecht und vergleichbar der Geschäftsfüh­ rung ohne Auftrag zielt die Eingriffskondiktion nicht auf Schuldausgleich. Sie ist vielmehr als Instrument zur Korrektur einer objektiven Unrechtslage konzi­ piert356. Dabei ist umstritten, ob sie einen widerrechtlichen Eingriff in die Sphäre eines anderen (Widerrechtlichkeitstheorie)357 oder eine Usurpation des Zuwei­ sungsgehalts von subjektiven Rechten einer anderen Person voraussetzt (Zuwei­ sungstheorie)358. Das typische Eingriffsverhalten von Konzernmuttergesellschaf­ ten würde jedoch in beiden Fällen nur beschränkt erfaßt werden können. Bei An­ wendung der Widerrechtlichkeitstheorie wäre vor allem der Widerrechtlichkeits­ begriff ein dogmatisches Hindernis359, bei Anwendung der Zuweisungstheorie das Erfordernis des nichtbewilligten Eingriffs in subjektive Rechte. Aus funktionaler Sicht könnte zwar grundsätzlich das gesamte Tochtervermögen (einschließlich der Gewinnpotentiale) als schützenswerte Rechtsposition im Sinne beider Theorien aufgefaßt werden360. Eingriffe ins Tochtervermögen könnten freilich auch diesfalls nur zu einem Anspruch der Tochter führen, falls sie nicht gültig akzeptiert wur­ den361. Ein solches Akzept dürfte aber in Konzernsachverhalten meist vorliegen362. Die Verwendbarkeit der Eingriffskondiktion im Konzernbereich muß somit aus ähnlichen Gründen scheitern wie die Geschäftsanmaßung363. Eine alternative Auffassung, welche das Bereicherungsrecht als Mittel zur einzel­ fallbezogenen Umverteilung von Gerechtigkeitsdefiziten sehen möchte (bewegli­

353 Lischer, Geschäftsführung, 182, 187; vgl. auch Schmid, Geschäftsführung, 402ff, 41 lff; mit zahlreichen Hinweisen auch Schluep, a.a.O., 185f. 354 Diese Möglichkeit in Betracht ziehend offenbar auch Kehl, Durchgriff, 89; vgl. auch Hand­ schin, Konzern, 309£; Zürcher, Gläubigerschutz, 229f. 355 Lischer, a.a.O., 160ff; Schluep, a.a.O., 181 ff; vgl. auch Holenstein, Wertersatz, 4ff. 356 Schluep, a.a.O., 193. 357 Schaufelberger, Bereicherung, 214ff. 358 Holenstein, Wertersatz, 76ff; zum Problem des Erfordernisses der „Ungerechtfertigtheit“ auch Lischer, Geschäftsführung, 175f., und Schluep, Eingriftskondiktionen, 199f. 359 Vgl. vome V.2.4.2.2.C). 360 Schluep, a.a.O., 199; eine restriktivere, klassische Unterteilung subjektiver Rechte be­ nutzt Holenstein, a.a.O., 76ff, 1 lOff. 361 Schluep, a.a.O., 199£; Lischer, Geschäftsführung, 175ff. 362 Vgl. vome V.2.4.2.3.b). 363 Lischer, a.a.O., 177.

ches Bereicherungsrecht)364, stößt auf grundsätzliche dogmatische Bedenken365 und eignet sich nicht für den Konzerntatbestand. Dieser verlangt aus Gründen der Voraussehbarkeit konzernspezifische und generell-abstrakte Regeln366. Zudem paßt auch Art. 63 Abs. 1 OR nicht ins Konzernrecht, weil er die Rückforderung freiwilliger Leistungen der Tochter ausschließt, falls nicht nachgewiesen werden kann, daß diese sich über ihre Schuldpflicht im Irrtum befand. Schwierigkeiten ähnlicher Art könnten sich endlich aus Art. 64 OR ergeben. Damit taugt das Berei­ cherungsrecht generell nicht für eine funktional optimale Ausgestaltung des schweizerischen Konzernhaftungsrechts.

2.4.3. Drittpersonenhaftung gegenüber den Tochtergläubigern

2.4.3.1. Vertragsrechtliche Haftungsmöglichkeiten a) Allgemeines Die von verschiedenen Autoren367 betonte Möglichkeit der direkten vertragli­ chen Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Tochtergläubigern gehört ebenfalls zum konzernaußenrechtlichen Haftungsinstrumentarium. Sie stellt aller­ dings keinen homogenen, flächendeckenden Rechtskomplex dar. Ihr konzernhaf­ tungsrechtliches Potential ist somit bloß (aber immerhin) selektiv und partiell.

b) Die Konzernmutter als Vertragspartei In Konzernverhältnissen ist es möglich, daß Organe und Vertreter verschiede­ ner Konzerngesellschaften an größeren Vertragsabschlüssen gemeinsam mitwir­ ken. Mitwirkende Personen sind zudem häufig Organe bzw. Vertreter verschiede­ ner Konzerngesellschaften. Dadurch kann sich das Problem der Bestimmung der richtigen Vertragspartei stellen368. Diese Frage ist (wie konzernhaftungsrechtlich relevante Fragen des Vertragsinhalts: z.B. Zurechnung von Verhaltensweisen ande­ rer Konzerngesellschaften, Konzernverrechnungsklauseln)369 nach den allgemei­ nen Grundsätzen des Vertrauensprinzips zu entscheiden. In diesem Rahmen kann sich z.B. eine dem französischen Arbeitsrecht entsprechende370 Ausweitung des Ar­ 364 Kaufmann-Bütschli, Bereicherung, 86ff., 233 ff.; dazu auch Schluep, Eingriffskondiktio­ nen, 192f. 365 Auslegung und Lückenfüllung haben auch im Bereich von Generalklauseln in erster Linie die Bildung generell-abstrakter Rechtsregeln anzustreben und nicht eine auf Art. 4 ZGB basieren­ de Einzelfallgerechtigkeit; vgl. Meier-Hayoz, Einleitungsartikel, 7lff. 366 Vgl. vome III.3.3.2. 367 Rehbinder, Konzemaußenrecht, 131 ff; Druey, Konzemrecht, 323, 375ff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 85ff, 181 ff; Caflisch, Grenzen, 261 f.; Albers, Haftungsverhältnisse, 181 f.; von Planta A., Hauptaktionär, lOOff; Bolt, Protection, 123ff; Tobler, Haftungsverhältnis­ se, 58ff; von Steiger, Holdinggesellschaften, 305 a ff. 368 Dazu vor allem Bosmann, Konzemverbundenheit, 85ff. 369 Ebd., 104ff, 146ff. (Konzemverrechnung). 370 Vgl. vome IV.2.2.4.

beitgeberbegriffs ergeben. Dies etwa dann, wenn ein Arbeitnehmer beim Ab­ schluß eines Arbeitsvertrags nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, die mit ihm abschließende Personalabteilung vertrete sowohl die Tochter- wie die Muttergesellschaft371. Eine Bindung der Muttergesellschaft als Vertragspartei kann aufgrund des Vertrauensprinzips auch dann resultieren, wenn gegenüber Vertrags­ partnern der Tochter mit ihrem Firmennamen operiert und selbst beim Vertrags­ schluß eine klare Abgrenzung zwischen Tochter und Mutter nicht vorgenommen wurde372. 373 Diese auf dem Boden des allgemeinen Zivilrechts verbleibende Konzeption er­ hält wiederum eine spezifisch konzernhaftungsrechtliche Komponente in der Dis­ kussion um die vertraglichen Auswirkungen des sogenannten Konzernvertrauens 373. Mit Bosmann374 ist aber grundsätzlich davon auszugehen, daß ein vertraglicher Schutz des Konzernvertrauens über das Vertrauensprinzip hinaus für das schweize­ rische Recht weder sinnvoll noch zulässig wäre. Soweit sich nämlich Vertragspart­ ner eines Konzerns zu Recht auf Konzerntatsachen verlassen, sind sie durch das fle­ xible Vertrauensprinzip bereits geschützt. Schützt sie umgekehrt das Vertrauens­ prinzip nicht, muß dies bedeuten, daß eine vertragsrechtliche Schutzwürdigkeit nicht vorliegt. Deliktsrechtliche Ansprüche oder Ansprüche im Rahmen der culpa in contrahendo sind damit allerdings nicht ausgeschlossen375. Die vertragsrechtlichen Auswirkungen von Rechtsscheinstatbeständen sind eben­ falls ausschließlich nach Vertrauensprinzip zu prüfen376. Typisches Beispiel sind An­ scheinsvollmachten, etwa wenn Tochtervertreter den Eindruck erwecken, auch für die Mutter zu zeichnen. Ein anderes Beispiel ist das Auftreten des Konzerns mit einer Firma377. Das Vertrauensprinzip muß auch in diesem Fall als Garant eines adä­ quaten vertraglichen Gläubigerschutzes genügen. Wo die Konzernmutter als Vertragspartei zu qualifizieren ist, hat sie für das Ver­ halten ihrer Tochtergesellschaft gegenüber Vertragspartnern unter Umständen nach Art. 101 OR einzustehen.378

371 Vgl. Knapp, in Lalive/Vischer, 155ff. 372 Vgl. auch Zürcher, Gläubigerschutz, 246ff.; Handschin, Konzern, 222ff.; Caflisch, Gren­ zen, 26 lf. 373 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 31 lff., 321 ff; Altenburger, Patronatserklärung, 96ff, lllff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 187f; von Planta A., Hauptaktionär, 106ff. 374 Bosmann, Konzemverbundenheit, 189f. 375 Hinten V.2.4.3.1.d) und 2.4.3.2.e); vgl. auch von Planta A., Hauptaktionär, 106-108; vgl. dazu nun auch den Swissair-Entscheid des Bundesgerichts: BGE 120 II 33 lff. 376 Bosmann, Konzemverbundenheit, 191; von Planta A., Hauptaktionär, 103f; Bolt, Protec­ tion, 128ff; vgl. auch Rehbinder, Konzemaußenrecht, 31 lff. 377 Vgl. zu entsprechenden Figuren im US-Recht; vome IV.2.4. 378 Bosmann, Konzemverbundenheit, 142f.; Handschin, Konzern, 270ff; Zürcher, Gläubi­ gerschutz, 216f.

c) Patronatserklärungen/Bürgschaften/ Garantien

Kredite Dritter an Tochtergesellschaften können durch Bürgschaften, Garan­ tien oder Patronatserklärungen der Konzernmutter bzw. anderer Konzerngesell­ schaften abgesichert werden379. Die mit solchen Zusagen verbundenen Rechtsfra­ gen liegen im Prinzip auf allgemein-zivilrechtlicher Ebene. Sie setzen eine gültige Vereinbarung zwischen Konzernmutter und Tochtergläubigern voraus380. 381 Konzernspezifische Probleme wirft allenfalls die Patronatserklärung auf581. Schnyder382 vertritt z.B. die Auffassung, daß selbst die fehlende vertragsrechtliche Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit einer Patronatserklärung zu einer Mithaf­ tung der Obergesellschaft aus Konzernvertrauen fuhren könne. Erforderlich sei ein mittels Patronatserklärung geschaffener Vertrauenstatbestand sowie der Nach­ weis eines Schadens auf Grund der abgegebenen Erklärung383. Für eine derart kon­ zipierte vertragliche Haftung der Konzernmutter besteht meines Erachtens aber auch im Zusammenhang mit Patronatserklärungen kein Raum384. Dies vor allem wegen der abschließenden Natur des Vertrauensprinzips im Bereich des Vertrags­ rechts385. Ein Konzernvertrauensschutz im Zusammenhang mit Patronatserklärun­ gen müßte folglich über das Deliktsrecht oder (zumindest analog) über die culpa in contrahendo begründet werden386. 387

d) Haftung aus culpa in contrahendo Im Zusammenhang mit vertraglichen Tochterschulden kann sich endlich die Frage einer (Mit-) Haftung der Muttergesellschaft aus culpa in contrahendo (c.i.c.)387 stellen. Die rechtliche Einordnung dieser Haftungsfigur ist umstritten. Das Bundesgericht knüpft sie verschieden an388. Haftungsbegründend ist die Ver­

379 Schneider, Patronatserklärungen, 619ff.; Albers, Haftungsverhältnisse, 181 f. 380 Vgl. Altenburger, Patronatserklärungen, 4f.; in diesem Zusammenhang kann sich dann auch die Frage des Einstehenmüssens der Mutter für Tochterverhalten gemäß Art. 101 OR stel­ len: Siegwart, Kommentar, N 199 Vorbemerkungen zu Art. 620ff. OR; Bolt, Protection, 105f.; Bosmann, Konzemverbundenheit, 142£; Uttendoppler, Konzeminteresse, 125; von Planta A., Hauptaktionär, 138. 381 Zu Fragen im Zusammenhang mit Patronatserklärungen; vgl. Altenburger, Patronatserklä­ rungen, 14f.; Schnyder, Patronatserklärungen, 57 ff.; Schneider, Patronatserklärungen, 619ff.; Müllhaupt, Patronatserklärung, 109-115; Mosimann, Patronatserklärung, 419-428; vgl. auch Bosmann, Konzemverbundenheit, 181 ff; Bolt, Protection, 126ff; von Planta A., Hauptaktio­ när, 109 ff. 382 Schnyder, Patronatserklärungen, 64ff; vgl. auch Rehbinder, 323. 383 Schnyder, Patronatserklärungen, 65. 384 Vgl. auch von Planta A., Hauptaktionär, 106-108. 385 Vome V.2.4.3.1.b). 386 Hinten d) und V.2.4.3.2; vgl. dazu nun BGE 120 II 334ff. 387 Von Tuhr/Peter, 192f; Gonzenbach, c.i.c., passim. 388 Für die Hilfspersonenhaftung z.B. an Art. 101 OR, für die Verjährung aber an Art. 60 OR; vgl. Gonzenbach, c.i.c., 25; für eine vertragsrechtliche Behandlung: von Tuhr/Peter, 193.

letzung einer Vertragsverhandlungspflicht389. Dazu gehören Aufklärungspflichten, die Verpflichtung zu ernsthaftem Verhandeln oder die Pflicht, Ratschläge sorgfäl­ tig zu erteilen und keine unmögliche Leistung zu versprechen390. Im Konzernhaftungsbereich kann die c.i.c. dann Bedeutung erlangen, wenn die Konzernmuttergesellschaft bei Vertragsverhandlungen eine aktive oder zumindest begleitende Rolle spielte391. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mutter für sich selbst oder bloß als Vertreterin bzw. Hilfsperson der Tochter an den Verhandlun­ gen partizipierte392. Eine Haftung der nicht als künftige Vertragspartnerin auftre­ tenden Mutter muß insbesondere dann in Frage kommen, wenn diese von der an­ deren Vertragspartei bewußt als Verhandlungsbeteiligte akzeptiert wurde. Die Mut­ ter schaffte damit eine direkte Vertrauensbeziehung zum künftigen Tochtergläubi­ ger und wird deshalb zu Recht den Regeln der c.i.c. unterworfen393. Hält sich die Konzernmutter dagegen völlig im Hintergrund, kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo grundsätzlich nicht in Frage, da es an einer Garantenstellung der pas­ siv bleibenden Konzernmutter fehlt394. Eine Konzernmutterhaftung aus c.i.c. ist auch dann zu prüfen, wenn die Mutter­ gesellschaft einen künftigen Tochtergläubiger bezüglich der Tochtergesellschaft ir­ reführte oder in falschem Glauben beließ395. Die Abgrenzung der Aufklärungs­ pflichten im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen ist zwar vom Einzelfall abhängig396. Die falsche Aufklärung über die prekäre Finanzsituation einer über­ schuldeten Tochtergesellschaft oder die bereits gefaßte Absicht der Konzernlei­ tung, alle künftigen Gewinne der Tochter ohne Kompensation abzuziehen, müß­ ten für die Begründung einer Haftung aus culpa in contrahendo aber grundsätz­ lich ausreichen397. Auch eine vertraglich nicht bindende Patronatserklärung könn­ te zu einer c.i.c.-Haftung fuhren, falls die Tochtergläubiger z.B. davon abgehalten

389 Gonzenbach, c.i.c., 92. 390 Ebd., 93f. 391 Vgl. Bolt, Protection, 123f.; Bosmann, Konzemverbundenheit, 187, 19ff.; von Planta A., Hauptaktionär, lOOff.; Kehl, Durchgriff, 67ff; Handschin, Konzern, 304.; Zürcher, Gläubiger­ schutz, 228f; vgl. auch Tobler, Haftungsverhältnisse, 60ff. 392 Vgl. von Planta A., Hauptaktionär, 101-102; einschränkend zur Haftung Dritter aus c.i.c.: Gonzenbach, c.i.c., 169ff. 393 Von Planta, A., Hauptaktionär, 102-103. 394 Vgl. Rehbinder, Konzemaußenrecht, 340ff; für trotzdem abgegebene Auskünfte haftet die Konzernmutter nach allgemeinen Regeln der Auskunftserteilung; a.a.O., 341; Oftinger/ Stark, 42ff; Kehl, Durchgriff, 98, möchte die Muttergesellschaft immerhin einer Abmahnungs­ pflicht unterwerfen, falls die Tochter ihre Weisungen befolgte. 395 Rehbinder, Konzemaußenrecht, 335ff; Bosmann, Konzemverbundenheit, 192-193; von Planta A., Hauptaktionär, 102; Handschin, Konzern, 232ff; vgl. dazu nun insbesondere BGE 120 II 335ff. (Swissair). 396 BGE 105 II 80, 106 II 41 f; dazu Gonzenbach, c.i.c., 103ff 397 Bosmann, Konzemverbundenheit, 192-193; vgl. jedoch den Aufruf zur Zurückhaltung bei der Formulierung von Nebenpflichten im Konzemrecht bei Bär, Rechtsprechung, 236.

werden sollten, nähere Abklärungen über den finanziellen Gesundheitszustand der Tochtergesellschaft vorzunehmen398.

e) Vertragsumgehung Beruft sich eine Muttergesellschaft auf die Haftungstrennung im Verhältnis zu ihrer Tochter, so kann darin keine Umgehung von (nicht erfüllten) Verträgen zwi­ schen Tochtergläubigern und der Tochtergesellschaft gesehen werden399. Anders verhält es sich nur, wenn die Muttergesellschaft davor klare gegenteilige Erklärun­ gen abgegeben hatte. Dann könnte ihr Verhalten ein rechtsmißbräuchliches venire contra factum proprium darstellen400. Infolge der Begründung einer solchen Mutter­ haftung aus dem (subsidiären) Rechtsmißbrauchsverbot wären die Anforderungen aber hoch anzusetzen. Anfängliche Sanierungshilfen an die Konzerntochter oder die Passivität der Muttergesellschaft angesichts des finanziellen Zerfalls ihrer Toch­ ter würden allein noch nicht ausreichen, wenn nicht zugleich das offensichtliche Verleiten von Gläubigern zur Erbringung weiterer Leistungen an die Tochter nach­ gewiesen werden könnte401.

f) Vertragsrechtlicher Arbeitnehmerschutz Spezielle konzernhaftungsrechtliche Konzessionen an vertragliche Arbeitneh­ mergläubiger könnten aus funktionaler Sicht durchaus vertreten werden402. Sie hät­ ten den Zweck, die typischen Informations- und rechtsprozessualen Benachteili­ gungen dieser Gläubigergruppe bezüglich der Haftungsbeschränkung von Toch­ tergesellschaften zu korrigieren403. Das französische Arbeitsrecht404 405 und die ameri­ kanisch-rechtliche assumption of duty-Rechtsprechung405 weisen Ansätze in dieser Richtung auf. Das brasilianische Arbeitsrecht ordnet gar generell die gesamtschuld­ nerische Haftung aller Konzerngesellschaften für die Forderungen der Arbeitneh­ mer eines Konzerns an406. Im schweizerischen Recht fehlen aber Grundlagen für eine privilegierte konzernhaftungsrechtliche Behandlung von Arbeitnehmern. Das allgemeine Zivilrecht läßt immerhin Raum für eine begrenzte Korrektur der 398 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 330 ff; Schnyder, Patronatserklärungen, 64. 399 Zur Vertragsumgehung vgl. Riemer, Vertragsumgehungen, 357ff.; Caflisch, Grenzen, 262; Tobler, Haftungsverhältnisse, 58; von Steiger, Holdinggesellschaften, 307a. 400 Zum venire contra factum proprium, vgl. von Planta A., Hauptaktionär, 104ff. 401 Verantwortlichkeits- oder deliktische Ansprüche gegen die Mutter sind damit aber nicht ausgeschlossen; vgl. vome V.2.3.; vgl. dazu auch die österreichische Eumig-Entscheidung, vome IV.2.7. 402 Vome III.3.5. 403 Vgl. dazu Windbichler, Arbeitsrecht, 29ff.; zu arbeitsrechtlichen Fragen im Konzern, vgl. auch Knapp, in Lalive/Vischer, 147ff; Dalleves, Problemes, 615ff; Bosmann, Konzemverbun­ denheit, 199 ff 404 Vome IV.2.2.4. 405 Vome IV.2.4.3.3. 406 Vome IV.2.11.

Schutzdefizite dieser Gläubigergruppe. Hinzuweisen ist insbesondere auf die Mög­ lichkeiten bei der Identifikation des Vertragspartners im Zusammenhang mit dem Abschluß des Arbeitsvertrags407. Spätere Einmischungen der Konzernleitung in das Arbeitsverhältnis einzelner Tochter-Arbeitnehmer sind zudem nach Vertrau­ ensprinzip evtl, als Vertragsübernahme oder Vertragsbeitritt auszulegen408. Eingrif­ fe von Muttergesellschaften in Tochterangelegenheiten können sich überdies so­ gar als widerrechtliche Eingriffe in TochterarbeitsVerträge entpuppen (z.B. das „Ausmelken“ der Tochter, um deren Betrieb zu schließen und Arbeitnehmerforde­ rungen ungedeckt zu belassen)409.

2.4.3.2. Deliktsrechtliche Haftungsmöglichkeiten a) Allgemeines Das vertragsrechtliche Instrumentarium zur Kontrolle des Drittpersonenhan­ delns von Konzernmuttergesellschaften kann nur vertraglichen Gläubigern zugute kommen. Dagegen setzt die deliktische Verantwortung der Konzernmutter selb­ ständig beim Handeln der Mutter bzw. ihrer Organe und Hilfspersonen an. Sie be­ achtet im Prinzip nicht, ob es sich bei den Geschädigten um Vertragspartner der Tochter handelt. Eine gültige vertragliche Beziehung zwischen dem Geschädigten und der Konzerntochter ist nur erforderlich, wenn die Konzernmutter deliktisch für Eingriffe in Verträge Dritter haftbar gemacht werden soll. b) Widerrechtliches Handeln gemäß Art. 41 des Schweizerischen Obligationen­ rechts (OR) Die Konzernmutter kann, wie gezeigt, gegenüber der Tochtergesellschaft aus Art. 41 ff. OR haftbar werden410. Soweit dabei Rechtsvorschriften verletzt wur­ den, welche zusätzlich dem Schutze der Tochtergläubiger dienen411, wie das z.B. für strafrechtliche Konkursdelikte, Veruntreuung oder ungetreue Geschäftsfüh­ rung gilt412, ist auch im Verhältnis zu den Tochtergläubigern die erforderliche Wi­ derrechtlichkeit erfüllt413. Aus bereits dargelegten Gründen kann jedoch in der 407 Vome V.2.4.3.1.b). 408 Windbichler, Arbeitsrecht, 123-125. 409 Hinten V.2.4.3.2.c). 410 Vome V.2.4.2.2. 411 Dazu von Tuhr/Peter, 415-416. 412 Freilich kann die Muttergesellschaft für solche Delikte grundsätzlich nicht selbst strafbar ge­ macht werden (vgl. BGE 100 IV 38); sie haftet aber evtl, zivilrechtlich über ihre Organe. Zu den Problemen der Zuordnung von (strafrechtlicher) Verantwortung in modernen Großkonzemen: vgl. BGE 96 IV 155 (Bührle); 109 IV 112; Krauß, Täterschaft, 40ff; Schmid, Aspekte, 156ff; Vest, Garantenpflicht, 288f.; Böckli, Garantenhaftung, 73ff.; Schmid, Wirtschaftsdelikte, 101 ff.; Schubarth, Geschäftsherr, 370ff; Hinderling/ Goepfert, 57ff; Bucher, Durchgriffslehre, 165 ff. 413 Auch Anstiftung (Art. 50 Abs. 1 OR; vgl. von Planta A., Hauptaktionär, 137-138) und Ge­ hilfenschaft (Art. 50 Abs. 1 OR; vgl. von Tuhr/Peter, 465) kommen in Frage; vgl. dazu auch Handschin, Konzern, 299ff.

Konzernierung an sich keine widerrechtliche Gefahrsetzung gesehen werden414. Selbst besonders intensive Konzernierungsformen erfüllen den Widerrechtlich­ keitstest nicht415. Auch Art. 2 ZGB taugt nicht als Widerrechtlichkeits-Generalklausel zum Schutz von Tochtergläubigern416. Spezifische Möglichkeiten einer deliktischen Konzernmutterhaftung liegen da­ gegen im Produktehaftpflichtbereich. Blumberg417 418 hat dargetan, daß das Produkte­ haftpflichtrecht die Konzernhaftungsproblematik in den USA teilweise überholt hat. Auch im EU-Produktehaftpflichtrecht bzw. in dem diesem nachgebildeten neuen schweizerischen PrHG418 wird ein Herstellerbegriff verwendet419, der Kon­ zernmuttergesellschaften selbst dann erfassen kann, wenn die Herstellungsfunktio­ nen hauptsächlich bei der Tochter lagen420. Das Anbringen von Konzernzeichen auf dem fehlerhaften Produkt könnte zudem evtl, gar eine spezifische Produktehaf­ tung aus Konzernvertrauen auslösen421. Auch das stark von der Gerichtspraxis422 geprägte, auf dem OR basierende423 schweizerische Produktehaftpflichtrecht scheint für die Begründung einer direk­ ten Produkteverantwortung von Konzernmuttergesellschaften offen zu sein424. Aus funktionaler Sicht wäre eine Mutterhaftung für Produkteschäden im Prinzip gerechtfertigt, wenn dabei auf die relativen Kontrollkosten- und Diversifikations­ vorteile der Konzernmutter abgestellt würde425.

c) Eingriffe in Forderungen Dritter

Das allgemeine Zivilrecht hat eine deliktische Haftungskategorie für Eingriffe in Forderungsrechte Dritter entwickelt426. Art. 4 UWG nennt zudem die Verlei­ tung zum Vertragsbruch als beispielhaften Tatbestand unlauteren Wettbewerbsver­ haltens. Es fragt sich deshalb, ob Verhaltensweisen von Muttergesellschaften eine haftungsbegründende Vereitelung der Forderungsrechte427 von Tochtergläubigern 414 Vome V.2.4.2.2.c). 415 Ebd. 416 Vgl. vome V.2.4.2.2.e). 417 Blumberg III, xli f. 418 Vome IV.2.3. 419 Art. 3 EU-Produktehaftpflichtrichtlinie bzw. Art. 2 PrHG. 420 Hommelhoff, Produktehaftung, 764; eher einschränkend wohl Heß, Kommentar, 151 ff. 421 Art. 3 (1) EU-Produktehaftpflichtrichtlinie; Art. 2 Abs. 1 lit. b. PrHG (vgl. dazu Heß, Kom­ mentar, 167 ff). 422 BGE 110 II 456 (Schachtrahmenfall); 64 II 258; 49 I 473; Nater, Produktehaftpflicht, 391. 423 Dieses gilt auch nach Inkrafttreten des PrHG weiterhin alternativ; Heß, Kommentar, 328f. 424 Vgl. Bosmann, Konzemverbundenheit, 139ff, der von einer möglichen „Modifikation der Pflichtenlage“ im Konzern spricht; vgl. auch Fellmann, Produzentenhaftung, 277ff. 425 Vome III.3.5. 426 Vgl. Zulliger, Eingriffe, passim; Schluep, Verleitung, 261 ff. 427 Denkbar sind im Prinzip aber auch Eingriffe in deliktische Forderungsrechte Dritter; zu den Eingriffstatbeständen, vgl. Zulliger, Eingriffe, 9ff.

darstellen können428. Dies z.B. dann, wenn über Transfergeschäfte oder verdeckte Gewinnausschüttungen die Erfüllung von Verträgen mit Tochtergläubigern ver­ hindert wurde429. Der Anwendungsbereich der Haftung für Eingriffe in Forderungsrechte Dritter ist im Konzernkontext jedoch beschränkt. Eine Haftung gemäß Art. 41 Abs. 1 OR kann nur begründet werden, wenn dabei spezifische gesetzliche Normen zum Schutz dieser Drittpersonen verletzt wurden430. Die Verfolgung konzernweiter Optimierungsziele verstößt im schweizerischen Recht per se aber gegen keinen Tatbestand zum Schutz von Tochtergläubigern431. Wo anderseits widerrechtliche Eingriffe von Muttergesellschaften in Tochterangelegenheiten vorliegen (z.B. im Falle von Veruntreuungen oder Konkursdelikten), ergibt sich eine Direkthaftung der Mutter gegenüber den Tochtergläubigern auch ohne Rekurs auf die Konstruk­ tion des Forderungseingrifis432. Desgleichen taugt Art. 41 Abs. 2 OR nicht für eine erweiterte Anwendung im Konzernbereich. Die Verleitung zum Vertragsbruch kann zwar ausnahmsweise als Verstoß gegen die guten Sitten taxiert werden und aufgrund von Art. 41 Abs. 2 OR zu Schadenersatz führen. Der Tatbestand setzt aber Absicht voraus433. Zudem erfordert die Sittenwidrigkeit besondere Merkmale, welche z.B. dann erfüllt sein können, wenn der Schädiger aus reiner Schädigungsabsicht und ohne legitimes Ei­ geninteresse handelte434. Die im Rahmen der Konzerngeschäftsführung vorkom­ menden Eingriffe von Muttergesellschaften sind deshalb im Verhältnis zu den Tochtergläubigern grundsätzlich nicht sittenwidrig. Dies gilt zumal dann, wenn sie von der Tochtergesellschaft gültig akzeptiert wurden. Immerhin wäre aber vor­ stellbar, in Situationen wie sie dem Badger-435 oder dem Firestone-Faß436 437 zugrunde lagen, sittenwidrige Eingriffe in die Verträge von Tochterarbeitnehmern zu sehen, wenn durch strategisches „Ausmelken“ der Tochter oder durch treuwidriges Schließen der Tochterbetriebe Ansprüche von Tochterarbeitnehmern eventualvor­ sätzlich vereitelt wurden. Für eine umfassende Konstruktion in der Art der ameri­ kanischen assumption of duty-Rechtsprechung437 oder der französischen Arbeits­ rechtsprechung438 bietet Art. 41 Abs. 2 OR aber kaum die nötige Grundlage. Auch das Anwendungspotential von Art. 4 und Art. 2 UWG dürfte im Konzern­ bereich auf spezifische Fälle limitiert sein. Obwohl das neue UWG kein direktes 428 Blumberg III, 300-305; Rehbinder, Konzernaußenrecht, 343f., 348ff; Zulliger, Eingrif­ fe, 32. 429 Zulliger, Eingriffe, 31f. 430 Zulliger, Eingriffe, 154, 155ff; Schluep, Verleitung, 282ff, tritt für eine ungeschriebene Widerrechtlichkeitsnorm ein. 431 Vome V.2.4.3.2.b). 432 Ebd. 433 Schluep, Verleitung, 273. 434 Zulliger, Eingriffe, 163; Schluep, Verleitung, 272. 435 Vome 1.4.6. 436 Vome 1.4.7. 437 Vome IV.2.4.3.3. 438 Vome IV.2.2.4.

Konkurrenzverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem mehr verlangt439, setzt das Erfordernis der Unlauterkeit voraus, daß die Verleitung zum Vertrags­ bruch aus Wettbewerbsmotiven erfolgte440. Nicht jede Verleitung bzw. Ausnüt­ zung eines Vertragsbruchs Dritter ist damit unlauter441. Es müssen vielmehr beson­ dere Umstände gegeben sein442. Eine Verletzung von Art. 4 UWG könnte deshalb nur vorliegen, wenn die Konzernmutter ihre Tochter zum Vertragsbruch anhielt, um selbst mit ihr einen Vertrag zu schließen bzw. sie mit einer andern Konzernge­ sellschaft kontrahieren zu lassen443. Art. 2 UWG schließlich kann nur als verletzt gelten, falls das Handeln der Mutter besonders gravierend war, z.B. weil sie ihre Tochter aus Täuschungs- oder Schädigungsabsicht zum Vertragsbruch verleitete, um sie mit einem anderen Wettbewerber abschließen zu lassen444.

d) Geschäftsherrenhaftung gemäß Art. 55 des Schweizerischen Obligationen­ rechts (OR) Eine Geschäftsherrenhaftung der Muttergesellschaft gegenüber Tochtergläubi­ gern aufgrund von Art. 55 OR kommt vorerst dann in Frage, wenn natürliche Per­ sonen, welche bei der Muttergesellschaft keine Organstellung innehatten, für die­ se (in einem Subordinationsverhältnis445) bei der Tochtergesellschaft tätig wa­ ren446. Gläubigerschädigende Verhaltensweisen solcher Personen können zur Mut­ terhaftung fuhren, wenn sie mit der Tätigkeit für die Mutter in einem funktionel­ len Zusammenhang standen447 und die Mutter sich nicht endasten kann448. Die Ge­ schäftsherrenhaftung stellt damit eine komplementäre Variante zur Haftung der Konzernmutter für Doppelorgane gemäß Art. 55 ZGB (Art. 722 OR) dar449. Auch eine direkte Geschäftsherrenhaftung von Konzernmuttergesellschaften wäre aus funktionaler Sicht, insbesondere zum Schutz außervertraglicher Tochter­ gläubiger, grundsätzlich zu befürworten450. Während diese Konstruktion in den USA bisher kaum diskutiert wurde451, vertritt in Deutschland namentlich Rehbin­ der die Auffassung, § 831 BGB könne unmittelbar auf das Verhältnis zwischen Kon­

439 Botschaft UWG, 1060, 1074f. 440 Schluep, Verleitung, 255, 258f. 441 BGE 114 II 99; Schluep, a.a.O., 250, 252f. 442 BGE 114 II lOOf. 443 Schluep, a.a.O., 260. 444 Ebd., 266f.; BGE 114 II 101, 103. 445 Z.B. über einen Arbeitsvertrag; vgl. Albers, Haftungsverhältnisse, 165f; Brehm, Kommen­ tar, N 7ff. zu Art. 55 OR; vgl. auch Weber-Häusermann, Hilfspersonen, 57f. 446 Albers, Haftungsverhältnisse, 164ff.; von Planta, A., Hauptaktionär, 70ff; Zürcher, Gläu­ bigerschutz, 223 ff. 447 Oftinger/Stark, 317ff. 448 Ebd., 324ff. 449 Vome V.2.3.5.2.; Albers, Haftungsverhältnisse, 164ff, und Oftinger/Stark, 273ff. 450 Vome III.3.4.4. 451 Vome IV.2.4.2.1.c); vgl. auch Rehbinder, Konzemaußenrecht, 512ff.

zerngesellschaften zur Anwendung kommen452. Eine Geschäftsherrenhaftung setzt nach Rehbinder voraus, daß Delikte der Untergesellschaf „objektiv final auf Förderung der Obergesellschaft im Rahmen der Konzernkompetenz der Unterge­ sellschaft gerichtet“453 waren. Das deliktische Risiko müsse aber als beherrschbar erscheinen, was im Regelfall Personalunion in den Geschäftsführungsgremien „oder doch eine wesentliche Zentralisierung der Marktfunktionen der UntergeSeilschaft über die Leitungsphase hinaus“ erfordere454. Der Obergesellschaft stehe ein Entlastungsbeweis zu455. Die Übernahme von Geschäftsführungsverantwor­ tung bei der Untergesellschaft verlange jedoch mehr als die richtige Auswahl der Geschäftsführer. Zu fordern sei eine erweiterte Organisationsverantwortung der Obergesellschaft456. Auch in der schweizerischen Literatur wird verschiedentlich die Möglichkeit ei­ ner direkten Geschäftsherrenhaftung der Konzernmutter diskutiert457. Vor allem bei neueren Autoren wird aber Skepsis sichtbar. Brehm diskutiert beispielsweise die Anwendbarkeit von Art. 55 OR auf Konzernverhältnisse gar nicht458. 459 Petitpierre-Sauvain spricht von einer „construction particulierement artificielle car trop eloignee du but originairement assigne ä cette disposition"459. A. von Planta460 hät­ te zwar „keine grundsätzlichen Bedenken“ gegen eine Anwendung von Art. 55 OR auf Konzerne. Er spricht sich aber dagegen aus, weil nach seiner Meinung Tochtergesellschaften rechtlich keiner Weisungsmacht der Konzernmutter unter­ worfen sein können. Albers461 sieht immerhin keine „dogmatischen Erwägungen im Wege“. Er postuliert denn auch eine Anwendbarkeit von Art. 55 OR auf Fälle, in welchen die Konzernmutter tatsächlich die Möglichkeit hatte, eine Schadensver­ ursachung durch Beeinflussung ihrer Tochter zu verhindern. Das fuhrt ihn zur Un­ terscheidung zwischen zentralisierten und dezentralisierten Unternehmensberei­ chen. Im zweiten Fall sei eine konkrete Weisungserteilung darzutun, im ersten da­ gegen nicht. In beiden Fällen aber könne sich die Konzernmutter durch den Nach­ weis der drei curae (Auswahl, Instruktion, Überwachung) entlasten. Er folgert des­ 452 Rehbinder, Konzernaußenrecht, 529ff.; Kronstein, juristische Person, 82; Ballerstedt, Or­ ganschaft, 813f. 453 Ebd., 538. 454 Ebd., 538. 455 Ebd., 539f. 456 Ebd., 541 ff. 457 Grundsätzlich bejahend: Albers, Haftungsverhältnisse, 174ff; Kehl, Durchgriff, 57ff; Zür­ cher, Gläubigerschutz, 226ff; Handschin, Konzern, 348ff; Uttendoppler, Konzerninteresse, 124ff; Dalleves, Problemes, 614f.; Tobler, Haftungsverhältnisse, 66f; Siegwart, Kommentar, N 199 Vorbemerkungen zu Art.620ff. OR.; Frankenberg, Abhängigkeit, 166; Oser/Schönenberger, N 13 zu Art. 55 OR. Verneinend: von Planta, A., Hauptaktionär, 136ff; Petitpierre-Sauvain, Groupes, 88; Joß, Konzemrechtsfragen, 110 (für §831 BGB); Caflisch, Grenzen, 263; von Stei­ ger, Holdinggesellschaften, 311a f.; Zweifel, Holdinggesellschaft, 97; Kaufmann, Konzemspitze, 84-85; vgl. auch Bosmann, Konzemverbundenheit, 142; Bolt, Protection, 101 ff. 458 Brehm, Kommentar zu Art. 55 OR. 459 Petitpierre-Sauvain, Groupes, 88. 460 von Planta A., Hauptaktionär, 136-138. 461 Albers, Haftungsverhältnisse, 176-180.

halb, daß einer „Übertragung der Geschäftsherrenhaftung auf Konzernverhältnisse nur geringe praktische Bedeutung“ zukomme, „da diese Haftung in ihrer Grund­ konzeption eben doch auf das Verhalten natürlicher Personen zugeschnitten“ sei. Das Bundesgericht hat dagegen in einem (nicht amtlich veröffentlichten) Ent­ scheid462 durchblicken lassen, daß eine Anwendung von Art. 55 OR auf das Kon­ zernverhältnis jedenfalls dann in Frage komme, wenn Mutter- und Tochtergesell­ schaft explizit oder konkludent ihren Willen zum Ausdruck brachten, das Tochter­ handeln nach den Instruktionen des Mutterhauses zu richten. Es ist zwar offensichtlich, daß Art. 55 OR nicht auf das Mutter-Tochterverhält­ nis, sondern auf wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse zwischen natürlichen Personen zugeschnitten ist463. Art. 55 OR wurde freilich auch im Produktehaft­ pflichtrecht modernen Wirtschaftsbedürfnissen dienstbar gemacht464. Hiefür be­ durfte es aber einer sachgerechten Anpassung der Beweislasten465. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob sich über Art. 55 OR auf diese Weise auch im schweizerischen Konzernhaftungsrecht ein sinnvoller Schutz für Tochtergläubiger herleiten läßt466.

e) Verletzung von Konzernvertrauen

E. Rehbinder467 hat auch das Konstrukt des Konzernvertrauens in die konzern­ haftungsrechtliche Diskussion eingebracht. Dieses erscheint aus funktionaler Per­ spektive dann als schützenswert, wenn Tochtergläubiger durch das Auftreten des Konzerns als Unternehmenseinheit zu Handlungen oder Unterlassungen veran­ laßt wurden, mit welchen sie sich selbst benachteiligten468. Nebst vertraglichen können auch außervertragliche Tochtergläubiger in ihrem Verhalten durch Kon­ zernvertrauen beeinflußt sein469. Für einen auf den Tatbestand des Konzernvertrau­ ens aufbauenden Einzelgläubigerschutz bieten sich im schweizerischen Recht vor allem die culpa in contrahendo bzw. deren analoge Übertragung auf den Konzern­ kontext an470. Daneben stehen allenfalls noch das Firmenrecht, das UWG bzw. Art. 2 ZGB zur Verfügung: Im Zusammenhang mit dem irreführenden Gebrauch eines Konzernnamens durch die Tochtergesellschaft kann diese ihre Firmengebrauchspflicht471 verletzt 462 SJ 114 (1992), 627£; SZW 1993, 308. 463 Zur historischen Entstehung der Geschäftsherrenhaftung, vgl. auch BB1 1880 I, 189-191. 464 Vorne V.2.4.3.2.b). 465 Vgl. Wohlfahrt, Beweislast, 52f. 466 Hinten V.3. 467 Rehbinder, Konzemaußenrecht, 305-334, v.a. 321 ff. 468 Zum Thema Konzemvertrauen im schweizerischen Recht: Schnyder, Patronatserklämngen, 64f.; Albers, Haftungsverhältnisse, 182; Altenburger, Patronatserklärungen, 111 ff; von Plan­ ta A., Hauptaktionär, 106-108; Bosmann, Konzemverbundenheit, 187-193; vgl. auch Lutter, Unternehmensgruppe, 256; Wiedemann, Kommanditistenhaftung, 1054ff. 469 Vorne V.2.2.2.2.b). 470 Vorne V.2.4.3.1.d); vgl. dazu insbesondere BGE 120 II 335ff. (Swissair). 471 BGE 103 IV 203; Art. 2 des BG betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht vom 6. Oktober 1923 (SR. 221.414).

haben. Eine Konzernmutterhaftung könnte sich folglich z.B. dann ergeben, wenn eine durch die Muttergesellschaft angeordnete, irreführende Verwendung der Mut­ terfirma durch die Tochter zur Schädigung Dritter führte472. In einem weiteren Sinne gehört der beschriebene firmenrechtliche Schutz in den Bereich des UWG. Dessen Potential für einen allgemeinen Konzernvertrau­ ensschutz ist aber zweifelhaft. Über die Generalklausel von Art. 2 UWG könnte eine Schadenersatzpflicht der Konzernmutter zwar damit zu begründen versucht werden, daß die Berufung auf die Haftungsbeschränkung einer Tochtergesellschaft unlauter sei, wenn das gesamte bisherige Gebaren des Konzerns die Erwartung konzerninterner Finanzsolidarität 473 aufbaute. Ähnlich könnte argumentiert wer­ den, das konsequente Auftreten des Konzerns in der Öffentlichkeit474 als Einheit lasse eine plötzliche Berufung auf die Haftungsbeschränkung als unlauter erschei­ nen. Angesichts des akzeptierten gemeinsamen Auftretens von Konzernteilen in der Öffentlichkeit und des grundsätzlich unbestrittenen Rechts von Konzernen, sich notfalls auf die Haftungsschranken zwischen Konzernmutter- und Tochterge­ sellschaften zu berufen, darf aber nicht von einer generellen Unlauterkeit solcher Verhaltensmuster gesprochen werden. Anders wäre die Sachlage, wenn durch nachdrückliche Hinweise auf eine haftungsmäßige Einheit475 die Erwartung einer Konzernmutterhaftung spezifisch verstärkt wurde476. In diesen Fällen liegt unter Umständen aber eine vertragliche Verpflichtung vor477, oder es müßte im Sinne des allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbots (Art. 2 ZGB) von einem venire contra fac­ tum proprium gesprochen werden478. Unlauter und schadenersatzbegründend im Sinne von Art. 2 UWG könnten zudem Fälle sein, in welchen die Muttergesellschäft durch konkrete Maßnahmen (einschließlich das Anbringen von Konzernzei­ chen auf Produkten) das Vertrauen der Konsumenten auf ihr Eintreten für Produk­ tehaftungen erweckte und die Konsumenten damit täuschte479.

2.4.4. Zusammenfassung

Im Vertrags- und Deliktsrecht liegen aus der Sicht der Tochtergläubiger zwar di­ verse Möglichkeiten, die Muttergesellschaft aus Drittpersonenhandeln in An­ spruch zu nehmen. Die Anwendbarkeit dieser Institute scheint jedoch durchwegs 472 Eine Drittperson kündigt z.B. einen Vertrag im falschen Glauben, sie werde einen andern mit einem solventen Konzern und nicht bloß mit einer sich in prekärer Finanzlage befindenden Tochtergesellschaft abschließen können. 473 Zum Begriff der Finanzsolidarität, vgl. Hirsch, Surveillance, 21 Off. 474 D.h. in den Medien, in der Werbung, im politischen Bereich etc. 475 Vgl. z.B. das Auftreten der Hoffmann-La Roche nach dem Seveso-Unfall; vorne 1.4.3. 476 Z.B. durch kollektive Patronatserklärungen; vgl. Schneider, Patronatserklärungen, 623f. 477 Vgl. die Klage gegen Hoffmann-La Roche in Sachen Seveso (Auslobung); vorne 1.4.3.; vgl. auch Schneider, Patronatserklärungen, 624. 478 Zu dieser Fallgruppe innerhalb des Rechtsmißbrauchsverbots: Riemer, Einführung, 90­ 92. 479 Vgl. dazu Art. 2 Abs. 1 lit. b PrHG; vorne V.2.4.3.2.b; vgl. auch Bosmann, Konzemver­ bundenheit, 140.

beschränkt. Vor allem außervertraglichen Tochtergläubigern wird kein systemati­ scher Schutz gegenüber Konzernmuttergesellschaften eingeräumt, obwohl gerade dieser aus funktionaler Perspektive zu fordern wäre. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob die Figur der Geschäftsherrenhaftung mittels einer konzernadäquaten Ver­ teilung der Beweislasten zu einem Schutzinstitut für außervertragliche Tochter­ gläubiger umgeformt werden kann.

2.5. Zunschenergebnis

Eine Darstellung der im schweizerischen Recht zur Verfügung stehenden kon­ zernhaftungsrechtlichen Institute hat Chancen wie Grenzen offenbart480. Das Ak­ tionärshandeln von Muttergesellschaften läßt sich mit Hilfe des Durchgriffsrechts, des Rechts der paulianischen Anfechtung und des Deliktsrechts ausreichend re­ geln481. Das Geschäftsführungshandeln von Konzernmüttern dagegen kann mit dem geltenden Instrumentarium nicht adäquat erfaßt werden482. Die Konstruktio­ nen der faktischen Organschaft und der Doppelorganschaft eröffnen zwar rechts­ technisch vielversprechende Möglichkeiten. Die Funktionstüchtigkeit dieser Insti­ tute ist aber aufgrund der Beweislasten klagender Tochtergläubiger stark beein­ trächtigt. Das Eingriffsverhalten von Muttergesellschaften in modernen, komplex vernetzten Konzerngebilden muß deshalb haftungsrechtlich weitgehend unkon­ trolliert bleiben. Das Verhalten der Konzernmutter als Drittperson schließlich findet sein haf­ tungsrechtliches Pendant im sogenannten Konzernaußenrecht483. Dieses eröffnet vielfältige Potentiale einer dem Netzwerkcharakter moderner Konzerne entspre­ chenden sektoralen Zurechnungshaftung. Die im schweizerischen Recht zur Ver­ fügung stehenden Institute sind freilich selektiv und häufig schlecht auf Konzern­ tatbestände zugeschnitten. Dadurch fehlt insbesondere für außervertragliche Toch­ tergläubiger ein funktional überzeugender Konzernhaftungsschutz484. Als Zwischenergebnis läßt sich deshalb zusammenfassen, daß eine erste Aufbe­ reitung der konzernhaftungsrechtlichen Möglichkeiten aus der Perspektive der In­ ternationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) insbesondere zwei gravie­ rende Dysfunktionen offenbart: die Beweisschwierigkeiten im Bereich des Ge­ 480 Vorne V.2.2.-2.4. 481 Vorne V.2.2.; zumindest läßt sich diesfalls nicht von einer offensichtlichen funktionalen Mangelhaftigkeit sprechen, obwohl etwa ein Ausbau des paulianischen Anfechtungsrechts in Richtung einer Konzernpauliana oder die Verankerung eines Instituts, welches der equitable Subor­ dination ähnlich käme, aus funktionaler Sicht durchaus erwägenswert scheint; vorne V.2.2.3.2. 482 Vorne V.2.3.6. Die konzeptionelle Konzentration auf das Organhandeln der Mutter als Ansatzpunkt im schweizerischen Konzemhaftungsrecht ist zwar funktional begründbar (vorne III.3.4.3.) und auf der Linie der schweizerisch-rechtlichen Tradition. Sie ist aber nicht zwingend, indem durchaus auch das Aktionärshandeln der Mutter mit erweiterten Treuepflichten versehen werden könnte. Das deutsche Recht z.B. basiert auf dieser Konzeption; vgl. Ulmer, Gläubiger­ schutz, 413-415; Wiedemann, Unternehmensgruppe, 35-36; vorne IV.2.1.3.2. 483 Vorne V.2.4. 484 Vome V.2.4.3.2.d).

schäftsführungshandelns von Konzernmüttern und die besonderen Schutzdefizite außervertraglicher Tochtergläubiger. Es ist nun zu prüfen, ob diesen beiden Män­ geln mittels einer sachgerechten Zuteilung der Beweislasten im Zusammenhang mit der Organ- und Geschäftsherrenhaftung von Konzernmuttergesellschaften wirksam entgegengetreten werden kann.

3. Konzernadäquater Ausbau der Organ- und Geschäftsherrenhaftung mittels sachgerechter Zuteilung der Beweislasten 3.1. Zur Beweislastverteilung im schweizerischen Recht

Art. 8 ZGB beinhaltet nach herrschender Lehre und Rechtsprechung die soge­ nannte allgemeine Beweislastregel des schweizerischen Rechts485. Danach hat „derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet“. Nun hat insbesondere Meier486 aufgezeigt, daß Art. 8 ZGB als solcher die Frage der objektiven Beweislast, d.h. der Zuteilung des Risikos von Be­ weislosigkeit, weitgehend offen läßt487. 488 Die allgemeine Beweislastregel habe sich bloß über Art. 8 ZGB eingebürgert 488. Meier entwickelt deshalb eigene Ansätze für die gesetzeskonforme Zuteilung von Beweislasten. Er kommt zum Schluß, daß die Rechtssicherheit und die Angemessenheit maßgebende Faktoren seien489. Als An­ gemessenheitskriterien nennt er rechtspolitische Ziele (z.B. Schutzgedanken) und die relativen Beweismöglichkeiten beider Parteien490. Auch das Bundesgericht geht trotz des Bekenntnisses zu Art. 8 ZGB als allgemei­ ner Beweislastregel bei der Zuteilung von Beweislasten pragmatisch vor491. Das äu­ ßert sich etwa im Bereich der Arzthaftung492 oder der Produktehaftpflicht493. In der übrigen Lehre und Rechtsprechung werden sachgerechte Ausnahmen zur all­ gemeinen Beweislastregel ebenfalls anerkannt494. Dabei fällt auf, daß (im Gegen­ satz etwa zum deutschen Recht)495 in der schweizerischen Judikatur nur selten ex­ 485 BGE 117 II 113; 115 II 2; 99 II 338; Meier, Beweislastverteilung, 707f.; Güldener, Zivil­ prozeßrecht, 325ff.; Kummer, Kommentar, N 48f. zu Art. 8 ZGB. 486 Meier, Beweislastverteilung, 709ff., 722f. 487 A.a.O., 714. 488 A.a.O., 712. 489 A.a.O., 722ff. 490 A.a.O., 724f. 491 Vgl. Huguenin-Dumittan, 119f., 167ff., 76f. (Anhang); Meier, Beweislastverteilung, 737. 492 Z.B. BGE 70 II 211; 113 Ib 424f. 493 BGE 110 II 462ff. 494 Vgl. SJZ 85 (1989), 122 (OGer Zürich); Vogel, Zivilprozeßrecht, 229ff; Güldener, Zivil­ prozeßrecht, 326 FN 44; Kummer, Kommentar, N 927ff, 193ff zu Art. 8 ZGB. 495 Z.B. BGHZ 51, 91 (Hühnerpest); BGHZ 104, 323; BGHZ 85, 212.

plizit von einer Beweislastumkehr gesprochen wird496. Unter Verweis auf tatsächli­ che Vermutungen wird aber häufig dasselbe praktische Resultat erreicht497. Wohlfahrt498 spricht sich deshalb zurecht für eine „Legalisierung“ der Beweis­ lastumkehr durch die „richtige Anwendung von Art. 8 in Verbindung mit Art. 1 ZGB“ aus. Die „rudimentäre“ Beweislastregelung in Art. 8 ZGB sei durch Ausle­ gung (evtl. Lückenfüllung) mit einem „Gebäude von sich fortbildenden, zur Dis­ kussion offenstehenden Regeln und den entsprechenden Ausnahmen“ zu ergän­ zen499. Mit der auslegeweisen Umverteilung von Beweislasten ist freilich Vorsicht gebo­ ten. So erfordert insbesondere die Rechtssicherheit500, mit Ausnahmen zur allge­ meinen Beweislastregel zurückhaltend zu sein. Auch Honsell hat auf fragwürdige Konsequenzen einer Haftungsausweitung über Vermutungen und Beweislastum­ kehren hingewiesen501. Diese tragen, wie alle Umverteilungsmaßnahmen, das Poten­ tial in sich, letztlich gerade diejenigen am meisten zu schädigen, welche durch sie geschützt werden sollen502. Von einer bloß dem Effizienztopos verpflichteten Be­ weislastumkehr für den Konzernkontext darf aber ein echter Schutzeffekt zugun­ sten von Tochtergläubigern erwartet werden.503 In einem einfachen und klaren Be­ weisumkehrkonzept, das die Gefahr von Beweislosigkeit reduziert, liegt zudem letztlich auch eine Beförderung der Rechtssicherheit504.

3.2.

Konzernadäquater Ausbau der Organhaftung

3.2.1. Allgemeines Die aus Art. 8 ZGB abgeleitete allgemeine Beweislastregel besagt für Klagen auf­ grund von Art. 754 OR, daß die Tochtergläubiger alle Tatbestandsmerkmale, d.h. die Organqualität der Muttergesellschaft, den Schaden, die Verletzung von Sorg­ faltspflichten, die Kausalität zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Schaden sowie das Verschulden nachzuweisen haben505. Das Institut der Organhaftung funktioniert somit speziell dort nicht, wo sehr intensive Verstrickungen eine nachträgliche Re­ 496 So z.B. in BGE 70 II 211; SJZ 85 (1989), 122; vgl. Kummer, Kommentar N 183f. zu Art. 8 ZGB; Huguenin-Dumittan, 167ff.; Wohlfahrt, Beweislast, 113ff. 497 Vgl. Huguenin-Dumittan, 167ff; Vogel, Zivilprozeßrecht, 232f.; Guggenbühl, Vermu­ tungen, 74ff. 498 Wohlfahrt, Beweislast, 130. 499 A.a.O., 142f. 500 Meier, Beweislastverteilung., 722f. 501 Honsell, in Symposium Stark, 15 ff, 17-19; Honsell, Arzt, 135ff. 502 Vgl. z.B. von Weizsäcker, Property, 135; zum kontraproduktiven Charakter überschie­ ßender Beweislastumverteilungen auch Honsell, in Symposium Stark, 20ff, 27ff. 503 Für den Einsatz von Beweislastumkehren im Kontext des Konzemhaftungsrechts auch Petitpierre-Sauvain, Groupes, 147f.; Slongo, Leitung, 117; Koppensteiner, Definitionsprobleme, 79ff; Druey, Konzemrecht, 348; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 546; Druey, Konzemrechtsge­ spräch, 102; Ruedin, Propositions, 111, 113; Stein, Organ, 187. 504 Vgl. Guggenbühl, Vermutungen, 67; Perelman, Logik, 53. 505 Vome V.2.3.4.

konstruktion der Geschäftsabläufe zwischen Mutter und Tochter praktisch verun­ möglichen506. Die analoge Problematik führte im deutschen Recht zur richterli­ chen Ausformung der Figur des qualifizierten faktischen Konzerns und einer da­ ran anknüpfenden Umkehr von Darlegungs- und Beweislasten507. Auch für das schweizerische Organhaftungsrecht drängt sich aus funktionalen Gründen eine Beweislastumkehr auf508. Wenn sich die Mutter freiwillig und inten­ siv ins Tochtergeschehen einmischte, vermag sie das Risiko der Beweislosigkeit509 effizienter zu tragen als die Tochtergläubiger510. Die Muttergesellschaft entschei­ det vorerst durch ihre eigene Aktivität, ob überhaupt eine Beweislastumkehr ein­ tritt511. Sie hat überdies die Möglichkeit, ihr Verhältnis zur Tochter so zu gestalten und zu dokumentieren, daß sich das Risiko mangelnder Beweise minimiert. Sie hat es, anders gewendet, selbst in der Hand, die Wahrscheinlichkeit von sachlichen Fehlurteilen zu reduzieren512. Eine Überwälzung von Beweislasten auf die Kon­ zernmutter setzt folglich Anreize, damit die Partei mit den besseren Möglichkeiten zur Verhinderung von Beweislosigkeit ein ökonomisches Interesse hat, auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Das Abstellen auf die besseren Beweismöglichkeiten513 und die größere Beweisnähe514 der Mutter senkt somit tendenziell die Rechtskosten515. Eine funktionale Auslegung von Art. 754 OR in Verbindung mit Art. 8 ZGB516 ergibt deshalb für eng verstrickte Konzernverhältnisse, daß den Tochtergläubigern bloß der Beweis für die Existenz eines (mittelbaren) Schadens sowie der Ausübung einheitlicher Leitung obliegt. Kann dieser Beweis erbracht werden, ist von einer Haftungsvermutung zu Lasten der Konzernmuttergesellschaft auszugehen. Die Vermutung muß aber widerlegt werden können, indem die Mutter die Nichtexi­ stenz eines qualifizierten Konzerns oder alternativ die Nichtverletzung von Sorg­ faltspflichten, das fehlende Verschulden, den fehlenden Kausalzusammenhang oder die Verursachung eines bloß begrenzten Schadens nachweist517. 506 Ebd. 507 Seit der TBB-Entscheidung ist klar, daß diese Umkehr von Beweislasten nicht starr, son­ dern differenziert zu erfolgen hat; vgl. vome IV.2.1.3.2. 508 Für eine gezielte Umkehr von Beweislasten auch Antunes, Liability, 384, 401 ff. 509 Vgl. Meier, Beweislastverteilung, 705 f. 510 Vome III.3.4.3. 511 D.h. ob überhaupt ein qualifiziertes Konzemverhältnis vorliegt; vgl. hinten V.3.2.2.4.a). 512 Womit sie im Sinne von Kummer, Kommentar, N 114 zu Art. 8 ZGB, und Meier, Beweis­ lastverteilung, 724, die billige bzw. angemessene Beweisbelastete ist. 513 Dazu auch Meier, Beweislastverteilung, 727£ 514 Vgl. BGE 115 II 2; vgl. auch Guggenbühl, Vermutungen, 75ff. 515 Zum Begriff der Rechtskosten: vome III.3.3.2. 516 Vgl. Kummer, Kommentar, N 134ff, 144 zu Art. 8 ZGB. 517 Es wird dabei vorausgesetzt, daß das Risiko der Überhaftung von Konzemmüttem unter diesem Beweislastregime ebenso (direkt oder indirekt) mit den Tochtergläubigem geteilt wird wie im Fall der umgekehrten Beweislastregelung das Risiko der Unterhaftung von Konzernmut­ tergesellschaften: im letzteren Fall müßten die Tochtergläubiger eine Risikoprämie erhalten, im ersteren Fall die Konzemmutter. Zugleich wird unterstellt, daß die Risikoeinstellung der beiden zur Auswahl stehenden Parteigruppen nicht wesentlich verschieden ist. Wäre dies anders oder würde der vorausgesetzte Risikoausgleich in der einen oder andern Richtung nicht stattfinden,

3.2.2. Die konzernrechtliche Organhaftung im einzelnen 3.2.2.1. Tochterkonkurs als Klagevoraussetzung

Die Tochtergläubiger bzw. die sie vertretende Konkursverwaltung können die Konzernmutter gemäß Art. 757 Abs. 1 OR erst dann als faktisches Organ einkla­ gen, wenn über die Tochter der Konkurs eröffnet wurde. Diese Voraussetzung er­ weist sich auch für die konzernrechtliche Organhaftung als gerechtfertigt und sinn­ voll. Ein funktional optimierter Konzernhaftungsschutz hat zu garantieren, daß die Muttergesellschaft durch ihre Konzerngeschäftsführung das Tochterinteresse för­ dert und daß nicht unkompensiert Risiken auf die Tochtergläubiger verlagert wer­ den518. Diese Schutzfragen erhalten für die Gläubiger aber erst nach dem Tochter­ konkurs Bedeutung. Für Inhaber von Forderungen mit einem Sekundärmarkt (z.B. Obligationäre) kann das Mutterhandeln zwar bereits vorher negative Auswir­ kungen zeitigen, indem eine Schwächung der Tochtersubstanz den (Kurs-)Wert ihrer Forderungen sinken läßt. Bei diesen Gläubigern handelt es sich aber durch­ wegs um starke Gläubigergruppen, die sich hiefür vertraglich absichern und kom­ pensieren lassen können. Sie bedürfen somit keines vorverlegten gesetzlichen Haf­ tungsschutzes.

3.2.2.2. Schadensnachweis durch die Tochtergläubiger

Eine konzernrechtliche Organhaftung von Muttergesellschaften setzt sinnvoller­ weise voraus, daß die Gläubiger der Tochtergesellschaft mit einem ganzen oder teil­ weisen Ausfall ihrer Forderungen rechnen müssen. Es ist deshalb zu verlangen, daß die Tochtergläubiger einen (mittelbaren) Schaden nachweisen519. Es rechtfertigt sich alsdann aber aus Gründen der Beweisnähe520, die Verursachung des gesamten (mittelbaren) Schadens durch die Muttergesellschaft zu vermuten. Diese soll sich jedoch entlasten können, wenn sie nur für einen Teil des Schadens verantwortlich war521.

3.2.2.3. Nachweis einheitlicher Leitung durch die Tochtergläubiger Es ist funktional gerechtfertigt, von den Tochtergläubigern (bzw. der sie vertre­ tenden Konkursverwaltung) den Beweis dafür zu verlangen, daß die Konzernmut­ so müßte eine effiziente Beweislastverteilung noch zusätzliche Variablen in ihr Kalkül aufneh­ men, z.B. die Wahrscheinlichkeit des Eintritts ineffizienter Über- bzw. Unterhaftungen. Daß die Evaluation dieser Wahrscheinlichkeiten schwierig ist, ändert nichts an der grundsätzlichen Rich­ tigkeit, sie für eine effiziente Beweislastverteilung zu berücksichtigen; anders offenbar Meier, Be­ weislastverteilung, 726£ 518 Vome III.3.4.3. 519 Vgl. dazu die neue bundesgerichtliche Praxis, BGE 117 II 440. 520 VomeV.3.2.1. 521 Art. 759 Abs. 1 OR; hinten V.3.2.2.4.d).

ter zumindest für eine gewisse Zeit vor dem Tochterkonkurs die einheitliche Lei­ tung ausübte. Durch den Nachweis der einheitlichen Leitung wird auch die Organ­ qualität der Muttergesellschaft erstellt522. Da eine Verantwortlichkeitsklage durch die Tochtergläubiger zudem voraussetzt, daß über die Tochtergesellschaft der Kon­ kurs eröffnet wurde523, besteht beim Nachweis eines Schadens und der Ausübung einheitlicher Leitung eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, daß die Muttergesellschaft für den Ausfall der Tochtergläubiger Verantwortung trägt. Das allein vermöchte den Eintritt einer Haftungsvermutung zwar evtl, nicht zu rechtfertigen524. Ent­ scheidend ist aber, daß einheitliche Leitung regelmäßig umfassend und dauerhaft, d.h. qualifiziert, ausgeübt wird525. Tochtergläubiger stehen dann vor einem prohibitiven Beweisrisiko (Beweisnotstand)526. Die Muttergesellschaft ist dagegen „nä­ her daran, den Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tra­ gen“527. Sie hat zudem durch ihr eigenes Verhalten die Beweischancen der Tochter­ gläubiger erschwert oder gar vereitelt528. Es ist deshalb sachgerecht, beim Nach­ weis einheitlicher Leitung mit einer Doppelvermutung anzusetzen, d.h. der Ver­ mutung der Existenz eines qualifizierten Konzerns und einer daran anschließen­ den Haftungs Vermutung529. Der Begriff der einheitlichen Leitung drängt sich vorliegend auf, weil er bereits zentrale Anwendbarkeitsvoraussetzung der aktienrechtlichen Pflicht zur Konzern­ konsolidierung ist530. Die herrschende Lehre in der Schweiz scheint sodann den Begriff für das Konzernrecht ganz allgemein zu favorisieren531. Er ist mit Ruedin532 von seinem Zweck her zu definieren, d.h. der Erfassung derjenigen Situationen, in denen das Eigeninteresse der Tochter durch Ausrichtung auf Konzerninteressen verdrängt wird533. Die (direkte oder indirekte) Einmischung der Mutter in vitale 522 Hier könnte man evtl, von einem Anscheinsbeweis bzw. einer Verschiebung des Beweis­ themas reden; vgl. Kummer, Kommentar, N 209ff. zu Art. 8 ZGB. 523 Art. 757 Abs. 1 OR. 524 Vgl. Meier, Beweislastverteilung, 726f. 525 Emmerich/Sonnenschein, 346; hierin Hegt eine tatsächliche Vermutung der Existenz ei­ nes qualifizierten Konzerns (vgl. hinten V.3.2.2.4.a). 526 Vgl. Stodolkowitz, Haftung, 1523. 527 BGHZ 51, 91 (Hühnerpestfall); vgl. auch Kehl, Durchgriff, 85ff, 87. 528 Vgl. BGE 36 II 515; Huguenin-Dumittan, 171 f.; Vogel, Zivilprozeßrecht, 230; SJZ 85 (1989), 120 (OGer. Zürich). 529 Vgl. für das deutsche Recht, Stodolkowitz, Haftung, 1519. 530 Art. 663e OR; vgl. dazu Böckli, Konsolidierungspflicht, 369ff; vgl. auch Scholz, Kon­ zern, 295 ff. 531 Slongo, Leitung, 103ff; Zünd, Leitung, 78ff; Koppensteiner, Definitionsprobleme, 74ff; von Steiger, Holdinggesellschaften, 290 a; Immenga, WuR, 73ff; Druey, Konzemrecht, 336ff; Caflisch, Grenzen, 50, 63; Zweifel, Holdinggesellschaft, 64; Tappolet, Schranken, 5; von Planta F., Interessenkonflikt, 8-9; Schluep, Unternehmenskonzentration, 269ff; Ruedin, Proposi­ tions, 111; vgl. auch Handschin, Konzern, 42ff. 532 Ruedin, Propositions, 106. 533 Die bloße Abhängigkeit, welche die Haftungsregelung des deutsch-rechtlichen faktischen Konzerns bestimmt und welche für ein restriktives, mißbrauchsrechtlich ansetzendes Konzemhaf­ tungsrecht zu früh einhakt, weil sie die bloße Potentialität der Ausrichtung auf Konzeminteres­ sen genügen läßt, reicht nicht; vgl. Druey, Konzemrecht, 344 Rnr 122; Ruedin, Propositions,

Geschäftsführungsbereiche der Tochter muß deshalb als entscheidendes Kriterium gelten534. Die zentrale Rolle des Finanzwesens im Bereich der Konzernkontrolle verlangt dabei besondere Beachtung535. Aber auch Eingriffe über die Strategiepla­ nung, das Personalwesen, die Produktion oder den Absatz sollten bei entsprechen­ dem Gewicht die einheitliche Leitung indizieren können536. Eine bloße Mehr­ heitsbeteiligung genügt dagegen nicht537. Auf eine Kurzformel gebracht ist einheit­ liche Leitung mithin dann als gegeben zu betrachten, wenn die Muttergesellschaft mit System über eine passive Aktionärsrolle hinaus auf Tochterangelegenheiten Einfluß nimmt, sodaß das unabhängige Tochterinteresse nach allgemeiner Lebens­ erfahrung in den Sog des Konzerninteresses gelangen muß538.

3.2.2.4. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesellschaft Die Vermutung einer Organhaftung der Konzernmuttergesellschaft muß so­ wohl aus gesetzlichen wie funktionalen Gründen durch die Konzernmutter wider­ legt werden können. Diese soll nachweisen können, daß zumindest eines der ge­ mäß Art. 754 OR geforderten Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt ist. Es rechtfer­ tigt sich zudem funktional, die Tochtergläubiger auf die allgemeine Beweislastre­ gel zu verweisen, wenn die Muttergesellschaft dartut, daß im entscheidenden Zeit­ raum keine qualifizierte Konzernierung bestand.

a) Beweis der Nichtexistenz eines qualifizierten Konzerns

Außenstehenden Gläubigern ist es bei engen Konzernverstrickungen praktisch unmöglich, die sorgfältige Förderung des Tochterinteresses durch die Mutter ex post verifizieren zu können539. Das konzernrechtliche Organhaftungsrecht hat des­ 105; den Abhängigkeitsbegrif als Anknüpfungskriterium im Konzernrecht favorisierend aber Koppensteiner, Rechtspolitisch, 89f., 101; skeptisch bezüglich einer zentralen Bedeutung des Begriffs der einheitlichen Leitung auch Zünd, Leitung, 79 ff. 534 Slongo, Leitung, 185ff; BB1 1983 II, 817, läßt den Begriffbewußt offen. 535 BB1 1983 II, 817; Schluep, Unternehmenskonzentration, 269ff; Emmerich/Sonnen­ schein, 80; Slongo, Leitung, 46ff; Zünd, Leitung, 79; skeptisch Koppensteiner, Rechtspolitisch, 99-100. 536 BB11983 II, 817-818; Slongo, Leitung, 59ff, 187-188; Koppensteiner, Definitionsproble­ me, 82. 537 Böckli, Aktienrecht, 324; es scheint anderseits nicht ausgeschlossen, daß auch Beherr­ schungsformen im Rahmen von Joint Ventures oder anderer NFAE (vgl. vome 1.2.1.2. und 2.5.1.), auf einheitlicher Leitung beruhen; verneinend aber Druey, Konzemrecht, 345-346; vgl. auch Koppensteiner, Definitionsprobleme, 80ff. 538 Vgl. Slongo, Leitung, 185f; Koppensteiner, Definitionsprobleme, 81-82; ob die einheitli­ che Leitung der Konzemmutter als originäres Handeln zu verstehen ist oder ihr nur zugerechnet wird, wie dies Böckli (Konsolidierungspflicht, 377) sehen möchte, ist für den vorliegenden Zu­ sammenhang von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend ist, daß eine einheitliche Leitung faktisch besteht. 539 Vgl. dazu die deutsche Autokranentscheidung, BGHZ 95, 330, 344.

halb in erster Linie den qualifizierten Konzern zu regeln540. Für weniger intensive Formen der Konzernierung, d.h. lose Formen einheitlicher Leitung bzw. bloße ad hoc-Einflußnahmen einer Muttergesellschaft auf ihre abhängigen Töchter, kann es dagegen bei der Anwendung der allgemeinen Beweislastregel bleiben. Bei der vorgeschlagenen Abgrenzung stellt sich zuerst die Frage, wann ein quali­ fizierter Konzern vorliegt. Die verwandte deutsche Debatte zum qualifizierten fak­ tischen Konzern scheint noch nicht abgeschlossen541. Im schweizerischen Recht ist in erster Linie vom Zweck des qualifizierten Konzernbegriffs auszugehen. Die­ ser besteht darin, die Beweislast dann auf die Konzernmutter übergehen zu lassen, wenn deren Beweismöglichkeiten denjenigen der Tochtergläubiger klar überlegen sind542. 543 Auch für das schweizerische Recht rechtfertigt sich somit grundsätzlich die deutschrechtliche Formel der dauernden und umfassenden Leitung 543. Das Vor­ handensein eines qualifizierten Konzerns sollte aber verneint werden, wenn die Muttergesellschaft beweist, daß die Verbindungen zu ihrer Tochter derart locker und klar waren, daß sie für außenstehende Tochtergläubiger mit den Mitteln des schweizerischen Gesellschafts- und Prozeßrechts rekonstruiert werden können544. Die Konzernmutter muß somit die Haftungsvermutung ausräumen können, in­ dem sie nachweist, daß in den für die Schädigung der Konzerntochter und die Be­ weisführung entscheidenden Zeiträumen keine qualifizierte Konzernierung be­ stand. Gelingt ihr dies, so stehen die Tochtergläubiger per definitionem vor kei­ nem prohibitiven Beweisrisiko mehr und es ist ihnen folglich zuzumuten, ihren Anspruch aufgrund der allgemeinen Beweislastregel geltend zu machen.545

b) Entlastung durch Beweis der fehlenden Verletzung von Sorgfaltspflichten bzw. des fehlenden Verschuldens Die Unmöglichkeit für Außenstehende, das Geschäftsführungshandeln der Kon­ zernmutter in qualifizierten Konzernverhältnissen zu überprüfen, rechtfertigt die Vermutung, der Tochterkonkurs sei durch eine schuldhafte Verletzung von Sorg­

540 Druey, Konzemrechtsgespräch, 99. 541 Vome IV.2.1.3.2.; vgl. z.B. die Beiträge im Zusammenhang mit dem Kieler Symposium 1989: Scheffler, Konzern, 173ff.; Lutter, Konzern, 179ff.; Gäbelein, Definition, 185f.; vgl. auch Hoffmann-Becking, AG-Konzem, 68ff.; Münchner Handbuch (Krieger), 753, 757-760. 542 Analoge Überlegungen führten auch im Produkte- und Arzthaftungsrecht zu Beweislast­ umkehren; BGHZ 51, 91, 104; BGHZ 85, 212; BGHZ 104, 323; SJZ 1989, 119-123; BGE 110 II 456; vgl. auch Meier, Beweislastverteilung, 722f. 543 Vome IV.2.1.3.2. 544 Vgl. auch Druey, Konzemrechtsgespräch, 95f. 545 Der Beweis der Nichtexistenz eines qualifizerten Konzerns entlastet die Mutter haftungs­ mäßig nicht, falls es den Tochtergläubigem gelingt, selbst alle Tatbestandselemente gemäß Art. 754 OR nachzuweisen. Man müßte hier deshalb wohl von einem Gegenbeweis der Kon­ zemmutter bezüglich des (seinerseits vermuteten) Vorhandenseins einer Vermutungsbasis spre­ chen; vgl. Guggenbühl, Vermutungen, 140; Vogel, Zivilprozeßrecht, 232.

faltspflichten der Mutter verursacht worden546. Die Muttergesellschaft muß aber nachweisen können, daß sie nicht sorgfaltswidrig bzw. nicht schuldhaft handelte. Eine Trennung dieser beiden Endastungsbeweise547 rechtfertigt sich nicht. Der an­ zuwendende Maßstab muß in beiden Fällen ein objektiver sein548. Es geht darum, der Mutter dasjenige schadenstiftende Verhalten und Unterlassen als sorgfaltswid­ rig und schuldhaft anzurechnen, welches sie bei effizienter Ausschöpfung ihrer Konzernressourcen hätte vermeiden können549. Dabei ist allerdings zu beachten, daß eine begrenzte Einmischung ins Tochtergeschehen bloß zu limitierten Pflich­ ten fuhren kann. Durch Aussparung spezifischer Tochterbereiche von direkter oder indirekter Beeinflussung sollte die Mutter ihre Verantwortung einschränken können550. In Bereichen, in welchen die Mutter grundsätzlich Einfluß ausübte, müßte sie aber auch für nicht unternommene zumutbare Vorkehren haften (Garan­ tenstellung)551. Die Muttergesellschaft sollte sich zudem immer entlasten können, wenn sie nachweist, in ihrem Geschäftsführungshandeln (Konzernleitung) die Interessen der Tochter respektiert zu haben. Die Konzernmutter muß aber nicht beweisen, daß sie jederzeit strikte das Tochter interesse maximierte552. Es genügt, wenn auf überzeugende Weise eine ordnungsgemäße Konzerngeschäfisführung dargetan wird553. Konzerninteressen sind dabei neben den Tochterinteressen als legitim mitzube­ rücksichtigen (konzernrechtliche business judgment rule554)555. Vorausgesetzt wird, daß Maßnahmen im Konzerninteresse den Interessen der Tochter nicht offensicht­ 546 Für das schweizerische Recht kann aufgrund fehlender konzemrechtlicher Vorgaben eine gesteigerte Konzernmutterhaftung nur als Verhaltenshaftung in Frage kommen; vgl. Lutter, GmbH, 1430ff.; Schmidt, Verlustausgleichspflicht, 546ff. 547 Es wird hier von Entlastungsbeweisen und nicht bloß von Gegenbeweisen gesprochen, weil es dabei nicht mehr um die Ausräumung der Vermutungsbasis (d.h. der Existenz eines quali­ fizierten Konzerns), sondern um die Widerlegung der Haftungsvermutung als solche geht (Be­ weis des Gegenteils); vgl. Vogel, Zivilprozeßrecht, 232; Guggenbühl, Vermutungen, 140ff.; die begrifflichen Abgrenzungen sind im übrigen nicht immer eindeutig; vgl. Stodolkowitz, Haftung, 1524. 548 Vgl. auch Forstmoser, Verantwortlichkeit, 106f; Böckli, Aktienrecht, 541. 549 Vome V.2.3.3.3. b) bb). 550 Albers, HaftungsVerhältnisse, 60-70; zum Problem auch Uttendoppler, Konzeminteresse, 10. 551 Vome V.2.3.3.1.b)bb). 552 Vgl. Stodolkowitz, Haftung, 1523; die von Amstutz (Konzemorganisationsrecht, 400f.) vertretene Auffassung, wonach das Fehlen einer der Konzernlage ängepaßten Zweck-Klausel in den Tochterstatuten bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung an sich darstelle, vermag nicht zu über­ zeugen, weil sonst konsequenterweise jedes materielle Organhandeln (auch außerhalb des Konzemkontexts) infolge Fehlens einer formellen aktienrechtlichen Grundlage per se als sorgfaltswid­ rig eingestuft werden müßte. 553 Lutter, Unternehmensgruppe, 267; Lutter, GmbH, 1430ff, 1433-1435; Schmidt, Verlust­ ausgleichspflicht, 548; vgl. auch Amstutz, Konzemorganisationsrecht, 380ff, der gar von einer Konzernleitungspflicht der Muttergesellschaft ausgeht. 554 Zur business judgement rule im US-Recht; vgl. Clark, Corporate, 136ff. 555 Vgl. Frankenberg, Abhängigkeit, 72; Nenninger, Schutz, 95; Albers, Haftungsverhältnis­ se, 96; Binder, Verfassung, 347; Druey, Konzemrechtsgespräch, 241; vgl. auch BGE 97 IV 16 und insbesondere 117 IV 265.

lieh entgegenstanden556. Dabei ist vor allem die Überlebensfähigkeit der Tochter als (konzerngebundenes) Unternehmen zu gewährleisten557. 558 So wäre z.B. nach ei­ ner aus konzernstrategischen Überlegungen erfolgten Schließung von Betrieben einer Tochtergesellschaft nachzuweisen, daß die überlebensnotwendigen Profit­ möglichkeiten, welche der Tochter dadurch genommen wurden, anderswie wett­ gemacht werden konnten. Das „Ausmelken“ einer Tochter als cash cow und deren anschließende Stillegung (vgl. den Fall Badger 558) müßten nach Eintritt des Toch­ terkonkurses jedoch grundsätzlich als sorgfaltswidrig eingestuft werden. c) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität

Der Nachweis des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs kann in komplexen Lebensverhältnissen generell besondere Schwierigkeiten hervorrufen, weshalb im Bereich der schweizerischen Arzthaftung559 oder der Produktehaft­ pflicht560 deutliche Tendenzen sichtbar sind, diese Beweislast von den Schultern der Kläger zu entfernen561. Der Muttergesellschaft wird deshalb auch im Falle kon­ zernrechtlicher Organhaftungsklagen sachgererecht der Beweis dafür auferlegt, daß der haftungsbegründende Konkurs nicht durch ihre Sorgfaltspflichtverletzun­ gen verursacht wurde. Der Entlastungsbeweis kann zudem dadurch erbracht wer­ den, daß die Muttergesellschaft kausalitätsunterbrechende Drittursachen (z.B. Ver­ sagen staatlicher Behörden562) als Grund der ungenügenden Ressourcenbasis ihrer Tochter dartut563. Das deutsche Konzernrecht kennt ähnliche Entlastungsmöglich­ keiten564.

556 Schluep, Schutz, 250; Nenninger, Schutz, 96-97; zu entschädigen wäre im Prinzip jede unter Marktniveau Hegende Investition von Tochterkapitalien (vgl. BGE 99 II 184), wobei der Konzemmutter aber sachgerechtes Ermessen einzuräumen ist. 557 Uttendoppler, Konzeminteresse, 147; Lutter, GmbH, 1433-1434; Ulmer, Gläubiger­ schutz, 420; Rehbinder. Gläubigerschutz, 90; vgl. auch den französischen Rozenblum-Entscheid, vome IV.2.2.2.1.; zur Überlebensfähigkeit muß unter anderem ein adäquates Verhältnis zwischen Tochterkapital und Tochterrisiken gehören (BGE 99 II 179f.; 113 II 52ff.), womit über die konzernrechtliche Organhaftung ein das Durchgriffsrecht ergänzender Schutz vor Un­ terkapitalisierung der Tochter greift; vgl. Wilhelm, Rechtsform, 365ff.; skeptisch für das deut­ sche Recht, Schanze, Organhaftung, 44. 558 Vome 1.4.6. 559 SJZ 1989, 119ff, 122; vgl. die Kritik bei Honsell, Arzt, 144. 560 Nater, Produktehaftpflicht, 391. 561 Vgl. auch BGE 107 II 269, 273; Meier, Beweismaß, 72-74. 562 Vome III.3.3.3. 563 Petitpierre-Sauvain, Groupes, 147f. 564 Vome IV.2.1.3.2.; zur Effizienz dieses Entlastungsbeweises auch Hofstetter, Europe, 583, 597.

d) Teilweise Entlastung durch Beweis der Verursachung eines bloß begrenzten Gläubigerschadens Die Verursachung eines Tochterschadens durch sorgfaltswidriges Handeln der Mutter muß wegen der Beweisschwierigkeiten für Außenstehende auch zur Ver­ mutung fuhren, dieser Schaden umfasse den gesamten Ausfall der Tochtergläubi­ ger565. Die Muttergesellschaft sollte aber dartun können, daß ihre schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzungen nur einen beschränkten Schaden verursachten566. Notfalls ist dieser Schaden nach richterlichem Ermessen festzusetzen567.

3.3.

Konzernadäquater Ausbau der Geschäftsherrenhaftung

3.3.1. Allgemeines Art. 55 OR enthält im Gegensatz zu Art. 754 OR auch Regeln für die Beweis­ lastverteilung. Den Gläubigern obliegt vorerst der Nachweis, daß der Geschäfts­ herr in einem Subordinationsverhältnis zur Hilfsperson stand, daß die Hilfsperson in Ausübung von Verrichtungen des Geschäftsherrn handelte (funktioneller Zu­ sammenhang) und daß dabei den Gläubigern widerrechtlich und kausal ein Scha­ den zugefugt wurde. Der Geschäftsherr hat danach zu beweisen, daß er alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt anwandte oder daß der Schaden auch bei An­ wendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre568. Angesichts der speziellen Beweislastregel in Art. 55 OR kann man sich fragen, ob damit eine auslegeweise Umverteilung der Beweislasten nicht ausgeschlossen werden sollte569. Meines Erachtens gilt dies aber höchstens für Beweislastumkeh­ ren zu Lasten der Gläubiger. Eine Verschiebung der Beweislasten in umgekehrter Richtung scheint weder durch den Wortlaut noch durch Sinn und Zweck von Art. 55 OR ausgeschlossen. Auch das Bundesgericht hat im Zusammenhang mit der Produktehaftpflicht eine Ausdehnung der Beweislasten des Geschäftsherrn vor­ genommen570. Beim konzernadäquaten Ausbau der Geschäftsherrenhaftung geht es um den Schutz der durch das aktienrechtliche Haftungsprivileg besonders gefährdeten au­ ßervertraglichen Tochtergläubiger571. Funktionale causa dieses Schutzes ist die Tat­ sache, daß außervertragliche Gläubiger für das auf sie übertragene Risiko nicht kompensiert zu werden pflegen. Als Korrelat dieser Situation ergeben sich Anrei­ ze, Tochtergesellschaften für außervertragliche Haftungsrisiken nicht genügend zu 565 Zur diesbezüglichen Frage im deutschen GmbH-Konzemrecht, vgl. Ziegler, Verlustaus­ gleich, 1042 ff. 566 Art. 759 Abs. 1 OR. 567 Art. 759 Abs. 2 OR. 568 Vgl. Stark, Haftpflichtrecht, 115; Oftinger/Stark, 314ff. 569 Vgl. Kummer, Kommentar, N 125ff. zu Art. 8 ZGB; Wohlfahrt, Beweislast, 115ff. 570 BGE 110 II 456ff; auch das blieb freilich nicht unumstritten: vgl. Stauder, Produkthaf­ tung, 378. 571 VomeV.2.5.

kapitalisieren (oder zu versichern) und bei Muttereingriffen nicht adäquat in Vor­ sichtsmaßnahmen zu investieren572. Eine funktionale Auslegung von Art. 55 OR fuhrt deshalb zu einer Beweislastre­ gel, welche den Gläubigern den Hauptbeweis für die widerrechtliche und kausale Zufügung eines Schadens durch die Tochtergesellschaft und die Ausübung einheit­ licher Leitung durch die Konzernmutter auferlegt. Wird dieser Beweis erbracht, rechtfertigt sich eine Haftungsvermutung zu Lasten der Konzernmuttergesell­ schaft. Die Vermutung muß aber dadurch widerlegt werden können, daß die Mut­ tergesellschaft alternativ beweist, die einheitliche Leitung sei gerade während des für die Schädigung entscheidenden Zeitraums nicht ausgeübt worden, es habe kein funktioneller Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leitung und der Schädigung existiert, die Konzernmutter habe alle gebotene Sorgfalt angewandt oder zwischen der Sorgfaltswidrigkeit der Mutter und dem Schaden der Gläubiger habe kein Kausalzusammenhang bestanden.

3.3.2. Die konzernrechtliche Geschäftsherrenhaftung im einzelnen

3.3.2.1. Nachweis einer widerrechtlichen und kausalen Schädigung durch die Tochtergesellschaft Eine funktionale Ausgestaltung der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaf­ tung muß darauf abzielen, möglichst nur außervertraglichen Tochtergläubigern zugute zu kommen. Falls auch vertragliche Gläubiger in den Genuß der Haftungs­ vermutung kämen, würde die Haftungsbeschränkung von Tochtergesellschaften ineffizient verwässert573. Art. 55 OR setzt zwar nicht voraus, daß den Gläubigern auch eine deliktische Forderung gegen die Hilfsperson zusteht. Lehre und Recht­ sprechung verlangen aber, daß die Hilfsperson die Gläubiger widerrechtlich und kausal schädigte574. Es ist deshalb zu fordern, daß die Gläubiger auch im Zusam­ menhang mit der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung den Beweis einer widerrechtlichen und kausalen Schädigung durch die Tochtergesellschaft erbrin­ gen. Mit diesem Erfordernis wird sichergestellt, daß der bloße Ausfall einer vertrag­ lichen Forderung gegenüber der Tochter nicht zu einem prima facie-Anspruch ge­ genüber der Konzernmutter aus Art. 55 OR führt. Immerhin wird nicht ausge­ schlossen, daß auch Personen ohne deliktischen Anspruch gegen die Tochtergesell­ schaft in den Genuß der Haftungsvermutung kommen können, z.B. weil sie wider­ rechtlich und kausal geschädigt wurden, ohne daß die gemäß Art. 41 OR geforder­ te Verschuldensvoraussetzung erfüllt war. Diese praktisch wohl kaum sehr bedeut­ same Dysfunktionalität ist aber hinzunehmen. Sie kann im Einzelfall höchstens über eine entsprechende Fassung des Entlastungsbeweises der Konzernmutter aus­ korrigiert werden575. 572 573 574 575

Vome 111.3.4.4. Vgl. vome III.3.3. BGE 88 II 135; 95 II 106; Oftinger/Stark, 323. Eine widerrechtliche und kausale Schädigung durch die Tochter ist anderseits auch anzu­

Eine widerrechtliche und kausale Schädigung der Gläubiger setzt nicht voraus, daß über die Tochtergesellschaft der Konkurs eröffnet wurde. Funktional könnte man sich zwar fragen, ob es sinnvoll sei, den außervertraglichen Tochtergläubigern schon vor dem Tochterkonkurs einen Haftungsanspruch gegen die Mutter einzu­ räumen. Die Ressourcen (inkl. Versicherungen) der Tochter würden evtl, bei wei­ tem zur Deckung des Anspruchs ausreichen. Art. 55 OR läßt aber wohl keine an­ dere Auslegung zu.

3.3.2.2. Nachweis einheitlicher Leitung, Es rechtfertigt sich aus funktionaler Sicht, von den Tochtergläubigern zu verlan­ gen, daß zumindest für eine gewisse Zeit vor dem schädigenden Ereignis die Aus­ übung einheitlicher Leitung durch die Konzernmutter nachgewiesen wird. Durch den Nachweis einheitlicher Leitung wird die Existenz eines Subordinationsverhält­ nisses zwischen Mutter und Tochter erstellt576. Obwohl den Gläubigern nicht auf­ erlegt wird, die Ausübung einheitlicher Leitung während den entscheidenden, die Schädigung betreffenden Zeiträumen nachzuweisen, wird durch den geforderten Beweis eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür indiziert, daß die Muttergesell­ schaft für den Schaden der Gläubiger mitverantwortlich war. Dies allein vermöch­ te zwar evtl, eine Umverteilung der Beweislasten nicht zu rechtfertigen577. Die grö­ ßere Beweisnähe der Mutter, deren Beitrag zu den Beweisschwierigkeiten der Gläubiger (enge Konzernintegration) sowie das starke funktionale Argument zu­ gunsten einer erweiterten Konzernmutterhaftung gegenüber außervertraglichen Tochtergläubigern rechtfertigen jedoch die vorgeschlagene Beweislastverteilung578. Der erneute Rückgriff auf den Terminus einheitliche Leitung gewährleistet zu­ dem eine gewisse Konsistenz innerhalb des schweizerischen Konzernhaftungs­ rechts. Mit der einheitlichen Leitung beginnt überdies häufig auch die nach außen in Erscheinung tretende Einheit des Konzerns. Das dadurch in der Öffentlichkeit bewirkte Bild einer Haftungseinheit vermag bei potentiellen außervertraglichen Gläubigern (z.B. Konsumenten oder Anwohnern von Industrieanlagen) evtl, ein gewisses Konzernvertrauen auszulösen579. Hierin liegt ein zusätzlicher funktiona­ nehmen, wenn die betreffenden Handlungen und Unterlassungen durch Hilfspersonen der Toch­ ter begangen wurden und der Tochter als Geschäftsherrin angerechnet werden können (Art. 55 OR). Ein allfälliger Entlastungsbeweis der Tochter entlastet dann aber grundsätzlich auch die Mutter, da es nicht Aufgabe der konzemrechtlichen Geschäftsherrenhaftung sein kann, die Mut­ tergesellschaft für mehr haften zu lassen als ihre Tochtergesellschaft. 576 Ob in Einzelfällen auch beim Nichtvorliegen einheitlicher Leitung ein Subordinationsver­ hältnis gemäß Art. 55 OR gegeben sein kann, braucht hier nicht abschließend beurteilt zu wer­ den. Die Rechtssicherheit und das Interesse an einer gewissen Einheitlichkeit des schweizeri­ schen Konzemhaftungsrechts sprechen freilich eher gegen diese Möglichkeit; in diesem Sinne wohl auch das Bundesgericht in SJ 1992, 627f. 577 Vgl. vome V.3.2.2.3. 578 Im Sinne Meiers ist hier wohl von einem rechtspolitischen Kriterium zu sprechen; Meier, Beweislastverteilung, 724ff. 579 Vome V.2.4.3.2.e).

ler Grund, beim Nachweis einheitlicher Leitung von einer HaftungsVermutung zu Lasten der Konzernmutter auszugehen. 3.3.2.3. Gegen- bzw. Entlastungsbeweise der Muttergesellschaft Die Vermutung der Geschäftsherrenhaftung einer Konzernmutter muß sowohl aus gesetzlichen wie funktionalen Gründen widerlegt werden können. Die Beweis­ lasten der Mutter ergeben sich dabei einerseits aus den durch die Tochtergläubiger er­ brachten Beweisen und anderseits aus den Tatbestandsmerkmalen von Art. 55 OR. a) Beweis der fehlenden einheitlichen Leitung im Zeitraum der Schädigung

Die einheitliche Leitung ist Vermutungsbasis für die Geschäftsherrenhaftung der Konzernmutter. Da sie nur für einen gewissen Zeitraum nachzuweisen ist, muß die Konzernmutter Gelegenheit haben darzutun, daß gerade in den für die Schädigung entscheidenden Zeiträumen keine einheitliche Leitung ausgeübt wur­ de (und damit kein Subordinationsverhältnis bestand)580. Im Gegensatz zur kon­ zernrechtlichen Organhaftung genügt hier nicht, daß bloß die Nichtexistenz eines qualifizierten Konzerns nachgewiesen wird. Dieser Unterschied rechtfertigt sich deshalb, weil es bei der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung nicht bloß um die Korrektur eines Beweisproblems geht, sondern zusätzlich um die Privilegie­ rung einer spezifischen Tochtergläubigerkategorie. Die Haftungsvermutung der Konzernmutter ist somit direkt an den Nachweis einheitlicher Leitung zu knüpfen. b) Entlastung durch Beweis des fehlenden funktionellen Zusammenhangs zwischen der einheitlichen Leitung und der Schädigung durch die Tochter

Die Konzernmutter muß die Möglichkeit haben, sich ohne Haftungsfolgen aus spezifischen Tochterbelangen herauszuhalten. Sie muß somit nachweisen können, daß sie sich in einen autonomen Tochterbereich weder direkt noch indirekt ein­ mischte581. Für Delikte, welche aus einem solchen Tochterbereich stammen, haf­ tet sie deshalb nicht. Wo die Mutter jedoch an der Verantwortung für einen Be­ reich beteiligt war, sollte sie grundsätzlich für voraussehbare und vermeidbare Fehl­ leistungen des betreffenden Bereichs mithaften582. Eine angemessene583 Versiche­ 580 Vgl. vome V.3.3.2.2; da hier (primär) die Vermutungsbasis widerlegt wird, ist wohl von ei­ nem Gegenbeweis zu sprechen; vgl. vome V.3.2.2.4.a). 581 Vgl. Teubner, Konzemhaftung, 277-279; Hommelhoff, Produkthaftung, 767. 582 Albers, Haftungsverhältnisse, 179, für den sog. zentralisierten Unternehmensbereich; vgl. zur verwandten Frage deliktsrechtlicher Garantenpflichten von GmbH-Geschäftsführern im deutschen Recht: BGH (Urt. v. BGE 5.12. 1990), ZIP 1990, 35ff, 37-38; zu analogen Proble­ men der Bestimmung von Garantenpflichten im Wirtschaftsstrafrecht: BGE 96 IV 155; Krauß, Täterschaft, 43ff; Schubarth, Geschäftsherr, 371; Schmid, Aspekte, 162ff; vgl. auch die assumption of duty-Rechtsprechung im US-Recht, vome IV.2.4.3.3. 583 Dabei könnten evtl. Erfahrungszahlen der Versicherungsbranche verwendet werden; vgl. Hommelhoff, Produkthaftung, 770.

rung der außervertraglichen Tochterrisiken584 oder eine entsprechende Deckungs­ vorsorge im Rahmen des Tochterkapitals müßten aber den zu fordernden Entla­ stungsbeweis585 erbringen können586. Mit generellen Regeln ist immerhin Vor­ sicht geboten. Zugleich ist jedoch zu beachten, daß die Anforderungen an den Ent­ lastungsbeweis realistisch sein sollten587, um ihn auch de facto offenzuhalten588. 589

d) Entlastung durch Beweis der Anwendung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt Der Sorgfaltsbeweis der Konzernmutter sollte sich auch im Zusammenhang mit der Geschäftsherrenhaftung am Begriff der ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführun^99 orientieren. Diesen gilt es spezifisch auf die (funktional hergeleiteten) Schutzinteressen außervertraglicher Tochtergläubiger auszurichten. Dabei ist der konkreten Ausgestaltung der Mutterkontrolle über die Tochtertätigkeiten und der Voraussehbarkeit eingetretener Risiken Rechnung zu tragen590. Der Nachweis der drei klassischen curae (in eligendo, instruendo, custodiendo) vermag aber grund­ sätzlich591 nicht zu genügen592. Gefordert ist vielmehr Beweis dafür, daß alle kon­ zernorganisatorischen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um eine optimale Si­ 584 Beim Eintritt nicht vollumfänglich versicherter bzw. versicherbarer Großrisiken wäre ein solcher Nachweis evtl, mit besonderen Unwägbarkeiten verbunden. Zudem dürften gerade hier Erfahrungszahlen am rarsten sein, welche die verläßliche Festlegung einer Schwelle angemessener Versicherung erlauben würden. Auch die Gefahr des Konkurses betroffener Versicherungsgesell ­ schaften dürfte hier am relativ größten sein. Hinzu kommen besondere Gefahren des Gastlandop­ portunismus nach Eintritt von Katastrophenfällen (vgl. Bhopal, vome 1.4.2.). Umgekehrt liegt aber gerade in diesen Imponderabilien ein (im Prinzip effizienter) Anreiz für MNK, sich spezi­ fisch mit dem Gastland zu arrangieren, z.B. über die Vereinbarung einer konkreten Versiche­ rungspflicht, dem Akzept von Staatskontrollen über die Produktionstätigkeit, der Begründung staatlicher Katastrophenfonds oder der Festlegung von Haftungsobergrenzen (Risikodialog). Das schweizerische Atomenergierecht etwa weist genau in diese Richtung (Schmid, Großrisiken, 17­ 22). Im übrigen werden Haftungsarrangements für Großrisiken evtl, international koordiniert (vgl. z.B. die im Amoco Cadiz Fall erwähnte International Convention On Civil Liability For Oil Pollution Damage, vome 1.4.3., oder das internationale Pooling von Atomenergierisiken: NZZ 4./5. 8. 1990, Nr. 178, 25f, 26). Spezifische Haftungs- und Risikoarrangements wären ei­ ner undifferenzierten Haftungsbeschränkung jedenfalls grundsätzlich vorzuziehen (vome III.3.3.2.) und dürften sich im Falle von Großrisiken auch aus Transaktionskostenperspektive loh­ nen (vgl. vome III.3.3.3.). 585 Der Begriff drängt sich hier analog zu vome V.3.2.2.4.b)-d) auf. 586 Vgl. dazu den entsprechend gefaßten §16 des österreichischen Produktehaftpflichtgeset­ zes; vome IV.2.7. 587 Ruedin, Propositions, 104, spricht für das Konzemrecht generell von der Notwendigkeit einer „photographie de la realite economique“; für Realismus im Bereich des Wirtschafsstraf­ rechts: Bucher, Durchgriffslehre, 189-190. 588 Vgl. auch Stodolkowitz, Haftung, 1524. 589 Vome V.3.2.2.4.b). 590 Vgl. Oehler, Konzern, 1448ff. 591 Wie im Produktehaftpflichtrecht; vgl. Oftinger/Stark, 324ffi; BGE 110 II 456; Brehm, Kommentar, N 45ff. zu Art. 55 OR (v.a. N 77ff, 88f.). 592 Anders Albers, Haftungsverhältnisse, 179-180.

cherheit der Tochtertätigkeiten zu gewährleisten (Konzernorganisationshaf­ tung)593. Dazu gehört im Prinzip auch eine adäquate Qualitätssicherung594.

e) Entlastung durch Beweis fehlender Kausalität

Der Muttergesellschaft steht überdies der Beweis dafür zu, daß die Gläubiger­ schäden nicht durch ihre Sorgfaltswidrigkeit, sondern z.B. durch Drittursachen entstanden595. Wo eine bloße Teilverursachung des Schadens vorliegt, wäre aus funktionaler Sicht eine proportionale Schadensdeckung (in Analogie zu Art. 42 Abs. 2 OR bzw. Art. 759 OR596) zu favorisieren, da Regreßforderungen, z.B. wenn es um die Abwälzung politischer Risiken geht, möglicherweise nicht durch­ setzbar sind597. Es ist aber fraglich, ob dies mit Art. 50f. OR vereinbar wäre. Diese sehen im Prinzip Solidarität für den gesamten Schaden vor.

3.4. Zwischenergebnis

Eine an der Internationalen Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) orientier­ te funktionale Auslegung von Art. 754 OR bzw. Art. 55 OR in Verbindung mit Art. 8 ZGB erlaubt die Herleitung spezifisch konzernrechtlicher Organ- und Ge­ schäftsherrenhaftungen. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß die Beweislasten in Abweichung von der allgemeinen Beweislastregel sachgerecht auf Tochtergläubi­ ger und Konzernmuttergesellschaften verteilt werden. Auf diese Weise wird eine Korrektur der beiden hauptsächlichen Dysfunktionen des schweizerischen Kon­ zernhaftungsrechts ermöglicht. Im Falle der konzernrechtlichen Organhaftung bedeutet dies, daß die Tochter­ gläubiger (bzw. die Konkursverwaltung) einen (mittelbaren) Schaden und die Aus­ übung einheitlicher Leitung während eines gewissen Zeitraums vor Eintritt des Tochterkonkurses nachzuweisen haben. Es obliegt dann der Konzernmutter darzu­ tun, daß entweder in den für die Schädigung und Beweisführung entscheidenden Zeiträumen keine qualifizierte Konzernierung bestand598, die Mutter ihre Sorg­ faltspflichten nicht schuldhaft verletzte oder der Schaden (bzw. zumindest ein Teil davon) nicht kausal durch ihr Verhalten verursacht wurde. 593 Vgl. dazu die vome IV.2.4.3.2.d) als überzeugend dargestellte Meinung bei Rehbinder, Konzemaußenrecht, 529ff.; vgl. auch Hommelhoff, Produkthaftung, 769-770; Weber-Häuser­ mann, Hilfspersonen, 116-118; Brüggemeier, Organisationshaftung, 33ff, und BGHZ 51, 91 (Hühnerpestfall), E.III.3. a) bb). 594 Vgl. in diesem Zusammenhang das in modernen Konzemorganisationen zunehmend Be­ deutung erlangende Total Quality Management rund um die ISO- bzw. EN-Normen; NZZ Nr. 76 vom 3. April 1991, 37 („Neue Formen des Qualitätsdenkens“). 595 Hiezu zählen insbesondere auch staatliche Einflüsse auf die Tochterproduktion; vgl. vome III.3.3.3. 596 Vgl. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 352 N 1246. 597 Vome III.3.3.3.

598 Diesfalls wird sie haftungsmäßig zwar nicht entlastet, aber es kommt die allgemeine Beweis­ lastregel zur Anwendung; vgl. vome V.3.2.2.4.a).

Im Falle der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung fuhrt eine sachgerech­ te Verteilung der Beweislasten zum Ergebnis, daß die Gläubiger die widerrechtli­ che Verursachung eines Schadens durch die Tochtergesellschaft sowie die Aus­ übung einheitlicher Leitung während eines gewissen Zeitraums vor dem Tochter­ konkurs nachzuweisen haben. Die Konzernmutter kann sich entlasten, indem sie alternativ den Beweis dafür erbringt, daß während des für die Schadensverursa­ chung entscheidenden Zeitraums keine einheitliche Leitung bestand, kein funktio­ neller Zusammenhang zwischen der einheitlichen Leitung und dem Gläubiger­ schaden existierte, die Mutter alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt anwand­ te oder der Schaden nicht kausal durch ihre Sorgfaltswidrigkeit verursacht wurde.

4. Das internationale Privatrecht im Bereich der Konzernhaftung 4.1. Allgemeines Nachdem das materielle Konzernhaftungsrecht der Schweiz im Detail erarbeitet wurde, sind nun auch noch die dazugehörigen Kollisionsrechtsnormen darzustellen und zu interpretieren. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, daß es bei der Behandlung der kollisionsrechtlichen MNK-Haftungsproblematik im wesentlichen um zwei Konstellationen geht: die Haftung einer Schweizer Mutter für ihre ausländische Töchter und die Haftung einer ausländischen Mutter für ihre schweizerische Tochter­ gesellschaft. Im folgenden wird von diesen einfachen Grundmodellen ausgegangen. In Teil III wurden Prinzipien einer funktional sinnvollen, d.h. effizienten Allo­ kation von Gesetzgebungshoheiten für Fragen der Konzernhaftung erarbeitet. Da­ bei wurde die grundsätzliche (nicht ausnahmslose) Überlegenheit einer Anwen­ dung des Rechts des Tochterlandes auf Fragen der Konzernmutterhaftung festge­ halten599. Im rechtsvergleichenden Teil IV wurde schließlich vermerkt, daß sich für einfache Mutter/Tochter-Konstellationen auch im internationalen (Konzern-) Haftungsrecht eine gewisse Tendenz zur Anwendung von Gastlandrecht zeigt600. Im folgenden sind für alle kollisionsrechtlichen Anknüpfungsfragen im schwei­ zerischen Konzernhaftungsrecht zuerst die positivrechtlichen Normen, d.h. in er­ ster Linie die einschlägigen Bestimmungen des IPRG601, darzustellen. Nur inner­ halb dieser Vorgaben besteht Raum für eine allfällige funktionale Auslegung. Da­ bei ist zusätzlich zu beachten, daß Anknüpfungsnormen des schweizerischen IPR nicht primär konzernrechtlich orientiert sind. Ihr Anwendungsbereich geht durch­ wegs über das Konzernrecht hinaus, und ihre Interessenausrichtung ist folglich um­ fassender602. Das Effizienzparadigma der IWV kann deshalb nicht überall im Vor­ 599 Vome III.3.7.2. 600 Vgl. Vome IV.3.3.-3.7. 601 IPRG vom 18.12. 1987, (SR 291). 602 Keller/Siehr, 250-253; Vischer/von Planta, 15ff., 42; Schnyder, IPRG, 9ff.; Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 121 ff.

dergrund stehen. Ueberdies ist zu berücksichtigen, daß praktische Sachverhalte wesentlich komplexer sein können als das vorliegend verwendete einfache Mutter/ Tochter-Modell603. Auch die kollisionsrechtlichen Anknüpfungen müssen dann entsprechend differenziert sein.

4.2. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Tochterstatuts Gemäß Art. 155 lit. h IPRG regelt das auf die Gesellschaft anwendbare Recht die Haftung für Gesellschaftsschulden. Das Gesellschaftsstatut bestimmt sich ander­ seits nach der Inkorporationstheorie, sofern die im Inkorporationsstaat geltenden Publizitäts- und Registrationsvorschriften erfüllt wurden604. Es handelt sich dabei um allseitige Kollisionsnormen im Sinne des klassischen IPR. Fragen der Haftungs­ beschränkung von Tochtergesellschaften unterstehen somit, funktional richtig, schweizerischem Recht, wenn die Tochter in der Schweiz inkorporiert wurde und die Mutter ausländisch ist. Im umgekehrten Fall einer ausländischen Tochter und einer schweizerischen Mutter kommt dagegen das schweizerische Recht auf die ausländische Tochter nicht zur Anwendung. Diese Regeln stehen allerdings unter dem Vorbehalt von Sonderanknüpfungen. Eine einseitige Sonderanknüpfung sieht beispielsweise Art. 159 IPRG vor. Da­ nach untersteht die Haftung der für eine ausländische Gesellschaft handelnden Per­ sonen dem schweizerischen Recht, wenn die Geschäfte der Gesellschaft in der Schweiz oder von der Schweiz aus geführt wurden605. Hier könnte man sich des­ halb fragen, ob bei hohem Integrationsgrad zwischen schweizerischen Mutterhäu­ sern und ausländischen Tochtergesellschaften die faktische Leitung der Tochter sich in der Schweiz befindet und ihr Personalstatut folglich dem schweizerischen Recht zu unterstellen sei. Davon ausgehend, daß Art. 159 IPRG insbesondere den schweizerischen Verkehrsschutz vor Augen hat606, ist diese Frage für ausschließlich im Gastland operierende Tochtergesellschaften jedoch zu verneinen. In diesem Fal­ le werden schweizerische Verkehrsinteressen durch die konzerninternen Verstrikkungen nicht tangiert. Es wären im Gegenteil eher die ausländischen Verkehrs­ schutzinteressen, welche eine Ausdehnung des Gastlandrechts auf Mutterhandlun­ gen beanspruchen könnten. In komplexeren faktischen Verhältnissen, mit einer über das Gastlandterritorium hinaus operierenden ausländischen Tochter, könnte sich die Sachlage anders darstellen. Auf solche zusätzlichen Differenzierungen soll hier aber nicht eingegangen werden607. 603 D.h. das Modell einer im Mutterland tätigen Mutter und einer (ausschließlich) im Gast­ land tätigen Tochter. 604 Art. 154 IPRG; vgl. BGE 117 II 494f. zum gesellschaftsrechtlichen Kollisionsrecht der Schweiz allgemein: Schnyder, IPRG, 131 ff.; Ebenroth/Messer, 49ff; Rohr, IPR, 127ff; Nobel, IPRG, 179ff; Forstmoser, Aktienrecht, 1 13f. 605 Zur Geschichte dieses Artikels einläßlich Ebenroth/Messer, 85 ff; die Bestimmung stellt eine Abschwächung des ursprünglich vorgesehenen Super-Durchgriffs auf die Anteilhaber ausländi­ scher Pseudo-Gesellschaften dar; a.a.O., 86. 606 Nobel, IPRG, 188ff; Schnyder, IPRG, 134£; Ghandchi, Haftung, 73ff. 607 Schnyder, IPRG, 135, spricht z.B. von der Möglichkeit, Art. 159 IPRG transaktionsbezo­ gen auszulegen.

4.3. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Organhaftung

Für die Haftung aus Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften gilt gemäß Art. 155 lit. g IPRG das Personalstatut der Gesellschaft608. Für die konzernrecht­ lich ausgebaute Organhaftung fuhrt dies zur Anwendung des Tochterstatuts. Schweizerisches materielles Konzernhaftungsrecht kommt deshalb, funktional richtig, dann zum Tragen, wenn die MNK-Tochter in der Schweiz und die MNKMutter im Ausland ansäßig sind609. In der umgekehrten Konstellation einer Schweizer Mutter und eines ausländischen Tochterunternehmens wird grundsätz­ lich ans ausländische Recht angeknüpft610. Für Fälle außerhalb der konzernrechtlichen Organhaftung stellt sich die Situation nicht wesentlich anders dar. Wo die Muttergesellschaft als faktisches Organ direkt nach Art. 754 OR haftet, sind dieselben Grundsätze anzuwenden wie bei der kon­ zernrechtlichen Organhaftung611. Dasselbe gilt für Konzerninnenhaftungen qua Doppelorganschaft. Wo hingegen die Muttergesellschaft bloß für Delikte der bei der Tochter tätigen (Doppel-) Organe bzw. Hilfspersonen haftet (Art. 55 ZGB, Art. 722 OR), entscheidet das Deliktsstatut612. Im Modellfall des ausschließlich in der Schweiz operierenden Tochterunternehmens wird dies aber grundsätzlich wiederum zur An­ wendung schweizerischen Rechts fuhren, da die Begehung oder zumindest der Er­ folg solcher Delikte typischerweise in der Schweiz lokalisiert sein dürften613.

4.4. Kollisionsrecht der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung Zumindest prinzipiell fuhrt auch die deliktsrechtlich anzuknüpfende konzern­ rechtliche Geschäftsherrenhaftung zur Anwendung des Gastlandstatuts614. Gemäß Art. 133 Abs. 2 IPRG ist für Delikte grundsätzlich das Recht am Begehungsort an­ zuwenden615. Letzterer wird zwar möglicherweise im Mutterland liegen. Der Er­ folgsort geht aber dem Begehungsort vor, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolgs am betreffenden Ort rechnen mußte. Diese Vorschrift wird im Zusam­ menhang mit schweizerischen Tochtergesellschaften somit regelmäßig zur Anwen-

608 Forstmoser, Aktienrecht, 124-125; Lehner, Verantwortlichkeit, 230f.; Rohr, IPR, 190f. 609 Zur Anknüpfungsproblematik im Lichte des Funktionswandels des Gesellschaftsrechts all­ gemein: Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht, 32ff; Vischer, Wandlung, 639f.; Mann, Kon­ zern, 70ff ; vgl. auch Dalleves, Problemes, 635f. 610 Vgl. wiederum die mögliche Ausnahme im Zusammenhang mit Art. 159 IPRG; Nobel, IPRG, 189. 611 Vgl. Forstmoser, Verantwortlichkeit, 201 ff. 612 Forstmoser, Verantwortlichkeit, 203-204; Forstmoser, Aktienrecht, 123f.; Rohr, IPR, 190ff; Lehner, Verantwortlichkeit, 187f.; vgl. auch Spiro, Doppelorgane, 648ff. 613 Vgl. zum Deliktsstatut hinten V.4.4. und 4.5. 614 Schönenberger/Jäggi, Einleitung N 332; Forstmoser, Aktienrecht, 124; Vischer, Delikts­ recht, 124, 128. 615 Auch Art. 133 Abs. 1 und 3 IPRG fuhren im hier zugrundegelegten Konzernmodell ten­ denziell zur Anwendung von Gastlandrecht.

düng der schweizerischen konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung auf auslän­ dische Muttergesellschaften fuhren616. Soweit Delikte der Tochtergesellschaft Sonderanknüpfungen unterstehen, gel­ ten diese unter Umständen auch für die damit zusammenhängende konzernrechtli­ che Geschäftsherrenhaftung der Mutter617. Diesbezüglich ist auf Art. 136 (unlaute­ rer Wettbewerb), Art. 137 (Wettbewerbsbehinderungen) und Art. 135 Abs. 1 IPRG zu verweisen. Letzterer sieht für Produktehaftpflichtklagen 618 eine Wahl des Geschädigten zwischen dem Recht am Ort der Niederlassung des Schädigers und dem Erwerbsort des Produktes vor.

4.5. Kollisionsregeln des Konzernaußenrechts Die übrigen konzernhaftungsrechtlichen Institute des Delikts- und Vertrags­ rechts sind ebenfalls nach den im IPRG vorgesehenen allgemeinen Regeln anzu­ knüpfen. Auch sie führen bei einfachen Mutter/Tochter-Konstellationen tenden­ ziell zur Anwendung von Gastlandrecht. Direkte Deliktshandlungen der Konzern­ mutter gegenüber Tochtergläubigern richten sich nach Gastlandrecht, weil zumin­ dest ihr (vorauszusehender) Erfolgsort sich dort befindet619. Soweit UWG-Delikte in Frage stehen, sind diese grundsätzlich ebenfalls nach Gastlandrecht zu qualifizie­ ren, da für sie im Prinzip das Marktstatut gilt620. Dasselbe gilt für Wettbewerbsbe­ hinderungen621. Bei vertragsrechtlichen Ansprüchen der Tochtergläubiger gegen die Tochterge­ sellschaft kann ein damit in Zusammenhang stehender Deliktsanspruch gegen die Mutter (z.B. für Eingriffe in Forderungen Dritter) trotz der akzessorischen An­ knüpfung in Art. 133 Abs. 3 IPRG nicht dem Statut des Vertrags zwischen den Tochtergläubigern und der Tochtergesellschaft unterstellt werden. Mutter und Tochter sind als zwei verschiedene Subjekte zu behandeln, sodaß auch kollisions­ rechtlich ein Vertrag der Tochter nicht zugleich als Vertrag der Mutter eingestuft werden darf. Wo hingegen Tochtergläubiger direkte Vertragsansprüche gegen die Mutterge­ sellschaft geltend machen können (Patronatserklärungen, evtl, culpa in contrahen­ do) sind diese vertragsrechtlich anzuknüpfen. Bei Fehlen einer Rechtswahl gilt ge­ mäß Art. 117 IPRG das Recht des Staates, mit dem der Vertrag den engsten Zu­ sammenhang aufweist. Dieser wird dort vermutet, wo die Partei, welche die ver­ tragscharakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. ihre Niederlassung hat. Bei Patronatserklärungen dürfte dies grundsätzlich das Mutterland sein (vgl. Art. 117 Abs. 3 lit. e IPRG). 616 Vgl. zur Anknüpfung des Deliktsrechts auch Heini, Deliktsnormen, 193ff; Schnyder, IPRG, 118f.; Bucher, Illicites, 107ff.; Trutmann, Deliktsobligationen, 145ff. 617 Zu den Sonderanknüpfungen siehe Art. 134f. IPRG. 618 Vischer, Deliktsrecht, 131 ff. 619 Art. 133 IPRG. 620 Art. 136 IPRG. 621 Art. 137 IPRG.

Im übrigen sind aber auch hier die Sonderanknüpfungen des IPRG für spezielle Verträge zu beachten. Vertragliche Versprechen von Muttergesellschaften gegen­ über Konsumenten und Arbeitnehmern der Tochter unterstehen dabei tenden­ ziell wiederum Gastlandrecht. Sie richten sich grundsätzlich nach dem gewöhnli­ chen Aufenthaltsort der Konsumenten (Art. 120 IPRG) bzw. dem Arbeitsort (Art. 121 IPRG).

4.6. Kollisionsrecht der Durchgriffshaftung

Die Anknüpfung der Durchgrifshaftung im schweizerischen Recht ist nicht restlos geklärt622. Das hängt einerseits damit zusammen, daß der Begriff Durch­ griff oft nicht nur haftungsrechtlich verstanden wird, sondern auch die Nichtaner­ kennung juristischer Personen im allgemeinen umfaßt623. Es werden deshalb von einigen Autoren ausdrücklich differenzierende Anknüpfungslösungen postu­ liert624. Während die auf dem ordre public-Ged^nken beruhende Nichtanerken­ nung ausländischer Gesellschaften zur Anwendung der schweizerischen lex fori fuhrt625, scheint für die Kategorien des haftungsrechtlichen Durchgriffs eine An­ knüpfung an das Personalstatut im Vordergrund zu stehen626. Im Konzernkontext würde dies zur Anwendung des Tochterrechts führen627. Das IPRG äußert sich nicht direkt zur Anknüpfung der Durchgriffsfrage. Art. 159 IPRG, welcher in seiner ursprünglichen Fassung als einseitige Norm ei­ nen Durchgriff gegenüber ausländischen Pseudo-Gesellschaften vorsah, kann in seiner endgültigen Form nun aber kaum mehr als Durchgriffskollisionsnorm ver­ standen werden628. Aufjeden Fall deutet die Tatsache, daß für den Durchgriff ge­ genüber schweizerischen Gesellschaften keine Sonderanknüpfung vorgesehen ist, daraufhin, daß dieser grundsätzlich dem allgemeinen Personalstatut unterstehen soll. Auch aus funktionaler Warte ist für den Durchgriff von Tochtergläubigern ge­ gen ausländische Muttergesellschaften eine Anknüpfung an das Tochterstatut zu befürworten629, so daß im schweizerischen IPR für alle Kategorien des Haftungs­ durchgriffs auslegeweise diese Lösung postuliert werden kann.

622 Siehr, Literaturspiegel, 133; Rohr, IPR, 431 ff. 623 Forstmoser, Aktienrecht, 23 ff. 624 Ronca, IPR, 132ff; Vischer, Aktiengesellschaft, 51£, 71; vgl. vome IV.3.3. 625 Vgl. BGE 117 II 501£; Bez.Ger. Morgen, Urteil vom 20.1. 1956, SJZ 54 (1958), 21; Rohr, IPR, 456. 626 Ebenso wohl Schnyder, IPRG, 133£; Ronca, IPR, 135; Ebenroth, Durchgriff, 136; Vi­ scher, Aktiengesellschaft, 71; anders Rohr, IPR, 458, der auch hier die Anwendung der lex fori befürwortet. 627 Forstmoser, Aktienrecht, 126 N 53. 628 Nobel, IPRG, 189. 629 Vome III.3.7.2.

4.7. Kollisionsrecht der paulianischen Anfechtungsklage Art. 166 ff. IPRG regeln erstmals auch Kollisionsfragen im Konkursrecht630. Da­ bei wird die Möglichkeit eröffnet, ein ausländisches Konkursdekret in der Schweiz anzuerkennen631. Eine Konkursanerkennung unterstellt die in der Schweiz gelege­ nen Vermögenswerte des Schuldners den konkursrechtlichen Folgen des schweize­ rischen Rechts632. Art. 171 IPRG sieht für diesen Fall zudem ausdrücklich die Zu­ lässigkeit von Anfechtungsklagen gemäß Art. 285 ff. SchKG vor. Für die hier untersuchten MNK-Konstellationen bedeutet die teilweise Durch­ brechung des konkursrechtlichen Territorialitätsprinzips, daß der Konkurs einer ausländischen Tochtergesellschaft in der Schweiz anerkannt werden kann. Da­ durch sind paulianische Anfechtungsklagen ausländischer Tochtergläubiger gegen schweizerische Muttergesellschaften (nach schweizerischem Recht633) möglich ge­ worden634. Auch im umgekehrten Fall einer (konkursiten) schweizerischen Toch­ ter können Anfechtungsklagen gegen die ausländische Muttergesellschaft nach schweizerischem Recht erhoben werden635.

4.8. Zwischenergebnis Die Darstellung der kollisionsrechtlichen Grundsätze zu den verschiedenen ma­ teriellrechtlichen Konzernhaftungsinstituten des schweizerischen Rechts hat erge­ ben, daß die diesbezüglichen Regeln im Prinzip klar sind und im übrigen (zumin­ dest in einfachen Mutter/Tochter-Konstellationen) tendenziell zur Anwendung von Gastlandrecht fuhren636. Die relativ eindeutige positivrechtliche Umschrei­ bung und die aus der Perspektive des Konzernrechts auch funktional überzeugen­ de Struktur dieser Kollisionsrechtsbestimmungen läßt die Frage nach der Notwen­ digkeit konzernhaftungsrechtlicher Sonderanknüpfungen637 zumindest de lege lata obsolet werden. 630 Schnyder, IPRG, 138ff; Walder, Konkursrecht, 51 ff.; Nußbaum, Insolvenzrecht, passim; Premier Seminaire, passim. 631 Art. 166 IPRG; Pr 79 (1990), 485ff. (= 115 III 148ff); das Lugano-Übereinkommen schließt seinerseits Konkurse und die damit zusammenhängenden Verfahren, wozu wohl auch Anfechtungsklagen gehören, von seinem Geltungsbereich aus; vgl. Art. 1 Abs. 2 Ziff. 2 und BGH, NJW 1990, 990 = RIW 1990, 221. 632 Art. 170 IPRG. 633 Differenzierend diesbezüglich jedoch Walder, 100 Jahre, 336f; Staehelin, Konkurse, 146; die französische Verlustdeckungsklage wäre aufgrund ihrer verantwortlichkeitsrechtlichen Natur aber evtl, zivilrechtlich zu qualifizieren (Wiedemann, International, 206), was insbesondere für die Anerkennung entsprechender französischer Urteile praktisch relevant werden könnte; hinten V.5.3. 634 Nußbaum, Insolvenzrecht, 27ff; Staehelin, Konkurse, 144ff. 635 BGE 59 III 254ff; 41 III 315ff; vgl. auch Doka, Actio Pauliana, 331ff; Güldener, IZPR, 184f.; Staehelin, Konkurse, 145f. 636 Auch ausländische Konzemhaftungsinstitute, welche dem schweizerischen Recht nicht be­ kannt sind, z.B. die spezifischen konzemrechtlichen Vorschriften des deutschen Rechts, sind ans Tochterstatut anzuknüpfen; vgl. Schluep, in Lalive/Vischer, 48ff, und vome IV.3.6. 637 Dazu auch Schluep, in Lalive/Vischer, 48ff.

5. Das internationale Zivilprozeßrecht im Bereich der Konzernhaftung 5.1. Allgemeines Die erste und die vierte Ebene der generalisierten Haftungsproblematik Multi­ nationaler Konzerne umfassen Fragen des IZPR638. Zuerst stellt sich in jedem MNK-Haftungsfall die Gerichtsstandsfrage. Zuletzt kann auch die Vollstreckungs­ frage Bedeutung erlangen. Zudem ist im III. Teil aufgezeigt worden, daß sowohl die internationale Gerichtsstandssituation wie die internationale Vollstreckungsla­ ge Reflexwirkungen auf Fragen des materiellen Konzernhaftungs- und des Kolli­ sionsrechts haben639. Eine vollständige Behandlung der MNK-Haftungsproblema­ tik verlangt deshalb die Darstellung der einschlägigen Grundregeln des schweizeri­ schen Gerichtsstandsrechts. Aus demselben Grund rechtfertigt sich die zumindest überblicksweise Darstellung der Grundsätze des schweizerischen Vollstreckungs­ rechts. Auf Fragen der Rechtshilfe dagegen wird nicht eingegangen, da hier kon­ zernhaftungsspezifische Besonderheiten fehlen640.

5.2. Internationales Gerichtsstandsrecht

5.2.1. Allgemeines Das IPRG regelt die internationale Zuständigkeit für Zivilrechtsstreitigkeiten im Prinzip abschließend641. Ein Vorbehalt gilt allerdings für staatsvertragliche Ge­ richtsstandsvereinbarungen, so namentlich das Lugano-Übereinkommen642. Kla­ gen ausländischer Tochtergläubiger gegen schweizerische Muttergesellschaften und Klagen schweizerischer Tochtergläubiger gegen ausländische Mütter sind des­ halb vor schweizerischen Gerichten zulässig, falls das IPRG hiefür einen Gerichts­ stand zur Verfügung stellt. Dabei stellt sich der Fall einer Klage ausländischer Toch­ tergläubiger gegen schweizerische Mütter als einfach dar. Gemäß Art. 59 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) und Art. 2 IPRG sind die schweizeri­ schen Gerichte bei solchen Klagen immer zuständig643. Für ein funktional sinnvol­ les644 Institut des forum non conveniens lassen BV und IPRG keinen Raum645. Während somit die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte für Klagen ausländi­ scher Tochtergläubiger gegen Schweizer Konzernmütter, funktional gesehen, zu breit ausfällt, ist in der umgekehrten Konstellation eher das Gegenteil zu vermer­ 638 Vome 1.5.2. 639 Vome III.3.7.3. 640 Vgl. Schnyder, Rechtshilfe, Iff. 641 BB1 1983 I, 299; Walder, IZPR, 161; zum internationalen Gerichtsstandsrecht allgemein: Schnyder, IPRG, 19ff.; Walder, IZPR, 160ff.; Volken, Entwicklungen, 235ff.; Brandenberg, Zuständigkeit, passim. 642 BB11990 II, 265ff.; Volken, Lugano, 561 ff.; Voyame, Lugano, 257ff; Lustenberger, Über­ einkommen, 192ff; Brandenberg, Zuständigkeit, 131 ff. 643 Vgl. auch Art. 2 des Lugano-Übereinkommens. 644 Vome III.3.7.3. und IV.4.2.1. 645 Blum, Forum, 182.

ken. Im Vergleich mit der flexiblen amerikanischen jurisdiction 646 nehmen sich die Gerichtsstandsbestimmungen für Klagen schweizerischer Tochtergläubiger gegen ausländische Mütter enggeschnitten aus. 5.2.2. Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Organhaftung

Für Klagen aus Verantwortlichkeitsrecht im Zusammenhang mit der Verwal­ tung und Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft sieht Art. 761 OR einen Ge­ richtsstand am Sitz der Gesellschaft vor647. Art. 151 IPRG hat diese Gerichtsstands­ bestimmung auch ins IZPR übertragen, sodaß Verantwortlichkeitsklagen schwei­ zerischer Tochtergläubiger gegen ausländische Verwaltungsräte und Geschäftsfüh­ rer am Sitz der Schweizer-Tochter erhoben werden können648. Es ist funktional richtig und aufgrund der Formulierungen in Art. 151 IPRG bzw. Art. 761 OR na­ heliegend, diesen schweizerischen Gerichtsstand auch für Klagen gegen ausländi­ sche Konzernmütter aufgrund der konzernrechtlichen Organhaftung zuzulassen. Anzumerken ist allerdings, daß dieser Spezialgerichtsstand im Geltungsberich des Lugano-Übereinkommens nicht vorgesehen ist649. 650 5.2.3. Klagen aufgrund der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung

Während für Klagen gegen schweizerische Unternehmen am Deliktsort Art. 59 BV regelmäßig ein (Vollstreckungs-) Hindernis darstellt650, gilt dies für Klagen ge­ gen ausländische Konzernmütter nicht. Schweizerische Tochtergläubiger können deshalb gemäß Art. 129 Abs. 2 IPRG ausländische Konzernmütter aufgrund der konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung nach ihrer Wahl am schweizerischen Handlungs- oder Erfolgsort einklagen651. 5.2.4. Konzernaußenrechtliche Klagen Nebst dem Deliktsgerichtsstand von Art. 129 Abs. 2 IPRG ist für konzernaußen­ rechtliche Tatbestände vertragsrechtlicher Natur auch auf Art. 113-115 IPRG hin­ zuweisen. Sie stellen Spezialgerichtsstände am schweizerischen Erfüllungsort652, am Wohnort des Konsumenten (für Klagen aus Konsumentenverträgen)653 und am Arbeitsort (für Klagen aus Arbeitsverträgen)654 zur Verfügung. Da Patronatser­ 646 Vorne IV.4.2.1., 4.2.2. 647 BGE 115 II 160ff.; Forstmoser, Verantwortlichkeit, 181 f. 648 Nobel, IPRG, 181; Walder, IZPR, 182. 649 Vgl. Schnyder, IRPG, 132. 650 Art. 129 IPRG. 651 Auch das Lugano-Übereinkommen sieht den Deliktsgerichtsstand vor; vgl. Schnyder, IPRG, 117. 652 Art. 113 IPRG. 653 Art. 114 IPRG. 654 Art. 115 IPRG; zu entsprechenden Gerichtsständen des Lugano-Übereinkommens, vgl. Schnyder, IPRG, 105f.

klärungen im allgemeinen Geldleistungen beinhalten und Geldschulden (nach schweizerischem Recht) Bringschulden darstellen655, kann diesbezüglich grund­ sätzlich am schweizerischen Erfüllungsgerichtsstand geklagt werden. Auch Klagen aus culpa in contrahendo können damit, je nach ihrer Qualifikation, am schweize­ rischen Vertrags- oder Deliktsgerichtsstand erhoben werden.

5.2.5. Durchgrifsklagen Art. 151 Abs. 1 IPRG sieht für „gesellschaftsrechtliche" Klagen gegen „Gesell­ schafter“ die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz der schweizerischen Gesellschaft vor. Wird diese Bestimmung funktional ausgelegt656, so erfaßt sie auch Durchgriffsklagen gegen ausländische Konzernmütter schweizerischer Tochtergesellschaften 657.

5.2.6. Paulianische Anfechtungsklagen

Für paulianische Anfechtungsklagen, als betreibungsrechtliche Klagen mit Re­ flexwirkung auf das materielle Recht658, sieht das mit materiellrechtlichen Zivilkla­ gen befaßte Gerichtsstandsrecht des IPRG keine Zuständigkeitsbestimmungen vor659. Anfechtungsklagen sind in der Schweiz somit zulässig, wenn für sie ein Ge­ richtsstand des allgemeinen Zivilprozeßrechts besteht660. Als Möglichkeiten kom­ men das forum arresti 661 oder ein kantonaler Anfechtungsgerichtsstand in Frage662. Der Anfechtungsanspruch kann evtl, auch einredeweise bei der Kollokation (Fest­ stellung der Forderung) geltend gemacht werden663. Sofern ein kantonaler Anfechtungsgerichtsstand aber nicht vorliegt und auch ein bundesrechtlicher Gerichtsstand nicht begründet werden kann, besteht für An­ fechtungsklagen schweizerischer Tochtergläubiger gegen ausländische Mutterge­ sellschaften in der Schweiz kein Gerichtsstand. Das fällt dann besonders ins Ge­ wicht, wenn der Konkurs der schweizerischen Tochter im Mutterland keine Aner­ kennung findet und dort eine paulianische Anfechtung nicht möglich ist. Ähnlich wie für Widerspruchsklagen gilt deshalb auch für Anfechtungsklagen, daß sie auf­ grund der engen Verknüpfung mit dem schweizerischen Zwangsvollstreckungsver­ fahren im Prinzip durch Schweizer Richter beurteilt werden sollten664. De lege 655 Art. 74 Abs. 2 Ziff. 1 OR. 656 Vgl. vorne III.3.7.3. 657 Nicht ausdrücklich, aber evtl, implizit: Ebenroth/Messer, 100; aufgrund der einschränken­ deren Formulierung ist fraglich, ob diese Auslegung auch für das Lugano-Übereinkommen Gel­ tung beanspruchen kann; vgl. Schnyder IPRG, 132. 658 Staehelin, Konkurse, 144 FN 1. 659 Walder, IZPR, 184; Das Lugano-Übereinkommen schließt konkursrechtliche Anfech­ tungsklagen wohl von seinem Geltungsbereich aus; vgl. vorne V.4.7. 660 Staehelin, Konkurse, 149f.; Güldener, IZPR, 185f; Nußbaum, Konkursrecht, 170; vgl. auch BGE 50 I 384. 661 Art. 4 IPRG; Staehelin, Konkurse, 149; Walder, IZPR, 165. 662 Güldener, Zivilprozeßrecht, 90. 663 Vgl. Art.244ff. SchKG. 664 BGE 107 III 118ff., 121.

ferenda müßten somit bundesrechtliche Vorschriften schon aus konkursrechtli­ chen Erwägungen einen Anfechtungsgerichtsstand in der Schweiz vorsehen665. Genau dies tut nun Art. 289 des am 16. Dezember 1994 verabschiedeten BG über Schuldbetreibung und Konkurs (rev. SchKG)666. Das Problem darf deshalb für die Zukunft als gelöst betrachtet werden.

5.2.7. Zwischenergebnis

Die schweizerische internationale Zuständigkeitsordnung für MNK-Haftungsklagen scheint aus konzernrechtlicher Sicht zwar kein funktionales Optimum dar­ zustellen. Eine Notwendigkeit, sie spezifisch konzernrechtlich umzuformen, be­ steht aber zumindest de lege lata nicht667. Bezüglich der internationalen Zuständig­ keiten ist im übrigen auch das Lugano-Abkommen zu beachten. Es regelt das inter­ nationale Zuständigkeitsrecht der Schweiz im europäischen Rechtsverkehr.

5.3. Vollstreckung ausländischer Haftungsurteile gegen Multinationale Konzerne in der Schweiz

Das IPRG enthält eine grundsätzlich abschließende Anerkennungs- bzw. Voll­ streckungsordnung für ausländische Entscheide in Zivilsachen. Vorbehalten blei­ ben wiederum staatsvertragliche Vereinbarungen, namentlich das Lugano-Über­ einkommen668. Art. 25 IPRG in Verbindung mit Art. 28 IPRG halten die drei fun­ damentalen Voraussetzungen der Vollstreckung ausländischer Entscheide in der Schweiz fest. Gefordert ist vorerst die indirekte Zuständigkeit der ausländischen Gerichte nach schweizerischem Recht. Des weiteren muß der ausländische Ent­ scheid endgültig sein, und es dürfen ihm keine Verweigerungsgründe (ordre public) entgegenstehen. Ein Gegenrechtserfordernis besteht gemäß IPRG aber nicht. Die indirekte Zuständigkeit669 ergibt sich allgemein aus Art. 26 IPRG oder aus den verschiedenen Spezialbestimmungen des Gesetzes. So sieht z.B. Art. 165 Abs. 1 lit. a IPRG für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten die indirekte Zuständig­ keit ausländischer Gerichte am Sitz einer Gesellschaft vor. Urteile gegen ausländi­ sche Muttergesellschaften im Mutterland wären damit aufgrund dieser Vorschrift in der Schweiz grundsätzlich vollstreckbar. 665 Peter, SAG, 13. 666 BB1 1994 V, 995f. 667 Konzemrechtlich nicht befriedigen kann im Prinzip die Tatsache, daß die schweizerischen Gerichtsstände für die verschiedenen Haftungsansprüche gegen ausländische Muttergesellschaf­ ten in Einzelfällen evtl, auseinanderliegen können (z.B. Sitz der Tochter und Deliktsort). Ein all­ gemeiner Gerichtsstand des Sachzusammenhangs existiert unter dem IPRG aber nicht; vgl. Bran­ denberg, 335ff., 354. 668 Schnyder, IPRG, 36ff; 38f; bezügl. Staatsverträgen allgemein siehe Walder, IZPR, 197f; Kaufmann, Grundlinien, 361 ff; Volken, Entraide, 245ff. 669 Sie braucht sich mit der direkten Zuständigkeit für Klagen in der Schweiz nicht zu decken.

Für Urteile gegen Schweizer-Muttergesellschaften im Ausland stellt dagegen Art. 59 BV ein Vollstreckungshindernis dar. Ohne Einlassung der schweizerischen Mutter im ausländischen Prozeß wird einer Vollstreckung in der Schweiz durch­ wegs die Einrede der Unzuständigkeit des ausländischen Gerichts nach Schweizer­ recht entgegengehalten werden können670. Die Vollstreckbarkeit ausländischer paulianischer Anfechtungsurteile wird zudem von Staehelin wegen ihrer betrei­ bungsrechtlichen Natur in Frage gestellt671. Aus funktionaler Sicht ist das schweizerische Vollstreckungsrecht nicht optimal. Die starre Vorschrift des Art. 59 BV verhindert die an sich wünschenswerte Vollstrekkung rechtsstaatlich einwandfrei ergangener Entscheide gegen schweizerische Mut­ tergesellschaften in Gastländern. Eine flexiblere Vorbehaltsnorm, welche bei einer Beanspruchung exorbitanter Gerichtsstände in Gastländern (z.B. US-jurisdiction) oder expropriationsähnlichen Durchgriffsurteilen (z.B. Deltec) beansprucht werden könnte, wäre zu bevorzugen. Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Lugano­ Übereinkommens ist Art. 59 BV deshalb zu Recht unter internationalen Druck ge­ raten672. De lege ferenda ist die Abschaffung dieses unbeweglichen Verfassungsarti­ kels zu fordern. De lege lata allerdings läßt er für eine funktional überzeugende Flexi­ bilisierung des Vollstreckungsrechts im Konzernhaftungsbereich keinen Raum.

6. Ergebnis Die auslegeweise Aufbereitung und Fortentwicklung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts auf dem Hintergrund der Internationalen WirtschaftsVerfas­ sung der Schweiz (IWV) ergibt ein differenziertes, letztlich auch funktional befrie­ digendes Bild. Hiefür bedurfte es aber vor allem im Bereich des materiellen Kon­ zernhaftungsrechts einer sachgerechten Umverteilung der Beweislasten. Die Re­ sultate der Untersuchungen in Teil V können nun in Teil VI in praktischer Reihen­ folge nochmals dargestellt werden.

670 Staatsvertragliche Ausnahmen bestehen aber; vgl. Hauser, Tatort, 346f. 671 Staehelin, Konkurse, 150f.; Urteile französischer Gerichte aufgrund von Verlustdeckungs­ klagen wären aber evtl, zivilrechtlich zu qualifizieren und wie Zivilurteile vollstreckbar; vorne IV.3.5.; vgl. auch Ebenroth, Kommentar, Rnr 385-386. 672 Bezügl. Art. 59 BV wird der Schweiz ein bis 1999 befristeter Vorbehalt eingeräumt; Prot. Nr. 1 Art. la (BB1 1990 II, 373-374); Voyame, Lugano; 261 f.

VI. Der typische Fall der Haftung Multinationa ler Konzerne im schweizerischen Recht 1. Allgemeines Der typische MNK-Haftungsfall impliziert, wie in Teil I dargestellt, vier Grund­ fragen: die Gerichtsstandsfrage, die Frage des anwendbaren Rechts, die materielle Haftungsfrage und Fragen der Rechtshilfe bzw. Vollstreckung. Die konkreten Er­ gebnisse aus Teil V sollen deshalb, aufgeteilt nach dieser typischen Problemstruk­ tur, nochmals zusammengefaßt werden.

2. Gerichtsstandsfrage Schweizerische Muttergesellschaften ausländischer Töchter können aufgrund von Art. 59 BV bzw. Art. 2 IPRG in der Schweiz immer eingklagt werden. Das von den US-Gerichten im Falle Bhopal angerufene Institut des forum non conveniens steht im schweizerischen Recht nicht zur Verfügung. Ausländische Muttergesellschaften schweizerischer Töchter können in der Schweiz eingeklagt werden, wenn dabei eine Durchgriffshaftung (Art. 151 Abs. 1 IPRG), paulianische Anfechtungsansprüche (Art. 289 rev. SchKG), eine (konzern­ rechtliche) Organhaftung (Art. 151 IPRG, Art. 761 OR), eine (konzernrechtli­ che) Geschäftsherrenhaftung (Art. 129 Abs. 2 IPRG) oder andere konzernaußen­ rechtliche Ansprüche geltend gemacht werden (Art. 113-115 IPRG).

3. Anwendbares Recht Wo schweizerische Gerichte für Klagen gegen schweizerische oder ausländi­ sche Konzernmuttergesellschaften zuständig sind, bestimmt sich das anwendbare Recht nach dem IPRG. Gemäß Art. 155 lit. h IPRG ist auf Fragen der Haftung für Tochterschulden grundsätzlich das Tochterstatut anzuwenden. Darunter fallen auch Durchgriffsklagen. Die Sonderanknüpfungen für Organhaftungsklagen (Art. 155 lit. g IPRG) bzw. Klagen gegen die Konzernmutter als Geschäftsherrin ihrer Tochter (Art. 133 Abs 2 IPRG) und andere konzernaußenrechtliche Klagen führen meist ebenfalls zur Anwendbarkeit des Tochterstatuts (Art. 135ff. IPRG). Auf paulianische Anfechtungsklagen kommt immer das schweizerische Recht zur

Anwendung, d.h. auch wenn gegen schweizerische Muttergesellschaften ausländi­ scher Töchter geklagt wird (Art. 171 IPRG).

4. Materielle Rechtsinstitute Wo schweizerisches materielles Recht zur Anwendung kommt, ist zu unter­ scheiden zwischen der Haftung der Mutter als Aktionärin, als Geschäftsführerin ih­ rer Tochter und als Drittperson.

4.1. Haftung der Mutter als Aktionärin ihrer Tochter

Für diesen Haftungsbereich stehen im schweizerischen Recht der Durchgriff, die Rückerstattung von Dividenden und verdeckten Gewinnausschüttungen, die paulianische Anfechtung sowie das Deliktsrecht (rechtswidrige Ausübung des Stimmrechts, Verletzung von Treuepflichten) zur Verfügung. Praktisch im Vorder­ grund steht der Durchgriff (Art. 2 ZGB). Er setzt vorerst den Nachweis eines Be­ herrschungstatbestands (z.B. Mehrheitsbeteiligung) und der offensichtlichen Gläu­ bigerschädigung (Tochterkonkurs) voraus. Die Tochtergläubiger bzw. die Kon­ kursverwaltung haben zudem zu beweisen, daß entweder die Tochtergesellschaft unterkapitalisiert war, die gesellschaftsrechtlichen Formalitäten der Tochtergesell­ schaft systematisch mißachtet wurden, eine Vermögens- bzw. Sphärenvermi­ schung oder ein Institutsmißbrauch vorlag. Weitere Nachweise (z.B. die Existenz eines Kausalzusammenhangs oder die Nichtverfügbarkeit anderer Haftungsinstitu­ te) sind nicht zu fordern. 4.2. Haftung der Mutter als Geschäftsführerin ihrer Tochter Für diesen Haftungsbereich stehen im schweizerischen Recht vor allem die auf Art. 754ff. OR bauenden Figuren der faktischen Organschaft und der Doppelor­ ganschaft zur Verfügung. Die beiden Institute sind teilweise komplementär, wobei die Doppelorganschaft insbesondere auch deliktisches Verhalten gegenüber Toch­ tergläubigern zu erfassen vermag. Im Vordergrund steht aber die Haftung der Mut­ ter aus faktischer Organschaft. Sie setzt nach der allgemeinen Beweislastregel vor­ aus, daß die Tochtergläubiger die Organqualität der Konzernmutter, deren sorg­ faltswidriges und schuldhaftes Verhalten sowie die kausale Verursachung eines (mit­ telbaren) Schadens beweisen. Da diese Beweislastverteilung in eng integrierten Konzernen prohibitiv ist, rechtfertigt sich für das schweizerische Organhaftungsrecht eine konzernadäquate Umverteilung der Beweislasten bzw. die auslegeweise Schaffung einer spezifisch konzernrechtlichen Organhaftung. Demzufolge ist von den Tochtergläubigern (Konkursverwaltung) bloß zu verlangen, daß sie die Eröffnung des Tochterkon­ kurses, ihre (mittelbare) Schädigung sowie die Ausübung einheitlicher Leitung durch die Konzernmutter für eine gewisse Zeit vor dem Tochterkonkurs nachwei­

sen. Der Muttergesellschaft obliegt alsdann der Beweis dafür, daß in den für die Schädigung und Beweisführung entscheidenden Zeiträumen keine qualifizierte Konzernierung bestand (in welchem Fall wieder die allgemeine Beweislastregel zur Anwendung kommt), oder alternativ, daß die Konzernmutter ihre Leitungs­ aufgaben bei der Tochter nicht sorgfaltswidrig und schuldhaft erfüllte, ihr Verhal­ ten für den Schadenseintritt nicht kausal war bzw. nur einen begrenzten Schaden verursachte.

4.3. Haftung der Mutter als Drittperson Die Haftung der Konzernmutter als Drittperson wird über das sog. Konzernau­ ßenrecht geregelt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Haftung der Mutter ge­ genüber der Tochter und ihrer Haftung gegenüber den Tochtergläubigern. Die erste Haftungskategorie läßt sich im geltenden schweizerischen Recht über verschiedene Vertrags- und deliktsrechtliche Institute erfassen. Beispiele sind die Nichtigkeit von Transfergeschäften (verbunden mit Rückforderungsansprüchen gegen die Mutter), evtl. Verletzungen des UWG oder Ansprüche aus Geschäftsfüh­ rung ohne Auftrag bzw. ungerechtfertigter Bereicherung. Auch innerhalb der zweiten Haftungskategorie bieten sich vertragsrechtliche Haftungsinstitute (direkte vertragliche Verpflichtungen, Patronatserklärungen) bzw. die culpa in contrahendo an. Deliktsrechtlich stehen Art. 41 OR, das UWG und Art. 55 OR als mögliche Haftungsgrundlagen im Raum. Art. 55 OR eignet sich zumindest dann zum Schutz außervertraglicher Tochtergläubiger, wenn er mit einer konzernadäquaten Beweislastregelung versehen wird. Die so konzipierte konzernrechtliche Geschäftsherrenhaftung auferlegt den Tochtergläubigern den Beweis dafür, daß sie durch die Tochtergesellschaft widerrechtlich und kausal ge­ schädigt wurden und daß die Tochter mindestens während einer gewissen Zeit vor der Schädigung unter einheitlicher Leitung der Mutter stand. Die Mutter kann sich entlasten, wenn sie beweist, daß in den für die Schädigung entscheidenden Zeiträumen keine einheitliche Leitung ausgeübt wurde, oder alternativ, daß zwi­ schen der Schädigung und der Ausübung einheitlicher Leitung kein funktioneller Zusammenhang existierte, sie in der Ausübung einheitlicher Leitung alle gebote­ ne Sorgfalt anwandte bzw. zwischen ihrer Sorgfaltswidrigkeit und der Schädigung der Tochtergläubiger keine Kausalität bestand.

5. Rechtshilfe und Vollstreckung Auf konkrete Rechtshilfeprobleme im Zusammenhang mit MNK-Haftungsfragen wurde nicht eingegangen. Bezüglich der Vollstreckung ausländischer MNKHaftungsurteile in der Schweiz gelten die einschlägigen staatsvertraglichen Re­ geln (z.B. das Lugano-Uebereinkommen) und Art. 25. IPRG. Soweit es sich da­ bei um Haftungsurteile gegen schweizerische Konzernmuttergesellschaften han­ delt, könnte Art. 59 BV ein Vollstreckungshindernis darstellen. Für den umgekehr­

ten Fall der Vollstreckung schweizerischer MNK-Haftungsurteile im Ausland gel­ ten die anwendbaren Vollstreckungsabkommen und das einschlägige nationale Recht des Vollstreckungsstaates.

VII. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Multinationale Konzerne sind wirtschaftliche Organisationsformen, welche im Hinblick auf den internationalen Transfer von Kapital- und Technologieres­ sourcen beträchtliche Potentiale zur Steigerung weltwirtschaftlicher Effizienz auf­ weisen. 2. Die Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne ist auch aus schweizeri­ scher Sicht von eminenter Bedeutung. Sie löst grundsätzlich vier Fragen aus: die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit, die Frage des anwendbaren Rechts, die Fra­ ge der materiellrechtlichen Haftung von Muttergesellschaften für ihre Töchter und Fragen im Zusammenhang mit der Rechtshilfe bzw. Vollstreckung von Haf­ tungsurteilen. 3. Die Internationale Wirtschaftsverfassung der Schweiz (IWV) stellt den primä­ ren positiv-rechtlichen Rahmen dar, in welchen das MNK-Haftungsproblem aus schweizerischer Sicht zu stellen ist. Aus der IWV fließt das Postulat der Wohlstands­ steigerung durch weltmarktlichen Wettbewerb bzw. das Ziel eines international wettbewerbsfähigen MNK-Haftungsrechts. 4. Die Vorgaben der IWV rufen nach einer Konkretisierung, damit sie für die Auslegung des schweizerischen MNK-Haftungsrechts nutzbar gemacht werden können. Die hiefür notwendige ökonomische Theoriebildung suggeriert ein Haf­ tungsmodell, das alle Ebenen des MNK-Haftungsproblems (IZPR, IPR, materiel­ les Recht) zu Funktionen internationaler Effizienz erhebt. 5. Das mit Hilfe der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) entworfene MNK-Haftungsmodell anerkennt die Haftungsbeschränkung von Tochtergesell­ schaften als Mittel zur Internalisierung politischer Risiken. Es projiziert aber zu­ gleich Ausnahmen von diesem Grundsatz. Danach haftet die Muttergesellschaft ef­ fizient, wenn sie ihre Tochter als Anteilseignerin systemwidrig konstituierte oder mißbrauchte, wenn sie als Geschäftsführerin suboptimal ins Tochtergeschehen ein­ griff und wenn sie als Drittperson spezifische Interessen von Tochtergläubigern schädigte. Dabei ist im Prinzip kein Unterschied zwischen MNK und rein nationa­ len Konzernen zu machen. 6. Im Bereich des IPR/IZPR gilt aus Effizienzperspektive, daß zumindest für einfache Mutter/Tochter-Konstellationen die Gesetzgebungs- und Rechtspre­ chungskompetenzen bezüglich der (effizienten) Haftung von Muttergesellschaf­ ten grundsätzlich dem Gastland zu überlassen sind. 7. Die ökonomische Sicht der Haftungsproblematik Multinationaler Konzerne wird durch die umfassendere systemtheoretische Perspektive zwar relativiert. Sie behält aber ihren Leitbildcharakter für einen optimalen Anschluß des MNK-Haf­ tungsrechts an das in der IWV reflektierte Wirtschaftssystem.

8. Die funktionale Methode stellt das adäquate auslegungstechnische Mittel dar, um die konkretisierten Effizienzimplikationen der IWV ins schweizerische MNKHaftungsrecht zu übertragen. 9. Ein rechtsvergleichender Ausblick auf die konzernhaftungsrechtlichen Rege­ lungen anderer Länder zeigt, daß die Haftungsbeschränkung für Tochtergesell­ schaften im Grundsatz überall anerkannt ist. Es werden aber auch durchwegs Aus­ nahmen vorgesehen, welche zu einer Haftung von Konzernmuttergesellschaften fuhren können. Interessante Ansätze finden sich z.B. im deutschen, im französi­ schen und im EU-Recht. 10. Die funktionale Auslegung des schweizerischen materiellen Konzernhaf­ tungsrechts fuhrt zu drei Ebenen der Konzernmutterhaftung. Die erste Ebene setzt bei der Muttergesellschaft als Aktionärin an und unterstreicht die Bedeutung des Haftungsdurchgriffs. Die zweite Ebene beleuchtet die Haftung der Mutter als Ge­ schäftsführerin ihrer Tochter und offenbart die sinnvolle Rolle des Organhaftungs­ rechts. Die dritte Ebene erfaßt das Verhalten der Mutter als Drittperson und deckt eine Fülle konzernaußenrechtlicher Institute auf, welche eine Mutterhaftung be­ gründen können. 11. Die Aufbereitung des geltenden materiellen Konzernhaftungsrechts weist überdies auf zwei markante Dysfunktionen hin: die Beweisschwierigkeiten im Zu­ sammenhang mit dem Organhaftungsrecht und das Potential unkompensierter Ri­ siko externalisier ungen auf außervertragliche Tochtergläubiger. Beide lassen sich je­ doch auskorrigieren, indem mittels einer konzernrechtlichen Organhaftung und einer konzernrechtlichen Geschäftsherrenhaftung spezifische Beweislastumkehren zu Lasten der Muttergesellschaft geschaffen werden. 12. Eine konzernrechtliche Organhaftungsklage gegen die Konzernmutter (Art. 754 OR) setzt voraus, daß die Tochtergläubiger bzw. die sie vertretende Kon­ kursverwaltung den Nachweis des Tochterkonkurses und der einheitlichen Lei­ tung erbringen. Es obliegt alsdann der Muttergesellschaft darzutun, daß entweder während des für die Schädigung und Beweisführung entscheidenden Zeitraums kein qualifizierter Konzern bestand, nicht schuldhaft Sorgfaltspflichten verletzt wurden oder keine bzw. eine nur teilweise Verursachung des Gläubigerschadens vorlag. 13. Eine konzernrechtliche Geschäftsherrenhaftung der Muttergesellschaft (Art. 55 OR) verlangt von den Tochtergläubigern den Nachweis einer widerrecht­ lichen und kausalen Schädigung durch die Tochter und der einheitlichen Leitung. Der Muttergesellschaft obliegt der Beweis dafür, daß gerade in den für die Schädi­ gung entscheidenden Zeiträumen keine einheitliche Leitung bestand, daß zwi­ schen der Schädigung und der Ausübung einheitlicher Leitung kein funktioneller Zusammenhang existierte, die Mutter keine Sorgfaltspflichten verletzte oder diese Verletzungen nicht kausal waren für den verursachten Schaden. 14. Im schweizerischen IPR ergibt sich zumindest für einfache Mutter/TochterKonstellationen die prinzipielle Anwendbarkeit von Gastlandrecht auf die meisten Haftungsklagen gegen Konzernmütter. Auch das schweizerische internationale Gerichtsstandsrecht (IZPR) folgt zum Teil diesem Muster, wobei aber z.B. Art. 59

BV für Klagen gegen schweizerische Muttergesellschaften immer zur Verfügung steht. Im Vollstreckungsbereich stellt derselbe Art. 59 BV ein Hindernis für funk­ tional überzeugende Lösungen dar. Dies ist de lege lata aber hinzunehmen.

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Sachregister Die Zahlen verweisen auf die Seiten; Hauptfundstellen sind kursiv gedruckt

Abhängigkeitsbericht 125f., 139 action en comblement de passif, vgl. Verlust­ deckungsklage Adverse selection 89 agency-Doktrin 143f. Aktienrecht 121 ff., 176ff Alleinaktionär 4f.(FN 21), 29, 36f., 150, 151, 156, 177, 194 Amoco Cadiz 37, 45f., 159 Arbeitnehmer 19, 41ff, 43f. 45, 71f., 76, 80, 97f., 135, 138, 149, 163, 193, 221f, 249, 252 Argentinien 38ff, 158 Arzthaftung 230 assumption of duties 148f., 158, 221, 225 Auslandsdirektinvestitionen 5 ff Außenwirtschaftspolitik 62f. Ausmelken, vgl. cash cow-Technik Australien 158 Badger 23, 45, 159, 224, 238 Beherrschung, vgl. Kontrolle Beherrschungsverträge 15, 123f.t 132, 167, 207ff Belgien 41ff, 157, 159 Bereicherungsrecht 215ff Beweislastumkehr 80, 92f, 95 f., 128f., 139(FN 213), 155, 189, 205, 230f.y 255, 257f,261 Bhopal 27ff., 37, 45f., 158f., 162, 169, 173, 182, 256 Brasilien 156f., 159, 221 Bürgschaften 219 business judgment rule, konzernrechtliche 237f. Capital arbitrage-Theorie 9, 11 (FN 96) cash cow Technik 99, 213, 222, 238 CERCLA, vgl. Umwelthaftung Coase Theorem 74 f. control, vgl. Kontrolle culpa in contrahendo 93, 131, 154, 163, 214, 219ff, 248, 253, 258 de facto-Direktor, vgl. faktisches Organ Decharge, vgl. Entlastung der Tochterverwal­ tung

Deliktsrecht 45f., 94f., 131, 155, 163, 172, 178, 190ff, 195f., 210ff.t 222ff.t 229, 248, 252f,256, 258 Deltec 38ff., 45f., 158f., 162, 173, 255 Dependencia-Schule 13 Depotstimmrechte 16, 38 Deutschland 1, 24f., 119f„ 158f, 176, 207, 225, 260 dirigent de fait, vgl. faktisches Organ Diversifikation 11, 15, 78ff, 85, 95, 97, 101,112 Dividendenrückerstattung 187, 257 Doppelorganschaft 195f, 201ff., 229, 247, 257 Doppelvertretung 207 Durchgriff29, 45, 90, 117, 131, 134f, 141ff, 151, 153, 159, 161 ff, 171, 173, 177., 229, 249, 253, 256f. Effizienz 13, 50, 69ff., 105ff, 176, 260 Einheitliche Leitung 121 f., 140, 152, 233ff., 241ff.t 244f., 257f, 261 Entlastung, der Tochterverwaltung 200 Entlastungsbeweise 141, 225, 235ff., 243ff. equitable Subordination 146ff., 158, 164, 184, 229 (FN 481) ERISA, vgl. Pensionskassengesetzgebung EU-Konzernrichtlinie 136ff.t 140f., 203, 207 Europäische Union 21, 25, 55, 119f., 136ff., 154, 159, 172ff, 197, 203f. Exxon-Oelkatastrophe 27 (FN 261) Finanzsolidarität 38 (FN 320), 84 (FN 121), 228 Firestone 3, 43f., 224 Firmengebrauchspflicht 227f. Forderungseingriffe 223JJ., 248 forum non conveniens 28f, 32, 169, 173, 251, 256 Frankreich 32, 132ff.t 157, 159, 174, 197, 217,221,260 fraudulent conveyance, vgl. Paulianische An­ fechtung Fremdsteuerung 183f. Fundamentalordnung, aktienrechtliche 208 Funktionale Methode 1, 1l3ff.t 232, 261

Garantien 219 Gastland - Gesetzgebungsermessen 41 - Investitionsauflagen 19 - Kontrollierte Risiken 85ff. - MNK- Vertragsarrangements 69ff. - Volkswirtschaftliche Auswirkungen von MNK 12f. GATT 53ff., 58 Gefahrensatz 36, Gegenbeweise, vgl. Entlastungsbeweise Genossenschaftsrecht 176 Gerichtsstandsrecht, vgl. IZPR Geschäftsführung ohne Auftrag 214ff. Geschäftsherrenhaftung 95, 131, 143, 163, 225ff. Geschäftsherrenhaftung, konzernrechtliche 239ff, 247f, 252, 256, 258, 261 Gewinnabführungsverträge 15, 123, 206ff. Gewinnausschüttungen, verdeckte 183, 187t 209, 224, 257 Gläubiger - Arbeitnehmer, vgl. Arbeitnehmer - außervertragliche 45, 72, 79ff, 94ff, 229f., 239ff., 261 - Konsumenten 45, 97f. - vertragliche 45, 97ff. GmbH-Recht 127ff., 176 Good Samaritan-Doktrin, vgl. assumption of duties Großbritannien 150f., 159 Großrisiken 87 (FN 128), 243 (FN 584) Haftungsbeschränkung 23, 46, 71, 77ff 116, 173f., 228, 261 Haftungsprivileg, vgl. Haftungsbeschränkung Haftungstrennung, vgl. Haftungsbeschrän­ kung Holdinggesellschaften 16ft*., 19 (FN 178), 22, 198 Holdingprivileg 176 Hofland 155ff 159 ICSID 58, 60 ILO-Richtlinien 57 Indien 27ff., 158 Informationsassymetrien 97 Informationsparadox 10 Institutsmißbrauch 131, 183f., 257 Internalisierungsansatz 9f., 83ff. Internationale Wirtschaftsverfassung (IWV) 46f, 48fft 69ff., 113ff., 176, 229, 244, 245f., 255, 260f. Internationales Wirtschaftsrecht 48f. Investitionsschutz 55f., 71, 84

IPR 1, 45ff„ 59f., 72, lOOff, 160ff, 245ff, 256, 260ff. Italien 35f., 151., 159 IZPR 1, 45ff., 59f, 72, lOOff, 168ff, 251ff, 256, 258f., 260ff. Japan 157f. Joint Ventures 5, 15 Kaldor Hicks-Kriterium 75, 115 Kanada 158 Kapitalverkehr 9f., 64ff., 260 Kausalzusammenhang 95f, 133, 186f, 200, 238, 240f., 244f., 257f., 261 Klumpenrisiko 199 Kollisionsrecht, vgl. IPR Konkurrentenvereitelung 213 Konkurskonsolidierung 134, 138 Konkursprivilegien 98f. Konkursrecht 15f., 38ff., 88, 99f, 133f., 146ff, 150, 152, 164ff., 187, 250 Kontrolle 29f., 32ff., 40, 42, 85ff., 144ff., 183, 185f. Kontrollkosten 78ff., 82, 85ff., 95 Konzernarbeitsrecht 131, 135, 157 Konzernaußenrecht 45, 94ff., 117, 131, 148ff., 159, 163f., 172, 174, 205ff, 248f., 252f, 256, 258, 261 Konzern (e) - Eigenrationalität lllf. - Eingliederungs- 121 f., 137, 140, 167 - Einheitstheorie 39, 44. - Geschäftsführung, ordnungsgemäße 237f,243 - Faktische 124ff., 138ff - Gleichordnungs-15 - Interesse 92, 123, 133f, 137, 140, 193, 234f. - Leitung 16ff, 19, 122f, 128ff, 152, 157, 202, 237, 246 - Multinationale, vgl. MNK - Nationale 99f., 175 - Qualifizierte 125ff, 128f., 152, 158, 174, 183, 212, 232, 235f., 244, 258, 261 - Totalbeherrschungs- 156, 167 - Unterordnungs- 15, 156 - Vertrags- 122ff, 128, 137f„ 140, 167 Konzerninteresse 92, 123, 133f., 140 Konzernorganisationsrecht 129f. Konzernrecht 25f., 45f., 121ff., 136ff, 156f., 166f, 171f., 175f. Konzernverfassung 130, 137f. Konzernverrechnungsklauseln 217 Konzernvertrauen 94, 131, 182, 218ff., 223, 227ff, 241

Lateinamerika 24 Legge Prodi 152 Leveraged buyouts 16 Liechtenstein 155 Lugano-Uebereinkommen 59, 170, 173, 254f. 258 Luxemburg 165 Menschenbild 108f. MIGA 56, 60 Minderheitsaktionäre 121f, 126, 130, 138, 166f., 176, 191 f., 204 MNK - Begriff 3f. - Geschichte 6 ff - Juristische Struktur 15f.. - Mikro- und Makroökonomische Bezüge 8ff - Phänomen 3 ff - Wirtschaftliche Struktur 16ff MNK-Haftungsrecht - Beispiele 26ff - Bezugsebenen 45 f. - Entwicklungsstand 22 ff - Generalisierung 44 ff. - Haftungsmodell 69ff. - Rechtsvergleich 119 ff. - Schweiz 175ff. - Typischer Haftungsfall 44f. moral hazard 89, 91, 93 Mutterdarlehen 184f. Muttergesellschaft

-

Garantenstellung 198, 220, 237, 242 Gerichtsstand 169ff, 251ff. Haftung als Anteilseignerin 90f, 117, 177J, 257, 261 - Haftung als Drittperson 93ff, 117, 205ff., 258, 261 - Haftung als Geschäftsführerin 91ff., 117, 138f., 193fft 257f., 261 Mutterland - MNK-Vertragsarrangements 69ff. - Urteilsvollstreckung 41, 45 - Volkswirtschaftliche Auswirkungen von MNK 12 Nachteilsausgleich 125 Nettobarwert 71, 193 Neue Formen des Auslandsengagements (NFAE) 5, 15f. Neue Weltwirtschaftsordnung 14, 52 (FN 33), 54 Neuseeland 158 Notzuständigkeit 254 Obligationäre 233

OECD-Liberalisierungskodex 58 OECD-Richtlinien 3f, 23, 42f, 54, 57, 59f., 104, 159, 168, 173 Ökonomische Analyse des Rechts 1 (FN 5f), 74f., 105ff, 260 Österreich 153f., 159 ordre public 61, 71, 102 Organe, faktische 131, 133f., 139, 152, 157, 159, 194ffi, 229f, 247, 257f. Organhaftung 90f, 131f, 138f, 155f, 164ff, 172, 193ff., 256 Organhaftung, konzernrechtliche 231ff., 247, 252, 256f., 261 Organisationshaftung 199, 226, 244 Organschaft, steuerliche 122, 145 Pareto Optimalität 75, 115 Patronatserklärungen 84 (FN 21), 93, 151, 219ff 248, 252f., 258 Paulianische Anfechtung 90, 147 (FN 279), 155, 164f., 172, 188ff, 229, 250, 253f. Pensionskassengesetzgebung 149 Persönlichkeitsverletzung 210 Pflichtwidrigkeit 95f, 133f., 198f., 203ff, 236ff, 244f., 257f, 261 piercing the corporate veil, vgl. Durchgriff Politische Risiken 56, 83ff, 96, 102f., 104, 261 Portfolioinvestitionen 4, 6 Portugal 156, 159 Produktehaftpflicht 146, 149, 154, 172, 223, 228, 230, 248 Produktzyklustheorie 9 Profit Center, 16, 20 Prozeßkosten 203f. Qualitätssicherung 244 race for the bottom 72, 104 Rechtshilfe 45, 105, 168f., 172f., 251, 258 Rechtskosten 82f., 92f., 95, 98, 180, 186, 232 Rechtsmißbrauch 178, 183f., 191f., 213f, 221,228 Sanierungsbeiträge 153, 206, 221 Schaden 199f, 233, 239 Schutzpflichten 95f., 98, 212, 243f. Schweiz 20ff, 34ff, 43ff, 48ff, 175ff. Schweizerhalle 3 Seveso 3, 34ff, 45, 46, 201 f, 204 Skalenerträge 11 Skandinavien 157 Societas Europae 140ff., 167 Sonderbericht 139, 204 Sonderprüfung 125, 139, 204

Sorgfaltspflichtverletzung, vgl. Pflichtwidrig­ keit Spanien 157 Sphärenvermischung 90, 131, 135, 145fl, 152, 187, 257 Stimmrechtsausübung, rechtswidrige 191 y 257 Strafrecht 198 (FN 194), 222, 242 (FN 582) Strukturhaftung 128 sustainable development 113

Systemtheorie 110ff.t 117, 260 Technologietransfer 9f., 64ff., 260 Teilkonzerne 20, 42 Tochtergesellschaft - Autonomie 18 ff. - Gerichtsstand 104f., 170 - Interesse 91ff, 127ff, 139f., 189, 193f., 198 (FN 190), 203ff, 215, 234ff - Personalstatut 160£, 166, 167, 246 Transaktionskosten 10,11, 71, 75f., 101 Transfergeschäfte 39ff, 100, 145, 157, 188f., 207, 209ff, 224, 258 Transnationale Konzerne 3 Treuepflicht, des Mehrheitsaktionärs 191f., 257 Trusts 24 Umwandlung, von Gesellschafterdarlehen 131, 184f. Umwelthaftung 146, 149f., 158 Unerlaubte Handlungen, vgl. Deliktsrecht Ungarn 157 Unterkapitalisierung 90, 131, 146f., 180f., 238 (FN 557), 257 Unternehmensverträge 206ff. Urteilsvollstreckung 71, 105, 118, 254f.t 258f., 262

USA, vgl. Vereinigte Staaten UWG 94, 213, 223ff, 227ff., 248, 258 Verantwortlichkeitsrecht, vgl. Organhaftung Vereinigte Staaten 1, 24f., 27ff, 31 ff, 40, 119f., 141ff., 158f., 160, 169ff, 205 Verhaltenshaftung 128 Verlustausgleich, vgl. Verlustübernahme­ pflicht Verlustdeckungsklage 133f., 139, 164ff, 203, 255 (FN 673) Verlustübernahmepflicht 123f., 128, 138, 151 Vermögensvermischung, vgl. Sphärenvermi­ schung Verschulden 199, 215, 244f. Versicherung 80, 82f., 87 (FN 128), 88f., 96f. Verteilungsfrage 106f., 109 Vertragsrecht 45f., 94ff, 131, 163, 172, 205ff, 217ff, 248, 252f. Vertragsumgehung 221 Vertrauensprinzip 217f. voidable preferences, vgl. Paulianische An­ fechtung Völkerrecht 23, 46, 49f., 52ff, 103f., 105 Vollstreckung, vgl. Urteilsvollstreckung Vorteile, komparative 11, 101 ff, 104 Weltmarktmodell 69ff. Weltwirtschaft 13, 49f., 52ff, 67f., 69ff, 84, 100 Wettbewerbsfähigkeit 67f., 73f. Widerrechtlichkeit 178f., 190f., 201, 210ff, 216, 222f., 240f. Wirtschaftsrecht lf., 48 ff. Wissensanrechnung 189, 199, 202 WTO 53, 58

Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht Herausgegeben vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Professor Dr. Ulrich Drobing, Professor Dr. Hein Kötz und Professor Dr. Dr. h. c. Emst Joachim Mestmäcker Alphabetische Übersicht

Assfalg, Dieter: Die Behandlung von Treugut im Konkurse des Treuhänders. 1960. Band28. Baetge, Dietmar: Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht. 1994. Band56. Balz, Manfred: Eigentumsordnung und Technologiepolitik. 1980. Band 44. Basedow, Jürgen: Der Transportvertrag. 1987. Band 50. Baums, Theodor: Verbindungen von Banken und Unternehmen im amerikani­ schen Wirtschaftsrecht. 1992. Band 55. Brödermann, Eckart und Holger Iversen: Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht. 1994. Band 57. Engelmann, Fritz: Der Kampf gegen die Monopole in den USA. 1951. Band 21. Ferid, Murad: Der Neubürger im internationalen Privatrecht. Teil 1: 1949. Band 18. Ficker, Hans C.: Grundfragen des deutschen interlokalen Rechts. 1952. Band 22. Flessner, Axel: Wegfall der Bereicherung. 1970. Band 37. - : Sanierung und Reorganisation. 1982. Band 48. - : Interessenjurisprudenz im internationalen Privatrecht. 1990. Band 53. Gamillscheg, Franz: Der Einfluß Dumoulins auf die Entwicklung des Kolli­ sionsrechts. 1955. Band 25. - : Internationales Arbeitsrecht. 1959. Band 27. Gessner, Volkmar: Recht und Konflikt. 1976. Band 40. Heldrich, Andreas: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht. 1969. Band 36. Hierneis, Otto: Das besondere Erbrecht der sogenannten Foralrechtsgebiete Spaniens. 1966. Band 33. Hippel, Eike von: Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen. 1968. Band 34. Hoffmann, Bernd von: Das Recht des Grundstückskaufs. 1982. Band 47. Hofstetter, Karl: Sachgerechte Haftungsregeln für Multinationale Konzerne. 1995. Band 59. Iversen, Holger: siehe Brödermann. Jellinek, Walter: Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländi­ scher Zivilurteile I/II. 1953. Band24. Joerges, Christian: Zum Funktionswandel des Kollisionsrechts. 1971. Band38.

Kronke, Herbert: Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung. 1988. Band 52. Kropholler, Jan: Internationales Einheitsrecht. 1975. Band39. Loeber, Dietrich A.: Der hoheitlich gestaltete Vertrag. 1969. Band 35. Magnus, Ulrich: Schaden und Ersatz 1987. Band 51. Müller, Peter: Die Vorbehalte in Übereinkommen zur Privatrechtsvereinheit­ lichung. 1979. Band 45. Neuhaus, Paul H.: Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts. 21976. Band 30. -: Ehe und Kindschaft in rechts vergleichender Sicht. 1979. Band 43. Remien, Oliver R. M.: Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld. 1991. Band 54. Riezler, Erwin: Internationales Zivilprozeßrecht und prozessuales Fremden­ recht. 1949. Band 20. Roth, Wulf Henning: Internationales Versicherungsvertragsrecht. 1985. Ban d 49. Samtleben, Jürgen: Internationales Privatrecht in Lateinamerika. Band 1: All­ gemeiner Teil. 1979. Band 42. Schlechtriem, Peter: Einheitliches UN-Kaufrecht. 1981. Band 46. Serick, Rolf: Rechtsform und Realität Juristischer Personen. 21980. Band 26. Stoll, Hans: Das Handeln auf eigene Gefahr. 1961. Band 29. Wolff, Ernst: Vorkriegsverträge in Friedens Verträgen. 1949. Band 19. Zajtay, Imre: Zur Stellung des ausländischen Rechts im französischen interna­ tionalen Privatrecht. 1963. Band 31. Zehetner, Franz: Geldwertklauseln im grenzüberschreitenden Wirtschaftsver­ kehr 1976. Band 41. Informationen über die Studien und Materialien zum ausländischen und internationalen Privatrecht erhalten Sie vom Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Postfach 2040, D-72010 Tübingen.