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German Pages 440 [430] Year 2023
AE-Manual der Endoprothetik
Dieter Christian Wirtz Heiko Reichel Georg Matziolis Tilman Pfitzner Hrsg.
Endoprothetik des Kniegelenkes 2. Auflage
AE-Manual der Endoprothetik
In der Reihe AE-Manual der Endoprothetik werden alle wichtigen Informationen rund um die Endoprothetik der Bereiche Schulter, Ellenbogen, Hüfte, Knie und Fuß vermittelt. Dabei steht vor allem die Praxis im Vordergrund: wie ist die Operation durchzuführen, welche Fallstricke sind zu beachten und welche Prothesen haben sich in der Praxis bewährt. Erfahrene Orthopäden und Unfallchirurgen, allesamt in der Arbeitsgemeinschaft für Endoprothetik engagiert, vermitteln ihr Expertenwissen.
Dieter Christian Wirtz • Heiko Reichel • Georg Matziolis • Tilman Pfitzner Hrsg.
Endoprothetik des Kniegelenkes 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Hrsg. Dieter Christian Wirtz Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Universitätsklinikum Bonn Bonn, Deutschland Georg Matziolis Professur für Orthopädie am Universitätsklinikum Jena Campus Eisenberg Eisenberg, Deutschland
Heiko Reichel Universitätsklinikum Ulm Orthopädische Universitätsklinik am RKU Ulm, Deutschland Tilman Pfitzner Vivantes – Netzwerk für Gesundheit Berlin Klinik für Endoprothetik, Knie- und Hüftchirurgie Klinikum Spandau und Humboldt Klinikum Berlin, Deutschland
ISSN 2523-7020 ISSN 2523-7039 (electronic) AE-Manual der Endoprothetik ISBN 978-3-662-65174-2 ISBN 978-3-662-65175-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2011, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung: Antje Lenzen Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Geleitwort
Seit dem Erscheinen der Erstausgabe dieses als „Standardwerk“ der Gelenkendoprothetik gedachten AE-Manuals sind mehr als 10 Jahre vergangen, ein Zeitraum, in dem eine Menge geschehen kann, was eine Neuauflage sinnvoll oder gar notwendig erscheinen lässt, oder aber eben nicht. Im Falle des vorliegenden AE-Manuals der Endoprothetik/Knie sind die Voraussetzungen gegeben: Wichtige Fortschritte in der OP-Technik, der Implantat-Entwicklung, des Komplikationsmanagements, der Infektdiagnostik, um nur einige wenige Bereiche zu nennen, machen eine Neuauflage sinnvoll, wenn nicht gar unausweichlich, um dem Anspruch eines Standardwerks gerecht zu werden. Schließlich ist kein historisches Werk für die Vitrine, sondern ein aktuelles Werk zum jederzeit Nachlesen gemeint. In Zeitalter digitaler Onlinepublikationen ist das ein sehr hoher, vermeintlich unerfüllbarer Anspruch, in meiner Wahrnehmung aber eben nur vermeintlich. Mit vielen anderen bin ich davon überzeugt, dass das Medium des Buchs seinen Platz behalten wird, auch ein Lehrbuch, das sowohl in digitaler als auch in gedruckter Version verfügbar ist. Vielleicht wird die Wirklichkeit eine solche Sehweise widerlegen, ich fände es für das Buch, das konzentrierte, assoziative Lesen und Lernen einen Jammer. Ungeachtet dessen: Das Konzept des Standardwerks in aktualisierter Auflage – egal ob in gedruckter oder in digitaler Version – ist richtig und wichtig. Mit dem vorliegenden Band „Endoprothetik des Kniegelenks“ ist es in professioneller Art gelungen, die Balance zwischen Aktualität, bewährtem Wissen und didaktisch ansprechendem Layout zu wahren. Hier waren die richtigen Herausgeber, Autoren und Verlagsmitarbeiter an einem Werk, für das nicht nur ein hohes Maß an Fachexpertise Voraussetzung ist, sondern bisweilen geduldige Zuversicht, eine gehörige Portion Leidensfähigkeit und ein unerschütterliches Ziel. Das unterscheidet dieses bemerkenswerte Buch nicht grundlegend von anderen größeren Buchprojekten, bleibt aber eine großartige Teamleistung. Der neuen Ausgabe des AE-Manuals Endoprothetik des Kniegelenks sei eine Leserschaft gewünscht, die ihre vermutlich tägliche, anspruchsvolle Arbeit auf die in diesem Band versammelte und jederzeit abrufbare, bestens ausgewiesene Expertise stützt. Erst wenn die Grundlagenforscher sogenannte „Gamechanger“ gefunden haben, die einen operativen Gelenkersatz überflüssig machen, wird eine
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Geleitwort
weitere Neuauflage dieses Standardwerks nicht mehr sinnvoll sein. Dann muss etwas komplett Neues geschrieben werden. Aber das wird wohl noch eine Weile dauern. Heidelberg
Prof. Dr. Volker Ewerbeck
Vorwort zur 2. Auflage
Die Implantation eines künstlichen Kniegelenks zählt heutzutage zu den Standardoperationen in der orthopädischen Chirurgie. Dabei ist es wesentlich, dass diese häufige Prozedur nicht nur operationstechnisch korrekt durchgeführt wird, sondern damit auch dem patientenseitigen Anspruch auf höchste Ergebnisqualität Rechnung getragen wird. Ausgehend von der jeweils individuellen Situation muss daher mit dem Patienten ein realistisches Ergebnis präoperativ besprochen werden. Dazu sollte auch kommuniziert werden, dass es in der elektiven Knieendoprothetik nicht in allen Fällen möglich ist, jegliche Erwartung des Patienten zu erfüllen und jedwede Komplikation zu vermeiden. Dies erfordert die Definition von Standards und die Kenntnis eines angepassten Komplikationsmanagements. Das individuell bestmögliche Behandlungsergebnis für den Patienten sollte dabei stets im Fokus unseres Handelns stehen. Zielsetzung der 2. Auflage des AE-Manuals Knie war es, den aktuellen „Golden Standard“ für die verschiedenen Schritte bei der Implantation von Knieendoprothesen abzubilden. Dabei wurde weniger auf die Spezifitäten einzelner Prothesensysteme am Markt abgehoben, sondern vielmehr Wert auf die Darstellung grundsätzlicher Prinzipien und die Vermeidung möglicher Fehler bei der knieendoprothetischen Versorgung gelegt. Anliegen dieser Neuauflage war es zudem, die Entwicklungen und Trends seit der 2011 erschienenen ersten Auflage kritisch zu bewerten und das Vorgehen bei Revisionen und Komplikationen ausführlicher darzustellen. Unser Dank gilt allen Autoren, die mit hohem persönlichem Engagement und Geduld dazu beigetragen haben, dass der neue „Knieband“ der AE-Manualreihe den genannten Ansprüchen gerecht werden kann. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen erträglichen Erkenntnisgewinn und hoffen, dass der eine oder andere Aspekt aus dem Manual unser zukünftiges tägliches Handeln beeinflussen wird. Bonn Ulm Jena Berlin
Dieter C. Wirtz Heiko Reichel Georg Matziolis Tilman Pfitzner
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Inhaltsverzeichnis
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Prescher
1
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks . . . . . . . . . . . . . Georg N. Duda, Philippe Moewis, Hagen Hommel, Markus O. Heller, William R. Taylor, Georg Bergmann und Adam Trepczynski
23
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Géza Pap und Ingmar Meinecke
41
Knieendoprothetik: Indikationskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg Lützner, Toni Lange, Jochen Schmitt und Klaus-Peter Günther
53
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme . . . . . . . . . . . . . Martin Faschingbauer und Heiko Reichel
65
......
85
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks Philipp Bergschmidt, Martin Darowski, Johannes Bonacker, Niklas Leubert, Märuan Kebbach und Wolfram Mittelmeier
Knieendoprothetik: Präoperative Vorbereitung, Aufklärung und Planung der Knieendoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Andreas M. Halder, Simone Halder und Daniel Schrednitzki Knieendoprothetik: Perioperatives Management . . . . . . . . . . . . . . 139 Ralf Bieger und Heiko Reichel Teilgelenkersatz am Kniegelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Stephan Reppenhagen, Manuel Weißenberger und Maximilian Rudert Knieendoprothetik: Operation der bi/trikondylären Oberflächenersatzprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Karl-Dieter Heller, Georg Matziolis und Herbert Röhrig Knieendoprothetik: Assistierte Knieprothesenimplantation . . . . . . 195 Georg Matziolis, Katharina Michalke und Karl-Dieter Heller Knieendoprothetik bei Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Timo Lübben, Niklas Deventer und Georg Gosheger IX
X
Inhaltsverzeichnis
Knieendoprothetik: Postoperative Behandlung und Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Axel Seuser und Dieter Christian Wirtz Knieendoprothetik: Intraoperative Komplikationen Martin Pietsch und Siegfried Hofmann
. . . . . . . . . . . 241
„Schmerzhafte“ Knieprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Martin Pietsch und Siegfried Hofmann Aseptische Knieprothesenlockerung Olaf Rolf und Christof Rader
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Christian Friesecke, Sascha Gravius, Gunnar Hischebeth und Dieter Christian Wirtz Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Tilman Pfitzner, Stephanie Kirschbaum, Michael Fuchs und Carsten Perka Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Christian Friesecke, Sascha Gravius, Hendrik Kohlhof und Dieter Christian Wirtz Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . 373 Carsten Perka und Sven Märdian Knieendoprothetik: Umgang mit Explantaten . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Tilman Pfitzner, Philipp von Roth und Michael M. Morlock Ergebnisse der Knieendoprothetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Christian Stärke, Marcus Klutzny und Christoph Hubertus Lohmann Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Georg Bergmann Julius Wolff Institut, Berlin Institute of Health und Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. med. Philipp Bergschmidt Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Klinikum Südstadt Rostock, Rostock, Deutschland Prof. Dr. med. Ralf Bieger Knie-, Hüft-, Schulter- und Ellenbogenchirurgie, Schön Klinik München Harlachingen, München, Deutschland Dr. med. Johannes Bonacker Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Klinikum Südstadt Rostock, Rostock, Deutschland Dr. med. Martin Darowski Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland Dr. med. Niklas Deventer Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland Prof. Dr. Georg N. Duda Julius Wolff Institut, Berlin Institute of Health und Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. med. Martin Faschingbauer Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Ulm, Deutschland Dr. med. Christian Friesecke Krankenhaus Tabea Hamburg, Hamburg, Deutschland PD Dr. med. Michael Fuchs Orthopädische Universitätsklinik am RKU, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Georg Gosheger Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland Prof. Dr. med. Sascha Gravius Orthopädisch-Unfallchirurgisches Zentrum, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland Prof. Dr. med. Klaus-Peter Günther UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- & Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, Dresden, Deutschland Simone Halder Sana Deutschland
Kliniken
Sommerfeld,
Sommerfeld/Kremmen,
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Prof. Dr. med. Andreas M. Halder Sana Kliniken Sommerfeld, Sommerfeld/Kremmen, Deutschland Prof. Dr. med. Karl-Dieter Heller Herzogin Elisabeth Hospital, Orthopädische Klinik Braunschweig, Braunschweig, Deutschland Prof. Dr. Markus O. Heller Bioengineering Sciences Research Group, Faculty of Engineering and Physical Sciences, University of Southampton, Southampton, UK Priv.-Doz. Dr. med. Gunnar Hischebeth Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland Prof. Dr. med. Siegfried Hofmann LKH Murtal/Stolzalpe, Stolzalpe, Österreich Prof. Dr. med. Hagen Hommel Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB) Theodor Fontane, Krankenhaus Märkisch-Oderland GmbH, Wriezen und Neuruppin, Deutschland Dipl.-Ing. Märuan Kebbach Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland Dr. med. Stephanie Kirschbaum Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Dr. med. Marcus Klutzny Orthopädische Universitätsklinik Magdeburg, Magdeburg, Deutschland Priv.-Doz Dr. med. Hendrik Kohlhof Klinik für Unfall-, Hand- und Orthopädische Chirurgie, St. Antonius Hospital, Köln, Deutschland Dr. rer. medic. Toni Lange Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Deutschland Dr. med. Niklas Leubert Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Klinikum Südstadt Rostock, Rostock, Deutschland Prof. Dr. med. Christoph Hubertus Lohmann Orthopädische Universitätsklinik Magdeburg, Magdeburg, Deutschland Dr. med. Timo Lübben Klinik für Allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland Prof. Dr. med. Jörg Lützner UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfallund Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, Dresden, Deutschland Priv.-Doz. Dr. med. Sven Märdian Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
XIII
Univ.-Prof. Dr. med. Georg Matziolis Professur für Orthopädie am Universitätsklinikum Jena, Campus Eisenberg, Eisenberg, Deutschland PD Dr. med. Ingmar Meinecke Helios Park-Klinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland Katharina Michalke Herzogin Elisabeth Hospital, Orthopädische Klinik Braunschweig, Braunschweig, Deutschland Prof. Dr. med. Wolfram Mittelmeier Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland Dr. Philippe Moewis Julius Wolff Institut, Berlin Institute of Health und Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Michael M. Morlock Institut für Biomechanik, TUHH Technische Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland Prof. Dr. med. Géza Pap HELIOS Park-Klinikum Leipzig, Direktor Orthopädisch-Traumatologisches Zentrum, Leipzig, Deutschland Prof. Dr. med. Carsten Perka Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland PD Dr. med. Tilman Pfitzner Klinik für Endoprothetik, Knie- und Hüftchirurgie; Department für Bewegungschirurgie, Vivantes Klinikum Spandau, Berlin, Deutschland Dr. med. Martin Pietsch Department Hüft- und Knieendoprothetik, LKH Murtal/Stolzalpe, Stolzalpe, Österreich Prof. Dr. med. Andreas Prescher MOCA, Institute of Molecular and Cellular Anatomy Medical Faculty, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Christof Rader Sektion Gelenkchirurgie, UKA Aachen, Standort Franziskushospital, Aachen, Deutschland Prof. Dr. med. Heiko Reichel Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Ulm, Deutschland Dr. med. Stephan Reppenhagen Orthopädische Klinik, König-LudwigHaus, Würzburg, Deutschland Dr. med. Herbert Röhrig Bethlehem KH Stolberg, Stolberg, Deutschland PD Dr. med. Olaf Rolf Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, NielsStensen-Kliniken, Franziskus-Hospital Harderberg, Georgsmarienhütte, Deutschland Prof. Dr. med. Maximilian Rudert Orthopädische Klinik, König-LudwigHaus, Würzburg, Deutschland
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Prof. Dr. med. Jochen Schmitt Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Deutschland Dr. med. Daniel Schrednitzki Sana Kliniken Sommerfeld, Sommerfeld/ Kremmen, Deutschland Dr. med. Axel Seuser Orthopädische Praxis, Bonn, Deutschland Prof. Dr. med. Christian Stärke Orthopädische Universitätsklinik Magdeburg, Magdeburg, Deutschland Prof. Dr. William R. Taylor Institut für Biomechanik, ETH Zürich, Zürich, Schweiz Dr. Adam Trepczynski Julius Wolff Institut, Berlin Institute of Health und Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland PD Dr. med. Philipp von Roth Sporthopaedicum, Straubing, Deutschland PD Dr. med. Manuel Weißenberger Orthopädische Klinik, König-LudwigHaus, Würzburg, Deutschland Prof. Dr. med. Dieter Christian Wirtz Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland
Autorenverzeichnis
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks Andreas Prescher
Inhalt 1
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Knöcherne Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Femur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fabella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2 4 5 7
3 3.1 3.2 3.3
Gelenkkapsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stratum fibrosum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stratum synoviale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cavum articulare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 8 8 8
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Bandapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorderer Bandkomplex (sog. Streckapparat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Seitenbandapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Hinterer Bandapparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Zentraler Bandkomplex (Ligg. cruciata, sog. Binnenbänder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
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Meniski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
6 6.1 6.2 6.3
Bursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ventrale Bursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorsale Bursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seitliche Bursen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Leitungsbahnen des Kniegelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 7.1 Arterien des Kniegelenks allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
Danksagung. Herrn W. Graulich, unserem Institutszeichner, danke ich sehr für die engagierte Anfertigung der Zeichnungen und seine Geduld bei meinen zahlreichen Korrekturwünschen. A. Prescher (*) MOCA, Institute of Molecular and Cellular Anatomy Medical Faculty, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_1
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2
A. Prescher 7.2 Blutgefäßversorgung der Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 7.3 Nerven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 8
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
In der Kniegelenkchirurgie ist die Anatomie der Schlüssel zum Erfolg (D.C. Hughston)
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Einfu¨hrung
Das Kniegelenk ist schon seit langer Zeit intensiv unter anatomischen, funktionellen und entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten bearbeitet worden. Trotzdem sind bis heute noch nicht alle Details hinreichend verstanden und geklärt. Als klassische Arbeiten, die sozusagen das Fundament der späteren Forschungen und Darstellungen legten, sei zum einen die „Anatomie der Gehwerkzeuge“ der Gebrüder Weber aus dem Jahre 1836 genannt und zum anderen die Monografie von Robert „Über die Anatomie und Mechanik des Kniegelenkes“ aus dem Jahre 1855. Eine gute Übersicht über die weitere sehr spannende Entwicklung der anatomisch-physiologischen Forschungen zum Kniegelenk geben Wetz und Jacob (2001). Das Kniegelenk ist das größte Gelenk des menschlichen Körpers und weist zwei Freiheitsgrade auf: Es kann gestreckt und gebeugt werden und zusätzlich kann in der Beugeposition noch eine axiale Längsrotation ausgeführt werden. Damit erfüllt das Kniegelenk zwei konträre Anforderungen: Es muss in der Streckstellung eine hohe Stabilität gewährleisten und die Teilkörpergewichte tragen. Zusätzlich muss es in der Beugestellung gut beweglich sein, um dem Fuß den nötigen Verkehrsraum zur Verfügung zu stellen. Um diesen Anforderungen zu genügen, ist ein kompliziertes Gelenk entstanden, das als typisches Beispiel für ein zusammengesetztes Gelenk, eine Articulatio composita, gelten kann. Es besteht aus einer Articulatio femorotibialis und einer Articulatio femoropatellaris. Die Articulatio femorotibialis wird durch die Einfügung der Meniski noch weiter untergliedert in eine Articulatio
meniscofemoralis und eine Articulatio meniscotibialis. Weiterhin kann das Kniegelenk als typische Articulatio bicondylaris angesehen werden, in der zwei räumlich voneinander getrennte Gelenke immer zusammenspielen. Bezüglich der Mechanik sind Scharnierbewegung und Rotation konstruktiv miteinander vereinigt, sodass es sich beim Kniegelenk um einen Trochoginglymus, ein Drehgleitgelenk, handelt.
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Kno¨cherne Strukturen
2.1
Femur
Das Femur läuft distal in zwei Gelenkrollen, Condylus medialis et lateralis, aus, die ventral durch die sattelförmige Facies patellaris, das Gleitlager für die Patella, miteinander verbunden werden. Dabei wird die Facies patellaris durch eine Linea condylopatellaris medialis bzw. lateralis von den Kondylengelenkflächen getrennt. Der laterale Anteil der Facies patellaris reicht weiter nach proximal als der mediale. Die Femurtrochlea zeigt im Bereich des Patellagleitlagers nur selten eine symmetrische Ausprägung (Euplasie). Vielmehr kommt hier häufig eine Hypoplasie der medialen Kondylenwange vor. Die unterschiedlichen Ausprägungen können nach Gschwend und Bischofsberger (1971) klassifiziert werden und stehen in engem Zusammenhang mit der Ausformung der Gelenkflächen der Patellarückseite. Die größte Knorpeldicke findet sich auf der lateralen Kondylenwange (Putz et al. 1987). Dorsal werden die beiden Kondyli durch die tiefe, knorpelfreie Fossa intercondylaris voneinander geschieden. Die Fossa intercondylaris stellt nicht nur einen Raum zur Aufnahme der Kreuzbänder dar, sondern dient auch der Stabilisierung des Kniegelenks in der Streckstellung. In der Streckstellung verzahnt sich nämlich die Eminentia intercondylaris der
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
3
Abb. 1 a Kniegelenk in Streckstellung. Man beachte die genau in die Fossa intercondylaris passende Eminentia intercondylaris, die seitliche Verschiebungen und eine Rotationsbewegung unmöglich macht. b Kniegelenk in Beugestellung. Man beachte den Raumgewinn in der Fossa intercondylaris, der die Rotationsbewegung ermöglicht. Der Stern markiert das Tuberculum tractus iliotibialis Gerdy und der Pfeil weist auf die Foramina nutricia im Dach der Fossa intercondylaris. (Aus Prescher 2011)
Abb. 3 Die Pfeile weisen auf die Notch von Grant, in die sich bei Streckung das vordere Kreuzband straff einlegt und sich an der Knochenkante ein Hypomochlion findet. (Aus Prescher 2011)
Abb. 2 a Mediansagittaler Sägeschnitt durch das distale Femurende. Die beiden Pfeile weisen auf die kräftige Kompaktalamelle des Daches der Fossa intercondylaris. b Seitliche Röntgenaufnahme des distalen Femurs mit Blumensaatlinie (Pfeile). Die Linie entspricht dem Dach der Fossa intercondylaris. (Für die Röntgenaufnahme bin ich Herrn Prof. Dr. med. B. Wein, Aachen, sehr zu Dank verpflichtet; aus Prescher 2011)
Tibia innerhalb der Fossa (Abb. 1a), sodass keine Rotationsbewegungen oder Seitenverschiebungen möglich werden. Diese Bewegungen werden erst in der Beugestellung wieder freigegeben (Abb. 1b). Im Bereich des Daches der Fossa intercondylaris befinden sich mehrere großkalibrige Foramina nutricia, die sich auch radiologisch manifestieren können (Abb. 1b). Der kompakte Knochen des Daches der Fossa intercondylaris stellt in der seitlichen Projektion das morphologische Korrelat der Blumensaatlinie dar (Abb. 2), die
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als wichtige Orientierungslinie und Landmarke dient. Im vorderen Abschnitt liegt lateral eine flache Rinnenbildung, in die sich das vordere Kreuzband bei der Extensionsstellung einlagert (Grant 1962). Diese Rinne wird klinisch auch gerne als Notch bezeichnet (Abb. 3). Der mediale, kräftigere Kondylus reicht bei unphysiologischerweise vertikal orientiertem Femur ca. 1–2 cm tiefer herab als der laterale. Seitlich oberhalb der beiden Kondylen findet sich jeweils eine prominente, aufgeraute Knochenpartie, der Epicondylus medialis bzw. lateralis. Auf dem Epicondylus medialis muss noch des Tuberculum adductorium erwähnt werden, das der Insertion der Hauptsehne des M. adductor magnus dient. In der Umgebung des Tuberculum adductorium finden sich bei Kindern und Jugendlichen oft Knochenirregularitäten, sog. tug lesions, die nicht mit malignen Prozessen verwechselt werden dürfen (Barnes und Gwinn 1974). Für die biomechanische Analyse des Kniegelenks sind die Krümmungsverhältnisse der Femurkondylen von besonderer Bedeutung. Prinzipiell liegen am distalen Femurende bikonvexe Gelenkflächen vor, d. h., es besteht sowohl eine Krümmung in der Sagittalebene als auch in der Frontalebene. Die sagittale Krümmung wird aus kleinen Kreisbögen zusammengesetzt, deren Radien von hinten nach vorne zunehmen, weshalb die sagittale Krümmung von vorne nach hinten allmählich zunimmt, bis der dorsale Abschnitt schließlich fast einem Kreisbogen entspricht. Es handelt sich somit um eine typische Spirale, wie es schon die Gebrüder Weber und Weber (1836) festgestellt hatten. Sehr genaue Vermessungen der Krümmungsverhältnisse liegen von Bugnion (1892) vor. Die Oberflächenkontur entspricht in der Sagittalebene einer Randkurve mit unterschiedlichen Krümmungsradien. Die Krümmungsmittelpunkte aller Gelenkflächenteilstrecken bilden die Evolute. Als Evolvente hingegen wird die Randkurve der Gelenkoberfläche bezeichnet. Medialer und lateraler Kondylus unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer sagittalen Krümmung, sondern auch in morphologischen Details. So läuft die Gelenkfläche des medialen Kondylus dorsal in eine kleine, nach kranial gerichtete, zungenförmige Ausziehung aus, wohingegen die Gelenkfläche des late-
A. Prescher
ralen Kondylus in einer fast geraden Linie endet (Abb. 4). Auch die seitlichen Konturen unterscheiden sich, z. B. in der Lage der Grenzrinne (Ravelli 1949). Weiter ist die Stellung der Oberschenkelrollen zueinander von Bedeutung. Nach dorsal zeigen sie eine geringe Divergenz, wodurch der Breitendurchmesser des Kniegelenks hinten größer wird. Auch stehen sie nicht parallel zueinander, sondern geneigt, sodass die Außenränder tiefer stehen als die Innenränder der Rollen. Im distalen Femurende sollte zur Geburt ein Knochenkern, der Beclard’sche Kern, vorhanden sein (Reifezeichen!). Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zeigt die Profilaufnahme eine dreieckige Aufhellung im vorderen Bereich der distalen Femurepiphyse, die als Ludloff’scher Fleck bezeichnet wird und zur regulären Anatomie gehört. Die distale Epiphysenfuge verschließt sich um das 20. Lebensjahr.
2.2
Tibia
Das proximale Tibiaende, der sog. Tibiakopf, wird von einem Condylus lateralis und einem Condylus medialis gebildet. Die obere Fläche,
Abb. 4 Distales Femurende von dorsal. Die Konturierung stellt die unterschiedliche Gestaltung des medialen und lateralen Kondylus heraus. Man beachte die zungenförmige Ausziehung am medialen Kondylus. (Pfeil; aus Prescher 2011)
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
das Tibiaplateau, weist eine mediale und eine laterale, jeweils eiförmige Gelenkfläche auf, die durch die Eminentia intercondylaris voneinander getrennt werden. Die proximalen Gelenkflächen der Tibia passen wegen ihrer geringen Konkavität schlecht zu den Femurrollen (Fick 1904) und meistens liegt die laterale Gelenkfläche etwas höher. Da sich die Gelenkflächen auf die Tuberkula der Eminentia intercondylaris erstrecken, erhalten sie eine leicht konkave, von lateral nach medial zunehmende Höhlung, wobei die Knorpelbedeckung im Bereich der Tuberkula dicker ist als im peripheren, von den Meniski bedeckten Randsaum. Vor der Eminentia intercondylaris befindet sich die Area intercondylaris anterior, dahinter die Area intercondylaris posterior. Die Eminentia intercondylaris selbst besteht aus zwei nebeneinander gelegenen Knochenhöckern, dem Tuberculum intercondylare mediale bzw. laterale. Nach den Untersuchungen von Bauer (1931) werden drei Ausprägungen der Eminentia intercondylaris beschrieben: • Typ I: mediales Tuberkulum höher als laterales (62 %), • Typ II: beide Tuberkula gleich hoch (30 %), • Typ III: laterales Tuberkulum höher als mediales (8 %). Die Eminentia intercondylaris ist ein sehr effektiver knöcherner Stabilisator (s. oben). Ventral am proximalen Tibiaende liegt die mächtige Tuberositas tibiae, die der Insertion des Lig. patellae dient. Etwas lateral kann ein weiterer, schwach ausgebildeter Knochenhöcker gesehen werden, der als Tuberculum tractus iliotibialis Gerdy bezeichnet wird und der der Befestigung des Tractus iliotibialis (Maissiat’scher Streifen) dient. An der hinteren seitlichen Fläche der Tibia befindet sich die Gelenkfacette für die Anlagerung der Fibula. Da sich die Fibula ursprünglich auch an der Bildung des Kniegelenks beteiligt hat, besteht als historischer Rest dieser Entwicklung häufig eine Kommunikation zwischen dem Kniegelenk und der Articulatio tibiofibularis proximalis. Das Tibiaplateau ist um ca. 9 nach dorsal geneigt (Retroversio tibiae), außerdem liegen die Gelenkkörper dorsal der Tibiaschaftachse, was als
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Retropositio bezeichnet wird. Der Knochenkern der proximalen Tibiaepiphyse erscheint am Ende des 10. Fetalmonats. Der Apophysenkern der Tuberositas tibiae tritt um das 12. Lebensjahr herum auf und verschmilzt dann mit der proximalen Epiphyse. Die proximale Epiphysenfuge fusioniert zwischen dem 19. und 21. Lebensjahr. In manchen Fällen kann ein Tuberculum intercondylicum tertium bzw. quartum beobachtet werden (Ravelli 1949). Das Tuberculum intercondylicum tertium (Abb. 5), auf das Politzer und Pick (1937) erstmalig aufmerksam machten, liegt im Bereich der Area intercondylaris anterior und kommt in ca. 3 % vor (Ravelli 1949). Das seltenere (ca. 1,1 %), von Wichtl (1941) erstmalig nachgewiesene, Tuberculum intercondylicum quartum liegt im Bereich der Area intercondylaris posterior.
2.3
Patella
Die Patella stellt das größte, in die Sehne des M. quadriceps femoris eingelagerte Sesambein des menschlichen Körpers dar und weist eine dreieckige Gestalt auf. Kranial liegt die Basis patellae, kaudal der Apex patellae. Auf der Facies anterior
Abb. 5 Tibiaplateau. Der Pfeil weist auf das Tuberculum intercondylicum tertium, das sich aus der Area intercondylaris anterior, dicht am Rand der medialen Gelenkfläche, erhebt. Der Stern markiert den medialen Kondylus. (Aus Prescher 2011)
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A. Prescher
patellae können zarte Knochenrinnen gesehen werden, in denen die Sehnenfasern der Quadrizepssehne verlaufen und über Sharpey’sche Fasern auch im Knochen verankert sind. Kommt es zur Ossifikation dieser Fasern (Fibroostose), so entstehen die sehr häufig im Bereich der Patellabasis, aber auch im Bereich der Patellaspitze zu beobachtenden Patellazähne (oberer und unterer Patellasporn; Abb. 6a). Auch werden auf der Facies anterior immer wieder feine Foramina nutricia beobachtet, die für die Blutgefäßversorgung der Kniescheibe wichtig sind (Abb. 6e). Die dorsale Seite der Patella weist nur oberhalb des Apex patellae eine Gelenkfläche auf, sodass die Rückseite des Apex frei bleibt und nur von einer sehr dünnen Kompaktalamelle überkleidet wird. Hier treten ernährende Gefäße in die untere Partie der Patella ein. Die Gelenkfläche der Patella wird
durch einen senkrechten Knochenfirst in eine mediale und eine laterale Gelenkfacette unterteilt. In der Regel ist die mediale Facette kleiner als die laterale. Immer ist die Patella medial dicker als lateral. Die beiden Gelenkflächen der Facies posterior patellae sind gegeneinander geneigt und bilden somit den Patellaöffnungswinkel, der ca. 120–140 beträgt. Insbesondere bei langen Patellaformen kann zentral eine schwache Eindellung beobachtete werden: die Haglund’sche Delle (Abb. 6b). Am medialen Rand biegt die Gelenkfläche oft in eine sagittale, kleine zusätzliche Gelenkrandfacette um, die als Odd-Facette („zusätzliche“ Facette) bezeichnet wird (Abb. 6c). Je nach Ausprägung der medialen und der lateralen Gelenkfacetten, werden unterschiedliche Patellatypen definiert, die nach Wiberg (1941) und Baumgartl (1964) eingeteilt werden können
Abb. 6 a Patella mit oberen und unteren Patellaspornen (Pfeile) und teilweiser Ossifikation der Quadrizepssehne auf der Vorderfläche. b Patella in der Ansicht von dorsal mit Haglund’scher Delle (Stern). c Patella in der Ansicht von dorsokranial. Die beiden Pfeile weisen auf eine zusätzliche Knochenkante. An dieser Stelle biegt die mediale
Facette in eine sagittale Orientierung um (Odd’sche Facette). d Patella bipartita mit laterokranialem isolierten Knochenelement (Stern). e Patella bipartita mit isoliertem Spitzenkern (Stern). Die Pfeile weisen auf typische Foramina nutricia. f Patella emarginata. Der Pfeil weist auf den charakteristischen knöchernen Defekt. (Aus Prescher 2011)
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
(Abb. 7). Diese Klassifikation basiert auf der Patellamorphologie, wie sie sich in der DefileAufnahme darstellt. Auch die seitliche Profilaufnahme der Patella kann zur Einteilung der außerordentlich variablen Patellaform verwendet werden (Hepp 1983). Hin und wieder bestehen an der Patella isolierte Knochenpartien, sodass eine Patella bipartita oder multipartita vorliegt. Am häufigsten findet sich ein persistierender eigenständiger Knochenkern an der lateralen Seite der Patella (Abb. 6d). Auch die Spitze des Apex patellae kann isoliert sein (Abb. 6e). Befindet sich auf der lateralen Seite eine Einmuldung, in der jedoch kein isolierter Knochenkern liegt, so wird von einer Patella emarginata (Abb. 6f) gesprochen. Diese Entität wurde von Kempson (1902) erstmals beschrieben und der Terminus „Emargination“ eingeführt. Eine genaue und originelle Untersuchung zur Erklärung der Patella bipartita und der Emargination legte Olbrich (1950) vor. In der knorpelig präformierten Kniescheibe entwickeln sich im 3.–4. Lebensjahr mehrere Knochenkerne, die zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr synostotisch miteinander verschmelzen. Die Entwicklung der Patella zeigt zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr einen starken Geschlechtsdimorphismus (Hellmer 1935, 1941). Die Patella ist eine für das Kniegelenk sehr wichtige Struktur, die die Wirksamkeit der Quadrizepssehne steigert und die Gelenkbelastung verringert (Kapandji 2006).
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2.4
Fabella
Im Caput laterale des M. gastrocnemius kommt in 16,3 % (Hessen 1946) ein rundlich-ovales Sesambein vor, das als Fabella (Böhnchen) oder Sesamum genus superius laterale bezeichnet wird. In 63–85 % besteht Doppelseitigkeit. Das Auftreten der Fabella hängt stark von Herkunft, Alter und Geschlecht der Individuen ab (Berthaume und Bull 2020). In der Regel kann die Fabella wegen fehlender Ossifikation nicht vor dem 12.–15. Lebensjahr festgestellt werden. Die laterale Fabella wird durch einen langen, oberflächlichen Bandzug, dem Lig. fabellofibulare Vallois, (Abb. 9a) am Fibulaköpfchen befestigt. Selten kann auch im medialen Ursprungskopf des M. gastrocnemius eine Fabella auftreten und als besondere Rarität muss das simultane mediale und laterale Vorhandensein gewertet werden (Kremser 1930), das jedoch bei vielen Tieren (Ratten, Kaninchen und Fleischfressern) die Regel ist. In der vergleichenden Anatomie werden die Fabellae auch als Ossa vesaliana bezeichnet. Die klinische Bedeutung der Fabella besteht in der Verwechslung mit einem freien Gelenkkörper oder einer traumatischen Knochenabsprengung. Bei starker Überstreckung des Kniegelenkes kann es auch zu einem Querbruch der Fabella kommen.
~120-140°
Typ I Euplasie lateral
Typ II
Typ III mediale Hypoplasie
mediale Hypoplasie mit Odd-Facette
medial
„Jägerhut“
„Flachpatella“
„Kieselstein“
„Halbmond“
Abb. 7 Patellatypen. (modifiziert dargestellt nach Wiberg 1941; Baumgartl 1964 und Dihlmann 1987; aus Prescher 2011)
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A. Prescher
3
Gelenkkapsel
3.1
Stratum fibrosum
Die Gelenkkapsel des Kniegelenks weist, was Fick (1904) eindrücklich betont, wie üblich zwei Schichten, das Stratum fibrosum und das Stratum synoviale, auf. Das Stratum fibrosum inseriert ca. 1 cm neben der Knorpel-Knochen-Grenze des Femurs und der Tibia und umschließt das gesamte Kniegelenk, wobei es an der die Fossa intercondylaris dorsokranial begrenzenden Linea intercondylaris inseriert. Dadurch überspannt es die Fossa als stark gestraffte kollagenfaserige Platte, die von Blutgefäßen (A./V. media genus) perforiert wird. Seitlich ist das Stratum fibrosum mit den Meniskusbasen fest verwachsen. Lateral und medial ist das Stratum fibrosum kräftig verstärkt, sodass hier oft von einem medialen und einem lateralen Kapselband gesprochen wird.
3.2
Stratum synoviale
Das Stratum synoviale ist im anterioren, medialen und lateralen Bereich an der Knochen-KnorpelGrenze des Femurs und des Tibiakopfs befestigt. Dorsal schiebt es sich zwischen die beiden Gelenkfacetten des Tibiaplateaus und umfasst die Area intercondylaris anterior. Dadurch wird der Kreuzbandkomplex ebenfalls umgriffen und gelangt in eine extraartikuläre (extrasynoviale) Lage zwischen Stratum synoviale und fibrosum. Am Femur liegt die Befestigungslinie in der Fossa intercondylaris, an den dorsalen und lateralen Knorpelrändern der Kondylen und an den Seitenrändern der Facies patellaris. Im Bereich der distalen Femurvorderfläche wird ein mächtiges Fettpolster überkleidet (Abb. 9). Unterhalb der Patella schiebt sich zwischen das Stratum fibrosum und das Stratum synoviale ein pyramidenförmiger Fettkörper. Dieser verformbare Körper wird als Corpus adiposum infrapatellare Hoffa (Abb. 9 und 11) bezeichnet und weist an seiner Oberfläche zwei von den Patellaseitenrändern herablaufende zottenförmige Fettfalten auf, die Plicae alares. Ist die mediale Plica alaris besonders prominent aus-
gebildet, wird sie auch als Plica parapatellaris medialis bezeichnet und kann Ursache eines Plicasyndroms werden. Mediosagittal geht vom Hoffa’schen Fettkörper eine variabel gestaltete Synovialfalte aus, die sich dem vorderen Kreuzband anlegt und in der Fossa intercondylaris angeheftet ist. Bei kräftiger Ausprägung darf diese gefäßführende Plica synovialis infrapatellaris (Rudimentum septi genus) arthroskopisch nicht mit dem vorderen Kreuzband selbst verwechselt werden. Bei dieser Falte handelt es sich um ein weitgehend funktionsloses, entwicklungsgeschichtliches Relikt der ehemaligen Trennwand des Kniegelenks.
3.3
Cavum articulare
Der außerordentlich geräumige Gelenkraum des Kniegelenks erstreckt sich bis ca. 3 cm unter die Strecksehne, wobei dieser Bereich als oberer Rezessus des Kniegelenks bezeichnet wird. Von diesem wird in den meisten Fällen durch eine zirkuläre oder halbmondförmige Wulstbildung, die Plica suprapatellaris, ein Recessus suprapatellaris abgesetzt, der sich von einer ursprünglich nicht mit dem Kniegelenk kommunizierenden Bursa, der Bursa suprapatellaris, ableitet. Oft werden die beiden auf unterschiedliche Weise entstehenden Räume nomenklatorisch nicht unterschieden und nur von einem Recessus suprapatellaris gesprochen. Der Recessus suprapatellaris ist funktionell außerordentlich bedeutsam, da hier das für die Kniebeugung über 90 so wichtige Reservematerial zur Verfügung gestellt wird (sog. Entrollfunktion; Müller 1982). Distal des Ursprungsfeldes des M. vastus intermedius entspringen noch einzelne Muskelfasern von der Femurvorderfläche, die im proximalen Scheitelbereich des Recessus suprapatellaris inserieren und die als M. articularis genus bezeichnet werden. Dieser Muskel unterstützt das Offenhalten des Rezessus und beugt seiner Obliteration vor. Von Bedeutung ist der Recessus subpopliteus, der sich unter die Sehne des M. popliteus schiebt und in ca. 14 % der Fälle mit dem Gelenkraum der Articulatio tibiofibularis in Kontakt steht. An den Seitenrän-
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
9
dern der Patella finden sich die variabel ausgebildeten rinnenförmigen Recessus parapatellares. Die Gelenkkapsel des Kniegelenks wird durch kräftige Bänder verstärkt, sodass bei weitgehend fehlender Knochenführung eine ausgeprägte Bandführung entsteht. Der Kapsel-Band-Apparat des Kniegelenks kann am besten nach topografischen Gesichtspunkten untergliedert werden, sodass ein vorderer, medialer, lateraler, hinterer und zentraler Bandkomplex zu beschreiben ist.
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Bandapparat
4.1
Vorderer Bandkomplex (sog. Streckapparat)
Der Streckapparat (Abb. 8) umfasst neben der Patella folgende ligamentäre Strukturen: 1. Tendo m. quadricipitis und Lig. patellae, 2. Retinaculum patellae longitudinale mediale bzw. laterale, 3. Retinaculum patellae transversale mediale bzw. laterale, 4. Ligg. patellomeniscalia. Diese Strukturen des vorderen Bandapparates sind stratigrafisch geordnet und in drei Lagen organisiert: Oberflächlich-zentral liegt die Sehne des M. quadriceps femoris, die über die Patella hinweg zieht, um dann als Lig. patellae an der Tuberositas tibiae zu inserieren. Medial und lateral zieht ein Faserkontingent dieser Sehne seitlich an der Patella vorbei zur Tibia. Diese Faserzüge werden als Retinaculum patellae mediale bzw. laterale (Reservestreckapparat) bezeichnet. Unter diesen Strukturen werden quer oder schräg verlaufende kollagene Faserzüge angetroffen, die in ihrer Gesamtheit das mediale bzw. laterale Retinaculum transversale bilden. Im Einzelnen werden, je nach Insertion, verschiedene Anteile beschrieben. Befestigen die Faserzüge die Patella am Femur, so werden sie als mediales bzw. laterales Lig. patellofemorale bezeichnet. Insbesondere das Lig. patellofemorale mediale ist funktionell wichtig, da es die laterale Dislokation der Patella verhindert. Schräge Faserzüge, die sowohl
Abb. 8 Vorderer Bandapparat: 1 M. vastus lateralis, 2 M. rectus femoris, 3 M. vastus medialis, 4 Tendo M. quadricipitis femoris, 5 Lig. patellae, 6 Retinaculum patellae longitudinale mediale, 7 Lig. patellofemorale laterale, 8 Lig. patellotibiale laterale, 9 Lig. patellofemorale mediale, 10 Lig. patellotibiale mediale, 11 Lig. patellomeniscale, 12 Corpus adiposum infrapatellare Hoffa. Man beachte, dass der vordere Bandapparat in drei Schichten organisiert ist: oberflächliche Schicht – Retinaculum patellae longitudinale mediale (6) und laterale (nicht dargestellt); mittlere Schicht – Retinaculum patellae transversale laterale und mediale, bestehend aus den Bandzügen 7 und 8 bzw. 9 und 10; tiefe Schicht: Ligg. patellomeniscalia. (11; Herrn W. Graulich, unserem Institutszeichner, danke ich sehr für die engagierte Anfertigung der Zeichnungen und seine Geduld bei meinen zahlreichen Korrekturwünschen; aus Prescher 2011)
medial als auch lateral zur Tibia ziehen, werden als Lig. patellotibiale mediale bzw. laterale benannt und sichern die Kniescheibe ebenfalls gegenüber seitlichen Verschiebungen. Unter diesen queren Retinakula werden weitere schräge Faserzüge beobachtet, die von der Patella an die Vorderhörner der Meniski ziehen oder sich von den Ligg. patellotibialia abspalten. Diese, sowohl medial als auch lateral ausgeprägten Ligg. patellomeniscalia, dienen der Bewegung der Meniski bei Streckung und Rotation.
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4.2
A. Prescher
Seitenbandapparat
Der Seitenbandapparat (Abb. 9) besteht aus einem einfach strukturierten Lig. collaterale laterale (fibulare; Außenband) und einem komplizierten, aus mehreren Komponenten zusammengesetzten Lig. collaterale mediale (tibiale; Innenband). Beide Kollateralbänder sichern das Kniegelenk in der Frontalebene, d. h. ein seitliches Aufklappen des Kniegelenks wird verhindert. Die Bänder sind in maximaler Streckstellung, also nach der Schlussrotation, am stärksten gespannt und in Beugeposition entspannt, wodurch die Rotation
Abb. 9 a Fibularer Bandapparat des Kniegelenks: 1 Lig. collaterale laterale, 2 Tendo m. poplitei, 3 Meniscus lateralis, 4 Corpus adiposum infrapatellare (Hoffa), 5 Lig. fabellofibulare (Vallois), 6 Fabella lateralis, 7 laterale Polkappe und Caput laterale m. gastrocnemii, 8 Lig. patellae, 9 Plica suprapatellaris, 10 Recessus suprapatellaris, 11 Tendo m. quadricipitis, 12 Fettkörper, 13 M. articularis genus. b Tibialer Bandapparat des Kniegelenks: 1 Tendo m. quadricipitis, 2 M. articularis genus, 3 Recessus suprapatellaris, 4 Fettkörper, 5 Corpus adiposum infrapatellare
freigegeben wird. Die Außenrotation wird dann allerdings durch die Seitenbänder auch beschränkt. Bei seitlicher Betrachtung überkreuzen sich laterales und mediales Kollateralband spitzwinkelig. Das laterale Kollateralband ist deutlich kürzer als das mediale.
Ligamentum collaterale laterale Das laterale Seitenband (Abb. 9a) ist eine unkomplizierte, fast drehrunde Struktur, die kranial vom Epicondylus lateralis femoris entspringt und kaudal an der lateralen und anterioren Partie des Caput fibulae inseriert. Durch diese Insertion
(Hoffa), 6 Lig. patellae, 7 Pes anserinus superficialis, 8 Lig. collaterale mediale, 9 Meniscus medialis, 10 Lig. collaterale mediale posterius, 11 Lig. meniscofemorale, 12 Lig. meniscotibiale (Lig. coronarium), 13 M. semimembranosus, 14 hinteres Schrägband. (Herrn W. Graulich, unserem Institutszeichner, danke ich sehr für die engagierte Anfertigung der Zeichnungen und seine Geduld bei meinen zahlreichen Korrekturwünschen; aus Prescher 2011)
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
wird der gesamte Bandzug nach lateral vom Gelenk abgerückt und nimmt keine Verbindung zum lateralen Meniskus und der lateralen Gelenkkapsel auf. Vielmehr entsteht unter dem Lig. collaterale laterale ein Raum, durch den die im Sulcus popliteus des Femurs eingelagerte Ursprungssehne des M. popliteus zieht. Die verbleibenden Partien werden durch ein lockeres, fetthaltiges Bindegewebe und manchmal von Schleimbeuteln ausgefüllt. Da der Epicondylus lateralis deutlich nach anterior versetzt ist, resultiert bei gestrecktem Knie eine leicht schräge Verlaufsrichtung des Bandes von kranioventral nach posterokaudal. Im dorsalen Bereich findet sich oft eine weitere Kapselverstärkung, die als Lig. collaterale laterale posterius bezeichnet worden ist (von Meyer 1853; Abschn. 4.3).
Ligamentum collaterale mediale Beim Lig. collaterale mediale (Abb. 9b) handelt es sich um einen breitflächigen, komplizierten Bandkomplex, der vom Epicondylus medialis femoris entspringt und dann schräg über das Kniegelenk hinweg zur Tibia zieht. Hier inseriert der Bandzug ventral des Margo medialis an der Facies medialis tibiae hinter der Insertion der Sehnen des Pes anserinus superficialis. Hervorzuheben ist die schräge Streichrichtung des Bandes (15–20 zur Achse der Tibia) in Streckstellung. Am Lig. collaterale mediale können unterschiedliche Abschnitte unterschieden werden: Der breite Bandstreifen lässt einen vorderen und einen hinteren Abschnitt erkennen. Die vordere Partie zeigt parallele kollagene Fasern, die der Gelenkkapsel (dem mittleren Abschnitt des sog. medialen Kapselbandes) nur locker aufliegen. Da diese beiden Strukturen gegeneinander verschieblich sein müssen, ist zwischen ihnen in der Regel eine Bursa ligamentum collateralis tibialis ausgebildet. Es muss besonders darauf hingewiesen werden, dass in diesem vorderen Segment keine Verbindung zum Meniskus besteht. Die hintere Partie wird auch als Lig. collaterale tibiale posterius bezeichnet und lässt sich in einen oberflächlichen und einen tiefen Anteil unterscheiden. Der superfizielle Anteil ist parallelfaserig strukturiert und inseriert ebenfalls an der Tibia, wohingegen im tiefen Anteil kurze
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Faserzüge vorherrschen. Diese ziehen zum einen schräg vom Femur zur Meniskusbasis und zum anderen von der Tibia zur Meniskusbasis. Diese Fasersysteme werden auch als Lig. meniscofemorale und Lig. meniscotibiale (Lig. coronarium) bezeichnet. Die tiefen Anteile sind untrennbar in die Gelenkkapsel integriert und werden ungenau auch „mediales Kapselband“ genannt. Dorsal geht das Lig. collaterale tibiale posterius kontinuierlich in das von Hughston und Eilers (1973) sehr detailliert beschriebene „posterior oblique ligament“ (hinteres Schrägband) über. Es verwundert nicht, wenn bei der komplizierten Struktur des medialen Bandkomplexes nomenklatorische Schwierigkeiten auftreten. So bezeichnen Hughston und Eilers (1973) nur den vorderen, dem medialen Kapselband lose aufliegenden Anteil als Lig. collaterale mediale. Den gesamten hinteren, aus dem Bereich des Tuberculum adductorium entspringenden Anteil nennen sie „hinteres Schrägband“ und unterscheiden hier drei Insertionsarme: zentraler (tibialer) Zügel, oberer (kapsulärer) Zügel und unterer (distaler) Zügel. Hierbei entspricht der untere (distale) Zügel dem Lig. collaterale tibiale posterius und der zentrale (tibiale) Zügel den Ligg. meniscofemorale bzw. meniscotibiale. Bei Verwendung dieser Begriffe besteht das „hintere Schrägband“ dann nur aus dem Faserzügel, der in die dorsale Gelenkkapsel einstrahlt und mit dem Lig. popliteum obliquum in Verbindung steht. Für die Funktion des Kniegelenks, insbesondere die Stabilisierung und die Meniskusprotektion bei Beugung ist das „hintere Schrägband“ von entscheidender Bedeutung. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die derzeit gültigen Terminologia Anatomica (1998) nur ein sehr eingeschränktes Repertoire an Begriffen bietet, das für die ausführliche anatomische Beschreibung des Knies bei weitem nicht ausreicht. Es wurden mittlerweile zahlreiche Begriffe eingeführt, die jedoch oftmals von unterschiedlichen Autoren differierend verwendet werden oder deren exakte Definition man vermeidet. Diese Definitions- und Nomenklaturproblematik kann hier nur angerissen werden. Sie bedarf aber einer sorgfältigen Klärung, um Missverständnisse, oberflächlich-unscharfe Beschreibungen und Fehlinterpretationen zu vermeiden.
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4.3
A. Prescher
Hinterer Bandapparat
Die Dorsalseite des Kniegelenks wird durch sehr kräftige Bandstrukturen verstärkt und ist in Streckstellung angespannt. Hierdurch wird eine Überstreckung wirkungsvoll verhindert und ein wesentlicher Beitrag zur Seitenstabilisierung geliefert. Der hintere Bandapparat (Abb. 10) ist eine recht komplizierte Anordnung von Bändern und Muskeln, wobei die Bänder zum Teil als Insertions- oder Ursprungsstrukturen von Muskeln angesehen werden müssen. Im Einzelnen werden beschrieben:
1. mediale und laterale Polkappe, 2. Tendo m. semimembranosi mit Pes anserinus profundus, 3. Lig. popliteum obliquum, 4. M. popliteus, 5. Lig. popliteum arcuatum. Kranial liegen über beiden Kondylenrollen Kapselverstärkungen, die als mediale und laterale Polkappe bezeichnet werden. Diese Polkappen unterfüttern die beiden Ursprungsköpfe des M. gastrocnemius, die hier mit der Gelenkkapsel fest verwachsen sind, was zu einer zusätzlichen Verstärkung führt. Eine ganz wichtige Rolle spielt die Insertion des M. semimembranosus, dessen Sehne den Pes anserinus profundus als Insertionsstruktur ausbildet und der die posteromediale Ecke des Kniegelenks besetzt und dominiert. Aus diesem Grunde hat sich auch der Begriff des Semimembranosusecks eingebürgert. Es müssen fünf verschiedene Insertionszügel beschrieben werden: 1. 2. 3. 4.
zur Medialseite des medialen Tibiakondylus, zur Dorsalseite des medialen Tibiakondylus, das Lig. popliteum obliquum, Verbindung zum hinteren Schrägband und zum medialen Meniskus und 5. zur Aponeurose des M. popliteus und zur dorsalen Fläche der Tibia.
Abb. 10 Bandapparat des Kniegelenks in der Ansicht von dorsal: 1 Tendo m. semimembranosi mit den Insertionszügeln 1a–1e, die in ihrer Gesamtheit den Pes anserinus profundus bilden. 1a Lig. popliteum obliquum, 1b Zügel zur Aponeurose des M. popliteus, 1c Zügel zur Dorsalseite der Tibia, 1d Zügel zur Medialseite des Condylus medialis tibiae, 1e Zügel zum hinteren Schrägband und zum medialen Meniskus, 2 Caput mediale m. gastrocnemii mit medialer Polkappe, 3 M. plantaris, 4 Caput laterale m. gastrocnemii mit lateraler Polkappe, 5 M. popliteus, 6 Lig. collaterale laterale, 7a Lig. popliteofibulare, 7b Lig. popliteum arcuatum, 8 Tendo m. poplitei, 9 Bandverbindung des M. popliteus zum lateralen Meniskus, 10 Bandverbindung des M. popliteus zum Caput fibulae, 11 Verbindung des Pes anserinus profundus zum medialen Meniskus. (Herrn W. Graulich, unserem Institutszeichner, danke ich sehr für die engagierte Anfertigung der Zeichnungen und seine Geduld bei meinen zahlreichen Korrekturwünschen; aus Prescher 2011)
Ein großer Teil der Sehnenfasern des M. semimembranosus bildet das schräg über die Gelenkhinterwand ziehende Lig. popliteum obliquum. Dieses Band beginnt an der lateralen Seite der mit der Kniegelenkkapsel verwachsenen Sehne des M. semimembranosus und zieht schräg ansteigend zur lateralen Polkappe unter den M. plantaris und den lateralen Kopf des M. gastrocnemius. Ist eine laterale Fabella ausgebildet, fassen Fasern auch an diesem Sesambein Fuß. Der Bandzug wird oft von dorsal in das Kniegelenk eintretenden Gefäßen perforiert. Die dorsolaterale Ecke des Kniegelenks wird im Wesentlichen vom M. popliteus gesichert: das Popliteuseck. Dieser Muskel entspringt mit einer kräftigen Sehne aus dem Sulcus popliteus des lateralen Femurkondylus und zusätzlich mit einer breiten, flachen
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
Sehnenplatte vom Lig. popliteum arcuatum. Sein Muskelbauch inseriert auf der dorsalen Fläche der Tibia oberhalb der Linea m. solei. Die breitsehnige Verbindung zum Arkuatumkomplex ist funktionell bedeutsam, da sie stabilisierend und dynamisierend auf diese Bandstrukturen wirkt. Auf der lateralen Seite ist das Lig. popliteum arcuatum ausgebildet, das vom Apex capitis fibulae entspringt und sich dann in zwei Zügel aufteilt: Der laterale, auch als Lig. popliteofibulare bezeichnete, verbindet sich mit der Popliteussehne. Oftmals laufen auch Fasern weiter nach kranial und inserieren in der lateralen Polkappe und an der evtl. vorhandenen Fabella. Diese Fasern werden auch als Retinaculum ligament arcuati (Lig. collaterale laterale posterius) bezeichnet. Ist eine Fabella vorhanden, entspricht dieser Bandzug dem Lig. fabellofibulare (Lig. de Vallois). Der mediale Zügel hingegen bildet die typische bogenförmige Arkade, verbindet sich mit dem Lig. popliteum obliquum und läuft dann an der dorsalen Tibiafläche aus, wobei Verbindungen zum Hinterhorn des Außenmeniskus bestehen. Unter der namensgebenden Arkade tritt die Sehne des M. popliteus in die Gelenkkapsel des Kniegelenks ein. Für die funktionelle Betrachtung werden oftmals dorsale und mediale bzw. laterale Strukturen zusammengefasst, sodass von posterolateralen und posteromedialen Strukturen gesprochen wird. Eine genaue Analyse der funktionellen Gegebenheiten all dieser Gebilde liefern Müller (1982) und Petersen et al. (2006).
4.4
Zentraler Bandkomplex (Ligg. cruciata, sog. Binnenba¨nder)
Der sog. Binnenbandapparat (Abb. 11) wird von den beiden extrasynovial, größtenteils in der Fossa intercondylaris des Femurs gelegenen, ca. 3,8 cm (Girgis et al. 1975) bis 4 cm (Fick 1904) langen, schräg verlaufenden Kreuzbändern gebildet: dem Lig. cruciatum anterius und posterius. Genaue Daten zu den Abmessungen der Bänder stellt Kummer (2005) zusammen. Die beiden Bänder sind keine wirklichen Binnenraumbänder, sondern müssen als Verstärkungs-
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Abb. 11 Tibiaplateau mit Bandapparat und Menisci in der Ansicht von kranial: 1 Meniscus medialis, 2 Meniscus lateralis, 3 Lig. patellae, 4 Retinaculum patellae longitudinale mediale und laterale, 5 Ligg. patellomeniscalia, 6 Lig. collaterale mediale, 7 mediales Kapselband, 8 hinteres Schrägband, 9 Tendo m. semimembranosi, 10 M. popliteus, 11 Tendo m. poplitei mit Kapseldurchtritt, 12 Lig. collaterale laterale, 13 Lig. popliteofibulare, 14 Tractus iliotibialis, 15 Corpus adiposum infrapatellare (Hoffa), 16 Lig. transversum genus, 17 Lig. cruciatum anterius: 17a Pars anteromedialis, 17b Pars intermedia, 17c Pars posterolateralis, 18 Lig. cruciatum posterius: 18a Pars posteromedialis, 18b Pars anterolateralis, 19 Lig. meniscofemorale anterius (Humphrey), 20 Lig. meniscofemorale posterius (Weitbrecht, Wrisberg oder Robert), 21 vorderes Meniskusband. (Herrn W. Graulich, unserem Institutszeichner, danke ich sehr für die engagierte Anfertigung der Zeichnungen und seine Geduld bei meinen zahlreichen Korrekturwünschen; aus Prescher 2011)
züge der Kapselhinterwand (Fick 1904) aufgefasst werden. Diese Verstärkungszüge springen allerdings stark prominent in den Gelenkraum vor, sodass der Eindruck von intraartikulären Strukturen hervorgerufen wird. Sie werden nur vorn und seitlich vom Stratum synoviale eingehüllt, wohingegen dorsal das Stratum fibrosum liegt. Da sie von intraartikulär erreichbar sind, hat es sich in der Klinik jedoch eingebürgert, von einer „intraartikulären“ Lage zu sprechen (Tillmann und Petersen 2000). Wegen der herausragenden Stabilisierungsfunktion der beiden Kreuzbänder hat die Lyoner Schule für beide Bänder zusammen auch den Begriff des „Pivot central“ geprägt. Da sich beide Bänder tatsächlich wie ein X überkreuzen, besteht der Name Ligg. cruciata zu Recht. Zwischen den beiden
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Bändern befindet sich oft ein kleiner Schleimbeutel, die Bursa intercruciata (Fick 1904). In den Kreuzbändern liegen Mechanorezeptoren und freie Nervenendigungen (Schultz et al. 1984; Schutte et al. 1987; Zimny et al. 1986) und bedingen eine propriozeptive Funktion der Kreuzbänder, deren Bedeutung für die Steuerung der Kniebewegungen stark angenommen wird, aber die noch nicht sicher bewiesen ist (Kummer 2005). Zum zentralen Bandkomplex können noch zwei Bandzüge gerechnet werden, die sich dem hinteren Kreuzband anlagern: Lig. meniscofemorale anterius (Humphrey) und Lig. meniscofemorale posterius (Weitbrecht, Wrisberg oder Robert).
Lig. cruciatum anterius Das Lig. cruciatum anterius (Abb. 11) entspringt von der medialen, hinteren Partie der Innenfläche des Condylus lateralis in einem ca. 2,3 cm hohen, nach ventral geneigtem Kreissegment (Girgis et al. 1975) und inseriert in der Area intercondylaris anterior, sodass eine schräge, von hinten lateral nach vorne medial gerichtete Streichrichtung besteht. Dabei zeigt das etwas abgeplattete Band eine leichte Verdrillung, sodass die untere Bandpartie nach vorn oben sieht, die obere jedoch nach lateral. Die vorderen Fasern sind länger als die hinteren, da sie kranial am Femur inserieren, wohingegen die kurzen hinteren Fasern mehr kaudal am Femur ansetzen (Kummer und Yamamoto 1988). Nach Girgis et al. (1975) besteht eine regelmäßige Insertion von Fasern des vorderen Kreuzbandes am Vorderhorn des lateralen Meniskus. Das vordere Kreuzband wird nach den Untersuchungen von Rudolf Fick (1911) in zwei nicht voneinander trennbare funktionell-anatomische Faserbündel aufgeteilt: Pars anteromedialis und Pars posterolateralis, wobei manche Autoren auch noch eine Pars intermedia einführen (Wagner und Schabus 1982; s. Abb. 11). Die Spannungszustände in den verschiedenen Funktionslagen des Kniegelenkes zeigt Tab. 1. Die Reißfestigkeit des vorderen Kreuzbandes beträgt 1725 N (Engebretsen und Lewis 1996). Nach den Untersuchungen von Petersen und Tillmann (1996) zeigt das vordere Kreuzband ca. 5–10 mm oberhalb der tibialen Insertion eine Faserknorpeleinlagerung. Dieser Bereich liegt topografisch in
A. Prescher Tab. 1 Funktionszustände der Ligg. Cruciata. (Nach Fick 1911) Bänder Lig. cruciatum anterior Anteriomediales und intermediäres Bündel Posterolaterales Bündel Lig. cruciatum posterior Anterolaterales Bündel Posterolaterales Bündel
Streckung
Beugung
Gespannt
Schlaff
Schlaff
Gespannt
Schlaff Gespannt
Gespannt Schlaff
„Grant’s notch“, die hier in Streckstellung wie ein Hypomochlion wirkt. Dadurch entsteht eine Situation mit wechselnder Druck- und Schubbeanspruchung, die die Entstehung von Faserknorpel erklärt (Tillmann und Schünke 1991). Die Gefäßversorgung des vorderen Kreuzbandes erfolgt im kranialen Anteil aus der A. genus media und in den kaudalen Partien aus den Aa. inferiores medialis et lateralis genus. Die Gefäße dringen mit horizontalen Ästen in das Kreuzband ein und verlaufen dann parallel zu den Kollagenfibrillenbündeln (Arnoczky 1983). Nach Petersen und Tillmann (1996) hat das Band im Bereich der Faserknorpeleinlagerung eine weitgehend avaskuläre Zone. Es ist bemerkenswert, dass von den Knocheninsertionen aus kaum eine nennenswerte Blutgefäßversorgung des Bandes erfolgt (Marshall et al. 1979).
Ligamentum cruciatum posterius Das Lig. cruciatum posterius (Abb. 11) entspringt fächerförmig in einem 3,2 cm langen, horizontal orientierten dorsalen Kreissegment von der lateralen Fläche des Condylus medialis und zieht schräg nach hinten lateral, um in der Area intercondylaris posterior zu inserieren. Es ist wichtig, dass ein kräftiger Anteil des Bandes über die Hinterkante der Tibia streicht, um an der dorsalen Tibiafläche Fuß zu fassen. Es besteht weiterhin eine regelmäßig vorkommende Faserverbindung zum Hinterhorn des Außenmeniskus (Girgis et al. 1975), die von den meniskofemoralen Ligamenten unterschieden werden muss. Eine Verbindung zum medialen Meniskus liegt nicht vor. Das hintere Kreuzband lässt im Gegensatz zum vorderen nur zwei nicht voneinander trennbare Bündel erkennen, die nach Fick (1911) als anterolaterales
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
und als posteromediales Bündel bezeichnet werden. Bei den unterschiedlichen Funktionsstellungen des Kniegelenkes ergeben sich die Spannungsverhältnisse der Tab. 1. Die Reißfestigkeit wird für diese beiden Bündel deutlich unterschiedlich angegeben: für das anterolaterale mit 1494 N und für das posteromediale mit 242 N (Race und Amis 1994). Einige Autoren unterscheiden mehr als drei Faserbündel (z. B. Mommersteeg et al. 1995). Detaillierte Angaben zur Mikromorphologie des hinteren Kreuzbandes werden von Petersen und Tillmann (2000) mitgeteilt. Die Blutgefäßversorgung des hinteren Kreuzbandes erfolgt kranial ebenfalls aus der A. genus media und kaudal aus den Aa. inferiores medialis et lateralis genus. Ähnlich wie im vorderen Kreuzband kommt auch im hinteren eine faserknorpelige Zone im mittleren Drittel des Bandes vor und bedingt hier eine weitgehend avaskuläre Zone (Petersen und Tillmann 1999). In engem Zusammenhang mit dem hinteren Kreuzband liegen die beiden meniskofemoralen Bänder, das Lig. meniscofemorale anterius (Humphrey) und das Lig. meniscofemorale posterius (Weitbrecht, Wrisberg oder Robert; Abb. 11). Das Humphrey’sche Band zieht vom Hinterhorn des Außenmeniskus parallel und vor dem hinteren Kreuzband zur lateralen Fläche des medialen Kondylus. Das Lig. meniscofemorale posterius zieht ebenfalls vom Hinterhorn des Außenmeniskus zur lateralen Fläche des Condylus medialis, liegt dabei jedoch hinter dem Lig. cruciatum posterius. Über die Häufigkeit der Bänder besteht in der Literatur keine Einigkeit. Nach den Untersuchungen von Heller und Langman (1964) trat ein meniskofemorales Band in 71 % (140 Fällen) auf. Davon entfielen 35 % auf das posteriore, 36 % auf das anteriore. Bei 6 % der Fälle waren beide Bänder vorhanden. Nach Kummer (2005) sollen in 50 % der Fälle beide Bänder gemeinsam vorkommen. Bei 100 untersuchten Knien fand dieser Autor nie ein Gelenk ohne ein Lig. meniscofemorale. In einer neueren Untersuchung von Niess et al. (2000) an 122 Kniegelenken konnten die Bänder in 96 % nachgewiesen werden (82 % Wrisberg und 58 % Humphrey). Zusätzlich konn-
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ten diese Autoren zeigen, dass das hintere Band eine große Variationsbreite zeigt und drei wohl definierte Typen unterscheiden lässt.
5
Meniski
Die Inkongruenzen der Gelenkflächen werden durch die eingelagerten, im Querschnitt keilförmigen Meniski ausgeglichen. Bei den Meniski handelt es sich um faserknorpelige Halbscheiben, an denen ein vorderes Horn, ein Meniskuskörper und ein hinteres Horn unterschieden werden können (Abb. 10). Während die Meniski beim 1-jährigen Kind noch vollständig vaskularisiert sind, weisen sie beim Erwachsenen nur noch im äußeren Bereich (1,5–2 mm) Blutgefäße auf, die von der Gelenkkapsel her eintreten, sodass die inneren Partien, insbesondere die Meniskusschneide, avaskulär sind (Scapinelli 1968; Petersen und Tillmann 1995). Die ligamentären Abschnitte der Meniskushörner sind sehr gut vaskularisiert, wohingegen die chondralen Ansatzstrukturen an der Tibia avaskulär sind (Tillmann und Petersen 2000). Der Meniskus darf nicht als homogener Faserknorpel angesehen werden. Vielmehr besteht der Meniskus aus verschiedenen Lagen von unterschiedlich angeordneten Materialien und Fasersystemen, sodass eine Art Sperrholzbau resultiert. Detaillierte Untersuchungen zum Feinbau und zur Faserarchitektur der Meniski finden sich bei Petersen und Tillmann (1998). Der mediale und der laterale Meniskus weisen eine unterschiedliche Gestalt auf: • Meniscus medialis: sichelförmig, sein Vorderhorn wird über ein kurzes, aber kräftiges Band an der Area intercondylaris anterior befestigt. Sein Hinterhorn in gleicher Weise in der Area intercondylaris posterior. • Meniscus lateralis: kreisförmig, sodass die beiden Meniskushörner im Bereich der Eminentia intercondylaris dicht beieinander zu liegen kommen. Die Vorderhörner werden durch das Lig. transversum genus miteinander verbunden.
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A. Prescher
Da die Meniski axial belastet werden, würden sie ohne dieses Band seitlich aus dem Gelenkspalt herausgedrückt. Nach einer neueren Untersuchung (Muhle et al. 2000) wirkt sich das Lig. transversum genus restriktiv auf die posteriore Translationsbewegung des Vorderhorns des Innenmeniskus aus und soll deshalb auch einen Einfluss auf die Entstehung von Innenmeniskusschäden haben können. Das sehr variable Band, das oftmals vernachlässigt wird, stellt also einen wichtigen Faktor für die Meniskuslage dar. Es ist in MRT-Aufnahmen darstellbar und wird vom Hoffa’schen Fettkörper allseitig umschlossen. Die Meniski nehmen wichtige funktionelle Aufgaben wahr, die schlagwortartig zusammengefasst werden können: 1. 2. 3. 4.
transportable Gelenkpfanne, Ausgleich von Inkongruenzen, gleichmäßige Druckverteilung, Hemmschuhwirkung.
Diese Einzelfunktionen lassen sich auch zusammenfassend dahingehend beschreiben, dass die Meniski die Lastaufnahmefläche vergrößern und gleichzeitig der Gelenkresultierenden einen erheblich größeren Spielraum ermöglichen (Kummer 1987). Wichtig ist, dass die Meniski bei allen Bewegungen des Kniegelenks ebenfalls bewegt werden. Bei der Streckung werden sie über die meniskopatellären Bänder nach vorne gezogen. Bei der Beugung durch Faserverbindungen mit dem M. semimembranosus und dem M. popliteus nach hinten. Bei der Innenrotation bewegt sich der Außenmeniskus nach hinten und der Innenmeniskus nach vorne. Bei der Außenrotation ist das umgekehrte Verhalten zu beobachten. Es muss noch festgestellt werden, dass die Meniskusbewegungen bei den Rotationsbewegungen des Kniegelenks weitgehend scheinbare Bewegungen sind, da das Tibiaplateau unter den Meniski weggedreht wird. Dies führt zu hohen Belastungen an den knöchernen Insertionspunkten der Meniski. Der größte Kontakt zum Femur besteht in der Streckstellung und wird beim Übergang in die Beugestellung immer weiter aufgehoben. Bei
vollständiger Beugung findet schließlich nur noch ein sehr geringer Kontakt im hinteren Bereich statt. Eine wichtige Differenzierungsstörung stellt der Scheibenmeniskus, Meniscus disciformis, dar, der in den Formenkreis der Meniskusdysplasien gehört (Ficat 1962).
6
Bursen
Im Bereich des Kniegelenks kommen verschiedene Schleimbeutel vor. Im Einzelnen werden folgende Bursen beschrieben.
6.1
Ventrale Bursen
1. Bursa subcutanea praepatellaris: liegt direkt unter der Haut vor der Kniescheibe. 2. Bursa subfascialis praepatellaris: liegt unter der über die Patella hinwegziehenden Faszie. 3. Bursa subtendinea praepatellaris: liegt im oberen Patellabereich unter der Quadrizepssehne. 4. Bursa subcutanea tuberositatis tibiae: liegt direkt unter der Haut und vor der Tuberositas tibiae. Diese Bursa wird bei knienden Berufen am stärksten beansprucht. 5. Bursa subcutanea infrapatellaris: liegt unter der Haut und vor dem Lig. patellae. 6. Bursa infrapatellaris profunda: liegt dorsal hinter dem Lig. patellae und kann hin und wieder mit dem Kniegelenk kommunizieren.
6.2
Dorsale Bursen
1. Bursa subtendinea m. gastrocnemii lateralis: liegt unter dem lateralen Ursprungskopf des M. gastrocnemius, ist fakultativ und kommuniziert meistens nicht mit dem Kniegelenk. 2. Bursa subtendinea m. gastrocnemii medialis: liegt unter dem medialen Ursprungskopf des M. gastrocnemius und kommuniziert meistens mit der Kniegelenkshöhle. 3. Bursa m. semimembranosi: liegt zwischen dem Pes anserinus profundus und der hinteren
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
Schienbeinkante. Verschmelzen Bursa subtendinea m. gastrocnemii medialis und Bursa m. semimembranosi miteinander, so entsteht die geräumige Bursa gastrocnemiosemimembranosa, die den Spaltraum zwischen dem M. semimembranosus und dem Caput mediale des M. gastrocnemius ausfüllt. Sie kann über die Bursa subtendinea m. gastrocnemii medialis oder auch eigenständig ebenfalls eine Kommunikation mit der Kniegelenkshöhle aufweisen. Die Bursa gastrocnemiosemimembranosa kann durch Übertritt von Synovialflüssigkeit aus dem Kniegelenk gefüllt werden, wobei sich ein Ventilmechanismus bemerkbar machen kann, der ein Zurückströmen der Flüssigkeit verhindert (Jayson und Dixon 1970). Es resultiert eine prall gefüllte, sich vergrößernde Bursa, die nach dem Londoner Chirurgen William Morrant Baker (1839–1896) als „BakerZyste“ bezeichnet wird, obwohl sie bereits 1840 von Adams und 1845 und 1846 von Wenzel Gruber beschrieben wurde.
6.3
Seitliche Bursen
1. Bursa subtendinea m. bicipitis femoris inferior: liegt zwischen der distalen Bizepssehne und dem Lig. collaterale laterale. 2. Bursa m. poplitei: Sie umscheidet die Ursprungssehne des M. popliteus und öffnet sich beim Eintritt der Sehne in den Kniegelenksraum trichterartig in diesen. Deshalb ist sie besser als Recessus subpopliteus zu bezeichnen. 3. Bursa subtendinea m. sartorii: liegt im Bereich des Pes anserinus superficialis zwischen der oberflächlichen Sehne des M. sartorius und den tiefer gelegenen Sehnen der Mm. gracilis und semitendinosus. 4. Bursa anserina: liegt zwischen Pes anserinus superficialis und Lig. collaterale mediale. Sie kann hin und wieder mit der Bursa subtendinea m. gastrocnemii medialis kommunizieren. 5. Bursa ligamenti collateralis tibialis: liegt zwischen Lig. collaterale mediale und medialem Kapselband.
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7
Leitungsbahnen des Kniegelenks
7.1
Arterien des Kniegelenks allgemein
Nachdem die A. femoralis den Hiatus adductorius passiert hat und in die Fossa poplitea eingetreten ist, wird sie als A. poplitea bezeichnet. Die A. poplitea gibt in der Fossa poplitea fünf Äste ab, die für die Versorgung des Kniegelenkes wichtig sind: 1. 2. 3. 4. 5.
A. superior lateralis genus, A. superior medialis genus, A. media genus, A. inferior lateralis genus und A. inferior medialis genus.
Rückläufig gelangen die Aa. recurrens tibialis anterior und posterior zum Kniegelenk. All diese Gefäße stehen durch zahlreiche Anastomosen miteinander in Verbindung und bilden ein ausgedehntes periartikuläres Gefäßnetz, das Rete articulare genus. Dieses Gefäßnetz besteht aus sehr zahlreichen, aber dünnkalibrigen, zarten Gefäßen, die insbesondere die Gelenkkapsel des Kniegelenks versorgen. Für einen effizienten Kollateralkreislauf bei Ausfall der A. poplitea kann das Rete articulare nicht sorgen. Die Aa. superiores genus ziehen oberhalb der Femurepikondylen, die sie mit zahlreichen Rr. nutricii versorgen, nach ventral und münden hier in das Rete articulare genus. Die A. media genus perforiert die dorsale Wand der Gelenkkapsel und zieht in die Fossa intercondylaris, wo sie den kranialen Abschnitt des Kreuzbandkomplexes versorgt und Rr. nutricii (Rr. intercondylares) in das Dach der Fossa intercondylaris abgibt. Auch das proximale Tibiaende wird versorgt, und zwar über einen Ast, der an der Rückseite des vorderen Kreuzbandes herabläuft und sich direkt vor der Eminentia intercondylaris aufzweigt, um sowohl den lateralen als auch den medialen Condylus tibiae zu erreichen. Ein Endast der A. media genus zieht in eine Synovialscheide eingebettet nach vorne zur Versorgung des Hoffa’schen Fettkörpers (Lang und Wachs-
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A. Prescher
muth 1972). Die Aa. inferiores genus entspringen direkt unterhalb des Kniegelenkspaltes. Die A. inferior medialis genus zieht dann, bedeckt vom Lig. collaterale mediale nach vorne und mündet in das Rete articulare, wohingegen die laterale oberhalb des Caput fibulae und unter dem Lig. collaterale laterale zum Rete verläuft. Beide inferioren Gefäße geben Äste in die Fossa intercondylaris ab, die die kaudalen Abschnitte der Kreuzbänder versorgen. An der Speisung des Rete articulare genus beteiligt sich noch die A. genus descendens, die kurz oberhalb des Hiatus adductorius aus der A. femoralis entspringt. Dieses Gefäß perforiert die Membrana vastoadductoria und verläuft zusammen mit dem N. saphenus distalwärts. Dabei werden dann Rr. articulares abgegeben, die medialseitig ins Rete articulare eintreten. An der Versorgung des Kniegelenks beteiligen sich noch zwei Äste der A. tibialis anterior. Bevor diese durch die Membrana interossea cruris tritt, gibt sie die inkonstante, kleine A. recurrens tibialis posterior ab. Direkt nach dem Durchtritt durch die Membran entspringt die A. recurrens tibialis anterior, die dann den M. tibialis anterior perforiert und ins Rete articulare mündet. Die Aa. recurrentes tibiae versorgen die Articulatio tibiofibularis, den Condylus lateralis tibiae und vordere Kniegelenkspartien. Der R. circumflexus fibularis, aus der A. tibialis posterior entspringend, wendet sich um das Fibulaköpfchen nach ventral und mündet hier ebenfalls in das Rete articulare ein. Schließlich kann der R. descendens der A. circumflexa femoris lateralis bis in den Bereich des Kniegelenkes herabreichen und sich an der Speisung des Rete articulare genus beteiligen. Eine sehr detaillierte Analyse der Blutversorgung des Kniegelenkes stammt von Scapinelli (1968).
7.2
Blutgefa¨ßversorgung der Patella
Von besonderer klinischer Bedeutung ist die Blutgefäßversorgung der Patella, die von dem feinmaschigen Rete patellae, einer Unterabteilung des Rete articulare genus, sichergestellt wird (Kirschner et al. 1997). Die Zerstörung dieses
Versorgungsweges ist mit einer hohen Rate postoperativer Komplikationen, wie Knorpeldegeneration und Stressfraktur der Patella belastet (Slater et al. 1991). Die komplizierte Angioarchitektur der Patella kann nach den Untersuchungen von Kirschner et al. (1997) folgendermaßen geschildert werden: Im Bereich der Vorderseite der Patella befindet sich ein arterieller Gefäßkranz (A. circularis, peripatelläre Ringanastomose), in den von allen vier Ecken speisende Gefäße eintreten: oben lateral: A. superior lateralis genus; unten lateral: A. inferior lateralis genus; oben medial: A. genus descendens; unten medial: A. inferior medialis genus. Zusätzlich findet zwischen diesen beiden medialen Zuflüssen eine weitere Speisung des Rete patellae durch die A. superior medialis genus statt. Auf der lateralen Seite kann sich auch die A. recurrens tibialis anterior an der Versorgung des Gefäßnetzes beteiligen. Das auf der Vorderseite der Patella liegende Gefäßnetz gibt nun kleine Nutrizialarterien in die Patella hinein ab. Die untere Hälfte der Patella empfängt zusätzlich Gefäße, die in die Rückfläche des Apex patellae eintreten, und die ebenfalls aus der peripatellären Ringanastomose stammen. Somit besitzt die untere Patellahälfte eine bessere Blutversorgung als die obere, was sich bei der Heilung von Patellafrakturen auswirken kann (Scapinelli 1967). Die Seitenränder, die Basis und die eigentliche Patellaspitze zeigen keinen Eintritt von Blutgefäßen.
7.3
Nerven
Bei der Nervenversorgung des Kniegelenks muss zwischen der Hautinnervation und der eigentlichen Gelenkinnervation unterschieden werden.
Hautinnervation Die sehr variable sensible Versorgung der Haut erfolgt aus den Segmenten L3 und L4. Im lateralen oberen Bereich versorgen die Ausläufer des N. cutaneus femoris lateralis und im medialen die Rr. cutanei femoris anteriores des N. femoralis die Haut des Kniegelenks. Auf der medialen Seite bis zum Gelenkspalt des Kniegelenks ist der R. cutaneus n. obturatorii zu nennen. Weiterhin beteiligt
Knieendoprothetik: Anatomie des Kniegelenks
sich auf der Medialseite des Gelenks der N. saphenus ausgiebig an der Versorgung der Haut. Insbesondere gibt er hier den R. infrapatellaris ab, der in ca. 70 % den M. sartorius perforiert (Lang und Wachsmuth 1972) und dann unterhalb der Patella nach vorne in den Bereich der Tuberositas tibiae zieht. Insgesamt fällt auf, dass die wichtigsten Nerven zur Innervation der Haut auf der medialen Seite zwischen Condylus medialis femoris und Tuberositas tibiae verlaufen, sodass das Verletzungsrisiko für sensible Nerven auf der lateralen Seite deutlich geringer ist. Wird der mediale Zugang gewählt, muss unbedingt auf die Äste des N. saphenus geachtet werden, um Sensibilitätsausfälle zu vermeiden und um die Bildung der hier sehr unangenehmen Amputationsneurome zu verhindern. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Innervationsmuster der Haut des Kniegelenks geben Lang und Wachsmuth (1972).
Gelenkinnervation Die Versorgung des eigentlichen Kniegelenks erfolgt nah dem Hilton’schen Gesetz von allen Nerven, die auch Muskeln versorgen, die das Kniegelenk bewegen. In der Regel zweigen in diesem Sinne von den entsprechenden Muskelästen Rr. articulares ab, die zur Gelenkkapsel und zum Bandapparat ziehen. Insbesondere sind hier zu nennen: 1. Rr. articulares aus den Muskelästen für den M. vastus medialis, intermedius und lateralis. Diese Nerven gehören zum N. femoralis und treten kraniomedial, kranial und kraniolateral an das Kniegelenk heran. 2. Rr. articulares des N. tibialis. Diese drei Äste lagern sich den Gefäßen (A. superior medialis genus, A. inferior medialis genus und A. media genus) an und ziehen mit diesen Gefäßen zum Kniegelenk. Sie bilden dann ein ausgedehntes Geflecht zur Versorgung des gesamten medialen Bereiches und des hier liegenden Bandapparates. Insbesondere der mit der A. media genus verlaufende Ast versorgt auch noch dorsale Kapselpartien und den Kreuzbandkomplex. 3. Rr. articulares aus dem N. peroneus communis. Wie auf der medialen Seite werden auch hier drei Äste abgegeben, die mit den Gefäßen
19
(A. superior lateralis, A. inferior lateralis und A. recurrens tibialis anterior) verlaufen. Auch hier wird ein ausgedehnter Gelenkplexus formiert, der die laterale Gelenkkapsel und die Bandstrukturen versorgt. Zusätzlich wird auch die Articulatio tibiofibularis aus diesen Quellen innerviert. 4. R. articularis aus dem R. posterius des N. obturatorius. Dieser Nerv tritt mediokranial an das Kniegelenk heran, die Innervation ist sehr variabel.
8
Fazit fu¨r die Praxis
Die detaillierte Kenntnis der komplexen Anatomie des Kniegelenks ist eine Conditio sine qua non für eine erfolgreiche Kniechirurgie. Ein wirklich profundes und sicheres Wissen bezüglich der Topografie, der Formeigentümlichkeiten der Strukturen und der Varietäten kann nur durch die ständige und immer wiederholte Tätigkeit am Objekt erlangt werden. Somit muss festgestellt werden, dass die Arbeit am Präparat mit einer detaillierten Darstellung und Erarbeitung der einzelnen Strukturen der Königsweg ist. Der vorgelegte Text kann hierfür ein Wegweiser sein.
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Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks Georg N. Duda, Philippe Moewis, Hagen Hommel, Markus O. Heller, William R. Taylor, Georg Bergmann und Adam Trepczynski
Inhalt 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Grundlagen der muskuloskelettalen Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung der Muskelkräfte für die Belastung der Knochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Balance zwischen äußeren Lasten und inneren Beanspruchungen . . . . . . . . . . . . . . . . In-vivo-Messungen der muskuloskelettalen Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelenkkinetik (Gelenkkräfte) und muskuloskelettale Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelenkkinematik (Gelenkbewegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Patellofemorales Gelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4
Belastungen am Kniegelenk – zukünftige Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
24 24 25 26 28 31
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
G. N. Duda (*) · P. Moewis · G. Bergmann · A. Trepczynski Julius Wolff Institute, Berlin Institute of Health and Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; philippe. [email protected]; [email protected]; [email protected] H. Hommel Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB) Theodor Fontane, Krankenhaus Märkisch-Oderland GmbH, Wriezen und Neuruppin, Deutschland E-Mail: [email protected] M. O. Heller Bioengineering Sciences Research Group, Faculty of Engineering and Physical Sciences, University of Southampton, Southampton, UK E-Mail: [email protected] W. R. Taylor Institut für Biomechanik, ETH Zürich, Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected]
1
Einleitung
Um die Regeneration der Patienten nach einem endoprothetischen Kniegelenkersatz zu beschleunigen und eine weitgehende Wiederherstellung der Funktion zu ermöglichen, ist die am Gelenk wirkende Biomechanik entscheidend. Durch den Einsatz einer Kniegelenkendoprothese werden oftmals die biomechanischen Bedingungen im Gelenk grundlegend verändert: Beim Kniegelenk, das stark durch Weichteile geführt wird, bestimmt das chirurgische Vorgehen (z. B. der chirurgische Zugang, die Achsausrichtung) die postoperative Balance der passiven und aktiven Weichteile und damit die mechanischen Rahmenbedingungen, unter denen die knöcherne Integration des Implantates stattfindet. Somit sind die biomecha-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_2
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24
nischen Bedingungen, die in der Operation durch den Chirurgen eingestellt werden, nicht nur für die unmittelbare Funktion, sondern auch für die Dauerhaftigkeit des Gelenkersatzes entscheidend. Hinzu kommt, dass der Chirurg zwar die unmittelbare Funktion postoperativ prüfen kann; die Versorgung aber langfristig bei zunehmendem Alter und sich ändernden Rahmenbedingungen (z. B. metabolische Erkrankungen, immunologisches Altern, Osteoporose) eine stabile Lösung darstellen sollte. Oft sind solche sich ändernden Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Operation nicht wirklich einschätzbar und dennoch sollte die Versorgung stabil sein. Ziel dieses Kapitels ist es, eine grundlegende Einführung in die Biomechanik des Kniegelenkes zu geben. Wissen um die am Kniegelenk wirkenden muskuloskelettalen Belastungen erlaubt Rückschlüsse auf die in der jeweiligen Situation benötigte Versorgung des Patienten. Oftmals wird diese Aussage letztlich für den einzelnen Patienten erst durch die Kombination moderner Bildgebung und quantitativer Funktionsanalytik möglich. Nur selten werden sich solch komplexe Analysen in der Klinik anwenden lassen. Somit bleibt die Abschätzung der tatsächlich auftretenden Belastungen in der klinischen Routine oftmals nur deskriptiv. Koordinierte Muskelaktivität erlaubt die Ausführung von Gelenkbewegungen und diese koordinierte Muskelaktivität führt auch zu einer Optimierung der Belastungen am Knochen und im Gelenk. Diese ausgewogene Balance der Muskulatur ist für eine möglichst minimale Belastung des endoprothetisch versorgten Kniegelenkes essenziell, um große Scherkräfte und Torsionsmomente am Implantat zu vermeiden. Die Gesamtkraft am Implantat besteht hauptsächlich aus den über das Gelenk wirkenden Muskelkräften und nur zum kleineren Teil aus dem abgestützten Gewicht. Die im Folgenden aufgezeigten Überlegungen finden bereits heute Eingang in präoperative Planung und postoperative Kontrolle, um letztlich eine beanspruchungsgerechte Versorgung und gegebenenfalls eine intraoperative Korrektur der muskuloskelettalen Belastungen zu ermöglichen. Dazu ist aber ein Grundverständnis
G. N. Duda et al.
der am Gelenk wirkenden Kräfte und Momente wichtig.
2
Grundlagen der muskuloskelettalen Belastungen
Wesentlich für die Funktion und die Belastung des Gelenkes ist das ausgeglichene Zusammenspiel von Knochen, Muskeln, Bändern und Sehnen. Aus der komplexen Interaktion dieser Strukturen resultieren die für das Knie charakteristischen Dreh-, Roll- und Gleitbewegungen. Jede durch einen chirurgischen Eingriff verursachte Manipulation dieses Systems bewirkt eine Änderung der Kräfte in diesen Strukturen mit möglicherweise bedeutender Beeinflussung der Gelenkfunktion. Gelenkbelastung und Gelenkkontaktkräfte sind wichtige Faktoren in der Pathogenese und Progression der Gonarthrose (Baliunas et al. 2002; Felson 1995). Ein frühzeitiges Erkennen von unphysiologischen Belastungen könnte eine frühzeitige therapeutische Intervention ermöglichen. Auch nach endoprothetischer Versorgung kann die Evaluation von Kinetik und Kinematik des Kniegelenkes wertvolle Rückschlüsse auf die erreichte Korrektur und den mittel- bis langfristigen Erfolg der Versorgung zulassen. In der Diagnostik der schmerzhaften Endoprothese wäre eine Differenzierung zwischen kinematisch (durch Bewegung), kinetisch (durch Kräfte) und durch systemische Ereignisse verursachten Schmerzen hilfreich, um eine Revision gezielter planen und durchführen zu können.
2.1
Bedeutung der Muskelkra¨fte fu¨r die Belastung der Knochen
1870 beschrieb Wolff erstmals einen Zusammenhang zwischen Belastung, Beanspruchung und anatomischen Strukturen, den er später im sog. Wolff’schen Gesetz manifestierte (Wolff 1892). Basierend auf Wolffs Betrachtungen publizierte Koch die erste analytische Bestimmung der Beanspruchungen langer Röhrenknochen (Koch 1917). Erst später wurde jedoch die außerordent-
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
liche Bedeutung der Muskelkräfte für die Belastung und Beanspruchung des Röhrenknochens offenkundig (Pauwels 1951). Am Beispiel der Abduktoren und des iliotibialen Bandes illustrierte Pauwels die Wirkung der Muskeln, die die Beanspruchung des Knochens wesentlich reduzieren. In einer Vielzahl von Beispielen zeigte Pauwels auf, wie Muskeln und Bänder die durch die Gewichtskraft bewirkten Biegemomente an der Hüfte ausgleichen. In seinen Arbeiten werden die Muskeln als Zugseile oder Ketten dargestellt, die die Last des Körpergewichts balancieren. Er führte dabei den Begriff der Zuggurtung zum Verständnis der Rolle des iliotibialen Bandes ein und definierte eine Zug- und eine Druckseite des Knochens (Pauwels 1973). Aus diesen Überlegungen ergeben sich bis heute direkte Konsequenzen für die klinische Praxis, z. B. für die optimale Lage von Implantaten. Als eine für die mechanische Belastung besonders kritische Aktivität erkannte Pauwels den Stand auf einem Bein (sog. Einbeinstand; Pauwels 1951). Seine Analysen der Querschnittsflächen der Röhrenknochen als auch der mechanischen Belastungen führten ihn zu der Annahme, dass die Röhrenknochen in erheblichem Maße Biegebelastungen zu übertragen haben.
2.2
Balance zwischen a¨ußeren Lasten und inneren Beanspruchungen
Um die komplexe muskuloskelettale Beanspruchung der langen Röhrenknochen beschreiben zu können, müssen die Bewegung, die äußere Belastung und die Gewichtsverteilung der gesamten Extremität bekannt sein. Basierend auf individuellen Bewegungs- und äußeren Belastungsmessungen lassen sich dann mithilfe der inversen Dynamik (Chao und Rim 1973) z. B. alters- oder krankheitsspezifische Gelenkbelastungen bestimmen (Winter 1991). Diese Gelenklasten sind die Summe aller durch Muskeln bewirkten Kräfte und Momente. Die Anzahl der ein Gelenk überspannenden Weichteilstruktu-
25
ren ist so groß, dass mit einer Vielzahl verschiedener Muskelaktivitäten ein und dieselbe Bewegung vollführt werden kann. Am Femur mit 6 Freiheitsgraden greifen z. B. mehr als 26 Kräfte an. Somit kann eine einzige Bewegung durch eine Reihe von Kombinationen von Muskeln erzielt werden. Es gibt also keine mathematisch eindeutige Methode zur Berechnung der körperinneren Belastungen. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Zum einen lässt sich die Anzahl der Gleichungen und die der Unbekannten angleichen (Ghista et al. 1976; Pierrynowski 1982), zum anderen kann aus der unendlich großen Anzahl möglicher Lösungen eine mehr oder weniger „sinnvolle“ gefunden werden (Optimierung: Crowninshield 1978; Seireg und Arvikar 1973). Die Problematik besteht dabei im Auffinden eines „sinnvollen“ Optimierungskriteriums. Zu einer besseren Übereinstimmung zwischen Messungen der Muskelaktivität (EMG: Winter 1991) und vorhergesagter Muskelkraft kommt es mit sog. nichtlinearen, dynamischen Optimierungskriterien (Berücksichtigen der Bewegungsgeschichte: z. B. Thunnissen et al. 1992). Trotz dieser Verbesserungen können sich die berechneten Lösungen je nach Gangbild des Probanden, Optimierungskriterium und anatomischem Modell widersprechen (Davy und Audu 1987). Um die Belastungen im Kniegelenk eines individuellen Patienten bestimmen zu können, müssen alle Last tragenden Strukturen bekannt sein. Je nach spezifischer Fragestellung kann eine Vereinfachung der muskuloskelettalen Anatomie auf wenige Muskelgruppen oder eine Vernachlässigung der stabilisierenden Wirkung der Ligamente zulässig sein (Collins und O’Connor 1991; Holden et al. 1994). Die moderne Bildgebung ermöglicht es, fast alle an den knöchernen Strukturen angreifenden Weichteile für den individuellen Fall zu bestimmen. Somit kann die jeweilige Bedeutung eines speziellen Muskels oder einer Sehne für die mechanische Situation der unteren Extremität ermittelt werden.
26
2.3
G. N. Duda et al.
In-vivo-Messungen der muskuloskelettalen Belastungen
Für das Kniegelenk gibt es erst seit einiger Zeit Invivo-Messungen. Messungen von Hüftkontaktkräften dagegen wurden in vivo erstmals 1966 berichtet (Rydell 1966). Telemetrische Messmethoden wurden von einer Reihe von Forschergruppen entwickelt (Bergmann et al. 1993; Carlson et al. 1974; Davy et al. 1988; English und Kilvington 1979; Mann und Hodge 1990; Taylor et al. 1997). Eine relativ vollständige Darstellung der Hüftkontaktkräfte unterschiedlicher Patienten während unterschiedlicher Gehgeschwindigkeiten ist durch Bergmann und Mitarbeiter (Bergmann et al. 1993) präsentiert worden. Für die Hüfte werden Kräfte zwischen dem 2,9-fachen Körpergewicht (bodyweight, BW; bei 2 km/h) und 4,7 BW (bei 6 km/h) berichtet, die beim Stolpern auch bis 8,7 BW ansteigen können. Erste Messungen der in vivo wirkenden Axialkräfte am Tibiofemoralgelenk wurden von der Gruppe um D’Lima vorgestellt (D’Lima et al. 2005, 2006). Anhand des postoperativen Verlaufes konnte für einen 80-jährigen Patienten gezeigt werden, dass die Kräfte innerhalb der ersten 12 Monate nach Implantation der Prothese durch Kräftigung der Muskulatur deutlich anstiegen. So wurden 3 Monate postoperativ lediglich Kräfte von 1,2 BW beim Laufen gemessen, während die Maximalkraft 1 Jahr nach der Implantation der Prothese im Mittel 2,8 BW betrug, mit Spitzenkräften bis über 3 BW hinaus (D’Lima et al. 2005, 2006). Um realistische In-vivo-Daten über die Belastung des Kniegelenkes gewinnen zu können, wurden instrumentierte Knieendoprothesen entwickelt, mit denen die Messung der im Gelenk wirkenden Kontaktkräfte und Momente möglich ist (Heinlein et al. 2007). Als Grundlage wurde eine etablierte Prothese genommen und modifiziert: das INNEXTM-Systems, Typ FIXUC (Zimmer GmbH, Winterthur, Schweiz), wobei die Femurkomponente und das Tibia-Inlay vom Standardimplantat übernommen wurde. Die von der modifizierten Tibiakomponente erfassten Messdaten werden telemetrisch aus der Prothese gesendet (Heinlein et
al. 2007). Die instrumentierte Prothese wurde bei insgesamt 9 Patienten implantiert, die über mehrere Jahre wiederholt bei verschiedenen Aktivitäten gemessen wurden. Die Kurven zeigen Beispiele für den Kraftverlauf während des Gehens auf ebener Fläche (Abb. 1) und während des Treppensteigens (Abb. 2). Dargestellt sind die axiale Längskraft (rot) sowie die beiden Querkräfte in mediolateraler (grün) und anteroposteriorer Richtung (blau). Zusätzlich ist die Gesamtkraft (schwarz) gezeigt, die sich aus der vektoriellen Addition der Einzelkräfte ergibt. Im Median aller 9 Patienten ergab sich am ersten Maximum beim Gehen eine Gesamtkraft von 2,09 BW und 2,57 BW am zweiten Maximum (Damm et al. 2017). Wobei sich auch die mit BW normalisierten Gesamtkräfte stark zwischen den Patienten unterscheiden und beim zweiten Maximum von 1,78 BW bis 3,44 BW reichten. Noch höhere Kniekontaktlasten als beim Gehen wurden beim Treppenaufstieg und -abstieg beobachtet, wobei die Gesamtkräfte bei beiden Aktivitäten bis ~4,40 BW erreichten, wobei es auch hier Patienten gab, deren Belastung 3 BW nicht überschritt (Trepczynski et al. 2018). Die große interindividuelle Variation der auftretenden Gelenklasten weist auf erhebliche Unterschiede in der Muskelaktivierung und dem Ausmaß der Co-Kontraktion antagonistischer Muskelgruppen hin. Die direkten Messungen der tibiofemoralen Kräfte bestätigen ebenfalls den deutlichen Einfluss der Varus/Valgus-Stellung auf die relative mediolaterale Lastverteilung, mit R2 ¼ 0,88 beim Einbeinstand und R2 ¼ 0,59 während der Abstützung mit einem Bein bei dynamischen Aktivitäten. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen dem statisch erfassten Varus/Valgus-Winkel und der tatsächlich medial wirkenden Kniekontaktkraft wenig ausgeprägt (Kutzner et al. 2017). Auch das dynamisch erfasste externe Knieadduktionsmoment (KAM) beeinflusst die relative mediolaterale Lastverteilung (Abb. 3; Kutzner et al. 2013; Trepczynski et al. 2014). Für 10 Aktivitäten zusammen betrachtet korreliert das KAM ebenfalls mit der medialen Kraft (R2 ¼ 0,88), wobei dieser Zusammenhang interindividuell deutlich variieren kann (Abb. 4). Die maximalen Gelenk-
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
27 FX
FY
FZ
F
200
Belastungswerte [% BW]
100
0
–100 X =Lateral
Y =Anterior
–200
0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
Zeit [s] Kniegelenk: Gehen: flaches Gehen
Abb. 1 In vivo gemessene Gelenkkräfte beim Gehen auf ebener Fläche, 3 Schritte. Werte in Prozent des Körpergewichts. (% BW; aus Duda et al. 2011)
kräfte sind also nicht nur von der Achsstellung oder der äußeren Belastung abhängig: Die Gelenkkontaktkräfte werden wesentlich durch den individuell unterschiedlichen Einsatz von Muskeln bestimmt, welche für ca. 60–80 % der Gelenkkontaktkraft verantwortlich sind (Trepczynski et al. 2014). Die In-vivo-Messungen wurden auch genutzt, um nichtoperative Interventionen zu evaluieren, die auf Reduktion oder Verlagerung der Kniekontaktkräfte abzielen, um Belastungen zu reduzieren und damit gegebenenfalls die Weiterentwicklung einer Gelenkarthrose zu verhindern oder zu verlangsamen. So wurden verschiedene Schuhtypen untersucht. Es zeigte sich, dass die meisten Schuhtypen die Knielasten im Vergleich zum Barfußgang erhöhen. Lediglich Laufschuhe und Schuhe mit Rundsohle (MBT) erwirkten eine Reduktion der Kniekontaktkraft um je 6 % und 9 %, allerdings nur in der späten Standphase (Kutzner et al. 2012). Auch Schuhe mit lateralem Keil hatten nur einen geringen Einfluss, und re-
duzierten die mediale Kniebelastung nur um 1–4 %, bzw. um 2–7 % in Verbindung mit einer Sprunggelenkorthese (Kutzner et al. 2011a). Beim Einsatz von valgisierenden Knieorthesen zeigte sich, dass Reduktionen der maximalen medialen Belastung von über 20 % möglich sind. Allerdings waren diese Ergebnisse interindividuell sehr unterschiedlich, während deutliche Lastreduktionen eine Einstellung der Orthese auf 8° valgus erforderten, was für Patienten nicht über längere Zeiträume erträglich war (Kutzner et al. 2011b). Somit sind die im Kniegelenk wirkenden Belastungen durch Veränderungen am Schuh oder durch Orthesen nur in sehr engen Grenzen reduzierbar. Auch wenn dies bisher nur für einen speziellen Messprothesentyp (INNEX, sehr stark geführt) gezeigt werden konnte, so erscheinen die Daten doch von generellerer Bedeutung. Weitere Messdaten sind über die Datenbank www. OrthoLoad.com verfügbar. Grundsätzlich be-
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G. N. Duda et al.
Abb. 2 In vivo gemessene Gelenkkräfte beim Treppensteigen, 2 Schritte. (Aus Duda et al. 2011)
schränken sich In-vivo-Messungen jedoch auf einige wenige Patienten und wenige anatomische Lokalisationen. Daher lässt sich auch aus der Vielzahl an vorliegenden Messungen letztlich kein absolut vollständiges oder in jeder Form allgemeingültiges Wissen der muskuloskelettalen Belastung ableite. Es ist weltweit aber bisher die größte Datensammlung dieser Art. Um diese Begrenzungen überwinden zu können, wurden analytische Methoden entwickelt und Modelle der neun instrumentierten Patienten erstellt, die eine darüberhinausgehende, weitreichende Bestimmung der muskuloskelettalen Belastungen ermöglichen. Da diese muskuloskelettalen Modelle durch die In-vivo-Messungen validiert wurden, steht nun ein System zur umfassenden Untersuchung der mechanischen Gelenkbelastungen am Knie zur Verfügung (Trepczynski et al. 2012, 2018).
2.4
Gelenkkinetik (Gelenkkra¨fte) und muskuloskelettale Modelle
Vorraussetzung für die computerbasierte Analyse des muskuloskelettalen Systems ist die Kenntnis der kinetischen und kinematischen Eingabegrößen. Diese können in einer klinischen Ganganalyse erhoben werden. Kinetische Eingabegrößen sind dabei die am Fuß angreifenden Kräfte und Momente. Die relevanten kinematischen Eingabegrößen sind die räumliche Position von Becken, Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß während der Bewegung (Heller et al. 2007b). Chao und Rim konnten zeigen, dass sich anhand dieser Daten die auf die Gelenke wirkenden Momente (äußere Momente) bestimmen lassen (Chao und Rim 1973). Um das mechanische Gleichgewicht zu diesen sog. äußeren Momenten herzustellen, müssen die inneren Strukturen, d. h. Muskeln und Bänder gleichgroße, aber gegensinnig wirkende
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
Momente erbringen. Diese Momente werden außer durch die Kräfte in den Muskeln und Bändern auch durch deren Hebelarme bestimmt. Unter Zuhilfenahme von anatomischen Modellen können
Abb. 3 Zusammenhang zwischen dem externen Adduktionsmoment (EAM) und dem medialen Anteil der tibiofemoralen Kraft (MR) über der ganzen Standphase bei 10 Aktivitäten. Hier wurden anhand der statisch gemessenen Varus-Valgus-Ausrichtung 2 Gruppen von Patienten betrachtet, die jeweils valgischer bzw. varischer als der Median der Ausrichtung aller Patienten waren. (modifiziert nach Trepczynski et al. 2014; ©2014 American College of Rheumatology)
Abb. 4 Beziehung zwischen dem maximalen externen Adduktionsmoment (EAM) und der medialen Komponente (Fmed) der axialen tibiofemoralen Kontaktkraft zum Zeitpunkt des maximalen EAM. Dargestellt sind die Mittel-
29
die Ansatzpunkte von Muskeln und Bändern während der Bewegung bestimmt werden (Heller et al. 2007b). Die insgesamt am Kniegelenk übertragene Gelenkkontaktkraft setzt sich aus der Summe aller am Gelenk wirkenden, einzelnen Kräfte zusammen. Zur Darstellung dieser Kräfte verwendet man mathematische Optimierungsmethoden, da die Anzahl der Kräfte, die auf das Gelenk wirken, die Anzahl der verfügbaren Gleichungen zur Beschreibung der Gelenkmechanik übersteigt (Heller et al. 2007b). Aus der Summe aller am Kniegelenk wirkenden Muskelkräfte ergibt sich die insgesamt am Gelenk übertragene Gelenkkontaktkraft. Ein auf CT-Daten des sog. Visible Human (NLM, Bethesda, USA) basierendes Modell der gesamten unteren Extremität wurde von Heller et al. entwickelt (Heller et al. 2001). Für dieses Modell wurde eine gute Übereinstimmung der berechneten Kräfte mit In-vivo-Messdaten von Patienten mit instrumentierter Hüftgelenktotalendoprothese für das Laufen und Treppensteigen nachgewiesen. Nach dieser Überprüfung des Rechenmodells an der Hüfte wurden nachfolgend die Belastungen am nativen Kniegelenk dieser Hüftpatienten ermittelt. Für das tibiofemorale Gelenk betrug die über allen Probanden gemittelte Maximalkraft in axialer Richtung beim Laufen das 3,3-Fache des Körpergewichts (body weight,
werte und Standardabweichungen pro Aktivität für 2 der 9 Patienten. (modifiziert nach Trepczynski et al. 2014; ©2014 American College of Rheumatology)
30
G. N. Duda et al.
BW). Die interindividuellen Schwankungen dieser Kräfte waren dabei größer als die intraindividuelle Variationen. Wenn die Belastungskurven aller Wiederholungen der Aktivität gemittelt wurden, um ein typisches Belastungsprofil zu erhalten, ergab sich für das Laufen eine Spitzenbelastung in Höhe des 2,8-fachen BW (Abb. 5). Die für das Treppensteigen errechnete Maximalbelastung war deutlich höher als beim Laufen. Die über alle Patienten gemittelte Maximalkraft betrug hier das 5,9-fache BW. Die Spitzenbelastung trat bei deutlich gebeugtem Knie (Beugewinkel stets größer als 15°) auf. Der Mittelwert der maximalen Scherkraft in anterior-posteriorer Richtung betrug das 0,6-fache BW beim Laufen bzw. das 1,3-fache BW beim Treppensteigen. Diese Berechnungen zeigen, dass das tibiofemorale Gelenk während dynamischer Alltagsaktivitäten erheblichen mechanischen Belastungen unterliegt. Es ist daher davon auszugehen, dass eine ausgeglichene Belastung des tibiofemorale Gelenkes entscheidend zum Erfolg des künstlichen Gelenkersatzes am Knie beiträgt. Anhand des validierten muskuloskelettalen Modells der unteren Extremität können die Auswirkungen von Achsfehlstellungen auf die Belastungen im Kniegelenk untersucht werden. In einer Untersuchung von Heller et al. lag der Untersuchungsbereich zwischen 8°-Valgus- und 10°Varusdeformität (Heller et al. 2003). Dabei konnte
6
gezeigt werden, dass sowohl bei Varus- als auch bei Valgusfehlstellungen eine deutlich höhere Gelenkkontaktkraft auf das Kniegelenk wirkt (Abb. 6). Während bei zunehmender Varusfehlstellung das mediale Gelenkkompartiment vermehrt belastet wird, resultiert aus einer zunehmenden Valgusfehlstellung eine vermehrte Belastung des lateralen Kompartiments. Der Anstieg der Gelenkkontaktkräfte war dabei bei Abweichungen von mehr als 4° von der anatomischen Achse besonders stark ausgeprägt. Diese am Gelenk wirkenden Kräfte sind wesentlich für die langfristige Funktion des Kunstgelenkes verantwortlich und insbesondere das Ausmaß des Polyethylenabriebs ist von den auf das Tibiaplateau einwirkenden Kräften abhängig (Kuster und Stachowiak 2002). Klinisch wurden bei nicht optimal implantierten Komponenten mit Achsabweichungen von mehr als 3–4° höhere Lockerungsraten beobachtet (Heller et al. 2003). Bei der endoprothetischen Versorgung ist daher die Wiederherstellung der physiologischen Beinachse anzustreben. Zu starke Über- als auch Unterkorrektur einer Achsdeformität kann zu vermehrten Belastungen der Gelenkendoprothese mit einem erhöhten Lockerungsrisiko führen. Nicht nur die Winkelstellung der Beinachsen, sondern auch die Ausrichtung der Gelenkebene spielt eine Rolle für die Lastverteilung im Gelenk. Während üblicherweise versucht wird, die Ge-
Tibiofemorale Gelenkkontaktkraft (BW) Laufen
4 2 ML 0 AP -2 Abb. 5 Tibiofemorale Gelenkkontaktkräfte während eines Bewegungszyklus beim Laufen, angegeben im Mehrfachen des Körpergewichts (body weight, BW). Die Graphen zeigen den Verlauf der axialen Komponente – durchgezogene Linien: Mittelwert aus je 6 Wiederholun-
gen von 4 Probanden (schwarz) Standardabweichung (grau) –, sowie den Verlauf der anterior-posterior (AP) bzw. mediolateral (ML) ausgerichteten Scherkräfte. (unterbrochene Linien; aus Duda et al. 2011)
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks Abb. 6 Die Analysen der Veränderungen der tibiofemoralen Gelenkkontaktkräfte infolge einer Achsabweichung am Knie zeigen, dass sowohl eine deutliche Abweichung in Varus- als auch in Valgusstellung zu einem erheblichen Anstieg der Kräfte während der gesamten Standphase des Laufens führt. (Aus Duda et al. 2011)
31
Tibiofemorale Gelenkkontaktkraft (BW) 8 physiol. 10o varus 8o valgus
0
0
lenkebene horizontal relativ zum Boden auszurichten, um die Last mediolateral möglichst gleichmäßig zu verteilen, gibt es auch Ansätze, die im natürlichen Knie häufig nach medial geneigte Gelenkebene zu erhalten. Ein Implantat mit einer physiologischen 3°-Neigung der Gelenkebene nach medial wurde in einer Finite-Elemente-Studie, unter realistischen Belastungen auf Basis von In-vivo-Messungen, bei verschiedenen Implantationswinkeln untersucht. Dabei zeigte sich, dass das physiologisch geneigte Design bei neutraler Implantation vergleichbare Belastungen des Inlays und Knochens zeigt, wie das konventionellhorizontal ausgerichtete Design. Allerdings führten Implantationsfehler von 5° bei interner/externer axialer Rotation beim physiologischen Design zu höheren Belastungen des Inlays und Knochens (Moewis et al. 2018). Die Kombination aus in vivo gemessenen Kontaktkräften am Gelenk und patientenspezifischen muskuloskelettalen Modellen erlaubt es, auch das Ausmaß der individuellen Co-Kontraktion von antagonistischen Muskelgruppen abzuschätzen. Während ein gewisses Maß an Co-Kontraktion auch bei optimaler Muskelaktivierung unvermeidlich ist, kann sie bei einzelnen Patienten weit darüber hinausgehen, was die große Variation der maximalen Gelenklasten zum Teil erklären kann. Um diese individuellen Unterschiede zu erfassen, wurde das zuvor erwähnte muskuloskelettale Modell durch Trepczynski und Mitarbeiter weiterentwickelt und basierend auf CT-Daten für die 9 Patienten mit instrumentierten Knieprothesen per-
Gangzyklus [%]
100
sonalisiert (Trepczynski et al. 2018). Das Modell erlaubte nun einen direkten Vergleich zwischen einer optimalen Muskelaktivierung und einer Muskelaktivierung, welche die beim Patienten in vivo gemessenen Kräften reproduziert. Hierbei zeigte sich, dass die Co-Kontraktion des Quadrizeps und der Gastrocnemii in der späten Standphase beim Gehen die Kniekontaktkraft um bis zu 50 % (1 Körpergewicht) erhöhen kann. Der größte Beitrag der Co-Kontraktion trat in der späten Phase des Treppenaufstiegs auf, wobei die Kniekontaktkraft um bis zu 66 % (1,7 Körpergewicht) erhöht wurde. Der erhebliche Beitrag, den die muskuläre CoKontraktion zur Gelenkbelastung haben kann, deutet an, wie wichtig bei der Behandlung erkrankter Gelenke die individuelle dynamische Muskelaktivierung ist und wie wenig die statische Gelenkachse über diese muskuläre Komponente aussagen kann. Diese Ergebnisse zeigen die Bedeutung der mathematischen Berechnungsmodelle für die klinische Praxis, indem sie es erlauben, diejenigen Faktoren zu bestimmen, welche einen besonderen Einfluss auf die Kräfte am endoprothetisch versorgten Gelenk haben.
2.5
Gelenkkinematik (Gelenkbewegung)
Die Gelenkbewegungen sind eng mit den am Gelenk wirkenden Kräften und Belastungen verknüpft. Die Relevanz zeigt sich auch in der Diskussion über
32
sog. High-Flexion-Design Kniegelenkendoprothesen. Dieses Design soll dem Patienten eine vermehrte Beugefähigkeit im Vergleich zu den herkömmlichen Implantaten ermöglichen. Aufgrund der erhöhten Belastung bei starker Flexion zeigen diese Prothesen jedoch eine größere Lockerungsrate sowie verstärkte patellofemorale Kräfte (Han et al. 2007; Sharma et al. 2008). Um die wirkenden Kräfte berechnen zu können, ist eine möglichst exakte Erfassung der Gelenkkinematik während typischer Alltagsaktivitäten notwendig. Bewegungsmessungen stützen sich dazu in der Regel auf Daten aus Ganganalysen mit Hautmarkern. Dies ist zwar ein nichtinvasives, sensitives Verfahren um Pathologien der Gesamtbewegung aufzudecken (Andriacchi et al. 1998), der Methode wird jedoch eine mangelnde Präzision bei der Darstellung von komplexen dreidimensionalen Bewegungen zugeschrieben (Heller et al. 2007b). Zur Steigerung der Genauigkeit und Verbesserung der Darstellung wurde ein neues Berechnungsverfahren zur Bestimmung der Rotationsachse entwickelt (Ehrig et al. 2007). Im Vergleich zu bereits etablierten Berechnungsmodellen der Rotationsachse konnte der Symmetrical Axis of Rotation Approach (SARA) die größte Genauigkeit in den durchgeführten Tests zeigen (Ehrig et al. 2007). Mit dem Verfahren könnte es in Zukunft möglich sein, auch aus Hautmarker-basierten Messungen genaue Daten zur Gelenkbewegung zu bestimmen. Dies bleibt an klinischen Daten aus der Ganganalyse zu prüfen (Fuchs et al. 1997). Ein dreidimensionales modifiziertes Viergelenk-Kettenmodell der tibiofemoralen Kinematik wurde daraufhin von Heller und Mitarbeitern entwickelt (Heller et al. 2007a; Abb. 7). In diesem neuen Modell werden sowohl die Längenänderung der Kreuzbänder als auch Innen- und Außenrotationskomponenten berücksichtigt. Die Validierung des modifizierten Modells erfolgte durch eine magnetresonanztomografische (MRT-)Untersuchung an 12 kniegesunden Freiwilligen. In Seitenlage wurden Scans in 0°, 30° und 90° Flexion durchgeführt. Um den Einfluss der Extensoren zu evaluieren, wurden die Aufnahmen sowohl unbelastet, als auch mit aktivierten Kniegelenkstreckern vorgenommen und mittels Oberflächen-Elektromyografie verifiziert.
G. N. Duda et al.
Die Längenänderungen der Kreuzbänder zeigten eine gute Übereinstimmung von Modell und In-vivo-Daten (Heller et al. 2007a). Das hintere Kreuzband übernimmt demnach insbesondere in Beugung eine stabilisierende Rolle für die posteriore Translation der Tibia (Abb. 7 und 8). Dehnung und Verkürzung der Bänder zeigen darüber hinaus signifikante Unterschiede zwischen belastetem und unbelastetem Kniegelenk (Abb. 8; Heller et al. 2007a). Die Berücksichtigung dieses Verhaltens ist besonders beim kreuzbanderhaltenden Vorgehen wichtig, um eine möglichst physiologische Gelenkbewegung herzustellen. Die MRT-Untersuchung stellt in Kombination mit der Oberflächen-Elektromyografie eine gute Möglichkeit zur Darstellung der Kniegelenkkinematik dar. Das Verfahren ist nichtinvasiv und die technischen Voraussetzungen breit verfügbar. Gerade der durch die Verschiebbarkeit der Haut bei der Ganganalyse entstehende Fehler wird hier vermieden. Die exakte Abbildung der knöchernen Gelenkpartner birgt einen weiteren Vorteil. Die Aktivierung der Muskulatur ist mittels Elektromyografie im Vergleich zur Ganganalyse ebenfalls quantifizierbar. Nachteil dieses Verfahrens sind die hohen Kosten der Untersuchung. Eine weitere Möglichkeit die Kniegelenkkinematik zu untersuchen ist die Fluoroskopie. Wegen der genutzten Röntgenstrahlung ist die Fluoroskopie zwar invasiver als MRT-Untersuchungen, erlaubt aber eine höhere zeitliche Auflösung und findet zunehmend Einsatz bei der Untersuchung von rekonstruierten und ersetzten Kniegelenken (Clary et al. 2013; Dennis et al. 2005; Pfitzner et al. 2018). Mobile Fluoroskopien, die das Gelenk während der Fortbewegung verfolgen, ermöglichen komplett dynamische Betrachtungen der Gelenkkinematik (Guan et al. 2016; List et al. 2017). Mit einem solchen mobilen Fluoroskop wurde die 3D-Kniekinematik erfasst, während gleichzeitig die In-vivo-Kniekontaktkräfte mit instrumentierten Implantaten gemessen wurden (cams-knee.orthoload.com; Taylor et al. 2017). Unter anderem wurde untersucht, in welchem Zusammenhang die mediolaterale Lastverteilung mit dem Zentrum (Pivot) der axialen Rotation während einer belasteten Kniebeuge steht (Trepczynski et al.
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
33
Abb. 7 a Rekonstruktion der Knochenoberflächen von Femur und Tibia aus den MRT-Aufnahmen für 0° (links), 30° (Mitte) und 90° (rechts) Kniebeugung eines Probanden. Anhand der Daten für die Streckstellung, zusammen mit den Ansatzflächen der Kreuzbänder wurde das Computermodell zur Beschreibung der Kinematik kalibriert. b Proximale Tibia mit 3D-Rekonstruktion des hinteren
Kreuzbandes (HKB) eines Probanden bei 0°, 30° und 90° Kniebeugung. Bei 0° (links) ist eine charakteristische Wölbung des Bandes zu sehen. Während bei 30° (Mitte) noch eine geringe Wölbung erkennbar ist, erscheint das HKB bei 90° (rechts) Kniebeugung gestreckt und übernimmt hier eine wichtige stabilisierende Rolle. (Aus Duda et al. 2011)
2019). Im Mittel aller 6 untersuchten Patienten zeigte sich, dass bei geringen Beugewinkeln (und kongruentem Kontakt der Komponenten) der Pivot und Hauptlast überwiegend medial lagen, während sie beide bei größeren Beugewinkeln überwiegend lateral lagen. Allerdings war der Zusammenhang zwischen Pivot- und Hauptlastposition insbesondere beim Übergang zum nicht kongruenten Kontakt (20–40° Flexion) nicht konsistent, weil hier bei manchem Patienten auch bei überwiegend medialer Belastung ein laterales Pivoting beobachtet wurde (Abb. 9). Auch bei einem symmetrisch geformten Implantat wird die Position der Pivots der axialen Rotation also nicht nur durch die mediolaterale Lastverteilung be-
stimmt, insbesondere wenn die AP-Bewegung durch ein ultra-kongruentes Design (hier INNEX) stark eingeschränkt wird. Bei moderneren KnieTEP-Designs ändert sich der Radius der femoralen Komponente kontinuierlich, um die Instabilität der Bewegung zu reduzieren, welche bei abrupter Radiusänderung in mittlerer Flexion auftreten kann (Clary et al. 2013). So konnte in einer weiteren fluoroskopischen Studie gezeigt werden, dass ein Design mit kontinuierlicher Radiusänderung (ATTUNE, DePuy Synthes) kein paradoxes anteriores Gleiten zeigte, und lateral eine größere posteriore Translation des Femurs als ein Modell mit abrupter Radiusänderung (P.F.C. SIGMA, DePuy Synthes) hatte (Pfitzner et al. 2018).
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G. N. Duda et al. Relative Längenänderung des HKB [%]
130 120 110 100 90
passiv PM passiv AL aktiv PM aktiv AL
80 70 0
10
20
30
40 50 Beugewinkel [o]
Abb. 8 Muskelaktivität wirkt sich nicht nur auf die Bewegung des Kniegelenks, sondern auch auf das Verhalten der Kreuzbänder aus. Hier wurde mit dem Computermodell (Heller et al. 2007a) die Längenänderung (definiert als Abstandsänderung zwischen Ursprung und Insertion) der funktionellen Bündel des hinteren Kreuzbandes (HKB) untersucht. Die Analyse ergab ein über dem gesamten
3
Patellofemorales Gelenk
Zum Erreichen einer günstigen Gelenkfunktion wird dem Erhalt bzw. der Wiederherstellung der Kinematik des patellofemoralen Gelenkes eine wichtige Rolle zugesprochen (Sharma et al. 2008). Welchen Kräften das patellofemorale Gelenk während Alltagsaktivitäten unterliegt, wurde mit dem validierten muskuloskelettalen Modell ermittelt (Heller et al. 2001, 2007b; Trepczynski et al. 2012). Bei Aktivitäten mit großer Knieflexion erreichte die maximale patellofemorale Kraft das Niveau der maximalen tibiofemoralen Kräfte von etwa 2,5–3,5 BW, und trat bei Treppensteigen in mittlerer Flexion (ca. 53°), beim Aufstehen vom Stuhl und der Kniebeuge bei tiefer Flexion (ca. 90°) auf (Abb. 10). Beim Gehen betrug die maximale patellofemorale Kraft weniger als 1 BW und trat bei etwa 18° Knieflexion auf. Die Berechnungen zeigen, dass nicht nur das tibiofemorale, sondern auch das patellofemorale Gelenk während dynamischer Alltagsaktivitäten erheblichen mechanischen Belastungen unterliegt. Es ist daher davon auszugehen, dass die Wiederherstel-
60
70
80
90
Bewegungsverlauf signifikant unterschiedliches Verhalten des AL-Bündel des HKB im Vergleich zwischen passiver und aktiver Kniebeugung. Dies verdeutlicht, dass sich die im Gelenk vorherrschenden Bedingungen bei passiver Kniebeugung nur bedingt zur Interpretation der kinematischen Verhältnisse unter Belastung heranziehen lassen. (Aus Duda et al. 2011)
lung der Funktion des Patellofemoralgelenks entscheidend zum Erfolg des Gelenkersatzes am Knie beiträgt. Ob bei Prothesenimplantation primär ein Retropatellarersatz durchgeführt werden sollte, wird kontrovers diskutiert. Eine einheitliche Empfehlung existiert nicht (Badhe et al. 2001; Burnett et al. 2004; Waters und Bentley 2003). Bei der Wahl des Patellaimplantates sollte aus biomechanischen Gründen eine möglichst exakte Rekonstruktion der Patelladicke erfolgen. Patellofemorales Overstuffing durch ein überdimensioniertes Femurschild oder durch eine Überhöhung der Patelladicke bei Retropatellarersatz kann zu anteriorem Knieschmerz führen und eine Revisionsoperation notwendig machen (Star et al. 1996). Die Überhöhung der Patelladicke kann zwar bei Flexionswinkeln < 35° zu einer Verbesserung des Hebelarmes des Streckapparates führen (Hsu et al. 1996), bei Flexion > 70° resultiert im Gegensatz dazu jedoch eine starke Zunahme der Scherkräfte und der Kompressionskräfte. Schon bei einer Überhöhung von 2 mm bzw. einer Zunahme der Patelladicke von 10 % treten signifikant er-
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
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Abb. 9 Kinematik und Belastung als Funktion der Knieflexion für 2 Patienten. Oben: Die anterior-posteriore Position der tiefsten Punkte auf den femoralen Epikondylen. Mitte: Der mediale Kraftanteil der axialen Kraft und das mediale Pivot-Delta (+ mediales Pivot, – laterales Pivot).
Unten: Die anterior-posteriore Komponente der tibiofemoralen Kontaktkraft, die auf die Tibia wirkt. (mod. nach Trepczynski et al. 2019; verwendet unter der Creative Commons Attribution 4.0 International License: https:// creativecommons.org/licenses/by/4.0/)
höhte Kräfte auf (Oishi et al. 1996; Star et al. 1996). Konsequenz kann eine verminderte Beugefähigkeit und ein durch die Belastung erhöhter Prothesenabrieb sein, der ein frühzeitiges Implantatversagen bedeuten kann.
Die Dicke des knöchernen Implantatlagers der Patella stellt einen limitierenden Faktor des Retropatellarersatzes dar. Es sollte eine Dicke von 15 mm aufgrund einer möglichen Frakturgefahr nicht unterschreiten. Da auch das Patellaimplantat
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G. N. Duda et al.
Abb. 10 Die maximalen in vivo gemessenen, tibiofemoralen (TF) und die numerisch bestimmten maximalen patellofemoralen (PF) Kräfte, angegeben in Prozent des Körpergewichts. (%BW; mod. nach Trepczynski et al. 2012, ©2011 Orthopaedic Research Society)
selbst, wegen eines erhöhten Partikelabriebs, nicht zu dünn gewählt werden darf (> 8–10 mm), ist die Rekonstruktion der Ausgangsdicke bei Patellae < 25 mm oft schwierig zu realisieren (Oishi et al. 1996). Im Gegensatz dazu kann eine deutliche Unterschreitung der Patelladicke zu einer anterio-posterioren Instabilität des Kniegelenkes und der Gefahr der patellofemoralen Subluxation führen (Hsu et al. 1996). Auch die durch eine Prothesenimplantation verursachten Veränderungen des femorotibialen Gelenkes haben direkten Einfluss auf die Biomechanik des Femoropatellargelenkes. Jede resektionsbedingte Veränderung der Gelenkebene führt zu einer Änderung der Patellaposition im Verhältnis zur Gelenkebene (Grelsamer 2002; Singerman et al. 1995). Es kann dabei sowohl zu einem Patellahochstand (Patella alta), als auch zum Patellatiefstand (Patella baja) kommen. Das scheinbare Tiefertreten der Patella durch Kranialisierung der Gelenkebene bei Prothesenimplantation wird daher auch als Pseudo-Patella baja bezeichnet (Grelsamer 2002). Ursache der Verschiebung der Gelenkebene ist häufig eine Über-/Unterresektion des distalen Femurs oder der Tibia. Über die Wahl der Dicke des PE-Inlay wird die Primärstabilität des Gelenkes wiederhergestellt. Diese sollte analog zur Patella ebenfalls nicht zu dünn gewählt werden, um ein Versagen der Prothese zu verhindern (Ritter et al.
1999). Es gibt Hinweise, dass bei einer Distalisierung der Gelenkebene (Patellahochstand) erhöhte und bei einer Proximalisierung der Gelenkebene (Patellatiefstand) reduzierte patellofemorale Kontaktkräfte auftreten (Murray et al. 1991; Singerman et al. 1995). Auch die Zugbelastung der Patella wird von der Position der Gelenkebene beeinflusst. Während eine Verschiebung der Gelenkebene nach distal (Patellahochstand) eine erhöhte Zugbelastung der Patella bedeutet, führt diese bei Verschiebung der Gelenkebene nach proximal (Patellatiefstand) zu einer reduzierten Zugbeanspruchung. Singermann und Mitarbeiter konnten eine Zunahme der Zugbelastung der Patella von 25 % in 90° Flexion, bei einer Distalisierung der Gelenkebene von 8 mm feststellen (Singerman et al. 1995). Figgie und Mitarbeiter hingegen konnten die besten Ergebnisse verzeichnen, solange die Abweichung nach distal weniger als 8 mm betrug (Figgie et al. 1989). Auch hier können die erhöhten Belastungen des patellofemoralen Gelenkes eine Lockerung aufgrund von Prothesenabrieb verursachen. Daher sollte stets eine Rekonstruktion der physiologischen Gelenkebene erfolgen, um unter Erhaltung der Gelenkstabilität und Weichteilverhältnisse die Belastung der Prothesenkomponenten möglichst gering zu halten (Figgie et al. 1986; Grelsamer 2002; ten Ham et al. 2005; Wyss et al. 2006).
Knieendoprothetik: Biomechanik des Kniegelenks
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Belastungen am Kniegelenk – zuku¨nftige Perspektiven
Durch die In-vivo-Messungen an ausgewählten Patienten und die darauf aufbauenden verschiedenen mathematischen Ansätze konnten in den letzten Jahren wesentliche Erkenntnisse über die Biomechanik des Kniegelenkes gewonnen werden. Die Bestrebungen die vorhandenen Ansätze weiter zu optimieren und die Fortführung der Pionierarbeit auf dem Gebiet der In-vivo-Belastungsmessungen werden in Zukunft zu einem noch besseren Verständnis um die kinetischen und kinematischen Verhältnisse im Kniegelenk und insbesondere des endoprothetisch versorgten Kniegelenkes führen. Die Wiederherstellung der physiologischen Verhältnisse ist angestrebtes Ziel vieler Operationen am Kniegelenk, beispielsweise in der Kreuzbandchirurgie (Papannagari et al. 2006; Siebold et al. 2008), bei Korrekturosteotomien (Coventry 1985; Leutloff et al. 2001; Morrey 1989) und insbesondere in der Kniegelenkendoprothetik (Gamada et al. 2008). Eine gute Funktion soll wieder hergestellt und unphysiologische Belastungen, die z. B. zu einer Frühlockerung durch Abriebpartikel führen könnte, vermieden werden (von Eisenhart-Rothe et al. 2007). Trotz dieser Bestrebungen kommt es oftmals bei endoprothetischem Ersatz zu signifikanten Änderungen der Gelenkkinematik. Die auftretenden, z. T. unphysiologischen femorotibialen Bewegungsmuster wirken sich direkt auf die Patellakinematik (insbesondere in der frontalen Ebene) aus, was zu persistierenden patellofemoralen Beschwerden führen kann. Eine Konsequenz aus einer suboptimalen Kniekinematik kann der vordere Knieschmerz sein. Er wird maßgeblich durch eine Veränderung der Patellakinematik verursacht und für bis zu 50 % der Revisionseingriffe nach Kniegelenkendoprothese verantwortlich gemacht (Sharma et al. 2008; von Eisenhart-Rothe et al. 2007). Vom Operateur wird daher erwartet, dass die patientenspezifische Biomechanik, auch der betroffenen Weichteile, berücksichtigt wird. Oftmals sind für den Operateur jedoch weder detaillierte, patientenspezifische Informationen über die
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präoperativ in vivo wirkenden Kräfte verfügbar, noch Angaben wie diese Kräfte (Kinetik) oder die räumliche Gelenkbewegung (Kinematik) durch die Endoprothese verändert werden. Für die Operationsplanung werden häufig zweidimensionale Planungssysteme verwendet, die sich auf rein geometrische Analysen von Röntgenbildern beschränken. In Wirklichkeit wirken auf das versorgte Kniegelenk aber räumlich verteilte Kräfte. Deren Übertragung auf das knöcherne Lager und die umliegenden Weichteile beeinflusst maßgeblich die langfristige Funktion und somit die Standzeit der Prothese (Bergmann et al. 2007; Dennis 2006). Der dauerhafte Erfolg operativer Eingriffe am Kniegelenk ist von der Qualität der Wiederherstellung eines natürlichen Bewegungsausmaßes und damit von der Verhinderung stark erhöhter muskuloskelettaler Belastung abhängig. Wesentlich dafür ist die Berücksichtigung biomechanischen Wissens bei der präoperativen Planung und während der Operation. Bisher ist dieses Wissen nur in Büchern und Journalbeiträgen verfügbar und fließt lediglich in die präoperative Planung ein. Die Übertragung in die konkrete operative Situation ist jedoch vom Können und Wissen des Operateurs abhängig. Mathematische Modelle besitzen das Potenzial, dem Operateur detaillierte, patientenspezifische Informationen zu den in vivo wirkenden Kräften und deren räumliche und zeitliche Verteilung zur Verfügung zu stellen. Ihr Einsatz in der Routine setzt jedoch eine umfangreiche Überprüfung voraus. Mit einem an Patientendaten validierten Berechnungsmodell wurde gezeigt, dass sowohl das tibiofemorale als auch das patellofemorale Gelenk infolge der Muskelaktivität bereits während Alltagsaktivitäten erheblichen Kräften ausgesetzt sind. Die Berechnungen legen nahe, dass die Kräfte bei einer Fehlstellung der anatomischen tibiofemoralen Achse von mehr als 4° deutlich ansteigen, das Ausmaß des Kraftanstieges dabei jedoch interindividuell stark variieren kann. Um neben der Gesamtbelastung auch die genaue Verteilung der Kräfte innerhalb des Gelenks zu ermitteln, ist eine hinreichend genaue Beschreibung der Bewegung des Kniegelenkes erforderlich. In Verbindung mit MRT-basierter In-vivo-
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G. N. Duda et al.
Bildgebung bieten neue mathematische Modelle die Möglichkeit, die Kniebewegung des einzelnen Patienten genau wiederzugeben und den Einfluss der aktiven Muskulatur auf die Kinematik zu berücksichtigen. Durch die Implementierung dieser Technologien in präoperative Planungs- und intraoperative Navigationssysteme eröffnet sich die Möglichkeit, den Operateur bei seinem Vorgehen durch Vorhersagen der patientenspezifischen postoperativen Biomechanik zu unterstützen. Wir gehen davon aus, dass durch eine auf diese Weise optimierte Biomechanik auch die Funktion und Dauerhaftigkeit des künstlichen Gelenks entscheidend verbessert werden können.
5
Fazit fu¨r die Praxis
Änderungen der Gelenkgeometrie können Auswirkungen auf die Balance der Weichteile haben, was durch muskuläre Kompensation und unphysiologische Kinematik zu erhöhten Gelenklasten führen kann. Um mechanische Überbelastungen zu vermeiden, sollte eine für den einzelnen Patienten physiologische Bandspannung angestrebt werden. Computergestützte Planung und gegebenenfalls Navigation können den Operateur unterstützen, die Gelenkanatomie so zu rekonstruieren, dass keine überhöhten Belastungen entstehen und eine physiologische Kinematik erreicht werden kann. Die intraoperative Messung der Bandspannung kann dabei helfen, die präoperative Weichteilsituation abzuschätzen, um eine physiologische Weichteilführung des Gelenks wiederherstellen zu können.
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Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie Ge´za Pap und Ingmar Meinecke
Inhalt 1
Ätiologie und Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2 2.1 2.2 2.3
Klassifikation der Gonarthrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radiologische Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Histologische Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Epidemiologie und Prävalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
4
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
45 46 46 48
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
1
A¨tiologie und Pathogenese
Die Ansichten zur Gonarthrose und ihrer Entstehung haben sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend geändert (Brandt et al. 1998), und der Erkenntnisgewinn ist hier noch lange nicht abgeschlossen (Sharma et al. 2001; Martin 1994). Heute geht man davon aus, dass die Gonarthrose nicht eine einzelne „Erkrankung“ darstellt, sondern ist ein Prozess mit verschiedenen Triggern und Reaktionsfolgen ist, die zu verschiedenen klinischen und bildmorphologischen Manifestatio-
G. Pap (*) HELIOS Park-Klinikum Leipzig, Direktor OrthopädischTraumatologisches Zentrum, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected] I. Meinecke Helios Park-Klinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected]
nen führen können (Tab. 1). Die Entstehung der Gonarthrose wird dabei als das Ergebnis sowohl des Wirkens von lokalen und systemischen Einflussfaktoren, als auch im Gesamtkontext einer systemischen Prädisposition gesehen (Dieppe 1995). Während bei den primären Gonarthrosen keine klar dezidierten Entstehungsursachen zu finden sind und dem Wirken von Risikofaktoren eine Schlüsselrolle zugeschrieben wird, weisen die sekundären Gonarthrosen relativ klar benennbare Primärschädigungen in der Vorgeschichte auf. Diese Faktoren oder Ursachen stellen das primäre Ereignis dar und führen sekundär, unmittelbar oder mittelbar, zu einer Schädigungskaskade mit Destruktion des Gelenkknorpels und Involvierung aller anderen Gelenkanteile und somit zur Entstehung der klinisch und bildmorphologisch sichtbaren Gonarthrose. Die Pathogenese der Gonarthrose ist somit einerseits gekennzeichnet durch das gleichzeitige
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_3
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G. Pap und I. Meinecke
Tab. 1 Ätiologisch bedeutsame Faktoren, die zur Entstehung und Progression der Gonarthrose beitragen. (Aus Reichel 2000) Ätiologische Gruppe Entzündliche Genese
Metabolische Genese
Endokrine Genese
Gerinnungsstörung Gelenkdeformitäten und -inkongruenzen
Sonstige mechanische Genese
Neurogene Genese
Osteopathien, Kollagenosen
Endemische Arthrosen
Wirken von destruktiven und reparativen Prozessen (Abb. 1) und anderseits durch einen bzw. mehrere parallel ablaufende, Circulus-vitiosus-artige Kreisläufe, in denen eine bestehende Schädigung durch Rückkopplung mit anderen Gelenkstrukturen und dem Einwirken externer Faktoren eine Progression erfährt (Brandt et al. 1998) (Abb. 2). Diese Kreisläufe spielen sich z. B. zwischen dem Gelenkknorpel und der Synovialmembran, zwischen Gelenkknorpel und dem subchondralen Knochen und der Synovialmembran und dem neuromuskulären System ab (Abb. 3).
Ursache Rheumatoidarthrtis Juvenile rheumatoide Arthritis Lokale Arthritis Alkaptonurie Diabetes mellitus Hyperlipoproteinämien Morbus Wilson Nephrokalzinose Gicht Hämochromatose Chondrokalzinose Rachitis Akromegalie Hypothyreose Hyperparathyreoidismus Hämophilie Posttraumatische Kongruenzstörung Postarthritische Kongruenzstörung Osteochondrosis dissecans Aseptische Knochennekrosen Meniskektomie Genu varum, valgum, recurvatum Sub-/Luxationen Chronische artikuläre Instabilität Unbehandelte Meniskusläsionen Beinlängendifferenzen Kompensatorische Überlastung Unphysiologische Überlastung Unphysiologische Entlastung/Immobilisation Tabes dorsalis Diabetische Neuropathie Syringomyelie Periphere Nervenläsionen Morbus Paget Marfan-Syndrom Ehlers-Danlos-Syndrom Kashin-Beck-Krankheit
Das Wirken eines oder mehrerer mechanischer und/oder biochemischer Arthrose-Trigger führt zu einem Überschreiten der (genetisch determinierten) Toleranzschwelle des Knorpels und in Folge dessen zu einer Störung des Gleichgewichts zwischen Belastung und Belastbarkeit des Knorpels. Bei diesen Triggern handelt es bei der primären Gonarthrose neben der genetischen Disposition im Wesentlichen um das Wirken von einem oder mehreren oben genannter Risikofaktoren. Dazu zählen z. B. übermäßige (repititive) Gelenkbelastung, hohes Gewicht, Gelenkinstabilität, Alter
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie
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GELENKSCHADEN ERGEBNIS Trauma
Metabolische Störungen
Instabilität Entzündung Neuromuskuläre Störung
Risikofaktoren, (unbekannte) genetische, konstitutionelle, UmweltFaktoren
Zustand der Kompensation: keine/leichte Symptome und Behinderung
Arthrose-Prozess
Zustand der Dekompensation:
Osteophyten/Remodelling Synoviale Reaktion
Kapsuläre Reaktion
deutliche Symptome und Behinderung
Veränderter Chondrozyten-Metabolismus
REPARATURMECHANISMEN Abb. 1 Konzept der Osteoarthrose als einen variablen Ergebnisprozess aus schädigenden und reparativen Prozessen. (Nach Brandt et al. 1998) Abb. 2 Rückkopplungswege bei der arthrotischen Gelenkdestruktion
Gelenkschaden
Muskelschwäche
ReflexInhibition
Immobilisation
Muskelhypotrophie
und Ähnliches. Welche Faktoren in welcher Konstellation und in welchem Ausmaß das Risiko der Gonarthrosentstehung beeinflussen ist dabei Gegenstand zahlreicher Studien und laufender Forschung. Die als Folge eintretende Knorpelschädigung kann sowohl mechanisch als auch biochemisch (enzymatisch) induziert sein und wird in ihrem Fortschreiten sowohl von Ausmaß und Art der weiteren (mechanischen) Gelenkbeanspruchung
als auch z. B. von biochemischen, hormonellen, neurogenen und heriditären Faktoren beeinflusst. Dabei spielen 3 Prozesskreise eine wesentliche Rolle. Zum einen ist dies die synovialitische Reaktion. Als Ergebnis der Knorpeldestruktion werden unter anderem Abriebteile (freie Detrituspartikel, freie Proteoglykane) und proinflammatorische Zytokine und Proteasen in den Gelenkspalt abgegeben und führen zu einer synovialen Reizung im
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G. Pap und I. Meinecke
Trigger/Risikofaktoren • Mechanische Trigger • Biochemische Trigger
Molekulare Reaktionen • Knorpelmatrix (Proteolyse) • Chondrozyteneigenschaften
Mediatoren
Synovialzellen
Abrieb
Knorpel
Zytokine Proteasen
Neurogener Einfluss • Gelenkinnervation • Muskulatur
Knochen Subchondrale/knöcherne Reaktionen • Zunahme der Steifigkeit • Verringerte Perfusion • Osteophytenbildung
Abb. 3 Konzept der arthrogenen Muskelinhibition. (Nach Stokes und Young 1984)
Sinne einer sog. reaktiven Detritussynovitis (Reichel 2000). Im Ergebnis dieser Detritussynovitis kommt es nicht nur zu klinischen Symptomen wie Schwellung, Schmerzen, Erguss und Funktionseinschränkungen, sondern auch zu einer Freisetzung von verschiedenen Zytokinen und matrixdestruierenden Proteasen durch die Synovialzellen bzw. in der Synovialis vorhandenen Makrophagen, die ihrerseits die weitere Knorpeldestruktion voranschreiten lassen (Kido et al. 2007). In diesem Zusammenhang kann es zur Entwicklung eines pannusartigen Gewebes kommen, dass von der Synovialmembran bzw. von der Kapsel ausgehend auf den hyalinen Knorpel übergreift, diesen bedeckt und so den Knorpelabbau weiter vorantreibt. Im Ergebnis dieses Circulus vitiosus kann es zu akuten Entzündungsreaktionen im Kniegelenk im Sinne einer aktivierten Arthrose kommen Der zweite Prozesskreis ist bedingt durch eine Alteration des Systems hyaliner Knorpel/subchondraler Knochen (Burr 1998; Lajeunesse und Reboul 2003). Bedingt durch die Knorpeldestruk-
tion und die daraus resultierende verstärkte mechanische Belastung des subchondralen Knochens, aber möglicherweise auch durch andere, gonarthroserelevante Risikofaktoren (mechanische Fehlbelastung bei Achsfehlstellungen, Übergewicht, neuromuskuläre Dysbalance und andere) kommt es zu einem hyperostotischen Knochenumbau (Reichel 2000) mit zunehmender Steifigkeit des subchondralen Knochens und damit auch verminderter Perfusion. Dies führt einerseits dazu, dass die energieabsorbierende, elastische Eigenschaft des Knochens verlorengeht und die darüber liegenden Knorpelanteile in einem steigenden Umfang mechanische Belastungen aufnehmen müssen und damit einer höheren Schädigung ausgesetzt sind. Andererseits führt die verminderte Perfusion zu einer verminderten Ernährung der unteren Knorpelschichten und damit zu einer weiteren Schädigung des hyalinen Knorpels. Gleichzeitig kann die unmittelbar subchondrale, nach Destruktion des Gelenkknorpels dann freigelegte Knochenschicht an mehreren Stellen
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie
nekrotisch werden und es resultieren Einbrüche der Knochenschlusslamelle und Mikrofrakturen der subchondralen Trabekel (Burr und Radin 2003). In diesem Zusammenhang entwickeln sich umschriebene subchondrale Nekrosen, die durch Granulationsgewebe ersetzt werden. Schließlich entstehen mit nekrotischen Knochenbälkchen und Bindegewebe angefüllte sog. Detrituszysten, die mit dem subchondralen Markraum in Verbindung stehen oder standen (Reichel 2000). Außerdem entwickeln sich durch den Einbruch der Knochengrenzlamelle sog. Pseudozysten, die mit dem Gelenkbinnenraum in Verbindung stehen. Durch diese Bruchpforte wird Synovialflüssigkeit eingepresst, es entsteht ein Raum mit fibrösen oder chondroidem Gewebe. Später wird die Verbindung zum Gelenkbinnenraum durch Kallusbildung meist wieder verschlossen, sodass im fortgeschrittenen Stadium der Arthrose eine Zuordnung der Zysten zu einem dieser beiden Typen meist nicht mehr möglich ist. Parallel zu diesen Prozessen entstehen an den Randzonen der Gelenkflächen Osteophyten. Dabei ist die Frage, ob es sich bei der Osteophytenbildung um eine funktionelle Adaptation des Gelenks oder um ein (rein) pathologisches Phänomen handelt noch nicht abschließend geklärt (van der Kraan und van den Berg 2007). Dazu trägt auch der Umstand bei, dass man die Osteophyten in 3 verschiedene Gruppen, nämlich den Traktionsosteophyten, den inflammatorischen Osteophyten und den Osteophyten im engeren Sinne (Osteochondrophyt) einteilen kann (Menkes und Lane 2004), die jeweils unterschiedliche Eigenschaften zeigen. Der dritte Prozesskreis in der Pathogenese der Gonarthrose bezieht sich auf das Zusammenwirken von Triggerfaktoren, Gelenkdestruktion und neuromuskulärer Gelenkstörung und wird teilweise unter dem Begriff arthrogene Muskelinhibition beschrieben. Die arthrotische Kniegelenkreizung, sowie auch andere mögliche weitere Faktoren wie Instabilität und Fehlstellung, bewirken dabei eine Reizung intraartikulärer Rezeptoren und afferenter Neuronen und führen zu einer verminderten Erregbarkeit von Alpha-Motoneuronen in den ent-
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sprechenden Segmenten des Rückenmarkes und damit zu einer veränderten Willküraktivierbarkeit und verminderten Muskelkapazität des M. quadriceps femoris (Pap et al. 2004). Durch diese reflektorisch bedingte Quadrizepshemmung wird ein Circulus vitiosus aufrechterhalten, der von einer arthrotischen Gelenkreizung über eine komplexe Störung der neuromuskulären Funktion letztendlich zu einer Störung der Kniegelenkfunktion mit verminderter Belastbarkeit des Kniegelenks, Gang- und Stabilisierungsstörungen (Andriacchi et al. 2004) und zunehmender Belastung der arthrotisch bereits geschädigten Kniegelenkstrukturen (Baliunas et al. 2002) führt. Die muskuläre Störung der Kniegelenkfunktion ist damit dann nicht nur Ergebnis der Gelenkaffektion, sondern ihrerseits auch durch die resultierende Fehlbelastung des Gelenkes wieder Ursache für eine weitere Gelenkschädigung.
2
Klassifikation der Gonarthrose
Eine 1994 auf einem unter anderem von der American Academy of Orthopedic Surgeons (AAOS) unterstützten Workshop mit dem Titel „New Horizons in Osteoarthritis“ entwickelte Definition beschreibt die Osteoarthrose wie folgt (Keuttner und Goldberg 1995). " Osteoarthrose ist eine Gruppe von überlappen-
den, voneinander verschiedenen Erkrankungen, die unterschiedliche Ätiologien haben können, aber gleichartige biologische, morphologische und klinische Manifestationen zeigen. Die Krankheitsprozesse befallen nicht nur den Gelenkknorpel, sondern betreffen das gesamte Gelenk, einschließlich des subchondralen Knochens, der Bänder, der Kapsel, der Synovialmembran und der periartikulären Muskeln. Letztendlich degeneriert der Gelenkknorpel in Form von Fibrillationen, Fissuren, Ulzerationen und vollständigem Dickenverlust der Gelenkoberfläche (Keuttner und Goldberg 1995). Dementsprechend stellt die Gonarthrose keine einheitliche Erkrankung, sondern eine Gruppe
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G. Pap und I. Meinecke
verschiedener Erkrankungen dar, die trotz gleichartiger Manifestationen sowohl unterschiedliche Entstehungsursachen haben als auch ein unterschiedliches Betroffensein der einzelnen artikulären und periartikulären Gelenkanteile zeigen kann. Dabei kommt wegen der Bedeutung des Kniegelenks für das Stehen und Gehen neben den Knorpel-/Knochenanteilen der einzelnen Gelenkkompartimente auch der Gelenkkapsel mit Synovialmembran, den Bändern (vorderes und hinteres Kreuzband und Seitenbänder) und der Quadrizepsmuskulatur eine wesentliche Bedeutung zu. Daraus resultieren zahlreiche verschiedene Ansätze und Aspekte der der Klassifikation der Gonarthrose. Dazu zählen • eine klinische Klassifikation, • eine radiologische Klassifikation, • eine histologische Klassifikation.
2.1
Klinische Klassifikation
Entsprechend dem vorwiegenden oder ausschließlichen Befall der verschiedenen Kniegelenkanteile (Kompartimente) wird die Erkrankung häufig unterteilt in: • die unikompartimentelle patellofemorale Arthrose, • die unikompartimentelle femorotibiale Arthrose, • die bikompartimentelle femorotibiale Arthrose, • die trikompartimentelle, patellofemorotibiale Arthrose (Pangonarthrose). In Abhängigkeit von der Knieachse sowie dem bevorzugten Betroffensein des medialen oder lateralen femorotibialen Kompartiments kann darüber hinaus zwischen einer Varusgonarthrose und einer Valgusgonarthrose unterschieden werden. Tab. 2 zeigt eine Klassifikation der Arthrose und die Einordnung der Gonarthrose in dieses Gesamtkonzept. Aufgrund der Tatsache, dass es bei der Gonarthrose oft eine deutliche Diskrepanz zwischen
den erhebbaren Befunden (inspektorisch/makroskopisch, radiologisch und histologisch) und der klinischen (Beschwerde-)Symptomatik gibt, wurde vorgeschlagen, neben den verschiedenen möglichen Klassifikationen der Gonarthrose eine praxisrelevante Einteilung in die eigentliche (schwere) Gonarthroseerkrankung einerseits und die kleine (nicht unbedingt als Gonarthroseerkrankung zu bezeichnende) Kniegelenkbehinderung vorzunehmen, um so die wirklich behandlungsbedürftigen Fälle von den nicht zwingend (spezialärztlich) zu behandelnden Patienten zu unterscheiden (Dieppe 1999). Eine solche Einteilung hat sich jedoch bisher nicht durchgesetzt, genauso wenig wie verschiedene arthroskopisch/ inspektorische Einteilungen (Noyes und Stabler 1989; Ayral 1996).
2.2
Radiologische Klassifikation
Klassischerweise erfolgt die radiologische Beschreibung arthrotischer Veränderungen am Kniegelenk auf der Basis der von Kellgren und Lawrence beschriebenen Charakteristika (Kellgren und Lawrence 1957). Die wichtigsten Veränderungen sind dabei: • • • • •
Osteophytenbildung, Gelenkspaltverschmälerung, subchondrale Sklerosierung, Geröllzystenbildung, Gelenkdeformierung.
Die gemeinsame Betrachtung des Vorkommens dieser Veränderungen führt zu einem recht einfachen Graduierungsschema der radiologischen Arthrosezeichen (Flores und Hochberg 1998): • • • • •
0 ¼ normal, 1 ¼ zweifelhaft, 2 ¼ minimal, 3 ¼ mäßig, 4 ¼ schwer.
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie
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Tab. 2 Klassifikation der Arthrose. (Mod. nach (Flores und Hochberg 1998)) Idiopathische Arthrose Sekundäre Arthrose
Lokalisierte Arthrose Generalisierte Arthrose Posttraumatisch Postinflammatorisch Angeborene und erworbene Gelenkschäden Metabolische Erkrankungen
Endokrine Erkrankungen Neuropathische Arthropathie Sonstige
Auf der Basis dieser Klassifikation wurden von verschiedenen Autoren Graduierungen der radiologischen Arthrosezeichen vorgeschlagen, die sich weitestgehend ähneln. Während im englischsprachigen Raum häufig auf die Beschreibungen im „Atlas of standard radiographs“ Bezug genommen wird, erfolgt im deutschsprachigen Raum die Klassifikation der Gonarthrose in der Regel mit der Klassifikation nach Wirth (Wirth 1992) " Radiologische Schweregrade der Gonarthrose (aus Flores und Hochberg 1998) im englischsprachigen Raum
• Grad 1: fragliche Gelenkspaltverschmälerung und mögliche osteophytische Ausziehungen • Grad 2: klare Osteophyten und mögliche Gelenkspaltverschmälerung • Grad 3: mäßige multiple Osteophyten, klare Gelenkspaltverschmälerung, etwas Sklerose, mögliche Deformierung der Knochenenden • Grad 4: Große Osteophyten, deutliche Gelenkspaltverschmälerung, schwere Sklerose und klare Deformierungen der Knochenenden
Gonarthrose, Coxarthrose u. a. Polyarthrose von mehr als 3 Gelenkregionen Akut, chronisch Akut, chronisch Dysplasiekoxarthrose, Z. n. Morbus Perthes u. a. Ochronose, Morbus Wilson, Morbus Gaucher u. a. Akromegalie, Hyperparathyreoidismus u. a. Charcot-Arthropathie Kalzium-Ablagerungserkrankungen, endemische Erkrankungen, avaskuläre Nekrosen u. a.
Ro¨ntgenologische Klassifikation der Gonarthrose (nach Wirth 1992) im deutschsprachigen Raum
• I Initiale Gonarthrose • Angedeutete Ausziehungen der Eminentia intercondylaris • Angedeutete Ausziehungen der gelenkseitigen Patellapole • II Mäßige Gonarthrose • Leichte Ausziehungen an den Tibiakonsolen • Leichte Verschmälerung des Gelenkspaltes • Beginnende Entrundung der Femurkondylen • Mäßige subchondrale Sklerosierung • III Mittelgradige Gonarthrose • Hälftige Verschmälerung des Gelenkspaltes • Deutliche Entrundung der Femurkondylen • Deutliche osteophytäre Randwülste an Tibiakonsolen, Außen- und Innenkanten der Femurkondylen, Eminentia intercondylaris sowie an gelenkseitigen Patellapolen • IV Schwere Gonarthrose • Deutliche Verschmälerung bis Aufhebung des Gelenkspaltes (Fortsetzung)
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G. Pap und I. Meinecke
• Zystische Veränderungen an Femur, Tibia, und Patella bis zur knöchernen Destruktion • Subluxationsstellung zwischen Femur und Tibia
In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass solche universell anwendbaren Graduierungen wie die von Kellgren und Lawrence nur eine begrenzte Genauigkeit besitzen (Spector und Cooper 1993). Aus dieser Erkenntnis heraus wurden für einzelne Gelenke, wie auch für das Kniegelenk, spezielle Scoring-Skalen für die radiologisch sichtbare Gelenkdestruktion entwickelt (Tab. 3 und 4).
Unter Benutzung von speziellen veröffentlichten Atlanten (Altman und Gold 2007) können geübte Personen so eine exzellente Intraobserverund eine sehr gute bis exzellente InterobserverReliabilität erreichen (Lane und Kremer 1995). Im klinischen Alltag ist ein solches Vorgehen jedoch oft nicht üblich, sodass die Intra- und Interobserver-Reliabilität von Röntgenbeurteilungen und radiologischen Klassifikationen bei Gonarthrose oft beträchtliche Streuungen aufweist (Günther und Sun 1999).
2.3
Histologische Klassifikation
Obgleich die Gonarthrose grundsätzlich das Gesamtorgan „Kniegelenk“, einschließlich der periartikulären Strukturen (Dieppe 1999) betrifft,
Tab. 3 Radiologische Scoring-Skala der Gonarthrose. (Nach Scott Jr. et al. 1993) Kriterium Osteophyten
Gelenkspaltverschmälerung
Subchondrale Sklerose Ausziehungen der Eminentia intercondylaris Chondrokalzinose
Graduierung 0 1 2 3 0 1 2 3 0 1 0 1 0 1
Definition Kein Osteophyt Kleiner (definitiver) Osteophyt Mäßiger Osteophyt Großer Osteophyt Keine Verschmälerung Leichte Verschmälerung Mäßige Verschmälerung Starke Verschmälerung Nicht vorhanden Vorhanden Nicht vorhanden Vorhanden Nicht vorhanden Vorhanden
Tab. 4 Radiologische Beurteilung der Gonarthrose auf der Grundlage eines Röntgenatlas nach Altmann und Gold. (Altman und Gold 2007) Kriterium Randosteophyten
Gelenkspaltverschmälerung Sonstige
Lokalisation Mediale Femurkondyle Mediales Tibiaplateau Laterale Femurkondyle Laterales Tibiaplateau Mediales Kompartiment Laterales Kompartiment Mediale Tibiaabnutzung Mediale Tibiasklerose Laterale Femursklerose
Graduierung 0–3 0–3 0–3 0–3 0–3 0–3 Nicht vorhanden/vorhanden Nicht vorhanden/vorhanden Nicht vorhanden/vorhanden
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie
wird in zahlreichen (histologischen) Modellen der Arthroseentstehung nach wie vor davon ausgegangen, dass der primäre Ort der Läsion im Knorpelgewebe liegt (Aigner und Soder 2008). Mikrokopisch zeigen sich frühe degenerative Veränderungen zunächst als Verlust der normalerweise gleichmäßigen Proteoglykananteile der Knorpelmatrix (sog. Proteoglykanverlust) sowie in einer minimalen Zellproliferation. Die supramolekulare Destruktion des Kollagennetzwerkes zeigt sich in Form von Rissbildungen und schließlich im Fehlen ganzer Knorpelschichten mit unregelmäßiger Konturierung der Knorpeloberfläche (sog. Knorpelusuren). Gleichzeitig kommt es neueren Untersuchungen zufolge zu einem – in seinem Ausmaß und seiner Bedeutung noch umstrittenen – apoptotischen Zelltod (Aigner und Soder 2008; Aigner und McKenna 2002). Kompensationsversuche der ortsständigen Zellen auf diese destruktiven Prozesse bestehen in einer gesteigerten Neusynthese von Matrixkomponenten und einer erhöhten Proliferation der Knorpelzellen besonders in den oberen und mittleren Knorpelzonen. Dies zeigt sich zunächst in einer diffusen Hyperzellularität mit kleineren Zellkomplexen und später in der für den osteoarthrotischen Knorpel typischen Bildung von Knorpelnestern (sog. Cluster). Der weitere Verlauf führt dann zu einer zunehmenden Abschilferung des hyalinen Knorpels, sodass letztendlich in den schwerst geschädigten Arealen nur noch wenig oder gar kein Knorpel mehr erhalten ist. Parallel dazu kommt es zu einer zunehmenden Kalzifizierung der untersten Knorpelschichten und der histomorphologisch zu beobachtenden Vervielfachung der sog. Tidemark (Aigner und Soder 2008). Aufgrund der Vielschichtigkeit der ablaufenden Prozesse verwundert es nicht, dass die Klassifikation und Graduierung der Veränderungen im Rahmen der Osteoarthrose sehr komplex sind. Neben der Beschreibung des Typs (Typing, Tab. 2) kann man sowohl das Gesamtausmaß der Arthrose (Staging) als auch das Ausmaß des lokalen Schädigungsgrades (Grading) beurteilen. Für das Staging der Arthrose wird in Deutschland häufig die Stadieneinteilung nach Otte angewandt (Otte 1969). Sie ist in Tab. 5 aufgeführt und
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stellt im Wesentlichen einen summarischen Gesamtbefund des Gelenks dar. Während dieses Staging letztendlich geeignet ist, z. B. eine Operationsindikation (bei Grad IV) zu bestätigen, erweist es sich bei höheren Anforderungen an Sensitivität und Spezifität des Befundes (z. B. im Rahmen von wissenschaftlichen Studien) als zu grob. Das klassische und international hier am meisten angewandte Graduierungssystem ist das nach Mankin (Mankin et al. 1971), das im Ansatz relativ einfach und auch arithmetisch auswertbar ist. Es ist in Tab. 6 dargestellt. Kritik am Graduierungssystem nach Mankin in Bezug auf die Mitbeurteilung von Regeneratknorpel, die Miterfassung unterschiedlicher Lokalisationen im Gelenk und eine recht hohe interindividuelle Varianz der Auswertungssicherheit führte zu neuen Graduierungssystemansätzen wie dem, das von Pritzker et al. vorgeschlagen wurde (Pritzker et al. 2006). Inwieweit sich dieses Graduierungssystem durchsetzen wird, muss sich noch zeigen.
3
Epidemiologie und Pra¨valenz
Die Osteoarthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung in den Industrieländern und die Gonarthrose trägt dazu mit bis zu 80 % bei (Wallace et al. 2017). Die Angaben zur Inzidenz und Prävalenz der Gonarthrose schwanken in der Literatur beträchtlich und sind wesentlich abhängig vom Alter und Lebensort der betrachteten Kohorten. Grundsätzlich steigt die Prävalenz der Gonarthrose mit zunehmendem Lebensalter der Menschen. Während für die USA eine Prävalenz der Gonarthrose in wenigstens 19 % der Erwachsenen über 45 Jahren angegeben wird (Lawrence et al. 2008), findet sich eine radiologische Prävalenz von über 30 % bei Japanern über 65 Jahren (Sudo et al. 2008) bzw. von 40 % bei 70- bis 74-jährigen Frauen in einer niederländischen Population (van Saase et al. 1989). Wie schon beschrieben, kommt dabei dem Wirken von verschiedenen Risikofaktoren eine entscheidende Rolle zu. Die Betrachtung dieser verschiedener Risikofaktoren, die Untersuchung des Stellenwertes der einzelnen Faktoren sowie ihrer Zusammenhänge untereinander ist Gegen-
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G. Pap und I. Meinecke
Tab. 5 Stadieneinteilung der arthrotischen Gelenkdestruktion nach Otte. (Otte 1969) Grad 0 I II III IV
Histologische Kennzeichen Normal Oberflächliche Fibrillierungen, kein Substanzverlust Knorpeldefekt, der nicht die gesamte Dicke des Knorpels umfasst (Substanzdefekt, Risse, Fibrillierung erreicht nicht den subchondralen Knochen) Knorpeldefekt, der die gesamte Dicke des Knorpels umfasst (tiefreichende Substanzdefekte, Risse und Fibrillierungen erreichen den subchondralen Knochen) Vollständiger Knorpelverlust (zumindest fokal)
Tab. 6 Graduierung der arthrotischen Gelenkdestruktion nach Mankin. (Mankin et al. 1971) Kriterium Struktur des Knorpels
Chondrozyten
Safranin-O-Färbung
Tidemark
Grad 0 1 2 3 4 5 0 1 2 3 0 1 2 3 4 5 0 1
stand zahlreicher epidemiologischer Studien und Abhandlungen (Felson 1998; Cooper und Coggon 1999; Corti und Rigon 2003; Felson et al. 2007; Imeokparia et al. 1994; Schouten et al. 1992; Spector et al. 1994). Die wesentliche Rolle von systemischen Risikofaktoren zeigt sich in der Tatsache, dass bei der Arthrose eines Knies, einer Hüfte oder Hand eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit einer kontralateralen Arthrose besteht. So entwickeln 34 % der Frauen mit unilateraler Gonarthrose innerhalb von 2 Jahren eine kontralaterale Gonarthrose (Spector et al. 1994) und nach 11 Jahren ist bei 92 % der Patienten mit unilateraler Gonarthrose auch die Gegenseite betroffen (Spector et al. 1992). Diese und ähnliche Beobachtungen führten zu der Annahme, dass systemische Risikofak-
Histologische Kennzeichen Normal Oberflächenunregelmäßigkeiten Pannus und Oberflächenunregelmäßigkeiten Risse bis in die Übergangszone Risse bis in die tiefe Zone Risse bis in die kalzifizierte Zone Normal Diffuse Hyperzellularität Zellklone Hypozellularität Normal Leicht reduzierte Anfärbung Mäßig reduzierte Anfärbung Stark reduzierte Anfärbung Keine Anfärbung Totale Desorganisation Intakt Von Gefäßen durchbrochen
toren eine zentrale Rolle bei der Entstehung einer Osteoarthrose zukommt. Darüber hinaus wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass bestimmte lokale Risikofaktoren eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Gonarthrose spielen können. So konnte beispielsweise Sharma 2001 zeigen, dass eine Varusfehlstellung die Progression der Gonarthrose im medialen Kompartiment beschleunigt, während eine Valgusfehlstellung die Arthroseprogression im lateralen Kompartiment vorantreibt (Sharma et al. 2001). Außerdem wird davon ausgegangen, dass einige lokale Risikofaktoren auch symmetrisch vorhanden sind und deshalb auch die zeitnahe kontralaterale Involvierung auch ohne die vordergründige Annahme der Dominanz von systemi-
Knieendoprothetik und Gonarthrose: Pathogenese, Klassifikation und Epidemiologie
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Tab. 7 Systemische und lokale Faktoren für die Entstehung der Gonarthrose Systemische Faktoren Adipositas Knochendichte Geschlecht Alter (Unbekannte) erbliche Faktoren
schen Risikofaktoren erklärbar ist. So sind VarusValgus-Laxität, propriozeptive Fähigkeit und Muskelkraft in beiden Knien eines Patienten wegen der kortikalen Verschaltungen sehr ähnlich (Pap et al. 1998) und damit auch das mögliche Wirken dieser Faktoren als Risikofaktor (Sharma et al. 2001). Die wesentlichen lokalen und systemischen Risikofaktoren sind in Tab. 7 dargestellt. Interessanterweise zeigen aktuelle Untersuchungen aus den USA, dass sich die Prävalenz der Gonarthrose seit der Mitte der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts annähernd verdoppelt hat, selbst wenn man die Aspekte Alter und BMI bereits einrechnet (Wallace et al. 2017). Dieser rasante Anstieg der Gonarthrose-Prävalenz innerhalb weniger Generationen führt zu der Annahme, dass jüngere Veränderungen im Lebensumfeld jenseits der der Menschen-Faktoren Alter und BMI eine wesentliche Rolle spielen. Hier kommen wiederrum sowohl lokale Faktoren wie zunehmendes Laufen auf harten Untergrund, Schuhversorgungsaspekte und inaktivitätsbedingte Muskelschwäche wie auch systemische Faktoren wie chronische Low-Grade-Entzündungen, z. B. in Zusammenhang mit physischer Inaktivität, moderner Ernährung oder Adipositas in Frage. Weiter Untersuchungen werden hier ansetzen.
4
Fazit fu¨r die Praxis
Die Gonarthrose ist einer der häufigsten Gelenkerkrankungen, deren Ursache im Wesentlichen in einem Missverhältnis zwischen destruktiven und reparativen Gelenkprozessen liegt und die alle
Lokale Faktoren Physische Aktivität Trauma Gelenkachse Muskelkraft Varus-Valgus-Laxität Anteroposteriore-Laxität Propriozeption Meniskektomie
Gelenkbereiche betrifft. Ihre Prävalenz hat sich in den vergangenen 100 Jahre nahezu verdoppelt. Neben der demografischen Entwicklung spielen insbesondere Aspekte der Lebensweise in den Industrieländern hier offenbar eine entscheidende Rolle.
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Knieendoprothetik: Indikationskriterien Jo¨rg Lu¨tzner, Toni Lange, Jochen Schmitt und Klaus-Peter Gu¨nther
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2 Konservative versus operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3 Gelenkerhalt versus Gelenkersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4 Indikation Knieendoprothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5 Komplexe Ausgangssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 6 Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .62 ..
1
Einleitung
Die Gonarthrose ist mit Schmerzen und Funktionseinschränkungen verbunden, hat einen starken Einfluss auf die Lebensqualität der betroffenen Patienten (Cross et al. 2014; Moskowitz 2009; Palazzo et al. 2016) und stellt eine hohe
J. Lützner (*) · K.-P. Günther (*) UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] T. Lange · J. Schmitt Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]
ökonomische Belastung für das Gesundheitssystem wie auch die Gesellschaft dar (Cross et al. 2014). Im Rahmen der wichtigen Beratung über die Erkrankung, deren Verlauf und Behandlungsmöglichkeiten ist auf folgende Therapieoptionen hinzuweisen: • Selbstmanagement (Vermeidung/Reduktion von Risikofaktoren, Gewichtsreduktion, Bewegungsübungen, geeignete Aktivität), • konservative Therapie (medikamentös, Physiotherapie, Injektionen, alternative Heilmethoden), • operative Therapie (gelenkerhaltend, Endoprothese). Für den Entscheid, welche Therapieoptionen im Einzelfall infrage kommen, werden folgende Informationen benötigt:
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_4
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• aktueller Zustand des Gelenkes (Arthrosegrad, Schmerz, Funktionseinschränkung), • Ergebnisse der einzelnen Therapieverfahren, • Zusatzkriterien (Leidensdruck, Risikofaktoren, Erwartungen, weitere Aspekte). Für die Beurteilung des Gelenkzustandes werden als Standard Röntgenaufnahmen unter Last empfohlen. International etabliert ist hierbei die Rosenbergaufnahme (Abb. 1). Für die Erfassung der Schmerzen wird eine numerische Analogskala (NAS) sowie die zusätzliche Dokumentation von Häufigkeit und Lokalisation der Schmerzen empfohlen. Funktionseinschränkungen werden am besten mit einem standardisierten Fragebogen (Patient-reported outcome measure, PROM) erhoben. Am weitesten verbreitet sind der Knee Society Score (KSS), der Oxford Knee Score (OKS), der Knee Injury and Osteoarthitis Outcome Score (KOOS) und der Western Ontario und MacMasters Universities Osteoarthritis Index (WOMAC),
J. Lu¨tzner et al.
wobei vor allem der OKS empfohlen werden kann (Lützner et al. 2017). Zu den Ergebnissen der einzelnen Therapieverfahren gibt es sehr viele Publikationen. Diese betreffen jedoch vor allem gelenkerhaltende Eingriffe und endoprothetische Versorgung. Es sind kaum Studien verfügbar, die konservative und operative Therapieverfahren vergleichen. Die Effektstärken sind hinsichtlich Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung am größten beim Kunstgelenkersatz (Skou et al. 2015), allerdings sind auch die Risiken dieser Operation im Vergleich zur konservativen Therapie und zu gelenkerhaltenden Operationen höher. Zusatzkriterien können bei der Therapieentscheidung eine wichtige Rolle spielen. Wenn ein Patient beispielsweise ein sehr hohes Operationsrisiko aufgrund von Nebenerkrankungen hat, sollte die konservative Therapie besonders lange bzw. intensiv angewendet und auch ein höheres Maß an funktionellen Einschränkungen akzeptiert werden,
Abb. 1 a Röntgenaufnahme ohne Belastung und b Rosenbergaufnahme. Erst in der belasteten Aufnahme in leichter Beugung zeigt sich der vollständige Knorpelverlust
Knieendoprothetik: Indikationskriterien
ehe man die Indikation zur operativen Therapie stellt. Auch der individuelle Leidensdruck ist wichtig. So wird man einem Patienten mit fortgeschrittener radiologischer Gonarthrose, aber noch gut erträglichen Beschwerden nicht so schnell zur Operation raten, wie einem Patienten mit gleichem Gelenkzustand, aber hohem Leidensdruck. Auch die individuelle berufliche Tätigkeit und die Erwartungen an das Therapieergebnis können die Therapieentscheidung beeinflussen. " Die 3 Säulen der Gonarthrosetherapie sind
Selbstmanagement, konservative Therapie und operative Therapie. Die Wahl der Therapieoptionen ist individuell abzuwägen anhand aktuellem Gelenkzustand, den Ergebnissen bisheriger Behandlungen und zusätzlichen Kriterien, wie Leidensdruck, Risikofaktoren, Erwartungen des Patienten.
2
Konservative versus operative Therapie
Zu Beginn der Therapie sollte eine motivationale Beratung über das Krankheitsbild und die Möglichkeiten des Selbstmanagements stehen (Vermeidung belastender Aktivitäten, Bewegungstraining, schonender Sport, Gewichtsreduktion mit einem Ziel-BMI < 25). Damit soll die Eigenverantwortung gestärkt und der Patient in die Lage versetzt werden seine Krankheit selbst zu managen (Lützner et al. 2018). Grundsätzlich soll zunächst mit weniger invasiven Behandlungen begonnen und erst bei nicht ausreichender Wirksamkeit dieser die Indikation zur operativen Therapie geprüft werden. Als Therapieoptionen der 1. Wahl kommen Physiotherapie und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) infrage (McAlindon et al. 2014). NSAR sollen insbesondere bei alten und multimorbiden Patienten vorwiegend topisch verordnet werden. Injektionsbehandlungen (Kortikoide, Hyaluronsäure, PRP [platelet rich plasma]), orthopädietechnische Hilfsmittel (Einlagen, Schuhzurichtungen, Bandagen, Orthesen) und Akupunktur können die Therapie ergänzen. Allerdings sind die Studien zu diesen Therapieoptionen teilweise wider-
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sprüchlich oder noch nicht ausreichend. Die Effekte weiterer Therapieoptionen (Magnetfeld, Blutegeltherapie, Weihrauch etc.) sind noch nicht ausreichend belegt (Lützner et al. 2018). Führt die konservative Therapie zu keiner ausreichenden Beschwerdebesserung soll die Indikation zur operativen Therapie geprüft werden. Die Versorgungsrealität in Deutschland zeigt, dass dies jedoch nicht immer der Fall ist. So wurde in einer Analyse der Daten von 143.371 Versicherten der Barmer nur bei 48,9 % im Jahr vor dem Kunstgelenkersatz Physiotherapie verordnet (Lange et al. 2018). In einer Stichprobe von 932 Patienten aus dieser Kohorte wurde mit einem Drittel der Patienten der Kunstgelenkersatz besprochen, obwohl sie diesen noch nicht wünschten. Auch in den USA erfolgt die Behandlung der Gonarthrose nicht immer leitliniengerecht. So entfielen in einer Studie mit 86.081 Patienten mit Knietotalendoprothese (Knie-TEP) nur 12,2 % der ambulanten Behandlungskosten im letzten Jahr vor dem Kunstgelenk auf empfohlene Behandlungen nach den Empfehlungen der American Academy of Orthopaedic Surgeons (AAOS). Insgesamt 29,3 % der Kosten (knapp 13 Mio. US-Dollar) entfielen auf Hyaluronsäureinjektionen, die von der AAOS nicht empfohlen werden (Bedard et al. 2017). " Die Therapie der Gonarthrose beginnt mit
weniger invasiven Behandlungen (Physiotherapie, NSAR). Erst bei nicht ausreichender Wirksamkeit dieser, wird die Indikation zur operativen Therapie geprüft. Der Patient sollte zu Beginn immer über Möglichkeiten des Selbstmanagements aufgeklärt werden.
3
Gelenkerhalt versus Gelenkersatz
Bei der operativen Therapie wird zwischen gelenkerhaltenden (Arthroskopie, Knorpelrekonstruktion, Umstellungsosteotomie) und gelenkersetzenden Verfahren (Teilgelenkersatz, TEP) unterschieden. Grundsätzlich sollte den gelenkerhaltenden Operationen der Vorzug gegenüber dem Gelenkersatz gegeben werden, wenn sie mit
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einer ausreichenden Wahrscheinlichkeit zu einer Beschwerdebesserung führen. Die Arthroskopie mit Lavage und Debridement ist bei alleiniger Gonarthrose grundsätzlich nicht mehr indiziert. Bei begleitenden Meniskusläsionen und mechanisch störenden freien Körpern kann sie jedoch weiterhin angezeigt sein. Arthroskopische oder offene Knorpelrekonstruktionen sind grundsätzlich nur bei umschriebenen, vollschichtigen und symptomatischen Knorpelschäden indiziert (Niemeyer et al. 2016). Allerdings ist der Übergang zur Früharthrose fließend und nicht ganz klar abgegrenzt. Zur rekonstruktiven Knorpelchirurgie gehören Mikrofrakturierung, Matrix-augmentierte Knochenmarkstimulation und autologe Knorpeltransplantation, wobei diffus degenerative Knorpelschäden (und damit die Gonarthrose) in der Regel eine Kontraindikation für diese Verfahren darstellen (Niemeyer et al. 2018). Umstellungsosteotomien und hier vor allem die hohe Tibiakopfosteotomie (HTO) wurden in der Vergangenheit regelmäßig zur Behandlung der Gonarthrose eingesetzt. Mit der Verbesserung der Ergebnisse der Knieendoprothetik war ein Rückgang der Anzahl an Osteotomien zu verzeichnen. Bei noch nicht sehr weit fortgeschrittener Gonarthrose und biologisch jungen und aktiven Patienten haben diese Verfahren jedoch weiterhin ihre Berechtigung in der Gonarthrosetherapie. Die Lokalisation der Osteotomie richtet sich nach der Deformität, welche anhand einer Ganzbeinstandaufnahme detailliert auszumessen ist (Paley und Pfeil 2000). Bei den häufigen Varus-Deformitäten (medialer proximaler Tibiawinkel [MPTW] < 85°) ist die HTO die Methode der Wahl, bei den selteneren Valgus-Deformitäten kommt in der Regel die distale Femurosteotomie zur Anwendung. Für die HTO gibt es viele Studien, allerdings kaum Vergleichsstudien zur konservativen Therapie oder anderen operativen Verfahren. Als negative prognostische Kriterien gelten (Brinkman et al. 2008): • • • • •
kein metaphysärer Varus (MPTW > 85°), vollschichtiger Knorpelverlust, BMI > 30, Alter > 60 Jahre, Nikotinabusus.
In einer Metaanalyse wurden Ergebnisse nach HTO und unikondylärem Kniegelenkersatz (UKA) verglichen (Spahn et al. 2013). Dabei zeigten sich in insgesamt 89 Studien vergleichbare Überlebensraten nach 9–12 Jahren (84,4 % HTO, 86,9 % UKA). Die klinischen Ergebnisse waren jedoch beim Teilgelenkersatz signifikant besser, die Komplikationsraten waren vergleichbar. " Bei der operativen Therapie der Gonarthrose
sollten bei entsprechender Eignung des Patienten auch gelenkerhaltende Operationen angeboten werden.
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Indikation Knieendoprothese
Bei nicht ausreichend erfolgreicher konservativer Therapie und fehlender Indikation zur gelenkerhaltenden operativen Therapie stellt sich die Frage nach dem Kunstgelenkersatz. Die Behandlung der fortgeschrittenen Gonarthrose mittels Knieendoprothese ist eine effektive Methode zur Verbesserung von Schmerz und Funktion (Daigle et al. 2012; Waimann et al. 2014). Es handelt sich hierbei um einen der häufigsten elektiven Routineeingriffe in der Orthopädischen Chirurgie weltweit (Carr et al. 2012) und gehörte im Jahr 2018 mit 168.179 Operationen zu den häufigsten Operationen in Deutschland (IQTIG 2019). Trotz der sehr guten 10-Jahres-Überlebensraten von rund 95 % für die Knie-TEP in den großen internationalen Registern (Australian Orthopaedic Association 2020; National Joint Register 2020; The Swedish Knee Arthroplasty Register 2020) sind 2–27 % der Patienten mit dem Behandlungsergebnis nach Knie-TEP nicht zufrieden (Lützner et al. 2019). Das Ausmaß an Patientenzufriedenheit hängt dabei wesentlich vom Grad der Erreichung der vom Patienten gesetzten Ziele ab und nicht ausschließlich von messbar verbesserten klinischen Outcomes (Dowsey et al. 2016). Behandlungsziele für Patienten mit Gonarthrose in Deutschland wurden konsentiert und sollten im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden (Lange et al. 2017). Unterschiedliche Einflussfaktoren vonseiten des Patienten als auch der durchgeführten Behandlung können das Ergebnis der Knie-TEP und damit auch die Realisierung der patientenrelevanten Ziele be-
Knieendoprothetik: Indikationskriterien
einflussen. Diese verschiedenen Einflussfaktoren (Prädiktoren) können sich positiv oder negativ sowie zudem gegensätzlich auf unterschiedliche Outcomes auswirken (Noble et al. 2006). Um trotz der in komplexer Weise wirkenden, variablen Einflüsse auf das Behandlungsergebnis nach Knie-TEP eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleisten zu können, sind einheitliche, evidenzbasierte und allgemein akzeptierte Indikationskriterien notwendig. Vor diesem Hintergrund wurde 2014 unter Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik (AE) die Initiative „Evidenz- und konsensbasierte Indikation Knie-TEP“ (EKIT) ins Leben gerufen. An der Initiative beteiligten sich Vertreter verschiedener Fachgesellschaften, weitere Experten, Patientenvertreter und Vertreter der Kostenträger. Im Rahmen eines 2-jährigen Prozesses mit verschiedenen Literaturrecherchen, der Erhebung von Patientenzielen und Umfragen unter den Teilnehmern wurden schließlich Indikationskriterien konsentiert. Die Ergebnisse sind inzwischen publiziert (Schmitt et al. 2017) und zu einer Leitlinie fortgesetzt worden (Lützner et al. 2018), welche inzwischen auch für zertifizierte EndoProthetikZentren im Rahmen von EndoCert verbindlich ist. Die Indikationskriterien gelten für Patienten mit Gonarthrose und Osteonekrose des Kniegelenks. Sie zielen auf den „normalen“ Gonarthrosepatienten ab („Normalfall“), welcher für mindestens 90 % aller Gonarthrosepatienten repräsentativ sein soll. Das bedeutet, dass begründete Ausnahmen möglich sind. Folgende Definitionen wurden festgelegt: • Hauptkriterien sind Mindestvoraussetzungen für die Indikationsstellung, die im Normalfall erfüllt sein müssen. • Nebenkriterien können die Empfehlung für die Knie-TEP verstärken, sind jedoch nicht zwingend für die Indikationsstellung notwendig. • Risikofaktoren schwächen die Empfehlung für die Knie-TEP ab, da diese mit einem erhöhten Komplikationsprofil und/oder einem potenziell schlechten patientenrelevanten Ergebnis assoziiert sind.
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• Absolute Kontraindikationen verbieten die Knie-TEP. • Relative Kontraindikationen sprechen gegen die Knie-TEP, verbieten diese in begründeten Fällen jedoch nicht. Folgende Hauptkriterien sollen für die Indikationsstellung vorliegen: 1. Knieschmerzen sollen für die Indikation zur Knie-TEP über mindestens 3–6 Monate vorliegen. Die Schmerzstärke drückt sich in Schmerzdauer, Schmerzhäufigkeit und Ansprechen auf konservative Therapie aus. Ein mehrfach wöchentlich, intermittierend auftretender Schmerz oder kontinuierlicher Schmerz ist eine Voraussetzung für die Indikation zur Knie-TEP. 2. Für die Indikation zur Knie-TEP soll der Nachweis eines Strukturschadens (Arthrose, Osteonekrose) vorliegen. Der Nachweis erfolgt mittels Röntgen: Bei einer Röntgenaufnahme unter Belastung sollte eine eindeutige Gelenkspaltverschmälerung bestehen. 3. Für die Indikation zur Knie-TEP soll das Versagen konservativer Therapiemaßnahmen über mindestens 3–6 Monate dokumentiert sein. Eine konservative Therapie sollte über mindestens 3–6 Monate erfolglos durchgeführt worden sein. Voraussetzung für die Indikationsstellung zur Knie-TEP ist ein nicht ausreichendes Ansprechen auf die Kombination von medikamentöser und nichtmedikamentöser konservativer Therapie in diesem Zeitraum. 4. Für die Indikation zur Knie-TEP soll eine auf die Kniegelenkerkrankung bezogene Einschränkung der Lebensqualität über mindestens 3–6 Monate vorliegen. Eine durch die Kniegelenkerkrankung bedingte Einschränkung der Lebensqualität ist Voraussetzung für die Indikation zur Knie-TEP. Solange kein für die Gonarthrose spezifischer Score vorliegt, wird empfohlen etablierte Scores für die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu verwenden (z. B. EQ 5D, SF 12, SF 36). Aufgrund der großen Vergleichsdaten des englischen NHS (National PROMs Collection) erscheint der EQ 5D geeignet.
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5. Für die Indikation zur Knie-TEP soll ein auf die Kniegelenkerkrankung bezogener relevanter subjektiver Leidensdruck vorliegen.
mit kardiovaskulären Risikofaktoren und generell bei BMI > 40 die Indikation zu adipositaschirurgischen Maßnahmen.
Folgende Nebenkriterien können für die Indikationsstellung zur Knie-TEP erfasst werden. Ihr Vorhandensein bzw. ihre Ausprägung beeinflussen die Empfehlungsstärke. Bei nicht vollständig erfüllten Hauptkriterien ergibt sich die Indikation aus den Nebenkriterien:
Folgende Risikofaktoren für ein erhöhtes Komplikationsprofil oder schlechtes patientenrelevantes Outcome sollten berücksichtigt werden:
• • • • • • • • • • • • •
Einschränkungen der Gehstrecke, Einschränkungen bei langem Stehen, Einschränkungen beim Treppensteigen, Fehlstellung der Beinachse, Instabilität des Kniegelenks, Einschränkungen der Kniebeweglichkeit, Einschränkung der Beinkraft, Schwierigkeiten beim Hinsetzen, beim Knien, bei der Körperhygiene, notwendige Unterstützung durch Hilfsperson, Schwierigkeiten bei Haushaltstätigkeiten, Schwierigkeiten bei der Nutzung von Verkehrsmitteln, Einschränkungen im sozialen Leben, in der Ausübung des Berufs und bei sportlicher Aktivität, Vermeidung von Nebenerkrankungen (kardiovaskulär).
Absolute Kontraindikation für eine Knie-TEP ist eine floride Infektion im Kniegelenk. Weitere absolute Kontraindikationen sind solche, die typischerweise auch für andere elektive Eingriffe gelten (z. B. Infekt, akutes kardiovaskuläres Ereignis). Relative Kontraindikationen für die Indikationsstellung zur Knie-TEP sind: • Deutlich verkürzte Lebenserwartung aufgrund von Begleiterkrankungen. Hierbei sind die Chancen und Risiken detailliert mit dem Patienten abzuwägen. • Sehr hoher BMI ( 40). Dies ergibt sich aus der S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“. Diese Patienten sind aufgrund ihrer allgemeinen Risiken hochgefährdet und bedürfen zunächst der Adipositastherapie. Laut Leitlinie besteht bei Patienten mit BMI > 35
• • • • • •
abgelaufene Infektion im Kniegelenk, erhöhtes Infektionsrisiko, erhöhtes perioperatives Risiko (ASA 3 und 4), körperliche Komorbidität, psychologisch/psychiatrische Komorbidität, Einnahme von Medikamenten, die das Operationsrisiko erhöhen, • Suchtmittelabhängigkeit, • neurologische Störung. Bei diesen Risikofaktoren soll die Indikationsstellung besonders gründlich erfolgen. Das zu erwartende Behandlungsergebnis soll mit den Patientenerwartungen abgeglichen werden. Chancen und Risiken sind mit dem Patienten abzuwägen. Die Indikationskriterien sollen bei der Indikationsstellung wie folgt zur Anwendung kommen (Abb. 2). Die Hauptkriterien sind Mindestvoraussetzungen und ergeben mit fehlenden Kontraindikationen die medizinische Begründung. Die Ausprägung der Haupt- und Nebenkriterien sowie eventuell vorhandene Risikofaktoren beeinflussen die ärztliche Empfehlungsstärke. Im Rahmen der partizipativen Entscheidungsfindung werden dann die Behandlungsziele des Patienten mit der Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Ziele abgeglichen und gemeinsam mit dem Patienten die Entscheidung für oder gegen die Knie-TEP getroffen (Abb. 3). " Ein relevanter Anteil der Patienten ist nach
Implantation eines künstlichen Kniegelenkes mit den erzielten Ergebnissen nicht ausreichend zufrieden. Daher ist eine sorgfältige Prüfung der Indikation notwendig. Die Indikation sollte erst gestellt werden bei: • Nachweis eines Strukturschadens (Röntgenaufnahme unter Belastung),
Knieendoprothetik: Indikationskriterien
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Abb. 2 Modell zur Indikationsstellung
• Knieschmerzen und Versagen konservativer Therapiemaßnahmen über mindestens 3–6 Monate, • auf die Kniegelenkerkrankung bezogene Einschränkung der Lebensqualität und relevantem subjektiven Leidensdruck.
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Komplexe Ausgangssituationen
Verschiedene Ausgangssituationen haben einen Einfluss auf das zu erwartende Ergebnis nach einer Knieendoprothese und beeinflussen damit auch die Indikationsstellung, die in diesen Situationen besonders sorgfältig erfolgen muss. Patienten mit posttraumatischer Gonarthrose haben häufig schlechte Weichteilverhältnisse mit Narben nach Voroperationen, eine eingeschränkte Beweglichkeit, eine veränderte knö-
cherne Anatomie (Abb. 4), Instabilitäten und sind jünger als Patienten mit primärer Gonarthrose. Daraus resultiert ein größerer Behandlungsaufwand mit häufig verlängerter Operationszeit, der Notwendigkeit von Revisionsendoprothesen zur Augmentation von Knochendefekten und der Möglichkeit eines höheren Kopplungsgrades bei Instabilität (Dexel et al. 2016). Das Risiko für Komplikationen ist dadurch bedingt höher. Die Beweglichkeit ist abhängig von der präoperativen Beweglichkeit meist schlechter als bei Patienten mit primärer Gonarthrose. Eventuell noch einliegende Implantate sollen, falls nicht unmittelbar im Zugang zur Knieendoprothese liegend, im Vorfeld entfernt werden. Nach vorausgegangener Umstellungsosteotomie besteht häufig eine veränderte Gelenkanatomie und Bandspannung. Dies trifft vor allem auf die intraligamentäre HTO zu. Dadurch werden bei der Knie-TEP-Implantation veränderte Knochenschnitte notwendig, die im Vorfeld besonders sorgfältig zu planen sind. Trotz guter Planung und sorgfältiger Umsetzung im OP kann die Verwen-
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Checkliste Indikation Knie TEP Patient:_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Hauptkriterien zur Indikation
Ja
Nein
Strukturschaden (mind. eindeutige Gelenkspaltverschmälerung) ▪ Arthrosegrad n. Kelgren&Lawrence: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Schmerz ▪ Seit wann: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ bei Belastung in Ruhe ▪ Häufigkeit: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ ▪ Stärke: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
nachts
Konservative Therapie ▪ Seit wann: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Medikamentös Nicht-medikamentös Einschränkung der Lebensqualität durch Knie ▪ Wie gemessen (Ggf. Score Wert): _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ ▪ Wodurch: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Subjektiver Leidensdruck durch Knie ▪ W odurch: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Relevante Nebenkriterien (fakultativ, obligatorisch falls Hauptkriterien nicht vollständig erfüllt) ▪ ▪ ▪
Welche: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Welche: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Welche: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
Kontraindikationen
Ja
Nein
Florider Infekt BMI > 40 (kg/m2) ▪ BMI?: _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Deutlich verkürzte Lebenserwartung ▪ W odurch? : _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Sonstige Kontraindikationen gegen OP ▪ W elche? : _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Indikation zur Knie TEP?
Ja
Nein
Abb. 3 Checkliste Indikation Knie-TEP. (https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/033-052.html)
dung eines höheren Kopplungsgrades notwendig werden. Entsprechende Implantate sind vorzuhalten. Die Verwendung eines Navigationssystems kann bei den Knochenschnitten und der Weichteilbalancierung hilfreich sein. Die Revisions-
wahrscheinlichkeit wird durch eine vorausgegangene Umstellungsosteotomie nicht negativ beeinflusst (El-Galaly et al. 2018). Bei Adipositas besteht einerseits ein höheres Risiko für Komplikationen (insbesondere Infek-
Knieendoprothetik: Indikationskriterien
61
Patienten besprochen werden. Ein BMI > 40 stellt außerdem eine relative Kontraindikation für eine Knie-TEP dar. Die Patienten sollten einem Adipositaszentrum zugeführt werden. Nach einer abgelaufenen Infektion des Kniegelenks droht einerseits ein deutlich höheres Risiko für eine periprothetische Infektion, andererseits bestehen auch hier bedingt durch die Voroperationen häufig schlechte Weichteilverhältnisse und eine Bewegungseinschränkung. In Abhängigkeit vom Alter des Patienten und weiteren Risikofaktoren ist deshalb das sehr hohe Lebenszeitrisiko für eine schwerwiegende Komplikation mit dann meist notwendigem Ausbau der Knie-TEP zu beachten. Insofern muss die Indikation zum Kunstgelenk kritisch hinterfragt werden. In diesen Fällen kann ausnahmsweise auch eine primär knöcherne Arthrodese indiziert sein. Dies muss differenziert mit dem Patienten besprochen werden. " Vorausgegangene Traumata, Umstellungs-
osteotomien oder Infekte können das Behandlungsergebnis einer Knieprothese negativ beeinflussen. Aufgrund anatomischer Fehlstellungen, Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten bedarf es einer besonders sorgfältigen Planung. Adipöse Patienten sollten über ihr erhöhtes Komplikationsrisiko aufgeklärt werden, ein BMI > 40 stellt eine relative Kontraindikation zur elektiven Knieendoprothese dar.
6 Abb. 4 a–c Posttraumatische Gonarthrose: Wegen der veränderten Anatomie ist eine normale intramedulläre Ausrichtung femoral nicht möglich
te), andererseits auch eine größere Belastung des Kunstgelenkes mit dadurch bedingt höherem Versagensrisiko. Adipositas ist häufig mit weiteren Risikofaktoren (Diabetes mellitus, metabolischem Syndrom, koronare Herzkrankheit etc.) verbunden. Das Risiko für Infektionen und ReOperationen ist bei einem BMI > 30 deutlich und bei einem BMI > 40 drastisch erhöht (Giori et al. 2018; Ponnusamy et al. 2018). Dies sollte mit dem
Fazit fu¨r die Praxis
Bei fortgeschrittener Gonarthrose mit Schmerzen, nicht ausreichend erfolgreicher konservativer Therapie, Einschränkung der Lebensqualität und entsprechendem Leidensdruck besteht die Indikation zur Knieendoprothese. Vor der Entscheidung sollen gelenkerhaltende operative Optionen geprüft und mit dem Patienten besprochen werden. Auch die Erwartungen des Patienten an das Behandlungsergebnis sollen in die Entscheidung mit einfließen. Besonders sorgfältig muss die Entscheidung zur Knieendoprothese bei bestehenden Risikofaktoren und bei komplexen Ausgangssituationen abgewogen werden.
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Knieendoprothetik: Implantate/ Implantatsysteme Martin Faschingbauer und Heiko Reichel
Inhalt 1
Materialien und Oberflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Implantatdesigns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unikondyläre Knieprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberflächenersatzprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilgekoppelte Knieprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotating- und Fixed-Hinge-Implantatsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Tribologie: „fixed“ oder „mobile bearing“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
4
Verankerungsprinzipien: zementiert oder zementfrei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
5
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
68 68 69 74 75
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
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Materialien und Oberfla¨chen
Zur Herstellung von Kniegelenkendoprothesen werden unterschiedliche Materialien wie CoCrMo- und Titanlegierungen sowie ultrahochmolekulares Polyethylen mit und ohne Oberflächenvernetzung („cross-linking“) verwendet. Die Metallimplantate für die femoralen und tibialen Komponenten werden entweder mit einer Gusstechnik oder in einem Schmiedeverfahren hergestellt. Die formgepressten Polyethylenkom-
M. Faschingbauer (*) · H. Reichel Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Ulm, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]
ponenten werden als tibiale Gleitpartner oder als Patellarückflächenersatz verwendet (Dobbs und Robertson 1982). Die Oberflächen der Metallund Polyethylenkomponenten werden abschließend mittels spezieller Verfahren bearbeitet, welche einen deutlichen Einfluss auf die Materialeigenschaften haben (Dauerfestigkeit, Abrieb, Alterung). Insbesondere beim Polyethylen hat die frühere Gamma-Sterilisation unter atmosphärischem Sauerstoff durch Diffusion des Sauerstoffes in die Oberfläche dazu geführt, dass deren Brüchigkeit erhöht wurde (Costa et al. 2002), gleichzeitig entstand jedoch eine höhere, verbesserte Vernetzung. Titan- und CoCrMo-Legierungen werden bevorzugt für Knieprothesen verwendet, wobei reines Titan aufgrund seiner schlechten tribologischen Eigenschaften nicht als direkter Gleit-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_5
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partner verwendet werden kann, wohl aber aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit ideal für den Knochen-Implantat-Kontakt (Osseointegration) geeignet ist. Es wurde versucht, die tribologischen Eigenschaften durch unterschiedliche Verfahren der Oberflächenhärtung (Diffusionshärtung, Ionenbeladung, Hartbeschichtung) zu verbessern (Buchanan et al. 1987; Streicher et al. 1991). Leider wurden mit jedem Versuch auch Nachteile in Bezug auf die Dauerfestigkeit („fatigue strength“) oder die Oberflächenstabilität generiert. Verwendung in der Knieendoprothetik finden hauptsächlich die Ti-6Al-4V- und Ti-6Al-7NbMischungen (ISO 5832-3, ISO 5832-11). Die zweite Mischung wurde entwickelt, da toxische Reaktionen durch gelöstes Vanadium angenommen wurden, sodass Vanadium gegen Niobium ausgetauscht wurde, welches die Biokompatibilität weiter erhöhte. Die Dauerfestigkeit wird durch unterschiedliche Faktoren des Herstellungsprozesses beeinflusst, jedoch hauptsächlich durch den Temperaturverlauf während des Schmiedevorganges und die anschließende Oberflächenbearbeitung. Hier kommen Verfahren wie Polieren, Bestrahlung mit unterschiedlichen Korngrößen, PlasmaSpray- (Titanpartikel im Vakuum, CSTi Zimmer) oder Laser-Oberflächenbearbeitungen zur Anwendung (Chang et al. 1998; Pittman et al. 2006). Biomechanische Belastungstest mit 10 Mio. Zyklen bestätigten Dauerfestigkeitswerte bei den unterschiedlichen Herstellungsprozessen zwischen 200 und 600 MPa (Semlitsch et al. 1985, 1992). CoCrMo-Implantate werden entweder in Gusstechnik (ISO 5832-4) oder im Schmiedeverfahren (ISO 5832-12) hergestellt. Das Gussverfahren wird hauptsächlich zur Herstellung geometrisch aufwendiger Komponenten genutzt. In Präzisionstechnik wird eine Keramikform gefertigt, welche anschließend mit der flüssigen Legierung gefüllt wird. Spezielle Aushärtungsverfahren sind notwendig, um insbesondere die Oberflächenporosität und die kristalline Struktur zu homogenisieren. Dennoch können Variabilitäten zwischen unterschiedlichen Chargen bestehen, sodass weitere Verfahren zur Präzisionsüberprüfung notwendig werden (radiologische Unter-
M. Faschingbauer und H. Reichel
suchung auf z. B. innere Defekte, FlüssigkeitsPenetrationstest für Oberflächendefekte). Im Schmiedeverfahren werden die Komponenten entweder direkt aus der Legierung maschinell erstellt oder thermomechanisch geformt. Biomechanische Belastungstests bestätigten Dauerfestigkeitswerte bei den beiden Herstellungsprozessen zwischen 300 und 600 MPa. Zu erwähnen bleibt, dass insbesondere die Abriebfestigkeit der CoCrMo-Implantate vom Carbonanteil in der Legierung abhängig ist, welcher entsprechend der ISO-Normen mit einer maximalen Beimischung von 0,35 % festgesetzt wurde. Legierungen mit einem hohen Carbonanteil (0,2–0,25 %) zeigen gegenüber Legierungen mit einem geringen Carbonanteil (0,05–0,08 %) eine bessere Abriebfestigkeit und somit verbesserte tribologische Eigenschaften, sodass sie insbesondere bei Metall-Metall-Gleitpaarungen verwendet werden (Que und Topoleski 1999; Streicher et al. 1991). Im Rahmen der fortwährenden Verbesserung der tribologischen Eigenschaften der verwendeten Oberflächenmaterialen wurden in den letzten Jahren zunehmende Vorteile durch den Einsatz von oxidiertem Zirkonium als femorales Oberflächenmaterial gesehen. Obwohl die Abriebproblematik mehrheitlich dem „schwächeren“ Gelenkpartner, dem Polyethylen, angelastet wird, gibt es doch eindeutige Hinweise, dass die Rauhigkeit und insbesondere Oberflächenrisse und Kratzer des femoralen Gelenkpartners den adhäsiven und abrasiven Abrieb beeinflussen. Die Vorteile der oxidierten Zirkonium-Keramik als Artikulationspartner in der Knieendoprothetik zeigen sich in einer verbesserten Benetzbarkeit („lubricity“) sowie einer stärkeren Abriebresistenz. Als weiterer Vorteil wird die verbesserte Biokompatibilität gesehen. Leider bringen die Brüchigkeit des Materials und die Schwierigkeiten in der Herstellung komplexer geometrischer Formen auch Nachteile mit sich (Laskin 2003; Tsukamoto et al. 2006). Die Prothesenkomponenten werden aus der Zirkoniumlegierung (Zr-2,5 %Nb) direkt geschmiedet und anschließend mittels thermaler Diffusionstechnik oxidiert. Hierbei wird die Zirkoniumoxidschicht nicht aufgetragen, sondern die
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
Oberfläche der originalen Legierung oxidiert unter Hitzeeinfluss in einer Sauerstoffumgebung. Es wird eine Oxid-Keramik-Schicht von 5 μm Dicke erzeugt. Biomechanische Testungen bestätigten bei der Zirkoniumkeramik Dauerfestigkeitswerte von mehr als 450 MPa, verbesserte Ergebnisse in Härtetestungen, einen geringeren Volumenabrieb und eine reduzierte Rauhigkeit bei Überprüfung von direktem Fremdkörperabrieb. Zirkoniumlegierungen enthalten weniger als 0,0035 % Nickel und sind somit für die Verwendung bei Patienten mit nachgewiesener Nickelallergie geeignet. Weiterhin können bei Patienten mit Allergie Femurkomponenten aus Keramik (Al2O3) Verwendung finden (Bergschmidt et al. 2013) oder es kann auf beschichtete Komponenten zurückgegriffen werden. Die Titan- oder Cobalt-Chrom-Oberfläche einer femoralen Komponente wird hierbei mit einer Legierung aus Titanium, Niobium und Nitrid (TiNbN) oder Titaniumnitrid (TiN) durch Sauerstoffdiffusionshärtung, diamantartigen Kohlenstoffüberzug oder physikalischer Dampfabscheidung von Ti(Nb)N beschichtet (Faschingbauer et al. 2017). In der Knieendoprothetik wird Polyethylen als Gleitpartner der femoralen Komponente verwendet. Polyethylen ist ein Vinylpolymer, welches aus Ethylenmonomeren besteht. Liegen die Polyethylenketten ohne Verzweigungen vor, so spricht man von linearem Polyethylen oder HDPE (high density polyethylene). Lineares Polyethylen wird mit Molekulargewichten zwischen 200.000 und 500.000 g/mol hergestellt. Wird das Molekulargewicht weiter erhöht (3–6 Mio. g/mol), erhält man ultra-high molecular weight polyethylene (UHMWPE). Auf Grund seiner glatten Oberfläche und der geringen Friktionskräfte mit anderen Materialen ist es ein idealer Artikulationspartner in der Endoprothetik. Beim Polymerisationsprozess von Ethylengas fällt UHMWPE in Pulverform aus und kann anschließend unter hohem Druck oberhalb des Schmelzpunktes mittels eines Fließpressverfahrens geformt werden. Tibiale Onlays werden entweder aus UHMWPE-Blöcken maschinell hergestellt oder man verwendet das oben genannte
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UHMWPE-Pulver, um es direkt in die endgültige Form zu pressen (Bloebaum et al. 1991). Bei der Sterilisation von UHMWPE kann sich die Materialeigenschaft gravierend verändern. Typischerweise wird konventionelles UHMWPE mittels Ethylenoxidgas oder Gamma-Strahlung aus einer Kobaltquelle (25–40 kGy) sterilisiert. Gerade beim letzteren Verfahren entstehen auf Grund der hohen Energie freie Radikale, welche molekulare Kettenbrüche und Oxidationen des Materials, das sog. Altern (Aging), erzeugen. Dieses führt zu Materialveränderungen im Sinne einer reduzierten Dauerfestigkeit unterhalb der Oberfläche (0,5–2 mm, „white bands“). Wird dieses Material normal belastet, so werden Spitzendrücke in der geschwächten Materialschicht erzeugt, welche zu einem frühzeitigen Verschleiß (Brüche, Delamination) führen (Costa et al. 2002). Daher hat sich der Sterilisationsprozess mittels ionisierter Strahlung in einem inerten Gas, im Vakuum oder in einer Sauerstoff-bindenden Atmosphäre durchgesetzt (Blunn et al. 2002; Costa et al. 2006; Willie et al. 2006). Auf der anderen Seite wird der Prozess der strahlungsinduzierten Kettenbrüche beim Polyethylen genutzt, um hochvernetztes UHMWPE (highly cross-linked PE, HXLPE) herzustellen. Die Entstehung von freien Radikalen und das Initiieren des Oxidationsprozesses wird hierbei durch eine zusätzliche thermische Bearbeitung verhindert, sodass oben genannte Negativfolgen nicht entstehen sollen (Medel et al. 2007; Puertolas et al. 2006). Die thermische Behandlung verlangsamt den Oxidationsprozess, geht jedoch mit reduzierten mechanischen Eigenschaften verglichen mit konventionellem HDPE einher (Greenwald et al. 2001). Das beste Gleichgewicht zwischen verbesserter Vernetzung und geringeren mechanischen Eigenschaften erreicht man durch eine Erhöhung der Bestrahlung auf 50–100 kGy (Greenwald et al. 2001). Neuere Techniken bei der Herstellung und Verarbeitung von HXLPE, wie sequenzielle Bestrahlung, thermisches oder mechanisches Tempern und Stabilisierung durch Oxidation unter Zusatz von Antioxidationsmitteln wie Vitamin E oder solchen im Festkörperzustand, haben vielversprechende Ergebnisse bei
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M. Faschingbauer und H. Reichel
der Verringerung der mechanischen Folgen gezeigt (Jacofsky 2008). Die derzeitige Herstellung und Verarbeitung von HXLPE der 2. Generation variiert jedoch stark zwischen den produzierenden Unternehmen in der Vorverarbeitung, der Strahlendosis, der Antioxidationsbehandlung, der thermischen Behandlung, dem Sterilisationsverfahren und der Verpackung nach der Verarbeitung (Brown et al. 2017). Das australische Endoprothesenregister zeigt einen Anstieg in der Verwendung von HXLPE von 7,1 % im Jahr 2003 auf 67 % im Jahr 2019 (https://aoanjrr.sahmri.com).
2
Implantatdesigns
In Deutschland wurde laut statistischem Bundesamt (www.destatis.de) im Jahr 2019 die Implantation einer Endoprothese am Kniegelenk in 193.759 Fällen durchgeführt (OPS-Code 5-822), aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung ist die Tendenz weiter stark zunehmend. So prognostizieren Sloan et al. (Sloan et al. 2018) einen Anstieg der Primärimplantationen in den USA bis 2030 um 85 % auf 1,26 Mio. Die primäre Gonarthrose stellt mit fast 90 % die Hauptindikation dar, in 7–12 % der Prothesenimplantationen handelt es sich um Revisionseingriffe. Hierbei werden unterschiedliche Prothesentypen implantiert, die je nach Schweregrad und Ausbreitung der Gonarthrose sowie unter Berücksichtigung der Bandstabilität des zu versorgenden Kniegelenkes ausgewählt werden: • unikondyläre Knieprothesen, • bikondyläre Oberflächenersatzprothesen mit und ohne Patellarückflächenersatz, • teilgekoppelte Knieprothesen, • gekoppelte Implantatsysteme („rotating“, „fixed hinge“). Ferner kann man vollzementierte Knieprothesen (94,5 %) von unzementierten Prothesen (1 %) und hybrid zementierten Prothesen (4,3 %) unterscheiden (Jahresbericht 2020, Deutsches Prothesenregister, EPRD).
2.1
Unikondyla¨re Knieprothesen
Mit einer unikondylären Knieprothese wird das mediale oder laterale tibiofemorale Kompartment ersetzt, wenn offensichtlich nur eine Seite des Gelenkes durch den Arthroseprozess betroffen ist. Theoretisch sollen unikondyläre Prothesen durch Erhaltung beider Kreuzbänder und nur geringer Schädigung der kapsulären Strukturen die normale Kinematik, Propriozeption und Stabilität des Gelenkes erhalten. Die Ursprünge der unikondylären Prothesen gehen auf Marmor und Engelbrecht zurück, die Anfang der 1970er-Jahre ihre Prothesen vorstellten (Marmor, St. Georg) (Engelbrecht und Zippel 1973; Marmor 1973). Jedoch waren Sinterungen der Komponenten mit frühzeitigen Lockerungen und hohe Polyethylenabriebraten noch nicht gelöste Probleme, sodass unterschiedliche Entwicklungsansätze (breitere Komponenten, „flat-on-flat“-Design) verfolgt wurden. Leider waren die frühen Ergebnisse dieses Verfahrens sehr kontrovers, sodass sich unikondyläre Prothesen nicht flächendeckend durchsetzten. Als Hauptgründe für ein frühzeitiges Versagen der unikondylären Prothesen konnten das Implantatdesign, die operative Technik und die Patientenauswahl identifiziert werden (Blunn et al. 1992; Marmor 1988; Riebel et al. 1995). Eine wesentliche Neuerung stellten Goodfellow und Kollegen mit dem Oxford Meniscal Bearing System vor (Goodfellow et al. 1987). Durch eine erhöhte Passform zwischen der femoralen Komponente und dem tibialen Insert wurden einerseits Scherkräfte am Polyethylen und somit Abrieb reduziert, andererseits wurden durch die Beweglichkeit des Inserts auf der tibialen Basis mögliche Probleme einer Zwangsführung („constraint“) wie frühzeitige Lockerungen vermieden. In den letzten Jahren haben die unikondylären Prothesen eine deutliche Renaissance durch aktuelle Publikationen erfahren, die ähnlich gute Langzeitergebnisse wie beim Oberflächenersatz bestätigten (Kennedy et al. 2018; Walker et al. 2018). Bei aktuellen Designs sind die Komponenten mit Ankerstiften, einem Kiel und einer rauen Oberfläche zur verbesserten Fixierung versehen. Die Prothesenkomponenten sind in unterschiedlichen Größen verfügbar, sodass eine individuelle
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
Anpassung an die entsprechenden Dimensionen des zu versorgenden Kniegelenkes erfolgen kann. Hierbei wird durch die Instrumentarien nur soviel Knochen entfernt, wie durch die Komponenten ersetzt wird. Eine Veränderung oder Korrektur der Achsverhältnisse soll explizit ausgeschlossen werden. Auch die Polyethylendicke variiert entsprechend der verbleibenden Weite in Beugung und vollständiger Extension. Es gibt fixierte und mobile Polyethylen-Inserts, wobei das Dislokationsrisiko bei Letzteren nicht unbeachtet bleiben sollte. Die vollzementierte Versorgung wird bevorzugt (Abb. 1), da bei den zementfreien Systemen Sinterungen der Komponenten und frühzeitige Lockerungen beobachtet wurden (Argenson und Parratte 2006; Gleeson et al. 2004; Lewold et al. 1995). In verschiedenen Langzeitstudien wurden Überlebensraten der unikondylären Prothesen nach mehr als 10 Jahren zwischen 84 % und 98 % beschrieben (Tab. 1). Dem widersprechen unabhängige Aufarbeitungen der Ergebnisse, wie z. B. in den skandinavischen Prothesenregistern, wo deutlich reduzierte Überlebensraten verschiedener unikondylärer Prothesen beschrieben wurden (Koskinen et al. 2007; Lewold et al. 1995). In den genannten Langzeitstudien wurde mehrheitlich das mediale Kompartment versorgt. Neben der anteromedialen Gonarthrose ist der Morbus Ahlbäck ebenfalls eine valide Indikation zur unikondylären Versorgung (Ollivier et al. 2018). Die Aufarbeitung der Ergebnisse der lateralen Versorgungen zeigte ein kontroverses Bild mit reduzierten Überlebensraten. Insbesondere bei Verwendung einer Mobile-bearing-Prothese zeigten sich lateral erhöhte Dislokationsraten des Inlays (Deshmukh und Scott 2001; Ollivier et al. 2014).
2.2
Oberfla¨chenersatzprothesen
Eines der ersten bikondylären Prothesensysteme wurde von dem britischen Orthopäden Michael Freeman (1931–2017) und dem britischen Ingenieur Alan Swanson entwickelt (Freeman et al. 2003). Die Prothese, die später auch unter der Bezeichnung ICLH-Prothese (Imperial College
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of Science and Technology in London Hospital) firmierte, bedurfte einer Entfernung beider Kreuzbänder, um ausgeprägte Defekte zu korrigieren und um die Kontaktfläche zu vergrößern. Die native Kniekinematik konnte dabei nur sehr rudimentär nachgebildet werden. Freeman war nicht nur Entwickler einer der ersten modernen Knieprothesen, sondern führte auch die Idee der gleichen und parallelen Extensions- und Flexionsräume ein, die später durch den britischen Orthopäden John Insall (1930–2000) als sog. Flexionsspalt („flexion-gap“) und Extensionsspalt („extension-gap“) Einzug in die Terminologie der Knieendoprothetik fanden (Insall et al. 1985). Außerdem schuf Freeman mit seinen Erläuterungen zur Bandspannung und zum WeichteilRelease einen weiteren Meilenstein der Knieendoprothetik (Freeman et al. 2003). Ungefähr zur gleichen Zeit entwickelten Ärzte des Hospital for Special Surgery (HSS) in New York ein weiteres bikondyläres Prothesensystem (Wilson und Levine 2000). Das sog. „duocondylar knee“ hatte kein anteriores Femurschild, erhielt während der Operation beide Kreuzbänder und bestand aus zwei separaten Tibiakomponenten (medial und lateral). Im Jahr 1974 kam es zu einer Weiterentwicklung mit der Bezeichnung „total condylar (TC) knee“ (Walker et al. 2003). Diese Entwicklung, die sich durch stabilere Komponenten, eine komplette Abdeckung der Kondylen, einen möglichen Ersatz des patellofemoralen Gelenkes, eine verbesserte Fixierung des „all-polyethylen“-Tibiaersatzes durch die Einführung eines tibialen Zapfens sowie eine bessere Geometrie der Kontaktflächen im femorotibialen Gelenk (Round-on-round-Prinzip, Abb. 2) auszeichnete, erwies sich als die erste weltweit erfolgreiche und in tausendfacher Zahl implantierte Prothese. Weitere Entwicklungen der HSSGruppe um Insall und den aus Indien stammenden Orthopäden Chitranjan S. Ranawat stellten das TC III (1976) und das „Insall-Burstein knee“ (1978) dar, wobei das „Insall-Burstein knee“ die erste posterior stabilisierende Knie-Totalendoprothese (PS-Knie) war. Das TC III und das Insall-Burstein-Knie waren mit die ersten Prothesentypen, die tibial eine metallische Basisplatte aufwiesen und mit einem Polyethylen-Inlay ver-
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M. Faschingbauer und H. Reichel
Abb. 1 a, b Mediale zementierte unikondyläre Endoprothese. (Oxford III mobile-bearing, Zimmer Biomet)
sehen waren. Unter Ranawats Leitung wurde das TC-Knie zum „Press Fit Condylar (PFC) Modular knee“ und „Press Fit Condylar Sigma knee“ (Depuy, Johnson & Johnson, Warsaw, Ind., USA) weiterentwickelt (Title et al. 2001). Unter dem Einfluss von Insall und dem US-amerikanischen Ingenieur Albert H. Burstein wurde das InsallBurstein-Knie fortentwickelt und mündete in die Designvarianten des Insall-Burstein II (Indelli et al. 2002), des „Optetrak Posterior-Stabilized knee“ (Ehrhardt et al. 2011) und des „Advance
Posterior-Stabilized knee“ (Wright Medical 1994). Neben diesen Gruppen um Freeman, Insall und Ranawat gab es weitere Forschergruppen, welche die Grundidee einer „funktionellen“ Kniearthroplastik mit symmetrischen Extensions- und Flexionsspalten und weichteiligem Balancing verfolgten. Hier sind in erster Linie zu nennen: Averill und Khowayla (Geometric Knee, Howmedica), Coventry, Riley, Finerman, Turner und Upshaw (Geomedic Knee, Howmedica) (Coventry et al. 1972) mit Weiterentwicklungen bis hin zum „Mil-
Tab. 1 Langzeitstudien zu unikondylären Prothesen Autor Alnachoukati et al. (2018) Mohammad et al. (2018) Parratte et al. (2012)
Prothese Oxford
Anzahl 825
Follow-up 6–12
Überlebensrate (95 % CI) 10 Jahre – 90 % (89–91)
8658 75
10 and 15 20
10 Jahre – 93 %, 15 J.-89 % 20 Jahre – 83 % (74–92)
O’Donnell und Neil (2010) O’Rourke et al. (2005)
Oxford MillerGalante Repicci
114
5,2–9
9 Jahre – 78 %
Marmor
136
20–25
Bert (1998) Ansari et al. (1997) Cartier et al. (1996)
Biomet St. Georg Marmor
95 437 60
9–12 1–17 10–18
20 Jahre – 84 % (76–92), 25 Jahre – 72 % (58–95) 10 Jahre – 87 % 10 Jahre – 88 % (81–93) 10 Jahre – 93 % (81–100)
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
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Abb. 2 Designunterschiede von Oberflächenendoprothesen mit schematisierter Darstellung der Polyethylenbelastung. Oben: hohe Formschlüssigkeit mit gewisser Zwangsführung (Round-on-round-Prinzip, z. B. Total-Condylar-Knie). Mitte: geringe Formschlüssigkeit mit kleinflächiger Polyethylenbe-
lastung (Flat-on-flat-Prinzip, Standard-Inlay vieler aktueller Oberflächenendoprothesen). Unten: hohe Formschlüssigkeit bei mobiler Plattform. („round-on-round with mobile bearing“, z. B. LCS; aus (Wirtz 2011))
ler Galante II knee“ und „Nexgen knee“ von Zimmer (Warsaw, Indiana, USA), Eftekhar (erste metallische Tibia mit Tibiastem (Eftekhar 1978), unterschiedliche Dicken des Inlays (Eftekhar 1983), verbesserte axiale Rotation bis 40 ), Murray (Möglichkeit des Inlay-Wechsels bei AbriebProblematik) oder Buechel und Pappas („Low Con-
tact Stress“-Knie im „mobile-bearing“-Design) (Buechel und Pappas 1989). Neben der „funktionellen“ Ausrichtung gab es eine parallele Entwicklungsrichtung, die unter einem „anatomischen“ Gesichtspunkt zusammengefasst werden kann. Das erste anatomische Knie wurde von Kodama in Japan im Jahr 1968 im-
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plantiert (Yamamoto 1979). Es war ebenfalls ein „total condylar knee“ mit femoralem anterioren Schild. Dies war ein Versuch, die Anatomie des distalen Femurs nachzubilden. Außerdem besaß dieses Knie ein geringes Maß an Zwangsführung („constrained“) bei einer „all-poly“-Tibiakomponente, die eine zentrale Aussparung besaß, um beide Kreuzbänder erhalten zu können. Anfänglich wurde das Knie ohne Zement implantiert. Die Weiterentwicklungen firmierten zunächst unter den Namen „Mark I“ bis „Mark III“ (Yamamoto 1979) und sind seit 1997 unter dem Namen „New Yamamoto Micro-Fit knee“ bekannt. Waugh und Smith entwickelten ebenfalls relativ früh ein anatomisches Knie, das sog. UCI-Knie (University of California, Irvine): Hierbei wurden nach biomechanischen Studien in der Sagittalebene multiple Radii verwendet, um den natürlichen Sagittalschnitt des distalen Femurs nachzuahmen. Das koronare Alignment der Femurkomponente wurde anhand von Leichenkniegelenken nachgebaut. Die Tibiakomponente bestand aus Aluminium und wurde von Waugh als „Sombrero“-Form bezeichnet, wobei der hintere und zentrale Anteil ausgespart blieb, um einen Erhalt beider Kreuzbänder zu erreichen. Ein anteriores Femurschild besaß die Prothese nicht. Neben dem Erhalt beider Kreuzbänder zeichnete sich die Endoprothese durch eine nahezu uneingeschränkte Rotation aus. Die Prothese wurde das erste Mal 1972 in Kalifornien implantiert (Waugh et al. 1973). Das UCI-Knie stellte das erste zementierte, Kreuzband-erhaltende und mit einer minimalen Zwangsführung ausgestattete künstliche Kniegelenk dar. Wright Medical, die Firma, welche die Prototypen von Waugh und Smith zur Serienreife brachte, entwickelte mit Gustilo das UCI weiter (sog. „Gustilo“- und „R.A.M.“-Knie). Gustilo war schlussendlich auch maßgeblich an den Entwicklungen der Kniesysteme „Genesis I“ und „Genesis II“ der Firma Smith & Nephew beteiligt. Townley (Townley 2005) entwickelte neben Seedhom (siehe unten) unabhängig von diesem das erste zementierte, Kreuzband-erhaltende, trikompartimentelle Kniesystem. Auch Townley orientierte sich an der Anatomie und versuchte seine Implantate anhand von Leichenpräparaten nachzubauen. So wollte er ursprünglich asym-
M. Faschingbauer und H. Reichel
metrische femorale Kondylen und ein asymmetrisches anteriores Femurschild reproduzieren, musste jedoch beides aufgrund von Fertigungsproblemen verwerfen. Nichtsdestotrotz zeigte das „anatomical knee“ (Fa. Depuy) von Townley folgende Neuerungen: die Möglichkeit eines Patellarückflächenersatzes; die Femurkomponente zeigte keine große Kongruenz mit dem Tibiaplateau; das Tibiaplateau versuchte die zu resezierenden Menisci nachzuempfinden; beide Kreuzbänder wurden erhalten; die Prothese zeigte in mediolateraler Ausrichtung einen größeren Radius als anteroposterior; die Prothese war in drei verschiedenen Größen erhältlich. Insgesamt wurde die von Townley konzipierte Prothese aufgrund der hohen Patientenzufriedenheit und der Standzeiten zwischen 1970 und 2000 nur unwesentlich verändert. Des Weiteren wurde das Anatomical-Knie zum Vorbild einer Vielzahl weiterer Kniesysteme (unter anderem „synatomic knee“ und AMK-Knie, beide von der Firma Depuy; Cloutier-Knie der Firma Zimmer; AGC und Maxim von Biomet; Orthomet und Orthomet-plus von Orthomet; Axiom-Knie der Firma Wright Medical; „natural knee“ und „natural knee II“ von Centerpulse; PCA und Duracon von Howmedica). Wie bereits weiter oben erwähnt, entwickelte Seedhom unabhängig von Townley ein weiteres trikompartimentelles, Kreuzband-erhaltendes, anatomisches Kniesystem, das sog. Leeds-Knie (Seedhom et al. 1973). Die Kondylen waren asymmetrisch und zeigten eine spiralförmige Geometrie; die Innenseiten der femoralen Komponente waren rund, um möglichst knochensparend arbeiten zu können. Die Tibiakomponente bestand aus einem singulären Polyethylenstück, das nach Erwärmen durch einen femoralen Negativabdruck geformt wurde. Obwohl das Leeds-Knie gute Ergebnisse zeigte, konnte es sich am Markt nicht durchsetzen. Neben Kreuzband-erhaltenden Systemen entwickelten die Ärzte des HSS ihr „duocondylar knee“ ebenfalls in eine „anatomische“ Richtung weiter, wobei hier nur das hintere Kreuzband erhalten blieb. Das „duopatellar knee“ hatte eine symmetrische Femurkomponente inklusive eines anterioren Schilds und die Möglichkeit eines Pa-
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
tellarückflächenersatzes; die Tibiakomponente war anfangs zweigeteilt, bald gab es aber eine einzelne Tibiakomponente, die ähnlich dem TC-Knie von Walker einen tibialen Peg aufwies. Die Tibiakomponente besaß eine posteriore Aussparung, die den Erhalt des hinteren Kreuzbandes ermöglichte. Das Resezieren des vorderen Kreuzbandes stellte eine Abkehr vom bis dahin propagierten, anatomischen Zugang dar. Das „duopatellar knee“ wurde ebenfalls wie das TC-Knie erstmals 1974 im HSS implantiert. Der damalige Surgeon-in-Chief Philip D. Wilson Jr. wollte, dass beide Herangehensweisen (TC-Knie als funktionelle Variante nach Insall und Duopatella-Knie als anatomische Variante nach Ranawat) im HSS durchgeführt wurden. In den Händen von Ranawat und Inglis zeigte das Duopatella-Knie sehr gute Ergebnisse. Das Kniesystem wurde vor allem bei Patienten mit rheumatoider Arthritis verwendet. Aufgrund der aufwendigeren OPTechnik mit eventuell höheren Revisionsraten wurde der anatomische Ansatz am HSS wieder aufgegeben. Nichtsdestotrotz wurde über persönliche Kommunikation und Erfahrungsaustausch das von Ranawat 1974 in Boston vorgestellte Duopatella-Knie ebendort weiterentwickelt. Die Operateure am Robert B. Brigham-Krankenhaus passten das Design der Prothese weiter an (Entfernung der medialen Spitze des femoralen Schildes, asymmetrisches Design). Später entstanden aus dem Duopatella-Knie, wie bereits oben erwähnt, das hintere Kreuzband-erhaltende PFCModular-Knie der Firma Depuy und die hinteren Kreuzband-erhaltenden Kniesysteme Kinematic, Kinematic II, Kinemax und Kinemax plus der Firma Howmedica. Diese Prothesentypen, die in den 80er-Jahren vermehrt eingesetzt wurden, verwendeten ein sog. Flat-on-flat-Design (weniger Konkavität des Tibiaplateaus). Diese Designphilosophie findet sich bei den meisten aktuellen Prothesensystemen und hat in vielen Langzeitstudien gute Ergebnisse gezeigt (Tab. 2). Der geringere Formschluss der Artikulation führte zu Verbesserungen in der Kinematik. Eine Problemzone ist jedoch der nur kleinflächige Kontakt zwischen gering kurvierter Femurkomponente und annähernd flachem Tibiaplateau, der eine hohe punktförmige Polyethylenbelastung zur Folge hat
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(Blunn et al. 1991). Die punktförmige Belastung kann durch eine Erhöhung der Kongruenz des Artikulationsmechanismus (Rückkehr zum Roundin-round-Prinzip) erreicht werden, welches aber wieder erhöhte Beanspruchungen am Polyethylen bzw. an der Prothesenverankerung zur Folge hat. Als mögliche Lösungsansätze wurde ein Roundon-flat-Prinzip verfolgt und Prothesen mit rotierenden Plattformen oder Meniskuslagern wurden entwickelt (Buechel und Pappas 1986). Diese Systeme haben eine zehnmal größere Kontaktfläche mit entsprechender Reduktion der punktförmigen Polyethylenbelastung. Durch die mobilen Plattformen können bei der Roll-Gleit-Bewegung auch Rotations- und Schubkräfte aufgenommen werden. Interessanterweise bieten einige Prothesensysteme weiterhin fixierte ultrakongruente oder „deep-dished“ Polyethyleninlays an. Das Design entspricht der ursprünglichen Total-Condylar-Prothese, die sagittale Stabilität wird nur durch die Konkavität der Plattform garantiert. Beim Vergleich von „deep-dished“ und „posterior-stabilized“ Plattformen beim gleichen Prothesensystem fand Laskin keine Unterschiede bezüglich Bewegungsausmaß, Funktionalität und Schmerzreduktion. Er betonte die Bedeutung eines adäquaten Weichteilbalancings zur Erstellung symmetrischer Beuge- und Extensionsspalten, welches ein genügend großes Bewegungsausmaß ohne hinteres Impingement ermöglichte (Laskin 2001). Bis zum heutigen Tage konnte in der Knieendoprothetik eine „normale“ Kinematik des ersetzen Gelenkes nicht erreicht werden. Obwohl wesentliche Veränderungen des Designs der Prothesen in den letzten Jahren nicht beobachtet wurden, wird eine Verbesserung der Kinematik weiterhin angestrebt. Aktuelle Entwicklungen beinhalten Veränderungen der Femurgeometrie und tibialen Konformität, einhergehend mit Modifikationen des hinteren Stabilisierungsmechanismus („cam-and-post geometry“). Ziel ist es, das atypische Roll-back des Femurs auf dem Tibiaplateau in ein natürlicheres Roll-back zu überführen. Ursprünglich hatte der Nocken-Zapfen-Mechanismus der posterior-stabilized Prothesen eine symmetrische rechteckige Form und ermöglichte ein gleichmäßiges Roll-back. Durch Veränderung der Geometrie und Verwendung eines konischen Sta-
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M. Faschingbauer und H. Reichel
Tab. 2 Langzeitstudien zu Oberflächenersatzprothesen Autor Powell et al. (2018)
Arikupurathu et al. (2018) McCalden et al. (2017) Vessely et al. (2006) Buechel (2002)
Ritter et al. (2016) Laskin (2001) Sextro et al. (2001) Berger et al. (2001) Hofmann et al. (2001) Rodriguez et al. (2001) Pavone et al. (2001) Diduch et al. (1997)
Prothese PFC – rotating plattform PFC – fixed bearing NexGen
Anzahl 190
Follow-up (in Jahren) 10–14
621
14
14 Jahre – 96,5 %
Genesis II
469
15–20
15 Jahre – 96,4 % (95,5–97,3)
PFC LCS – meniscal bearing LCS – rotating plattform AGC
1000 140 169
14–18 10–20 10–20
15 Jahre – 97 % (95–98) 16 Jahre – 83,0 % (16–100) 18 Jahre – 98,3 % (73–100)
5649
25–30
Genesis I Kinematic Miller-Galante I Miller-Galante II Natural Knee
100 168 172 109 300
10–12 14–20 8–15 8–10 10–14
5 Jahre – 98,9 %, 25 Jahre – 94,2 %, 30 J.- 92,4 % 10 Jahre – 96 % 15 Jahre – 88,7 % (82–95) 10 Jahre – 84,1 % 10 Jahre – 100 % 10 Jahre – 95,1 % (90–97)
Total Condylar
220
18–22
20 Jahre – 85 %
Total Condylar Total Condylar (PS.)
120 114
17–23 3–18
23 Jahre – 94 % 18 Jahre – 94 % (63–100)
bilisierungsmechanismus wird mehr femorales Roll-back auf der lateralen Seite erzeugt. Zusätzlich wird der Slope im lateralen Kompartment erhöht, sodass das Femur während der Flexion über dem lateralen Plateau nach hinten gleiten kann (Walker 2001; Walker und Sathasivam 2000). Die Geometrie des Inlays wird dabei so verändert, dass die laterale Gleitfläche konvex (dem natürlichen Kniegelenk nachempfunden) gestaltet wird und die mediale Gleitfläche konkav verbleibt („guided motion“) (Harris et al. 2018). Neben einem verbessertem Roll-back versuchen moderne Implantate die nach medial abfallende Gelenklinie zu imitieren. Durch all diese Veränderungen sollen natürlichere kinematische Bewegungen erzielt und dadurch eine höhere Patientenzufriedenheit erreicht werden, die sich auch in klinischen Scores widerspiegeln soll (Sanz-Ruiz et al. 2016). Andere Designs versuchen, über eine veränderte, anatomische Trochlea (Ranawat et al. 2017) und ein asymmetrisches Patellaonlay die
Überlebensrate (95 % CI) 14 Jahre – 95,2 % (90,7–99,8) 14 Jahre – 94,7 % (86,8–100)
Rate an vorderem Knieschmerz zu reduzieren und dadurch die Patientenzufriedenheit zu erhöhen. Mit anderen, neuesten Designs und dem Erhalt beider Kreuzbänder soll versucht werden, die Kniekinematik noch natürlicher zu gestalten. Klinische Outcome-Studien mit diesen neuen Implantaten liegen noch nicht vor, biomechanische Studien lassen jedoch vermuten, dass das gewünschte Ergebnis der verbesserten Kinematik auch durch die Beibehaltung beider Kreuzbänder nicht bei allen Patienten gelingen kann (Arauz et al. 2018a, b).
2.3
Teilgekoppelte Knieprothesen
Die ursprüngliche Constrained-Condylar-Knieprothese (CCK) wurde von Insall und Kollegen entwickelt (Donaldson et al. 1988). Sie basierte auf dem Posterior-stabilized-Design und verfügte über einen entsprechend vergrößerten zentralen
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
Zapfen des Inlays, der mit einer vergrößerten femoralen Box artikulierte. Der verlängerte Zapfen stützte sich an den Wänden der Box ab und erzeugte damit die Varus-Valgus-Stabilität. Sonst funktionierte die Prothese wie ein posteriorstabilisierendes Design und wurde hauptsächlich bei vermehrten Instabilitäten eingesetzt, die alternativ nur mit einer gekoppelten Prothese zu versorgen gewesen wären. Eine Hyperextension wurde durch das CCK nicht verhindert, sodass es bei einer Rekurvatumproblematik nicht eingesetzt werden konnte. Im Original wurden die femoralen und tibialen Verankerungsschäfte zementiert, im Rahmen der Weiterentwicklung kamen modulare Schäfte mit der Möglichkeit zur Pressfit-Verankerung hinzu. Das Indikationsspektrum heutiger CCK-Systeme beinhaltet hauptsächlich Revisionsoperationen bei Instabilitäten sowie primäre Versorgungen bei ausgeprägten Valgusdeformitäten mit medialen Kollateralbandinsuffizienzen (Abb. 3). Die erhöhte Stabilität dieses Designs kann natürlich Scherkräfte erzeugen, die an die Implantatverankerung weitergeleitet werden und somit zu häufigen Lockerungen führen können, ähnlich wie bei den Scharnierprothesen. Dieses potenzielle Risiko konnte bislang nicht bestätigt werden. Cholewinski zeigte Überlebensraten dieser Implantate von 98 % nach 10 Jahren (Cholewinski et al. 2015), ähnliche Zahlen lieferten Maynard et al. (Maynard et al. 2014) mit einem Prothesenüberleben von 97,6 % (CI 95 %, 94–100) nach ebenfalls 10 Jahren. Anderson et al. befürworteten die Routineverwendung von Constrained-Condylar-Komponenten bei der Versorgung komplexer Primärsituationen mit hochgradigen Deformitäten und Instabilitäten und hinterfragten die Notwendigkeit für eine langstreckige Schaftverankerung der Komponenten (Anderson et al. 2007). Moussa et al. zeigten ebenfalls keinen Unterschied in der Revisionsrate aufgrund von aseptischer Lockerung bei CCK-Systemen mit oder ohne Stem-Verlängerung (Moussa et al. 2017). Eine teilgekoppelte Versorgung ist mit den meisten modernen Knieprothesen-Systemen möglich, sodass der Operateur intraoperativ anhand der festgestellten Instabilität den Stabilisierungsgrad der Komponenten festlegen kann.
75
2.4
Rotating- und Fixed-Hinge-Implantatsysteme
Die Vorgänger der heute verfügbaren achsgeführten Totalendoprothesen waren Schaniergelenke mit nur einem Freiheitsgrad der Bewegung und starrer lasttragender Achse (Shiers 1954; Walldius 1957). Die unphysiologische Kinematik sowie der Metall-Metall-Kontakt führten zu erhöhten Belastungen der Verankerung sowie hohen Lockerungs-, Infektions- und Bruchraten (Phillips und Taylor 1975). Auch die Weiterentwicklungen (Guepar, Spherocentric) wiesen weiterhin mechanische Probleme und hohe Infektionsraten auf (Jaffe et al. 1982; Matthews et al. 1986). Später eingeführte achsgeführte Prothesen („kinematic rotating hinge“, St. Georg Rotationsknie, GSB) besaßen wandernde Achsen oder Kompromissachsen im physiologischen Drehpunktbereich mit wesentlichen mechanischen Vorteilen gegenüber der tragenden Achse. Die axiale Kraftübertragung erfolgte über die Artikulationsflächen, seitlich einwirkende Kräfte wurden von den Koppelungskomponenten der Prothese und nicht vom Kapsel-Band-Apparat des Kniegelenkes aufgenommen. Dies garantierte eine sichere Achsführung auch in extrem defizitären Bandsituationen, hatte aber den Nachteil der hohen Belastung des Prothesengelenkes und der Verankerung im Knochen. Eine fehlende oder geringe Rotationsmöglichkeit des Kopplungsteiles erhöhte die Grenzflächenbelastung noch zusätzlich. Des Weiteren erschwerten langstreckige Zementverankerungen und interkondyläre Knochendefekte der gekoppelten Prothesen die Rückzugsmöglichkeiten im Revisionsfall. Die Studienlage bestätigte hohe Komplikationsraten durch Infektionen, Implantatbrüche und Patellaprobleme (Kester et al. 1988; Nieder 1991; Rand et al. 1987; Sprenger und Doerzbacher 2002; Steckel et al. 2005). Moderne Rotating-Hinge-Prothesen (S-ROM Modular Knee, NexGen RHK, Stryker MRH, Legion Hinge Knee) verfügen über eine verbesserte Kinematik. Der Koppelungsmechanismus wird nur noch an der femoralen Komponente gesichert und ein langer Zapfen wird frei beweglich in die tibiale Komponente eingeführt, sodass die Möglichkeit zur Rotation im gesamten Bewegungs-
76
Abb. 3 Interkondylär stabilisierende Knieendoprothese (Legion Constrained, Smith & Nephew). Der rechteckige Polyethylenzapfen greift annähernd formschlüssig in die interkondyläre Box der Femurkomponente ein und erzeugt eine Varus-Valgus-Stabilisierung. Der hintere Steg der Femurkomponente erzeugt mit der vorderen Wand der Box eine zusätzliche Anterior-posterior-Stabilisierung. (Aus (Wirtz 2011))
umfang gegeben ist. Diese Modifikationen führten insbesondere zur Reduktion von Scherkräften und zu reduzierten Belastungen an den ImplantatKnochen-Grenzen. Zusätzlich stehen für die Verankerung zementfreie Press-fit-Schäfte zur Verfügung. Auch die notwendigen Knochenresektionen, insbesondere interkondylär, wurden mit der letzten Generation der Rotating-HingeProthesen reduziert (Abb. 4). In der Primärendoprothetik des Kniegelenkes sind Rotating-Hinge-Prothesen nur selten indiziert. Sie werden nur bei schweren Gonarthrosen (> 35 Varus, > 25 Valgus) mit insuffizientem, nicht rekonstruierbarem Bandapparat sowie bei Subluxationen, insbesondere bei Rheumatikern, eingesetzt. Das Hauptindikationsspektrum liegt
M. Faschingbauer und H. Reichel
in der Revisionsendoprothetik, damit Kniegelenke mit ausgedehnten Knochendefekten mit Beteiligung der Kollateralbänder oder Insuffizienz des Extensionsmechanismus behandelt werden können. Die bislang verfügbaren kurz- bis mittelfristigen Ergebnisse nach 2–10 Jahren bei insgesamt extremen Ausgangssituationen zeigen durchweg hohe Revisions- und Reoperationsraten aufgrund von unter anderem Lockerung oder Infektion. Cottino et al. (Cottino et al. 2017) berichteten über Revisionsraten von 9,7 % nach 2 Jahren und 22,5 % nach 10 Jahren, wobei sich hier die Verwendung von metaphysären Konen positiv auf die Revisionsrate (HR 0,69) auswirkte. Kearns et al. (Kearns et al. 2018) berichteten von einem geschätzten 5-Jahres-Überleben von 70,7 %. Kouk et al. (Kouk et al. 2018) wiesen in einer Literaturübersicht (10 inkludierte Studien) 10-Jahres-Überlebensraten von 51–92,5 % aus. Es sollte dennoch im Revisionsfall prä- und intraoperativ vor der direkten Implantation einer Rotating-Hinge-Prothese überprüft werden, ob die Möglichkeit zur Versorgung mit einem Posterior-stabilized- bzw. Condylar-constrained-Implantat besteht (Gustke 2005) (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation“).
3
Tribologie: „fixed“ oder „mobile bearing“?
Nachdem Anfang bis Mitte der 1970er-Jahre der Oberflächenersatz eingeführt und zunehmend verbreitet wurde, verblieben als nichtgelöste Hauptprobleme Polyethylenabrieb und Lockerungen. Beim Round-on-flat-Design wurden hohe Polyethylenspitzendrücke mit entsprechend vermehrtem Abrieb festgestellt, wohingegen bei Roundon-round-Prothesen erhöhte Scherkräfte entweder am Polyethylen oder an der Verankerung kompensiert werden mussten. Als mögliche Lösung wurden mobile Gleitlager für Knieprothesen vorgeschlagen (Goodfellow und O’Connor 1978). Dieser Ansatz sollte mehrere Vorteile in sich vereinen, wie geringere Kontaktdrücke und weniger Abrieb, geringe Scherkräfte sollten die Lockerungsrate positiv be-
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
Abb. 4 Komponenten einer modernen gekoppelten Knieendoprothese (NexGen Rotating Hinge Knee, Zimmer Biomet). Die Femurkondylen artikulieren lasttragend mit der rotierenden Plattform (hohe Formschlüssigkeit). Der Kopplungsmechanismus wird in der Femurkomponente mit einem Metallbolzen in einem Polyethylenlager fixiert und tibial frei rotierend in die Komponente eingeführt. Modulare Schaftverlängerungen komplettieren die Prothese. (Aus (Wirtz 2011))
einflussen und durch die Selbstausrichtung sollte eine bessere Beweglichkeit und Patellaführung erreicht werden (O’Connor und Goodfellow 1996). Basierend auf der Total-Condylar-Prothese stellten Buechel und Pappas (1986) die Low-Contact-Stress-Prothese (LCS) vor, die entweder mit zwei beweglichen Meniskuslagern oder einer rotierenden Plattform implantiert wurde. Bei der ersten Versorgungsmöglichkeit stellten sich schon frühzeitig Dislokationsprobleme der Me-
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niszi und ein nicht unerheblicher Abrieb ein, sodass sich die rotierende Plattform bis heute durchgesetzt hat (Buechel und Pappas 1989). Weitere Entwicklungen waren eine Verlagerung des Rotationszentrums nach medial und die Einführung eines zusätzlichen Freiheitsgrades der Plattform durch Zulassen einer anterior-posterioren Translation (Walker und Sathasivam 2000). Mittlerweile werden von den meisten Herstellern Knieprothesensysteme mit mobilen Plattformen angeboten. Prinzipiell zeigen mobile Plattformen durch eine erhöhte Konformität der Gleitpartner einen reduzierten Kontaktdruck. Experimentell konnte ein geringerer Abrieb bei mobilen Plattformen im Vergleich zu fixierten Gleitlagern bestätigt werden (McEwen et al. 2001, 2005). Aufgrund der größeren Abriebfläche kann aber auch an der Unterseite nicht unerheblicher Abrieb entstehen (Jones et al. 1999; Parks et al. 1998; Wasielewski et al. 1997), sodass diesbezüglich kein Vorteil beim mobilen Gleitlager gesehen werden kann. Auch klinisch konnte in zahlreichen Studien kein Unterschied im Bewegungsumfang bei beiden Versorgungstypen festgestellt werden (Chaudhry und Goyal 2018; Kim et al. 2018b, c; McMahon et al. 2018; Park et al. 2018). Powell et al. (2018) zeigten jedoch in einer RCT einen geringen Vorteil von mobilen Inlays in Bezug auf den Oxford Knee Score, den SF-12 und den KOOS. Insgesamt kam es jedoch bei der Verwendung von posterior-stabilisierenden Knieprothesen (Aglietti et al. 2005) zu klaren Vorteilen. Eine sehr interessante Langzeitstudie präsentierten Kim et al. (Kim et al. 2018c), die 164 Patienten mit bilateraler Gonarthrose auf einer Seite mit einem fixierten Gleitlager (AMK) und auf der anderen Seite mit einer rotierenden Plattform (LCS) versorgten. Während der gesamten Beobachtungsphase (15–18 Jahre) zeigten sich keine subjektiven klinischen und radiologischen Unterschiede sowie gleiche Revisionsraten. Eine mögliche Reduktion der Lockerungsraten durch Verwendung von mobilen Plattformen konnte nicht abschließend bewiesen werden. Theoretisch führt die Verwendung des mobilen Gleitlagers zur Reduktion von Scherkräften, die bei einer fixierten Plattform an die Implantatver-
78
M. Faschingbauer und H. Reichel
ankerung weitergeleitet werden. Allerdings existieren bislang keine klinischen Daten, die eine geringere Lockerungsrate beweisen (Zeng et al. 2013). Es gibt sogar Hinweise, dass bei aseptischer Lockerung von Prothesen mit mobilen Plattformen häufiger Osteolysen unter den Implantaten zu finden sind (Huang et al. 2002a, b). Als weitere Vorteile von mobilen Gleitlagern werden die Möglichkeiten zur Kompensation einer Implantatmalrotation und Reduktion von patellofemoralen Scherkräften gesehen. Dieses konnte bisher nur in experimentellen Studien gezeigt werden, wobei eine Gesamtmalrotation bis 10 ausgeglichen werden konnte (Cheng et al. 2003; Matsuda und Ishii 2004; Pagnano et al. 2004).
4
Verankerungsprinzipien: zementiert oder zementfrei?
Die Fixierung der Implantate in der Knieendoprothetik mittels Polymethylmethaacrylat-Knochenzement (PMMA) hat sich seit den 1970er-Jahren kontinuierlich durchgesetzt. Hohe Lockerungsraten in den 1980er-Jahren ließen jedoch vermuten, dass unter anderem der PMMAKnochenzement für eine eingeschränkte Langzeitfixierung der Komponenten verantwortlich sein könnte. Daher wurde der Ansatz der zementfreien Implantatverankerung mit porösen Oberflächen oder Oberflächenbeschichtungen aus der Hüftendoprothetik in die Knieendoprothetik übertragen. Leider zeigten erste Implantatanalysen nach Ausbau der Prothesen nur sehr geringe Knochen-Implantat-Verbindungen und diese hauptsächlich im Bereich von Verankerungsschrauben (Cook und Thomas 1991; Ranawat et al. 1986; Vigorita et al. 1993). Spätere Untersuchungen von stabilen Implantaten zeigten einen stabilen Knochen-Implantat-Kontakt von ca. 30 %, sodass die Autoren schlussfolgerten, dass für eine stabile zementfreie Verankerung ein 100prozentiges Anwachsen von Knochen an die poröse Implantatoberfläche nicht notwendig ist (Bloebaum et al. 1992; Sumner et al. 1994).
Zementfreie Implantatsysteme der 1. Generation zeigten schlechte Überlebensraten, wobei hierfür mehrheitlich nicht die Art der Fixierung, sondern andere Gründe wie Lockerungen der Patellakomponenten, Verwendung von dünnen Gleitlagern aus konventionellem PE und Ablösungen der Oberflächenbeschichtungen verantwortlich waren (Knutson et al. 1994; Robertsson et al. 1999). Aufgrund frühzeitiger Lockerungen der tibialen Komponente betonte Whiteside die Notwendigkeit einer möglichst hohen Primärstabilität der Tibiabasisplatte und führte entsprechende Modifikationen am Schaft bei gleichzeitiger Verwendung von mehreren Verankerungsschrauben durch (Whiteside 1994). Bei dieser Verankerung wurden allerdings auch vermehrt subprothetische Osteolysen und Lockerungen gefunden, die möglicherweise auf eine uneingeschränkte Wanderung von PEAbriebpartikeln aus dem Gelenkraum in den tibialen und femoralen Knochen zurückzuführen sind (Chockalingam und Scott 2000; Engh und Ammeen 2001). Diesbezüglich wurden wiederum Vorteile für eine zementierte Versorgung gesehen, da die Zementschicht eine künstliche Barriere für PE-Partikel darstellt. Ein weiterer Vorteil der zementierten Verankerung kann auch die gleichmäßigere Krafteinleitung von der Tibiabasisplatte zum Knochen sein (Bloebaum et al. 1994; Stern et al. 1997). Die verfügbaren klinisch-radiologischen Langzeitstudien zeigen verlässliche Ergebnisse der zementfreien Versorgung bei einigen Prothesentypen nach mehr als 10 Jahren (Karachalios et al. 2018; Napier et al. 2018; Prudhon und Verdier 2017). Newman et al. (2019) beschrieben sogar eine überlegene Überlebensrate mit gleichen OutcomeParameter in einer Meta-Analyse, wobei aber nur 7 Studien eingeschlossen wurden. Es wird anhand der Ergebnislage aber unmissverständlich klar, dass die zementierte Versorgung als Standard anzusehen ist und eine zementfreie Versorgung sich hieran messen muss (Lombardi et al. 2007). Für eine Vielzahl der heute verwendeten Prothesen wurde unabhängig und einheitlich eine verlässliche Langzeitfixierung der
Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme
Komponenten mittels PMMA nachgewiesen (Abschn. 2.2). Modulare Systeme, insbesondere für Revisionsoperationen, verfügen heute über lange Schaftkomponenten für eine metaphysäre bis diaphysäre Verankerung femoral und tibial. Sie werden entweder bei ausgedehnten knöchernen Defekten eingesetzt oder wenn eine zusätzliche Varus-Valgus-Stabilisierung durch die Komponenten erreicht werden soll. Es sind unterschiedliche Fixierungen von der rein zementfreien Press-fit-Versorgung, über die Hybridverankerung (Schaft press-fit, Komponente zementiert) bis zur vollzementierten Versorgung möglich. Bisher hat sich keine grundsätzliche Bevorzugung eines Verankerungsprinzips gezeigt. Die Entscheidung muss im Einzelfall getroffen werden, da sie von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist (Defektgröße, Reimplantation nach septischem Geschehen, Größenvielfalt der Schäfte zur sicheren Press-fit-Verankerung u. a.). Die Tendenz geht bei den Schaftverlängerungen derzeit in Richtung der zementierten Verankerung.
5
Fazit fu¨r die Praxis
Je nach Schweregrad der Gonarthrose stehen uns unterschiedliche Prothesensysteme (unikondyläre Knieprothesen, bikondyläre Oberflächenersatzprothesen mit und ohne Patellarückflächenersatz, teilgekoppelte Implantate als auch gekoppelte Kniegelenk-Implantatsysteme) zur Verfügung. Diese wurden über die Jahrzehnte in Hinblick auf die Materialeigenschaften (CoCrM- oder Titanlegierungen, Polyethyleneigenschaften des Inlays) und Designoptionen weiterentwickelt und garantieren heutzutage sehr hohe Standzeiten über 15–20 Jahre hinaus. Die Verwendung von zementfreien Sleeves und Konen zur axial- und rotationsstabilen Anbindung an die Metaphyse, vor allem tibial, zeigte in neuesten Studien vielversprechende Langzeitergebnisse mit verbesserten Überlebens- und Revisionsraten (Chalmers et al. 2017; Kim et al. 2018a; Potter et al. 2016) (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation“).
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Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks Philipp Bergschmidt, Martin Darowski, Johannes Bonacker, Niklas Leubert, Ma¨ruan Kebbach und Wolfram Mittelmeier
Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2 Numerische Simulation der Gelenkbiomechanik nach endoprothetischem Ersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3 Biomechanische Untersuchungen in situ mittels instrumentierter Knieendoprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4 Biomechanische Aspekte von unikondylären Endoprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5 Biomechanische Aspekte von bikondylären Endoprothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6 Biomechanische Aspekte von teil- und vollgekoppelten Knieendoprothesen . . . 96 7 Biomechanische Aspekte des patellofemoralen Gelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
P. Bergschmidt (*) Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Klinikum Südstadt Rostock, Rostock, Deutschland Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Darowski · M. Kebbach · W. Mittelmeier Orthopädische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; [email protected] J. Bonacker · N. Leubert Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Handchirurgie, Klinikum Südstadt Rostock, Rostock, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_6
85
86
P. Bergschmidt et al. 8 Klinische Ergebnisse als Kennzeichen einer adäquaten Gelenkbiomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 9 Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
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Einleitung
Die Endoprothetik des Kniegelenks hat sich weltweit als operatives Verfahren in der Behandlung der Gonarthrose etabliert. Ziel der Kniegelenkendoprothetik ist neben der Linderung von Schmerzen, die Wiederherstellung der Mobilität und der damit verbundene Gewinn an Lebensqualität. Die rasche Wiederherstellung der Geh- und Belastungsfähigkeit des Gelenkes steht dabei im Vordergrund. Die Häufigkeit von Kniegelenkarthrosen nimmt durch erhöhte Prävalenzraten im Alter und stetig steigende Lebenserwartung der Bevölkerung zu. Bei Patienten jenseits des 60. Lebensjahres besteht eine röntgenbildmorphologische Prävalenz von 20–40 %, von denen ca. 1/3 symptomatisch ist. Weitere, seltenere Ursachen sind Arthritiden, Fehlstellungen, Frakturen oder maligne Erkrankungen (Hemschemeier et al. 2018). Die Fallzahlen der primären Knieendoprothetik in Deutschland zeigen eine steigende Tendenz. Zwischen 2013 und 2017 nahmen die Implantationszahlen um 18,5 % auf 191.272 und im Vergleich zu 2005 um 48,3 % zu (2005: 128.932; Hemschemeier et al. 2018; Statistisches Bundesamt 2018). Hintergrund ist neben dem demografischen Wandel auch die steigende Qualität der Versorgung und die Erlangung eines hohen Maßes an Sicherheit, sodass zunehmend auch jüngere aktive Patienten mit hohen Ansprüchen an die Funktion endoprothetisch versorgt werden (Bergschmidt et al. 2008; Kircher et al. 2007). Der Fallzahlanstieg in der Personengruppe < 60 Jahre zwischen 2005 und 2017 liegt bei 123,6 % (Statistisches Bundesamt 2018). Die Kinematik und Kinetik des natürlichen Kniegelenks zeigen eine hohe Komplexität. Als Drehscharniergelenk besitzt das menschliche Knie insgesamt 6 Freiheitsgrade, davon 3 Verschiebungs(Translation) und 3 Drehbewegungsfreiheitsgrade (Wagner und Schabus 1982):
• Translation zwischen Femur und Tibia in sagittaler Richtung, • Translation zwischen Femur und Tibia in transversaler Richtung, • Rotation um die transversale Achse (Extension/Flexion), • Rotation um die longitudinale Achse (Rotation der Tibia gegen Femur), • Rotation um die sagittale Achse (Varus-/Valguskippung), • Distraktion und Kompression des Kniegelenks in longitudinaler Richtung. Die Hauptbewegungsrichtung, Flexions-/Extensionsbewegung, im Kniegelenk ist von Fick als Roll- und Gleitbewegung der femoralen Kondyle auf der tibialen Gelenkfläche beschrieben worden (Fick 1904). Während der anfänglichen Beugung findet ein reines Rollen statt. Ab einem Beugungswinkel von 20–30° gleiten die Gelenkflächen aufeinander und die Gelenkkontakte, insbesondere am lateralen Tibiaplateau, wandern nach posterior (negatives Rollback), um so den Hebelarm des M. quadriceps femoris zu optimieren. In der Transversalebene zwischen 0° auf 120° kommt es somit zu einer Verschiebung des lateralen Kontaktpunktes um ca. 2 cm nach dorsal, während der mediale etwa unverändert bleibt (Freeman und Pinskerova 2005). Im Gegenzug wird bei endgradiger Streckung durch die Konvexität der lateralen Tibiagelenkfläche automatisch eine Schlussrotation der Tibia um ca. 10° nach außen durchgeführt, welche zu einer Vergrößerung der femorotibialen Kontaktfläche in voller Streckung führt (Kummer 2005; Müller et al. 1982). Eine Beugung ist bis etwa 150° und eine Rotationsbewegung bei gebeugtem Knie von etwa 45–60° möglich. Das Kniegelenk wird bei weitgehend fehlender Knochenführung durch einen aufwendigen Kapsel-Band-Apparat und die umgebende Muskulatur stabilisiert, welches wesentlichen Einfluss auf die Kinematik des Kniegelenks besitzt (Wagner und Schabus 1982).
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
Ein anschauliches Modell des Bewegungsablaufes stellt das überschlagene Gelenkviereck dar (Menschik 1974). Während der Bewegung im Kniegelenk verlagert sich die momentane Drehachse und befindet sich jeweils im Kreuzungspunkt beider Schwingen (vorderes und hinteres Kreuzband). Bei starrem Steg (Femur) und beweglicher Koppel (Tibia) wird die Bewegungsbahn (Kurve) des Kreuzungspunktes als Rastpolkurve bezeichnet (Kummer 2005). Die physiologische Kinematik des Kniegelenks, insbesondere das Zusammenspiel der knöchernen Strukturen mit dem Kapsel-Band-Apparat, ist somit hochkomplex und es bleibt Herausforderung der Endoprothetik, dies bestmöglich nachzubilden. Die Implantation eines künstlichen Gelenkersatzes führt abhängig vom Design jedoch weiterhin zu einer speziellen und veränderten Belastungs- und Bewegungssitutation am Kniegelenk. Aus geometrischen Gründen kann aktuell das natürliche Roll-Gleitverhalten nicht nachgebildet werden, d. h. bei handelsüblichen Knieendoprothesen verschieben sich die Gelenkkontakte nur geringfügig, sodass eine kombinierte Roll-Gleitbewegung mit negativem Roll-back nicht stattfindet. Die Kinematik von ungekoppelten Knieendoprothesen konnte von einigen Arbeitsgruppen (Freeman und Pinskerova 2005; Johal et al. 2005) anhand von MRT-Aufnahmen präzise beschrieben werden. Das Kniegelenk stellt intraoperativ besondere Ansprüche an die Anpassung der Kinematik neben der korrekten dreidimensionalen Einstellung der Achsverhältnisse. Zusätzlich müssen Weichteilverhältnisse sowie propriozeptive Aspekte berücksichtigt werden.
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Numerische Simulation der Gelenkbiomechanik nach endoprothetischem Ersatz
Die Überprüfung der detaillierten Kinematik und Kinetik nach Implantation eines künstlichen Kniegelenks beruht in der Regel auf instrumentierten Ganganalysen und auf In-vivo-Messungen an instrumentierten Knieendoprothesen. Die präklinische Testung des postoperativen Zustandes findet im Modellversuch mittels Kniesimulatoren statt, bei denen überwiegend Standardtests gemäß
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ISO-Norm umgesetzt oder Parameter aus In-vivoMessungen verwendet werden (Grupp et al. 2017; ISO 14243-1:2009; Schwiesau et al. 2014). Die dabei zugrunde liegenden Voraussetzungen bilden Standardbelastungen im Alltag ab. Obwohl Testungen in Kniesimulatoren für die Prüfung von Materialeigenschaften unerlässlich sind, stellt die Dauer der Messungen (ca. 2 Monate bei einer Geschwindigkeit von 1 Hz und 5 Mio. Gangzyklen) eine hohe zeitliche und ökonomische Hürde dar. Weiterhin werden in Kniesimulatoren Standardbewegungen untersucht, bei denen das muskuloskelettale System keine Berücksichtigung findet. In-vivo-Testungen mit instrumentierten Knieendoprothesen sind hingegen durch ethische Grenzen und durch die intraoperativ einmalige Festlegung der Implantationsparameter limitiert. Neben In-vitro- und In-vivo-Messungen bietet die numerische Simulation einen wichtigen Ansatz zur Analyse biomechanischer Fragestellungen in der orthopädischen Chirurgie. Durch unterschiedliche Computermodelle kann, unter Einbindung des muskuloskelettalen Systems, der Einfluss von implantat- und patientenspezifischen Parametern auf die Biomechanik des Kniegelenks analysiert werden. Die numerische Simulation der biomechanischen Beanspruchung einer Knieendoprothese in situ erfordert zunächst eine sinnvolle Modellbildung. Über die Methode des Reverse Engineering werden aus CT/MRT-Datensätzen Knochenstrukturen segmentiert, dreidimensional rekonstruiert und in CAD-Modelle (computer-aided design) umgewandelt. Anschließend können weitere Strukturen wie Muskeln, Bänder und Sehnen unter Berücksichtigung anatomischer Landmarken implementiert und eine Endoprothese virtuell implantiert werden. Hierbei können unterschiedliche intraoperative Szenarien der Implantation berücksichtigt werden. Je nach Fragestellung kommen bei der numerischen Simulation von Kniegelenken in der Regel die Mehrkörpersimulation (MKS) und die Finite-Element-Methode (FEM) zum Einsatz. Bei der klassischen MKS (Abb. 1) werden Knochen als massebehaftete starre Körper beschrieben, welche durch Kopplungselemente (Gelenke oder Kraftelemente) miteinander verbunden sind und unter Einfluss von diskreten Kräften oder
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Abb. 1 a Exemplarische Darstellung der Topologie eines MKS-Modells am Beispiel der unteren Extremität. b Muskuloskelettales Modell der unteren Extremität mit Darstellung von Knochen und Muskeln
Momenten stehen (Woernle 2016). Nach Segmentierung und Rekonstruktion des Knochens aus CT-Daten können Muskeln mit entsprechender Muskelgeometrie, Bandstrukturen und Sehnen implementiert werden. Die für die Implementierung vorhandenen Modelle basieren auf CT- und MRT-Datensätzen sowie anatomischen Präparaten (Carbone et al. 2015; Klein Horsman et al. 2007). Grundsätzlich können die Methoden der direkten und inversen Dynamik unterschieden werden. Bei der direkten Dynamik wird als Input die Aktivität der Muskeln herangezogen, wobei die neuromuskuläre Anregung aus Elektromyografie(EMG)-Daten erfolgen kann. Im Ergebnis werden die resultierenden Bewegungen berech-
net. Demgegenüber werden bei der inversen Dynamik als Input die Bewegungsdaten herangezogen, welche aus einer klassischen Ganganalyse bezogen werden können. Des Weiteren können Kontakte zwischen den artikulierenden Gelenkpartnern definiert werden (Hippmann 2004). Abschließend können die Bewegungskoordinaten der Gelenke auf Positions-, Geschwindigkeitsund Beschleunigungsebene vorgegeben werden. Im Ergebnis werden die resultierenden Gelenkkräfte und Muskelkräfte, welche die Bewegung induzieren, berechnet (Klöpfer-Krämer und Augat 2015; Otten 2003). Da eine Bewegung vom muskuloskelettalen System in unterschiedlichen Konfigurationen der Muskelkräfte induziert wer-
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
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den kann, muss das Verteilungsproblem der Muskeln mithilfe von Optimierungsalgorithmen gelöst werden (Anderson und Pandy 2001, Kebbach et al. 2019a, 2020). Am Beispiel von Studien mit MKS-Modellen zum Vergleich des kinematischen und mechanischen Alignments konnte gezeigt werden, dass die patellofemorale Kontaktkraft beim kinematischen Alignment höher ist als beim mechanischen Alignment (Chen et al. 2018). In Übereinstimmung mit In-vitro-Studien konnte in einer MKS gezeigt werden, dass bereits eine Fehlpositionierung der tibialen und femoralen Komponente in anteriorer oder posteriorer Richtung die patellofemorale Kontaktkraft erhöht bzw. reduziert (Didden et al. 2010; Kebbach et al. 2019a). Weiterhin hatte die Dicke der Patellakomponente sowie die superior-inferiore und mediolaterale Positionierung in der MKS einen deutlichen Einfluss (um bis zu 27 %) auf die wirkende patellofemorale Kontaktkraft (Kebbach et al. 2020). Bei der FEM werden die aus CT/MRT-Daten rekonstruierten Strukturen in endlich kleine Teil-
körper mit einfacher Geometrie unterteilt, sog. finite Elemente, welche durch Knotenpunkte miteinander verbunden sind (Abb. 2). Anschließend werden dem Teilkörper, welcher durch Elemente diskretisiert wurde, Materialeigenschaften zugewiesen (Kluess et al. 2013). Für die Berücksichtigung der Knochendichte im FE-Modell hat sich als Standard die Zuordnung der in der CT vorhandenen Hounsfield-Units (HU) auf das FE-Netz etabliert (Kluess et al. 2009; Yosibash et al. 2014). Weiterhin können vor der Simulation Kontaktbedingungen zwischen zwei Körpern, beispielsweise zwischen den artikulierenden Gelenkflächen im Kniegelenk, definiert werden. Bei zementierten Implantaten sollte zum einen ein fester Kontakt zwischen Knochen und Knochenzement sowie zwischen Endoprothese und Knochenzement definiert werden, zum anderen muss der gleitende Kontakt zwischen der Femurkomponente und dem Tibia-Inlay mit entsprechenden Reibkoeffizienten berücksichtigt werden. Im nächsten Schritt müssen die zu simulierenden Belastungen in Form von Randbedingungen festgelegt werden.
Abb. 2 a, b Finite-Elemente-Modell einer implantierten Femurkomponente mit distalem Femur, Knochenzementschicht und Inlay. a unbelasteter Zustand, b Spannungsplot
unter Wirkung der Kräfte beim normalen Gang als Ergebnis der FE-Analyse
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Diese stellen eine Annahme dar, welche aus mathematischen Modellen auf Basis von instrumentierten Ganganalysen berechnet werden können (Lerner et al. 2014; Seireg und Arvikar 1975), in MKS berechnet werden oder auf in vivo gemessene Kräfte aus instrumentierten Knieendoprothesen basieren (D’Lima et al. 2006; Kutzner et al. 2010; Taylor et al. 2017). Die Belastungen können als Kraftvektoren im FE-Modell berücksichtigt werden. Das Ergebnis des FE-Modells entspricht einer angenäherten Lösung der Verschiebungen aller Knotenpunkte. Hieraus können in den einzelnen Elementen weitere Ergebnisse wie Spannungen und Dehnungen berechnet werden. Zusätzlich können die Kontaktdrücke oder Mikrobewegungen zwischen den artikulierenden Kontaktpartnern evaluiert werden. Während bei der MKS eine kleine Anzahl von Freiheitsgraden berücksichtigt wird und große dynamische Systeme berechnet werden können, werden bei der FEM die Körper diskretisiert und mit sehr vielen Freiheitsgraden berücksichtigt. Am Beispiel des künstlichen Kniegelenks ist es zur Analyse der Femurkomponente folglich zulässig, die Tibia unter Annahme gewisser Randbedingungen zu vernachlässigen und nur das distale Femur bis zum Isthmus zu betrachten. In eigenen Untersuchungen wurden FE-Modelle einer implantierten Knieendoprothese erstellt und die Beanspruchungen der Femurkomponente unter Worst-case-Bedingungen berechnet. Im Falle des Stolperns bildeten sich an der inneren vor-
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deren Kante der Femurkomponente Spannungen aus, welche 12,6-mal höher lagen als unter normalem Gang. Ein in Varus-Valgus-Richtung verkipptes Inlay wies einseitig erhöhte Spannungen auf, welche ca. 1,5-mal höher als unter normalem Gang waren. Femorale Knochendefekte zeigten keine sichtbare Erhöhung der maximalen Hauptspannungen in der Femurkomponente. Das Einschlagen der Femurkomponente stellt ein gesondertes Problem dar. Ein solcher Lastfall muss die zeitabhängigen Dämpfungs- und Trägheitskräfte berücksichtigen und darf nicht, wie bei Simulationen des normalen Gehens üblich, quasistatisch berechnet werden. Eine Studie zum Einschlagverhalten von Femurkomponenten unterschiedlicher Materialien (Kobalt-Chrom Stahl [AISI 312] vs. Biolox ® Delta Keramik) zeigte beim Einschlagen hohe Hauptspannungen an den inneren Kanten und verdeutlicht die Gefahr einer Material- und Oberflächenschädigung (Abb. 3). Der Impuls beim Einschlagen wird durch die Masse des Hammers und die Schlaggeschwindigkeit bestimmt, folglich kann die Gefahr einer Implantatschädigung durch Verwendung eines leichteren Hammers oder durch geringere Schlaggeschwindigkeit minimiert werden (Kluess et al. 2010). Durch die Entwicklung von Prozessoren mit steigender Rechenkraft können mittels der FEM zunehmend komplexere Fragestellungen beantwortet werden. Aktuelle Publikationen belegen die mögliche Simulation von Abriebvorgängen
Abb. 3 Stressspitzen an der anterioren Kante während des intraoperativen Aufschlagens der Femurkomponente. (Kluess et al. 2010)
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
am künstlichen Kniegelenk mithilfe der FEM (Kang et al. 2017; Koh et al. 2019; Zhang et al. 2017a, b). Hier stehen Berechnungen mit einer Dauer von mehreren Stunden Experimenten am Kniesimulator mit Laufzeiten bis zu mehreren Monaten gegenüber. Dabei lagen die in FE-Modellen berechneten Abriebvolumina innerhalb einer Standardabweichung der experimentell gemessenen Mengen (Kang et al. 2017; Koh et al. 2019). Ein weiteres Feld der FEM in der orthopädischen Biomechanik ist die Remodellierung des periprothetisch gelegenen Knochens (Behrens et al. 2008, 2015; Cilla et al. 2017; Nyman et al. 2004). Zunächst wird dazu am Rechner eine virtuelle Implantation der Knieendoprothesenkomponenten in dreidimensional rekonstruierte Knochen vorgenommen. Die Knochendichte stellt den veränderlichen Parameter dar, welcher infolge des Knochenumbaus zu- oder abnehmen kann und direkten Einfluss auf die Steifigkeit der betroffenen Volumina hat. Initial wird die Strukturantwort des Knochen-Implantat-Verbunds mit der direkt postoperativ vorliegenden Knochendichte berechnet, wobei als Lastfall im Allgemeinen die Belastungen während des normalen Gangs gewählt werden. Anschließend werden innerhalb eines Algorithmus die Dehnungen im Knochen ausgewertet und je nach Betrag der Dehnungsenergiedichte eine Zu- oder Abnahme oder ein Gleichbleiben der Knochendichte berechnet. Mit den veränderten Werten wird daraufhin das nächste Inkrement berechnet, bis ein bestimmtes Maß an simulierter postoperativer Dauer erreicht ist. In einer Studie wurde mit dieser Methode die Veränderung der Knochendichte im periprothetischen Knochen um das Tibiaplateau bis 10 Monate postoperativ simuliert. Dabei zeigte sich vor allem eine Abnahme der Knochendichte um das gesamte Tibiaplateau als Folge eines Stress-shielding (Georgeanu et al. 2014). Mithilfe der flexiblen MKS ist es möglich, im Gegensatz zur starren MKS, über sog. Superelemente die Vorteile der MKS und der FEM zu vereinen. In einer aktuellen Studie wurde dafür zunächst ein FE-Modell eines humanen Femurs unter Einbeziehung von Knochendichtedaten aus einem qCT generiert. Die Validierung des Mo-
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dells erfolgte durch einen experimentellen Aufbau, bei dem auf einen Kadaverknochen statische und dynamische Belastungen appliziert und die auftretenden Spannungen auf der Knochenoberfläche mittels Dehnmessstreifen detektiert wurden. Anschließend wurde aus dem FE-Modell durch Modalreduktion ein sog. flexibles Superelement modelliert und in ein MKS-Modell implementiert. In der anschließenden Simulation konnte das Frakturrisiko in Abhängigkeit von der Knochendichte berechnet werden. Weiterhin wurden während einer aktiven Kniebeuge Spannungen und Dehnungen im Knochen berechnet. Dies wäre mit einer starren MKS nicht und mit einer FE-Analyse nur unter hohem Aufwand möglich gewesen. Bei sehr hoher Genauigkeit dauerte die Simulation der Verformung im Knochen mit dem vereinfachten Superelement 1/12 der Zeit, die für die Simulation mit einem identischen FE-Modell notwendig war (Geier et al. 2019). Die Kopplung von numerischen Simulationen und Robotersystemen stellt einen weiteren wichtigen Schritt zur Validierung und Übertragung von numerischen Simulationen auf reale Belastungssituationen dar (Herrmann et al. 2012; Kebbach et al. 2019b; Souffrant et al. 2010). Mittels Hardware-in-the-loop(HiL)-Simulationen können numerisch berechnete Bewegungen und Belastungen auf Basis eines MKS-Modells über Roboterarme mit 6 Freiheitsgraden auf Implantatkomponenten übertragen werden. Dabei besteht eine ständige Interaktion des Robotersystems und des MKS-Modells, bei der aktuelle Belastungen und Bewegungen unter Berücksichtigung des realen Prothesenkontaktes und des muskuloskelettalen Systems ausgetauscht werden. Die HiL-Simulation bringt den Vorteil einer reproduzierbaren und systematischen Untersuchung, wobei der Kontakt der Gelenkpartner physisch real abgebildet wird. Damit werden die Vorteile rein experimenteller Analysen und numerischer Simulation vereint. Weiterhin konnten operationsspezifische Parameter und deren Auswirkung auf die Dynamik des künstlichen Kniegelenks erfolgreich untersucht werden (Kebbach et al. 2019b). Obwohl die Ergebnisse von numerischen Simulationen Berechnungen von näherungsweisem Charakter auf der Basis von speziell vorgege-
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benen Parametern darstellen, zeigen aktuelle Entwicklungen eine Annäherung der Ergebnisse an reale Bedingungen. Vor allem durch Daten aus Invivo-Messungen und Kopplung der numerischen Simulationen mit experimentellen Versuchsanordnungen können die Versuchsparameter weiter an physiologische Bedingungen angenähert werden (Fregly et al. 2012; Kebbach et al. 2020). Deshalb sollten die numerischen Modelle immer wieder in vivo bzw. in vitro zur Validierung und Qualitätssicherung der numerischen Ergebnisse geprüft werden.
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Biomechanische Untersuchungen in situ mittels instrumentierter Knieendoprothesen
Die Kenntnis der auftretenden Kräfte im Kniegelenk ist sowohl entscheidend für das Verständnis von degenerativen Prozessen im nativen Kniegelenk als auch für die Funktion und Haltbarkeit von Knieendoprothesen. Kontaktkräfte im Kniegelenk können mithilfe mathematischer Modelle berechnet oder direkt gemessen werden. Einen Ansatz zur indirekten Bestimmung der Kontaktkräfte im Kniegelenk bietet die instrumentierte Ganganalyse. Hierfür werden markerbasierte Ganganalysen, Messungen von externen Kräften mithilfe von Kraftmessplatten und Daten aus der Elektromyografe einbezogen (Klöpfer-Krämer und Augat 2015; Lerner et al. 2014). Unter Verwendung der Newtonschen Gesetze können mithilfe der inversen Dynamik unbekannte Gelenkkräfte und -momente, welche die Bewegung generieren, aus bekannten Bewegungsprofilen aus der Ganganalyse (Position, Geschwindigkeit und Beschleunigung) berechnet werden (Kluess et al. 2013). Hierfür wird das muskuloskelettale System in starre Körper unterteilt sowie mit Massen- und Trägheitseigenschaften versehen (Winter 2009). Aufgrund der großen Anzahl fehlender Daten für Einflussvariablen, wie z. B. unbekannte Muskelkräfte, wurden die Modelle durch Algorithmen zur Optimierung und Vereinfachung im Verlauf stetig verbessert. Somit können Belastungen nichtinvasiv an Gelenken oder Muskeln ausgewertet werden,
was bei einer direkten, invasiven Messung kaum oder nur mit sehr großem Aufwand möglich ist. In Abhängigkeit der zugrunde liegenden Modelle mit unterschiedlichen Variablen und Parametern kommt es dabei zu einer großen Streuung der berechneten Kräfte. So wurden bei der Analyse von Belastungen während des Gehens maximale axiale Kräfte im Kniegelenk zwischen dem 3,03-fachen und dem 7,1-fachen Körpergewicht errechnet (Morrison 1970; Seireg und Arvikar 1975; Thambyah et al. 2005). Im Vergleich zu einer Berechnung der Gelenkkräfte durch mathematische Modelle bieten instrumentierte Knieendoprothesen die Möglichkeit, auftretende Kräfte in vivo über Sensoren zu messen und über eine Telemetrieeinheit kabellos an eine Messeinheit zu transferieren (Graichen et al. 2007; Heinlein et al. 2007; Kirking et al. 2006). 1997 erfolgte erstmalig die Implantation eines instrumentierten distalen Femurersatzes bei einer 41-jährigen Frau mit einem Osteosarkom. Die Kraftmesseinheit zur Erfassung von axialen Kräften befand sich im proximalen Anteil des Femurersatzes. Im Kniegelenk auftretende Kräfte wurden mittels mathematischer Modelle aus den axialen Kräften im proximalen Femurersatz extrapoliert (Taylor et al. 1998). Mit weiterer Entwicklung konnten instrumentierte Knieendoprothesen implantiert werden, die eine direkte Messung der Kräfte im Kniegelenk erlaubten (D’Lima et al. 2005; Heinlein et al. 2009). Die Kraftmessung erfolgt hierbei in einem modifizierten Tibiaplateau (Heinlein et al. 2007; Kaufman et al. 1996; Kirking et al. 2006). Neben der resultierenden Kraft im lateralen und medialen Kompartiment können auch Kontaktmomente und Scherkräfte im Kniegelenk gemessen werden (Heinlein et al. 2007; Kirking et al. 2006). Dies ermöglichte Studien, bei welchen die auftretenden Kräfte, in Abhängigkeit von der Belastungssituation und externer Faktoren, im Kniegelenk gemessen werden konnten. Während in mathematischen Modellen beim Gehen axiale Kräfte vom 3,03-fachen bis zum 7,1-fachen Köpergewicht errechnet wurden, lagen die in vivo gemessenen axialen Kräfte beim 2,1fachen bis zum 3-fachen Körpergewicht (D’Lima et al. 2005; Kutzner et al. 2010; Taylor et al.
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
2017). Die geringsten Belastungen bei Alltagsaktivitäten wurden im Zweibeinstand gemessen (bis zum 1,07-fachen Körpergewicht), während Treppenaufsteigen (bis zum 3,16-fachen Körpergewicht) und Treppenabsteigen (bis zum 3,46fachen Körpergewicht) die höchsten axialen Belastungen aller gemessenen Alltagsaktivitäten aufwiesen (Kutzner et al. 2010; Taylor et al. 2017). Die gemessenen Scherkräfte, die auf das Tibiaplateau während des Gehens wirkten, lagen um den Faktor 10–20 unterhalb der axialen Kräfte. Die größten Scherkräfte wurden in posteriorer Richtung beim Treppenauf- und Treppenabsteigen gemessen und lagen etwa bei einem Drittel des Körpergewichts (Kutzner et al. 2010). In der Rehabilitationsphase nach Endoprothesenimplantation und knorpelrekonstruktiven Eingriffen wird Wassergymnastik neben dem Fahrradfahren zu den gelenkschonenden Aktivitäten gezählt. Studien mit instrumentierten Knieendoprothesen konnten zeigen, dass beim Fahrradfahren, mit Ausnahme der lateralen Scherkräfte, alle gemessenen Axial- und Scherkräfte signifikant niedriger waren als beim Gehen. Die durchschnittlich gemessenen axialen Maximalkräfte beim Fahrradfahren betrugen zwischen 20 % (25 W Widerstand, 40 Umdrehungen/min) und 65 % (95 W Widerstand, 40 Umdrehungen/min) der axialen Maximalkraft beim Gehen (Kutzner et al. 2012). In einer aktuellen Studie konnte auch bei der Wassergymnastik eine durchschnittliche Reduktion der axialen Kräfte von 36–55 % im Vergleich zu identischen Übungen an Land gemessen werden (Kutzner et al. 2017b). Neben der körperlichen Aktivität hat auch das Schuhwerk einen Einfluss auf die resultierende Kraft im Kniegelenk. Vor allem bei Schuhen mit erhöhten Absätzen konnten eine signifikante Erhöhung der axialen Last während des Fersenkontakts und erhöhte posteriore Scherkräfte auf das Tibiaplateau im Vergleich zum Barfußlaufen gemessen werden. Überraschenderweise wurde beim Gehen mit MBT®(Masai Barefoot Technology)-Schuhen, welche durch die „instabile“ halbrunde Sohlenkonstruktion eine erhöhte muskuläre Stabilisierung erfordern, eine niedrige resultierende axiale Kraft in der späten Standphase im Vergleich zum Barfußlaufen gemessen. Auch die Scherkräfte waren bei
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MBT-Schuhen im Vergleich zum Barfußlaufen nicht signifikant erhöht (Kutzner et al. 2013). In mehreren Studien konnte ein Zusammenhang zwischen der mechanischen Beinachse und der Entwicklung einer Gonarthrose gezeigt werden. Dabei erhöht eine varische Beinachse das Risiko für die Entwicklung einer radiologisch nachweisbaren Gonarthrose mehr als eine valgische Beinachse (Brouwer et al. 2007; Sharma et al. 2010, 2013). Bei Messungen mit instrumentierten Knieendoprothesen konnte in Abhängigkeit von den Belastungsszenarien und der Beinachse gezeigt werden, dass zwischen 41 % und 91 % der axialen Kraft über das mediale Kompartiment aufgenommen wird (Erhart et al. 2010; Kutzner et al. 2011a, b; Kutzner et al. 2017a; Zhao et al. 2007). Eine varische Beinachse und Aktivitäten, die einen temporären Einbeinstand erfordern (Gehen, Treppensteigen oder Joggen), verschieben die resultierende Kraft nach medial, während Aktivitäten im Zweibeinstand (Hinsetzen oder Aufstehen) sowie eine valgische Beinachse die resultierende Kraft nach lateral verschieben (Kutzner et al. 2017a). Dabei erhöht bzw. reduziert eine Abweichung der Beinachse von 1° in den Varus bzw. Valgus die Belastung im medialen Kompartiment um 5 % (Halder et al. 2012). Durch die Messung der mediolateralen Kraftverteilung besteht die Möglichkeit den Einfluss von korrigierenden Orthesen und Schuhzurichtung auf die Lastverteilung im Kniegelenk zu beurteilen und mögliche Rückschlüsse auf die Wirksamkeit im Rahmen der konservativen Gonarthrosetherapie zu ziehen (Kutzner et al. 2011a, b). Aktuelle Studien belegen die Schmerzreduktion von valgisierenden Orthesen bei der Varus-Gonarthrose sowie eine Abnahme der errechneten Belastung des medialen Kompartiments bei der instrumentierten Ganganalyse (Brand et al. 2017; Gohal et al. 2018; Jones et al. 2013). Eine Studie mit instrumentierten Knieendoprothesen zum Einfluss von valgisierenden Orthesen auf die Belastung des medialen Kompartiments konnte die Ergebnisse der Berechnungen bestätigen. Bei Probanden mit einer valgisierenden Orthese nahm die Belastung des medialen Kompartiments bei Alltagsaktivitäten (Gehen, Treppenaufund -absteigen) um bis zu 30 % ab (Kutzner et al. 2011b).
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Im Gegensatz zu valgisierenden Orthesen ist die Datenlage zum Einfluss von lateralen Schuherhöhungen auf die Schmerzreduktion und Abnahme der medialen Last kontrovers (Xing et al. 2017; Zhang et al. 2018). In-vivo-Messungen der medialen Belastung im Kniegelenk konnten beim Gehen mit einer lateralen Schuherhöhung (5 und 10 mm) und ohne eine stabilisierende Sprunggelenkorthese keine signifikante Reduktion der Belastung im medialen Kompartiment zeigen (Kutzner et al. 2011a). Insgesamt bildet die In-situ-Messung von Kräften mittels instrumentierter Knieendoprothese einen Meilenstein in der biomechanischen Forschung. Durch die Verbindung von indirekten Methoden zur Bestimmung von Kräften im Kniegelenk und Daten aus der In-vivo-Messung können mathematische Modelle validiert und ihre Genauigkeit verbessert werden (Fregly et al. 2012; Taylor et al. 2017). Weiterhin können die gemessenen Werte als Parameter bei der präklinischen Prüfung von Knieendoprothesen im Rahmen von Abriebversuchen verwendet werden, um reelle Belastungssituationen zu simulieren (Bergmann et al. 2014; Grupp et al. 2017; Schwiesau et al. 2014). Abschließend muss berücksichtigt werden, dass die Studiengruppen mit instrumentierten Knieendoprothesen klein und die gemessenen Werte abhängig vom implantierten Prothesentyp sind. Somit lassen sich die Ergebnisse nur annähernd auf ein natives Kniegelenk bzw. andere Endoprothesentypen übertragen. Weiterhin ist die direkte Messung von In-situ-Kräften ethisch begrenzt. Es können in dem Rahmen keine implantat- und operationsspezifischen Parameter variiert und untersucht werden.
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Biomechanische Aspekte von unikondyla¨ren Endoprothesen
Die vorrangige Einteilung von Knieendoprothesen erfolgt nach ihrem Stabilitäts- und Beweglichkeitsgrad (Bloemer 2000). Nach ISO 7207-1 wird in ungekoppelte (uni-, bi- und trikompartimenteller Oberflächenersatz), teilgekoppelte und gekoppelte Systeme unterschieden. Bei geringer Stabilität bieten ungekoppelte Knieendoprothesen
mehrere Bewegungsfreiheitsgrade, wohingegen gekoppelte Prothesen (z. B. Scharnierprothesen) eine hohe Stabilität bei geringer Beweglichkeit bieten. Bei unikondylären Knieendoprothesen kommt dem vorderen Kreuzband eine besondere Bedeutung zu. Es bleibt als zentrales Führungssegment erhalten. Kinematische Untersuchungen bestätigen einen physiologischeren Bewegungszyklus und einen größeren Bewegungsumfang von unikondylären gegenüber bikondylären Knieendoprothesen intraindividuell im Vergleich zum nichtoperierten Knie (Agarwal et al. 2019). Durch die Verwendung von unikondylären Knieendoprothesen besteht einerseits die Möglichkeit nur das geschädigte Kompartiment zu ersetzen, andererseits stellt sich für den Operateur die schwierige Aufgabe, die ligamentäre Situation zu erhalten bzw. eine optimale einzustellen. Für den Erfolg und die Langlebigkeit der unikondylären Knieendoprothese sind die maßgeblich anzustrebenden Ziele die Wiederherstellung der Gelenkstabilität und gleichzeitig das Erzielen einer physiologischen Kniekinematik. Grundlegend hierfür ist die korrekte Indikationsstellung unter Berücksichtigung der präoperativen Achsdeformität und ligamentären Situation (Becher et al. 2021). Die Hauptversagensgründe sind der Polyethylenabrieb und die Implantatmigration (Hernigou und Deschamps 2004). Aus diesem Grund muss die Bänderspannung intraoperativ so angepasst werden, dass die Kongruenz der Kontaktflächen nachgeführt und sog. Lift-off-Effekte, die ihrerseits zu erhöhten Kontaktdrücken und Beschädigungen des Polyethylen-Inlays führen können, vermieden werden. Zu einem erhöhten Polyethylen-Inlayverschleiß führen jedoch auch Zwangskräfte, welche beispielsweise durch einen zu straffen Bandapparat bedingt sind. Klinische Untersuchungen zum Einfluss des koronaren Alignment nach unikondylären Knieendoprothesen auf das langfristige Outcome zeigen, dass eine moderat varische Beinache von ca. 4° mit einer besseren langfristigen klinischen Funktion (mindestens 10 Jahre Follow-up) assoziiert ist. Patienten, die aufgrund einer Progression der Gonarthrose revidiert wurden, wiesen hingegen eine neutrale bis valgische Beinachse auf.
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
Patienten, die aufgrund einer Lockerung oder eines Einsinkens der Prothese revidiert wurden, zeigten hingegen eine varische Achse > 4° (Slaven et al. 2019).
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Biomechanische Aspekte von bikondyla¨ren Endoprothesen
Der maßgebliche Unterschied zwischen der unikondylären und der handelsüblichen bikondylären Knieendoprothese ist der Erhalt bzw. das Entfernen des vorderen Kreuzbandes. Somit kommt dem hinteren Kreuzband bei kreuzbanderhaltenden Endoprothesen und dem übrigen Bandapparat, insbesondere dem medialen und lateralen Kollateralband, eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Stabilitätssicherung zu. Bestimmte konstruktive Merkmale bei bikondylären Endoprothesen können zusätzlich stabilisierend wirken. Unabhängig vom Oberflächendesign ist das Ziel der Implantatgestaltung jeweils die Nachbildung der physiologischen RollGleitbewegung zwischen Ober- und Unterschenkel. Das Polyethylen-Inlay ersetzt im künstlichen Kniegelenk die Funktion der Menisken, indem es die Kontaktflächenanpassung und Druckverteilung übernimmt. Im Allgemeinen werden bikondyläre Endoprothesen in kongruente Designs, d. h. mit aneinander angepassten Krümmungsradien in mindestens einer Ebene zwischen Femurkomponente und Polyethylen-Inlay (Single-Curve bzw. SingleRadius) und weniger kongruente Designs (MultiRadius) unterschieden. Eine hohe Kongruenz führt zu großen homogen belasteten Kontaktflächen und somit zu einer Verringerung der Materialbeanspruchungen, insbesondere durch Reduzierung hoher Kontaktdrücke und des daraus resultierenden Abriebes. Die Kongruenz schränkt jedoch den physiologischen Roll-Gleitmechanismus und die ROM (Range of Motion) ein, welches sich insbesondere in einem verminderten Flexionsvermögen widerspiegelt. Somit wird ersichtlich, dass bikondyläre Endoprothesen mit weniger kongruenten Kontaktflächen das physiologische Bewegungsausmaß besser reproduzieren können, jedoch gleichzeitig die Stabilisierung vermindert ist und
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erhöhte Kontaktdrücke sowie ein erhöhter Polyethylenabrieb zu erwarten sind. Einen Kompromiss stellen Endoprothesen nach dem Mobile-Bearing-Konzept dar. Ziel dieses Konzeptes ist eine Annäherung an den physiologischen Roll-Gleitmechanismus, durch kongruente Inlays, die beweglich gelagert sind. Das Polyethylen-Inlay kann sich rotierend und/oder gleitend gegenüber dem metallischen Tibiaplateau bewegen. In klinischen Studien zum postoperativen Outcome konnten jedoch keine signifikanten Unterschiede der ROM im Vergleich zu Systemen mit Fixed-Bearing-Inlays gefunden werden (Fransen et al. 2017). Auch konnte kein signifkanter Unterschied im Polyethylenabrieb zwischen Fixed- und Mobile-Bearing-Inlays gefunden werden (Minoda et al. 2017). Mit dem Ziel die physiologische Kinematik des Kniegelenks nachzubilden und den RollGleitmechanismus zu verbessern wurde, analog zur Anatomie des Tibiaplateaus, ein bikondyläres Endoprothesensystem mit einem asymmetrischen Inlay (medial konkav und lateral konvex) entwickelt, dass in einer klinischen Studie ein gutes kurzfristiges Outcome zeigte (Marega und Gregor 2018). Vergleichende Ergebnisse mit den bisher bewährten bikondylären Endoprothesen liegen bisher nicht vor. Auch bleibt unklar, ob erhöhte Kontaktdrücke auf einem konvexen PolyethylenInlay einen vermehrten Abrieb erzeugen. Erste bikondyläre Knieendoprothesen mit Erhalt des vorderen und hinten Kreuzbandes zeigen zwar eine verbesserte antero-posteriore Stabilität und eine gewisse asymmetrische mediale und laterale Translation, eine normale Kniegelenkskinematik kann mit diesen Implantaten bisher ebenfalls nicht wiederhergestellt werden (Arauz et al. 2018, 2019; Tsai et al. 2019). Die Entscheidung für ein bestimmtes System sollte, insbesondere solange keine signifikanten Unterschiede im langfristigen Outcome zu finden sind, von der Erfahrung des jeweiligen Operateurs abhängig sein. Moderne Implantatsysteme ermöglichen durch einen modularen Aufbau den intraoperativen Wechsel von „mobile“ auf „fixed“ und umgekehrt und damit die Anpassung des Systems an die sich jeweilig darstellende Weichteilsituation. Weiterhin bieten zahlreiche bikon-
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dyläre Systeme die Option des endoprothetischen Ersatzes der patellaren Gelenkfläche.
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Biomechanische Aspekte von teil- und vollgekoppelten Knieendoprothesen
Bei Vorliegen einer Kniegelenkinstabilität durch insuffiziente Seitenbänder oder ein insuffizientes hinteres Kreuzband (HKB) besteht die Indikation zur Implantation von teil- und vollgekoppelten Endoprothesen (Agneskirchner und Lobenhoffer 2004). Bei Insuffizienz eines degenerativ veränderten hinteren Kreuzbandes oder der Notwendigkeit einer intraoperativen Ablösung des HKB und einer daraus resultierenden posterioren Instabilität stehen sog. Constrained Condylar Designs zur Verfügung (Touzopoulos et al. 2015). Diese wirken durch eine posteriore Erhöhung des Polyethylen-Inlays oder durch einen Zapfen, der in die Femurkomponente greift, einer posterioren Translation der Tibia in Flexion entgegen (Agneskirchner und Lobenhoffer 2004). Bei insuffizienten Seitenbändern kann eine zusätzliche seitliche Abstützung des Zapfens in der Femurkomponente
indiziert sein. Kippkräfte in der Frontalebene werden aufgenommen und somit eine Varus-ValgusStabilisierung bei Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit herbeigeführt. Durch eine vollständige Kopplung der Bewegungsachsen wird auch bei hochgradigen Instabilitäten oder Defektsituationen eine vorgegebene Achsführung gewährleistet. Achsgeführte, gekoppelte Knieendoprothesen werden heutzutage bei schweren Gelenkdeformitäten, bei denen ein hochgradig insuffizienter Bandapparat vorliegt und teilgekoppelte Systeme keine ausreichende Gelenkstabilisierung gewährleisten, eingesetzt (Abb. 4 und 5; Fraitzl et al. 2008). Eine der häufigsten Indikationen ist dabei die Revision bei aseptischer Lockerung, Infektion und Instabilität (Kouk et al. 2018). Bei allen gekoppelten Knieendoprothesen führt das eingeschränkte Bewegungsausmaß zu unerwünschten Zwangskräften. Aus diesem Grund verfügen gekoppelte Systeme im Vergleich zu ungekoppelten über längerstielige Verankerungselemente, meist in Sinne von modularen femoralen und tibialen Stielverlängerungen, um die hohen Grenzflächenbelastungen auf ein größtmögliches Knochenlager übertragen zu können (Agneskirchner und Lobenhoffer 2004).
Abb. 4 Röntgenaufnahme des Kniegelenks in 2 Ebenen prä- und postoperativ. Präoperativ besteht eine hochgradige Valgusdeformität mit Instabilität, sodass primär eine Rotating-hinge-Knieendoprothese implantiert wird
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
Abb. 5 Intraoperative Darstellung einer gekoppelten Knieendoprothese
Bei gekoppelten Endoprothesensystemen sind die Femur- und Tibiakomponente über ein Scharniersystem miteinander verbunden. Die erste Generation gekoppelter Endoprothesen verfügte über ein reines Scharniergelenk mit einem Bewegungsfreiheitsgrad in der Sagittalebene (FlexionExtension). Eine physiologische Kniegelenkkinematik im Sinne einer Roll-Gleitbewegung mit posteriorem Roll-back des Femurs und Rotation bei Flexion ist daher nicht möglich (Pasquier et al. 2019). Durch das Fehlen der Rückverlagerung (Roll-back) der Femurkondylen wird bei Flexion der Hebelarm des Streckapparats nicht vergrößert, wodurch die Kniestreckung deutlich erschwert ist und höhere Anpresskräfte im femoropatellaren Gelenk entstehen (Hassenpflug 2003). Bei den ersten Modellen achsgeführter Knieendoprothesen erfolgte die Lastübertragung zwischen Femur- und Tibiakomponente ausschließlich über ein Scharniergelenk. Dadurch resultierten hohe Zwangskräfte auf die Implantatkomponenten und das angrenzende Knochenlager, wodurch gravierende Abriebvorgänge und mechanische Auslockerungen der Implantate auftraten (Hassenpflug 2003; Pasquier et al. 2019). Bei aktuellen
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gekoppelten Systemen wird die Last nicht über die Achse des Scharniergelenks, sondern vorrangig über kongruente femorotibiale Gleitflächen übertragen. Durch die Kongruenz sind Druckund Scherbelastungen in den Artikulationsflächen limitiert, sodass im Vergleich zu ungekoppelten Systemen bestimmte Verschleißmechanismen am Polyethylen-Inlay nicht beobachtet werden (Hassenpflug 2003). Wesentliche Unterschiede zur Kinematik einachsig geführter Systeme ergeben sich durch die Implementierung einer zweiten Bewegungsachse. Bei den Rotating-hinge-Systemen (Abb. 4) besteht zusätzlich zur querverlaufenden Transversalachse mit der Flexions-Extensions-Bewegung noch eine Longitudinalachse, wodurch ein zusätzliches Bewegungsausmaß im Sinne einer Innenund Außenrotation besteht. Durch die zweite Bewegungsachse wird der Abrieb und auch das Risiko für patellofemorale Instabilitäten reduziert (Pasquier et al. 2019). Eine fehlende Rotation führt zu erhöhten Kraftübertragungen auf das Knochen-Implantat-Interface mit dem Risiko der aseptischen Lockerung und Fraktur. Reduzierte Kräfte konnten am Knochen-Implantat-Interface in der proximalen Tibia durch die Einführung einer Rotationsachse nachgewiesen werden (Bottlang et al. 2006). Rotating-hinge-Systeme sind daher nicht nur bei Revisionseingriffen eine Option, sondern auch für Primärimplantationen bei höhergradigen Achsdeformitäten und Instabilität (Abdulkarim et al. 2019).
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Biomechanische Aspekte des patellofemoralen Gelenks
Die Bedeutung des patellofemoralen Alignment im Rahmen der endoprothetischen Versorgung des Kniegelenks erlangt immer größeren Stellenwert (Metsna et al. 2013). Erste Endoprothesendesigns setzten den Fokus im Wesentlichen auf die Rekonstruktion des medialen und lateralen Gelenkkompartimentes. Insall et al. beschrieben Ergebnisse mit postoperativen Schmerzzuständen in mehr als 40 % der Fälle und berücksichtigten erstmals das patellofemorale Kompartiment (Insall et al. 1976). Methoden zum
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Weichteilbalancing, Designmodifikationen der anterioren Kondyle und das Resurfacing der Kniescheibe konnten klinische Ergebnisse deutlich verbessern (Breugem 2014). Mit einer Inzidenz von 5–10 % nach endoprothetischer Versorgung des Kniegelenks bleibt der anteriore Knieschmerz weiterhin ein häufiges postoperatives Problem (Breugem 2014; Metsna et al. 2013; Shervin 2015; Springorum et al. 2012). Patellofemorale Komplikationen stellen bis zu 50 % der Revisionsindikationen nach primärer Knieendoprothesenimplantation dar (Springorum et al. 2012). Die Patella, als Sesambein des muskulären Streckapparates, wird in Flexionswinkeln zwischen 0°–20/30° bis zum Eingleiten in die Trochlea oder die anteriore Kondylenkomponente muskulär und durch die medialen und lateralen Bandstrukturen stabilisiert. Erst bei höheren Flexionswinkeln liegt eine mechanische Führung der Patella in der Trochlea vor und die Patella übernimmt die Funktion eines Hebelarms für den Streckapparat des Kniegelenks. Die mechanischen Belastungen des patellofemoralen Gelenks werden unter anderem beim Treppensteigen mit Werten bis zum 3-fachen Körpergewicht angegeben (Petersen et al. 2013). Die Kinematik der Patella stellt somit eine große Herausforderung dar, nicht nur an die operative Technik, sondern auch an Design und Material moderner Endoprothesen. Patellofemorale Instabilitäten werden in 1–12 % beschrieben und ein Maltracking kann mit anteriorem Knieschmerz assoziiert sein (Narkbunnam et al. 2019). In einer retrospektiven Untersuchung konnte ein Zusammenhang zwischen mangelhaftem patellofemoralen Alignment und schlechtem klinischen Outcome gezeigt werden (Narkbunnam et al. 2019) Eine kernspintomografische Studie an 128 Patienten bestätigte eine positive Korrelation zwischen patellarem Tilt und dem Auftreten eines anterioren Knieschmerzes. (Pookarnjanamorakot et al. 1998). Ein Zusammenhang zwischen dem postoperativen Bewegungsumfang (ROM) und einem patellaren Tilt oder Shift konnte in klinischen Untersuchungen jedoch nicht gefunden
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werden (Bindelglass et al. 1993; Dhollander et al. 2013). Bei femoropatellarer Instabilität oder Maltracking lassen sich funktionelle und mechanische Ursachen unterscheiden. Funktionelle Ursachen beruhen in der Regel auf muskulären Dysbalancen der Quadrizeps- und/oder der hüftstabilisierenden Muskulatur und bedürfen einer konservativen Therapie. Typisch sind die Schwäche des M. vastus medialis und eine vermehrte Aktivierung des M. vastus lateralis mit Lateralisation der Patella. Weiterhin ist die Insuffizienz der Hüftaußenrotatoren mit konsekutiver Valgusfehlstellung des Kniegelenks und Maltracking des patellofemoralen Gelenkes beschrieben (Chester et al. 2008; Petersen et al. 2010; Saleh et al. 2010). Als mechanische Ursachen werden ein insuffizientes postoperatives Weichteilbalancing, die Malrotation der femoralen Komponente, das Overstuffing und die Gelenklinienverschiebung beschrieben. Als unzureichendes intraoperatives Weichteilbalancing wird die insuffiziente Einstellung der medialen und lateralen Kapsel-/Bandspannung sowie Patellazentrierung im femoralen Gleitlager beschrieben (Kohn und Rupp 2000). Die Malrotation, insbesondere der femoralen, aber auch der tibialen Prothesenkomponente, zeigt eine Inzidenz zwischen 9,4–11,8 % (Narkbunnam et al. 2019; Shervin 2015; Springorum et al. 2012). Die Innenrotation der Komponenten kann einen Patellashift und -tilt bedingen (Bhattee et al. 2014; Akagi et al. 1999). Die Innenrotation der femoralen Komponente führt zum chronischen anterioren Knieschmerz. Dieses konnte in Studien mit Innenrotation der femoralen Komponente bestätigt werden (Bell et al. 2014; Nicoll und Rowley 2010). Eine Verbesserung des klinischen Outcomes und des Patellatrackings nach Revisionsoperationen und Korrektur des Rotationsalignments ist zusätzlich beschrieben (Bédard et al. 2011). Konsens besteht hingegen über den geringen bis fehlenden negativen Einfluss einer Außenrotation der Komponenten. Eine Außenrotation der Femurkomponente verbessert die Patellazentrierung aufgrund der besseren Nachbildung der natürlichen Gelenkverhältnisse (Narkbunnam et al. 2019; Shervin 2015).
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
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Abb. 6 Dynamische Bildverstärkeruntersuchung einer bikondylären Knieendoprothese mit Nachweis einer Insuffizienz des hinteren Kreuzbandes
Als sog. Overstuffing ist eine Verengung des femoropatellaren Gelenkspaltes mit erhöhtem Anpressdruck beschrieben. Ursächlich ist eine Malpositionierung der femoralen Komponente in anteriore Richtung oder eine Überdimensionierung der Komponente selbst (Springorum et al. 2012). Bei der Verwendung von kreuzbanderhaltenden Knieendoprothesen kann es bei Insuffizienz des hinteren Kreuzbandes zusätzlich zu einem erhöhten patellofemoralen Anpressdruck durch die anterioposteriore Instabilität kommen und einen klinischen manifesten anterioren Knieschmerz auslösen (Abb. 6; Borque et al. 2015). Die Patellaposition in der Sagittalebene und daher im Bezug zur Gelenklinie ist als weitere mechanische Ursache für den anterioren Knieschmerz beschrieben. Selten kann es postoperativ durch Kontrakturen des Lig. patellae oder Vernarbungen oberhalb der Tuberositas tibiae zu einem Tiefertreten der Patella mit der Entstehung einer Patella baja kommen (Springorum et al. 2012; Petersen et al. 2013). Häufiger ist die PseudoPatella baja, die durch eine elevierte Gelenklinie infolge einer nicht ausreichenden tibialen Resek-
tion oder der Verwendung eines überhöhten Inlays entsteht (Petersen et al. 2013). Der anteriore Knieschmerz und ein limitierter postoperativer Bewegungsumfang bei Proximalisierung der Gelenklinie mit Vorliegen einer Pseudo-Patella baja wurde klinisch bestätigt (Scott et al. 2019). Zur Vermeidung von Instabilitäten und zur besseren Zentrierung der Patella im femoropatellaren Gelenk haben sich Trochleadesigns mit größerer Tiefe und Länge sowie lateraler Platzierung und Überhöhung als vorteilhaft erwiesen. Diese stellen die natürliche Anatomie dar und zeigen eine verbesserte Patellastabilität bei mechanischer Führung über einen erweiterten Bewegungsumfang (Shervin 2015). Der Patellarückflächenersatz (PRFE) wurde aufgrund der fortbestehenden Probleme des anterioren Knieschmerzes eingeführt. Die Notwendigkeit des PRFE wird bis heute kontrovers diskutiert und es besteht kein Konsens über das NutzenRisiko-Verhältnis dieser Maßnahme (Petersen et al. 2013; Stukenborg-Colsman und Wirth 2000). So wird im Rahmen des primären Kniegelenkersatzes beispielsweise in den USA im Gegensatz
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zu Mitteleuropa die Rückfläche der Patella sehr häufig mit einer Polyethylenkomponente versehen. In einer klinischen Studie mit 47 Patienten konnte ein besseres klinisches und funktionelles Outcome, sowie eine verringerte Prävalenz von anteriorem Knieschmerz in der Patientengruppe mit PRFE nachgewiesen werden (Berti et al. 2006). In einer Metaanalyse, in der 1223 Knieendoprothesen untersucht wurden, zeigte sich eine Reduktion des anterioren Knieschmerzes um 14 % nach PRFE (Pakos et al. 2005). Andere Metaanalysen konnten dieses, trotz eines reduzierten Risikos für eine operative Revision, jedoch nicht bestätigen (Chen et al. 2013; Fu et al. 2011; He et al. 2011; Pavlou et al. 2011). Mögliche Komplikationen eines PRFE, wie Implantatlockerung, Patellafraktur, Nekrosen oder Materialabrieb, müssen jedoch berücksichtigt werden (Stukenborg-Colsman und Wirth 2000). Nach PRFE kommt es im Vergleich zu einer nicht endoprothetisch ersetzten Rückfläche zu unerwünschten erhöhten Druckbelastungen an der Patellarückfläche (Stukenborg-Colsman et al. 2003).
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Klinische Ergebnisse als Kennzeichen einer ada¨quaten Gelenkbiomechanik
Ein optimal funktionierender Gelenkersatz stellt hohe Anforderungen an das Implantat und die Materialien. Eine besondere Herausforderung ist die endoprothetische Versorgung junger und aktiver Patienten, mit guter Funktionalität und langer Standzeit. Der künstliche Gelenkersatz beim adipösen Patienten ist anspruchsvoll und erfordert eine hohe Expertise des Operateurs und entsprechende Materialeigenschaften. Die Kenntnis und Steuerung möglicher intraoperativer Störgrößen durch den Operateur ist neben einem ausgereiften Implantatdesign eine wichtige Voraussetzung für optimale biomechanische Bedingungen, welche sich entscheidend in den klinischen Ergebnissen nach künstlichem Kniegelenkersatz widerspiegeln. Für die klinische Verlaufsbeobachtungen nach endoprothetischen Kniegelenkersatz wurde eine Vielzahl an Scores und Instrumenten entwickelt. Neben unspezi-
fischen Fragebögen, die wie das Short-form-tool (SF 36, SF12) die Lebensqualität im Allgemeinen abfragen, erlauben spezifische Instrumente die Gelenkfunktion nach endoprothetischer Versorgung subjektiv und objektiv zu erfassen. Ein weit verbreitetes Instrument ist der Hospital-for-Special-Surgery(HSS)-Score nach Ranawat und Shine (Ranawat und Shine 1973). Der HSS-Score berücksichtigt neben subjektiv funktionellen Kriterien auch objektive Untersuchungsbefunde. Der Score mit maximal 100 Punkten unterteilt sich in 6 Beurteilungsaspekte: Schmerz, Funktion, Muskelkraft, Bewegungsumfang, Fehlstellung und Instabilität. Ein weiteres bedeutendes Instrument zur Beurteilung von Funktionseinschränkungen und Beschwerden bei Arthrose der unteren Extremität ist der Western-Ontario-and-McMaster-Universities(WOMAC)-Arthroseindex (Stucki et al. 1996). Dieser Fragebogen erfasst dabei 3 patientenorientierte Bereiche arthrosespezifischer Beschwerden: Schmerz, Steifigkeit und Funktion. Der WOMAC-Index kann auf eine numerische Skala von 0 bis 100 umgerechnet werden, wobei höhere Werte mit stärken Beschwerden korrelieren. Damit ist der Index nicht nur ein arthrosespezifischer, sondern auch ein gelenkspezifischer Evaluierungsscore. Eine spezifische Überprüfung des Outcomes nach Knieendoprothesenimplantation erlaubt der 1989 von Insall et al. entwickelte Knee-SocietyScore (KSS; Insall et al. 1989). Dieser unterteilt sich in einen Knee-Score und einen FunctionScore. Der erste Teil erfasst die Schmerzen, den Bewegungsumfang, die Beinachse und die Stabilität. Der zweite Teil beurteilt die Mobilität des Patienten und den Gebrauch von Gehhilfen. Für jeden Teil werden jeweils 100 Punkte vergeben. 2011 wurde der KSS durch eine Arbeitsgruppe um Noble und Scuderi überarbeitet und auf 5 Teilscores erweitert. Relevante Veränderungen sind ein prä- und postoperativer Fragebogen und ein Abschnitt, der sich mit den Erwartungen vor Prothesenimplantation und der Patientenzufriedenheit nach dem Eingriff beschäftigt (Scuderi et al. 2012). Neben diesen „klassischen“ Fragebögen existieren weitere, auf spezielle Patientengruppen
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
adaptierte Scores, unter anderem der High-Activity-Arthroplasy-Score (HAAS), der aktive Patientengruppen mit Hüft- oder Knieprothese adressiert (Talbot et al. 2010). Die Verwendung von Funktionsscores erlaubt eine umfassende Analyse vor und nach endoprothetischem Kniegelenkersatz. Trotz der Vielzahl und Vielschichtigkeit der Scores ist die Vergleichbarkeit der klinischen Verlaufsbeobachtungen aufgrund zahlreicher Faktoren limitiert. Für eine suffiziente Kniegelenkkinematik und ein gutes Ergebnis nach Operation sind verschiedene Einflussgrößen zu berücksichtigen. Neben einem adäquaten Implantatdesign und einer korrekten Operationstechnik sind die anatomisch-funktionellen Gegebenheiten und die muskuloligamentäre Stabilität von Bedeutung. Weiterhin nehmen Aspekte wie der präoperative Befund, demografische Faktoren und die Nachbehandlung Einfluss auf das postoperative Ergebnis. Aus Sicht des Patienten sind besonders zwei Aspekte für eine hohe Zufriedenheit nach Knieendoprothesenimplantation von Bedeutung: Beweglichkeit und Schmerzreduktion. In klinischen Studien wird meist eine maximale Range of Motion (ROM) für Flexion zwischen 100°–120° beobachtet. Eine reduzierte Beugefunktion nach Knieendoprothesenimplantation mit Einschränkung der täglichen Aktivitäten geht dabei mit einer höheren Unzufriedenheit der Patienten einher (Noble et al. 2006). Eine Steigerung des Bewegungsausmaßes kann bis zu 1 Jahr postoperativ nachgewiesen werden. Danach ist in der Regel mit keiner signifikanten Verbesserung zu rechnen (Zhou et al. 2015). Eine amerikanische Studie mit 698 Patienten untersuchte den Einfluss von Geschlecht und Alter auf das postoperative Ergebnis nach Knieendoprothesenimplantation. Neben dem Bewegungsumfang erfolgte die Evaluation durch den KSS. Es wurde bei präoperativ gleicher ROM (108,2° bei Frauen vs. 108,9° bei Männern) auch in der Nachuntersuchung 1 Jahr postoperativ ein gleicher Bewegungsumfang (118,3° vs. 118,0°) festgestellt. Hinsichtlich der Funktionalität und beim KSS erreichten Männer höhere Werte, was durch das höhere Patientenalter bei Frauen zum Zeitpunkt der Endoprothesenimplantation begrün-
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det wird (Parsley et al. 2010). Ähnliche Ergebnisse wurden in einer klinischen Verlaufsbeobachtung nach bikondylärem Oberflächenersatz mit einem durchschnittlichen Bewegungsausmaß von 102 14° 6 Monaten postoperativ gefunden (Bergschmidt et al. 2008). Schlussfolgernd wird älteren Patienten bei gesicherter Arthrose ein frühzeitiger Operationszeitpunkt empfohlen, um ein zufriedenstellendes funktionelles Ergebnis nach Knieendoprothesenimplantation zu erzielen. Häufig wird ein großer Bewegungsumfang mit einem guten operativen Ergebnis gleichgesetzt. Eine internationale Multicenterstudie (n ¼ 684 Knieendoprothesen) konnte nur eine geringe Korrelation zwischen WOMAC-Arthroseindex und Bewegungsumfang bestätigen. Der durchschnittliche Bewegungsumfang lag bei 110° 15° bei einer signifikanten Verbesserung im WOMACArthroseindex beim Follow-up nach 12 Monaten. Dennoch bleibt ein Mindestmaß an Flexion Voraussetzung für ein gutes postoperatives Ergebnis in funktionellen, physischen und psychischen Aspekten der klinischen Verlaufsbeobachtung. Patienten mit einem Bewegungsumfang von kleiner als 95° Flexion wiesen einen signifikant schlechteren WOMAC-Arthroseindex auf (Miner et al. 2003). Eine Verbesserung der Beschwerden und der Funktion ist in der Regel im Laufe eines Jahres postoperativ zu erwarten. Nach initial bestehender Unzufriedenheit 6 Wochen nach Knieendoprothesenimplantation zeigten sich in einer Untersuchung signifikante Verbesserungen der Zufriedenheit 3 Monate postoperativ und eine weitere geringe Verbesserung bis zum Endpunkt der Untersuchung 12 Monate postoperativ (Papakostidou et al. 2012). Eine deutliche Steigerung der Zufriedenheit ab 1 Jahr postoperativ ist hingegen nicht zu erwarten. In einer weiteren Metaanalyse mit 450 Knieprothesen konnte keine Veränderung der Zufriedenheit zwischen dem ersten und dritten Jahr nach Operation festgestellt werden. Besonders bei Knieprothesen sind ein schlechter präoperativer Gesundheitsstatus und ein geringer Grad der präoperativ bestehenden Arthrose, Faktoren für eine höhere postoperative Unzufriedenheit (Galea et al. 2020).
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Als Ursachen für eine verminderte Bewegungsfähigkeit sind neben Infektionen, Implantatunverträglichkeiten, Fehlpositionierungen und Arthrofibrosen zu nennen. Letztere stellen eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung mit definiertem Streck- und Beugedefizit dar und treten mit einer Prävalenz von bis zu 10 % nach Implantation einer Knieprothese auf (Gollwitzer et al. 2006). In einer anderen Untersuchung wurde bei 13 von 1000 untersuchten Knieendoprothesen eine Arthrofibrose festgestellt (Prävalenz 1,3 %; Kim et al. 2004). In Zusammenhang zwischen ROM und klinischem Outcome bleibt der Nutzen sog. Highflex-Knieendoprothesen zu diskutieren. Aufgrund der speziellen Prothesenform ermöglichen diese den Patienten eine Flexionsbewegung von über 120°. In einer Studie von Kim et al. wurden 100 Patienten mit einer NexGen ® LPS Knieendoprothese als Standardform und als High-Flex-Variante evaluiert. Nach 10 Jahren Verlaufsbeobachtung konnten keine signifikanten Unterschiede in den gängigen Scores (WOMAC, KSS) und bei der Funktion gesehen werden (Kim et al. 2012). In einer weiteren Studie wurde eine durchschnittliche Beugung bis 131° angegeben (Range 95–155°). Allerdings zeigte sich zwischen 3- bis 6-jährigem Follow-up eine erhöhte Lockerungsrate der femoralen High-flex-Komponenten (Cho et al. 2011). Erhöhte Lockerungsraten von High-flex-Endoprothesen konnten auch in anderen klinischen Studien nachgewiesen werden (Han et al. 2007; Zelle et al. 2011). Auch in experimentellen Untersuchungen im Kniesimulator mit unterschiedlichen Implantatmaterialien und -designs bestätigten sich Lockerungen femoraler Komponenten unter Belastungen in Flexionen >110° (Bergschmidt et al. 2016). In einer Metaanalyse hingegen zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen einer Standard- und HighFlex-Prothese (Fu et al. 2015). Der tatsächliche Benefit von High-flex-Knieendoprothesen muss in nachfolgenden Studien daher weiter bestätigt werden. Ein weiterer Aspekt hinsichtlich einer hohen Patientenzufriedenheit ist die Reduktion von Schmerzen. Dies ist ein wesentliches Behandlungsziel bei der endoprothetischen Versorgung des arthrotischen Kniegelenks. Etwa 15–30 % der
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Patienten erfahren jedoch keine oder nur eine geringe Reduktion der Schmerzen und sind mit dem postoperativen Ergebnis unzufrieden (Momoli et al. 2017). In einer Nachbeobachtung mit 1141 Patienten (1217 Knieprothesen) betrug 1 Jahr postoperativ der Anteil an unzufriedenen Patienten bis zu 20 %. Als den wichtigsten Prädiktor für die Unzufriedenheit konnte ein hohes Schmerzniveau nach Operation ermittelt werden. Weiterhin wurde aufgezeigt, dass die Zufriedenheit mit Eintreten der präoperativen Erwartungen seitens des Patienten korreliert (Scott et al. 2010). Eine signifikante Reduktion der Schmerzen ist ähnlich wie beim Bewegungsumfang bis zum Ablauf des ersten Jahres nach Operation zu erwarten (Phillips et al. 2014). Eine Chronifizierung der Schmerzen, d. h. ein anhaltender Schmerz, der länger als 3–6 Monate nach Knieprothesenimplantation auftritt, ist bei bis zu 20 % der Patienten beschrieben (Wylde et al. 2018). Patienten mit anhaltend schmerzhafter Knieprothese sollten im Anschluss an ein Beobachtungsintervall nach einem standardisierten Protokoll nachuntersucht werden, um eine exakte Analyse der Beschwerden und Therapiestrategien zu ermöglichen (Flierl et al. 2019).
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Fazit fu¨r die Praxis
Der künstliche Gelenkersatz stellt eine der erfolgreichsten Operationen unserer Zeit dar. Bisher ist es jedoch nicht möglich die komplexe Biomechanik des Kniegelenks mit einem endoprothetischen Ersatz nachzubilden. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst eine adäquate Gelenkbiomechanik und somit das postoperative Ergebnis. Nicht zuletzt aufgrund der verbesserten klinischen Ergebnisse sind die Implantationszahlen weiter steigend. Um eine hohe Patientenzufriedenheit zu gewährleisten, die Sicherheit weiter zu erhöhen und die Behandlung zu optimieren, ist eine präund postoperative Analyse, einschließlich der Abklärung der Erwartungen seitens des Patienten, notwendig. Bei der Vielzahl von Innovationen im Implantatdesign, Implantatmaterial und Operationstechnik müssen die guten frühfunktionellen Ergebnisse in Langzeituntersuchungen bestätigt werden.
Biomechanik des endoprothetisch versorgten Kniegelenks
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Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese Andreas M. Halder, Simone Halder und Daniel Schrednitzki
Inhalt 1
Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
2 2.1 2.2 2.3 2.4
Präoperative Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laboruntersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apparative Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Planung des operativen Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planungskomponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung des Knocheneingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung des Prothesensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung des Weichteileingriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung der Arthrolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
111 111 113 118 120
123 123 123 124 130 134 136 136
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Die präoperative Vorbereitung beginnt mit der Indikationsstellung und beinhaltet alle Maßnahmen, die für die Implantation einer Knieendoprothese notwendig sind. Dazu gehören eine umfassende Anamnese, die körperlichen und
apparativen Untersuchungen mit der Beurteilung der Operationsrisiken, ein ausführliches Aufklärungsgespräch und die Planung der Operation selbst.
A. M. Halder (*) · S. Halder · D. Schrednitzki Sana Kliniken Sommerfeld, Sommerfeld/Kremmen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_7
109
110
1
A. M. Halder et al.
Indikation
" Die Indikation zur Implantation einer Knieen-
doprothese ist gegeben, wenn ein konservativ therapierefraktärer Knieschmerz auf dem Boden eines Strukturschadens (primäre/sekundäre Arthrose, Osteonekrose) zur Einschränkung der Lebensqualität führt und ein subjektiver Leidensdruck besteht. Nach der ärztlichen Indikation zur Knieendoprothese sollte durch eine partizipative Entscheidung von Arzt und Patient die Entscheidung zur Operation getroffen werden. Nebenkriterien sind für die Indikationsstellung nicht zwingend erforderlich, können die Empfehlung zur Operation jedoch verstärken. Nebenkriterien sind unter anderem Einschränkungen der Beinkraft, der Gehstrecke, des Treppensteigens, beim langen Stehen aber auch Fehlstellungen, Instabilitäten und Einbußen der Kniegelenkbeweglichkeit. Ebenso zählen Einschränkungen des sozialen Lebens und Schwierigkeiten im Alltag dazu (DGOOC 2018). Je nach Ausmaß der arthrotischen Schädigung steht der Operateur vor der Aufgabe, das richtige Implantat für den Patienten zu finden. Die Implantation einer unikondylären Prothese ist indiziert, wenn es sich lediglich um eine unikompartimentale Gelenkdestruktion handelt, mit einem stabilen Kapselbandapparat, funktionell intakten Kreuzbändern und einem Bewegungsausmaß von mindestens 90 . Der Patient sollte keine manifeste Retropatellararthrose haben. 10 % der an Arthrose erkrankten Patienten leiden an einer isolierten Retropatellararthrose. Konservative Therapien bringen diesen Patienten häufig wenig Besserung. Während in früheren Jahren die Patellektomie die Therapie der Wahl war, hat man heute die Möglichkeit, isoliert das patellofemorale Gelenk zu ersetzen. Die Indikation für einen ungekoppelten Oberflächenersatz liegt vor bei arthrotischen Veränderungen in allen drei Gelenkkompartimenten, bei stabilen Seitenbändern, einer Achsfehlstellung unter 20 und guter Knochensubstanz.
Bei ausgeprägter ligamentärer Insuffizienz, höhergradigen Achsfehlstellungen und erheblichen knöchernen Substanzdefekten sollte eine halbgekoppelte oder gekoppelte Knieendoprothese implantiert werden (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Implantate/Implantatsysteme“). Die Funktion und Standzeit der Endoprothesen sind, trotz vieler Innovationen in den letzten Jahren, immer noch begrenzt. Daher ist es wichtig, dass der Patient realistische Erwartungen in Bezug auf das Operationsergebnis hat. Deshalb sollten die individuellen Ansprüche des Patienten an die Mobilität und sportliche Aktivität präoperativ im Rahmen der Anamnese eruiert werden. Eine noch so gut geplante und korrekt durchgeführte Operation kann zu einem unzufriedenen Patienten führen, wenn der Patient schlecht über das zu erwartende funktionelle Ergebnis aufgeklärt wurde oder noch nicht unter einem hohen persönlichen Leidensdruck in Folge der Schmerzen und Funktionseinschränkungen stand. Der Patient sollte daher über seine individuellen Erfolgsaussichten aufgeklärt sein, alle konservativen und gelenkerhaltenden operativen Therapiemöglichkeiten sollten ausgeschöpft sein und zu hohe Erwartungen an ein Kunstgelenk müssen relativiert sein. " Alternative chirurgische Möglichkeiten wie
die Knorpel- und Knorpelknochentransplantation und die Umstellungsosteotomie sollten dem Patienten erläutert werden mit ihren individuellen Erfolgsaussichten und Komplikationsmöglichkeiten. Auch über die Arthrodese sollte der Patienten aufgeklärt sein. Primär ist die Arthrodese selten indiziert. Sie bleibt jedoch eine Therapieoption bei schweren, etwa septischen Komplikationen nach Knieendoprothese. Die meisten orthopädischen Operationen, so auch die endoprothetische Versorgung des Kniegelenkes, sind elektive Eingriffe und daher planbar. Die Wartezeit auf einen Elektiveingriff sollte genutzt werden zur Klärung und Einschätzung des Operationsrisikos und der kardiopulmonalen Belastbarkeit des Patienten. Eine medikamentöse
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
Einstellung kann in dieser Zeit optimiert werden. Bei Adipositas ist dem Patienten eine Gewichtsreduktion zu empfehlen. " Tipp Patienten mit Herzerkrankungen bedu¨rfen besonderer Aufmerksamkeit. Ein Elektiveingriff nach akutem Myokardinfarkt oder bei dekompensierter Herzinsuffizienz ist kontraindiziert.
Alle Arrhythmien, vor allem eine ventrikuläre Extrasystolie, müssen vorher therapiert werden. Elektiveingriffe bei Herzvitien müssen unter antibiotischer Endokarditisprophylaxe erfolgen, üblicherweise mit Amoxicillin, bei Unverträglichkeit mit Clindamycin. Bei künstlichem Herzklappenersatz sind die Antikoagulanzien 7 Tage präoperativ abzusetzen und der Patient erhält überlappend niedermolekulares Heparin entsprechend seines thromboembolischen Risikos. Bei Niereninsuffizienz sollte niedermolekulares Heparin durch unfraktioniertes Heparin ersetzt werden. Bei Hypertoniepatienten sind die Blutdruckwerte zu optimieren und Patienten mit koronarer Herzkrankheit sollten ebenfalls medikamentös gut eingestellt und anfallsfrei sein. Eine koronare Herzkrankheit erhöht das Risiko für einen perioperativen Herzinfarkt auf das 10-Fache. Aber auch andere Grunderkrankungen erhöhen das Operationsrisiko. Bei COPD besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Pneumonie. Bei Patienten mit bekanntem Diabetes mellitus ist der Anteil des glykierten Hämoglobins zu kontrollieren und Werte unter 7,7 % anzustreben, da sonst mit einem erhöhten Risiko periprothetischer Infektionen und Wundheilungsstörungen zur rechnen ist (Tarabichi et al. 2017). Narkose und Operation können bei Diabetikern zu gefährlicher Hypovolämie führen. Biguanide und α1-Glucosidasehemmer sollten wegen einer Laktatazidosegefahr 2 Tage präoperativ abgesetzt werden. Bei einer terminalen Niereninsuffizienz ist die letzte Dialyse 12–24 Stunden präoperativ durchzuführen. Moderne Konzepte wie Patient Blood Management (PBM) können das Transfusionsrisiko von > 10 % auf 1–2 % senken, weshalb eine Eigenblutspende nicht mehr empfohlen wird. Eine Säule
111
des Konzeptes ist die frühzeitige Diagnose und Therapie einer vorhandenen Anämie. So sollte die Wartezeit auf den Operationstermin genutzt werden, um etwa eine Eisenmangelanämie durch entsprechende orale oder intravenöse Substitution gegebenenfalls in Kombination mit Erythropoetin auszugleichen (Alexander und Frew 2017, Abb. 1). " Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
Grunderkrankungen, die mit einem hohen Narkoserisiko einhergehen, ein akuter Infekt des Kniegelenkes, eine Osteomyelitis der Extremität und infizierte Hautulzerationen absolute Kontraindikationen für eine endoprothetische Versorgung des Kniegelenkes darstellen. Eine relative Kontraindikation für die Implantation einer Knieendoprothese ist eine ausgeheilte Infektion des Kniegelenkes, sehr hohes Übergewicht, ein niedriges Alter des Patienten und kniegelenkbelastende berufliche Tätigkeiten. Ausgedehnte Weichteildefekte, eine fortgeschrittene Osteoporose und arterielle Durchblutungsstörungen sind ebenfalls relative Kontraindikationen, bei denen Nutzen und Risiko für den Patienten sorgfältig abzuwägen sind.
2
Pra¨operative Untersuchungen
2.1
Anamnese
Die Anamnese dient der Feststellung aller präoperativen Risiken und der Erfassung der individuellen Erwartungshaltung des Patienten an diese Operation. Das anamnestische Gespräch bietet Raum, um die Compliance des Patienten, seinen Leidensdruck und seine Ansprüche an eine Endoprothese zu erkennen. Sie ist ein wichtiges Element, um Ängste abzubauen und eine vertrauensvolle ArztPatient-Beziehung aufzubauen, die auch über den Erfolg der Operation entscheidet. Um die Anamnese zu standardisieren, ist es sinnvoll, sie anhand von vorgefertigten Bögen vorzunehmen.
112
A. M. Halder et al.
Anmeldung zur geplanten K-TEP Blutbild und Ferritinspiegel
Hb >13g/dl
Hb 100ng/ml
Ferritin 4 Wochen bis OP Eisen p.o.
Ferritin >100ng/ml
> 4 Wochen bis OP Eisen parenteral
OP verschieben, wenn < 4 Wochen bis OP EPO und Eisen p.o.
Hb Kontrolle in Vorwoche der Operation
Operation Perioperative Gabe von Tranexamsäure Abb. 1 PBM-Algorithmus. (Patient Blood Management; modifiziert nach Alexander und Frew 2017)
Die Anamnese umfasst alle Erkrankungen, Unfälle und Operationen. Aktuelle Medikamente sollten dokumentiert, nach Nikotin-, Alkoholund Drogenkonsum gefragt werden. Allergien auf Medikamente, insbesondere auf Antibiotika, müssen eruiert werden, um etwa eine Reaktion auf die perioperative Antibiose zu vermeiden. Ergibt sich in der Anamnese der Verdacht auf eine Metallallergie (z. B. Nickel, Chrom, Kobalt), sollte die Zeit vor der Operation zur weiteren Abklärung genutzt werden. Bestätigt sich eine Metallallergie, ist die Verwendung einer speziell beschichteten oder allergenfreien Endoprothese zu erwägen.
" Es folgt die spezielle Anamnese mit Fragen
nach der Schmerzlokalisation, der Ausstrahlung, zeitlichem Auftreten, einem ursächlichen Zusammenhang, etwa mit einem Unfall, nach Belastungs- und Ruheschmerz, nach der Schmerzintensität und den damit verbundenen Einschränkungen der körperlichen Aktivität. Es sollte auch erfragt werden, ob und in welcher Art Behandlungen stattgefunden haben. Bei Voroperationen am Kniegelenk sind vorhandene Narben in die präoperative Planung mit einzubeziehen. Darüber hinaus spielen berufliche Belastung, Hobbys und sportliche Ansprüche eine wichtige Rolle. Mit der Frage nach den familiären Verhält-
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
nissen kann auch die häusliche Versorgung des Patienten nach einer Operation im Rahmen der Anamnese abgeklärt und die Zeit des stationären Aufenthaltes genutzt werden, um gegebenenfalls eine Hauskrankenpflege zu organisieren.
2.2
Klinische Untersuchung
Jede klinische Untersuchung beginnt mit der Inspektion, sie gibt erste Hinweise auf das Ausmaß und die Art der Erkrankung. Die Inspektion sollte am stehenden Patienten durchgeführt werden. Es erfolgt die Beurteilung der Beinachse: Liegt eine varische oder valgische Fehlstellung vor, hat der Patient ein Genu recurvatum oder flexum (Abb. 2)? Die Atrophie des M. quadriceps femoris sowie eine Schwellung des Kniegelenkes können inspektorisch erfasst werden. Wichtig ist auch die Inspektion der Haut. Jede Hauterkrankung, vor allem aber
113
die Psoriasis, geht mit einem deutlich erhöhten postoperativen Infektionsrisiko einher. Die Berücksichtigung von Narben spielt für die Operationsplanung eine große Rolle, um Wundheilungsstörungen oder Hautnekrosen zu vermeiden. Es folgt die Palpation. Sie erlaubt gezielt, erkrankte Gelenkstrukturen zu lokalisieren. Die Palpation erfolgt am liegenden Patienten. Die Hauttemperatur und der Muskeltonus sollten erfasst werden. Weichteilschwellung oder Kniegelenkerguss können palpatorisch unterschieden werden. Bei einem Kniegelenkerguss zeigt sich nach Ausstreichen des oberen Rezessus unter leichtem Druck von ventral eine tanzende Patella. Die Kniekehle ist zu palpieren, um eine Poplitealzyste zu erkennen. Schmerzlokalisationen, wie z. B. der druckschmerzhafte innere Gelenkspalt bei der Varusgonarthrose, können bestimmt werden. Aber auch die Gelenkkapsel, der Pes anserinus oder das Fibulaköpfchen können im Rahmen der
Abb. 2 a Valgusdeformität, b Varusdeformität. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
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Gonarthrose druckschmerzhaft sein. An der Patella ist auf einen Facettendruckschmerz zu achten. Zur Palpation gehört auch die Untersuchung des Gefäßstatus. Die Pulse der A. femoralis, A. poplitea, A. tibialis dorsalis und der A. dorsalis pedis sollten überprüft und dokumentiert werden. Auch eine orientierende neurologische Untersuchung ist erforderlich. Die Sensibilität und die Muskeleigenreflexe der unteren Extremität, d. h. der Patellarsehnenreflex, der Tibialis-posteriorReflex und der Achillessehnenreflex, sind zu untersuchen, um etwa postoperativ auftretende Störungen einordnen zu können. Nach der Palpation folgen die Funktionstests. Es sollte stets eine orientierende Untersuchung der Wirbelsäule und des Hüftgelenkes erfolgen. " Tipp Es ist nicht selten, dass ein Schmerz im Kniegelenk durch eine Koxarthrose oder degenerative Vera¨nderungen der Lendenwirbelsa¨ule ausgelo¨st wird (Abb. 3).
Das Bewegungsausmaß des Kniegelenkes wird nach der Neutral-Null-Methode bestimmt und beträgt Extension/Flexion 10/0/140 .
Abb. 3 Schmerzausstrahlung. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
A. M. Halder et al.
" In 90 Beugung hat ein gesundes Kniegelenk
eine Innenrotation von 10 und eine Außenrotation von 20 . In Streckung ist eine Rotation nicht möglich (Abb. 4). Bei der orientierenden Bewegungsprüfung ist auf Krepitationen zu achten. Danach folgt die Überprüfung der Kniegelenksstabilität. Eine Instabilität wird in 3 Grade unterteilt. Eine Aufklappbarkeit oder Schubladenbewegung von 5 mm entspricht Grad 1, von 5–10 mm Grad 2 und über 10 mm Grad 3. Die Stabilität der Innen- und Außenbänder wird durch den Varus- und Valgus-Stresstest bei 30 Beugung erfasst. Hierbei umfasst der Untersucher das Kniegelenk von beiden Seiten mit den Händen, der Unterschenkel des Patienten ist zwischen Unterarm und Taille des Untersuchers fixiert. Dann wird jeweils Valgus- und Varusstress auf das Kniegelenk ausgeübt und die Aufklappbarkeit am Kniegelenksspalt palpiert (Abb. 5). Für die Versorgung des Kniegelenkes mit einem Oberflächenersatz müssen die Seitenbänder intakt sein. Die Kreuzbänder können überprüft werden mit dem Lachmann-Test. Dabei ist das Knie des Patienten in 30 Beugung, eine Hand des Untersuchers umfasst die Femurkondylen und Patella, die andere Hand zieht die Tibia nach vorne. Weiterhin können das vordere und hintere Kreuzband durch den Schubladentest untersucht werden. Hier liegt der Patient auf dem Rücken, das Hüftund Kniegelenk sind gebeugt. Der Untersucher setzt sich zur Fixierung des Unterschenkels in Neutralstellung auf den Fuß des Patienten und umgreift den Tibiakopf mit beiden Händen. Zur Überprüfung des vorderen Kreuzbandes zieht er die Tibia in 30 Flexion nach ventral und zur Überprüfung des hinteren Kreuzbandes schiebt er sie in 90 Flexion nach dorsal (Abb. 6). Eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung des vorderen Kreuzbandes ist der Pivot-Shift-Test. Der Patient ist ebenfalls in Rückenlage. Der Untersucher fixiert mit der einen Hand den distalen Oberschenkel, mit der anderen Hand hält er den Unterschenkel in Innenrotation und Abduktion, übt also Valgusstress aus. Jetzt wird das Knie langsam
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese Abb. 4 Bewegungsausmaß des Kniegelenks nach der Neutral-Null-Methode. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
Abb. 5 Varus-Valgus-Stresstest. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
115
116
A. M. Halder et al.
Abb. 6 Hinteres Schubladenzeichen. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
Abb. 8 Untersuchung der Patella: Grinding-Test. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
Abb. 7 Payr-Test zur Feststellung eines Meniskusschadens. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
gebeugt. Bei einem defekten vorderen Kreuzband subluxiert dabei die Tibia nach vorne. Druck oder Scherkraft erzeugen bei geschädigtem Meniskus Schmerzen durch Zug an der Gelenkkapsel. Es gibt eine Vielzahl von Tests zur Feststellung eines Meniskusschadens. Beispielhaft sei hier der Payr-Test dargestellt. Mit der einen Hand fixiert der Untersucher das Knie, mit der anderen das Sprunggelenk. Nun wird der Unterschenkel bei maximal gebeugtem Knie außenrotiert und leichter Varusstress ausgeübt zur Über-
prüfung des medialen Meniskus und dann innenrotiert mit leichtem Valgusstress zur Überprüfung des lateralen Meniskus (Abb. 7). Es folgt die Untersuchung der Patella. Krepitationen bei Flexion und Extension oder bei manueller Verschiebung beim Grinding-Test (Abb. 8) deuten auf eine Retropatellararthrose hin. Zur weiteren Abklärung dient das ZohlenZeichen. Hier drückt der Untersucher die Patella vom oberen Pol aus leicht nach distal und lässt den Patienten den M. quadriceps femoris anspannen. Allerdings ist das Zohlen-Zeichen häufig falsch-positiv. Ein Patellahoch- oder -tiefstand ist ebenso zu dokumentieren wie eine lateralisierte Patellaposition, die eine operative Rezentrierung erfordert.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
Abb. 9 Untersuchungsbogen Knie. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
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A. M. Halder et al.
Abb. 10 Insall-Score. (Aus Halder und Köhler 2011)
Es ist sinnvoll, die Untersuchungsverfahren zur standardisieren und die Daten anhand der üblichen Scores, wie dem Insall-Score zu erfassen (Abb. 9 und 10). So können klinische Ergebnisse objektiviert, dokumentiert und verglichen werden.
2.3
Laboruntersuchung
Die Untersuchungsbefunde sollten nicht älter als 2 Wochen sein.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
Standardmäßig erfolgen präoperativ Blutgruppenbestimmung und Antikörpersuchtest. Die Anzahl der bereitzustellenden Blutkonserven richtet sich nach der Art der geplanten Operation. Während bei der Primärimplantation selten eine Transfusion notwendig wird, ist dies bei der Revisionsoperation wesentlich häufiger. Das Hämoglobin sollte bei geplanten operativen Eingriffen nicht unter 9 g/dl liegen, gegebenenfalls sollte eine Anämie im Rahmen des Patient Blood Managements (PBM) entsprechend ihrer Ursache behandelt werden. Die Bestimmung der Elektrolyte Natrium, Kalium und Kalzium ist Standard. Besonders wichtig ist eine regelmäßige Elektrolytkontrolle bei Patienten mit Diuretika- und Digitalismedikation. Serumprotein sollte präoperativ bestimmt werden. Eine Hypalbuminämie kann zu einer maskierten Hypovolämie führen. Bei erhöhten Glukosewerten oder bekanntem Diabetes mellitus sollte zusätzlich ein Blutzuckertagesprofil angefertigt werden. Bei einer Schilddrüsenerkrankung in der Anamnese erfolgt die Bestimmung von T3, T4 und TSH. Zur Einschätzung des Narkoserisikos gehört auch die Kontrolle der Nieren- und Leberfunktion. Routinemäßig empfiehlt sich prä- und postoperativ die Bestimmung des Kreatinins, des Harnstoffs und der Transaminasen. In der Gerinnungsdiagnostik erfolgt standardmäßig die Messung des Quick, der PTT und der Thrombozytenzahl. Überlappend sollte eine Antikoagulation mit Heparin erfolgen. Thrombozytenaggregationshemmer, wie Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel, sollten 7 Tage präoperativ abgesetzt werden. Antikoagulanzien, wie Kumarine, sollten 10–14 Tage präoperativ abgesetzt werden und entsprechend mit einem niedermolekularem Heparin übergangsweise ersetzt werden. Die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK, z. B. Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) erfordern kein klassisches Bridging, jedoch eine der individuellen Kinetik entsprechende präoperative Pause (Hoffmeister et al. 2010). Bei regelmäßiger Einnahme bestimmter Medikamente, wie Digitalis oder Antiepileptika, ist die prä- und vor allem auch postoperative Kontrolle der Medikamentenspiegel erforderlich. Bei Verdacht auf ein entzündliches Geschehen kann die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG)
119
bestimmt werden. Deutlich spezifischer ist jedoch die Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP). " Bei erhöhten Entzündungswerten und bei
jeder unklaren Schwellung des Kniegelenkes sollte präoperativ unter sterilen Kautelen eine Punktion des Gelenkes erfolgen. Zunächst wird das Punktat makroskopisch auf Trübung, Farbe und Konsistenz beurteilt: • Ein blutiges Punktat deutet auf eine Verletzung des Kapsel-Band-Apparates hin. • Ein blutiges Punktat mit Fettaugen lässt eine Knochenbeteiligung vermuten. • Ein seröses Punktat liegt bei Reizergüssen vor. • Eine trübe und dünnflüssige Konsistenz lässt auf eine rheumatische Grunderkrankung schließen. • Ein trüb gelbliches Punktat liegt bei Gelenkinfektionen vor. • Eine himbeerartige Färbung findet sich bei Lues-Arthropathie. Bei Verdacht auf eine Infektion geht ein Röhrchen mit steril entnommener Gelenkflüssigkeit zur bakteriologischen Untersuchung und Zellzahlbestimmung. Der Schwellenwert der Zellzahl für die Annahme einer periprothetischen Infektion wird international unterschiedlich angegeben und liegt zwischen 1100–4200 Leukozyten/μl (Zahar et al. 2018). " Cave Bestätigt sich der Verdacht auf eine Ge-
lenkinfektion, ist die Implantation einer Endoprothese absolut kontraindiziert. Vor einer erneut geplanten Operation sollte der Infekt nach Resistogramm antibiotisch saniert werden. Eine intraoperativ entnommene Biopsie zur mikrobiologischen Untersuchung ist nur dann zu verwerten, wenn die Antibiotikaprophylaxe erst danach gegeben wird. Bei Verdacht auf eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises wird ein heparinhaltiges Röhrchen zentrifugiert, um Zellen, Sediment und Kristalle zu untersuchen. Zusätzlich sollte bei einer Rheumadiagnostik eine Synoviabiopsie von 3 verschiedenen Stellen
120
A. M. Halder et al.
erfolgen, um die Diagnose zu verifizieren. Laborchemisch kann zusätzlich die Bestimmung der Rheumafaktoren, der Harnsäure, antinukleärer Faktoren (ANF), der Komplementfaktoren, eine Immunelektrophorese und gegebenenfalls die Bestimmung der Histokompatibilitätsantigene, wie HLA-B27, erfolgen.
2.4
Apparative Untersuchung
Bei jedem Patienten sollte präoperativ ein EKG angefertigt werden. Eine Röntgenaufnahme des Thorax ist bei Patienten über 60 Jahren empfehlenswert. Präoperative Röntgenaufnahmen der Extremität sind für die Planung der Operation unerlässlich. " Die Knochenqualität, Varus- und Valgusfehl-
stellung, osteophytäre Anbauten, sklerotische oder zystische Veränderungen, sowie Knochendefekte oder posttraumatische Veränderungen müssen bei der präoperativen Planung berücksichtigt werden. Die radiologische Untersuchung beginnt mit Kniegelenkaufnahmen im a.-p.- und seitlichen Strahlengang (Abb. 11). Abb. 11 Kniegelenkaufnahmen im a a.-p.- und b seitlichen Strahlengang
Im a.-p.-Strahlengang sollte die Röntgenaufnahme im Einbeinstand angefertigt werden, um den Grad der Verschmälerung des medialen oder lateralen Gelenkkompartimentes zu erkennen sowie das Ausmaß ossärer Defekte. Es sollte jeweils ein Drittel der Tibia und des Femurs mit abgebildet sein. Die seitliche Aufnahme kann in Extension oder in Flexion erfolgen. Hier variieren die Angaben zum Grad der Flexion in der Literatur zwischen 30 und 90 . Es ist wichtig, die Aufnahmen standardisiert zu erstellen. Das seitliche Röntgenbild ermöglicht die Beurteilung des posterioren Slope des Tibiaplateaus und die Höhe der Patella zur Gelenklinie. Mithilfe des Insall-Salvati-Patellahöhenindex kann diese objektiviert werden. Er errechnet sich aus dem Verhältnis zwischen der Länge der Patella zur Länge der Patellarsehne und sollte 1 betragen. Eine Patella alta liegt bei einem Patellahöhenindex < 0,8 vor, eine Patella baja bei einem Patellahöhenindex >1,2. Die Patella alta beeinträchtigt die Patellaführung und Extensionsfähigkeit des Kniegelenkes, eine Patella baja die Flexion durch Impingement. Zusätzlich können die Form, Lage und Dicke der Patella beurteilt und Patellafehlbildungen, wie eine Patella partita, erkannt werden.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
Die Patellatangentialaufnahme in Flexion gibt Aufschluss über den Lauf und die Form der Patella sowie des Gleitlagers (Abb. 12). Auch hier variiert der vorgegebene Flexionsgrad in der Literatur zwischen 30 und 60 . Patella-Defilé-Aufnahmen bei 30 , 60 und 90 Beugung sind zur Beurteilung einer Trochleadysplasie und des Patellalaufes geeignet. Defilé-Aufnahmen sind vor allem bei rezidivierender Patellaluxation indiziert. Eine lange Beinaufnahme im Stehen dient zur Beurteilung intra- und extraartikulärer Achsabweichungen (Abb. 13). Bei der Aufnahme müssen der Femurkopf sowie das obere Sprunggelenk zu sehen sein, um die mechanische Beinachse bestimmen zu können. Bei adipösen Patienten ist die gleichzeitige Darstellung oft schwierig, da der Weichteilschatten den Femurkopf überdeckt. Auf jeder Röntgenaufnahme sollte ein rotationssymmetrischer Gegenstand bekannter Größe abgebildet zu sein, um den Vergrößerungsfaktor bestimmen zu können. Im Regelfall beträgt der Film-Fokusabstand 115 cm, womit die Abbildung im Maßstab 1:1,15 vergrößert ist. Im Falle digitaler Aufnahmen ist der Größenmaßstab zur Kalibrierung der Bilder wichtig. Fallen bei der klinischen Untersuchung in Hüft- und Kniebeugung Rotationsfehler am Beinskelett auf, so sollte eine Computertomografie (CT) auf Höhe des Schenkelhalses, des Kniegelenkes sowie des oberen Sprunggelenkes angefertigt werden (Abb. 14). Damit können dann das Ausmaß von Rotationsfehlstellungen an Femur und Tibia bestimmt werden. Diese spielen etwa bei der Führung der Patella im Gleitlager eine wichtige Rolle. Weiterhin ist die Computertomo-
Abb. 12 Patellatangentialaufnahme in Flexion. (Aus Halder und Köhler 2011)
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grafie bei Verdacht auf einen Tumor oder eine Fraktur indiziert. Eine MRT ist zur Beurteilung des Bandapparates, der Menisken und der umgebenden Muskulatur geeignet. Außerdem ist eine Diagnose des M. Ahlbäck oder einer Osteochondrosis dissecans sowie einer subchondralen Impression möglich. Zur frühzeitigen Diagnose eines M. Ahlbäck ist ebenfalls die Szintigrafie geeignet. Eingesetzt wird die Szintigrafie auch zum Screening bei Verdacht auf Osteomyelitis, Stressfraktur oder Tumor. Zur Abklärung einer Bursitis, einer BakerZyste, eines Gelenkergusses sowie zur Beurteilung der Quadrizeps- und Patellarsehne eignet sich die Sonografie.
Abb. 13 Beinaufnahme im Stehen: a Varusarthrose, b Valgusarthrose
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A. M. Halder et al.
Abb. 14 Rotationsfehlstellungen in der CT. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
Die Arthrografie des Kniegelenks ist heutzutage durch die MRT und die Arthroskopie, die gleichzeitig eine Behandlung ermöglicht, weitgehend abgelöst. Bei schwachen oder fehlenden Fußpulsen und einer anamnestisch angegebenen Klaudikatio ist präoperativ eine arterielle Angiografie erforderlich.
3
Aufkla¨rung
Im Rahmen der Aufklärung sollte auf Ängste und Erwartungen des Patienten eingegangen werden. Die Aufklärung soll der Entscheidungsfindung helfen. Nur ein gut aufgeklärter, informierter und motivierter Patient kann an dem Erfolg der Operation und der postoperativen Nachbehandlung mitarbeiten. Eventuell auftretende Komplikationen können nur durch eine stabile und vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung bewältigt werden. Das Gespräch muss in für den Patienten verständlichen Worten erfolgen. Bei der Aufklärung fremdsprachiger Patienten ist ein Übersetzer hinzuzuziehen. Eine Behandlung ohne Aufklärung ist rechtswidrig, ein daraus eventuell entstehender Schaden ist vom Operateur zu tragen. Die Beweislast über eine erfolgte Aufklärung liegt beim Arzt (BGH, Urteil vom 28.02.1984).
" Eine Aufklärung sollte die Diagnose, Art,
Umfang und Durchführung der geplanten Operation, die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen mit jeweiligen Vor- und Nachteilen, sowie allgemeine und spezielle Komplikationen beinhalten. Zu den allgemeinen Risiken gehören die Thrombose und Lungenembolie, Infektion, Gefäßund Nervenverletzungen, sowie bei Operationen an den Extremitäten der M. Sudeck, das Kompartmentsyndrom und die Fraktur. Zu den speziellen Risiken der Knieendoprothetik zählen die aseptische und septische Lockerung der Prothese, die Arthrofibrose und die Luxation. Formulare können ein Aufklärungsgespräch nicht ersetzen, sie dienen der Vorbereitung des Patienten auf das Gespräch und der Dokumentation der Aufklärung. Alle besprochenen möglichen Komplikationen und Behandlungsalternativen sollten zusätzlich handschriftlich dokumentiert werden. Das Formular ist mit Datum, Zeit und Dauer der Aufklärung und der Unterschrift des Patienten und des Arztes zu versehen. " Die Aufklärung sollte mit einem ausreichend
großen Abstand zur geplanten Operation erfolgen, spätestens am Vortag. Der Operateur muss die Aufklärung nicht selbst durchführen, er ist aber verpflichtet sich zu
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
vergewissern, dass sie in ausreichendem Umfang erfolgt ist (OLG Karlsruhe, Urteil 19.03.1997). Zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses sollte der Operateur jedoch vor und nach dem Eingriff mit dem Patienten sprechen. Neben der Aufklärung ist die Compliance des Patienten von entscheidender Bedeutung für den Behandlungserfolg (Lucas 2007). Zusätzlich sollte der Patient vor der Operation Informationen erhalten, was für einen stationären Aufenthalt benötigt wird, wie Untersuchungsbefunde der behandelnden Ärzte, Medikamente für die ersten Tage, Einweisungsschein und gegebenenfalls eine Kostenübernahme, Utensilien für die Köperhygiene, Bademantel, Sportbekleidung, Badekleidung und festes Schuhwerk.
4
Planung des operativen Eingriffs
Die präoperative Planung dient dazu, den operativen Eingriff mit seinen instrumentellen und personellen Voraussetzungen exakt zu planen und ein realistisches Ziel festzulegen (In und Schmalzried 2006). Bei der präoperativen Planung erarbeitet sich der Operateur einen Plan für das operative Vorgehen mit den dafür notwendigen Kennzahlen, wie Resektionswinkel und -ausmaß, Prothesenart und -größe. Dementsprechend müssen Instrumenteur und Assistent informiert werden und Instrumente und Implantate erforderlichenfalls bestellt werden (Scuderi 2006). Dabei muss der erfahrene Operateur eine realistische Zielstellung verfolgen.
4.1
Grundlagen
Bei der präoperativen Planung ist die apparative, instrumentelle und personelle Ausstattung der Operationseinheit zu berücksichtigen. So beeinflusst das Vorhandensein eines Fluoroskopes, eines Roboters oder Navigationsgerätes die Planung ebenso wie das Vorhandensein von Knieprothesensystemen mit unterschiedlichem Kopplungsgrad. Auch die Kompetenz und Erfahrung des Operateurs und seines Teams ist bei der Pla-
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nung zu berücksichtigen und für das Ergebnis von entscheidender Bedeutung. Die Befunde der umfassenden klinischen Untersuchung sind für die präoperative Planung eminent wichtig. Dabei spielen das Ausmaß und die Rigidität einer Deformität, die Weichteildeckung, das Bewegungsausmaß und die Stabilität des Kniegelenks eine entscheidende Rolle. Jedoch auch der neurologische und vaskuläre Zustand des Beines haben wesentlichen Einfluss auf das operative Vorgehen. Des Weiteren fließen die Ergebnisse apparativer Untersuchungen in die präoperative Planung ein. Allen voran bilden die Ergebnisse der Röntgenuntersuchung des Kniegelenkes Grundlage für die präoperative Planung. Erforderlichenfalls sind auch zusätzliche Untersuchungen mittels CT – etwa zur Bestimmung von Rotationsfehlern –, MRT – etwa zur Abgrenzung von Weichteiltumoren –, Szintigrafie – etwa zur Lokalisierung von Entzündungsherden – oder spezielle Laboruntersuchungen – etwa zum Ausschluss einer Infektion – notwendig. Für die grafische Planung des operativen Eingriffs haben moderne Softwarelösungen Planungsschablonen abgelöst. Die Genauigkeit der Planung mit digitalen Systemen übertrifft inzwischen die des analogen Verfahrens (The et al. 2005; Specht et al. 2007)
4.2
Planungskomponenten
Die Planung des Knocheneingriffes umfasst wesentlich die Korrektur der Beinachse in der Frontal- und Sagittalebene. Die Standzeit der Knieendoprothese hängt im entscheidenden Maße von der achsgerechten Implantation ab. Des Weiteren muss die korrekte Gelenkspaltebene und damit Resektionsebene geplant werden, um eine optimale Funktion des Kniestreck- und Beugeapparates zu ermöglichen. Bei Vorliegen von Deformitäten muss zur Implantation das geeignete Ausrichtverfahren gewählt werden und gegebenenfalls eine Osteotomie geplant werden. Das Füllen größerer knöcherner Defekte muss geplant werden, um entsprechende Transplantate oder Augmente zur Verfügung zu haben und so
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die Gelenkebene wiederherstellen zu können. Schließlich spielt das präoperative Erkennen der Knochenqualität für die Wahl des Verankerungsverfahrens und der Verankerungselemente eine wichtige Rolle. Die Auswahl des geeigneten Prothesensystems, der korrekten Größen und aller notwendigen Komponenten ist für den Erfolg der Implantation einer Knieendoprothese von elementarer Bedeutung. Bei der Planung des Weichteileingriffes ist zunächst der Zugangsweg sorgfältig zu planen, um einerseits alle Bereiche des Kniegelenks zu erreichen, die chirurgisch angegangen werden müssen, und anderseits eine ungestörte Wundheilung zu ermöglichen. Die weichteilige Korrektur einer Deformität etwa durch stufenweise Releases muss ebenso bedacht werden wie die ligamentäre Abb. 15 Mechanischanatomische Achsen. (AF anatomische Femurachse, TL Traglinie, KBL Kniebasislinie, AT Tibiaaußenwinkel, TKP Tangente Tibiakopfplateau, C Senkrechte zur Traglinie, aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
A. M. Halder et al.
Stabilisierung des Kniegelenkes. Schließlich muss bei Vorliegen von Kontrakturen die Wiederherstellung eines realistischen Bewegungsumfanges angestrebt werden.
4.3
Planung des Knocheneingriffs
Korrektur der Beinachse Die Wiederherstellung der korrekten Beinachse hat entscheidenden Einfluss auf die Standzeit der Prothese und die Stabilität des Kniegelenks. Das Knie ist physiologisch auf der mechanischen Beinachse zentriert, wobei die Gelenklinie nahezu rechtwinklig dazu in 2–3 Varusstellung verläuft. Das Tibiaplateau weist einen posterioren Slope von 5–10 auf, wodurch es bei Belastung in leichter Flexion nahezu planparallel zum Boden ist.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
Die mechanische Beinachse (Mikulicz-Linie) verläuft von der Hüftkopfmitte zur Mitte des oberen Sprunggelenks. Während die anatomische Tibiaachse identisch mit der mechanischen Beinachse ist, weicht die anatomische Femurachse in einem Valguswinkel von 5–9 von der mechanischen Beinachse ab. Dabei hängt der resultierende tibiofemorale Winkel von der Geometrie des Femurs ab, wobei die Länge des Oberschenkelschaftes und -halses sowie deren Winkel zueinander und der Grad der Anteversion des Oberschenkelhalses einen Einfluss haben. Die Kniebasislinie ist die Tangente an den distalen Femurkondylen und bildet femoralseitig einen Außenwinkel von 87 bzw. tibialseitig einen Außenwinkel von 93 mit der mechanischen Beinachse. In der Sagittalebene ist das Knie auf der mechanischen Beinachse zentriert und die Tangente am Tibiaplateau weist einen posterioren Slope von 5–10 auf (Abb. 15).
Abb. 16 Varusgonarthrose rechts, Ganzbeinröntgenaufnahme, rot Traglinie, blau anatomische tibiale und femorale Achse. a präoperative Varusfehlstellung, b Planung der Korrektur. (Wirtz 2011)
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Eine Beindeformität liegt dann vor, wenn mechanische Beinachse und anatomische Tibiaachse nicht aufeinander liegen. Das Ausmaß der Abweichung der anatomischen Tibiaachse von der mechanischen Beinachse gibt den Grad der Deformität an (Abb. 16). " Ziel der Implantation der Knieendoprothese
ist es, das Kniegelenk wieder auf der mechanischen Beinachse zu zentrieren und die Orientierung der Gelenkebene relativ zum Boden wiederherzustellen. Man unterscheidet das klassische Alignment vom anatomischen Alignment (Abb. 17). Beim klassischen Alignment für Knieendoprothesen mit symmetrischer Femurkomponente wird die Gelenklinie rechtwinklig zur anatomischen Tibiaachse hergestellt. Dabei erfolgen die proximale Tibiaresektion rechtwinklig zur anatomischen Ti-
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A. M. Halder et al.
Abb. 17 a Klassische Ausrichtung der Knieprothese, b anatomische Ausrichtung der Knieprothese. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
biaachse und die distale Femurresektion rechtwinklig zur mechanischen Beinachse, d. h. in einem Winkel von 5–9 zur anatomischen Femurachse. Die transepikondyläre Linie liegt dabei parallel zur Tibiaresektion. Der posteriore Kondylenwinkel gebildet aus der Kniebasislinie in Flexion und der transepikondylären Linie hat physiologisch 3–5 Innenrotation. Insofern ist die Femurkomponente beim klassischen Alignment mit einer relativen Außenrotation in Flexion von 3–5 zu implantieren, um einen ausgeglichenen Beuge- und Streckspalt sowie eine zentrierte Patellaführung herzustellen. Beim anatomischen Alignment für Knieendoprothesen mit asymmetrischer Femurkomponente
wird die anatomische Gelenklinie in 2–3 Varuswinkel relativ zur mechanischen Beinachse wiederhergestellt. Dabei erfolgt die proximale Tibiaresektion in 2–3 Varuswinkel und die distale Femurresektion in 7–11 Valguswinkel relativ zur anatomischen Femurachse. Bei hochgradigen Varusfehlstellungen kann eine geringgradige Unterkorrektur operationstechnisch und klinisch vorteilhaft sein, da in der Regel kein Weichteilrelease notwendig ist. Beim kinematischen Alignment werden strikt die Oberflächen von Femur und Tibia in Implantatdicke reseziert, wobei die präarthrotische Anatomie rekonstruiert und somit ein echter Oberflächenersatz vorgenommen werden soll. Neben
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
der Varusposition der Tibiakomponente führt dies zu einer Innenrotation der Femurkomponente relativ zur transepikondylären Linie (Riviere et al. 2017). Auch bei dieser Technik ist in der Regel kein Weichteilrelease notwendig, allerdings können präarthrotische Deformitäten und posttraumatische Fehlstellungen nicht korrigiert werden. Die Rotation der Femurkomponente in Flexion wird durch die Lage der transepikondylären Linie und letztlich durch die mediolaterale Bandspannung bestimmt, die für einen symmetrischen Flexionsspalt ausgeglichen sein muss (Abb. 18). Die Rotation der Tibiakomponente wird durch die Geometrie der Gelenkfläche bestimmt. Relativ zu den posterioren Tibiakondylen weist das Tibiaplateau eine Innenrotation auf. Intraoperativ wird die Rotation der Tibiakomponente entweder am medialen Drittel der Tuberositas tibiae ausgerichtet oder durch Flexion und Extension mit eingesetzter unfixierter Tibiaprobekomponente eingestellt („floating trial“). Die Flexionsstellung der Femurkomponente kann in der seitlichen Röntgenaufnahme bestimmt werden. Aufgrund der Antekurvation des Femurs resultiert im Regelfall eine Flexionsstellung von 2–5 . Die Tibiakomponente wird entsprechend den physiologischen Verhältnissen in einem posterioren Slope von 5–7 implantiert, um eine gleichmäßige Weite von Streck- und Beugespalt herzustellen. Bei einem zu geringen Slope ist der Beugespalt zu eng und damit die Flexion eingeschränkt. Bei einem zu großen Slope ist der Beugespalt zu weit und damit das Knie in Beugung instabil.
Wahl des Ausrichtverfahrens Bei den meisten Knieendoprothesensystemen erfolgen die Ausrichtung der Femurkomponente mittels intramedullärer Zielung und die Ausrichtung der Tibiakomponente mittels extramedullärer Zielung. Insbesondere bei adipösen Patienten bietet die intramedulläre Zielung eine verlässliche Orientierung zur Ausrichtung der femoralen Prothesenkomponente. Deshalb ist es wichtig, bei der
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Abb. 18 Außenrotation der Femurkomponente. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
präoperativen Planung die Femurdiaphyse zu beurteilen, da es im Falle eines femoralen Achsfehlers oder eines weiten Markraumes zur Fehllage der Prothese kommen kann. Entsprechendes gilt für die Ausrichtung der Tibiakomponente mittels intramedullärer Zielung. Während in diesen Fällen tibial die extramedulläre Zielung eingesetzt werden kann, kommt femoral entweder ein kurzer intramedullärer Ausrichtstab und ein geplant abweichender Resektionswinkel (Abb. 19) oder die navigierte Implantation zur Anwendung. Bei der CT-freien Navigation wird das Zentrum des Hüftkopfes kinematisch berechnet und mit dem Zentrum des Kniegelenkes die mechanische Femurachse gebildet, an der die Femurkomponente ausgerichtet wird (Clemens und Miehlke 2005). Alternativ bieten auch patientenspezifische Instrumente bei entsprechender Planung mittels CT oder MRT die Möglichkeit, vollständig auf eine intramedulläre Ausrichtung zu verzichten.
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Abb. 19 Intramedulläre Zielung bei Achsfehlern. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
Osteotomien Extraartikuläre Achsabweichungen können diaoder metaphysär lokalisiert sein. Während geringgradige metaphysäre Abweichungen durch die geeignete Wahl der Resektionsebenen ausgeglichen werden können, müssen diaphysäre Achsabweichungen durch eine zusätzliche Osteotomie einoder zweizeitig korrigiert werden (Abb. 20; Papagelopoulos et al. 2007). Bei einzeitigem Vorgehen können zementfreie Stiele an den Prothesenkomponenten wie Marknägel eingesetzt werden und zu einer primär stabilen Versorgung führen. Zementfreie Stiele können auch mit einer zementierten artikulierenden Komponente eingesetzt werden.
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Wahl der Resektionsebenen Die Höhe der Gelenklinie der Knieendoprothese sollte der anatomischen Gelenkspalthöhe entsprechen, um den Hebelarm für die Streck- und Beugemuskulatur wiederherzustellen und so eine optimale Funktion des Streck- und Beugeapparates zu gewährleisten. Das Ausmaß des resezierten Knochens sollte dabei am weniger degenerativ veränderten Gelenkanteil bestimmt werden und der minimalen Implantatdicke entsprechen. Im Falle eines tiefergehenden tibialen Knochendefektes sollte zur Rekonstruktion der anatomischen Gelenkspalthöhe der Knochenaufbau mittels autogenem oder allogenem Knochen oder Augment erfolgen, wobei die Tibiakomponente dann mit einem Stiel sicher im Wirtsknochen verankert werden kann. Der Wahl einer distaleren Resektionsebene mit Ausgleich durch ein dickeres Polyethylenonlay sind enge Grenzen gesetzt, da das Tibiaplateau distal kleiner wird und eine kleine Tibiakomponente nur begrenzt mit einer größeren Femurkomponente kombiniert werden kann. Defekte an den Femurkondylen müssen ebenfalls ausgeglichen werden, um die anatomische Gelenkspalthöhe wiederherzustellen. Eine Proximalisierung des Gelenkspaltes verkürzt nicht nur den Hebelarm der Streckmuskulatur, sondern führt auch zu einem Tiefstand der Patella, wodurch es zum Kontakt der Patella mit dem Polyethylenonlay kommen kann. Zudem führt eine Proximalisierung der Femurkomponente zu einer Erweiterung des Streckspaltes. Streck- und Beugespalt müssen jedoch für eine einwandfreie Funktion der Knieendoprothese gleich weit sein. Gro¨ßenbestimmung von Knochendefekten Auf den koronaren und seitlichen Röntgenaufnahmen des Kniegelenkes im Stehen lässt sich die Größe von Knochendefekten abschätzen (Abb. 21; Mulhall et al. 2006). Sie treten zumeist am mechanisch schwächeren Knochen des Tibiaplateaus, aber auch an den Femurkondylen der konvexen Seite einer Varus- oder Valgusdeformität auf. Sie sind häufig von einer Zone sklerosierten Knochens abgegrenzt. Bei der Planung der Resektionsebenen muss das Anfrischen des skle-
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
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Abb. 20 apRöntgenaufnahme der Kniegelenkes bei medialem knochendefekt
Abb. 21 a.-p.-Röntgenaufnahme des Kniegelenks bei medialem Knochendefekt
rosierten Knochens und damit der zusätzliche Knochenverlust vor Auffüllen des Defektes berücksichtigt werden. Kleine Defekte können im
Regelfall durch eine geschickte Wahl der Resektionsebene und mit Knochenzement ausgeglichen werden. Größere Defekte, die noch von einer intakten Kortikalis umgeben sind („contained“), können mit autologer Spongiosa, gewonnen aus der kontralateralen Knochenresektion, aufgefüllt werden. Große Defekte ohne umgebende kortikale Abstützung („uncontained“) müssen nach sorgfältigem Anfrischen mit einem spongiösen Metallaugment (frei positonierbare Cones oder stielgeführte Sleeves) oder einem strukturierten Knochentransplantat aufgefüllt werden (Dennis 2007). Dabei sind sowohl keilförmige wie stufenförmige Metallaugmente für den Tibiakopf verfügbar. Femurseitig sind der Innengeometrie der Femurkomponente angepasste Metallaugmente verfügbar. Bei Verwendung von Knochentransplantaten oder Augmenten ist eine zusätzliche intramedulläre Stielverlängerung notwendig zur
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dia- und metaphysären Verankerung der Tibiaund Femurkomponente in mindestens zwei Zonen (Morgan-Jones et al. 2015). Sind die Knochendefekte so ausgedehnt, dass sie die ligamentären Insertionen betreffen, so fällt dies klinisch in der Regel durch die Instabilität des Kniegelenkes auf, kann aber auch durch die Rigidität der Deformität verschleiert werden. In diesen Fällen ist eine Knieendoprothese mit einem höheren Kopplungsgrad zur Stabilisierung des Kniegelenkes zu verwenden.
Patella und Tuberositas tibiae Auf der axialen Patellaaufnahme ist die Form, Lage und Dicke der Patella zu beurteilen. Die Patellaresektion ist so zu planen, dass eine gleichmäßige minimale Dicke von 12 mm verbleibt, um die Vitalität zu erhalten und eine ausreichende Verankerung für den Rückflächenersatz zu gewährleisten. Die Stärke der Resektion sollte dem geplanten Retropatellarersatz entsprechen. Bei starker Lateralisierung der Patella muss intraoperativ nach Wiederherstellung der anatomischen Beinachse auf Rezentrierung der Patella geachtet werden. Erforderlichenfalls muss ein laterales Release oder eine Medialisierung der Tuberositas tibiae durchgeführt werden. Auch die Höhe des Patellastandes hat wesentlichen Einfluss auf das Operationsergebnis. Während eine Patella alta zur Luxation neigt, kann es bei der Patella baja zum Kontakt mit dem Polyethylenonlay und zu eingeschränkter Beugung kommen. Der Stand der Patella muss erforderlichenfalls durch Versetzen der Tuberositas tibiae korrigiert werden. Deshalb ist es wichtig, auf den präoperativen Röntgenaufnahmen die Qualität und Position der Tuberositas tibiae zu beurteilen. Diese kann durch vorangegangene Osteotomien geschwächt sein und muss dann intraoperativ bei Eversion der Patella besonders vorsichtig behandelt oder temporär fixiert werden. Osteophyten Auf der a.-p.- und seitlichen Röntgenaufnahme sind die Osteophytenbildungen am Tibiaplateau
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und an den Femurkondylen besonders zu beachten. Die Osteophyten haben im Prozess der Arthroseentstehung die Fläche des lasttragenden Knochens vergrößert und die Kollateral- und Kreuzbänder relativ verkürzt, in dem sie ihren Weg verlängert haben. Insofern ist vor jedem Release eine sorgfältige Entfernung der Osteophyten notwendig, um die verfügbare Länge des Bandes wieder freizugeben. Besonders im Falle der Kreuzbänder kommt es häufig zur Läsion oder Ruptur durch Osteophyten. Osteophyten täuschen zudem größere Gelenkflächen vor. Deshalb ist es wichtig, vor der Größenbestimmung der Prothesenkomponenten die Osteophyten zu entfernen. Im Bereich der dorsalen Femurkondylen kann es durch Osteophyten zu einem Impingement des Tibiaonlays kommen, wodurch die Flexion behindert wird und Schmerz ausgelöst werden kann. Deshalb sind sie in diesem Bereich besonders gründlich zu entfernen. Schließlich können Osteophyten einen chronischen Schmerzreiz, insbesondere im Verlauf des medialen Kollateralbandes auslösen.
Beurteilung der Knochenqualita¨t Die Knochenqualität ist auf den präoperativen Röntgenaufnahmen nur grob einzuschätzen. Im Falle der Osteoporose sollte sowohl tibial wie auch femoral eine zementierte Verankerung der Prothese erfolgen. Erforderlichenfalls sind gestielte Komponenten zu verwenden. Eine starke Sklerose ist schwer präzise zu osteotomieren und lässt keine Zementpenetration zu. Deshalb muss ein sklerotisches Areal gründlich angefrischt und erforderlichenfalls angebohrt werden. Der zusätzliche Knochenverlust ist bei der präoperativen Planung zu berücksichtigen.
4.4
Planung des Prothesensystems
Wahl des Prothesentyps Bei der Auswahl des Prothesentyps ist grundsätzlich ein möglichst geringer Kopplungsgrad zu bevorzugen.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
" Je höher der Kopplungsgrad einer Prothese,
umso mehr Kraft wird auf die ImplantatKnochengrenze übertragen, wodurch die Gefahr der Prothesenlockerung zunimmt. Bei hochgradigen Deformitäten und Bewegungseinschränkungen sind allerdings ausgedehnte Releases notwendig, sodass ein entsprechend höherer Grad der Kopplung notwendig wird. Im Falle von Knochendefekten, welche die Insertionen der Kollateralbänder betreffen, muss ebenfalls ein höherer Kopplungsgrad gewählt werden. Alte Patienten, die häufig muskuläre, koordinative oder neurologische Defizite aufweisen, profitieren oft von der Versorgung mit einer gekoppelten Knieendoprothese. Im Falle von Patienten mit Paresen nach Apoplex oder Poliomyelitis ist die Auswahl des Prothesentyps sorgfältig vorzunehmen und erforderlichenfalls eine höhergradige Koppelung zu bevorzugen. Vollständig ungekoppelte Prothesen (Abb. 22), die unter Erhaltung des hinteren Kreuzbandes implantiert werden, finden bei Kniegelenken mit intakten Kapselbandverhältnissen, bei leichten bis mittelschweren Deformitäten und weitgehend erhaltenem Bewegungsausmaß Verwendung. Posterior stabilisierte Prothesen werden nach notwendiger Resektion des hinteren Kreuzbandes implantiert und bei posterioren Instabilitäten, hö-
Abb. 22 Ungekoppelte kreuzbanderhaltende Prothese. (Wirtz 2011)
131
hergradigen Deformitäten und Bewegungseinschränkungen eingesetzt. Die Stabilität wird dabei über einen hohen Grad der Kongruenz („ultracongruent“) erreicht (Abb. 23). Alternativ kann die a.-p.-Stabilität über einen Post/Cam-Mechanismus (PS) gesichert werden. Interkondylär stabilisierte Prothesen (Abb. 24), die neben der posterioren Stabilisierung die Varus-Valgusbewegung limitieren, werden bei leichten Varus-Valgusinstabilitäten, höhergradigen Deformitäten und Bewegungseinschränkungen verwendet, für die ausgedehnte Kapselbandreleases notwendig sind. Vollständig gekoppelte Prothesen (Abb. 25), bei denen Femur- und Tibiakomponente durch einen Rotationsbolzen oder ein Scharnier verbunden sind, finden Anwendung bei hochgradigen Instabilitäten, hochgradigen Deformitäten und Bewegungseinschränkungen, die sehr ausgedehnte Kapselbandreleases notwendig machen, sowie im Falle großer Knochendefekte, die eine ligamentäre Stabilisierung des Kniegelenkes beeinträchtigen.
Wahl der Prothesengro¨ße Bei der Bestimmung der geeigneten Prothesengröße kann man sich bei der Primärimplantation an den auf der Röntgenaufnahme dargestellten Knochendimensionen orientieren. Im Falle großer
132
Knochendefekte, etwa bei Revisionen oder hochgradigen Deformitäten ist dies nur begrenzt möglich, da in diesen Fällen die Höhe des Gelenkspaltes erst intraoperativ rekonstruiert werden muss und eine geeignete Auflage für die Tibiakomponente geschaffen werden muss (Gustke 2005). Bei der Bestimmung der Prothesengröße wird zunächst die Tibiakomponente ausgemessen (Abb. 26). Die Tibiakomponente ist möglichst
Abb. 23 Ultracongruente Prothese. (Wirtz 2011)
Abb. 24 Interkondylär stabilisierte Prothese. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
A. M. Halder et al.
groß zu wählen, um eine Abstützung am kortikalen Knochen oder kortikalisnahen Spongiosaknochen zu erreichen. Andererseits ist die Überdimensionierung zu vermeiden, um eine schmerzhafte Irritation der peripheren Kapselbandstrukturen zu vermeiden. Aufgrund der unmittelbaren Nähe des medialen Kollateralbandes zum Tibiakopf wird eine Überdimensionierung medial schlechter toleriert als lateral. In jedem
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
133
Abb. 25 a Gekoppelte rotierende Prothese, b Scharnierprothese. (Aus Halder und Köhler 2011)
Falle ist eine Irritation der Patellarsehne oder des Tractus iliotibialis ventral zu vermeiden. Die Größe der Femurkomponente wird in erster Linie auf der seitlichen Röntgenaufnahme bestimmt, in dem die anteroposteriore Größe der Femurkondylen wiederhergestellt wird, um den Hebelarm des Femurs wiederherzustelllen (Abb. 27). Insofern bestimmt die Größe der Femurkomponente die Weite des Beugespaltes. Gelegentlich liegt die gewünschte Größe zwischen zwei verfügbaren Prothesengrößen. Entscheidet man sich für die kleinere Femurkomponentengröße, so ist mit einem entsprechend weiteren Beugespalt zu rechnen, ein Notching der ventralen Femurkortikalis ist zu vermeiden. Entscheidet man sich für die größere Femurkomponentengröße, so ist mit einem engeren Beugespalt zu rechnen und erforderlichenfalls die Femurkomponente leicht zu ventralisieren. Ein seitliches
Überhängen der Femurkomponente ist jedoch zu vermeiden, da dies zu Irritationen des Kapselbandapparates, insbesondere des lateralen Retinakulums führen kann. Bei der Wahl des geeigneten Tibiaonlays ist sowohl die Kombinierbarkeit mit der ausgewählten Femurkomponente wie auch die minimale und maximale verfügbare Dicke zu beachten. In jedem Falle muss die gewählte Tibiaonlay-Dicke auf der Grundlage der zuvor bestimmten Resektionshöhe die anatomische Gelenkspalthöhe wiederherstellen.
Stiele Im Falle der Rekonstruktion größerer Knochendefekte lassen sich Tibia- und Femurkomponente mit Stielen zementfrei oder zementiert in der Diaphyse des Wirtsknochens sicher verankern. Während zementierte Stiele auch bei deformierten und
134
geschädigten Diaphysen eingesetzt werden können, müssen zementfreie Stiele achsgerecht kortikal verankert werden. Die Abstützung mittels Stiels ist bei tibialen Knochendefekten wichtiger als bei femoralen, da tibial die Knochenqualität in der Regel schlechter und die Auflagefläche geringer ist als femoral. Zur Vermeidung des Kontaktes eines Stiels mit der ventralen Tibiakortikalis sind Offset- oder gewinkelte Stiele verfügbar. Treten am Femur etwa im Revisionsfall dorsal oder distal größere Knochendefekte auf, so führt der femorale Stiel nicht nur zur sicheren intramedullären Implantatverankerung, sondern erleichtert auch die axiale Ausrichtung der Femurkomponente (Mahoney und Kinsey 2006). Zur Indikation für den Einsatz von Komponenten-Stielen werden unterschiedliche Knochendefektgrößen angegeben. Generell gilt jedoch, dass die Indikation zur Verwendung von Komponenten-Stielen bei kortikal nicht begrenzten Defekten großzügiger zu stellen ist als bei vorhandener kortikaler Abstützung. Es gilt das Prinzip der zonalen Verankerung (Morgan-Jones et al. 2015), nach welchem die Verankerung in mindestens zwei der drei mögli-
Abb. 26 Planung einer Knieprothese im a.-p.-Strahlengang
A. M. Halder et al.
chen (epiphysär, metaphysär, diaphysär) Zonen erfolgen sollte. Im Falle notwendiger diaphysärer Korrekturosteotomien, die mit der Prothesenimplantation einzeitig durchgeführt werden, können lange Komponentenstiele wie Marknägel verwendet werden und gestatten dann eine postoperative Mobilisierung unter Belastung.
4.5
Planung des Weichteileingriffes
Zugangsweg Der geeignete Zugangsweg muss zum einen alle Strukturen des Kniegelenkes zugänglich machen, die einer chirurgischen Therapie bedürfen. Zum anderen darf der gewählte Zugangsweg die Durchblutung der periartikulären Weichteile
Abb. 27 Planung einer Knieprothese im seitlichen Strahlengang
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
nicht gefährden, um eine ungestörte Wundheilung per primam zu ermöglichen. In der Regel wird der mediale parapatellare Zugang genutzt. Alternativ ist aber auch der Subvastus- oder Midvastus-Zugang möglich, wobei gegebenenfalls eine schlechtere Übersicht in Kauf genommen werden muss. Der Quad-Sparing-Zugang kommt vor allem bei unikondylärer Endoprothetik zum Einsatz (Abb. 28). Bei schlechten Durchblutungsverhältnissen am gesamten Bein ist erforderlichenfalls eine vorangehende gefäßchirurgische Versorgung zu planen. Häufig bestehen Narben früherer Traumata oder Operationen. Da die Durchblutung der präpatellaren Weichteile zum großen Teil von der medialen Seite aus von der A. genus superior medialis erfolgt, ist bei Verwendung alter Zugangswege stets der lateralste zu benutzen (Vince und Abdeen 2006). Muss dann jedoch für die Anlage etwa des medialen parapatellaren Zugangsweges ein großer Hautlappen gebildet werden, so relativiert sich dieser Vorteil. Wählt man eine parallele Schnittführung zu einer alten Narbe, so sollte ein Mindestabstand von 3–4 cm gewahrt bleiben. Müssen alte Narben durch die neue Schnittführung gekreuzt werden, so sollte dies nicht spitzwinklig unter 60 geschehen, sondern am besten rechtwinklig. Besteht eine schlechte Weichteildeckung mit einer adhärenten Narbenplatte, so ist eine großflächige Ablösung
135
unbedingt zu vermeiden und falls unumgänglich bereits die plastische Deckung mittels myokutaner Lappen zu planen (Abb. 29).
Weichteilkorrektur von Deformita¨ten Zur Planung der Weichteilkorrektur von Deformitäten bildet die klinische Untersuchung der Rigidität einer Deformität wichtigste Grundlage. Im Falle passiv ausgleichbarer Deformitäten, die durch den einseitigen intraartikulären Höhenverlust des Knochens entstanden sind, sind meist keine oder wenige Releases notwendig. Im Falle kontrakter, passiv nicht ausgleichbarer Deformitäten sind schrittweise Releases sorgfältig zu planen. Das Ausmaß ist anhand der klinischen und radiologischen Untersuchung abzuschätzen. Ebenso kann das Ausmaß der Elongation der Kapselbandstrukturen auf der konkaven Seite der Deformität abgeschätzt werden. Sind sehr ausgedehnte Releases notwendig, um physiologische Achsverhältnisse wiederherzustellen, so ist die Indikation zur Verwendung einer Prothese mit höherem Koppelungsgrad zu prüfen (Abschn. 4.4). Kapselbandreleases sind in der Regel vor den Knochenresektionen auszuführen, da diese ansonsten zu ausgedehnt vorgenommen werden würden und zu einer übermäßigen Weite des Beuge- oder Streckspaltes führen könnten.
Abb. 28 Planung des Weichteileingriffes: Zugangswege. (Aus Halder und Köhler 2011) (Wirtz 2011)
136
A. M. Halder et al.
ein vollständiges laterales Release ausgeführt werden.
4.6
Abb. 29 Planung des Weichteileingriffes: Narbensituation. (Aus Halder und Köhler 2011)
Im Falle einer kontrakten Varusdeformität sind zunächst der mediale Meniskus zu entfernen und danach die medialseitigen Osteophyten. Bei asymmetrischem, medial engen Beugespalt ist zunächst das hintere Kreuzband zu lösen und falls notwendig der ventrale Anteil des medialen Kollateralbandes am Tibiakopf. Bei asymmetrischem medial engen Streckspalt können der dorsale Anteil des medialen Kollateralbandes vom Tibiakopf und die Gelenkkapsel von den posterioren Femurkondylen gelöst werden. Im Ausnahmefall muss auch die ischiokrurale Muskulatur vom dorsalen Tibiakopf gelöst werden. Bei einer kontrakten Valgusdeformität müssen nach der lateralen Meniskusresektion zunächst die lateralseitigen Osteophyten entfernt werden. Bei asymmetrischem lateral engen Beugespalt kann das hintere Kreuzband releast werden. Ist dies nicht ausreichend, so kann auch die Popliteussehne vom Femurkondylus gelöst werden. Bei asymmetrischem lateral engen Streckspalt können die Gelenkkapsel von der dorsalen Femurkondyle und danach der Tractus iliotibialis vom Tuberculum Gerdi gelöst werden. Im Ausnahmefall muss das laterale Kollateralband vom Epicondylus lateralis abgelöst werden. Bei Lateralisierung der Patella im Gleitlager nach Wiederherstellung der anatomischen Beinachse kann zunächst das laterale femoropatellare Band durchtrennt werden und erforderlichenfalls
Planung der Arthrolyse
Grundlage der Planung der Arthrolyse zur Wiederherstellung eines ausreichenden Bewegungsumfanges des Kniegelenkes ist die klinische Untersuchung. Ein fester Anschlag deutet auf eine knöcherne Ursache oder narbige Verwachsungen auf dem Knochen hin, während ein weicher Anschlag eine rein weichteilbedingte Bewegungseinschränkung vermuten lässt. Im Falle einer Streckhemmung muss eine dorsale Arthrolyse der Gelenkkapsel und des hinteren Kreuzbandes geplant werden, wodurch die Verwendung einer posterior stabilisierten Knieendoprothese notwendig wird. Im Ausnahmefall muss ein Release oder eine Verlängerung der ischiokruralen Muskulatur durchgeführt werden. Im Falle einer Beugehemmung muss das Release der suprapatellaren, medialen und lateralen Rezessus geplant werden. Erforderlichenfalls müssen Verklebungen des Quadrizeps auf dem distalen Femur gelöst werden. Im Ausnahmefall kann die Quadrizepssehne in V-Y-Technik verlängert werden. In jedem Falle ist ein intakter Streckapparat Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Implantation einer Knieendoprothese und muss für eine frühfunktionelle Nachbehandlung geschont werden.
4.7
Ergebnis der Planung
Im Ergebnis der Planung muss der Operateur eine klare Vorstellung vom operativen Vorgehen haben und zeichnerisch Achsverhältnisse, Prothesenlage und Größe dokumentiert haben. Ebenso müssen Instrumenteur und Assistenten über das Vorgehen in Kenntnis gesetzt sein. Der Patient muss über die realistisch erreichbaren Ziele der Operation aufgeklärt sein und sein Einverständnis erklärt haben. Die notwendigen Instrumente und Implantate müssen bereitstehen. Schließlich sollte für den Eingriff ausreichend Zeit eingeplant werden, um intraoperative Fehler durch Zeitdruck zu vermeiden.
Knieendoprothetik: Pra¨operative Vorbereitung, Aufkla¨rung und Planung der Knieendoprothese
5
Fazit fu¨r die Praxis
Die Indikation zur Implantation einer Knieendoprothese ist gegeben, wenn ein konservativ therapierefraktärer Knieschmerz auf dem Boden eines Strukturschadens zur Einschränkung der Lebensqualität führt und ein subjektiver Leidensdruck besteht. Grunderkrankungen, die mit einem hohen Narkoserisiko einhergehen, ein akuter Infekt des Kniegelenkes, eine Osteomyelitis der Extremität und infizierte Hautulzerationen sind absolute Kontraindikationen für eine endoprothetische Versorgung des Kniegelenkes. Die Aufklärung sollte die Diagnose, Art, Umfang und Durchführung der geplanten Operation, die Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen mit jeweiligen Vor- und Nachteilen, sowie allgemeine und spezielle Komplikationen beinhalten. Sie sollte mit einem ausreichend großen Abstand zur geplanten Operation erfolgen. Im Ergebnis der Planung muss der Operateur eine klare Vorstellung vom operativen Vorgehen haben und zeichnerisch Achsverhältnisse, Prothesenlage und Größe dokumentiert haben. Ebenso müssen Instrumenteur und Assistenten über das Vorgehen in Kenntnis gesetzt sein und die notwendigen Instrumente und Implantate müssen bereitstehen.
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137
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Knieendoprothetik: Perioperatives Management Ralf Bieger und Heiko Reichel
Inhalt 1
Patientenvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
2 2.1 2.2 2.3
Peri- und postoperative Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regionale Schmerztherapieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokale Infiltrationsanästhesie (LIA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemische Schmerzmedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Perioperative Antibiotikaprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Blut- und Gerinnungsmangement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Management einer präoperativen Anämie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Minimierung des Blutverlustes, Tranexamsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adäquate Hämotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thromboseprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
140 141 144 144
146 146 147 148 148
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
1
Patientenvorbereitung
Die präoperative Patientenvorbereitung und -selektion kann als ein zentraler Baustein einer erfolgreichen Knieendoprothesenoperation angesehen werden. Bereits die korrekte Diagnosefindung und Selektion der Patienten kann das
R. Bieger (*) Knie-, Hüft-, Schulter- und Ellenbogenchirurgie, Schön Klinik München Harlachingen, München, Deutschland H. Reichel Orthopädische Universitätsklinik Ulm am RKU, Ulm, Deutschland E-Mail: [email protected]
postoperative Ergebnis sowohl negativ als auch positiv beeinflussen. Es ist davon auszugehen, dass 10–20 % der endoprothetisch versorgten Patienten mit ihrem postoperativen Zustand nicht zufrieden sind, was auch auf die Patientenselektion zurückzuführen ist ((DGOOC) A 2018). Daher sollten vermeidbare Risikofaktoren präoperativ möglichst reduziert bzw. eliminiert werden (Husted 2012) (Tab. 1). Beeinflussbare patientenindividuelle Faktoren sind beispielhaft ein zu hoher BMI (Zielwert: 3 ) eingestellt wurde. Ansonsten ist dieser Effekt vernachlässigbar. Nun werden der Beuge- und Streckspalt mit Spacern oder Bandspannern in Höhe und Symmetrie bestimmt und mittels Weichteilrelease ausgeglichen. Ziel ist dabei eine mediolaterale Symmetrie beider Spalten. Die Höhe des Beugespaltes sollte der normalen Weichteilspannung folgend 2 mm höher sein als die des Streckspaltes. Alternativ kann der Beugespalt mit weniger Kraft auf dieselbe Höhe wie der Streckspalt aufgespannt werden (respektive ein Spacer derselben Höhe kann mit weniger Kraft in den Beugespalt als in den Streckspalt eingebracht werden).
2.3
Tibia first
Die Tibia-first-Technik unterscheidet sich in den Zielen nicht von der Femur-first-Technik: zur mechanischen Achse senkrechte Resektionen von Femur- und Tibiateil, symmetrischer Beuge- und Streckspalt und Beugespalt 2 mm höher als Streckspalt. Die Art, diese Ziele zu erreichen, ist jedoch verschieden und damit gegebenenfalls auch die resultierende Größe und Positionierung der Implantate. Bei der Tibia-first-Technik erfolgt zunächst die Resektion der Tibia nach exakt demselben Prinzip wie bei der Femur-first- Technik. Der nächste Schritt ist nun jedoch das Weichteilrelease. Da noch keine femoralen Resektionen zu diesem Zeitpunkt erfolgt sind, muss der Operateur abschätzen, ob überhaupt, welche Strukturen und wie ausgedehnt das Release erfolgen soll. Nun wird die Größe des Femurteils – ähnlich der Femur-first-Technik – zwischen posteriorer Kondylenebene und anteriorer Kortikalis bestimmt.
Knieendoprothetik: Operation der bi/trikondyla¨ren Oberfla¨chenersatzprothese
183
Durch diesen Ansatz wird gewährleistet, dass in jedem Fall ein symmetrischer Beugespalt resultiert, der in seiner Höhe dem Streckspalt entspricht. Davon unberührt ist jedoch die Symmetrie des Streckspaltes. Liegt hier eine ausgeprägte Asymmetrie vor, war das Weichteilrelease nicht ausreichend und es muss entweder ein weiteres Release durchgeführt werden oder aber das Femurteil wird bewusst für einige Grad ins Varus oder Valgus positioniert. Ein Weichteilrelease in dieser Phase birgt das Risiko, dass es auch den Beugespalt betrifft und damit seine Symmetrie verlorengeht. Eine leicht varische Positionierung des Femurteils ( 4 mm, die Revisionsknieprothese und ein Alter über 70 Jahre (Ritter et al. 2005). Das Femur ist öfter betroffen als die Tibia (Abb. 2) (Ruchholtz et al. 2013). " Tipp Die meist metaphysa¨ren Frakturen ko¨nnen durch Osteosynthese (Schrauben und winkelstabile Platte) fixiert werden und sollten nach Mo¨glichkeit mittels Stemaugmentation geschu¨tzt werden (Abb. 2). Bei ligamenta¨rer Instabilita¨t muss auf eine gekoppelte, nichtbandgefu¨hrte Prothese gewechselt werden.
" Bei Patienten mit bekannt schlechtem Gefäß-
status sollte die präoperative Abklärung in Zusammenarbeit mit einem Gefäßchirurgen erfolgen (Ninomiya et al. 1999). Die Verwendung einer Blutsperre sollte bei diesen Patienten unterbleiben (Kumar et al. 1998). Bei rascher Diagnose einer Verletzung der A. poplitea und adäquater Versorgung (Bypass), ist mit einem guten Ergebnis zu rechnen (Da Silva und Sobel 2003). Dennoch gilt die Arterienverletzung als schwerwiegende Komplikation mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten (Ko et al. 2014). Verletzungen kleiner Seitenäste der Arterie und der V. poplitea lassen sich meist direkt von vorn versorgen (Ligatur). Es besteht aber ein erhöhtes postoperatives Thromboserisiko.
3
Periprothetische intraoperative Frakturen
Intraoperative oder unmittelbar postoperative Frakturen sind meist auf einen technischen Fehler zurückzuführen, z. B. femorale Kondylenfraktur
Störungen der Patelladurchblutung (Patellarelease und Resektion des Hoffa`schen Fettkörpers), zu große Resektion beim Patellaersatz mit einer Restpatelladicke 40) in Nachuntersuchungen schlechter ab (Lim et al. 2017). Im Vordergrund stehen patellofemorale Beschwerden, die wahrscheinlich auf einer erhöhten Gelenkkraft mit zunehmendem Gewicht beruht, aber auch erhöhte Lockerungsraten. Insgesamt führt nach einer Metaanalyse von Sun et Li ein BMI von über 30 zu einer erhöhten peri- und postoperativen Komplikationsrate (Sun und Li 2017). Die häufigsten Indikationen, die zum endoprothetischen Gelenkersatz führen, sind die primäre Gonarthrose und die rheumatoide Arthritis. Bezüglich der Revisionswahrscheinlichkeit konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (Hotfiel et al. 2017; Hofstede et al. 2015). Betrachtet man in diesem Zusammenhang die altersabhängige Revisionswahrscheinlichkeit, werden mehr Revisionen im jüngeren Alter bei der Arthrose gefunden, während bei der rheumatoiden Arthritis keine Alterskorrelation vorliegt. In Bezug auf das Geschlecht, ist z. B. in der Schwedenstudie kein Unterschied bei den Revisionen zwischen den Geschlechtern festgestellt worden (Robertsson et al. 2001). In letzter Zeit nehmen multiple Formen von Allergien zu. Die Endoprothetik ist von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen. Metallallergien, vor allem gegen Nickel, Chrom und Kobalt, aber auch Allergien gegen Knochenzement müs-
O. Rolf und C. Rader
sen bei der Versagensanalyse in Betracht gezogen werden (Thomas 2003). Weil es jedoch keinen gesicherten Zusammenhang zwischen einer Hautallergie von Prothesenbestandteilen und einer Hypersensitivität des periimplantären Gewebes gibt, können nach Rücksprache mit dem Patienten bei Allergien Standardimplantate verwendet werden (Middleton und Toms 2016; Walker et al. 2019). Zur Vermeidung späterer Auseinandersetzungen empfiehlt es sich jedoch, insbesondere bei kritischen Patienten mit nachgewiesener Allergie entsprechende „antiallergische“ Implantate mit einer Beschichtung aus Titan-Niob oder aus Oxinium einzubauen. Daneben können anatomische Varianten, extreme Fehlstellungen oder posttraumatischen Fehlstellungen das Ergebnis beeinflussen. Da z. B. bei extremen Valgusfehlstellungen häufig schon primär achsgeführte Prothesen Verwendung finden, ist eine Vergleichbarkeit schwierig. Eine häufigere aseptische Lockerung kann so nicht nachgewiesen werden. Seltenere Ursachen für eine frühzeitige Lockerung können Knochen- oder Stoffwechselerkrankungen, die die Knochenqualität negativ beeinflussen, sein. Beispielhaft seien hier der Morbus Gaucher, Morbus Paget oder eine Osteopetrose genannt. Als weitere, häufig patientenbedingte Ursachen- und Risikofaktoren eines aseptischen Versagens sind die Osteoporose, Osteonekrose und Risikofaktoren wie Rauchen, Kortisoneinnahme, Zustand nach Chemotherapie, Gefäßerkrankungen, Diabetes mellitus, Lymphödeme, Fußfehlstellungen und posttraumatische Zustände zu nennen (Tab. 1).
5.2
Implantatbedingte Ursachen
Ein Versagen des Implantates aufgrund des Designs ist mittlerweile eine Rarität und bei Standardimplantaten für den totalen Knieersatz zu vernachlässigen. Das Prothesendesign der großen Hersteller gleicht sich zudem zunehmend an. Eine neue Arbeit von Robertsson et al. 2019 weist auf die besondere Rolle der Verankerung der tibialen Komponente bei der aseptischen Lockerung hin (Robertsson et al. 2019). Es konnte ge-
Aseptische Knieprothesenlockerung
zeigt werden, dass die Verankerung mit 4 kurzen Zapfen („four-pegged total knee arthroplasty baseplate“) eine deutlich erhöhte aseptische Lockerungsrate gegenüber der stielbasierten Tibiakomponente hervorrief. Auch in eigenen Arbeiten erwies sich die tibiale Komponente als Schwachstelle der Knieendoprothetik (Rader et al. 2014). Früh- und auch Spätlockerungen der tibialen Komponenten fanden sich vor allem bei jungen, aktiven Patienten. Grundsätzlich sollte daher bei diesen Patienten eine optimierte Zementiertechnik zur Anwendung kommen, dies im Sinne einer allumfassenden Einzementierung der Tibiakomponente, ergänzt durch eine Vakuumzementiertechnik mit Jetlavage (sog. 3. Generation der Zementiertechnik). Bei der Auswahl der Knieendoprothesen sollten „moderne Implantate“ mit immer kürzeren Stielen und verminderter Andockstelle für den Knochenzement möglichst gemieden werden, da die Standzeiten der Prothesen unter Umständen negativ beeinflusst sein könnten. Hofstede et al. konnten in einer Metaanalyse zeigen, dass die Art der Inlayverankerung (mobil oder fest) keinen Unterschied im Outcome ergab. Auch mobile Inlays zeigten keine Nachteile, sofern der Mechanismus keine systematischen Fehler, z. B. einer begünstigten Inlayluxation, aufwies (Hofstede et al. 2015). Unikompartimentelle Systeme scheinen im Vergleich zum kompletten Oberflächenersatz einer etwas erhöhten Revisionsrate (88 % versus 96 %) nach einem 10-Jahres-Follow-up zu unterliegen (Pfitzner et al. 2017). Als Gründe werden falsche Technik und die falsche Indikation angesehen. Insbesondere die schon vorhandene Retropatellararthrose wird in dieser Studie als falsche Indikation für eine Schlittenprothese angeführt. Dieser Punkt wird aber insgesamt kontrovers diskutiert. Mechanisches Implantatversagen oder Materialversagen wird heute vor allem bei Revisionsund Tumorendoprothesen aufgrund mechanischer Belastung trotz langstreckiger Verankerungsstiele und Verankerungsstellen gesehen (Bader et al. 2006). Aufgrund der häufig starren Kopplung zwischen Ober- und Unterteil und der langstreckigen Verankerung kommt es insbesondere dann zu Lockerungen, wenn das Implantat nicht exakt
269
an die anatomischen Hebelverhältnisse angepasst ist und durch die starre Kopplung Belastungsspitzen an Ober- oder Unterteil entstehen. Die Indikation für eine gekoppelte Prothese hat in einem differenzierten Behandlungskonzept durchaus ihren Platz. Bei älteren Patienten, Revisionen, schweren Fehlstellungen und Instabilitäten, Kontrakturen oder schweren Gelenkdestruktionen lässt eine gekoppelte Prothese weniger Komplikationen und bessere Langzeitergebnisse erwarten. Blauth und Hassenpflug beobachteten eine Überlebensrate der gekoppelten Blauth-Prothese nach 11 Jahren von 97 %, was mit den Ergebnissen des Oberflächenersatzes vergleichbar ist (Blauth und Hassenpflug 1991). Der Einbau sollte jedoch aufgrund des Knochenverlustes, der starren Gelenkführung und der langen Stiele besonderen Problemsituationen vorbehalten sein, da Rückzugsmöglichkeiten und erneute Revisionen mit erheblichen Schwierigkeiten belastet sein können. Trotzdem kommt es auch bei modernstem Prothesendesign zu Verschleißerscheinungen vor allem des Polyethylen-Inlays, was in der Folge zur sog. Partikelkrankheit führen kann (Abschn. 4.2). Verschleißvorgänge wie schalenförmiger Materialausbruch (pitting), Delamination und Abrasion sind von der Dicke des Inlays (ab 8 mm), der Qualität des Ausgangsmaterials (Polyethylen), aber auch von der Bearbeitung und der Sterilisationstechnik abhängig (Bader et al. 2006; Heinz und von Mallek 2005). Allerdings stehen Langzeitdaten noch aus: Eine Studie mit 5-Jahres-Follow-up verglich das Risiko einer aseptischen Lockerung im Vergleich von neuen highly cross-linked PEs gegenüber konventionellem PE. Es konnten in einem Kollektiv von n ¼ 77.084 Fällen keine Unterschiede hinsichtlich des Risikos einer Revision aufgrund einer PE-abriebbedingten aseptischen Lockerung festgestellt werden (Paxton et al. 2015). Auch Wilhelm et al. sehen beim Kniegelenk noch keinen entscheidenden Vorteil für die highly crosslinked PE, wobei aber die Langzeitdaten über 12 und 15 Jahre ausstehen (Wilhelm et al. 2018). Dennoch sind die partikelbedingten Osteolysen und die dadurch resultierenden Implantatlockerungen als Ursache der aseptischen Knieprothesenlockerung in den letzten 10 Jahren deutlich
270
in den Hintergrund getreten. Die Jahrzehnte geltende Lehrmeinung, dass die Partikelkrankheit die Achillesferse der Endoprothetik sei, oder wie Harris es 1995 formulierte: „The problem is osteolysis“, muss vermutlich revidiert werden (Harris 1995). Es zeigt sich heute, dass die neueren Sterilisationsmethoden (Vakuumsterilisation, Sterilisation mit Radikalfänger, wie z. B. Vitamin E und hochvernetzte Polyethylene ¼ PE) der PEs nur noch wenige Abriebpartikel in größeren Zeiträumen entstehen lassen. Dieser Meilenstein in der Forschung der PE-Gleitpaarungen hat die „über 50-jährige Suche nach einem geeigneten Material für Implantate und Gelenkartikulation in der Endoprothetik beendet“ (Harris und Muratoglu 2019; Morlock und Jager 2017). Kommen unterschiedliche Metalle, z. B. bei Konusverbindungen oder Stielfixation, in Kontakt, kann es zu einem ungewollten Ionenfluss und einer daraus resultierenden Korrosion als weiterer Ursache für ein Implantatversagen kommen. Auch bei modularen Implantaten, die mit sog. Wedges augmentiert wurden, können Mikrobewegungen oder unzureichende Fixationen resultieren, die in einem Implantatversagen münden. Andere Versagensgründe können die Qualität des Knochenzementes (Zementiertechnik) oder designbedingte Ursachen des Implantates sein (z. B. keine ausreichende Andockfläche für den Knochenzement an der Prothesenrückfläche). Betrachtet man grundsätzlich die Frage der Verankerungstechnik, so wiesen laut dem schwedischen Endoprothesenregister (Robertsson et al. 2001) zwischen 1988 und 1997 zementfreie Implantate eine signifikant erhöhte Revisionsrate von 1,4-fach im Vergleich zu den zementierten Implantaten auf. Insgesamt deuten die Literaturdaten darauf hin, dass eine zementfreie Fixation des Tibiaplateaus häufiger mit Saumbildungen einhergeht und eine erhöhte Revisionsrate zeigt. Bei der Femurkomponente zeigen sich allerdings zwischen der zementfreien und der zementierten Variante keine statistischen Unterschiede (Boos und Russlies 2006). Aufgrund eines zu erwartenden Drittkörperverschleißes beim Einbringen von Knochenzement werden neuerdings Diskussionen hin zu komplett zementfreien Verankerungen mit
O. Rolf und C. Rader
neuen, die Knochenintegration fördernden Rückflächenbeschichtungen geführt. Da diesbezüglich noch keine Daten vorliegen, scheint aber die Zementierung des Tibiaplateaus und der Femurkomponente nach derzeitigem Stand des Wissens die besten Langzeitergebnisse zu garantieren.
5.3
Intraoperative Einflussfaktoren und chirurgische Qualita¨t
Bei den Revisionen, die allein auf die Operationstechnik und -durchführung zurückzuführen sind, hat die Erfahrung des Operateurs eine ausschlaggebende Bedeutung. Die Rekonstruktion einer geraden Beinachse mit einem Korridor von 3° wird in der Literatur als ein wichtiger Parameter für das Langzeitüberleben von Oberflächenersatzprothesen gesehen. Eine dementsprechende Fehlpositionierung der Komponenten (Achs- und/oder Rotationsfehler) bedingt einen vergrößerten Verschleiß und damit ein eventuell frühzeitiges Versagen. Auch eine Fehldimensionierung der Komponenten erhöht die Belastung der Prothese. Ist eine knöcherne Auflagefläche nicht gewährleistet, wurden Ermüdungsbrüche des Tibiaplateaus beschrieben (Bader et al. 2006). Sowohl für die femorale als auch tibiale Komponente gilt, dass eine gute knöcherne Auflagefläche die Voraussetzung für eine stabile und langfristige Verankerung ist. Vor allem zementfrei eingebrachte Implantate müssen „press fit“ eingebracht werden, um eine ausreichende Osseointegration zu ermöglichen. Prothesen-Knochendistanzen von 0,5 mm und mehr führen zu einer abnehmenden Integration und damit zu einer abnehmenden Prothesenfestigkeit (Dalton et al. 1995). Vor allem mangelnde Primärstabilität in der Einwachsphase hat einen hohen negativen Prädiktionswert für ein frühzeitiges Versagen (Rand et al. 2003; Ryd et al. 1995). Weiterhin ist ein persistierender vorderer Knieschmerz eine häufige Ursache von aseptischen Revisionsoperationen (Rader et al. 2014). Fast in einem Viertel dieser Revisionsfälle wurde ein sekundärer Retropatellarersatz notwendig. Diese Problematik hält die Diskussion über einen Retropatellarersatz oder ein Remodelling der gelenksei-
Aseptische Knieprothesenlockerung
tigen Patella in Gange. In der aktuellen Studienlage konnte kein Vorteil des Rückflächenersatzes im Vergleich mit einem Patellaremodelling gefunden werden, sodass beide Behandlungsmöglichkeiten gleichwertig erscheinen (Chen et al. 2013). Sollte man sich für einen Patellarückflächenersatz entscheiden, ist die zementierte PE-Komponente das Implantat der Wahl. Zementfreie metal-backed Patellaimplantate zeigten in der Vergangenheit z. T. Revisionsraten von über 30 % (Rader et al. 1996) und beherbergen zudem das Risiko einer ausgeprägten Metallose nach Verschleiß des PEs. Bei Verwendung eines Retropatellarersatzes muss eine ausreichende Patelladicke (>13 mm) verbleiben, da sonst Komplikationen wie vorzeitige Lockerung oder eine Nekrose und Fraktur des verbliebenen Knochens drohen können (von Spreckelsen et al. 1998). Daten aus dem australischen Endoprothesenregister (n ¼ 134.799) zeigen deutlich, dass Patienten mit Retropatellarersatz nach 5 Jahren Prothesenstandzeit einen Vorteil haben. Beim 5-Jahres-Follow-up betrug die Revisionsrate der Patienten mit Retropatellarersatz 3,1 %, patellofemorale Schmerzen waren deutlich seltener (1 % versus 17 %), die Patellaonly-Revision ebenfalls signifikant seltener (6– 29 %) (Clements et al. 2010). Trotz der möglichen Komplikationen kann anhand der aktuellen Literatur grundsätzlich ein regelmäßiger Patellarersatz in der Primärendoprothetik empfohlen werden.
6
Fazit fu¨r die Praxis
Durch die Funktionsverbesserung und Schmerzbefreiung gehört der künstliche Gelenkersatz zu den erfolgreichsten Operationen überhaupt. Als Hauptgrund für ein Prothesenversagen sind auch heute noch aseptische Endoprothesenlockerungen zu nennen. Um zu einer eindeutigen Diagnose zu gelangen, müssen klinische und radiologische Faktoren und auch der zeitliche Verlauf betrachtet und sorgfältig ausgewertet werden. Die Standzeit einer Endoprothese wird dabei von individuellen, patientenbezogenen Faktoren, von implantatbedingten Faktoren und von intraoperativen Einflussfaktoren sowie der Qualität der operativen
271
Versorgung beeinflusst. Aufgrund von Verbesserungen der OP-Technik, dem Instrumentarium, den Endoprothesen an sich sowie auch Verbesserungen der Gleitpaarungen haben sich die Standzeiten von Knieendoprothesen in den letzten Jahren deutlich verbessert. Durch die Optimierung der tribologischen Eigenschaften haben die Partikelkrankheit und dadurch resultierende periprothetische Osteolysen in den letzten Jahren an Bedeutung verloren und können heute nicht mehr als wesentlicher Grund für die aseptische Prothesenlockerung angesehen werden.
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Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion Christian Friesecke, Sascha Gravius, Gunnar Hischebeth und Dieter Christian Wirtz
Inhalt 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
2 2.1 2.2 2.3
Epidemiologie, Pathogenese und Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Keimspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
4 4.1 4.2 4.3
Definition und Klassifikation (Infektionsweg, Infektionszeitpunkt) . . . . . . . . . Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infektionszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 276 277 278
279 279 280 281
5 Klinische Befundkonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 5.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 5.2 Lokalbefund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
C. Friesecke Krankenhaus Tabea Hamburg, Hamburg, Deutschland S. Gravius Orthopädisch-Unfallchirurgisches Zentrum, UMM Universitätsmedizin Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Hischebeth Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] D. C. Wirtz (*) Universitätsklinikum Bonn, Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_17
275
276
C. Friesecke et al. 6
Differenzialdiagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
7 7.1 7.2 7.3
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laborchemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrobiologie und Histopathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285 285 288 289
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Grundsätze antimikrobieller Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Debridement, antibiotics, irrigation, and retention (DAIR; Prothesenerhalt) . . . . Einzeitiger Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweizeitiger Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lokale antimikrobielle Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Langzeitsuppression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 292 293 296 297 298
9
Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298
10
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
1
Einleitung
C. Friesecke Mit dem Beginn der Verwendung von großen Implantaten in der orthopädischen Chirurgie entstand ein neues Problem und eigenes Krankheitsbild: die periprothetische Infektion. Sie ist definiert durch die Besiedlung von Implantatoberflächen mit Keimen. Ein zuverlässiges klinisches Leitsymptom gibt es nicht. Völlig asymptomatische Verläufe, intermittierende Arthralgien, aber auch die klassischen Entzündungszeichen im Narbenbereich, Fistelbildung oder großflächige Wunddehiszenzen kommen vor. Im Einzelfall kann eine hämatogene Aussaat mit Sepsis zu akut lebensbedrohenden Situationen führen (Friesecke und Wodtke 2008). " Die erfolgreiche Behandlung der periprotheti-
schen Infektion bedarf eines standardisierten Konzeptes mit spezifischer Diagnostik und Therapie. Nur eine solche zielgerichtete Strategie ermöglicht die Infektsanierung mit bestmöglichem funktionellem Ergebnis.
2
Epidemiologie, Pathogenese und Risikofaktoren
C. Friesecke
2.1
Epidemiologie
Die periprothetische Infektion kann bei sämtlichen Prothesen der großen und kleinen Gelenke auftreten (Duncan und Masri 1994; Durbhakula et al. 2004; Langlais et al. 2003). Bei weitem am häufigsten werden weltweit und auch in Deutschland Hüft- und Knieprothesen implantiert. Dabei ist die Anzahl der Implantationen von Knieprothesen in Deutschland in der letzten Dekade stärker gestiegen als die der Hüftprothesen. 2009 wurde ein erster Höhepunkt erreicht mit 159.137 primären Knieprothesen. In den Jahren 2010 und 2011 blieben die Zahlen annährend konstant, um dann plötzlich zu sinken, sodass 2013 10,1 % weniger primäre Implantationen erfolgten als 2009 (Bleß und Kip 2017). Ob eine zu jener Zeit geführte breite, öffentliche Diskussion über vermeintlich zu hohe Implantationszahlen, zu frühes endoprothetisches Intervenieren und zweifelhafte Operationsergebnisse die Ursache dafür war, ist nicht ganz klar. Demografische Daten hätten jedenfalls ein weiteres Ansteigen nahegelegt. 2014 stiegen die Zahlen leicht auf 149.126, 2015 dann sehr deutlich auf 173.304 primäre Knieprothesen und 2016 auf 187.319 (Stat. Bundesamt), eine Steigerung von ca. 14 % bzw. 8 % in jeweils einem Jahr. Die Anzahl der Wechseloperationen blieb im Zeitraum 2012–2016 mit zuletzt 17.375 annährend stabil.
Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion
Hinzu kamen 3213 Revisionen ohne Komponentenwechsel (Bleß und Kip 2017). Insgesamt wurden 2016 mithin 212.259 Kniegelenke prothetisch versorgt. Mit 206 Knieprothesen pro 100.000 Einwohnern liegt Deutschland weltweit in der Spitzengruppe. Dies gilt allerdings auch für den Anteil der über 65 Jahre alten Personen in den jeweiligen Ländern. Hier nimmt Deutschland hinter Japan den zweiten Platz unter den OECD-Ländern ein. Während Deutschland bei den Erstimplantationen am Kniegelenk absolut auf Platz fünf unter den OECD-Ländern liegt, sinkt die Position unter Berücksichtigung der Altersstruktur auf Rang acht (Bleß und Kip 2017). Dabei sind die internationalen Vergleiche aufgrund vielfältiger nationaler Unterschiede mit besonderer Vorsicht zu interpretieren. Das Infektionsrisiko 10 Jahre nach primärem Kniegelenkersatz variiert zwischen 0,2 % für Schlittenprothesen, ca. 1–2 % für kondyläre Knieprothesen (Swedish Knee Arthroplasty Register 2017; Koh et al. 2017; Anderson et al. 2017), 4–5 % bei gefährdeten Patientengruppen (Jämsen et al. 2012) und 9–20 % bei Revisionsoperationen und Megaimplantaten (Mortazavi et al. 2010; Friesecke et al. 2005). Wendet man diese Infektionsraten auf die letzten Implantationszahlen in Deutschland an, so ergibt sich eine Zahl von 2600–3500 Infektionsfällen nach Primärendoprothetik und 1000–3700 nach Wechseln. Es muss folglich mit 4000–7000 Fällen pro anno gerechnet werden. " In vielen Arbeiten wird die periprothetische
Infektion als häufigster Revisionsgrund nach prothetischer Versorgung angegeben. Delanois et al. (2017) fand unter 337.597 Knieprothesenrevisionen in den USA als Ursache der Revision in 20,4 % Infektionen; das Schwedische Knieregister (Swedish Knee Arthroplasty Register 2017) für den Zeitraum 2006–2015 bei 6311 Erstrevisionen in 28 %. Im Jahresbericht des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD) für 2017 (Grimberg et al. 2019) werden in 22,3 % Infektionen als Wechselgrund angegeben. Bozik fand bei 60.436 Revisionen, die zwischen Oktober 2005 und Dezember 2006 in den USA erfolg-
277
ten, mit 25,2 % die periprothetische Infektion als häufigsten Wechselgrund. Damit liegt die Infektion als Revisionsgrund in allen Arbeiten an erster oder zweiter Stelle.
2.2
Pathogenese
Ursächlich für die Infektion ist der Keimeintrag während der Operation oder die spätere hämatooder lymphogene Streuung bzw. die Ausbreitung per continuitatem. Die eigenständige Pathogenese der periprothetischen Infektion im Sinne einer Fremdkörperinfektion konnte durch die wegweisenden Arbeiten von Costerton bereits 1978 (Costerton et al. 1978) aufgeklärt werden. Zunächst liegen die Erreger in einer durch schnelle Teilungsraten charakterisierten planktonischen Phase vor. In Gegenwart eines Fremdkörpers können sie, mit Hilfe von interzellulären Adhärenzproteinen (PIA), auf den Oberflächen desselben anhaften, einen Biofilm bilden und in die sessile Form übergehen (Rohde et al. 2010). Der Biofilm zieht weitere Bakterien an und inkorporiert sie. Die Keime können auch als „small colony variants“ (SCV) vorliegen. Diese zeichnen sich durch verminderte Teilungsraten und Virulenz, aber verbesserte Fähigkeit zur Biofilmbildung aus (Kahl 2014). Ein Nachweis in normalen mikrobiologischen Kulturen ist dadurch erheblich erschwert. Durch die verminderte Reproduktionsrate der Bakterien ist auch ein Ansatzpunkt der antibiotischen Therapie an der Zellwand und bei der Zellteilung nur noch eingeschränkt wirksam (Frommelt 2004). SCV sind durch diese Fähigkeiten für das Überleben im befallenen Wirt optimiert. Bei der Bildung des Biofilms ist eine Quorum sensing genannte Eigenschaft der Keime von entscheidender Bedeutung. Sie bezeichnet die Fähigkeit von Einzellern, die Zelldichte in einer Population zu messen und einzelne Gene nur bei Über- oder Unterschreiten einer bestimmten Zelldichte zu aktivieren. Dies erfolgt mittels Quorumsensing-Kommunikationsmolekülen. So bündeln die Keime ihre Aktivitäten und beginnen gemeinsam mit der Expression bestimmter Gene, die z. B. für die erfolgreiche Bildung eines Biofilmes
278
C. Friesecke et al.
erforderlich sind (Bareia et al. 2018). Die Ausbildung des reifen Biofilms dauert etwa 3 Wochen. Er besteht aus einer amorphen Matrix aus polymerisierten Polysacchariden, welche die Keime um sich bilden. " Im Biofilm sind die Keime vor den Abwehr-
strategien des Wirtes weitestgehend geschützt (Frommelt 2004). Phasenweise kommt es zur Ausschwemmung von Bakterien aus dem Biofilm. Dann können weitere Areale besiedelt werden. In dieser Phase ist eine antibiotische Therapie insofern wirksam, als ein Rückgang der klinischen Symptome und der pathologischen Laborparameter resultiert. Eine Sanierung der Infektion gelingt jedoch nicht, da die im Biofilm geschützten Erreger persistieren. Die Funktion der Leukozyten wird im Bereich von Fremdkörpern gestört (Zimmerli et al. 1984). Daraus erklärt sich, dass bereits eine geringe Anzahl von 100–1000 Staphylokokken eine Infektion auslösen und unterhalten kann. Die Bakterien besiedeln die Prothesenoberfläche, so wie sonst die körpereigenen Fibroblasten. Letzteres führt zur Integration des Fremdkörpers, ersteres jedoch zur Infektion. Gristina (1987) hat dieses Phänomen mit dem Begriff „race for the surface“ gekennzeichnet. Die Geschwindigkeit der Oberflächenbesiedlung und die Bildung des Biofilmes sind für das Überleben der Bakterien und die Entstehung der Infektion entscheidend.
2.3
Risikofaktoren
Einige Patientengruppen sind wegen bestehender Nebenerkrankungen besonders gefährdet, weisen also erhöhte Infektionsraten auf. Dabei ist zwischen lokalen und systemischen Risikofaktoren zu unterscheiden. Eine Vielzahl von Studien (Resende et al. 2018; Zhu et al. 2015; Kunutsor et al. 2016) haben die Risikofaktoren analysiert, allerdings mit zum Teil divergierenden Ergebnissen. Deshalb können einige Risikofaktoren als gesi-
chert gelten, während sich andere noch in der wissenschaftlichen Diskussion befinden. Bei Patienten, die an Diabetes mellitus (DM) leiden, ist das Infektionsrisiko ab einem HbAc1-Level von 7,7 signifikant erhöht, p 6 Stunden zeigte einen signifikanten Verlust der diagnostischen Wertigkeit. Andere Studien zeigen, dass die Transportdauer ca. 2 Stunden betragen sollte (Osmon et al. 2013). Sonikation Die Sonikation ist eine Methode, mit der an der Fremdkörperoberfläche der Prothese im Biofilm adhärierende Mikroorganismen mit Ultraschall abgelöst werden. Hierdurch sind höhere Nachweisraten gegenüber der konventionellen Kultur des Gelenkaspirates oder der Gewebeproben zu erwarten (Hischebeth et al. 2016). Die höchste diagnostische Wertigkeit erzielt das Verfahren, wenn das Sonikat in Blutkulturflaschen asserviert wird. Die Kulturzeit kann hierbei bis auf 5 Tage verringert werden. " Die wesentlichen Indikationen des Verfahrens
bestehen in der Diagnostik bei bisher fehlendem Keimnachweis bei mutmaßlich niedrig virulenten Keimen als Auslöser einer periprothetischen Infektion (Mattiassich et al. 2018). Der Umgang mit widersprüchlichen Ergebnissen zwischen der intraoperativen Gewebekultur und der Sonikation ist bisher ungeklärt. Die optimale Nachweisgrenze, die eine positive Ultra-
291
schallflüssigkeitskultur definiert, ist bei 5 CFU („colonie forming unit“) definiert (Trampuz et al. 2007). Meta-Analysen zur Sonikation berichten über eine gepoolte Sensitivität von 79–80 % und eine Spezifität von 95 % (Zhai et al. 2014; Liu et al. 2017). Die Sonikation erzielte die besten Ergebnisse, wenn die Antibiotikatherapie innerhalb von 2 Wochen nach der Operation gestoppt wurde (Trampuz et al. 2007).
Histologie Die histologische Aufarbeitung intraoperativer Gewebeproben umfasst die Auswertung der Anzahl der neutrophilen Granulozyten in durchschnittlich 5 HPF („high power fields“; Vergrößerung x400) (Tsaras et al. 2012). " Krenn et al. klassifizieren die periprothetische
Membran in die Typen I–IV, wobei für die Infektdiagnostik der Typ II (Membran vom Infekttyp) und der Typ III (Membran vom Mischtyp) von Interesse sind. Die quantitative Betrachtung von CD 15 positiven Granulozyten erlaubt die Differenzierung in Low- und High-grade-Protheseninfekte (Krenn et al. 2017). Die intraoperative Gram-Färbung sollte aufgrund der niedrigen Sensitivität verlassen werden.
Polymerase Chain Reaction (PCR) Die Polymerase Chain Reaction (PCR) dient der Identifikation mitunter schwer kultivierbarer Erreger der Protheseninfektion. Eine Meta-Analyse belegte eine Sensitivität und Spezifität in der Synovialflüssigkeit von 84 % respektive 89 % und 81 % respektive 96 % in der Sonikationsflüssigkeit (Qu et al. 2013). Auch bei Antibiotikavorbehandlung besitzt das Verfahren eine hohe Sensitivität und Spezifität in der Abgrenzung zur aseptischen Lockerung (Portillo et al. 2012). Kommerziell verfügbare Multiplex-PCR-Kits können auch niedrig virulente Erreger (z. B. Propionibacterium acnes und Pilze) und deren Resistenzgene innerhalb von ca. 4 Stunden aus dem Sonikat respektive dem Gelenkpunktat nachweisen (Hischebeth et al. 2016).
292
C. Friesecke et al.
Next Generation Sequenzierung (NGS) Technologien wie das Next Generation Sequencing (NGS) ermöglichen es heute, mikrobielle Genomanalysen rasch und kostengünstig durchzuführen. Das Verfahren ist in der Lage, die gesamte mikrobielle DNA innerhalb einer Probe – einschließlich Bakterien, Viren, Hefen, Pilzen und Parasiten – durch Datenbankabgleiche zu identifizieren. Durch den Nachweis von Resistenzgenen sind des Weiteren Resistenztestungen möglich (Dunne et al. 2012). Dem NGS wird das Potenzial zugeschrieben, die „gegenwärtig zeitaufwendigen und arbeitsintensiven Techniken durch einen einzigen umfassenden Diagnosetest“ zu ersetzen (Goldberg et al. 2015). Neue Untersuchungen belegen den Nutzen der NGS in der Erregeridentifikation Kultur-negativer Protheseninfektionen aus Gewebeproben. Weiterhin konnte eine Konkordanz zwischen der Kultur der Synovialflüssigkeit und der NGS nachgewiesen werden. Ein wesentliches Problemfeld besteht derzeit aber noch in der Wertung der Ergebnisse der Untersuchung und der Kontamination durch FremdDNA (Goswami et al. 2018).
8
Grundsa¨tze antimikrobieller Therapie
G. Hischebeth Im Rahmen der antimikrobiellen Therapie muss zunächst zwischen einer empirischen Therapie, also in Unkenntnis des Erregers, sowie einer gezielten Therapie, gegen den nachgewiesenen Erreger gerichtet, unterschieden werden. Im besten Fall sollte die Antibiotikatherapie im gemeinsamen Konsens zwischen Orthopäden und Unfallchirurgen, klinischen Mikrobiologen oder Infektiologen getroffen werden. Wann immer möglich versucht man, bakterizide Substanzen mit einer guten Gewebe- und Knochengängigkeit einzusetzen. Des Weiteren ist die Biofilmgängigkeit der Antibiotika bei einliegendem Fremdmaterial wichtig.
Antimikrobielle Substanzen sollten die folgenden Anforderungen erfüllen (Geipel und Herrmann 2004): • bakterizider Wirkmechanismus, • gute Knochen- und Gewebegängigkeit, • hoher Quotient aus erzielbarem Gewebespiegel und minimaler Hemmkonzentration des Isolats, • niedrige Rate an spontaner Resistenzentwicklung, • Aktivität auch gegen Bakterien in Biofilmen (sessile Bakterien), • gute Verträglichkeit (inklusive Langzeitverträg lichkeit), • Möglichkeit der oralen Sequenzialtherapie (hohe orale Bioverfügbarkeit). Bei den aktuellen Behandlungskonzepten wird eine 6- bis 12-wöchige Therapie empfohlen (Chaussade et al. 2017; Li et al. 2018). Klassischerweise erfolgt zunächst eine ca. 14-tägige intravenöse antimikrobielle Therapie, gefolgt von einer 4- bis 10-wöchigen oralen Sequenzialtherapie. Der Trend geht aktuell jedoch zur kürzeren Therapiedauer. Sofern das Fremdmaterial noch in situ liegt, steht die biofilmaktive Therapie im Vordergrund. Diese ist gegen die nicht oder nur sehr langsam wachsenden, im Biofilm abgeschirmten (sessilen) Bakterien gerichtet. Im prothesenlosen Intervall ist eine biofilmaktive Therapie nicht notwendig. Hier steht vielmehr die Osteitis-/Osteomyelitistherapie im Fokus.
8.1
Debridement, antibiotics, irrigation, and retention (DAIR; Prothesenerhalt)
Nach operativer Revision erfolgt in Unkenntnis des Erregers postoperativ eine empirische, „breitere“ Antibiotikatherapie gegen die zu erwartenden Erreger. Sollte der verursachende Erreger bereits präoperativ bekannt sein, kann direkt eine gezielte, gegen das entsprechende Bakterium gerichtete Antibiotikatherapie erfolgen. Wenn mög-
Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion
lich sollte die Antibiotikatherapie nicht vor der Probengewinnung eingeleitet werden, da dies die Nachweisrate von Bakterien vermindern kann. Die Therapiedauer der intravenösen antimikrobiellen Substanzen richtet sich nach dem Empfindlichkeitsspektrum des verursachenden Erregers (Tab. 3, Abb. 5). Sofern durch den Operateur das DAIR-Konzept gewählt wurde, muss die Antibiotikatherapie auch gegen sessile – im Biofilm lebende Bakterien – gerichtet sein. In der Regel erfolgt hier bei Nachweis von Staphylococcus spec. die Kombinationstherapie mit Rifampicin. Bei Nachweis von Rifampicin-resistenten Staphylokokken wird eine verlängerte intravenöse Therapie, z. B. mit Daptomycin (10 mg/kgKG, 1x täglich.) von 4–6 Wochen empfohlen (Osmon et al. 2013). In diesem Fall sollte die Rücksprache mit einem klinischen Mikrobiologen bzw. Infektiologen erfolgen, um die bestmögliche Therapie einzuleiten. Bei Nachweis von Bakterien, die klassischerweise einer biofilmaktiven Therapie nicht zugänglich sind, wie z. B. Enterokokken oder Streptokokken, kann nur über eine verlängerte Gabe der intravenösen Antibiotika ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden. In diesen Fällen muss auch die Möglichkeit einer langdauernden, möglicherweise lebenslangen Suppressionstherapie diskutiert werden. Infektionen durch Staphylokokken können bei nachgewiesener Empfindlichkeit gegen Oxacillin/ Cefoxitin während der intravenösen Therapiephase mit einem Oxacillinderivat, in der Regel Flucloxacillin, oder einem Cephalosporin der Gruppe 1 (Cefazolin) behandelt werden. Beide Substanzgruppen sollten jeweils bei nachgewiesener Empfindlichkeit mit Rifampicin kombiniert werde.
293
Medikamentengruppen (orale Antikoagulanzien, Antidiabetika, Psychopharmaka, Kontrazeptiva) verändern. Bei Staphylokokken mit dokumentierter Oxacillinresistenz sollte die Therapie mit Vancomycin oder Daptomycin jeweils in Kombination mit Rifampicin erfolgen. Klassischerweise erfolgt die i.v.-Therapie für 2 Wochen, gefolgt von einer 4- bis 10-wöchigen Sequenzialtherapie. Während der oralen Sequenzialtherapie sollten bakterizide Substanzen mit einer guten Bioverfügbarkeit ausgewählt werden, z. B. Chinolone (Levofloxacin, Moxifloxacin), Fusidinsäure (in Deutschland über die internationale Apotheke zu beziehen) oder Cotrimoxazol. Auch für die orale Therapiephase gilt bei Nachweis von Staphylococcus spec. die Empfehlung einer Kombinationstherapie mit Rifampicin. Sofern die Resistenztestung oder patientenindividuelle Kontraindikationen den Einsatz von bakteriostatischen Medikamenten erforderlich machen, ist die Gabe von Doxycyclin, Linezolid oder Clindamycin zu empfehlen. Es gibt jedoch Hinweise für ein Therapieversagen unter bakteriostatischer Therapie, insbesondere in Kombination mit Rifampicin (Tornero et al. 2016). Bei Nachweis von gramnegativen Erregern (z. B. Escherichia coli) ist eine Chinolon-basierte Therapie (Ciprofloxacin) zu bevorzugen (Widmer et al. 1991), gerne auch als Kombinationstherapie während der intravenösen Therapiephase. Die anschließende orale Antibiotikagabe ist durch eine Chinolon-Monotherapie gekennzeichnet. Die Gabe von Rifampicin bei gramnegativen Erregern sollte nicht erfolgen. Zusammenfassend kann das DAIR-Konzept nur erfolgreich im Sinne einer definitiven Infektsanierung sein, wenn die nachgewiesenen Erreger einer biofilmaktiven Therapie (Rifampicin bei Staphylokokken und Chinolone bei gramnegativen Erregern) zugänglich sind.
" Eine Rifampicin-Monotherapie darf aufgrund
der schnellen Resistenzentwicklung (EinPunkt-Mutation) nicht erfolgen. Des Weiteren sollte bei Rifampicingabe unbedingt die Begleitmedikation der Patienten beachtet werden. Rifampicin als Induktor der CYP3A-Enzyme kann die Blutspiegel diverser
8.2
Einzeitiger Wechsel
Wenn das Konzept des einzeitigen Wechsels aufgegriffen wird, gelten für die Antibiotikatherapierichtlinien die gleichen Anforderungen wie für das DAIR-Konzept. Auch hier steht die biofilm-
294
C. Friesecke et al.
Tab. 3 Empfehlungen zur gezielten antimikrobiellen Therapie nach Erhalt des Antibiogramms Mikroorganismus Staphylococcus spp. Methicillin/Oxacillin sensibel
Staphylococcus spp. Methicillin/Oxacillin resistent
Staphylococcus spp. Rifampicin resistent
Streptococcus spp. Penicillin sensibel
Streptococcus spp. Penicillin resistentl
Enterococcus spp. Penicillin/Ampicillin sensibel
Enterococcus spp. Penicillin/Ampicillin resistent
Enterococcus spp. Vancomycin resistant (VRE) Enterobacterales Chinolon sensibel Enterobacterales Chinolon resistent
Antibiotikum Flucloxacillin oder Cefazolin jeweils + Rifampicin für 2 Wochen, gefolgt von je nach Antibiogramm Levofloxacin oder Doxycyclin oder Cotrimoxazol + Rifampicin Daptomycin oder Vancomycin jeweils + Rifampicin für 2 Wochen, gefolgt von je nach Antibiogramm Levofloxacin oder Doxycyclin oder Cotrimoxazol + Rifampicin Daptomycin oder Vancomycin i.v.-Therapie für 2–4 Wochen, dann ggf. lebenslange Suppressionstherapie (Cotrimoxazol, Doxycyclin) Penicillin G oder Ceftriaxon i.v. Therapie für 2 Wochen, dann Amoxicillin oder Levofloxacin Vancomycin oder Daptomycin i.v. Therapie für 2 Wochen, dann Levofloxacin Ggf. Clindamycin Ampicillin + Gentamicinc i.v. Therapie für 2–3 Wochen, dann Amoxicillin oder Bei Allergie Linezolid (max. 4 Wochen) Daptomycin oder Vancomycin + Gentamicinc i.v. Therapie für 2–4 Wochen, dann Linezolid (max. 4 Wochen) Daptomycin oder Linezolid (max. 4 Wochen) lebenslängliche Suppressionstherapie diskutieren Ciprofloxacin +/- weitere wirksame Substanz (z. B. Ampicillin/ Sulbactam Piperacillin/Tazobactam) für 2 Wochen Meropenem oder Piperacillin/Tazobactam oder Colistin + Fosfomycin für 2–4 Wochen, orale Therapie mit Mikrobiologen/ Infektiologen festlegen
Dosis in g 3x4 g oder 4x3 g i.v. 3x2 g i.v. 2x0,45 g p.o.a 2x0,5 g 2x0,1 g 3x0,96 mg 2x0,45 mga 1x10 mg/kgKG i.v. 2x15 mg/kgKG i.v.b 2x0,45 g p.o.a 2x0,5 g 2x0,1 g 3x0,96 mg 2x0,45 mga 1x10 mg/kgKG i.v. 2x15 mg/kgKG i.v.b
4x5–10 Mio I.E. i.v. 2x2 g i.v. 3x1 g p.o. 2x0,5 g p.o. 2x15 mg/kgKG i.v.b 1x10 mg/kgKG i.v. 2x0,5 g p.o. 3x0,6–0,9 g p.o. 3x5 g i.v. 1x5 mg/kgKG i.v. 3x1 g 2x0,6 g 1x10 mg/kgKG i.v. 2x15 mg/kgKG i.v.b 1x5 mg/kgKG i.v. 2x0,6 g 1x10–12 mg/kgKG i.v. 2x600 mg i.v. 2x750 mg p.o. 4x3 g i.v. 4x4,5 g i.v. 3x2 g i.v. 4x4,5 g i.v. 9 Mio E. Startdosis, dann 3x3 Mio E. i.v. 3x5 g i.v. (Fortsetzung)
Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion
295
Tab. 3 (Fortsetzung) Mikroorganismus Nonfermenter (z. B. Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter baumannii)
Nonfermenter (z. B. Pseudomonas aeruginosa, Acinetobacter baumannii) multiresistent Anaerobier Cutibacterium acnes
Grampositive Anaerobier nicht Cutibacterium acnes
Gramnegative Anaerobier
Candida spp. Fluconazol sensibel
Antibiotikum Meropenem (bei A. baumannii) oder Piperacillin/Tazobactam oder Ceftazidim + Tobramycin für 2 Wochen, dann wenn sensibel Ciprofloxacin, sonst Rücksprache mit Mikrobiologen/Infektiologen Therapie in Absprache mit Mikrobiologen/ Infektiologen
Dosis in g 3x2 g i.v. 4x4,5 g i.v. 3x2 g i.v. 1x7 mg/kgKG i.v. 2x0,75 g
Penicillin G oder bei Allergie: Clindamycin + Rifampicin Für 2 Wochen, dann Amoxicillin oder Levofloxacin + Rifampicin Ampicillin/Sulbactam oder Piperacillin/Tazobactam oder Moxifloxacin i.v.-Therapie für 2 Wochen Ampicillin/Sulbactam oder Piperacillin/Tazobactam für 2 Wochen, dann Metronidazol Caspofungin oder Anidulafungin Fluconazol möglicherweise lebenslange Suppressionstherapie
4x5-10 Mio I.E. i.v. 3x600 mg i.v. 2x0,45 ga
Candida spp. Fluconazol resistent
Caspofungin oder Anidulafungin Voriconazol
Kultur-negativer Infekt
Ampicillin/Sulbactam +/- Rifampicin Für 2 Wochen, dann Levofloxavin +Rifampicin
3x1 g 2x0,5 g 2x0,45 ga 4x3 g i.v. 4x4,5 g i.v. 1x400 mg p.o. 4x3 g i.v. 4x4,5 g i.v. 3x400 mg p.o. Startdosis 1x70 mg dann 1x50 mg i.v. Startdosis 1x200 mg dann 1x100 mg i.v. 1x400 mg p.o. Startdosis 1x70 mg dann 1x50 mg i.v. Startdosis 1x200 mg dann 1x100 mg i.v. 2x200 mg p.o 4x3 g i.v. 2x0,45 g p.o.a 2x0,5 g 2x0,45 g p.o.a
Rifampicindosierung bei Alter >75 Jahren oder 12 mm) nicht möglich, kann die Form durch einen Retropatellarersatz wiederhergestellt werden (Bourne 1999). Ist ein zentraler Patellalauf damit nicht zu erreichen, werden zusätzliche Eingriffe am Halteapparat der Patella notwendig. Aufgrund des großen Einflusses auf die postoperative Funktion des Gelenkes dürfen hier keine Kompromisse gemacht werden. Am häufigsten liegt eine Lateralisation der Patella vor, sodass eine Verlängerung der lateralen und gegebenenfalls Raffung der medialen peripatellären Struk-
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation
turen im Rahmen des Kapselverschlusses durchzuführen ist. Hier kann sequentiell von intraartikuär über eine laterale Facettektomie und schrittweises Release des lateralen Retinakulums vorgegangen werden (Rackwitz et al. 2016). Dabei sollte jedoch möglichst die laterale Blutversorgung der Patella über die A. genicularis lateralis superior geschont werden, um die durch die mediale Arthrotomie bereits kompromittierte Durchblutung nicht weiter zu reduzieren. Ist bereits ein Retropatellarersatz vorhanden, stellt sich bei jeder aseptischen Revision der Kernprothese die Frage, ob dieser zu wechseln oder zu belassen ist. In Anbetracht des möglichen Knochenverlustes bei der Revision eines festsitzenden und unbeschädigten Retropatellarersatzes wird ein Belassen von vielen Operateuren favorisiert. Wird ein Implantat vom identischen Hersteller mit kongruentem Design von Retropatellarersatz und Femurkomponente verwendet, ist dieses Vorgehen im Sinne eines Teilwechsels bei intakter Patellakomponente unstrittig. Diskussionswürdig wird dies, wenn ein anderes Implantat eingesetzt werden soll. Zwar zeigen viele Patellakomponenten ein ähnliches hemisphärisches oder domförmiges Design, eine validierte Passform liegt aber nur mit der jeweils zugehörigen Femurkomponente vor. Bei offensichtlich unterschiedlicher Form ist der Wechsel des Retropatellarersatzes durchzuführen. Bei guter Passform wird in Anbetracht der Nachteile einer Revision des festen Retropatellarersatzes mit dem Patienten häufig ein Belassen trotz Verwendung eines anderen Implantates besprochen. Hierbei handelt es sich dann um einen klaren Off-Label-Use, über den der Patient mit allen möglichen Konsequenzen vor der Operation aufzuklären ist. Eine absolute Indikation zur Revision der Patellakomponente besteht, wenn diese gelockert oder makroskopisch beschädigt ist (Schindler 2012). Ob ein erneuter Retropatellarersatz möglich ist, richtet sich nach der verbliebenen Dicke und der Qualität des Knochens. Die Implantation in der Revision sollte den gleichen Regeln wie in der Primärsituation folgen. Die publizierten Ergebnisse sind zufriedenstellend (Garcia et al. 2008; Maheshwari et al. 2009; Ritschl et al. 2015). Insbesondere bei den hemisphärischen 3-Peg-Im-
329
plantaten können die alten Verankerungslöcher über eine Variation der Rotation gut umgangen werden. Liegt ein zentraler Defekt bei ausreichender Restdicke vor, stehen heute bikonvexe Implantate zur Verfügung, die auch in dieser Situation noch eine sichere Verankerung bewerkstelligen (Ritschl et al. 2015). Ist eine Restdicke des verbliebenen Knochens gering, besteht in Kombination mit den Verankerungslöchern ein deutlich erhöhtes Frakturrisiko (Bourne 1999). Auch ein deutlich sklerosiertes Implantatbett kann eine erneute zementierte Verankerung unmöglich machen. In diesen Fällen kann neben der Denervation über ein „Reshaping“ oder eine „Firstung“ eine Konformität zwischen Restpatella und Trochlea hergestellt werden (Lavernia et al. 2009; Maheshwari et al. 2009). Alternativ gibt es die Möglichkeit, ein zementfreies Implantat mit trabekulärer Oberfläche zu implantieren. Dabei wird ein Formschluss zwischen konkaver Rest-Patella und konvexem Metallkörper hergestellt, der anschließend mit Nähten im Halteapparat der Patella gesichert wird (Tigani et al. 2009). " Tipp Fu¨r die trabekula¨re Metallpatella gilt, dass die Anfrischung der konkav ausgeschliffenen, sklerosierten Rest-Patella einfacher unter Zuhilfenahme einer Pfannenfra¨se aus der Hu¨ftendoprothetik gelingt.
Anschließend wird der Polyethylen-Retropatellarersatz in die vorgesehenen Verankerungslöcher des Metallaugmentes zementiert. Die publizierten Ergebnisse in der Literatur sind meist gut, jedoch stets an kleinen und inhomogenen Patientenkollektiven erhoben (Garcia et al. 2008). In Situationen mit konkav ausgeschliffener Restpatella steht als biologischer Versuch der Defektrekonstruktion die sog. Gullwing-Osteotomie zur Verfügung (Gililland et al. 2016). Dabei wird zuerst über eine Längsosteotomie eine Firstform hergestellt. Anschließend wird von ventral Spongiosa subperiostal angelagert, um wieder ein knöchernes Lager zu generieren (Gililland et al. 2016). Im Schnitt sind die publizierten Ergebnisse zu dieser Technik jedoch ebenfalls nur als akzeptabel zu bezeichnen (Gililland et al. 2016). Früher wurde die Patellektomie ebenfalls als mögliche
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Therapieform aufgeführt (Kloiber et al. 2016). Aufgrund der dadurch potenziell erzeugten Schwäche des Streckapparates und den heute verfügbaren Alternativen ist diese Indikation nur noch sehr selten gegeben. Die letzte Möglichkeit zur Intervention stellt der vollständige Ersatz des Streckapparates dar (Burnett et al. 2006). Diese aus Quadrizepssehne-Patella-Quadrizepssehne-Tuberositas bestehenden Allografts können den gesamten Streckapparat ersetzen (Abb. 14). Der Anteil der Tuberositas wird in einer Nut, die Restpatella gegebenenfalls mit dem Allograft verschraubt und die Weichteilstrukturen werden nicht resorbierbar vernäht. Wichtig ist, dies in maximaler Streckung durchzuführen, da die Elongation des Allografts mit konsekutivem Streckdefizit das Hauptproblem im postoperativen Verlauf darstellt (Burnett et al. 2006).
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7.2
Quadrizepssehne und Patellarsehne
Die weichteiligen Läsionen des Streckapparates (Quadrizepssehne/Patellarsehne) sind seltene, aber schwerwiegende Komplikationen in der Knieendoprothetik. Die Inzidenz wird für die Quadrizepssehne mit 0,1 % und für die Patellarsehne mit 0,2–1,4 % angegeben (Rand et al. 1989; Dobbs et al. 2005; Jackson et al. 2008). Aufgrund der hohen Fehlschlagsrate ist die konservative Therapie nur bei inoperablem Patienten empfohlen (Browne und Hanssen 2011). Wichtig für die Entscheidung des Therapieverfahrens ist zuerst die Unterscheidung zwischen: • akuter Ruptur, • veralteter Ruptur.
Abb. 14 a-d Vollständiger Ersatz des Streckapparates durch ein Allograft bei multifragmentärer Patellafraktur, Lateralisation und Quadrizepssehenruptur
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation
Die frische Ruptur der Quadrizepssehne kann, solange noch keine Retraktion eingetreten ist, mit transossären Nähten oder Fadenankern primär rekonstruiert werden (Rosenberg 2012; Nam et al. 2014; Thiele et al. 2016). Auch eine V-Y-Plastik zur Verstärkung des rupturierten Bereiches ist beschrieben (Browne und Hanssen 2011; Bates und Springer 2015). Trotzdem ist eine hohe ReRupturrate von 33–100 % publiziert, sodass auch bei frischen Rupturen vergleichbar mit den veralteten Rupturen immer häufiger eine Augmentation empfohlen wird (Nam et al. 2014; Thiele et al. 2016). Bei der frischen Patellarsehnenruptur sollte zur Neutralisation der Zugkräfte zusätzlich zur Rekonstruktion mit transossären Nähten oder Fadenankern eine McLaughlin-Cerclage angelegt werden (Rosenberg 2012). " Tipp Auch bei der akuten Ruptur zeigt die Kombination aus prima¨rer Naht UND Augmentation die besten klinischen Ergebnisse. Im Zweifel sollte auch hier augmentiert werden.
Die veraltete Läsion des Streckapparates erfordert neben der Rekonstruktion auch immer die Augmentation des betroffenen Areals (Burnett et al. 2004; Browne und Hanssen 2011; Bates und Springer 2015; Thiele et al. 2016). Hierfür stehen verschiedene autologe, allogene oder synthetische Techniken zur Verfügung. Als autologe Augmentate können für die Patellarsehne die Hamstrings (Sehne des M. semitendinosus und M. gracilis) genutzt werden (Mittal et al. 2011). In der Revision mit stark vernarbten medialen Weichteilstrukturen ist es jedoch mitunter schwierig, diese Strukturen suffizient zu präparieren. Bei gleichzeitig bestehenden Weichteildefekten kann ein medialer Gastrocnemiuslappen geschwenkt und mit der verbliebenen Patellarsehne verbunden werden (Busfield et al. 2004). Dieses Verfahren stammt ursprünglich aus der Tumororthopädie. Informationen über die postoperative Funktionalität des Konstruktes beruhen auf kleinen Fallserien (Busfield et al. 2004). Zu den zur Rekonstruktion genutzten allogenen Augmentaten zählen vor allem das Achillessehnenallograft und die Fascia lata. Beide werden
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zur Verstärkung der primären Rekonstruktion eingenäht (Browne und Hanssen 2011). Inwiefern ein tatsächlicher Umbau zu mechanisch kompetentem Eigengewebe stattfindet, ist nicht bekannt. Auch hier kann natürlich der bereits oben beschriebene vollständige Ersatz des Streckapparates zum Einsatz kommen. Auch die Therapie der veralteten Rupturen ist sowohl für die Quadrizepssehne, als auch die Patellarsehne mit einer hohen Fehlschlagsrate verbunden (Nam et al. 2014). Unter den synthetischen Augmentaten sind die klassischen Anbindungsschläuche in der Vergangenheit am meisten verwendet worden, mit jedoch hoher Komplikationsrate. In den letzten Jahren wurden daher für beide Läsionen Techniken unter Einsatz eines Polypropylen-Netzes entwickelt (Marlex-Mesh, Fa. Bard, Murray Hill, USA) (Browne und Hanssen 2011; Abdel et al. 2016; Morrey et al. 2016). Dabei wird dieses Netz in einer Sandwich-Technik zwischen zwei autologen Gewebeschichten eingenäht. Es dient der primären Stabilisierung, induziert durch die starke Narbenbildung jedoch ein Durchwachsen mit körpereigenem Kollagengewebe (Winston et al. 1978) (Abb. 15). Dadurch ist mutmaßlich eine dauerhafte Stabilisierung zu erreichen. Die ersten Untersuchungen zeigen hier durchaus ermutigende Ergebnisse (Browne und Hanssen 2011; Morrey et al. 2016). Insgesamt ist die Behandlung von Streckapparatläsionen jedoch weiter als komplex und komplikationsträchtig zu betrachten, sodass der Vermeidung eine größtmögliche Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Vermeidung von Streckapparatrupturen
1. Verwendung eines ausreichend erweiterbaren Zugangs 2. Vollständige Lösung von Adhäsionen und Narbensträngen des suprapatellären sowie des medialen und lateralen Rezessus 3. Vermeiden der Eversion der Patella 4. Frühzeitige Erweiterung des Zugangs mit dem Rektus-Snip oder Osteotomie der Tuberositas tibiae
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Abb. 15 a Fotoaufnahme eines explantierten Polypropylen-Netzes (Marlex-Mesh, Fa. Bard, Murray Hill, USA) und b eines histologischen Schnittes (Kollagenfärbung).
8
Fazit fu¨r die Praxis
Die suffiziente aseptische Revision erfordert ein profundes Verständnis der Ursachen und notwendigen OP-Techniken. Knochendefekte und Instabilitäten lassen sich mit den vorliegenden Rekonstruktionsmöglichkeiten und Implantatsystemen oftmals erfolgreich behandeln. Die Therapie der Läsionen des Streckapparates stellt im Gegensatz dazu eine ungleich größere Herausforderung mit häufig unzufrieden stellendem Ergebnis dar.
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Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation Christian Friesecke, Sascha Gravius, Hendrik Kohlhof und Dieter Christian Wirtz
Inhalt 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Präoperative Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implantat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
338 338 338 339 339
2 Operatives Vorgehen mit Prothesenerhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2.1 Prothesenerhalt bei Frühinfekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3 Operatives Vorgehen mit Prothesenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3.1 Einzeitiger Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3.2 Zwei- und mehrzeitiger Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
C. Friesecke Krankenhaus Tabea Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] S. Gravius Orthopädisch-Unfallchirurgisches Zentrum, UMM Universitätsmedizin Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] H. Kohlhof Klinik für Unfall-, Hand- und Orthopädische Chirurgie, St. Antonius Hospital, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] D. C. Wirtz (*) Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_19
337
338
C. Friesecke et al. 4 4.1 4.2 4.3
Operatives Vorgehen ohne Prothesenwiedereinbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arthrodese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich Amputation und Arthrodese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
359 359 362 367
5
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
1
Pra¨operative Planung
Sascha Gravius In die präoperative Planung fließen patienten-, implantat-, operations- und erregerspezifische Faktoren ein.
1.1
Patient
Die Dringlichkeit des operativen Eingriffes (dringlich, nicht-geplant- vs. bedingt-dringlich, geplant) bestimmt wesentlich die präoperative Planung.
PBM (Patient Blood Management), das Gerinnungsmanagement sowie die Vorhaltung von Blutersatzprodukten sollten hier bedacht werden (Gravius 2013). Die Zeit bis zur Operation sollte zur präoperativen Diagnostik (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“; gegebenenfalls Absetzen einer möglichen Antibiotikatherapie vor der Diagnostik bedenken) genutzt werden. Weiteres Augenmerk sollte der Isolationspflichtigkeit der Patienten bei isolationspflichtigen Erregern (u. a. MRSA, VRE, 3/4 MRGN, Clostridium difficile) gelten. Hier müssen die Anforderungen (strikte Isolation vs. Kontaktisolation) im stationären Umfeld, auf Intermediate Care oder Intensivstationen berücksichtigt werden.
" Die perioperative Allgemeinsituation des Pa-
tienten (u. a. Vorliegen einer SIRS oder Sepsis) bestimmt wesentlich die Invasivität des operativen Vorgehens im interdisziplinären Konsens (einzeitiger Wechsel vs. dringliche Operation als „Sofortintervention“ zur Keimlastreduktion und zweizeitige Versorgung nach Rekompensation und systemischer Infekttherapie). Bei bedingt dringlichen, geplanten Operationen (OP-Terminierung in Tagen/Wochen) steht die präoperative Einschätzung und Vorbereitung des Patienten im Vordergrund. Sie soll der Minderung des Narkose- und des Operationsrisikos dienen. Durch die Voruntersuchungen sollen unbekannte Erkrankungen aufgedeckt bzw. bereits bekannte Erkrankungen eingeschätzt werden, die für das Narkose- und das Operationsrisiko sowie für das anästhesiologische Vorgehen von besonderer Bedeutung sind. Die Korrektur potenzieller Risikofaktoren bestimmt wesentlich das perioperative Komplikationsrisiko. Faktoren wie u. a. das
1.2
Implantat
Im Vorfeld muss die operative Strategie bedacht werden (prothesenerhaltend vs. Prothesenausbau mit ein-, zwei- oder mehrzeitigem Wechsel). Bei beiden Verfahren ist die Kenntnis des Implantates unabdingbar: (1) Beim prothesenerhaltenden Vorgehen zum Wechsel der mobilen Teile (u. a. Inlay, Kopplung etc.), (2) beim Prothesenerhalt respektive -ausbau die Vorhaltung notwendiger Spezialinstrumente zur Entkopplung und (3) beim Prothesenausbau zum Ausschlagen der Gelenkkomponenten, der Offsetadapter und/oder der Stemverankerungen. Bereits implantierte Sleeves oder Cones sollten ebenso wie auch vollzementierte Stemverankerungen in die Planung eingebunden werden. Hier kann es nützlich sein, Instrumente zur Entfernung (u. a. ante-/retrograde (gekröpfte) gerade, U- oder Fahnenmeißel) und zum Überbohren der Markräume vorhalten zu können.
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
1.3
Operation
Präoperativ müssen die Möglichkeiten eines mobilen oder statischen Spacers zur lokalen Antibiose gemäß den in Abschn. 3.2.1 beschriebenen Kriterien geprüft werden. In Ausnahmefällen kann eine solitäre externe Ruhigstellung oder die Anlage eines kniegelenküberbrückenden Fixateurs (z. B. bei Zementallergie) kritisch geprüft werden oder notwendig sein. Eine frühzeitige plastisch-chirurgische Versorgung zur Weichteildeckung sollte bedacht werden.
1.4
Erreger
Vorbefunde zu Erreger- und Resistenzbestimmungen aus der präoperativen Diagnostik sollten in die peri- und postoperative lokale und systemische Antibiotikatherapie mit einbezogen werden. Bei bis dato kulturnegativer Protheseninfektion sollte eine empirische Antibiotikatherapie unter Berücksichtigung des erwarteten Keimspektrums gewählt werden. Bei Verdacht auf Protheseninfektionen mit Pilzen, zoonotischen Bakterien, Mykobakterien oder anderen ungewöhnlichen Mikroorganismen können Routinekulturen häufig versagen. Hier sollten in Rücksprache mit dem Labor die geeigneten Transport- und Kulturmedien/-methoden im Vorfeld definiert werden (Yan et al. 2018).
2
Operatives Vorgehen mit Prothesenerhalt
Christian Friesecke
2.1
Prothesenerhalt bei Fru¨hinfekt
Prothesenerhalt bei gesichert epifaszialer Infektion Bei sämtlichen epifaszialen Infektionen ist die Prothese per definitionem nicht betroffen, gleichwohl aber stark gefährdet, in das anatomisch unmittelbar
339
angrenzende Infektgeschehen einbezogen zu werden. Fadenfisteln, Stichkanalinfektionen, nässende Wunden und Wundrandnekrosen können zu subkutanen Abszessen führen, welche die Faszienbarriere zunächst respektieren. Diese sind so schnell als irgend möglich zu exzidieren. Selbstverständlich ist zuvor eine Gelenkpunktion erforderlich, um zu beweisen, dass keine periprothetische Besiedlung vorliegt. Diese darf keinesfalls durch das infizierte Areal hindurch erfolgen. Der Wundverschluss kann sofort mittels Einzelknopftechnik nach Donati erfolgen. Andere Techniken des Wundverschlusses sind in der Infektionsbehandlung nach unserer Erfahrung weniger gut geeignet. Im Einzelfall kann wegen der Größe des Befundes eine Vakuumversiegelung (VAC) indiziert sein und erst später der sekundäre Wundverschluss. Absolute Voraussetzung dafür ist eine geschlossene Faszie (Abb. 1).
Prothesenerhalt bei akuter Infektion Die unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten ergeben sich aus der Pathophysiologie des Infektes. Die Ausbildung eines reifen Biofilmes ist nach 3 Wochen abgeschlossen. Ein akuter, früher Infekt innerhalb dieser Frist nach Indexoperation kann deshalb durch eine Revision mit Debridement, Lavage und Wechsel der mobilen Teile, aber Erhalt der Prothese gelingen (Steinbrink und MellaSchmidt 1989; Renz et al. 2016a, b; Jiranek et al. 2015). Einen Spezialfall stellt die akute, späte Infektion dar, die nach langer Prothesenstandzeit durch lympho- oder hämatogene Streuung ausgelöst wird. Hier ist identisch zu therapieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, in diesen späten Fällen den Beginn der Infektion genau zu erkennen. Ist das nicht möglich, ist von einer chronischen Infektion auszugehen. Der Prothesenwechsel ist dann immer indiziert. Prothesenerhaltende Eingriffe, besonders mehrfache, sind dann schädlich und unbedingt zu vermeiden, denn sie führen nur zu einer weiteren Schädigung der Weichgewebe und konsekutiv schlechter Gelenkfunktion (Jiranek et al. 2015; Buller et al. 2012; Srivastava et al. 2019). Second-Look-Operationen und Etappenlavage mit Prothesenerhalt
340
C. Friesecke et al.
Abb. 1 a–d Rückzug nach VAC-Behandlung. a Sauber granulierender Wundgrund nach VAC bei epifaszialer Wundheilungsstörung mit definitiv geschlossener Faszie. b
Exzision des gesamten Befundes. c Exzidat. d Sekundärnaht mittels Donati-Rückstichnaht
haben in der septischen Revisionsendoprothetik keine Berechtigung. Der operative Eingriff ist gekennzeichnet durch die Exzision der gesamten alten Narbe inklusive Stichkanälen, ein vollständiges Debridement, Jet-Lavage mit antiseptischem Zusatz und Wechsel des Polyethylenplateaus. Der Wundverschluss erfolgt nach Einlage einer Drainage primär. Intraoperativ werden 5 Proben zur mikrobiologischen und zusätzliche zur histologischen Untersuchung entnommen. Begleitet wird das chirurgische Vorgehen durch eine systemische Antibiotikatherapie gemäß Antibiogramm. Sollte dieses noch nicht vorliegen, beginnt man mit einem breit wirkenden Antibiotikum, welches dann gegebenenfalls später umgestellt wird. Die
Anlage einer VAC ist in diesen Fällen kontraindiziert. Sie ist nur bei unversehrter Faszienschicht sinnvoll. Der Vorteil des Verfahrens liegt in der Schonung des knöchernen Prothesenlagers. Entscheidend für den Erfolg sind eine möglichst frühzeitige Revision, die Vollständigkeit des Debridements und die Kenntnis der Keimlage. Die Erfolgsquote sinkt mit jedem weiteren Tage und beträgt innerhalb von 3 Wochen zwischen 50 und 60 %. Nach mehr als 3 Wochen geht die Erfolgsrate gegen null (Crockarell et al. 1998; Jiranek et al. 2015). " Cave Das Verfahren ist bei chronischen In-
fektionen obsolet (Buller et al. 2012; Srivastava et al. 2019).
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
3
Operatives Vorgehen mit Prothesenwechsel
3.1
Einzeitiger Wechsel
Christian Friesecke
Historie " Der einzeitige Wechsel bei periprothetischer In-
fektion unter Verwendung antibiotikahaltigen Zementes (ALAC) ist ein seit Anfang der 1970er-Jahre etabliertes, erfolgreiches und schonendes Therapiekonzept (Buchholz und Engelbrecht 1970; Buchholz und Gartmann 1972). Bereits in den 1960er-Jahren hatte sich die Arbeitsgruppe um Buchholz mit der Freisetzung von verschiedenen Antibiotika aus dem Knochenzement beschäftigt, zunächst zur Infektionsprophylaxe, um die damals noch bei 10 % liegenden Infektionsraten in der Primärprothetik zu senken. Duncan hat diese Arbeiten als Meilenstein in der Infektionsbehandlung bezeichnet (Duncan und Masri 1994). Sie erst ermöglichten die gelenkerhaltende Revision im Infektfall. Zuvor waren Girdlestoneplastik an der Hüfte und Arthodese am Knie die gängigen Verfahren bei periprothetischen Infektionen. So entstand schließlich der Refobacin-Palacos ®. Nach Experimenten mit individuell, gemäß Antibiogramm angefertigten Zementmischungen, entwickelte Buchholz schnell das wegweisende Konzept des einzeitigen Wechsels, wobei unter antibiotischem Schutz direkt reimplantiert wird (Buchholz et al. 1981). Es ist mit kleinen Modifikationen bis heute gültig.
Konzept " Die präoperative, zuverlässige Identifikation
des verursachenden Keimes durch Gelenkpunktion, PE oder bei Fisteln durch zusätzliches Abradat (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“) ist eine conditio sine qua non für den einzeitigen Wechsel. Auf dem validen Antibiogramm fußt die Empfehlung für die geeignete Antibiotikatherapie,
341
topisch wie systemisch. Dazu ist die Zusammenarbeit mit einem in der Behandlung von Fremdkörperinfektionen versierten Mikrobiologen zu fordern. Arbeiten zur Thermostabilität verschiedener Antibiotika und ihrem Elutionsverhalten aus diversen Zementarten ermittelten eine Palette therapeutisch geeigneter Antibiotika. Verschiedene Antibiotika beeinflussen die Freisetzung aus dem Zement wechselseitig, indem die Freisetzung zum Teil gefördert, zum Teil behindert wird. Dabei wurde auch erkannt, dass Gentamycin die Elution anderer Antibiotika aus dem Zement befördert, weshalb es auch eingesetzt werden soll, wenn der Erreger resistent gegen Gentamycin ist (Lodenkämper et al. 1982; Wahlig et al. 1984). Diese Arbeiten bilden die Grundlage für eine spezifische, d. h. an den jeweiligen Erreger angepasste, individuelle topische Antibiotikatherapie. " Tipp Die individuelle topische Antibiotikatherapie erreicht lokale Wirkstoffkonzentrationen, deutlich oberhalb der minimalen Hemmkonzentration und einer bakteriziden Konzentration, die bei alleiniger systemischer Gabe nicht ohne toxische Nebenwirkungen zu erreichen sind (Breusch und Ku¨hn 2003; Frommelt 2004).
Gleichzeitig schont sie durch die lokal begrenzte Wirkungsart den Gesamtorganismus. Bis zu insgesamt 10 % der Zementmenge können als Antibiotika in Pulverform dem Zement zugemischt werden, ohne seine mechanische Stabilität entscheidend zu kompromittieren (Lautenschläger et al. 1976; Wahlig et al. 1984; Breusch und Kühn 2003). Reiter konnte zeigen, dass die Vier-Punkt-Biegefestigkeit gemäß ISO 5833 nach Beimischung von 4 g Imipinem auf 40 g Refobacin Palacos ® von 72 auf 52 MPa sinkt. Sie liegt aber damit immer noch über dem Grenzwert für die Zulassung. Analoges gilt für die Druckfestigkeit (Reiter et al. 2019). Oft ist eine geringere Zumischung von 2 g pro 40 g Zement ausreichend. Die gewählten Antibiotika müssen in wasserlöslicher Pulverform verfügbar sein. Die wirksame Menge des Antibiotikums im Pulver kann
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C. Friesecke et al.
durch Zusatzstoffe vermehrt werden. Diese haben keinen therapeutischen Effekt, schwächen aber den Zement. Solche Präparate müssen identifiziert werden, da sie weniger geeignet sind (Reiter et al. 2019). Durch die Zumischung von Hand wird ein Medizinprodukt verändert. Dieses hat Auswirkungen auf die Aufklärungspflicht und Arzthaftung (Frommelt 2004). Man sollte deshalb in den Fällen, in welchen gemäß Antibiogramm auch von der Industrie gefertigte Produkte, wie z. B. Copal ® wirksam sind, unbedingt auf diese zurückgreifen (Wodtke und Löhr 2008). " Cave Die topische Antibiotikatherapie unter-
stützt das chirurgische Debridement, ersetzt es aber nicht. Sie soll die Restkontamination im Situs bekämpfen und die Neubesiedlung der Implantatoberflächen verhindern. Deshalb ist die zementierte Verankerung der neu zu implantierenden Prothese von Vorteil, würde man doch sonst auf dieses bakterizide Potenzial verzichten. Die systemische Antibiotikatherapie ist als adjuvant zu bezeichnen. Sie erreicht nur gut durchblutete Gewebebereiche. Ihre Dauer beträgt in der Regel ca. 2 Wochen. Längere Therapien sind mit dem Mikrobiologen zu beraten, je nach Keimlage und postoperativem Verlauf der CRP-Werte. Einzelne Autoren empfehlen grundsätzlich längere Zeitintervalle für die systemische Antibiotikatherapie (Trampuz und Zimmerli 2005). Bei der chronischen Infektion (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“) ist der Wechsel der Prothese samt Debridement der
infizierten Weichgewebe und des knöchernen Prothesenlagers zwingend erforderlich. Dabei ist es ohne Belang, ob die Prothesenkomponenten gelockert oder noch fest verankert sind (Buchholz et al. 1981; Langlais et al. 2003; Wodtke und Löhr 2008). Grundsätzlich hat das Debridement beim einzeitigen und zweizeitigen Wechsel in identischer Art und Weise zu erfolgen, denn auch beim zweizeitigen Vorgehen soll die Infektsanierung mit dem ersten Eingriff gelingen. Von allen Autoren wird einheitlich als Grundvoraussetzung für das einzeitige Behandlungskonzept gefordert: 1. präoperativ bekannter Erreger, 2. Antibiogramm, 3. wirksame Antibiotika verfügbar. Von einigen Autoren werden zusätzliche Voraussetzungen gefordert: 1. keine generalisierte Sepsis, 2. keine Fistel oder größere Weichteildefekte, 3. keine multiresistenten Keime, 4. keine Mischinfektionen (Nguyen et al. 2016; Rowan et al. 2018; Negus et al. 2017; Parvizi et al. 2013a, b). Andere Autoren halten diese Einschränkungen nicht für zwingend erforderlich (Friesecke und Wodtke 2008; Jenny et al. 2013; Nagra et al. 2016; Zahar et al. 2016; Rowan et al. 2018). Fisteln im Narbenverlauf sind unproblematisch, da die Narbe ohnehin komplett exzidiert werden muss. Die Fistel wird ebenfalls exzidiert. Eine VAC bei freiliegender Prothese ist sinnlos. So ist es durchaus naheliegend, auch in solchen Situationen einzeitig zu verfahren, gegebenenfalls auch mit zusätzlicher plastischer Deckung mittels Gastrocnemiuslappen (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der aseptischen Situation“; Abb. 2).
Abb. 2 a Weichteilbefund nach einzeitigem septischen Prothesenwechsel mit Gastrocnemiuslappen in gleicher Sitzung. b Befund 5 Wochen postoperativ
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
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Tab. 1 Ergebnisse nach einzeitigem Knieprothesenwechsel mit n >20 Studie von Förster et al. Silva et al. Buechel et al. Singer et al. Jenny et al. Tibrewal et al. Haddad et al. Zahar et al. Wodtke et al.
Jahr 1991 2002 2004 2012 2013 2014 2015 2016 2018
Anzahl 104 37 21 63 47 50 28 70 102
Problemkeime zeichnen sich durch ihre Resistenzen aus. Sie sind sowohl beim ein- als auch beim zweizeitigen Wechsel mit schlechteren Erfolgschancen, höheren Revisionsraten, Spacerwechseln und auch ganz ausbleibender Infektsanierung vergesellschaftet (Gomez et al. 2015; Massin et al. 2016). Zweifellos werden diese Keime unabhängig von der operativen Methode die große Herausforderung für die Zukunft darstellen. Nicht umsonst werden sie als „difficult to treat“ bezeichnet. Auch in diesem Zusammenhang ist die Antibiotic Stewardship in allen Kliniken zu fordern. Ob die Indikation zum einzeitigen Wechsel wirklich zusätzlicher Voraussetzungen bedarf, muss die weitere wissenschaftliche Diskussion klären. Haddad et al. (2015) konnten zeigen, wie mittels Selektion von Patienten mit guten Wundverhältnissen, wenig Nebenerkrankungen und gut sensiblen Keimen die Erfolgsrate des einzeitigen Wechsels gesteigert werden kann, in der untersuchten Kohorte sogar auf 100 %. Die Erfolgsquoten verschiedener anderer Autoren liegen übereinstimmend bei ca. 90 % und sind in Tab. 1 wiedergegeben.
Operationstechnik Auf der Basis der präoperativen Keimidentifikation samt Antibiogramm wird der chirurgische Eingriff durchgeführt. Der Eingriff unterteilt sich in eine erste septische und die daran anschließende zweite „saubere“ Phase. Der Eingriff beginnt mit der vollständigen Exzision der alten Narbe samt Stichkanälen (Abb. 3). Vorhandene Fistelöffnungen und -gänge sind selbstverständlich zu exzidieren. Prinzipiell sind
Follow-up in Jahren 6 4 10,2 3 3 10,5 6,5 10 2,6
Sanierungsrate % 73,1 89,2 90,9 95 87 98 100 93 92,7
alle Standardzugänge geeignet. Der Subvastuszugang hat jedoch den entscheidenden Vorteil, den Streckapparat komplett zu schonen, während jeder weitere transtendinöse Zugang jenen weiter schädigt und seine Kontinuität gefährdet. Distal im Bereich der Tuberositas tibiae, ist besonders sorgfältig zu präparieren, damit eine nahtfähige Kapselschicht zum späteren, suffizienten Wundverschluss erhalten bleibt. In den meisten Veröffentlichungen (z. B. Jiranek et al. 2015; Zahar et al. 2016) wird ein besonders radikales Debridement als unverzichtbarer Schlüssel zum Erfolg des einzeitigen Konzeptes postuliert. " Tipp Das Debridement soll aber nicht ungezielt radikal sein. Vielmehr muss intraoperativ kontinuierlich analysiert werden, wie ausgedehnt die Infektion ist und welche Gewebe betroffen sind. Nur auf diese Weise kann sorgfa¨ltig, strukturiert, angemessen und vollsta¨ndig debridiert werden.
Nur so sind akzeptable funktionelle Ergebnisse bei gleichzeitiger Infektsanierung erreichbar (De Man et al. 2011; Friesecke und Wodtke 2008). Ein solcher Eingriff gleicht technisch einem aseptischen Wechsel bei ausgedehnter Abriebsynovialitis z. B. wegen Polyethylenschadens. Am besten beginnt man das Debridement im oberen Rezessus. Die Weichteile werden durch feuchte Bauchtücher vor einer Sekundärinfektion durch aus dem Gelenkbinnenraum entweichendes Infektmaterial geschützt. Die Synovialis soll zunächst nicht eröffnet werden. So präpariert man in der anatomischen Schicht bis zu den Umschlagkanten
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Abb. 3 Keilförmige Exzision der alten Narbe bis auf die Faszie unter Mitnahme der im Nahtverlauf gelegenen Fistel
Abb. 4 a Situs eines rechten Kniegelenks nach Subvastuszugang. Der stark geschwollene Synovialschlauch ist aus dem oberen Rezessus herauspräpariert worden, ohne den Gelenkbinnenraum zu eröffnen. Die Synovialis ist auf mehrere Zentimeter Schichtdicke angeschwollen. Außer der Synovialis sind alle anderen Strukturen vollständig
geschont worden. b Der Synovialschlauch wird an den Umschlagkanten an Gleitlager und Patella abgesetzt. Erst dadurch wird der Gelenkbinnenraum eröffnet und einsehbar. c Synovialpräparat von extraartikulär betrachtet mit Maßstab. d Ähnliches Resektat von intraartikulär gesehen bei weniger stark geschwollener Synovialis
an Patella und Gleitlager. Die Quadrizepssehne ist penibel zu schonen. Dies kann anspruchsvoll sein, wenn die auf 2–3 cm verdickte Synovialis und die Kapsel mit der Sehne verlötet sind. In dieser
Technik kann ein großes, zusammenhängendes Präparat in toto entfernt werden. Dieses kann unterschiedlich groß sein (Abb. 4). Das Debridement muss dann noch schrittweise nach medial und
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
Abb. 5 a–c Prothesenentfernung. a Ausschlagen der kondylären Prothesenkomponente mit einem Stößel. b Unterschlagen des tibialen Prothesenlagers im Zement-Protheseninterface mit einem Lambottemeißel. Dann Einschlagen eines weiteren Meißels zwischen Prothese und erstem Meißel.
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Dieser drängt die Prothese aus dem Zementmantel, jener schützt die Knochensubstanz durch Vergrößerung der durch das Hebeln belasteten Fläche. c Entfernung der Patellaprothese und Blick auf den Zement
Abb. 6 a–c Zemententfernung. Jeglicher Zement ist zu entfernen: a aus dem Tibiaplateau, b aus dem Bereich der Prothesenspitze in der Tiefe, c auch kleinste Reste sind zu bergen
lateral, später in die Kniekehle komplettiert werden. Eine Vollständigkeit des Debridements in der Kniekehle kann unter Erhalt der Kollateralbänder nicht sicher gewährleistet werden. Deshalb werden diese in der Hand des Autors abgelöst. Konsekutiv ist die Implantation eines gekoppelten Prothesensystems zwingend erforderlich. Sämtliche Fremdmaterialien, also die Prothese, der Zement, nicht resorbierbares Nahtmaterial, Osteosynthesematerial, abgebrochene Schrauben, Drähte etc. müssen vollständig entfernt werden (Abb. 5 und 6). Zementierte Prothesen lassen sich aus dem Zementmantel ausschlagen bzw. herausdrängen. Die Entfernung festsitzender zementfreier Prothesen
kann sehr aufwendig sein. Transfemorale oder transtibiale Zugänge sind im Infektfall nach Möglichkeit zu vermeiden, da eine Infektpseudarthrose droht. Zudem erfordern sie, um den Osteotomiebereich zu überbrücken, lange intramedulläre Schäfte zur Verankerung der Revisionsprothese. Dies erschwert die Re-Revision im Falle der Infektpersistenz. Die Osteotomie der Tuberositas tibiae ist aus denselben Gründen zu vermeiden. Sie ist nach Ablösung der Kollateralbänder zur Exposition des Gelenkes auch nicht erforderlich. Infizierte Knochenareale oder Sequester sind zu resezieren. Einliegender Zement muss mit speziellen Meißeln und Extraktoren intramedullär entfernt werden. Entsprechende Instrumente sind vorzuhalten.
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Abb. 7 a, b Reinigung des von Infektmembranen überzogenen knöchernen Prothesenlagers mit Kugelfräse und oszillierender Säge
Abb. 8 a Kondyläre Region mit typischer Infektionsmembran. b Nach der Reinigung mit scharfen Instrumenten und während der Jetlavage. c Nach der Jetlavage,
Infektresiduen sind nicht mehr vorhanden. Die Kondylenregion ist erheblich verschmächtigt. Der Knochen ist bis in die Tiefe der Spongiosabälkchen zuverlässig gesäubert
Tipps und Tricks dazu sind von Nieder minutiös beschrieben und illustriert worden (Nieder 1995). Die Infektmembran im knöchernen Prothesenlager muss komplett entfernt werden. Dafür sind scharfe Küretten und Fräsen geeignet. (Abb. 7). Ergänzend wird mit der Jetlavage unter Zusatz von Antiseptika gespült. Unterschiedliche Ansätze erlauben die zusätzliche mechanische intramedulläre Reinigung mit Bürsten. Der zusätzliche Säuberungseffekt ist eindrucksvoll (Abb. 8). Bei Schichten übergreifenden Infektionen, welche am Kniegelenk seltener zu finden sind, ist die Entscheidung über die anatomischen Grenzen der Infektion erschwert. Eine spezielle operative Erfahrung ist unverzichtbar, um hohe Erfolgsraten zu erreichen. Der Operateur muss ein Gespür für versteckte „Infektnester“ entwickeln. Er muss intraoperativ kontinuierlich die Entscheidung zwischen erforderlicher Resektion und Erhalt wichtiger Strukturen treffen. Dies gilt im
Besonderen für den fragilen Streckapparat, der zur Vermeidung einer Arthrodese stabil und funktionsfähig erhalten werden muss. Aus verschiedenen Arealen des Situs, der Synovialis, der Prothesenlager tibial und femoral, des Bereichs der Prothesenspitzen sind mindestens 5 Proben zur mikrobiologischen Untersuchung zu entnehmen. So können Abweichungen von der präoperativen Keimbestimmung und Resistenzlage ermittelt und die systemische Antibiotikatherapie gegebenenfalls angepasst werden. Erst dann startet die systemische Antibiotikatherapie. Die Infektmembranen – aus den Prothesenlagern – werden gesondert histologisch untersucht. Die entfernte Prothese kann zur Sonikation eingeschickt werden, um aus dem Biofilm gelöste Erreger zu identi-fizieren. Danach erfolgt eine letzte Kontrolle auf Infektresiduen und es beginnt die „saubere Phase“. Handschuhe, Lampengriffe, Sauger- und Lavageansätze etc. werden gewechselt. Eine neue
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
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Abb. 9 a, b Nativröntgen einer infizierten kondylären Knieprothese prä- und postoperativ: a Einliegende Zementketten. Keine Lockerungszeichen. Der Streckapparat wird durch die Ketten alteriert. Eine Infektsanierung gelingt nicht. b Nach einzeitigem Wechsel mit antibiotikahaltigem
Zement (ALAC) verankerte gekoppelte Rotationsknieprothese. Zusätzliche Knochensubstanzverluste sind, abgesehen von den intramedullären Stielen, durch den einzeitigen Wechsel nicht entstanden
Abdeckung wird über die vorhandene platziert. Jetzt erfolgt die Reimplantation einer geeigneten Prothese mit dem vorher festgelegten spezifischen, individuellen antibiotikahaltigen Zement. Bei zu ersetzenden knöchernen Defektstrecken muss bei der Wahl der Prothesenlänge ein Kompromiss gefunden werden zwischen zuverlässiger Verankerung mit guter Standzeit und Revisionsmöglichkeit ohne wesentliche Behinderung der Explantation im Falle der Infektpersistenz (Wodtke und Löhr 2008). Der Eingriff endet mit der Einlage einer Drainage, schichtweisem Wundverschluss und einer Hautnaht nach Donati (Abschn. 2.1.1). Die Mobilisation erfolgt je nach Weichteilbefund, im Zweifel langsam. Erst nach 14 Tagen sollen die Hautnähte entfernt werden. Bis dahin soll der Patient unter regelmäßigem Monitoring der CRPWerte in stationärer Behandlung verbleiben, erst danach verlegt werden. Die physiotherapeutische Anschlussbehandlung soll zurückhaltend erfolgen, zur Schonung und um Schwellungen der Weichteile nach Möglichkeit zu minimieren.
Implantate Nicht selten ist beim septischen Wechsel die Implantation von stielverankerten Primärimplantaten möglich (Abb. 9). Allerdings muss der Operateur stets darauf vorbereitet sein, größere knöcherne Defektstrecken ersetzen zu können. Diese Defekte können präoperativ bereits radiologisch erfasst sein. Das Ausmaß kann sich intraoperativ aber durch erforderliche Resektion von infizierten Arealen unerwartet vergrößern. Eine knöcherne Rekonstruktion mit homologem Knochen ist in der Infektsituation problematisch, nur in wenigen Studien erwähnt (Winkler et al. 2006) und kann nicht als etabliertes Standardverfahren bezeichnet werden. Im Einzelfall kann es aber gleichwohl vertretbar und sinnvoll sein. Der Patient sollte darüber aufgeklärt werden. Im Regelfall allerdings kann die Rekonstruktion der knöchernen Verlustzonen nur durch die Verwendung spezieller Revisionsimplantate gelingen (Friesecke und Wodtke 2006) (Abb. 10).
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Abb. 10 a, b Nativröntgen einer infizierten intrakondylären Scharniergelenkprothese prä- und postoperativ. a Massive Knochensubstanzverluste am Tibiakopf durch eingesunkenen tibialen Prothesenteil mit zusätzlicher Perforation der Prothesenspitze nach lateral. Große Lysezonen
in der interkondylären Region im Sinne eines subtotalen Verlustes der Kondylenregion. b Rekonstruktion der Knochensubstanzverluste kondylär und am Tibiakopf mittels spezifischem ALAC und verlängerten Stielen des Revisionsimplantates
In Einzelfällen können auch sehr lange Verankerungen mittels Individualprothese erforderlich werden (Abb. 11). Dabei sollen von der Infektion noch nicht befallene Gelenke nicht mit einbezogen werden, um die Infektion nicht weiter zu verschleppen. Gegebenenfalls sollte erst nach Infektsanierung das zusätzliche Gelenk versorgt werden, z. B. mittels totaler Femurprothese (Friesecke et al. 2005). Augmente und Cones aus Tantal oder Titan können ergänzend sinnvoll sein und sollten daher in ausreichender Anzahl vorgehalten werden.
sollte durch besorgte Rücksicht auf die Kollateralbänder nicht eingeschränkt werden. Daher ist es nach Erfahrung des Autors ratsam, regelhaft gekoppelte Prothesensysteme (Rotationsscharniere oder reine Scharnierprothesen) zu verwenden, die außer dem Streckapparat keiner weiteren Restfunktion des Bandapparates bedürfen. Sie gewährleisten zuverlässig die nötige Stabilität. Je nach Erfordernis sind sie auch mit verlängerten femoralen oder tibialen Schäften als modulare Systeme verfügbar. Die Resultate sind gut (Zahar et al. 2016). Kondyläre Prothesen mit Stielverlängerung vom LCCK-Typ haben die gleichen Nachteile der langen intramedullären Verankerung, gewährleisten aber nicht die gleiche Stabilität wie die Scharniervarianten. Sie sind daher nicht in gleichem Maße zu empfehlen. Bei Verlust des Streckapparates ist das Gelenk als Funktionseinheit verloren. Dann, und nur dann, ist die Arthrodese vermittels Arthrodese-
" Cave Nur so kann vermieden werden, dass
fehlende Implantate die OP-Strategie negativ beeinflussen. Das Debridement gefährdet die Kontinuität des Kapsel-Band-Apparates. Seine Vollständigkeit
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Komplikationsmanagement " Die Behandlung der periprothetischen Infek-
tion ist mit einer massiv erhöhten Komplikationsrate im Vergleich zu primären und Wechseloperationen wegen aseptischer Lockerung verbunden.
Abb. 11 a Rotationsprothese mit einliegender Platte nach periprothetischer Fraktur und dann Einlage von antibiotikahaltigen Zementketten mit nun persistierender Infektion. b Zustand nach Wechsel auf Individualimplantat mit langem femoralen Stiel. Rekonstruktion der resezierten Knochensequester mittels spezifischem ALAC. Eine Verlängerung zur totalen Femurprothese ist möglich, da proximal ein modulares Hüftsegment angekoppelt werden kann, falls nach Infektsanierung eine aseptische Lockerung oder Koxarthrose auftreten sollte
Nagel indiziert. Er bietet im Vergleich zum Fixateur externe in der zementierten Variante erstens den Vorteil einer topischen Antibiotikatherapie und schafft zweitens eine sofort belastbare Extremität (Abschn. 3.1).
Dies gilt für sämtliche Komplikationen und in besonderem Maße für die postoperative Mortalität. Sie wird für das zweizeitige Vorgehen in einer Multicenter Studie an 20.719 Patienten mit 4,3 % nach einem und 21,6 % nach 5 Jahren beziffert. Damit ist die Wahrscheinlichkeit des Todes im Vergleich zur Normalbevölkerung, altersbereinigt hochsignifikant um den Faktor 3,05 bzw. 3,25 erhöht (Lum et al. 2018; Boddapati et al. 2017). Gomez et al. (2015) fanden eine Mortalität von 10 % innerhalb der ersten beiden Jahre nach septischem Wechsel, bei einer Rate von 2 % in der altersbereinigten Kontrollgruppe, also eine Erhöhung um den Faktor 5. Diese erhöhte Sterblichkeit setzt unmittelbar nach der Indexoperation ein und verschlechtert sich dann im Verlauf der folgenden 10–15 Jahre kontinuierlich. Dabei ist die relative Sterberate bei jüngeren Patienten unter 60 Jahren sogar am höchsten (Yao et al. 2018). Beim einzeitigen Wechsel ist die Mortalitätsrate signifikant niedriger (Srivastava et al. 2019). Eine Ursache letaler Verläufe stellt die generalisierte Keimaussaat mit septischem Krankheitsbild dar. Sie führt bei verzögerter Behandlung zum Tode (Gomez et al. 2015). " Cave Verschlechtert sich beim septischen Pa-
tienten der Allgemeinzustand, darf keinesfalls – wegen vermeintlicher Inoperabilität – zugewartet werden. Nur die sofortige Operation verspricht eine Besserung. Dies muss mit den anästhesiologischen Kollegen abgestimmt werden. Die Eröffnung des betroffenen Gelenkes mit Spülung und Drainage ist der Minimaleingriff, besser bereits gepaart mit Debridement und Prothesenentfernung, zur Verminderung der Keimlast. Bei unbekannter Keimlage beginnt man eine antibiotische Therapie mit
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Breitenwirkung. Bei bekannter Keimlage kann ein einzeitiger Wechsel auch bei Sepsis sinnvoll sein. Die üblichen Risiken der Endoprothetik am Kniegelenk sind im Infektionsfall deutlich erhöht. Dies betrifft Gefäß- und Nervenverletzungen, bedingt durch das nötige Debridement im nach Voroperation und durch Infektion veränderten Situs. Nachblutungen aufgrund der größeren Wundfläche sind häufiger. Eine vermehrte Gabe von Erythrozytenkonzentraten mit der Gefahr der Antikörperbildung folgt daraus. Wundheilungsstörungen aller Art treten öfter auf und die Integrität und Kontinuität des Streckapparates ist gefährdet. Die systemische Antibiotikatherapie kann zu schweren Komplikationen führen. Die Dosierung ist an die Funktionswerte der Niere und Leber (Kreatininclearence, Cholinesterase) anzupassen. Sie sind engmaschig zu kontrollieren. Bei Vancomycingabe empfiehlt sich die regelmäßige Kontrolle des Serumspiegels (Frommelt 2004), um zu erkennen ob der therapeutische Zielbereich erreicht wird. Eine pseudomembranöse Kolitis kann zu jedem Zeitpunkt der Therapie auftreten und eine Veränderung der Antibiotikatherapie erzwingen. Dies gilt auch für Antibiotika-bedingte allergische Reaktionen, Leukopenien, Pneumonitis und Nephritis, Leukopenie und Medikamenten-induziertes Fieber (Renz et al. 2016a, b). Schließlich besteht das Risiko der Infektpersistenz bzw. Reinfektion, welches mit ca. 5–20 % veranschlagt werden muss (Buechel et al. 2004; Singer et al. 2012; Jenny et al. 2013; Tibrewal et al. 2014; Zahar et al. 2016). Das therapeutische Vorgehen entspricht in diesem Falle dem der ersten Intervention. Verfahrenswechsel sind möglich, sichern aber keineswegs den Erfolg. " Bei der Therapie der periprothetischen Infek-
tion verbleibt, unabhängig vom gewählten Therapiekonzept, ein gewisser Anteil an schwer zu therapierenden Fällen. Sie sind gekennzeichnet durch Infektpersistenzen bzw. rezidivierenden Infektepisoden, schwersten Krankheitsverläufen, Substanzverlusten an knöchernen und weichteiligen Strukturen. Diese können zu Amputationen und Exartikulationen führen. Patienten können dauerhafte, schwerste
Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität davontragen. Das gilt auch für Patienten mit antibiotisch supprimierter Infektpersistenz. Hierdurch können hochresistente Keimlagen verursacht werden.
Argumente fu¨r das Konzept des einzeitigen Wechsels Die Vorteile des einzeitigen Vorgehens resultieren aus der Vermeidung eines zweiten Eingriffs gleicher Größenordnung. Zunächst wird die Psyche der Patienten nur einmal belastet, ebenso wie die Weichgewebe und der Gesamtorganismus. Sämtliche Komplikationen, wie Thrombose, Embolie, Gefäß- und Nervenverletzungen, Wundheilungsstörungen, neu entstehende Infektionen und die Gefahren der Bluttransfusionen können nur einmal auftreten. Auch die totale Operationszeit ist um annähernd 50 % verkürzt. Für den Operateur ist es unter Umständen technisch einfacher, nach der Explantation der Prothese und Debridement sofort zu reimplantieren, als Wochen oder Monate später in einem durch Narbenbildung und Kontrakturen veränderten Situs. Die Weichgewebe werden geschont. Daraus resultiert selbstverständlich ein vielfach nachgewiesenes, besseres funktionelles Ergebnis (Langlais et al. 2003; Buechel et al. 2004; Nagra et al. 2016; Zahar et al. 2016; Nguyen et al. 2016; Negus et al. 2017; Srivastava et al. 2019). Haddad et al. (2015) konnten in einer Vergleichsstudie zwischen ein- und zweizeitigen Wechseln einen hochsignifikant (p < 0,0001) besseren Knee Society Score (KSS) von 88 zu 76 zugunsten des einzeitigen Wechsels nachweisen. Buechel et al. (2004) fanden einen KSS von 79,5, Singer et al. (2012) einen von 72. Zahar et al. (2016) verwendeten den Score des Hospital for Special Surgery (HSS) und fanden in 30 % exzellente, in 33 % gute, in 11 % ausreichende und nur in 26 % schlechte Ergebnisse. Insofern bestätigen alle Arbeiten einheitlich das überlegene funktionelle Ergebnis des einzeitigen Konzeptes. In der Frage, ob die ein- oder zweizeitige Wechselstrategie zu präferieren sei, wurde in der Vergangenheit überwiegend mit den höheren prozentualen Raten der Infektsanierung beim zweizeitigen Wechsel argumentiert. Sabry et al. (2014) gaben eine Sanierungsrate von nur 66,4 % für den zweizeitigen
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
Wechsel an. Andere Arbeiten (Abschn. 3.2.1) berichten hingegen bessere Sanierungsraten. Allerdings konnten Gomez et al. (2015) anhand von 326 zweizeitigen Knieprothesenwechseln zeigen, dass überhaupt nur 85,9 % der Patienten zur Reimplantation gelangten. 1,8 % waren bereits amputiert worden, 1,2 % hatten eine Arthrodese erhalten und bei 11,7 % verblieb der Spacer dauerhaft. Von diesen 85,9 % waren dann 81,4 % (dies entspricht 69,9 % des ursprünglichen Kollektivs) nach Reimplantation der Prothese vom Infekt saniert. Srivastava et al. (2019) gaben in ihrer Literaturstudie sogar 14 % verbliebene Spacer an. Sie gaben eine Reimplantationsrate von 86,3 % an, von denen 77,1 % erfolgreich vom Infekt saniert wurden (66,5 % vom Ausgangskollektiv). Auch bei weiteren Arbeiten ist so verfahren worden (Toulson et al. 2009; Berend et al. 2013). Beim einzeitigen Wechsel ist die Erfolgsrate immer auf das Ausgangskollektiv bezogen. Daher muss auch bei der Bewertung des zweizeitigen Vorgehens die Sanierungsquote auf das Ausgangskollektiv bezogen werden (Gomez et al. 2015). Nagra et al. (2016) haben in einer Multicenterstudie Arbeiten analysiert, die nach 2000 publiziert wurden. Sie fanden signifikant geringere Reinfektionsraten von 4,3 % beim einzeitigen Wechsel gegenüber 13,5 % beim zweizeitigen (OR 0,08; 95 % CI -0,20 – 0,00). Auch Kunutsor et al. (2018) konnten in einer Kohortenstudie an 1856 Patienten niedrigere Reinfektionsraten beim einzeitigen Wechsel finden. Sie betrugen 16,8 pro 1000 Patientenjahre, beim zweizeitigen 32,3. Die alters- und geschlechtsadjustierte Risikorate für den zweizeitigen Wechsel betrug 1,70 (0,58–5,00) im Vergleich zum einzeitigen. " Damit zeigt sich bei differenzierter Betrach-
tung die Sanierungsrate des einzeitigen Konzeptes dem zweizeitigen gegenüber keineswegs unterlegen. Die Sanierungsrate ist kein alleiniges Kriterium zur Entscheidung zwischen ein- und zweizeitigem Wechselkonzept. So gaben Berend et al. (2013) eine Mortalität von 7 % vor Reimplantation der Prothese an. Gomez et al. (2015) haben
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sich mit der Interimsphase zwischen den Eingriffen beim zweizeitigen Vorgehen beschäftigt und konnten zeigen, dass zwischen Spacereinbau und Reimplantation bei 12,3 % der Patienten ein Spacerwechsel und bei zusätzlichen 7,4 % Revisionen wegen Wundkomplikationen erforderlich wurden. Struelens et al. (2013) fanden sogar 57 % Spacer-spezifische Probleme in der Interimsphase. Diese zusätzlichen Eingriffe und die erforderlichen Narkosen sind in den bisherigen Studien nicht immer ausreichend gewürdigt worden. Wodtke hatte bereits 2008 diesen Aspekt der „quality of life in surgery“ in seinem Plädoyer für den einzeitigen Wechsel adressiert (Wodtke und Löhr 2008). Zuletzt haben Srivastava et al. (2019) dieses Thema anhand einer Literaturstudie von 73 Arbeiten mit insgesamt mehr als 5500 Patienten intensiv untersucht. Sie analysierten die „health utility“. Um diese zu quantifizieren werden „quality adjusted life years“ (QALYs) und die Kosten der Behandlung als Faktoren für die Bewertung des ein- und zweizeitigen Prothesenwechsels herangezogen. Unter den QALYs werden einerseits Mortalitätsrate, Reoperationen, Infektpersistenzen analysiert, aber auch bleibende Behinderungen, Verlust an Freizeit durch längere Behandlung, Einkommensverluste und Risiken durch zusätzliche Eingriffe. Im Entscheidungsbaum 1, der Infektionen durch sämtliche Erreger erfasste, betrug die Erfolgsquote beim einzeitigen Wechsel 78,4 %, beim zweizeitigen 66,5 %; jeweils bezogen auf das Kollektiv zu Beginn der Behandlung. Im Entscheidungsbaum 2, der Infektionen durch Difficult-to-treat-Keime erfasste, lag die Erfolgsquote des einzeitigen Wechsels bei 56,0 %, die des zweizeitigen unverändert bei 66,5 %. In beiden Entscheidungsbäumen erreichte trotzdem der einzeitige Wechsel die höhere „health utility“, in 85 % der Fälle im Entscheidungsbaum 1 und 69 % im Baum 2. Die Bewertung der Begleitumstände beider Wechselverfahren durch Srivastava et al. (2019) führte dazu, dass bei einer angenommenen Reinfektionsrate beim zweizeitigen Wechsel von 10 %, der einzeitige Wechsel Reinfektionsraten
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von mehr als 30 % aufweisen müsste, damit die zweizeitige Strategie besser abschneiden würde. Der Grund dieses Resultates liegt hauptsächlich in der Gewichtung der schwerwiegenden Begleitumstände des zweizeitigen Wechsels: höhere Mortalität sowie massive Morbidität in der Interimsphase und bei verbleibenden Spacern. Der zweizeitige Wechsel ist technisch keineswegs einfacher. Es muss, wie beim einzeitigen Vorgehen, in der ersten Operation der Infekt saniert werden. Das kann nur durch ein identisches Vorgehen beim umfassenden Debridement erreicht werden. Bei der Reimplantation müssen infektionsfreie Verhältnisse vorliegen. Einzig im Falle einer Infektpersistenz nach dem Ersteingriff besteht der Vorteil, dass der Wechsel eines Spacers technisch einfacher ist als der Wechsel einer zementierten, gestielten Revisionsprothese. Genau dieses kann aber auch dazu führen, den Ersteingriff nicht maximal konsequent durchzuführen. Das belegt die hohe Rate von 20 % Spacerrevisionen (Gomez et al. 2015). Mancher Spacer verbleibt und dient als inadäquate „Prothese“ (Jiranek et al. 2015). Ein weiterer Nachteil des zweizeitigen Wechsels besteht darin, dass auch zum Zeitpunkt der Reimplantation niemals Sicherheit über den Infektstatus besteht. Denn durch die topische und systemische Antibiotikatherapie sind die CRP-Werte kein zuverlässiger Indikator zur Bestimmung des Zeitpunktes für die Reimplantation (Stambough et al. 2018). Auch die Spezifität der Punktion bei einliegendem Spacer beträgt nur 21 %, selbst dann, wenn eine 14-tägige Pause der systemischen Antibiotikatherapie eingehalten wird (Preininger et al. 2017). Wegen der zwangsläufig unklaren Infektsituation ist auch dann die Reimplantation einer zementfreien Prothese riskant, da sie auf die topische Antibiotikatherapie verzichtet. Diese Zahlen bilden die wissenschaftliche Basis für das, was gemäß common sense immer auf der Hand lag. Sollte am behandelnden Haus keine Expertise für einen einzeitigen Wechsel vorliegen, sollte dem Patienten eine Verlegung in ein entsprechendes Kompetenzzentrum angeboten werden. Zumindest sollte der Patient über die Möglichkeit des einzeitigen Wechsels aufgeklärt werden.
C. Friesecke et al.
Zusammenfassung Der einzeitige Wechsel ist seit den frühen 1970erJahren nur von einer Minderheit der Autoren präferiert worden (Buchholz und Gartmann 1972; Buchholz et al. 1981; Steinbrink und Frommelt 1995; Friesecke und Wodtke 2008). Seit der Jahrtausendwende hat ein Umdenken eingesetzt. Die Literaturrecherche zeigt unübersehbar eine Verschiebung hin zur Propagierung des einzeitigen Wechselkonzeptes. Ursächlich sind die umfassenden Vorteile des Verfahrens: zumindest gleiche Sanierungsraten, geringere Mortalität, bessere Lebensqualität, bessere funktionelle Ergebnisse und Kostenersparnis (Abschn. 3.1.3). Eine große Anzahl von Studien (Langlais et al. 2003; Singer et al. 2012; Jenny et al. 2013; Tibrewal et al. 2014; Haddad et al. 2015; Jiranek et al. 2015; Nagra et al. 2016; Nguyen et al. 2016; Massin et al. 2016; Zahar et al. 2016; Negus et al. 2017; Rowan et al. 2018; Wodtke et al. 2018; Srivastava et al. 2019) aus unterschiedlichen internationalen Zentren untermauert dies mit Evidenz. Zumindest gilt dies für ausgewählte Fälle, wahrscheinlich aber grundsätzlich für alle. Große, prospektive Multicenterstudien werden von einigen Autoren (Haddad et al. 2015; Zahar et al. 2016) gefordert, um die Frage zu klären, welche Voraussetzungen für das einzeitige Konzept wirklich unverzichtbar sind.
3.2
Zwei- und mehrzeitiger Wechsel
Sascha Gravius
Zweizeitiger Wechsel Der zweizeitige Wechsel gilt in vielen Kliniken als der Standard in der Therapie der chronischen Protheseninfektion. Die chronische Protheseninfektion ist dabei nach dem Auftreten der Infektion zur Index-Operation nach >4 Wochen oder nach der Symptomendauer >3 Wochen definiert [Renz et al. 2016a, b]. Entgegen dem einzeitigen Wechsel wird das zweizeitige Vorgehen beim Vorliegen komplizierender Faktoren bei multiplen Vorrevisionen, dem Vorliegen von Problemerregern und in Abhängigkeit von der Weichteilsituation empfohlen
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
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Abb. 12 a–f Zweizeitiger Wechsel (langes Intervall) mit artikulierendem Spacer. Patient 84 Jahre alt, männlich. Chronische Knie-Protheseninfektion (Keim: multiresistenter Staph. Epidermidis, MRSE). a, b Präoperativer Röntgenbefund, c, d postoperativer Röntgenbefund nach Explantation, mobiler Spacer (Cempadic ®, Fa. Implantcast, Buxtehude, D), lokale Antibiotikatherapie mit Revi-
sionszement (Copal G + V: Knochenzement mit Vancomycin und Gentamycin (Heraeus Medical GmbH, Wehrheim, D). e, f Postoperativer Röntgenbefund nach Replantation einer vollgekoppelten Revisionsendoprothese (Rotating hinge, Typ GenuX MK, Fa. Implantcast, Buxtehude, D) mit zementierter Schaftverankerung
(Wimmer et al. 2013). Die Gesamtsituation des Patienten muss ein zweizeitiges Vorgehen mit mindestens zwei mitunter komplikationsträchtigen Operationen mit dem Ziel der Heilung erlauben (Abb. 12 a-f). Generell wird der Prothesenwechsel nach fehlgeschlagenem Prothesenerhalt (DAIR; ein- oder zweizeitig) oder der zweizeitige Wechsel nach
fehlgeschlagenem ein- oder zweizeitigen Vorgehen empfohlen. Systematische Reviews und Meta-Analysen belegen eine Reinfektionsrate des zweizeitigen Verfahrens von 8,8 % (Kunutsor et al. 2016) sowie eine Infekteradikation von 89,8 % (Romanò et al. 2012).
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C. Friesecke et al.
Entsprechend der Zeitdauer des prothesenlosen Intervalls wird beim zweizeitigen Prothesenwechsel zwischen einem kurzen Intervall (2–4 Wochen) und einem langen Intervall (>6–8 Wochen) unterschieden. Renz et al. (2016a, b) definieren neben den generellen Indikationen zum zweizeitigen Wechsel die folgenden Spezifika für die beiden Verfahren: 1. Kurzes Intervall: • keine schwer behandelbaren Keime, • präoperativ geführter Erregernachweis, • wenig infektveränderte Weichteile (u. a. keine Fistel). 2. Langes Intervall: • unbekannter Erreger der Protheseninfektion, • schwer behandelbare Keime, • schwer infektveränderte Weichteile. " Die Vorteile des zweizeitigen Verfahrens lie-
gen in der intraoperativen Probengewinnung zur Sicherung einer Protheseninfektion und der darauf basierenden Einleitung einer erregerspezifischen Antibiotikatherapie in der prothesenlosen Phase. Im Gegensatz zum einzeitigen Vorgehen kann zweimalig zum Zeitpunkt der Ex- und der Reimplantation ein umfassendes chirurgisches Debridement zur Reduktion der Keimlast etabliert werden. Zur lokalen Antibiotikatherapie und zum Totraum-Management können artikulierende (mobile) und nichtartikulierende (statische) Antibiotika-beladene Spacer in der prothesenlosen Phase Verwendung finden. Wesentliche Nachteile des Verfahrens werden in der geringeren „self-reported health-related quality of life“ (Poulsen et al. 2018) sowie der erhöhten Morbidität und Mortalität des Verfahrens gesehen. Dies ist insbesondere durch die verlängerte Therapiedauer – vor allem die Zeitdauer der Immobilisation während der prothesenlosen Phase – und die risikobehafteten operativen Eingriffe (Ex- und Reimplantation) erklärt (Kapadia et al. 2016). So ist alleinig der Eingriff der Explantation mit einer 30 Tage „readmission rate“ von 11,1 % und einer 90-Tage-Mortalität von 2,6 % vergesellschaftet
(Browne et al. 2017) – die Sterblichkeit nach Explantation wird mit 6,5 % für die Hüftendoprothetik angegeben (Cancienne et al. 2017). Operative Strategie Im ersten Schritt erfolgt die vollständige Explantation aller Prothesenmaterialien, das ausgiebige Debridement mit Entfernung jedweden infektveränderten Gewebes, die ausgiebige Spülung sowie das Aufbohren der femoralen und tibialen Markräume. Sklerotische, nicht durchblutete und osteitische Knochenanteile müssen reseziert werden. Besonderes Augenmerk sollte auf das radikale Debridement einschließlich der Synovektomie und der Ausschneidung von Fistelgängen und minderdurchblutendem Narbengewebe sowie der posterioren Kapsel gelegt werden, da diese als Ausgangspunkt möglicher Reinfekte anzusehen ist (Cave: Wundverschluss und Notwendigkeit der plastisch-chirurgischen Versorgung). Die Explantation fest verankerter Prothesenkomponenten im Infektfall kann mitunter zu einem erheblichen Knochenverlust führen. Entsprechende Instrumente zur Explantation der Prothesen sollten vorgehalten werden. Zur Explantation fest osseointegrierter oder einzementierter Schäfte kann unter Umständen ein transfemoraler/-tibialer Zugang oder eine Fensterung notwendig werden. Bei stark kontrakten Verhältnissen kann zur Exposition des Kniegelenkes und zum Schutz des meist „infektdestruierten“ Streckapparates gegebenenfalls eine Osteotomie der Tuberositas tibiae notwendig werden. Diese sollte jedoch nach Möglichkeit vermieden werden. " Tipp Die explantierten Prothesenmaterialien ko¨nnen – falls verfu¨gbar – zur Sonikation versandt werden. Intraoperativ sollte die Entnahme von 3–6 Gewebeproben als sog. Doppelproben aus repra¨sentativen Arealen erfolgen (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“).
Spacer Wesentlicher Vorteil des Spacereinsatzes ist neben der lokalen Antibiotikatherapie die Verhinderung der Weichteilretraktion unter Erhalt der Länge der
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
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Extremität (Abdel et al. 2019). Die Spacer sollten nach vollständigem Debridement und nach Spülung des OP-Situs eingesetzt werden. Die lokale Antibiotikawahl sollte die verursachenden Mikroorganismen entsprechend der Erreger- und Resistenzbestimmung der präoperativen Kulturen berücksichtigen. Bei kulturnegativer Protheseninfektion sollten Breitspektrum-Antibiotika mit Aktivität gegen das erwartete Keimspektrum zum Einsatz kommen (Abdel et al. 2019). Bei hoch-/multiresistenten Erregern (unter anderem MRSA, MRSE, VRE, MRGN) sollte die Wahl der lokalen Antibiotikatherapie interdisziplinär in Zusammenarbeit mit dem Mikrobiologen/Infektiologen getroffen werden. Zu den Grundsätzen der
lokalen Antibiotikatherapie (Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“). Zur Herstellung mobiler Zementspacer finden zementbefüllbare Spacerformen sowie kommerziell verfügbare Spacerimplantate Anwendung (Ready-to-use-Systeme, unter anderem Knie Spacer-G [mit Gentamicin] oder Knie VancoGenx®Spacer [mit Gentamicin und Vancomycin], Merete GmbH, Berlin, D). Befüllbare Spacerformen werden unter anderem von Prothesenherstellern angeboten, sodass die Innengeometrie der Spacer der späteren Originalprothese entspricht (Abb. 13). Des Weiteren können Hand-made-Spacer als Abdruck der Originalprothese oder durch zementummantelte Stab-systeme (unter anderem
Abb. 13 a–f Detailaufnahme zum operativen Vorgehen aus Abb. 12. Spacerform Cempadic® (Implantcast, Buxtehude, D) a vor und b nach Befüllung mit Revisionszement (Copal G + V: Knochenzement mit Vancomycin und Gentamycin; Heraeus Medical GmbH, Wehrheim, D). c Femorale und d tibiale Spacerkomponente mit identischer Geometrie zur
Originalkomponente (MUTARS GenuX MK, Implantcast, Buxtehude, D). Intraoperativer Situs e nach Präparation mit den Original-Schnittlehren des GenuX MK Systems und f nach unterflächenzementierter Verankerung der zweiteiligen Cempadic® Spacer
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C. Friesecke et al.
Abb. 14 a–c Operatives Vorgehen bei nichtartikulierendem Costum-made-Spacer. a Mit Revisionszement (Copal G + V: Knochenzement mit Vancomycin und Gentamycin; Heraeus Medical GmbH, Wehrheim, D) ummantelte Spondylodesestäbe (Brehm Expertise, Weisendorf, D; 6 mm
Durchmesser). b Intraoperativer Situs mit femoral und tibial im Markraum „press-fit verklemmten“ intramedullären Spacerelementen und Kopplung durch Querverbinder. c Auszementierung des Gelenkraums zur lokalen Antibiose und zum „Totraummanagement“
Spondylodesestäbe) mit Stemführung individuell hergestellt werden (Abb. 14). Letztere bieten den Vorteil, dass durch die Stemführung vorbestehende oder iatrogen beim Ausbau geschaffene Knochendefekte intramedullär überbrückt werden können (Alternative zum Fixateur externe).
eine erhöhte Patella-baja-Rate sowie die Notwendigkeit extensiverer Weichteilpräparationen zum Zeitpunkt der Reimplantation auf (Abdel et al. 2019).
Artikulierende Spacer
In der Literatur sind keine klaren Empfehlungen zur Wahl der Spacer (artikulierend vs. nichtartikulierend) ausgesprochen. Meta-Analysen belegen identische Raten an Infekt-Resolutionen, eine signifikante Verbesserung der ROM in der Gruppe der artikulierenden Spacer bei jedoch identischen FunktionsScores in beiden Gruppen (Pivec et al. 2014; Voleti et al. 2013).
Artikulierende Spacer versprechen eine verbesserte postoperative Range of Motion (ROM) und eine verbesserte Funktion und sollten wann immer möglich Verwendung finden. Nichtartikulierende Spacer
Nichtartikulierende Spacer sollten bei ausgeprägten knöchernen und ligamentären Destruktionen zum Einsatz kommen. Des Weiteren können nichtartikulierende Spacer bei ausgedehnten Weichteilschädigungen mit möglicherweise Notwendigkeit zur plastisch-chirurgischen Rekonstruktion durch eine Ruhigstellung der Extremität die Wundheilung begünstigen. Primäres Ziel ist die temporäre Arthrodese, um die Gelenksstabilität im Zeitraum der prothesenlosen Phase sicherstellen zu können. Studien weisen im Zusammenhang mit nichtartikulierenden Spacern
Vergleich artikulierende vs. nichtartikulierende Spacer
Antibiotikawahl und -therapiedauer Zur Antibiotikawahl und Therapiedauer der systemischen Therapie, Kap. ▶ „Knieendoprothetik: Periprothetische Infektion“. Grundsätzlich steht in der prothesenlosen Phase neben der lokalen Antibiose auch die Therapie der Weichteil- und Knocheninfektion in Abwesenheit des Implantates im Vordergrund. Je nach gewähltem Intervall (kurz
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
vs. lang zweizeitig) beträgt die Therapiezeitdauer bis zur Reimplantation klassischerweise 2–6 Wochen. Eine biofilmaktive Antibiotikatherapie ist in der prothesenlosen Phase nicht notwendig. " Nach Wiedereinbau der Prothese muss die
Antibiotikatherapie um eine biofilmaktive Substanz für einen Zeitraum von 6 Wochen erweitert werden.
Antibiotikafreies Intervall („drug holidays“) Die Notwendigkeit eines antibiotikafreien Intervalls (antibiotikafreies Fenster, „drug holidays“; Zeitraum von 2–4 Wochen, Bejon et al. 2010) zur erneuten Biopsie-Entnahme bzw. Gelenkpunktion zum Ausschluss einer persistierenden Infektion vor Reimplantation wird in den derzeit publizierten Therapiealgorithmen als obsolet angesehen (Renz et al. 2016a, b). Einerseits kann die Infektfreiheit durch diese Untersuchungen ohnehin nicht valide vorhergesagt werden – andererseits könnte eine Erregerpersistenz über die Zeit des antibiotikafreien Intervalls hinaus dann Ausgangspunkt einer Reinfektion sein (Schindler et al. 2011). Des Weiteren wird die Infektfreiheit nicht mehr als Voraussetzung für die Reimplantation angesehen, da die Prothese nach Reimplantation durch bakterizide biofilmaktive Antibiotika vor einer Besiedlung geschützt wird (Renz et al. 2016a, b). So scheinen positive Kulturen zum Zeitpunkt der Reimplantation nicht mit einer erhöhten Reinfektionsrate zu korrelieren (Puhto et al. 2014). Risikofaktoren fu¨r das Therapieversagen In der Literatur sind die folgenden Risikofaktoren mit einem Therapieversagen des zweizeitigen Vorgehens assoziiert (zusammengefasst in Cochran et al. 2016; Wimmer et al. 2016): Patientenseitige Faktoren sind die Hämodialyse, Übergewicht, multiple vorhergehende operative Prozeduren, Diabetes mellitus, Kortikosteroidtherapie, Hypoalbuminämie, Bluttransfusionen, Immunsuppression, rheumatologische Grunderkrankungen und Blutgerinnungsstörungen. Erregerseitig sind Protheseninfektionen durch Staphylococcus aureus und Streptokokken, schwer
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behandelbare Keime, polymikrobielle Infektionen sowie Pilzinfektionen wesentliche Risikofaktoren für das Versagen.
Drei- oder mehrzeitiger Wechsel Ein drei- oder mehrzeitiger Wechsel ist bei persistierenden Infektionen, bei chronisch rezidivierenden Infektionen, weichteil- oder wundassoziierten Problemen, einer persistierenden Fistel und/oder mechanischen Problemen (unter anderem Spacerdislokation, -fraktur) anstelle einer Reimplantation indiziert (Abb. 15). Ziel des drei-/mehrzeitigen Wechsels ist es, entweder das mechanische Problem zu beheben oder durch den neuerlichen Wechsel eine angepasste oder nochmalig hohe lokale Antibiotikakonzentration zu erreichen. Ein kombiniertes neuerliches chirurgisches Debridement dient der „chirurgischen“ Reduktion der Keimlast (Anagnostakos und Meyer 2017). Das zusätzliche Debridement und Spacerwechsel ist nach 2–3 Wochen indiziert. Bei mechanischen Problemen müssen das durch den Spacer verursachte Ausmaß der Weichteilschädigung, ein progressiver Knochenverlust, neurovaskuläre Schädigungen und/oder nicht beherrschbare Schmerzen in die Entscheidung einer „nicht planmäßigen“ Wechseloperation mit einbezogen werden. Alternativ kann eine externe Ruhigstellung der Extremität bedacht und die Wechseloperation/Reimplantation entsprechend der Zeitintervalle eines zwei- oder mehrzeitigen Wechsels geplant werden. Diese zusätzliche Operation geht allerdings mit einer erhöhten Komplikationsrate einher und bestimmt das weitere Patientenschicksal wesentlich (17,3 % der Patienten werden nicht reimplantiert und 11,9 % der Patienten benötigen mehr als einen Spacerwechsel, Gomez et al. 2015). Von einer lediglich offenen Revision ohne Spacerwechsel sollte aber aufgrund der fehlenden Evidenz Abstand genommen werden (Abdel et al. 2019). Prothesenloses Intervall und Zeitpunkt des Wiedereinbaus Bis dato liegt keine Evidenz vor, die das optimale Zeitintervall zwischen Ex- und Reimplantation beim zweizeitigen Vorgehen definiert (Angaben zum
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C. Friesecke et al.
Abb. 15 a–h Dreizeitiger Wechsel (langes Intervall) mit nichtartikulierendem Spacer. Patient, 52 Jahre männlich. Chronische Protheseninfekte Hüfte beidseits und Knie links (Keim: multiresistenter Staph. Epidermidis, MRSE). a-c Präoperativer Röntgenbefund, Ganzbeinaufnahme und Kniegelenk links (Knie: Kondylenersatz und tibialer Cone; Typ KRI MUTARS und GenuX, Fa. Implantcast; Hüfte: MRP und MRSC; Brehm, Weisendorf). d, e Costummade-Spacer (zementummantelte Spondylodesestäbe; Brehm WSI Expertise, Weisendorf, D) bei fehlender
ligamentärer Stabilisation (postoperative Röntgenbilder nach Explantation) mit Copal G + V (Knochenzement mit Vancomycin und Gentamycin; Heraeus Medical GmbH, Wehrheim, D). f, g Mechanische Komplikation und persistierende Infektion mit Spacerbruch und notwendiger Revisionsoperation (Spacerwechsel und Debridement). h Versorgungsbilder nach Replantation mit distalem Kondylenersatz und metaphysärer Komponente. (Sleeve; Typ KRI MUTARS und GenuX, Fa. Implantcast)
prothesenlosen Intervall von Wochen bis Jahre sind in der Literatur angegeben). Die Erfolgsrate beim zweizeitigen Wechsel wird in der Literatur zwischen
80 Lebensjahre) ist, müssen in der Regel weitere Hilfsmittel wie Rollatoren, Gehstöcke etc. verwendet werden.
4.3
Vergleich Amputation und Arthrodese
Eine Studie von Rodriguez-Merchan (2015) zeigte, dass Patienten, die erfolgreich eine Arthrodese und damit einen Extremitäten-erhaltenden Eingriff erhielten, eine bessere Funktion und auch eine höhere Lebensqualität aufwiesen als diejenigen, die eine Amputation erhielten. Die Arthrodese-Patienten konnten häufiger in das häusliche Umfeld entlassen werden und erlangten häufiger eine ausreichende Funktionalität für das täglichen Leben, obwohl Gehhilfen, einschließlich einer Schuherhöhung, erforderlich waren.
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C. Friesecke et al.
Carr et al. (2016) verglichen in einer Studie insgesamt 2634 Patienten, die eine Arthrodese erhielten, mit 5000 Patienten, bei denen eine transfemorale Amputation aufgrund einer persistierenden periprothetischen Infektion durchgeführt werden musste. Der Prozentsatz der Gesamtpatienten, bei denen eine Amputation durchgeführt wurde, stieg im Studienzeitraum im Vergleich zu den Arthrodese-Patienten signifikant an. Patienten, bei denen eine Amputation durchgeführt wurde, waren in der Regel älter und hatten häufiger medizinische Komorbiditäten (Diabetes mellitus, Gefäßerkrankungen). Die Arthrodese-Patienten wiesen jedoch eine signifikant höhere Rate an postoperativen Infektionen (14,5 % gegenüber 8,3 %) und Transfusionen (55,1 % gegenüber 46,8 %), auf, wohingegen Amputations-Patienten eine höhere Rate an systemischen Komplikationen (31,5 % gegenüber 25,9 %) und eine erhöhte Mortalität im Krankenhaus aufwiesen (3,7 % gegenüber 2,1 %).
5
Fazit fu¨r die Praxis
Die Therapie der periprothetischen Kniegelenkinfektion erfordert ein dezidiertes, patientenindividuelles und stadiengerechtes Therapieregime. Präoperative Diagnostik und Vorbereitung spielen daher eine wichtige Rolle in der erfolgreichen Behandlung der periprothetischen Infektion. Ausgehend von den präoperativen Resultaten stehen dem Operateur unterschiedliche Behandlungskonzepte zur Verfügung, die patientenindividuell und fallspezifisch durchführbar sind. Das Regime reicht von prothesenerhaltenden Eingriffen (DAIR) bei akuten Früh- und Spätinfekten mit fest im Knochen verankerten Prothesenbestandteilen, über den einzeitigen Wechsel bei chronischen Spätinfektionen und/oder gelockerten Prothesenanteilen bis hin zum zweizeitigen/-mehrzeitigen Wechsel mit und ohne Spacerimplantation. Eine begleitende Antibiotikatherapie in Anlehnung an die präoperativ und perioperativ durch mikrobiologische Verfahren nachgewiesene Keimlage ist essenziell. Dies sollte in enger Abstimmung mit den klinischen Infektiologen/Mikrobiologen erfolgen.
Bezogen auf die einzelnen chirurgisch-therapeutischen Vorgehensweisen, sollte beim prothesenerhaltenden Eingriff (DAIR) immer auch der Wechsel aller mobilen Teile erfolgen. Das einzeitige Vorgehen ist vor allem durch das radikale chirurgische Debridement, den Wechsel aller knochenverankernden Prothesenbestandteile und eine keimadaptierte Antibiose geprägt. Dabei sollte beim einzeitigen Wechsel eine zementierte Reimplantation vorgenommen werden, um die positiven lokalen Effekte eines Antibiotika-haltigen PMMA-Zementes für die erfolgreiche Keimeradikation zu nutzen. Das zwei-/mehrzeitige Wechselregime ist empfehlenswert bei einer sog. Difficult-to-treat-Keimsituation, Mischinfektionen und rezidivierenden bzw. persistierenden Infektionen. Vorteilhaft an diesem Verfahren ist die Möglichkeit eines zweiten chirurgischen Debridements, die Keimbestimmung durch intraoperative Gewebegewinnung mit nachfolgender Langzeitbebrütung (>10 Tage) und gegebenenfalls vor der Reimplantation eine nochmals durchzuführende Probenentnahme zum Ausschluss eines persistierenden Infektes. Nachteilig ist jedoch das deutlich längere Therapieregime ohne Kniegelenkfunktion und die durch die eingeschränkte Mobilisation höhere Komplikationsinzidenz im Vergleich zum einzeitigen Wechsel. Die Arthrodese des Kniegelenkes bzw. die Amputation der Extremität stellen eine Ultima-RatioSituation dar und sollten erst nach Ausschöpfung sämtlicher kniegelenkerhaltender Therapiemöglichkeiten und in enger Absprache mit den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten erfolgen. Die komplexe Behandlung von periprothetischen Kniegelenkinfektionen unter Einbezug unterschiedlicher Fachdisziplinen erfordert von den behandelnden Kliniken ein hohes Maß an institutioneller Struktur, medizinischer Fachkompetenz und chirurgischer Erfahrung und sollte daher spezialisierten Zentren vorbehalten sein. Ökonomisch ist die Behandlung des periprothetischen Infektes im derzeit geltenden DRG-System völlig unzureichend abgebildet. Es bedarf hier einer eingehenden Neubewertung bzw. die Etablierung eines entsprechenden Zentrumszuschlages.
Knieendoprothetik: Revisionsendoprothetik in der septischen Situation
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Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen Carsten Perka und Sven Ma¨rdian
Inhalt 1 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 1.1 Inzidenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 2 2.1 2.2 2.3 2.4
Risikofaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reduzierte Knochenqualität/-stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische mechanische Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeinerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implantatassoziierte Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374 374 374 375 375
3
Behandlungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
4
Zeitpunkt der Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
5
Präoperative Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
6
Klassifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
7 7.1 7.2 7.3
Technik der operativen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periprothetische Femur- und Tibiafrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patellafrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interprothetische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Nachbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
9
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
381 383 386 388
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 ....
1
C. Perka (*) · S. Märdian Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]
Epidemiologie
Die Zahl der implantierten Kniegelenktotalendoprothesen ist in den letzten Jahren weltweit kontinuierlich gestiegen und übersteigt in vielen Ländern (z. B. USA, Deutschland seit 2018) die Zahl der implantierten Hüftgelenktotalendoprothesen (Mittlmeier et al. 2005). Aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer stetig steigenden Lebenserwartung, bei längeren Prothesenstand-
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_20
373
C. Perka und S. Ma¨rdian
374
zeiten infolge verbesserter Technologien sowie einer hohen Prävalenz an patientenseitigen Risikofaktoren, ist weiter mit einer Zunahme kniegelenknaher periprothetischer Frakturen zu rechnen (Figgie et al. 1990; Felix et al. 1997; Rorabeck und Taylor 1999; Babis et al. 2011). Durch den Rückgang von Revisionsursachen, Lockerung und Abrieb, bei gleichzeitig erhöhter Mobilität und Aktivität der betagten Patienten, tritt die Behandlungsnotwendigkeit aufgrund periprothetischer Frakturen auch prozentual weiter in den Vordergrund. Die Rate periprothetischer Frakturen variiert in den verschiedenen Ländern und Kliniken und somit auch in den durchgeführten Studien. Entsprechend der Daten von Abdel und Berry aus dem Register der Mayo-Clinic in Rochester (Abdel und Berry 2013), die fast 30.000 Knietotalendoprothesen in ihre Auswertung eingeschlossen hatten, kam es in 2,8 % der Fälle zu periprothetischen Frakturen des Kniegelenks.
1.1
Inzidenzen
Periprothetische Femurfrakturen stellen die mit Abstand größte Gruppe der Frakturen nach Kniegelenkersatz dar. In den bereits erwähnten Daten der Mayo-Klinik zeigten sich in 0,3 % der primären und in 1,6 % der Revisionsknieendoprothesen intraoperative Frakturen (Abdel und Berry 2013). Mehrheitlich entstehen periprothetische Frakturen jedoch erst im postoperativen Verlauf. Die in der Literatur angegebene Inzidenz variiert bei primären Knieprothesen zwischen 0,3–2,5 % (Ayers 1997; Su et al. 2004). Die Inzidenz nach Revisionsendoprothetik des Kniegelenks ist meist höher, in der Arbeit von Abdel und Berry 2 %. (Su et al. 2004). Mehrere Einflussfaktoren sind bekannt. So beeinflusst das Design der Femurkomponente die Rate periprothetischer Frakturen (Lombardi et al. 1995). Durch eine Änderung des Designs konnten Lombardi et al. die intraoperative Frakturrate erfolgreich von 4,4 % auf 0,2 % reduzieren (Lombardi et al. 1995). Periprothetische Tibiafrakturen treten mit einer Häufigkeit von 0,3– 0,5 % deutlich seltener auf als Femurfrakturen (Burnett und Bourne 2004). Noch seltener sind die periprothetischen Patellafrakturen. Diese wer-
den mit einer Inzidenz von 0,05–21 % berichtet, wobei Raten von 0,05 % bei Totalendoprothesen ohne Patellarückflächenersatz und bis zu 21 % bei erfolgtem Rückflächenersatz angegeben werden (Platzer et al. 2010). Da große Serien in der Literatur fehlen, sollte an dieser Stelle erwähnt sein, dass die genannten Inzidenzen kritisch zu werten sind.
2
Risikofaktoren
Entscheidend für die korrekte Behandlung der periprothetischen Fraktur ist die Kenntnis der Existenz von Risikofaktoren und die Beantwortung der Frage: Können diese Risikofaktoren mit der geplanten Operation beseitigt werden oder existieren diese weiter? Im Wesentlichen werden 4 Gruppen von Risikofaktoren unterschieden.
2.1
Reduzierte Knochenqualita¨t/stabilita¨t
Diese ist im akuten Fall nur begrenzt verbesserbar, sollte aber unbedingt mittel- und langfristig nach der meist operativen Therapie weiter verfolgt werden. Die Einleitung einer adäquaten Osteoporosediagnostik und -therapie ist dabei unabdingbar. Inwieweit ein vorliegendes Stress-shielding sich wieder rückbildet, ist gegenwärtig unklar. Typische Risikofaktoren dieser Gruppe sind: • • • • •
Osteoporose/Osteopenie, hohes Lebensalter, Einnahme von Kortikosteroiden, rheumatoide Arthritis, Stress-shielding.
2.2
Kritische mechanische Bedingungen
Diese sind bereits während der Operationsplanung unbedingt zu berücksichtigen, da sie die Therapiestrategie maßgeblich beeinflussen. Es ist immer zu prüfen, ob eine operative Strategie exis-
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
tiert, welche die mechanischen Risikofaktoren beseitigen kann. Als Risikofaktoren sind zu nennen: • • • •
Ende eines Prothesenstiels, lokale Osteolysen, Schraubenlöcher durch ehemalige Implantate, Ankylosen/Arthrodesen des Hüft- oder gegenseitigen Kniegelenks, • vorbestehende Substanzdefekte im Frakturbereich, z. B. im anterioren Knochen (anteriores Notching, Kortikalisperforation).
2.3
Allgemeinerkrankungen
Allgemeinerkrankungen, die den postoperativen Behandlungsverlauf beeinflussen, sollten präoperativ optimiert werden, sind meist aber nicht grundsätzlich zu beseitigen. Somit existieren diese nach der durchgeführten Operation fort. Sie beeinflussen relevant die Rehabilitation bzw. auch die Frage, welches Operationsverfahren angewendet werden muss. Dabei ist hervorzuheben, dass viele operative Versorgungen, insbesondere osteosynthetische Rekonstruktionen, postoperativ einer Ent- bzw. Teilbelastung bedürfen, was die meisten der betroffenen Patienten nicht umsetzen können. Typische Risikofaktoren sind: • • • • •
Epilepsie, Demenz, Ataxie, Poliomyelitis, Morbus Parkinson.
2.4
Implantatassoziierte Faktoren
Dies sind Risikofaktoren, welche im Wesentlichen durch die Technik des Einbaus bzw. die Folgen der verwandten Technik entstanden sind. Zu nennen ist hier insbesondere das Malalignment, eine große interkondyläre Box bei posterior stabilized (PS-) oder gekoppelten Knieprothesen, markraumfüllende Stiele, die eine Schraubenverankerung nur durch zusätzliche
375
Schwächung der Kortikalis möglich machen (Gwinner et al. 2015) u. a. Das Fortbestehen dieser Faktoren führt wiederum zu einem dann gegebenenfalls noch höheren Re-Frakturrisiko. Selbstverständlich spielt hier auch eine eventuell übersehene Prothesenlockerung eine große Rolle.
3
Behandlungsstrategie
Für periprothetischen Frakturen nach Kniegelenkersatz existieren unterschiedliche Versorgungskonzepte (Abb. 1, 2 und 3) (Mardian et al. 2012), jedoch kein einheitliches Protokoll. Eine Vielzahl von Entscheidungen wird nach individueller Erfahrung des Behandlers getroffen, da die Evidenz für ein bestimmtes Vorgehen meistens fehlt. Bei fehlender Evidenz ist also die Erfahrung des Operateurs nicht nur bei der Durchführung der Operation, sondern auch für die Festlegung des operativen Prozederes von ausschlaggebender Bedeutung. Dabei spielt die präoperative Planung die entscheidende Rolle und ist ein unverzichtbares Muss. " Es ist unzureichend festzulegen, dass eine ge-
lockerte Prothese gewechselt werden muss und eine feste integrierte Prothese grundsätzlich osteosynthetisch zu versorgen ist. Die genannten Risikofaktoren (Abschn. 2) sind bei der Therapieplanung zu berücksichtigen. Insbesondere sind in die präoperativen Überlegungen die möglichen Konsequenzen eines Fehlschlagens der operativen Versorgung mit einzubeziehen. Gerade die bei periprothetischen Frakturen des Kniegelenks häufig geübte Praxis der Implantation von Tumorprothesen, die im Wesentlichen darauf beruht, den gelenknahen Knochen vollständig zu entfernen, führt bei Fehlschlagen (Infektion, Lockerung, Bruch der implantierten Prothese, periprothetische Re-Fraktur) zu desaströsen Ergebnissen, die oftmals mit der Amputation der Extremität mit all ihren Implikationen für die Patienten einhergehen. Insofern sollten die individuellen Bedürfnisse des Patienten bedacht und in die Therapieplanung mit einbezogen werden.
376
C. Perka und S. Ma¨rdian
Abb. 1 Behandlungsalgorithmus für periprothetische Femurfrakturen nach Knietotalendoprothese. (mod. nach Mittlmeier et al. 2005). Die Frakturtypen sind nach der Einteilung von Su et al. 2004 klassifiziert (Typ I: vollständig proximal des femoralen Schildes, Typ II: beginnt auf Höhe
des proximalen Schildes und zieht nach proximal, Typ III: sämtliche Frakturanteile liegen distal des anterioren Prothesenschildes). CRIF: closed reduction and internal fixation; ORIF: open reduction and internal fixation
Zusammenfassend sind die wichtigsten Faktoren zur Festlegung der Behandlungsstrategie:
eine mögliche Wechseloperation vorbereitet werden und zum anderen das Operationsteam/ die versorgende Klinik sowohl das technische Know-how als auch die notwendige Infrastruktur für derartige Eingriffe vorhalten. 3. Lokalisation der Fraktur: Die Lokalisation der Fraktur beeinflusst ebenfalls die Entscheidung hinsichtlich einer Osteosynthese oder Revision. Nur wenn auf beiden Seiten der Fraktur ausreichend Knochensubstanz vorhanden ist, um eine suffiziente Verankerung der – in der Regel – winkelstabilen Plattensysteme zu erreichen, ist eine Osteosynthese überhaupt sinnvoll durchführbar. Osteosynthesen bei Frakturen im Bereich der Prothesenspitze sind hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt und gehen mit einer hohen Fehlschlagswahrscheinlichkeit einher. Frakturen um lange und/oder großvolumige Prothesenstiele erfordern häufig eine transkortikale periprothetische Schraubenplatzierung mit dem Risiko, dass es hier zusätzlich zu einer mechanischen Schwächung des Knochens kommt (Gwinner et al. 2015).
1. Stabilität der Fraktur: Auch wenn die konservative Therapie in diesem Zusammenhang heute nahezu keine Rolle mehr spielt, ist die Bestimmung der Stabilität der Fraktur relevant, um die Dringlichkeit der operativen Intervention einzuschätzen und damit den optimalen Operationszeitpunkt wählen zu können. 2. Stabilität des Implantats: Eine genaue Anamneseerhebung bezüglich bereits vor der Fraktur bestehender Beschwerden sowie die genaue Bewertung der präoperativen radiologischen Diagnostik mit Fahndung nach klinischen und radiologischen Zeichen der Lockerung sind für die korrekte Therapiefindung entscheidend. Nur so kann die grundlegende Entscheidung getroffen werden, ob eine isolierte Osteosynthese überhaupt sinnvoll durchgeführt werden kann, da dafür die feste Verankerung der Prothese im Knochen eine absolute Voraussetzung ist. Im Zweifel muss zum einen der Patient auf
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
377
Periprothetische Tibiafrakturen
Intraoperative Frakturen
Postoperative Frakturen
Typ I
A
B
Typ III
Typ II B
A
A
Typ IV
Typ I
Typ II
Typ III
B Streckapparat
Komponentenwechsel
ORIF/CRIF (∢ stabile Platte)
intakt
unterbrochen Komponentenwechsel/ ORIF/CRIF
konservativ
Komponentenwechsel ± ORIF
A
B
konservativ
B
A
ORIF/CRIF (∢ stabile Platte)
Rekonstruktion
Komponentenwechsel und ORIF
Abb. 2 Behandlungsalgorithmus für periprothetische Tibiafrakturen nach Knietotalendoprothese. (mod. nach Mittlmeier et al. 2005). Die Frakturtypen sind nach Felix et al. 1997 klassifiziert (Typ I: Tibiaplateau, Typ II: dem Schaft anliegend, Typ III: distal der Prothese, Typ IV:
Tibiatuberkel. Die weitere Unterteilung erfolgt nach A: Prothese fest, B: Prothese locker, C: intraoperativ). CRIF: closed reduction and internal fixation; ORIF: open reduction and internal fixation
4. Qualität des Knochens: Die Knochenqualität beeinflusst selbstverständlich maßgeblich die Stabilität jedweder osteosynthetischer Rekonstruktion. Bei einer sehr schlechten Knochensubstanz ist die Haltbarkeit einer Osteosynthese im Regelfall nicht gegeben oder zumindest stark reduziert. Osteosynthesen, ebenso wie oftmals die Revision mit zementfreien Endoprothesen erfordern postoperativ eine Teilbelastung. Viele der Patienten können dies jedoch überhaupt nicht umsetzen. Endoprothetische Versorgungen bzw. Versorgungen unter Verwendung von Knochenzement zur Stabilisierung der Schrauben (sofern dieses Verfahren doch gewählt wird) sind zu prüfen. Des Weiteren sind Optionen wie z. B. Doppelplattenosteosynthesen mit 90°- oder 180°-Konfiguration oder aber die Verwendung von zusätzlichen medialen Strut grafts zu prüfen, um die Stabilität der Osteosynthese zu verbessern (Abb. 4).
Hierbei sollte jedoch, wenn immer möglich, eine sog. biologische Osteosynthese (Abb. 5), d. h. unter weitestgehender Schonung der Knochennutrition, durchgeführt werden, um die ohnehin durch den vorgeschädigten Knochen eingeschränkte Knochendurchblutung soweit wie möglich zu erhalten. 5. Implantatdesign: Dies betrifft insbesondere die suprakondylären Frakturen und die Frage, ob durch die Verwendung einer winkelstabilen Platte oder eines retrograden Nagels das optimale Operationsergebnis erreicht werden kann. Die intramedulläre Marknagelosteosynthese stellt hierbei theoretisch das biomechanisch überlegenere Implantat dar (Ayers 1997; Bong et al. 2002). Jedoch setzt dieses sowohl ein OpenBox-Design der Prothese als auch das Wissen um die Breite der interkondylären Box der implantierten Prothese voraus (Mittlmeier et al. 2005; Mittlmeier et al. 2016). Außerdem kommt
C. Perka und S. Ma¨rdian
378
Periprothetische Patellafrakturen
Typ I
Typ III
Typ II
B
A Streckapparat
Streckapparat intakt, Implantat locker
Streckapparat unterbrochen, Implantat stabil
locker
intakt
konservativ
Komponentenausbau, nach Ausheilung Reimplantation
Rekonstruktion Streckapparat, ggf. ORIF
Ausbau und Rekonstruktion Streckapparat
stabil
locker
stabil
ggf. Ausbau
konservativ
Rekonstruktion Streckapparat, ggf. ORIF
Abb. 3 Behandlungsalgorithmus für periprothetische Patellafrakturen nach Knietotalendoprothese (mod. nach Mittlmeier et al. 2005). Die Frakturtypen sind nach Goldberg et al. 1988 klassifiziert (Typ I: Streckapparat intakt,
Implantat fest; Typ II: Streckapparat zerstört; Typ III: Streckapparat intakt, Implantat locker; Subeinteilung A: ausreichende Knochendicke, B: nicht ausreichende Knochendicke). ORIF: open reduction and internal fixation
es bei der intramedullären Marknagelosteosynthese gehäuft zu Varus-/Valgusfehlern, welche zwangsläufig zu einer Mehrbelastung der Prothese führen, was letztendlich ein erhöhtes Lockerungsrisiko mit sich bringt (Su et al. 2004). Bei periprothetischen Tibiafrakturen definiert das Implantatdesign in Kombination mit der Frakturlokalisation, ob eine Osteosynthese möglich ist. Dabei limitiert die Möglichkeit der periprothetischen Schraubenplatzierung das Verfahren. Sowohl für die periprothetischen Femur- als auch Tibiafrakturen gilt, dass durch jüngste Implantatentwicklungen mit periprothetischen Zusatzplatten und Optionen der polyaxialen Schraubenverankerung das Limit der effektiv zu stabilisierenden Frakturen immer weiter nach proximal (tibial) als auch nach distal (femoral) rückt. Dennoch ist eine suffiziente Stabilisierung im metaphysären Bereich essenziell. 6. Zeitpunkt des Auftretens der Fraktur: Während intraoperative Frakturen im Regelfall durch den Wechsel des Implantats und/oder eine zusätzliche Osteosynthese sofort während des Indexeingriffes behandelt werden können,
unterscheidet sich die Versorgung von Frakturen, welche erst postoperativ entdeckt werden, davon signifikant. Zu berücksichtigen sind hierbei der optimale Zeitpunkt der Operation bzw. insbesondere der notwendige Umfang des Revisionseingriffs.
4
Zeitpunkt der Operation
Der optimale Zeitpunkt der Operation ist gegenwärtig umstritten. Während in der Vergangenheit von einer „aufgeschobenen Dringlichkeit“ bei der Indikationsstellung zur Operation gesprochen wurde, werden heute die Termini „optimale Arbeitsbedingungen der beteiligten Disziplinen“ und „bestmögliche Vorbereitung des Patienten“ verwendet (Mittlmeier et al. 2005, 2016). Dies entspricht einem Paradigmenwechsel: Die Prämisse, dass die Versorgung innerhalb von 24 Stunden zu erfolgen hat, ist heute nicht mehr gegeben. Auch eigene Daten zeigen, dass das Überleben dieser Patientengruppe weniger von der chirurgi-
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
379
Abb. 4 a Periprothetische distale Femurfraktur (Typ V.3 B1 nach Universal Classification System). b Aufgrund der eingeschränkten Knochenqualität wurde diese Fraktur mittels winkelstabiler Doppelplattenosteosynthese in 180°-
Konfiguration stabilisiert. c 9 Monate postoperativ ist die Fraktur komplikationslos ausgeheilt und die Patientin auf dem Niveau wie vor dem Sturz mobil
schen Versorgung (Rekonstruktion vs. Prothesenwechsel) als vielmehr vom Alter und von den begleitenden Komorbiditäten abhängt (Mardian et al. 2017). Daher sollte die präoperative Vorbereitung dieser Patienten interdisziplinär stattfinden, um Verbesserungspotenziale individuell zu identifizieren.
schwerden in nahezu jedem Fall der Ausschluss einer Infektion. Allerdings ist der Ausschluss einer Infektion erschwert. Die üblicherweise zur Infektionsdiagnostik herangezogene Zellzahl aus einem intraartikulären Punktat ist durch das Frakturhämatom oftmals verfälscht. Es verbleibt präoperativ deshalb im Wesentlichen nur die mikrobiologische Kultur, deren Sensitivität jedoch nur bei etwa 70 % liegt. Intraoperativ ist die Entnahme mikrobiologischer Proben obligat. Die bildgebende Diagnostik umfasst zunächst immer eine Röntgendiagnostik in 2 Ebenen. Hierbei ist streng darauf zu achten, dass zum einen die Fraktur vollständig abgebildet und zum anderen die benachbarten Gelenke mit abgebildet sind (Vorhandensein weiterer Implantate, welche die Versorgungsstrategie maßgeblich beeinflussen können). Schräg- oder Tangentialaufnahmen sind mit der ubiquitären Verfügbarkeit der CT-Diagnostik nicht mehr indi-
5
Pra¨operative Diagnostik
Die präoperative Diagnostik umfasst zunächst eine dezidierte klinische Anamnese. Wesentlich sind die Funktion vor dem Frakturereignis und die Schmerzanamnese. Hierdurch lassen sich Hinweise auf eine vorbestehende Lockerung finden. Außerdem kann eine zuvor schlechte Funktion einer Endoprothese Grund für die Entscheidung zur Prothesenrevision und gegen eine Osteosynthese sein. Wichtig ist bei vorbestehenden Be-
380
C. Perka und S. Ma¨rdian
ziert. Im Regelfall gilt, dass wenn mit einer zweidimensionalen Aufnahme keine sichere Aussage zur Lockerung, zum Ausmaß des zur Fixation verbleibenden Knochens oder zur Knochenqualität gemacht werden kann, sich meist eine Detail-
diagnostik mittels CT anschließen sollte. Durch moderne artefaktreduzierende Algorithmen ist eine detaillierte Diagnostik auch im Bereich der Prothese möglich. Andere Verfahren, wie die MRT oder auch die Szintigrafie, haben de facto
Abb. 5 a–c Biologische Osteosynthese einer periprothetischen Femurfraktur nach proximalem Tibiaersatz auf dem Boden eines Osteosarkoms. Es erfolgte die geschlos-
sene Reposition und perkutane winkelstabile Plattenosteosynthese mit einem modernen poliaxialen Plattenfixateur
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
keinen Stellenwert in der Diagnostik und Behandlung periprothetischer Frakturen. Allenfalls für ganz spezielle Fragestellungen wären diese zu diskutieren.
6
Klassifikationen
Es existiert eine Vielzahl von Klassifikationen für die kniegelenknahen periprothetischen Frakturen. Initial wurde insbesondere die Klassifikation von Neer et al. verwendet, welche nach der Art der Dislokation unterschieden hat (Neer et al. 1967). Später erfolgte dann die Verwendung der DiGioia- und Rubash-KIassifikation, welche auch die Lokalisation berücksichtigte (DiGioia und Rubash 1991). Zu Beginn des Jahrtausends wurde dann die Rorabeck-Klassifikation eingeführt, welche neben dem Frakturtyp auch die Art der Prothese in das Behandlungsprozedere mit einbezog (Rorabeck und Taylor 1999). Eine stärkere Verbreiterung fand dann die Su-Klassifikation, welche entsprechend dem Frakturverlauf 3 Typen (proximal des Prothesenschildes [Typ I]; bis zum Prothesenschild reichend [Typ II]; innerhalb/hinter dem Prothesenschild [Typ III]), unterschied (Su et al. 2004). Vergleichbare Klassifikationen entstanden dann auch für die tibialen Frakturen und die Patellafrakturen (Goldberg et al. 1988; Felix et al. 1997). Die wesentliche Einschränkung all dieser Klassifikationen war und ist, dass sich aus dem Frakturtyp nur selten direkt eine Behandlungsstrategie ableiten lässt. Aus unserer Sicht hat sich in den letzten Jahren die UCS-Klassifikation nach Duncan und Haddad durchgesetzt (Duncan und Haddad 2014). Diese Klassifikation kann für alle periprothetischen Frakturen der Extremitäten sowie des Beckens angewendet werden. Sie basiert im Wesentlichen auf der bekannten VancouverKlassifikation, wobei eine neue Systematik ähnlich der AO-Klassifikation ihren universellen Einsatz ermöglicht. Auch hier kann jedwede Fraktur mithilfe eines alpha-numerischen Codes dargestellt werden. Zunächst wird das betroffene Gelenk definiert (z. B. Hüfte: IV, Knie: V). Es schließt sich nun der numerische Code des frakturierten Knochens ana-
381
log der AO-Klassifikation an (Femur: 3, Tibia: 4, Patella: 34). Nach der Codierung der Lokalisation folgt die Klassifikation des Frakturtypus (Abb. 6): • Typ A: apophysäre Frakturen, d. h. die laterale oder mediale Kondyle. Diese sind im Zweifelsfall konservativ zu behandeln. Hier unterscheidet man A1-Frakturen (eine Kondyle betroffen) von A2-Frakturen (beide Kondylen betroffen). • Typ B: Bereich der Verankerung („bed of implant“). Bei B1-Frakturen ist die Prothese fest integriert, bei B2-Frakturen gelockert und bei B3-Frakturen liegt zusätzlich zur gelockerten Prothese eine schlechte Knochensubstanz bzw. ein relevanter knöcherner Defekt vor. • Typ C: außerhalb des Prothesenbettes („clear of implant“). Diese Frakturen liegen demnach entweder proximal des femoralen Prothesenschildes oder distal der tibialen Komponente. • Typ D: interprothetische Frakturen („dividing the implants“). Sie liegen entweder zwischen einer Hüft- und Knieprothese oder zwischen einer Knie- und Sprunggelenkprothese. • Typ E: Beide prothesentragenden Knochen („each of two bones supporting one joint replacement“) sind betroffen. Im Falle einer Kniegelenkprothese müsste hierzu das Femur als auch die Tibia frakturiert sein und demnach eine Floating-knee-Verletzung vorliegen. • Typ F: einen an die Prothese angrenzenden Knochen („facing the implant“). Dies wäre hier im Regelfall die Patellafraktur einer nicht ersetzten Patella. Auch würden Tibiakopffrakturen bei partiellen Femurersätzen unter diesen Frakturtyp fallen.
7
Technik der operativen Versorgung
Bis heute ist unklar, welche operative Versorgung bevorzugt werden soll. Folgende Prämissen sind gegeben: 1. Die Osteosynthese braucht ein stabiles endoprothetisches Implantat. Es existiert gegenwärtig kein Literaturbeleg, der ein zweizeitiges
C. Perka und S. Ma¨rdian
382
Gelenke
Knochen
Frakturtyp
Knochenqualität und
A Apophyseal or extraarticular/ periarticular
14 I
Apophysär/extraartikulär 1 B Bed of the implant or around the implant II
Implantatbett oder um das Implantat herum
6
IV
2 C Clear of or distant to the implant
III
7
3
V
34
4
VI 8
Außerhalb des Implantatbettes, distal davon D Dividing the bone between two implants or interprosthetic or intercalary Interprothetisch, teilt den Knochen zwischen zwei Implantaten
1. Oberarm 2. Unterarm 3. Oberschenkel 4. Unterschenkel 6. Becken 7. Hand 8 Fuß 34. Patella 14. Klavikula
B2 Gute Knochenqualität, gelockertes Implantat
E Each of two bones supporting one anthroplasty or polyperiprosthetic Beide prothesentragenden Knochen
F Facing and articulating with a hemiarthroplasty I. Schultergelenk II. Ellenbogengelenk III. Handgelenk V. Kniegelenk VI. Sprunggelenk
B1 Gute Knochenqualität, keine Lockerung
B3 Schlechte Knochenqualität oder knöcherne Defekte, gelockertes Implantat
Knochen, der mit einer Hemiprothese artikuliert
Abb. 6 UCS-Klassifikation der periprothetischen Frakturen. (Abdel und Berry 2013)
Vorgehen (zunächst Primärversorgung zur Heilung des Knochens und dann Wechsel des Implantats in einer 2. Operation) favorisiert. Es sind zwar Einzelsituationen vorstellbar, bei denen dies zu rechtfertigen wäre, dies sind jedoch absolute Ausnahmefälle.
2. Für jede Osteosynthese ist im Regelfall eine Teilbelastung postoperativ notwendig. Es ist anhand der Risikofaktoren (Abschn. 2) abzuklären, ob eine solche Teilbelastung für den/ die betroffene/n Patienten/Patientin umsetzbar ist.
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
Eine Option, welche derzeit in der Diskussion ist, um die Primärstabilität zu erhöhen, ist eine Doppelplattenosteosynthese in 90°- oder 180°-Konfiguration, um damit eine frühzeitigere und höhere Belastung zu erlauben (Wahnert et al. 2017). Klinische Daten mit ausreichendem Follow-up fehlen hierzu bisher. 3. Wesentlich für die Knieendoprothetik ist die Bestimmung der Funktion vor Eintreten der periprothetischen Fraktur. Sollten hier bereits gravierende Einschränkungen vorgelegen haben, d. h. ein eingesteiftes Kniegelenk, der Verdacht auf eine Infektion, eine Fehlimplantation mit pathologischer Achsstellung usw., ist eine Osteosynthese im Regelfall nicht indiziert. Um diese präexistenten Probleme zu lösen bedarf es in der Regel einer Revisionsendoprothese, welche dann gleichzeitig auch suffizient die Fraktur überbrücken muss.
7.1
Periprothetische Femur- und Tibiafrakturen
Intramedulla¨re Marknagelosteosynthese Die intramedulläre Marknagelosteosynthese kann nur bei periprothetischen Femurfrakturen erfolgen. Wie bereits dargestellt, unterliegt sie jedoch wesentlichen Einschränkungen. Der große Vorteil dieser Technik besteht darin, dass nur ein geringer iatrogener Weichteilschaden notwendig ist und dieser frakturfern erfolgt. Dadurch bleibt das Frakturhämatom in der Regel vollständig erhalten, was optimale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Frakturheilung darstellt. Hauptherausforderung ist jedoch die technische Durchführung, insbesondere die Einstellung der korrekten Achsverhältnisse. Nach heutigem Kenntnisstand existieren insgesamt 3 wesentliche Erfordernisse. 1. Das Kniegelenk muss mindestens 60° flektierbar sein, da sonst der Nagel nicht in die korrekte Position eingebracht werden kann. 2. Es muss ein Open-Box-Design mit einer ausreichend weiten Notch vorliegen, sodass ein intramedullärer Kraftträger eingebracht werden kann. Dies setzt die Kenntnis des implantierten Prothesentyps/-herstellers voraus. Es ist
383
zu empfehlen, dass die interkondyläre Distanz nicht kleiner als 11 mm sein sollte. 3. Die Möglichkeit mindestens 2 Verriegelungsbolzen distal der Fraktur sicher einbringen zu können. Die notwendige Knochenstrecke dazu beträgt ca. 20 mm. Bei ipsilateral implantiertem Hüftgelenkersatz ist vor retrograder Marknagelosteosynthese zu prüfen, ob die verbleibende interimplantäre Distanz groß genug ist (ca. 5 cm) um einen „stress riser“ und somit das Risiko einer weiteren periprothetisch/periimplantären Fraktur zu vermeiden.
Verwendung eines winkelstabilen internen Fixateurs Bei stabil verankerter Prothese ist die winkelstabile Plattenosteosynthese der derzeitige Goldstandard in der operativen Behandlung von periprothetischen Tibia- und Femurfrakturen. Die meisten auf dem Markt verfügbaren Plattensysteme halten anatomisch vorgeformte Platten vor, welche zusätzlich durch den Einsatz von Zielbügelsystemen minimalinvasiv (Subvastus-Zugang) eingeschoben werden können. Die korrekten Achsverhältnisse lassen sich hiermit meist einfacher einstellen. Problematisch ist die Verankerung der Schrauben im kortikalen Bereich. Dies gilt insbesondere, wenn im gleichen Femur eine Hüftendoprothese bereits implantiert wurde oder aber eine gestielte Femur- bzw. Tibiaprothese bei der Schraubensetzung berücksichtigt werden muss. Je nach Hersteller können dann zusätzliche winkelstabile Platten (sog. locking attachement plates, Firma Synthes, Umkirch) oder anklickbare Flügel (Firma aap, Berlin) angebracht werden, um eine bikortikale Schraubenfixierung an den einliegenden Prothesenschäften – falls notwendig – zu realisieren. Es konnte gezeigt werden, dass eine bikortikale Verankerung an der Prothese vorbei, allen anderen Fixationsmethoden biomechanisch überlegen ist (Gwinner et al. 2015). In der letzten Generation der winkelstabilen Plattenfixateure sind die Schrauben zudem poliaxial besetzbar, was dem Operateur eine gute intraoperative Variabilität ermöglicht.
384
Grundsätzlich sollten bei der winkelstabilen Plattenosteosynthese folgende Punkte beachtet werden: 1. Die Plattenlänge sollte immer so lang wie möglich gewählt werden, um eine optimale Lastverteilung auf dem Implantat zu erreichen. 2. Metaphysär ist im Regelfall die maximale Zahl von Schrauben, die durch die Platte zu positionieren sind, anzustreben. Dies betrifft sowohl das distale Femur als auch die proximale Tibia. 3. Im diaphysären Teil sollten nach heutigem Kenntnisstand bei gutem Knochen mindestens 3 bikortikale Schrauben platziert bzw. 6–8 Kortikaliskontakte erreicht werden. Dies bedarf selbstverständlich der individuellen Entscheidung zur Knochenqualität und Stabilität der Schraubenverankerung. 4. Die Schwingstrecke ist so zu wählen, dass eine optimierte biomechanische Umgebung für die knöcherne Heilung entsteht. Dabei ist bei Trümmersituationen eine Schwingstrecke von 42–62 mm anzustreben (Mardian et al. 2015), welche bei einfachen und nahezu anatomisch reponierten Frakturen entsprechend länger gewählt werden sollte. Unbedingt zu verhindern ist ein zu steifes Implantat, d. h. dass zu viele Schrauben eingesetzt werden. Heutige winkelstabile Implantate benötigen eine große Schwingungsstrecke, da die Heilung durch eine Mikrobewegung (sekundäre Knochenheilung) erreicht wird. Mehr Schrauben führen also nicht zu einem zwangsläufig besseren Resultat. 5. Von besonderer Relevanz ist das Vorliegen einer medialen Abstützung. Besteht medial eine starke Destruktions- oder Impaktionszone, ist oftmals die alleinige Stabilisierung mit der von lateral angelegten Platte unzureichend. Hierzu sollte dann eine zusätzliche mediale Abstützung erfolgen. Diese ist sowohl durch eine zusätzliche kurze Platte als auch durch ein Strut graft zu erreichen. Die Anwendung der jeweiligen Technik richtet sich dabei nach der persönlichen Präferenz, den Erfahrungen und der Verfügbarkeit entsprechender Implantate bzw. Transplantate.
C. Perka und S. Ma¨rdian
Revisionsendoprothetik bei periprothetischen Frakturen des Femurs und der Tibia Die Revisionsendoprothetik bei periprothetischen Frakturen entspricht den gleichen Prinzipien wie die Revisionsendoprothetik bei gewechselten Implantaten. Sie kommt immer dann zur Anwendung, wenn Implantate locker sind oder aber die knöcherne Substanz nicht ausreichend ist, eine Osteosynthese mit ausreichender Stabilität durchzuführen (Abb. 7). Typische Indikationen für die Revisionsendoprothetik sind: • lockeres Implantat, • Fehlposition des Implantats, • gleichzeitig vorliegender massiver Abrieb mit ausgedehnten Osteolysen, • schlechte Knochenqualität, die keine Verankerung einer Osteosynthese erlaubt, • schlechte biologische Voraussetzungen zur Heilung, • vorbestehendes Versagen einer Osteosynthese, • Unmöglichkeit die notwendige Teilbelastung umzusetzen. Das grundsätzliche Prinzip der Revisionsendoprothetik bei periprothetischen Frakturen ist es, im nichtalterierten Knochen eine ausreichende Implantatstabilität zu erreichen. Zusätzlich ist zu entscheiden, ob der verbliebene, für eine Fixation nicht ausreichende (meist metaphysäre Knochen) entfernt werden sollte oder aber aufgrund des stabil einsitzenden Implantats dann auch eine Heilungs-/Konsolidierungschance hat, sodass er bei der jetzigen Versorgung zwar keinen Stabilitätsgewinn bietet, möglicherweise aber bei zukünftigen Revisionseingriffen. Wesentliches Entscheidungskriterium der Therapieplanung sollte dabei immer sein, dass es zu einem Fehlschlagen der jetzt durchgeführten Versorgung kommen kann. Auch dann muss es noch einen Plan B geben. Insofern ist mit Ausnahme von Infektionen der weitestgehende Erhalt der knöchernen Substanz anzustreben, lediglich der mechanisch absolut nicht mehr tragfähige Anteil sollte reseziert werden (Abb. 8).
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
385
Abb. 7 a, b 77-jähriger Patient mit Treppensturz nach Implantation einer unikondylären Prothese und in der CT sichtbarer periprothetischer Tibiafraktur. c, d Wechsel auf
Totalknieendoprothese sowie zusätzliche Schraubenosteosynthese des medialen Tibiakopfes. (Mit freundl. Genehmigung von PD Dr. H. Hommel)
Bezüglich der Verankerungsform werden im Regelfall zementfreie Prothesen empfohlen. Dies ist die logische Konsequenz aus der Überlegung, dass bei der Verwendung von Knochenzement die-
ser in die Frakturbereiche hineingelangt und eine Heilung behindert. Dennoch ist gerade bei älteren Patienten das zementierte Verfahren aufgrund der sofortigen unmittelbaren Möglichkeit der Voll-
C. Perka und S. Ma¨rdian
386
Abb. 8 a, b 80-jähriger männlicher Patient: Z. n. TEPWechsel, periprothetische Femurfraktur nach Leitersturz bei massivem knöchernen Substanzdefekt (UCS V.3-B3). c, d Bei fehlender knöcherner Rekonstruktionsmöglichkeit
der knöchernen Substanz Implantation einer Tumorprothese mit distalem Femurersatz. (Mit freundl. Genehmigung von PD Dr. H. Hommel)
belastung eine wertvolle Option. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass durch den Zusatz von Antibiotika die Infektionsrate wahrscheinlich gesenkt werden kann und gleichzeitig bei einer irregulären Knochenform eine stabile Verankerung des Implantats durch Anpassung an die Knochenform möglich ist. Insofern bedarf es einer individuellen Entscheidung (Abb. 9).
3. Ist die Dicke der knöchernen Patella ausreichend, eine Revisionsoperation der Patella durchzuführen?
7.2
Patellafrakturen
Die Therapie von periprothetischen Patellafrakturen bedarf einer individuellen Analyse und Behandlungsentscheidung. Eine rein auf der Frakturmorphologie basierende Therapieentscheidung ist bei diesen Verletzungen nicht gerechtfertigt. Aufgrund der Seltenheit dieser Verletzungen fehlt jedoch sowohl im Hinblick auf Versorgungsstrategien als auch im Hinblick auf klinische Resultate die Evidenz. Aus klinischer Sicht stehen 3 Fragen im Mittelpunkt: 1. Ist der Streckapparat noch suffizient und wie kann er rekonstruiert werden? 2. Wie stabil ist der möglicherweise implantierte Patellarückflächenersatz?
Daraus ergeben sich mögliche Therapiestrategien: • Bei nichtdislozierten Frakturen, erhaltener Streckfunktion des Kniegelenks und, wenn vorhanden, stabilem Patellarückflächenersatz ist eine konservative Therapie dieser Frakturen angezeigt. Hier kann die frühzeitige Mobilisation des Patienten mit einer vorübergehenden Limitierung der Kniegelenkflexion sowie einer stufenweisen Erhöhung der Flexion erfolgen (Mittlmeier et al. 2005). Dasselbe gilt für Frakturen mit vertikalem Frakturverlauf, die selten den Streckapparat negativ beeinflussen. • Ist der Streckapparat unterbrochen, muss dieser rekonstruiert werden. Verschiedene Osteosynthesetechniken, die denen der Patellafrakturen entsprechen (Zuggurtung, Verschraubung, Cerclagen etc.), stehen dafür zur Verfügung. • Ist der Patellarückflächenersatz gelockert, liegt der Fokus ebenfalls zunächst auf der Rekonstruktion des Streckapparates, wobei der gelockerte Rückflächenersatz primär revidiert werden sollte. Dazu sind jedoch eine ausreichende
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
387
Abb. 9 a, b 84-jährige Patientin mit periprothetischer Femurfraktur nach Sturz und fehlgeschlagener Osteosynthese. Die Osteosynthese war nicht adäquat, die Platte ist zu kurz gewählt, die mediale Abstützung nicht vorhanden, eine Heilung nicht zu erwarten. c, d Wechsel auf eine Rotationsscharnierendoprothese („rotating hinge“) mit distalem Femurersatz bei avitalem Knochen in der Metaphyse. Wiederum inadäquate Versorgung. Der zementfreie Stiel ist im Verhältnis zum distalen Femurersatz zu kurz und hat kein adäquates diaphysäres Press-fit. Der femoral-
distale Versuch einer Hybridfixierung ist ebenso insuffizient. e, f Bereits 9 Monate später sichtbare Lockerung der femoralen Komponente (Pfeil). g Wechsel der femoralen Komponente auf zementierte femorale Komponente mit distalem Femurersatz. h, i Die Operation ist korrekt durchgeführt, die erreichte Zementierung jedoch aufgrund der multiplen Löcher der zuvor erfolgten Osteosynthese und der Lockerung der zementfreien Komponente mit Schädigung des spongiösen Knochens mit allenfalls zufriedenstellendem Ergebnis
Patelladicke und eine adäquate Größe des nichtfrakturierten Patellaanteils notwendig. Sollte dies möglich sein, muss die Patellarevision im Regelfall vor der Rekonstruktion des Streckapparates erfolgen.
Erlaubt die knöcherne Situation keine nochmalige stabile Verankerung eines Patellarückflächenersatzes, kann dieser ersatzlos entfernt werden. • Erlaubt die Weichteilsituation oder die Art der Fraktur keine stabile primäre Fixation, sind ver-
C. Perka und S. Ma¨rdian
388
schiedene Augmentationstechniken (Hamstringsehnen, Knochen-Sehnen-Allografts) beschrieben (Mittlmeier et al. 2005; Erhardt und Kuster 2010; Yoo und Kim 2015). Wir verwenden in der Regel das Marlex-Mesh, wie von Hansen publiziert (Browne und Hanssen 2011). • Die Autoren sind sich einig, dass die partielle bzw. vollständige Patellektomie nur in Ausnahmefällen aufgrund des zu erwartenden schlechten funktionellen Ergebnisses durchgeführt werden sollte (Hozack et al. 1988). Alternativ ist die Verwendung eines Tuberositas-tibiae-Patellasehne-Patella-Quadrizepssehnen-Allograftes oder -Transplantates möglich.
7.3
Interprothetische Frakturen
Aufgrund der oben genannten demografischen Entwicklung entstand in den letzten Jahren eine immer größer werdende Gruppe von Patienten, bei denen 2 prothetische Komponenten am gleichen Knochen implantiert sind (Dexel et al. 2015). Dies betriff vor allem das Femur, gleichwohl es auch die Tibia sowie den Humerus betreffen kann. Bis heute beschränkt sich die Literatur auf Fallbeschreibungen und kleinere Fallserien, sodass weder für die Inzidenz noch für die Ätiologie eine klare Evidenz existiert. So beschreiben Fink et al. in 5 Jahren gerade einmal 11 interprothetische Frakturen, während Platzer et al. auf 24 Fälle in 16 Jahren kommen (Fink et al. 2005; Platzer et al. 2011). Ein Risikofaktor scheint dabei die sog. interprothetische Distanz zu sein, d. h. das Ausmaß des nicht implantattragenden Knochens zwischen den beiden Prothesen. Obwohl die bisherige Literaturlage nicht eindeutig ist und es widersprüchliche Ergebnisse gibt (Iesaka et al. 2005; Lehmann et al. 2012; Soenen et al. 2013) legen eigene bisher nicht publizierte Daten aus Finite-Elemente-Untersuchungen nahe, dass es zu einem erhöhten Stress auf den Knochen kommt, sofern die interprothetische Distanz kleiner als 6 cm ist. Daher sollte man in solchen Fällen eine protektive additive Plattenosteosynthese diskutieren, wie es auch andere Autoren bereits empfehlen (Dexel et al. 2015).
Beim Vorliegen einer interprothetischen Fraktur gelten die gleichen Grundsätze, wie sie bereits oben diskutiert wurden. Im Falle von fest integrierten Prothesenkomponenten bietet sich eine winkelstabile Plattenosteosynthese mit der Option der periprothetischen Schraubenverankerung an (Abb. 10). Bei gelockerten Prothesenkomponenten oder im Falle von fehlenden Optionen zur Verankerung von Osteosynthesematerial sollte eine revisionsendoprothetische Rekonstruktion angestrebt werden (Abb. 11).
8
Nachbehandlung
Die Nachbehandlung periprothetischer Frakturen rund um das Kniegelenk hängt von der Art der Versorgung ab und sollte nicht in standardisierter Form erfolgen. Grundsätzlich muss dabei die Frage gestellt werden, ob und inwieweit der ältere Patient überhaupt in der Lage ist eine suffiziente Teilbelastung einzuhalten, sodass in der operativen Strategie möglichst eine belastungsstabile Situation anzustreben ist. Eine Mobilisation unter Zuhilfenahme von geeigneten Gehhilfen sollte, wenn möglich, direkt postoperativ unter entsprechender Anleitung erfolgen. Je nach Zustand des Streckapparates kann eine initiale Limitierung der Flexion mit schrittweisem zunehmendem Bewegungsumfang sinnvoll sein. Weiterhin sollte die Prothese in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden, um etwaig auftretende Lockerungen frühzeitig zu detektieren.
9
Fazit fu¨r die Praxis
Sowohl die Osteosynthese als auch die Revisionsendoprothetik haben in der Behandlung periprothetischer Frakturen ihren Stellenwert. Die Entscheidungskriterien wurden oben dargestellt. Im Regelfall gilt, dass Revisionsendoprothesen nur dann zur Anwendung kommen sollten, wenn die Verankerung der Osteosynthese nicht suffizient möglich ist bzw. große Knochendefekte vorliegen oder eine gelockerte Prothese vorliegt. Bei ausgedehnten knöchernen Defekten sind Kombinationsverfahren der Revisionsendopro-
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
Abb. 10 a-d 75-jährige Frau nach häuslichem Sturz mit einer interprothetischen Fraktur (Typ IV.3 D). Bei fest integrierten Prothesenkomponenten erfolgte die operative
389
Stabilisierung mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese. Nach komplikationslosem Verlauf kam es zu einer Ausheilung der Fraktur bei freier Mobilisation
390
C. Perka und S. Ma¨rdian
Abb. 11 a, b 49-jährige Patientin mit rheumatoider Arthritis sowie beidseitigem Hüft- und Kniegelenkersatz. Beidseitige interprothetische Fraktur (Typ IV.3 D nach UCS). In diesem Fall war eine osteosynthetische Rekonstruktion bei fehlender Option zur suffizienten Implantatverankerung nicht sinnvoll durchführbar. Gleichzeitig bestand eine Lockerung beider Hüftpfannen, sodass hier eine revisionsendprothetische Rekonstruktion beidseits durchgeführt wurde. (Bilder erhalten von Prof. Bernd Füchtmeier/Prof. Edgar Mayer)
thetik mit zusätzlichen Augmenten, strukturellen Allografts oder zusätzlichen Osteosynthesen zu überlegen. Hauptherausforderung für die Osteosynthese ist ein vorliegender segmentaler Knochendefekt. Dies betrifft zum einen die biologischen Voraussetzungen der Heilung, zum anderen die mechanische Abstützung. Insbesondere mediale segmentale Knochendefekte bedürfen einer zusätzlichen Stabilisierung, möglicherweise durch eine zusätzliche Platte. Wichtig für die Frakturheilung nach einer Osteosynthese ist eine optimale biomechanische Umgebung (Mechanobiologie), d. h. Ergebnis der Osteosynthese muss einerseits eine adäquate Frakturrepositon sein, anderseits muss die Osteosynthese so konfiguriert sein, dass sie Mikrobewegungen zulässt, welche die sekundäre Knochenheilung induziert. Wie bei jeder Osteosynthese ist das Zusammenwirken von Stabilität und Biologie von herausragender Bedeutung. Jedwede Schädigung der peri- und endostalen Blut-
versorgung zusätzlich zu der bereits eingetretenen Prothesenversorgung und der Fraktur sollte vermieden werden. Winkelstabile Implantate mit der Möglichkeit der poliaxialen Schraubenplatzierung besitzen hier einen überragenden Stellenwert. Die Problematik der Revisionsendoprothese ist zum einen das im Allgemeinen erhöhte perioperative Risiko beim Eingriff, zum anderen die Verwendung eines meist größeren Implantats und die damit einhergehende höhere Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Infektion. Zudem wird durch den größeren Eingriff die Funktionalität des gelenkumgebenden Gewebes noch einmal geschädigt, sodass im Regelfall nicht mit einer völlig schmerzfreien Prothese zu rechnen ist. Megaprothesen spielen nur bei älteren Patienten mit niedrigem Leistungsanspruch eine Rolle. In der Summe gilt, dass der Patient den Eingriff ohne relevante Morbidität und mit dem geringstmöglichen Risiko für die Mortalität überstehen muss.
Knieendoprothetik: Periprothetische Frakturen
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Knieendoprothetik: Umgang mit Explantaten Tilman Pfitzner, Philipp von Roth und Michael M. Morlock
Inhalt 1 1.1 1.2 1.3
Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbleib des Explantates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbereitung des Explantates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lagerung von Explantaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393 393 394 394
2
Schadensfall und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
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Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
Die zu erwartende steigende Anzahl an Revisionseingriffen stellt zweifelsohne eine große Herausforderung an Standardisierung, Logistik und Archivierung in den operierenden Zentren dar (Kurtz et al. 2007). Nach der Explantation einer Knietotalendoprothese (Knie-TEP) und folgender mikrobiologischer Untersuchung (Sonikation) muss über den weiteren Umgang mit dem Explantat entschieden werden. Hier besteht häufig Unsi-
T. Pfitzner (*) Klinik für Endoprothetik, Knie- und Hüftchirurgie; Department für Bewegungschirurgie, Vivantes Klinikum Spandau, Berlin, Deutschland E-Mail: Tilman.Pfi[email protected] P. von Roth Sporthopaedicum, Straubing, Deutschland E-Mail: [email protected] M. M. Morlock Institut für Biomechanik, TUHH Technische Universität Hamburg, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
cherheit über Verbleib, Aufbereitung und Lagerung sowie die damit verbundene rechtliche Situation.
1
Rechtliche Rahmenbedingungen
1.1
Verbleib des Explantates
Jede Einrichtung, die Revisionsoperationen durchführt, sollte ein standardisiertes Vorgehen für explantierte Prothesen implementieren. Rechtlich bedeutsam für den Verbleib der Explantate ist vorrangig die Abgrenzung der Eigentumsverhältnisse. Mit Implantation der Knie-TEP wird der Patient zum Eigentümer des Implantates (§ 947 II Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Diese Situation bleibt auch nach Explantation im Rahmen einer Revision bestehen (§ 953 BGB).
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_21
393
394
T. Pfitzner et al.
" Auch nach Explantation bleibt der Patient Ei-
1.3
Lagerung von Explantaten
gentümer des Implantates. Folglich liegt die Entscheidung über den Verbleib beim Eigentümer, also dem Patienten. In der Praxis bieten sich grundsätzlich folgende Möglichkeiten: • • • •
Übergabe an den Patienten, Aufbewahrung in der operierenden Einrichtung, Entsorgung durch die operierende Einrichtung, Weitergabe des Explantates an Dritte (z. B. zur wissenschaftlichen Analyse oder Schadensanalyse).
In jedem dieser Fälle ist die Zustimmung des Patienten zwingend notwendig. Hierfür liegen standardisierte Aufklärungs-/Dokumentationsbögen vor, die den Nachweis über die Patientenaufklärung und den vereinbarten Verbleib des Implantates ermöglichen.
Verbleibt das Implantat in der operierenden Einrichtung, ist die ordnungsgemäße Lagerung zu beachten. Die minimale Aufbewahrungsfrist ist vergleichbar mit radiologischen Bildbefunden und beträgt 10 Jahre (Kluess et al. 2012a), sodass bei steigenden Revisionszahlen eine ausreichende Lagerlogistik und Katalogisierung dringend zu empfehlen ist. Die einzelnen Komponenten eines Explantates sollten nach der Aufbereitung separat verpackt, eindeutig/zeitbeständig gekennzeichnet und trocken und luftdicht bei Raumtemperatur gelagert werden (Kluess et al. 2012a). Nur so kann gewährleistet werden, dass ein Explantat auch nach Jahren noch eindeutig identifizierbar und auffindbar bleibt. Um die nachträgliche Oxidation von Komponenten aus Polyethylen (PE) zu limitieren sollten diese – wenn möglich – vakuumverpackt aufbewahrt werden.
2 1.2
Schadensfall und Analyse
Aufbereitung des Explantates
Die Aufbereitung des Explantates sollte primär unabhängig vom Verbleib erfolgen. Die operierende Einrichtung hat nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) dabei sicherzustellen, dass die potenzielle Verbreitung von Infektionskrankheiten verhütet wird (§ 23 IfSG). Daher enthält die Aufbereitung unter anderem die mechanische Reinigung von Gewebe und Knochenzement sowie die anschließende Sterilisation. Erfolgt die Aufbereitung nach den gemeinsamen Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (RKI) und des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Anforderung an die Aufbereitung von Medizinprodukten, wird diese als ordnungsgemäß angenommen (§ 8 Abs. 2 Medizinproduktebetreiberverordnung [MPBetreibV]). Da eine Infektionsgefahr trotzdem nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, hat der Aufbewahrende (Klinik oder Patient) sicherzustellen, dass das Explantat nicht unbeabsichtigt in die Hände Dritter gelangen kann.
Ein Schaden ist als das Ereignis definiert, dass zu einer materiellen oder immateriellen Benachteiligung der geschädigten Person führt. Im Rahmen einer notwendigen Revisionsoperation kann der Verdacht eines Schadensfalles aufkommen, was die Explantate zu potenziellen Beweisstücken werden lässt. Dadurch ergeben sich unabhängig von der konkreten Ursache schon bei dem Verdacht eines Schadensfalles besondere Anforderungen an Dokumentation, Verbleib, Aufbereitung und Lagerung der Explantate (Kluess et al. 2012b). Steht das Implantat unter Verdacht an einem Vorkommnis beteiligt zu sein, besteht die Meldepflicht an das BfArM (www.bfarm.de). Zusätzlich können Schadensfälle an die Datenbank der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik gemeldet werden (www.ae-germany. com). Auch wenn der Patient als Eigentümer prinzipiell über den Verbleib des Implantates bestimmen kann, muss der Anwender gleichzeitig seiner „Mitwirkungspflicht“ nachkommen und dafür Sorge tragen, dass das Explantat bis zum Abschluss der Untersuchungen nicht verworfen wird (§ 12 Abs. 4 Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung [MPSV]). Vor diesem Hintergrund erscheint
Knieendoprothetik: Umgang mit Explantaten
es bereits im Verdachtsfall sinnvoll, das weitere Vorgehen bezüglich der Explantate gemeinsam mit dem Patienten vor der Revision abzustimmen und zu dokumentieren. In diesem Zusammenhang sollte auch die Aufklärung über die mögliche Bedeutung des Implantates im juristischen Streitfall erfolgen (Kluess et al. 2012b). Auch aus diesem Grund kommt einer umfassenden präoperativen, intraoperativen sowie postoperativen Dokumentation eine wichtige Bedeutung zu. Ohne die Informationen aus diesen Befunden ist eine Interpretation der Schadensanalyse häufig kaum möglich. Besonders intraoperativ festgestellte Schäden am Implantat sollten so gut wie möglich bildlich dokumentiert werden, um diese später von Oberflächenschäden, verursacht durch die Explantation einer festsitzenden Prothese, unterscheiden zu können. Die Aufarbeitung der Explantate beinhaltet die Herausforderung einer ordnungsgemäßen Reinigung, ohne jedoch die für die Versagensanalyse relevanten Spuren zu verändern oder zu entfernen. Einzelne Arbeiten zeigen besondere Protokolle, die die Oberflächenbeschaffenheit nicht verändern sollen (von Knoch und von Knoch 2002). Die internationale Organisation für Standardisierung (ISO) hat für die Behandlung und Analyse chirurgischer Explantate die Norm ISO 12891 herausgegeben, die zuletzt 2015 in Teilen novelliert wurde (www.iso.org). Die Besonderheit bei der Lagerung der Explantate besteht darin sicherzustellen, dass durch die Lagerung keine Spuren verändert werden oder hinzukommen können. Hier ist besonders die separate Verpackung jedes Einzelteils zur Vermeidung von Kontaktschäden relevant. Die weitere Lagerung entspricht Abschn. 1.3. Wenn organische oder anorganische Anhaftungen wichtige Hilfe bei der Schadensanalyse bieten könnten, sollten diese belassen werden. Das schließt dann jedoch die Reinigung der Explantate aus und die Prothesenkomponenten müssen in Formalin luftdicht und korrosionsbeständig asserviert werden (Kluess et al. 2012b). In den meisten Fällen ist es jedoch ausreichend, Gewebereste von den Implantaten zu trennen und diese entsprechend zu asservieren. Das gleiche gilt für Flüssigkeiten. Dies ermöglicht dann die normale Reinigung und Aufbewahrung der Implantate.
395
Bezüglich der Dauer der Lagerung besteht für die operierende Einrichtung ein Konflikt. Auch wenn die minimale Aufbewahrungsfrist für Explantate mit 10 Jahren angegeben ist, verjähren zivilrechtliche Ansprüche des Patienten gegenüber dem behandelnden Arzt erst nach 30 Jahren. Daher ist eine grundsätzliche Aufbewahrung von 30 Jahren zu diskutieren, bei Verdacht eines Schadensfalles in jedem Fall zu empfehlen. Umgekehrt führt dies wiederum zu deutlich erhöhten Anforderungen an Logistik und Lagerung für die operierende Einrichtung. " Nach Reinigung und Sterilisation sollte
jedes Einzelteil separat verpackt, eindeutig gekennzeichnet, trocken und luftdicht bei Raumtemperatur gelagert werden. Organische oder anorganische Anhaftungen sollten nur belassen werden, wenn sie für die Schadensanalyse relevant sind. In diesem Fall sollte die Lagerung in Formalin erfolgen. Im Rahmen der eigentlichen Analyse sollte immer der Hersteller involviert werden, da dieser laut § 12 MPSV verpflichtet ist, die zur Risikobewertung notwendigen Untersuchungen durchzuführen (Kluess et al. 2012b). Übergabe, Erhalt und Rückgabe erfordern erneut die Zustimmung des Patienten und sind sorgfältig zu dokumentieren. Wenn das Vertrauensverhältnis zum Hersteller beeinträchtigt ist, sollte die Schadensanalyse alternativ durch einen unabhängigen Gutachter erfolgen (§ 10 MPSV). Anzuraten ist, dass sich die geschädigte Partei mit dem Hersteller auf einen Gutachter und die Art der Kostenübernahme verständigt. Es sollte jedoch bedacht werden, dass nicht vom Gericht beauftragte Gutachten bei späteren Verfahren meist wenig hilfreich sind. Schadensanalysen konzentrieren sich meist auf eine detaillierte Beschreibung des Implantatzustandes nach Explantation (Abb. 1, 2, 3 und 4). Die Versagensursache damit zweifelsfrei festzustellen ist nur im Einzelfall möglich. Heutige Untersuchungstechniken sind in der Lage Oberflächenschäden quantitativ zu beurteilen (Heyse et al. 2011). Die Beschaffenheit des PE-Inlays kann hierdurch detaillierter beschrieben werden.
396
Neben der qualitativen Beurteilung des Abriebes (Abrasion vs. Delamination) kann eingeschränkt auch der quantitative Abrieb auf Ober- und Un-
T. Pfitzner et al.
terseite präzise bestimmt werden (Holleyman et al. 2015). Ebenso lassen sich Korrosionserscheinungen an modularen Verbindungen quantitativ untersuchen (Arnholt et al. 2014). Die Schadensursache allein aus diesen Daten abzuleiten, ist jedoch nahezu unmöglich. Dazu sind umfassende Informationen zu den Begleitumständen, klinischen und radiologischen Befunden, intraoperativen Befunden sowie zur Belastung des Implantates im Patienten entscheidend. Nur so kann eine Aussage zur wahrscheinlichen Ursache des Schadens getroffen werden. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung der vollständigen Dokumentation aller verfügbaren Informationen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Fokus der Ursachensuche ausschließlich auf dem Implantat selbst liegt und andere bedeutende Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben. " Schadensanalysen erlauben eine präzise
quantitative Beschreibung des Schadens. Ohne umfassende klinische, radiologische und biomechanische Zusatzinformationen ist eine Benennung der Versagensursache jedoch nahezu unmöglich. Daher kommt der umfassenden Befunddokumentation in diesen Fällen eine wichtige Bedeutung zu. Abb. 1 Bikondylärer Kniegelenkersatz mit ausgeprägter Polyethylen(PE)-Oxidation sowie mit im PE eingebetteten Metallpartikeln. Ursache nicht eindeutig bekannt
Registerdaten könnten zukünftig dabei helfen, Implantate oder Techniken, welche in der breiten
Abb. 2 Verschlissenes PE-Inlay mit Spuren von Drittkörperverschleiß und Grübchen-Bildung (Pitting). Ursache nicht eindeutig bekannt
Knieendoprothetik: Umgang mit Explantaten
Anwendung höhere Komplikationen als vergleichbare Produkte aufweisen, zu identifizieren und die entsprechenden Konsequenzen zum Schutz der Patienten zu ergreifen, selbst wenn die Schadensursache nicht eindeutig bestimmt werden kann.
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" Haftungsausschluss: Die Inhalte des Kapitels
sind mit größter Sorgfalt erstellt. Trotzdem kann keine Haftung für die Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität übernommen werden. Insbesondere haben die Inhalte allgemeinen Charakter und ersetzen keine Rechtsberatung.
3
Abb. 3 Schaftbruch einer Revisions-Knieendoprothese. Ursache unbekannt
Abb. 4 Gebrochenes PEEK-Schloss einer gekoppelten Knieendoprothese. Ursache unbekannt
Fazit fu¨r die Praxis
In jeder operieren Einrichtung sollte ein standardisiertes Vorgehen für den Umgang mit Explantaten vorliegen. Der Patient als Eigentümer des Explantates ist in den Entscheidungsprozess zwingend einzubeziehen. Verbleibt das Explantat in der operierenden Einrichtung, so muss dieses eindeutig zuordenbar sein sowie eine dauerhaft sichere und infektionsverhütende Aufbewahrung ist zu gewährleisten. Bei Verdacht eines Schadensfalles ist ein noch sorgfältigeres Vorgehen erforderlich, um eine Schadensprüfung zu ermöglichen.
398
Literatur Arnholt CM, MacDonald DW, Tohfafarosh M, Gilbert JL, Rimnac CM, Kurtz SM, C. Implant Research Center Writing, Klein G, Mont MA, Parvizi J, Cates HE, Lee GC, Malkani A, Kraay M (2014) Mechanically assisted taper corrosion in modular TKA. J Arthroplast 29(9 Suppl):205–208 Heyse TJ, Chen DX, Kelly N, Boettner F, Wright TM, Haas SB (2011) Matched-pair total knee arthroplasty retrieval analysis: oxidized zirconium vs. CoCrMo. Knee 18(6):448–452 Holleyman RJ, Scholes SC, Weir D, Jameson SS, Holland J, Joyce TJ, Deehan DJ (2015) Changes in surface topography at the TKA backside articulation following in vivo service: a retrieval analysis. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 23(12):3523–3531
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Ergebnisse der Knieendoprothetik Christian Sta¨rke, Marcus Klutzny und Christoph Hubertus Lohmann
Inhalt 1
Revisionsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
2
Fixation/Zementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
3
Implantatpositionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
4
Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
5
Weichteilmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
6
Outcome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406
7
Retropatellarersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
8
Geschlechtsunterschiede und genetische Varianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
9 Partialersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 9.1 Unikondyläre Prothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 9.2 Patellofemoralersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 10
Psychogene Einflüsse auf das Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
11
Fazit für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
Die Ergebnisse der Knieendoprothetik sind von multiplen Faktoren abhängig und können durch verschiedene Verfahren gemessen werden. Entscheidend für den einzelnen Patienten bleibt aber insgesamt die Verbesserung der Lebensqualität mit
C. Stärke · M. Klutzny · C. H. Lohmann (*) Orthopädische Universitätsklinik Magdeburg, Magdeburg, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; [email protected]
einer möglichst langen Standzeit der Endoprothesen ohne Probleme, die über das Minimum von 10 Jahren weit hinausgehen sollte. In den letzten Jahren ist natürlich auch das Cost-Benefit-Verhältnis von bemerkenswerter Relevanz geworden, sodass durchaus unter heutigen DRG-Bedingungen und durch den Einfluss der Krankenhausverwaltungen bei der Einkaufsentscheidung auf die Implantatqualität geachtet werden muss. Ebenfalls von entscheidender Bedeutung für das Ergebnis der Knieendoprothetik ist die
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 D. C. Wirtz et al. (Hrsg.), Endoprothetik des Kniegelenkes, AE-Manual der Endoprothetik, https://doi.org/10.1007/978-3-662-65175-9_22
399
400
Qualität der technischen Durchführung der Operationen. In unserem Gesundheitssystem sind Mindestmengen eingeführt worden, die bereits messbar die Qualität der Versorgung verbessert haben sollen (Jeschke et al. 2019; Halder et al. 2020). In der Zukunft müssen auch diese Mindestmengenregelung und die Anzahl der Eingriffe hinterfragt werden, wenn diese Maßnahme nur für ganze Kliniken und nicht für einzelne Operateure gilt (Ärzteblatt online 28.5.2020). Neben der Möglichkeit funktionsdiagnostische Qualitätsparameter für die Effizienz-Beurteilung zu nutzen, wird seit geraumer Zeit die Befunddokumentation mit besonderem Augenmerk auf die Einbeziehung des Patientenempfindens zur Beurteilung der Behandlungseffizienz herangezogen. Frühere Scores berücksichtigen dabei überwiegend objektive Kriterien, während später entwickelte Instrumente subjektive Kriterien beinhalteten, welche zunehmend getrennt betrachtet werden (Noyes et al. 1983). Hinsichtlich der Lebensqualität nach endoprothetischer Versorgung des Kniegelenks hat der Short-Form (SF-36)-Fragebogen Bedeutung erlangt (Ware und Sherbourne 1992). Da dessen Reliabilität in Studien ausreichend belegt ist (Briard und Hungerford 1989; Ruta et al. 1994), wird er als führender PROM (Patient Reported Outcome Measures) eingesetzt. Daneben findet der WOMAC-Fragebogen (Western Ontario and McMaster Universities) als spezifisches valides Instrument für die Lebensqualität bei Osteoarthrose Verwendung (da Silva et al. 2014). Weitere klinisch bedeutende Instrumente sind der Oxford (Oxford Knee Score), EQ-5D (European Quality of Life Instrument), KSS (Knee Society Score) und KOOS (Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score) sowie der auf Validität geprüfte HSS (Hospital for Special Surgery Knee Rating Score) zur Evaluation der Funktion (Gore et al. 1986). Insgesamt kann die Lebensqualität der Patienten mit Knieprothese valide verbessert werden, was sich auch 6 Monate nach dem Eingriff und darüber hinaus fortzusetzen scheint. Neben verbesserter körperlicher Aktivität und Schlafqualität einschließlich dynamischen Gleichgewichts sind Schmerz und Funktion des Knies die wichtigsten Prädiktoren für eine verbesserte Lebensqualität,
C. Sta¨rke et al.
auch wenn die Funktion der von gesunden Patienten unterlegen bleibt. Negative assoziierte Faktoren sind Fettleibigkeit, fortgeschrittenes Alter, Komorbiditäten und anhaltende Schmerzen nach dem Eingriff (da Silva et al. 2014). Die grundlegenden Daten der Standzeiten in der Knieendoprothetik basierten dabei zunächst auf achsgeführten Modellen (Insall et al. 1979), wurden dann aber nach und nach durch das zunehmende Aufkommen neuerer Designs und Implantate (Stichwort: Oberflächenersatz, Monoschlitten usw.) und die vergleichende Analyse der Standzeiten, Komplikationen sowie Versagensursachen in ihrer Wertigkeit angeglichen (Sharkey et al. 2014). So berichten Blauth und Hassenpflug (1990) bei 497 gekoppelten Implantationen und einem Follow-up von 1–15 Jahren (Durchschnitt 45 Monate) von 89 % der Primärprothetik ohne Anzeichen von Lockerung (1,2 %) bzw. einer tiefen Infektion (3 %). Aufgrund dieser Ergebnisse forderten beide Autoren die Effektivität der gekoppelten Prothesen nicht anhand der Frühergebnisse der Erstimplantationen in der Frühphase der Endoprothetik zu beurteilen. Über ähnliche Ergebnisse berichtet Böhm mit einer Standzeit von mehr als 90 % der gekoppelten Prothesen nach 10 Jahren in der Swedish Knee Study und sogar über 94,4 % nach 20 Jahren (Böhm 2003; Böhm und Holy 1998). Auch Steckel et al. (2005) konnten mit 90,1 % nach 10 Jahren in einem Kollektiv mit 227 Patienten solche Resultate zeigen. Die aktuellen Zahlen des schwedischen Registers zeigen heute allerdings die weitestgehende Verdrängung der gekoppelten und achsgeführten Implantate in der Primärendoprothetik. Hinsichtlich der ungekoppelten Prothesen können Ranawat et al. über Standzeiten von bis zu 94,1 % nach 15 Jahren (1993) sowie Pavone et al. (2001) von 91 % nach 23 Jahren, mit Überlebensraten von 96 % nach bis zu 18 Jahren ohne aseptische Lockerung Melton et al. (2012) berichten. Auch kommen beispielsweise Buechel et al. (2001) und Callaghan et al. (2010) mit dem LCS Mobile Bearing System (Fa. DePuy) auf beachtliche 96,5 % bzw. 99,4 % Überlebensrate nach 20 Jahren.
Ergebnisse der Knieendoprothetik
401
Abb. 1 Indikationen für die Revision einer Knietotalendoprothese. (Robertsson et al. 2020)
Ähnliche Zahlen und Gesamt-Implantatüberlebensraten mit dem NexGen-System (Fa. Zimmer) nach mindestens 15 Jahren von 94,7 % bei Schiavone Panni et al. (2017), von 96,4 % und langfristigen klinischen Ergebnisse der GENESIS-II-Knieendoprothetik (Fa. Smith & Nephew) bei McCalden et al. (2017) und von 87 % nach bis zu 25 Jahren mit der Press-fit-Condylar(PFC)Knieprothese (Fa. DePuy) (Patil et al. 2015) zeigen hier sehr gute bis erstklassige Standzeiten auf. In neueren Analysen gepoolter Registerdaten aus Australien und Finnland gleicher Implantattypen, die genauer scheinen als die reine Betrachtung von Falldatenserien, zeigen Evans et al. (2019), dass die Standzeiten nach 25 Jahren ungefähr 82 % bei vollständigem Ersatz des Kniegelenks (TKA, totale Kniearthroplastik) und 70 % bei partiellem Kniegelenkersatz (UKA, unikompartimentelle Kniearthroplastik) betragen. Die Indikationen für eine Revision einer Knietotalendoprothese sind dabei jedoch immer von der zugrunde liegenden Arthropathie und dem gewählten Primärimplantat abhängig (Abb. 1).
1
Revisionsgru¨nde
Früh wurde bereits erkannt, dass die Lockerung der tibialen Komponente das besondere Problem der Knieendoprothetik darstellt (Böhm und Holy 1998). Bei einer Standzeit von 94,6 % nach 15 Jahren mit guten klinischen Ergebnissen konnten Ranawat et al. (1993) nach 11 Jahren radiologisch tibiale Lysesäume in 72 % nachweisen, die in Abhängigkeit zum Körpergewicht stehen (Hamoui et al. 2006). Dabei schwanken die Lockerungsraten tibial von 0,53 % (femoral 0,35 %) bei Windsor et al. (1989) bis zu deutlich höheren Raten, z. B. 7 % bei Ducheyne et al. (1978). Bei älteren Modellen wurde als Grund für die hohe Bruch-, Lockerungs- und Infektionsrate eine unphysiologischen Kinematik bei nur einem Freiheitsgrad angesehen. Wie jedoch ist die Auslockerung insbesondere der tibialen Komponente bei Nachfolgemodellen mit wesentlichen mechanischen Vorteilen gegenüber den älteren Modellen zu sehen?
402
C. Sta¨rke et al.
Abb. 2 Cumulative Revision Rate (CRR). (Robertsson et al. 2020)
Als Ursachen des Versagens der tibialen Komponente wurden nach Ducheyne et al. (1978) Wechselwirkungen am Knochen-Zement-Interface, Kollaps des trabekulären Knochens, Veränderungen des Alignments der unteren Extremität sowie Fehler in der Implantationstechnik der Prothesen (tibiofemorale Varusfehlstellung, Varusfehlstellung der tibialen Komponente, ausgedehnte tibiale Resektion) angesehen (Cameron und Hunter 1982). In In-vitroStudien konnte ein verstärktes Stress-Shielding in der Knochen-Kortikalis-Kontaktzone der proximalen Tibia bei Prothesen mit intramedullärem Stem als Ursache für eine aseptische Auslockerung gezeigt werden (Bourne und Finlay 1986). Bei zementierten Prothesen wiesen Ritter et al. (1994) den Einfluss der Zementiertechnik (Lavage vs. JetLavage und manuelles Einbringen des Zementes vs. Zementinjektion) auf eine Auslockerung der tibialen Komponente nach. Die niedrigeren Revisionsraten von zementierten Prothesen durch verbesserte Material- und
Implantationstechniken spiegeln sich so auch in der deutlichen Reduktion der Cumulative Revision Rate (CRR) in diesem Jahrhundert wider (Abb. 2). Die dezidierten Gründe für die Veränderungen sind nach Angaben der Autoren letztendlich nicht fassbar. Am ehesten spielen hier die schon besprochenen Faktoren wie Implantatauswahl, OP-Methode und die Erfahrung des Chirurgen eine Rolle. Insbesondere die Untersuchungen der Radio Lucent Line (RLL) für den Progress einer Lockerung zeigten die Möglichkeit als Eintrittsportal für Abrieb mit Zunahme der RLL und Lyse bei zu stark belasteten im Gegensatz zu wenig belasteten Prothesen ohne Progress auf Basis einer fehlerhaften Zementiertechnik, z. B. Injektion in sklerotischen Knochen, auf (Smith et al. 1999). Auf die geringe klinische Validität der Radiolucency weisen Lundberg-Jensen et al. (2002) hin, indem sie nachwiesen, dass mit einer Lockerung
Ergebnisse der Knieendoprothetik
assoziierte RLLs bis Stärke von 2 mm, klinisch nicht relevant sind. Das Auftreten einer RLL mit einer Lockerung zu assoziieren, muss im Einzelfall also von einer vorhandenen bzw. nicht vorhandenen Klinik abhängig gemacht werden. Hieraus ergibt sich entsprechend das weitere Vorgehen. Weitere Versagensgründe sind der erzeugte Abrieb der meist verwendeten PE-Inlays, der trotz Fortschritten bei Polyethylenen (PE) zunächst in der Hüftendoprothetik nun auch zu verstärktem Interesse und Einsatz von hochvernetztem PE (HXLPE) bei der Knieendoprothetik (TKA) geführt hat. Sowohl Simulationsstudien als auch biomechanische Daten haben verbesserte Abriebeigenschaften und weniger Verschleiß und Oxidationsraten für HXLPE-Einsätze im Vergleich zu herkömmlichem Polyethylen (CPE) in TKA gezeigt. Die neueren Registeranalysen sind widersprüchlich. Sowohl kurz- bis mittelfristige klinische Studien konnten keinen signifikanten Unterschied zwischen HXLPE und CPE bei höheren Kosten durch Einsatz der hochvernetzten PE’s feststellen, sodass langfristige klinische Daten und weitere Studien zur Bewertung um die Rolle des Einsatzes von HXLPE-Einsätzen bei TKA erforderlich sind (Wilhelm et al. 2018); Partridge et al. (2020) favorisieren deshalb die mögliche Verwendung in bestimmten Gruppen mit „höherem Anspruch“, z. B. bei Patienten 35, und keinen routinemäßigen Einsatz, da nach einer maximaler Nachbeobachtungsdauer von 12 Jahren kein Gesamtüberlebensvorteil von HXLPE nachgewiesen werden konnte. Im Vergleich zu den klinischen Ergebnissen von vor 10 Jahren (Sharkey et al. 2002) deuten die aktuellen Daten ihrer Kohorte von 10.000 Patienten außerdem darauf hin, dass der Polyethylen-Verschleiß nicht mehr die Hauptursache für das Versagen von TKAs ist (Sharkey et al. 2014). Die gegenwärtig häufigsten Indikationen für Revisionen waren Lockerung (39,9 %), Infektion (27,4 %), Instabilität (7,5 %) und periprothetische Frakturen (4,7 %). So hat sich insgesamt die Häufigkeit von Lockerungen und Infektionen seit 2002 bei signifikanter Verringerung der Inzidenz
403
von Instabilität, Arthrofibrose und Fehlstellung beobachtbar erhöht und sich als Hauptversagensgrund etabliert.
2
Fixation/Zementierung
Ein weiteres entscheidendes Problem der Fixation der tibialen Komponenten ist die Struktur der proximalen Tibia: Diese besteht lediglich zu ca. 7 % aus kortikalem Knochen, zu ca. 35 % aus Spongiosa und zum Rest aus Fettmark bzw. blutbildendem Knochenmark. Deshalb ist die zementfreie Fixation der Tibia kritisch (Albrektsson et al. 1992). Gerade beim Oberflächenersatz des Kniegelenks hat sich die zementierte Verankerung der tibialen Komponente bewährt und wird von Lombardi et al. (2007) nach wie vor als Goldstandard in der endoprothetischen Versorgung bezeichnet, da verschiedene Studien, einzigartige Komplikationen wie die bereits zuvor behandelten Radio Lucent Lines (RLL), aseptische Lockerungen durch Stress-Shielding, Osteolysen etc. bei zementfreien Implantationen beschrieben. Auch wenn verschiedene Studien ohne Zementierung über einen Beobachtungszeitraum von ca. 9 Jahren über das Auftreten von RLLs ohne Progress berichten (Costales et al. 2020), können Nakama et al. (2012) in ihrer CochraneAnalyse einen stabileren Knochen-ImplantatKontakt für zementierte Prothesen innerhalb der ersten 5 Jahre im Vergleich zu unzementierten Prothesen bei jedoch höherem Risiko einer zukünftigen aseptischen Lockerung als die zementfreie Fixierung belegen. Selbst bei jüngeren Patienten konnten hier dauerhaft gute Ergebnisse nachgewiesen werden (Diduch et al. 1997), welche aber auf der anderen Seite in der neueren Literatur keine Vorteile für die zementfreie oder die zementierte Verankerung der Komponenten bezüglich des klinischen Ergebnisses und Überlebensrate der Oberflächenersatzprothesen aufzeigen können (Franceschetti et al. 2017). Ebenso wenig führt die additive Schraubenfixierung bei zementfreier TKA zur erhöhten Standfestigkeit bzw. ist im Gegenteil sogar mit in Studien belegtem Risiko einer periprotheti-
C. Sta¨rke et al.
404
Tab. 1 Knietotalendoprothesen laut Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) 2019 im internationalen Vergleich. (Grimberg et al. 2019) Verankerungen bei TKA in Prozent (%) Australien Deutschland Zementiert 68 93 Zementfrei 11 1 Hybrid 12 5 Primärer Retropatellarersatz bei TKA in Prozent (%) Australien Deutschland Ohne Retropatellarersatz 33 89 Mit Retropatellarersatz 67 11 Anteil posterior stabilisierter Systeme bei TKA in Prozent (%) Australien Deutschland PosteriorStabilized-Systeme 23 19 Plattformtypen bei TKA in Prozent (%) Deutschland Niederlande Feste Plattform 84 91 Mobile Plattform 16 9
schen Osteolysebildung und Prothesenlockerung (Klutzny et al. 2019) verbunden. Ähnliche Beispiele über konstruktions- und designtechnische Fehlentwicklungen finden sich vielfach in der Literatur. Gill et al. (1999) berichten in ihrem 20-JahresFollow-up über keine nachweisbare Lockerung der femoralen Komponente, ebenso Melton et al. (2012) an 325 Patienten, die mit 432 unzementierten Prothesen versorgt wurden und eine Überlebensrate von 96 % ohne aseptische Lockerung aufwiesen. Auch Nam et al. (2019) konnten in ihrer randomisiert kontrollierten Studie durchschnittlich 2 Jahre postoperativ vergleichbare Ergebnisse zwischen zementfreier und zementierter Prothese eines Designs berichten, ohne dass aseptische Ausfälle beider Implantate auftraten. Tab. 1 zeigt, dass die häufigste Verankerungsform im internationalen Vergleich nach wie vor die zementierte Form ist (Quelle: EPRDJahresbericht 2019).
3
Implantatpositionierung
Von besonderer Bedeutung ist neben der Fixation die Positionierung der Implantatkomponenten (Ecker et al. 1987; Fisher et al. 2007). Da die
England 95 2 1
Niederlande 93 4 3
Schweden 93 7 0
Niederlande 80 20
Schweden 98 2
USA 8 92
England
Niederlande
Schweden
USA
23
60
9
52
England 96 3
USA 91 9
Kontaktspannungen, die im Rahmen der Lastübertragung auf die Prothese auftreten, im Wesentlichen von der Form der Berührungsflächen abhängen, muss diese Geometrie der Kontaktflächen bei allen Gelenkbewegungen berücksichtigt werden. Bei Belastungen der Prothese mit einem Varus- und Flexionsmoment, erfolgt die Lastaufnahme ausschließlich auf dem medialen Kompartiment, im Extremfall kann ein lateraler Spalt von bis zu 5 mm entstehen (Burstein und Wright 1997). Rousseau et al. (2008) beschrieben aufgrund der eigenen Ergebnisse 6 mechanische Problemzonen beim Vorliegen eines prothetischen Frühversagens: • • • • • •
Malalignment in der Frontalebene, sagittale Malpositionierung, axiale Malrotation, schlechte Knochenfixation, unpassendes Ligament-Balancing, unpassendes Niveau des Gelenkspaltes.
Auf die Problematik des Malalignments mit Achsfehlern in Valgus-/Varusstellung und dem Prothesenversagen schon bei niedrigen Belastungen durch eine exzentrische Lastaufnahme mit Überlastung des sog. Bonestocks wiesen bereits Bargren et al. (1983) hin.
Ergebnisse der Knieendoprothetik
Hinsichtlich der Rotationsmalposition fanden Assor und Aubaniac (2006) eine veränderte Translationsbewegung mit entsprechend veränderter Kontaktfläche, vermehrter PE-Abrasion und exzessiven Druckbelastungen auf dem medialen Plateau. Dieses Prothesenversagen aufgrund technischer Fehler zeigten Bonnin et al. (2000) in 36 % ihrer Fälle auf. Des Weiteren zeigen osteoarthritische Knie eine große Variation in der Ausrichtung der gesamten koronaren Gliedmaßen als auch in der Ausrichtung des femoralen und tibialen koronaren Alignments. Gegenwärtige Ausrichtungsphilosophien für die Knieendoprothetik (TKA) und die präoperative Planung berücksichtigen diese Abweichungen nicht ausreichend, was ein Grund für schmerzhafte Knieprothesen sein könnte (Hess et al. 2019). Auf die Bedeutung der Korrektur der mechanischen Beinachse und die korrekte Positionierung der Prothesenkomponenten weisen auch Tingart et al. (2008) in ihrer Arbeit zum Einfluss der Navigation auf die Implantation hin. So erscheint eine Verbesserung der Ausreißer der Achsfehlstellung und der optimierten Komponentenpositionierung durch die Navigation möglich (Perlick et al. 2004). Inwieweit sich jedoch die verbesserten Implantationstechniken auf das Outcome auswirken, bleibt abzuwarten, da bislang der Nachweis über eine Verbesserung des klinischen Ergebnisses im Vergleich zur konventionellen Methode aussteht. Auch Bonutti et al. (2008); Seon et al. (2009); Molfetta und Caldo (2008) mit einem 5-Jahres-Follow-up und Kim et al. (2017) mit ihren 12-Jahresergebnissen fanden in den vergleichenden Studien keine Vorteile der Navigation im klinischen Outcome und empfehlen weitere Untersuchungen hinsichtlich der Langzeit-Prothesen-Überlebensrate, besonders auch aufgrund der Einschränkung der Spezifität durch Einsatz eines einzelnes Navigations- und Prothesensystems. Auch die Einführung patientenspezifischer Instrumentation bzw. Schnittblöcke (PSI) in die Knieendoprothetik brachte in der aktuellen Literaturanalyse keine Verbesserung der klinischen Ergebnisse noch liegen Langzeitdaten vor (Sassoon et al. 2015). Im Gegenteil ist der
405
PSI-Einsatz teurer und zeitaufwendiger (Kosse et al. 2018).
4
Kinematik
Die klinischen Ergebnisse bei Verwendung von Mobile Bearings oder Fixed Bearings waren in vergleichenden Studien in Bezug auf Funktion, Schmerz und Komplikationen ähnlich (Bhan et al. 2005; Lädermann et al. 2008), welches ebenso für die Verwendung im internationalen Vergleich gilt (Tab. 1; Abb. 3 und 4). Bei den Posterior-stabilisierten-Komponenten wird immer wieder die Bedeutung des hinteren Kreuzbandes betrachtet. In ihrem Review von 2006 beschreiben Grassmayr et al. (2007) bei Defizienz des hinteren Kreuzbandes eine vermehrte tibiale Translationsbewegung nach posterior, eine vermehrte Laxizität, erhöhte Drücke der Kontaktflächen sowie einen Verlust der Propriozeption, allerdings nach Studienlage ohne Evidenz eines Einflusses des Propriozeptionsverlustes auf Kraft und Kinematik sowie auf eine Aktivierung der kompensatorischen Muskelaktivität. Nach Swanik et al. (2004) kommt es nach Implantation einer Endoprothese zu einer Verbesserung der Propriozeption, Kinesthesie und Balance, was auf den Erhalt der kapsulären Strukturen, Schmerz- und Entzündungsminderung zurückgeführt wird. Ausdrücklich weisen die Autoren darauf hin, dass ein Erhalt des hinteren Kreuzbandes die Propriozeption und Balance im Vergleich zur Posterior-stabilisierten-Gruppe nicht signifikant verbessert. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Sathappan et al. (2006) und Hofmann et al. (2000), die den propriozeptiven Einfluss im Vergleich zu einer Gruppe mit ultrakongruenten Inlays untersuchten. In Bezug auf Langzeitergebnisse konnten Jorgensen et al. (2019) nach 15 Jahren im National Joint Replacement Register Australiens bei einer Gesamtkohorte von knapp 480.000 Fällen eine kumulierte prozentuale MAR (Major Aseptic Revision) von 3,0 % der Fälle nachweisen, wobei Fixed Bearings signifikant niedrigere Raten mit 2,7 % im Vergleich zu 4,1 % für Mobile Bearings aufwiesen. In ihren Schlussfolgerungen sehen sie
C. Sta¨rke et al.
406
Anzahl der Risikopaenten uneingeschränkt, fixiert uneingeschränkt, mobil Posterior-stabilisiert, fest Posterior-stabilisiert, mobil eingeschränkt, kondylär Monoblock Polyethylen Tibia
685,560 616,702 542,345 468,663 399,752 335,494 279,169 225,660 178,154 136,442 99,615 68,103 42,603 25,049 11,358 3,370 38,211 36,016 33,625 31,113 28,689 26,235 23,753 21,188 18,393 15,053 11,618 7,914 4,610 2,330 862 243 244,442 221,257 196,315 171,910 148,510 126,099 105,971 12,511 12,018 11,327 10.536 9,589 8.517 7,366
86,733 6,344
68,823 5,285
52,570 38,152 25,736 15,960 4,204 3,209 2,331 1,421
9,317 753
4,362 1,334 276
81
9,797
7,969
6,329
4,776
3,472
2,398
1,668
1,187
864
624
462
336
205
125
59
19
16,218
14,431
12,437
10,653
8.938
7,005
5,143
3.543
2,393
1,704
1,204
729
363
170
67
27
Abb. 3 Cumulative Revision Rate (CRR). ©National Joint Registry 2019. Mit freundlicher Genehmigung vom NJR. (Quelle: 16th Annual Report of the National Joint Registry for England, Wales, Northern Ireland and the Isle
of Man, page 123, https://reports.njrcentre.org.uk/Portals/ 0/PDFdownloads/NJR%2016th%20Annual%20Report% 202019.pdf)
ein jüngeres Patientenalter (MAR 7,8 % bei Patienten