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German Pages 431 [432] Year 2000
STEFAN UNGER
Eisen und Stahl für den Sozialismus
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer
Band 61
Eisen und Stahl für den Sozialismus Modernisierungs- und Innovationsstrategien der Schwarzmetallurgie in der DDR von 1949 bis 1971
Von
Stefan Unger
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Unger, Stefan:
Eisen und Stahl für den Sozialismus: Modemisierungs- und Innovationsstrategien der Schwarzmetallurgie in der DDR von 1949 bis 19711 von Stefan Unger. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Bd. 61) Zug!.: Bochum, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09500-6
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-09500-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
e
Vorwort Hiennit danke ich all jenen, die aktiv-unterstützend oder passiv-erleidend zum Entstehen dieser Arbeit beigetragen haben. Damit gilt mein Dank insbesondere den Betreuern meiner Dissertation, Herrn Prof. Dr. Dietmar Petzina (Ruhr-Universität Bochum) und Herrn Prof. Dr. Werner Plumpe (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt), der Deutschen Forschungsgemeinschaft :für die Förderung des zugrunde liegenden Forschungsprojekts im Rahmen ihres Schwerpunktprogramms "Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1945" sowie Herrn Prof. Drs. Wolfram Fischer :für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe "Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte". Den Kollegen vom Bochumer Arbeitskreis :für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte verdanke ich durch ihre anregende Diskussions- und Streitkultur in vielerlei Hinsicht Impulse und Motivation bei der Durchführung der vorliegenden Untersuchung. Darüber hinaus bedanke ich mich ganz besonders herzlich bei Frau Jutta Struckmeyer, die am intensivsten unter der Beschäftigung mit der Eisen- und Stahlindustrie der DDR zu leiden hatte und die mich in jeder Phase des Entstehens dieser Arbeit aktiv und passiv unterstützte. Der VfL Bochum diente mir schließlich stets als ein lebendiges Beispiel dafür, daß Erfolg nicht alles ist. Bochum, März 2000
SIe/an Unger
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Einleitung
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Zweiter Teil Die allgemeinen Innovationsbedingungen in Planwirtschaften: Handlungsbeschränkungen und -spielräume technologischer Modernisierung in der sozialistischen Wirtschaftsordnung
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I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb .................................................. 39
1. Die Bedeutung des Wettbewerbsmec:hanismus fi1r die Hervorbringung neuer Kombinationen ................................................................................................ 39 2. Mechanismen \Uld Folgen der Eliminier\Ulg des Wettbewerbs in der sozialistischen Wirtschaftsordn\Ulg ............................................................................... .46 II. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordn\Ulg .................................... 53 1. Die Property Rights des sozialistischen Wirtschaftssystems ............................. 54
2. Exkurs: Das Pramiensystem in der UdSSR. ...................................................... 57 3. Die Anreizstruktur des Plan\Ulgsmec:hanismus ................................................. 65
m. Das Preissystem der klassischen sozialistischen Wirtschaftsordn\Ulg ...................69 1. Der Stellenwert und die Funktion des Preismechanismus................................ 70
2. Das allgemeine FunktionsdefIZit der angebotsorientierten Festpreise .............. 73 3. Die relative Rentabilität alter \Uld neuer Produkte .......................................... 76 IV. Mangelwirtschaft \Uld Defizite des Zuliefersystems ............................................ 83 1. Innovation \Ulter den Bedingungen der Mangelökonomie ................................ 85
2. Die institutionellen Gf\Uldlagen der Mangelökonomie: Weiche Budgetbeschränkungen im staatlichen Sektor ................................................................ 92
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InhaltsveIZeiclmis
Dn'tter Teil Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie vom Beginn der fünfziger Jahre bis zum Kriseneinbruch 1975
102
I. Wachstwn und regionale AusdifferenziefWlg der Stahlbranche seit den fllnf-
ziger Jahren ......................................... ~ ............................................................. 106 1. Die quantitative Dimension: Die Entwicklung von Stahlproduktion, -ver-
brauch und -handel ......................................................................................... l 06 2. Die regionale Dimension: Wachstwn und Außenhandel der Stahlindustrie des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, der westlichen Marktwirtschaften und der Schwellen- und EntwicklungsIlInder ............................................. 113
n. Einftlhrung und Diffusion neuer Technologien und Produkte ............................. 120 1. Die technologische Dimension ....................................................................... 120 2. Die Produktdimension: Struktureller und qualitativer Wandel des Produktsortiments der Eisen- und Stahlindustrie ... ~ .................................................... 136 m. Zusanunenfassung ............................................................................................ 143
Vierter Teil Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie von der Gründung der DDR bis zum Abbruch der Wirtschaftsreformen 1970nll
147
I. Quantitative Entwicklungstrends der Eisen- und Stahlindustrie der DDR ............ 148
1. Produktion und Investitionen .......................................................................... 14 8 2. Verbmuch und Außenhandel .......................................................................... 151
n. Qualitative Entwicklungstrends der Eisen- und Stahlindustrie der DDR. ............ 155 1. Die Produktionstechnologie ......................................... :................................. 156 2. Das Produktsortiment .................................................................................... 160 3. Die Arbeitsproduktivität ................................................................................ 162
Fanfter Teil Die wirtschafts- und industriepolitischen Weichenstellungen im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie zwischen 1945 und 1971
169
I. Demontage und proportionaler Neuaufbau der Schwanmetallurgie
bis zum ,,Neuen Kurs" 1953 ............................................................................... 171
Inhaltsverzeichnis 1. Die Demontage und der Beschluß zum Wiederaufbau bis zur Verkündung des Zweijahrplanes für die Jahre 1949/50 ...................................................... 172 2. Der Beginn des planmäßigen Aufbaus der Eisen- und Stahlindustrie im Zwei-jahrplan und Probleme seiner Realisierung ........................................... 176 3. Die forcierte Expansion der Schwanmetallurgie im Zuge des 1. Fünfjahrplans für die Jahre 1951-1955 ...................................................................... 182 4. Die Krise 1952/53 - Eskalation und Scheitern des beschleunigten Aufbaus der Schwanmetallurgie der DDR ................................................................... 191 II. Die Schwanmetallurgie zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe" (1953 -1958) ..................................................................................... 209 1. Die Konkretisierung der Wirtschaftspolitik des ,,Neuen Kurses" .................... 212
2. Der Abschluß des ersten Fünfjahrplanes unter dem ,,Neuen Kurs" ................. 217 3. Die Schwanmetallurgie unter dem zweiten Fünfjahrplan und die Entscheidung für die Konzeption der ,,II. Verarbeitungsstufe"..................................... 225 ill. Die Ausarbeitung und das Scheitern des Siebenjahrplans für die Jahre 1959 _ 1965 ................................................................................................................ 241
1. Die Konkretisierung des Modernisierungs- und Qualitätsprojekts der Schwanmetallurgie bis zur volkswirtschaftlichen Krise 1960 ....................... 241 2. Die "Störfreimachung" ................................................................................. 258 N. Die Ausarbeitung und Verabschiedung des ,,Programms zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der DDR" (1961 - 1963) ...................................... 270 1. Der Beschluß zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms und der Verlauf
der Programmformulierung bis zum Sommer 1962 ....................................... 270 2. Die Eskalation des Konflikts um das Metallurgieprogramm .......................... 280 3. Die Verabschiedung des Metallurgieprogramms im Präsidium des Ministerrates ......................................................................................................... 287 V. Die Eisen- und Stahlindustrie in der Phase der wirtschaftspolitischen Reformen - das ,,Neue Ökonomische System der Planung und Leitung" und das "Ökonomische System des Sozialismus" (1963 - 1971) .................................... 294 1. Die Schwanmetallurgie während der ersten Phase der Wirtschaftsreformen (1963 -1965) ............................................................................................... 299 2. Die zweite Phase des ,,Neuen Ökonomischen Systems" und das "Ökonomische System des Sozialismus": Die Kontroverse um das strategische Leitbild der Schwanmetallurgie ................................................................... 313
9
10
Inhaltsverzeichnis 3. Die durchgängige Kombinatsbildung in der Eisen- und Stahlindustrie und die wirtschaftliche Entwicklung der Branche in der zweiten Etappe des ,,Neuen Ökonomischen Systems" und im "Ökonomischen System des Sozialismus" (1966- 1969) .......................................................................... 328 4. Die Schwarzmetallurgie im Vorfeld des Abbruchs der Wirtschaftsreformen (1969 - 1971) .............................................................................................. 340
Sechster Teil Fazit: Die Schwarzmetallurgie der DDR im Spannungsfeld von historischen Bedingungen, Wirtschaftspolitik und sozialistischer Wirtschaftsordnung
349
Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................................... 365 Sachregister ......................................................................................................... 378 Tabellenanhang ................................................................................................... 388
Verzeichnis der Übersichten, Tabellen und Abbildungen im Text "Obersichten
Übersicht 1: Privatwirtschaftliehe Markt- Wld sozialistische Planwirtschaft .......... .36 Übersicht 2: Zentrale EntwicklWlgstrends der Stahlindustrie zwischen 1950 Wld 1975 ................................................................................................. 145
Tabellen
Tabelle 1:
Prllmien leitender Angestellter filr ein innovatives Wld ein nichtinnovatives Programm (in Relation zwn Grundgehalt in Prozent) ........ 61
Tabelle 2:
Betriebliche Rentabilitllt Wld neue Produkte am Beispiel ausgewahlter Betriebe der UdSSR (in %) ................................................... 77
Tabelle 3:
Kosten-. Preis- Wld Gewinnentwicklung eines Staubsaugennotors in der DDR ............................................................................................ 78
Tabelle 4:
Investitionen der Schwarzmetallurgie 1951- 1957 (Mio. DM) .......... 218
Tabelle 5:
Planauflagen Bruttoproduktion der Metallurgie 1954 -1958 (Steigerung zwn Vonnonat in Prozent) ............................................. 219 Abbildungen
AbbildWlg 1: Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe .................................. .335 Abbildung 2: Modernisierung der SM-Werke ...................................................... .336 Abbildung 3: Irnportsubstitution ........................................................................... 337
Abkünungsveneichnis ABI
Arbeiter- Wld Bauern-Inspektion
BGL
Betriebsgewerkschaftsleinmg
BPO
Betriebsparteiorganisation
DWK.
Deutsche Wirtschaftskorrunission
ECE
Economic Corrunission for Europe
EITA
European Free Trade Association
EKO
Eisenhüttenkombinat Ost
EMK
Erzbergbau, Metallurgie Wld Kali
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
HV
Hauptverwalnmg
LD
Linz-Donawitz-Verfahren
MDN
Mark der Deutschen Notenbank'
NÖS
Neues Ökonomisches System der PlanWlg Wld Leinmg der Volkswirtschaft
OECD
Organisation for Economic C~tion and Development
ÖSS
Ökonomisches System des Sozialismus
PB
Politbüro
PNT
Plan Neue Technik
RGW
Rat filr gegenseitige Wirtschaftshilfe
SAG
So\\jetische Aktiengesellschaft
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SKI(
So\\jetische Kontrollkorrunission
, Die offIZielle BezeichnWlg der Währung der DDR wurde mehrfach geandert: Die ab 1948 gültige BezeichnWlg ,,Deutsche Mark der Deutschen Notenbank" (DM) wurde 1964 in ,,Mark der Deutschen Notenbank" geandert. Von 1968 bis 1990 galt schlie~ lich die BezeichnWlg ,,Mark der DDR" (M). Im Text wird durchgängig die jeweilige zeitgenössische BezeichnWlg übernommen.
j\b~gsverzeichrüs
SM
Siemens-Martin-Verfahren
SMJ\D
Sowjetische Militaradministration in Deutschland
SPK
Staatliche Plankommission
UN
United Nations
VEB
Volkseigener Betrieb
VVB
Vereinigung Volkseigener Betriebe
VWR
Vo1kswirtschaftsrat
ZK
Zentralkomitee
ZKB
Zentrales Konstruktionsbüro der metallurgischen Industrie
ZKSK
Zentrale Kommission ftlr Staatliche Kontrolle
13
Bereits bei der Aufstellung des Zweijahrplans war klar zu erkennen, daß das Schwergewicht dieses Planes in der Konzentration aller Kräfte auf den Aufbau der Grundstoffmdustrie als die entscheidende Voraussetzung (sie! st. U.) filr die Entwicklung der Industriezweige lag. Damals, als der Zweijahrplan vom Partei vorstand unserer Partei beschlossen wurde, gab es ernsthafte Versuche einer demagogischen Gegenüberstellung der von der Partei vorgeschlagenen stärksten Konzentration auf die Entwicklung der Grundstoffmdustrie einerseits und der Forderung nach einem Erhöhen des Lebensstandards andererseits. Damals wurde versucht, eine wirtschaftliche Entwicklung aufZuzwingen, die den verstärkten und schnellen Aufbau der Schwerindustrie zurückstellte hinter die Entwicklung der Konsumgüterindustrie und detjenigen Wirtschaftszweige, die eine unmittelbare Beziehung zur Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung haben. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre haben jedoch gezeigt, daß die von der Partei angestrebte Schwerpun1ctbildung im Zweijahrplan richtig war. Hätten wir damals und während der ganzen Periode der Verwirklichung des Zweijahrplans das Hauptgewicht nicht auf die Grundstoffmdustrie und auf die Schwerindustrie gelegt, wären die heute sichtbaren Erfolge auch in der Verbesserung der Lebenshaltung nicht möglich gewesen. Heute sieht jeder, daß die von der Partei damals geforderte und durchgesetzte Politik die einzig richtige und mögliche Politik des Aufbaus aus eigener Kraft war und daß die Konzentration auf die Entwicklung der Schwerindustrie nicht etwa die Hebung des Lebensstandards beeinträchtigte, sondern im Gegenteil erst die Voraussetzungen dafilr schuf I
Erster Teil
Einleitung Die überraschende Öffnung der Berliner Mauer am 9.11.1989 leitete auf dramatische Weise das Ende der DDR sowie der Teilung Deutschlands und Europas ein. Neben den unmittelbaren politischen Konsequenzen markierte dieser Akt als einschneidendste Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte auch den Beginn der Historisierung der DDR, diese wurde ,in die Geschichte freigesetzt'. Nach mehr als vierzigjähriger Existenz des ersten deutschen "Arbeiter- und Bauernstaates" veränderten sich so auch die Perspektiven und I Redebeitrag des Ministers filr Industrie, Fritz Selbmann, auf dem III. Parteitag der SED im Juli 1950. Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (20. bis 24. Juli 1950 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin). 4. und 5. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1951, S. 102 - 107; hier: S. 102f
16
1. Teil: Einleitung
Bedingungen für die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit seiner Entwicklung. Gleichzeitig eröffnete das Ende der deutschen Zweistaatlichkeit grundlegend neue Frageperspektiven auf die deutsche Nationalgeschichte und die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. 2 Wenn dem Diktum generell zuzustimmen ist, daß der Umbruch von
1989/90 gravierende Auswirkungen auf die Art hat, "in der sich die Gegen-
wart zu ihrer Vergangenheit verhält" (Kocka), so führte der Fall der Mauer und die ein knappes Jahr später vollzogene deutsche Wiedervereinigung für die historische Forschung durch die Öffnung der DDR-Archive zunächst zu einer ungeahnten Flut an zuvor unzugänglichem Quellenmaterial. Während sich damit die Bedingungen für die Untersuchung der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte grundlegend verbesserten, begründete das schon bald als Zusammenbruch wahrgenommene Ende der DDR gleichzeitig die Gefahr einer verengt retrospektiven Wahrnehmung ihrer Genese seit 1949. In diesem Zusammenhang warnte nicht zuletzt Jürgen Kocka davor, die Geschichte der DDR ausschließlich als Vorgeschichte ihres Untergangs zu interpretieren und damit die Wahrnehmung verschütteter Handlungsalternativen und ungenutzter historischer Chancen durch die Wahl der Perspektive zu erschweren. 3 Auf der Grundlage dieser Überlegungen bleibt festzuhalten, daß die Perzeptionsmuster der historisch orientierten DDR-Forschung in den neunziger Jahren zweifelsohne durch die aktuellen Nachwirkungen der Wiedervereinigung Deutschlands geprägt wurden: Im Zusammenhang mit der fortdauernden ökonomischen Vereinigungskrise dürfte dabei die schon bald nach der Öffnung der Mauer einsetzende Ernüchterung über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der DDR und ihren Abstand zum ökonomischen Niveau der Bundesrepublik die Perspektive, von der aus insbesondere die Wirtschaftsgeschichte der DDR wahrgenommen wurde, geprägt haben. Nachgerade paradigmatischen Charakter rur die wachsende Erkenntnis über das ökonomische Gefälle innerhalb Deutschlands besitzen in diesem Zusammenhang die sukzessive nach unten 2 Kocka, Jürgen: Die Geschichte der DDR als ForschWlgsproblem. Einleitung, in: Kocka, Jürgen (Hg.): Historische DDR-ForschWlg. Aufsätze Wld Studien, Berlin 1993, S. 9 - 26; hier: S. 9 - 16. Ders.: Zur Lage der historischen DDR-ForschWlg, in: Kocka, JürgenlSabrow, Martin (Hg.): Die DDR als Geschichte. Fragen - Hypothesen - Perspektiven, Berlin 1994, S. 13 - 16. Der Titel dieses Sammelbandes bringt den Prozeß der rasch nach dem Ende ihrer staatlichen Existenz einsetzenden HistorisiefWlg der DDR prägnant zum Ausdruck. Fischer, Alexander: Zwölf Thesen zur Geschichte der SBZJDDR, in: Machtstrukturen Wld EntscheidWlgsmechanismen im SED-Staat Wld die Frage der Verantwortung, Bd. ll/4. Materialien der Enquete-Kommission ,,Aufarbeitung von Geschichte Wld Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen BWldestages), (hg. v.) Deutscher BWldestag, FrankfurtlMain 1995, S. 2994 - 3002. Weber, Hermann: EntwicklWlgsphasen der DDR-Geschichte, in: Machtstrukturen Wld EntscheidWlgsmechanismen im SED-Staat Wld die Frage der Verantwortung, Bd.ll/4, op. cit., S. 3003 - 3012. 3 J. Kocka, Die Geschichte der DDR als ForschWlgsproblem, S. 9 - 11.
1. Teil: EinleitWlg
17
korrigierten Schätzungen der Arbeitsproduktivität in der Industrie der DDR. 4 Insgesamt bedarf die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung und Erosion der DDR in besonderem Maße der Reflexion des zugrunde gelegten Standpunktes, von dem aus der Untersuchungsgegenstand wahrgenommen und interpretiert wird. Nach diesen einführenden Bemerkungen ist zu konstatieren, daß die historische Erforschung der DDR seit dem Beginn der neunziger Jahre in der Lage war, den verfiigbaren Kenntnisstand in einem insgesamt beachtlichen Ausmaß zu verbessern. Wenngleich noch viele Fragen unbeantwortet bleiben, so dokumentieren nicht zuletzt die nach 1990 erschienenen, überarbeiteten Überblicksdarstellungen zur politischen Geschichte der DDRs die grundlegend gewandelten Bedingungen der historischen Forschung. Gleiches gilt für den Bereich des staatlichen Repressionsapparates6, der aus naheliegenden Gründen auf besonderes Interesse stieß, aber auch für die zuvor in weiten Teile unzureichend erforschte Sozialgeschichte der DDR. 7 Auch im Bereich der Wirtschafts- und Industriegeschichte erlebte die Beschäftigung mit der Entwicklung in der DDR im Zuge ihrer Historisierung einen spürbaren Aufschwung. Dieser führte nicht zuletzt zu institutionellen Konsequenzen, die allerdings bislang zumeist temporären Charakter besaßen: Auf Empfehlung des Wissenschaftsrates wurde Anfang 1992 unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft u.a. der "Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien" (potsdam) gegründet8 , im selben Jahr richtete die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Schwerpunktprogramm "Wirtschaftliche Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel in Deutschland nach 1945" ein9, in dessen Umfeld auch die vorliegende Arbeit entstand. Schließ4 Ritschl, Albrecht 0.: An Exercise in Futility: East Gennan Economic Growth and Dec1ine, 1945 - 89. Discussion Paper No. 984, Centre for Economic Policy Research London, Juli 1994, S. 7ff. Wagener, Hans-Jilrgen: Zur Innovationsschwäche der DDRWirtschaft, in: Bähr, JohannesfPetzina, Dietmar (Hg.): Innovationsverhalten und EntscheidWlgsstrukturen. Vergleichende Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung im geteilten Deutschland 1945 - 1990, Berlin 1996, S. 21 - 48; hier: S. 2l. S Weber, Hennann: Die DDR 1945 - 1990,2., überarbeitete und erweiterte Auflage, München 1993. Diese Publikation bietet eine umfangreiche Bibliographie der neueren Literatur über die DDR. Staritz, Dietrich: Geschichte der DDR, erweiterte Neuausgabe, FrankfurtlMain 1996. 6 Beispielsweise: Werkentin, FaJco: Politische Stratjustiz in der Ära UJbricht, Berlin 1995. 7 Kaelble, HartmutIKocka, JilrgenlZwar, Hartmut (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994. Jessen, Ralph: Die Gesellschaft im Staatssozialismus. Probleme einer Sozialgeschichte der DDR, in: Geschichte und Gesellschaft, Jg. 21 (1995), S. 96 - 110. 8 J. Kocka, Zur Lage der historischen DDR-Forschung, S. 13ft: 9 Btihr, JohanneslPetzina, Dietmar: Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen in der Wirtschaft der Bundesrepublik und der DDR - Fragestellungen und Bilanz, 2 Unger
18
1. Teil: Einleitung
lich widmete die technikgeschichtliche Sektion des VDI ihre Jahrestagung 1996 der Diskussion des Themas "Technik im Systemvergleich. Die Entwicklung in der Bundesrepublik und der DDR".IO Folgten diese Beispiele einer komparativen Zielsetzung, aufgrund der die DDR vor allem am Maßstab der bundesrepublikanischen Entwicklung gemessen wurde, so widmete sich die vom Bundestag einberufene Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" ausschließlich der Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Entwicklung. Die inzwischen in einer 18 Teilbände umfassenden Edition vorgelegten Materialien der Kommission dokumentieren die Vielschichtigkeit und Breite der seit dem Ende der DDR geleisteten Forschungsarbeit auch für das Gebiet der Wirtschaftsgeschichte. 11 Vor diesem Hintergrund ergaben sich in spezifischen Teilbereichen der Wirtschafts- und Industriegeschichte bemerkenswerte neuere Forschungserträge, so daß der Kenntnisstand über die wirtschaftlichen Strukturen und Entwicklungen der DDR bzw. SBZ seit 1990 zum Teil entscheidend verbessert wurde. Zwar existiert auch zum jetzigen Zeitpunkt noch kein kanonisierter, in breit angelegten monographischen Studien dokumentierter, Forschungsstand, doch wurden nach einer anfänglichen Konzentration auf die ökonomischen Ursachen der politischen Wende in der DDRI2 schließlich auch auf breiterer Basis beachtliche Ergebnisse vorgelegt: Beispielsweise gilt dies für Naimarks umfassende Darstellung der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone l3 , die wie Karlschs und Buchheims Arbeiten zu Demontagen und Reparationszahlungen der DDR an die UdSSR I4 den bisherigen Wissensstand erweiterte und zum Teil relativierte. Darüber hinaus wurden auch in bezug auf die bereits zu Beginn der fünfziger Jahre einsetzende Wiederaufrüstung der DDR und ih-
in: 1. BährlD. Petzina (Hg.), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen, op. cit., S. 11 - 19; hier: S. 11. 10 Teilweise wurden die hier vorgetragenen Beiträge in einem Themenheft der Zeitschrift "Technikgeschichte" publiziert. Technikgeschichte, Bd. 63 (1996), H. 4. 11 Materialien der Enquete-Kommission ,,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), (hg. v.) Deutscher Bundestag, FrankfurVMain 1995. 12 Maier, Charles: Vom Plan zur Pleite. Der Verfall des Sozialismus in Deutschland, in: 1. KockaIM. Sabrow (Hg.), Die DDR als Geschichte, op. cit., S. 109 - 115. 13 Naimark, Norman M.: The Russians in Germany. A History ofthe Soviet Zone of Occupation, 1945 - 1949, Cambridge (Mass.)/London 1995. 14 Karlsch, Rainer: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZJDDR 1945 1953, Berlin 1993. Ders.: Kriegsschäden, Demontagen und Reparationen. Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Bd. llI2, op. cit, S. 1030 - 1069. Buchheim, Christoph (Hg.): Wirtschaftliche Folgelasten des Krieges in der SBZJDDR, Baden-Baden 1995.
1. Teil: Einleitung
19
re ökonomischen Implikationen entscheidende neue Einsichten erzielt. IS Einzelne Arbeiten überprüften die Tragfähigkeit des So\\jetisierungskonzepts (als Pendant der für Westdeutschland umstrittenen Amerikanisierung) für die Erforschung der Wirtschaftsgeschichte der DDR. 16 Einen gewissen Schwerpunkt der nach 1990 durchgeführten wirtschaftshistorischen Forschung bildete sodann die Innovations- und Modernisierungsgeschichte der ostdeutschen Industrie und die Erkundung der bis zu diesem Zeitpunkt konkret kaum ausgeleuchteten wirtschaftspolitischen Entscheidungsstrukturen. 17 Auch für den Bereich der in den sechziger Jahren im Zeichen des "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" durchgeführten Wirtschaftsreformen konnten grundlegend neue Einsichten gewonnen werden. 18 Als nach wie vor unbefriedigend ist hingegen der Forschungsstand zur infrastrukturellen und regionalwirtschaftlichen Entwicklung zu bezeichnen, wie auch verläßliche quantitative, "cliometrische" Untersuchungen ein weiterhin gültiges Postulat darstellen. Einen besondere Schwachstelle der historischen DDR-Forschung bildet schließlich das gesamte Feld der Unternehmens- und Branchengeschichte l9 , so daß es bislang an systematisch angelegten Studien, welche die Entwicklung einzelner Branchen über einen hinreichend langen Untersuchungszeitraum hinweg verfolgen, mangelt. Der eingangs angedeutete aktuelle Kontext der neunziger Jahre, Vereinigungskrise und Desillusionierungsschock über den ökonomischen Zustand der 15 Thoß, Bnmo (Hg.): Volksannee schaffen - ohne Geschrei. Studien zu den Anfängen einer "verdeckten Aufrüstung" in der SBZ-DDR 1947 - 1952, Oldenburg 1994. 16 Jarausch, Konrad/Siegrist, Hannes (Hg.): Amerikanisienmg und So\\jetisienmg in Deutschland 1945 - 1970, Frankfurt (Main)/New York 1997. Schröter, Hann G.: Perspektiven der Forschung: Amerikanisienmg und So\\jetisienmg als Interpretationsmuster der Integration. Freiberger Arbeitspapiere, Nr. 95/15, Juli 1995. 17 1. BährlD. Petzina (Hg.), Innovationsverhalten und Entscheidungsstrukturen. Roesler, Jörg: Einholen wollen und Aufholen müssen. Zum Innovationsverlauf bei numerischen Steuenmgen im Werkzeugmaschinenbau der DDR vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Entwicklung, in: J. Kocka (Hg.), Historische DDR-Forschung, op. cit, S. 263 - 285. Pirker, TheolLepsius, Rainer M./Weinert, RainerlHertle, HansHermann: Der Plan als Befehl und Fiktion - Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen, Opladen 1995. 18 Stein er, Andre: Die Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre. Konklikt zwischen EfflZienz- und Machtkalkül, Berlin 1999. Ders.: Abkehr vom NÖS. Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen 1967/68 - Ausgangspunkt der Krisenprozesse 1969/70?, in: Cerny, Jochen (Hg.): Brüche, Krisen, Wendepunkte. Neubefragung von DDRGeschichte, Leipzig/JenalBerlin 1990, S. 247 - 253. Roesler, Jörg: Zwischen Plan und Markt. Die Wirtschaftsreform in der DDR zwischen 1963 und 1970, Berlin 1991. Ders.: Das Neue Ökonomische System - Dekorations- oder Paradigmenwechsel? Hefte zur DDR-Geschichte, Nr. 3, Berlin 1993. 19 Eine gewisse Ausnahme bildet hier: Plumpe, WernerlKleinschmidt, Christian (Hg.): Unternehmen zwischen Markt und Macht. Aspekte deutscher Unternehmensund lndustriegeschichte im 20. Jahrhundert, Essen 1992.
20
1. Teil: Einleitung
DDR, kann ZU einem großen Teil erklären, warum der überwiegende Teil der nach 1990 publizierten Beiträge explizit oder implizit der Frage nachgeht, wie es zur maroden ökonomischen Lage der DDR im Vorfeld der Wende kommen konnte. Pointiert: Woran scheiterte die Wirtschaft der DDR? Die Mehrheit der vorliegenden Beiträge diskutiert demzufolge die Gründe für das ungenügende volkswirtschaftliche Wachstum, die strukturellen Verwerfungen, den niedrigen Stand der Arbeitsproduktivität sowie insbesondere die schleppende Innovation und Modernisierung. Dabei wird die Entwicklung der DDR zumeist mit der "Erfolgsgeschichte" der Bundesrepublik seit den fiinfziger Jahren kontrastiert. Die in diesem Kontext angebotenen Erklärungsmuster sind erwartungsgemäß ausgesprochen vielfältig. Unterstrichen wurde jedoch allgemein, daß die mangelnde Modernisierungs- und Innovationsleistung ein Schlüsselproblem der DDR darstellte: GutmannlKlein beispielsweise führten den wirtschaftlichen Niedergang der DDR zuvorderst auf die elementaren Konstruktionprinzipien der staatssozialistisch-planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zurück, wobei sie insbesondere das Volkseigentum, die spezifische Ausprägung der Nutzungs- und Verfügungsrechte, Informations- und Motivationsschwächen, das immanente Streben nach "weichen Plänen", Autarkietendenzen sowie die prekäre Synchronisierung von direkten Planauflagen und wirtschaftspolitischen Anreizen für die geringe ökonomische Leistungsfähigkeit der DDR verantwortlich machten. Ähnlich argumentierten Buchheim, der die Aufmerksamkeit darüber hinaus auf die "weichen Budgetbeschränkungen" der Betriebe lenkte, und Ritschl. 20 Hingegen fragten Wirtschaftshistoriker der Akademie der Wissenschaften der DDR im Rahmen einer kurz nach der Wende durchgeführten Tagung nach der Bedeutung der konkreten Wirtschaftspolitik für die ökonomischen Insuffizienzen: Steiner beispielsweise beschäftigte sich hier mit den Konsequenzen des Übergangs vom "Neuen Ökonomischen System" auf das erneut auf direktive Planung abgestellte "Ökonomische System des Sozialismus" in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, während Schwärzel die grundsätzlichen Probleme der rigiden wirtschaftspolitischen Konzentration auf einzelne Branchen und Technologien diskutierte. 21 Obwohl er prinzipiell sy20 Gutmann, GernotfKlein, Werner: Herausbildungs- und Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- und Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, in: Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Bd. II13, op. cit., S. 1579 - 1647; hier: S. 1641 - 1645. Buchheim, Christoph: Die Wirtschaftsordnung als Barriere des gesamtwirtschaftlichen Wirtschaftswachstums in der DDR, in: Vierteljahresschrift filr Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 82 (1995), H. 2, S. 194 - 210; hier: S. 207 - 210. A. Ritschl, East German Economic Growth and Decline, 1945 - 89, S. 44f. 21 A. Stein er, Abkehr vom NOS, S. 247, 252f. SchwtJrzel, Renate: Beginn einer Strukturkrise? Investitionspolitik und wissenschaftlich-technischer Fortschritt, in: 1. Cemy (Hg.), Brüche, Krisen, Wendepunkte, op. cit., S. 265 - 272; hier: S. 265f, 272.
1. Teil: Einleitung
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stemspezifische Defizite konzedierte, konzentrierte sich auch Roesler in mehreren Beiträgen auf die Wirtschaftspolitik von Partei und Staat, wobei er insbesondere auf die prekären Wirkungen der tiefen Zäsuren und häufig abrupten Kehrtwendungen verwies. 22 Hingegen betonte Karlsch die historische Anfangsbelastung der DDR durch Reparationen, Demontagen, deutsche Teilung und Abwanderung der Wirtschaftseliten, die sich seiner Meinung nach im weiteren Verlauf mit den ungünstigen Wirkungen des Wirtschaftssystems und der Strukturpolitik verschränkten. 23 Geyer wiederum führte vor allem die dominierenden (impliziten) ökonomischen Leitbilder und Grundorientierungen der Industriepolitik zur Erklärung der wirtschaftlichen Leistungsdefizite ins Feld; die DDR-Führung habe durchgängig so agiert, als ob ihr Bezugspunkt nicht die DDR, sondern Großdeutschland gewesen sei. 24 Im Bereich der Technikgeschichte riet Braun schließlich dazu, bei der Auseinandersetzung mit den divergenten Prozessen innerhalb Deutschlands die Vorstellungen einer starren Systemdetenniniertheit wirtschaftlichen Handeins zu überwinden und auch für die DDR von prinzipiell vorhandenen Entscheidungsspielräumen auszugehen. 25 Eine weitere Gruppe von Autoren ging schließlich den ökonomischen Implikationen des politischen Herrschaftssystems nach, das hier in erster Linie als monopolistische Herrschaft der sozialistischen Staatspartei definiert wurde. Angestrebt wurde auf diesem Wege die Integration der Analyse von realsozialistischer Wirtschaftsordnung und autoritären Entscheidungsstrukturen in einer vergleichsweise breit angelegten Perspektive: So formulierten etwa Bauerkämper, Ciesla und Roesler die Hypothese, die im politischen System der DDR fehlenden parteiexternen Kontrollinstanzen bei zentralstaatlichem Selektionsmechanismus für Innovationen hätten eine suboptimale Korrekturkapazität mit fatalen Wirkungen etwa für die Technologiepolitik zur Folge gehabt. 26 Ähnlich argumentierte Radkau, demzufolge sich die "technizistische Ideolo22 J. Roesler, Einholen wollen Wld Aufholen müssen, S. 282 - 285. Ders., Zwischen Plan und Markt, S. 156 - 162. Ders.: Auf der Suche nach den Ursachen realsozialistischer Innovationsschwäche. Zur Problematik der Nutzung innovationstheoretischer ErklärWlgsansätze filr ForschWlgen zur Innovationsgeschichte der DDR, in: Utopiekreativ, Nr. 25/26 (1992), S. 151 - 159; hier: S. 158f. 23 R. Kar/seh, Allein bezahlt, S. 227f, 233ff, 237 - 240. 24 Geyer, Michael: Industriepolitik in der DDR. Von der großindustriellen Nostalgie zum Zusammenbruch, in: 1. Kocka/M. Sabrow (Hg.), Die DDR als Geschichte, op. cit., S. 122 - 134; hier: S. 128 - 134. 25 Braun, Hans-Joachim: Technik im Systemvergleich. Die Entwicklung in der BWldesrepublik Wld der DDR, in: Technikgeschichte, Bd. 63 (1996), H. 4, S. 279 - 283. 26 Bauerktimper, Arnd/Cies/a, Burghard/Roes/er, Jörg: Wirklich wollen Wld nicht richtig können. Das Verhältnis von Innovation Wld Beharrung in der DDR-Wirtschaft, in: 1. Kocka/M. Sabrow (Hg.), Die DDR als Geschichte, op. cit., S. 116 - 121; hier: S. 119.
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gie" in der DDR aufgrund fehlender Frühwarnsysteme und Korrektive anders als im Westen ungehindert habe entfalten können und nahezu ungebremst auf die reale Wirtschaftspolitik durchgeschlagen sei. 27 Weinert schließlich erklärte die fiir die DDR allgemein konstatierte Tendenz zur Entdynamisierung und Reformunfähigkeit mit dem unangefochtenen Primat der Parteipolitik und der "Kompetenzkompetenz" der SED, die aufgrund der gewollten Eliminierung autonomer Zentren der politischen und gesellschaftlichen Willensbildung auf wirkungsvolle Korrekturinstanzen verzichten mußte.28 Allein dieser knappe Überblick verdeutlicht die verwirrende Vielfalt von Erklärungsmustern und Interpretationsangeboten, mit denen die wirtschaftshistorische Forschung die Genese der nach der deutschen Wiedervereinigung evident werdenden wirtschaftlichen Fehlentwicklungen in der DDR zu historisieren und erklären suchte. Eine Möglichkeit zur Systematisierung dieser Angebote bietet die Unterscheidung nach abstrakten Faktorenkomplexen, auf welche die Entwicklung in der DDR dabei zurückgeführt wird. Zusammengefaßt handelt es sich hierbei um drei Größen: a) die historischen Ausgangsbedingungen ("schlechter Start") und Widrigkeiten ("schlechter Lauf'); b) die konkrete Wirtschaftspolitik; c) das Wirtschaftssystem. Dabei kann festgehalten werden, daß die konkrete Gewichtung dieser Faktoren für spezifische historische Zeiträume und Untersuchungsgegenstände in den Diskussionsbeiträgen durchaus stark variierte, die vorgeschlagenen Erklärungen lassen sich jedoch ausnahmslos diesen drei Einflußgrößen zuordnen. Insgesamt ist eine Tendenz zur Betonung der Wirkungen des Wirtschaftssystems festzustellen, die nicht zuletzt durch die wachsende Erkenntnis ähnlicher ökonomischer Defizite in sämtlichen Staaten Mittel- und Osteuropas unterstrichen wurde. Einen Versuch zur konzeptionellen Strukturierung der Diskussion um die Bedeutung von Ausgangsbedingungen, Wirtschaftspolitik "und Wirtschaftssystem unternahm Wagener, der fiir eine Rückbindung der im historischen Verlauf betriebenen Wirtschaftspolitik an die Strukturen des Wirtschaftssystems plädierte: Ungeachtet der im einzelnen vorhandenen Handlungsspielräume bedinge das Wirtschaftssystem je spezifische wirtschaftspolitische Entscheidungsmillieus und Sachzwänge, die bis hin zu sogenannten locked-in Situationen, die aufgrund der Vorgeschichte einer Entscheidung keine bessere Alternative zulassen, reichen könnten: Dem Verweis des kapitalistischen Unternehmers auf den "Sachzwang" zur Entlassung von Arbeitskräften entspreche somit etwa das 27 Radkau, Joachim: Revoltierten die Produktivkräfte gegen den real existierenden Sozialismus? Teclmikhistorische Anmerkungen zum Zerfall der DDR, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Jg. 5 (1990), H. 4, S. 13 - 42; hier: S. 16, 21f, 31, 35. 28 Weinen, Rainer: Wirtschaftsfllhrung unter dem Primat der Parteipolitik, in: T. PirkerlR. Lepsius/R. Weinen/H.-H. Henle, Der Plan als Befehl und Fiktion, op. cit, S. 285 - 308; hier: S. 287fT, 306tf
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Argument, der Ausbau der Schwerindustrie der DDR sei "objektiv" unumgänglich gewesen (siehe Zitat oben).29 Wenngleich Wagener diese Überlegungen lediglich als Anstoß für kommende Untersuchungen formulierte und auf eine weitergehende Operationalisierung und Konkretisierung verzichtete, verweisen sie doch auf die Notwendigkeit, bei der wirtschaftshistorischen Untersuchung der DDR - und ihrem Vergleich mit der Bundesrepublik - die Überwindung mehrerer benachbarter starrer Dichotomien anzustreben: System
~
Anlage
~
Struktur
~
Zwangslage
~
-+ Wirtschaftspolitik -+ Umwelt -+ Handlung -+ Wahlfreiheit
Dabei ist die Frage nach der relativen Bedeutung der jeweiligen Faktoren rur die reale wirtschaftliche Entwicklung der DDR, schon alleine aufgrund der nicht gegebenen Isolierbarkeit der einzelnen Größen letzten Endes nicht präzise zu beantworten. Eine Möglichkeit, die konkrete Gewichtung der Faktorenkomplexe im historischen Verlauf abzuwägen und überhaupt interpretierbar zu machen, bietet jedoch die Untersuchung der Entwicklung einzelner Industriebranchen über einen längeren Zeitraum hinweg, da vorausgesetzt werden kann, daß sich hier systemspezifische Einflüsse, Wirkungen des allgemeinen und technologischen Strukturwandels und Konsequenzen wirtschaftspolitischer Weichenstellungen in hinreichender Dichte auffinden und abwägen lassen. An diesem Punkt setzt die vorliegende Untersuchung der schwarzmetallurgischen Industrie der DDR an, die somit einen Beitrag zu Verbesserung des Forschungsstandes im Hinblick auf die Geschichte konkreter Industriebranchen der DDR leisten möchte. Die als Untersuchungsgegenstand ausgewählte "Schwarzmetallurgie", bzw. der Aufbau einer eigenen "schwarzmetallurgischen Basis" fungierte bis zum Ende der achtziger Jahre als ein identitätsstiftender Topos im offiziellen GTÜndungsmythos der DDR Beispielsweise beschrieb eine Ende der achtziger Jahre entstandene, jedoch nicht mehr publizierte, betriebshistorische Schrift den Wiederaufbau des Stahl- und Walzwerks Hennigsdorffolgendermaßen: ,,Der Anfang war schwer. Unter der Führung der seit dem 21. April 1946 vereinigten Partei der Arbeiterklasse - der SED - mußten die vom Faschismus hinterlassenen materiellen und geistigen Trümmer beseitigt werden. [... ]
45.
29
H.-J. Wagener, Zur hmovationsschwäche der DDR-Wirtschaft, S. 24 - 30, 37 -
24
1. Teil: Einleitung Zunächst fmgen 230 Arbeiter das Aufbauwerk an. An die Betriebsgruppe der SED unter Vorsitz von Fritz Benedix, an den Betriebsrat mit Franz Langowski an der Spitze und an Werkdirektor Willi Bochow mit dem Leitungskollektiv wurden hohe Anforderungen gestellt, den Wiederaufbau politisch und fachlich klug zu leiten. Tatkräftige und vielseitige Unterstützung gab ein sowjetisches Ingenieurkollektiv unter Leitung von Boris Gussew. Von ihren sowjetischen Klassenbrüdern lernten die Hennigsdorfer Stahlarbeiter auch die Anflinge der Wettbewerbsbewegung."3O
Dieselbe Tendenz offenbart auch das folgende Zitat: ,,Der Aufbau einer eigenen schwamnetallurgischen Produktionsbasis war nach 1945 auf dem Territorium der heutigen DDR zu einer Existenzfrage geworden. Mit der von den hnperialisten verursachten Spaltung kamen zu den Disproportionen, die sich aus der imperialistischen Entwicklung der Vergangenheit, aus der faschistischen Kriegswirtschaft und den Folgen des Krieges ergaben, noch eine Vielzahl weiterer hinzu. [... ] Der Aufbau des EKO, in dem mit sowjetischem Erz und polnischem Koks deutscher Friedensstahl erschmolzen wird, wurde zum Sinnbild der sich in den späteren Jahren immer enger gestaltenden Zusammenarbeit der DDR mit der UdSSR und anderen Ländern des RGW. ,,:11 Wie diese Passagen bereits andeuten, konnte der Aufbau der Stahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg eine nicht unwesentliche Funktion für die geschichtsbezogene Identitätsvermittlung einnehmen, da an ihrem Beispiel gleich mehrere essentielle ideologische Stereotype veranschaulicht werden konnten: 1. Der siegreiche Kampf gegen "imperialistische Störmanöver" und die Überwindung der Folgen der Teilung Deutschlands durch die Schaffung einer schwarzmetallurgischen Grundlage unter widrigen Bedingungen. 2. "Heroische" Aufbauwerke der Arbeiterklasse (selbstverständlich unter Führung der SED). 3. "Brüderliche" sozialistische Zusammenarbeit vor allem mit der Sowjetunion. Auf dieser Grundlage diente der historische Bezug auf die frühe Geschichte der Schwarzmeta11urgie der SBZJDDR immer wieder dazu, das Leitmotiv des "Auferstanden aus Ruinen" historisch zu illustrieren. 32
30 Daniel, Alfred: Wilhelm Florin lebt in den Taten der Hennigsdorfer Stahlarbeiter. Abriß der Betriebsgeschichte des VEB Stahl- und Walzwerk "Wilhelm Florin" Hennigsdorf, o. 0., o. D., S. 4 . . 31 Wunderlich, Hans-Joachim: Zur Entwicklung der Schwarzmetallurgie der DDR, in: Zeitschrift f\lr den Erdkundeunterricht, Jg. 26 (1974), H. 4, S. 129 - 137; hier: S. 130. 32 Zur Darstellung der Gründungsgeschichte der Schwarzmetallurgie und ihrer wirtschaftspolitischen Begründung in wissenschaftlichen Beiträgen siehe beispielsweise: Mühlfriedel, WolfganglWießner, Klaus: Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, Berlin (Ost) 1989, S. 218 - 223. Hartmann, UlrichlMUhlfriedel, Wolfgang: Zur Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, in: Jahrbuch ftlr Wirtschaftsgeschichte, Sonderband: Industriezweige in der DDR 1945 bis 1985, Berlin (Ost) 1989, S. 271 - 286. Stresow, Friedhelm: Der Beitrag der Stahl- und Walzwerker von Brandenburg zum Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der
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Die im folgenden untersuchte schwarzmetallurgische Industrie der DDR war in westlicher Terminologie identisch mit der Eisen- und Stahlindustrie, beide Begriffe werden deshalb durchgehend synonym verwandt. Diese umfaßt die aufeinander aufbauenden Produktionsstufen der Roheisen- und Rohstahlerzeugung, der Warmverfonnung sowie der sich an diese unmittelbar anschließenden Weiterverarbeitungsstufen. Grundsätzlich ausgeklammert wird aufgrund dieser Begriffsbestimmung die Gewinnung der in die Hochöfen eingesetzten Rohstoffe, auf die lediglich in AusnahmeflilIen eingegangen werden wird. Eine besondere Bedeutung erhielt in diesem Zusammenhang der Begriff der "zweiten Verarbeitungsstufe" als Schlüsselkategorie der im Verlauf der fünfziger Jahre entwickelten Konzeption der produktionsstrukturellen Branchenspezialisierung. Wenngleich die konkrete Definition der zweiten Verarbeitungsstufe im historischen Verlauf durchaus nicht immer kongruent war, so wurden hierunter allgemein jene Produktionsstufen verstanden, die sich an die Phase der Warmbearbeitung, v.a. in Walzwerken, anschlossen. Diese Weiterverarbeitung der Stahlprodukte dehnte den Bereich der Eisen- und Stahlbranche bis unmittelbar an die Grenze der stahlverarbeitenden Industriezweige aus, so daß die zweite Verarbeitungsstufe im folgenden auch als "Produktionsendstufe" bzw. "endproduktionsnahe Fertigung" (der Schwarzmetallurgie) bezeichnet wird. 33 Den Untersuchungsgegenstand im engeren Sinne bildet die auf die Schwarzmetallurgie bezogene Industriepolitik der DDR ("Branchenpolitik"), wobei die Rekonstruktion und Diskussion der industriepolitischen Konzepte, d.h. der Vorgaben für die als wünschenswert erachtete Entwicklung der Branche, im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Angesprochen werden zu diesem Zweck insbesondere die branchenpolitischen Leitbilder entlang der Achse "proportionale Entwicklung der Branche" versus "Spezialisierung auf die zweite Verarbeitungsstufe". Darüber hinaus soll schließlich die Problemwahrnehmung, die den branchenpolitischen Leitbildern zugrunde lag, untersucht werden, wobei vor allem diskutiert wird, inwiefern das, in der theoretischen Diskussion durchgängig angeführte, Modernisierungs- und Innovationsdefizit sozialistischer Planwirtschaften von den historischen Akteuren überhaupt als Problem perzipiert wurde. Als für die Eisen- und Stahlindustrie entscheidende institutionelle Akteure treten in erster Linie die Sozialistische Einheitspartei mit ihren oberen Leitungsorganen und der zuständigen Abteilung des zentraDDR 1949 - 1961, Dissertation (A), Pädagogische Hochschule ,,Karl Liebknecht" Po~drun, 1985,S. If. 33 Das Handbuch der Schwarzmetallurgie faßte 1979 folgende Produkte unter der ,,zweiten Verarbeitungsstufe" zusammen: Stahlrohre insgesamt, Kaltband, gezogener Stahldraht, kaltgewalzte Bleche. Siehe: Rationalisierungsbetrieb Leipzig im VEB Zentraler Ingenieurbetrieb der Metallurgie Berlin (Hg.): Handbuch Schwarzmetallurgie. Technisch-wirtschaftliche Kennziffern, Leipzig, 8.5.1979, BI. 12.
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len Parteiapparats sowie die oberen Hierarchieebenen der staatlichen Administration (Staatliche Plankommission, Fachministerium. Volkswirtschaftsrat etc.) in Erscheinung. Auf der mittleren Ebene des Staatsapparates wird darüber hinaus die Vereinigung Volkseigener Betriebe Stahl- und Walzwerke sowie schließlich an verschiedenen Punkten die betreffenden Volkseigenen Betriebe und Organe der Forschung und Entwicklung in die Betrachtung einbezogen. 34 Mit dieser Bestimmung des Untersuchungsgegenstands ist der Schwerpunkt der folgenden Arbeit auf der Branchenebene, d.h. der mittleren Untersuchungsebene angesiedelt. Abgerundet wird das Vorgehen durch die theoretisch orientierte Diskussion grundlegender Strukturen des Wirtschaftssystems der DDR (Metaebene) sowie die Darstellung der sich nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierenden globalen Wandlungsprozesse der Stahlindustrie (Makroebene). Hingegen wird die Entwicklung auf der betrieblichen Ebene (Mikroebene) nicht durchgängig verfolgt, allerdings werden die konkreten werksbezogenen Folgen der branchenbezogenen Industriepolitik an den entsprechenden Punkten angesprochen. Im abschließenden Teil sollen die Ergebnisse zudem auf ihre Implikationen für die betriebliche Ebene befragt werden. Zusammengefaßt wird somit anband der Schwarzmetallurgie exemplarisch gefragt, wie sich die systemspezifischen Handlungsbeschränkungen des Wirtschaftssystems, der weltweite strukturelle und technologische Wandel der Stahlerzeugung, kontingente historische Umstände und allgemeine wirtschaftspolitische Vorgaben in der Entwicklung einer konkreten Branche niederschlugen und wie diese Faktoren von den relevanten zeitgenössischen Akteuren wahrgenommen, aufgegriffen und umgesetzt wurden. Auf einer zweiten, konkreteren Ebene wird gefragt, ob überhaupt eine umfassende strategische Konzeption für die Schwarzmetallurgie entwickelt wurde, welche Vorgaben diese formulierte und schließlich welche Bedeutung der Branche im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik zukam. Drittens wird diskutiert, welches Problemszenario der Branchenpolitik zugrunde lag. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Frage nachgegangen, wie die Leistungsfähigkeit der DDR-Branche von den Akteuren im historischen Verlauf eingeschätzt wurde: Existierte hier ein Bewußtsein der Rückständigkeit im internationalen Vergleich, d.h. insbesondere gegenüber dem konkurrierenden westlichen System? Wie wurde dabei die technologische Dynamik der Eisen- und Stahlindustrie bewertet, wurde sie als ein Problem wahrgenommen? Die an dieser
34 Eine allgemeine Akteursmatrix bei teclmologischen Wandlungsprozessen in der DDR entwickelte Bentley. Siehe: Bentley, Raymond: Teclmological Change in the German Democratic Republic, BoulderlLondon 1984, S. 208 - 218.
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Stelle sehr allgemein entwickelten Fragestellungen werden in den jeweiligen Untersuchungsabschnitten weiter ausdifferenziert. Die Fragestellungen werden für den Zeitraum zwischen der Gründung der DDR und dem Rücktritt Walter Ulbrichts als Erstem Sekretär der SED untersucht, der Kern des Untersuchungszeitraums umfaßt damit die Jahre 1949 bis 1971. Abgerundet wird dieser durch eine Skizze zum frühen Wiederaufbau der Schwarzmetallurgie in der SBZ und einen Ausblick auf die branchenbezogene Wirtschaftspolitik der siebziger Jahre. Die Periodisierung anhand politischer Zäsuren erscheint gerechtfertigt, da den politischen Einflußgrößen im System der DDR eine überragende Bedeutung zukam. Der untersuchte Zeitraum erscheint mit mehr als zwanzig Jahren ausreichend, um auf dieser Basis anschlußfahige Hypothesen formulieren zu können. Zudem vereinigt er sowohl die Ausdifferenzierung der "klassischen" sozialistischen Planwirtschaft in den fünfziger Jahren als auch die Reformphase ab 1963 und eröffnet damit eine spezifische Vergleichsperspektive. Darüber hinaus kann die Beendigung der Untersuchung 18 Jahre vor dem Ende der DDR möglicher Weise die Versuchung verringern, die Wirtschaftsgeschichte der DDR als Vorgeschichte ihres Untergangs zu begreifen (s.o.), da der Untersuchungszeitraum einigen Abstand zur Krise der achtziger Jahre besitzt und der Untersuchungsgegenstand damit stärker historisiert wird. Der sich an diese Einleitung anschließende Teil 2 diskutiert auf abstrakter Ebene die Modernisierungs- und Innovationsbedingungen in sozialistischen Planwirtschaften und bezweckt, mit der Erarbeitung grundlegender Strukturen des Wirtschaftssystems der DDR das allgemeine Handlungsfeld, in dem sich die Wirtschafts- und Branchenpolitik bewegen mußte, abzustecken. Durch die Diskussion der einschlägigen theoretischen, d. h. hier vor allem wirtschaftswissenschaftlichen, Beiträge werden Hypothesen zu den Handlungsoptionen, -pfaden und -beschränkungen der konkreten historischen Akteure abgeleitet, die als wesentlich für die wirtschaftspolitische Strategieformulierung erachtet werden. Die einzelnen Teilabschnitte thematisieren dabei Strukturmerkmale der sozialistischen Wirtschaftsordnung, die gemeinhein für die defizitäre Modernisierungs- und Innovationsdynarnik verantwortlich gemacht wurden. Letztere wurde wiederum im westlichen Diskurs nahezu unisono als grundlegender Konstruktionsfehler dieser Wirtschaftsordnung begriffen, der entscheidend zum Untergang des sozialistischen Systems beitrug. Mit den globalen Entwicklungstrends der Stahlindustrie zwischen 1950 und der Mitte der siebziger Jahre untersucht Teil 3 einen zweiten Umweltfaktor der ostdeutschen Schwarzmetallurgie, wobei im einzelnen die quantitative, regionale, technologische und Produktdimension des sich nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierenden Strukturwandels der "alten" Branche Eisen- und Stahlindustrie dargestellt wird. Beabsichtigt ist, durch die Typisierung eines Strukturmodells der Wandlungsprozesse in der Stahlbranche unter divergenten Bedingungen, d.h. in westlichen Marktwirtschaften, RGW-Staaten sowie
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Schwellen- und Entwicklungsländern, eine Annäherung an den Untersuchungsgegenstand Schwarzmetallurgie zu erreichen. Deren strukturelle Entwicklungsmuster, Dynamik und Spezifika werden in Teil 4 "vermessen", wobei im einzelnen die Größen Produktion und Investitionen, Verbrauch und Außenhandel, Produktionstechnologie und Produktsortiment diskutiert werden, soweit die Datenlage dies gestattet. Gefragt wird dabei insbesondere danach, welchem Typ des unter 3. entwickelten allgemeinen Strukturmodells die Schwarzmetallurgie zuzuordnen ist. Mit dem Abschluß dieses Untersuchungsschrittes sind die Voraussetzungen geschaffen, um unter Teil 5 mit der Darstellung der wirtschafts- und industriepolitischen Weichenstellungen für die Entwicklung der Eisen- und Stah1industrie 1949 - 1971 einen entscheidenden Perspektivenwechsel durchfiihren zu können: Die bislang zugrundegelegte, quantitativ-strukturell orientierte, Außenwahrnelunung des Untersuchungsgegenstands wird mit diesem Schritt erweitert durch die qualitative Rekonstruktion und kritische Reflexion der Innenwahrnelunung der Branchenentwicklung durch die historischen Akteure selbst. Zum Thema werden nunmehr Entscheidungskonstellationen, Handlungsrationalitäten und -kalküle, Leitbilder und die Problemwahrnelunung, welche die zuvor bestimmte strukturelle Entwicklung der Branche zum Ergebnis hatten, sich jedoch andererseits auf diese bezogen. Die der chronologisch angelegten Darstellung zugrundeliegende Periodisierung ist prinzipiell an der Branchenentwicklung orientiert, wodurch sie in Teilen von der allgemeinen Periodisierung der DDR-Geschichte abweicht. An verschiedenen kritischen Wendepunkten erweist es sich schließlich als unumgänglich, den Fokus über die Schwarzmetallurgie hinaus zu erweitern und allgemeinere politische und ökonomische Entwicklungen in die Betrachtung einzubeziehen. Die in Abschnitt 5 vorgenommene Rekonstruktion der Branchenpolitik bildet damit insgesamt den eigentlichen Schwerpunkt des Vorgehens. Im abschließenden Teil 6 werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt und im Hinblick auf die Eingangsfrage nach dem Zusammenspiel von systemspezifIschen Faktoren, globalem Strukturwandel, historischen Umständen und wirtschaftspolitischen Konzepten in der Entwicklung der Eisen- und Stah1industrie der DDR kritisch diskutiert. Sodann sollen die hierbei implizierten Schlußfolgerungen für die Ralunenbedingungen modernisierungs- und innovationsbezogenen Handeins auf der betrieblichen Ebene skizziert werden. Diese Vorgehensweise beruht auf einem methodischer Pluralismus, d.h. die für die einzelnen Untersuchungsabschnitte angewandte Methodik wurde in Abhängigkeit von den jeweils bearbeiteten Gegenständen gewählt: Die Ableitung allgemeiner Hypothesen zu den systembedingten Handlungsrestriktionen beruht folglich auf der Auswertung, Zusammenfassung und kritischen Reflexion der einschlägigen theoretisch ausgerichteten, vornehmlich wirtschaftswissenschaftlichen Literatur. Hingegen stützen sich die Aussagen zu den globalen und DDR-spezifIschen Entwicklungstrends der Branche auf eine quanti-
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tative Längsschnittanalyse, die verschiedene, möglichst einfache Meßgrößen enthält, mit deren Hilfe die ausgewählten Wandlungsprozesse vergleichbar gemacht werden. Neben der Auswertung publizierter statistischer Studien erwies es sich für einzelne Bereiche der Entwicklung in der DDR als unumgänglich, unveröffentlichtes Datenmaterial zu erheben. Im Gegensatz dazu stellt die qualitative Diskussion der branchenbezogenen Industriepolitik methodisch eine klassische Quelleninterpretation dar, wobei die strategischen Vorstellungen, Rationalitäten und Wahrnehmungen der Akteure rekonstruiert, historisch verortet und bewertet werden. Dabei kann sich die vorliegende Arbeit nur in sehr eingeschränktem Maße auf frühere Untersuchungen stützen, da der Forschungsstand zur Geschichte der Eisen- und Stahlindustrie der DDR insgesamt als unbefriedigend bis nicht existent zu bezeichnen ist. Vor allem liegt mit Eckarts Beitrag zur Eisen- und Stahlindustrie in beiden deutschen Staaten3S lediglich eine einzige Monographie zur Entwicklung der Schwarzmetallurgie in der DDR vor, die allerdings aufgrund ihres sozialgeographischen Charakters die Entscheidungs- und Akteursebene vollständig ausblendet. Eine erste Orientierung ermöglicht darüber hinaus eine im Jahre 1990 vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung vorgelegt Studie zur Eisen- und Stahlindustrie der DDR. 36 Da diese jedoch unter einer unmittelbar politikberatenden Zielsetzung formuliert wurde, kann sie nur sehr partiell als Grundlage einer geschichtswissenschaftlichen Analyse der Wandlungsprozesse in dieser Branche herangezogen werden. Auch in der DDR folgte aus dem historischen Gründungsmythos der Schwarzmetallurgie keine durchgängige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte. Allerdings thematisieren verschiedene allgemeinere wirtschafts- und industriehistorische Monographien und einzelne Aufsätze Teilaspekte bzw. historische Phasen der Eisen- und Stahlindustrie in der Nachkriegszeit. 37 Die zu einzelnen Stahlwerken vorgelegten betriebshistori3S Eckart, Karl: Die Eisen- und Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten, Stuttgart 1988. 36 Rheinisch-Westfälisches Institut filr Wirtschaftsforschung Essen: Die Stahlindustrie in der DDR. Gutachten im Auftrag des Bundesministers filr Wirtschaft, MS, Essen 1990. Siehe auch: JUrgenhake, UwelHeine, PetraJSchnittjeld, Peter: ". .. und der Zukunft zugewandt": Vom DDR-Stahl zum Oststahl, (hg. v.) Industriegewerkschaft MetalVSozialforschungsstelle Dortmund, 1993. Hoff, Hans-Georg: Die Eisen- und Stahl industrie der DDR. Bericht über die Studienreise 1978 des ECE-Stahlkomitees, (hg. v). Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie, MS, 1978. 37 Beispielsweise: W. MUhlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965. Roesler, Jörg: Die Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR. Aufgaben, Methoden und Ergebnisse der Wirtschaftsplanung in der zentralgeleiteten volkseigenen Industrie während der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, Berlin (Ost) 1978. U. Hartmann/W. MUhlfriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955. Laschke, Michael: Produktivkräfte, Investitionen und Produktion. Entwicklungstendenzen in der Energie-
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sehen Studien erwiesen sich schließlich aufgrund ihres Fokus auf die betriebliche Arbeiterbewegung, des beschränkten Zugangs zu Archivalien sowie durch ihre statische Perspektive der Durchsetzung der (stets richtigen, da marxistisch-leninistischen) Linie der Partei für die vorliegende Untersuchung als nur sehr eingeschränkt verwendbar. 38 Infolge des ungenügenden Forschungsstands basiert die folgende Untersuchung neben der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur und statistischen Studien im wesentlichen auf der Auswertung archivalischer Quellen aus dem Bereich der oberen und mittleren Leitungsgremien. Im einzelnen werden diese in Teil 5 sowie im Anhang vorgestellt. Die Archivlage kann aufgrund der einzigartigen Zugänglichkeit der Bestände und der großen Dichte der Überlieferung als günstig bezeichnet werden. Allerdings bedingen der teilweise enorme Umfang der Teilbestände - alleine der Bestand "Staatliche Plankommission" im Bundesarchiv mißt ca. 1 km - im Verein mit ihrer mitunter unzureichenden archivarischen Aufbereitung eine Unübersichtlichkeit des Quellenmaterials, welche die Bearbeitung nicht unwesentlich erschwert. Im einzelnen stützt sich die in Abschnitt 5 enthaltene qualitative Darstellung auf Quellenbestände des Bundesarchivs Berlin (u.a. Bestand: Staatliche Plankommission, Ministerium für Schwerindustrie, Ministerrat der DDR, Präsidium des Ministerrats), des Zentralen SED-Parteiarchivs der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (u.a. Bestand: Politbüro der SED, Abteilung für Maschinenbau und Metallurgie im ZK der SED) sowie des Landesarehivs Berlin, AußensteIle Breite Straße (Bestand VVB Stahl- und Walzwerke). Im Archiv der früheren Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, Berlin wurden darüber hinaus unveröffentlichte statistische Daten erhoben und zusanunengestellt, wobei auch hier die vorhandenen Materialien in vergleichsweise unsystematischem Zustand vorliegen. Die auf der Grundlage der archivalischen Quellen verbleibenden Überlieferungslücken wurden durch die Einbeziehung gedruckter Quellen soweit als möglich geschlossen. Letztere sind in den meisten Fällen allerdings ohne und BrennstotTmdustrie, der metallurgischen und chemischen Industrie europäischer RGW-Länder 1961 bis 1970, in: Jahrbuch fUr Wirtschaftsgeschichte, 19831III, S. 9 28. Breuer, Reiner: Zum Prozeß der Kombinatsbildung in der Industrie der DDR am Ende der sechziger Jahre, in: Jahrbuch fUr Wirtschaftsgeschichte, 19831IV, S. 25 - 51. 38 Beispielsweise: F. Stresow, Der Beitrag der Stahl- und Walzwerker von Brandenburg zum Aufbau der Grundlagen des Sozialismus. Cemy, Jochen: Der Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost 1950/51. Dissertation (A), Friedrich-Schiller-Universität Jena, 1970. Hartmann, Ulrich: Zur Entwicklung des Produktionskollektivs im VEB Maxhütte Unterwellenborn unter der politischen Führung der SED-Betriebparteisorganisation in den Jahren 1951 bis 1961. Ein Beitrag zur Betriebsgeschichte, Dissertation (A), Friedrich-Schiller-Universität Jena, 1981. Ein Fazit zur Betriebsgeschichtsschreibung der DDR formuliert: Kluge, Arnd: Betriebsgeschichte in der DDR - ein Rückblick, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 38 (1993), H. I, S. 49 - 62.
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Kenntnis der internen Dokumente nicht adäquat zu interpretieren und einzuordnen. In erster Linie handelt es sich hierbei um die seit 1955 als Organ der Gesellschaft Deutscher Berg- und Hüttenleute erscheinende Zeitschrift "Neue Hütte", die das Pendant zur einschlägig bekannten Publikation "Stahl und Eisen" des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute darstellte. Sie bietet insgesamt eine Vielzahl technologischer, aber auch ökonomischer, branchenpolitischer und werksbezogener Informationen. Darüber hinaus konnte durchgängig auf die Gesetzblätter der DDR, die publizierten Parteitagsprotokolle der SED sowie schließlich auf die edierten Beschlüsse und Erklärungen des ZK, des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED zurückgegriffen werden. Insgesamt erwies sich die vorhandene Materialgrundlage zur Bearbeitung des Untersuchungsgegenstands als zufriedenstellend.
Zweiter Teil
Die allgemeinen Innovationsbedingungen in Planwirtschaften: Handlungsbeschränkungen und -spielräume technologischer Modernisierung in der sozialistischen Wirtschaftsordnung Im Mittelpunkt des folgenden Untersuchungsabschnitts steht die Frage nach den charakteristischen Umweltbedingungen fiir neuerungsbezogenes Handeln in sozialistischen Planwirtschaften. Thematisiert werden damit die systemspezifischen Handlungsbedingungen, -anreize und -beschränkungen sozialistischer Industrieunternehmen bei der Realisierung technologischer Modernisierung und Innovationen. Die Fragestellung wird damit zugespitzt auf einen Bereich, der in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte als ein zentraler Problembereich dieser Wirtschaftsordnung angesehen wurde. Nicht beabsichtigt ist somit, eine Gesamtmatrix der Entscheidungsparameter der Volkseigenen Industrie zu entwickeln; angestrebt wird statt dessen, erste Hinweise darauf zu erlangen, welche systemtypischen Strukturen die innovations- und modernisierungsbezogenen Handlungsmuster der Akteure beeinflußten. Zu diskutieren ist schließlich die innovationsretardierende bzw. -forcierende Wirkung der einzelnen Komplexe sowie der Gesamtkonstellation gesellschaftlicher Institutionen fiir die sozialistischen Industrieunternehmen. Die Leitfrage des folgenden Kapitels lautet somit: Wie wirkten sich die Basisstrukturen der sozialistischen Wirtschaftsordnung auf die Innovationsbereitschaft und die Innovationsm6glichkeiten der Wirtschaftseinheiten aus?
Wenn damit die strukturelle Dimension des Verhältnisses von Struktur Akteur - Handlung in den Mittelpunkt gestellt wird, geschieht dies in heuristischer Absicht. Die Ergebnisse der historisch-kontingenten Verläufe einzelner Innovationsprozesse können mit dieser Vorgehensweise nicht vorweggenommen, sondern lediglich die zugrundeliegende, systembedingte Handlungskonstellation umrissen werden. Bildet die Rekonstruktion der Branchenpolitik im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie der DDR den eigentlichen Gegenstand der Arbeit, so gilt es zuvor, die strukturelle Dimension des herrschenden Wirtschaftssystems zu thematisieren, um so die Begrenzungen, Spielräume und Muster des Handlungsfeldes der relevanten Akteure herauszuarbeiten. Formuliert werden erste Arbeitshypothesen zu den unmittelbar systemdeterminierten Modernisierungs- und Innovationsbedingungen, welche zur systematischeren
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Strukturierung der Branchenpolitik (siehe Teil 5) herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund erfolgt sodann in Kapitel 6 eine kritische Diskussion und Einordnung des methodischen Werts dieser theoretischen Erklärungsansätze fiir die Analyse planwirtschaftlicher Defizite. Diskutiert werden im folgenden ausgewählte Komplexe, welche die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion als wesentliche, die Innovationsfahigkeit beeinflussende, Systemmerkmale der sozialistischen Planwirtschaft identifizierte: Zunächst wird der Versuch unternommen, die Auswirkungen, welche der in dieser Wirtschaftsordnung nicht vorhandene Anbieterwettbewerb für die Innovationsfähigkeit entfaltete, zu differenzieren und einzuordnen. Sodann gilt es, das Anreizsystem, also die "Incentives", die vor allem Unternehmen und Unternehmensleitungen zu wirtschaftlichem Handeln veranlassen sollten, aufzugreifen und ihre Bedeutung fiir innovatorische Aktivitäten zu bewerten. An diese schließt sich die Diskussion des administrierten Preissystems an. Schließlich werden die Folgen der Mange/wirtschaft und die daraus resultierenden Zulieferprobleme für die Innovationsprozesse aufgegriffen. Zu dieser Auswahl sind drei Anmerkungen zu machen: Erstens dürfte deutlich sein, daß diese Liste der innovationsrelevanten Systemeigenschaften nicht erschöpfend ist. So wurde etwa auf eine eigenständige Diskussion der Eigentumsrechte (property Rights), die zu den Basismerkmalen einer jeden Wirtschaftsordnung zählen, verzichtet. Insofern als die gesellschaftlich definierten Eigentumsrechte eine wesentliche Dimension des wirtschaftlichen Anreizsystems bilden', erschien es gerechtfertigt, ihre Auswirkungen unter diesen Punkt zu subsumieren. Trotz mangelnder Vollständigkeit gestattet es die oben getroffene Auswahl, die im Hinblick auf Innovationen wesentlichen Problembereiche einzugrenzen und ihre Wirkung zu differenzieren. Zweitens: Einige der benannten Faktoren schließen sich nicht aus, vielmehr treten Überschneidungen zwischen ihnen auf. So resultieren etwa wesentliche Defizite des Anreizsystems aus dem fehlenden Wettbewerb zwischen unabhängigen Unternehmen, wie auch die allgegenwärtige Mangelwirtschaft als Folge der nicht vorhandenen Wettbewerbsordnung interpretiert werden kann. Dennoch war es aus analytischen Gründen unumgänglich, die einzelnen Faktoren zu trennen, um zu differenzierten Aussagen zu gelangen. Drittens: Wenngleich diese Studie unmittelbar keine systemvergleichende Zielsetzung verfolgt, erwies es sich an verschiedenen Punkten der theoretischen Diskussion doch als unabdingbar, die strukturellen Unterschiede von Markt- und Planwirtschaften einzubeziehen. Diese Vorgehensweise verfolgt kein eigenständiges Erkenntnisinteresse; jedoch kann sie dazu beitragen, die Spezifika des planwirtschaftlichen Systems schärfer zu fokussieren. Unmittelbar einsichtig ist dies am Beispiel des fehlen, Koma;, J8oos: The Socialist System. The Political Economy ofCommunism, Princeton 1992, S. 62 - 90. 3 Unger
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
den Anbieterwettbewerbs, dessen Wirkungen auf die Innovationsanstrengungen nicht ohne Rückgriff auf die entsprechenden Mechanismen kapitalistischmarktwirtschaftlicher Systeme verdeutlicht werden können. Gleiches gilt auch für das spezifische Preissystem in sozialistischen Planwirtschaften. Eine detaillierte Erörterung des Nutzens der vergleichenden Perspektive erfolgt in den jeweiligen Unterkapiteln. Die Diskussion der innovationsrelevanten Systemeigenschaften der sozialistischen Wirtschaftsordnung basiert im wesentlichen auf den Ergebnissen der systematischen, wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Diese erhielt durch die seit Anfang der achtziger Jahre verstärkt wahrgenommene nachlassende Wachstumsdynamik der Sowjetunion zusätzliche Bedeutung und hat inzwischen einen beträchtlichen Umfang erreicht. 2 Deshalb ist es an dieser Stelle kaum möglich, einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der theoretischen Diskussion zu geben. Verwiesen sei vielmehr auf zwei Beiträge, welche in diesem Kapitel als grundlegende Erklärungsmodelle für die realsozialistische Innovationsschwäche vorgestellt werden sollen. Zum einen handelt es sich hierbei um den 1976 von Joseph Berliner vorgelegten "Risk-Reward-" Ansatz3 , zum zweiten um das von Janos Kornai formulierte Modell der "weichen Budgetbeschränkungen. 4 Insgesamt wurde von der ökonomischen Forschung eine Vielzahl von Faktoren zur Erklärung der mangelnden Dynamik und der Innovationsschwäche in sozialistischen Planwirtschaften benannt. Dabei scheint es letztlich nicht möglich zu sein, einen einzigen ausschlaggebenden und entscheidenden Faktor zu benennen: Vieles deutet darauf hin, daß statt dessen eine Problemkumulation existierte, welche in ihrer Gesamtheit die Dynamik der sozialistischen Wirtschaftsordnung behinderte. Ziel der folgenden Ausführungen muß es daher sein, dieses Problemgeflecht systematisch zu beschreiben, um im Anschluß eine genauere Interpretation der historischen Entwicklung zu ermöglichen. Zum Abschluß dieser einführenden Bemerkungen sollen schließlich zwei Begriffe präzisiert werden, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen: Hierbei handelt es sich um die Kategorien ,,sozialistische Wirtschaftsordnung" 2 Brada, JosefC.: Teclmological Progress and Factor Utilization in Eastern European Econornic Growth, in: Econornica Jg. 56 (1989), S. 433 - 448. Kontorovich, Vladimir: Soviet Growth Slowdown: Econometric vs. Direct Evidence, in: American Economic Review Jg. 76 (1986), S. 181 - 185. Desai, Padma: Soviet Growth Retardation, in: American Econornic Review Jg. 76 (1986), S. 175 - 180. Einen ausführlichen Überlick über die vorliegende theoretische Literatur bietet die von Kornai vorgelegte Bibliographie. J. Kornai, The Socialist System, S. 581 - 625. 3 Berliner, Joseph S.: The hmovation Decision in Soviet Industry, Cambridge (Mass.)/London 1976. 4 Kornai, Janos: Econornics of Shortage (Volume A, Volume B), AmsterdamlNew YorkiOxford 1980.
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
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und ,Jnnovation". Zur Verdeutlichung dessen, was im folgenden unter dem Begriff "sozialistische Wirtschaftsordnung" oder "sozialistische Planwirtschaft" verstanden wird, soll eine pointierte Gegenüberstellung von Balcerowiczs herangezogen werden. Diese faßt die wesentlichen Merkmale des privatwirtschaftlichen Markt- und des sozialistischen Planwirtschaftssystems, die für die jeweilige Innovationsleistung von wesentlicher Bedeutung sind, folgendermaßen zusammen (siehe Übersicht 1 auf der nachfolgenden Seite). Sie ermöglicht eine erste Annäherung an das Phänomen der sozialistischen Wirtschaftsordnungen, die sich nicht zuletzt durch ihren Gegensatz zu privatwirtschaftlichen, kapitalistischen Marktwirtschaften definierten. Allerdings sei angemerkt, daß es sich hierbei um eine stark abstrahierende, nahezu idealtypische Gegenüberstellung der beiden Wirtschaftssysteme handelt. Auch ist zu beachten, daß diese Synopse sich auf die "klassische" ("stalinistische") Ausprägung des sozialistischen Wirtschaftsmodells bezieht. Die strukturellen Ausprägungen der verschiedenen Reformansätze (z. B. das Neue Ökonomische System in der DDR, die ungarischen Reformen unter Kadar) werden hingegen nicht berücksichtigt. Auch in diesem Kapitel der Untersuchung bietet es sich an, die sozialistische Wirtschaftsordnung in ihrer klassischen Ausprägung, d.h. vor dem Einsetzen der Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre, zu thematisieren, um so die grundlegenden, strukturellen Eingangsbedingungen der historischen Akteure zu formulieren. 6 Die Frage nach den Auswirkungen der Wirtschaftsreformen ist sodann im Zusammenhang mit der empirischen Rekonstruktion der Entwicklung der Schwarzmetallurgie und den hier deutlich werdenden veränderten Rahmenbedingungen zu thematisieren. In der Forschung existieren zum Begriff "Innovation" eine Vielzahl voneinander abweichender Konzepte und Definitionen. Im strengen Sinne bezeichnet "Innovation" danach die weltweit erste Einführung eines neuen Produktionsverfahrens, eines neuen Produktes, einer neuen Organisationsform etc. Dies bedeutet, innovativ sind nach dieser Auffassung lediglich jene Produktionsverfahren etc. die Weltneuheiten darstellen. Dies aber begründet notwendig eine sehr rigide Beschränkung des Phänomens innovativer Handlungen und reduziert die Bedeutung der Innovationen auf einen sehr engen Ausschnitt aus dem gesamten, vorliegenden Tätigkeitsspektrum.
5 Balcerowicz, Leszek: Innovationsspezifika, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen, in: Welfens, Paul 1. 1./Balcerowicz, Leszek (Hg.): Innovationsdynamik im Systemvergleich. Theorie und Praxis unternelunerischer, gesamtwirtschaftlicher und politischer Neuerung, Heidelberg 1988, S. 28 - 59. 6 Diese Vorgehensweise folgt der Systematik Kornais, der seine Betrachtung in die Analyse des ,,klassischen" Systems und der Reformen teilt. J. Komai, The Socialist System, S. XXIVf.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Übersicht 1
Privatwirtschaftliche Markt- und sozialistische Planwirtschaft Privatwirtschaftliche Marktwirtschaft
Sozialistische Planwirtschaft
Es dominieren autonome Privatunternehmen.
Es dominieren wenig selbständige staatliche Unternehmen.
Markt im Bereich von Gütern und Dienstleistungen sowie der Produktionsfaktoren.
Anweisungs-Zuteilungsmechanismus (administrative Preise etc.) im Bereich von Gütern und Kapital. Dirigistischer Arbeitsmarkt.
Besteuerung des Gewinns der Unternehmen nach einigennaßen stabilen (Grund-) Sätzen, wobei ein großer Teil den Unternehmen überlassen wird.
Die Unternehmen ftlhren fast den gesamten Gewinn an den Staat ab. Instabile Steuersätze und häufig modifIZierte Regelungen.
Zahlungsunfiihige Unternehmen gehen in Konkurs.
Stützung zahlungsunfllhiger Unternehmen durch verschiedene Formen staatlicher Finanzhilfen (soft budget constraint).
Es bestehen voneinander unabhängige Unternehmen mit stark differenzierter Größe und Organisationsstruktur.
Viel stufiges und uniformes Organisationssystem, beherrscht von großen Organisationen (Ressorts, Vereinigungen), die obligatorische Unternehmensgruppierungen sind. Kleine Wirtschaftseinheiten existieren nur im Rahmen bzw. am Rande der großen.
Befugnisse zur Gründung neuer Unternehmen befmden sich in den Händen von Privatpersonen und der bestehenden Unternehmen. Es gibt die Möglichkeit der Unternehmensvereinigung "von unten" her.
Die Befugnisse zur Gründung und Vereinigung von Unternehmen sind staatlich monopolisiert.
Relativ offene Märkte für den Import von Gütern und Know-how.
Starke bürokratische Importbeschränkungen.
Quelle: L. Balcerowicz, Innovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen,
S.34.
Weiter ist der Grad der Neuheit einer Innovation letzten Endes nur subjektiv aus der Sicht der innovierenden Organisation zu bestimmen. zu fragen wäre also etwa: Wie neu ist das entsprechende Produktionsverfahren etc. für das jeweilige Unternehmen? Erst im Anschluß an diese Betrachtung ist schließlich
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
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die Frage danach zu formulieren, welchen objektiven Neuheitsgrad das betrachtete Verfahren - für die Branche, für die Volkswirtschaft oder weltweit aufwies. Als Ergebnis dieser Überlegungen definiert etwa die Akademie der Wissenschaften zu Berlin "Innovation" folgendermaßen: ,,Innovation ist die auf Erfmdung [und Forschung und Entwicklun~] beruhende Markteinftlhrung eines neuen Produktes oder eines neuen Verfahrens."
Deutlich wird, daß im Rahmen dieser Definition unbestimmt bleibt, wonach die Neuheit der Produkte und Verfahren bestimmt wird, d.h. die Referenzebene an welche die Bedingung der Neuheit geknüpft ist, wird hier variabel gehalten. Damit werden die oben angesprochenen Probleme und Einschränkungen vermieden, so daß diese Herangehensweise der Bedeutung des Phänomens gerechter wird, als dies die Konzentration auf reine Weltneuheiten vermag. Als weitere Dimensionen der Innovation, die hier betont werden, sind hervorzuheben: 1. Die Unterscheidung zwischen Invention, Forschung und Entwicklung so-
wie der eigentlichen Innovation. 2. Die Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozeßinnovationen. 3. Der Marktbezug der Definition. 8 In Anlehnung an diese Konzeption wird in der folgenden Untersuchung in erster Linie die Bedeutung von Prozeßinnovationen für die Branchenpolitik der Eisen- und Stahlindustrie der DDR erörtert. Untersucht werden mithin Veränderungen der Produktionsverfahren, welche für die jeweiligen Volkseigenen Betriebe neu waren. Zumeist sind allerdings mit Verfahrensinnovationen auch veränderte Produkte, d.h. Produktinnovationen im weiteren Sinne verbunden. In Zusammenhang mit den unterschiedlichen Phasen des gesamten Neuerungsprozesses formulierte die zitierte Definition der Berliner Akademie eine Bedingung, welche sie in dieser Form für die Untersuchung des Innovationsphänomens in sozialistischen Planwirtschaften ungeeignet macht: Den Marktbezug von Innovationen. Nach dieser Konzeption bezeichnet Innovation die erstmalige Verwertung von subjektiv neuem Wissen, das durch Invention und Forschung und Entwicklung gewonnen wurde. Verwertung wird sodann begriffen als Markteinfohrung, so daß Innovation nach diesem Verständnis sowohl der Prozeß als auch das Ergebnis der Marktdurchsetzung des neu ge-
7 Hier zitiert nach: Wieandt, Axel: Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch Innovationen, Stuttgart 1994, S. I. 8 Ebd., S. 2 - 4.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
wonnenen Wissens in Fonn von neuen Produkten und Verfahren ist. 9 Deutlich wird nunmehr, daß diese Definition der Innovation sehr stark auf den Neuerungsprozeß in marktwirtschaftlichen Systemen bezogen, auf eine Planwirtschaft mithin nicht unmittelbar anwendbar ist. Nachdem die Substitution der marktlichen Koordination durch den Plan gerade eine der basalen Systemeigenschaften der sozialistischen Wirtschaftsordnung bildet (Übersicht 1, Punkt 2), erfolgt die Durchsetzung einer Neuerung hier nicht auf dem Markt und durch den Markt, sondern im Rahmen der bürokratisch koordinierten Planungsprozesse. Über die Aufnahme eines neuen Produktes oder eines neuen Produktionsverfahrens entscheidet folglich nicht das einzelne Unternehmen, sondern die Planbürokratie. Neues Wissen wird somit dann zur Innovation, wenn es in den relevanten Unternehmens-, Branchen- oder Volkswirtschaftsplan aufgenommen und aufgrund dessen realisiert wurde. Nach der Refonnulierung der Definition der Akademie der Wissenschaften zu Berlin wird somit in dieser Arbeit unter Innovation in sozialistischen Planwirtschaften folgendes verstanden:
Innovation ist die auf Erfindung sowie Forschung und Entwicklung beruhende Einführung eins neuen Verfahrens oder eines neuen Produktes in die Produktion. Diese erfordert die Aufnahme des neuen Verfahrens oder Produktes in den fiJr die jeweilige Organisation relevanten Plan. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß hiermit über den Erfolg oder Mi ßerfolg einer Innovation begrifflich keine Aussage impliziert ist. Dies bedeutet: Auch eine Neuerung, welche den erwarteten Effekt (z.B. Produktivitätssteigerung, Kostensenkung) nicht erzielte, kann als Innovation begriffen werden. lo Unter modernisierungsbezogener Wirtschafts- und Industriepolitik wird im folgenden zusammengefaßt die Konzipierung und Implementierung politischer Vorgaben für die Branchenentwicklung verstanden, welche auf die Realisierung technologischer Innovationen nach dieser Definition abzielte. Zweitens kann die modernisierungsorientierte Politik jedoch auch die graduelle Optimierung bekannter und im Produktionsapparat bereits eingesetzter Techno-
Ebd., S. 3. Vgl. hierzu Wagener, der nur solche Veränderungen als Innovationen akzeptiert, die tatsächlich zu Produktivitätssteigerungen führen: "Wenn ich von Innovationen spreche, dann meine ich erst einmal Veränderungen in der Produktion, die zu Produktivitätssteigerungen führen. Für Prozeßinnovationen und organisatorische Innovationen scheint das evident. Aber auch Produktinnovationen sind damit nicht ausgeschlossen. Soweit es sich um Produktionsmittel handelt, sind sie nur dann innovativ, wenn sie diesen Effekt haben. Soweit es sich um Endprodukte handelt, spiegelt sich die Neuerung in einem höheren Wert und damit ebenfalls in einer Zunahme der Produktivität wider." H.-J. Wagener, Zur Innovationsschwäche der DDRWirtschaft, S. 25. 9
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I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb
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logien anstreben. Diese wird mit dem Begriff der bestandsbezogenen Modernisierung gekennzeichnet.
I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb Der fehlende Wettbewerb zwischen unabhängig voneinander agierenden Unternehmen bildet eine der fundamentalen Systemeigenschaften sozialistischer Planwirtschaften (siehe Punkt 1 und 2 in Übersicht 1). Im folgenden Unterabschnitt soll deshalb gefragt werden. welche Konsequenzen diese Struktur für Innovationen in der sozialistischen Wirtschaftsordnung hatte. Dazu gilt es zunächst, den gemeinhin für Marktwirtschaften unterstellten engen Zusammenhang von Wettbewerb und Innovationen näher zu untersuchen. Gefragt wird hier, mit welchen Mechanismen und aufgrund welcher Strukturen eine Wettbewerbsordnung innovatives Handeln hervorbringt. Hierzu werden zunächst die Thesen Schumpeters, als des eigentlichen Begründers der ökonomischen Innovationstheorieli, referiert und durch die Aussagen eines aktuellen, informationsökonomischen und transaktionskostentheoretischen Ansatzes erweitert. Von dieser "Negativfolie" werden sodann die institutionellen Strukturen abgehoben, welche den Wettbewerb dezentral und unabhängig agierender Wirtschaftseinheiten in der sozialistischen Wirtschaftsordnung ausschließen, um schließlich deren Auswirkungen für die Modernisierungs- und Innovationsflihigkeit planwirtschaftlicher Systeme zu diskutieren. Dem wird folgende These zugrunde gelegt: In bOrokratisch koordinierten Planwirtschaften stehen die Unternehmen (Betriebe) nicht im Wettbewerb miteinander. Ihre Grandung, Existenz und ihr Wachstum beruhen nicht auf ihrem Erfolg am Markt, sondern resultieren aus den Entscheidungen der BOrokratie. Hierdurch entfällt ein wesentlicher Mechanismus zur Hervorbringung und Selektion von Innovationen.
1. Die Bedeutung des Wettbewerbsmechanismus für die Hervorbringung neuer Kombinationen
In seinem, 1911 erstmals erschienen Werk, "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" begründete Joseph Schurnpeter seine Theorie der dynamischen Unternehmerfunktion sowie der Entwicklung und Durchsetzung von Innovationen. Trotz der Bedeutung des Innovationsphänomens für jede Wirtschaftsordnung rückten seine Thesen durch die Dominanz neoklassischer Theoreme 11 A. Wieandt, Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch Innovationen, S. 44f.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
innerhalb der Wirtschaftswissenschaften längere Zeit in den Hintergrund, werden allerdings in jüngster Zeit verstärkt rezipiert. 12 In der "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" legte Schumpeter die Grundlage für sein, als Kontrapunkt zur statistischen Gleichgewichtsbetrachtung angelegtes, dynamisches Modell. Dabei definierte er Innovationen allgemein als "Durchsetzung neuer Kombinationen". Dies bedeute, im Rahmen des Innovationsprozesses würden Produktionsmittel den "alten", bisher bereits angewandten Kombinationen entzogen. Dementsprechend seien Innovationen auch zu begreifen als "Andersverwendung des Produktionsmittelvorrats der Volkswirtschaft". 13 Konkret seien unter Durchsetzung neuer Kombinationen fünf gesonderte Fälle zu subsumieren: 1. Herstellung eines neuen Gutes, bzw. eines bekannten Gutes in neuer Qualittit (produktinnovation); 2. Einführung einer neuen Produktionsmethode (Veifahrensinnovation); 3. Erschließung eines neuen Absatzmarktes; 4. Erschließung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen oder Halbfabrikaten; 5. Durchführung einer Neuorganisation (organisatorische Innovation)' 4. Dabei sei insbesondere im Hinblick auf Verfahrensinnovationen darauf hinzuweisen, daß diese keinesfalls auf einer neuen wissenschaftlichen Entdekkung beruhen müßten. Schumpeter grenzte also für den technischen Entwicklungsprozeß die Inventionsphase von der eigentlichen Innovation sowie der anschließenden Diffusion ab. Die Innovation im engeren Sinne begriff er als die unternehmerische Durchsetzung neuer Kombinationen gegen innere und äußere Widerstände. Es kann somit bei Schumpeter eine ausgeprägte Marktorientierung konstatiert werden; Erfindungen werden damit nur dann zu Innovationen, wenn sie auch tatsächlich am Markt realisiert werdenP Volkswirtschaftlich begriff Schumpeter die Durchsetzung neuer Kombinationen als die Zerstörung des bestehenden Gleichgewichtszustands, in welchem die Gesamterlöse der Unternehmen gerade ihre Kosten deckten. In diesem existierten nur solche Produzenten, die weder Gewinn noch Verlust erwirtschafteten und für ihre Tätigkeit einen "Unternehmerlohn" erhielten. Die von den dynamischen Unternehmern entdeckten und schließlich durchgesetzten neuen Kombinationen unterscheiden sich danach von den bisherigen dadurch, daß ihre Produktivität größer und ihre Produktionskosten durch Skaleneffekte niedriger sind. Laut Schumpeter produzieren Unternehmen einen Ebd., S. 44. Schumpeter, Joseph: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, zweite, neubearbeitete Auflage, MünchenlLeipzig 1926, S. 100, 102f. 14 J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 100f. 15 Deutlich wird hieran, daß die oben ft1r diese Untersuchung gewählte Definition für Innovationen in diesem Sinne von Schumpeter beeintlußt ist. A. Wieandt, Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch hmovationen, S. 46 - 48. J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 100, 128,212. 12
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I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb
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Gewinn nur als Folge der Durchsetzung neuer Kombinationen, also aufgrund von Innovation. Hat der "Pionierunternehmer" schließlich die neue Kombination auf dem Markt durchgesetzt, so lockt der entstandene Gewinn weitere Unternehmer an. Der Markteintritt der "Second Mover" und aller folgenden führt sodann zur Reorganisation der gesamten Branche, zunächst in den Aufschwung und schließlich in die konjunkturelle Krise. Als Ergebnis des imitativen Markteintritts der Folgeunternehmer reduziert sich der ursprünglich durch die Innovation erwirtschaftete Gewinn bis schließlich ein neues - abermals gewinnloses - Gleichgewicht erreicht wird. Zu diesem Zeitpunkt sind die privatwirtschaftlichen Möglichkeiten der betreffenden neuen Kombination durch den erfolgten Preisverfall erschöpft. Allerdings unterscheidet sich der wiedererlangte Gleichgewichtszustand von dem vorhergehenden qualitativ durch ein vermehrtes Güterangebot, eine reorganisierte Produktion, verringerte Produktionskosten und gesteigerte Realeinkommen. 16 Schumpeter selbst vertrat bereits in der "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" die Ansicht, daß diese Dynamik grundsätzlich nicht nur in kapitalistischen Marktwirtschaften gelte. Vielmehr seien diese Tendenzen auch für geschlossene, kommunistische Ordnungen gültig. In späteren Beiträgen argumentierte er zudem. daß ein zu intensiver Wettbewerb geringe Innovationsleistungen bei immensem Forschungs- und Entwicklungsaufwand bedingen könne. Dies aber impliziert, daß die Innovationsrate in einer wettbewerbsfreien, gesellschaftlich geleiteten Volkswirtschaft am höchsten wäre. 17 Im Gegensatz hierzu benennt, bzw. unterstellt Schumpeter in der "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" ein komplexes Geflecht struktureller Voraussetzungen, welche die Durchsetzung neuer Kombinationen und die beschriebene Innovationsdynamik überhaupt erst möglich machen. Diese sind aber an eine funktionierende Wettbewerbsordnung und privatwirtschaftliche Eigentumsrechte gebunden. Sie können somit apriori nicht für sozialistische Gesellschaftsordnungen vorausgesetzt werden. Allgemein betreffen diese Voraussetzungen folgende Dimensionen der Wirtschaftsordnung: 1. Die Eigentums-, Nutzungs- und Verfügungsrechte; 2. die Marktstruktur; 3. die Dezentralität ökonomischer Entscheidungsfindung; 4. die Existenz des Gewinnmotivs. Entscheidend for den dynamischen Prozeß der Innovationsimplementation und -diffusion im Schumpeterschen Modell ist die Existenz von Wettbewerbsbedingungen. Die neuen Kombinationen der Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 207 - 212,336 - 369. Gomulka, Stanislaw: Growth, Innovation and Refonn in Eastern Europe, Brighton 1986, S. 54f. J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. 219 - 232. 16 J. 17
Unterstrichen wurde diese Annahme eines Trade-OfTs zwischen statischer und dynamischer EffIZienz später auch durch ein von Dasgupta und Stiglitz entwickeltes theoretisches Modell. Dasgupta, ParthalStiglitz, Joseph: Industrial Structure and the Nature of Innovative Activity, in: The Economic Journal, Jg. 90 (1980), S. 266 - 293.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Produktionsmittel werden - so Schumpeters Beobachtung - in den meisten Fällen nicht von den bestehenden, sondern von neu gegründeten Unternehmen bzw. neuen Unternehmern durchgesetzt. Angetrieben werden diese u.a. von dem Motiv der Erwirtschaftung und der Möglichkeit zur privaten Aneignung des Gewinns. 18 Um diesen Gewinn zu erzielen, ist die Möglichkeit unerläßlich, mit neuen Kombinationen in den Markt eintreten, d.h. aber in Konkurrenz zu den bisherigen Kombinationen und den sie verkörpernden Unternehmen treten zu können (Übersicht 1, Punkt 6). Die Möglichkeit zur dezentralen Neukombination der Produktionsfaktoren und zum Markteintritt ist somit eine wesentliche Bedingung für die Realisierung von Innovationen. Ist eine erstmalige Innovation schließlich auf dem Markt wirksam geworden, entfaltet sie ihre Wettbewerbswirkung - wie dargelegt - nach zwei Seiten hin: Vom Gewinn angezogen, folgen weitere neue Unternehmer dem Beispiel des Pionierunternehmers, treten in Konkurrenz zu diesem, bewirken so die Diffusion der Neuerung auf breiter Ebene und letzten Endes ein Verschwinden des Pioniergewinns (s.o.). Zweitens aber entfaltet die Implementation und Diffusion der neuen Kombination durch Wettbewerb einen Anpassungsdruck auf die bestehenden, in Schumpeters Terminologie auf die "alten", Betriebe. Die prinzipielle Möglichkeit des Konkurses vorausgesetzt l9, geht von der Innovation eine Bedrohung für diese Unternehmen mit ihren etablierten Produkten, Technologien und Organisationsformen aus: ,,Die alten Betriebe [... ] stehen vor drei Möglichkeiten: Abzusterben, wenn sie aus sachlichen oder persönlichen Gründen unanpaßbar sind; Segel einzuziehen und zu versuchen in fortan bescheidener Stellung zu überleben; endlich aus eigener Kraft oder mit fremder Hilfe, sei es die Branche zu wechseln, sei es den neuen Verhältnissen entsprechend zu andern technischen oder kommerziellen Einstellungen überzugehen, was in vielen Fällen aufProduktionsausdehnung hinausläuft.,,20
Die Schaffung eines neuen, höheren volkswirtschaftlichen Gleichgewichts durch Innovationen ist damit in diesem Modell abhängig von institutionellen Arrangements, die Wettbewerb zwischen den Anbietern prinzipiell zulassen. Diese beruhen insbesondere auf: 1. Der Möglichkeit des Ausscheidens aus dem Markt aufgrund fehlender Anpassungskapazität; 2. der Möglichkeit zum innovativen Markteintritt, insbesondere durch neue Unternehmer; 3. der Möglichkeit zum imitativen Markteintritt; 4. der objektivierten Messung von Erfolg und Mißerfolg anband des Gewinns21 und schließlich 5. dem weitgehen18 J. Schumperer, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, S. IOlf, 138f, 238f, 322. Schumpeter begriff insgesamt die Kategorie "Unternehmer" nicht als soziale, sondern als funktionale Bestimmung. Unternehmer sind nach diesem Verständnis folglich nicht notwendig die Besitzer von Produktionsmitteln, sondern jene Individuen, welche neue Kombinationen durchsetzen. Ebd., S. Illf 19 Schumpeter hielt diese filr unverziehtbar. Ebd., S. 366f. 20 Ebd., S. 354f 21 Ebd., S. 139.
I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb
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den Unterlassen staatlicher Unterstützung für unwirtschaftliche Unternehmen und das Fehlen privater Monopole. 22 Gelten diese Prämissen, entscheidet sich der Erfolg der Unternehmen im Wettbewerb mit konkurrierenden Anbietern, wobei die Durchsetzung von Innovationen die entscheidende Voraussetzung flr diesen Erfolg bildet. Obwohl Schumpeter also die Gültigkeit seiner Theorie auch für die sozialistische Wirtschaft postulierte, legte er ihr strukturelle Voraussetzungen zugrunde, welche dem Wettbewerb die Bedeutung einer conditio sine qua non für Innovationen zuweisen. Diese Bedeutung des Wettbewerbs für die Durchsetzung von Innovationen wird durch einen unlängst vorgelegten Beitrag Axel Wieandts weiter unterstrichen, dem es zudem gelingt, den Mechanismus der Innovationsstimulierung durch Wettbewerb präziser zu beschreiben. Dieser soll hier vorgestellt werden, um die Kosten, welche das Fehlen dieses Mechanismus in der sozialistischen Planwirtschaft verursachte, präziser benennen zu können. Ausgangspunkt für die Analyse des Prozesses der "Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten" ist bei Wieandt die soeben skizzierte Schumpetersche Theorie. Insbesondere sind es hier die Defizite dieses Modells, welche als Anknüpfungspunkt für weiterführende Überlegungen dienen. So implizierte Schumpeter zwar einen dynamischen Prozeß der sich in der Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch Innovationen manifestierte, unterließ es aber, diesen weiter zu systematisieren. Zudem entwickelte er keine Analyse der in Verbindung mit Innovationen auftretenden Transaktionskosten. 23 Zur Systematisierung und Differenzierung des Verhältnisses von Wettbewerb und Innovationen strebt Wieandt deshalb eine Synthese der Innovationstheorie, hier als Theorie der dynamischen Unternehmerfunktionen, sowie der Markttheorie in ihrer Ausprägung als Informationsökonomie und Transaktionskostentheorie Williamsonscher Prägung an. 24 Transaktionen werden dabei - in Anlehnung an Williamson - begriffen als die Transforierung eines Gutes zwischen zwei technisch separierbaren Einheiten, wobei insbesondere die mit dem physischen Transfer verbundene Übertragung von Verfügungsrechten herausgestellt wird. Damit wird es möglich, eine Innovation als eine spezifische Transaktion zu begreifen, wobei die Innovationssituation durch hohe Unsicherheit, Singularität und hohe transaktionsspezifische Inve-
22 Ebd., S. 356f. Zum Gesamtzusanunenhang siehe auch: Knauff, Rudolf: Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, in: Harnel, Hannelore (Hg.): Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft. Ein Vergleich Bundesrepublik Deutschland - DDR, 5. neubearbeitete Auflage, München 1989, S. 61 - llO; hier: S. 85fT. 23 A. Wieandt, Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch innovationen, S. 18ff, 53. 24 Ebd., S. 26ff, 45f, 52.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
stitionen gekennzeichnet ist. 25 Innovationsprozesse werden dabei ausgelöst durch eine Kombination der beiden Größen Gewinnmotiv/Gewinnanreize imitativer Wettbewerbsdruck. Mit anderen Worten: Der Innovationsdruck und die Innovationswahrscheinlichkeit ist um so größer, je geringer die Gewinnaussichten von Investitionen auf vorhandenen Märkten sind. Diese werden ihrerseits im wesentlichen bestimmt durch die Intensität des imitativen Wettbewerbs auf den bereits existierenden Märkten. 26 Sind schließlich die bereits bei Schumpeter vorausgesetzten institutionellen Arrangements für Wettbewerb gegeben (s.o.), so verfügt das Einzelunternehmen laut Wieandt über drei prinzipielle Optionen, um seine Gewinne zu steigern, zu wachsen und letztlich zu überleben: a) Imitativer Eintritt in einen bestehenden Markt durch Überwindung der faktischen Markteintrittsbarrieren. 21 b) Schaffung eines neuen Marktes. Hierbei handelt es sich um eine Innovation, die durch die Investition in Informationen entlang der drei Marktdimensionen "Funktionsanforderungen", "Technologie" und ,,Kundenidentität" möglich wird. Damit ergibt sich, daß Innovationsstrategien hier im wesentlichen als Informationsstrategien aufgefaßt werden, diese verursachen mithin zunächst Informationskosten als spezifische Ausprägung von Transaktionskosten. 28 c) Entwicklung eines neugeschaffenen Marktes durch Folgeinnovationen. Diese können abzielen auf die Senkung der auftretenden Transaktionskosten, auf die Steigerung des Kundennutzens durch Produktinnovation oder auf die Erhöhung des Preissenkungspotentials durch Prozeßinnovation. Ziel dieser Strategien ist es, die Markteintrittsbarrieren zu erhöhen, um der potentiellen Marktzerstörung durch Konkurrenten antizipativ zu begegnen. 29
Die Bedeutung innovativen HandeIns für Rentabilität, Wachstum und Existenz des Einzelunternehmens ergibt sich somit bereits aus den strategischen Optionen b) und c), welche innovatives Handeln voraussetzen. Die strategische Bedeutung der Innovation für das Unternehmen wird sodann durch die
25 Ebd., S. 31, 39f. In dieser Situation ergibt sich, daß in der Regel die hierarchische Internalisierung der Transaktion ,,Innovation" die kostengünstigste Koordinationsfonn ist. Die erstmalige Durchsetzung von neuern Wissen setzt damit die Existenz oder Entstehung eines Untemerunens voraus, das die entstehenden Transalctionskosten minimieren kann. Ebd. 26 Ebd., S. 5f. 21 Dieser Fall bildet den Gegenstand des Konzepts der "contestable markets". Ebd., S. 84ff, S. 206. 28 Ebd. S. 35 - 39, 87 - 122,206. 29 Ebd., S. 123 - 155, 206f.
I. hmovationen Wld fehlender Anbieterwettbewerb
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simultanen Aktionen der Wettbewerber nochmals gesteigert. Entscheiden diese sich ihrerseits für die Innovation und damit für die Schaffung eines neuen Marktes (Variante b), so besteht die Gefahr, daß dieser den neugeschaffenen Markt des ursprünglich betrachteten Unternehmens substituiert und letztlich zerstört. Zur Verhinderung der Marktzerstörung ist das ursprünglich innovative Unternehmen seinerseits auf die Entwicklung des neugeschaffenen Marktes verwiesen (Variante c), die ihrerseits Innovationen erfordert. 30 Zusammengefaßt erzwingen die innovativen Marktschaffungsanstrengungen konkurrierender Unternehmen die Verteidigung des bedrohten Marktes durch Innovationen. Bieten die Alternativen a) bis c) den Unternehmen in einer Wettbewerbsordnung prinzipiell Wachstumsoptionen, so bedingen sie andererseits eine permanente Gefährdung ihrer Position durch parallele Aktivitäten der (potentiellen) Konkurrenten. Bedroht der imitative Wettbewerb die Rentabilität auf den bestehenden Märkten, so gefährdet der substitutive Wettbewerb qua Innovation die Entwicklungsmöglichkeiten neugeschaffener Märkte, die wiederum nur durch kontinuierliche Innovationstätigkeit zu entwickeln und zu verteidigen sind. Damit ist im Extremfall nur die Innovationshöhe, die der radikalsten möglichen Innovation potentieller Wettbewerber entspricht, zur Verteidigung der neugeschaffenen Märkte gerade ausreichend. 31 Aus den Überlegungen Wieandts ergibt sich ein differenziertes Bild der Bedeutung dynamischen Wettbewerbs rur die Innovationsaktivitäten der Unternehmen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Einerseits bietet dieser den Unternehmen Optionen zur Realisierung der angestrebten Gewinne sowie für das Wachstum des Unternehmens. Andererseits aber schafft er einen sich selbst reproduzierenden Mechanismus, der Innovationen für die Unternehmen zu einer Überlebensfrage werden läßt. In der Diktion Wieandts entwickelt sich der ,.Fluch der Innovation".32 Es existiert ein permanentes Bedrohungsszenario, das Existenz, Wachstum und Rentabilität der Einzelunternehmung durch
30 Ebd., S. 157 - 169. S. 207. Zugrunde liegt dem die auf den Ausführungen G. Menschs beruhende These, nach der hmovationen stets Substitutionsschritte darstellen. Ebd., S. 20. 31 Laut Wieandt stellt der substitutive Wettbewerb letzten Endes eine größere BedrohWlg fiIr den etablierten Wettbewerber dar, als die imitative MarkteintrittsdrohWlg Wld der mit diesem verbWldene statistische Preiswettbewerb. Ebd., S. 85, 129, ISS. 32 ,,Der Druck des potentiellen hmovationswettbewerbs zwingt den innovativen Hersteller zu Folgeinnovationen, denn die Marktaustrittsbarrieren der KWlden sind nicht so hoch, daß ihre LieferantenwechseldrohWlgen WlglaubWOrdig wären. Die Ursache der MarktentstehWlg, die hmovation, wird langfristig zum Fluch, denn um im Wettbewerb bestehen zu können, benötigt der Hersteller weiter ,hmovationen, hmovationen Wld nochmals Innovationen. '" Ebd., S. ISS.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
innovative Bemühungen der Wettbewerber in Frage stellt und die Notwendigkeit von Innovationen zur Abwehr dieser Bedrohung begründet.
2. Mechanismen und Folgen der Eliminierung des Wettbewerbs in der sozialistischen Wirtschaftsordnung Nach diesen Erläuterungen zum Zusammenhang von Wettbewerb und Innovationen in Marktwirtschaften gilt es nun. die Gründe für den fehlenden Wettbewerb in Planwirtschaften des sozialistischen Typus zu diskutieren und die hieraus resultierenden Konsequenzen zu skizzieren. Dabei bildet die Tatsache, daß in dieser Wirtschaftsordnung die staatlichen Unternehmen sich nicht im Wettbewerb miteinander befinden, eines der grundlegenden Wesensmerkmale dieses Systems. Dennoch erscheint es angezeigt, die Mechanismen, mit denen Wettbewerb hier - zum überwiegenden Teil intentional33 - eliminiert wurde, im einzelnen zu benennen. Warum also herrschte in der sozialistischen Planwirtschaft kein Wettbewerb zwischen den Unternehmen? Eine erste Antwort auf diese Frage lautet: Die Unternehmen agierten hier nicht als Konkurrenten, weil eine - teilweise extreme - organisatorische Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten herrschte. Die Erzeugung spezifischer Produkte oder Produktgruppen wurde infolgedessen nach Möglichkeit in einem einzigen Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe (etwa einem Kombinat oder einer Vereinigung Volkseigener Betriebe) konzentriert. Organisatorisch wurde diese Unternehmensgruppe ihrerseits einem spezifischen Industrieministerium, einer Abteilung in der Plankommission und im Parteiapparat unterstellt. Infolge der politisch gewollten und bewußt angestrebten planmäßigen Gestaltung des Wirtschaftsprozesses wurden damit tendenziell monopolistische Strukturen herausgebildet; idealiter existierte somit für ein Produkt nur ein Anbieter. 34 Ein historisches Beispiel für die Herausbildung
33 Zur theoretischen und ideologischen Begründung der Ausschaltung spontaner und ungeplanter Wettbewerbsprozessse, wie sie der MarxismuslLeninismus formulierte, siehe: Leipold, Helmut: Gesellschaftstheoretische Fundierung der Wirtschaftssysteme, in: H. Harnel (Hg.), Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft, op. cit., S. 1 - 24; hier: S. 15 - 24. Leonid Kosals präsentiert eine Zusammenstellung der bedeutendsten ideologischen hnperative, welche in der So\\jetunion den Status eines Dogmas einnahmen. Hierzu zählt er auch die Ablehnung des ökonomischen Wettbewerbs, welcher nach so\\jetischer Auffassung destruktiv sei, die Wirtschaft unkontrollierbar mache und das Erreichen sozial sinnvoller Ziele behinderte. Kosals, Leonid: Why Doesn't Russian Industry Work?, LondonlNew York 1994, S. 207. 34 Poznanski, Kazimierz Z.: Technology, Competition & the Soviet Bloc in the World Market, Berkeley 1987, S. 160. L. Balcerowicz, Innovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 52. Wagner, Ulrich: Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, in: Gutmann, Gemot (Hg.):
I. Innovationen lUld fehlender Anbieterwettbewerb
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monopolartiger Strukturen ist die 1981 abgeschlossene Kombinatsreform in der DDR, die zur Gründung von 133 Kombinaten in der zentralgeleiteten Industrie fiihrte. 35 Die Kompetenz der Investitionsallokation, und damit der Entscheidung über die zukünftige Zuweisung und Verteilung wirtschaftlicher Aktivitäten, oblag dem bürokratischen Apparat des Staates und der Partei. 36 Diese Konzentration schloß einen Wettbewerb konkurrierender Anbieter bereits tendenziell aus. Hinzu kamen jedoch weitere Umstände, welche diesen Wettbewerb so gut wie vollständig eliminierten: In enger Verbindung mit der monopolistischen Organisationskonzentration ist die fehlende Möglichkeit eines dezentralen und autonomen "Markeintritts" (siehe Übersicht 1, Punkt 5) zu betrachten. Die Entscheidung, ob ein Produkt hergestellt wird, in welcher Größenordnung und mit welcher Technologie dies geschieht und welche Vertriebskanäle genutzt werden, fällt in der sozialistischen Wirtschaftsordnung im Rahmen der Formulierung des Volkswirtschaftsplanes und bildet eine der zentralen Aufgaben der Planungsbürokratie. Damit entfallt aber sowohl die anhand des Schumpetersehen Modells erläuterte Möglichkeit der unabhängigen Verwertung von Innovationen durch "neue Unternehmen" wie auch der von Wieandt herausgestellte imitative und substitutive Wettbewerbsdruck auf die etablierten Produzenten: Sozialistische Industrieunternehmen hatten keine Bedrohung durch überraschend auftretende Außenseiter zu gewärtigen. 37 Selbst aber, wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte es keine existentielle Geflihrdung der bestehenden Unternehmen mit sich gebracht: Faktisch existierte im sozialistischen Wirtschaftssystem die Möglichkeit des Ausscheidens unwirtschaftlicher Unternehmen, d.h. des Konkurses, nicht. Tendenziell war somit das Überleben der Unternehmen unabhängig von ihrer Rentabilität durch den Staat abgesichert, ihre Budgetbeschränkungen waren damit relativ weich (Übersicht 1, Punkt 4, sowie ausfiihrlicher Teil 2, IV). Hierdurch mußten 1980 selbst in Ungarn, als der reformfreudigsten Volkswirtschaft des
Das Wirtschaftssystem der DDR. Wirtschaftspolitische Gestaltungsprobleme, Stuttgart/New York 1983, S. 311 - 329; hier: S. 322f. 35 Bryson, Phillip J.lMelzer, Manfred: The Kombinat in GDR Economic Organisation, in: Jeffiies, IanlMelzer, Manfred (Hg.): The East German Economy, LondonINew YorklSydney 1987, S. 51 - 68; hier: S. 52, 54, 58, 61f, 64. 36 J. Komai, The Socialist System, S. 115 - 117, 163 - 165. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloe, S. 4. Zur diesbezüglichen Kompetenzverteilung in der DDR zu Beginn der achtziger Jahre: Knauff, Rudolf: Die Investitionspolitik der DDR, in: G. Gutmann (Hg.), Das Wirtschaftssystem der DDR, op. cit., S.331 - 344; hier: S. 337f. Ders., Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 72 - 79. 37 U. Wagner, Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, S. 322ff. J. Komai, The Socialist System, S. 112f, 125, 128f. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloe, S. 4.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
RGW, nur 10 von 1735 Unternehmen überhaupt einen Verlust ausweisen, liquidiert wurden lediglich 13 Unternehmen. 38 Schließlich wurden Aufkommen und Verteilung der Produkte, Zwischenprodukte und Rohstoffe innerhalb des Planungsprozesses, d.h. bürokratisch bilanziert. Als Nachfrager von Vorprodukten bekamen die Industrieunternehmen ihre Zulieferer häufig administrativ zugewiesen. In der Regel verfügten sie mit anderen Worten nicht über die M6glichkeit zur autonomen Definition ihrer Inputtransaktionen. Die Option, den Lieferanten zu wechseln, hätte auch / dann nicht bestanden, wenn ein günstigerer Anbieter existiert hätte. Ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Zulieferern wurde durch das Bilanzierungsund Verteilungssystem damit zusätzlich weitgehend ausgeschlossen. 39 In engen Zusammenhang damit waren die sozialistischen Volkswirtschaften vor allem auch durch die allgegenwärtige Mange/wirtschaft und durch die Existenz von Verktiufermtirkten geprägt, welche ungeachtet aller sonstigen Arrangements dazu angetan gewesen wären, die Konkurrenz zwischen verschiedenen Anbietern nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. (siehe Teil 2, IV).o4O Sodann führte die - wirtschaftspolitisch gewollte - Abschottung vom Weltmarkt dazu, daß fehlender interner Wettbewerb nicht durch externe Konkurrenten substituiert wurde. Sowohl der Import von Waren als auch die Direktinvestitionen ausländischer, und vor allem kapitalistischer, Unternehmen waren zumeist so gering, daß sie - ungeachtet aller sonstigen Strukturen - keinen wirklichen Wettbewerbsdruck entfalten konnten. Poznanski analysierte die sozialistischen Planwirtschaften aufgrunddessen als ,geschlossene Volkswirtschaften' und machte diese für ihre ungenügende technologische Dynamik verantwortlich. 41
38 Diese Zahlen markierten jedoch für Ungarn den bis dahin erreichten höchsten Stand, siehe K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet B1oc, S. 186 ff. J. Koma;, Economics of Shortage, Vol B, S. 306ff, 314ff, 319. Ders., The Socialist System, S. 140 ff, 162f, 270. 39 Berliner präsentiert das Beispiel eines sowjetischen Unternehmens, das die Geschäftsbeziehung zu einem Containerproduzenten, dessen Lieferungen stets mit Verspätung eintrafen, aufgeben wollte. Obwohl ein adäquater Alternativlieferant gefunden werden konnte, zogen sich die Verhandlungen über den Wechsel des Zulieferbetriebes über Monate hin. J. Berliner, The hmovation Decision, S. 77. K. Poznanski, The Socialist System, S. 116. 040 Einen detaillierten Überblick über die wesentlichen Eigenschaften von Käuferund Verkäufermärkten bietet: J. Koma;, The Socialist System, S. 233,245 - 252. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 158f, 189ff. 41 Dies habe sie vor allem seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von den neuindustrialisierenden Volkswirtschaften Lateinamerikas unterschieden, welche die Modernisierung ihrer Volkswirtschaft in erster Linie durch Investitionen multinationaler Unternehmen betrieben hätten. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 8, 135 -152, 169ff, 194 - 204, 207.
I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb
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Das Fazit der bisherigen Betrachtung lautet: In planwirtschaftlichenSystemen sozialistischer Prägung existierte kein Anbieterwettbewerb, weil basale institutionelle Strukturen wesentlich von jenen abwichen, die bereits im Zusammenhang mit dem Schumpeterschen Modell als existentiell für die Hervorbringung von Wettbewerb bezeichnet wurden: Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die bewußt angestrebte organisatorische Konzentration, die monopolartige Gebilde schuf. Deren Wirkungen wurden verstärkt durch die Unmöglichkeit des autonomen und dezentralen Markteititritts sowie des Marktaustritts infolge von Unwirtschaftlichkeit. Die Bindung der Unternehmen an einen bestimmten Zulieferbetrieb, die ubiquitäre Mangelwirtschaft und der hieraus resultierende Verkäufermarkt sowie schließlich die Abschottung vom Weltmarkt kamen hinzu und bedingten, daß staatliche Unternehmen im sozialistischen Wirtschaftssystem so gut wie keinen Wettbewerb konkurrierender Anbieter zu befürchten hatten. Auf einer höheren Abstraktionsebene zeigte sich bereits, daß in letzter Instanz der dominierende ökonomische Koordinationsmechanismus dafür verantwortlich war, daß ein Anbieterwettbewerb sich nicht entfalten konnte: Die wesentliche ökonomische Koordination in sozialistischen Volkswirtschaften erfolgte über multiple, bürokratische Hierarchien, während die Koordination über Marktprozesse in Randbereiche abgedrängt wurde. Tendenziell kam es zur Entwicklung einer einzigen, umfassenden bürokratischen Organisation, die Staats-, Partei, Massen- und Sicherheitsorgane verband. Die Koordination durch den Markt wurde substituiert durch die Koordination durch Hierarchie. 42 Allgemein besteht ein Anbieterwettbewerb dann, wenn in einer Wirtschaftsordnung zwei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Nachfrage kann sich auf die Produkte alternativer Lieferanten verlagern; 2. eine rückläufige Nachfrage führt zu negativen Konsequenzen für die betroffene Unternehmensleitung. 43 Die barokratische Koordinationsform bedingte
42 U. Wagner, Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, S. 323. L. Balcerowicz, Innovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 50. Leipold, Helmut: Planversagen versus Marktversagen, in: H. Harnel (Hg.), Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft, op. cit., S. 111 - 152; hier: S. 113 ff. Komai unterscheidet allgemein folgende Koordinationsformen: 1. Bürokratische Koordination; 2. Koordination durch den Markt; 3. Koordination durch Selbstabstimmung; 4. Ethische Koordination; 5. Koordination durch die Familie. Wesentlich ist die Abgrenzung der beiden ersten Koordinationsmechanismen: Die bürokratische Koordinationsform wird - im allgemeinen Modell - bestimmt durch vertikale und asymmetrische Beziehungen zwischen Personen und mstitutionen, wesentliches Kommunikationsmedium ist der Befehl oder die Anordnung. Hingegen dominieren in der marktlichen Koordination horizontale Beziehungen, in denen die formal gleichberechtigten Akteure Transaktionen durch Vertragsabschluß realisieren. hn Gegensatz zur ersteren ist diese Koordinationsform monetarisiert. J. Komai, The Socialist System, S. 91 ff. Siehe auch: Ebd., S. 97 - 103, 109f, 117f, 144. 43 L. Balcerowicz, Innovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 44f. 4 Unger
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
somit die nahezu vollständige Eliminierung dieses Wettbewerbs und der Konkurrenz autonomer und dezentraler Akteure. Als Folge ergaben sich entscheidende Konsequenzen für das Handlungsmodell der Industrieunternehmen in sozialistischen Planwirtschaften. Innovationen besaßen damit einen wesentlich geringeren Stellenwert für das Unternehmen als im marktwirtschaftlichen Konkurrenzmodell. Fehlende Wettbewerbsstrukturen tangieren im Hinblick auf Innovation allgemein drei Dimensionen des Unternehmenshandeins: a) Das Anreizsystem; b) den Sanktionsmechanismus bei unterlassenen Innovationen sowie schließlich c) den Selektionsmechanismus zur Evaluation der Wirtschaftlichkeit realisierter Innovationen. 44 Da das Anreizsystem des sozialistischen Industrieunternehmens Gegenstand des folgenden Unterkapitels ist, wird hier auf eine weitergehende Erörterung dieser Dimension verzichtet und die Darstellung auf den Sanktionsund Selektionsmechanismus beschränkt. Mit der Eliminierung des Wettbewerbs konkurrierender Anbieter entfallt für die Industrieunternehmen in einer sozialistischen Planwirtschaft ein wesentlicher Mechanismus zur Sanktionierung fehlender und verpaßter Innovationen. Wie Wieandt aufzeigen konnte, hängt die Existenz, das Wachstum und die Rentabilität marktwirtschaftlicher Unternehmen in einem entscheidenden Ausmaß davon ab, daß sie angestammte Märkte verteidigen, neue Märkte erobern und diese sodann weiterentwickeln. Im Mittelpunkt dieser Überlebensund Wachstumsstrategien steht die Durchführung von Innovationen (s.o.). Nur wenn das Überleben eines Wirtschaftsunternehmens von der kontinuierlichen Reduktion der Produktionskosten und Fähigkeit seinen Output abzusetzen abhängt, wird es die sich bietenden Gelegenheiten zur Durchsetzung technischen Fortschritts dauerhaft nutzen. Eine Lockerung dieser Überlebensbedingungen ermöglicht es dem Unternehmen hingegen, Innovationen, die stets mit einem hohen Grad an Ungewißheit verbunden sind, weitgehend zu vermeiden. 4s Wie gezeigt werden konnte, entschied sich das Überleben sozialistischer Industrieunternehmen als Folge des herrschenden Koordinationsmechanismus gerade nicht auf der Grundlage seiner Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu konkurrierenden Anbietern, d.h. also am Markt, sondern im Ergebnis bürokratischer Entscheidungsfindung. Als Konsequenz der hier geltenden Regeln für das Überleben der Unternehmen waren die Opportunitätskosten der Nichtinnovation geringer als in der Marktwirtschaft. 46 Der Druck, den die Bürokratie, 44 R.
Knauf!, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 86. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S.186. 46 SI. Gomulka, Growth, Innovation and Refonn, S. 55. Joseph Berliner gelangt so 4S
etwa zu der Schlußfolgerung, die Abschirmung der so\\]etischen Unternehmen von jeglichem Wettbewerb habe dazu gefilhrt, daß die Wirtschaftsordnung über keinen
I. Innovationen und fehlender Anbieterwettbewerb
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Forschungsinstitute etc. auf die Staatsbetriebe ausübten, um diese zur Realisierung von Innovationen zu veranlassen, konnte von letzteren eher umgangen werden als der "objektive" Druck konkurrierender Anbieter auf einem funktionierenden Markt. Das Überleben des - häufig als Monopolist agierenden Unternehmens war ohne Rücksicht auf seine Innovativität gesichert, selbst Wachstum war unter diesen Bedingungen ohne Innovationen möglich. Innerhalb des bürokratischen Systems verfügte das sozialistische Unternehmen über Alternativen zur innovatorischen Wachstumsstrategie: Die für die gewünschte Expansion benötigten Ressourcen wurden den Unternehmen im Zuge des bürokratischen Planungsprozesses zugewiesen, wobei sich trotz der fonnalen Zentralisierung eine Vielzahl von Möglichkeiten der vertikalen Aushandlungsprozesse zwischen Unternehmens- und Planungsbürokratie ergaben. Zwar waren die Ergebnisse der Verhandlung im Einzelfall ungewiß, doch bestand prinzipiell die Möglichkeit, Unternehmenswachstum auch dann sicherzustellen, wenn die nötigen Mittel nicht von dem Unternehmen erwirtschaftet wurden. 47 Die unternehmensbezogenen Budgetbeschränkungen waren weich bis relativ weich, es existierte ein umfangreiches Netz der staatlichen Absicherung, welches auch veralteten und nichtinnovativen Industriebetrieben weiteres Wachstum ennöglichte (siehe Teil 2, IV).48 Hinzu kommt, daß durch die Ausschaltung des Anbieterwettbewerbs in der klassischen sozialistischen Wirtschaftsordnung ein entscheidender Mechanismus zur Evaluation der Nützlichkeit durchgefiihrter Innovationen entfällt. In den Volkswirtschaften des RGW wurden demzufolge häufig technische Innovationen beobachtet, welche ex post die eingangs fonnulierten Erwartungen nicht befriedigen konnten oder sich sogar als unrentabel erwiesen. Ein Beispiel für diese Tendenz ist die Robotertechnik in der Sowjetunion: Laut Poznanski war die Verbreitung von Industrierobotern in der UdSSR während der achtziger Jahre quantitativ durchaus mit fiihrenden westlichen Ländern vergleichbar. Jedoch seien die Technologien häufig unzuverlässig gewesen, zudem hätten ihre Produktionskosten zum Teil die durch sie fortgefallenen Arbeitskosten überstiegen. Von einer Robotertechnologie fiir Ladearbeiten wird berichtet, daß sie jährlich Kosten von 40.000 - 50.000 Rubeln verursachte, jedoch nur Lohnkosten von 4.000 Rubeln einsparte. 49 "unsichtbaren Fuß" zur Sanktionierung innovationsfeindlicher Unternehmen verfUgt habe. J. Berliner, The Innovation Decision, S. 522 - 534. 47 L. Kosals, Russian fudustry, S. 142 - 144, 222f, 233f. J. Komai, The Socialist System, S. 122f, 140 - 145,297. U. Wagner, Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, S. 322 324. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 158 - 161, 185 - 188, 194,210. 48 J. Komai, Econornics ofShortage, Vol B, S. 306 - 322, 565ff. Ders., The Socialist System, S. 140 - 145. L. Kosals, Russian fudustry, S. 142f,222f. 49 K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 160f.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Der wesentliche Faktor für diese unwirtschaftlichen Innovationen ist darin zu sehen, daß mit dem Wettbewerb ein sehr leistungsfähiges Instrument zur Selektion von Fehlinnovationen aufgegeben wurde. Nach Balcerowicz ergibt sich die Innovations/eistung einer Volkswirtschaft aus der Kombination der Innovationsrate (Intensität der Innovationstätigkeit, meßbar etwa als Zahl der zu einer gegebenen Zeit eingeführten Innovationen, relativ zum Sozialprodukt) und der Innovationseffizienz. Dabei definiert er Innovationseffizienz als den Effekt einer Innovation in bezug auf das aggregierte Konsumniveau. Innovationen sind danach um so effizienter, je größer der durch sie ausgelöste Anstieg des aggregierten sozialen Konsumniveaus relativ zu den aufgewendeten Kosten ist. Ungeachtet meßtechnischer und definitorischer Probleme ist es wesentlich, daß es in Anknüpfung an diese Überlegung zwei Faktoren für eine niedrige Innovationsleistung einer Volkswirtschaft gibt: Einen geringen Umfang an Innovationen und eine niedrige Innovationseffizienz. Zur Selektion und Eliminierung von Innovationen mit geringer Effizienz ist jede Wirtschaftsordnung darauf angewiesen, einen Selektionsmechanismus zu entwikkein, der es ermöglicht, Anreize und Strafen im Hinblick auf Innovationen mit deren Effizienz zu verknüpfen und "Negativinnovationen" auszuschalten. Belohnungen sind demnach ausschließlich mit hocheffizienten, Strafen mit wenig effizienten Innovationen zu verbinden. so In der Marktwirtschaft bietet der Wettbewerb konkurrierender Anbieter das wesentliche Element zur Aussonderung unzweckmäßiger Innovationen. Bereits oben wurde dargelegt, daß im Zuge des substitutiven Wettbewerbs letztlich nur jene Innovationshöhe zur Verteidigung neugeschaffener Märkte ausreicht, welche der radikalsten möglichen Innovationshöhe des potentiellen Konkurrenten entspricht. Auf diesen Markttest der Innovationseffizienz muß nun aber das sozialistische Industrieunternehmen verzichten. Ersetzt wird er hier durch die Entscheidung der Planbürokratie über die Nützlichkeit eines Innovationsprojektes. Dies hat zur Folge, daß die Evaluation häufig nach schwer nachvollziehbaren, mitunter willkürlichen und auch politischen, Kriterien erfolgt. Hinzu kommt, daß sich hier für die Betriebe, welche daran interessiert sind, den Nutzen einer von ihnen durchgeführten Innovation möglichst günstig erscheinen zu lassen, eine Vielzahl von Manipulationsmöglichkeiten und Ansätze für vertikale Aushandlungsprozesse ergeben. Zugrunde liegt dem die allgemein konstatierbare Informationsassymetrie zwischen Betrieben und Planbürokratie bezüglich der realen betrieblichen Verhältnisse. Damit wird eine Tendenz zur Sorglosigkeit bei der Auswahl von Innovationsprojekten begünstigt. In Verbindung mit den weichen Budgetbeschränkungen der Unternehmen kommt es zur "institutionalisierten Ineffizienz". Erweisen so L. Balcerowicz, Innovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme Wld InnovationsleistWlg von Wirtschaftssystemen, S. 30ff, 39 - 43.
II. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
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sich Projekte nach ihrer Realisierung schließlich als Fehlschlag, verstärkt dies den vorhandenen Skeptizismus gegenüber Innovationen im allgemeinen. Der fehlende Zwang zur Erprobung einer lnnovation auf dem Markt führt letzten Endes zur suboptimalen Ressourcenallokation. 51 Insgesamt bedingte die politisch gewollte Ausschaltung des Wettbewerbs den Fortfall des von ihm ausgeübten Sanktions- und Selektionsmechanismus im Zusammenhang mit industriellen Innovationen. Hinzu traten zudem Konsequenzen für das Anreizsystem.
11. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung Wie in Teil 2, I angedeutet. ist die innovationsfördernde Wirkung, welche der Wettbewerbsmechanismus in Marktwirtschaften entwickelt, eng mit einem entsprechenden Anreizsystem verbunden. Bereits Schumpeter nannte dabei die Möglichkeit, den aus der Durchsetzung neuer Kombinationen resultierenden Pioniergewinn anzueignen, als eines der wesentlichen Motive des Unternehmers bei der Durchsetzung von Innovationen. Da die Implementation von Neuerungen in einem Unternehmen zwangsläufig größere Anstrengungen von den Akteuren erfordert, als die Fortführung der bisherigen Standardaktivitäten, ist allgemein davon auszugehen, daß diese durch positive "Incentives" für ihre Neuerungsbereitschaft motiviert werden müssen. Im folgenden soll daher das Verhältnis von Incentivestruktur und Innovationsfähigkeit in sozialistischen Planwirtschaften diskutiert werden. Unter "Incentives" (Anreizen) wird dabei die Verknüpfung der möglichen Ergebnisse wirtschaftlichen Handeins mit einem System materieller Belohnungen für die involvierten Personen oder Gruppen verstanden. 52 Zugrundegelegt wird dabei folgende These:
In der klassischen sozialistischen Planwirtschaft sind die materiellen Anreize zur Entwicklung und Durchsetzung effektiver Innovationen relativ schwach entwickelt. ZurückzuflJhren ist dies im einzelnen auf das staatliche Eigentum an den Produktionsmitteln, die Struktur des Prämiensystems sowie auf die spezifische Interessenkonstellation der Planformulierung. Im Ergebnis begflnstigt das Incentivesystem die Beibehaltung bekannter Produktionsverfahren und Produkte sowie Neuerungen begrenzter Reichweite. 51 U. Wagner, Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, S. 314f, 322 324. K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 160f, 185f, 194, 210. SI. Gomulka, Growth, Innovation and Reform, S. 47f. L. KosaIs, Russian Industry, S. 192f, 196,236. L. Balcerowicz, Innovationsspezifika, Wirtschaftssysteme und Innovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 30fT, 39 - 47, 50. 52 J. Berliner, The Innovation Decision, S. 11. Ausgeklanunert werden dabei sämtliche nichtmateriellen Anreizformen, die gleichwohl in den sozialistischen Gesellschaften weit verbreitet waren.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
1. Die Property Rights des sozialistischen Wirtschaftssystems Neben der plangesteuerten Koordination bilden die spezifischen eigentumsrechtlichen Regelungen ein zweites systemspezifisches Merkmal sozialistischer Wirtschaftsordnungen. Stand die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln bereits im Mittelpunkt der marxistisch-leninistischen Theorie53, so zeichneten sich die auf ihr beruhenden Wirtschaftsordnungen durch eine weitestgehende Dominanz des staatlichen Eigentum an den Produktionsmitteln aus. S4 Laut Kosals nahm die Überlegenheit des Staatseigentum an den Produktionsmitteln in der Sowjetunion den Rang eines ideologischen Imperativs ein, der als solcher nicht zu hinterfragen war, ohne das gesamte System in Frage zu stellen. Da gleichzeitig insinuiert wurde, daß der sozialistische Staat die Gesellschaft insgesamt repräsentierte, wurde zudem gesellschaftliches mit staatlichem Eigentum gleichgesetzt, dem sich alle übrigen Eigentumsformen unterzuordnen hätten. 55 Dies bedingte Konsequenzen im Hinblick auf Nutzungs- und Verfügungsrechte (property Rights). Vor allem von westlichen Ökonomen wurde darauf hingewiesen, daß die sozialistische Konfiguration der Property Rights nicht in der Lage war, ein systematisches und spontanes Interesse an Innovationen zu begründen, da letztlich niemand über die Möglichkeit verfügte, sich den ökonomischen Nutzen einer Innovation privat anzueignen. Mit der Ausschaltung der Rolle des privatwirtschaftlichen Eigners des Produktivkapitals sei auch das für Marktwirtschaften grundlegende Gewinnmotiv für ökonomische Effizienz und Innovationen aufgegeben worden. 56 Zur Verdeutlichung seien die für Innovationen entscheidenden Property Rights angeführt: a) Das Recht, über den aus der wirtschaftlichen Tätigkeit resultierenden Gewinn zu verfügen und diesen für Konsum, Investitionen, Akquisitionen etc. zu nutzen. H. Leipold, Gesellschaftstheoretische Fundierung der Wirtschaftssysteme, S. 16f. In den achtziger Jahren betrug der Anteil des öffentlichen Sektors am Nationaleinkonunen, hier allerdings einschließlich der Genossenschaften und der privaten Erträge von Genossenschaftsmitgliedem, in Osteuropa zwischen 81,2 % (Polen) und 99,3 % (CSSR). J. Komai, Tbe Socialist System, S. 72. 55 L. Kosals, Russian Industry, S. 206f. 56 Wagner, Ulrich: Interessenkonflikte zwischen politischer Führung und Betriebsleitungen in sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaften. Dargestellt am Beispiel der Industrie Mitteldeutschlands, Marburg 1967, S. 14. Ders., Innovationsprobleme im Wirtschaftssystem der DDR, S. 322. Einen Überblick über die Ergebnisse der marktwirtschaftlichen Innovationsforschung in bezug auf die relative Bedeutung der Faktoren technische Möglichkeiten, Marktbedingungen und Gewinnmöglichkeiten bietet: Dosi, Giovanni: Sources, Procedures and Microeconomic Effects of Innovation, in: Journal ofEconomic Literature, Vol. XXVI (1988), S. 1120 - 1171; hier v.a.: S. 11391143, 1147f, 1160f. 53
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II. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
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b) Das Recht. das Unternehmen zu veräußern oder zu übertragen. c) Das Recht, über die Unternehmensaktivitäten zu entscheiden und diese zu kontrollieren. S1 Punkt a) und b) konstituieren dabei die entscheidenden Nutzungsrechte, während c) als Verfügungsrecht zu bezeichnen ist. Unmittelbar einsichtig ist, daß die Möglichkeit zur Aneignung des Unternehmensgewinns ein direktes und quasi automatisches Interesse an Innovationen, definiert. Gleiches gilt aber auch für den zweiten Aspekt der Nutzungsrechte: Insofern, als technologische Modernisierung den Wert des betreffenden Vermögens, und damit seinen Erlös bei einer möglichen Veräußerung erhöht, ist hier eine zweite Anreizdimension gegeben, die ein grundsätzliches Interesse an innovativem Handeln begründet. SB Jede Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird nicht zuletzt durch die ihr eigene Konfiguration der Property Rights charakterisiert. Im klassischen kapitalistischen Einzelunternehmer sind dabei die unter Punkt a) bis c) aufgeführten Nutzungs- und Verfügungsrechte vereint. Die sozialistische Wirtschaftsordnung zeichnete sich in ihrer klassischen Phase hingegen durch extrem gespaltene Nutzungs- und Vet:ftJgungsrechte aus. Besaß die wirtschaftsleitende Bürokratie beträchtliche Verfügungsrechte, so waren ihre Rechte zur Nutzung des industriellen Vermögens sehr gering: Wie bereits dargestellt (Teil 2, I) wurden in der sozialistischen Wirtschaftsordnung die Koordinationsleistungen im wesentlichen von einer umfassenden und tiefgestaffelten Bürokratie des Staates und der Partei erbracht. Je höher die jeweilige Administration in der Hierarchie angesiedelt war, desto umfassender waren ihre Kompetenzen zur Entscheidung über die Aktivitäten der Staatsunternehmen und damit ihre Verfügungsrechte. An der Spitze rangierte dabei zumeist der Ministerrat, dem die Plankommission, verschiedene Querschnittsverwaltungen, zeitweise Industrieministerien, Vereinigungen Volkseigener Betriebe, Kombinate und letztlich die Staatsbetriebe untergeordnet waren. Hinzu gesellte sich der Parteiapparat, der die führende politische Institution repräsentierte und häufig in Entscheidungen, welche Industrieunternehmen betrafen, eingriff. Diese Instanzen besaßen die Vollmacht zur Formulierung der Volkswirtschaftspläne, zur Allokation der Ressourcen, zur Gründung von Betrieben, aber auch zur Entscheidung über Innovationen. In dieser Hinsicht waren die Verfügungsrechte, die die einzelnen bürokratischen Organe in der Industrie ausübten, tendenziell unbegrenzt. Hiervon wichen die Nutzungsrechte deutlich ab: So war etwa keiS1 J. Komai, The Socialist System, S. 62ff. Leipold, Helmut: Der Einfluß von Property Rights auf hierarchische und marktliche Transaktionen in sozialistischen Wirtschaftssystemen, in: SchülIer, Alfred (Hg.): Property Rights und ökonomische Theorie, MOnchen 1983, S. 185 - 217; hier: S. 188f SB J. Komai, The Socialist System, S. 62ff.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
ner dieser Akteure berechtigt. sich den Gewinn der wirtschaftlichen Tätigkeit privat anzueignen. Zwar wurden die Entscheidungen zur Nutzung und Verteilung dieses Gewinns ebenfalls in der Wirtschafts- und Politbürokratie getroffen, doch war Einkommen und Vermögen der Akteure nicht automatisch mit dem wirtschaftlichen Ergebnis verbunden, eine direkte und spontane Aneignung des Gewinns war unmöglich (Punkt a). Gleichsam war niemand innerhalb der bürokratischen Hierarchie berechtigt. Staatsbetriebe zu vermieten, zu erwerben oder zu veräußern (Punkt b). Charakteristisch für die sozialistische Wirtschaftsordnung ist somit die Verbindung von umfassenden Verfugungsmit sehr eingeschränkten Nutzungsrechten am industriellen Vermögen und damit einhergehend eine Depersonalisierung der Property Rights. S9 Die Konsequenzen divergierender Nutzungs- und Verfugungsrechte bilden einen zentralen Gegenstand der Property Rights-Theorie. Nach ihren Ergebnissen geht mit der Spaltung wirtschaftlicher Nutzungs- und Verfugungsrechte ein Auseinanderfallen von Kosten und Nutzen einher. Die unter solchen Bedingungen bereitgestellten Leistungen oder Güter weisen danach einen hohen Öffentlichkeitsgrad auf: Während die Kosten konzentriert dem Urheber zugerechnet werden, streut der Nutzen über eine unbekannte Zahl von Personen und Institutionen. Ein steigender Öffentlichkeitsgrad der hervorgebrachten Leistungen führt sodann zu sinkender Motivation der Produzenten einerseits sowie zu einer Trittbrettfahrerposition der Nutzer andererseits. Diese Konstellation ist auf die Einfiihrung von Innovationen in der sozialistischen Planwirtschaft übertragbar: War etwa ein bestimmtes Industrieministerium für die Einführung einer neuen Technologie in seiner Branche verantwortlich, so wurden ihm die entsprechenden Kosten im weitesten Sinne (also einschließlich der Transaktionskosten) voll zugerechnet. Hingegen existierte infolge der Eigentumsstruktur kein Mechanismus, der dazu geführt hätte, daß ihm die Erträge der betreffenden Innovation automatisch zugute gekommen wären, ihre Verwendung und Verteilung war vielmehr ex ante höchstgradig ungewiß. 60 Verschärft wurde dieses Dilemma dadurch, daß von den Industriebetrieben, Kombinaten und Ministerien erwartet wurde, daß sie innovative Erkenntnisse unentgeltlich an interessierte Stellen weiterleiteten; technisches Wissen wurde
S9 H. Leipold, Property Rights, S. 192 - 206. J. Komai, The Socialist System, S. 67 75. L. Kosals, Russian Industry, S. 148, 157 - 160,227. 60 H. Leipold, Property Rights, S. 188ff, 194f. Ders.: Innovationen im Systemvergleich. Der Einfluß des Wirtschaftssystems auf die Hervorbringung von hmovationen, in: Oberender, Peter/Streit, Manfred E. (Hg.): Marktwirtschaft und hmovation, BadenBaden 1991, S. 163 - 182; hier: S. 169. Ders. : Planversagen versus Marktversagen, in: H. Harnel (Hg.), Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft, op. cit., S. lll - 152; hier: S. 149f.
11. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
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als öffentliches Gut behandelt. 61 Als Fazit ist zu fonnulieren, daß die Substitution des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln durch Staatseigentum in der sozialistischen Wirtschaftsordnung Property Rights schuf, welche das in Marktwirtschaften entscheidende - unternehmerische Profitinteresse an Innovationen eliminierte. Damit aber entfiel ein entscheidender Anreiz für innovative und allgemein modernisierende Tätigkeit. Aufgrunddessen mußten die sozialistischen Staatsbetriebe durch ein gesondertes Incentivesystem an wirtschaftlichem Handeln und damit auch an der Einführung technischer Neuerungen interessiert werden. Der Weg, der zur Lösung des Motivationsproblems, zunächst in der So\\jetunion und dann auch in den übrigen sozialistischen Staaten, beschritten wurde, bestand in der Einführung eines Prämiensystems. Zum zweiten war dessen Einführung dadurch motiviert, daß entgegen den theoretischen Annahmen keine Interessenharmonie zwischen Unternehmen und den übergeordneten Planungsinstanzen bestand. Zur Abstimmung einzel- und gesamtwirtschaftlicher Interessen erwies sich somit neben der bürokratischen Koordination via Volkswirtschaftsplanung ein ökonomisches Instrument als erforderlich. 62
2. Exkurs: Das Prämiensystem in der UdSSR Die Struktur, Funktion und vor allem auch die Defizite des Prämiensystems der sozialistischen Wirtschaftsordnungen wurde immer wieder auch zum Thema der westlichen Sozialismusforschung. Die klassische Studie zu dieser Thematik legte Joseph Berliner vor. Seine Ergebnisse zur Anreizstruktur des sozialistischen Unternehmens werden daher im folgenden referiert. Das klassische Prämiensystem der Industrie wurde in der So\\jetunion in den dreißiger Jahren parallel zum Aufbau der Volkswirtschaftsplanung entwickelt und blieb in seinen Grundzügen bis zum Einsetzen der Wirtschaftsrefonnen 1965 bestehen. Sein Ziel bestand darin, die Untemehmensleitungen zur Erfüllung und Übererfüllung der Pläne zu motivieren, indem ihr Einkommensinteresse aufgegriffen wurde. In diesem Rahmen setzte sich das Einkommen leitender Angestellter aus zwei Komponenten zusammen: dem
61 J. Berliner, The hmovation Decision, S. 51Otr. Schroeder, Gertrude E.: The hnplementation and Integration ofhmovations in Soviet-Type Economies, in: Cato Journal, Vol. 9 (1989), No. I, S. 35 - 55; hier: S. 39. 62 U. Wagner, Interessenkonflikte, S. 1 - 21. R. Knauff, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 93. Laut Berliner entspricht diesem Konflikt auf der individuellen Ebene der Widerspruch zwischen dem ,,Homo Sovieticus" und dem ,,Homo Ökonomicus". J. Berliner, The hmovation Decision, S. 401.
58
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Grundgehalt und den Prämienzahlungen. Bei letzteren sind wiederum allgemeine und Prämien für besondere Aufgaben zu unterscheiden. 63 Die bedeutendste generelle Prämienform bildete dabei in der UdSSR die allgemeine Unternehmensprämie: Die Zahlung dieses Einkommensbestandteils an die leitenden Angestellten war vorn Grad der Planerfüllung des jeweiligen Unternehmens abhängig. Die Unternehmensleistung wurde somit nicht anhand seiner absoluten Ergebnisse, sondern - und dies ist für die Anreizstruktur des Unternehmens von entscheidender Bedeutung - in Relation zu den Planvorgaben gemessen. Da dem Unternehmen jedoch eine Vielzahl von Indikatoren vorgegeben wurde, erwies es sich als notwendig, die Prämienzahlung mit einern einzelnen Indikator zu verknüpfen. In der So\\jetunion wählte man hierfür die Größe ,,Erfüllung des quantitativen Produktionsplanes" . Konkret bedeutete dies: Der Direktor eines Staatsbetriebes erhielt eine monatliche Prämie in vorher definierter Höhe, wenn der geplante Out-Put arn Monatsende zu 100 Prozent erreicht worden war. Für jeden Prozentpunkt, mit dem der Plan übererfüllt wurde, erfolgte eine Aufstockung der Prämienzahlung, so daß die Staatsunternehmen vor allem an einer möglichst hohen Erzeugung interessiert wurden. Gelang es hingegen nicht, den Produktionsplan zu 100 Prozent einzuhalten, entfiel die Prämienzahlung. Um die Vernachlässigung anderer Zielgrößen zu vermeiden, wurde die Zahlung der allgemeinen Prämie zumeist an die Erfüllung von Randbedingungen (z.B. Erfüllung des vorgesehenen Produktionssortiments, geplante Reduktion der durchschnittlichen Produktionskosten, geplanter Unternehmensgewinn) geknüpft. Nur, wenn diese eingehalten wurden, erfolgte eine Prämienzahlung, deren Höhe jedoch vorn Grad der Erfüllung der Randbedingungen unabhängig war. In der Praxis konzentrierte man sich allerdings in hohem Maße auf die Steigerung der Produktion, so daß die Randbedingungen häufig vollständig ignoriert wurden. Hierdurch wurde der quantitative Erzeugungszuwachs zur bestimmenden Größe. Verglichen mit dieser allgemeinen Prämie kam dem sogenannten Unternehmensfonds bis 1965 eine untergeordnete Bedeutung zu. Zahlungen aus diesem Fonds waren nicht von der Erfüllung des Produktionsplanes, sondern vorn Erreichen des geplanten Unternehmensgewinns abhängig. Verwendet wurden die entsprechenden Geldmittel für die Zahlung zusätzlicher Prämien an die Beschäftigten, zur Finanzierung bestimmter Unternehmensaktivitäten und für soziale Zwecke. Die Bedeutung dieses Instruments war in erster Linie durch seinen geringen Umfang begrenzt. 64
63
J. Berliner, The Innovation Decision, S. 405.
Nach den Infonnationen Berliners durfte dieser Fonds in keinem Quartal die Grenze von 5 % der Lohn- Wld Gehaltssumme des betreffenden Unternehmens überschreiten. Ebd., S. 406( 64
II. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordmmg
59
Ergänzt wurden diese allgemeinen Anreize durch Prämiensysteme, welche die Unternehmensleitungen unmittelbar an der Erfüllung ausgewählter - evtl. vernachlässigter - Aufgaben interessieren sollten. Im Kontext dieser Arbeit sind dabei insbesondere jene Prämien von Interesse, welche auf die innovative Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien in der Produktion abzielten. Nachdem in der Sowjetunion erstmals 1946 ein spezieller Fonds für die Herstellung von Prototypen neuer Technologie gebildet worden war, erfolgte 1956 die Einführung eines gesonderten Prtimienfonds fllr Innovationen: Finanziert wurde dieser, indem die Unternehmen einen Aufschlag, definiert als bestimmter Prozentsatz ihrer Lohnkosten, in die Kalkulation der Gesamtkosten einfließen ließen. Ausgezahlt wurden die aus diesem Fonds finanzierten Prämien in Abhängigkeit vom ökonomischen Nutzen der Innovation, definiert als erwartete Senkung der Produktionskosten. Hierbei schrieben die allgemeinen Vorschriften lediglich eine prozentuale, degressiv gestaffelte, Spannbreite der Prämienausschüttung vor, während die Höhe der konkreten Prämienzahlung für die beteiligten Personen oder Abteilungen in Verhandlungen festgelegt wurden. Von Bedeutung war schließlich die Regelung, daß die Innovationsprämie unabhängig von der Erfüllung des Produktionsplanes ausgezahlt werden mußte; deutlich wird hieran die Intention, ein Gegengewicht zur OutPut-Orientierung der allgemeinen Prämienfonds zu schaffen. 6s Gleiches gilt für weitere Prämiensysteme, die sich zwar in ihrer konkreten Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung vom Prämienfonds für Innovationen unterschieden, die jedoch allesamt einen Anreiz für eine dynamische technologische Entwicklung konstituieren sollten. Zu benennen sind in diesem Zusammenhang: Die Prämie für die Produktionsausweitung nach Inbetriebnahme neuer Produktionstechnologien, eine innovationsbezogene Ergänzung zum generellen Prämienfonds, Prämien für Erfindungen und Verbesserungen sowie für die Unterstützung bei der Einführung von Erfindungen und Verbesserungen, Wettbewerbspreise für Erfindungen, eine Prämie für den Export neuer Produkte sowie schließlich der Plan ..Neue Technologie" als Teil des Betriebsplanes. 66 Das seit den dreißiger Jahren in der Sowjetunion entwickelte Anreizsystem erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg insofern einen Bedeutungszuwachs, als es nunmehr zum Modell für die Volksdemokratien Osteuropas, und damit auch für die DDR, wurde: Vor dem Beginn des ..Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung" (1963) fungierte so in der DDR die Plankennziffer .. Industrielle Bruttoproduktion" als wesentlicher Indikator für die Leistung der Unternehmen und als Maßstab zur Bemessung der Prämienzahlung. Je nach Industriezweig wurde die Bruttoproduktion nach Stückzahlen, Wert oder Ge6S 66
Ebd., S. 449 - 457. Ebd., S. 457 - 464.
60
2. Teil: hmovationsbedingWlgen in Planwirtschaften
wicht der erzeugten Güter bemessen. Innovationen versuchte man einerseits dadurch zu forcieren, daß direkte Prämien fiir wissenschaftlich-technische Arbeit gezahlt wurden. Ein zweites Instrumentarium bestand vor 1963 darin, daß die Erfiillung technologiebezogener Teilpläne (z.B. Plan fiir technischorganisatorische Maßnahmen, Plan Forschung und Technologie, Plan der Arbeitsproduktivität) zur Randbedingung fiir die volle Ausschüttung des Prämienfonds des Unternehmens gemacht wurde. 67 Nach dem Abbruch der Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre wurden die wesentlichen Strukturen des "klassischen" sozialistischen Prämiensystems wiederhergestellt, wenngleich sie im Detail anders als in den fünfziger Jahren ausgestaltet wurden. Zu Beginn der achtziger Jahre waren die Zahlungen aus dem Betriebsprämienfonds in der DDR von der Erfiillung von zwei Hauptkennziffern (zumeist "Nettogewinn" und "Warenproduktion", teilweise auch "Nettoproduktion" oder ,,Export zu Valutawert") abhängig. Zudem wurden die Mittel nur dann in voller Höhe ausgezahlt, wenn zusätzlich zwei Randbedingungen des Planes erfüllt wurden. 68 Bei der Beurteilung des Stellenwerts, den das Prämiensystems fiir die Innovationsfähigkeit der sozialistischen Wirtschaftsordnung besaß, ist das relative Gewicht ausschlaggebend, mit dem diese Incentivestruktur nichtinnovative, produktionsbezogene Tätigkeit einerseits und innovatives, neuerungsorientiertes Handeln andererseits belohnte. Ein Anreizsystem, so die generelle Annahme, dessen Priorität die Durchsetzung von produktionstechnischen Neuerungen ist, muß diese deutlich stärker honorieren als die reproduktive Aufrechterhaltung der traditionellen Produktionsverfahren. Die Diskussion dieses Verhältnisses bildet daher auch den Schwerpunkt der Arbeit Berliners zur Innovationsentscheidung in der so\\jetischen Industrie. Wie gezeigt, entwickelte die so\\jetische Volkswirtschaft seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eine differenzierte Palette von innovationsbezogenen Anreizsystemen. Dennoch lautet Berliners Gesamteinschätzung, daß die so\\jetische Incentivestruktur in ihrer Gesamtheit vor allem auf die Produktionssteigerung orientierte, während die Belohnungen fiir innovatives Handeln suboptimal ausgeprägt waren. Bedeutsam fiir die Bewertung des so\\jetischen Incentivesystems ist dabei zunächst die relative Gewichtung leistungsunabhängiger und leistungsgebundener Anteile (prämien insgesamt) des Einkommens der leitenden Angestellten: Im Vorfeld der Wirtschaftsreform von 1965 entfielen so etwa durchschnittlich 15,7 % des Einkommens höherer Angestellter auf Prärnien. 69 Der Anteil leistungsbezogener Bestandteile an den Gehältern der "so\\jetischen 67
78. 68
R. Bentley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 69 R. Knauff, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 93f. Berliner, Tbe hmovation Decision, S. 478.
69 J.
n. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
61
Manager" war also zeitweise nicht unbedeutend. Eine differenziertere Betrachtung zeigt jedoch. daß der übergroße Teil der Prämien für die Erfüllung und Übererfüllung der quantitativen Produktionsauflagen gezahlt wurde, während die finanziellen Anreize für Innovationen recht gering waren: 1971 wurden in der so\\jetischen Industrie insgesamt 11,184 Millionen Rubel Prämien unter den Beschäftigten verteilt. Den bedeutendsten Einzelposten bildete mit 37,0 % der allgemeine Prämienfonds, der wie gezeigt, unmittelbar auf die Steigerung der mengenmäßigen Erzeugung orientierte. Hingegen entfielen auf den Prämienfonds für Innovationen lediglich 1,5 % der gesamten Prämiensumme in der so\\jetischen Industrie. Zugespitzt formuliert konnten für jeden Rubel aus dem allgemeinen Prämienfonds nur bescheidene 4 Kopeken aus dem Innovationsfonds verdient werden. 10 Tabelle 1
Prämien leitender Angestellter für ein innovatives und ein nichtinnovatives Programm (in Relation zum Grundgehalt in Prozent) Innovatives
Programm
Begrenzung
Nichtinnovatives Programm
Kein Verlust sonstiger Prämien
Wahrscheinlicher Verlust sonstiger Prämien
A
B
C
D
Allgemeine Framie
40-60
30 - 50
30- 50
20 -40
Spezielle Prämien fl1r nichtinnovative Aufgaben
33
30
30
25
Spezielle Prämien fl1r Innovation
33
3
5
63 - 83
50 -70
17
10
80 -100
60 - 80
Summe
73 - 93
Zulagen fl1r leitende Angestellte Summe
10
60 - 80
17
90 - llO
Ebd., S. 478f, 484.
60 - 80
62
2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
Hinzu kam, daß die Höhe der Prämienzahlungen des einzelnen Unternehmens, der betreffenden Abteilung, aber auch der Einzelperson innerhalb dieses Systems begrenzt war. Obwohl ihr Umfang prinzipiell vom jeweiligen ökonomischen Nutzeffekt abhing, unterlag die Innovationsprämie besonders strikten Beschränkungen. Hier existierte für jede Innovation eine Obergrenze, welche die Prämienzahlung an die betreffende Gruppe oder Abteilung nicht überschreiten durfte. Durch diese Regelung wurde der finanzielle Anreiz für innovatives Handeln zusätzlich zum geringen Umfang der bereitgestellten Mi tteln eingeschränkt. 71 Berliners Studie spitzt das Problem der relativen finanziellen Attraktivität der Neuerungsbereitschaft auf die Frage nach den Verdienstmöglichkeiten der Leitung eines Industrieunternehmens aufgrund innovativer und nichtinnovativer Entscheidungsalternativen zu. Seine, aufgrund der entsprechenden Prämienregelungen für das Jahr 1970 gewonnenen, Ergebnisse lassen sich in der o. a. Tabelle72 zusammenfassen (siehe Tabelle 1 auf der vorhergehenden Seite).
Als Ergebnis dieser Betrachtung ergibt sich die Schlußfolgerung, daß der leitende Angestellte des so\ljetischen Industriebetriebs sein Einkommen aufgrund einer Innovationsstrategie dann maximieren konnte, wenn diese keine Verluste von produktionsorientierten Prämien zur Folge hatte, wenn mit anderen Worten ihre Opportunitätskosten gleich Null waren (Alternative C). Da Innovationsprojekte jedoch in der Realität sehr häufig die laufende Produktion beeinträchtigen, ist es wahrscheinlich, daß ihre Realisierung zu einer Einbuße von Prämien führt, die an die Erfüllung nichtinnovativer Aufgaben gebunden sind (Alternative D). In diesem Fall ist das erzielte Prämieneinkommen von 60 bis 80 % des Grundgehaltes jedoch nicht oder nicht wesentlich höher als bei Vermeidung innovativer Programme (Alternative B). Insgesamt bietet die klassische Incentivestruktur der sozialistischen Wirtschaftsordnung somit keinen sonderlich starken Anreiz für die Realisierung technologischer Innovationen, festzustellen ist hingegen eine ausgeprägte Out-Put-Orientierung. Das diesbezügliche Fazit der Studie Berliners lautet: "One ofthe main fmdings ofthis study [... ] is that the competent manager who concentrates on current production operations and minimizes the rate of innovation can earn a substantial supplement to his salary in the form of bonuses. If he succeeds in implementing a program ofrapid innovation, however, his income will not be much
71 Primäre Gründe ftlr diese Begrenzungen waren einmal die Absicht, das leistungsunabhängige Grundgehalt als Basis der Planung der Lohn- und Gehaltsfonds nicht zu entwerten. Hinzu kam die Beftlrchtung, unbeschränkte Bonuszahlungen könnten zu einer politisch nicht gewollten Ungleichheit der Einkommen führen. Ebd., S. 483ff. 72 Zitiert nach: J. Berliner, The hmovation Decision, S. 488.
11. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
63
larger. On the face ofit, the structure ofincentives may seem to explain why nobody cares about innovation.,,73
Allerdings stellen die unzureichenden finanziellen Belohnungen fiir Innovationen nur eine Seite des sozialistischen Anreizsystems dar. Zu ergänzen ist diese Betrachtung durch die Einbeziehung des mit Innovationen verbundenen Risikos. In Kombination mit schwachen positiven Belohnungen wurden technologische Neuerungen in der Sowjetunion und ähnlich verfaßten Wirtschaftsordnungen zusätzlich durch ausgeprägte Risiken behindert. ZUTÜckzufiihren sind diese auf den Umstand. daß die Industrieunternehmen keine Autonomie zur Bestimmung ihrer externen Transaktionen besitzen (siehe Teil 2, und IV). Gerade diese sind jedoch im Zuge der Verwirklichung von Innovationen durch ein hohes Risikoniveau geprägt. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Preisbildung neuer Produkte sowie fiir die Zuliefer- und Absatzstrukturen. Hier möglicherweise auftretende Probleme und der fehlende Handlungsspielraum des Unternehmens zu ihrer Bewältigung könnten im Extremfall zum Scheitern des gesamten Projektes fiihren, was wiederum nicht nur das Einkommen der Unternehmensleitung vermindern, sondern auch die Karriere der Beteiligten gefährden könnte. Die zusammenfassende These Berliners lautet dementsprechend: Die Anreizstruktur sozialistischer Planwirtschaften übt keinen starken Anreiz fiir Innovationen aus, da das mit ihnen verbundene Risiko relativ groß, die korrespondierenden Belohnungen jedoch nicht hoch genug sind, um diesen Risiko kompensieren zu können; das Gleichgewicht von Risiko und Belohnungen ist unausgeglichen und nicht in der Lage, eine hohe Innovationsrate zu erzeugen. 74
m
Die Aussagen der von Berliner entwickelten "Risk-Reward-"These wurden im folgenden durch eine Reihe empirischer Studien unterstützt, die zu dem Ergebnis gelangten, daß bei der Innovationsentscheidung in planwirtschaftlichen Systemen finanzielle Motive fiir die Beteiligten eine untergeordnete Bedeutung hatten: So zeigten etwa Untersuchungen, die in den siebziger Jahren in Polen durchgefiihrt wurden, daß die Aussicht, persönliche finanzielle Vorteile zu erlangen, bei innovativen Akteuren einen geringen Stellenwert besaßen. Zwar erfolgten relativ häufig diesbezügliche Prämienzahlungen, doch war ihr Umfang bescheiden und nur ein kleiner Teil der Beteiligten kam überhaupt in den Genuß von Innovationsprämien. Ähnliche Ergebnisse erbrachten schließlich auch die von Ronald Amann und Julian Cooper herausgegebenen Fallstudien über verschiedene sowjetische Industriezweige. Insbesondere, so
73 74
Ebd., S. 521. Ebd., S. 477, 521 - 526,534 - 538.
64
2. Teil: Irmovationsbedingungen in Planwirtschaften
ihr Fazit, habe auch die Wirtschaftsrefonn von 1965 das Ziel, einen stärkeren materiellen Innovationsanreiz zu schaffen, verfehlt. 7S
Wenngleich der ,,Risk-Reward"-Ansatz und die in ihm entwickelte Konzentration auf die Anreizstruktur zu einer der wesentlichen Grundlagen des ökonomisch ausgerichteten Systemvergleichs wurde, so wurden doch kritische Einwände artikuliert. Vor allem, so lautet eine Kritik, entwerfe dieser ein stark verzerrtes Bild von der Rigidität der Planung in der sozialistischen Wirtschaftsordnung, die zu einer Überzeichnung des mit Innovationen verbundenen Risikos führe. Insbesondere arbeiteten die Unternehmen häufig ohne klare Planvorgaben. Wenn es sich abzeichne, daß der Produktionsplan, etwa aufgrund der Realisierung eines Innovationsprojektes, nicht realisiert werden könne, werde der Plan der Realität angepaßt und auf diese Weise die Planerfiillung und damit die Prämienausschüttung sichergestellt. Zudem seien die Konsequenzen, die aus einer Nichterfüllung des Produktionsplanes oder einer gescheiterten Innovation resultierten, nicht gravierend. Zumeist würden die Verantwortlichen lediglich auf andere, häufig gleichwertige Positionen versetzt. Schließlich verfUgten die Unternehmen über vielfältige Möglichkeiten der Informationsmanipulierung, durch die sie in der Lage seien, Mißerfolge als Erfolge danustellen. Insgesamt sei das Innovationsrisiko geringer als von Berliner unterstellt. Aufgrunddessen seien schließlich auch die zur Innovationsstimulierung benötigten finanziellen Anreize geringer als in seinem Modell angenommen. 76 Ein zweiter Kritikpunkt konzentriert sich demgegenüber auf das Dilemma, in welchem sich sozialistische Planungsbehörden bei der Definition der Incentivestruktur befinden: Die Anreize fiir Innovationen können danach nicht unabhängig von den Anreizen fiir die laufende Produktion betrachtet werden, da beide Größen um knappe Ressourcen konkurrieren. Ein positiver Anreiz zur Innovation bedingt somit aber automatisch einen negativen Anreiz fiir die Produktion und es kommt zu einem dynamischen Trade-Off-Effekt zwischen den Parametern Produktion und Innovation. Die optimale Relation zwischen bei den Größen ist fiir die Planer aber nur äußerst schwer zu bestimmen, auch stehen einer drastischen Erhöhung der finanziellen Innovationsanreize die
7S K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloe, S. 154 - 159. St. Gomulka, Growth, Irmovation and Reform, S. 45fT. Amann, Ronald: Industrial IrmOVf tion in the Soviet Union: methodological perspectives and conclusions, in: Amann, Ranald/Cooper, lulian (Hg.): Industrial Irmovation in the Soviet Union, New HavenILondon 1982, S. 1 - 38; hier: S. 12. 76 K. Poznanski, Technology, Ccmpetition & the Soviel Bloc, S. 182 - 185.
11. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
65
gravierenden Folgen für die Güterproduktion entgegen. Der Planer befindet sich damit in einem Entscheidungsdilemma. 77 Einen dritten Einwand formulierte schließlich Berliner selbst, ohne ihn jedoch wirklich entkräften zu können: Prinzipiell ist die Annahme, daß der "sozialistische Manager" seine Innovationsbereitschaft durch die Erhöhung der finanziellen Belohnungen überhaupt verstärkt, zu bezweifeln. Zu fragen ist vielmehr, welche Motivationskraft das durch Innovationen erzielte zusätzliche Einkommen in einer Gesellschaft entfalten kann, die durch eine dauerhafte Knappheit an hochwertigen Konsumgütern einerseits und durch die nichtvorhandenen Möglichkeiten, Anteile am ProduktivkapitaI zu erwerben, andererseits charakterisiert ist. Zugespitzt formuliert: War der sozialistische Manager ein Prämienmaximierer? Auch, wenn es sich hierbei naturgemäß um eine kontrafaktische Überlegung handelt, so ist es doch wahrscheinlich, daß die Einkommenselastizität der Innovationsneigung unter diesen Rahmenbedingungen sehr gering ist. Eine Verstärkung der diesbezüglichen materiellen Incentives könnte dann jedoch nur einen sehr unbedeutenden marginalen Effekt zur Folge haben. 78 Trotz aller kritischen Einwände führte die Diskussion des von Joseph Berliner entwickelten Ansatzes zu dem Ergebnis, daß das klassische sozialistische Prämiensystem keinesfalls einen starken Innovationsanreiz für die Staatsunterm::hmen bot. Zu konstatieren ist hingegen eine dominante Out-PutOrientierung dieses Systems. Letztlich ungeklärt blieb hingegen, wie groß die Bedeutung dieses Faktors in der Relation zu anderen defizitären Teilbereichen (preissystem, fehlender Wettbewerb etc.) war.
3. Die Anreizstruktur des Planungsmechanismus Neben der typischen Konstellation der Property-Rights und dem Prämiensystem geht auch vom Planungsmechanismus und der ihm eigenen Interessenkonstellation eine Anreizfunktion für das Verhalten der Industrieunternehmen in der klassischen sozialistischen Wirtschaftsordnung aus. Somit entwickelt auch dieses Incentivesystem Rückwirkungen auf die Innovationsneigung der Unternehmen. Wie bereits dargestellt werden konnte, führte die Dominanz der allgemeinen Prämienformen in den sozialistischen Staaten dazu, daß die Un-
77 Zhou, Huizhong: Innovation Decision and Reward Structure, in: Journal of Comparative Economics, Nr. 15 (1991), S. 661 - 680; hier: S. 663ff, 674 - 678. 78 J. Berliner, The Innovation Decision, S. 490ff. Berliner erwidert auf diesen Einwand u.a., in der So\\jetunion zeige der Schwarzmarkt, daß zusätzliche Einkommensmöglichkeiten auch bei hohem Risiko besondere Anstrengungen hervorrufen könnten. Ebd., S. 535f R. Amann, Industrial Innovation in the Soviet Union, S. 15. 5 Unger
66
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
ternehmensleistung in erster Linie anband des Out-Puls bemessen wurde, der auch als wesentlicher Maßstab für die Zuführungen zum Prämienfonds fungierte. Aufgrund der Struktur des Planungsmechanismus war für die betriebliche Leistungsbewertungjedoch nicht der absolute Umfang der Produktion entscheidend. Ausschlaggebend war vielmehr eine relative Größe: Die Planerfüllung als das Verhältnis von realer Produktionsleistung (Ist) und vorgegebener Plankennziffer (Soll). Die allgemeinen Unternehmensprämien wurden nur dann ausgeschüttet, wenn das "Ist" mindestens 100 Prozent des "Solls" betrug, der Plan also exakt erfüllt worden war - und zwar unabhängig vom absoluten Umfang der Jahresproduktion. Die Unternehmen mußten folglich danach streben, eine möglichst große Soll-Ist-Differenz und damit eine hohe Prämienzahlung zu erreichen. 79 Eine Möglichkeit hierzu hätte theoretisch in der Durchführung radikaler Verfahrensinnovationen bestanden, die - zumindestens mittelfristig - in der Lage gewesen wären, die betriebliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen und damit das "Ist" der Planerfüllung positiv zu beeinflussen. In diesem Fall hätte ein bedeutendes Interesse der Unternehmen an technischen Neuerungen bestanden. Jedoch bot die spezifische Struktur der Planformulierung den Unternehmen umfangreiche Möglichkeiten, die Risiken und den zusätzlichen Aufwand von Innovationen weitgehend zu vermeiden und dennoch das Verhältnis von Planvorgabe und tatsächlicher Produktionsleistung in ihrem Sinne zu optimieren. Diese Möglichkeiten setzten im Gegensatz zu innovativen Maßnahmen auf der "Soll"-Seite an. so Bislang wurde insinuiert, daß die Planvorgaben für die Unternehmen externe, objektive Daten darstellten, nach denen diese ihr Handeln ausrichten mußten. In der Realität waren die vorgesetzten Behörden jedoch für die reiterative Planformulierung auf die Kooperation und die Informationen der Unternehmen angewiesen, da sie die betriebliche Leistungsfähigkeit vor Ort nur schwerlich korrekt quantifizieren konnten. Die Staatsunternehmen nutzten diesen aufgrund der Informationsasymmetrie eröffneten Interventionsspielraum, um durch die Verschleierung ihrer realen Kapazität und Produktivität ein möglichst niedriges "Soll", das heißt aber: einen möglichst "weichen" Plan auszuhandeln. Als weich war eine Planauflage dann zu bezeichnen, wenn das betreffende Unternehmen sie ohne besondere Anstrengungen erfüllen konnte. Ein zweiter Weg, um zu einem weichen Plan zu gelangen, bestand für die Unternehmen darin, den Planungsbehörden einen überzogenen Inputbedarf glaubhaft zu machen, um zusätzliche Kapazitäten in Reserve halten zu können. Konnte das Unternehmen sodann eine weiche Planauflage vollständig 79 R. Knauff, Die FWlktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 98f. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republik, S. 74ff, 209f. 80 R. Knauff, Die FWlktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 98f.
II. Das Anreizsystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
67
erfüllen, erzielte es exakt die gleichen Belohnungen wie ein Unternehmen, das sich einem harten Plan nicht widersetzt und ihn aufgrund aufwandssparender Innovationen erfüllt hatte. Zwar hatte das zweite Unternehmen in volkswirtschaftlichem Interesse gehandelt, doch dürften in diesem Falle die Anstrengungen, die letztlich zu dem selben Unternehmenserfolg führten, erheblich größer gewesen sein. Die übergeordneten Planungsbehörden wußten aufgrund dessen nie wirklich, ob sie ein Unternehmen für ökonomische und technologische Leistungsfähigkeit oder aber für Verhandlungsgeschick belohnten. Die Rationalität des Planaushandlungsprozesses aufgrund von Informationsasyrnmetrien sowie die Form der unternehmensbezogenen Leistungsmessung bedingten mithin, daß das Aushandeln weicher Pläne für die Unternehmen opportuner war als die Durchfiihrung von technologischen Innovationen. 81 Die politische Führung und die staatlichen Planungsbehörden waren ihrerseits über das Streben der staatlichen Industriebetriebe nach weichen Plänen informiert. Ihr Interesse konfligierte insofern mit jenem der Produktionseinheiten, als die führenden Ebenen der Partei um Machterhaltung und -legitimation bemüht sein mußten. 8l In diesem Rahmen lautete ihr Zielkatalog: Harte Pläne zur Gewährleistung eines mit westlichen Staaten vergleichbaren Güterangebots, effiziente Nutzung der Produktionsfaktoren, technischer Fortschritt. Die staatlichen Planungsagenturen entwickelten in diesem Spannungsfeld eine ambivalente Interessenstruktur: Einerseits waren sie von den führenden Parteiinstanzen damit beauftragt, für Wirtschaftlichkeit und Neuerungsbereitschaft in den Unternehmen einzutreten. Insofern, als ihre Leistung an der Planerfüllung der ihnen unterstellten Produktionseinheiten gemessen wurde, waren sie jedoch ebenfalls an gesicherter Planerfüllung durch weiche Pläne interessiert. Wenngleich also die übergeordneten Instanzen der Partei und des Staates teilweise Interessen verfolgten, die im Widerspruch zum Kalkül der Unternehmen standen, und obwohl sie sich über die Strategien der Unternehmen im klaren waren, war ihr Handlungsspielraum strukturell eng begrenzt. Aufgrund der Informationsasymmetrie waren sie nämlich kaum in der Lage, konkret zu bestimmen, wie weich oder wie hart ein Plan tatsächlich war. Hätten sie aufgrunddessen eine willkürliche Erhöhung der Planvorgaben betrie-
81 Das Streben der Unternehmen nach weichen Plänen wird in der theoretischen Literatur ausfilhrlich rezipiert: L. Balcerowicz, funovationsspezifIka, Wirtschaftssysteme und funovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 48f. U. Wagner, Interessenkonflikte, S.12 - 16, 23 - 29, 43 - 45, 54 - 60, 82 - 84. J. Berliner, The funovation Decision, S. 408f. J. Komai, The Socialist System, S. 121 - 124, 129f. R. Bentley, Technologica1 Change in the German Democratie Republik, S.69 - 72. Jeffries, IanlMelzer, Manfred: Command Planning and the Produetion Unit, in: I. Jeffries/M. Melzer (Hg.), The East German Eeonomy, op. eit., S. 12 - 25; hier: S. 20f. 8l R. Amann, Industrial funovation in the Soviet Union, S. 26 - 30.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
ben, bestand die Gefahr, die tatsächliche betriebliche Leistungsfähigkeit zu überfordern. Die Folge wären dann aber sehr wahrscheinlich volkswirtschaftliche Disproportionen und Versorgungsengpässe gewesen, die dem politischen Legitimationsinteresse widersprochen hätten. 83 Unter den bislang skizzierten Bedingungen wäre es trotz allem vorstellbar, daß die Unternehmen an Innovationen interessiert waren, da grundlegende Verbesserungen der Produktionstechnologie ihnen eine deutlichere Planübererfüllung erlaubt hätten, als dies aufgrund weicher Pläne möglich gewesen wäre. Dieser Fall war jedoch als Konsequenz des "Ratchet-Effektes", der in der theoretischen Literatur breite Beachtung findet, vergleichsweise unwahrscheinlich: In ihrem Bestreben, die Planauflagen der Betriebe im Zeitablauf härter werden zu lassen, tendierten die vorgesetzten Planungsbehörden nämlich dazu, das im Vorjahr realisierte Produktionsvolumen (Ist) als minimale Plankennziffer des Folgejahres (Soll) vorzugeben. Wäre ein Unternehmen aufgrund einer radikalen Innovation in der Lage gewesen, seinen Plan kurzfristig maximal überzuerfüllen, so hätte es gleichzeitig seine Möglichkeiten zur mittel- und langfristigen Planerfüllung verschlechtert. Sein Plan wäre härter geworden. Der Planungs- und Abrechnungszeitraum von einem Jahr fiihrte also dazu. daß dem kurzfristigen Innovationsaufwand der Unternehmen keine langfristigen Belohnungen entsprachen. Die Produktionseinheiten strebten infolge dieses Mechanismus wahrscheinlich nicht nach maximaler, sondern lediglich nach moderater Planerfüllung. War das Planziel erst einmal erreicht, so lag es nicht unbedingt im betrieblichen Interesse, alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Produktion weiter zu steigern; eine 120%ige Planerfüllung war fiir sie in der längerfristigen Perspektive nicht notwendig lohnender als eine l05%ige Planerfüllung. Diese Rationalität bot fiir sie den Vorteil, daß kurzfristig eine befriedigende Prämie erzielt werden konnte, während gleichzeitig die langfristigen Chancen zur Planerfüllung gewahrt blieben. Sie schuf jedoch keinen Anreiz zur Innovation. 84 Hinzuweisen ist schließlich auf eine spezifische Konstellation, die im Gegensatz zu dem bisher Dargestellten einen Anreiz fiir Innovationsbemühungen der staatlichen Unternehmen definieren konnte: Innovationen dürften im bis-
83 U. Wagner, Interessenkonßikte, S. 13 - 16, 28f, 31 - 34. J. Komai, The Socialist System, S. 121 - 124. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S. 208 - 218. 84 J. Berliner, The hmovation Decision, S. 404, 408f. R. Knauff, Die FWlktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 98f. L. Balcerowicz, hmovationsspeziflka, Wirtschaftssysteme und hmovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 48. K. Pomanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S.183. J. Komai, The Socialist System, S. 122f.
ill. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
69
her skizzierten Kontext immer dann in ihrem Interesse gelegen haben, wenn es ihnen gelang, die realen Potentiale (z.B. Kapazität, Produktivität) einer neu eingeführten Technologie gegenüber den Planungsinstitutionen zu verschleiern. Verzichtete man sodann auf die mit der neuen Technologie mögliche maximale Planübererfüllung, um so den "Ratchet-Effekt" zu umgehen, konnte die Innovation durchaus mit den Unternehmensinteressen vereinbar sein. Durch den hierdurch ermöglichten diskreten Kapazitätsaufbau ließen sich die langfristigen Potentiale der Planerfüllung und Prämienerzielung mithilfe des Einbaus "stiller" Reserven steigern. Zwar ist die Bedingungsstruktur dieser Konstellation relativ prekär und zufällig. Dennoch sollte diese Möglichkeit bei der Untersuchung historischer Innovationsprozesse nicht gänzlich unbeachtet bleiben. 85 Zusammenfassend enthielt die Incentivestruktur des Industrieunternehmens im klassischen sozialistischen Modell durchaus materielle Anreize für technologische Innovationen. Jedoch waren diese relativ schwach entwickelt und im Vergleich zu den Belohnungen für Produktionssteigerung quantitativ von untergeordneter Bedeutung. Insgesamt existierte somit kein durchgängiger Mechanismus, der die Verknüpfung von Unternehmenszielen und Innovationen gesichert hätte.
III. Das Preissystem der klassischen sozialistischen Wirtschaftsordnung Neben der administrativen Koordination und den besonderen Eigentumsformen bildete das Preissystem ein weiteres Systemspezifikum der sozialistischen Planwirtschaft. Dabei wurde spätestens seit den zwanziger Jahren von seiten führender Vertreter der westlich orientierten Ökonomie die Fähigkeit der sozialistischen Ordnung, ein rationales Preissystem auszubilden, bezweifelt. Die Frage nach der Möglichkeit einer wirtschaftlichen Rechnungsführung der sozialistischen Volkswirtschaft stand so auch im Zentrum der in der Zwischenkriegszeit ausgetragenen Debatte um die Theorie der Wirtschaftsordnungen. Ausgangspunkt dieser Kontroverse war die These Ludwig von Mises', daß ohne die freie Festlegung des Geldpreises von Produktionsgütern eine rationale Produktion ausgeschlossen sei. Da im Sozialismus aber kein Produkti85 In der vorliegenden Literatur zieht einzig Bentley diese Möglichkeit des Innovationsanreizes in Betracht. Wagner hingegen schließt sie explizit aus und begründet dies damit, die ,,zentrale" sei über die Möglichkeiten einer neuen Technologie korrekter infonniert als über die bisher eingesetzte Technologie. Diese Annahme ist jedoch insbesondere im Hinblick auf komplexe Verfahrensinnovationen zu bezweifeln. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S. 73. U. Wagner, Interessenkonflikte, S. 54 - 60.
70
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
onsgut ZU einem Tauschobjekt werden könne, sei es unmöglich, seinen Wert in Geld auszudrücken. Als Folge werde es der sozialistischen Wirtschaft nicht gelingen, die Effektivität von Produktions- und Investitionsentscheidungen rational zu bestimmen. Ohne auf den Verlauf und die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung weiter eingehen zu können86, deutete sich doch bereits hier an, daß Funktion und Stellenwert des Preissystems sich in der sozialistischen Ordnung qualitativ von jener in Marktwirtschaften unterschied. Im folgenden sollen daher Bedeutung und Implikationen des sozialistischen Preissystems fiir industrielle Innovationen diskutiert werden. Die diesbezügliche These lautet: Das auf langfristig fixierten Kostenpreisen beruhende Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung war nicht in der Lage, korrekte Informationen über die relativen Knappheiten und die Wirtschaftlichkeit alternativer Produktionsverfahren zur Verfiigung zu stellen. Vor allem aber tendierte es dazu, Innovationen zu diskriminieren, indem alte Produkte und Verfahren fiir die Unternehmen rentabler waren als Neuerungen. Zudem wurde zur Verwaltung des Preissystems ein aufwendiger Administrationsapparat benötigt, der nicht dazu imstande war, die bei Innovationen unabdingbare Flexibilität zu gewährleisten.
1. Der Stellenwert und die Funktion des Preismechanismus Bevor das Verhältnis von Preisen und Innovationen thematisiert werden kann, sind einige Anmerkungen zum generellen Stellenwert des Preismechanismus auf der volkswirtschaftlichen und der Unternehmensebene voranzustellen, um dessen Relevanz adäquat einschätzen zu können. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem, daß es letztlich eine der wesentlichen Existenzgrundlagen des sozialistischen Modells war, daß die volkswirtschaftliche Koordination anders als in der Marktwirtschaft hier durch die Volkswirtschaftsplanung ex ante bewerkstelligt werden sollte. Die Entscheidungen über Distribution und Allokation der knappen Ressourcen fielen dabei im Rahmen der bürokratisch administrierten Jahresplanung und letztlich aufgrund politischer Prioritätensetzungen. Das Preissystem, als das in Marktwirtschaften entscheidende Informations- und Koordinationsmedium, wurde dabei durch das Bilanzierungssystem substituiert, welches als Entscheidungsgrundlage für die Ressourcenallokation fungierte. Im Zuge der Bilanzierung wurden Aufkommen und Bedarf der einzelnen Produktarten in naturalen Bilanzen gegenübergestellt, um auf diese Weise die jeweiligen volkswirtschaftlichen Knappheits-
86 Einen Überblick über diese Debatte bietet: Bros, Wlodzimierz: Funktionsprobleme der sozialistischen Wirtschaft, FrankfurtlMain 1971, S. 50 -71; hier: S. 52fT.
m. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
71
grade ermitteln zu können. Mit Hilfe der Bilanzen wurde mithin der notwendige volkswirtschaftliche Rechnungszusammenhang hergestellt. 87 In diesem Kontext nahm das Preissystem volkswirtschaftlich eine p/anunterstatzende, d.h. sekunddre Funktion ein: In der Praxis der sozialistischen Planung erwies es sich nämlich als unmöglich, alle in der Volkswirtschaft hergestellten Güter im einzelnen zu bilanzieren, um so ihre Knappheit bestimmen zu können. Aus diesem Grunde mußten sich die Planungsorgane, an der Spitze die Staatliche Plankommission, darauf beschränken, strategische Güter und Gütergruppen zu bilanzieren. Zur Zusammenfassung dieser Güterbündel war man aber darauf angewiesen, ihren Wert zu fixieren und sie dafiir mit Preisen zu versehen (aggregierende Funktion). Gleiches gilt rur die Aufschlüsselung globaler Planziele durch Kombinate und Unternehmen (disaggregierende Funktion). Zudem erwies es sich als notwendig, neben den administrativen Instrumenten auch sogenannte "ökonomische Hebel" einzusetzen, um das Handeln der Unternehmen auf die Planziele hin zu orientieren. Die Grundlage dieses ökonomischen Instrumentariums bildete das Preissystem. Global ist festzustellen, daß die Bedeutung des Preissystems mit zunehmender Komplexität der sozialistischen Volkswirtschaften und den damit einhergehenden Schwierigkeiten der ausschließlich administrativen Koordination zunahm. Systematisch lassen sich die volkswirtschaftlichen Funktionen des Preissystems folgendermaßen zusammenfassen: a) Die Meß- und Rechenfunktion zur Zusammenfassung der veränderten gesellschaftlichen Produktionskosten im Preis; b) die Stimulierungsfunktion zur Orientierung der Unternehmen auf bestimmte wirtschaftliche Ziele (z. B. Energieeinsparung, aber auch Innovationen); c) die Verteilungsfunktion zur bewußten Regulierung der Einkommensverteilung (z.B. Subventionierung von Konsumgütern des täglichen Bedarfs). Festzustellen ist, daß sich diese Anforderungen teilweise widersprechen konnten: So bedarf es zur Messung und Abrechnung einheitlicher und vor allem auch konstanter Preise, um überhaupt fiir mehrere Perioden geltende wertmäßige Planvorgaben definieren und das Ergebnis mit diesen Vorgaben vergleichbar zu machen. Andererseits müssen jedoch die im Zeitablauf auftretenden Kostenänderungen, z. B. durch technischen Fortschritt, von dem Preissystem abgebildet werden können, damit es nicht zu einer zunehmenden Abweichung von Preisen und Kosten kommt. Der "Preis als ökonomischer Hebel" widerspricht dann jedoch dem Preis als Planungsinstrument. Zweitens ist es denkbar, daß die stimulierende Preisfunktion in Widerspruch zur Meß- und 87 R. Knauff, Die Funlctionsmeehanismen der Wirtschaftssysteme, S. 79 - 84. Harnel, HannelorelLeipold, Helmut: Economie Reform in the GDR: Causes and Effects, in: I. JefTriesIM. Melzer (Hg.), The East German Eeonomy, op. eit, S. 280 - 304; hier: S.282.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Rechenfunktion gerät, wenn die Preise nicht die realen Produktkosten, sondern die wirtschaftspolitische Priorität, die den Gütern eingeräumt wird, widerspiegeln. Hiermit deuten sich bereits erste Defizite des Preissystem im klassischen sozialistischen System an. 88 War die Bedeutung des Preismechanismus bereits global beschränkt, so ist weiter davon auszugehen, daß dies in besonderem Maße für die Unternehmensebene galt. Janos Komai formulierte in diesem Zusammenhang die These, das sozialistische System sei - trotz scheinbarer Bedeutung des Geldes und der Preise - nur als semi-monetarisiert zu klassifizieren. Wirklich monetarisiert sei nämlich lediglich die Sphäre des privaten Konsums gewesen, wohingegen der Unternehmenssektor aufgrund der "weichen Budgetbeschränkungen" und des dominierenden Verkäufermarktes89 eine signifikant schwache Preisreagibilität aufgewiesen habe. Hiernach reagierten die sozialistischen Unternehmen bei kurzfristigen, produktionsbezogenen Anpassungen kaum auf die Güterpreise und ihre relativen Veränderungen. Auf der Input-Seite seien sie gezwungen gewesen, diese weithin zu ignorieren, da infolge der Mangelwirtschaft und fehlender Alternativen im Zweifelsfall auch die teureren Güter nachgefragt werden mußten. Aufgrund der weichen Budgetbeschränkungen sei das nachfragende Unternehmen sodann in der Lage gewesen, die damit verbundenen Mehraufwendungen auf seine Abnehmer oder den Staat abzuwälzen. Tendenziell größer war die Preisreagibilität der sozialistischen Unternehmen nach Kornais Ergebnissen kurzfristig auf der Out-Put-Seite. Insofern als hier wertbezogene, und damit preisbasierte, Indikatoren der Unternehmensbewertung eine - wenngleich keine dominierende - Bedeutung hatten, sei es wahrscheinlich gewesen, daß das Erzeugnis mit dem höheren Preis produziert wurde. Sein Absatz sei schließlich - wiederum wegen der Mangelwirtschaft und der weichen Budgetbeschränkungen nachgelagerter Unternehmen - stets gesichert gewesen. Als noch geringer schätzte Kornai die Relevanz des Preissystems bei langfristigen Anpassungsprozessen der Unternehmen, also bei Investitionsentscheidungen, ein. Sei ein Investitionsprojekt erst einmal von den Planungsbehörden beschlossen worden, sei die Finanzierung der benötigen Inputs für das einzelne Unternehmen unproblematisch gewesen, da diese aus staatlichen 88 Melzer, Manfred: Wandlungen im Preissystem der DDR, in: G. Gutmann (Hg.), Das Wirtschaftssystem der DDR, op. cit., S. 51 - 79; hier: S. 51fT. Hewer, Ulrich: Zentrale Planung und technischer Fortschritt. Probleme seiner Organisation und Durchsetzung am Beispiel der sowjetischen Industrie, Berlin 1977, S. 73, 75fI Krol, Gerd-Jan: Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen. Erfahrungen mit der administrativen Steuerungskonzeption, Tübingen 1972, S. 76f, 100fT, 132. H. HamellH. Leipold, Economic Refonn in the GOR, S. 282f, 286. 89 Komais Konzept der weichen Budgetbeschränkungen und der Mangelwirtschaft wird als zweiter ,,klassischer" Ansatz zur Analyse der sozialistischen Innovationsschwäche im Zusanunenhang mit der allgemeinen Knappheit und den Zulieferproblemen in Teil 2, N systematisch dargestellt.
ill. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
73
Mitteln erfolgt sei. Auch sei der künftige Absatz der mit den neuen Anlagen hergestellten Produkte aus den genannten Gründen unabhängig von ihrem Preis sichergestellt, der Parameter "Preis der hergestellten Güter" für das einzelne Unternehmen also auch hier weithin irrelevant gewesen. Letztlich seien somit Nicht-Preissignale für die Unternehmen bedeutsamer gewesen als die Informationen. welche das Preissystem zur Verfügung stellen konnte. Das Problem ist nach dem Ansatz Kornais damit insgesamt nicht die Struktur der relativen Preise, sondern ihre Ineffizienz in der Sphäre der bürokratisch kontrollierten Staatsunternehmen. 9O
2. Das allgemeine Funktionsdefizit der angebotsorientierten Festpreise Auch. wenn die tatsächliche Bedeutung der Preise der Güter und Produktionsfaktoren letztlich nur aufgrund konkreter, historischer Unternehmensstudien bestimmbar ist, so ergibt sich aus den Ergebnissen Komais generell, daß der Stellenwert des Preismechanismus für sozialistische Staatsunternehmen lediglich sekundär war. Dies sollte auch im Hinblick auf das nun zu thematisierende Verhältnis von Preisen und Innovationsfähigkeit bedacht werden. Für dieses sind drei Prinzipien. aufgrund derer die Preise für industrielle Produkte in der sozialistischen Wirtschaftsordnung gebildet wurden. von entscheidender Bedeutung. Ungeachtet verschiedener Einzelbestimmungen prägten diese Grundsätze die Preissysteme in allen sozialistischen Volkswirtschaften vor dem Beginn wirtschaftlicher Reformen in den sechziger Jahren. Nach dem ersten Prinzip sollten die Preise industrieller Güter dem gesellschaftlich notwendigen Aufwand entsprechen (prinzip des Wertpreissystems). Diese Forderung resultierte unmittelbar aus der marxistischen Arbeitswertlehre und kann als oberster Grundsatz des klassischen sozialistischen Preissystems bezeichnet werden. Da der ,gesellschaftlich notwendige Aufwand' eine qualitative Größe darstellt, welche prinzipiell nicht quantifizierbar ist, sollten die industriellen Preise den Produktionskosten,die für identische Produkte anhand des Branchendurchschnitts ermittelt wurden, entsprechen. Zur Finanzierung des Umlaufvermögens sowie der Prämienfonds der Unternehmen wurde sodann auf die durchschnittlichen Herstellungskosten der Produkteinheit ein bestimmter Prozentsatz der Kosten als Gewinn aufgeschlagen. Der Preis des Gutes entsprach mithin den durchschnittlichen Produktionskosten der Branche plus einem kalkulatorischen Gewinn ("Cost-Plus-Profit-Prinzip"). Dies bedeutete, daß der Preis eines Produktes unabhängig von den Nachfragebedingungen festgelegt wurde, es handelte sich also um ein rein angebotsorientiertes 90 J. Komai, The Economies of Shortage, Vol. B, S. 323, 336 - 349, 368, 558f. Ders., The Socialist System, S. 131fT, 146fT, 265f, 268, 273, 277.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
Preissystem. Beispielsweise definierte das 1952/53 in der DDR geschaffene Festpreissystem die Preise fiir Güter, die zwischen Unternehmen ausgetauscht wurden (Betriebs- oder Industrieabgabepreise) in der Regel als Summe der durchschnittlichen Erzeugungskosten plus einer Gewinnspanne von 6 % derselben. AuffiUlig an dieser Preisberechnung war zudem, daß bis zur Durchführung des "Neuen Ökonomischen Systems" die Kapitalkosten von geringer Bedeutung fiir die Gesamtkosten waren, so daß diese vor allem durch die Arbeitskosten geprägt waren. 91 Waren die Preise der Güter in der industriellen Sphäre einmal festgelegt, so blieben sie zweitens über einen längeren Zeitraum, d. h. bis zur nächsten partiellen oder generellen Preisreform, unverändert. Es handelte sich damit prinzipiell um ein Festpreissystem. Zurückzuführen ist das Prinzip intertemporär konstanter Preise einerseits auf das Bestreben, eine Preisinflation, wie sie mit der kapitalistischen Ordnung assoziiert wurde, auszuschalten. Andererseits reflektierte dieser Grundsatz jedoch die, bereits dargelegte, pragmatische Notwendigkeit, eine Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit im Zeitablauf, d.h. vor allem über verschiedene Planperioden hinweg, zu gewährleisten. Drittens oblag die Kompetenz der Preisfestsetzung und -kontrolle einer vielstufigen Preisadministration (s. u.), während die Unternehmen über keine Preissetzungsautonomie verfügten. Im Extremfall (etwa bei Preisreformen) bedurften Veränderungen der Bestätigung durch den Ministerrat. FestzuhaIten ist deshalb, daß die Güter- und Faktorpreise für die Unternehmen, jedenfalls theoretisch, externe Daten darstellten. 91 Mit den bisherigen Anmerkungen zum Stellenwert des Preissystems sowie zu den Prinzipien der Preisbildung wurde bereits ein weiteres Dilemma des Preissystems angedeutet: Da die im Bereich der Industrie angewandten Preise prinzipiell Kostenpreise darstellten, waren sie grundsätzlich nicht in der Lage, Informationen über die relative Knappheit der Güter und Produktionsfaktoren 91 R. Bentley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 81. J. Berliner, Tbe hmovation Decision, S. 240 - 250, 303. Melzer, Manfred: Tbe Pricing System of the GDR: Principles and Problems, in: I. Jeffiies/M. Melzer (Hg.), Tbe East Gennan Economy, op. cil, S. 141 - 148~ hier: S. 144. U. Wagner, Interessenkonflikte, S. 85. Neben den Kapitalkosten, die nur über die zu niedrigen Abschreibungen in die Gesamtkosten eingingen, ignorierte die Kalkulation weitere Kostenbestandteile: I. Nichtberücksichtigung der Forschungs- und Entwicklungskosten~ 2. Nichtberücksichtigung der Veralterung der Anlagen infolge technischen Fortschritts in den Abschreibungen~ 3. Nichtberücksichtigung bestimmter mit der Berufsausbildung und der sozialen Betreuung der Belegschaft verbundenen Aufwendungen. Siehe: G.-.I. Krol, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen, S. 102ff, 133f. 92 J. Koma;, Tbe Socialist System, S. 149ff. R. Amann, Industrial hmovation in the Soviet Union, S. 74f. G.-.I. Krol, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen, S.102ff. J. Berliner, Tbe hmovation Decision, S. 244ff. R. Knauff, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 96ff.
m. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
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zu liefern. Insofern. als die Ausschaltung der Marktkräfte eine der grundlegenden Zielsetzungen der sozialistischen Gesellschaftsordnung war, war die Bildung von Marktpreisen zur Angleichung von Angebot und Nachfrage bereits ausgeschlossen. Wie gezeigt, oblag die Funktion, die Knappheit der Güter und Faktoren zu indizieren und diese auszugleichen, hier nicht dem Marktpreismechanismus, sondern dem Bilanzierungssystem. Eines der grundlegenden Probleme der sozialistischen Wirtschaftsordnung bestand nun darin, die in den Bilanzen durchgeführte Mengenplanung mit der Preisplanung zu harmonisieren und zu koordinieren. Mit anderen Worten: Die o.a. Funktionen (und hier v. a. die Stimulierungsfunktion) konnte das sozialistische Preissystem nur dann ausfüllen, wenn es die, sich aufgrund der im Plan definierten Prioritäten ergebenden, relativen Knappheiten adäquat widerspiegelte. Dies aber wäre nur möglich gewesen, wenn jedes einzelne in der Volkswirtschaft vorhandene Gut durchbilanziert worden wäre. Angesichts der Tatsache, daß z. B. der Artikelkatalog der DDR in den achtziger Jahren ca. 82 Millionen Produkte verzeichnete, war dies aber praktisch unmöglich. Die aufgrund dessen unternommenen Versuche, einen "optimalen Plan" mit Hilfe von Schattenpreisen zu entwikkein, scheiterten letzten Endes. Zudem ergibt sich an diesem Punkt auch ein logisches Paradoxon: Wäre die Bestimmung der Knappheit eines jeden Gutes in den Bilanzen praktisch durchführbar gewesen, so wäre die Bildung von Knappheitspreisen nun zwar möglich, jedoch gleichzeitig auch obsolet gewesen. Insofern. als das Bilanzsystem in diesem Fall ein optimales Informationssystem dargestellt hätte, wäre es möglich gewesen, auf Preise vollständig zu verzichten. 93 Die ökonomische Literatur stimmt deshalb auch darin überein, daß die Unmöglichkeit. die Knappheitsinformationen der Bilanzen und der Preise widerspruchsfrei zu koordinieren, zu einem "allokativen Bruch im System der Wirtschaftsrechnung" führte, der erhebliche Folgeprobleme für die Wirtschaftsordnung barg. Eine optimale Kombination der Produktionsfaktoren war unter diesen Bedingungen unmöglich. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß dieses Dilemma in der DDR weder durch die von 1964 bis 1967 durchgeführten Preisreformen noch durch die, als Reaktion auf die in den siebziger Jahren auftretenden Verteuerungen von Energie und Rohstoffen vollzogenen, Preisanpassungen wirklich aufgelöst werden konnte. Das von Janos Kornai formulierte Fazit zum Informationsgehalt der Preise in der sozialistischen Planwirtschaft erscheint daher gerechtfertigt: "One function of price in market coordination is to convey information in a concise form on the relative scarcity of resources and products. No such information is con-
93 R. Knauff, Die Funktionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 81, 83f, 100. M Melzer, Wandlungen im Preissystem der DDR, S. 52. G.-J. Kral, Die Wirtschafts-
reform in der DDR und ihre Ursachen, S. 101f.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften veyed by the prices here described. In fact, they impart alrnost no useful infonnation at all, as it is alrnost all lost in the conflict between the disparate pricing principles. In other words, the relative prices emerging lIDder the classical system are arbitrary and irrational. ,,94
Für die Fragestellung dieser Arbeit ist es von grundlegender Bedeutung, daß die "irrationalen" Preise des sozialistischen Systems faktisch keinen Beitrag zur rationalen ökonomischen Bewertung der in der Volkswirtschaft permanent auftretenden Substitutionsprozesse, etwa zwischen Kapital und Arbeit, leisten konnten. Da sie keine Informationen über die relativen Knappheiten enthielten, boten sie keine Entscheidungsgrundlage, um im Sinne der gesamtwirtschaftIichen Effektivität zwischen verschiedenen Produktionstechnologien oder Produkten auswählen zu können. Dies bedeutete aber auch, daß sie nicht zur Beurteilung der WirtschaftIichkeit innovativer Technologien herangezogen werden konnten. Auf dieser allgemeinen Ebene konnte das sozialistische Preissystem nicht als Selektionsmechanismus zur Evaluierung des Nutzeffektes von Innovationen (siehe Teil 2, I) fungieren, ein Druck zur Einführung volkswirtschaftIich sinnvoller Innovationen ging damit von ihm in keinem Fall aus. 9S
3. Die relative Rentabilität alter und neuer Produkte Neben dieser generellen allokativen Disfunktionalität führte das traditionelle Festpreissystem der sozialistischen Volkswirtschaften auf einer zweiten, weitaus konkreteren, Ebene zur direkten Diskriminierung innovativer Unternehmensaktivitäten. Verantwortlich zeichnete hierfür die Kombination von längerfristig konstanten Preisen, Kostenverlauf und Gewinnentwicklung. Betroffen waren hiervon in erster Linie Produktinnovationen. Allerdings sei vorab darauf hingewiesen, daß indirekt auch Verfahrensinnovationen beeinträchtigt wurden, da diese einerseits auf neuen Produkten des Maschinen- und Anlagenbaus beruhten, während andererseits mit neuer Produktionstechnologie zumeist auch neue Produkte erzeugt werden. Vor allem in der So\\jetunion gelangten verschiedene Studien, welche das Verhältnis von UntemehmensrentabiIität und Altersstruktur der hergestellten Erzeugnisse untersuchten, zu dem scheinbar paradoxen Ergebnis, daß die Unternehmen, welche relativ viele neue Güter herstellten, geringere Gewinne erwirtschafteten als jene, die sich auf bekannte Erzeugnisse konzentrierten. Komai, Tbe Socialist System, S. 15lf. Harne/IH. Leipold, Economic Refonn in the GOR, S. 287, 292f, 302. M Me/zer, Wandlungen im Preissystem der DDR, S. 52, 54f, 62f, 69. Ders., Tbe Pricing System ofthe GOR, S. 143. G. ..!. Kra/, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen, S. 103f, 133f. 94 J.
9S H.
ill. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
77
Im Anschluß hieran ergab sich die Schlußfolgerung, daß Güter, die sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium ihres Produktlebenszyklus befanden, rentabler waren als innovative Produkte. Beispielsweise ergab eine 1967 von der Zentralen Statistischen Behörde der So\\jetunion vorgelegte Untersuchung, daß die Rentabilität jener Betriebe, deren Produktionssortiment .bis zu 10 % neuer Produkte aufwies, im Durchschnitt 23,6 % betrug. Betriebe, deren Sortiment jedoch einen Anteil von 20 bis 30 % neuer Produkte aufwies, erreichten hingegen eine durchschnittliche Rentabilität von lediglich 16,4 %.96 Einen detaillierteren Überblick über die Ergebnisse dieser Studie und die negative Korrelation von durchschnittlicher betrieblicher Rentabilität und relativem Anteil neu eingeführter Produkte am Produktionssortiment bietet Tabelle
2. Tabelle 2 Betriebliche Rentabilität und neue Produkte am Beispiel ausgewählter Betriebe der UdSSR (in e/o) Anteil neu eingeführter Produkte am betrieblichen Produktionssortiment
Rentabilität
o
51,8
2,2
51,4
16,3
43,7
19,3
40,7
19,8
26,9
22,5
66,5
26,4
56,8
28,2
18,9
28,6
18,3
35,5
24,0
42,2
19,8
60,3
10,9
62,3
10,7
Zitiert nach: U. Hewer. Zentrale PlanWlg und technischer Fortschritt, S. 91
Die Erklärung für dieses inverse Verhältnis zwischen dem Anteil neuer Produkte am betrieblichen Sortiment und betrieblicher Rentabilität bietet der
96 U. Hewer, Zentrale Planung und technischer Fortschritt, S. 90. Ähnliche Ergebnisse präsentiert: J. Berliner, The Innovation Decision, S. 251 - 254.
78
2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Kostenverlauf neuer Produkte: Als allgemeine Tendenz gilt dabei, daß die Produktionskosten eines neu eingeführten Gutes im Zeitverlauf sinken, d. h. also unmittelbar nach der Innovation am höchsten sind. Dieses Phänomen wurde als solches unabhängig vom herrschenden Wirtschaftssystem beobachtet, wie etwa in den USA durchgeführte Untersuchungen nachwiesen. 97 Einen typischen Kostenverlauf zeigt Tabelle 3 für einen 1955 bis 1961 in der DDR gefertigten Staubsaugermotor. Tabelle 3
Kosten-, Preis- und Gewinnentwicklung eines Staubsaugermotors in der DDR
1955
1956
1957
1958
1959
1960
1961
Materialkosten
12,00
12,00
11,69
11,18
10,18
9,63
9,16
Lölme
6,00
5,50
5,00
4,80
4,67
4,07
3,80
Gemeinkosten
20,00
18,60
17,60
16,60
16,10
15,70
14,97
Gesamtkosten
38,00
36,10
34,29
32,58
30,95
29,40
27,93
Gewinn
2,00
3,90
5,71
7,42
9,05
10,60
12,07
Betriebspreis
40,00
40,00
40,00
40,00
40,00
40,00
40,00
Zitiert nach: R. Bentley, Technological Change in the Gcnnan Dcmocratic Rcpublic,
s. 80
Dieses Beispiel verdeutlicht den vor dem Hintergrund des Festpreissystems wirkenden Zusammenhang von Kosten-, Preis- und Gewinnentwicklung, der bedingte, daß die Einführung neuer Produkte für sozialistische Unternehmen selbst dann nicht erstrebenswert war, wenn sie die Erfüllung der Planauflagen "Kostensenkung" und "Unternehmensgewinn" anstrebten: In dem hier dokumentierten Fall war 1955 der ursprüngliche Gewinn pro Produkteinheit mit 2 Mark auf ca. 5,3 % der Produktionskosten festgelegt worden. Der dem Unternehmen für einen Staubsaugermotor berechnete Betriebspreis betrug somit 40 Mark. Letzterer blieb nunmehr auch in den folgenden Jahren unverändert, so daß er nicht in der Lage war, die Verringerung der Produktionskosten nachzuvollziehen. Im Ergebnis betrug der tatsächlich pro Erzeugniseinheit erwirtschaftete Gewinn 1961 statt 2 nunmehr 12,07 Mark, war also um das Sechsfache angestiegen. Mit zunehmendem Alter wuchs für das Unternehmen die Attraktivität eines Produktes. 97 J.
Berliner, Tbe Innovation Decision, S. 295f.
m. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
79
Das hier dargestellte "Profit-Differential"-Problem98 läßt sich allgemeiner formuliert folgendermaßen zusammenfassen: Da die Preise neu eingeführter Güter in den sozialistischen Staaten ebenso wie jene "alter" Produkte als Summe von Produktionskosten und einem durchschnittlichen Gewinn pro Produkteinheit kalkuliert wurden, bot das Preissystem keinen Mechanismus, um die im Umfeld der Produktionsaufnahme höheren Herstellungskosten zu kompensieren. Für das mit der Produktionsdauer eines Produktes tendenziell sinkende Kostenniveau sind drei Faktoren verantwortlich: 1. Die Kosten für die Vorbereitung und den Anlauf der Fertigung belasteten vor allem die erste Phase des Produktzyklus. Da die Unternehmen nicht in jedem Fall davon ausgehen konnten, daß ihnen diese Kosten von übergeordneten Organen erstattet wurden, ergab sich bereits ein erster negativer Innovationsanreiz. 2. Nach der Produktionsaufnahme eines innovativen Produktes werden zumeist Skaleneffekte wirksam, die dazu führen, daß mit fortschreitender Produktionsdauer die Stückkosten sinken. Da die ökonomisch günstigere Produktionskapazität erst mit einiger zeitlicher Verzögerung - oder aber in später errichteten Werken erreicht wird, bedingen die ,,Economies of Scale" tendenziell, daß neue Produkte mit höheren Kosten erzeugt werden, als vergleichbare Vorläuferprodukte, die sich bereits seit längerem im Sortiment eines Unternehmens befinden. 3. In die gleiche Richtung wirken die Ergebnisse kumulativer Lernprozesse, die im Verlauf einer Produktgeschichte vielfältige kleinere Maßnahmen zur Kostensenkung ermöglichen. Insofern, als diese Lernprozesse erst im Verlauf der innovativen Erfahrung selbst auftreten und eine abhängige Variable des erreichten kumulierten Ausstoßes eines spezifischen Produktes darstellen, bewirken sie, daß gerade eingeführte Produkte in demselben Unternehmen höhere Stückkosten verursachen als alte Erzeugnisse. Andererseits ist es aufgrund von Externalitäten wahrscheinlich, daß Imitatoren mit günstigeren Kosten produzieren als der ursprüngliche Innovator. Da nun aber das sozialistische Festpreissystem nicht in der Lage und auch gar nicht dafür konzipiert war, die aufgrund dieser Prozesse sich dezentral permanent ergebenden Kostenveränderungen widerzuspiegeln, öffnete sich in der Tendenz im Zeitablauf die Schere zwischen sinkenden Erzeugungskosten und konstanten Produktpreisen. Im Ergebnis kam es damit zu einem in Abhängigkeit vom Produktalter faktisch anwachsenden Gewinn pro Produkteinheit. Dies aber führte zu der volkswirtschaftlich disfunktionalen Konsequenz, daß die Unternehmen, immer wenn qualitative Kennziffern von Belang waren, daran interessiert sein mußten, Produktinnovationen nach Möglichkeit zu vermeiden, und an der Produktion der bisherigen Erzeugnisse festzuhalten. Insgesamt konnte das Preissystem der sozialistischen Volkswirtschaft seine
98
Ebd.
80
2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
Meß- und Rechnungsfunktion (s.o.) nur höchst unvollkommen ausfüllen und trug damit zur Diskriminierung innovativer Aktivitäten bei. 99 Wie bereits durch die oben angeführten so\\jetischen Untersuchungen deutlich wurde, waren sich die politisch Verantwortlichen und die Preisbehörden dieser anti-innovatorischen Wirkungen des Festpreissystems zumindest partiell bewußt. Infolgedessen wurden seit den fünfziger Jahren preispolitische Maßnahmen ergriffen. welche die Rentabilität veralteter Produkte aufheben und die hohen Produktionskosten neuer Erzeugnisse kompensieren sollten. Neben der Einrichtung verschiedener Fonds für neue Technologien und neue Produkte beinhalteten diese Maßnahmen vor allem den bemerkenswerten Versuch, das Festpreissystem zu dynamisieren. Angestrebt wurde damit letztlich, die Entwicklung der Preise für neue Produkte, welche in Marktwirtschaften vom Wettbewerbsmechanismus bewirkt wird, durch administrative Instrumente zu imitieren. Im Gefolge der zu Beginn der fünfziger Jahre durchgeführten Preisreformen führte zunächst die So\\jetunion in einigen Industriezweigen sogenannte lempordre Preise ein, deren Bedeutung in den Jahren 1955 bis 1967 relativ groß war. Nach diesem Preisbildungssystem wurde der Preis der neuen Produkte vor Aufnahme der Produktion so kalkuliert, daß die relativ hohen Anlaufkosten gedeckt waren und die Unternehmen einen industriezweigüblichen Gewinn erwirtschaften konnten. Waren die Kosten sodann gesunken, mußten die Unternehmen eine neue Kalkulation vorlegen und der Preis des vormals neuen Produktes wurde aufgrunddessen gesenkt, um so die ungerechtfertigt hohen Gewinne zu reduzieren. 100 Eine Weiterentwicklung dieses Modells stellte der Mechanismus der degressiven Slujenpreise dar, welcher seit 1967 in der DDR für die metallverarbeitende, die chemische und die Gießereiindustrie eingeführt wurde. Im Rahmen dieser Preisbildung erhielten neue oder verbesserte Produkte die höchsten Preise und die größte Gewinnspanne. Sie wurden im Zeitverlauf durch Preissenkungen. die vor der Produktionsaufnahme zwischen Produzenten, Abnehmern und der zuständigen Vereinigung Volkseigener Betriebe vereinbart wurden, reduziert. Galt ein Produkt schließlich als veraltet, sollte sein Preis unter
99 Zum Zusammenhang von Kosten-, Preis- Wld GewinnentwicldWlg siehe: R. Bentley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 79f. R. Amann, Industrial hmovation in the Soviet Union, S. 12. U. Hewer, Zentrale PlanWlg Wld technischer Fortschritt, S.79ff, 89fI U. Wagner, Interessenkonflikte, S. 56ff, 85. J. Berliner, The hmovation Decision, S. 251 - 274, 293 - 298. L. Balcerowicz, hmovationsspeziflka, Wirtschafts systeme Wld hmovationsleistWlg von Wirtschaftssystemen, S. 50 - 54. 100 U. Hewer, Zentrale PlanWlg Wld technischer Fortschritt, S.79 - 83. J. Berliner, The hmovation Decision, S. 269 - 279, 295f.
III. Das Preissystem der sozialistischen Wirtschaftsordnung
81
den Produktionskosten liegen, um so die Unternehmen zu seiner Aussonderung zu motivieren. 101 Prinzipiell sind diese Modelle einer dynamischen Preisbildung als ein partielles Abrücken vom Grundsatz permanent fixierter Preise in den sozialistischen Volkswirtschaften zu interpretieren. Beabsichtigt wurde mit dieser Dynamisierung eine optimierte Erfüllung der Meß- und Rechen- wie auch der Stimulierungsfunktion des Preissystems. Ihr Erfolg wird allerdings in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur ambivalent bewertet: Diese gelangt übereinstimmend zu der Einschätzung, daß die temporären und Stufenpreise die größere Rentabilität veralteter Produkte zwar reduzierten, jedoch nicht in der Lage waren, diese grundsätzlich aufzuheben. Zudem habe die Kalkulation der Produktionskosten, die bei neuen Produkten ex ante erfolgen mußte, sowie die korrekte Bestimmung der Kostendegression enorme Probleme aufgeworfen und beträchtliche Mißbrauchsspielräume eröffnet. Die aufwendige Kalkulation der Kostenverläufe habe zudem zu einer Überlastung der Preisadministration geführt. Schließlich seien die potentiellen Abnehmer innovativer Produkte durch ihr Wissen um künftige Preissenkungen möglicherweise dazu motiviert worden, den Kauf der Produkte bis nach Einführung des niedrigeren Preises aufzuschieben. Zusammengenommen zeigten diese kritischen Einwände die begrenzten Spielräume einer administrativen Bewältigung der Problemlagen eines bürokratisierten Preissystems auf. 102 Mit den bisherigen Ausführungen wurden die grundsätzlichen Probleme, welche das Preissystem für betriebliche Innovationen aufwarf, umrissen. Hinzu kamen weitere Implikationen des Preissystems, die je nach konkreter historischer Konstellation dazu beitragen konnten, die Neuerungsbereitschaft der Unternehmen zu beschränken: 1. Wurde die Kennziffer ,,Bruttoproduktion" dem Unternehmen als Wertgröße vorgegeben, so konnte eine Innovation mit hohem Nutzeffekt - in diesem Fall vor allem eine Verfahrensinnovation - zur Folge haben, daß die Bruttoproduktion des betreffenden Unternehmens sank, da seine Produktionskosten und die auf ihnen beruhenden Güterpreisegesenkt werden konnten. Allerdings setzte dies voraus, daß die reale Kostenentwicklung den übergeord-
101 R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S.109 114. fu der So\\jetunion wurden Stufenpreise eingefUhrt, als sie in der DDR im Zuge der Beendigung des ,,Neuen Ökonomischen Systems" wieder abgeschaffi wurden. Siehe hierzu: J. Berliner, The funovation Decision, S. 293 - 298. 102 U. Hewer, Zentrale Planung und technischer Fortschritt, S. 81 - 83, 85 - 89. J. Berliner, The funovation Decision, S. 279 - 290, 293 - 298. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S. 110 - 113. M. Melzer, Wandlungen im Preissystem der DDR, S. 55f. R. Amann, fudustrial funovation in the Soviet Union, S. 13f. 6 Unger
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
neten Behörden bekannt war und die Planauflage "Bruttoproduktion" der neuen Kosten-lPreissituation nicht angepaßt worden war. Da der Unternehmensgewinn nach dem oben erläuterten "Cost-Plus-Profit"Prinzip als relativer Zuschlag zu den Produktionskosten des Unternehmens berechnet wurde, sank in diesem Fall auch der absolute Umfang des Unternehmensgewinns. Wie sich diese Veränderungen in der Beurteilung der Unternehmensleistung niederschlugen, war im historischen Einzelfall abhängig von der politisch definierten Gewichtung der Parameter ,,Bruttoproduktion" "Kostensenkung" - "Unternehmensgewinn". Wurde der Bruttoproduktion eine Priorität beigemessen, hatte sich die Unternehmensleistung im Gefolge einer effektiven Innovation verschlechtert. Zwar handelt es sich bei dieser Konstellation um einen Sonderfall - dennoch waren dessen Risiken im Vorfeld einer Innovation von der Unternehmensleitung abzuwägen. 103 2. Neben anderen Faktoren trug dieser Mechanismus dazu bei, daß innovierende Unternehmen dazu tendierten, die bei Neuerungen zumeist ex ante durchzuführenden Kostenschätzungen zu inflationieren, um das gleiche Gewinnvolumen, das ihre bisherigen Produkte erreicht hatten, auch für das innovative Gut sicherzustellen. Dies verminderte den ökonomischen Nutzen der Neuerung für den Anwender, doch konnte diese Ausnutzung des Kalkulationsspielraums die Innovation für den Produzenten erleichtern. Allerdings wurde das grundlegende ,,Profit-Differential"-Problem" hiermit nicht gelöst: Zwar war der Gewinn der neuen Produkte durch die überhöhten Kostenschätzungen größer als ökonomisch gerechtfertigt, doch stieg dieser Gewinn mit zunehmendem Alter aufgrund sinkender Kosten weiter an. Bildlich gesprochen wurde das gesamte Preisniveau um eine Stufe angehoben, ohne jedoch den Abstand zwischen der Rentabilität alter und neuer Produkte zu verringern. 104 3. Zudem ignorierte das System der Kostenpreise den ökonomischen Nutzen, den innovative Produktionsgüter im Anwendungsbereich mit sich brachten. Unter Umständen bedingte dies, daß die Aufnahme einer neuen Produktionstechnologie in das Sortiment von Unternehmen A wegen der anfallenden höheren Kosten unrentabel war, obwohl ihr Einsatz in Unternehmen B Kostensenkungen ennöglicht hätte, welche die Verteuerungen in Unternehmen A überkompensiert hätten. Eine volkswirtschaftlich sinnvolle Innovation wurde 103 R. Knauff, Die Fun1ctionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 98. U. Wagner. futeressenkonflikte. S. 64, 66. G.-J. Kro/, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen, S. llOf. J. Komai. The Economics of Shortage, Vol. B, S. 364. R. Bentley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 81. 104 R. Amann, fudustrial Innovation in the Soviet Union, S. 13f. U. Hewer, Zentrale Planung und technischer Fortschritt, S. 81. R. Bentley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 81f. J. Berliner, The Innovation Decision, S. 259, 28If,374.
IV. Mangelwirtschaft Wld DefIzite des Zuliefersystems
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in einern solchen Fall durch das, aus der einseitig angebotsorientierten Preisbildung folgende, mangelnde Interesse von Unternehmen A behindert.
An diesem Punkt setzten, u.a. in der UdSSR und der DDR, Versuche an, den Gebrauchswert innovativer Güter in deren Preis einfließen zu lassen. Ein Beispiel hierfür waren die sogenannten analogen und parametrischen Preise. Die hierzu entwickelten Methoden der Preiskalkulation erwiesen sich jedoch als sehr komplex und schwer zu handhaben. lOS 4. Das in den sozialistischen Staaten entwickelte Preissystem erforderte einen umfangreichen bürokratischen Apparat zur Kalkulation, Administration und Kontrolle der Güterpreise. Diese Preisbürokratie hatte zur Folge, daß die im Umfeld von Innovationen nötige Flexibilität des Preissystems nicht gewährleistet werden konnte. Volkswirtschaftlich verursachte die Preisadministration enorme - wenngleich letztlich kaum quantifizierbare - Kosten. Darüber hinaus benötigte die Preisbildung für neue Produkte infolge des langwierigen Instanzenweges in der Regel eine lange Zeitspanne. Für innovationsbereite Unternehmen fiihrte dies oftmals dazu, daß sie eine geplante Neuerung realisieren mußten, ohne Informationen über ihren Preis und damit ihre Wirtschaftlichkeit zu besitzen. Hierdurch erhöhte die bürokratische Preisadministration die für Unternehmen mit Innovationen stets verbundene Ungewißheit. 106
IV. Mangelwirtschaft und DefIzite des Zuliefersystems Bildet der in sozialistischen Volkswirtschaften nahezu permanent vorhandene Mangel den Gegenstand dieses Unterkapitels, so erfordert die leitende Fragestellung dieser Arbeit eine prinzipielle Eingrenzung. Diskutiert werden daher im folgenden lediglich die verschiedenen Facetten des Verhältnisses von lOS J. Berliner, The Innovation Decision, S. 301 - 338. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S. 81. Die Komplexität der angewandten Verfahren zeigt das Kalkulationsschema für Preise nach dem Preis-/ Leistungsverhältnis, wie sie in der DDR 1976 eingeftlhrt wurden. Siehe: M Melzer, Wandlungen im Preissystem der DDR, S. 59 - 63. 106 So berichtet Berliner beispielsweise von einem Kombinat in der Sowjetunion, dem es gelang, die Haltbarkeit der von ilun hergestellten Gwrunireifen um 30 - 35 % zu erhöhen. Dies war allerdings mit einem Anstieg der Produktionskosten verbunden. Da die infolgedessen nötige PreiserhöhWlg nie realisiert wurde, fIel der Gewinn von den erwarteten 13 % bis auf 2,5 % ab. Siehe: J. Berliner, The Innovation Decision, S. 361 - 397; hier: S. 371. Einen Überblick über die Preisadministration der fünfziger Wld sechziger Jahre in der DDR bietet: R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, S. 85f, 108 - 114. Siehe außerdem: U. Hewer, Zentrale Planung und technischer Fortschritt, S. 109 - 112. J. Komai, The Economics of Shortage, Vol. B, S. 357 - 374.
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
Mangelökonomie und innovativem Handeln. Dargestellt wird dazu insbesondere das von Jauos Komai entwickelte Modell der "weichen Budgetbeschränkungen" zur Erklärung der institutionellen Grundlagen der "Mangelwirtschaft". Dieses kann neben Berliners ,,Risk-Reward"-Ansatz als das zweite ,,klassische" Modell zur Analyse realsozialistischer Effizienz- und Innovationsdefizite bezeichnet werden. Die diesbezügliche These lautet:
Der in der sozialistischen Planwirtschaft ubiquitare Mangel an Konsumund Produktionsgatern begilnstigte in mehrfacher Hinsicht nichtinnovatives Unternehmenshandeln: Auf der Inputseite bedingten die fortdauernden Lieferengpasse, daß die Realisierung von InnovationenfiJr die Unternehmen mit einem ungleich gr(jßeren Aufwand verbunden war; als die Perpetuierung bisheriger Aktivitaten. Hingegen fiJhrte der auf der Qutputseite herrschende Verkaufermarkt dazu, daß der Absatz ihrer Produkte auch ohne Innovationen kein existentielles Problem fiJr die Unternehmen darstellte. Neben historischen Widrigkeiten und wirtschaftspolitischen Entscheidungen ist diese andauernde Mangelwirtschaft vor allem auf die systembedingt weichen Budgetbeschrankungen der Staatsunternehmen zUrilckzufiJhren, die eine tendenziell unbeschränkte Nachfrage nach Inputs erm(jglichten. Die Bedeutung der intensiven und häufigen Knappheitserscheinungen für den Alltag in sozialistischen Volkswirtschaften erscheint dabei so eindeutig, daß an dieser Stelle auf eine detaillierte Darstellung ihrer Symptome verzichtet werden kann. 107 Deshalb sollen hier lediglich einige illustrative Beispiele angeführt werden: Seit langem bekannt sind die in den sozialistischen Staaten auftretenden immensen Wartezeiten beim Kauf eines Kraftfahrzeuges. So konnten in Ungarn höchstens 33 % der 1968 bestellten Kfz auch tatsächlich im selben Jahr ausgeliefert werden. Bei Telefonen erreichte man die gleiche
107 Hierzu äußerte sich Gerhard Schürer, von 1965 bis 1990 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR, in seiner Autobiographie folgendermaßen: ,,Nicht nur die DDR, sondern mehr oder weniger alle sozialistischen Lander haben 40 Jahre, die So\\jetunion sogar 70 Jahre die Mangelwirtschaft praktisch erlebt. In Ungarn war das Angebot auf dem Markt durch die liberale Politik etwas besser und in Jugoslawien gab es, mehr durch die die im westlichen Ausland lebenden und arbeitenden Landsleute als durch die sozialistische ,Selbstverwaltung', ein relativ gutes Warenangebot. Am katastrophalsten war es im Mutterland der Planwirtschaft selbst, in der UdSSR, wobei man den Mangel nicht nur auf die Konsumgüter, sondern auch auf Rohstoffe, Material, Ausrüstungen und Ersatzteile beziehen kann. Und doch glaube ich nicht, daß die Planwirtschaft aus sich selbst heraus, sozusagen apriori, den Mangel hervorbringt, sondern er tritt erst in Verbindung mit den Folgen der Politik jedes einzelnen sozialistischen Staates, mit dem Primat der Politik über die Ökonomie, mit seinem sozialen Wunschdenken, seinen subjektivistischen Entscheidungen sowie seiner bizarren Preis- und Subventionspolitik auf" Scharer, Gerhard: Gewagt und verloren. Eine deutsche Biographie, 2. bearbeitete Auflage, Frankfurt/Oder 1996, S. 106.
N. Mangelwirtschaft und Defizite des Zuliefersystems
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Quote, bei den meisten Bekleidungsartikeln hingegen 70 bis 94 %. lOS Auf die Auslieferung eines Automobils der Marke Lada mußte der Kunde am Ende der achtziger Jahre in der CSSR 3 - 4 Jahre, in Polen 5 - 6 Jahre, in Bulgarien 10 12, in der DDR sogar beachtliche 17 Jahre warten. 109 Neben dem privaten Konsum betraf der ständige Mangel jedoch auch die Industrie. So zeigten etwa die von Ronald Amann und Julian Cooper edierten Fallstudien zur Innovation in der Sowjetunion, daß verschiedene Branchen durch defizitäre Verfügungsmöglichkeiten über materielle Inputs in Mitleidenschaft gezogen worden waren: So sei der Chemieanlagenbau nicht in der Lage gewesen, der Chemischen Industrie Anlagen zur Kunststofferzeugung in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, die Einführung und Diffusion der Gruppentechnologie habe unter der mangelnden Verfügbarkeit von Spezialwerkzeugen gelitten, die Computerfertigung hingegen unter fehlenden Halbleitern etc. 110 Weiter verzeichnete die rohstoffreiche Sowjetunion in der zweiten Hälfte der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre eine Knappheit bei Eisenerzen und Kokskohle, die wiederum zu einem Stahlmangel beitrug. III
1. Innovation unter den Bedingungen der Mangelökonomie Neben den spezifischen historischen Umständen bildete vor allem die Art und Weise, wie in einer sozialistischen Planwirtschaft der Güterfluß zwischen Unternehmen und Branchen organisiert war, einen Faktor, der zur ständigen Reproduktion der Knappheitserscheinungen beitrug: Das hierzu entwickelte Verteilungssystem basierte naturgemäß nicht auf Kontrakten autonomer Unternehmen, sondern auf den Ergebnissen eines umfassenden, bürokratischen Koordinationsapparats. In diesem Rahmen mußten die Unternehmen für den Erwerb der benötigten Inputs neben den Finanzmitteln vor allem auch über die entsprechenden Zuteilungsdokumente verfügen, ohne die eine Akquisition der Ressourcen unmöglich war. Damit ergibt sich ein erneuter Hinweis auf den semi-monetarisierten Charakter der sozialistischen Wirtschaftsordnung (siehe Teil 2, III). In der Sowjetunion bildeten beispielsweise fünf Dokumente die Grundlage, auf der die Verteilung der Ressourcen in der Industrie organisiert wurde: Die Nomenklatur systematisierte die Güter nach ihrer Wichtigkeit, die güterwirtschaftlichen Bilanzen (siehe Teil 2, III) sollten hingegen die volkswirtschaftlichen Knappheitsgrade aufzeigen. Zusätzlich mußten die Unternehmen im Zuge der Planausarbeitung ihren voraussichtlichen Materialbedarf K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 190. Komai, Tbe Socialist System, S. 236, s. auch S. 234f. 110 R. Amann, Industrial Innovation in the Soviet Union, S. 24f. 111 P. Desai, Soviet Growth Retardation, S. 178. lOS
109 J.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
in einer Bedarfsanforderung definieren, während die Aufteilung der Ressourcen auf Branchenministerien und Unternehmen über die Ausarbeitung von Verteilungspltinen erfolgte. Von ausschlaggebender Bedeutung fiir die Unternehmen war schließlich das Allokationszertijikat, welches sie überhaupt erst berechtigte, ein in der Nomenklatur enthaltenes Produkt legal zu erwerben. Je nach Bedeutung des betreffenden Gutes lag seine Verteilung in der Kompetenz der Staatlichen Plankommission (Gosplan), des Staatlichen Komitees rur Versorgung (Gossnab) oder der Ministerien. In der DDR wurde die Verantwortung fiir die Materialversorgung 1961 von der Staatlichen Plankommission auf den neugebildeten Volkswirtschaftsrat übertragen. Nach dessen Auflösung erfolgte 1965 die Bildung des Ministeriums rur Materialwirtschaft, dessen Aufgabe u.a. die Kontrolle und Koordination der materiell-technischen Versorgung der Industrie war. JI2 Allgemein trug dieses bürokratische Verteilungssystem in erheblichem Maße zur Entstehung von Lieferengpässen in den Unternehmen bei: Insgesamt erwies es sich gegenüber den immer wieder durchgeruhrten Planänderungen als inflexibel, zudem waren die Verteilungspläne häufig unzureichend mit den Produktions- und Finanzplänen der Unternehmen abgestimmt, ihre Ausarbeitung erforderte darüber hinaus einen beträchtlichen Zeitaufwand, so daß Materialzuteilungen oftmals verspätet erfolgten. Sodann waren die Bilanzen häufig lediglich auf dem Papier ausgeglichen, so daß sich während der Planimplementation rasch Disproportionen und damit Güterengpässe bemerkbar machten. Infolge des unzuverlässigen Verteilungsapparates stellte die Gewährleistung eines kontinuierlichen Materialzuflusses eines der wesentlichen Probleme der Unternehmensleitungen bei der Aufrechterhaltung der Produktionsprozesse dar. Strategien zur Bewältigung dieses Problems waren u.a. das häufig beobachtete Horten von Ressourcen sowie die Tendenz, vorgelagerte Produktionsstufen zu internalisieren, um so die Unwägbarkeiten der Zulieferungen zu reduzieren. 1I3 Diese Unzuverlässigkeit des gesamten Zuliefersystems betraf Unternehmen unabhängig davon, ob sie eine Innovation durchfiihrten oder nicht. Jedoch waren die hieraus resultierenden Probleme fiir innovierende Unternehmen prekärer als fiir solche, die sich auf die Fortfiihrung ihrer Status-Quo-Aktivitäten
tt2 J. Berliner, The Innovation Decision, S. 63 - 70. Herbst, AndreaslRanke, Winfried/Wink/er, Jürgen: So funktionierte die DDR. Lexikon der Organisationen und Institutionen (Bd. 2), Reinbek bei Hamburg 1994, S. 678, lISSf tt3 J. Berliner, The Innovation Decision, S. 61, 70ff. Bereits Thalheim konstatierte, durch unzureichende Bereitstellung von Materialien werde die Leistungsflihigkeit der Wirtschaft in der DDR ftIhlbar beeinträchtigt. Tha/heim, Karl C.: Die Wirtschaft in der So\\jetzone in Krise und Umbau, Berlin 1964, S. 22.
N. Mangelwirtschaft und Defizite des Zuliefersystems
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beschränkten. Dieser Umstand liefert auf der Input-Seite der Unternehmen einen ersten Hinweis auf den Zusammenhang von Mangel und Innovationen. Die besondere Belastung, welche die ubiquitären Engpässe fiir innovationsbereite Unternehmen mit sich brachten, erklärt sich daraus, daß der Einsatz von innovativen Produktionsverfahren oder Produkten in einem Unternehmen zumeist auch neuartige Inputs erfordert. Die Innovationsneigung dürfte dabei um so größer sein, je sicherer sich die Leitung eines Unternehmens sein kann, diese neuen Materialien, Aggregate etc. auch tatsächlich zum gewünschten Zeitpunkt und in hinreichender Qualität zu erhalten. Auf der Grundlage der oben darstellten, inflexiblen Zulieferorganisation der sozialistischen Staaten dürfte diese Wahrscheinlichkeit hingegen gering gewesen sein. Dies bedingte, daß eine Neuerung Aufwand verursachte, welcher in der Regel ungleich größer war als bei Fortführung der bisherigen Aktivitäten. Durch den von einer Innovation verursachten Bedarf an geänderten Inputs konnte so etwa eine weitreichende Neudefinition der eingespielten Zulieferstrukturen nötig werden. Allgemein war diese um so wahrscheinlicher, je radikaler die avisierte Innovation in technischer und ökonomischer Hinsicht war. Vor dem Hintergrund der unsicheren Materialversorgung boten jedoch langfristig erprobte und eingespielte Beziehungen zu Zulieferern eine Möglichkeit, die Unsicherheit in einem gewissen Maße zu reduzieren: So entwickelten sich mit zunehmender Dauer der Zusammenarbeit persönliche Kontakte zwischen dem Unternehmen und seinen Lieferanten sowie eine gewisse Kenntnis von den besonderen Kundenanforderungen. Mußte nun aufgrund einer Innovation der benötigte Input von einem neuen Zulieferbetrieb bezogen werden, so entfielen diese Vorteile, die Ungewißheit des Materialzuflusses stieg an, die bislang erworbenen Kenntnisse bezüglich der Eigenschaften der akquirierten Produkte wurden wertlos etc.. Erwies sich der neue Zulieferer schließlich als wenig leistungsfähig, so mußte sich das innovierende Unternehmen aufgrund der allgemeinen Knappheit und des "Verkäufermarktes" (s. u.) zudem häufig mit zweit- bzw. drittbesten Lösungen begnügen. Diese erzwungene Substitution beeinträchtigte sodann die Wirtschaftlichkeit der Innovation. Zusammengefaßt tendierten die Schwächen der Zulieferstrukturen dazu, die Ungewißheit der Unternehmensleitung, ob die benötigten Produktionsgüter tatsächlich rechtzeitig in ausreichender Menge und befriedigender Qualität verfügbar sein würden, drastisch zu erhöhen. Die Vermeidung von Neuerungen wurde damit auch aus dieser Perspektive zu einer Möglichkeit, die Probleme, welche eine Untererfüllung des Planes fiir das Unternehmen mit sich brachte, zu reduzieren. 114
114 L. Balcerowicz, funovationsspeziflk:a, Wirtschaftssysteme und funovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 36f. L. Kosals, Russian Industry, S. 142f, 156. G. Schroeder, Implementation and Integration of funovations in Soviet-Type Economies,
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2. Teil: hmovationsbedingungen in Planwirtschaften
Darüber hinaus verfügte das Unternehmen, das dieses Risiko einging, nur über einen bescheidenen Aktionsspielraum zur Bewältigung der Probleme, welche die Akquisition der nötigen Inputs bereitete. Wie gezeigt, war es eingebettet in die bürokratischen Strukturen der Volkswirtschaftsplanung. Einerseits war es somit nicht in der Lage, die Beziehung zu einem unzuverlässigen und leistungsschwachen Zulieferer autonom aufzukündigen. Statt dessen benötigte jede bedeutende Veränderung seiner externen Transaktionsbeziehungen die Zustimmung der übergeordneten bürokratischen Organe. Andererseits erforderten die Zwänge der Planung, daß das Unternehmen seinen Bedarf an Produktions- und Investitionsgütern, wie auch an Arbeitskräften weit im Voraus anmelden mußte (s.o.). Die Volkseigenen Betriebe in der DDR waren z.B. gehalten, ihre Planvorschläge, und damit auch ihre Bedarfe, im Juni und Juli des Planvorjahres vorzulegen. Im Extremfall bedeutete dies, daß die Inputs, die im Dezember eines Jahres benötigt wurden, bereits im Sommer des Vorjahres bekannt sein mußten. War dies alleine im Hinblick auf die laufende Produktion eine kaum zu bewältigende Anforderung, so sind insbesondere Innovationen häufig durch kurzfristige Bedarfsänderungen charakterisiert. Unter Umständen mußte hierdurch auch der Plan des Lieferanten geändert werden, so daß dieser seinerseits neuartige Inputs benötigte, auf die wiederum seine Zulieferunternehmen nicht eingestellt waren. Die hierzu erforderliche Flexibilität konnte im Rahmen der planwirtschaftlichen Abläufe jedoch kaum entwickelt werden, schließlich galt es im Gegenteil, allzu häufige Planänderungen - die ja gerade einer der Gründe für den permanenten Mangel waren - zu vermeiden. 1IS Zusammengenommen tendierten Innovationen somit dazu, die Unsicherheiten des Unternehmens als Abnehmer zu vergrößern und gleichzeitig den Aufwand im Vergleich zu Status-Quo-Aktivitäten unverhältnismäßig ansteigen zu lassen. Hingegen waren die materiellen Innovationsanreize, welche diese Trends hätten kompensieren können (siehe Teil 2, 11), schwach entwickelt. Zusätzlich dürfte es den Unternehmensleitungen aufgrund vergangener Erfahrungen ex ante bekannt gewesen sein, mit welchen Schwierigkeiten der Entschluß zur Innovation für den Materialzufluß verbunden sein würde. Das heißt, ihre Erwartungshaltung wurde durch diese Probleme bereits geprägt. S. 41. J. Berliner, Tbe hmovation Decision, S. 61fT, 72 - 80. J. Komai, Tbe Socialist System, S. 230fT, 300f. IIS Siehe die schematische Darstellung des Planablaufs bei Knautr. Diese basiert auf den Regelungen, die in der DDR in den achtziger Jahren gültig waren, verdeutlicht das hier thematisierte allgemeine Problem jedoch unabhängig von Detaillregelungen. R. Knauff, Die Funlctionsmechanismen der Wirtschaftssysteme, S. 78. Vgl. G. J. Krol, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen, S. 192. Komai, JArlos: Rush versus Harmonic Growth. Meditation on the Tbeory and on the Policies of economic Growth, AmsterdamlLondon 1972, S. 140. J. Berliner, Tbe hmovation Decision, S. 77, 79, 156f, 522 -530, 534 - 541. L. Kosals, Russian Industry, S. 143f,234.
IV. Mangelwirtschaft Wld DefIZite des Zuliefersystems
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Dies dürfte im Vorfeld eine pessimistische Beurteilung der Potentiale einer Innovation von dieser Seite begünstigt haben. 11' Eine Möglichkeit zur Verringerung der aufgrund einer Innovation entstandenen Materialengpässe bestand auf der Mikroebene schließlich dann, wenn einem bestimmten Projekt eine besondere politische Priorität zukam. In einem System fortwährenden Mangels bildet eine solche politische Unterstützung jedoch ihrerseits eine knappe Ressource, so daß die bevorzugte Versorgung eines Unternehmens unweigerlich zum Mangel an einer anderen Stelle der Volkswirtschaft führte. 117 Insgesamt ließen es die Probleme, die bei der Akquisition der Inputs auftraten, für die Unternehmen als rational erscheinen, Innovationen nach Möglichkeit zu vermeiden oder aber sich auf kleinere Veränderungen zu beschränken. Eine interessante Differenzierung dieses Zusammenhangs ermöglichen empirische Studien, die vor allem in Polen durchgeführt wurden, deren Aussagen jedoch wahrscheinlich auch Gültigkeit für andere sozialistische Staaten beanspruchen können. Hieraus ergibt sich, daß Versorgungsengpässe und Mangelsituationen in den betroffenen Unternehmen mitunter auch als Anstoß für eine Innovation fungieren konnten: Zu diesem Ergebnis gelangte jedenfalls eine von Krajewski u.a. in sieben polnischen Industriebranchen durchgeführte Untersuchung. Danach wurden von den 86 Innovationen des SampIes 42 durchgeführt, um Versorgungsengpässe zu überwinden. Dies bildete das häufigste Motiv zur Innovation, während die Anpassung an neue Marktbedingungen lediglich in 33 Fällen ausschlaggebend war. Infolgedessen handelte es sich bei diesen Projekten um defensive Innovationen und erzwungene Substitutionsschritte. Teilweise wurden sogar technologische und ökonomische Rückschritte akzeptiert, sofern nur knappe Inputgüter ersetzt werden konnten. Dar-
116 Verdeutlicht wird dieser Zusanunenhang im folgenden Zitat von Claus Krömke, dem persönlichen Referenten von Günter Mittag (1962 - 1989) Wld Professor an der Hochschule fllr Ökonomie: ,,Das Ministeriwn fllr Wissenschaft Wld Technik hat WlS monatlich Informationen über die neuesten EntwicklWlgstendenzen geliefert, die waren alle zugänglich, für alle leitenden Funktionäre im Staatsapparat. Bloß damit hat keiner gearbeitet, das stieß immer auf Widerstand, Wld der Widerstand kam daher, daß jede technische NeuerWlg neue Ausrü8tWlgen erfordert Wld bedeutet hätte, einen neuen Betrieb zu bauen. ForschWlgsergebnisse waren schon da, aber die investitionsmäßige Realisierung funktionierte nicht, Wld deshalb war man instinktiv dagegen, manchmal auch Wlbewußt. Das war auch das große Problem von Schürer [Vorsitzender der Staatlichen Plankommission 1965 - 1990; St. U. J. Er mußte die vorhandenen Disproportionen aufarbeiten; jetzt kamen aber neue Dinge hinzu, Wld er wußte nicht, wie er das bilanzieren sollte, deshalb flog das alles wieder heraus. Einiges konnte nur mit Brachialgewalt gemacht werden, das waren dann die sogenannten AbweichWlgen vom Plan." Siehe: T. Pirker/R. Lepsius/R. Weinert/H.-H. Hertle, Der Plan als Befehl Wld Fiktion, S. 42. 117 R.
Amann, Industrial Innovation in the Soviet Union, S. 24f, 28ff, 38.
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2. Teil: Innovationsbedingwtgen in Planwirtschaften
über hinaus erklärte die Dominanz des Mangels als Innovationsmotiv auch das Überwiegen der Verfahrens- gegenüber den Produktinnovationen, grundlegend orientierten sich die Unternehmen stärker an den Möglichkeiten der Lieferanten als an den Bedürfnissen der Kunden. 118 Wenngleich also die Unzulänglichkeiten des Zuliefersystems und der chronische Mangel in erster Linie anti-innovatorische Neigungen in den Unternehmensleitungen verstärkt haben dürften, so war das Verhältnis von Mangel an Inputs und Innovationen dennoch nicht eindimensional. Vielmehr konnte die Knappheit an Inputfaktoren unter bestimmten historisch-kontingenten Bedingungen auch innovationsstimulierend wirken. Nachdem bislang das sozialistische Staatsunternehmen als Abnehmer im Mittelpunkt stand, sind nunmehr einige Anmerkungen zum Unternehmen als Anbieter seiner Outputs anzuschließen. Hier gilt es, das Verhältnis von Innovationen und der Dominanz von "Verkäufermärkten" zu bestimmen: Entscheidend geprägt wurde die Situation, der sich das sozialistische Staatsunternehmen auf der Absatzseite gegenüber sah, dadurch, daß es hier über eine wesentlich stärkere Machtbasis verfügte als auf seiner Input-Seite; in diesen Transaktionsprozessen nahm es die Position ein, welche seine Lieferanten ihm gegenüber innehatten. Da der Mangel in den sozialistischen Planwirtschaften ein chronisches, häufiges und intensives Phänomen darstellte, waren sie - ungeachtet einzelner Ausnahmesituationen - durch die Dominanz von Verkäufer"märkten" geprägt. Im Gegensatz hierzu dominieren in privatwirtschaftlichen Marktwirtschaften, und zwar vor allem unter den Bedingungen des unvollständigen Wettbewerbs, Käufermärkte. Die Impulse, welche diese Marktregimes auf die Unternehmen ausüben, unterscheiden sich diametral. Entscheidend für die hier aufgeworfene Frage ist dabei vor allem, daß Unternehmen, die unter Bedingungen eines stabilen Nachfrageüberhangs operieren, von einem langfristig gesicherten Absatz ausgehen können. Auch, wenn dies nicht ausschließt, daß im Einzelfall bestimmte Produkte nicht absetzbar waren: Tendenziell rangierte der Absatz und die "Vermarktung" der erzeugten Produkte auf der Problemskala eines sozialistischen Staatsunternehmens auf den hinteren Rängen, weit bedeutsamer war für sie die Sicherstellung einer kontinuierlichen Materialversorgung. Allgemein sind Verkäufermärkte dadurch charakterisiert, daß die wesentlichen Anpassungsleistungen von der Nachfrageseite zu erbringen sind und diese deren Kosten zu tragen haben, da die Anbieter über eine größere relative Macht verfügen. Anstelle einer Konkurrenz der Anbieter um Kunden ist unter 118 K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 154, 156, 160f. Siehe ferner: St. Gomulka, Growth, Innovation and Refonn, S. 45f, 50. G. Schroeder, Implementation and Integration of Innovations in Soviet-Type Economies, S. 41. J. Koma;, Economies ofShortage ,Vol. A, S. 192f.
N. Mangelwirtschaft und Defizite des Zuliefersystems
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diesen Bedingungen der Wettbewerb der Kunden um einen Anbieter vorherrschend, der Käufer muß sich um die nötigen Informationen bemühen und hat seine Nachfrage an das Angebot anzupassen. Aufgrund der nicht vorhandenen Wettbewerber ist der Anbieter im Extremfall in der Lage, Nachfrage zu simulieren, indem er sein Angebot künstlich verknappt. Schließlich handelt es sich bei dem zugrundeliegenden Mangel um ein sich selbst reproduzierendes Phänomen. In Kornais Worten ausgedrückt: ,Knappheit erzeugt Knappheit'. Da die Akteure aufgrund vorhergegangener Erfahrungen mit andauerndem Mangel vertraut sind, prägt dieser auch ihre zukunftsbezogenen Handlungskalküle: Wenn der Käufer z.B. auch fiir die Zukunft Knappheit erwartet, tendiert er zum Horten der verfügbaren Güter. 1I9 Investierende Unternehmen stellen die auch künftig gesicherte Nachfrage nach ihren Produkten in Rechnung und beantragen daher zu umfangreiche Investitionsmittel. Beide Verhaltensweisen erwachsen so aus der Mangelsituation und tragen gleichzeitig dazu bei, diese zu perpetuieren. 120 Im Ergebnis bedingten diese aus dem Marktregime resultierenden Tendenzen, daß der von der Absatzseite ausgehende Innovationsanreiz vergleichsweise schwach entwickelt war. Aufgrund der realen Machtasymmetrie zwischen Anbietern und Kunden war es recht unwahrscheinlich, daß selbst veraltete und überteuerte Güter auf Dauer ohne Abnehmer blieben. Aus diesem Grund kam es nicht zur Entwicklung von ,,Demand-Pull-Effekten': welche die Unternehmen zu Kostensenkungen, Qualitätsverbesserungen und vor allem Innovationen gezwungen hätte. 121 Dies erklärt auch die o.a. empirischen Ergebnisse, aufgrund derer die polnischen Industrieunternehmen stärker lieferanten- als kundenorientiert waren. Zusammengefaßt führte die allgemeine Güterknappheit in sozialistischen Planwirtschaften mithin dazu, daß die Innovationsimpulse, welche die horizontalen Transaktionen sowohl auf der Input- als auch auf der Output-Seite auf die Unternehmen ausübten, kaum entwickelt waren. Selbst, wenn man alle anderen Faktoren wie Prämiensystem und Preisstrukturen ausklammert, hatte dies zur Konsequenz, daß ein Festhalten des Unternehmens an überkommenen
119 Dies unterstreichen Beobachtungen, wonach in sozialistischen Industriebetrieben die Lagerhaltung bei Input-Gütern wesentlich wnfangreicher war als jene auf der Absatzseite. Dies stellte eine signifikante Abweichung vom Verhalten der Betriebe in marktwirtschaftlichen Systemen dar. Siehe: J. Komai, The Socialist System, S. 250. 120 J. Komai, The Socialist System, S. 162,245 - 252,266,270, 286. Ders., Economics ofShortage ,Vol. B, S. 340tf, 344f. 121 J. Komai, The Socialist System, S. 248, 300f. L. Kosals, Russian Industry, S. 222tf, 233. L. Balcerowicz, InnovationsspezifIka, Wirtschaftssysteme und hmovationsleistung von Wirtschaftssystemen, S. 49. G. Schroeder, Implementation and Integration ofInnovations in Soviet-Type Economies, S. 40. J. Berliner, The Innovation Decision, S. 72, 528.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Technologien und Produkten kaum Risiken barg, während eine Innovation aufgrund der o.a. Zulieferprobleme dazu angetan sein konnte, die Kontinuität der Unternehmenstätigkeit in Frage zu stellen.
2. Die institutionellen Grundlagen der Mangelökonomie: Weiche Budgetbeschrlnkungen im staatlichen Sektor Zur Beantwortung der Frage nach den Gründen des chronischen Mangels und der mit ihm verbundenen geringen Innovationsdynamik der sozialistischen Wirtschaftsordnung, wurde ein wesentliche Beitrag von Janos Kornai 122 geleistet. Das andauernde volkswirtschaftliche Ungleichgewicht der sozialistischen Nationalökonomien bildet somit den Ausgangspunkt, die weichen Budgetbeschränkungen im verstaatlichen Sektor die zentrale Kategorie seiner Überlegungen: "Shortage plays a similary central role in understanding a number of problems of a socialist economy, as does the analysis ofunemployment in studying capitalism."I23 Im folgenden werden die Schlüsselkategorien dieser Theorie vorgestellt. Im Vergleich zum "Risk-Reward-Ansatz" Berliners, erfolgt hier ein grundlegender Perspektivenwechsel: Wie gezeigt, führt dieser fehlendes innovatorisches Engagement der sozialistischen Unternehmen in erster Linie auf eine ungenügende Anreizstruktur sowie das mit Innovationen verbundene Risiko zurück, das aus dem Druck der staatlichen Bürokratie resultiert, welche die Unternehmen zur PlanerfüIlung und -übererfüIlung drängt. Im Gegensatz hierzu begreift Kornai gerade die Permissivität des sozialistischen Staates als die entscheidende Ursache von Mangel, Verschwendung und fehlender technologischer Dynamik. Nach diesem Verständnis ist dann weniger das Risiko des Scheiterns als vielmehr fehlender Zwang zum ökonomischen Handeln für die mangelnde Neuerungsbereitschaft verantwortlich. Des weiteren ist für Kornai die Frage der konkreten Ausgestaltung des Anreizsystems zweitrangig, entscheidend sei hingegen die institutionelle Ausprägung des Verhältnisses zwischen Staat und Unternehmen. 124 An die Darstellung des Komaischen Modells schließt sich die Skizzierung einiger wesentlicher kritischer Einwände12S, wel122 Neben den hier zitierten Beiträgen sind in diesem Zusammenhang folgende Publikationen anzufilhren: Komai, Janos: Overzentralization in Economic Administration, Oxford 1959. Ders.: Anti-Equilibrium, Amsterdam 1971. 123 J. Komai, Economics ofShortage, Vol. A, S. 5. 124 K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 185 - 194. J. Kornai, Economics ofShortage, Vol. B, S. 319. 12S Eine vollständige Darstellung der differenzierten Auseinandersetzung um Kornais Thesen ist an dieser Stelle nicht möglich. Einen Überblick bietet: J. Komai, The Socialist System, S. 140, Fußnote 17.
IV. Mangelwirtschaft Wld Deflzite des Zuliefersystems
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che Komais Konzept entgegengebracht wurden, an, um so zu einer kritischen Bewertung der Argumente zu gelangen. Voranzustellen ist eine weitere Anmerkung: Bei der Beantwortung der leitenden Frage, wie es zur Entwicklung permanenter Knappheiten in sozialistischen Planwirtschaften kommen konnte, ergab sich in den einzelnen Beiträgen Komais eine deutliche Akzentverschiebung: Führte er den Mangel zunächst primär auf das Drängen der politischen Instanzen auf ein forciertes und überzogenes Wachstum, also auf die Wirtschaftspolitik, zurück, so revidierte er diese Einschätzung in seinen späteren Publikationen. Hier werden demgegenüber grundlegende institutionelle Arrangements für die volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte verantwortlich gemacht. Damit aber geraten die systemspezifischen Konstruktionsmerkmale der Wirtschaftsordnung in das Zentrum der Analyse, während der konkreten Wirtschaftspolitik nurmehr eine unterstützende Funktion zukommt. 126 Entscheidend ist dabei, so Komai, wie hart oder wie weich die Budgetbeschränkungen der Industrieunternehmen gestaltet sind. Diese Kategorie wurde von Slutsky bereits 1915 für private Haushaltungen eingefiihrt und später auf die Betrachtung anderer Wirtschaftseinheiten übertragen. 127 Komai schließlich verwendet die Kategorie der Budgetbeschränkungen, um die wesentlichen Parameter der Unternehmensumwelt zu systematisieren. Für das Unternehmenshandeln ist es entscheidend, wie hart oder aber wie weich die Beschränkungen gestaltet werden, denen das Budget des Unternehmens unterliegt. In dieser Perspektive tritt damit die Frage nach den vorherrschenden Eigentumsformen hinter die Mechanismen der Unternehmensfinanzierung zurück. Zu unterscheiden ist dabei grundlegend zwischen der rechnerischen und der realen Funktion der Budgetbeschränkungen. In ihrer rechnerischen und damit allgemeinen Form definiert Kornai die Budgetbeschränkung dergestalt, daß die in einer Rechnungsperiode vom Unternehmen geleisteten Zahlungen kleiner oder gleich sein müssen wie die Summe aus seinen ursprünglichen Geldbeständen und den Einnahmen des Unternehmens. Da diese Bedingung formal immer erfüllt wird, ist neben dieser rechnerischen Funktion der Ungleichung die Frage maßgeblich, unter welchen Bedingungen die Budgetbeschränkungen in der Lage sind, das reale Unternehmenshandeln zu beschränken. Dies aber ist nur dann der Fall, wenn das Unternehmen neben den Einkünften aus seiner normalen Geschäftstätigkeit über keine sonstigen Finanzierungsquellen verfügt, um seine Ausgaben zu decken. In diesem Fall 126 J. Koma;, Rush versus Harmonie Growth, S. 141 - 145. Ders., Economics of Shortage, Vol. B, S. 555f. Ders., The Socialist System, S. 288fT. 127 Ders., Economies ofShortage, Vol. B, S. 319, Fußnote 319, S. 319 - 322. Zu den theoretischen Gnmdlagen des Modells s. auch: Ders., The Socialist System, S. 228, Fußnote 1.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
verfügt es über harte Budgetbeschrtinkungen und muß seine realen Aktionen an die Limitierung seiner Einkommensströme anpassen. 128 Im einzelnen betrachtet Kornai die Budgetbeschränkungen eines Unternehmens dann als hart, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Exogene Preise; 2. "hartes" Steuersystems; 3. keine kostenlosen Staatszuschüsse; 4. keine Kreditmöglichkeiten; 5. keine externen Finanzinvestitionen. Wird eine einzige dieser restriktiven Bedingungen nicht oder nicht vollständig erfüllt, so führt dies zu einem sukzessiven Aufweichen der Budgetbeschränkungen als Begrenzung der Wahlmöglichkeiten des Unternehmens. Harte und weiche Budgetbeschränkungen bilden somit keinen bipolaren Gegensatz, vielmehr werden sie als Skala begriffen, auf der unzählig viele empirische Abstufungen möglich sind. 129 Das Budget eines Unternehmens unterliegt infolgedessen dann vo/lsttindig weichen Beschrtinkungen, wenn die o.a. Indikatoren folgende Ausprägungen aufweisen: 1. Die Preise sindfor das Unternehmen keine exogene Gr6ße. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Unternehmen Kostensteigerungen auf seine Abnehmer überwälzen kann oder wenn es in der Lage ist, die Preisbildung in Verhandlungen mit einer Preisadministration zu beeinflussen. 2. Das Steuersystem ist" weich", da das Unternehmen im Zweifelsfall darauf vertrauen kann, daß ihm seine Steuerschuld gestundet oder ganz erlassen wird. 3. Es werden staatliche Zuschasse gewtihrt. Diese können als Teil von Investitionsaufwendungen sowie als generelle oder spezielle Subventionen gezahlt werden. 4. Das Kreditsystem basiert auf einer "weichen" Grundlage, d.h. die Kreditgewährung wird nicht an orthodoxen Maßstäben ausgerichtet. 5. Externe Finanzinvestitionen werden zu "weichen" Konditionen gewtihrt. Zu einer zusätzlichen Flexibililisierung der unternehmensbezogenen Budgetbeschränkungen kommt es schließlich, wenn die Ereignisse 1 - 5 in der Vergangenheit häufig genug aufgetreten sind, um den Erwartungshorizont der Akteure zu prägen: Ihre Erwartung, daß der Staat dem betreffenden Unternehmen durch die Anwendung eines dieser Instrumente bei der Bewältigung seiner Schwierigkeiten helfen wird, bedingt dann, daß sie ihr Handeln apriori an diesem Kalkül ausrichten werden, wodurch die Notwendigkeit staatlicher Interventionen wiederum wahrscheinlicher wird. In diesem Fall wird folglich das reale Handeln des Unternehmens nicht an seine Budgetrestriktionen, sondern umgekehrt seine Budgetbeschränkungen an die Realität angepaßt. 130 128 Ders., Economies ofShortage, Vol. B, S. 299 - 302. Ders., The Socialist System, S.140. 129 Ders., Economies ofShortage, Vol. B, S. 302 - 306. Ders., The Socialist System, S.143. 130 Ders., Economies of Shortage, Vol. B, S. 306f, 309tT, 558. Ders., The Socialist System, S. 140 - 143.
N. Mangelwirtschaft lUld DefIzite des Zuliefersystems
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Angewandt auf den Vergleich kapitalistischer und sozialistischer Wirtschaftsordnungen, zeitigt dieses Instrumentarium bei Kornai folgende Ergebnisse: Im 20. Jahrhundert führten verschiedene Trends (z.B. Konzentrationsprozesse, Protektionismus, Übernahme staatlicher Verantwortung rur Vollbeschäftigung) zu einem Aufweichen der Budgetbeschränkungen von Unternehmen in kapitalistischen Gesellschaften. Insgesamt seien damit vielflUtige Abstufungen der Budgetbeschränkungen zu beobachten, in keinem Fall komme es jedoch unter kapitalistischen Bedingungen zur Entwicklung vollständig weicher Budgetbeschränkungen. Im Unterschied hierzu seien die Budgetbeschränkungen der Staatsunternehmen in den traditionell verfaßten sozialistischen Wirtschaftsordnungen weich. Die seit den sechziger Jahren eingeleiteten Reformen hätten zwar zur Etablierung von Beschränkungen geführt, die nurmehr als relativ weich einzuordnen seien; ein qualitativer Einschnitt blieb jedoch nach Einschätzung Komais selbst in Ungarn aus. 131 Die Gründe, die dazu führten, daß der sozialistische Staat die fortdauernde Existenz weicher Budgetbeschränkungen der Staatsunternehmen tolerierte, sieht Kornai im Postulat der Einkommensgleichheit und einem ausgeprägten Stabilitätsstreben. Letzteres führe zu der Konsequenz, daß die Staats- und Parteiorgane danach trachteten, jedes Unternehmen und letztlich jeden Arbeitsplatz zu unterstützen, da es nicht mit den politischen Grundsätzen vereinbar gewesen sei, daß beispielsweise die Beschäftigten eines Unternehmens die Kosten einer Veränderung auf den Weltmärkten hätten tragen müssen. Als Konsequenz habe der Staat als eine Art "allgemeine Versicherung" fungiert. Letzten Ende seien die charakteristischen, weichen sozialistischen Budgetbeschränkungen Ausdruck eines paternalistischen Verhältnisses zwischen dem Staat und "seinen" Unternehmen. In Anknüpfung an die marxistische Ideologie und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel sei es in diesem Rahmen nur konsequent gewesen, daß der Staat die Verantwortung für die ökonomische Entwicklung übernommen und dafür alle verfügbaren Instrumente genutzt habe. 132 Sind die Unterschiede des institutionellen Umfelds von kapitalistischen und sozialistischen Unternehmen im Komaischen Modell lediglich gradueller Natur, so sind ihre Folgen für das Handeln der sozialistischen Staatsunternehmen qualitativ bedeutsam: Erzielen die Unternehmen unter diesen Bedingungen 131 Ders., Economics ofShortage, Vol. B, S. 311 - 314. Ders., The Socialist System, S.140. 132 Ders., Economics ofShortage, Vol. B, S. 314 - 317. Kornai vergleicht das paternalistisch geprägte Verhältnis von Staat und Unternehmen mit der Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern, wobei die Budgetbeschränkungen des Kindes mit ZlUlehmendem Altem lUld wachsender Unabhängigkeit von seinen Eltern immer härter werden, bis es schließlich seine Selbständigkeit erreicht. Ebd., S. 561 - 571. Ders., The Socialist System, S. 144f
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Verluste, d.h. übersteigen ihre Ausgaben die Einnahmen aus der Geschäftstätigkeit, so müssen sie nicht unbedingt mit realen Aktionen (etwa einer Restrukturierung der Produktion) reagieren, da das Aushandeln staatlicher Unterstützungsmaßnahmen zumeist erfolgversprechender ist. In diesem Sinne tritt ,,Rent-Seeking" auf dem Wege vertikaler Verhandlungen an die Stelle einer realen Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Damit jedoch hängt das Überleben des Unternehmens nicht von seiner Effektivität und sein Wachstum nicht von der internen finanziellen Akkumulation ab, die Preise sind für das Unternehmen relativ irrelevant, das ökonomische Risiko wird nicht von ihm alleine getragen, sondern mit den übergeordneten Behörden und letztlich mit dem Staat geteilt. Eine weitere Konsequenz dieser institutionellen Arrangements besteht schließlich darin, daß die Nachfrage der Unternehmen nach Inputs dazu tendiert, schier unersättlich zu sein, da sie weder durch die Preise noch durch das erwirtschaftete Einkommen der Staatsbetriebe begrenzt ist. Diese Tendenz fungiert bei Komai gleichsam als archimedischer Punkt, aus dem heraus die allgegenwärtige Mangelwirtschaft erklärt wird. Zusammengefaßt unterliegen die Budgets sozialistischer Staatsunternehmen bei Komai lediglich weichen Restriktionen und sind damit nicht in der Lage, als effektive Verbaltensbeschränkung zu wirken. Selbst bei fortgesetzter Unwirtschaftlichkeit können die staatlichen Unternehmen darauf vertrauen, daß der permissive Staat ihnen Hilfe gewähren, ihr Scheitern damit jedoch unmöglich wird. 133 Neben den weichen Budgetbeschränkungen bildet der für das sozialistische System charakteristische Wachstumstyp bei Komai die zweite Schlüsselkategorie zur Erklärung der Mangelwirtschaft. Subsumiert wird dieser unter den Begriffen ,,forciertes Wachstum", ,,Expansionsdrang" und "Investitionshunger" .134 Treibende Kraft hinter diesen Tendenzen sei das auf den verschiedenen Ebenen der wirtschaftlichen und politischen Bürokratie dominierende Streben nach Expansion sowie nach Maximierung der Investitionsmittel. Ursächlich für diese konsensuale Wachstumsorientierung seien wiederum das ausgeprägte Bewußtsein der Rückständigkeit und der Wunsch, die entwickelten kapitalistischen Gesellschaften zu überholen, sowie militärpolitische Motive, die Identifikation der Akteure mit der ihnen unterstellten Organisation oder dem Unternehmen sowie das bürokratische Streben nach Budget-
133 Ders., Economies of Shortage, Vol. A, S. 194f, 197; Vol. B, S. 307ff, 336 - 349. Ders., The Socialist System, S. 140, 145 - 148, 262 - 272, 276fT. Ders., Rush versus Hannonic Growth, S. 130f. Dies wird durch die Beobachtungen Kosals unterstrichen, wobei ihm allerdings Komais Thesen nicht geläufig sind. L Kosals, Russian Industry, S.150. 134 J. Koma;, The Socialist System, S. 160, 197. Ders., Economies ofShortage, Vol. A, S. 191ff. Dabei knüpft er an die von Streeten und Hirschmann entwickelte Theorie des unausgeglichen Wachstums an, deren nonnative Ausrichtung jedoch zurückgewiesen wird. Ders., Rush versus Hannonic Growth, S. 136f.
IV. Mangelwirtschaft und DefIZite des Zuliefersystems
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maximierung. Hinzu geselle sich der vorherrschende Mangel, der stets als Begründung filr Investitionsprojekte dienen konnte. Der somit verursachte ,,Hunger nach Investitionen" führte laut Kornai zwangsläufig zu angespannten Investitionsplänen in deren Folge stets mehr Investitionen begonnen wurden als realisierbar waren. Da es - wiederum vor dem Hintergrund der allgemeinen Knappheiten - kaum denkbar war, daß einmal begonnene Investitionen vollständig abgebrochen wurden, habe man hierauf in der Regel mit einer Streckung der Projekte reagiert. Infolgedessen seien die Realisierungsfristen im internationalen Vergleich extrem lang, der relative Investitionsaufwand der sozialistischen Staaten zugleich sehr hoch gewesen. 13S Entscheidend ist bei Kornai in diesem Zusammenhang, daß das sozialistische System kein immanentes Gegengewicht zu diesem Expansionsstreben entwickelte. Aufgrund der systemspezifisch weichen Budgetbeschränkungen sei die Realisierung umfangreicher Investitionen filr die Unternehmen nämlich mit keinem ernsthaften Risiko verbunden gewesen (s.o.). Da die Leitungen der staatlichen Unternehmen davon ausgehen konnten, daß wirtschaftliche Mißerfolge von einem patemalistischen und permissiven Staat aufgefangen werden würden, sei ihre Nachfrage vor allem nach Investitionsgütern schier nicht zu befriedigen gewesen. Im Gegensatz zu kapitalistischen Wirtschaftssystemen habe hier quasi der keynesianische Mechanismus der Investitionszurückhaltung infolge unzureichender Wachstums- und Gewinnaussichten vollständig gefehlt. Zusammengenommen führt Kornai den chronischen Mangel in den sozialistischen Staaten somit auf das Zusammentreffen von weichen Budgetbeschränkungen mit dem Streben nach Wachstumsmaximierung und dem ausgeprägten expansiven Konsens zurück. Die Kombination beider Phänomene sei eine hinreichende Bedingung für das Entstehen und die fortlaufende Reproduktion der Mangelwirtschaft. 136 J3j Ein Vergleich von Investitionsprojekten verschiedener Industriezweige gelangte zu dem Ergebnis, daß in den sechziger Jahren die Vollendung eines Projektes in Ungarn zwei- bis fünfmal so lange benötigte wie in Japan. Ders., The Socialist System, S. 165, Fußnote 12. Ein Faktor, der nicht unwesentlich zu angespannten Investitionsplänen beitrug, war, daß die Antragsteller ex ante zumeist unrealistisch niedrige Kosten beantragten. Gerhard Schürer vennerkt hierzu: ,,Das war fast eine Gesetzmaßigkeit, so daß wir mit einer Fonnel arbeiten konnten: ,Man nehme den bei der Beschlußfassung vom Investitionsträger geforderten Höchstbetrag des Gesamtaufwandes mal zwei plus 40 Prozent', dann erhält man die realen Kosten. In etwa konnten wir intern so kalkulieren, denn hätten wir schon vorher gesagt, daß die Kalkulation nicht stimmt, hätten sich alle gewundert, daß ausgerechnet die Plankommission mehr Mittel als beantragt genehmigen will." G. Schurer, Gewagt und verloren, S. 90.
136 J. Komai, Rush versus Hannonic Growth, S. 81 - 84, 87 - 92, 97, 128 - 140. Ders., Economies of Shortage, Vol. A, 191 - 202, 204ff, 208ff. Ders., The Socialist System, S. 160 - 171, 197tT, 268ff. 7 Unger
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
Zur Synthese dieser Tendenzen entwickelte Janos Kornai schließlich unter Anlehnung an die Hydraulik das Modell der "Sog-Ökonomie" (Suction Model), welches das Zusammenwirken der volkswirtschaftlichen Sektoren bei der Reproduktion der Knappheit mithilfe eines Systems von Schleusen, Pumpen Reservoirs etc. abbildet. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, ist für dieses Modell die Unterscheidung zwischen Sektoren mit harten und solchen mit weichen Budgetbeschränkungen konstitutiv. Im Gegensatz zu den bürokratisch regulierten Sektoren, und hier v.a. den Unternehmen in Staatsbesitz, verfUgten nämlich alle übrigen Bereiche über relativ harte Budgetrestriktionen im Kornaischen Sinne. Dies gilt in erster Linie für die Konsumenten, aber auch für private Unternehmen, sofern deren Existenz prinzipiell zugelassen wurde. In diesem Modell ist es insbesondere die unbeschränkte Nachfrage der Staatsunternehmen nach Produktions- und Investitionsgütern, welche die vorhandenen Produkte aus den Sektoren mit harten Budgetrestriktionen "absaugt" und "abpumpt" und damit die Mangelwirtschaft perpetuiert. Im Gegensatz zu der "nachfragebeschränkten" (demand-constrained) kapitalistischen Wirtschaftsordnung und der für sie typischen Arbeitslosigkeit ist das klassische sozialistische System damit in letzter Konsequenz "ressourcenbegrenzt" (resource-constrained). Es ist somit gekennzeichnet durch das Fortdauern eines von Mangel geprägten, nicht-walrasianischen Gleichgewichts, welches mit einem persistenten Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage vereinbar ist. 131 Um die Darstellung des von Kornai entwickelten Modells der Mangelwirtschaft abzurunden, sollen nun die in diesem im Hinblick auf die Innovationsfahigkeit des sozialistischen Systems enthaltenen Schlußfolgerungen zusammengefaßt werden. In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, daß diese Fragestellung, im Unterschied zu Berliner, hier nicht den Mittelpunkt der Überlegungen bildet, der bei Kornai von der Suche nach den Gründen für die chronischen Knappheiten eingenommen wird. Dennoch enthalten auch Kornais Untersuchungen wesentliche Ergebnisse in bezug auf das innovatorische Potential der sozialistischen Volkswirtschaften. Dabei ergibt sich ein möglicher Innovationsanreiz aus den im Zusammenhang mit dem Expansionsstreben dargestellten Interessen der Unternehmensleitungen. So merkt Kornai selbst an, daß deren Prestigedenken und Machtinteresse sich außer auf quantitatives Wachstum auch auf die Modernisierung "ihres" Unternehmens richten konnte. So wäre es etwa nicht unwahrscheinlich, daß die Leitung eines staatlichen Unternehmens eine Innovation betrieb,
131 Ders., Economics ofShortage, Vol. A, S. 132fT, 214f; Vol. B, S.319 - 322 und v. a. 533 - 559. Ders., The Socialist System, S. 145, 228 - 243, 254f, 281 - 292. Vgl. auch: L. Kosals, Russian Industry, S. 152,232f.
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um ihr Prestige und ihren Einfluß dadurch zu steigern, daß sie über ein modemes Unternehmen, das sich auf dem "Weltstand" befand, verfügte. l38 Wenngleich diese, sich aus Komais Überlegungen ergebende Möglichkeit sicherlich von einiger Bedeutung war, so war ihr Auftreten doch zufällig und von einer Vielzahl individueller Größen abhängig. Komai jedenfalls gelangt unter Auswertung empirischer Studien zu dem Ergebnis, daß der technische Fortschritt in den realsozialistischen Staaten recht langsam erfolgte und vor allem imitativer Natur war. Neben anderen systemspezifischen Faktoren (fehlende Konkurrenz, Anreizsystem, etc.), erachtet er die politisch gewollte institutionelle Absicherung der Unternehmen und die von ihr verursachte Knappheit als wesentliche Bedingungen, welche dazu führten, daß die Entscheidung zwischen Innovation oder Nicht-Innovation für die Unternehmen schlichtweg keine Überlebensfrage darstellte: Angesichts des chronisch andauernden Mangels konnten sie zumeist davon ausgehen, daß der Absatz ihrer Produkte sichergestellt war, und zwar auch, wenn diese veraltet und überteuert waren. Gleichzeitig begründete eben dieser Mangel auf der Inputseite eine direkte Diskriminierung innovativer Maßnahmen. Noch entscheidender waren in Komais Einschätzung schließlich die sich in den weichen Budgetbeschränkungen manifestierenden, staatlichen Sicherungsnetze. 139 Die systembedingt weichen Budgetbeschränkungen wirkten damit als eine Art Tranquilizer, der dafür sorgte, daß die staatlichen Unternehmen technologischen und ökonomischen Anpassungszwängen nur in stark abgemilderter Form ausgesetzt waren: ,.,A hard budget constraint, a stronger profit motive (and, to add what is said in a later section ofthe chapter, a rational price system), would compel a fmn to use the most favorable technology from the point of view of costs. Without them the compulsion is relaxed. The leadership of a fmn feels capable of surviving even if its costs are higher than those of other fmns making similar products, the technology it uses is out of date, and it is bad at adapting to the needs of the buyers. The important thing in the life and growth of the fmn is not for the buyer to be content, but for the superior authority to support it and help it out in time oftrouble.,,14O
Wie bereits angedeutet, trafen Komais Thesen zur Erklärung der sozialistischen Mangelwirtschaft auf eine breite Resonanz von seiten der systemvergleichend ausgerichteten Wirtschaftswissenschaften. Die an seinen Beitrag "Economics of Shortage" anknüpfende Diskussion zeigte, daß seine grundlegenden Aussagen weitgehend akzeptiert wurden, so daß die Theorie der spezifischen sozialistischen Budgetbeschränkungen inzwischen als eine Art Standardmodell zur Erklärung der Ungleichgewichte, der Effizienzprobleme sowie Komai, Econornics ofShortage, Vol. A, S. 193ff; Vol. B, S. 34M Ders., Rush versus Harmonic Growth, S. 140. Ders., Econornics of Shortage, Vol. B, S. 307ff. Ders., The Socialist System, S. 145f, 162f, 183, 247fund v.a. S. 292 301. 140 Ders., The Socialist System, S. 146f 138 J.
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2. Teil: Innovationsbedingungen in Planwirtschaften
der Innovationsfeindlichkeit der sozialistischen Wirtschaftsordnung betrachtet werden kann. 141 Deutlich wurde allerdings auch. daß einige Autoren für eine andere Gewichtung der Erklärungsvariablen plädierten, bzw. eine präzisere Differenzierung einforderten: So kritisierte etwa Kazimierz Poznanski, Komai messe den Ungleichgewichten und Knappheiten in den sozialistischen Volkswirtschaften eine zu große Bedeutung bei. Demgegenüber sei jene Wirtschaftsordnung primär durch eine "institutionalisierte Ineffizienz" charakterisiert. Diese resultiere aus der Weichheit der betrieblichen Budgetbeschränkungen und ermögliche, daß Ressourcen von den Unternehmen suboptimal eingesetzt würden. Sie befänden sich in einer ,,zero-Price'~Situation. da der Staat ihnen die Produktionsfaktoren faktisch kostenlos zur Verfiigung stelle. Letztlich führte Poznanski diese Strukturprobleme auf die Eigentumsstruktur, statt - wie Kornai - auf den staatlichen Paternalismus zurück. Darüber hinaus gelte es, die fehlende Weltmarktintegration der sozialistischen Staaten als einen wesentlichen Faktor für ihre technologische Rückständigkeit aufzugreifen. 142 Ähnlich argumentierte Stanislaw Gomulka: Wesentliches Erkennungsmerkmal sozialistischer Planwirtschaften sei nicht der Mangel, sondern die Akzeptanz von Effizienzverlusten. Ersterer könne selbst bei Vorherrschen weicher Budgetbeschränkungen (v.a. auf den Konsumgütermärkten) überwunden werden. wenn die Flexibilität der Preise größer sei als die Budgetflexibilität. Komai unterschätze systematisch die Wirkung, welche nach oben flexible Preise für die Bewältigung des Mangels entfalten könnten. Seien diese nämlich in der Lage, rascher zu steigen, als die betrieblichen Budgets erhöht würden, so werde die Knappheit durchbrochen. ohne die grundsätzliche Weichheit der betrieblichen Budgetbeschränkungen aufheben zu müssen. 143 Einen interessanten Beitrag zu dieser Debatte leistete schließlich unlängst Thomas Sauer in seiner Studie zur ,,Fragmentierung als Problem des Innovationsprozesses im so\\jetischen Wirtschaftssystem'~ in welcher er das methodische Raster der Budgetbeschränkungen im Hinblick auf die Märkte für innovationsrelevantes, technisches Wissen präzisierte: Gegenüber Komai wandte Sauer dabei zunächst ein, daß dieser sich ausschließlich mit den monetären betrieblichen Budgetbeschränkungen auseinandersetze. Dies sei jedoch - zumal unter den Bedingungen des Mangels - nur eine Dimension. welche durch die Einbeziehung der physischen betrieblichen Ressourcenbeschränkungen, die über die zentrale Mengenplanung gesteuert würden, zu ergänzen sei. Der 141 H.-J. Wagener, Zur Innovationsschwäche der DDR-Wirtschaft, S. 32ff. P. Desai, Soviet Growth Retardation, S. 177. G. Schroeder, hnplementation and Integration of lImovations in Soviet-Type Economies, S. 40f. 142 K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 8f, 182 - 204, 210. 143 St. Gomulka, Growth, Innovation and Refonn, S. 73 - 89.
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zweite Einwand Sauers lautete, sowohl die finanziellen als auch die materiellen Ressourcenbeschränkungen der Unternehmen seien von der Priorität abhängig, welche der jeweiligen Branche zugestanden werde. Diese Überlegung führt ihn schließlich zu der These der "variablen Stringenz der betrieblichen Ressourcenbeschrt1nkungen'~ Die Ressourcen in Branchen mit niedriger politischer Priorität (z.B. Konsumgüterindustrie) unterlagen demnach faktisch harten Beschränkungen. Aufgrund des damit in diesen Bereichen herrschenden größeren Innovationsrisikos sei es hier möglich, die Innovationsfeindlichkeit der Unternehmen im Rahmen von Berliners ,,Risk-Reward'~Schema zu analysieren, während in Branchen hoher Priorität Komais Raster anzulegen sei. Die Annahme einer nach Bedeutung der Branche differenzierten Stringenz der betrieblichen Ressourcenbeschränkungen ermöglicht auf diese Weise die komplementäre Kombination zweier zentraler Modelle zur Erklärung der realsozialistischen Innovationsschwäche. 144 Zusammengefaßt wurden in der Diskussion des Komaischen Modells vor allem modifizierende und differenzierende Einwände vorgebracht. Hingegen wurde die Existenz weicher betrieblicher Budgetbeschränkungen und deren Implikationen fiir den ubiquitären Mangel sowie die Effizienz- und Innovationsprobleme sozialistischer Volkswirtschaften nicht prinzipiell bezweifelt. Insgesamt bestand die Leistung der von Kornai entwickelten Theorie in der Anwendung der Kategorie der Budgetbeschränkungen auf die Überlebens- und Wachstumsbedingungen sozialistischer Staatsunternehmen. Hierdurch wurde ein wesentlicher Erkenntnisfortschritt hinsichtlich der Bestimmung ihres institutionellen Kontextes ermöglicht, der die Handlungsbedingungen sozialistischer Staatsunternehmen deutlich von jenen kapitalistischer Unternehmen unterscheidet. Somit bietet Komai ein Raster zur Erklärung kontingenter Handlungen, welche unter AnIegung marktwirtschaftlicher Kriterien ansonsten häufig schlicht unverständlich erscheinen und die mit deren Rationalität kaum erschlossen werden können.
144 Sauer, Thomas H. W.: Mißlungene Vergesellschaftung: Fragmentierung als Problem des Innovationsprozesses im sowjetischen Wirtschaftssystem, München 1993, s. 270 - 279, 282f.
Dritter Teil
Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie vom Beginn der mnfziger Jahre bis zum Kriseneinbruch 1975 Wie bereits der Titel zeigt, ist das folgende Kapitel auf einer recht globalen Ebene angesiedelt: Diskutiert wird die Entwicklung und der strukturelle Wandel der Weltstahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg. Zur Bewältigung dieser Aufgabenstellung soll die Analyse jedoch im mehrfacher Hinsicht begrenzt werden: Erstens konzentriert sich die Erörterung auf Trends, welche als typisch fiir den Verlauf der Branchengeschichte seit dem Beginn der fünfziger Jahre zu betrachten sind. Ausgewählt wurden hierzu die Parameter: Entwicklung von Stahlerzeugung und -verbrauch, ihre zunehmende regionale Ausdifferenzierung sowie die Außenhandelsverflechtung der einzelnen Erzeugergruppen. Als Schwerpunkt der quantitativ-empirischen Betrachtung fungiert gemäß der Zielsetzung dieser Arbeit die technologische Dynamik der Branche auf der Verfahrens- und Produktebene. Zweitens wurde die Untersuchung auf die Jahre 1950 bis 1975, und damit auf den Zeitraum zwischen dem beginnenden Wiederaufbau in Europa und Japan sowie dem Einbruch der Stahlkrise begrenzt. Dabei wird dieser Untersuchungszeitraum als eigenständige Größe begriffen, d. h. es wird im eigentlichen Sinne kein Szenario der Strukturkrise entwickelt. Drittens basiert die Diskussion im wesentlichen auf publizierten statistischen Daten, auf eine eigenständige Erhebung wurde verzichtet (s. u.). innerhalb der Gesamtuntersuchung soll mit der Bearbeitung dieses Teilbereichs eine weitere Annäherung an das Thema "historische Entwicklung der Schwarzmetallurgie der DDR" erreicht werden: Nach der Diskussion der systemspezifischen Handlungsbeschränkungen der Akteure gilt es nunmehr, mit dem weltweiten Strukturwandel der Stahlbranche eine zweite, branchenspezifische Umweltdimension der DDR-Schwarzmetallurgie zu erschließen. Die hierzu nötige quantitativ-statistische Längsschnittbetrachtung entspringt einem doppelten indirekten Erkenntnisinteresse: Zunächst soll die Stahlindustrie des RGW durch den Vergleich mit der allgemeinen Entwicklung charakterisiert und verortet werden. Durch die Darstellung der wesentlichen globalen Strukturveränderungen der Branche wird schließlich eine Folie erarbeitet werden, mit deren Hilfe die qualitative Rekonstruktion der Stahlindustrie der DDR (siehe Teil 5) interpretiert und bewertet werden kann. Zusammengefaßt besteht das Ziel dieses Untersuchungsschrittes darin, durch den Vergleich mit den entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften sowie den Schwellen- und
3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
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Entwicklungsländern einen Entwicklungstypus der Stahlindustrien im planwirtschaftlichen Kontext zu erstellen. Dabei beschränkt sich dieser Untersuchungsschritt weitgehend auf eine systematisierende Beschreibung der beobachteten Entwicklungen, während die eigentliche Analyse der ausschlaggebenden Faktoren der qualitativen Querschnittsbetrachtung in. den folgenden Kapiteln vorbehalten bleibt. Zu diesem Zweck wurde das vorliegende statistische Material mit folgenden Fragestellungen bearbeitet: - Wie veränderten sich im Untersuchungszeitraum die globalen Strukturen der Stahlindustrie im Hinblick auf Produktion, Verbrauch, Technologien und Produkte? Welche spezifischen Muster können dabei beobachtet, welche Periodisierungskriterien entwickelt werden? - Traten dabei zwischen den politisch-regionalen Gruppen "entwickelte kapitalistische Volkswirtschaften", ,,RGW-Staaten" sowie "Schwellen- und Entwicklungsländer" charakteristische Unterschiede auf? In welchem Ausmaß partizipierten diese Blöcke an den generellen Entwicklungen? - Welche Position nahm die Stahlindustrie des RGW in diesem Rahmen ein? Ist ein spezifisches Muster der planwirtschaftlich organisierten Branchen feststellbar? Die Bearbeitung dieser Fragestellung wird in zwei Abschnitte unterteilt: Teil 3, I befaßt sich mit der Entwicklung des quantitativen Wachstums und der regionalen Ausdifferenzierung der Stahlindustrie seit dem Beginn der fünfziger Jahre. Zunächst wird mit Hilfe der Analyse der allgemeinen Tendenzen von Stahlproduktion, -verbrauch und -handel ein Raster entwickelt, welches sodann zum Vergleich der Veränderungen in der Verteilung von Angebot und Nachfrage auf die drei Blöcke herangezogen wird. Verglichen werden dabei durchgängig die Volkswirtschaften des RGW, der entwickelten Marktwirtschaften und der Schwellen- und Entwicklungsländer. Das sich anschließende Unterkapitel 3, 11 thematisiert sodann die technologische Modernisierung der Branche, wobei zwischen Verfahrenstechnik und Produktsortiment differenziert wird. Angesprochen sind hier wiederum die bereits genannten Gruppen, welche verglichen und in Beziehung zum generellen Trend gesetzt werden. Die abschließende Zusammenfassung zielt schließlich darauf ab, die Veränderungen in den einzelnen Blöcken durch die Einordnung in eine Synopse zu typisieren und vergleichbar zu machen. Wie angedeutet, beruht dieser Teil der Untersuchung durchgängig auf publizierten statistischen Zusammenstellungen und wirtschaftswissenschaftlichen Analysen, vereinzelt konnten auch historisch orientierte Beiträge herangezogen werden. Der Forschungsstand kann dabei als vergleichsweise gut bezeichnet werden, was nicht zuletzt auf den hohen allgemeinen und wirtschaftspolitischen Stellenwert der Stahlbranche zurückzuführen sein dürfte. Insbesondere konnte dabei der Umstand ausgenutzt werden, daß im Umfeld
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
der Stahlindustrie verschiedene große internationale Institutionen existieren, die rur den Untersuchungszeitraurn kurz-, mittel- und langfristige Analysen publizierten. Besonders hervorgehoben seien in diesem Zusammenhang die Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl (EGKS) I sowie der Organisation fiir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (O.E.C.D.)2. Da im Rahmen der vorliegenden Arbeit der Stahlindustrie des RGW besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, erwies es sich jedoch als sinnvoll, in erster Linie die Analysen des Stahlkomitees der "Economic Commission for Europe" (ECE) der Vereinten Nationen heranzuziehen, die durchgängig auch die Länder Osteuropas berückSichtigen. Diese kombinieren ihrerseits Statistiken, die von den einzelnen Staaten veröffentlicht wurden, mit eigens in Umfragen erhobenen Informationen. 3 Wenngleich die Verläßlichkeit dieser Datenbasis im Einzelfall berechtigten Zweifeln unterliegt, erscheint es andererseits unmöglich, fiir diese globale Untersuchungsebene mit vertretbarem Aufwand eigene Daten zu erheben. 4 Ergänzt werden diese Erhebungen durch wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beiträge, die in beachtlicher Dichte vorliegen, wohingegen die historische Forschung sich erst sporadisch der Geschichte der Stahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg zugewandt hat. s Insgesamt ist dabei festzustellen, daß die einschlägige Forschung sich zumeist mit dem relativen Niedergang der westeuropäischen und us-amerikanischen Stahlindustrie sowie dem rapiden Aufstieg der japanischen Branche befaßte, während die Entwicklung im RGW ein Randthema blieb. Zweitens oolt im Hinblick auf die jüngeren sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Beiträge eine starke Fixierung auf die sich gegen Mitte der siebziger Jahre manifestierende Strukturkrise auf, während die vorhergehende Periode lediglich als Vorgeschichte der Krise begriffen wird. I Siehe beispielsweise: Europäische GemeinschaftenIKommission (Hg.): Eisen Wld Stahl 1952 - 1982, Luxemburg 1983. 2 Siehe beispielsweise: Organisation for Economic Co-Operation and Development (Hg.): The Iron and Steel Industry in Europe 1960. A Study by the Iron and Steel Committee, Paris 1961. Ders. (Hg.): The Iron and Steel Industry in 1963 and Trends in 1964. A Study by the Iron and Steel Committee, Paris 1964. 3 United NationslEconomic Commission for Europe (Hg.): Evolution of the Specific Consumption of Steel, New York 1984, Seite iii, Anlage V. 4 Für die Schwarzmetallurgie der DDR wurden hingegen in Teilbereichen unveröffentlichte Daten zusammengestellt. Diskutiert werden diese in Teil 4. S So etwa: Abe, Etsuo/Suzuki, Yoshitaka (Hg.): Changing Patterns of International Rivalry - Some Lessons from the Sleel Industry. The International Conference on Business History 17: Proceedings of the Fuji Conference, Tokyo 1991. Plumpe, Gottfried: Ökonomische Entwicklung und technologische VeränderWlgen in der westdeutschen Eisen- Wld Stahlindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Petzina, DietmarlRoon, Ger van (Hg.): KonjWlktur, Krise, Gesellschaft. Wirtschaftliche Wechsellagen und soziale Entwicklung im 19. Wld 20. Jahrhundert, Stuttgart 1981, S. 180 - 190.
3. Teil: Globale Entwickhmgstrends der Stahlindustrie
105
Die während des Untersuchungszeitraumes formulierten Expertisen und Prognosen zur künftigen Entwicklung der Stahlindustrie der Welt waren in der Regel sehr stark von der jeweiligen aktuellen Situation beeinflußt und erwiesen sich im späteren Verlauf oftmals als zu optimistisch. So prognostizierte 1959 die ECE für 1975 eine Rohstahlproduktion und einen Rohstahlverbrauch von 631 Millionen Tonnen. Die entsprechenden Schätzungen des RheinischWestfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (1971) und des International Iron and Steel Institutes (1972) lauteten 760 bzw. 751 Mio. Tonnen. Der reale Wert für 1975 lag schließlich bei 645 Mio. Tonnen. 6 Vor diesem Hintergrund dürfte schließlich auch folgende, 1969 formulierte Einschätzung bei den Zeitgenossen kaum auf Widerspruch gestoßen sein: ,,1t must be mentioned, flrst of all, that - owing to its characteristics as a base industry and its very great expansion possibilities already alluded to - the steel industry will play a role of outstanding importance in economic and social growth both at world level and inside each country."7
Unterläßt man jede, aufgrund der retrospektiven Kenntnis mögliche, weitergehende Kritik an jenen Einschätzungen, so legen diese prognostischen Schwierigkeiten doch immerhin eine Vermutung nahe: Die Eisen- und Stahlindustrie entwickelte sich offenbar auch während der fünfziger und sechziger Jahre nicht linear, sondern war von unvorhergesehenen Entwicklungen geprägt. Dies wird in folgender Eingangsthese berücksichtigt, welche zur Strukturierung der nunmehr folgenden Diskussion dienen soll: 1m Zeitraum 1950 - 1975 erlebte die Eisen- und Stahlindustrie eine dynamische Entwicklung. Bemerkbar machte sich dies in erster Linie am rapiden Wachstum von Produktion und Verbrauch, an der raschen Marktentwicklung, der technologischen Modernisierung sowie der Neukomposition der Produktstrukturen. Allerdings ergaben sich seit den sechziger Jahren erste Anzeichen für eine Abschwachung des Wachstums in den entwickelten Industriestaaten des Westens, die letzten Endes in der Strukturkrise der siebziger Jahre mUndete. Parallel setzte ein drastischer Modernisierungsschub ein, der im Ergebnis zur Durchsetzung von innovativen Schlasseltechnologien führte, welche die Stahlindustrie fortan pragten. Die drei politisch-regionalen Gruppierungen waren von dieser Entwicklung unterschiedlich betroffen. Insgesamt zeigte sich in diesem Zeitraum eine veränderte Bedeutung der einzelnen Blöcke. Die
6 UNIECE (Hg.), Speciflc Consumption ofSteel, Anlage IX, S. 12. Ebenfalls zu dieser Problematik: Bannig, Jens/Fobbe, GeorgjH6jkes, Uwe/Marx, Wemer/Uske, Hans: Modeme Zeiten - alte Branche. Neue Technologien und neue Produktionskonzepte in der Eisen- und Stahlindustrie, Opladen 1993, S. 15f. 7 Manuelli, Emesto: Expansion of World Steel Industry and Economic and Social Development of Peoples, in: Review of the Economic Conditions in ltaly, Jg. 24 (1970), Volume XXIV, S. 14 - 32; hier: S. 30.
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3. Teil: Globale EntwicklWlgstrends der Stahlindustrie
Stahlindustrie des RGW entfaltete vor diesem Hintergrund ein stetiges, kontinuierliches Wachstum. Ihre technologische Modernisierungfolgte dem Muster der westlichen Staaten, ohne allerdings in den Schlüsselbereichen mit deren Dynamik Schritt halten zu können.
I. Wachstum und regionale Ausdifferenzierung der Stahlbranche seit den fünfziger Jahren 1. Die quantitative Dimension: Die Entwicklung von Stahlproduktion, -verbrauch und -handel Ziel dieses Unterabschnittes ist es, drei grundlegende Entwicklungslinien der Stahlindustrie auf der Weltebene zu identifizieren und damit eine Folie zu erarbeiten, auf der die regionale Dimension, d.h. die Entwicklung in den politisch-regionalen Blöcken, entfaltet werden kann. Zu diesem Zweck soll die säkulare Entwicklung des Angebots, der Nachfrage und des internationalen Austauschs von Produkten der Eisen- und Stahlindustrie dargestellt und ihre Dynamik miteinander verglichen werden. Im Jahre 1952 erzeugte die Eisen- und Stahlindustrie weltweit 214,7 Mio. t Rohstahl, 1980 waren es 718,6 Mio. Das bedeutet: In diesem Zeitraum wuchs die Rohstahlproduktion um 234,7 %. Deutet dies fiir eine altindustrielle Branche bereits eine beachtliche Wachstumsdynarnik an, so wird diese Vermutung durch Tabelle 18 weiter unterstrichen: Danach sank die Rohstahlerzeugung der Welt lediglich in den Jahren 1954, 1958, 1971, 1975, 1977 sowie schließlich 1980. Allerdings war dieser Wachstumstrend durchgängig durch fiir die Stahlindustrie charakteristische, zyklische Ausschläge gekennzeichnet. Gleichzeitig lag das Wachstum der Rohstahlproduktion bis zum Beginn der siebziger Jahre über jenem der Gesamtwirtschaft: Stieg das Bruttoinlandspro8 Alle Tabellen dieses Untersuchungsabschnitts befmden sich im Anhang. Wie dort ausgewiesen, basiert diese Tabelle auf Angaben der Europäischen Gemeinschaften. Anzumerken ist dazu, daß die statistischen Angaben, die verschiedene Institutionen zu der Produktion von Rohstahl - als eines relativ homogenen Gutes - publizierten, teilweise deutlich voneinander abweichen. Zurückzuftlhren ist dies auf unterschiedliche UmrechnungskoefflZienten Wld eine abweichende Defmition der erfaßten Größe. UNIECE (Hg.), Specific Consumption ofSteel, Anlage IV, S. 4f. Zur ÜberpI1lfung der in Tabelle 1 enthaltenen Ergebnisse, wurden die Wachstumsraten filr einzelne Jahre mit jenen verglichen, die sich auf der Studie der ECE (UNIECE (Hg.), Specific Consumption of Steel, Anlage VI, Seite 3) ergeben. Danach betrugen die Wachstumsraten der Stahlproduktion 1964: 11,99 %, 1969: 8,15 %, 1971: -2,34 %, 1974: 1,57 % Wld 1975 -8,89 %. Insgesamt zeigt sich somit im Einzelfall eine Abweichung von den Werten in Tabelle 1, jedoch werden die dort deutlich werdenden Wachstumstrends insgesamt bestätigt.
I. Wachstum Wld regionale AusdifferenzierWlg
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dukt der Welt zwischen 1960 und 1973 durchschnittlich um beachtliche 5,4 % pro Jaht, so wuchs die Stahlerzeugung im selben Zeitraum mit durchschnittlich 6,1 %. Hingegen fiel die Stahlindustrie im folgenden Abschnitt 1973 1978 mit einemjahresdurchschnittlichen Wachstum von nurrnehr 2,3 % deutlich hinter die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (3,3 %)10 zurück. Dies deutet bereits auf die im Gefolge der Strukturkrise 1974/75 wesentlich verschlechterten Wachstumsbedingungen hin, wie sie ebenfalls in Tabelle 1 deutlich werden: Nachdem die Rohstahlerzeugung 1975 mit -8,78 % drastisch eingebrochen war, konnten die stagnativen bzw. rezessiven Tendenzen offensichtlich bis zum Beginn der achtziger Jahre nicht überwunden werden. Einen strukturierten Einblick in die im Zeitablauf veränderte Expansionsdynarnik der Rohstahlerzeugung ennöglicht Tabelle 2, welche die jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten der Welt-Rohstahlerzeugung in Fünf-Jahresabschnitten zusarnmenfaßt. Hiernach wuchs die Stahlproduktion im Zeitraum 1953 bis 1955 mit jahresdurchschnittlich 8,86 %, d.h. mit einer Geschwindigkeit, die später nicht wieder erreicht werden konnte. Nachdem sich diese Wachstumsdynarnik in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vorübergehend vermindert hatte, zeigte sich bis zur Mitte der sechziger Jahre mit einern Wachstum von 6,21 % jährlich abermals ein beachtlicher Aufschwung. Deutlich wird allerdings auch, daß sich die jährliche Zunahme des weltweit erzeugten Rohstahls bereits seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre (5,35 %) abzuschwächen begann. Zwischen 1971 und dem Ausbruch der Krise 1975 fiel das Wachstums gar auf 1,91 % ab. Zwar wird dieser Wert deutlich durch den Einbruch von 1975 beeinflußt. Eliminiert man jedoch diesen Effekt, indern man dasjahresdurchschnittliche Wachstum für die Jahre 1971 - 1974 berechnet, so ergibt sich eine jährliche Zunahme der Rohstahlerzeugung von 4,58 %. Zusarnmengefaßt entwickelte sich im Zeitraum 1952 bis 1980 ein markantes, teilweise rapides Wachstum der WeIt-Stahlindustrle, welches durchgängig von deutlichen zyklischen Bewegungen charakterisiert war. Die stärkste Expansion der Rohstahlerzeugung fiel in die erste Hälfte der fünfziger und der sechziger Jahre, während sich die jährlichen Wachstumsraten bereits zum Ende der sechziger Jahre abschwächten, jedoch zunächst noch auf einern relativ hohen Niveau verharrten. Den entscheidenden Einschnitt stellte die Krise von 1974/75 dar, die sich spätestens seit Anfang der siebziger Jahre mit verringerten Wachstumsraten angekündigt hatte. Hinter dieser quantitativen Entwicklung ergab sich zudem eine teilweise dynamische Entwicklung verschiedener Faktoren, welche die Angebotsseite 9 Kono, Tsutomu: Outlook for World Steel Industry up to 1985. Demand, Trade and Supply Capacity, in: Organisation for Economic Co-Operation and Development (Hg.): Steel in the 80s. Paris Symposium, February 1980, Paris 1980, S. 68 - 82; hier: S. 75. 10Ebd.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahl industrie
entscheidend prägten: Ermöglicht wurde die Produktionssteigerung durch eine beachtliche Zunahme der vorhandenen Rohstahlkapazitäten, wobei die Investitionstätigkeit phasenweise sehr intensiv verlief. Weiter ergab sich weltweit ein deutliches Größenwachstum von Unternehmen und integrierten Betrieben, während gleichzeitig sogenannte Ministahlwerke entstanden, die unter andersgearteten technisch-ökonomischen Bedingungen arbeiteten. Schließlich veränderten sich die fiir Hüttenwerke relevanten Standortfaktoren, wobei sich die Bedeutung der Rohstoffe als der traditionell ausschlaggebenden Größe zumindestens relativierte. JI Wendet man die Aufmerksamkeit dem globalen Stahlverbrauch, und damit der Nachfrage zu, so werden diese Beobachtungen zunächst bestätigt. Hatte die Marktversorgung mit Rohstahl sowohl in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl als auch in Großbritannien und den USA bereits 1950 das Niveau von 1936 teilweise deutlich überschritten, so setzte sich das Wachstum des Stahlverbrauchs auch in den fünfziger Jahren zumeist ungebrochen fort: Danach erhöhte sich die absolute Marktversorgung mit Rohstahl zwischen 1950 in der EGKS (131,8 %) und in Großbritannien (39,1 %) mit beachtlicher Geschwindigkeit, während die Vereinigten Staaten (5,4 %) lediglich ein bescheidenes Wachstum erreichten, das zudem häufiger durch Produktionsrückgänge unterbrochen wurde. Das gleiche Bild ergibt sich, wenn man die Entwicklung der Marktversorgung mit Rohstahl je Einwohner zum Maßstab nimmt: Diese Kennziffer zeigt allerdings fiir die USA eine eindeutig rückläufige Tendenz. 12 Im Gegensatz hierzu erlebten die fünfziger Jahre auch in der UdSSR, Polen, der CSSR, der DDR und in Japan, eine rasche und zumeist gleichmäßige Ausweitung des Stahlverbrauchs. 13 Insgesamt dürfte die Entwicklung der Nachfrageseite während der fünfziger Jahre JI Gaebe, Wolf: Veranderungen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung. Am Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie, in: Geographische Rundschau, Jg. 31 (1979), H. 3, S. 109 - ll8. E. Manuelli, Expansion ofWorld Steel Industry, S. 17,23. Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften (Hg.): Eisen und Stahl - Jahrbuch 1972, Luxemburg, S. 252 - 255, 258f. Europäische GemeinschaftenIKommission (Hg.), Eisen und Stahl 1952 - 1982, S. 7. United NationslEconomic Commission for Europe (Hg.): Structural Changes in the Iron and Steel Industry, New York 1979, S. 85 - 101, ISO 161; Anlage 2, S. 12fT. Zur Kapazitätsentwicklung: Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.): Statistische Jahrbücher für die Eisen- und Stahlindustrie 1948ff, Düsseldorfversch. Jg. 12 Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften (Hg.), Eisen und Stahl Jahrbuch 1972, S. 260 - 263; eigene Berechnungen. Die Marktversorgung mit Rohstahl wird hier defmiert als: Erzeugung + Schrottverbrauch in den Walzwerken + Einfuhr Ausfuhr +- Lagerbewegung bei den Werken und Händlern. 13 Statistical Office of the United Nations (Hg.): Statistical Yearbook 1949 - 1972, New York versch. Ig. Der Stahl verbrauch wurde von den Vereinten Nationen defmiert als: Produktion + hnporte - Exporte von Rohblöcken und Walzstahlfertigerzeugnissen. Änderungen in der Lagerhaltung wurden also nicht berücksichtigt.
I. Wachstum \Uld regionale Ausdifferenzienmg
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dem Wachstum der Stahlindustrie somit günstige Bedingungen geboten haben. Die einzige Ausnahme bildete nach diesen Beobachtungen mit den Vereinigten Staaten die am weitesten entwickelte Volkswirtschaft. Im Gegensatz zur Angebotsseite liegen fiir den Zeitraum 1950 bis 1980 leider keine durchgängigen, kompatiblen Reihen zur Stahlnachfrage der Welt vor. Aus diesem Grund muß sich die detailliertere Betrachtung auf den Zeitraum seit 1960 beschränken. Für diesen zeigt Tabelle 3 ein ähnliches Szenario wie fiir die Entwicklung der Rohstahlproduktion. Insgesamt wuchs danach der sichtbare Stahlverbrauch der Welt zwischen 1960 und 1980 ganz beträchtIich l4, wobei auch die Nachfrage nach Erzeugnissen der Stahlindustrie erheblichen zyklischen Schwankungen unterlag. Ein absoluter Einbruch der Nachfrage ergab sich jedoch erstmals im Jahre 1971. Auch die Periodisierung des globalen Stahlverbrauchs weist darauf hin, daß sich Angebot und Nachfrage in diesem Zeitabschnitt weitgehend parallel entwickelten (Tab. 4). Aufgrunddessen wuchs der Stahlverbrauch in der ersten Hälfte der sechziger Jahre mit der größten Dynamik, die dann bereits bis 1970 leicht absank, während in den siebziger Jahren die jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten nur noch ein bescheidenes Niveau erreichten. Auch hier bildete der Nachfrageeinbruch 1975 die markanteste Zäsur, die im langfristigen Überblick jedoch durchaus mit dem Trend vereinbar war. Weiter verdeutlicht Tabelle 4, daß sich Angebot und Nachfrage mittelfristig mit nahezu identischen Wachstumsraten entwikkelten. ls Wählt man sodann einen relativen Maßstab zur Charakterisierung der Nachfrageseite, so wird erkennbar, daß sich im Weltmaßstab der sichtbare Stahlverbrauch pro Einwohner (Tab. 5) oberflächlich betrachtet ähnlich wie der absolute Verbrauch veränderte, wobei allerdings das Ausmaß der zyklischen Abweichungen geringer ausfällt als bei den absoluten Werten. Die Zusammenfassung der jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten in FünfJahreszeiträumen, wie sie Tabelle 6 vornimmt, ermöglicht allerdings in zweifacher Hinsicht eine Differenzierung: Zwar bestätigt die Abstufung der vier Perioden nach ihrer Wachstumsintensität das bisherige Bild. Jedoch zeigt sich, daß die durchschnittliche Wachstumsdynamik insgesamt wesentlich geringer ausfällt als beim absoluten Stahlverbrauch. Dies gilt auch fiir die wachstumsintensivste Phase, also die erste Hälfte der sechziger Jahre. Zweitens er14 Die dieser Tabelle zugnmdeliegende Definition des sichtbaren Stahlverbrauchs klanunert die Lagerbeweg\Ulgen aus, weshalb auch diese Werte nicht direkt mit den oben zitierten Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften vergleichbar sind. 15 Aus Gründen der Kompatibilität wurde hier das Wachstum der Stahlerzeug\Ulg, das sich aufgnmd der Daten der Economic Commission for Europe ergibt, zum Vergleich angegewl. Dieses weist zu den o.a. Daten der Europäischen Gemeinschaften marginale Abweichungen auf.
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3. Teil: Globale EntwicldWlgstrends der Stahlindustrie
geben sich hier - anders als in Tabelle 4 - für die gesamten siebziger Jahre negative Wachstumsraten. Jahresdurchschnittlich wurde danach zwischen 1970 und 1980 jährlich weniger Stahl pro Einwohner verbraucht. Noch gravierender OOlt das Ergebnis bei der Betrachtung der Stahlintensität des Brutto-InIandsproduktes der Welt aus: Im Gegensatz zu allen bislang betrachteten Größen verringerte sich der Stahl, welcher pro US-Dollar BruttoInlandsprodukt verbraucht wurde, zwischen 1960 und 1980 auch absolut (Tab. 7). Dies heißt: Im Untersuchungszeitraum ist eine insgesamt verringerte Stahlintensität des Wirtschaftswachstums zu konstatieren, für eine Einheit des BIP benötigte man also 1980 weniger Stahl als 20 Jahre zuvor. Tabelle 8 rundet diese Ergebnisse durch die Präsentation der systematisierten jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten ab. Danach lag das durchschnittliche Wachstum der Stahlintensität bereits 1961 bis 1965 unter einem Prozent, um dann bis 1970 nahezu zu stagnieren. In den siebziger Jahren mündete dies schließlich in einen anhaltenden Rückgang der Stahlintensität des wirtschaftlichen Wachstums. Anders als oftmals angenommen, zeigen diese Zahlen, daß die Dynamik der Stahlnachfrage bereits in den sechziger Jahren zurückging, so daß es sich hierbei um einen langfristigen Trend handelte. Die Antwort auf die Frage nach den Bestimmungsfaktoren des Stahlverbrauchs ist Gegenstand einer wirtschaftswissenschaftlichen Debatte. Als maßgeblich für die Nachfrage werden folgende Faktoren bezeichnet: Das Wachstumstempo der Volkswirtschaft und der Umfang der Investitionen, das jeweilige Entwicklungsstadium, im Zusammenhang damit die volkswirtschaftliche Struktur und das relative Gewicht stahlintensiver Wirtschaftszweige. Weitere relevante Größen sind schließlich die Stahlintensität der Endprodukte und die immer wieder thematisierte Substitution von Stahl durch andere Werkstoffe. 16
16 W. Gaebe, Veränderungen der weltwirtschaftlichen ArbeitsteilWlg, S. 116f. J. Bannig u.a., Moderne Zeiten - alte Branche, S. 22f, 26 - 32. E. Manuelli, Expansion of
World Steel Industry, S. 14ff, 19, 21f. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 104 - 112. UNIECE (Hg.), Specific Conswnption of Steel, S. 1, 18 - 37, 44 - 52, 68, 78f, 90f, 123, 139. Wienert, Helmut: World Trends in Steel Consumption and Production to 1990, in: OECD (Hg.), Steel in the 80s, op. cit, S. 83 - 96; hier: S. 84 - 92. Der häufig vertretenen These einer, spätestens 1974 deutlich werdenden EntkoppelWlg von Wirtschaftswachstum Wld Stahlverbrauch, widersprach Helmut Wienert. Seine UntersuchWlgen konunen demgegenüber zwn Ergebnis, daß weiterhin eine mittelfiistig stabile, lineare BeziehWlg zwischen den Veränderungsraten beider Größen besteht. Siehe: Wienert, Helmut: Stahlverbrauch Wld Wirtschaftswachstum Eine empirische Überprüfung ihres Zusanunenhangs von 1950 bis 1984 fUr die BWldesrepublik Deutschland, in: MitteilWlgen des Rheinisch-Westfälischen Instituts fUr WirtschaftsforschWlg, Jg. 35 (1984), S. 293 - 311. Ders.: Stahlverbrauch Wld Wirtschaftswachstum. Regressionsergebnisse fUr 34 Länder Wld einige SchlußfolgeTWlgen fllr die Prognose, in: MitteilWlgen des Rheinisch-Westfälischen Instituts fUr WirtschaftsforschWlg, Jg. 36 (1985), S. 147 - 162. Ders.: Die Produktion folgt dem Ver-
I. Wachstum und regionale Ausdifferenzierung
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Zusammengenommen bedingen diese Variablen die Entwicklung des Stahlverbrauchs. Auf der hier angesprochen globalen Ebene ist es jedoch kaum möglich, ihre relative Bedeutung zu bestimmen, da dies bereits für einzelne Staaten erhebliche statistische Probleme aufwirft. Immerhin liegen hierzu einzelne Ergebnisse vor, laut denen die Bedeutung der Wirtschaftsstruktur eher als gering zu veranschlagen ist. 17 Neben der Entwicklung von Erzeugung und Verbrauch bildet der Welthandel mit Produkten der Eisen- und Stahlindustrie die dritte Größe, welche hier zur Charakterisierung der Veränderung der Branche zwischen 1950 und 1970 herangezogen werden soll. In diesem Rahmen zeigt sich, daß sowohl der Export als auch der Import von Walzstahlerzeugnissen gegenüber den bislang thematisierten Entwicklungslinien Besonderheiten aufweist, die in der folgenden regionalen Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei folgte die Entwicklung der weltweiten Ausfuhr von Walzstahl während der funfziger Jahre offensichtlich noch dem allgemeinen Wachstumstrend der Branche. Wurden bereits 1953 weltweit 18,5 Mio. t Walzstahl ausgefUhrt, so waren es zwei Jahre später 26,3, im Jahre 1960 39,7 Mio. t. Zusammengefaßt expandierte die Ausfuhr von Walzstahl im Abschnitt 1956 bis 1960 mit einer jahresdurchschnittlichen Wachstumsrate von 8,91 %. Diese Wachstumsgeschwindigkeit lag somit noch knapp über jener der Rohstahlerzeugung, die bereits - allerdings auf der Grundlage einer anderen Datenbasis - vorgestellt werden konnte. Insgesamt wird deutlich, daß die fUnfziger Jahre auch einen intensivierten internationalen Austausch von Gütern der Stahlindustrie mit sich brachten. 18 Im Gegensatz zur Entwicklung von Produktion und Nachfrage setzte sich der Wachstumstrend der Ein- und Ausfuhr von Walzstahlerzeugnissen jedoch auch in den sechziger und vor allem auch in den siebziger Jahren fort. Diese Besonderheit wird von den Tabellen 9 bis 12 deutlich herausgestellt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß diese auf statistischen Reihen der OECD beruhen, welche den Handel innerhalb von RGW und EWG ausschließen, so daß der absolute Umfang des internationalen Austauschs unterzeichnet wird. Auf brauch. Zwn Vordringen der Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Erzeugung von Stahl, in: List-Forum, Band 14 (1987/88), S. 365 - 381; hier: S. 366 - 374. 17 UNIECE(Hg.), Specific Conswnption ofSteel, S. 44f, 78f, 118 -139, 157f. 18 Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher für die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg. Die von 'der Wirtschaftsvereinigung veröffentlichten statistischen Angaben wurden ihrerseits von der UN-Statistik in Genf übernommen, so daß diesen die Abgrenzung von Walzstahl der Vereinten Nationen zugrundeliegt. Diese Beobachtungen werden durch die Ergebnisse VQl1 Friden bestätigt: Friden, Lennart: Fluctuations in the International Steel Market J913 - 1968. A study of import and export functions, Stockholm 1972, Kapitel 1, S. 12 - 18,39; Kapitel 3, S. 3,6.
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3. Teil: Globale Entwicldungstrends der Stahlindustrie
die Bedeutung dieses Intra-Blockhandels wird weiter unten (Teil 3, I, 2) eingegangen werden. Die langfristige Betrachtung von Walzstahlex- und -importen zeigt insbesondere, daß diese in allen vier Fünf-Jahreszeiträumen schneller wuchsen, als Produktion und Verbrauch. Besonders weit öffnete sich diese Schere zwischen 1971 und 1975, als sowohl die Einfuhren (jahresdurchschnittliches Wachstum: 6,40 %) als auch die Ausfuhren (jahresdurchschnittliches Wachstum: 6,80 %) noch deutlich expandierten, während sich etwa der Nachfragezuwachs (s.o.) deutlich verringert hatte (Tab. 10 und 12). Zwar brachte die Krise des Jahres 1975 auch für den internationalen StahlhandeI einen deutlichen Einbruch (Tab. 9 und 11), doch wurde der Wachstumspfad bereits mittelfristig wieder erreicht: Im Zeitraum 1976 bis 1980 stiegen daher sowohl Importe als auch Exporte mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von deutlich über vier Prozent (Tab. 10, 12). Dies bedingte, daß in den zwei Jahrzehnten nach 1960 ein stetig wachsender Anteil der Stahlproduktion exportiert und ein immer größerer Anteil des weltweiten Verbrauchs eingeführt wurde (Tab. 9/11): 1980 wurden schließlich weltweit 17,3 % der Stahlerzeugung ausgeführt, während es 1970 erst 12,8 und 1960 9,6 % gewesen waren. Ähnliche Werte ergeben sich auch für die Importe sowie für die mittelfristig differenzierte Betrachtung (Tab. 10, 12). Insgesamt zeigt sich somit für den Zeitraum 1950 - 1980 im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie eine Intensivierung des Austausches auf dem Weltmarkt, die bis zum Ende der siebziger Jahre andauerte, wenngleich sich nunmehr auch der Weltmarkt mit einer verminderten Dynamik fortentwickelte. 19 Dieses Wachstum war zudem mit einer strukturellen Wandlung verbunden, da sich die Zusammensetzung der Güterpalette, welche international gehandelt wurde, zunehmend verschob: Parallel zur Veränderung der Erzeugungsstrukten zeigt sich im Untersuchungszeitraum ein zunehmender Austausch von Flachstahlprodukten und Halbfertigerzeugnissen, während die Bedeutung von Profilstählen und vor allem Eisenbahnoberbaumaterialien im säkularen Trend rückläufig war. 20 Die Determinanten, welche zu diesem langfristig intensivierten Austausch von Walzstahlprodukten beitrugen, sind dabei durchaus vielfältig. Generell
19 Siehe hierzu auch folgende Studien: Organisation for Economic Co-Operation and Development (Hg.): World Steel Trade Developments 1960 - 1983. A Statistical Analysis, Paris 1985, S. 7 - 11. UNIECE (Hg.), Structura1 Changes in the IrOD and Steel Industry, S. 122 - 126, 148f; Anlage 2, S. 27. E. Manue/li, Expansion ofWorld Steel Industry, S. 19. W. Gaebe, Veränderungen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, S. II 1. 20 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 125f; Anlage 2, S. 31.
I. Wachstwn Wld regionale AusdifIerenzierung
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läßt sich feststellen. daß eine zunehmende internationale Verflechtung erfolgt, wenn immer mehr Güter gehandelt werden, um absolute nationale Defizite abzudecken oder weil auf nationaler Ebene eine Spezialisierung auf die Produktion von Gütern bestimmter Marktsegmente realisiert wurde. Hingegen wird der Anteil des StahlhandeIs, der unmittelbaren Wettbewerbsmotiven unterliegt, im allgemeinen als relativ gering eingeschätzt. 21 Schließlich ist anzufügen. daß trotz des dynamischen Wachstums der Weltmarkt für Stahl auch in den siebziger Jahren absolut einen recht bescheidenen Umfang besaß. Bereits Friden wies darauf hin. daß dieser während der sechziger Jahre kleiner war als etwa der Binnenmarkt der USA oder der EGKS. 22 Faßt man diese Ergebnisse zusammen. so wird deutlich, daß sowohl die Stahlerzeugung, als auch der Stahlverbrauch 1980 das Niveau von 1950 deutlich überschritt. Zurückzuführen ist dies auf einen dynamischen Wachstumsprozeß, der die Stahlindustrie der Welt in diesem Zeitraum charakterisierte. Als besonders wachstumsintensiv erwiesen sich vor diesem Hintergrund die erste Hälfte der fünfziger und der sechziger Jahre. Hingegen markierte die Stahlkrise zur Mitte der siebziger Jahre den Beginn grundsätzlich ungünstigerer Wachstumsbedingungen der Eisen- und Stahlerzeugung. Im langfristigen Rückblick wird jedoch deutlich, daß sich dieser strukturelle Einschnitt bereits seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre durch mittelfristig geringere Wachstumsraten abzeichnete, wobei insbesondere die globale Stahlintensität des Wirtschaftswachstums zu stagnieren begann. Eine signifikante Entwicklung nahm schließlich der StahlhandeI auf dem Weltmarkt, der über den Gesamtzeitraum hinweg expandierte, so daß im Ergebnis ein stetig wachsender Teil der Stahlerzeugung international ausgetauscht wurde.
2. Die regionaJe Dimension: Wacbstum und Außenbandei der Stahlindustrie des Rates für gegenseitige Wirtscbaftshilfe, der westlicben Marktwirtscbaften und der Schwellen- und Entwicklungsländer Nachdem die bisherige Überblicksdarstellung zeigte, in welchem Ausmaß die Zäsur der Krise von 1974/75 die Bedingungen für die Entfaltung der Stahlindustrie veränderte, wird sich die folgende, differenzierende Betrachtung auf die Jahre 1950 bis 1975 beschränken. Thematisiert wird damit ein Abschnitt in der Geschichte der Branche, der, wie gezeigt, alles in allem von
21 H. Wienert, World Trends in Steel Consumption and Production to 1990, S. 88. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 126. 22 L. Friden, Fluctuations in the International Steel Market 1953 - 1968, Kapitel 4, S.16. 8 Unger
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
einem beachtlichen Wachstum geprägt war. Für die weitere Ausdifferenzierung der Trends in diesem Zeitraum gilt es nun, die Branchenentwicklungen des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe, der westlich-kapitalistischen Marktwirtschaften, sowie der Schwellen- und Entwicklungsländer zu beschreiben und miteinander zu vergleichen. Da die Abgrenzung dieser Wirtschaftsblöcke in den vorliegenden statistischen Studien nicht vollständig übereinstimmt, enthält der Tabellenanhang eine detaillierte Aufstellung darüber, welche Volkswirtschaften jeweils unter diesen Oberbegriffen zusammengefaßt wurden. Weiter sei besonders darauf hingewiesen, daß die Aussagen zu den runfziger Jahren auf anderem Datenmaterial beruhen als jene für die sechziger und siebziger Jahre. Die betreffenden statistischen Reihen sind im Einzelfall nicht vollständig kompatibel, jedoch ergeben sich identische Entwicklungstendenzen, so daß die hier interessierenden Ergebnisse nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Bereits bei der Betrachtung der Rohstahlerzeugung ergibt sich, daß die Entwicklung im Weltmaßstab lediglich ein statistisch stark aggregiertes Bild zeichnet, von dem die Veränderungen in den großen Weltregionen zunehmend abwichen: So entfaltete die Stahlindustrie im RGW während der runfziger Jahre ein bemerkenswertes Wachstum, welches die Dynamik auf der Weltebene deutlich überschritt. 1950 wurden innerhalb des planwirtschaftlichsozialistischen Blocks 29 Mio. t Rohstahl erschrnolzen, bis 1959 (79 Mio. t) wurde dieses Volumen beträchtlich gesteigert. Offensichtlich war der Wiederaufbau in den osteuropäischen Staaten mit einem Ausbau der Stahlbranche verbunden, so daß vor allem in der ersten Hälfte des Jahrzehnts beträchtliche Wachstumsraten realisiert wurden. Diese übertrafen zudem die Geschwindigkeit der Zunahme der Welt-Rohstahlerzeugung. Im Ergebnis wuchs der Anteil der sozialistischen Staatengemeinschaft an der globalen Stahlproduktion. Betrug er 1950 erst 15 %, so waren es 1959 beachtliche 26 %. SignifIkant ist zudem, daß der überwiegende Teil des "sozialistischen Stahls" in der UdSSR gefertigt wurde, während die Produktion der osteuropäischen Staaten im Weltrnaßstab unbedeutend blieb. 23 Während der Jahre 1960 bis 1975 zeigt sich schließlich ein auffallend gleichmäßiges und kontinuierliches Entwicklungsmuster der Rohstahlproduktion im RGW. Bis 1970 stieg diese ungefähr parallel mit jener der Welt, so daß der Anteil der sozialistischen Staaten an der Produktion der Welt 1970 immer noch ungefahr ein Viertel ausmachte. Dabei stieg das absolute Produktionsvolumen zwischen 1960 und 1970 in jedem Jahr an, d.h. die rur die kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Staaten charakteristischen, zyklischen Einbrüche (s. u.) konnten im RGW scheinbar vermieden werden. Dieses Entwick23 Eigene Bereclmungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher für die Eisen- und Stahlindustrie, verseh. Jg.
I. Wachstmn und regionale AusdifTerenzierung
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lungsmuster setzte sich auch im Jahrfiinft bis 1975 fort, als die Stahlproduktion des RGW jahresdurchschnittlich mit 4,4 % anwuchs, während die allgemeine Dynamik bereits spürbar nachließ. Aufgrunddessen erhöhte sich nunmehr erneut der Anteil des RGW an der Weltstahlproduktion, im Krisenjahr 1975 erreichte er schließlich nahezu 30 %. Zusammengefaßt wurde die Entwicklung der Angebotsseite innerhalb der sozialistischen Gruppierung zwischen 1950 und 1975 von einem anhaltenden und relativ gleichförmigen Produktionsanstieg charakterisiert. Die höchsten Wachstumsraten ergaben sich in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, während das durchschnittliche Wachstum seit 1960 nachließ, jedoch noch immer beträchtlich war. Schließlich war der RGW offensichtlich von dem Einbruch 1974/75 nicht betroffen (Tab. 13 und zum Vergleich Tab. 1 und 2). Die Nachfrage nach den Erzeugnissen der Eisen- und Stahlindustrie bildete die Grundlage dieser Entwicklung: Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die osteuropäischen Staaten im Verlauf der fünfziger Jahre offenbar zunehmend mehr Stahl verbrauchten (Teil 3, I, 1). Leider sind verläßliche Daten zum sichtbaren Stahlverbrauch in dieser Region erst ab 1956 verfügbar, so daß die detaillierte Entwicklung nur mit Einschränkungen aufgezeigt werden kann. Danach erhöhte sich die Nachfrage nach Stahl in der UdSSR (23,40 %), Polen (23,91 %) und vor allem der CSSR (40,78 %) zwischen 1956 und 1959 schneller als in den meisten westlichen Staaten. Infolgedessen erreichten erstere zum Ende der fünfziger Jahre auch einen relativ hohen spezifischen Stahlverbrauch, der im Fall der UdSSR (276 kg Rohstahl/Einwohner), der CSSR (438) und auch der DDR (314) beispielsweise deutlich vor jenem Frankreichs rangierte. 24 In den folgenden Jahren wuchs der absolute Stahlverbrauch des RGW grosso modo im Gleichschritt mit der Erzeugung und parallel zum Stahlverbrauch der Welt, so daß sich der Anteil des RGW an letzterem kaum veränderte. Stellten die osteuropäischen Planwirtschaften bereits 1960 26,31 % des weltweiten Stahlkonsums, so waren es 1970 25,65 %. Dies änderte sich erst in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, als die sozialistischen Volkswirtschaften im Gegensatz zum globalen Trend ein relativ hohes Wachstumsniveau aufrechterhielten, und damit ihren Weltanteil aufüber 30 % steigerten (Tab. 14). Insgesamt wuchs der Stahlverbrauch des sozialistischen Lagers im Untersuchungszeitraum kontinuierlich an, wobei allerdings auch hier das Tempo im Zeitverlauf nachließ. Ähnliches gilt für den Stahlverbrauch pro Einwohner, der seit 1960 innerhalb des RGW rascher anstieg als im WeItdurchschnitt und 1974 erstmals das Niveau der westlichen Volkswirtschaften überstieg (Tab. 15). Schließlich wich die Veränderung der Stahlintensität der Wirtschaft in 24 Eigene Berechnungen, Grundlage: Statistical Office of the Uni ted Nations (Hg.), Statistical Yearbook, versch. Jg.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
den sozialistischen Staaten auffällig von der allgemeinen Entwicklung ab: Anders als im globalen Trend stagnierte hier nämlich die Menge Stahl, welche pro US-Dollar Brutto-Inlandsprodukt verbraucht wurde, spätestens seit 1960, während sie sich bereits im Zeitraum 1966 - 1970 deutlich rückläufig entwikkelte. Den Hintergrund hierfür bildete zweifelsohne die enorme Stahlintensität des Wirtschaftens in den sozialistischen Planwirtschaften, welche zeitweise nahezu dreimal so hoch war, wie in den kapitalistischen Industriestaaten (Tab. 15 und 20). Trotz der seit Mitte der sechziger Jahre rückläufigen Tendenz, konnte die Stahlbranche damit von einer stabilen Binnennachfrage nach ihren Produkten ausgehen. Wie in Teil 3, I, 1 dargestellt, intensivierte sich seit den fiinfziger Jahren der internationale Handel mit Erzeugnissen der Eisen- und Stahlindustrie. In diesen Austausch waren auch die Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe eingebunden, die während der fiinfziger Jahren ihren Anteil am weltweiten Walzstahlexport ausbauen konnten. 1953 führten sie zusammen 1,8 Mio. t Walzstahl aus, sechs Jahre später waren es 4,6 Mio. t. Dies bedeutet: Ihr Anteil an der Weltausfuhr war von 9,8 auf 14 % gewachsen. 2s Bis 1975 zeichnete sich die Außenhandelstätigkeit des RGW sodann im Vergleich mit den Trends von Produktion und Verbrauch durch eine diskontinuierlichere Entwicklung aus: Zwar stiegen sowohl die Importe als auch die Exporte zwischen 1960 und 1975 weiter an, jedoch zeigen die entsprechenden Zeitreihen signifikante jährliche Ausschläge, wie sie ansonsten eher für Marktwirtschaften charakteristisch sind (Tab. 16 und 17). Zudem entwickelten sich Ein- und Ausfuhren gegenläufig. Wiesen die Walzstahllieferungen des RGWan den Weltmarkt 1966/70 die markantesten Wachstumstendenzen auf, um sodann 1971/75 auf eine bescheidene jahresdurchschnittliche Steigerung von 3,09 % zurückzufallen, so stiegen die Importe aus Nicht-RGW Staaten nach 1971 am raschesten an. Schließlich ist die Bedeutung, die der Handel mit dem Weltmarkt für die Volkswirtschaften des RGW besaß, nurmehr als relativ bescheiden zu bezeichnen. Zwar wuchs der jahresdurchschnittliche Anteil der Exporte an der Produktion bzw. der Anteil der Importe am Stahlverbrauch bis 1975 stetig, dennoch wurde in keinem Fünfjahreszeitraum eine durchschnittliche jährliche Export- bzw. Importquote von 6 % erreicht. Mehr als die Hälfte der gesamten Walzstahlausfuhren der Planwirtschaften verblieben zwischen 1970 bis 1975 innerhalb des RGW, während gleichzeitig mehr als 50 % des Importbedarfs innerhalb des RGW gedeckt wurde. 26 Unterstrichen wird dies 2S Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher für die Eisen- und Stahl industrie, versch. Jg. Allerdings enthalten diese Angaben, anders als jene für die sechziger und siebziger Jahre, auch den intraregionalen Handel des RGW. 26 OECD (Hg.), World Steel Trade Developments 1960 .. 1983, S. 120.
I. Wachstum und regionale Ausdifferenzierung
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durch den Außenhandelssaldo des RGW mit Drittstaaten (Tab. 28): Danach waren die UdSSR und die Staaten Osteuropas von 1960 bis 1962 sowie 1974/75 ein Nettoimporteur, von 1963 bis 1973 schließlich ein Nettoexporteur von Walzstahl. AIIerdings waren die Außenhandelssalden zu keinem Zeitpunkt sonderlich ausgeprägt, so daß der Austausch mit dem Weltmarkt, der anders als der RGW-interne Handel - unter Wettbewerbsbedingungen erfolgte, für die Stahlbranche des RGW im gesamten Untersuchungszeitraum erwartungsgemäß von untergeordneter Bedeutung war. Zudem konzentrierten sich die Ausfuhren des sozialistischen Blocks auf einige wenige Gebiete, d.h. vor allem auf die EGKS, das übrige Westeuropa und zeitweise den mittleren Osten. 27 Die Entwicklung der Stahlindustrie in den westlich-marktwirtschaftlichen Staaten divergierte deutlich von den Trends des RGW. In bezug auf die Produktion und den Verbrauch von Stahl ist für diese politisch-regionale Gruppe seit 1960 insbesondere ein relativer Positionsverlust im Weltmaßstab zu konstatieren, welcher mit einer Gewichtsverlagerung zwischen den großen Erzeugerstaaten innerhalb dieses Blocks einherging. 1950 wurden drei Viertel des Rohstahls der Welt von der Staaten der späteren Montanunion, Großbritannien, den USA und Japan erzeugt, während sich ihr Anteil neun Jahre später bereits auf 61 Prozent reduziert hatte. Gleichwohl war in den wesentlichen Marktwirtschaften die Stahlerzeugung während der fiinfziger Jahre deutlich angestiegen. Sehr dynamisch verlief die Entwicklung dabei in Japan, relativ schleppend hingegen in den USA, die infolgedessen bereits in den fünfziger Jahren einen einschneidenden Bedeutungsverlust als Stahlerzeuger zu verzeichnen hatten. 28 Zwischen 1960 und 1975 stieg schließlich die absolute Rohstahlerzeugung auch in den marktwirtschaftIich-kapitaIistischen Staaten deutlich an, wobei diese Gruppe in keinem der drei Fünf-Jahreszeiträume die durchschnittlichen Wachstumsraten des RGW erreichte und der Wachstumsprozeß zudem durch deutliche zyklische Ausschläge geprägt war. Besonders groß wurde der Abstand 1971-75, als die Rohstahlproduktion hier nahezu stagnierte. Verantwortlich war dafür vor allem der Einbruch 1975, der in den westlichen Industriestaaten noch wesentlich tiefer als im Weltmaßstab ausfiel. In diesem Jahr wurden innerhalb dieser Gruppe 60,58 % des Rohstahls der Welt erzeugt, womit der bis dahin niedrigste Wert der Nachkriegszeit erreicht war (Tab. 18). Parallel zu dieser Entwicklung hatte sich sowohl die Bedeutung
Ebd., S. 18. Eigene BerechnWlgen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigoog Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher filr die Eisen- und Stahl industrie, versch. Jg. 27
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
der USA als auch der EGKS weiter reduziert, während sich Japan zum zweitgrößten Stahlerzeuger der Welt, hinter der UdSSR, entwickelt haue. 29 Nachdem der Stahlverbrauch in den meisten westlichen Industriestaaten bereits während der fünfziger Jahre merklich ausgeweitet worden war (siehe Teil 3, I, 2), hielt diese Tendenz auch in den sechziger Jahren an. Bis zur Mitte des Jahrzehnts übertrafen die Wachstumsraten des absoluten und des Stahlverbrauchs pro Einwohner im Durchschnitt jene der UdSSR und Osteuropas, jedoch zeigte die Entwicklung hier sehr viel stärkere Schwankungen. Mit der seit Mitte der sechziger Jahre nachlassenden Dynamik expandierte dann allerdings die Nachfrage nach den Erzeugnissen der Stahlbranche in den marktwirtschaftlichen Industriestaaten langsamer als in den osteuropäischen Planwirtschaften. Dieser Trend verschärfte sich schließlich seit dem Beginn der siebziger Jahre. Nunmehr fiel der absolute und der Verbrauch pro Einwohner in jahresdurchschnittlichen Werten sehr deutlich ab. Hingegen stieg die Stahlintensität der westlichen Volkswirtschaften, anders als im RGW, in den sechziger Jahren noch leicht an, während sie dann bis 1975 rasch zurückging. Allerdings produzierte die Wirtschaft innerhalb dieser politischregionalen Gruppe, wie oben erwähnt, bereits zu Beginn der siebziger Jahre mit einem weit geringeren spezifischen Stahleinsatz als die sozialistischen Industriestaaten. (Tab. 19/20). Schließlich unterschieden sich die in der O.E.C.D. zusammengefaßten Staaten von den osteuropäischen Planwirtschaften sehr markant durch die Intensität ihrer Außenhandelsorientierung: Während der fünfziger Jahre wurde der Weltmarkt im Bereich der Walzstahlexporte eindeutig von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl dominiert, die ihre Ausfuhr wesentlich steigern und damit ihren Anteil an der Weltausfuhr auf 60 % (1959) erhöhen konnte. Ähnlich verlief die Entwicklung der EFrA-Branchen sowie in Japan. Hingegen sanken die Stahlexporte der USA bereits 1953 - 1959 ganz beträchtlich. 3O In den sechziger und siebziger Jahren weiteten die Stahlbranchen in den kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Staaten ihre Exporttätigkeit im Unterschied zum RGW ohne merkliche Wachstumssprünge aus, so daß die Ausfuhren der O.E.C.D.-Staaten, anders als Produktion und Verbrauch, auch im Zeitraum 1971-75 weiter deutlich expandierten. Hingegen nahmen die Walzstahleinfuhren 1960-1975 mit einer nachlassenden Dynamik zu, während sich diese im Falle der sozialistischen Staaten tendenziell steigerten (Tab. 29 Detaillierte Infonnationen bietet: OEeD (Hg.), World Steel Trade Developments 1960 - 1983, S. 108. 30 Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher filr die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg. Auch hier schließen die Werte filr die ftlnfziger Jahre wiederum den intraregionalen Handel der EGKS ein, während die folgenden Werte filr die sechziger und siebziger Jahre lediglich den Handel der EGKS mit Drittstaaten berücksichtigen.
I. Wachstwn und regionale AusditTerenzierung
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21/22). Vor allem waren die Stahlindustrien der O.E.C.D.-Staaten weit intensiver in den Weltmarkt eingebunden als jene Osteuropas: Wie Tabelle 21 und 22 verdeutlichen, übertrafen ihre Export- und Importquoten die Werte für den Handel des RGW mit Drittstaaten im gesamten Zeitraum 1960 bis 1975 sehr deutlich. Schließlich fungierte die Stahlindustrie der in der O.E.C.D. zusammengeschlossenen Staaten während dieser anderthalb Jahrzehnte durchgängig als Nettoexporteur eines beträchtlichen, und im Zeitverlauf noch zunehmenden, Volumens an Walzstahlerzeugnissen (Tab. 28). Insgesamt wurde der Weltmarkt im Bereich Stahl auch zur Mitte der siebziger Jahre immer noch von den entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften dominiert. Dieser Eindruck wird unterstrichen durch die Entwicklung, welche die Stahlindustrie in den Schwellen- und Entwicklungsltindern nahm. Zur Abrundung der bisherigen Ergebnisse soll diese abschließend skizziert werden. Als Ergebnis zeigt sich, daß diese Staatengruppe seit den sechziger Jahren im Hinblick auf das Wachstum von Stahlangebot und -nachfrage die ausgeprägteste Dynamik der drei Wirtschaftsblöcke entfaltete. Dabei hatten sich hier bis zum Ende der fünfziger Jahre kaum Anzeichen für einen Aufschwung der Stahlindustrie ergeben. Zwar errichtete man sowohl im Femen und Mittleren Osten, in Lateinamerika und Afrika neue Stahlwerkskapazitäten, doch folgte diese Entwicklung dem allgemeinen Trend. so daß der Anteil der Region an den Weltstahlkapazitäten (mit Ausnahme von Japan und China) nahezu unverändert blieb. 31 Demzufolge entfielen auf die Entwicklungsländer, d.h. Lateinamerika, nahezu das gesamte Asien, den Mittleren Osten und Mrika, im Jahre 1960 lediglich 2,52 % der Rohstahlerzeugung und 6,14 % des Rohstahlverbrauchs der Weit. 15 Jahre später lauteten die entsprechenden Werte hingegen 4,97 % bzw. 10,44 %. In diesem Zeitraum entwickelten sich Nachfrage und Angebot in den Entwicklungs- und den sich herauskrlstallisierenden Schwellenländern mit einer Geschwindigkeit, welche die Dynamik in den sozialistischen und kapitalistischen Industriestaaten teilweise deutlich hinter sich ließ: Beispielsweise wurde die Stahlerzeugung im Zeitraum 1961 - 1965 jahresdurchschnittlich um 13,43 % gesteigert (Tab. 23/24). Hinter diesem Aufschwung zeigte sich auch ein Anstieg der Werte des spezifischen Stahlverbrauchs (Tab. 25). Obwohl von einem äußerst niedrigen Niveau ausgehend, expandierten sie wesentlich verhaltener als das Produktions- und Verbrauchsvolumen. Ähnlich wie der RGW waren die Schwellen- und Entwicklungsländer von der Stahlkrise Mitte der siebziger Jahre kaum betroffen, ein Einbruch der Entwicklung ist jedenfalls nicht feststellbar. Die Betrachtung der Außenhandelstätigkeit dieser Staatengruppe verdeutlicht schließlich ihre spezifische Stellung innerhalb der Weltwirtschaft. Zwar 31 Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher fllr die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
entfalteten die Entwicklungsländer insbesondere in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre eine gesteigerte Ausfuhrtätigkeit, die jedoch bereits im folgenden Fünf-Jahreszeitraum unterbrochen wurde. Weit markanter ist jedoch der Unterschied zwischen der Walzstahlexport- und -importquote: Zwischen 1971 und 1975 betrug erstere ca. 12 %, während durchschnittlich mehr als 57 % des Stahls, der in den Entwicklungsländern verbraucht wurde, importiert werden mußte. Die Bedeutung dieses Umstands zeigt sich im Außenhandelssaldo. Trotz des Ausbaus der eigenen Stahlindustrie traten die Entwicklungsländer zwischen 1960 und 1975 am Weltmarkt als ein überaus bedeutender Nettoimporteur von Walzstahl auf. Zudem nahm das Volumen des Importüberschusses stetig und sehr rasch zu, so daß er sich in diesen Jahren verdreifachte. Im Ergebnis ist eine Importsubstitution der Entwicklungsländer in dieser Phase nicht nachweisbar (Tab. 26 - 28).32 Zusammengefaßt zeigte die quantitative Längsschnittbetrachtung von Stahlerzeugung, -verbrauch und -handel, daß sich die Entwicklung des RGW, der westlichen Marktwirtschaften sowie der Entwicklungsländer in wesentlichen Punkten voneinander unterschied. Trotz dieser abweichenden Entwicklungslinien blieb die Arbeitsteilung auf dem Weltmarkt bis 1975 im Grundsatz unverändert. Hier standen sich vor allem die OE CD-Staaten als großer Nettoexporteur und die Entwicklungsstaaten als bedeutender Importeur von Walzstahl gegenüber. Die im RGW zusammengeschlossenen Planwirtschaften verfUgten im Vergleich dazu über einen tendenziell ausgeglichenen Außenhandelssaldo, dessen Vorzeichen sich allerdings zweimal veränderte. Schließlich zeigte die politisch-regionale Differenzierung, daß es sich bei der 1974/75 einbrechenden Strukturkrise in allererster Linie um eine Krise der westlichmarktwirtschaftlichen Stahlerzeuger handelte, während RGW und Entwicklungsländer kaum von ihr tangiert wurden.
11. Einführung und Diffusion neuer Technologien und Produkte 1. Die technologische Dimension Die bislang auf Weltebene und für die politisch-regionalen Gruppierungen nachgezeichneten quantitativen Veränderungsprozesse gingen mit einer quali-
32 Dies widerspricht der allgemein fonnulierten These, der Ausbau der Stahlindustrie in den Schwellen- Wld Entwicklungsländer habe die Exportmöglichkeiten der Industriestaaten Wld damit ihre Wachstumspotentiale vennindert. Siehe: H. Wienert, Die Produktion folgt dem Verbrauch, S. 364,371,375 - 378. J. Bilnnig U.O., Moderne Zeiten - alte Branche, S. 15 - 23. Gieseck, Arne: Krisenmanagement in der Stahlindustrie. Eine theoretische Wld empirische Analyse der europäischen Stahlpolitik 1975 bis 1988, Berlin 1995, S. 21f, 71-78.
ll. Einfilhrung Wld Diffusion neuer Technologien Wld Produkte
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tativen Neudefinition der materiell-technologischen Grundlagen der Stahlindustrie einher. Wie zu zeigen sein wird. gelangten diese Innovations- und DifIusionsprozesse seit dem Beginn der sechziger Jahre zum Durchbruch und entwickelten bereits bis zum Einbruch der Strukturkrise Mitte der siebziger Jahre eine bemerkenswerte Dynamik. In der Konsequenz unterschieden sich die Verfahren, mit welchen 1975 Stahl erzeugt und verarbeitet wurde, sehr deutlich von jenen, die noch zu Beginn der fünfziger Jahre das Erscheinungsbild der Branche geprägt hatten. Wenngleich dieser technologische Strukturwandel weltweit zu beobachten war, unterschieden sich RGW-Staaten, Entwicklungs- und Schwellenländer sowie westlich-kapitalistische Volkswirtschaften durch den Innovationszeitpunkt, die DifIusionsgeschwindigkeit und die Konsequenzen, welche die Neuerungen zeitigten. Diese Trends gilt es im folgenden naher zu bestimmen, um Dynamik und Intensität mit der die sozialistischen Planwirtschaften sich den technischen Umgestaltungsprozessen im Bereich der Stahlindustrie anschlossen, vergleichend einschätzen zu können. Dabei werden die Umgestaltung der eigentlichen Stahlerzeugung durch die Innovation und Diffusion des sogenannten Sauerstoff-Blasverfahrens und der Stranggießtechnologie den Schwerpunkt der Betrachtung bilden. Diese stellten die bedeutendsten Innovationen dar, welche die Stahlindustrie im Untersuchungszeitraum implementierte. Allerdings würde die, in vielen Darstellungen auffindbare33, Beschränkung der Diskussion auf diese beiden zentralen Innovationen der Komplexität der technischen Entwicklung, insbesondere auch in der Stahlindustrie des RGW, nicht gerecht. Deshalb soll dieser Abschnitt durch eine kurze Darstellung der Entwicklung von Siemens-MartinStahlwerken, Hochöfen und Möllervorbereitung abgerundet werden. Dabei zeigt sich, daß auch diese im Untersuchungszeitraum einer, teilweise beachtlichen, technischen Umgestaltung unterlagen, welche jedoch nicht mit grundlegenden Innovationen verbunden war. Allgemein ist darauf hinzuweisen, daß die Einführung hochproduktiver Sauerstoff-Aufblas- und Stranggießtechnologie im Stahlwerksbereich die übrigen Produktionsstufen nicht unberührt ließ, sondern vielmehr einen nicht zu unterschätzenden Rationalisierungs-, und Kontinuisierungsdruck auf diese konstituierte. 34 Seit dem Beginn der sechziger Jahre fand die Umgestaltung der Stahlwerkstechnologie durch die Einführung der Sauerstoff-Aufblastechnik eine bemerkenswerte internationale Aufmerksamkeit. So veröffentlichte etwa der fron and Steel Engineer bereits im Oktober 1963 einen Beitrag unter der Über-
33 Siehe etwa: Esser, losefIFaeh, Wolfgang/Vlith, Werner: Krisenregulierung. Zur politischen Durchsetzung ökonomischer Zwänge, FrankfurtlMain 1983. 34 UNIECE (Hg.), Structural Changes in.the Iron and Stee1 Industry, S. 22, 71.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
schrift: "Oxygen Converter Capacity Marked for Big Increase".35 Die Stahlerzeugungstechnologie der solchermaßen günstige Zukunftsaussichten bescheinigt wurde, war 1952 im Linzer Werk der Vereinigten Österreichischen Eisenund Stahlindustrie erstmals im Produktionsbetrieb eingesetzt worden, beruhte jedoch auf Entwicklungen, welche bis in die Vorkriegszeit zwiickreichten. Die Innovation dieses Verfahrens im Weltmaßstab erfolgte damit bereits zu Beginn der fUnfziger Jahre. Im Gegensatz zum Thomas-Verfahren, das mit Preßluft arbeitet, wird beim Sauerstoff-Aufblasverfahren (Oxygen-Verfahren) das im Konverter befindliche flüssige Roheisen durch das Aufblasen technisch reinen Sauerstoffs durch eine über dem Eisenbad befindlich Lanze von den Eisenbegleitern (v.a. Kohlenstoff, Phosphor, Silicium) gereinigt. d.h. gefrischt. Die während des Untersuchungszeitraums am weitesten verbreitete OxygenTechnologie ist das sogenannte Linz-Donawitz-Verfahren (LD).36 Wesentliche Vorteile des Sauerstoff-Aufblasverfahrens sind: Die im Vergleich zum Thomas-Verfahren große Kapazität der einzelnen Konvertereinheiten, der rasche Prozeß-Zyklus, die gegenüber dem Thomas-Verfahren verbesserte Stahlqualität, die sehr große Produktivität sowie die vergleichsweise niedrigen Investitions- und Produktionskosten. Es ermöglicht weiterhin beachtliche Economies of Scale, setzt jedoch andererseits eine relativ große Mindestkapazität :fiir einen wirtschaftlichen Betrieb voraus. Als ein wesentlicher Nachteil dieser Technologie gegenüber dem Siemens-Martin-Verfahren ist schließlich seine deutlich geringere Flexibilität zu bezeichnen.31 Aufgrunddessen erscheint es möglich, den Anteil des SauerstoffBlasverfahrens an der gesamten Stahlerzeugung einer Volkswirtschaft sowie dessen Veränderung im Zeitverlauf als einen ersten Maßstab :fiir Innovativität und Modernität der Stahlbranche zu wählen. Dabei ergibt sich ein eindeutiges Bild, das in Tabelle 29 :fiir die marktwirtschaftlichen und sozialistischen In35 Stone, J. K.: Oxygen Converter Capacity Marked for Big Increase, in: Iron and Steel Engineer, Jg. 40 (1963), H. 10, S. 149 - 152. 36 G. Plumpe, Ökonomische Entwicklung und technologische Veränderungen in der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 184. Zilt, Andreas: Industrieforschung bei der August Thyssen-Hütte in den Jahren 1936 bis 1960, in: Technikgeschichte, Bd. 60 (1993), Nr. 2, S. 129 - 159. Slama, Jiri: Verbreitung von Innovationen im internationalen Vergleich. Dargestellt am Beispiel der Oxygenstahlerzeugung, in: Jahrbuch der Wirtschaft Osteuropas, Bd. 11 , 2. Halbband 1986, S. 101 129; hier: S. 103f. 31 UNIECE (Hg.): Structural Changes in the Iron and Steellndustry, S. 33, 37, 87. G. Plumpe, Ökonomische Entwicklung und technologische Veränderungen in der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie seit dem Zweiten Weltkrieg, S. 184f. Slama, JirilVogel, Heinrich: Zur Verbreitung neuer Technologien in der UdSSR - eine Fallstudie: das Oxygenblasstahlverfahren, in: Jahrbücher filr Nationalökonomie und Statistik, Bd. 187 (l972n3), S. 245 - 261; hier: S. 246. Cockerill, Anthony: The Steellndustry. International Comparisons of Industrial Structure and Performance, Cambridge 1974, S. 70 - 73.
ll. Einfilhrung und Diffusion neuer Technologien und Produkte
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dustriestaaten zusammengefaßt wird. 38 Zunächst verdeutlicht sie, daß die technologische Struktur der Stahlerzeugung auf der Ebene "Welt" in den fünfziger Jahren noch kaum Anzeichen für tiefgreifende Veränderungen bot: Dominiert wurde die Stahlproduktion im Jahre 1955 eindeutig vom SiemensMartin-Verfahren. dessen Produktionsanteil nahezu 78 % ausmachte. Wesentlich geringere Werte erreichte hingegen das gleichfalls noch aus dem 19. Jahrhundert stammende Thomas-Verfahren sowie die Elektrostahlerzeugung. Als völlig bedeutungslos war hingegen zu diesem Zeitpunkt das innovative Oxygen-Stahlverfahren einzustufen. auf welches bescheidene 0,3 % der WeltRohstahlerzeugung entfielen. Bis 1960 stieg dieser Wert zudem lediglich auf ca. 4 %, so daß die frühe Diffusion dieser Technologie seit der Innovation 1952 zunächst recht schleppend verlaufen war. Ihr Durchbruch erfolgte dann jedoch in den sechziger Jahren mit einer beachtlichen Diffusionsgeschwindigkeit, so daß in der Folge die gesamte Struktur der Rohstahlerzeugung der Welt umgestaltet wurde: Zwischen 1960 und 1970 verzehnfachte sich der Anteil des Stahls, der unter Verwendung der neuartigen Sauerstoff-Blastechnologie gefrischt wurde, so daß er im Jahre 1970 bereits mehr als 41 % betrug. Im weiteren setzte sich dieser Anstieg fort: Am Vorabend der Strukturkrise 1974/75 stellte das Sauerstoff-Blasverfahren schließlich mehr als die Hälfte der gesamten Stahlerzeugung. Dies resultierte andererseits in einer Entwertung der traditionellen Stahlwerkstechnologien: So verfiel das Thomas-Verfahren bereits bis 1970 der Bedeutungslosigkeit, während die Siemens-Martin-Technologie noch einen relativ großen Produktionsanteil behaupten konnte, der sich allerdings seit 1960 gravierend verringert hatte. Hingegen ist in diesem Zeitraum parallel zur Verbreitung des Oxygen-Verfahrens ein deutlicher Anstieg der Elektrostahlproduktion feststellbar. Allerdings erreichte die Stahlerzeugung auf der Grundlage von Elektroenergie im Untersuchungszeitraum bei weitem nicht das Niveau des Sauerstoff-Verfahrens, wie auch seine Diffusionsgeschwindigkeit weit geringer ausfiel. Insgesamt erfolgte somit während der sechziger Jahre die rasche Diffusion der Sauerstoffiechnologie und in Verbindung damit eine fundamentale Neustrukturierung der produktionstechnologischen Grundlage im engeren Bereich der Stahlerzeugung. Wie Tabelle 29 weiter aufzeigt, nahmen alle hier ausgewählten Volkswirtschaften an der Implementierung und Durchsetzung des Sauerstoff-Verfahrens teil. Jedoch unterschieden sich Intensität und Geschwindigkeit, mit der sie sich diesem Trend anschlossen: Ungeachtet einzelner Abweichungen führten die westlichen Branchen zwischen 1960 und 1975 38 Die im folgenden vorgestellten Ergebnisse wurden durch die Einbeziehung einer anderen Datengrundlage überprüft. Insgesamt ergeben sich dabei keine signifikanten Abweichungen im Hinblick auf den Verlauf und die Geschwindigkeit der Diffusionsprozesse. Eigene Berechnungen, Grundlage: Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher ftlr die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg.
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3. Teil: Globale Entwicldungstrends der Stahl industrie
das neuartige Stahlerzeugungsverfahren rasch und auf breiter Grundlage ein. Unter den großen westlichen Stahlanbietern wurden die Spitzenpositionen dabei von Japan, dessen bemerkenswerter Aufstieg als Stahlproduzent hierdurch erneut unterstrichen wird. der Bundesrepublik und Belgien eingenommen. Hingegen erfolgte der Prozeß in den USA, Frankreich und v.a. Großbritannien zunächst recht zögerlich, auch blieb die Bedeutung des neuen Verfahrens hier hinter den führenden westlichen Branchen zurück. Hingegen führten verschiedene kleinere westliche Volkswirtschaften (Finnland. Portugal, Österreich als eigentlicher Innovator) die neue Stahlwerkstechnologie sehr früh, sehr rasch und auf einer breiten Grundlage ein. Trotz dieser unterschiedlichen Innovations- und Diffusionsverläufe kann festgehalten werden, daß in den westlichen Staaten (mit Ausnahme Schwedens und Italiens) das OxygenStahlverfahren Mitte der siebziger Jahre als dominierende Technologie durchgesetzt war und mehr als die Hälfte des Rohstahls auf dieser Grundlage hergestellt wurde. Teilweise lag sein Anteil sogar weit darüber. Ein vollkommen anderes Bild zeigt sich demgegenüber fiir den RGW: Die Planwirtschaften verfügten noch zu Beginn der sechziger Jahre (mit Ausnahme der So\\jetunion) über keine Stahlerzeugung nach dem SauerstoffBlasverfahren, die Innovation erfolgte in diesem Wirtschafts raum somit relativ spät. Im Jahrzehnt bis 1970 kam die innovative Technologie dann schließlich auch im sozialistischen Wirtschaftsraum zum Einsatz. Jedoch verlief der Diffusionsprozeß hier wesentlich langsamer als in den westlichen Staaten, wie auch die Konsequenzen der Neuerung rur die Gesamtstruktur der Stahlerzeugong geringer blieben. Abweichend entwickelte sich allerdings die bulgarische Stahlbranche, die historisch einen Sonderfall darstellte. 39 Auffallen muß weiterhin, daß in dieser, von der Economic Commission for Europe kompilierten, Zusammenstellung die DDR keine Erwähnung findet (siehe hierzu Teil 4). Konzentriert man die Betrachtung schließlich mit der UdSSR, der CSSR und Polen auf die großen Stahlerzeuger im RGW, so ergibt sich, daß diese bei der Nutzung der neuen Stahlwerkstechnik relativ zurückhaltend agierten. Infolgedessen erreichte in keinem dieser Länder der Oxygenstahl den Anteil an der Gesamterzeugung, wie er 1970 bereits weltweit erreicht worden war. Auch in den folgenden Jahren zeigt sich hier schließlich kein sprunghafter Bedeutungszuwachs der Sauerstoff-Blastechnologie, so daß mögliche Vorteile der "Second-Mover" -Position ganz offensichtlich nicht feststellbar sind. Noch zur Mitte der siebziger Jahre überschritt der Anteil des Oxygenstahls in keinem 39 Der relativ hohe Anteil des Oxygenstahls an der gesamten bulgarischen Stahlerzeugung resultierte aus der Errichtung eines einzigen entsprechenden Werks, die infolge der geringen Gesamterzeugung enonne strukturelle Konsequenzen entfaltete. Stone, 1. K.: Worldwide Distribution of Oxygen Steelmaking Plants, in: Iron and Steel Engineer, Jg. 43 (1966), H. 11, S. 93 - 97; hier: S. 96. M. lAschke, Produktivkräfte, Investitionen und Produktion, S. 23.
n. Einfilhrung Wld Diffusion neuer Teclmologien Wld Produkte
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der drei Staaten die Marke von 30 % - damit lagen diese sogar weit hinter den westlichen Branchen mit den langsamsten Diffusionsprozessen zurück. Teilweise hatte sich allerdings das Gewicht der Elektro-Stahlerzeugung deutlich erhöht. Im Ergebnis war der Stahl, der von den drei großen RGW-Erzeugern 1975 produziert wurde, zum ganz überwiegenden Teil immer noch SiemensMartin-Stahl. Zwar hatte sich die überragende Bedeutung dieses Verfahrens in den zurückliegenden Jahren relativiert, sein Produktionsanteil lag jedoch noch über 60 %. Diese Ergebnisse sind schließlich um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, daß die UdSSR zu den Staaten zählte, in denen die eigentliche Innovation der Sauerstoff-Blastechnologie frühzeitig, beispielsweise vor Japan, Großbritannien und Frankreich, erfolgte. Offensichtlich entwickelte sich der Rückstand ihrer Stahlbranche somit während der Durchbruchsphase des Verfahrens, d.h. in den sechziger Jahren. 4O Darüber hinaus fielen die sozialistischen Stahlproduzenten im Hinblick auf die Implementation und Diffusion der Oxygentechnologie selbst hinter einige Schwellen- und Entwicklungsländer zurück. Zwar bietet sich in dieser Staatengruppe ein sehr heterogenes Bild, jedoch errichteten Volkswirtschaften wie beispielsweise Brasilien, Indien, Tunesien und Südafrika bereits während der sechziger Jahre modeme Oxygen-Stahlwerke. Poznanski gelangte in seiner diesbezüglichen Regressionsanalyse zu dem Ergebnis, daß die Entwicklungsund Schwellenländer, welche die Oxygen- und Elektrostahlerzeugung einführten, dies mit einer Geschwindigkeit realisierten, welche sich nicht wesentlich von den westlichen Staaten unterschied, jedoch zumeist über jener der RGWStaaten rangierte. Am aggressivsten habe Südkorea die Durchsetzung dieser Technologie betrieben und dabei etwa Großbritannien hinter sich gelassen. 41 Zusarnmengefaßt deuten diese Ergebnisse an, daß Geschwindigkeit und Intensität, mit welcher die sozialistischen Planwirtschaften die neue OxygenTechnologie in ihren Stahlwerken einführten, bis zur Mitte der siebziger Jahre nicht nur hinter den kapitalistischen Industriestaaten, sondern auch hinter einem Teil der Entwicklungs- und Schwellenländer zurückblieb. Bei der Einführung der Stranggießtechnologie, als zweiter wesentlicher Innovation der Stahlindustrie im Untersuchungszeitraum, werden sehr ähnliche Implementationsmuster deutlich. Die Entwicklung der Stranggießtechnik beruhte auf Forschungsarbeiten, welche bis in die dreißiger Jahre zurückreichten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde diese Technik bis zum Stadium der industriellen Anwendung weiterentwickelt, der erste Einsatz unter Be40 Cooper, Julian: Iron and Steel, in: Amann, RonaldlCooper, Julian/Davies, R. W. (Hg.): Tbe Technological Level of Soviet Industry, New HavenILondon 1977, S. 83 120; hier: S. 96f. 41 K. Poznanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 165f. J. K. Stone, Worldwide Distribution ofOxygen Steelmaking Plants, S. 94 - 97.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
triebsbedingungen erfolgte 1952 in Österreich. Neben der österreichischen konnte auch die so\\jetische Metallurgie bei der Entwicklung des Stranggießverfahrens durchaus eine Pionierfunktion fiir sich reklamieren. Die erste industrielle Anlage wurde hier bereits 1955 fertiggestellt. International zeigten sich beim Stranggießen im Hinblick auf die technische Beherrschbarkeit ungleich größere Schwierigkeiten als beim Oxygen-Stahlverfahren, was nicht ohne Rückwirkungen auf die Geschwindigkeit der Diffusion blieb. Bei dieser Technologie wird der flüssige Stahl im Strang, statt wie beim Blockgußverfahren, an dessen Stelle es letztlich trat, in Blockkokillen, vergossen. Nach Angaben von Gottfried Plumpe ermöglichte dieses neue Wirkprinzip den Fortfall von sieben arbeits- und kapitalintensiven Arbeitsschritten, u.a. das Auswalzen von Halbzeug auf schweren Blockstraßen. Als weitere Vorteile dieses Verfahrens sind die Erzielung einer überlegenen Stahlqualität, günstigeres Ausbringen wie insgesamt Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen anzuführen. 42 Obwohl bereits während der fiinfziger Jahre einzelne Stranggießanlagen errichtet wurden, blieb die Bedeutung dieser Technologie auf der Weltebene zunächst äußerst gering, so daß 1955 erst 0,1 % der Weltstahlerzeugung im Strang vergossen wurden. Obwohl in den Folgejahren ein durchaus bemerkenswertes Wachstum der installierten Kapazitäten stattfand, verblieb der Anteil der Stranggießtechnologie auch zu Beginn der sechziger Jahre innerhalb einer unbedeutenden Größenordnung. Im Verlaufe dieses Jahrzehnts wuchs der Produktionsanteil des Verfahrens schließlich bis auf 9,6 % (1970) an. Dennoch kann im Gegensatz zum Sauerstoff-Blasverfahren in bezug auf die sechziger Jahre noch nicht von einem massiven Durchbruch und einer rapiden Diffusion dieser innovativen Gieß technologie gesprochen werden. Diese setzte erst mit dem Beginn der siebziger Jahre ein, als die Technologie soweit beherrschbar war, daß 1975 mehr als 21 % der Weltstahlproduktion in Stranggießanlagen in Halbzeug umgewandelt wurden. Zusammengefaßt setzte die Diffusion dieses Verfahrens später ein als jene der oben beschriebenen Stahlwerkstechnik, sie verlief außerdem langsamer und erreichte bis zum Ende des Untersuchungszeitraums auch nicht deren Bedeutung. 43 Auch an diesem Beispiel zeigen sich auf nationaler Ebene gewichtige Unterschiede hinsichtlich Geschwindigkeit und Intensität. Wie Tabelle 30 auf42 G. Plumpe, Ökonomische Entwicklung und teclmologische Veränderungen in der westdeutschen Eisen- und Stahl industrie seit dem Zweiten Weltkrieg, S. l87f Poznanski, Kazirnierz Z.: International Diffusion of Steel Teclmologies. Time Lag and the Speed of Diffusion, in: Teclmological Forecasting and Social Change, Jg. 23 (1983), S. 305 - 323; hier: S. 306. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Stee1 IndusUy, S. 45ff, 89f J. Cooper, Iron and Steel, S. IOlff. A. Cockerill, The Stee1 IndusUy, S. 20, 74. 43 UNIECE (Hg.), StructuraI Changes in the Iron and Steel IndusUy, S. 45.
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zeigt, erfolgte in den westlichen Industriestaaten eine nennenswerte Nutzung dieses Verfahrens erstmals im Jahre 1964, d.h. auch hier wird deutlich, daß die Technologie - obwohl bereits in den fiinfziger Jahren eingesetzt - bis zur Mitte der sechziger Jahre noch nicht in ihre Diffusionsphase eingetreten war. Auch im Abschnitt bis 1970 erfolgte die Durchsetzung der Stranggießtechnik demnach in den westlichen Volkswirtschaften graduell, sprunghafte Zunahmen seiner Bedeutung sind - evtl. mit Ausnahme von Spanien, Schweden und Kanada - nicht auszumachen. Die durchgreifende Diffusion des Stranggießens begann dann jedoch mit dem Beginn der siebziger Jahre, so daß schließlich bis 1975 in einigen Staaten mehr als 20 % des Rohstahls im Strang vergossen wurden. Spitzenreiter waren dabei Japan, Italien, Schweden, die Bundesrepublik und Österreich - die Spitzengruppe ist also nicht vollständig dekkungsgleich mit jener, die obenfür die Oxygentechnik benannt wurde. Sehr langsam verlief die Einführung in Belgien und - erneut - in Großbritannien. Für die USA ist die Datenlage sehr schlecht, deutet aber gleichfalls auf eine langsame Implementierung hin. 44 Wiederum zeigt sich bei den Volkswirtschaften des RGW (Tab. 30), daß die neuartige Technik trotz relativ früher Anfange, zögerlich eingeführt wurde und die Konsequenzen der Diffusion :für die Produktionsstruktur gering blieben. Wie bereits ausgeführt erfolgte der erste industrielle Einsatz des Stranggießens in der So\\jetunion bereits gegen Mitte der fünfziger Jahre. Dennoch erreichte das Verfahren in dieser Staatengruppe erstmals zum Ende der sechziger Jahre einen nennenswerten Produktionsanteil, der jedoch auch im folgenden nur langsam anstieg. Eine Ausnahme bildete allerdings die ungarische Stahlbranche, wo das Stranggießverfahren eine Bedeutung erlangte, die durchaus mit führenden westlichen Staaten vergleichbar ist. In der CSSR, Polen und der UdSSR, als den großen planwirtschaftlichen Stahlerzeugern, überschritt der Anteil des Stranggießens hingegen bis 1975 lediglich in der So\\jetunion die Schwelle von 5 % und blieb damit bedeutungslos. Bemerkenswert ist hingegen, daß die Schwarzmetallurgie der DDR zeitweise höhere Werte als die So\\jetunion erreichte, bevor die Anwendung des Verfahrens 1975 einen Rückschlag erlitt. Insgesamt konnte die Verbreitung des Stranggießens innerhalb des RGW lediglich in Ungarn mit dessen Durchsetzung in den westlich-kapitalistischen Staaten Schritt halten. Der Stellenwert dieser Technologie blieb in den übrigen Staaten bis zur Mitte der siebziger Jahre hingegen sehr bescheiden. Selbst, wenn man als Vergleichsebene die westlichen Staaten wählt, welche die Stranggießtechnologie nur mit mittlerer Geschwindigkeit durchsetzten (z.B. Frankreich und Kanada), wird deutlich, daß die sozialistischen Volkswirt44 Diese VennutWlg wird allerdings durch Poznanski nicht bestätigt. Siehe: K. Pomanski, Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 163.
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3. Teil: Globale EntwicklWlgstrends der Stahlindustrie
schaften sehr weit zwiicklagen und diesen Rückstand bis 1975 auch nicht entscheidend verringern konnten. Leider erlaubt die Datenlage keinen verläßlichen Vergleich mit den Schwellen- und Entwicklungsländern, so daß an dieser Stelle hierauf verzichtet werden muß. Die Innovation und Diffusion der Sauerstoff-Blastechnologie und des Stranggießens in den Stahlwerken fand relativ frühzeitig öffentliche Aufmerksamkeit (s.o.). Auch die wissenschaftliche, v.a. ökonomische Diskussion wandte sich bereits während der sechziger Jahren diesen beiden zentralen Neuerungen im Bereich der Stahlindustrie zu, nicht zuletzt, da diese als geeignete Fallbeispiele für den internationalen Vergleich von Innovationsverläufen betrachtet wurden. Die diesbezüglichen Implementierungsprozesse wurden dabei durchaus verschieden bewertet und interpretiert, so wurde etwa die Frage der Innovationsbereitschaft der us-amerikanischen Stahlindustrie kontrovers diskutiert. 45 Konsens herrschte hingegen in bezug auf den Verlauf der technologischen Neustrukturierung in den sozialistischen Staaten: Bestätigt wird hier der oben gewonnene Eindruck, daß innerhalb des RGW die Durchsetzung der neuen Verfahren vergleichsweise schleppend verlief, nicht mit der Geschwindigkeit des Westens Schritt halten konnte und auch die Konsequenzen für die technologische Basis der Industrie moderat blieben. 46 Gleichzeitig zielten die verschiedenen Beiträge darauf ab, Erklärungsangebote für diese Beobachtungen zu formulieren. Diese sollen nunmehr skizziert werden. In ihrer international angelegten Fallstudie gelangten MaddalalKnight 1967 zu dem Ergebnis, bis 1964, d.h. während der Anlaufphase der Diffusion, habe keiner der osteuropäischen Staaten das Sauerstoff-Blasverfahren in seiner Stahlbranche zur Anwendung gebracht. Hingegen sei die So\\jetunion als "Nachzügler" zu klassifizieren. Diese Beobachtung führten sie in erster Linie auf institutionelle Rigiditäten und Defizite des planwirtschaftlichen Systems, d.h. auf Faktoren zwiick, die im Mittelpunkt von Kapitel 2. dieser Arbeit standen. Verstärkt worden seien diese dadurch, daß die sozialistischen Volkswirtschaften nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und so der ,,Druck" zur Einführung verbesserter Verfahren gering gewesen sei. Als verstärkende Faktoren führten sie an: Niedrige Schrottpreise, welche die Wirtschaftlichkeit des LD-Verfahrens beeinträchtigten, und geringe Kapitalkosten,
Ebd., S. 168ff, 171. Ders., International Diffusion ofSteel Technologies, S. 311ff. Indirekt wird dies auch durch die statistischen Angaben von Laschke bestätigt. Allerdings vergleicht er den von den sozialistischen Staaten bis 1970 erreichten Verbreitungsstand des Oxygenverfahrens nicht unmittelbar mit westlichen Volkswirtschaften Wld wertet diesen daher als Ausdruck der "beschleunigten Nutzung neuer technologischer Verfahren". M Laschke, Produktivkräfte, Investitionen Wld Produktion, S. 24. 45
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11. Einfilhrung Wld Diffusion neuer Technologien Wld Produkte
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die in dieselbe Richtung wirkten. 47 Damit war prinzipiell bereits das Spektrum der Faktoren definiert, in welchem sich die anschließenden Erklärungsversuche bewegten. So verwiesen etwa Jiri Slarna und Heinrich Vogel vorn MÜDchener Osteuropa-Institut 1972/73 auf den Zusammenhang von schleppender Einfiihrung des Sauerstoff-Blasverfahrens und Leistungsfähigkeit der vorhandenen Siemens-Martin-Stahlwerke in der UdSSR: Grundsätzlich sei die Einfiihrung und Verbreitung der neuen Technologie in der UdSSR von allgemeinsysternspezifischen Faktoren (planerfiillung, Risikoaversion, Anreizsystem) und technologischen Problemen gehemmt worden. Darüber hinaus glaubten sie jedoch nachweisen zu können, daß als weiterer Faktor die Tätigkeit einer Lobby, die sich vehement für das Siemens-Martin-Verfahren eingesetzt habe, hinzugetreten sei. Diese habe, teilweise zu Recht, auf den in der UdSSR erreichten, günstigen Leistungsstand des vertrauten Verfahrens verweisen und damit die Ausbreitung des Oxygen-Verfahrens behindern können. 48 In eine ähnliche Richtung argumentierte auch Julian Coopers Beitrag in dem von einer interdisziplinären Forschungsgruppe an der Universität Birmingharn herausgegebenen Sammelband zum technologischen Niveau der sowjetischen Industrie. 49 Cooper kommt zu dem Ergebnis, in der Frühphase der Innovation sowohl des Sauerstoff-Blasverfahrens als auch des Stranggießens sei der Stand der sowjetischen Metallurgie durchaus bemerkenswert und mit westlichen Staaten vergleichbar gewesen. Beispielsweise sei die Technologie des Stranggießens, wie sie in der UdSSR entwickelt wurde, in ca. 30 Staaten patentiert und teilweise (u.a. in Finnland, Italien, der DDR und Japan) eingesetzt worden. Der Rückstand der sowjetischen Stahlindustrie entstand nach Ansicht Coopers in der "Take-Off-Phase" der beiden Technologien, als ihre breite Durchsetzung in der Sowjetunion weiterhin schleppend verlief und sich eine DifIusionslücke zu den westlichen Branchen auftat. Cooper erklärt dies primär mit strukturellen Spezifika der Stahl industrie in der Sowjetunion: So sei die rasche Verbreitung der Oxygentechnologie durch die Existenz sehr effizienter Siemens-Martin-Stahlwerke und vergleichsweise niedriger Schrott47 Maddala, G. S.lKnight, Peter T.: International Diffusion ofTechnical Change - A Case Study of the Oxygen Steel Making Process, in: Economic Jownal, Vol. LXXVII (1967), S. 531 - 558. 48 J. Sioma/H. Vogel, Zur Verbreitung neuer Technologien in der UdSSR, S. 248 252, 257 - 261. In einem späteren Beitrag befaßte sich 81ama erneut mit der Frage nach der zögerlichen Einft1hrung Wld Verbreitung der Oxygen-StahlerzeugWlg in der UdSSR, allerdings ohne auf seine frühere These einer einflußreichen "SiemensMartin-Lobby" zu rekurrieren. J. SlQma, Verbreitung von Innovationen im internationalen Vergleich. 49 R. Amann/J. CooperlR. W. Davies (Hg.), The Technological Level of Soviet Industry, op. cit. 9 Unger
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
preise verlangsamt worden. Infolge der hier erreichten Wirtschaftlichkeit des traditionellen Verfahrens seien die komparativen Vorteile der neuen Technologie weniger ausgeprägt gewesen. Hinzugetreten seien möglicher Weise technische Probleme. Die Dominanz der traditionellen Siemens-MartinTechnik in den so\\jetischen Stahlwerken habe ihrerseits die dynamische Diffusion des Stranggießens behindert. da diese nur in Kombination mit der Sauerstoff-Aufblastechnologie optimal einsetzbar sei. Zugespitzt formuliert besagt die These Coopers somit, daß die so\\jetische Stahlindustrie - und evtl. auch jene der übrigen RGW-Staaten - ein Opfer ihres technisch-ökonomischen Erfolgs im Bereich traditioneller Technologien war. so Widersprochen wurde dem von K. Poznanski, wenngleich seine Betrachtung ebenfalls zu dem Ergebnis gelangte, die sozialistischen Staaten seien im Hinblick auf die Diffusion des Oxygen-Stahlverfahrens und des Stranggießens international zu den "Nachzüglern" zu zählen. Nach seiner Einschätzung verlief die Verbreitung der neuen Technologien in diesen Volkswirtschaften derart zögerlich, daß ihr Diffusionsmuster durchaus mit jenem der Entwicklungsländer vergleichbar sei. Zudem sei nachweisbar, daß die sozialistischen Planwirtschaften über einen sehr langen Zeitraum parallel in die traditionelle Siemens-Martin- und in die innovative Sauerstoff-Blastechnologie investiert hätten. Hingegen sei in den westlich-kapitalistischen Staaten die Diffusion der neuen Technik nach einer Übergangszeit mit dem Abbau von Kapazitäten auf traditioneller Grundlage verbunden worden. Insgesamt seien die sozialistischen Staaten auf diesen Feldern nicht in der Lage gewesen, aus ihrem Nachzüglerstatus zu profitieren, wie dies aufgrund einer verbreiteten ökonomischen Annahme eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Als Erklärung für diese Beobachtung bietet Poznanski den fehlenden Informationsaustausch der Volkswirtschaften des RGW mit dem westlichen Ausland an. Bis zum Ende der sechziger Jahre sei der Technologietransfer aus der westlichen Welt im Hinblick auf Informationen und Anlagen schwach ausgeprägt gewesen. Aufgrunddessen sei es den Stahlbranchen Osteuropas und der So\\jetunion nicht möglich gewesen, die andernorts bereits gemachten Erfahrungen für eine beschleunigte, nachholende Diffusion zu nutzen. Verstärkt worden sei dies durch systemspezifische Faktoren (u.a. fehlender Wettbewerb, Risikoaversion, Politisierung ökonomischer Fragen, Priorität des quantitativen Wachstums). Die oben angeklungene Erklärung, die in diesen Branchen erzielten Verbesserungen der Siemens-Martin-Technologie hätte die forcierte Einführung des Sauerstoff-Blasverfahrens für die Planer weniger dringend erscheinen lassen, wird von Poznanski hingegen nicht akzeptiert: Seines Erachtens verlaufe die Kausalität genau in umgekehrter Richtung: so J. Cooper, Iron and Steel, S. 96 - 104, 118 - 120. Siehe auch: UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel fudustry, S. 33.
II. Einftlhrung und Diffusion neuer Teclmologien und Produkte
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Schwierigkeiten bei der Entwicklung der neuen Technik bis zum Stadium ihrer etfolgreichen Kommerzialisierung im Verbund mit dem generellen planwirtschaftlichen Konservatismus hätten dazu geruhrt, daß man die Anstrengungen auf die (graduelle) Verbesserung traditioneller Technologien konzentrierte. Aufgrunddessen erscheint der relativ moderne Zustand der SiemensMartin-Werke in den RGW-Staaten damit bei Poznanski als Resultat der Mißetfolge bei der Entwicklung moderner technologischer Alternativen. 51 Zusammengefaßt machen diese Ausfiihrungen deutlich, daß das SauerstoffBlasvetfahren und das Stranggießen als zwei prominente Beispiele aufzufassen sind, die in der (westlichen) ökonomischen Literatur herangezogen wurden, um den technologischen Rückstand der RGW-Staaten zu belegen. Wie aufgezeigt, wurde die verzögerte und vergleichsweise langsame Diffusion dieser Technologien in der Regel durch eine Kombination aus systemspezifischen Faktoren und der historischen Struktur der Stahlindustrie der sozialistischen Staaten erklärt. Festzuhalten bleibt, daß diese Erklärungsversuche methodisch den Versuch beinhalteten, eine empirisch gesicherte Beobachtung (langsame Diffusionsprozesse) auf Variablen zurückzufiihren, welche als grundlegende Erkenntnis des Systemvergleichs galten. Trotz der Nützlichkeit der dabei entwickelten Erklärungsmodelle verblieben sie damit weitgehend im spekulativen Bereich. Letzten Endes waren die diesbezüglichen Beiträge - in erster Linie wegen der Nichtzugänglichkeit des Quellenmaterials - nicht in der Lage, den postulierten Zusammenhang zwischen den einzelnen Größen auch tatsächlich nachzuweisen. Hierzu hätte es vor allem auch einer Rekonstruktion der historischen Entscheidungsprozesse und des Wahrnehmungshorizonts der relevanten Akteure und damit einer historisch orientierten Integration der Handlungsebene bedurft. Aufgrunddessen versucht Teil 5 dieser Arbeit durch die qualitative und quellengestützte Diskussion der modernisierungsbezogenen Branchenpolitik und -entwicklung der Schwarzmetallurgie, diese Lücke in den bisherigen Erklärungsmustern zu schließen. Es wurde bereits auf Coopers These hingewiesen, die sowjetische Stahlindustrie sei bei traditionellen Technologien modern, bei modernen und innovativen Vetfahrenjedoch weit weniger fortschrittlich gewesen. 52 Dies würde bedeuten, daß eine Betrachtung, die sich mit dem Sauerstoff-Blasvetfahren und dem Stranggießen alleine auf die zentralen Innovationen der Nachkriegszeit beschränkt, ein zumindestens verzerrtes Bild ergäbe. Deshalb soll abschließend die Aussage Coopers anhand einiger Beispiele diskutiert werden.
51 K. Poznanski, International Diffusion of Steel Technologies, S. 305, 307ff, 313 322. Ders., Technology, Competition & the Soviet Bloc, S. 162 - 181. Siehe auch: J. Slama, Verbreitung von Innovationen im internationalen Vergleich, S. 114, 116. 52 J. Cooper, Iron and Stee1, S. 119.
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3. Teil: Globale Entwickhmgstrends der Stahlindustrie
Wie bereits angesprochen wurde in den verschiedenen Beiträgen immer wieder die Ansicht vertreten, die Siemens-Martin-Werke des RGW, und insbesondere der So\\jetunion, hätten einen beachtlichen technologischen Stand repräsentiert und eine hohe Produktivität aufgewiesen. Poznanski vertrat etwa die Meinung, die Siemens-Martin-Produktion in den sozialistischen Staaten sei im Jahre 1975 doppelt so produktiv gewesen wie jene der westlichen Volkswirtschaften. S3 Tatsächlich erfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg graduelle Optimierungen dieses lange eingeführten Verfahrens. Obzwar weit weniger spektakulär als die Implementierung des Sauerstoff-Blasverfahrens, führten sie dennoch zu einer beachtlichen Effektivitätssteigerung der SiemensMartin-Technologie. So implementierte die Stahlindustrie des RGW im Untersuchungszeitraum in ihren Siemens-Martin-Werken in erster Linie die Zusatzbefeuerung mit Gas und schwerem Heizöl sowie die Anreicherung mit Sauerstoff. Nach den Angaben Coopers war letztere vor allem in der So\\jetunion weit verbreitet, wo 197077 % des Siemens-Martin-Stahls unter Zugabe von Sauerstoff erschmolzen wurden. Einen beachtlichen Produktivitätssprung ermöglichte schließlich die Entwicklung des sogenannten Tandemverfahrens. SoI Zudem verfügten die Stahlwerke des RGW über vergleichsweise groß dimensionierte Siemens-Martin-Öfen, wobei die durchschnittliche Größe der Aggregate im Verlauf des Untersuchungszeitraums beachtlich gesteigert wurde: So erzeugte ein Siemens-Martin-Ofen im Jahre 1960 in der CSSR durchschnittlich 79.200, in Ungarn 60.700 und in Polen 66.100 Tonnen Rohstahl. Diese Produktionswerte lagen damit teilweise über jenen, der westeuropäischen Stahlindustrie, so wurden etwa in Großbritannien im selben Jahr durchschnittlich 59.600 t Rohstahl pro Siemens-Martin-Ofen geschmolzen. Hingegen waren die bundesdeutschen Aggregate mit einer Durchschnittsproduktion von 71.800 t vergleichsweise groß. In den folgenden Jahren trat schließlich in den osteuropäischen Stahlbranchen ein sehr beachtliches Größenwachstum der Siemens-Martin-Anlagen auf, so daß die durchschnittliche Jahresproduktion pro Ofen teilweise mehr als verdoppelt werden konnte. Sie betrug demzufolge im Jahre 1975 in der CSSR 180.200, in Ungarn 133.400 und in Polen 114.800 Tonnen Rohstahl. Im Vergleich damit waren die Aggregate in Westdeutschland (81.100 t) nur bescheiden vergrößert worden, in Großbritannien
S3 K. Pomanski, International Diffusion of Steel Teclmologies, S. 319f. Ders., Teelmology, Competition & the Soviet Bloc, S. 171f. Sol Ebd. J. Cooper, Iron and Steel, S. 95. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 68.
ll. Einfühnmg Wld Diffusion neuer Technologien Wld Produkte
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(51.700 t) hatte sich die durchschnittliche Produktion hingegen rückläufig entwickelt. 55 Selbstverständlich ennöglichen diese Angaben zur Größenordnung der Stahlöfen nur oberflächliche Aussagen über ihre Leistungsfähigkeit, wenngleich das filr die RGW-Staaten konstatierte Größenwachstum sehr wahrscheinlich auch eine relevante Kostendegression beinhaltet haben muß. Einen spezifischeren Maßstab bietet hingegen der häufig herangezogene Ausnutzungsgrad, definiert als "durchschnittliche Tagesproduktion an Stahl pro qm Herdjltiche". Laut Cooper betrug diese Kennziffer in der UdSSR 1950: 5,36 t, 1960: 7,691, 1970: 9,16 t und schließlich 1974: 10,15 t. Diese Angaben, die eine sehr bemerkenswerte Produktivitätssteigerung andeuten, werden von Släma/Vogel bestätigt. Ihrer Ansicht nach verkörperte diese Leistungsflihigkeit der sowjetischen Siemens-Martin-öfen seit den sechziger Jahren den Welthöchststand. $6 Ein ähnliches Bild ergibt sich schließlich auch bei der Betrachtung der Roheisenerzeugung im Hochofen. Dabei blieb die auf dieser Produktionsstufe eingesetzte Technologie auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Grundsatz unverändert. Eingeführt wurde jedoch eine Vielzahl von Verbesserungen des Wirkungsprinzips, die auf Produktionssteigerung, erhöhte Produktivität, Ökonomisierung und vor allem auch eine Senkung des Koksverbrauchs abzielten. 57 Ein wesentliches Charakteristikum der Entwicklung der Hochofentechnologie bildete im Untersuchungszeitraum das beachtliche Größenwachstum der Anlagen, wobei auch hier die Stahlindustrie des RGW zumindestens den Anschluß an die internationale Entwicklung halten konnte. Erwartungsgemäß verfügte die UdSSR in diesem Bereich ebenfalls über die Anlagen mit der größten Produktionskapazität im RGW. So besaßen etwa im Jahre 1960 die größten Hochöfen der Welt ein nutzbares Volumen von 2.000 - 2.800 m3 • Nach den Informationen der Economic Commission for Europe existierte zu diesem Zeitpunkt in der Sowjetunion ein Hochofen dieser Größenordnung, während das Gros der Aggregate in der Größenklasse unter 1.200 m3 angesie55 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 67; Anlage 2, S. 8. Hierzu ist anzwnerken, daß diese Infonnationen teilweise auf Angaben der einzelnen Staaten gegenüber der ECE beruhen Wld daher auf dieser Ebene nur schwerlich nachprüfbar sind. $6 J. Cooper, Iron and Steel, S. 96. J. SldmaIH. Vogel, Zur VerbreitWlg neuer Technologien in der UdSSR, S. 248. 57 Auf die detaillierte DarstellWlg der einzelnen Maßnalunen, die zu einer schrittweisen OptirnierW1g der Hochofentechnologie filhrten, muß an dieser Stelle verzichtet werden. Von BedeutWlg waren hier v.a. der Einsatz zusätzlicher Brennstoffe, Sauerstoffanreicherung, das Arbeiten mit einem gesteigerten Druck und eine verbesserte Verfahrenskontrolle. Einen ausfUhrlichen Überblick bietet: UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 22 - 29.
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3. Teil: Globale EntwicklWlgstrends der Stahlindustrie
delt war und sich damit durchaus im Bereich des international Üblichen bewegte. Hingegen war in der westeuropäischen und in der japanischen Stahlindustrie zu diesem Zeitpunkt noch kein Hochofen mit einem Volumen von mehr als 2.000 m 3 in Betrieb, so daß es durchaus gerechtfertigt erscheint, die UdSSR zu den Schrittmachern dieser Entwicklung zu zählen. Darüber hinaus hielt hier das Größenwachstum der Anlagen in den nächsten Jahren an, so daß 1975 bereits 8 Hochöfen ein Volumen von mehr als 2.000 m3, 4 Öfen jedoch ein Volumen über 2.800 m3 besaßen. Übertroffen wurde diese Größenverteilung zur Mitte der siebziger Jahre lediglich von Japan, das über jeweils 14 Anlagen in beiden Größenklassen verfügte. Gleichfalls ergibt diese Gegenüberstellung, daß die Größenstruktur der Hochöfen auch in der tschechoslowakischen Stahlindustrie in beiden Stichjahren ebenfalls nicht ungünstig war, wenn auch die extremen Dimensionen der So\\jetunion hier nicht erreicht wurden. In der CSSR wurden danach sowohl zu Beginn der sechziger wie auch in der Mitte der siebziger Jahre relativ mehr große Hochöfen eingesetzt als etwa in Frankreich, Belgien oder Luxemburg. Gemessen daran waren die Hochöfen, in denen in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Polen Roheisen erschmolzen wurde, allerdings - teilweise deutlich - kleiner. 58 Von Bedeutung sind diese Angaben zur Größenverteilung der Roheisenerzeugung insbesondere, da mit zunehmender Größe der Hochöfen bekanntlich enonne Skaleneffekte einhergehen. Nach Berechnungen, welche die Economic Commission for Europe 1979 anstellte, betrugen die Betriebskosten bei einem Hochofen mit einem Herddurchmesser von 5,5 m 80 DM/t, während sie bei Vergrößerung des Herddurchmessers auf 6,5 m auf 60 DM/t absinken. Die Kostendegression setzt sich nach diesen Angaben bis zu einem Durchmesser von 14 m fort, so daß die Betriebskosten in diesem Fall auf 35 DM/t fallen. 59 Stellt man dies in Rechnung, so erscheint der vor allem in der UdSSR auftretende Trend zu vergleichsweise großen Hochöfen durchaus rational. Unterstrichen wird dies von weiteren Kennziffern, welche die Schlußfolgerung nahelegen, daß insbesondere die Hochofentechnologie der So\\jetunion jedenfalls bis in die siebziger Jahre keinen nennenswerten technologischen Rückstand aufwies. So war es hier beispielsweise möglich, den spezifischen Koksverbrauch bei der Roheisenerzeugung (kglt flüssigen Roheisens) zwischen 1960 und 1970 deutlich zu senken, so daß er in diesem Abschnitt unter den Werten für die USA, Großbritannien und Frankreich lag. Günstigere Kennziffern des Koksverbrauchs konnten demgegenüber lediglich Japan und - zeitweise - die
58 Ebd., S. 58; Anlage n, S. 4. Siehe auch: J. Cooper, Iron and Steel, S. 86 - 89. Allerdings - so Cooper - sei die Geschwindigkeit, mit der in der SowjetWlion überalterte Hochöfen ausgesondert wurden, bis zum Beginn der siebziger Jahre sehr niedrig gewesen. S9 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S.87.
n. Einführung und Diffusion neuer Technologien und Produkte
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Bundesrepublik verzeichnen. 60 Darüber hinaus übertraf schließlich die Produktivität (durchschnittliche Tagesproduktion in Tonnen pro Kubikmeter Ofenvolumen) der sowjetischen Hochöfen bis 1965 die Leistungsfahigkeit der japanischen Aggregate teilweise deutlich. In den folgenden Jahren war es der Stahlindustrie der UdSSR dann allerdings nicht möglich. mit der japanischen Entwicklung Schritt zu halten, so daß der Produktivitätsabstand bis 1973 nicht wieder geschlossen werden konnte. 61 Ein Verfahren, das über die bereits aufgeführten Technologien hinaus wesentlich zu einer Effektivitätssteigerung der Schmelzprozesse und zu einer verbesserten Roheisenqualität führte, ist das sogenannte Agglomerieren der Eisenerze vor der Beschickung des Hochofens. Bezweckt wird mit dieser Vorbehandlung die Beseitigung von Unreinheiten und die Homogenisierung des Eisenerzes. Durchgeführt wird das Agglomerieren entweder in Form des Pelletisierens oder aber des Sinterns. Vor allem in bezug auf den Einsatz der Sintertechnologie besaß die Sowjetunion im Untersuchungszeitraum eine führende Position und konnte während der Jahre 1960 - 1975 ihre Bedeutung als weItgrößter Sinterhersteller aufrechterhalten, wobei gleichzeitig eine enorme Mengenausweitung erfolgte. Neben der UdSSR traten innerhalb des RGW auch Polen und die CSSR als größere Produzenten in diesem Bereich auf, wobei die Erzeugung der CSSR beispielsweise jene Belgiens, Italiens und Luxemburgs übertraf. Insgesamt war in der sowjetischen Stahlindustrie der Anteil der Agglomerate am gesamten Erz, das in die Hochöfen eingesetzt wurde, zwischen 1956 und 1973 wesentlich größer als in Japan, den USA und der Bundesrepublik. Auch dieser Umstand dürfte nicht ohne wesentliche, positive Auswirkungen auf die Produktivität der Roheisenerzeugung geblieben sein. 62 Aufgrund der Vielfalt der verwandten Technologien stößt ein internationaler Vergleich des technischen Zustands und der Leistungsfahigkeit im Bereich der Walzwerke auf kaum überwindbare Schwierigkeiten und soll daher an dieser Stelle unterbleiben. Hingewiesen sei jedoch darauf, daß Cooper in seiner Fallstudie zur Eisen- und Stahlindustrle zu dem Ergebnis gelangte, die Walzwerke seien der veraltetste Teil der Metallurgie in der UdSSR, insbesondere gelte dies im Hinblick auf die Walzung von Flachstählen. 63
60 Ebd., Schaubild S. 26. J. Cooper, Iron and Steel, S. 90. J. StamaIH. Vogel, Zur Verbreitung neuer Technologien in der UdSSR, S. 248. 61 J. Cooper, Iron and Stee1, S. 92. 62 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 16 - 22; Anlage n, S. 2. J. Cooper, Iron and Steel, S. 85fT. 63 Einen ausfilhrlichen Überblick über die technologische Entwicklung der Walzwerke enthält die bereits diskutierte ECE-Studie, siehe: UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 47 - 52, 76 - 84. J. Cooper, Iron and Steel, S.
112 - 120.
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
Wenngleich die Beobachtungen im Bereich der Siemens-MartinStahlwerke, der Roheisenerzeugung und der Erzagglomeration selbstverständlich nicht in der Lage sind, ein Gesamtbild des technologischen Stands der Eisen- und Stahlerzeugung des RGW zu vermitteln, so legen sie doch eine Schlußfolgerung nahe: Demnach erscheint die Hypothese, daß der Entwicklungsstand der Branche in den sozialistischen Volkswirtschaften bei einigen, traditionellen Technologien günstiger zu beurteilen ist, als bei den Schlüsselinnovationen der Nachkriegszeit nicht unberechtigt. Mußten die RGW-Staaten bei der Verbreitung des Sauerstoff-Blasverfahrens und des Stranggießens eine bedeutende Implementierungslücke hinnehmen, so folgten sie in anderen Bereichen zumindestens der allgemeinen Entwicklung, teilweise besaßen sie überdies eine führende Position. In besonderem Maße scheint dies fiir die Sowjetunion zu gelten, so daß allgemein davon auszugehen ist, daß die wesentlichen Technologien zur schrittweisen Verbesserung bekannter Produktionsverfahren innerhalb des sozialistischen Blocks bekannt waren und prinzipiell auf diese zurückgegriffen werden konnte. Eine abschließende Beantwortung der Frage, ob die verstärkte Fortentwicklung traditioneller Technologien der Grund fiir Versäumnisse bei der Einführung innovativer Verfahren oder vielmehr deren Konsequenz war, erscheint allerdings auf dieser Untersuchungsebene nicht möglich.
2. Die Produktdimension: Struktureller und qualitativer Wandel des Produktsortiments der Eisen- und Stahlindustrie Neben der Innovation grundlegend neuer, sowie der Modernisierung traditioneller Verfahrenstechnologien, betraf der qualitative Wandel der Eisen- und Stahlindustrie im Untersuchungszeitraum auch die Produktebene: Im Ergebnis wurde das Fertigungsprogramm der Branche einerseits strukturell neu definiert, andererseits umfaßte es zunehmend Güter höherer Qualität. Aufgrunddessen produzierte man 1975 in wesentlichen Bereichen nicht allein mit qualitativ anderen Technologien als noch zu Beginn der fiinfziger Jahre; hergestellt und abgesetzt wurden zudem auch andere Produkte als 25 Jahre zuvor. Teilweise resultierten die Veränderungen auf der Produktebene unmittelbar aus grundlegenden verfahrenstechnischen Innovationen, wie dies anband des Trends zum Oxygenstahl deutlich wurde. Ebenso bedeutsam fiir die Produktentwicklung waren jedoch kontinuierliche Verbesserungen und diskrete Optimierungen, die gleichwohl zu einer sukzessiven Umschichtung der Produktstrukturen beitrugen. Dabei handelte es sich, wie vor allem bei der steigenden Bedeutung des Flachstahls, um langfristige Trends, die zum Teil bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatten und sich in der Nachkriegszeit auf breiterer Basis fortsetzten. 64 Wenn daher im folgenden den Jahren 1960 bis 1975 besondere Beachtung geschenkt werden soll, so ist dies vor allem durch
ll. Einftlhrung Wld Diffusion neuer Technologien Wld Produkte
137
die günstige Datenlage und weniger durch die Periodisierung der einschlägigen Trends begründet. Immerhin fielen auch wesentliche Veränderungen des Produktsortiments der RGW-Stahlbranchen in diesen Zeitraum, so daß eine Einschätzung der zugrundeliegenden Dynamik möglich erscheint. 65 Im Hinblick auf die Produkttrends ist grundsätzlich zu beachten, daß die Eisen- und Stahlunternehmen in diesem Bereich noch weit weniger als bei der Implementierung neuer Verfahrenstechnologien als autonome Akteure zu begreifen sind. Die Aufnahme neuer oder verbesserter Produkte in das Sortiment ist vielmehr als ein interdependenter Prozeß aufzufassen. der die Bedürfnisse der Abnehmer sowie deren strukturelle Zusammensetzung in Rechnung zu stellen hat. Allgemein war somit auf der Produktebene die Harmonisierung der wirtschaftlichen Ziele des Anbieters (Rentabilitätssteigerung, Marktbehauptung, Planerfüllung, technologische Optimierung) mit jenen der Abnehmer (wirtschaftlicher Stahleinsatz, Reduzierung des spezifischen Gewichts, gleichmäßige und ausreichende Qualität der Stahlprodukte) entscheidend für die Durchsetzung neuer oder anderer Eisen- und Stahlerzeugnisse. Zudem stellte die Neukomposition entsprechender Produktstrukturen in weiten Teilen eine Reaktion der Branche auf den strukturellen Wandel in den entwickelten Volkswirtschaften (z.B. größere Bedeutung der Automobilindustrie) und die damit verbundene Neugewichtung des Abnehmerkreises dar. Zumindestens in den entwickeltsten westlichen Industriestaaten resultierte dieser Prozeß der abgestimmten Produktentwicklung in einem Anwendungsbezug, der laut Bünnig u.a. als ,,fertigungstechnischer Verbund" von Stahlerzeugern und verarbeitern bezeichnet wurde: Vor dem Hintergrund der Stahlkrise der siebziger Jahre entwickelten sich auf dem Weltstahlmarkt hiernach Strukturen einer neuen Arbeitsteilung, innerhalb derer die Fertigung von Massenstählen und Standardprodukten zunehmend in Schwellenländern erfolgte, während die Branchen der entwickelten. kapitalistischen Staaten sich zunehmend auf die Erzeugung hochwertiger, "intelligenter" Produkte konzentrierten. Für letztere sei ein enger Kontakt mit den Abnehmern und die Kenntnis ihrer zunehmend differenzierteren Bedürfnisse entscheidend, so daß diese Fühlungsvorteile den entscheidenden Standortfaktor der westlichen Branchen in diesem Marktsegment darstellten. 66 Inwiefern die säkulare Entwicklung hin zu qualitativ hoch-
64 So existierte in den USA etwa bereits 1930 eine Warmbreitbandstraßen-Kapazität von 600.000 tlJahr. Bis 1950 stieg diese auf 1,8 Mio. t an. UNIECE (Hg.), Specific Conswnption ofSteel, S. 38. 65 Siehe hienu auch: M Laschke, Produktivkräfte, Investitionen Wld Produktion, S. 22f. 66 J. Bannig u.a., Moderne Zeiten - alte Branche, S. 22 - 25, 37f, 41f, 50ff. Wienert, Helmut: Längerfiistige Entwicklungstendenzen auf dem Weltstahlmarkt. Bestandsauf-
138
3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
wertigeren Stahlerzeugnissen auch in den sozialistischen Industriestaaten zu beobachten war, soll im folgenden erörtert werden. In diesem Zusammenhang bildete die Gewichtsverlagerung von Profilen (u.a. Form-, Stabstahl, Stahlträger, Draht) hin zu Flachstählen (z.B. Bleche und Bandstahl) nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit die markanteste Veränderung in der Zusammensetzung der Walzstahlerzeugnisse. Von daher ist es möglich, den Anteil der Flachstähle an der Walzstahlproduktion mit gewissen Einschränkungen zur Bestimmung des Modernitätsgrads des Produktsortiments heranzuziehen. Verantwortlich für diese Tendenz war allgemein der dynamische Bedeutungszuwachs der Automobilindustrie, des Chemieanlagenbaus, des Schifibaus, der Produktion dauerhafter Konsumgüter, der Pipelinefertigung sowie der Dosenproduktion. Hinzu trat die partielle Substitution von Profilstählen durch geschweißte Flachstahlkonstruktionen sowie auf der Angebotsseite die durchgreifende Optimierung der Technologie des Warmbreitband-Walzens. 67 Wie angedeutet gilt der Trend der Strukturverschiebung von Profil- zu Flachstählen in erster Linie für die Industrieländer, während der Aufbau eigener Stahlindustrien in den Schwellen- und Entwicklungsländern vorrangig auf den einheimischen Bedarf und damit auf die Erzeugung von Baustählen und leichten Profilen abzielte. In den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wuchs die Produktgruppe "Flachstahl" hingegen bereits während der fünfziger Jahre überdurchschnittlich schnell. Insgesamt steigerte sich hier die Flachstahlerzeugung zwischen 1952 und 1960 um 123,7 %, während die Erzeugung schwerer Profile lediglich um 47,3 % zunahm und sich die Produktion von Eisenbahn-Oberbaumaterial gar rückläufig entwickelte. 68 Einen Überblick über das relative Gewicht des Flachstahlsektors innerhalb der Gesamtproduktion warmgewalzter Stähle bietet Tabelle 31: Danach bildeten die Vereinigten Staaten den Schrittmacher dieser Entwicklung, so daß der Flachstahl die Walzstahlerzeugung der USA bereits 1960 mit einem Anteil
nalune, Perspektiven Wld euuge stahlpolitische Schlußfolgerungen, in: RWIMitteilungen, Jg. 37/38 (1986/87), S. 65 - 84; hier: S. 66. J. Esseru.a., Krisenregulierung, S. 22 - 25. A. Gieseck, Kriserunanagement in der Stahlindustrie, S. 24f. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 113 - 116. UNIECE (Hg.), Specific Consumption ofSteel, S. 37, 42fT, 74 -78,123,156 - 159. 67 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 47, 50f, 102, 113, 116. UNIECE (Hg.), Specific Consumption of Steel, S. 37. J. Esser u.a., Krisenregulierung, S. 22 - 25. J. Bünnig u.a., Moderne Zeiten - alte Branche, S. 11, 43fT. 68 Eigene Berechnungen, Grundlage: Europäische GemeinschaftenIKommission (Hg.), Eisen und Stahl 1952 - 1982, S. 24f. Marcus, HermannlOppenländer, Karlheinz: Eisen- und Stahlindustrie. Strukturelle Probleme und Wachstumschancen, Berlin 1966, S. 48f J. Esser u.a., Krisenregulierung, S. 23f H. Wienert, Die Produktion folgt dem Verbrauch, S. 375fT.
II. Einführung und Diffusion neuer Teclmologien und Produkte
139
von mehr als 65 % prägte. Aufgrund des bereits erreichten hohen Niveaus ging dieser Wert in den Jahren bis 1975 leicht zurück, allerdings ohne die Schwelle von 60 % zu unterschreiten. Im Gegensatz zu den USA entfiel auf die verschiedenen Flachstahlprodukte in Japan und vor allem der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu Beginn der sechziger Jahre ein deutlich geringerer Teil der Walzstahlerzeugung. Allerdings war auch in diesen marktwirtschaftlichen Stahlerzeuger-Staaten im folgenden ein nachhaltiger Bedeutungszuwachs der Flachstähle zu verzeichnen, so daß dessen Produktionsanteile sich bis 1975 jenen der USA annäherten, bzw. diese sogar übertrafen. Tabelle 31 zeigt schließlich auch. daß die Bedeutung des warmgewalzten Flachstahls in den sozialistischen Staaten Osteuropas am geringsten war, so daß hier 1960 lediglich 33 % des gesamten Walzstahls - ungefähr halb so viel wie in den USA - auf diese Produktgruppe entfielen. Bereits in den sechziger Jahren wandelte sich dann jedoch das Produktprogranun auch in den Volkswirtschaften des RGW in Richtung einer Bedeutungszunahme flachgewalzter Produkte. Die relativ größte Zunahme trat dabei zwischen 1960 und 1965 auf, als ihr Anteil auf ca. 37 % anstieg. Diese Entwicklung setzte sich dann mit geringeren Wachstumsraten fort, so daß der Anteil der Flachstahlprodukte bis 1975 auf knapp 42 % anstieg. Im Ergebnis war damit das Produktprogramm der Stahlindustrie des RGW dem Trend in den marktwirtschaftlichen Staaten im Zuge einer nachholenden Entwicklung gefolgt. Nach wie vor war die Bedeutung des Flachstahls hier jedoch wesentlich geringer als in Japan, den USA und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten des RGW wichen von diesen Durchschnittswerten teilweise beträchtlich ab, wobei sich im Zeitverlauf Verschiebungen zwischen diesen ergaben. Besonders bemerkenswert erscheint die Entwicklung in der DDR zu sein, wo sich nach diesen Angaben der Anteil der Flachstahlprodukte zwischen 1960 und 1975 entgegen der allgemeinen Tendenz rückläufig entwickelte. Verschiedene Faktoren wurden auch von westlichen Beobachtern benannt, um die geringere Bedeutung des Flachstahls in den sozialistischen Volkswirtschaften zu erklären: Cooper etwa führte diese für die Sowjetunion auf die Industriestruktur, und damit in erster Linie auf das - im Vergleich mit westlichen Industriestaaten - geringere Gewicht wesentlicher Nachfrager von Flachstahl (Automobilindustrie, Produktion von Haushaltsgeräten und Metalldosen) ZUlÜck. So verwende man in der UdSSR insbesondere einen wesentlich bescheideneren Anteil der Metallerzeugung fiir die Konsumgüterproduktion als in den USA. Darüber hinaus sei jedoch in allen metallverarbeitenden sowjetischen Industriezweigen ein höherer Verbrauch an Profilstahl als in den marktwirtschaftlichen Staaten zu konstatieren, den Cooper mit der größeren Bedeutung der Reparaturarbeiten sowie dem geringen Stellenwert von Stanzund Schweißtechnologien erklärt. Zudem seien die sowjetischen Maschinen
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
häufig vergleichsweise schwer, was einen größeren Bedarf an schweren ProfilstahIprodukten begründe. 69 Einen weiteren entscheidenden Produkttrend bildete im Untersuchungszeitraum die verstärkte Produktion und Anwendung kaltgewalzter Bleche, die als weitetverarbeitete Produkte gegenüber wanngewalztem Flachstahl in vielen Anwendungsbereichen über deutliche Vorteile verfUgen. Das Kaltwalzen ist dabei insbesondere erforderlich, um ein sehr dünnes, qualitativ hochwertiges und ökonomisch verwendbares Material zu erhalten. Durch die Substitution von wann- durch kaltgewalzte Bleche kann etwa der Metallverbrauch um durchschnittlich mehr als 20 % verringert werden. Im Bereich der elektrotechnischen Bleche ermöglicht der Einsatz speziellen kaltgewalzten Materials darüber hinaus eine nicht unwesentliche Energieeinsparung. 70 Trotz dieser technischen und ökonomischen Vorteile bewegte sich die Erzeugung kaltgewalzter Bleche und Streifen in den sozialistischen Planwirtschaften zu Beginn der sechziger Jahre auf einem im internationalen Vergleich niedrigen Niveau (Tab. 32). Mit insgesamt 1,9 Mio. t verblieb die Erzeugung kaltgewalzter Bleche mengenmäßig weit hinter jener der EWG (7,3 Mio. t), der USA (15 Mio. t) aber auch Japans (2,8 Mio. t) zurück. Wenngleich die Datenlage kaum differenziertere Aussagen gestattet, so ist es doch offensichtlich, daß die Erzeugung kaltgewalzter Materialien in den Staaten des RGW während der sechziger und frühen siebziger Jahre deutlich anstieg. Der Umfang der Produktionsausweitung kaltgewalzter Bleche in der Sowjetunion lag dabei deutlich über jenem der EWG, während in den USA sogar ein Produktionsrückgang auftrat. Der deutlichste Produktionsanstieg erfolgte hingegen in Japan. Aufgrund des anfl1nglich enormen Rückstands blieb das absolute Produktionsvolumen der sozialistischen Staaten bei kaltgewalzten Blechen jedoch auch in der Mitte der siebziger Jahre hinter jenem der führenden westlichen Produzenten zurück, während sie diese bei der Produktion kaltgewalzter Streifen übertrafen. Trotz des dortigen Produktionsrückgangs wurden deshalb 1975 in der UdSSR als dem größten sozialistischen Stahlerzeuger immer noch weit weniger kaltgewalzte Bleche erzeugt als in den USA. Die übrigen Planwirtschaften des RGW rangierten dabei deutlich hinter der Sowjetunion, darüber hinaus wurden hier aber auch beispielsweise die Produktionswerte Belgien-Luxemburgs, als eines mittleren westlichen Erzeugers nicht erreicht. Anders als bei wanngewalztem Flachstahl gibt es schließlich deutliche Anhalts-
69 J. Cooper, Iron and Steel, S. 108ff. Die Economic Commission for Europe filhrt zur Erklärung des niedrigen Flachstahlanteils dieselben Faktoren, d.h. vor allem die Dominanz der Investitionsgüterindustrie in den sozialistischen Staaten, an. Siehe: UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 119. 70 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steellndustry, S. 119. J. Cooper, Iron and Steel, S. 115.
ll. Einftlhrung und Diffusion neuer Teclmologien und Produkte
141
punkte, daß dieser Rückstand der sozialistischen Staaten, zumindestens aber der UdSSR, nicht auf eine abweichende Industrie- und Nachfragestruktur, sondern auf technologische Probleme der Kaltwalztechnik, vor allem im Hinblick auf die Regulierung des Blechdurchmessers, zurückzufiihren ist. 71 Ähnliche Entwicklungen in der Produktion neuer und qualitativ höherwertiger Produkte werden auch an den Beispielen Weißblech bzw. galvanisierter Stahl sowie geschweißter Röhren deutlich: Bei der Erzeugung von Weißblech und galvanisiertem Stahl handelt es sich um Verfahren zur Verbesserung des Korrosionswiderstands des Materials, wodurch insbesondere eine erhöhte Lebensdauer der Produkte und verbesserte Gebrauchseigenschaften angestrebt werden. In diesem Bereich war das Erzeugungsniveau innerhalb des sozialistischen Blocks ausgesprochen niedrig und bewegte sich mitunter in zu vernachlässigenden Größenordnungen: In Polen wurden beispielsweise 1960 ganze 6.000 t Weißblech erzeugt, während die Produktion der UdSSR (312.000 t) wesentlich größer war, jedoch beispielsweise deutlich hinter jener Frankreichs (596.000 t) zurückblieb. Zwar wurde auch im RGW die Produktion dieser oberflächenveredelten Blechprodukte während der folgenden Jahre mit teilweise beachtlichen Wachstumsraten gesteigert. Jedoch nahmen sich die bis 1975 erzielten Produktionszahlen im internationalen Vergleich weiterhin sehr bescheiden aus. Aufgrunddessen wurden in der UdSSR inzwischen zwar mehr galvanisierte Bleche als in Frankreich erzeugt, hingegen war die Weißblechproduktion geringer. Vergleicht man hingegen die Werte der So\\jetunion mit dem Out-Put der USA, im Hinblick auf den gesamten Stahl-Output durchaus der adäquate Maßstab, so wird deutlich, daß der Rückstand der UdSSR im Bereich der hochwertigen, oberflächenbehandelten Stahlbleche trotz der unternommenen Anstrengungen noch immer enonn war. 72 Im Hinblick auf die Herstellung von Stahlröhren waren die sozialistischen Staaten hingegen weniger weit von den Produkttrends der fiihrenden kapitalistischen Anbieter entfernt, wie das Beispiel der Herstellung geschweißter Röhren zeigt. Dieses ist insofern entscheidend fiir dieses Marktsegment, als die Röhrenerzeugung während der sechziger und siebziger Jahre von verbesserten Schweißmethoden und in deren Folge einem Vordringen geschweißter gegenüber nahtlosen Röhren charakterisiert war. War der Anteil ersterer in den osteuropäischen Staaten bereits 1960 nicht unbedeutend, so stieg er bis zur Mitte der siebziger Jahre weiter an und erreichte 1975 56,1 %. Wurde in den sozialistischen Staaten folglich mehr als die Hälfte der Röhren auf der Grundlage einer modernen Technik erzeugt, so blieb man damit doch beJ. Cooper, Iron and Steel, S. 110, 115f. UNIECE (Hg.), Specific Consumption ofSteel, S. 64f. J. Cooper, Iron and Stee1, S. 116f. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, Anlage 2, S. 26. 71
72
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
trächtlich hinter Japan und Westeuropa zurück. wo die Marktanteile geschweißter Röhren nahezu die Schwelle von 75 % erreichten. 73 Vergleichsweise günstig scheint die Bilanz der sozialistischen Planwirtschaften hingegen in bezug auf den Trend des wachsenden Anteils von legierten und Qualitätsstählen an der gesamten Stahlproduktion auszufallen. Dies deutet jedenfalls Tabelle 33 an, welche die polnische Produktion legierter Stähle aufzeigt. Danach wurde in Polen 1960 ein ebenso großer Anteil legierter Stähle erschmolzen wie in den USA und Japan. Damit war die Bedeutung der legierten Stähle in Polen größer als in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die relativ große Bedeutung legierter Stähle wurde in Polen im Verlauf der sechziger Jahre weiter ausgebaut, wobei die Erzeugung rascher anstieg als in den USA und der EWG und 1970 in Polen demzufolge ein größerer Teil des Rohstahls legiert wurde. Für die Sowjetunion wird diese Tendenz von Cooper bestätigt, der zudem darauf hinweist, daß die UdSSR im Bereich neu entwickelter Technologien zur Qualitätssteigerung des Stahls in bestimmten Punkten eine führende Position einnahm. Bei diesen Aussagen ist allerdings zu beachten, daß Vergleiche im Segment der Qualitäts- und legierten Stähle lediglich einen eingeschränkten Aussagewert besitzen, da die zugrundeliegenden Normen und Standards international beträchtlich voneinander abweichen. 74 Versucht man, die Entwicklungen, welche anband der bislang diskutierten Fallbeispiele illustriert wurden, zu resümieren, so ergibt sich ein ähnliches Fazit wie bereits im Hinblick auf die Verfahrenstechnik: Die im Untersuchungszeitraum für die entwickelten Marktwirtschaften charakteristischen Tendenzen der Produktentwicklung traten durchgängig auch in den sozialistischen Staaten auf, so daß die Stahlindustrie in sozialistischen und kapitalistischen Industriestaaten prinzipiell ähnliche Wege beschritt. In diesem Sinne existierte im Bereich der Eisen- und Stahlbranche kein eigenständiges, sozialistisches Modell der Produktentwicklung, vielmehr ist der Trend hin zu "intelligenteren" Erzeugnissen (s.o.) und einer Modernisierung des Produktprogramms auch hier feststellbar. Mit Ausnahme der Erzeugung von legierten Stählen setzte dieser Prozeß verglichen mit den Marktwirtschaften jedoch mit einiger zeitlicher Verzögerung ein. Obwohl die seit den sechziger Jahren in vielen Fällen zu beobachtende nachholende Entwicklung in den sozialistischen Volkswirtschaften teilweise rasch verlief, war der Anteil von Flachstählen und 73 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 120. Nach den Angaben von Cooper verlief die Ausbreitung geschweißter Röhren und des Elektroschweißens jedoch in der UdSSR rascher als in den USA. Siehe: J. Cooper, Iron and Steel, S. 112f. 74 UNIECE (Hg.), Specific Consumption of Steel, S. 61f, 67f. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 133 - 140. J. Cooper, Iron and Steel, S. 104 - 108.
1lI.Zu~enfassung
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geschweißten Röhren sowie die Produktion kaltgewalzter und oberflächenveredelter Materialien auch zur Mitte der siebziger Jahre geringer als in den kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Staaten. Teilweise konnten hierfür durchaus rational erscheinende Gründe (abweichende Wirtschafts- und Abnehmerstruktur, technologische Schwierigkeiten) aufgefunden werden, die zudem nicht im Verantwortungsbereich der Stahlindustrien lagen. Darüber hinaus liegt jedoch die Vermutung nahe, daß die verzögerten Entwicklungen auch Resultate des spezifischen, planwirtschaftlichen Anreizsystems darstellten (siehe Teil 2, 11), das über die konkreten Kennziffern häufig die Erzeugung schwerer Produkte prämierte, jedoch in der Regel keinen sonderlich starken Anreiz zur Produktentwicklung, Qualitätssteigerung und Gewichtsreduzierung bot. Schließlich waren die Abnehmer der Stahlindustrie infolge des fehlenden Wettbewerbs konkurrierender Anbieter (siehe Teil 2, 1) in der Regel eben nicht in der Lage, veraltete, zu schwere oder qualitativ ungenügende Produkte durch geeignetere Güter zu substituieren. 75
III. Zusammenfassung Die Zielsetzung dieses Kapitels bestand darin, globale Trends zu rekonstruieren, welche die Stahlindustrie zwischen dem Beginn der fünfziger Jahre und dem Einbruch der Stahlkrise im Jahre 1975 kennzeichneten. Durch dieses Vorgehen wurde insbesondere angestrebt, mit der Branchenentwicklung eine zweite Umweltdimension der Schwarzmetallurgie in der DDR zu erschließen sowie gleichzeitig ein Profil der Stahlindustrie innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe zu skizzieren. Methodisch sollte damit durch eine quantitative Längsschnittbetrachtung entlang der Achsen: Produktion - Verbrauch - Außenhandel - Technologie - Produkte eine deskriptive Systematisierung und ein typisierender Vergleich der strukturellen Entwicklungen in den sozialistischen Staaten und entwickelten, kapitalistischen Marktwirtschaften sowie Schwellen- und Entwicklungsländer erarbeitet werden. Die Betrachtung führte zu dem Ergebnis, daß die grundlegenden Entwicklungslinien in diesen politisch-regionalen Gruppen bei allen Parametern, mitunter sehr deutlich, voneinander abwichen. Darüber hinaus konnte an verschiedenen Punkten nachgewiesen werden, daß diese Abweichungen im Zeitverlauf größer wurden, wobei insbesondere seit den sechziger Jahren unterschiedliche Entwicklungsmuster der Stahlindustrie in sozialistischen und marktwirtschaftlichen Industriestaaten festgestellt wurden. Um die Vielzahl der dabei diskutierten Trends abschließend übersichtlich zusammenfassen zu können, wurde die Darstellungsform der Synopse gewählt (siehe S. 145f). 75
Siehe hierzu auch: J. Cooper, Iron and Steel, S. 111,116.
144
3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
Diese Gegenüberstellung verdeutlicht das spezifische Profil der sozialistischen Stahlindustrien im Untersuchungszeitraum. Zugespitzt war dieses gekennzeichnet durch die Kombination von kontinuierlichen quantitativen Wachstumstendenzen (produktion, Verbrauch), einer vergleichsweise schwachen Integration in den Weltmarkt und deutlichen Defiziten in bezug auf qualitative Parameter (lnnovations- und DiffusionsflUtigkeit, struktureller Wandel des Produktprogramms). In diesem Zusammenhang thematisierten verschiedene Autoren die Frage, ob in bezug auf die sozialistischen Stahlbranchen ein kausaler Zusammenhang von Mengenwachstum und defizitärer Innovationsneigung nachgewiesen kann. Die Antworten auf diese Frage fielen dabei durchaus kontrovers aus: Einerseits wurde argumentiert, die suboptimale Innovativität der sozialistischen Staaten werde zusätzlich darin deutlich, daß in ihrer Stahlindustrie zentrale Neuerungen nur zögerlich durchgesetzt worden seien, obwohl die höheren Wachstumsraten hierfür einen größeren Spielraum als in den westlichen Staaten geboten hätten. Insinuiert wurde dabei folglich eine prinzipiell innovationsfördernde Wirkung des Wachstums. Entgegengehalten wurde dem, in den sozialistischen Staaten hätten die ausgeprägten Wachstumstendenzen und die dynamische Entwicklung der Nachfrage nach Stahl die vorhandenen Kapazitäten derart beansprucht, daß für die Substitution oder Rekonstruktion traditioneller Kapazitäten nur wenig Möglichkeiten bestanden hätten. Der fortdauernde Produktionsanstieg erscheint hier - zumindestens unter den Bedingungen der sozialistischen Planwirtschaft - als ein innovationsretardierender Faktor." Deutlich wird an diesen Stimmen, daß das Verhältnis von Mengenwachstum und Innovation nicht eindeutig, sondern durchaus kontrovers interpretierbar ist. Die Frage nach dem Verhältnis dieser bei den Größen wird daher im folgenden (siehe Teil 4 und 5) erneut aufgegriffen werden.
76 J. Sldma, Verbreitung von hmovationen im internationalen Vergleich, S. 114, 129. Vergleiche hingegen: J. Cooper, Iron and Steel, S. 113. UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, S. 68,204.
ill. Zusammenfassung
145
Obersicht 2 Zentrale Entwicklungstrends der Stahlindustrie zwischen 1950 und 1975 RGW
Entwickelte Marktwirtschaften
Entwicklungs- und Schwellenländer
Produktion
Stetiges, zeitweise dynamisches Wachstwn - wachsender Anteil an der Weltstahlproduktion - von der Krise der 70er Jahre nicht betroffen
Zunächst dynamisches, zyklisch geprllgtes Wachstwn Gewichtsverlagerungen innerhalb dieser Gruppe - Stagnationstendenzen seit dem Beginn der 70er Jahre - rückläufiger Anteil an der WeIterzeugung - starke Auswirkungen der Krise der 70er Jahre
Sehr dynamische Entwicklung auf einem niedrigen Eingangsniveau - zunelunender Anteil an der Weltstahlproduktion - von der Krise der 70er Jahre nicht betroffen
Verbrauch
Zeitweise rasche und gleiclunäßige Ausweitung - wachsender Anteil am WeItstahlverbrauch - seit der 2. Hälfte der 60er Jahre Rückgang der sehr hohen Stahlintensität
Zeitweise rapides Siehe: Produktion zyklisches Wachstwn - nachlassende Dynamik seit dem Ende der 60er Jahre - Verbrauchsrückgang am Beginn der 70er Jahre - Stahlintensität niedriger als im RGW
Handel
Diskontinuierliche Entwicklung - geringe Intensität der Integration in den Weltmarkt - Außenhandelssaldo mit Drittstaaten unbedeutend - abwechselnd Import- und Exportüberschüsse
Intensive Weltmarktintegration - sehr große Exportüberschüsse - starke Abweichung der Außenhandelssalden zwischen den Wirtschaftsblöcken
10 Unger
Intensive Einbindung in den WeItmarkt als sehr bedeutender Nettoimporteur - stetige und sehr rasche Zunabme der Importüberschüsse
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3. Teil: Globale Entwicklungstrends der Stahlindustrie
RGW
Fortsetzung Übersicht 2 Entwickelte Marktwirtschaften
Entwicklungs- und Schwellenländer
Technologie Langsame Diffusion innovativer Schlllsseltechnologien - z. T. bemerkenswerte Modernisierung traditioneller Technologien , Größenwachstwn parallele Investitionen in traditionelle und innovative Verfahren über einen langen Zeitrawn Konsequenzen der Innovationen für die traditionellen Verfahren gering.
Nach anfänglicher Verzögerung dynamische Diffusion innovativer Schlüsseltechnologien seit den sechziger JahrenEntwertung, Stillegung von Kapazitäten auf traditioneller Grundlage
Heterogene Entwicklung - in EinzelfiUlen dynamische Durchsetzung neuer Technologien
Produkte
Durchgreifender Wandel des Produktsortiments - zunehmende Bedeutung von Flachstählen, kaltgewalzten, oberflächenveredelten Produktionslinien
Heterogene Entwicklung - Schwerpunkt Baustähle und leichte Prome
Verzögerung im Hinblick auf die Modernisierung der Pro-
duktstru1ctur - nach-
holende Entwicklung - DefIzite bei Qualitätsprodukten Flachstahlanteil geringer als in den entwickelten Marktwirtschaften
Vierter Teil
Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie von der Gründung der DDR bis zum Abbruch der Wirtschaftsreformen 1970/71 Nach den systemspezifischen Innovationsbedingungen und der globalen Strukturwandlung der Branche wendet sich die Betrachtung nunmehr der historischen Genese der Eisen- und Stahlindustrie der DDR zu. Diese Darstellung wird in zwei Abschnitte gegliedert: Zunächst soll im vierten Teil im Rahmen einer quantitativen Längsschnittbetrachtung an die im vorhergehenden Untersuchungsabschnitt dargelegte Erörterung angeknüpft und die DDRBranche gleichsam anband statistischer Parameter vermessen werden. Das Erkenntnisinteresse gilt hier der strukturellen Entwicklung der Stahlindustrie der Deutschen Demokratischen Republik in der Ära U1bricht. Insbesondere wird dabei die Frage diskutiert, ob und in welchen Dimensionen die dortige Branche dem Entwicklungstyp, wie er für den Gesamtbereich des RGW skizziert wurde, entsprach. Zu diesem Zweck wird das Raster, das in Teil 3 für die WeItbranche entwickelt wurde, auf die ostdeutsche Stahlindustrie angewandt. Sodann soll untersucht werden, ob anband der quantitativen Betrachtung ex post strukturelle Problemfelder der ostdeutschen SchwarzmetaIlurgie deutlich werden. Die Zielsetzung dieses Untersuchungsabschnitts besteht somit darin, analog zu Teil 3 eine historisch angelegte, strukturelle Typologie der Eisenund Stahlindustrie der Deutschen Demokratischen Republik zu bestimmen und damit gleichsam eine Folie für die anschließende qualitative Diskussion der historischen Handlungsverläufe zu erarbeiten. Während sich die Darstellung des strukturellen Wandels der Eisen- und Stahlindustrie auf der WeItebene und in den politisch-regionalen Blöcken auf Daten beschränken konnte, die von verschiedenen internationalen Institutionen publiziert wurden, erwies sich dies für die Stahlindustrie der DDR nur teilweise als realisierbar. Deshalb basiert die folgende Skizze des quantitativstatistischen Profils der Branche in einigen ausgewählten Bereichen auf unveröffentlichtem Datenmaterial, das vor allem im Archiv der früheren Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik in Berlin erhoben wurde. Insbesondere zeigte sich die Recherche unveröffentlichter Daten im Hinblick auf die Parameter: Investitionen, Außenhandel sowie Arbeitsproduktivität als unumgänglich, da in diesen Bereichen keine (verläßlichen) publizierten Daten zu dem untersuchten Zeitraum vorliegen. Insgesamt ermöglichte die Erhebung spezie1-
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4. Teil: Die strukturelle Entwickhmg der Schwarzmetallurgie
ler Datenreihen zu diesen Parametern die Zusammenstellung einer fiir die Zielsetzung dieser Arbeit hinreichenden Datenbasis. Diese beruht von daher auf verschiedenen veröffentlichten und unveröffentlichten Quellen und gestattet es insgesamt. die strukturellen SpezifIka der Branche hinreichend präzise zu bestimmen. Dennoch sind die unterschiedlichen statistischen Angaben je nach ihrer Herkunft keinesfalls kompatibel und kongruent. so daß dieser Längsschnitt nicht den Anspruch erhebt. die quantitative Entwicklung der ostdeutschen Schwarzmetallurgie abschließend behandeln zu können. Dargestellt werden vielmehr lediglich die im Kontext dieser Untersuchung entscheidenden Entwicklungstrends - diese erscheinen jedoch auch auf der Grundlage einer solchermaßen heterogenen Datenbasis relativ eindeutig bestimmbar.
I. Quantitative Entwicklungstrends der Eisen- und Stahlindustrie der DDR 1. Produktion und Investitionen Die Produktionsentwicklung der DDR-Stahlindustrie an Roheisen, Rohstahl und gewalzten Produkten faßt Tabelle 34' zusammen: Diese verdeutlicht recht eindeutig das sehr geringe Erzeugungsvolumen auf allen drei Produktionsstufen. In bezug auf die Rohstahlproduktion kann konstatiert werden, daß diese im Untersuchungszeitraum zu keinem Zeitpunkt einen Anteil von wesentlich mehr als 1 % der Welt-Rohstahlerzeugung ausmachte. Dies vorausgesetzt stieg der Output der Branche allerdings zwischen dem Beginn der fiinfziger und dem Ende der sechziger Jahre deutlich an, so daß schließlich das Eingangs niveau auf allen Produktionsstufen um ein Vielfaches überschritten wurde. Das Produktionswachstum entwickelte allerdings im Zeitverlauf eine sehr unterschiedliche Dynamik, wobei der Zeitraum zwischen 1951 und 1955, also die Periode des ersten Fünfjahrplanes, die mit Abstand höchsten Wachstumsraten aufwies. Die Spitzenposition wurde dabei von der Roheisenproduktion eingenommen, welche in diesem Abschnitt im Jahresdurchschnitt um gut 39 % zunahm. Zwar blieb das Wachstum der Roh- und Walzstahlerzeugung deutlich dahinter zurück, war jedoch dennoch sehr beachtlich. Diese sehr rasche Expansion zu Beginn der Wiederaufbauperiode in der DDR entsprach dabei der Entwicklung im gesamten sozialistischen Wirtschafts raum, wie sie oben dargestellt wurde. Im folgenden wich die Entwicklung des Produktionsvolumens der DDR-Branche allerdings deutlich von der Durchschnittsentwicklung des RGW (s.o.) ab: Zwar wuchs die Erzeugung weiter an, jedoch fIelen , Alle Tabellen dieses Untersuchungsabschnitts befmden sich im Anhang.
I. Quantitative Entwickhmgstrends
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die dabei erzielten Wachstumsraten seit der Mitte der fünfziger Jahre drastisch ab. Galt dies bereits für die zweite Hälfte der fünfziger Jahre, so erlebten die sechziger Jahre eine erneute Abschwächung des Produktionswachstums, wobei der absolute Rückgang der Roheisenproduktion gegen Ende der sechziger Jahre und die zeitweilige Stagnation der Rohstahlproduktion einige Jahre zuvor besonders auffiUlig sind. Damit wuchs die Erzeugung der DDR an Eisen- und Stahlprodukten seit der Mitte der fünfziger Jahre deutlich langsamer als im Durchschnitt des RGW. Insgesamt wurden somit die immensen Wachstumsraten der frühen fünfziger Jahre bis zum Ende der sechziger Jahre nicht wieder erreicht. 2 Bestätigt wird dies auch durch die Ergebnisse der Untersuchung Manfred Melzers, welche die Wachstumsdynamik der Industriezweige der DDR miteinander verglich: Melzers Maßstab bestand dabei in den durchschnittlichen jährlichen Zuwachsraten der Bruttoproduktion zwischen 1950 und 1970. Danach wies die Metallurgie bis 1955 das drittschnellste Wachstum aller Industriezweige der DDR auf, fiel dannjedoch auf Rang 13 zurück und behielt diesen auch bis 1970. Damit wuchs die Bruttoproduktion der Metallurgie deutlich langsamer als der Durchschnitt der Industriebranchen der DDR. 3 Zusammengefaßt entsprach die Eisen- und Stahlindustrie der DDR im Hinblick auf ihre Produktionsentwicklung lediglich bis zur Mitte der fünfziger Jahre dem Entwicklungsmodell des RGW. Die vor allem in den sechziger Jahren feststellbare Wachstumsverlangsamung, gekoppelt mit zeitweiligen Stagnationstendenzen, wich dann allerdings merklich von diesem ab und entwickelte statt dessen eine gewisse Ähnlichkeit mit der Entwicklung in den kapitalistisch2 Dieses Wachstwnsmuster, das anband der Angaben des Statistischen Jahrbuchs der DDR ennittelt wurde, wird auch durch interne Quellen, so etwa durch das als "Vertrauliche Dienstsache" eingestufte ,,Handbuch der Schwarzmetallurgie", bestätigt. Diese Unterlage diente dazu, den Führungskräften der Eisen- und Stahlindustrie einen Überblick über die Entwicklung wesentlicher Kennziffern der Branche zu ennöglichen, diente also einem eher operativen Zweck. Die hier enthaltenen Angaben zur Roh- und Walzstahlerzeugung in der DDR liegen tendenziell über jenen, die in Tab. 34 enthalten sind. Entscheidend ist jedoch, daß sie im Hinblick auf die Periodisierung des Wachstums zu den gleichen Ergebnissen filhren, wie die Daten des "Statistischen Jahrbuchs". Beispielsweise lauten die Angaben des ,,Handbuchs" für die Rohstahlproduktion: 1950: 1257 kt; 1955: 2816 kt; 1960: 3750 kt; 1965: 4313 kt; 1970: 5053 kt. Die Abweichungen zu den Angaben des "Statistischen Jahrbuchs" resultieren dabei sehr wahrscheinlich aus anderen statistischen Erfassungsgrundlage (Einbeziehung von Flüssigstahl für Fonn- und Strangguß). Rationalisierungsbetrieb Leipzig im VEB Zentraler Ingenieurbetrieb der Metallurgie Berlin (Hg.): Handbuch Schwarnnetallurgie. Technischwirtschaftliche Kennziffern, Leipzig, 8.5.1979, BI. 12. 3 Diese KlassifIZierung bezieht sich jedoch auf die metallurgische Industrie insgesamt, schließt also die Erzeugung von Nichteisen-Metallen mit ein. Melzer, Manfred: Anlagevermögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der DDR von 1936 bis 1978 sowie Schätzung des künftigen Angebotspotentials, Berlin (West) 1980, S.74.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwamnetallurgie
marktwirtschaftlichen Staaten. Die am Ende des letzten Teils angedeutete Kontroverse, ob die Innovationsflihigkeit der Branche in den sozialistischen Staaten von der Konzentration auf hohe quantitative Wachstumserfolge beeinträchtigt worden sei, erweist sich deshalb in bezug auf die Schwarzmetallurgie der DDR nach 1955 als irrelevant. Parallel nahmen die Investitionen, welche im Zeitraum zwischen 1955 und 1966 im Bereich der ostdeutschen Stahlindustrie getätigt wurden, einen unstetigen Verlauf, der wenig Ähnlichkeit mit der eigentlich zu erwartenden, planmäßigen Entwicklung aufwies (Tab. 35).4 Infolgedessen läßt die Investitionsentwicklung kaum ein eindeutiges, durchgängiges Muster erkennen, das zur Periodisierung der Branchengeschichte herangezogen werden könnte. Relativ deutlich stiegen die Investitionen im Bereich der Schwarzmetallurgie in den Jahren 1956, 1957, 1959, 1960 - 1962 sowie 1965. In den übrigen Jahren fiel das Wachstum entweder deutlich ab oder aber die Investitionen waren, wie im Extremfall des Jahres 1958, auch absolut rückläufig. Leider setzt die hier zugrunde gelegte Datenreihe erst mit der Mitte der fünfziger Jahre ein. Aus diesem Grund ist zu vermuten, daß der Index der Investitionsentwicklung, der sich auf das Basisjahr 1955 bezieht, insofern ein verzerrtes Bild zeigt, als der säkulare Abfall der Investitionen gegenüber 1953, d.h. dem Jahr der Verlangsamung des schwerindustrielIen Aufbaus (siehe Teil 5), nicht berücksichtigt wird: Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung stiegen die Bruuo-Anlageinvestitionen der (Gesamt-)Metallurgie zwischen 1950 und 1953 von 185 auf 410 Mio. DM, um dann auf 280 (1954) bzw. 240 Mio. DM (1959) abzufallen. s Sind diese Angaben auch nicht mit jenen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik kompatibel, so ergeben sich auf dieser Ebene doch bereits sehr deutliche Anzeichen dafür, daß das Jahr 1953 mit dem Beginn des "Neuen Kurses" eine einschneidende Zäsur für die in der Stahlindustrie verfügbaren Investitionen mit sich brachte, während die Folgejahre bis 4 In Ennangelung durchgängig publizierter Daten mußte sich diese Tabelle auf unveröffentlichte Unterlagen der Staatlichen Zentralverwaltung ft1r Statistik stützen. Die hierzu herangezogenen "Wichtigen Kennziffern der Industrie 1955 bis 1966/67" (klassifIZiert als "Vertrauliche Dienstsache") wurden 1968 von der Abteilung Industrie der "Staatlichen Zentralverwaltung" zusammengestellt, um der 1967/68 in Kraft getretenen neuen statistischen Gliederung der Volkswirtschaft nach Bereichen und Zweigen Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang wurden sämtliche Industriezweige auf die neue Systematik umgestellt, um die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten. Dieser Entstehungszusammenhang der Quelle sowie ihr interner Charakter deuten an, daß die hier enthaltenen Infonnationen eine zufriedenstellende Glaubwürdigkeit besitzen. Staatliche Zentralverwaltung ft1r Statistik, Abteilung Industrie (Hg.): Wichtige Kennziffern der Industrie 1955 bis 1966/67 - langfristige Reihen (SZ 100), Bd. 1, 1968, S. I - V (Archiv-Zugangs-Nr. 4396). S Wochenbericht des Deutschen Instituts ft1r Wirtschaftsforschung, Nr. 3/1962, S. 10. Zitiert nach: M Me/zer, Anlagevennögen, Produktion und Beschäftigung im Gebiet der DDR, S. 171.
I. Quantitative Entwicklungstrends
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1966 von einer uneinheitlichen Entwicklung geprägt wurden. Für die qualitative Betrachtung der Handlungsverläufe auf der Branchenebene führt dies zu der Frage, ob und in welcher Weise diese Struktur von den jeweiligen Akteuren wahrgenommen und bewertet wurde. Die Entwicklung des Kapitalstocks, d.h. des Bruttowerts der Grundmittel, reflektierte diesen Investitionsveriauf, wobei die Aufmerksamkeit darauf zu richten ist, daß trotz der diskontinuierlichen Investitionen der Kapitalstock der Schwarzmetallurgie zwischen 1957 und 1966 nahezu verdoppelt wurde. Gemessen an ihrem Anteil an den gesamten industriellen Grundmitteln der DDR nahm die Branche allerdings in diesem Zeitraum eine untergeordnete Stellung ein, wenngleich ein gewisser Bedeutungszuwachs konstatiert werden kann. Unterstrichen wird letzterer durch vereinzelte Hinweise darauf, daß sich auch ihr Anteil an den gesamten industriellen Investitionen zwischen 1963 und 1966 in einem Aufwärtstrend befand (zu allen Angaben: Tab. 35). Erweitert werden diese Beobachtungen erneut durch die Berechnungen der bereits zitierten Untersuchung Manfred Melzers: Danach nahm das BruttoAnlagevermögen der Gesamtmetallurgie im Fünfjahreszeitraum 1951 bis 1955 jahresdurchschnittlich um 9,8 % zu. Damit war die Metallurgie die Branche der DDR, deren Kapitalstock mit der zweitgrößten Geschwindigkeit, übertroffen lediglich vom Schifibau, ausgeweitet wurde. Im Abschnitt 1956 bis 1960 lag der durchschnittliche jährliche Zuwachs des Brutto-Anlagevermögens der Metallurgie dann jedoch mit 5,3 % unter dem Durchschnitt der Industriebranchen, so daß sie nurmehr den achten Platz belegte. Zwischen 1961 und 1964 fiel die Wachstumsgeschwindigkeit des Kapitalstocks der Branche relativ weiter zurück (5,6 %; Rang: 12), während dann bis 1970 das BruttoAnlagevermögen der Metallurgie mit 6,2 % jahresdurchschnittlich deutlich rascher zunahm und die Metallurgie auf den vierten Rang aller Industriezweige aufrückte. 6 Melzers Befund einer Wachstumsbeschleunigung in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wird durch die Daten in Tabelle 35 zumindestens andeutungsweise bestätigt. Trotz aller infolge der Datenlage gebotenen Einschränkungen erscheint insgesamt die Aussage vertretbar, daß der Investitionsverlauf der Stahlindustrie vor allen Dingen durch Unstetigkeit und wechselnde Dynamik charakterisiert war.
2. Verbrauch und Außenhandel Ähnliches zeigt sich sodann auch bei der Einbeziehung des Stahlverbrauchs der DDR, die wegen der schlechten Datenlage die fünfziger Jahre ausklammern muß: Insgesamt stieg der absolute sichtbare Stahlverbrauch der DDR 6
Ebd., S. 47 - 50.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie
zwischen 1960 und 1970 von 5,9 Mio. auf 9,1 Mio. Tonnen im Jahr an (Tab. 36). Der Eindruck eines bemerkenswerten Wachstums, wird durch die Betrachtung der jährlichen und jahresdurchschnittlichen Wachstumsraten verstärkt. Allerdings ließ die Dynamik in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mit einemjahresdurchschnittlichen Wachstum von 3,77 % nach, wohingegen der Stahlverbrauch in der vorhergehenden Fünfjahresperiode mit 5,29 % noch weit deutlicher angewachsen war. Damit lag die Zunahme des absoluten Stahlverbrauchs deutlich unter jener des RGW insgesamt (s.o.), von dem sich der Wachstumsprozeß in der DDR zudem durch ein zweites Charakteristikum abhob: Die jährlichen Wachstumsraten zeigten hier weit deutlichere Ausschläge als dies bei den planwirtschaftlichen Systemen allgemein beobachtet wurde. Besonders auffällig ist dabei, daß das Volumen des in der DDR verbrauchten Stahls 1963 und 1967 sogar absolut abnahm, woran sich im Folgejahr jeweils eine kräftige Verbrauchsausweitung anschloß. Wie bereits die Stahlerzeugung, so ähnelte auch das Entwicklungsmuster des Stahlverbrauchs der DDR aufgrunddessen stärker dem marktwirtschaftlichen als dem sozialistischen Typus. Mit geringen Abweichungen folgte der spezifische Stahlverbrauch dieser Entwicklung, wobei darauf hinzuweisen ist, daß dieser in der DDR bereits 1960 im internationalen Vergleich ein hohes Niveau erreicht hatte Mit 343 KglEinwohner rangierte die DDR zu diesem Zeitpunkt vor BelgienILuxemburg, Frankreich, der UdSSR, Japan, Polen und Italien. Bis 1970 änderte sich diese Position nur marginal, so daß die DDR in der Rangfolge lediglich von Japan überholt wurde, während nun auch Großbritannien hinter sie zurückgefallen war. 7 Infolge dieses vergleichsweise hohen spezifischen und absoluten Verbrauchs war die Erzeugung der ostdeutschen Stahlindustrie im Untersuchungszeitraum deutlich zu gering, um den inländischen Bedarf zu befriedigen, wie die Entwicklung des Außenhandels (Tab. 37) zeigt: Danach trat die DDR im gesamten Untersuchungszeitraum als ein bedeutender Nettoimporteur von Walzstahlerzeugnissen auf. Betrachtet man zunächst die Ausfuhrseite, so ergibt sich, daß die Walzstahlexporte der DDR während der fünfziger Jahre maximal 14.000 t (1959) betrugen und damit letztlich bedeutungslos blieben. Eine durchgreifende Veränderung ergab sich dann jedoch in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, als die Walzstahlausfuhren mit einem Spitzenwert von 656.000 t (1967) eine völlig neue Größenordnung erreichten. 8 Ein gänz7 Eigene Berechnungen, Gnmdlage: Statistical Office of the United Nations (Hg.), Statistical Yearbook, versch. Jg. Bestätigt wird dies durch die bereits zitierte Studie der Economic Commission for Europe. Siehe: UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, Anlage 2, S. 21. 8 Leider enthalten die in dieser Tabelle zusammengefaßten, letztlich auf den Statistischen Jahrbücher der DDR beruhenden, Daten keine Angaben ft1r die Jahre 1961 bis
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lich anderes Bild bietet hingegen die Importseite. Tendenziell stiegen die Walzstahleinfuhren der DDR sowohl in den fünfziger als auch in den sechziger Jahren an, wobei die jährlichen Wachstumsraten zeitweise beachtliche Ausmaße annahmen. Eine signifIkante Ausnahme bildeten lediglich die Jahre 1961 - 1963, als sich die Zunahme der Importe verlangsamte, bis sich diese schließlich 1963 auch absolut verringerten. Bereits 1964 schloß sich jedoch erneut ein deutlicher Importzuwachs an, der lediglich 1967 unterbrochen wurde. Im Ergebnis der Entwicklung auf der Import- und Exportseite fIel der Außenhandelssaldo der DDR im Walzstahlbereich in jedem in Tabelle 37 enthaltenen Jahr negativ aus, d.h. zur Befriedigung des inländischen Bedarfs erfolgte ein, für den Maßstab der DDR beachtlicher, Nettoimport von Walzstahlerzeugnissen. Trotz des Wachstums der Ausfuhren konnte dieser Importüberschuß zudem bis zum Ende der sechziger Jahre nicht entscheidend verringert werden. Nach den Angaben der Economic Commission for Europe bildete die DDR während der sechziger Jahre daher den mit Abstand bedeutendsten Nettoimporteur von Walzstahl innerhalb des RGW. 9 Darüber hinaus war sie auf den umfangreichen Import von Vorprodukten, wie Stahl halbzeug, Gießereiund insbesondere Stahleisen angewiesen. 10 Wurde bereits auf die große Bedeutung des Intra-Blockhandels innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe hingewiesen, so kam dem Walzstahlaustausch mit den übrigen sozialistischen Staaten auf der Einfuhrseite für die DDR ein besonders großes Gewicht zu (Tab. 38): Zwischen 1963 und 1970 wurde die Importstruktur der DDR in regionaler Hinsicht eindeutig von den Einfuhren aus der UdSSR dominiert, deren Anteil zwischen 85 und 89 % betrug ll . Zwar entwickelte sich dieser leicht rückläufIg, jedoch wurde der Rück1965, in denen offensichtlich ein gewisser Durchbruch auf der Exportseite erfolgt sein muß. Geschlossen werden kann diese Lücke ansatzweise durch (interne) Angaben, welche das Ministerium fi1r Erzbergbau, Metallurgie und Kali 1967 zusammenstellte. Danach exportierte die DDR im Jahre 1960 18,7 kt warmgewalzte Erzeugnisse - es zeigt sich somit sogleich, daß die hier vorgestellten Daten quantitativ nicht exakt mit jenen in Tab. 37 übereinstimmen. Für die folgenden Jahre nennt der Bericht des Ministeriums folgende Exportwerte (incl. zweite Verarbeitungsstufe): 1961: 55,2 kt; 1962: 102,8 kt; 1963: 185,0 kt; 1964: 236,6 kt; 1965: 203,7 kt. Nach diesen Angaben expandierten die Walzstahlexporte spätestens seit 1962 mit beachtlicher Geschwindigkeit, wobei sich die hier deutlich werdende Tendenz zumindestens der Größenordnung nach in Tab. 37 einftlgt. Ministerium Erzbergbau, Metallurgie, Kali: Kennziffern Schwarzmetallurgie, Leipzig, den 31.3.1967. (Vertrauliche Verschlußsache). Landesarchiv Berlin (=LAB (STA)), Rep. 616/Nr. 12, S. 15. 9 UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, Anlage 2, S. 30. 10 Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher fi1r die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg. 11 Nach den Angaben von Eckart hatte die Sowjetunion ihre Bedeutung als Walzstahlimportland ft1r die DDR wahrend der ftlnfziger Jahre durchgehend gesteigert. K. Eckart, Die Eisen- und Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten, S. 226f.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie
gang durch die tendenziell steigenden Importanteile des zweitwichtigstens Bezugslandes, der CSSR, kompensiert. Darüber hinaus besaßen die Walzstahleinfuhren aus Polen einige Bedeutung, wohingegen die Lieferanteile der westeuropäischen Staaten und Japans signifIkant gering blieben. Allerdings ist in den Angaben von Tabelle 38 der innerdeutsche Handel nicht enthalten. Gemessen an den Einfuhren aus den übrigen westlichen Ländern besaß dieser für die Importstruktur der DDR ein vergleichsweise großes Gewicht, so daß aus der Bundesrepublik Walzstahlprodukte in einer ähnlichen Größenordnung wie aus der CSSR importiert wurden. Der innerdeutsche Handel rangierte somit während der sechziger Jahre auf der Importskala der DDR auf Rang 2 bzw. 3. 12 Darüber hinaus ist die Dominanz der sozialistischen Staaten für die schwarzmetallurgische Importstruktur der DDR in einer weiteren Hinsicht zu relativieren: Bei Erzeugnissen der sogenannten ,,11. Verarbeitungsstufe", d.h. besonders hochwertigen Walzstahlprodukten (z.B. Stahlrohre und Kaltband), importierte die DDR einen überdurchschnittlich hohen Anteil aus dem "kapitalistischen Wirtschaftsgebiet": Im Jahre 1960 entftelen auf die marktwirtschaftlich-kapitalistischen Staaten insgesamt 63,9 % des Volumens der Gesamtimporte dieser Produkte in die DDR. Zwar fIel ihr Anteil in den folgenden Jahren ab, jedoch betrug er 1965 immer noch 44,2 % und lag deshalb weit über dem Anteil der westlichen Staaten an den gesamten Walzstahleinfuhren in die DDR. 13 Damit deutet sich an, daß die DDR, wenigstens in den sechziger Jahren, über eine duale Importstruktur in dem Sinne verfügte, daß ihr Bedarf an Massenstahlgütern in den sozialistischen Staaten, der höherwertige Bedarf hingegen durch Importe aus den kapitalistischen Staaten abgedeckt wurde. Eine völlig andersgeartete Regionalstruktur zeigt sich schließlich auf der Ausfuhrseite der Außenhandelsbilanz: So exportierte die Metallurgie der DDR 1954 Produkte im Wert von 16,7 Millionen Mark in das sozialistische Wirtschaftsgebiet, in die kapitalistischen Industrieländer flossen hingegen Exporte im Wert von 53,7 Mio. Mark. Dieses Übergewicht des "nichtsozialistischen Wirtschaftsgebietes" bestand in den Folgejahren fort, wobei die Metallurgie der DDR in keinem Jahr mehr Waren in den sozialistischen als in den kapi-talistischen Staaten absetzte. Obwohl schließlich der Wert der Ausfuhren in die westlichen Volkswirtschaften sich 1966 deutlich rückläuftg entwickelt hatte, dominierten diese mit 303 Mio. Mark weiterhin die Exportstruktur der DDRMetallurgie, während das sozialistische Wirtschaftsgebiet lediglich Güter im
Ebd. Ministeriwn Enbergbau, Metallurgie, Kali: Kennziffern Schwarzmetallurgie, Leipzig, den 31.3.1967. (Vertrauliche Verschlußsache). LAB (STA), Rep. 616/Nr. 12, S.14. 12
13
11. Qualitative Entwicklungstrends
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Wert von 241 Mio. M erhielt. 14 Nach diesen Ergebnissen exportierte die DDR die Erzeugnisse ihrer metallurgischen Industrie vornehmlich in den Westen, während sie ihren Importbedarf an Erzeugnissen der Stahlindustrie mengenmäßig zum ganz überwiegenden Teil im sozialistischen Wirtschaftsgebiet befriedigte. In diesem Sinne verfügte die Eisen- und Stahlindustrie durchaus über relevante Kontakte mit dem Weltmarkt, wobei die hier zitierten Zahlen selbstverständlich keine Anhaltspunkte über die qualitativen Bedingungen der Handelsintegration anbieten können. Vor diesem Hintergrund stieg der Anteil der Exporte an der industriellen Warenproduktion der DDR-Stahlindustrie spätestens seit dem Ende der fünfziger Jahre parallel zu ihrer Volumenausweitung signiftkant an. Ausgehend von einer noch 1958 bescheidenen Ausfuhrquote von 3,3 % entfaltete sich ein kontinuierlicher Anstieg, so daß die Exportquote 1967 schließlich einen Spitzenwert von 19 % erreichte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, daß die Exportquote auf der Produktionsstufe "Hochofen- und Stahlwerke", zumindestens in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, jene der Warm-, Kaltwalzwerke und Ziehereien wesentlich übertraf. Offensichtlich exportierte die DDR relativ mehr vorgelagerte Produkte, während die eigentliche Walzstahlausfuhr schwächer ausgeprägt war. 15
11. Qualitative Entwicklungstrends der Eisen- und Stahlindustrie der DDR Nachdem die Vorstellung der statistischen Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie der DDR sich zunächst den eher quantitativen Parametern zuwandte, gilt es nun, die qualitativen Größen zu thematisieren. Die zugrundeliegende Vorgehensweise lehnt sich dabei aus Gründen der Vergleichbarkeit eng an das in Teil 3 entwickelte Muster an, so daß vor allem die technologische Struktur der Stahlerzeugung, die Durchsetzung der Stranggießtechnologie auf der Ebene der Verfahrenstechnik sowie schließlich die strukturelle Komposition des Walzstahlprogramms in der Produktdimension angesprochen werden. Ergänzt wird dies durch die Diskussion der Arbeitsproduktivität der 14 Diese Angaben, die sich auf die Gesamtmetallurgie beziehen, basieren auf weiteren internen Erhebungen der Staatlichen Zentralverwaltung fllr Statistik. Siehe: Staatliche Zentralverwaltung filr Statistik - Abteilung Industrie (Hg.), Jahreserhebung, versch. Jg. Bestätigt wird dies auch filr die Spätphase der DDR durch folgende Studie: Rheinisch-Westfälisches Institut fllr Wirtschaftsforschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 91- 97. 1S Staatliche Zentralverwaltung filr Statistik, Abteilung Industrie (Hg.), Wichtige Kennziffern der Industrie 1955 bis 1966/67 - langfristige Reihen (SZ 100), Bd. 5, 1968. Staatliche Zentralverwaltung filr Statistik - Abteilung Industrie (Hg.), Jahreserhebung, versch. Jg.
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4. Teil: Die strukturelle EntwicklWlg der Schwarzmetallurgie
ostdeutschen Stahlbranche sowie deren Veränderung im Zeitablauf. Dabei wird sich zeigen, daß im Gegensatz zur bisherigen Diskussion die wesentlichen relevanten Trends hier vergleichsweise eindeutig zu bestimmen sind, wobei die Diskussion der Arbeitsproduktivität eine AusnahmesteIlung einnimmt.
1. Die Produktionstechnologie Im Jahre 1937 entfiel von der Rohstahlkapazität des Deutschen Reichs (ca. 20 Mio. t) ein Anteil von rund 8,5 % auf das Gebiet der späteren DDR Technologisch basierte diese Produktion vornehmlich auf der Siemens-MartinTechnologie, wobei dem Rohstoff Schrott infolge der Nähe zu den Zentren stahlverarbeitender Industriezweige sowie in Ermangelung von verkokbarer Steinkohle und Eisenen ein besondere Bedeutung zukam. 16 Diese technologische Struktur blieb auch für die Stahlindustrie in der DDR prägend, wie Tabelle 39 nachweist: Eindeutig erfolgte der Wiederaufbau der Kapazitäten bis zum Ende des ersten Fünfjahrplanes vor allen Dingen auf der Basis der Siemens-Martin-Technik. Bis 1955 stieg das Volumen des mit diesem Verfahren geschmolzenen Stahls mit der größten Durchschnittsgeschwindigkeit, so daß in diesem Jahr mehr als 80 % des eneugten Stahls Siemens-Martin-Stahl war. Vergleichsweise unbedeutend blieben hingegen - wie in der Vorkri~gszeit - die Thomas- sowie die Elektrostahltechnologie. Die technologische Struktur der Stahlerzeugung, welche sich bis zum Abschluß des ersten Fünfjahrplanes herausgebildet hatte, besaß im folgenden eine ausgesprochene Beharrungskraft, so daß die DDR hier im internationalen Vergleich zunehmend einen Sonderweg beschritt. Insbesondere ist dies daran ablesbar, daß die Dominanz des Siemens-Martin-Verfahrens für die Rohstahleneugung der Deutschen Demokratischen Republik auch am Ende der sechziger Jahre fortbestand: Im Jahre 1967 gestalteten sich die Anteile der drei relevanten Produktionstechnologien (Thomas-/Siemens-Martin-/Elektroverfahren) schließlich ungefähr im Verhältnis 9: 80: 11, so daß sich die Verfahrenstechnologie der Stahlerzeugung in der Branche seit 1955 (12: 80: 8) kaum verändert hatte (Tab. 39). Einzig eine gewisse Positionsverschiebung zwischen der Thomas-Technologie, die seit dem Beginn der sechziger Jahre überwiegend negative Wachstumsraten veneichnete, und dem Elektrostahlverfahren ist feststellbar. Die hegemoniale Position der Siemens-Martin-Technologie wurde hierdurch jedoch nicht tangiert. Weiter stellte diese noch aus dem 19. Jahr-
16 Rheinisch-Westfälisches Institut ftlr WirtschaftsforschWlg, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 12fT. Vgl. K. Eckart, Die Eisen- Wld Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten, S. 27- 33.
11. Qualitative Entwicklungstrends
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hundert stammende Technik auch im Jahre 1970 noch gut 75 % der gesamten Rohstahlproduktion der DDR 17 Zusammenfassend war der ganz überwiegende Teil des Stahls, welchen die DDR im Untersuchungszeitraum herstellte, Siemens-Martin-Stahl. Vor allem aber: Die Innovation und Diffusion der Sauerstoff-Blastechnologie, welche in den sechziger Jahren die Stahlwerkstechnik weltweit revolutionierte (produktionsanteil Welt 1970: 41,1 %), hatte in der DDR nicht stattgefunden. Hier wurde zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt kein Oxygenstahl gefrischt, wodurch die DDR-Schwarzmetallurgie selbst im Vergleich zu den übrigen RGW-Staaten, die insgesamt zu den Nachzüglern der Entwicklung gehörten (s.o.), eine Ausnahmeerscheinung bildete. Noch pointierter formuliert, war die DDR zu Beginn der siebziger Jahre neben Kanada und Ungarn der einzige Industriestaat der Welt, der das neue Produktionsverfahren noch nicht im industriellen Maßstab eingesetzt hatte und statt dessen in dem o.g. Ausmaß Siemens-Martin-Stahl produzierte (Tab. 29). 1974 wurde in der DDR schließlich erstmals in nennenswertem Umfang Stahl mit reinem Sauerstoff gefrischt; seit der ursprünglichen Innovation der Sauerstoff-Autblastechnologie in Österreich waren somit 22 Jahre vergangen, bis diese in der ostdeutschen Stahlindustrie zum Einsatz gelangte. II Nach der überaus späten Innovation des Verfahrens, verlief hier auch dessen anschließende Diffusion vergleichsweise zögerlich. Im Ergebnis wurde der größte Teil des Stahls der DDR 1989 immer noch in Siemens-Martin-Öfen erschmolzen (38,9 %), während auf Oxygenstahl ein Anteil von 30,S % entfiel. 19 Bei der Implementation der bedeutendsten technischen Neuerung, welche die Stahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, ist in der DDR somit die Kombination von später Innovation mit einem langsamen Diffusionsprozeß herauszustellen. Tecpnologisch wurde die Stahlbranche hier bis zum Ende des zweiten deutschen Staates durch das Siemens-Martin-Verfahren charakterisiert. Den Faktoren, die auf der Handlungsebene für diese signifikante Entwicklung verantwortlich waren, soll daher im Rahmen der qualitativen Branchenstudie in Teil 5 nachgegangen werden. Ein abweichender Eindruck ergibt sich hingegen bei der Betrachtung des Stranggießverfahrens, als der zweiten fundamentalen stahltechnologischen Neuerung im Untersuchungszeitraum. Im Hinblick auf die Innovation und Diffusion dieses Verfahrens fällt die Bilanz der DDR-Stahlindustrie weniger auffällig aus, als bei der Neudefinition der technologischen Struktur der Stahl-
17 Rationalisierungshetrieb Leipzig (Hg.), Handbuch Schwamnetallurgie, BI. 14; eigene Berechnung. 11 Ebd., BI. 14. 19 Rheinisch-Westfl1lisches Institut ftlr Wirtschaftsforschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 45, 61f. Zur Gesamtentwicklung siehe auch: K. Eckart, Die Eisen- und Stahlindustrie in den heiden deutschen Staaten, S. 160tT, 185fT.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwanmetallurgie
erzeugung. Zwar ist die Datenlage für die Entwicklung in der DDR in den sechziger Jahren vergleichsweise schlecht (Tab. 30), jedoch kann festgestellt werden, daß hier bis 1968 das Stranggießverfahren noch nicht in der industriellen Produktion eingesetzt worden war. Auch wenn dies im internationalen Vergleich nicht unbedingt singulär war, so hatten doch selbst die meisten RGW-Staaten - wenn auch auf niedrigem Niveau - bis zu diesem Zeitpunkt bereits Stahl im Strang vergossen. Dies änderte sich dann jedoch in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, als die Technologie weltweit in ihre eigentliche Diffusionsphase eintrat. Nunmehr machte auch die DDR-Schwarzmetallurgie Gebrauch von dem innovativen Gießverfahren. der Anteil des Stahls der mit ihm vergossen wurde, stieg merklich an. bis er schließlich 19747,8 % erreichte. War dieser Wert im Vergleich mit dem überwiegenden Teil der westlichen Staaten auch gering, so verlief die Verbreitung der Stranggießtechnik in der DDR doch offensichtlich dynamischer als in den meisten sozialistischen Staaten und als in traditionellen Stahlerzeugerländern wie Belgien und Großbritannien. Im Jahre 1975 erlitt die Verbreitung des Verfahrens ausweislich dieser Daten dann jedoch einen Rückschlag, so daß seine Bedeutung für die gesamte Stahlerzeugung einbrach. Diese auf den Angaben Poznanskis beruhenden Beobachtungen werden durch interne Daten bestätigt. Hiernach rangierte der Anteil der gesamten Rohstahlproduktion, der auf der 1969 im Stahl- und Walzwerk Riesa in Betrieb genommenen Stranggießanlage vergossen wurde, noch 1970 unter 1 %. In den folgenden Jahren wurde er nach diesen Angaben sukzessive gesteigert, bis er schließlich 1975 3,7 % erreichte. Da inzwischen auch die Hennigsdorfer Anlage in Betrieb genommen worden war, erreichte die DDR in jenem Jahr insgesamt eine Stranggußerzeugung von 528.000 t. Dies entsprach einem Anteil von rund 8,1 % an der gesamten Rohstahlproduktion20, der· innerhalb des sozialistischen Blocks lediglich von Ungarn übertroffen wurde (Tab. 30). Der Rückgang des Produktionsanteils, welchen Tabelle 30 für dieses Jahr ausweist, wird somit nicht bestätigt. Insgesamt war der Abstand der Eisen- und Stahlindustrie der DDR zur globalen Entwicklung bei der Innovation und Diffusion des Stranggießens offensichtlich geringer als im Hinblick auf das SauerstoffAufblasverfahren. Darüber hinaus spricht einiges dafür, daß die DDR in bezug auf den Vergleichsmaßstab RGW wahrscheinlich zu den Volkswirtschaften gehörte, welche diese Technik vergleichsweise rasch einführten. Für mögliche qualitative Querschnittsbetrachtungen auf der Betriebsebene erwachsen aus diesen divergenten. im quantitativen Längsschnitt deutlich werdenden, Implementierungsverläufen interessante Vergleichsperspektiven zur Bestim-
20 Rationalisierungsbetrieb Leipzig (Hg.), Handbuch Schwanmetallurgie, BI. 12, 20, 58; eigene Berechnungen.
ll. Qualitative Entwicldungstrends
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mung innovationsbegüDstigender, respektive -retardierender Faktorenbündel innerhalb des Wirtschaftssystems der DDR (siehe auch Teil 6). Nachdem die Frage, inwieweit die innovatorischen Defizite der Stahlindustrie des Rates fiir gegenseitige Wirtschaftshilfe mit einer avancierten Position im Bereich traditioneller Technologien einherging, bereits diskutiert und teilweise positiv beantwortet wurde, soll nunmehr die diesbezügliche Position der DDR-Schwarzmetallurgie anband einiger Angaben skizziert werden. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere auf die Leistungsdaten so\\jetischer Siemens-Martin-Ofen hingewiesen, die auch im internationalen Vergleich als bemerkenswert bezeichnet wurden. Vor dem Hintergrund seiner Bedeutung fiir die Stahlerzeugung der DDR liegt nun die Vermutung nahe, daß die dortigen Siemens-Martin-Ofen einen ähnlich hohen Leistungsstand repräsentierten. Dies wird allerdings durch die vorliegenden internen Daten nicht bestätigt: Danach erreichten beispielsweise die Siemens-Martin-Öfen im Stahl- und Walzwerk Brandenburg folgende Herdflächenleistung (Ausnutzungsgrad als: durchschnittliche Tagesproduktion an Stahl pro qm Herdfläche): 1960: 5,79 t; 1970: 6,68 t; 1975: 7,23 1. Damit lagen sie weit hinter den so\\jetischen Anlagen zurück. Wie bereits angefiihrt lauteten die entsprechenden Werte hier: 1960: 7,69 t; 1970: 9,16 t; 1974: 10,15 1. Noch deutlicher galt dies fiir die Schmelzaggregate im Stahl- und Walzwerk Riesa, die lediglich eine Herdflächenleistung von 1960: 5,98 t; 1970: 7,26 t und schließlich 1975: 6,13 t erreichten. 21 Anband dieser Beispiele wird deutlich, daß die Leistungsfähigkeit der traditionellen Siemens-Martin-Anlagen in der DDR bereits zu Beginn der sechziger Jahre einen Abstand zur so\\jetischen Stahlindustrie aufgewiesen hatte, der bis zur Mitte der siebziger Jahre nicht geschlossen werden konnte. Dem entsprach auch die Größenverteilung der in der DDR betriebenen Hochöfen, wobei der Größe der Anlagen - wie bereits aufgezeigt - eine wesentliche Bedeutung fiir die Leistungsfähigkeit der Roheisenerzeugung zukommt: 1978 verfUgte die Schwarzmetallurgie der DDR über insgesamt neun Hochöfen. Hiervon besaßen die sechs Aggregate in Eisenhüttenstadt einen Nutzinhalt von 800, jene in Unterwellenborn hingegen einen Nutzinhalt von lediglich 500 m3 •22 Damit befanden sie sich nach der Klassifizierung der Economic Commission for Europe allesamt in der untersten Größenklasse (Nutzinhalt unter 1200 m3), wohingegen die größten Hochöfen in der Mitte der siebziger Jahre weltweit ein nutzbares Volumen von mehr als 2800 m3 besaßen. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, daß in den Reihen des RGW zu diesem Zeitpunkt beispielsweise in Polen immerhin 3 und in der CSSR 7 Hochöfen mit einem Nutzinhalt zwischen 1200 und 2000 m3 betrieben wurden. Selbst bei Vernachlässigung der in diesem Bereich fiihrenden UdSSR 21 22
Ebd., BI. 42f; eigene Berechnungen. Ebd., BI. 25.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie
macht der Vergleich der DDR-Schwarzmetallurgie mit größeren sozialistischen Stahlproduzenten mithin deren ungünstige Größenstruktur im Bereich der Roheisenerzeugung deutlich. 23 Insgesamt zeigen diese Daten, daß die These, wonach in der sozialistischen Stahlindustrie die ausgeprägten innovatorischen Defizite mit einer dynamischen Optimierung traditioneller Produktionsverfahren einher gingen, rur die Schwarzmetallurgie in der DDR nur schwerlich bestätigt werden kann. Hier hat es vielmehr den Anschein, daß mit dem zögerlichen Einsatz des Sauerstoff-Blasverfahrens und des Stranggießens lediglich eine mittlere bis niedrige Leistungsflihigkeit ihrer Siemens-Martin- und Hochofentechnik korrespondierte. 24 Angesichts dieser Ergebnisse erscheint die Frage, warum man hier dennoch bis zum Ende der achtziger Jahre an der überkommenen SiemensMartin-Technologie als dem dominierenden Verfahren der Stahlerzeugung festhielt, um so virulenter.
2. Das Produktsortiment Ein weiteres Spezifikum der ostdeutschen Stahlindustrie zeigt sich schließlich an der strukturellen Entwicklung des Produktprogramms der Branche seit den fünfziger Jahren. Wie bereits ausgeführt, war seit den sechziger Jahren auch in den sozialistischen Volkswirtschaften eine Bedeutungszunahme flachgewalzter Produkte gegenüber Profilstählen nachweisbar. Damit schlossen sich diese dem allgemeinen Trend zur Modernisierung der Produktpalette, die im Ergebnis auch hier zu einer - zeitlich versetzten - Neukomposition der Produktstrukturen der Eisen- und Stahlindustrie führte, an. Wie aus Tabelle 31 ablesbar beschritt die DDR in diesem Kontext einen Sonderweg: Noch 1960 wies demnach das Sortiment ihrer Eisen- und Stahl industrie den höchsten Flachstahlanteil unter den Branchen des RGW auf, der gleichwohl deutlich unter dem Niveau der führenden westlichen Staaten blieb. Im Gegensatz zu letzteren entwickelte sich jedoch in der DDR der Anteil der flachgewalzten Stahlprodukte bis 1975 rückläufig, so daß er zu diesem Zeitpunkt nunnehr ca. 32 % betrug und damit den niedrigsten Wert innerhalb des sozialistischen
23
5.
UNIECE (Hg.), Structural Changes in the Iron and Steel Industry, Anlage 2, S. 3 -
24 Die Einschätzung des in der DDR erreichten Leistungsstands im Bereich der Siemens-Martin- und Hochöfen wird durch folgende Beiträge bestätigt: RheinischWestflUisches Institut filr Wirtschaftsforschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 56 59, 62 - 66. Laut dieser Studie konnte alleine der Großhochofen in DuisburgSchweigern am Ende der achtziger Jahre mehr Roheisen produzieren als alle Hochöfen der DDR zusammen. Ebd., S. 56. K. Eckart, Die Eisen- und Stahlindustrie in den beiden deutschen Staaten, S. 129fT, 161.
II. Qualitative Entwicklungstrends
161
Blocks darstellte. Der säkulare Rückgang des Anteils der Flachstähle am gesamten Walzprogramm stellt für diesen Zeitraum international eine bemerkenswerte Ausnahmeerscheinung dar. Differenziertere Angaben zu dieser Frage bietet Tabelle 40. Anzumerken ist hier, daß diese, der in der DDR üblichen Systematik folgend, zwischen "Walzsorteneisen" und "Walzblechen" unterscheidet, wobei ersteres näherungsweise dem Profilstahl, die zweite Gruppe den Flachstählen entsprach. Danach entwickelte sich die Produktstruktur der DDR-Schwarzmetallurgie noch im Abschnitt bis 1955 parallel zum generellen Trend, als die Produktion der verschiedenen Flachstahlerzeugnisse rascher wuchs als die Profilstahlerzeugung und infolgedessen ihren Anteil auf durchschnittlich ca. 41 % steigern konnte. Gleichzeitig markierte jedoch bereits das Jahr 1954 insofern einen Wendepunkt, als sich die Entwicklungsrichtung in den folgenden Jahren umkehrte und nunmehr die Produktion von Profilstählen rascher anwuchs und infolgedessen ihr Gewicht innerhalb der Produktpalette sukzessive zunahm. Somit setzte die bereits angedeutete Sonderentwicklung der Produktstrukturen der ostdeutschen Schwarzmetallurgie bereits zur Mitte der fünfziger Jahre ein, um sich dann in den sechziger Jahren zu beschleunigen, als sich die Produktion von Flachstählen im Zeitraum 1961 - 1965 durchschnittlich mit negativen Wachstumsraten fortentwickelte 2s• Differenziert man diese Ergebnisse weiter, so ergibt sich, daß die Entwicklung auf der Ebene einzelner Produkte sehr stark divergierte. Für den Zeitraum 1950 - 1967 gilt demzufolge: Ein ausgesprochenes Wachstumsprodukt war der Walzdraht, dem mit deutlichem Abstand die Produkte ,,Bandagen und nahtlose Rohre" sowie "Schienen- und Zubehör" folgten. Hingegen stieg die Grobblecherzeugung lediglich mit mittlerer Dynamik, während insbesondere Feinbleche die geringste Zunahme verzeichneten. 26 Beschritt die Stahlindustrie der DDR aufgrund einer im Zeitverlauf sogar noch ansteigenden Dominanz der Profilstähle innerhalb des Walzprogramms einen bemerkenswerten Sonderweg, so gilt dies nicht für die Erhöhung des Qualitätsniveaus als des zweiten säkularen Trends auf der Produktebene: Die Walzstahlerzeugnisse gehobener Qualität wurden dabei in der Nomenklatur 2S Die Angaben in Tabelle 40 werden insofern verzerrt, als die Produktion von Bandstahl - anders als nach der DDR-Nomenklatur - eigentlich dem Flachstahlbereich zuzuordnen ist. Korrigiert man die Daten um diesen Faktor so ergeben sich folgende Werte (Anteil der Produktgruppen an der gesamten Walzstahlerzeugung in %): Walzsorteneisen: 1950: 52,57; 1955: 47,42; 1960: 52,36; 1965: 54,64; 1967: 54,34. Walzbleche: 1950: 43,63; 1955: 46,90; 1960: 41,65; 1965: 38,67; 1967: 36,95. fusgesamt wird der obige Trend auch aufgrund dieser korrigierten Daten bestätigt, da sich lediglich der Abstand zwischen den beiden Produktgruppen verringert. 26 Staatliche Zentralverwaltung filr Statistik (Hg.): Statistische Jahrbücher der DDR 1955 - 1972, Berlin (Ost) versch. Jg.; eigene Berechnungen. 11 Unger
162
4. Teil: Die strukturelle Entwickhmg der Schwarzmetallurgie
der DDR unter dem Sammelbegriff der ,,11. Verarbeitungsstufe" zusarnmengefaßt. 27 Noch im Jahre 1950 belief sich die gesamte Produktion der DDR im Bereich dieser zweiten Verarbeitungsstufe auf bescheidene 75 kt, um dann bis 1960 auf 498 und schließlich 1970 1881 kt anzusteigen. Noch bedeutsamer als die absoluten Zuwächse erscheint die Zunahme des Anteils dieser höherwertigen Produkte an der gesamten Walzstahlproduktion. Dementsprechend wurden im Zeitverlauf9,6 % (1950), 19,1 % (1960) und 55,2 % (1970) der in der DDR produzierten Walzstähle als Güter der zweiten Verarbeitungsstufe klassifiziert. Dabei verlief deren Bedeutungszuwachs in der ersten Hälfte der fünfziger und vor allem in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre am raschesten. Bis 1975 stieg ihr Anteil weiter auf 69,9 % an, so daß die Eisen- und Stahlindustrie auch in der DDR zunehmend höherwertige Güter erzeugte. 21 Im Gegensatz zur strukturellen Zusammensetzung des Produktprogramms ist in bezug auf die qualitativen Tendenzen damit keine Abkoppelung ihres Entwicklungmusters von den globalen Tendenzen feststellbar. Das zeitweilige Bestreben, die Eisen- und Stahlindustrie der DDR auf die Erzeugung hochwertiger Produktlinien zu spezialisieren, stellte im Gegenteil einen der Schwerpunkte der Branchenpolitik im Untersuchungszeitraum dar (siehe Teil 5).
3. Die Arbeitsproduktivität Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 zählte der Stand und die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der Industrie der DDR zu den am intensivsten diskutierten Themen der Wirtschaftsgeschichte des zweiten deutschen Staates. Dabei fragten die diesbezüglichen Untersuchungen vor allem auch, wie sich die ostdeutsche seit 1949 im Verhältnis zur westdeutschen Arbeitsproduktivität entwickelt hatte, um so Anhaltspunkte für die ökonomische Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen, in Deutschland institutionalisierten, Wirtschaftssysteme gewinnen zu können. Eindeutig ist in diesem Zusammenhang die Tendenz, daß die relative Produktivität der DDR mit zunehmendem Kenntnisstand geringer als ursprünglich angenommen veranschlagt wurde. Im 27 Wie bereits am Beispiel der Klassifizierung von Edelstählen angedeutet, läßt die Einstufung eines Erzeugnisses als Qualitätsprodukt prinzipiell einen weiten Bewertungsspielraum, so daß die folgenden Angaben lediglich zur Dlustration der Entwicklungstendenz dienen sollten. Die, sich besonders in den sechziger Jahren intensivierende Diskussion um die zweite Verarbeitungsstufe wird im Rahmen von TeilS thematisiert. 28 Rationalisierungsbetrieb Leipzig (Hg.), Handbuch Schwarzmetallurgie, BI. 12; eigene Berechnungen. Die zweite Verarbeitungsstufe umfaßte nach dieser Statistik folgende Produkte: Stahlrohre (incl. Großrohre), Kaltband, gez. Stahldraht, kaltgewalzte Bleche.
ll. Qualitative Entwicklungstrends
163
Ergebnis ist folgende Tendenz herauszustellen: Bis zum Ende der DDR ging man davon aus, daß das Produktivitätsniveau der Industrie der DDR ungefähr 2/3 des westdeutschen Standes betrug, während diese Schätzungen in den ersten Jahren nach der Wende auf ungefähr 50 % reduziert wurden. In den letzten Jahren wurde demgegenüber die Auffassung vorherrschend, daß die Wertschöpfung pro Beschäftigten im warenproduzierenden Gewerbe der DDR 1989 kaum mehr als 1/3 des westdeutschen Niveaus betragen und damit eine eklatante Produktivitätslücke innerhalb Gesamtdeutschlands bestanden haben dürfte. 29 Ähnlich lautete die Schätzung für die Eisen- und Stah1industrie der DDR, welche das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung 1990 im Auftrag des Bundeswirtschaftsrninisteriums vorlegte. Trotz methodischer Vorbehalte gelangte man zu dem Ergebnis, zwischen der Arbeitsproduktivität der beiden deutschen Stah1branchen habe am Ende der achtziger Jahre ein Verhältnis von 1/2 bis 1/3 bestanden. Die Schwarzmetallurgie der DDR habe damit einen bemerkenswerten Rückstand gegenüber der Bundesrepublik verzeichnet. JO Wenngleich auch im Rahmen dieser Arbeit die relative Arbeitsproduktivität der Eisen- und Stah1industrie der DDR nicht abschließend bestimmt werden kann, so ist es doch möglich, auf der Grundlage unveröffentlichter Daten differenzierende Einblicke zu bieten. Angestrebt wird dabei jedoch vor allem, den in der DDR intern vorhandenen Datenhorizont nachzuvollziehen und durch einen komparativen Ausblick auf die bundesdeutsche Entwicklung zu ergänzen. Die zu diesem Zweck erhobenen Daten faßt Tabelle 41 zusammen, wobei die Produktivitätsangaben in den Spalten 1, 3 und 5 unmittelbar den bereits zitierten "Wichtigen Kennziffern der Industrie 1955 - 1966/7", also nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Unterlagen, entnommen wurden. Hingegen stellen die Spalten 7 und 9 Produktivitätskennziffern dar, die auf Grund der von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik durchgeführten Jahreserhebungen, der "Wichtigen Kennziffern" sowie der Statistischen Jahrbücher der DDR berechnet wurden. Im Gegensatz zu den erstgenannten basieren die beiden letzten Datenreihen nicht auf monetären, sondern auf naturalen Produktivitätsmaßen. Im Ergebnis präsentieren die von der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik für die Jahre 1955 bis 1967 zusammengefaßten Angaben ein deutliches Entwicklungsmuster. Gemessen an den Indexwerten (1955 = 100) stieg die Bruttoproduktion je Arbeiter und Angestellten der Eisen- und Stahlindu-
29 H.-J.
Wagener, Zur Innovationsschwäche der DDR-Wirtschaft, S. 21. Rheinisch-Westililisches Institut fllr Wirtschafts forschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 104. JO
164
4. Teil: Die strukturelle EntwicldWlg der Schwarzmetallurgie
strie bis 1967 auf 153, die Bruttoproduktion je Produktionsarbeiter auf 163. Am deutlichsten wuchs hingegen die Bruttoproduktion der Produktionsarbeiter pro geleistete Arbeitsstunde, die im Jahre 1967 einen Wert von 177 erreichte. Der Tendenz, jedoch nicht dem Ausmaß nach, werden diese Angaben von den eigens berechneten, naturalen Produktivitätsreihen bestätigt, nach denen die Arbeitszeit der Produktionsarbeiter, die zur Produktion einer Tonne Walzstahl benötigt wurde, in diesem Zeitraum auf einen Wert von 62 (Spalte 9; 1955 = 100) abfiel. Insgesamt jedoch ergibt sich damit der Eindruck, daß die Arbeitsproduktivität der DDR-Schwarzmetallurgie bis zur zweiten Hälfte der sechziger Jahre deutlich, jedoch nicht spektakulär gesteigert werden konnte. Darüber hinaus deuten diese Werte darauf hin, daß ihr Anstieg in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre steiler verlief als in den sechziger Jahren, was vor dem Hintergrund der Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre ein überraschendes Ergebnis darstellt. Zusanunengefaßt konnte nach diesen Angaben sukzessive eine höhere Produktivität der Erzeugung erreicht werden, wenngleich der Produktivitätsfortschritt offensichtlich zu keinem Zeitpunkt eine sehr ausgeprägte Dynamik entfaltete. Diese Angaben widersprechen tendenziell den Ergebnissen, welche Manfred Melzer aufgrund publizierter Daten für die Gesamtmetallurgie berechnete. Gemessen an der Bruttoproduktion je Beschäftigten hatte sich die Arbeitsproduktivität der Metallurgie in der DDR nach diesen Angaben bis zum Abschluß des ersten Fünfjahrplanes gegenüber 1950 bereits mehr als verdoppelt. In den Jahren bis 1967 schwächte sich der Produktivitätsfortschritt dann jedoch ab, so daß er in diesem Jahr einen Indexwert von 173 (1955 = 100) erreichte. ll Durch den Vergleich mit den in Tabelle 41 dargestellten Berechnungen (Spalte 1) ergibt sich, daß die Werte Melzers eine überhöhte Steigerung der Arbeitsproduktivität ausweisen. Wenngleich die Datenreihen durch Melzers Einbeziehung der Nichteisen-Metallurgie nicht vollständig kompatibel sind, so zeigt sich doch hier ein Beispiel für die - nicht atypische - Überschätzung des Produktivitätswachstums in der DDR Repräsentieren Produktivitätskennziffem bereits auf nationaler Ebene extrem hochaggregierte, und damit tendenziell prekäre, Größen, so potenziert sich die Problematik, wenn Produktivitätsangaben für internationale Vergleichszwecke herangezogen werden. So sind Produktivitätsvergleiche zwischen Volkswirtschaften stets mit großer Vorsicht zu interpretieren, da u.a. die Input- und Outputstrukturen der verglichenen Industrien erheblich voneinander abweichen und damit die statistische Vergleichbarkeit prinzipiell in Frage
31 M. Melzer, Anlagevennögen, Produktion Wld Beschäftigwtg im Gebiet der DDR, S. 186; eigene BerechnWlgen.
II. Qualitative Entwicklungstrends
165
stellen können. 31 Mit einem weiteren Problem ist der Produktivitätsvergleich schließlich dann konfrontiert. wenn Daten, die unter divergierenden ordnungspolitischen Bedingungen produziert und systematisiert wurden, in Relation zueinander gesetzt werden. Dennoch galt das Interesse der ökonomischen Forschung immer wieder der Beantwortung der Frage, wie hoch die Arbeitsproduktivität der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik ausfiel (s.o.). Über die bisherigen Darlegungen hinaus versuchte Manfred Melzer, den Rückstand der Netto-Arbeitsproduktivität der DDR-Metallurgie gegenüber ihrem westdeutschen Pendant zu quantifizieren. Demzufolge war der Rückstand der ostdeutschen Branche im Jahre 1950 mit einem Wert von 33,5 (BRD = 100) extrem groß. Bis 1953 gelang es der DDR jedoch, diese branchenspezifische Produktivitätslücke deutlich zu verringern (53,7), wohingegen sich der Abstand in den folgenden Jahren erneut vergrößerte. Ein signifikanter Aufholprozeß der DDR-Metallurgie setzte sodann zu Beginn der sechziger Jahre ein, als der Abstand bis 1963 (61,8) verringert werden konnte, um dann erneut aufzureißen. Laut Melzer erreichte die Netto-Arbeitsproduktivität der ostdeutschen Metallurgie schließlich 1970 ca. 47 % des westdeutschen Niveaus. Damit hätte sie am Ende des Untersuchungszeitraumes die Industriebranche der DDR mit der relativ zur Bundesrepublik niedrigsten Arbeitsproduktivität dargestellt. 33 Erscheinen diese Ergebnisse auch in mancher Hinsicht plausibel, so soll doch aufgrund der bereits diskutierten Probleme eines die Systemgrenze überschreitenden Produktivitätsvergleichs, im weiteren auf ihre Überprüfung verzichtet werden. Anstelle eines Vergleichs des jeweiligen Produktivitätsniveaus sollen vielmehr zum Abschluß die Wachstumsraten in Beziehung zueinander gesetzt werden, um die relative Dynamik der beiden Branchen zu skizzieren. Im Interesse der direkten Vergleichbarkeit wurde zu diesem Zweck die Entwicklung der naturalen Arbeitsproduktivität der DDR-Schwarzmetallurgie (rab. 41, Spalte 7) den entsprechenden Werten der bundesdeutschen Stahlindustrie gegenübergestellt. Die Zahlenreihe für die Bundesrepublik wurde aus dem Verhältnis von Walzstahlproduktion und tatsächlich geleisteten Arbeiterstunden nach beteiligten Industriegruppen ermittelt. Verglichen wurde somit die..veränderung der zur Erzeugung einer Tonne Walzstahl in der DDR und der Bundesrepublik nötigen Arbeiterstunden zwischen 1950 und 1967. Ausgehend vom Basisjahr (1955 = 100) konnte die benötigte Arbeitszeit in der DDR wie gesehen bis 1967 auf einen Indexwert von 62 gesenkt werden. Deutlicher fiel der Produktivitätsfortschritt hingegen in der Eisen- und Stahlindu32 Rheinisch-Westfälisches Institut f\.lr Wirtschaftsforschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 104. 33 M. Melzer, AnIagevennögen, Produktion und Beschäftigung im Gebiet der DDR, S.220.
166
4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwarnnetallurgie
strie der Bundesrepublik aus: Hier sank die Zahl der für die Produktion einer Tonne Walzstahl nötigen Arbeiterstunden von 43 auf 21 Stunden; gemessen am Basisjahr 1955 fiel der Index somit auf 49. Nach diesen Berechnungen blieb die Steigerung der Arbeitsproduktivität in der Eisen- und Stahlindustrie der DDR zwischen 1955 und 1967 deutlich hinter der bundesdeutschen Entwicklung zurück, so daß sich in diesem Zeitraum die Produktivitätsschere geöffnet haben dürfte. Der Vergleich der Wachstumsdynamik gestattet somit eine gewisse Relativierung der in der DDR-Branche im Untersuchungszeitraum erzielten Produktivitätszuwächse. 34 Insgesamt ergeben die hier vorgestellten unveröffentlichten Daten zur Arbeitsproduktivität in der DDR-Schwarzmetallurgie einen deutlichen Produktivitätszuwachs für die Periode 1955 bis 1967. Allerdings sind diese Angaben sowie der Vergleich mit der Dynamik der bundesdeutschen Entwicklung im Kontext dieser Untersuchung von eingeschränktem Erkenntniswert. Aufgrund dieser, in der Retrospektive kompilierten, Daten ist die Beantwortung der Frage, ob die Stahlindustrie der DDR zufriedenstellende Produktivitätszuwächse erzielte, insofern kaum zu leisten, als die nachträgliche Definition eines Beurteilungsmaßstabs kaum möglich erscheint. Wenngleich die Produktivität der Branche in der DDR in diesem Zeitraum nach den vorliegenden Statistiken langsamer zunahm als in der Bundesrepublik, so liefert dieser Vergleich doch nur einen sehr eingeschränkten Beurteilungsrahmen: Keinesfalls sollte dieser statistische Vergleich insinuieren, daß die relevanten Akteure über ein Bewußtsein der Rückständigkeit verfügten und damit die Unterlegenheit gegenüber der westdeutschen Eisen- und Stahlindustrie in der DDR selbst überhaupt als Problem begriffen und formuliert wurde. Die hier angesprochene Problematik wirft somit erneut die Frage nach der Perzeption und Beurteilung der Entwicklung der Schwarzmetallurgie durch die zeitgenössischen Akteure und Beobachter selbst auf. Diesen Zusammenhang gilt es deshalb im folgenden Teil 5 für die branchenbezogene Industriepolitik zu diskutieren. Fragt man zusammenfassend nach den Charakteristika der Schwarzmetallurgie der DDR im Zeitraum 1950 bis 1970, so sind nach den bisherigen Erörterungen verschiedene strukturelle Sonderentwicklungen zu betonen. Im Er-
34 Die Problematik dieses Vergleichs wird u.a. dadurch unterstrichen, daß die Produktivitätssteigerung auf der bundesdeutschen Seite deutlich geringer ausfallt, wenn man der Berechnung die verfahrenen Arbeiterstunden nach hauptbeteiligten statt nach beteiligten Industriegruppen zugrundelegt. Zwar stieg die Arbeitsproduktivität auch aufgrund dieser Daten rascher als in der DDR, doch reduziert sich der Abstand in der Wachstumsgeschwindigkeit zwischen den beiden Stahlbranchen. Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.), Statistische Jahrbücher für die Eisen- und Stahlindustrie, versch. Jg.; eigene Berechnungen. Statistisches Bundesamt (Hg.): Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland 1952 - 1971, Wiesbaden versch. Jg.; eigene Berechnungen.
11. Qualitative Entwicklungstrends
167
gebnis unterschieden sich die Entwicklungstrends der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie nicht nur deutlich von jenen der Branchen in marktwirtschaftlieh-kapitalistischen Wirtschaftsordnungen; darüber hinaus konnten vielmehr an verschiedenen Punkten Abweichungen vom Vergleichsmaßstab RGW aufgezeigt werden (siehe Synopse in Teil 3): Grundsätzlich wurde die historische Entwicklung der Stahlbranche in der DDR in mehreren Dimensionen durch einen unstetigen Verlauf, der teilweise zyklischen Charakter annahm, charakterisiert. So konnte nachgewiesen werden, daß die Dynamik der Produktionszuwächse nach 1955 spürbar nachließ und zeitweise sogar stagnierte, was eine Ausnahme im RGW darstellte. Älmliches gilt fiir die Entwicklung der Investitionen und des Stahlverbrauchs, der sich im Untersuchungszeitraum in der DDR wesentlich diskontinuierlicher als im sozialistischen Block insgesamt fortentwickelte. Im Bereich des Außenhandels mit Erzeugnissen der Eisen- und Stahlindustrie bildete die DDR den größten Nettoimporteur des RGW, wobei ihre Außenhandelsbilanz insofern eine duale Struktur aufwies, als vornehmlich aus dem sozialistischen Wirtschaftsraum importiert wurde, während der Großteil der Exporte fiir die westlichen Märkte bestimmt war. Einen besonders ausgeprägten Sonderweg beschritt die DDR schließlich im Bereich der Verfahrenstechnologie, die bis 1989 durch eine Dominanz der Siemens-MartinTechnologie fiir die gesamte Stahlerzeugung charakterisiert war. Dies bedeutete auf der anderen Seite, daß die Innovation und Diffusion der innovativen Sauerstoff-Blastechnik in der DDR selbst verglichen mit den übrigen sozialistischen Staaten mit enormer Verspätung und geringer Geschwindigkeit erfolgte, so daß die Defizite der RGW-Branchen bei der Durchsetzung dieser neuen Technologie in der DDR in potenzierter Form auftraten. Etwas günstiger gestaltete sich die Bilanz in bezug auf die Implementierung des Stranggießens, als der zweiten Schlüsselinnovation der Eisen- und Stahlindustrie im Untersuchungszeitraum, wobei die Dynamik der westlichen Volkswirtschaften auch hier nicht erreicht werden konnte. Mit diesen Defiziten bei der Einfiihrung innovativer Verfahrenstechnologien korrespondierte in der DDR offensichtlich keine besonders ausgeprägte Leistungsfähigkeit der traditionellem Techniken (Hochöfen, Siemens-Martin-Stahlwerke), so daß sich die technologische Struktur als ein gewichtiger Problembereich der Branche abzeichnet. Ein weiteres Spezifikum manifestierte sich schließlich auf der Produktebene, wo der Anteil der flachgewalzten Produkte in der DDR, anders als in den übrigen sozialistischen und kapitalistischen Industriestaaten, seit 1955 rückläufig war. Nach den vorliegenden, unveröffentlichten Daten konnte die Arbeitsproduktivität der ostdeutschen Schwarzmetallurgie zwischen 1955 und 1967 deutlich gesteigert werden, wobei dieser Prozeß allerdings mit sehr großer Wahrscheinlichkeit langsamer als in der bundesdeutschen Branche verlief. Es ist somit davon auszugehen, daß sich im Untersuchungszeitraum die Produktivitätsschere zwischen den beiden deutschen Stahlindustrien öffnete.
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4. Teil: Die strukturelle Entwicklung der Schwarzmetallurgie
Zusammengefaßt führt die quantitative Längsschnittbetrachtung zum Fazit, daß die ostdeutsche Eisen- und Stahlindustrie im Hinblick auf wesentliche Parameter weder dem Typus der sozialistischen noch jenem der kapitalistischen Stahlbranche, wie er oben skizziert wurde, eindeutig entsprach. Weiter zeichnete sich ab, daß die Innovationsleistung der Branche weder durch ein rasches Produktionswachstum noch durch eine ausgeprägte Leistungsflihigkeit der hier eingesetzten traditionellen Technologien behindert wurde, so daß diese, im Rahmen der ökonomischen Diskussion formulierten, Thesen zur Innovationsschwäche zentralgeplanter Volkswirtschaften (s.o.) nur schwerlich Gültigkeit für die ostdeutsche Stahlindustrie beanspruchen können.
Fünfter Teil
Die wirtschafts- und industriepolitischen Weichenstellungen im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie zwischen 1945 und 1971 Konzentrierte sich die bisherige Betrachtung auf die strukturelle Dimension des historischen Wandels der Eisen- und Stahlindustrie der DDR. so leitet der folgende Untersuchungsabschnitt einen entscheidenden Perspektivenwechsel ein: Dessen Gegenstand bildet allgemein die "Stahlpolitik", d.h. die branchenbezogenen Maßnalunen der Wirtschafts- und Industriepolitik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der zuständigen Staatsorgane zwischen 1950 und 1970. Verknüpft ist damit der Übergang von der retrospektiven, quantitativen Rekonstruktion der "objektiven" Branchengeschichte hin zur Darstellung der subjektiv durchsetzten Perzeption der Schwarzmetallurgie durch die historischen Akteure. Zur Diskussion steht damit der Fragenkomplex, wie die Entwicklung der Branche und das damit verbundene Problemranking von den Akteuren unter sich wandelnden historischen Bedingungen wahrgenommen, thematisiert und in ihr Handlungskalkül einbezogen wurde. Im Zusammenhang damit gilt es zu untersuchen, welche strategischen und konzeptionellen Überlegungen und Projektionen aus diesen Wahrnehmungen erwuchsen und wie diese implementiert wurden. Methodisch leitet der Untersuchungsabschnitt auf der Grundlage dieses Erkenntnisinteresses den Perspektivenwechsel von der bislang eingenommen Außenwahrnehmung des Untersuchungsgegenstandes "Schwarzmetallurgie der DDR" hin zur Innenwahrnehmung der Branche und ihrer Entwicklungsprobleme ein. Dies impliziert auch eine veränderte Betrachtungsebene: Wurden bisher im wesentlichen strukturelle Faktoren (das Wirtschaftssystem, die Entwicklung quantitativer Parameter etc.) historisiert, so rucken nunmehr die Handlungsprozesse, -optionen und -rationalitäten der relevanten historischen Akteure der Makroebene in den Fokus der Untersuchung. Insofern, als dieser Teil der Untersuchung sich auf die qualitative, quellenkritisch fundierte Querschnittbetrachtung und die Auswertung archivalischer Quellen stützt, unterscheidet er sich darüber hinaus auch hinsichtlich Bearbeitungsmethode und Materialgrundlage von den vorhergehenden Abschnitten. Aus diesen methodischen Überlegungen resultiert eine im Grundsatz chronologisch angelegte Betrachtung, die zwei Dimensionen sowie die jeweils zugehörigen Fragestellungen umfaßt:
170
5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Dimension 1: Die Schwarzmetal/urgie als Gegenstand der Industriepolitik von Partei und Staat
Prinzipiell ist davon auszugehen, daß der Wirtschaftspolitik der SED und der Organe des sozialistischen Staates insofern eine beträchtliche Bedeutung rur die Entwicklung einzelner Branchen zukam, als die Ökonomie im marxistisch-leninistischen Selbstverständnis als nachrangige Größe der Politik begriffen wurde. Der Untersuchung werden in dieser Dimension folgende Fragestellungen zugrunde gelegt: - Welchen Stellenwert besaß die Branche fiir die Wirtschafts- und Industriepolitik? Welche Aufgaben wurden ihr von dieser zugewiesen? - Welche politischen Zäsuren sind erkennbar? Welche Konsequenzen hatten sie fiir die Eisen- und Stahlindustrie? - Stützte. sich die Wirtschafts- und Industriepolitik auf strategisch ausgerichtete Entwicklungsszenarien? Wurden langfristige Konzeptionen entwickelt und welchen Leitbildern folgten sie? Von welchen Faktoren wurden diese beeinflußt? - Welcher Stellenwert wurde in diesem Kontext dem branchenspezifischen technischen Fortschritt allgemein sowie konkret den technologischen Innovationen und der bestandsbezogenen technologischen Modernisierung beigemessen? - Welche Vorstellungen hatte die Wirtschaftspolitik bezüglich der Branchenorganisation? Wie gestaltete sich in diesem Rahmen die faktische Struktur der Kompetzenzverteilung und der Verfiigungsrechte? Dimension 2: Die Problemwahrnehmung im Rahmen der industriepolitischen Gestaltung der Eisen- und Stahlindustrie
In Anknüpfung an die in Kapitel 4 skizzierte Typologie der Schwarzmetallurgie gilt das Interesse nunmehr der Rekonstruktion des Problembewußtseins der Akteure unter sich wandelnden historischen Konstellationen. Gefragt wird somit nach den Mechanismen und Ergebnissen der internen und zeitgenössischen Problemrezeption. - Welche Problemfaktoren und Defizite der Eisen- und Stahlindustrie nahmen die Industriepolitik und ihre Akteure im historischen Verlauf wahr? Wie wurden diese definiert? - Wie erfolgte die Problemwahmehmung und -definition? Welche Wahrnehmungszentren und -sensoren wurden in diesem Prozeß wirksam? - Über welche Parameter und Aufgriffskriterien wurde der Prozeß der Problemwahmehmung gesteuert?
I. Demontage und proportionaler Neuaufbau
171
- Welchen Stellenwert besaß in diesem Kontext die branchenspezifische Innovations- und Modernisierungsdynamik? Wurde sie als Problem begriffen und welche Zäsuren sind zu konstatieren? - Welche handlungsorientierten, wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen wurden aus der Problemanalyse abgeleitet? In ihrer Gesamtheit strukturieren die systematischen Fragestellungen die chronologische Darstellung der Branchengeschichte. Diese ist insofern hochgradig selektiv, als es im Rahmen der vorliegenden Arbeit unmöglich ist, die Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie für den Untersuchungszeitraum durchgängig zu rekonstruieren und nachzuzeichnen. Infolgedessen wird eine Konzentration auf die entscheidenden Zäsuren, Krisen und Wendepunkte der Branchenpolitik angestrebt. Diese Beschränkung erscheint aufgrund der problemorientierten Zielsetzung insgesamt vertretbar.
I. Demontage und proportionaler Neuautbau der Schwarzmetallurgie bis zum "Neuen Kurs" 1953 Bis zum Ende des zweiten deutschen Staates galt der forcierte Neuaufbau einer eigenen Stahlindustrie in der Wirtschaftsgeschichtsschreibung der DDR als Maßnahme, die einerseits als notwendig zur Sicherung der Existenzgrundlagen des sozialistischen Staates, zum anderen jedoch auch als im wesentlichen erfolgreich bewertet wurde: ,,Korrespondierend mit den entsprechenden hnporten vennochte dieser Zweig im Laufe der 50er Jahre den Bedarf der Volkswirtschaft an schwarzmetallurgischen Erzeugnissen in quantitativer und qualitativer Hinsicht im wesentlichen zu befriedigen. Mit dem Aufbau einer Eisen- und Stahlindustrie war eine wesentliche Voraussetzung filr die plarunäßig proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR entstanden. ,d
Die Sichtweise, der aus der Spaltung Deutschlands gleichsam zwangsläufig resultierenden Entscheidung zur Errichtung einer Schwerindustrie, wurde hingegen von westlichen Autoren mit dem Hinweis auf die Möglichkeiten des internationalen Handels und die Prinzipien der komparativen Vorteile ebenso regelmäßig bestritten. Häufig fiihrten sie diese statt dessen auf die ideologische Fixierung des führenden politischen Personals der DDR auf die Schwerindu-
I U. HartmannIW. Mahlfriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 284. Siehe auch: Schultze, Renate: Der erste Fünfjahrplan. Beginn der Herausbildung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR, in Jahrbuch filr Wirtschaftsgeschichte, 19791llI, S. 49 - 64; hier: S. 57. Roesler, Jörg: Zur Charakteristik der ökonomischen Ergebnisse in der Industrie der DDR im ersten Fünfjahrplan, in: Jahrbuch fUr Wirtschaftsgeschichte, 19761llI, S. 31 - 54; hier: S. 53.
172
5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
strie zurück. 2 Dem Aufbau der ostdeutschen Stahlindustrie bis zur Verkündung des "neuen Kurses" im Jahre 1953 soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei bildet die krisenhafte Zuspitzung des schwerindustrieIl dominierten Aufbauprojekts den Schwerpunkt der Darstellung. Es zeigt sich, daß die beschleunigte Errichtung der Schwarzmetallurgie nicht erst durch die Ereignisse im Umfeld des Aufstands vom 17. Juni 1953 in Frage gestellt wurde, sondern bereits zuvor in eine Krise geraten war, die spätestens seit dem Herbst 1952 manifest wurde.
1. Die Demontage und der Beschluß zum Wiederaufbau bis zur Verkündung des Zweijahrplanes für die Jahre 1949/50 Ais der III. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) im Juli 1950 den ersten Fünfjahrplan (1951 - 1955) der im Vorjahr gegründeten DDR beschloß, hatte die Eisen- und Stahlindustrie in der Nachkriegszeit bereits mehrere Wendungen und Zäsuren erlebt. Das im 1. Fünfjahrplan formulierte schwerindustrielle Wachstumsprojekt knüpfte damit an Entscheidungen an, die noch während der So\\jetischen Besatzungszone getroffen worden waren. Die mit der Gründung der beiden Staaten abgeschlossene Teilung Deutschlands hatte im Hinblick auf die Eisen- und Stahlindustrie grundsätzlich zu ungünstigen Startbedingungen für die SBZ bzw. DDR geführt: Bedingt waren diese zunächst durch die Stellung des mitteldeutschen Territoriums im Gefüge der regionalen Arbeitsteilung des Deutschen Reiches. Infolgedessen hatte Mitteldeutschland innerhalb des Reichsgebietes am Ende der dreißiger Jahre die wohl am intensivsten industrialisierte Region dargestellt; gleichzeitig war es jedoch am stärksten auf interregionale wirtschaftliche Verbindungen und Zulieferungen aus anderen Reichsteilen angewiesen. Dies galt vor allem auch für die Produkte der Eisen- und Stahlindustrie. 3 In Ermangelung eigener Rohstoffvorkommen (verkokbare Steinkohle, Eisenerz) hatte der Anteil der späteren So\\jetischen Besatzungszone an der Roheisenkapazität des Deutschen Reiches im Jahre 1937 lediglich 1,5 % betragen, während er bei der Rohstahlkapazität (8,5 %) größer, wenngleich ebenfalls sehr bescheiden war. Der regionale Stahlbedarf konnte aufgrunddessen bei weitem nicht durch das eigene Aufkommen gedeckt werden. Hingegen war im selben Jahr in den späteren westlichen Besatzungszonen mit 81,8 bzw. 76,1 % der überwiegende Teil der Eisen- und Stahlkapazitäten des Deutschen Reiches konzentriert. Stärker war die Position der mitteldeutschen Region im Bereich der Walz2 A.
3 R.
Ritschl, East Gennan Economic Growth and Decline, 1945 - 89, S. 9. Karlsch, Allein bezahlt, S. 40 - 44.
I. Demontage und proportionaler Neuaufbau
173
stahlerzeugung, wo ihr Anteil an der deutschen Produktion von Blechen immerhin 12 % betrug. Strukturell wurde die mitteldeutsche Stahlindustrie zu diesem Zeitpunkt durch die große Bedeutung der Schrottverarbeitung in Siemens-Martin-Werken (s.o.) sowie der Qualitäts- und Edelstahlerzeugung und schließlich ein differenziertes Walzprogramm geprägt.4 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeichnete sich mit der zunehmend wahrscheinlicher werdenden deutschen Teilung fiir die politisch Verantwortlichen der SBZJDDR somit eine unvollständige Industriestruktur ab. In diesem Rahmen bildete die sehr geringe Ausstattung der Region mit Eisen- und Stahlkapazitäten eine der gravierendsten ,,Disproportionen". Die Umsetzung des strukturellen Sachverhalts in diesbezügliche Handlungen setzte jedoch voraus, daß dieses Speziflkum von den Akteuren tatsächlich als problematisch begriffen, d.h. die Stahlproduktion im eigenen Lande als politisch wünschenswert deflniert wurde, was angesichts der Möglichkeiten des internationalen Austauschs (s.o.) ökonomisch keinesfalls zwangsläufig war. Verstärkt wurden die Defizite Mitteldeutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch einen zweiten Faktor: Bereits im Mai 1945 setzte in der Sowjetischen Besatzungszone die erste Demontagewelle ein. Einen der Schwerpunkte dieser frühen Abbaumaßnahmen bildete die metallurgische Industrie, so daß bis zum Frühjahr 1946 die 15 wichtigsten metallurgischen Werke der SBZ nahezu vollständig demontiert wurden. Ausgenommen blieben lediglich die Maxhütte Unterwellenborn und die Eisenwerke in Thale. Bis zum Herbst 1946 wurden schließlich auch sämtliche kleineren Unternehmen der Stahlerzeugung erfaßt, so daß die ohnehin marginale Branche durch die sowjetische Demontagepolitik ganz erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde: Nach Angaben von Karlsch wurden insgesamt 80 % der metallurgischen Kapazitäten vernichtet, so daß die Bruttoproduktion der Metallurgie im Jahre 1947 nur noch 16,5 % des - wie gezeigt bereits geringen - Standes von 1936 erreichte. Sie war damit der am härtesten von den Demontagen betroffene Industriezweig der Sowjetischen Besatzungszone. s Zu Beginn des Neuaufbaus bestand die gesamte Eisen- und Stahlkapazität der SBZ aus 4 Hochöfen, 4 Thomaskonvertern, 4 Elektroöfen, 3 Siemens-Martin-Öfen sowie Produktionskapazitäten der Sowjetischen Aktiengesellschaften von insgesamt 140.000 Jahrestonnen. 6 Entgegen der Diskussion um die Konsequenzen der Demonta4 Rheinisch-WesttlUisches Institut ftIr Wirtschaftsforschung, Die Stahlindustrie in der DDR, S. 12fI. U. HartmannIW. Mahlfriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 271f. A. Ritschl, East Gennan Economic Growth and Decline, 1945 - 89, S. 10. sR. Karlsch, Allein bezahlt, S. 60f, 75fI, 90. 6 U. HartmannIW. Mahlfriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 275,278. W. MUhlfriedellK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 43 - 46.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen/
gen für die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen der DDR 7 fällt ihre Bilanz für die Stahlindustrie damit vergleichsweise eindeutig aus: Die nach Kriegsende einsetzenden so\\jetischen Abbaumaßnahmen fUhrten hier zur nahezu vollständigen Vernichtung der Eisen- und Stahlindustrie auf dem Territorium der SBZ. Sie verstärkten damit die traditionelle Schwäche der mitteldeutschen Industriestruktur in diesem Bereich. Eigentumsrechtlich wurden die Werke in Unterwellenbom und Thale ab Mitte 1946 in So\\jetische Aktiengesellschaften (SAG) überführt. Hingegen wurden die Restbestände der Stahlwerke Brandenburg, Döhlen, Hennigsdorf, Riesa und Gröditz den Landes- bzw. Provinzialverwaltungen übergeben. 8 Entscheidend für die weitere Entwicklung war es, daß erste Überlegungen zum Wiederaufbau einer eigenen Stahlindustrie der SBZ bereits zu einem Zeitpunkt angestellt wurden, als die Demontage der Produktionsaniagen noch in vollem Gange war: So fanden etwa im November 1945 Verhandlungen über die Wiedererrichtung des demontierten Hennigsdorfer Feinblechwalzwerks statt. 9 Mit der strukturellen Ausrichtung der Eisen- und Stahlerzeugung wurde in dieser Frühphase der Diskussion ein entscheidendes Element für die Perspektive der möglicherweise wiederzuerrichtenden Stahlindustrie thematisiert. Dabei zeigte sich das Bestreben, beim Neuaufbau schwarzmetallurgischer Kapazitäten den Schwerpunkt auf die Erzeugung von Qualitätsstählen zu legen. Dies jedenfalls forderte ein Papier, das im Januar 1946 sehr wahrscheinlich in der Deutschen Zentralverwaltung für Industrie 10 erarbeitet wurde: Infolge fehlender Massenstahlerzeugung müsse man in der So\\jetischen Besatzungszone danach streben, durch ,Verfeinerung' Werte zum Austausch von Mangelprodukten zu erarbeiten. Hingegen sei es ohne weiteres möglich, Massenware,
7 Zur Reparationsproblematik insgesamt siehe: Fisch, Jörg: Reparationen nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1992, S. 104 - 109, 184 - 203. N. Naimark, The Russians in Germany, S. 156 - 162, 166 - 183, 186 - 193. R. Karlsch, Allein bezahlt, S. 9 - 15. 8 R. Karlsch, Allein bezahlt, S. 77. 9 Konrad Kaletsch an Herrn Dr. Kraemer, Leiter der Hauptabteilung Eisen und Metalle, Zentralverwaltung Industrie, Berlin, den 16.11.1945. Bundesarchiv Berlin (im folgenden: BArch), 00 2/Nr. 1516, BI. 166- 168. 10 Auf Befehl der SMAD vom 27.7.1945 erfolgte in der SBZ die Einrichtung von zunächst 11 Zentralverwaltungen, die zwar unter deutscher Leitung standen, jedoch den Fachabteilungen der SMAD unterstellt waren. Nachdem die Zentralverwaltungen zunächst keine Verordnungskompetenzen gegenüber den Länder- und Provinzialverwaltungen besaßen, gingen aufgrund einer Vereinbarung vom 10.2.1947 bestimmte, v.a. wirtschaftspolitische Planungs- und Kontrollfunktionen auf die Zentralverwaltungen über. Die Zentralverwaltungen zeigten bereits früh die Tendenz, sich als zentralstaatliche Leitungsinstanzen zu etablierert A. HerbstIW. Ranke/J. Winkler, So funktionierte die DDR, S. 228f.
I. Demontage und proportionaler Neuautbau
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wie schwere Profile und Grobbleche, zu importieren. ll Die Möglichkeit einer Spezialisierung des Produktprogramms der Eisen- und Stahlindustrie auf höherwertige Erzeugnisse, bei gleichzeitiger Ausnutzung der internationalen Arbeitsteilung, erschien folglich in diesem Stadium noch eine realisierbare Option darzustellen. Auch wenn diese Überlegungen offenbar nicht systematisch weiter verfolgt wurden, klang das Ziel der Qualitätsperspektive der Stahlindustrie selbst im Umfeld der Gründung der DDR noch im Zusammenhang mit Überlegungen zum Neubau des Stahlwerks in Brandenburg an: "Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass erstens die Errichtung eines Massenstahlwerkes im Gebiet der SBZ im Vergleich z.B. zum Ruhrgebiet, keine wirtschaftliche Berechtigung hat, dass zweitens der Bedarf an Sonder- und Qualitätsstählen mit dem Ausbau unserer Maschinenindustrie inuner größer werden wird, und dass drittens durch die Demontage von Qualitätsstahlwerken im Westen im gesamtdeutschen Ralunen gesehen, die Errichtung solcher Werke in der SBZ filr richtig gehalten wird, wird vorgeschlagen, beim Neuautbau von Brandenburg neben der Erzeugung von Massenstählen die Möglichkeit zu schaffen, im o.g. Sinne auch der Erzeuaung von Qualitäts- und Sonderstählen eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben."
Wenngleich im Februar 1946 der erste Hochofen der Sowjetischen Besatzungszone in Unterwellenborn seinen Betrieb aufnahm,13 stand den frühen Wiederaufbaubestrebungen deutscher Stellen zunächst der Widerstand der So\\jetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) entgegen. So stießen diesbezügliche Überlegungen im Herbst 1946 auf die Ablehnung des stellvertretenden Chefs der SMAD, Konstantin Kowal, der die Ingenieure des demontierten Stahlwerks Riesa ausdrücklich davor warnte, ein neues Stahlwerk zu projektieren. Eine Änderung der so\\jetischen Haltung begann sich dann jedoch zu Beginn des Jahres 1947 im Zusammenhang mit einer Besprechung Stalins mit der SED-Führung anzudeuten. Vor allem aber vertieften sich im Verlauf dieses Jahres die Differenzen zwischen der So\\jetunion und den westlichen Alliierten, eine Teilung Deutschlands wurde damit zusehends wahrscheinlicher. Drittens schließlich blieben vereinbarte Stahllieferungen aus den Westzonen aus, was angesichts der nurmehr rudimentären Stahlkapazitä-
11 Zauleck: Die zu erwartende zugelassene Stahlkapazität in der sowjetischen Zone, Berlin, den 15.1.1946. BArch, DG-2INr. 3173. 12 HV MetallurgieIHA Eisenindustrie: Aktennotiz, betr.: Neubau eines Stahlwerkes in Brandenburg, Berlin, den 11.10.1949. BArch, DG-2INr. 3288. 13 Bericht filr die deutsche Zentralverwaltung der Industrie in der Sowjetischen Besatzungszone, Abt. Industrieberatung: Entwicklung der Maximilianshütte im ersten Halbjahr (Abschrift), Unterwellenbom, den 14.8.1946. BArch, DG-2INr. 3173.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
ten der SBZ ein gravierendes Problem für den wirtschaftlichen Aufbau darstellen mußte. 14 Vor diesem Hintergrund erfolgte im Herbst 1947 eine grundlegende Revision der so~etischen Haltung, die den Wiederaufbau der Stahlindustrie in der So~etischen Besatzungszone einleitete. Infolge einer am 10.10.1947 in Riesa durchgeführten Besprechung wies der Stellvertreter des obersten Chefs der SMAD, Kowal, nunmehr die Hauptverwaltung der landeseigenen Betriebe Sachsens und die Direktion der Fabrik für Metallkonstruktionen an, Maßnahmen zur Errichtung eines Stahl- und Walzwerks in Riesa zu ergreifen und dabei die verbliebenen Einrichtungen zu nutzen. Ungefähr zeitgleich erging ein ähnlich lautender Befehl für das Stahlwerk Hennigsdorf. 1S Damit waren im Herbst 1947 die politischen Voraussetzungen für die Remontage der Stahlindustrie in der So~etischen Besatzungszone geschaffen worden. Eine erste Antwort auf die Frage, wie dieser Wiederaufbau erfolgen sollte, gab der Zweijahrplan für die Jahre 1949 und 1950.
2. Der Beginn des planmäßigen Aufbaus der Eisen- und Stahlindustrie im Zweijahrplan und Probleme seiner Realisierung Am 30.6.1948 beschloß der Parteivorstand der SED den Zweijahrplan"zur Wiederherstellung und Entwicklung der Friedenswirtschaft in der so~eti schen Besatzungszone Deutschlands". Dieser Beschluß stand am Anfang der längerfristig orientierten Volkswirtschaftsplanung in der SBZ bzw. DDR. In diesem Zusammenhang faßte er die wesentlichen, bis zu diesem Zeitpunkt getroffenen Entscheidungen zum Aufbau der schwarzmetallurgischen Industrie zusammen und ist damit als eine der fundamentalen wirtschaftspolitischen Weichenstellungen für die Entwicklung der Branche zu betrachten.
Seine Grundlage bildeten im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie jene Konzeptionen, welche die Abteilung für Wirtschaftsfragen bei der Deutschen 14 R. Karlsch, Allein bezahlt, S. 77f, 102ff. hn Hintergrund stehen dabei wahrscheinlich auch sich widersprechende deutschlandpolitische Konzeptionen innerhalb der sowjetischen Führung und der SMAD. Diese bildeten in der Forschung immer wieder den Gegenstand, häufig spekulativer, Diskussionen. Siehe hierzu: N. Naimark, The Russians in Gennany, S. 318 - 351. IS Beschluss der bei dem Stellvertreter des obersten Chefs der SMAD, Genossen Kowal, am 10. Oktober 1947 in der Fabrik ft1r Metallkonstruktionen in Riesa durchgefilhrten Besprechung über die Organisation eines eigenen Stahlwalzwerkes in der Fabrik (Befehl 259 SMAS) (Abschrift), Riesa o. D. BArch, DE-IlNr. 16143, BI Ir. Metallurgie, Stenger, an Herrn Präsidenten Sknypczynski: Bericht über den Aufbau der Hüttenwerke Hennigsdorf und Riesa, o. O. 14.2.1948. BArch, DG-2INr. 3071. U. HarlmannIW. MUhlfn·ede/, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 273.
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Wirtschaftskommission und die zuständigen sowjetischen Besatzungsbehörden im Anschluß an den grundlegenden Wiederaufbaubeschluß vom Herbst 1947 entworfen hatten. 16 Insgesamt wurde der Zweijahrplan für die Jahre 1949 und 1950 von der politischen Zielvorstellung der Konsolidierung und Expansion des volkseigenen Sektors 17 sowie der Überwindung der ökonomischen Folgen der sich immer deutlicher abzeichnenden deutschen Teilung bestimmt. Für die Stahlindustrie formulierte er die Perspektive des forcierten Aufbaus, der in erster Linie mit der Zwangslage der Abtrennung der mitteldeutschen Metallverarbeitung von den Zulieferungen aus dem Ruhrgebiet begründet wurde. Dies bildete ein Element der grundsätzlich postulierten vorrangigen Entwicklung der Schwerindustrie, durch welche es gelte, die industriestruktureIlen Defizite der SBZ zu überwinden. 18 Im einzelnen sah der Beschluß des SED-Vorstands konkrete Investitionen in den Stahl- und Walzwerken Hennigsdorf, Riesa und in der Maxhütte vor. Nachdem bereits der Jahresplan 1948 sehr ehrgeizige Wachstumsvorgaben formuliert hatte, sollte hierdurch die zu diesem Zeitpunkt vorhandene Stahlkapazität mehr als verdoppelt werden und im Jahre 1950 875.000 t erreichen. Im Bereich der Roheisenerzeugung forderte der Zweijahrplan eine Steigerung der Produktion auf 360.000 und für Walzstahl ein Produktionsvolumen von 650.000 t Die übergeordnete wirtschaftspolitische Zielvorgabe, welche die Stahlbranche durch die Realisierung dieses Wachstumsprojekts erfiillen solIte, bestand darin, durch eine möglichst große Produktionsausdehnung das spürbare Defizit bei Stahlerzeugnissen insbesondere in der bedeutenden metallverarbeitenden Industrie zu mildem. Die Entwicklung der Schwarzmetallurgie wurde damit vor dem Hintergrund der - explizit angesprochenen - Schwierigkeiten die Erzeugnisse aus den Westzonen zu beziehen, als ein wesentlicher Engpaß des Wiederaufbaus begriffen. Durch seine Überwindung soIlte die Basis für die ökonomische Konsolidierung der SBZ, gegebenenfalls auch unter den Bedingungen der deutschen Teilung, verbreitert werden. 19 16 U. HartmannIW. MUhlfriede/, Entwicklung' der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 273. Die Deutsche Wirtschaftskonunission war im Juni 1947 auf Befehl der SMAD gegründet worden, wn die wirtschaftlich relevanten deutschen Zentralverwaltungen zu koordinieren und damit die Basis für den Übergang zur gesamtstaatlichen Wirtschaftsplanung zu bilden. Siehe: A. HerbstIW. Ranke/J. Wink/er, So funktionierte die DDR, S. 228f. 17 J. Roes/er, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 5ff. 18 Der Wirtschaftsplan für 1948 und der Zweijahrplan 1949 - 1950 zur Wiederherstellung und Entwicklung der Friedenswirtschaft in der so\\jetischen Besatzungszone Deutschlands, in: Der Deutsche Zweijahrplan für 1949 - 1950. Der Wirtschaftsplan fUr 1948 und der Zweijahrplan 1949 - 1950 zur Wiederherstellung und Entwicklung der Friedenswirtschaft in der so\\jetischen Besatzungszone Deutschlands, Berlin 1948, S. 144 - 197; hier: S. 146, 153f, 164f, 180, 182. 19 Ebd., S. 165, 179f, 183. 12 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Diese Einordnung der Schwarzmetallurgie in die volkswirtschaftliche Wiederaufbaukonzeption wird neben ihren positiven Formulierungen auch durch jene Aussagen charakterisiert, die nicht getroffen wurden: So enthielt der Zweijahrplan für die Schwarzmetallurgie keinerlei Überlegungen für eine Spezialisierung der Branche, welche eine mittel- bis langfristige Perspektive und Orientierungsgröße hätte abgeben können. Die seit 1946 angestellten Überlegungen zur Konzentration der Erzeugung auf hochwertige und Qualitätsprodukte bei HintansteIlung der Massenproduktion wurde somit nicht aufgegriffen. Auch wurden keine Vorgaben für eine technologische Strategie skizziert, auf Forderungen wie technologische Modernisierung oder gar Durchführung von Innovationen wurde im Zweijahrplan verzichtet. 20 Insgesamt wurde damit die 1948 abgeschlossene erste Zielbestimmung der Stahlindustrie von quantitativen ExpansioDSÜberlegungen dominiert, welche den, möglichst proportionalen, Aufbau der Branche als einen wesentlichen Faktor zur Überwindung vorhandener Engpässe begriffen, während auf die Konzipierung qualitativer Perspektiven verzichtet wurde. Offensichtlich war die spätestens mit dem Zweijahrplan getroffene Grundsatzentscheidung, dem Auf- und Ausbau der Schwerindustrie volkswirtschaftliche Priorität zu verleihen, im Vorfeld auch in den Reihen der Planungsbehörde nicht unumstritten gewesen. Jedenfalls fiihlte sich der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), Fritz Selbmann21 , 20 Postuliert wurde lediglich, die ForschWlgsarbeiten auf dem Gebiet des Hüttenwesens Wld zur Substitution des Werkstoffs Stahl zu verstärken. Hingegen sahen die konkreten fuvestitionsmaßnahmen den Einsatz traditioneller Techno1ogien, d.h. v.a. von Siemens-Martin-Ofen, vor. Ebd., S. 179,194. 21 Fritz Selbmann (29.9.1899 - 26.1.1975) zählte während der fUnfziger Jahre zu den prägenden Persönlichkeiten im Bereich der Schwarzmetallurgie der DDR. Selbmann, der während des 1. Weltkriegs als Bergmann im Ruhrgebiet tätig gewesen war, trat 1922 der KPD bei Wld bekleidete in den zwanziger Wld frühen dreißiger Jahren verschiedene FWlktionen in der KPD Wld parlamentarischen fustitutionen. 1930 - 1932 war er Abgeordneter des preußischen Landtags, 1932/3 ebenfalls Reichstagsmitglied. Nach 1945 fimgierte Selbmann, während des Dritten Reichs im Zuchthaus Wld verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, ZWlächst als Minister filr Wirtschaft Wld WirtschaftsplanWlg in Sachsen (1946 - 1948), dann als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission Wld Leiter der HauptverwaltWlg fudustrie (1948/49). Nach der GründWlg der DDR leitete Selbmann verschiedene, in diesem Zeitraum häufig umgebildete, Ministerien im Bereich der fudustrie bzw. Schwerindustrie: 1949/50 Minister filr Industrie, 1950/51 fUr Schwerindustrie, 1951 - 1953 fUr Hüttenwesen Wld Erzbergbau, 1953 - 1955 filr Schwerindustrie. 1955 - 1958 war Selbmann - zeitweise (1954 - 1958) auch Mitglied des ZK der SED - sodann als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats Wld Vorsitzender der Kommission filr fudustrie Wld Verkehr bei dessen Präsidium tätig. 1958 wurde er des ,,Managertums" Wld der UnterstützWlg der "Schirdewan-Wollweber-Fraktion" bezichtigt Wld dennoch im seIben Jahr zum stellvertretenden Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission (Leiter der Abt. BilanzierWlg Wld VerteilWlg der Produktionsmittel) ernannt. Selbmann war schließlich von 1961 - 1964 als stellvertretender Vorsitzender des neu ge-
1. Demontage Wld proportionaler Neuautbau
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noch im August 1949 veranlaßt, diesen Kurs durch die bis dahin erreichten Erfolge nachträglich zu rechtfertigen: ,,Diese FeststellWlg ist außerordentlich wichtig. Als wir den Zweijahrplan diskutierten, gab es Leute, die glaubten, daß sie sowohl klüger als auch sozialer seien als wir, wenn sie forderten, an Stelle des Aufbaues der Grundstoffmdustrie in die erste Reihe den Aufbau der Konsumgüterindustrie zu stellen. Wir haben damals im Kreuzfeuer gestanden. Niemand läßt sich gern den Vorwurf machen, daß er nicht sozial genug ist. Angesichts der schwierigen Lage mit Konsumgütern - ich habe das damals in einer Sitzung des Plenums ausgesprochen - ist es natürlich populärer Wld billiger zu sagen: produzieren wir lieber Schuhe als Eisen- Wld Stahl! Aber damals haben wir gesagt, eine solche Wirtschaftspolitik würde bedeuten, den Versuch zu machen, das Pferd am Schwanze aufzuzäumen oder - wenn ich es anders ausdrükken soll- den zweiten oder dritten Schritt vor dem ersten zu machen. Solche Versuche haben gewöhnlich dazu geftlhrt, daß man auf die Nase fiel. Wir haben WlS also in Wlserer Planpolitik nicht beirren lassen Wld haben das Schwergewicht auf die EntwicklWlg der Grundstoffmdustrie gelegt. ,,22
Trotz der Erfolge, auf die Fritz Selbmann in dieser Rede verweisen konnte, zeigten sich bei der Realisierung des im Zweijahrplan formulierten Aufbauund Wachstumsprojekts der Stahlindustrie erste Probleme, welche sich als charakteristisch für den gesamten Zeitraum bis 1953 erweisen sollten. Betroffen war v.a. die wichtigste Aufgabe, welche die Industriepolitik für die Branche formuliert hatte: Die Überwindung des Mangels der Eisen- und Stahlerzeugnissen in den abnehmenden Branchen und hier v.a. in der metallverarbeitenden Industrie. Rasch deutete sich an, daß die Wachstumsgeschwindigkeit der Schwarzmetallurgie nicht ausreichen würde, um mit den vorgesehenen Mitteln dieses Ziel zu erreichen. Damit rangierte die reale Verfügbarkeit von Produkten der Eisen- und Stahlindustrie, und hier vor allem von Roheisen und -stahl, weiter auf einem vorderen Platz auf der Prioritätenskala der verantwortlichen Akteure. Bereits im Herbst 1949 zeigte sich, daß die Bilanzierung von Stahl angebot und -nachfrage für das Planjahr 1950 Probleme bereiten und die Eisen- und Stahlindustrie der soeben gegründeten DDR erneut nicht in der Lage sein würde, den prognostizierten Bedarf abzudecken. Da dies nur durch außerordentliche Maßnahmen bewerkstelligt werden konnte, plädierte man im, am 12.10.1949 offiziell gegründeten, Ministerium für Industrie für den Neubau gründeten Volkswirtschaftsrates Wld 1963/64 als Leiter der Kommission fUr wissenschaftlich-technische Dienste tätig. Ab 1964 betätigte er sich als freiberuflicher Schriftsteller, wobei er zeitweise das Amt des stellv. Vorsitzenden des Deutschen Schriftstellerverbandes einnahm. Cerny, Jochen (Hg.): Wer war wer - DDR. Ein biographisches Lexikon, 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1992, S. 423. 22 Stenographische Niederschrift des Referats des Stellvertretenden Vorsitzenden der DWK, Herrn Selbmann, auf der Tagwtg der HV Leichtindustrie Wld ihrer VVBen am 1.8.1949: Der Volkswirtschaftsplan 1949/50 Wld die Tendenzen der allgemeinen wirtschaftlichen EntwicklWlg. O. 0., 1.8.1949. BArch, DG-2INr. 1798.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
eines Stahlwerks in Brandenburg zur kurzfristigen Schließung der Engpässe. Kurze Zeit später sah sich der Leiter der Hauptabteilung Metallurgie des Ministeriums für Industrie veranlaßt, den Minister für Planung, Heinrich Rau, auf den zu geringen Umfang der Investitionsmittel, die der Metallurgie 1950 zur Verfügung gestellt werden sollten, aufmerksam zu machen. Sollten diese nicht erhöht werden, so könne es sich in einzelnen Fällen als nötig erweisen, die ursprünglich vorgesehenen Produktionsvorschläge in diesem Bereich zu reduzieren. Des weiteren sei die Realisierung der avisierten Investitionsprojekte der Schwarzmetallurgie durch die unzureichende Materialzuteilung in Frage gestellt. 23 Vor diesem Hintergrund begannen gegen Ende des Jahres 1949 die Arbeiten zur konkreten Vorbereitung des 1. Fünfjahrplans im Bereich der Eisenund Stahlerzeugung. Die dabei entwickelten Varianten unterschieden sich im Hinblick auf das vorgesehene Produktionsvolumen von Roheisen, Roh- und Walzstahl, wohingegen sämtliche Alternativen auf die Nutzung der einheimischen Rohstoffe abzielten. Da die Entscheidung über diese Alternativen nicht unwesentlich von der Beantwortung der Frage abhing, welchen Umfang die möglichen Importe annehmen konnten, dürfte das Entscheidungsklima nachhaltig vom Entschluß der Hohen Kommissare der westlichen Besatzungsmächte vom 8.2.1950 beeinflußt worden sein, der Bundesregierung die vereinbarten Stahllieferungen an die DDR zu untersagen. Im Mai dieses Jahres trat schließlich für den Handel der westlichen Staaten ein Verzeichnis in Kraft, welches die Waren auffiihrte, deren Export in Ostblockstaaten, also auch die DDR. untersagt war. 24 Parallel zu diesen Ereignissen zeigten die im Ministerium für Industrie erstellten Bedarfsprognosen einen weiter anhaltenden Engpaß bei Gütern der Eisen- und Stahlindustrie auf. In einer diesbezüglichen Vorlage vom April 1950 unterstrich die Hauptabteilung Metallurgie nochmals, die Aufgabe der Schwarzmetallurgie müsse es in den nächsten Jahren sein, die eisenverarbeitende Industrie der DDR mit den zur Durchfiihrung der Produktions- und Investitionsaufgaben benötigten Materialien zu versorgen. Die von ihr erarbeitete ,,Marktanalyse" wies jedoch nach. daß die Stahlindustrie dieser Aufgabe in den nächsten Jahren voraussichtlich nicht gerecht werden würde: Dabei ging man davon aus, daß im Jahre 1951 in der DDR ein Walzstahlbedarf von ca. 1,8 Mio. t zu befriedigen sei, dem jedoch - bei Zugrundelegung der für 1950 23 HV Metallurgie/HA Eisenindustrie: Aktennotiz, betr.: Neubau eines Stahlwerkes in Brandenburg, Berlin, den 11.10.1949. BArch, DG-2/Nr. 3288. Ministeriwn ftl.r Industrie/HA Metallurgie/der Leiter, Becker, an den Minister ftl.r Planung, Herrn Rau, betr.: Produktions- und Investitionspläne 1950. O. 0.,22.11.1949. BArch, DE-IlNr. 11112,BI. 1-16. 24 U. HartmannIW. Mahlfriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 273. R. Karlsch, Allein bezahlt, S. 184 - 188.
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geplanten Produktion - lediglich ein Aufkommen von ca. 730.000 t (incl. Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG» gegenüberstehe. Bei Fortschreibung der filr 1950 geplanten Erzeugung ergab sich somit für 1951 ein Walzstahldefizit von ca. 1,1 Mio. t, das im Maßstab der DDR recht beträchtlich war. Insbesondere prognostizierte man in diesem Kontext einen Mangel an Formstahl, Schienen, Stabstahl sowie Feinblechen; ein Überschuß wurde hingegen bei keinem einzigen Walzstahlprodukt erwartet. Insgesamt ging die Hauptabteilung Metallurgie bei ihren Planungen davon aus, daß bereits 1951 in der DDR ein Rohstahlbedarf von rund 3 Millionen Tonnen vorliegen werde. Zwar sah die mittelfristige Planung zu diesem Zeitpunkt eine Reihe von Investitionen zur Überwindung der Defizite vor, darüber hinaus vertrat die zuständige Abteilung des Ministeriums filr Industrie jedoch die Ansicht, zur Befriedigung dieses Bedarfs sei die Errichtung eines Stahlwerks in Brandenburg unabdingbar. Dieses wurde nunmehr (vgl. 0.) als reines Massenstahlwerk konzipiert, ohne daß spezifizierte Anforderungen hinsichtlich seiner technologischen Ausgestaltung formuliert worden wären. Vorgesehen war hier die Errichtung von Siemens-Martin-Öfen und eine Endkapazität von 600.000 jato Rohstahl im Jahre 1951. 2s Unterstrichen wurden die Wachstumsprobleme der Branche und die hieraus politisch abgeleitete Notwendigkeit eines forcierten Aufbaus einer eigenen Eisen- und Stahlindustrie im Verlaufe des Frühjahrs 1950 durch weitere, filr das Ministerium filr Planung bestimmte, Ausarbeitungen. Als entscheidender Engpaß begann sich die Verfiigbarheit von Roheisen und Schrott bemerkbar zu machen. Dabei zeichnete sich immer deutlicher die Tendenz ab, zu seiner Überwindung die in der DDR selbst vorhandenen Rohstoffe auszunutzen, um die Schwierigkeiten bei der Einfuhr dieser Erzeugnisse zu umgehen. Gleichzeitig wurde nun zur besseren Ausnutzung der Kapazitäten, zur Einsparung von Brennstoffen sowie zur Steigerung der Arbeitsproduktivität aufgerufen und auch nachdrücklicher die technische Optimierung der vorhandenen Betriebe gefordert. 26 Im Mai wies ein, wahrscheinlich aus dem Ministerium für Industrie stammendes, Papier nachdrücklich auf die Notwendigkeit hin, die Forschungsarbeiten zur Verwendung von einheimischen, minderwertigen Erzen und von Braunkohle zur Roheisenerzeugung voranzutreiben. Die parallel diskutierte Option, ein neues Hüttenwerk zur konventionellen Roheisenproduktion im Hochofen zu errichten, wurde hingegen mit folgenden Argumenten zurückgewiesen: 2S HA Metallurgie, Dr.-Ing. Kraemer (i. V. des Leiters): Volkswirtschaftlichtechnische Begründung der grösseren Investitionsvorhaben 1950 der Metallurgie, Berlin, den 18.4.1950. BArch, DE-l/Nr. 1604, BI. 177 -198. 26 Zauleck an das Ministeriwn für Planung/Zentrales PlanungsamtlAbt. Metallurgie: Analyse zu den Kontrollziffern der Produktion und Investition 1951 - 1955, Berlin, den 8.6.1950. BArch, DE-l/Nr. 276, BI. 109 - 112.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
,,Die weitere Möglichkeit, Roheisen durch Neubau eines Hochofenwerkes zu erzeugen, ist kein technisches Problem. Volkswirtschaftliche Wld politische Probleme bestimmen hier die EntscheidWlg. Der Import von Koks Wld Erz ist volkswirtschaftlich nicht vertretbar, ganz abgesehen von der nicht geklärten Frage woher (sie! st. U.) Erz Wld Koks kommen sollen. Polen Wld die CSR bauen ihre Hüttenindustrie erheblich aus Wld werden wahrscheinlich nicht genügend Koks filr einen zusätzlichen Export übrig haben. Erz kann ausser Schweden nur die SU liefern. Bei Wiederherstellen der Einheit Deutschlands hat das Hüttenwerk ausserdem einen völlig falschen Standort. Die Frage kann m. E. nur so beantwortet werden: Wir bauen ein Hochofenwerk filr die SU oder China, die dadurch in die Lage versetzt werden, uns das benötigte Roheisen zu liefern ...27
Die hier benannten Handlungsbeschränkungen in bezug auf die Möglichkeiten zum Import der benötigten Rohstoffe verdeutlichen nochmals das Klima, in welchem die grundlegenden Weichenstellungen zum beschleunigten Ausbau der Schwanmetallurgie in der DDR erfolgten. Allerdings bildete die hier noch als volkswirtschaftlich unvertretbar bezeichnete Option, ein auf dem Rohstoffimport basierendes Hüttenwerk zu errichten, eine der zentralen Maßnahmen des l. Fünfjahrplans der DDR. 3. Die forcierte Expansion der Schwarzmetallurgie im Zuge des 1. Fünfjahrplans für die Jahre 1951 - 1955 Diese Entwicklungen bildeten den Hintergrund, als die Delegierten des III. Parteitages der SED, der vom 20. bis zum 24. Juli 1950 in Berlin tagte, den vom Zentralkomitee (ZK) vorgelegten Entwurf des Fünfjahrplanes für die Jahre 1951 bis 1955 beschlossen. Indem die SED sich mit diesem Schritt der Aufstellung mittelfristiger Wirtschaftspläne, wie sie in einigen osteuropäischen Staaten bereits im Vorjahr vorgelegt worden waren, anschloß, war die Entscheidung über die Einführung der Planwirtschaft sowjetischer Provenienz in der DDR endgültig gefallen. Gleichzeitig galt der erste Fünfjahrplan der DDR der westlichen Forschung als paradigmatisches Beispiel für die - aus der vorherrschenden Stalinschen Wachstumsdoktrin und den Unwägbarkeiten des Außenhandels - erwachsenden Orientierung der SED am vorrangigen Ausbau der Schwerindustrie bei Vernachlässigung der Konsumgüterproduktion. 28 Tatsächlich setzte der Fünfjahrplan die Wachstumsvorgaben, die bereits der Zweijahrplan für die Schwarzmetallurgie formulierte hatte, fort, wobei jedoch die Wachstumsziele nunmehr deutlich ehrgeiziger ausfielen. Insgesamt konstatierten die Delegierten des III. SED-Parteitags den erfolgreichen und vor27 Zauleck an Herrn Minister Rau, betr.: EntwicklWlg der Hüttenindustrie, o. 0., 29.5.1950. BArch, DE-1/Nr. 15704, BI. 160 - 162. 28 K. Thalheim, Die Wirtschaft der So\\jetzone in Krise Wld Umbau, S. 16. Staritz, Dietrich: Geschichte der DDR 1949 - 1985, Frankfurt/Main 1985, S. 39 - 50.
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fristigen Abschluß des Zweijahrplans. Allerdings sei es im Steinkohlenbergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie bislang nicht möglich gewesen, den Vorkriegsstand der Produktion zu erreichen. 29 Der auf dieser Grundlage beschlossene Fünfjahrplan sah als wesentliche Aufgabe für den Zeitraum bis 1955 die Verdoppelung der Industrieproduktion gegenüber dem Jahr 1936, und damit eine Steigerung auf 190 % des Standes von 1950 vor. Stellte dies bereits ein sehr ambitioniertes Vorhaben dar, so sollte die metallurgische Industrie in diesem Zeitraum überdurchschnittlich wachsen: Neben der Energiewirtschaft, der Brennstoffindustrie, dem Maschinenbau sowie der für den Export produzierenden Unternehmen bildete diese einen der Schwerpunkte des Fünfjahrplanes, ihr wurde die Funktion zugewiesen, die Disproportionen der Industriestruktur zu beseitigen, um die Entwicklung der Industrie und den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung zu sichern. Zu diesem Zweck sollte die Erzeugung der Metallurgie mehr als verdoppelt und im Zeitraum bis 1955 auf einen Stand von 237 % angehoben werden. Leicht übertroffen wurde dies lediglich von der Feinmechanik und Optik (239 %). Noch wesentlich stärker fiel das postulierte Wachstum bei den einzelnen Produkten der Eisen- und Stahlindustrie aus, es betrug bei Roheisen 373 %, bei Rohstahl in Blöcken 312 % und schließlich bei Walzstahl 299 %.30 Der Fünfjahrplan reflektierte mit diesen ausgesprochen ambitionierten Wachstumsvorhaben für Roheisen und -stahl die sich 1950 zunehmend manifestierenden Engpässe bei diesen Produkten. Das wirtschaftspolitische Ziel, welches es mit diesem, teilweise enormen Wachstumsziffern zu erreichen galt, formulierte der Fünfjahrplan ähnlich wie der vorangegangene Zweijahrplan. Der Ausbau der Metallurgie der DDR wurde als nötig erachtet, um die Grundlage für die Entwicklung der metallverarbeitenden Industrie abzusichern und auszudehnen. In diesem Sinne formulierte der Fünfjahrplan die AufgabensteIlung folgendermaßen: ,,Rekonstruktion und Entwicklung der Metallurgie auf dem Gebiete der Roheisen-, Stahl- und Walzmaterialerzeugung in einem Umfang, welcher die maximale Versorgung des Maschinenbaus mit Metallen aus eigenem Aufkommen sichert.,,31
Dem lag eine skeptische Beurteilung der Möglichkeiten, die benötigten Eisen- und Stahlerzeugnisse durch die Einfuhr und die Integration in internationale Handelsbeziehungen generell verfügbar machen zu können, zugrunde: 29
148.
W. MUhlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S.
30 Der Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (1951 - 1955), in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Partei vorstandes, des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. m, Berlin (Ost) 1952, S. 131 161; hier: S. 131 - 135. 31 Ebd., S. 133.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Auch in seiner allgemeinen Tendenz war der Fünfjahrplan. der vom III. SEDParteitag beschlossen wurde, von einer außenhandelsskeptischen bis autarkistischen Grundhaltung geprägt. So wurde die eigene Produktion der DDR explizit als wichtigstes Instrument der Versorgung der Volkswirtschaft mit Brennstoffen, Metallen, Ausrüstungen, Nahrungsmitteln und Industriewaren bezeichnet. Konsequenterweise wurde gefordert, die Materialbilanzen müßten eine möglichst minimale Einfuhr von Waren aus dem Ausland vorsehen. Im Rahmen dieses Kurses kam der metallurgischen Industrie eine Schlüsselposition zu: Wenngleich die vollständige Eliminierung der Stahlimporte nicht proklamiert wurde, so galt es doch, die Produktion möglichst extensiv auszudehnen, um die Außenhandelsabhängigkeit zu minimieren. 32 Vor diesem Hintergrund bildete die Hüttenindustrie einen der Investitionsschwerpunkte des 1. Fünfjahrplanes, wobei ihre Investitionen gegenüber dem Zweijahrplan deutlich gesteigert wurden: Um die vorgesehenen Produktionszuwächse zu erreichen, sei es notwendig, fünf metallurgische Betriebe mit einer Produktionsleistung von 2 Mio. t Rohstahl im Jahr wiederherzustellen. Zudem müsse ein neues gemischtes Hüttenwerk mit einer Kapazität von 500.000 jato Roheisen sowie weitere neue Roheisenkapazitäten von 400.000 jato errichtet werden. Insgesamt müsse die Eisen- und Stahlindustrie auf diesem Wege in die Lage versetzt werden, bis zum Ende der Füntjahrplanperiode folgende neuen Kapazitäten in Betrieb zu nehmen: Roheisen: 900.0001, Rohstahl: 1,8 Mio. t, Walzstahl: 1,6 Mio. t. Insgesamt erfolgte damit im Fünfjahrplan 1951 - 1955 eine Weichenstellung in Richtung der beschleunigten Expansion des Aufbaus der Schwarzmetallurgie, für diese Option hatte sich eine Kommission des Politbüros der SED unmittelbar vor dem III. Parteitag entschieden. Dabei hatte man sich offensichtlich über die Einwände, die im Ministerium für Industrie gegen die Errichtung eines neuen Hüttenwerkes formuliert worden waren, hinweg gesetzt. 33 In den folgenden zwei Jahren sollte sich zeigen, daß die Umsetzung dieses ambitionierten Aufbauprogramms das Potential der DDR auf das äußerste beanspruchte und letztlich überforderte. In Ergänzung dieser Vorschriften wies der Fünfjahrplan der Metallurgie auch bei der Formulierung der Forschungsaufgaben eine Priorität zu. Allerdings wurden die hier aufgestellten Anforderungen, wie bereits im Zweijahrplan, sehr allgemein gehalten ("Weitere Arbeiten zur Verbesserung der metallurgischen Prozesse und der Legierungstechnik"), ohne daß eine technologische Konzeption des Ausbaus der Schwarzmetallurgie ausformuliert worden wäre. Dies unterstreicht, daß die technische Modernisierung der Branche geEbd., S. 158, 160. Ebd., S. 136f, 147. U. HartmannIW. Mahlfriedel, Entwicklung der schwarzrnetallurgischen Industrie in der DDR von 1946 bis 1955, S. 274. 32
33
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genüber dem Ausbau der quantitativen Erzeugungsmöglichkeiten für die Wirtschaftspolitik der SED eine untergeordnete Bedeutung innehatte. Darüber hinaus hatte die Metallurgie die allgemeinen qualitativen Forderungen des Fünfjahrplans zu berücksichtigen. So wurde etwa gefordert, die Arbeitsproduktivität der Industrie müsse bis 1955 um 60 % gesteigert, die Selbstkosten in der volkseigenen Industrie um 23 % gesenkt, sowie die Rentabilität insgesamt gesteigert werden. 34 Auch diese Ziele waren jedoch offensichtlich von geringerer Bedeutung als die quantitativen Zielvorgaben, welche den Beschluß des III. Parteitages entscheidend prägten. 35 Zusammengefaßt setzte die im Fünfjahrplan 1951 - 1955 formulierte Wirtschaftspolitik die im Zweijahrplan begonnene Ausrichtung der Eisen- und Stahlindustrie mit der Konzentration auf den proportionalen Kapazitätsausbau der Branche fort. Allerdings erfolgte nunmehr eine deutliche Forcierung des avisierten Expansionsprogramms, wozu vor allem eine enorme Ausweitung der Erzeugungsmöglichkeiten durch umfangreiche Investitionen angestrebt wurde. Bis zum Herbst 1952 geriet das für die Schwarzmetallurgie der DDR konzipierte Wachstumsprojekt dann jedoch zunehmend in eine Krise, in deren Verlauf sämtliche Entwicklungsprobleme der Branche zum Thema gemacht wurden. Die in diesem Zusammenhang formulierten Strategien zur Krisenüberwindung trugen ihrerseits zur Verschärfung der Problemlage bei und beförderten die allgemeine Krise von Wirtschaft und Gesellschaft der DDR, die schließlich im Zusammenhang mit dem Aufstand vom 17. Juni 1953 eskalierte. Nach dem III. Parteitag der SED wurden rasch Maßnahmen ergriffen, um die im 1. Fünfjahrplan beschlossene Perspektive zu realisieren: Dazu faßte die Provisorische Regierung der DDR am 17.8.1950 mehrere Beschlüsse, welche die Vorrangstellung der Schwerindustrie beim Wiederaufbau der Wirtschaft gewährleisten sollten. Diese betrafen einmal den Ausbau der entsprechenden Maschinen- und Anlagenbaukapazitäten sowie die Beseitigung der Materialengpässe im Zusammenhang mit der Investitionstätigkeit im Maschinenbau und der Metallurgie. Zu diesem Zweck sollten Ressourcen aus weniger bedeutenden Bereichen in die Schwerpunktbranchen umgeleitet werden. Sodann be-
34 Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik, S. 149f, 152f. 35 Diese Bewertung wird auch von Roesler geteilt, der den Schwerpunkt des ersten Fünfjahrplanes in der Entfaltung des extensiven Wachstums, und hier v.a. in der Grundstoffmdustrie, sieht. ht diesem Entwicklungsstadium der DDR habe dies den Notwendigkeiten der "sozialistischen htdustrialisierung" Rechnung getragen. J. Roesler, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 13 - 23.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
nannte die Provisorische Regierung acht Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie, deren Kapazität vorrangig gesteigert werden sollte. 36 Die Tendenz zum forcierten Wachstum der Schwerindustrie prägte auch die Volkswirtschaftspläne 1951 und 1952, welche den wirtschaftspolitischen Stellenwert der Eisen- und Stahlindustrie operationalisierten: Zwar schrieb der Jahresplan 1951 für die Metallurgie mit 114,0 % eine gegenüber der Gesamtindustrie (117,9 %) unterdurchschnittliche Steigerung der Bruttoproduktion vor. Allerdings fielen die im Bereich des Ministeriums für Schwerindustrie37 vorgesehenen Investitionszuwächse mit einer Steigerung auf 157 % im Vergleich zum VOIjahr beträchtlich aus und rangierten damit deutlich über jenen des Ministeriums für Maschinenbau (148 %) und Leichtindustrie (125 %). Hingegen forderte der Volkswirtschaftsplan 1952 von der Metallurgie eine Produktionsausweitung auf 120,3 % des Vorjahres, während die Bruttoproduktion der gesamten Industrie lediglich auf 113,7 % ausgeweitet werden sollte. Insbesondere enthielt der Plan 1952 eine drastische Steigerung der Roheisenproduktion. 38 Die Realisierung dieses Wachstumskurses bereitete den zuständigen Stellen im Fachministerium. der Staatlichen Plankommission39 und dem zentralen Parteiapparat bereits bis zum Herbst 1952 beträchtliche Schwierigkeiten. Die 36 Beschluss zur Sicherstellung der Durchfilhrung des Fünfjahrplanes auf dem Gebiete des Bergbaues, der Metallurgie und der Energie-Versorgung vom 17. August 1950. Anlage 8 zum Protokoll der 37. Sitzung der Regierung vom 17. August 1950. BAreh, DC-20 113-27, BI. 44 - 50. Beschluß zur Sicherstellung der Durchfilhrung des Fünfjahrplanes auf dem Gebiete des Eisenerzbergbaues sowie der Eisen- und Stahlindustrie vom 17. August 1950. Anlage 10 zum Protokoll der 37. Sitzung der Regierung vom 17.8.1950. Ebd., BI. 56 - 62. Lehren aus der Durchfilhrung des Investitionsplanes 1950. Anlage 14 zum Protokoll der 37. Sitzung der Regierung vom 17.8. 50. Ebd., BI. 77 - 83. 37 Das Ministerium filr Schwerindustrie entstand im November 1950, als das bei der ersten Regierungsbildung (12.10.1949) formierte Ministerium filr Industrie in die Ministerien filr Maschinenbau, Leichtindustrie und Schwerindustrie aufgeteilt wurde. Das - wie sein Vorgänger - von Fritz Selbmann geleitete - Ministerium wurde bereits ein Jahr später erneut in Ministerium filr Hüttenwesen und Erzbergbau umbenannt. A. HerbstIW. Ranke/J. Wink/er, So funktionierte die DDR, S. 681. 38 Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1951, das erste Jahr des Fünfjahrplanes der Deutschen Demokratischen Republik vom 14. März 1951, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 33/1951 (19.3.1951), S. 187 - 204; hier: S. 189, 192. Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1952, das zweite Jahr des Fünfjahrplanes, zur Entwicklung der Volkswirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Februar 1952, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Nr. 2011952 (14.2.1952), S. 111-126; hier: S. 113f. 39 Die Staatliche Plankommission der DDR wurde im Herbst 1950 gebildet und löste das seit dem Oktober 1949 bestehende Ministerium filr Planung ab. Geleitet wurde die Plankommission von 1950 bis 1952 von Heinrich Rau sowie bis 1961 von Bruno Leuschner. A. HerbstIW. Ranke/J. Wink/er, So funktionierte die DDR, S. 954 - 958.
I. Demontage und proportionaler Neuautbau
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Problemkonstellation, welche sich in diesem Zeitraum herauskristallisierte, glich dabei sehr deutlich jener, die sich bereits bei der Umsetzung des Zweijahrplans ergeben hatte. Demzufolge wurde der Problemhorizont der Akteure abermals durch die im Zuge der Jahresplanungen nicht erreichte Abdeckung des Eisen- und Stahlbedarfs der abnehmenden Industriezweige charakterisiert. Immer wieder entwickelten sich Engpässe, so daß teilweise die Kapazitäten der verarbeitenden Branchen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Stahlprodukten nicht ausgelastet werden konnten. Besonders gravierende Knappheiten zeigten sich dabei bei bestimmten Walzstahlprodukten, wie etwa dem Feinblech, nahtlosen Rohren, kaltgewalztem Bandstahl und Werkzeugstahl. Trotz aller Produktionserfolge wuchs die Stahlerzeugung demnach zu langsam, um ihre Hauptaufgabe, die Grundlage für den allgemeinen wirtschaftlichen Aufbau zu bilden, zu erfüllen. Die übrigen Defizite, wie sie sich in der Wahrnehmung der verantwortlichen Akteure darstellten, waren auf dieses Grundproblem der suboptimalen Wachstumsgeschwindigkeit bezogen, d.h. sie wurden vornehmlich dann aufgegriffen, wenn sie die Erfüllung der Produktionsauflagen gefahrdeten. Unzufriedenheit zeigte sich in erster Linie in bezug auf die unzureichende Kapazitätsauslastung in einigen Bereichen der Schwarzmetallurgie, die mangelhafte Arbeitsorganisation sowie Disproportionen zwischen den Erzeugungsstufen. Letzteres galt vor allem für die Stahlwerke, die nicht in der Lage waren, die Walzwerkskapazitäten auszulasten. Auch das technologische Niveau der Hüttenindustrie wurde zunehmend kritisch bewertet. Wenngleich parallel Forschungs- und Entwicklungspläne formuliert wurden, handelte es sich hierbei jedoch vornehmlich um eine Kritik an der mangelnden Ausschöpfung der Möglichkeiten der bestehenden Technologie; Forderungen nach technischen Neuentwicklungen und deren Implementation scheinen hingegen wirtschaftspolitisch von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein. 4O
40 Ministerium fi1r SchwerindustriellN Metallurgie/Abt. Eisenindustrie: Aktennotiz, Berlin, den 9.1.51. BArch, DE-1INr. 15867, BI. 42 - 49. Dr. Zauleck, stellv. Leiter der Hauptverwaltung Metallurgie im Ministerium fllr Schwerindustrie an Staatssekretär Strassenberger, Staatliche Plankommission, betr.: Die von TImen zwecks Entscheidung über den Investitionsplan 1952 geforderte Analyse der Situation. Berlin, den 10.5.1951. BArch, DE-IlNr. 76, BI. 94 - 99. Röhricht, komm. Leiter der Abteilung Metallurgie, Bereich Planung der Schwerindustrie der Staatlichen Plankommission: Begründung des Volkswirtschaftsplanes 1952 - Industriezweig Metallurgie einschließlich Erzbergbau, Berlin, den 16.11.1951. BArch, DE-IlNr. 15478, BI. 140 - 155. ZA fllr Forschung und Technik/Abt. Chemie: Stellungnahme zum Forschungs-I Entwicklungsplan 1952 Ministerium fi1r Hüttenwesen und Erzbergbau, Berlin, den 20.11.1951. BArch, DG-2INr. 2214. Volkswirtschaftsplan 1952, Forschung und Technik: Plan der Entwicklungsarbeiten und Plan der Forschungsarbeiten, Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau, o. 0., o. D. BArch, DG-2INr. 2214. Zusammenfassende Analyse zu den Jahresendberichten 1951, o. 0., o. D. BArch, DG-2INr. 2214. Selhmann, Minister fllr Hüttenwesen und Erzbergbau, an Staatssekretär Strassenberger,
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Angesichts dieser Problemlage kam es um die Frage, wie die optimale Wachstumsgeschwindigkeit der Eisen- und Stahlindustrie zu erreichen sei, mehrfach zu Konflikten zwischen den beteiligten Institutionen. Von besonderer Brisanz war in diesem Zusammenhang die Kritik an dem kurz zuvor in der Volkskammer verabschiedeten Fünfjahrplan, welche der Minister für Hüttenwesen und Erzbergbau, Fritz Selbrnann, im Dezember 1951 formulierte. Selbmann. der bemerkenswerter Weise erst nach der Beschlußfassung Kenntnis von den endgültigen Zahlen für das Hüttenwesen erhalten hatte, wandte sich an Rau als Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, um sich insbesondere über die NichtbefÜCksichtigung der von ihm für den Fünfjahrplan erarbeiteten Stahlbilanz zu beklagen. ,,Diese Bilanz ist aber nun offensichtlich vollkommen unbeachtet geblieben, und ich muß offen erklären, daß ich diese Art der Berücksichtigung von ernsthaften Vorschlägen eines Fachministeriwns ft1r die Ausgestaltung des Planes nicht verstehe, wnso mehr, da zugegebenermaßen die Sachbearbeiter der Staatlichen Plankommission auf dem Gebiet der Metallurgie absolut schwach und kawn in der Lage sind, die Realitäten auf dem Gebiet der metallurgischen Industrie besser zu beurteilen als die mit der LOsung der Aufgaben beauftragten Kräfte im Fachrninisteriwn.,,41
Der Grund für diesen Vorstoß war, daß Selbmann insbesondere die in der endgültigen Fassung des Fünfjahrplanes enthaltenen Produktionsziffern bei Roheisen, Rohstahl und Walzstahl für die Jahre 1953 und 1954 als unrealistisch hoch betrachtete. Diese seien seiner Meinung nach nur realisierbar, wenn die Investitionstätigkeit weiter beschleunigt werde. Die hierzu benötigten Ressourcen könnten jedoch in finanzieller und materieller Hinsicht nicht zur Verfügung gestellt werden. Pikanter Weise war es mithin der zuständige Minister, der selbstverständlich grundsätzlich an der Expansion seines Ressorts interessiert sein mußte, welcher bereits 1951 ein vermindertes Tempo beim Aufbau der Stahlindustrie anmahnte. Andernfalls - so sein Fazit - seien ernsthafte Schwierigkeiten zu gewärtigen: ,,Auf jeden Fall muß ich aber darauf autinerksam machen, daß diese Zahlen ohne Berücksichtigung meiner Vorschläge erarbeitet wurden, und daß daher in den nächsten Jahren ernste Di~roportionen auftreten werden, fi1r die ich die Verantwortung nicht tragen mOchte." 2
Vor dem Hintergrund der problematischen Branchenentwicklung wurden nunmehr auch die höchsten Instanzen der SED mit der detaillierten BewerStaatliche Plankommission, Berlin, den 23.2.1952. BAreh, DE-IlNr. 16115, BI. 45 47. Änderungen zu den von der Staatlichen Plankommission vorgelegten Kontrollziffern zum Volkswirtschaftsplan 1953 und daraus folgende Maßnahmen (Abschrift). o. 0., o. D. BAreh, DE-IlNr. 15438, BI. 72 - 79. 41 Der Minister fi1r Hüttenwesen und Erzbergbau, Selbmann, an den 1. Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Herrn Stellvertretenden Ministerpräsidenten H. Rau, Berlin, den 3.12.1951. BAreh, DE-IlNr. 11108, BI. 5 - 8; hier: BI. 5f. 42 Ebd., BI. 8.
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tung der Maßnahmen in der Eisen- und Stahlindustrie befaßt. Am 12.2.1951 faßte das Sekretariat des ZK, das sich immer stärker zum Machtinstrument Ulbrichts entwickelte43 , einen Beschluß über "Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit im Stahl- und Walzwerk Brandenburg": Obwohl die Errichtung des Brandenburger Werkes, die zusätzlich zum Volkswirtschaftsplan 1950 begonnen wurde, nach Meinung des Sekretariats zu den großen Erfolgen des Wirtschaftsaufbaus der DDR zu zählen sei, übte es eine teilweise scharf formulierte Kritik an den Versäumnissen, welche den Verantwortlichen dabei unterlaufen seien. Konkret bezog sich der Beschluß auf Mängel der Projektierungsarbeiten und Konstruktionszeichnungen, d.h. auf die technische Ausführung des Projektes. Aufgrund dieser Defizite und der ungenügenden Arbeitsorgansation seien Schwierigkeiten in der Gießgrube und an den Siemens-Martin-Öfen aufgetreten, so daß es zu Produktionsausfällen gekommen sei. Auch hier wurde die Aufmerksamkeit der Verantwortlichen offensichtlich durch den hinter den Möglichkeiten zurückbleibenden Output auf die Entwicklung des Werkes gelenkt. Im einzelnen richtete das Sekretariat des Zentralkomitees seine Kritik mit der Werkleitung, der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL), der Betriebsparteiorganisation (BPO) und dem zuständigen Ministerium an sämtliche Instanzen, die in diesem Bereich Verantwortung trugen. Im Mittelpunkt stand jedoch die Hauptverwaltung Metallurgie im Ministerium für Schwerindustrie, der "Bürokratismus" und ,,formale Arbeit" zur Last gelegt wurden. 44 Ein gutes Jahr später formulierte das Politbüro des ZK der SED eine ähnliche Kritik, die sich nunmehr auf die Schwierigkeiten beim Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost (EKO) in Eisenhüttenstadt bezog. Die Grundlage für diesen Beschluß bildete der Bericht einer, von Walter Ulbricht geleiteten Kommission, welche dem Politbüro am 5.2.1952 Bericht erstattet hatte. Konkreter Anlaß des Politbürobeschlusses war erneut die, als unzureichend bewertete, Produktionsleistung des Werkes. Konkret wurde festgestellt, daß die HochofenanIage des EKO zuwenig Eisen liefere, da verschiedene, für die kontinuierliche Roheisenerzeugung benötigte, Einrichtungen nicht rechtzeitig fertiggesteIlt worden seien bzw. nicht einwandfrei funktionierten. Abermals standen die Verantwortlichen des zuständigen Industrieministeriums im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, wobei die Mißstände diesmal personalisiert und mit drastischeren Konsequenzen sanktioniert wurden. Im Ergebnis erteilte das 43 Kaiser, Monika: Die Zentrale der Diktatur - organisatorische Weichenstellungen, Strukturen und Kompetenzen der SED-Führung in der SBllDDR 1946 - 1952, in: J. Kocka (Hg.), Historische DDR-Forschung, op. cit., S. 57 - 86; hier: S. 81. 44 Zur Verbesserung der Arbeit im Stahl- und Walzwerk Brandenburg. Beschluß des Sekretariats des ZK vom 12. Februar 1951. Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (im folgenden: SAPMO-BArch), ZPA, DY 30/IV 2/6.04/Nr. 128, BI. 1 - 8.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Politbüro Minister Selbmann sowie seinen Mitarbeitern Zauleck und Krämer eine Rüge. Dem Ministerrat wurde überdies die Versetzung Krämers empfohlen. 45 Die beim Aufbau der Schwarzmetallurgie bestehenden Probleme waren folglich den obersten Parteigremien durchaus bekannt, als die H. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 dem Vorschlag des Zentralkomitees folgte und den Aufbau des Sozialismus in der DDR beschloß. Diese Zäsur führte, auch in atmosphärischer Hinsicht, zu einer Situation, welche die abermalige Beschleunigung des ohnehin unter angespannten Bedingungen erfolgenden Aufbaus der Schwerindustrie und damit auch der Schwarzmetallurgie begünstigte. Jedenfalls nannte Walter Ulbricht in seiner Rede vor der H. Parteikonferenz die beschleunigte Rekonstruktion der Großbetriebe in der Schwerindustrie sowie die Überwindung der industriellen Disproportionen als Schwerpunktaufgaben, von deren Erfiillung das Tempo des sozialistischen Aufbaus in der DDR entscheidend abhängen werde. AIs konkrete Beispiele fiihrte er in diesem Zusammenhang u.a. das Eisenhüttenkombinat Ost, die Eisenwerke West in Calbe, die Großkokerei Lauchhammer sowie die Rekonstruktion der Hüttenbetriebe an. Die Beseitigung der Engpässe in der Energiewirtschaft, im Schwermaschinenbau, in der Metallurgie, im Schifibau und bei den geologischen Erkundungsarbeiten bewertete der Generalsekretär der SED erneut als eine der entscheidenden Aufgaben, die es auf wirtschaftlichem Gebiet zu bewältigen gelte. 46 In der Folge des Beschlusses der H. Parteikonferenz befaßte sich das Sekretariat des ZK der SED Ende August 1952 abermals mit der Lage in der Eisenund Stahlindustrie. Im Anschluß an den diesbezüglichen Bericht Selbmanns wurde ein umfangreicher Beschluß gefaßt, welcher die wichtigsten Aufgaben in diesem Bereich zusammenfaßte. Dieser zielte erneut auf die Überwindung der Engpässe bei Eisen- und Stahl ab. Selbmann wurde in diesem Sinne beauftragt, Pläne auszuarbeiten, wie durch die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Ausschöpfung der betrieblichen Reserven die Erfiillung der Produktionsaufgaben hinsichtlich der Sortimente und der Qualität der Erzeugnisse zu
45 Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit des Ministeriums filr Hüttenwesen und Erzbergbau, der Industriegewerkschaft Metallurgie sowie der Industriegewerkschaft Bau-Holz beim Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost. Beschluß des Politbüros vom 5. Februar 1952, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklänmgen des Partei vorstandes, des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. m, Berlin (Ost) 1952, S. 701 - 712. 46 Protokoll der Verhandlungen der II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. 9. - 12. Juli 1952 in der Werner Seelenbinder-Halle zu Berlin, Berlin (Ost) 1952, S. 58, 78 f, 102. Zum Beschluß der n. Parteikonferenz siehe auch: D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 94 - 100. H. Weber, Die DDR 1945 - 1990, S. 34 39.
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sichern sei. Weiter verlangte das Sekretariat Maßnahmen zur Beseitigung des Mangels bei Rohren und Grobblechen sowie schließlich Direktiven zur Erzeugung von legiertem Stahl. Sodann wurde zum wiederholten Male die Verbesserung der Arbeitsmethoden im Ministerium rur Hüttenwesen postuliert. 47 Der Sekretariatsbeschluß ging dann jedoch über die bereits zuvor von ihm und dem Politbüro vorgebrachte Kritik hinaus, indem es Selbmann beauftragte, Perspektivpläne fur den Aufbau und das Produktionsprogramm der wichtigsten Betriebe zu erarbeiten und diese zur Bestätigung bei der Staatlichen Plankommission sowie bei der Abteilung Industrie im ZK-Apparat48 einzureichen. Hiermit deutete sich an, daß nunmehr auch das Fehlen einer strategischen Konzeption. die über die Forderung nach dem möglichst raschen proportionalen Aufbau hinausging, als Schwachstelle des Aufbaus der Stahlbranche wahrgenommen wurde. Offensichtlich hatte sich damit die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine auf die Gestaltung der Branchenstrukturen gerichtete Konzeption benötigt wurde, um die gewollte planmäßige Gestaltung der SchwarzmetaIlurgie steuern zu können. Damit schloß sich das Sekretariat des ZK Forderungen. die bereits im Ministerium rur Hüttenwesen und Erzbergbau artikuliert worden waren, an. 49
4. Die Krise 1952/53 - Eskalation und Scheitern des beschleunigten Aufbaus der Schwarzmetallurgie der DDR In der bundesdeutschen Geschichtsschreibung wurde die spätestens am 17. Juni 1953 offensichtlich werdende politische, gesellschaftliche und ökonomische Krise der DDR unmittelbar mit dem Beschluß der 11. Parteikonferenz der SED zum Aufbau des Sozialismus und der hieraus erwachsenden Zuspitzung der innenpolitischen Spannungen in Verbindung gebracht. Als Krisenfaktoren wurden dabei die Kollektivierung in der Landwirtschaft, der Aufbau einer Armee, die Neuorganisation der regionalen Verwaltungen sowie die im Zeichen der "Verschärfung der Klassenkampfs" forcierten Repressionen begriffen. Darüber hinaus - so das einhellige Urteil - hätten auch die infolge der Beschlüsse der 11. Parteikonferenz erhöhten Investitionen in der Schwerindustrie 47 Protokoll Nr. 191/52 der Sitzung des Sekretariats des ZK vom 28. August 1952. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/3/Nr. 320, BI. Iff. 48 Auf Beschluß des Sekretariats des ZK vom 5.11.1951 wurden aus der Abteilung Wirtschaftspolitik des zentralen ZK-Apparates die drei selbständigen Abteilungen Planung \Uld Finanzen, Handel \Uld Verkehr sowie Industrie gebildet. Die Abteilung Industrie bestand aus den Sektoren Schwerindustrie, Maschinenbau, Bauwesen, örtliche Industrie sowie Kader. M Kaiser, Die Zentrale der Diktatur, S. 83 - 86. 49 Ebd. Der Minister filr Hüttenwesen \Uld Erzbergbau, Selbmann an Staatssekretär Strassenberger, Staatliche Plankommission, Berlin, 23.2.1952. BArch, DE-11l6115, BI. 45 - 47.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
zur Vertiefung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte statt zu ihrer Überwindung geführt und damit die Krise befördert. ~ Die quellengestützte Betrachtung der Entwicklung der Schwarzmetallurgie vom Herbst 1952 bis zum Juni 1953 gestattet nunmehr eine detaillierte Rekonstruktion der Krisendynamik, in welcher die auf den Aufbau der Schwerindustrie orientierte Wirtschaftspolitik einen nicht unwesentlichen Stellenwert einnahm. Damit wird es insbesondere möglich, eine differenziertere Einschätzung der Position, welche die einzelnen - deutschen und so\\jetischen - Akteure in diesem Kontext einnahmen, zu formulieren sowie die zugrundeliegenden Handlungsrationalitäten nachzuvollziehen. Gleichzeitig besaß dieser Zeitabschnitt für die Entwicklung der Eisen- und Stahlbranche der DDR insofern eine entscheidende Bedeutung, als die sich seit 1948 abzeichnenden Problemlagen nunmehr eskalierten und aufgrunddessen in fokusierter Form analysiert werden können. Dabei zeigt sich, daß der im l. Fünfjahrplan avisierte rasche Aufbau aller Produktionsstufen der Schwarzmetallurgie bereits im Herbst 1952 zu scheitern drohte, wodurch ein beträchtlicher Handlungsdruck auf die zuständigen Akteure ausgeübt wurde. Die zur Bewältigung dieser krisenhaften Entwicklung formulierte Strategie, die darauf abzielte, durch eine neuerliche Verstärkung der Anstrengungen den Durchbruch zu erreichen, schlug aufgrund der überzogenen Anforderungen und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage fehl. Infolgedessen war der forcierte, proportionale Aufbau der Eisen- und Stahlindustrie bereits fehlgeschlagen, bevor er mit der Verkündung des "Neuen Kurses" im Juni 1953 auch offiziell abgebrochen wurde. Die sich seit dem Herbst 1952 vertiefende Krise der Stahlindustrie betraf drei interdependente Problemkreise: 1. Das Scheitern des Fünfjahrplanes zeichnete sich in bezug auf die Rohstahl-, v.a. aber die Roheisenerzeugung ab. 2. In Verbindung damit wurden die gesamten Defizite, welche der Aufbau der Schwarzmetallurgie bis zu diesem Zeitpunkt gezeigt hatte, nun - nicht zuletzt durch die Kritik so\\jetischer Stellen - in potenzierter Form wahrnehmbar. Dies betraf das suboptimale Wachstumstempo und den mangelhaften ökonomisch-technologischen Zustand der Branche. 3. Der Handlungsspielraum zur Bewältigung dieser Problemkonstellation war aufgrund der allgemeinen ökonomischen Probleme, wie sie sich bei der Realisierung des Volkswirtschaftsplanes 1952 zeigten, vergleichsweise gering. ~ Merkei, Wilma/Wahl, Stefanie: Das geplünderte Deutschland. Die wirtschaftliche EntwicklWlg im östlichen Teil Deutschlands von 1949 bis 1989, Bonn 1991, S. 19. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 100 - 108. H. Weber, Die DDR 1945 - 1990, S. 34 40.
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Als die Regierung der DDR am 11.12.1952 dem Entwurf des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953 zustimmte, wurde gleichzeitig eine vorläufige Bilanz der PlanerfiUlung im laufenden Jahr gezogen. Wie der in derselben Sitzung gefaßte ,,Beschluß über den Volkswirtschaftsplan 1953 und zum Entwurf des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953" zeigte, war die Entwicklung der Volkswirtschaft unbefriedigend verlaufen. 51 In ernstem Ton konstatierte man, daß ungeachtet aller Erfolge, der Volkswirtschaftsplan 1952 bis dato in ca. 70 Planpositionen nicht erfiUlt werde. Dies habe Anspannungen im Jahresplan 1953 zur Konsequenz, so daß diesem eine Schlüsselstellung bei der Realisierung der Aufgaben des Fünfjahrplanes zukomme. Den Grund fiir die sich abzeichnenden Schwierigkeiten sah die Regierung darin, daß der "Kampf um die Planerfiillung" nicht entschieden genug geführt worden, ein ,,zurückweichen" vor schweren Aufgaben erfolgt und der Plan als gültiges Gesetz in vielen Fällen mißachtet worden sei. Insbesondere hätten Ministerien und Staatssekretariate ihre Operativpläne bei der Realisierung des Planes nicht auf dem staatlichen Volkswirtschaftsplan aufgebaut, sondern eigenständig die Planvorgaben reduziert und damit die Plandisziplin verletzt. Dies betreffe v.a. auch willkürlich durchgeführte Änderungen am bestätigten Investitionsplan. Infolgedessen sah der Beschluß einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor, mit dem sichergestellt werden sollte, daß die staatlichen Planbestimmungen im kommenden Planjahr 1953 auf jeden Fall eingehalten würden. 52 Hiermit deutete sich an, daß die für die Planrealisierung zuständigen staatlichen Stellen offenbar die ihnen gestellten Aufgaben als zu "hart" angesehen und deshalb eigenständig Planänderungen durchgeführt hatten, welche zu spürbaren volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten geführt hatten. Das eigentliche, von der Regierung beschlossene, Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1953 forderte sodann, die industrielle Bruttoproduktion müsse im kommenden Jahr auf einen Stand von 112,9 % gesteigert und die Investitionen in der zentralgeleiteten Industrie auf 145 % im Vergleich zu 1952 angehoben werden. Vorgesehen war offensichtlich eine abermalige, enorme Beschleunigung der Investitionen, die zudem erneut primär in die Grundstoffindustrie fließen sollten: Geplant war hier die Erweiterung der gesamten Roh-
51 Regierung der Deutschen Demokratischen Republik/Staatssekretllr der Regierung: Protokoll der 111. Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Dezember 1952 (Regierungssache). Berlin, den 12.12.1952. BArch, DC-20 113-159, BI. 1 - 8. 52 Beschluß über den Volkswirtschaftsplan 1953 und zwn Entwurf des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953 vom 11. Dezember 1952. Anlage 1 zwn Protokoll der 111. Sitzung der Regierung vom 11. Dezember 1952. Ebd., BI. 9 - 31; hier v.a.: BI. 9ff,25. 13 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
stoftbasis vor allem in der Metallurgie, die Inbetriebnahme neuer Energiekapazitäten sowie die Steigerung der Kohlenerzeugung. Diese Maßnahmen sollten perspektivisch als Grundlage für die Entwicklung des Maschinenbaus, der chemischen Industrie, des Wohnungsbaus sowie schließlich auch der Konsumgüterproduktion dienen. S3 In der Konsequenz dieser Prioritätengebung war für die Metallurgie die drastischste Produktionsausweitung aller Industriezweige vorgesehen, ihre industrielle Bruttoproduktion sollte 1953 im Vergleich zum Vorjahr einen Stand von 125,7 % erreichen und damit doppelt so schnell wie die Gesamtindustrie wachsen. Dabei variierten die Wachstumsziele für die einzelnen Produktionsstufen der Stahlindustrie sehr deutlich, sie betrugen bei Roheisen 180 0/0, bei Rohstahl in Blöcken 128,5 %, bei Walzstahl warmgewalzt (incl. Halbzeug) 122,6 %, bei Walzblechen 114 % sowie bei nahtlosen Rohren 193,5 %. Um diese Ziele zu erreichen, sah der Volkswirtschaftsplan 1952 für die Betriebe des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau eine bemerkenswerte Ausweitung der Investitionsmittel um 66 % vor, mit der die Rückstände bei der Errichtung neuer Kapazitäten überwunden werden sollten. Konkret waren für die Eisen- und Stahlindustrie folgende Maßnahmen vorgesehen: Die Errichtung von zwei neuen Hochöfen und fünf Niederschachtöfen zur Roheisenerzeugung, die Vergrößerung der Kapazitäten der Siemens-Martin-Stahlwerke sowie im Walzwerksbereich der Bau einer Grobblech-, einer Grob-, einer Draht- und einer Rohrstraße. Neben diesen Erweiterungsmaßnahmen wurde die Optimierung der technisch-wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Aggregate gefordert. 54 Damit stimmte die Regierung der DDR einem Planentwurf zu, der noch deutlicher die Expansion der Schwerindustrie favorisierte, wobei dem raschen Wachstum der Metallurgie neuerlich eine herausragende politische Priorität zukam. Dies reflektierte die Schwierigkeiten beim Aufbau des Industriezweigs und die hieraus resultierenden gesamtwirtschaftIichen Probleme: Bereits einige Wochen vor dem Regierungsbeschluß zum Plan 1953 galt es als sicher, daß der Fünfjahrplan insbesondere in bezug auf die Roheisenproduktion nicht erfüllt werden konnte. Während es sich zu diesem Zeitpunkt abzeichnete, daß die Gesamtproduktion der Metallurgie die im Fünfjahrplan für die einzelnen Jahre gesteckten Ziele gerade erreichen würde, ging man davon aus, daß die Roheisenerzeugung 1953 nur 1,26 Mio. t statt der ursprünglich eingeplanten
S3 Staatliche Plankommission: Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1953, das dritte Jahr des Fünfjahrplanes, zur Entwicklung der Volkswirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik (Entwurf). Geheime Regienmgssache. O. 0., o. D. Anlage zum Protokoll der 111. Sitzung der Regienmg der DDR vom 11.12.1952. Ebd., BI. 58 93; hier: BI. 59,61,67. 54 Ebd., BI. 61 ff.
I. Demontage und proportionaler Neuaufbau
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1,6 Mio. t. erreichen würde. In der Führung der Staatlichen Plankommission machte man hierfür den Umstand verantwortlich, daß die Lieferungen an sowjetischen Erzen geringer als ursprünglich angenommen ausgefallen waren, so daß man verstärkt auf die Verhüttung der minderwertigen DDR-Erze zurückgreifen mußte. Zwar werde hierdurch die Erfüllung des Walzstahlplans aufgrund des günstiger als angenommen ausgefallenen Einsatzverhältnisses zwischen Roh- und Walzstahl nicht gefährdet, jedoch bleibe die Versorgung mit Eisen- und Stahlerzeugnissen insgesamt hinter der rascheren Entwicklung der Volkswirtschaft zurück. Zu diesem Zeitpunkt erwartete man für die Jahre 1953 bis 1955 ein Defizit von 300.000 jato Walzstahl. Für 1953 war es infolgedessen nur möglich gewesen, die Walzstahlbilanz auszugleichen, indem man die Produktion des Maschinenbaus unter seiner Kapazitätsgrenze hielt, obwohl hierdurch wiederum die Produktion dringend benötigter Güter (Ausrüstungen für die Braunkohlenindustrie, LKW, PKW, Traktoren u.a.) nicht das erforderliche Niveau erreichen konnte. Insbesondere aber hatte die Plankommission die Stahlzuteilungen für die Reichsbahn deutlich herabgesetzt. 55 Die defizitäre Verfügbarkeit von Eisen- und Stahl drohte sich im Herbst 1952 trotz aller vorangegangenen Bemühungen zu einem Engpaß zu entwickeln, der die gesamte volkswirtschaftliche Entwicklung auf Dauer zu bremsen drohte. Hieran setzte der Regierungsbeschluß zum Plan 1953 an, wie insbesondere die besonders hohe Steigerung der Roheisenproduktion zeigt. In dieser Konstellation erfolgte am 18.12.1952, also bereits wenige Tage nach dem Regierungsbeschluß, ein Vorstoß, der darauf abzielte, die Maßnahmen zur weiteren Beschleunigung des metallurgischen Aufbaus zu bündeln und auszudehnen. Dieser Anlauf beabsichtigte in letzter Konsequenz, die gewollte wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung durch konkrete Festlegungen abzusichern und durch diese Offensive den Durchbruch bei der Bewältigung der Defizite der Eisen- und Stahlindustrie zu erreichen. Es lag einige Ironie in dem Umstand, daß es Fritz Selbmann war, der mit diesem Vorschlag am 18.12. bei Walter Ulbricht vorstellig wurde. Wie gezeigt hatte sich Selbmann als zuständiger Minister mehrfach gegen ein überzogenes Tempo beim Aufbau der Stahlindustrie gewandt. S6 Die eigentliche Initiative war hingegen in dieser
55 Der stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Straßenberger, an den Vertreter der DDR in Moskau, betr.: Lage auf dem Gebiet der Metallurgie in der Deutschen Demokratischen Republik, 0.0.,29.10.1952. BArch, DE-IINr. 171, BI. 1 - 3. Siehe auch: Ausarbeitung Plangebiet Metallurgie, Berlin, den 22.12.1952. BArch, DE-IlNr. 15497, BI. 12tI S6 Siehe hierzu auch: Plangebiet Metallurgie, Rehtanz: Begründung der ungeklärten Differenz des Planvorschlages des Ministeriums filr Hüttenwesen und Erzbergbau, Berlin, den 28.10.1952. BArch, DE-IlNr. 15709, BI. 51 - 54. Staatliche Plankommission/Abteilung Metallurgie/Abteilungsleiter Röhricht: Gegenüberstellung Fünfjahrplan-Dokument - neuer Vorschlag Minister Selbmann vom 23.2.52. Überarbeitung und
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Situation von der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK), die nach der Gründung der DDR an die Stelle der SMAD getreten war1, ausgegangen. Konkret hatte der stellvertretende Vorsitzende der SKK, Pcreliwtschenko.SB, von Selbmann gefordert, dieser müsse der Regierung sofort nach Verabschiedung des Volkswirtschaftsplanes einen Beschluß über die Sicherung der Investitionen des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau vorlegen. Daraufhin hatte Selbmann an einer diesbezüglichen Vorlage gearbeitet, bis er schließlich von Pereliwtschenko ein Dokument mit dem Titel ,,Massnahmen zur Entwicklung der Eisenindustrie im lahre 1953" erhielt, das als Grundlage des Regierungsbeschlusses dienen sollte. Nunmehr schaltete Selbmann Ulbricht ein, dem er sowohl das sowjetische Dokument als auch die vom ihm hieraus entwickelte Ministerratsvorlage zur Kenntnis gab. Der Minister für Hüttenwesen und Erzbergbau bewertete dieses Papier als eine außerordentlich wichtige Hilfe bei der Realisierung der Investitionsvorhaben und sprach sich für seine Beratung im Sekretariat der SED aus, um es sodann der Regierung zuzuleiten. S9 Dieser Vorgang stand am Beginn der in den nächsten Monaten unternommenen Versuche zur weiteren Beschleunigung des Aufbaus der Stahlindustrie. Das diesbezügliche, von der Sowjetische Kontrollkommission erstellte, "Massnahmen zur Entwicklung der Eisenindustrie im lahre 1953" überschriebene, Papier unterstrich zunächst einmal mehr die Bedeutung der Eisen- und Stahl produktion für die Entwicklung des Maschinenbaus, des Bergbaus sowie der chemischen Industrie und damit letztlich für die gesamte Volkswirtschaft der DDR Dabei seien in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt worden, andererseits seien - so die SKK - jedoch gravierende Defizite im Hinblick auf die zu geringe Wachstumsgeschwindigkeit und den technologischen Zustand der errichteten Aggregate zu konstatieren: ,,Daneben ist in der EntwicklWlg der Eisenindustrie ein Rückstand in der Inbetriebnahme neuer Produ1ctionskapazitäten Wld eine unzureichende Ausnutzung der sich in Betrieb befmdlichen Kapazitäten zu verzeichnen. So ist z.B. im Eisenhüttenkombinat Ost Wld in den Eisenwerken West kein einziger Hochofen zum festgesetzten Termin in Betrieb genommen worden. Von filnfWalzstrassen ist fast keine einzige Strasse in Betrieb genommen. Die Walzstrasse, die in der ,Maxhütte' in Betrieb genommen wurde, läuft wegen Fehlens des Antriebs nur mit halber Kapazität. Infolge des Zurückbleibens der EntwicklWlg der GlWldlagen der Metallurgie wird
Vorschlag der Staatlichen Plankommission. Berlin, den 20.3.1952. BArch, DE-l/Nr. 11952, BI. 5. S1 D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 43f. .SB R. Kar/seh, Allein bezahlt, S.106, 189. S9 Der Minister fi1r Hüttenwesen Wld Erzbergbau, Selbmann, an den Generalsekretär Walter Ulbricht, Berlin, den 18.12.1952. SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/Nr. 988, B!. 201f.
I. Demontage und proportionaler Neuaufbau bis 1953
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die Hochofenproduktion nicht mit Kalkstein, Eisenerz und Qualitätskoks ver-
sorgt. ..60
Darüber hinaus konstatierte die Sowjetische Kontrollkommission häufige Havarien an den Produktionseinrichtungen, die sie auf den ,,Mangel an qualifizierten Kadern" und die hieraus resultierende Mißachtung der Technologie zurückführte. Insgesamt fonnulierte die SKK mit dieser Einschätzung eine scharfe Kritik an dem bis zu diesem Zeitpunkt erreichten Stand des Aufbaus der Schwarzmetallurgie in der DDR 61 Diese Mißstände sollten nach ihrer Meinung nun beseitigt werden, damit die Stahlindustrie der wachsenden Nachfrage nach Eisen- und Stahl gerecht werden könne. Zu diesem Zweck enthielt das Papier verschiedenste Maßnahmen, die vier Bereiche betrafen und darüber hinaus einen weitreichenden Einzelvorschlag enthielten. Unter Punkt I der sowjetischen Vorlage wurde das Ministerium fiir Hüttenwesen und Erzbergbau dazu verpflichtet, noch im Jahre 1953 eine Vielzahl von Investitionsprojekten in der Eisen- und Stahlindustrie zu realisieren. Bei diesen - dezidiert aufgelisteten - Projekten handelte es sich um die Errichtung und Inbetriebnahme folgender Aggregate: 62 a) 2 Hochöfen im Eisenhattenkombinat Ost, Gesamtkapazität: 360.000 jato Roheisen~
b) 5 Niederschachtöfen in den Eisenwerken West 75.000 jato Roheisen~
(Calbe)~
Gesamtkapazität:
c) Rekonstruktion von 2 bestehenden Hochöfen in der Maxhatte (Unterwellenborn)~
d) 7 Siemens-Martin-Öfen in Brandenburg, DOhlen sowie im Eisenhattenkombinat Ost, Gesamtkapazität: 435.000 jato Siemens-Martin-Stah1~ e) 3 Elektroöfen im Eisenhattenkombinat Ost, sowie in DOhlen und Hennigsdorf, Gesamtkapazität: 110.000 jato Elektrostahl~
1) 2 Thomaskonverter im Eisenhattenkombinat Ost, Gesamtkapazität: 130.000 jato Thomasstahl~ g) 10 Walzenstraßen~ im einzelnen: Brandenburg: l100er Blockstraße, 850er Straße, Drahtwalzstraße~ Riesa: 800er Straße, Rohrwalzstraße (Pilgerstrasse)~ Eisenhattenkombinat Ost: Grobblechstraße~ Dahlen: 700er Straße, 600er Straße, 450er Straße; Finow: Bandwalzstraße;
60 Vorschlag SKK: Massnahrnen zur Entwicklung der Eisenindustrie im Jahre 1953. Vertraulich! o. 0., o. D. Anlage zum Schreiben Se1bmann an Ulbricht vom 18.12.1952. Ebd., BI. 203 - 210; hier: BI. 203. 61 Ebd., BI. 203f. 62 Ebd., BI. 204f.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
h) Rekonstruktion der bestehenden Rohrstraße in Riesa sowie der Grobblechstraße in Iisenburg; i) drei Pressen in Groditz und Döhlen. Der zweite Abschnitt des SKK-Plans enthielt darüber hinaus Maßnahmen, um die Rohstoffversorgung der Eisen- und Stahlindustrie aus dem Aufkommen der DDR sicherzustellen, während der dritte Abschnitt darauf abzielte, die Umsetzung der avisierten Investitionsprojekte in materieller Hinsicht zu gewährleisten. Zu diesem Zweck erfolgte eine vehemente Ausrichtung der zuliefernden Industriezweige auf die Bedürfnisse der Investitionen in der Eisenund Stahlindustrie. In einem vierten Bereich wurde Selbmann sodann zur Durchführung verschiedener personalpolitischer Maßnahmen sowie zur Überprüfung der Roheisenerzeugung in Eisenhüttenstadt und Calbe verpflichtet. 6J Ein weiterer Vorschlag, den die SKK in ihr fiir Fritz Selbmann erarbeiteten Papier aufgenommen hatte, barg demgegenüber ein latentes Konfliktpotential. Danach sollte dieser beauftragt werden, bis zum l. Januar 1953 einen Vorschlag zur Errichtung eines neuen metallurgischen Werkes auszuarbeiten. War der zusätzliche Bau dieses Werks, über die bereits begonnenen Projekte in Calbe, Eisenhüttenstadt und Brandenburg hinaus, bereits aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage an sich nicht unproblematisch, so enthielt die so\\jetische Formulierung zusätzlich einen Passus, der diese Maßnahme prekär erscheinen lassen mußte: Vorgesehen war hier, daß das neuzuschaffende Unternehmen auf der Basis der örtlichen, d.h. in der DDR vorhandenen, Rohstoffe arbeiten sollte. 64 Insofern, als die im Gebiet der DDR vorhandenen Rohstoffe sich als ungenügend und von minderer Qualität erwiesen hatten, verwundert es nicht, daß Selbmann gegen diese Festlegung Einspruch erhob. In seiner, ebenfalls Ulbricht vorgelegten, Überarbeitung der so\\jetischen Vorschläge, wandte er sich gegen diese Formulierung. In seiner Stellungnahme merkte er demgemäß an, daß er einen solchen Vorschlag nicht unterbreiten könne, da die erforderlichen Roh- und Brennstoffe in der DDR schlichtweg nicht existierten. Zwar könne er ein Projekt fiir den Bau eines weiteren eisen- und stahlerzeugenden Werkes ausarbeiten, jedoch müsse vor allem die Erz- und Koksversorgung - nach Selbmanns Vorstellung offenbar qua Import - sichergestellt sein. Selbmann erklärte sich bereit, in diesem Sinne bei Pereliwtschenko vorstellig zu werden. Neben unbedeutenderen Punkten hatte er weitere relevante Änderungen an der Vorlage der So\\jetischen Kontrollkommission vorgenommen: Dies betraf einmal die Erweiterung auf die gesamte Metallurgie, das heißt Selbmann plädierte fiir die Einbeziehung der Nicht-Eisenmetalle in den Maßnahmenka63 64
Ebd., BI. 205 - 208. Ebd., BI. 207.
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talog. Dartiber hinaus sollten zwei kleinere Siemens-Martin-Öfen in Döhlen erst 1954, statt wie von der SKK vorgesehen 1953, errichtet werden. Die bedeutendsten Abänderungen betrafen jedoch den Walzstahlsektor: Hier wandte er sich entschieden dagegen, die schwere Blockstraße in Brandenburg bereits 1953 zu errichten, da dies nicht realisierbar sei. Diese müsse deshalb, wie auch die 800er Walzstraße in Riesa, aus der Liste der Maßnahmen für das folgende Jahr gestrichen werden. 6s Insgesamt aber akzeptierte auch der Minister für Hüttenwesen und Erzbergbau die sowjetischen Forderungen zur Beseitigung der Defizite in der Eisen- und Stahlindustrie. Plausibel wird diese positive Haltung Selbmanns nicht zuletzt dadurch, daß er selbst in einer Anfang November 1952 erstellten Direktive ähnliche Überlegungen zum Investitionsplan 1953 vorgestellt hatte. 66 In seiner Gesamtheit bewirkte der Forderungskatalog der Sowjetischen Kontrollkommission eine weitere Verstärkung der Anstrengungen zum Aufbau der schwarzmetallurgischen Kapazitäten. Zwar überschnitt er sich partiell mit den Bestimmungen des Volkswirtschaftsplans 1953, wie ihn die Regierung am 11.12.1952 beschlossen hatte. In weiten Teilen, und hier v.a. in bezug auf die Stahl- und Walzwerke, ging er jedoch wesentlich weiter als dieser. Von entscheidender Bedeutung waren darüber hinaus die konkreten Maßnahmen, welche die Ausrichtung der zuliefernden Industriezweige auf das Investitionsprogramm der Eisen- und Stahlindustrie und damit die tatsächliche Realisierung der Investitionen absichern sollten. Zudem waren infolge des sowjetischen Papiers für die folgenden Jahre weitere Bemühungen zur Errichtung des zusätzlichen Hüttenwerks in Rechnung zu stellen. Die Bedeutung der sowjetischen Kritik schlug sich im folgenden auch darin nieder, daß am 6.1.1953 das Politbüro der SED die von Selbmann auf der Grundlage der Vorstellungen der SKK erarbeiteten Maßnahmen zur Entwicklung der metallurgischen Industrie beriet. Deren Dringlichkeit war in der Zwischenzeit in weiteren Ausarbeitungen unterstrichen worden: Bereits am 19. Dezember hatte das Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau ein Papier vorgelegt, in dem es zur Kritik zweier sowjetischer Experten Stellung nahm. Diese hatten sich bis zum Dezember 1952 in der DDR aufgehalten und die Ausbaupläne verschiedener Eisen- und Stahlwerke begutachtet und auf der Grundlage ihrer Kritik eigenständige Vorschläge zur Produktionssteigerung formuliert. Das Ministerium hatte sich diese in weiten Teilen zu eigen gemacht und auf dieser Grundlage eine neue Gesamtbilanz für 1956 berechnet. Diese kam zu dem Ergebnis, daß nach Abschluß des ersten Fünfjahrplans 6S Änderungen am Vorschlag der Sowjetischen Kontrollkommission, o. 0., o. D. Anlage zum Schreiben Selbmann an Ulbricht vom 18.12.1952. Ebd., BI. 220 - 223. 66 Minister, Selbmann: Zusätzliche Direktive filr die endgültige Ausarbeitung des Volkswirtschaftsplanes 1953. Berlin, den 7.11.1952. BArch, DG-2/Nr. 2368.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
selbst bei Realisierung aller Vorschläge ein ungedeckter Bedarf von 50.000 t Halbzeug, 265.000 t Blöcken und 650.000 t Roheisen zu erwarten sei. Das Defizit könne - so das Ministerium - nur durch die Errichtung eines weiteren Hüttenwerks - überwunden werden. Diese skeptische Prognose wurde tendenziell von der Staatlichen Plankommission, v.a. hinsichtlich der Roheisenerzeugung, bestätigt. 67 Anfang Januar 1953 fonnulierte schließlich auch die Abteilung Industrie des ZK-Apparates eine Politbüro-Vorlage, in welcher die Stellungnahme der so\\jetischen Fachleute aufgegriffen wurde. Aufgrund kritischen Bewertung, welche diese über den Leistungsstand der Schwarzmetallurgie in der DDR geäußert hatten, plädierte nun auch die ZK-Abteilurig für die weitere Beschleunigung des Aufbaus der Eisen- und Stahlindustrie durch die Errichtung eines neuen Hüttenwerkes und forderte u.a. eine Intensivierung und Verbesserung der Forschungsarbeiten sowie der Tätigkeit des Zentralen Konstruktionsbüros der metallurgischen Industrie. 68
ger
Vor diesem Hintergrund bestätigte das Politbüro der SED am 6. Januar 1953 die von Selbmann vorgelegten "Maßnahmen für den weiteren Aus- und Aufbau der metallurgischen Industrie im Jahre 1953" und beauftragte diesen damit, den Beschluß der Regierung vorzulegen. Dabei wies der Politbürobeschluß bereits formal deutliche Parallelen zu der Vorlage der So\\jetischen Kontrollkommission auf. Die Übereinstimmung setzte sich auch inhaltlich fort, so daß er in seinem Kembereich, dem Investitionsprogramm rur 1953, den Forderungen der SKK entsprach, wobei in einzelnen Fällen konkrete FestIegungen geändert worden waren. In vier Punkten wich der Beschluß hingegen von den so\\jetischen Vorstellungen ab: Vorgesehen war nunmehr lediglich der Bau von 5 Siemens-Martin-Öfen, die Inbetriebnahme der schweren Blockstraße in Brandenburg war auf 1954 verschoben worden, nicht mehr enthalten war außerdem die Errichtung der 800er Straße im Stahl- und Walzwerk Riesa. Neu aufgenommen worden war die Errichtung einer weiteren Blockwalzstraße, die im IV. Quartal 1954 erfolgen sollte. Das Politbüro war damit den von Selbmann vorgebrachten Änderungsvorschlägen (s.o.) insgesamt gefolgt. Vor allem aber enthielt der Beschluß keine Aussagen über die Errichtung eines weiteren Hüttenwerkes in der DDR Offenbar war das Politbüro nicht bereit, sich in dieser Frage festzulegen, bevor diesbezügliche Detaillvorstellungen entwickelt worden waren. In den folgenden Abschnitten 67 Ministerium ft1r Hüttenwesen und Erzbergbaulder Minister: Stellungnahme zu den Empfehlungen der sowjetischen Berater zur Rekonstruktion der Betriebe [... ], Berlin, den 19.12.1952. BArch, DG-2INr. 130. Ausarbeitung Plangebiet Metallurgie, Berlin, den 22.12.1952. BArch, DE-lINr. 15497, BI. 12tT. 68 Abteilung Industrie: Vorlage ft1r das Politbüro, betr.: Maßnahmen zur Entwicklung der metallurgischen Industrie auf der Grundlage des Berichtes der beiden sowjetischen Genossen DimidotTund Lysianka, Berlin, den 2.1.1953. SAPMO-BArch, ZPA, NY 40901Nr. 350, BI. 85 - 100.
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thematisierte die vom Politbüro bestätigte Vorlage, ähnlich wie das Papier der SKK, Maßnahmen zur Sicherung der Rohstoffversorgung und der benötigten Zulieferstrukturen. 69 Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, daß die Realisierung der Vorhaben im Jahre 1953 ernste Schwierigkeiten bereiten würde: Im Verlaufe des Januars bestätigte sich, daß der Investitionsplan 1952 des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau, der bis zum Jahresende um 67 Mio. DM aufgestockt worden war, nicht erfüllt worden war: Zwar betrug die Erfiillung zur Plansurnme des ursprünglichen Volkswirtschaftsplans 100 %, die Kapazitäten hatten hingegen nicht ausgereicht, um die zusätzlichen Investitionen zu verwirklichen. Der erhöhte Investitionsplan wurde infolgedessen lediglich zu 89 % realisiert. Probleme und Engpässe waren dabei sowohl im Baubereich (Mangel an: Projektierungsunterlagen, Baustoffen, Transportraum, Großbaugeräten, Stahl u.a.), bei der Erstellung der benötigten Ausrüstungen (Mangel an: Elektrischen Ausrüstungen, Elektromotoren, Transformatoren u.a.) als auch in der Montage aufgebrochen. Viele Hersteller von Ausrüstungen hatten den Abschluß von Verträgen davon abhängig gemacht, daß der Investitionsträger das Material zur Verfiigung stellte, während Betriebe der Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) Vertragsabschlüsse gar kategorisch abgelehnt hatten. Damit deutete alles darauf hin, daß die Investitionstätigkeit der DDR bereits 1952 überhitzt war, so daß die Spielrnume für eine abermalige Ausweitung der Investitionen in der Metallurgie gering waren. Zudem wies die zuständige Abteilung den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Bruno Leuschner, darauf hin, daß sie einen Teil der im Beschluß zur Entwicklung der Metallurgie aufgeführten Maßnahmen, ungeachtet ihrer grundsätzlichen Zustimmung, terminlich nicht für realisierbar hielt. 70 Darüber hinaus litt die Hochofenproduktion der DDR zu Beginn des Jahres 1953 unter einem drastischen Koksmangel, so daß die Sowjetische Kontrollkommission bei Minister Selbmann intervenierte und vehement eine grundlegende Verbesserung forderte. Weiter schlug ihr Vertreter vor, ggf. müßten im Eisenhüttenkombinat Ost ein oder zwei Hochöfen vorübergehend stillgelegt
69 Protokoll Nr. 2/53 der SitzWlg des Politbüros des Zentralkomitees am 6. Januar 1953. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/2/Nr. 256, BI. I - 3. Anlage Nr. 6 zum Protokoll Nr. 2/53 vom 6. Januar 1953: Maßnahmen fur den weiteren Aus- Wld Aufbau der metallurgischen Industrie im Jahre 1953. Ebd., BI. 24 - 29. 70 Ministerium filr Hüttenwesen Wld ErzbergbaulAbteilWlg InvestitionenIBearbeiter Schirnneister: Gesamt-Analyse über den Stand der Investitionen am 31.12.1952 Hauptanlagen, Berlin, den 19.1.1953. BArch, DE-IINr. 16085, BI. 103 - 116. Piangebiet Metallurgie, Röhricht an den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Herrn Leuschner, betr.: StellWlgnahme zum Beschluss über Maßnahmen zur EntwicklWlg der metallurgischen Industrie vom 22. Januar 1953, Berlin, den 21.1.1953. BArch, DEI/Nr. 15496, BI. 125.
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werden, falls der benötigte Koks nicht zur Verfügung stehe. Für den Fall, daß die für 1953 geplanten Investitionen tatsächlich realisiert werden sollten, war es aufgrunddessen fraglich, ob die erforderlichen Rohstoffe für ihren vollen Betrieb zur Verfügung stehen würden, da bereits die vorhandenen Aggregate nicht ausgelastet werden konnten. 71 Ungeachtet dieser ungünstigen Vorzeichen legte der Minister für Hüttenwesen und Erzbergbau, Selbmann, den Beschluß über die Maßnahmen zur Entwicklung der metallurgischen Industrie auftragsgemäß der Regierung vor, die diesem am 22. Januar zustimmte und sich damit dem Votum des Politbüros der SED anschloß. n Inhaltlich entsprach der Regierungsbeschluß in allen wesentlichen Teilen den Bestimmungen der Politbürovorlage. Der Abschnitt zum Investitionsplan der Eisen- und Stahlindustrie im Jahre 1953 stimmte sogar vollständig mit dem Politbürobeschluß überein; damit hatte die Regierung der DDR aber auch die Forderungen der Sowjetischen Kontrollkommission mit wie gezeigt - wenigen Änderungen umgesetzt. Allerdings war das Vorhaben, ein weiteres neues Hüttenwerk zu errichten, auch in diesem Beschluß nicht enthalten. Im Gegensatz zum Beschluß des Politbüros hatte die Regierung der DDR den Maßnahmenkatalog zur Entwicklung der metallurgischen Industrie um einen eigenen Abschnitt mit Maßnahmen zur Verbesserung der Kapazitätsausnutzung der vorhandenen Anlagen erweitert. Ganz offensichtlich entsprang dies dem Motiv, neben der zu langsamen Kapazitätsentwicklung nunmehr auch den Problemkomplex des technologisch-ökonomischen Zustands der Anlagen zu überwinden. In diesem Abschnitt wurde Selbmann verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen entsprechende Maßnahmen für jedes metallurgische Werk auszuarbeiten, wobei der Beschluß eine Vielzahl von Vorgaben für diese Planungen enthielt: Aufgeführt wurden hier neben verschiedenen Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation auch Wege zur technologischen Entwicklung. Angestrebt wurde vor allem eine Optimierung der traditionellen Technologien (z. B. Automatisierung der Hochöfen und Siemens-Martin-Öfen, Entwicklung einer neuen Konstruktion der SiemensMartin-Öfen), während Entwicklungen, die wenigstens ansatzweise eine Innovation bedeutet hätten, nur am Rande thematisiert wurden. Konkret angesprochen wurde hier jedoch explizit die Anwendung von Sauerstoff bei der Herstellung von Thomas-Stahl. Insgesamt wurde Selbmann angewiesen, bei seinen
71 Ministerium filr Hüttenwesen und Erzbergbaulder Minister, Selbmann: Aktennotiz, Berlin, den 21.1.1953. BArch, DG-2INr. 130. n Regierung der Deutschen Demokratischen Republik/der Staatssekretär der Regierung: Protokoll der 114. Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 22. Januar 1953. Regierungssache! Berlin, den 23.1.1953. BArch, DC-20 I13169, BI. 1 - 8.
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Planungen die Expertisen der so\\jetischen Gutachter zu berücksichtigen. 73 Dieser Linie der Konzentration auf die Effektivierung der Arbeitsorganisation und der Nutzung der Reserven der bekannten und vorhandenen Technologien bei gleichzeitiger Vernachlässigung innovativer Entwicklungslinien folgte wenige Wochen später eine, aufgrund des Regierungsbeschlusses vom 22.l. erlassene, umfassende Instruktion über die Verbesserung der technologischen Prozesse in der Eisen- und Stahlindustrie. 74 Am 8. April 1953 ließ sich das Politbüro der SED von Minister Selbmann erneut Bericht über die Lage in den Betrieben der Eisen- und Stahl industrie erstatten. 75 Anläßlich dieser Berichterstattung verabschiedete man einen Beschluß, der eine umfassende Bestandsaufnahme der Entwicklung der Stahlindustrie bis zu diesem Zeitpunkt enthielt. Gleichzeitig formulierte der Beschluß eine sehr prononcierte Kritik an der technischen und ökonomischen Leistungsfahigkeit, welche die Schwarzmetallurgie erreicht hatte, bevor im Juni 1953 ihr forcierter, auf proportionale Ausgestaltung aller Erzeugungsstufen abzielender, Aufbau abgebrochen wurde. In diesem Dokument betonte das Politbüro erneut die Bedeutung der Eisenund Stahlindustrie für die planmäßige Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR, um dann - wie üblich - die dabei erzielten Erfolge herauszustellen: Insbesondere sei zwischen 1948 bis 1952 folgende Produktionssteigerung möglich gewesen: Roheisen: 179.577 t - 653.653 t; Rohstahl in Bl6kken: 197.515 t - l.647.982 t; Wa/zstahl (ind. Kaltwalz- und Ziehereierzeugnisse, ohne Halbzeug für fremde Walzwerke): 219.133 t - l.003.481 t. Dies sei von einem beachtlichen Kapazitätszuwachs begleitet worden, zwischen 1950 und 1952 seien im Bereich der Roheisenerzeugung 4 Hochöfen und 10 Niederschachtöfen und in den Stahlwerken der DDR 14 Ofeneinheiten errichtet worden. 76 Dennoch bewertete das Politbüro der SED die in den vergangenen Jahren erreichte Wachstumsdynamik der Eisen- und Stahlindustrie erneut als unzureichend:
73 Beschluß über Maßnahmen zur Entwicklung der metallurgischen Industrie vom 22. Januar 1953. Geheime Regierungssache. Anlage zum Protokoll der 114. Sitzung vom 22. Januar 1953. BAreh, DC-20 113-169, BI. 9 - 18. 74 Instruktion über die Verbesserung des technologischen Prozesses in den Betrieben der Eisen- und Stahlindustrie und zur erhöhten Ausnutzung der vorhandenen und neu zu schaffenden Produktionskapazitäten. Berlin, den 10.2.1953. BAreh, DG-2/Nr. 130. 75 Protokoll Nr. 20/53 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees am 8. April 1953. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J IV 2/2/Nr. 274, BI. I - 5. 76 Bericht über die Lage in der Roheisen- und Stahl industrie. Anlage Nr. I zum Protokoll Nr. 20/53 vom 8. April 1953. Ebd., BI. 6 - 34; hier: BI. 6f.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
"Trotz der großen Aufwärtsentwicklung der Eisen- und Stahlindustrie in den letzten Jahren und der Übererftlllung des Volkswirtschaftsplanes ft1r die Erzeugung von Stahl- und Walzwerkserzeugnissen in den ersten zwei Jahres des Fünfjahrplanes sind ernste Erscheinungen des Zw11ckbleibens der Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie festzustellen. So wurde der Plan ft1r die Erzeugung von Roheisen im Jahre 1952 nicht erfüllt, wodurch eine sehr angespannte Lage ft1r die Versorgung der Stahlwerke mit Roheisen und davon ausgehend eine bedenkliche Verminderung der Schrottvorräte in den Stahl erzeugenden Werken eingetreten ist. Eine ernste Erscheinung ist die Tatsache, daß alle neugebauten Produktionseinrichtungen nicht termingemäß in Betrieb genommen wurden.,,77
Entsprach dies dem bereits bekannten Muster der Kritik, so griff der Politbürobeschluß im folgenden verschiedene technische und ökonomische Defizite der Schwanrnetallurgie in einer Deutlichkeit auf, die in dieser Form ein Novum bildete: Ungenügend sei etwa die Qualität der in der DDR gefertigten Stahlerzeugnisse, welche hohe Verluste in der metallverarbeitenden Industrie zur Folge hätte. Im Zentrum der Politbürokritik befand sich erneut das Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau, dessen fehlerhafte Arbeit als eine der wesentlichen Ursachen für die konstatierten Probleme bezeichnet wurde. Vor allem sei die Tätigkeit des Ministeriums durch fehlende Wissenschaftlichkeit charakterisiert, die u.a. daran deutlich werde, daß immer noch keine wissenschaftlich fundierte Perspektivplanung für die Eisen- und Stahlindustrie vorliege, während die Rekonstruktionspläne der alten Werke ungenügend und wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Sowjetunion nur zögerlich übernommen worden seien. Als Konsequenz seien Fehlinvestitionen, hierdurch verschärfte Disproportionen und eine mangelhafte Auslastung der vorhandenen Kapazitäten aufgetreten. Darüber hinaus bezeichnete das Politbüro die Ergebnisse der Forschung und Entwicklung und ihre Einfiihrung in die Produktion als ungenügend. Diesbezügliche Überprüfungen hätten ergeben, daß beim Aufbau neuer metallurgischer Werke und bei der Wiederherstellung der alten Betriebe Fehler in der Projektierung und Konstruktion aufgetreten seien, die der Politbürobeschluß auf die ungenügende Anwendung sowjetischer Erfahrungen und die noch vorhandene Orientierung an westlichen Vorbildern zufÜckfiihrte. Die Begutachtung durch die sowjetischen Spezialisten Lyssenko und Demidow habe nachgewiesen, daß in fast allen Werken der Eisen- und Stahlindustrie große Disproportionen zwischen den einzelnen Aggregaten sowie Engpässe existierten, die eine schnelle Produktionsausdehnung behinderten. Schließlich kritisierte das Politbüro der SED, das Ministerium habe zugelassen, daß der Senkung der Produktionskosten und der Hebung der Wirtschaftlichkeit in den Werken nur ungenügende Beachtung geschenkt und diese Frage als alleinige Angelegenheit des kaufmännischen Personals behandelt werde. Im folgenden wandte sich das Politbüro den Fehlern der Betriebsleitungen sowie der mangelhaften Partei- und Gewerkschaftsarbeit zu, so daß die 77 Ebd., BI. 7.
I. Demontage Wld proportionaler Neuautbau
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Tätigkeit nahezu sämtlicher Akteure der Schwarzmetallurgie mit der Kritik des Politbüros überzogen wurde. 78 Auf diese zusammenfassende Bewertung folgte eine detaillierte Zusammenstellung der Ergebnisse, welche die Begutachtung der wichtigsten Hochofen-, Stahl- und Walzwerke durch die sowjetischen Spezialisten erbracht hatte. Das Fazit war auch hier negativ. In den meisten Fällen wurde auf grundlegende Schwächen der Planungen verwiesen, wobei insbesondere die fehlerhafte Gesamtanlage des Stahl- und Walzwerks Brandenburg hervorgehoben wurde. Insgesamt konstatierte man, in den Werken bestünden Reserven beträchtlichen Umfangs, welche nunmehr auf der Grundlage der Empfehlungen der sowjetischen Berater auszuschöpfen seien. Zudem sei nachgewiesen worden, daß die Tätigkeit des Zentralen Konstruktionsbüros der metallurgischen Industrie (ZKB) ein niedriges technisches Niveau besitze. Als Konsequenz dieser Kritik verabschiedete das Politbüro nunmehr Direktiven fiir die Rekonstruktion der schwarzmetallurgischen Werke, die auf den sowjetischen Vorschlägen beruhten. Zur Beseitigung der vorhandenen Disproportionen wurden hier vielfältige Änderungen an den vorliegenden Konzeptionen vorgenommen, wobei auffälliger Weise die Einfuhrung technologischer Neuerungen nicht zum Thema gemacht wurde. Die prinzipielle Ziel richtung des Beschlusses bestand vielmehr abennals in der effektiven Anwendung der bekannten technischen Verfahren. 79 Beunruhigend mußte das Fazit der beiden sowjetischen Berater auf die Politbüromitglieder wirken: Zum Abschluß ihrer Tätigkeit hatten diese erneut darauf hingewiesen, daß selbst, wenn sämtliche Investitionen und Rekonstruktionen der Eisen- und Stahlindustrie bis 1955 verwirklicht würden, immer noch ein gravierendes Versorgungsdefizit zu erwarten sei. Nach ihren Berechnungen war davon auszugehen, daß am Ende des Fünfjahrplanes in der DDR 504.000 t Roheisen und 522.000 t Rohstahl zu wenig verfiigbar sein würden. Um die voraussichtliche Nachfrage der metallverarbeitenden Industrie befriedigen zu können, hatten sie daher zum Abschluß ihrer Tätigkeit erneut fiir die zusätzliche Errichtung eines weiteren Hüttenwerks in der DDR plädiert. 80 Anders als im Januar reagierte das Politbüro nunmehr auf diese Forderung, indem es die Staatliche Plankommission und das Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau beauftragte, bis Anfang Mai 1953 einen Vorschlag zu erarbeiEbd., BI. 8-17. n: Die Ergebnisse der Überprüfung der wichtigsten Hochofen-, Stahl- Wld Walzwerke, 0.0, o. D. Ebd., BI. 18 - 26. Anlage 3: Direktiven filr die Rekonstruktion der Werke, o. 0., o. D. Ebd. BI. 27 - 30. 80 Anlage n: Die Ergebnisse der Überprüfung der wichtigsten Hochofen-, Stahl- Wld Walzwerke, o. 0., o. D. Ebd.; hier: BI. 25f. 78
79 Anlage
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
ten, auf dessen Grundlage diese Frage grundsätzlich entschieden werden solle. Insofern, als diese so\\jetische Forderung bereits seit Monaten bekannt war, zeigte sich an dieser Vorgehensweise erneut, daß das Politbüro der SED offenbar dazu tendierte, dem Ansinnen nicht sofort nachzukommen und diese Frage möglicherweise dilatorisch behandeln wollte. Darüber hinaus wurden aus der vorhergehenden Zustandsbeschreibung weitere Arbeitsaufträge abgeleitet: Vorrangig war hier u.a. die Formulierung eines gesonderten Perspektivplans der Eisen- und Stahlindustrie, mit dem die Plankommission und das Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau beauftragt wurden. Das Ministerium erhielt darüber hinaus die Aufgabe, eine Instruktion zu erstellen, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Betriebe, zur Realisierung von Kostensenkungen sowie zur Optimierung der technologischen Prozesse und der Arbeitsorganisation aufzeigen sollte. Weiter wurde eine Veränderung in der Struktur der Vereinigungen Volkseigener Betriebe gefordert. 81 Interpretiert man die Ergebnisse der Politbürositzung vorn 8. April 1953 als den Versuch, eine Bilanz des seit 1947 betriebenen Aufbaus der Eisen- und Stahlindustrie zu formulieren, so fiel diese in weiten Bereichen negativaus. Gemessen an der zugrundeliegenden Zielsetzung wurde der Produktionszuwachs in diesem Bereich als unzureichend empfunden. Noch gravierender: Die Knappheit an Eisen- und Stahl würde nach allen Prognosen mit den bisherigen Maßnahmen auch mittelfristig nicht beseitigt werden können. Hielt man somit am grundsätzlichen Wachsturnskurs fest, so wurden weitere, umfangreiche Investitionen erforderlich. Löste zunächst die defizitäre quantitative Expansion der Schwarzmetallurgie die Intervention des Politbüros aus, so erstreckte sich seine Kritik mit der Wirtschaftlichkeit, der Arbeitsorganisation, der Technologie sowie der fehlenden strategischen Planung zunehmend auch auf den unzureichenden Stand qualitativer Parameter. Bemerkenswerter Weise führte das Politbüro diese Schwachstellen fast ausnahmslos auf subjektive Ursachen zurück, während objektive und strukturelle Verwerfungen - man denke nur an die prekäre Rohstofflage - nicht angesprochen wurden. Bestätigt wurde zudem erneut die Einschätzung, daß die Ausrichtung der Investitionen auf traditionelle Technologie bei gleichzeitiger Unterlassung größerer Innovationen politisch nicht vorrangig aufgegriffen wurde und damit offenbar in der politischen Bewertung als zweit- bis drittrangiger Faktor fungierte. Ungefähr zeitgleich mit dieser neuerlichen Stellungnahme des Politbüros zeichnete sich das Scheitern der im Januar beschlossenen Investitionsoffensive zum forcierten Ausbau der Eisen- und Stahlindustrie ab. Insbesondere waren bis zu diesem Zeitpunkt gravierende Schwierigkeiten bei der Vergabe der für die Investitionen benötigten Aufträge deutlich geworden. Verzögerungen und 81 Anlage N: Schlußfolgerungen, o. 0 ., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/2/Nr. 274, BI. 31 - 34.
I. Demontage \U1d proportionaler Neuautbau
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Probleme ergaben sich zudem insbesondere auch bei der Durchfiihrung der Projektierungs-, Konstruktions- und Bauarbeiten. Vor allem aber weigerten sich verschiedene Anlagen- und Maschinenbauunternehmen - zumeist mit Unterstützung ihres Ministeriums - die diesbezüglichen Aufträge überhaupt zu übernehmen. Hinzu kam erneut eine Knappheit an verschiedenen Materialien, so daß die Situation jener glich, welche bereits im VOIjahr zum Scheitern des Investitionsplans des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau geführt hatte. Insgesamt zeigten sich damit unübersehbare Symptome dafür, daß der seit Jahresbeginn unternommene Versuch, die Investitionen der Schwarzmetallurgie erneut zu beschleunigen, das Potential der DDR zu überfordern drohte. 82 Dennoch war die SED-Führung auch angesichts dieser Situation nicht bereit, ihre, im Gefolge des Beschlusses zum Aufbau der Grundlagen des Sozialismus noch verstärkte, wirtschaftspolitische Konzentration auf die Schwerindustrie aufzugeben. Hierzu bedurfte es vielmehr auch jetzt noch eines Anstoßes von außen: Am 5. März 1953 war Stalin gestorben. Seitdem hatten sich die Anzeichen dafür gemehrt, daß die sich formierende neue Führungsspitze der KPdSU den Beschluß zum Aufbau des Sozialismus in der DDR und die damit implizierte Forcierung der Schwerindustrie als einen politischen Fehler betrachtete. Die politischen Meinungsverschiedenheiten eskalierten, als Ulbricht, Grotewohl und Oelßner Anfang Juni 1953, vor dem Hintergrund einer sich deutlich zuspitzenden politischen Lage in der DDR, zu Gesprächen mit den führenden Figuren der so\\jetischen Partei nach Moskau reisten. Die Delegation der SED wurde im Verlauf dieser Gespräche mit vehementen Forderungen der so\\jetischen Führung nach einer Abkehr vom Kurs des forcierten Aufbaus des Sozialismus in der DDR konfrontiert. Vorgebracht wurde hier u.a. die Forderung, die Entwicklung der Schwerindustrie zugunsten der Konsumgüterindustrie abzubremsen. In den Gesprächen am 3. und 4. Juni 1953, an denen neben den Vertretern der SED u.a. Malenkow, Beria, Molotow, Chrustschow, Bulganin und Mikojan teilnahmen, stellte letzterer - nach den
82 Notiz, betr.: Rückfrage bei Genossen Binz, Berlin, den 17.4.1953. SAPMOBArch, ZPA, NY 40901Nr. 350, BI. 135. Schreiben an das Ministerium fUr Hüttenwesen \U1d Erzbergbau, Genossen Minister Se1bmann, betr.: Durchfllhrung des Programmes fUr Herstell\U1g der metallurgischen \U1d bergbaulichen AUsfÜst\U1gen. Berlin, April 1953. SAPMO-BArch, ZPA, NY 40901Nr. 350, BI. 138f. Ministerium filr Hüttenwesen \U1d ErzbergbaulMinister Selbmann an den Ministerpräsidenten der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Genossen Otto Grotewohl, betr.: Durchführung des Ministerratsbeschlusses vom 22.1.1953 über ,Maßnahmen zur Entwickl\U1g der metallurgischen Industrie im Planjahr 1953'. Berlin, den 4.5.1953. SAPMO-BArch, ZPA, NY 40901Nr. 350, BI. 140 - ISO.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Notizen Grotewohls - die nachgerade programmatische Frage: "Warum Hüttenbau, man kann doch Guß kaufen?". 83 Bereits im Rahmen dieser Moskauer Gespräche war der Entwurf für einen Beschluß des Zentralkomitees der SED beraten worden, der neben anderem den Abbruch der gegenüber dem Fünfjahrplan beschleunigten Entwicklung der Schwerindustrie und eine bedeutende Steigerung der Produktion von Massenbedarfsartikeln in Aussicht gestellt hatte. Nach der Rückkehr der SEDDelegation aus Moskau nahm das Politbüro in einer außerordentlichen Sitzung den Bericht über die Reise zur Kenntnis und setzte verschiedene Kommissionen ein, welche die entsprechenden Beschlüsse vorbereiten sollten. Am 9.6. beschloß das Politbüro sodann eine Erklärung über den einzuschlagenden "Neuen Kurs", welche zwei Tage später veröffentlicht wurde. Dieses Kommunique kritisierte den Beschluß des beschleunigten Aufbaus des Sozialismus und kündigte eine Kurskorrektur, die u.a. eine stärkere Förderung der. Konsumgüterindustrie beinhalten sollte, an. Parallel begannen im Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau die Überlegungen zur Umstellung des Investitionsplanes noch im laufenden Planjahr. In verschiedenen Varianten wurden hier Überlegungen entwickelt, die erstmals eine Reduktion der Investitionen der Eisen- und Stahlindustrie und damit ein verringertes Wachstum dieser Branche vorsahen. 1I4 Mit diesen Beschlüssen endete die erste Entwicklungsphase der Schwarzmetallurgie der DDR, noch vor der, sich vordergründig an der Normenfrage entzündenden, Eskalation der politischen Lage am 17. Juni 1953. Wie der ein halbes Jahr zuvor begonnene Versuch, in dieser Frage den Durchbruch zu erreichen, resultierte auch der Abbruch des forcierten, proportionalen Aufbaus der Eisen- und Stahlindustrie aus den Forderungen der Sowjetunion. Die Implikationen und Folgeprobleme, welche dieser Kurswechsel im Bereich der
83 Handschriftliche Notizen Otto Grotewohls über die BesprechWlg mit der sowjetischen FührWlg in Moskau am 3. Wld 4.6.1953. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/2INr. 286, BI. lifT; hier: BI. 12. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 108 - 111. R. Karlsch, Allein bezahlt, S. 197ff. 114 Entwurf: Beschluss des Zentralkommitees (sie!, st. U.) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 0.0., o. D. SAPMG-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/2INr. 286. Protokoll Nr. 32/53 der außerordentlichen Sitzung des Politbüros des ZK der SED am 5. Juni 1953. SAPMG-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/2INr. 286. Ministeriwn für Hüttenwesen Wld ErzbergbaulMinister Se1bmann an den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Leuschner, Berlin, den 12.6.1953. BAreh, DE-IlNr. 15762, BI. 28 - 31. Regier\Ulg der Deutschen Demokratischen Republik: Investitionsplan-UmstellWlg 1953 - 55, Hauptan1agen, 0.0.,12.6.1953. BAreh, DE-IlNr. 15762, BI. 69. Ministeriwn für Hüttenwesen Wld Erzbergbau/Abt. Investitionen, Wittich: InvestitionsplanumstellWlg 1953, 0.0., 17.6.1953. BAreh, DE-IlNr. 15762, BI. llff. H. Weber, Die DDR 1945 1990, S. 40. W. MahlfriedeVK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 150. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 114fT.
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" Wld "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Schwarzmetallurgie seinerseits helVorbrachte, wurden in den folgenden Jahren immer deutlicher.
11. Die Schwarzmetallurgie zwischen "Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe" (1953 -1958) Wenn im folgenden die Entwicklung der Eisen- und Stahlbranche zwischen der Ausformulierung des "Neuen Kurses" im zweiten Halbjahr 1953 und der Verkündung der "Ökonomischen Hauptaufgabe" auf dem V. Parteitag der SED im Juli 1958 diskutiert wird, so weicht diese Periodisierung von den gängigen Vorstellungen ab: Gemeinhin begreifen die einschlägigen wirtschaftshistorischen Beiträge den Zeitraum des ersten Fünfjahrplanes (1951 1955) oder gar die gesamten fünfziger Jahre als eine durchgehende ökonomische Entwicklungsphase. 85 Da das im weiteren zugrunde gelegte Periodisierungsmuster jedoch die Zäsuren in der Entwicklung der Schwarzmetallurgie abbilden sollte, erwies es sich als wenig hilfreich, diese Vorstellungen zu übernehmen: Wie zu zeigen sein wird, brachte der Abbruch des Investitionsprogramms im Juni 1953 für diese Branche einen entscheidenden Einschnitt, so daß hier von einer kontinuierlichen Entwicklung während des Fünfjahrplanzeitraums keine Rede sein kann. 86 Aus diesem Grunde erwies es sich als geboten, von der üblichen, zumeist an der Laufzeit der Perspektivpläne ausgerichteten, Periodisierung abzuweichen. Verglichen mit der wirtschaftspolitischen Phase des Siebenjahrplanes oder des Neuen Ökonomischen Systems der sechziger Jahre fand der Zeitraum zwischen der Verkündung des "Neuen Kurses" und dem V. Parteitag der SED in der (wirtschafts-) historischen Literatur eine vergleichsweise geringe Beachtung. Im Gegensatz zu den erstgenannten Perioden erscheinen die Jahre 1953 8S U. HarlmannIW. MQhljriedel, Entwickhmg der schwarzmetallurgischen Industrie der DDR von 1946 bis 1955. Wolf, HerbertISattler, Friederike: Entwicklung und Struktur der Planwirtschaft der DDR, in: Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der VerantwortWlg, Bd. IJ/4, op. cit., S. 2889 2940. W. MQhljriedeVK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 19f. H. Weber, Entwicklungsphasen der DDR-Geschichte, S. 3005f, 3009. Roesler, Jörg: IntensivierWlg und DDR-Geschichte. Forschungsbericht zu Problemen der extensiv und intensiv erweiterten Reproduktion in der Geschichte der DDR, in: Jahrbuch fllr Geschichte, Bd. 20 (1979), S. 323 - 360; hier: S. 340 - 347. 86 Die wirtschaftshistorische Forschung der DDR unterschätzte die Bedeutung dieser Zäsur ftlr die weitere Entwicklung der Branche. So erwähnen z. B. Mühlfriedel und Hartmann lediglich eine "Verzögerung" des Aufbautempos der Schwarzmetallurgie. U. HarlmannIW. MQhljriedel, Entwicklung der schwarzmetallurgischen Industrie der DDR von 1946 bis 1955, S. 274. Baar, Lothar: Zur ökonomischen Strategie und Investitionsentwicklung in der Industrie der DDR in den fllnfziger und sechziger Jahren, in: Jahrbuch ftlr Wirtschaftsgeschichte, 1983/llI, S. 9 - 31; hier: S. 14. 14 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
bis 1958 dabei zumeist als eine Übergangsperiode, in welcher die Partei- und Staatsführung nach dem "Schock" des 17. Juni und dem Scheitern des schwerindustrieIl dominierten Aufbauprojekts zu taktischen Konzessionen gezwungen war und zeitweise über keine eindeutige wirtschaftspolitische Strategie verfügte. Aufgrunddessen bildete dieser Zeitraum wirtschaftspolitisch eine Zwischenphase mit schwer identifizierbarem Profil. 87 Die allgemeine Wirtschaftspolitik der SED kann für diese Jahre folgendermaßen skizziert werden: Nach der Verkündigung des wirtschaftspolitischen Kurswechsels erfolgte im zweiten Halbjahr 1953 zunächst eine Konkretisierung des "Neuen Kurses". Wie sich rasch herauskristallisierte, verband dieser in ökonomischer Hinsicht die verstärkte Berücksichtigung des privaten Konsums mit einer Förderung der verbliebenen Privatwirtschaft und einer deutlich vorsichtigeren Haltung in der Frage der Arbeitsnormen. Bald jedoch zeigten sich abermalige Bestrebungen zur Bevorzugung des Aufbaus der Schwerindustrie, die dazu tendierten, den "Neuen Kurs" zu konterkarieren. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der Schwarzmetallurgie war dabei, daß nun nicht mehr die Erzeugung metallischer Grundstoffe im Zentrum des wirtschaftspolitischen Interesses rangierte. An ihre Stelle als Schwerpunktbranche trat vielmehr die Energie- und Brennstoffindustrie, so daß die Kohleförderung und Energieerzeugung 1955 alleine 39,5 % der industriellen Gesamtinvestitionen absorbierten. Die Verabschiedung der bei den Kohle- und Energieprogramme (1954 und 1957) reflektierte den Umstand, daß die Energieerzeugung mit dem Ausbau der industriellen Produktion nicht Schritt gehalten und sich in diesem Bereich gravierende Engpässe gezeigt hatten. Die 3. Parteikonferenz der SED modifizierte demzufolge im März 1956 den "Neuen Kurs", bis jener schließlich vom V. Parteitag auch offiziell abgebrochen wurde. Parallel zu diesem Wechsel der Schwerpunktbranche zeigten sich nach dem Abschluß des 1. Fünfjahrplanes Schwierigkeiten bei der Formulierung der wirtschaftspolitischen Perspektive: Nachdem bereits die 3. SED-Parteikonferenz die Direktive für den 2. Fünfjahrplan (1956 - 1960) verabschiedet hatte, wurde erst im Januar 1958 das verbindliche Gesetz zum Fünfjahrplan beschlossen. Der zweite Fünfjahrplan wurde schließlich nicht zu Ende geführt, sondern 1959 durch den Siebenjahrplan (1959 - 1965) ersetzt. Mit diesem Schritt schloß sich die DDR dem Übergang der Sowjetunion zum Siebenjahrplan-Rhythmus an. 88
87 Deutlich wird das beispielsweise an der Darstellung dieses Zeitraums in folgenden Überblicksdarstellungen: G. GutmannIW. Klein, Herausbildungs- und Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- und Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1580ff. H. WolflF. Sattler, Entwicklung und Struktur der Planwirtschaft der DDR; hier v.a. S. 2908fT. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 140fT. 88 Roesler, Jörg: Perspektivpläne und Investitionsrhytlunus in der Volkswirtschaft der DDR 1949 bis 1980. Inhaltliche und methodologische Probleme, in: Jahrbuch fllr
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" Wld "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Zudem machten sich spätestens seit der Mitte der fünfziger Jahre die Defizite des Planungs- und Leitungssystems bemerkbar, das sich bis dahin einseitig auf die HelVorbringung quantitativen Wachstums bei weitgehender Zentralisierung der wirtschaftlichen Verfügungsgewalt orientiert hatte. Verstärkt fanden deshalb nunmehr auch qualitative Größen die Beachtung der Partei- und Staatsführung. Aus dieser Problemlage resultierten verschiedene, vorsichtige Teilreformen des wirtschaftlichen Steuerungssystems, die jedoch das bisherige Modell der zentralisierten, vorrangig auf die direktive Mengenplanung ausgerichteten Lenkung allenfalls rudimentär ergänzten. Ihr Ziel bestand in der Optimierung der technologischen Grundlagen der Industrie, der Steigerung der Wirtschaftlichkeit und einer vorsichtigen Erweiterung der betrieblichen Handlungsspielräume. In organisatorischer Hinsicht stellte die 1958 durchgeführte Auflösung mehrerer Industrieministerien und die Neugründung von nach Industriezweigen gegliederten Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) die drastischste Maßnahme dar. Anders als unter dem Neuen Ökonomischen System der sechziger Jahre kam es in diesem Zeitraum jedoch nicht zur Formulierung eines umfassenden ökonomischen Reformkonzeptes. 89
Wirtschaftsgeschichte, 198311, S. 169 - 177; hier: S. 174 - 177. Ders., Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 133,287 - 298. Ders., Zur Charakteristik der ökonomischen Ergebnisse in der Industrie der DDR, S. 42. Ders.: Die Lenkung des betrieblichen Akkumulationsprozesses durch den sozialistischen Staat in der DDR (1956 bis 1962), in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 19791III, S. 11 - 26; hier: S. 18. H. WolflF. Sattler, Entwicklung Wld Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2908f. W. MerkelISt. Wahl, Das geplünderte Deutschland, S. 19f. G. GutmannIW. Klein, HerausbildWlgs- Wld Entwicklungsphasen der PlanWlgs-, Lenkungs- Wld Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1581f, 1605, 1610. L. Baar, Zur ökonomischen Strategie Wld Investitionsentwicklung in der Industrie der DDR, S. 14, 23f. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 148ff. Mühlfriedel, Wolfgang: Zur technischen Entwicklung in der Industrie der DDR in den 50er Jahren, in: Schildt, AxeVSywottek, Arnold (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 155 - 169; hier: S. 164. Bericht des Zentralkomitees an den V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (10. bis 16. Juli 1958 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin). 6. und 7. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1959, S. 1417 - 1627; hier: 1473f 89 G. GutmannIW. Klein, Herausbildungs- Wld Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- Wld Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1607, 1610. H. Wolf/F. Sattler, Entwicklung Wld Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2906f, 2909f, 2939. J. Roesler, Zur Charakteristik der ökonomischen Ergebnisse in der Industrie der DDR, S. 44fT, 54. Ders.: PlanWlg Wld LeitWlg des wissenschaftlich-technischen Fortschritts der DDR in der zweiten Hälfte der fllnfZiger Jahre, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 19701III, S. 41 - 55; hier: S. 45 - 55. Ders., Die Lenkung des betrieblichen Akkumulationsprozesses durch den sozialistischen Staat. Ders., Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 130, 138 - 144, 192 - 217, 31Of, 320fT. W. MühlfriedellK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 278 - 287.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Für die Eisen- und Stahlindustrie brachte der "Neue Kurs" den Abbruch des 1953 begonnenen Investitionsprogramms und damit den Verlust ihrer Vorrangstellung als Schwerpunktbranche der Wirtschaftspolitik. Die Schwarzmetallurgie wurde nunmehr zunehmend als nachgeordnete Branche betrachtet ein Status der bis zum Ende der DDR prinzipiell unverändert blieb. Vor allem bedingte der Abbruch des forcierten Aufbaus der Stahlindustrie, daß zunächst kein konkretes und eindeutiges Leitbild für die zukünftige Entwicklung der Branche vorhanden war und eine gewisse Orientierungslosigkeit vorherrschte. Der "Neue Kurs" führte damit vor allem auch zu einer Stagnation der Schwarzmetallurgie, deren Aufbau bis zum Sommer 1953 in weiten Teilen unvollendet geblieben war. Daneben eröffnete das Ende der Orientierung auf einen vehementen quantitativen Zuwachs der Produktionskapazitäten jedoch auch Spielräurne zur verstärkten Thernatisierung qualitativer Faktoren der Branchenentwicklung, die zuvor angesichts der hektischen Aufbaubemühungen größtenteils vernachlässigt worden waren. 90 Infolge fehlender Investitionsmittel konzentrierten sich diese Diskussionen allerdings im Kern auf die technisch und ökonomisch optimierte Nutzung der vorhandenen Kapazitäten, während sie zunächst darauf verzichteten, grundlegende Innovationen in das Zentrum der Aktivitäten zu rücken. Im Ergebnis dieser Konstellation entschieden sich die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger schließlich für die Konzeption der "H. Verarbeitungsstufe", welche die vorrangige Entwicklung der Endproduktionsstufen und die Konzentration auf hochwertige Produkte als langfristige Branchenstrategie postulierte. An die Stelle der vormaligen Konzeption des forcierten, proportionalen Aufbaus der Stahlindustrie als Massenstahlerzeuger trat spätestens 1958 mit den Beschlüssen des V. SEDParteitags die Forderung nach einern selektiven Wachstum zum Zwecke der "Höherveredelung" der Produkte.
1. Die Konkretisierung der Wirtschaftspolitik des "Neuen Kurses" Als arn 11.6.1953 ein "Neuer Kurs" in der DDR proklamiert wurde, verfügte die SED über kein ausformuliertes und operationalisiertes Konzept, wie die nach diesen Leitlinien veränderte Politik auszusehen habe. Die Konkretisierung der einzelnen Maßnahmen wurde deshalb mehreren Kommissionen übertragen. Im Mittelpunkt ihrer Erörterungen standen u.a. die aus der angekündigten Veränderung des Investitionsplans erwachsenden Umstellungen im Maschinenbau und der Bauindustrie. Gefordert wurde in diesem ZusarnrnenW. MUhlfriedel, Zur technischen EntwicldWlg in der Industrie der DDR, S. 161 - 169. R. Benlley, Technological Change in the Gennan Democratic Republic, S. 59f, 64f. 90 U. HartmannIW. MUhlfriedel, EntwicldWlg der schwarzmetallurgischen Industrie
der DDR von 1946 bis 1955, S. 283.
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hang beispielsweise, die durch die veränderte Investitionspolitik frei gewordenen Kapazitäten dieser Industriezweige für den Export. die Reparationsverpflichtungen, die Konsumgüterproduktion sowie den Wohnungsbau einzusetzen. 91 Die unmittelbar im Juni 1953 aufgenommenen Arbeiten zur Revision des bis dahin schwerindustrieIl dominierten Investitionsplanes erfolgten in einer Atmosphäre, die offensichtlich durch Hektik und teilweise von Willkür geprägt war. Dies jedenfalls legen die Schilderungen, die Fritz Schenk, zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiter des SPK-Vorsitzenden Leuschner, zu Beginn der sechziger Jahre veröffentlichte, nahe: ,,(Leuschner) wies mich an: ,Nehmen Sie sich ein großes Blatt Papier und schreiben Sie alle Betrage auf, die wir jetzt streichen werden.' Dann forderte er Straßenberger auf, der Reihe nach die in seinen Listen aufgefiUuten schwerindustriellen Objekte und die dafllr vorgesehenen Investitionsswnmen zu nennen. Widerwillig las Straßenberger vor: ,Ministerium fllr Erzbergbau und Hüttenwesen fllr das EKO (das war das Eisenhüttenkombinat Ost, später Stalinstadt) 80 Millionen.' Leuschner fragte: ,Was kann man davon nach deiner Meinung kürzen?'. ,Ich muß das gleiche antworten wie Kerber und Bayer: von meiner Warte aus kann ich unmöglich beurteilen, ob sich 20 oder 50 Millionen herausnehmen lassen. ' Leuschner hörte auch das nicht. Er biß die Zähne ärgerlich zusammen, holte tief Luft und trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. Nach wenigen Sekunden entschied er: ,Also streichen wir zunächst mal 30 Millionen! Schenk, schreiben Sie das auf. Weiter, Paul, das nächste Objekt.' Straßenberger schlug ein Blatt um und fuhr fort: ,Ministerium fllr Hüttenwesen und Erzbergbau fllr das Stahlwerk Riesa 75 Millionen.' ,20 weg!' ,Hüttenwerk Calbe, 80 Millionen. ' ,20 weg!' So ging es stundenlang weiter. Während die anderen Mitglieder tuschelten, die Achseln zuckten oder den Kopf schüttelten, entwickelte Leuschner einen immer größeren Arbeitseifer. Nach Straßenberger kamen die übrigen an die Reihe. Einer nach dem anderen mußte Leuschner die Zahlen fllr die einzelnen Objekte nennen, undjedesmal wurde nicht mehr gesagt als: ,10 weg!' oder ,15 weg!' oder ,20 weg!'. Ich notierte. Als ich am Schluß zusammenzählte, ergab sich eine Summe von etwa einer Milliarde. Diesen Betrag verteilte Leuschner nun in gleicher Manier auf die Zweige der Konsumgüterindustrie. Und wie mit den Investitionen verfuhr er auch mit den Materialkontingenten, den Produktions- und Finanzzahlen und allen andelen Planposi-
91 D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 125. Beschluß der operativen Kommission der Regierung vom 4. Juli 1953. O. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 16082, BI. 38 - 42.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
tionen: die Zahlen der Schwerindustrie wurden gekürzt, die der Leichtindustrie erhöht. ,,92
Innerhalb dieses Prozesses der Umverteilung der Ressourcen hin zu verbrauchsnahen Industriezweigen bildete die Eisen- \lI1d Stahlindustrie, deren rasche Expansion bis dahin ein Hauptvorhaben der wirtschaftspolitischen Agenda dargestellt hatte, eines der wesentlichen Ziele der KÜTZUngsmaßnahmen. Erstmals wurden die Investitionen der Schwarzmetallurgie, noch dazu im laufenden Planjahr, gekürzt. Das Ministerium fiir Hüttenwesen und Erzbergbau erhielt in diesem Zusammenhang von der Staatlichen Plankommission die Vorgabe, seine Investitionen fiir Hauptanlagen binnen weniger Tage von rd. 789,8 Mio. DM auf rd. 589,8 Mio. DM zusammenzustreichen. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete der Minister fiir Hüttenwesen und Erzbergbau, Fritz Selbmann, bereits am 23. Juni. Die vom zuständigen Industrieministerium durchgeführten Kürzungen bedingten in den einzelnen schwarzmetallurgischen Werken einen abrupten Abbruch des ror 1953 avisierten Expansionsprojekts, zentrale Investitionsvorhaben wurden entweder gänzlich aufgegeben, auf das folgende Jahr verschoben oder aber die Entscheidung über ihre Zukunft auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. In seinem Kürzungsvorschlag wies Selbmann allerdings auch darauf hin, daß die durch den "Neuen Kurs" nötig gewordenen Maßnahmen - zumindestens mittelfristig die Erfiillung der Wachstumsziele der Schwarzmetallurgie gefährden würden und zudem in den meisten Fällen bereits mit den Arbeiten begonnen worden sei. Dennoch bildeten die im Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau ausgearbeiteten Vorstellungen die Grundlage fiir die folgenden Entscheidungen. Bereits Anfang Juli stand daher verbindlich fest, daß aus dem Investitionsplan des Ministeriums insgesamt ( also incl. Erzbergbau) 205 Millionen DM gestrichen werden würden, wobei die gravierendsten Eingriffe rein quantitativ das Eisenhüttenkombinat Stalinstadt (Kürzung: 52,2 Mio. DM auf 118 Mio. DM), die Eisenhüttenwerke West in Calbe (Kürzung: 29,4 Mio. DM auf 35,7 Mio. DM), das Stahl- und Walzwerk Gröditz (Kürzung: 13,6 Mio. DM auf 28 Mio. DM) sowie die Stahl- und Walzwerke Riesa (Kürzung: 10 Mio. DM auf 34 Mio. DM) trafen. Wie sich bald zeigen sollte, reichten die tatsächlichen Folgen des Investitionsabbruchs aufgrund ihrer strukturellen Bedeutung jedoch noch weiter, als es diese Angaben andeuten. 93
92 Zitiert nach: Schneider, Jürgen: Von der nationalsozialistischen Kriegswirtschaftsordnung zur sozialistischen Zentralplanung in der SBZJDDR, in: Schneider, JürgenIHarbrecht, Wolfgang (Hg.): WirtschaftsordnWlg und Wirtschaftspolitik in Deutschland (1933 - 1993), Stuttgart 1996 (Sonderdruck), S. 1 - 90; hier: S. 56f. 93 Ministerium für Hüttenwesen Wld ErzbergbaulMinister Se1bmrum: StellWlgnahme zum Vorschlag zur Kürzung der Investitionen 1953. Berlin, den 23.6.1953. BArch, DE-IlNr. 13997, BI. 22 - 27. Ministerium fi1r Hüttenwesen Wld ErzbergbaulAbt. Investitionen, Bearbeiter: Kliemrum: Gesamt-Analyse über den Stand der Investitionen
ll. Zwischen ,,Neuem Kurs" Wld "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Als sich im weiteren Verlauf des Jahres bei der Erarbeitung des Volkswirtschaftsplans 1954 abzeichnete, daß sich die Investitionskürzungen für die Schwarzmetallurgie nicht auf 1953 beschränken, sondern künftig - noch drastischer - fortgeführt werden würden, wiesen Vertreter des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau auf die Folgen dieser Maßnahmen für die weitere Entwicklung der Branche hin. Mehrere, teilweise vehement fonnulierte, Stellungnahmen warnten dabei zunehmend auch vor den qualitativen Folgen einer zu starken und zu raschen Investitionsreduzierung für die Strukturen der, noch mitten im Aufbau befindlichen, Branche: Beispielsweise wurde im August in einer Stellungnahme gegen die Vorgabe der Staatlichen Plankommission für den Investitionsplan 1954 Stellung bezogen. Konkret hatte diese dem Ministerium eine Kontrollziffer für die Investitionen von 200 Mio. DM vorgegeben, während der ursprüngliche Plan 1953 noch 830 Mio. DM enthalten hatte. Wenngleich die Grundsatzentscheidung, die Investitionen im Bereich Metallurgie zu reduzieren, nicht hinterfragt wurde - und wahrscheinlich auch nicht hinterfragt werden durfte - wurde das Ausmaß der Kürzungen kritisiert. Vor allem mache dieses einen vernünftigen und wirtschaftlichen Abschluß der begonnenen Maßnahmen unmöglich: ,,Es wird nochmals betont, dass über die gnmdsätzliche Frage der starken Kürzung der fuvestitionen auf dem Gebiet der Metallurgie keine Meinungsverschiedenheiten bestehen, aber es gibt einen PWlkt, wo die Reduzierung von Mitteln fllr die Fortführung von fuvestitionen zu einer Frage der wirtschaftlichen und auch politischen VernWlft wird Wld wo die gute Absicht in eine schlechte Wirkung wnschlägt. Das ist ohne Zweifel der Fall, wenn die fuvestitionen mit maximal 200 Millionen DM filr das Jahr 1954 begrenzt werden, da man ja berücksichtigen muss, dass in diesem und im vergangenen Jahre grosse Vorhaben in Angriff genommen wurden, die jetzt einfach stehen Wld verkommen Wld die man irgendwie doch zu einem vertretbaren Abschluss bringen muss, wenn man nicht verantwortungslos Geld zum Fenster hinauswerfen will Wld jeden Kredit auch bei den Arbeitern verlieren will, die fllr eine derartige sinnlose Liquidierung von begonnenen Vorhaben nicht verstehen können (Sie! st. U.). ,,94
Dennoch hielt der Druck zur Kürzung der Investitionen im Bereich der StahIindustrie, den die Staatliche Plankommission auf das zuständige Branchenministerium ausübte, weiter an. Dabei wurden vor allem Investitionen, welche nicht unmittelbar das Produktionsvolumen beeinträchtigten, gestrichen. Die hierzu vorgeschlagenen Einschnitte führten allerdings zum Fortfall von Maßnahmen, welche eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit und der Aram 25.6.53. Streng vertraulich. Berlin, den 8. Juli 1953. BAreh, DE-1INr. 13997, BI. 287 - 296. 94 Leider ist der Autor dieses Papiers nicht zu ermitteln. Die Art der Formulierung könnte jedoch darauf hindeuten, daß es von Minister Selbmann verfaßt wurde. Ministeriwn filr Hüttenwesen Wld Erzbergbau: Stellungnahme zu den Kontrollziffern fllr fuvestitionen im fudustriezweig Hüttenwesen Wld Erzbergbau, Berlin, den 13.8.1953. BAreh, DE-1INr. 15709, BI. 7 - 17; hier: BI. 7f
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
beitsproduktivität sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den schwarzmetallurgischen Betrieben bewirkt hätten. Dieses Fazit zog jedenfalls Anfang November der technische Leiter der Hauptverwaltung Eisenindustrie im soeben gegründeten Ministerium für Schwerindustrie. 9s Vor dem Hintergrund des Zielkonflikts von Produktionswachstum und Optimierung qualitativer Parameter fiel damit die konkrete Entscheidung innerhalb des Krisenmanagements des Jahres 1953 zugunsten der Erzeugung. Die Bedenken, die im Zuge der Verlagerung des wirtschaftspolitischen Schwerpunkts aus dem für die Schwarzmetallurgie zuständigen Ministerium formuliert wurden, nahmen im Zuge dieser Auseinandersetzung bereits wesentliche qualitative und strukturelle Verwerfungen, welche die Diskussion in den kommenden Jahren bestimmen sollten, vorweg. Bald stellte sich heraus, daß der bei der Konkretisierung des "Neuen Kurses" erfolgte, weitgehende Abbruch der Investitionen in der Eisen- und Stahlindustrie eine weitere schwere Hypothek für die technologische und ökonomische Entwicklung der Branche darstellte. Zunächst jedoch brachten die Planbeschlüsse, welche die Regierung im zweiten Halbjahr 1953 faßte, eine konkrete Umsetzung der politischen Rhetorik des "Neuen Kurses". Einhergehend mit der verstärkten Förderung konsumnaher Industriezweige enthielten sie für die Schwarzmetallurgie eine definitive Festschreibung der, in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht unumstrittenen, Investitionskürzungen, welche insgesamt eine prinzipielle Neudefinition der Entwicklungs- und Expansionsgrundlagen der Branche einleiteten. Mitte September erfolgte zunächst der Beschluß zur Veränderung des Volkswirtschaftsplanes für das zweite Halbjahr 1953, welcher nunmehr die Steigerung der Gesamtinvestitionen im Vergleich zum Vorjahr auf 120 %, statt wie ursprünglich geplant 125 %, reduzierte. Möglich wurde dies vor allem durch die Kürzung der Investitionssumme der Schwerindustrie um 600 Mio. DM gegenüber dem bestätigten Volkswirtschaftsplan 1953. Für die Eisen- und Stahlindustrie schrieb der Beschluß im einzelnen die Zurückstellung bzw. Verlangsamung von Maßnahmen im Eisenhüttenkombinat ,,1. W. Stalin", in Calbe sowie in Brandenburg, Döhlen und Riesa vor. 96 Wie bereits angedeutet, setzte sich diese restriktive Politik auch beim Regierungsbeschluß zum Plan 1954 fort, der für das Hüttenwesen, den Erzbergbau und den Maschinenbau eine Verringerung der Investitionen auf ein Drittel des Standes von 1953 fest9S Ministeriwn ft1r SchwerindustrieIHV Eisenindustrie!fecM. Leiter, Salzer: Analyse zwn neuen Investitionsplanvorschlag 1954, Hauptanlagen der HV Eisenindustrie. Berlin, den 7.11.1953. BAreh, DE-IINr. 15482, BI. 199 - 204. 96 Regier\Ulg der Deutschen Demokratischen Republik, der Staatssekretär der RegiefWlg: Protokoll der 138. Sitzung der Regier\Ulg der Deutschen Demokratischen Republik vom 14. September 1953. Regier\Ulgssache. Berlin, den 16.9.1953. Anlage 1: Beschluß zur Veränder\Ulg des Volkswirtschaftsplanes ft1r das 2. Halbjahr 1953. BAreh, DC-20 113-201, BI. 1 - 12.
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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legte. In Anknüpfung daran wurde gefordert, die Produktionssteigerungen in der Metallurgie seien im wesentlichen durch die bessere Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten zu erreichen. Neue Investitionsprojekte der Branche wurden nicht aufgenommen, erwähnt wurde lediglich die Fortführung bereits 1953 begonnener Maßnahmen. 97 Mit diesen tiefen Einschnitten hatte sich die Regierung der DDR über die im Vorfeld der Beschlüsse vorgebrachten Bedenken hinweggesetzt. Für die Eisen- und Stahlindustrie signalisierte der Beschluß zum Volkswirtschaftsplan 1954 endgültig ihre verringerte Priorität für die Wirtschaftspolitik der Partei und des Staates.
2. Der Abschluß des ersten Fünfjahrplanes unter dem "Neuen Kurs" Bereits mehrfach wurden die einschneidenden Folgen, welche der im Umfeld der Juni-Ereignisse von der SED konzedierte "Neue Kurs" verursachte, angedeutet. Ein Vergleich der wichtigsten, für 1953 in der Eisen- und Stahlindustrie geplanten, und der tatsächlich realisierten Investitionsprojekte unterstreicht diesen Befund: Betroffen von den nach dem Beschluß über den "Neuen Kurs" einsetzenden Streichungsmaßnahmen waren mit dem Eisenhüttenkombinat Stalinstadt und den Hüttenwerken Calbe vor allem auch Schwerpunktobjekte des ersten Fünfjahrplans. In Eisenhüttenstadt wurde infolgedessen auf die Errichtung des sechsten Hochofens verzichtet. Vor allem aber: Der für 1953 vorgesehene Baubeginn des Stahl- und des Walzwerkes wurde nicht realisiert, so daß der neu errichtete Betrieb nicht zu einem integrierten Hüttenwerk ausgebaut wurde und im folgenden lediglich der Roheisenerzeugung diente. Im Hüttenwerk Calbe verzichtete man hingegen auf den Ausbau der Roheisenproduktion durch die Errichtung einer zweiten Reihe Niederschachtöfen. Weitere einschneidende KÜfZUngsmaßnahmen trafen das Döhlener Edelstahlwerk, wo u.a. drei Walzstraßen und eine Schmiedepresse erst einmal zum Fortfall kamen, die Stahlwerke Brandenburg (Streichung der schweren Blockund Brammenstraße) und die Stahlwerke Riesa (Streichung der Block-straße und von Teilen des Neuen Rohrwerks). Betroffen waren neben anderen auch die Werke Gröditz und Finow. Im Gegensatz dazu waren lediglich jene Vorhaben fortgeführt worden, die für die Erfiillung der geplanten Produktion entscheidend waren. 98 Im Ergebnis fiihrten die aufgrund der neuen wirt97 Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, der Staatssekretär der Regierung: Protokoll der 146. (außerordentlichen) Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Dezember 1953. Regierungssache. Berlin, den 15.12.1953. Anlage A: Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1954 der Deutschen Demokratischen Republik. O. 0., o. D. BArch, DC-20 113-209, BI. 1 - 42. 98 Ministerium für Schwerindustrie/Zentrale Abteilung Investitionen: Analyse zur Metallurgie, Berlin, den 11.1.1954. Anlage 4: Ministerium für Schwerindustrie/Zentrale Abteilung Investitionen: Aufstellung über die abgebrochenen Investitio-
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
schaftspolitischen Orientierung herbeigefiihrten Entscheidungen mithin dazu. daß wesentliche Eckpunkte der "Maßnahmen zur Entwicklung der metallurgischen Industrie", wie sie der Ministerrat erst im Januar 1953 beschlossen hatte (siehe Teil 5, I) nicht, jedenfalls nicht mit der vorgesehenen Geschwindigkeit, durchgeführt werden konnten. Noch wesentlich folgenschwerer als diese im Zuge des Krisenmanagements kurzfristig ergriffenen Maßnahmen sollte sich hingegen die Tatsache auswirken, daß die Investitionen der Schwarzmetallurgie auch in den folgenden Jahren das Niveau, das sie bis 1953 besessen hatten, nicht mehr erreichten. Im wesentlichen wurden die Investitionsmittel vielmehr bis zum Ende der fünfziger Jahre in dem Rahmen gehalten, der durch den "Neuen Kurs" abgesteckt worden war, so daß es sich im Zeitverlauf zunehmend als unmöglich erwies, den Einbruch von 1953 durch die Rückkehr zum früheren Wachstumskurs zu überwinden: Tabelle 4 Investitionen der Schwarzmetallurgie 1951 - 1957 (Mio. DM)99 1951
1952
1953
1954
1955
1956
1957
363,6
354,4
447,4
169,1
153,0
188,1
176,1
Nach diesen Angaben, die nicht mit den in Kapitel 4 dargestellten Daten kompatibel sind. fielen die Investitionen der Schwarzmetallurgie im Jahre 1954 auf ein Niveau von lediglich 37,8 % des VOljahres. Auch in den folgenden Jahren kann keine grundlegende Erhöhung der verfügbaren Investitionsmittel der Branche nachgewiesen werden, so daß die 1957 investierte Summe weiterhin erst 39,4 % des (bereits reduzierten) Wertes von 1953 betrug. Zweifelsohne bildete das Jahr 1953 damit im Hinblick auf die Investitinen, Berlin, den 11.1.1954. BArch, DE-IlNr. 13997, BI. 114 - 120. Ministeriwn fi1r Berg- Wld HüttenwesenIHV Eisenindustrie/AbteilWlg PlanWlg: Zusanunenstellung, betr.: Investitionsplanvorschlag 1957 - von der StaatI. Plankommission geforderte ErläutefWlgen. Berlin, den 25.9.1956. BArch, DE-IlNr. 15726, BI. 115 - 118. 99 Die Angaben wurden folgender Studie entnommen: Der Minister fi1r Berg- Wld Hüttenwesen der Deutschen Demokratischen Republik, Steinwand: Analyse der Entwicklung Wld des erreichten Niveaus der Ökonomik der Schwarzmetallurgie der DDR 1960 - 1960 (sie!, st. U.). o. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15914, BI. 1 - 84; hier: BI. 55. Diese Studie wird weiter Wlten eingehend quellenkritisch diskutiert werden. Die gleiche Tendenz, jedoch basierend auf tendenziell niedrigeren Einzelwerten enthält: Ministeriwn fi1r Berg- Wld HüttenwesenIHV Eisenindustrie/Abteilung PlanWlg: ZusammenstellWlg, betr.: Investitionsplanvorschlag 1957 - von der StaatI. Plankommission geforderte ErläutefWlgen. Berlin, den 25.9.1956. BArch, DE-IlNr. 15726, BI. 115 118.
ll. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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onstätigkeit den Höhepunkt der Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie, während die folgenden Jahre im wesentlichen stagnative Tendenzen aufwiesen. Erhärtet wird dieses Ergebnis durch die Betrachtung der Planauflagen der Bruttoproduktion, welche die Schwarzmetallurgie in den folgenden Jahren erhielt: Tabelle 5
Planaußagen Bruttoproduktion der Metallurgie 1954 - 1958 (Steigerung zum Vorjahr in Prozent)loo 1954
1955
1956
112,7
100,2
109,6
1957
1958 102,9
Wenngleich diese Auflagen für die Bruttoproduktion der Metallurgie für die Jahre 1954 bis 1958 sehr heterogen ausfielen, so zeigen sie doch, daß für die Erzeugung der Branche zeitweise nahezu überhaupt kein Zuwachs eingeplant war. Auch in den Jahren mit einer vergleichsweise harten Planauflage blieb das avisierte Wachstum zudem weit hinter den Planziffern des Zweijahrplans bzw. der ersten Jahre des Fünfjahrplans zurück. In Kombination mit dem niedrigen Investitionsniveau belegen die reduzierten Wachstumsziele, daß der Stellenwert, den die Eisen- und Stahlindustrie für die Wirtschaftspolitik der Partei und des Staates besaß, nach der Konkretisierung des "Neuen Kurses" auch auf Dauer wesentlich geringer war als bis zur Jahresmitte 1953: Die Schwarzmetallurgie hatte ihre wirtschafts- und industriepolitische Priorität eingebüßt. Damit ergab sich für die Zukunft das entscheidende Problem, wie die - unvollständig aufgebaute - Branche fortentwik100 Diese Angaben wurden aus verschiedenen Quellen zusanunengestellt, teilweise gehen sie in ihrem Gültigkeitsbereich über die Eisen- und Stahlindustrie hinaus und beziehen sich auf die Gesamtmetallurgie bzw. das gesamte Ministerium filr Berg- und Hüttenwesen. Angaben filr 1956: Kontrollziffer. Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, der Staatssekretär der Regierung: Protokoll der 146. (außerordentlichen) Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Dezember 1953. Regierungssache. Berlin, den 15.12.1953. Anlage A: Gesetz über den Volkswirtschaftsplan 1954 der Deutschen Demokratischen Republik. O. 0., o. D. BArch, DC-20 113-209, BI. 1 - 42; hier: S. 7. Beschluß der Volkskanuner der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes 1955. Vom 21. Mai 1955, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 4211955 (31.5.1955), S. 347 - 356; hier: S. 348. Abteilung Metallurgie: Erläuterungen zu den Kontrollziffern fllr 1956, Berlin, den 9.6.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 63 - 69; hier: BI. 63. Beschluß der Volkskanuner der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes 1958. Vom 9. Januar 1958, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 5/1958 (20.1.1958), S. 56 - 65; hier: S. 56.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
kelt werden sollte, da der bisherigen strategischen Orientierung des forcierten. proportionalen und extensiven Aufbaus auch mittelfristig die Grundlage in Gestalt der nötigen Ressourcenzuteilung entzogen worden war. Vor diesem Hintergrund wurde eine prinzipielle Neubestimmung der Funktion. welche die Schwarzmetallurgie innerhalb der industriellen Gesamtstruktur wahrnehmen sollte, notwendig. Ungeachtet dieser Problemlage konzentrierte sich die Industriepolitik jedoch zunächst auf die Schadensbegrenzung durch die optimierte Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten, während eine neue strategische Orientierung nicht entwickelt wurde. Naturgemäß konnten die verantwortlichen Akteure der Eisen- und Stahlindustrie zu Beginn des Jahres 1954 noch nicht genau darüber informiert sein, daß ihre Branche in den kommenden Jahren zunehmend eine nachrangige Größe der Wirtschaftspolitik darstellen würde. Jedoch existierten Informationskanäle, durch welche sukzessive Signale übermittelt wurden. die schließlich ein Bewußtsein davon schufen, daß die Ereignisse des Jahres 1953 nicht nur zu einer vorübergehenden Zäsur, sondern auch mittelfristig zu geänderten Entwicklungsbedingungen der Branche geführt hatten. Ein wesentliches Informationsmedium stellten in diesem Zusammenhang die regelmäßigen Planungsgespräche zwischen den beteiligten Institutionen dar, in welchen die Vertreter der Schwarzmetallurgie über den Umfang der ihnen künftig zur VerfUgung stehenden Ressourcen unterrichtet wurden. 101 Zudem tagte vom 30. März bis zum 6. April 1954 der IV. Parteitag der SED, der im wesentlichen die Politik des neuen Kurses bestätigte und diese mit dem nunmehr vorrangig betriebenen Ausbau der Brennstoffindustrie und Energieerzeugung sowie von Teilen der chemischen Industrie verknüpfte. Vor allem aber erklärte Walter Ulbricht im Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees den forcierten Aufbau der Metallurgie faktisch für (erfolgreich) abgeschlossen.102 Erneut bekräftigt wurde diese Ausrichtung der Wirtschaftspolitik durch eine Erklärung zu den
101 Ministerium fi1r SchwerindustrieIHV EisenindustrieIHR Investitionen, Lau: Notiz, betr.: Folgen, die auf Grund der Reduzierung des 1. Planvorschlages 1954 (290 Mio. fi1r Bereich Metallurgie auf 200 Mio.) entstanden sind. Berlin, den 20.1.1954. BArch, DE-1INr. 13998, BI. 7f. Hauptplangebiet Metallurgie: Investitionen 1955 - Bereich Metallurgie. Berlin, den 3.8.1954. BArch, DE-1INr. 13998, BI. 39 - 45. Protokoll über den Volkswirtschaftsplan 1955 der metallurgischen Produktion beim Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Herrn Kerber. Berlin, den 26./27.10.1954. BArch, DE-1INr. 15482, BI. 260 - 267. Abteilung Metallurgie: Hauptaufgaben der Metallurgie aus dem 24. Plenum. Berlin, den 1.7.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 251ff. 102 Ulbricht, Walter: Die gegenwärtige Lage und der Kampf um das neue Deutschland. Bericht des Zentralkomitees, in: Protokoll der Verhandlungen des IV. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (30. März bis 6. April 1954 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin). 1. bis 4. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1954, S. 18 - 193; hier: S. 39f, 68 - 73, 76, 80f, 188tT.
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wirtschaftlichen Aufgaben im Jahre 1955, welche das ZK im September 1954 verabschiedete. 103 Vor diesem Hintergrund finden sich Anzeichen dafür, daß die zentralen wirtschaftspolitischen Organe ihre Tätigkeit zunehmend auf Dimensionen der Branchenentwicklung konzentrierten, die bislang vernachlässigt worden waren. So beschloß der Ministerrat am 4. Februar 1954 nach entsprechender Beschlußfassung des PolitbüroslO4 eine Vorlage zu Qualitätsfragen in der Eisenund Stahlindustrie und setzte sich damit über die von der Staatlichen Plankommission geäußerte Kritik hinweg. lOS Der, vom Ministerium fiir Schwerindustrie vorbereitete, Ministerratsbeschluß knüpfte dabei explizit an den Zusammenhang von verlangsamtem quantitativen Branchenwachstum und Verbesserung der Qualität der Erzeugnisse an: ,,Im Planjahr 1954 Wld auch im Perspektivplan des Jahres 1955 sind keine wesent-
lichen Kapazitätserweiterungen in der metallurgischen Industrie vorgesehen. Die Aufgabe besteht also darin: 1. durch bessere AusnutzWlg der vorhandenen Aggregate die Erzeugung zu steigern und 2. durch die Verbesserung der Qualität gleichfalls die absolute Menge von metallurgischen Erzeugnissen filr die weiterverarbeitende Industrie zu erhöhen."I06 Der Ministerrat führte die in dem Beschluß nachgewiesenen vielfältigen Qualitätsmängel im wesentlichen auf vier Faktorenkomplexe zurück: 1. Mangelndes Bewußtsein bei allen Verantwortlichen, mit der Folge, daß die Planerfüllung nach Tonnen, bei ungenügender Beachtung von Qualität und Kosten angestrebt werde. 2. Strukturelle Gründe: Hierzu zählte der Ministerrat fehlende technologische Einrichtungen zur Qualitätsverbesserung (z.B. Glüh- und Vergüteanlagen), fiir deren Errichtung angesichts der raschen Entwicklung der Schwarzmetallurgie die Mittel gefehlt hätten. Ferner sei aufgrund des 103 Die wirtschaftlichen Aufgaben im Jahre 1955, dem letzten Jahr unseres ersten Fünfjahrplans. Beschluß des Zentralkomitees vom 9. September 1954 (20. Tagung), in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse Wld Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band V, Berlin (Ost) 1956, S. 157 - 166. 104 Protokoll Nr. 7/54 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees am 2. Februar 1954 im Zentralbaus der Einheit, Großer SitzWlgssaaI. o. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J IV 2/2INr. 345, BI. 1 - 5. lOS Staatliche PlankommissionlHauptplangebiet Metallurgie: Stellungnalune zu dem Beschlußentwurf zu den Fragen der Qualität in der Eisen- und Stahlindustrie. Berlin, den 11.1.1954. BAreh, DE-IlNr. 16084, BI. 232 - 235. 106 Regierung der Deutschen Demokratischen Republik/der Staatssekretär der Regierung: Protokoll der 153. Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 4. Februar 1954. Regierungssache. Berlin, den 5.2.1954. Anlage 3: Beschluß zu den Fragen der Qualität in der Eisen- und Stahlindustrie vom 4. Februar 1954. BAreh, DC-20 I13-215, BI. 1 - 4, 225 - 237; hier: BI. 225f.
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"Neuen Kurses" das Edelstahlwerk Döhlen nicht vollendet worden, so daß auch in den übrigen Stahlwerken, die ftir die Erzeugung von Massenstahl konzipiert seien, QuaIitätsstähle erzeugt werden müßten. Zudem müßten die Siemens-Martin-Werke mit sehr hohen Stahleiseneinsätzen arbeiten, schließlich seien die Blockstraßenkapazitäten ungenügend. 3. Fehlendes technologisch ausgebildetes Personal. 4. Defizite der bisherigen Produktionsplanung, die sich anband einer zu groben Nomenklatur und häufigen Planänderungen maDÜestierten. Neben einer Vielzahl konkret produktbezogener Maßnahmen, die teilweise mit Investitionen verbunden waren, formulierte der Ministerratsbeschluß in allgemeiner Hinsicht eine Kombination aus organisatorischen, disziplinarischen, qualiflkatorischen und plansystematischen Veränderungen als Strategie zur Überwindung der Probleme. Letztere zielten vor allem darauf ab, die Verbindlichkeit und das Konkretisierungsniveau der Planung zu erhöhen, während gleichzeitig auf weitergehende Eingriffe in das durch den Planmechanismus implizierte Anreizsystem (siehe Teil 2, 11) verzichtet wurde. 107 Obwohl im folgenden entsprechende Maßnahmen durchgefiihrt wurden, verstummte deshalb die Kritik an der mangelnden qualitäts- und sortimentsgerechten Produktion der Schwarzmetallurgie und der Produktion nach Tonnen vorgebracht v.a. vom Maschinenbau - auch weiterhin nicht. IOS Dabei zeigte sich zunehmend, daß sich die Einschätzungen der Ursachen dieser Problematik teilweise eklatant voneinander unterschieden, je nachdem, ob sie "objektive" (Branchenstruktur) oder aber "subjektive" Faktoren in das Zentrum der Analyse rückten (siehe Teil 5, IV). Die nach dem Abbruch des forcierten Wachstumsprojekts einsetzende stärkere Hinwendung zu qualitativen Dimensionen betraf neben der Produktqualität auch die Produktionstechnologie der in den Vorjahren oftmals in großer Eile und mit vielfaltigen technischen Defiziten errichteten Werke der Eisenund Stahlerzeugung. Bei dieser Entwicklung handelte es sich allerdings nicht um ein Branchenspeziftkum, vielmehr erfolgte im Juni 1954 auf breiter Grundlage die Gründung ,,zentraler Arbeitskreise Forschung und Technik", welche die Ministerien und Hauptverwaltungen in wissenschaftlichtechnischen Fragen beraten und damit das ,,zentralamt ftir Forschung und Technik" der Plankommission unterstützen sollten. Im Hintergrund stand dabei die Forderung nach einer stärkeren planerischen Zusammenfassung der wissenschaftlichen wld technischen Entwicklung. 109
107Ebd. lOS HA Metallurgie, Rehtanz: Notiz, betr.: Maßnahmen zur sortiments- und qualitätsgerechten Versorgung der Betriebe des Maschinenbaus mit Walzstahl- PIanaufstellung und -abrechnung. Berlin, den 28.2.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 12f. 109 J. Roesler, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 192fT.
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In der Schwarzmetallurgie nahm demzufolge im Oktober 1954 der "Zentrale Arbeitskreis Forschung und Technik Eisen", dem zunächst 20 Mitglieder, zumeist Wissenschaftler, angehörten, seine Tätigkeit auf. Konkret bestand seine Aufgabe in der Erörterung, Evaluation und Koordinierung der Forschungs- und Entwicklungspläne der Forschungsinstitute und betrieblichen Forschungsstätten, so daß seine Tätigkeit einen Überblick über die gesamte Spannbreite der in den Jahren 1954/55 in der Eisen- und Stahlindustrie durchgeführten Projekte bietet. Dabei zeigt sich, daß der Großteil der Vorhaben die Optimierung bzw. Weiterentwicklung von Technologien, Verfahren und Produkten, die bereits im Produktionsprozeß eingesetzt wurden bzw. grundsätzlich bekannt waren, zum Ziel hatte: So wurde etwa der Verbesserung und Automatisierung der Siemens-Martin-Technologie besondere Aufmerksamkeit zuteil. Darüber hinaus wurden in den Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen jedoch gleichzeitig auch technologische Anstrengungen größerer Reichweite unternommen, so daß parallel an verschiedenen Vorhaben zum Sauerstoffeinsatz in Hoch-, Niederschacht-, Elektro- und Siemens-MartinÖfen sowie Thomaskonvertern gearbeitet wurde. Noch weitreichender waren schließlich Projekte zur Entwicklung der grundlegend neuen SauerstoffAufblastechnologie zur Stahlerzeugung im Konverter sowie zur Technologie des Stranggießens, für die teilweise größere Finanzmittel eingeplant wurden. Wenn die DDR im Hinblick auf die Innovation und Diffusion dieser Technologien später als Nachzügler auftrat (siehe Teil 4), so war dies offensichtlich nicht daraufzucückzuführen, daß man hier in der Vorlaufphase nicht über diese Entwicklungen informiert war. Im Zeitraum 1954/55 läßt sich allerdings in der konkreten Technologiepolitik der Schwarzmetallurgie keine eindeutige Prioritätensetzung nachweisen, die Zahl der bearbeiteten Forschungsthemen war aufgrunddessen vergleichsweise groß und der finanzielle Umfang der einzelnen Projekte z. T. gering: Alleine auf seiner März-Sitzung faßte der Zentrale Arbeitskreis für Forschung und Technik Eisen 1955 64 Beschlüsse zur Beurteilung der Forschungsarbeiten des Jahres 1954. 110 Reflektiert wird dies in der Einschätzung des Leiters der Hauptverwaltung Eisenindustrie im Ministerium für Schwerindustrie: ,,Die gesamte Forschungsarbeit wurde nicht genügend plarunäßig betrieben durch entsprechende Aufgabenstelhmg und LenkW1g durch das Zentral amt fllr Forschung und Technik, das Ministerium und die HV, was dazu ftihrte, daß Mittel fllr volks-
110 Zentraler Arbeitskreis filr Forschung und Technik Eisen: Beschlußprotokoll Nr. 1/54 der 1. Sitzung des Zentralen Arbeitskreises filr Forschung und Technik Eisen am 4.10.1954. Vertrauliche Dienstsache. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 134, Bd. 1. Zentraler Arbeitskreis filr Forschung und Technik Eisen: Beschlußprotokoll Nr. 1/55 der dritten Sitzung des Zentralen Arbeitskreises filr Forschung und Technik ,,Eisen" am 17.3. und 18.3.1955. Berlin, den 30.3.1955. Vertrauliche Dienstsache. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 134, Bd. 1.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
wirtschaftlich z. Zt. noch weniger wichtige Probleme ausgegeben und gleichzeitig volkswirtschaftlich wichtige Probleme vernachlässigt wurden. Teilweise wurden Forschungsarbeiten nicht konsequent bis zu Ende gefilhrt, sie wurden zu früh in die Praxis eingefilhrt und infolge der sich zwangsläufig daraus ergebenden Rückschläge in der Praxis wurden diese Forschungsarbeiten abgebrochen und fallen gelassen. Es wurden also Mittel ftlr Forschungen aufgewendet, die durch vorzeitigen Abbruch der Arbeiten keinen Nutzen erbrachten. In häufigen Fällen wurde die Durchftlhrung von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben dadurch gehemmt, daß nicht rechtzeitig die Mittel zur Verftlgung standen, nicht rechtzeitig die Formalitäten erledigt wurden, ober aber die benOti~en Produk:tionskapazitäten ftlr Großversuche nicht zur Verftlgung gestellt wurden." 11
Wenngleich sich die Branchenpolitik mit den Zielgrößen Qualität und Technologie aufgrund der infolge des "Neuen Kurses" fortgefallenen Basis ihrer vorrangigen Wachstumsorientierung nunmehr erstmals stärker der qualitativen Leistungsfähigkeit der Branche zuwandte, bildete die Schwarzmetallurgie gegen Ende des ersten Fünfjahrplanes dennoch weiterhin eine Problembranche der DDR Die Aufeinanderfolge von Plänen zum rapiden Ausbau, dem Abbruch dieses Kurses und der hieraus resultierender Verknappung materieller und finanzieller Ressourcen hatte bis zur Mitte der fiinfziger Jahre dazu geführt, daß die Eisen- und Stahlindustrie sowohl in bezug auf ihr unzureichendes Produktionsvolumen als auch die produktionsbezogenen Disproportionen, ihre Technologie und Wirtschaftlichkeit sowie die Qualität ihrer Erzeugnisse über suboptimale Strukturen verfügte. Jedenfalls prägten diese Defizite zu diesem Zeitpunkt das Bewußtsein der Verantwortlichen, so daß in mehreren internen Studien und Papieren deutlich auf diese Problemlagen hingewiesen wurde, wobei das Augenmerk zunehmend auch auf die in weiten Teilen als insuffizient bewertete technologische Leistungsfähigkeit der vorhandenen Produktionsanlagen gerichtet wurde. Hingewiesen wurde dabei nicht zuletzt auf Schwächen und Versäumnisse der unter den angespannten Bedingungen bis 1953 errichteten Kapazitäten auf traditioneller technologischer Grundlage. Neu entwickelte Verfahren seien hingegen überhaupt nur zögerlich in der Produktion eingesetzt worden. Insgesamt hatte die Schwarzmetallurgie die Ziele des ersten Fünfjahrplans nicht erreicht. 112
111 Ministerium ftlr SchwerindustrieIHV Eisenindustrie/der Leiter: Plan der HV Eisenindustrie zur Förderung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts. Berlin, den 20.7.1955. BArch, DG-2INr. 2176. 112 Analyse zum Fünfjaluplan 1951 -1955. O. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15464, BI. 1 - 61. HA Metallurgie, Rehtanz: Notiz, betr.: Maßnahmen zur sortiments- und qual itätsgerechten Versorgung der Betriebe des Maschinenbaus mit Walzstahl - Planaufstellung und -abrechnung. Berlin, den 28.2.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 12f. Notiz über die Walzwerke der DDR, Berlin, den 2.3.1955. BArch, DE-IlNr. 16178, BI. 37ff. Allgemeine Informationen über die Stahlwerke der DDR, Berlin, den 2.3.1955. BArch, DE-IlNr. 16178, BI. 21ff. Abteilung Metallurgie, Rehtanz: Entwicklung der Metallur-
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Auch öffentlich wurde der Leistungsstand der Schwarzmetallurgie thematisiert, wobei allerdings weniger deutliche Formulierungen gewählt wurden. So forderte der Minister für Schwerindustrie im Oktober 1955 in der ersten Ausgabe der Zeitschrift "Neue Hütte" von den Wissenschaftlern die Überwindung der in einigen Bereichen noch vorhandenen technischen Rückständigkeit. Nicht zuletzt aufgrund des in der Nachkriegszeit erforderlichen schnellen Wieder- und Neuaufbaus von Eisen- und Stahlkapazitäten sei - trotz aller Erfolge - der internationale Stand der Technik in der Schwarzmetallurgie auf vielen Gebieten noch nicht wieder erreicht, auch entspreche die Produktqualität häufig noch nicht den Anforderungen der metallverarbeitenden Industrie. Als Schwerpunkte der Wissenschaft für den zweiten Fünfjahrplan bezeichnete er in diesem Beitrag: 1. Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung der Produktion bei weitgehendem Verzicht auf kostspielige Neubauten. 2. Die Steigerung des einheimischen Aufkommens an metallurgischen Rohstoffen. 3. Die Einbeziehung modernster wissenschaftlicher Methoden in die Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Für die Schwarzmetallurgie wies Selbmann insbesondere auf die Möglichkeiten des umfassenden Sauerstoffeinsatzes bei der Stahlerzeugung und der Stranggießtechnik hin, die in den kommenden Jahren nutzbar gemacht werden müßten. 113
3. Die Schwanmetallurgie unter dem zweiten Fünfjahrplan und die Entscheidung für die Konzeption der"IL Verarbeitungsstufe" Neben allen anderen Schwächen der Eisen- und Stahlindustrie existierte zu Beginn der zweiten Füntjahrplanperiode vor allem immer noch keine strategische Konzeption zur Problembewältigung und Branchenentwicklung, die den Abbruch des forcierten, proportionalen Aufbaus der Schwarzmetallurgie kon-
gie in den Jahren 1951-1955, Berlin, den 15.3.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 5055. Abteilung Metallurgie, Rehtanz: Hauptaufgaben der Metallurgie ans dem 24. Plenum, Berlin, den 1.7.1955. BArch, DE-IlNr. 16157, BI. 251ff. Rehtanz (Hauptabteilungsleiter SPK), Lau (Ministerium für SchwerindustriellN Eisenindustrie), Nitschke (Ministerium für SchwerindustriellN NE-Metallindustrie), Riemer (Werkdirektor VEB Eisenwerke WestiCalbe), Seiffert (Werkdirektor VEB Wolframzinnerz Rodewisch): Bericht über die Durchführung des Punktes 8 des Beschlusses des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Kontrollziffern zum Volkswirtschaftsplan 1956 vom 29. Juli 1955. Berlin, den 2.9.1955. BAreh, DE-IlNr. 16027, BI. 151 - 171. Bericht über die Entwicklung und den Stand der Forschung und technischen Entwicklung im Ministerium für Berg- und Hüttenwesen (Berichtszeitraum 1952 bis 31.8.1956). Material für die Sitzung des Kollegiums am 12.10.56. O. 0., o. D. BAreh, DE-IlNr. 15738, BI. 118 - 130. 113 Selbmann, Fritz: Die neuen Aufgaben der Wissenschaft bei der Entwicklung des Hüttenwesens der Deutschen Demokratischen Republik, in: Neue Hütte, (hg. v.) Gesellschaft Deutscher Hüttenleute, Jg. 1 (1955), H. I, S. lfI 15 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
struktiv aufgegriffen und zur Grundlage eines neuen Entwicklungsszenarios gemacht hätte. Zwar skizzierte Fritz Selbmann, inzwischen stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats, im Januar 1956 - als plansystematisch der neue Fünfjahrplan bereits hätte anlaufen müssen - die Aufgaben der Stahlwerke der Deutschen Demokratischen Republik im zweiten Fünfjahrplan; jedoch entsprachen seine Vorstellungen eher den lavierenden Versuchen der Jahre 1954 und 1955, die vorhandenen, unvollständigen Kapazitäten effektiver zu nutzen, als einem längerfristigen, strategischen Szenario: Ausgehend von der Erwartung, daß die Stahlerzeugung im zweiten Fünfjahrplan ohne wesentliche Neubauten ausgedehnt werden müsse, benannte Selbmann die Entwicklung von Stählen mit hohen Festigkeitseigenschaften, die Einfiihrung der Sauerstoffmetallurgie in Elektro-, Siemens-Martin- und Thomas-Stahlwerken, die dazu notwendige Zustellung der Martin-Öfen mit basischem feuerfesten Material, die Automatisierung sämtlicher Siemens-Martin-Öfen sowie die Schaffung der Voraussetzungen fti.r die Einfiihrung radioaktiver Isotope als die wesentlichen Aufgaben der Eisen- und Stahlindustrie in den kommenden Jahren. Diese Ziele bildeten auch die wesentlichen Gegenstände der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, fti.r die Selbmann darüber hinaus u.a. die Notwendigkeit zur Entwicklung des Stranggießens hervorhob. 1I4 Diese Maßnahmen, welche der frühere Minister fti.r Schwerindustrie zum Teil bereits im Herbst 1954 herausgestellt hatte, zielten prinzipiell auf eine Optimierung der bereits existierenden, und weithin als defizitär bewerteten Anlagen ab. Dem entsprachen im Grundsatz die Formulierungen der Direktive zum zweiten Fünfjahrplan, welche die 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 beschloß: Allgemein signalisierte diese Tagung, daß die politische Führung wirtschaftspolitisch in wesentlich stärkerem Maße als bisher auf technologische Modernisierung und eine gewisse Ökonomisierung in der Industrie drängte. So forderte vor allem Ulbricht in seinem Referat "Der zweite Fünfjahrplan und der Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik", die Konzentration auf die "alte Technik" müsse beendet werden, angesichts der kommenden industriellen Umwälzungen sei vielmehr die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Einfiihrung der modernsten Technik die Hauptaufgabe der Industrie. Im Bereich der Forschung und Entwicklung müsse daher der "Weltstand der Technik" als entscheidender Maßstab angelegt werden. Wie zu zeigen sein wird, rangierte diese Vorstellung eines eindeutig bestimmbaren und auch anzustrebenden "Weltstands" vor allem in den sechziger Jahren im Mittelpunkt der wirtschafts- und industriepolitischen Vorstellungen. Nach den Forderungen des ersten Sekretärs der SED sollten diese
114 Selbmann, Fritz: Die Aufgaben der Stahlwerke der Deutschen Demokratischen Republik im zweiten Fünfjahrplan 1956 bis 1960, in: Neue Hütte, Jg. 1 (1956), H. 3, S. 148f.
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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technologischen Bemühungen durch "Anwendung des Sparsamkeitsregimes" und der "wirtschaftlichen Rechnungsführung", also durch eine stärkere Berücksichtigung der ökonomischen Dimension, flankiert werden. m Für die Eisen- und Stahlindustrie sah die Direktive der 3. Parteikonferenz bis 1960 eine Steigerung der Roheisenerzeugung auf 2,25 Mio. t (148 % des Standes von 1955), der Rohstahlerzeugung auf 3,5 Mio. t (140 %) sowie der Walzstahlproduktion auf 2,6 Mio. t (136 %) vor. Damit lag die Schwarzmetallurgie unter dem Wachstum der gesamten zentralgeleiteten Industrie, fiir die bis 1960 eine Steigerung der Bruttoproduktion auf 162 Prozent vorgesehen war. 1I6 Grundsätzlich sollte dieser Erzeugungszuwachs ohne wesentliche Neubaumaßnahmen bewerkstelligt werden: ,,Die Steigerung der Produktion von Roheisen und Stahl soll durch die Modernisierung der vorhandenen Produktionsanlagen und die Vervollkommnung der Produktionstechnologie, insbesondere durch die Anwendung der Sauerstoffiechnologie in den Stahlwerken erreicht werden.,,117
Zu diesem Zweck seien in den bestehenden Anlagen eine Reihe von Maßnahmen, wie etwa die Automatisierung der Siemens-Martin-Werke und die Modernisierung der älteren Walzwerke durchzuführen. Die einzige, hier aufgeführte, größere Neu-Investition betraf die Errichtung einer schweren Blockstraße im Stahl- und Walzwerk Brandenburg, mit der das Halbzeugdefizit überwunden werden sollte. Weiter forderte die Entschließung der 3. Parteikonferenz fiir die Eisen- und Stahlindustrie die Einführung einer neuen Planung und Abrechnung der betrieblichen Leistung nach Qualität und Sortiment, um die bisherige ,,Planabrechnung nach Tonnen" abzulösen und die hieraus resultierenden Probleme (s.o.) zu bewältigen. Auf der Produktebene wurde die Ausdehnung der Erzeugung von legierten und schwachlegierten Stählen, eine Sortimentserweiterung bei hoch- und mittellegierten Stählen, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Entwicklung hochwertiger Stahlsorten sowie eine Produktionssteigerung bei Trafo- und Texturblechen vorgesehen. 1I8 Zwar fand m illbricht, Walter: Der zweite Fünfjahrplan und der Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, in: Protokoll der Verhandlungen der 3. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (24. März bis 30. März 1956 in der Werner-Seelenbinder-Halle zur Berlin), l. bis 4. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1956, S. 14 - 204; hier: S. 76 - 79. Zur allgemeinen Bedeutung der 3. Parteikonferenz siehe: D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 148fT. W. MUhlfriede/lK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 151 ( 116 Direktive für den zweiten Fünfjahrplan zur Entwickhmg der Volkswirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik 1956 bis 1960, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band VII, Berlin (Ost) 1961, S. 790872; hier: S. 799. 117 Ebd., S. 805. 118 Ebd., S. 805 - 808.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
sich damit im Beschluß der 3. Parteikonferenz, der in diesem Bereich selbstverständlich von den zuständigen Planungsbehörden der Schwarzmetallurgie vorbereitet worden war\J9, ein Anklang an die spätere Perspektive der ,,11. Verarbeitungsstufe", doch handelte es sich hierbei noch nicht um eine kohärente, strategische Konzeption, an welcher die gesamte Entwicklung der Branche ausgerichtet wurde, sondern um eine Maßnahme unter vielen. Die Vorstellungen zum zweiten Fünfjahrplan zielten statt dessen vor allem auf eine ökonomisch und technologisch effektivierte Nutzung der, vor allem bis 1953 errichteten, Anlagen. Ein größerer Stellenwert kam allerdings nunmehr der technologischen Modernisierung zu, welche jedoch nach diesen Vorstellungen im wesentlichen bestandsbezogen, d.h. als Verbesserung der bekannten Verfahren, gedacht wurde. Die bereits erwähnten Schwierigkeiten, welche bei der Realisierung der Vorstellungen der 3. Parteikonferenz allgemein120, vor allem aber auch in der Eisen- und Stahlindustrie auftraten, führten jedoch im folgenden dazu, daß der V. Parteitag der SED im Juli 1958 die Konzentration der Schwarzmetallurgie der DDR auf die ,,11. Verarbeitungsstufe", d.h. auf höherwertige und Qualitätsprodukte als verbindliche Perspektive beschloß. In gewisser Weise knüpfte diese prinzipielle Abkehr vom bis 1953 forciert verfolgten Konzept des proportionalen, möglichst alle Erzeugungsstufen gleichmäßig erfassenden, Aufbaus der Branche, an Vorstellungen an, die bereits vor Gründung der DDR von Teilen des Planungsapparates favorisiert worden waren (siehe Teil 5, 1.). Der Entscheidungsraum, in dem schließlich bis zum Sommer 1958 die Konzentration auf die zweite Verarbeitungsstufe als strategische Option ausgewählt wurde, wurde von drei Faktoren begrenzt. Diese überschnitten sich teilweise, sind jedoch aus analytischen Gründen getrennt zu benennen: 1. Bei der Konkretisierung des Beschlusses der 3. Parteikonferenz wurde deutlich, daß die von dieser proklamierten Ziele nicht mit den gegebenen Ressourcen, d. h. vor allem Investitionsmitteln, realisierbar waren. Präziser formuliert wurden die ursprünglich vorgesehenen Investitionsmittel der Eisen119 Ministerium filr Berg- und HüttenwesenIHV Eisenindustrie/Abt. Technologie: Perspektivplan 1956 - 1960. O. 0., o. D. BArch, DE-l/Nr. 16182; Planungen filr die Werke Maxhütte, Riesa, Brandenburg: BI. 1 - 68. Ministerium filr Berg- und HüttenwesenJIN Eisenindustrie/Abt. Technologie: Perspektivplan filr den 11. Fünfjahrplan 1956 - 1960 der HV Eisenindustrie des Ministeriums filr Berg- und Hüttenwesen. Berlin, den 5.3.1956. BArch, DE-l/Nr. 16163, BI. 1 - 50. Zur Rezeption der Beschlüsse der 3. Parteikonferenz im Ministerium filr Berg- und Hüttenwesen siehe die diesbezüglichen Referate u.a. zum Thema: Welche Aufgaben ergeben sich aus der 3. Parteikonferenz der SED filr das Ministerium filr Berg- und Hüttenwesen? O. 0., o. D. BArch, DE-l/Nr. 29920, BI. 255 - 285. 120 G. GutmannIW. Klein, Herausbildungs- und Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- und Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1610f
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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und Stahlindustrie sukzessive gekürzt, so daß wesentliche Investitionen des zweiten Fünfjahrplans immer weiter hinausgeschoben werden mußten. Negativ tangiert wurden hiervon in zunelunendem Ausmaß auch die avisierten Modernisierungsprojekte (z. B. Einführung der Sauerstoffmetallurgie in den bestehenden Stahlwerken, StranggießanIagen) sowie Maßnalunen zur Qualitätssteigerung. Zunelunend drohte der gesamte Aufbau einer Schwarzmetallurgie in der DDR zu scheitern, falls den prinzipiellen Entscheidungen weiter ausgewichen und der lavierende Kurs beibehalten werden würde. 121 2. In der metallverarbeitenden Industrie machte sich ein chronischer Manggel insbesondere an hochwertigen und differenzierten Stahlerzeugnissen bemerkbar, so daß diese in einem überdurchschnittlichen Maße aus dem kapitalistischen Ausland importiert werden mußten. Da es sich hierbei um Qua1itätsprodukte handelte, verursachte diese Importabhängigkeit einen hohen Devisenaufwand. l22
121 Bereich Schwerindustrie, Bauwirtschaft und Verkehr: Probleme des Investitionsplanes 1957. Vorlage zur Beratung der Stellvertreter am Dienstag, den 19.6.56. Berlin, den 15.6.1956. BArch, DE - IlNr. 13999, BI. 168 - 172. Ministerium für Bergund Hüttenwesen/Zentr. Abt. Planung/Abteilungsleiter Müller: Erläuterungen zur Investitionsperspektive 2. Fünfjahrplan. Berlin, den 4.8.1956. BArch, DE-IlNr. 16089, BI. 24 - 27. HA Berg- und Hüttenwesen/Hauptabteilungsleiter Hellmann: Vermerk betr.: Auswirkungen auf die Walzstahlproduktion 1960. Berlin, den 9.11.1956. BArch, DE-IlNr. 14000, BI. 95f. Ministerium für Berg- und HüttenwesenlLeiter der HV Eisenindustrie, Riemer: Grobe Übersicht bei Einsetzung Variante I in den Investitionsplan 1957 und Auswirkungen in den Betrieben. Berlin, den 12.11.1956. BArch, DEIlNr. 14000, BI. 97 - 103. HA Berg- und Hüttenwesen, Hellmann: Vennerk betr.: investitionen 1957 des Ministeriums f. Berg- und Hüttenwesen. Berlin, den 12.11.1956. BArch, DE-IlNr. 14000, BI. 105 - 109. Auszug aus dem Protokoll der Arbeitsberatung der Stellvertreter [der SPK] am 16.11.1956. Berlin, den 28.11.1956. BArch, DE-IlNr. 14000, BI. 134 - 137. Staatliche PlankommissionIHA Berg- und HüttenwesenlHauptabteilungsleiter Hellmann: Analyse für das Jahr 1956, Berlin, den 24.1.1957. BArch, DE-IlNr. 12684, BI. 7 - 44. Ministerium für Berg- und HüttenwesenIHV Eisenindustrie, Riemer: Analyse zwn Perspektivplan 1958 - 1960 der HV Eisenindustrie (Abschrift). Berlin, den 12.7.1957. BArch, DE-IlNr. 15911, BI. 24 - 29. Ministerium für Berg- und Hüttenwesen: Analyse zwn 2. Fünfjahrplan des Ministerium für Bergund Hüttenwesen. o. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15753, BI. 62 - 78. Staatliche Plankommission: Entwurf des 2. Fünfjahrplanes für das Berg- und Hüttenwesen. o. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 16098, BI. 41 - 59. 122 Generlich, Leiter der Absatzabteilung: Produktions- und Qualitätsentwicklung auf dem Gebiete des Walzstahls unter Berücksichtigung des Bedarfs der Maschinenbau-Betriebe. Berlin, den 18.1.1957. BArch, DE-IlNr. 16098, BI. III - 116. Staatliche PlankommissionIHA Berg- und HüttenwesenlHauptabteilungsleiter Hellmann: Analyse für das Jahr 1956. Berlin, den 24.1.1957. BArch, DE-IlNr. 12684, BI. 7 - 44. Staatliche PlankommissionlPerspektivplanung Metallurgie, Dr. Zauleck: Ausarbeitung zur Entwicklung des Berg- und Hüttenwesens (Abschrift). Berlin, den 1.8.1957. BArch, DE-IlNr. 16098, BI. 33 - 37. Vorschlag über die wichtigsten Aufgaben für die Entwicklung der Volkswirtschaft bis 1960. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, NY
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5. Teil: Wirtschafts- \U1d industriepolitische Weichenstell\U1gen
3. Nicht zuletzt durch entsprechende Beschlüsse des RGW verschob sich das Profil der Metallverarbeitung in der DDR während der fünfziger Jahre deutlich in Richtung materialintensiver Erzeugnisse. In der Konsequenz öffnete sich sukzessive eine Schere zwischen dem generellen Wachstum der industriellen Bruttoproduktion und dem Binnenaufkommen der benötigten Grundstoffe. Die ,,Höherveredelung" metallurgischer Erzeugnisse schien eine Möglichkeit zu bieten, diesem - für die rohstoffarme DDR problematischen Trend entgegenwirken - indem z.B. dem Maschinenbau höherwertige Materialien verfügbar gemacht und damit eine Voraussetzung für eine Begrenzung seiner Materialintensität geschaffen wurde. 123 Vor diesem Hintergrund mehrten sich seit dem Herbst 1956 die Stimmen, die sich - in Erwartung auch künftig nicht entscheidend steigender Investitionen in der Schwarzmetallurgie - für eine durchgreifende Konzentration der verfügbaren Ressourcen auf die Erzeugung möglichst hochwertiger Walzstahlprodukte sowie die Qualitäts- und Edelstahlproduktion einsetzten. Bis zum Ende des folgenden Jahres entwickelte sich diese Ausrichtung der, ursprünglich als Massenstahlerzeuger konzipierten, Eisen- und Stahlindustrie auf die ,,11. Verarbeitungsstufe" zu einer konsensualen Forderung der mit der Branche befaßten Planungsorgane, so daß diese bereits in die Planentwürfe für das Jahr 1958 einfloß. Im Zeitverlauf sprachen sich damit sowohl das Fachministerium, die Staatliche Plankommission, der zentrale wirtschaftspolitische Apparat des Zentralkomitees als auch Teile der Wissenschaft für diese selektive Aufbaukonzeption der ,,Höherveredelung" der metallurgischen Grundstoffe aus. Insofern, als sich einzig aus dem Ministerium vereinzelte kritische Anmerkungen zeigten, war die Entscheidung für dieses Szenario gewissermaßen ohne Opposition; Stellungnahmen, die sich grundsätzlich für einen weiteren Ausbau der Schwarzmetallurgie als Produzent von Massenstahl aussprachen, waren in diesem Kontext nicht vernehmbar. Inhaltlich waren die zugrundeliegenden Definitionen der zweiten Verarbeitungsstufe durchaus nicht immer vollständig kongruent, gemeinsam war den diesbezüglichen Äußerungen jedoch, daß sie allgemein für eine wesentlich einschneidendere Konzentration der Investitionsmittel auf differenzierte Produktlinien und die Endstufen der Erzeugung optierten, während gleichzeitig Massenstahl verstärkt
40901Nr. 331; hier: BI. 149f. Staatliche Plankommission: Entwurf des 2. Fünfjahrplanes fllr das Berg- \U1d Hüttenwesen. O. 0., o. D. BAreh, DE-IlNr. 16098, BI. 41 - 59. 123 Die Abteil\U1gsleiter der ökonomischen Abteil\U1gen des ZK: Einschätzwlg der wichtigsten Erschein\U1gen aus dem Ablauf des Planes 1956. O. 0., o. D. SAPMOBAreh, ZPA, NY 40901Nr. 331, BI. 45 - 79. Vorschlag über die wichtigsten Aufgaben fllr die Entwickl\U1g der Volkswirtschaft bis 1960. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, NY 40901Nr. 331; hier: BI. 142f, 149f.
11. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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importiert werden sollte. 124 Vergleichsweise eng definierte etwa Dr. Zauleck von der Staatlichen Plankommission die zweite metallurgische Verarbeitungsstufe, wenn er hierunter lediglich kalt gewalzte und blank gezogene Walzerzeugnisse (z.B. Kaltband, Blankstahl, gezogener Draht, Präzisionsrohre) zusammenfaßte. l25 Parallel wurden auch in anderer Richtung Überlegungen zur rigideren Konzentration der Ressourcen angestellt, die sich - anders als das Leitbild der zweiten Verarbeitungsstufe - weniger auf die Produktebene, sondern primär auf die Verfahrenstechnologie bezogen. Gefordert wurde hier insbesondere eine radikale Orientierung der Forschung und Entwicklung auf "hochproduktive Technologien". Entsprechende Überlegungen formulierte C. Kranenberg, Ingenieur im VEB Metallurgieprojektierung (dem zentralen Projektierungsbetrieb der Branche), im Februar 1957. Der Ausgangspunkt fiir die Überlegungen Kranenbergs war seine Beobachtung, daß die Forschungspolitik der Schwarzmetallurgie im Kern auf die Verbesserung der traditionellen Technologien bezogen sei, wodurch es seiner Meinung nach unmöglich werde, den Produktivitätsvorsprung des Westens zu überwinden. 126 Konkret stellte Kra124 Protokoll der 13. Sitzung des Kollegiums des Ministeriums filr Berg- und Hüttenwesen am 12.1O.l956. Berlin, den 19.10.1956. BAreh, DE-1INr. 15438, BI. 137149. HA Berg- und Hüttenwesen, He1lmann: Investitionen 1957 des Ministeriums filr Berg- und Hüttenwesen. Berlin, den 12.11.1956. BAreh, DE-1INr. 14000, BI. 105 109. Die Abteilungsleiter der ökonomischen Abteilungen des ZK: Einschätzung der wichtigsten Erscheinungen aus dem Ablauf des Planes 1956. O. 0., o. D. SAPMOBAreh, ZPA, NY 40901Nr. 331, BI. 45 - 79. Ministerium filr Berg- und HüttenwesenIHV Eisenindustrie, Riemer: Analyse zwn Perspektivplan 1958 - 1960 der HV Eisenindustrie (Abschrift). Berlin, den 12.7.1957. BAreh, DE-1INr. 15911, BI. 24 - 29. Ministerium filr Berg- und Hüttenwesen: Analyse zwn 2. Fünfjahrplan des Ministerium filr Berg- und Hüttenwesen. O. 0., o. D. BAreh, DE-1INr. 15753, BI. 62 - 78. HA Berg- und Hüttenwesen: Vermerk betr.: Entwicklung des Berg- und Hüttenwesens im 2. Fünfjahrplan. Berlin, den 3.10.1957. BAreh, DE-1INr. 16098, BI. 19 - 22. Büro des Präsidiums des Ministerrates: Protokoll der 43. Sitzung des Ministerrates vom 19. Dezember 1957. O. 0., o. D. Anlage B: Beschluß der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik über die Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes 1958 vom ... , o. 0., 7.l2.1957 (Entwurf). BAreh, DC-20 113-282, BI. 1 - 6, 38 - 58. Staatliche Plankommission/Abt. GrundstoffmdustrieJSektor Berg- und Hüttenwesen/Abteilungsleiter Grundstoffmdustrie, Steinwand: Grundkonzeption zur Entwicklung des Wirtschaftszweiges Metallurgie im Planjahr 1959. Berlin, den 23.4.l958. BAreh, DE-IlNr. 15767, BI. 132 - 135. Darlegung der Hauptrichtung der technischen Entwicklung im Berg- und Hüttenwesen im 3. Fünfjahrplan und der Investitionspolitik. Berlin, den 21.5.l958. BAreh, DE-1INr. 13991, BI. 138 - 143. 12S Staatliche PlankommissionlPerspektivplanung Metallurgie, Dr. Zauleck: Ausarbeitung zur Entwicklung des Berg- und Hüttenwesens (Abschrift). Berlin, den 1.8.1957. BAreh, DE-1INr. 16098, BI. 33 - 37. 126 C. Kranenberg, MEPRO: Forschungspolitik und hochproduktive Technologien in der Eisen- und Stahlmetallurgie. Vertraulich. Berlin, den 2.2.1957. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 120.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
nenberg eine starke Konzentration der Anstrengungen auf Hoch- und Niederschachtöfen sowie die Stahlerzeugung in Siemens-Martin-Stahlwerken fest: ,,Betrachtet man nun die bei uns laufenden Forschungsaufgaben unter diesem Blickwinkel, so ist zu sagen, daß - vielleicht mit ganz geringen Ausnahmen - an den alten Technologien festgehalten wird und nur Einzelheiten und einzelne Arbeitsgänge ge4ndert oder verbessert werden. [... ] Hieraus dürfte klar hervorgehen, daß unsere Forschungspolitik - um auf den Anfang meiner Ausftlhrungen zurückzukommen - auf die allmähliche Übernahme von vor 20 - 30 Jahren entwickelten Verbesserungen bei sonst veränderten (sie! St. U.) Technologien abgestellt ist. Eine solche Forschungspolitik verzichtet also bewußt auf die gewaltigen Möglichkeiten der Produktivitatssteigerung durch die Entwicklung völlig neuer Technologi-
en.,,127
Demgegenüber plädierte er für die vollständige Ablösung der SiemensMartin-Technologie durch das Linz-Donawitz-Verfahren (LD), das seinerseits nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zur kontinuierlichen Stahlerzeugung darstelle. Dieses noch zu entwickelnde Verfahren müsse - mit Stranggießanlagen und kontinuierlichen Walzwerken gekoppelt - zur Kontinuisierung der gesamten Produktionskette vom Eisenerz bis zum Walzstahl führen. Auf diesem Weg könnten letztlich auch die immer wieder auftretenden Qualitätsprobleme bewältigt werden. Um sich dem Ziel anzunähern. forderte Kranenberg die Aufstellung von Perspektivplänen der Forschung und Entwicklung, die ausschließlich die neuen Technologien zu berücksichtigen hätten. Hingegen sei die Forschung zur Detailverbesserung traditioneller Technologien - z. B. des Siemens-Martin-Verfahrens - unverzüglich einzustellen. Eine solche Konzentration auf die entscheidenden technologischen Schwerpunkte widerlege die in diesem Zusammenhang immer wieder geäußerten Einwände, es mangele an Finanzmitteln und geeignetem Personal zur Forcierung solchermaßen ambitionierter Projekte. l28 Mit seiner Kritik an der im Kern imitativen und bestandsbezogenen F&EPolitik und der Forderung nach eigenständiger Entwicklung innovativer Technologien nahm Kranenberg die in den sechziger Jahren offiziell vertretene Politik des "Überholen ohne einzuholen" vorweg. Zum Zeitpunkt ihres Entstehens trafen seine Vorschläge jedoch nicht auf positive Resonanz: Im April 1958 übermittelte die DDR-Delegation der "Sektion für wissenschaftliche Forschungsarbeiten der Ständigen Kommission für Schwarzmetallurgie" im RGW diese den sowjetischen Vertretern. Letztere erklärten, diese Technologien seien bekannt, man sehe sich jedoch außerstande, in der nächsten Zeit
127
128
Ebd. Ebd.
11. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
233
entsprechende eigene oder gemeinsame Forschungsarbeiten durchzuführen. 129 Obwohl seine Vorstellungen damit offenbar nicht weiter verfolgt wurden, legte Kranenberg im Juli 1958 eine gegenüber seinem ersten Papier wesentlich konkretisierte Ausarbeitung vor. l30 Wenngleich Kranenbergs Kritik der Ineffizienzen und mangelnder Schwerpunktbildung der Forschung und Entwicklung in der Sache durchaus von verschiedenen Institutionen geteilt wurde l3l , waren seine Vorstellungen in den Jahren 1957 und 1958 letztlich nicht durchsetzungsfähig. Möglicherweise kann dies auch darauf zurückgeführt werden, daß sie ohne institutionelle Rückendeckung vorgebracht wurden. Hingegen setzte sich - wie gezeigt - die produktbezogene Konzeption und damit die selektive Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe im Zeitraum 1956 - 1958 als konsensuales Entwicklungsparadigma durch. So veröffentlichte die Fachzeitschrift "Neue Hütte" ein Jahr vor dem entscheidenden Beschluß des V. SED-Parteitags einen Beitragl32, der die Argumentation für die Konzentration auf hochwertige und differenzierte Produkte zusammenfaßte und deshalb ausführlicher .dargestellt werden soll. Den Ausgangspunkt des Verfassers - Heinz Schulz - bildete die Tatsache, daß die Eisen- und Stahl industrie der DDR auf Dauer nicht in der Lage war, den vielgestaltigen Bedarf der differenzierten Maschinenbauindustrie der DDR im Hinblick auf die benötigen Sorten, Güten und Abmessungen zu befriedigen. Gerade bei Materialien, die für hochwertige Maschinenbauerzeugnisse benötigt würden, gelinge es der Schwarzmetallurgie oftmals nicht, diese in ausreichenden Mengen und befriedigender Qualität zur Verfügung zu stellen. Teilweise sei es überhaupt
129 Sektion für Wissenschaftliche Forschungsarbeiten der Ständigen Kommission für SchwamnetaIlurgie, Dr.-Ing. Kraemer (Leiter), Pannewitz (Sekretär): Protokoll, betr.: Vorschläge Kranenberg über neue metallurgische Technologien. Berlin, den 17.4.1958. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 120. 130 Dipl. Ing. C. Kranenberg im VEB Metallurgie-Projektierung Berlin: Neue Technik und Perspektivpläne in der Eisen- und Stahlindustrie der DDR. O. 0., Juli 1958. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 120. 131 Bericht über die Entwicklung und den Stand der Forschung und technischen Entwicklung im Ministerium für Berg- und Hüttenwesen (Berichtszeitraum 1952 bis 31.8.1956). Material für die Sitzung des Kollegiums am 12.10.56. 0.0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15738, BI. 118 - 130. Ministerium für Berg- und HüttenwesenIIN Eisenindustrie/Abt. Technologie, Lau: Bericht über die bisher durchgefllhrten Arbeiten der Wissenschaftler für den Perspektivplan der HV Eisenindustrie. Berlin, den 27.11.1956. BArch, DE-IlNr. 15911, BI. 34 - 42. Protokoll über die 1. Sitzung des Kuratoriums des Forschungsinstitutes für technologische Entwicklung und Wärmetechnik der Metallurgie am 25.6.1957. O. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15879, BI. 133 - 136. Ministerium für SchwerindustrieIHV Eisen/Abt. Technologie, Dr. Müller: Zusammenstellung, betr.: Schwerpunkte der HV Eisenindustrie auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung in den Jahren 1957 bis 1965. O. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 15879, BI. 26 - 32. 132 Schulz, Heinz: Die Walzstahlversorgung der fudustriebetriebe der Deutschen Demokratischen Republik, in: Neue Hütte, Jg. 2 (1957), H. 7, S. 397 - 400.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
nicht möglich, sie in der DDR zu erzeugen. Im Ergebnis müßten diese importiert werden, gerade bei mittel- und hochlegierten Stählen sei man auf die Einfuhr aus dem westlichen Ausland angewiesen, woraus ein hoher Devisenaufwand und damit eine beträchtliche Belastung der Außenhandelsbilanz erwachse. Nach Ansicht von Schulz sei es möglich, dies zu vermeiden, wenn künftig anstelle der QuaIitätsprodukte Massenstahl eingeführt werde. J33 Zudem könne so die Arbeit der Außenhandelsorgane grundlegend vereinfacht werden: Hier hatte sich nach Schulz' Beobachtungen erstens das Problem ergeben, daß die von den ausländischen Walzstahllieferanten lange vor Anlauf des entsprechenden Planjahrs der DDR geforderten Feinspeziflkationen der Aufträge besonders beim Import von Spezialerzeugnissen Schwierigkeiten bereiteten. Im Ergebnis habe dies bei den Maschinenbauunternehmen zu "Verdachtspeziflkationen", späteren Auftragsänderungen und Problemen bei der Veränderung der Lieferverträge geführt. Zweitens sei der Import bestimmter Edelstahlerzeugnisse schwierig, da die DDR häufig nur geringe Mengen benötige, so daß die Aufträge von den ausländischen Lieferanten nur ungern angenommen würden und zudem eine Verteuerung eintrete. 134 Diese Schwierigkeiten könnten, so jedenfalls Schulz' Fazit, durch die Ausdehnung der Produktion von QuaIitätserzeugnissen in der DDR wenigstens gemildert werden. Zudem sei es sehr unwahrscheinlich, daß das Roh- und Walzstahlaufkommen aus eigener Produktion in den nächsten Jahren so stark gesteigert werde wie im ersten Fünfjahrplan. Deshalb sei die Schlußfolgerung fast zwangsläufig, daß aus dem vorhandenen Rohstahl durch umfassende Weiterverarbeitung der größte volkswirtschaftliche Nutzen gezogen und durch entsprechende Investitionen den Bedürfnissen des Maschinenbaus durch eine differenzierte und hochwertige Produktion nachgekommen werde. Um diese Forderung zu erfüllen, erachtete Schulz einen Ausbau der Produktionskapazitäten fiir Edelstahlprodukte sowie der zweiten und dritten Verarbeitungsstufe, die im ersten Fünfjahrplan vernachlässigt worden seien, insbesondere in Walzwerken, Schmieden und Wärmebehandlungseinrichtungen fiir erforderlich. Hierdurch könne die Belastung der Außenhandelsbilanz durch den hohen Devisenaufwand, der vor allem beim Import von Produkten der zweiten Verarbeitungsstufe (z. B. mittel- und hochlegierter gezogener Stabstahl, Silberstahl, Federbandstahl, kaltgewalzter Bandstahl mit einwandfreier Oberflächenbeschaffenheit) verursacht werde, vermieden werden. Im Ergebnis werde bei gleichem Devisenaufwand die Einfuhr eines wesentlich größeren Stahlvolumens, nämlich des preiswerteren Massenstahls, mit leichter spezmzierbaren und umfangreicheren Auftragsgrößen möglich.
133 Ebd. 134
Ebd.
II. Zwischen ,,Neuem Kurs" und "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Diese Umstellung der Schwarzmetallurgie auf differenzierte Produkte sollte nach Ansicht des Autors die Voraussetzungen für folgendes Szenario schaffen: l. Die durch den Walzstahlmangel hervorgerufenen Terminverzögerungen im Maschinenbau werden mit dem Abbau der Importabhängigkeit beendet. 2. Durch die vermehrte Einfuhr von Massenstahl entfallt der Druck zur quantitativen ProduktioDSsteigerung, die Kapazitäten der Schwarzmetallurgie können entlastet und eine Qualitätssteigerung erzielt werden. m Schulz' Argumentation für die Spezialisierung auf die Qualitätsperspektive setzte zusammengefaßt an der bisherigen Ausrichtung der Branche auf die Massenstahlerzeugung, den defizitären Endverarbeitungsstufen, den Problemlagen des zentralisierten staatlichen Außenhandels sowie der resultierenden unzulänglichen Befriedigung des Bedarfs des Maschinenbaus an. Die auf diesem Problemranking aufbauende Konzeption sollte damit ein ganzes Bündel von Schwierigkeiten überwinden und gleichzeitig die Produktionsstrukturen sowohl in der Schwarzmetallurgie als auch im Maschinenbau optimieren. Mit fast identischen Argumenten begründete eine in der ersten Jahreshälfte 1958 vom Minister für Berg- und Hüttenwesen, Steinwand, vorgelegte "Analyse der Entwicklung und des erreichten Niveaus der Ökonomik der Schwarzmetallurgie" die Notwendigkeit zur stärkeren Berücksichtigung der zweiten Verarbeitungsstufe. Angefuhrt wurde hier zur Unterstützung der Argumentation nicht zuletzt der Umstand, daß die DDR, obwohl sie 1956 und 1957 lediglich 9 % ihres mengenmäßigen Walzstahlaufkommens aus dem "kapitalistischen Wirtschaftsgebiet" bezogen hatte, damit gleichzeitig 16 % des Werts ihrer Walzstahlimporte mit dem Westen abwickelte. Von daher - so die Schlußfolgerung - bestehe auf diesem Gebiet wegen des Imports vorwiegend hochwertiger Walzstähle eine beachtliche Abhängigkeit von westlichen Zulieferem. 136
135 Ebd.
Der Minister fiIr Berg- und Hüttenwesen der Deutschen Demokratischen Republik, Steinwand: Analyse der Entwicklung und des erreichten Niveaus der Ökonomik der Schwarzmetallurgie der DDR 1960 - 1960 (sie!, st. U.). o. 0., o. D. BAreh, DEIlNr. 15914, BI. 1 - 84; hier: BI. 11. Wenngleich diese voluminöse Studie nicht datiert ist, kann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß sie aus der ersten Hälfte des Jahres 1958 stammt. Zum einen enthält sie fllr die Jahre bis einschließlich 1957 Ist-Werte, während sie sich fllr den Zeitraum 1958 - 1960 durchgängig aufPlanwerte bezieht. Zum anderen wurde das Ministerium fllr Berg- und Hüttenwesen in Konsequenz des "Gesetzes über die Vervollkommnung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates" vom 11.2.1958 bis Ende Juli 1958 aufgelöst und in die Staatliche Plankommission überfUhrt, so daß diese Quelle nicht zu einem späteren Zeitpunkt entstanden sein kann. Siehe: Ministerium fiIr Berg- und HüttenwesenlLeiter der Operativgruppe, Dr. Schmidt: Abschlußbericht über die Durchführung der sich aus dem Gesetz vom 11.2.1958 ergebenden Abwicklungsaufgaben des Ministeriums fltr Berg- und Hüttenwesen. O. 0., o. D. BAreh, DE-IlNr. 15492, BI. 89 - 97. Protokoll 136
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstelhmgen
Die Studie zum Leistungsstand der Schwarzmetallurgie ging jedoch in ihrer gesamten Anlage weit über eine nochmalige Bekräftigung der Notwendigkeit zur qualitätsorientierten Spezialisierung hinaus und stellte damit die bis dahin umfänglichste Bestandsaufnahme der Leistungsfähigkeit der Eisen- und Stahlindustrie dar. Thematisiert wurden demzufolge sowohl die bisherige Entwicklung der Branche als auch Fragen wie das Produktionssortiment, der Spezialisierungsgrad, technisch-wirtschaftliche Kennziffern, der Zustand der einzelnen Werke, die Investitionsentwicklung, die Produktionstechnologie sowie die Arbeitsproduktivität und die Rentabilität. Dabei fielen die zu den einzelnen Bereichen erzielten Analysen durchgängig sehr kritisch aus, charakterisiert war die Schwarzmetallurgie nach dieser Wahrnehmung im Vorfeld des V. SED-Parteitags durch eine regelrechte Problemkumulation. Stichwortartig zusarnmengefaßt zeigte die Analyse Steinwands folgende Problemfelder auf:
Produktionswachstum: Die Eisen- und Stahlproduktion war langsamer angestiegen als die Nachfrage der weiterverarbeitenden Industrien. Infolgedessen konnte der angemeldete Bedarf nicht befriedigt werden und es entwickelte sich die bereits dargestellte Notwendigkeit zum Import gerade hochwertiger Erzeugnisse aus dem westlichen Ausland. Insgesamt habe die ungenügende Walzstahlversorgung die raschere Entwicklung der Volkswirtschaft bis zu diesem Zeitpunkt behindert. 137 Produktionsstrukturen: V.a. durch die nicht vollständige Durchführung der Aufbauprojekte des ersten Fünfjahrplans entwickelten sich beträchtliche Disproportionen zwischen und innerhalb der Betriebsstätten, während nur ein einziges integriertes Werk existierte, so daß sich in der Konsequenz die Notwendigkeit zum umfangreichen Transport von Rohstahl und Halbzeug zwischen den Werken ergab. 138 Arbeitsproduktivitat: Die Bruttoproduktion war rascher angestiegen als die Arbeitsproduktivität, so daß der Arbeitskräftebedarf zugenommen hatte. Die naturale Arbeitsproduktivität (als Blockstahlerzeugung eines GesamtProduktionsarbeiters pro Jahr) bezifferte die Untersuchung für 1955 im Vergleich mit der CSSR mit 87,1 %, im Vergleich zu Frankreich und der Bundesrepublikjedoch lediglich mit 59,2 bzw. 43,9 %. Damit lag die Schwarzmetallurgie bereits zu diesem Zeitpunkt weit hinter den westlichen Branchen zurück Nr. 31/58 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees am Dienstag, den 29. Juli 1958 im Zentralhaus der Einheit, Großer Sitzungssaal. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 212/Nr. 603, BI. 1 - 10. 137 Der Minister fiIr Berg- und Hüttenwesen der Deutschen Demokratischen Republik, Steinwand: Analyse der Entwicklung und des erreichten Niveaus der Ökonomik der Schwarzmetallurgie der DDR 1960 - 1960, a. a. 0., BI. 3 - 13, 15. 138 Ebd., BI. 22fT, 39 - 50.
rr. Zwischen ,,Neuem KW'S" Wld "Ökonomischer Hauptaufgabe"
237
und die Akteure - hier das Fachministerium - hatten durchaus ein Bewußtsein von dieser Rückständigkeit ausgebildet. 139 Wirtschaftlichkeit: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Branche wurde vergleichsweise ungünstig bewertet. Bei volkswirtschaftlicher Berücksichtigung der Subventionierung des Erz- und Koksimportes lägen die Kosten der Roheisenerzeugung um 25 bis 30 % über den Erlösen, die Branche erwirtschafte insgesamt so gut wie keinen Gewinn. Zurückgefiihrt wurde diese Unwirtschaftlichkeit auf eine Vielzahl konkreter Strukturen, im Mittelpunkt standen dabei: Schwierige Rohstoffverhältnisse, bis 1955 unzureichende Preise für Eisen- und Stahlprodukte, das Zusammentreffen des geringen Produktionsvolumens mit einem breiten Sortiment, kleine Losgrößen bei der Walzstahlproduktion, häufiger Programmwechsel sowie geringe Ausnutzung der Walzenstraßen, der bescheidene Anteil des Konverterstahls an der Gesamtproduktion und schließlich die ungenügende technisch-wirtschaftliche Leistungsfähigkeit v.a. der Hoch- und Siemens-Martin-Öfen. 140
Daneben attestierte das Gutachten Steinwands der Schwarzmetallurgie zudem eine ungenügende Leistungsfähigkeit in technologischer Hinsicht: Im Mittelpunkt der Ausführungen stand dabei vor allem die starke Überalterung vieler Aggregate sowie die unbefriedigende Ausbildung der Anlagen, die auf traditionellen Verfahren basierten. Auf Neuentwicklungen wurde hingegen nur vereinzelt Bezug genommen (punktueller Sauerstoffeinsatz in den Elektrostahlwerken sowie im Thomasstahlwerk der Maxhütte, Niederschachtöfen zur Verhüttung einheimischer Erze, Versuchs-Stranggießanlage in FreitaI). Anders als die Vorschläge Kranenbergs wandte sich die hier formulierte Kritik jedoch in erster Linie nicht gegen defizitäres Neuerungsverhalten, sondern gegen die Unzulänglichkeiten bei der Anwendung prinzipiell bekannter Technologien. Einen besonderen Schwerpunkt bildete dabei der Zustand der, die Stahlerzeugung dominierenden, Siemens-Martin-Werke, die im wesentlichen über kleine und mittlere Aggregate verfügten, die zudem konstruktive Disproportionen aufwiesen, v.a. aber durch den enorm hohen Einsatz kalten Roheisens eine unzureichende Produktivität besaßen. Zudem seien in den meisten Fällen die Gießgrubenverhältnisse verbesserungsbedürftig. Kritisch wurde auch die Leistungsfähigkeit der Walzwerke sowie der Endverarbeitungsstufen zur ,,Produktveredelung" beurteilt, die häufig überaltert seien. So sei beispielsweise nahezu die gesamte Feinblechkapazität der DDR 60 Jahre alt. 141 Zusammengefaßt lag der vom Minister für Berg- und Hüttenwesen im Vorfeld des V. Parteitags vorgelegten Studie ein Problemranking zugrunde, BI. 13, 69 - 74. BI. 11,14, 19f, 24, 26 - 31, 60f, 66, 77ff. 141 Ebd., BI. 11, 13,21, 30f, 39 - 50, 63 - 68. 139 Ebd.,
14OEbd.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
das tendenziell die gesamten Branchenstrukturen umfaßte. Letztlich wurde somit die Frage impliziert, welche Stärken die Schwarzmetallurgie neben den hier aufgelisteten Schwachpunkten überhaupt aufwies. Den analytischen Fluchtpunkt dieser Argumentation bildete der aus dem "Neuen Kurs" resultierende Abbruch der im ersten Fünfjahrplan vorgesehenen Investitionen: Dieser habe in Verbindung mit der nachfolgenden Verlangsamung der Investitionstätigkeit zur Ausbildung von häufig behelfsmäßigen Produktionsstrukturen gefiihrt, die ein effizientes Handeln der Branchenakteure nur schwerlich zuließen - eine Überwindung der mannigfachen Ineffizienzen. so die implizierte Schlußfolgerung, war demnach auch nur durch eine Beseitigung dieser objektiven Problemlagen möglich. 142 Pointiert formuliert handelte es sich mithin um eine "objektivistisch" und branchenstrukturell ausgerichtete Interpretation der bisherigen Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie. Mit dieser Problemwahrnehmung kann die Studie Steinwands als exemplarisch fiir große Teile der fiir die Metallurgie zuständigen staatlichen Verwaltungen bewertet werden.
Damit befand sie sich potentiell im Konflikt mit der Problemsicht des zentralen Parteiapparates. Deutlich wird dies beispielsweise an einem Beschluß, den das Politbüro der SED Ende Juli 1958 zur "Gewährleistung einer sortiments- und qualitätsgerechten Produktion von Walzwerks- und Gießereierzeugnissen" faßte. Die häufige Diskrepanz zwischen dem Bedarf und der Produktionskapazität der Stahl- und Walzwerke sowie Gießereien wurde hier auf folgende Ursache zurückgeführt: ,,Die Gründe filr diese Situation bestehen nicht nur darin, daß der Ausbau und die Komplettierung der Blockbearbeitung, Adjustagen, Glühereien und Vergütereien, der Schmelzbetriebe, Formereien und Putzereien in den letzten Jahren zurückgeblieben sind, sondern auch in der Tatsache, daß die Stahl- und Walzwerke sowie die Gießereien bei der Organisation und Durchfilhrung der Produktion in ungenügendem Maße auf eine Planerfullung nach Sortimenten und Güten orientiert werden.'d43
Zur Problemlösung beschloß das Politbüro neben verschiedenen planungssystematischen und -organisatorischen Schritten auch eine Veränderung der Zuführungsbestimmungen zum Betriebsprämienfonds, mittels welcher das "Prinzip der materiellen Interessiertheit der Werktätigen" zur Planerfüllung nach Sortimenten und Qualitäten durchgesetzt werden sollte. l44 Mit anderen 142 Ebd., BI. 7f, 11,39 - 50,55. 143 Protokoll Nr. 31/58 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees am Dienstag, den 29. Juli 1958 im Zentralbaus der Einheit, Großer Sitzungssaal. O. 0., o. D. Anlage 15: Beschluß über Maßnahmen zur Gewährleistung einer sortiments- und qualitätsgerechten Produktion von Walzwerks- und Gießerei-Erzeugnissen in der DDR. SAPMOBArch, ZPA, DY 30/J IV 2/2/Nr. 603, BI. 1 - 10,79 - 82. 144 Ebd.
ll. Zwischen ,,Neuem Kurs" Wld "Ökonomischer Hauptaufgabe"
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Worten versuchte man, das betriebliche Anreizsystem zu modifizieren, um das bekannte Streben nach quantitativer Planerfiillung (siehe Teil 2, 11) auszuschalten. Im Gegensatz zur Problemwahrnehmung des Staatsapparates sah das Politbüro die Defizite der Schwarzmetallurgie damit nicht primär in den produktionsstrukturellen Verwerfungen der Branche, sondern tendenziell stärker im subjektiven Faktor, d.h. der korrekten Orientierung und dem richtigen Bewußtsein, in der konkreten Organisation der Planung, aber auch im materiellen Anreizsystem begründet. Ausgehend von diesem Interpretationsmuster mußte in letzter Konsequenz eine Effektivierung der Schwarzmetallurgie ohne grundlegende Arrondierung der Produktionsstrukturen, d.h. innerhalb des Status Quo, als machbar erscheinen. Gleiches zeigte sich beispielsweise auch, wenn die Leiter der ökonomischen Abteilungen des ZK die 1956 zunehmenden unvollendeten Investitionen auf ideologisch falsches Herangehen der staatlichen Organe an die Forderungen der 3. Parteikonferenz zurückführten oder aber die Ideologie "Neue Technik bedeutet neue Maschinen und Aggregate und damit Investitionen"14s monierten. Der in diesen Interpretationsmustern angelegte Widerspruch brach im folgenden spätestens bei den Auseinandersetzungen um das "Metallurgieprogramm der DDR" (siehe Teil 5, IV) auf. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen beschloß der vom 10. bis 16. Juli in Berlin tagende V. Parteitag der SED, die Konzentration auf höherwertige Güter und die zweite Verarbeitungsstufe schließlich auch offiziell als neues Leitbild der Eisen- und Stahlindustrie der DDR Das zentrale politische Ergebnis des Parteitages bestand hingegen in der Proklamation, den Aufbau des Sozialismus in der DDR erfolgreich abzuschließen sowie in der - von der Forschung breit diskutierten - "Ökonomischen Hauptaufgabe", die Bundesrepublik im Pro-Kopf-Verbrauch an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern binnen weniger Jahre zu übertreffen. 146 Dem Parteitagsbeschluß zur vorrangigen Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe lag eine skeptische Beurteilung der Möglichkeiten der Schwarzmetallurgie zugrunde, die deutlich mit den Formulierungen aus der Zeit vor 1953 kontrastierte: ,,Die natürlichen Voraussetzungen der DDR geben nicht die Möglichkeit, die SchwarzmetaUurgie in einem solchen Ausmaß zu entwickeln, daß eine ausreichende
14S Die Abteilungsleiter der ökonomischen Abteilungen des ZK: Einschätzung der wichtigsten Erscheinungen aus dem Ablauf des Planes 1956. o. 0., o. D. SAPMOBArch, ZPA, NY 40901Nr. 331, BI. 45 -79; hier: BI. 62,66. 146 H. WolflF. San/er, Entwicklung und Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2911. W. MUhlfriedel/K. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 152 - 155. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 173 - 178. K. rho/heim, Die Wirtschaft der Sowjetzone in Krise Wld Umbau, S. 45 - 48.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Versorgung WlSefer Volkswirtschaft aus eigenem Aufkommen gewährleistet werden
kann."T47
Der in der Konsequenz dieser Einschätzung gefaßte Beschluß des V. Parteitages der SED definierte schließlich die Erhöhung der Produktion von Edelund Qualitätsstählen, Sonderlegierungen sowie Erzeugnissen der zweiten Verarbeitungsstufe als die vorrangige Aufgabe der Schwarzmetallurgie. Diese müsse den Qualitäts- und Sortimentsanforderungen der metallverarbeitenden Industrie nachkommen, die dazu notwendigen Einrichtungen seien zu errichten. l48 Mit diesen knappen Formulierungen fand die Herausbildung einer neuen Konzeption für die Entwicklung der Schwarzmetallurgie ihren vorläufigen Abschluß. Anders als die Vorstellungen, von denen sich der Aufbau der Branche bis 1953 leiten ließ, wurde damit auf den beschleunigten proportionalen Aufbau sämtlicher Erzeugungsstufen verzichtet und ausgehend von einer wesentlich erweiterten Problemwahrnehmung der selektive Ausbau mit dem Ziel der Konzentration auf höherwertige und differenzierte Produktlinien favorisiert. Impliziert wurden damit zwei Fragen, welche die Diskussion bis zum diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht gestellt hatte: 1. Wie gezeigt setzte die Spezialisierung auf die zweite Verarbeitungsstufe voraus, daß die benötigen Vorprodukte und Massenerzeugnisse in hinreichender Menge und Qualität importiert werden konnten. Zwar schienen die Voraussetzungen im Juli 1958 hierfür aufgrund der parallel durchgeführten Außenhandelsverhandlungen mit der UdSSR günstig zu sein l49, doch war die positive Beantwortung dieser Frage damit nicht ein für allemal sichergestellt. 2. Die Produkte der zweiten Verarbeitungsstufe wurden in der DDR zumeist nur in geringen Mengen benötigt. Eine diesbezügliche Spezialisierung barg damit die Gefahr, daß das Problem 147 Bericht des Zentralkomitees an den V. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der Verhandhmgen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (10. - 16. Juli 1958 in der Wemer-SeelenbinderHalle zu Berlin). 6. Wld 7. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1959, S. 1417 - 1627; hier: S. 1487. 148 Beschluß des V. Parteitages der SED über den Kampf um den Frieden, ft1r den Sieg des Sozialismus, ft1r die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender demokratischer Staat, in: Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (10. - 16. Juli 1958 in der Wemer-SeelenbinderHalle zu Berlin). 6. und 7. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1959, S. 1329 - 1416; hier: S. 1366f. 149 Büro des Präsidiums des Ministerrates: Protokoll der 47. Sitzung des Ministerrates vom 31. Juli 1958. O. 0., o. D. Anlage A: Protokoll der Besprechungen zwischen der Regierungsde1egation der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierungsdelegation der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über gegenseitige Lieferungen der wichtigsten Waren bis 1965 einschliesslich und über einzelne Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Moskau, den 7.7.1958. BAreh, DC-20 113-289, BI. 1 - 30.
DI. Ausarbeitung und Scheitern des Siebenjahrplans
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der kleinen Losgrößen weiter verschärft wurde, wodurch die positiven ökonomischen Effekte der ,,Höherveredelung" potentiell in Frage gestellt worden wären.
III. Die Ausarbeitung und das Scheitern des Siebenjahrplans für die Jahre 1959 - 1965 1. Die Konkretisierung des Modernisierungs- und Qualitlitsprojekts der Schwarzmetallurgie bis zur volkswirtschaftlichen Krise 1960 Im Gefolge der Verkündung der "Ökonomischen Hauptaufgabe" auf dem V. Parteitag der SED erhielt die Forcierung der technologischen Modernisierung in der Industrie für die Wirtschaftspolitik der Partei und des Staates einen neuen, höheren Stellenwert. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die Verabschiedung des Siebenjahrplans für den Zeitraum 1959 bis 1965, welcher die diesbezüglichen Forderungen konkretisierte. Angelegt war diese Orientierung an wissenschaftlich-technologischen Spitzenleistungen bereits im Beschluß des V. Parteitages, der die rasche Steigerung der Arbeitsproduktivität als den Schlüssel zur Bewältigung der Ökonomischen Hauptaufgabe bezeichnete. Erreicht werden sollte diese durch die rasche Entwicklung der Produktivkräfte, durch einen neuen großen Aufschwung der Arbeiterklasse im Kampf um den technischen Fortschritt sowie durch die Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse. Zur Entfaltung der Produktivkräfte seien ihrerseits die neuesten Erkenntnisse der modernen Wissenschaft und Technik auf allen Gebieten der Volkswirtschaft umfassend anzuwenden. Die, entsprechende Überholvorstellungen der Sowjetunion reflektierende, Konzeption der Ökonomischen Hauptaufgabe wurde nach dem V. SED-Parteitag mit einiger Zeitverzögerung um eine entscheidende Facette erweitert und damit zugespitzt: Nunmehr wurde gefordert, parallel zur Überflügelung des bundesdeutschen Konsums, müsse die DDR auch die Arbeitsproduktivität der Bundesrepublik - bis 1965 - eingeholt haben.l~ Im Kontext dieser offensiven wirtschaftspolitischen Strategie bildete die sozialistische Rekonstruktion der Produktionsprozesse die eigentliche Schlüsselkategorie. Nach den Vorstellungen der SED stellte diese die Voraussetzung rur die Bewältigung der Ökonomischen Hauptaufgabe und damit letzten Endes I~ D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 174f, 176. Beschluß des V. Parteitages der SED über den Kampf wn den Frieden, ftJ.r den Sieg des Sozialismus, ftJ.r die nationale Wiedergeburt Deutschlands als friedliebender demokratischer Staat, in: Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (10. - 16. Juli 1958 in der Werner-Seelenbinder-Halle zu Berlin). 6. und 7. Verhandlungstag, Berlin (Ost) 1959, S. 1329 - 1416; hier: S. 1357. 16 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
für den Sieg des Sozialismus dar. Verbindlich definiert wurde diese Kategorie u.a. in einem Beschluß, den das Zentralkomitee auf seiner fiinften Tagung (Mai 1959) formulierte: ,,Der Inhalt der sozialistischen Rekonstruktion besteht in der rationellsten Organisation der Produktion auf der Basis des höchsten Standes von Wissenschaft Wld Technik Wld der vollen Nutzung der schöpferischen Initiative der Werktätigen. Die sozialistische Rekonstruktion muß durch eine umfassende RationalisierW1g der Produktion, durch SpezialisierW1g Wld Konzentration zur höchstmöglichen Steigerung der Arbeitsproduktivität, zur schnellen ErhöhWlg der Produktion, zu niedrigsten Selbstkosten Wld zu bester Qualität der Erzeugnisse filhren."1SI
Signalisierte die auffällige Häufung von Superlativen schon sprachlich äußerst ambitionierte Vorstellungen, so ließen die folgenden Passagen des Beschlusses keinen Zweifel daran, daß die Führungsebene der Partei durch die Rekonstruktion nunmehr eine umfassende und forcierte Modernisierung der Volkswirtschaft anstrebte. Neben anderem wurde hier beispielsweise gefordert, jedes Erzeugnis der Industrie müsse dem ,J/6chststand der Technik" in Leistungsfähigkeit und Qualität entsprechen, die DDR müsse damit das "Weltniveau" mitbestimmen. Konkret machte der Beschluß des ZK jeden Werkleiter dafür verantwortlich, daß die Erzeugnisse seines Betriebes in kürzester Zeit den Höchststand der Technik verkörperten. Entsprechende Vorgaben wurden auch für den Materialverbrauch, die Arbeitsproduktivität und die Selbstkosten gemacht. Zur Realisierung dieser Vorstellungen gelte es, zwei Wege der Rekonstruktion zu beschreiten: Einerseits müsse in Schwerpunktbranchen die NeuauslÜStung mit modernsten Maschinen und hochproduktiven Technologien erfolgen, während andererseits in der Mehrzahl der Betriebe die Einfiihrung rationellster technologischer Verfahren unter Ausnutzung der vorhandenen Anlagen im Vordergrund stehen müsse. 152 Damit kombinierte die Strategie der sozialistischen Rekonstruktion offensive Modernisierungskomponenten (neuerungsorientiert) mit stärker defensiv ausgerichteten Maßnahmen (bestandsorientiert). Dartiber hinaus wurde die hier deutlich werdende technologische Strategie eingebettet in ein Konzept, das mit der avisierten Konzentration, Spezialisierung, Standardisierung und Rationalisierung auf die Gesamtoptimierung der Produktionsstrukturen in den einzelnen Branchen abzielte. In der retrospektiven Bewertung gingen die im Kontext der sozialistischen Rekonstruktion aufgestellten diversen Optimierungsforderungen nicht wesentlich über die bekannten allgemeinen Prinzipien des Wirtschaftens hinaus, in der konkreten historischen Entscheidungssituation der DDR signali151 Durch sozialistische Rekonstruktion Wld ErhöhWlg der Arbeitsproduktivität zur ErfilllWlg des Siebenjahrplanes. Beschluß des Zentralkomitees vom 23. Mai 1959 (5. TagWlg), in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse Wld Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros Wld Sekretariats, Bd. VII, Berlin (Ost) 1961, S. 652 - 663; hier: S. 653. lS2
Ebd., S. 654ff, 658.
ill. Ausarbeitung und Scheitern des Siebenjahrplans
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sierten sie hingegen den Beginn einer wirtschaftspolitischen Modernisierungsoffensive, die sich deutlich von der Politik der vorhergehenden Jahre abhob. Roesler interpretierte sie dementsprechend als ein Zeichen dafür, daß sich die Wirtschaftspolitik der Partei- und Staatsführung nunmehr deutlicher den intensiven Wachstumsfaktoren zuwandte, während gleichzeitig eine breitere Streuung der Investitionsmittel eingeleitet werden sollte. 153 Diese allgemeinen politischen Rahmenbedingungen prägten auch die Ausarbeitung der Rekonstruktionspläne der Schwarzmetallurgie, die bis zum Sommer 1959 vorgelegt wurden. Begleitet wurde die Ausarbeitung dieser Programme von der weiter anhaltenden Kritik am Zustand der Eisen- und Stahlindustrie, die sich auf die unzureichende Produktqualität, die "Tonnenideologie", ungenügende sortimentsgerechte Produktion, die Arbeitsorganisation, die veraltete Technologie, die fehlerhafte Tätigkeit der zuständigen Staatsorgane und die fehlende Perspektive bezog und damit das bereits dargestellte Kritikmuster fortführte. Neue Schubkraft erhielt diese Kritik nicht zuletzt durch die Verkündung des Chemieprogramms, welches den Bedarf nach hochwertigen und differenzierten Stahlerzeugnissen weiter vergrößerte. l54 Schließlich kollidierten in diesem Zeitraum erneut die divergierende "objektive" und die "subjektive" Problemsicht (siehe Teil 5, IV), wie dies die Vorflilie am Rande der Politbürositzung vom 6. Januar 1959 deutlich zeigen: Auf dieser Sitzung berichtete Steinwand, nunmehr zuständiger Abteilungsleiter in der Plankommission, dem Politbüro über die Entwicklung der Metallurgie, wobei er deren anhaltende Schwierigkeiten auf den 1953 erfolgten Investitionsstop zurückführte. Nach dieser Berichterstattung kam es - jedenfalls in der Darstellung eines Mitarbeiters der ZK-Abteilung für Maschinenbau und Metallurgie - im Gespräch zwischen Steinwand, Kurt Gregor und Fritz Selbmann zu despektierli-
153
- 138.
J. Roesler, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 135
154 Sektor Metallurgie: Aktennotiz, betr.: Vertragsänderungen in den Stahl- und Walzwerken. Berlin, den 22.9.1958. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV 2/2.029INr. 55, BI. 1Off. Staatliche PlankonunissionlSED-Grundorganisation Berg- und Hüttenwesen, Peuser: Protokoll der 5. Sitzung der Leitung der SED-Grundorganisation Berg- und Hüttenwesen am Freitag, dem 28.11.58. Berlin, den 29.11.58. BAreh, DE-IlNr. 15437, BI. 6 - 10. Staatliche Plankonunission, Steinwand: Bericht über die Durchfllhrung des Beschlusses des Politbüros der SED vom 29.7.58 über Maßnahmen zur Gewährleistung einer sortiments- und qualitätsgerechten Produktion von Walzwerks- und Gießereierzeugnissen in der DDR. Berlin, den 18.12.58. BAreh, DE-IlNr. 29920, BI. 529 - 536. Staatliche PlankonunissionIKollegium der Abteilung Berg- und Hüttenwesen: Beschluß Nr. 1/59 über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit auf dem Gebiet der Forschung und Technik. Berlin, den 26.1.1959. BAreh, DE-IlNr. 15738, BI. 144 -147. Bericht über die Arbeit des Zentralen Arbeitskreises ,,Eisen" 1958. Berlin, den 5.2.1959. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 134, Bd. 2. SchriJder, Rolf: Aufgaben unserer Stahl- und Walzwerke im Chemieprogramm, in: Neue Hütte, Jg. 4 (1959), H. 10, S. 578 - 584.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
ehen Äußerungen über das Politbüro. Im weiteren Verlauf dieser Unterredung sei die Äußerung gefallen, man werde jetzt rasch einen Perspektivplan der Metallurgie ausarbeiten, damit man "Ruhe vor denen (d.h. dem Politbüro, St. U.) habe". Im grundsätzlichen Teil seiner Ausführungen bemängelte der Verfasser sodann, zur Beseitigung der Mängel in der Metallurgie hätten sich die verantwortlichen Funktionäre auf technisch-organisatorische Maßnahmen beschränkt, die politisch-ideologische Auseinandersetzung jedoch sträflich vernachlässigt. Die Darlegungen Steinwands bezüglich der Folgen des neuen Kurses führten demzufolge zu einer "falschen Orientierung" in der prinzipiellen politisch-ideologischen Auseinandersetzung zur Frage der "TonnenIdeologie" . us Im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie erfolgte die Ausarbeitung der Rekonstruktionspläne aufgrund einer Richtlinie, welche das Kollegium der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Staatlichen Plankommission Mitte Dezember 1958 verabschiedet hatte. Gefordert wurde hier insbesondere, die Überwindung der rückständigen Technik durch die Einführung modernster Produktionsverfahren, um so der Forderung nach vermehrter Produktion hochwertiger Erzeugnisse nachzukommen. Für sämtliche Projekte sei eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zu erstellen, die auch volkswirtschaftliche Gesichtspunkte berücksichtige. Die Modernisierung der Branche sollte - so die Richtlinie - mit dem geringstmöglichen Aufwand an Investitionsmitteln erfolgen, der volkswirtschaftliche Nutzeffekt der investierten Mitteln sei entsprechend zu steigern. Zudem sei die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Produktionskonzentration, Spezialisierung sowie zur Verbesserung der Kooperationsbeziehungen zu prüfen, womit inhaltlich unmittelbar an die Schwachpunkte, wie sie die Studie Steinwands (siehe Teil S, 11) aufgezeigt hatte, angeknüpft wurde. In Konkretisierung dieser allgemeinen Formulierungen enthielt die Richtlinie der Abteilung Berg- und Hüttenwesen zudem detaillierte Wachstumsziele sowie die wichtigsten Investitionsmaßnahmen, welche die beiden, 1958 in der Eisenund Stahlindustrie neugegründeten lS6 , Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) in ihren Plänen zu berücksichtigen hatten. lS7 Die auf der Grundlage dieser Vorgaben ausgearbeiteten Rekonstruktionsprogramme der VVB Eisenerz-Roheisen sowie Stahl- und Walzwerke enthielUS AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie: AusarbeitWlg, betr.: Einige VorkoImnnisse nach der Politbtlrositzung am 6.1.1959 Wld einige Problem der Metallurgie. Berlin, den 9.1.1959. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV 2/2.029INr. 55, BI. 126 136. 1S6 J. Roesler, HerausbildWlg der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 145fT. m Staatliche PlankommissionIKollegiwn der AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen: Beschluß Nr. 15/58 über die AusarbeitWlg von Rekonstruktionsplänen. Berlin, den 17.12.1958. BArch, DE-IlNr. 15738, BI. 99 - 104.
ill. Ausarbeitung \Uld Scheitern des Siebenjahrplans
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ten ein MaßnahmenbÜßdei, das in seiner Gesamtheit als relativ geschlossenes und stringentes Leitbild der Branchenentwicklung betrachtet werden kann. Nach den Jahren einer vergleichsweise lavierenden Branchenpolitik zielte die strategische Konzeption der Branche damit auf die verstärkte Produktion qualitativ hochwertiger Produkte, verfahrenstechnisch wurde die umfassende Modernisierung des Anlagenbestands mit innovativen Neubaumaßnahmen verknüpft. Letztere waren allerdings lediglich punktuell geplant, d.h. die Implementierung von Innovationen blieb in den Plänen apriori auf bestimmte Werke begrenzt, so daß die Rigiditäten der planwirtschaftlichen Abläufe eine spontane Diffusion neuartiger Technologien prinzipiell nicht vorsahen. Damit entsprachen die Rekonstruktionspläne der Eisen- und Stahlindustrie den grundsätzlichen Rekonstruktionsrichtlinien, welche zuvorderst die Optimierung und Arrondierung vorhandener Anlagen forderten. Konkret reflektierten diese Programme die wirtschaftspolitische Linie der vorrangigen Entwicklung von Qualitätserzeugnissen und Produkten der zweiten Verarbeitungsstufe, indem sie ein selektives Wachstum der einzelnen Produktionsstufen vorsahen. So sollte die Roheisenerzeugung im Zeitraum 1958 1965 lediglich auf 121,1 % steigen, eine Neuerrichtung von Kapazitäten war hier nicht geplant. Hingegen sollte die Erzeugung auf den nachgelagerten Stufen entsprechend auf 148 % bei der Rohstahlerzeugung, 170,5 % bei der Walzstahlproduktion und schließlich 311 % bei Gütern der zweiten Verarbeitungsstufe erhöht werden. Im Unterschied zum ersten Fünfjahrplan verzichteten die Rekonstruktionspläne auf die komplette Neuerrichtung ganzer Hüttenwerke. Grundsätzlich geprägt wurden sie vielmehr von folgendem Modernisierungskonzept: Die Produktionszuwächse sollten in erster Linie durch die Optimierung und Arrondierung bestehender Werke erzielt werden. Zu diesem Zweck plante man u.a. die umfassende Einführung der Sauerstoffmetallurgie in den Thomas-, Elektro- und Siemens-Martin-Stahlwerken, um so die Stahlqualität zu verbessern und die Leistungsfähigkeit zu steigern. Begleitet werden sollte dies durch die Teilautomatisierung der Prozeßsteuerung sowie durch die Einfiihrung der basischen Zustellung und der Ferngasbeheizung in den Siemens-Martin-Werken. Vereinzelt wurde dies ergänzt durch die Errichtung neuer Schmelzaggregate. Zur Bewältigung der vielerorts beengten Situation in den Gießgruben sahen die Rekonstruktionspläne die Einfiihrung des sog. Wagengußverfahrens zur Ablösung des Kokillengusses vor. Für die Walzwerke und die Anlagen der zweiten Verarbeitungsstufe enthielten die Programme schließlich zahlreiche Schritte zur Arrondierung der existierenden Aggregate, welche in einem beachtlichen Umfang mit Neuerrichtungen kombiniert wurden. Innovative Neubauten wurden hingegen in erster Linie im Eisenhüttenkombinat Ost konzentriert, welches bis 1965 endlich zu einem integrierten Hüttenwerk ausgebaut werden sollte. Zu diesem Zweck plante man hier ein modemes Sauerstoffaufblas-Stahlwerk, an das sich eine Warmbreitband- und eine Kaltbandstraße anschließen sollte. Für das Stahl- und Walzwerk Riesa und das Freitaler Edelstahlwerk wurde darüber hinaus mit der Stranggieß-
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
technik eine weitere grundlegende Innovation eingeplant. welche der wirtschaftspolitischen Vorgabe, den "Welthöchststand" zu erreichen, zu diesem Zeitpunkt durchaus Rechnung trug. Diese Modernisierungsvorstellungen setzten eine Bereinigung der zersplitterten Branchenstruktur zur Beseitigung der häufig unwirtschaftlichen Losgrößen voraus. Aus diesem Grunde wurden sie in den Rekonstruktionsprogrammen eingebettet in eine Standardisierungsund Spezialisierungsstrategie, welche die Konzentration der einzelnen Werke auf eine bestimmte Produktlinie postulierte, um so die modernisierten Kapazitäten adäquat auslasten zu können. ISS Die Erstellung des, in den Rekonstruktionsplänen zusarnmengefaßten, Modernisierungskonzeptes hatte in den vorangegangenen Monaten neuerlich zu Konflikten geführt, die vor allem andeuteten, daß die Realisierung dieser Programmatik eine erhebliche Anstrengung von der Eisen- und Stahl industrie erfordern würde. In diesem Zusammenhang machten Vertreter der Staatlichen Plankommission und der VVB Stahl- und Walzwerke wiederholt darauf aufmerksam, daß das Erreichen der zugrundeliegenden ambitionierten Wachstumsziele mit den zur Verfiigung gestellten Finanzmitteln, Baukapazitäten und Ausrüstungen noch keinesfalls als gesichert betrachtet werden könne. Insbesondere sei es erforderlich, die Investitionen deutlicher auf den Zeitraum bis 1963 zu konzentrieren, da dieser aufgrund des konkreten Verlaufs der Baumaßnahmen eine strategische Bedeutung für die gesamte künftige Entwicklung besitze. Hingegen äußerte die SED-Grundorganisation der SPKAbteilung Berg- und Hüttenwesen im Juli ihre Unzufriedenheit mit den Rekonstruktionsplanungen der Schwarzmetallurgie und forderte eine weitere Erhöhung der Produktionsziffern bei gleichzeitiger Reduzierung der benötigten Ressourcen. Erreicht werden sollte dies nach ihren Vorstellungen durch eine drastischere Konzentration der Investitionsmittel auf Schwerpunkte. Dies entspreche nicht zuletzt dem Inhalt der sozialistischen Rekonstruktion, die in erster Linie eine Optimierung der bestehenden Kapazitäten bezwecke. 159
ISS Kollegiumsmaterial: Zusammenfassung der Rekonstruktionsprogramme des Berg- Wld Hüttenwesens (Entwurf). Berlin, den 8.7.1959. BArch, DE-l/Nr. 15739, BI. 141 - 150. Siehe auch: Staatliche PlankommissionlLeiter der Abteilung Berg- Wld Hüttenwesen, i. V. Fichtner an den Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Leuschner, betr.: Vorbereitung des 5. Plenums des ZK der SED. Berlin, den 21.5.1959. Anlage: Staatliche Plankommission/Abt. Berg- und Hüttenwesen: Rekonstruktionsschwerpunkte im Sektor Schwarzmetallurgie der Abteilung Berg- Wld Hüttenwesen. Berlin, den 21.5.1959. BArch, DE-l/Nr. 11946, BI. 1 - 5. Rekonstruktionsprogramm der VVB Stahl- Wld Walzwerke. O. 0., o. D. BArch, DE-l/Nr. 12706, BI. 1 - 31. 159 VVB Stahl- Wld Walzwerke: Analyse zum Perspektivplan bis 1965 der Betriebe der VVB Stahl- Wld Walzwerke. Berlin, den 10.3.1959. BArch, DE-l/Nr. 15905, BI. 50 - 57. Expose: Prinzipielle Fragen des Rekonstruktionsplanes (7-Jahr-Plan) der VVB Stahl- Wld Walzwerke, die einer Klänmg bedürfen. Berlin, den 21.5.1959. BArch, DEl/Nr. 15772, BI. 287 - 297. Expose: Vorstellungen über die weitere Arbeit am Rekon-
ill. Ausarbeitung lUld Scheitern des Siebenjahrplans
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Ungeachtet dieser sich andeutenden Probleme fanden die Vorstellungen zur Rekonstruktion der Stahlindustrie nahezu unverändert Eingang in den "Siebenjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1959 bis 1965", der am 21. September 1959 vom Ministerrat verabschiedet wurde. In seiner Begründung wies Walter Ulbricht (als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats) nochmals eindringlich darauf hin, daß die wichtigste Frage der kommenden Jahre darin bestehe, den "wissenschaftlich-technischen Höchststand" zu erreichen und die entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen. l60 Der Siebenjahrplan ("Plan für den voll entfalteten Aufbau des Sozialismus") sowie die als Anlage verabschiedete Richtlinie über die Hauptrichtung der sozialistischen Rekonstruktion bezeichneten dementsprechend die Beschleunigung des technischen Fortschritts als zentrale Voraussetzung für die Bewältigung der "Ökonomischen Hauptaufgabe" . Deutlich wurde hier aber vor allem, daß die Schwarzmetallurgie im Rahmen der wirtschaftspolitischen Gesamtstrategie erneut lediglich von zweitrangiger Bedeutung war, während die Energiewirtschaft, die Elektrotechnik, einige Zweige des Maschinenbaus, vor allem aber die chemische Industrie im Zentrum des Siebenjahrplans standen. Nicht zuletzt schlug sich dies in der Planauflage für die Produktion der Metallurgie nieder, die bis 1965 185 % des Standes von 1958 erreichen sollte, während in der chemischen Industrie eine Steigerung von 205 % angestrebt wurde. Dieser Produktionszuwachs sollte - wie bereits in den Rekonstruktionsplänen - selektiv erfolgen, d.h. Priorität besaß die Produktion der zweiten Verarbeitungsstufe, die am raschesten ausgebaut werden sollte, während insbesondere die Roheisenerzeugung nur bescheiden erhöht werden sollte. Zur Deckung des volkswirtschaftlichen Bedarfs forderte der Siebenjahrplan zudem eine bedeutende Steigerung des Imports von Roheisen und Walzstahl. 161
struktions- lUld Siebenjahrplan, insbesondere in der Periode der AusarbeitlUlg lUld ZusamrnenstelllUlg des Planes durch die VVB zur EinreichlUlg an die AbteillUlg BerglUld Hüttenwesen der Staatlichen Plankorrunission. O. 0., 3.6.59. BAreh, DE-IlNr. 15905, BI. 41 - 44. SED-Grundorganisation 16, Berg- lUld Hüttenwesen: StelllUlgnahme zum Siebenjahrplan lUld den Rekonstruktionsplänen der Betriebe des Berg- u. Hüttenwesens. Berlin, den 25.7.1959. BAreh, DE-IlNr. 15772, BI. 55 - 59. BeratlUlg des Siebenjahrplans lUld des Rekonstruktionsprogramms der VVB Stahl- lUld Walzwerke (IV. Industriezweigkonferenz am 29. Juni 1959 in Riesa), in: Neue Hütte, Jg. 4 (1959), H. 9, S. 571f. 160 Büro des Präsidiwns des Ministerrates: Protokoll der 14. SitzlUlg des Ministerrates vom 21. September 1959. O. 0., o. D. BAreh, DC-20 113-306, BI. 64 - 73. 161 Gesetz über den Siebenjahrplan zur EntwickllUlg der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1959 bis 1965. Berlin, den 6.10.1959. BAreh, DC-20 113-306, BI. 74 - 107. Die Hauptrichtung der sozialistischen Rekonstruktion der wichtigsten Betriebe lUld Zweige der Industrie, des Bauwesens, des Verkehrs- lUld Nachrichtenwesens sowie des Großhandels in der Deutschen Demokratischen Republik. Vertrauliches Material. Anlage zum Gesetz über den Siebenjahrplan
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Die Vorgaben, welche der Siebenjahrplan für die Modernisierung der Eisen- und Stahlindustrie enthielt, entsprachen in ihrer konzeptionellen Ausrichtung den Rekonstruktionsplänen, die wenige Monate zuvor vorgelegt worden waren. Charakterisiert waren sie damit insbesondere durch die bereits dargestellte Kombination von defensiv-bestandsbezogenen und innovativneuerungsorientierten Investitionsprojekten, die von einer produktionsstrukturellen Spezialisierungsstrategie flankiert wurden. Das bedeutendste Vorhaben der Schwarzmetallurgie bildete der Ausbau des Eisenhüttenkombinats Ost durch die Errichtung eines Sauerstoffaufblas-Stahlwerks sowie eines Warmbreitband- und Kaltbandwalzwerkes. Für die Stahlwerke in Riesa und Freital wurde die Einfiihrung des neuartigen Stranggießverfahrens vorgesehen. Wenngleich die Einfiihrung innovativer Technologien im Konzept des Siebenjahrplans mit dieser Konzentration auf einige wenige Werke durchaus von einer vorsichtigen Haltung geprägt war, so ist doch herauszustellen, daß damit die grundsätzliche Entscheidung für die Einfiihrung neuer Verfahren in der DDR fast zeitgleich mit der bundesdeutschen Stahlindustrie gefallen war; an diesem Punkt der Entscheidungsprozesse lag die DDR-Schwarzmetallurgie folglich noch kaum zurück. 162 In Verbindung mit den hier vorgesehenen Schritten zur Leistungssteigerung der traditionellen Technologie der Hochöfen, Stahl- und Walzwerke formulierte der Siebenjahrplan damit insgesamt ein durchaus konsistentes Leitbild für die Entwicklung der Branche, dessen konsequente Realisierung mittelfristig die oft kritisierte technologische Rückständigkeit der ostdeutschen Eisen- und Stahlindustrie verringert hätte. In der westlichen wirtschaftshistorischen Literatur wurde der auf der "Ökonomischen Hauptaufgabe" basierende Gesamtansatz des Siebenjahrplanes hingegen durchgängig als Paradebeispiel für überzogene Wachstumsziele einer sozialistischen Planwirtschaft bewertet. Konstatierte Gleitze bereits 1964 einen ,,Rauschzustand", in dem sich die ostdeutschen Planer und Politiker zu diesem Zeitpunkt befunden hätten l63, so setzte sich das Urteil bis nach dem Ende der DDR fort, das Projekt, die Bundesrepublik binnen weniger Jahre ökonomisch überholen zu wollen, sei von Grund auf überzogen gewesen und habe die Ressourcen der DDR überfordert. ZurückgefUhrt wurde diese überspitzte Zielsetzung dabei im allgemeinen mit den im Vorfeld günstigen
zur EntwicklWlg der Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1959 bis 1965. O. 0., o. D. BArch, DC-20 113-308, BI. 1-61. 162 Zum Vergleich der EntwicklWlg der Sauerstoffinetallurgie in der BWldesrepublik Wld der DDR siehe: Unger, Stefan: Teclullsche Innovationen einer "alten Branche": Die EinfUhrung der Sauerstoffiechnologie in der Stahlindustrie der BWldesrepublik Wld der DDR, in: 1. BährlD. Petzina (Hg.), Innovationsverhalten Wld Entscheidungsstrukturen, op. cit., S. 49 - 78; hier: 57f, 61. 163 Gleitze, BfWlO: Die Industrie der Sowjetzone Wlter dem gescheiterten Siebenjahrplan, Berlin 1964, S. 6 - 12.
ill. Ausarbeitung Wld Scheitern des Siebenjahrplans
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Wachstumsraten der DDR. der Erwartung umfangreicher Rohstofllieferungen aus der Sowjetunion und der Spekulation auf eine sich anbahnende Wirtschaftskrise in Westdeutschland. l64 Darüber hinaus wurde der Siebenjahrplan und die Vorstellung eines anzustrebenden "Welthöchststands" in extremer Form von Leitbildern charakterisiert, auf die Radkaus Diktum zutriffi, die DDR - aber auch die Bundesrepublik - habe zu verschiedenen Zeitpunkten unter der "technizistischen Illusion" gelitten. die jeweilige Spitzentechnik enthalte bereits als solche produktive Impulse. 165 Wie weiter unten aufgezeigt wird, führte die reale ökonomische Situation der DDR im folgenden dazu, daß der Siebenjahrplan bereits ein Jahr nach seiner Verabschiedung faktisch gescheitert war, wobei sich zeigte, daß insbesondere die Voraussetzung für seine Realisierung falsch eingeschätzt worden waren. Für die Eisen- und Stahlindustrie der DDR zeichnete sich hingegen bereits bald nach Verkündung des Siebenjahrplans ab, daß selbst seine vollständige Umsetzung bis 1965 nicht zur Überwindung der vielgestaltigen Strukturprobleme ausgereicht hätte. l66 Um folglich die Modernisierung und Rationalisierung auch nach Abschluß des Siebenjahrplanes fortzuführen, wurden bereits jetzt Überlegungen angestellt, die u.a. in die sogenannten Industriezweigökonomiken mündeten. welche Ende März 1960 vorlagen. Die Ausarbeitung dieser Studien war bereits im Oktober 1958 begonnen worden und erfolgte unter Federführung der Vereinigungen Volkseigener Betriebe und der zuständigen Fachabteilung der Staatlichen Plankommission. Einbezogen wurde darüber hinaus zeitweise eine sehr große Anzahl von Experten aus den betroffenen Betrieben. Dabei zeigte sich auf der Werksebene ein nicht unerheblicher Widerstand, der nicht zuletzt von den Betriebsgewerkschaftsleitungen und Betriebsparteiorganisationen der SED ausging. 167 Möglicherweise befürchtete 164 Siehe beispielsweise: W. Merke/lSt. Wahl, Das geplilnderte Deutschland, S. 20( G. GutmannIW. Klein, HerausbildWlgs- und EntwicklWlgsphasen der PlanWlgs-, Lenkungs- Wld Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1611. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 170, 174 - 178. 165 J. Radkau, Revoltierten die Produktivkräfte gegen den real existierenden Sozialismus, S. 21. 166 HA PerspektivplanWlg/Sektor Berg- Wld Hüttenwesen, Dr.-Ing. Zauleck: Politisch-Okonomische Charakteristik Wld Einschätzung der EntwicklWlg der Volkswirtschaft im Siebenjahrplan Wld der sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen fllr die weitere Perspektive (1. Entwurf). Berlin, den 2.12.1959. BArch, DE-l/Nr. 3132, BI. 1 - 23. 167 VVB Stahl- Wld Walzwerke: Bericht über die bisherige Ausarbeitung der Industriezweigökonomik Stahl- Wld Walzwerke Wld 11. VerarbeitWlgsstufe. Berlin, den 28.1.1960. LAB (STA), Rep. 616/Nr. 180, Bd. 11. Staatliche Plankommission/Abt. Berg- Wld Hüttenwesen: Bericht über die Ergebnisse der Ausarbeitung der Industriezweigökonomiken im Bereich Berg- Wld Hüttenwesen. Vertrauliches Material fllr die Sitzung des Kollegiums am 14.4.60. Berlin, den 7.4.1960. BArch, DE-l/Nr. 15741, BI. 84 - 89.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
man hier, daß die angestrebten dezidierten Untersuchungen eine realistische Bewertung der betrieblichen Leistungsfahigkeit ermöglichen und damit zu "härteren" Plänen fUhren könnten (siehe Teil 2). Konzeptionell enthielten die Industriezweigökonomiken Vorschläge für die Entwicklung der Branche bis 1975, die eine Verbindung der Rekonstruktion der existierenden und die Innovation neuer Technologien umfaßten. Zugrundegelegt wurde dabei die Forderung nach einer Spezialisierung der Schwarzmetallurgie auf hochwertige Produktlinien. Allgemein wurde zu diesem Zeitpunkt im Walzstahlbereich die Beibehaltung einer Selbstversorgungsquote von zwei Dritteln als wünschenswert angesehen l68 , die Studien zielten daher auf eine Rohstahlerzeugung von 9 Mio. Tonnen im Jahre 1975 ab. Insgesamt stellten die Industriezweigökonomiken den Versuch einer äußerst dezidierten und detaillierten Durchleuchtung der Branche in technischer und ökonomischer Hinsicht dar, die sich zumeist bis auf die Ebene einzelner Produktionsprozesse bzw. Aggregate erstreckte. Zudem wurden hier für die einzelnen Bereiche "Weltstandsvergleiche" durchgeftihrt, welche die relative Leistungsfahigkeit der in der DDR eingesetzten Technologie verorten sollten - und in den meisten Fällen ungünstig ausfielen. 169 Neben der Effizienzsteigerung dieser Technologien plädierten die Industriezweigökonomiken deshalb auch für die Einführung neuer Verfahren und konzentrierten sich dabei vor allem auf das Sauerstoffaufblas-Verfahren und das Stranggießen. Bemerkenswert waren diese Studien aber vor allem, weil sie sich neben dem Kapazitätsausbau für einen partiellen Abbau veralteter Anlagen aussprachen - ein Vorgang, der in planwirtschaftlichen Systemen nicht zuletzt wegen der ubiquitären Mangelsituation (siehe Teil 2) äußerst selten war. So gelangte etwa die diesbezügliche Industriezweigökonomik zu der Schlußfolgerung, von allen bekannten Verfahren sei die Sauerstoffaufblastechnik bei flüssigem Roheiseneinsatz wirtschaftlich insbesondere auch ge168 HA PerspektivplanWlg/Sektor Berg- Wld Hüttenwesen: 1. Konzeption der EntwicklWlg der Metallurgie, des Erz- Wld Kalibergbaus, der feuerfesten Industrie Wld der Gießereiindustrie. Berlin, den 25.1.1960. BArch, DE-IlNr. 3134, BI. 39 - 44. VgI. Staatliche PlankonmllssionIHA PerspektivplanWlg Wld AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen: Thesen zur derzeitigen Konzeption über die perspektivische EntwicklWlg des Berg- Wld Hüttenwesens bis 1975. Berlin, den 15.3.1960. BArch, DE-IlNr. 15741, BI. 81ff. 169 Industriezweigökonomik Stahl- Wld Walzwerke einschließlich 2. VerarbeitWlgsstufe. Band ill: Rohstahlerzeugoog. o. 0., o. D. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 180, Bd. 3. Industriezweigökonomik "Gruppe Walzwerke". Band Vll: Einschätzung des gegenwärtigen EntwicklWlgsstandes der technischen AusrüstWlgen Wld Energieversorgoog sowie der Perspektive filr den Ausbau der Walzwerke durch die zuständigen Institute. o. 0., Januar 1960. LAB (STA), Rep. 6141Nr. 180, Bd. 7. Industriezweigökonomik "Gruppe Walzwerke". Band IV: ZusammenfassWlg der technischen Analyse entsprechend Band I ... Band VII Wld ökonomische Analyse zwn GliederWlgspWlkt 31/51. O. 0., Januar 1960. LAB (STA), Rep. 6161Nr. 180, Bd. 4.
m. Ausarbeitung und Scheitern des Siebenjahrplans
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genüber der in der DDR dominierenden Siemens-Martin-Technologie überlegen. Deshalb - so die Schlußfolgerung - seien bis 1975 mehrere alte und beengte Siemens-Martin-Stahlwerke zu schließen und durch LD-Werke zu ersetzen. Darüber hinaus müsse die Errichtung eines neuen gemischten Hüttenwerks "Y" beschlossen werden, das ebenfalls ein nach dem Linz-DonawitzVerfahren arbeitendes Stahlwerk erhalten müsse. Parallel wurde auch für den Walzwerksbereich die Schließung veralteter und unrentabler Aggregate vorgeschlagen. In diesem Bereich wurde jedoch deutlich, daß die avisierte Modernisierung von der Spezialisierung der Branchen im RGW-Rahmen abhing, andernfalls sich die Schwarzmetallurgie nicht auf hochwertige Produkte konzentrieren konnte und die favorisierten modemen Walzaggregate nicht auszulasten waren. 170 Zusammengefaßt boten die Industriezweigökonomiken ein vielfältiges Spektrum von Maßnahmen zur Optimierung der traditionellen Technologie sowie zur Implementierung von innovativen Verfahren bei gleichzeitiger Stilllegung technisch und wirtschaftlich obsoleter Anlagen. Wahrscheinlich war jedoch gerade diese Radikalität der hier zusammengefaßten langfristigen Zukunftsvisionen dafür verantwortlich, daß die reale Branchenpolitik im folgenden kaum auf diese Quelle zurückgriff. Offiziell bezeichnete man diese vielmehr als eine Art Ideenpool, auf die im Prozeß der PlanersteIlung bei Bedarf zurückgegriffen werden sollte. 171
170 Ebd. Siehe auch: HA Perspektivplanung/Sektor Berg- und Hüttenwesen: 1. Konzeption der Entwicklung der Metallurgie, des Erz- und Kalibergbaus, der feuerfesten Industrie und der Gießereiindustrie. Bcrlin, den 25.1.1960. BArch, DE-lINr. 3134, BI. 39 - 44. VVB Stahl- und Walzwerke/Eisen-Forsehungsinstitut (WissensehaftlichTechnisehes Zentnun), Prof. Küntseher an die Staatliche Planko1lllnissionlAbt. Bergund Hüttenwesen, Herrn Markowitsch, betr.: Grundkonzeption fllr die Entwicklung der Eisenindustrie und des Eisenerzbergbaues in den Jahren 1966 bis 1975. Hennigsdorf, den 8.7.1960. BArch, DE-IlNr. 29962, BI. 127f. Metallfonnungs-Institut der Bergakademie Freiberg an den Leiter der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Staatlichen Planko1lllnission, Herrn Markowitsch. Freiberg, den 19.7.1960. Anlage: Vorläufige Stellungnahme zur Grundkonzeption filr die Entwickllmg der Eisenindustrie und des Eisenerzbergbaues in den Jahren 1965 - 1975 und zu einigen entseheidenden Problemen der Eisenindustrie in der DDR, die schon in naher Zukunft einer Lösung zugefllhrt werden müssen. O. 0., o. D. BArch, DE-IlNr. 29962, BI. 110 - 120. Wolf, Valentin: Die günstigen Auswirkungen der Kooperation in der Walzstahlproduktion der sozialistischen Länder, in: Neue Hütte, Jg. 4 (1959), H. 4, S. 193f. 171 Staatliche Planko1lllnissionlAbt. Berg- und Hüttenwesen: Bericht über die Ergebnisse der Ausarbeitung der Industriezweigökonomiken im Bereich Berg- und Hüttenwesen. Vertrauliches Material filr die Sitzung des Kollegiwns am 14.4.60. Berlin, den 7.4.1960. BArch, DE-IlNr. 15741, BI. 84 - 89. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates und Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, Leusc1mer, an den Genossen Erich Markowitseh. Berlin, den 1.6.1960. Anlage: Bericht über einige Probleme der Metallurgie. O. 0., 13.5.1960. BArch, DE-IlNr. 1079, BI. 1 - 13. Markowitsch an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates wld Vorsitzenden
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Deutlichere Konsequenzen fiir die reale Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie hatte hingegen das 9. Plenum des Zentralkomitees der SED, das sich im Juli 1960 mit dem Maschinenbau und der Metallurgie befaßte. Parallel zur Vorbereitung dieser Tagung in der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Staatlichen Plankommission, welche seit Anfang 1960 erfolgteln, wurde neuerlich vehemente Kritik am Zustand und an der Leistungsfähigkeit der Schwarzmetallurgie vorgebracht. Formuliert wurde diese in einer, offensichtlich anonymen, Information fiir den SPK-Vorsitzenden Leuschner: Immer noch, so die zentralen Aussagen dieses Berichts, sei die Leitungstätigkeit, insbesondere der Abteilung Berg- und Hüttenwesen und der VVB Stahl- und Walzwerke ungenügend, die Perspektivplanung sei nicht abgestimmt, die "Tonnenideologie" nicht überwunden und im Bereich der Forschung und Entwicklung gebe es erhebliche ,,Mißstände und Schlampereien". Vor allem aber zeichne sich aufgrund dieser Defizite bereits zum jetzigen Zeitpunkt ab, daß die Erfüllung wichtiger Siebenjahrplanziele in bezug auf die Produktionssteigerung und die Investitionen nicht erfüllt werden würden. In seiner Stellungnahme vom 14. Juni gab der Leiter des Berg- und Hüttenwesens gegenüber Leuschner die Berechtigung einzelner Vorwürfe zu, wies jedoch andererseits darauf hin, daß wichtige Investitionen des Siebenjahrplans (Eisenhüttenkombinat) strukturell darunter litten, daß die benötigten Ausrüstungen in der DDR nicht hergestellt und von den sozialistischen Staaten nicht geliefert würden. Infolgedessen sei es zutreffend, daß die Realisierung der Rekonstruktions- und Investitionspläne insbesondere auch auf der zweiten Verarbeitungsstufe gefährdet sei. 173 der Staatlichen Plankommission, Genossen Leuschner. o. 0., 15.6.1960. Anlage: Staatliche PlankommissionlLeiter des Berg- und Hüttenwesens, Markowitsch: Stellungnahme zwn Bericht über einige Probleme der Metallurgie vom 13.5.1960. Berlin, den 14.6.1960. BArch, DE-IlNr. 15450, BI. 7 -19. In Staatliche Plankommission/Abt. Berg- und Hüttenwesen, Weidlich: Protokoll der 1. Beratung der Arbeitsgruppe der Abteilung Berg- und Hüttenwesen zur Vorbereitung des 9. Plenums. Berlin, den 11.2.1960. BArch, DE-IlNr. 15434, BI. 18f. Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen: Entwurf der Disposition filr den Beschluß der 9. Tagung des Zentralkomitees über Fragen des Maschinenbaus und der Metallurgie. Berlin, den 17.5.1960. BArch, DE-IlNr. 15434, BI. 60 - 80. Markowitsch: Material 9. Tagung des ZK der SED: Thesen zwn Referat "Welche Garantien wurden im Bereich der Metallurgie geschaffen, um dem modernsten Stand der Technik entsprechende Stahlsorten 1960 und 1961 zu produzieren und den Volkswirtschaftsplan allseitig nach Qualität und Sortiment zu erftlllen", Referent: Erlch Markowitsch, Leiter der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Staatlichen Plankommission. o. 0., 13.7.1960. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/2.029INr. 5, BI. 177 -185. 173 Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates und Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, Leuschner, an den Genossen Erlch Markowitsch. Berlin, den 1.6.1960. Anlage: Bericht über einige Probleme der Metallurgie. o. 0 ., 13.5.1960. BArch, DE-IlNr. 1079, BI. I - 13. Verschiedene Fonnulierungen dieses Berichts deuten darauf hin, daß sein Autor möglicherweise aus dem Ministerium filr Staatssicher-
III. Ausarbeitung Wld Scheitern des Siebenjahrplans
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Obwohl auch während der 9. Tagung des ZK die Redebeiträge eine Vielzahl kritischer Anmerkungen zur Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie enthielten174, betonte der hier gefaßte Beschluß zur Erfiillung der Vorgaben des V. Parteitages grundsätzlich die Erfolge der letzten zwei Jahre. Substantiell ging dieser jedoch kaum über die bisherigen Festlegungen hinaus, fiir die Schwarzmetallurgie bestätigte er vielmehr die strategische Konzeption und die zugrundeliegende Problemsicht, wie sie bereits der V. SED-Parteitag definiert hatte. Neben allgemeinen Aufgaben, wie Schaffung ideologischer Klarheit über die Grundfragen des Kampfes fiir den Sieg des Sozialismus, planmäßige Leitung der wissenschaftlich-technischen Arbeit auf der Grundlage der sozialistischen Rekonstruktion, bessere Qualität der politischen Führungstätigkeit der Parteileitungen, forderte der Beschluß von der Metallurgie vor allem eine Überbietung des Siebenjahrplans bei Walzstahl und auf der zweiten Verarbeitungsstufe. Insbesondere gelte dies für hochwertige Sortimente und Qualitäten. Strategisch entscheidend sei dabei insbesondere die Planerfiillung in den Jahren 1960 und 1961, in denen über den Erfolg des Siebenjahrplanes entschieden werde. Das herausragende konkrete Ergebnis des 9. ZK-Plenums bildete hingegen die Festlegung, für 1961 erstmals einen ,,Plan Neue Technik" (PNT) aufzustellen, der die Vielzahl der zu diesem Zeitpunkt existierenden Einzelpläne beseitigen und damit die Voraussetzungen für eine raschere Modernisierung der Industrie und das Erreichen des "Weltniveaus" schaffen sollte. 175 Mit diesem Schritt suchte erneut ein Führungsgremium der SED die Lösung eines realen ökonomischen Problems in einer plansystematischen Modifizierung zu finden. Jedoch erfiillte dieser Weg auch diesmal nicht die in ihn gesetzten Erwartungen, wie bereits die Probleme bei der Ausarbeitung des ,,Plans Neue Technik" für 1961 zeigten: Im Urteil der betroffenen Institutionen wiesen die
heit stanunte. Markowitsch an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Wld Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Genossen Leuschner. O. 0., 15.6.1960. Anlage: Staatliche PlankommissionJLeiter des Berg- Wld Hüttenwesens, Markowitsch: StellWlgnalune zwn Bericht über einige Probleme der Metallurgie vom 13.5.1960. Berlin, den 14.6.1960. BAreh, DE-IlNr. 15450, BI. 7 - 19. 174 Sozialistische Einheitspartei DeutschlandslZentralkomitee/AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie an den Leiter des Berg- Wld Hüttenwesens der Staatlichen Plankommission, Genossen Markowitsch. Berlin, 20.8.1960. Anlage: ZusammenstelIWlg, betr.: Probleme aus den Referaten Wld Diskussionsbeiträgen zu Fragen des Maschinenbaus Wld der Metallurgie auf der 9. TagWlg des ZK. O. 0 ., o. D. BAreh, DEIlNr. 29920, BI. 320 - 350. 175 Die ErftlllWlg der Beschlüsse des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Maschinenbau Wld in der Metallurgie Wld wichtige Aufgaben zur LösWlg der ökonomischen Hauptaufgabe Wld zur weiteren Durchführung des Siebenjahrplans. Beschluß des Zentralkomitees vom 23. Juli 1960 (9. TagWlg), in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse Wld Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros Wld Sekretariats, Bd. VIII, Berlin (Ost) 1962, S. 226 - 260.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische Weichenstellungen
Planentwürfe ZU diesem Zeitpunkt vielmehr primär das Defizit auf, daß die einzelnen Planteile untereinander und mit den Produktionsplänen ungenügend synchronisiert waren, so daß sie exakt jenes Problem, das sie überwinden sollten, perpetuierten. 176 Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die 9. Tagung des Zentralkomitees sich mit der Situation im Maschinenbau und der Metallurgie auseinandersetzte und auf die erfolgreiche Entwicklung der jüngsten Vergangenheit hinwies, geriet die DDR in eine allgemeine volkswirtschaftliche Krise. Bis zum vierten Quartal 1960 nahm diese dramatische Formen an, in deren Konsequenz die hochgesteckten Ziele des Siebenjahrplans obsolet wurden. Der Zustand, in dem sich die Eisen- und Stahlindustrie vor Ausbruch dieser Krise befand, kann als ambivalent bezeichnet werden: Einerseits hatte die Branche 1959 quantitativ eine gute Erfiillung des Plans verzeichnen können, wobei allerdings erneut die sortimentsgerechte Produktion, die Projektierung und die Erfiillung des Investitionsplans Schwachpunkte darstellten. Auf der anderen Seite hatten sich bereits vor dem 9. ZK-Plenum die Anzeichen dafür gemehrt, daß der Import der Ausrüstungen, v.a. schwerer Anlagen, die für die erfolgreiche Umsetzung des Siebenjahrplans der Stahlindustrie unverzichtbar waren, gravierende Schwierigkeiten bereiten würde. Dieses Problem mußte um so dringlicher erscheinen, als es sowohl die Einfuhren aus dem kapitalistischen Ausland als auch aus den sozialistischen Staaten betraf. Insbesondere die So\\jetunion zeigte sich nicht gewillt, den Unterhändlern der DDR konkrete Zusagen über Lieferbereitschaft und Termine zu geben. In 176 Staatliche Plankommission/Abt. InvestitionenIForschWlg Wld Technik, Emmerich; AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen, Müller: Protokoll über die Beratung des Planes ,,Neue Technik" mit der AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen am 8. September 1960. Berlin, den 9.9.1960. BArch, DE-lINr. 3134, BI. 54 - 57. Zentrale Kommission fllr Staatliche Kontrolle/der Vorsitzende, i. V. Eberling an den Leiter der Wirtschaftskommission beim Politbüro des ZK, Genossen Dr. ApeI. Berlin, den 19.11.1960. Anlage: Zentrale Kommission ftlr Staatliche KontrolleIBereich Industrie Wld Verkehr: Bericht über den Stand der Ausarbeitung des Planes ,,Neue Technik" in einigen Industriezweigen. Berlin, den 14.11.1960. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/2.029/Nr. 153, BI. 221 - 239. Diese Bewertung stimmt mit dem Urteil Roeslers überein, der die Unzulänglichkeiten des PNT bereits in seiner 1978 publizierten Studie darin begründet sah, daß sie auf eine VeränderW1g der Incentives Wld damit auf die Begründung von adäquaten Anreizmechanismen zur StimuliefWlg von Innovationen verzichteten. J. Roesler, HerausbildWlg der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 210 - 215. In Staatliche Plankommission/AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen: Analyse über die PlanerfullWlg 1959. Berlin, den 4.3.1960. BArch, DE-I/Nr. 15776, BI. 11 - 34. Staatliche Plankommission/AbteilWlg Berg- Wld Hüttenwesen: Expose, betr.: Die Lage im Berg- Wld Hüttenwesen in der Versorgoog mit Ausrüstungen aus der eigenen Produktion Wlseres Maschinenbaus Wld aus dem Import sowie die AuswirkWlgen auf die Erfllllung der Aufgaben des 7-Jahrplanes. Berlin, den 9.5.1960. BArch, DE-I/Nr. 1106, BI. I - 11. Markowitsch an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates Wld Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Genossen Leuschner. o. 0., 15.6.1960.
m. Ausarbeitung lUld Scheitern des Siebenjahrplans
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Wie eine Quelle aus dem Nachlaß Fritz Selbmanns l78 zeigt, wurde die volkswirtschaftliche Krise der DDR in dieser Situation dadurch ausgelöst, daß im Verlaufe des Jahres 1960 die Lieferungen von Rohstoffen und Halbfertigprodukten, wie sie die DDR dringend für ihre verarbeitenden Industrien benötigte, aus den sozialistischen Staaten ausblieben. Betroffen waren vor allem auch Stahllieferungen, so daß sich eine der wesentlichen Annahmen, auf der der Siebenjahrplan der Schwarzmetallurgie wie auch die Konzeption der zweiten Verarbeitungsstufe (s.o.) beruht hatte, als unrealistisch erwies. In der Konsequenz dieser Ereignisse mußten die eingeplanten Importe aus den sozialistischen Staaten entweder völlig gestrichen oder aber auf westliche Staaten umverlagert werden, wodurch wiederum die Verschuldung der DDR im "kapitalistischen Ausland" bedenkliche Ausmaße annahm. Trotz der Umschichtung der Importe nach Westen erwies es sich als unmöglich, die eingeplante Versorgung der Volkswirtschaft mit Rohstoffen aufrecht zu erhalten, so daß während des gesamten Jahres Produktionsunterbrechungen auftraten und es sich im vierten Quartal abzeichnete, daß der Volkswirtschaftsplan, und hier insbesondere der ehrgeizige Investitionsplan, nicht erfüllt werden würde. 179 Darüber hinaus war gegen Ende 1960 absehbar, daß die für 1961 ursprünglich vorgesehene Wachstumsrate von 9,4 % nur beibehalten werden konnte, wenn die UdSSR eine Devisenhilfe gewährte und gleichzeitig zusagte, daß die vereinbarten Walzstahlmengen und -sortimente auch tatsächlich geliefert werden würden. Eben dies lehnte die so\\jetische Regierung jedoch faktisch ab, obwohl die DDR-Seite in den Verhandlungen detaillierte Listen vorgelegt hatte, die nachwiesen, daß für 1961 enorme Defizite bei einigen Walzstählen zu gewärtigen seien. Aufgrund dieser Umstände sahen sich die PlanungsorgaAnlage: Staatliche PlankommissionlLeiter des Berg- lUld Hüttenwesens, Markowitsch: StelllUlgnahme zum Bericht über einige Probleme der Metallurgie vom 13.5.1960. Berlin, den 14.6.1960. BAreh, DE-IlNr. 15450. BI. 7 - 19. Staatliche PlankommissionlLeiter des Berg- lUld Hüttenwesens, Markowitsch: DarleglUlgen zu den Ausführungen des Genossen Leuschner in bezug auf LiefeflUlgen von AusrüstlUlgen für das BerglUld Hüttenwesen der DDR durch die UdSSR in den Jahren 1961 - 1965. Berlin, den 19.1.1961. BAreh, DE-IlNr. 15450, BI. 47f 178 Zusanunenfassende Übersicht über die Hauptproblerne der wirtschaftlichen EntwickllUlg. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, NY 4113lNr. 19, BI. 206 - 226. Diese Quelle enthält keinerlei Informationen über ihre Herkunft lUld ihren EntstehlUlgszeitpwUct. Die Offenheit der Darlegllllg sowie auch die Gewichtung der Krisenfaktoren, die nicht dem offiziellen Sprachgebrauch entspricht, läßt sie als sehr glaubWÜrdig erscheinen. Siehe: J. Cemy: Wer war wer - DDR, S. 423. Zur ReduzieflUlg der Wachstumsziele für die Jahre 1961ff siehe zudem auch: Entwurf [zur VerändeflUlg der Produktion einzelner Stahlerzeugnisse im Zeitraum 1961 - 1965]. O. 0., o. D. BAreh, DEIlNr. 3134, BI. 1 -7. 179 Zusanunenfassende Übersicht über die EntwickllUlg der Hauptprobleme der wirtschaftlichen EntwickllUlg. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, NY 41 l3lNr. 19, BI. 206 - 226.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische WeichenstellWlgen
ne der DDR zeitweise nicht in der Lage, einen Plan für das kommende Jahr auszuarbeiten. da dieser kaum noch eine Produktionssteigerung, in manchen Branchen vielmehr einen Produktions rückgang, hätte vorschreiben müssen ein einzigartiger Vorgang für eine sozialistische Volkswirtschaft. Jost zu dem Zeitpunkt, als die Überlegenheit der sozialistischen Wirtschaftsordnung von der DDR gegenüber der Bundesrepublik bewiesen werden sollte, sah diese sich damit wegen Mangels an Ressourcen streckenweise außerstande, überhaupt einen Plan aufzustellen. Ein Ausweg aus dieser prekären Situation wurde schließlich darin gesucht, daß die Wachstumsrate für 1961 den verringerten Importmöglichkeiten angepaßt, d.h. deutlich gesenkt wurde, womit man gleichzeitig das im Siebenjahrplan vorgesehene Entwicklungstempo verlangsamte. Ganz besonders galt dies auch für die Investitionen. deren Volumen gegenüber den Planungen drastisch gekürzt wurde, wodurch aber aufgrund des planwirtschaftlichen Mechanismus die Ziele des Siebenjahrplans in immer weitere Ferne rücken mußten. Trotz aller Bemühungen ging man jedoch weiter davon aus, daß 1961 rund 150.000 t Walzstahl in Engpaßsortimenten fehlen würden. In diese Situation fiel die oft erwähnte Kündigung des innerdeutschen Handelsabkommens durch die Bundesregierung, welche die prekäre Lage der DDR auf der Import- und Exportseite weiter verschärfte, sie freilich nicht verursachte. Engpässe erwartete man in diesem Zusammenhang insbesondere bei wichtigen Zulieferteilen, die bisher fast vollständig aus der Bundesrepublik bezogen worden waren. aber auch bei spezifischen Walzstahlsortimenten. ISO Zusammengefaßt befand sich die DDR am Ende des Jahres 1960 in einer außerordentlich bedrohlichen wirtschaftlichen Lage: Insbesondere durch die zu gewärtigenden Walzstahldefizite erwartete man eine starke Beeinträchtigung der gesamten metallverarbeitenden Industrie, der Bauindustrie, aber auch der Exporte. Dies - so das Fazit der Ausarbeitung - würde jedoch unweigerlich eine Gefährdung des Energie- und Chemieprogramms sowie der Rekonstruktionsprogramme, v.a. auch in der Metallurgie mit sich bringen. Bemerkenswert ist an der hier zitierten. ansonsten sehr offen argumentierenden, Darstellung, daß die Fluchtbewegung aus der DDR als Krisenfaktor überhaupt nicht benannt wird. 181 Im Gegenteil wurde ernsthaft die Möglichkeit der Kurzarbeit erwogen: ,,Es muß mit allem Ernst darauf hingewiesen werden, daß nach der jetzigen Lage, d.h., wenn keine außergewöhnliche Hilfeleistung erfolgt und der innerdeutsche Handel vollständig zum Erliegen kommt, es schon im 1. Quartal 1961 zu schwierigen Situationen kommt und daß in vielleicht 400 - 500 gr6ßeren Betrieben des Maschinenbaus, der Textilindustrie und des Bauwesens sowie der chemischen Indu-
ISO
Ebd.
181Ebd.
ill. Ausarbeinmg Wld Scheitern des Siebenjahrplans
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strie Betriebsstillsttlnde eintreten Wld daß vielleicht sogar einzelne Industriezweige zur Kurzarbeit abergehen müssen. [... ] Natürlich wird bei dieser zu erwartenden EntwicklWlg die ErftlllWlg der ökonomischen Hauptaufgabe bis Ende 1961 ernsthaft in Frage gestellt, ebenso wie das Programm zur EntwiCklWlg der sozialistischen Landwirtschaft. Außerdem muß natürlich auf die politischen Wirkwtgen hingewiesen werden, die sich aus Betriebsstillstanden, Kwzarbeit, verringertem Warenangebot Wld einer u. U. sogar rückläufigen WirtschaftsentwicklWlg ergeben. (Hervorheb. i. Orig. - St. U.)"I82
Diese interne Darstellung der Hintergründe und Auswirkungen der Krise, in der sich die DDR 1960 befand, erlaubt an zwei Punkten eine Korrektur, bzw. Präzisierung des wissenschaftlichen (westlichen) Forschungsstands: Die entsprechenden Darstellungen hatten bereits seit den sechziger Jahren die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR, die nicht zuletzt den Hintergrund fiir den Bau der Berliner Mauer im August 1961 bildeten, durchaus wahrgenommen. Auch war man sich hier darüber bewußt, daß der Siebenjahrplan im Ergebnis scheiterte und nicht - wie es die ostdeutsche Sprachregelung suggerierte - nunnehr präzisiert wurde. Jedoch ging man bis vor kurzem erstens davon aus, daß 1960 die prekäre Lage der DDR durch den überzogenen Siebenjahrplan, die erneut ansteigende Republikflucht, und die Kündigung des innerdeutschen Handels durch die Bundesrepublik im September 1960 verursacht wurde. Dabei sind selbstverständlich unterschiedliche Gewichtungen der Faktoren dieses Krisenszenarios feststellbar. Zweitens herrscht in den vorliegenden Beiträgen die Auffassung vor, der Siebenjahrplan sei frühestens 1961 gescheitert. l83 Aufgrund des hier vorgestellten Quellenmaterials kann demge-
182 Ebd., BI. 225f. Gleitze ging noch von einem Scheitern des Siebenjahrplans Mitte 1962 Wld seinem Abbruch erst Ende 1963 aus. Zudem gelangte er zu dem Ergebnis, insbesondere die Eisen- Wld Stahlindustrie habe - v.a. bis 1961 - die Ziele des Siebenjahrplans vergleichsweise gut erftlllt. B. Gleitze, Die Industrie der So\\jetzone Wlter dem gescheiterten Siebenjahrplan, S. 30, 39 - 59, 63, 110f, 129 - 140. G. GutmannIW. Klein, HerausbildWlgs- Wld Entwicklungsphasen der PlanWlgs-, Lenkungs- Wld Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1582, 1611. H. WoljlF. Sattler, EntwicklWlg Wld Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2911f. A. Ritsch/, East German Economic Growth and Decline, 1945 - 89, S. 24f. W. Merke/lSt. Wahl, Das geplUnderte Deutschland, S. 20f, 52. J. Roesler, Zwischen Plan Wld Markt, S. 15 - 22. Vgl. W. MUhljriede/lK. Wießner, Die Geschichte der Industrie der DDR bis 1965, S. 304 - 308. Hingegen gelangt Staritz auf der Grwtdlage neuerer QuellenfWlde zu einer ähnlichen Interpretation, wie sie hier vertreten wird. Siehe: D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 177f, 184 - 196. Zur Wirkwtg der Krise auf die im Siebenjahrplan prioritäre Chemieindustrie Wld das Chemieprogramm siehe: Kar/sch, Rainer: EntscheidWlgsspielräume Wld Innovationsverhalten in der Synthesekautschukindustrie - Die Einftlhrung des Kaltkautschukverfahrens in den Chemischen Werken HUls Wld im BWl8-Werk Schkopau, in: J. BährlD. Petzina (Hg.), Innovationsverhalten Wld EntscheidWlgsstrukturen, op. cit., S. 79 - 108; hier: S. 91. 183
17 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
gen über festgestellt werden, daß die ökonomische Krise 1960 zuvorderst durch die ausbleibenden Importe aus den sozialistischen Staaten verursacht wurde. Diese Defizite verursachten aufgrund der Mechanismen einer geplanten Volkswirtschaft im Jahresverlauf eine Dynamik, die bedingte, daß der Siebenjahrplan faktisch bereits 1960 - d.h. ein gutes Jahr nach seiner Verkündung gescheitert war. Der Stahlindustrie kam in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung zu: Einerseits stellte die Schwarzmetallurgie, bzw. das Fehlen dringend benötigter Stahlprodukte, einen der entscheidenden Krisenfaktoren dar. Auf der anderen Seite gefährdete die infolge der Krise nötig gewordene Verlangsamung des Wachstums in den entscheidenden Jahren des Siebenjahrplans die Realisierung der zuvor formulierten, teilweise weitreichenden und ehrgeizigen Qualitäts- und Modernisierungsprojekte. Erneut drohte aufgrunddessen die langfristige Branchenstrategie an den konkreten ökonomischen Gegebenheiten zu scheitern, wodurch kurzfristig ein enormer Entscheidungs- und Handlungsdruck auf die Akteure ausgeübt wurde.
2. Die "StlSrfreimachung" Die unmittelbare Reaktion der Entscheidungsträger auf die 1960 aufbrechende volkswirtschaftliche Krise der DDR bildete die sogenannte "Störfreimachung" gegenüber der Abhängigkeit von Zulieferungen aus Westdeutschland. Bis dahin hatte die DDR im Zuge des innerdeutschen Handels vor allem hochveredelte Grundstoffe, Komplettierungs- und Zulieferteile, Ausrüstungen sowie Verschleiß- und Ersatzteile aus der Bundesrepublik eingeführt, so daß die Kündigung des aus dem Jahre 1951 stammenden innerdeutschen Handelsabkommens durch die Bundesregierung am 20. September 1960 von den wirtschaftspolitisch Verantwortlichen der DDR - zumal angesichts der bereits desolaten wirtschaftlichen Lage - als eine Bedrohung empfunden werden mußte. Die Aufkündigung des Handelsabkommens wurde dabei als ein weiterer Beleg für den von Westdeutschland gegen die DDR geführten "Wirtschaftskrieg" interpretiert, obwohl diese Maßnahme ihrerseits eine Reaktion auf die im September von der DDR verfügte Genehmigungspflicht für Ostberlin-Aufenthalte von Westdeutschen bildete. Im Ergebnis setzte die Bundesregierung das Abkommen zwar am 29.12.1960 wieder in Kraft, jedoch behielt man sich gleichzeitig vor, Lieferungen in die DDR zu verzögern und die Ausfuhr von für die DDR wichtigen Waren zu sperren, so daß trotz der Wiederherstellung des Status Quo Ante ein gewisses Klima der Unsicherheit fortbestand. Aus diesem Grund führte die DDR im Verlaufe des Jahres 1961 die bereits im Dezember von der 11. Tagung des ZK beschlossenen Gegenmaßnahmen, d.h. die "Störfreimachung" ein bzw. arbeitete diese weiter aus. Noch
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im Januar mußte die Staatliche Plankommission ein diesbezügliches Maßnahmenpaket in Kraft setzen. l84 Damit reagierte die DDR kurzfristig primär auf einen exogenen Krisenfaktor, obwohl dieser lediglich krisenverschärfend gewirkt hatte. Zudem bildete die hierzu eingeschlagene Strategie der "Störfreimachung" ausschließlich eine Reaktion auf die politischen Ereignisse, ohne daß eine immanent ökonomische Begründung für sie existiert hätte. Dabei war im Kontext der Entscheidungsabläufe bereits zu einem frühen Zeitpunkt deutlich geworden, daß vor allem auch die Eisen- und Stahlindustrie zur "Störfreimachung" beizutragen haben würde, da eine Abhängigkeit von Importen aus der Bundesrepublik insbesondere bei hochwertigen Walzstählen gegeben war: Am 5.12.1960 beschäftigte sich der Ministerrat in einer außerordentlichen Sitzung mit der Situation im innerdeutschen Handel und beschloß anschließend Maßnahmen zur Sicherung des Volkswirtschaftsplanes 1961. In dieser Sitzung erläuterte der Minister für Außenhandel und innerdeutschen Handel, Rau, die Bundesregierung sei momentan bestrebt, eine breite Boykottbewegung gegen die DDR zu installieren. Trotz des Widerstands der Westmächte und bestimmter "Wirtschaftskreise" gegen dieses Vorhaben, sei es nunmehr notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung des Volkswirtschaftsplanes 1961 auch für den Fall, daß kein neues Handelsabkommen zustande komme, zu sichern. In die gleiche Richtung argumentierte Bruno Leuschner als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, demzufolge es galt, nunmehr verstärkt Schritte zu ergreifen, um von der Bundesrepublik und dem "kapitalistischen Lager" unabhängig zu werden. Insbesondere in der Metallurgie, dem Maschinenbau und in der Landwirtschaft sei daher sorgfältig zu prüfen, was in der DDR selbst produziert werden könne und was aus den sozialistischen Staaten zu beziehen sei. Im Zuge dieser Umstellung seien - so Leuschner weiter - vorübergehend Schwierigkeiten zu erwarten, zu ihrer Überwindung müßten alle Staats- und Wirtschaftsorgane tätig werden. 185 Der im Anschluß an diese Einschätzungen verabschiedete Beschluß zur Sicherung des Volkswirtschaftsplanes 1961 listete für verschiedene Branchen die Schritte auf, die dazu dienen sollten, die Möglichkeiten der DDR und der sozialistischen Integration zu nutzen, um die Volkswirtschaft "störfrei" zu machen. Für die Eisen- und Stahlindustrie sollte zu diesem Zweck vor allem die Produktion jener Walzstahlsorten erhöht werden, die insbesondere aus Westdeutschland bezogen wurden (Rohre, Feinbleche, Transformatoren- und Dynamobleche, legierte und hochfeste Bleche sowie Erzeugnisse der zweiten 184 J. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 18ff. Ders., Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 300 - 304, 340f. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 190f 185 Protokoll der 31. Sitzung des Ministerrates (außerordentliche Sitzung) am 5.12.1960. O. 0., o. D. BArch, DC-20 113-335, BI. 1 -7.
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Verarbeitungsstufe). Zudem wurde die bessere Ausnutzung der Stahl- und Walzkapazitäten gefordert, durch Gemeinschaftsarbeit des Maschinenbaus und der Metallurgie sei es möglich, die noch bestehenden Engpässe in einigen Werken zu überwinden. Weiter sei eine sparsame und zweckmäßige Stahlverwendung sowie die Konstruktion auf der Grundlage von in der DDR oder in den sozialistischen Staaten produziertem Material zu gewährleisten. Mit diesen allgemeinen Formulierungen ging der Beschluß für die Schwarzmetallurgie freilich kaum über die bereits seit längerem bestehenden Forderungen hinaus. l86 Konkretisiert wurden diese Festlegungen vor allem im März des folgenden Jahres. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich gezeigt, daß die volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten der DDR fortdauerten, weshalb nicht zuletzt der Volkswirtschaftsplan 1961 erst am 20.3. im Ministerrat verabschiedet werden konnte. In seiner Begründung des Planentwurfs ging Leuschner in dieser Sitzung ausführlich auf die verschiedenen Krisenfaktoren, welche trotz aller Erfolge der vergangenen zwei Jahre zu Verzögerungen des Planungsprozesses geführt hatten, ein. Im Mittelpunkt seiner Erläuterungen standen dabei erneut die 1959 und 1960 ausgebliebenen Walzstahllieferungen aus den sozialistischen Staaten sowie die durch diese verursachten Folgen im Hinblick auf die Umschichtung der Importe in den Westen und die resultierende steigende Verschuldung. Die Tatsache, daß bis zum Jahresende 1960 nicht klar gewesen sei, welche Walzstähle und andere Produkte aus der UdSSR bezogen werden könnten, sei - trotz des schließlichen Entgegenkommens der Sowjetunion dafür verantwortlich, daß der Plan erst zu diesem späten Zeitpunkt verabschiedet werden könne. Hinzugetreten seien weitere Probleme, im einzelnen verwies der Vorsitzende der Plankommission dabei auf den absoluten Beschäftigtenruckgang, den raschen Zuwachs der Kaufkraft, welcher den Anstieg der Konsumgüterproduktion übertroffen habe, die Ausgabensteigerung in unproduktiven Bereichen, die "Störfreimachung", die fehlende volkswirtschaftliche Perspektive sowie Schwierigkeiten im Handel mit der Bundesrepublik, aber auch mit China. Als problematisch erachtete Leuschner jedoch insbesondere das zu geringe Wachstum der Investitionen, infolgedessen der Investitionsplan 1959 mit einer halben, 1960 gar mit über einer Milliarde Mark untererfüllt worden sei. Zurückzuführen sei dies in erster Linie auf schlechte Vorbereitung der Investitionen, außerplanmäßige Bauten sowie die mangelhafte Bauproduktion, die ihrerseits neben organisatorischen Defiziten durch feh186 Stelhmgnahme des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, den 5.12.1960. Anlage 1 zwn Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 5.12.1960. BArch, DC-20 113-335, BI. 8 - 14. Siehe auch: Schreiben Markowitsch an den Leiter der Wirtschaftskommission des Politbüros beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Dr. Erlch Apel. O. 0.,21.12.1960. BArch, DE-IlNr. 29920, BI. 24 - 27.
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lenden Baustahl und mangelnde Ausrüstungen verursacht worden sei. Der vor diesem Hintergrund aufgestellte Entwurf des Volkswirtschaftsplanes zeichnete sich nach Leuschners Einschätzung trotz eines Zuwachses vor allem durch zu geringe Investitionen in einzelnen Bereichen. v.a. der chemischen Industrie und der Energiewirtschaft aus. In besonderem Maße gelte dies jedoch fiir die metallurgische Industrie, die für die Produktion der im Maschinenbau benötigten Sorten und für die Produktionsrationalisierung eigentlich mehr Mittel benötigt hätte. Dafiir seien jedoch die Voraussetzungen nicht gegeben, so daß bei bestimmten Engpaßwalzstählen die Situation auch in den kommenden drei Jahren noch sehr angespannt sein werde. 187 Angesichts dieser Probleme überrascht es nicht, daß in dieser Sitzung des Ministerrates der Planentwurf und die ökonomische Lage recht kontrovers diskutiert wurde. Besonders intensiv erörtert wurden dabei der Umfang der Rationalisierungskredite, die Struktur der Exporte, aber auch das gesamte Preissystem der DDR Vor allem die Anmerkungen zu letzterem gingen über die aktuellen Probleme hinaus und berührten tendenziell prinzipielle Fragen des Wirtschaftssystems. In diesem Zusammenhang merkte Rau an, auf der Grundlage des gegebenen Preissystems sei es faktisch unmöglich, die Produktionskosten einzelner Erzeugnisse korrekt zu bestimmen und hierauf wirtschaftspolitische Entscheidungen aufzubauen. 188 Als schließlich der Volkswirtschaftsplan 1961 nach dem Beschluß der Volkskammer Anfang April endgültig verkündet wurde, sah dieser eine Steigerung der Industriellen Bruttoproduktion vor, die mit 7,2 % deutlich unter der ursprünglich vorgesehenen Wachstumsrate lag; für die Metallurgie wurde gar ein Produktionszuwachs von nurmehr 5,3 % eingeplant. Ermöglicht werden sollte dieses Wachstum durch einen Zuwachs der Investitionen, der insgesamt 8,9 %, im Bereich der Industrie hingegen 12,1 % betragen sollte. Jedoch fiihrte auch dieser Volkswirtschaftsplan nicht zur Beseitigung der vieifaItigen wirtschaftlichen Probleme, denen sich die DDR gegenübersah: Belegt wird dies nicht zuletzt durch mehrere Hilfsersuchen an die sozialistischen Staaten, die zu materieller Unterstützung der "Störfreimachung" aufgefordert wurden, vor allem aber auch durch die Initiativen zur "Schließung der Staatsgrenze",
187 Sekretariat des Ministerrates/Staatssekretär: Beschlußprotokoll zu der 32. Sitzung des Ministerrates am 20. März 1961. Anlage A: Stenografische Niederschrift: Sitzung des Ministerrates am 20.3.1961 (unkorrigierte FassWlg). O. 0, o. D. BArch, DC20 II3-336, BI. 1 - 119. Bei dieser Quelle handelt es sich um einen der sehr seltenen Fälle, in denen ein Wortprotokoll der Ministerratssitzung überliefert wurde. In der Regel existieren von diesen Sitzungen keine Mitschriften, sondern lediglich Ergebnisprotokolle. 188 Ebd.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische WeichensteIlungen
welche die DDR-Führung in diesem Zeitraum entfaltete und die sie nicht zuletzt mit der desolaten Wirtschaftslage der DDR begründete. 189 Diese Entwicklungen bildeten den Rahmen, als wenige Tage nach dem Beschluß des Ministerrates zum Plan 1961 das Kollegium der Abteilung Bergund Hüttenwesen der Plankommission eine Konkretisierung der "Störfreimachung" der Schwarzmetallurgie vornahm und die entsprechenden Maßnahmen in einem neuerlichen Beschluß zur Sicherung der PlanerfiUlung 1961 zusammenfaßte. Zu diesem Zweck forderte die Abteilungsleitung auf der Grundlage von bereits im Januar getroffenen Beschlüssen vor allem die maximale Produktion von hochwertigen Walzstählen sowie von Erzeugnissen der zweiten Verarbeitungsstufe. Im einzelnen waren Aktivitäten auf drei Feldern vorgesehen: 1. Maßnahmen, um jegliche Stönnaßnahmen der Bundesrepublik unwirksam zu machen; 2. Maßnahmen zur Erreichung einer hohen Arbeitsproduktivität, eines hohen Niveaus der Produktion auf der Grundlage der modernen Technik; 3. Entwicklung sozialistischer Beziehungen zwischen den Menschen, ständige Vervollkommnung der sozialistischen Leitung. Charakteristisch für die Strategie der Störfreimachung war dabei, daß die hier zusammengestellten Forderungen in ihrer Substanz kaum über die bereits bekannten Aufgabendefinition hinausgingen und auch keine wesentlich neue Problemperspektive eröffneten: Unter Punkt 1 Iistete der Beschluß der Abteilung Bergund Hüttenwesen eine Reihe von eigentlich selbstverständlichen Forderungen, wie etwa Sparsamkeit, Entwicklung neuer Erzeugnisse und Technologien, Einhaltung der Lieferpläne, maximale Auslastung von Kapazitäten zur Produktion von bisher aus dem Westen bezogenen Sortimenten, Senkung der Materialkosten, maximale Produktion von hochwertigen Qualitäts- und Edelstählen etc. auf. Unter Punkt 2 wurde sodann erneut auf Bedeutung der Steigerung der Arbeitsproduktivität durch rasche Entwicklung des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts hingewiesen, wobei dem "Plan Neue Technik" eine wesentliche Funktion zugewiesen wurde. Die Kontrolle dieses Planteils sei auf verschiedenen Ebenen zu verstärken und für jedes Staatsplanvorhaben eine Nutzeffektsberechnung zu erarbeiten. Konkret legte der Beschluß hingegen fest, daß einige Schwerpunkt-Investitionsprojekte gegenüber dem Beschluß des 189 Beschluß der Volkskammer über den Volkswirtschaftsplan 1961. Vom 25. März 1961, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 4/1961 (4.4.1961), S. 11 - 15. Rat fi1r gegenseitige WirtschaftshilfelStändige Kommission fi1r Schwarzmetallurgie: Protokoll M 9/61 der Tagung der Ständigen Kommission fi1r Schwarzmetallurgie (Berlin. 30. Mai - I. Juni 196 I). O. 0., 1.6.1961. BArch, DE-IlNr. 15413, BI. 92 - 101. Bereich Grundstoffmdustrie, Spengler an den Sekretär der Staatlichen Plankommission, Genossen Macher, betr.: Entwurf einer Vorlage für die Leitung der Staatlichen Plankommission über die Sicherung der technisch-wissenschaftlichen Hilfeleistungen sowie der Lieferungen von Ausrüstungen für die Energie, Metallurgie und geologischen Erkundungsarbeiten. Anlagen. O. 0., 1.7.1961. BArch, DE-IlNr. 15413, BI. 15 - 24. D. Staritz, Geschichte der DDR, S. 191 - 194.
III. Ausarbeitung und Scheitern des Siebenjahrplans
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9. ZK-Plenums aufgrund der Schwierigkeiten im Bau- und Ausrustungsbereich zeitlich zu strecken seien. Die Abteilung Berg- und Hüttenwesen wurde beauftragt. in diesem Sinne einen Vorschlag für das Zentralkomitee zu erstellen. Im Anschluß führte der Beschluß eine Reihe von Investitionsmaßnahmen auf, die offenbar für die Strategie der Störfreimachung als wesentlich erachtet wurden. In den meisten Fällen entSprachen diese der Grundsatzforderung nach Modernisierung und verstärkter Produktion von Qua1itätsgütern auf der zweiten Verarbeitungsstufe. Unter Punkt 3 formulierte das Kollegium des Bergund Hüttenwesens schließlich erneut Maßnahmen, welche den übergeordneten Ebenen eine optimierte Kontrolle der Planrealisierung ermöglichen sollten (z.B. tägliche Kontrolle der wichtigsten Planpositionen durch die VVB, Dispatcherdienste, Kennziffern-Systeme, Kontrollausschußsitzungen, Rentabilitätsbesprechungen). 190 Insgesamt bot der Beschluß zur Sicherung der Planerfiillung im Jahre 1961 kaum mehr als eine Zusammenfassung der bekannten Zielsetzungen der Erhöhung der Arbeitsproduktivität, der forcierten Einführung neuer Technologien sowie einer deutlich gesteigerten Erzeugung von Qualitätsprodukten und Produkten auf der zweiten Verarbeitungsstufe. Darüber hinaus wurde jedoch auch die Absicht deutlich, die Mechanismen zur Kontrolle der Plandurchführung in den subordinierten Einheiten zu verstärken und weiter auszudifferenzieren. Schließlich deutete sich eine Tendenz zur Verkürzung des Zeithorizonts, welcher der Umsetzung dieser Forderungen zugrunde lag, an. Unterstrichen wird dieser Befund auch durch die Ergebnisse der Überprüfung des "Plans Neue Technik", welche die SPK-Abteilung Berg- und Hüttenwesen im ersten Halbjahr 1961 durchführte. Diese führte zu dem Ergebnis, daß während des laufenden Planjahres verschiedene Maßnahmen, die unmittelbar der "Störfreimachung" dienten, zusätzlich in den "Plan Neue Technik" aufgenommen worden waren. Der diesbezügliche Prüfbericht führte beispielsweise die Tatsache, daß es gelungen sei, die DDR kurzfristig von SonderroheisenImporten aus der Bundesrepublik und den NATO-Staaten unabhängig zu machen, als ein positives Beispiel an. 191
190 Staatliche PlankommissionIKollegiwn der Abteilung Berg- und Hüttenwesen: Beschluß des Kollegiwns der Abteilung Berg- und Hüttenwesen zur Sicherung der Planerfilllung 1961. Berlin, den 23.3.1961. BArch, DE-IlNr. 15741, BI. 248 - 257. Siehe auch: Kollegiwn der Abteilung Berg- und Huttenwesen: Beschluß des Kollegiwns der Abteilung Berg- und Huttenwesen zur Sicherung der Planerfullung 1961 (Entwurf). Berlin, den 1.3.1961. BArch, DE-IlNr. 15456, BI. 25 - 38. 191 Staatliche Plankommissionlkommissarischer Leiter des Berg- und Hüttenwesens, MUller an den Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankonunission und Leiter der Abteilung Investitionen, Forschung und Technik, Genossen H. Grosse. Berlin, den 14.6.1961. Anlage: Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Huttenwesen: Bericht über die Instruktion und Überprüfung des Planes Neue Technik 1961
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Zeitgleich wurden zudem in der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der SPK Überlegungen zur mittelfristigen Entwicklung der Eisen- und Stahl industrie angestellt, welche reflektierten, daß die reale volkswirtschaftliche Entwicklung dazu tendierte, die ambitionierten Modernisierungs- und Innovationsvorstellungen, wie sie der Siebenjahrplan und die Industriezweigökonomiken entworfen hatten, in Frage zu stellen: Im März 1961 faßte ein in dieser Abteilung erarbeitetes Expose die nunmehr gültige Plankonzeption in der Weise zusammen, daß es nicht mehr fiir möglich erachtet wurde, alle ursprünglich vorgesehenen Erweiterungsmaßnahmen der Metallurgie wie geplant in Angriff zu nehmen. Verantwortlich sei dafür - wieder einmal- die Knappheit der Investitionsmittel, vor allem aber die ungenügende Entwicklung der Baukapazitäten, Faktoren also, auf die bereits Leuschner bei der Planverabschiedung im Ministerrat hingewiesen hatte. Aufgrund dieser Umstände und wegen des anhaltend steigenden Bedarfs an hochwertigen Erzeugnissen sei eine stärkere Konzentration der verfügbaren Mittel auf die rasche Steigerung dieser "hochveredelten" Sortimente und insbesondere auf Maßnahmen, die rasche Erfolge versprächen, geboten. Im Ergebnis führte die Knappheit der Ressourcen damit folglich zu Überlegungen, die auf eine gewisse "Radikalisierung" der Konzeption der zweiten Verarbeitungsstufe hinausliefen. Dies bedeute andererseits, so die Ausarbeitung der Abteilung Berg- und Hüttenwesen, daß die Mittel fiir solch entscheidende Projekte wie die Erweiterung des Eisenhüttenkombinats Ost um ein Stahl- und Walzwerk, die Errichtung einer Sauerstoffanlage in Brandenburg oder die Elektrostahlwerke in Riesa, Freital und Gröditz in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stünden. Betroffen sei von diesen Umschichtungen vor allem das Eisenhüttenkombinat, fiir dessen Ausbau, entgegen geltender Beschlüsse, bis 1965 keine Mittel vorgesehen seien. Zusammengefaßt sei in den Werken der Eisen- und Stahlindustrie in den kommenden Jahren nicht mit einem spürbaren Kapazitätszuwachs zu rechnen, so daß der Import metallurgischer Erzeugnisse in den kommenden Jahren erheblich über den bisherigen Vorstellungen liegen werde. Trotzdem werde die Versorgungslage v.a. bei Feinblech und Walzdraht ausgesprochen angespannt bleiben, da gerade hier die Liefermöglichkeiten der sozialistischen Staaten äußerst beschränkt seien. \9l Diese Ausführungen belegen, daß infolge der
gemäß dem Beschluß der Staatlichen Plankommission vom 8.2.1961. Berlin, den 14.6.1961. BArch, DE-l/Nr. 13992, BI. 101-107. 192 Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen: Planentwurfüber die Entwicklung der Metallurgie in den Jahren 1963 bis 1965. Berlin, den 29.3.1961. BArch, DE-lINr. 15794, BI. 114 - 125. Siehe auch: Staatliche Plankommission, Meiser, Wunderlich, Markowitsch: Protokoll über die Besprechung am 6.4.1961, betr.: Bestätigung der Vorschläge über die Erhöhung der Produktion von Blockstahl und Walzstahl bis zum Jahre 1965 aufgrund der Verhandlung der deutschen Delegation mit der So\\jetunion vom 29.3.1961. Berlin, den 6.4.1961. BArch, DE-l/Nr. 15456, BI. 110 - 114. Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen, Zauleck:
ill. Ausarbeitung Wld Scheitern des Siebenjahrplans
265
volkswirtschaftlichen Krise zentrale Projekte, die aufgrund der bisherigen Planungen zu einer durchgehenden Modernisierung der Schwarzmetallurgie führen sollten, zunehmend fraglich wurden. Als besonders prekär ist in diesem Zusammenhang die Diskussion um die Verschiebung der Arrondierung des EKO zu bewerten, da laut geltender Beschlußlage die Implementierung des innovativen Sauerstoff-Aufblasverfahrens in der DDR sich auf dieses Werk konzentrieren sollte. Weiter wäre durch die in dem zitierten Papier skizzierten Schritte auch die bestandsorientierte Modernisierung der Produktionsanlagen, z. B. die Einführung der Sauerstoffinetallurgie in Brandenburg, nicht innerhalb des vorgesehenen Zeitrahrnens zur Durchführung gelangt, so daß die immer wieder aufgezeigten technologischen Probleme der Schwarzmetallurgie nahezu unverändert fortbestanden hätten. In diesem Kontext der ungeklärten Zukunft der Eisen- und Stahlindustrie begann die Ausarbeitung des Metallurgieprogramms (siehe Teil 5, IV), welches nunmehr eine eindeutige und konkretisierte Perspektive der Branchenentwicklung entwickeln sollte. Unterdessen wurden die Bemühungen zur "Störfreimachung" der Wirtschaft fortgeführt, obwohl in der Zwischenzeit der Handel mit der Bundesrepublik bereits wiederaufgenommen worden war. In ihrem diesbezüglichen Beschluß vom 7. Juni 1961 kritisierte die Leitung der Staatlichen Plankommission nunmehr, daß die entsprechenden Festlegungen bis dahin nicht mit ausreichender Energie umgesetzt worden seien. Demgegenüber sei unverändert davon auszugehen, daß der Handel mit Westdeutschland jederzeit unterbrochen werden könne, so daß das Ziel der maximalen Verringerung der Importabhängigkeit von der Bundesrepublik auch bei der Ausarbeitung des Volkswirtschaftsplanes 1962 fortbestehe. Auf dieser Leitlinie basiere auch der Beschluß, welchen die Leitung der Plankommission Anfang Mai 1961 zur "Präzisierung" des Siebenjahrplanes gefaßt habe. Tatsächlich hatte die SPK damit die Konsequenzen aus der wirtschaftlichen Entwicklung gezogen und nach Roeslers Einschätzung die weitreichenden Ziele des Siebenjahrplans faktisch aufgegeben. Für die Eisen- und Stahlindustrie forderte der Beschluß vom 7. Juni erneut eine Konzentration der Aktivitäten auf jene Produkte, bei denen eine besonders starke Abhängigkeit von westdeutschen Zulieferungen bestehe. Die Abteilung Berg- und Hüttenwesen wurde aufgefordert, für die wichtigsten Vorhaben ein konkretes Programm zur Beschlußfassung vorzule-
Möglichkeiten der BeschleWligWlg des EntwicklWlgstempos auf dem Gebiet des BergWld Hüttenwesens einschließlich der Geologie. Berlin, den 24.10.1961. BArch, DEIlNr. 3134, BI. 97fT. Staatliche PlankommissionlAbteihmg Berg- Wld Hüttenwesen: Ausarbeitung der Grundlinie der EntwicklWlg der Eisen-Industrie Wld der NEMetallindustrie für die kommenden Jahre. Berlin, den 28.11.1961. BArch, DE-IlNr. 3134, BI. 84 - 93. Staatliche PlankommissionlAbteilung Berg- und Hüttenwesen: Probleme der Entwicklung der Metallurgie in den Jahren 1963 - 1965. Berlin, den 29.3.1962. BArch, DE-IlNr. 15794, BI. 4 - 20.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
gen. Im Gegensatz zu den Überlegungen der SPK-Fachabteilung sollte dieses explizit auch die Errichtung eines Stahl- und Walzwerkes im Eisenhüttenkombinat Ost beinhalten. Darüber hinaus wurde erneut eine ökonomische Stahlverwendung in den weiterverarbeitenden Industrien sowie die Umorientierung der nötigen Importe auf die sozialistischen Staaten gefordert, wie auch insgesamt die Möglichkeiten der Zusammenarbeit im sozialistischen Lager stärker berücksichtigt werden sollten. Wie diesbezügliche Stellungnahmen und Ausarbeitungen belegen, rechneten verantwortliche Organe auch im Herbst 1961, d.h. nach dem Bau der Berliner Mauer, weiter mit der Möglichkeit einer Unterbrechung des Handels mit der Bundesrepublik, so daß die Aufrufe zur "Störfreimachung" fortgesetzt wurden. 193 Darüber hinaus fuhrten die volkswirtschaftlichen Probleme jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt auch zu einer Beschäftigung mit der weiterreichenden Frage, wie eine Veränderung der materiellen Anreizstruktur der Betriebe zu einer dynamischeren Entwicklung der technologischen Modernisierung in der Industrie beitragen könne. Der Versuch, diese Problematik systematisch und umfassend zu bewältigen, bildete wenig später eines der wesentlichen Anliegen der seit 1963 im Zuge des "Neuen Ökonomischen Systems" begonnenen Wirtschaftsreformen. 194 Von größerer Bedeutung als diese weitreichenden Überlegungen waren kurzfristig jedoch mehrere Aktionen zur "Überprüfung" des Investitionsplanes 1962, die vor allem auch zu bedeutenden Kürzungen im Bereich der Eisenund Stahlindustrie fuhrten: Am 9.12.1961 legte eine zu diesem Zweck aus Vertretern des Bauministeriums, der Deutschen Investitionsbank, der Staatli-
193 Beschluß ftI.r die weitere Arbeit zur Sicherung der Wirtschaft der DDR gegen willkürliche Stönnaßnahrnen militaristischer Kreise in Westdeutschland Wld zur DurchsetzWlg des Beschlusses der Staatlichen Plankommission vom 4.1.1961. Anlage 3 zum Protokoll der SitzWlg der LeitWlg der SPK vom 7.6.61. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 247, BI. 10 - 33. Präsidium des Ministerrates: Beschluß zur BestätigWlg des Beschlusses des Volkswirtschaftsmtes vom 22.8.1961 über Massnahmen zur SicherWlg der Industrie der Deutschen Demokratischen Republik gegen Störversuche durch die Adenauer-RegierWlg vom 8.9.1961. Anlage 38 zum Protokoll der Sitzung des Präsidiums des Ministerrates vom 8.9.1961. BArch, DC-20 114-487, BI. 188 - 195. Brief des Zentmlkomitees an alle Gnmdorganisationen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der Industrie, im Bauwesen, im Verkehrs- Wld Verbindungswesen, in den Konstruktions- Wld Projektierungsbüros sowie in den wissenschaftlichen Instituten zum Produktionsaufgebot. Berlin, den 18.1 0.1961, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse Wld Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros Wld seines Sekretariats, Band VIII, Beflin (Ost) 1962, S. 478 - 486. J. Roes/er, Zwischen Plan Wld Markt, S. 19f. 194 Präsidium des Ministerrates: Beschluss zum Bericht Wld Vorschläge über die WirkWlg des materiellen Anreizes zur DurchsetzWlg des technischen Fortschrittes Wld für die weitere ErhöhWlg des ökonomischen Ansporns zur Einftlhrung der neuen Technik vom 28.9.1961. Anlage 14 zum Protokoll der SitzWlg des Präsidiums des Ministerrates vom 28.9.1961. BArch, DC-20 114-493, BI. 106 - 125.
III. Ausarbeitung lUld Scheitern des Siebenjaluplans
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ehen Plankommission. des Volkswirtschaftsrates 195 und betroffener Abteilungen im zentralen Parteiapparat gebildete Arbeitsgruppe ihren Bericht vor. Bis dahin waren bereits mehrere Kürzungen des Investitionsplanes 1962 erfolgt, so daß insgesamt 34 begonnene Vorhaben stillgelegt und 174 zentrale Maßnahmen. die 1962 begonnen werden sollten, zurückgestellt worden waren. Im Ergebnis wurden die ursprünglichen Vorgaben des Siebenjahrplans für 1962 bereits bis Anfang Dezember 1961 um 3,3 Mrd. DM, das entsprach 17 %, unterschritten. Dennoch ergab sich die Notwendigkeit zur weiteren Kürzung der Investitionen dadurch, daß der vorgesehene Investitionsplan materiell nicht gedeckt war, d.h. sich bereits zu diesem Zeitpunkt abzeichnete, daß die benötigten Baukapazitäten. aber auch Ausrüstungen nicht verfügbar sein würden. Zudem wurde eine ungenügende Konzentration der Investitionsmittel auf Rationalisierungs- und Rekonstruktionsmaßnahmen und damit auf die Einsparung von Arbeitskräften bemängelt. Zur Überwindung dieser Probleme hatte die Arbeitsgruppe den aktuellen Investitionsplan nochmals mit folgenden Zielen überprüft: Maximale Einschränkung des Beginns neuer Vorhaben, stärkere Konzentration auf Objekte, welche spätestens 1963 zur Inbetriebnahme zumindestens von Teilkapazitäten fiihrten, Stillegung gerade erst begonnener Vorhaben mit langfristiger Mittelzersplitterung, Abbruch von Vorhaben, deren Fortsetzung aufgrund unvollständiger oder unklarer Projektierung nicht verantwortet werden konnte. Aufgrunddessen schlug die Arbeitsgruppe die Streichung, bzw. Reduzierung von rund 100 Investitionsvorhaben aus dem Plan 1962 vor, die zusammen ein Volumen von ca. 250 Mio. DM besaßen. Für das Berg- und Hüttenwesen enthielt der Vorschlag Investitionsreduzierungen von insgesamt 39,9 Mio. DM, dies entsprach einem Anteil von gut 15 % an den gesamten Streichungen. Diese umfangreichen Kürzungen im Berg- und Hüttenwesen. die teilweise auf den Widerstand der verantwortlichen Organe stießen, enthielten u.a. eine Kürzung des Bauanteils im Eisenhüttenkombinat Ost um 8 Mio. DM. Wenngleich die Arbeitsgruppe in ihrer Stellungnahme betonte, daß damit der Beginn der fiir 1963 vorgesehenen Arbeiten am Bau des neuen Stahl- und Walzwerkes nicht gefährdet sei, traf die "Überprüfung" 195 Im Juli 1961 filhrte ein erneuter Versuch, die PlanlUlg lUld Plandurchführung zu effektivieren, zur GrUndlUlg des Volkswirtschaftsrates (VWR), der die bisherigen HauptabteillUlgen der Staatlichen Plankommission für Industrie lUld Materialversorgllllg zusammenfaßte. Mit der Einführung des ,,Neuen Ökonomischen Systems der PlanlUlg lUld Leitung" (1963) erhielt der VWR die Aufgabe, auf der Basis der Perspektivpläne, der Beschlüsse des Ministerrates lUld der Staatlichen Plankommission die Jahrespläne der Industrie auszuarbeiten, ihre Umsetzung zu kontrolJieren sowie die Aufsicht über die VVB auszuüben. Da der VWR die ilun zugedachte Aufgabe der Beschleunigllllg lUld Rationalisierung der industrielJen EntwickilUlg WlZureichend erflilJte, wurde er 1965 aufgelöst lUld seine Industrieabteilungen zu neuen selbständigen Industrieministerien umgebildet. Geleitet wurde der VWR von 1961 bis 1965 durch Alfred Neumann. A. HerbstIW. Ranke/J. Wink/er, So flUlktionierte die DDR, Bd. 2, S. 1155f.
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
des Investitionsplans der Eisen- und StahIindustrie somit gerade jenes Werk, welches als Kern der technologischen Modernisierung der Branche fungieren soIlte. l96 Auch in den folgenden Monaten wurde der Druck zur Einsparung und Konzentration von Investitionsmitteln aufrecht erhalten, wie dies bereits der Bericht der Arbeitsgruppe empfohlen hatte. Nachdem das Ministerratspräsidium am 1.3.1962 abennals eine Überprüfung der Investitionen angeordnet hatte, bestätigte der Ministerratsbeschluß zwn Plan 1962 die Kürzung der ursprünglich vorgesehenen Mittel zwn Ausbau des EKO und zum Aufbau des Rohrwerkes III in Riesa. Insgesamt sah der VoIkswirtschaftsplan für dieses Jahr in der Industrie schließlich Investitionen von ca. 7,3 Mrd. DM vor, so daß ihr Volumen gegenüber dem Vorjahr (ca. 7,7 Mrd. DM) tatsächlich deutlich reduziert worden war. 197 Die Ende 1960 als Reaktion auf die deutschlandpolitischen Ereignisse eingeleitete "Störfreimachung" der Volkswirtschaft der DDR wurde im folgenden noch einige Zeit als politisches Ziel aufrecht erhalten, ohne daß sie später offizieIl für abgeschlossen oder beendet erklärt worden wäre. Vielmehr beriefen sich im weiteren Verlauf des Jahres 1962 verschiedene SteIlungnahmen und Dokumente unverändert auf das Gebot der Unabhängigkeit von westdeutschen Zulieferungen, wobei die Priorität, welche diesem beigemessen wurde, offensichtlich im Zeitverlauf abnahm. Zunehmend kam dieser damit der Rang einer wirtschaftspolitischen Forderung unter vielen zu, ohne daß ein Vorrang dieser Zielgröße erkennbar ist. Zudem ergeben sich Hinweise dafür, daß die Politik der "Störfreimachung" durch die konkreten Entscheidungen im Bereich der Eisen- und StahIindustrie teilweise konterkariert wurde. l98 Einen größeren 196 Bericht der Arbeitsgruppe zur ÜberprüfWlg der Investitionsvorhaben 1962 mit dem Ziel der Konzentration der Investitionen. Berlin, den 9.12.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/2.029/Nr. 77, BI. 1 - 28. 197 Sekretariat des Ministerrates, Kom: Beschlussprotokoll der 92. Sitzung des Präsidiums des Ministerrates am 1. März 1962. O. 0., o. D. Anlage 6: Präsidium des Ministerrates: Beschluss zur Überprüfung der Investitionen 1962 vom 1.3.1962. BArch, DC-20 114-453, BI. 1 - 5, 108 - 111. Sekretariat des Ministerrates, Kom: Beschlussprotokoll der 49. (ausserordentlichen) Sitzung des Ministerrates am 8.3.1962. O. 0., o. D. Anlagen. BAreh, DC-20 113-362, BI. If, 89fT, 107 - 114. Beschluß der Volkskanuner über den Volkswirtschaftsplan 1962. Vom 28. März 1962, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 3/1962 (31.3.1962), S. 29 - 34. Beschluß der Volkskanuner über den Volkswirtschaftsplan 1961. Vom 25. März 1961, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 4/1961 (4.4.1961), S. 11 - 15. 198 Sekretariat des Ministerrates, Kom: Beschlussprotokoll der 49. (ausserordentlichen) Sitzung des Ministerrates am 8.3.1962. O. 0., o. D. Anlagen. BAreh, DC-20 113-362, BI. lf, 89fT, 107 - 114. 10. Information über die Wirtschaftsverhandlungen DDR / UdSSR. Moskau, den 18.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 31 -37. Vereinigung Volkseigener Betriebe Stahl- Wld WalzwerkelBetriebspartei-organisation, Ramolla (Sekretär) an das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands / Abt. Maschinenbau/Metallurgie, betr.: Bericht
III. Ausarbeitung und Scheitern des Siebenjahrplans
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Stellenwert nahm die "Störfreimachung" hingegen noch längere Zeit im Umfeld der Erarbeitung des ,,Metallurgieprogramms" (siehe Teil 5, IV) ein. Die prazise Beantwortung der Frage, welche Folgewirkungen die "Störfreimachung" in der Schwarzmetallurgie zeitigte, stößt aufgrund des vorliegenden Quellenmaterials auf einige Schwierigkeiten: So ist einerseits prinzipiell davon auszugehen, daß die Maßnahmen der "Störfreimachung" durch ihre autarkistische Stoß richtung, bzw. den Versuch der kurzfristigen Substitution westlicher Zulieferungen durch Importe aus dem sozialistischen Lager, durch die Umwidmung von Investitionsmitteln sowie durch die hier angelegte Ausweitung der ohnehin breiten Sortimente bei geringer Gesamtproduktion die eigentlich avisierte Modernisierung und Produktivitätssteigerung der Eisen- und Stahlindustrie tendenziell behinderte, bzw. verlangsamte. l99 Andererseits darf bei dieser Bewertung nicht übersehen werden, daß das Ziel einer Unabhängigkeit von westlichen Zulieferungen im Bereich der Eisen- und Stahlerzeugung letztlich verfehlt und selbst eine Verringerung der Abhängigkeit nur partiell realisiert wurde: Zwischen 1960 und 1963 wurden so zwar die Importe von Produkten der zweiten Verarbeitungsstufe aus der Bundesrepublik und den übrigen kapitalistischen Staaten von ca. 164.000 tauf 113.000 t verringert, während gleichzeitig die Einfuhren aus der Sowjetunion nahezu verdoppelt wurden. Gleichzeitig konnte das Volumen der warmgewalzten Stähle, welche die DDR aus dem Westen importierte, lediglich von 197.000 t auf 169.000 t verringert werden, wobei die Einfuhren aus der Bundesrepublik bemerkenswerter Weise mehr als verdreifacht wurden. 2°O Insofern erzielten die Bemühungen zur "Störfreimachung", worauf allgemein bereits Gleitze hinwies20l , nur sehr eingeschränkte Erfolge. Darüber hinaus blieb unter der geltenden Maxime der "Störfreimachung" das bisherige Modernisierungs- und Qualitätsparadigma fiir die Eisen- und Stahlindustrie insofern unverändert, als über die Führung der Plandiskussion und die Ausarbeitung des Planes 1963. Berlin, den 28.9.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV 2/6.04/Nr. 55, BI. 165 - 189. Brief des Zentralkomitees an alle Grundorganisationen in der fudustrie und im Verkehrsund Verbindungswesen zur Vorbereitung des Volkswirtschaftsplanes 1963. Berlin, den 1. August 1962, in: Dokwnente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Band IX, Berlin (Ost) 1965, S. 73 - 87. VgI. Roesler, demzufolge die "Störfreimachung" mit dem Anlaufen der Wirtschaftsreformen 1964 beendet wurde. J. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 31. 199 Zur generellen Bewertung siehe: J. Roesler, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 301 - 311, 340f. 200 Prasidium des Ministerrates: Beschluß zum Programm zur Entwicklung der metallurgischen fudustrie in der DDR vom 27.6.1963. O. o. Vertrauliche Verschlußsache. BArch, DC-20 II4-750, BI. 1 - 214; hier: BI. 199. Bei den Angaben filr 1963 handelt es sich um Planwerte. 201 B. Gleitze, Die fudustrie der So\\jetzone unter dem gescheiterten Siebenjahrplan, S. 43, 57f, 129ff, 134 - 139.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
weiterhin die verstärkte Produktion von Gütern der zweiten Verarbeitungsstufe, aber auch eine Modemisierung der Anlagen gefordert wurde. Allerdings tendierten die im Umfeld der "Störfreimachung" und der volkswirtschaftlichen Krise erneut durchgeführten Investitionskürzungen dazu, den Spielraum für die im Siebenjahrplan skizzierten Maßnalunen einschneidend zu verringern. Darüber hinaus führte die zum Zwecke der "Störfreimachung" nötige, rasche Produktionssteigerung zu Bestrebungen, diese primär durch einen Ausbau der bestehenden Anlagen, d.h. unter Vernachlässigung neuer Technologien durchzuführen, wobei insbesondere die UdSSR diese Variante bevorzugte (siehe Teil 5, IV).202 Zusammengefaßt führte die Aktion der "Störfreimachung" und die Wirtschaftskrise zu Beginn der sechziger Jahre in der Tendenz zu verschlechterten Bedingungen für die technologische Modemisierung der Schwarzmetallurgie, wobei allerdings das Ausmaß, in dem diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurden, letztlich nicht überschätzt werden darf.
IV. Die Ausarbeitung und Verabschiedung des "Programms zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der DDR" (1961 - 1963) 1. Der Beschluß zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms und der Verlauf der Programmformulierung bis zum Sommer 1962 Als das Ministerratspräsidium im Juni 1963 das "Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der DDR" verabschiedete, bildete dies den Schlußpunkt eines langwierigen und konfliktbeladenen Formulierungsund Verabschiedungsprozesses. Insgesamt hatte sich die Ausarbeitung dieses Entwicklungsprogramms der Branche damit seit Mai 1961 über mehr als zwei Jahre erstreckt, wirtschaftspolitisch verband es somit die Phase der "Störfreimachung" und den Beginn der volkswirtschaftlichen Reformen. Ursprünglich war dem Metallurgieprogramm die Funktion zugedacht, die vielfältigen und zum Teil gravierenden Probleme der Eisen- und Stahlindustrie systematisch zu analysieren und sie durch Zusammenfassung entsprechender Strategien in einem einzigen, konkretisierenden Programm mittel- bis
202 10. Infonnation über die Wirtschaftsverhandlungen DDRlUdSSR. Moskau, den 18.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 31 - 37. Staatliche Plankommission, Mewis an den Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Dr. Mittag. Berlin, den 14.9.1962. Anlage: Bericht über Erfahrungen und Hinweise, die es zur Verbesserung der Planung in der DDR aus den Moskauer Beratungen im Mai/Juni 1962 gibt. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV A 2/2.021/Nr. 247, BI. 167 - 177.
IV. Ausarbeitung Wld VerabschiedWlg des Metallurgieprogramms
271
langfristig zu überwinden. Damit kann es als ein Fokus der Branchenentwicklung begriffen werden, in dem sich die Diskussion um Funktion und Stellenwert der Metallurgie im volkswirtschaftlichen Gefüge der DDR wie auch die Problemwahrnehmung bündelten. Infolgedessen entfaltete der Prozeß der Ausformulierung dieses Programms eine katalysatorische Wirkung, so daß Konflikte, die bereits seit längerem existierten, nunmehr aufbrachen. An der Auseinandersetzung um die Perspektive der Eisen- und Stahlindustrie waren letztlich nahezu alle Institutionen der Partei, des Staatsapparats sowie der Wissenschaft beteiligt, die für die Branche von Relevanz waren. Für das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung gewinnt das Metallurgieprogramm zudem insofern an Bedeutung, als die Frage der zu favorisierenden Strategie der Branchenmodernisierung sowie der optimalen technologischen Pfade der Eisen- und Stahlindustrie eine der zentralen Konfliktdimensionen bildete. Trotz seiner Bedeutung fand die Formulierung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms in der wirtschaftshistorischen Forschung nahezu keinen Niederschlag, so daß es etwa im Vergleich mit dem Chemieprogramm, das in bezug auf die Programmplanung als Vorbild fungierte, unerforscht blieb. Gleiches gilt über weite Strecken für die zeitgenössische Publizistik, so daß das Metallurgieprogramm z. B. in der Fachzeitschrift "Neue Hütte" zwar vereinzelt erwähnt, aber nicht systematisch dargestellt wurde. 203 Wie bereits erwähnt, bildete die Ausarbeitung eines konkretisierten, vor allem aber durch materielle Bilanzen abgesicherten, Perspektivprogramms der Eisen- und Stahlindustrie nach dem Abbruch der weitgreifenden, proportionalen Ausbaupläne infolge des "Neuen Kurses" eine häufig artikulierte Forderung. Besonders deutlich wurde der Umstand, daß das Fehlen einer solchen Perspektive als Defizit begriffen wurde, beispielsweise im Umfeld der Politbürositzung vom 6.1.1959 (siehe Teil 5, III).204 Im Frühjahr 1961 hatte sich zudem die Notwendigkeit, ein mittelfristiges Entwicklungsprogramm der Eisenund Stahlindustrie zu erstellen, durch die wirtschaftspolitischen Ereignisse 203 Beispielsweise gilt dies auch ftlr Roeslers gfWldlegendes Werk, welches zwar für die Metallurgie die Perspektive der zweiten Verarbeitungsstufe Wld - anhand des Energie- Wld Chemieprogramms - die Schwierigkeiten der Programmplanung diskutiert, jedoch das Metallurgieprogramm nicht thematisiert. J. Roesler, Herausbildung der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR, S. 137, 262ff. Siehe auch: M Laschke, Produktivkräfte, fuvestitionen Wld Produktion, S. 20 - 24. Schmidt, Erich/Winkler, GerhardiSchmidt, Horst: Zu einigen Problemen des Nutzeffektes der fuvestitionen in der Eisenhüttenindustrie der DDR, in: Neue Hütte, Jg. 8 (1963), H. 11, S. 641 - 649. Mal/er, Wolfgang: Einige wichtige Aufgaben der Schwarzmetallurgie in der DDR im Zeitraum des Perspektivplanes bis 1970, in: Neue Hütte, Jg. 10 (1965), H. 5, S. 257f, 318f. 204 AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie: Ausarbeitung, betr.: Einige Vorkommnisse nach der Politbürositzung am 6.1.1959 Wld einige Probleme der Metallurgie. Berlin, den 9.1.1959. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 212.029/Nr. 55, BI. 126 136.
272
5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
weiter erhöht: Im Mai 1961 entschloß sich die Staatliche Plankommission aufgrund der kritischen wirtschaftlichen Lage zur Korrektur des Siebenjahrplans. Nach der Aufgabe der ambitionierten Ziele des Siebenjahrplans ergab sich folglich das Problem, wie künftig die favorisierte Option der Rationalisierung und Modernisierung sowie der vorrangigen Entwicklung von Qualitätsprodukten und der zweiten Verarbeitungsstufe unter den Bedingungen der "Störfreimachung" realisiert werden könnte. Insbesondere galt es zu klären, welches Investitionsvolumen der Branche künftig zur Verfiigung stehen würde. International kam in diesem Zeitraum hinzu, daß die Sowjetunion in Wirtschaftsverhandlungen auf eine raschere Produktionssteigerung der Eisen- und Stahlindustrie in der DDR drängte und die Ständige Kommission fiir Schwarzmetallurgie des RGW die stärkere Koordination der mittel- und langfristigen Perspektivpläne der Mitgliedsländer beschloß. 205 In dieser Entscheidungssituation erteilte die Parteiführung im Mai 1961 den Auftrag, ein Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie zu erarbeiten. Motive, Ablauf und Akteure dieser Entscheidung sind im einzelnen nicht überliefert, möglicherweise hatte jedoch Ulbricht selbst auf informellem Wege die Initiative ergriffen. 206 Jedenfalls beschloß das Sekretariat des ZK der 205 Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen: Planentwurfüber die Entwicklung der Metallurgie in den Jahren 1963 bis 1965. Berlin, den 29.3.1961. BAreh, DE-IlNr. 15794, BI. 114 - 125. Staatliche Plankommission, Meiser, Wunderlich, Markowitsch: Protokoll über die Besprechung am 6.4.1961, betr.: Bestätigung der Vorschläge über die Erhöhung der Produktion von Blockstahl und Walzstahl bis zwn Jahre 1965 aufgrund der Verhandlungen der deutschen Delegation mit der Sowjetunion vom 29.3.1961. Berlin, den 6.4.1961. BAreh, DE-IlNr. 15456, BI. 110 - 114. Die kommissarischen Leiter der HA Perspektivplanung der SPK, Sektor Berg- und Hüttenwesen und der Abteilung Hüttenwesen der SPK: Vereinbarung zwischen der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der SPK und der HA Perspektivplanung der SPK, Sektor Berg- und Hüttenwesen über die Verantwortlichkeit und den Ablauf der Arbeit zur Präzisierung des Siebenjahrplanes ftlr die Jahre 1962 bis 1965 sowie zur Erarbeitung der KontrollzitTern ftlr 1962. Berlin, den 17.5.1961. BAreh, DE-IlNr. 15763, BI. 26 30. Rat ftlr gegenseitige WirtschaftshilfelStändige Kommission ftlr Schwarzmetallurgie: Protokoll M 9/61 der Tagung der Ständigen Kommission ftlr Schwarzmetallurgie (Berlin 30. Mai -1. Juni 1961). Berlin, den 1.6.1961. BAreh, DE-IlNr. 15413, BI. 92101. Anlage 3 zwn Protokoll der Sitzung der Leitung der SPK vom 7.6.1961: Beschluß für die weitere Arbeit zur Sicherung der Wirtschaft der DDR gegen willkürliche Störmaßnahmen militaristischer Kreise in Westdeutschland und zur Durchsetzung des Beschlusses der Staatlichen Plankommission vom 4.1.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 212.021INr. 247, BI. 10 - 33. 206 Staatliche Plankommission/Abt. Berg- und Hüttenwesen, Jahn (persönlicher Mitarbeiter): Protokoll über die Dienstbesprechung am 23.5.1961. Berlin, den 23.5.1961. BArch, DE-IlNr. 15413, BI. 51 - 55. Konzeption zur Erarbeitung des Metallurgie-Programmes. Berlin, den 23.5.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 132, BI. 96 - 100. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogramms der SPK vom 20.10.1962. O. 0.,25.10.1962. Anlage 3: Sektor Metallurgie: Chronologie, betr.: Ablauf der Ausarbeitung des Programmes zur weiteren Entwicklung der metallurgi-
N. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms
273
SED am 2l.6.1961 auch formal die Erarbeitung eines Programms zur Entwicklung der metallurgischen Industrie. Dieser Beschluß im Rahmen der Erörterung von Maßnahmen, die Ulbricht in Auswertung der Moskauer Wirtschaftsverhandlungen festgelegt hatte, beschränkte sich inhaltlich auf einige wenige allgemeine Vorgaben. Danach sollte das Metallurgieprogramm genau bilanzieren, d.h. die Maßnahmen materiell absichern, weiterhin sollte die Konzentration der Ressourcen auf Schwerpunkte ermöglicht sowie Spezialpläne für alle Werke formuliert werden. Diese müßten aufzeigen, wie der neueste Stand der Technik erreicht, wirtschaftlicher produziert und die Produktion von Defizitmaterialien gesteigert werden könne. Ferner müsse dargestellt werden, wie die technische Zusammenarbeit mit der So\\jetunion entwickelt werden könne. Allerdings hatte Ulbricht zu dem Zeitpunkt, als dieser allgemein gehaltene Beschluß gefaßt wurde, bereits eine konkretere Konzeption zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms bestätigt.207 Offenbar handelte es sich dabei um eine Vorlage, die von der Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, d.h. von der zuständigen wirtschaftspolitischen Abteilung im zentralen Parteiapparat, im Mai 1961 vorgelegt worden war. Dieses Papier ging in bezug auf seinen Konkretisierungsgrad über den Sekretariatsbeschluß hinaus und enthielt einige Vorgaben, die für die folgende Entwicklung entscheidend waren: Im Zusammenhang mit der "Präzisierung" des Siebenjahrplans bezeichnete die Vorlage die Sicherung der metallurgischen Produktion als "erstrangige" volkswirtschaftliche Aufgabe. Deshalb sei es geboten, die perspektivische Entwicklung zu beschleunigen, die existierenden Kapazitäten maximal auszunutzen, neue Kapazitäten planmäßig in Betrieb zu nehmen und alle entsprechenden Maßnahmen durch die Zusanunenfassung in einem Programm zu sichern. Gefordert wurde, das Programm müsse umfassend bilanzierte und abgestimmte Maßnahmen zur Sicherung der Produktion in der Schwarzmetallurgie, der Nichteisen-Metallindustrie und der Feuerfestindustrie bis 1965 sowie die Tendenzen bis 1980 enthalten. Zur Ausschöpfung aller Reserven seien Schwerpunkte der Entwicklung aufzuzeigen und mit den sozialistischen Ländern abzustimmen. Mit dem sparsamsten Verbauch von Investitionsmitteln gelte es, eine weitgehende Unabhängigkeit von Importen aus der Bundesrepublik und den NATO-Staaten sowie eine maximale Beseitigung der Defizite in den wichtigsten Produktsortimenten und qualitäten zu erreichen. Dabei seien, so die Vorlage der Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, folgende Gesichtspunkte zu beachten: 1. Maximale Proschen Industrie der DDR. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/IV A 2/2.021INr. 557, BI. 74, 89 - 95. 207 Protokoll Nr. 28/61 der Sitzung des Sekretariats des Zentralkomitees am 21. Juni 1961. O. 0., o. D. Anlage 2: Beschluß des Sekretariats des ZK zur Auswertung der Aussprache mit Genossen illbricht über einige Fragen der Durchfllhrung des Volkswirtschaftsplanes. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/J N 2/3/Nr. 745, BI. If, 13 - 21. 18 Unger
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische WeichenstellWlgen
duktionssteigerung, Nutzung aller Reserven durch sozialistische Rekonstruktion, Mechanisierung und Automatisierung sowie Festlegung diesbezüglicher Maßnahmen in den ,,Plänen Neue Technik"; 2. breite Entfaltung von Wissenschaft und Technik, um die Einführung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Produktion zu beschleunigen; 3. Sicherung der termingerechten Durchführung der Investitionen; 4. Qualifizierung des Personals, Sicherung der Arbeitskräftezufuhr; 5. Verbesserung der Bilanzierung, Sicherung der Rohstoffe, Kooperation im sozialistischen Lager. Für die Eisen- und Stahlindustrie benannte die Abteilung Maschinenbau und Metallurgie die Sicherung der Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe und der Produktion warmgewalzter Stähle als Schwerpunktaufgaben. Gleichzeitig sei es allerdings erforderlich, die zu diesem Zweck benötigten Kapazitäten in der Rohstahl- und Halbzeugerzeugung zu entwickeln und die Bereitstellung der Roh-, Hilfs- und Zuschlagstoffe zu gewährleisten. Mit dieser Vorgabe erfolgte eine deutliche Rückbindung der Entwicklung von endproduktionsnahen und vorgelagerten Stufen; tendenziell wurde damit die Optimierung der Roh- und Walzstahlkapazitäten als Voraussetzung für die gewollte Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe gedacht. Im folgenden enthielt die Konzeption der ZK-Abteilung umfassende Vorgaben zur Organisation und Methodik der Ausarbeitung des Metallurgieprogramms. Als bedeutsam sollte sich in diesem Zusammenhang der Umstand erweisen, daß die Vertreter des zentralen Parteiapparats in diesem Prozeß von Beginn an eine wesentliche Position einnahmen, da die zentrale Arbeitsgruppe zur Entwicklung des Metallurgieprogramms nach dieser Vorlage vom Leiter des Sektors Metallurgie innerhalb der Abteilung Maschinenbau und Metallurgie geleitet werden sollte. Abschließend legte das Papier schließlich fest, daß das Metallurgieprogramm Mitte Dezember 1961 abzuschließen und dem Politbüro zur Bestätigung vorzulegen sei. Zusammengefaßt wurden die Überlegungen, die am Beginn der Entwicklung des Metallurgieprogramms der DDR standen, durch das Streben nach "Störfreimachung" und damit zur Ausweitung der Produktion hochwertiger "Defizitmaterialien" der zweiten Verarbeitungsstufe bestimmt. Die technische Entwicklung sollte diesen Ziele dienen, so daß die technologische Modernisierung und Rationalisierung der Kapazitäten und die Beschleunigung der Innovationstätigkeit von Beginn an einen integralen Bestandteil des Metallurgieprogramms bildete. 208 Obwohl bereits am 22.6.1961 die erste Tagung der zentralen Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms unter Beteiligung der Abteilung 208 Abt. Maschinenbau und Metallurgie: Vorlage zur Bestätigung durch das Sekretariat des ZK, betr.: Konzeption zur ErarbeitWlg des Programmes filr die weitere EntwicklWlg der metallurgischen Industrie der DDR (Entwurf). Berlin, den 26.5.1961. Anlage: Abt. Maschinenbau und Metallurgie: Konzeption zur ErarbeitWlg des Programmes filr die weitere EntwicklWlg der metallurgischen Industrie der DDR. Berlin, den 23.5.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/2.029/Nr. 55, BI. 59 - 68.
N. Ausarbeitung und VerabschiedWlg des Metallurgieprogranuns
275
Maschinenbau und Metallurgie (ZK), der Abteilung Berg- und Hüttenwesen (SPK), der Hauptabteilung Perspektivplanung (SPK) sowie verschiedener wissenschaftlicher Institute stattfand. kam es im folgenden zu einer beträchtlichen Verzögerung der Programmformulierung, so daß sämtliche vorgegebenen Termine nicht eingehalten wurden. Da die in diesem Zusammenhang vorgelegten Ausarbeitungen immer wieder zurückgewiesen wurden, konnte - wie gesehen - erst im Juni 1963 ein Metallurgieprogramm im Ministerratspräsidium verabschiedet werden. 209 Auch wenn die Entscheidungsabläufe, die schließlich zu dieser Verzögerung fiihrten. mit den überlieferten Archivalien sehr gut rekonstruierbar sind, wird im folgenden auf eine dezidierte Schilderung der Abläufe bis zur Eskalation des Konflikts im Herbst 1962 verzichtet. 210 Die entscheidenden Stationen der Programmformulierung können jedoch folgendermaßen skizziert werden: Am 8.8.1961 wurde ein erster Entwurf zum Metallurgieprogramm, der unter der Leitung des ZK-Sektors Metallurgie entwickelt worden war, bei der Hauptabteilung Perspektivplanung der Staatlichen Plankommission eingereicht. Jedoch wurde diese Fassung des Branchenprogramms im Zentralkomitee mit der Begründung zurückgewiesen, die hier ausgewiesene Produktionssteigerung der Defizitmaterialien und das Wachstum der Arbeitsproduktivität sei zu gering, die Schwerpunktbildung ungenügend. Als Konsequenz dieser Ablehnung sah sich der verantwortliche Sektor Metallurgie zu einer umfassenden Selbstkritik, die vor allem ideologische Schwächen thematisierte, veranlaßt. 211 209 Sekretar der Arbeitsgruppe, Wolf: Aktennotiz über die erste BeratWlg der zentralen Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung des Metallurgie-Progranuns am 22.6.1961. Berlin, den 23.6.1961. BArch, DE-1INr. 15413, BI. 1 - 12. 210 Chronologien der Abläufe enthalten: SED-HausmitteilWlg: AbteilWlg Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogranuns der SPK vom 20.10.1962. O. 0.,25.10.1962. Anlage 3: Sektor Metallurgie: Chronologie, betr.: Ablauf der Ausarbeitung des Progranunes zur weiteren EntwicklWlg der metallurgischen Industrie der DDR. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021INr. 557, BI. 74, 89 - 95. Ausarbeitung: Der gegenwärtige politisch-ideologische Zustand und die bisherige Arbeit am Metallurgieprogranun. o. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 134, BI. 1 - 12. 211 Ausarbeitung: Der gegenwärtige politisch-ideologische Zustand und die bisherige Arbeit am Metallurgieprogranun. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30llV 2/6.04lNr. 134, BI. 1 - 12. Entwurf: Metallurgieprogranun der DDR. Vertrauliche Dienstsache. o. 0., o. D. (Eingangsvennerk Sekretariat HA PerspektivplanWlg der SPK: 8.8.1961). BAreh, DE-1INr. 3134, BI. 129 - 181. AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie: Protokoll über die am Sonnabend, dem (sie! st. U.) 23.9.1961 stattgefWldene Sektorenleiterberatung. Berlin, den 29.9.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 16, BI. 96 - 99. StellWlgnahme des Sektors Metallurgie zum Metallurgieprogranun. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 132, BI. 50 - 60. Leiter der Arbeitsgruppe, Henne: Bericht der Arbeitsgruppe zur SitzWlg der Kreisleitung der SPK über die Arbeit am Metallurgie-Progranun. Berlin, den 5.2.1962. SAP-
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Für die aufgrunddessen neuerlich notwendigen Arbeiten am Metallurgieprogramm wurde die Zuständigkeit neu definiert, so daß nunmehr die Hauptabteilung Berg- und Hüttenwesen des Volkswirtschafts rates fiir das Jahresprogramm 1962, die Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Plankommission fiir den Teil 1963 - 1965 zuständig war. Mitte Dezember 1961 beriet dann die Leitung des Volkswirtschaftsrates das Metallurgieprogramm, Teil 1962. Im Ergebnis wurde beschlossen, diese Erörterung lediglich als erste Lesung zu betrachten und die 1962 anstehenden Aufgaben bis Ende Januar auszuarbeiten. Kritik an der Vorlage formulierte in dieser Sitzung vor allem der Vorsitzende des Volkswirtschaftsrates, Neumann. Im Umfeld der Beratung hatte zudem die Abteilung Maschinenbau und Metallurgie (ZK) den Programmentwurf kritisch bewertet, da dieser in bezug auf die "Störfreirnachung" und Produktionssteigerung erneut ungenügend sei. Die Maßnahmen seien nicht bilanziert und die gesamte Tendenz unkritisch. Infolgedessen enthielt der am 9.1.1962 beschlossene Arbeitsplan des Politbüros erneut die Forderung nach Vorlage eines Metallurgieprogramms.212 Anfang Februar 1962 legte schließlich die SPK-Abteilung Berg- und Hüttenwesen eine "Feindisposition" zum Metallurgieprogramm vor. Aktueller Anlaß war die unmittelbar erwartete Anreise einer Delegation so\\jetischer Experten, mit welchen nunmehr laut einern Auftrag Ulbrichts und des Ministerratspräsidiurns das Programm erarbeitet werden sollte. Erneut verwarf die Abteilung Maschinenbau und Metallurgie die vorgelegten Materialien, wobei der gravierendste Vorwurf lautete, diese verstießen gegen Beschlüsse der Partei. Gleichzeitig begann sich eine Kontroverse um die Frage, welches Investitionsvolumen fiir das Programm der Eisenund Stahlindustrie verfügbar sein würde, abzuzeichnen, während tendenziell die Forderung nach technologischer Erneuerung an Bedeutung gewann. In der Konsequenz der abermaligen Auseinandersetzung wurden erneut Arbeitsgruppen gebildet. 213
MO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 37 - 43. Dr.-Ing. Dietrich Zauleck an den Ersten Sekretar des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Walter Ulbricht (Abschrift). Berlin, den 16.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 112 - 116. 212 Sektor Metallurgie: Infonnation über die Diskussion zum Metallurgieprogranun im Vo1kswirtschaftsrat am 13.12.1961. Berlin, den 16.12.1961. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 14fT. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, Brock an Genossen Dr. Apel, betr.: Entwurf des Programmes der Entwicklung und Produktion der Metallurgie im Jahre 1962. O. 0., 16.12.1961. SAPMOBAreh, ZPA, DY 301IV 212.029/Nr. 55, BI. 75 - 79. Leiter der Arbeitsgruppe, Henne: Bericht der Arbeitsgruppe zur Sitzung der Kreisleitung der SPK über die Arbeit am Metallurgie-Progranun. Berlin, den 5.2.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 37 - 43. 213 Erster Sekretar, Ulbricht an den Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Genossen Bruno Leuschner. O. 0., 6.2.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 133, BI. 140f. Abteilung Maschinenbau und Metallurgie: Stellungnalune zur
N. Ausarbeitung Wld VerabschiedWlg des Metallurgieprogramms
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Dennoch traten in der Folgezeit weitere Verzögerungen auf, wofiir nicht zuletzt der Umstand verantwortlich war, daß die sowjetische Delegation nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt, sondern erst im Juli in der DDR eintraf. Am 14.8.1962 diskutierte sodann die Leitung der Staatlichen Plankommission eine weitere Fassung des Metallurgieprograrnrns, wobei diese Sitzung und die sie begleitenden Ereignisse eine der maßgeblichen Kontroversen des folgenden Konflikts auslöste. Letztlich akzeptierte das Leitungsgremium der Plankommission den vorliegenden, unter Verantwortung der Abteilung Berg- und Hüttenwesen erarbeiteten, Programmentwurf im Grundsatz, meldete jedoch zu verschiedenen Punkten Nachbesserungsbedarf an. Im unmittelbaren Vorfeld dieser Beratung war das Investitionsvolumen, das dem Programm fiir die kommenden Jahre zugrunde gelegen hatte, deutlich gekürzt worden, während sich gleichzeitig mit den Bedarfsangaben der metallverarbeitenden Industrie und den Ausrüstungsbilanzen zwei weitere Eckpfeiler der avisierten Entwicklung zunehmend als nicht korrekt erwiesen. Im unmittelbaren Umfeld der Beratung in der Plankommission hatte zudem die sowjetische Spezialistendelegation, die inzwischen ihre Tätigkeit in der DDR abgeschlossen hatte, ihre Expertise zum vorliegenden Metallurgieprogramm erstattet und dieses prinzipiell befiirwortet. Das offizielle Votum unterschied sich allerdings nachhaltig vom Tenor interner Besprechungen der sowjetischen Vertreter mit dem Sektor Metallurgie im ZK, in denen erstere deutliche Kritik an der fehlenden Konkretisierung und Schwerpunktbildung dieses Entwurfs sowie an der Ausbauplanung des EKO äußerten. Wenige Wochen nach dem Beschluß der SPKLeitung legte schließlich auch die Arbeitsgruppe "Metallurgische Industrie" des Forschungsrates ein, im unmittelbaren Auftrag Ulbrichts erarbeitetes, grundlegendes Papier zur künftigen Entwicklung der metallurgischen Industrie vor. Dieses wurde u.a. dadurch geprägt, daß ein enger Zusammenhang zwischen der Entwicklung der zweiten und der Rekonstruktion sowie Modernisierung der ersten Verarbeitungsstufe, wie auch einer Preisreform herausgestellt wurde. Dies bedeute, die gesamte Verhüttungstechnik müsse in ihren wesentlichen Teilen auf die Belange der weiterverarbeitenden Produktionsstufen ausgerichtet werden. Mit den bisherigen Investitionen und technischen Ver-
,,Feindisposition zur Ausarbeitung des Programms ... ". Berlin, den 1l.2.1962. SAPMOBArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 44 - 57. Aktennotiz über die Beratung der Feindisposition des Metallurgieprogramms arn 14.2.62. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 58 - 64. Sekretariat des Ministerrates/stellvertretender Leiter, Korn: Beschlußprotokoll der 9l. Sitzung des Präsidiwns des Ministerrates arn 15.2.1962. O. 0., o. D. Anlage 11: Präsidiwn des Ministerrates: Beschluss über die Arbeit mit den so\\jetischen Delegationen filr Schwarzmetallurgie Wld Buntmetallurgie zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms vom 15.2.1962. O. O. BArch, DC-20 114-530, BI. 2 - 6, 132 - 135.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
besserungen sei zwar eine Produktionssteigerung erreicht, die Wirtschaftlichkeit jedoch ungenügend beachtet worden. 214 Einen weiteren Fluchtpunkt des Konflikts um das Metallurgieprograrnm bildete eine Entwicklung, die zunächst lediglich in indirektem Zusammenhang mit diesem stand: Von April bis Juni 1962 fanden in Moskau Wirtschaftsverhandlungen zwischen den sowjetischen und deutschen Planungsbehörden statt, welche die grundlegende volkswirtschaftliche Entwicklungsstrategie zur Stabilisierung der DDR erörterten. Die DDR war in diesem Kontext konkret daran interessiert, Kreditzusagen und Walzstahllieferungen zu erhalten, die über die bisherigen Vereinbarungen hinausgingen. Allerdings erfiillten sich beide Erwartungen nicht, wie es auch insgesamt zu Auseinandersetzungen über die strukturelle Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR kam. Deren Vertreter unterbreiteten dabei die Vorstellung, die DDR werde künftig ihre Volkswirtschaft insgesamt auf höherwertige, rentable und weniger materialintensive Erzeugnisse spezialisieren, im Bereich der Schwarzmetallurgie bedeute dies die vorrangige Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe. Jene Spezialisie214 Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen, Dr. Zauleck: Protokoll über die Beratung ,,Metallurgieprogramm 1963/1965" vom 21.6.1962 von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr - Teil Schwarzmetallurgie. Berlin, den 25.6.1962. SAPMOBAreh, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 133, BI. 247 - 267. Sektor Metallurgie: Information, betr.: Metallurgieprogramm. Berlin, den 4.7.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 85 - 88. Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen/der Leiter, Dr. Zauleck an den Vorsitzenden der SPK, Gen. Min. Mewis, an alle Stellvertreter der SPK, an den Hauptabteilungsleiter, Gen. Wellnitz, betr.: Metallurgieprogramm. Berlin, den 18.7.1962. Anlage: Metallurgieprogramm (I. Entwurf). o. 0., o. D. BAreh, DE-l/Nr. 25999, BI. 1 - 95. Staatliche Plankommission/Sekretariat, Marten an die Stellvertreter des Vorsitzenden und die Leiter der Hauptabteilungen der Staatlichen Plankommission. Berlin, den 11.8.1962. BAreh, DE-l/Nr. 15416, BI. Iff. Prof. Dr. Werner Lange, Leiter der Arbeitsgruppe Metallurgische Industrie, an den 1. Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Walter mbricht. O. 0., 20.9.1962. Anlage: Arbeitsgruppe Metallurgische Industrie: Grundlinie und wichtigste Probleme der perspektivischen Entwicklung der metallurgischen Industrie der Deutschen Demokratischen Republik. Freiberg, den 20.9.1962. SAPMO-BArch, ZPA, NY 4182/Nr. 883, BI. 34 - 46. SED-Hausmitteilung: Abteilung Planung und Finanzen, Böhm an Genossen Dr. Mittag. Berlin, den 12.1 0.1962. Anlage: Einschätzung des gegenwärtigen Standes der Ausarbeitung der Programme. Berlin, den 12.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 247, BI. 245 - 250. Dr.-Ing. Dietrich Zauleck: Stellungnahme zwn Metallurgieprogramm im Aufuage des Genossen Dr. Mittag, Sekretär im ZK der SED. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 100 - 109. SEDHausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogramms der SPK vom 20.10.1962. O. 0.,25.10.1962. Anlage 2: Sektor Metallurgie: Information, betr.: Auszüge aus den Hinweisen der so\\jetischen Genossen zwn Metallurgieprogramm. Berlin, den 15.10.1962. Anlage 3: Sektor Metallurgie: Chronologie, betr.: Ablauf der Ausarbeitung des Programmes zur weiteren Entwicklung der metallurgischen Industrie der DDR. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 1,81 - 85,89 - 95.
N. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms
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rungsvorstellungen trafen in Teilen auf den Widerstand der so\\jetischen Verhandlungspartner, welche auf einen rascheren Ausbau der Grundstoffindustrien drängten. In bezug auf die Eisen- und Stahlindustrie forderten sie beispielsweise, den kosten- und zeitaufwendigen Aufbau des Eisenhüttenkombinats hintanzustellen und v.a. durch den Ausbau des Stahlwerks Brandenburg einen rascheren Ausbau der Stahlkapazitäten zu erreichen. Dies hätte jedoch bedeutet, die Einführung neuer Technologien (LD-, Warmbreitband-, Kaltwalztechnologie) zugunsten einer unmittelbaren Produktionssteigerung auf der Grundlage der Siemens-Martin-Technik (Brandenburg) weiter zu verschieben. Zudem implizierten die so\\jetischen Vorschläge den weiteren Ausbau der Massenstahlerzeugung und waren damit inkompatibel mit den Beschlüssen der SED zur forcierten Erzeugung von Qualitätsprodukten und Gütern der zweiten Verarbeitungsstufe. Dennoch gingen die in Moskau anwesenden Vertreter der Abteilung Berg- und Hüttenwesen zeitweise auf die Vorstellungen der Verhandlungspartner ein und erarbeiteten Betrachtungen, welche die Alternativen der vorrangigen Entwicklung von Eisenhüttenstadt und Brandenburg gegenüberstellten. Letzten Endes wurde die Kontroverse durch das Politbüro der SED beendet, welches klarstellte, die Entwicklung des EKO auf der Basis der neuesten Technologie müsse Priorität genießen. Damit setzte sich in dieser Auseinandersetzung die DDR - jedenfalls formal - gegenüber den so\\jetischen Vorstellungen, die offenbar vor allem an einer Entlastung ihrer eigenen Eisen- und Stahlindustrie, interessiert waren, durch. Allerdings signalisierten die Verhandlungen der DDR-Seite gleichzeitig die Notwendigkeit einer rascheren Steigerung der Roh- und Walzstahlerzeugung, da zusätzliche Lieferungen der UdSSR unwahrscheinlich waren. m
2lS Probleme der Entwicklung und Profilierung des Maschinenbaus der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin, den 1.6.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 233 - 239. 10. fuformation über die Wirtschaftsverhandlungen DDR /udSSR. Moskau, den 18.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 31 - 37. Dieter Zauleck an Genossen Buchholz (Abschrift von handschriftlichem Schreiben). Moskau, den 20.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 80f. Müller: Zu Problemen der Metallurgie. (Durchgestrichen: Berlin, den 22.5.1962). SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 53 - 57. Aktennotiz über die Beratung am 18. Mai 1962. Moskau, den 22.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 313 - 318. Auszug aus dem Protokoll der 3. Sitzung des Vorstandes und des Vorstandsrates des Forschungsrates am 14. Juni 1962. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 82 - 84. Staatliche Plankommission/Abteilung Berg- und Hüttenwesen, Dr. Zauleck: Protokoll über die Beratung ,,Metallurgieprogramm 1963/1965" vom 21.6.1962 von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr - Teil Schwarzmetallurgie. Berlin, den 25.6.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30/lV 2/6.04/Nr. 133, BI. 247 - 267. Stellungnalune Hugo Meiser (Abschrift). Berlin, den 30.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 150 - 159. Staatliche Plankommission, Mewis an den Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Dr. Mittag. Berlin, den 14.9.1962. Anlage: Bericht über Erfahrungen und Hinweise, die es zur Verbesserung der Planung in der DDR aus
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
2. Die Eskalation des Konflikts um das Metallurgieprogramm Nach der Beratung des Metallurgieprogramms in der Leitung der Staatlichen Plankommission (Mitte August 1962) begann der Konflikt um dieses Programm zu eskalieren und erreichte im Oktober und November dieses Jahres seinen Höhepunkt. Im Verlauf der Auseinandersetzung, die sich vordergründig an den neuerlichen Defiziten des im August beratenen Entwurfs entzündete, wurden leitende Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission von verschiedenen Parteigremien beschuldigt, die Ausarbeitung des Programms durch ihr fehlerhaftes Verhalten behindert zu haben. Konkret wurde gegen den Leiter der Abteilung Berg- und Hüttenwesen (August 1961 - August 1962), Dietrich Zauleck, den Leiter des Sektors Schwarzmetallurgie und stellvertretenden Abteilungsleiter, Wolfgang Müller, sowie gegen den Leiter der Hauptabteilung Grundstoffindustrie (bis Juni 1962) und stellvertretenden Vorsitzenden der SPK, Hugo Meiser, ein Parteiverfahren eröffnet. Nachdem der Vorsitzende der Plankommission, Mewis, zugunsten seines Stellvertreters interveniert hatte, wurde dieses jedoch Anfang November eingestellt und den Beschuldigten lediglich eine Mißbilligung ausgesprochen. Für Zauleck, der bereits im August 1962 als Abteilungsleiter abgelöst worden war, empfahl das Büro der SEDKreisleitung der Staatlichen Plankommission darüber hinaus die Versetzung in einen Betrieb. Zwischenzeitlich hatte eine Parteikommission, die auf Beschluß der Kreisleitung installiert worden war, die Abläufe und Verantwortlichkeiten bei der Formulierung des Metallurgieprogramms untersucht. Diesen "Beschuldigten" standen als "Ankläger" verschiedenen Parteigliederungen gegenüber, wobei die Abteilung Maschinenbau und Metallurgie im ZK als treibende Kraft fungierte. Darüber hinaus wurde zeitweise auch der Wirtschaftssekretär des Zentralkomitees, Günter Mittag, mit der Angelegenheit befaßt, weitere Beteiligte waren die Parteiorganisation der SPK mit ihren Untergliederungen im Bereich der Grundstoffindustrie und des Berg- und Hüttenwesens. 216 den Moskauer BeratWlgen im Mai/Juni 1962 gibt. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 212.021/Nr. 247, BI. 167 - 177. Aktennotiz über die BOrositzung der KreisleitWlg der SPK am 2.11.1962. Berlin, den 5.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 183 - 201. 216 SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogramms der SPK vom 20.10.1962. O. 0., 25.10.1962. Anlage 3: Sektor Metallurgie: Chronologie, betr.: Ablauf der AusarbeitWlg des Programmes zur weiteren Entwicklung der metallurgischen Industrie der DDR. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 74, 89 - 95. SED-Hausmitteilung: Abteilung Planung und Finanzen, Böhm an Genossen Dr. Mittag. Berlin, den 12.10.1962. Anlage: Einschätzung des gegenwärtigen Standes der AusarbeitWlg der Programme. Berlin, den 12.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 247, BI. 245 - 250. Dr.-Ing. Dietrich Zauleck an den Ersten Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen
N. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms
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Inhaltlich thematisierten die Akteure im Verlaufe der Auseinandersetzung eine breite Themenpalette, die insgesamt den problematischen Zustand der Metallurgie, und hier v. a. der Eisen- und Stahlindustrie, aber auch der diesbezüglichen Planungsmechanismen reflektierten. Neben Fragen wie der fehlenden Schwerpunktsetzung, der materiellen Bilanzierung des Programms, den Wegen zur Erreichung des wissenschaftlich-technischen Höchststands kreisten die Kritik und Selbstkritik im Kern um drei Fragen: J. Objektive versus subjektive GrlJnde fiJr die Verzt'Jgerung der Programmerstellung: Mit dieser Konfliktdimension brach die bereits seit längerem virulent vorhandene Divergenz der Problemwahmehmung zwischen staatlichen Planungsorganen und zuständigen Parteiinstitutionen auf. Nunmehr argumentierten die inkriminierten Führungskräfte der Staatlichen Plankommission, die Ausarbeitung des Metallurgieprogramms habe aus sachlichen Gründen nicht vor dem August 1962 erfolgen können. Dem widersprachen die involvierten Vertreter der SED-Gliederungen mit dem Vorwurf, verantwortlich für die Probleme sei in erster Linie das fehlerhafte Verhalten und mangelnde politische Bewußtsein der zuständigen Akteure in der SPK. Konkret wiesen vor allem Zauleck und Meiser darauf hin, für die geforderte Programmerstellung hätten ihnen lange Zeit genaue Informationen bzw. Vorgaben zu folgenden Fragen gefehlt: a) Übereinstimmung zwischen der DDR und der UdSSR über Produktion, Bedarf und Import von metallurgischen Rohstoffen und Fertigerzeugnissen; b) exakte Angaben des Maschinenbaus über den Bedarf an Walzstahl und anderen metallurgischen Erzeugnissen; c) Klarheit über die Höhe der mittelfristig verfiigbaren Investitionen für Rekonstruktion und Erweiterung; d) materielle Verfiigbarkeit der benötigten Ausrüstungen. Bereits in seinem Schreiben an Ulbricht vom 16.10.1962 stellte Zauleck seine Position klar, wonach diese Voraussetzungen erst im Frühjahr 1962 im Umfeld der MoskauWalter mbricht (Abschrift). Berlin, den 16.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 112 - 116. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag. O. 0.,25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 212.021/Nr. 557, BI. 67 - 69. Stellungnalune Hugo Meiser (Abschrift). Berlin, den 30.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 150 - 159. Aktennotiz über die Bürositzung der Kreisleitung der SPK am 23.10.1962. Berlin, den 25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 117 - 134. Putzke: Aktennotiz über eine Beratung des Büros der Kreisleitung der SPK am 30.10.1962 zur Fortfllhrung der Auseinandersetzung mit den Genossen Dr. Zauleck, Meiser und Wolfgang Müller. Berlin, den 30.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 169 - 175. Beschluß des Büros der Parteileitung vom 2.11.1962. o. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 212.021/Nr. 557, BI. 55 - 57. Zum System der SED-Kreisleitungen in Ministerien und der Staatlichen Plankonunission siehe: Prieß, Lutz: Die Kreisleitungen der SED im politischen Herrschaftssystem der DDR - ihre Strukturen und Aufgaben. Ein Überblick, in: Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Bd. II/4, op. cit, S. 2464 2508.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
er Verhandlungen geschaffen worden seien. Vor diesem Zeitpunkt sei die Ausarbeitung des Programms unverantwortbar gewesen, da sie zu gravierenden ökonomischen Problemen gefiihrt hätte. In ihrer Substanz thematisierte diese Einschätzung das nicht zu leugnende Problem, daß das Metallurgieprogramm ohne einen gültigen Perspektivplan ausgearbeitet werden mußte, und den Planem damit keine verläßliche Planungsgrundlage für ein Branchenprogramm zur Verfügung stand. 2l1 Dieses Defizit mußte um so gravierender erscheinen, als die Vorgabe explizit lautete, ein bilanziertes, also materiell und finanziell abgesichertes, Programm auszuarbeiten. Auf der Bürositzung der Kreisleitung der Plankommission wandte sich demzufolge Meiser explizit gegen die personalisierende und tendenziell voluntaristische Sichtweise, die im Parteiapparat vorherrschte: ,,Ich bin mit dem Bericht der Parteikommission, der hier gegeben wurde, nicht einverstanden, da er einseitig ist und alle diese objektiven Dinge, wie ich sie anfilhrte, und die eine frühere Erarbeitung des Metallurgieprogramms verhindern mußten, nicht berücksichtigt. Es sind doch nicht nur ideologische Gründe, die die Erarbeitung des Metallurgieprogramms verzögert haben. Ich bin auch nicht einverstanden, daß es bei mir ideologische Unklarheiten geben soll, und ich bin auch nie gegen eine Programmplanung gewesen. Ich habe sie immer filr notwendig gehalten. Andererseits vertrete ich die Auffassung, daß es auch ohne Perspektivplan möglich gewesen wäre, eine einheitliche Grundrichtung zur Entwicklung unserer Metallurgie ausarbeiten zu können. (Hervorheb. im Orig. - st. U.),üIB
Ungeachtet gewisser Konzessionen erhielten Zauleck und Meiser diese auf die strukturellen und sachlichen Probleme der Programmformulierung bezogene Argumentation, trotz drohender Parteistrafen, im Grundsatz aufrecht. Allerdings gelang es ihnen damit nicht, ihre Kontrahenten zu überzeugen, da diese Begründung offensichtlich dem Selbstverständnis der Parteiorgane substantiell widersprach. Letztlich gingen die Parteivertreter überhaupt nicht konkret auf die Einlassungen ein, sondern hielten ihnen - neben vielen kleinli-
217 Dr.-Ing. Dietrich Zauleck an den Ersten Sekretar des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Walter Ulbricht (Abschrift). Berlin, den 16.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 112 - 116. Aktennotiz: Mitgliederversammlung der Parteigruppe der Abteilung Berg- und Hüttenwesen der Staatlichen Plankommission am 16.10.1962. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 98 - 111. Dr.-Ing. Dietrich Zauleck: Stellungnalune zum Metallurgieprogramm im Auftrage des Genossen Dr. Mittag, Sekretar im ZK der SED. Berlin, den 18.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 1 - 10. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, F. Brock an Genossen Dr. Mittag. Berlin, den 25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 67 - 69. Stellungnalune Hugo Meiser (Abschrift). Berlin, den 30.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 150 -159. 218 Aktennotiz über die Bürositzung der Kreisleitung der SPK am 23.10.1962. Berlin, den 25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 117 - 134; hier: BI. 126.
IV. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogranuns
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chen Anschuldigungen ("kleinbürgerliche Herkunft" etc.) - entgegen, die Bewältigung dieser Schwierigkeiten sei schließlich die Aufgabe der Staatlichen Plankommission, welche bei richtiger Beachtung der Parteibeschlüsse und mit dem korrekten politischen Bewußtsein möglich gewesen wäre. Darüber hinaus wurde zudem insinuiert, die Aussage, vor dem August 1962 sei die Ausarbeitung des Programms unmöglich gewesen, impliziere, daß die Parteiruhrung, als sie bereits im Juni 1961 ein Metallurgieprogramm forderte, im Unrecht gewesen sei - dies allerdings stellte im Machtsystem der DDR einen sehr gravierenden Vorwurf dar. Zugespitzt warfen verschiedene Vertreter den Verantwortlichen der SPK vor, sie hätten mit ihrem Handeln Beschlüsse höchster Parteigremien mißachtet, da sie von ihrer Richtigkeit letztlich nicht überzeugt gewesen seien. Diese Anschuldigungen wurden im Verlauf des Konfliktes um verschiedene Variationen erweitert. Beispielsweise wurde die Frage formuliert, warum die Beschuldigten mit ihren Problemen nicht die Beratung in den zuständigen Parteigremien gesucht hätten, scheinbar - so die Schlußfolgerung hätten sie diesen nicht zugetraut, sie bei der Problembewältigung unterstützen zu können (,,Mißachtung des Kollektivs"). Auch dieses Argument implizierte letzten Endes, daß eine Überheblichkeit gegenüber der SED zu den Problemen und Zeitverzögerungen gefiihrt habe. Im Ergebnis setzte sich schließlich dieses, subjektiv und voluntaristisch sowie von der "Machbarkeit" geprägte Wahrnehmungsmuster durch, was angesichts der realen Macht der Sozialistischen Einheitspartei kaum verwundert. Auf der Sitzung des Büros der Kreisleitung der SPK am 2.11.1962, welche Zauleck, Meiser und Müller eine Mißbilligung aussprach, formulierte ein Teilnehmer folgerichtig, Ziel der gesamten Diskussion sei es gewesen, Klarheit zu schaffen, daß die Beschlüsse der Partei Gesetz und unbedingt durchzufiihren seien. In diesem Sinne sei es unvertretbar, daß Zauleck immer noch von objektiven Gründen rur das bisherige Scheitern des Metallurgieprogramms spreche. 219 Zwar war die SED mit diesem disziplinierenden Vorgehen in der Lage, die Diskussion in ihrem Sin219 Aktennotiz über die Bürositzung der Kreisleitung der SPK am 2.11.1962. Berlin, den 5.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 183 - 201. Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, F. Brock an Genossen Dr. Mittag. O. 0., 20.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 132, BI. 21 - 24. Aktennotiz über die Bürositzung der Kreisleitung der SPK am 23.10.1962. Berlin, den 25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 117 - 134. SEDParteileitung Staatliche Plankommission: Protokoll der 19. Bürositzung vom Dienstag, den 23.10.1962. Berlin, den 26.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 18 - 47. Redebeitrag fiIr die Sitzung der Parteileitung der SPK. Berlin, den 2.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 48 54. SED-Parteiorganisation Staatliche Plankommission, Schemer: Protokoll der 20. Bürositzung vom 2. November 1962. Berlin, den 6.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 58 - 66. Aktennotiz über die Mitgliederversammlung der Grundorganisation Grundstoffmdustrie der SPK am 5.11.1962. Berlin, den 19.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 205 - 213.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
ne zu beenden.jedoch waren die objektiven Probleme der fehlenden volkswirtschaft1ichen Perspektive mit dem Ende der Diskussion keinesfalls beseitigt.
2. Massenstahl versus zweite Verarbeitungsstuje: Eine weitere Variation des Vorwurfs, es seien Parteibeschlüsse mißachtet worden. richtete sich gegen den früheren Leiter der SPK-Abteilung Berg- und Hüttenwesen. Dietrich Zauleck. Ihm wurde vorgeworfen, im Verlauf der Ausarbeitung des MetaIlurgieprograrnrns entgegen der gültigen branchenpolitischen Linie der Partei, den Ausbau der Massenstahlproduktion statt der zweiten Verarbeitungsstufe favorisiert zu haben. Damit thematisierte der Konflikt explizit auch die technologische und Spezialisierungskonzeption der Eisen- und Stah1industrie. Konkret bezogen sich die Anschuldigungen auf die Ereignisse im Umfeld der Moskauer Gespräche vom Frühjahr 1962: In diesem Zusammenhang habe Zauleck sich dafür ausgesprochen. die prognostizierten Stah1engpässe vor allem durch einen Ausbau des auf traditioneller Technologie beruhenden Siemens-MartinWerks in Brandenburg zu beseitigen und dafür die branchenpolitisch favorisierte Errichtung eines modemen LD-Stah1werks, einer Warmbreitband- sowie einer Kaltwalzstraße im Eisenhüttenkombinat Ost zurückzustellen. Diese Überlegung, so der Tenor der Kritik, habe sich diametral gegen die gültigen Beschlüsse zum forcierten Ausbau der zweiten Verarbeitungsstufe sowie zur Einfiihrung modernster Technologien gerichtet. Im Zuge der Auseinandersetzung wurde damit die Diskussion auf die Alternativen Brandenburg versus EKO, Siemens-Martin-Technik versus Sauerstoff-Aujblastechnik und schließlich Massenstahl versus zweite Verarbeitungsstufe zugespitzt. Dabei erhielten diese, zunächst technologischen und ökonomischen Alternativen einen eminent politischen Gehalt. Deutlich wird das nicht zuletzt daran, daß diese Kritik zumeist unter der Kurzform, Zauleck sei ein Anhänger der Massenstahlideologie subsumiert wurde. In der Tat hatte Zauleck im Umfeld der Moskauer Verhandlungen die hier dargestellten Varianten überprüft und sie einander gegenübergestellt. In einem Schreiben an den Abteilungsleiter SchwarzmetaIlurgie im Volkswirtschaftsrat, hatte er allerdings auch den Kontext in welchem diese Überlegungen notwendig geworden waren. skizziert. Gleichzeitig hatte Zauleck angedeutet, daß er persönlich den raschen Ausbau von Brandenburg favorisiere, um den quantitativen Stah1bedarf der DDR kurzfristig befriedigen zu können. Auf die nunmehr gegen ihn erhobenen Anschuldigungen entgegnete Zauleck, er sei niemals ein Anhänger der "Massenstahlideologie" gewesen, im Gegenteil habe er sich bereits vor dem V. Parteitag für die Spezialisierung der SchwarzmetaIlurgie auf die zweite Verarbeitungsstufe und eine qualitätsorientierte Produktion eingesetzt. Der Vorschlag, den er im Frühjahr aus Moskau unterbreitet habe, habe sich folglich nicht gegen die betreffenden Parteibeschlüsse gerichtet, sondern ausschließlich kurzfristige Maßnahmen überprüft, durch die der Ausbau des EKO im Interesse einer raschen Produktionssteigerung lediglich um zwei bis drei Jahre verzögert worden wäre. Zudem seien diese Überlegungen erst im Verlaufe der Moskauer Verhandlungen und zwar aufDruck der so\\jetischen Vertreter, die sich für einen Ausbau der Mas-
N. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms
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senstahlerzeugung der DDR einsetzten. zustande gekommen. Eben dies griffen die Vertreter der SED in ihrer Kritik an Zauleck nicht auf, da es offensichtlich nicht opportun war, die UdSSR der ,,Massenstahlideologie" zu zeihen. Tatsächlich hatte die sowjetische Expertendelegation im August in den internen Gesprächen diese Vorschläge aus den Moskauer Verhandlungen erneuert. Im Ergebnis hielt Zauleck seine Position aufrecht und wies die Kritik, ein Gegner der zweiten Verarbeitungsstufe zu sein. bis zum Ende der Kontroverse im November prinzipiell zurück. Dabei scheint dieser Streitpunkt im Verlaufe der Auseinandersetzung insgesamt an Bedeutung verloren zu haben. 22o
3. Kooperation mit den Wissenschaftlern: Ein dritter zentraler Vorwurfbezog sich auf das Verhalten Zaulecks und Müllers gegenüber der wissenschaftlichen Intelligenz der Metallurgie. Vorgeworfen wurde den Funktionären der Plankommission allgemein. sie hätten in ihrer Leitungstätigkeit die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der Branche vernachlässigt und damit "sektiererische Einstellungen" an den Tag gelegt. Durch die mangelhafte Einbeziehung der Vertreter der Wissenschaft bei der Erarbeitung des Metallurgieprogramms und die ungenügende Berücksichtigung ihrer Vorschläge und Expertisen sei es zu Verzögerungen bei der Programmformulierung gekommen. An diesem Punkt konzedierten Zauleck und vor allem Müller eine Reihe eigener Versäumnisse und kamen damit dem Gebot der Selbstkritik nach. Allerdings wiesen sie auch darauf hin, daß die Kooperation mit einzelnen Wissenschaftlern. konkret Prof. Dr. Küntscher, sich als äußerst problematisch erwiesen und sich die Zusammenarbeit durch mancherlei Empfindlichkeiten der Wissenschaftler insgesamt schwierig gestaltet habe. 221 220 Dr.-Ing. Dietrich Zauleck: Stellungnahme (Abschrift). Berlin, den 28.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 135 - 149. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogramms der SPK vom 20.10.1962. O. 0.,25.10.1962. Anlage 2: Sektor Metallurgie: Information, betr.: Auszüge aus den Hinweisen der so\\jetischen Genossen zwn Metallurgieprogramm. Berlin, den 15.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 1, 81 - 85. Dieter Zauleck an Genossen Buchholz (Abschrift von handschriftlichem Schreiben). Moskau, den 20.5.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 80f. Aktennotiz Ober die BOrositzung der Kreisleitung der SPK am 23.10.1962. Berlin, den 25.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 117 - 134. SED-Parteileitung Staatliche Plankommission: Protokoll der 19. BOrositzung vom Dienstag, den 23.10.1962. Berlin, den 26.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 212.021/Nr. 557, BI. 18 - 47. SEDParteiorganisation Staatliche Plankommission, Scheffier: Protokoll der 20. BOrositzung vom 2. November 1962. Berlin, den 6.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021INr. 557, BI. 58 - 66. 221 SED-Parteileitung Staatliche Plankommission: Protokoll der 19. Bürositzung vom Dienstag, den 23.10.1962. Berlin, den 26.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021/Nr. 557, BI. 18 - 47. Wolfgang Müller: Stellungnahme zur Ausarbeitung des Metallurgieprogramms. Berlin, den 28.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 134, BI. 160 - 168. Dr.-Ing. Dietrich Zauleck: Stellungnahme
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Zeitgleich mit diesen Auseinandersetzungen legte die Staatliche Plankommission am 20.10.1962 einen neuen, überarbeiteten Entwurf des Metallurgieprogramms vor, der sogleich von der ZK-Abteilung Maschinenbau und Metallurgie lediglich als Arbeitsgrundlage eingestuft wurde, die es weiter zu konkretisieren gelte. Für dieses Vorgehen plädierte auch die Gruppe Hüttenwesen des Forschungsrates in ihrer Sitzung am 26.11.1962, in der verschiedene Mitglieder sich durchaus kritisch zu den Festlegungen des Entwurfs hinsichtlich des wissenschaftlich-technischen Höchststands, der zweiten Verarbeitungsstufe wie auch zur Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen äußerten. Wahrscheinlich waren diese Forderungen der Grund dafiir, daß abermals einige Monate vergingen, bis das Metallurgieprogramm schließlich vom Ministerratspräsidium beschlossen werden konnte. Parallel wurden in diesem Zeitraum allerdings Maßnahmen zur Absicherung der Implementation der Sauerstoffaufblastechnik und des Stranggießens in der DDR eingeleitet, die offensichtlich auch ohne ein bestätigtes und verbindliches Branchenprogramm möglich waren. 222
(Abschrift). Berlin, den 28.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04INr. 134, m. 135 - 149. Redebeitrag filr die Sitzung der Parteileitung der SPK. Berlin, den 2.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021INr. 557, BI. 48 - 54. SEDParteiorganisation Staatliche Plankommission, Scheffier: Protokoll der 20. Bürositzung vom 2. November 1962. Berlin, den 6.11.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30llV A 2/2.021INr. 557, BI. 58 - 66. 222 Stellvertreter des Vorsitzenden der SPK, Wyschofsky an den l. Sekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Genossen Walter Ulbricht. Berlin, den 20.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 134, BI. 95tI Progranun zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin, den 20.10.1962. BAreh, DE-IlNr. 1677, BI. 1 - 1Ol. SED-Hausmitteilung: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie an Genossen Dr. Mittag, betr.: Entwurf des Metallurgieprogranuns der SPK vom 20.10.1962. O. 0., 25.10.1962. Anlage 1: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie: Stellungnahme zum Entwurf des Metallurgieprogranuns der Staatlichen Plankommission vom 20.10.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021INr. 557, BI. 1 - 8. Volkswirtschaftsrat der DDR/Abteilung Schwarzmetallurgie/der Leiter an die VVB Stahl- und Walzwerke, Hauptdirektor Gen. Menzel, betr.: Weiterfilhrung der Arbeiten am Metallurgieprogranun. Berlin, o. D. Eingangsstempel 7.1l.[1962). LAB (STA), Rep. 6161Nr. 125. Aktennotiz über die Beratung der Gruppe Hüttenwesen des Forschungsrates der DDR am 26.11.1962. Thema: Stellungnahme zum Entwurf des Metallurgieprogranuns vom 20.10.1962. O. 0., o. D. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04lNr. 134, BI. 216 230. Information über die Stellvertreterberatung der SPK zu Problemen der Entwicklung des Berg- und Hüttenwesens bis 1970. Berlin, den 22.12.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/2.021INr. 247, BI. 432 - 434. Prof. Küntscher: Bericht über eine Delegationsreise in die So\\jetunion zur Klarstellung der Fragen: Sauerstoffaufblasverfahren und Strangguß. Hennigsdorf, den 26.1.1963. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/6.04INr. 365, BI. 3 - 1l. Abteilung Maschinenbau und Metallurgie, F. Brock an das Büro Dr. Mittag, Genossen Ermlich. O. 0., 15.5.1963. Anlage: Abteilung Maschinenbau und Metallurgie: Vorlage filr das Büro filr Industrie und Bauwesen beim Politbüro des ZK, betr.: Konzeption zur Unterstützung und Kontrolle der Parteiorganisationen
N. Ausarbeitung Wld VerabschiedWlg des Metallurgieprogramms
287
3. Die Verabschiedung des Metallurgieprogramms im Präsidium des Ministerrates Als das Präsidium des Ministerrates am 27.6.1963 den eingangs erwähnten Beschluß zum Metallurgieprogramm verabschiedete, hatte mit dem VI. Parteitag der SED (Januar 1963) bereits offiziell die Phase der Wirtschaftsreformen in der DDR begonnen (siehe Teil 5, V). Allerdings lag dem Ministerratspräsidium auch nach zwei Jahren AIbeit immer noch kein Entwurf vor, der abschließend als das verbindliche, mittelfristige Entwicklungsprogramm der Branche hätte gelten können. Die konkrete Formulierung des Beschlusses unterstreicht dies insofern nachhaltig, als das ,,Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der Deutschen Demokratischen Republik" ausdrücklich als Arbeitsgrund/age für alle tangierten Organe bestätigt wurde. Dementsprechend wurde der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission beauftragt, das Metallurgieprogramm der Ausarbeitung des Perspektivplans 1964 - 1970 zugrunde zu legen und die vorgeschlagenen Aufgaben für die Jahrespläne und den Perspektivplan zu präzisieren. Die Frage nach dem Verhältnis von Branchenprogramm und Perspektivplan, wurde damit letztlich so beantwortet, daß ersteres den verbindlichen und konkretisierten Perspektivplan nicht ersetzen, sondern lediglich dessen Grundlage abgeben sollte. Offenbar bewertete das Präsidium des Ministerrates das vorliegende Metallurgieprogramm auch im Hinblick auf die technologische Entwicklung als konkretisierungsbedürftig. Jedenfalls erteilte es dem Staatssekretär für Forschung und Technik den Auftrag, in Kooperation mit dem Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates auf der Grundlage der im Programm definierten Hauptrichtung der Anwendung von Wissenschaft und Technik die nötigen Maßnahmen zu deren Realisierung festzulegen. In ähnlicher Weise erging an den SPKVorsitzenden die Weisung, zur Absicherung der Durchführung des Metallurgieprogramms den Bedarf an Ausrüstungen für die Metallurgie durch ein spezielles Programm des Maschinenbaus zu sichern. Abschließend forderte das Ministerratspräsidium die jährliche Überarbeitung und Ergänzung des Metallurgieprogramms unter Berücksichtigung der neuesten Erkenntnisse des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Dieser Beschluß sowie das Metall-
bei der Vorbereitung Wld Einftlhrung des SauerstofTaufblasverfahrens (LD-Verfahren) Wld des Stranggießens in der metallurgischen fudustrie der DDR. Berlin, den 7.5.1963. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/6.04/Nr. 364. VolkswirtschaftsratlAbteilWlg Schwarzmetallurgie/der Leiter, Buchholz an das ZK der SED, Genossen Brock, betr.: Reisebericht über die vom 5.12. bis 28.12.1962 durchgefllhrte Expertenreise in die SU zu den Themenkomplexen SauerstofTaufblasverfahren Wld Strangguß Wlter LeitWlg von Prof. Küntscher. Berlin, den 20.6.1963. Anlage: Küntscher: Dienstreisebericht über die vom 5.12. bis 28.12.1962 durchgefllhrte Expertenreise in die So\\jetunion zu den Themenkomplexen SauerstofTaufblas-Verfahren Wld Strangguß. Hennigsdorf, den 11.5.1963. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV A 2/6.04/Nr. 365.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
urgieprogramrn selbst wurden als "Vertrauliche VerschIußsache" eingestuft, so daß die somit gebotene Geheimhaltung einem umfassenden Informationsfluß in der Branche und den Betrieben entgegenstand. 223 Der mit dieser Beschlußfassung angemeldete Nachbesserungsbedarf muß insofern verwundern, als das Metallurgieprogramm mit über 200 Seiten eine durchaus voluminöse und umfassende Ausarbeitung darstellte. Inhaltlich behandelte es, jeweils für die Eisen- und Stahl- sowie die Nichteisenindustrie, folgendes Themenspektrum: 1. Stellung der Metallurgie in der Volkswirtschaft, ihre bisherige Entwicklung und technisch-ökonomischen Grundlagen; 2. Hauptrichtung der Entwicklung bis 1970 und Tendenzen bis 1980; 3. Hauptrichtung der Anwendung von Wissenschaft und Technik; 4. Konzeption zur Spezialisierung der metallurgischen Produktion unter Berücksichtigung der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung; 5. Maßnahmen zur Entwicklung der Schwarzmetallurgie, insbesondere der zweiten Verarbeitungsstufe und zur Erzeugung von Qualitäts- und Edelstählen bis 1970 und Hauptaufgaben bis 1980; 6. Entwicklung der Buntmetallurgie bis 1980; 7. Aufgaben in der Energiewirtschaft der Metallurgie, Deckung ihres Bedarfs an Hauptenergieträgern; 8. Maßnahmen zur materiell-technischen Sicherung der Durchfiihrung des Metallurgieprogramms; 9. Deckung des Bedarfs an Arbeitskräften und wissenschaftlich-technischen Kadern; 10. Grundsätze zur Planung und Leitung der Metallurgie. 224 In bezug auf die Schwarzmetallurgie enthielt das Programm inhaltlich folgende zentrale Aussagen: Einen der wesentlichen Ausgangspunkte bildete die Erkenntnis, daß trotz aller im Zuge der "Störfreimachung" erzielten Teilerfolge die Volkswirtschaft der DDR immer noch durch eine ausgeprägte Importabhängigkeit bei Erzeugnissen der Schwarzmetallurgie, insbesondere bei Gütern der zweiten Verarbeitungsstufe, geprägt wurde. Diese Situation wurde erneut als "StöranfiUIigkeit" gegenüber den westlichen Staaten bewertet. Zudem verursache diese Abhängigkeit vom Import teurer Eisen- und Stahlerzeugnisse eine enorme volkswirtschaftliche Belastung der DDR, die sich insbesondere als Devisenbelastung äußere. Demgegenüber gestatteten die in der DDR vorhandenen Rohstoffe und die hieraus erwachsende Transportsituation keinen großzügigen und forcierten Ausbau der metallurgischen Produktion, eigene Rohstoffe sollten grundsätzlich nur eingesetzt werden, wenn dies unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vertreten werden könne. Bereits durch diese 223 Präsidiwn des Ministerrates: Beschluß zwn Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der DDR vom 27.6.1963. O. O. Vertrauliche Verschlußsache. BArch, DC-20 114-750, BI. Iff. 224 Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie in der DDR vom 27.6.1963. O. O. Vertrauliche Verschlußsache. BArch, DC-20 114-750, BI. 4 - 214. Soweit nicht anders vermerkt, beziehen sich sämtliche folgenden Ausfilhrungen auf diese Quelle.
IV. Ausarbeitung und Verabschiedung des Metallurgieprogramms
289
Festlegung hob sich das Metallurgieprogramm des Jahres 1963 signifikant von den Vorstellungen, welche den Aufbau der Eisen- und Stahlindustrie zumindestens bis 1953 geleitet hatten, ab. Im Anschluß an diese Überlegungen bewertete das Metallurgieprogramm den Zustand und die technisch-ökonomische Leistungsfähigkeit der Metallurgie. Erneut zeigte sich dabei ein Bewußtsein von den gravierenden Defiziten der Branche und der daraus resultierenden Rückständigkeit im internationalen Vergleich: ,,Der gegenwärtig erreichte teclmische und ökonomische Zustand des Industriezweiges ist im Vergleich zu anderen hochentwickelten Industriestaaten insgesamt unbefriedigend. Die Arbeitsproduktivität der Schwamnetallurgie der Deutschen Demokratischen Republik (Roheisen, Rohstahl und Walzstahl) liegt, gemessen zu (sie!, st. U.) Natura1einheiten je Arbeitskraft, weit unter den vergleichbaren Werten der UdSSR, Westdeutschlands und teilweise der CSSR.,,22S
Als Ursachen:für diese Problemlage führte das Programm ein breites Spektrum von Faktoren an, wobei die unbefriedigende technische Entwicklung der Schwarzmetallurgie an vorderster Stelle rangierte: Mit wenigen Ausnahmen seien die neuesten technologischen Entwicklungen bislang noch nicht in der Eisen- und Stahlindustrie der DDR eingeführt worden, dies betreffe insbesondere die Innovation der Sauerstoffmetallurgie, v.a. des Aufblasverfahrens, des Stranggießens sowie den Einsatz vollkontinuierlicher Walzstraßen. Als weitere Faktoren, welche :für die ungenügende Arbeitsproduktivität verantwortlich seien, wurden benannt: Die strukturelle Dominanz von Klein- und Mittelbetrieben, das Fehlen (Ausnahme: Maxhütte) integrierter Hüttenwerke und die damit verbundene Notwendigkeit des Einsetzen kalten Roheisens in den Stahlwerken, die werksinternen Disproportionen zwischen den einzelnen Produktionsstufen und die Notwendigkeit zur intensiven Kooperation zwischen den Werken, die ungenügende Konzentration und Spezialisierung der Betriebe insbesondere auf der zweiten Verarbeitungsstufe, die unwirtschaftlichen Lösgrößen aufgrund des vielflUtigen Bedarfssortiments bei geringer Gesamtproduktion, die Dominanz kleiner und mittelgroßer Produktionsaggregate sowie schließlich die minderwertige Qualität der in der DDR vorhandenen Eisenerze. Vergleicht man die Aufzählung dieser Faktoren mit früheren Analysen, beispielsweise der von Minister Steinwand 1958 vorgelegten Untersuchung (siehe Teil 5, 11), SO drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Leistungsfähigkeit der Schwarzmetallurgie am Beginn der wirtschaftspolitischen Reformen gegenüber der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre kaum wesentlich verbessert hatte. Darüber hinaus hatten die :für die Branche zuständigen Organe bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich eine Problemsicht entwickelt, welche auf einer standardisierten Identifizierung konkreter kritischer Faktoren basierte, ohne 225 Ebd., BI. 15. 19 Unger
290
5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
allerdings mit einer konsensualen Bewertung dieser Faktoren verbunden zu sein. Zur Optimierung dieser Strukturen wurde mit der Vorlage des Metallurgieprogramms das Ziel verfolgt:. die "Störfreimachung" voranzutreiben. den wissenschaftlich-technischen Höchststand zu erreichen. die Produktionskosten zu senken sowie die Produktqualität und die Produktivität nachhaltig zu steigern. Zu diesem Zweck wurde abermals die vorrangige Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe sowie der Qualitäts- und Edelstahlproduktion und die Absicherung des benötigen Vormaterials aus eigener Produktion proklamiert. Allerdings, so eine zentrale Aussage des Programms, sei die Spezialisierung auf qualitativ hochwertige und weiterverarbeitete Erzeugnisse undenkbar ohne die Modernisierung der vorgelagerten ersten Verarbeitungsstufe durch Einführung der modernsten Technik (z.B. Stranggießen. Sauerstoff-Aufblasverfahren) und Rekonstruktion der vorhandenen Anlagen (z. B. Modernisierung der SiemensMartin-Stahlwerke). Begründet wurde dieser Zusammenhang nicht zuletzt damit, daß die angespannte allgemeine Arbeitskräftelage es gebiete, die für die zweite Verarbeitungsstufe benötigten Arbeitskräfte durch eine Rationalisierung der vorgelagerten Produktionsstufen zu gewinnen. Als Ziel wurde angestrebt, den Produktionsanteil der zweiten Verarbeitungsstufe an der gesamten Walzstahlerzeugung von 19,4 % (1963) auf 27 % im Jahre 1970 zu erhöhen. In diesem Sinne legte das Branchenprogramm der Metallurgie grundsätzlich fest, bis 1970 seien keine neuen Roheisenkapazitäten in Betrieb zu nehmen. Auch die Steigerung der Rohstahlproduktion sei, mit Ausnahme der Errichtung des modemen Sauerstoff-Aufblasstahlwerks im EKO, durch die Modernisierung der SM-Werke sowie die Mechanisierung und Automatisierung der Stahl- und Walzwerke insgesamt zu erreichen. Vorausgesetzt die hier avisierten Maßnahmen wären in toto umgesetzt worden, hätte die Struktur der Rohstahlerzeugung der DDR, laut der hier enthaltenen Projektion. 1970 folgende Struktur aufgewiesen: Elektrostahl: 10,25 %, SM-Stahl: 74,96 %, Thomasstahl: 8,54 % und LD-Stahl: 6,25 %. Gemessen an den Produktionsanteilen des LD-Verfahrens, die 1970 weltweit faktisch erreicht wurden (siehe Teil 3) projizierten mithin bereits die Vorstellungen, welche in der DDR zu Beginn der sechziger Jahre auf der Planungsebene konzipiert wurden, lediglich eine sehr moderate Modernisierung der Produktionsstruktur. Für die Realisierung dieser Maßnahmen wurden für den Zeitraum 1964 1970 Investitionen von insgesamt 5,7 Milliarden DM vorgesehen. Nach Verwendungsarten entfielen hiervon unter anderem 2,0 Mrd. DM aufRekonstruktionen in bestehenden Betrieben und Einrichtungen, 2,3 Mrd. DM auf den Neubau von Betrieben und Einrichtungen als echte Erweiterungen der bestehenden Betriebe, 1,1 Mrd. DM auf die Erweiterung der Kapazitäten bestehender Betriebe und Einrichtungen und schließlich 0,1 Mrd. DM auf den Neubau von Betrieben und Einrichtungen als Ersatz bestehender Betriebe. Differen-
IV. Ausarbeitung Wld VerabschiedWlg des Metallurgieprogranuns
291
ziert nach Produktgruppen war für die favorisierte Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe und der Edelstahlproduktion mit insgesamt 2,2 Mrd. DM ein beträchtlicher Betrag reserviert. Insgesamt verdeutlichte diese geplante Struktur der Investitionsmittel das Streben nach bestandsbezogener Modernisierung und Erweiterung und die Absicht, weitestgehend auf ressourcenintensive Neubaumaßnahmen zu verzichten. Obgleich die wesentlichen. vorgeschlagenen Investitionsprojekte bereits im Rahmen einer ökonomischen Expertise evaluiert worden waren. forderte das Programm für die Zukunft weitere exakte Berechnungen v.a. zur Bestimmung ihrer Wirtschaftlichkeit. Mit dem Einsatz dieser Ressourcen wurde von 1963 bis 1970 folgende, deutlich selektiv angelegte, Produktionssteigerung angestrebt: Roheisen: 2,1 Mio. t - 2,5 Mio. t (19,0 %); Blockstahl: 3,7 Mio. t - 4,8 Mio. t (29,7 %); warmgewalzter Stahl: 2,8 Mio. t - 3,8 Mio. t (35,7 %); zweite Verarbeitungsstufe: 0,6 Mio. t - 1,2 Mio. t (100 %). Eingebettet wurden die Maßnahmen in ein Konzept der internationalen Kooperation und Spezialisierung im sozialistischen Block, das zur Absicherung der von der DDR favorisierten Spezialisierung ihrer eigenen Eisen- und Stahl industrie unabdingbar war. Wenngleich das Programm vergleichsweise konkrete Vorschläge für diesen Bereich enthielt, ließen die Erfahrungen, die zu diesem Zeitpunkt mit der Spezialisierung im RGW gemacht wurden, die Möglichkeiten zur Umsetzung der Überlegungen allerdings als recht gering erscheinen. 226 Vorgesehen wurde darüber hinaus die Ergänzung der internationalen Abstimmung durch die brancheninterne Spezialisierung und Konzentration. welche die suboptimalen Produktionsstrukturen der Schwarzmetallurgie beseitigen sollte. Zur Realisierung des Metallurgieprogramms wurden schließlich umfangreiche Aufgabenkataloge für den Maschinenbau, das Bauwesen, den Außenhandel und das Verkehrswesen definiert. Sodann wurde erneut eine ..Vervollkommnung der Planung und Leitung gefordert. In den hier postulierten grundsätzlichen Maßnahmen, wie z. B. dem Einsatz der .. materiellen Interessiertheit" und ..ökonomischer Hebel", der Vergrößerung der operativen Selbständigkeit der Betriebe sowie einer Reform des Preissystems, schlugen sich bereits deutlich Leitmotive der Wirtschaftsreform nieder.
226 So jedenfalls kurz zuvor das Fazit der AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie in bezug auf die internationale Zusanunenarbeit nach der Beratung der Ersten Sekretäre der kommunistischen Wld Arbeiterparteien des RGW vom Juni 1962. AbteilWlg Maschinenbau Wld Metallurgie: Ergebnisse, Erfahrungen Wld Schlußfolgerungen aus der internationalen Zusanunenarbeit, insbesondere aus der Durchfilhrung der Beschlüsse der Beratung der l. Sekretäre der kommWlistischen Wld Arbeiterparteien der Länder des RGW vom Juni 1962. Berlin, den 25.3.1963. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 37, BI. 424 - 439. Vergleiche: Kohlmey, GWlther: DDR Wld RGW, in: Jahrbuch fl1r Wirtschaftsgeschichte, 1972ffi, S. 43 - 80.
292
S. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
Unter den im Metallurgieprogramm enthaltenen Einzelmaßnahmen waren die Kapazitätserweiterung durch die Komplettierung des Eisenhüttenkombinats, die Errichtung des Rohrwerks III in Riesa sowie einer PräzisionsRohranlage in Finow von herausragender Bedeutung. Insbesondere der Ausbau des Eisenhüttenkombinats zu einem integrierten Hüttenwerk bildete einen Fixpunkt der gesamten Programmkonzeption. Konkret war hier vorgesehen, den Ausbau am Ende der Produktionskette zu beginnen und zunächst das Kaltwalzwerk zu errichten, an das sich der Neubau einer halbkontinuierlichen Warmbreitbandstraße und eines Sauerstoff-Aufblasstahlwerks anschließen sollte. Dieser Investitionsablauf war offensichtlich durch das Bestreben begründet, möglichst rasch die Kapazitäten fiir die Erzeugung der Fertigprodukte zu errichten, während die Vormaterialien vorübergehend aus der UdSSR bezogen werden sollten. In der Konsequenz dieser Planung sollte die Inbetriebnahme des modernen Stahlwerks in Eisenhüttenstadt nunmehr erst im zweiten Halbjahr 1970 erfolgen. Darüber hinaus wurde die umfassende Anwendung der Sauerstoffinetallurgie in den bestehenden Stahlwerken, z. B. im alten Thornas-Werk der Maxhütte, die Einführung der Stranggießtechnik in den Werken Riesa. Hennigsdorf und EKO vorgesehen. Zur Behebung des Drahtdefizits enthielt das Programm zur Entwicklung der metallurgischen Industrie der DDR schließlich fiir die weitere Perspektive bis 1980 die Errichtung eines kompletten neuen Drahtkombinats unter Verwendung der LD- und Stranggießtechnologie. Eine Bewertung des Metallurgieprogramms hat zuvorderst in Rechnung zu stellen, daß dieses dem ursprünglichen Auftrag, wie er im Beschluß des Sekretariats und der Konzeption der Abteilung Maschinenbau und Metallurgie formuliert worden war, nur bedingt entsprach. Wie bereits der im Beschluß des Ministerratspräsidiums vom Juni 1963 festgehaltene Konkretisierungsauftrag zeigte, stellte das Metallurgieprogramm keinen ausbilanzierten, materiell und finanziell abgesicherten und durchkalkulierten Perspektivplan der metallurgischen Industrie dar. Insbesondere in bezug auf die Schwerpunktmaßnahrne Eisenhüttenkombinat zeigte sich in bezug auf konkrete Festlegungen ein nicht unbeträchtlicher Nachbesserungsbedarf, wie auch insgesamt an vielen Stellen des Dokuments die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen (z. B. Investitionen, Stillegung bestimmter Anlagen) postuliert wurde. Wie gezeigt werden konnte, entsprachen die strategische Entwicklungskonzeption und die zugrundeliegende Problemwahrnehmung des Metallurgieprogramms in ihren wesentlichen Eckpunkten den Festlegungen, die bereits durch den V. Parteitag bzw. in seinem Vorfeld getroffen worden waren. Allerdings manifestierte sich nunmehr die Tendenz einer engeren Rückkopplung der Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe an die Rekonstruktion und Modernisierung der vorgelagerten Produktionsprozesse, d. h. an die erste Verarbeitungsstufe. Wenngleich diese Überlegungen durchaus schlüssig erscheinen,
IV. Ausarbeinmg Wld VerabschiedWlg des Metallurgieprogranuns
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so enthielten sie doch die Möglichkeit zur Einschränkung der spätestens seit 1958 favorisierten Spezialisi.!rung der Schwarzmetallurgie. Nach den bisherigen Erfahrungen mußten sich zudem Zweifel aufdrängen, ob die ökonomische Leistungsfähigkeit der DDR zur simultanen Umgestaltung und Optimierung von erster und zweiter Verarbeitungsstufe ausreichen würde. Die im Metallurgieprogramm erneut enthaltene Forderung, den wissenschaftlichtechnischen Höchststand anzustreben, wurde schließlich im Lichte der konkreten Festlegungen nur eingeschränkt umgesetzt. Wie an der für 1970 projizierten Struktur der Rohstahlerzeugung diskutiert, griff das Programm zwar durchaus innovative Technologien auf, Geschwindigkeit und Intensität des faktisch konzipierten Wandels waren jedoch recht moderat. Der langwierige und konfliktgeprägte Prozeß, an dessen Endpunkt die bedingte Bestätigung des Metallurgieprogramms im Ministerratspräsidium stand, dürfte zuvor zu einer gewissen Frustration der verantwortlichen Planungsexperten in der SPK geführt und insofern ein ähnliches Ergebnis, wie es Schröter bereits für die Chemieindustrie aufzeigte227, gehabt haben. Der Verlauf des Konflikts um das Metallurgieprogramm machte deutlich, daß die Vertreter der Parteiorgane kaum bereit waren, auf objektiv durchaus begründete Argumente einzugehen, wenn die Unantastbarkeit zentraler Parteibeschlüsse zur Disposition stand. Zudem manifestierte sich im Hintergrund dieses Konflikts erneut eine tendenziell inkompatible Bewertung und Verortung der Faktoren, die für den problematischen Zustand der Schwarzmetallurgie verantwortlich gemacht wurden. Die Schlußfolgerung liegt dabei nahe, daß eine derartige Inkompatibilität die Formulierung konsistenter Strategien zur Problembewältigung zweifelsohne behinderte. Die Schilderung der Ereignisse um das Metallurgieprogramm enthält darüber hinaus einige Indizien dafiir, daß zu Beginn der sechziger Jahre der Parteiapparat des ZK und der Ministerien sukzessive seine Interventionsmöglichkeiten bei wesentlichen Planungsprozessen der staatlichen Organe in der Schwarzmetallurgie vergrößern konnte. Insgesamt dürfte der Versuch, sämtliche Strukturprobleme der Branche durch ihre Zusammenfassung in einem Programm überwindbar zu machen, sowie die hieraus resultierenden langwierigen und mühsamen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse die reale technologische Innovation und Modernisierung der Branche zu einem im internationalen Vergleich entscheidenden Zeitpunkt (siehe Teil 3) nicht unwesentlich retardiert haben.
227 Schriller, Rann: Olkrisen Wld Reaktionen in der chemischen Industrie beider deutscher Staaten. Ein Beitrag zur Erklärung wirtschaftlicher LeisnmgsdifTerenzen, in: 1. BährlD. Petzina (Hg.), Innovationsverhalten Wld Entscheidungsstrukturen, op. cit., S. 109 - 138; hier: S. IISf.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
V. Die Eisen- und Stahlindustrie in der Phase der wirtschaftspolitischen Reformen das "Neue Ökonomische System der Planung und Leitung" und das "Ökonomische System des Sozialismus" (1963 - 1971) Die umfassenden wirtschaftspolitischen Reformen, die zwischen dem VI. Parteitag der SED (Januar 1963) und der Ablösung Ulbrichts als Erstem Sekretär des ZK (Mai 1971) durchgeführt wurden, bilden eines der am nachhaltigsten beachteten Kapitel in der Geschichte der DDR: Wurde bereits der Reformprozeß selbst auch in der Bundesrepublik von einer intensiven Diskussion begleitet, so beschäftigte sich seitdem eine beachtliche Zahl von wirtschaftswissenschaftlichen, zunehmend jedoch auch wirtschaftshistorischen Beiträgen mit dem "Neuen Ökonomischen System" (NÖS) und dem "Ökonomischen System des Sozialismus" (ÖSS). In ihrem Mittelpunkt standen dabei Fragen nach der ursprünglichen Motivationslage, den ökonomischen und politischen Erfolgsaussichten, den Gründen für den Abbruch sowie nach der ökonomischen Bilanz der Wirtschaftsreformen. In der DDR selber wurde dieser Abschnitt nach dem Machtantritt Honeckers aus politischen Gründen in die Vorstellung einer linearen Kontinuität der Wirtschaftspolitik hin zu einer "Intensivierung" der ökonomischen Prozesse eingeordnet, so daß sich keine offene Debatte um den realen innovativen Gehalt des NÖS entfalten konnte. Insgesamt ist konstatierbar, daß der wissenschaftliche Forschungsstand lange darunter litt, daß keine umfassende Monographie, welche sich auf die inzwischen zugänglichen Quellen aus dem Bereich der maßgebenden Partei- und Staatsorgane stützte, vorlag. 228 Im westdeutschen Diskurs setzte sich bei der Bewertung der volkswirtschaftlichen Reformen tendenziell die Ansicht durch, der in den sechziger Jahren unternommene Versuch einer Effektivierung der administrativen Planung durch die gezielte Integration von Marktelementen sei insofern bemer228 Diese Lücke wurde erst jüngst geschlossen durch die Untersuchung Steiners: A. Steiner, Wirtschaftsrefonnen der sechziger Jahre. K. Tholheim, Die Wirtschaft der Sowjetzone in Krise und Umbau. U. Wagner, Interessenkonflikte. G.-J. Krol, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR und ihre Ursachen. J. Roesler, Das Neue Ökonomische System - Dekorations- oder Paradigmenwechse1, S. 5 - 7. Ders., Zwischen Plan und Markt. Ders.: Lösungswege bei der Inangriffuahme der Wirtschaftsrefonnen in den sechziger Jahren, in: Jahrbuch filr Wirtschaftsgeschichte, 19781Ill, S. 107 - 115. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic. M Melzer, AnIagevennögen, Produktion und Beschäftigung der Industrie im Gebiet der DDR, S. 1728. H. HamellH. Leipold, Economic Refonn in the GDR. Jeffries, Ian/Melzer, Manfred: The New Economic System of Planning and Management 1963 - 1970 and Recentralisation in the 1970s, in: I. JeffiiesIM. Melzer (Hg.), The East Gennan Economy, op. eit., S. 26 - 40. R. Weinerl, Wirtschaftsfilhrung unter dem Primat der Parteipolitik. Hamel, Hannelore: Ordnungspolitische Gestaltung der Wirtschaftssysteme, in: H. Hamel (Hg.), Soziale Marktwirtschaft - Sozialistische Planwirtschaft, op. cit., S. 25 - 59.
V. Die Eisen- Wld Stahlindustrie in der Phase der Refonnen
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kenswert, als er weit über die in früheren und späteren Phasen der in der DDR implementierten Teilrefomen hinausgegangen sei. Andererseits wurden aus der systembedingten Unvereinbarkeit der markt- und planwirtschaftlichen Steuerungsfonnen geringe Erfolgsaussichten und letztlich das Scheitern der Wirtschaftsrefonnen abgeleitet. In diesem Sinne kommentierte Thalheim bereits 1964 den gerade beginnenden Refonnprozeß mit der Einschätzung, aufgrund des auch fiirderhin nicht gewollten Privateigentums an den Produktionsmitteln, des fehlenden Wettbewerbs und der nicht existenten Marktordnung könne die DDR keine ausreichende Effizienz erreichen, so daß die Zeit der "krisenhaften Störungen" und der "wirtschaftsorganisatorischen Experimente" mitnichten beendet sei 229• Letztlich exemplifizierte er damit lediglich das zugrundeliegende Urteil, ohne marktwirtschaftliche Transformation sei die ökonomische Stabilisierung der DDR undenkbar. Am anderen Pol der heutigen wissenschaftlichen Bewertung des NÖS befindet sich Roesler, der das ökonomische Stabilisierungs- und Effektivierungspotential der Refonnen als bedeutend veranschlagt und damit eine bemerkenswerte Minderheitenposition einnimmt: ,,Es ist also keinesfalls abwegig, zu der Auffassung zu gelangen, daß es in der Geschichte der DDR eine Chance gegeben hat, eine dynamische konkurrenzfiihige DDR-Wirtschaft zu erreichen und so ökonomisch die Existenz der DDR als sozialistischen deutschen Staat zu sichern. Die seit dem Bau der Mauer 1961 gegebene Chance, ohne direkte westdeutsche Einmischung dieses Ziel zu erreichen, wurde im Herbst 1962 von der damaligen SED-Führung unter Ulbricht erkannt. Sie zögerte nicht, diese Chance zu nutzen. Diese Chance wurde verspielt, als eine Mehrheit im Politbüro der SED Wlter Honecker die Wirtschaftsrefonn Anfang der 70er Jahre abbrach ...230
Demgegenüber neigte die Mehrheit der wissenschaftlichen Kommentare auch nach dem Ende der DDR stärker zur zeitgenössischen Ansicht Thalheims. So beispielsweise Buchheim, demzufolge das Experiment des NÖS u.a. gezeigt habe, daß eine erfolgreiche Dezentralisierung der wirtschaftlichen Steuerung unmöglich sei, wenn an einem verbindlichen zentralen Plan sowie der unbedingten Durchsetzung staatlicher Prioritäten festgehalten werde und man gleichzeitig Konsumentenwünsche berucksichtigen müsse und nur über eng begrenzte Mittel verfüge. 231 Da gerade diese Polarität von Dezentralisierungsabsichten und fortbestehenden zentralen Vorgaben die Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie unter dem NÖS prägte, wird auf diese These im Fortgang dieses Kapitels rekurriert werden (siehe Teil 5, V, 3).
229 K. Thalheim, Die Wirtschaft der So\\jetzone in Krise und Umbau, S. 132. Siehe auch: H. HamellH. Leipold, Economic Refonn in the GDR, S. 299f. 230 J. Roesler, Zwischen Plan Wld Markt, S. 162. 231 C. Buchheim, Die Wirtschaftsordnung als Barriere des gesamtwirtschaftlichen Wachstums, S. 205f.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
In der Literatur unbestritten ist hingegen, daß die bereits im Verlaufe des Jahres 1962 angestellten Überlegungen zur umfassenden Reform der Volkswirtschaft aus der Wachstumskrise, in welche die DDR zu Beginn der sechziger Jahre geraten war, resultierten. Vor diesem Hintergrund wurde das Ende der Arbeitskräfteabwanderung nach dem Bau der Mauer als eine Chance begriffen, weitreichende Maßnahmen zur ökonomischen Stabilisierung der DDR zu ergreifen. Gleichzeitig zeigte sich nach der Schließung der Grenze jedoch, daß die ökonomischen Schwierigkeiten nicht ursächlich aus westlichen Störmanövern und dem Verlust von Arbeitskräften, sondern vor allem aus den Friktionen des seit den vierziger Jahren errichteten Planungs- und Leitungssystems resultierten, das sich als resistent gegen alle bislang durchgeführten Teilreformen erwiesen hatte. 232 Im Zusammenhang damit setzte sich zu Beginn der sechziger Jahre in der DDR sukzessive die Erkenntnis durch, daß das im Zuge der StaIinschen Industrialisierung in der UdSSR entwickelte extensive Wachstumsmodell gerade für die DDR mit ihrer geringen Ressourcenausstattung (Rohstoffe, Arbeitskräfte) zunehmend untauglich sein und durch eine intensivere und effizientere Nutzung der Produktionsfaktoren ersetzt werden mußte. Diese sollte in erster Linie eine beschleunigte technologische Modernisierung und eine Steigerung der Arbeitsproduktivität beinhalten. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sah sich die Partei- und Staatsfiihrung der DDR mit der SchlüsseIfrage konfrontiert, wie künftig die Harmonisierung von einzel- und gesamtwirtschaftIicher Rationalität unter den Bedingungen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, d.h. bei Fortexistenz der führenden Rolle der SED, der Planung sowie des staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, hergestellt werden sollte. Die Beantwortung dieser Frage mußte gewährleisten, daß das Streben der Teilsysteme (z. B. der Volkseigenen Betriebe) nach einzelwirtschaftIicher Nutzenmaximierung grundsätzlich zur Herstellung der gesamtwirtschaftIichen Rationalität (Wohlfahrt) führte. Eben dieses Spannungsverhältnis thematisierte die Libermann-Diskussion in der UdSSR, die im Vorfeld der Wirtschaftsreformen in der DDR aufgegriffen wurde. Den Versuch, diese Frage für die DDR zu beantworten, bildete das "Neue Ökonomische System der Planung und Leitung", dem im Verlauf der sechziger Jahre Wirtschaftsreformen in weiteren Mitgliedsstaaten des RGW folgten, so daß die DDR in diesem Zusammenhang zeitlich eine Vorreiterrolle innerhalb des sozialistischen Lagers einnahm. 233
232 H. WolflF. Sattler, Entwicklung und Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 29llf. I. Jeffries IM. Me/zer, The New Economic System ofPlanning and Management 1963 - 1970 and Recentralisation in the 1970s, S. 26f. H. Hame/, Ordnungspolitische Gestaltung der Wirtschaftssysteme, S. 45f. 233 G.-J. Kral, Die Wirtschaftsreform in der DDR und ihre Ursachen, S. 14f, 37 71, 114fT, 130fT, 160f. J. Roesler, Lösungswege bei der Inangriffnahme der Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre, S. 107f. Zur Diskussion des Übergangs der DDR
v. Die Eisen- Wld Stahlindustrie in der Phase der Refonnen
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Die zugrundeliegenden Vorstellungen sahen hier von Beginn an vor, die Reformmaßnahrnen graduell einzuführen und auf einen drastischen Einschnitt gleich zu Beginn des Prozesses zu verzichten. Der faktische Verlauf der Wirtschaftsreformen wurde durch folgende Zäsuren geprägt: Im Anschluß an die Verkündung des NÖS auf dem VI. Parteitag der SED lag der Schwerpunkt der ersten Reformphase (Januar 1963 - Dezember 1965) auf der Durchsetzung des sogenannten "in sich geschlossenen Systems ökonomischer Hebel". Bezweckt wurde damit, die dominierende administrativ-planwirtschaftliche Steuerungsform durch die Implementierung indirekter monetärer Steuerungsmedien (Gewinne, Preise, Kosten. "persönliche materielle Interessiertheit") zu effektivieren und damit eine Harmonisierung von betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Interessen herbeizuführen. Dainit die von den Betrieben erwirtschafteten Gewinne als Indikator ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit fungieren konnten. wurde eine Neubewertung der Grundmittel (1964) und hieran anknüpfend, eine Industriepreisreform durchgefiihrt. Letztere sollte die im wesentlichen auf den Preisrelationen des Jahres 1944 beruhenden Industriepreise den gestiegenen Kosten anpassen. ließ jedoch letztlich das Prinzip der statischen Kostenpreise unberührt. Umgesetzt wurde die Reform in drei Etappen, so daß die neuen Preise 1964, 1965 und schließlich aufgrund von Verzögerungen 1967 in Kraft traten und das Preisniveau im Ergebnis durchschnittlich um 70, 40 und 4 % erhöht wurde. Den zweiten Schwerpunkt der ersten Reformphase bildete die Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungen, die vor allem die Vereinigungen Volkseigener Betriebe als ökonomisches Führungs- und Bilanzierungsorgan des Industriezweigs, zunehmend jedoch auch die Volkseigenen Betriebe stärkte. Begleitet wurde dies durch eine Reduzierung der staatlichen Vorgaben für VVB und VEB, wobei gleichzeitig materielle verstärkt durch komplexere monetäre Kennziffern ersetzt wurden. 234 In der zweiten Phase des "Neuen Ökonomischen Systems" (Dezember 1965 - April 1967) bildete die "Eigenerwirtschaftung der Mittel" den Kernpunkt der Wirtschaftspolitik der Partei- und Staatsorgane, die damit die bislang dominierende staatliche Finanzierung der Geschäfts- und Investitionstätigkeit der VEB zurückdrängen wollten. Diese sollte ersetzt werden, indem die Unternehmen sich aus ihren Gewinnen refinanzieren und verstärkt Investitionskredite in Anspruch nehmen sollten. wozu gleichzeitig der Bankensektor restrukturiert wurde. Dies ging einher mit Reformschritten, welche auf eine ökonomischere Ausnutzung der eingesetzten Fonds, d.h. des Kapitals abzielten, so daß beispielsweise eine sogenannte Produktionsfondsabgabe eingeführt zur ,,intensiv erweiterten Reproduktion" siehe: J. Roesler, IntensiviefWlg Wld DDRGeschichte. 234 H. WolflF. Sattler, EntwicklWlg Wld Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2913 - 2916. J. Roesler, Zwischen Plan Wld Markt, S. 33 - 37, 45 - 54. G.-J. Krol, Die Wirtschaftsrefonn in der DDR Wld ihre Ursachen, S. 134 - 140.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
wurde. Diese wurde auf das von den VEB eingesetzte Kapital erhoben und begründete faktisch erstmals eine Kapitalverzinsung und damit einen Anreiz zur effektiveren Ausnutzung vorhandener Kapazitäten. 235 Als im Umfeld des VII. Parteitags der SED schließlich das "Ökonomische System des Sozialismus" beschlossen wurde, bildete dies den Beginn der dritten Reformphase (April 1967 - Ende 1970), welche ambivalente Züge trug: Einen tendenziellen Systembruch der Reformen bildete die "strukturkonkrete Planung", die für volkswirtschaftlich entscheidende Modernisierungsvorhaben und -branchen (z.B. Petrochemie, Elektrotechnik, elektronische Datenverarbeitung) die Rückkehr zu detaillierter und materieller staatlicher Planung vorsah, um mit dieser Strukturpolitik die "wissenschaftlich-technische Revolution" voranzutreiben. Da die Reformen für die übrigen Bereiche der Volkswirtschaft unter dem Postulat der "Selbstregulierung auf der Grundlage des Planes" jedoch weiter vorangetrieben wurden, entwickelte sich eine tiefgreifende Dualität der gesamten Planungs- und Leitungsstruktur. In diese Reformphase fiel schließlich neben Maßnahmen zur Dynamisierung des Preissystems sowie einer Einbeziehung der Produktionsbetriebe in den Außenhandel eine Welle von Kombinatsgcüodungen, die auch die Eisen- und Stahlindustrie betraf, und global eine Optimierung der industriellen Strukturen zum Ziel hatte. Aufgrund der ehrgeizigen Vorhaben der staatlichen Struktur- und Automatisierungspolitik und der Widersprüchlichkeiten der reformierten Planungsmechanismen entfalteten sich 1969, vor allem aber 1970 krisenhafte Tendenzen, Güterengpässe und -knappheiten sowie Disproportionen zwischen dem Bedarf der Endproduzenten und der Verfiigbarkeit der benötigen Rohstoffe, Hilfsmaterialien und Zwischenprodukte. Im Verlaufe dieser Entwicklung wurden zentrale Reformmaßnahmen zurückgenommen und schließlich im Mai 1971 Ulbricht als Erster Sekretär des ZK der SED durch Honecker abgelöst. In der Konsequenz betrieb die Wirtschaftspolitik in den folgenden Jahren eine Rezentralisierung, die Stärkung der "Autorität des Planes", die Beachtung des Gebots der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft sowie schließlich die "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Damit verband sich der personelle Machtwechsel mit dem Abbruch der Wirtschaftsreformen. 236 235 G. GutmannIW. Klein, Herausbildungs- und Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- und Kontrollmechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1610 - 1626. J. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 37 - 40, 55 - 60. 236 l. JejJriesIM. Melzer, The New Economic System of Planning and Management 1963 - 1970 and Recentralisation in the 1970s, S. 30 - 40. G. GutmannIW. Klein, Herausbildungs- und Entwicklungsphasen der Planungs-, Lenkungs- und Kontrollrnechanismen im Wirtschaftssystem, S. 1610 - 1626. H. WolflF. Sanier, Entwicklung und Struktur der Planwirtschaft der DDR, S. 2917 - 2925. H. Harnei, Ordnungspolitische Gestaltung der Wirtschaftssysteme, S. 52 - 58. J. Roesler, Zwischen Plan und Markt, S. 153 - 162. Ders.: Der Handlungsspielraum der DDR-Führung gegenüber der UdSSR. Zu einem Schlüsselproblem des Verständnisses der DDR-Geschichte, in: Zeit-
V. Die Eisen- Wld Stahlindustrie in der Phase der Refonnen
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Das folgende Kapitel untersucht die Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie im "Neuen Ökonomischen System", wobei die allgemeine Periodisierung als Folie dient, von der die Gliederung aufgrund der konkreten Abläufe in der Schwarzmeta1lurgie an einzelnen Punkten abweicht. Damit wird die Diskussion der Branchenpolitik von Partei- und Staatsorganen abgeschlossen. Beabsichtigt ist dabei nicht, die Erfolgsaussichten und die Bilanz des NÖS eingehend zu beurteilen, da eine solche Bewertung auf der Grundlage der Betrachtung einer einzigen, zudem im Kontext der DDR nicht sehr bedeutenden, Branche kaum erfolgsversprechend erscheint. Diskutiert werden vielmehr die durchgängigen Fragestellungen dieses Untersuchungsabschnitts, um so die prinzipiellen Leitbilder und Strategien der Stahlbranche bis zum Ende der Ära Ulbricht weiter zu verfolgen. Erörtet wird somit die Frage, ob und in welchen Bereichen die Implementierung umfassender vo1kswirtschaftlicher Reformen sich in der Schwarzmeta1lurgie in der Formulierung einer grundlegend neuen Aufgabendefinition, eines charakteristischen Leitbildes sowie einer Neubestimmung des Stellenwerts der Branche niederschlug und ob unter den Bedingungen des NÖS eine neuartige Wahrnehmung der Branchenprobleme auftrat, die sich von den bisherigen Sichtweisen abhob. Im Verlaufe dieser Untersuchung ergeben sich allerdings auch Hinweise darauf, inwieweit die Reformen in der Lage waren, die Strukturprobleme der Branche aufzubrechen und eine technologische und ökonomische Optimierung einzuleiten und damit im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie dem zugrundeliegenden Anspruch gerecht zu werden.
1. Die Schwarzmetallurgie während der ersten Phase der Wirtschaftsreformen (1963 - 1965) Noch bevor im Januar 1963 mit den Beschlüssen des VI. Parteitages der SED die Gestaltung eines "Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung" eingeleitet wurde, beauftragte der stellvertretende Vorsitzende des Ministerrats, Stoph, den Bereich Schwerindustrie der Zentralen Kommission
schrift filr Geschichtswissenschaft, Jg. 41 (1993), H. 4, S. 293 - 304. R. Breuer, Zwn Prozeß der KombinatsbildWlg in der mdustrie der DDR am Ende der sechziger Jahre. Steiner gelangte zu dem Ergebnis, die ursprüngliche Konzeption des ÖSS aus dem Jahre 1967/68 sei nicht verantwortlich filr die ökonomische Krise von 1969nO gewesen. Allerdings habe diese einen großen Spielrawn für Verzerrungen bei der Auswahl der zu fiirdernden wissenschaftlich-technischen Entwicklungen geboten, da es an demokratischen Mechanismen der Auswahl gemangelt habe. msgesamt plädiert Steiner für eine stärkere TrennWlg des "Ökonomischen Systems des Sozialismus" vom NÖS. Siehe: A. Steiner, Abkehr vom NÖS, S. 252f
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische Weichenstellungen
für Staatliche Kontrolle (ZKSK)237 mit der Überprüfung der ,,Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Höchststands" in der VVB Stahl- und Walzwerke und ihren Betrieben sowie der Tätigkeit der zugehörigen Forschungsinstitute. Der hieraus resultierende Prüfbericht wurde am 7. Dezember 1962 vorgelegt und Mitte Januar 1963 gemeinsam mit Berichten zu weiteren VVB im Präsidium des Ministerrates verabschiedet. Die Ergebnisse der Überprüfung der ZKSK enthalten somit eine Beschreibung der technologischen Leistungsfllhigkeit der Schwarzmetallurgie am Vorabend der Wirtschaftsreformen. 238 Das hier formulierte Fazit attestierte der VVB Stahl- und Walzwerke insgesamt eine unzureichende Konzentration auf die gebotene Erneuerung und Modernisierung der Produktionsverfahren und Produktstrukturen. Zwar seien in diesem Bereich einige Erfolge erzielt worden, doch werde die ,,Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts" durch gravierende Defizite gehemmt. Konkret benannten die Verfasser des Berichtes beispielsweise folgende Punkte: Die Struktur der VVB und Forschungsinstitute sei der technologischen Weiterentwicklung abträglich, Kenntnisse über den Weltstand seien nur vereinzelt vorhanden, die Tätigkeit der Leitungsebene werde nicht hinreichend auf den technologischen Fortschritt konzentriert und viel zu stark durch operative Aufgaben in den Betrieben absorbiert, die Forschungs- und Entwicklungsaufgaben der Institute nicht zielstrebig betrieben. Zudem hätten die bisher durchgefiihrten Entwicklungsarbeiten und teilweise auch die Investitionen nicht den angestrebten ökonomischen Nutzen erbracht, da die metallverarbeitende Industrie sich häufig nicht bereit gezeigt habe, neue oder verbesserte Stahl produkte zu verwenden. Zurückgefiihrt wurde dieser Widerstand in der
237 Die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle wurde 1952 als Organ des Ministerrats gegründet. Im Mai 1963 wurde sie durch die Arbeiter-und-BauernInspektion (ABI) abgelöst. A. HerbstIW. RankelJ. Wink/er, So funktionierte die DDR, S.74fI 238 Zentrale Kommission für Staatliche KontrolleIBereich Schwerindustrie, Kießling (stellv. Bereichsleiter Schwerindustrie), Ritter (Hauptkontrolleur): Bericht über die Überprüfung der staatlichen Leitungstätigkeit in der VVB Stahl- und Walzwerke, den wissenschaftlich-technischen Zentren und Betrieben dieser VVB hinsichtlich der Durchsetzung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes. Berlin, den 7.12.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 30fIV 2/6.04lNr. 58, BI. 259 - 297. Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats an den Sekretar des Zentralkomitees, Genossen Dr. Günter Mittag, betr.: Überprüfung einiger VVB hinsichtlich der Arbeit zur Erringung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes. Berlin, den 18.12.1962. SAPMOBAreh, ZPA, DY 30fIV A 2/2.021INr. 332, BI. lf, 309 - 347. Präsidiwn des Ministerrates: Beschluß zwn Bericht der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle vom 15.12.1962 über die Überprüfung der Leistungstätigkeit verschiedener Vereinigungen Volkseigener Betriebe, Wissenschaftlich-Technischen Zentren und Betriebe hinsichtlich der Ermittlung und Einftlhrung des wissenschaftlich-technischen Höchststandes vom 11.1.1963. O. O. BAreh, OC-20 I/4-670, BI. 70 - ISS.
V. Die Eisen- Wld Stahlindustrie in der Phase der Refonnen
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Untersuchung der ZKSK vor allem auf die Defizite des Preissystems, von dem kein hinreichender Anreiz zur Verwendung verbesserter Produkte ausgehe. 239 Als Konsequenz dieser Mängel sei die Eisen- und Stahlindustrie der DDR nicht in der Lage, einen planmäßigen Export weltmarktfähiger Erzeugnisse zu betreiben. So entsprächen die von der DDR in diesem Bereich ausgeführten Güter überwiegend nicht den Qualitätsansprüchen, wirtschaftlich erreichten die auf dem Weltmarkt erzielten Devisenerlöse nur SO bis 60 %, in EinzelflUlenjedoch lediglich 17 % der Selbstkosten. Darüber hinaus gelangte der Fachbereich der Zentralen Kommission fiir Staatliche Kontrolle zu dem Ergebnis, daß die VVB die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten nur unzureichend auf die Schwerpunkte der Branche konzentriere. Aufgrunddessen seien die Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe, aber auch entscheidende Technologien der Stahlerzeugung und -verarbeitung vernachlässigt worden. Insbesondere gelte dies fiir das Sauerstoff-Aufblasverfahren und das Stranggießen. 240 Falls es noch eines Beweises bedurft hatte, belegte der Bericht erneut die Defizite der Schwarzmetallurgie bei der Realisierung technologischer Neuerungen, womit er fiir diese Branche gleichzeitig die Reformbedürftigkeit in bezug auf die Modernisierung des Produktionsapparates unterstrich. Diese Ergebnisse wurden verschiedentlich angesprochen, als vom 15. bis 2l. Januar 1963 in Berlin der VI. Parteitag der SED zusammentrat. So kritisierte beispielsweise Erich Apel, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, die Zurückhaltung der Schwarzmetallurgie gegenüber den modernsten und produktivsten Technologien, während Ulbricht in seinem Referat die mangelnde Entwicklung der zweiten Verarbeitungsstufe kritisierte, welche die Produktivität und Wirtschaftlichkeit der metallverarbeitenden Industrie behindere. Aus diesem Grund forderte er bis 1970 die Verdopplung der Produktion der zweiten Verarbeitungsstufe, wohingegen die Walzstahlproduktion lediglich auf 138 % gesteigert werden sollte. Laut den Ausführungen Ulbrichts wurde die metallurgische Industrie der zweiten Verarbeitungsstufe damit neben der Petrochemie, der Elektrotechnik u.a. als bestimmender Zweig der Volkswirtschaft eingestuft, während die Gesamtbranche bis 1970 nur unterdurchschnittlich wachsen sollte. 241 Zentrale Kommission fi1r Staatliche Kontrolle/Bereich Schwerindustrie, Kießling Bereichsleiter Schwerindustrie), Ritter (Hauptkontrolleur): Bericht über die Uberprüfimg der staatlichen Leitungstätigkeit in der VVB Stahl- Wld Walzwerke, den wissenschaftlich-technischen Zentren Wld Betrieben dieser VVB hinsichtlich der DurchsetzWlg des wissenschaftlich-technischen Höchststandes. Berlin, den 7.12.1962. SAPMO-BArch, ZPA, DY 301IV 2/6.04/Nr. 58, BI. 259 - 297. 239
(~ellv.
240
Ebd.
IDbricht, Walter: Das Programm des Sozialismus Wld die geschichtliche Aufgabe der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, in: Protokoll der VerhandlWlgen des VI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (15. bis 21. Januar 241
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5. Teil: Wirtschafts- Wld industriepolitische WeichenstellWlgen
Grundsätzlich sah schließlich auch der vom VI. Parteitag der SED verabschiedete Beschluß zu den Aufgaben in der Industrie, im Bauwesen sowie im Transport- und Nachrichtenwesen eine Fortführung und Bekräftigung der seit Ende der fünfziger Jahre gültigen Aufgabenbestimmung der Eisen- und Stahlindustrie vor: Die Kernaussage lautete, Hauptaufgabe der Metallurgie sei der schnelle Ausbau der zweiten Verarbeitungsstufe sowie der Produktion von Qualitäts- und Edelstählen, um eine rasche Entwicklung der Metallverarbeitung zu ermöglichen. Erneut wurde dies mit der Modernisierung und Rationalisierung der vorgelagerten Produktionsprozesse verknüpft und dazu die Vervollständigung des Eisenhüttenkombinats zu einem integrierten Werk sowie die Rekonstruktion und Erweiterung der bestehenden Betriebe vorgesehen. Explizit schrieb der Parteitagsbeschluß nunmehr die Einführung der modernsten Verfahren, und hier v.a. des Sauerstofiblasens und des Stranggießens, vor, so daß diese unmißverständlich hohe politische Priorität genossen. 242 Das hier nochmals festgeschriebene Leitbild für die Entwicklung der Schwarzmetallurgie wurde in den folgenden Jahren beibehalten, bis schließlich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre grundlegende Veränderungen eintraten. Nach der Ankündigung wirtschaftlicher Reformen auf dem VI. Parteitag erfolgte im Verlauf des Jahres 1963 eine erste Konkretisierung des Reformprojekts für den Bereich der Eisen- und Stahlindustrie. Wie bereits dargestellt enthielt so auch das im Juni dieses Jahres verabschiedete Metallurgieprogramm Formulierungen, welche zentrale Anliegen des "Neuen Ökonomischen Systems" reflektierten (siehe Teil 5, IV). Gefordert wurde u.a. die Durchsetzung des "Prinzips der materiellen Interessiertheit", die Anwendung "ökonomischer Hebel", die Beurteilung der Betriebe anhand der Selbstkosten und des Gewinns, die Erweiterung ihrer operativen Selbständigkeit und Initiative u.a. bei der Einführung neuer Technologien sowie eine Veränderung des Preissystems. Diese müsse gewährleisten, daß der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand zur Grundlage der Preisbildung gemacht werde, staatliche Subventionen seien weitgehend zu vermeiden. Grundsätzlich sei es die Aufgabe der Metallurgie, unter Beachtung des wissenschaftlich-technischen 1963 in der Werner-See1enbinder-Halle zu Berlin). 1. bis 3. VerhandlWlgstag, Berlin (Ost) 1963, S. 28 - 250; hier: S. 71f, 74f. Redebeitrag Dr. Erlch Ape1, Kandidat des Politbüros, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission Wld Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, in: Protokoll der VerhandlWlgen des VI. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (15. bis 21. Januar 1963 in der WernerSeelenbinder-Halle zu Berlin). 4. bis 6. VerhandlWlgstag, Berlin (Ost) 1963, S. 194 207; hier: S. 198ff. 242 Beschluß des VI. Parteitages über die Aufgaben in der Industrie, im Bauwesen sowie im Transport- und Nachrichtenwesen, in: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse Wld Erklärungen des Zentralkomitees sowie seines Politbüros Wld seines Sekretariats, Band IX, Berlin (Ost) 1965, S. 275 - 293; hier: S.285.
V. Die Eisen- Wld Stahlindustrie in der Phase der Refonnen
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Höchststandes die bedarfsgerechte, weltmarktfähige Produktion der Metallurgie bei geringstem Kostenaufwand zu sichern. 243 Nachdem Ende Juni 1963 die Wirtschaftskonferenz des ZK der SED und des Ministerrats grundlegende Reformdokumente verabschiedet hatte, beschloß die Abteilung Schwarzmetallurgie des Volkswirtschaftsrates Anfang September eine Konzeption zur Durchsetzung des NÖS, welche bereits recht konkrete Festlegungen für die Eisen- und Stahlindustrie enthielt. Im einzelnen wurde hier festgeschrieben, daß durch Fortführung der Umbewertung der Grundmittel Bedingungen dafür zu schaffen seien, daß der Gewinn ab l.l.1964 als ökonomischer Hebel fungieren könne, ebenfalls mit Beginn des folgenden Jahres müßten neue Einzelpreise für Erz, Ferrolegierungen, Eisenund Stahl sowie feuerfeste Erzeugnisse in Kraft treten. Weitere Eckpunkte des Beschlusses betrafen die Dezentralisierung sowie die Einführung von materiellen Anreizsystemen. In Richtung einer Dezentralisierung der Entscheidungsstruktur enthielt die Konzeption folgende Maßnahmen: Die Ausarbeitung von Schritten zur weiteren Übertragung von Bilanzierungsaufgaben an die VVB, ihre Anleitung und Unterstützung bei der Wahrnehmung der ihr bereits für 1964 übertragenen Bilanzierungsbereiche, die Verantwortlichkeit der VVB für die Ausarbeitung des Lieferplans, die Definition von Leitbetrieben und Bildung von Kombinaten auf der Basis von Erzeugnisgruppen. Die Absicht, Mechanismen zur Durchsetzung der "persönlichen materiellen Interessiertheit" zu installieren, wurde durch die Forderung nach Experimenten zur Einführung leistungsabhängiger Prämialgehälter in den VEB sowie nach materiellen Anreizen zur termin- und qualitätsgerechten Fertigstellung der Investitionsvorhaben und zur Qualitätsverbesserung der Produkte unterstrichen. Zudem sollten die Vereinigungen Volkseigener Betriebe nunmehr erstmals eine Mitverantwortung für den Absatz ihrer Erzeugnisse und im Zusammenhang damit Aufgaben im Bereich der Marktforschung, Bedarfsanalyse und Kundenwerbung zugewiesen bekommen. 244 Wenn damit signalisiert wurde, daß die Wirtschaftsreformen in der Schwarzmetallurgie in vielen Bereichen grundlegende Neuerungen mit sich bringen würden, so deutete der Ende September 1963 verabschiedete "Staatsplan Neue Technik" 1964 an, daß die Gesamtbranche mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu den Schwerpunktindustrien des NÖS zählen würde. Zwar sah der Plan das Ziel des "wissenschaftlich-technischen Höchststan-
243 Programm zur EntwicklWlg der metallurgischen Industrie in der DDR vom 27.6.1963. O. O. BArch, DC-20 114-750, BI. 4 - 214; hier: BI. 141 -145. 244 Auszug aus der Konzeption zur Durchsetzung des neuen ökonomischen Systems der PlanWlg Wld LeitWlg der Volkswirtschaft in der Schwamnetallurgie (VWR-Abt. Schwamnetallurgie v. 4.9.1963), gez. Buchholz. O. 0., o. D. LAB (STA), Rep. 6l6/Nr. 186. J. Roesler, Zwischen Plan Wld Markt, S. 30f.
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5. Teil: Wirtschafts- und industriepolitische WeichenstellWlgen
des" vor allem in Teilbereichen der Eisen- und Stahlindustrie (zweite Verarbeitungsstufe, Qualitäts- und Edelstähle, Sauerstoffmetallurgie, Strangguß, ökonomischer Stahleinsatz, Erschließung einheimischer Rohstoffe, Mechanisierung und Automatisierung) vor, doch wurden der Eisen- und Stahlindustrie dafür mit 16,7 Mio. DM vergleichsweise bescheidene Finanzmittel fiir Forschung und Entwicklung zur Verfügung gestellt. Zum Vergleich sei etwa angeführt, daß dieser Betrag lediglich 15,4 % der F&E-Mittel, welche fiir die chemische Industrie eingeplant waren, ausmachte. 245 Insgesamt zeigte sich damit während der Anlaufphase des NOS in der Schwarzmetallurgie eine Gemengelage aus weitreichenden Zukunftsforderungen und bescheidenen materiellen Ressourcen zu ihrer Realisierung. Nachdem zu Jahresbeginn der VI. Parteitag der SED nochmals die Einführung moderner Verfahren in der Schwarzmetallurgie beschlossen hatte, wurden im weiteren Verlauf des Jahres 1963 Vorlagen zur Konkretisierung des präferierten Szenarios der Modernisierung und qualitätsorientierten Ausrichtung der Branche auf die zweite Verarbeitungsstufe vorgelegt. Die Ausarbeitung dieser Papiere erfolgte vor dem Hintergrund, daß bis zum zweiten Halbjahr 1963 gravierende Verzögerungen und Probleme bei den Vorbereitungen zur Einführung des Sauerstoff-Aufblasverfahrens und des Stranggießens aufgetreten waren. Nachdem damit die planmäßige Umsetzung der Parteitagsbeschlüsse bezüglich der immer wieder mit Priorität versehenen Technologien in Frage gestellt war, wurde schließlich auch Walter Ulbricht mit dieser Angelegenheit befaßt. 2