Einfälle, Zufälle, Ausfälle. Der Witz der Sprache [1. ed.] 9783770562220, 9783846762226


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German Pages XL, 597 [638] Year 2021

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Einfälle, Zufälle, Ausfälle – Der Witz der Sprache
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Inhalt
Einfälle, Zufälle, Ausfälle. Das Ereignis und die An/Ökonomie des Witzes – Ein Aufriss
I. Der Witz, seine „Kraft“ und seine Trau-Formeln. Jean Pauls Vorschule der Ästhetik
I.1 Der „verkleidete Priester“
I.2 – „wilde Paarung ohne Priester“
I.3 Gold(auflösung) oder: das Windei des Witzes
I.4 Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaß des Witzes
I.5 Der Wort-Witz und die Zufälle der Sprache: Spiel und Ernst (Gracián – Jean Paul)
Wort- und buchstäbliche Spiele (Gracián – Jean Paul)
Ingeniöse Erfindung – Kombinatorik – Ereignisse
Glück(s) – Spiel
I.6 Räder-Spiel-werk, Sprach-Maschine (Jean Paul – Saussure – Joyce)
II. Anfangen – auf gut Glück. Einfälle des Redens. Kleists „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“
Setzen „auf gut Glück“ – Nachträglichkeit des Glückens (oder auch nicht)
Ausnahme-Fälle – Paradoxien des (politischen) performative
Aporie des Etwas Sagen – Vorgreifen, Zitieren
Reden anderswoher – Verschicken anderswo hin
III. Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln
III.1 Einfälle, Zufälle – aus Exzerpten. Jean Pauls inventio
Operationen des Ausschreibens. Effekte des Veralteten
Einfälle, Zufälle der losen Blätter
III.2 … aus Buchstaben und Abschnipseln. Jean Pauls Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel
Alphabetisierung, buchstäbliche Versetzbarkeiten
Materialität und Kontingenz
IV. Punktuationen, Einfälle der Schrift. Abstände und Zusätze
IV.1 Löcher und Exzesse, der Witz von Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“
Ein-Fälle der Schrift, der Witz der „Anekdote“ – wenn diese denn einen macht
Zusätze
Blätter
IV.2 – Gedankenstriche – dashes – Digressionen und Hopsereien. Über Abstände und Ver-Stellungen: Mosaike und Anagramme (Jean Paul, Sterne)
Gedankenstriche, Auslassungszeichen, Operatoren der Spatialisierung
Digressionen – Mosaike – Anagramme
– – – Choreo-graphie des Lesens
V. Der janusköpfige Witz – ein „doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient“. Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten
V.1 Der Januskopf von Sinn und Unsinn
V.2 Die Ökonomien des Witzes – das Geschenk an den Dritten
V.3 Lachen und Nichtwissen. Witz – Theorie
Backmatter
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Index
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Einfälle, Zufälle, Ausfälle. Der Witz der Sprache [1. ed.]
 9783770562220, 9783846762226

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Einfälle, Zufälle, Ausfälle – Der Witz der Sprache

Bettine Menke

Einfälle, Zufälle, Ausfälle – Der Witz der Sprache

Der Druck wurde unterstützt aus Mitteln des Ls. AVL der Universität Erfurt Umschlagabbildung: Asaroton, aus einer Villa auf dem Aventin in Rom 2. Jahrhundert n.Chr. (Detail, Museo Gregoriano Profano Inv. 10132, nach Carlo Bertelli, Die Mosaiken von der Antike bis zur Gegenwart, Augsburg 1996, 18).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2021 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6222-0 (paperback) ISBN 978-3-8467-6222-6 (e-book)

Inhalt Einfälle, Zufälle, Ausfälle. Das Ereignis und die An/Ökonomie des Witzes – Ein Aufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . vii I. Der Witz, seine „Kraft“ und seine Trau-Formeln. Jean Pauls Vorschule der Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I.1 Der „verkleidete Priester“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 I.2 – „wilde Paarung ohne Priester“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I.3 Gold(auflösung) oder: das Windei des Witzes . . . . . . . . . . . . . . . 47 I.4 Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaß des Witzes . . . . . . . . . 65 I.5 Der Wort-Witz und die Zufälle der Sprache: Spiel und Ernst (Gracián – Jean Paul) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Wort- und buchstäbliche Spiele (Gracián – Jean Paul) . . . . 72 Ingeniöse Erfindung – Kombinatorik – Ereignisse . . . . . . . 90 Glück(s) – Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I.6 Räder-Spiel-werk, Sprach-Maschine (Jean Paul – Saussure – Joyce) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II.

Anfangen – auf gut Glück. Einfälle des Redens. Kleists „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Setzen „auf gut Glück“ – Nachträglichkeit des Glückens (oder auch nicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Ausnahme-Fälle – Paradoxien des (politischen) performative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Aporie des Etwas Sagen – Vorgreifen, Zitieren . . . . . . . . . . . 170 Reden anderswoher – Verschicken anderswo hin  . . . . . . . . 179

III. Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln . . . . . . . . . . . . . 185 III.1 Einfälle, Zufälle – aus Exzerpten. Jean Pauls inventio . . . . . . . . 185 Operationen des Ausschreibens. Effekte des Veralteten . . . 187 Einfälle, Zufälle der losen Blätter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 III.2 … aus Buchstaben und Abschnipseln. Jean Pauls Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Alphabetisierung, buchstäbliche Versetzbarkeiten . . . . . . . 264 Materialität und Kontingenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

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Inhalt

IV. Punktuationen, Einfälle der Schrift. Abstände und Zusätze . . . . . 319 IV.1 Löcher und Exzesse, der Witz von Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Ein-Fälle der Schrift, der Witz der „Anekdote“ – wenn diese denn einen macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Zusätze  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Blätter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 IV.2 – Gedankenstriche – dashes – Digressionen und Hopsereien. Über Abstände und Ver-Stellungen: Mosaike und Anagramme (Jean Paul, Sterne) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Gedankenstriche, Auslassungszeichen, Operatoren der Spatialisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Digressionen – Mosaike – Anagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 – – – Choreo-graphie des Lesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 V.

Der janusköpfige Witz – ein „doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient“. Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten . . . . . . . . . . 443 V.1 Der Januskopf von Sinn und Unsinn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 V.2 Die Ökonomien des Witzes – das Geschenk an den Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 V.3 Lachen und Nichtwissen. Witz – Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501

Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593

Einfälle, Zufälle, Ausfälle

Das Ereignis und die An/Ökonomie des Witzes – Ein Aufriss Der Witz ist nicht nur eine kleine Form oder ein Gebilde, das als solches Gegenstand der Literaturwissenschaft würde. Zunächst handelt sich noch um den Witz, „den der Witzige hat“, während er, so Freud, im 19. Jahrhunderts zu dem wurde, „den er macht“.1 Als Talent oder Vermögen, das aufs ingenium zurückgeführt wird, thematisieren ihn die Rhetorik, die concettistische ars, die Poetik, die Philosophie; „durch eine Begriffsverengung“ im 19. Jahrhundert erst meint „Witz“ „nur noch den einzelnen lustigen Einfall“,2 eine kleine oder einfache Form,3 die etwa im Englischen statt wit joke heißen würde.4 Als solcher scheint er abgewertet, ein Phänomen der Unterhaltung, der Alltagskommunikation,5 des Sozialen, wie es seine Spielformen auch bis ins 18. Jahrhundert waren, als das etwa Bergson (1900) und Freud (1905) ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Blick nehmen. Mit seiner auf’s ingenium zurückgehenden Geschichte fällt Witz zunächst gar nicht ins Fach des Komischen, und fällt so wenig wie mit Komik und Humor6 mit Parodie, Satire, Scherz, Ironie o.ä. zusammen, 1 Freud, Der Witz, 15; zitiert ist wohl Lipps, Komik und Humor (1898), 78; Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 705. 2 Preisendanz, Über den Witz, 7f.; vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 3. 3 Jolles, Einfache Formen, 247-61, vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 36f., neben anderen ‚kleinen‘ oder „Minor Forms“, der Anekdote, der Sage (vgl. Henninger, „Gesagtes und Ungesagtes“) usw.; zu deren „Feld“ anl. des Aphorismus vgl. Neumann, Ideenparadiese, 12-37, 62ff. Jede der ‚kleinen Formen‘ ist wie „ein einfacher Witz […] ein kompliziertes Gefüge“ (Jolles, 249; vgl. Kilcher, „Lessings Changeant“, 260). 4 Die englische Übersetzung von Freuds Theorie steht unter dem Titel Jokes and their relationship to the unconscious (übers. von J. Strachey, 1989); ins Spanische analog übersetzt als El chiste (vgl. M. Blanco, Pointe, 151). Douglas aber spricht von Freuds „analysis of wit“ („Jokes“, 93f.), rekurriert auch in ihrer ethnologischen Erkundung von „joking“ auf „wit“ (92, 111, u.ö.). Vgl. zum deutschen Wort die „Witz“-Art. von Renner, 919f. u. Simon, 862ff. 5 Können hinsichtlich der Operationen etwa Freuds Witz und der conceptismo (Graciáns) analogisiert werden (M. Blanco Pointe, 147-53), so ist deren Distanz deutlich: statt einer ars und Kunstform analysiert Freud ein Phänomen alltäglicher Unterhaltung (151ff., Freud, Der Witz, 19; vgl. Jolles, Einfache Formen). 6 Komik und Witz fallen bei Jean Paul so wenig zusammen (vgl. zum „Lächerlichen“, zum „Humor“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 102-64, dem folgt erst XI. „Über den Witz“), wie bei Freud – der sich von den Ästhetiken des Komischen des 19. Jh. absetzt. Das KomikHandbuch (hg. Wirth) enthält ebenso einen Artikel zu „Witz“ wie zu anderen Kategorien des „Komischen“. Joke fällt unter humour, offenbar sowohl das Komische als auch die Disposition bei Critchley, On Humour; Holt, Stop Me If You’ve Heard This; anders Cohen, Jokes, 1. Critchley rekurriert auf die bekannten traditionellen philosophischen Erklärungen von Lachen und Komik als „humour“ (2f.; vgl. Geisenhanslüke, „Philosophie“, Komik-Handbuch

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Einfälle, Zufälle, Ausfälle. Ein Aufriss

mit denen er sich auf verschiedene Weise berührt. Wären strikte Unterscheidungen fragwürdig,7 so sind doch „[m]ehrere Nahmen […] einer Idee vorteilhaft“.8 – Im Folgenden wird vor allem der Zeitraum fokussiert, in dem es mit dem (Status des) Witz(es) in poetologischer wie philosophischer Hinsicht vorbei ist, der mit den Namen Jean Paul und Freud abgesteckt werden kann. Zum Wissen, gerade zu dem von ihm selber, verhält der Witz sich auf problematische, das heißt Wissen problematisierende Weise. Der Witz und insbesondere seine Formen des Wortspiels, rhetorisch die Paronomasie u.a. spielen die verschiedenen Dimensionen der Sprache aus, exponieren sie in ihrem Widerstreit miteinander, setzen sie auseinander. Sie bringen die Kontingenz des Sinns zur Geltung, lassen den Zufall der Sprache gewähren. Witze problematisieren Grund und Stabilität von Aussagen; daher ist jede theoretische Abhandlung des Witzes von ihrem vermeintlich bloßen Gegenstand affiziert. Macht Jean Paul den Witz darin aus, dass er als „Kraft zu wissen“ eine Definition seiner selbst nicht zustande bringt,9 so hebt der Concettist Gracián hervor: „déjase percibir, no definir“,10 und verzichtet auch Freuds Theorie auf eine Definition und prozediert über Beispiele.11 Der „theoretische Ort […] des Komischen scheint“, so Joseph Vogl, „weniger eine Systematik als eine Kasuistik zu sein“;12 Kant z.B. bringt umgehend ein ‚wildes‘ Beispiel

u.v.ö.), zieht auch Freuds „Der Humor“ (1927) bei, ohne die Differenz von Humor (in Der Witz als Komisches, bei dem die erste Person mit sich allein auskommt) und „humour“ zu erwägen (Critchley, 93-98, 106f.). 7 So auch Strätling zu witty art, zur Komik der Kunst mit einem offenen Begriff des Witzes („Witz und Ästhetik“, 11-15). 8 Novalis, in Bemerkungen zu Witz, Humor, Ironie u.a., N II, 425, 428. 9 So Jean Paul unter der Überschrift „Definitionen“ zur Frage „Was ist eigentlich der Witz?“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169 u. 171; das „Lächerliche“ wolle „nicht in die Definitionen der Philosophen gehen“ (102); vgl. Kap I. 10 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. ii, 316; M. Blanco bemerkt Graciáns „refuse du système“ (Pointe, 250-54); vgl. Hidalgo Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 63f., 122. 11 Vgl. Fleming, „Beside oneself“. Nicht nur das Vorgehen über Beispiele teilen Freud und Gracián (M. Blanco, Pointe, 148; vgl. 147-53), sondern sogar einige Beispiele (148-51): Ama/ entes (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. xxxii, 569f.; Freud, Der Witz, 35), die Retourkutsche, die ein Serenissimus erfährt (Freud, 67, 99), bei Gracián Augustus (disc. xxviii, 617; vgl. Schumm, „Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 948f.). 12 Vogl, „Kafkas Komik“, 76. Heinrich zufolge sei, wie erbeten, zur „Theorie des Lachens“ zu handeln, ‚Verharmlosung‘: „Theorie, beruhigt-beruhigende Schau ihres Gegenstandes, versagt vor diesem Thema“ („‚Theorie‘ des Lachens“, 17). Als Kasuistik scheint Adorno das Seminar „Zur Soziologie des Lachens“ (1964/5) durchgeführt zu haben: als Experiment über protokollierte Situationen (Adorno/Jaerisch, „Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute“, 177, 194f.; vgl. Schörle, „Das Lach-Seminar“, 100ff., 106ff.).

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ein, das weit fort-trägt;13 Bergson wartet, sich unterbrechend, erst mal mit Beispielen auf;14 überall stellen Beispiele komischer Bemerkungen, Vorfälle, Szenarien sich ein. Das Witzeerzählen im theoretischen Text, das ist nicht nur eine Einlagerung von anderer Rede, die das Sprechen über – und das Allgemeine theoretischer Rede erlauben soll, vielmehr wird, wenn das ‚Material‘ im theoretischen Text angeführt wird, die Theorie leicht einmal zur Beispielsammlung, zu einer Anthologie;15 Freud z.B. erzählt in seiner Abhandlung (der zufolge der Witz des Erzählens bedarf, das den anderen einziehe) die Witze im Präsens des Witzerzählens (weiter).16 Mit den Witz-Beispielen wird die komplexe Relation von Singularität des Beispiels und dem Allgemeinen von Erkenntnis virulent. Immer wieder stellt sich die von Freud explizit gemachte Frage, inwiefern die Beispiele Beispiele für etwas (was?) (was wir noch nicht kennen) sind oder sollten sein können.17 Paul de Man wendet anlässlich Kleists „Über das Marionettentheater“ ein: „But can any example ever truly fit 13 Kant, der die These von im Lachen erzeugter und sich bezeugender Superiorität (Hobbes) zurückweist, setzt (umgehend), nach der das Komische bestimmenden Auflösung der gespannten Erwartung „in nichts“ (Kritik der Urteilskraft, WW X, 273ff.) fort mit: „Wenn jemand erzählt, daß ein Indianer […]“ usw. Menninghaus zufolge „wird an diesen Beispielen zumindest deutlicher, was sie überhaupt zeigen sollen“ („Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 280f.). Heinrich dgg. liest diesem ersten Beispiel ab, dass im „Nichts“ doch das Chaos begegnet: „die eigenen Beispiele strafen ihn [als „optimistischen Diätetiker“] Lügen“ („‚Theorie‘ des Lachens“, 26f.). 14 Bergson wird zwar mit „drei vorläufigen Betrachtungen“ schon begonnen haben (die in einem „Punkt“ „zusammenlaufen“): „Komik entsteht innerhalb einer Gruppe von Menschen, die einem einzelnen unter ihnen ihre volle Aufmerksamkeit zuwenden“ (Das Lachen, 15); die Beantwortung der umgehend sich einstellenden Fragen, mit der „wir dem Problem schon näher“ „kämen“, muss warten: „Zuvor werden wir ein paar Beispiele anführen müssen.“ (15-20); deren erstes scheint von Baudelaire zit.: „le spectacle d’un homme […] qui trébuche au bout d’un trottoir“ („De l’essence de rire“, 531f.), dessen Analyse („un joujou à resorts“) umschreibend. 15 Dafür ist Graciáns Agudeza y Arte de ingenio (1642/48) ein Beispiel, wie auch Freuds Witz-Abhandlung, für die er, weil der überlieferte Beispiel-Bestand so karg sei, immer auf dieselben rekurriert werde, „neues Material“ beiziehen will, eine umfängliche Witzsammlung vor allem von jüdischen Witze erstellte, die er nach Abfassen von Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905) verbrannt habe (vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 10-15; S.  Weber, Freud-Legende, 113ff.); zu Freuds Untersuchungen als Beispielsammlungen vgl. Fleming, „Beside oneself“, 198, 192-95; ein weiteres Beispiel ist Cohens Jokes (vgl. 45-69), während Holts Stop Me If You’ve Heard This ‚collections of jokes‘, „of Wit and Humor“ zum Gegenstand hat (xiii, 3-48). 16 Vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87ff.; die Standard Ed. der Jokes „ersetzt“ das Präsens durchs „epische Präterirum“, um damit die Witze zugunsten der Freud’schen „idea“ verschwinden zu lassen (88), die damit auch weg ist. 17 Freud, Der Witz, 60, 78; zum „Problem des Beispiels“ vgl. S. Weber, Freud-Legende, 113-118; Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 25.

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a general proposition? Is not its particularity, to which it owes the illusion of its intelligibility, necessarily a betrayal of the general truth it is supposed to support and convey?“18 Die Tendenz, an der Stelle der ungeklärten Relation mit dem „nächstfolgenden Beispiel“: „ein unzweifelhafter Witz“, so Freud,19 fortzufahren, entspricht Aristoteles’ Erläuterung der Argumentation mit Beispielen (paradigmata); ein (bekannter) Teil steht für einen anderen (nebendran), zeigt sich: stellt sich heraus, und neben sich, auf einen anderen Fall, und das setzt sich in weiteren Fällen fort.20 Dieselbe Gattung oder das Paradigma, der oder dem diese Fälle zugehören mögen, ist vor diesen und deren Anführung nicht gegeben, sondern wäre allenfalls nachträglicher und unsicherer Effekt der Relation zwischen den ‚Teilen‘.21 Mit der (nicht von innen begrenzten) Vielzahl der Beispiele wird immer wieder einem anderen Beispiel Raum gegeben statt ‚Theorie‘ zu machen; die Beispiele kommentieren und supplementieren einander nicht nur, sondern sie kommen einander auch in die Quere, verschieben oder widersprechen einander. Das führen Kleists über Beispiel-Erzählungen verfahrende Texte, „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ wie „Allgemeiner Erziehungsplan“, vor, die jedes allgemeine Resultat (auch das als vermeintliches Thema genannte), und sei es auch ein nachträgliches, fraglich machen.22 Dagegen erzählt „Anekdote aus dem letzten Kriege“ von Kleist (wenn eine solche Zuschreibung für einen nicht-auktorial verbuchbaren Text erlaubt wäre), die den Fall des gar „ungeheuerste[n] Witz[es]“ behauptet23 und insofern schon die Relation von Singularität und Exemplarizität herausfordert, diesen nicht in direkter Rede und nicht im Präsens des Witz-Erzählens, tut also etwas anderes. Der Witz und die Witze haben Sinneffekte, das ist ihre Pointe, mit der der Sinn (zugleich) sich als prekär erweist. Das wird mit den Stichworten des 18

De Man, „Aesthetic Formalization“, 276/„Ästhetische Formalisierung “, 218; „immer wenn man ein Beispiel gibt, kommt man […] um das, was man sagen will“ (ders. in der Diskussion zu „Schlußfolgerungen. Walter Benjamins ‚Die Aufgabe des Übersetzers‘“, 213). Beispiele ermöglichen ihre eigene Lesbarkeit – quer zu dem, wofür die Beispiele stehen sollen. Das kann für die Beispiele der Rhetoriken ebenso gezeigt werden wie für die Austins (How to Do Things with Words, z.B. 24, so Felman, Le scandale du corps parlant) oder die Graciáns, so Poppenberg „Pasto del alma – alimento del espíritu“, 69-74; Schumm, „Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 961, s. Kap. I.6. 19 Freud, Der Witz, 60. 20 Aristoteles, Rhetorik, I.2, 19 (1357b) [1993: 18f.]; vgl. Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 22f., 26ff. 21 Vgl. Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 23, 25-29; ders., Homo sacer, 32; Fleming, „Beside oneself“, 193, 198f. 22 Vgl. Kap. II. 23 Berliner Abendblätter 18. Bl., 20. Oct. 1810, 73f. (BA I, 96); s. Kap. IV.1.

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Einfalls und Zufalls des Witzes akzentuiert, die in den Redeweisen vom Blitz (des Witzes) als unvordenklicher Unterbrechung (und derart auf die Rede selbst gelenkter Aufmerksamkeit) Gegenstücke haben. Pointe übersetzte die concettistischen Vokabeln acumen, acutus, acies, sowie agudeza.24 Wenn Shaftesbury von „‚points of wit‘“,25 Herder von „Spitze“ und „pointe“26 sprechen, dann vor allem mit „Abneigung“.27 Dem concetto wird, wie dem Witz, Zwiespältigkeit, Doppelgesichtigkeit attestiert,28 insofern es einerseits als „ingeniöse Intuition“, die als ‚verborgenen Sinn‘ substantielle Bezüge auffinde, aufgefasst werden wollte, und es andererseits als „virtuose Konstruktion“, die zu fingieren vermag, doch nur den sinnfremden Möglichkeiten der sprachlichen Operationen verpflichtet sein konnte. Auch Freud tut (nach den Distanzierungen im 18. Jahrhundert und den Ausprägungen durchs 19. Jahrhundert) die „Pointe“ ab: wenn „das Wort, die ‚Pointe‘, die einzig vorhandene Verknüpfung zwischen den beiden disparaten Vorstellungen“ ist, „dann habe ‚ich‘ „einen ‚schlechten‘ Witz gemacht“.29 Die Pointe, der „springende Punkt beim Witz“, indiziert, so Wolfram Groddeck, die „Zeitdimension der Plötzlichkeit“, das „ephemere Wahrheitserlebnis beim Witz“.30 Will Jean Paul für den 24 M. Blanco, Pointe, 56, mit Sarbiewski: „Hoc est punctum“, 174-77; die agudeza (vor allem in Graciáns Kapitelüberschriften), 250, 258, 261, 268, 272, 275. Das ingeniöse concetto ist „scharfsinnige Aussage“ mit „Pointe“, so Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Problematische Ähnlichkeit“, (1983) 91, (1994) 118. Pointe(n) wird sowohl Ciceros „brevia“ wie „acumen“ übers. (De Or. II 221 u. 257, lat./dtsch. 348f., 372f.). 25 Shaftesbury, zit. nach von Arburg, „‚Der Mann, der erst in seine Excerpta steigen muß‘. Lichtenberg“, 170. 26 Herder, „Adrastea“, 233. 27 Die „Herdersche Abneigung gegen Pointen“ (Neumann) artikuliert sich in den Fragen: „‚ist es wahr? und inwiefern?‘“ (Herder „Adrastea“ 238, Neumann, Ideenparadiese, 15, vgl. 14ff.). 28 Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, (hier und das Folgende) 993; vgl. M. Blanco, Pointe, 29f. Doppel-seitig, janusgesichtig ist Freud zufolge der Witz, der das Gesicht des Sinns der kritischen Instanz zeigt, um den Unsinn, an dem dem Witz ‚eigentlich‘ gelegen ist, durchgehen zu lassen. 29 Freud, Der Witz, 114 (Fn.). Das ist üblich im 18. Jh., etwa bei Addison „true wit“, „fonde sur la similitude des idées“/ „false wit“, „qui se réduit à une similitude de mots“ (M. Blanco, Pointe, 121f.). K. Fischer zufolge, auf den sich Freud bezieht, macht den Witz, wenn „Vorstellungen“ „nicht nach ihrer schon vorhandenen Gemeinschaft, sondern so verknüpft [werden], daß sie eine Pointe bilden“ (Ueber den Witz, 103f.). Lipps (1898) zufolge, Bezugspunkt Freuds, sei „nur wenn […] das Mittel, wodurch die Pointe […] bewirkt wird,“ „als nichtig […] anerkannt“ wird, „der Witz witzig“ (Komik und Humor, 96). Jolles zufolge verliere „der Witz, in dem eine der beiden Absichten des Komischen“ [‚treffend‘ und ‚spielend‘, „als Spott und als Scherz“] fehlt, […] seine Form: er entbehrt der Pointe“ (Einfache Formen, 258; entspricht Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 468). 30 Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 166f., vgl. 169.

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„hüpfende[n] Punkt (pointe)“ annehmen: „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall“, aus dem sich „eine schreitende Leben-Gestalt“ entwickle,31 so wird diese schöne Gewissheit vom Witz aber dementiert. Als Pointe ist der Sinn Effekt der signifikanten Verkettungen, deren momentane Fixierung keineswegs gegründet, dauerhaft verankert, stabil, vielmehr gibt der Witz ihn (je schon und je wieder) ans Spiel der Signifikanten preis.32 Dies widerfährt in der plötzlichen Unterbrechung,33 in der Wahrheit oder Sinn ihrem Un-Grund und Rand, dem Unsinn begegnen, der sie erzeugt und ihnen daher unablösbar angehört. Dem entspricht, dass Jean Paul den Witz als „Kraft“, als „Kraft zu wissen“ bestimmt,34 „die ihre eigene Beschreibung nicht zustande bringt“, nicht eingelöst ist in dem, was sie erzeugt. Als Kraft ist der Witz auf den Sprechakt, den redenden Vollzug zu beziehen, dem seit John L. Austins Vorlesungen die Aufmerksamkeit unter dem Namen des performative gewidmet wird.35 Witze rücken demnach (statt gemäß der Unterscheidung „wahr/falsch“ beurteilt zu werden) in die Perspektive ihres Glückens oder Missglückens. Auffassungen von Witzen in terms of „statements“ gehen fehl, gerade auch wenn es um der Witze soziale Dimension geht.36 „Joking Matters“ bleiben damit nicht außen 31 32

Jean Paul, Levana, SW I.5, 843; vergleichbar F. Schlegel, Kritische Fragmente, KFSA II, 160. Sie ist keineswegs Auflösung einer Inkongruenz (so aber R. Müller, Theorie der Pointe, 104). Dass das nicht genügt, zeigt sich im Concettismus, bei Sarbiewski, der mit der Pointe auf die „Findung von Verfahren, die das Unstimmige mit dem Stimmigen zu verknüpfen erlauben“, hinauswolle (Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 116, 113-16; M. Blanco, Pointe, 173, vgl. Kap. I), ebenso wie u.a. Lipps in des Witz-Sinns Verweis auf die sprachliche Materialität, die als Grund des Sinns angetroffen werden muss, diesen in „Nichts“ zergehen sieht (vgl. Kap. I.1). „Die Wahrheit des Witzes ist nur um den Preis ihres Vergehens zu haben, was ebenso für den objektiven Sinn des Genetivs gilt“ (Christen u.a., „Vorwort“, 9). Groddeck widerspricht Kants „nichts“, in das die „gespannte Erwartung“ sich auflöse, denn das ist vielmehr alles Mögliche, Chaos („Dithyrambus des Witzes“, 167, 177-180; Heinrich, „‚Theorie‘ des Lachens“, 26f.) oder Unsinn (vgl. Menninghaus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 264-67). 33 D.i. bei Freud die ‚Überrumplung‘ durch ein anderes Geschehen (Der Witz, 145), vgl. Zupančič, The Odd One In, 181/Der Geist der Komödie, 212, 152f.; s. Kap. V. 34 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169, 171. 35 Austin, How to Do Things with Words. Wiederholt wurde bereits das Komische auf die Theorie der performatives bezogen (Wirth, „Vorbemerkungen zu einer performativen Theorie des Komischen“; ders., „Sprechakttheorie und Komiktheorie“), inzwischen wird verbreitet der Witz in terms des Performativen gehandelt, meist allerdings beider Relation nicht ausgetragen (vgl. Kilcher, „Lessings Changeant“, 263; Munk Rösing, „Witz, Kunst und Aggression“; Voss, „Zur ästhetischen Kraft und Immanenz des Witzes in der Kunst“; Grøtta, „Kreativität, Chemie und die Kunst der Kombinatorik“ u. weitere Beiträge in Witty Art); vgl. aber Felman, Le scandale du corps parlant. 36 So analysiert Douglas „joking“ als Fall der „relation between categories of thought and categories of social experience“ („Jokes“, 90); „joke“ als „a symbolic pattern of a

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vor, sind aber anders aufzufassen;37 Freud verhandelt sie vor allem mit den tendenziösen Witzen. Gute Witze und „Bad[!] [jokes]“ sind nicht hinsichtlich des vermeintlich Ausgesagten zu scheiden,38 sondern in Hinsicht dessen, was sie tun; wird das u.a. als „joining“, als Gemeinschaftsbildung beschrieben,39 so ist diese jedoch nach Bergson und mit Freud in ihren aggressiven Züge wahrzunehmen, als In-Anspruch-nahme und Manifestation von Machtrelationen (stets erneut, auch gegenwärtig) zu analysieren.40 – Des Witzes Kraft geht nicht

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social pattern occurring at the same time“ (98, vgl. 106), „a play“ zwischen „form and formlessness“ (91f., 97f.), it „connects and disorganises“ (103f.). Cohens Jokes ist hinsichtlich des Untertitels Philosophical Thoughts on Joking Matters wohl auch im Sinne von: ‚macht was (aus)‘, aufzufassen; zum Unzutreffenden der Perspektive auf Witze als „statements“, vgl. insb. 76-84. Für „true humour“ muss (etwa) Critchley „some sort of normative claim“ voraussetzen (On Humour, 14f., 79 u.ö.); die unaufhörlichen Bemühungen im 18. Jh., „true“ vers. „false wit“ zu scheiden, rekurrieren auf Geschmack und Moralität (etwa Addison, Pope, Shaftesbury). Den ‚guten Witz‘ unterscheidet Freud in Hinsicht des guten Sinns, den er doch hat, von schlechten Witzen (die vielleicht gar keine sind). Critchleys Vorgabe „‚True‘ humour changes the situation, tells us something about who we are and the sort of place we live in, and perhaps indicates to us how it might be changed.“ (11, vgl. 90), führt ihn zu ironischer (Selbst-)Distanzierung, gibt aber doch sein Programm: „the normative criterion for my own sense of humour“ (94f.). Cohen weist die In-Anspruchnahme von „moral theory“, um befinden zu können „this joke is Bad[!]“, in mehrfacher Weise zurück: „it can’t be done“ (Jokes, 81ff.). Witze sind (so wenig wie andere Formen des Komischen) keineswegs als solche ‚progressiv‘ oder subversiv (Zupančič, The Odd One In); die ‚Problematik‘ des Lachens behandelte Adorno im Seminar „Zur Soziologie des Lachens“, Win.sem. 1964/5 (Unterlagen sind kaum veröffentlicht, vgl. Adorno/Jaerisch, „Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute“, 177, 192ff., vgl. Schörle, „Das Lach-Seminar“, 101-06). Derart fassen die soziale Dimension (in Begriffen des engl. 18. Jh.) Cohen als „joining“ (Jokes, 26, 29, 32, wie Addison) und Critchley als „common sense“, „sharing“ (On Humour, 68, 79f., 86, 90, nach Shaftesbury, 20). Witze erzeugen aber, so Critchley „a dissensus communis distinct from the dominant common sense“ (90, 20f.); Douglas zufolge verhandelt „joke as play on form“ „social forms“,„between form and formlessness“ („Jokes“, 97f., 91f., 103f.). Cohen macht an der hergestellten oder verfehlten „community“: „laughing at the same joke“ (26-30), an der in Anspruch genommenen Gemeinsamkeit des ‚Verstehens‘ auch bei „anti-semitic or anti-black joke[s]“ (32-35) das Beunruhigende aus (76-84). So machte Bergson affirmativ die „soziale“ Funktion des Lachens als Strafe der Gesellschaft am (ausgeschlossenen) Einzelnen aus (Das Lachen, 21f., 15). So Adornos kritische Perspektive: Einverständnis der Gruppe, Zugehörigkeit, „‚Mitlachen‘“ und Ausschluss, Lachen und Aggression (Seminar „Zur Soziologie des Lachens“, zit. in Schörle, „Das LachSeminar“, 102-106); „Sündenbock-Mentalität“ manifestiert sich im „kollektive[n] Lachen“ (Adorno/Jaerisch, „Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute“, 193). Cohen spricht vom „discomfort“ an der in Anspruch genommenen „community“, die Gemeinsamkeit des Verstehens im Lachen über „anti-semitic or anti-black joke[s]“ (76-84). Freud analysiert nicht nur das Vorgehen der obszönen und aggressiven Witze (sie handeln, umgehen äußere Hindernisse und innere Hemmungen u.a. bez. der Aggression), sondern auch die

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auf im performative und den Rahmen, die sein Gelingen sichern, seine force widerstreitet dem Austin’schen Konzept des performative, das sich resultathaft vollenden müsste, um gelungen zu sein.41 Sind Witze in die Perspektive ihres Glückens oder Missglückens zu nehmen, so verhalten sich ihre Äußerungen doch quer zu dieser Unterscheidung, die für performatives im Ernst getroffen werden können müsste,42 und erzeugen (im Bruch mit den Rahmen) deren Unentscheidbarkeit. Theoretische Erkenntnis und Witz, die beide einen „intelligiblen Zusammenhang“ erwarten lassen, treten auseinander an der Stelle, der Pointe, wo der Witz den Sinn, den er erwarten lässt, zugleich ‚aufs Spiel‘ setzt.43 Eine Witztheorie sei, so Groddeck, witzig oder theoretisch, die Jean Pauls witzig und vielleicht keine ‚Theorie‘ (auch keine Ästhetik, sondern deren „Vorschule“), und die Freuds darf, um der stabilen und konsistenten Erkenntnis willen, nicht witzig sein.44 Witze sind selber, in ihren rhetorischen Formen wie der Paronomasie, als Kalauer oder puns, als Anagramme oder im ‚gelehrten Witz‘, (Gegen)Lesungen, die als solche das Lesen, sein Operieren und seine Materialitäten je schon verhandeln. Für eine ‚Philologie‘ des Witzes heißt das, dass sie in diesen bereits auf deren ‚Autophilologie‘ und mehr und weiter noch auf das trifft, was das ‚Wissen der Philologie‘ (selbst) kommentiert, es durchkreuzt, ja suspendiert,45 auf den ‚Witz der Philologie‘,46 der die Sprache und die Schrift diesseits des Zusammenhanges von Wort und Sinn (im logos) hervortreten lässt. Dies sind Hinsichten, denen in den folgenden Kapiteln auch in historischen Einsätzen nachgegangen wird, ohne dass eine Geschichte geschrieben wird.47 In den Blick kommt hier der Witz gleichsam verspätet, nachdem er seine soziale Situation des Witze-Erzählens u.a. bez. der lachenden Komplizen (vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, Kap. V.2). Die im Raum stehende Frage beruft etwa eine Ausstellung im Kunstverein Hamburg mit ihrem Untertitel: „Humor nach #MeToo“ (auch weil das Exponierte sich dem nicht fügt, vgl. taz 17. 7. 2020). Gegenwärtige wiederkehrende Phänomene und Debatten (vgl. Lea Streisand, taz 19./20. 9. 2020) sind hinsichtlich des in-Anspruch-genommenen „fellow“-‚Wissens‘: den verwerfenden Vorurteilen, der ausschließend sich konstituierenden Gemeinschaft der Lachenden und des ev. ‚discomfort‘ zu analysieren (Rinck, Risiko und Idiotie, 67f.). 41 Vgl. Austin, How to Do Things with Words, u.a. 13-24. 42 Das macht den „scandale“ des Witzes (Felman, Le scandale du corps parlant, 206, 213). 43 So S. Weber, Freud-Legende, 138, vgl. 172. 44 Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 171f.; vgl. Christen u.a., „Vorwort“, 9. 45 Vgl. bekanntlich de Man, „The Return to Philology“, Allegories of Reading, u.v.ö. 46 So der Titel des Bandes für Groddeck; vgl. Christen u.a., „Vorwort“, 6f. 47 (Teil-)Geschichten schreiben u.a. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten (vgl. 23), Hecken, Witz als Metapher (vgl. 8f., 21), Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip.

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Schuldigkeit im 18. Jahrhundert schon getan haben und in der Ästhetik durch die Begriffe des Genies und der Einbildungskraft abgelöst worden sein sollte. Das Vorhaben, das mit den Namen Jean Paul und Freud abgesteckt ist,48 procediert (auch daher) unter Beizügen u.a. von dem bereits angezeigten: dem conceptismo und den barocken Sprachspielen, des 18. Jahrhunderts, das diese verwirft, in dem die Umbrüche statthaben, die den Witz aus der Dichtung und der Poetik hinauskomplimentieren, des 19. Jahrhunderts, in dem die Verschiebung vom Witz, „den der Witzige hat“, zu dem, „den er macht“, wie Freud, wohl mit Lipps formuliert,49 vollzogen ist, von Kleist, F. Schlegel, Joyce u.a. Hat sich die Wortbedeutung von „Witz“ als Vermögen, das aufs ingenium zurückgeht, das Witz wie wit, wie esprit übersetzt, im 19. Jahrhundert verschoben zu der „nur noch“ des „lustigen Einfalls“,50 so interagiert aber im Wort „Witz“ uneinstimmig, was in anderen Sprachen geschieden würde. Auf diese Verschiebung datiert das Problem der Dignität des Gegenstandes, das sich (noch) Freuds Theorie des Witzes (1905) stellte,51 mit der er dem Vorhalt der Witzigkeit seiner träumenden Patientinnen erwidern wollte. Der „Witz“, von dem Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“ (1810) erzählt, ist als der „ungeheuerste Witz, der über Menschenlippen gekommen“ sei, vielleicht einer (der ersten), der (im Deutschen) gemacht wird.52 Mag man Kleist unter dem Titel Witz nicht erwarten, ist er doch bekannt im Fach der Anekdote, die wie der Witz zu den ‚kleinen Formen‘ zählt; und diese verhandelt geradezu beider, der Anekdote und des Witzes Relation. Die Namen Freud und Jean Paul taugen als Bezugspunkte, auch weil Freud selber Jean Pauls Rede vom Witz beizieht,53 zugespielt durch jene Vorläufer im 19. Jahrhundert., als die Freud die Ästhetiken des Komischen anführt, die Jean Pauls Konzept des Witzes überlieferten.54 Dass ein Schwerpunkt bei Jean Paul liegt, und nicht etwa bei F. Schlegel als dem Exponenten des 48 Den Zeitraum nimmt Hill, The Soul of Wit in den Blick. 49 Freud, Der Witz, 15. 50 Preisendanz, Über den Witz, 7f. Best nennt als drei Höhepunkte der Geschichte des „Witzes“ die Poetik der Aufklärung, die Frühromantiker und „die ‚Witzkultur‘ der ersten Hälfte des 19. Jh., in deren Gefolge die ‚Witzigkeit‘ abgewertet wird zu ‚Witzelei‘“ (Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 3). 51 Freud, Der Witz, 19; auch Preisendanz (Über den Witz) vermerkt die fehlende Dignität. 52 Berliner Abendblätter 18. Bl., 20. Oct. 1810, 73f. (BA I, 96), in Kap. IV.1. 53 Die Relation wird auch in der Jean Paul-Literatur angesprochen, vgl. etwa Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘ in der Ästhetik Jean Pauls“, 93f. (mit leider unzureichender Charakterisierung Freuds). 54 Etwa Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen (zuerst 1846), 460-477; Lipps, Komik und Humor (1898), u.a.; das seien nur Bruchstücke gebende Vorlagen, deren „vorauszusetzenden Zusammenhang“ so Freud, sein Witz-Konzept herstelle (Der Witz, 18).

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frühromantischen Witzes und dessen Nähe zur romantischen Ironie,55 ist nicht nur dadurch veranlasst, dass das frühromantische Konzept bereits vielfach zum theoretischen Gegenstand mit hoher Dignität wurde. Vielmehr sind Jean Pauls Texte witziger; dies auch, weil ihr Verhalten zum Witz ambivalenter ist, im Widerstreit bleibt, während F. Schlegel seinen „Witz sérieux“ (eher, vielleicht) in Philosophie überführt.56 Jean Pauls Witz erinnert den älteren (bis weit ins 18. Jahrhundert reichenden) auch wörtlichen Bezug aufs Wissen57 und den bereits veralteten „gelehrten Witz“, der als veralteter komisch und witzig fortgeschrieben wird.58 Die Zurückweisung von wit, Witz, ingenio und agudezza im 18. Jahrhundert vollzog sich „corrélatif d’une volonté de dissociation définitive entre la science et la littérature“.59 Mit Jean Pauls Texten kommt aber der Witz als ein Umschlagsplatz von Wissensformen und -konzepten in den Blick – und zwar ohne dass er resultierte, weder in gewonnenem Wissen noch in den den Witz vermeintlich ablösenden Konzepten Genie, Ausdruck, Einbildungskraft, Imagination oder dessen lösender Einholung durch den Humor60 oder dessen (verunendlichender) Überholung durch Ironie.61 Im Witz ‚verpuffen‘ 55 Relationen, Differenzen, Widersprüche zwischen Jean Paul und F.  Schlegel werden in Kap. I und fortgesetzt thematisiert, ebenso des Witzes Relation zur Ironie gerade auch bez. des Spielcharakter des Witzes. 56 M. Blanco, Pointe, 143ff.; das ist, versteht sich, nicht so (einfach), vgl. die Anschlüsse in Kap. I.1, 3, 5 u.ö. 57 Für den wörtlichen Bezug vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 5f.; den Eintrag „3Witz“, DW Bd. 30 (=14.2), Sp. 861-875; Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; Renner, Art. „Witz“, 919; M. Blanco, Pointe, 115. 58 Vgl. Kap. III.1, III.2. 59 M. Blanco, Pointe, 137; im Deutschen entschieden durch Kant. 60 Für Jean Paul wird der Witz überholt und integriert gesehen im Humor, vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 35; Dembeck, Texte rahmen, 398-405; anders: Fleming, „Disparate Pleasures“, 146f.; genereller Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 481f.: Humor geht auf (487); zum Humor des deutschen 19. Jh., zum objektiven statt des subjektiven (als den Hegel die Ironie auffasst) Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik (130-144) bliebe dazu zu lesen. Freud unterscheidet den Humor, für den eine Person mit sich selbst auskommt, vom Witz, der einen anderen als Hörer (die lachenden Dritten) einbezieht (Der Witz, 212-219, s. Kap. V.2). 61 Die Ironie wüsste es (rhetorisch) immer schon besser, wenn sie denn (romantisch) ‚etwas‘ wissen könnte, das nicht zugleich durch dessen Verfasstheit unterminiert wäre. Der Witz geht nicht in Ironie auf, so aber F. Schlegel. Das liegt nicht daran, dass der Witz weniger sophisticated wäre. Vielmehr ist er disruptiver. Das Verhältnis von Witz und Ironie kann analog dem von Allegorie und Ironie: als vergebliches und unendliches Wiederholen aufgefasst werden (vgl. de Man, „Rhetoric of Temporality“; zu Witz und Allegorie vgl. Frank, „Allegorie, Witz, Fragment, Ironie“, u.a. 133), s. Kap. I u. Kap. V. Hamacher hingegen beschreibt „im Unterschied zu der Redeweise der Allegorie, die eine unabsehbare Dauer der Vergangenheit und der Zukunft eröffnet“, „die ironische“ als „die des Moments, eines Zeit-Punkts, der keine Ausdehnung in Vergangenheit oder Zukunft kennt, sondern sich

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die Wissens-Bestände,62 die er (scheinbar) in Anspruch nimmt, so wird sich mit Jean Paul zeigen. Derart wird mit dem Witz das in den vergangenen Jahren in den Fokus der Literaturwissenschaft gerückte Verhältnis von ‚Literatur und Wissen‘ als Verhältnis von Wissen und seinen Verfahren, Operationen und Medien verhandelt, indem er Wissen ans Nichtwissen, das es erzeugt, verweist.63 Die beigebrachten Züge sollten schon angezeigt haben, dass keine Exploration des Witzes sich, wie aber (auch) in den letzten Jahren wieder vorgegeben wurde, im Rahmen von „Witz als Metapher“ halten kann,64 auch wenn der Bezug von ‚Witz‘ und Metapher auf Aristoteles’ Äußerungen zur Metapher datiert, der sie aufs Talent der εύφυϊα, (lat.) ingenium als der Fähigkeit, Ähnlichkeiten aufzufinden, die nicht schon auf der Hand liegen, zurückführt.65 Dabei werden aber das ingenium, die Metapher und die Signifikanten-Verschiebungen, die sie erzeugen, so beschränkt, dass sie sich der Integration des figürlichen Umwegs in die philosophische Erkenntnis fügen.66 Das wurde durch des Witzes Bestimmung als „Leichtigkeit die Aehnlichkeit wahrzunehmen“ (Wolff), als in der Pointe erfüllt und erlischt“ („Unlesbarkeit“, 11f.), was im Verhältnis zur Pointe des Witzes zu diskutieren wäre. 62 Hegel (über Jean Paul), Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382, s. Kap. III.1, oder bei Kant die Erkenntnis im Lachen, so Menninghaus „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 279, (mit Groddeck) Christen u.a., „Vorwort“, 9. 63 Zu „Nicht-Wissen als konstitutive[r] Bestandteil der Wissensgeschichte“, vgl. Gampers „Einleitung“ in Bies/Gamper, Literatur und Nicht-Wissen, u.a. 10-14, (und Literatur) 14f. sowie den Band insgesamt; Stange, Unentscheidbarkeiten, insb. „Philologie des NichtWissens“, 11ff., (zur Lit.wiss.) 17-24, zum Nicht-Wissen (d. Lit.) 25-32. Geisenhanslüke dgg. beschränkt hins. einer Poetologie des Nichtwissens die Relation von Wissen und Nichtwissen (Dummheit und Witz, 11-14) u. von Witz und Dummheit (mit Kant, 25-28, 47ff.). Wirth nimmt Dummheit wie das Komische (nur) als „Abweichung von den Normen“ des Verstehens (Diskursive Dummheit, 4ff., 15-22, (zu Kant) 43f., vgl. 144f.) umgekehrt aber das „Komischwerden des Verstehensprozesses“ (6f.; vgl. 100-106, 148-55). 64 Vgl. Hecken, Witz als Metapher; Wiethölter gar: „Witz und Metapher sind geradezu Synonyme“ (Witzige Illumination, 115); zur Relation vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“; aus gegenw. philosophischer Perspektive Gabriel, „Ästhetischer ‚Witz‘ und logischer ‚Scharfsinn‘“; zu Jean Paul vgl. Riedel, „Die Macht der Metapher“. 65 Dass „man Metaphern zu finden weiß“, „ist das Einzige, das man nicht von einem anderen lernen kann, und ein Zeichen von Begabung (euphuîas). Denn gute Metaphern zu bilden bedeutet, dass man Ähnlichkeiten zu erkennen vermag“ (Aristoteles, Poetik, 1459a,4-8, 74-77; vgl. ders., Rhetorik, III.11.5-6, 11-14); da sie „aus verwandten, nicht offenkundigen Dingen gebildet werden, wie es ja auch in der Philosophie Scharfsinn verrät, Ähnliches auch in weit auseinanderliegenden Dingen zu erkennen“ (III.11, 1412a); vgl. Cicero, De orat. III, 160; vgl. Knörer Entfernte Ähnlichkeiten, 32-37; Hecken, Witz als Metapher, 27-42. 66 Das macht Derrida, „Die weiße Mythologie“ für die „Metapher im philosophischen Text“ kenntlich; so agiert aber gegenw. Gabriel, „Ästhetischer ‚Witz‘ und logischer ‚Scharfsinn‘“, 108ff.

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„Verähnlichungsvermögen“ (Kant) im 18. Jahrhundert getragen, in dem der Witz zum poetischen Prinzip avanciert.67 ‚Witz als Metapher‘ ratifiziert die (zumal) im (deutschen) 18. Jahrhundert sich durchsetzende Abwehr der Rhetorik, die von dieser nichts übrigließ als die elocutio und von allen Tropen und Figuren kaum was als die Metapher68 (die im Deutschen gerne als ‚Bild‘ aufgefasst wird). An dieser einzig mit philosophischer Dignität versehenen Trope soll offenbar auch für den Witz, als sog. „bildlicher Witz“ oder „ästhetischer Witz“,69 Maß genommen werden. Derart werden aber Tropen wie die Metonymie, die die Metapher generiert (und sie aufschieben kann), wie auch die Metapher reduziert, die nicht vom Vergleich herzuleiten, sondern, so Hans-Jost Frey, „plötzliche[r] Einfall einer Zusammengehörigkeit“ ist; sie „setzt“ „blitzartig“ eine „Identifikation des Verglichenen im sprachlichen Zusammenfall“ – wie das Wortspiel.70 Wird meist die „strukturelle Ähnlichkeit“ von Metapher und Wortspiel, bzw. „das eine als eine Art Umkehrung der anderen“ (H.-J.  Frey) verkannt, so begegnen im Witz als Wortspiel oder rhetorisch Paronomasie71 und der großen Fülle von benachbarten Figuren (von Wort- und Buchstabenspielen) Fügungen ‚ohne Gründe‘, die der Haltbarkeit ihrer Effekte wie auch dem Konzept einer vermeintlich durch substanzielle Ähnlichkeit gehaltenen Metapher widerstreiten.72 Bekanntlich bezieht auch Lacan die Metapher, die „ihren Platz genau da [hat], wo Sinn im Unsinn entsteht“,73 auf den Witz, der diesen „Übergang“, „wie Freud entdeckt hat“, in „umgekehrter Richtung“ nimmt,74 den ‚Sinn‘ auf den Nichtsinn des Signifikanten-Spiels treffen lässt, das ihn erzeugt. 67

Zit. nach Renner, Art. „Witz“, 920ff.; vgl. zur Rede von Witz (ingenium) und Ähnlichkeiten ausführlich Kap. I; irritierend Geisenhanslüke, Dummheit und Witz, 35ff. 68 D.i. die Diagnose von der „restringierte[n] Rhetorik“ Genettes; vgl. Haverkamp, „Vorwort“, beide in ders. (Hg.), Theorie der Metapher. 69 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182, 172; vgl. Simon, Die Idee der Prosa, 257; Wiethölter, Witzige Illumination, 115; Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘ in der Ästhetik Jean Pauls“, 96. 70 Das wird „nachträglich zum Vergleich zergliedert“, so H.-J. Frey, „Die Unübersetzbarkeit der Metapher“, hier und das Folgende, 47f. 71 Zur Paronomasie vgl. Groddeck, Reden über Rheotorik, 139; Cicero spricht diese (mit dem griech. Wort) als „ambiguo dicta“, „Zweideutigkeit“ an, die „sich auf einen Buchstaben bezieht“ (De Or. II 256, lat./dtsch. 372f.; zu den „ambigua“ II 250, 253-56, lat./dtsch. 368-73); der „Witz“ („iocus et facetiae“) wird in einer Art Exkurs (des zweiten Buches, lat./dtsch. 344-95) untersucht (auch „salsus“, „ridiculus“, „dicacitas“ , „urbanitas“). 72 Groddeck, Reden über Rhetorik, 139-156 (mit/gegen Lausbergs Kategorien). 73 Lacan zufolge („Das Drängen des Buchstaben“, 33) entspringt die Metapher zwischen zwei Signifikanten, sie springt aus (der Signifikantenkette) (Haverkamp, „Die wiederholte Metapher, 139f.). 74 Er gebe eben „jenem Wort Raum […], das im Französischen ‚das Wort‘ par excellence ist, das Wort, für das kein anderer als der Signifikant des esprit die Patenschaft übernimmt“

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Mit der Bestimmung von Witz als Metapher wird aber auch das ingenium, das das ganze Feld von ingenio, ingegno, esprit (und belle esprit), wit,75 Witz, wie auch genie, Genie oder Geist informiert,76 verpasst, da dieses, seit den RhetorikLehrbüchern als Gabe der Natur (auch vis) vor der von ihnen gelehrten lernbaren Kunst oder Technik situiert,77 keine einfache Relation zur Metapher unterhält, die als Trope der nachgeordneten Aufgabe der elocutio zugerechnet, als sprachliche Ausführung oder Ausschmückung dem eigentlich Gemeinten oder dem Gedanken subsumiert wird.78 Mit ingenium oder ingenio ist das Erzeugen akzentuiert,79 auch insofern es nicht in einer jeweiligen Form aufgehen, sich vollenden wird. In den Rhetoriken war ingenium, in dessen übersetzender Nachfolge seit der Frühen Neuzeit Witz oder wit als Vermögen vor allem für die inventio zuständig,80 die als ungewöhnliche Auffindung und zitierende Verkuppelung als „Findkunst“ ausgebildet wird.81 Der englische wit, die agudezza, acutezza des europäischen 16. und 17. Jahrhunderts tendieren dazu, die von der klassischen Rhetorik unterschiedenen Register inventio, dispositio, elocutio „transversalement“ zusammenzufassen.82 „Mais cette unité est rapidement

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(Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“, 33). Lacans Fußnote spricht vom „Äquivalent zum deutschen Ausdruck ‚Witz‘“, dgg. finde sich im Englischen kein Äquivalent: „da wit belastet ist durch die Diskussion von Davenant und von Hobbes bis Pope und Addison […]. Bleibt pun, das aber zu begrenzt ist“. Vgl. Empson: „Wit in the Essay on Criticism“, 85-97; dgg. in vorrangig beschränkender Weise Lewis, „wit (ingenium)“; Popes Text impliziere überall auch die Lesart „joke“ (Empson, 87; vgl. Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“), 69ff.), dgg. erbost Lewis (93). Vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 1-59, insb. 49; vgl. „witzig“ seit „beginn des 18.jhs.“, DW Bd.  30 (=14.2), Sp.  894; Art. zu ingenium (Engels, Weinrich) u. Genie (Ritter). So etwa Quintilian, Inst. or. X 2,12 (2. Teil, 490f.); vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 33-37. Diese Unterstellung subvertiert bekanntlich Kleists „Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“, s. Kap. II. M. Blanco unterstreicht für genio: genus, gignere, genare (Pointe, 26); Ayala, „Un arte para el ingenio“, LVIff. Vgl. Engels, Art. „Ingenium“, Sp. 392; bez. der Schulphilosophie, bei Wolff, Gottsched usw. vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“; Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 24-30, u.a.; vgl. Kap. I. So Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202, zum Er-/Finden vgl. 171; ders., Levana, SW I.5, 849; s. Kap. I, II, III.1. M. Blanco, Pointe, 119: „va du purement logique, l’acuité de l’intelligence et l’efficacité des arguments, jusqu’à la texture matérielle de l’écrit, les paronomases […]“. Der Concettismus „empfiehlt“ das acumen „als spezifische Verwendungsweise des gesamten rhetorischen Apparats“ (Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 107), auch (nach Hocke, Manierismus in der Literatur) als Paralogie: ‚akuter‘ Argumentationen (Lachmann, 101ff., 106f.).

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rompue [so Mercedes Blanco] au profit de l’éternel dualisme du contenue et de la forme“.83 Einerseits wurde die Kohärenz von vis und Metapher im Zeichen der (philosophischen) Erkenntnis proklamiert oder unterstellt; dazu muss im 18. Jahrhundert der Begriff des Genies taugen. Andererseits forderte das ingenium concettistisch oder euphuistisch (auch im umakzentuierenden „selektiven“ Anschluss an Aristoteles)84 die metaphorische Relation der Ähnlichkeit heraus, indem es Ähnlichkeiten erfindend deren Gegebenheit und Substantialität dekonstruiert.85 Concetti oder conceptos wenden sich, als Paronomasien oder Anagramme, die u.a. zu ihren Formen gehören, autoreferentiell auf ihre Verfahren. Ingenio oder ingegno, der Unbekanntes, Ungewusstes, Neues in Überbietung der (alten) Rhetorik erfindet, sprengt die Beschränkung durch die Maßgabe von imitatio oder Mimesis,86 wie der Witz in seinem frei verstellenden (insofern nicht mehr bloß kombinatorischen) Agieren auch die der inventio durch die Topik der überlieferten ‚festen‘ Örter.87 Im Witz macht sich eine Kraft der Erfindung geltend, die (allein) durch sprachliche Bezüge gedeckt ist (in diesem Sinne wertete John Locke wit als fancy ab).88 Unter dem Wort wit oder Witz vollziehen sich im 18. Jahrhundert Transformationen der Poetik,89 die nachträglich als Ablösung (der poetischen Funktion) von wit, Witz identifiziert werden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird der Witz einem Maß vor oder jenseits seiner Operationen unterstellt, dem des sense oder Sinn,90 nach dessen Maßgabe zumal seine barocken wort- und buchstabenspielenden Modi als sowohl leer spielende als auch mit einer unbewältigbaren dunklen ‚chaotischen‘ Fülle drohend ausgeschlossen werden.91 83 M. Blanco, Pointe, 119. 84 Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 102, 105ff. 85 Wird die „Metapher dekonstruiert“, so M. Blanco, Pointe, 173; vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 101-09, 113-16, 126-30. 86 Das produktive ingenium (oder Witz) sollte auf Nachahmung verpflichtet werden, vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 704; (zu Gottsched u.a.) Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 29f.; zum Komplex des Er-/Findens s. Kap. I. 87 Vgl. Kap. I.5 u. 6; vor allem Kap. III.1. 88 Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 203; subsumiert „wit“ judgement (202ff.), wie das ingenium seit der antiken Rhetorik als inventive Findung (auf verschiedene Weise) an iudicium gebunden wurde. 89 Empson stellt das als Arbeit ‚im‘ (komplexen) Wort „wit“ dar (Structure of Complex Words, 97); in Popes Essay on Criticism muss „wit“ alle in den poetischen Auseinandersetzungen einander widerstreitende Positionen benennen. Die instabile Struktur, die das Wort ‚im Innern‘ durchzieht, sei zu kartieren (Empson, 101). 90 Vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 85f., 99f. 91 Vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 97, zu Popes „wild heap of wit“ (Essay on Criticism, v. 292), zu Adelung u. Jean Paul vgl. Kap. I.

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Die modellierende Absage an die veralteten, ‚barocken‘ oder concettistischen Moden, die im Zweifel immer den anderen gilt,92 hat ein Seitenstück im Feld der gegenseitigen nationalen Zuschreibungen des Ungenügens und der Verfehltheiten von wit, esprit, von Witzigkeit usw.93 Um 1800 hat vor allem der Sprachwitz seine aufs ingenium und die Er-Findung zurückgehende Ehrwürdigkeit verloren und wird mit den barocken Spielen verworfen, da er nicht dem Sinn zu dienen scheint und mit ihm der Unsinn der Sprache überhand zu nehmen droht. Die eingeführte Erzählung lautet, Witz werde schließlich transformiert in – oder vielmehr abgelöst durch Genie,94 um sich der sich neu begründenden Ästhetik zu bequemen. Paul Böckmanns Formgeschichte der deutschen Dichtung zufolge war der Witz zwar als produktive Kraft der Lösung aus den Regeln der Poetik gerechtfertigt,95 aber aus der Perspektive von des

92 So erteilt Abraham Cowley „Ode: Of Wit“ (1668) allem glitzernden Luxurieren eine Absage (vs.  33-38), wie „An’grams and Acrostick“ (v.  44), wird aber seinerseits des Witz„Überfluss[es]“ geziehen von Addison (vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 164-168), von Samuel Johnson den „metaphysical poets“ zugerechnet (169-173) und von Pope fast wörtlich dasselbe (wie Cowley) als nicht angemessene Glanzausstattung an diesem kritisiert (Essay on Criticism (1711), vs. 290-95, vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 92, 86); vgl. M. Blano, Pointe, 119-122. 93 In den umlaufenden Entgegensetzungen des 18. Jh. von wit, mit dem das ingenium seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. ins Englische übersetzt wurde, vers. esprit, die entsprechende frz. Übers. oder unterscheidend: bel esprit, und der spät, in Abwehr des französischen esprit den Anschluss an wit suchende, deutsche Witz, sowie die Anschlüsse génie, Genie oder deutsch Geist, werden historische und nationale Stereotypien ausgeprägt, und zwar in bemerkenswerten Überkreuzungen der gegenseitigen Zuschreibung (vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 6-36, 45-53; Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 699ff., 714, 728, zu den Konvergenzen von esprit, wit, Witz, 701-04). Dominique Bouhours (1671) fand mit der Behauptung, es wäre etwas ganz Einzigartiges, wenn ein Deutscher ein bel esprit wäre, erregte deutsche Resonanzen (vgl. Hill, The Soul of Wit, 11ff.; Art. „Witz“, DW Bd. 30 (=14.2), Sp. 871; Best, 16-23, 35, 45ff., 52f.; „L’esprit des Allemands“ M. Blanco, Pointe, 139142). Gegen das mitlaufende Klima-Argument musste auch Pope sich verwahren: „Meanly they seek the Blessing to confine,/ And force that Sun but on a Part to Shine;/ Which not alone the Southern Wit sublimes,/ But ripens Spirits in cold Northern Climes“ (Pope, Essay on Criticism, 286 (vs. 398-401)). Umgekehrt schrieben die Deutschen ihrerseits den nördlicheren Völkern wie den Russen Mangel an Witz zu, usw. Aber Jean Paul: „Da dem Deutschen folglich zum Witze nichts fehlet als die Freiheit: so geb’ er sich doch diese! Etwas glaubt’ er vielleicht für diese dadurch zu tun, daß er neuerer Zeiten ein und das andere rheinische Länder-Stück in Freiheit setzte, nämlich in französische“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 200f.). Vgl. Critchleys Ethnizität der Witze (On Humour, 69-73). 94 Er verliert um 1760 „seine Funktion als ein zentrales poetisches Prinzip an den Geniebegriff“ (Renner, Art „Witz“, 923). 95 Vgl. Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1; Preisendanz, Über den Witz, 7f.; ders. Humor als dichterische Einbildungskraft, 285.

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Witzes Ende als seines telos, sei der Witz, der erfindend den Freiraum für die Ausbildung poetischer Sprache geschaffen habe,96 die unter dem Namen „Ausdruck“ „mit einem tieferen Gehalt“ untersetzt werden musste,97 bloß eine „wesentliche Voraussetzung des Genies“98 und mit diesem ‚überwunden‘.99 Die vermeintliche Einlösung und Überwindung des Witzes pflegt im Deutschen unter dem Titel „Genie“, zunächst nur eine andere Anschließung ans ingenium neben dem dieses übersetzenden wit, besiegelt zu werden, das als Naturgabe die Hervorbringungen der Kunst begründe,100 so dass es Heterogenität ausgeschlossen (oder schon integriert) habe. Mit den Begriffen Genie und Geist wird entschieden, dass deutsche Dichter esprit gar nicht (sollten) haben wollen, sondern stattdessen Geist oder besser noch Seele, die zu verkörpernder lebendiger Darstellung gelange.101 Aus der teleologischen Ausrichtung auf das Genie und die Poesie, die zum „Ausdruck“ als der sog. „Muttersprache des menschlichen Geschlechts“ (Böckmann) avanciere, denen gegenüber der Witz nur eine vorübergehende überholte Funktion habe, muss der Witz, der derart wie angezeigt, auch historisch beschränkt wird, gelöst werden. Er wird sich doch stets wieder und erneut keinesfalls Ausdruck und Subjekt (der Rede) verträglich zeigen. Kant hat (über den „produktiven“ oder „schöpferischen“ Witz hinaus) von der Entdeckung dessen, was – nachträglich – als vorher schon vorhanden angenommen wird, die Erfindung dessen unterschieden, wovon es (auch

96 Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 1-5, 471-474 (zur Anknüpfung ans Englische und Französische), 492ff. (zur „Eindeutschung“), 504f. (mit Wolffs Rede von „Witz oder Ingenium“). 97 Dafür stehe Lessing ein, so Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 530; die „Bemühungen um eine witzige Formensprache“ werden als Suche nach „Auffassungsformen und Darstellungsweisen“ teleologisch ausgerichtet: bis „dann die Ausdruckshaltung eine weiterreichende und tiefer dringende Bewältigung der Aufgabe gestattete“ (528ff.). 98 Als „produktive Vermittlung von Einbildungskraft und Verstand“ (Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 1-5; zur Rolle des Witzes für die „Entwicklung der Ästhetik“, vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 33). 99 Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 517; zur Fraglichkeit dessen vgl. J. Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens, Bd. I, 87-91, sowie Bd. I insg. 100 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X, 181. „Genie, génie“ hat eine weitere Vorgeschichte in „genius“, vgl. Engels, Art. „Ingenium“, Sp. 387-88, 413; M. Blanco, Pointe, 26; Ritter, Art. „Genie“, Sp. 279-293, 302, vgl. in Kap. II. 101 Das kann als Erwiderung gegen Bouhours: „C’est une chose singulière – qu’un bel esprit Allemand“ genommen werden, vgl. Hill, The Soul of Wit, 11ff.; Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 58f., 49, 45ff.

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nachträglich) zuvor keine Vorstellung gab.102 Kants Beispiel ist das Schießpulver, und, als sei das kein Zufall, spricht Jean Paul mit Friedrich Schlegel vom „Blitz des Witzes“,103 der „allein daher erfindet, und zwar unvermittelt; daher nennt ihn Schlegel mit Recht fragmentarische Genialität; daher kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen.“104 Der Witz, „wie der blitz“ schon wieder weg,105 ist ‚unvermitteltes‘ unkontrolliertes Ein- und Auftreten dessen, was (nachträglich) vorher nicht gewusst werden konnte.106 – Einfälle stellen, so Lichtenberg, potentiell überall sich ein: „Er sah in jeden drei Worten einen Einfall und in jeden drei Punkten ein Gesicht.“107 Das ist ihm verdächtig, denn wenn „nichts etwas“ gemacht haben könnte, so liegt die „Vermutung nahe, es sei vielleicht auch bisweilen dieses Etwas nicht viel mehr oder sogar noch weniger als nichts. Dann zum Beispiel, wenn der Einfall ein ‚künstlicher‘ ist, statt ein ‚natürlicher‘“.108 Misstrauen gilt den witzigen Verfahren und ihren Effekten, insofern unentschieden ist, ob es sich um ‚etwas‘ handelt, was substantiell, von innen gehalten wäre, oder vielmehr (eigentlich) nichts oder „weniger als nichts“: bloß „künstlich“, äußerlich beigebracht, alles mögliche ‚Ungegründete‘.109 Dieses Misstrauen hat auf bezeichnende Weise an der Geschichte des Witzes teil: Ein Zuviel ohne Maß wird seit der antiken Rhetorik für die Reden der euphuists vermerkt, die den Anforderungen der Deutlichkeit, der Durchsichtigkeit sich nicht fügen, das (vermeintlich) Thematisierte im Glanzgeflimmer der Blumen wie Blitzen der concettistischen Reden sich verlieren lassen.110 Das Über-Maß des Witzes wird im 18. Jahrhundert im 102 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, § 54-57; dies behält er dem Genie und der Kunst vor. 103 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170; zur Witz-Blitz-Relation vgl. Kap. I, Kap. II. 104 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. 105 D.i. eine andere Herleitung: „in einem witz“ werde zugegriffen oder „fiel es“ („1witz“, DW Bd. 30 (=14.2), Sp. 861), mit Verweis auf „witsch“, „tonnachahmende bezeichnung einer sehr schnellen, flitzenden bewegung“ (Sp.  814), „jeden augenblick, plötzlich, unversehens“: „blitzschnell entwischen“ (Sp. 815). 106 Das Genie macht, im Verhältnis zu den Schritten der „Verfahren“, „Sprünge“ (Lichtenberg, Sudelbücher II, 340 (J 1889)). F. Schlegel zufolge: der „Witz tritt ohne alle Beziehung auf das Vorige, ganz unerwartet und plötzlich auf“ (KFSA XII, 393). Vgl. Wirth, „Das Neue als witziger Einfall“; Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, vgl. in Kap. I, Kap. II. 107 Lichtenberg, Sudelbücher I, 475 (F 98); vgl. Kap. III.1. 108 E. Frey, „Lichtenbergs Einfälle“, 509, vgl. 516. 109 Popes „True Wit is Nature to Advantage drest“ (Essay on Criticism, v. 297) reduziere „strength of Thought to happiness of language“ (so S.  Johnson, Lives of the Poets, 19; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 169f.). 110 Vgl. Cicero, De or. (lat./dtsch.), III, 25, 460f. u. III, 96, 506f.; Quintilian, Inst. or., II 5, 22 [1. Teil, 196-199], vgl. engl. Übers. v. Butler; Glanzlichter: realces heißt im Spanischen Graciáns der Glanz der para-rhetorischen Figuren (von der Erhabenheit her); vgl.

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Abwehrgestus gegen den veralteten (den gelehrten, den ‚barocken‘) Witz abgetan, u.a. mit der Metaphorik der geforderten dezenten Bekleidung.111 Grundlose Hervorbringungen oder auch, in Assoziation von Lockes fancy: Einkleidungen, und nichts darunter,112 drohen stets zu viel zu sein, wo sie nicht dem Maß der Wahrheit, die sich in diese kleide und (umgekehrt) durch diese sich darstelle, unterstehen, nicht in einem Gehalt aufgehen, der (auch wo er erst gefunden werden muss) sie eigentlich begründe. Daher waren sie zum einen, Locke zufolge, durch judgement zu reglementieren. Zum andern wurden sie im Namen des Ausdrucks, des Genies, aus dem Feld der Dichtung ausgetrieben,113 so vor allem die Buchstaben-Spiele, da sie sich der Ganzheit eines Ausdrucks der ein Inneres verkörpernden lebendigen Darstellung sperren. Was stets mit Übermaß drohe,114 erfordere eine subsumierende, beschränkende und ausschließende Inklusion in die neu sich begründende Ästhetik, indem etwa mit der dem Witz entgegengesetzten Poesie (so auch Jean Paul) ‚von innen‘ ein Maß des inneren Sinn-Zusammenhangs mit der menschenähnlichen Gestalt vorgegeben wird. Hervorbringungen, die in diesem Register als widernatürlich und monströs gekennzeichnet werden,115 setzen nicht nur sich der Genealogie entgegen, sondern auch diese und deren Verpflichtung auf das Eigentliche und Eigene (Väterliche) aus. Auch dem Konzept des Genies kann abgelesen werden, dass den genialen Hervorbringungen die ‚Gefahr‘ des Unsinns, der K.-P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 63ff. Die flores Ciceros (De or. III, 96), die als Ornat der Rede Abwechslung und Glanz verleihen, sind ins Deutsche tout court als „Formulierungs- und Gedankenblitze“, die ‚sprühen‘, übers. (de or., 507). Der Vorwurf des Gefunkels gilt den Concettisten, vgl. Cowleys „Ode: Of Wit“, v. 23, vs. 33-40, der selbst als euphuist geschmäht wird; „glittering Thoughts struck out at ev’ry Line“, „One glaring Chaos […] of Wit“ verwirft Pope (Essay on Criticism, v. 290ff.; vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 92). 111 Pope, Essay on Criticism, v.  297, gegen überholte Fashions (vs.  315-33), (offenbar wirksame) false „Modes in Wit“ (vs. 446-51), „Shakespeare’s age“, zugerechnet (die „Anagrams“ u. „Acrostic“, Einschub vs. 449/50 (seit 1736), 289f.). 112 Die von „wit“ oder „fancy“ generierten sprachlichen Hervorbringungen tut Locke als verführerische Oberflächen ohne referentielle Deckung, verführerische und daher gefährliche: fehlleitende Gewebe ab – das von judgement, das als „faculty of reason“ als Überschrift das erste und das letzte Wort behält, gebändigt, beschränkt werden muss (Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 202ff.). 113 Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 1-5. 114 Im Übermaß als Unmaß liegt ein Drohendes. Das merkt Empson der Formulierung „glaring Chaos and wild heap of wit“ (Pope, Essay on Criticism, v. 292) ab (Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 92). 115 Dafür ist die Kopulations-Metapher Jean Pauls, in Sternes Tristram Shandy u.a., zu beachten (s.  Kap.  I u. Kap.  III.1), heterogene: monströse Verbindungen (durch’s Genie, Diderot), in den Wörtern (Paronomasie, mot-valise), die auch Regel und Aregularität verbinden (Grésillon, La règle et le monstre, Kap I.2), Gesetz und Ausnahme (vgl. Kap. IV.1).

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Kontingenz angehört,116 die (allerdings zugleich) an (oder mit) dem Genie domestiziert oder vergessen,117 bzw. die: der Unsinn als „Ungestalt des Genies“, ausgeschlossen sein soll.118 – Der Witz, der das ‚Erzeugen‘ als diskontinuierliches, grundloses und unberechenbares, die Kraft (des Erzeugens) gegen die gegebene, die gewordene Form zur Geltung bringt, verweist jede vermeintliche Darstellung jenseits (oder diesseits) der Gestalt auf das unbestimmte Zuviel des Nicht-Gewordenen. Auch wenn ‚witziger Einfall‘ um 1800 längst eine feste Fügung ist,119 erfährt der Witz mit „Einfall“ wörtlich eine Akzentuierung, die nicht mit „idea“ oder „notion“ wiedergegeben,120 nicht als „conceit“121 oder „sudden inspiration“ übersetzt werden kann.122 Der Einfall ist auch Einfall,123 impliziert das physische Ein-Fallen:124 in sich und von anderswoher,125 im Sinne auch von

116 Menninghaus macht das mit Kants Genie-Konzept lesbar: den Unsinn als „Grund und Abgrund“ der genialen Hervorbringungen („Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 264f.) und die „Vermeidung des Unsinns durch Domestizierung des Genies“ (266; bei Geisenhanslüke dgg. Schutz gegen „Wahnsinn“, Dummheit und Witz, 47ff.). 117 Das Regellose wird im Rückgang auf Natur gestillt, unbeunruhigend; Genie fungiert als Einholung und Ausschluss aller Kontingenz. 118 Menninghaus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 272f.; ist demnach Unsinn ein im Genie-Konzept „eingeschlossenes Ausgeschlossenes (274), so durchfurcht (aber) der „Rand des Unsinns“ (284) dieses Konzept. 119 Seit der Aufklärung, vgl. „witziger einfall“ in DW Bd. 30 (=14.2), Sp. 895f., bei Kant, Lichtenberg sowie Jean Paul (wie zit. u.ö.), F. Schlegel, „Kritische Fragmente“, KFSA II, 150 (Nr. 34), Novalis, „Vermischte Bemerkungen“/„Blüthenstaub“, N II 434-37 (Fr. 58). Hippel spricht von „Einfällist“, so Neumanns Belege für das Wort „Aphorismus“ (Ideenparadiese, 25-27, 48). Umgekehrt könne „wit“ mit Einfall übersetzt werden (Busch, Great wits jump, 10f.). 120 Das bieten Wörterbücher an. „Einfälle“, betitelt Jean Paul einige seiner Notat-Sammlungen, andere heißen „Ideen“. 121 „Einfall“ wird mit „conceit“ übersetzt im Falle von Jean Paul Richter’s School for Aesthetics, 136f., 140f. 122 So wird Kant, „Von dem spezifischen Unterschiede des Vergleichenden und des Vernünftelnden Witzes“, WW XII, 539, übersetzt in „On the specific difference between comparative and argumentative wit“, Anthropology from a Pragmatic Point of View, 116. 123 Kuno Fischer, einer derjenigen, die im 19. Jh. an Jean Paul anschließen und von Freud gelesen wurden, kennzeichnet „Einfall“ als das „gute Wort“, das das Deutsche zur Verfügung habe, für den Witz, der „als Einfall entspringt und als Schlaglicht in die Vorstellungen einfällt“ (Fischer, Ueber den Witz, 100, vgl. 109). 124 Vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“, 89ff., 98ff. u.a; Pusse, Von Fall zu Fall, 10, 14f., 16, 21, sowie der „Einfall des Lachens“, 8ff., 14, 16ff.; vgl. Kap. IV.1. 125 Freud zufolge: der andere Schauplatz des Unbewussten, „aus der unbewußten Welt“, so F.  Schlegel (KFSA XII, 393). Das anders-woher des „Einfalls“ wird verschieden gefasst: die Dunkelheit des (noch) nicht-Gewussten oder des ‚Gemüts‘ (vgl. Kap.  II), die ungeschiedene Vielheit alles Möglichen (vgl. Kap. III.1).

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„intrusion“, als Fall und Zu-Fallen. Als „Kraft zu wissen“ ist der Witz nicht bestimmt durch – und nicht eingelöst vom ‚etwas‘, das zu wissen wäre. Der Witz ist insofern paradigmatisch für die Ablösung vom Vermögen, das durch den Zusammenhang mit seinem Ergebnis als dessen Verwirklichung bestimmt wäre, als „Kraft“,126 die sich diskontinuierlich zu dem verhält, was sie an sich ‚verselbständigenden Effekten‘ erzeugen mag. Der Ereignischarakter des Witzes ist eine weitere Hinsicht, in der der Witz mit der (konventionellen) Auffassung ‚als Metapher‘ unverträglich ist. Der Einfall als incidence lässt wörtlich, von lateinisch cadere, fallen, auch accident und accidental, das nicht von ‚innen‘ begründete Zufällige, „Vorfälle“ wie „Unfälle“ (so auch Jean Paul) mitlesen.127 Dem ‚Einfall‘ des Witzes entspricht dessen Ausfallen (excidere), die Ausfälligkeit des Witzes128 und der ‚excess‘ der Witzäußerung (über das Geäußerte).129 Bestimmte die Relation von Sinn und Unsinn seit dem 18. Jahrhundert die Witz-Geschichte, auch als gegebener Sinn und ‚Nichts‘ der Materialität (Lipps), als ‚guter Witz‘ und Spiel (Freud), spielen Witze diese zuungunsten des Sinns aus. Freud vollzieht gegen die Relation, in der die Ästhetiken des Komischen des 19. Jahrhunderts den Witz diskutierten, eine Umwertung und Verschiebung:130 Der Zweck der Witzbildung ist, die „Lust am Unsinn“ zu schützen oder diese wiederzugewinnen,131 während der Sinn nur das Zugeständnis an die ‚kritische, beurteilende Instanz‘ ist, genauer, das dieser vom Witz gezeigte eine Gesicht seiner zwei Gesichter oder Seiten.132 „[D]a, wo Sinn im Unsinn entsteht“, d.i. die Metapher, lässt der Witz im umgekehrten „Übergang“, so Lacan, auf den „Spott des Signifikanten“ treffen, auf den Nichtsinn der Signifikanten, deren Spiel den Sinn, der ihm aufsitzt, erst erzeugt;133 Freuds Analyse des Witzes zeige, so Lacan, diese radikale ‚Infragestellung‘, die „Prekarität“ des Symbolischen.134 126 C. Menke, „Noch nicht“, 45; vgl. ders. Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie; vgl. Kap. I.1. 127 „Einfälle“ als „Vorfälle, Unfälle und Fälle“ spielt Jean Paul aus („Miserikordias Vorlesung“, SW I. 5, 357). 128 Vgl. Kap. IV.1 zu Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“. 129 Vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 160, vgl. 198; mit dem ‚explosiven Lachen‘ (174, 171, nach Freud). 130 Vgl. Freud, Der Witz, 16 (mit Lipps, vgl. Kap. I.1). 131 Freud, Der Witz, 118, 164; so stellt auch Menninghaus heraus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 274ff. 132 Daher kann und will Freuds Konzept „den Imperativ des Sinns nie ganz abschütteln“ (vgl. Menninghaus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 276); vgl. Kap. V. 133 Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“, 33. 134 Lacan, Die Objektbeziehung, 348f. u. Zupančič, The Odd One In, 142f./Der Geist der Komödie, 163f., 212.

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Als Wortspiel oder (rhetorisch) Paronomasie bringt der Witz den anderen mit der Metapher (in deren beschränkten Sinne) nicht übereinkommenden: dissoziativen und dekonstruktiven Zug bei. Der Witz spielt nicht nur mit den (ganzen) Worten, die als semantische Einheiten (auch in den Rhetoriken) vor allem mit den Tropen, und insbesondere mit der Metapher vorausgesetzt und distinguiert werden,135 sondern Wortwitze, Paronomasien, puns und Kalauer wie die buchstäblichen Spiele, die immer wieder abgewerteten Formen des Witzes, hintergehen die Worteinheit als vermeintliche semantische Einheit; im Rückgang auf deren insignifikative Elemente machen sie zerlegend, aufspaltend andere ‚Kräfte‘, die anderswohin verknüpfen mögen, iterierend verstellt verandern, effektiv. Witze, Wortspiele, puns überschreiten dabei auch die Grenzen eines Codes (wie sie mögen), geben andere: nicht codierte und grund-lose Verbindungen zu hören und/oder zu lesen, spielen sie – mit Effekten – aus,136 machen derart die Sinneffekte als grund- und haltlose kenntlich und geben sie (implizit schon) an andere preis. Das ‚Spiel‘, das der Witz um des Spiels willen treibe (so Jean Paul, eher pejorativ),137 fand vor allem aufklärerisch entschiedene Absagen; die damit nichts, nicht ‚etwas‘ zu sagen haben, hießen Witzlinge, witlings.138 Clemens Brentano dreht das: zuweilen „verliere ich mich in meiner Rede, die mit sich selbst zu witzeln anfängt“,139 mit einer Rede, die sich witzelnd mit sich befasst, sich auf sich (sich verandernd) bezieht und (mit sich) fort-spielt. Wortwitze, die die latenten Andersheiten der Wörter als andere (in ihnen) wi(e)dergelesene Wörter – mit Effekten – ausspielen, tun dies in selbstreferentieller Wendung und geben derart ein anderes ‚Konzept der Sprache‘ ab. Sie lassen die ‚unter‘ Wörtern: in ihnen (latenten, lauernden) anderen Wörter und damit die Anagrammatik der Sprache auftreten.140 Die als und mit den barocke/n Buchstabenspielen im 18. Jahrhundert

135 Aristoteles’ Einführung der Metapher beruht auf der Reduktion der Sprache (in Hinsicht von Sinn und Referenz) auf das Wort als semantische Einheit, Nomen oder Verb (alles andere: Artikel, Präpositionen, Vor- und Nachsilben ist außen vor), vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 255. 136 Vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“ und weitere Beiträge in ders. (Hg.), On Puns. 137 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201. 138 So Gottsched und die „Gottschedin“, die den „‚witzigen‘ Einakter Der Witzling“ verfasste, so auch Kant, Lessing, Grimm, vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 30f.; Pope, Essay on Criticism, v. 40 u.v.ö. 139 Brentano, Godwi, Werke II, 284; vgl. Novalis’ Spiel der Worte in „Monolog“ (N II, 672; s. Kap. I.5). 140 Vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“; Culler, „The Call of the Phoneme“; S.  Weber, „Saussure and the Apparition of Language“; Starobinski, Wörter unter Wörtern; vgl. Kap. I.6 u. Kap. IV.1.

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abgetanen anagrammatischen Operationen,141 die dissoziierend ‚ungewohnte‘ Verknüpfungen, andere Lesbarkeiten hervortreiben, rekurrrieren mit der Iterier- und Verstellbarkeit der ‚sprachlichen Elemente‘ auf die Latenzen der Sprache – und zeigen sie (unbestimmt viele, ‚in Reserve‘) an. Der Witz exponiert zum einen die Äußerlichkeit der sprachlichen ‚Elemente‘ und der Verfahren der Texte, damit zum anderen die operativ gemachte Beweglichkeit, die Verstellbarkeit der ‚Elemente‘, die sie iterierend anders verknüpft, zu anderen macht. Derart ist die Sprache als (andere) Maschine konzipierbar, die ohne ‚uns‘, ohne ‚unser‘ bewusstes Zutun und gegen ‚unsere‘ (vermeintlichen) Intentionen produzieren mag.142 Der Unsinn der Sprache wird insbesondere als der der zerlegend-verstel­ lenden Schrift kenntlich, daher (im 18. Jahrhundert) als ‚bloße‘ Buchstäblichkeit im Wortspiel und Anagramm beschränkt oder ausgeschlossen. Unternehme es der Sprachwitz (immer mehr) „ins Kleinere abzuteilen und zu zerfasern“, wären, so Jean Paul, jenseits oder vielmehr diesseits des den ‚Sinn‘ zum Spaß machenden buchstäblichen Spiels „[n]un noch als die ordentlich kürzeste Gedichtform gar Frag- und Ausrufzeichen anzuführen“, was Jean Paul „wohl in jedem Falle nur ein Scherz und wahrhaft überflüssig“ heißt.143 Gerade dem Überflüssigen aber gilt hier die Aufmerksamkeit. Über das als ‚barock‘, als verfehlt, keiner Ganzheit von Darstellung und Sinn sich subsumierend, verworfene Spiel mit den Buchstaben hinaus werden auch andere asignifikative skripturale Elemente ‚vor oder neben dem Alphabet‘ ins Spiel gebracht, ja in Szene gesetzt: nichts-sagende …. Punkte und – – – Striche als Interventionen des Witzes etwa in Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die „operativen Pausen“ (Jacques Derrida) Laurence Sternes und Jean Pauls,144 Marken des Sinn-Ausfalls, die weder in die Perspektive der Selbstaussprache, die im 18. Jahrhundert etabliert werden soll, noch in die der Semantik rückgeholt werden können.145 Geben Texte Jean Pauls bekanntermaßen oftmals dem Schreiben und Lesen, den Verfahren und (Kultur)-Techniken des Schreibens 141 Nach Haverkamp, Art. „Anagramm“, vgl. Kap. I.2, 5, 6. 142 Nach den beschränkten Räderwerken der Frühen Neuzeit (und deren Abwehr im 18. Jh.) mit de Man, Fried, Derrida, Barthes, vgl. Kap. I.6, sowie Kap. IV.1. 143 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 275; „what is so funny about Commas, dashes, periods etc.?“ (Miller, „Salt and Pepper to Taste“, 187). 144 Derrida, „Der Schacht und die Pyramide“, 108; s. in Kap. IV.1, IV.2. 145 Interpunktionszeichen, erst recht andere typographische Marker sind aus der Her­ meneutik der Dichtung ausgeschlossen (so Gadamer, vgl. Kap.  IV.2). Schuller zufolge setze sich (in der Lösung von „Genres und Autorschaft“) des Witzes „‚symbolische Natur‘ durch […]: Trennungszeichen, Gedankenstriche, Kommata, Schrift für Schrift“ („Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgang‘“, 20).

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(als Wiederlesen) „Schreibszenen“,146 werden von Texten wie denen Kleists, Jean Pauls, Sternes punktierend, mit Rüdiger Campe gesprochen, auch „Szene[n] der Schrift“ gestellt.147 Das witzige Spiel zwischen Sinn und Unsinn ist derart nicht nur fort-geführt, sondern auch durchschlagen, wenn die schriftlichen Marken als Fleck148 oder als Loch (des Textes) – in den Text einfallend, ausfallend – wirksam werden.149 Unter der Maßgabe einer sparsamen Ökonomie des Ausdrucks, der sich schließenden Form oder Gestalt der Darstellung wurde der Witz als (das Mitgeteilte schädigender) Überfluss und Verschwendung beschränkt oder überhaupt ausgeschlossen.150 Das angekreidete Unmaß des Witzes verhandelt Jean Paul (u.a.), indem er die Subsumption des Witzes als bloß sekundär hinzukommendes Ornat, Ornament, Zierde, denen die parerga oder Beiwerke, die Ränder und Nebenschauplätze angewiesen werden, um- und gegenschreibt: Der Deutsche „verzeiht“, so Jean Paul, „den Witz als Nebensache lieber denn als Sache – er will ihn als Putzkleid, nicht als Amtskleid erblicken“.151 Beiwerke, parerga und Supplemente152 aber lassen sich auf ihre Marginalität nicht verpflichten, tendieren dazu, das zu ‚überborden‘, dem sie nur dienen sollten, sind Parasiten, die die vorausgesetzte ‚problematische Grenze‘ von innen und

146 Schreibszenen: Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, u.a. 271f.; vgl. Stingelin, „‚Schreiben‘. Einleitung“, 8f., 13ff., 17f.; vgl. Kap. III.1, III.2. 147 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 281. 148 Was „sich allerdings noch auf die Sprache beziehe[], sofern sie deren äußerstes Ziel darstellen, ein Außen, eine Rück- oder Unterseite, Tintenfleck oder unlesbare Schrift“, wenn die Sprache „zu stottern, murmeln, stammeln […] beginnt“ (Deleuze, „Stotterte er  …“, 152). Eine ‚Philologie‘, die entgegen der dem Aufschreibesystem 1800 angehörenden sich den Buchstaben, Punkt und Strich im Einsatz der Schrift (Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, s.  Kap.  IV.2), der klecksenden Spur des Schreibens (Naumann, „Klecks, Punkt, Schluss“, 255) widmet, macht den ‚Witz‘ der Philologie geltend, der die Einheit von Wort und Geist aufkündigt. 149 Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“ ‚literalisiert‘, was Critchley heißt: „jokes tear holes in our usual predictions about the emprical world.“ (On Humour, 1; vgl. Rinck: Risiko und Idiotie, 117), bzw. das Wechselspiel von „whole“ und „hole“, in dem Fineman zufolge die Anekdote besteht („The History of the Anecdote“, vgl. Kap. IV.1). 150 Vgl. aber Jean Pauls das Maß aussetzender Überfluss der ‚Bilder‘, die ‚platzende‘ Spekulation, vgl. Kap. I.3. 151 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 196f.; vgl. Kap. I.4. 152 „para-“, die „antithetische[] Vorsilbe, die gleichzeitig Nähe und Entfernung, Ähnlichkeit und Unterschied, Innerlichkeit und Äußerlichkeit bezeichnet […], etwas, das zugleich diesseits und jenseits einer Grenze, einer Schwelle oder eines Randes liegt, den gleichen Status besitzt und dennoch sekundär ist“ (Miller, „The Critic as Host“, dt. zit. nach Genette, Paratexte, 9); vgl. Kap. I.4, III.1, IV.2.

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außen bearbeiten.153 In-szeniert sich Jean Paul als der ‚Meister‘ aller vermeintlichen Hinzu-, Ein-, und Anfügungen, so setzen diese aber alle Bemeisterungen aus.154 – Des Witzes Kraft hält gegen das abschließend sich darstellende Vermögen der Darstellung disruptiv die Bezogenheit der Form aufs Formlose, Ungeformte oder Formen im Werden, auf den Unsinn als Chaos des unbestimmt nicht-Gewordenen, alles Möglichen;155 der Witz trägt, sich nicht mit sich zusammenschließend, diesen Bezug vor. „Jokes“ sind, so auch Mary Douglas, „a play upon forms“, d.i. „between form and formlessness“,156 die der „social forms“ Relation von „structure“ und „the experience of non-structure“, des um der Erzeugung und Aufrechterhaltung von Struktur willen Ausgeschlossenen, austragen.157 Umgekehrt nähert Müller-Schöll das komische Geschehen als das, „was am falschen Ort und zur falschen Zeit geschehe“,158 „the dirt“, nach der berühmten Formel von Douglas:159 „matter out of place“ (deplatziert aus der Struktur, die der Ausschluss erzeugt). – Physis kommt nicht nur als 153 Vgl. Derrida, „This is not an oral footnote“, 196; ders., „Die Signatur aushöhlen“, 31; ders., „Parergon“. 154 Vgl. Kap. IV.2, sowie Kap. III.1 u. 2. 155 Das „Chaos“ des alles Möglichen, aller möglichen ‚Kopulationen‘ ohne Gewordensein stellt Jean Paul in einer Feier des Witzes, einer Passage von höchster Ambiguität vor (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202, vgl. Kap. III.1; Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 177180, 167). „Das Chaos hypertropher Vergleichung und Vernetzung scheint […] am Rand und als Gefahr [der mit dem Witz im 18. Jh. gesuchten und vermehrten Ähnlichkeiten] auf“ (Kilcher, „Lessings Changeant“, 268), als „Unsinn“, als Un- und Abgrund der genialen Hervorbringungen (Menninghaus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 264-67). Jean Paul mag an der Stelle  F.  Schlegel kommentieren, dem Kombinatorik und Chaos zusammengehören (KFSA III, 476, 347, XVIII, 111; vgl. Kilcher, 273f.). Auf „diese Seite des Schlegelschen Denkens“ hebt Wellbery ab, die eines chaotisierenden Schreibens, der jouissance, das „Chaos“, das die Ironie absehbar mache: die „Ironie als potenzierte Reflexion auf das Sich-Innewerden des Geistes im System“, die „andererseits […] in ein Spiegelkabinett der Vervielfältigung (KFSA II, 182, Nr.  116) hinein[führe], das vom Labyrinth des unendlichen Lebens nicht zu unterscheiden ist.“ (Wellbery, „Rhetorik und Literatur“, 172). Novalis nennt zwei Seiten des Witzes: das „Verworrene“ „kann noch was werden“, „deutet auf Überfluß an Kraft“ (N II, 432-35) und die „Auflösung aller Verhältnisse“, das „Unbedeutende, Gemeine, […] Häßliche“ nur „um des Witzes willen“ (N II, 426, bzw. 435 (fr. 57)). 156 Douglas, „Jokes“, 98, 92, 91, 103f. 157 Douglas stellt mit „Jokes“ (102-08) den Bezug auf ihre Untersuchung Purity and Danger her; jokes beziehen „articulate areas of the social structure […] to others in inarticulate areas“ (91), und zwar als „symbolic behaviour which is […] a play upon form“ (92, vgl. 103); insofern „the joker is not exposed to danger“ (107), das wäre ‚schlicht‘ Inartikuliertheit. 158 Müller-Schöll, „Das Komische als Ereignis“, 299. 159 Douglas, Purity and Danger, 44, s. Kap. III.2; auf ihr Konzept der Struktur erzeugenden Ausschlüsse, die ‚Abfälle‘ am Nicht-Ort erzeugen, bezieht sie auch „Jokes“ (106, 105-08).

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die des Körpers, als ‚komischer Gegenstand‘160 oder aber als vom Lachen erschütterter161 ins Spiel, sondern auch als die Materie, auf die Texte (zuweilen in ihren Schreibszenen) zielen mögen, weniger die der Texte, sondern diesseits und jenseits ihrer: als deren Abfall, an den Rändern des Textes, die diesen im Innern durchqueren, jene Materialitäten, die den Text wie alle Materie der Kontingenz,162 der Hinfälligkeit aussetzen.163 Der Witz als Spiel, das ‚ums Spiel spielt‘ (nichts sonst),164 suspendiert eine Ökonomie des Ausdrucks oder (Zeichen-)Einsatzes, die auf einen Gewinn, ein Resultat der signifikanten Verschiebungen spekuliert.165 Die Beschränkung des sprachlichen Ausdrucks durch dessen Unterstellung unter Sinn und Gehalt wird von der witzigen Äußerung effektiv ‚überschossen‘, excediert, so dass die Kraft 160 So mit dem Körper, der, dem ‚eigentlichen‘ Leben der ‚Seele‘ fremd, als ein Ding anhängt, „mit maschinenhafter Beharrlichkeit dazwischenfunkt“, nach Bergson (Das Lachen, 39f., 27-31). Bachtins Konzept des „grotesken Körpers“ artikuliert die Ambivalenz in Bezug auf den Tod, das Nicht-Gewordene, die unstrukturierte Masse (gegenüber dem frühneuzeitlich gegen diese: ausschließend etablierten vermeintlich geschlossenen, ganzen und ausdrucksvollen Körper; vgl. Kap. IV.1, d.i. komplexer als von Critchley wahrgenommen, On Humour, 51, 61): nicht bloß ‚Befreiung‘ durch den Körper und das Untere, sondern der Körper im Werden (vgl. auch Douglas, „Do Dogs laugh?“, 86; zum Körper, der excrementellen Funktion, dies. „Jokes“, 102f., 109f.); „something formal is attacked by something informal“ (so zu einfach auch zu Freud, 95), joking ist aber „symbolic behaviour which is […] a play upon form“, „between form and formlessness“ (91f., 96ff.). Douglas bezieht „joking“ auf „ritual pollution“ und unterscheidet (92, vgl. 106ff.): ist im Ritus „hierarchy reinforced“, so diese im „joke“ „undermined“ (102f.); „joke“ „affords opportunity for realising that an accepted pattern has no necessity“ (96, vgl. 103): „It is frivolous in that it produces no real alternative, only an exhilarating sense of freedom from form in general“ (96, 108). 161 Bei Kant nur in der Fassung der gemäßigten Diätetik, Freud zufolge aber das ‚explosionsartige Lachen‘; zu kulturellen Differenzen, z.B. das paroxistische Lachen in pygmäischer Kultur (Douglas, „Do Dogs laugh?“, 84, zu Körper, Lachen, sozialer Situation, 86ff.); Critchley (On Humour, 7ff.) setzt dgg. normativ das humor-volle Lächeln (105-09). 162 D.i. gerade die Gegentendenz zur symbolischen Bewältigung des Zufalls (die meist gewollt wird) vgl. Kap. III.2. 163 Vgl. Kap.  III.2. Bez. einer „neue[n] Sympathie für das Unleserliche“ fragt Rinck: „Das Störrische, Sture, […] die Füllung […], blinde Scheiben […], Gips, […] Industrieabfälle, […] eine Mousse aus Sand und Silikon, in jedem Fall: Widerstand, der zustande kommt durch das Dazwischen einer unbestimmten amorphen Materie. Ist das der herausgezögerte Gedanke? Oder […] das Eigene, bevor der Begriff in der Lage ist, sich dazu zu finden“ (Risiko und Idiotie, 164). 164 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; er pejorisiert dies, setzt den Ernst (um den es gehe) entgegen, während etwa F.  Schlegel zufolge das derart beschränkte Spiel keines mehr wäre, vgl. Kap. I.5. 165 Vgl. Kap. I.5. Das Modell, das Spiel durch seine Unter- und Abscheidung von Realität und Ökonomie zu bestimmen (so Caillois’ Spieltheorie), und damit diese Grenzziehung stellt Ehrman in Frage („Homo Ludens revisited“).

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der Äußerung im Überschuss manifest,166 und Ökonomie, auch als Kalkül aufs Spiel und auf den Überschuss entgrenzt wird. Die ‚Ökonomie des Witzes‘, die Freuds Theorie zunächst als eine beschränkte nach dem Prinzip der Ersparnis scheint denken zu wollen, erweist sich als An-Ökonomie.167 „Einfälle geben sich oft als Geschenk“, so folgt Eleonore Frey Lichtenberg,168 weil sie grundlos sind. Sie fallen zu, ohne dass man vor dem Ereignis von ihnen gewusst und sich auf diese ausgerichtet haben könnte. Der Zusammenhang von Ein- und Zufall irritiert des Witzes Verpflichtung auf Gehalt oder Sinn, sei dieser epistemologischer oder ästhetischer Art; er führt vielmehr auf deren andere Erläuterung als grundlose Koinzidenzen.169 Die Freud’sche Theorie des Witzes trägt mit ihrer Rede vom Witz als „ungewollter ‚Einfall‘“, der als nicht intentional kontrollierter dem Zufall genähert ist,170 zu einer solchen Verschiebung in besonderer Weise bei. Als „ungewollter“ verweist der Einfall auf einen ‚anderen Schauplatz‘, aus dem er einfällt – und zufällt. Das kann mit dem (meist abwertend genannten) Modell des Glücksspiels gedacht werden, das aus einem unerkannten und unbestimmten (dunklen) ‚Raum der Potentialitäten‘ Ereignisse zuspielt,171 aus dem zutage tritt oder zufällt, was als Witz eintrifft. Dies aber nur, insofern es jen- oder diesseits der Rahmung(en), in denen Ereignisse bestimmt und kalkulierbar sind, getrieben wird.172 In der Relation des Einfalls auf den Zufall der Sprache handelt es sich (bereits bei Jean Paul) um Ereignisse als unabsehbare Zustellungen aus dem ‚Raum‘ der Sprache, des nicht abzählbaren, unbestimmten, latenten (alles) Möglichen. Das ‚Setzen auf gut Glück‘ setzt auf diese Potentialität, indem es die Äußerung im Spiel der Sprache den Zufällen preisgibt.173 So wirft die Sprache als andere Maschine, deren Nicht-Kontrollierbarkeit gedacht werden muss, ‚ohne uns‘, Effekte aus: 166 Felman, Le scandale du corps parlant, 160, 171-74. 167 Sehr oft wird Freuds Konzept (en passant) verfehlt auf die Ökonomie der Ersparnis reduziert, z.B. M.  Blanco, Cohen, Critchley, Douglas, u.ö.; anders die Freuds Text gewidmeten Lektüren, z.B. Kofman, Schuller, S. Weber, u.a. 168 Vgl. E. Frey, „Lichtenbergs Einfälle“, 510. 169 Vgl. Kap. III.1 u.ö. 170 Freud, Der Witz, 157. Sei der Einfall des Träumers nachher zu seinem Traum als „nicht willkürlich“ zu nehmen (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, 122, vgl. 120ff., zuvor zu den Fehlleistungen, 70), so mache das „Quasseln […] auf einmal Sinn“ (Tscholl, Krumme Geschäfte, 135, nicht zufällig unter „Abfälle“), aber nachträglich. Zu Freuds Annäherung von Einfällen und Zufällen: „when all intention has been dropped“, vgl. Fleming, „Beside oneself“, 196f., 201. 171 Vgl. Agamben, „On Potentiality“, vgl. Kap. II. 172 Das wird hinsichtlich Kontingenz, Glücksspiel und dem Glücken (jenseits der Rahmen, die diesen gegeben werden müssen, um gespielt zu werden und berechenbar zu sein) verhandelt in Kap. I.5, III.1. 173 Vgl. Kap. II sowie Kap. III.1.

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aus einem Raum des unbestimmt Möglichen, das im Gebrauch unaufhörlich, unabsehbar iterierend sich vervielfacht. Mit den literalen Implikationen des ‚Ein-Falls‘ ist die nicht symbolisch integrierbare Unterbrechung, ein Bruch mit linearer Zeit vorzustellen, ein Zu-Stoßendes, ein Ereignis, von dem man nicht weiß, was es ist. Gehen wir noch mal einen Schritt zurück, um den Witz in die Perspektive seiner Effekte oder Wirkungen zu nehmen; so legte es der Concettismus auf Verblüffung und Erstaunen an,174 die auf die Verfahren zurückwenden; im 17. bis ins 18. Jahrhundert wurde mit Ergötzen, delight, auf Geselligkeit gezielt,175 die mit dem Spiel als Unterhaltung176 um 1800 eine Note des Veralteten hat und nicht mehr ins Feld der Dichtung gehöre, eine Ausweisung, die Jean Paul in die topographische Metapher fasst, dass das Wortspiel „vom Druckpapier und aus dem Schreibzimmer meistens vertrieben und mit andern schlechtern Spielen in die Besuchzimmer gewiesen“ wurde.177 ‚Erscheint‘ so Jean Paul, „bloßer [Witz] zuweilen komisch“, insofern er seine „Stärke erst aus einer komischen Umgebung oder Stimmung hole“,178 so ‚erleichtert‘ (auch) Freud zufolge eine durch Intoxikation oder Witzeerzählen induzierte „heitere Stimmung“, die „die hemmenden Kräfte […] herabsetzt“, die Witzbildung.179 Der Witz ist, so Freud, ein genuin sozialer Vorgang, weil über ihn das Lachen des anderen entscheidet. Freud verschiebt den Witz aus der Semantik in die Pragmatik (im Peirce’schen Sinne, so Samuel Weber), derzufolge die Wirkung, das Lachen, das er erweckt, ihn nachträglich zum Witz gemacht haben wird.180 Da erst das Lachen des/r anderen der ersten Person „die Gewißheit von dem Gelingen der Witzarbeit“ gibt,181 muss der Witz erzählt werden, eröffnet er eine soziale Relation von Witzerzähler und –hörer(n).182 Das hat Vorläufer, 174 Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 106-11, 123f., 131; M. Blanco, Pointe, 175. 175 Vgl. etwa Addison, Artikelserie („true wit“) in The Spectator (Mai 1711), hier No.  62 (Ausg. 1804, Bd. 1, 162f). 176 Vgl. Harsdörffers vielbändige Frauenzimmer-Gespächsspiele. 177 Auch dies ist, wie Jean Paul vermerkt, bereits überholt: „Nur die neuern Poetiker rufen es wieder auf das Papier zurück“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191f.). 178 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5 (§ 30, „Quelle des Vergnügens am Lächerlichen“), 123. 179 Freud, Der Witz, 119-122, 158f.; das steht in einem nicht einfachen Verhältnis zum Ersparungs-Modell, vgl. Kap. V. 180 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80ff.; untertourig Renner, Art. „Witz“, 928. 181 Freud, Der Witz, 146, 136. 182 In Bezug auf den derart geöffneten sozialen Raum ist der Erzähler abhängig vom Hörer als anderem; das wird in Bergsons Konzept des Lachens in Gemeinschaft über einen ausgeschlossenen anderen gar nicht problematisiert.

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etwa Goethe: „Der Witz setzt immer ein Publikum voraus. Darum kann man den Witz auch nicht bei sich allein behalten. Für sich allein ist man nicht witzig.“183 und Jean Paul mit der Metapher der „geselligen Triumphe“: „Siege des Gefallens kann man nicht selber als sein eigener Eilbote überbringen, ohne unterwegs geschlagen zu werden“,184 die Freud als Vergleich ausführt: „Ein neuer Witz wirkt [„in unserer Gesellschaft“] fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen.“185 Vom „einen dem anderen zugetragen“ wird die Fama, nicht nur Botschaft, sondern als Gerücht vor allem das Medium des Hörensagens,186 das anonyme und zitierend anonymisierende Sprechen und Weitertragen, ein autorloses und nicht-autorisiertes Sagen. Das ist das Medium auch der Anekdote, die neben der offiziellen Geschichte: ‚nicht-veröffentlicht‘, ohne Autorisierung forterzählt, zu- und fortgetragen wird.187 Aber, mögen Anekdoten auch so etwas wie eine ‚witzige Pointe‘ haben,188 so erzählen sie doch ein zurückliegend Abgeschlossenes – anders als Witze, die im Präsens erzählen, das auf die Zeit der Äußerung oder der Einschreibung hinweist,189 die im Erzählen in Aktion sind. Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die von einem, aber keinen Witz erzählt, macht das ‚hier und jetzt‘ des Textes schriftlich: punktierend wirksam. Mit der Kraft des Witzes wurde bereits die von Austin als performative ausgewiesene andere Dimension der sprachlichen Äußerung angesprochen.190 Auch wenn Austin selbst die Witze und den witzigen Gebrauch der Sprache 183 Goethe, nach Riemers Mitteilungen über Goethe (20. Februar 1809), 299f.; zit. n. Birus, Vergleichung, 83. 184 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169; vgl. Birus, Vergleichung, 83. 185 Freud, Der Witz, 19; vgl. Holt, Stop Me If You Heard This, 49-55. 186 Vgl. H.-J. Neubauer, Fama, 38, 61. Jean Paul nennt explizit das geläufige Medium, dass „ein gewöhnliches Scherzblatt der Zeit von Hand zu Hand, von Mund zu Ohr flattert“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 133). 187 Vgl. Kap. IV.1. 188 Darin sieht, voreilig, Moering die „Nähe“ von Kleists Anekdoten „zum Witz“ (Witz und Ironie, 121f.), der „(als literarische[], einfache[] Form)“ aber unspezifisch bleibt in ungeklärter Relation zu Spott, Sarkasmus, Polemik, Satire, Parodie, Komik, Ironie, Humor (125, 178-184). 189 So S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89. 190 Die Perspektive des perfomative bringt Wirth, „Vorbemerkungen zu einer performativen Theorie des Komischen“ allerdings für das Komische bei; vgl. ders. in Handbuch Komik (19.2), 126f. (und vgl. mit allerdings unscharfem Begriff von Performativität Bayerdörfer, „Homo ridens – oder: Zur Performativität von Komik“). Gerade in Hinsicht des ‚sozialen Raums‘ aber distinguiert Freud vom Komischen als einem Geschehen zwischen zwei Personen (die zweite als komisches Objekt) den Witz, der des Hörers als ‚dritter Person‘ bedarf (Freud, Der Witz, 135f., 169).

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aus dem Feld der performatives (jedenfalls aus seiner Untersuchung) ausschloss,191 modelliert doch Jean Paul mit seiner witzigen Formel den Witz als allerdings zweifelhafte Trauung,192 die bekanntlich das erste Beispiel von Austins performatives ist.193 Ihr Maß ist nicht der Sinn der Feststellung, in die man die witzige Äußerung überführen mag,194 sondern sie rückt in die Perspektive des Ge- oder Misslingens.195 Des Witzes Kraft allerdings zeitigt, anders als Austin fürs performative will, unkalkulierbare Effekte, sie unterstellt sich keinem konstatierbaren Resultat. Sein Glücken (oder auch nicht) ist dem Zufall der Sprache geschuldet, wäre eine nachträglich ‚gefundene‘ Koinzidenz. Die „performative force“ ist Überschuss des Äußerungsereignisses über das Geäußerte, und gerade dieser Exzess ist, so Shoshana Felman, das Ereignis des Witzes;196 er stellt so das Paradigma des performative und kreuzt es, da er dem Resultieren des performative, nach Austin, das erst ein bestimmtes performative gibt, widerstreitet. Witze bringen, so Felman, die Unentscheidbarkeit über Normalfall und Ausnahme, über Ernst und Unernst bei und machen (indem sie die Rahmungen aussetzen, auf die Austins Theorie des performative setzt) das Glücken (oder Danebengehen) grund- und haltlos.197 Der Witz geht gerade nicht im (Austin’sche) „‚ich kann‘“ auf,198 das sich im

191 Austin, How to Do Things with Words, 22; „the ‚use of language‘ […] e.g. for joking“, „(and other non-serious uses of language)“ habe „nothing to do with the illocutionary act“ (104, 122/Zur Theorie der Sprechakte, (8. Vorl.) 121f., (10. Vorl.) 138). 192 Vgl. Kap. I.1-3. 193 Austin, How to Do Things with Words, 5. 194 Cohen entzieht Witze gleichfalls der Zuschreibung von „falsehood“ der Feststellung (Jokes, 76-79), dies aber insofern dieser „fiction“ wie „a story“ oder „a novel“ sei (75f., 82) (was Cohen wie andere mit Wittgenstein ausführt: man dürfe sich wundern, dass Menschen ein Vergnügen an der Fiktion als unzutreffenden „statements“ haben (1); das ist der die Literatur ganz unbegründet reduzierende Zugriff der analytischen Philosophie auf alle Literatur). Wie sich dazu das „working“ der „jokes“ verhält (z.B. 80), das von stories und novels unterschieden sein müsste, das führt Cohen nicht aus, wäre aber mit den „disturbing“ „jokes“ und dem Lachen darüber zu reflektieren (78-85). 195 Das ist Freud zufolge, ob man lacht oder auch nicht (vgl. auch Cohen, Jokes, 26f., 83); vgl. Kap. V.2. 196 Felman, Le scandale du corps parlant, 160, 198/The Literary Speech Act (1983), 113; vgl. Wirth, Komik-Handbuch: 19.2, 126. 197 Der „scandale“ des Witzes, dass er die Entscheidbarkeit über das Kriterium des Miss-/ Gelingens aussetzt (Felman, Le scandale du corps parlant, 206, 213), ist insofern nicht als ‚Abweichung‘, nicht als „‚Unangemessenheit‘ beim Erfüllen von Gelingens- und Verkörperungsbedingungen“ einzufassen (Wirth, „Neuere Ansätze“, 132, 131f.). 198 Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122; ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 48, 56.

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Hervorgebrachten einlöste; er stellt unabseh- und unkalkulierbar anderes zu.199 Die Angewiesenheit auf den/ie andere/n kommt mit Kleists „Über die allmählige Verfertigung des Gedankens beim Reden“, als dess/ren Geschenk in den Blick, das mit dem Konzept der Gabe, nach Mauss, mit Derrida, als ausgehaltene Spannungen ohne Gegebenheit zu denken ist.200 In der Angewiesenheit auf den anderen macht Freud die Spezifik des Witzvorganges aus, der als psychischer ein „sozialer“ ist, in den der andere durch das vermeintliche ‚Geschenk‘ eingezogen werde, das der Witz‚bildner‘ als Erzähler dem Hörer mit dem sprachlichen Gebilde des Witzes mache.201 Es ist für diesen aber gar nicht gratis zu haben, sondern wird (oder auch nicht) von ihm durch sein Lachen erwidert: Der andere lacht an ‚meiner‘ Stelle,202 und entscheidet über des Witzes Gelingen (oder Danebengehen), das das Lachen der anderen – oder eine peinliche Situation zeitigt. So ist die erzählend eröffnete ‚soziale‘ eine alles andere als prästabilierte, eine prekäre Relation.203 Macht- und Gewaltrelationen, die die mit Bergson im Lachen über den ausgeschlossenen anderen sich bildende Gesellschaft ausmachen,204 macht Freud nicht nur in den tendenziösen 199 „Nicht nur bekommen wir (oder die komischen Charaktere) nicht das, wonach wir gefragt haben, obendrein (und stattdessen) bekommen wir etwas, wonach wir überhaupt nicht gefragt hatten.“ (Zupančič, Der Geist der Komödie, 151ff.). 200 Vgl. Kap. II. 201 Vgl. Kap. V.2. 202 Das wird als Interpassivität im Sinne des delegierten Genießens verlängert ins „Dosengelächter“, ‚in dem die Komödie an meiner Stelle lacht‘, vgl. Pfaller „Einleitung“ 1-4; sowie die Beiträge von Žižek, Dolar, Nicklaus, Krips in dem Band. 203 Douglas: „social requirements may judge a joke to be in bad taste, risky, […] improper, or irrelevant“ („Jokes“, 98), vgl. zur „community“ in „joke rites“ (103-07). Critchley zufolge aber sei „[the] practice that the audience and the joke-teller recognize as such“ „a tacit social contract“ (On Humour, 3f.); jokes setzen voraus „a specific community“, „a social world, that is common and shared“ (86, 90, 79f.), nicht durch „theoretical consideration“, sondern durchs Lachen (87ff.). Durch das „we“ der Lachenden „all humour [is] reactionary and conservative“ (90, dgg. ebd., 80-84), aber dennoch ungewiß, dass der Witz ‚gelingt‘, die anderen teilhaben („joining“). Cohen gibt die Perspektive der „failure“ an: niemand lacht (Jokes, 26-30). Zum Bezug von „teller and audience“ (32-35) bei den „conditional“ jokes (12, 29f.): „it is only because I know all that that I am able to respond to the joke“: „truths about how black men are thought of“. „Do I, perhaps dislike it in myself that I know these things?“ (80f., vgl. 83ff.); aber „this joke leads either of us to believe the idea“ (79). Was Cohen „to know“ heißt, erläutert Freud als automatische: ungewusste „nämliche“ „Hemmungsbereitschaft“ und entsprechenden Aufwand beim anderen. 204 Bergson, Das Lachen, 15, 21ff. „Von solcher Sündenbock-Mentalität ist alles kollektive Lachen durchwachsen“ (Adorno/Jaerisch, „Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute“, 193; vgl. Schörle, „Das Lach-Seminar“, 106, 101-104). Heinrich spricht von Präfaschismus („‚Theorie‘ des Lachens“, 27). – Die „pragmatische“ „gruppenstabilisierende Funktion“

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obszönen, aggressiven Witzen kenntlich, sondern bestimmen auch das Verhältnis zum Hörer. Das ‚Geschenk‘, das den anderen bestechen soll, öffnet eine Ökonomie des Witzes, die nicht der zunächst von Freud entworfenen der Ersparnis folgt, weil er auf dem Umweg des Lachens des anderen, qua ‚Ansteckung‘ auch dem Witzbildner das Lachen ermöglichen soll. Hinsichtlich ihrer Verausgabungen ist fraglich, ob sie mit berechenbarem Gewinn (von etwas) zurückkehren.205 Das „explosive“ Lachen excediert und entgrenzt als ausfälliger ungestalter Vorfall wie die ‚allgemeine Erleichterung‘, die der Witzerzähler er‚zielen‘ will, die Logik des Tauschs wie auch den Kalkül auf einen Gewinn. Des Witzes ‚Ökonomie‘ ist Anökonomie. Kann das Ereignis nicht ohne Performativität gedacht werden, die „die Macht der Sprache“, den „Überschuß […] der Macht der Sprache gegenüber der konstativen oder kognitiven Sprache“, „definiert“,206 und muss das Ereignis sich einschreiben, unterliegt es derart wie oder als ein performative Wiederholungen, damit es dieses als etwas gibt,207 so überschiesst das ÄußerungsEreignis, das der Witz ist, wie sich am Lachen zeigt, die Rahmungen und das Telos des performative, das jede „Ereignishaftigkeit neutralisiert, amortisiert, suspendiert“.208 Es ist nicht es selbst. Im Ereignis des Lachens ist der Witz gelungen, indem er jede selbst-präsentische Gegebenheit (sei diese als Stoff oder als bestimmte Form gedacht) dementiert. Der Witz stellt das Ereignis vor, das unterbricht, ohne eine „Ordnung des ‚als‘“ zu eröffnen,209 wie derart auch den

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scheint Renner affirmativ nehmen zu wollen, ermögliche sich „unausgesprochen gemeinsamer Wert- und Normordnungen [zu] vergewissern“ (Art. „Witz“, 928ff.). Critchley hält daran die ‚Ethnizität‘ des Komischen fest (On Humour, 66-69); „jokes return us to a common, familiar domain of shared life-world practices, the background meanings implicit in a culture“ (90); zur Problematik der gemeinsamen „response“, „sharing“ „a communitiy“, vgl. Cohen, Jokes, 27-30, „shared background“ (32-35, 42, 65-68) auch bei „ethnic jokes“ (71-79). Critchley zufolge erweisen „jokes“ auch „a dissensus communis distinct from the dominant common sense“, das sei: „how [?] things might be otherwise“; in „laughing“ „I am consenting to a certain ideal world [?]“ (90); dgg. Douglas: „a joke implies that anything [nichts Bestimmtes] is possible“ („Jokes“, 108). Critchley will eigentlich das Komische normativ beschränken, statt „laughing at others“ „laughing at oneself“ (90, 94f., 49f., 106); ist das vereinheitlichender Humor oder entzweiende Ironie? Vgl. neben Kap. V.2, auch Kap. I.3. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 88. Ereignis und Performativität sind, so Derrida, in „paradoxe[r] Antinomie“ aufeinander angewiesen, so Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122; d.i. „Limited Ink II“ im Verweis auf Limited Inc nach „Signatur Ereignis Kontext“. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122, vgl. 136. Und dies obwohl ein performative ein Ereignis sein muss, da es nichts wiedergibt, was bereits vorlag. Das Ereignis, so Müller-Schöll mit Derrida, „setzt eine Unterbrechung voraus, die den Horizont auslöscht, jede Konvention, jede Ordnung des ‚als‘, […] eine alle Begriffe, Traditionen und Kategorien sprengende Kategorie der Unterbrechung oder Eröffnung“

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Ereignischarakter der theatralen Performance:210 Wenn ein Witz wie der, den der Tambour in Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“ ‚macht‘, eine Szene öffnet, so ohne dass diese mit-sich-einstimmig geschlossen, ohne dass ein Herr über die Inszenierung wäre. Dem Einfall entspricht die Ausfälligkeit, der Exzess des Ereignisses über alles Geäußerte, dessen Form oder Resultat. Die Pointe, das punctum, Stich, Spitze wie Loch,211 das Singuläre, das es nur in seiner Kontextualisierung als etwas gäbe: insofern nicht (es selbst) ist, belegt und etabliert kein ‚etwas‘, keine Macht. In diesem Sinne ‚bearbeitet‘ Kleists „Anekdote[n]“-Text, das Konzept der Pointe der Witze, depotenziert es, indem er das punctum in Auslassungspunkten streut, in points de suspension in SchriftSzene setzt,212 und macht das Ereignis, das nicht etwas ist, schriftlich wirksam in seiner löchernden, auslassenden metonymischen Streuung. Müller-Schöll spricht vom Komischen als Ereignis, das in Witz-terms gesprochen „eine irreduzible, unausweichliche Erfahrung des gleichzeitigen Verlustes und der gleichzeitigen unendlichen Potenzierung der Möglichkeiten dar“stellt;213 das ist eine gänzlich unversöhnte, nicht (nirgendwo) resultierende, daher brauchbare Auffassung des Witz-Ereignisses. Dies betrifft den Status jeder Theorie vom Witz, nämlich deren Relation und deren Verhalten zu des Witzes Unverträglichkeit mit der Rede ‚über‘ ihn, die Groddeck zufolge witzig oder theoretisch sei. Mit wie auch für Freuds Abhandlung wird die Frage nach der Relation von Witz und Wissen besonders dringlich, da sich in ihr Wissen als ‚Form‘ abzeichnet, die die Ablenkung des ‚bewussten ich‘, die das Nicht-Wissen vom ‚eigentlichen‘ Witz-Vorgang

(„Das Komische als Ereignis“, 301). Derrida konzipiert es als (leere) Setzung und Enteignen, Erfinden und Zitieren („Signatur Ereignis Kontext“, 335f., 339, u.a., vgl. Kap.  I, IV.1); zur Aporie von Akt und Figur vgl. de Man, „Shelley Disfigured“, „Sign and Symbol in Hegel’s Aesthetics“, in Kap. II. 210 Die Performativität des Theaters kommt im Komischen, das Müller-Schöll in terms des Witzes anspricht, als Ereignis zur Geltung („Das Komische als Ereignis“, 299ff.). 211 So mit Barthes, Die helle Kammer. „Hoc est punctum“, deklariert der Concettist Sarbiewski für das acumen als Pointe (zit. M. Blanco, Pointe, 174, 177). 212 S. Kap. IV.1. 213 Müller-Schöll, „Das Komische als Ereignis“, 301, als Ereignis, das die abgeschatteten Möglichkeiten begleiten (299ff.); „joke“ „affords opportunity for realising that an accepted pattern has no necessity“ (Douglas, „Jokes“, 96), (110): jokes „remain disorganised as a result of the technique which produces them“, „a joke implies that anything is possible“ (108, vgl. 110). Das wurde angesprochen als Potentialitäten (mit Agamben), als Chaos alles Möglichen (ohne Gewordensein), das der Witz entfessle, so Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202, vgl. Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 177-180) und F. Schlegel (vgl. Wellbery, „Rhetorik und Literatur“, 172), als Ungrund des Unsinns (Menninghaus, „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“).

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annimmt (der die „automatische“ Abfuhr im Lachen ermöglicht).214 Bewußtes Wissen gibt es demnach nur von etwas anderem, zu spät, als sich im nachträglichen Wiedererkennen des ‚guten Sinns‘ wiederholende ‚Dummheit‘ der kritischen Instanz.215 Im Witz muß die theoretische Rede dagegen darauf stoßen, dass sie durch keine Gegebenheit ihres Gegenstandes, dessen Erkenntnis sie darstelle, als stabile sich gesichert sehen kann, dass (auch) ihre Darstellung in ihrer sprachlichen Verfassheit ihr (latent) je schon ins Wort gefallen sein wird.216 Das ist keine negative Gewißheit, sondern vielmehr das Zulassen der Ungewissheiten der sprachlichen Zuträge, deren alles Schreiben (auch das hier erfolgende) wie auch alles Lesen (auch das hier sich schreibende) gewärtig sein muß. Was gesagt, dass etwas gesagt wäre, setzte den Abschluss des Sagens/Schreibens voraus, aber dieses ist stets noch passager, eine vorübergehende Formation oder Figuration, die auf vorgängig und zukünftig anders Mögliches verwiesen ist, so dass das (vermeintlich) ‚Gesagte‘ von Resten und Rändern ‚begleitet‘ ist, die diesem in allen seinen Zügen als dessen latente Andersheit (mit/von/in sich) eingelassen sind. Diese wird je wieder gelesen werden müssen und können.

214 Freud, Der Witz, 142-45; vgl. S. Weber, Freud-Legende, 137; ders. „Die Zeit des Lachens“, 85f., s. Kap. V.2 u. 3. 215 Vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 114f., 162-68. Zu diesem Zusammenhang nichts von Geisenhanslüke (Dummheit und Witz, 224, 219f.), nur eine beschränkte Entgegensetzung von Wissen (/Witz) zu Dummheit (9ff., 14); vgl. aber Wirth, Diskursive Dummheit, 11f., 44f., 68, 70ff. u. 334, 341. 216 D.i. analog zu Jean Pauls (pejorativer) Formulierung zur Ironie, „wo der Verfasser dem Dichter ins Wort fällt“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 151). Das wäre „stete Selbstparodie“ (F. Schlegel, KFSA II, 160): die Ironie der Darstellung, die notwendig aporetisch ist, weil umgekehrt Theorie auf ihren Erkenntnisanspruch nicht verzichten kann (vgl. de Man, „Return to Philology“ u. die „Pointe“ der Ironie, Hamacher, „Unlesbarkeit“, 11f.). Bei Jean Paul begegnet dieses aber auch unter „Humor“, der sich „oft geradezu an seinen Widersprüchen und an Unmöglichkeiten“ „erfreuet“, mit keinem anderen als einem „leeren Ausgang“, wie in Tiecks Schauspielen, in denen „die handelnden Personen sich zuletzt nur für geschriebne […] halten, und wo sie die Leser auf die Bühne“ „ziehen“ (131), worin der ‚Illusionsbruch‘ durch Parekbase (F. Schlegel, KFSA I, 30; XI, 88f.), Paradigma romantischer Ironie ohne Schließung (KFSA XVIII, 85) erkennbar ist.

Kapitel I

Der Witz, seine „Kraft“ und seine Trau-Formeln Jean Pauls Vorschule der Ästhetik

Sigmund Freud zitiert im Eingang seiner Theorie des Witzes 1905 noch einmal Jean Paul, der die Witz-Bestimmung im Sinne des Vermögens oder doch der „Fertigkeit“, „Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem […] zu finden“, „selbst witzig […] ausgedrückt“ habe: „Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut.“1 Damit zitierte Freud Friedrich Theodor Vischers variierende Wiedergabe und verwies auf die Fortschreibungen Jean Pauls in den Ästhetiken des Komischen durch das 19. Jahrhundert hindurch. Er „kopuliert“, so Jean Paul, ein „jedes Paar“, und er „tut es mit verschiedenen Trauformeln“.2 Vischer fügte hinzu: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen“,3 und unterstrich damit die Entferntheit, die Divergenz der vom Witz Verkuppelten wie auch die Ordnung, gegen die damit – jedenfalls nach Auffassung derjenigen, die die ‚Ehe‘-Kandidaten dem eigenen FamilienÄhnlichkeitsverbund meinten zurechnen zu können – verstoßen werde. Ebenso wie der ‚witzige Ausdruck‘ Jean Pauls für den „Gedanken“ (Freud), der die Bestimmung des Witzes wäre, an die Diskussion um die Art und den Status der vom Witz gestifteten Ähnlichkeiten anknüpft, die in der komplexen Tradition des Witzes als ingenium, ingenio, wit, esprit immer wieder geführt wurde, ist dieser als ‚witziger‘ zugleich der ‚Ausdruck‘ dafür, dass der Witz sich selbst gar nicht zu definieren vermöchte. „Was ist nun Witz? Wenigstens keine Kraft, die ihre eigne Beschreibung zustande bringt.“4 – Die Frage nach dem „was“ wird mit einer ‚Negativdefinition‘ beschieden, die auch ausführt, was sie sagt, dass der Witz „Kraft“ sei, die unverträglich ist mit ,ihrer‘ und wohl jeder „Beschreibung“, die ein „fundamentales Darstellungsdilemma“ bezeugt.5 Das setzt entsprechend fort mit der weiteren negativen Feststellung: „Einiges ist gegen die alte [Beschreibung] zu sagen, daß er nämlich ein Vermögen sei, entfernte Ähnlichkeiten zu finden.“ Aufgerufen ist eine Tradition des ingeniums als 1 Freud, Der Witz, 15. 2 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, § 44, 173. 3 Freud zitiert Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen (zuerst 1846), Bd.  1, 422. K.  Fischer, der gleichfalls ausführlich Jean Paul beizieht, zitierte bereits Vischer mit der Akzentuierung, dass der Witz „sich an die Familienverhältnisse der Vorstellungen gar nicht kehrt“ (Ueber den Witz, 103f.). 4 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, hier und das Folgende 169. 5 Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 171f.

© Brill Fink, 2021 | doi:10.30965/9783846762226_002

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dem Lehr- und Lernbaren der Rhetorik vorausliegendes Talent,6 das nicht nur Metaphern zu bilden vermag, sondern als ingenio des Concettismo Metaphern überzieht, so dass sie er-findet.7 Jean Paul scheint sich aus einer komplex nachwirkenden Debattenlage heraussetzen zu wollen. Denn an der Formel von der „entfernten Ähnlichkeit“, die ihr Maß (negativ) an den Regulierungen der Metapher hätte, sei „weder ‚entfernte‘ bestimmt, noch ‚Ähnlichkeit‘ wahr. Denn ferne Ähnlichkeit ist, aus dem Bildlichen übersetzt, eine unähnliche, d.i. ein Widerspruch.“8 Nimmt Jean Paul Abschied von der Regulierung der Ähnlichkeit, so ist doch „unähnliche“ Ähnlichkeit nicht schon als „Widerspruch“ erledigt, sondern Paradoxie, die der Concettismo pararhetorisch und paralogisch hervortrieb, um, so Renate Lachmann, durch die ‚Erschriftung‘ von Ähnlichkeit diese zu entsubstantialisieren, die Metapher zu dekonstruieren.9 Das ingenio, „stilbildendes und heuristisches Prinzip“ seit Ende des 17. Jahrhunderts, wurde, so erzählt Wolfgang Preisendanz die Geschichte, durch die Bestimmung des Witzes als Vermögen umgedeutet,10 und zwar so, dass wit/Witz eine zentrale Stelle in den Poetiken und dann in der Begründung der Ästhetik bekam, allerdings nur vorläufig. Denn mit ihm wurde, so Paul Böckmann, auf den Preisendanz sich bezog, „[i]m Umkreis des Verstandes selbst […] eine Kunst des Erfindens anerkannt, die auf besondere ästhetische Möglichkeiten hinführt“.11 Derart wird er ein Vorgriff mit nur vorübergehender 6 Vgl. z.B. Quintilian, Inst.or. X,2,12 (2. Teil, 490f.). 7 Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 102-05. Concettistisch wird neulesend an Aristoteles’ Rede von den Metaphern als „Worte[n], die uns Wissen verschaffen“, angeknüpft (Rhetorik III, 10, 2, 1410b (übers. Sieveke, 190)), die ungewohnte Verbindungen finden (Lachmann 106f.). 8 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169. Die „unähnliche erzwungene Ähnlichkeit“ diskutiert Jean Paul, indem er die Metapher der alten Formel des „weit hergeholten“ für den „gelehrten Witz“ kenntlich macht: als Bezug „auf ein in Zeit und Raum entferntes Ding“ (204f., 203, HKA I.11, 19; vgl. Grönländische Prozesse, SW II.1, 477f., HKA I.1, 108f.), und indem er austestet: „soll es eine schwache oder scheinbare bedeuten, so ist es falsch, da Ähnlichkeit, als solche, ewig wahre Gleichheit, obwohl nur eine von wenigeren Teilen ist, Gleichheit aber, als solche, keinen Grad und Schein zulässet. Ebendasselbe gilt, nur umgekehrt angewandt, von der Unähnlichkeit.“ (SW I.5, 169). Mit der Nicht-Identität von Ähnlichkeit und Gleichheit wird merkwürdig umgegangen: wie unterscheidet sich Ähnlichkeit als „teilweise Gleichheit“ von ungleich? 9 Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 102-10, 111ff., 116; M. Blanco, Pointe, 173. 10 Vgl. Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft, 285, im Anschluss an Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 278, 286-95; vgl. M. Blanco, Pointe, 33, 26ff.; für einen Witzbegriff „zwischen manieristischer Rhetorik […] rationaler Ästhetik […] und romantischer Poetik“ vgl. Kilcher, der zu letzterer F. Schlegel wie Jean Paul zählt („Lessings Changeant“, 261-69). 11 Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 504f.

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Funktion gewesen sein sollen, wenn er im „Genie“ erst eigentlich eingeholt sei und von diesem als beschränkter zurückgelassen werde. Die Überwindung des (Vermögens des) Witzes pflegt in der Konzeption des Genies, mit jenem Wort, das zunächst ingenium nur neben Witz oder wit, wie esprit übersetzte,12 als telos der Entwicklung, in der der Witz vorübergehend firmieren durfte, besiegelt zu werden. Die Konzepte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mochten den Witz als Vermögen nur schätzen, insofern es dem Verstand zugehörig oder doch „rationaler Erkenntnis“ kompatibel sei,13 oder aber er musste durch diesen eingeschränkt werden, so vermerkt Jean Paul in „Selbstverteidigung“: „– Überhaupt, nebenher anzumerken, tritt ieder dem Wize das Gras ein, und jeder rükt den Gränzstein des Verstandes weiter.“14 Die Notwendigkeit der Begrenzung oder Regulierung von wit, als „association of ideas“, durch judgement als „faculty of distinguishing one thing from another“, wird von und seit John Locke als explizit hierarchische Relation beider Vermögen gefasst: da ersteres als Hervorbringung ohne Anhalt an einer gegebenen Wirklichkeit, ohne Regulativ der Erkenntnis gefährlich wäre, muß es dem Urteilsvermögen unterworfen und durch dieses beschränkt werden.15 Wenn Jean Paul Witz durch „Finden der 12

Zum Feld der Begriffe vgl. Renner, Art. „Witz“, Sp. 919-23; Engels, Art. „ingenium“, Sp. 383, 389-415, (als inventives) Sp.  392ff.; zu ingenio als Erfindungskunst, vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 104; M. Blanco, Pointe, 23-28, 33, 40; Nitsch/Wehr, „Einleitung“, 7f.; vgl. Empson: „Wit in the Essay on Criticism“, 85-97; (vorrangig beschränkend) dgg. Lewis, „wit (ingenium)“, 86-110; Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 1-59, zu „Agudza – wit“, Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“, 43f., zum angelsächsischen Lexikon für ingenio, esprit: wit, M. Blanco, 115-137, zum deutschen Witz 118-45. 13 Jean Pauls Vorschule der Ästhetik erinnere das, so Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232. 14 Jean Paul, Grönländische Prozesse, SW II.1, 474f. „Wiz und Verstand“ seien „Blutsverwandte. Zwar sezt der eine über den Graben und der andere macht einen Umweg; der eine ist für Mesalliance, und der andere zählt erst die Ahnen […] Aber eine Henne sieht den unsichtbaren Raubvogel in der Höhe und das unsichtbare Würmgen unter ihren Füssen zugleich, und der Wiz ist öfter mit Verstand als der Verstand mit Wiz verbunden. Freilich spielt der Wiz blos aus der Tasche und scheint blos dem geköpften Vogel den Kopf aufzusezen, oder einen ungeköpften zu köpfen […]“ (474). 15 Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 202. „For wit lying most in the assemblage of ideas, and putting those together with quickness and variety, wherein can be found any resemblance or congruity, thereby to make up pleasant pictures and agreeable visions in the fancy“, „judge, on the contrary, lies quite on the other side, in separating carefully, one from another, ideas wherein can be found the least difference, thereby to avoid being misled by similitude and by affinity to take one thing for another“ (203). Als Vorlage gilt Hobbes’ Bestimmung: „quick discernment of similitude in things otherwise much unlike, or of dissimilitude in things that otherwise appear the same“

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Ähnlichkeiten“16 und „Scharfsinn“ als „Finder der Unähnlichkeiten“ kennzeichnet,17 erinnert er diese Auseinandersetzung, derzufolge, in Übersetzung von judgement, der Scharfsinn „seinem Namen gemäß“ – „Schärfe trennt“18 – die (nur) vermeintlichen Ähnlichkeiten, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit scheidet.19 Gegen die geläufige hierarchische Entgegensetzung hält Jean Paul aber: „Beide sind nur eine vergleichende Kraft, mehr durch die Richtung und die Gegenstände als die Wirkungen verschieden“;20 „Vergleichungen“ implizieren

(The Elements of Law (1640), Part I („Human Nature“), Chapter 10.4: „Of the Difference Between Men In These Discerning Faculty and the Cause“; vgl. ders., Leviathan (1651), Chapter 8: „Of The Vertues Commonly Called Intellectual; And Their Contrary Defects“). Die Regulierung durch judgement – nach Locke – auch bei Addison (The Spectator, No. 62 (Ausg. 1804), Bd. 1, 162f.; vgl. Lewis: „wit (ingenium)“, 109); Pope (Essay on Criticism, v. 83f., vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 92ff.) u.a.; zu den diversen „Zügelung[en]“, vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 702f. 16 Das entspräche u.a. Christian Wolff, demzufolge der Witz leicht Ähnlichkeit wahrnehme, bzw. „Aehnlichkeit, die nicht jeder gleich wahrnimmt“, finde, bzw. „verborgenere Aehnlichkeiten“ „entdecken kann“ („Vernünftige Gedanken von Gott“ (1770), Abt  I, Bd 2, § 366, §§ 858-61; zit n. Kilcher, „Das unsichtbare Netz“, 112), vergleichbar Gottsched, Baumgarten, G. F. Meier (Kilcher, „Lessings Changeant“, 267ff.). Kant zufolge „paart“ der Witz „heterogene Vorstellungen, die oft nach dem Gesetze der Einbildungskraft (der Association) weit auseinanderliegen“; er läßt „Ähnlichkeiten unter ungleichartigen Dingen auf[]finden“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 537ff.); in diesem Sinne heißt F. Schlegel den Witz „kombinatorischen Geist“ (Phil. Vorl., KFSA XII, 403ff.; II, 81-84 u.ö.). 17 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170. 18 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172; das entspricht Wolffs Übers. des iudicium ins Deutsche, vgl. Alexander Gottlieb Baumgartens Rede von ingenium und acumen (Texte zur Grundlegung der Ästhetik, 36-39); bei G. F. Meier als Witz und Scharfsinnigkeit, bei Gottsched Witz und Beurteilungskraft (vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 24-29; Wagner, Art. „Iudicium“, Sp. 688, 684ff., sowie bez. inventio/wit, Sp. 669, 675-83). 19 „[T]his clear discerning faculty of the mind, whereby it perceives two ideas to be the same, or different“, ermögliche, so Locke, „acuteness of understanding“ (An Essay Concerning Human Understanding, 202). Lockes Philosophie sei „das Federmesser zu Des-Kartes Gespinsten“, so Herder; bzw. diese und „alle diese Kräfte“ seien „im Grunde nur Eine Kraft, […] und das ist Verstand, Anschauung mit innerem Bewusstsein. Man nehme ihnen dieses, so ist die Einbildung Blendwerk, der Witz kindisch, das Gedächtnis leer, der Scharfsinn Spinnweb“ („Vom Erkennen und Empfinden der Seele“, 356f.). 20 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170; er nennt: „Seneka, Bayle, Lessing, Bako“; „ebenso sehr als der Witz – nur mit höherer Anspannung – vergleicht der Scharfsinn, um die Unähnlichkeit zu finden“ (171). Herder postuliert: „Scharfsinn sondert und Witz verbindet, damit eben ein helles wichtiges Eins werde“; Descartes’ „Gespinst“, Lockes „Federmesser“, Bacons „wahre[r] Scharfsinn“, Leibnitz’ Witz, „der Bailens dialektischen Scharfsinn in seinem Übertriebenen“ entfaltet habe, seien „lauter Äußerungen Einer und derselben Energie […] der Seele“ („Vom Erkennen und Empfinden der Seele“, 356f.).

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trivialer- und komplexerweise in Hinsicht der Ähnlichkeit die Unähnlichkeit.21 „[N]icht nur geben die Vergleichungen des Witzes oft Unähnlichkeiten […], sondern auch die Vergleichungen des Scharfsinnes bringen eben oft Ähnlichkeiten; wohin z.B. ein guter Beweis seiner Ähnlichkeit mit dem Witze gehören würde“22 – womit Jean Paul sich eine seiner vielen Meta-Wendungen erlaubt, durch die die thematisierende Äußerung vom Thematisierten affiziert wird. Mit der Irritation der Scheidung von wit und judgement wird auch Immanuel Kants Anthropologie (1798) betroffen, derzufolge, durchaus traditionell, „was der Witz thut [„paart heterogene Vorstellungen“, findet „Ähnlichkeiten unter ungleichartigen Dingen“], für den Verstand Stoff“ gebe, der einer Regulierung zu unterziehen sei, so dass dem Witz allein im Rahmen dessen, was nun die „Urtheilskraft“ einzuholen hat und vermag,23 Spielraum zugestanden ist; auch 21 Die Kategorien Ähnlichkeit und Unähnlichkeit stehen bei Quintilian nebeneinander (Inst.Or  V.11, 5ff.); Graciáns agudeza spielt Ähnlichkeiten wie Unähnlichkeiten aus (Agudeza y Arte de ingenio (1648), 352, 431, 436, s.u. Kap. I.5); wit orientiere resemblance wie auch dissemblance, so Addison und Pope (vgl. Lewis, „wit (ingenium)“, 109; Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 86). F. Schlegel zufolge gehe der Witz „auf Ähnlichkeit und auf Verschiedenheit zugleich“ (Phil. Vorl., KFSA XII, 403). 22 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170; nicht nur der ‚frühe Jean Paul‘ setzt Witz und Scharfsinn ‚gleich‘ (Wölfel: „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt‘“, bes. 33), auch die Vorschule der Ästhetik schlägt vor: „man könnte auch den Witz den sinnlichen Scharfsinn nennen und folglich Scharfsinn den abstrakten Witz.“ (SW I.5, 175, vgl. 170, 122); der „sinnliche Witz“ war (nach Baumgarten) „Schlüsselbegriff“ der Ästhetik Mitte des 18. Jh. (Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 705). Jean Paul „draws a very porous line between them“ (Fleming, „Disparate Pleasures“, 128). „Schwer zu sagen, ob die fortgehende Antithese […] Witz oder Scharfsinn oder nicht vielmehr beides ist. “ (SW I.5, 170). 23 „Der Witz paart (assimiliert) heterogene Vorstellungen, die oft nach dem Gesetze der Einbildungskraft (der Association) weit auseinanderliegen […]. Er bedarf nachher der Urtheilskraft, um das Besondere unter dem Allgemeinen zu bestimmen und das Denkungsvermögen zum Erkennen anzuwenden. […] Es ist angenehm, beliebt und aufmunternd, Ähnlichkeiten unter ungleichartigen Dingen aufzufinden und so, was der Witz thut, für den Verstand Stoff zu geben, um seine Begriffe allgemein zu machen.“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 537f.). In den klassischen Rhetoriken ist das ingenium im Sinne der inventio durchs iudicium begrenzt (so Cicero; Quintilian hält beide zusammen, bzw. umgekehrt: Inst.or. VIII,3,56 (2. Teil, 173ff.); vgl. Gast, Art. „Urteil“, Sp.  964; Wagner, Art. „Iudicium“, Sp.  669, 672-83; van Zantwijk/Gabriel, Art. „Urteil“, Sp. 430-34; Engel, Art. „Ingenium“, Sp. 383, 392f.; Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 701f.). Das Zuviel des Witzes muss (vor allem im 17. u. 18. Jahrhundert) gezügelt werden, soll ein (inneres) Maß bekommen (702f.). Menninghaus’ Kant-Lektüre zufolge soll die „Zucht“ durch Urteilskraft die „Einbildungskraft […] dem Verstande anpassen“ („Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 277); in Kritik der Urteilskraft sei die Disziplinierung „des produktiven Vermögens Genie“, seine „Beschneidung“, „Aufopferung“ „im Namen des Verstandes“ durch „Geschmack“ und „Urteilskraft“ notwendig (267-70).

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wenn „[w]itzig zu sein“, als eine „schwer zu erklärende[] Eigenschaft des Verstandes überhaupt – gleichsam seiner G e f ä l l i g k e i t “, „zur Liberalität“ gehöre.24 Als „seine[] G e f ä l l i g k e i t “ gehört dem Verstand zu, wogegen sich Lockes Vorbehalt richtete: die schmeichelnde Eingängigkeit des Erzeugten als die eigentliche Gefahr von wit als fancy: „putting those [ideas] together with quickness and variety, wherein can be found any resemblance or congruity, thereby to make up pleasant pictures and agreeable visions in the fancy“.25 Die Locke’sche Hierarchie des übergeordneten „judgement“ über „wit“ verschiebt Jean Paul zum „Scharfsinn“ als „Witz zweiter Potenz“,26 der, „wie der Witz Gegenstände forderte und vergleicht, aber […] nur Vergleichungen [vergleicht]“.27 Wenn er Lockes Regulierung wi(e)dergibt mit: „was Witz verbunden hat und der Scharfsinn verständig geschieden“,28 so spielt er mit der offenkundigen Zitiertheit der Formel diese Relation ins Feld jener Metapher, unter der er – mit langer Nachwirkung – den Witz fasst: als (verkleideter) Priester, der jedes Paar traut, und zwar derart, dass die grundlose Bindungskraft des Witzes (satirisch? blasphemisch?) dignifiziert würde, dagegen die Scheidung, die der Verstand übt, als (lästerliche?) Übertretung (parodistisch?) ohne Berechtigung dastünde. Im Concettismo war der ingenio untrennbar von der Schärfe und Spitze des acumen, der agudeza (Gracián), der acutezza (Pellegrini), nicht aber im Sinne der verständigen Scheidung, sondern der pointierenden, überraschenden Zuspitzung;29 Tesauros Wortbildung „argutezza“ „verwischt“ „den antiken Unter24 Die „Liberalität“ des Tuns des Witzes kontrastiert „mit der S t r e n g e der Urteilskraft (iudicium discretivum) in der Anwendung des Allgemeinen auf das Besondere […], als welche das Assimilationsvermögen sowohl, als auch den Hang dazu e i n s c h r ä n k t .“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 538.) 25 Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 203; „metaphor and allusion wherein for the most part lies that entertainment and pleasantry of wit, which strikes so lively on the fancy, and therefore is so acceptable to all people, because its beauty appears at first sight“ (ebd.), sind verführerisch irreführend. Addison zufolge dgg. solle „wit“ solche „resemblances of ideas“ suchen, „that gives delight and surprise to the reader“ (The Spectator, No. 62 (Ausg. 1804, Bd. 1) 162f., vgl. Lewis, „wit (ingenium)“, 109). 26 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172. 27 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173. 28 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171f. 29 Vgl. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 297f., 299f., 304f.; Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp.  361f.; M.  Blanco, Pointe, 283, 56; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 91. Graciáns agudeza übersetzt Hidalgo-Serna mit „Scharfsinn“ (Das ingeniöse Denken bei Gracián , 55, 52-57; so auch viele andere; vgl. Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, 991f.). Die Wolff’sche Schule setzt dem ingenium, iudicium übersetzend, Scharfsinn (das acumen Baumgartens) entgegen, Kant die Urteilskraft (Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 24-29; Wagner, Art. „Iudicium“, Sp. 685-88,

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schied zwischen acutus (scharfsinnig) und argutus (witzig, geistreich)“.30 Der Scharfsinn, so auch Jean Paul, „schlägt“, „weil er kurz dargestellt wird, mit dem ganzen Blitz des Witzes“,31 der „unvermittelt“, unkontrollierbar auftritt oder einfällt. Die Spannung von Paarung oder Ähnlichkeit und Entferntheit oder Heterogenität, die von verschwierigtem Finden und Erfinden ist dem Witz (auch um 1800) eingelassen, wird von ihm ausgetragen, und ist nicht durch den Rückgang auf judgement, nicht durch die „nachher“ hinzukommenden „Urtheilskraft“ zu entscheiden.32 Der Witz findet nicht nur das „Verhältnis der Ähnlichkeit, d.h. der teilweise Gleichheit, unter größere Ungleichheit versteckt“,33 sondern eine „Gleichheit“ wird im Wortspiel von der geschwinden Sprache untergejubelt,34 und im „witzigen Zirkel“, die figura etymologica, umgekehrt auch „das Gleiche […] unähnlich“ gemacht.35 690f.; van Zantwijk/Gabriel, Art. „Urteil“, Sp. 434f.). Umgekehrt wird Jean Pauls „Scharfsinn“ mit „acumen“ ‚ins Englische‘ übersetzt (Jean Paul Richter’s School for Aesthetics,  § 43, 121f.; vgl. Fleming, „Disparate Pleasures“, 128). Bei Gracián schließt ingenio juicio ein, pointiert diesen aber (Agudeza y Arte de ingenio, 319, 324, 431); beider „opposition“ dgg. bei M. Blanco, zur Unterscheidung „vrai et faux“ (31ff.). 30 Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221; argutia wird übersetzt durch „Scharfsinn, Spitzfindigkeit, wit, acumen, argutezza wie acutezza, agudeza“ (Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, Sp. 991f.); die Unterscheidung dgg. bei Sarbiewski, vgl. M. Blanco, Pointe, 172f.; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 104, 110; vgl. Battistini, Art. „Acutezza“, Sp.  89f., 92f., 91f., 95f.; Briesemeister, Art. „Concetto“, Sp.  311-13). Tatsächlich ‚übersetzt‘ Kant als „vernünftelnde[n] Witz (ingenium argutans)“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 537). 31 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170. 32 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 538 (Urteilskraft im Sinne des iudicium discretum). 33 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. Aristoteles, Rhetorik III, 10, 1410b 14; 1412a 5 (übers. Sieveke, 190); auch Wolff zufolge ist Witz „Aehnlichkeit, die nicht jeder gleich wahrnimmt“: „Je mehr einer also Aehnlichkeit zu entdecken weiß, je mehr hat er Witz und je sinnreicher ist er“; „je verborgenere Aehnlichkeiten er entdecken kann, je größer ist sein Witz.“ („Vernünftige Gedanken von Gott“, zit n. Kilcher, „Das unsichtbare Netz“, 112; vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 703f.); Baumgarten zufolge sei die Fähigkeit, die „ingenium strictius“ genannt werde: „Von je mehr Dingen sie je mehr, je größere Übereinstimmungen, also Entsprechungen, Gleichmäßigkeiten also auch Gleichmäßigkeiten der Verhältnisses oder Proportionen, Ähnlichkeiten unter je stärkeren begleitenden und vorausgehenden andersartigen Vorstellungen je klarer erkennt, um so größer“ (Texte zur Grundlegung der Ästhetik, 36f.; d.i. „Witz in engrer Bedeutung“, 94). „Auf sehr entfernte Dinge auf einmal zu kommen und dann im folgenden zu zeigen, daß doch ein Zusammenhang dazwischen war. Dieses ist einer von Yoricks Griffen.“ – so sieht auch Lichtenberg die Inkongruenz eingeholt (Sudelbücher II, 82). 34 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. 35 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170; vgl.  § 46, 179, als rhetorische figura etymologica analysiert ihn Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 174, 176f. Das gilt für alle Spiele mit dem Doppelsinn, puns, die rückwärts anders lesen/hören, usw. vgl. Kap. I.2.

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Wurde wit/Witz anfangs des 18. Jahrhunderts handelsüblich durchs Vermögen des Verstandes (reason) beschränkt, so wurde umgekehrt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wit/Witz als (bloß) an den Verstand ‚gebunden‘ und daher begrenzt, zurückgelassen. Kant ordnet in seiner Anthropologie den Witz unter den Erkenntnisvermögen in der aufsteigenden Folge Witz, Entdeckung, Erfinden, Genie an, lässt auf den „vergleichenden und vernünftelnden Witz“36 das Entdecken folgen, von dem er als dem Auffinden dessen, was vorliegt, was (nachträglich) „als vorher schon existierend angenommen [wird], nur daß sie [die Sache] noch nicht bekannt war“, das Erfinden dessen unterscheidet, was „vor dem Künstler, der es machte, noch gar nicht bekannt war“.37 Das „Talent“, das dieses vermag, führt bei Kant – unterscheidend – den Namen „das G e n i e “, den er dem „K ü n s t l e r “ vorbehalten sieht, als „dem, der etwas zu m a c h e n versteht, nicht dem, der bloß vieles kennt und weiß“.38 Die Abfolge, die dem Witz (nur) eine begrenzte und schon zurückgelassene Funktion zubilligt, hält die Vorschule der Ästhetik nicht,39 die bündig bescheidet: „Der Witz allein daher erfindet, und zwar unvermittelt [daher wie/als Blitz]; daher nennt ihn Schlegel mit Recht fragmentarische Genialität“;40 „daher kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen, daher witzigen, daher bedeutete er sonst das ganze Genie; daher kommen in mehren Sprachen dessen Ich-Mitnamen Geist, esprit, spirit, ingeniosus“.41 Die „Mitnamen“ rufen auf, was in den Auffassungen des Witzes im 18. Jahrhundert, historisch und national, ingenium übersetzend und es (unter)scheidend ablösend: esprit und belle esprit, wit, Witz, Genie, Geist,

36 Das sind §§ 52-55 von Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. „Unter Ta l e n t (Naturgabe)“ führt §51 ein: „der p r o d u k t i v e W i t z (ingenium strictius s. materialiter dictum)“ und „entweder der vergleichende (ingenium comparans), oder der vernünftelnde Witz (ingenium argutans)“ (WW XII, 537). 37 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 543. 38 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 543. Zumal in Kritik der Urteilskraft unterzieht Kant das „produktive[] Vermögen[] Genie“ zur „Vermeidung des Unsinns“ einer „Domestizierung“, „Beschneidung“, „Aufopferung“ „im Namen des Verstandes“ durch „Geschmack“ und „Urteilskraft“ (Menninghaus „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 264-70); die Gefahr des Unsinns begleitet das Genie als sein „Grund und Abgrund“ (264ff.). 39 Zur Umschrift von Kants Einsortierung von Witz in Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, als deren „Überwindung“ in Jean Pauls IX. Programm der Vorschule der Ästhetik, vgl. Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 99f., 102; Wiethölter, Witzige Illumination, 111f. 40 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. F. Schlegel, Kritische Fragmente, KFSA II, 148 (Nr. 9); vgl. III, 81-85; das sei eine „Annäherung des Genies an den Witz“, so Kilcher, „Lessings Changeant“, 271. 41 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. zu „Genie“ (mit den Begriffen „Geist“ und „Genius“), 64-67.

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auseinandergehalten wurde oder werden sollte.42 Derart sollte „Witz“, der als deutsche Übernahme von „wit“ ingenium ebenso wie esprit, génie übersetzte, mit dem, Kant zufolge, (deutscher) „Geist“ nicht verwechselt werden dürfe,43 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch das als ‚Natur-Gabe‘ aufgefasste Genie44 abgelöst worden sein; so lautet der Gemeinplatz. Als „fragmentarische Genialität; daher kommt das Wort Witz, als die Kraft zu wissen“,45 ist Witz – mit Beizug Friedrich Schlegels46 – (wenn durch etwas) durch Fragmentarizität der „Kraft“ (un-)bestimmt.47 Diese ist auf verschiedene Art zu denken: als die 42

Zu den Diskussionständen, den nationalen Zurechnungen, vgl. Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 6-36, 45-53; Hill, The Soul of Wit, 11ff.; Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 699ff., 701-03, 714, 728; sowie Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5 200f. (zu „Geister-Mischlinge[n]“ 54). Zur Diskussion um Witz und Genie-Begriff, J. Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens, Bd. I, (Gottsched) 32-47, (Lessing) 69-95. (Herder) 12049 (Kant) 365-80. „Genie, génie“ hat eine weitere Vorgeschichte in „genius“ (vgl. Engels, Art. „Ingenium“, Sp.  387f., 413; vgl. Ritter, Art. „Genie“, Sp.  279-93, 302); „genio“ sei, so will Gracián, von „ingenio“ hergeleitet (Ayala, „Un arte para el ingenio“, LVII); „genios“ (Genien) und „ingenio“ sind aber verschiedene erst im lat. ingenium koinzidierende Wörter (LVIIff.). Andere Übertragungslinien verlaufen von ingenium zu engagno u. engin(eer), vgl. Engels, Art. „Ingenium“, 396; Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp. 362; Nitsch/ Wehr, „Einleitung“, 8, u. weitere Beitr. in dies. (Hg.), Artificios. Technik und Erfindungsgeist; zu machines: M. Blanco, Pointe, 54, 26; Kap. I.6. 43 Kant sortiert: „In der französischen Sprache führen Geist und W i t z einerlei Namen, Esprit. Im Deutschen ist es anders.“ „Wie wäre es also: wenn wir das französische Wort G é n i e mit dem deutschen e i g e n t ü m l i c h e r G e i s t ausdrückten“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 544). Goethe macht den „Unterschied des deutschen Begriffes von Geist und des französischen esprit“, letzterer sei dem nahe, „was wir Deutschen Witz nennen“ („Allgemeinstes“, in „Noten und Abhandlungen“, Bd.  2, 165f.; Eckermann-Gespräche 21.3. 1831; zit. nach Birus, Vergleichung, 65, 123); vgl. Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 99f., 102; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 201f., 212. Vgl. J. Schmidt, Geschichte des Genie-Gedankens, 367f. (Fn.). 44 Die Kritik der Urteilskraft bestimmt „Genie“ als Talent, „dasjenige, wozu sich keine bestimmte Regel geben lässt, hervorzubringen“, das nicht „nach Belieben oder planmäßig“, sondern „als Natur“ die Regel gibt; es weiß selbst nicht „wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden“ (Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X, 242; so allein für die Kunst, 243). Die Unbewußtheit des produktiven Vermögens Genie, die Kontingenz oder der Unsinn ist derart: „als Natur“ bereits eingeholt. 45 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, §43, 171. 46 „Witz ist […] geselliger Geist oder fragmentarische Genialität“, so F. Schlegel (Kritische Fragmente, KFSA II, 148 (Nr. 9)); „Genie ist zwar nicht Sache der Willkür aber doch der Freiheit, wie Witz, Liebe und Glauben, die einst Künste und Wissenschaften werden müssen.“ (ebd. (Nr.  16); vgl. KFSA XVIII, 102 (Nr.  881)); der kombinatorische Witz als fragmentarisches Genie, vgl. Athenäum-Fragmente, KFSA II, 200 (Nr.  220)), KFSA III, 81-85. 47 F. Schlegel gibt dem Witz im Fragment die diesem notwendige, die sich unterbrechende ‚Form‘: „aus der Abgerissenheit“, „als Bruchstück“ (Phil.Vorl., KFSA XII, 393; vgl. III, 81;

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Nicht-Vollendung als Kraft (so im Folgenden) oder als Fragment (am Maße) einer anderen Ganzheit, für die in den §§ der Vorschule mit „das ganze Genie“ der übliche Kandidat antritt, unter dessen Namen die „Phantasie“ „poetisch erschafft“.48 Dagegen ist Einheit, wie aber die Sekundärliteratur gerne will, auch mit dem „Tiefsinn“, „dritte Kraft“ neben Witz und Scharfsinn nicht gegeben,49 „trachtet“ diese, „mehr der Sinn des ganzen Menschen“, auch „im Bunde mit der Vernunft […] nach Gleichheit und Einheit“, so trete sie „vielmehr […] ganz am Horizont [] hervor“.50 Und auch dieser „ebensosehr als der Witz“, so darf keineswegs überlesen werden, vergleicht, „um Gleichheit zu setzen“,51 „everywhere it looks“, akzentuiert Paul Fleming deren Kontingenz.52 Auch durch eine weitere Kandidatin für ‚ästhetische‘ Einheit, die Einbildungskraft wird der „Witz“ weniger transformiert als vielmehr abgelöst;53 in der Folge

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vgl. Frank, Frühromantische Ästhetik, 295ff., ders. „Allegorie, Witz, Fragment, Ironie“, 133, Kilcher, „Lessings Changeant“, 270f.). In der Auseinandersetzung mit der Jenenser „Philosophen-Horde“ habe Jean Paul die mit dem idealistischen System unverträgliche „Form des Fragments“ ganz „unbeachtet“ gelassen (Wiethölter, Witzige Illumination, 37f.). Jean Paul wie F. Schlegel schließen die ‚neue Erfindung‘ an die ‚ars combinatoria‘ an (Frank, Frühromantische Ästhetik, 295; Jean Paul allerdings „auf andere Weise“, Wiethölter, 50). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; dgg. setzt Jean Paul § 8ff. die ‚Ganzheit‘ des Genies, von der der Witz nur ein Teil sei (55f.), anders die Phantasie (gegenüber dem Witz vgl. 182, 47, 187f., 201), die er in ihren „Grade[n], bis zu dem […], wo sie unter dem Namen Genie poetisch erschafft“, begleitet (49). J.  Schmidt situiert Jean Pauls Geniebegriff im Rahmen des Romantischen (Geschichte des Genie-Gedankens, 430-46); das müßte in alle Richtungen diskutiert werden. Das romantische Genie ist aber gerade an „Fragmente“ als „formlose Form“ gebunden (F. Schlegel, KFSA III, 81). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. Das Verhältnis von Witz, Scharfsinn, Tiefsinn diskutieren u.a. Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232; Fleming, „Disparate Pleasures“, 128; u.v.a. Er sei „die ganze gegen die Unsichtbarkeit und gegen das Höchste gekehrte Seite“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172), „höherer göttlicher Witz“ geheißen (173); „hier ist der heilige Geist, die dritte Vorstellung, die als die dritte Person aus dem Verhältnis zweier Vorstellungen ausgeht, überall auf gleiche Weise ein Wunderkind“ (171); er finde „trotz allem Scheine gänzliche Gleichheit“ (172). Im „Tiefsinn“ sieht M. Wieland (wie andere) den Weg aus dem ‚Atomismus‘ des Witzes (ins Höhere?) (Vexierzüge, 92f.). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171 (Hvhg. BM): und zwar „überall auf gleiche Weise“. Fleming, „Disparate Pleasures“, 128. Auch Fleming zufolge limitiert Jean Paul den Witz durch den Bezug auf die entgegengesetzten Phantasie, Poesie, Humor (147ff.). Vgl. J.  Schmidt, Geschichte des Genie-Gedankens, 47-57. Kant fordert dieser, wie dem Genie, Harmonie mit dem Verstand (Geschmack) ab (vgl. 355-363; Menninghaus „Kant über ‚Unsinn‘, ‚Lachen‘ und ‚Laune‘“, 267ff., 277). Herder zufolge sei „Einbildungskraft“, was man „dem Dichter als sein Erbteil zu geben pflegt[]“, der damit von „Witz und Gedächtnis“ abgetrennt werde, derer der Dichter aber wie der „Einbildung“ bedarf („Vom Erkennen und Empfinden der Seele“, 356); zur Einheit vgl. Jean Paul, „Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“, SW I.4, 195-205). In Vorschule der Ästhetik ist sie (wie der

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von Lockes Denunziation des unbeschränkten wit als „fancy“, als in keiner Wirklichkeit gegründete, in „pleasant pictures“ vorgestellte Verbindungen, als schöne falsche, verführende Oberfläche der Wörter, der figürlichen Rede, die Rezipienten bindet, setzt sie sich als imagination in der englischen Romantik durch, die von fancy strikt sich scheiden will. Wie „Witz“ sich bei Jean Paul, wenn er auch als „bildlicher“ bestimmt ist, dazu verhält, wird zu analysieren sein. Mit der durchs „Wort“ angeleiteten Bestimmung von „Witz“ als „Kraft zu wissen, daher witzigen“, scheint Jean Paul einerseits einer älteren Debattenlage verhaftet, die den Witz auf Erkenntnis verpflichtete, was Jean Pauls textuelle Verfahrensweisen und/als ihre witzigen, also unhaltbaren Selbstkommentare allerdings fortlaufend unterminieren. Andererseits steht er, indem er sich der nach Kant verbindlichen Auftrennung von Epistemologie und Ästhetik nicht fügt, in einer eher komplizierten Parallele auch zu den frühromantischen Einsätzen.54 Als „Kraft zu wissen“ unterhält der Witz, als sich manifestierende Kraft eine zweifelhafte Beziehung zum Wissen(können), von dem „Witz“, wie Jean Paul anzeigt, nicht nur etymologisch hergeleitet werden kann, sondern dessen figura etymologica er abgibt, in der ein Wort, damit eine „Idee“, „zum zweiten Male aber als ihre ewige Widersacherin“ „sich selber entgegen“tritt, „sich durch die Gleichheit genötigt sieht, einige Ähnlichkeit zwischen ihr selber auszukundschaften“.55 Die „Kraft“ des Witzes sei, wie Jean Paul im § 41 Witz nur ‚einzelne‘ Kraft) Stufe der „Phantasie“, die „alle Teile zu Ganzen“ macht (SW I.5, 47ff.), „unter dem Namen Genie poetisch erschafft“ (49, 55ff., 65ff.; Phantasie und Poesie auch 187, 201; vgl. dazu Simon, Idee der Prosa, 220-29, 216f.). 54 Er sei einzuordnen „zwischen Spätaufklärung und Romantik“ (Wiethölter, Witzige Illumination, 5); zur Periodisierung vgl. W.  Proß, Jean Pauls geschichtliche Stellung, zu deren Befragung vgl. Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232f.; ders., „Enzyklopädie und Geschichte“, 49; zur ‚Modernität‘, vgl. Esselborn, „Die Vielfalt der Redeweisen und Stimmen“, 32ff.; Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 108; Riedel, „Die Macht der Metapher“, 56-94; Birus, Vergleichung, 52, 60ff., 81ff.; ders., „Der ‚Metaphoriker‘ Jean Paul“, 48f. Die Idealismus- und Genie-Kritik parallelisiert ihn mit Jacobi und Herder, vgl. Sprengel, „Antiklassische Opposition“; zu Jacobi vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 91, 64 u.ö.; bez. Herders vgl. u.a. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444, 446. Das Verhältnis Jean Pauls zur Frühromantik wird üblicherweise als Entgegensetzung oder gar Polemik gegen Fichte und den ‚Fichtisten‘ F.  Schlegel aufgefasst, vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 64, 66-69, 34-40, 55-69, 82-88, 47f., 12 u.ö.; Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 105; Sprengel, Art. „Antiklassische Opposition“, 260. Bez. des „Witzes“ geht das in Entgegensetzung nicht auf, vgl. Kilcher, mathesis und poeisis, 379ff., 400; Simon, Idee der Prosa, 225f., 217ff.; G. Müller/Knab, „Nachwort“ zu HKA II.7, 710f. Vgl. F. Schlegel, „Zu Jean Pauls ‚Vorschule der Ästhetik‘“ (1804). 55 Derart diese als in sich gedoppelt gespaltene, Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 179; vgl. Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 174, 176f.

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„Definitionen“, und damit sich selbst gegensinnig, ‚feststellte‘, eine „die ihre eigene Beschreibung nicht zustande bringt“,56 die „zwischen ihr selber“ einen Widerstreit von Kraft (zu wissen) und Wissen austrägt. – Jean Paul bringt den Witz (anders als die Frühromantik) keineswegs ohne Limitierungen und Abscheidungen zur Geltung; er wird beschränkt wie durch die Sinn-Auflage so auch begrenzt durch die ihm entgegengesetzte vom Zauber der Phantasie erzeugte Einheit und das von der „Poesie“ gegebene ‚ganze Bild‘.57 Schlegel dagegen will „den Witz poetisieren“.58 Seine Verteidigung von „Friedrich Richters Romane[n]“: „er hat wirklich mehr Witz [als Sterne], wenigstens für den, der ihn witzig nimmt: denn er selbst könnte sich darin leicht Unrecht tun“,59 nehme ich gegen die behaupteten Scheidungen, Entgegensetzungen, Beschränkungen als Vorschlag fürs Lesen gerade auch der Vorschule der Ästhetik. I.1

Der „verkleidete Priester“

Wie zitiert, fasst Jean Paul den Witz ‚witzig‘ als „verkleidete[n] Priester“. Trotz der vielen Zitationen des Ausdrucks ist aber fraglich, was ein solcher denn ‚ist‘, ebenso wie, was er tut: Hat sich zum ‚Kopulieren‘ des Ähnlichen wie des Unähnlichen ein „Priester“ als etwas anderes, sei dieses was es wolle, „verkleidet“, oder doch eher (so wenig dies grammatisch eindeutig ist) jemand, der keiner ist, als ein Priester, um illegitim, in der angemaßten Rolle alle Paare zu verkuppeln?60 Warum wäre diese Verkleidung und die Anmaßung notwendig? Die Mesalliance, die der Witz stiftet,61 bedarf offensichtlich (irgend) 56 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169. 57 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201. 58 F.  Schlegel, Athenäum-Fragmente, KFSA II, 182f. (Nr.  116); die Formulierungen scheint Jean Paul in seiner Absetzung der Poesie vom Witz direkt zu kommentieren (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201, 187). 59 F. Schlegel, „Gespräch über die Poesie“, KFSA II, 331f. Schlegel nimmt Jean Pauls „bunte[s] Allerlei von kränklichem Witz“ „in Schutz“ (329ff.). 60 Diese Frage stellt auch etwas anders Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 174. 61 Das ist durch das ganze 19. Jh. die wirkmächtige Lesart (vgl. K. Fischer, Vischer, Lipps). Der Witz „ist für Mesalliance“, während der Verstand „erst die Ahnen“ „zählt“. „Freilich spielt der Wiz blos aus der Tasche […]; aber er vergnügt doch. Und was thut, was kann der Verstand mehr, wenn er verlobte Ideen kopulirt?“ so der ‚frühe Jean Paul‘ (Grönländische Prozesse, SW II.1, 474) (wie die Sek. Lit. periodisiert, Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 243, 232f.; Wölfel, „Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt“, 30-45; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 276; u.ö. vgl. Kap.  III.1-2); vgl. die Mesalliance durch den Witz auch bei Kofman, Die lachenden Dritten, 48f. u. Schuller, „Der Witz oder

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eines „Priesters“.62 Ein verkleideter Priester scheint besser, oder jedenfalls etwas anderes zu sein, als keiner; denn eine „wilde Paarung ohne Priester“ vollzieht und ist dagegen „jeder Zufall“;63 der abwesende oder fehlende „Priester“ modelliert das erfreuende, aber auch immer wieder Misstrauen oder gar Ekel erregende Wortspiel.64 Es kommt demnach auf den „verkleideten Priester“ und seine „Trauformeln“ an, durch die die „Kraft“ wirksam würde, die der Witz ist, und es kommt auf den Priester noch dort an, wo er ausfällt: „ohne“, in den „wilden Paarungen“. Er macht – als vorgeblicher oder abwesend – den Unterschied. Und er gibt derart: kippend, eine Art Meta-Figur der von Jean Paul vorgetragenen eher doch nicht haltenden Unterscheidungen ab. Findet der Witz nicht nur das „Verhältnis der Ähnlichkeit, d.h. der teilweise Gleichheit, unter größere Ungleichheit versteckt“, auf,65 sondern „macht“ er umgekehrt (im Bezug des Wortes – auf sich) auch „das Gleiche […] unähnlich“66 – so erfasst dies in selbstrefentieller Wendung, die kennzeichnend ist für Jean Pauls Verfahren,67

die ‚Liebe zum leersten Ausgang‘“, 19: „weil durch keinen vorgängigen Sinn finalisiert, ist der Witz […] ohne wahre Verbindung“. 62 „Er ist aber der Schmied zu Gretna-Green, der lauter Paare traut, deren Trauung die Verwandten (der methodische wahre Zusammenhang) nicht dulden wollen“ (Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 21858, 457). K.  Fischer akzentuiert, dass „er sich an die Familienverhältnisse der Vorstellungen gar nicht kehrt“; die „Vorstellungen“ werden „nicht nach ihrer schon vorhandenen Gemeinschaft, sondern so verknüpft, daß sie eine Pointe bilden“ (Ueber den Witz, 103f.). 63 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 64 „Witzwörter (bon mots)“ oder „Witz mit Wortspielen“ seien „seicht“, „‚anekelnd“, „schal“ so Kant (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 539f.); dgg. M.  Blanco: „bons mots, conceptos ou agudezas“ (Pointe, 30ff., 147ff., 178, 201); vgl. F.  Schlegel: „Die wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen sind bonmots der Gattung. Das sind sie durch die überraschende Zufälligkeit ihrer Entstehung, durch das Kombinatorische des Gedankens, und durch das Barocke des hingeworfenen Ausdrucks.“ (AthenäumFragmente, KFSA II, 200 (Nr. 220)). 65 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. 66 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170. So im „witzige[n] Zirkel“, der rhetorischen figura etymologica, wo im wiederholten Wort „die Gleichheit“ „unähnlich gemacht“ ist (ebd.), eine „Idee“ sich „durch ihre Gleichheit [mit einer Widersacherin] genöthiget“ sehe, „einige Ähnlichkeit zwischen ihr selber auszukundschaften“ (179). Wiethölter fasst dies „Ob-Subjekt differenzierend“ nur als Seitenhieb auf die „neuern Identität-Philosophen“, insb. Fichte (Witzige Illumination, 62ff.); dafür gibt ein Brief Jean Pauls den Anhaltspunkt (HKA III.3, 252f.). Vgl. aber Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 176f., 174. 67 So (wie bereits zitiert) Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170. So wie auch: „Hier hab’ ich selber über die Allegorie allegorisch gesprochen; indes (ich warne mich und jeden!) nicht sonderlich“ (191). „In dieser Sekunde geb’ ich ein Beispiel, indem ich über eins rede“ (174), und viele weitere (im Folgenden).

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auch dessen Unterscheidungen:68 Wo eine Unterscheidung scheint eingeführt worden zu sein, wie die der Kopulationsinstanz des Witzes, die kostümiert sei, von der, die fehlt, erweist schon das vermeintlich ‚definierte‘ ‚Gleiche‘ sich als mit sich selbst ‚unähnlich‘, die Unterscheidung als nicht gehalten, gehört zu den „Trauformeln“ des „verkleideten Priester“ doch auch das Wortspiel,69 die Kopulation ohne Priester. Mit Jean Pauls „witzigem“ Ausdruck für den „Gedanken“, der die Definition des (ästhetischen) Witzes müßte sein können, wird die Witz-Äußerung in jenes Feld gestellt, das nach John  L.  Austin als das der Performativität der Äußerungen zu analysieren ist, die „überhaupt nichts beschreiben, berichten, behaupten“, „nicht wahr oder falsch“ sind, sondern „eine[] Handlung“ vollziehen.70 Der „verkleidete Priester“ weist die Performativität des Witzes aus, und damit umgekehrt den Witz des performative, das performative wie oder als Witz. Seine „Trauformeln“ tun was: Sie müssen herstellen, erzeugen, stiften, was nicht vorfindbar und repräsentierbar ist. Eheschließungen gehören wie Taufen, Testamente oder Wetten zu Austins paradigmatischen Fällen der performatives; wobei sein Buch nicht nur mit einer solchen,71 sondern damit auch, was angesichts Austins Ausschluß aller Fälle witzigen Redens72 schon lustig ist, 68 Probleme Jean Pauls Begriff des „Witzes“ einem „eindeutigen Verständnis“ zuzuführen, sind verschiedentlich vermerkt (Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 95, 106f.), z.T. geglättet (Wiethölter, Witzige Illumination, bez. der Metaphern, 115) worden. Insbesondere die vermeintlich „typologische Differenzierung von unbildlichem und bildlichem Witz“, die – wie zu lesen ist – „ganz schematisch auf den Gegensatz zwischen der Sentenz als Ausfluß des Verstandes und der Metapher als Ausdruck der Phantasie reduziert werden“ könne (Cambi, 107; vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 215), ist fraglich: zur „Widersprüchlichkeit“ der Konzepte vgl. Wölfel, „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt‘“, 30-45; Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232f.; zur Auflösung der „Widerspruchsspannung“ vgl. Buschendorf, „‚Um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt‘“, 220, 226ff.; „eine kohärente Interpretation der Jean Paul’schen Metaphorik, gerade in ihren gegensätzlichen Ausprägungen“ sucht Birus, „Der ‚Metaphoriker‘ Jean Paul“, 52; der Vorrang des „bildlichen“ Witzes (als Produkt der) und der Phantasie bei Wiethölter, Witzige Illumination, 139ff., 122-93; Simon, Idee der Prosa, 256f. 69 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, § 52, 191; vgl. den „bildlichen“ Witz § 49, 182, und den wiederum gegen diesen abgesetzten „unbildlichen Witz“ (§ 44, 173ff.). 70 „In these examples it seems clear that to utter the sentence […] is not to describe my doing of what I should be said in so uttering to be doing or to state that I am doing it: it is to do it.“ (Austin, How to Do Things with Words, 6, vgl. 13/Zur Theorie der Sprechakte, 28). 71 „‚I do (sc. take this woman to be my lawful wedded wife)‘ – as uttered in the course of the marriage ceremony.“ (Austin, How to Do Things with Words, 5). Das sind die Beispiele, examples, für die „clear“ sei, dass „in so uttering“ „I am doing it: it is to do it.“ (6, vgl. 13/Zur Theorie der Sprechakte, 28). 72 „[T]he ‚use of language‘ for something, e.g. for joking“ habe als „‚not serious‘ and ‚not full normal‘ uses“ und „(and other non-literal uses of language), joking (and other non-serious

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mit einem missglückten Beispiel, einer falschen Trauformel einsetzt: „Austin realized that the expression ‚I do‘ is not used in the marriage ceremony too late to correct his mistake“, merken die Herausgeber an. Diese Verschiebung entzieht den Witz und seine Hervorbringungen der (alten) Diskussion um die Unterscheidung zwischen dem Finden von Ähnlichkeiten und dem kunstfertigen Erfinden von Verbindungen, deren Substanz ungewiß ist.73 Die von ‚objektiver‘ und ‚subjektiver Ästhetik‘ ist suspendiert;74 die Spannung beider halten die manieristischen Concetti als unauflösbare, indem sie durchs Erfinden, durchs Erschreiben von Ähnlichkeiten die vorgegebene Ähnlichkeit, die zu finden wäre, und deren Substantialität, die das Kriterium für diese geben müßte, unterminieren,75 indem sie die Kraft der artificios bezeugen. Kant unterscheidet vom bloßen (Auf)Finden eines Neuen, was bereits gegeben, aber noch nicht entdeckt war, das Erfinden dessen, was es vor ihm nie gab: Entdeckt werden konnte Amerika, als Sache, die nachträglich als „vorher schon existierend angenommen“ wird, während das Schießpulver erfunden werden musste, d.h. auch nachträglich ohne Vorlage gewesen sein wird.76 Beide, Entdeckung und Erfindung, gesteht Kant dem „Witz“ nicht zu,77 behält vielmehr zu erfinden jenem „Talent“ vor, dessen Name „das G e n i e “ man „immer nur einem K ü n s t l e r bei[lege], also dem, der etwas zu m a c h e n versteht“.78 Mit der Feststellung: „Der Witz allein daher erfindet, und zwar

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uses of language)“ „nothing to do with the illocutionary act“ (Austin, How to Do Things with Words, 104, 122). Vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 698; zum Manierismus vgl. Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp. 360ff.; Engels, Art. „Ingenium“, Sp. 406f. u.ö. Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 109f. Das sei die Zwiespältigkeit der argutia zwischen „ingeniöser Intuition“ und „virtuoser Konstruktion zur Manipulation der Kommunikation“ (Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, Sp.  993); „les deux faces“ des ingenio (M.  Blanco, Pointe, 29f.) verweist auf die Janusköpfigkeit. Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 105, 102ff., 109f.; vgl. Johnson, „Graciáns artificios“, 200-04, 210f.; Wehr, „Vom Entdecken zum Erfinden“, 229ff., 220ff., u.a. Die „operationale[] Herstellung“ des concepto dementiert ein „vorgängiges“ „Ordnungsgefüge der Welt“ (Kramer, „Artificio und ingenio“, 262f., 258). So Kant: „die Sache, welche man e n t d e c k t , wird als vorher schon existierend angenommen, nur daß sie noch nicht bekannt war, […] was man aber e r f i n d e t , z.B. das Schießpulver, war vor dem Künstler, der es machte, noch gar nicht bekannt.“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 543); vgl. Wirth, „Das Neue als witziger Einfall“, 63ff. D.i. der „vergleichende und vernünftelnde“, Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 537. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 543; zur Erfindung des Genies, vgl. J. Schmidt, Geschichte des Genie-Gedankens, 35ff.; zur Trennung zwischen Genie und

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unvermittelt“,79 schreibt Jean Paul (Kants Hierarchien unterlaufend) dem Witz, als „fragmentarische Genialität“, die „unvermittelt[e]“ Erfindung ‚ohne Vorlage‘ zu, ein ‚Machen‘, das auf imitatio oder Mimesis nicht verpflichtet sein kann.80 Der von Jean Paul aufgerufene Schlegel fasst dies unter der „topischen Metapher“ des Blitzes für die „plötzliche Erkenntnis, die geistige Erleuchtung, den unerwarteten Einfall“81 auf: „der Witz […] tritt […] unerwartet und plötzlich auf, als […] ein Blitz aus der unbewußten Welt“.82 Novalis heißt den Witz „schöpferisch – [denn] er macht Ähnlichkeiten“, ‚findet‘ also nicht nur solche, die ihm vorauslägen, sondern bringt sie, d.i. aber (vielleicht) „alles und jedes“ hervor.83 Mit der Modellierung des Witzes als „der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert“, wird über die Gültigkeit jener Verkupplung, die der Witz macht, nicht durch den Rückgang auf eine unterstellte oder gefundene substantielle Ähnlichkeit, über „Einfälle“ des Witzes, „Vorfälle“ oder auch „Unfälle“, jedenfalls „Fälle“,84 nicht hinsichtlich (durch „Urteilskraft“ erlangter) „Einsichten“ unterschieden worden sein.85 Was der ‚falsche Priester‘ mit den „Trauformeln“ des Witzes verbunden hat, ist kopuliert – sei es auch nur vorübergehend, was für solche Paarungen und was für den Witz wohl zutrifft.

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Wissenschaftler (in Kritik der Urteilskraft), vgl. 363-66. Das ingenio wird als „puissance d’un invention“, die durch „nouveauté“ sich bezeugt, gefasst (M. Blanco, Pointe, 33, 40); seine artificios sind Erfindung im Sinne des Kunstgriffes wie als technische (vgl. Nitsch/ Wehr, „Einleitung“, 7f.; die Beitr. in dies. (Hg.), Artificios. Technik und Erfindungsgeist, u.a. Kramer, „Artificio und ingenio“, 258). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. Gottsched bindet den „produktiven Witz“ durch imitatio, vgl. Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 704; wie „Scharfsinngkeit“ Bedingung des Erfindens als Entdeckung ‚objektiver‘ Zusammenhänge sein sollte (703f.). Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112; vgl. Wirth, „Das Neue als witziger Einfall“, 69f. KFSA XII, 393; „mit dem ganzen Blitz des Witzes“ „schlägt“ der Scharfsinn (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170). Novalis, N III, 410 (Nr.  732). Gegen diese Lesart will Stadler Novalis’ Diktum schützen, indem er die vermeintlich „falsche[n] Assoziationen“ des „‚machen‘“ abwehrt: „Die schöpferische Kraft des Witzes hat in der ursprünglichen, freilich gegenwärtig ‚entarteten‘ Disposition der Welt ihre Ermöglichungsbedingungen und zugleich ihre Grenze“ (Stadler, „‚ich lehre nicht, ich erzähle‘“, 97). Jean Paul spielt wörtlich aus: Anläßlich „witzige[r] Einfälle“ „fiel plötzlich einer meiner Zuhörer […] mit den Worten ein, er falle dergleichen Einfälle weder an, noch weniger ihnen zu mit Beifall – es seien der Vorfälle, Unfälle und Fälle so viele, daß er keinen Fall mathematisch zu setzen wage“ („Miserikordias Vorlesung“, SW I. 5, 357). „Witz hascht nach Einfällen; Urtheilskraft strebt nach Einsichten.“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 538f., vgl. Reisinger: Art. „Urteil, vorläufiges“, Sp. 474). Jean Paul setzt dgg. auf die Ausführung: „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall; aus diesem hüpfenden Punkte (pointe) entwickelt sich eine schreitende Leben-Gestalt“ (Levana, SW I.5, 843).

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Austin allerdings müsste ergänzen: soweit diese Formeln ‚in Geltung‘ sind und ihr jeweiliger Agent als solcher berechtigt ist. „Zeremonien“ sind so notwendig wie sie als „äußerliche Zeichen“ kontingent sind, so Jean Pauls christliche und eher protestantische Auffassung (des Judentums).86 Der „verkleidete Priester“ stellt die Instanz und Deckung jener „Kraft“ vor, die der kuppelnde Witz Jean Paul zufolge ist,87 deren „Trauformeln“ er in den folgenden §§ aufführt. Und er tut dies, indem er (vorgreifend) die „passenden Umstände“ („the appropriate circumstances“) Austins zitiert, unter denen eine Äußerung „etwas Bestimmtes tue“, eine Trauung ist:88 Der „verkleidete Priester“ stellt die ‚Umstände‘ des Gelingens aber dar, insofern er verkleidet ist, zitiert sie, indem er sie zugleich als Szenario einer theatralen Aufführung ausstellt, die Austin bekanntlich gerade (jedenfalls aus seiner Erörterung der performatives) ausschließen wollte.89 Dass der Witz als „Kraft“ auszumachen ist, lässt ihn nicht in Bedeutung oder Sinn aufgehen,90 die er erzeugen mag. Er ‚reflektiert‘ auf spezifische Weise die Problematik der performative force, die Austin in deren Resultat gesichert, eingeholt sieht: ein performative wird nachträglich, in 86 Jean Paul (Brief an Emanuel Osmund, 15.-23. April 1795): „Alles was wir körperlich oder äußerlich vor dem Unendlichen thun […], also alles l a u t e Beten, Knien, Händefalten, ist Zeremonie, nicht Tugend (obwol Aeusserung der Tugend) und alles das könnte eben so gut im Gegentheil bestehen.“ (HKA III.2, 78; vgl. Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 13f., 275f.). Daher aber fährt er fort: „Also folgt daraus gegen alle Zeremonien – nicht das Geringste.“ Jean Paul zitiert implizit das Paulinische Gesetz-Geist- und FleischSeele-Verhältnis (76ff.) und macht explizit: „ich beklag’ es, daß ich die Unterdrükten fast blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne daß Christen die Portraitmaler der Juden sind“ (76). 87 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169. 88 „[T]he particular persons and circumstances in a given case must be appropriate for the invocation of the particular procedure invoked.“ (Austin, How to Do Things with Words, 15, vgl. 34f.). „There must exist an accepted conventional procedure having a certain conventional effect“ (14, vgl. 26-32). Der Verstoß gegen eines dieser Kriterien produziert „infelicities“, hier: „When the utterance is a misfire, the procedure which we purport to invoke is disallowed or is botched: and our act (marrying, &c.) is void or without effect, &c.“ (16). 89 Bekanntlich: „a performative utterance will, for example, be in a peculiar way hollow or void if said by an actor on the stage“ (Austin, How to Do Things with Words, 22). Dies heißt „a sea-change in special circumstances“ (21f.) – und zitiert einen Bühnen-Text, Shakespeares The Tempest (vgl. Miller, Speech Acts in Literature, 8ff.). Austin bezieht sich auf Euripides’ Hippolytos als Exempel für das, was beim Versprechen geschieht: Der Vorbehalt, ‚ich hab’s nicht so gemeint‘, gilt nicht (How to Do Things with Words, 9f.). Das Sprechen auf dem Theater „(and other non-literal uses of language), joking (and other non-serious uses of language)“ oder „‚not full normal‘ uses“ habe „nothing to do with the illocutionary act“ (104, 122). 90 Vgl. Derrida, „Kraft und Bedeutung“, insb. 31, 36f., 47-50.

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seinem Abschluß (dieses bestimmte) geworden sein – wenn es glückt (oder auch nicht). Die Jean Paulsche Ehe-Kopulation macht daran auch das Moment der Institutionalisierung kenntlich, das Austin auslässt: wie die Ehe „Bastband“, so Jean Paul, fixierende Annähung (und doch unhaltbar) geworden sein wird, ist der Sprech-Akt, wo er eingelöst, erfüllt und realisiert wäre, stillgestellt – und damit als Akt gelöscht.91 Der Witz aber geht als „Kraft“ nicht im Resultat auf,92 er ist Einfall als Vor- und Unfall. Wird er als Vorgriff auf eine ausstehende Vollendung, ein Gewordensein (das Austin als Abschluss für die performatives als deren Sicherung verbucht) genommen, so käme dieses aber allein aus Zukünften zu, deren Effekte Unkalkulier- und Unhaltbarkeit der Witz ausspielend kenntlich macht. Im Witz wird der nicht auflösbare Widerstreit von force und (deren) Gegebenheit oder Darstellung ausgetragen, der die performatives durchquert. Der Witz ist insofern in spezifischer Weise einschlägig für die von Christoph Menke beobachtete Ablösung des Konzepts des Vermögens, das die Poetiken und die des Witzes bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägte, durch das der „Kraft“:93 „Auch Kraft ist ein Können, aber als Wirkenkönnen, nicht Verwirklichenkönnen. […] Vermögen verwirklichen sich […] im (teleologisch erstreckten) Tun des Guten. Kräfte entfalten sich im Spiel, also im seriell verfassten Verbinden und Lösen und Neuverbinden und Wiederlösen von Ereignissen.“94 Unterstellt der Begriff des Vermögens die „Entsprechung von Vermögen und Gelingen“, das das Vermögen ausrichtet, so ‚zerspringt‘ diese Entsprechung „in den Widerstreit zwischen dem Spiel der Kräfte und ihren sich verselbständigenden Effekten“.95 Für den Widerstreit zwischen wirkender 91

„[The] paralyzing effect is […] not limited to marriage […] but belongs to all institutions and […] to any notion of fulfillment and realization“, die Wiederholung ist/wäre, so Fleming („Disparate Pleasures“, 149), mit weiteren Belegen: Jean Paul „rarely has a good word to say about marriage“ (vgl. 124ff., 128-31, 136f., 143f., 147f.); u.a. zum Verfall des Ehebundes, da nach „11 [oder bereits 3] Jahre“ die kopulierten Körper gänzlich erneuert seien und „im Ehebette bloß ein Gipsabguß oder eine zweite Auflage“ liege (SW I.1, 70ff.). 92 Insofern stellt, so Felman, der Witz das Paradigma der performativen Äußerung (Felman, Le scandale du corps parlant, 160, vgl. 198), während Austin „joking“ wie andere „‚not full normal‘ uses“ ausschließt (How to Do Things with Words, 104). 93 Zu den in der zweiten Hälfte des 18. Jh. umlaufenden verschiedenen Begriffen der Kraft, vgl. C. Menke, Kraft. 94 C. Menke, „Noch nicht“, 45. Hier u.a. mit Herders Begriff der „Kraft“, der auf „den Prozess der Bewirkung von Gestalten“ geht: „das innere Prinzip der Hervorbringung einer Gestalt aus einer anderen – der ‚Veranderung‘ von Gestalten ineinander“. „Die ästhetische Kraft bleibt bei keinem ihrer Ausdrücke stehen, geht über jeden von ihnen hinweg“ (C. Menke, Kraft, 55). 95 C.  Menke, „Noch nicht“, 48; Kraft kann produktives Unvermögen heißen (ders., Die Kraft der Kunst, 88; zu Kraft und Vermögen 11-14). Herders „rasende[r] Träumer“, der der

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Kraft und unkontrollierbar „sich verselbständigenden Effekten“ stellt der Witz den paradigmatischen Fall, weil (und wie) er einer Logik des „Gelingens“96 sich sperrt, wie sie Austin dem performative unterlegt. Er kommt aber auch mit der „ästhetischen Kraft“ nicht überein, die ein ästhetisches ‚Gelingen‘ im Werden ermögliche, ein unabschließbares ‚Spiel der Formen‘97 oder, paradoxer, „Form durch Unform“.98 Der Witz hat eine andere Zeitlichkeit; er „schlägt“,99 verdichtet, unterbricht (sich): gibt eine Pointe, einen überraschenden SinnEffekt, der aber je an die Signifikanten als an dessen Medium, die diesen ‚Sinn‘ machen und revocieren, zurückgestellt ist,100 die ihn ‚verpulvern‘.101 Es ist des Witzes Sache, den Widerstreit zwischen Kraft und (deren) ‚Wirkung‘, Dichter ohne „Dichtungsgabe“ wäre, macht aus der „Verklammerung von Vermögen und Dichtung“ („Noch nicht“, 47) den unauflösbaren Widerstreit von Können und Auflösen, Vermögen und Zerspringen. 96 Gelingen eines Vollzugs hinsichtlich Ergebnissen wie Erkenntnis oder Moral, C. Menke, Die Kraft der Kunst, 21. 97 So etwa Herder für die „Einbildungskraft“ in einem unabschließbaren „Spiel“ von und zwischen Verbinden und Lösen (C. Menke, Die Kraft der Kunst, 24). Die visierte „Einheit“ wäre „nicht als Verknüpfung von unabhängig gegebenen Elementen“, sondern: „Die Einbildung bringt Bilder hervor, indem sie die Einheit dieser Bilder hervorbringt“, in einem „metamorphotische[n] Prozess“ der Fort- und Umbildung der Ausdücke (ders., Kraft, 60); als „innere[r] ‚geistige[r]‘ Zusammenhang der Elemente“ sei dieser aber bei Herder „teleologisch organisiert“ und heißt „Leben“ (55, 57); das mag Jean Paul mit den lebendigen Bildern der Poesie anspielen (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201). Die Einheit wäre mit Herder nicht die des in sich geschlossenen Bildes, weil „die Ausdrücke der ästhetischen Kraft nicht miteinander überein[stimmen]“: „Im Wirken derselben Kraft wird Bild durch Bild ersetzt. Im Wirken der ästhetischen Kraft heißt Entstehen Vergehen.“ (C.  Menke, Kraft, 61). 98 Mit Nietzsche, C. Menke, Die Kraft der Kunst, 38, 32-38. In „Noch nicht“ problematisiert C. Menke die Etablierung von Ästhetik als ‚Gebiet der Philosophie‘. Jean Paul kennzeichnet die „Vorschule“ der Ästhetik in expliziter rhetorischer „Bescheidenheit“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 27); diese kann im Verhältnis zu den zeitgenössischen Ästhetiken gelesen werden, u.a. als Reden durch „Masken“, vgl. Simon, Idee der Prosa, 211f., 219, 215-29, 240, 234ff. 99 So Jean Paul über den Scharfsinn („mit dem ganzen Blitz des Witzes“), „weil er kurz dargestellt wird“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170). 100 So mit Lacan, S.  Weber, Zupančič, s. Kap.  V.1-2. Im weiten Ausgriff könnte die verschiedene Zeitlichkeit analog geführt werden zu der von Allegorie, die in ihrem Effekt immer Bruchstücke in der Hand hält, und (vermeintlich kontinuierlicher) Reflektion romantischer Ironie. Mit  F.  Schlegel kennzeichnet den romantischen Witz „Vielfalt“ (KFSA II, 318f.): der „große[] Witz der romantischen Poesie“ sei „dieser wunderbar ewige Wechsel von Enthusiasmus und Ironie“; deren Ironie wäre Faltung in/auf sich (selbst); „bei aller Vollständigkeit muß dennoch etwas zu fehlen scheinen, wie abgerissen“; d.h.: „Dieses Barocke“ (KFSA II, 236). 101 S. Kap. III.1; mit und nach Freud ist der Witz, so Felman, explosiver Akt.

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die als deren „Verwirklichung“ oder ‚Darstellung‘ die Kraft verstellte,102 im ‚Zerspringen‘ zu exponieren, indem der Witz ‚Ge-/Mißlingen‘ in den unregiert zukommenden „sich verselbstständigenden Effekten“ ungewiß macht. An dieser Stelle vollziehen Jean Pauls Texte ein ‚Spiel der Formen‘,103 in dem jede witzige Kopulation promiscue von anderen abgelöst,104 jedes ‚Bild‘, das gebildet würde, ihm Abbruch tuend durch andere ‚nicht übereinstimmende Ausdrücke‘ immer fort-geführt, verschoben und dementiert werden kann.105 Der (mit C.  Menkes  Rede von Kraft und Spiel) implizite Beizug Herders rechtfertigt sich nebenbei auch durch einen Schlenker in Sachen ‚Vermählung‘; wo Herder Leibniz, Rabelais, Swift und Bacon als „witzige Köpfe“ führt, charakterisiert er letzteren (im unterbrechend eingeschobenen Vers, ins Reimen fallend) als einen derjenigen, – deren Ring durch Ein Gedankenpaar vertraulich keusch vermählt oft tausende gebar.106

Aufschlußreich ist dies durch die Differenzen zu Jean Paul, bei dem die vom „Witz“ herbeigeführten Kopulierungen, wenn sie solche von Gedanken sind, durch Worte, Anklänge und andere sprachliche Verbindungen gemacht werden; von einem Ring, der vermähle – gehörte da nicht immer ein zweiter und der Tausch dazu? – ist nicht,107 so wenig wie von Keuschheit, die Rede, vielmehr weisen sich die Kopulationen als wechselnde durch Promiskuität aus,108 die gewiss nicht weniger erzeugen (aber Gedanken?).

102 Die „Kraft [werde] durch den Sinn selbst verdunkelt“ (Derrida, „Kraft und Bedeutung“, 47); „die Ausdrücke der ästhetischen Kraft“ verstellen diese (C. Menke, Kraft, 61). 103 Auch wenn Jean Pauls Spiel-Begriff beschränkt ist, indem er ihn beschränkt, und wenn die Poesie, entgegen Kant, „Spiel der Ideen“ nicht sein könne (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; Kant, Kritik der Urteilskraft, § 51, WW X, 258f.); vgl. Kap I.5. 104 Es sei „gut vom Ehebruch zu sprechen“; neue Ähnlichkeiten erfordern „die alten durchzubrechen“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203); vgl. den „Dithyrambus“ der Promiskuität aller: „Chaos“ vor der Schöpfung und Auflösung am Jüngsten Tag gemischt (202). Der „Humoristische[n] Sinnlichkeit“ „überfließende Darstellung, sowohl durch die Bilder und Kontraste des Witzes als der Phantasie“ solle mit einem „Dithyrambus“ „entflammen“ (139); s. Kap. III.1. 105 S. Kap. I.3. 106 Herder, „Vom Erkennen und Empfinden der Seele“, 356. 107 „Seneka“ lasse „öfter Worte mit Worten als Gedanken mit Gedanken Ringe wechseln“, so Jean Paul (SW II.1, 474). 108 Vgl. den Polterabend Aller (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202) und die wild wechselnden Verkuppelungen, G. Müller, „Mehrfache Kodierung“, 68; s. Kap. III.1.

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da ich den ganzen Tag mit Hochzeitstexten und Brautfackeln am Traualtare stehe und nichts thue als Ideen kopulieren – [werden] die Soldaten- und Priesterehen und die Ehen im verbotenen Grade zwischen besagten Gedanken so anwachsen und sie alle so untereinander verschwistern und verschwägern […], daß im ganzen Kopf für Geld kein geschiedenes Ideen-Paar zu erfragen ist.109

Im „verkleideten Priester“, der der Witz, so Jean Paul, „ist“, tritt die vermeintlich substantielle Deckung der Kopulierung, die als Mesalliance vollzogen wurde, auf als der ‚Trug‘ einer unterstellten Erfülltheit oder Gedecktheit dieser Verkuppelung. Die Kostümierung des „verkleideten Priesters“ stellt die Motiviertheit der Verbindung als Theater der Deckung des Gestifteten vor. Er steht – „verkleidet“ – für die Gültigkeit der ‚Kopulierung‘, wie sich Austin zufolge die Kraft der performatives „kostümiert“ in die konstative Tatsachenfeststellung; was sie ‚zwar durchaus nicht müssen‘, „aber sie tun es ganz allgemein“, produzieren aber, wenn man sie mit „Feststellungen über Tatsachen verwechselt“, „Unsinn“.110 Auch der Effekt des Witzes wird gerne mit einer Feststellung über gefundene ‚Ähnlichkeiten‘ der ‚Sachen‘ verwechselt, „ganz allgemein“ von Witz-Hörern, die sich (so Freud) über einen ‚guten Witz‘ freuen, und Witz-Interpreten (Jean Paul, wie Freud). „[T]he force of utterance as opposed to its meaning“111 wäre als ein bestimmtes performative geglückt, insofern ein Konstativ folgen kann, das das Gelingen des Aktes nachträglich: nachher und rückwirkend, beglaubigend feststellt112 und zugleich die Kraft verstellend löscht, den Akt blockiert. So sind das Performativ und das Konstativ, im Austin’schen Gelingen, so aufeinander angewiesen, dass das Performativ, das stets auch sagt, dass es das, wovon es spricht, im Reden hervorbringe, 109 Jean Paul, „Sechste poetische Epistel“, Konjektural-Biographie, SW I.4, 1066f. 110 Austin, Zur Theorie der Sprechakte, 28; im Englischen: „masquerade as a statement of fact, descriptive or constative“, und zwar insb. „oddly enough, when it assumes its most explicit form“ (How to Do Things with Words, 4). Mit dem Gestus der Entlarvung einer Verkleidung tritt Austins „revolution in philosophy“ an, die die Kategorie der „performatives“ mache. Den Unterscheidungen fügte Austin 1958 hinzu: „(1) Das ist alles weder klar (2) noch in jeder Hinsicht relevant […]; werden nicht alle Äußerungen performativ sein?“ (Zur Theorie der Sprechakte, 120/How to Do Things with Words, 108, 109ff., 121ff.). Es wird sich um verschiedene Dimensionen jeder Äußerung handeln (so führt de Man Austin fort). 111 Austin, How to Do Things with Words, 33, vgl. 73; die dtsche. Übers. setzt für force (z.B. How to Do Things with Words, 75, 121) (meist) „Rolle“, verstellt die performative „force“ (vgl. Zur Theorie der Sprechakte, 92f. 121, 137, 154, 166). 112 Das Wissen „that it is an act“, „and which act it is“ sind beide unsicher (Austin, How to Do Things with Words, 70); „describing my performance“ oder „explicitly distinguishing the different forces that this utterance might have“ fällt nicht zusammen mit „to make plain how the action is to be taken“ (70, 72f.).

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

es vor dem Akt demnach nicht gegeben war, und das Konstativ, das (stets, neben dem, was es feststellt, auch) sagt, dass vorliege, worauf es referiert, einander ‚widersprechen‘,113 miteinander unverträglich sind. Die Feststellung ihres Effekts sperrt oder blockiert als deren Figuration die Kraft, „the force of utterance“.114 Die Kostümierung oder Maskierung des „verkleideten Priesters“ stellt eine zweite Szene in Aussicht, die der ‚Entlarvung‘ des vorgeblichen, des bloß „verkleideten“ als falscher „Priester“, der gestifteten als einer illegitimen Verbindung – ohne Substanz oder Haltbarkeit jenseits der Szene der Ehestiftung oder jenseits des trügerischen Auftritts. Das Auffliegen der angemaßten ‚Geltung‘ (oder Substantialität der Relation) gehört zum Witz und dem Spiel, das er treibt, und macht seine Effekte aus. Wird die „Kraft“, die der Witz ist, durch verschiedene „Trauformeln“ kopulierend wirksam,115 sind die Effekte nicht zu dispensieren von ihrer Auf-Lösung, vom Zerfall des jeweiligen Effekts in die instabil Verbundenen, die unvorhersehbar andere Relationen eingehen mögen. Als die „älteste, reinste“ der verschiedenen „Trauformeln“, die dem „verkleideten Priester“ zu Gebote stehen, nennt Jean Paul mit einem Stück fiktiver Geschichtsschreibung den „unbildlichen Witz“, den „durch Verstand“.116 Aber den „unbildlichen Witz“ macht genauer die Sprache oder deren „taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit“; sie macht nämlich „halbe, Drittel-, ViertelÄhnlichkeiten zu Gleichheiten […], weil für beide ein Zeichen des Prädikats gefunden wird“, „[…] z.B. ‚Ich spitze Ohr und Feder‘“.117 Das sind Fälle der 113 Eine sprachliche Äußerung kann nicht gleichzeitig performativ und konstativ sein (wie sie doch müsste), nämlich nicht sowohl die Entitäten erst produzieren (auf die sie sich ‚bezieht‘: refers) als auch zugleich auf Entitäten als ihr vorausliegende, auf deren Grundlage sie (erst) Sinn macht, referieren, so Miller, „Just Reading“, 112f. Die performative und kognitive Dimension eines Textes sind zugleich einander radikal fremd und so aufeinander angewiesen, dass keine der beiden die Wahrheit über die jeweils andere ist (de Man, Allegories of Reading, 298; s.u. in Kap. II). 114 Derrida, „Kraft und Bedeutung“, 47; de Man, „Shelley Disfigured“, 115ff./„Shelleys Entstellung“, 170ff.; ders., „Hegel über das Erhabene“, 75; s. Kap. II. 115 „Der ästhetische Witz, oder der Witz im engesten Sinne, der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert, tut es mit verschiedenen Trauformeln.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173); diese haben offenbar verschiedene Dignität, wie der „unbildliche Witz“ (173), der „bildliche Witz“ (182f., mit Personifikation, Metapher 183f.), das Wortspiel (§ 52). 116 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173; wie sich zu „Trauformel“ „durch den Verstand“ fügt, ist grammatisch undurchsichtig; die Relationen sortierend: „an dem unbildlichen Witze [habe] der Verstand […] den überwiegenden Anteil; der Trug der Geschwindigkeit und Sprache stehet jenem bei […]“ (182); dazu gehört der „witzige[] Zirkel“ (§ 46, 179), die „Antithese“ (§ 47, 179ff.), die „Feinheit“ als „Zeichen des Zeichens“ (§ 48, 181ff.). 117 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174, vgl. 170.

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S­ yllepse oder des Zeugma, die Jean Paul mit bekannten Beispielen anführt: „z.B. Pope in seinem Lockenraube von der Heldin sagt: ‚sie sei in Angst, ob sie ihre Ehre oder ihr Brokatkleid beflecken, ob sie ihr Gebet oder eine Maskerade versäumen, auf dem Ball ihr Herz oder ihr Halsband verlieren werde‘“.118 Die „komische Kraft“, so Jean Pauls Vorbehalt, stamme aber „nicht [schon] aus der Paarung des Ungleichartigsten; denn in Campens Wörterbuch würde Beflecken der Kleider und darauf als uneigentlich das Beflecken der Ehre ohne komische Wirkung stehen“.119 Während das Wörterbuch verschiedene Bedeutungen, ‚eigentliche‘ und „darauf“ „uneigentlich[e]“ Gebräuche „unter der Fahne eines Wortes“ nebeneinander auseinanderhält,120 gewinnt der Witz einem Wort (das macht es zur Pointe) dessen Doppelsinn ab, setzt im Wort „zwei unähnliche Subjekte“, divergierende Signifikate gleich,121 so dass es zugleich anderes (gegen sich) sagt, in sich gedoppelt, von sich verschieden spricht.122 Bringe der Witz, so Jean Paul, einen „Lichtzuwachs“, so den „Lichtschein“ eines „neue[n] Verhältnis[es]“,123 „indes unser Wahrheitsgefühl das alte [Verhältnis] fortbehauptet“,124 „dos luces“, die, so Gracián, die durch „equivocación“ ein Wort werfe,125 ein ‚Zwielicht‘, in das die Wörter als double ihrer selbst die ‚Sachen‘ 118 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, § 30, 123; „[to] lose her heart, or necklace, at a ball“, und zu Syllepsis oder Zeugma als Typen des puns, vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 6; vgl. Ferguson, „Hamlet: letters and spirits“, 140ff. 119 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 123; vgl. 111. 120 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik SW I.5, 173f. 121 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192 u. 174. 122 So wendet der „witzige Zirkel“, die figura etymologica, ein Wort doppelnd so auf sich, dass es und „eine Idee“ auf ihre „Widersacherin“ treffe und „einige Ähnlichkeit zwischen sich selber auszukundschaften“ habe (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 179). 123 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f., vgl. 172; das sei der „ästhetische Schein aus einem gleichwohl unbildlichen Vergleichspunkt“, der „ästhetische Lichtschein eines neuen Verhältnisses“ (173f.); sollte hier (ernsthaft?) Schillers Rede vom „ästhetischen Schein“ eingespielt sein? Derzufolge dieser mit Wirklichkeit und Wahrheit und daher mit dem Trug einer Verwechslung mit diesen nichts zu tun hat („Über die ästhetische Erziehung des Menschen“, 26. Brief, 399-403). Zu denken ist an die Lumina, die rhetorischen Figuren (daran schließen die Concettisten an), Baumgarten führt sie im zweiten Teil seiner Aesthetica unter „Lux aesthetica“ (vgl. Haverkamp, „Die Wiederkehr der Allegorie in der Ästhetik der Avantgarde“, 259). Verwirrende Überausstattung mit rhetorischen Figuren, Gefunkel wird an concettos oder conceits verworfen (Cowley „Ode: Of Wit“ (1656), vs. 33-40, und Pope (der wohl Cowley bashed), Essay on Criticism (1711/2), vs. 290-95, vgl. Jean Paul, SW I.5, 63, 56). 124 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. 125 „La […] equivocación es como una palabra de […] un significar a dos luces. Consiste su artificio en usar alguna palabra que tenga dos significaciones; de modo que deje en duda lo que quiso decir“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. xxxiii; vgl. Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“, 64f.). „[C]uando el término transformado tiene

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stellen. Zweideutigkeit oder „Zwiespalt zwischen doppeltem Schein“126 bringt der Witz durch „Kürze“, „Trug der Geschwindigkeit und Sprache“127 bei, mit Relationen der Wörter, die in keinem Wörterbuch einer Sprache vorgesehen sind. Einen Zug der Täuschung, ein alter Verdacht gegen das ingenium,128 findet Theodor Lipps (1898), Zitationen des 19. Jahrhunderts fortführend, eine Vorlage für Freuds Theorie des Witzes gebend, nicht nur als Vorgeblichkeit des „Auffindens von Gleichheiten bei grösserer Ungleichheit“ im Verwiesensein bloß an die Sprache, sondern (auch) als die von Jean Pauls Argumentation: Der Witz entdecke Gleichheiten, so sagt er erst; nachher erfahren wir, im Witz mache die taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit der Sprache halbe, Drittels-, Viertelsähnlichkeiten zu Gleichheiten; es werden durch sie Gattungen für Unterarten, Ganze für Teile, Ursachen für Wirkungen, oder alles dieses umgekehrt, verkauft.129

So kreidet Lipps Jean Paul eine zwischen ‚Entdecken‘ und ‚Machen‘ spielende Täuschung an. Mit Lipps könnte der vom Witz erzeugte „Lichtschein“ eines „neuen Verhältnisses“, Jean Pauls „Zwiespalt zwischen doppeltem Schein“,130 „nur bestehen in irgend welcher ‚Geltung‘, welche die witzige Aussage beansprucht“, die „in Nichts [„zerrinnt“], wenn wir unser ‚Wahrheitsgefühl‘ zu Rat ziehen.“131 Oder auch: „wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, daß

algo de equivocación con el otro en que se transforma, está como dos luces […]; asi César en Africa cayó en tierra en saltar del bajel, corrigió pronto el agüero, y dijo: Teneo te Africa. […] equívoco el caer con el abrazarse con la tierra; y alli está el punto de esta sutileza.“ (Gracián, disc. xvii) 126 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. 127 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182, „Kürze, Trug, Zwist“ (175). Im Falle des „unbildlichen Witzes“ von Friedrich dem Großen, der „zugleich Verse lieferte und Schlachten“, werden „Krieg- und Dichtkunst“ dann „einem einzigen, nur den Teilchen [„Silben und Soldaten“] bestimmten Prädikate (messen) gleich[ge]macht“ (174f.). 128 Die lateinischen Kirchenväter kennzeichneten das ingenium als „böse Erfindundungskraft“ durch „Licht und Täuschung“, paronomastisch als engagno (Engels, Art. „Ingenium“, Sp.  396). Trug der Gleichheit wären, nach Locke (An Essay Concerning Human Understanding, 203) die Verbindungen durch wit durch vergnügende ‚Bilder‘, die schlimmer noch dazu verführen, an ihnen festzuhalten. 129 Lipps, Komik und Humor, 92; vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. 130 Der erregt und „unterhält“ einen „süßen Kitzel des erregten Verstandes“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174). 131 Lipps, Komik und Humor, 92; aber Jean Paul: „aus welchem Grunde schiebt man denn den witzigen Gleichungen geradezu Ungleichsein mit der Wahrheit unter“ (Levana, SW I.5, 846). „Schein“, „Trug“ und „Betrug“ (des Wortspiels) (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182, 175, 192) berufen vor allem nicht eine entgegengesetzte ‚Wahrheit‘, sondern stellen

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er ihr logischerweise nicht zukommen kann“;132 mit dem (Wort) Leihen, das Anhalt(e) hat in Jean Pauls Vorschule,133 wird ein Akt in Anspruch genommen, der auf einen anderen Ort, in eine andere Zeit ausgreift. Der „verkleidete Priester“ figuriert ein solches Aus- als Ver-Leihen von Sinn, im Wissen, dass er der Äußerung „nicht zukommen kann“, der im „unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewußtsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit“, als die Lipps seine sprachliche Verfasstheit identifiziert, vergehe.134 Ein „verkleideter Priester“ kann nicht anders als auffliegen; dies ist immer schon Teil seines Spiels. – Lipps reformulierte (an die Fortführungen Jean Pauls im 19. Jahrhundert anschließend) das Konzept des „Vorstellungskontrast[es]“ der Ästhetiken des Komischen, der, so gibt Freud Lipps wieder, zureichend nicht als „so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern erst als Kontrast [zweiter Ordnung] oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“ aufgefasst ist.135 Aber er sistiert den witzig unterhaltenen „Zwiespalt“ und das Leihen: Was „wir einen Moment für sinnvoll“ „nehmen“, sei, da wir darin auf die Relationen ‚bloß der Sprache‘ treffen, in „Wahrheit“ „Nichts“.136 Umgekehrt aber machen Wortspiele oder puns, so Culler, Sinn als Investment in die Signifikanten-Oberfläche kenntlich,137 als Investition, die impliziert, dass der Sinn nicht (schon von ‚innen‘) gegeben ist, die auf ausstehende Zukünfte setzt. „den überzeugenden und verblüffenden Schein der Sprache“ vor (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 217). Mit der „natürliche[n] Magie der Einbildungskraft“ führt Jean Paul die Illusion an (SW I.4, 195-200: 198), die sich, so Bergengruen, zwischen Erklärbarkeit und Betrug halte („‚Heißbrennende Hohlspiegel‘“, 27f., 36f. Damit ist aber die Scheidung von objektiver und subjektiver Ästhetik unterlaufen, B.  Menke, „Buchstaben-Alchimie oder der Witz der buchstäblichen Spiele“, 60, 65, 81). Gewiß rückt nicht ausgerechnet dekonstruktives Lesen die „Scheinhaftigkeit“ des Witzes „in den Vordergrund“ (so aber M.  Wieland, Vexierzüge, 67), sondern es dekonstruiert die Opposition von Schein und Wahrheit, indem sie die Angewiesenheit letzterer auf das liest, was als nichtig: bloßer Schein abgetan wird. 132 Lipps, Komik und Humor, 85; der „Akt des Leihens“ „im Komischen“ findet sich auch bei Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 415-22, 458f., 474. 133 Zum „Leihen“ in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, vgl. Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 6-18. In § 28 „Untersuchung des Lächerlichen“ (SW I.5, 110-14): „Wir leihen seinem Bestreben [einem komischen Objekt] unsere Einsicht und Ansicht und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimtheit“ (110, vgl. die Beispiele 110-13). 134 Lipps, Komik und Humor, 96, 95. 135 Freud, Der Witz, 16; Lipps, Komik und Humor, 87. Die sog. Kontrast-Theorien des Komischen werden immer wieder von Kant bis ins 20. Jh. bemüht, vgl. Preisendanz/ Warning (Hg.), Das Komische; Kindt, Art. „Komik“, 2f. 136 Lipps, Komik und Humor, 85, 92, 96; das ist eine Fortführung von Kants Formel (Kritik der Urteilskraft, WW X, 273ff.). 137 Culler, „The Call of the Phoneme“, 2: the relationship between „two similar soundings“ „but distinct signifiers“ is „invested with meaning“; vgl. Kap. I.2.

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Manifestiert sich die „Kraft“ des Witzes in Effekten, mit denen sie in keinem kontinuierlichen Bezug steht, so ist die andere Seite dieser Effektivität der Zerfall des Effekts an die Momente seiner Hervorbringung, wenn er nicht durch andere Operationen rückwirkend ‚festgestellt‘ (konstatiert, institutionell gesichert und blockiert) wird. Die „Geschwindigkeit“, mit der die witzigen Bildungen der Sprache gleich-setzen,138 sei die „überraschende[] Schnelle“ (Vischer) der sprachlichen Verbindungen von „Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit“,139 oder die topische sprachliche „Kürze“, in der der ganze Witz stecke,140 mit der die Verkuppelung auftritt und überrumpelt haben wird. Die Zeitlichkeit des Witzes wird modelliert durch den Blitz, als dessen paronomastischer Reim der Witz nicht nur bei F. Schlegel auftritt,141 der als „zickzackiger“, unterbrechend gebrochener, Jean Pauls Vergleichsstück für „den Witz und den komischen Einfall“ abgibt,142 die „topische Metapher“ für die „plötzliche Erkenntnis, die geistige Erleuchtung, den unerwarteten Einfall“,143 Topos zugleich der rhetorischen Wirkmächtigkeit der Rede, „eine

138 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173, 182. 139 Im Anschluss an Jean Paul Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 457, 515, 522. 140 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 175; Ciceros „brevia“ wird ebenso wie „acumen“ als Pointe(n) übers. (De Or. II 221 u. 257, lat./dtsch. 348f., 372f.); das „kurz dargestellt“ heißt Jean Paul: „schlägt“ „mit dem ganzen Blitz des Witzes“ (SW I.5, 170); „Kürze der Sprache“ sei „Verminderung der Zeichen“ (statt „Vermehrung der Gedanken“, die unmöglich sei), wobei die in eins gesetzten Ähnlichkeiten „in ihre deutliche Wahrheit aufzulösen“ nichts anderes wäre als: „und dadurch den ganzen Witz in nichts“ (175, vgl. 177f.). In Hamlet heißt es: „since brevity is the soul of wit“ (II.2, v. 90, allerdings von Polonius: offenbar schon ein Gemeinplatz, vgl. M. Blanco, Pointe, 117), Jean Paul zit. übersetzt: „Körper und Seele“ (SW I.5, 176), wie Freud (Der Witz, 17), der die „Verdichtung“ (30f.) als „Ersparnis“ verbucht (43, 45). 141 „[D]er Witz […] als […] ein Blitz aus der unbewußten Welt“ (KFSA XII, 393; vgl. Ideen, Nr. 26, KFSA II, 258, sowie 334, 370f.; Kritische Fragmente, Nr. 90, KFSA II, 158, vgl. 159 (Nr. 104)); „Blitz des Witzes“ so Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170; vgl. „Einfälle“-Sammlungen Fasz. IX (1-4): ExzerptBd. 40, Nr. 156. Mautner zufolge „stammte“ von F.  Schlegel „der Vergleich [?] des Witzes mit dem Blitz“ („Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 688). Das Deutsche Wörterbuch gibt auch als eine Bedeutung von „witz“: „wie der blitz“, an (DW Bd. 30 (=14.2), Sp. 861). 142 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 470; vgl. das „witzige[…] Zick Zack“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 151; SW I.1, 810, s. Kap. IV.2) „um zu Ähnlichkeiten gelangen“, sei „erst“ „durch die alten durchzubrechen“ (SW I.5, 203). 143 Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112; vgl. Wirth, „Das Neue als witziger Einfall“, 69f. (mit Quintilian, Inst. or., VI 2,2-6 (1. Teil, 698f.)).

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Metapher für die glanzvolle Rede selbst“.144 Wenn Jean Paul zufolge„[d]er Witz allein daher erfindet, und zwar unvermittelt“,145 so gibt er die Erfindung von Neuem als unterbrechenden Ein-Fall, den keine Intention kontolliert und regiert,146 „plötzlich“ und überraschend,147 als Vorfall, ja Zufall aus, und zwar ohne dass die Entscheidung über die Effekte, die Beurteilung, die den Einfall zur Einsicht machte,148 hier irgend gegründet sein könnte.149 Die Unvermitteltheit des Erfindens entspricht der Grundlosigkeit des Witzes. Des Witzes Kopulation geschieht im und als ein „Sprung“, der „unvermittelt“ mit dem Bekannten bricht, als „Funke“,150 der einen Zwischenraum überspringt, etwa von den „Funken“, die am Fell der Katze aufspringen, zu denen 144 Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112, mit Quintilian: man könne es redend „zu solchem Ansehen und Glanz […] bringen, dass man nicht zu sprechen oder zu reden, sondern, wie es Perikles gelang, zu blitzen und zu donnern scheint“ (Inst. or., II 16,19 (1. Teil, 249)); vgl. K.-P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 56-60; zum „Glanz“ (der Rede) bez. des ingenium als der „Fähigkeit, nicht herkömmlich zu sprechen“ (63ff.). Die „antike Rhetorik [kann] die Tatsache eines plötzlichen Bewusstwerdens ungewöhnlicher sprachlicher Ausdrucksfähigkeit unter verschiedenen Bildern begreifen […]: ‚Schmuck‘, ‚Blitz‘, ‚Blume‘ […] ‚Erhabenheit‘ (sublimitas)“ (65). Die „Metapher des Schmucks“ und „die des Blitzes“ haben beide „die zwingende Kraft, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Beide bewirken sie, dass die Undifferenziertheit und Gleichgültigkeit der Dinge an einer Stelle durchbrochen wird“, wir „sie bewusst wahr[]nehmen“ (59; „lyrische[] Blitze“ kennt Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 157). 145 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. 146 Wirth zufolge: „Der Witz ist somit der kontingent-poetische Erzeuger erster Ideen, wobei das Vor- ja sogar Antimethodische nachgerade zur Bedingung der Möglichkeit des Entstehens von Neuem wird.“ („Das Neue als witziger Einfall“, 69). F.  Schlegel: „[E]s muß etwas Erstes geben vor aller Methode. Diese ersten Ideen können also auch gar nicht an die Methode gebunden sein. Selbst in der Wirklichkeit sind die besten und höchsten Ideen meist immer wahre Einfälle und ganz zufällige Hervorbringungen.“ (KFSA XII, 404, vgl. 393). Die Rhetoriken situieren das ingenium vor dem Lehrwerk (Quintilian, Inst. or. X,2,12 (2. Teil, 490f.). Ingeniöses Erfinden ist, paradoxal, arte sprachlicher Verfahren, die überraschen (M. Blanco, Pointe, 40, 35, s. Kap I.5); Erfinden ist ein Bruch und auf Verfahren, d.i. Fortsetzungen angewiesen (vgl. Kap. II, III.1). 147 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172; F. Schlegel, KFSA XII, 393. 148 Vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 538f.; vgl. Lichtenberg, Sudelbücher I, 633 (F 1195). F.  Schlegel zufolge sei der „wissenschaftliche Witz“ „dem Gehalt nach“ „weit mehr als die sich in Nichts auflösende Erwartung des rein poetischen Witzes“ (KFSA II, 200 (Fr. 220)). 149 Jean Paul setzt auf die Ausführung (Levana, SW I.5, 843); das „Licht“, „das bei dem Witze aus der Wolke selber fährt“, werde vom Scharfsinn „durch eine ganze Reihe von Begriffen [ge]tragen“, „der Leser muß dort dem Erfinder die ganze Mühe des Erfindens nachmachen, welche der Witz ihm erlässet“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172); damit ist über das Resultat nichts gesagt. 150 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 170, 175ff.

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„der Wetterwolke“.151 Wenn im Über-Springen ‚witzige‘ Verbindungen erzeugt werden, und, so Jean Paul, „aus dem Schlich auf dem platten Gartensteig […] auf dem abgesetzten Klippenweg ein Sprung“ wird,152 dann darf darin eine Umschrift der Locke’schen association of ideas gelesen werden, und zwar im intertextuellen Umweg über Laurence Sternes The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman (1759ff.), als Umkehrung der komischen Sterne’schen Verfestigung der Ideen-Assoziation: „away they go cluttering like hey-go-mad; and by treading the same steps over and over again, they presently make a road of it, as plain and smooth as a gardenwalk“.153 Was die Sache nicht besser, jedenfalls nicht Irritations-freier macht, da die „unhappy association of ideas, which have no connection in nature“,154 nicht nur „the production of a rational Being“ dient, sondern auch einen korporealen „Homunculus“ hervorgebracht habe.155 Daran schließt Jean Pauls Witz mit der ihn modellierenden Metaphorik an: In einer vorgreifenden Fortführung der Kopulierungs-Metapher, die durch diese continuatio gestört wird, heißt es, „die dritte Vorstellung, als der Exponent ihres Verhältnisses“ sei „nicht ein Schluß-Kind aus beiden Vorstellungen“, sondern „Wundergeburt unseres Schöpfer-Ich“,156 „frei [d.i. ohne Vorlage] erschaffen“, ‚grundlos‘, und zwar „mit 151 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. 152 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 176; das betrifft das Lesen. Sterne halte den „Leser“ zum „tapferen Springen von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit über immer breitere Gräben“ an (Quintus Fixlein, SW I.4, 230). 153 Sterne, Tristram Shandy, I, i, 2, I, iv, 6f.; zur Divergenz Sternes von Locke, vgl. Dembeck, Texte rahmen, 173-78. Sterne nehme Locke wörtlich, so Busch (Great wits jump, 28ff.): „Great wits jump“ (Tristram Shandy III, ix, zu den Übers.en und Vorgeschichten vgl. Busch, 10-14; „to jump“ („to leap suddenly) nach Dr. Johnsons Dictionary (1755) auch mit den Bedeutungen „to agree“, „to join“ mit Addison, Morus, Dryden; 12f.). Jean Pauls SterneBezüge sind vielfältig, hinsichtlich des Humors und des gelehrten Witzes, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 131f., 137, 140-44, 146, 196, 205, Kleine Nachschule, SW I.5, 459, u.ö. 154 Mit der berühmten Formulierung: „it so fell out at length, that my poor mother could never hear the said clock wound up,——but the thoughts of some other things unavoidably popped into her head—& vice versa:——which strange combination of ideas, the sagacious Locke, who certainly understood the nature of these things better than most men, affirms to have produced more wry actions than all other sources of prejudice whatsoever.“ (Sterne, Tristram Shandy, I, iv, 7; zum Locke-Bezug vgl. Dembeck, Texte rahmen, 176ff.). 155 Sterne, Tristram Shandy, I, ii, 2f.; Jean Pauls Leben des Quintus Fixlein alludiert das mit jenen Gelehrten, „deren Fata und Lebenslauf im Mutterleibe erheblich waren“ (SW I.4, 82). Jean Paul exzerpierte aus Popes satirischem Gedicht „The Dunciad“ (1728): „wie Einfälle, gleich dem Froschlaich, halblebendig, im Embryo liegen  … Darauf ruhen buntscheckige Bilder […], übel gepaarte Figuren und unähnliche Gleichnisse“ (zit. nach Komm. SW II.4, 185; zu Grönländische Prozesse, SW II.1, 381). 156 In katachrestischer Dichte: „der heilige Geist, die dritte Vorstellung, die […] aus dem Verhältnisse zweier Vorstellungen ausgeht, [sei] überall auf gleiche Weise ein Wunderkind“

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Notwendigkeit – denn sonst hätte der Schöpfer das Geschöpf früher gesehen als gemacht oder, was hier dasselbe ist, als gesehen“.157 Eben dies heißt: „Der Witz allein daher erfindet, und zwar unvermittelt“.158 Da ist kein „Schöpfer“, der über seine Schöpfung als Erfindung von Neuem geböte, denn vorab gibt es keine Kenntnis, nicht einmal als Vorhaben, das sich im Witz realisierte. Die Verbindung von Witz und Wissen ist, da es keinen Herr’n über diese gibt, in einer den Witz kennzeichnenden Weise durchquert: Der Witz, den Jean Paul im Zitat der Etymologie, als „Kraft zu wissen“ ausweist,159 ist eher ‚Kraft zu wissen‘, die nicht Wissen geworden sein wird, sondern mit jedem etwas und jeder Bedeutung, die sie hervorbringen mag, in der sie sich als erkennbare darstellte, in Widerstreit steht, die als Kraft von der Bedeutung, die sie erzeugte (wenn sie es denn tut), in der sich darstellte, verstellt wäre.160 Er heißt „Kraft“, die nicht nur ihre „eigene Beschreibung nicht zustande bringt“, sondern die ausmacht, dass sie dies nicht tut, dass die Frage „Was ist nun der Witz?“ nicht beantwortet wird.161 Sie manifestiert sich in inkalkulablen Effekten, im nichtbeschränkbaren „semantischen Überschuss“.162 Der Blitz als „Licht“ des Witzes163 ist „plötzlich“, schlagend, Schlaglichter setzend,164 im „Schlag“ „entladet“ oder „erschöpft“,165 das genaue Gegenstück

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(Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171). „Zur unbefleckten Empfängnis gehört stets auch eine unbefleckte Zeugung durch den einen oder den anderen heiligen Geist“, so zum Humor (145). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. Zum Zusammenhang von Genie-Konzept und mehr oder weniger metaphorischer männlicher Zeugung um 1800 (Humboldt, Herder, Hamann, Maimon) vgl. Rapp, „Ingeniöse Lektüren“, 153f., 158, 163ff. (und Gegenpositionen 164, 166, 173ff.). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171. Derrida, „Kraft und Bedeutung“, 47-50. Die „Spannung von Kraft und Bedeutung“ kann (auch) nicht in Richtung der „Kraft“ des Sprech-Akts aufgelöst werden (50; vgl. ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 339f.). „Ist die Kraft zugleich Quelle und Überschuss, Grund und Abgrund ihres Ausdrucks, so der Ausdruck der Kraft zugleich ihre Verbergung“ (C. Menke, Kraft, 62). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169. Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 175. Das „aus der Wolke fährt“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172). Der Witz könne „einem antithetischen Satz Dasein, Licht und Kraft […] geben“ (180, vgl. 173); die umgekehrte Reihung Kraft, Licht, Dasein wäre überzeugender. Vg. K. Fischer, Ueber den Witz, 100; u. Bernhardi in seiner „maßgebende[n] Sprachlehre der Romantik“ (1803): „Der Witz ist der Blitz welcher eine einzelne Stelle in dem großen Ganzen [zuvor: „diese heterogene Homogeneität“] erleuchtet und […] heraustreten läßt“ (zit. nach Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 688). „Den Witz und den komischen Einfall erschöpft und entladet, wie den zickzackigen Blitz, der erste Schlag“; das unterscheide ihn vom „Humor“: „ein still spielendes Wetterleuchten

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zur metaphorischen und metaphorologischen Sonne der Erkenntnis, die sich in ihrem Gegenstand phänomenal erfüllte, indem figurierend die Kraft der Hervorbringung verstellt ist. In deren Licht soll im Sinne des Zusammenhangs von „Sonne und Wahrheit“ als dem Inbegriff der „Ähnlichkeit zwischen Körperund Geisterwelt“, der „Witz im engern Sinne“ oder der „bildliche Witz“ stehen können.166 Dieser beruhe, so Jean Paul auf einer „Zauberei ganz anderer Art“167 als dem „Trug der Geschwindigkeit und Sprache“. Die metaphorologische Sonne wird in Anspruch genommen für eine nicht-gewaltsame Entbin­ dung168 „ohne Schluß und Übergang“ – statt des Trennung und Abstand akzentuierenden Sprungs, die der „bildliche Witz“ soll ermöglichen können; umgekehrt müsste dieser Übergang, der der Metapher genähert oder der vielmehr als Metapher aufgefasst ist,169 durch diese Sonne gehalten sein.170 Dieselbe unbekannte Gewalt, welche mit Flammen zwei so spröde Wesen, wie Leib und Geist, in ein Leben verschmelzte, wiederholt in und außer uns dieses Veredeln und Vermischen; indem sie uns nötigt, ohne Schluß und Übergang aus der schweren Materie das leichte Feuer des Geistes zu entbinden, aus dem Laut den Gedanken, aus Teilen und Zügen des Gesichts Kräfte und Bewegungen eines Geistes und so überall aus äußerer Bewegung innere. Wie das Innere unseres Leibes das Innerste unsers geistigen Innern, Zorn und Liebe, nachbildet, und

[…] am fernen Horizonte, das schöne Tage verkündigt“ (Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 470); vgl. Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198f. 166 Der „Witz im engern Sinne“ finde „die Ähnlichkeit zwischen Körper- und Geisterwelt (z.B. Sonne und Wahrheit), mit andern Worten, die Gleichung zwischen sich und außen, mithin zwischen Anschauungen. Diese Ähnlichkeit erzwingt ein Instinkt der Natur, und darum liegt sie offner und stets auf einmal da. Das witzige Verhältnis wird angeschauet.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172); so überführt Jean Paul das ingenium (Baumgartens) in sog. Anschauung. 167 D.i. die Phantasie, die am bildlichen Witz „den überwiegenden Anteil“ habe (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, § 49, 182); für die Poesie führt Jean Paul in „Magie der Einbildungskraft“ die „Illlusion“ an (SW, I.4, 198; für die Relation, vgl. Bergengruen, „‚Heißbrennende Hohlspiegel‘“, 34-38). 168 An Wit tadelte S. Johnson: „The most heterogeneous ideas are yoked by violence together“ (Lives of the Poets I, 29; vgl. Iser, „Manieristische Metaphorik in der englischen Dichtung“, 275, Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 170f.). Vgl. Gewalt, Zwang, deren Plötzlichkeit und Voreiligkeit in § 28 zum Lächerlichen, Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 111. 169 Die „typologische Differenzierung von unbildlichem und bildlichem Witz“ könne „ganz schematisch auf den Gegensatz zwischen der Sentenz als Ausfluß des Verstandes und der Metapher als Ausdruck der Phantasie reduziert werden“, so Cambi („‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 107). 170 Vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 262f. Derrida zeigt aber, dass „die Sonne“ diese Funktion durch die sprachlichen Verkettungen bekommt, die sie daher keineswegs an dem einen und eigentlichen Ort verankern kann.

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die Leidenschaften Krankheiten werden, so spiegelt das körperliche Äußere das geistige.171

Das bilden die Metaphern aus, bzw. umgekehrt modelliert dies Metaphern als „verbundene Bilder der Materie und Geistigkeit – einander gleichfalls ebenso nahe und ferne“.172 Der „bildliche Witz“ hat seine Meta-‚Metapher‘ an der anthropomorphen Gestalt, die dafür einzustehen hat, dass Innen und Außen, Form und Gehalt unmittelbar und zwanglos: ‚lebendig‘ heißt das,173 auseinander hervorgehen. Wird die Metapher als Antropomorphismus der ‚lebendigen Gestalt‘ aufgefasst, so ist aber ihre Figürlichkeit verstellt,174 die Kette der Übertragungen verankert oder ‚festgestellt‘, jene fortsetzenden Übertragungen, die (und mit denen sich) Jean Pauls Texte selber so gerne forttreiben. Ist die derart verstandene Metapher der eigentlich gemeinte ästhetische Ausweg? – wie viele der Sekundärliteratur vermuten möchten, die Lösung für die Vorschule der Ästhetik?175 Oder wird damit nicht deren Problemlage bezeichnet? Die Metapher soll in vermeintlich bruchloser Übertragung,176 im ‚zwanglosen‘ 171 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182; diese „unbekannte Gewalt“ ist die Phantasie. Der Genius „vermählt“ „das unbehülfliche Leben mit dem ätherischen Sinn“ (67). 172 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 183. Das vollzieht sich in zwei durch aufeinander bezogene christliche Theologomena vorgestellte Richtungen: „Sprachmenschwerdung der Natur“ und „Brotverwandlungen des Geistes“ (184; HKA I.11, 168f.). „Indem er [der Dichter] durch die Metapher einen Körper zur Hülle von etwas Geistigen macht (z.B. Blüte einer Wissenschaft): so zwingt er uns, dieses Körperliche, also hier ‚Blüte‘, heller zu sehen, als in der Botanik geschähe. Und wieder umgekehrt gibt er, wie vermittelst der Metapher dem Körperlichen durch das Geistige, eben so vermittelst der Personifikazion dem Geistigen durch das Körperliche höhere Farben.“ (Jean Paul, „Ueber die natürliche Magie der Einbildungskraft“, SW I.4, 199; HKA I.5, 189). Den „Körper beseelen“ und den „Geist verkörpern“ – sei das „(ursprünglich ungeschiedene) Doppel-Verfahren des ‚bildlichen Witzes‘“ (Birus, „Der ‚Metaphoriker‘ Jean Paul“, 45; vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 119; Riedel, „Die Macht der Metapher“). 173 Jean Paul zufolge: „sogar das Gleichnis macht Homer nicht zum bloßen Mittel, sondern schenkt auch dem dienstbaren Gliede ein eigentümliches Leben“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187). So Aristoteles: „Ebenso befleißigt sich Homer allenthalben, Unbelebtes durch Metaphern zu beleben.“ – durch Analog-Metaphern wie ‚der schamlose Stein‘ (Rhetorik III, 11 (1411b) (Übers. Krapinger, 176)). 174 Vgl. de Man, „Anthropomorphismus und Trope in der Lyrik“. 175 Das XI. Programm vom „bildlichen Witz“ als ‚beseelender Darstellung‘ oder Metapher sei Ursprung und telos der Vorschule, so Wiethölter (Witzig Illumination, 115, der Vorrang des „bildlichen“ Witzes, 122-93, als Produkt der Phantasie, 139ff.; vgl. Buschendorf, „‚Um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt‘“, 220, 226ff.; Birus, „Der ‚Metaphoriker‘ Jean Paul“, 52; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 13; Riedel, „Die Macht der Metapher“); damit sei die „Widersprüchlichkeit“ der Konzepte gelöst (vgl. Wölfel: „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt‘“, 30-45; Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232f.). 176 Vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 236.

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darstellenden Zusammenschluss von ‚innen‘ und ‚außen‘ das ‚ganze Bild‘ des Lebendigen geben können – entgegen der witzigen Kopulation, die als Sprung, als gewaltsame, durch Willkür gekennzeichnet wird. Aber nicht nur steht der Witz quer zu dieser als „bildlicher Witz“ konzipierten Ganzheit, als die Jean Paul die Poesie und die ‚bildliche Phantasie‘ dem Witz genau entgegensetzt,177 sondern die mit der anthropomorphistisch aufgefassten, defigurierten Metapher vorgestellte Schließung selber ist durchquert von ihrer sprachlichen Verfasstheit (wie in Jean Pauls Texten weiter zu lesen ist).178 Die Metapher hat, so Hans-Jost Frey, „strukturelle Ähnlichkeit“ mit dem Wortspiel179 (das aber Jean Paul als „wilde Paarung ohne Priester“ unterscheidet), denn sie gründet nicht im Vergleich, sondern „setzt“ „blitzartig“ eine „Identifikation des Verglichenen im sprachlichen Zusammenfall“, als „plötzliche[r] Einfall einer Zusammengehörigkeit, der [allenfalls] nachträglich zum Vergleich zergliedert“ wird.180 Das projektierte „Beseelen“ oder ‚Verschmelzen‘ „in ein Leben“ bedarf der Operation „personifizierende[n] anthropomorphotische[n] Leihen[s]“,181 auch wenn Jean Paul dies den „Zauber“ der Phantasie heißt.182 Ver-Leihen impliziert, so Heinrich Bosse, dass „die Analogien nicht vorgefunden, sondern in die 177 So „beseelet lieber die Poesie das Tote, wenn der Witz lieber das Leben entkörpert“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187, vgl. 201). 178 Vgl. Kap. I.3. Jean Pauls Texte unternehmen es, „to correct such specious synthesis [in the symbol: that claims to conjoin signifier with signified] and redundant overlapping by articulating the spacing, the often ignored third element that divides the bipartite form of the Saussurian sign.“ – so Kuzniar („Titanism and Narcissism“, 454). 179 H.-J. Frey, „Die Unübersetzbarkeit der Metapher“, 48: „das eine als eine Art Umkehrung der anderen“. 180 H.-J.  Frey, „Die Unübersetzbarkeit der Metapher“, 47f. Jean Paul zufolge erfordere die „Auslassung des Wie oder des Gleichsam“ in ‚Gleichnissen‘ „Springen“ zwischen Ideen (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187). 181 Wodurch der Witz Poesie werde, so Bosse (Theorie und Praxis bei Jean Paul, 11f., 7ff.; zum „Leihen“ in Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, vgl. 6-18). Die Operation des Unterschiebens, des Leihens „unserer Einsicht“, „unserer Seele“ ans lächerliche Objekt erzeugt die Zweiheit des Komischen, die „unendliche Ungereimtheit“ der „ungleichartigsten Paare“; wir müssen „andichten, daß er nämlich zu gleicher Zeit sich die Aussicht habe vermauern und habe eröffnen wollen“ (Vorschule der Ästhetik, § 28: SW I.5, 112). 182 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182. Wiethölter dagegen geht von einer Natur, die transparent ‚für ihre geistige Bedeutung‘ sei, aus oder findet im Beseelen durch den bildlichen Witz, in der Phantasie die Kraft zur ‚Transzendenz‘ (Witzige Illumination, 133, 130ff., 139; dies., „Die krumme Linie“, 55). Aber innen und außen lassen sich „nicht so ohne weiteres analogisch begreifen […], wie die Bemerkungen über die Metapher wahrhaben wollen“ (Wölfel, „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt‘“ (Neuabdr. 1989), 284).

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Welt hineingetragen“ werden,183 die „Kluft“ zwischen Innerem und Äußerem, leihend, „nur uneigentlich überbrückt“ werde, „diese Entsprechungen […] ohne Boden sein“ mögen.184 Der „bildliche Witz“ ist demnach keineswegs sauber geschieden vom nicht-bildlichen.185 Als Menschenähnlichkeit der Gestalt wird ein Modell des darstellenden Zusammenhangs von Innerem und Äußerem unterstellt oder auferlegt, das das Substituieren, Verketten als vermeintlich totalisierende Vollendung beendet, während umgekehrt der Witz seine ‚Glieder‘ (mit sich) ‚im Widerstreit‘ zeigt.186 Gerade das Leihen aber modelliert den möglichen Sinn als Investment in die Signifikantenverkettung187 – im Bruch, der (neu) verbindet, im Sprung, der den Abstand remarkiert; es kann auffliegen, platzen, irgendwelche andere, einander widerstreitende, sich verselbständigende Effekte haben. Lipps zufolge „steht“, „was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, […] als völlig sinnlos vor uns“,188 weil wir im Sinn, der uns überrascht, auf das treffen, was ihn ‚macht‘; oder so Freud: „die Heiligkeit geschlossener Ehen leidet arg durch den Hinweis auf die Vorgänge bei der Eheschließung.“189 Das vermeintliche „Nichts“, an das, Lipps zufolge, Sinn und

183 Das mache die „Welt“ erst „verständlich“, so Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 9. 184 Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 8. 185 Das zeigt sich in Vorschule der Ästhetik: der „unbildliche Witz“, der „durch den Verstand“ kopuliere (SW I.5, 173), ist als Witz auch „mit der Phantasie“ „im Bunde“ (172), umgekehrt der „bildliche Witz“, an dem „die Phantasie den überwiegenden Anteil“ habe (182), als Witz doch von Phantasie (auch) weit entfernt: „Von der bildlichen Phantasie schlägt der Weg des bildlichen Witzes sich weit ab.“ (187; zur Phantasie vgl. 47f.; Cambi, „‚Geist‘ und ‚Witz‘“, 104, 108); so wiederholt sich „im Bereich der Bildlichkeit der Gegensatz zwischen Phantasie und Witz“ (Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 11). 186 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201. Auch bez. dieser Entgegensetzung, die hier vielleicht gemeint ist (187), ist fraglich, ob sie ‚im Ernst‘ wird halten können. „Der bildliche Witz […] ist wie der Witz überhaupt ‚atomistisch, ohne wahre Verbindung‘“ (Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 11f.). 187 So Culler, „The Call of the Phoneme“, 2. Leihen wird auch im Sinne des Be- und Entleihens, und damit dessen Ausgriff in der Zeit eingespielt: „kann der Ironiker seinem Objekt kaum Gründe und Schein genug verleihen. – Swift ist hier das Leihhaus für das Tollhaus“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 154); vgl. weiter in Kap. I.3 u. III.1. 188 Lipps, Komik und Humor, 85. 189 Daher bringe der „Volksgeist“ die jüdischen Heirats-Vermittlergeschichten hervor (Freud, Der Witz, 101). Umgekehrt: „Selten bedürfen fragwürdige Mittel so sehr der Heiligung durch den Zweck [der Predigt] wie diese schonungslos schlechten Kalauer [Fischarts] – Klangspiele und falsche Wortzerlegungen zumeist“ (Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 697).

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Leihen vergehen,190 ist demnach richtiger: ‚bloßgelegtes‘ Verfahren,191 „nicht nichts“, sondern das „signifikante Material ‚Sprache‘“, das nicht „nur es selbst bleiben“ könnte,192 wie Witze ausspielen. Die „Geschwindigkeit“ des Witzes ist nicht nur die der sprachlichen Operationen, und nicht bloß die, mit der er „verkauft“, was keineswegs vorliege (Lipps), sondern die eines Geschehen, in dem seine Effekte einerseits alle Verfahren je überholt haben, und sie andererseits alle Resultate (je) schon verzehren und excedieren: als der Unsinn von allem Möglichen. Die „Kraft“, die der Witz „ist“, bringt, so Jean Paul, ihre „eigene Beschreibung“ nicht „zustande“;193 genau das macht sie als „Kraft“ aus, sie widerstreitet jeder Bedeutung, jeder Form, die sie hervorbringen mag, da jede, in der sie sich darstellt, sie als Kraft blockiert und sie, die Ungegründetheit und Unvermitteltheit der Effekte verstellt. Umgekehrt wird, insofern Jean Paul den „Gedanken“ einer Witz-Bestimmung, so Freud, „selbst witzig […] ausgedrückt“ habe,194 dieser Ausdruck jedem Gedanken, den er sagen mag, die Gründung und Haltbarkeit bestreiten, und zwar „aus der Überfülle der möglichen Bezüge, aus einem semantischen Überschuss“.195 Der Witz wäre als das ‚definiert‘, was die Möglichkeit der Definition überhaupt bestreitet, als die Paradoxie eines Wissens vom Witz. I.2

– „wilde Paarung ohne Priester“

Wie verhält sich zu dem so, mit der Formel vom „verkleideten Priester“, der „jedes Paar kopuliert“, witzig konzipierten Witz nun jene „wilde Paarung ohne Priester“, die das Wortspiel wie jeder Zufall sei,196 das Wortspiel, das in dieser anderen ‚witzigen Formel‘ für den Witz, als dessen Widerpart erscheint? Im „Sprach- oder Kling-Witz – der ältere Bruder des Reims oder dessen Auftakt“,197 ist das Spiel des „Zufall[s]“ zu erkennen, „der durch die Welt zieht, spielend mit Klängen und Weltteilen“, wie das „Erstaunen“ über diesen den 190 Lipps, Komik und Humor, 85, 95f. 191 Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 106, 123, 129, 131; dies., Zerstörung der schönen Rede, 312. 192 Haverkamp, Art. „Anagramm“, 151. 193 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169. 194 Freud, Der Witz, 15; vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173. 195 Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 171f., vgl. 175. 196 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 197 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191. So Hamann: „Wenn der Reim zum Geschlechte der Paronomasie gehört: so muß das Herkommen desselben mit der Natur der Sprachen […] beynahe gleich alt seyn.“ (Aesthetica in nuce, 141).

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„wahren Reiz des Wortspiels“ ausmache.198 Er scheint, „wie der Witz, Unähnliches zu gatten“ und gefalle „uns vielleicht“, „weil darin der Satz der Ursach­ lichkeit selber […] sich halb versteckt und halb bekannt“ – also nicht als „reine[r]“ Zufall. Der ‚reine Zufall‘ „ohne alle Möglichkeit eingemischter Ursachlichkeit“ hieße (uns), so erkundet Jean Paul den Wortgebrauch, „nicht einmal“ „Zufall“. „Zufall“ ist Bruch der Kausalität und deren Suggestion zugleich, ein Zusammentreffen, das so „wild“ es sei, so sehr es einer „Ursachlichkeit“ als Verknüpfung widerstreitet, doch als Widerspiel eine konkurrierende Motiviertheit im zeitlichen oder räumlichen Zusammenfallen zu belegen scheint. Einen Widerstreit zwischen „Ursachlichkeit“ und „Zufall“ gibt es nur, insofern dieser Ansprüche in deren Terrain macht, eine Verbindung nahelegt, die zwar die „große Folgen-Kette“ vom „Mückenfuße“ bis zur „Sonne“ in Anspruch nimmt, sie aber, als eine garantierte oder innere Folge, mit allen ihren ‚Mückenfüßen‘ hintergeht, indem sie diese als andere, haltlose Verkettungen erzeugt. Sie wären – nach Maßgabe vorausgesetzter Kausalität und innerer Folge – „falsch“,199 weil grundlos, und sie zeigen die ‚Grundlosigkeit‘ ihrer Relationen, wie damit des hervorgebrachten Sinns. Der Zufall der sprachlichen Relationen trägt das Wortspiel zu, und er macht es so reiz- und effektvoll, wie es als ‚rein‘ zufälliges gar keins wäre. Und umgekehrt: könnte die unterlegte, die „erwartet[e]“ Motiviertheit ‚in der Sache‘ gegründet und festgestellt werden, wäre der Zufall (als Zufall) und das Ereignis, das der Zufall zuträgt, gelöscht. Was aber ist das Wortspiel? Wenn der unbildliche Witz meistens auf ein gleichsetzendes Prädikat für zwei unähnliche Subjekte auslief, das nur von der Sprache den Schein der Gleichheit erhielt: so kommt ja der optische und akustische Betrug des Wortspiels gleichfalls auf ein solches Vexierbild hinaus, das zwar nicht sinn-, aber klangmäßig zweien Wesen angehört.200

Als „Vexierbild“201 wird vom Wortspiel her rückwirkend der „unbildliche Witz“ kenntlich, der etwa in den Beispielen für Zeugma (oder Syllepsis), wie: „ich spitze Ohr und Feder“, ein Wort wie „spitzen“, „öffnen“, „beflecken“, das 198 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, hier und das Folgende 193. 199 Die Motiviertheit, die die Paarung „im engern Raum“ nahelege, sei „auf dem höhern Standpunkte falsch; denn Raum und Zeit können durch ihre Ausdehnung kein Resultat aufstellen, welches als Widerspiel des Resultats ihrer Enge, sich aus der großen FolgenKette des Jupiters herausrisse, die, am Mückenfuß und an der Sonne liegend, alles zu einem Ziele zieht“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194). 200 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192. 201 Das Deutsche Wörterbuch verzeichnet es, eher unterkomplex, als „bild mit einem in der zeichnung verborgenen betrug, scherz“ (DW Bd. 26, Sp. 37) und zitiert prompt Belege von Jean Paul, u.a. dieses aus der Vorschule der Ästhetik.

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„gleichsetz[e]“, aber in zweifacher Anschließbarkeit (u.a. von wörtlicher und übertragener Bedeutung) sich als double von sich ‚selbst‘ verschieden ausspielt.202 Das „Vexierbild“, auf das der „optische und akustische Betrug“ des Wortspiels hinaus komme, gehöre „zwar nicht sinn-, aber klangmäßig zweien Wesen“ an, „z.B.“ im Falle von „Leere und Lehre“.203 Der „Sprach- oder KlingWitz“ ist rhetorisch die Paronomasie, als die auch Reime zu nehmen sind,204 in der ‚ähnliche Worte unterschiedliche Dinge zum Ausdruck‘ bringen;205 „‚two similar soundings but distinct signifiers are brought together‘“, so verbindet der pun „similarity of form and disparity of meaning“.206 Ciceros „ambiguo dicta“, „geistreichste“ „Doppelsinnigkeit“ beiziehend, verfällt auch Hamann auf den pun,207 die „Ars Pun-ica“, erlaubt sich (selber) einen: Punnatur dicitur, auf den „punischen Kirchenvater“.208 Wenn Jean Paul zufolge, mit einer alten Metapher, „die Verhältnisse der Ideen in Verhältnisse der Klänge“ gekleidet werden,209 so wird auf dem Weg der Nähe der „Klänge“, als der Kleidungen, der so leicht, pun-isch oder kalauernd, zu nehmen ist,210 die supponierte Nähe der 202 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 123, 173f. 203 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 204 Vgl. Fried, „Rhyme Puns“. 205 Vgl. Rhetorica ad Herennium, 4,21,29; Quintilian, Inst. or., IX 3,66-75 (2. Teil, 346-53). 206 Culler, „The Call of the Phoneme“, 5. 207 Hamann zit. Ciceros „ambiguo dicta“, die „non semper in ioco, sed etiam in gravitate versantur“ als Sache der „Ingeniosi“: „vim verbi in aliud“ (De Or. II 250 u. 254; Aesthetica in nuce, 133, Übers. im Komm. 132), die „sich [auch] auf einen Buchstaben bezieht“ (De Or. II 256, lat./dtsch.372f.). 208 D.i. Augustinus, der sich auf Cicerors Rhetorik (gegen Spitzfindigkeiten) bezieht, vgl. Hamann, Aesthetica in nuce, 132-35. 209 Jean Paul zufolge machen das „Philosophen“ „so gern“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. Die Bekleidungs-Metaphorik ist bekannt vor allem für die elocutio der klassischen Rhetorik, zur Regulierung von „wit“ u.a. in Popes Essay on Criticism: „Expression is the dress of thought“ (v. 319, vgl. bis 335); „True Wit is Nature to advantage dressed,/ What oft was thought, but ne’er so well expressed;/ Something, whose truth convinced at sight we find,/ That gives us back the image of our mind.“ (vs. 297-300): „So modest Plainness sets off sprightly Wit“ (v. 273; vgl. dgg. die conceits 289-92, u.ö.). Popes Formel, so S. Johnson, „reduces it from strength of thought to happiness of language“, gibt allerdings selbst mit „at once natural and new“ eine paradoxe Forderung aus (Lives of the Poets I, 28f., vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 94; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 169f.). Sie reicht (mindestens) bis Freud (vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 148ff.). 210 Das Wortspiel „ist zu leicht […], wie dem Reim in Prose hat man ihm oft mehr zu entlaufen als nachzulaufen“, so Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192). Es genehmigt sich die „bequemeren“ Wort- und Gedankenwege, die die ‚kritische Macht‘ unterbindet (Freud, Der Witz, 113f.). Das wird im 19. Jh. vor allem als Kalauer abgetan, die durch irgendeine Klangähnlichkeit zugetragen „mit leichtester Mühe gemacht werden“ (45f.). Als zu leicht kennzeichnet Quintilian die flosculi, topisch allen zur Verfügung stehend, zu leicht,

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eingekleideten „Ideen“ aber haltlos, wird im Wortwitz an den in ihrer Klanglichkeit übereinkommenden „Ideen“ deren Disparität hervorgetrieben. Das Wortspiel spielt derart die Diskrepanz zwischen vermeintlichen ‚Ideen‘ und mehr oder weniger passender oder exaltierter Be- oder Verkleidungen aus.211 Zu Jean Pauls Klang-Einkleidung kann ein normierendes Pendant gefunden werden in Popes Formel: „The Sound must seem an Eccho to the Sense“.212 In Roman Jakobsons Wiederholung, der „Ton [wird] zu einem vollkommenen Echo des Sinns“, wird dies zwar als „Folge der Überlagerung der [Laut-]Ähnlichkeit auf die Kontiguität“ mit paronomastischen Effekten aufgefasst,213 mit der Zuschreibung einer „Lautsymbolik“ begrenzt oder zähmt Jakobson aber, was Sprach-Laute und ihre Anklänge (alles) an „wilden Paarungen“ und Effekten machen können. Das Echo ist paronomastisch als Wider-Spiel von Klang und Sinn, irritiert den der Äußerung eines Gemeinten unterstellten Zusammenhang von Laut und Sinn, läßt das ‚Gemeinte‘, die Wörter dissoziierend, als alles mögliche andere hören;214 als „imitation“ ist es Parodie.215 Addison bietet, wo er das Wortspielen als bloßes Wortgeklingel abtut, einen Test an: „The only way therefore to try a Piece of Wit is to translate it into a different Language, if it bears the Test you may pronounce it true; but if it vanishes in the Experiment, you may conclude it to have been a Pun.“216 Soll derart Nicht-Übersetzbarkeit das Kriterium für das, was ohne ‚Wahrheit‘ und daher zu meiden ist, abgeben, so weist Jean Paul das Kriterium der Übersetzbarkeit für den ‚guten Witz‘ als zu billig zu haben, zu leicht diejenigen, die Knaben, beeindruckend, die viel zu leicht sich verführen lassen, zu leicht ‚gleich abfallend‘ (Inst. Or. XII, 10, 73 (vgl. 2. Teil, 784f.)). Butlers engl. Übers. schreibt das im Anschluss ans ingenium (das Aristoteles’ euphuîa, εύφυϊα übersetzt) aktualisierend „our modern euphuists“ zu, „whose charm is all the more attractive to boyish intellects because it is so easy of achievement“. 211 Vgl. die Analyse der concettistischen Paronomasie von Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 120-25, 129ff.; vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 3, 5f. 212 Pope, Essay on Criticsm, v. 365. 213 Jakobson, „Linguistik und Poetik“, 113; wo „der interne Nexus zwischen Laut und Bedeutung von einem latenten in einen patenten Zustand übergeht“. Im Engl. bemerkt Attridge „Jakobson quoting Pope’s line […] replaces ‚seem‘ with ‚be‘“ (Peculiar Literature, 154, vgl. 131-36); vgl. B. Menke, Prosopopoiia, 529-37, 543f. 214 Ovid, Metamorphosen, III, vs.  379-93; vgl. B.  Menke, Prosopopoiia, 529-44; dies., „‚Wie man in den Wald hineinruft, …‘“; dies., „Rhetorik der Echo“. Vgl. Fried, „Rhyme Puns“, 84, 96f.; die barocken „Echo“-Reime verbuchte Adelung als „eine Art Wortspiel“ (Ueber den Deutschen Styl, Erster Theil, § 4, 517); zum Echo-Reim (ohne dessen paronomastischen Zug) vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 136-40). 215 Attridge, Peculiar Language, 156f.; diese spaltet die „imitation“, die die Onomatopoie zu sein scheint, in der der Bruch zwischen Signifikant und Signifikat heilen solle (132-35, 154-57). 216 Addison in The Spectator, No. 61 (Ausg. 1804), 160.

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„ganz willkürlich“ ab: „Alle Sprachen sind voll unübersetzlichen Witzes“.217 Der dazu passende alte Wort- oder Klangwitz Traduttore – Traditore!, den Freud als ganz „vortrefflichen“ anführt,218 kann als Wortspiel nicht übersetzt werden.219 Die Paronomasie bringt, so Sarah Kofman in der Metaphorik der Eheschließung, eine Mesalliance hervor: von Signifikaten, „die ganz und gar voneinander geschieden werden müßten“, „denn das Ideal einer Übersetzung – wie einer Ehe – müßte […] die Treue sein“, die „(nach traditioneller Auffassung)“ darin bestünde, in der Übersetzung, die den ‚originalen Ausdruck‘ substituiert, „den Sinn, den Gehalt des Originals [der damit als vor der Übersetzung gegebener vorausgesetzt ist] in einer anderen Sprache […] wiederherzustellen“, um „die Schuld gegenüber der Originalsprache vollständig zurückzuerstatten – ohne Rest“.220 Der pun, der den Traduttore als Traditore ausmacht, plauderte den „Verrat, den jede Übersetzung einschließt“,221 aus, den jede Übertragung am (vermeintlich) Übertragenen verübt, weil eine vermeintlich primäre Bindung untreu gelöst, das vermeintlich Übertragene verschoben, anderswo anders preisgegeben wird. Das kann der pun aber nur solange gemeint und etwas Zutreffendes über die Übersetzung gesagt haben, wie – wider das von ihm vermittelte ‚bessere Wissen‘ – dennoch Vertrauen in den Zusammenhang von signifikantem ‚Ausdruck‘ und dem (in der Relation der disparaten Signifikate erschlossenen) Sinn gesetzt wird.222 Dass Signifikanten nicht auf ein Signifikat zu verpflichten sind, sondern sich ‚leicht‘ jederzeit in andere verschieben und derart (auch) divergente Signifikate miteinander verbandeln können, wäre

217 „Kürze und Zuklang (Assonanz) vergehen in der Übersetzung.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192, mit dem Beispiel urbi et orbi, i.d. Fn.). Das Wortspiel ist auch Mautner zufolge „an der wörtlichen Unübersetzlichkeit in eine andere Sprache“ abzugrenzen („Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 681). So ist auch Gracián zufolge die ‚grundlegende‘ „agudeza verbal, que consiste mas en la palabra,“ in eine andere Sprache nicht übersetzbar, würde mit dem Wort ihr die Seele genommen (Agudeza y Arte de Ingenio, disc. iii, 323); das gilt auch für „los conceptos por equívoco“, die dem Zeugma (Jean Pauls unbildlicher Witz) entsprechen (disc. xxxiii, 577). 218 Freud, Der Witz, 35; der Witz hat eine längere Übertragungsgeschichte, deren Original ungewiss ist; s. Kap. V.1. 219 Freud, Der Witz, 47. Jakobson setzt diesen Wortwitz quasi-tautologisch als Beleg der Nicht-Übersetzbarkeit der poetischen, als solche paronomastischen Texte ein („Linguis­ tische Aspekte der Übersetzung“, 195, 197). 220 Kofman, Die lachenden Dritten, 48f. 221 „Der ‚Übersetzer‘ heißt nicht nur ähnlich wie der ‚Verräter‘; er ist auch eine Art von Verräter“ (Freud, Der Witz, 114). 222 Der (falsche?) „wit“ sei, so Pope, „[a] wife“, das nicht einem Ehemann gehört, sondern mit dem das Eigene an die vielen Männer preisgegeben sei: „The Owner’s Wife, that other Men enjoy“ (Essay on Criticism, v. 501, vs. 494-507).

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die negative Erkenntnis, die die Paronomasie ermöglichte, die aber als die in die Nicht-Kontrollierbarkeit der Signifikantenverkettung nicht als, und sei es negativer, Gehalt zu halten ist, die sich vielmehr im Überschuss des Äußerungsereignisses über jedes eventuell Gemeinte ausgibt. Das Spiel mit den durch gleiche oder ähnliche Signifikanten verkoppelten divergenten Signifikaten potenziert sich in der Diskrepanz, bzw. im Spiel zwischen Signifikanten und Signifikaten.223 Die Paronomasie führt, mit einer formalistischen Formel, zur „Einstellung auf den Ausdruck als Einstellung auf die Sprachlichkeit der Sprache“.224 Jean Paul selber gesteht dem Wortspiel „Geistes-Freiheit“ zu, „welche imstande ist, den Blick von der Sache zu wenden gegen ihr Zeichen hin“.225 Diese „Freiheit“ zur Wendung der Aufmerksamkeit sei, so räumt Jean Paul ein, ein „Grund des Gefallens am Wortspiele“ neben dem „Erstaunen über den Zufall“, dem sie korrespondiert. Das Wortspiel vollzieht, so H.-J.  Frey, „in einer begünstigenden Wortkonstellation die blitzartige Auswertung einer Homophonie, die dem Text zwei simultane Bedeutungen gibt, die in dem einen Wortlaut zusammenfallen, obwohl sie zugleich geschieden sind, und zwar miteinander, aber jede für sich wahrgenommen wird“.226 Die latente Anwesenheit eines anderen Wortes, das im vermeintlich gemeinten (Wort) mit-‚hörbar‘: lesbar gemacht wird, wird (es in sich doubelnd) hervorgetrieben, indem ihm durchs Wortspiel in einer „Wortkonstellation“, im Text als Vexierbild, „zwei simultane Bedeutungen“ gegeben werden. Ein „Vexierbild“ erzeugt das Wortspiel, etwa: „Leere und Lehre, Lügen und Liegen“,227 indem es sich, achtet man auf Jean Pauls Vorbehalte, noch etwas spezifisch anderes erlaubt: Es tangiert den Wortkörper, um ihn zur in sich gedoppelt/-spaltenen Szene zweier Lesbarkeiten zu machen, die es ausspielt.228 Änderungen am Wortkörper treiben, (oftmals) schriftlich markiert, eine zweifache Lesbarbeit hervor, so dass die Leere (in) der Lehre, oder, mit

223 Lachmann „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 120-25. 224 Lachmann, Die Zerstörung der schönen Rede, 312f.; dies., „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 106, 123. 225 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 226 H.-J. Frey, „Die Unübersetzbarkeit der Metapher“, 48; es hat derart „strukturelle[] Ähnlichkeit“ mit der Metapher: als deren „Umkehrung“; s.o. Kap. I.1. 227 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 228 Groddeck zufolge ist die Paronomasie die „rhetorischste[] aller rhetorischen Figuren“, weil in ihr „der Signifikant, der Wortkörper, die Buchstäblichkeit“ zum „Zentrum poetischer Produktivität“ avanciere (Reden über Rhetorik, 139); zu den den Wortkörper betreffenden Änderungskategorien vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 120ff., 128f., 131.

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dem berühmten Prätext von Shakespeares homophonem pun „lies/lies“,229 das Lügen im Liegen zu lesen gegeben wird. Vergnügen und Erstaunen „über den Zufall“ einer sprachlichen Gleichheit oder Ähnlichkeit dem Wortspiel zugestehend, mag Jean Paul (wie vor allem im 18. Jahrhundert viele andere) „die Erlaubnis der Wortspiele“ „nur unter […] Bedingungen“ erteilen. Einer der regulierenden Vorbehalte lautet: „Das Wort des Spiels muß ich finden, nicht machen; sonst zeig’ ich häßliche Willkür statt Freiheit, z.B. bei Leere und Lehre, Lügen und Liegen.“230 Diesen grammatisch keineswegs eindeutigen, insofern nicht eindeutig regulierenden Satz weiterlesend, scheinen diese Fälle doch (noch) die affirmierten Beispiele gestellt zu haben, denen erst mit dem „falschschreiberischen ‚Krietik‘ eines Gegners“ das pejorative Exempel der gewaltsamen Gemachtheit entgegengesetzt wäre: das als (und sei es auch eher lausiges) „Mischwort“ (Freud) oder „portmanteau“ (nach Lewis Caroll)231 mit „Krieg-tic“ skriptural analysiert ist, dessen Lesbarkeiten als die anderer Wörter skriptural unter-scheidend ausgeprägt sind, um derart, so Jean Paul, „also vier Sprachen zu rufen – die heterographische, das deutsche g, die Abteilung, die englische“.232 Werden einem Wortkörper, ein ‚Wort‘ buchstäblich zerlegend als nicht ‚eines‘ ausspielend, (mögliche) andere 229 Shakespeare, Hamlet, III.2, v. 110; V.1 vs. 117-27; The Sonnets, n° cxxxviii; vgl. n° cxxxvi: will/ Will, als „anagrammatic play on proper names“ (Culler, „The Call of the Phoneme“, 10; vgl. Fineman, Shakespeare’s Perjured Eye, lying 32ff., (I/eye) 17, 26f.). 230 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. Als zweite Einwendung gegen den Witz führt Jean Paul an, „daß ein solcher Mann und Urheber ordentlich nach Witz jage“, entgegnet dem aber: „Gibt es denn etwas in der Kunst, wonach man nicht zu jagen habe, sondern was schon gefangen, gerupft, gebraten auf die Zunge fliegt?“ (198, das mag gegen Kant gehen, der die „Jagd auf Witzwörter“ verurteilt, Anthroplogie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 539f.). Aber „[w]o die Anstrengung sichtbar ist, da war sie vergeblich; und gesuchter Witz kann so wenig für gefunden gelten als der Jagdhund für das Wildpret“ (SW I.5, 198). „Der Witz, als Jäger der Kürze, greift eben darum zum Wortspiel.“ (192); die Aufjagd-Metapher in Kap. III.1. 231 Freud mit Heines famillionär (Der Witz, 17, 20-24; vgl. Kap. V.1); zum portmanteau word vgl. Carroll, Through the Looking Glass, 196-99; im „Preface to Snark“ erklärt er die Simultaneität zweier Wörter: z.B. Rilchiam, nicht überzeugend als „Synthese“ (vgl. Reichert, Lewis Carroll, 126); vgl. die Untersuchung zum mot-valise von Grésillon, La règle et le monstre, vgl. 5-15, 26-29 (mit Bezug auf Anagramm, Paronomasie): ein Monster zweier Worte, die die Worteinheit aufspaltet, in sich doppelt, zugleich eines von Regel und Überschreitung: „dans et hors la langue“ (13, 130 u.ö.). Plett analysiert es beschränkend unter den „morphologischen Figuren“ (Systematische Rhetorik, 104-08). Das port-manteau fügt wie die Paronomasie u.ä. Verzweigungen, Disjunktionen in die Serien (so Deleuze, Logik des Sinns, 68ff.; vgl. Attridge, „Unpacking the Portmanteau“, 145f., 151f. u.ö.; ders., Peculiar Language, 186-92, 197ff., 202ff.). 232 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194; und zwar „um etwas zu sagen, was niemand ärgert als seine Freunde: so ist dies so, als wenn ich diesen Perioden so schlösse, wie

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Lesbarkeiten abgewonnen,233 tragen Wortspiele die (latente) Andersheit der Wörter vor, indem sie dem Wortkörper die Spuren anderer Wörter, und damit signifikante Bezüge anderswohin, die sie kontaminieren,234 einlassen, (auch) unterscheidend, auftrennend und – markierend einschreiben.235 Das „Vexierbild“, als das Worte witzig ausgespielt werden, ist (nicht nur) das zweier Wörter und divergierender Bedeutungen, zwischen denen es kippt; die Andersheit, die der Wortwitz mit ihren anderen Bezüge anderswohin ‚liest‘, wohnt vielmehr jeder Lesbarkeit je latent inne. Ein/jedes Wort kann sich in andere Wörter entstellen, ist je schon nicht eines (und nicht mit sich identisch) gewesen, sondern Szene der Spuren einer unbegrenzbaren Vielzahl latenter anderer Wörter. Wörter gewinnen im Wortspiel vexatorische Andersheit, die sie unbestimmt vielfach als ihr Rand und Schatten begleitet, sie sich ‚selbst‘ ungleich virtualisiert.236 Im pun wird „the surface relationship between“ „two similar soundings“, die er erzeugt, „invested with meaning‘“,237 so dass sie eine (pseudo)etymologische Pointe bekommt.238 Der Schluß vom „Verhältnis der Klänge“ auf das

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ich es tue“. Die Mischwortbildung analysiert Freud an Heines famillionär buchstäblich, skriptural (Der Witz, 17, 20-24; s. Kap. V.1). Das macht buchstäblich auch Graciáns agudeza nominal oder verbal (Agudeza y Arte de ingenio, disc. i, disc. xxxif.); s. Kap. I.5. Das Wortspiel ‚ruft‘ Konnotationen eines Wortes als „Kontamination“ mit anderen Wörtern, anderen Texten ‚wach‘ (Lachmann, Gedächtnis und Literatur, 81f.), den Text als double oder Paragramm. „[J]eder Wortwitz, jeder Reim, […] legen Zeugnis von einem anarchischen Sprachgeschehen ab, in dem sich das Sprechen […] über die Grenzen des semiotischen Regimes hinweg […] setzen kann. Dass sie keine marginalen Phänomene […], sondern genuin sprachliche […] Bewegungen sind, zeigt sich am deutlichsten daran, dass kein einziges Element der Sprache eine unverrückbare oder unzerlegbare Einheit, sondern jedes segmentierbar, unbeständig und offen für den Einfall anderer sprachlicher Markierungen ist.“ (Hamacher, „Kontraduktionen“, 26; zu „famillionär“, „Porte-Manteau-Wörtern“, 27). Zur Virtualität vgl. (über Lévy und Deleuze hinaus) S.  Weber, „Virtualität der Medien“, 42ff., 35-39. Culler, „The Call of the Phoneme“, 2ff.; vgl. Fried, „Rhyme puns“, 89; Attridge, Peculiar Language, 189, vgl. 190-93. So im Ausgang von Jonathan Swifts („A Modest Defence of Punning“) ‚gespielter‘ PseudoEtymologie des (Wortes) pun, Culler, „The Call of the Phoneme“, 1ff.; zu pun und etymology vgl. Attridge, Peculiar Language: „Language as History/History as Language“, 90-126; u.ö.: 131-36, 139, 142, 147f..; ders., „Unpacking the Portmanteau“, 143ff. So wird im pun von Shakespeares The Merchant of Venice jew durch ewe gelesen, den Shylocks Erläuterung des „interest“, das er nehmen dürfe, mit der biblischen Jakob-Erzählung macht und damit vorgreifend bereits die durch die christliche Rechtsprechung re-markierte Spaltung des demos durch die Ethnie kommentiert (vgl. Shell, „The Wether and the Ewe. Verbal Usury in The Merchant of Venice“, in: ders., Money, Language, and Thought, 47-83).

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der „Ideen“, das Jean Paul nahelegt und mit der Kleidungsmetaphorik viel­ leicht auch reguliert,239 wird (so war bereits zu bemerken) im pun unhaltbar und damit die Bedeutungsrelation selbst ‚zum Gegenstand‘, wo dieser die Diskrepanz der anklingenden Signifikate und damit die zwischen Signifikaten und Signikanten hervortreibt. Die Worte sind, so Lipps, „beim Witze jederzeit dem, was sie meinen, in gewissem Sinne fremd“.240 Da die „Bedeutungssuche“ in „poetischen Etymologien“, so Lachmann, (anders als Jakobson will) „nicht den Laut an die Bedeutung“ vermittelt, sondern Bedeutung „auf den Laut“ und an ihn zurück verweist, handelt es sich bei der Paronomasie um einen „Ort der Bedeutungssuspendierung“.241 Wenn ein pun pseudo-etymologisch die Leere der Lehre hörend/lesend, schriftlich: heterograph markierend, einen Sinn effektuiert,242 so basiert das doch, so schön und treffend etwa die Lesart von Lehre durch Leere (uns) erscheinen mag, auf keiner ‚Sache‘, sondern wird in einer haltlosen Anklangrelation als etwas läppische Kalauerei ermöglicht. Ist Sinn, in den Zutrag des Zufalls investiert oder diesem aufsitzend, was anderes als ein Kalauer? Im witzigen Spiel der Wörter, im Witz der Wörter zeigt die klangliche sich als gänzlich unzuverlässige Verbindung hinsichtlich des Verhältnisses der Ideen.243 Wenn der Witz eine Einsicht ermöglicht, so ist es die, die er ausführt.244 Die „Bedeutungssuche“ ist paronomastisch nicht nur an divergente, die Textur querende Verkettungen verwiesen, die die ‚Bildungen‘ (ermöglichen und) je wieder suspendieren, sondern, wie im Falle von Leh/ere, auch an von keinem Code kontrollierte Verbindungen.245 Die Paronomasie unterminiert die (angebliche) semiotische Struktur der Sprache, setzt jenen Rahmen (des Codes) aus, in dem Elemente differentiell unterschieden und Bedeutungen gebildet werde, indem sie eine nicht-kontrollierte Vielheit von Relationen absehbar macht, die allen vermeintlichen semantischen und 239 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 240 Lipps, Komik und Humor, 93. 241 Lachmann, Die Zerstörung der schönen Rede, 312f.; dies., „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 106, 123; vgl. (wie bereits zit.) Jakobson, „Linguistik und Poetik“, 113. 242 Vgl. Jean Paul, „Vorgeschichte“ zum Leben Fibels, SW I.6, 371; vgl. zu den „Sprachforschern“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193; zur Etymologie vgl. Kap. I.3. 243 Vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 3, 5f.; zur concettistischen Paronomasie vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 120-25, 129ff. 244 „Die Rede wird im Spiel der Worte zur […] witzigen Rede über sich selbst“ (Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 176f.). Zanetti zufolge ist das spezifische Wissen/der Witz der Paronomasie „Wissen über die“/oder der „poetische[/n] Struktur eines Textes“, das sich „nur lesend erschließt“ („Das Kommode und das Kommende“, 47, mit Groddeck, Reden über Rhetorik, 139; im Anschluß an Jakobson), also in einem Vollzug, der mit sich zerfällt. 245 Vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 12, 3f.

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semiotischen ‚Einheiten‘, sie entzweiend, ihnen Differenzen mit/ in sich einlassend,246 sie anderswohin beziehend, eingeschrieben sind und unabsehbar Effekte machen mögen. In den Fällen Lehre-Leere, Lügen-Liegen werden die durch buchstäbliche Änderung am ‚Wortkörper‘ lesbaren (divergenten) Signifikate gleichsam verwechselt, ist der Sinn der Leere der Lehre ein Lapsus, Zufall der gleitenden, grundlosen Signifikanten-Relationen. Wenn aber Jean Paul zufolge „[s]ogar von der Wahrheit, welche allen witzigen Ähnlichkeiten unterzulegen ist, […] etwas, obwohl wenig, den wortspielenden zu“kommt und „einige Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles zu erwarten“ stehe,247 könnte das eine Begrenzung der zulässigen Wortspiele sein, aber dabei darf doch ‚unterlegen‘ und „erwarten“ nicht überlesen werden.248 Vor allem ist „einige Ähnlichkeit der Sachen“ nicht das letzte Wort über die „witzigen Ähnlichkeiten“, sondern diese sind in Jean Pauls Sätzen fortgeschrieben und fort-schreibend zu lesen (das geschieht weiter in Kap. I.3). Wo der Zufall der Sprache Relationen heraufführt, die das Wortspiel ausspielt, kann nicht entschieden werden, ob es sich um etymologische Einsicht oder Pseudo-Etymologie handelt,249 ob und inwiefern den „wortspielenden“ „Ähnlichkeiten“ auch „einige“ „der Sachen“ zu „unterlegen ist“;250 „the surface relationship between them [is] invested with meaning‘“,251 das geht so oder so oder anders aus. Jeder jeweilige Sinn wäre wie und als ein „Vexierbild“ der Oberflächen-Relationen zugleich an diese Oberfläche zurückverwiesen als eine, der latent andere Lesbarkeiten ‚eingenistet‘ sind, in die es in ihren sich anders konfigurierenden Zügen kippen würde; jede Lesbarkeit ist an andere Oberflächen-Beziehungen suspendiert, die andere lesbar halten mögen. Je wieder tut sich eine Spannung auf zwischen ‚Sinn‘ als Investment in die signifikanten Verbindungen und dem Unsinn, der sie sind, zwischen dem „Erstaunen über den Zufall“ (als Investition in den Zufall) und dem ‚Grund‘ (Ungrund) der Investition: dem Zufall der Sprache. – Das ist das doppelte Spiel des Zufalls, der „uns“ „vielleicht“ gefällt, „weil darin der Satz der 246 „Zwiespalt“, so Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f.; „Zwischenraum“, so Hamacher, „Kontraduktionen“, 26; „Spielraum“, so Zanetti, „Das Kommode und das Kommende“, 46; différance, mit Derrida (seit der Grammatologie). 247 Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 248 ‚Erwarten‘, das ohne Grund und Telos ist, suspendierte noch die Erwartung (vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 219). 249 Auch zu Etymologie, was sie ermöglicht und unterminiert (mit Blanchot u. Derrida), vgl. Kap. I.3. 250 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 251 Vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 2ff.; Fried, „Rhyme puns“, 89; Attridge, Peculiar Language, 189, vgl. 190-93.

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Ursachlichkeit selber […] sich halb versteckt und halb bekannt“.252 Nach Anleitung der Wortspiele lesend wird die Text-Oberfläche als Vexierbild, als der „lesbare Text eines anderen Schauplatzes“ aufgefasst,253 dem andere latente Verknüpfungen und Kräfte eingeschrieben sind. So modelliert das Konzept des Vexierbild ein anderes Lesen, so Rainer Nägele: „eine Methodik des Lesens im 20. Jahrhundert, […] bei Freud, […] in den anagrammatischen Lektüren von Saussure und Jakobson“:254 Lektüren, die das signifikante Material als unbegrenzte Reserve von (virtuellen) Relationen absehbar machen, die die von der Oberfläche gegebenen „Chancen“ der „Sichtbarkeit“ ergreifen, als die der Simultaneität dessen, was doch nie derselben Zeit angehören wird.255 Wo am Maße des Sinns dem Sprachwitz ‚Nichtigkeit‘ bescheinigt wird,256 erzeugt dieser ein, orientiert an der Geschlossenheit der Gestalt, unabsehunkontrollierbares Zuviel. Dagegen richten sich Jean Pauls Vorbehalte und Beschränkungen gegenüber dem Wortspiel, dem die folgenden Kapitel (I.3, I.5) weiter nachgehen. So entspricht der am Wortspiel ausgezeichneten „Geistes-Freiheit“, mit der es sich auf die Zeichen selber wendet,257 die von Jean Paul, dieser Grenzen setzend, bezeichnete „Gefahr“ einer verfehlten Aufmerksamkeit für „die Teilchen der Teilchen“,258 die er an den buchstäblichen Spielen kenntlich macht, die den ‚Verfall‘ des Wortspiels zu orchestrieren haben, und gegen die dieses durch Ausschlüsse gesichert werden soll (damit werden sich Kap. I.5 und 6 befassen). Zunächst ist es ein eher mühseliges ­Beispiel für den „unbildlichen Witz“,259 in dem „Teilchen der Teile“ „(Silben und Soldaten)“ „ausgehoben“ werden, um mit diesen „unähnlichsten 252 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193 – also nicht als „reine[r]“ Zufall. 253 „Es ist sichtbar unsichtbar. Konstruiert aus den Zügen des manifesten Bildes, ist es nicht ein Bild ‚hinter‘ oder ‚unter‘ dem manifesten Bild (wie es im metaphysischen Paradigma der Fall ist), sondern es ist im Bild, in seiner Oberfläche, nirgendwo anders. Das Vexierbild […] ist als Fremdes im Ganzen. Es besetzt sozusagen die manifesten Züge […] und zeugt in diesen Zügen von etwas anderem, das sich da eingenistet hat.“ (Nägele, Literarische Vexierbilder, 27). 254 Nägele, Literarische Vexierbilder, 27f.; zu den Anagrammen vgl. im Folgenden u.a. Kap. I.5 u. 6; IV.1. 255 Derrida, „Das Papier oder ich, wissen Sie …“, 226; „mehrere Sprachlinien oder -bahnen können auf diese Weise auf ein und derselben Oberfläche zusammenwohnen“ – aber nicht in derselben Zeit. 256 So z.B. Lipps, Komik und Humor, 95f., 85. 257 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 258 „Das Wortspiel dreht das Auge zu leicht von dem Großen und Weiten zu sehr auf die Teilchen der Teilchen hin“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195). 259 Der vom König (Friedrich der Große), der „zugleich Verse lieferte und Schlachten“, Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174f.; zu diesem Beispiel vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 215ff.

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Unähnlichkeiten als Exponenten und Stellvertreter“ von „zweien weniger verschiedenen Ganzen (Krieg- und Dichtkunst […])“, „diese Unähnlichkeiten und folglich ihre Ganzen einem einzigen, nur den Teilen bestimmten Prädikate (messen) gleichzumachen“;260 es ist aber auf die „bloße Stellung“ der ‚ausgehobenen‘ Teilchen angelegt, durch die der Witz siege.261 Das, das heißt die Verstellbarkeiten zu anderen Lesbarkeiten führen insbesondere die buchstäblichen Sprach‚elemente‘ aus und vor. Gegenüber der „Gefahr“ einer nicht von Sinn und Intention regierten Produktivität zitiert Jean Paul nicht nur äußere Begrenzungen des Witzes, dessen Beschränkung auf Zierde, seine Zulassung allein als Beiwerk, in ‚dienender‘ Funktion und seine historische Marginalisierung, wobei absehbar wird, dass die Zutat keineswegs dienstbar einem ‚Werk‘ (das nicht-lokalisierbar entzogen wird) untergeordnet bleiben wird (Kap. I.4). Vielmehr konzipiert Jean Paul mit der metaphorisch zwanglosen Übertragung oder gar ‚Verschmelzung‘ von innen und außen in der Metapher, als die er den „bildlichen Witz“ vorstellt (s. Kap. I.1), auch dessen Beschränkung durch ein vermeintlich ‚inneres‘ Maß, den Anthropomorphismus der Gestalt als darstellenden ‚lebendigen‘ Zusammenhang von Innen und Außen. Diese vermeintlich ‚von innen‘ getragene Abgeschlossenheit der Darstellung als phantasmatische Totalität, die mit der menschenähnlichen Gestalt in Anspruch genommen wird, ‚gibt es‘ jedoch nur durch Abscheidungen, Grenzsetzungen, die um des Phantasmas der Ganzheit willen schon vergessen gemacht sein müssen, durch den Ausschluß der witzigen Produktivitäten, Substitutionen und Verschiebungen, an die Metapher und Darstellung doch verwiesen sind: an das signifikante Material, seine unbeschränkten und unregierten Iterierbarkeiten, die latenten, doppelnden, woandershin verweisenden Bezüge, die der Zufall für den Witz vorstellt. Wie steht es aber nun um die Unterscheidung zwischen dem „verkleideten Priester, der jedes Paar kopuliert“, die der Witz ist, und der „wilden Paarung 260 Von „zweien weniger verschiedenen Ganzen (Krieg- und Dichtkunst, die im allgemeinen Begriff Kraft, ja Phantasie zusammenlaufen)“ werden „Teilchen der Teile“: „Silben und Soldaten“, „ausgehoben“: als „die unähnlichsten Unähnlichkeiten als Exponenten und Stellvertreter jener Ganzen“, „um diese Unähnlichkeiten und folglich ihre Ganzen einem einzigen, nur den Teilen bestimmten Prädikate […] gleichzumachen“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174f.). 261 Das Beispiel führe er „nur der Stellung wegen“ an (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174); die berühmte Formulierung lautet: „So sehr siegt überall bloße Stellung, es sei der Krieger oder ihrer Sätze.“ (180). An dies „Wort Jean Pauls erinnert“ nach K. Fischer (Ueber den Witz) Freud (Der Witz, 21f.), der Vischer (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 454) zit. Für die grammatische wie kriegerische Zerteilung vgl. Schottelius, Der schreckliche Sprachkrieg; zu ingeniösen Maquinationen und Kriegs-Maschinen vgl. M. Blanco, Pointe, 26, 54; s. Kap. I.5-6.

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ohne Priester“ im Zufall von Reim und Wortspiel?262 Statt eines „verkleideten Priesters“ gibt es für die „wilden Paarungen“ im Wortspiel keinen, keine Instanz, die „verkleidet“ als die der Geltung ausgegeben würde. Aber macht das einen Unterschied? Im „Zufall“ der Sprache (selbst) ist eine Vexation gegeben, insofern der „Satz der Ursachlichkeit […] wie der Witz […] sich halb bekennt und halb versteckt“. Der Zufall erfährt im signifikanten Spiel des Wortspiels ein momentanes haltloses Sinn-Investment (sonst gäbe es kein „Erstaunen“ über ihn). Diese ist der Modus des Sinns ‚im Spiel‘, den auch der „verkleidete Priester“ der witzigen Kopulationen vorstellt, im Spiel mit der theatralen Machination, das die Umstände von performativen Etablierungen ironisiert. Und das witzige Wortspiel erzeugt – wie die anderen „Trauformeln“ des „verkleideten Priesters“, nach denen die Kopulierung vollzogen, die „Kraft“ wirksam wird, – eine Mesalliance, so Kofman, eine „illegitime Verbindung zweier Begriffe“ durch den Zufall der Anklänge von Wörtern, der eine haltlose Verkuppelung zuträgt, die gerade durch die ‚Unterlegung‘ eines Sach-Bezugs „moralischen und logischen Skandal“ macht.263 Der „verkleidete Priester“ stellt des Witzes Spiel mit der Investitur einer Instanz substantieller oder gültiger Verbindung vor, die er als „verkleideter“ ins und aufs Spiel setzt, und offen lässt, ob mit dem „verkleideten Priester, der jedes Paar kopuliert“, anderes als die Kostümierung des arbiträren ungegründeten Aktes einer Setzung gegeben ist, wie in Zufällen eine ‚Ursachlichkeit‘ jener Paarungen mit „ohne Priester“ zwielichtig sich ‚halb versteckt und halb bekennt‘. Der ‚Sach‘gehalt des Witzes ist die (ungedeckte) Vorgabe, die nicht konstatiert wird, sondern erwartend in der Zeit ausgreift, auf Kredit einer möglichen nachgetragenen Motiviertheit der Verbindungen gegeben wird, die der Zufall des Anklangs, der Signifikantenrelationen heraufführte. Die „wilde Paarung ohne Priester“ wäre demnach die andere Ansicht des „verkleideten Priesters“, der jedes Paar skandalös kopuliert, weil der ‚Grund‘ für die ‚Legitimität‘ ein Spiel ist. Und die witzigen Paarungen von allem Möglichen sind (immer) schon promiscue allen möglichen, irgendwelchen anderen Relationen, die sie unvorhersehbar eingehen können, freigegeben.264 Um dem Witz, um dem der Wörter zu genügen, muss das Widerspiel zwischen den beiden Szenarien des „verkleideten Priesters, der jedes Paar kopuliert“, und der „wilden Paarung ohne Priester“, als Kippbilder voneinander, aus-gehalten 262 Das Wortspiel, das im Anklang, und der „unbildliche Witz“, der durch ein „gemeinsames Prädikat“ ‚gleichsetzt‘, sind im Vexierbild, das sie geben, enggeführt, vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192. 263 Kofman, Die lachenden Dritten, 48f. 264 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169, 193, vgl. den „Dithyrambus“ 202; G. Müller, „Mehrfache Kodierung“, 68; vgl. Kap. III.2; I.5 u. 6.

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werden: als stets wieder ins andere (um)kippendes, in keiner Ansicht festzuhaltendes Vexierbild. Der Witz ist „Kraft“, die nicht – als performative – durch das, was sie ‚hervorbringt‘, worin sie ‚resultierte‘, auszuweisen und bestimmt, vielmehr durch das, was sie darstellte, verstellt wäre, und umgekehrt alles, worin sie sich darstellte, mit unregierbaren Effekten überschießt. Das performative (als solches) ist, so Shoshana Felman, durch den „Exzeß“ des Äußerungs-Ereignisses über das Geäußerte und dessen Gehalt bestimmt: „La ‚force d’énonciation‘ […] est constament en excès sur le sens de l’énoncé“.265 Aber der Witz excediert jedes Resultat, dessen Gegebenheit allein darüber entscheiden ließe, ob ein und welches Performativ überhaupt ‚da gewesen ist‘, daher auch das durch die, aufs Resultat, das den Akt blockiert, bezogene, Unterscheidung zwischen Gelingen und Misslingen regierte Austin’sche performative.266 Die Kraft des Witzes macht aus, dass zwischen dem, was die force der Rede im Ernst hervorgebracht haben mag, und dem Unernst des Hervorbringens nicht mit Gewissheit geschieden werden kann. Er stellt als Ereignis jeden seiner Effekte ernst/unernst zur Disposition. I.3

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Der Sinn-Investition, die das signifikante Spiel der Signifikanten erfordert und zugleich als solche kenntlich macht, scheint (auch) Jean Paul, zuweilen, aufzusitzen. So möchte er jedenfalls vermuten: „Sogar von der Wahrheit, welche allen witzigen Ähnlichkeiten unterzulegen ist, kommt etwas, obwohl wenig, den wortspielenden zu; denn wenn in der Ursprache stets der Klang des Zeichens der Nachhall der Sachen war: so steht einige Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles zu erwarten.“267 Und dies nun gibt er als den „wahren Reiz des Wortspiels“ aus. Jean Paul scheint die reglementierende Versicherung der Verkupplungen des Wort-Witzes ins Terrain der res verlegen 265 Felman, Le scandale du corps parlant, 160, vgl. 198; dies kennzeichnet jedes performative als Exzess, so Felmans Austin-Lektüre. 266 Das macht den „scandale“ des Witzes (Felman, Le scandale, 206, 213). Dieser Exzess äußert sich Freuds Theorie des Witzes zufolge im Lachen (vgl. Felman, 174, 171; S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80-87); s.u. in V. 267 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. Die Bindung „an die Sache“, „Ähnlichkeit mit der Natur“ weise, so auch Böckmann, die „Berechtigung“ ingeniös „gesteigerte[r] Redeweise“ aus und unterscheidet diese vom Witz als „ein Spiel, ein Scherz“ (Böckmann, Formgeschichte der deutschen Dichtung, Bd. 1, 475f., 498); „Scherz“ macht Witz und Spiel (noch) belangloser, vgl. Hecken, Witz als Metapher, 85-112, insb. 86-93; den Übergang von Spiel, Scherz, Witz fasst Freud als Psychogenese (Der Witz, 122ff).

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zu wollen: „Ein Wortspiel ist [nur, wird nahegelegt] da erlaubt, wie ich glaube, wo es sich mit dem Sach-Witz gattet und die Schar der Ähnlichkeiten verstärken hilft – oder wo überhaupt der Witz strömt mit seiner Goldauflösung.“268 Was in der Schwebe bleibt, wo die Motiviertheit der Zu-Fälle der Sprache und des Sprechens „sich halb versteckt und halb bekennt“, skandalös nahegelegt wird und mit der Verblüffung zergeht, scheint Jean Paul hier nicht (aus)halten zu wollen.269 Als ‚Sich-Gatten‘ ist hier die Kopulation des NichtSinns (der Wörter) mit dem Sinn (der „Sachen“) angesprochen. Wo der Zufall der Fügung die „Ähnlichkeit der Sachen“ nicht nur „erwarten“ lässt,270 sondern diese als solche resultathaft festhalten würde, wäre der Zufall, der den Sinn des Wortspiels zuträgt, in der Wahrheit, die sich zeige, transzendiert. Jean Pauls Postulat aber ist sprachlich, und zwar bereits grammatisch, unentschiedener: Sind die Witze der Buchstaben und Klänge eine ‚Stärkung‘ vorgegebener sachlicher Ähnlichkeiten oder aber „verstärken“ sie vielmehr nur quantitativ, vermehren also (bloß) die „Schar“ von allen möglichen Ähnlichkeiten? Entspräche diese Schar den „geheime[n] Ordensverbindungen“ der Worte, die, so Friedrich Schlegel in „Über die Unverständlichkeit“ (1800), „sich selbst […] besser verstehen“, oder gehören die Ähnlichkeiten zu den so ‚scharenhaften‘ wie zufälligen Verknüpfungen, die keine Intention kontrolliert – die „wie eine Schar zu früh entsprungener Geister“ „alles verwirren“?271 Handelt es sich bei den Ähnlichkeiten in der Sache um eine letztendlich sichernd in Anspruch genommene Einlösung wie die durchs Gold, das alle Substitutionen garantierte? – wo die Inflationen der witzigen Verknüpfungen und Ersetzungen durch den Witz als „Wechsler, der viele

268 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194f. 269 Darin, bez. des „sogenannten Gehalt[s]“ „schwankt“ Jean Paul, so Vischer, der gegen Jean Pauls Diktum, wo „die Worte nichts bedeuten, so ist auch an dem Witz gar nichts“, auf „freie“„schweifende“ Witze verweist (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 460f., 46264), die nichts und niemanden treffen, wie „das Kräwinklerblatt, wo ein Mädchen am Klavier und sonst niemand zu sehen ist, unten aber steht: wie der Schulmeister von Krähwinkel aus Entzücken über das schöne Spiel seiner Tochter ganz weg ist“ (463). 270 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 271 F. Schlegel „wollte zeigen, daß die Worte sich selbst oft besser verstehen, als diejenigen von denen sie gebraucht werden“: „aufmerksam darauf machen, daß es unter den philosophischen Worten, die oft […] wie eine Schar zu früh entsprungener Geister alles verwirren und die unsichtbare Gewalt des Weltgeistes auch an dem ausüben, der sie nicht anerkennen will, geheime Ordensverbindungen geben muß“ („Über die Unverständlichkeit“ (zuerst in Athenaeum, 3. Bd. 2. Stück, Berlin 1800, Nr. VIII, 335-52, hier 335f.), zit. nach KFSA II, 363f.); de Man akzentuiert: „Words have a way of saying things which are not at all what you [want] them to say“ („The Concept of Irony“, 181).

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und vielerlei Münzen im Vorrathe hat“,272 deren Wert bedrohen oder vielmehr aufs Spiel setzen?273 Die Unkalkulierbarkeit der Effekte von ZeichenOperationen, die das hermeneutische mit dem ökonomischen Problem des Werts verknüpft,274 sollte, so das Phantasma um 1800, hintergehbar sein in die „Objektivität des Goldes“, wie F. Schlegel diesen Traum zitiert. Gold, das der Münze den inskribierten Wert material zu decken schien, sollte die universelle ‚Verständlichkeit‘, die referentielle Gewißheit der Geld-Zeichen (auch noch der papierenen Scheine)275 jenseits von deren nach-babelischer Multiplizität, jenseits von ihren wechselhaften jeweiligen Tausch- oder Wechselrelationen sichern; F. Schlegel zufolge: Bei den Chinesen, dachte ich, bei den Engländern, bei den Russen, auf der Insel Japan, bei den Einwohnern von Fetz und Marokko, ja sogar bei den Kosaken, Tscheremissen, Baschkiren und Mulatten, kurz überall wo es nur einige Bildung und Aufklärung gibt, ist das Silber, das Gold verständlich und durch das Gold alles übrige.276

Die Gewissheit der Relationen scheint Jean Paul mit der Entsprechung von außen und innen für die Metaphern vorzugeben: 272 Derart unterscheidet Jean Paul den Witz vom Verstand, der als „Oekonom, dessen Vermögen in liegenden Gründen besteht“ (Jean Paul, „Selbstrechtfertigung“, Grönländische Prozesse, SW II.1, 477f.; HKA I.1, 108f.) das ältere Modell bedient; im Englischen der landed gentleman, dem gegenüber im 18. Jh. der merchant erst ‚moralisch‘ gerechtfertigt werden musste. Die Metapher zitiert Jean Paul auch zur Motiviertheit von Namen (in Romanen), die ein „Gründchen“ von den Buchstaben beziehen (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 270). 273 „[H]ätten die Alten so viel Witz besessen als wir Neuern sämtlich, sie hätten sich mit der Spielmarke des Wortspieles schwerlich bezahlt.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192; vgl. SW I.1, 913). 274 Unter dem Titel des Quintilian’schen Diktums: „verba valent sicut nummi“, Worte, die wie Münzen gelten (Inst. orat., I 6,3 (1. Teil, 89)), lief eine Diskussion im 18. Jh., vgl. Pittrof „Werteerfahrung mit Geld im Literatursystem“, 120; zur Metapher vgl. Weinrich, „Münze und Wort“; zur Modellierung Saussures, vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 229-39. 275 Die Illusion, das gemünzte Metall sei „ein gedeckter Wert an sich“, wird verlängert in die, dass das Papiergeld jederzeit und vollständig konvertierbar sei (Hörisch, Gott, Geld, Medien, 81ff.; vgl. Tscholl, Krumme Geschäfte, 151ff., 164f., 176ff.). 276 F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 365; zur Objektivität des Goldes, dem Gold als (Metapher einer) „reelle[n] Sprache“ (ohne Worte, 364f.), zu Wort und Geld in Schlegels Text vgl. die präzise Analyse in Bezug auf Prä- und Subtexte von E. Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 188-98, 203ff., 207-17. Den frühneuzeitlichen Traum von der reellen als der Universal-Sprache: Leibniz’ Programm der characteristica universalis (zu konstituierende Elemente, die die eineindeutige Zuordnung von Zeichen und Ideen begründen, vgl. Kap. I.5), spiele Jean Paul in „Versatzstücke[n] Leibnizscher Sprache“ „absichtsvoll deplaziert“, „nahezu allein in satirischer Absicht“ an (Schmitz-Emans, Schnupftuchsknoten oder Sternbild, 40f., 53).

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln Wie das Innere unseres Leibes das Innerste unsers geistigen Innern, Zorn und Liebe, nachbildet, und die Leidenschaften Krankheiten werden, so spiegelt das körperliche Äußere das geistige. Kein Volk schüttelt den Kopf zum Ja. Die Metaphern aller Völker (diese Sprachmenschwerdungen der Natur) gleichen sich und keines nennt den Irrtum Licht und die Wahrheit Finsternis.277

Jean Paul scheint (hier) die Metapher als ‚inneren‘ Zusammenhang und Übergang von innen und außen ‚ursprünglich‘ nicht als (arbiträre) ZeichenOperation verstanden wissen zu wollen.278 Aber kann mit der Metapher die Ungewißheit der Referenz der Zeichen hintergangen werden? Das ist zweifelhaft: Wenn ich vol Liebe meine Arme um die geliebte Gestalt herumlege: ist denn da zwischen diesem Zeichen und der bezeichneten Sache die mindeste Aehnlichkeit, da oft der Grol eben so gut umfasset, um zu erwürgen? – Könte das Schütteln des Kopfes, das bei allen Völkern N e i n bedeutet, nicht eben so gut ein J a anzeigen?279

Oder mit einer Digression Jean Pauls bez. des Ehebundes als Kontrakt: daß der Staat die Ehen einsetze, um die Eheleute zu trennen, […] daher gibt man sich beim Altare die Hände zum Zeichen des Streits, wie in England die Leute sie erst einander schütteln, ehe sie sich nachher damit boxen; und das Umarmen ist vielleicht aus Italien entlehnt, wo die Umarmung der Duellanten unter 200 Bedingungen gehört, unter denen sie sich schlagen dürfen.280

277 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182f. 278 Die „Zufälligkeit der Zeichen“ werde „empirisch eingeschränkt“ (Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 14); dgg. Wölfel, „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendlich nachhallt‘“, (JJPG 1, 1966) 35ff., 46ff.; (Neuabdr. 1989) 279f., 283ff., 296f.; Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“, 29. 279 So gibt Jean Paul in einem Brief (an Emanuel Osmund, 15.-23. April 1795) zu bedenken: „[W]ir müssen, wenn unser edles Ich seine Flügel aufschlägt, diese innere Bewegung, durch eine äussere unsers Gehäuses offenbaren. Wie? ist denn z.B. die geringste Aehnlichkeit, das geringste Verhältnis zwischen dem Druk der Hand oder der Lippe und zwischen dem liebenden heißen Gefühle, das mit jenem Druk schmerzhaft-süs aus seinem Kerker an den andern Leibes-Kerker der geliebten Seele klopft?“ (HKA III.2, 78). 280 Jean Paul, Biographische Belustigungen, zit. nach Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 275. Wie lesen wir dann die Behauptung, der Genius „vermählt […] das unbehülfliche Leben mit dem ätherischen Sinn“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 67)? Kleist hält gegen alle „Vorschriften für Mienen und Gebärden und Worten und Handlungen“ den „Goldklang“ des Herzens, „der spricht es selbst aus, daß er echt ist“ (KSW II, 661). „Goldklang“ als „mögliche Methode der Goldprüfung“ „kann den Zweifel, ob es sich um wahres Gold handelt, beheben“: als ein „Aussprechen“, das selbst „die Prüfung des Ausgespochenen gewesen“, als „Fiktion einer Sprache“, die bezeugt, „daß Wahrheit offenbart“ werde

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Wo F. Schlegel das reaktionäre Phantasma der Golddeckung der Geld-Zeichen in Anspruch zu nehmen scheint, gibt er es in dessen exzessiver Realisierung in einer Art Midas-Fiktion preis, die das Gold ubiquitär entwerten würde.281 Die ‚Fülle‘ des Goldes ‚selbst‘ ist ambigue. Die vermeintlich substantielle Deckung der Zeichen, die auch als die der papierenen Scheine berufen wurde, ist das Versprechen konvertierbar zu sein, jederzeit und überall (wofür aber GarantieInstanzen einstehen müssen, auf die Siegel und Unterschrift verweisen).282 Wert eignet Gold nicht als Substanz, sondern allein im Tausch, in der Relation von Signifikanten;283 es ist ein ‚relatives Maß‘,284 selbst Kurswertdifferenzen und -schwankungen ausgesetzt, ‚selbst‘ gar nicht es selbst, sondern je schon potentiell inflationär entwertet, ‚unverständliches‘ Zeichen.285 Zum Inbegriff eines substantiellen Wertes macht es die fetischisierende metaleptische

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(Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 121f.); aber Münzen wie Worte werden gewechselt, und „was eben noch ‚Münze‘ war, ist plötzlich als ‚Wort‘ im Umlauf“ (122, vgl. 122-25). F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 365; mit Bezug auf Christoph Girtanner und Adam Smith sowie Christian Garves Vorwort zu dessen Übers, vgl. E. Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 203ff., 207-17, 197ff. Die Midas-Anspielung Jean Pauls – „von einem schlechten Buche läst sich ein guter Gebrauch machen, aus schmutzigen Lumpen verfertigt man schönes weißes Papier und wer weis nicht, daß der Fluß Paktolus sein Gold dem Bade des langöhrigen Midas verdankt?“ („Selbstrechtfertigung“ der Grönländischen Prozesse, SW II.1, 477f.; HKA I.1, 108f.) – macht die Rede vom ‚guten Gebrauch‘ fragwürdig. Die Illusion der Deckung der Geld-Zeichen, die auf das Papiergeld ausgedehnt wird, war die ihrer jederzeitigen und vollständigen Konvertierbarkeit, die staatliche Instanzen garantieren wollte, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 313-17, 319. Pierre de Ronsards „Hymne de l’Or, À Jean Dorat“ (Les Hymnes II, 580-94) gil dem Signifikanten-Spiel mit dem Namen „Dorat“, lat. Auratus, d’Aurat (eigentlich Jean Dinemandi 1508-88, eines der Mitglieder des Dichterbundes La Pléiade um Ronsard und Du Bellay), der motiviert und signifikant auseinandergelesen wird. Das belegt bereits die Doppelung von Gold- und Silbermünzen (KFSA II, 365); vgl. zu Smith (1790 ins Deutsche übersetzt), Intertext von F.  Schlegels „Unverständlichkeit“, E. Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 195-98. Wenn der „Gold“-Art. in Krünitz’ Oeconomische Encyclopädie (Bd. 19 (1780), 274-459) vom „Werth“ des Goldes“ redet, dann von dessen Tausch-Relation(en) zum Silber (392f.). Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 122ff.; die Inflation des Goldes entwertet das Material von Kronen und Geld, vgl. Shell, Money, Language, and Thought, 101; vgl. Schuhmacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 206, 208. In Zolas Roman L’Argent (der doch ein Maß der Transaktionen, das nicht überzogen werden dürfe, berufen will) gibt der Beginn des dritten Kapitels eine allein akustisch präsente Szene für die Relativität des Werts des Goldes: aus den minimalen Differenzen in Wechselprozessen zwischen Gold-Währungen sind Arbitragen zu ziehen, niedrig im Kurs stehendes Münzgeld wird aufgekauft, eingeschmolzen und in andere Länder verkauft, in denen Gold gerade höher im Kurs steht. Jean Paul zufolge: „So wie es kein absolutes Zeichen gibt – denn jedes ist auch eine Sache –, so gibt es im Endlichen keine absolute Sache, sondern jede bedeutet und bezeichnet“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 183).

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Verwechslung, die von der Wirkung auf den Ursprung rückschließt; es fungiert, wie Adorno formuliert, als der „Fetisch der Suprematie des Ursprungs übers Abgeleitete“,286 das sein Wert aber ist. Wo Jean Paul das Wortspiel, es begrenzend, rechtfertigend auf das Gold als Sicherung der Referenz der Zeichen und des Sinns der Worte, eine letzte Deckung für die ausgegebenen, als bloße Zeichen inflationären Währungen, zu rekurrieren scheint, da ist das Gold (auch als Wort) schon substituiert, „ein Wort für das andere ausgegeben“:287 Ein Wortspiel ist da erlaubt […], wo es sich mit dem Sach-Witz gattet […] – oder wo überhaupt der Witz strömt mit seiner Goldauflösung und dieses Rauschgold zufällig darauf schwimmt – oder wo aus dem Windei des Wortspiels ganze Sätze kriechen […] – oder auch wenn das Wortspiel philologisch wird, z.B. wenn ich hier Schellings Ur-Sprung des Endlichen übersetze in Salto mortale oder auch immortale – oder wenn es, wie eine Zweideutigkeit, so natürlich entfließet und sich einwebet, daß gar niemand behaupten kann, es sei da.288

Es fungiert auch nicht als Metapher, als der Umwege und Translationen eigentliche ‚Verankerung‘ oder Gründung,289 sondern ist schon in (in sich) forttreibende metonymische Verschiebungen geführt, die Jean Pauls Schreiben ausmachen. Mag bei einer witzigen Goldauflösung,290 die ‚übertragen‘ – bei Jean Paul – auch das Medium der Übertragungen, in denen der Geist sich 286 „Wie das Gold […] wird die von seinem Feingehalt abstrahierte Echtheit zum Fetisch. Beide werden sie behandelt, als wären sie das Substrat, das doch in Wahrheit ein gesellschaftliches Verhältnis ist, während Gold und Echtheit gerade nur in Fungibilität die Vergleichbarkeit der Sachen ausdrücken.“ (Adorno, „Goldprobe“, in: ders., Minima Moralia, 206); vgl. Marx, Das Kapital I, 79-88, 98f.; Vogl, „Was für einen Roman erzählt die Börse“, 252f.; Mein, „Ligaturen: Freud und Marx“, 41-44. 287 Weidmann (in seiner Kleist-Lektüre): „Unversehens wird ein Wort für das andere ausgegeben, was eben noch ‚Münze‘ war, ist plötzlich als ‚Wort‘ im Umlauf und wird zu gleichem Wert gehandelt, wie ein unechtes Geldstück für ein echtes ausgegeben werden kann“ (Kleist – Glück und Aufbegehren, 122, vgl. 122-25). 288 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194f. 289 Dabei hat auch die Metapher als Effekt metonymischer Verschiebungen keine Verankerung (Derrida, „Die weiße Mythologie“, 262f.). 290 D.i. „‚lösung, die gold enthält: goldblättchen in […] salzsäure […] bilden eine goldauflösung‘ allg. dtsche biblio. 94, 480“ (DW Bd. 8 (= Bd. 4, Abt. I, Teil 5) Sp. 714). Das Goethe-Wörterbuch verbucht Goldauflösung mit dem Syn Goldsolution als „goldhaltige chem Lösung; iZshg mit Untersuchungen zu den Farben der Metalle“: „Gelb. Sieht wie G.  im  Königswasser aus“ (Goethes Werke, Abt. 2: Naturwissenschaftliche Schriften [1]: Paralipomena zu Bd. 1-5, 114-18); vgl. Krünitz, Oeconomische Encyclopaedie, Bd. 19, 360-63; für die komplexe Herstellung einer Lösung vgl. von Leuchtenberg, „Beiträge zur galvanischen Vergoldung“, Sp. 179.

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manifestiere, bedeuten kann,291 der metaphorische gelöste Goldgehalt glaubhaft sein292 (die von Jean Paul so gern konsultierte Krünitz’sche Oeconomische Encyclopaedie führt in ihrem „Gold“-Art. Goldauflösung allerdings als Sache der „Charlatane“, da or potable „keine Kraft von dem Golde“ habe).293 So ist jedoch „Rauschgold“ keinesfalls goldhaltig und war es nie; denn dieses, rauschgold, flittergold, knistergold oder „knittergold“ ist – so goldfarben294 es immer sein mag – ‚uneigentlich‘ „Gold“: „aus messing geschlagen“, wie bei Grimms und Krünitz nachzulesen ist;295 „Clincant, Rausch=Gold, Flitter=Gold“ „wird aus Messing verfertigt, welches zu dünnen Blättern, wie Papier geschlagen“, ist im Zedler nachzuschlagen.296 Wenn das Rauschgold der Goldauflösung die goldene Ansicht gibt, so steht dieses „zufällig“ „darauf schwimm[end]“ zu jener doch nur in metonymischer Relation, als ein Oberflächen-Phänomen – für und statt des ‚Sich-Gattens‘ von Wort- mit Sach-Relation – ‚getragen‘ durch die (allein) wörtlich plausible ‚Strömung‘ der flüssigen Auflösung.297 Die referentielle 291 Dies belegt das Deutsche Wörterbuch (DW Bd. 8, Sp. 714) mit: „übertragen: nervensaft […], die goldauflösung unsrer reichhaltigsten ideen und der geist unsers geistes“ (zit. ist Jean Paul, Hesperus, SW I.1, 558). 292 Fischarts „goldhaltiger Strom verdiente die Goldwäsche der Sprach- und Sittenforscher“, so Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 143; das wilde Beispiel aus dessen Geschichtsklitterung (1590) lässt ganz rätselhaft, welche „Goldkörner“ dort zu waschen wären (SW I.4, 101); vgl. die ausführliche Gold-Metaphorik für die Schrift, etwa in Leben Fibels: „durch das güldene Abc des Testaments war das bleierne des Buches zu kaufen und zu setzen“ (SW I.6, 444; vgl. die Goldlettern auf Silbertafeln bei Schlegel „Über die Unverständlichkeit“, 365). Der Goldgehalt der „Normal-Goldauflösung“ ist anzugeben: „Wenn die geschmolzene Masse ausgesüsst wird, so löst sich das schwefelsaure Kali auf, und in dem Rückstande bleibt genau 1 gramm Gold nach, folglich ist das Verhältniss zwischen Gold und dem Salze, das bei der Behandlung durch Schwefelsäure [] erhalten wird, wie 1: 6,37“ (von Leuchtenberg, „Beiträge zur galvanischen Vergoldung“, Sp. 179). 293 Krünitz, Oeconomische Encyclopaedie, Bd.  19, 364-67; Jean Paul übersetzt das „aurum potabile“ über das „Schöpfrad“ der Regenten ins „Glücksrad“ (SW II.2, 357ff.). 294 Auch dies eine Bedeutung von „Gold“, golden: die „goldglänzende[] und goldgelbe[] farbe“ (DW Bd. 8, Sp. 703f.); zu dieser figürlichen Rede in Lockes Essay Concerning Human Understanding (III, IX 85), der die übertragenen Reden doch aus philosophischer Rede ausschließen will, vgl. de Man, „Epistemologie der Metapher“, 420ff. 295 DW Bd. 14, Sp. 314; für die „bildliche“ Bedeutung mit Belegen aus Jean Pauls Leben des Quintus Fixlein u. Siebenkäs vgl. „Bleiglanz“ und „Katzensilber“ als (Kabinettstück-)Überschriften der Flegeljahre (vgl. Lohmann, Jean Pauls „Flegeljahre“, 17ff., 26); „in uneigentlichem Verstande nennt man Gold“ u.a. „Flittergold, […] Knistergold, […] Rauschgold“, für das Krünitz (Oeconomische Encyclopaedie, Bd. 19, 456) an den Messing-Art. weiterverweist. 296 Art. „Clincant, Rausch=Gold, Flitter=Gold“ in: Zedler, Grosses Vollständiges UniversalLexikon, Bd. 6, Sp. 424f. 297 Die Vorstellung eines Strömenden wird durch die „Goldauflösung“ als mehr oder auch weniger flüssiges Tiegelphänomen nicht eingelöst; man nehme „[b]ekanntlich […] einen Theil Gold, löst es in Königswasser auf, dampft die Auflösung bis zur Trockene ab,

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Gewissheit, die Gold den, in dieses (jederzeit, überall, vollständig) konvertierbaren, Zeichen geben sollte, das für die begrenzende Bindung des Wortspiels an die Sachen schien einstehen zu sollen, ist drangegeben an Relationen von Worten, die erst deren Stellen-Wert geben:298 in ihrem Gebrauch und Umlauf, der sie vom (vermeintlichen) Referenten löst, Verkettungen von Signifikanten, die Zusammenhänge erzeugen,299 die so insubstantiell sein können wie der von „Gold“ und „Rauschgold“ – oder als der von „Windei“ und dem, was aus diesem ‚krieche‘. Wohin treibt es (und sich) Jean Pauls Satz? Das den Wortwitz vermeintlich normierende Postulat ist fortgeschrieben in einer Kette nicht-unter-scheidend „– oder“ fortsetzender Anhängsel, hopsend von „–“ zu „–“, zum „Windei des Wortspiels“ – und darüber hinaus. Aus diesem mögen wohl „ganze Sätze kriechen“, aber als „ohne conception entstandenes“ unfruchtbares Ei dementiert es für diese Produktivität das Modell einer ‚generatio‘ oder Zeugung,300 die das, was da herauskriechen mag, als Eigenes aus- und diesem einen eigentlichen Halt gäbe. Das Wortspiel wie und als ein Windei wäre, in dessen (Grimms Deutsches Wörterbuch zufolge) „bildlichen“ Bedeutung, „werthlose, auf täuschung durch den schein berechnete sache“, übergiesst die trockene Masse mit einer Lösung von 1 Theil kaustischem Kali in Wasser, und zu der so gebildeten Fällung von Goldoxyd (gemischt mit einer Auflösung von ChlorKalium) giesst man eine Auflösung von 21/2 Theilen Cyan-Kalium und 1 Theile kaustischen Kali in Wasser; darauf wird die Flüssigkeit, nachdem sie etwas erwärmt worden ist, filtrirt“ usw. (von Leuchtenberg, „Beiträge zur galvanischen Vergoldung“, Sp. 179). 298 Zum allein relationalen Wert von Münzen und Worten, deren negativ differentieller Bestimmtheit, vgl. de Saussure, Cours de Linguistique Generale, 155-65/Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 132-45; Derrida, „Die weiße Mythologie“, 229-39. Dieser wird im ‚Tausch‘ oder Umlauf realisiert, entgegen der Saussurschen Scheidung von Struktur oder Code und Gebrauch, vgl. Derrida, Culler, S. Weber usw. und zu den Anagrammen im Folgenden. 299 „Die Richtigkeit eines Gleichnisses gründet sich auf die Richtigkeit seiner Ähnlichkeit. Wie unvermeidlich aber ist die Täuschung, das in der Hitze der Arbeit für ähnlich zu halten, was erst durch Zwischenideen, die man beim Leser unrichtig voraussezt, ähnlich wird?“ (Jean Paul, Grönländische Prozesse, II.1, 475.) Die „Zwischenideen“ werden hier wörtlich ‚produktiv‘, d.i. aufschiebend, störend. 300 Das Sich-Gatten (von Wort- und Sachwitz), ‚Zusammenpassen‘, ‚-fügen‘ oder ‚-gehören‘ (DW Bd.  4, Sp.  1499f., Sp.  1496) ist als ‚paaren‘ von „mann und weib“, „männchen und weibchen“: congregari ad generandum (Sp. 1501), hier demnach in eine verfehlte Zeugung geführt. So auch, wenn „Wörter [in philosophischen Systemen] nicht einmal Schattenbilder […] sondern Schnupftuchsknoten der Erinnerung [seien], die nichts malen – und nicht einmal das, denn alles sinnliche ist malend, weil alles ähnlich und verbunden ist – kurz es komt dabei eine 3fache hin= und herspielende hexende a) Sub= b) Inkuben= und c) Menschen=Ehe zwischen a) leeren, b) vollen Zeichen und c) zwischen dem Gegenstande heraus“ (Jean Paul, HKA III.3, 253).

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das leere Versprechen „von hohlen geisteserzeugnissen […], von aussichtslosen plänen, von lügnerischen behauptungen, von selbsttäuschungen“301 oder eben „geldprojecten“.302 Geld (wie die Signifikanten) nie bloß unbeteiligtes Tauschmedium,303 fungiert nie als es selbst, wuchert im ‚Gebrauch‘,304 im Umlauf, das es ausmacht, in der Ausgabe, der es vom unterstellten Referenten löst, so dass es in einer ‚widernatürlichen‘ Zeugung, so Aristoteles, mehr Geld ‚hecken‘ könne.305 Es ist untrennbar von „geldprojecten“, vom Versprechen auf die Zukunft, das es ist.306 Sie werden windig geheißen: von flare, wie Inflationen,307

301 DW Bd.  30, Sp.  278; vgl. Jean Paul, Titan, SW I.3, 62, und pejorativ über F.  Schlegels „windeierhafte[] Poetik“ (Brief an Otto vom 15. August 1798, zit. nach Wiethölter, Witzige Illumination, 36). 302 Schummel (1779) zit. in DW Bd. 30, Sp. 278f. 303 Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, (gegen die Fiktionen von Smith) 246f.; es ist „weder Zeichen für Reichtum noch Maßstab des Tausches“ (250f.), sondern realisiert einen solchen allein im Tausch, selbstreferentiell (vgl. 261). Wie jedes Medium (264ff.) interveniert es in das Mediatisierte; es stört (vgl. Tscholl, Krumme Geschäfte, 153). 304 Gebrauch, usage ist nicht nur, mit einem Zug der Geld-Wort-Metaphorik, usure: Abnutzung der Prägung, die vermeintlich den Wert und dessen Garantie mitteilt (Derrida, „Die weiße Mythologie“, 205), sondern use/usury ist vielmehr im Gebrauch: Umlauf, Einsatz: ‚Wucher‘ auf die Zukunft (vgl. 229-39). 305 Die Zeugung von Geld (Zins = tokos) aus Geld (tokos) ist Aristoteles zufolge, was „am meisten gegen die Natur“ geht (Politik, 1. Buch: 10, 63). Aristoteles setzte die Chrestomathie, der es ums Geld geht und die daher keine innere Grenze des Reichtums kenne, gegen die oikonomie, die ihre Grenze an den Bedürfnissen des „ganzen Hauses“ habe (1. Buch: 8, 9); vgl. Marx, Kapital  I, 167, 169f. Zur Unhaltbarkeit dieser hochwirksamen Unterscheidung, der vermeintlich natürlichen Grenzen, der „inneren Schranken“ der Bedürfnisse des oikos, vgl. Vogl, Das Gespenst des Kapitals, 28f.; ders., Kalkül und Leidenschaft, 251; Franklin („Advice to a Young Tradesman“, 1748) dgg. bot für den erstaunlichen Vorgang des Geld-‚Heckens‘ als Beispiel die natürliche Zeugung (durch das nicht verspeiste Huhn) von (immer mehr) Hühnchen (vgl. S. Weber, Geld ist Zeit, 9-23). Marx zufolge ist „geldheckendes Geld“ Kapital (Kapital I, 170). 306 Das Versprechen, das Geld ist, statt auf ein Substrat zu verweisen, statt Zeichen eines Referenten zu sein, wird insbesondere dem Papiergeld abgelesen, das Bank- oder Kreditgeld, das zunehmend „als Zahlungsmittel das umlaufende Metallgeld“ ersetzt, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 250ff., 318f., 322-29; Hamacher, „Faust, Geld“, 174ff., zur Lösung der Metapher wie des Papiergeldes von der referentiellen Verpflichtung, vgl. 171, 173. 307 Als Metapher vor allem für das Papiergeld, Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 274ff., 317ff; „flying money“ hießen Wechselbriefe und Papiergeld (Shell, Money, Language, and Thought, 99, 101ff.). Diese Metaphorik kann mitgelesen werden, wenn es Gottsched mit „französiche Windmacherei“ Bouhours zurückgibt, der den Deutschen keinen esprit zutrauen mochte (zit. nach Best, Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip, 35), und Lessing gegen Martials ‚falschen Witz‘: „seine müßigen Finger spielen und kaum ist das Spielwerk fertig, so bläset er es aus der Hand“ (zit. nach Best, 48).

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Geblähtes,308 nichts als Luft oder Blasen.309 Die „windbeutellei“, „geflunker, schlaue redegewandtheit, […] phantasiegebilde, schwindel, lüge“310 des WindBeutels, wie der „überspannte[] projectenmacher“ im 18. Jahrhundert heißen konnte,311 lässt das potentielle Platzen der ‚Projecte‘, die sich als windig, gebläht erweisen mögen, den Knall312 mithören, mit dem das zu geschehen pflegt, der sich mitteilt.313 Die vermeintliche substantielle Sicherung, die das Gold für Geld und Wortspiele schien vorstellen zu sollen, ist in all den weiter, parataktisch „– oder“ „– oder“ „– oder“ sich hinzufügenden Satzbestandteilen ins Windige, Flüchtige – und darüber hinaus – verschoben. In den Anfügungen von Metaphern an Metaphern sind diese nicht sistiert, verankert, begrenzend abgeschlossen,314 im (stets erneuten) Aufschub ihrer feststellenden Realisierung 308 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 133, 135. 309 Die erste ökonomische ‚Blase‘, die so hieß, war die South Sea Bubble, 1720 (vgl. Ingrassia, „Money and Sexuality in the Enlightenment“, 93-96). 310 DW Bd. 30, Sp. 270f. 311 Der „windbeutel“, „lügner, […] prahler, […] aufschneider, […] leerer schwätzer, hohler kopf, […] überspannter projectenmacher“, erst im 18. Jh. in Bezug auf Menschen nachweisbar (DW Bd. 30, Sp. 269f.). 312 Die „Goldauflösung“ wird chemisch reduziert „Knallgold“ oder „Platzgold“ (Goldoxydammoniak), das schon „bey geringer Erhitzung […] mit einer gewaltigen Explosion und einem heftigen Knalle“ „in die Luft fliegt“, „zerplatzt“ oder „verpufft“ (Art. „Knall=Gold“, in: Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, Bd. 41, 173; „Platzgold“, „Knallgold“ auch in Art. „Gold“, Bd.  19, 364; vgl. Art. „Knallgold, Platzgold“, Gehler, Physikalisches Wörterbuch, Bd. 2, 771f.). Jean Paul kennt auch das: „Mattgold, Katzengold und Platzgold“ „zugleich“: „Eine elendere Mixtur gibt es nicht.“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 25). 313 Dass es sich um eine ‚Blase‘ handelte, erweist der crash; und das ist keineswegs nichts, wie die Redeweisen vom „lügner“ oder „leere[n] schwätzer“ nahelegen würden. Der Erzähler in Kleists „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“ will mit seinen Geschichten nicht ein „Windbeutel“ geheißen werden; wenn er sie doch erzählt, so haben sie Effekt: machen die Zuhörer baff, wie/als die Explosionen, von denen als verpassten („jetzt“, „jetzt“) erzählt wird (BA II, 42, 46). 314 Jeweils wird mit dem „Kontext“ gebrochen; es gibt nur „Kontexte ohne absolutes Verankerungszentrum“ (Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 339). Der „bildliche Witz“ „kann unter dem Vorwande einer Selbstvergleichung ohne Bedenken seine Leuchtkugeln, Glockenspiele, Schönheitswasser, Schnitzwerke, Putztische nach Belieben wechseln in einer Periode“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.); er wäre demnach Kombinationskatachrese (vgl. 297f.). In der Vorschule der Ästhetik ist also nicht beendet, was als ‚Überladung mit Gleichnissen‘ von der Sek.Lit. üblicherweise in den ‚frühen satirischen‘ Texten verortet wird (zur Periodisierung, vgl. Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 237, 243; Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 105ff.; Birus, Vergleichung, 52f., 88; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 276 u.v.a.), dort ‚gerechtfertigt‘ wird: „Freilich verführet oft ein Bild zu einem andern, […] und ein Gedanke hült sich in mehrere Ausdrükke, wie Weiber in mehrere Rökke; allein warum sol man auch den

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keine geworden; sie bleiben in der metonymischen Verkettung von Signifikanten disloziert,315 je wieder und weiter ver- und aufgeschoben, werden unvorhersehbar anderswohin geführt worden sein. Im „Weiterreden“ oder -schreiben macht Rüdiger Campe „das Herstellungsmuster des [Jean Paul’schen] Textes“ aus, das „bloße Zeichen“, Signifikanten erzeugt, die „den ‚unverbindlichen‘ Witz (etwa den Wortwitz)“ „organisieren“.316 Jeder Gebrauch von Worten wie Münzen oder Geldscheinen wuchert: use/usury, mit ihnen,317 löst sie vom (vermeintlichen) Referenten: wie (und als) pun, der use/usury im Einsatz (der Wörter und des Geldes) den auf die Zukunft setzenden ‚Wucher‘ lesbar macht, der sie aus der (vermeintlich) einen Relation von Signifikant und Signifikat, damit ihrer supponierten ‚Verständlichkeit‘ als Gewiß­ heit ihrer Referentialität auslöst, und ‚unnatürliche‘, ‚auseinander-werfende‘ Bedeutungs-Supplemente erzeugt.318 Im anderen Metaphernfeld Jean Pauls fortspielend, werden Wörter aus ihrer einen Bindung zu einer „ungeheuren Promiskuität der Worte“ freigesetzt,319 zu unbestimmbar vielen anderen Relationen, in denen ihnen Bedeutungen unabsehbar zukommen mögen. Wörter und Münzen (sowenig wie papierene Scheine) sind nie sie selbst. Sie repräsentieren keinen Wert,320 sondern dokumentieren als „Versprechen“ auf eine „gewisse Wertsubstanz“ deren „Fehlen“,321 nehmen Kredit auf die

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Kamtschadalen gleichen, die von ihren Zwillingen allzeit ein Kind umbringen […].“ (Jean Paul, Grönländische Prozesse, SW II.1, 474f.). Metaphern werden, so Genette, von metonymischen Relationen erzeugt („Métonymie chez Proust“, insb. 42-53; vgl. de Man, „Lesen (Proust)“, 95-100; Derrida, „Die weiße Mythologie“, 262ff.). Lacan bestimmt die Metapher als Sistierung metonymischer Verschiebungen, als Übergang: „Sinn im Unsinn“, den Witz als deren Umkehrung („L’instance de la lettre“, 266/„Das Drängen des Buchstaben“, 33). Dies ist nicht so sehr ein „Sprung, der sich zwischen Sprache und Besprochenem auftut“ (Wiethölter Witzige Illumination, 22f.) als vielmehr ein Geschehen an der Barriere zwischen Signifikanten und Signifikaten (vgl. Kuzniar, „Titanism and Narcissism“, 454, 448, 456f.). Vgl. Campe, „Schreibstunde“, 152, s. Kap. III.1. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 229-39. So wurden puns und Papiergeld um 1800 analogisiert: als Ablösung des Zeichens von der repräsentationellen Funktion, der illusionären substantiellen Deckung der GeldZeichen (vgl. Shell, Money, Language, and Thought, 18f.); punning gab des Papiergelds „linguistic counterpart, since punning makes an unnatural, even a diabolical, supplement of meaning from a sound that is properly attached to only one (if any) meaning“ (22). So Carl Schmitt pejorativ über die Frühromantik, zit. n. E.  Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 206, 208. Vgl. aber Jean Pauls Feier des Witzes als „Gemeinschaft der Ideen […] wie der Weiber“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202, vgl. Kap. III.1). Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 278f., 270, 264 u.ö. Dass sie „nur das Fehlen jenes Gutes, das sie versprechen“, dokumentieren, gilt fürs Münzgeld (dessen substantielle Deckung Illusion ist) ebenso wie die Papierscheine, das (auch) „als Zahlungsmittel“ fungierende Bank- oder Kreditgeld, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft,

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Zukunft.322 Wenn der Witz, wie es hieß, ein „Wechsler, der viele und vielerlei Münzen im Vorrathe hat“, Grund’-los agiert,323 ist der Wechsel mitzulesen, der verschuldend auf die Zukunft gezogen wird, und derart aussetzt an die Ungewissheiten der Transaktionen, der Übertragungen von Wörtern und Geld(-Scheinen) und deren mögliche Inflationen. Statt auf eine vermeintliche Sicherung des Reichtums wie in den memorialen oder topischen Schatzhäusern, die das Angesammelte den Mäusen aussetzen,324 ist es mit Wort- und GeldEinsatz angelegt auf deren Umlauf und Ausgabe, als einen ver- und entleihenden Vorschuss, der auf die Zukunft spekulieren mag.325 Reden zitiert, ist ein entscheidendes Ausgeben, Verschulden (was vermeintlich „ab[zu]tragen“ sei),326 und gibt sich derart je schon an mögliche zukünftige Zitationen (Kredit­ nahmen) preis. Es entzieht zitierend den vermeintlichen Ursprung, das ‚Eigent­ liche‘, Erste, die vermeintliche Sicherung durch Vater- oder Autorschaft327 von

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322, 318f., 327f. Im Geld (als „Zahlungsmittel“) „entspringt“ der „Charakter von Gläubiger oder Schuldner“ durch „zeitliche Trennung“, damit „unmittelbar“ das „Kreditgeld“ (Marx, Kapital I, 149, vgl. 150, 153). Geld steht für die „disrepräsentative Kraft der Zeichen“ (Vogl, 252; vgl. 250ff.) und zwar durch „[d]ie voranlaufende Verpfändung der Zeit“, deren Operator es ist. Jedes Geldstück nimmt/gibt auf Kredit (Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, 106f.), impliziert den Spekulanten. Heine ruft den alten Zusammenhang mit Glauben auf: „die Leute glauben nur an Geld: nur dem gemünzten Metall, den silbern und goldenen Hostien, schreiben Sie eine Wunderkraft zu“ (Romantische Schule, Sämtl. Schr. Bd. 3, 365). Jean Paul, Grönländische Prozesse, SW II.1, 477f.; HKA I.1, 108f.; umgekehrt sei der Verstand „Ökonom in liegenden Gründen“ (ebd.). John Laws (gescheiterte) PapiergeldEinführung bezog wie die Assignate der Französischen Revolution das vermeintlich sichernde Pfand von Grund und Boden, eine Illusion, die platzte (Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 317ff., 320f.; vgl. Shell, Money, Language, and Thought, 100ff., (mit Kant: Grundbesitz als Substanz) 102f., 184f.). Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 324-28; C. Pross, Falschnamenmünzer, 37ff., 24; auch Jean Paul, SW I.1, 556. Marx akzentuiert bez. des Schatzes dessen Potentialität, Geld, das (potentiell) zum „Herr von allem“ mache (Kapital I, 145, 147). Da jede Geld-Gabe und -Nahme aufs Mögliche öffnet (Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, 107), macht sie Spekulanten (120). Es steht „nicht für eine gegebene Wirklichkeit“, sondern „‚repräsentiert‘“ „eine offene Fülle möglicher Wirklichkeiten“ (Tscholl, Krumme Geschäfte, 152). Vgl. Lichtenberg Sudelbücher I, 460 (F 7). Zum Zitieren als Borgen und Leihen, vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 105, 234, 323; zur ‚Autorschaft‘ des Zitationellen, vgl. C. Pross, Falschnamenmünzer, 41-46. Zu den Zitationen: ‚Entleihungen‘ in F. Schlegels „Über die Unverständlichkeit“, vgl. E. Schumacher, Die Ironie des Unverständlichen, 199-205, 213. „Dasselbe Vermögen welches den Jüngling bald zum Vater vaterloser Kinder macht, berechtigt ihn zur Erzeugung anonymer Bücher“ (Jean Paul, SW II.1, 384, vgl. das zit. Witzbeispiel zur Vaterschaft, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 176); vgl. Freud, Der Witz, 66f.

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Wörtern wie Geldzeichen: anderswohin/-woher.328 Das Zitierte wird weder dasselbe geblieben sein, noch zurückerstattet worden sein, noch aber irgend mit Gewißheit ‚Mehrwert‘ eingebracht haben.329 Das Kapital und die Autorität sind nicht sicherbar, da die Anleihe, die Verschuldung, der Kredit zum Zahlungsmittel wird. Bedeutung hat die Struktur des Versprechens, würde, wie Jean Pauls im Satz verschiebend aufgeschobene Metaphernbildung negativ erweist, erst von deren Stillstellung: vom Satzende her zugekommen sein – oder verzehrt sich in ‚unabschließbaren Semiosen‘, verschwendend (selbst),330 in vorübergehenden, einander ablösenden Fortsetzungen und Verschiebungen. Sprach Jean Paul vom ‚erwarten lassen‘,331 so ist das Versprechen, das an Zukünfte verweist, je noch und weiter an Versprechen, andere ungewisse Zukünfte verwiesen,332 ‚vollendet‘ sich „durch Verschwendung“.333 Die (neue) „Ökonomie der umlaufenden Schuld“, der „Verschwendung“, auf die spekuliert werden mag,334 der paradoxen auf künftige Versprechen ‚referierenden‘ Versprechen, imaginiert sich als endlos über eine „offene Zukunft“ verfügende. Sie muß aber den Wert irgendwann (abbrechend) realisieren: als Gewinn oder Verlust335 (und das reale beschränkte Menschen-Leben in

328 Auch wenn die Ausgaben der Schriftsteller „niemals“ erfolgen, „ohne dessen Wiederaneignung“ zu berechnen (Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, 111), und wenn auch auktoriale „eigene Wertschöpfung“ intendiert sein mag, so Krajewski („Zitatzuträger“, 188ff.); so setzt das den durch Banken von gesammelten Daten ‚gewährleisteten‘ „dauerhaften und effektiven Zugriff“ voraus, eine garantierte Steigerbarkeit von Kapital oder Autorität (187-94; ders., ZettelWirtschaft, 177ff., 183, 188-92). 329 Vgl. Marx, „Die Verwandlung von Geld in Kapital“ (Kapital  I, 161-165, 167) in „geldheckendes Geld“ (170); zur ‚Kapitalisierung‘ auch Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, 111. 330 Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 326 (bez. des Mummenschanz in Faust II), 324ff., 327. 331 Von „Ähnlichkeit der Sachen“, so Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193; zum Erwarten, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 325ff. 332 Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 322ff.: Geld ist ‚als solches‘ Kreditgeld, „ein stets uneingelöstes Versprechen auf“ Wertsubstanz, „verwirklicht sich in einer Paradoxie der Selbstreferenz“ der Versprechen, d.i. dessen „voranlaufende Verpfändung der Zeit“; vgl. Derrida, Falschgeld. Zeit geben I, 112f., 107, 120. 333 Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 325 und 326. 334 Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 324ff. Der väterlich-beschränkten Ökonomie des materialen Schatzes und Geizes setzt Balzacs Peau de chagrin die neue der Verschwendung, als Verschuldung an die Zukunft entgegen, als Versprechen, die Kreditgeber als Fiktionen von Zukünften annehmen. Die Ausschweifungen sind Leben als erregender Vorgriff auf kontingente Zukünfte, als solche: Poesie, die nicht nachahmt, sondern hervorbringt, was nicht schon ist (196). 335 Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 340ff., 349, 329; auch der Crash vollzieht sich durch sich verstärkende Selbstreferenzen.

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Anspruch nehmen).336 Das witzige Wuchern in Signifikanten aber, Zitieren als Ausgabe auf Kredit: unberechenbar und ohne Limitation, kann ein unkalkulierbar zukünftiges alles Mögliche erzeugen, verzehrt (sich) und wird zu keiner ‚Wertsubstanz‘ geworden sein.337 Auch in dem Falle, „wo aus dem Windei des Wortspiels ganze Sätze kriechen“, in diesem wäre es (vergessen wir den Satzanfang nicht) „erlaubt“, ist nichts ‚Eigentliches‘ und ‚Eigenes‘, nichts durch Substanz oder Genealogie Gesichertes gewonnen: „das vortreffliche von Lichtenberg gegen Voß: to bäh (be), or not to bäh, that is the question338 – oder auch wenn das Wortspiel philologisch wird, z.B. wenn ich hier Schellings Ur-Sprung des Endlichen übersetze in Salto mortale oder auch immortale – oder wenn es, wie eine Zweideutigkeit, so natürlich entfließet und sich einwebet, daß gar niemand behaupten kann, es sei da“.339 Das „philologisch“-Werden des Wortspiels wird mit der prominenten „Ur-Sprungs“-Zitation als Etymologie ausgelegt,340 die Jean Paul ‚wie eine romantische‘ durch „Auflösung der Komposita in ihre Bestandteile“ vollzieht.341 „Etymologie“, die doch auch die „Suprematie des 336 Dies führt Balzacs Peau de chagrin allegorisch aus: mit des Lebens Grenzlinie des Todes für die Verschuldung an die Zukunft, die die Gegenwart tilgt; zum „Auslöschen des gelebten Lebens“, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 341ff., 325, 329. 337 Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 326-29, zur Nähe von Kredit und Poiesis, 344-49. Verschuldung ist Überfluss (über das Gegebene), Ausschweifung, Poesie (vgl. Balzac, Peau de chagrin, 196). Mumford kennzeichnet Wörterproduktion als „erste wirkliche Ökonomie des Überflusses“: „Anders als bei irgendeinem historischen ökonomischen System kann die Nachfrage nach Wörtern begrenzt sein, ohne das Angebot zu stören; die Kapitalreserven (der Wortschatz) können größer werden und die Produktionskapazität (Rede, Literatur, allgemeine Bedeutungen) kann weiter zunehmen, ohne jede kollektive Verpflichtung, den Überschuß zu konsumieren.“ (Mythos der Maschine, 118). Die „poetischen Zeichen“ sind, so Vogl, zu Beginn des 19. Jh. „intransitiv, verzehrend und selbstverzehrend geworden“ (329, 327, 331ff.), ein Werden ohne Abschluß (349). 338 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195. Die Voß’schen (Überlegungen zu seinen) Übersetzungen aus dem Griechischen werden als Schafs-Bäh gehört, indem Shakespeare (den zu Beginn des 18. Jh. Dr. Johnson seiner puns wegen abkanzelte) verkalauert wird. 339 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195. 340 Der „witzige Zirkel“, in dem ein Wort sich als anderes begegnet (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 179) ist rhetorisch eine figura etymologica (Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 176f.); zum Zusammenhang von „etymologischem Witz“ (Jean Paul) und Anfängen der Philologie, Willer, Poetik der Etymologie, („Etymologie als Zeugung, Magie und Witz“) 146-59, 158f. 341 Das sei Schellings Form des Wortspiels, so Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 708f., (zu Novalis) 687, (A.  W.  Schlegel) 688. Derart wird ‚romantische Philologie‘ als Wortspiel kenntlich; zur romantischen Etymologie, Willer, Poetik der Etymologie, 158f.; Schleiermacher spreche von „Fülle des philologischen Scherzes“ (zit. nach ders., „Orte. Örter. Wörter“, 40f.). F.  Schlegel zufolge mag der „gesunde[] Menschenverstand“ „sich so gern am Leitfaden der Etymologien, wenn sie sehr nahe liegen, orientieren“; gegen

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Ursprungs übers Abgeleitete“ befestigt, deren „Fetisch“, so Adorno, das Gold ist,342 begründe, so Fritz  H.  Mautner, Jean Pauls „Gefallen[] an Wortspielen“, dass der „Klang des Zeichens“ einen „Nachhall der Sache“ gebe343 – oder vielmehr ‚erwarten‘ lasse. Bemüht Jean Paul dafür eine „Ursprache“,344 nimmt er hier aber die „Ur-Sprung“-Etymologie (satirisch?) als pun, indem er die ‚etymologisierende‘ Zerlegung übersetzend fortspielt: „Salto mortale oder immortale“.345 Der pun, der in einem Wort ein anderes (mit anderer oder divergenter Bedeutung) hören und/oder lesen lässt,346 hat einen pseudo-etymologischen Zug,347 nimmt keinen gründenden Ursprung in Anspruch und etabliert keinen, sondern verschiebt das Wort im Anklang an andere vielmehr gegen sich selbst, entzieht es der Rückbindung an ein vermeintlich Eigenes und Eigentliches, damit der Illusion der Etymologie.348 Puns bestreiten den Unterschied zwischen Etymologie und pun, auf den „philologisch“ gewöhnlich Wert gelegt wird.349 Wenn „von der

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die etymologische Deutung (der „Unverständlichkeit“) führt er daher die Wortspiele an (KFSA II, 363f.); vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. „Wie das Gold“ werde „Echtheit zum Fetisch,“ aber beide drücken „gerade nur in Fungibilität die Vergleichbarkeit der Sachen aus“ (Adorno, „Goldprobe“, in: ders., Minima Moralia, 206). Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 686; mit Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193; gegen den Rückbezug des Wortspiels auf „Ursprache“ wendet sich Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 465f. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195; auch dies eine „Volte der Sätze“ (179, vgl. 217) wie viele ‚Sprünge‘, in denen der Witz vorgeht und zu denen er Leser_innen veranlasst (170f., 175ff., 187f.). Jean Paul verstösst zerlegend gegen die von ihm genannten Bedingungen zur „Erlaubnis der Wortspiele“ (194; vgl. philosophische „Spekulanten“, 195; s. Kap. I.5). Als ein Echo anderer Wörter, vgl. Fried, „Rhyme Puns“; Derrida, „Two Words for Joyce“, 152; s. Kap. I.6. Wie der „witzige Zirkel“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 179), figura etymologica (Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 176f.): das sich in sich doppelnde Wort setze „eine Idee sich selber sich entgegen“, die sich „als ihre eigne Widersacherin vor sich“ und „durch ihre [wörtliche] Gleichheit genöthigt“ sehe, „einige Ähnlichkeit zwischen sich selber auszukundschaften“ (SW I.5, 179; vgl. Wiethölter, Witzige Illumination, 20). Das ist hier: „UrSprung“ schriftlich markiert (s. Kap. I.2); umgekehrt ist den Worten in ihrer geschriebenen Form eine unsprechbare „polyglossia“ eingelassen (Derrida, „Two Words for Joyce“, 156, s. Kap. I.6). Die etymologische „Vorstellung“ wäre, „daß es eine Reinheit der anschaulichen Sprache am Ursprung der Sprache gegeben habe“, die wiederzugewinnen wäre (Derrida, „Die weiße Mythologie“, 206). Jean Paul zufolge „gewähren“ die „Ausbeuten und Einfälle“ der „Sprachforscher“ „meistens den reizenden Schimmer des Wortspiels“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193). Für den vergleichenden Sprachgeschichtler Karl Jaberg gehören ‚tatsächlich‘ „Spiel und Scherz“

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­ ahrheit“ auch „etwas, obwohl wenig, den wortspielenden zu[komme]“, W legt die Erwartung „einige[r] Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles“ keinen Grund, sondern ist als Erwartung ein Vor- oder Ausgriff auf Ausstehendes, deren ‚Einlösung‘ als (temporäre, ungegründete) Koinzidenz, als glücklich erscheinender zufälliger, jedenfalls nachträglicher paronomastischer Effekt begegnen mag. Den Äußerungen kommt Sinn nicht als Rückerstattung oder als vermeintlich kalkulierbare Zinsen zu, sondern als oder wie glückliche Zufälle, „happy accidents“.350 Für’s Lesen, das den puns oder Wortspielen genügt, das Wörtern in ihren, sie als vermeintliche Einheiten in lautlichen und/oder buchstäblichen Relationen hintergehenden, sich in sie einlassenden, latent inhärierenden signifikanten Verkettungen (potentiell aller, auch nicht-codifizierter Arten) folgt, gibt es keinen Haltepunkt, wie ihn jene Lektüren unterstellen, die in den in Wörtern lauernden anderen Wörtern deren Etymologie und mit dieser deren eigentliche Bedeutung aufgefunden haben wollen, so etwa Humpty-Dumpty,351 so der von „Abstammung“ beeindruckte Heidegger. „[D]ie ‚Wurzel‘ eines Begriffs, weit davon entfernt der erste Sinn, der eigentliche Sinn zu sein“, so kommentiert Maurice Blanchot Heidegger, gelangt (umgekehrt) „nur durch das Spiel kleiner Zeichen in die Sprache“.352 Was den Worten ernsthaft als deren „Abstammung“ durch Etymologie, die „den ‚wahren‘ Sinn von Worten

der Sprachgeschichte an, die „vom lautlichen auf das semasiologische Gebiet hinübergleite“ („Spiel und Scherz in der Sprache“, 75f.), wenn etwa eine Etymologie den Regenwurm im Italienischen zum Bischof werden lässt: „Des Spieles letzter Sinn ist Unsinn“ (77f.). 350 Shell, Money, Language, and Thought, 18ff. 351 Humpty-Dumpty, von Joyces Finnegans Wake (3) ver-punt, deklariert sich als ‚Herr‘ der Bedeutung: „When I use a word […], it means just what I choose it to mean – neither more nor less“, und übt an einer Strophe von „Jabberwocky“ Herkunfts-Erläuterungen von „slithy“, „toves“ als portmanteau-words (Carroll, Through the Looking Glass, 196-99; s. Kap. I.2, vgl. Deleuze, Logik des Sinns, 7ff., 93; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 1822). Das kann als ‚philologisch‘-Werden im Sinne von Alice’, „daß ihr jeder Kommentar billig wäre“, gelesen werden (Reichert, Lewis Carroll, 122; vgl. ders. Vielfacher Schriftsinn, 35-47), was Huxley (The Raven and the Writing Desk) an Carrolls Text realisiert. 352 Blanchot, Die Schrift des Desasters, 116, vgl. 132. „Der älteste Sinn eines Wortes in derselben Sprache oder in verschiedenen Sprachen scheint die Bedeutung wiederherzustellen oder wiederzubeleben, die die gängige Sprache gebraucht oder abgenutzt verwendet.“ (117; vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 206). Blanchots Gegenlektüren von Heideggers Etymologie(n) (vgl. 117ff.,121f., 135f.) zeigen: statt ‚eine Wurzel‘ und „Abstammung“ zu sichern, vollzieht sich eine disseminative Veräußerlichung in der Schrift, die die vermeintlichen Wort-Einheiten hintergeht und erst erzeugt (165f.).

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zu kennen“ verspricht und derart regulieren sollte, soll abgewonnen werden, ist eine metaleptische nachträgliche Fiktion.353 Umgekehrt wäre Etymologie, nicht als Rückgang auf gegebene erste Orte oder Örter, sondern als Übertragen aufzufasssen: als Metapher, Übersetzung, Paronomasie, Zitat,354 die es immer noch woandershin treibt. Nicht birgt die Sprache, die Wortspiele als anderes denn eine abgeschlossene Struktur ausspielen, ‚im Ernst‘ etymologische Einsicht, sondern wenn „das Wortspiel philologisch wird“, wird allenfalls durch vermeintliches ‚philologisches Wissen‘ das „anarchische[] Sprachgeschehen“, von dem der Wortwitz ‚Zeugnis ablegt‘,355 vergessen gemacht worden sein. Um Jean Pauls Rede von der „Zweideutigkeit“ aufzugreifen, so mag sich („– oder wenn“) das Wortspiel „wie“ diese (oder doch eher als eine solche)356 so in den Text einweben, „daß gar niemand behaupten kann, es sei da“.357 Es bleibt unentscheidbar zweideutig, ob ein anderer Sinn wie/als ein Vexierbild (latent) da sei, der „philologisch“ aufgefunden wurde, oder ob dieser (nichts anderes als) die sprachlich unsinnige Verknüpfung wäre, oder all’ das bloßer Unsinn. Das Wortspiel macht die unentscheidbare Spannung (aus) zwischen der Überdeterminiertheit der klanglichen Nähen und buchstäblichen Substituierbarkeiten und der Kontingenz ihrer Effekte, die Unkalkulierbarkeit arbiträrer Produktivität, die immer ‚mehr Sinn‘ machen oder untergejubelt haben kann, und als ‚bloßer‘ Zufall Unsinn wäre. Was immer an Sinn der sprachlichen Nähe (des begrifflich-logisch Divergenten) abgewonnen werden mag, ist durch die Angewiesenheit auf die sinnfremde, von keiner Intention regierte Produktivität der Sprache, die als Zufall ausgewiesen wird, suspendiert. Wo irgendwelcher, aller möglicher Sinn gefunden werden kann, ist das (gerade so gut) wie keiner. Genauer ist Sinn suspendiert an die Zweideutigkeit, die ausgehalten werden muss: ob es sich überhaupt um (etwas) meinende Rede oder

353 Blanchot weist den fiktiven Charakter der Etymologie aus (Die Schrift des Desasters, 116f.). „Der Schriftsteller, der, wie Heidegger, auf die Wurzel einiger fundamental genannter Worte zurückkommt und dadurch zu verschiedenen Gedanken und Worten angeregt wird, macht die Auffassung ‚wahr‘, nach der in der Wurzel eine Kraft wirksam ist und Wirkung auslöst.“ (132). 354 Willer „Orte. Örter. Wörter“, 45f.; d.i. „eine Gegenbewegung“ zum ‚genetischen‘ Ursprungsbegehr (48); zur Angewiesenheit der Topik auf die Tropik der Etymologie, der Verschiebung der einen in die andere, vgl. 39f., 42-48; ders., Poetik der Etymologie, 160f., 165. 355 Hamacher, „Kontraduktionen“, 26. 356 Wortspiele heißt Cicero „ambiguo dicta“, übers. als „Zweideutigkeit“ (der Worte) (De Or. II 253-56, lat./dtsch. 368-73). 357 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195.

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die bloßen „Spielmarke des Wortspiels“ handelt,358 die der „Wortspielerwitz“ (wohl) auf gut Glück setzt, das zukommen mag oder auch nicht.359 Gegen diese Zweideutigkeit (aber) scheint Jean Paul in Vorschule der Ästhetik immer wieder Grenzlinien zu ziehen, aber doch so, dass diese Versuche, wie hinsichtlich der (vermeintlichen) regulierenden Sicherung durch die „Ähnlichkeit der Sachen“ zu lesen war, sich selbst verzehren, unterlaufen, überschießen. Das Wortspiel scheint gegen die ‚Gefahr‘ gesichert werden zu sollen, dass die „Spielmarke des Wortspiels“, ohne jede Substanz, im Einsatz im Spiel den Platz des „gemünzten Goldes“ usurpieren könnte360 (dessen Wert als substantiell gegen die Inflationen der ausgegebenen, mit sich wuchernden Zeichen gesichert imaginiert wurde). Aber geschieht diese Sicherung ‚im Ernst‘? Und wie könnte das unterschieden werden? Denn wie könnte überhaupt die Rede dagegen gesichert werden, sich (‚bloß‘) mit der „Spielmarke des Wortspiels“ bezahlen zu lassen? Auch und gerade „Spielmarken“ sind auf Zukünftiges gesetzt. Wörter kehren aus dem Wortspiel nicht als sie ‚selbst‘, was sie nie waren, zurück, um in jene Substanz konvertiert zu werden, worin sie noch nie mit garantierter Gewissheit einlösbar waren. Die grund-losen Verknüpfungen der Wörter im Wortwitz, die im Signifikantennetz wie und als ein ‚Vexierbild‘ einen (anderen) Sinn erscheinen lassen, ihre wechselnden Verbindungen, ein Wuchern mit ihnen im ent- und verleihenden Gebrauch sind Medium des (stets möglichen) witzigen Lösens vom Referenten, spielen Sprache in ihrem unkontrollierten, nicht-eigenen Überfluss, ihren nicht rückholbaren Disseminationen aus.361 Nichts und unregierter Überschuß fallen (in terms von Sinn) ineinander. 358 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192; vgl. „Wörter, Spielmarken und Medaillen“ in Siebenkäs, SW I.2, 270, die „wir“ „in unsere wahren Systeme [ein]sammeln“, spät „in Genüsse“ umsetzen, also ausgeben (vgl. Michel, Ordnungen der Kontingenz, 146-49). Vgl. die Zweideutigkeiten: „Sie müssen […] tugendhafte Reden eben so geschikt an die Stelle tugendhafter Handlungen zu sezen wissen als Spielmarken an die Stelle des Spielgeldes: […] so wie keine vernünftige und dabei sparsame Dame dem Hern, bei dem sie verlor, den Gewinst wol in etwas anderem auszahlen wird als in Spielmarken, und wie sie auch hier das Privilegium ihres Geschlechtes, frei auszugehen, geltend machen wird“ (SW II.1, 825). 359 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197; zum Setzen auf gut Glück, vgl. Kap. II. 360 Sulzer vergleicht: „Wie die Kinder mit dem Gelde spielen, und keinen Unterschied zwischen gemünztem Gold und den sogenannten Zahl- oder Rechenpfennigen machen, gerade so geht der Hang des Witzes auf das, was die Vorstellungen an sich ergötzendes haben, ohne auf den anderweitigen Gebrauch derselben zu sehen.“ (Art. „Wiz“, in: ders., Allgemeine Theorie der Schönen Kuenste (1774), Bd. 2, 703:1274. Spielmarken sind in ihrem Einsatz nicht (wie) Rechenpfennige, die wie Münzen sie selbst bleiben sollen, die aber stets wie Münzen, Spielmarken und Worte Wert nur haben im Bezug auf andere, im Tauschen und Wechseln. 361 Vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 262ff.

Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaẞ des Witzes

I.4

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Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaß des Witzes

Der Witz manifestiert sich im Überschuss. Er verschwendet sich im „Übermaß“ von sich einstellenden ‚Witzen‘.362 Jean Paul fragt allerdings (mehr oder weniger rhetorisch) nach der Zulässigkeit von Witz-Formen und dessen Mengen, und setzt hinsichtlich des Erlaubtseins des Wortwitzes Grenzen, die von außen gesetzt, aber auch als Begrenzung von innen behauptet werden, die es erlaubte, die Hervorbringung als in sich geschlossene Darstellung, als darstellende Verkörperung von Sinn oder Gehalt aufzufassen. Wo Jean Pauls Ausführungen dem „Maß des Witzes“ zu gelten scheinen, begegnet dieses aber als äußere Beschränkung (als Regulierung durch den Verstand): von außen, in der Metapher vom „Gränzstein des Verstandes“,363 und als Marginalisierungen des Witzes: Die üblichen Begrenzungen eines vermeintlichen Übermaßes an Witz wollen, so macht Jean Paul kenntlich, diesen auf eine bloße Zierde, auf die vermeintliche (bloße) Einkleidung (als die die elocutio aufgefasst wird) ‚der Sache selbst‘, die an dieser ihr Maß haben sollte,364 wie und als ein parergon reduzieren und aufs bloß Randständige beschränken. Am Rande von Jean Pauls Text, als erste Fußnote von § 53 „Maß des Witzes“ ist zu lesen: – Überhaupt verzeiht der Deutsche den Witz als Nebensache lieber denn als Sache – er will ihn als Putzkleid, nicht als Amtskleid erblicken, und er entschuldigt ihn zwar an einem gelehrten Professionisten als ein kurzes hors d’oeuvre, aber nicht an einem, dessen sämtliche Werke und opera solche hors d’oeuvre und opera supererogationis sind.365

362 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198; hinsichtlich der „quantitativen Fülle“ mag Vischer Jean Paul nicht folgen (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 478), die „halbwahre Verteidigung der Verschwendung des Witzes“ „hätte er sich [lustigerweise] ersparen können“ (480). Das Un-Maß des (falschen) Witzes ist Topos der wit-Verhandlung vor allem im englischen ausgehenden 17. und 18. Jh. 363 Dieser werde immer ‚weiter gerückt‘, Jean Paul, Grönländische Prozesse, SW II.1, 474f. 364 Die Metapher (s.o. Kap. I.2) tritt wie zur Regulierung der elocutio auch für die von „wit“ auf; Popes Essay on Criticism unterstellt es dem Maß des aptum: „A vile conceit in pompous words expressed/ is like a clown in regal purple dressed.“ (vs.  320f.), dgg. aber: „True Wit is Nature to Advantage drest,/ What oft was thought, but ne’er so well expressed;/ Something, whose truth convinced at sight we find,/ That gives us back the image of our mind.“ (vs. 297-300, vgl. 302-36). Popes Formel, so S. Johnson, „reduces [w]it from strength of thought to happiness of language“ (Lives of the Poets I, 29, vgl. Empson, „Wit in the Essay on Criticism“, 94; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 169f.). 365 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 196. Bez. der „deutschen Natur“ aber „gibt [es] nicht bloß Entschuldigungen der Kultur eines übervollen Witzes, sondern sogar Aufforderungen dazu“, um dieser zur Freiheit ab- und zu verhelfen (§ 54 „Notwendigkeit deutscher witziger Kultur“, 199).

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

Der Witz wird demnach als Zierde zugelassen, die als „Nebensache“ durch die hierarchisierende Relation zur Sache: als Zutat oder parergon ausgeprägt ist. Zutat zum Eigentlichen, neben diesem: außerhalb, zuviel und überflüssig, sind hors d’oeuvre zur eigentlichen Mahlzeit oder zum Werk366 wie auch die opera supererogationis als über die Pflicht hinausgehende Handlungen367 oder „überzählige Werke“.368 Es sind Hinzu-Fügungen, Beiwerke oder parerga zum ‚Werk‘, das demnach allerdings – wenig attraktiv – im Amtskleide daher käme. In die Reihe von Metaphern der Marginalisierung, der Ausschlüsse oder der Anweisungen entsprechender Randzonen, tritt auch Jean Pauls historische Diagnose einer Marginalisierung des Witzes in der Topologie von Schreibzimmer und Besuchzimmer ein: „[W]urde das Wortspiel doch vom Druckpapier und aus dem Schreibzimmer meistens vertrieben und mit andern schlechtern Spielen in die Besuchzimmer gewiesen. Nur die neuern Poetiker rufen es wieder auf das Papier zurück.“369 Das Besuchzimmer, Geselligkeit und Spiel sind damit zeitgenössisch offenbar in eine Randposition neben „Druckpapier“ und „Schreibzimmer“ gerückt. Wo das „Maß des Witzes“ durch Begrenzung in quantitativer Hinsicht angegeben werden soll: „aber ewiges Witzeln wird jedem zum Ekel“,370 wäre der Ekel (nach Kant) schon die vorgreifende Abwehr eines Übergriffs (wie von 366 Aus dem Franz. ins Engl. übernommen, „out of the ordinary“ (1714), lit. „apart from the main work“, bekommt erst (seit 1742) die Bedeutung „extra dish set out before a meal or between courses“; für den Gebrauch im Deutschen, etwa in C. M. Wielands „Vorbericht“ zum Agathon, vgl. Dembeck, Texte rahmen, 63. Hier reliteralisiert hors d’oeuvre offenbar die Katachrese, zu der das hors d’oeuvre einer Mahlzeit im Verlaufe des 18. Jh. wurde; es ist Zone des „desœuvrement“ (M. Wieland, „Litteratur“, 114). 367 Theologisch einmal hoch geschätzt – gibt es Kant zufolge solche aber gar nicht. 368 Im letzten unvollendet bleibenden Roman stellt Jean Paul in „III Enklave“ eine „Herausgabe sämtlicher Werke“ in Aussicht, die doch „eigentlich nur der Tod veranstalten“ kann, nicht aber „ein Verfasser, der lebt und den sämtlichen Operibus jährlich opera supererogationis nach schickt“ (Der Komet, SW I.6, 1034). 369 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191f.. Jean Paul verbindet den Witz mit: „gesellige Kräfte“ und „Siege des Gefallens“ (169); er brauche, so Goethe, Gesellschaft: ‚für sich allein ist man nicht witzig‘ (zit. Birus, Vergleichung, 83). Dgg. sei es F. Schlegel zufolge „ein großer Irrtum, den Witz bloß auf die Gesellschaft einschränken zu wollen. Die besten Einfälle machen durch ihre zermalmende Kraft, ihren unendlichen Gehalt und ihre klassische Form oft einen unangenehmen Stillstand im Gespräch. Eigentliche Witze kann man sich doch nur geschrieben denken“ (KFSA II, 239, Athenäum-Fragm. Nr. 59); umgekehrt Novalis: „Ächt geselliger Witz ist ohne Knall“ (N II, 424). 370 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 196; es wäre an das sich forttreibende Kalauern bei Freud zu denken (Der Witz, 45ff.). „Warum sollen gewisse Schönheiten nur einzeln etwas werth sein und in Herden verliehren, […]. ‚Aber sie ermüden den Leser‘ und was ermüdet ihn nicht? Mus er so lange lesen, bis er zu viel gelesen?“ (SW II.1, 474)

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selbst, „zu leicht“) aus der Darstellung;371 doch wollen die von Jean Paul berufenen „verschiedenen Richter und Leser“ regulieren: – Allerdings lassen sie einen und den anderen schimmernden Einfall zu, aber die gehörige Menge Blätter sei zwischen zwei Einfälle, wie leere und volle zwischen Kupferstiche der Romane, gepackt – zwischen zwei müßigen Sonntagen des Witzes müssen sechs Werkeltage liegen – sie vergleichen den Witz und selber eine solche Vergleichung mit den altdeutschen und tartarischen Völkern, welche durch leere Strecken ihre Reiche auseinanderhielten.372

So wird eine Ökonomie des Witzes kommentiert, wie sie etwa Cowley und Pope am Werk sehen wollen, die das Verderben im Luxurieren der Ausstattung ausmachen: „Yet ’tis not to adorn, and gild each part;/ That shows more Cost, than Art./ Jevels at Nose and Lips but ill appear;/ Rather than all things Wit, let none be there./ Several Lights will not be seen,/ If there be nothing else between“.373 Die Amts- und Putzkleid analog mit Jean Pauls Metaphern von Werktagen und Sonntag für die Relation von Werk und Witz eingeführte zeitliche Relation weist eine Heterotemporalität aus, zu der sich bei Jean Paul viele Pendants finden: Fest- und Feiertage, Festivitäten, Ferien, Sabbattage oder -wochen auch Schalttage374 oder Spiel-Stunden,375 „Sanskulottentage“,376

371 Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 48, WW X, 247f.; Menninghaus, Ekel, 162ff. 372 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 196f. 373 Cowley, „Ode: Of Wit“, vs. 33-38; ebenso Pope gegen: „glitt’ring Thoughts struck out at ev’ry Line“ (Essay on Criticism, v.  290); nur die unbefähigten „Poets like Painter“ „With Gold and Jewels cover ev’ry Part,/ And hide with Ornaments their Want of Art. “ (vs. 293-96, vgl. vs. 301-04). 374 Vgl. Jean Paul, Hesperus, SW I.1, 588. „Schalttage“ werden im Hesperus genommen: was „nach vier Hundsposttagen […] so viel Nachschriften, so viel Witz und Scharfsinn ganz unnütz als Ladenhüter liegen geblieben“, werde zum „witzigen und gelehrten Schalttag, in dem keine Historien sind“ (SW I.1, 566; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 390-93). 375 „Der Scharfsinn ist das Gewissen des Witzes, und er erlaubt ihm wohl eine Spielstunde, aber desto verdrüßlicher sitzt er selbst der nächsten Lehrstunde entgegen“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197); eingestanden ist hier, dass „bloßer Witz als solcher […] nur abmattend ergötze, sobald er auf seinen bunten Spielkarten nicht etwas Wesentliches, z.B. Empfindung, Bemerkung etc. etc., zu gewinnen gibt“ (ebd.). Scharfsinn oder judgement, das Locke zufolge wit (als fancy) scheidend zu begrenzen habe, ist die Instanz, die Spielstunden einräumen mag, wie Sonntage, denen doch nur die nächsten Werkeltage oder Lehrstunde unausweichlich folgen werden (außer es wird ein „blauer Montag“ genommen, SW I.5, 259). 376 „Sanskulottentag“ (Jean Paul, Levana, SW I.5, 843) oder „Sansculotide“ (SW I.1, 1024, fünf Feiertage am Jahresende, die die kalendarische Ordnung ausgleichen); räumlich ist das der „Vortritt“ in Neben- oder Beiräumen: „in Vorzimmern und Nähsälen“ „vor Reflexion und Phantasie“, die dann aber kommen (SW I.5, I.5, 843).

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

Saturnalien und Freiheitsfeste.377 Das sind die extra-ordinären und die eingeschobenen oder aus-genommenen Zeiten, in denen Vor- und Nachworte verfasst werden,378 auf die das Verfassen von Appendixen, als den Zusätzen für das Überflüssige, aufgespart werde, als die die „hors d’oeuvre“, Zusätze und Beiwerke ausgewiesen sind. Die dem Witz eingeräumte Feier-Zeit ist im Buch metaphorisch verräumlicht im Verhältnis des „einen und […] anderen schimmernden Einfall[s]“ wie Illustrationen, deren „Menge“ durch die anderen dazwischen „gepackten“ Buchseiten begrenzt würde,379 eine räumliche Ausdehnung, die durch dazwischen tretende Blätter erzeugt und (auseinanderhaltend) organisiert wird. Derart ist aber die Hierarchie von Nebensache und ‚Sache‘ gedreht worden: Die „hors d’œuvre“, parerga oder Paratexte380 glänzen als Feiertage oder Feste der Freiheit wie der Reste oder Überschüsse, während das, wozu sie die Nebensache abgeben sollten, nur zwischen diesen und deren bloßer Abstandhalter wäre. Es wäre zwar angemessen ins Amtkleid gekleidet, besteht aber in der bloßen Menge an Blättern, seien sie voll oder leer, oder der

377 Die Freiheits-Feste, Festtage, Ferienzeit (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW, I.5, 259), Saturnalien, „Sansculotide“ (SW I.1, 1024) der Zusätze, Digressionen, witzigen Einfälle und Extrasachen (SW I.4, 545, 360f.; SW I.5, 196f., 843): „[D]em Ende des bloßen Kalenderjahres, dem Ende und Schwanze eines Buchs, […] eines Gastmahls, […] wird das beste Fleisch, Dessert surprise, kurz Weihnacht aufgehoben“ (Jean Paul „Appendix zum Appendix“ zu Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 547, 544ff.); vgl. Kap. IV.2. 378 Vor- und Nachrede heißen „diese beiden Spielplätze und Lustlager“ (Jean Paul, „Appendix zum Appendix“ zu Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 547, 545f.), und zwar in Analogie mit den ‚rahmend‘ dem Buch eingeschossenen zwei leeren Blättern. 379 Neben dem derart angeordneten illustrierten Buch vgl. das ermattende Sinnbild-Buch sowie: „In Werken, welche ganze Bilder-Kabinette sind, wie viele englische, entgeht man selten dem Über- und Verdruß“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197f.). Das Verhältnis zwischen eingeschobenem Bild und dem Text als Kommentar heißt auch „komische Arabesken und Moresken des Kommentars“ (Kampaner Tal, SW I.4, 565). 380 Vgl. Derrida, „Hors Livre“/„Buch-außerhalb“, 34ff., sowie mit Jean Pauls Paratexten und Appendixen, 36 (s. Kap.  IV.2). J.  H.  Miller erläutert: „Para ist eine antithetische Vorsilbe, die gleichzeitig Nähe und Entfernung, Ähnlichkeit und Unterschied, Innerlichkeit und Äußerlichkeit bezeichnet […], etwas, das zugleich diesseits und jenseits einer Grenze, einer Schwelle oder eines Randes liegt, den gleichen Status besitzt und dennoch sekundär ist, subsidiär und untergeordnet wie ein Gast seinem Gastgeber.“ („The Critic as Host“, 144f., dtsch. zit, nach Genette, Paratexte, 9). Vgl. Derridas Konzept des „greffe“, des Aufpfropfens und seine Theorie des Parasiten – anläßlich des Zitats und der Fußnote („This is not an oral footnote“, 196; ders., „Signatur Ereignis Kontext“: „Die Parasiten. Iter, über die Schrift: Daß sie vielleicht nicht existieren“, 340-47; ders., „Die Signatur aushöhlen“).

Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaẞ des Witzes

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Leere des bloßen Abstands, der dazwischen tretend Zeit und Raum ordnet.381 Ist dies (‚noch‘) die Sache selbst? Wenn Jean Paul zufolge gilt, man habe mit der Witz-Begrenzung bei Werken recht, worin der Witz Diener ist – wie in den meisten poetischen und wissenschaftlichen, z.B. in Einladungsschriften –; aber ist er denn in keinen Herr? – Und gibt es ein rein witziges Produkt, z.B. Lichtenbergs Hogarth: so sind Absätze und Pausen seiner Strahlen so wenig zu verlangen oder zu vergeben als in einer Epopöe Pausen des Erhabnen, obgleich beide Dichtarten dadurch dem Leser eine fortgesetzte Spannung zumuten.382

In den räumlichen oder temporalen Anordnungen, die den Witz abscheiden und allenfalls separierend einräumen, war offenbar ein anderer als dieser der „Herr“ – der Sinn? die Wahrheit? die Ähnlichkeit der Sachen? Die Relation von Herr und Diener, die der Regulierung der Relation von Werk und parergon, als vermeintlich dienender Zutat, dependent und überflüssig, entspricht, ist in der von Amtkleid und Putzkleid wie der von Werktagen und Sonntag eigentümlich gedreht: Der bloße Diener zeigt sich im „Putzkleid“ und ihm gehören die Sonnund Feiertage zu jenen „Werkeltagen“, die offenbar die Tage jener ‚Herren‘ sind, die nicht überflüssige Zutat, die jener Werke sind, die sie im „Amtkleid“ ausführen. Das Extraordinäre der Feiertage, des Luxurierens, wie Putz und Vorspeise, fasst Jean Paul in der Metapher des „Dieners“ von ‚Werken‘, der der Witz üblicherweise sei: „[A]ber ist er denn in keinen Herr?“ Haben die Begrenzungen des Witzes nur in Bezug auf solche Werke recht, in denen der Witz Nebensache und als Beiwerk in dienender Funktion ist, so stellen Jean Pauls ‚Werke‘ (wie die Hogarths, Sternes, Lichtenbergs) ein Überborden der parerga übers Werk in Aussicht; sie erlauben sich zuweilen selber Beiwerke, parerga, Appendixe (zu was?) zu ‚sein‘.383 Wäre die Hierarchie von ergon und parerga so gedreht, dass der Witz „Herr“ ist, wäre diese und die von dieser organisierte 381 Diese Metaphern werden auch anders als Verdünnung einer Mischung fort-geführt: „Warum wollt ihr erst von einem Druckbogen und vom ganzen Nachmittage die Wirkung einer Seite und Stunde überkommen, und warum fodert ihr zum gefrorenen Feuer-Wein das verdünnende Eis, woraus er abgezogen ist? Haltet lieber ein wenig innen! Die Zeit ist das beste Wasser, womit man sowohl Bücher als Getränke verdünnt“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197). 382 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197. So führt Jean Paul – unklassisch – die niedere mit der hohen Gattung analog; tradititionell sind es komische Mischformen, die solche ‚Abwechslungen‘ kennen. Jean Paul: „Nach jeder pathetischen Anspannung gelüstet der Mensch ordentlich nach humoristischer Abspannung“ (§ 35, I.5, 130, vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 135ff.). 383 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Äasthetik, SW I.5, 196f.

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Ordnung überhaupt ausgesetzt; dafür gibt Jean Paul andere (Neben-?)Räume an: „In einem Blumengarten ist der Überfluß an Blumen so wenig ein Tadel als der Mangel an Gras.“384 Das „Maß“, das rhetorische aptum, der Geschmack des 18. Jahrhunderts, ist hier, dass es nicht gilt.385 Einem solchen ‚Werk‘, in dem der Witz „Herr“ ist (wäre es ein Werk?), ein „rein witziges Produkt“ (wäre es als ‚reines‘ möglich?) sei die absatzlose witzige Spannung nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Jean Paul zufolge ist der Witz nur im Verschwenden, im Überfluss,386 als „totale Witz-Sündflut“.387 384 Jean Paul, Vorschule der Äasthetik, SW I.5, 197, vgl. Kap. IV.2. Es sei erinnert: „– Überhaupt […] tritt ieder dem Wize das Gras ein“ (SW II.1, 474f.). Mit Blumen geht es um Redefiguren oder -schmuck, Verblümungen; „Blümen“ und „Verblümen“ hat die Bedeutungen der Zierde, die Auszierung durch Blumen: „zierendes, schmückendes beiwerk wird gerne den blumen verglichen, daher verblümen, etwas aufputzen, durch beithat verbessern“, und führt daneben im figürlichen oder „übertragenen“ Sinne das floribus ornare an: „ganz besonders werden seit alter zeit wol im anschlusz an Cicero und Quinctilian [!] gewisse wörter und redewendungen, die den eindruck heben sollen, redeblumen genannt“ (DW Bd. 25, Sp. 146). „[D]ie mancherley Blumen/ ergetzliche Fragen verblümen die Schwelle/ darauf sie gestreut“, so Georg Philip Harsdörffer in „Erklärung“ des ‚Sinnbildes‘ „Nutzet und behagt/ Auff manche art“ (Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 1. Teil, (repr. 10f.)). Mit Blüten- und Frucht-bringenden Pflanzen, Erbs-Bohnen-Blüte und Reben, hält Harsdörffer die topische Doppelung delectare und podesse zusammen, die mit Jean Pauls „Blumengarten“ ab-/aufgetrennt ist. Vorschule der Ästhetik ist voll mit Blumen-Metaphern (SW I.5, 56, 183f., 203f., 206, 250, 261f., 266). 385 Die Blume, flos, wird „bei den Theoretikern des Manierismus zur Metapher des arguten, des scharfsinnig-treffenden Ausdrucks“ (Wagner-Egelhaaf, „Gott und die Welt im Perspektiv des Poeten“, 210). Und: „‚Putz‘ und ‚Schmuck‘ sind ‚blitzende‘ Waffen. Zur Metapher des Schmucks gesellt sich also die des Blitzes […], es ist die Fähigkeit, vom Gewöhnlichen abweichend zu sprechen, die uns ‚Eindruck macht‘“ (K.-P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 56-60). Cicero spricht von flores verborum et sententiarum, die der Rede ‚Lebendigkeit‘ im Sinne von Kraft und Wirksamkeit geben („insignia et lumina“) (De orat. III 25. 96); sowie: „(22) Alterum, quod huic diversum est, ne recentis huius lasciviae flosculis capti voluptate prava deleniantur, ut praedulce illud genus et puerilibus ingeniis hoc (23) gratius, quo propius est, adament.“ Vgl. Quintilian, Inst. orat., II 5,18 (1. Teil, 196-99). Das wird als leeres und gleichwohl verführerisches Gefunkel dem ingeniösen Erfindungsreichtum vorgeworfen; Glanz, Gefunkel der Rede, Überfluss der „conceits“ leiten fehl (Cowley „Ode: Of Wit“, vs. 33-40, Pope, Essay on Criticism, vs. 290-304). 386 Was Überfluß wäre, ist aber fraglich: „Freilich verführet oft ein Bild zu einem andern […], und ein Gedanke hült sich in mehrere Ausdrükke […]; allein warum sol man auch den Kamtschadalen gleichen, die von ihren Zwillingen allzeit ein Kind umbringen?“ „So ein Tadel wäre nun leichter zu vermeiden als verdient, wenn es nämlich einer ist.“ (Jean Paul, SW II.1, 474; pejorativ zu wechselnden ‚Bildern‘, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.). 387 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198. „Die beste Probe und Kontrolle (Widerrechnung) des Witzes ist eben sein Überfluß; ein Einfall, welcher allein geschimmert hätte, erblasset in glänzender Gesellschaft; folglich wird der Vorwurf matter und gesuchter Einfälle gerade den Witz-Verschwender treffen“ (ebd.).

Grenzen, Randzonen, Zutat und Unmaẞ des Witzes

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Hingegen der Witz, der ohnehin nichts darstellen will als sich selber,388 muß so lange neu sein, als er verschwendet; und er erspart, wenn nicht den Überdruß am Übermaße, doch den Verdruß am Verbrauche. Auch muß der Witz darum gießen nicht tröpfeln, weil er so eilig verraucht. Sein erster elektrischer Schlag ist sein stärkster; liest man denselben Einfall wieder: er ist entladen; indes die dichterische Schönheit gleich der galvanischen Säule sich unter dem Festhalten wieder füllt. Der Witz gewinnt wie 10 000 Dinge durch Vergessen, folglich durch Erinnerung; um ihn aber ein wenig zu vergessen, muß so viel da sein, daß man es muß.389

Die Ökonomie des Witzes ist nicht die der „ökonomischen Schreiber“, des sparsamen oder kalkulierten Einsatzes von Zeichen, seien es die des Geldes oder die Wörter, die Jean Paul in Fortführung der Nahrungs- oder AuftischungsMetaphern ausmacht;390 der Witz stillt kein Begehren, sondern „erregt“ und steigert es – unmäßig.391 Der „Witz, der ohnehin nichts darstellen will als sich selber“, hat kein Maß – und daher kein „Übermaß“ – außerhalb seiner. Es gibt ihn nur als sich verschwendenden. Er verschwendet (sich) in sich 388 So entgegnet Jean Paul den „Über- und Verdruß“ machenden „Werken, welche ganze Bilder-Kabinette sind“, weil es „unmöglich ist, nicht die neuen Bilder durch verbrauchte zu binden und zu unterbrechen“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198). Die „unaufhörliche Wiederholung von Anspannungen unter dem Lesen eines Bandes voll Sinngedichte“ sei auch „Etwas anderes und weniger Wohltätiges“: „Hier mattet nicht bloß der immer wieder blitzende Witz, sondern das Vorübertragen immer neuer Gegenstände ab“ (197): etwas jeweils Gegebenes („Gegenstände“, „Bilder“) wird jeweils durch ein nächstes abgelöst. 389 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198f.; „erschöpft und entladet“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 470); „erschöpfen“ statt „nur schöpfen“ (Jubelsenior, SW I.4, 564). „In Gesellschaft ist das witzige Wetterleuchten darum beschwerlich, weil es finsterer darauf wird. Jeder Reiz macht einen zweiten nötig und so fort, damit dieselbe Erregung bleibe. Mithin muß der Witz – wenn man nicht welken soll – fortreizen. Die Schönheit aber gleicht dem Nähren und Schlafen; durch Erquicken und Stärken macht sie empfänglicher, nicht stumpfer“ (SW I.5, 199), so ist die Blumen-Metapher unter der Hand in den Diskurs von Erregungen und Reizen eingelassen und erneut dem Witz die „Schönheit“ entgegengesetzt. 390 „Wenn ökonomische Schreiber den Leser lange durch nötige Hungerkuren und Fastenzeiten durchgezogen, und sie ihn eben nun, da er fürchtet, in einen Ugolinos-Hungerturm hinabzusteigen, plötzlich vor eine Suppenanstalt bringen: Himmel, wer beschreibt das Entzücken und den Genuß! – Wollte jemand hingegen dieselbe Rumfordsche Suppe an andern Orten mit unter dem Nachtisch und feinen Weinen herumgeben: so fiele der Effekt schwächer aus.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198). 391 „Der erste rechte Witz in einem Buche erregt gleich gewissen Getränken Durst darnach; – wie, und den Durst soll man stillen, indem man den Mund einem Staubregen aufmacht? Gebt uns Diogenes volle Hand, oder vollen Becher, oder sein Faß!“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199). Aber: „Nun gibt es einen lyrisch-witzigen Zustand, welcher nur aushungert und verödet, wenn er bleibt und herrscht, aber wie das viertägige Fieber die herrlichste Gesundheit nachlässet, wenn er geht. Wenn nämlich der Geist sich ganz frei gemacht hat – […]“ (202); der Witz wäre abzulösen.

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disseminierenden Signifikanten, ohne (Gewissheit einer) Rückerstattung,392 und er „gewinnt“ durch (sein) „Vergessen“ im Übermaß, an das er verschwendet (ist), sich ‚verliert‘. Umgekehrt wäre es mit dem Witz ‚im Ernst‘ der Sistierung eines seiner Effekte als einlösendem Resultat vorbei. – Dem setzt Jean Paul aber, derart den Witz limitierend, die belebende Poesie als Phantasma einer Synthesis entgegen, in dem deren Medium und Prozedere vergessen ist, und scheidet ihn beschränkend von Poesie, Schönheit, bildlicher Phantasie.393 I.5

Der Wort-Witz und die Zufälle der Sprache: Spiel und Ernst (Gracián – Jean Paul)

Wie verhält sich das Wortspiel zu Spiel und Ernst? Zum Spiel, das es wörtlich ist, und zum Ernst, in dem es mitunter zu nehmen ist? Was würde es heißen, das Spiel der Worte ernst zu nehmen? Und sollte man das tun? Wort- und buchstäbliche Spiele (Gracián – Jean Paul) Die Grenze zwischen Spielen und ernsthafter Poetik ist in den barocken Fällen des Wortspiels nicht gegeben. Man möchte vielleicht meinen, dass es sich etwa beim spanischen Concettisten und Jesuiten Baltasar Gracián, einem der Exponenten der Kunstfertigkeit des ingenio, um ernsthafte Angelegenheiten der Ars handelt. Seine Agudeza y Arte de ingenio (1648, zuerst pseudonym Arte de ingenio, tratado de la Agudeza, 1642) stellt die Kunst oder Technik des ingenio in ihrer großen Vielfältigkeit und Abwechslung („la variedad, gran madre de la belleza“, ‚Mutter der Schönheit‘)394 vor, in einer 392 Eine andere Ökonomie der nicht rückerstattbaren ursprünglichen Dissemination mit Derrida, „Die weiße Mythologie“, 273f., 287-90, 262f., 265f., 271. 393 Vgl. etwa Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199 u. 201. 394 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio. En que se explican todos los modos y diferencias de conceptos con ejemplares escogidos de todo lo màs bien dicho, así sacro como humano, disc. i, 314; vgl. disc. iii, 321ff., 324, disc. l, 673; vgl. Battistini, Art. „Acutezza“, Sp. 94. Ein System gibt es für die Vielheit nicht (M.  Blanco, Pointe, 250-54, 283-87; Ayala, „Un arte para el ingenio“, LXXXVf.; ders., „Gracián y el ingenio“, 148; E. Blanco, „Introducción“, 55ff.). Die Vielfalt und Varietät löst vom Maß der Ähnlichkeit, umfasst Pointen der Unähnlichkeit wie der Ähnlichkeit, des discordar wie des concordar, der Entgegensetzung wie der Übereinstimmung, contrariedad und conformidad, divergencia und convergencia der correlaciones und equívocos, „agudeza de correspondencia y conformidad entre los extremos objetos“, wie auch „agudeza de la contrariedad, o discordancia entre los mismos extremos del concepto“ (Gracián, disc. iv, vgl. disc. v, 339, 352, viii, ix, xii, xiii). „Todo gran ingenio es ambidextro, discurre a dos vertientes; y donde la ingeniosa comparación no tuvo lugar, da por lo contrario y levanta la disparidad conceptuosa“ (disc. xvi: „de los conceptos por disparidad“, 431). „El mixto de paridad y disparidad, con su agradable contraposición, es

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Vielzahl von Beispielen395 und zugleich so, dass die ingeniösen Operationen ihre eigene Panegyrik vortragen. Als eine der vielen Formen der vorgestellten Kunst darf die agudeza verbal, die im Spiel mit den Worten ausgeprägte Pointe, Spitze und Geistreichigkeit,396 fundierend für die agudeza überhaupt heißen.397 Das erste Wortspiel bietet Graciáns umfängliche Abhandlung bereits im expositorischen panegyrischen ersten discurso auf, eine Paronomasie oder annominatio, die den Eigennamen Isabel durch dessen signifikante buchstäbliche Modifikation, aus dessen Zerlegung in (anderen) Wörtern auftreten lässt und in der Zerlegung eine andere Bedeutung hervortreibt. En un medio está mi amor, In einem Mittleren ist meine Liebe, Y-sabe-él Isabel [/und zugleich:] und er/sie [die Liebe] weiß, Que si en medio está el sabor, dass, wenn in der Mitte der (süße) Geschmack ist, En los extremos la hiel.398 so in den Extremen die Bitternis [Galle].399

gran efecto de este artificio.“ (436; vgl. 350). Vgl. Lachmann, „‚Problematic Similarity‘“, 246f.; dies., „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 126ff.; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 78ff., 82-92. 395 Die Arte de ingenio ist zugleich Anthologie und Handbuch, C.  Johnson, „Graciáns artificios“, 203f.; E. Blanco, „Introducción“, 76ff., vgl. 72f.; zu den Effekten der Beispiele vgl. C. Johnson, 203f.; Poppenberg „Pasto del alma – alimento del espíritu“, 69-74; Schumm, „Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 961; Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 63f., 122. 396 In der agudeza überlagert sich acutus, aigu, acumen und argutia, arguo: „faire briller“ (M. Blanco, Pointe, 36f.), „(acutus) scharfsinnig und (argutus) geistreich“ (Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 110; Buck, „Tesauro“, X, XVIIf.), zu acumen, argutia, argutezza wie acutezza, agudeza, wit, Scharfsinn, Subtilität, Spitzfindigkeit, vgl. Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, 991f.; Ayala, „Un arte para el ingenio“, LXV-LXX; dgg. für die Unterscheidung vgl. Battistini, Art. „Acutezza“, Sp. 89f., 92f., 91f., 95f.; Briesemeister, Art. „Concetto“, Sp. 311ff.; wie auch (bez. Sarbiewskis) M. Blanco, 172f.; Lachmann, 110, 104. 397 Vgl. Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. i, 315, sowie disc. xxxi, 559; vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 127ff.; zum begrifflichen Instrumentarium des Concettismus, vgl. 106f., 109f. (bzw. (1983), 89ff.); K.-P.  Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 7-19; zum Zus. von ingenio, concepto, agudeza, vgl. M. Blanco, Pointe, 23-27 und 23-66; Ayala, „Un arte para el ingenio“, LVI-XCV; Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“, 37f.,47ff.; zum Zus. von ingenio und artificio vgl. Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. ii, 319ff.; Nitsch/Wehr, „Einleitung“, 7f. 398 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 315; die zit. Ausgabe (Obras Completas 1993) nimmt typographische Klarstellungen vor. „Y sabe èl/ Que si en medio està el sabor/ En los extre­ mos la Iel“ heißt es in Agudeza y Arte de Ingenio, 1648 (por Lorenço Gracian, 2; wie in Obras (Lorenzo Gracian) 1702, Tomo II, 2; vgl. Ausg. 2004, 18). Arte de ingenio (1642), die dieses Exempel erst in disc. xxxv („de los conceptos por paronomasia“) aufführt, hat „yel“ (274). 399 Übers. ins Deutsche hier und im Folgenden von BM; vgl. für dieses Beispiel Komm. u. Übers. von K.-P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 10.

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

Graciáns Spiel mit dem Namen Isabel hintergeht die Einheit des Wortes, die die Rhetorik der Tropen voraussetzt.400 ‚Begründet ist diese agudeza im Namen Isabel‘, sagt Gracián,401 indem dieser als Signifikantenkette genommen wird, die „dividido“, zerteilt, sich anders verbindet. Derart geben die ‚Extreme‘, die äußeren Enden der Buchstabenkette, I und el, zusammengesetzt, rekombiniert: iel, während ‚in der(en) Mitte‘ „sabe“ (von saber) und „el sabor“ bleibt. Die Komplexität dieses puns mit dem Eigennamen, der in diesem – als einem double seiner selbst – in seiner Zerlegung, in seinen Elementen, eine (andere) Bedeutung lesbar macht,402 lässt sich versuchsweise in folgendem Schema angeben:403 Y– sabe – él / Isabel404

(h)I – sabe(/or) – el

[homophoner pun]

* an den Extremen *

i n der Buchstaben-Kette vers.

in der Sache: Wahrheit (?) über die Liebe h-iel: Galle vers. (m-iel, [Metapher] geistige Süße in Honig) sab-er/orer: „alimento del espiritu“

[schriftlich differenziert] vers. in der Mitte:

h-iel / (f)-iel (treu)

 etrarkistisch [contrariedad]405 p

400 Vgl. Aristoteles, Poetik, 1456b-1457a; Rhetorik III.10, 1410b, Derrida, „Die weiße Mythologie“, 255, 259. „Ein Wort für ein anderes“/verba alia pro aliis ist die Def. der Tropen (Quintilian, Inst. or., VI (2. Teil, 218f., 250-53)). 401 „Fúndase en el nombre de Isabel, que, dividido, la primera sílaba, que es I, y la última, el, dicen iel, y en medio queda el sabe, y a eso aludio la redondilla, tan ingeniosa, cuan poco entendida. Es la sutileza alimento del espiritu.“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 315). ‚Es begründet sich im Namen Isabel, der zerteilt, die erste Silbe, das ist I, und die letzte, el, sagen iel (hiel: Bitterkeit), und in der Mitte bleibt das sabe: (er) weiß oder erfährt (etwas Akk.) (bzw. a algo (Dat.): es schmeckt nach etwas), und dies spielt diese redondilla (ein Vierzeiler) an, so ingeniös wie wenig verstanden. Die Feinheit (/Spitzfindigkeit) ist Nahrung des Geistes.‘ 402 „[A] successful pun makes one suddenly recognize two meanings“, so Culler, „The Call of the Phoneme“, 14; vgl. Attridge, Peculiar Language („Unpacking the Portemanteau“), 189-94. 403 In Klammern (), was nicht buchstäblich präsent ist; in [] die jeweiligen rhetorischen Operationen; kursiv Signifikate; von links nach rechts: Bedeutungsebenen (in jeweiligen Dissoziationen), von oben nach unten: zugehörige Fortführungen. 404 Schumm liest Isabel in Hinsicht der katholischen Königin („Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 942, 953-59), dafür taugt als Spur auch das in der Zerlegung umschreibende „Y“ („und“) (957). 405 Das Spanische transformiert das lat. (und ital.) f- oftmals in h-; h-iel/f-iel: bitter/treu, wäre im Sinne der petrarkistischen Liebe eine agudeza de contrariedad.

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Die agudeza nimmt des Namens signifikante Bestand-Teile zu Gelegenheiten für Operationen des sich selbst auszeichnenden ingenio. Nur in seiner Zerteilung, die er als Signifikantenkette ermöglicht, wird der Name von der Einsicht (saber), dem, was er zu wissen geben kann, gesprochen haben. Anagrammatisch, zerlegt: anders gelesen, exponiert er in seinen ihm buchstäblich angehörenden Teilen – mit deren schriftlich differenzierter anderen Lesbarkeit – eine sachliche Diskordanz: Auseinander-gesetzt sind der WohlGeschmack in der Mitte, sabor (in der quasi-etymologischen Lesung des saber), zu erkennen406 und die aus den äußeren Enden der Buchstabenkette, als die der Name der Geliebten zerlegend aufgefasst wird, zusammen-gelesene Bitterkeit, die in den Extremen der Liebe erfahren werde. So ‚entdecken‘ die Relationen des Wort-Materials, zu denen dessen Zerlegbarkeit gehört, einen Zusammenhang zwischen der namentlich berufenen Geliebten und dem, was der Liebende der Liebe, als der ‚Sache‘, um die es hier geht,407 attribuiert, und damit ‚in der Sache‘ der Liebe eine Art Klugheitsregel des mittleren Maßes,408 „y a eso aludio la redondilla [d.i. der vorliegende Vierzeiler aus Achtsilblern] tan ingeniosa, cuan poco entendida“. Was ingeniös, immer zu wenig verstanden, zu verstehen gegeben ist, hat subtil dem verbalen Material schon angehört. Der figura etymologica, die im „sabe“ sabor, Wohl-Geschmack, und saber, Einsicht, zusammenliest, wird ein metapoetischer Clou abgewonnen: „Es la agudeza pasto del alma. […] Es la sutileza alimento del espiritu.“409 Die Subtilität (der Technik oder ars) sei Nahrung des Geistes – das beruft die ehrwürdige Metapher der geistlichen Speise, zu der der heilige Text der richtigen, der geistigen Lektüre werde, die des süßen Kerns des wahren Sinns teilhaftig werden lasse,410 so die Allegorese etwa des Hohen Liedes, die irdische und 406 Vgl. Diccionario de la Lengua Española (RAE), 1823; obwohl Poppenberg Graciáns Verknüpfung von saborear und saber aufweist, spricht er dieses Beispiel (wie die agudeza verbal) gar nicht an („Pasto del alma – alimento del espíritu“, 69). 407 „Alcanza el nombre su conveniencia y correlación con la cosa denominada y con sus adyacentes, no menos que las causas, efectos y propriedades con el mismo sujeto y entre sí“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 561, vgl. 564f., disc. xvi, 434-37). Bzw. zu „la composición de los anagramas“ im engeren Sinne „trastruécanse las silabas y letras para fijar una nueva y misteriosa significación en elogio o en vituperio“ (573). 408 Ähnliches ergibt sich aus dem Beispiel des Emblems eines Ankers Áncora mit der „explicación“: „En el medio está la pena [cor, „que significa el corazón“], y en los fines quien la ordena.“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 561), wo der Name Ana verborgen: latent an-/abwesend ist im Vers, aus dem er zerlegend aus dessen ‚Enden‘ zusammenzulesen ist. Es gibt weitere Ana-Agudezas, z.B. in der Spannung zwischen paridad (des Namens) und disparidad der ‚Umstände‘ (disc. xvi, 434f. u. 560f.). 409 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 315. 410 Die Metapher konnotiert offenbar nicht Obst, sondern Nüsse. Zur Süße (auch der hier reimende „miel“, Honig) der geistlichen Speise vgl. Das Hohe Lied  2,3, 4,11, 5,16; vgl.

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geistige Liebe relationiert, indem erstere als Figur der zweiten, in der sie überboten und erfüllt wäre, aufgefasst wird.411 Kann das ‚ernst‘ gemeint sein? (Und spielt dies eine Rolle?) Gerade diese Wortspiele oder Klangwitze mit Eigennamen gelten min­ destens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als die niedrigsten oder elendsten von allen problematischen Wort-Spielen, die die Poetiken unbedingt zu meiden empfehlen oder vorschreiben.412 Daran erinnert Freuds Theorie des Witzes von 1905, wenn er selbst den eher albernen, Graciáns Isabel analogen, „Zerteilungswitz“ anführt, der schon durch alle Ästhetiken des Komischen des 19. Jahrhunderts geschleppt wurde: Eine Aufführung der Antigone von Sophokles habe der „Berliner Witz“ mit „Antik? – Oh, nee“ beschieden.413 Der Name wird derart – zerlegt, in seinen schriftlich markierten Bestandteilen – ausgeplaudert haben, dass die Theateraufführung dem namentlich Aufgerufenen zuwiderlief, und hat damit – als Signifikantenkette ausgespielt und derart gelesen – schon das Urteil über diese gesprochen.414 Das aber scheint nicht einmal mehr als Spiel ernst genommen zu sein. K. Lange, „Geistliche Speise“, 90f., 93ff., 104f., 111f., 108f.; Ohly, „Geistige Süße bei Otfried“ [1969]; sowie M. Schnyder, „Kunst der Vergegenwärtigung und gefährliche Präsenz“, 436ff. 411 Den von „alimento del espíritu“ berufenen Zusammenhang des körperlichen, auch erotischen, und des geistlichen Sinns (und von „gusto ingenioso“ und „gusto espiritual“) erläutert Poppenberg vorrangig als sakramentalen („Pasto del alma – alimento del espíritu“, 68ff.), u.a. in einer Lektüre der Konstellation der Beispiele Graciáns als inkarnatorischen (insbesondere der Marien-conceptos, mit metatheoretischem Wert, vor allem des disc. iv; vgl. 69-75). Schumm dgg. liest die Implikation der (erotischen) Hingabe mit („Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 952-55; vgl. 959), und auch dies wird durch die Konstellation der Beispiele gestützt: durchs nachfolgende Beispiel der Lukretia (959). 412 Jean Paul u.a. zu „Richter“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192; Adelung zufolge: „Allein, wenn eigene Nahmen gleich lautenden Apellativen entgegen gesetzt werden, so wird der Witz in den meisten Fällen übel angewandt, weil die Paronomasie alsdann keine Wahrheit hat, und ein wahres Wortspiel wird. Die eigenen Nahmen sind zufällig, und ihre Aehnlichkeit mit Appellativen ist es eben so sehr, daher die Verbindung desselben nichts lehren kann.“ (Ueber den Deutschen Styl, Erster Theil, 492f.). Namen in Romanen dürfen Jean Paul zufolge (etwas) motiviert sein: „Der Mensch sehnt sich in der kleinsten Sache doch nach ein wenig Grund“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 270), aber nicht übermotiviert eine Bedeutung lesbar machen. 413 Freud, Der Witz, 33; vgl. Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 465; K. Fischer, Ueber den Witz, 73. Es handle sich um einen „Zerteilungswitz“ wie der „analoge“ „in ärztlichen Kreisen“ „heimische“: „Wenn man einen seiner jugendlichen Patienten befrage, ob er sich je mit der Masturbation befasst habe, würde man gewiß keine andere Antwort erhalten als: O na, nie.“ (Freud, 33). 414 „Was wir in den Beispielen Rousseau [roux et sot], Antigone usw. [mit der „Technik der mehrfachen Verwendung des nämlichen Materials“] ersparen, ist leicht zu sagen. Wir ersparen es, eine Kritik zu äußern, ein Urteil zu bilden, beides ist im Namen schon gegeben.“ (Freud, Der Witz, 44). Ein calembour „interpretiert den Namen“ als „sprechenden“

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Gracián dagegen kann noch den „Namen Gottes“ selbst ‚in der spanischen Sprache‘ „dios“ als einen Zerteilungswitz auffassen: „Dios, que dividido, está diciendo: DI-Os“, ‚Gott‘, der zerlegt sagt: Ich gab Euch … und zwar alles: „Di os la vida, Di os la hacienda, Di os los hijos, Di os la salud, Di os la tierra. Di os el cielo, Di os el ser, Di os mi gracia, Di os a mí mismo, Di os lo todo […]“415 – und ‚mich selbst‘. Der spanische (Gattungs-)Name dios,416 der zerlegt als Zu-Name das Renomé Gottes als der Alles-Gebende zu lesen gibt, wird quasietymologisch aus der höchsten Instanz motiviert.417 Dadurch aber, dass der heilige Name Gottes derart, in seiner Zerteilung, etwas (über diesen) mit-teilt, soll diese glückliche agudeza, dieses glückliche Spiel mit dem Wort, den Namen Gottes ‚mit Majestät und Glorie krönen‘ können,418 wird damit aber umgekehrt dieser Name („Dios“) der Technik und ihrem Glücken selbst die ‚Krone‘ aufsetzen. Gott würfelt hier nicht nur, er witzelt. Denn es ist ja keineswegs so, dass Gracián diese Techniken der Zerlegung, Umstellung, Vertauschung, Zusammenlesung als heilige, als sprachmystische oder sprachmagische der Offenbarung vorbehalten würde,419 sondern dieselbe agudeza („Pártese (Greber, Textile Texte, 151), indem er Namen „verstümmelt“, Adelung „unerträglich“, „um Aehnlichkeit […] zu erzwingen“ (Ueber den Deutschen Styl, Erster Theil, 492f.). 415 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. xxxii: „de la agudeza por paronomasia, retruécano y jugar del vocabulo“, 574 (das entspricht Ausg. 1648 por Lorenço Gracian), 227; di-os und díos dgg. in Ausg. 2004, 380). Hier ist unentscheidbar, ob „Dios“ Gott („está diciendo“) gegenwärtig, fortlaufend spricht oder das Wort „Dios“, was zerlegt wird, mitteilt: ‚Gott [Dios], was zerlegt, sagt: Ich gab euch [DI-Os], Ich gab euch das (Land-)Gut, Ich gab euch die Kinder, Ich gab euch die Gesundheit, Ich gab euch die Erde, Ich gab euch den Himmel, Ich gab euch das Sein, Ich gab euch meine Gnade, Ich gab euch mich selbst, Ich gab euch das Alles.‘ 416 Auch Poppenberg verweist abschließend darauf: „La ponderación misteriosa del concepto tiene su fundamento en el misterio del idioma: ya no el Verbo Divino sino el lenguaje humano.“ („Pasto del alma – alimento del espíritu“, 75). 417 „Unser Herr“ selber habe vom Geben her seinen göttlichen „renombre“, seinen Zu-Namen im Spanischen genommen: „de modo, que del dar, del hacernos todo bien, tomó el Señor su Santísimo y Augustísimo renombre de DI OS en nuestra lengua española“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 574); ‚so dass vom Geben, vom uns alles Zugute-Tun der Herr seinen Heiligsten und Rhumreichsten Namen Di Os in unserer spanischen Sprache genommen hat.‘ 418 „Corone de majestad y de gloria esta felicísima agudeza el sacro y adorado nombre de Dios, que dividido, está diciendo: DI-Os“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 574); ‚Es kröne mit Majestät und Glorie diese glücklichste agudeza den/r heilige/n und verehrte/n Name/n Gottes [Dios], der zerlegt, sagt: Ich gab euch [DI-Os], Ich gab euch […]‘. 419 Vgl. Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie; für die kabbalistischen Leseverfahren Scholem, „Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala“; zu den mystischen Traditionen über die Renaissance bis ins Barock vgl. Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 694f.; vgl. Harsdörffer und die Kontexte (Ernst, „Litteratura Lusoria“ 195f.), Kuhlmann (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 221), Kircher (Lachmann/Samsonow,

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algunas veces todo el vocablo, quedando con significación ambas partes.“) macht auch comedias, die spanischen Schauspiele als nicht nur Zeit-Vertreiber, sondern „come-dias“, Zeit-Fresser aus.420 Nicht nur seiner möglichen niedrigen oder albernen Effekte wegen gerät im Übergang ins 18. Jahrhundert das Wortspiel in Verruf, sondern vor allem auch, weil es auf Relationen beruht, die bloß die der Wörter oder vielmehr die ihrer asignifikativen Elemente sind. Es stellt die Unkontrollierbarkeit der Produktivität der Sprache vor. Diese exponiert Gracián, wenn er die ‚Fruchtbarkeit‘ der Wortspiel-Techniken, und gerade jener, die semantische Einheiten zerteilend hintergehen,421 als die der sprachlichen „Hydra“ kennzeichnet: Es como hidra v[/b]ocal una dicción, pues a más de su propria y directa significación, si la cortan o la trastruecan, de cada sílaba renace una sutileza ingeniosa y de cada acento un concepto.422 Wie eine laut-materiale/Mund-Hydra ist der sprachliche Ausdruck, denn, noch über seine eigentliche und direkte Bedeutung hinaus, wenn man ihn zerschneidet oder verdreht, wird aus jeder Silbe eine ingeniöse Feinheit/Spitzfindigkeit wiedergeboren und aus jedem Akzentzeichen ein concepto.423 „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 100ff.); sowie Kabbala-Bezüge F. Schlegels, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 364. 420 „Ponderaba un varón grave y severo el tiempo que roban en España las comedias, y las llamaba Come día y Come días.“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 571); ‚Manchmal zerteilt man das ganze Wort, so dass beide Teile Bedeutung behalten. Ein ernsthafter und schwermütiger Mann erwog die Zeit, die in Spanien die Schauspiele rauben, indem er diese Come día y Come días, (fr/)ißt den Tag und (fr/)ißt die Tage nannte.‘ 421 „Esta especie de concepto suele ser fecundo origen de las otras, porque, si bien se advierte, todas se socorren de las voces ý de su significación.“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. xxxi: „de la agudeza nominal“, 559; vgl. Arte de ingenio (1642), disc. xxxiii, 266). 422 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 560; „Hydra vocal“ hat auch Ausg. 1648 (por Lorenço Gracian), 215; das spanische b (für v) „hidra bocal“ schreiben Ausg. 2004, 360 (zu den orthographischen Angleichungen CIXff.) u. Arte de ingenio (1642), 266: Mund-hidra, in vocal den Mund lesend ist, dem die materiale Stimme (voz) entstamme. 423 Concepto wird übers. als kunstfertiges Argument, Begriff, Sinnfigur, Sinnspiel, Wortpointe, vgl. Briesemeister, Art. „Concetto“, Sp.  311f.; Engels, Art. „Ingenium“, Sp.  406, 411; vgl. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 301f., 298; es ist „dicho agudo“ (Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“, 47, 49; Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 52, 55-59, 61-65, 123-26, 129ff.). Gracián zufolge: „el concepto: es un acto del entendimiento, que exprime la correspondencia que se halla entre los objetos“, hier „entre dos o tres cognoscibles extremos, expresa por un acto del entendimiento“, der auf „artificiosa connexion de los objetos“ ‚beruht‘ (Agudeza y Arte de ingenio, disc. ii, 320f.), „que el concepto, que la agudeza consiste también en artificio“ (319); zur Relation von concepto und agudeza (eher) als „opération de mise en forme par la parole“, vgl. M. Blanco (Pointe, 55f.; zu dieser berühmten Formel Graciáns vgl. 57f.); auftrennen will dies Ayala („Un arte para el ingenio“, LXXff.; vgl. Ruiz Ruiz, 38, 37ff., 47). Das Wort concepto

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Die sprachlichen Operationen der Zerlegung und Rekombination des Wortmaterials, die dieses Material anders konfigurieren und gegenlesen, es derart, wie Anagramme oder Wortwitze, puns, Kalauer, als in sich selbst gedoppelt/ gespalten ausweisen, werden mit der ausgeführten Metapher der Hydra durch eine unkontrollierbar-bedrohliche Produktivität gekennzeichnet. Diese wird bei Gracián (mit „tan hermosa especie“) auch in conceptos von christlichen Worten und der heiligen Schrift ausgespielt.424 Die Unregierbarkeit der Bezüge wurde aber insbesondere an Kalauern in der andauernden Tradition ihrer Abwertung425 als die Misstrauen erregende Leichtigkeit, mit der diese sich einstellen,426 durch die sie sich als ungedeckt, substanzlos zeigen,427 vermerkt. Im Anschluss an einen von Freud angeführten unaufhörlich derart witzelnden Kollegen ist zu vermuten:428 Sie lauern überall.

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führt das ingenio auch auf concebir (im sexuellen Sinne) zurück (vgl. Ayala, LXIX; M. Blanco, 60); oder die concepción Mariens (Gracián, Agudza y Arte de ingenio, disc. iv, 329, vgl. 327, 332; zu den weiteren Marien-Beispielen, vgl. Poppenberg, „Pasto del alma – alimento del espíritu“, 71f.; auch Jean Paul führt eine „unbefleckte Empfängnis“ an, zu der „eine unbefleckte Zeugung durch einen oder den andern heiligen Geist“ gehöre, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 145). Das kann als transformierte platonische furor-, mania- oder Inspirations-Lehre diskutiert werden (vgl. M. Blanco, 60; Engels, Sp. 401f.; Briesemeister, Sp. 312; ders., Art. „Conceptismus“, Sp. 306; Donato, „Tesauro’s Poetics“, 22; Buck, „Tesauro“, XVIII; Ruiz Ruiz, 76f.; Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221ff.); dies wird im Namen der ingeniösen ars (auch) zurückgewiesen (Egido, „La Hidra bocal“, 15ff., u.a.). So wenn die Namens-Paronomasie Petrus/petras von Gracián als ‚heilige Feinsinnigkeit‘ (sutileza) ausgespielt wird (Agudeza y Arte de ingenio, 561; Arte de ingenio (1642), 266; vgl. das Spiel über das Wort „piedra“ in disc. xv, dazu Poppenberg, „Pasto del alma – alimento del espíritu“, 74f.) – Oder ist die Begründung als Paronomasie eine Parodie? Ein Spiel? (Vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 15; Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 303). Freud vermerkt die „Geringschätzung“ dieser Witze, die „gemeinhin Kalauer (calembourgs) genannt werden und für die niedrigste Abart des Wortwitzes gelten“ (Der Witz, 45); die Unterscheidung, die K. Fischer sucht, um das calembourg als „das schlechte Wortspiel“ abzutun, „es spielt mit dem Wort nicht als Wort, sondern als Klang“, ist für Freud unerheblich (47); zu calembourg oder Kalauer vgl. Greber, Textile Texte, 134, 491-96, 516f. Mautner findet bei Fischart „schonungslos schlechte[] Kalauer – Klangspiele und falsche Wortzerlegungen zumeist“ in dessen Predigten: „[Ü]berzeugt war er sicherlich nicht von dem tieferen Sinn all der vielen hundert für uns meist albernen und geschmacklosen Wortspiele“ („Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 697). Kalauer seien „am ‚billigsten‘“, können „mit leichtester Mühe gemacht werden“ (Freud, Der Witz, 45f.), „zu leicht, als das man es machen sollte“, sei das Wortspiel (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192). „[S]o genügt beim Kalauer, dass die zwei Worte für die beiden Bedeutungen durch irgendeine, aber unübersehbare Ähnlichkeit aneinander erinnern“ (Freud, Der Witz, 46). „‚Ja, ich liege hier auf der Ka-Lauer‘“ (Freud, Der Witz, 47).

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Witzformen wie „Sprach- oder Kling-Witz“,429 zerlegende Buchstabenspiele oder puns, für die etwa Shakespeare berüchtigt war,430 werden im 18.  Jahrhundert als ‚veraltet‘ abgetan, und müssen dennoch immer wieder (unter Titeln wie „False Wit“) abgewehrt werden.431 Zwar fasst Jean Paul das Wortspiel als „ältere[n] Bruder des Reims“ und Anklangs auf,432 aber er gibt auch die historische Diagnose seiner Ausweisung aus der ernst-zu-nehmenden Poesie: „[W]urde das Wortspiel doch vom Druckpapier und aus dem Schreibzimmer meistens vertrieben und mit andern schlechtern Spielen in die Besuchzimmer gewiesen. Nur die neuern Poetiker rufen es wieder auf das Papier zurück.“433 429 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191; Cowleys „Ode: Of Wit“ bestimmt diesen negativ: „Tis not when two like Words make up one Noise“ (v. 41). 430 Der Namenswitz Will/will etwa in Shakespeare, Sonnet, n° cxxxvi: zu Shakespeares „anagrammatic play on proper names“ vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 10; Ahl, „Ars est caelare artem“, 22; Fineman, Shakespeare’s Perjured Eye, 26f. Gegen die puns und Shakespeares punning richten sich im Englischen die Abgrenzungen im 17. u. 18. Jh. (vehement Dr. Johnson), vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 6f.; Attridge, Peculiar Language, 188f.; ders., „Unpacking the Portmanteau“, 140; Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192. 431 Popes Essay on Criticism (1711/2) erteilt „Modes in Wit“ „Oft, leaving what is Natural and fit“ (vs. 447f., vgl. vs. 491, 497)) die Absage. „The rhyming Clowns that gladded Shakespear’s age,/ No more with crambo entertain the stage./ Who now in Anagrams their Patron praise/ Or sing Their Mistress in Acrostic lays?/ Ev’n pulpits pleas’d with merry puns of yore;/ Now all are banish’d to the Hibernian shore!“ (Einschub zwischen vs. 449 u. 450 (seit 1736), 289f., vgl. Intr., 200; crambo ist nach OED a „game“, „in which one player gives a word or line of verse to which each of the others has to find a rime“). „An’grams and Acrostique Poetrie“ wollte bereits Cowleys „Ode: Of Wit“ (1656) ausschließen (v. 44); (fast) wörtlich liest sich das in Addisons Verhandlung des „False Wit“, die Pope wohl beizog (The Spectator, No. 58-63, Mai 1711), die „anagrams, acrostics, and punning sermons of the reign of James I“ auftreten lässt, um sie in der Schluss-Allegorie (N° 63, (Ausg. 1804, 171), in der Schlacht ihrer Personifikationen von den Gottheiten „Truth“ und „Wit“ (prachtvoll und männlich) besiegen zu lassen; zu den abgewiesenen Witz-Modi, u.a. Ustick/Hudson, „Wit, ‚Mixt Wit‘, and the Bee in Amber“; Hooker, „Pope on Wit“; zur englischen Lage von Dryden bis Johnson, vgl. Attridge, Peculiar Language, 188-91, 194, 206f; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 137-73. Jean Paul kennzeichnet als „mechanischen Wiz“ den von 1770-80 (in „Nachricht“ zu einem fiktiven Aufsatz, SW II.1, 741). 432 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191; Wörter können „Wandnachbars-Reime“ sein (143, vgl. 193, 141); der Reim, der einen paronomastischen Zug hat (vgl. Fried, „Rhyme pun“; vgl. Attridge, Peculiar Language, 192ff., 205), faltet Identität und Differenz aufeinander (Derrida, „La double séance“, 309, vgl. 301-12/„Die zweifache Séance“, 311, vgl. 302-14). 433 Mit einem starken Vergleich: Es „verlor, nachdem er über alle Jahrhunderte regiert hatte, fast wie die Religion, im achtzehnten das gebildete Europa“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191f.). Ein Gespräch- als „Erzählungsspiel“ schildert das Pestitzer Realblatt: der Novellist erzählt eine Geschichte, die er „immer abbricht, um sich von einem nach dem andern einen fremden ungefügigen vieleckigen Stein geben zu lassen, den er in die Erzählung mit vermauern muß und der sie oft ganz quer hinausbauet.“ (SW I.3, 875f.).

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Darin aber kommen diese mit den „Alten“ überein, die sich („fast jeder“) mit der „Spielmarke des Wortspiels“ ‚bezahlten‘.434 Die Vertreibung macht die Besuchzimmer als Exil- und Randzonen der „Schreibzimmer“ aus, in denen der Witz marginalisiert ist.435 Jean Paul räumt dem Witz zwar ein ganzes „Programm“ seiner Vorschule der Ästhetik ein, doch zeigt er sich dem Wortspiel oder „Wortspielerwitz“436 gegenüber ambivalent. Er beschränkt das Wortspiel und setzt Grenzen, die (es) beschneiden und ausschließen. Die Reglementierung des Wortspiels erfolgt durch dessen Bindung an den Sinn,437 dieser ist hier der Ernst-Fall. Das hieß etwa mit der bereits (in I.2) zitierten normierenden Formel Popes: „The Sound must seem an Eccho to the Sense“,438 der zu erwidern wäre: ist nicht das Echo eine Paronomasie? Addison, der das playing on words als mere jingling of words abtut, will „a Piece of Wit“ dem Test unterziehen, „to translate it into a different Language, if it bears the Test you may pronounce it true; but if it vanishes in the Experiment, you may conclude it to have been a Pun“.439 Ein solches Kriterium der Übersetzbarkeit, das eine von den Worten unabhängig gegebene ‚Wahrheit‘ impliziert, weist Jean Paul mit „urbi et orbi“ als Beispiel „unübersetzlichen Witzes“ beiläufig witzig ab.440 Wenn er doch darauf zu setzen scheint: „Sogar von der Wahrheit, welche allen witzigen Ähnlichkeiten unterzulegen ist, kommt etwas, obwohl wenig, den wortspielenden zu; […] so steht einige Ähnlichkeit 434 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191f.; aus der Antike nennt er neben Aristoteles die großen Tragöden. Fast alle im Folgenden verhandelten Spiele datieren in die Antike, vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 81f., 90; Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 286ff., 303; Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 8. Teil, 55 (repr. 84). 435 Zu Spielen der (bürgerlichen) Salons wie u.a. den bouts rimés, vgl. Greber, Textile Texte, 373ff., 385ff., 429, 505f., 133f., u.ö.; vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd.  2, 67ff., 73f. Spiel als „Unterhaltung“ (Jean Paul, SW II.2, 182) gehört zu Harsdörffers FrauenzimmerGesprächsspiele[n], aber nicht (sowenig wie das Wortspiel) zum ästhetischen Spiel nach Kant oder Schiller. 436 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197. 437 „[T]aking a historical view“ bemerkt Empson (nach Pope), wit sinke in der Wertschätzung, insofern „sense“ zunehmend (unterscheidend) viele seiner Funktionen übernehme („Wit in the Essay on Criticism“, 99f.). Pope: „Sense surviv’d, when merry Jests were past“ (Essay on Criticsm, v. 460, vgl. vs. 626-30). Als „Scherz“ (vgl. Hecken, Witz als Metapher, 86-93) sind Wortspiele noch belangloser; Freud konzipiert einen Übergang von Spiel, Scherz, Witz, bei dem der erwachsene Sinn den Unterschied macht (Der Witz, 122ff.); vgl. aber Jaberg, „Spiel und Scherz in der Sprache“, 75-78. 438 Pope, Essay on Criticsm, v. 365. 439 Addison in The Spectator, No. 61 (Ausg. 1804), 160. Gracián zufolge, ist dgg. „la agudeza verbal“, so ans Wort gebunden, „que si aquella se quita, no queda alma, ni se pueden estas traducir en otra lengua“ (Gracián, Agudeza y Arte de Ingenio, disc. iii, 323), ohne dass dies deren Dignität schmälert. 440 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192.

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der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles zu erwarten“, ist das Unterlegen und Erwarten441 – statt gegenwärtiger Gegründetheit, die Jean Paul mit dem Anhalt bei den res in Anspruch scheint nehmen zu wollen, – mitzulesen, wie auch die mit dem Abstand, aus dem er kommt, dem „Widerhall“ je eingelassene tropische Differenz. Die Beschränkung des Wortspiels durch den Anhalt an die Sachen aber entziehen, ja verspielen Jean Pauls Fortschreibungen der vermeintlichen Anforderung442 (wie in Kap. I.3 zu lesen war). Um des Primats des Sinns willen zieht Jean Paul jedoch eine Grenze gegen dessen skripturale Ausprägungen, verwirft die Buchstaben-Spiele, die die semantischen Einheiten hintergehend deren asignifikative Elemente auftreten lassen. Das vollzieht sich in einer Kaskade von Verwerfungen: Mag sich auch der „Wortspielerwitz“ noch „durch vielseitiges Farbenspiel Gehalt“ erobern,443 so gehe er doch „in die erlaubte Willkür des vielsinnigen Silbenrätsels über (Charade), das, gleich allen Rätseln und Bienen, am Gebrauche des Stachels stirbt – dann verläuft er sich abgemattet ins Buchstaben-Spiel (Anagramma) – noch erbärmlicher in die anagrammatische Charade, den Logogryph – bis er endlich ganz im elenden höckerigen Chronogramma versiegt“.444 Jean Pauls Grenzziehung gegenüber dem, was die (vor allem) skriptural ausgewiesenen asignifikativen ‚Elemente‘ machen, ist historisch signifikant und zeitgenössisch schon mehr als eingeübt. Friedrich Kittler zufolge macht das „Aufschreibesytem um 1800“ aus, dass Sprachzerlegung zwar „nicht beim Wort stehen“-bleibe, „aber auch nicht über die Schwelle hinaus[gehe], jenseits derer das große Reich des Unsinns liegt“.445 Die Abwehr richtet sich, wie dies zeitgenössische Übung ist, 441 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. „Steht sie zu erwarten? Oder erledigt nicht diese Formulierung den Suspens der Erwartung noch mit?“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 219). Freud spricht von „Kindererwartung“ (Der Witz, 113f.). 442 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 443 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195; dafür leistet er sich nun ausgerechnet das skripturale Beispiel: „Speck-cûl-anten“, die ‚verstümmelnd‘ angeschriebene Lesart des ‚Namens‘ der „Nachbeter der spekulativen Philosophie“, womit ein Kupferstich untertitelt sei, der eine „Kette von Enten“ zeige, „welche sich am Faden eines Stückchens Speckes, den unverdaut jede wieder von der andern übernimmt, aneinanderfädeln“ (ebd.). Dies läuft nicht nur Adelungs Vorbehalt zuwider, „unerträglich“ seien Paronomasien, „wenn die Nahmen verstümmelt werden, um eine Aehnlichkeit mit Apellativen zu erzwingen“ (Ueber den Deutschen Styl, Erster Theil, 492f.), sondern verfiele – auch wenn dies die „Nachbeter“ parodieren sollte – Jean Pauls Verdikt gegen „hässliche Willkür“ des schriftlichen Wortspiels (SW I.5, 194). 444 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195; zu dieser Aufstellung u. deren Version in der 1. Aufl., vgl. Birus, Vergleichung, 85f.; vgl. auch Jean Paul, § 75 (erst der 2. Aufl. hinzugefügt, SW I.5, 275). 445 F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 48; die „Schwelle“ der Zerlegung im Aufschreibesystem 1800 liege beim „Minimalelement signifikativer Laute und Lautverbindungen“, zwischen

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gegen barocke Formen, als die diese Spiele wiederzuerkennen sind.446 Johann Christoph Adelung versammelt eigens die „skripturalen Kunstfertigkeiten“, „die [so Stefan Rieger], im Barock den Chorus Musarum stellen durften“,447 unter den „Unächte[n] Hülfsmittel[n] der Lebhaftigkeit“ in Ueber den Deutschen Styl (1785),448 um sie als nicht ernst zu nehmende „Kindereyen“, „After=Figuren“449 zu verwerfen, insofern sie „keine Wahrheit und Interesse“ haben,450 bzw. weil es möglich ist, dass sie „keine nützliche oder der vernünftigen Absicht des Schriftstellers gemäße Wirkung auf eine der untern Kräfte der Seele haben“,451 sie daher unter „Unsinn“, „Engl. Non-sense“ fallen.452 Die barocken Sprachoperationen charakterisierte Walter Benjamin (wie Mautner 1931 zitierte) mit: „Die Sprache des Barock ist allezeit erschüttert von Rebellionen ihrer Silben und Buchstaben (49); Beispiele im Folgenden werden diese clear-cut Trennung irritieren, solche Kleists (s. Kap. IV.1) wie Formeln F. Schlegels: der Buchstabe sei „Organ des Witzes“ (KFSA XVIII, 260 (Nr. 797); vgl. KFSA XVI, 167 (Nr. 984)). Die Geltung dieser Grenze stellt auch Chaouli bez. und mit der Frühromantik in Frage („Die ‚Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘ und das große Lalula der Romantik“, 120f.; zur ‚Instanz des Alphabets‘, ders., Das Laboratorium der Poesie (dtsch.), 158, 162f.). 446 Alle diese Wort-Spielformen finden sich in Harsdörffers Frauenzimmer-Gesprächsspiele, dessen Nähe zum europäischen Concettismus erkennbar ist (Windfuhr, Barocke Bildlichkeit), vgl.: Paronomasien (LXXXII) 2. Teil, 243ff.), Anagramme (oder Letternwechsel bez. der Namen (CXLVIf.) 3. Teil, 322-31 (Nachdr.  342-51), (CLXVIIf.) 4. Teil, 182-89); Logogryph (CCLXXV) 7. Teil, 501ff.). Harsdörffers Unterscheidung „Leichte Schertz= und Lust=Spiele“ und „Schwere Kunst= und Verstand=Spiele“, unter die „Buchstabenspiele“ fallen („Haubtregister“ 8. Teil (Nachdr. 667f. u. 669ff.)), kommt keineswegs mit der des 18. Jh.s von Spiel und Ernst überein. 447 Rieger, Speichern/Merken, 53. 448 Adelung, Über den deutschen Styl, Erster Theil, 513ff., 518; den dort verzeichneten Formen: Onomatopöie, Biblische Parodien und Anspielungen, Echo, Anagramm (§ 4), Sprichwort, Sinnbild, Räthsel (§ 7),  § 8 Logogriphen, Akrosticha, Chronogramme, entspricht Jean Pauls Abzählung. Vorlage könnte u.a. Addison „On False Wit“ sein (The Spectator, insb. N°  59, 60, 63). In Harsdörffers Frauenzimmer-Gesprächsspiele finden sich auch: Echos (1. Teil (LV) (Nachdr. 436), 2. Teil, 46-49 (Nachdr. 64-67)), Akrosticha (8. Teil, 47). 449 Adelung, Über den deutschen Styl, Erster Theil, 514. 450 Das mache die Paronomasie zum „Wortspiel“ (Adelung, Über den deutschen Styl, Erster Theil, 492f.). 451 Adelung, Über den deutschen Styl, Erster Theil, 514: „Es kommt dabey freylich auf einen gereinigten und unverdorbenen Geschmack an, denn sonst würden diese After-Figuren nicht zu manchen Zeiten ihr Glück gemacht haben, würden es nicht noch jetzt bey einer gewissen Classe von Lesern machen.“ (Ebd.). 452 So die Sprachregelungen Adelungs, Über den deutschen Styl, Erster Theil, 128. Bemerkenswert ist das ‚rhetorische‘ Staunen: „Da die erste Absicht, warum man schreibt oder spricht, darin bestehet, verstanden zu werden, so sollte man es kaum für möglich halten, daß vernünftige Menschen in Gefahr gerathen könnten, Unsinn zu sagen; und doch ist der Fall häufiger, als man wohl glaubt“ (128f.).

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Elemente“; sie werde „zerbrochen, um in ihren Bruchstücken sich einem veränderten und gesteigerten Ausdruck zu leihen“.453 Die Charade, die Jean Paul als „vielsinnige[s] Silbenrätsel“ noch „erlaubte[r] Willkür“ ausweist, eines der zeitgenössischen ‚Salonspiele‘, entspricht Graciáns Operieren mit den Eigennamen, dessen Zerlegung in seinen Elementen nachträglich latente andere Wörter lesbar macht.454 Wenn die Charade vor allem die Anweisung zu sein scheint, aus den Texten, aus Text-Elementen, in die dieser zerstreut gewesen sein muss, den ‚eigentlich‘ adressierten Namen zusammenzu-lesen, so kommt es aber nicht bloß aufs namentliche Resultat an. Vielmehr wird die Latenz unkontrollierbar vieler anderer Wörter, die zerstreut in den Wörtern auf der Oberfläche ab-/anwesend sind, angezeigt, werden die Wörter zu doubles, die anders lesbar werden.455 Der Text ‚spricht‘ zugleich von der Lese-Technik selber,456 und seine anagrammatische Potentialität wird absehbar. Anagramme, so Anselm Haverkamp, „schreiben sich ‚gegen den Strich‘ […] der syntaktischen Verknüpfungen und semantischen Sinnbildungen in das gegebene signifikante Material ein und […] führen es zurück auf eine Materialität vor jeder Signifikation“; „die Inschrift der Namen im signifikanten Material eines Textes [ist] als poetische Produktion aus diesem

453 Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, GS I, 381f.; Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 698. Die Sprache wird barock vom ‚Zer‘-Legen her gedacht, das zeigt 1673 Justus Georg Schottelius’ Horrendum Bellum Grammaticale/Der schreckliche Sprachkrieg: „Die Vorsilbe ‚zer-‘ bildet unter der Anführung des ‚Obristen Zer‘ einen ganzen Stoßtrupp“; die grammatische „Operation“ ist „zugleich eine kriegerische“ (Schäffner, „Erfindungskunst“, 434; vgl. Rieger, „Nachwort“, 184, 189). Die Wortspiele Weckherlins, die den „internationalen modischen Künsten nacheifern“, geben den „Vorklang reicheren […] witzigen, spitzfindigen […] Spaltens, Abhorchens und Ausbreitens der Wörter im Hochbarock“, so Mautner (695). 454 Etwa in Graciáns Beispiel An-cor-a (Agudeza y Arte de ingenio, 561); vgl. „Charaden“ von Friedrich Haug in: Dencker (Hg.), Poetische Sprachspiele, 97. 455 Vgl. Freud zur „Scharade“ (Der Witz, 33). Das „anagrammatic play on proper names“ ist „a dissemination or dispersal of the proper name, the transformation of it into the elements of a world – in short, a foundation of letters“ (Culler, „The Call of the Phoneme“, 10); vgl. bez. der Anagrammatik der Charade, von Graevenitz, „Gewendete Allegorie“, 112-17. 456 Explizit macht das Goethes Gedicht „Charade“, das eine solche ist. Das Spiel geht nicht im einen Namen auf, „‚Zwei Worte‘“ sind vielmehr „nicht nur [Ausgangs-]Material, sondern auch Ergebnis des Kombinationsspiels“, neben dem Eigennamen „Herzlieb“ auch mit poetologischer Selbstreferenz: „Charade“ (von Graevenitz, „Gewendete Allegorie“, 113). Solche Spiele finden sich in Goethes West-östlichen Divan, z.B. „Vergleichung“, wobei Jean Paul in den Kontext der Spiele mit den östlichen Poeten gestellt wird („Noten und Abhandlungen“, Werke Bd.  2, 186, 183-86; vgl. Birus, „Wechselspiel von Spiel und Ernst im West-östlichen Divan“; ders., Vergleichung, 81-90; von Haselberg, „Musivisches Vexierstroh“, 192ff.).

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Material zu bestimmen“, das derart nicht es ‚selbst‘ ist.457 Es manifestiert sich insbesondere als Buchstäblichkeit, mit dieser wehrt Jean Paul die ‚Gefahr‘ der Produktivität der „Teilchen der Teilchen“458 vor und nach den Wörtern, in der die Kraft des Witzes als die „der Teile nicht des Ganzen“459 sich geltend macht, ab. Gerade die schriftlichen „Teilchen“ können dem Sinn gegenüber, den sie mitteilen mögen, sich sperrig zeigen:460 Skripturale Merklichkeit bekommen Buchstaben im „elenden höckerigen Chronogramma“, das diese als Majuskeln aus dem semantischen Wortzusammenhang hervortreten lässt, um sie als lateinische Zahlzeichen einer anderen Lesbarkeit zuzuführen, so dass sie etwa in Harsdörffers: „Der hoChLöbLICHen FrVChtbrIngenDen/ GeseLLsChaft VrsprVng“, mit der Semantik der Worte übereinkommend, die „Jahreszahl 1617, bemerkend den Anfang hochbemelder Gesellschaft“ zu lesen geben.461 Die Buchstaben ermöglichen eine schriftlich angezeigte, andere überspringende, Unterbrechungen einlassende Zusammen-Lesung zur Jahreszahl, insofern sie die semantische Lesbarkeit der Wort-Einheiten sperren, sie dissoziieren und auf ihre vorgängige Zerlegbarkeit verweisen. Seine Schriftlichkeit kennzeichnet den Text als double, als Schauplatz ana-grammatischer Lesbarkeit(en). Die Jean Paul zufolge verfehlte Aufmerksamkeit für die Buchstaben verwirft er im Nachgang, verschärfend, in Kleine Nachschule zur Ästhetischen Vorschule (1825), u.a. – ein wenig paradox – fürs Lipogramm, das sich die Regel gibt, einen bestimmten Buchstaben nicht zu benutzen: „wenn man wie Brockes ein 457 Haverkamp, Art. „Anagramm“, 137f.; als Anagramme aufgefasst werden können alle von Jean Paul zitierten Formen, auch Lipogramm, Akrostichon, Palindrom, Echo, Paronomasie u.a., die Adelung wie Harsdörffer aufführen (vgl. 133; zum „Bestand[] an vorfindlichen anagrammatischen Befunden“, 137, zu barocken ‚Anagrammatismen, 143; vgl. Wheatley, Of Anagrams, (zur Wort-Zerteilung) 57). Jean Paul erwägt „Scharaden und Anagramme[]“ unter den „Mitteln“, die wie der „Witz in der Kinder- und Schulstube anfangs, wie in Vorzimmern und Nähsälen, den Vortritt […] erhalte[n]“, auch wenn sie „aber nur [!] zur Reflexion über die Sprache dienen“, daher „Rätsel“ „und Gesellschaftsspiele“ besser seien (Levana, SW I.5, 843). 458 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195. 459 „Neben der Apotheose des Witzes“ stehe in Vorschule der Ästhetik „der Widerstand gegen ihn als Kraft der Teile, nicht des Ganzen“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 212). 460 „Um 1800 gilt die ‚Liebe zum Wort‘ oder ‚Philologie‘ weder dem Wort noch jenen asignifikativen Elementen, die da Phoneme oder Buchstaben heißen. Sie gilt einzig dem Geist oder Signifikat der Sprache“ „nichts von Buchstäblichkeit und Geschriebenheit des literarischen Wortes“ (F. Kittler Aufschreibesysteme, 48f.); den Vorhalt dgg. gibt Chaouli, Laboratorium der Poesie, 163f.; ders., „Die ‚Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘ und das große Lalula der Romantik“, 120f. 461 Zit. nach Dencker (Hg.), Poetische Sprachspiele, 62; das Exemplar Friedrich von Logaus in Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 82, vgl. Kap. IV.1; weitere Beispiele u.a. in Wheatley, Of Anagrams, 3ff.

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Gedicht ohne R schreibt“.462 Dieses, wie das von Jean Paul als dessen ‚Positiv‘ aufgeführte Akrostichon, das (mit höchst ehrwürdiger Geschichte) in (Zeilen-) Anfangsbuchstaben (die Wörter zerlegend) andere lesbar macht,463 fassen die Rede „wie ein Setzer“,464 mit der Vorliebe für Buchstaben, für Wörter in Hinsicht ihrer Zerlegbarkeit und Re-Kombinierbarkeit auf. Buchstaben sind durch ihre Verstellbarkeit bestimmt, die der sog. „Letternwechsel“,465 das Anagramm und seine Formen, gegen-lesend, aktualisieren, wie der Witz durch die „bloße Stellung“ siege, nicht mehr der Soldaten, sondern der sprachlichen „Teilchen“.466 Unter der Überschrift „Romanen–Musaik“ kreidet Jean Paul diesen Spielen die Grundlosigkeit der Spiel-Regeln an,467 die diese Formen „überwundne[r] Schwierigkeit“ zugleich in ihrer „Willkür“ ‚enthüllen‘.468 Zu diesen Formen gehören die bouts-rimés, ein Vers-Spiel, das der Vorgabe willkürlich ausgegebener 462 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 461; zum Lipogramm vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd.  2, 93f., Beispiele (ohne R, M, L) Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele CCLXXX, 8. Teil, 50-53 (Nachdr. 183-87); LXVIII, 2. Teil, 164ff. Als „bedingte Buchstaben“ auch der umgekehrte Fall des Tautogramm (LXIX, LXX, 2. Teil, 173 (Nachdr.  191)), das einen Buchstaben so oft als möglich anbringe, z.B. das RegeN-Gedicht (1. Teil (Nachdr. 143f.)); vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 94f. 463 Sowohl Sentenzen als auch Namen (vgl. Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele (CCLXXX), 6. Teil, 47; Wheatley, Of Anagrams, 44ff.). Umgekehrt sind Logogriphe (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195), Buchstabenrätsel, deren Lösung in der Hinzufügung oder Abtrennung von Buchstaben besteht: L-eiche/Eiche (vgl. Kuhs, Buchstabendichtung, 192; Harsdörffer (CCLXXV) 7. Teil, 501ff.; Dencker (Hg.), Poetische Sprachspiele, 98, 104). 464 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461; zum Setzer und dessen Rekombinieren im Zugriff auf den Setzkasten vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 22ff.; Campe, „Schreibstunden“, 150, 159. „Man könnte versucht sein, die ganze Epoche [das Barock] anagrammatisch zu nennen nach dem überwältigenden Eindruck der verselbständigten Letternmatrix, die durch die Möglichkeit des mechanischen Drucks noch stärker hervortritt.“ (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 143; vgl. Rieger, Speichern/Merken, 45-48; Willer, „Fallen, Stellen“, 207f.). 465 Zum „Letternwechsel“ mit den Beispielen: Spiegel–Gespiel (Harsdörffer, FrauenzimmerGesprächsspiele, 4. Teil, 182-89 (Nachdr.  226-33)), Lieb–Bley, gedeutet mit: „Die Lieb verraeht sich selbst und weiset, daß sie sey/ Geschwind zerschmolzen Erz/ und bald erkaltes Bley“ (CXLVI, 3. Teil, 327, 322-32 (Nachdr. 347, 342-52)). 466 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 180, 174f.; die grammatische Operation des Zerlegens ist Schottelius, Der schreckliche Sprachkrieg, „zugleich eine kriegerische“ (Schäffner, „Erfindungskunst“, 434). Aber: „Einmal selektiert, dürfen die Glieder immer wieder zu ihren neuen Körpern gefügt werden“ (Rieger, „Nachwort“, 184, 189). 467 Die Regeln der Spiele sind kontingente, ohne Fundament; das macht Spiele aus (vgl. H.-J. Frey, „Spielen“, 263f., 266, 262-68). Jean Paul definiert das Spiel nicht, sondern führt es aus: wie Rabelais mit seiner Spiele-Liste (Gargantua I, xxii, 192-201; Fischart, Geschichtsklitterung, Bd. 1, 246-55; Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 142). 468 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461; HKA I.16, 422f.

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Reimworte als Matrix kombinatorischer poiesis untersteht,469 die trotz grammatischer und semantischer Ein-Fügung, nicht ins ‚Innere‘ integriert, sich neben den (aus dieser Vorgabe hervorgehenden) Text geschrieben behaupten470 und umgekehrt im generierten Text (gleichsam akrostisch lesbar) zerteilend graphisch intervenieren.471 Es ist ein Spiel, das nichts hervorbringt, was als in sich geschlossenes Werk durchginge, ein Spiel, das den Text als kombinatorischen autoreferenziert und markiert,472 der – wie durch Reime als „Erinnerung und Ahndung“ anderer Wörter473– gegen seine vermeintliche Linearität, zerlegend, quer-verbunden ist. Alle diese Figuren geben „anagrammatische Befunde“,474 fassen Wörter als Vexierbilder einer Text-Oberfläche, die „in ihren manifesten Zügen“ sich anderen Lektüren leihen kann, andere Lesarten birgt, latent ab-anwesend hält,475 deren Züge in der Simultaneität der Fläche in verschiedene Linien oder Figurationen eintreten können, in denen (als ihren jeweiligen Kontexten) sie andere wären. Das tun sie, so Derrida, aber nie in derselben Zeit.476 Sie 469 Zu bouts-rimés bei Jean Paul, vgl. Greber, Textile Texte, 477ff.; sie gehören zu den jeu d’esprit in Gesellschaft, die als „Unfug“ abgetan werden (zu Geschichte und Funktionieren, vgl. aber 373-78, 402-08, eine veritable „Gattungstheorie“, 385-400). Addison führt „boutsrimez“ (sic.) unter den Modi des „False Wit“ (The Spectator, N° 60, (Ausg.1804) 154ff., (Ausg. 1799) 143ff.). Trotz Jean Pauls heftiger Abwehr findet sich ein ähnliches als „Erzählungsspiel“ im Pestitzer Realblatt mit Vor- und Eingaben, die der Erzählende „in die Erzählung mit vermauern muß und der sie oft ganz quer hinausbauet“ (SW I.3, 875f.), und Jean Pauls Leben Fibels nimmt „Abcbilder als bout rimés zu Einer Geschichte“ (sic., Berend, Einleitung zu HKA I.13, XCIII, vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 176, Greber, Textile Texte, 477f.). 470 Vgl. den Eintrag „Bouts-rimez“ aus Johann Georg Hamanns Poetisches Lexicon (81), in Greber, Textile Texte (391; zur „Heterogenität“ der „rimes inconciliables“, 398, 410f.). 471 Vgl. Greber, Textile Texte, 423, 406f. (zu Jean-Francois Sarasin (1654), Der Karfunkel oder Klingklingelalmanach. Ein Taschenbuch für vollendete Romantiker und angehende Mystiker. Auf das Jahr der Gnade 1810, hg. von Jens Immanuel Baggesen, Tübingen o.J. (1809)); zur Graphie, 433-42. 472 Zur Kombinatorik der Texte, vgl. Greber, Textile Texte, 429-59, 474-82, 494f.; vgl. im Folgenden. 473 August Schlegel, Berliner Vorlesungen, 1, 326f.; vgl. F. Schlegel, „Die Entwicklung der Philosophie“, KFSA XII, 403. Zum Verhältnis von Reim, Kombinatorik und Poesie, vgl. Greber, Textile Texte, 412-19, 421f. 474 „Anagrammatisch im weiten Sinne“ sind „alle Umstellungen, durch die ein Wort in ein anderes oder mehrere andere Wörter verwandelt oder über den weiteren Kontext, mit mehr oder weniger Rücksicht auf Reste und Verdoppelungen, verteilt ist“ (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 137). 475 Das Vexierbild ist ab-anwesend: „besetzt sozusagen die manifesten Züge, […] und zeugt in diesen Zügen von etwas anderem, das sich da eingenistet hat“ (Nägele, Literarische Vexierbilder, 27). 476 Derrida, „Das Papier oder ich, wissen Sie …“, 226.

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stellen Modelle einer anderen, einer anagrammatischen Lesbarkeit,477 und zwar nicht bloß mit dem gegebenenfalls aufgefundenen anderen Sinn. Vielmehr ist nie entscheidbar, ob der Doppel‚sinn‘ von Namen und Attributionen, von Buchstaben und Ziffern etwa als geheimer Sinn478 heraus-zulesen oder spielerisch ein-zu-lesen und damit je wieder an diesen Raum der latenten Verknüpfungen mit ungewissen Effekten zurückgestellt ist.479 Während Gracián pries, dass durch die Operationen der Zerteilung und Permutation ‚aus jeder Silbe eine ingeniöse Subtilität‘ und, die Schriftlichkeit markierend, ‚aus jedem accento ein concepto‘ ‚geboren‘ werden könne,480 scheint es Jean Paul offenbar zweifelhaft, ob ein solches Resultat – im Ernst – als Sinn zu nehmen wäre. Dies bestimmt ihn zur Ambivalenz dem Wortspiel gegenüber.481 Von der „Kraft“ der Teile ‚droht‘, Jean Paul zufolge, eine in keine Gestalt der Ganzheit integrierbare Produktivität diesseits der Kontrolle durch Intention oder mitzuteilenden Sinn, die Gracián als die unabsehbare, durch Zerstückelung des sprachlichen Ausdrucks freigesetzte, der Sprach-Hydra eher staunenswert ist. Die nicht vom Sinn regierten sprachlichen Verknüpfungen 477 „Vexierbild und Rebus rücken aus den Unterhaltungsseiten der Zeitungen und Zeitschriften des 19. Jahrhunderts in eine Methodik des Lesens im 20. Jahrhundert“, der Freuds, Saussures u.a. (Nägele, Literarische Vexierbilder, 27f.). Saussures AnagrammStudien stoßen, so zeigte Starobinski, auf einen „nicht linearen Raum querlaufender Codes und diskontinuierlicher Sinneffekte“ (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 139, vgl. 136, 144, s. Kap. I.6); zu Mallarmé mit Benjamin, vgl. B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“, 302-32. 478 Das „wichtigste Vorkommen“ des Wortspiels in der Antike war „als Orakel“, so Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 684. Als Chronogramm zitierte der lutherische Pfarrer M. Stiefel Joh. 19, 37: „VIDebVnt In qVeM transfIxerVnt“ (Sie werden den sehen, den sie durchbohrt haben) und las derart die Prophezeiung des Jüngsten Tages fürs Jahr 1533 (Heinrich, De numeratione multiplici, 1605, nach Wheatley, Of Anagrams, 5). 479 „Schreiben setzt fortwährend Sinn, aber immer nur, um ihn zu verflüchtigen.“ (Barthes, „Der Tod des Autors“, 62) 480 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 560; auch die zerlesene Isabel/Y-sabe-él ist ein Beispiel für die vom accento gemachte rein schriftliche Differenz (vgl. Schumm, „Psychoanalyse eines Namenswitzes“, 959); vgl. Jean Pauls jeune/jeûne general (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 112f.), zur schriftlichen Markiertheit vgl. das unglaubliche „Speck-cûlanten“-Beispiel (195); Kap. I.6. 481 Diese ist in keiner Periodisierung des Jean Paul’schen Werks aufzufangen; zur ‚schwankenden‘ Bewertung des Witzes bez. der ‚Wahrheit‘, vgl. Wölfel, „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendliche nachhallt‘“, 30-45; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 333; Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232f.. Auch innerhalb der Vorschule der Ästhetik ist der Witz vor allem zwischen Poesie und Philosophie und Durchgang zu beiden (vgl. SW I.5, 201; HKA, I.11, 186), durch Schaffung von Freiheit und Gleichheit, das Gegenstück (durch Gleich-Gültigkeit) zur Poesie, deren Ganzheit im Anthropomorphismus der Gestalt vorgestellt ist, während der Witz doch auch Teilstück der Ganzheit (des Genies) – ohne möglichen Übergang zu dieser ist.

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heißt Jean Paul „Zufall“, „der durch die Welt zieht, spielend mit Klängen und Weltteilen“: mit Sinn-Effekten,482 ebenso den „wahren Reiz des Wortspiels“ ausmache, wie Jean Paul die Ambiguität des Zufalls ‚selbst‘ (den es nicht als ‚reinen‘ gibt) vermerkt: „Jeder Zufall, als eine wilde Paarung […], gefällt uns vielleicht, weil darin der Satz der Ursachlichkeit (Kausalität) selber, wie der Witz, Unähnliches zu gatten scheinend, sich halb versteckt und halb bekennt.“483 Derart heißt „Zufall“ die Ambiguität von Kontingenz und Sinn. Jean Pauls Vorschule kennzeichnet einerseits den Witz als „allein“ erfindend, also ohne Vorbild, und insofern durch „fragmentarische Genialität“,484 mit der von F. Schlegel entlehnten Metapher des Blitzes: mit so unvordenklichem wie nicht-substantiellem Resultat.485 Auch das ingenio löste die inventio aus der Bindung durch die Vorgabe der imitatio486 und suspendierte die Unterscheidung von Finden von Verborgenem und Erfinden dessen, was ohne Vorlage ist.487 Wenn Jean Paul zufolge „die taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit der Sprache“488 das Divergente ähnlich mache oder gleichsetze, dann hat das wohl einen Effekt als simulacrum der sprachlichen Relationen, ist dieser aber als Effekt ‚ohne Grund‘ nicht substantiell verbuchbar,489 nicht als „Goldstück“ in den Beutel zu sammeln.490 Wenn andererseits Jean Paul für das Wortspiel die ‚Deckung‘ der Anklänge der Wörter gesichert, durch einen Sach-Zusammenhang untersetzt sehen, er „die Erlaubnis der Wortspiele“ „nur unter […] Bedingungen“ erteilen will, zu denen gehört, dass 482 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 483 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193; s. Kap I.2. 484 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. dgg. die Ganzheit in den Phantasieu. Genie-§§, 47-67: 49, 51, 56, 64f. 485 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171, 173f. 486 Vgl. M. Blanco, Pointe, 54; Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, (mit Batllori) 57ff., 66, 149; Kramer, „Artificio und ingenio“, 262f. 487 Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 102-05, 109f.; für „wit“ im 17. Jh. vgl. Iser, „Manieristische Metaphorik in der englischen Dichtung“, 275, vgl. 274-77; zu Gracián s. das Folgende. 488 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. 489 Das Nichts in Hinsicht des Sinns ist Sprach-Materie: alles (mögliche), vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“, 151. 490 Mit dem von Jean Paul vorgeführten „recht fehlerhaften Beispiel“ Lessings für (fortgesetzte) Allegorien: vom „‚Beutel [der als Hervorbringung des Seidenwurms auftritt], um das Gleichnis‘ (eigentlich die Allegorie) ‚fortzusetzen, in welchen ich die kleine Münze einzelner Empfindungen‘ (wo ist hier ein Natur-Übergang vom Seidenwurm zur Münze, welche vollends als kleine wieder in eine dritte Allegorie überläuft? –) ‚so lange sammele, bis ich sie in gute wichtige Goldstücke allgemeiner Anmerkungen‘ […] ‚umsetzen und diese zu dem Kapital selbstgedachter Wahrheiten‘ (– hier seh’ ich die vierte Allegorie, aber wo bleibt der Seidenwurm? –) ‚schlagen kann‘“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 190f.).

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„es sich mit dem Sach-Witz gattet“,491 dann führen die Fortschreibungen in ‚Windeier‘ und Windbeuteleien. Wie könnte man dies erfindend entscheiden? Es wäre „da erlaubt“, wo im unverhofften Effekt (bloß) Bekanntes wiedererkannt würde.492 Oder, mit einer weiteren Volte des Spiels: Was der Sprachzufall zuträgt, wird mit Sinn ‚investiert‘. Erst derart wird der Zufall, im Effekt, in dem „Kausalität“ „sich halb versteckt und halb bekennt“, begegnen,493 als Zufall einer Koinzidenz im Zutrag der Sprache.494 Das ist die Unentscheidbarkeit, die Zufall heißt. Halten zum einen die genannten anagrammatischen (Spiel-)Formen für das her, was Jean Paul aus dem Bereich der erlaubten Wortspiele ausschließen will, so bestimmt er zum anderen den „Witz“ überhaupt als „Anagramm“, als die lesende Zerlegung und Verstellung „der Natur“, der „atomistisch“ ihm gleichgültige Elementen wechselt und verstellt, nur an Relationen interessiert, „ohne wahre Verbindung“.495 Er „will nichts als sich und spielt ums Spiel“, schreibt Jean Paul dem Witz zu und limitiert den Witz, indem er ihm als Anagramm, das an jenen „wahre Verbindung“ (die es jenseits seiner geben müsste – oder auch nicht) nicht interessiert ist, Phantasie und Poesie entgegensetzt. „Alle Anagramme sind [das macht sie vor allem aus] in andere Anagramme aufzulösen.“496 – Sie öffnen als Zwischen-Raum einen Hintergrund anderer Lesbarkeiten, die an jeder temporären jeweiligen Lektüre schattenhaft teilhaben. Ingeniöse Erfindung – Kombinatorik – Ereignisse Für die als Anagrammatik des Witzes angesprochenen Verstellungen, zerlegenden Re-Kombinationen von ‚Elementen‘ führt Jean Paul doch auch ein Plädoyer (in einer bemerkenswert (de-)platzierten Fußnote, anhängend

491 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 492 „Der Witz ist, im Sinne Bouhours’ oder Addisons, immer falsch – oder genauer: richtig nur aus nachträglichem Zufall, den dann das iudicium abnicken kann.“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 218) 493 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193; vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 2; „the urge to motivate“ (11ff.). 494 Es ist „der Zufall der Sprache, die innerhalb dessen, was sie sagt, in ihrer Allmacht dasteht, und der Zufall ist nur eine Art, das unwahrscheinliche Zusammentreffen von Wörtern in Diskurs zu verwandeln“ (Foucault, „Warum gibt man das Werk von Raymond Roussel wieder heraus? Ein Vorläufer unserer modernen Literatur“, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits – Band I. 1954-1969, 554). 495 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, hier und das Folgende: 201, 47. 496 Rinck, Risiko und Idiotie, 166.

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an §  54),497 indem er eine fiktive Poetik des kombinatorischen Operierens entwirft: ob nicht eine Sammlung von Aufsätzen nützete und gefiele, worin Ideen aus allen Wissenschaften ohne bestimmtes gerades Ziel – weder ein künstlerisches noch ein wissenschaftliches – sich nicht wie Gifte, sondern wie Karten mischten, [so daß sie] folglich, ähnlich dem Lessingschen geistigen Würfeln, dem etwas eintrügen, der durch Spiel zu gewinnen wüsste.498

Auch Gracián gebrauchte die Metapher des Kartenmischens, „barajar las sílabas de nombre a verbo“, ein Umstellen der Teile des Namens das (vielfältig) andere Wörter erzeugt,499 ihn antonomastisch gegenliest. Mit ausgeschnittenen Buchstaben-Karten ebenso wie -Würfeln wurde barock hantiert, um ‚Letternwechselnd‘, -verkehrend, -versetzend zu anagrammatisieren,500 wie mithilfe von beschrifteten Würfeln oder Karten Buchstaben wechselnd Lesen geübt wurde,501 was Jean Paul auch auf Brett- und Glücksspiele bezieht.502 Buchstaben oder Lettern stellten das Prinzip der Zerlegung vor, als ‚Glieder‘503, 497 Sie hängt dem letzten Satz des § 54 „Notwendigkeit deutscher witziger Kultur“ an und steht derart vor/unter dem  § 55 zum ‚gelehrten Witz‘ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f.). Vgl. auch in den Ausgaben Vorschule der Ästhetik nebst einigen Vorlesungen in Leipzig über Parteien der Zeit, Hamburg 1804: die Fn. dem § 51 „Nothwendigkeit witziger deutscher Kultur“ angehängt, auch zu Füssen von § 52 „Bedürfnis des gelehrten Witzes“, 2. Abt., 334f.; auch in der erw. 2. Aufl. 1813 angefügt am Ende von § 54 „beweiset *).“, ebenso zu Füssen von § 55 „Bedürfnis des gelehrten Witzes“, 2. Abt., 419f. 498 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f.; das ist auf Jean Pauls Exzerpten– Handhabung zu beziehen, in Kap. III.1. 499 Damit vergleicht er die Vielfalt („la variedad“) der agudezas (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 571); die die agudeza ausmacht, vgl. Egido, „La Hidra bocal“, 28ff.; Battistini, Art. „Acutezza“, Sp. 94; M. Blanco, Pointe, 250-54, 283-87. 500 Zu „Letternwechsel“ bzw. -Versetzung Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 3. Teil, 322, (CXLVI) 342, zu dessen Operationalisierung  4. Teil, 185 (Nachdr.  229); vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd.  2, 73, sowie P.  V.  Zesen, zit. nach Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 130. 501 Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 5. Teil, 72 (Nachdr. 184). 502 „Buchstaben von Elfenbein räth Quintilian zum abc – Basedow gebakne – ein Neuer eine Lotterie, ein Buchstabendamenbrett. LZ. 92“ (Jean Paul, Exzerpt 22-1791-79, in: „Schreiben Abzeichnen Eingraben“ (mitget. von M. Will), 11). 503 Anl. des „Letternwechsel“ leitet Harsdörffer „Letter“ als (‚eigentlich‘) deutsches Wort her: „let oder lit ist mit der Vorsylben Gelied/ daher Augenlieder/ glitter/ zergeliedren/ u.d.g.“ (Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 4. Teil, 184 (Nachdr. 228); vgl. 8. Teil, 47 (Nachdr. 87)). Die Lettern tragen dem barocken Sprachprinzip „einer Zergliederung schon etymologisch Rechnung“: „Solches Wort Letter/ das ist membra, die Glieder/ oder Gliederlein nach Hochteutscher Mundart“ (Schottelius, zit. nach Rieger, „Nachwort“, 184). Jean Paul macht (darin) der Lettern und des Witzes (als „Anagramm der Natur“: „ohne wahre Verbindung“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201) Unverträglichkeit mit darstellerischer, als organische

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die sich anagrammatisch, wechselnd, verstellend, re-konfigurieren mögen. Mischen, und zwar von diskreten und beweglichen Elementen wie Karten, gehört, so Andreas B. Kilcher, zu den termini technici der Kombinatorik.504 Diese operiert über ein begrenztes Set von Ausgangselementen, das auch Alphabet hieß,505 die (nach formalen Regeln) in ‚wechselnde‘ Relationen ver-/gesetzt und so aus ihnen eine in Erstaunen versetzende Anzahl von Konfigurationen erzeugt werden – wie die Schrift, wie der Buchdruck mit beweglichen Typen.506 Dies ist das Prinzip anagrammatischer und wortpermutativer Dichtungen seit der Antike, die sich selber reflektieren, indem sie die ‚Kombinatorik‘ von Schrift und Text ausführen.507 Ramon Llulls (1232-1316) ars combinatoria wurde von der frühneuzeitlichen Kombinatorik Kirchers, Leibniz’ u.a. als Technik, Kunst und Modell des Wissens (von Allem) ausgebildet;508 sie stelle, so Leibniz, alles, was von Dingen „zu inventieren möglich“, wie den „Weg“ dahin.509 F. Schlegel zufolge, ist kurz „Witz, ars combinatoria, […] Erfindungskunst, […] alles einerlei“.510 Jean Paul, gedachter Ganzheit aus, die er als die lebendige „Einheit ihrer Bilder“, dem „Wesen […] aus kämpfenden Gliedern“ entgegensetzt (SW I.5, 187). 504 Als „mixtio“, so Kilcher, mathesis und poiesis, 358, 364, 367; als „[s]yntagmatische Kombination [der Teile] des Materials zu neuen Sequenzen“, Cramer, Exe.cut[up] able Statements, 32f. Insofern wäre aber nicht, so aber J. Neubauer, im „Witzbegriff von Jean Paul“ (schlicht) der „kombinatorische Hintergrund verloren“ (Symbolismus und Symbolische Logik, 132); dgg. auch Greber, Textile Texte, 479, 477ff. 505 So Lullus (Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 50, 53); zu Lullus u. Kircher, vgl. Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97, 101; zu Lullus, Leibniz u.a. vgl. Kilcher, mathesis und poesis, 357-60, 366ff.; Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 164f.; Schäffner, „Erfindungskunst“, 429; mit Leibniz vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 129. 506 Der Buchdruck mit beweglichen Lettern modelliert Anagrammatik (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 143); für den Zusammenhang von Kombinatorik und Buchdruck mit beweglichen Lettern, vgl. Rieger, Speichern/Merken, 45-48; Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 484-89, 492ff.; Willer, „Fallen, Stellen“, 207f. Buchstaben-Spiele sind als anagrammatische kombinatorische Spielformen. 507 Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 9ff., vgl. 62ff.; für die Kombinatorik der Sprache (frühneuzeitlich Schottelius, Harsdörffer u.a., 76-81) und der Texte stehen Saussure und Jakobson (13); zu Kombinatorik als (strukturalistisches) Text-Modell, vgl. Greber, Textile Texte, 428-59, 195-221, 568-600. 508 Zur Kombinatorik, überblicksweise Traninger, Art. „Kombinatorik“, Sp. 1154-63; zum frühneuzeitlichen „enzyklopädistischen Lullismus“, Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 309, 55; s. Kap. III.1. 509 Leibniz, zit. nach Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 129. 510 F. Schlegel, Phil. Frag., KFSA XVIII, 124 (Nr. 124), vgl. 381, 281; Phil. Vorl., KFSA XII 403ff.; vgl. Kilcher, mathesis und poesis, 375, ders., „Lessings Changeant“, 271-74; Wiethölter, Witzige Illumination, 106); zur kombinatorischen Genialität des Witzes, „kühnen und

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der vom Witz als „Findkunst (Heuristik)“ spricht, wo er diese entbindet,511 lobt ihn als Übung im Mischen, das mit Vorfindlichem hantiert, „selber zu erfinden“, wie er es als das von Karten operationalisiert.512 Ist in der zitierten Fußnote nicht von Buchstaben, sondern „Ideen“ zu lesen, so müssen/dürfen diese (letztere, wie erstere), statt „einsiedlerisch“ sich zu verhausen, doch ihre Stelle wechseln: „rochieren“,513 wie Figuren im Schachspiel dies in der Relation zu einer gegebenen Spielfläche tun können, auf der jeweilige spatiale AnOrdnungen möglich werden, wie sie umgekehrt durch solche Konstellationen, die gelesen werden müssen und Lesemodelle abgeben, jeweils neu bestimmt werden.514 Entscheidend über den Wert einer Spielfigur ist die jeweilige Stelle in einer (jeweiligen) spatialen Anordnung, die „Stellung“, durch die allein auch der Witz siege.515 Verfahren im Spiel sind ein Operieren über Verstellbarkeiten, das unaufhörlich neue Konfigurationen: Lesbarkeiten, erzeugt.516 So sind Spiel-Karten wie sprachliche ‚Elemente‘ nicht nur durch ihre Stellung im ‚System der Stellen‘, d.h. (mit Saussure) negativ differentiell durch die anderen

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überraschenden Kombinationen“ (KFSA IIII, 81-85) von Heterogenem, vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry, 18-36, 133-36; Greber, Textile Texte, 475-79. Wo er den Polterabend aller Kopulationen feiert (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202). „Freilich müssen die Kenntnisse schon vorher da sein, die man mischen will.“ (Jean Paul, Levana, SW I.5, 842; Die unsichtbare Loge, SW I.1, 135). Mischen von Karten „nicht wie die Gifte“ könnte ein Vorbehalt gegen F. Schlegel sein, demzufolge der Witz: „ars combinatoria“ (KFSA XVIII, 124 (Nr. 124)), „chemisches Vermögen“ sei (129 (Nr. 90); vgl. KFSA II, 200 (Nr.  220), 232, 248 (Nr.  426), 366; „Lessings Gedanken und Meinungen“, KFSA III, 84). Heißt Schlegel den Witz „eine logische Chemie“, so als „die Wissenschaft aller sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaften“ (Athenäum-Fragmente, KFSA II, 200 (Nr. 220), vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry, 160, 165), mit dem „mischend“ das „wieder trennend“ implizierend. Novalis zufolge ist der Witz auch „lösungsmittel, das alle festen Stoffe aufzulösen vermag (N II, 435). Das ev. ‚chemische System‘ Schlegels wäre „a fusion, a chemical Verbindung, of system and non-system. It can only come about with a violent fission that enables the combination as it undoes it“ (Chaouli, „Critical Mass, Fission, Fusion“, 148, vgl. 138, 146ff.). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199f. Zu Schachfiguren vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 264; zum Schachspiel als Modell des Spiel der Sprache (bei Saussure), vgl. S. Weber, „Saussure and the Apparition of Language“, 931-35. Schach-Texte sind autothematisch – hinsichtlich Raum und Bewegung, vgl. Greber, „Figur und Figuration im Schachfigurengedicht“, 239-42, s.u. Kap. III.1. Die „bloße Stellung“ von „Silben und Soldaten“, die „ausgehoben“ wurden, lasse im Witz (wie in der Schlacht) siegen (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 180, 175) – wie Freud zitierte; „ars typographica und ars militaris [wurden] in der frühen Neuzeit“ enggeführt (Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 486). Anders als das Spiel der Worte allerdings endet ein Schachspiel, und es hat unter den Spielfiguren einen unersetzbaren König, der allein rochiert werden kann.

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‚bestimmt‘, nicht sie selbst,517 sie sind als sprachliche Zeichen vielmehr „iterierbar“,518 zitierbar, durch keinen Kontext, der sie jeweils ausmacht und den sie umgekehrt konfigurieren, gebunden.519 Das witzige „Spiel mit Umstellungen und Versetzungen des Elements“ aktualisiert, so Wellbery, „seine stumme Beweglichkeit, seine Iterierbarkeit andernorts […]. Dem Sinn als der (konventionellen) Zuordnung von Element und Stelle inhäriert ein Unsinn, den der Witz spielend entbindet.“520 Die Versetzungen und Verstellungen haben keine ursprüngliche und keine wiederherzustellende Verankerung.521 Jede „Zuordnung“ ist, so sinnvoll sie sich geben mag, iterierbar, virtuell in und aus sich verschoben eine andere. Insofern löst der Witz aus dem Strukturalismus der Kombinatorik522 und spielt diese unhaltbar aus. Das „Lessingsche […] Würfeln“ kann Jean Paul, wie schon oft vermerkt wurde, von einer Bemerkung Moses Mendelssohns zur „Gewohnheit Lessings in seiner Laune die allerfremdesten Ideen zusammen zu paaren, um zu sehen, was für Geburten sie erzeugen würden“, bezogen haben: „Durch dieses ohne Plan hin und her Würfeln der Ideen entstanden zuweilen ganz sonderbare Betrachtungen, von denen er nachher guten Gebrauch zu machen wußte.“523 517 Saussure, Cours de linguistique générale, 157-67/Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 143, 132-138, 140-46. 518 Derrida: „the identity of a mark is also its difference and its differential relation“, ist die ‚anfängliche‘ Möglichkeit, „to emigrate in order to play elsewhere“ („My Chances“, 16). Daher ist kein sprachliches ein Element; denn jedes (das gilt auch für die Buchstaben) ist iterabel: „which allows a mark to be used more than once“, „it is more than one“; gerade die „internal difference“, „divisibility“ macht es aus (10). 519 Zeichen können mit ihrem Kontext (in dem sie bestimmt sind) brechen, so Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 333ff., vgl. 339; vgl. Attridge, Peculiar Language, 202f., 190ff. Derrida, wie andere folgen nicht Saussures Scheidung von langue und parole wie von synchronischer und diachronischer Auffassung, vgl. S.  Weber, „Saussure and the Apparition of Language“, 925-37, (mit Bezug auf die Anagrammstudien) 922; Culler „The Sign: Saussure and Derrida on Arbitrariness“, 132-35. 520 Wellbery zu Sternes Tristram Shandy (einer wichtigen Referenz Jean Pauls) („Der Zufall der Geburt“, 313f.), mit Derridas Iterierbarkeit („Signatur Ereignis Kontext“, 333ff., 339, 343, 346); zu Tristram Shandys Versetzungen als „incidents or accidents“, vgl. ders., „My Chances“, 28ff. 521 Derrida, „Die weiße Mythologie“, 263, 271, 259f.; Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313; Attridge, Peculiar Language, 203. 522 Dem von Lacan favorisierten Saussureschen Wolken-Regen-Wellen-Schema (Grundfragen, 133, Cours, 156) folgend: diese nur momentane geregnete Zuordnung von Signifikanten zu Signifikaten unterliegt (potentiell) fortwährend einer Verschiebung, die sich von keiner Struktur beschränken lässt (Derrida, „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel“, 422-25, 440f.). 523 In der Beilage zum Brief von Mendelssohn (1. August 1784 an Jacobi), „Die Beylage. Erinnerungen an Herrn Jacobi“, 115; vgl. Kommentar zu Jean Paul, Vorschule der Ästhetik,

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Harsdörffers Gesprächsspiele gibt mit der Schluss-Arabeske eines umrankten Würfels unter dem Motto: „Auf manche Art verkehrt“, die mise en abyme auch des eigenen kombinatorischen Verfahrens.524 Würfeln ist ein Verfahren der inventio im ‚verkehrenden‘ Re-Kombinieren, das das als ‚Verkehrtes‘ Erzeugte an unabsehbare andere Wechsel-Operationen suspendiert. Jean Paul gibt sich die Aufgabe vor: „Unähnliche und heterogene Ideen wie Lessing zusammenpaaren“ oder „würfeln“,525 „zusammenwürfeln und kombinieren wie Lessing“.526 „[E]ine ganz eigentümliche Kombination der Gedanken, deren überraschende Wendungen und Konfigurationen sich besser wahrnehmen als definieren lassen“, hat F. Schlegel Lessing zugeschrieben,527 die er als Witz und dem frühromantischen nahe mit den Begriffen des „Kombinatorischen“ wie des Fantastischen, ohne Vorlage heterogen konfiguriert, fasst.528 Würfeln SW I.5, 1221; G. Müller, „Jean Pauls Privatenzyklopädie“, 76; ders., Jean Pauls Exzerpte, 321f.; Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 137; Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“ 48; darauf kommt vor allem Kap. III.1 zurück. 524 Harsdörffer, Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 8. Teil (Nachdr. 679); vgl. Cramer, „‚Auf man­ che Art verkehrt‘“, 41f. (mit den rankenden Zweigen handle es sich auch um eine mise en abyme der arabesken Fülle, vgl. die Abundanz der conceptos, nach M. Blanco: „comme un dédale d’arabesques se ramifiant à l’infini“, Pointe, 63). Harsdörffers Gesprächsspiele gebe eine encyclopädische Kombinatorik der Spiele (Ernst, „Litteratura Lusoria“, 197-200). ‚Verkehren‘ wird als eine Etymologie des Würfel-Werfens: vertere; und dieses derart als anagrammatische Operation aufgefasst (Valtolina, „Die Scharaden Heinrich von Kleists“, 4); vgl. Harsdörffer/Schwenter, Deliciae Physico-Mathematicae, Oder Mathematische und Philosophische Erquickstunden, 2. Teil, 514; vgl. Kilcher, mathesis und poesis, 375f. 525 Jean Paul, Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 553; Quintus Fixlein, SW I.4, 225; Studier-Reglement, HKA II.6, 568 u. 553; Fasz. IX Heft 7, Februar 1795) neben „Gedankenblitze“ (Fasz. IX Heft 1-2) in den Heften (vgl. HKA II.6 App. 146; Goebel, Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 77ff.; G. Müller, „Jean Pauls Privatenzyklopädie“, 76; ders., Jean Pauls Exzerpte, 321). 526 Quintus Fixlein, SW I.4, 225. Der Komponist des Jean Paul’schen „Maschinenkönigs“ „bestand aus einem Paar Würfeln, womit“ dieser „nach den im Modejournal gelehrten Regeln des reinen Satzes einige musikalische Fidibus erwürfelte“ (Palingenesien, SW I.4, 904). 527 F. Schlegel, „Lessings Gedanken und Meinungen“ (1804), KFSA III, 51, 81-85; vgl. Kilcher, „Lessings Changeant“, 269-75. 528 F.  Schlegel, „Lessings Gedanken und Meinungen“, KFSA III, 81, 83ff. Lessings „Witz ist sehr spekulativ, und gewiß auch besonders in der spätern Zeit sehr fantastisch. […] Alle den originellen und merkwürdigen Konfigurationen dieses Witzes und den genialischen Wendungen seines Styles zu folgen, das bleibt dem Leser überlassen, nichts leidet ungerner einen Kommentar, oder rächt sich so bitter an demselben, als ein Produkt des Witzes“ (85). Da Lessing zufolge eine „Kunstwelt“ dadurch zustande komme, dass „die Teile der gegenwärtigen Welt versetzet, vertauscht […]“ werde (Hamburgische Dramaturgie (34. Stück), 257), schließt J.  Schmidt nicht nur auf den „witzigen Kopf“, der „geschickt kombinieren“ könne, sondern „auf seine Ars combinatoria“, auf die er „vertraue“, derart ‚wie das Genie‘ verfahre (Geschichte des Genie-Gedankens, 92).

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wie Karten-Mischen sind als ‚kombinatorische‘ versetzend gegenlesende: anagrammatische Verfahren, die Ereignisse witziger, ungegründeter, instabiler Kopulationen generieren. Rhetorik und Poetik ordneten dem ingenium (auch) die Aufgabe der inventio zu,529 die als ars inveniendi, als „Verfahren“ in Bezug auf die Topik ausgebildet wird.530 Lullus’ ars combinatoria nachfolgend, die ein Alphabet von Ausgangselementen auf Tafeln anordnet, um sie re-kombinieren zu lassen, setzt die frühneuzeitliche Kombinatorik, „mater aller inventionen“ so Leibniz,531 eine Topik als Ordnung der Orte voraus, auf denen ‚Sachen‘ und ‚Worte sitzen‘,532 die jeweils einzitiert werden, und setzt derart die topoi und deren Ordnung wechselnd in Bewegung.533 Die geregelten Operationen der Kombinatorik über ein begrenztes Repertoire von Elementen bringen, gerade wenn sie mit Wechselrädern, maschinellen Vorrichtungen der Vertausch- und Verstellbarkeit in wechselnden Relationen handhabbar gemacht und vorgestellt werden sollen,534 nicht (bloße) Wiedergaben (imitatio) von allgemein Bekanntem, bereits Gewusstem hervor, sondern sie eröffnen im Verfahren Unbekanntes.535 Setzt die ingeniöse inventio, die sich nicht an das Naheliegende und Ähnliche hält, auf das Ferne und Unähnliche ihrer Konnexionen,536 so tendierte auch 529 Engels, Art. „Ingenium“, Sp.  383f., 389-92; Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp.  360; Winkler/ Goulding, Art. „Witz“, 701. 530 Rieger: „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 179, 185-88. Die Topik ist als Organisation der loci communes (u.a. in der Rhetorik Ciceros) der inventio zugeordnet (vgl. Willer, „Orte, Örter, Wörter“, 42-48; ders., „Fallen, Stellen“, 206ff). 531 Leibniz, zit. nach Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 129. 532 Die Topik wurde spätestens frühneuzeitlich zur „Materialanordnung“ (Kilcher, mathesis und poesis, 364, 370f.); s. Kap. III.1. 533 Die statische Gedächtnisordnung oder Topik wird durch die Kombinatorik ‚umgewälzt‘ (Yates, The Art of Memory, 176; Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und MagieEntlarvung“, 97f.). 534 Harsdörffer präsentiert Lullus’ ars combinatoria, als in Bewegung zu setzende: indem in drei Reihen angeordnete Elemente gegeneinander ‚gedreht‘, jeweils ‚wechselnd‘ kombiniert werden (Frauenzimmer-Gesprächsspiele, CCII u. CCIII, 5. Teil, 12-16, 126); die Lull’sche Tabelle macht Athanasius Kircher zu Wechsel-Rädern, vgl. Lachmann/ Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 99f. Quirinus Kuhlmanns Permutationsgedicht Proteus–Sonett „XLI. Libes-kuß“ gibt die metapoetische Formel aus: „Alles wechselt“ (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 216; vgl. Greber, Textile Texte, 631; Kilcher, mathesis und poesis, 377). 535 Vgl. Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97f. Insofern kann die „auf überraschende Konstellationen des Disparaten angelegte“ Poetik  F.  Schlegels wie Jean Pauls an die „lullische ars combinatoria“ anschließen (Kilcher, mathesis und poesis, 375); vgl. F. Schlegel, Phil. Frag., KFSA XVIII, 124, vgl. 281. 536 Schulmäßig hieß es (nur) „scheinbar“, „Aehnlichkeiten, die nicht jeder gleich wahrnimmt“, „verborgener“, demnach wäre ingenium oder Witz nur Finden oder Entdecken (so etwa Wolff, vgl. Kilcher „Das unsichtbare Netz“, 112, u.ö., u.a. s.o.). Das lässt sich

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die Kombinatorik, die der Inbegriff des geregelt Intelligiblen zu sein scheint, zur Entgrenzung. So machte die „Euphorie der totalen Kombinatorik“: alles mit allem,537 keineswegs Halt vor ‚unschicklichen‘, nicht dem decorum entsprechenden, regelverletzenden, ja monströsen Verkuppelungen,538 wie sie die Ingeniösen sich erlauben.539 Denn neue Verknüpfungen geben ingeniöser Er-Findung Raum: mit ‚verschwierigender‘, zu bewundernder Artifizialität, die pointierend staunenswerte Koinzidenzen erzeugt.540 Dies wird auch von F. Schlegels Rede vom ‚kombinatorischen Witz‘ impliziert: „Es läßt sich zeigen, dass, je größer die Fülle ist, die er umfaßt, je entfernter die Gegenstände, die er verbindet, desto höher und kombinatorischer der Witz ist.“541 Das ingenio profiliert sich, während die alte Rhetorik das ingenium vor ihrer lehrbaren Kunst, an deren Rande situierte,542 im paradoxen Unternehmen der einerseits auf Aristoteles’ Zusammenhang von Metapher und ingenium (griech. euphuîa) (Poetik 22, 1459a (griech./dtsch., 74-77) zurückführen; andererseits übersteigt es die Regeln; daran wird angeschlossen von Cicero, demzufolge das ingenium auf das geht, was nicht schon ‚vor den Füßen liegt‘ (De orat. II 35. 147f.; vgl. II 250. 254), und weiter von der acutezza, agudeza, der franz. Pointe (nach Pons, Art. „ingenium“). 537 Rieger, Speichern/Merken, 63f.; Kombinatorik gehe bis zum Letternrauschen, vgl. 131-42, 45ff., 48, 64, 67. 538 Rieger, Speichern/Merken, (zu Harsdörffer) 64; auch andere stehen „in der Schuld, Unzusammengehöriges illegal verbunden zu haben“ (141). 539 Vgl. Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, Sp.  992; „bei Gracián und Tesauro [gibt es] dann beinahe keine Verkuppelungsverbote“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 60; vgl. Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 223). Das geht bis zu monströsen Kombinationen, gefürchteten Kontaminationen und Mischungen (Donato, „Tesauro’s Poetics“, 26f.), die die Metaphern-Maschine Tesauros auswerfen kann (Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 230ff.). Eine Wechsel-Maschine Kirchers zeigt den Betrachter u.a. als tierisches oder anderes Unwesen, vollzieht seine Metamorphosen („Magia Catoptrica“ in Kircher, Ars magna lucis et umbrae, 901-906, insb. 903, Bildtafel XXXIII, Fig. 4 (Abb. 1.); vgl. Nicolosi, 222, 220ff.; Roßbach, Die Poiesis der Maschine, 45f.). Vom „monstruo de los ingenios“ spricht Gracián (vgl. M. Blanco, Pointe, 38; C. Johnson, „Graciáns artificios“, 207), wie dann Diderot das „Werk eines ‚homme de génie‘“ als „monströsen Akt“ auffasst, der mit überkommenen Wissenstraditionen bricht, neue Entdeckungen und neue Zusammenhänge herstellt (Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, 405, 412, 414). Ein Monster ist das motvalise nicht nur als Wörter-ineinander-Fügung, sondern auch als eine solche von Regel und Aregularität (vgl. Grésillon, La règle et le monster, 13, 130). 540 Zur „sutileza“ der ingeniösen Kunst, zur Verschwierigung der „correspondencias“ wie der agudeza des concepto, vgl. Gracián Agudeza y Arte de ingenio, disc. vi, 359; disc. iv, 330; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 104-07. 541 F.  Schlegel, „Die Entwicklung der Philosophie“, KFSA XII, 403. „In Beziehung auf das Wissen […] kann man den Witz als Vermögen, die Ähnlichkeiten zwischen Gegenständen aufzufinden, die sonst sehr unabhängig, verschieden und getrennt sind, um so das Mannigfaltigste, Verschiedenartigste zu Einheit zu verbinden, den kombinatorischen Geist nennen.“ Dieser, „das erfindende Genie“ werde „als Witz anerkannt“ (403f.). 542 Quintilian, Inst.or. X,2,12 (2. Teil, 490f.); es sei Fundierung der ars, von keiner einholbar.

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Abb. 1

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Athanasius Kircher, „Magia Catoptrica“, in: Ars magna lucis et umbrae (1646), Bildtafel XXXIII, Fig. 4.

arte de ingenio,543 mit Regeln des nicht Regulierbaren, der Regelüberschreitung und des Neuen, überbietet als Para-Rhetorik die (traditionelle) Rhetorik,544 ‚Glanzlichter setzend‘.545 „[D]ie pointierte, scharfsinnige Rede“ ist, so Ricardo Nicolosi, „sowohl eine Originalschöpfung des ingenium als auch das Produkt einer ingeniösen Suche, die sich des Dispositivs einer hochentwickelten Topik

543 Zu ingenium und ars, Buck, „Tesauro“, VII; frühneuzeitlich werde es in Verfahren überführt (Stöckmann, Vor der Literatur, 82f., 85-100). Zur Paradoxie des ingeniösen Vorhabens eines Traktats „de arte de ingenio“, vgl. Ayala, „Un arte para el ingenio“, LXIV. Zur Konkurrenz von Genie und ars, Greber, Textile Texte, 422-28 (mit weiterer Lit.), zu genio und ingenio, M. Blanco, Pointe, 26f.; Ayala, LVIII. Der „Erfindungskunst“ wird im 18. Jh. mit dem Genie „Erfindungsnatur“ entgegengesetzt (Rieger: „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 179, 185-88), d.i. das „Dispositiv der Verdeckung aller Verfahren“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 202). Dgg. setzt Dichtung der Moderne der vermeintlichen Natur kombinatorische Verfahren entgegen (so J.  Neubauer, Symbolismus und Symbolische Logik; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, insb. dessen Kapitel 6-8). 544 Lachmann spricht von Para-, Spezial- und Totalrhetorik („Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 107, 104ff.; vgl. Hocke, Manierismus in der Literatur, 135; Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, Sp. 992; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 73, 90). 545 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. i, 314, disc. ii, 319; vgl. 569, 570, 673. Die agudeza überbiete „las figuras retóricas“ durch Glanzlichter: „realce del concepto“ (disc. l, 673, vgl. disc. xx u. lx); realce kann mit erhoben, erhaben übersetzt werden, auch physisch, so dass es vom Licht erfasst oder picktural ein ‚Licht‘ gesetzt ist (Diccionario de la Lengua Española, 1733).

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und Kombinatorik bedient“,546 um es zu dem „eine[r] regelüberschreitende[n] überbordende[n] Phantasie“ zu machen.547 Die ingeniöse Er-Findungs-Kunst hintergeht (so Tesauro, so Sarbiewski) die traditionellen Regulierungen und Zulässigkeiten gerade durch die Formalisierung von Topik und Invention als Maschine, die alle Pointen erschöpft,548 und die umgekehrt die Aufmerksamkeit auf die „Verfahren, die das Unstimmige mit dem Stimmigen zu verknüpfen erlauben“, lenkt.549 Die Verstellungen550 erzeugen ein „enthierarchisierte[s] Reservoir ingeniöser Neu-Verbindungen“,551 in dem die (gegebene) „Wissensordnung“ kollabiert.552 Auch Jean Paul gibt der „Findkunst“ eine wilde Feier der wechselnden irregulären Kopulationen aller.553 Die ingeniöse inventio suspendiert die Unterscheidung von Auf- oder Vor-Finden (von eventuell Verborgenem) und Erfinden von Neuem,554 die 546 Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 219; vgl. Woods, „Gracián, Peregrini, and the Theory of Topics“, 854, 856-63; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 86. Die inventio agiere zwischen Vorfinden und Erfinden (Greber, Textile Texte, 419ff.); die (rhetorische) ars inveniendi (die Wolff u.a. als Auffinden bestimmte) wird zur „Erfindungskunst genau in dem Sinne, in dem sie durch kombinatorische Operationen aus bekannten Elementen Neues hervorbringt“ (Schäffner, „Erfindungskunst“, 435f.). 547 Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 219ff., 231, vgl. 226ff.; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 105; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 84, 90. 548 So Tesauros Metaphern-Maschinen oder -Räder (Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 222ff.) und vor allem Sarbiewskis Pointenmaschine (M. Blanco, Pointe, 176-79, vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 60ff., 84); sie akzentuiert die Spannung zwischen langwieriger Disposition aller Topoi und dem schnellen Effektuieren eines bon mot (M.  Blanco, 178); vgl. Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 133. Einen anderen Aspekt von máquina, im Sinne von Simulakrum, Täuschung (M.  Blanco, 26f.), zeigt Graciáns „composición artificiosa del ingenio, en que se erige máquina sublime“ an (Agudeza y Arte de ingenio, 327). 549 Und „nicht so sehr“ auf die „Findung von Sätzen über ungewohnte Sachverhalte“ (Lachmann, Zerstörung der schönen Rede, 116). 550 M. Blanco zufolge erzeugt Sarbiewskis Maschine mit jeder Drehung eine schlagartige Verstellung: „on regroupe par coup des tous les éléments“ (Pointe, 177f.). Ohne Formalisierung, über Teile der Topik zitiert Gracián aus einem großen Reservoir („circunstancias“ der Zeiten und Orte, „causas“, „contingencias“, „attributos“, u.a.) möglichst ‚Extravagantes‘ (vgl. 294ff.), herauslösend und deplatzierend, neue Umstände in der artificiösen sprachlichen Artikulation erzeugend (54, vgl. 62f.). 551 Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 60. 552 Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 219ff. 553 Ein „Polterabend“ der ‚wilden‘ promiskuen Paarung aller (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202); „couples“ (und zwar alle möglichen) bildete u.a. Sarbiewski (M.  Blanco, Pointe, 177f.; vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 108), dessen Traktat ungedruckt blieb; aber das acumen als „discordia concors“ wurde von S. Johnson (Lives of the the Poets I, 29) und nach Masen von Morhof (De acuta dictione) übernommen (Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 33f., 155; vgl. M. Blanco, 172). 554 Vgl. Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 131, 148; Wehr spricht auch vom ‚Entdecken‘ von verborgenen Zusammenhängen („Vom Entdecken zum Erfinden“, 230,

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im Interesse gesicherter Erkenntnis (Locke, Wolff, Kant u.a.) halten müsste. „Qualitätsmaßstab“ der „glücklichen Funde“ „applizierende[r] Suche“ ist die „Nicht-Offensichtlichkeit des Gefundenen“.555 Graciáns agudeza nimmt die Fülle ungeahnter und extravaganter Verknüpfungen aus jeweiligen Lagen und Umständen als Gelegenheiten, wie sie Namen in ihren Teilen fürs Lesen anderer Wörter geben („ocasiona[n]“),556 als Gelegenheiten zu ingeniöser Artifizialität, ‚Erhebung‘ oder ponderación,557 zu überbietenden, der Rede dgg. Kramer, „Artificio und ingenio“, 262; zu den Widersprüchen  C.  Johnson, „Graciáns artificios“, 202ff.). Im ingenio und seiner Artificiosität ist auch der ingeniero zu lesen (vgl. Nitsch/Wehr, „Einleitung“, 8; Kramer, 258, u.a.). 555 Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 86; dies hinsichtlich des von Augustinus bezogenen autoreferentiell lesbaren Beispiels Graciáns von der concepción Mariens: „Ex sinu Patris in uterum dignatur descendere Matris, quae dum desponsaretur fabro coelis nupsit Architecto“ (Agudza y Arte de ingenio, disc. iv, 329, vgl. 327, 332), in dem zwei nichtoffensichtliche Korrespondenzen überkreuzt sind: Schoß des göttlichen Vaters – Schoß der menschlichen Mutter; die Nebensache der Verehelichung der Gottesmutter mit einem Zimmermann – (als Figura) des göttlichen Vaters, des himmlischen Architekten (vgl. Knörer, 86; M. Blanco, Pointe, 256). Gracián zufolge: „consiste su artificio en sacar una consequencia extravagante y recóndita“ (zit. 296). 556 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 560. Die ocasión ist die günstige Gelegenheit: „oportunidad o comodidad de tiempo o lugar, que se ofrece para ejecutar o consegir una cosa“, die ‚sich bietet‘, aber ergriffen werden muss, impliziert „peligro o riesgo“ (des Mißglückens) (Diccionario de la Lengua Española, 1090). Mit Okkasionen und Umständen (Gracián: circunstancias, Tesauro: circonstanze) wird argumentiert, Lage-abhängig agiert, wo Kausalität fehlt oder ‚unvollständig‘ ist (vgl. Dembeck, Texte rahmen, 138f., 141-72; occasio sei ein Kausalität „auflösende[r] Begriff“, so Schmitt, Politische Romantik, 120). In Hinsicht der Bindung an Beispiele und Umstände ist das ingenio der agudeza der praktischen prudencia analog (vgl. C. Johnson, „Graciáns artificios“; Kramer, „Artificio und ingenio“, 264f.; M. Blanco, Pointe, 32; Ayala, „Gracián y el Ingenio“, 184, 181; Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 47, 142, (mit allerdings unzulänglicher Fassung des Wahrheits-Bezuges) 56, 60-64, 122f.); juicio akzentuiert hier dgg. Wagner, Art. „Iudicium“, Sp. 688ff., vgl. 664). Während die (alten) Okkasionalisten in „Gott, dem objektiven Absoluten […], Gesetz und Ordnung wieder“-finden (Schmitt, 24), ist Gracián „Gott nicht die einzige Garantie der Wahrheit“ (Hidalgo-Serna, 141-46), ist er mit der agudeza verbal vielmehr ins Spiel gezogen (Agudeza y Arte de ingenio, 574). Jean Paul spielt die „Gelegenheit“ als Abort der Funde in Leben Fibels aus (SW I.6, 523, s. Kap. III.2). 557 „[El nombre] ocasiona los reparos y ponderaciones misteriosas“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 560, vgl. 434, 359). Ponderación ist die concettistische Vokabel (Graciáns) für die ingeniöse ‚Wichtung‘: „a kind of heightened expression, be it in invective, paradox, exaggeration, or sententiousness“ (Woods, „On Pondering la ponderación in Gracián’s Treatise on Wit“, 642f.), die pointierende, funkelnde oder blitzende. F. Schlegel scheint daran anzuschließen: die „Produkte“ des Witzes müsse „man nach dem Gewicht würdigen“, wie Caesar es mit „Perlen und Edelsteinen“ machte (KFSA II, 239). Die ingeniöse Ausbildung ist zu erinnern, wenn Leibniz von ponderar als Wägung im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die gegenüber dem bloßen Zählen „der anzeigungen“ die Wichtung der Anteile von Elementen einführte (Dotzler, Papiermaschinen, 199ff.; ders., „Die Swift-Maschine“, 259-62).

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‚­erhabene‘ ‚Glanzlichter‘ (auf)setzenden,558 staunenswerten Schwierigkeiten und erschwerten Korrespondenzen,559 überraschenden Koinzidenzen als „trofeos“ der verblüffenden artificios. Bei Gracián sind sprachliche Verfasstheit und ‚Gedanke‘, agudeza und concepto, nicht voneinander lösbar;560 denn (auch) bei „conformidad con el entendimiento“ handelt es sich um „algún sutilésimo artificio“;561 die Unterscheidung ‚objektiver‘ von ‚subjektiver‘ Ästhetik ist derart suspendiert.562 Das concepto ‚ist‘ acto (Gracián), „pensée en acte“, so Mercedes Blanco, das artifiziös Relationen artikuliert, indem sie sprachlich ausgereizt werden,563 die „sutileza objetiva“ (Gracián) der „correspondencias ingeniosos“ kein stabiles Objekt: „Elle n’a pas d’existence 558 „Mas si sólo el exprimir esta correspondencia y armonía, que se halla entre los extremos objetivos, es sutileza y obra grande del pensar, qué será cuando no se contente con eso sólo un grande ingenio, sino que pase adelante y llegue a realzarla“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. iv, 334). Artifizialität, die ins Extreme treibt, setzt ‚Glanzlichter‘ durch Erhabenheiten oder (wie) pikturale Höhungen: „realce/s“ de sutileza, de exageración, de misterio usw. (329, 326, 336f., 339, 347, 569, 570, 673). 559 „La verdad, cuanto más dificultosa, es más agradable, y el conocimiento que cuesta, es más estimado. Aqui funda sus vencimientos el disc. y sus trofeos el ingenio.“ (Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. vi, 359). „Cuando esta correspondencia está recóndita […] es más sutil, cuanto más cuesta.“ (disc. iv, 330; vgl. Carreter, „Sobre la dificultad conceptista“; C. Johnson, „Graciáns artificios“, 207; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 86ff.; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 104, 107; Ruiz Ruiz, „Agudeza y Arte de ingenio de Gracián“, 62ff., 38f.). 560 Vgl. die bereits zit. definitorische Formel Graciáns (Agudeza y Arte de ingenio, 320; mit M. Blanco: „Il n’y a autre acte de conception que la parole elle même, il n’y a de pensée que verbalisée.“ (Pointe, 57). 561 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 317f., 326, 352. Der „acto del entendimiento“ der ‚Verständnisakt‘, als den Gracián das concepto ‚definiert‘, ‚besteht‘ aus artificio: „que el concepto, que la agudeza consiste también en artificio“ (disc. ii, 319f.), zu pointieren und ingeniös auszulegen (559, 561). Solche Wendungen ignoriert Hecken, Witz als Metapher, 51. 562 Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 109f., 102-05. Die „operationale[] Herstellung“ dementiert ein „vorgängiges“ „Ordnungsgefüge der Welt“ (Kramer, „Artificio und ingenio“, 262f., 258), oder zerschneidet (bei Tesauro) das „Band zwischen dichterischer Phantasie und Wirklichkeit“ im „höchste[n] Selbstgenuß des ingeniösen Witz[es]“ (Buck, „Tesauro“, XXI; vgl. Donato, „Tesauro’s Poetics“, 21f., 24-28); zur Ambivalenz im Verhältnis von ingenio, agudeza und artificio (Gracián: „composición artificiosa de ingenio“) vgl. C.  Johnson, „Graciáns artificios“, 202f., 200-04, 210f.; Wehr, „Vom Entdecken zum Erfinden“, 229ff., 220ff., Hidalgo-Serna, Das ingeniöse Denken bei Gracián, 146, 55,123-26, 130f., 134; M. Blanco, Pointe, 55f. 563 M. Blanco, Pointe, 57f., zu den Ambivalenzen 248ff. Gracián: „el concepto: es un acto del entendimiento, que exprime la correspondencia que se halla entre los objetos“, „entre dos o tres cognoscibles extremos, expresa por un acto del entendimiento“ „la artificiosa connexion de los objetos“ (Agudeza y Arte de ingenio, disc. ii, 320f., Hvhg. BM, vgl. M. Blanco, 319); die Wörter expresar und exprimir, wörtlich: auspressen (vgl. Ayala, „Un arte para el ingenio“, LXVIII) dürfen keineswegs im Sinne von Ausdrucksästhetik fehlverstanden werden.

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en dehors de l’acte discursif qui l’exprime, pas de durée en dehors de l’instant de son expression“,564 sie hat den ephemeren Charakter „d’une rencontre de mots dans une texte“.565 Daher redet Gracián von Glück: suerte,566 dem Glück im Glücken des concepto, der Koinzidenz, die die pointierende Sublimität des artificio macht, der feliz, glücklichen agudeza.567 Lessing habe, so wurde Mendelssohn zitiert, vom Zusammengewürfelten „zuweilen“ „nachher guten Gebrauch zu machen“ gewußt.568 Offenbar gibt es Vorbehalte gegenüber dem (bloß) Ausgewürfelten. Die Zulässigkeit (auch) der jeweiligen Fälle der Kombinatorik: alles mit allem,569 war fraglich; wie die inventive, undurchsichtige Fülle des ingenium dem iudicium570 konnten/ mussten sie einem externen Urteil unterworfen, sortiert werden.571 Angesichts der ausgeworfenen Fälle von Kombinationen durch Zuwürfeln oder aus Metaphern-Maschinen (etwa Tesauros) wird die „Lücke“ fürs iudicium zur

564 M. Blanco, Pointe, 57. 565 M. Blanco, Pointe, 58. 566 „Suerte“ heißt (u.a.) „cuando es con propriedad grande y muy conveniente al sujeto, es sublime el concepto“ (Gracián, Agudeza y Arte de Ingenio, disc. xxxii, 569; vgl. disc. II, 320, disc. iii, 323, 329, auch 331f., 334, 341; vgl. auch 346, 354, 360, 363, 365, 437, 576, 578). 567 „feliz“ (glücklich) taugt als Prädikat der agudeza: „gustos felices, tan cebados [erregt, gezündet] en la delicadeza, tan hechos a las delicias [Genüsse] del concepto“ (Gracián, Agudeza y Arte de Ingenio, 315), „felicidad“ [de conceptos] (318, 435, 562, u.ö.) etwa im Falle der „felicísima agudeza el sacro y adorado nombre de Dios“ (disc. xxxii, 574). 568 Mendelssohn, „Die Beylage. Erinnerungen an Herrn Jacobi“, 115. 569 Mit Athanasius Kirchers (Ödipus Aegyptiacus 1652-55) „machina mundi sei ‚alles mit allem‘ (omnia in omnibus) kombinierbar“ (Kilcher, „‚Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort‘“, 94f.; vgl. Rieger, Speichern/Merken, 63f.; Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5., 202). 570 Quintilian Inst.or. VIII,3,56; „weil es ansonsten zu Fehlern wie dem Weithergeholten und Extravaganten führe“ (Winkler/Goulding, Art. „Witz“, 701; das betrifft vor allem die inventio Ciceros, vgl. Wagner, Art. „Iudicium“, Sp. 669, Sp. 674-81; van Zantwijk, Art. „Urteil“, Sp.  430f.; Gast, Art. „Urteil“, Sp.  964, 966; Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp.  360f.; Engels, Art. „Ingenium“, Sp. 392f.). Gracián zufolge schließe das ingenio das juicio ein und überbiete es artifiziös (Agudeza y Arte de ingenio, 319, 317ff., 324, 326, 431; vgl. M. Blanco, Pointe, 56; das zeigt Poppenberg nur an: „Pasto del alma – alimento del espíritu“, 66f.). 571 Lullus schränkt den Gebrauch seines Wortkombinationsrades ein, nicht nur nach formalen Kriterien (Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 53f., weitere Aussortierungen bei Kuhlmann und Lullus, 134f., 61), ausschließen will er auch falsche Aussagen: „unerwünschte Kombinationen“, wie falschen Gegensatz, falsche Äquivalenz, was „jedoch nicht auf formal kombinatorischem Wege gelingt“ (54, zur „Gültigkeit“ auch in semantischer Hinsicht, vgl. 69). Auch Zesen will so lange Buchstaben verlegen, „bis eines oder etliche Worte aus dem nahmen[!] zusammengebracht“ sind, die „einen guten und vollkomnenen sin[!] haben“ (zit. nach Cramer, 130).

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Auswahl der zulässigen, sinnvollen oder zutreffenden Fälle ausgemacht.572 Auch die vielzitierte Swift’sche Fiktion der an der Great Academy of Lagado Gulliver vorgeführten kombinatorischen Maschine, bei der durch Drehung mehrerer Kurbeln ‚beschriebene Zettel‘ ‚wechselnd‘ jeweils kombiniert werden, so dass sie (vermeintlich) ‚alle‘ Bücher erzeuge,573 ließ die „Lücke“ einer nachträglich sortierenden „Trefferprobe“ jeweiliger Fälle.574 Die andere Möglichkeit, der Ungewißheit über die kombinatorisch generierten Fälle zu begegnen, bestand darin, die Entscheidung über die Resultate schon (so etwa Lullus’ ars) in die Konstitution der Elemente, über die die Operationen laufen, zurückzuverlegen575 (das war das Konzept der characteristica universalis).576 Diese fällt mit den als arbiträrer Zeichensatz vorliegenden buchstäblich bloßen Buchstaben aus. So steht zwar in der imaginären „kombinatorischen Universalbibliothek“ Leibniz’, die alle ‚möglichen Bücher begrenzten Umfangs‘ enthalte,577 „alles schon“; „aber [so Hans Blumenberg] das Lesbare und erst 572 So zu den Maschinen Tesauros (und Sarbiewskis), Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 225ff., 231f., 222; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 91, 62, 84; zum Würfeln Cramer, „‚Auf manche Art verkehrt‘“, 42. 573 Swifts Gulliver’s Travels, III. Voyage to Laputa, chap. 5; vgl. Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 245 (Abb.), 247ff., ders., Papiermaschinen, 188-91. Jean Paul, „[…] wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 170; er empfiehlt „allen Buchhändlern“ sie nach-zu„zimmern“ (ebd.; vgl. Die unsichtbare Loge, SW I.1, 25). 574 Kombinatorik als „Zufallswahl“ ließ die Lücke der „Trefferprobe“ für „ein Vermögen, das bis auf weiteres – außer eben in Menschenmaschinen – unimplementiert bleibt: Urteilskraft oder iudicium“ (Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 249, 251, 262; ders., Papiermaschinen, 189ff., 199f., 588ff.). 575 Lullus’ Zeichensatz besteht aus Gottesnamen und –attributen, Prinzipien und Qualitäten, deren Kombinationen wahre Aussagesätze über Gott erzeuge, sowie dem Apparat aus Permutationstabellen und Kreis-Scheiben, die Kombinationen ermöglichen und (zunehmend) beschränkend steuern sollten, vgl. Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 99, 101; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 50-54, 47f. 576 Das ist das „Programm einer exakten und vollständigen Darstellung aller gedanklichen Möglichkeiten durch characteristica universalis als Kombinatorik“, die auf ein „Alphabet“ reduziert (Rieger, Speichern/Merken, 49f., 137) und umgekehrt „‚aus solches alphabetes combination wiederumb alle dinge […] und was nur von ihnen zu inventieren müglich […] mit der Zeit zu finden‘“ (Leibniz „Selbstanpreisung“, nach Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 129). Die Tafel einer Lingua universalis, von der Wilkins ‚träumte‘, stellt Borges’ bekannte „cierta enciclopedia china“ vor („El Idioma Analítico de John Wilkins“), die Foucault zitiert (Die Ordnung der Dinge, 17). Dem Lullismus Leibniz’ entspricht F. Schlegel mit: „Der höchste Witz wäre die wahre lingua characteristica universalis und zugleich die ars combinatoria.“ (Phil. Frag., KFSA XVIII, 281). 577 Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, (mit Leibniz’ Apokatastasis-Fragment) 133; zu den begrenzenden Anzahlen, 130f.; vgl. Waszynski, Lesbarkeit nach Hans Blumenberg, „Möglichkeit und Kontingenz der Metapher (Leibniz)“: „Universalbibliothek und Weltformel“, 169-73, „Wiederkehr des Unzulässigen“, 173-78.

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recht das Zutreffende [ist] bis zur Minimalität eingekeilt […] ins Sinnlose und Unzutreffende“.578 Die lesbaren oder zutreffenden Bücher „herauszufinden, setzte einen Benutzer der Bibliothek voraus, der schon alles wüßte, was darin zu stehen hätte“;579 sie aber auch nur aufzufinden zu suchen, treibe, so Borges’, die Leibniz’sche gleichsam kommentierende, „La Biblioteca de Babel“, in die Verzweiflung. Die würfelnde Zuspielung von Fällen, von der her die witzigen Kombinationen oder Kopulationen zu denken sind, wird mit der (mehrfach zitierten) barocken Fiktion des Lettern werfenden Affen mit dem Vorhalt versehen: „wirf hundert Jahr und weiter fort/ und doch entspringt kein kluges Wort“.580 Die „Euphorie der totalen Kombinatorik“ aber galt der imaginären Vollständigkeit aller möglichen Kombinationen, allem (Möglichen).581 Die enormen Zahlen der erstaunlich vielen, von einem begrenzten Satz von Ausgangselementen und Operationen zu generierenden Fälle waren zwar berechenbar,582 aber in keinem Menschen-Leben realisierbar. Deren die Spanne jeden 578 Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 143. 579 „Für diesen wären die wahrheitshaltigen Bücher ebenso nutzlos wie die sinnlosen.“ (Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 133). 580 Die barocke Fiktion eines Affen als Buchdrucker, der wahllos „Lettern aufs Papier zu schmeißen“ unternahm, zit. u.a. Blumenberg, unterlegt sie als passende Druckerei Leibniz’ imaginärer „kombinatorischer Universalbibliothek“ (Die Lesbarkeit der Welt, 131), ein Gedicht von D. W. Triller (1695-1782), auch schon sek., exponiert den zit. Vorhalt des vorbeigehenden Eremiten (ebd., auch zur Relation zu Leibniz’ Ars combinatoria; vgl. Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 255f.). Die Frage, „wie oft wohl ‚ein Mensch, der die Buchstaben des Alphabets in einem Sack gut durchgeschüttelt hat, sie auf den Boden ausstreuen‘ müßte, ‚ehe sie ein komplettes Gedicht, ja auch nur einen guten Gedanken ergäben‘“, stellte John Tillotson, Erzbischof zu Canterbury (zit. 256), „bis unter viel Wertlosem auch etwas Lesbares zustande“ gebracht würde (Blumenberg, 131), – und nicht nur alles Mögliche; dies war Blumenberg zufolge „schon antikes Argument gegen die Atomistik“ (ebd.), der ja Jean Paul den Witz gleichsam zurechnet (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201). Dass „aus einer beliebigen Unordnung unter den Buchstaben des Alphabets […] niemals ein Buch entstehen“ könne, war, so Blumenberg, für Leibniz aber „nur eine Frage der Kombinatorik“ (140); anders Jean Paul: er setzt dem Witz „ohne wahre Verbindung“ die „Phantasie“ entgegen, die „beseelet“, „daher“ „strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden“ (187), die die Lettern als „kämpfende Glieder“ dissoziieren. 581 Rieger, Speichern/Merken, 63f. (mit Bezug auf Masen, Männling, Harsdörffer); vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 62, 84; Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 77, 130; Cramer, Exe. cut[up]able Statements, 309; das führt auf den „enzyklopädistischen Lullismus des 17. Jahrhunderts“ (55). 582 Zu den Rechnungen und Rechenfehlern vgl. Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 134f., 142f.; (Kirchers für Lullus) 45ff., 54; 78ff., 82, (Kuhlmann) 127-33; zu Rechen-Schwierigkeiten bis Leibniz vgl. Rieger, Speichern/Merken 15ff., 121ff.; Kilcher, mathesis und poesis, 376; vgl. die Berechnung der Versetzbarkeiten der Elemente des Alphabets in Jean Pauls Leben Fibels, SW I.6, 489.

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Menschenlebens übersteigende Aktualisierung wurde an Wechselräder wie Maschinen verwiesen und durch diese gleichsam dargestellt,583 die die Wechsel der Stellungen der Elemente zueinander mit Drehungen, etwa durch eine Kurbel, bewerkstelligen.584 Derart „simuliert und repräsentiert“ diese Kunst (ars) die Intelligibilität der Totalität,585 die auf die Regeln ihrer Generierbarkeit rückführbar, aber nicht gegenwärtig gegeben ist, nicht lesbar vorliegt. So war ein Kombinations- oder Permutationsgedicht „weniger aktuell als potentiell“, Vorstellung „multi-optional[er] Lektüre[n]“.586 Die (kombinatorische) Vollstän­ digkeit ‚ist‘ Zeit-Raum der Potentialität; die Eröffnung dieseses Raums erfolgte (bei Leibniz) im ‚Hiatus von Möglichkeit und Wirklichkeit‘, so Blumenberg,587

583 Die „Wortkombinationsmaschine“ Kuhlmanns für sein Permutationsgedicht, die er auch „technisch skizziert“ (in der Vorrede zu Teutschen Geschicht Herold, 1673), „‚ein Wechselrad/ durch das mein Reim/ der in einem Jahrhundert ni ausgewechselt/ inner etlichen Tagen völlig ausgewechselt‘“, tritt an die Stelle der Leser, die die Permutationen in keinem jeweiligen Leben vollständig ausführen könnten (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 219; im Detail vgl. ders., Exe.cut[up]able Statements, 127ff., zu den illusionären Berechnungen 133; auch zu Harsdörffers Denckring, 80); das Wechselrad bleibt „abstraktes Anschauungsobjekt“ (133). Harsdörffer überführt auch das „Würffelspiel“ in Wechselräder (vgl. „Rähtselbild“, Frauenzimmer-Gesprächsspiele, 3. Teil, 350 (Nachdr. 370)). 584 Jean Pauls (an Swifts Fiktion anschließende) „Büchermaschine“, die wohl über eine Kurbel ge„dreht“ würde, „müßte“ „in Menge“ „recht gute Sonntagspredigten, Monats-, Quartal-, Kinder- und berlinische Spaßschriften für den Druck abfassen“ („[…] wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 170; vgl. Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 395). Kuhlmanns „Ars magna librum scribendi“ behauptet, dass sie „alles begreifet/ was alle Menschen begreiffen/ und durch einen gegeneinanderhaltungswechsel alles belehret/ was belehret werden kont’, indem sie alle gegenwärtigen und alle künftigen Bücher durch Buchstabenkombinatorik erzeugt“ (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 221ff. Hvhg. BM). 585 Das gilt (nach Lullus) für Leibniz, Kircher (Kilcher, mathesis und poesis, 357f., 373f., 376f., (Lullus) 358-61, („Interpretationen und Transformation von Lulls Ars“) 361-68, (Leibniz) 366ff., 377), wie Harsdörffer und Kuhlmann. Kombinatoriken geben sich als ars magna sciendi, die sie doch nur im aktuellen Fall (des Permutationsgedichtes vgl. Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 217ff.) oder im Wechselrad als „abstraktes Anschauungsobjekt“ vorstellen (ders., Exe.cut[up]able Statements, 127-35). 586 Ernst, „Litteratura Lusoria“ 188, 181f., deren Möglichkeiten berechnet wurden (etwa mit 91 Jahren und 49 Tagen). 587 Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 124, 145. Leibniz zufolge: „Möglich ist die Realität, die nicht existiert, aber zur Existenz gelangen kann“ (zit. nach Vosskamp, „Möglichkeitsdenken“, 13); es ist nicht-notwendig und nicht unmöglich. „[D]ie wirkliche Welt [schöpft] den Horizont der Möglichkeiten nicht aus“ (Blumenberg 124); jede Wirklichkeit wäre „nur ein enger Ausschnitt aus dem Universum der Möglichkeiten“; „was wirklich geschieht und geschehen kann […] liegt eingebettet in immer neue und erschreckende Horizonte des Möglichen“ (134).

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durch den die „Lesbarkeit der Welt“ ausgesetzt wird.588 Das jeweilige Ereignis ausgeworfener Kombinationen ist nicht-notwendig und (daher) nicht intelligibel. Das jeweilige Rede-Ereignis, so gängig oder ingeniös es sei, wird jeweils aus dem Raum des Möglichen zugestellt, und ist als Zu-Fall an diesen, an die vom jeweiligen Ereignis jeweils in den Hintergrund gestellten anderen Möglichkeiten verwiesen.589 Zum einen ermöglicht allein die Berechenbarkeit aller möglicher Fälle die der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Ereignisses,590 also den Kalkül der Chancen eines jeweiligen Zu-Falls.591 Zum andern „bildet“ die „bloße Möglichkeit“, so Joseph Vogl, „den Hintergrund, vor dem sich die Kontingenz, das zur Existenz gelangende Möglichsein, abhebt“, so dass „umgekehrt […] alles, was existiert, vom Saum der unendlichen Möglichkeiten seines Andersseins umgeben“,592 der wirklich gewordene Fall schattenhaft begleitet ist von den virtuellen, vom jeweiligen Zu-Fall abgeschnittenen, unbekannten, ja unbestimmt vielen, insofern, so Blumenberg, „erschreckenden“

588 Diese alte Metapher der Intelligibilität ist destruiert (Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 122-26). Liegt zum einen, „was wirklich geschieht und geschehen kann […] eingebettet in immer neue und erschreckende Horizonte des Möglichen“ (134), so gibt aber Leibniz’ ‚Lösung‘, die die wirkliche „als beste der möglichen Welten“ konzipiert, zum andern „den Spielraum der Variationen verloren“ (124, vgl. 141, 143ff.; vgl. Waszynski, Lesbarkeit nach Hans Blumenberg: „Möglichkeit und Kontingenz der Metapher“: „Hiatus der Lesbarkeit“ 166ff., „Universalbibliothek und Weltformel“, 169-73). 589 Das Wirkliche/Gewordene ist abgeschattet als das, was auch anders, bzw. nicht sein könnte; bez. der (Nicht-)Zulassung der Kontingenz der Realität vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 148, 145; Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 140-52, 159f.; vgl. die Anschlüsse an Leibniz’ ‚mögliche Welten‘ und die Modalitäten von Agamben, Bartleby oder die Kontingenz; Deleuze, Die Falte. 590 Mit der barocken Fiktion des wahllos „Lettern aufs Papier“ „schmeißen[den]“ Affen (zit. nach Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 131) ist die Frage eine rhetorische, wie oft ein Mensch, die Buchstaben des Alphabets aus einem Sack „‚auf den Boden ausstreuen‘ müßte, ‚ehe sie ein komplettes Gedicht, ja auch nur einen guten Gedanken ergäben‘“ (zit. nach Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 256). Zur Mathematik der Kombinatorik und der Wahrscheinlichkeitsrechnung vgl. 249, 251-55; Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 126-58, 59-76, 77ff., 83, 88-99, 103-25: 124f., 159-87. Mauthner errechnete die Wahrscheinlichkeit einer „zufälligen Entstehung des Faust“, indem „ein ungeheurer Setzkasten umgeworfen würde und die Lettern sich zufällig in der Reihenfolge von Goethes Faust geordnet hätten“ (zit. nach Kilcher, „‚Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort‘“, 98). 591 Für den wörtlichen Zusammenhang von ‚Chance‘ und Zu-Fallen, vgl. Derrida, „My Chances“, 2ff., 5. 592 Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 142.

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anderen Möglichkeiten, die die Kombinatorik über einen distinkten Zeichensatz unhaltbar machen.593 Glück(s) – Spiel In Graciáns arte de ingenio, der die Gelegenheiten (occasiónes) zu nehmen weiß,594 fallen im Glück(en): suerte der agudeza,595 in der artifiziösen Koin­ zidenz Glück und Technik der Erfindung zusammen. So auch (anders), wo ‚Verfahren‘ dem Zufall Raum geben. Jean Paul entwirft im zitierten Postulat eines würfelnden Operierens das Kombinieren als Aleatorik, als eine fiktive Technik, eine technische Phantasie des Erfindens, die den Zufall ein- und zulässt, und das Spiel des Witzes derart als eines, das auf Glück setzt. Wo die Gelegenheit zur ingeniösen Er-Findung, zu deren Glücken genommen wird, da wird immer auch aufs Spiel gesetzt („poner en riesgo“),596 da erscheint das von Gracián als „hidra b/vocal“ aufgerufene Risiko einer Unbeherrschbarkeit der Sprachpartikel – wie die Ungewißheit des Glücks aus „sorteo“, einer Ziehung von Losen.597 Das in seiner Kontingenz gedachte Glücken der Operationen wäre in der Perspektive Jean Pauls nicht nur und vielleicht nicht einmal so sehr 593 Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 134; mit dem „‚Untergrund‘ unendlicher Realität“, dem Anwachsen unendlicher, nicht identifizierbarer Differenzen ist „der Kombinatorik die objektive Geltung verwehrt“ (141, vgl. 140-45). Vom Möglichen, das auf das Wirkliche bezogen ist, unterscheidet Deleuze (nach ihm Lévy) das Virtuelle, das sich aktualisiert (vgl. Klappert, Sand als metaphorisches Modell für Virtualität, 6f., 13-18), daran anschließend verschiebt aber S. Weber: „Virtualität“ sei „eine andere Seinsweise“ („Virtualität der Medien“, 42, 36ff.), „virtuelle[r] Möglichkeiten, die sich zwar aktualisieren können, aber sich dabei nie erfüllen oder vergegenwärtigen“ (44, 46). 594 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 560; ocasión, die günstige Gelegenheit: „oportunidad o comodidad de tiempo o lugar, que se ofrece para ejecutar o consegir una cosa“, impliziert aber „peligro o riesgo“ (Diccionario de la Lengua Española, 1090), da Kausalität aufgelöst, kein sog. „berechenbares, adäquates Verhältnis von Ursache und Wirkung“ angenommen wird (Schmitt, Politische Romantik, 120); zu Gelegenheit und Kontingenz vom 17. ins 18. Jh. vgl. Dembeck, Texte rahmen, 138f., 141-72. 595 „Suerte“ (Glück), Gracián, Agudeza y Arte de Ingenio, disc. xxxii, 569; vgl. disc. II, 320, disc. iii, 323, 329, 331f., 334, 341, 346, 354, 360, 363, 365, 437, 576, 578; auch als „‚suerte desdichada‘“ die den grundlosen Glückswechsel zutragende fortuna (disc. iv, 335); sowie „feliz“ (glücklich) als Prädikat der agudeza (315, 318, 435, 562, 574). 596 Diccionario de la Lengua Española, 1090. Zum „Risiko“ vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 165-69, in Hinsicht des Zufalls als „formalisierbares“ Ereignis, 166f. 597 Vgl. Diccionario de la Lengua Española, 1907; zur Etymologie von „sort“, was ausgeht, Schicksal oder Zufall, vgl. Willer, „Orte, Örter, Wörter“, 51. Dahin gehören auch die „Würfel“, die die Odyssee als eine „Art Sortilegium“ kennt: wie Losewerfen und -Lesen, als eine „Anfrage bey dem Schicksal durch gewisse Handlungen, deren Erfolg für eine Antwort desselben aufgenommen wurde“ (C.  M.  Wieland, „Über die ältesten Zeitkürzungsspiele“, 100f.). Das wird durch Rahmung des Zufalls ermöglicht (Campe, „Schau und Spiel“, 57).

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das Risiko, dass die Kombinationen keinen Effekt machen, sondern vielmehr das Risiko, das jedem Effekt, mag er auch noch so sinnvoll sich ausnehmen, als nachträglichem Effekt einer nicht vom Sinn gesteuerten Produktion, der Zufälle der Anklänge der Wörter angehört, dass er völlig grundlos wäre. Der Name dieser Grundlosigkeit, der Aussetzung von Intention und Kausalität, ist Zufall. (Wenn Jean Paul die in ‚unsere‘ Rede vom Zufall „eingemischte“ „Möglichkeit“ von „Ursachlichkeit“ vermerkt,598 so hebt er Zufälle, die irgendwie einen Unterschied machen, von überall, jederzeit vorfallenden, nicht als solchen bestimmten ab). Mit der Fiktion des Glücksspiels,599 die Jean Paul als Würfeln ausgibt, wird die Auswahl kombinatorischer Fälle aus der Bindung an Instanzen des Bewusstseins gelöst,600 würde sie an jene Form des Zuspiels delegiert, die unter dem philosophisch dignifizierten ‚ernsthaften‘ Spiel-Begriff nicht zugelassen ist, das z.B.  Kant zwar als eine der drei Arten des „wechselnde[n] freie[n] Spiels der Empfindungen“ nennt, um es aber als „kein schönes Spiel“ „hier bei seite [zu]setzen“,601 oder das – z.B. von Huizinga und Caillois602 – strikt begrenzt wird. Mit der technischen Fiktion einer Aleatorik wird der Spiel-Raum eines Glückens eröffnet, eines ‚Glücks‘, das zufallen muss (oder darf?), eines Operierens, das ‚auf gut Glück‘603 setzen muss, um eintreten zu können. Fingiert ist mit dem Würfeln eine Technik, die ein Zufalls-Ereignis 598 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193f. 599 Zum Spiel als „Unterhaltung“ der europäischen Höfe, Spielern, „Glücksspiel“ und „Spielmaschinen“, die nicht betrügen, daher wohl auch nicht spielen können, vgl. Jean Paul „[…] wider die Kempelischen Maschinen“, SW II.2, 177-83. 600 Dies: „‚wo nicht Verstand die Hände leitet‘“ (Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 131), stellt der fiktive Affe, der Lettern wirft (Dotzler, Blumenberg) oder tippt (Flusser, „Die Geste des Schreibens“, 35), vor, wie ein „Chinese“, der ohne jede Kenntnis deutscher Sprache durch „blindes Herumtippen“ auf einer Schreibmaschine Goethes Faust zufällig schriebe (Mauthner, zit nach Kilcher, „‚Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort‘“, 98); oder der ahnungslose, billig zu bezahlende Kurbel-Dreher, den Jean Paul die Maschine bewegen lässt, die alle Bücher hervorbringe, der nichts weiß von ev. geschriebenen Sachen (SW II.2, 170, vgl. Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 286-91). 601 Kant, Kritik der Urteilskraft, „Anmerkung“  § 54, WW X, 271f.: „Hingegen Musik und Stoff zum Lachen sind zweierlei Arten des Spiels mit ästhetischen Ideen, oder auch Verstandesvorstellungen, wodurch am Ende nichts gedacht wird, und die bloß durch ihren Wechsel und dennoch lebhaft vergnügen können“ (272). 602 Huizinga ordnet das Glücksspiel dem Kultur-schaffenden Spiel unter (Homo ludens, 5179); dagegen bestimmt Caillois es unterscheidend als eines der vier Spielhaltungen (Die Spiele und die Menschen, 11, 25ff.), beschränkt es aber durch die Grenze zwischen Spiel und Wirklichkeit, deren Übertretung bzw. Verschleifung die „Korruption“ beider sei (52-59). 603 Vgl. Kleist, „Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“, DKV III, 536, s. Kap. II; vgl. Kap. III.1.

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eines Zusammentreffens auswirft, Kontingenz als das Zusammenfallen „zweier voneinander unabhängiger Ereignisketten“ ermöglicht, das auch hätte ausbleiben können: Der Zufall ist zunächst die Begegnung zweier getrennter Sphären, etwa unten und oben. Es fällt etwas hernieder, es fällt etwas zu. Eine überraschende Vertikale. […] Aus dem Fluss der Ereignisse, aus der horizontalen Fügung der Welt bricht eine Vertikale heraus, die eine Ordnungsfrage stellt.604

Nicht nur „steckt“ „der Zufall […] im Würfel wie der Würfel im Zufall. Etymologisch rührt ‚hasard‘ […] von arabisch sâr’ (Würfel)“ her,605 Würfel sind Vorrichtungen des Kombinierens als „Zufallsgenerator[en]“.606 Sondern Würfeln stellt das Paradigma der Kontingenz, die „Serialität und Wiederholbarkeit voraus“-setze, so Campe: „Nur von Ereignissen, bei denen man die Möglichkeit ihrer Wiederholbarkeit angeben kann, läßt sich sagen, dass sie eintreten oder nicht eintreten können“.607 Der Würfelwurf, der jeweils übers ZuFallende entscheidet, wirft Einzelfälle als Ereignisse aus; der Wurf kann (nur) wiederholt werden, ohne dass das jeweilige Ereignis vom vorangehenden fürs folgende etwas ‚lernen‘ ließe; der coup (Fall) zersprengt kausale und narrative Ordnungen. Das geregelte, gerahmte Glücks-Spiel generiert Ereignisse, indem es sie ausgibt; es implementiert die Kontingenz des Ereignisses, das eingetreten

604 Vogl in Kluge/Vogl, Soll und Haben (Gespräche), 224; vgl. ders. Kalkül und Leidenschaft, 224; zum Zusammenhang von Fall und Zufallen (caderere, chance: sowie contingent, occasion), vgl. Derrida, „My Chances“, 5; bei Gracián die (literale) „contingencia“ (Agudza y Arte de ingenio, 328, 333, 355f.); zum Möglichkeits- und Kontingenz-Begriff (mit und nach Leibniz) vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 141ff., 145; Blumenberg, Art. „Kontingenz“, Sp. 1794; ders., Die Lesbarkeit der Welt, 124; zur „Zufälligkeit“ der contingentia vgl. Stockhammer, „Zufälligkeitssinn“, 271-75. 605 Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“, 403. 606 So bei Harsdörffer, vgl. Cramer, „‚Auf manche Art verkehrt‘“, 42. 607 Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 434; vgl. ders., „Ereignis der Wirklichkeit“, 266-69. Spiele, ‚in denen Fortuna regiert’, operieren mit alea, tessera, calculi: Spiel- und Rechensteinen (Hyde, „Historia Alea“, 101f.; mit arabischen und hebräischen Belegen). ‚The play of dices‘ als „random selection“ setzt Zergliederung voraus und modelliert Schreiben als Versetzen von ‚token‘ (Chaouli, The Laboratory of Poetry, 172f., 180). Auch C. M. Wieland zufolge wird die „Erfindung der Würfel“ „dem Theut oder Hermes der Ägypter zugeschrieben“, der auch die Schrift erfunden haben soll („Über die ältesten Zeitkürzungsspiele“, 95, vgl. 97f.; vgl. P. Schnyder, Alea, 71f., 196f., 205f.). Die Berechenbarkeit des Zufalls ist an die Zerlegbarkeit (des Geschehens) in distinkte, voneinander unabhängige, gleichwahrscheinliche Ereignisse gebunden; das macht das Glücksspiel zum Paradigma vgl. Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 88-99, 124f., 149-58.

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sein wird (oder auch nicht).608 Mit ihm ist der Zufall als Chance zu denken. Es ist eine Maschine für die Zuteilung von Glück und Unglück, die einem jeweiligen (ab- und begrenzenden) Rahmen unterworfen sein muss,609 innerhalb dessen im jeweiligen Spiel der Zufall einen Unterschied gemacht, entschieden haben wird.610 Wortspieler-Witzen fallen Bedeutungen als ‚glückliche Zufälle‘ zu – wie mögliche Glücksspiel-Effekte vor. Auch wenn Jean Paul vermuten möchte, dass „einige Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles zu erwarten“ stehe,611 wäre im Falle einer solchen Koinzidenz, die er gar nicht als göttliche Bestimmung oder mystischen Zugang zur Wahrheit in Anspruch nehmen möchte,612 der Zufall, der der Exteriorität der Vorrichtungen (oder auch der Sprache) zugehört, doch nicht hintergangen. Vielmehr handelt es sich umgekehrt bei jeder „gleichzeitig“ gegebenen „anderen wesentliche[n] 608 Stockhammer, „Zufälligkeitssinn“, 271f. 609 Zum Rahmen von Spiel und Zufall, der die Entscheidung zwischen Ereignissen und Berechnung der Probabilität ermöglicht, vgl. Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 126. Wenn Würfeln als eine „Art Sortilegium“ fungiert: als eine „Anfrage bey dem Schicksal durch gewisse Handlungen, deren Erfolg für eine Antwort desselben aufgenommen wurde“ (C.  M.  Wieland, „Über die älteren Zeitkürzungsspiele“, 100f.), so wird das durch eine Rahmung des Zu-Falls ermöglicht. 610 Definiert werden fürs Glücksspiel „die Situationen des Gewinns und der Niete“, was Wahrscheinlichkeitsrechnung erst ermöglicht; „der Zufall [ist] nur Konstrukt eines Rahmens […], in dem er einen Unterschied macht“, „in dem Ereignisse auftreten oder nicht auftreten und damit einen Gewinn oder eine Niete bezeichnen“ (Campe, „Schau und Spiel“, 57; vgl. ders., Spiel der Wahrscheinlichkeit, 149-158, 59-76; Schäffner, „NichtWissen um 1800“, 131). Das ‚zufällige Ereignis‘ wird Berechnungen, Chancen-Kalkülen der Wahrscheinlichkeit seines Eintretens zugeführt, durch Algorithmen generiert und analysiert (vgl. in Die Künste des Zufalls: Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 246, 260ff.; Kamphusmann, „Text als Zufall. Zufall als Methode der Textanalyse“, 278ff. u.a.). Da ein Ereignis, das in den Rahmen ‚Kunst‘ fällt, nicht anders als ‚schon motiviert‘ sein wird, ist fraglich, ob/wie Kunst den Zufall zu-lassen kann, vgl. Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“; Balke, „Den Zufall denken“. 611 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192ff. 612 Kuhlmann beansprucht, dass „‚durch Anleitung unsers Wechselrades selbst die Natur anagrammatisiert oder buchstabenwechselt‘“, und, so Cramer, „die göttliche Kombinatorik ebenso Mimesis von Kuhlmanns Wechselkunst [ist], wie Wechselrad und Wechselsatz Mimesis und Appropriationen göttlicher Kombinatorik sind“ (Exe.cut[up] able Statements, 140), eine ‚christliche Kabbala‘ (144f.; ders., „Poetische Weisheitskunst“, 221; Kilcher, mathesis und poesis, 376f.). Kirchers Rad ist „Speculum Cabala mysticae“ (Oedipus Aegyptiacus (1653) tome II, vol. 1, Fol. 287, vgl. Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 100ff.; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 47ff.); auch F.  Schlegel spricht (im Konjunktiv) von „Tafeln der Kategorien“, „Kabbala“ und „reeller Sprache“ („Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 364). Jean Paul zufolge beendet der theologische Ernst das Spiel des Witzes, vgl. im Folgenden.

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Ähnlichkeit des Sinnes“, die zu erwarten sei, um einen Glücksfall, als der er im Rahmen eines jeweiligen Spiels genommen wird, in dem Zufall sich manifestiert. Den Witz des Spiels der Worte macht derart, in der nicht einholbaren Spannung zwischen dem Un-Sinn der Elemente und der Aleatorik als Verfahren (einerseits) und dem Sinn (oder aber dem Unsinn) von deren möglichen Effekten (andererseits), die Zweideutigkeit von Kontingenz und Sinn aus.613 Der durch Mischen der Karten oder im Zuwerfen der Würfel jeweils zugespielte Fall, was wirklich (geworden) ist, ist auf die Potentialität aller möglichen Fälle, die durch den jeweiligen Zufall abgeschnitten ist, auf die „bloße Möglichkeit“, als dem „Hintergrund, vor dem sich die Kontingenz, das zur Existenz gelangende Möglichsein, abhebt“, verwiesen, „vom Saum der unendlichen Möglichkeiten seines Andersseins umgeben.“614 „Jedes Ereignis [so Vogl weiter] steht damit in einem unendlichen Beziehungsgefüge, das sowohl die Relationen zu den anderen – kontingenten – Begebenheiten, als auch diejenigen betrifft, die es zu seinen eigenen nicht realisierten Möglichkeiten unterhält.“ Jedes jeweilige sprachliche Ereignis, so sinnvoll es sich ausnehmen mag, ist ‚im Innern‘ durchkreuzt von den Spuren seiner Verwiesenheiten anderswohin. Die Beschränktheiten der Kombinatorik, die über ein abgeschlossenes Set von definiten Elementen läuft,615 sind derart entgrenzt, aufgesprengt. Der ‚Elemente‘ „stumme Beweglichkeit, seine Iterierbarkeit andernorts, außerhalb der ihm zugewiesenen Position“, die dieses in sich spaltet, latent verandert, wird, so sei nochmals Wellbery zitiert, im witzigen „Spiel mit Umstellungen und Versetzungen des Elements“ ausgespielt,616 das den „Unsinn“, der dem Sinn (als jene Stellung oder Konfiguration, die andere mögliche Verbindungen und Konfigurationen abschneidet, vorübergehend: stillstellend vergessen macht) „inhäriert“, „spielend entbindet“.617 Jede jeweilige Stellung oder Konfiguration, die platziert und qualifiziert, die Sinn heißen mag – oder auch nicht, ist virtualisiert durch ihr ‚mögliches Anderssein‘. Ein sprachliche ‚Gegebenheit‘ 613 Wo „sich ein neuer, überraschender Sinn [ergeben kann]. Oder Unsinn“, vgl. E.  Frey, „Lichtenbergs Einfälle“, 510. 614 Vogl, Kalkül und Leidenschaft, (hier und das Folgende) 142. 615 Vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 61. 616 Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313f.; für Iterabilität und zum Verhältnis von Ereignis und Kontext vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 333-36, 344-47, s. Kap. III.1. 617 So Wellbery variierend („Der Zufall der Geburt“, 313f.). Die Iterierbarkeit der Zeichen andernorts ist als Differenz (zu sich selber), als Spur des (anderswo) anders möglich seins diesen eingeschrieben; so Derrida: „the identity of a mark is also its difference and its differential relation“, „it multiples and divides itself internally“; iterability“ ist die ‚anfängliche‘ Möglichkeit, „to emigrate in order to play elsewhere“ („My Chances“, 16; ders. „Signatur Ereignis Kontext“, 336, vgl. „Die différance“).

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ist nicht sie selbst, ist virtualisiert, nicht abgelöst von ihren Schatten, ihren Rändern als „Reserve“,618 die ihr, verandernd, eingeschrieben sind, als latente abwesende andere Verknüpfungen. Jean Paul zufolge ermögliche die „Büchermaschine“ der Great Academy in Laputa, „die gewisse in ihr liegende beschriebene Zettel, wenn man sie umdrehte, so untereinander warf“, „daß ieder, dem man sie hernach vorlas freilich nicht wissen konnte, ob er ein gewöhnliches Buch höre oder nicht“.619 Das ist einerseits unmöglich, wenn jeder der untereinander-werfend erzeugten Fälle dem Kriterium des Sinns genügen sollte, wäre andererseits aber auf eine ‚Auswahl‘ ‚brauchbarer‘ Fälle gar nicht (mehr) angelegt, wenn (oder da) alles (irgendwie) gelesen wird, und jedes Buch wie alle ist.620 Er habe, so ist auch zu lesen, „zuweilen gewünscht, man sollte nach nichts fragen, sondern die physikalischen Data ordentlich zusammenwürfeln und kombinieren wie Lessing die philosophischen […]. Man würde doch sehen, was herauskäme“.621 Darin kann man einen experimentellen Zug erkennen.622 Dem „nachher“ des „gute[n] Gebrauch[s]“ der Zuwürfelungen Lessings der, Mendelssohn zufolge, „nachher“ „davon [und das war, so Mendelssohn selbst, alles Mögliche, im Ernst eher „sonderbare Grillen“ oder „Schäckerey“] zu machen“ sei,623 ist der Sinn einer Koinzidenz: als „zukünftiges Eingetretensein im Modus des Futur II“ zu geben,624 als der nachträgliche Zufall einer Koinzidenz, die

618 Vgl. Derrida: „Tympanon“, 24, 23f.; Kap. III.1. 619 Jean Paul, „[…] wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 170 (diese konkurrieren mit menschlichem Schreiben, Schwätzen, Lästern, Splitter-Richten, Enthaupten, Spielen). 620 Um 1900, so F.  Kittler, schreibt sich Dichtung als „Würfelspiel“ mit Lettern und Interpunktionszeichen, ein Schreiben, das „Schrift aufschreiben“ will – nichts sonst (Aufschreibesysteme, 200, 266f., 217f.): nicht kombinatorisch, sondern auf den Zufall setzend, um Intentionen zu hintergehen (267); gegen diese Auftrennung führt Chaouli Morgenstern an („Die ,Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘ und das große Lalula der Romantik“, 122), gegen das Postulat ‚reinen Unsinns‘ der Buchstaben oder Schrift (den Schreiben ‚um 1900‘, Kittler zufolge, zur Geltung bringe) vgl. Chaouli, 120-25. 621 Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 225; vgl. Blumenbergs Argument zur göttlichen Auswahl, Die Lesbarkeit der Welt, 126f. 622 „Der combinatorische Witz beruht auf dem Construiren und Experimentiren“ (F. Schlegel, Phil. Frag., KFSA XVIII, 381). 623 Von „eine[r] Menge von witzigen Einfällen“ Lessings sei, so Mendelssohn, „schwer […] zu sagen: ob sie Schäckerey oder Philosophie seyn sollen“. „Die mehresten aber waren denn freylich bloß sonderbare Grillen, die bei einer Tasse Caffee noch immer unterhaltend genug waren.“ („Die Beylage. Erinnerungen an Herrn Jacobi“, 114f.). 624 Was als Zufall bezeichnet wird (Stockhammer, „Zufälligkeitssinn“, 271f.).

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vom Urteilsvermögen ‚nachher‘ nur wiedererkannt würde.625 Oder er wäre banales Spielverderben als Regulation der (vom Maß der imitatio gelösten) aleatorischen Erfindung: ‚jetzt mal im Ernst‘, so wie, Jean Paul zufolge, die „Lehrstunde“, die der unterscheidende „Scharfsinn“ hält, unweigerlich auf die „Spielstunde“ folge, die dieser dem Witz „erlaubt“.626 Wenn die Fügungen des Zufalls ‚nachher‘ einen ‚Ertrag‘ – jenseits? von Zufall und Spiel? – einbringen (sollen?), einen ‚Gewinn‘ durchs Spiel, der ‚jenseits‘ des Spiels, im Ernst gilt (?), heißt dies „durch Spiel zu gewinnen“ wissen? – d.h. durchs (jeweilige) Beenden des Spiels?627 – statt des Witzes Spiel (nur) „ums Spiel“?628 Sollen die gefallenen Würfel, in deren Fallen der hasard in Aktion ‚ist‘,629 einem „Gebrauch“ zugeführt werden, so geschähe dies statt in „Spielmarken“ in anderer Währung, die jenseits der Grenzen des Spiel-Feldes (auf dem das Spielen (sich) an den Zufall preisgibt) gilt, so dass der ‚Ertrag‘ (außerhalb des Spiels) das Spielen beendet und (schon) vergessen hat.630 Das zeigt sich dem Glücksspiel als der Ernst (der es beendet), der im Ernst das Menschen-Leben verzehrt.631 625 Der Witz wäre „richtig nur aus nachträglichem Zufall, den dann das iudicium abnicken kann.“ (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 218) 626 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197. 627 So dass sie „ähnlich dem Lessingschen geistigen Würfeln, dem etwas eintrügen, der durch Spiel zu gewinnen wüsste“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203). „Auf welche Gewinne aber dürfen die ‚scharffsinnigen Köpfe‘ in Nürnberg hoffen?“ fragt Harsdörffer treffend (zit. nach Stöckmann, Vor der Literatur, 310f., der allerdings die unterbietende Antwort gibt, die scharfsinnige Metapher mache sonst übersehene „Sachverhalte mit den Mitteln der Analogie zugänglich“). In Gesprächsspielen sei „zu gewinnen“, während sonst „müssige Zeit oftmals samt dem Gelde verlohren“ werde (4. Teil, 519; vgl. Ernst, „Litteratura Lusoria“, 176ff). Jean Pauls Anforderung an den Witz, dass es „auf seinen bunten Spielkarten […] etwas Wesentliches, z.B. Empfindung, Bemerkung etc. etc., zu gewinnen gibt“ (SW I.5, 197), lässt das Spiel derart beendet sein. 628 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201. 629 Der ‚Sekunde‘, bevor der Zu-Fall eine Entscheidung getroffen haben wird, im Zufallen der Entscheidung, im aushaltenden Ausgriff auf das noch ausstehende Ereignis, gehört die Potentialität aller möglichen (miteinander unverträglichen) Zukünfte an; vgl. Balzacs La peau de chagrin, 63, vgl. 58-63; es taugt als mise en abyme der Kontingenz all jener Glückswechsel, die statt des Handlungszusammenhangs den neuen disruptiven Nexus des Textes ausmachen. 630 Die Potentialität im Spiel im Fallen fesselt den Spieler an die Wiederholung; denn sie hat keine Gegenwart, ist jeweils mit dem Zu-gefallen-Sein der Entscheidung getilgt, hat keine Gültigkeit, die über das Spiel hinausgeht. Das wird gerade auch mit „j’avais gagné“ gesagt, weil dieses (allein) außerhalb des Spieles gilt (vgl. S. Weber, Unwrapping Balzac, 69). 631 Das erweist Balzacs Fiktion La peau de chagrin: die Wirklichkeit der Verschuldung an die Zukunft im Glücksspiel wie in der Ökonomie der Verschwendung ist die Aufzehrung der Gegenwart des Lebens, bezahlt wird mit dem Tod (der die Gegenwart schon einholt), mit dem Leben, das schon immer dem Gesetz des Todes unterstellt ist.

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

Wo Jean Paul – im Falle, „wo“ das „Wortspiel“ erlaubt sei, da es „mit dem SachWitz“ „sich gatte“,632 – aufs (metaphorische) Gold als substantielle Deckung für die ausgegebenen Zeichen, die (den Wert) inflationieren,633 zu rekurrieren scheint, tritt dieses, wie zu lesen war (Kap. I.3), auf als Metapher, die von den metonymischen Verkettungen zugetragen wie damit deren paradigmatische Feststellung unaufhörlich entzogen wird. Wie wäre (irgend) eine unterstellte metaphorische Verbindung als das Andere des Witzes (im Ernst) haltbar, wenn die ‚Goldsicherung‘ der sprachlichen Zeichen, dort wo sie gesucht wird: in ihren Fortführungen, Zu- und Übertragungen sich verflüchtigt? – Weniger in Nichts als in die Zweideutigkeit von Gegebenheit und Unterstellung, von Aufblähung und jenem ‚Nichts‘ (an Sinn), das alles Mögliche an signifikanten Effekten ohne Gewissheit einer substantiellen Deckung ist. Der sog. „gute Gebrauch“ müßte „nachher“ diese Zweideutigkeiten vergessen gemacht haben, und säße, mit Jean Pauls witziger Formel für den Witz, der Kostümierung des Witzes auf, der „jedes Paar kopuliert“ und als „verkleideter Priester“ die deckende Instanz jener „Kraft“ aufführt, die „kopuliert“:634 „die taschen- und wortspielerische Geschwindigkeit der Sprache“, die „halbe, Drittel-, ViertelÄhnlichkeiten zu Gleichheiten macht“.635 (Auch) Freud zufolge bedarf der Witz, der eben solche ‚Kurzschlüsse‘ zwischen ähnlichen Wörtern sich erlaubt, einer ‚Kostümierung‘, ‚Fassade‘ oder des ‚Gesichts‘ des ‚guten Sinns‘, das der „gute Witz“ der wachen Instanz der Kritik zeigt, um ihn derart durchgehen und die Zensur passieren zu lassen.636 Wortspiele lassen erwarten, dass die „wilde Paarung ohne Priester“ der „Zufälle“ der Zu-Fälle der Sprache als (und sei es ‚unterlegte‘) ‚substantielle‘ und als (und sei es nur momentan, im Spiel) motivierte Verbindungen aufzufassen sein wird. Sinn wird in die Zustellungen der Sprache investiert, sonst hießen sie uns nicht einmal „Zufall“, in dem eine „Ursachlichkeit“ sich „halb bekannt und halb versteckt“, sondern wären nur „zugleich vorfallende Zufälligkeiten“.637 Aber dieses Investment lässt unauflöslich zweideutig offen, ob (unterm Kostüm des Priesters) anderes als das 632 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194f. 633 Vgl. Jean Pauls Exzerpt-Register „Geld“, Falschmünzerei, Inflation, Schulden, Papiergeld (Nr. 0019, 0023, 0106-0111, 0154, 0161-62, 0184, 0190), s. Kap. I.3. 634 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173. 635 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f., 182. 636 Freud, Der Witz, 123ff., 130f.; so gebe der „gute Witz“ der „Kindererwartung“, „die Neigung, hinter gleichem oder ähnlichem Wortlaut gleichen Sinn zu suchen“, „recht“, da er „mit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere wesentliche Ähnlichkeit des Sinnes angezeigt ist“ (114); s. Kap. V.1. 637 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193f., für „solche[] auf der ganzen Erde zugleich vorfallende[] Zufälligkeiten“ „reinen Zufalls“ zitiert Jean Paul eine „Blütenlese“ aus seinen Exzerptheften (Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 221)

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zufällige Zusammentreffen im Spiel durchgegangen ist und nachträglich Sinn oder ein „guter Witz“ heißt. Der Sinn-Effekt fällt als Glücks-Fall zu, wie ihn die signifikanten Verkettungen dem Spiel der Signifikanten als Koinzidenz zugetragen haben können, wo alle eingesetzten Wörter (schon) aufs Spiel gesetzt sind.638 Sinn ist happy accident. Oder, so Culler: „What, then, does the pun teach? […] it foregrounds an opposition that we find difficult to evade or overcome: between accident or meaningless convergence and substance or meaningful relation.“639 Jeder Witz-‚Gedanke‘ ist als nachträglicher Effekt von der Ambiguität von Sinn/Zufall je schon und je wieder eingeholt. Der Zufall, den Jean Pauls fiktive Aleatorik ins Schreiben einlässt, ist daher (je schon) einer des Lesens. Wenn der Zufall „Leselehrer“ ist, wie Heinz Drügh im Anschluß an Formulierungen  F.  Schlegels vorschlägt,640 so indem die Kontingenz von ‚Sinnangeboten‘ ‚erfahren‘ wird. Nicht indem (nur) Sinn aus den Zu-Fällen der Sprache gebildet wird, motivierte Sinnverbindungen der Geschehnisse, der Text-Züge konfiguriert werden, sondern ‚zugleich‘ die Möglichkeiten anderer, anders ‚platzierender und qualifizierender‘, Relationen mitge‚lesen‘ würden. Lesen macht aus, dass es am Gelesenen dessen Säume oder Ränder aufscheinen lässt,641 dass es als Sinn aufgefasste Verbindungen an das Medium ihrer Erzeugungen preisgibt: als sprachliche Koinzidenzen, die nicht einmal den Grenzen eines Codes (innerhalb derer Bedeutung konstituiert würde) unterstehen,642 die grundlos, nicht von Sinn und Intention regiert sind, auch wenn sie sich zuweilen – nachträglich – wie Sinn ausnehmen mögen. Das Wortspiel ist eine Abbreviatur des Lesens, da in ihm die Kontingenz des Sinns, als die der jeweiligen sinn-gebenden Anordnung begegnet, die auch nicht (oder anders) auftreten könnte. Umgekehrt manifestiert sich im Wortspiel und

638 Jean Paul spricht vom „Wortspielerwitz“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197, Hvhg. BM). 639 Culler, „The Call of the Phoneme“, 15. 640 Drügh, „Leselehrer Zufall“, 156-59, (mit Luhmann) 158. F.  Schlegels große Aussicht ist, dass die „Menschheit“ „lesen lerne[]“ („Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 365). Dgg. Jean Paul: „Die Poesie lehrt lesen“, „der bloße Lehrer [gehöre] mehr unter die Ziffern als Entzifferungs-Kanzlisten“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 250; aber Lesen als ‚Fliegen‘, 269; vgl. Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 258). 641 So „fasset“ Sternes „witzige Metaphern“ ein „farbiger Rand und Diffusionsraum fremder Bei-Züge“ ein (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 143); vgl. den Saum oder Horizont des (anders) Möglichen, Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 142; Blumenberg, Die Lesbarkeit der WElt, 134. 642 S.o. Kap. I.2; zur Fremdsprachigkeit der Wortspiele vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192f., zur Mehrsprachigkeit 194f.; s.u. Kap. I.6.

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seinen Effekten, was der Rede geschieht, die sich schicken (lassen) muss, um sich eine Chance zu geben.643 Der Witz suspendiert den Sinn, der sein glücklicher Effekt sein mag, an die auszuhaltende Zweideutigkeit (wievielter? Ordnung), ob es sich um Spiel oder Ernst, ob es sich überhaupt um (etwas) meinende Rede handelt – oder um ‚bloße‘ „Spielmarke[n] des Wortspiels“.644 Gegen diese Zweideutigkeit, die den Witz-‚Gedanken‘ als nachträglichen Effekt des Zufalls, als Zu-Fall sprachlicher Relationen einholt, suchte Jean Pauls Vorschule der Ästhetik Grenzlinien zu ziehen. Mit dem Witz als der „Kraft“ der Teile aber ist diese nicht hintergehbar. Daher setzt Jean Paul gegen ihn, mit dem „bildlichen Witz“ als Metapher, auf die Phantasie als Transzendieren der äußerlichen Zeichen ohne „Sprung“ und ohne „Trug der Sprache“,645 wobei die Verkettungen der Wörter dieser Übertragung die sichernden Gründe doch witzig entziehen. Gegen den Witz, der „atomistisch“ „nur eine leblose Musaik geben will“, setzt er (auf) die „Poesie“, die „lieber […] das Tote“ „beseelet“, und daher (anders als Kant meinte) „weit“ sich ‚abschlage‘ vom „Spiel der Ideen“, das vielmehr der Witz sei, der „lieber das Leben entkörpert“.646 Derart beruft Jean Paul das die Ästhetik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmende Konzept darstellender Verkörperung, das Phantasma einer Ganzheit als ‚lebendiger‘ „Einheit ihrer [der Phantasie] Bilder“,647 die vor allen disjunkten „Gliedern“ als ein vermeintlich innerer, als ‚von innen‘ gehaltener Zusammen- und Abschluss gegeben sein müßte. Den Witz als „Anagramm der Natur“ misst Jean Paul am diesem gleichgültigen 643 Vgl. Derrida: „My Chances“, insb, 7, 2ff., 5; dem gehört der lapsus an (7, 21; Fleming, „Beside oneself“, 196, 200). 644 Da Jean Paul damit auf die ‚Alten‘ referiert, kann das auch die ‚Neuesten‘ meinen (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192), vgl. die „Spiel=marken“, in die suche Fichtes Philosophie „das innige dunkle […] Sein“ „zu zerschneiden (d.h. zu erklären) in Spielmarken!“ (HKA II.3, 253). 645 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182 (s.o. Kap. I.1). 646 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f., 201. „Dichtkunst“ ist, so Kant, „freies Spiel der Einbildungskraft“ (Kritik der Urteilskraft, WW X, 258f.). Für die hierarchisierende Unterordnung des Witzes unter den „bildlichen Witz“ als Metapher und des Witzes überhaupt unter die Phantasie und die Poesie als die ‚eigentlich gemeinte‘ und festzuhaltende Unterscheidung will sich die Mehrzahl der Interpreten entscheiden dürfen (s.o.), oder sie halten es mit der Überwindung des Witzes in den „Humor“ (Wiethölter, Witzige Illumination, 35, vgl. aber die  §§ zum „Humor“, Vorschule der Ästhetik, 130-39, u.a.). Die „humoristische[] Linie“ ziehe die Vorschule „sichernd“ als Grenze „zum Wahnsinn“ (Wiethölter, „Die krumme Linie“, 53, vgl. Jean Paul, SW I.5, 139ff.); Birus macht dgg. fraglich, wo die Unterscheidung ‚ernst‘ gemeint sein könnte (Vergleichung, 52f.). 647 „Daher ist die bildliche Phantasie strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden – weil sie leben sollen, ein Wesen aber aus kämpfenden Gliedern es nicht vermag“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f., vgl. 195f.).

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‚organischen‘ Zusammenhang,648 der am Menschen das ‚Bild‘ seiner Ganzheit hätte (und in der Phantasie jenen ‚Zauber‘, der diese Totalisierung ermögliche).649 Um der phantasmatischen Ganzheit willen wird das buchstäbliche Wortspiel, als diesem Modell der totalisierenden Darstellung sich nicht fügendes, den Unsinn, der dem Sinn inhäriert, ausspielendes, verworfen. Das Phantasma der menschenähnlichen Gestalt für die Darstellung wird durchkreuzt von jenen „Gliedern“, die insbesondere Buchstabenspiele „höckrig“ merkbar machen, die zum Sinn eine „diskontinuierliche Beziehung“ unterhalten.650 Das Wortspiel realisiert ihr Potential, sich vielfach anderswo-hin zu verketten, sich anders verknüpfend: sich anders (als Sprecher_innen je wissen könnten) ‚besser zu verstehen‘.651 Jean Paul zufolge, „spielt [der Witz bloß] ums Spiel“. [Er] stellt zwischen die Poesie, welche sich und etwas darstellen will, Empfin­ dung und Gestalt, und zwischen die Philosophie, die ewig ein Objekt und Reales sucht und nicht ihr bloßes Suchen, sich in die Mitte und will nichts als sich und spielt ums Spiel.652

648 „Der Witz – das Anagramm der Natur – ist von Natur ein Geister- und Götter-Läugner, er nimmt an keinem Wesen Antheil, sondern nur an dessen Verhältnissen; er achtet und verachtet nichts; alles ist ihm gleich […]“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; HKA, I.11, 186). 649 So setzt Jean Paul dem Witz als „spielende[s] Anagramm der Natur“ die Phantasie als „Hieroglyphen-Alphabet derselben, wovon sie mit wenigen Bildern ausgesprochen wird“, entgegen: „Die Phantasie macht alle Teile zu Ganzen – statt dass die übrigen Kräfte und die Erfahrung aus dem Naturbuche nur Blätter reißen“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 47f.). Jean Paul traut der Phantasie bruchlose Totalisierung zu: „Sie führt gleichsam das Absolute und das Unendliche der Vernunft näher und anschaulicher vor den sterblichen Menschen.“ (Ebd., vgl. SW I.5, 67). Dem würde F. Schlegel wiedersprechen: ‚Synthesen‘ gibt es für das „abgeleitete Bewußtsein“ nur fragmentarisch, daher durch Witz, „wodurch das Bewußtsein sich am meisten als Bruchstück kundgibt“ (KFSA XII, 392, 402ff.). 650 Chaouli, „Die ‚Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘ und das große Lalula der Romantik“, 115; vgl. de Man, „Rhetoric of Temporality“, 208f. 651 F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 363f.; das tun sie nicht ‚als sie selbst‘, sondern im Spiel der Worte vgl. Novalis, „Monolog“, N II, 672. 652 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; HKA, I.11, 186. Der Witz sei frei und spielend (so F.  Schlegel, KFSA XII, 393). Wiethölter hält gegen „reine Selbstgenügsamkeit“ die „metaphysische Bedeutung, die Jean Paul dem Witz zumißt“ (Witzige Illumination, 131f.); eine Bestimmtheit durch „ein höheres Ziel“ (119), „durch ein religiöses Grundgefühl“ behauptet Sprengel (Art. „Antiklassische Opposition“, 260, vgl. 263f.) u.v.a. Aber treffend Fleming: „wit fails to desire anything other than itself“, während „Jean Paul’s thought remains teleological as all humour does“ („Disparate Pleasures“, 146f.; das zielt auf die Rolle der Phantasie, 148; vgl. Simon, Die Idee der Prosa, insb. 216-29).

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Diese grammatisch kaum lesbare Anordnung situiert nicht den Witz zwischen Poesie und Philosophie,653 sondern er „stellt“ sich jeweils „zwischen“, durchquert „Poesie“ und „Philosophie“ und macht beide durch die Überkreuzung von Hetero- und Autoreferentialität aus: die Poesie wolle nicht nur „sich“, sondern auch „etwas darstellen“,654 die „Philosophie“ suche einen Gegenstand „und nicht ihr bloßes Suchen“ eines solchen. Der Witz, der „nichts als sich“ will, stellt zwischen, was beide in sich spaltete: ihre Selbstreferenz, die das poetische Darstellen ausmacht, das doch auch „etwas“ gilt,655 und in der die philosophische Suche keineswegs sich verlieren darf, die doch „ewig“ auch „ein Reales sucht“. Dass der Witz um „nichts“ als „ums Spiel“ „spielt“, ist, anders als Jean Paul glauben mag, keine Verabsolutierung des Spiels (gegenüber dem Ernst), dieses vielmehr als „Verunsicherung“ ernsthafter Gewißheit einer Fundierung „zuallerst die Verunsicherung seiner selbst“.656 Jede „Sache“, „mit“ der der Witz (vermeintlich) spielte – und sei diese, wie in Novalis’ „Monolog“, die Sprache657 – ist im Spiel von ihrer Sprachlichkeit erfasst, ans Spiel als Grundlosigkeit preisgegeben, aus dem die ‚Sache‘ emergieren mag (oder auch nicht). Im Ernst wäre sie nur durch die (sich selbst vergessen machende) Abscheidung von dem sie grundlos Hervorbringenden (Spiel) ‚gegeben‘:658 Nicht das Spiel ist Ernst-vergessen, sondern der Ernst „ist nichts anderes als das 653 Bosse zufolge sei der Witz hier „Gegenpol der Philosophie“ (Theorie und Praxis bei Jean Paul, 257), die „Poesie“, die „sich und etwas darstellen will“, anders als bei Jean Paul zu lesen, zwischen Witz und Philosphie zu situieren (256). 654 „[N]icht die Poesie (wie neue Ästhetiker nach dem Mißverstande Kants annehmen, welcher sie aus zu kleiner Achtung für ein Spiel der Einbildungskraft erklärte), sondern der Witz [ist] ein bloßes Spiel mit Ideen.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X (§51), 258f.). Aber auch die Poesie „[s]pielt“, „mit Bildern, dann mit den Klängen des Reims und Metrums“ (SW I.5, 193; vgl. SW I.5, 444, 447). 655 In der fiktiven Vorlesung „Über poetische Poesie“: „Das Spielen der Poesie kann ihr und uns nur Werkzeug […] sein.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444); aus der Persona des „ich“ der „III. Kantate-Vorlesung“ ‚gesprochen‘ (442ff.). 656 Vgl. H.-J. Frey, „Spielen“, 271, vgl. 263-73; es hat „sein unterhöhlt werden immer schon vorweggenommen“ mit seiner (gerade auch seiner Regeln) Ungegründetheit, Kontingenz (271). 657 „[S]o manche ernsthafte Leute […] merken aber nicht, daß das verächtliche Schwatzen die unendlich ernsthafte Seite der Sprache ist. Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei […] Sie spielen nur für sich selbst […] – eben darum spiegelt sich in ihnen das seltsame Verhältnißspiel der Dinge.“ (Novalis, „Monolog“, N II, 672) Versteht sich: dies ‚ist‘, wo die Sache die Sprache ist, unauflöslich paradoxal. 658 Dabei „muß der Ernst seine Beziehung zum Spiel unterdrücken“, das ist die Assymetrie dieser Relation (H.-J. Frey, „Spielen“, 268, 271).

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Vergessen des Spiels“.659 Die Unterscheidung zwischen Spiel und Ernst müsste im Ernst (die eine Seite als gegeben voraussetzend) getroffen werden können;660 dagegen setzt das Spiel den Gegensatz „außer Kraft“, gibt mit der „Möglichkeit des Nichternstnehmen[s]“ die Sicherheit aller Positionen preis.661 Jean Paul scheint aber auf diese Unterscheidung zu setzen: „Der Grund wie der Zweck eines Spiels ist keines; um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt“,662 und bezieht dafür offenbar – im (religiösen?) Ernst – die Position des Ernstes als (vorweg) gegebene,663 von der das Spiel als bloße „Nachahmung des Ernstes“,664 als nur sekundäres, dependentes abgewertet wird.665 Das Spielen aber, das in 659 Vgl. H.-J.  Frey, „Spielen“, 267. „Es könnte sein, daß es den Ernst gar nicht gibt“, „die fundierte Ordnung des Ernstes wäre eine Fiktion“; dennoch kommt Ernst vor: er „ist die uneingestandene Repräsentation des Spiels“ (266f.). 660 Vgl. H.-J. Frey, „Spielen“, 265f., 271; die selbstverständliche Entgegensetzung dgg. in den kulturhistorischen Spielkonzepten, vgl. Huizinga, Homo ludens, 15ff.; Caillois, Die Spiele und die Menschen, 9ff., 15ff., 52-64; zur Diskussion Ehrman, „Homo Ludens revisited“. 661 H.-J. Frey, „Spielen“, 271. 662 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444; auch dies aus der Persona des „ich“ der „III. Kantate-Vorlesung“ ‚gesprochen‘. Vgl. F.  Schlegel über „Wilhelm Meister“: „als würde es nun Ernst“ (KFSA II, 146). 663 „Wir haben etwas in uns, was unaufhaltbar einen ewigen Ernst, den Genuß einer unbegreiflichen Vereinigung mit einer unbekannten Realität als das Letzte setzt. Das Spielen der Poesie kann ihr und uns nur Werkzeug, niemals Endzweck sein. […]“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444); d.h. „wechselnde[] Vernichtung der einen Welt durch die andere“, die der „Januskopf[] des Menschen“: bald die eine, bald die andere, schaue (66), dessen Zweiheit auch in „Teilen, aus Spaß und Ernst“, als „Zwitterblüte“, „Zweiköpfiger Adler“ im Vorbericht zum Kampaner Tal (SW I.4, 563f.); zur Dualität in der Vorschule der Ästhetik (§§ 1-15) und deren möglicher Überführung in die Einbildungskraft, vgl. Simon, Die Idee der Prosa, 215-29, 215ff. Die Poesie „kann spielen, aber nur mit dem Irdischen, nicht mit dem Himmlischen“ (SW I.5, 447); das zitiert F.  Schlegel affirmativ („Zu Jean Pauls ‚Vorschule der Ästhetik‘“, 671), wird aber als Abgrenzung gegen die Frühromantik aufgefasst (wie § 2 der Vorschule der Ästhetik: „Poetische Nihilisten“, SW I.5, 31-34): „Ästhetische Autonomie begrenzt sich für Jean Paul durch ein religiöses Grundgefühl“ (Sprengel, Art. „Antiklassische Opposition“, 260, vgl. 263f.). Religion sei, so F. Schlegel, „in mancher Beziehung ein Gegensatz d[es] Witzes“ (KFSA XVIII, 383). Jean Paul limitiert (und überschreitet) den Witz aber durch Poesie, Phantasie, Humor (so auch Fleming, „Disparate Pleasures“, 128); umgekehrt: „Nach jeder pathetischen Anspannung gelüstet der Mensch ordentlich nach humoristischer Abspannung“ (§ 35, I.5, 130). Das VI. Programm ziele auf die „Differenz zwischen Unendlichkeit (das Modern Romantische) und Endlichkeit (Komik)“ mit „Humor“ als tertium so dgg. Simon (Idee der Prosa, 246ff., 239f., 251; vgl. SW I.5, 124, 129). 664 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444. 665 Mit der Aufgabe, „die Wirklichkeit, die einen göttlichen Sinn haben muß, […] zu entziffern“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 447), wäre das Spielen (von Witz und Poesie?) dieser nur nachgeordnet und einzuholen oder das Spielen wäre durch seine Lösung vom derart Gesetzten unbegrenzt gefährlich.

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nichts als ‚sich‘: den Differenzen von/zu sich, ‚gründet‘, „verunsichert“ die „fundierte Ordnung des Ernstes“, setzt dessen Voraussetzung, „Fundament“ und Gegründetheit aufs Spiel, indem es das Spiel der Sprache, das den Ernst ermöglicht, und das dieser vergisst, zur Geltung bringt.666 Wie wäre „um Ernst“ zu spielen? Verleugnet doch die Inanspruchnahme des ‚vollen Ernstes‘ als Grund oder Zweck das Spiel, das (auch) seiner (des Ernstes) Position inhäriert und diese unhaltbar macht.667 Wird das Spielen des Spiels nur als vom Ernst begrenztes zugelassen, so ist es anfänglich bereits beendet.668 Will Jean Paul „durch Spiel zu gewinnen“ wissen,669 so ist im Spiel nichts Substantielles zu haben, was jenseits seiner gelten würde; ein solcher Gewinn wäre nur durch die kontingente Beendigung des Spiels einzustreichen. Umgekehrt muss ans Spiel – so albern es sei – sich aller Ernst als an seine Grundlosigkeit, die ihm als sein Gesagtsein inhäriert, verweisen lassen.670 Der Witz suspendiert den Ernst des Sinns an die Zweideutigkeit, ob es sich bei seinen Effekten um Ernst oder Unernst handle, ob der Sinn, der in den Koinzidenzen (wieder-)erkannt wird, ernst zu nehmen sei. Oder ob dieser bloß Effekt des Spiels mit der Sprache ist, gar nicht ernsthaft ‚gemeint‘ sein könne, sondern ‚bloße‘ „Spielmarke des Wortspiels“ sei. Nicht (im Ernst) kann 666 Vgl. H.-J. Frey, „Spielen“, 265ff. 667 Jean Paul (aus der persona der) „III. Kantate-Vorlesung“: „‚Jedes Spiel ist blos die sanfte Dämmerung, die von einem überwundenen Ernst zu seinem höhern führt.‘ ‚Aber den höhern vernichtet wieder ein höheres Spiel‘ – ‚Es wechsle lange fort und ab, aber endlich erscheint der höchste, der ewige Ernst.‘“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 444). Aber wie sollte spielend die Gewissheit des ‚erreichten Ernstes‘ gewonnen sein? – nicht mehr ‚im Spiel‘. Ungereimt sei „‚ewiges Spielen des Spielens. Götter können spielen; aber Gott ist ernst.‘“ (ebd., abfällig zur „Ironie“ derer, „welche uns nicht den Ernst des Scheins, sondern den Schein des Scheins bringen“, 151). 668 Vgl. H.-J. Frey, „Spielen“, 263ff. F. Schlegel findet zwar die Vorschule „erhöht durch das freie Spiel des Witzes“ („Zu Jean Pauls ‚Vorschule der Ästhetik‘“, 656), das „freigelassene […] Spiel“ (662). Wenn er aber „das tiefere spekulative Eindringen“ vermisst (662), so: „Das Subjektive kann sich als unendliches Leben nur so offenbaren, daß es sich über alle Bestimmtheit und Begrenztheit, über alles, was ernsthaft und positiv, erhebt; und dieses kann nur dadurch geschehen, daß es alles als freies und zweckloses Spiel betrachtet.“ (664, vgl. „Entwicklung der Philosophie“, KFSA XII, 392, 404, aber auch „mache Ernst aus dem Spiel“, KFSA II, 267). Dem unbeendbaren Spiel entspricht die Ironie (vgl. de Man, „The Concept of Irony“, „Rhetoric of Temporality“; zur ‚romantischen Reflexion‘ des Spiels im Spiel, Ironie und zum barocken Ernst (jenseits der Kunst) vgl. B. Menke, Das Trauerspiel-Buch, 231-51, insb. 246-50). 669 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203, vgl. 200. 670 Vgl. Novalis, „Monolog“, N II, 672. „Im Spiel ist alles mit dem expliziten Vorbehalt gesagt, daß es nur gesagt ist, und daß die Frage, ob dem Gesagten etwas außerhalb der Rede entspricht, offenbleibt.“ (H.-J. Frey, „Spielen“, 272); diese Haltung kann man Ironie nennen (273f.).

Räder-Spiel-werk, Sprach-Maschine

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entschieden werden zwischen dem ‚Sinn‘, der erzeugt worden und ernst zu neh­ men sein mag, und dem Unernst seines spielendenden Hervorbringens, dem Ernst seines Glückens und dem glücklichen Unernst des Spielens der Sprache.671 Umgekehrt macht diese Un-Entscheidbarkeit den ‚ganzen Ernst‘ aller seiner Effekte,672 so unsinnig sie sich herausgestellt haben werden, aus: Wortwitze lassen insofern ‚gewinnen‘, als sie Effekte im Spiel der Sprache machen, die ans Spiel (schon) verloren gegeben sind, in der Sprache (und ihrem Spiel), in der auch alles ‚im Ernst‘ gesagt ist (indem das grundlose Spiel vergessen ist). Mit Blanchot: „Jenseits des Ernstes gibt es das Spiel, aber jenseits des Spiels, auf der Suche nach dem, was verspielt: das Grundlose, dem man sich nicht entziehen kann, das Zufällige, dem ich unterliege, immer schon unterlegen bin.“673 I.6

Räder-Spiel-werk, Sprach-Maschine (Jean Paul – Saussure – Joyce)

Jean Paul verwirft die skripturalen Kunstfertigkeiten der „Gefahr“ wegen, als die eben das, was er dem Wortspiel als Vorteil zugestanden hatte, die „Freiheit“, „den Blick von der Sache zu wenden gegen ihre Zeichen hin“,674 sich ihm vorstellte: die „Gefahr“, die „den Wortspielern, die nicht bloß diese sein wollen, nicht verschwiegen“ sein solle, zunächst „daß man sich zu sehr an die Versuchungen des engen Ohrs gewöhnt“, im pun verwechselnd den Anklängen folgt, und dass das („weite“) „Auge[] zu leicht von dem Großen und Weiten zu sehr auf die Teilchen der Teilchen hin[gedreht werde], zum Beispiel von jenen feurigen Engel-Rädern des Propheten auf die Rädertierchen der Silben“.675 Jean Paul setzt hier dem Wortspiel eine Grenze, vollzieht eine Abscheidung gegen den von der „Kraft“ der Teile hervorgebrachten Unsinn. Mit den „Rädertierchen“, die zum einen allein der Blick durchs Mikroskop zugänglich macht,676 671 Die Nicht-Entscheidbarkeit über Spiel und Ernst ist der Skandal des ‚Glückens‘ der Witze, vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 206, vgl. 213. 672 „Ernstnehmen der Sprachlichkeit ist ein widersprüchlicher Akt“, weil „das ernst genommen [wird], was die Verunsicherung des Ernstes ist“, so H.-J.  Frey („Spielen“, 269, vgl. 270). 673 Blanchot, Die Schrift des Desasters, 22. 674 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 675 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195. 676 „Rädertierchen“ (vorticella volutaria) (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 362) sind eine Gattung der Infusionstierchen (auf deren Kleinheit und Vielzahl Lichtenberg mit den „kleinen Infusions-Ideechen“ abhebt (Sudelbücher II, 770 (J 850)); vgl. das „infusorische Chaos“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202), das, so Groddeck, die „schöpferische Potenz und mikrologische Feinstruktur des Witzes“ anzeigt („Dithyrambus des Witzes“, 180; s. Kap. III.1).

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

wird zum anderen die „Gefahr“ einer nicht-intentionalen maschinalen Produktivität der Teile angezeigt. Gracián führte sie mit der Metapher von der „hidra v/bocal“ auf die Zerstückelung zurück, während Jean Paul die Kraft der „Teilchen von Teilchen“ ausmacht, die als Signifikanten durch ‚ihre bloße Stellung‘ siegen.677 Galt der übliche Vorhalt um 1800 „gegen Automate oder Räderwerke“, „starren Mechanismen“ und usurpatorisch-trügerischen Doubles,678 so evoziert Jean Paul die „Gefahr“ wörtlich eines Räder-spielwerks679 der „Teilchen“ der Wörter, die sich, in ihrer Zerlegung, zum Spiel signifikanter Versetzungen und Verkettungen hergeben. Dabei preist Jean Paul am witzigen „Räderwerk“ auch, dass es Bewegung ins Spiel bringt, verfehlte Festsetzungen löst.680

677 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 175, 180. 678 In Parteinahme für Geist, Seele, Herz oder Gemüt, so Dotzler, Papiermaschinen, 608, vgl. 544f., 560-65, 636. Jean Paul parodiert dies („Einfältige aber gutgemeinte Biographie einer neuen angenehmen Frau von bloßem Holz, die ich längst erfunden und geheiratet“, SW II.2, 393-422; „Unterthänigste Vorstellung unser, der sämtlichen Spieler und redenden Damen in Europa entgegen und wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 167-85, hier: 174f.) mit dem „Maschinen-Mann“ oder – „König“, der durch Maschinen wirkt, als dem Geist des 18. Jh. (Auswahl aus des Teufels Papieren, SW II.2, 446-53, hier: 453, dann Palingenesien (8. Reise-Anzeiger), SW I.4, 90107, hier 907), vgl. den „mechanischen Wiz“ der 80er Jahre des 18. Jh.s, SW II.1, 741f.; das „Räderwerk in der Sprachmaschine“ (Siebenkäs, SW I.2, 332, 34, 113, 427); Schmitz-Emans nimmt nur pejorativ „Abwesenheit eines inneren Sinns“ und „Vortäuschungen von Beseeltheit“ (Schnupftuchsknoten, 263ff.). Auch  F.  Schlegel spricht von „nur Marionetten, allegorisches Spielwerk“ („Zu Wilhelm Meister“, KFSA II, 146). 679 „Spielwerk“ heißt Adelung eine Hervorbringung, die sich nicht durch „Wahrheit“ rechtfertigt (Ueber den Deutschen Styl, Erster Theil, 498); Herder verwerfend: „welch ein Dichter, der […]/ sich denn mit dem Regelkram brüstete: ‚wie artig habe ich nicht so viel und so viel schöne Spielwerke auf den engen gegebenen Raum dieser Brettergrube, […] eingeklemmt und eingepaßt! die Scenen filirt und enfilirt! Alles genau geflickt und geheftet‘“ („Shakespear“, 227), auch Hallbauer gegen collectanea als „Spielwerck, Vanitäten, unnützes Zeug“ (zit. nach Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 42). Ein „Spielwerk der Mode, ein Gaukelputz für Kinder“ heißt Lessing das „Changeant“ der vielfärbig changierenden Textur des sich durch vielfältige Ansichten von der „Einfalt“ des Genies unterscheidenden Witzes (Hamburgische Dramaturgie, 30. Stück, 241). Dgg. führt Lichtenberg „Maschine“ und „Spielwerk“ eng, fragt zu einer Skizze kommunizierender Röhren: „“ (Sudelbücher II, 239 (J 1303 u. J 1304)). Neben bekannten Spielwerken des 18. Jh. und Kempelens Maschinen nennt Jean Paul Spinn-, Bandweb-Maschinen (SW II.2, 169; SW I.4, 906). 680 Das „Räderwerk“ der „Ideen“ ermöglicht Freiheit, durch „Handhabung“ und „Gelenkigkeit“ und Beschleunigung (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 204ff.; Unsichtbare Loge, SW I.1, 135; Levana, SW I.5, 842; im Hesperus, zit. in Grimms DW Bd. 14, Sp. 50), vgl. „in der Sprachmaschine“ (Siebenkäs, SW I.2, 332, 113, 427); s. Kap. III.1.

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Die „Gefahr“, die Jean Paul bezeichnet, indem er sie mit den buchstäblichen Wortspielen auszuschließen sucht, ist die von asignifikativen Teilen, von denen aus kein ‚innerer‘ Übergang zu einem Ganzen zu sichern ist, die vielmehr alles mögliche andere machen können. So macht Jean Paul den elendigen Verfall des Witzes im Wortspiel im Buchstäblichen aus, dessen Formen fortgesetzten Niedergangs er in sich steigernden Verwerfungen dekliniert: Der Witz geht aus dem Wortspiel in die erlaubte Willkür des vielsinnigen Silbenrätsels über (Charade), das, gleich allen Rätseln und Bienen, am Gebrauche des Stachels stirbt – dann verläuft er sich abgemattet ins BuchstabenSpiel (Anagramma) – noch erbärmlicher in die anagrammatische Charade, den Logogryph – bis er endlich ganz im elenden höckerigen Chronogramma versiegt.681

Diese Verwerfungs-Kaskade richtet sich gegen die, eben durch diese markierte, Gefahr einer verfehlten Aufmerksamkeit für die Zeichen und damit die „Teilchen der Teilchen“, die gerade als skripturale sich behaupten,682 dem Sinn gegenüber, den sie in ihrer jeweiligen Stellung erzeugen mögen, sich sperrig zeigen, an denen das Lesen hakt und es sich (unterbrechend) zurückwendet. Im Sinne einer Reglementierung des Wortspiels durch den Sinn, die Jean Paul durch dessen Anhalt an die ‚Ähnlichkeit der Sachen‘ anvisiert, beschränkt die Vorschule die Zulässigkeit des Wortspiels und schließt BuchstabenOperationen aus. Denn in Buchstaben als durch ihre Verstellbarkeit bestimmte ‚Elemente‘ manifestiert sich die Kraft der Teilchen, mit der diese sich nicht nur aus semantischen Zusammenhängen lösen (können), sondern von der keineswegs ausgemacht ist, dass sie je wieder dem Ganzen der Bedeutung, die diese generieren sollen und zuweilen auch tatsächlich hervorgehen lassen, untersteht und sich integrieren wird.683 In „this dismemberment of language by the power of language“, von der Paul de Man spricht, kommt den einzelnen 681 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195. 682 In dem zur 2. Aufl. für Vergessenes hinzugefügten § 75: „Zuletzt sind noch […] unterzubringen das Rätsel, desgleichen die Scharade, samt ihren Absenkern und Wasserreisern, den Logogryphen, Anagrammen u.s.w.“, geht das bis zu asignifikanten Schriftzeichen: „Noch weiter ins Kleinere abzuteilen und zu zerfasern, möchte wohl mehr angenehmen Zeitvertreib für den scharfsinnigen Kunstrichter als nützliche Kunstlehre für den ausübenden Dichter gewähren“, neben „wenigsilbige, mikroskopische Gedichte“ wie Wehe! oder Juchheh!, als „kürzeste Gedichtform gar Frag- und Ausrufzeichen“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 275); wie der mechanische „in willkürlichen Zeichen geäusserte[] Wiz“ in „Gedanken=striche“, ins „kleinste“: den „Apostroph“ gehe (SW II.1, 741ff.). Vgl. zu diesen Marken in Kap. IV. 683 Nicht-Ganzheit macht die „Arten des Unsinnes“ (Adelung, Ueber den deutschen Styl, Erster Theil, 129ff., etwa 130).

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Stücken die Kraft latenter anderer Verkettungen zu, die mit unabsehbarer Bedeutung drohen, die in ihnen lauert.684 Die anagrammatischen Spielformen hintergehen zerlegend die semantischen Einheiten,685 um in Wörtern (sie zerlegend, rekombinierend) andere Wörter lesbar zu machen. Diese lesenden Operationen fassen Wörter und Texte als double, als buchstäbliche Vexierbilder auf, weil je andere Zusammen’lesungen’ (ihrer Teile) zu Wörtern oder Namen aus jedem Textstück hervortreten mögen. Jeder Text hält solche Möglichkeiten auf unbegrenzbare Weise bereit, wie Saussure in seiner Anagrammatik begegnet. Der Verdacht einer ubiquitären Anagrammatik mag im Falle etwa des „elenden höckerigen Chronogramma“ stillgestellt, weil mit den aus dem Wortzusammenhang, der die Semantik trägt, als Majuskeln sichtbar hervortretenden Buchstaben entschieden sein, die einer anderen Lesbarkeit als lateinische Zahlzeichen zugeführt werden.686 Zugleich aber ermöglichen die Buchstaben die doppelnde anagrammatische Zusammen-Lesung gerade insofern, als sie die Lektüre der Worte sperren und diese auf ihre Zerlegbarkeit, an ihre sinnlosen, verstell- und anders konfigurierbaren, als iterierbare von sich differierenden ‚Elemente‘ verweisen. Unterm Titel „Romanen–Musaik“ widmet sich Jean Paul in der Nachschule eigens der Abwehr von Spielformen „enthüllte[r] Willkür“,687 die er mit (den bereits angesprochenen) bouts rimés verwarf: die mit den vorgegebenen Reim-Wörtern die Matrix einer kombinatorischen Textgenerierung stellen, die gegen die 684 So zur Zergliederung durch Wortabkürzung, zu Kleists für diese und die Bewegung der ‚Glieder‘ einschlägigem „Marionettentheater“, de Man, „Aesthetic Formalization“, 290: „who can tell what terrible secret may be hidden under this harmless looking letter“, „who is to say this notation is random while the other isn’t“. „Die Worte erweisen sich ‚noch‘ oder vielmehr gerade ‚in‘ ihrer Vereinzelung verhängnisvoll“ für die Leserin, die nur auf Teilstücke des Schriftstücks, das nicht für sie bestimmt war, trifft; „schon die Tatsache, daß sie, so vereinzelt noch etwas bedeuten, gibt dem Bedeutungsrest, der ihnen verblieb, etwas Drohendes“, so (mit Bezug auf Calderóns El mayor monstro, los celos) Benjamin (Ursprung des deutschen Trauerspiels, GS I, 381f.; vgl. B. Menke, „Reflexion des Trauer-Spiels“, 273-76). 685 Das gilt auch für die Charade, die Jean Paul als ein „vielsinnige[s] Silbenrätsel“ noch „erlaubt“, neben den o. Kap. I.5 angesprochenen vgl. Kleists „Der Jüngling an das Mädchen. Charade“: „Zwei kurze Laute sage mir;/ Doch einzeln nicht, so spricht ein Tier!/ Zusammen sprich sie hübsch geschwind:/ Du liebst mich doch, mein süßes Kind.“ (Berliner Abendblätter, 57. Bl., 5.12.1810 (anonym), BA I, 296), aufgelöst „im folgenden Blatt“ mit dem Wort „Ja“ (als zusammengelesenes I-A) (300). 686 Die Jahreszahl unterhält gewöhnlich einen Bezug zur Satz-Bedeutung, wie in den o. Kap. I.5 genannten Beispielen (vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd.  2, 82) oder im von Addison erläuterten „CrIstVs DuX ergo trIVMphVs“ auf Gustav Adolph als Chronogramm des Jahres 1627 (The Spectator No. 60 (1711), 154). Diese Beispiele nehmen sich die Lizenz zur Höckrigkeit von Großbuchstaben auch innerhalb der Wörter; vgl. Kap. IV.1. 687 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461.

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Zeilen abgesetzt zugleich (als Intext) sich gegenüber dem möglichen (Sinn-) Zusammenhang behaupten. Eine scharfe Absage bekommt insbesondere, „wenn die poetische Musaik wie ein Setzer lieber zu Buchstaben greift anstatt zu Worten“,688 das materiale Hantieren mit versetzbaren beweglichen Lettern.689 Der „Abcschütze – der nach Buchstaben zielt –“, „jagt“ Buchstaben entweder auf oder „erlegt“ sie,690 wobei die derart erzeugten Lipogramme stets zugleich die Verfahrensvorschrift „enthüllen“. ‚Aufgejagt‘ wird der Buchstabe, der in Sinn-orientierter Lektüre, unvermerkt, sich der semantischen Einheit zu fügen hat, in allen anagrammatischen Praktiken, die – diese zerlegend – andere (latente) Verkettungen ausspielen. Die Affinität zu Buchstaben als „bloße Zeichen“691 geht im Witz, so Campe, auf „die Art von Materialität, die selbst, im Witz, den Text als ihr Spiel zu organisieren beginnt“.692 688 „Noch erbärmlicher fährt der Leser, […]“ (Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461); zum Mosaik als (zugleich irritiertes) Modell des Textes, vgl. Kap. IV.2. 689 Vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“, 143; Rieger, Speichern/Merken, 45-48; Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 484-89, 492ff.; Krajewski, ZettelWirtschaft, 22ff. Der Setzer schaffe die „Schwere schwarze Musaik“, „indem ich Stiftchen nach Stiftchen einsetze“ („Ergänzblatt zur Levana“, SW I.5, 160); der „mechanische Witz“ sei „Geschiklichkeit der Hände“ (SW II.1, 742), vgl. Kap. IV.2. 690 Er finde „seine Buchstabenrechnung […], entweder wenn er sie aufjagt, oder wenn er sie erlegt […], wenn man wie Brockes ein Gedicht ohne R schreibt“ (Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461), wie der Oulipist Perec das e sich untersagt. Vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 93ff.; Jean Paul zufolge: „Gibt es in der Welt ein bettelhafteres Gefühl und Vergnügen als das an einer Verneinung, an einem Buchstaben, dessen Abwesenheit man nicht mehr bemerkt als an einer hebräischen Bibel die Selbstlauter.“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 461f.; HKA I.16, 423). Auch der sog. ‚positive‘ Abcschütze: das Akrostichon, löst den Anfangsbuchstaben aus dem Wort, um ihn einer anderen Lektüre zuzuführen, das, so Jean Paul, die „Anschauung unerquicklicher Mühen“ gebe (Kleine Nachschule, SW I.5, 462). ABCdarien sind ABC-Akrosticha, vgl. Kap. III.2. Lipo- und Tautogramm (das einen Buchstaben so oft als möglich anbringt, Liede, 94f.) treten in Jean Pauls Der Jubelsenior. Ein Appendix mit dem Buchdrucker materialiter auf, der „vier Lot große R und ein Viertelpfund Gedankenstriche“ beibringt: „Ich hob […] wägend die vier Lot Kapital-R auf und nieder, um so lieber, da es mein eigner Namens-Initialbuchstabe ist und da ich schon 30 Stunden, wie Brockes ein Gedicht von 70 Versen, ohne mein R vollendet hatte, wiewohl ich das Leben in den Tagen ohne R (z.B. als Seraphinenritter im ersten Appendix) wie Krebse in den Monaten ohne R am schmackhaftesten finde. Nichts ist wohl einem Menschen schwerer, als […] gar wie der Neapolitaner Cardone ein Gedicht von 2000 Versen unter dem Titel: L’R sbandita zu verfassen ohne ein einziges R.“ (SW I.4, 528f.; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 397). 691 Campe, „Schreibstunden“, 150, 159, die mit dem „Abcschützen“ die „Lust der [von Jean Paul] erinnerten Kindheit“ aufruft (152, mit Quintus Fixlein), vgl. Jean Pauls Leben Fibels, s. Kap. III.2. 692 Campe, „Schreibstunden“, 152; das Komische der „wiederkehrende[n] bloße[n] Zeichen“ setzen Jean Pauls Texte im Witz fort (ebd.); vgl. Kap. III.1.

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Der Spannung zwischen dem Un-Sinn der Elemente, ihren Verbindungen dies- und jenseits aller Intentionen und dem Sinn, den diese generieren mögen, entspricht die Ambivalenz gegenüber dem Witz, die nicht nur bei Jean Paul – das gehört vielmehr zu den Gemeinplätzen von wit und Witz im 18. Jahrhundert693 – in der Verwerfung des Wortspiels sich manifestiert. Sind die abgetanen, mit der Gefahr verfehlter Aufmerksamkeit für die Signifikanten drohenden, operativen Leseweisen als anagrammatische zu charakterisieren, bestimmte Jean Paul doch den Witz (als solchen) als Anagramm: als zerlegende, andere Konfigurationen erzeugende Ver-Stellung: Der Witz – das Anagramm der Natur – ist von Natur ein Geister- und GötterLeugner, er nimmt an keinem Wesen Anteil, sondern nur an dessen Verhältnissen; er achtet und verachtet nichts; alles ist ihm gleich, sobald es gleich und ähnlich wird; […] und will nichts als sich und spielt ums Spiel […] – er ist atomistisch, ohne wahre Verbindung –694

Mit der „wahre[n] Verbindung“, die Sache des anagrammatischen Witzes nicht ist, bezeichnet Jean Paul dem Witz die Grenze, jenseits derer es diese geben müsste, und jenes Ungenügen, um dessen willen der Witz im Laufe des 18. Jahrhunderts aus der Dichtkunst ausgewiesen wird. Ihm stellt Jean Paul Phantasie und Poesie entgegen, die als darstellende Verkörperung im Konzept der von ‚innen‘ zusammen- und abgeschlossenen ‚lebendigen Gestalt‘ vorstellbar sein soll, die „das Tote“ „beseelet“, während der Witz „lieber das Leben entkörpert“, da er „nur eine leblose Musaik geben will“.695 Der Witz manifestiert die „Kraft“ der Teile, die dem Phantasma der darstellenden Einheit widerstreitet, die als das ‚ganze Bild‘ des ‚ganzen Menschen‘ im Ausgang des 18. Jahrhunderts verbindlich ist, also der ästhetischen Ideologie der totalisierenden Darstellung, die zuweilen auch Jean Paul ‚im Ernst‘ (?) scheint in Anspruch nehmen zu wollen. Wird ‚um 1800‘ „Literatur“ (neu) von Poesie unterschieden,696 so erzeugt und manifestiert der marginalisierte, als veraltet ausgeschlossene Witz Litteratur: als ein „Würfelspiel“ von Buchstaben und anderen nicht-alphabetischen

693 Neben Adelung, wie in Kap. I.5 zitiert, vgl. Addisons „False Wit“ (The Spectator, No. 59-63, May 1711), die von Pope verbannten „Modes in Wit“ (Essay on Criticism, 289ff.). 694 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201, vgl. 47; anfängliche Unterscheidungen von unbildlichem und bildlichem Witz und beider vom Wortspiel scheinen damit irrelevant. 695 „Daher ist die bildliche Phantasie strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden – weil sie leben sollen, ein Wesen aber aus kämpfenden Gliedern es nicht vermag – […]“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.). 696 So (für F. Schlegels Gespräch über Poesie) Wellbery, „Rhetorik und Literatur“, 166ff.

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asignifikativen Schriftzeichen, das „Schrift aufschreib[t]“,697 Literatur, die, so Michel Foucault, beginnt, wo der Raum der Sprache durch die „Beziehung der Sprache zu ihrer endlosen Wiederholung“ bestimmt ist.698 Anders als die Metapher vom „leblosen Musaik“ für den anagrammatischen Witz meinen könnte, geht es mit dem Witz als Anagramm, als Spiel mit, zwischen und in den Wörtern um Bewegungen: Wechsel und Verstellungen, die als Iterierbarkeiten den Zeichen als ihre latente Andersheit (von sich) inhärieren. Verstellbarkeit wird im witzigen anagrammatischen Spiel aktua­ lisiert, das als solches je auch auf die aktualisierend abgeschnittene Potentialität, die Latenzen oder den Hintergrund alles jeweils Gesagten, die Reserve ‚an dessen Rändern‘ verweist. In Jean Pauls Verwerfungen des Wortspiels, die in der Aufmerksamkeit für die „Rädertierchen der Silben“, genauer deren „Teilchen“, die „Gefahr“ der Kraft der sinn-losen Teile ausmachen, die weder von sich aus zur gestalthaften Ganzheit und totalisierenden Inklusion will und noch auch mit Sinn und Intention übereinkommen muss, zeichnet sich – in deren Abwehr – eine Sprach-Maschine ab. Jean Pauls Räderwerke erinnern zunächst (noch) die „kombinatorischen Maschine[n]“, jene „rotae combinatoriae“, die (auch von Jean Paul angeführ­ ten) Wechselräder des (frühneuzeitlichen) Lullismus, Kirchers, Kuhlmanns u.v.a.,699 die die als solche äußerlichen kombinatorischen Operationen ausführen, die Sprache analysierend über Zerlegungen, über einen Satz

697 Dadurch kennzeichnet F. Kittler das ‚Aufschreibesystem 1900‘ (Aufschreibesyteme, 217f.). Das „Würfelspiel“ führt Jean Paul als „Kompositionsmaschine“ (Palingenesien SW I.4, 904; vgl. Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f.). Gracián zufolge kann aus dem accento, das Wörter wie das él nur schriftlich unterscheidet, ‚ein concepto geboren werden‘ (Agudeza y Arte de ingenio, 560), vgl. Jeune/jeûne general (Jean Paul, SW I.5, 112f.); zum Apostroph als Substitut anderer Buchstaben (SW II.1, 743), zu nicht-alphabetischen skripturalen Zeichen (SW I.5, 275), zum Komma (187f., 201), zum Gedankenstrich, vgl. Kap. IV.2. 698 Durch die Bibliothek, so Foucault, „Die Sprache, unendlich“, 355f., 346ff.; das Wörterbuch, so Barthes „Der Tod des Autors“, 61. 699 „[The] revolving wheels“ (Yates, The Art of Memory, 176) sind „Maschinisierung“ von Lullus bei Kircher (Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97-101), die ‚rotierenden Kreisfiguren‘ „maschinisierte […] Verfahren“ von Lullus ars und „barocke Maschine“ (Kilcher, mathesis und poesis, 359f., 371). Kuhlmanns „rotam, tredecim circulos continentem“ ist die „technische Rekonstruktion des Apparats“ zur Permutation seines „Libes-kuß“ (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 218f.); dieser spielt mit dem „Topos des Glücksrads“ des „Wechselrades“ „allegorischen Sinn“ ein (220f.; ders., Exe.cut[up] able Statements, 136-44). Das „kombinatorische Rad“ erläutert Jean Paul (Palingenesien  8. Reisetag, zum „Maschinen-Mann“, SW I.4, 906) mit Bezug auf Morhofs Polyhistor (vgl. Kap. III.1).

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verstellbarer Elemente laufen,700 wie umgekehrt auch Maschinen als Kombinatoriken aufgefasst werden konnten.701 Maschinen mögen zwar zum „Inbegriff […] des Intelligiblen“ geworden sein,702 sind aber doch auch der der theatralen Machination, wie man um 1800 noch sagt, Vorrichtungen zur kunstvollen Täuschung, zum überraschenden Trick,703 als die sie und ihre Erfindungen sich auch von „ingenium“ herleiten.704 Ihre Effekte haben 700 So Schottelius’ Ausführliche Arbeit Von der Teutsche HaubtSprache u. Harsdörffers „Fünffache[r] Denckring der teutschen Sprache“ (in Harsdörffer/Schwenter, Deliciae PhysicoMathematicae, Oder Mathematische und Philosophische Erquickstunden, Bd. 2, 517), mit Bastelanleitung, die Drehbarkeit erzeugt. Vgl. Kilcher, mathesis und poesis, 375; J.  Neubauer, Symbolismus und Symbolische Logik, Abb. VI; Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 217. Das ist das Prinzip der Bücher-Maschinen (s.o. Kap. I.5). 701 Vgl. Schäffner, „Erfindungskunst“, 429ff. 702 Schmitz-Emans, „Maschinen-Poesien“, 377ff.; oder eher der „starre Mechanismen“ (Dotzler, Papiermaschinen, 608). 703 Machina war „ein in seiner Zweckmäßigkeit nicht ohne weiteres durchsichtiges Manöver, ein betrügender Trick, eine verblüffende Wirkung“ (Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 92); so bereits die griech. mechané, vgl. Schmidt-Biggemann, Art. „Maschine“, Sp.  790; die mechané, „Mittel und moyen“ bez. des Theaters als Maschine des Erscheinens, vgl. Nägele, „Mèchané“, 137f., auch Tscholl, Krumme Geschäfte, 102ff. In diesem alten Sinne nennt der „Machine“-Art. in Diderot/d’Alemberts Encyclopédie neben militärischen Maschinen (Bd. 9, 794-800, hier 795), machine in den Künsten, übernatürliche Erscheinungen in der epischen und dramatischen Dichtung: mit der „intrigue“, der „metamorphose“ im Theater (798ff.; vgl. Roßbach, Die Poiesis der Maschine, 9-16; Tkaczyk, Himmels-Falten, 39-90). Exzerpte in Jean Pauls Register-Artikel „Maschine/n“ zeigen dies (Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußischer Kulturbesitz, zugängl. Exzerpte. Digitale Edition, https://www.jp-exzerpte.uni-wuerzburg.de/index. php?seite=register/maschine (zul. ges. 07.12.2020); vgl. Kap. III.1; G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 333-40; Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 333). 704 Vgl. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 93. Das ingenium rückten die lat. Kirchenväter als „böse Erfindungskraft“ mit „vulgärlateinische[n] Nebenformen“ wie engannum, ingannum, inganum in die Nähe der „Täuschung“ (Engels, Art. „Ingenium“, Sp. 396; vgl. M. Blanco, Pointe, 26f.). Die Erfindungsgabe des ingenioso gilt den „Tricks“, „irreführenden Einfälle[n]“ (Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 124, zu Kirchers Tricks, Machinationen, 113ff.; vgl. Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221f.); das ingenio wird mit artificio in Hinsicht Technik, Erfindung, Ingenieurskunst, ingeniero ausgeprägt (vgl. Nitsch/Wehr, „Einleitung“, 8; Kramer, „Artificio und ingenio“, 258; C.  Johnson, „Graciáns artificios“, 199). „‚I. und seine romanischen Ableitungen bedeuten im Mittelalter auch häufig eine kunstvolle erfundene und konstruierte Maschine vorzüglich für Kriegs- und Belagerungszwecke. Diese Bedeutung entsteht aus der klassischen eines trickreichen Kunstgriffes durch Übertragung auf Geräte zu seiner Ausführung. […] Im modernen Französisch, aber auch im Englischen (engin, engineer) und dem deutschen Fremdwort Ingenieur überlebt […] diese Bedeutungsvariante.“ (Engels, Sp. 396, 411; vgl. M. Blanco, 26; Weinrich, Art. „Ingenium“, Sp. 362). Paradigmatisch für die

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den Charakter des Trugbilds oder Simulakrums,705 einen theatralen Zug des Erscheinen-Lassens im Spiel mit der Latenz.706 Stellen kombinatorische (mehr oder weniger fiktive) Maschinen einen dem bewußten Ich entzogenen Automatismus vor,707 so als Vorrichtungen für die Generierung aller möglicher oder irgendwelcher Kombinationen: in dem Rahmen, den die Vorrichtung gibt, aller möglicher Bücher – wie es heißt,708 deren schreibende und lesende Aktualisierung jedes Menschenleben übersteigen würde,709 so dass sie zu­ gleich deren potentielle, nicht gegebene „Vollständigkeit“ vorstellen.710 Aber mit

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Lösung der ingeniösen inventio von mimesis an die Natur ist die „Theateringenieurskunst“ (Tkaczyk, Himmels-Falten, 90-95, 85-88; vgl. Roßbach, Die Poiesis der Maschine, 51ff.). Simulakren sind Bilder ohne Vorlage, vgl. Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und MagieEntlarvung“, 97ff., zu Kirchers Machinationen 128, 115ff., 125-28; vgl. die MetamorphosenMaschine Kirchers, in Ars magna lucis et umbrae, 901-06, insb. 903, Fig. 4, Bildtafel XXXIII (s.o. Abb. 1); zu Tesauros Metaphern-Maschine vgl. Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221f., 225, 231; zu Sarbiewskis Pointenmaschine vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 60ff., 84. Das Theater ist Maschine des Erscheinens, vgl. (mit Hölderlins Rede von mechané) Nägele, „Mèchanè“, 137f.; zu Maschine und Theater vgl. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, 92; Lazardzig, Theatermaschine und Festungsbau, 19ff., 30-34, 6186; Tkaczyk, Himmels-Falten, 38-70, 85-88, 114-25, 156-168 u.ö.; Roßbach, Die Poiesis der Maschine, 33, 45ff.; Art. „Machine“ (Encyclopédie, Bd.  9, 798ff.), sowie die Planches et commentaires der Encyclopédie: „Machines de Théatre“, 100-22. Automatisch oder „machinal“ ist Bewegung, die ohne „aucune participation de notre volonté“ sich vollziehe (Art. „Machine“, Encyclopédie, Bd.  9, 794); insofern handelt es sich bei ‚Maschinen-Poesie‘ um ‚unsere‘ Entmächtigung (Schmitz-Emans, „MaschinenPoesien“, 383); vgl. die Poesiemaschinen (Textgeneratoren) wie die von Enzensberger, Queneau, Perec u.a. (vgl. Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 61-80, 284-93; Reither, „Poesiemaschinen oder Schreiben zwischen Zufall und Programm“, 146f., 131ff., 137f.); nicht kontrollierbar, sondern als Preisgabe an zunehmende „Redundanzen“ durch „die technische Konstruktion einer offenen Totalität des Möglichen“ (Kilcher, „Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort“, 98f.). So Swifts ‚satirische‘ Ausfertigung der Bücher-Maschine der Great Academy of Lagado in Gulliver’s Travels (III. Voyage to Laputa, chap. 5; vgl. Jean Paul, „[…] wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 170; Dotzler, „Die SwiftMaschine“, 245-49; Schmitz-Emans, „Maschinen-Poesien“), wie Kuhlmanns „Ars magna librum scribendi“, die auch „alle künftigen Bücher durch Buchstabenkombinatorik erzeug[e]“ (Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 221ff.), und Leibniz’ imaginäre Universalbibliothek, Borges’ „Biblioteca de Babel“ (s.o. Kap. I.5). Auch die Maschinen selbst waren eher mögliche denn verwirklichte (vgl. Roßbach, Poetik der Maschine, 45-48). So Kuhlmanns „Wortkombinationsmaschine“, vgl. Cramer, „Poetische Weisheitskunst“, 219; allerdings müßten (um Vollständigkeit zu ermöglichen) die Scheiben „vollautomatisch rotieren“ (ders., Exe.cut[up]able Statements, 133, 127). Vgl. Rieger, Speichern/Merken, 63f.; M. Blanco, Pointe, 177-84; Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 77, 130; s.o. Kap. I.5.

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ihnen ist keineswegs eine sog. sichere ‚Methode‘ zur Generierung von Einzelfällen implementiert,711 es sei denn irgendwelcher. Kombinatorische Maschinen geben als äußere Vorrichtungen für Operationen, die nicht durch Intention, nicht durchs vorgängig bewusst Gewusste gesteuert sind,712 gerade (auch) das „Ungesehene[], Unvorhergedachte[]“ aus,713 das wäre zuallermeist das Sinnlose oder Unsinnige.714 Was sie jeweils auswerfen, ist Zufall, Kontingenz des Falls, der Zulosung,715 Chance für allen möglichen ‚Sinn‘ (oder Unsinn). Berechenbar war zwar (aber nicht von diesen Maschinen) die Probabilität des Eintritts eines jeweiligen Ereignisses,716 aber keineswegs wird damit der Zufall der 711 Kombinatorische Maschinen fungieren nicht als „Computer“ (so aber Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 62; dgg. Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 246, 259-62); sie steuern nicht die Generierung eines sinnvollen(?) Buches (255f., ausführlich ders., Papiermaschinen; skeptisch gegenüber den vorschnellen Redeweisen auch Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 9-12, 50, 54f., 65ff., u.ö.); nötig wären verkettete Algorithmen (Krajewski, ZettelWirtschaft, 14f., vgl. 7f., 69-74). Cramer stellt die (anhaltende) „Diskrepanz von verfügbarer Technologie und auf sie projezierter Spekulation“ heraus (284-89). 712 Das ist die Qualität der „Sprachmaschine“ (Siebenkäs, SW I.2, 113, 332, 427), die SchmitzEmans nur pejorativ als „Abwesenheit eines inneren Sinnes“ fasst (Schnupftuchsknoten, 263-265), dgg. Michel, Ordnungen der Kontingenz, 181ff. 713 Lachmann/Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97ff., 125. 714 Vgl. Blumenberg zu Leibniz’ „kombinatorischer Universalbibliothek“ (Die Lesbarkeit der Welt, 143, vgl. 133f.), in Kap. I.5. Kombinatorische Maschinen halten nicht, was die ‚Swiftsche‘ verspreche, „[to] write books without the least assistance from genius or study“ (so Wheatley, Of Anagrams, 63f.); sie mögen ‚alle möglichen Bücher‘ (aber: begrenzten Umfangs) schreiben, aber kein (sinnvolles) Buch (Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 255f.) oder sehr viele, die im Rauschen der Buchstaben und Bücher verloren sind (in Borges’ babelischer Bibliothek). 715 Die Bewegung der Büchermaschine erfolgt non-intentional: Jean Paul zufolge werde sie von einem Kurbler, ahnungslos bez. aller zu schreibenden Sachen, billig zu bezahlen, bedient („[…] wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“, SW II.2, 170). Auch der Tanz der Marionetten sollte, Kleists „Über das Marionettentheater“ zufolge, als Bewegung des Zergliederten, „vermittelst einer Kurbel […] hervorgebracht werden“ können (Berliner Abendblätter, BA I, 319); der Tanz ist so wenig wie des Textes mechané oder „Verfahrensart“ nicht stillzustellen (vgl. Tscholl, Krumme Geschäfte, 104). Mauthner, der für die „Denkmaschine“ annahm, „‚daß die ganze Tätigkeit der Maschine im Kombinieren von Begriffen bestehen werde‘“, nimmt an „‚daß die unzählbaren Möglichkeiten der Kombinationsrechnung durch Würfelspiel besser, weil zufälliger herauskämen.‘ […] ‚vielleicht kam aber doch etwas dabei heraus, ein Treffer, wie beim Lotteriespiel‘“ (zit. nach Kilcher, „‚Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort‘“, 97). Die kurbelbetriebenen Maschinen (Kirchers, Tesauros, Swifts u.a.) entsprächen dem Lottorad (vgl. Jean Paul, Titan, SW I.3, 167), vgl. Kap. III.1. 716 Berechnet wird paradigmatisch die Wahrscheinlichkeit von Spiel-Ausgängen von und nach Pascal (vgl. Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 59-70, 82-99, 103-18, 123ff., 126-34, 148-58; zur Rechenmaschine Pascals vgl. Schmidt-Biggemann, Art. „Maschine“, Sp. 794). Pacal beschrieb: „it performs all alone, without even the intention of the user, all the

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Kombinationen ‚gesteuert‘,717 allenfalls werden die Chancen eines Ereignisses kalkulierbar.718 – Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zu-Fall aus dem Raum aller möglichen Kombinationen ‚sinnvoll oder gar zutreffend ist‘ (Blumenberg) ist minimal – wie die eines Lotteriegewinns. Im Witz aber begegnet mit dem Zufall der Verknüpfungen eine andere Maschine der Sprache. Sie untersteht nicht den Beschränkungen der „von der Vollständigkeit der Spiel-Elemente ebenso wie von der Eindeutigkeit der Örter und der auf sie verteilten Elemente, die kombinatorisch durchlaufen werden müssen“,719 beschränkten kombinatorischen Wort- und Buchstabenwechselräder. Die sprachlichen Verknüpfungen halten sich nicht innerhalb der Grenzen eines (vermeintlich gegebenen) Codes als der Struktur einer begrenzten Anzahl von Elementen; dem Sprachspiel ist nicht ein Satz von Spiel-Elementen abzählbar, abgeschlossen gegeben, nicht nur weil stets andere hinzutreten und die Konstellationen verschieben können, sondern vor allem weil sprachliche ‚Elemente‘ nicht sie selbst, vielmehr iterierbar, in jeder Wiederholung an anderer Stelle in anderer Stellung (virtuell) andere sind.720 Die Zu-Fälle ‚wilder Paarungen‘ sind unvorhersehbar und unbeschränkt, weil die witzigen Verbindungen (wie die Reden im Ernst auch) vervielfältigend sprachlich codierte Relationen, die Grammatik wie auch kombinatorische Regularien hintergehen können. Der Witz agiert anagrammatisch, indem er alle möglichen sprachlichen Relationen, die ‚uns‘ so leicht fallen, auf die ‚wir‘ so leicht verfallen (so Jean Paul, Quintilian, Freud),721 die in den Wörtern abridgements possible to nature“, „by itself alone and without any work of the mind, the operations of all the parts of arithmetic“ (zit. nach Übers. von Bennington, „Aberrations: de Man (and) the Machine“, 138); zu deren Geschichte, als „[a] marriage of theory and practice (art)“ (140), gehören die Einwände gegen diese Maschine, deren Überkomplexität und tatsächliche Ausführungen (138f.), bzw. vermeintliche „bad copies of his machine“, „counterfeit[s]“, „described as ‚little monsters‘, ‚formless‘, ‚useless abortions‘“ (139f.). 717 So aber das Mißverständnis von Schmitz-Emans, „Maschinen-Poesien“, 390f. 718 Der Zufallsverteilung, die berechenbar war, nähern sich die Fälle bekanntlich allein in ihrer großen Zahl. Die „Wahrscheinlichkeitsrechnung“, die den Zufall auszuschließen sucht, ist, so Dotzler, die „Lösung“ bez. einer „Zwangsläufigkeit, in die einzugreifen nicht nur unnötig, sondern unmöglich ist“ („Die Swift-Maschine“, 251-55; ders. Papiermaschinen, 526). 719 Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 61. 720 Zur Iterabilität vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 333ff. 721 Seit der Antike ist die größere Leichtigkeit, diese Wege der An-Klänge zu nehmen, verdächtig (s. Kap. I.5); bequemer seien diese, von der Logik verworfenen, die das Wortspiel zulässt, so Freud (Der Witz, 118 u.ö.; vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 121-24; s. Kap. V.1). Die Frage nach der „einwirkenden Kraft“, die „die Lage“ eines der beweglichen Glieder „zu ändern in der Lage ist“ und den „verkettete[n] Mechanismus“ in Gang setzt (Krajewski, ZettelWirtschaft, 14f.), ist damit vorweg beantwortet. Dem „Machine“-Art. der Encyclopédie

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lauern, ‚gewähren lässt‘, andere Wörter lesbar macht, die in den ausgeworfenen Resultaten unberechenbare, grundlose Sinneffekte ausgeben können – oder auch nicht. Derart wird eine andere Maschine, wird die Maschine anders gedacht: als ‚äußere‘ Vorrichtung von nicht-zurechenbaren verketteten Bewegungen, die jeweilige Ereignisse, unvorhersehbare Effekte auswerfen, als, so Deborah Fried, „the one-armed bandit of language“.722 Jede jeweils aktualisierte Buchstaben- oder Wort-Kombination ist an die Möglichkeit des Anderssein, an mögliche andere Verkettungen und Verschiebungen verwiesen, auf den dunklen Maschinen-Raum latenter virtueller Verknüpfungen der Wörter.723 Von der Sprache (oder dem Text) als Maschine, „unbedingter Willkür“, insofern jede sprachliche Äußerung zugleich ‚undurchdringlich determiniert‘ und ‚unbedingt willkürlich‘ sei, spricht de Man724 im Anschluss an F.  Schlegels „Über die Unverständlichkeit“. Wollte Schlegel „zeigen, daß die Worte sich selbst oft besser verstehen, als diejenigen, von denen sie gebraucht werden“,725 so wird sich dies ‚besser-Verstehen‘ der Worte doch vollziehen wie im Wortspiel, in dem Wörter aufs zuweilen Albernste oder Lächerlichste sich fehlhören oder -lesen mögen.726 De Man pointiert

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zufolge stehen der einzugebenden „Force“ (Bd. 9, 795) „Frottement“ und „Résistance“ der Maschine entgegen (und diese der andauernden Phantasie des Perpetuum mobile, vgl. Schmidt-Biggemann, Art. „Maschine“, Sp. 793, wie vielen Maschinen-Entwürfen, vgl. Roßbach, Poetik der Maschine, 45f.). Fried, „Rhyme Puns“, 99. Fehr akzentuiert Saussures Vergleich der Sprache (langue) mit einer Maschine, unterscheidend von ‚Mechanismus‘ (der aber in der gegenwärtigen Ausgabe des Cours steht): „à une machine, qui marcherait toujours, quelles que soient les détériorations qu’on lui ferait subir“ (Fehr, „‚… l’écriture dont nous parlerons en temp et lieu …‘“, 114, 113f.). Vgl. Barthes zu Schreiben und Text („Der Tod des Autors“, 61f.; vgl. Nachbaur, „Die Poesiemaschine“, 113); jede „Buchseite“ werde „Grundlage virtueller Maschinen“ (Cramer, Exe. cut[up]able Statements, 65f.); sie ist mehrdimensional. Zur „Relation zwischen virtueller Matrix und Aktualisierung“, vgl. Reither, „Poesiemaschinen oder Schreiben zwischen Zufall und Programm“, 146f., 133-38; Schreiben sei „technische Konstruktion einer offenen Totalität des Möglichen“, das „rauschende Meer der Analogien, Tautologien und Redundanzen“ (Kilcher, „Absturz aus dem Wort oder Rückkehr ins Allwort“, 99). De Man, „The Concept of Irony“, 181; von „unbedingte[r] Willkür“ spricht F. Schlegel im Zusammenhang mit dem Witz (Kritische Fragmente, KFSA II, 155). Zur historischen Verschiebung des Willkür-Begriffs, von ‚Beliebigkeitskontingenz‘ zum Zufälligen als Unwillkürlichkeit, so dass sie wörtlich mit ihrem Gegensinn ‚unwillkürlich‘ zusammenfällt vgl. Stockhammer, „Zufälligkeitssinn“, 272f. F.  Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 363f., so „daß es unter den philosophischen Worten, die oft […] wie eine Schar zu früh entsprungener Geister alles verwirren und die unsichtbare Gewalt des Weltgeistes auch an dem ausüben, der sie nicht anerkennen will, geheime Ordensverbindungen geben muß“ (364, s. Kap. I.3). Novalis’ zufolge, „daß wenn einer blos spricht, um zu sprechen, er gerade die herrlichsten, originellsten Wahrheiten ausspricht. Will er aber von etwas Bestimmten sprechen, so läßt

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Schlegels Diktum: „Words have a way of saying things which are not at all what you [want] them to say.“727 Wer spricht/schreibt, tritt in den unregierten, der Intention fremden Raum der Sprache ein. Reden ist von den sprachlichen Verknüpfungen (keineswegs nur den gegebenen Regeln) ‚undurchdringlich‘ bestimmt728 und derart zugleich ‚totaler Arbitrarität‘ ausgesetzt. Dies nennt de Man Maschine. „There is a machine there, a text machine, an implacable determination and a total arbitrariness, unbedingter Willkür […], which inhabits words on the level of the play of the signifier, which undoes any narrative consistency of lines.“729 De Mans Rede von der Text-Maschine will zum einen auf ein anderes Modell für den Text hinaus, das von jedem Anhalt an der anthropomorphistischen Gestalt, der auch noch mit deren Zergliederung oder Enthauptung gegeben wäre,730 sich löst. Zum andern zeichnet sich derart eine andere Maschine ab, deren ‚Funktionieren‘ (oder Verkettungen) von Dysfunktion gar nicht unterschieden werden kann.731 Die Text-Maschine

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ihn die launige Sprache das lächerlichste und verkehrteste Zeug sagen.“ („Monolog“, N II, 672). Das zieht auch Behauptungen ein wie die, „daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei […] Sie spielen nur für sich selbst“, dass „[w]enn ich damit das Wesen und Amt der Poesie auf das deutlichste angegeben zu haben glaube“, „ich was ganz albernes gesagt habe, weil ich es habe sagen wollen“ (ebd.). Die Aporie des EtwasSagen-Wollen zieht eine weitere Volte: „Wie, wenn ich aber reden müßte? und dieser Sprachtrieb zu sprechen das Kennzeichen der Eingebung der Sprache, der Wirksamkeit der Sprache in mir wäre? […] so könnte dies ja am Ende ohne mein Wissen und Glauben Poesie sein und ein Geheimniß der Sprache verständlich machen?“ (672f.) De Man, „The Concept of Irony“, 181. Die Wort-Anklänge wird man nicht als eigentliche Einsicht nehmen wollen – wie die Etymologie, von der, so F. Schlegel, (bloß) „gesunde[r] Menschenverstand“ sich leiten lasse, („Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 363f.). Schlegels Text selber läuft über puns: verstehen/stehen, stellen/verstellen (vgl. Culler, „The Call of the Phoneme“, 2; B. Menke, Prosopopoiia, 545, 544-47). De Mans „Begriff der Maschine“ scheint zuweilen beschränkt auf Grammatik (Allegories of Reading, 294, 298f.), so Derrida: „when it is isolated from its rhetoric“, „radically formal, i.e. mechanical“, ist aber doch untrennbar von der „Dekonstruktion“, die „die Existenz von verborgenen Verbindungen und Fragmentierungen […] in vorgeblich monadischen Totalitäten“ enthülle („Das Schreibmaschinenband“, 96, vgl. 129ff.). De Man, „The Concept of Irony“, 181. „The machine is thus both text and text-productive; conversely, the text is a machine and produces further machines“ [man könnte ergänzen: des Lesens] (Bennington, „Aberrations: de Man (and) the Machine“, (im Anschluß an Pascals arithmetische Maschine) 141, (zu de Man’s machine-Konzept) 142-50). „[W]riting always includes the moment of dispossession in favor of the arbitrary power play of the signifier and from the point of view of the subject, this can only be experienced as a dismemberment, a beheading or a castration“ (de Man, Allegories of Reading, 296; zu de Mans Figuren des Textes vgl. Hertz, „Lurid Figures“; B. Menke, Prosopopoiia, 214ff.; sowie die Lektüre Derridas („Das Schreibmaschinenband“, 88, 83ff., 122, 128-31), vgl. Kap. IV.1. Derrida, „Tympanon“, 24; ders., „Der Schacht und die Pyramide“, 126; Nägele, „Mèchanè“, 137-47; vgl. Barthes, Leçon/Lektion, 41, 28f. De Man sucht für die Text-Maschine die Erklärung durchs Unbewußte, bzw. „the entire construction of drives, substitutions, repressions and

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ermöglicht Lesen in der unauflösbaren Spannung zwischen Überdeterminiertheit der Verbindungen von Wörtern (in ihren Teilen) und Kontingenz ihrer Effekte, die immer hoch motiviert (noch) ‚mehr Sinn machen‘ oder schlicht Un-Sinn sein können, zwischen der Unkontrollierbarkeit stets weiterer semantischer Effekte und dem unkontrollierbaren Ausgehen im Unsinn leerlaufenden mechanischen Wiederholens, intransitiven Schreibens oder Babbelns. Derrida zufolge sind diese Unkontrollierbarkeiten „mes chances“ ‚meiner‘ Rede: ihre unkontrollierbare Schickung, unverhoffte Widergaben und Anklänge.732 Es sind, so Fried: „the weird accidents, amazing flukes and lucky hits that the one-armed bandit of language dishes up“,733 oder ihr Lotterierad ausgibt.734 Als eine solche Maschine wie ein Glücksspielautomat, der immer wieder einmal Konfigurationen erscheinen lässt, auf die nach äußeren Vorgaben ein Gewinn steht, so dass im kontingenten, gesetzten Rahmen des Verstehens oder der Analyse der Zufall über Gewinn (oder Niete) entschieden haben wird, begegnete die Sprache Saussure bei seinen Anagrammstudien. [Saussure wollte, so Starobinski] die klassische Poesie als eine kombinatorische Kunst [erschließen], deren entfaltete Strukturen einfachen Elementen, elemen­ taren Vorgaben tributpflichtig sind, welche nach der Spielregel pflichtgemäß erhalten und transformiert werden müssen. Nur findet es sich, daß jede Sprache

representations“ zu vermeiden („Excuses (Confessions)“ (zuerst als „Purloined Ribbon“), in Allegories of Reading, 298f.; zum Verhältnis von de Mans Maschine zur Psychoanalyse, vgl. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“). Haverkamp zufolge könne die Latenz das „Unbewußte der Sprache“ heißen (Art. „Anagramm“, 134); Anagramme geben die „Symptomatik des Andrängens des Verborgenen“ (149). Die „Maschine“, deren „Begriff“ bei de Man, so Derrida, „untrennbar verbunden“ sei mit der „Dekonstruktion“, die „in vorgeblich monadischen Totalitäten“ „verborgene[] Verbindungen und Fragmentierungen“ aufweise („Das Schreibmaschinenband“, 96, vgl. 129ff.), sei weiter zur Paradoxie von Ereignis und Performativität zu denken (36, 93-100, 109f., 122, 136; vgl. Bennington, „Aberrations: de Man (and) the Machine“, 143-46; s. Kap. IV.1). 732 Derrida, „My Chances“, 2-7. Schreiben produziert eine „ihrerseits nun produzierende Maschine, die durch mein zukünftiges Verschwinden prinzipiell nicht daran gehindert wird, zu funktionieren und sich lesen und nachschreiben zu lassen“ (ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 334). 733 Fried, „Rhyme Puns“, 99. 734 Zum Lottorad vgl. Jean Paul, Titan, SW I.3, 167, vgl. Kap. III.1; mit „Glücksrad“ (SW II.2, 357ff.) ist der Zusammenhang von Wechselrad und Fortuna erinnert (Cramer, Exe.cut[up] able Statements, 136-44). Für Sprache, ob als ‚einarmiger Bandit‘ oder Lottorad gedacht, gilt aber, dass die sog. ‚Elemente‘ in ihren Wechslungen nicht sie selbst sind, vielmehr (anders als bei Glücksspiel- und kalkulierenden ‚symbolischen Maschinen‘, mit Krämers Begriff) sich verandern, latent andere ‚sind‘.

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Kombination ist, selbst ohne das Eingreifen einer ausdrücklichen Absicht, eine kombinatorische Kunst zu praktizieren.735

Wenn Saussure kombinatorische oder anagrammatische Muster aufwies, in denen Namen in Erscheinung traten, lesbar waren, deren (Ana-)Grammatik (oder Regeln) angebbar sein mögen, lassen deren Effekte aber weder rückwirkend die spezifischen Regeln erschließen, nach denen sie erzeugt worden wären, noch ein diesen vorausgehendes Eigentliches, das sie regieren müsste oder könnte,736 dann ist das (möglicherweise) der Sprache als solcher als ein Reservoir latenter Verkettungen geschuldet. Wenn die Texte Name auf Name auswerfen konnten, so damit vielleicht nur Effekte des Zufalls des Beisammenund Auseinanderstandes, Effekte der Lektüre, die nicht erwarten darf, vor dem Text in der Absicht (eines Poeten) ihre Absicherung finden zu können. Durch die Scheidung zwischen „‚Wirkung des Zufalls‘ and ‚bewußtes Vorgehen‘“, die Saussure, Starobinski zufolge, suchte,737 war das nicht aufzulösen; daher, so die Erzählung Starobinskis, beendete er dieses Unterfangen. Doch wenn er das fortgesetzt hätte [das Lesen von Hypogrammen], vielleicht wäre es zur Flut geworden: Welle um Welle von möglichen Namen hätte sich unter seinem geübten Auge bilden können. Ist das der Taumel eines Irrtums? Es ist zugleich die Entdeckung einer ganz einfachen Wahrheit: daß die Sprache jene unendliche Quelle ist und daß sich hinter jedem Satz das vielfache Gemurmel verbirgt, wovon sie sich gelöst hat, um sich vor uns in ihrer Individualität zu vereinzeln.738 735 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 129f.; vgl. Attridge, „Unpacking the Portmanteau“, 154; in diesem Sinne kommen, Cramer zufolge, die Anagrammstudien und der Cours de linguistic génerale überein (Exe.cut[up]able Statements, 171); zum Stellenwert der ‚Wiederentdeckung der Anagramme‘ vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“, 134ff. 736 Es handelte sich um keine „Ursprungsunterstellung“, sondern darum, „die Inschrift der Namen im signifikanten Material eines Textes als poetische Produktion aus diesem Material […] zu bestimmen“ (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 138). 737 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 127. „Saussure hat lange nach einer Methode gesucht, mittels derer er hätte beweisen können, daß die Hypogramme keine Früchte des Zufalls sind.“ Er „versuchte zu beweisen, daß die Häufigkeit des Anagramms […], unendlich viel größer sei, als es allein die Zusammentreffen des Zufalls erlauben würden“ (110). „Hat Saussure sich getäuscht? […] Aber vielleicht bestand der einzige Irrtum von Saussure darin, so streng die Alternative zwischen ‚Wirkung des Zufalls‘ und ‚bewußtes Vorgehen‘ zu setzen.“ (127, vgl. 122, 124f.); vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“, 138; zu Starobinskis Rekonstruktion der „hermeneutischen Aporie“, 134, zum „Überfluß des anagrammatisch Möglichen“, 144, 136. 738 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f.; vgl. die Metaphorik in Words upon Words, 122. Und Foucault für die Literatur: „Die Idee, daß bei Zerstörung der Wörter es weder Geräusche noch reine, arbiträre Elemente sind, die man findet, sondern andere Wörter, die bei ihrer Pulverisierung wiederum andere freisetzen – diese Idee ist gleichzeitig das

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Texte sind Maschinen, die dem Lesen Ereignisse auswerfen, für die es keine Stoppregel gibt. Durch nachträgliche Figurationen mag (mitunter) deren Ursache – in einem metaleptischen Fehlschluß – vor dem Text situiert wer­ den;739 es mag sein, so Starobinski für Saussure, dass eine „aufmerksame Lektüre […] jederzeit […] ein verborgenes Geheimnis, eine Sprache unter der Sprache existieren machen“ kann,740 jedenfalls wird im „Verhältnis der offenen und verdeckten Momente zueinander“, so Haverkamp,741 die Bezogenheit des Lesbaren auf den „latenten Hintergrund“, das „vielfache Gemurmel“742 artikuliert, was als latente Verbindungen den manifesten Momenten inhäriert: andere Wörter ‚unter‘/in den Wörtern. Als außerordentlich produktive Maschine, vergleichbar den Effekten von Saussures Lektüren, erweist sich lesend James Joyces Finnegans Wake (1931),743 Derrida zufolge eine „hypermnesiac machine“.744 Einerseits besteht der Text aus einer Fülle von puns und portmanteaus,745 die in Worten andere hörbar machen,746 einen momentanen Sinneffekt aus den an-klingend verwechselten Wörtern mit divergenten Signifikaten gewinnen. Blieben paronomastische Negativ der ganzen modernen Wissenschaften der Sprachen und der Mythos, in den wir die dunkelsten Kräfte der Sprache, die zugleich die wirklichsten sind, transkribieren. […] Aber weil die Sprache nicht aufgehört hat, diesseits ihrer selbst zu sprechen […], können wir in ihr in jenem endlosen Gemurmel sprechen, aus dem sich die Literatur geknüpft hat.“ (Die Ordnung der Dinge, 144f.). 739 Eine nachträgliche Figuration der Ana-Grammatik wäre u.a. Autorschaft als Name für Effekte, die auch „Früchte des Zufalls“ sein können (Starobinski, Wörter unter Wörtern, 110). 740 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 130. „Statt das leitende Motiv bei der poetischen Schöpfung zu sein, könnte das Hypogramm bloß ein nachträgliches, vom Leser erwecktes Phantom sein: ein solches Geduldspiel könnte immer sicher sein, zum ‚Erfolg‘ zu führen“ (110). 741 Haverkamp, Art. „Anagramm“, 136; die Latenz kann das „Unbewußte der Sprache“ heißen, wobei die Anagramme die „Symptomatik des Andrängens des Verborgenen“ abgeben (134, 149). 742 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 130 u. 127; vgl. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 145. 743 Für den Bezug von Finnegans Wake auf Saussures Anagramme vgl. Attridge, „Unpacking the Portmanteau“; ders., Peculiar Language: „Language as History/History as Language“, 90-118, vgl. 188-210. 744 Derrida, „Two words for Joyce“, 147, vgl. 148; ders. „Ulysses Gramophone: Hear Say Yes in Joyce“, 281. Derrida zufolge: „including traces of the future“ (ebd.), so Haverkamp: „Spuren der Zukunft“, die von „Spuren der Vergangenheit […] nicht zu unterscheiden“ wären („Die wiederholte Metapher“, 139). 745 Vgl. Attridge, „Unpacking the Portmanteau“, 145-54; Ulmer, „The Puncept in Grammatology“, 168-74. 746 Pun als „Zu-Gehör-Bringen der ‚Nuancen‘ latenter Ambiguitäten […], einer ‚auricularen‘ „Latenzschicht“, so Haverkamp („Die wiederholte Metapher“, 136f.).

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Irritationen derart noch begrenzbar, sind sie aber anderseits in diesem Text gar nicht eingrenzend lokalisierbar,747 vielmehr unbestimmbar überall. Halten sich puns oder Kalauer, latente Bezüge einspielend, nicht in den Grenzen einer Sprache, geben vielmehr Wörtern die Chance von Mehrsprachigkeit,748 so ist potentiell jedes Wort in Finnegans Wake nicht es selbst, unauflösbar anderssprachig.749 Die ‚zwei Worte‘ Joyce’, die Derrida adressiert: „He war“,750 sind bereits jeweils „two words in one“: „war“ ist „written simultaneously in both English and German“;751 „He“ – who? („the he, who the hu, how the hu, how the hue, where the huer?“) unentscheidbar zwischen Pronomen und Namen (Gottes).752 Da Worte stets nur durch ihre Stellung in der jeweiligen sprachlichen Struktur bestimmt und derart verstehbar wären, muss die lesende Frage „how to hear them“,753 jeweils, aber nur momentan, beantwortet werden, um sie als Worte einer bestimmten Sprache aufzufassen. Aber Finnegans Wake lässt den Wörtern ‚Polyglossie‘ ein: „placing the tongue at risk“, wollte diese die Gleichzeitigkeit der an-/abwesenden Wörter sprechen,754 während die schriftliche Form (auch ohne sichtbare Markierung: war/war) in sich dissoziiert ist.755 „Die Kopräsenz mehrer latenter (auch latent gegenläufiger) Bedeutungen in der Ambiguität der Worte, die tatsächlich die verborgene Absenz ihrer Bezüge ist“, so Haverkamp, „virtualisiert“ die Worte.756 747 „[H]e was letting his machine run away with him; he had stopped thinking what the pun would ‚amount to‘“, tut Empson das punning in Shakespeares Hamlet ab, und zwar „[e]xactly like Joyce“ (Empson, The Structure of Complex Words, 68; vgl. Haverkamp, „Die wiederholte Metapher“, 141, 138); vgl. Ferguson, „Hamlet: letters and spirits“, 140ff., 148ff., 152. 748 Unauflösbar mehrsprachig ist etwa das von Jean Paul (pejorativ) angeführte Wortspiel „Krieg-tic“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194, s. Kap. I.2). Mehrsprachig im manifesten Sinne sind etwa „macaronic verses“, „mixture of Latin and English or other vulgar tongue“ (Wheatley, Of Anagrams (1862), 26); zum Makkaronismus vgl. Greber, Textile Texte, 401f., 582. 749 Die Rede von „fremdsprachlichen Einsprengseln“ unterbietet drastisch, was in Finnegans Wake geschieht (Plett, Systematische Rhetorik, 111f.); die angestrebte „Auflösung“ oder „Rücktransformation“ in „Normaltext“ (119) ist unhaltbar. 750 Joyce, Finnegans Wake, 258. 751 Derrida, „Two words for Joyce“, 151-57. 752 Joyce, Finnegans Wake, 258f.; übersetzt wäre das männl. Personalpronomen span. él, mit dessen Homophon frz. elle, zwischen den Geschlechtszuschreibungen zitternd, „El“ auch hebräisch ersetzender Gattungsnamen für Gott (261, 246; vgl. Sauter, „In Babel“, 260ff., 256f.). 753 Derrida, „Two words for Joyce“, 152. 754 Derrida, „Two words for Joyce“, 156. 755 Vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“, 143f.; zu Mischwörtern oder portmanteaus s.o. Kap. I.2. 756 Haverkamp, „Die wiederholte Metapher“, 137.

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Der Witz, seine „Kraft “ und seine Trau-Formeln

Die hier anzitierte Passage kann, mit Derrida, als eine disseminative Signifikanten-‚Landschaft‘ des Turms zu Babel gelesen werden,757 jenes Topos, der die Sprache(n) und die Reden dem Namen der göttlichen Untersagung:758 Babel, der wörtlich genommen (Nicht-Einheit als) Verwirrung oder Zerstreuung bedeute, unterstellt.759 Die Wirrnis der zerstreuten Sprachen verpflichtet zum Übersetzen und verschuldet zugleich alles Übersetzen an den Sinn, der der Babel-Narration zufolge als der eine verloren ging. Im Palindrom Lebab mag hier der Um-Sturz Babels, des Turms, des Namens und des Gesetzes, allegorisch gelesen werden können,760 wird aber vor allem die „witzige Gegenrechnung auf[gemacht], in der sich jedes Wort […] als Komplex irregegangener Kompetenz, illusionärer grammatischer Kontrolle und damit auch der irrigen präsemiotischen, physischen Bindungen herausstellt“.761 Dabei war „Babel“ schon im Bibeltext ein Wort-Witz, ein Wortspiel zwischen Eigenname, der sich babylonisch von bab-ili ‚Haus des Herrn‘ herleiten lässt,762 und Wort, das Gemenge (Buber/Rosenzweig), Confusion (Luther), Wirrsal übersetzt wird, oder zwischen zwei Wörtern in einem, ein zweisprachiger babylonisch/ hebräischer pun. Bezüglich der „Etymologie von Babel“ fragt Franz Böhl (1916): „Haben die Juden hier eine falsche Volksetymologie angewandt?“, „ein um den philologischen Gehalt des Wortes unbekümmertes Wortspiel […], ein Witz, der nicht aus Babylon selber stammt, sondern die Metropole 757 Derrida, „Two words for Joyce“, 152f.; vgl. ders., „Babylonische Türme“, 125. 758 „[A]t Babel: at the moment when YAHWEH declares war, HE WAR (exchange of the final R and the central H in the anagram’s throat), and punishes the Shem, those who, according to genesis, declare their intention of building the tower in order to make a name for themselves.“ (Derrida, „Two words for Joyce“, 153f.); „seit Babel – jenem Bruch, der alle Sprachen zeichnet“, „fußen“ „alle Sprachen […] auf der Auslegung zu Zeichen“: „Sem“ (Schestag, „Sem“, 64, vgl. 70f., 89f.; Derrida, „Babylonische Türme“, 123f.; Wills, „Genf, 1976“, 62f.; Sauter, „In Babel“, 256f.). 759 Vgl. Derrida, „Babylonische Türme“, 121. Gen.  11.9: „Darum ruft man ihren Namen Babel, Gemenge,/ denn vermengt hat ER dort die Mundart aller Erde,/ und zerstreut von dort hat ER sie übers Antlitz aller Erde.“ (Buber/Rosenzweig, Die Schrift. Aus dem Hebräischen verdeutscht) „Da her heißt jr name Babel/ das der HERR daselbs verwirret hatte aller Lender sprache/ vnd sie zerstrewet von dannen in alle Lender.“ (Luther, Biblia: Mose XI, 9) 760 Joyce, Finnegans Wake, 258; Lebab, „that overturns the tower of Babel also speaks of the book“, „recalls the two Irish words leaba, the bed and leabhar, the book“: „the whole Babelian adventure of the book, or rather its Babelian underside“ (Derrida, „Two words for Joyce“, 153); die Ethymolgie Babel – biblos findet sich in Kanne, Erste Urkunden (1808) (Willer, Poetik der Etymologie, 171), resoniert auch hebräisch „Lebhabh“, Herzen, als „timids hearts“ in Finnegans Wake (258), so Hamacher („Kontraduktionen“, 28f.). 761 Haverkamp, „Anagramm“, 147. 762 Vgl. Borst, Der Turmbau von Babel, 116f., 77, 113-33; Böhl, „Die Etymologie von Babel“, 111; Derrida, „Babylonische Türme“, 121; vgl. Wills, „Genf, 1976“, 61f.

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des Vorderen Orients kritisch und spöttisch unter die Lupe nimmt“?763 Der hebräische Text hätte derart auf ‚babylonische Art‘ – „sind doch die Babylonier für Wortspielereien bekannt“ – übertragen:764 ‚Babel‘, der babylonische Stadt-Name, wird im pun über die „babylonische Signifikantenkette“ pseudoetymologisch motiviert, indem ein babylonisch-assyrisches Wort mit dem ähnlich klingenden „hebräische[n] Verb bll“ für hinein-mischen, verwechselt und – konfus, verwirrend – in die zentrifugale Bewegung des Zerstreuens ‚übertragen‘ wird.765 Derart wird im babylonischen Namen antonomastisch die vermeintlich ‚wahre‘, der Stadt auferlegte, Bedeutung ausgemacht. Was als Wirrnis, Gemenge, Konfusion (der zerstreuten Sprachen) übersetzt wird, ist sowenig wie ein Name auch nicht ein Wort, sondern ein Effekt viel-sprachigen Verwechselns, der keiner (einen) Sprache angehört. Daher ist Babel unübersetzbar und irritiert das Konzept des Übersetzens, das auf Babel zurückgeführt wird,766 wie auch das von Etymologie, die (sich) stets weiter verweist;767 denn, so Blanchot, „die ‚Wurzel‘ eines Begriffs, weit davon entfernt […] der eigentliche Sinn zu sein“, gelangt umgekehrt „nur durch das Spiel kleiner Zeichen in die Sprache“, durchs Spiel der Differenzen und Spuren, veräußerlicht, disseminiert.768 Der Babbelismus von Finnegans Wake,769 den/r das Lesen forttreibt, ist – keineswegs beliebig, sondern ‚im Ernst‘ – nicht (wieder) 763 Böhl, „Die Etymologie von Babel“, 112. 764 Scherer, Bab(b)elogik, 20f.; vgl. Schestag, „Sem“, 90f. 765 Im Assyrisch-Babylonischen scheint eine Wurzel mit der Bedeutung „wegtreiben, zerstreuen“ zu existieren. Der Jahwist schrieb das hebräische Verb bll, das aber „gerade umgekehrt ‚einrühren, durch Rühren vermengen‘“ bedeutet (mit Böhl, „Die Etymologie von Babel“, 111). Verwirrt werden zwei Modi der ‚Verwirrung‘: das zentripedale ‚Hineinrühren‘ eines Äußeren und das zentrifugale Zerstreuen in die Fremde (vgl. 111f.; Soden, Art. „Babylon“, 808; Sauter, „In Babel“, 256). 766 Vgl. Derrida, „Babylonische Türme“, 125; Hamacher, „Kontraduktionen“, 16-21, 29f.; B. Menke, „… beim babylonischen Turmbau“, 104-08; Sauter, „In Babel“, 259, 269ff. 767 „The attempt to discover an origin […] entails the reduction of the diversity of languages […] in the babel of tongues. […] Joyce’s etymology is indicative […], turning all discovery of ‚origin‘ into the development in the text.“ (Heath, „Ambiviolences“, 61). Kannes Erste Urkunden (1808) (zu dem Jean Paul eine Vorrede schrieb, SW II.2, 633-38) sind symptomatisch; er kam mit „Babel“ in fortgeführter Vervielfältigungsarbeit kaum zu Ende, so dass die „Chiffre der Sprachverwirrung“ zum „Nenner des gesamten etymologischen Projekts“ taugt, weil das Wort „ebensowenig wie jedes andere den Ursprung markiert, repräsentiert oder gar selbst der Ursprung ist“ (Willer, Poetik der Etymologie, 171). 768 Blanchot (mit bezug auf Derridas Fors), Die Schrift des Desasters, 116f., vgl. 132. Die Spuren, Schriftpartikel „reißen“ „das, was gesagt werden mochte, in eine allgemeine Abdrift mit […], wo es keinen Namen mehr gibt, der sich selbst als Sinn angehört, wo er vielmehr […] nur die Möglichkeit hat, dezentral zu werden, […] sich zu veräußerlichen, sich zu verleugnen oder sich zu wiederholen“ (116, vgl. 165). 769 Vgl. Sauter, „In Babel“, 264, 271; Hamacher, „Kontraduktionen“, 23f., 31.

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rückführbar auf semantische Einheiten einer jeweiligen Sprache, nicht auf die Gewissheit einer jeweils identifizierbaren Sprache, auf die das Übersetzen setzen oder eine Entscheidung getroffen haben müßte, welcher Sprache der Satz oder das Wort angehört, und derart die unabzählbare Viel- und Gegensprachigkeit der Wörter vergessen machte.770 Lesen/Schreiben hält sich nicht in den Grenzen der Struktur einer Sprache; es spricht/schreibt keine eine Sprache, spricht in jedem Wort andere Wörter mit, die es queren, unterbrechen, revidieren, wenden, gegensprechen.771 Auch wenn es scheinen mag, dass das Spiel der Wörter unter/in den Wörtern, das Worte gegenliest, durch die ‚aufgehobene‘ latente „Sprachgeschichte“,772 durch „Gesagtseinsgeschichte“773 gedeckt sei, wäre dies doch noch eine beschränkende Auffassung. Denn puns verweisen mit den in den Wörtern hör- oder lesbar gemachten anderen Wörtern vielmehr an die Virtualität von anderen Wörtern in den Wörtern, unbeschränkbar überall im Text, von Lesbarkeiten, die so wenig durch die kodierten Bezüge oder die Grenzen einer Sprache wie durch Sprach-Geschichte (sei diese auch die von Sprach-Überlagerungen) begrenzt sind.774 Die unkalkulierbar ‚etymologische‘ 770 Vgl. Derrida, „Two words for Joyce“, 154f., 159. „The fact of the multiplicity of languages […] can no longer let itself be translated into one language“ (vgl. u.a. zur Übersetzung ins Franz. ‚Et il en fut ainsi‘) – „is to erase the event of the mark, not only what is said in it but its very saying and writing“ (155; vgl. Heath, „Ambiviolences“, 60f.). 771 Vgl. Hamacher, „Kontraduktionen“, 24, 31. 772 Haverkamp, Art. „Anagramm“, 147, 135. In Saussures Anagrammen wie Joyces puns, portmanteaus sind Diachronie und Synchronie, die Saussures Cours de linguistique générale auftrennte, überkreuzt, vgl. Attridge, „Language as History/History as Language“ (in Peculiar Language, 90-126); S. Weber, „Saussure and the Apparition of Language“, 922, vgl. 925-37; Culler „The Sign: Saussure and Derrida on Arbitrariness“, 132-35. 773 Haverkamp, „Metaphorologie zweiten Grades“, 244, 247f., 254; dass. in ders., Metapher, 151ff. 774 An Derridas Rede von „hypermnesiac machine“ („Two words for Joyce“, 147) schließt Haverkamp an („Die wiederholte Metapher“, 139). Handelt es sich dabei um die „Installation der Echokammer Kultur“? (142; vgl. 143f.; zur Geschichtlichkeit der latenten (in der Vergangenheit ‚gewesenen‘?) Wortverwendungen, vgl. 134, 130). Aber, so Haverkamp weiter: „Der Historismus der Joyceschen Sprachspielerei wäre […] vorgeschoben […], und die Spuren der Vergangenheit wären nicht zu unterscheiden von solchen der Zukunft“ (139, zu Empson, Shakespeares puns und Joyces „double meanings“ 138-44). So werde „in der Sprachsituation totaler Ambiguität, immer und an jeder Stelle möglicher, in jedem Wortgebrauch lauernder virtueller Zweideutigkeiten, ein neuer Begriff des sprachlich Möglichen wie auch des historisch Wirklichen kreiert“ (130). Ich genehmige mir, „Sprachsituation“ (anders als Haverkamp mit Empson, vgl. 142f.) nicht historisch zu nehmen; Sprachgeschichte ist metaleptischer Effekt der Überlagerungen; „objektive Sprachsituation“ und „Rauschen der eigenen Maschine“ sind nicht zu unterscheiden (141).

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Effektivität ist vom grundlosen Spiel nicht unterscheidbar. Das ist kein (oder nicht bloß ein) bedrohlicher ‚Sumpf‘ – wie es dem Anagrammatiker Saussure schien, dem die entscheidbare Alternative zwischen bewusster Anlage und Zufall schwand –, sondern die Grundlosigkeit möglicher Verknüpfungen (und ihrer Effekte) nicht nur unter –, sondern in allen sprachlichen Momenten,775 die diese virtualisieren. Wortwitze zeigen, dass Worte jederzeit bereit sind, sich (als) andere Wörter (zu hören oder zu lesen) zu geben. Als Spur oder différance zu sich selbst inhärieren den Wörtern latente Bezüge, die Reserve der virtuellen Relationen, an die sich Wörter je aufs Spiel setzen.776 Im Lesen begegnet der Text als eine ‚Maschine‘ (de Man) von ‚undurchdringlicher Determination und völliger Arbitrarität zugleich‘: Es gibt keine Stoppregel fürs Lesen, fürs Sich-besserVerstehen der Wörter, Mißverstehen, Fehlhören und –lesen, woandershin Verweisen und Echoen des Gesprochenen oder Geschriebenen, sondern Effekte, durch die all das nachträglich sinnvoll aussehen mag. „Ähneln die Anagramme jenen Gesichtern, die man in Tintenflecken lesen kann?“, lautete die beunruhigte Frage, für die Starobinski den Bauchredner Saussures macht.777 – Ja, warum nicht, oder: wie denn auch anders? Wo aller möglicher Sinn gefunden werden kann, ist das kein einer, ist das gerade so gut wie keiner, weil (bloß) die Kontingenz möglicher Sinneffekte angetroffen wird. Wenn Wörter überall anderswo Echos finden können: „Ha he hi ho hu“,778 so ist das (vielleicht), so Derrida, lesend als Gelächter (nicht nur) in Joyce’ Text überall zu ‚hören‘.779 Das ist kein Gelächter über den dem ‚äußeren Mechanismus‘ fehlenden Sinn, das den Sinn bestätigen würde, vielmehr ist es exzessiv, Dissemination jedes substantiellen Resultats in der 775 Wie zit. „das vielfache Gemurmel“, von dem die Rede sich je „gelöst hat, um sich vor uns in ihrer Individualität zu vereinzeln“ – so Starobinski, Wörter unter Wörtern, 127. 776 Das „signifikante Material ‚Sprache‘“ kann nicht „nur es selbst bleiben; es stünde als Raum offen“, ein „Nicht Ort“, „lesbar als eine markierte Differenz, die in der Bewegung der dissémination wechselnde Gestalten annimmt“ (Haverkamp, Art. „Anagramm“, 151). 777 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 127; vgl. 122, 124f. Derart, in solchen ‚Trug‘bildern, Phantomen, Vexierbildern nimmt sich Rede sinnvoll aus (s. Kap. I.1-2): „So suchen wir Sinn in die Körperwelt zu bringen. Die Frage aber ist, ob alles für uns lesbar ist. Gewiß aber läßt sich durch vieles Probieren, und Nachsinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen was nicht für uns oder gar nicht lesbar ist. So sieht man im Sand Gesichter, Landschaften usw. die sicherlich nicht die Absicht dieser Lagen sind. […] Silhouette im Dintenfleck pp.“ (Lichtenberg, Sudelbücher I, 710 (J 392)). Solche „Gesichter“ erläutert Didi-Huberman als „Geschenk des Papiers“, bzw. das „wechselseitige Geschenk, das das Subjektil (das Papier als materieller Träger der Schrift) und das Subjekt einander manchmal machen“ (DidiHuberman, „Das Geschenk des Papiers“, 175, vgl. 188f.), s. Kap. III.1. 778 Joyce, Finnegans Wake, 258. 779 Derrida, „Two words for Joyce“, 157f.

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unabsehbaren Multiplizität der potentiellen Echos, die die Wörter voneinander geben mögen, in denen sie sich doppeln, in sich spalten und in denen sie sich unvorhersehbar gegenseitig zer-lesen,780 disseminieren, indem sie sich unregierbar anderswo anders verketten. Der Skandal, den der Witz macht, ist, mit Felman, dass zwischen Ernst und Unernst seiner Effekte, zwischen dem ‚Sinn‘, der im Ernst erzeugt worden sein mag, und dem radikal sinnfremden grundlosen Zufall nicht unterschieden, dass daher übers Gelingen ‚im Ernst‘ gar nicht entschieden werden kann.781 Der Witz ist eine „Kraft“, die nicht durch das, was sie hervorbringt, worin sie sich darstellte und wodurch sie verstellt wäre, auszuweisen ist. Dass, so Felman: „La ‚force d’énonciation‘ […] est constament en excès sur le sens de l’énoncé“,782 bringt auch die Theorie der performativen Kraft der Sprache in eine skandalöse Lage. Denn, weil derart über Gelingen oder Nicht-Gelingen, so wenig wie darüber, ob ein bestimmtes (wie auch welches) performative vollzogen worden sei, nicht zu entscheiden ist, überschießt dessen force das Austin’sche performative, das und dessen Theorie an den jeweiligen Abschluß gebunden ist. Den Witz macht, dass zwischen Ernst (seines Glückens) und (glücklichem) Unernst, dem glücklichen Misslingen und der Verfehlung im ‚Gelingen‘ (dass vermeintlich der Signifikanten-Effekt gedeckt sei) nicht entschieden werden kann. Diese Nicht-Entscheidbarkeit macht den ganzen sprach-philosophischen ‚Ernst‘ seiner Effekte unhaltbar aus. In Bezug auf die Effekte der Maschine, die im Wort-Witz sich so effektvoll wie zufällig manifestiert, unterscheiden sich Glücken und Misslingen nicht, oder: Diese fallen vielmehr zusammen sowohl in dem Fehlgehen, das das erfüllende Gelingen wäre, als auch im glücklichen Misslingen des albernen Leerausgehens.

780 „Echo einer Wortexplosion“ ist in Blanchot, Schrift des Desasters, 152, zu lesen. 781 Felman, Le scandale du corps parlant, 206, 213. 782 So nimmt Felman (Le scandale du corps parlant, 160, vgl. 198) Austin auf und liest ihn gegen, da Austin das performative an dessen Abgschlossenheit, an die Entscheidbarkeit über das Gelingen bindet (206, 213). Den Exzess des Witzes manifestiert das Lachen (s. Kap. V.1-3 zu Freud; vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80-87).

Kapitel II

Anfangen – auf gut Glück. Einfälle des Redens Kleists „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“

Der Witz, der wie ein oder als „Blitz“ einfällt,1 hat in Kleists Überlegung „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ ein Pendant im einfallenden „‚Donnerkeil‘“, mit dem „dreist“ schon mal ein Anfang gemacht wird, ohne zu wissen wovon.2 Anfangen ist ein vielleicht unmöglicher Vorgang – wohl ebenso wie das Zu-Ende-Bringen. Die Paradoxien der Schlüsse, die einen Abschluss setzen zu wollen scheinen, entwickeln Kleists Texte vielfach, und „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ verweist an seinem Ende mit „Die Fortsetzung folgt“3 den Ab-Schluss anderswo hin, auf eine „Fortsetzung“, die nicht kommen wird, die stets wieder nicht gekommen sein wird und immer noch sich ankündigt.4 Umgekehrt ist der Anfang der Rede in sich entzweit zwischen dem bloßen Setzen eines Anfangs und dem Etwas, das angefangen worden sein soll, in sich paradoxal. So befinden wir uns, wenn wir einen Anfang hören oder lesen, je schon nach dem Angefangenhaben im Text. Die Möglichkeit des Anfangs scheint davon abzuhängen, dass schon angefangen wurde. Gibt es dann überhaupt einen Anfang als Setzung, als Einsatz der Rede? Oder wo wäre der aufzuweisen? „Über die allmählige Verfertigung 1 Für den Blitz des Witzes, vgl. F. Schlegel, Kritische Fragmente (Nr. 90), KFSA II, 158, (Nr. 104) 159, 258, 370f.; KFSA I, 393; Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171, 173f. u.ö., s. Kap. I. 2 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536; vgl. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112. 3 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 540; mit der Hinzufügung „H.v.K.“ vgl. KBA II/9, 32; KSW II, 324. „(Die Fortsetzung folgt)“ sei der von Kleist „durchkorrigierte[n] Abschrift eines Kopisten“ erst 1807/8 ‚von fremder Hand‘ hinzugefügt, daher wird auf eine geplante Zeitschriftenpublikation geschlossen, (Kommentar) KSW II, 925; Sembdners Ausgabe „folgt“ dessen „Edition von 1938; das Manuskript wurde im letzten Krieg verlagert“ (ebd.) und ist „verschollen“, DKV III, 1119f.; zum Schluss KBA II/9, 31f. (Z. 34f.), vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 145; J. Theisen, „‚Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel‘“, 740. Entgegen der „gelegentlich anzutreffenden Behauptung“ stamme aber „[n]ach den Mitteilungen in den ‚Lesarten‘ in der Ausgabe von Schmidt“ „die Parenthese ‚(Die Fortsetzung folgt)‘ offensichtlich von Kleist selbst“, so Groddeck („Inversion der Rhetorik“, 106; vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 160). „(Die Fortsetzung folgt)“ findet sich „von fremder Hand“ auch schon nach: „und kehre zur Sache zurück.“ (KSW II, 321 (Z. 37); KSW II, 926; DKV III, 537 (Z. 32); KBA II/9, 29 (Z. 33)). 4 Das ‚verfertigende‘ Fortsetzen der Rede, das Kleists Text projektiert und zu vollziehen scheint, wird derart rückwirkend mit der Fraglichkeit jenes Abschlusses versehen (vgl. Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 151; Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 160f.), dessen ein souveräner Anfang bedarf, um sich zu vollenden.

© Brill Fink, 2021 | doi:10.30965/9783846762226_003

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Anfangen – auf gut Glück. Einfälle des Redens

der Gedanken beim Reden“ wirft diese Fragen auf, und zwar bereits anfangs, vor dem Anfang. Bevor der Text anfängt, setzt(e) er schon, im Paratext, mit der Adressierung des abwesenden anderen ein: „An R. v. L.“,5 und verlegt den Anfang des Textes ebenso vor seinen Anfang zurück, wie er diesen aufschiebt.6 „An R. v. L.“, die fiktive Adressierung,7 vorab, in einer Randzone, doppelt und verschiebt sich in der Apostrophe, mit der der Text einsetzt: „Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen.“8 Wird derart in der schriftlichen Wendung an den Leser die Gegenwart lebendiger Rede simuliert,9 mit der fiktiven Adressierung die Gegenwart eines Angesprochenen voraus-gesetzt und diese in prekärer Reziprozität als die eines Sprechers fingiert,10 so hat sie zugleich den Angesprochenen anonymisiert und entzieht sie das doch aufgerufene Gesicht eines Gegenübers11 im textuellen Fortgang.12 Als Apostrophe ist der Einsatz Abwendung,13 eine vorgreifende Parekbase, die hier bereits vorweg unterbricht, vom (vermeintlichen) Gegenstand sich wegwendet und die Zuschauer adressiert14 – wie der Satz dem fiktiv Angesprochenen seinerseits zu tun anrät, 5 6

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Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 534. Geschlossen wird auf „An R[ühle] v[on] L[ilienstern]“; vgl. u.a. Kommentar KSW II, 319. Paratexte sind nicht die Antwort auf die Frage nach dem Anfang und der Grenze des Textes, sondern verhandeln deren Fraglichkeit: als Rand und als Schwelle zum Text, die sich hinzufügt, als Zone der Transaktionen nach ‚innen‘ und nach ‚außen‘, die den Text konstituieren, vgl. Genette, Paratexte, 9f. Es handle sich um einen „(halb fingierten) Brief eines Mannes an einen anderen“, so Neumann („Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 14). Die „von Kleist durchkorrigierte Abschrift“ war wohl vorgesehen für eine Zeitschriftenpublikation (Kommentare KSW II, 925; DKV III, 1119f.; Riedl, Art. „Über die allmählige Verfertigung“, 150). Aber nicht die Nicht-Publikation dieses Textes macht diese Adressenangabe zur fiktiven (so aber Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 37f.), vielmehr hätte eine Publikation den Text ans Lese-Publikum umadressiert. Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 534. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 110; „schriftliche Dialogie“, so Campe, „Verfahren“, 9. In der gegenseitigen Abhängigkeit beider ist beider jeweils grundlose Konstitution aporetisch; zum Sinistren dieser Reziprozität: schriftliche Abwesenheit statt lebendige Gegenwart, vgl. Culler, „Apostrophe“, 142, 152ff. „Ich sehe dich zwar große Augen machen“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, 534). Der „sinnreiche Freund“ verschwindet aus dem Text; nach den ersten vier Sätzen verzichtet dieser auf die direkte Anrede (Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 108f., vgl. 105). Zur Apostrophe vgl. B. Menke, Prosopopoiia, 166ff. Zum ‚Illusionsbruch‘ durch Parekbase (F. Schlegel, KFSA I, 30), als Paradigma romanti­ scher Ironie (Zur Philosophie, KFSA XVIII, 85 (Nr. 668)). Die Parabase ist Ereignis („event“), „takes place“: als „the interruption“ [of] „the philosophical argument“ [or the] „narrative line“ (de Man, „The Concept of Irony“, 179, 177ff.).

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aber gerade nicht so, dass ein Gegenüber der Rede aufgerufen und als ein Apostrophierter mit Gesicht konstituiert würde, sondern: auf den anderen stößt man; ein solcher stößt – so zufällig wie gewaltsam – „auf“ wie zu.15 Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, […] mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen: es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen solltest: Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen.16

Die andere sitzt, wie sich zeigt, (eher) im Rücken und der ‚eigenen‘ Rede im Nacken: „Und siehe da, wenn ich mit meiner Schwester davon rede, welche hinter mir sitzt, und arbeitet, so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde.“17 Eine vergleichbare Abwendung aus dem sich auf einen „Gegenstand“ richtenden Nachdenken auf den „Verkehr“ „mit Menschen“ empfiehlt Friedrich Schlegels Über die Unverständlichkeit, „aus deren gegenseitiger Mitteilung sich erst solche Verhältnisse und Verhältnisbegriffe erzeugen, die sich als Gegenstände des Nachdenkens […] immer wieder vervielfältigen und verwickeln“.18 Es handelt sich nicht um die Mitteilung von bereits gefassten „Ideen“ von sich und einander Verstehenden, sondern um den „Verkehr“ von Mitteilungen hin und wieder, nicht teleologisch angelegte Vorgänge;19 mit Novalis nähme sich das „Gespräch“ als ein „Wortspiel“ aus, in dem das ‚sich-besser-Verstehen‘ der Worte vom Mißverstehen ununterscheidbar ist.20 Kleists Ratschlag setzt, mit der und als Ablenkung vom mitgeteilten Etwas, auf ein unvorhersehbares Verhältnisspiel, 15

„Aufstoszen“ „auf einen stoszen, einem begegnen: der pfarrherr […] ist mir da ungefehr aufgestoszn“ (DW Bd. 1, 752), dort auch: „bis dir ein besser glück aufstöszt (Simplicissimus); was für ein abentheuer mir hier aufgestoszen (Lessing); […] alle […] menschen, die ihr aufstieszen (Tieck); es kann mir der fall aufstoszen […] (Jean Paul)“ (ebd.). 16 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 534; KBA II/9, 27. Derart setzt der Text mit dem „Aussetzen der erkenntnisproduzierenden Methode philosophischer Reflexion mit dem cartesianischen Namen ‚Meditation‘ ein“ (Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 231). 17 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 535f.; KBA II/9, 28. 18 F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 363. 19 F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 363; vgl. E. Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit, 164ff. Das in Schlegels Text insistierende „Präfix Ver-“ ist das „graphische Supplement, das der Wurzel, der es hinzugefügt wird, oft die semantische Nuance des ‚Irrens‘, des ‚Fehlgehens‘ verleiht“ (Wellbery, „Rhetorik und Literatur“, 164). 20 Vgl. Novalis, „Monolog“, N II, 672. Jean Paul charakterisierte „lange Gespräche, vollends eure schlechten“ durch die „Doppelkunst, entweder den anderen zu unterbrechen, oder dessen Frage in Antwort zu wiederholen […], oder nur den Witz fortsetzend zu beantworten.“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 267).

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dem auch mögliche, vermeintlich drohende Unterbrechungen angehören, auf die und über die hinweg vor-gegriffen wird: „so erfahre ich, was ich durch ein vielleicht stundenlanges Brüten nicht herausgebracht haben würde. […] Dabei ist mir nichts heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte“.21 Verhandelt wird hier Zeitlichkeit nicht nur, mit dem Titel-Gedanken, als die ‚Allmählichkeit‘ des ‚Verfertigens‘ in der Zeit,22 sondern als des Ereignisses der Rede diskontinuierlicher, ja paradoxaler ‚Bezug‘ auf ein (ev.) Verfertigtes. Wenn Kleists Text, so Bernhard Greiner, ein „Paradigma des gelingenden Sprechens“ stelle,23 so ist dieses offenbar eines der zeitlichen Paradoxie, der Dischronie des grundlosen begründenden Vorgriffs auf ein Nicht-Gegebenes. Gegen alle üblichen Anratungen oder Vorschriften: „von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits verstehst“,24 bringt Kleists Text die provokante Verkehrung der Abfolge von Gedanken und Reden in Vorschlag. Dabei fällt er anfangs unterbrechend, im Zitat, in eine andere Sprache: „Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodirt und sagt, l’idée vient en parlant“.25 Im Zitat der anderen Rede, der Rede eines anderen, wird mit der französischen Gerundivwendung „en parlant“, wie „en mangeant“, die Zeitlichkeit des beim 21 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 535f. 22 Diese Lesart wird etwa mit der Fehl-Rückübersetzung des Titels als „langsame Verfertigung“ (in Zupančič, Der Geist der Komödie, 138f.) fixiert. 23 So Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 37. 24 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 534; „Ich sehe dich zwar große Augen machen“, akzentuiert den Verstoß, der überrascht. Bei Adelung etwa könnte Kleist solche Sätze, wie auch wir sie kennen, gelesen haben: „1. daß man von nichts schreibe oder rede, was man nicht verstehet, folglich nicht klar denken kann“; dies sei das erste „Mittel, Unsinn zu vermeiden“ (Ueber den deutschen Styl, Erster Theil, 133). Die Mitteilung an andere, die diesen Gedanken „in eben der Klarheit wieder bey andern zu erwecken“ haben (ebd.), ist demgegenüber sekundär. Kleist unterscheidet: den „Vorwitz A n d e r e “, hier aber „daß du aus der verständigen Absicht sprechest, d i c h zu belehren“ („Allmählige Verfertigung“, so durch Sperrung markiert: KBA II/9, 27). 25 Typographisch markiert ist das Franz. in Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 27. Derart prozediert der Text auch übers Andere; zur Rolle des Französischen vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 151, 153ff., 159; Campe, „Verfahren“, 13f., 19; für Kleists Texte überhaupt, Moering, Witz und Ironie, 166, 159f. 153. „Der Franzose“ mag hier konkreter Montaigne sein: „l’appetit me vient en mangeant“/„Der Appetit kommt mir beim Essen, eher nicht“ („De la vanité“/„Über die Eitelkeit“, in Essais III.9, 952/dtsch. 489). Intertextuelle Spuren Montaignes sind vielfach in Kleists Texten aufzuweisen, etwa im (Gegen-/)Beispiel-Gebrauch in „Allerneuester Erziehungsplan“, vgl. B. Menke, „Negative Beispiele Geben“; Moser, „Angewandte Kontingenz“, 29-32, 21ff.

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Reden als ein fortgehender Verlauf (unbestimmten Anfangs) modelliert,26 bei dem „etwas Anderes zur gleichen Zeit geschieht“, so akzentuiert Rüdiger Campe.27 Beim Reden komme, was die Rede als Grund, wie Essen den Appetit, voraus-setzte, aber (noch) fehlt. Der Vorgriff, ein Ausgriff aufs nicht vorweg, also gar nicht gegenwärtig Gegebene, was weder der Sprechende weiß, noch beim Adressierten als Wissen unterstellt, vielmehr aus – stets ungewissen – Zukünften zukommen muss, wird umgekehrt durch die Gegenbeispiele des Mißlingens belegt: „Etwas ganz anderes ist es wenn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist. Denn dann muß er bei seiner bloßen Ausdrückung zurückbleiben“.28 Das Muster begegnet auch in der „Paradoxe“ „Von der Überlegung“: „Die Überlegung, wisse, findet ihren Zeitpunkt weit schicklicher n a c h , als v o r der Tat“; gehandelt werden müsse, bevor überlegt werde, sonst handelte man nie.29 Erst „nachher, wenn die Handlung abgethan“, „im Nachhinein“, so Campes Lektüre, zeige sich „der Überlegung“, was sich nachträglich als ‚Grundlage‘ des Handelns erweist, in der (u.a.) das „Verfahren“ auszumachen ist, dem ungewußt schon gefolgt worden sein mußte.30 „Verstehen und Erkennen“ seien demnach, so Sibylle Peters, „auf einen operationalen

26 Das franz. Gerundivum, paradigmatisch (en) „arrivant“ (Derrida), das Partizip Präsens ist „a mode of presence radically different from the ‚metaphysics of presence and consciousness‘“, „is constituted by a split between what it signifies and the process of signifying“; denn die vom Präsens unterstellte „simultaneity of utterance and uttering does not result in an undivided unity“, „it entails a certain separation“ (S. Weber, Singularity, 344); „die Zeit des Partizip Präsens“ ist „nie völlig gegenwärtig […], nie ganz da“, kann „sich nie aus sich heraus vollenden“ (S. Weber, „Theater[] als Exponierung“, 270). 27 Campe, „Verfahren“, 10, vgl. 9f. „Schon – oder sogar immer schon – hat man den Mund voll; und da kommen erst der Hunger und die Ideen. Man könnte von der paradoxen Gleichzeitigkeit des Einen mit seinem Anderen sprechen.“ (10). 28 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 538, vgl. 539. 29 „Wenn sie vorher, oder in dem Augenblick der Entscheidung selbst, ins Spiel tritt: so scheint sie nur die zum Handeln nöthige Kraft, die aus dem herrlichen Gefühl quillt, zu verwirren, zu hemmen und zu unterdrücken: dagegen sich nachher, wenn die Handlung abgethan ist, der Gebrauch von ihr machen läßt, zu welchem sie dem Menschen eigentlich gegeben ist, nämlich sich dessen, was in dem Verfahren fehlerhaft und gebrechlich war, bewußt zu werden, und das Gefühl für andere künftige Fälle zu regulieren“ (Kleist, „Von der Überlegung (Eine Paradoxe)“, (KBA II/7 (=BA I), 301). 30 Das ist die „Zeitenverkehrung des Verfahrens“ (Campe, „Verfahren“, 6). Insofern die „dunkle Kraft“ aus dem Gefühl das „dem Tun vorhergehende[] Bereitsein zur Tat“ sei, sei das „vorbewusste Verfahren“ „nur ein anderer Namen für das Gefühl; aber es zeigt die genau umgekehrten Werte. Statt herrlich zu sein, ist das Verfahren fehlerhaft und gebrechlich. […] Das Verfahren, das sich rückwirkend der Überlegung als bereits wirksam erschließt, affiziert die Tat noch im Nachhinein“ (7).

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Vorschuß angewiesen“,31 der, Kleists „Über die allmählige Verfertigung des Gedankens“ zufolge, ‚beim Reden‘ gegeben werde. Der Vorgriff auf ein Nicht-Gegebenes, damit ins Ungewisse, kann dieses (allenfalls) „nachholen“,32 was hier auch unter dem Namen des Geschenks des anderen geführt wird: Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, in einem menschlichen Antlitz, das ihm gegenübersteht; und ein Blick, der uns den halbausgedrückten Gedanken schon als begriffenen ankündigt, schenkt uns oft den Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben.33

Der Gedanke, der erst mit seinem ‚Ausdruck‘, „zu meinem Erstaunen“, „fertig“ sein wird, wird erst und schon als Geschenk von dem-/derjenigen anderen ‚gegeben‘, der/die ihn nicht hat, vielmehr ihn doch mitgeteilt bekommen soll, ihn aber dem Sprechenden, indem er/sie ihn vorweg „als begriffenen ankündigt“ und mit dem „Ausdruck für die ganze andere Hälfte desselben“ schenkt. Das Geschenk eröffnet eine Relation, die durch keine Wieder-Gabe, auch die des ‚ganzen‘ Gedankens nicht, ein- und aufgelöst wäre. Dafür sei das Konzept der Gabe von und nach Marcel Mauss erinnert: ‚Es gibt‘ sie, so Mauss, so akzentuiert Jacques Derrida (um), solange oder insofern sie nicht im Tausch erwidert und gelöscht ist, also im Ausstehen der Erwiderung. Sie ist sozial wirksam, bindet, insoweit oder solange sie (noch) nicht erwidert worden ist, im Aus- und Aufhalten der durch die Geste der Gabe eröffneten, gegebenen Zeit,34 im Austehen der Wi(e)der-Gabe, die nicht nur ‚noch‘ nicht erfolgte:35 in und als Ungewißheit.36 (Vorgreifend sei auf die Angewiesenheit des Witz‚bildners‘ auf den anderen vorausgewiesen; er ziehe, so Freud, als Witzerzähler den anderen in den Witz-Vorgang ein, indem er mit den Worten des Witzes dem

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Peters, „Wie Geschichte geschehen lassen?“, 72. Der Redende rede, „ohne einen Grund zu haben, den er allerdings braucht“; „er kann den Grund nachholen“ „beim Reden“ (Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 14). 33 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536; KBA II/9, 28. 34 Mauss, „Die Gabe“, 59-70; vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 56-60. 35 Simmel gibt der ersten Gabe als ‚freier‘ den Vorrang; sie sei unerwiderbar, während die Gegengabe einem Zwang untersteht, einer Unfreiheit, die sie von der ersten „freien“ Gabe her erhalte (Simmel, „Dankbarkeit. Ein soziologischer Versuch“, 313f.; vgl. B. Menke, „‚Dankbarkeit‘, kleine Simmel-Lektüre“, 27-37). 36 Mauss arbeitet u.a. mit dem markanten Anachronismus des „Kredit[s]“, den die Gabe gibt, gegen Vorstellungen vom ursprünglich einfachen Tausch („Die Gabe“, 63ff.).

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Hörer ein „Geschenk“ macht, das dieser allerdings ‚bezahlen‘ muss.)37 Das Ereignis der Gabe wäre durch ihre Erwiderung im Tausch annulliert, wie Derrida gegen Mauss’ Rede vom Gabentausch einwendet.38 Die Gabe gibt unabhängig von allem, was sie geben mag, Zeit, was gar nicht (‚als etwas‘) gegeben werden kann, worüber niemand verfügt, und mit der als ausstehender, entgegen allen versichernden Unterstellungen, nicht gerechnet werden kann:39 Die Gabe wird (wenn es sie „vielleicht“ gibt), so Derrida, auch jede Ökonomie der Zeit, des Kredits, jedes Kalkül auf die Zukunft (eines möglichen ‚Mehr‘) der WiederGabe aussetzen.40 So vollzieht sich die „allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Relationen, nicht auf ‚etwas‘ Verstandenes, das weder an der einen noch der anderen Stelle gegeben ist,41 sondern in zwei, jeweils ungegründeten, einander überkreuzenden Vorgriffen (ohne präsentische Verankerung): Der „Gedanke“ wird, so war zu lesen, mit dem Geschenk „des Ausdrucks für die ganze andere Hälfte“ gegeben, das heißt aber, wo er nicht (nirgendwo gegenwärtig) ‚ist‘, als ‚Geschenk‘ dessen, was nicht präsent ist.42 Den sog. „halbausgedrückten Gedanken“ hat niemand, auch wenn dieser ‚in einem Blick schon als begriffener angekündigt‘ gesehen wird, der „oft“ die ‚Gänze‘ mit dem „Ausdruck für die ganze andere Hälfte“ ‚schenke‘. Das Geschenk gibt, was vorgreifend ‚schon als begriffen‘ nur ‚angekündigt‘ war: den Gedanken, der doch erst am ‚Ende der Periode‘ (das des Redens) ‚fertig‘ sein wird. Geschenkt wird er als 37 Freud, Der Witz, 135-48; „die Lust des Witzes“ „wird ihm [dem Hörer] sozusagen geschenkt“, daher könne dieser lachen (139f.) und ‚bezahle‘ mit seinem Lachen, das rückwirkend dem Witzbildner zu lachen ermögliche (Kofman, Die lachenden Dritten, 85); s. Kap. V.2. 38 Vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 17-24, 68-71, 88, 91; ders., „Wenn es Gabe gibt – oder: ‚Das falsche Geldstück‘“, 109-20; ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 27, 35f., 51. 39 Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 25-29, 43, 58-69, 15, 20, 109-19, 128f., 159ff. 40 Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 17, 147, 133ff., 22-26; ders., „Wenn es Gabe gibt – oder: ‚Das falsche Geldstück‘“, 110ff., 117-20, 124-29. 41 Das unterscheidet die Relation von „Hebeammenkunst“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 540). „Nicht, als ob sie es mir, im eigentlichen Sinne sagte; denn sie kennt weder das Gesetzbuch, noch hat sie den Euler, oder den Kästner studiert. Auch nicht, als ob sie mich durch geschickte Fragen auf den Punkt hinführte, auf welchen es ankommt [wie Sokrates in den Platonischen Dialogen], wenn schon dies letzte häufig der Fall sein mag“ (535). 42 Bez. des „Geschenk[s]“, das Freud zufolge der Witz-Erzähler mit den Worten des Witzes dem Hörer mache (Der Witz, 139f.), unterstreicht Schuller: des Witzes Präsens sei „Präsent, das nie als solches repräsentiert werden kann“, „ist nur ‚da‘, gleichsam in Aktion, sofern sich etwas präsentiert, was unserer Geistesgegenwart entzogen ist“ (Schuller, „Anekdote“, 10; S. Weber, „Die Zeit des Lachens“).

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ausstehender – im Vorgriff auf ein aus ungewissen Zukünften Zukommendes, als Vorgriff, den der Redende43 dem/r anderen, der/ie auch nichts weiß und hat, absieht, auf eine zukünftige Einsicht, die der Redende selbst nicht kennt und über die er keine Verfügung hat. Der Vorgriff ist projektiv, die Projektion einer Projektion: Der „halbausgedrückte Gedanke[]“ ist ja nicht vorgreifend vom andern „schon“ „begriffen“, sondern der Redende nimmt als ‚Geschenk‘, im „Blick“ des andern: als begriffen angekündigt wahr und bereits an. So wird als ‚Geschenk‘ ‚angenommen‘, was niemand (und was keine Selbstpräsenz) hat;44 und als ‚Geschenk‘ wird der „Ausdruck für die ganze andere Hälfte“, der den Gedanken erst wird gegeben sein lassen, angenommen, indem weitergeredet wird, so dass nachträglich der Gedanken verfertigt (vor)gefunden werden kann. Modus des ‚Gelingens‘ wäre demnach das sich Überkreuzen von Vorgriffen, die (um sich ‚nachholend‘ zu gründen) einander jeweils in eine Nichtgegebenheit vorgreifen. Der Eintrag der/des Anderen ist in keinem Resultat getilgt. Die Vorgriffe sind wie jedes Ereignis der Gabe – als acte gratuit,45 ungewissen Zukünften ausgesetzt, ohne Gewißheit der „Wiederaneignung“,46 auch wenn, was vorgreifend schon als „begriffen“ ‚angekündigt‘ gesehen wurde, am ‚Ende der Periode‘ zu meinem „Erstaunen“ als ‚fertiger‘ Gedanke vorfindlich sei.47 Der Vorgriff im Zu-Reden-Anfangen ist ungegründet, auch wenn „ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe“, die unbestimmt „von fern her“ „mit dem, was ich suche,“ aber doch nicht kenne, „in einiger Verbindung steht“, ein unverfügbares, Baumgartens fundum animae als ‚Dunkles, Verworrenes‘ erinnerndes,48 was ‚etwas‘ von „völlige[r] Deutlichkeit“ (erst) wird geworden sein müssen. 43 Was Kleist geschlechtsspezifisch formuliert; hier sind traditionelle Anordnungen wie die Musen-Inspiration umgeschrieben, s.u. 44 Das von Didi-Huberman vorgestellte „Geschenk des Papiers“ (zwischen Subjekt und subjectil) kann analog dazu gelesen werden (175, 186ff.), vgl. Kap. III.1, IV.2. 45 Die Gabe müßte „aleatorisches Ereignis“ sein (können): es „bedarf des Zufalls“ (Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 118ff., 115f., 160-65). 46 Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 162, 147, 133ff., 22-26, vgl. ders. „Die weiße Mythologie“, 262ff., 267, 271, 273f.; „auch das gebende ‚Subjekt‘“ dürfte „nicht bloß keine Gegenleistung erhalten“, sondern die Gabe ihm „nicht einmal […] als Gabe erscheinen“, weil sie sonst „auch schon eingebunden [wäre] in eine symbolische Struktur […] der Ökonomie, die die Gabe im rituellen Zirkel der Schuld annullieren würde“ (Falschgeld: Zeit geben I, 36, vgl. 25). 47 Periode ist der rhetorische Begriff für jene „vollkommene“ oder „beschlossene“ Rede nach der ein Punkt gesetzt wird (Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 100-106, 156 u.ö.), der auch selbst Periode geheißen wurde (92, 137), „verdrängt“ von der Konzeption des Satzes (im 19. Jh.) (106f., 132-41, 170, 182f., 274, 371f.), dessen Abschluß der Punkt remarkiert. 48 Daran: als dunkler Grund, Chaos, wird im 18. Jh. angeschlossen (so von Herder, s. Kap. I.1; vgl. Simon, Idee der Prosa, 213f., 222, 227, 233, 35-45). Von „dunkler Ahndung“ ‚vor‘ der

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Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist.49

„[W]enn ich nur dreist damit den Anfang mache“, vollzieht der (vorgreifend schon) Redende einen Akt des unterbrechenden Einsatzes von nichts, von nicht etwas. Dieser scheint „damit den Anfang mach[end]“ voraus-zu-setzen, was dieser Ein-Satz erst wird ermöglicht und, „während die Rede fortschreitet“, als sein „Ende“ wird hervorgebracht haben müssen, rückwirkend über den Anfang entschieden haben wird. „Etwas haben und dasselbe zugleich nicht haben“ ist durch keinen linearen Prozeß zu vereinbaren,50 sondern kennzeichnete dessen uneinholbare Paradoxie. Der Redende verfügt, wenn er „den Anfang mach[t]“, nicht über jenes „Ende“, das nach Auskunft des Textes nachträglich „Einbildungs- und Denkkraft“ spricht K. P. Moritz, „Über die bildende Nachahmung des Schönen“, 971; vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik  I.5, 60; „dunklere Reihen der Vorbildungskraft“ gehen dem Einfall voraus (Levana SW I.5, 843; vgl. G. Müller/Knab, „Nachwort“ zu HKA II.7, 699, 702f.). Die „dunkle Kraft“ aus dem Gefühl sei, mit Kleists „Von der Überlegung“, so Campe: „dem Tun vorhergehendes Bereitsein zur Tat“ („Verfahren“, 7). 49 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536. Hegel hebt aufs „Gebundensein des Gedankens an das Wort“ ab, „obgleich man gewöhnlich meint, das Unaussprechliche sei gerade das Vortrefflichste, so hat diese von der Eitelkeit gehegte Meinung doch gar keinen Grund, da das Unaussprechliche in Wahrheit nur etwas Trübes, Gärendes ist, das erst, wenn es zu Worte zu kommen vermag, Klarheit gewinnt. Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftestes Dasein.“ (Zusatz des § 462 der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830, Werke Bd. 10, 280). Aber Hegel zufolge sei „unseren Gedanken absolut notwendig“ der Worte „vom Gedanken belebte[s] Dasein“, d.i. in Aufhebung von deren Äußerlichkeit: „Wir wissen von unseren Gedanken nur dann, […] wenn wir ihnen die Form der Gegenständlichkeit, des Unterschiedenseins von unserer Innerlichkeit, also die Gestalt der Äußerlichkeit geben, und zwar von einer solchen Äußerlichkeit, die zugleich das Gepräge der höchsten Innerlichkeit trägt.“ Das geschieht im Wort als der „artikulierte Ton“. Zwar „kann man sich auch, ohne die Sache zu erfassen, mit Worten herumschlagen“, wird aber das Wort „vom wahrhaften Denken gebraucht“, ist es „die Sache“, während das „Übermaß der Erinnerung des Wortes in die höchste Entäußerung der Intelligenz um“schlage. Dagegen helfe nur die Vertrautheit mit der „Bedeutung des Wortes“, durch die dieses sich „mit meiner Innerlichkeit vereint“ und dessen „Gegenständlichkeit“ verschwinde (ebd.). An der Äußerlichkeit der Rede hält dagegen Humboldt fest: durch die der „Gedanke[] zur Rückwirkung auf das Subject, aus sich heraus und sich gegenüber zu stellen“, gelangt; „das Denken kann sonst nicht zur Deutlichkeit gelangen“ (zit. nach Jäger, „Rekursive Transkription“, 287, vgl. 295ff.). 50 Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 14; diesem zufolge aber sei dieses „zugleich“ „als Prozeß zu denken“; ein linearer Prozeß wäre mit dem zugleich des Unvereinbaren unverträglich.

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soll „Gedanke“ heißen können, der ihm erst „zu meinem Erstaunen“ gegeben sein wird: „dergestalt, daß die Erkenntnis […] mit der Periode [mit der zeitlichen Erstreckung, die die syntaktische Struktur gibt] fertig ist.“51 – Mit dem doppelten gleichzeitig sich (gegenseitig) bestätigenden „fertig“-sein52 wäre im behaupteten Resultat die temporale Paradoxie des Verfertigens allenfalls eingekapselt, zumal Kleists Satz-Periode dies auch selber: auf den Punkt, in selbstimitatorischer Doppelung (dem Behaupteten gleichsam das Exempel gebend) vollzieht – mit fast komischem Effekt. Als grundloses heißt das ‚einen Anfang-Machen‘ „dreist“, wie auch in dem dann folgenden Fall des „manch große[n] Redner[s]“, „der in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde“.53 die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen. Mir fällt jener ‚Donnerkeil‘ des Mirabeau ein […].54

Mit „‚Donnerkeil‘“ ist die „topische Metapher“ des einschlagenden Blitzes für eine plötzliche „geistige Erleuchtung, den unerwarteten Einfall“, wie den des Witzes,55 aktiviert, der als unterbrechendes Ereignis unerwartet auftritt aus 51 „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536. Das verweist auf das Verhältnis von redendem Verlauf und Punkt, der die ‚vollendete Rede‘, deren Beschlossenheit (vgl. Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 100-06, 156), besiegelt; Szendy formuliert die Spannung „in the course of speech“ auf den Punkt: „at the end of the journey, and the end of the sentence“ (Stygmatology, 15), „each term being anticipated in the construction constituted by the other terms and, inversely, sealing their meaning by its retroactive effect“ (Lacan, zit. nach Szendy, 31). Jean Paul lässt eine angekündigte „ellenlange[] Periode“ im Abbruch des Satzes ausgehen: „….“: „Es wird aber auch kein [Verstand] mehr kommen“ (SW I.1. 1024f.; vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 288f.): die Periode könnte „in Punkte“ zersplittern (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 153); Szendy zufolge zerteilt, dispergiert (sich) (bereits) die Instanz des Punktes (9, 60, 63, 49, u.ö.); s.u. Kap. IV.1. 52 Gleichzeitigkeit wird hier (allenfalls) am „Ende“: nachträglich, gefunden, anders als der Vergleich von den beiden Rädern an einer Achse besagt (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 538, KBA II/9, 30). 53 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536. „Dreist“, das ist auch „kühn“ (audax), „so alt das wort sein muß […] es zeigt sich bei uns erst spät“ (DW Bd. 2, Sp. 1394f.); angegeben sind die Gebräuche: „kühn hervortretend, zuversichtlich, beherzt, nicht schüchtern, nicht zurückhaltend, nicht blöd, nicht ängstlich“; zitiert wird Göthe: „das grosze freie talent, die dreiste hand des künstlers“, und: „in üblem sinn anmaszend, frech, unverschämt“ (ebd.). 54 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536. 55 Vg. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112. Für den Blitz des Witzes, vgl. F.  Schlegel, Kritische Fragmente, Nr.  90 (u. Nr.  104), KFSA II, 158f., 258, 370f.; KFSA XII, 393; und diesen einspielend Jean Paul, Vorschule der Ästhethik, SW I.5, 171, 173f.

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„Gewitterwolken“,56 aus unförmig unlesbarem Dunklem, „potentiality“, mit Giorgio Agamben,57 unbestimmter (da nicht-manifester) Ladungen,58 verworrener Erregungen.59 Den thematisierten „‚Donnerkeil‘“ doppelt der Text zum einen im tradionellen Sinne der Metapher des Blitzes „für die glanzvolle Rede selbst“,60 deren „Glanz“ als „zwingende Kraft, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“,61 zum andern ist der Einfall Mirabeaus zuvor schon: „Mir fällt […] ein“, als Einfall eines Beispiels (– aus anderen Texten) unterbrechend in den Text einge‚fallen‘.62 Der Text trägt (auch hier) nicht (nur) das „über  …“-Thematisierte63 einen Abstand nehmend vor, sondern führt dieses (sich in sich doppelnd) aus- und auf, indem der Beispiel -Einsatz als die Rede unterbrechender unwillkürlicher Einfall64 inszeniert ist. Wie oder ob 56

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Der Witz trete „unerwartet und plötzlich auf, als ein Blitz aus der unbewußten Welt“, so F. Schlegel (KFSA XII, 393), als „eine Explosion von gebundnem Geist“ (KFSA II, 158). „Indes durchschweift auch der Witzblick lange, obwohl dunklere Reihen der Vorbildungskraft, um zu schaffen. – […] wie die kraftschwere, volle, befeuchtende Gewitterwolke des Wissens ins Wetterleuchten des Witzes ausbricht.“ (Jean Paul, Levana, SW I.5, 843). Die topoi des Blitzes sind mit dem um 1800 geläufigen Wissen von elektrischen Ladungen umgeschrieben; vgl. vielfach in der Sek.Lit.: Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112f.; Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 158; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 172f.; zum Wissen von der sphärischen Elektrizität gehört der Blitzableiter (vgl. vielfach Lichtenberg, F. Schlegel, „Über die Unverständlichkeit“, KFSA II, 370f., Jean Paul, Vorschule der Ästhetik SW I.5, 197ff.; Nachschule SW I.5, 470, Exz.bd. 40, Nr. 156ff.), an dem „der Blitzfunke“ „nur als Witz ohne Schaden durch die brennbare Sinnlichkeit hindurch“ „läuft“ (SW I.5, 138). „Darkness“ fasst Agamben als „potentiality“, d.i. auch die des Nicht-Eintretens, des ‚not to-‘ (wie des ‚to-‘) („On Potentiality“, 179f., 182; dtsch. ist dgg. „Potenz“ übers., „Über negative Potentialität“ 291f.). Die „Potentialität“ des „plötzlichen Ereignisses“, dass es einen „Funkenschlag geben kann“ (oder auch nicht), ist in der Kleist’schen oder Leidener Flasche vergegenständlicht (Campe, „Verfahren“, 19f.; DKV III, 537; KBA II/9, 29). Vgl. Erregungen („des Gemüts“), Ladungen und Entladung, Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28-31. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112. K.-P. Lange, Theoretiker des literarischen Manierismus, 59, 63ff.: dadurch dass die „Gleichgültigkeit der Dinge an einer Stelle durchbrochen wird“. Zu den Wörtlichkeiten des Ein-Fallens und Falls, vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“, 89-93; Pusse, Von Fall zu Fall, 7-17. Vgl. Derrida: „By chance, I fall initially upon an example“ („My Chances“, 17, und „incidentity and accidents“, 20, sowie 2-9); vgl. Kap. IV.1. Die „erste, tentative Überschrift“ war Allmählige Gedanken. Beim Reden, vgl. Campe, „Verfahren“, 8f. Das Beispiel tritt als Einzelfall, ein „Teil“ in Relation zu anderen „Teilen“; es zeigt sich: heraustretend, daneben, und neben sich (paradeigma), Aristoteles, (Rhetorik, I.2, 19 (1357b) (1993, 18f.)), ohne dass zum Paradigma ein Allgemeines, eine Regel vorgegeben wäre (vgl. Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 22-29; ders., Homo sacer, 31f.; Fleming, „Beside oneself“, 193, 198f.).

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(überhaupt) dieser Einfall (eines Beispiels) im Gedanken eingeholt ist, steht ebenso aus wie das, was aus dem dreist gesetzten „‚Donnerkeil‘“ Mirabeaus wird. War im „historischen Text der Rede“ Mirabeaus, wie zu lesen ist, „die politische Entscheidung bereits gefallen“, und wurde „dieser Gedanke […] dem Zeremonienmeister des Königs lediglich als eine beschlossene Sache in wohlgesetzten Worten mitgeteilt“,65 stellt Kleists Erzählen die „Verfertigung des Gedankens“ als/im aktualen Vollzug vor, der (abschließend) als Sprechakt den historischen Befund in Anspruch nehmen wird. Das ‚Setzen des Anfangs‘ ist als „Donnerkeil“ Gewalt-Akt oder -Streich, und das mag zwar eindrücklich genug sein, aber er ‚ist‘ nicht (etwas); Resultate des Schlags und Bruchs sind zufällig lesbar – oder auch nicht.66 Der Blitz modelliert das Neue, das komme, als Bruch mit dem Vorgegebenen, mit Wissen und Intention, den dieses vollzogen haben muß, als Ein- und ZuFall.67 Das Beispiel Mirabeaus stelle, so Campe, jedoch nicht (nur) die mit dem „Pathos des Plötzlichen“ versehene „Ruptur“ im „radikalen Bruch mit dem Andauernden“ vor,68 sondern Kleists Erzählen präsentiert Reden als „Verfahren“, d.i. die „Fortsetzung über die Grundlosigkeit“, so Campe.69 Mit „fuhr er fort“ ist ‚Verfahren‘ hier das Verfahren (als solches): (bloß) fortfahren, irgendwas sagen, um fortzusetzen. „[U]nd nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf“, so erzählt, so setzt der Text fort.70 „[I]ndem er fortfuhr, geht es ihm auf“, akzentuiert Campe, und – indem er hier die entstellte Zitation von 65 66

Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112; vgl. Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 235. „Der Griffel Gottes“ manifestiert im Blitzschlag die „Kontingenz der Sinnproduktion“, vgl. Neumann, „Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 24; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 63f., 33, 57, 139; vgl. Kap. IV.1. Die Kontingenz der Produktion bleibt jedem möglicherweise gegebenen ‚Sinn‘ eingeschrieben. 67 Vgl. Wirth, „Das Neue als witziger Einfall“, 69f. Muß es F. Schlegel zufolge „etwas Erstes geben vor aller Methode“, so handelt es sich nicht um „erste[] Ideen“, sondern um „wahre Einfälle und ganz zufällige Hervorbringungen“ (KFSA XII, 404), auch Jean Paul: „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall“ (Levana, SW I.5, 843). 68 Campe, „Verfahren“, 18f.; das entspräche der „Kraft“ aus dem „herrlichen Gefühl“ (Kleist „Von der Überlegung“, BA I, 301), als das „dem Tun vorhergehende[] Bereitsein zur Tat […]. Das Gefühl ist in seiner Herrlichkeit der abrupte Augenblick, in dem sich die Tat zu ihrer Realisierung sammelt.“ (Campe, 7). 69 Campe, „Verfahren“, 18. Der „operationale Vorschuß“ (Peters) ist eben dies: Fortfahren. Kleists Verfahren ist Campe zufolge: Überkreuzung von Peripetie und Fortsetzung (14-18). Kleists „Verfahren“ sei „Neueinsetzen“, wo es „nach dem Ende der Normen und nach dem Ende der rhetorischen Regel“ keine Methode gibt (12, 14f., 18f.; vgl. ders., „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 12). Verfahren „vollziehen“ „den Bruch immer wieder“, da „ihre Kohäsionsleistungen unverwandt auf den Abgrund ihrer Grundlosigkeit zeigen“ (Verfahren“, 18). 70 Hier und das Folgende Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536; KBA II/9, 29. Das „Verfahren“ zunächst das Mirabeaus: „fuhr er fort“, zeigt sich als das von Kleists Erzählen.

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Kants Formel: „Ihm [Thales] ging ein Licht auf“ kenntlich macht71 – damit das „Aufgehen des Lichts […] nicht was sich in der Metapher des Lichts zeigt“.72 Das Präsens, in das Kleists Erzählen fällt: „plötzlich geht ihm […] auf“, stellt die „Aktualität“ des Einfalls, so Campe, mit der „kollabierenden Gleichzeitigkeit von Akt-, Betracht- und Sprechzeit“ vor.73 Der Gewaltakt, der mit dem Bekannten und ‚Andauernden‘ bricht, das er unterbricht, wird (allenfalls) nachträglich zur Erkenntnis und Erfindung von etwas Neuem (von dem er nichts wissen kann) geworden sein,74 nur durchs erzählte und erzählende Fortfahren und nur in der Rückwendung, die dieses nachträglich liest und (wieder-)erkennt.75 Die redende und die erzählende „Fortsetzung über die Grundlosigkeit“, die der Streich als Bruch erzeugt und die er markiert, die Campe „Verfahren“ heißt,76 hat den „Gedanken“ nachzutragen, der dem zu reden (schon-mal) Anfangen fehlte. Aber im Fort-Reden, das nicht weiß (wovon es spricht oder was es tut), das weder von vorne noch von seinem ‚Ende‘ her gesteuert ist, sich den Wörtern wiederholend, zuweilen verkehrend überlässt, ist ungewiss, ob zum ‚dreist den Anfang-Setzen‘ dessen abschließendes ‚Ende‘ gefunden worden sein wird. Mit diesem soll nicht nur ein ‚Sieg‘ bis zur „Vernichtung des Gegners“, dessen „Geistesbankerot“, davongetragen, sondern das „dreiste“-Setzen (um hier vorzugreifen) im Nachgang eingeholt, ein historisches Ereignis (der „Umsturz der 71 Campe stellt den Bezug zu Kant (Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Aufl. 1787) her („Kants Krise und Kleists Verfahren“, 16f.; ders., „Kleists Verfahren der Aktualität“, 4ff.; ders., „Verfahren“, 14). Zugleich wäre erneut ein Bezug auf Montaigne mitzulesen (Essais (I.xxv „du pedantisme“), 140): „dem Geist ein Licht aufgehn zu lassen, das er nicht selber schon hat“, werde von den Wissenschaften nicht geleistet (dtsch. 77). 72 Campe, „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 16f. „Über die allmählige Verfertigung“ führt anfangs die notorische Metapher der Aufklärung an, aber das „Licht“ gäbe mit der Gewohnheit, „ins Licht zu sehen, als in den hellsten Punct, bei dem Bestreben […] sich aufzuklären“ (DKV III, 535), nichts, was zu sehen wäre, als (eher) blendendes Licht. Das künstliche Licht der Lampe (was man schon hat) scheint dann unzureichend (vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 151; Paß, „Die Beobachtung der allmähliche Verfertigung“, 134f.). 73 Campe, „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 16f.; ders., „Kleists Verfahren der Aktualität“, 4ff.; ders., „Verfahren“, 14; zum Präsens vgl. „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 10-13. 74 Dem entspricht Jean Pauls und F. Schlegels Rede von „Einfall“ und „Erfindung“ (Levana, SW I.5, 843; vgl. Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 172; KFSA XII, 404, 393), s.o. Kap. I.1. 75 Mit der Blitz-Witz-Modellierung F. Schlegels und Jean Pauls (vgl. Kap. I.1). F. Kittler: Der Blitz „war das Ereignis. […] Nur was wiederkehrt, gibt sich zu wissen. Erkennen selbst […] kommt vom ersten Mal zurück auf seine Echos.“ („Blitz und Serie – Ereignis und Donner“, 146, vgl. 155). 76 Campe, „Verfahren“, 6f., 18. „Fortfahrende Erzählung und radikaler Einschnitt im Präsens machen erst zusammen das Verfahren der allmählichen Verfertigung aus.“ (ders., „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 12).

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Ordnung der Dinge“) und zur Einsetzung dessen (die „Nationalversammlung“) geworden sein,77 was im Rede-Einsatz („wir“) ungewusst und nicht gegeben in Anspruch genommen worden sein mußte. Obwohl der Titel des Textes von „Verfertigung der Gedanken“ spricht, haben wir es hier, mit dem Gewaltstreich des Anfang-Setzens und der Kraft eines An- oder Zu-‚Stoszens‘, mit Sprechakten zu tun,78 und deren Glücken (oder auch nicht). Schon mal – ohne Grund – einen Anfang machen, das ist auf-gut-Glück-Setzen. Setzen „auf gut Glück“ – Nachträglichkeit des Glückens (oder auch nicht) Setzen „auf gut Glück“ kennzeichnete Kleist anderswo, in einem Brief vom 31. August 1806 an Otto August Rühle zu Lilienstern, mit: „Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel; aber es gibt nichts anderes“.79 Auf gut Glück setzen, im „Wurf, wie mit dem Würfel“, setzt Finalität aus, gibt diese,80 die Intention und das Ich der Rede anfänglich (schon) preis ans Spiel, setzt es ‚aufs Spiel‘. Mit dem Zufall des Wurfs, der ohne Notwendigkeit fällt, ist der Ausgang des derart gesetzten Anfangs, des derart angestoßenen Vorgangs radikal ungewiß, der aber, ist er gefallen, doch gilt. So im, nach Mirabeaus Rede weiteren Beispiel der wiedererzählten Fabel La Fontaines „Les Animaux Malades de la Peste“,81 „ein merkwürdiges Beispiel von einer allmählichen Verfertigung des Gedankens aus einem in der Not hingesetzten Anfang“, den der Fuchs in der „Noth“, „dem Löwen eine Apologie zu halten“, „auf gut Glück [‚hinsetzt‘]; und somit ist er

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Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537; KBA II/9, 29. Vgl. Kleist, KBA II/9, 27; im „Stoß“ oder „Anstoß“ teile eine Kraft sich mit, inkompatibel mit Bedeutung, das Ereignis am performative (Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 340). 79 „Was dir schön dünkt, das gib aus, auf gut Glück. Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel […]“ (KSW II, 770). Das ist aber gerade nicht die Formel für „Pessimismus“ (so aber J. Theisen, „Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel“, 742). Vielmehr ist das schon, das fast schon da des Glücks im noch nicht impliziert, worauf vorgegriffen wird, das gegeben ist erst, wenn es gefunden ist und Glück heißt (vgl. Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 38f., vgl. 27f.). Weidmann führt eine Reihe von Brief-Stellen an: „daß das Leben ein schweres Spiel sei; und warum ist es schwer? Weil man beständig und immer von neuem eine Karte ziehen soll und doch nicht weiß, was Trumpf ist“ (KSW, II, 629; Weidmann, 144, sowie die vielfache Modellierung des Sprech-Handelns, gerade „des Dramas“, durchs Glücksspiel, durchs „an den Wurf“ Setzen u.ä., vgl. 43-149, 36-39). 80 „Wurf des Würfels“ sei u.a., so Barthes, das punctum wie/als pointe (Die helle Kammer, 35f.), s. Kap. IV.1. 81 La Fontaine, Fables (frz./dtsch.), Bd. 7, 462-67, insb. 464; zu La Fontaines Fabeln und deren pouvoir, vgl. Gelley, „Introduction“ (zu Unruly Examples), 18f.; ders., „The Pragmatics of Exemplary Narrative“, 146-53; zur Umschrift der Vorlage vgl. J. Theisen, „Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel“, 730f.

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verwickelt“.82 „Es gibt für den Redenden keine Sicherheit [so Heiner Weidmann]. Wer zu reden anfängt, tut es ‚auf gut Glück; und somit ist er verwickelt‘. Denn der Eintritt in ein Spiel ist ein Schritt, der immer […] nur ‚dreist‘ sein kann. Die ‚Erregung‘ des Redenden ist die des Spielers“,83 – die des Spielers im Einsatz, bevor die Würfel gefallen sind, die fallend, im Fallen, die Potentialität aller Spielausgänge noch enthalten.84 Reden findet, so Weidmann weiter, „in erregender Not und Bedrängnis statt“,85 da beim Reden, im Ungewissen seiner temporalen Extension, dem ‚hingesetzten‘ Anfang ein ‚Ende‘ wird gefunden worden sein müssen, mit dem etwa der Fuchs sich herausgewunden haben wird. Das Verfertigen vollzieht sich in der zeitlichen Extension des Zwischenraums, in dem ‚die Würfel fallen‘, den das Setzen „auf gut Glück“ eröffnet, das (sich) der „Notwendigkeit“ aussetzt, redend „dem Anfang nun auch ein Ende zu finden“,86 und das dreist darauf setzt, dass, „während die Rede fortschreitet“ (und ich nicht weiß), dieses oder, was „Gedanke“ heißt, verfertigend eingeholt, nachträglich gefunden werde, was „am Ende der Periode“ das Geglücktsein bestätigt haben werde. Einen Anfang-Setzen ist derart keineswegs als sich selbst begründende und souverän über sich, den Fortgang und dessen Resultat verfügende EinSetzung konzipiert. Es handelt es sich keineswegs, wie aber Greiner assoziiert, um „geniales Schöpfertum“,87 das rückwirkend in ‚dessen Werk‘ als Macht über den Zusammenhang von Anfang und Ende sich wird bezeugt haben müssen. Der „Genie-Gedanke“, demzufolge dieses „gleichsam aus dem Nichts […] in souveräner Setzung die Ordnung der Welt aus sich“ zeugte,

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Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537f.; KBA II/9. 29. Das heißt Neumann einen „mit einem ursprünglichen Schaden […] behaftete[n] Anfang“ („Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 13). 83 Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 147; er ist „[w]ie einer, der sich unvorsichtigerweise auf ein Spiel eingelassen hat und nun nicht mehr losgelassen wird bis zum Ende, welches sein Triumph oder seine Niederlage sein muß“ (ebd.). 84 Vgl. in Kap. I.5; zur Modellierung der Einfälle durchs Glücksspiel auch in Kap. III.1. 85 Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 14. Auch dafür wäre bei Montaigne ein (umgeschriebener) Prätext zu lesen: „Schon wenn man bloß den Ehrgeiz hat, eine schöne Rede zu halten, können einen der Ort, die Zuhörer und deren Erwartungen verwirren – wie soll da einer zurecht kommen, wenn von den Worten gar sein Leben abhängt.“ („Über die Eitelkeit“, Essais, III.9, dtsch. 484, Beispiel vgl. 483). 86 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536. 87 Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 43. Von „Genie“ spricht Lamprecht („Mühe und Kunst des Anfangs“, 937, 940) mit der wenig plausiblen These, in Kleists (und Kafkas!) Texten enthalte der zufällig hingesetzte Anfang in nuce den Fortgang und erfülle sich selbst abschließend.

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ist, so Gerhard Neumann, „kontaminiert“ durch das rhetorische „Findungsmodell“.88 ‚Verschwinde‘ im Genie-Konzept, das Erfindungs-Natur den KunstRegeln entge­gensetzt,89 „jenes Moment, in dem etwas widerfahren könnte“, so Peters,90 vollzieht Kleist gerade die „Rückübersetzung des Ästhetischen in das Rhetorische“, ein „Nach-Außen-Stülpen“ des im 18. Jahrhundert Interio­ risierten,91 damit die Preisgabe an alle möglichen Kontaminationen. Schließt Kleists Stichwort des „Verfertigen[s]“ zum einen an die Rhetorik92 an, löst er aber zum andern die ars inveniendi wie die sonstigen Kunstmittel, Topoi, Argument- und Wort-Ausstattungen, den vermeintlich bloßen Redeschmuck wie die vernachlässigte actio aus der von der traditionellen Rhetorik vorgeschriebenen regulierenden Nach- und Unterordnung unter den vorausgesetzten Gedanken, Rede-Gegenstand und Redeziel.93 Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter in die Länge, gebrauche auch wohl eine Apposition, wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer, die Rede ausdehnender Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei ist mir nichts heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte.94 88 Neumann, „Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 15f.; Kleists Beispiele rufen „verschiedene Redeordnungen […] der entstehenden bürgerlichen Welt“ auf (ebd.): Mathematik, Recht, Staatswissenschaft. Kowalik liest den Kleist’schen Text als „Kleist’s Essay on Rhetoric“, Groddeck als „Inversion der Rhetorik“. 89 Fürs Genie als „Naturgabe“ vgl. bekanntlich Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X, 181; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 545. Dieses ersetze die „Verfahren“ der artes inveniendi, vgl. Rieger, „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 179. 90 Das ist der Gestus der „Selbstermächtigung“ (Peters, „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 10f.). „Das Genie tut, ohne zu wissen, was es will – in einer intentionslosen und das heißt möglichst unmittelbaren Tat“, so dass sich „im Innern solcher Aktivität der Ort einer Passivität [eröffnet], in dem ‚die Natur durch ein Genie die Regel g[ibt]‘“ (dies., „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 145; Kleist und der Gebrauch der Zeit, 132ff., 140ff.; „Agencement“, 9f.). 91 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 139, 147-51. Umgekehrt war „Genie“ die „Anthropomorphisierung“ des metaleptischen Effekts der „Effekte und Funktionen von Texten“, die rückwirkend „als subjektiv gesteuert vorgestellt werden“ (dies., „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 146f.; Kleist und der Gebrauch der Zeit, 151, vgl. 47, 139-42, 148-153). 92 Vgl. Kowalik, „Kleist’s Essay on Rhetoric“, 442; das „Wort ‚Verfertigung‘“ entspreche dem „Sprachgebrauch der schulrhetorischen Handbücher des 18. Jahrhunderts“, so Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 102-05. 93 Vgl. Kowalik, „Kleist’s Essay on Rhetoric“, 435f., 442; Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 114; Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 111; Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 232. 94 Kleist, „Allmählige Verfertigung, DKV III, 535f.; KBA II/9, 28.

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„Kunstgriffe“ sind hier „ausdehnende“ der Rede als solcher; diese, topoi oder überhaupt sprachliche Zusätze, sollen die ‚bloße‘ und sei es ‚leere‘ Fortsetzung des Redens ermöglichen. Reden, das seine mögliche Unterbrechung und sein mögliches Enden aufhält, hält sich mit sich auf: mit „Kunstgriffen“, die abwehrend aufschieben und (da der Gegenstand oder Gedanke nicht gegenwärtig gegeben ist) keinen anderen ‚Sinn‘ haben als die Funktion, ein mögliches Ab- oder Unterbrechen der Rede zu vermeiden oder aufzuschieben: mit Sprachpartikeln wie Floskeln, Füllwörtern, wiederholt wiederholbaren sinn-leeren sprachlichen Elementen und unartikulierten Lauten auf der Schwelle zwischen Nichtsprachlichem und sprachlichem Element. Demnach wäre ‚Nichtgelingen‘ der Rede keineswegs der, zum Gemeinten, von dem der Redende (noch, also) gar nicht weiß, irgend hinzutretenden, ‚Rhetorizität‘ der Sprache geschuldet, an die sich das Gemeinte, so aber Greiner, mit der ‚eigenen‘ Rede, die im „Raum unendlicher Zeichenverweisung“ „unter dem Gesetz des Anderen“ steht, verlöre.95 Vielmehr ist das Ideal der „in ihrer Bedeutungsproduktion […] zu beherrschende[n] Rede“,96 als Konzept auktorialer Verfügung, an die ‚Verfertigungs‘kraft des Redens, das von keinem Rede-Gegenstand, -Grund oder -Ziel dirigiert ist, preisgegeben. Reden, bloßes, intransitives Reden,97 ist Zeit gewinnen, es besorgt im Reden vorrangig, ohne bekanntes Ziel, sein (bloßes) Fortgehen, hält die mögliche Unterbrechung, jeder vorgreifend, (mindestens) auf, verschafft (sich) – und damit der „Verfertigung der Gedanken“ beim Reden – schlicht Zeit (die die „gehörige“ heißt, so indefinit das ist) und bringt seine Zeitlichkeit zur Geltung. Reden setzt (sich) in seiner temporalen Extension aus an die Zufälle, das Andere der Sprache, an die andern, die Umstände, die sinnfern als unwillkürliche Gebärden, als drohende vorgreifend abzuwehrende Unterbrechungen begegnen. Neumann spricht von einem Vorgang „auf der Grenze zwischen 95 Das „Paradigma mißlingenden Sprechens bzw. der Unaussprechlichkeit“ sei „nicht beherrschbare Rhetorizität der Rede“, so Greiner (Kleists Dramen und Erzählungen, 49f.; vgl. Kleist, KBA II/9, 31). 96 Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 49f.; wie auch Greiner weiß, „verfügt“ „in der Redekonstellation gelingenden Sprechens“ das „sprechende Ich […] gerade nicht, herrscht gerade nicht über sein Denken“ (41); „power over language“ unterstellt aber Kowalik als Modell, „Kleist’s Essay on Rhetoric“, 442. 97 In Analogie zum intransitiven Schreiben nach Barthes („Schreiben, ein intransitives Verb?“ u. „Schriftsteller und Schreiber“, vgl. Campe, „Schreibstunden“; Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 165) und Foucault (Die Ordnung der Dinge, 365f.; vgl. Tscholl, Krumme Geschäfte, 95, 120, 150). Reden ist im Deutschen (meist) intransitiv, außer etwa: Blödsinn reden, u.ä..

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Automate und Allomate“;98 als ein solcher ist alles Reden zu denken, wie lapsūs und Wortspiele zeigen.99 Reden, das Ausgriffe ins Ungewisse vollzieht, setzt sich an dieses aus: an die Sprache, die anderen, die Kontingenzen „während die Rede fortschreitet“. Zwar figuriert zu Anfang des/der anderen Blick den ‚verstehenden‘ Vorgriff,100 aber die oder der andere, die oder der „aufstöszt“, ist, wie die im Rücken sitzende und abgelenkte Schwester, nichtgesichtig, Moment der äußeren „Umstände“, denen das Reden – diesen jeweils vorgreifend – begegnen muß;101 der/die andere hat an der „Verfertigung“ als Stelle potentieller Unterbrechungen teil, als deren Ankündigung etwa Mirabeau die Gesten, das „Zucken der Oberlippe“, das „Nesteln am Hemd“ (und nur in diesen Teilstücken, die die Gesten sind, den Zeremonienmeister) auffasst, denen, um sich ‚den Besitz der Rede nicht entreißen zu lassen‘, vorgreifend abwehrend ununterbrochen redend zuvorzukommen ist.102 Die Perspektive der Kontingenz geht, auch wenn der Text eingangs „Klugheitsregeln“ in Aussicht stellt,103 nicht auf in der Erwägung des Einzelfalls in Hinsicht möglicher Regeln nach Art der Moralistik.104 Eine „Klugheitsregel“, 98 99

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Neumann, „Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 23. Bergson bestimmt die Komik der Sprache analog der von Situationen und Handlungen: wenn „das Mechanische“ der Sprache, „ein Automatismus zum Ausdruck kommt“, man sagt, „was man nicht sagen wollte“ (Das Lachen, 77f.); „wenn unsere Aufmerksamkeit auf das Äußere gelenkt wird“ (80), die Rede „sich in der eigenen sprachlichen Schlinge verfangen lässt“ (81); „die Sprache lasse sich gehen“ (83f.). Bergsons Entgegensetzung von Leben (und Geist) der Sprache und deren „Automatismus“, Wiederholungen aber ist unhaltbar, so Zupančič, denn die vermeintl. „mechanische Äußerlichkeit“ ist konstitutiv für die „Lebendigkeit des ‚innerlichen‘ Geistes“ (Der Geist der Komödie , 137, 39f. 52). Das Komische mache aus, „dass sich ‚lebendiger Geist‘ und ‚Automatismus der Sprache‘ wechselseitig implizieren“ (139). Bergsons Sprachauffassung (als ‚äußeres Mittel‘ für ‚innere Gedanken‘) „ignoriert vollständig, wie sehr der ‚Geist‘ gerade in Wortwitzen, Versprechern und Wortspielen lebendig sein kann“, „verfehlt“ „vollständig“, die „produktive Dimension“, die Kleists „Allmählige Verfertigung“ aufweise (Zupančič, 137, mit falscher Rückübers. des Kleistschen Titels); „der Witz der Witze könnte […] als ‚Geist, der von bloßen Worten produziert wird‘ definiert werden.“ (137f.). So im „Blick, der uns den halbausgedrückten Gedanken schon als begriffenen ankündigt“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28) oder: „Ich sehe dich zwar große Augen machen“ (27). Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28f.; vgl. Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 156ff. Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 29; der andere als „Energiespender“ (Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 109). Zwei verschiedene sind anvisiert, Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 27. Inzwischen wurde Kleist vielfach in der Tradition der franz. Moralistik gelesen, vgl. Blamberger, „Agonalität und Theatralität“; Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 141, 148-52, 156f.; dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 129-34, 146f.; Campe, „Verfahren“, 6f., 13; Ott, „Der Fall, der eintritt“, 91.

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der zu folgen wäre, ist hier nicht zu haben,105 „jede Regel, ja die Möglichkeit irgend einer Regel“ ist durch die „Kontingenz der Situation“ infragegestellt,106 mit der zu operieren ist. Das ist mehr als das Ergreifen der occasio (das nicht auf Gründe und Kausalität rekuriert),107 die andere geben, wie in der umerzählten Fabel La Fontaines,108 vielmehr, mit Wolf Kittler gesprochen, der ‚Plan keinen Plan zu machen‘,109 ein ‚Operieren mit der Zeit‘.110 Das eröffnet der dreiste RedeEinsatz, und Reden ermöglicht es, indem es seine und der Zeit Erstreckung dehnt: wo, in den regellosen Relationen von „Umständen“ des Redens und „Erregungen“, zeitgenössisch einschlägig militärisch-strategisch modelliert, („wie ein großer General, wenn die Umstände drängen“),111 ‚Schnelligkeit‘ der Wissen und Bewußtsein vorgreifenden (Re-)Aktionen der mit „Leichtigkeit“ 105 Problematisch sei die präskriptive Äußerung bereits bei La Fontaine: „a rule for right action or behaviour“, in der Form „authorative and conclusive“ (Gelley, „The Pragmatics of Exemplary Narrative“, 156), „what frames a story“ (161). Das von Kleist angeführte allgemeine „Gesetz“ ist das der ‚Mitteilung‘ ‚entgegengesetzter‘ elektrischer Ladungen, das ein elektrophysikalisches Experiment zeige (KBA II/9, 29, DKV III, 537), zu vergleichen wäre, was Kleists „Allerneuester Erziehungsplan“ aus dem „Gesetz des Widerspruchs“ macht (Berliner Abendblätter, hier Bl. 35-36, BA I, 128f., 133). 106 Ott, „Der Fall, der eintritt“, 91. Agamben spricht von der „rückhaltlosen Aufgabe des Paares partikular – allgemein“ („Was ist ein Paradigma?, 25); „kann man dann noch von einer Regel sprechen?“. Eine Klugheitslehre Kleists stünde im „performativen Widerspruch“ mit sich, insofern sie auf Intention, vorgängiges anwendbares personales Wissen setzte (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 146f.). 107 Die Einstellung auf die occasio bezeichne den „Mangel jeglicher Beziehung zu einer ‚causa‘“, so (pejorativ) Schmitt, Politische Romantik, 120, 24; zur Emblematik der occasio vgl. Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 44ff. 108 In La Fontaines Fabel „Les Animaux Malades de la Peste“ spricht der Esel sich schuldig: „J’ai souvenannce/ Q’en un pré de Mines passant,/ La faim, l’occasion, l’herbe tendre, et je pense/ Quelque diable aussi me poussant,/ Je tondis de ce pré la largeur de ma langue.“ (La Fontaine, Fables (frz./dtsch.), Bd. 7, 464, l. 49-53). Das ergreift der Wolf seinerseits als Gelegenheit, den Esel, von dem das ganze Unheil („mal“) komme, als Opfer zu empfehlen (zur Umschrift La Fontaines bei Kleist vgl. J.  Theisen, „Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel“, 730f.). 109 So kennzeichnet W.  Kittler  Kleists Strategizität neuer Art mit militärischem Bezug als ‚Vorbereitung‘ auf das Unvorhersehbare (Geburt des Partisanen, 325ff., vgl. 346-53); daran anschließend Dotzler, Papiermaschinen, 518-23; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 174ff., 132ff.). 110 Vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 143, 140-47. 111 Der supponierte „Versuch von außen, ihm die Rede […] zu entreißen“, steigere die „Erregung“, damit die „Fähigkeit“ des „Gemüts“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 535f., 540) „wie ein großer General, wenn die Umstände drängen“ (536). Erregungen des Gemüts, die fortlaufend sich – am andern – steigernde Erregung des Sprechenden mögen auch „ein lebhaftes Gespräch“ „in einer Gesellschaft“ oder die Unterhaltung mit Freunden erzeugen (DKV III, 539f.; KBA II/9, 30f.).

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ins Feld geführten Sprach-„Truppen“ erforderlich wird.112 Man kann der Rede nur eine Chance geben, indem sie redend, grundlos „dreist“ einen ‚Anfang setzend‘, ins Risiko gesetzt, in einen Zeit-Raum entlassen ist, in dem sie auf dem Spiel steht. Indem sie in dessen nicht-terminierter zeitlicher Erstreckung (mit der die „gehörige [aber unbestimmte] Zeit“ zur „Verfertigung“ anderswo gewonnen worden sein mag) den Zufällen preisgegeben ist, die sie enteignen wie sie Chancen geben. Beim Reden setzt, so Peter Schnyder, „ein Ich […] seine Rede unberechenbaren sprachlichen und außersprachlichen Zufälligkeiten aus […], um gerade über solche kontingenten Umstände zu neuer Erkenntnis geführt zu werden“;113 aber auch dieses „um“ (zu) steht infrage; das Kalkül mit dem Zufall114 unterböte die Zufälligkeit des Zufalls.115 Schon mal, grundlos, (zu-reden) Anfangen setzt Reden ins Risiko: ohne Wissen, wie die Würfel gefallen sein (und gelten) werden, und aus an eine nicht terminierte erregende Zeit (des Fortredens) als an den Zeit-Raum der Kontingenz des Glückens.116

112 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 535f., 539f.: es sei „um so unerläßlicher, daß uns die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand sei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von uns geben können, wenigstens so schnell, als möglich, auf einander folgen zu lassen“ (539); die ‚Geschwindigkeit‘ mit der redend „mehr Truppen“ „ins Feld“ zu führen seien, müßte also die verpasste Gleichzeitigkeit einholen; als sprachliche stammen sie nicht aus einem gegebenen Vorrat, sondern erzeugen beim Reden (sich) selber unkontrollierbar fort. Dgg. findet sich die Metapher der Soldaten bei Jean Paul bez. des Wort-Witzes (der Silben wie diese ‚aushebe‘) nur als ‚in Stellung‘ Bringen (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 175; vgl. Freud, Der Witz, 21f.). 113 P. Schnyder, Art. „Zufall“, 381; vgl. J. Theisen, „Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel“, 741. 114 Vgl. Derrida, Falschgeld: Zeit geben I, 17, 147, 133ff., 22-26 (u.ö.). Das Kalkül mit dem Zufall setzt die Bändigung, die Rahmung des Zufalls voraus, wie im Glücksspiel, um ihn berechenbar zu machen (s. Kap. I.5). Peters zufolge müsse es sich „als solches verbergen, um zu funktionieren. Wird es als Kalkül sichtbar, tendiert die Bedrohung, die in der Auslieferung des Subjekts an das Andere (z.B. der Natur) liegt, das Risiko (der Zwecklosigkeit), das in der Zweckfreiheit eingegangen wird, notwendigerweise gegen null“ („Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 10f.; vgl. dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 44-48, 140-47). 115 Bez. der Zufälle, die geschehen lassen, Zu-Fall und das Wort „Zufall“ (insb. in Kleists „Das Erdbeben von Chili“), vgl. Hamacher, „Das Beben der Darstellung“; und in Kleists „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“, vgl. Campe, Spiel der Wahrscheinlichkeit, 418-38; Hamacher, „Über einige Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“; Schuller, „Anekdote“, 7f. Zur Frage, ob/wie die Kunst, jenseits des Kalküls, dem Zufall Raum geben kann, vgl. Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“, 404-07; Balke, „Den Zufall denken“. 116 Derart wird der Kairos, der zu ‚ergreifen‘ ist, kenntlich als nachträglicher metaleptischer Effekt; zum Kairos (Kleists) vgl. Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 22-30; Campe, „Verfahren“, 13f.; „jeder dieser Momente [kann] auch einer neuen narrativen Kohärenz stattgeben“ (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 143).

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Beim Reden, bei dem, so Campe, „etwas Anderes zur gleichen Zeit geschieht“,117 ziehe sich „[d]as Paradox des Hysteron-Proteron, das rhetorisch und strategisch mit der Überkreuzung von Zeit und Ziel spielt“, „in die komplexere, temporale und finale Figur der unvermeidlichen Alterität zusammen“.118 Das Geschehen, das auch „Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft“ heißt,119 hat statt nicht unter der Regie und der Kontrolle von selbstbewussten ‚Herrn‘ über ‚ihre‘ Gedanken, sondern, wie der Redende allenfalls nachträglich erfährt, beim Reden (über das keiner bewußt verfügt), anderswo, ohne dass das ‚bewußte ich‘ dabei wäre und davon wüßte. ‚Es denkt‘, im Bruch mit den gegebenen symbolischen Ordnungen;120 „nicht w i r wissen, es ist allererst ein gewisser Z u s t a n d unserer, welcher weiß“,121 wobei dieser „ein gewisser Z u s t a n d “ keine stasis, sondern einer der Erregungen, jeweiliger elektrischer Ladungen und deren ‚Mitteilungen‘ ist.122 Das „Erstaunen“, mit dem der Redende findet, „daß die Erkenntnis […] mit der Periode [des Satzes und seiner Zeit] fertig ist“, markiert die Nicht-Identität des Sprechenden, der im Resultat ‚seiner‘ Rede den „Gedanken“ als anderen: anderswoher antrifft. Daher lässt sich der „Gedanke“, der diesem mit dem zuende gebrachten Satz, nachträglich „zu meinem Erstaunen“ „fertig“ gegeben sein wird, in Analogie zum Witz nach Freud auffassen: als ein „ungewollte[r] Einfall“ von anderswo her (wovon ‚wir‘ nicht wissen), der dem ‚bewußten ich‘ nachträglich ‚fertig‘, ‚vollständig eingekleidet‘, ‚auftritt‘.123 Wird dem Redenden der „Gedanke“ 117 Campe, „Verfahren“, 10; das „Starten[] (des einen) als ein (mit dem andern) SchonAngefangen-Haben“ vollzieht sich „in paradoxer Gleichzeitigkeit des Einen mit seinem Anderen“ (10); die Gleichzeitigkeit, die Kleist als die des Laufs zweier Räder: Denken und Reden, an einer Achse fasst (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 538), ist eine nachträgliche. 118 Campe, „Verfahren“, 10. 119 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536; ebenso heißt es vom „Gemüth“, es „prägt“ „zur völligen Deutlichkeit aus“ (ebd., KBA II/9, 27f.). 120 Vgl. Barthes, Die Vorbereitung des Romans, 327. 121 Durch Sperrung markiert in Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31. 122 „Erregung des Gemüts“, ein „gewisser Zustand unser“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 535f., 537, 540). „[D]er Witz […] tritt […] unerwartet und plötzlich auf, als […] ein Blitz aus der unbewußten Welt“, so F. Schlegel (KFSA XII, 393; vgl. Jean Paul, Levana, SW I.5, 843), auch wenn die Entladung (durch den Blitzableiter) oder im Experiment ‚verkleinert‘ ist: Fürs „Gesetz“ der ‚Mitteilung‘ ‚entgegengesetzter‘ elektrischer Ladungen im Funken führt Kleist mit der Leidener Flasche ein gern in Gesellschaft vorgeführtes Ent-/ Ladungsexperiment, an (DKV III, 537). Mit dieser, einem Kondensator, sei nicht so sehr die explosive Entladung, sondern der „aufrecht erhaltene[] Unterschied der Ladungen“, damit „die Möglichkeit, dass es einen Funkenschlag geben kann“, betont: „die Potentialität dieses plötzlichen Ereignisses“ (Campe „Verfahren“, 20). 123 Freud, Der Witz, 157, vgl. 155. So weiß das ‚bewusste ich‘ von der Witzbildung erst nachträglich, zu spät, als von einem „ungewollten Einfall“ (aus dem „System des Unbewußten“,

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nachträglich gegeben sein, so war es nicht ‚seiner‘, auch wenn er es glückend werden mag. Der Redende sage, so Weidmann, „genau das was er sagen will, wobei er allerdings, was er sagen will, erst von sich erfährt, indem er es schon sagt“.124 Wenn der Gedanke „beim Reden“ verfertigt wird, so wird er verfertigt worden sein (oder auch nicht), dann wird er redend „es schon sag[en]“ und wird eben dies: „es“ gar nicht sagen können, vielmehr nur gesagt haben können,125 so dass er „es“, „was er sagen will“, „erst erfährt“, wo das „sich“ (dem es gesagt wird) nicht es selbst geblieben sein wird: an die Alterität und Äußerlichkeit der Sprache dran- und ausgegeben, wie jede Rede, die etwas sagen will. Da die (Bedingung der) Möglichkeit eines Glückens der Rede die Preisgabe ans andere der ihr vorausgehenden Reden: Floskeln, Vorlagen und Beispiele oder auch unartikulierter Laute, ist, wird sie als Reden in der Sprache, die von anderen (her) kommt, in dem immer anderes und andere (mit-)sprechen, nicht Glücken ‚ihrer selbst‘ (was auch immer das wäre) sein können. Dreist einen-Anfang-Setzen setzt auf die nachträgliche metaleptische Gegebenheit des ‚Grundes‘, der derart nicht er selbst ist. Was sich ausnimmt wie Intentionalität und Gemeintes ist eine nachträgliche Zuschreibung durch den Redenden oder den Erzählenden;126 das Redesubjekt ‚ist‘ „Parasit“ des Redens.127 Glücken wird allein, so stellt „Über die allmählige Verfertigung“ vor, durchs ‚schon mal einen Anfang machen‘ ermöglicht, das „dreist“ „auf gutes Glück“ setzt, als ein Sich-Aussetzen des Redesubjekts an Kontingenz, Äußerlichkeit, Andersheit, an die Zu-Fälle der „Umstände“, unter denen geredet wird,128 wo die Witzarbeit statthat) (164), zu spät, weil schon gelacht wird (vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87). 124 Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 14 (Hvhg. BM): „Auch ohne den Grund zum Reden zu haben, den er allerdings braucht, kann er einmal zu reden anfangen, denn er kann den Grund im allerletzten Moment, redend nämlich nachholen.“ (ebd.). Wenn Weidmann vorschlägt, dass „Etwas haben und dasselbe zugleich nicht haben – […] als Prozeß zu denken“ sei (ebd.), so ist dieser kein linearer, ist die Paradoxie in keine lineare Abfolge vorher-nachher aufzulösen (so aber etwa Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 135). 125 D.h., so auch Weidmann: „Allerdings: alles, was ein so Redender sagt, hat er gar nicht sagen wollen; – und doch hat er, wenn das Unternehmen glückt, genau das sagen wollen, was er gesagt hat. Was es war, das hätte er anfangs freilich noch nicht sagen können (– doch, er hat es sagen können!), erst am Schluß weiß er es, da es ihm inzwischen gesagt worden ist: durch seinen eigenen Mund“ (Kleist – Glück und Aufbegehren, 14). 126 „Derjenige, der allmähliche Gedanken beim Reden verfertigt, kann bei Gelegenheit derjenige werden, der vorher schon wußte, plante, vorhatte. Ebenso kann er derjenige werden, der noch nie wußte, plante.“ (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 143). 127 Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 118, 120. 128 Das ist die „Gefährdung“ des „erkennenden“ Subjekts, wie J. Theisen bemerkt („Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel“, 741), und es ist (nach Kleist) Bedingung der Möglichkeit des Gelingens des Erkennens.

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die als befürchtete vorgreifend abgewehrte Störungen an der „Verfertigung“ teilhaben, an die Zufälle des Redens. Setzen „auf gutes Glück“ ist (Sich-)Aussetzen an Ungewißheiten, ohne die es ein Glücken nicht gäbe, ein Verfertigen ohne Verfügungsmacht des Redenden im riskanten Aussetzen an Alterität als an Chancen. Muss der Redner „die Souveränität über seine Rede abgeben […] damit sich seine Rede überhaupt ereignen kann“,129 um (über den unterbrechenden Gewaltstreich hinweg) fortzusetzen und der ‚Verfertigung‘, unter den „Umständen“ der Anderen, Raum zu geben, so ist Gelingen, das als nachträgliches (Wieder)-Erkennen ‚sich finde‘, so grundlos wie es als ein potentielles, kontingentes Glücken ungewiß bleibt. Ausnahme-Fälle – Paradoxien des (politischen) performative Das zeigt sich gerade in den politischen Fällen, die hier wiederaufzugreifen sind: der „‚Donnerkeil‘ des Mirabeau“, der nicht nur einen mit dem „Pathos des Plötzlichen“ versehenen „radikale[n] Bruch mit dem Andauernden“ vollzieht, wie Campe bereits zitiert wurde, sondern Reden in den Ausnahmezustand setzt,130 in dem redend die „Fortsetzung über die Grundlosigkeit“ gefunden werden muss131 und fortfahrend in Kleists Erzählen findet (das ins Präsens fällt, in die fiktive Gegenwart des Textes zitiert), und das fortsetzende „Beispiel“132 des Fuchses, der, um der eigenen Haut willen, redend das Königsopfer abwendet, in dem sich das „Verfahren“, so Campe weiter, mit dem „Zynismus des bloß Anschlußfähigen“ zeige.133 Die beiden Beispiele sind aber, so Campe, auch anders aufeinander bezogen denn (nur) als die von ‚großer Geschichte der Revolution‘ und ‚trickreicher Geschichte der Erhaltung des status quo‘. Denn im zweiten Beispiel ‚dankt‘ der König momentan zugunsten des Verfahrens ‚ab‘, das er in Gang setzt, indem er „seinen Körper für einen strategischen Moment“ ‚preisgibt‘, „gleichzeitig [aber] ein Risiko für jederman ins Spiel bringt“.134 Das ist die „Noth“, in der der Fuchs einen „Anfang“ hinsetzt, 129 Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 235. 130 Der „Notzustand des Redeanfangs“ koinzidiert in diesem Falle (wie im folgenden) mit „einem staatsrechtlichen Notstand“ (Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 235, vgl. 234f.; Agamben, Ausnahmezustand, 18f., u.ö.); „die Situation, die im Ausnahmezustand geschaffen wird,“ so Agamben, ist „eine paradoxe Schwelle der Ununterschiedenheit“ zwischen Faktischem und Rechtlichem, die die ‚Entscheidung über den Ausnahmezustand‘ einnimmt (Homo sacer, 28-32). 131 Campe, „Verfahren“, 18. Das weist Campe als Kleists „Verfahren der Peripetie“ aus: das grundlos und ohne gegebene Regel einsetzt, das als „Fortsetzung“ fortwährend den „Abgrund“ seiner Grundlosigkeit anzeigt (18f.). 132 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537, KBA II/9, 29. 133 Campe, „Verfahren“, 18f. 134 Campe, „Verfahren“, 17. Giuriato zufolge koinzidiere hier „[d]er thematisierte Notzustand des Redeanfangs“ „mit dem Sturz des alten Souveräns, also mit einem staatsrechtlichen

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um redend jenes Opfer, das dem König zufolge „fallen müsse“, auszumachen,135 denjenigen, an den das Risiko, das unentschieden umläuft und jeden treffen kann, geheftet werden kann, um es mit diesem zu tilgen.136 Auch in diesem Falle handelt es sich (wohl) um ein Gelingen der Rede,137 in dem ja keineswegs, wie Kowalik vermuten will, Macht mit Wahrheit übereinkommt.138 Auch der Akt eines Anfang-Setzens, der „‚Donnerkeil‘ des Mirabeau“ heißt, ist grundloses (sich) Aussetzen „auf gut Glück“, das auf Anschlußfähigkeiten (und seien es ‚bloß Wiederholungen‘, die das Reden fortsetzen) im Reden setzt, um dem (Anfang) ein „Ende“ gefunden zu haben, das anfänglich den Lesenden als die

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Notstand“ („Kleists Poetik der Ausnahme“, 235). Im Verfahren, so Campe, verfliegt „der Gegensatz zwischen Pathos des Plötzlichen und der Ruptur einerseits und dem Zynismus des bloß Anschlußfähigen andererseits“, denn die „Kohäsionsleistungen“ der Verfahren zeigen „unverwandt auf den Abgrund ihrer Grundlosigkeit“ (18f.). Das vollzieht sich (erneut) über den Beizug der anderen Sprache: „‚Was ist es, ein Schaf erwürgen? Oder einen Hund, diese nichtswürdige Bestie? Und: quant au berger,‘ fährt er fort, denn dies ist der Hauptpunkt: ‚on peut dire;‘ obschon er noch nicht weiß was? ‚qu’il méritoit tout mal;‘ auf gut Glück; und somit ist er verwickelt; ‚étant‘; eine schlechte Phrase, die ihm aber Zeit verschafft: ‚de ces gens là,‘ und nun erst findet er den Gedanken, der ihn aus der Not reißt: ‚qui sur les animaux se font un chimérique empire.‘ – Und jetzt beweist er, daß der Esel […] das zweckmäßigste Opfer sei, worauf Alle über ihn herfallen und ihn zerreißen.“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 30 (mit typographischer Differenz des Franz.); vgl. die in Stücken wörtlich zitierte Rede Renards in La Fontaines „Les animaux malades de la peste“, Fables (frz./dtsch.), Bd.  7, 464, l. l.34-43; vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 151, 153ff.; Campe, „Verfahren“, 16). Die „Charade“ „Der Jüngling an das Mädchen“: „Zwei kurze Laute sage mir;/ Doch einzeln nicht – so spricht ein Thier“ (Berliner Abendblätter, 57. Bl. 5. 12. 1810, BA I, 296), wird „im folgenden Blatt“ (BA I, 300) mit „einem zum Wort modulierten Eselsschrei“ („Eine Bombenpost“, 160) und damit dieser: „ia“, Ja enträtselt. Die „Pest der Souveränität“, die alle unterschiedslos bedroht, wird (wie das üblich ist) abgeschieden im Sündenbock, mit dem sie getilgt wird (vgl. Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 162f.). Auch in „Les Animaux Malades de la Peste“ geschieht das umstandslos: ohne instituiertes performative; das als „judgements“, nur im Zusatz, der das ‚Allgemeine‘ angeben müßte, angesprochene Urteil wurde in die Tötung übersprungen (La Fontaine, Fables (frz./ dtsch.), Bd. 7, 466); in Kleists Wiedererzählung ist bloß „das zweckmäßigste Opfer“ ausgemacht, „worauf Alle über ihn herfallen und ihn zerreißen“ („Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 30). Die für die Rede des Fuchses angegebene Gleichzeitigkeit („Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen neben einander fort, und die Gemütsakten für eins und das andere, kongruieren. Die Sprache ist alsdann […] wie ein zweites, mit ihm [dem „Rade des Geistes“] parallel fortlaufendes Rad an seiner Achse.“ (30)), ist jedoch erst und prekär nachträglich gegeben. Kowalik, „Kleist’s Essay on Rhetoric“, 442. Die von La Fontaine annoncierte „Le Pouvoir des fables“ kennzeichnet Gelley als „a double power“: „to sway an audience and to argue a cause“ („The Pragmatics of Exemplary Narrative“, 149, 146ff, 151f.); diese fallen hier zusammen.

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„Bajonette“ avisiert wurde, mit denen Mirabeau aber (nur) insofern ‚endet‘, als „wir“ allein deren „Gewalt“, deren Berechtigung bestritten ist, weichen würden.139 Beide Beispielerzählungen sind aussagekräftig hinsichtlich des, nach Aristoteles von Agamben herausgestellten, Ausnahme-Charakters des Beispiels (als solchen),140 das her-ausgenommen, „sich daneben“ und neben sich, auf andere Fälle zeigt, derart das paradigma (und die Regel, der es vermeintlich folgt) allererst generiert;141 mit diesen Beispielen würde – wenn etwas – der „Ausnahmezustand“ des Redens exemplarisch,142 die ‚Ausnahme‘, die die ‚Grundlosigkeit‘ des redenden ‚Verfahrens‘ je macht. Während einem notorischen polittheoretischen Diktum zufolge über den Ausnahmezustand der Souverän entscheide, der sich damit als solcher behauptet,143 wird der Ausnahmezustand des Redens (in der „Noth“ des ‚hingesetzten‘ Anfangs) durch des Redners Abgabe der „Souveränität über seine Rede“144 zum indefiniten Zeitraum bloßen Redens, der die Chance (des Glückens) gibt (oder auch 139 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28f. 140 Aristoteles, Rhetorik I.2,19 (1357b), (1993, 18f.). Das paradigma wird in der Überkreuzung von Herausstellen und Zugehörigkeit konstituiert (Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 22f., vgl. 25-29). Exemplum ist, von eximere: das Herausgenommene, auf die Ausnahme bezogen (s. Kap. IV.1); es ist, so Agamben, „die symmetrische Umkehrung der Ausnahme“ (29) als „ausschließende Einschließung“ „eines Einzelfalls in eine Regel“, der als Exempel „im selben Moment, da es diese [„seine Zugehörigkeit zu einer Klasse“] zur Schau stellt, als exemplarischer Fall aus ihr heraus“fällt. Die Ausnahme steht als „einschließende Ausschließung“ (das Ausgeschlossene der Norm und deren Gewalt unterwerfend) „in einer symmetrischen Position zum Beispiel und bildet ein System [einen Chiasmos] mit ihm“. Exempel und Ausnahme seien „letztlich unentscheidbar“ (Homo sacer, 31f., 27-32; Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 228ff., 234f., 239). 141 „Ein Paradigma ist nie schon gegeben, es muß generiert […] werden“ (Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 28): „wenn ein Element seine Zugehörigkeit zu seinem Ensemble aussetzt und zugleich exhibiert“ (35ff.; vgl. 22). „Es ist die Präsentation des paradigmatischen Falls allein, die eine Regel konstituiert“, „die als solche weder angewendet noch angegeben werden kann“ (26). 142 Giuriato zufolge wäre das der „Ausnahmezustand“ der Moderne, in dem die „Ausnahme exemplarischen Rang“ habe („Kleists Poetik der Ausnahme“, 228ff.); vgl. Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 25. 143 „Die souveräne Ausnahme“ schafft und bestimmt den Raum selbst, „in dem die juridischpolitische Ordnung überhaupt gelten kann“, indem sie „im Ausnahmezustand“ eine Situation zwischen Faktischem und Rechtlichem, der Ununterschiedenheit schafft, so Agamben, hinsichtlich Carl Schmitts: Die Entscheidung über den Ausnahmezustand ist „vor allem ‚Einnahme des Außen‘“ (Homo sacer, 28f., vgl. 31-35), „der Versuch, die Ausnahme in die Rechtsordnung selbst einzuschließen“ (ders., Ausnahmezustand, 35). Bei C. Schmitt „the singularity of the exception is valued only insofar as it can be subsumed under and identified with the self-identity of a souvereign individual“ (S. Weber, Singularity, 5). 144 Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 235 u. 238f.

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nicht). Der vom Text als Einfall (in ihn) inszenierte Einfall Mirabeaus setzt, um „dem Anfang nun auch ein Ende zu finden“, fort: sich aussetzend ans sich selbst ausdehnende Fortreden, an „Umstände“ nichts sagender unwillkürlicher Gesten des anderen, die als (mögliche) Anzeichen drohender Unterbrechung zu „Energiespender[n]“ redend vorgreifenden Fortredens werden (mögen).145 Was nachträglich ein historisches Ereignis, der „Umsturz der Ordnung der Dinge“, geworden sein wird, wird als kontingentes ausgewiesen: „Vielleicht, daß es auf diese Art zuletzt das Zucken einer Oberlippe war, oder ein zweideutiges Spiel an der Manschette, was in Frankreich den Umsturz der Ordnung der Dinge bewirkte.“146 Die Entscheidung über Ge-/Misslingen fällt nachträglich als nachträgliche Lesart eines unbekannten Geschehens beim Reden (der durch die Umstände sich steigernden „Erregungen“) bis zum „völligen Geistesbankerot“ des Gegen(über)s und zur ‚Entladenheit‘ des „nun wieder neutral geworden[en]“ Mirabeau.147 Er „gab von der Verwegenheit zurückgekehrt, plötzlich dem Chatelet, und der Vorsicht, Raum“, wird die Begründung eines anderen Übergangs nachgeschoben: Man liest, daß Mirabeau, sobald der Zeremonienmeister sich entfernt hatte, aufstand, und vorschlug: 1)  sich sogleich als Nationalversammlung, und 2)  als unverletztlich zu konstituieren.148

Der „Umsturz der Ordnung der Dinge“, der sich vollzogen haben soll, wird zu ‚etwas‘ erst durch den Konstitutions-Akt eines ‚neuen‘ politischen Subjekts, durch Macht-Einsetzung geworden sein. Der Abstand, der mit der Instituierung zum Ereignis ‚beim Reden‘ genommen wird, ist markiert, u.a. mit der histo­ rischen Distanz, aus der zu lesen ist. Das Ereignis eines revolutionären Neuen (das sich nicht auf Wissen und Willen gründen kann, immer das nicht Bekannte ‚meinen‘ muß) vollzieht 145 Vgl. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 109. 146 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 29. 147 Dies sei mit einem „ähnlichen Gesetz“, im Befund „merkwürdige[r] Übereinstimmung zwischen Erscheinungen der physischen und moralischen Welt“ erklärt (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537; KBA II/9, 29; man solle „niemals moralische und physische Revolutionen […] zu nahe ananeinander stellen“, so Jean Paul, inbezug auf den „Zickzack“ des veränderlichen Menschen (Hesperus, SW I.1, 810)). Die Fraglichkeit einer solchen Übertragung erweist Kleists eine solche aus der Elektrophysik unvermittelt in Anspruch nehmender „Allerneuester Erziehungsplan“ (BA I, 128f.). Das ‚Übereinstimmende‘ stammt, so Campe, mit dem Beispiel Leidener Flasche, „nicht aus der Natur“, sondern aus dem „Gebiet der experimentalierten Natur“ („Verfahren“, 19f.); diese ‚betone‘ zudem „den aufrechterhaltenen Unterschied der Ladungen“, damit „die Potentialität dieses plötzlichen Ereignisses“ (eines „Funkenschlags“) (20). 148 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537; KBA II/9, 29.

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(jedenfalls) einen Bruch, eine Unterbrechung mit dem/im ‚Andauernden‘. Als ein Akt ohne Autorisierung wird (allenfalls) nachträglich, so erzählt Kleist, ‚etwas‘ konstitutiert worden sein, wie damit auch, was (vorgängig) den grundlosen Akt des Einsatzes tragen müßte: das „wir“, das als ein neues im Fortreden: stolpernd und wiederholend ‚verfertigt‘ worden sein müßte,149 das umbesetzend in Anspruch genommen wird: „Wir sind die Repräsentanten der Nation“,150 wird erst im ungegründeten Sprechakt der Deklaration als „Nationalversammlung“ instituiert worden sein. Mit dieser Einsetzung ist die Be-Gründung des Redeeinsatzes, die „vor ihrem Gültigkeitsdatum“ in Anspruch genommen wurde,151 allein nachträglich, in unauflösbarer Paradoxie ‚gegeben‘ (und damit in sich gebrochen und gegen sich verschoben).152 Vergleichbar nimmt die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, wie Derrida liest, vorgreifend als „authority“ in Anspruch, was sie als „we, the good people“ erst deklariert, was diese Deklaration als politisches Subjekt, das handlungsmächtig ist, erst hervorbringt,153 während die Britischen Kolonien kein politisches Subjekt waren – so wenig wie die durch den französischen König einberufenen Generalstände. Wenn im einen und anderen Falle ein performative der Neu-Gründung gelang, so ist doch lesbar, dass und wie der Gründungs-Akt, (etwa) in der Declaration of Independence „is and ought to“, das vorausgehend Konstatierbare und das (dieses) erst hervorbringende Performativ, die einander widersprechen, aber

149 Die Frage („den Befehl des Königs vernommen“) zitiert-wiederholt die Antwort „‚wir haben des Königs Befehl vernommen‘“, „wiederholte er, ‚wir haben ihn vernommen‘“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28f.), in die die Positionen umbesetzende Deklaration: „Wir […] die Repräsentanten der Nation“, die „Befehle“ „giebt“ (29). 150 „Den Namen ‚wir, die Repräsentanten der Nation‘ als Peripetie und Fortsetzung an die Stelle des im Namen des Königs wiederholten Befehls setzen, das ist die Rhetorik der Zukunft und das, was in Zukunft von Rhetorik zu erwarten ist.“ (Campe, „Verfahren“, 15). 151 In Gründungserzählungen werden „Kategorien sozusagen vor ihrem Gültigkeitsdatum gebraucht, um die nachherige Verwendung derselben Kategorien zu rechtfertigen“ (Koschorke, „Zur Logik kultureller Gründungserzählungen“, 8). 152 In einer „wundersamen Rückkoppelung ans Ende“, so Derrida, „Unabhängigkeitserklä­ rungen“, 124; zur Paradoxie der Gründung(serzählung)en vgl. Koschorke, „Zur Logik kultureller Gründungserzählungen“, 7f.: Sie kennzeichnet eine „nicht aufzuholende[] Nachträglichkeit gegenüber dem Moment der Instituierung“ (9); „innerhalb der narrativen Ordnung [entsteht] eine zirkuläre Kausalität, die nicht mit herkömmlichen Syllogismen zu fassen ist: Die (historische) Ursache wirkt auf die (gegenwärtige) Folge, aber umgekehrt leitet sich aus der Folge eine rückwirkend veränderte Definition der Ursache ab.“ (10f.). 153 „Von Rechts wegen gab es keinen Unterzeichner vor dem Text der Erklärung, die also selbst Produzent und Garant ihrer eigenen Unterzeichnung ist.“ (Derrida, „Unabhängigkeitserklärungen“, 125, vgl. 123-26).

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unentscheidbar gleichzeitig in Anspruch nimmt.154 Einsetzung von Macht behauptet sich (allein), indem sie als ‚gelungene‘ Instituierung von Macht den Gewaltstreich, die gegenseitige Inanspruchnahme divergenter Temporalitäten im unauflösbaren Widerstreit verstellt, löscht. Über performatives wird die Entscheidung mit der über ihr Gelingen nachträglich getroffen worden sein. Der performative Akt wäre erst dort vollendet und als performative, das hervorgebracht haben wird, wovon es spricht, abgeschlossen, wo das Ereignis (des performative), der abrupte Akt und dessen Aktualität gelöscht ist in dem, was es nachträglich erfüllen und abschließen soll.155 Insofern es den Sprechakt ‚gibt‘, ist sein Ereignischarakter durchs Eingesetzte gelöscht – oder aber wäre die Einlösung durch ein Resultat unabsehbar aufgeschoben, ‚ist‘ er nicht. Damit ist fraglich, inwiefern es Gelingen (von welchem performative?) ‚gibt‘, und woran es – nachträglich – zu bemessen wäre. Aporie des Etwas Sagen – Vorgreifen, Zitieren Wenn „der Redner die Souveränität über seine Rede abgeben muss, damit sich seine Rede überhaupt ereignen kann“,156 so erhält er diese nicht als solche ‚zurück‘ – auch nicht nachträglich: retroaktiv, im metaleptischen Rückschluß auf eine ‚Ursache‘ des Effekts. Die Unterstellung eines im Werk souverän ‚sich‘ zur Welt bringenden Autors dementiert „Über die allmählige Verfertigung“ u.a. mit dem Szenario eines vorweg, im Anfang scheiternden Rede-Einsatzes: Man sieht oft in einer Gesellschaft […], Leute, die sich, weil sie sich der Sprache nicht mächtig fühlen, sonst in der Regel zurückgezogen halten, plötzlich mit einer zuckenden Bewegung, aufflammen, die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches zur Welt bringen. Ja, sie scheinen, wenn sie nun die Aufmerksamkeit aller auf sich gelenkt haben, durch ein verlegenes Gebärdenspiel anzudeuten, daß sie selbst nicht mehr recht wissen, was sie haben sagen wollen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Leute etwas recht Treffendes, und sehr deutlich, gedacht haben. Aber der plötzliche Geschäftswechsel, der Übergang ihres Geistes vom Denken zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben, die zur Festhaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen erforderlich war, wieder nieder.157

154 Vgl. Derrida, „Unabhängigkeitserklärungen“, 124-26: „alles muß sich in einem simulakrum des Augenblicks konzentrieren“ (125). Dieses zeigt sich als Paradox der ‚Unterzeichner‘ der Deklaration, die (es nicht gibt, die) sich selbst erfinden: durch einen „Kredit von sich selber an sich selber“ (124f.). 155 Das ist die Antinomie von Ereignis und Performativität, Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122, 136. 156 Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 235; vgl. 238f. 157 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 539; KBA II/9, 30.

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Wo die Rede einen vermeintlich „deutlich“ vorliegenden Gedanken, ein Gemeintes in Rede überführen will, muß der „Geschäftswechsel“,158 die Überführung zu „seiner bloßen Ausdrückung“ misslingen, „spannt“ das schon-Fertigsein den „Geist“, „von seiner Erregung ab“159 und schlägt (auch) „die ganze Erregung“, mit der der „Gedanke“ festgehalten werden müsste, „nieder“.160 Zwischen vorher-gewußt-Haben und nicht-Wissen kann daher gar nicht unter-, nicht entschieden werden, und zwar gerade nicht pragmatisch (von der Wirkung her), denn der Effekt mag, wie in der Prüfungssituation, derselbe sein.161 Die Befragten „sieht man […] stocken“, „wo diese Vorbereitung des Gemüts gänzlich fehlt“, das war keineswegs die der Prüfungsinhalte, sondern „eine gewisse Erregung des Gemüts“, dadurch, dass man sich (von diesen: „vom Staat, oder vom Eigenthum“) „schon eine Zeitlang unterhalten hätte“,162 so dass Reden vor sich zurückgriffe auf ein interminiert (immer schon) fortlaufendes, nicht finalisiertes Reden, was die Situation des Examens – zeitlich und räumlich gerahmt, Sprecherpositionen regulierend zuweisend – ausschließt.163 – Die zitierte Szene ist, auch wenn man das Stocken ums Stammeln oder Stottern ergänzt, keineswegs (bloß) biographisch hinsichtlich Kleists aufzufassen,164

158 Diesen unterstreicht Tscholl, Krumme Geschäfte, 10; zum „Geschäft des Schreibens“, 119-22. 159 „[W]enn der Geist schon, vor aller Rede, mit dem Gedanken fertig ist“, hat der Übergang zu „seiner bloßen Ausdrückung“: „dies Geschäft“, „weit entfernt ihn zu erregen, […] vielmehr keine andere Wirkung, als ihn von seiner Erregung abzuspannen.“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 30). 160 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 30. Bei Montaigne findet sich: „bei mir bewirkt schon die Tatsache, im voraus an meine Worte gebunden zu sein, daß sie mir entfallen“ („Über die Eitelkeit“, Essais III.9, 484, vgl. Beispiel 483). 161 Vgl. Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31f. 162 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31; W.  Kittler zufolge handle es sich um „Können“ statt „positive[m] Wissen“ (Geburt des Partisanen, 325ff.). Auch „in einer Gesellschaft“ sei „durch ein lebhaftes Gespräch, eine kontinuierliche Befruchtung der Gemüter mit Ideen im Werk“, von dem aber „Leute, die […] sich der Sprache nicht mächtig fühlen“, sich „zurückgezogen halten“ (KBA II/9, 30); vgl.: „Der witzige Tischgesellschafter./ Treffend, durchgängig ein Blitz, voll Scharfsinn/ sind seine Repliken:/ Wo? An der Tafel? Vergib! Wenn er’s zu Hause bedenkt./ xp“ (Berliner Abendblätter, 21. Bl. 24. Okt. 1810, BA I, 111). 163 In der Prüfungssituation ist der „Schein“ des „Wissen-Wollen[s]“ kennzeichnend: „Es sind natürlich keine ‚echten‘ Fragen“ (beispielhaft „Staat“ und „Eigentum“ geltend, das dieser sichert) (Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 63f., vgl. 62-65, 88f.); das Prüfungsverhör hat theatrale Züge (vgl. 64-100), auf dieser Bühne müssen auch die Prüfer sich darstellen (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31f.). 164 Neumann, „Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 16, 18, 21. Der Hinweis auf Kleists Leben findet sich vielfach, auf seine Verlegenheit in Gesellschaft (Kleists

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sondern als ein systematisches Argument bezüglich des, so Neumann, „mit einem ursprünglichen Schaden […] behaftete[n] Anfang[s]“,165 zu lesen. Reden als ‚etwas‘-Meinen ist als Aporie kenntlich zu machen; es ist unauflösbar zugleich angewiesen auf’s einander widerstreitende: die Ruptur, die Aktualität des grundlosen Ereignisses und des, jedes etwas, das fortredend gesagt, das als nachträglich ver‚fertig‘tes, eingesetztes ‚etwas‘ „Gedanke“ oder „Nationalversammlung“ geheißen werden mag. Die Kraft, die sich in ihren Effekten bezeugt, ist nicht mit dem Vermögen, diese im Hervorgebrachten einzuholen, übereinzubringen; sie kann aktuell unterbrechend, ‚dreist‘ ‚nur‘ „auf gut Glück“ setzen, sich (und den ‚gesetzen‘ Anfang) nur ans Glück aussetzen. Das ‚etwas‘-Sagen-Wollen ist als solches, so hat de Man in einer Vielzahl von Lektüren gezeigt, befangen im double-bind von Sagen und Meinen, von Akt und Figur, Setzung und Einsetzung, „dreist“ Anfangen und vollendend ‚zur Welt bringen‘. Das Ich, das spricht und etwas meine, das sich sprechend als Instanz der Rede: vor ihrem Einsatz, (voraus-)setzt, kann sich, so de Man mit Hegel, ‚selbst‘ (schon) nicht meinen: ‚ich‘, je, setzt die (bloße) grammatische leere Instanz der Rede als mit jeder prädikativen Bestimmung seiner ‚selbst‘ (moi) unverträgliche.166 Das (leere) ‚ich‘ der Rede ( je), ‚jetzt‘ und ‚hier‘, muss sich aber, insofern es spricht, je schon in die Sprachordnung ‚eingeschrieben‘ haben und als irgendwas bestimmtes prädizieren (moi), nicht ‚es selbst‘,167 sich als sprechendes ‚ich‘ auslöschend, tilgend.168 Einerseits ist die Kraft zu setzen

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Briefe an Ulrike, 12.11.1799 u. 5.2.1801, vgl. Komm. DKV III, 1123; Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 94ff.; Moering, Witz und Ironie, 79f. u.v.a.). So Neumann für Kleists Texte, „Das Stocken der Sprache und das Straucheln des Körpers“, 13, 22; was sich im selbst konzentriert, multipliziert und dispergiert sich umgehend: „stuttering“, „stammering“ (Szendy, Stigmatology, 9, 68, 49). Die aporetische Relation von je und moi entwickeln bez. des autobiographischen Schreibens Barthes (Roland Barthes par Roland Barthes, 170), de Man („Sign and Symbol in Hegel’s Aesthetics“, 767f./„Zeichen und Symbol in Hegels Ästhtetik“, 48f.; „Autobiography as De-Facement“, 69ff., 80f./„Autobiographie als Maskenspiel“, 134ff., 144f.), Derrida (Wie nicht sprechen, 56); vgl. B. Menke, Prosopopoiia, 179-82. Vgl. in Kap. III.2. Hegel: „Ebenso [nach den deiktischen shiftern ‚hier‘ und ‚jetzt‘] wenn ich sage: ‚Ich‘, meine ich Mich als diesen alle anderen Ausschließenden; aber was ich sage, Ich, ist eben jeder“ (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830, Werke Bd. 8, § 20, 74); vgl. de Man, „Sign and Symbol in Hegel’s Aesthetics“, 768, 767-70. So entspricht in der Rede des ich, das „die gegenwärtige Diskursinstanz, die ich enthält, aussagt“, „der Aussageakt nicht dem, was gesagt wird, sondern der bloßen Tatsache, daß es gesagt wird, als dem – […] vergänglichen – sprachlichen Ereignis als solchem“ (Benveniste/Agamben, zit. nach Plath, Hier und anderswo, 287). Vgl. zu den deiktischen shiftern in Kap. IV.2. „[D]ie Setzung des Ich, als der Bedingung des Gedankens, [bedingt] seine Auslöschung“, so de Man, nach Hegel, da sie jede „Beziehung, sei sie logischer oder anderer Art,“ ‚auflöst

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durch ihre Figuration oder Darstellung, durch die nachträgliche Konstitution an deren Stelle verstellt, blockiert, anderseits ist diese Figuration unvermeidlich; denn erst im nachträglichen metaleptischen Effekt wird ein Autor der Rede eingesetzt worden sein, indem er sich im vollendeten Werk als der Souverän des Anfangs, der seine Vollendung bereits einschließe, spiegelt;169 schon ‚im Anfang‘ ist die ‚souveräne Schöpfung‘ mit sich im Widerstreit.170 Der Akt sprachlichen Setzens „is unconnected and abrupt. This means: it does not signify“,171 ist nichts (Bestimmtes) oder wäre durch die Einsetzung von etwas, worin er sich darstellt und vollende, aufgelöst oder vielmehr in sich blockiert. Zum einen ‚gibt es‘, „an und für sich allein betrachtet“, so de Man, den „einzigen und daher gewaltsamen Machtakt, […] der setzenden Macht der Sprache“ nicht;172 „nur in der Retrospektive“, so de Man, wird retroaktiv aus dem „gewaltsamen“ Akt173 – wie dem „‚Donnerkeil‘ des Mirabeau“ – eine „setzende Macht“, die die grundlose ‚Ruptur‘ (anfangs) durch den Akt des Ein-Setzens von etwas figuriert und vergessen macht – wie der „Umsturz der Ordnung der Dinge“ instituiert, als Umsturz aber überschrieben wurde. So ist der Akt des Setzens, insofern es ihn ‚gibt‘, er sich in etwas (Bestimmtem) darstellt: unvermeidlich auch ‚etwas‘ gesagt wird, zum andern zugleich eingeschrieben ins ‚System der Sprache, der Zeichen, Wiederholungen und Übertragungen‘, der kontingente Akt, das Ereignis und seine Kraft derart gelöscht oder verstellt durch das, was ihn darstellt.174 In begrifflicher Strenge spricht de Man daher von der Aporie jeder ‚Rede von etwas‘, weil der Akt des Setzens und jede inhaltliche Bestimmung, in der ein Anfang ‚von etwas‘ erst gegeben wäre, die Figur, in der dieser sich ‚vollenden‘ müsste und damit erst, retroaktiv, ein Anfang von etwas (anstelle der Ruptur) eingesetzt wäre, ebenso aufeinander angewiesen und tilgt‘ zwischen dem ‚ich‘, das spricht, „und dem, was es sagt, das es ist“ („Zeichen und Symbol in Hegels Ästhetik“, 48f.). 169 Vgl. Moser, „‚Dull Nothing replies‘“, 220, 233. 170 Das kann bereits für den Sprechakt „Fiat Lux“, Vorbild aller ‚Schöpfung‘ und Paradigma des primordialen Sprechakts, der sich rein in sich selbst begründet, der etwas aus nichts hervorbrächte, gezeigt werden, so de Man an Hegels Lektüre anschließend („Hegel über das Erhabene“, 69ff.). 171 H.-J. Frey, „Undecidability“, 131. „Wie kann ein Akt des Setzens, der mit nichts in Beziehung steht, was vorher oder nachher kommt, in eine narrative Sequenz eingeschrieben sein? […] Dies kann nur der Fall sein, weil wir unsererseits der sinnlosen Macht der setzenden Sprache die Autorität von Sinn und Bedeutung beilegen [impose]. Aber das ist völlig inkonsistent: Sprache setzt und Sprache bedeutet […], aber Sprache kann nicht Bedeutung setzen“ (de Man, „Shelleys Entstellung“, 171f./„Shelley Disfigured“, 117). 172 De Man, „Shelley Disfigured“, 115; vgl. ders., „Hegel über das Erhabene“, 75. 173 De Man, „Shelleys Entstellung“, 170f. 174 Vgl. Derrida, „Kraft und Bedeutung“, 47; sowie zur paradoxalen Antinomie von Ereignis und Performativität, ders., „Das Schreibmaschinenband“, 122, 136, 88, vgl. 93, 95, 98ff.

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sind, wie sie einander ausschließen.175 Daher sei, so de Mans Pointierung, völlig unverständlich, dass es so etwas wie das Sprechen ‚von etwas‘ überhaupt gebe, ist es doch in sich (in allem Anfang) paralysiert. Aber die „Erkenntnis“ dieser Paralyse ist, so de Man, immer (wieder) schon vergessen;176 und es wird dauernd geredet. Dieses Reden ist jedoch kein in sich (selbst) begründetes souveränes (das es nicht als solches gibt), sondern „Zitierung oder Wiederholung“,177 durch die allein das Ereignis (des Bruchs) sich darstellt, ‚erkennoder verstehbar‘ würde, zugleich aber die Rede ‚anfänglich‘ enteignet ist an die Reden aller möglicher anderer. Dies kann sich nur wiederholen und zwar stets erneut vergeblich: als die „stammelnden Repetitionen eines Anfangens, das sich nicht selbst begründen kann“, repetierend fortsetzt und wiederholend entleert,178 ein Stottern, das je wieder stockend auf sich zurückkommt, mit Deleuze, Sprache ‚im Werden‘ spräche.179 Kann die gegenseitige Paralyse von abruptem Akt und dessen Darstellung, in dem es diesen erst als etwas gäbe, in der Kleist’schen Szene des Mißglückens des Versuchs, ein (vermeinlich schon fertiges) Gemeintes in Rede zu überführen, erkannt werden,180 gehen die Fälle ‚gelingender‘ Rede darauf, der 175 Vgl. Chase, „Giving a Face to a Name“, 89. 176 De Man, „Zeichen und Symbol in Hegels Ästhetik“, 49. 177 Vgl. de Man, „Hegel über das Erhabene“, 75; ders., „Shelleys Entstellung“, 171f. Wiederholung sei „Urbild des Angangs von jeder Rede“, so Groddeck (Reden über Rhetorik, 126). „Wiederholung“ wurde aber „der Grenzwert, der unbedingt zu vermeiden ist“, wo um 1800 „der Text der Tradition“ jetzt „vom konstituierenden Subjekt aus entworfen“ wird (Fohrmann, „Subjektivität, Echo, Wissenschaft“, 137). 178 De Man, „Hegel über das Erhabene“, 75: „Wie bei einem Gestotter oder einer beschädigten Schallplatte wird hier das immer Wiederholte wert- und bedeutungslos“. Das „So! So! So! So!“ von Penthesileas redender Selbsttötung dementierte stotternd die (berufene) Kraft der Rede (Kleist, Penthesilea, KBA I/5, vs. 3034f.). 179 Es gelte, so Deleuze, zum „Stotterer der Sprache“ (langue) zu werden, stotternd eine „werdende Syntax“, „die fremde Sprache in der Sprache hervor“ zu bringen („Stotterte er …“, 145, 151ff.). „Wenn die Sprache […] zu stottern, murmeln, stammeln […] beginnt, rührt das Sprachliche […] an eine Grenze, die dessen Außen hervortreten lässt.“ (152). Das sei eine „neue Form der Redundanz. UND … UND … UND … Es hat in der Sprache immer einen Kampf zwischen dem Verb ‚être‘ und der Konjunktion ‚et‘ gegeben, zwischen est und et.“ (Deleuze/Guattari, Tausend Plateaus, 137). 180 „[D]er Übergang […] vom Denken zum Ausdrücken, schlug die ganze Erregung desselben, die zur Festhaltung des Gedankens notwendig, wie zum Hervorbringen erforderlich war, wieder nieder“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 539). In Fällen des „Übergang[s]“ „vom Denken zum Ausdrücken [sei so Kleist auch], um so unerläßlicher, daß uns die Sprache mit Leichtigkeit zur Hand sei, um dasjenige, was wir gleichzeitig gedacht haben, und doch nicht gleichzeitig von uns geben können, wenigstens so schnell, als möglich, auf einander folgen zu lassen“ (ebd.). Dann muss (oder müsste?) aber die Rede, das

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anfänglichen Paralyse zuvorzukommen. Wo das zu Reden-Anfangen über den Einsatz (von nicht etwas) nicht hinauskommen würde, stockend sich in sich verhakt, ohne je etwas gesagt zu haben, und daher gar nicht (etwas) angefangen haben könnte, hat das „dreist“ schon mal Ein-Setzen die Aporie des Anfangens (das kein Anfang von etwas und ohne Gewißheit ist, dass zum Anfang ein Ende, etwas Gemeintes nachgeholt sein wird) übersprungen, indem, grundlos vorgreifend,181 schon mal losgeredet und (irgendwie) fortgefahren wird. So lässt Kleists Text die „dreist“ anfangende Rede Mirabeaus der Paralyse im Anfang des Etwas-Sagens zuvorkommen: im Reden, das im Akt, der nichts weiß davon, wohin er will und was er anfange, bereits angefangen hat, sich ans Reden preisgebend, das über die Ruptur im Setzen eines Anfangs redend ‚fortsetzt‘, zitierend wiederholt, stotternd wiederholend, fort- und umschreibend.182 Die Aporie des Etwas-Sagens, von Setzung und Figuration, ist derart so wenig wie die unhaltbare Paradoxie der Vorgriffe und Nachreichungen, die ‚operational‘ gequert werden mag, in keinem Prozeß in der (linearen) Zeit gelöst,183 sondern, sie überspringend, vergessen. Auch wenn das Fort-Reden, das den grundlosen Anfang von nicht etwas überspringt, nachträglich als geglückt festgestellt wird, ist das sprechende Tun ein unhaltbar paradoxales. Das Erzählen lässt Mirabeaus Rede ‚gelingen‘, indem sie fortfahrend zur Etablierung der Instanz der Rede geführt haben wird, die als Umbesetzung des Wiederholten, Zitierten sich vollzieht, die nachgeschobene deklarative Akte, wie erzählt wird, gesichert haben sollen. Als Setzen „auf gut Glück“ ist der Einsatz des Redens von keiner nachträglichen Einsetzung regiert, wird es fortredend auch immer gar nichts oder alles mögliche geworden sein können. ist die „Dringlichkeit“ (Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 158), die doch bereits verpasste Gleichzeitigkeit von Reden und Denken (vgl. DKV III, 538) durch Geschwindigkeit des Aufeinanderfolgenden (539) einholen. Das ist in keiner linearen Zeit möglich. 181 Die Paradoxie der Gründungszene führe, so Koschorke zu „illegitimen Passagen über die eigentlich unpassierbare Ursprungsszene, zum Schmuggel von Erzählelementen am Nullpunkt der Gründungsszene vorbei“ („Zur Logik kultureller Gründungserzählungen“, 10). ‚Gibt es‘ den „Nullpunkt“? 182 Ein Zitieren, Stocken, Wiederholen und Umbesetzen bis: „Wir sind die Repräsentanten der Nation“, die „Befehle“ „giebt“ (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 28f.), wenn der „Name[] ‚wir, die Repräsentanten der Nation‘ als Peripetie und Fortsetzung an die Stelle des im Namen des Königs wiederholten Befehls“ gesetzt ist (Campe, „Verfahren“, 15). 183 Aber so Peters zur Verzeitlichung der Paradoxie „Von der Überlegung“ („Wie Geschichte geschehen lassen?“, 72); zur „Temporalparadoxie“ des „Verfahrens“, vgl. Campe „Verfahren“, 18, 12 u.ö.; zum „Prozeß“, in dem die Paradoxie: „Etwas haben und dasselbe zugleich nicht haben“, „zu denken“ sei, Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 14.

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‚Gelingen‘ der Rede, wenn es das gibt oder gäbe,184 heißt nachträglich ein ungewisser Effekt des wiederholenden, zitierend enteignenden Fort-Redens, ein Geschehen, das der Kontingenz ungewisser Zukünfte aussetzt. Derrida nimmt dies, das Zustoßende, die Verschiebungen ‚meiner‘ Äußerungen und deren ungewisse Respondenzen als „mes chances“,185 die die Kalküle auf Wiederkehr oder Gewinn aussetzen. Von der Fraglichkeit des Gelingens handelt „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ nicht nur, sondern sie betrifft den Text (selber). Die Inkompatibilität von Akt, Ereignis und konstatierbarem Befund, die alles etwas-Sagen paradoxiert, ist im ‚Anfang‘, den der Text mit der Apostrophe als vorweg unterbrechende Abwendung setzt, erkennbar, wo der Text selbst-exemplifizierend das zu vollziehen scheint, was er empfiehlt.186 Ostentativ sind die Inszenierungen, wenn der „Donnerkeil“ ‚soeben‘ als Einfall ins Erzählen einfalle und wenn der „Gedanke“ „mit der Periode“, auch der von Kleists Satz, „fertig“ vorliege. „Die Idee, dass die Idee beim Sprechen entsteht, entsteht, während Kleist spricht (oder schreibt)“, so Campe;187 mag sein, wenn aber eine „Rede, die sich ihres Ziels nicht sicher ist und sich daher in keinem Moment unterbrechen lassen will,“ im Text „imitiert“ wird, wird, so Wolfram Groddeck, wo „die Darstellung dem Gedanken einer ‚allmählige[n] Verfertigung beim Reden‘ mimetisch zu entsprechen scheint, […] sie daher Gefahr [laufen] diesen Gedanken zu parodieren“.188 Die Nachstellung, die sagt und tut, was die Äußerung sagt, dass sie tut, simuliert oder mimt, spaltet sich anfänglich und doppelt den Text in sich, wendet ihn auf sich; als ‚Exempel‘ hält sie das Argument auf. Dabei ist es das schriftlich Vorliegende, das erlaubt lesend auf die im Fortgang umständliche „Periode“, mit deren Ende auch die

184 Vgl. die Erwägungen Derridas, „Das Schreibmaschinenband“, 88, 122, 136; ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 345ff. 185 Es gibt keine anderen Chancen der Äußerungen. Derrida, „My Chances“, 3ff., 7, 21 u.ö. 186 Zur ‚Paradoxie‘, vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“, 90; „[a]ls würde der Text dieses Verfahren eines aus Not hingesetzten Anfangs selbst vollziehen“ (Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 232). 187 Campe, „Verfahren“, 9; vgl. Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 232. Daher fokussiert Grésillons übertragender Anschluss: „Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben“ nicht den schriftlichen Text, sondern Schreib-Prozesse (164, 152f., 155ff., 170-77). 188 Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 109f.; wenn „Kleists Text den Gestus der plötzlichen Eingebung“ „simuliert“, so gerate dieser unversehens in den „Sog der Selbstparodie“ (111). Parôdia ist das Daneben-Gesagte, knapp daneben. Kleist sagt „parodirt“, wo er verschiebend wiederholt („Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 27). Die Wiederholung ist komisch, weil sie ein Fremdes abtrennend sichtbar macht, die Nachahmung ist in sich gespalten (vgl. Bergson, Das Lachen, 29ff., 26 u.ö.).

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Erkenntnis zum „Erstaunen“ „fertig“ gefunden werde, zurückzukommen,189 um das behauptete Fertig-sein zu bestätigen.190 Zugleich straft die Rekursivität der Schrift die behauptete Korrelation des Fortgangs des Redens und des Gedankens doch Lügen. Sie ermöglicht der Äußerung das schreibende und lesende Rekurrieren auf sich: in Streichungen, allen möglichen Korrekturen, ergänzenden Eintragungen, Zusätzen aller Art,191 und zwar ohne dass ‚von innen‘, vorweg bestimmt wäre, wo der Schreibprozess ende, ob er ver’fertigt‘ oder sich (unaufhörlich) stört. Schrift modelliert der Äußerung Entzogenheit aus der Verfügungsmacht eines vermeintlichen Autors.192 Soll in „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ das, zufolge des Titels, Thematisierte als „im Text selbst sich vollziehende allmähliche Erzeugung der Gedanken […] [ge]lesen“ werden, dann ist stets noch und wieder fraglich, was(?), welcher(?) Gedanke da: wo? (doch nicht ‚schon‘ mit der behauptenden Titelformulierung,193 das brächte sie in performativen Selbstwiderspruch, oder in den ersten vier Sätzen?) ‚verfertigt‘ worden wäre.194 Es entspräche ja durchaus der These des Textes, wenn ‚es sie gibt‘, dass es „nicht der Autor, das Subjekt Kleist [ist], das weiß, wie Wissen entsteht, und dies einfach mitteilt, sondern das Wissen über die Produktion von Wissen entspringt selbst erst“ „aus der literarischen Darstellung der Beispiele“.195 Aber welches „Wissen“? wäre wo? aus Kleists Darstellung ‚entsprungen‘ (oder würde metatextuell ‚entspringen‘)? 189 Kleists Text mache „die aktuelle Formung der Rede“ „beobachtbar“ (Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 125). 190 Zum Schriftzeichen des Punktes und der Relation des „course of speech“ auf diesen, der noch kommen muß, um die (nachträgliche) Abgeschlossenheit des Satzes zu remarkieren, vgl. Szendy, Stigmatology, 31, 15f.. 191 Das französische se relire kennzeichnet den Schreibenden ‚selbst‘ als schreibend ersten Lesenden (Grésillon, „Über die allmähliche Verfertigung von Texten“, 161); „writing is rewriting“ (162, vgl. 170, 172f., 177); Schreiben als, so auch Jäger, ständige „Selbstlektüre“ trägt Differenz (von sich selbst), Alterität ein („Rekursive Transkription“, 283f., u.ö.; vgl. Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 127; Giuriato u.a. „Einleitung“ zu „Schreiben heißt: sich selber lesen“, 10, 13ff.). Das Verfahren, das das Schreiben ist, eröffnet den Raum der rekursiven Bewegungen (vgl. Campe, „Vorgreifen und Zurückgreifen“, 61-68). 192 Dass „der sogenannte Autor des Geschriebenen nicht länger einsteht für das, was er geschrieben hat, […] sei es, daß er vorläufig abwesend ist, daß er tot ist […] (Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 334). 193 Der auch nachträglich hinzugesetzt worden sein könnte – und wohl auch wurde. 194 Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 155f.; wenn der Gedanke am Anfang schon fertig war, dann verwirrt er sich eher ‚statt sich zu verfertigen‘ (Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 110). 195 Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 107. Ein Beispiel wird zu einem solchen nicht im Verhältnis zu einer ‚gegebenen‘ ‚Klasse‘ oder Regel; es „muß generiert […] werden“, durch „Daneben-“ und „Ausstellen“, indem „ein Element seine Zugehörigkeit zu seinem

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In Kleists Text wird mit jedem Beispiel, aus dem die vermeintliche allgemeine Einsicht Evidenz bezöge, diese oder das, was hier (sonst) illustriert oder plausibilisierend vorgeführt werde, verstellt, wird von der eventuellen ‚These‘ abgelenkt,196 diese „in den Hintergrund“ gedrängt.197 Die Beispiele führen zu keiner ‚Regel‘, nicht, wo das kontingente Gelingen (im Mirabeau-Falle) evident scheint, nicht, wo sie immer erneut aufgeschoben ist: wenn Kleists Text nach dem eingefügten elektrischen „Gleichnis“198 „zur Sache zurück[kehre]“ und mit einem weiteren, dem „merkwürdigen Beispiel“ La Fontaines fortfährt.199 In ihrer, wie in Aristoteles’ Beispiel-Argumentation, parataktischen Aneinanderreihung200 sind sie, „stets etwas schief stehend“,201 unter keine regierende Regel integriert, „halten“ den Text „unabschließbar in Gang“.202 Die zitierten Beispiele sind ein widerstrebendes Medium der ‚Fabrikation des Gedankens‘ oder der ‚Darstellung eines Wissens‘; denn sie verschieben je wieder ohne Ensemble aussetzt und zugleich exhibiert“ (Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 28, 26, 22). 196 „Can any example ever truly fit a general proposition? Is not its particularity, to which it owes the illusion of its intelligibility, necessarily a betrayal of the general truth it is supposed to support and convey?“ (de Man „Aesthetic Formalization“, 276/„Ästhetische Formalisierung“, 218 (zu Kleists „Marionettentheater“)); „immer wenn man ein Beispiel gibt, kommt man […] um das, was man sagen will“ (so de Man in der „Diskussion“ zu ders., „Schlußfolgerungen“, 213). Gelley zufolge seien „reader“ La Fontaines vor allem damit befasst „to know what story […] is at issue“, lange und weit vor „any explicit lesson or injunction“ („The Pragmatics of Exemplary Narrative“, 146, 151, vgl. 156, 149-52). 197 Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 230. 198 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 537; KBA II/9, 29. Wird hier ein „Gesetz“ der ‚Mitteilung‘ der ‚entgegengesetzten‘ elektrischen Ladungen und die „Übereinstimmung zwischen Erscheinungen der physischen und moralischen Welt“ behauptet, so ist diese prekär, zum einen weil es sich mit dem Beispiel der Kleist’schen oder Leidener Flasche um „experimentalierte[] Natur“ handelt (Campe, „Verfahren“, 19f.). Zum andern wird in Kleists „Allerneuester Erziehungsplan“ der Übertragung des „Capitel[s]“ aus der „Experimental-Physik“ (Berliner Abendblätter, hier Bl. 35-36, BA I, 128f.), das die unvermittelte Wirksamkeit negativ oder positiv elektrisch geladener Körper aufeinander zeige, die es als behauptetes „Gesetz des Widerspruchs“ in der „moralische[n] Welt“ in Anspruch zu nehmen scheint (BA I, 133), jede Gewißheit über ‚gegensätzlichen Wirkungen‘ entzogen (vgl. B. Menke, „Negative Beispiele geben“, 138-46). 199 Da nach „und kehre zur Sache zurück.“ „von fremder Hand“ sich eingefügt findet: „(Die Fortsetzung folgt)“, wären Rückkehr wie Sache aufgeschoben (KSW II, 321 (Z. 37) u. 926; DKV III, 537 (Z. 32); KBA II/9, 29 (Z. 33)). 200 Aristoteles, Rhetorik I.2,19 (1357b), (1993, 18f.); Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 22-29; „each seems to call for another example“ (Fleming, „Beside oneself“, 197); hier wird es auch keine Regel für das Allgemeine (einer Regel) als „belated“ Effekt (198f.) geben. 201 Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 237, 239. 202 Vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 160f.; Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 162.

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rückwirkend abschließende Feststellung, dispersieren, was der Text zu versprechen schien, so dass kein allgemeiner Gedanke verfertigt worden sein wird. Und jede „extrahierbare Handlungsanweisung“203 wäre, wenn es sie gäbe, nachträglich ein Zusatz zum Erzählen des Beispiels und zur Darstellung,204 der den Abschluß, der fehlt, supplementierte und das Fehlen (im Innern) markierte. Am Ende, das mit „Die Fortsetzung folgt“ (von fremder Hand) kein Abschluß ist,205 bestreitet der Text, dass er „seinerseits mit der Verfertigung“ „fertig“ ist,206 widerspräche er höchst mutwillig seiner ‚These‘, und setzt (sich) möglichen Hinzusetzungen in unbestimmten Zukünften aus. Er widerstreitet nicht nur dem Konstatierbaren, sondern daher auch dem (Austin’schen) Konzept des durchs ‚ich kann‘ bestimmten performative.207 Reden anderswoher – Verschicken anderswo hin Es gibt eine lange Tradition der Versuche der poetischen Rede, sich im (/vor ihrem) Anfangen an/s andere zu delegieren, sich anderswoher (zu)kommen zu lassen, in einer anderen „Produktivität, die nicht selbst verantwortet war“, zu begründen,208 etwa durch den Musenanruf, mit dem die poetische Rede schon 203 Paß, „Die Beobachtung der allmählichen Verfertigung“, 135f.; mit einer „sicheren Produktionsanweisung“ (ebd.) widerspräche sich „Über die allmählige Verfertigung“ selbst (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 146f.). 204 So etwa zu La Fontaines Fabel „Les animaux malades de la peste“, Fables (frz./dtsch.), Bd. 7, 466/7. 205 Die paratextuelle Schwellen- und Übergangszone (die dem Eingang korrespondiert) setzt den Text aus sich heraus; so staffeln sich oftmals ‚in‘ Kleists Texten die Rahmungen, so dass sie (in „Die Heilige Cäcilie“, „Der Zweikampf“) die Schließung suspendieren. 206 „[A]uch von völliger Deutlichkeit kann nicht die Rede sein“, so Peters; derart „entspricht“ der Text, so Peters weiter, der „Zweifelhaftigkeit der gegebenen Klugheitsregel“ („Von der Klugheitslehre des Medialen“, 151), indem, was Kleist beweisen wolle, „doch nicht bewiesen“ werde (Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 152). Statt „Deutlichkeit“ zu erlangen führt der Text eher ins Dunkle (dem diese, so Kleist, abgewonnen werde) wie das Schreiben Kafka, Proust, Simon zufolge (vgl. Grésillon, „Über die allmähliche Verfertigung von Texten“, 180f., 186). 207 Die Ereignishaftigkeit des Ereignisses, so Derrida, wäre „überall dort, wo es Performatives gibt, das heißt im strengen und Austinschen Sinne des Wortes die Herrschaft – in der ersten Person des Präsens – eines durch Konventionen garantierten und legitimierten ‚ich kann‘“, „neutralisiert, amortisiert, suspendiert“; „was sich ereignet“, tritt „per definitionem unvorhersehbar und in singulärer Weise ein“, daher ist fraglich, was da eintrete, ob ‚es eintritt‘ (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122, vgl. 136; ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 33, 35f., 41, 48, 56f.). 208 Kleinschmidt, „Die weibliche Maske der Poesie“, 626; für den Topos vgl. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 235, 235-40. Diese Produktivität kommt im metaleptischen Effekt des Anrufs (im Einsatz der Rede) als Inspiration durch die Musen zu (demjenigen, der dadurch erst zum Sprecher wird). Mit dem Genie-Konzept

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vorgreifend angefangen haben muss. Die Selbstgründung der Rede durch die Anrede, die den (bereits) Ansprechenden retroaktiv figuriert/fingiert, ist paradoxal. In der Frühromantik wurde die Belebung der Memnonstatue unter den Strahlen seiner Mutter Eos, die den toten Stein zum Tönen bringe, zur Metapher für die romantische Poesie, die sich als durchs AngesprochenSein von einer anderen, der mütterlichen Morgenröte erweckte Antwort modelliert.209 Wenn die poetische Rede als des belebten Memnon Gruß an die Morgensonne einsetzen soll, so musste diese aber (schon) in die (fiktive) Gegenwart gerufen worden sein, damit sie lebendig tönen gemacht habe, derart in der paradoxalen Reziprozität der Ausgriffe von Apostrophe und Prosopopoiie aufeinander: von vergegenwärtigender Adressierung eines anderen Gesichts und anfänglichem schon Belebtsein durch’s Angesprochensein durch diese andere (Eos), die sich wechselseitig voraussetzen, die einander vorgreifen in die jeweilige Nicht-Präsenz dessen, was wechselseitig erst erzeugt wird. Rede, die über ihren Anfang nicht verfügt, die auf vorausgehende Reden anderer angewiesen ist, muss (nachdem ihr die Macht über ihre Zunge genommen wurde) die Nymphe Echo vorstellen, deren Reden nicht nur gegenüber der Auktorialität eines Souveräns der Rede, der sage, was er meine, und zwar als weibliches, abgewertet ist. Vielmehr wird durch ihre Reden das auktoriale Konzept selbst subvertiert, indem sie die ‚eigene‘ Rede als wiederholte andere zukommen lässt:210 Echos entziehen den Ursprung der Stimme in der Wiederholung, durch den Abstand, aus dem sie kommt, der in die Wiederholung als Differenz zu/von sich eingetragen, paronomastisch ausgespielt wird.211 Die u.a. romantischen ‚Inspirationen‘ durch einen weiblichen Mund alludiert Kleists „Über die allmählige Verfertigung“ in deren Verkehrung in die redend erfindende Angewiesenheit auf die Magd oder auf die Schwester ‚im Rücken‘ des Sprechenden, auf’s andere jederzeit möglicher Störungen. Die vermeintlich ‚eigene Rede‘ ist im ‚schon mal mit Reden Anfangen‘ je schon eine andere. Über ihren Sprecher zurück ist sie an die vorausgehenden Reden verwiesen: die virtuellen Reden unbestimmter anderer ‚im Rücken‘ des Sprechers, das werden dgg. die Redefiguren und die Paradoxie unter dem Namen der ‚Natur‘ vergessen gemacht, die durchs Genie spreche. 209 Anderorts ausführlich, B. Menke, Prosopopoiia, (III.) insb. 217-59. 210 Ovid, Metamorphosen, III, vs. 356-501. Zum Echo, in dem die ‚eigene‘ Rede als andere begegnet, vgl. Nouvet, „An Impossible Response“; Spivak, „Echo“; B. Menke, „Respondance“. 211 Zum Echo als Paronomasie, die zerlegend wiederholend ‚dasselbe‘ anderes sagen lässt, vgl. Hollander, The Figure of Echo, 12; B. Menke, „Rhetorik der Echo“. „Der Reflex, das Bild, das Doppel zweiteilen, was sie verdoppeln“ (Derrida, Grammatalogie, 65); zur anfänglichen Doppelung vgl. ders., „Qual Quelle“, 300-06. Um 1800 sei Echo „Selbsterregung mit Unterbrechung“, so Fohrmann, „Subjektivität, Echo, Wissenschaft“, 137, 139.

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schon Gesprochene und Zitierte, das dem Rede-Ereignis vorausgeht,212 aus dem jedes jeweilige ex-zitiert ist, das zitierend die Relation zwischen aktuali­ sierend Gesagtem und der Potentialität des nicht Gesagten austrägt.213 Jede vermeintlich ‚eigene Rede‘, die die Lippen verlässt, ist insofern bereits ‚anfänglich‘ enteignet.214 Sie wird redend ‚verschickt‘, entlassen in den Raum unvorhersehbarer Echos der anderen,215 irgendeine ‚Lesart‘: Wi(e)dergabe erfahren, über die sie nicht verfügt, ausgesetzt ist an Zufälle; das sind, so Derrida, mes chances (der Rede).216 Gelingen ist durch keine vorausgehende Intention, das Gemeinte oder Wissen bestimmbar, es wird (wenn es das gibt) nicht anders denn durch die nachträgliche Figuration durch ein Gesicht gegeben sein. „Über die allmählige Verfertigung“ setzt auf ein (schon mal) Anfangen, das nicht weiß von etwas, was (es) anfange, das über Fortgang und Ende (das das ‚seine‘ müßte sein können) nicht verfügt, Reden, das sich intransitiv forttreibt im diskontinuierlichen Bezug auf das, was dem Anfangen vorausgeht, nämlich die zitierbaren heterogenen – nirgendwo präsenten, aber latent wirksamen – Reden aller möglicher (nichtgesichtiger) anderer, die wiederholt, zitiert werden, ausgesetzt den Zu-Fällen, den vorgreifend abgewehrten Umständen, den paradoxalen Teilhaben anderer mit unkalkulierbaren Effekten. Es wäre ein ‚Gelingen‘, das die (über das Austin’sche performative entscheidende) Entscheidbarkeit der Opposition von Ge- und Mißlingen hintertreibt,217 das grundlos, allenfalls nachträglich rückwirkend einen Grund gefunden haben wird, der derart nicht er ‚selbst‘ ist. Einen Anfang-Setzen eröffnet zum Glück oder Unglück der intentionalen Rede einen erregenden Zwischen-Zeitraum eines Geschehens beim Reden. In 212 Zur teilenden „Spur“ in der Stimme, der „Scene“ vieler zitierter Reden, vgl. Derrida, „Qual Quelle“, 303-07, 309, 314; ders., Die Stimme und das Phänomen, 132; ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 339, 344ff. 213 Das sind: „[t]he relations between the unsaid and the said in every act of speech“, „between language and its taking place“, „between a potentiality of speech and its existence“ (Agamben, Remnants of Ausschwitz, 144f., 140ff./Was von Auschwitz bleibt, 125f.) 214 Dass der Sprechende kein „Eigentum“ an der Rede hat (Weidmann, Kleist – Glück und Aufbegehren, 112-15), kennzeichnet nicht nur den „Schüler“ im Prüfungsverhör. Die Examensfrage „Was ist das Eigentum?“ ist sehr treffend an die Frage nach dem Staat angefügt: es bedarf der äußeren Fixierungen (Kleist, „Über die allmählige Verfertigung“, DKV III, 539). 215 Nägele, Echoes of Translation, 52. 216 Derrida, „My Chances“, insb. 7ff., 21, 3. 217 Wie Greiner zufolge Kleists Texte „nicht Vermittlung oder Auflösung“ von Oppositionen wie Geist und Buchstabe, Unmittelbarkeit und Vermittlung, Sprache und das Unaussprechliche, „sondern vielmehr den Aufweis ihrer Disfunktionalität betreiben“ (Kleists Dramen und Erzählungen, 45).

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diesem keiner bewußten Kontrolle, nicht Sinn- und Sich-Verstehen unterstehenden Geschehen, das Kleist (u.a.) in terms des zeitgenössischen Diskurses von Erregungen und elektrischen Ladungen modelliert, die sich ‚mitteilen‘, „erweckt“, ‚umgepolt‘, „verstärkt“, „entladen“ werden,218 sind Selbstaffizieren und Affizieren durch den anderen,219 Selbsterregung und Erregung durch andere(s) ununterscheidbar:220 Kleist zufolge, „nicht w i r wissen, es ist allererst ein gewisser Z u s t a n d unserer, welcher weiß“.221 Die „allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ geschieht beim Reden, an dem andere teilhaben, anderswo, wovon der Redende nicht weiß; der „Gedanke“ wird als ein nachträglicher Effekt: „zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig“ ‚mir‘ begegnen – wenn es ihn denn geben wird. So tritt Freud zufolge der Witz als „ungewollter Einfall“ von anderswo auf, dessen Zustellung das Bewusstsein nachträglich, ‚zu spät‘, weil schon gelacht wird, bemerkt,222 wird als Witz und als möglichst ‚guter‘ auf- und ergriffen, wenn in ihm ein Sinn gefunden werde; wo das nicht der Fall ist, werde das Einfallende als bloßer Unsinn verworfen.223 Der Sinn wird derart zur Deckung, als des Witzes eines Gesicht, das 218 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, DKV III, 536, 539f. 537; zu den um 1800 geläufigen elektrophysikalischen Diskursen vgl. vielfach in der Sek.Lit. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 112f., 109; Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 158; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 172f.; Campe, „Verfahren“, 19f., u.a. Pole wie „partikular/universal, Form/Inhalt“ verlieren im elektromagnetischen Feld ihre „substanzielle Identität“ an „Vektoren und Intensitäten“ (Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 24). 219 Zum rhetorischen Modell, dem sprechend sich selbst affizierenden Rhetor, vgl. Campe, „Affizieren und Selbstaffizieren“; Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 147; dies., „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 9f. 220 Erregung, excitation, leitet sich her „von citare, dem Frequentativ von ciere oder cire: in Bewegung setzen, erregen; und von ex-: heraus“ (Lyotard, „Emma“, 671). Freud greift das Wort „Erregung“ „genau im Zusammenhang mit dem von der Physik dargestellten Magnetismus“ „bei Fechner“ auf; demnach „wird vorausgesetzt, daß das erregte Objekt erregbar ist“, so Lyotard: „Nachträglich tritt eine Vorbedingung ans Licht“ (671f.). Reden bedarf der „Erregung“ und zieht diese aus dem Risiko des Vorgriffs im „dreist“ schon mal Angefangenhaben (dem ein Ende, das dieses deckt, gefunden werden muß) und im fortfahrend gehaltenen Zeitraum des Redens aus den Umständen, den anderen, denen es derart sich aussetzen muss; diese seien „bloße[] Energiespender des Textes“ (Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 109; vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 172-75). Die „Vorbereitung des Gemüts“ zu einer Rede wäre eine „gewisse Erregung“, daher nichts anderes gewesen, als sich gegenseitig anregend „schon eine Zeitlang unterhalten“ zu haben (Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31). 221 Kleist, „Allmählige Verfertigung“, KBA II/9, 31; das schließt an die „Vorbereitung des Gemüts“ an, wo man sich „schon eine Zeitlang unterhalten“ habe: fortgehend, ohne Stasis, ohne Gegebenheit (die die Erregung ‚niederschlage‘). 222 Freud, Der Witz, 157; vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87; s. Kap. V.1 u.ö. 223 Freud, Der Witz, 122, 124.

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er der ‚kritischen‘ Instanz zeigt, für ein anderes Geschehen anderswo: „unterdes“ (für das der Sinn, der nur die Funktion hat, das ‚bewußte ich‘ abzulenken, ansonsten irrelevant ist).224 Im schon mal einen Anfang-Setzen ist die Rede auf ein Ende hin gespannt, das diesem gefunden worden sein muss, damit dieser ein ‚Anfang von etwas‘ geworden sein und nicht einfach ein Fehlschlag, setzt aber das Reden „dreist“ „auf gut Glück“, den Glücks- oder Zufällen aus, die als ‚sprachliche oder außersprachliche‘ am Reden, und damit an der „Verfertigung der Gedanken beim Reden“ teilhaben, was vollendend geglückt sein wird – oder auch nicht. Der „dreist“ oder ‚in der Noth hingesetzte‘ Anfang hat – in den Beispielen Kleists – zwar ein Resultat, und dieses hat, so wird erzählt, gar einen staatspolitischen Unterschied gemacht, aber das grundlose Einfallen trifft nicht im Effekt, der konstatiert werden mag, (wie im Austin’schen performative) das Maß für das Gelingen seiner Intervention an. Vielmehr ist gar nicht entscheidbar, inwiefern oder ob überhaupt es sich ums Gelingen dieses bestimmten performative handelt, das dort seinen Anfang genommen haben würde, wo der Redende von diesem, da von seinem Ende nicht wußte. Der abrupte (nichts sagende) Akt eines grundlosen Einfalls, als der, wie der „‚Donnerkeil‘“, auch ins Reden ein Beispiel ‚einfällt‘, wird nicht im (vermeintlich) verwirklichenden Vollzug integriert und eingeholt, sondern er setzt, im Setzen ‚auf gut Glück‘, dem ZuFall des Miß-/Gelingens aus, und verweist derart an die Grundlosigkeit seines ‚Fortsetzens‘ zurück. Das Ende im ‚verfertigten Gedanken‘ oder in der Nationalversammlung und deren Unverletzlichkeit oder im (einen Urteilsspruch überspringenden) Todesopfer ist nicht ‚Vollendung‘ des Akts, sondern allenfalls eine instituierende (Macht-)Einsetzung, die gelingt – oder auch nicht. Das betrifft, wie angezeigt, den Kleist’schen Text selber: ob dieser nun gelinge, weil er auch vollzieht, wovon er spricht, oder aber gerade derart sich in sich doppelt, aufschiebt, jede These (auch immer wieder) irritiert,225 oder ob er sich widerspräche, da er nicht eingelöst haben wird, was er thematisiert: das ‚Verfertigtsein‘ (von was?, von welchem Gedanken?),226 und nicht gelänge (?), damit aber wiederum der (Lehre der) „Zweifelhaftigkeit“ der gegebenen ‚Lehre‘ (paradoxal) entspräche (also doch gelänge?),227 und dabei jede Lehre, jedes Resultat aus sich verschiebt. Sein Verlauf über Beispiele, „Gleichnisse“ usw. 224 Freud, Der Witz, 122ff., 145f. 225 Vgl. Groddeck, „Inversion der Rhetorik“, 110. 226 Vgl. Rohrwasser, „Eine Bombenpost“, 160f., 152; Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 537f. 227 Vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 145ff.; dies., „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 151.

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kommt in asyndetischer Fügung,228 die unabsehbar wieder anderswo hin geht, das Singuläre des Gereihten keinem Allgemeinen des Wissens integriert, nicht als Periode zu einer nachträglichen: rückwirkenden Feststellung. Das Reden, das Schreiben, das Lesen widerstreiten interminierend dem vollendeten Abschluß, mit dem der Fortgang sistiert, Abstand genommen würde zu den Vorgängen (die vorweg schon begonnen haben müssen, wenn „dreist“ ein Anfang gemacht wird) und ein etwas des Wissens oder der Macht konstituiert wäre. Der Text, der Reden als Ereignis thematisiert, hält den „Ereignischarakter“229 seiner Äußerungen, denn das Ereignis des Schreibens und Lesens ist in keinem Resultat absorbiert, neutralisiert, jedes eventuelle, temporär annehmbare wird aus sich verschoben;230 die ‚Wiederholungen‘, in denen es sich vollzieht, differieren, verschieben, in keiner endgültigen Behauptung und Erkenntnis sistiert, anderswo hin.231 Ein Ende, das mit dem fremdhändischen „(Die Fortsetzung folgt)“ kein Abschluß ist, macht nicht nur offensichtlich, dass der Text „seinerseits“ nicht mit der „Verfertigung“ „fertig“ ist.232 Da die den Vollzug beim Reden/Schreiben/ Lesen einlösende Feststellung entfällt, kann das Lesen sich nur auf die heterogenen Äußerungsereignisse je noch und wieder zurückwenden. Sie mag anderswo hin verschoben sein, in diesem Verzug ist aber der Text allen möglichen Fortsetzungen indefiniter Art, aller möglicher Hände, auf allen möglichen (beschriebenen oder weißen) Blättern in ungewissen Zukünften ausgesetzt.

228 Mit Deleuze/Guattari: eine „neue[] Form der Redundanz. UND … UND … UND …“, das ‚et‘, integriert gerade nicht syntaktisch (Tausend Plateaus, 137), sondern dissoziiert in der Fügung: et - et - et, die zu keinem Haltepunkt einer Prädikation (être) kommt. 229 Gailus, „Über die plötzliche Verwandlung der Geschichte“, 155 (aber 162). 230 Derart excediert das Äußerungsereignis das Geäußerte; so Felman, Le scandale du corps parlant zum Witz als performative. 231 Die Antinomie von Ereignis und Performativiät formuliert und trägt aus: Derrida, Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen; ders., „Das Schreibmaschinenband“; ders., „My Chances“; vgl. in Kap. IV.1. 232 Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 151.

Kapitel III

Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln Die Texte Jean Pauls schreiben sich her aus Abschriften, Exzerpten, Notaten, Zetteln und Registern. Sie stellen die Operationen über diese vor, indem sie sich mehr oder weniger fiktiv als aus solchen her- und zusammengeschrieben dar- und ihre heterogene Zusammengesetztheit ausstellen. Sie zitieren in ihren Unförmigkeiten (am Maß des –, gegen das sich in sich selbst schließende Werk) Operationen und Handhaben, Textsorten und Paratexte der (jüngst veralteten) Ordnung des gelehrten Wissens des Lesens als Schreiben, des Schreibens als wiederholtes/-endes Lesen. Jean Pauls komische Modellierungen der schreibenden Verfahren binden die Texte an vorangehende Schriften, ans Ausgeschriebene und Ausgezogene und die Operationen mit ihnen. Sie setzen Einfälle (so in 1.) als Ein-Fälle aus den Exzerpten frei und setzen aus ans Zukommende, an Zufälle, auf’s ‚gute Glück‘. In Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel wird dies grotesk verwörtlicht (so in 2.) und derart der Text fiktiv der Kontingenz der Zuträgerschaft und des Sich-Zutragens, mit den materialen Trägern den Kontingenzen der Physis preisgeben. III.1

Einfälle, Zufälle – aus Exzerpten. Jean Pauls inventio

Den Witz heißt Jean Paul auch „Findkunst (Heuristik)“.1 So kommt er, in Nachfolge des ingenium, nicht auf Metaphern-Bildung oder die elocutio beschränkt, sondern auch hinsichtlich der dieser vorausliegenden rhetori­ schen Aufgabe der inventio ins Spiel.2 Jean Pauls Witz zitiert die techné der inventio, die Argumente aus Örtern (topoi) bezieht, Topik und Mnemotechnik

1 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202; so unmittelbar vor § 55 zum „gelehrten Witz“ (203-07). 2 Zum concettistischen Erfinden vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 104f.; Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 219, 223, 225f.; Kramer, C. Johnson u.a. in Nitsch/Wehr (Hg.), Artificios. Technik und Erfindungsgeist; s. Kap. I.5; bez. des von Jean Paul beigezogenen Morhof vgl. Fullenwider, „Die Rezeption der jesuitischen ‚argutia‘Bewegung bei Weise und Morhof“, 237, 233f.

© Brill Fink, 2021 | doi:10.30965/9783846762226_004

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

voraussetzte,3 und setzt mit dem Witz, der „erfindet“,4 zum einen gegen das handelsübliche Genie Erfindungskunst, -Verfahren und -Techniken.5 Der Witz bezieht sich zum andern aber auf das angesammelte Wissen derart, dass seine Operationen, „Handhabungen“6 der ausgezogenen Wissensbestandteile, als Zitationen, die versetzen und verschieben, die überkommene gelehrte Wissensordnung ‚verwüsten‘.7 In einer Vielzahl seiner Texte stellt Jean Paul eigentümliche Gelehrte vor. Es handelt sich um Buchgelehrte ohne Bücher, Verfasser von „Taschenbibliotheken“, „Zettelkästen“ und Druckfehlerverzeichnissen. Präsentiert werden diese Gelehrten in Texten, die ihre eigene Heterogenität exponieren. Sie sind Anhänge, „beigeleimt“ wie das „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz“ an den Roman Die unsichtbare Loge (1793),8 oder sie lagern ihrerseits andere Texte ein oder an, wie dem Leben Fibels (1806-12) die Bienrodische Fibel „angeleimt“ ist,9 oder sie bestehen überhaupt nur aus heterogenen Zusammensetzungen aller möglicher Paratextsorten, wie etwa Quintus Fixlein (1796) aus Vorreden und Vorkapiteln, Vorreden zu Vorkapiteln, Nachkapiteln, Zettelkästen, Post-Sendungen und anderen Beiträgen wie akademische Zeitschriften oder Kalender. Es handelt sich dabei gleichsam um Darstellungen des Schreibens und Lesens als solchen, der Verfahren, der Techniken des Schreibens als Wiederlesen,10 des Lesens und Wiederlesens als Nach-, Ab3 Die Topik wurde als Hilfsmittel der Findung „innerhalb der Rhetorik […] der inventio zugerechnet“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 371). Sie unterhält als Ordnung des Wissens an ‚Orten‘ Bezüge zur rhetorischen memoria (Rieger, „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 180). Die Mnemotechnik zeigt in „extreme[r] Ausweitung“ bis zum „concettistische[n] Einsatz der Ähnlichkeit“, der Ausprägung von Merk-Zeichen als Wortspiele Nähen zum Witz (Rieger, „Auswendigkeit“, 91, 105). Umgekehrt steht die Finde- und Erfindungskunst, die Topik in Bewegung setzt, in Konkurrenz zum Memorieren; der Witz verstört die memoria, vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 358-71; Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 219, 223-26; Lachmann/von Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97ff., 125; Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 60ff. 4 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. Levana, SW I.5, 849. 5 Zur Konkurrenz von Inspiration und Verfahren, von Genie oder „Erfindungsnatur“ und Kunst oder Technik der inventio um 1800, vgl. Rieger, „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 179; Greber, Textile Texte, 422-28; Stöckmann, Vor der Literatur, insb. 93-100; Rapp, „Ingeniöse Lektüren“, 164ff. u.a. 6 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199f. 7 Vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 397. 8 Jean Paul, „Die unsichtbare Loge“, Hesperus, SW I.1, 422-69. 9 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 547-62; vgl. Kap. III.2. 10 Wenn gilt, „bei der zweiten Lesung versteht man als Schüler der ersten, so viel wie der Autor“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 204f.), dann ist umgekehrt der Autor als Zweit- oder Wiederlesender zu denken; vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 25ff.

EinFälle, Zufälle – aus Exzerpten

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und Ausschreiben,11 denen Jean Pauls Texte, mit Rüdiger Campe gesprochen, „Schreibszenen“ widmen.12 Sie setzen dies in Szene mit Figuren wie dem eigentümlichen Gedächtniskünstler Aubin, der Aus-Schreiber einer Taschenbibliothek, oder jenem Fibel, der das Buch verfasst haben soll, das nach ihm benannt worden sei. Jean Pauls Texte prägen in (vor den Text zurückgehenden) autoreferentiellen Thematisierungen des Schreibens Modelle der schreibenden Invention aus, die in Zitation einer (gerade) veralteten, der barocken Wissenspraxis Autorschaft an Ein-Fälle aus „Exzerpten“ delegiert.13 Entgegen den Konzepten der Poesie, die sich rein in sich selbst, das heißt in Genie, Innerlichkeit, Autor begründen sollte, bedarf, wie Jean Paul sehr komisch modelliert, das Schreiben des ihm Vorgängigen, aus dem Einfälle zukommen,14 anderer Schriften und der (Kultur-)Techniken, auf die es rekurriert, indem es diese zitiert, ausstellt, witzig fortschreibt. Jean Paul fingiert sein Verfahren des witzigen verstellenden Verkoppelns als eines, das die Einfälle dem Zufall aussetzt, so zwielichtig dessen Effekte auch seien. Operationen des Ausschreibens. Effekte des Veralteten Jean Pauls kleiner Text „Die Taschenbibliothek“ (1796) stellt den Tanzlehrer Aubin vor als einen „Mann, dessen Herz für alles Wissen brannte“:15 „In der flüchtigen Viertelstunde unsers Gesprächs setzte er mich durch seine Kenntnisse in Ungewißheit, ob er außer der Tanzkunst eigentlich Theologie – oder 11 Das wird verhandelt als Kunst des Exzerpierens und damit des Lesens, vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 16ff., 34; als Kulturtechnik, vgl. Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik (Annotieren und Exzerpieren)“, 325ff.; als „Schreibverfahren“, vgl. Wirtz u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 26f.; vgl. Will, „Lesen, um zu Schreiben“, 41); Zanetti weist „Techniken des Einfalls und der Niederschrift“ mit verschiedenen Operationen: Schreib- u.a. -Vorgängen aus (213ff.). 12 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“; vgl. Stingelin, „‚Schreiben‘. Einleitung“, 8f., 13, 15, 17f.; daran schließen so ziemlich alle aktuellen Sek.Texte zu Jean Paul an (z.B. auch M. Wieland, Vexierzüge, 147). 13 Es gibt eine (ältere) Diskussion zu „Jean Pauls geschichtliche[r] Stellung“, so der Titel des Buches von W. Proß, der „Jean Paul zu einem Restaurator des 18. Jahrhunderts [historisiert]. Die geschichtliche Stellung der Enzyklopädie des Witzes steht weiter zur Diskussion“, so Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“, 49. Umgekehrt wird Jean Paul mit dem „Witz“ in die Nähe der Romantik gerückt, vgl. etwa Kilcher, mathesis und poeisis, 379ff., 400; oder seine Modernität festgestellt, vgl. Esselborn, „Die Vielfalt der Redeweisen und Stimmen“, 32ff.; Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 108; Riedel, „Die Macht der Metapher“, 56-94; (auch als Manierismus) Birus, Vergleichung, 52, 60ff., 81ff.; ders., „Der ‚Metaphoriker‘ Jean Paul“, 48f. Die Wiederaufnahme wird im Folgenden als Zitation aufgefasst. 14 Der „Witzblick“ „durchschweife“ „lange, obwohl dunklere Reihen der Vorbildungskraft, um zu schaffen“, damit im „Einfall“ das „Wetterleuchten des Witzes“ auftrete (Jean Paul, Levana, SW I.5, 843). 15 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 769-73, hier 772.

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Jurisprudenz – oder Astronomie – oder Geschichte, oder andere Wissenschaften verstehe.“ Vorgestellt wird er als „Rätsel“ der Gelehrsamkeit: „Der Pagentanzmeister hatte wenig Zeit, wenig Geld, noch weniger Gedächtnis und Bücher: – und doch wußt’ er fast alles auswendig“, ein Rätsel, zu dessen Ethnologen der Ich-Erzähler sich macht.16 „Ein halbes Schock Bücher – lauter Kommpendien von einem halben Schock Wissenschaften – besaß er, weiter kein Blatt“. „Oft sind die Gehirnkammern leer und die Bücherbretter voll; aber hier war das Widerspiel“.17 Dieses „unbegreifliche“ „Gedächtnis“ ist das Ergebnis einer Lesetechnik, eines Lesens, das sich als Aus-Schreiben vollzieht,18 das schreibt, aber nicht Werke verfasst haben wird. Der Tanzmeister kennzeichnet sich selbst wie folgt: [I]sts unmöglich, zugleich viel zu lesen und viel zu merken. – Was soll man da machen? – Bloß Exzerpten. Ich fing mir anfangs aus jedem Buche zwei, drei Sonderbarkeiten, wie Schmetterlinge aus und machte sie durch Dinte in meinem Exzerptenbuche fest. Ich hob aus allen Wissenschaften meine Rekruten aus. Drei Zeilen Platz, mehr nicht, räumt ich jeder Merkwürdigkeit ein.19

Platons Entgegensetzung von Gedächtniskraft und der Schrift, die diese schwäche und sich an ihre Stelle setze,20 ist angespielt, aber verschoben, denn Aubins Schreiben, das Wiederlesen ermöglicht, ist Memorieren; es beruft das Modell der Örter.21 Einerseits wird die rhetorische lokalisierende Memoria von ‚Schmetterlingen der Sonderbarkeiten‘ als schriftliche Praxis mit der Metapher der ‚Festmachung‘ als Fixierung an einer Stelle, am festen Ort (locus) wie in der Topik (die frühneuzeitlich der Memoria eingegliedert wurde) als

16 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 769. 17 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771. 18 Vgl. Décultot zur „Kunst des Exzerpierens“ (im 18. Jh.), 45f., 8-17; zur „Lesearbeit“ als „Schreibprozess“ vgl. Will, „Lesen, um zu Schreiben“; Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik (Annotieren und Exzerpieren)“, 325ff. 19 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771; ausgehoben werden „Silben“ wie „Soldaten“, „Teilchen von Teilen“, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174ff. 20 Schrift flöße Vergessenheit „aus Vernachlässigung der Erinnerung“ ein, denn „im Vertrauen auf die Schrift“ erinnere man sich „nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst“ (Platon, Phaidros [59.] (275 a), Schleiermacher-Übers. 55), daher die „Schwäche des durch die Schrift überlieferten toten Wissens“ ([60.] 56). 21 Das Verhältnis von Exzerpten und memoria wird seit der Frühen Neuzeit problematisiert, vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 21-25; die immer wieder zu lesenden „aufgeschriebenen Auszüge“ haben mnemonische Funktion nach dem Modell der loci topici, die dem Gedächtnis eingeprägt werden sollen (21f.; vgl. Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 170; Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 87ff.).

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Festsetzung des Toten lesbar.22 Andererseits wird aber doch umgekehrt das, was schon schriftlich vorlag, erst exzerpierend lesend zu einem flüchtigen Zwischen-Leben als „Sonderbarkeiten“ aufgescheucht worden sein müssen, um – abgelöst: ausgefangen, aus ihren Kontexten – versetzt – fixiert zu werden. Die Kombinationskatachrese vom Ausheben der „Rekruten“ „aus allen Wissenschaften“23 hat eine Fortführung in Jean Pauls militärischer Metapher vom Witz, der „Silben und Soldaten“ „ausgehoben“ in Stellung bringe.24 Im Unterschied zur rhetorischen Mnemotechnik, der es darauf ankommt, Stellen (topoi, loci) in einem festen architektural imaginierten System der Plätze zu sichern,25 ist es mit dem Witz auf die Verstellung im In-Stellung-Bringen angelegt. Scheint Aubins Metapher von der „Kelter“26 das ‚Ausziehen‘ durch die christliche Gleichnisrede vom Weinstock her zu dignifizieren, so modelliert deren ver-zweideutigende continuatio das Exzerpten-Machen als Memoriervorrichtung und das Exzerpieren als Prinzip lesend wiederholter Anwendungen auf sich selbst:27

22 Jean Paul exzerpierte von Michael Denis aus dessen Einleitung in die Bücherkunde (1777/78), „Kustos der Wiener Hofbibliothek in der Zeit ihrer Katalogisierung“, der auch ein Systematisches Verzeichnis der Schmetterlinge der Wienergegend (1776) verfasste (L. Müller, Papier, 180). 23 Einen Prätext gibt dazu J.  J.  Moser (den Jean Paul mitunter anführt), vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 74. 24 „So sehr sieget die bloße Stellung, es sei der Krieger oder der Sätze“, so Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 175, vgl. 180; „daß die Zuordnung von ars typographica und ars militaris in der frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich ist“, vermerkt Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 486. Das genannte „Beispiel“ kommentiert Jean Paul: „[I]ch bemerk’ es aber nur der Stellung wegen“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174). F.  Schlegel spricht von Jean Pauls „wie Reichstruppen zusammengetrommelte[m] Bilderwitz“ (Athenäum-Fragmente, KFSA II, 246 (Nr. 421)). 25 Die Topik stellt, in umdeutender Fortführung der memoria mit den an den loci einer festen Ordnung platzierten Zeichen, mit den loci communes einen Fundus der Argumente und Figuren, die die inventio bezieht (vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 371f.; Willer, „Fallen, Stellen“, 206ff.; ders., „Orte, Örter, Wörter“, 42ff.). In der Renaissance überlagern sich die memorialen Architekturen und die der thesauri der inventio. Aber die inventio konkurriert als Zugriff auf die topoi mit der Aufgabe der memoria artifitialis, führt als (kombinatorische) ‚Umwälzung der Mnemotechnik‘ zur Auflösung der statischen Ordnung, vgl. Yates, The Art of Memory, 176; Lachmann/von Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97f. 26 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 770. 27 „Oft besteht aller Geist, den ich mit meiner Kelter aus einem Buche bringe, in einem einzigen Tropfen; ich hab’ aber dann nach zehn Jahren noch etwas, noch einen Vorteil vom Buche aufzuweisen, nämlich meine Tropfen“ (Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771).

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln Die Hauptsache ist, daß ich [so Aubin] Exzerpten aus meinen Exzerpten mache und den Spiritus noch einmal abziehe. Einmal les’ ich sie z.B. bloß wegen des Artikels vom Tanze durch, ein anderes Mal bloß über die Blumen, und trage dieses mit zwei Worten in kleinere Hefte oder Register und fülle so das Faß auf Flaschen.28

Die Funktion der „Exzerpten“, wie von Florilegien, in die diese eingehen konnten, die die „Blumen“ motivieren würden, „über die“ hier gelesen werde, ist die Wiederholung, ist die wiederholend memorierende29 aber auch selektiv dissoziierende Lektüre, die sich in rekursiven „Exzerpten von Exzerpten“, wie „Registern“ niederschlägt, Register, die die Relektüre als Zugriff ermöglichen, der auch zum erneuten ausschreibenden Abschreiben werden mag. Sonst wäre alles bloß aufgeschrieben, um gespeichert – in der Schrift – vergessen zu sein. Man hat sich inzwischen daran gewöhnt, zu wissen, was das Erzähler-Ich der „Taschenbibliothek“ Aubin gegenüber ausspricht: „Ich mußte […] es ihm gestehen, daß ich beinahe auf demselben Wege seit dem 14ten Jahre gehe“,30 und dies auf den Schreibenden vor dem Text hin auszulegen. In der Aubin’schen Merktechnik, dem Memorieren durch Ausschreiben und schreibendes Repetieren des Gelesenen, sei die Inventionstechnik Jean Pauls, sein SchreibVerfahren auszumachen.31 Darin ist demnach eine der Schreibszenen zu lesen, 28 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 772; die Metapher „anderer Leute Wein auf Bouteillen zu ziehen“, im Brief Lichtenbergs an S. T. Sömmering (Schriften und Briefe IV, (Brief Nr. 595), 788). 29 Das ist die übliche Anweisung der Exzerpier-Lehren: die Exzerptsammlung solle „ständig wiedergelesen und so dem Gedächtnis eingeprägt werden“ (Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 87; ders., „Johann Jakob Moser“, 69f.; Décultot „Kunst des Exzerpierens“, 22; Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 170). Jean Paul führt die Metapher fort: „Diese Exzerpten zieh’ ich wie Riechwasser überall aus der Tasche, auf der Straße, im Vorzimmer, auf dem Tanzboden, und erquicke mit einigen Lebenstropfen. Wäre mein Gedächtnis noch schwächer: so läs’ ich sie noch öfter“ (Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771). 30 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 772; vgl. ders., Selberlebensbeschreibung: „Den gegenwärtigen Schriftsteller zeigte schon im kleinen eine Schachtel, in welcher er eine Etui-Bibliothek von lauter eignen Sedezwerkchen aufstellte, die er aus den bandbreiten Papierabschnitzeln von den Oktavpredigten seines Vaters zusammennähte und zurechtschnitt. Der Inhalt war theologisch und protestantisch und bestand jedesmal aus einer aus Luthers Bibel abgeschriebenen kleinen Erklärnote unter einem Verse; den Vers selber ließ er im Büchelchen aus. So lag in unserem Friedrich Richter schon ein kleiner Friedrich von Schlegel […]“ (SW I.6, 1058); derart vermerkt Jean Paul doch das Fragmentarische der Frühromantik. 31 Mit den Worten Aubins werde Jean Pauls Exzerpiertechnik „von ihm selbst am besten beschrieben“ (Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 221f.); für diesen metapoetischen

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die in die Fiktion der Texte hineingefaltet das Schreiben thematisieren und zwar als ein „heterogenes Ensemble“ von verschiedenen Operationen und Agenten.32 Johann Paul Friedrich Richter las exzerpierend, legte 1778 den ersten Exzerptband und bis 1823 110 selbstgefaltete und -geheftete Quart-Hefte, von ca. 12.000 Seiten, an.33 Nach den 15 Bänden der Schüler- und Studentenzeit, Journal seiner auf ein Theologiestudium hin geordneten Bildungslektüre, exzerpierte J. P. F. Richter/Jean Paul seit 1782, mit dem Entschluss Schriftsteller zu werden, „ungeordnete Textauszüge, wie man ihnen zufällig bei schnell wechselnder Lektüre begegnet“, offenbar aus mehreren Büchern parallel,34

Schluss vgl. Birus, Vergleichung, 50; G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 318f.; ders., „Mehrfache Kodierung bei Jean Paul“, 68f.; C. Pross, Falschnamenmünzer, 21f.; Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 38; Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 72ff.; Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 136f.; ders., mathesis und poiesis, 387ff.; Klappert, Link und Lücke, 84-94; Dembeck, Texte rahmen, 356-370; M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 99ff.; Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 52f.; Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 82 u.a. 32 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 271 (Orig., 760); vgl. Stingelin, „‚Schreiben‘. Einleitung“, 8f., 13, 15, 17f.; Pethes, „Actor-Network-Philology?“, 208, insb. zu Jean Paul 214ff. 33 Vgl. Wirtz u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 27ff.; Berend, „Vorwort“, XVII-XX u. „Anmerkungen zu den Exzerpten“ in HKA II.1 (schon 1928); ders., „Einleitung“ zu HKA I.1, XIV; zur Geschichte der Edierung des ‚Nachlasses‘, die untrennbar ist von Eduard Berends Verfolgung durch die Nationalsozialisten, vgl. Wirtz, „Vom Nachlassen“, 169-173; Kilcher, mathesis und poiesis, 383ff.; Berend, „Jean Pauls handschriftlicher Nachlass“; Goebel, „Einleitung“, VIIIf.; Pfotenhauer, „Vorwort“ (zu HKA II.10: Teil  1), VII-XI; TeilDokumentationen bot G.  Müller, Jean Pauls Exzerpte. Die nachgelassenen Hefte und Notizen sind in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin (Preußischer Kulturbesitz) einzusehen (vgl. 10f., 322f.; Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls und die Jean-Paul-Bestände der Staatsbibliothek zu Berlin, hg. von Goebel (1. Teil, 2002), von Bernauer (2. Teil, 2012)). G.  Müller gab eine bibliographische Übersicht über die Exzerpthefte nach den Inhaltsverzeichnissen, die Jean Paul selbst am Ende vieler Bände anlegte; die „eklatante Unvollständigkeit“ dieser Verzeichnungen vermerkt Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, Endnote  7; zur editorischen Situation, vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 38-86; Pfotenhauer, „Vorwort“; zu Stand und Planung der papierenen und digitalen Publikation des Nachlasses vgl. Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 75-78. Die Transkription aller Exzerpte (1778-1825, „über 12.000 Manuskriptseiten“, „mit mehr als 100.000 einzelnen Einträgen“) steht zur Verfügung: http://www.jp-exzerpte.uni-wuerzburg.de; vgl. die tabellarische Übersicht, Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 84, 94f.; ders., „Lesen, um zu Schreiben“, 43f. 34 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 322; zu Jean Pauls Exzerptgeschichte und zum Bestand, vgl. Will, „Lesen, um zu Schreiben“, 39-44; vgl. Helmreich, „Die Geburt des Romans aus dem Geist der Gelehrsamkeit“, 246-53, 255-59; Wirtz u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 28f.; Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 4f. Auch Kleists „Ideenmagazin“ war aufs Dichter-Werden ausgerichtet, vgl. Kleist (1800/1), BKA IV/1, 344, 351; Tscholl, Krumme Geschäfte, 106f., 113ff., 119-22).

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was an die frühneuzeitlichen Formen von Miscellanea gemahnen mag.35 Es handelte sich, wird gesagt, wie in der Tradition der loci communes, um aus Quellen aller Art, aus Religion, Philosophie, Sitten und Natur, Naturgeschichte und Medizin Herausgezogenes, nicht als empirisch gewonnenes und nicht als kritisch beglaubigtes Wissen, sondern als „historisches Konvolut von Beobachtungen und Meinungen seit der Antike“.36 ‚Wie‘ Aubin, um das abgekürzt zu sagen, legt Jean Paul auch „Exzerpten von Exzerpten“ und „Register“ an.37 Er doppelt ein erstes Tage-Buch der Lesefrüchte-Verzeichnung ohne Ordnung in einer gelehrten ‚zweiten Buchführung‘, die sortiert, Sachtiteln zuordnet.38 Inhaltsverzeichnisse und verschiedenartige Register stellen Zugriffe auf das Gespeicherte dar,39 u.a. das „Register“, ein Konvolut von 1244 Seiten, 35 Vgl. G.  Müller, Jean Pauls Exzerpte, 322, 345 u.a.; zur Differenz von collectanea und ungeregelteren miscellanea vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 11f., 17f., (bez. Jean Pauls) 25-29, 36, zur Nicht-Haltbarkeit der begrifflichen Grenzlinie seit der Frühen Neuzeit, 29-33. 36 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 323; „Schoekhs einschlägiges Kapitel trägt die Überschrift: Irrlehren der Orphiten, des Cerdo und Marcion. Jean Paul notiert nur die Sache selbst, von Irrlehren ist nicht die Rede“ (326f.; ders., „Jean Pauls Privatenzyklopädie“, 80f.). 37 Vgl. Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 72; ders., „Lesen, um zu Schreiben“,44-47; u.a. auch in „Einfälle“-Hefte exzerpierte Jean Paul „noch einmal die Exzerptbände“, Wirtz, „Nachlassen“, 176 u.ö.; vgl. „Auszüge aus den Exzerpten (Studien I)“, Einfälle, Bausteine, Erfindungen (in HKA II.9 in Vorb.); Fasz. VI „Motive und Themen für Satiren (Studien II)“ (51-59); Fasz. VII: 1-2. „Actio: Bausteine und Wörterlisten“, 3. „Naturstudien“, 4. „Sammlung von Bausteinen“, 5-7. „Bausteine (1-3)“ (HKA II.9.2), 8-10. „Thorheiten (1-3)“ (HKA II.9.2), 11.-14. „Stoffsammlungen für Satiren“, 15.-18. „Einfälle (1-4)“; Fasz. VI, 48-50: „Synonyme“; Fasz. VIIIa: „Merkblätter“ (in HKA II.6), „Ästhetische“, „Philosophische“, „Politische Untersuchungen“ (in HKA II.7); Fasz. VIIIb: 16. „Album“, 17. „Register“: „Exzerpte aus Exzerpten (verkürzte Exzerptkopien)“, u.a. 38 Die doppelte ‚gelehrte Buchhalterey‘ belegt Décultot schon bei Cicero: Kladde und Register („Kunst des Exzerpierens“, 13, 37). Sie wird auf die ‚italienische doppelte Buchführung‘ zurückgeführt: wastebook und „Leidger at double entrance“ von Lichtenberg (Sudelbücher  I, 352 (EI 46), vgl. Neumann, Ideenparadiese, 207f.). Vgl. auch Vincentius Placcius, De Arte Excerpendi. Vom gelahrten Buchhalten (1689), sowie Leibniz, nach Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 187; u. Comenius über das 17. Jh. zu Zedlers Art. „Excerpiren’“, vgl. Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 44f.; ders., „Lesetechniken“, 22; G.  Müller/Knab, „Nachwort“ zu HKA II.7, 689; Campe, „Vorgreifen und Zurückgreifen“, 73; Dotzler, Papiermaschinen, 561-66; Schäffner, „Nicht-Wissen um 1800“, 132; von Arburg, „‚Der Mann, der erst in seine Excerpta steigen muß‘. Lichtenberg“, 172. Ebenso Bouvard und Pécuchet, die zuerst alles, was ihnen in die Hände fiel, abschrieben, dann „recoupient sur un gdr registre de commerce“ (Flaubert Ms gg 10 [fol. 67r]; ders., Bouvard et Pécuchet, 442f.). 39 Als „Methoden der Wissensorganisation“ und des „Retrival“: „Neben knappen Inhaltsverzeichnissen am Ende der durchschnittlich 60 bis 80 Seiten starken Hefte und einem Verweissystem, mit dem innerhalb der verschiedenen Vorarbeiten und Textsammlungen […] verwiesen wird, spielten dabei die sorgfältig verwalteten Schlagwortregister eine wichtige

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Registerartikel, die (wie es auch heißt) „auf beinahe 2000 Manuskriptseiten“ anwuchsen,40 alphabetisch nach Stichwörtern geordnet, „kein Sachwortverzeichnis mit Stellenangaben“, sondern „Konzentration des Exzerpts in Kurzsätzen, die unter Stichwörtern versammelt werden“,41 ohne klassifizierende „Systematisierung des Überlieferten“42 – aber mit eigenen Lese-Effekten. Solche lassen sich etwa den Einträgen unter dem Stichwort Maschine(n) absehen,43 die kunstfertige, täuschende Doppel, Machinationen wie/als Tricks und Intriguen, gefährliche Abbilder, die Stellvertretung einer Person durch ihr Wachsbild oder ihre Statue, Simulakren, und deren unheimlich usurpatorische Macht, Puppen, Bildwerke, die belebt werden, Schein-lebendige Maschinen, die Betrachter schaudern machen, usw. im listenden Nebeneinander rekonfigurierbar zur Verfügung stellen. Dem Leichname des Königs tischt man  auf, sein  wächs. Bild auf dem Panadenkette I.19 […] [0012] Man verwundet den Feind in seinem wächsernen Bilde 55. […] [0019] Als aus Mangel eines schwarzen Stiers einen gebaknen opfern wolten, kam einer geschwommen 143 […] [0026] Die Raubvögel gewöhnt der Perser an das Augenfressen durch ein aus=gestopftes Thier das bewegt wird. 21. […] [0029] In Aachen geht zu Prozessen eine Puppe von Karl dem Gross. mit bewegl. Kopf und Augen. 34. […] [0033] In Sina stelt man die beiden Todten nebeneinand. und ihre Vermäh=lung gilt für ein wirkl. durch das Brod aus Thon das natürl. ankündigen. [0034] Ein Jüngling verliebte sich in eine Statue; tödtete sich da sie ihm ver=weigert wurde. 42. […] [0042] Einem Kruzifix wachsen Nägel, Hare, Bart. 54. […] [0052] Saturninus: Christus nur ein Scheinkörper, weil die Materie böse. 8 [0005]

Rolle“ (Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 3). Die Register gehören zu den Exzerpten-Exzerpten; vgl. etwa Fasz. VIIIb: „Wörterbücher und Register (Studien IV)“; Fasz. VIIIb: „Unalphabetisches Register“ (15); Fasz. VIIIb: „Register“ (17): „Exzerpte aus Exzerpten (verkürzte Exzerptkopien)“ und (18-19): „Register des Registers“. 40 Vgl. Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 3. 41 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 327f., verzeichnet über 150 und dokumentiert einige dieser Registerartikel (mit einigen Verlesungen, Auslassungen und unmarkierten Ergänzungen der Jean Paul’schen Kürzel, Abbreviaturen); vgl. die Aufstellung der „Registerartikel“ Fasz. IIIa u. IIIb, in Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 26-33. 42 Aber G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 322; dass Register „die chaotisch angehäuften Wissenspartikel zu neuem Sinn“ ordnen (ebd.), muss bezweifelt werden. 43 Register „Maschine/n“, Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin/Preußi­ scher Kulturbesitz, Sign. NL Jean Paul, Fasz. IIIb, Konv. 2 (Bl. 7-13); vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 30; vgl. G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 333-40, ders., „Jean Pauls Privatenzyklopädie“, 87-94; http://www.jp-exzerpte.uni-wuerzburg.de/index.php? seite=register/maschine.

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln [0053] Das Volk, daß die Gotheiten in die Statuen eingeschlossen. 14 […] [0066]

Den Feind durch gemalte und aus Papier geschnittene Soldaten schrekken

87 […]

[0083] Die Sele geht im Schlaf

aus dem Körp. u. schreibt alles nieder. 22 […]

[0099] Eine belebet eine fremde Statue und geniesset fremde Freuden 57 […] [0106] Archimedes erfand 40 Maschinen. 43. […]

[0112] Bilder zum Gevatter nehmen, das Kind den Statuen in die Arme legen. […] [0132] Statuen sprachen durch priesterl. Einblasung. 44 […] [0135] Eine Statue von Christo hinaufziehen. 54. […] [0140] In den Gözenbildern stekken Teufel. 79 […]

[0172] Bauchred. geht in Paris  mit einer  Rinde von  Holz, das spricht und  er tröstet. 67 […] [0175] Christus nur ein Körper; die Stelle der Sele vertrat die götl. Natur 69 [0176] Thomas der  Aquina  zerbrach den  redend. hölzernen  Kopf, Zauberei glaubend. 70 [0182] In England spinnen und kartätschen Maschinen 78 […] [0185] Mit dem ausgestopften Vogel auf einem Pfahl lokt man die Vögel. 80 […] [0187] Gewächse bringen  dieselben  Änderungen  in der  Bärmutt. als lebendig. Frucht […] [0190] Natürliche Skelette, mit Ligamenten; künstl., mit Einsendrath verbunden 99 […] [0192] Bei Erdbeben bewegten sich die Skelette zum Leiden. 17. […] [0194] Spanisch. Geistl. suchte durch einen papiern. Drachen zu bekehren. 18 […] [0211] Maschine zum Abschreiben und Abdrukken des Geschriebenen IX. 39. […] [0215] Kind. od. Zwerg regiert die Schachspielmaschine […] [0227] Der Körp. d. Auferstandenen ohne Fleisch und Blut. 60 […] [0239] Auf des Gerippes Brust eine Thür. 8. [0240] Einen Popanz aus einem lang. Rok einer Baumrinde zur Erschrekkung des Weibes 10 […] [0247] Die Erschütterungsmaschine für Hypochonder. 41. [0248] Wachsfigur für manche schaudernd.. 42 [0249] Maschine Kopir., 200 mal das Obiekt vergrössert und verkleinert 55 […] [0254] Der Türke Kempeln thut den ersten Zug. 107. […] [0259] Die 1te  Spinnmaschine (von  Arkwryht) schön weil alle  die  Figur von  der  Gestalt derMädchen geschaffen 276. […] [0267] 34. Bayle: Virgil macht für Neapel eine Zahl Bildsäulen, L a l o a t i o R o m a e ­ q e m a n t , mit einer  Glocke am Hals und  Finger auf einer  Nazionjagd – sie klingelte und wies auf d., rebellierte u. m. nant sogl. Soldat schicken. 122. [0268] 35. Puppen, die bei aufgezognem Uhrwerk über den Fusboden laufen und Hand und  Augen regen  heissen  c o i v a n t e M a r g a r e t t e , daher viel Mario­ netten. 7. […] [0272] D. Mongolen schreiben auf kleinen Windmühlen Gebete; so oft sie sich umdrehen, ists eineHersagung eines Gebets. 254. [0273] 17.  Strasser  machte ein  mechanisches Orchester; die Musik aus 2 einan­ der unterstüzenden Orchest. wieder von Walzen gemacht 19.44

44

In Auswahl aus „Maschine/n“, Numm. u. typographische Präsentation nach http://www. jp-exzerpte.uni-wuerzburg.de/index.php?seite=register/maschine; vgl. Abb. 2, Fasz. IIIb, Konv. 2, Bl. 11r (=S. 7).

EinFälle, Zufälle – aus Exzerpten

Abb. 2

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Jean Pauls Registerartikel Maschine, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Fasz. IIIb, Konv. 2, Bl. 11r (S. 7, handschriftl. Eintr.).

In den gelisteten Exzerpten scheint ein älterer Maschinen-Begriff auf, der diese in Hinsicht der Machination, Schein und intrigante Täuschung im und durchs Simulakrum kennzeichnet,45 und zugleich an die Kombinatorik 45

Vgl. G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 340 (dort Register „Maschine/n“, 302-10); zu möglichen Kriterien, nach denen die Einträge unter das Register-Stichwort „Maschinen“ gelangten, vgl. 337f., 334-40; Schmidt-Biggemann, Maschine und Teufel, 333. Die Abbild- und Bildproblematik, die bis zur theologischen Frage nach dem Status des („Schein“-)Körpers Christi bzw. des Teufels reicht (G. Müller, 338, 336f.), geht (auch als pygmalionische Belebung, Homunculi) bis zur Vortäuschung von Lebendigkeit durch Maschinen oder Automaten (das klavierspielende Frauenzimmer, Kempelens Schachtürke, der nur vortäuscht eine Maschine zu sein, die Jean Paul alle abhandelt in „Unterthänigste Vorstellung unser, der sämtlichen Spieler und redenden Damen in Europa entgegen und wider die Einführung der Kempelischen Spiel- und Sprachmaschinen“ SW II.2, 167-85; „Einfältige aber gutgemeinte Biographie einer neuen angenehmen Frau von bloßem Holz, die ich längst erfunden und geheiratet“, SW II.2, 393-422); zu den barocken Machinationen/Maschinen  A.  Kirchers, vgl. Lachmann/von Samsonow, „Magieglaube

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

­ insichtlich der Beweglichkeit von gekoppelten Elementen anschließt.46 Die h Notationen sind als gelistete auf Rekombinationen, auf die lineare Abfolge lösende, sie querende Verknüpfungen angelegt, halten einen potentiellen Kontakt zwischen den voneinander abgesetzten, heterogenen Einträgen fürs querende (Wieder-)Lesen vor, das Effekte ‚witzigen‘ Erfindens zeitigt – wozu Jean Paul diese Zusammenstellungen, sie lesend durch-gehend,47 auch genutzt habe.48 Das exzerpierende Lesen ist blätternd dissozierendes Lesen, das sich in Exzerpten und Sammlungen derart schreibt, das es zu rekursiven Operationen des Lesens/Schreibens, zu stets weiterem zerlegendem Lesen: Durch‚laufen‘ anhält,49 das sich in Registern veräußerlicht weiter dazu schreibt. und Magie-Entlarvung“, 113-17, 125-28; Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 221f., 231-36, zur Sprachmaschine s.o. Kap. I.6. 46 Vgl. Schäffner, „Erfindungskunst“, 429ff.; beide Aspekte auch bei Schmitz-Emans, „Ut collectio poesis“, 80, 77f. (mit Bezug auf „Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften“, Jean Paul, SW II.2, 446-53, insb. 452f.). 47 Vermutet wird: „In mehreren Etappen durchkämmte Jean Paul die Bände nach Einträgen […] und vermerkte das Ergebnis dieser Selektivlektüre in Registerartikeln“; das „regelmäßige Lesen und Wiederlesen einzelner Exzerptbände“ notierte der „Berufsschriftsteller“ „häufig mit Monats- und Jahresangaben auf der Innenseite der Einbände“ (Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 3; ders., „Jean Pauls (Un-) Ordnung der Dinge“, 87; Wirtz u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 29). Zu den verschiedenen Registrierungen der Exzerpte mit Beispielen zum Vorgehen vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 72f.). 48 Es heißt, Jean Pauls Exzerpte und deren Erschließung durch Register ermöglichten die „Erfindung witziger Ähnlichkeiten“ wie auch „zentraler Motive im Werk“ (G.  Müller, Jean Pauls Exzerpte, 338ff.; mit Hinweisen auf Jean Pauls Romane Die unsichtbare Loge, SW I.1, 321, 338ff.; Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte, SW I.6, 639f.; Hesperus (Vorrede zur 2. Aufl.), SW I.3, 8-13); vgl. Birus, Vergleichung, 52; SchmidtBiggemann, Maschine und Teufel, 104-11; Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, Literaturhinweise 221f., 234ff.; Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 39; Schuster, „Metaphern aus dem Zettelkasten“, 180f.; M. Wieland, Vexierzüge, 87; ders., „Parasitärer Paratext“, 204ff. 49 ‚Durchlaufen der Bücher‘ ist terminus technicus der gelehrten Praxis (vgl. Zedelmaier, „Lesetechniken“, 20, 22). „Blättere täglich deine Wörterbücher zu[r] Auskundschaftung deines Reichthums durch“ (Jean Paul, Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 558). Für das Ensemble inventiver Operationen vgl. Studier-Reglement (1795): „2. Blät­ tern in Exzerpten.  3. Abschreiben.  4. Lesen.  5. Exzerpten.  6. Leipziger Exzerpten.  7. Abschreiben. 8. Lesen. 9. Exzerpten. 10. Register an der oo. 11. Eine besondere Wissenschaft. 12. Exzerptenregister. 13. Exzerpten. 14 Philosoph[ica]. 15. Blättern in Exzerpten.  16. Lesen.  17. Bemerkungen über Menschen.  18. Geograph[ie].  19. Ins Wörterbuch. 20. I[bricht ab].“ (HKA, II.6, 574) und „Einen Band lies ganz, und nur für einen reichen Artikel z.B. Tod, durch – in anderen blättere flüchtig für viele und leichte Artikel./ […] 13 Stat neuer Artikel: nim die angefangenen alten: Stehlen, Name. […] 15 Wizbuch nach der Pagina zu legen./ 16 Beim Register z.B. […]“ (HKA II.6, 561f.). Zum Blättern als nicht lineares Lesen vgl. in Gunia/Hermann (Hg.), Literatur als Blätterwerk, deren „Einleitung“,

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Aufstellungen wie Studier-Reglement und Register dessen was ich zu thun habe (unter „Schriften zur Biographie“ einsortiert, ein Schreiben des ‚Lebens‘ des Schreibens)50 geben die Verfahren des schreibenden Lesens in selbstadressierenden Imperativen aus: Exzerpiere! Schreibe ab!51 Das erschließende Register, das Zugriffe ermöglicht, muß zugleich auf sich zurückkommen, als Operation rekursiv werden; ein solches schreibt sich (im „Register“ von allem möglichen) auch als ein „Register der Register“ hinzu;52 die Räume der Schrift werden gerade durch diese An-Ordnungsmaßnahmen undurchdringlich. Das Register-Machen zu Exzerpten, zu Sammlungen, zu allen möglichen Agencements wird angewiesen in (wiederum dazugeschriebenen) Selbst-­ Vorschriften des Lesen/Schreibens im „Register dessen was ich zu thun habe“. Es verzeichnet sowohl „19  Ein Register für das Register aus der Geschichte machen“, wie auch in der zeitlicher Aporie ihrer Zirkularität die Anweisung: „1 Dieses Register ietzt zu machen“ (Hvhg. BM), deren Niederschreiben aber ‚jetzt‘ anstatt der des Registers sich vollzogen haben muss, deren Befolgung ‚jetzt‘ das Aufschreiben der folgenden Liste unterbrechen und blockieren müsste. 1 Dieses Register ietzt zu machen./ 2 Aus der Geschichte ein Register./ 3 Aus den ‚Gedanken‘ eines./ 4 Das erste durchzulesen und/ 5 Das andere./ 6 Das Wörterbuch vermehren./ 7 Es lesen./ 8 Die Geschichte lesen./ 8 Die ‚Gedanken‘ lesen./ 10 Register aus den Thorheiten machen./ 11  Eines aus der ‚Wizsammlung‘./ 12 Diese lesen./ 13 Die Ironien Lesen./ 14 Ein Register daraus machen./ 15 Die Anleitung zum Wize lesen./ 16 Die zur Tugend lesen./ 17 An dem deutschen Lexikon arbeiten./ 18  Lesen der Anekdoten./ 19  Ein Register für das Register aus der Geschichte machen.53

11, 14, die Beitr. von E.  Schumacher, Schultz, Hagel; vgl. D.  Schmidt, „Umblättern statt Lesen“; Schulz, Poetiken des Blätterns, 221-28. 50 In HKA II.6; die „Listen der zu erledigenden Arbeiten und der Studierregeln“, werden als „autobiographische Zeugnisse“ verbucht (Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 3; vgl. G. Müller/Knab/Feifel, „Nachwort“ (zu HKA II.6, App.), 270), 295-98). 51 Vgl. Jean Paul, Studier-Reglement, HKA II.6, 561f., 563f., 566, 568, 574; Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 551, 558. 52 Jean Paul, „Register des Registers“, Fasz. VIIIb. (18f.). 53 Jean Paul, Register dessen was ich zu tun habe, HKA II.6, 551f. (datiert ca. 1782-87, Abb. Bernauer, „Katalog“, N° 3.9, 50 u. 54); insistiert wird: „Mache doch vor allen Dingen ein Register über die Thorheiten“ (558), oder auch „Arbeitsregeln mit Beispielen“ (Fasz. IX, in HKA II.9 [bisher nicht erschienen]).

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

Insofern führt nicht nur „der minuziöse Ideenhaushalt“ Jean Pauls, so Christian Helmreich, „mitunter zu komplizierten Arabesken“,54 jenen vermeintlich sich (nur) hinzufügenden Randornamenten, die aber die heterogene Fügung der Darstellung selber hypertrophierend auto-thematisieren und die (vermeintlich abtrennbare, eingefasste) Darstellung zu ‚überborden‘ tendieren. Auch die Notate zu den Schreib-Techniken, den Operationen des Lesens/Schreibens vermeintlich ‚am Rande‘ (des vermeintlichen Werks) schreiben sich stets weiter hinzu, sind rekursiv, weisen die An-Wendung auf sich ‚selbst‘ als geschriebene an. Was als Randzonen oder Vorfelder des (umfänglichen) Werks gelten könnte, die dieses nur zu ermöglichen und zu regulieren hätten, vervielfacht sich und dehnt sich, speist nicht nur, sondern drängt in die Bücher, die sich nicht zu Werken schließen werden, und erzeugt die Nicht-Entscheidbarkeit zwischen dem, was dazugehört und was nicht, zwischen Darstellung von etwas (oder Werk) und Zusätzen, zwischen Text und Rändern. Indem die Kulturtechniken des Ordnens und Wiederauffindens auf dem Papier und der Papiere, die zahlreichen Ordnungsbemühungen in verschiedenen Anordnungen, Agencements und Exzerpten-Exzerpte,55 sich den Konvoluten immer noch weiter hinzuschreiben, setzen sie mit der Hypertrophierung der Exzerpte, Verweissysteme, Supplemente die (vermeintliche) An-Ordnung von Meta- oder Beitext aus, machen, statt das Ordnungsgefüge durch die dieses (daneben und dazu) darstellende Supplemente: Indexe, Register, Quellenverzeichnisse, zu sichern, das vielfach Angesammelte undurchsichtig.56 54 Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 113. Romantischen Arabesken (F. Schlegels, vgl. Menning­ haus Lob des Unsinns, 94-118, 16f., 22ff.) sind Jean Pauls Romane mit ihren Digressionen nahe (s. Kap. IV.2; vgl. Birus, (mit Goethe) Vergleichung, 57); vgl. „komische Arabesken und Morisken des Kommentars“ (Jean Paul, SW I.4, 565). Den „Gefahren des StoffÜberflusses“ hält Jean Paul entgegen „Eine stoffärmere [„Handlung“] verträgt dagegen eine desto breitere Einfassung von Witz-Arabesken“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 468). Gegen die „ruhige[!] Haltung der Ironie, welche […] durch den Zudrang komischer Fülle verrückt“ werde, führt er die „Begeisterung des Humors“ mit Hogarth und Sternes Tristram Shandy (469). 55 Etwa: „Einfälle“, „Bemerkungen“ (Fasz. XIa, zugänglich in Jean Paul, Bemerkungen über den Menschen, HKA II.5 (1936) (repr. 1984), 3-10, hier: 6-9, vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 108ff.); „Gedanken“ (Fasz. Xib; in HKA II.8); Fasz. IX: „Gedankenblitze“ (1-2), (7) „Ideen-Würfeln“, Februar 1795 (vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 77ff.); „Witz“ Fasz. IX (1); „Witzsammlungen (Bde.  1-3)“, Fasz. IX (2-4): Bd.  1 (2) – „Einfälle nach Rubriken geordnet“, Bd. 2 (3): Witzsammlung. Register u. Bl. 1-41 „Einfälle, nach den Rubriken des Registers geordnet“ (vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 75ff.); „Erfindungsbücher“ mit Register; „Laune und Ironie (Bde. 1-6)“; „Einfälle“ (Fasz. IX, erscheint in HKA II.9 [in Vorb.]). 56 Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 87f., vgl. 83-89, die tabellarische Übersicht 94f.; vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 27f. Zu denken ist an die Unordnung von

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Zur Kennzeichnung der Jean Paul’schen Wissens-Verarbeitung fällt immer wieder das Stichwort barock.57 „Das Exzerpiersystem, das Jean Paul entwickelt und das maßgeblich für sein Lektüreverhalten wird – er lese, bekennt er, ‚fast nichts mehr […] als was zu exzerpieren ist‘ – funktioniert offenkundig nach dem Modell der barocken Kollektaneen“,58 den thesauri von loci communes,59 den Fundūs der inventio wie der elocutio für den poeta doctus.60 Charakterisiert werden Jean Pauls Texte derart durch ihren Anschluss an eine veraltete Wissensform, die durch die ‚Polyhistor’n‘ bezeichnet ist und ‚veraltet‘ sich in einer Perspektive zeigt, die in Christian Fürchtegott Gellerts „Der Polyhistor“ (1746) das lyrische Ich diesem entgegensetzt: „‚Ich habe nichts als mich studiert/ Nichts als mein Herz‘“.61 Jean Paul exzerpierte nicht nur Daniel Georg Morhofs De excerpendi ratione (zuerst 1688), der unter dem Titel Polyhistor noch einmal eine Anleitung zum rechten Exzerpieren als Technik des

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59 60 61

Burtons Anatomy of Melancholy, den melancholischen Zug des Buches, dem Burton mit überdifferenzierenden Baumschemata in der Beifügung: als Supplement beizukommen suchte. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382. Einen „gewiß barocken Dichter“ nennt Benjamin Jean Paul („Der eingetunkte Zauberstab“, GS III, 415; vgl. Völk, „Der saturnische Wutz“, 67f.). „Jacobis Unbehagen“ galt „seinen ‚barocken Gleichnissen‘“ (vgl. Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, 25 u. XXI; Kilcher, mathesis und poiesis, 380f.) „Als barock […] gelten Jean Pauls Texte in ihren zahlreichen Anspielungen, Abschweifungen und Assoziationen, mit einem Wort: in ihrem ‚polyhistorischen‘, in ihrem enzyklopädischen Dispositiv“ (381, vgl. 389ff.). Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 38 (mit Zitat aus Jean Pauls Brief an Christian Otto, HKA III.3, 56); vgl. Jean Pauls Liste Libri Legendi, HKA II.6, 891-936. Auch das Diktum: „Er las nämlich nichts, was er nicht exzerpiert hätte“, ist Zitat und zitierbarer locus communes (über Plinius d.  Ä., so dessen Neffe; vgl. Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 84; Décultot, „Die Kunst des Exzerpierens“, 9f.); die Aufgabe zu exzerpieren vgl. Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 451f. Der memoriale Aspekt vor allem bei Mayer, Art. „Kollektaneen“. Vgl. Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 38; Kilcher, mathesis und poiesis, 381; von Arburg, „‚Der Mann, der erst in seine Excerpta steigen muß‘. Lichtenberg“, 165f., u.v.a. Gellerts Fabeln (1774), 222f. Der Polyhistor versteht nicht mal, dass es hier ernst wird: „hörts und lacht“ – und muss sich von Charon zurechtweisen lassen. Zur Perspektive des 18. Jh. auf die „‚Polyhistorie‘ […] als eine überlebte Praxis“ vgl. Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 422, 421-24, 435-50. Der „schriftstellerische[n] Schöpfung aus nichts, nämlich aus sich“, damit dem Geniekonzept, entgegnet aber Jean Paul mit dem „Rat“ „ein junger Schreib- und Dichtkünstler [solle] neben dem Dichten noch Wissenschaften treiben, z.B. Sternkunde, Pflanzenkunde, Erdkunde usw.“, wie die „klassischen Alten“, „Goethen“ „Rabelais, Butler, Swift, Sterne“: „In der Tat ist das Leere unerschöpflich, nicht das Volle“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 459, vgl. Grönländische Prozesse, SW II.1, 398); zur üblichen Absetzung des Genies vom poeta doctus, etwa Lessing, vgl. J. Schmidt, Geschichte des Geniegedankens, 91.

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gelehrten Lesens vorlegte,62 die „die Anhäufung von Wissen als Basis für ‚neue Gedanken und Erfindungen‘“, als topische Sammlung, die die Findung und Erfindung als „Zuordnung des allgemeinen Materials (der loci communes) mit dem besonderen Redegegenstand“ ermöglicht,63 und den sog. ‚letzten Polyhistor‘, den Wiener Bibliothekar Michael Denis mit dessen Einleitung in die Bücherkunde (1777/78), als erstes Buch zu Beginn seiner ‚miszellanischen Periode‘.64 Jean Paul zitiert im Prozessieren seiner Aus- und Aufschriebe den veralteten Typus des Wissens und dessen Formen, das (und die) veraltet, zitiert, zu etwas anderem geworden sind.65 62

Morhof erschien in 4. Aufl. 1747; vgl. Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 433f. u. 441, 446; zu den verschiedenen Ausgaben, ders., „De ratione excerpendi. Morhof“, 78ff. Bezüge Jean Pauls u.a.: Freiheitsbüchlein, SW II.2, 833; Quintus Fixlein, SW I.4, 88 u. 126; vgl. G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 193-210; Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 38f.; Kilcher, mathesis und pioesis, 381, 384f.; Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 488; Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 53; M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 116f. 63 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 321; Kilcher, mathesis und poiesis, 381, 384f. Die Wissenskompilation leistet zum einen das Speichern mit der Aufgabe der Ordnung (auch Reduktion) und deren Darstellung oder Visualisierung (in der Frühen Neuzeit) u.a. als Theatrum, Bibliotheca, Florilegium (vgl. Büttner u.a., „Zur Einführung“, 7, 9f.; Heß, „Formen der Validierung in frühneuzeitlichen Florilegien und Enzyklopädien“, 88f., 92f.; ders., „Enzyklopädien und Florilegien im 16. und 17. Jahrhundert“; zu Wissens-Theatern vgl. Schock u.a. (Hg.), Dimensionen der Theatrum-Metapher in der Frühen Neuzeit, darin Zedelmaier, „Navigieren im Textuniversum“ u.a., zu Camillos Gedächtnistheater Neumeister, „Theatralität des Wissens als Raum und als Text“; Van Delft, „Theatrum Mundi. L’Encyclopédisme des Moralistes“, 248ff.). Zum zweiten muss sie die Wissens-Verwaltung im Sinne der Beweglichkeit des Wissens: Zugriff, Abruf, „Formen und Praktiken der Zirkulation“ ermöglichen (Büttner u.a, „Zur Einführung“, 7-10; Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 78-90); zu beiden Aufgaben, des Speicherns und des Zugriffs, und beider Widerstreit vgl. Rieger, Speichern/Merken, 42-72, 68-72. 64 Vgl. Jean Paul, Exzerpte Fasz. IIa, „Geschichte“, Bd. 1, 1782, 3f., nach G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 345; „Denis war eine der zahllosen Quellen für das Wissen von der physischen Gestalt der Bücher, das in Jean Pauls literarisches Werk einging“ (L. Müller, Papier, 180). Die „Bücherkunde“ sollte in der gemeinplätzig als ‚traurige Zersplitterungen in der Bücherwelt‘ berufenen Fülle an Büchern mit Katalogen, die ‚zum Nachschlagen brauchbar‘ wären, abhelfen (so Denis, Einleitung in die Bücherkunde). Mit Bücherordnung und Katalogen wird das „polyhistorische[] Modell[] der Wissensverarbeitung“ verhandelt: „Um den gezielten Zugriff auf den Zeichenspeicher, der Bedingung jeder Selektion und Verarbeitung einzelner Daten ist, weiter zu gewährleisten oder wiederherzustellen, müssen andere Ordnungsverfahren entwickelt werden“ (Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 52; vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 54-59, 40, 11). 65 Trotz des üblichen Modells des Umbruchs (der common place ist ‚Selbstdenken statt Abschreiben‘, zur Diskussion vgl. Ortlieb, „‚Materielle Wahrheit‘“, 54-59; statt ‚Vielwissen‘, vgl. Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 91f., statt ‚Lesen‘, vgl. Neumann, Ideenparadiese, 198, u.ö.) wird auch im auslaufenden 18. Jh. exzerpiert: vgl. den von Décultot hgg. Band

EinFälle, Zufälle – aus Exzerpten

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Hegel sprach von Jean Pauls „barocke[n] Zusammenstellungen von Gegenständen, welche zusammenhanglos auseinander liegen, und deren Beziehungen, zu welchen der Humor sie kombiniert, sich kaum entziffern lassen“.66 Hier ist barock – versteht sich – kein Epochenbegriff, sondern ruft das Deformierte,67 Verzerrte oder Groteske68 auf. Im Begriff des Barocken gehören das Überholte, Veraltete der Wissensform und das Entstellte, Unförmige zusammen. Die „Gelehrsamkeit“, die alles wissen wolle, heißt Kant eine „g i g a n t i s c h e “, „die […] oft zyklopisch ist, der nämlich ein Auge fehlt: nämlich das der wahren Philosophie, um diese Menge des historischen Wissens, die [Bücher]Fracht von hundert Kamelen [die die Polyhistor’n beibringen], durch die Vernunft zweckmäßig zu benutzen“.69 Als „zyklopisches“ ist jenes Wissens, das keine Organisation und keinen Grund in Prinzipien der Vernunft habe, monströs,70 während mit dieser Metapher umgekehrt dessen „Regierung“ im menschenähnlichen zweiäugigen Gesicht figuriert wäre. Wenn Jean Paul eben diese Metapher in der „Selbstrechtfertigung“ gebraucht, dann kennzeichnet Lesen, Kopieren, Schreiben. Lese- und Exzerpierkunst in der europäischen Literatur des 18. Jahrhunderts; zur „tiefgreifenden Umwälzung des humanistischen Modells“ gehört, dass überkommene begriffliche Grenzen, Klassifizierungen „‚subjektbezogen‘“ undurchsichtig oder „vermengt“ werden (dies., „Kunst des Exzerpierens“, 29-33, 27f.). 66 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382; Hegels Rede vom „Humor“ umfasst (als romantischer „subjektiver“) ebenso die Ironie und den Witz; dgg. hält Jean Paul Humor und Witz (zum Nachteil des Letzteren) auseinander (Vorschule der Ästhetik,  § 31-35; vgl. Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft, 118-42, insb. 119-25, 134, 140f.). Das „artistisch verwirrende Spiel der Kombinatorik“, daher der Witz seien, so Lessing, „etwas spezifisch Barockes“ (zit. nach J. Schmidt, Geschichte des Geniegedankens, 88). 67 ‚Barocke‘ waren „Monströse Perlen“ (Jean Paul, Register „Maschine“, Eintrag-0257, Ms. S. 11 (Maschine X. XII. 10); „ce qui fait rire“ sei „barocque“, Denkgewohnheiten entstellend, so (der von Freud beigezogene) Mélinand, „Pourquoi rit-on?“, 613ff. 68 Jean Pauls „groteske Porzellanfiguren seines wie Reichstruppen zusammengetrommelten Bilderwitzes“, so F.  Schlegel (Athenäum-Fragmente, KFSA II, 246 (Nr.  421); vgl. 200 (Nr. 220)), vgl. Bouterwek (1789, Kilcher, mathesis und poiesis, 380f.). 69 Kant, Anthroplogie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 546f.; mit der Metapher der „Ladung Bücher für hundert Kamele“ kennzeichnet er die „Polyhistorn“ als „Wundermänner[] des Gedächtnisses“, die „vielleicht die, für das Vermögen der Auswahl aller dieser Kenntnisse zum zweckmäßigen Gebrauch angemessene, Urteilskraft nicht besaßen“ (489). 70 Diderot nimmt das Monster zum „Modell für seine ‚combinatoire‘“ und vergleicht im „Encyclopédie“-Artikel „das Werk eines ‚homme de génie‘, der – im Bruch mit überkommenen Wissenstraditionen – neue Entdeckungen und neue Zusammenhänge herstellt, mit einem monströsen Akt“ (Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, 412, 414f.). Kant, der „Genie“ als „Talent zum Erfinden“ einführt (Anthroplogie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 543), unterscheidet „mechanische Köpfe“ und sog. „Geniemänner (besser Genieaffen)“ (545ff.).

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er aber mit Polyphem des Verstandes Reduktion als Entstellung, dagegen den Witz durch die andere Ungeheuerlichkeit der nicht-menschenähnlichen ‚Vieläugigkeit‘ und die Unmäßigkeit des Einverleibens: Ueberhaupt nützet dem Wize Gelehrsamkeit so wie sie dem Verstande schadet, der nur im finsteren Brunnen die Sterne sieht. Der eine gleicht den Insekten, die viele Augen haben, der andre dem Riesen Polyphem, der nur eines hatte. Der eine ist ein Vielfras und macht vor dem Essen keinen Tanz, der andre singt wie die Vögel am schönsten ungefüttert. Der eine ist ein Wechsler, der viele und vielerlei Münzen im Vorrathe hat, und der andre ein Oekonom, dessen Vermögen in liegenden Gründen besteht.71

„[N]ützet“ dem Witz die „Gelehrsamkeit“, so indem er sie nutzt, im grundlosen und nicht aneignenden Gebrauch, der keinen Prinzipien unterstellt, als heterogene Vielheit vernutzt. Die ökonomische Metapher, die den Witz zum einen als Wechsler ins Zwielicht setzt, lässt zum anderen absehen, dass beim Witz, der ohne ‚Grund‘ die Währungen, „vielerlei Münzen“ wechselt, der größere Ertrag liegen könnte. „[B]arock“ heißt Friedrich Bouterwek (1789) das „durcheinander [G]ewor­ fen[e]“ der Texte Jean Pauls: „‚Querfeldein wird erzählt, phantasiert, philosophiert, sarkastisiert, gerührt und amüsiert‘.“72 Die durchs Exzerpieren organisierte frühneuzeitliche Wissensform „begann [so heißt es] im 18. Jahrhundert obsolet zu werden“.73 Michel Foucault zitierte die (dadurch so bekannte) von Jorge Luis Borges (anlässlich des Universalsprachen-Programms von John Wilkins) fingierte „cierta enciclopedia china“ nicht so sehr als Beispiel für die alte Wissensordnung, sondern weil sie im „Erstaunen über diese Taxonomie“ „mit einem Sprung [erreiche], was in dieser Aufzählung uns als der exotische Zauber eines anderen Denkens bezeichnet wird […]: die schiere Unmöglichkeit, das zu denken“.74 Damit wird auch z.B. das von Jean Paul aufgelistete selbstreferentielle Gelehrten-Register gut getroffen: 71 Jean Paul, „Selbstrechtfertigung“ der Grönländischen Prozesse, SW II.1, 477f.; HKA, I.1, 108f. 72 Zit. nach Kilcher, mathesis und poiesis, 380f. Umwertend  F.  Schlegel: „Die wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen sind bon mots der Gattung. Das sind sie durch die überraschende Zufälligkeit ihrer Entstehung, durch das Kombinatorische des Gedankens und durch das Barocke des hingeworfenen Ausdrucks.“ (Athenäum-Fragmente, KFSA II, 200 (Nr. 220); vgl. 239f.); das meine das „Verblüffende oder gar Dunkle des Ausdrucks“ (so Neumann, Ideenparadiese, 455, 457), aber das „Barocke“ heißt auch, dass „etwas zu fehlen scheinen [muss], wie abgerissen“ (KFSA II, 236). 73 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 333. 74 Foucault, Die Ordnung der Dinge, 17. Insofern verdanke sein Buch diesem Text von Borges „seine Entstehung“; zitiert ist Borges’ „El Idioma Analítico de John Wilkins“; den

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[Daß] Bernhard [ein Register] von Gelehrten [gegeben], deren Fata und Lebenslauf im Mutterleibe erheblich waren – daß Bailet die Gelehrten zusammengezählt, die etwas hatten schreiben wollen – und Ancillon die, die gar nichts geschrieben – und der Lübecksche Superintend Götze die, die Schuster waren, die die ersoffen usw. Das […] sollte […] uns zu ähnlichen Matrikeln und Musterrollen von andern Gelehrten ermuntert haben, deren er einige vorschlage – z.B. von Gelehrten, die ungelehrt waren – von ganz boshaften – von solchen, die ihr eignes Haar getragen – von Zopfpredigern, Zopf-Psalmisten, Zopfannalisten etc. – von Gelehrten, die schwarzlederne Hosen, von andern, die Stoßdegen getragen – von Gelehrten, die im eilften Jahre starben – im zwanzigsten – einundzwanzigsten etc. – im hundertundfunfzigsten, wovon er gar keine Beispiele kenne, wenn nicht der Bettler Thomas Parre herangezogen werden solle – von Gelehrten, die eine noch abscheulichere Hand als andere Gelehrte schrieben (wovon man nur Rolfinken und seine Lettern kenne, die so lang wie seine Hände) – oder von Gelehrten, die einander in keine Haare gerieten als in die am Kinn (wovon keine als nur Philelphus und Timotheus bekannt sind).75

Wenn Jean Pauls Texte die soeben veraltete Wissensform zitieren, so zitieren sie diese als veraltete Praxis des exzerpierend-aus-schreibenden Lesens, des Schreibens von und aus Exzerpten,76 in der Faktur der Texte, deren Selbstexposition und autoreferentiellen Schreibszenen. Das den ‚toten Wörtern‘ verpflichtete Gelehrtentum gewinne als Pedanterie, so Rüdiger Campe, in Jean Pauls Romanen „ethnologische Wirklichkeit“,77 indem „im Inneren des Literarischen“ die „Schriftlichkeit und Geschichtlichkeit der Literatur“ als „Komik“ „auftaucht“ – und die Texte die ‚pedantische‘ Verhaftung an die Zusammenhang mit Foucault Zitat der chinesischen Enzyklopädie vermerkte schon G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 331ff. 75 Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 82f. 76 Es geht um die Differenz in der Zitation (vgl. aber Wirtz, „Vom Nachlassen“, 175; Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 35) der „Relikte[] einer obsoleten Gelehrtentechnik“ (M.  Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 102, 100-04). Jean Paul „aktualisiert und transformiert […] als ‚barock‘ charakterisierbare polyhistorische Muster, Methoden und Paradigmen des Wissens und Schreibens“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 381, 389ff.; vgl. Helmreich, „Die Geburt des Romans aus dem Geist der Gelehrsamkeit“, 266f.). 77 Etwa in Quintus Fixlein und Schulmeisterlein Wutz, Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 157; das ist zugleich die „Wiederkehr der Kindheiten“ (vgl. 156ff.). ‚Pedantism‘ macht die „Wissenstradierung im Transport der Zeichen“, „Gedächtnis, Abgestorbensein und bloß erlernte Teilhabe am Zitat und an der Sentenz“ aus (143f.). Als Pedant wird nachträglich der „Polyhistor“ figuriert, vgl. Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 421f., zur nachträglichen Beobachtbarkeit der Polyhistor’n 422f., 436-39, sowie der frühneuzeitlichen Wissensorganisation, ders., „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 38f.; ders. „Navigieren im Textuniversum“; vgl. die Bände: Büttner u.a. (Hg.), Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen; Stammen/Weber (Hg.), Wissensicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung; Schock u.a. (Hg.), Dimensionen der TheatrumMetapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen.

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Zeichen in den Wortwitz: als Spiel mit den Signifikanten, fortschreiben.78 Das ‚technische System‘ des Ausschreibens, der Exzerpten-Verwaltung wie deren „Handhabungen“,79 des Schreibens als Operationen über diese, bildet ein „heterogenes Ensemble“ des Schreibens, das, mit dem Begriff Campes, Jean Pauls „Schreib-Szenen“ weniger bloß thematisieren,80 denn vielmehr als ‚überständige‘ Praktiken vor- und ausführen.81 Der Witz appelliert, so Jean Paul, an ein „gewisses Vielwissen“, das den Polyhistoris’m zitiert,82 und ‚mutet‘ es ‚zu‘, indem er Heterogenes, von überall her und auf nicht-integrative Weise beizieht. Die durchs Exzerpieren: im Zirkel zwischen Geschriebenem und Geschriebenem, Buch und Buch,83 Papier und Papier, organisierte Wissensform wurde obsolet, wie es heißt, insofern Wissen nun nicht mehr abzuschreiben ist, sondern unter der Vorgabe kritischer Scheidung, kritischen Urteils steht;84 „Überlieferung und Empirie wurden nun voneinander getrennt“, die „‚wahre‘, […] ‚eigentliche‘ Wissenschaft“ war, so 78 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 157, 160. 79 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199f. 80 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 271f. (Orig., 760); Pethes, „Actor-NetworkPhilology?“, 214ff.; neben der Taschenbibliothek werden immer wieder Fixlein, Wutz, Fibel beigezogen (vgl. Kap. III.2). 81 Die Formel des „Überständigen“ von Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 145f., 157, 160. 82 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205f. Vielwisser war wörtlich der Polyhistor (vgl. Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 424). Jean Paul zufolge herrsche „jetzo dazu noch eine besondere Vielwisserei, ja eine größere Allwissenheit und Enzyklopädie in Deutschland, und dies nicht bloß durch Hofmeister, sondern auch durch unsere allgemeinen Literatur-Zeitungen und Bibliotheken“ (SW I.5, 206). Die unabsehbare quantitative Zunahme des Wissens mit der der Druck-Erzeugnisse war Topos schon der Frühen Neuzeit, der nach Organisation und darstellender Ordnung rief (vgl. Heß, „Enzyklopädien und Florilegien im 16. und 17. Jahrhundert“, 49f.; Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 428, 444; Stockhammer, „Zeichenspeicher“, u.v.a.). Die barocke Wissensordnung operierte unter dem Druck der Bücher- und Wissensmultiplikation durch den Buchdruck und mit dessen Prinzip der beweglichen Lettern, vgl. Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 453ff., 484-89, 492ff.; Willer, „Fallen, Stellen“, 207f.; Krajewski, ZettelWirtschaft, 22ff. 83 „Man lerne durch das Buch für das Buch.“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205). Lichtenberg: „Er exzerpierte beständig, und alles, was er las, ging aus einem Buche neben dem Kopfe vorbei in ein anderes.“ (Sudelbücher II, 166 (Gii 181), zu den Paradoxien der Entgegensetzung von Leben und Buch, vgl. Neumann, Ideenparadiese, 195f.). „Selten kann ein Bibliothekar seine Bibliothek auswendig“; denn so „beuteln gute Rats- und Universitätsbibliothekare die literarischen Schätze treu durch ihre Hände, ohne etwas davon in ihrem Kopf beiseite zu bringen“ (Jean Paul, Komischer Anhang, SW I.3, 854). Mit: „Gelehrsamkeit kommt wohl aufs Papier aber nicht in den Kopf“ verwarf auch Hallbauer das Exzerpieren, zit. nach Ortlieb, „‚Materielle Wahrheit‘“, 56). 84 Vgl. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 111, 116f.

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sagt man, ‚nach Descartes‘ „unvereinbar“ geworden mit der „Geschichte der Lehrmeinungen und Autoritäten“.85 An die Stelle des Polyhistorismus trat, so heißt es, die neue Enzyklopädie.86 Wenn Jean Paul postuliert: „Der Mensch als Mensch muß Poly- ja Panhistor sein wollen in allen Wissenschaften“,87 so wäre die Vielheit mit Allheit überboten, deren Begehren der ‚Encyklopedie‘ eingeschrieben ist. Die Vollständigkeit des Wissens wird durch Enzyklopädien in zwei konkurrierenden Modellen konzipiert: Sie kann als Summe, als Aggregat oder (wozu die Philosophie neigt) als Systematik der Klassifikationen ausgeprägt werden.88 Nicht nur sollte, Kants Anthropologie zufolge, das ‚zweite Auge‘ der „wahren Philosophie“, nach- und übergeordnet, beurteilen, was beiund zusammengetragen wurde;89 vielmehr machen die Erkenntnisse „[u]nter der Regierung der Vernunft“ „keine Rhapsodie, sondern“, so die Kritik der reinen Vernunft, ein „System“ als ‚organisch‘ innerlich gegliedertes „Ganzes“.90 Die Vielheit, auf die sich Jean Paul zufolge der Witz richtet, ist dagegen mit dessen 85 G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 333, vgl. 346; zu den „Feindschaften“ „zwischen den Büchern und der Wirklichkeit“ vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 18; zum „Spannungsverhältnis von Aufklärung und Bibliothek“ vgl. Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 48, 50; zu dem von Urteilskraft und memoria der Polyhistor’n vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 489, 486; vgl. Büttner u.a., „Zur Einführung“, 7, 9f.; Heß, „Formen der Validierung in frühneuzeitlichen Florilegien und Enzyklopädien“, 88f., 92f.; ders., „Enzyklopädien und Florilegien im 16. und 17. Jahrhundert“; Zedelmaier, „Von den Wundermännern des Gedächtnisses“, 441, 436, 439. 86 Und das ist so kaum richtig. Zum einen hat Encyclopedie (vgl. Meier, Art. „Enzyklopädie“, 451f.) eine ältere Geschichte vor dem neuzeitlichen Wiederaufgreifen des griechischen Terminus: als der Umkreis der artes liberales (Hammer-Purgstall, Art. „Encyklopädie“, 20408); Alsted unterscheidet in seinem Enzyklopädie-Artikel zwischen „E. als Repräsentation a) der artes liberales, b) aller ‚philosophischen‘ Disziplinen […], c) alles dessen, was sich lehren läßt“ (zit. nach Mittelstraß, Art. „Enzyklopädie“, 558f., vgl. 557). Zur Geschichte der Enzyklopädien, deren ‚Konjunktur‘ in der Frühen Neuzeit vgl. Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 453ff., 451f.; Heß, „Enzyklopädien und Florilegien im 16. und 17. Jahrhundert“, 44f., 49f. Einen ‚encyclopädischen‘ Zug haben die frühneuzeitlichen Kombinatoriken (Alsted, Kircher, Leibniz) (vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 361, 364-71; zu Alsteds Encyclopaedia-Tafel vgl. Schmidt-Biggemann, Topica universalis, 99-139, insb. 102, 107-13, 116, 131-39). Zum anderen ist der Übergang ein in sich widersprüchlicher – mit singulären Effekten. 87 Jean Paul, Merkblätter 1816/17, Nr.  100, HKA II.6, 152; dort allerdings um des „ganzen Menschen“ willen. 88 Zu dieser Unterscheidung und zu den philosophisch auf System setzenden Enzyklopädien um 1800 vgl. Mittelstraß, Art. „Enzyklopädie“, 560; vgl. Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 177; für die Perspektive der Philosophie vgl. Dierse, Enzyklopädie. 89 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 539. 90 Ein „System“, das „die Einheit der mannigfaltigen Erkenntnisse unter einer Idee“ zur Verfügung stellt, das ein Ganzes forme: „also gegliedert (articulatio) und nicht gehäuft

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‚Vieläugig‘keit eine monströse, keine anthropomorph gestalthafte.91 Auch die das ‚Versagen topischer Systeme‘ bezeugenden enzyklopädischen Unternehmungen des 17. und 18. Jahrhunderts bleiben im unauflösbaren Widerstreit zwischen vollständiger Versammlung des Wissens und dessen (möglicher) Ordnung – scheitern am einen oder anderen Ende.92 Jean Paul war „begeisterter Leser von Enzyklopädien“, die er „ständig“ exzerpierte:93 Bayles Historisches und Critisches Wörterbuch (1694-97/1741),94 Zedlers Universallexikon (1732-52), Diderots/d’Alemberts Encyclopédie ou dic­ tionnaire raisonné des sciences, des arts et de métiers (1751-1780),95 Krünitz’ Oeconomische Encyclopädie (1773-1858),96 aus Wörterbüchern wie Hederichs

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(coacervatio); es kann zwar innerlich […], aber nicht äußerlich […] wachsen, wie ein tierischer Körper“ (Kant, Kritik der reinen Vernunft, WW III, A.832/B.860). Zur Monströsität von Jean Pauls Texten vgl. A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“; Geisenhanslüke, Dummheit und Witz, 87f.; Kilcher, mathesis und poiesis, 396. Zu Jungius vgl. Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 162, 187; zu Bayle vgl. Neumeister, „Unordnung als Methode“, 191ff., 198f.; zu Diderot vgl. Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, u.a. Paradigmatisch ist die Fiktion der deux bonshommes, die „tout ce qui leur tomba sous la main“ abschreiben, wie es am Ende des unfertigen ersten Teils von Flauberts Bouvard et Pécuchet heißt (442f.), die der zweite Teil schreiben sollte, die als Flauberts ‚eigene‘ Aus- und Zusammenschriebe für das nicht zum Buch Gewordene vorliegen (Dossiers in Bibliothèque municipale de Rouen, hier: http://flaubert. univ-rouen.fr/jet/public/trans.php?corpus=pecuchet&id=6805). Vgl. die Liste von G.  Müller, Jean Pauls Exzerpte, 345; eine etwas andere von SchmitzEmans, „Ut collectio poesis“, 71. Dictionnaire historique et critique, 1694-97/Herrn Peter Baylens, weyland Professors der Philosophie und Historie zu Rotterdam, Historisches und Critisches Wörterbuch, nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen sonderlich bey anstößigen Stellen versehen, von Johann Christoph Gottscheden […], Leipzig 1741-44. Bayles Dictionnaire stellte nicht den gesicherten Wissensund Forschungsstand zusammen, sondern Vorliegendes ohne Ausschluss von Fehlern, ja als Sammlung der Fehler („erreurs de fait“) aus anderen Bücher (und Enzyklopädien) (Neumeister, „Unordnung als Methode“, 193f.); auch Bouvard und Pécuchet zitieren zusammen: zum Sottisier und Le Dictionnaire des idées reçues (vgl. auch Jean Pauls ExzerptSammlung von „Torheiten (1-3)“ (Fasz. VII), wie die „Register aus den Thorheiten“, HKA II.6, 557f., 551). Neumeister spricht vom quantitativen „Wahnsinn“; an der „Unordnung“ (193f.) hat die vielspaltige Seitengestaltung mit zahllosen Marginalien, Fußnoten teil (vgl. https://artfl-project.uchicago.edu/content/dictionnaire-de-bayle). Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et de métiers par une sociéte de gens de lettres. Mis en ordre & publ. par Diderot & par d’Alembert, Nouv. impr. en facs. de la 1. éd. de 1751-1780 (repr. 1988, 1995). Johannes Georg Krünitz (Hg.), Oeconomische Encyclopädie oder allgemeines System der Land- Haus- und Staatswissenschaft, Tl. 77 erschien 1799. Jean Paul exzerpierte die von Krünitz selbst herausgegebenen Bde. 1-73 (1773-96), so Kilcher, mathesis und poiesis, 128, las aber auch „von Krünitz 76. Th[eil] bis 200“ (Studier-Reglement, HKA, II.6, 563; vgl. HKA II.6, App. 144).

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Gründliches Mythologisches Lexikon (1770) und Enzyklopädisches Wörterbuch oder alphabetische Erklärung aller Wörter aus fremden Sprachen von Heinse (1793-1805),97 sowie Erschs/Grubers Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (begonnen 1818).98 All diese Encyclopädien sind alphabetisch und demnach nach Wörtern und nicht durch eine Systematik der Sachen geordnet.99 Sie manifestieren „lexikalische Vielheit“ – die syste­ matischer Ordnung widerstreitet.100 Für die Organisation der Teilstücke von verschiedener Hand lassen sie sich einerseits offensiv auf die Zufälligkeit der alphabetischen Abfolge der letteral (un-)geordneten Wörter zurückfallen101 97 Enzyklopädisches Wörterbuch oder alphabetische Erklärung aller Wörter aus fremden Sprachen, die im Deutschen angenommen sind, wie auch aller in den Wissenschaften, bei den Künsten und Handwerkern üblichen Kunstausdrücke, begonnen von Gottlob Heinrich Heinse (1793-1805). 98 Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber, Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet (begonnen 1818). „Durch das englische Maschinenwesen der Enzyklopädien – der enzyklopädischen Wörterbücher – der Konversationslexika – der Auszüge aus dem großen Konversationslexikon – der allgemeinen Wörterbücher aller Wissenschaften von Ersch und Gruber setzt sich ein junger Mann in wenigen Monaten bloß am Tage – die Nächte braucht er nicht einmal – in einen ganzen akademischen Senat voll Fakultäten um“ (Jean Paul, Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten  F.  St. Siebenkäs, SW I.2, 283). Vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 141f.; ders., mathesis und poiesis, 128-131. 99 Das sei die „Tentation de l’alphabet: adopter la suite des lettres pour enchainer des fragments, c’est s’en remettre à ce quit fait la gloire du langage […]: un ordre immotivé (hors de toute imitation), qui ne soit pas arbitraire (puisque tout le monde le connait, le reconnait et s’entend sur lui).“ (Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, 150). Vgl. Kilcher, „Theorie des alphabetisierten Textes“, 77f.; ders., „Im Labyrinth des Alphabets“, 67ff., 75f. 100 So Mittelstraß, der dadurch aber erst das 19. Jh. gekennzeichnet sieht, und dagegen den in der „Geschichte der enzyklopädischen Theorie intendierten Begriff“ hält (Art. „Enzyklopädie“, 559f.). Die ‚neue‘ Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers Diderots und d’Alemberts folgt einem in sich widerstreitenden Programm: dem klassifikatorischen wissenschaftssystematischen und dem der „universalen Magazinierung des Wissens“; „an Leibniz’ Verständnis von Ordnung und System“ knüpfte Diderots Art. „Encyclopédie“ an. Die Encyclopédie beruhte auf einem solchen „Wissensverständnis, das bis tief ins 18. Jahrhundert wirksam war“, von dem es sich alphabetisch verfahrend abgrenzt, an das sie sich aber mit ihrer „systematischen Vernetzung des Wissens […] zugleich anlehnt“ (Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, 412). Zur Ordnung des Alphabets tritt als zweite ein Verweisnetz zwischen den Art. (Diderot) und ein Baumdiagramm (d’Alembert) (vgl. ebd.; vgl. Kilcher, „Das unsichtbare Netz“, 101-08; ders., „Theorie des alphabetisierten Textes“, 77-85). 101 Das sei „durch das Alphabet kaschierte Unordnung“ (zu Bayles Dictionnaire), Neumeister, „Unordnung als Methode“, 194, 191ff. Zur alphabetischen Anordnung als Unordnung, aber als Lösung von beschränkender, obsoleter oder scheiternder systematischer Ordnung,

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und ermöglichen andererseits durch diese, unter Umgehung einer im Zweifel undurchsichtigen, jedenfalls Wissen auf problematisch gewordene Weise als abgeschlossenes darstellenden Systematik,102 den Zugriff auf das (Vieles für Alles) ohne Hierarchien und erweiterbar Angesammelte.103 Der Adressierbarkeit der im alphabetisierten Text der Enzyklopädien (re)organisierten Partikel griffen supplementierende alphabetische Indexe vor. Solche legte etwa John Locke für eigene Aufschriebe an und empfahl sie angesichts der mit Ablösung der überkommenen topischen Ablageordnungen drohenden bloßen Anhäufung.104 Sie stellen neben dem ‚täglich‘ Verzeichneten dessen Zugriffsordnung in alphabetisch gelistete Rubriken vor: als ein ‚zweiter‘ Text abgetrennt und hinzugefügt,105 während im alphabetisch angeordneten Text Schlagwörter wie/als Tituli oder Rubriken buchstäblich sortierend zur Geltung

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vgl. Foucault, Die Ordnung der Dinge, 69f.; Kilcher, mathesis und poiesis, 179, 287, 386; ders., „Theorie des alphabetisierten Textes“, 75-79; Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 54f.; Barthes akzentuiert: „L’ordre alphabétique efface tout, refoule toute origine.“ (Roland Barthes par Roland Barthes, 151). ‚Systematik‘ wäre Beschränkung des Wissenszuwachses, vgl. (zu Jungius) Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 172, 186. „Im Reich des so [alphabetisch] gespeicherten Wissens gibt es keine Hierarchien, für alle Partikel gelten dieselben Bedingungen: Zeiten und Rechte für den Zugriff sorgen paritätisch dafür, daß nichts nicht oder alles gleich mühelos erreichbar ist und damit unvergessen bleibt.“ (Rieger, Speichern/Merken, 73; vgl. Kilcher, „Theorie des alphabetisierten Textes, 77f.). Eigene Rubriken werden ausgebildet, das wird als flexibilisiert ‚persönlich‘ empfohlen (vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 18-20, 24, 27f.), da auf eine vorgegebene Ordnung nicht zu setzen ist, vgl. Locke (zuerst anonym), Méthode nouvelle de dresser des recueils 1686/7, engl. 1706, vgl. Stolberg, „Locke’s ‚New Method of Making Common-Place-Books‘“, 456ff.; an Locke schloss Shaftesbury an (dessen Hauslehrer er war); Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 87ff., 91, 73. Lock[e]s New Method of Making Common-Place-Books (1706) beschreibt die Anfertigung der Indexe zu jedem Exzerpt-, Notateheft als Handhabung von Schreibmaterialien, Papier, Stiften und Lineal (4f., 6ff.). Es handelt sich um paper technology und paper tools im engen Sinne (Stolberg, 448, 466). „The Index“ ist (im/) dem Buch vorangestellt. Locke verfährt so im Prozess des (exzerpierenden) Aufschreibens: in der Unordnung demnach, weil keine Ordnung vorgegeben ist und keine ‚im Fluge‘ des Notierens erfunden, revidiert, neuverordnet werden könnte, ohne sich zu verlieren (vgl. Stolberg, „Locke’s ‚New Method of Making Common-Place-Books‘“, 455-66, mit Vor- und Nachteilen hinsichtl. der zeitgenössischen Alternativen). Lockes Method setzt voraus, im jeweiligen Eintrag, headings oder Örter (loci) hervortreten zu lassen (4-10), vgl. Stolberg, 452-55, (Beispiele 454f.). Die ‚Ordnung‘ findet sich beigefügt, ohne dass die Sachen ersichtlich wären, alphabetisch, ja nur Buchstabenkombinationen und Seitenzahlen verzeichnend, im Index (Lock[e], New Method of Making Common-Place-Books, 7f.). Analog sind die Doppelungen: Kladde – Register, Bibliothek – Katalog, wastebook – zweite Buchführung.

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gebracht werden.106 In Leben Fibels (1806-11) thematisiert Jean Paul mit der Fibel eine Verschränkung von Alphabet, als Matrix der Wörter und daher der Dinge, von denen die Rede ist, und enzyklopädischem Vielwissen von allem Möglichen, was aber um der einzelnen Buchstaben des Alphabets nicht des möglichen unter diesen angeordneten Wissens willen gelesen wird.107 Jean Paul fasst wie Encyklopädien und Wörterbücher so alle Bücher, indem er sie lesend exzerpierend durchstreift und durchstöbert, als Anhäufung einer Unzahl von potentiell gleichwertigen, von heteroklit (in „schreienden Kontrasten“, so Diderot) aufeinanderfolgenden Partikeln auf, die die herangezogenen Enzyklopädien oder Wörterbücher mit ihrer alphabetischen Sortierung schon waren, als die sie sich in ihrer unabgeschlossenen Vielheit gleichzugänglicher Partikel dem Blättern preis- und nicht linear zu lesen geben.108 Jean Paul gibt dem Raum, was Roland Barthes als die ‚Euphorie des Alphabets‘ ausweist, das die Zwänge von Systematisierung, Logik und Begründung für die Abfolge von unabhängigen Auszügen und Einträgen aussetzt an die Unordnung der ‚irrsinnigen Ordnung‘ der Lettern.109 Ein solches Schreiben/Lesen realisiert und überbietet überblätternd, wozu die Encyclopédie mit ihrem (neben den als Paratexten hinzutretenden Indexen 106 Die Ablösung aus vorgegebenen Rastern kann in Zettelkästen beweglich realisiert werden (vgl. Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 72-78). 107 Jean Paul, Leben Fibels (vgl. Kap. III.2) stellt ein „Experiment“ mit der „Wissens-[…]form des Alphabets“ an, indem es die Fibel als solches liest (Kilcher, mathesis und poiesis, 287). „Clavis Fichtiana“ sollte, so der fiktive Herausgeber, „in der leichten wechselnden Form eines Wörterbuchs“ verfasst sein; die Umschrift der „alphabetischen Ordnung des Clavis in eine systematische“, die vielleicht (nur?) darin bestand, „Paragraphen über die Artikel“ zu schreiben, machte diesen „bündiger“ (Jean Paul, SW I.3, 1022, vgl. Schmitz-Emans, „Zur Einleitung. Das Alphabet als Ordnungsmuster“, 23ff.). 108 Kilcher, „Im Labyrinth des Alphabets“, 73-78, vgl. 64f., 81f.; vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 61. Bayles Dictionnaire tauge kaum als „Nachschlagewerk“ („Zu seltsame Gestalten treten hier auf, zu viele Abseitigkeiten werden berichtet, zu gern erzählt Pierre Bayle Histörchen, die unterhaltend bis anstößig sind“), der „Text verselbständigt sich, so Neumeister („Unordnung als Methode“, 198); daher müsse man „in ihm blättern und suchen. Oder aber, positiv ausgedrückt, man kann in ihm blättern und suchen, hier verweilen und dort auslassen, je nach Geschmack und Laune“ (194f.; vgl. Kilcher, 65ff.). 109 „L’alphabet est euphorique: fini l’angoisse du ‚plan‘, l’emphase du ‚développement‘, les logiques tordues, fini les dissertations! […], et pour la suite de ces atomes, rien que l’ordre millénaire et fou des lettres françaises (qui sont elles-mêmes des objets insensés – privés de sens).“ (Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, 150). Das hat einen selbstreferentiellen Zug; denn dieses Buch ist ein alphabetisch sortierter Text wie Le Plaisier du texte und Fragments d’un discours amoureux; die Aussetzung von Entwicklung oder Logik ist operativ als Streuung, setzt Lesen als zick-zack-verknüpfende Bewegung (wie die einer Fliege) frei, ohne (wie Diderot) renvois vorzugeben, aber mit Effekten („ruses du hasard“) (vgl. Eckel, „Rhetorik der Streuung“, 306f., 308-14, 316-20, 326f.).

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von mots und choses, mindestens zweiten) weiteren Adressierungssystem des von vielen Händen Zusammengeschriebenen: den Querverweisen, renvois, eine Vorlage abgäbe; der schriftlich alphabetisch letteral sortierte Text ist zwischen den Einträgen, mit (sich einlassenden) Steuerzeichen: „voyez“,110 unterbrechend querverwiesen, die keinen einen ‚Zusammenhalt‘ erstellen,111 sondern, kreuz und quer verknüpfend, zur blätternden Unterbrechung und Auslassung anhalten,112 unbeschränkbar, nie einholbar. Enzyklopädische Wörterbücher, nicht der linearen Leküre, sondern dem Blättern bestimmt, ermöglichen nicht nur das Nachschlagen,113 das durch Indexe im Paratext, die sich zur Geltung bringenden Anfangsbuchstaben des alphabetisch sortierten Textes oder andere Steuerzeichen als Ränder ‚im‘ Text angeleitet wäre, sondern sie öffnen den Buchraum auch einem ziellosem Durchgang „ohne Navigator und Adresse“.114 Hin-und-Her-Blättern, auch zwischen wechselnden Bücher, das Jean Paul etwa als ‚Auskundschaften‘ (sich selbst) anweist,115 ist eine (dem Exzerpieren korrespondierende) diskontinuierliche und dissoziative, auf Rekombinationen angelegte und Kombinationskräfte freisetzende Praxis, ein sich unterbrechendes vagierendes, herumstöberndes ‚Zufälle‘ zulassendes Lesen/Blättern.116 110 Kilcher, „Theorie des alphabetisierten Textes“, 85, 80f.; ders., „Im Labyrinth des Alphabets“, 71; diese entsprechen den Verweisen am Rande, die Stellen anzeigen (so das manicule), in den Supplementen; vgl. im Folgenden. 111 Vgl. dgg. M.  Wieland, Vexierzüge, 63. Die Querverweise manifestieren in ihrer großen Vielzahl, deren es Diderot zufolge gar nicht genug, gar keine überflüssigen geben könne, eine von keinem einen Standpunkt aus überschaubare Vernetzung des Wissens, gerade nicht dessen Systematik, vgl. Diderot, Art. „Enzyklopädie“, 136-41; Kilcher, „Das unsichtbare Netz.“, 105-12, 114, 116; ders., „Im Labyrinth des Alphabets“, 71; ders., „Theorie des alphabetisierten Textes“, 82-85; Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 159; Krajewski, ZettelWirtschaft, 69. 112 Blättern ist immer auch Überblättern, das die Menge des zu Lesenden reduziert (vgl. E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 34; zu den zeitgenössischen Einwänden, 28-37). 113 Blättern, um bewusst aus der Menge zu wählen und „zweckmäßig“ zu verbinden, Kilcher, „Im Labyrinth des Alphabets“, 74-76; die verschiedenen Blätter-Modi, 76-79, 81f., 64f., 73f. 114 Kilcher, „Im Labyrinth des Alphabets“, 81f., 78; vgl. E.  Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 39f. 115 Jean Paul: „Blättere täglich deine Wörterbücher zu[r] Auskundschaftung […] durch“ (Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 558); vgl. auch 559 u.ö. 116 Jean Paul: „Da blättere ich einmal in diesem Buch, ein andermal in einem andern, ohne Ordnung, ohne Plan und ohne Zusammenhang“ (zit. nach G.  Müller, „Mehrfache Kodierung bei Jean Paul“, 77). „10 Einen Band lies ganz, und nur für einen reichen Artikel z.B.  Tod, durch – in anderen blättere flüchtig für viele und leichte Artikel.“ (Studier-Reglement, HKA II.6, 561f.). Blättern macht die Inkoinzidenz von kursorischer und statarischer Lektüre (Plath, Hier und anderswo, 64-67) aus, vgl. E.  Schumacher,

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Das lesende ‚Durchlaufen‘ kann als ein ‚Durchstreifen‘ oder ‚Durchschweifen‘117 – mit Metaphern, die auch Montaigne gebraucht,118 die die Rede von ‚Wäldern‘ des Gedächtnisses aufrufen,119 aber als ungesteuerte Bewegungen die memoriale Ordnung lösen – als „planlose“ Bewegung Einfälle auftreten lassen, wie „Wild aufgejagt“ (Lichtenberg)120 oder „Sonderbarkeiten

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„Aufschlagesysteme 1800/2000“, 34f., 38; die Einwände gegen eine solche Lektüre um 1800, 28-37. Zum Blättern als nicht-lineares Lesen vgl. Gunia/Hermann (Hg.), Literatur als Blätterwerk; Schulz, Poetiken des Blätterns, 221-28 u.ö.; zur Diskontinuierung im Umblättern vgl. D. Schmidt, „Umblättern statt lesen“, insb. 152-56. Jean Paul, Levana, SW I.5, 843. ‚Schweifend‘/ ‚(ab-)schweifend‘ in Montaignes Essais (dtsch. 501); das kann zu Rousseaus Spaziergängen fortgeführt werden, vgl. M.  Wieland, Vexierzüge, 71f. ‚Umherschweifen‘ realisiert sich als „Ausschweifungen“ in Montaignes „Abschweifungen“ (Matuschek, Art. „Exkurs“, 131f.; vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 138ff., M. Wieland, 72, s. Kap. IV.2); zur Bedeutung von Montaignes Essais für Jean Paul vgl. G. Müller, „Mehrfache Kodierung bei Jean Paul“, 77ff.; (frz. in den Exzerptheften) vgl. Helmreich, „Die Geburt des Romans aus dem Geist der Gelehrsamkeit“, 250; als „Fundgrube gelehrter Anspielungen und erlesener Zitate“, vgl. Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 225-28; sowie auch Jean Paul, Essays de Montaigne – Jean Paul oder meine letzten und unaufhörlichen Werke, Merkblätter 1816/17, Nr. 131, HKA II.6, 315, 350, 369. Irr-Räume: „pathless silva (meaning both ‚forest‘ and ‚disordered material‘)“ (Carruthers, The Book of Memory, 247), wo die memoria das Wiedererinnern im nachgehenden Wiederauffinden, den Gedächtnis-Spuren Folgen ermöglichen soll (verdreht findet sich der Zusammenhang von zurückgewiesener memoria localis und „Wäldern“ bei Jean Paul, Levana, SW I.5, 850). „The mnemonic notae which one uses to get around one’s storehouse are called both tracks (vestigia) [Metapher Platons bei Quintilian, Inst. or., XI 2,4] and hooks (unci)“; die Aufgabe des Erinnerns ist „investigatio: ,tracking-down‘, a word related to vestigia, ,tracks‘ or ,footprints‘“ (Carruthers, 247). Nach Aristoteles führe das Ähnliche, Entgegengesetzte oder Benachbarte („one thing putting you in mind of another“) auf das im Gedächtnis Gesuchte (Sorabji, Aristotle on Memory, 43, mit Aristoteles, De Memoria et Reminiscentia, 451b19-20). Aristoteles unterlegt, wo die Mnemotechnik künstlichkunstfertige Bilder in ein Folgeverhältnis durch Kontiguität bringt, eine substantielle Verbindung der Bilder, die einander folgen sollen (Sorabji 44f., 5, 22, 26, mit Aristoteles, De Memoria et Reminiscentia, 451b11), die als Assoziation von Ideen umgedeutet wird durch die und nach den englischen Empiristen (die Spur davon als „Orts-Zusammenhang“ bzw. der „Sachen“, Jean Paul, SW I.5, 849f.); während Descartes die Methode (1637) für den Weg durch den Wald oder aus dem Labyrinth suchte (vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 247). „Durch das Planlose [!] Umherstreifen durch die planlosen Streifzüge der Phantasie wird nicht selten das Wild aufgejagt, das die planvolle Philosophie in ihrer wohlgeordneten Haushaltung gebrauchen kann.“ (Lichtenberg, Sudelbücher II, 286 (Jii 1550)). Die JagdMetapher (vgl. zu deren Feld Neumann, Ideenparadiese, 130) kann zwar zurückgeführt werden auf Aristotles’ Konzept des Wieder-Erinnerns, der wie Quintilian für dieses die Worte jagen und fischen gebraucht (Carruthers, The Book of Memory, 247; Aristoteles, De Memoria et Reminiscentia, 451b19; Quintilian, Inst. or., V 10,20-22). Entgegen dem mnemotechnischen ‚tracking‘ als Abfolge gilt die „Jagd auf Witzwörter“ (gegen die sich Kant richtet, Anthroplogie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 539f.) als unbegründet.

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wie Schmetterlinge“ ‚aufgestöbert‘ (Jean Paul) würden.121 Die wahl- und planlose Bewegungen, die die Adress-Vorrichtungen der alten und der neuen Wissensordnungen ignorieren oder diesen in ihrer hypertrophen Überzähligkeit entsprechen, setzen auf ein vertikales Einfallen des Zufalls,122 dem diese Bewegungen (sich) aussetzen, der dem Blätternden zuspielt, „der Glükk hat oder Geschikk“.123 Jean Paul gab sich auch die Vorschrift: „Alle Morgen in einem Gedanken- und Geschichtsbuche nur blättern, nicht lesen.“124 Blättern als Nicht-Lesen modelliert umgekehrt die Diskontinuität des Lesens, indem es an des Textes mediale Bedingungen, vor den Text an dessen materiale Träger, Blätter, Zettel, Papiere, verweist und Lesen als Hand-habung ausweist: als Operationen der Trennung und Fügung, der Dissoziation und der Kopplung über Abstände, wodurch die dissozierten Teilstücke – in Sprüngen über die Abstände zwischen ihnen125 und im Einlassen von Abständen ins Lesen – alles mögliche finden und erfinden (lassen). Wenn Jean Paul die veraltete Wissensform zitiert, so ist sie nicht dieselbe geblieben. Das zitiert Deplazierte tritt in neue Anordnungen und erwirkt Vorbehalte gegen den Witz, der „nach Witz jage“, weist Jean Paul zurück: „Gibt es denn etwas in der Kunst, wonach man nicht zu jagen habe, sondern was schon gefangen, gerupft, gebraten auf die Zunge fliegt?“, erteilt aber auch die Absage: „Wo die Anstrengung sichtbar ist, da war sie vergeblich; und gesuchter Witz kann so wenig für gefunden gelten als der Jagdhund für das Wildpret.“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 198). 121 Jean Paul, Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771; sie figurieren die Kontingenz der „Selektion“ des in die gelehrte Sammlung Eingehenden, vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 74, 66f., 11. 122 Okopenkos Lexikon Roman führt einen solchen ‚Irrgang‘, ein sich Treiben-lassen vor: Goldschmiede – Goldoni – Goldregen – Laburnum – Laboratorium – Chlorkalziumröhrchen. „Blättern Sie […] wahl- und gedankenlos in dem Buch oder benutzen Sie das Würfelspiel Ihres Kindes.“ (zit. nach Kilcher, „Im Labyrinth des Alphabets“, 79). Blättern ist Aleatorik. 123 Schleiermacher, zit. nach Stanitzek, „Brutale Lektüre“, 260, 265. Durch Zufall „fixiert sich [Lektüre] auf die ansprechende, auf Anhieb überzeugende Passage“ (254). Das ‚Ansprechende‘ hat schriftliche Pendants in „Rubriken“, Absätzen u.ä., die den Text graphisch sondernd anordnen (E.  Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 35f., 38; Flusser, Schrift (2002), 97). 124 Jean Paul, Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 559. Blättern als Nicht-Lesen (vgl. DW, Art. „blättern“) stellt vor allem D. Schmidt heraus: Umblättern als Umschlagen („Umblättern statt lesen“, 146-155, 154ff., 158ff.); zum Überblättern, das auslässt, vgl. E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 28-37, zu verschiedenen Relationen von Lesen und Blättern, 32-37. 125 Für die witzigen Sprünge oder Hopser vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171, 175ff., 187; SW I.3, 68. Montaigne liebt „die hüpfende, Luftsprünge machende Gangart der Poesie“, die mit „Abwechslung“, „Eskapen“ und ‚Durcheinanderlesen‘ verbunden ist (Essais, dtsch. 502, 202); auch die deutsche Übersetzung (1753/54), die Jean Paul gekannt habe, spricht von ‚Hüpfen und Springen‘ „von einem Gegenstand zum andren“ (so Kilcher, mathesis und poiesis, 138f.), wie der Witz.

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Verschiebungen in diesen.126 Jean Paul zitiert sie in seinen Aufschreibeoperationen, um ‚beliebig‘ (wie es heißt), aus ‚heterogensten‘ Exzerpten zu kombinieren, zitierend zu ‚erfinden‘. Jean Paul schreibt (anders als der Pagentanzlehrer Aubin) nicht bloß memorierend Exzerpte-aus-Exzerpten oder deren „Register“ und „Register der Register“, sondern er mache, so Hans-Walter Schmidt-Hannisa, „sein Exzerptenreservoir zur Basis von Autorschaft“,127 das heißt aber vielmehr von einem nicht-auktorialen Schreiben. 126 „Weil also Verfahrensweisen, die im Barock besonders hoch geschätzt werden, im Zuge einer Anthropologisierung der Endresultate in Mißkredit geraten sind, weil nicht mehr aus fixen Datenbeständen und einer ebenso fixen, weil anschreibbaren ars inveniendi er- und das heißt gefunden wird, weil also, kurz gesprochen, endlich der Mensch selbst jene Quelle ist, die jeden Innovations- und Datenverkehr zum höheren Ruhm seiner Unerschöpflichkeit speist, werden die Erfindungskünste andere Systemplätze einnehmen oder zugewiesen bekommen.“ Sie erfahren „diskursive Umbesetzungen […], durch die sie für unzuständig, für überschätzt oder für obsolet erklärt werden“ (Rieger, „‚Scientia intuitiva‘ und Erfindungskunst“, 180). Die Differenz wird verschieden ausdrücklich verbucht, als „Relikte[] einer obsoleten Gelehrtentechnik“ (M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 102), als Aktualisierung und Transformation (Kilcher, mathesis und poiesis, 381, 389ff.; Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 27-33; Helmreich, „Die Geburt des Romans aus dem Geist der Gelehrsamkeit“, 266f.). So „leben [Jean Pauls Texte] noch ganz von einer Blütenkultur, die sich aus Exzerpten und Exzerpten von Exzerpten […] speist. Aber das sind Extreme einer eingeschliffenen Praxis, die […] herbeizitiert“ wird, so Dotzler (Papiermaschinen, 561). „In Jean Pauls Romanen bildet die Literatur einen tänzerischen Umgang mit Verfahren heraus, die von vergessenen Gelehrten entwickelt worden waren“, so Stockhammer („Zeichenspeicher“, 53). 127 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 39. Wenn Jean Paul „auch nach der Satirezeit“ seine Exzerpte beigezogen habe (G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 338), dann bezieht sich das auf die in der Forschung übliche Periodisierung, eine „Eindämmung des ‚gelehrten Witzes‘ ab 1790“ (Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 243; vgl. Schmidt-Biggemann, „Vom enzyklopädischen Satiriker zum empfindsamen Romancier“, 274; ders., Maschine und Teufel, 105ff.; vgl. Birus, Vergleichung, 52f., 88); vgl. dgg. auch Wirtz u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 26, von einem Selbst-Mythos Jean Pauls (in Unsichtbare Loge) spricht Pfotenhauer, „Vorwort“, XI. Es heißt: „Die Humoristen treten in den Romanen als neue Vertreter der ‚Exzerptsprache‘ auf. In ihren Reden tritt der ‚gelehrte Witz‘ aus dem Dienst der Satire in den der humoristischen Vernichtung des Endlichen.“ (Sprengel, 237). Oder diese Beizüge werden (nach dem „satirische[n] Frühwerk“) exiliert in Extrablättchen und Anhänge (Birus, 53, vgl. 88). In der Vorschule der Ästhetik finden sich viele Register-Notate, etwa aus den Einträgen „Lachen“ http://www.jp-exzerpte.uni-wuerzburg.de/index. php?seite=register/lachen (SW I.5, § 36, 146, § 35, 130); sie liefert also nicht nur für die „spielerische Anhäufung gelehrter Anspielungen“ mit den „Ausführungen zum gelehrten Witz gleichsam post festum den theoretischen Unterbau“ (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 108), sei „keineswegs frei von selbstkritischer Einsicht in die Grenzen der Wirkung eines dichterischen Verfahrens, das […] ‚eben so witzige, aber gelehrte‘ Ähnlichkeiten durch Anspielung auf dem Leser unbekannte Bezugspunkte produziert“ (Sprengel, 214f.), wobei solche „Einsicht“ „sogleich wieder in einen weithergeholten Vergleich mündet“, vom Text „unablässig“ durchkreuzt wird (Birus, 52ff.).

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln Schreiben heißt ihm keineswegs nur, sein Schreiben, sondern mindestens ebenso sehr sein Lesen zu schreiben.128 Bevor jedoch „Lesefrüchte“ Eingang in seine Texte finden, haben sie stets […] bereits einen hoch komplexen Prozeß der Datenverarbeitung durchlaufen.129 Zwischen Lesen und Schreiben tritt […] [bei Jean Paul] ein technisches System.130

Das bindet das Schreiben ans Lesen, aber genauer an das Lesen, das als Exzerpieren nicht ein Erinnern produziert,131 sondern ein äußeres Gedächtnis anlegt. Zurückverwiesen ist Schreiben an das, was dem Schreiber und seinem jeweiligen (einen) (zukünftigen) Buch vorausliegt – mit jenen Techniken, die Aubin als die seines Memorierens vorstellt,132 – wie es umgekehrt das zukünftige Lesen der Texte aufs ‚Vielwissen‘ verpflichtet und an die Bücherwelt als den Rand, das Außen und den Ab-Grund des Textes verweist. Wenn ‚Autorschaft‘ derart begründet werden soll, dann ist sie heteronom gegründet, und das heißt um 1800 grundlos. Der vermeintliche Anfang wird an Vorgängigkeiten verwiesen.133 Die Verfahren setzen, was nach den neuen Vorschriften 128 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 38; Jean Paul, Lesen um zu Schreiben, HKA II.6, 566, vgl. 567, 564. Exzerpieren, Ab- und Ausschreiben, Annotieren auf den Buchrand oder in die danebenliegenden Blätter sind schreibendes Lesen als Kulturtechnik, die auf die Geschichte des (schreibenden) Lesens referiert, Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik (Annotieren und Exzerpieren)“, 325ff., 319. 129 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 37. 130 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 41. 131 Jean Paul setzt Erinnern statt Gedächtnis (Levana, SW I.5, 848f.) und der (auswendigen) „memoria localis“, „Spielraum der sogenannten Gedächtnis-Künste“, fügt in einer weiteren Digression ein: „wie die in Wäldern gefundnen Kinder und die Wilden, welche durch den Sprung-Tausch unververknüpfter Zustände die Einnerung einbüßen“ (851). 132 Die Lesegeschichte des exzerpierend zweckfrei memorierenden Aubin gibt den einen Pol des Feldes der das Schreiben modellierenden ‚Gelehrten‘ ab, dessen anderer die Schreibergeschichte Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal ist: „Während Aubin liest, ohne zu schreiben [d.h. ohne etwas anderes als sein Lesen zu schreiben], schreibt Wutz ohne zu lesen“, anstelle der Autoren, unter deren Namen und Titeln er schreibt (Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 39). Schulmeisterlein Wutz „diskutiert, unumwundener, buchstäblicher genommen, das Bibliographieren“ (Schestag, „Bibliographie für Jean Paul“, 477; vgl. Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 51). „Wutz leitet […] nicht die fremde Autorschaft auf sich über. Indem er seine Schreibbücher mit dem Autornamen im Titel – und damit wird er dem Titel eingeordnet – als die kanonischen Urkunden der Druckexemplare ausgibt, verschwindet die Instanz des Autororiginals“ (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 158); mit den „Pseudoautoren“ Wutz und Fixlein ist „Autorschaft“ „parodiert“ (143f.; zu Fixlein 148-52; zu Wutz, 158ff. (vgl. SW I.1, 426); zu Leben Fibels vgl. Kap. III.2. 133 Vgl. Kammer, „Zettelkasten und bewegliche Lettern“, 30ff. Im Aufschreibesystem 1800 werden (umgekehrt) dessen Voraussetzungen verschwiegen (vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft,

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der Dichtung sollte zum ‚Werk‘ eines ‚Autors‘ (von innen begründet) werden können, der Heterogenität aus. Diese begegnet in den Enzyklopädien auch als deren babelisch genannte „Vielhändigkeit“, die Diderot benennt.134 Barthes spricht von „[la] obscure et folle polygraphie“ als „l’antistructure de l’œuvre“, das wie eine „encyclopédie“ als „une liste d’objets hétéroclites“ aufzufassen ist.135 Dem entsprechen die „Schreib-Szenen“ (Campe), die Schreiben als „heterogene Ensembles“ modellieren,136 Szenen, mit denen Jean Pauls Texte Schreiben als Lesen/Ausschreiben, sie in den Text hineinfaltend, thematisieren,137 die Schreiben als Ab- und Zusammenschreiben, wie das Blättern/Lesen, als Exzerpieren, Exzerpten-Handhabungen, Operationen138 und Verwaltung, als (Hinein-)Drucken, Hinzuschreiben und Korrigieren usw. fingieren.139 Und zwar derart, dass diese Techniken und ihre Operationen als ‚überständige‘ 75ff.; M.  Wieland, Vexierzüge, 144ff.; Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 38, 49; ders., „De ratione excerpendi. Morhof“, 76). 134 So Diderot in seinem Art. „Encyclopédie“, 635f./dtsch: Diderot, Enzyklopädie. Philosophische und politische Texte aus der ‚Encyclopédie‘, 79-86, 90ff., 124, 163f.). Zur babelischen Modellierung der vielhändigen Beiträgerschaft zu Lexika vgl. Kaminski, „Die Musen als Lexikographen“. Entsprechend werden (französische) Dictionnaires, Vocabulaires, Encyklopedien usw. als „Verfall“ verbucht: „Die Originalwerke fallen weg“ (Herder), sie seien durch ‚Arbeitsteiligkeit‘ (Goethe) bestimmt (Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 143f.; vgl. Wiethölter u.a., „Zum Doppelleben der Enzyklopädik“, 46f.); anders F. Schlegel, KFSA XVIII, 254; vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 179. 135 „Comme encyclopédie, l’œuvre  exténue une liste d’objets hétéroclites, et cette liste est l’antistructure de l’œuvre, son obscure et folle polygraphie.“ (Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, 151); zu den alphabetisch sortierten Enzyklopädien als „offene und erweiterbare Liste“ vgl. Kilcher, „Theorie des alphabetisierten Textes“, 77f. 136 „Ensembles“ der Körper, der Objekte und Handhabungen, vgl. Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 271; daran anschließend Stingelin, „‚Schreiben‘“, 13f., 8f., 17f. (mit Beizug Flussers „Die Geste des Schreibens“, 33f.), ein „Kollektiv oder Netzwerk aus hybriden Akteuren“ (Pethes, „Actor-Network-Philology?“, 207f.). 137 Literarische Texte vergessen keineswegs nur die Kulturtechniken, die sie voraussetzen, und die Operationen, die sie erzeugen (so aber F.  Kittler fürs Aufschreibesysytem 1800), sondern ‚thematisieren‘ diese auf verschiedene Weisen; das sprechen an: Balke/ Gaderer, „Einleitung“, 19 (11-15); Balke, „Medienphilologie und die zerbrochene ‚Kette des Enthusiasmus‘“, 60-65; Pethes, „Actor-Network-Philology?“, 209f., 199. 138 Dafür gibt Jean Paul technisch-operative Fiktionen (Titan, SW I.3, 167; Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f.; vgl. das Folgende. 139 Die Schreibszene gibt das „Ensemble“ (Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 271) verschiedener Hände des Lesens/Schreibens/Wiederlesens/Herausgebens usw. (Jean Paul beschreibt sich als „Polygraph“, SW II.1, 372f.), ein „Kollektiv […] aus hybriden Akteuren“ (Pethes, „Actor-Network-Philology?“, 207, zu Jean Paul 210-17; vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 70, 73f.); das zeigt vor allem Leben Fibels, s. Kap. III.2; mit dem Begriff „Kulturtechnik“ des Lesens als Abschreiben auch Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik (Annotieren und Exzerpieren)“, 325ff.; Zanetti führt (mit Duchamp) „elf Vorgänge“ des Schreibens“ an, u.a.:

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Praktiken und Schriftreste, zugleich als die/in der Verfasstheit der literari­schen Texte exponiert sind.140 Nicht aufs viele Wissen ist das Schreiben Jean Pauls angelegt, das als witziges an ein „gewisses Vielwissen“ appelliert, das die „Kunst“ „zumute“ und zumuten dürfe.141 Sie darf und muss es, weil kein allgemeiner Fundus, wie die Topik ihn vorgab, weil kein gemeinsam geteiltes Kriterium der Nähe und Ferne, zugänglichen oder entfernten Wissens (mehr?) gegeben ist:142 Der Gottes- und der Rechts-Gelehrte fassen einander nicht – der Großstädter fasset tausend Kunstanspielungen, die dem Kleinstädter entwischen143 – der Weltmann, der Kandidat, der Geschäftmann, alle haben verschiedene Kreise des Wissens – der Witz […] muß den Mittelpunkt aller fodern und bilden […] das Meer der Kunst muß die Weltteile verbinden; und so kann die Kunst ein gewisses Vielwissen zumuten.144

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Ausfüllen, Anordnen, Abschreiben, Benutzen, Korrigieren, Verbinden, Reproduzieren („Techniken des Einfalls und der Niederschrift“, 213-17). Vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 152. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205. Für die „jetzo“ herrschende „besondere Vielwisserei, ja eine größere Allwissenheit und Enzyklopädie in Deutschland“ stehen „unsere allgemeinen Literatur-Zeitungen und Bibliotheken [oder der „‚Ritterplatz‘“ ein vielbändiges Lexikon (Leben Fibels, SW I.6, 412)], welche jeden […] ohne sein Wissen zu einem Vielwisser unter der Hand ausprägen“ (SW I.5, 206, 203). Es sind Rezensionsorgane, die ‚Bibliothek‘ heißen und sich an deren Stelle setzen, etwa „Nicolais voluminöse Allgemeine Deutsche Bibliothek (1765-1792, als Neue Allgemeine deutsche Bibliothek fortgeführt bis 1805)“, vgl. Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 51; Jean Paul, „über Buchanzeiger und gelehrte Zeitungen überhaupt“, SW I.5, 358-75, (zu Allgemeine deutsche Bibliothek) 377ff. u. SW I.6, 371; vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 384. Fibel bildet sich zum „Vielwisser“ ‚aus‘ den Papiertüten: „vom Würzhändler Düten aus allen Fächern“, die „wie eine zweite allgemeine deutsche Bibliothek“ „deren Stelle“ „vertrat[en]“ (SW I.6, 388f.; vgl. Lichtenberg, Sudelbücher I, 415 (E 312)). Umgekehrt hielt Nicolai Jean Paul scheinbare „Vielwisserey“ vor: „Er trägt beständig eine Erudition zur Schau, die er nicht hat. […] [F]ast auf allen Seiten soll man über die erudit-witzigen Anspielungen und Gleichnisse erstaunen“ (Nicolai, „Jean Pauls Vorschule der Aesthetik“, 209). Jean Paul spielt die Bestimmung des (gelehrten) Witzes durch’s „weit hergeholt“ „doppelsinnig“: wörtlich und metaphorisch aus, als „erzwungene, unähnliche Ähnlichkeiten“, als „Anspielungen auf ein in Zeit und Raum entferntes Ding“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203ff., vgl. 169); es sei „von jeher meine Art gewesen gerade auf die fernsten Sachen anzuspielen, nicht aber auf so nahe, die bloß ein Meer von mir abgetrennt“ (358, vgl. „pas de Calais“, 203). Cicero verbindet die schwierige Metapher mit urbanitas (Battistini, Art. „Acutezza“, 90; de Or. II  269), die auch der Concettist Thesauro nutzt (Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 118), sowie F. Schlegel („Fragmente“, KFSA II, 152, 188, 199, 253; vgl. Preisendanz, Humor als dichterische Einbildungskraft, 284f., Neumann, Ideenparadiese, 465). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205; das könnte Umschrift von Bacon („The Advancement of Learning“) sein, der die Buchstaben lobt, „die wie Schiffe durch die großen Meere der Zeit reisen und entfernte Zeitalter im Austausch von Wissen, Erleuchtungen

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Soll der Witz einen „Mittelpunkt aller“ „verschiedener Kreise des Wissens“ (nicht eine Enzyklopädie), „fodern und bilden“, so wäre die ‚Verbindung‘ als „Meer“ aber das unabsehbar Nicht-Strukturierte, ohne stabilisierbare Differenzen. Von der rhetorischen inventio und der frühneuzeitlichen Zirkulation des Wissens zwischen Lesen als Exzerpieren und zitierend lesendem Schreiben, unterscheidet Jean Pauls Operieren,145 dass die aus seinen Exzerptenund anderen Sammlungen hervorgehenden heterogenen „schwere[n] Kombinazionen“146 „instabil“,147 nicht wiederum exzerpierbare ‚Daten‘ ergeben. Die „bloße Zirkulation“ „der ausgetauschten Zitate des Wissens“ wertete bereits Montaigne als im Pedantismus des Wissens fruchtlos umlaufendes ‚Kleingeld‘ wie Zähl- oder Spielmarken ab,148 denen er die Kraft des Wucherns offenbar nicht zutraut. Zitationen aber, die nicht oder nicht dorthin zurückerstatten, was und wo sie entleihen,149 lösen das Zitierte aus den festen Zuordnungen, die die Topik der inventio vorgab, sie deregulieren, enthierarchisieren und entgrenzen die topische Ordnung,150 die das 18.  Jahrhundert an den barocken und Erfindungen miteinander verbinden“ (zit. nach A. Assmann, „Texte, Spuren, Abfall“, 99). Näher läge Diderot: dem „unermeßliche[n] Meer von Gegenständen“ genügen nur „unendliche viele Gesichtspunkte“, die „Zahl der möglichen Systeme des menschlichen Wissens“ („Enzyklopädie“-Art., Encyclopédie Bd. 5, fol. 640 (v b); zit. nach Kilcher, „Theorie des alphabetisierten Textes“, 83f.). 145 Die alte „Zirkularität von Lesen und Schreiben“ findet aber Kilcher bei Jean Paul (mathesis und poiesis, 391, 382-86, 396f.). Den Zirkel Buch–Exzerpte–Buch operationalisierte der Staatsrechtler J. J. Moser noch einmal (Krajewski, ZettelWirtschaft, 69ff., 72ff.), den Jean Paul für Fixlein beruft (SW I.4, 83-88, 19). 146 Durch deren Angewöhnung trage er „zur deutschen Bildung bei“, Jean Paul, Merkblätter 1816/17, Nr. 100, HKA II.6, 164. 147 G. Müller, „Mehrfache Kodierung bei Jean Paul“, 91; das gesammelt Dissoziierte „aus allen Zeiten und Weltteilen“ entwickle ein Eigenleben, da die Bedeutungsfülle der Wörter stets größer ist, als das, was (partiell) mit dem Verglichenen übereinstimmt. Die Assoziation der Schriftpartikel ist daher höchst instabil. Mit jedem Vergleich ändern sich die Konnotationen.“ (95f.). 148 Der Pedantismus nütze zu nichts, „qu’ compter et jeter“, zu zählen und zu spielen („Du pédantisme“, Essais, I.25, 132-43, hier: 136/dtsch. 74f.; vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 144; Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 40f.). 149 Lichtenberg zufolge sei „Lesen“ „borgen, daraus erfinden abtragen“ (Sudelbücher I, 460 (F 7)); aber ist, was Lichtenberg „abtragen“ nennt, nicht sehr viel ungebärdiger? 150 Gegen die „Schatzkammer“ setzte Lichtenberg die Sudelbücher und „vermied die Architekturmetaphern der Fund-Örter (loci) oder des Gedächtnis-Theaters, mit denen die Theoretiker der Frühen Neuzeit die Topik als eine simultane Vergegenwärtigung von Wissenswertem in ihre Memoriapraxis eingegliedert hatten“ (von Arburg, „‚Der Mann, der erst in seine Excerpta steigen muß‘. Lichtenberg“, 176). Die topisch stabile Ordnung, deren Statik in mnemonischer Funktion wurde bereits durch die Kombinatoriken gelöst (so Yates, The Art of Memory, 176); die zitationellen inventiven Entnahmen erzeugen einen enthierarchisierten Raum möglicher Kombinationen (s. Kap. I.5 u. das Folgende).

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Kollektaneen, Florilegien und Theatra als äußerlich gefügten nicht mehr ablesen mag. Der Fundus der Exzerpte ist bereits und er wird durch die Beizüge in witzigen Kombinationen aus den Rastern gelöst, zum ‚wild Wuchernden‘151 – auch im Sinne der Finanztransaktionen, mit denen der Einsatz des Gespeicherten, der Gebrauch als usure modelliert wird, die auf Rückzahlung „mit Wucher“ setzen,152 und ihr Draufgehen (in ungewisser Multiplizität) riskieren. So mag Jean Pauls Schreiben zwar als „Sonderform der Wissensrepräsentation“ ausgewiesen werden.153 Aber was dieses – so zitiere ich eine anonyme Rezension von 1797 – an „Stoff zu […] witzigen Gedanken von allen vier Enden der Welt, aus allen drei Reichen der Natur, Physik und Chemie zusammentreibt“, was zwar „jeden Leser, der nicht ausgebreitete Erudition besitzet, eine Reihe von philosophischen, physischen, historischen Diktionnairen an der Hand zu haben nötigt“, die er „um seine Anspielungen zu verstehen“, konsultieren muss,154 geht nicht „erneut in Datenspeicher“ seiner „Leser“ ein; so Schmidt-Hannisa: „Von Bedeutung sind nicht mehr die Daten in ihrer Positivität“, die Texte Jean Pauls „lassen sich nicht mehr […] exzerpieren“.155 Jean Pauls 151 Vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 198, 203ff.; Kilcher, mathesis und poiesis, 391. Dem entspricht F. Schlegels als ars combinatoria bezeichneter Witz (KFSA XVIII, 124 (Nr. 20)), demzufolge „je größer die Fülle ist, die er umfaßt, je entfernter die Gegenstände, die er verbindet, desto höher und kombinatorischer der Witz“ (Phil. Vorl., KFSA XII, 403, s. Kap I.5). Jean Paul zufolge wachse seine „Kraft zu kombinieren und Aehnl[ichkeiten] zu finden“ „so“, „daß ich zuletzt gar keine Unähnlichkeit mehr kenne, sondern wie ein Gott alles ähnlich sehe“ (Merkblätter 1816/17, Nr. 133, HKA II.6, 315 (Hvhg. BM), vgl. HKA II.5, 72 (Nr. 32)); damit ist die Ordnung des Wissens kollabiert, die Urteilskraft kriterienlos. 152 So an die Buchhalterei der Exzerpte, die eingesetzt werden, Pitaval u.a. anschließend, Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 37f., vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 229f., 263f., 266ff., s. Kap. I.3. 153 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 223. 154 Anonyme Rezension von Siebenkäs und Biographische Belustigungen (1797), zit. nach Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, 12; vgl. A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 218; Kilcher, mathesis und poiesis, 288. 155 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 40. Das hinderte nicht, dass exzerpiert und anthologisiert wurde, obwohl Jean Paul die „Chrestomathie oder Jean Pauls Geist ausgezogen mit den Zähnen aus einem Band in einen Band“ sarkastisch kommentiert (SW I.2, 596; mit etwas anderem Titel SW I.5, 1295): Konrad Fischer erstellte ein Pädagogisches Florilegium: „Pädagogische Goldkörner aus anderen Schriften Jean Pauls“ (in Jean Paul, 2. Abteilung und Anhang, 144-251), Reinhold ein Wörterbuch zu Jean Pauls Schriften (vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 57ff.); zu dieser Weiterverwendung (eher affirmativ) Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 39). Der erste Hg. Berend plante ein „Jean-Paul-Lexikon“, das „Jean Pauls zerstreutes Anspielungs-Wissen […] dem Leser zugänglich“ machen sollte; im dritten Gedanken-Heft von 1803 fasste Jean Paul „seine lexikographischen Schreibarbeiten und -pläne unter dem Titel Lexicon Jean-Paullinum“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 289, 385; vgl. Ott/Pfotenhauer, „Vorwort“, HKA II.6, IX). Jedes solches Hilfsbuch doppelte die Exzerpte diesseits der Werke im Lexikon neben ihnen.

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Texte sind keine Enzyklopädien (und seien diese auch noch so „literarisch“ oder „poetisch“),156 sondern zitieren die Operationen des Exzerpierens und der inventiven Zugriffe, die durch diese organisierten Anordnungen des Wissens wie die der Enzyklopädien,157 so dass sie diese Operationen und Anordnungen hypertrophierend ausspielen.158 Von „Ekstasen einer eingeschliffenen Praxis“ spricht Bernhard Dotzler,159 die diese Praxis, indem sie diese zu etwas anderem –, allererst bemerkbar machen. Da Jean Pauls Texte in dem durch die Konzepte von Autor und Werk bestimmten, durch den „Schnitt zwischen Wissen und Poesie“, durch die „Reinigung“ von allem Äußeren, durch Ausschlüsse konstituierten Bereich der Dichtung operieren,160 bekommen die 156 Dgg. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 130ff., 139-43; ders., mathesis und poiesis, 118-36, 383-95; vgl. Birus, Vergleichung, 45-65; wie in der „Zirkularität von Lesen und Schreiben“ der ‚alten Wissensordnung‘ sei auch in Jean Pauls Schreiben „das Verhältnis von Enzyklopädie und Literatur“ „[u]mkehrbar oder austauschbar“: „Aus dem enzyklopädischen Wissen lässt sich Literatur generieren, wie umgekehrt aus dem poetologisierten Schreibmaterial eine Enzyklopädie gewinnbar ist“ (mathesis und poiesis, 390f., 396, vgl. 394, 385f.; vgl. auch Wirtz, „Vom Nachlassen“, 175). Als „poetische Enzyklopädie, eine poetische Freiheit aller poetischen Freiheiten“ kennzeichnet Jean Paul den Roman (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 249) – das lässt sich Romantik-nah lesen (vgl. Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 152, 156ff.). Die Fibel’sche Enzyklopädie aber parodiere „vor allem“ das Novalis’sche Projekt „einer ‚ächten Encyclopädistik‘“, so Wirth, „Vor der Lexikographie“, 128. 157 Wutz heißt „unser Enzyklopädist“ (Jean Paul, Die unsichtbare Loge, Hesperus, SW I.1, 427); vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 119. Leben Fibels charakterisiert die Fibel als enzyklopädisches ‚Werk‘ (mit alphabetischer Ordnung), das „begreifen [lasse], wie die Alten im dickbändigen Homer die Enzyklopädie aller Wissenschaften finden konnten“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f., vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 145f.); „dem Homer, der alles gewusst, erlaubt man diese Allwissenheit ungescheut“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, I.5, 205); zu Homer im Diskurs der Enzyklopädie vgl. Wiethölter u.a., „Zum Doppelleben der Enzyklopädik“, 1-6. 158 Seine „geradezu hypertroph enzyklopädische Tendenz“ wurde zeitgenössisch parodiert, etwa von Helfrecht: „‚Shakal‘ alias Jean Paul nämlich erweist sich ihm als ein denkbar unsystematischer Enzyklopädist, sein Schreiben als eine hochgradig willkürliche Datenverarbeitung, bei der übermäßig viel gelesen wird, damit dann dieses Gelesene zu ebenso übermäßig zahlreichen und dicken Büchern verarbeitet werden kann.“ (Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 130, vgl. 129-32, 143f.; ders., mathesis und poiesis, 136-44). 159 Dotzler, Papiermaschinen, 561. 160 Dotzler, Papiermaschinen, 637f.; polemisch kennzeichnet Jean Paul „rechte schriftstellerische Schöpfung aus nichts, nämlich aus sich“ als „Leere“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 459). Dem entspricht umgekehrt die Reinigung des Wissens von Literarizität und Fiktionen. Es versteht sich, dass ein solcher Ausschluss instabil sein wird, dass er im abgeschnittenen und wiederholend nachgezogenen Bezug auf die ausgeschlossenen Voraussetzungen steht; das Verhältnis von Literatur zu Wissen und Nichtwissen blieb auszuhandeln (vgl. Campe, „Ereignis der Wirklichkeit“, 269; zur Übersicht Gamper,

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zitierten ‚veralteten‘ Verfahren der Wissensorganisation, über eine Parodie des eh’ Überholten hinaus,161 eine neue Funktion: die Materialitäten und Operationen des Schreibens/Lesens zu thematisieren, sie gegen die um 1800 für die Dichtung veranschlagten (im 19. Jahrhundert verfestigten) Konzepte von Autor und Werk zu kehren, die diese ebenso voraussetzen müssen wie sie diese vergessen machen wollen,162 und dieser Konzepte Voraussetzungen und Randbedingungen, sie unterlaufend, zu erkunden.163 „Die Gelehrsamkeit, die sie [Jean Pauls Werke] transportieren, verzehrt sich im […] witzig-poetischen Effekt“ – so nochmals Schmidt-Hannisa.164 Sie verpufft (Hegel)165 oder wird verpulvert. Die zitierte Praxis „fällt überhaupt nur auf, weil sie mit der Vernutzung dessen operiert, was bis dahin als der Nutzen im rechten Umgang mit Büchern […] gang und gäbe war“, so Dotzler.166 In Jean Pauls Texten, so Hegel, „tötet eine Metapher, ein Witz, ein Spaß, ein Vergleich den anderen, man sieht nichts werden, alles nur verpuffen“.167 Der Witz „kann [so auch Jean Paul] unter dem Vorwande einer Selbstvergleichung ohne Bedenken seine Leuchtkugeln, Glockenspiele, Schönheitswasser,

„Einleitung“ zu Bies/Gamper (Hg.), Literatur und Nicht-Wissen). Die neue Auftrennung von Dichtung und Wissen wird oftmals nicht genau berücksichtigt, so etwa in der Parallelführung Jean Pauls mit dem (von diesem zitierten) Staatsrechtler J. J. Moser von Krajewski (ZettelWirtschaft, 69-74) oder der „Büchermänner“ (Jean Paul, Lichtenberg) mit Büttner von Stockhammer („Zeichenspeicher“, 52ff.). 161 Die Jean Paul-Sek.Lit. ging meist davon aus, es könne sich bei der „unnütze[n] Gelehrsamkeit“ nur um Parodie handeln (Birus, Vergleichung, 52ff.). Die Texte Jean Pauls zeigen ein Doppelgesicht: Witz und eine empfindsame Lesart, so Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 50; zur Ambiguität vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 212. Dotzler zufolge werde das veraltete Verhalten „umso vehementer herbeizitiert […], als es in [dessen] exzessive[r] Demonstration gerade um die Qualität einer Poesie jenseits davon [um eine „empfindsame[] Version“] zu tun ist“ (Papiermaschinen, 561, mit Unsichtbare Loge, SW I.1, 143). Campe zufolge wird zwar der zitierte Pedant komisch, der „Kritik“ ausgesetzt, aber auch der erinnerten Kindheit genähert; das macht den Zug der Idylle der Pedanten. Zugleich schreiben Jean Pauls Texte das „kritisierte Überständige“ weiter: im Witz, in die Materialität bloßer Zeichen („Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 145f., 157, 160). 162 Erfordert ist „Verschwiegenheit“, „wie goethezeitliche Genies Texte generieren“ (Krajewski, ZettelWirtschaft, 76, 75ff.). 163 In Wutz und Fixlein, vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 132f., 142f, 158; in Leben Fibels (SW I.6, 464-73), vgl. Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 161; s. Kap. III.2. 164 Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 40. 165 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382. 166 Dotzler, Papiermaschinen, 561. 167 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382.

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Schnitzwerke, Putztische nach Belieben wechseln in einer Periode“,168 und zwar ohne dass dies abschließend integriert würden. Dem ‚Verpuffen‘ (durch das Hegel vielleicht auch den alten Topos des Blitzes für das ingenium, das Erhabene des Witzes herabsetzt) entspräche Jean Pauls Witz-Blitz,169 der doch auch als Funken und auch am Katzenfell aufspringen kann,170 mit dem die Instabilität der Effekte witziger Verkuppelungen modelliert ist. Die „Kraft zu wissen“, die der Witz ist,171 ist – um das noch einmal zu erinnern – Kraft, die in keiner Darstellung ihrer selbst beglaubigt, vollendet und stabil gegeben ist, die sich im Einfall (von anderswo) manifestiert,172 zu Einsicht, die konstativ festzuhalten ist, vielleicht nie geworden sein wird, vielmehr ungewisse Effekte hat. Die Operationen, durch die die tesauri der Exzerpte bei Jean Paul inventiv werden, führen zu Mesalliancen, wie der Witz als „verkleideter“ Priester sie stiftet, oder „ohne Priester“ jedenfalls zu promiscuen Kopulationen.173 Diese werden nicht ‚zwanglos‘,174 wenn auch oftmals von selbst, noch überhaupt etwas Substanzielles, Haltbares hervorgebracht haben.175 Der Witz wolle „nur 168 So wertet Jean Paul die Vielheit auch des bildlichen Witzes ab (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.), wie er Lessings Allegorien-Wechsel bloßstellt (190f.). 169 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173; dies geschieht durchs Einspielen physikalischen Wissens und Experiments; mit Lichtenbergs „elektrischen Kunststücken des Witzes“ als „Beispiele, wie die kraftschwere, volle, befeuchtende Gewitterwolke des Wissens ins Wetterleuchten des Witzes ausbricht“, tritt auch der Blitz „wissenschaftlichen Witz[es]“ „physikalischer Kombinationen“ unverhofft aus den elektrisch geladenen Wolken (Levana, SW I.5, 843), die wie der „Zitteraal“ als „Batterien“ oder „Leidener Kondensator“ fungieren (Quintuis Fixlein, SW I.4, 224f.); F.  Schlegels „Über die Unverständlichkeit“ hält ihn gegen den Blitzableiter, KFSA II, 370f., vgl. 258 (Nr. 26); KFSA XII, 393); vgl. Kap 2. 170 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171: im „Sprung“, der „– von den Funken des Katzenfells zu den Funken der Wetterwolke auffliegt“, „derselbe Sprung“, um „[v]om Feuer zum Brennholz daneben zu gelangen“; das verkehrt das klassische rhetorische Beispiel für die Metonymie. 171 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171; vgl. Kap. I.1 u.ö. 172 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173; F. Schlegel, KFSA XII, 393. „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall“ (mit Lichtenbergs „elektrischen Kunststücken des Witzes“, Levana, SW I.5, 843; vgl. F. Schlegel KFSA II, 200 (Nr. 220)). 173 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169, 193, 202; vgl. G.  Müller, „Mehrfache Kodierung“, 68. 174 Anders als die Metapher, die auch bei Jean Paul im Zeichen der metaphorologischen Sonne die Transparenz von Darstellung und Erkenntnis sichern können soll (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182; vgl. „Über die natürliche Magie der Einbildungskraft“, SW I.4, 202, 199). Die Metapher gilt traditionell als Übertragung zwischen Bedeutungsfeldern ohne Brüche, dgg. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 236. 175 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182; zum „gelehrten Witz“ vgl. 204f. (HKA II.6, 556). Leiste der Witz F. Schlegels zwar „Vereinheitlichung der Fülle“ (KFSA XII, 402ff.), so

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eine leblose Musaik“ ‚widerstreitender Glieder‘, nicht die ‚Einheit eines Bildes‘ geben – im Sprung176 oder Hopser.177 Im Witz, im Jean Pauls Texte organisierenden und von diesen ‚thematisierten‘ schreibenden Lesen/ lesenden Schreiben wird „das Wissen nicht bereicher[t], sondern [werden, so Andreas  B.  Kilcher] ‚Verwüstungen im Reiche der Gelehrsamkeit an[ge]richtet‘“.178 Der Jean Paul’sche wird „gelehrter Witz“ nicht heißen können; das Wortspiel seiner Geleertheit liegt hier fast zu nahe,179 als das man es machen wollte. In Wörterbüchern, wie in mnemonischen Schatzhäusern, mag vermeintlicher „Reichthum“ vorfindlich sein,180 weil das einander Fremde im lexikalischen „Beisammenstand“ „unter der Fahne eines Wortes“ in Bedeutungen aufgetrennt, ohne gegenseitigen Einspruch ‚stehen‘.181 Dagegen zerliest der Wortwitz die Wörter: Wortspiele ‚reichern‘ nicht an,182 sondern indem Wörter zitiert sind, einen anderen Kontext erzeugen, sind sie andere, uneinholbar disseminativ, spielen den Zwiespalt innerhalb der vermeintlichen Entitäten,183 und diese – als iterierbare – gegen sich selbst aus. Derart wuchert die Zitation, die Leih-Nahme und Ausgabe der Wörter ‚wie‘ die der Geld-Münzen oder –Scheine, und zwar ohne Gewissheit der Rückerstattung

aber im Fragment, in dem Widerstreite ausgetragen werden (vgl. Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik, 295f., 297; ders., „Allegorie, Witz, Fragment, Ironie“, 133ff.). 176 Daher werde er „in jedem Komma den Leser zu springen nötigen“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f., vgl. 201); zu Mosaik u. Komma vgl. Kap. IV.2. 177 Jean Paul, Titan, SW I.3, 68. 178 Kilcher, mathesis und poiesis, 397, vgl. 391. 179 Vgl. in der „Vorgeschichte“ zu Leben Fibels, SW I.6, 369, 371, s. Kap. III.2. 180 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, HKA II.6, 558, vgl. SW I.5, 203. 181 „Welche fremdartige Ideen stehen nicht oft unter der Fahne eines Wortes verbunden in einem Lexikon, wie z.B. Weber-Schiffe, Krieg- und andere Schiffe“, so Jean Paul zum lexikographischen Adelung (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f., vgl. § 30). Kant unterschied anders: „[D]er Witz, der zur Abfassung des Wörterbuchs einer Sprache zureicht, langt darum noch nicht zu, Vernunftideen […] zu erwecken und zu beleben“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 541). F.  Schlegel postuliert: „Lexika sollten w i t z i g sein“ (Fragmente zur Poesie und Literatur, KFSA XVI, 124 (Nr. 482)) – oder als witzige gelesen werden? Jean Paul erlaubt sich selbst einen so misogynen wie miesen Witz über die „Nachbar“schaft von „Weibern und Elefanten“ „in der Naturgeschichte“, die nicht „aus dem bloßen Gesamt-Prädikat der Maus-Scheu für zwei getrennte Wesen“ begründet sei (SW I.5, 173). 182 Vgl. aber zum Verfügen über den topischen „Vorrat“ Willer, „Fallen, Stellen“, 207, vgl. im Folgenden. 183 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 174. Jean Paul gibt sich auf: „Den Stof zu Ähnlichkeiten, der in 1 Worte liegt, aufdekken.“ (HKA II.6, 554); das macht der „witzige Zirkel“, die figura etymologica (SW I.5, 179).

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oder des Gewinns,184 sie gibt (sich) vielmehr stets noch und wieder preis an ungewisse Effekte.185 Mit dem „gewissen Vielwissen“, das der Witz „zumute“, ist es nicht nur auf die heterogene Vielheit dessen, was beigezogen werden kann, angelegt, sondern Jean Pauls Texte verfahren mit dieser so, dass sie diese nicht integrieren. Das ist es, was Hegel sehr deutlich, nämlich pejorativ, als die „barocken Zusammenstellungen“ kennzeichnete, und zwar als deren doppelte Äußerlichkeit: wenn es nun darauf ankam, selber ans Erfinden zu gehen, [habe Jean Paul] äußerlich das Heterogenste – brasilianische Pflanzen und das alte Reichskammergericht – zueinandergebracht. […] Dergleichen hat selbst der größte Humorist nicht im Gedächtniß präsent, und so sieht man es denn auch den Jean Paul’schen Kombinationen durchaus an, daß sie nicht aus der Kraft des Genie’s hervorgegangen, sondern äußerlich zusammengetragen sind.186

Die Äußerlichkeit ist demnach zum einen die der vorausgehenden Schriften, zum anderen die der Verknüpfungen. Sie steht der ‚innerlichen‘ Integration zu einer Totalität, dem Werk entgegen, das „als die eine eigene Schöpfung eines Geistes erscheint, der nichts von außen her aufliest und zusammenflickt, sondern das Ganze im strengen Zusammenhange aus einem Guß, in einem Tone sich durch sich selbst produzieren läßt, wie die Sache sich in sich selbst zusammengeeint hat“.187 Dem seit Mitte des 18. Jahrhunderts ausgeprägten ästhetischen Konzept, demzufolge das Werk sich in sich selbst, da im „Genie“ 184 Mit der Metapher der „Bank voll gesammelter Daten, mit deren Hilfe ein dauerhafter und effektiver Zugriff auf die einmal zugeführten Bausteine gewährleistet bleibt“, soll offenbar gesichert sein (Krajewski, „Zitatzuträger“, 177), dass stets „zuverlässig“ hervorzuholen oder zu zitieren sei. Lichtenberg notiert nur Exzerpten-„Sparbüchse“ (Sudelbücher  I, 722 (J 471)). Aber bei einer Bank wird nicht rausgeholt, was eingelegt wurde (vgl. 178). Die Metapher des Leihens, des Kredits, des „Capital[s]“ (183, 187ff., fürs Exzerpieren in der gelehrten Praxis gebraucht, vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 10f., vgl. Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 127) impliziert unberechenbare Streuungen von (erwarteten) Zinsen, die immer auch anderswo oder auch gar nicht anfallen können, das nennt man Verlust; vgl. Kap. I.3. 185 So führt Jean Pauls Text die Metaphernbildung der Goldauflösung fortschreibend mit verschiebenden heterogenen Anfügungen in einen Aufschub bis zum ‚Verpuffen‘, zum Platzen einer Blase, und darüber hinaus: „– oder […] – oder […]“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192ff.); s.o. Kap. I.3. 186 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik  I, Werke Bd.  13, 382. Das mag Hegel nicht unter „Originalität“ allenfalls als „schiefe“ durchgehen lassen: „Die wahre Originalität aber schließt solche Willkür gerade von sich aus.“ (Ebd.). 187 „Das wahrhafte Kunstwerk […] erweist seine echte Originalität nur dadurch, daß es als die eine eigene Schöpfung eines Geistes erscheint […].“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 383).

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als natura naturans, als in der vorausgesetzten „Kohärenz stiftenden Innerlichkeit eines Subjekts“ begründen muss,188 widersetzt sich ein Schreiben, das sich derart von Schrift nährt, dass es sich dieser als Äußerlichkeit – anfänglich, im Innern – aussetzt. Das dem ‚Werk‘ vorausgehende Wissen, dessen Aufgeschriebensein und die schreibenden Operationen heißen in Termini der Ästhetik ‚äußerlich‘, wie sein „bloß von außen her zueinander“Finden statt durch „innere Notwendigkeit ihrer Einigung“ „nur […] zufällig […] verknüpft“.189 Das „gewisse Vielwissen“, das der Witz voraussetzt, indem er es ausspielt, wird nicht ‚von innen‘ angeeignet und findet nicht, als ein Innerliches, Geistiges, verkörpernde Darstellung. Man sehe, so Hegel, „es denn auch den Jean Paul’schen Kombinationen durchaus an, daß sie […] äußerlich zusammengetragen sind“.190 Sein ‚Werk‘, so eine Bemerkung von Jens Baggesen (1797) (und das ist ein Lob!), nehme sich aus wie „eine Sammlung aus allen Trümmern Babylons, Persepolis’, Roms und Nürnbergs, auf einem Platz auf gut Glück untereinander zusammengehäuft“.191 Jean Paul imaginiert zuweilen sein Schreiben als das eines entgrenzenden, entgrenzten „Lexikon“,192 und er kennzeichnet selber etwa den Hesperus in der „Vorrede“ zum Siebenkäs mit:

188 Vgl. Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 42f. 189 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 383. „Wenn Denken als ‚Selbstdenken‘, Schreiben als voraussetzungsloser Akt eines Genies gilt, dann sind die literarischen Verfahren zur Generierung von Texten willkürliche und zufällige Konstruktionen eines allusiven Schreibens.“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 398). Im Wort „Willkür“, das „[e]inst für die ‚Beliebigkeitskontingenz‘“ der „bewusste[n] Wahl“ stand, „dominiert […] heute der Aspekt […] des Nicht-Motivierten, Zufälligen, dem man ausgesetzt ist“ (Stockhammer, „Zufälligkeitssinn“, 272f.). 190 Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke Bd. 13, 382, vgl. 383; mit den bereits zit. Belegen zur barocken bzw. manieristischen Äußerlichkeit der Verknüpfungen bei Jean Paul vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 398ff. 191 Brief von Jens Baggesen an Johann Benjamin Erhard vom 17. Mai 1797 (zit. nach Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, XXXIV); vgl. Helmreich, „Die Geburt des Romans aus dem Geist der Gelehrsamkeit“, 245f. Zu erinnern ist Kants Bücher-Last für „hundert Kamele als Materialien für die Wissenschaften“, die ‚Polyhistor’n‘ „in ihrem Kopf herumtragen“, von denen „man nicht verächtlich sprechen“ solle, „denn es ist doch schon Verdienst genug, die rohe Materie reichlich herbeigeschafft zu haben; wenn gleich andere Köpfe nachher hinzukommen müssen, sie mit Urtheilskraft zu verarbeiten“ (Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, § 31, 489). 192 U.a. in Selbstanweisungen: „Bringe so viele zerstreute Bemerkungen in einem […] Bändchen alphabetisch“ (Ästhetische Untersuchungen, HKA II.7, 293, 366, 393; vgl. Gedanken, HKA II.8, 273; Kilcher, mathesis und poiesis, 289); ein „Satirisches Lexikon“ als „Vehikel “, „das alles trägt, was ich […] geben kann“ (Merkblätter 1816/17, Nr. 58, HKA II.6, 175).

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Ich habe es allein zu verantworten, wenn Sie gar nicht sagen können, was das erste Opus ist, wenn Sie es für ein Wappen- oder ein Insektenwerk ansehen – oder für ein Idiotikon – für einen alten Codex – oder für ein Lexikon homericum oder für ein Bündel Inaugural-Disputationen – oder für einen allezeit fertigen Kontoristen – oder für Heldengedichte und Expose – oder für Mordpredigten… .193

Die Texte Jean Pauls exponieren die Heterogenität des Beigezogenen im Zitat „hybride[r] Textformen“ „hart an der Grenze des Buches“, so Armin Schäfer,194 die der ‚äußerlichen‘ Wissensorganisation zugehören und diese Grenze von diesseits bezeichnen: Lexika, Handbücher, „Bündel“ und Sammelwerke, Listen, die das Aufgeführte als voneinander abgesetzte, umstellbare und erweiterbare Elemente auffassen,195 und „Zettelkästen“,196 vergegenständlichte Techniken, Handhaben des gelehrten Wissens. Das Material aus Exzerpten, wovon „nach Eduard Berends [des ersten Herausgebers der historisch kritischen Ausgabe] Schätzungen gerade einmal ein Zehntel der gesamten Bemerkungen in der einen oder anderen Form in die gedruckten Werke übernommen worden“ sei,197 diesseits, vor und außerhalb der Werke, ist in diese dissoziierend 193 Jean Paul (bez. der „Hundsposttage“), Siebenkäs, SW I.2, 22. Die Heterogenität wird auch nicht bereinigt mit: „Es ist aber nichts als eine gute Geschichten durchwürkt jedoch mit obigen Werken schichtweise“ (ebd.). Vgl. auch Jean Paul, Titan, SW I.3, 837. Die Flegeljahre sollten „alles befassen, was man in Bibliotheken viel zu zerstreut antrifft“ (SW I.2, 595f.; vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibwiesen bei Jean Paul“, 143; Esselborn, „Die Vielfalt der Redeweisen und Stimmen“, 52f.). 194 A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 221. 195 Listen Rabelais’ führt Jean Paul an (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 142). „Was auf einer Liste steht, ist per definitionem dekontextualisiert, denn nur, was aus seinem Zusammenhang gelöst wurde, lässt sich auf eine Liste setzen“; sie ist „zum Benutzen und nicht zum Lesen gedacht; Suchen und Finden, nicht die Lektüre, die Aussagen unterstellt, wäre die angemessene Handlung. Die Liste will als Fläche wahrgenommen werden, auf der alle Punkte gleichwertig sind und die größere oder kleinere Entfernung zwischen einzelnen Elementen insignifikant ist“ (Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 19, 30, 31-36). Die alphabetische Ordnung einer Liste (etwa der Liste der „Extrablättchen“ im Hesperus, SW I.1, 722, 796, vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 286f.) ändert daran nichts, sondern sagt genau dies; umgekehrt sind alphabetisch sortierte Enzyklopädien Listen (so Barthes). Die Liste taugt als „Schule des Lesens“, insofern alles Gelistete dehierarchisiert in die Perspektive der Rekombinierbarkeit rückt (Hunfeld, „Die erzählte Liste“, 6-10). 196 So Jean Pauls Leben des Quintus Fixlein, aus funfzehn Zettelkästen gezogen, nebst einem Mußteil und einigen Jus de tablette (1796), vgl. weiter im Folgenden. 197 Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 113; zur Überfülle vgl. Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 90; zu den Beständen im Realen des Archivs (etwa 80 Nachlaßkästen mit ungefähr 25.000 meist beidseitig beschriebenen Quartblättern) vgl. die Aufstellung zum Handschriftlichen Nachlaß Jean Pauls von Bernauer, „Einleitung“, Xf.; daher: „Gnade Gott der Welt, wenn ich einmal ein Vehikel finde, das alles trägt, was ich ihr geben kann“ (Jean Paul, Merkblätter 1816/17, Nr. 58, HKA II.6, 175); vgl. Jean Paul:

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e­ingelassen: in Einschüben und Digressionen, Exkursen, Appendixen, Abund Ausschweifungen und deren unübersehbaren Vervielfältigungen.198 Den Texten sind die schreibend-lesenden Wendungen aus dem (‚eigenen‘) Buch hinaus, als Abwendungen anderswohin und an potentiell alle anderen Bücher, desintegrierend eingetragen,199 zu denen sie, den sog. „Nex“ störend, auch das Lesen anhalten.200 Im Lesen, das von Jean Pauls Texten an andere Texte und Schriften als an die Heteronomie des Werks verwiesen wird, ‚verpufft‘ alles Beigebrachte, und es zerstreut sich an die Dictionnaires, die zur Hand genommen, aufgeschlagen, konsultiert werden müss(t)en.201 Es handelt sich, so A.  Schäfer, um „eine Schreibweise, welche die Evidenz des Werkbegriffs verunsichert“, um „Bücher[, die] Experimente mit der Diskursform Buch“ anstellen.202 Sie verhandeln, die „Grenzen eines Buches“, die, so Foucault, „nie

„kein Einfall sollte untergehen; aber wie ist dies bei Reichthum zu machen“ (zit. nach G. Müller/Knab/Feifel, „Nachwort“ (zum Apparat-Bd. HKA II.6), 269). 198 Das disparat Zusammengesetzte modelliert Jean Paul als „Romanen-Musaik“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 460ff., vgl. Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.), wie es in E. T. A. Hoffmanns hyper-intertextueller „Die Brautwahl“ zu finden ist, wo u.a. einem antiquarischen Büchernarren ein zauberisches Buch zugespielt wird, das alle Bücher (aber nur ein jeweiliges) ist (Hoffmann, Die Serapionsbrüder, 593f.), und diese „sogenannte Geschichte mit den unwahrscheinlichen Abenteuern vorkomme[], wie eine aus allerlei bunten Steinen willkürlich zusammengefügte Mosaik, die das Auge verwirrt, so dass es keine bestimmte Figur zu erfassen vermag“ (598). Auch der digressiv-‚springende‘ Text kann „Mosaik“ heißen (Kilcher, mathesis und poiesis, 138, vgl. 287; ders., „Theorie des alphabetisierten Textes“, 78ff.), auch ein verwirrendes, das in Digressionen von Digressionen (die ‚alles‘ einlassen sollen) „keine bestimmte Figur“ erfassen lasse, vgl. Kap. IV.2. 199 „Ständig wird Jean Paul von dem Text, den er ausarbeiten wollte, aufgeblickt und die in einem Repositorium in greifbarer Nähe aufbewahrten Hefte in die Hände genommen haben – eine körperlich-räumliche Bewegung, die in dem publizierten Text dann sein literarisches Pendant in dem vom Hauptgedanken wegführenden Exkurs hat“ (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 121). 200 Zum „gelehrten Witz“, Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 206, wobei das Zuviel (der sog. Digressionen) aber auch schlicht überlesen und –blättert werden kann (was er den Frauen zuschreibt, vgl. Kap. IV.2); ein solches Vor(aus)blättern auch bez. Sternes Tristram Shandy: „oder reißen Sie einfach mal ein paar Seiten heraus“ (Rinck, Risiko und Idiotie, 109, 137). 201 So die zit. anonyme Rezension (1797), und Jean Paul: „hab’ ich und andere Deutsche – gesetzt, daß ich zu Zeiten auf etwas Fremdes anspielte – nicht das enzyklopädische Wörterbuch bei Webel in 10 Bändchen ohne den künftigen Nachtrag, so daß wir, um ein schweres Buch zu lesen, nichts brauchen, als ein leichtes aufzuschlagen?“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 206). Zu diesem Lektüretypus vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 128; zur Alinearität des (Jean Paul) Lesens, M. Wieland, Vexierzüge, 48f., 66f. 202 A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 221; vgl. Klappert, Link und Lücke, 122.

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sauber und streng geschnitten“ sind;203 vielmehr reicht es „über den Titel, die ersten Zeilen und seinen Schlußpunkt hinaus“, „in einem System der Verweise auf andere Bücher, andere Texte, andere Sätze verfangen: ein Knoten im Netz“.204 Das thematisieren Jean Pauls Texte als Verwiesensein an ihr ‚Diesseits‘: Heischesätze – Apophtegmen – Philosopheme – Erasmische Adagia – Bemerkungen von La Rochefoucauld, von La Bruyere, von Lavater ersinn’ ich in einer Woche unzählige und mehrere, als ich in sechs Monaten loszuwerden und als Einschiebeessen in meinen biographischen petits soupers wegzubringen imstande bin. So läuft der Lotto-Schlagsatz meiner ungedruckten Manuskripte höher auf, je mehr ich dem Leser Auszüge und Gewinste gedruckter daraus gönne. Auf diese Weise schleich’ ich aus der Welt und habe nichts darin gesagt[.]205

Das „ganze mit Schätzen gefüllte Lottorad“206 stellt für jedes ‚Werk‘ den Potentialis vor, als das, was ‚vor‘ diesem blieb,207 aber als zitier-lesbares wirksam ist, in es (aber nicht alles) hätte eingehen können, so dass, was jeweils als dessen ‚Auszug‘ oder Ziehung zum Teil eines ‚Druckwerks‘ geworden ist, wie ein jeweiliger (möglicher) Gewinn (oder eine Niete) ‚durch Lotterie‘ zufiel. Im markanten Einsatz gegen das Postulat der in sich selbst sich begründenden Autorschaft, unter dem Dichtwerke um 1800 gedacht werden, stellt Jean Paul die Exteriorität heraus, aus der die Texte kommen, und die an ihnen ‚innen‘ teilhat. Die Äußerlichkeit der Hervorbringungen wird modelliert durch Techniken, mit denen auf den Zufall gesetzt wird, wie umgekehrt die Äußerlichkeit diese dem Zufall als dem der Physis Zustoßenden aussetzt. Auf „gut Glück“, so hatte der soeben zitierte Baggesen formuliert, werde zusammengetrieben;208 das ist eine glückliche Formel. Die autoreferentielle Fiktion des 203 Foucault, Archäologie des Wissens, 36; A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 221. Die ‚problematische Grenze‘ zwischen Werk und Nicht-Werk ‚bearbeiten‘ Jean Pauls Paratexten (vgl. Derrida: „This is not an oral footnote“, 19). 204 Foucault, Archäologie des Wissens, 36. 205 Jean Paul (in einer Abschweifung des) Titan, SW I.3, 167; vgl. Neumann, Ideenparadiese, 42-46, 59-63. 206 Titan, SW I.3, 167; (boshaft): Lavater lasse dieses „Lottorad“ „unter dem Titel: Manuskripte […] selber unter die gelehrten laufen“ (ebd.). 207 Das fügt sich nicht dem Konzept vom „Nachlass“ (in denen die Exzerpte und ihre Register verblieben, vgl. Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 38, 45f.) in der üblichen Editionskonzeption und -praxis vom „Werk“, das vom Unfertigen, Beweglichen (dessen „Aufbewahrungsort ist das bergende wie verbergende Depot“) abgeschieden wird, vgl. Wirtz, „Vom Nachlassen“, 173-177, 166ff., 169. 208 Zit. nach Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, XXXIV. „Abwechslung, zum gestern und auf gut Glück“ suchte Montaigne im Durcheinander-Lesen (Essais, III.9 (dtsch.), 502, Hvhg. BM).

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„Vorkapitels“ zu Leben Fibels modelliert das Schreiben im Wörtlich-Nehmen der technischen Metaphern des Ausziehens, des Wieder- und Weiter-Verwendens, zufälliger ‚Speicherung‘, des Zusammen- und Beitragens aus ‚allen vier Ecken‘ durch fremde Hände als verwörtlichende Realisierung der Techniken des Ausschreibens oder Ausziehens; es setzt sich den Kontingenzen der Zuträgerschaft und des Sich-Zutragens aus. Einfälle, Zufälle der losen Blätter Jean Paul hat Schreiben mit den Verfahren (über dem aus allen möglichen Orten Ausgezogenen, dem aus- und abschreibend Zusammengetragenen) auch entworfen als dem Zufall aussetzendes, so die Fiktion der Operationen an bemerkenswert deplazierter Stelle, in der Fußnote zum letzten Satz von § 54, vor (z.T. zu Füßen von) § 55 zum „gelehrten Witz“: Es wäre daher die Frage, ob nicht eine Sammlung von Aufsätzen nützete und gefiele, worin Ideen aus allen Wissenschaften ohne bestimmtes gerades Ziel – weder ein künstlerisches noch ein wissenschaftliches – sich nicht wie Gifte, sondern wie Karten mischten und folglich, ähnlich dem Lessingschen geistigen Würfeln, dem etwas eintrügen, der durch Spiele zu gewinnen wüßte, was aber die Sammlung anbelangt, so hab’ ich sie und vermehre sie täglich, schon bloß deshalb, um den Kopf so frei zu machen, als das Herz sein soll.209

Die immer erneut zu lesenden, zu durchstreifenden, zu durchblätternden Exzerpte und „Exzerpten von Exzerpten“ würden derart zum Raum, aus dem Einfälle zukommen.210 Die Rede von „Dichterlaune“ oder Inspiration, die Jean Paul aus der „chaotischen Anordnung des Überlieferten“ in den Exzerpten 209 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f., s. Kap. I.5. Auch in der Ausgabe Vorschule der Ästhetik nebst einigen Vorlesungen in Leipzig über Parteien der Zeit, 1804, findet sich die Fn. am Ende von § 51 von „Nothwendigkeit witziger deutscher Kultur“ auch zu Füßen von § 52 „Bedürfnis des gelehrten Witzes“ (2. Abt., 334f.), in der erw. 2. Aufl. 1813 angefügt am Ende von  § 54 „beweiset *).“ zu Füssen von  § 55 „Bedürfnis des gelehrten Witzes“ (2. Abt., 419f.). 210 Auch gesammelt: „Witzsammlungen“ (Fasz. IX (1-4), „Einfälle nach Rubriken geordnet“ u.ä. (Fasz. IX (2-4) Bd. 2 (3); vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 75ff.). „Einfälle“ zur Vorschule der Ästhetik, auch zum IX. Programm „Über den Witz“ in Fasz. XVIII/1 (62v-63r), vgl. Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 2, 58-73, noch nicht erschienen [HKA IX], „B o n m o t s = A n t h o l o g i e meiner Eleven“, für die Jean Paul „unter vielen mündlichen die geschriebenen auslas“ (HKA II.6, 621-52; vgl. in K. Fischer (Hg.), Jean Paul (1894), Bd. 2, 103f.). Im Sammeln geht die poietische Praxis nicht auf (vgl. aber SchmitzEmans, „Ut collectio poesis“, 70, 118), aber die Exposition der disparaten Sammlung hat autoreferentielle Funktion (vgl. 74f.; Stadler/Wieland, Gesammelte Welten; hins. des Naturalienkabinetts vgl. Lohmann, Jean Pauls „Flegeljahre“, 17-83, 124).

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gewonnen habe,211 genügt dem nicht. Vielmehr ist ein Schreiben konzipiert, „das nicht erst auf die genialische Inspiration warten wollte“.212 Nicht auf die „Kraft des Genies“ (Hegel) oder eine andere Ausprägung einer ‚Natur-Gabe‘ vor oder jenseits der Rhetorik (unter dem Titel des ingenium und dann des Genies),213 von der ein innerer Zusammenhang, ästhetische Integration zu erwarten wäre, wird hier gesetzt, sondern Einfälle verdanken sich einem anderen Anderswo, das äußerlich bleibt und sich daher in grundlosen Effekten manifestiert. Jean Pauls Fiktion des Zu- und Zusammen-Würfelns modelliert die Unverfügbarkeit des ‚Ein-Falls‘ durch Äußerlichkeit des Verfahrens.214 Mit der technischen Phantasie ist es auf den Zusammenhang von Einfall und Zufall, als Zu-Fall von Verknüpfungen angelegt. Die von Jean Paul ausgegebene metapoetische Fiktion, die in Hinsicht des witzigen Kombinierens bereits beigezogen wurde (Kap. I.5), zitiert mit dem Karten-Mischen das kombinatorische Operieren.215 Bajarar (wie man Karten mischt) taugte (wie bereits angeführt) Baltasar Gracián zur Modellierung der ‚großen Varietät‘ der Verfahren,216 die den Letternbestand der Wörter lösend in diesen, mit den verstellend anders sich verknüpfenden Partikeln andere Wörter lesbar machen. Das „Lessingsche 211 „Um sich in Dichterlaune zu bringen, las Jean Paul gleichsam absichtslos in seinen gesammelten Wissensschätzen, um sich zur Erfindung von Allusionen, witzigen Analogien, satirischen und ernsten Analogien, […] von Motiven und Geschichten zu rüsten“ (G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 327; vgl. Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 107). 212 Wirtz, „Vom Nachlassen“, 171. 213 Was als ingenium vor der traditionellen (lehrbaren) Rhetorik situiert ist, was die ingeniöse Para-Rhetorik als ingenio artifizös, als Überbietung der Rhetorik konzipiert, während mit dem Genie, durch das ‚die Natur der Kunst die Regeln‘ gebe (Kant), die Verfahren und deren Vorgängigkeit verschwiegen, verstellt sind, s. Kap. I.1, I.5, II. 214 Zum Gebrauch von „Einfall“ vgl. Jean Paul, „Miserikordias Vorlesung“, SW I.5, 357, Levana, SW I.5, 843. Zur Begründung der Erfindung anderswo, mit Waldenfels’ Konzept der eigenen/fremden Rede, vgl. M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 206. 215 „[M]ixtio“ gehört zu den termini technici der Kombinatorik (vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 358, 364, 367) und benennt noch deren Entgrenzung (vgl. Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, 405f., 412f.); s. Kap. I.5 u. 6. ‚Gemischt‘ würden zur Übung „selber zu erfinden“ „Kenntnisse“, die „schon vorher da sein“ müssen (Jean Paul, Die unsichtbare Loge, SW I.1, 135 u. Levana, SW I.5, 842). Mischen von Karten, „nicht wie die Gifte“, das kann ein Vorbehalt gegen F. Schlegels Auffassung der Kombinatorik als Chemie sein (vgl. KFSA XVIII, 124 (Nr. 124), 129 (Nr. 90); KFSA II, 200 (Nr. 220), 248 (Nr. 426)): „alle[r] Witz“ als „Prinzip und Organ der Universalphilosophie“ sei „die Wissenschaft aller sich ewig mischenden und wieder trennenden Wissenschaften, eine logische Chemie“ (AthenäumFragmente (Nr. 220), KFSA II, 200, vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry; ders., „Critical Mass, Fission, Fusion“, 146ff., 138). Jean Paul nutzt das alte Wort „Scheidekunst“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 200), aber das „geistige Laboratorium“, „diente“ „weniger der Scheidekunst als der Vereinkunst“ (Hesperus, SW I.1, 588f.). 216 Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, 571.

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geistige Würfeln“ kannte Jean Paul wohl von Moses Mendelssohn, der die „Gewohnheit Lessings, in seiner Laune die allerfremdesten Ideen zusammen zu paaren, um zu sehen, was für Geburten sie erzeugen würden“ mit der kennzeichnenden Metapher des Würfelns überlieferte.217 Jean Paul gab sich mit der Aufgabe, „[u]nähnliche und heterogene Ideen wie Lessing zusammen[zu] paaren“,218 das (fiktive) Operieren des ‚Zusammen-Würfelns‘ von „Data“ vor,219 und mit der Aleatorik eine fiktive Technik, eine technische Phantasie des Erfindens aus, die statt auf bewusste Wahl oder „Auswahl“, die ein Autor träfe,220 auf den Zufall setzt, und derart ein frühromantisches Motiv221 zu fiktiver Technizität ausprägt. Das Operieren mit Spielkarten, die zum einen seit dem 15. Jahrhundert merklich zum Papierverbrauch und -absatz beitrugen,222 zum andern, so Jean Paul, als Produkte des Holzschnitts auch „Vorgänger der Buchdrukkerkunst“ waren,223 taugt als Paradigma des Hantierens mit sprachlichen ‚Elementen‘, 217 Mendelssohn, „Die Beylage. Erinnerungen an Herrn Jacobi“ (zum Brief vom 1. August 1784), 115; vgl. Jean Paul, SW I.5, (Komm.) 1221; Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 137; Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“, 48; G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 321f. u.v.a. 218 Jean Paul, Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 553. 219 Man möge „die physikalischen Data ordentlich zusammenwürfeln und kombinieren, wie Lessing die philosophischen oder andere die Musiknoten. Man würde doch sehen was herauskomme […]“ („Physische Note über den Zitteraal“, Quintus Fixlein, SW I.4, 225). Vgl.: „Ideenwürfel“, Studier-Reglement, HKA II.6, 568, 553; „Ideen-Würfeln“ (Fasz. IX Heft  7, Februar 1795) (vgl. HKA II.6 App.  146; Der handschriftliche Nachlaß Jean Pauls, Teil 1, 77ff.; G. Müller, „Jean Pauls Privatenzyklopädie“, 76; ders., Jean Pauls Exzerpte, 321). Unter „Ideen-Würfeln“ (Februar 1795, Bl.  18) erprobe Jean Paul „solche aleatorischen Kombinationen seiner Exzerpte“, die „ihm beim Durchblättern seiner Hefte zufällig unter die Augen geraten“ seien, unter Titeln wie „Krum = Gerade“, „Würfel“ (M. Wieland, Vexierzüge, 86f. mit Transkriptionen von Fasz. IX Heft 7, Bl. 17, 18, mit den Nachweisen der Exzerpte). 220 Dgg. Schmidt-Hannisa: aus den „heterogensten Exzerpte[n] aus Exzerpten“ habe „der Autor nur noch die Auswahl“ zu „treffen“, „um eine interessante Kombination zu erzielen“ („Lesarten“, 39), zu Auswahl, iudicium, judgement, vgl. Kap. I.1 u.5. 221 Vgl. Novalis, N III, 451, 449, 650; Kleinschmidt, „Fällige Zufälle“, 147-66; Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 158. 222 „Papiermühlen des 15. Jahrhunderts“ „verdankten“ „der in Europa grassierenden Leidenschaft für das noch junge Vergnügen des Kartenspiels […] eine wichtige Absatzmöglichkeit“: „der Papierbedarf, der aus der anschwellenden Spielleidenschaft hervorging, überstieg den der Kanzleien und Kommunen beträchtlich“ (L. Müller, Papier, 51f.). 223 So notierte Jean Paul (I-1782-102, gedr. in: „Schreiben Abzeichnen Eingraben“, mitgeteilt von Will, 3), „als das Buch von Johann Immanuel Breitkopf über den Ursprung des Leinenpapiers erschien“ (L.  Müller, Papier, 180). Die sog. ‚Briefmaler‘, die die profanen Spielkarten wie die „populären Andachtsbilder von Heiligen ausmalten“, „bildeten gemeinsam mit der Papiermacherei und dem noch jungen Holzschnitt das Dreieck der massenhaften

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weil jede Spielkarte allein innerhalb des Kartensets einen Stellen-Wert durch die negativ-bestimmende Relation zu anderen hat.224 Sprachliche ‚Elemente‘ sind nicht nur, so Saussure, negativ differentiell, durch diese ihnen inhärierenden Bezüge ‚bestimmt‘, daher keine mit sich identischen ‚Elemente‘,225 sondern sie macht, wie Karten ausgegeben und ins Spiel gebracht werden, ihr nicht durch Code und Kontext beschränkter Einsatz aus.226 Karten wie alle sprachlichen Zeichen sind iterierbar, anderswo zitierbar, anderswo andere,227 treten in immer wieder andere Konfigurationen, in denen sie je andere werden, in Kontexte, die sie ihrerseits neu- mit-erzeugen.228 Der Potentialis ihrer Bezüge auf andere, anderswohin, ist ihnen als ihre Differenz in sich/von sich, latent eingeschrieben.229 Die von Jean Paul in Aussicht genommene Ausgabe durchs Würfeln oder aus den gemischten Karten konzipiert, um zu erfinden, die „Handhabung“ von „Ideen“ als Operieren mit beweglichen ‚Elementen‘, wie Lettern,230 während in Spielkartenproduktion“ (52f.). Durch Vorgaben der Drucktechnik „standardisiert“ (178) haben sie „misch- und sortierfreudige[s] Format“ (Krajewski, ZettelWirtschaft, 43ff., 62f.; vgl. zu den „chartae“ in dieser Hinsicht Moser, nach Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 72). 224 Das stellt gerade jene Zusatzkarte heraus, als die der Joker Mitte des 19. Jh. ins Spiel tritt, durch die Ausnahme, die er ist, als die er den Platz jeder anderen Karte einnehmen kann (insofern wie ein Auslassungszeichen, vgl. Kap. IV.1). 225 Saussure, Cours de linguistique générale, 157-67/Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 135-38, 140-46; vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“, 236-39; „the identity of a mark is also its difference and its differential relation“ (ders., „My Chances“, 16). 226 Vgl. Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 143; gegen Saussures Trennung von Sprachsystem und –gebrauch vgl. Derrida, „Die weiße Mythologie“; ders., „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel“; S.  Weber, „Saussure, and the Apparition of Language“. Das ‚Stellen-Gefüge‘ der Sprache ‚ist‘ instabil, auf ‚Umbesetzungen‘ angelegt, so Geulen, „Stellen-Lese“, 478f., 483f., 491f.; oder vielmehr: Sprache ist kein Stellen-System (Derrida, Glas, 10, 105ff.; vgl. Culler, „The Sign: Saussure and Derrida on Arbitrariness“, 134). 227 „Iterability“, d.i. die Möglichkeit „to emigrate in order to play elsewhere“ „varying each time according to context“ (Derrida, „My Chances“, 16). Die sprachlichen Ausdrücke werden nicht durch Kontexte (in denen sie ‚Bedeutung‘ gewinnen) fixiert, eingeschlossen, sie können vielmehr mit dem Kontext brechen, anderswo eingeschrieben auf nicht beschränkbare Weise neue Kontexte erzeugen („Signatur Ereignis Kontext“, 339, 335f.). 228 Das führt Calvinos Il castello dei destini incrociati/Das Schloß, darin sich Schicksale kreuzen, über der matrix des Kartensets vor. 229 Derrida, „My Chances“, 16. 230 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199f. Im Barock sind Karten oder Würfel zur Einübung des Buchstabierens gebräuchlich; Modell ist der Buchdruck mit beweglichen Lettern (s. Kap. I.5): Der Setzkasten speichert nicht bloß Typen an festen Plätzen, sondern führt sie der Wiederverwendung zu; er stellt die Rekombinierbarkeit vor (vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 22ff.). Mit dem „Setzer“ (statt des Dichters, Jean Paul, Kleine Nachschule,

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den „Köpfen“ der „Gelehrten“, so Jean Paul, „lauter unbewegliche Güter liegen und die Begriffe jeder Wissenschaft klubweise auseinandergesperrt in Kartausen wohnen“.231 Mitzulesen sind die architektonischen Hintergrundmetaphern der memoria wie Platons Taubenschlag, in dessen cellae Papyrusrollen speichernd deponiert werden,232 Camillos Gedächtnistheater233 „voll kleiner Kästchen mit jeder Menge Papieren darin“ oder die pantotheca Bodins, eine ‚wirkliche‘ Vorrichtung aus Holz „in 36 einzelne Ablagefächer (apothecae) […] unterteilt“, die „jeweils zur Aufnahme von jeweils 36, insgesamt 1296 chartae bestimmt“ waren,234 wie „die To p i k , d.i. [so Kant] ein Fachwerk für allgemeine Begriffe, G e m e i n p l ä t z e genannt, welches durch Klasseneinteilung, wie wenn man in einer Bibliothek die Bücher in Schränke mit verschiedenen Aufschriften verteilt, die Erinnerung erleichtert“.235 Der stabilen Topik lässt sich mit Aubins modellierender Metapher von den „Sonderbarkeiten, wie Schmetterlinge“, die ‚ausgefangen‘ und ‚festgemacht“

SW I.5, 461f.) kommen die Signifikanten und kommt die materielle Materialität ins Spiel (vgl. Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 528f. u.ö., vgl. Kap. I.6, III.2). 231 Jean Paul, Die unsichtbare Loge, SW I.1, 135; „weil man die Kinder mehr Ideen als die Handhabung der Ideen lehrt, und weil ihre Gedanken in der Schule so unbeweglich fixiert sein sollen wie ihr Steiß“ (ebd.); dgg. die Übung „die Ähnlichkeiten aus entlegnen Wissenschaften anzuhören, zu verstehen und dadurch – selber zu erfinden. Z.B. […] – Oder: im Winter gehen Menschen, die Erde und Pendule schneller. – Oder: verhehlt wurde der Name Jehovas – der orientalischen Fürsten – Roms und dessen Schutzgottes – die sibyllinischen Bücher – die erste altchristliche Bibel – die katholische – der Vedam etc. Es ist unbeschreiblich, welche Gelenkigkeit aller Ideen dadurch in die Kinderköpfe kommt. Freilich müssen die Kenntnisse schon vorher da sein, die man mischen will.“ (ebd. u. Levana, SW I.5, § 136, 842; vgl. 848ff.). 232 Vgl. Carruthers, The Book of Memory, 33ff. 233 Vgl. Yates, Gedächtnis und Erinnern, 150-61, (Schema) 357. 234 Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 184; bei diesen KartenAnordungen kommt es auf die Zuordnung von Bildern oder Schriften zu festen Plätzen einer begrenzten Ordnung an. 235 Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 488f. Das „j u d i z i ö s e Memorieren“ sei „kein anderes als das einer Tafel der Eintheilung eines Systems (z.B. des Linnäus) in Gedanken“ (486), das „ingeniöse“ dagegen „ungereimt, als regelloses Verfahren der Einbildungskraft in der Zusammenpaarung dessen, was nicht unter einem und demselben Begriff zusammen gehören kann“, „erschwert“ es „durch die ihm unnötig aufgebürdete Assoziation sehr disparater Vorstellungen“, so „[d]aß Witzlinge selten ein treues Gedächtnis haben“ (488); „Sprünge[] von einem gelehrten Zweige zum anderen“ „entkräfte[n]“ das Erinnern (Jean Paul, Levana, SW I.5, 850). Meiner (1789) assoziiert die „Rubrizierung [der Zettel] und Einordnung in ‚Fachwerke‘ ‚dergleichen man in Postund Handlungscomptoren oder in großen Archiven sieht‘“ (Zedelmaier „Johann Jakob Moser“, 91).

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würden, der unheimlichere Zug des am Platze Festnadelns absehen.236 Diesen Festsetzungen hält Jean Paul mit Emphase entgegen: „Aber, Himmel, welche Spiele könnten wir gewinnen, wenn wir mit unsern einsiedlerischen Ideen rochieren könnten!“237 Im Schachspiel238 schafft Rochieren, über die durch jeweilige Spielzüge einzelner Figuren jeweils erzeugten Neukonfigurationen hinaus, ohne Entnahme oder Hinzufügung einer Spielfigur eine neue, nicht rückstellbare Konstellation in der Spiel-Fläche. Aus der ehemals topischen oder memorialen Ordnung setzt das Spiel des Witzes heraus. Zu neuen Ideen gehören durchaus freie; zu diesen wieder gleiche; und nur der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleichheit vorher gibt, er ist für den Geist, was für die Scheidekunst Feuer und Wasser ist […] nur entbundene Körper schaffen neue.239

Der Witz ‚setzt frei‘ aus Zusammenhängen, die als organische innere, subs­ tantiell stabilisiert zu sein scheinen. Ihm ist an den gelösten beweglichen „Gliedern“ gelegen, während der Zusammenhang, der doch gerade als innerer der lebendigen Gestalt die poetische Darstellung modellieren soll,240 hier heißt: „unserem innern Menschen [werden] alle Glieder zusammengenäht, damit ruhiger Nexus vorliegt“,241 wobei die ‚Nähung‘ dem ‚ruhigen‘ ‚Von-Selbst‘ 236 Das Potenzial von Jean Pauls Vergleich führt etwa die Episode des unglückseligen Schmetterlingssammelns in Kellers Der Grüne Heinrich aus, die Sammeln als das „unseliger Reste“ ins Entsorgen überführt (vgl. Roose, „Zwischen ‚unseligen Resten‘ und literaturfähigen ‚Abfällseln‘“, 189ff.). 237 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 200. Die ‚Etymologie‘ von Lettern als Glieder (Harsdörffer) meint, dass diese „immer wieder zu ihren neuen Körpern gefügt werden“ dürfen (Rieger, „Nachwort“ (zu Schottelius’ Sprachkrieg), s. Kap. I.5. 238 Das Schachspiel ist ein bekanntes Modell für Sprach- und Wortspiel (Greber, „Figur und Figuration im Schachfigurengedicht“, Zanetti, „Schach: Marcel Duchamps Zeitvertreib“ u.a.). 239 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 200. Diese wie andere Proklamationen des Witzes als Freiheitsstifter seien „nicht buchstäblich ernst“ zu nehmen, so Birus, Vergleichung, 49f., 52, u.a.; dgg. mit Entschiedenheit von Haselberg, „Musivisches Vexierstroh“, 196, 195ff.; anschließend M. Wieland, Vexierzüge, 68f., 86. § 54, in dem das Zitierte steht, „Notwendigkeit deutscher witziger Natur“ vermerkt: „Alle Nationen bemerken an der deutschen, daß unsere Ideen wand-, band-, niet- und nagelfest sind und daß mehr der deutsche Kopf und die deutschen Länder zum Mobiliarvermögen gehören als der Inhalt von beiden“ (I.5, 199). 240 Dem Witz, Fügung einander widerstreitender ‚Glieder‘, hält Jean Paul die „Poesie“ entgegen, indem er die phantasmatische Ganzheit des ‚beseelten lebendigen ganzen Körpers‘ in Anspruch nimmt (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201, vgl. die §§ zu Poesie u. zum Genie, SW I.5, 47, 64, 67). 241 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 200.

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des „Nexus“, wie damit dessen ‚Vorliegen‘ (als phantasmatische Ganzheit des Körpers) widerspricht. Das Kartenmischen und Würfeln spricht (um in der berühmten Metaphorik Jean Pauls für den Witz fortzufahren) von der promiscuen Rekombinierbarkeit242 von jeweils „leicht“ und „flüchtig“ kopulierten Gliedern und insofern von deren ‚Entbundenheit‘ aus vorausgesetzten oder auch erzeugten Verbindungen (die Jean Paul verwörtlichend bis zum wilden „Polterabend“ aller „entbundene[n] Körper“ forttreibt).243 Der Witz operiert nicht nur über dissoziierte ‚freie‘ Glieder, wie dekontextualisierte Exzerpte, sondern er setzt diese (auch) frei aus vorausgesetzten und erwartbaren Zusammenhängen, ohne andere zu etablieren; daher heißt Jean Paul den Witz auch „atomistisch“, das ist aber anagrammatisch: „ohne wahre Verbindung“.244 „Freiheit gibt Witz (also Gleichheit mit), und Witz gibt Freiheit“, so der „Zirkel“ des Witzes,245 weil ihm alle Relationen ohne Hierarchie, ohne Eigentlichkeit ‚gleich‘ ‚gültig‘ sind:246 Im Witz sind ‚Glieder‘ als verstellbare frei-gesetzt, „gleich“ im Sinne ihrer ‚Freiheit‘ zu allen möglichen, unabsehbaren und unhaltbaren witzigen Verbindungen, die das in einer jeweiligen die Verstellbarkeit jeweils aktualisierenden Lektüre Relationierte nicht binden. Das Anagramm, das der Witz sei, widerstreitet, flüchtig, auf seine latente Verstellung, andere Verbindungen und Figuren verweisend, dem in der menschenähnlichen Gestalt vorgegebenen Modell phantasmatischer Ganzheit für die Darstellung. Das Agieren des Witzes ist mit der Metapher des „neuen Ideen-Räderwerks“ als (sich) beschleunigende Bewegung gedacht.247 Das „Mosaik“, auf das Jean Paul

242 G. Müller, „Mehrfache Kodierung“, 68. 243 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202, wo: „*)“ die hier gelesene Fn. anhängt, vgl. das Folgende. 244 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; HKA I.11, 186: „Witz – das Anagramm der Natur“, „er nimmt an keinem Wesen Antheil, sondern nur an dessen Verhältnissen; er achtet und verachtet nichts“. 245 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik ,SW I.5, 201. „So frei der Witz ist und macht“, vermerkt Jean Paul (anfangs § 55 „Bedürfnis des gelehrten Witzes“), 203. 246 „[A]lles ist ihm gleich, sobald es gleich und ähnlich wird“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; HKA I.11, 186). Der Witz sei ‚gleichgültig‘ „gegenüber den von ihm zusammengewürfelten Dingen“, so Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 232; zur Kombinatorik vgl. Dotzler, Papiermaschinen, 200, zur Topik vgl. Willer, „Fallen, Stellen“, 207. 247 Die „Entwicklung“ des „Witzes“ sei, so Jean Paul, „die unschädlichste – weil er nur in leichten flüchtigen Anstrengungen arbeitet; – die nützlichste – weil er das neue IdeenRäderwerk immer schneller zu gehen zwingt“ (Die unsichtbare Loge, SW I.1, 135).

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zufolge der Witz hinauswolle, will E. T. A. Hoffmann genauer als bewegliches, als „kaleidoskopisches“ gedacht wissen.248 Spielkarten kamen, „misch- und sortierfreudig“ wie sie im standardisierten Format waren,249 allerdings unter Nutzung ihrer „unbedruckten Rückseiten“, auch bei der Verzettelung des Wissens in Gebrauch, zur Bewältigung der Bücherflut, als Supplement, das die Adressierung der Bücher in der Bibliothek ermöglicht, die ihrerseits die Bücher auf ihre Plätze verpflichtet.250 Sie stellen wie (oder als) lose Zettel die freie Verstellbarkeit der Elemente als solche vor, handle es sich um die Bücher, die auf ihnen verzettelt wurden, um sie zu sortieren,251 um ihre Zettel-Repräsentanten, die das ermöglichen, oder deren Auszüge, die auf ihnen verzeichnet sein konnten.252 Jean Pauls materiale Exzerptsammlung: lose oder zu Heften gebunden oder auch aus diesen herausgeschnitten,253 sein Hantieren mit Exzerpten und seine metapoetische Fiktion einer Aleatorik legt nahe, dass, so Stockhammer, die „am besten geeigneten 248 Hoffmann führt (zu „Die Brautwahl“) dessen bewegliche Ausführung an: das Kaleidoskop, in dem „die heterogensten Stoffe willkürlich durcheinandergeschüttelt“ werden (Die Serapionsbrüder, 599). 249 Krajewski, ZettelWirtschaft, 43ff., 62f., 178. 250 Vgl. Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 52ff. „Als 1775 in Frankreich der Abbé de Rozier im Auftrag der Académie Royale des Sciences daranging, alle seit ihrer Gründung im Jahr 1666 bis 1770 von ihr herausgegebenen Schriften in einem Generalregister zu katalogisieren, verwendete er zur Titelerfassung die unbedruckten Rückseiten von Spielkarten.“ (L. Müller, Papier, 178). Zur Beweglichkeit der Bücher und Karten in Relation zu Katalog, Standort, an dem das Buch gefunden und an den es zurückgestellt werden muss, der Signatur, die Festsetzung ermöglichte, vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 37-41, 59. 251 Verzettelung war zunächst als Durchgangsstadium zu erneut buchförmigen Bibliothekskatalogen wie zum zukünftigen Buch konzipiert, vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 10f., 25f., 30, 37-44; Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 169f.; Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 85ff.; ders., „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 44; ders., „Johann Jakob Moser“, 70. 252 „Verfahren, bei denen Information einzeln verzettelt wurde“, vgl. Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 169f.; Krajewski, ZettelWirtschaft, 10f., 16f., 25f. 253 Vgl. HKA II.6, 569 (Nr. 8); Erl., HKA II.6 App. 146; „in manchen Faszikeln mit höheren Nummern“ „herrschen“ „Einzel- und Doppelblätter“ „vor“ (Goebel, „Einleitung“, IX; vgl. Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 90). „Ganz offensichtlich verwendete Jean Paul seine Hefte, soweit er mit Heften, d.h. mit vorgebundenen Blättern, arbeitete, zu ganz verschiedenen Zwecken, beschrieb sie nicht linear von vorne nach hinten und widmete die Hefte nicht nur einem Thema.“ „Viele Hefte haben deutliche Spuren herausgeschnittener Blätter und an vielen Papieren fallen die Schnittspuren auf“ (Goebel, „Einleitung“, X). So auch Fixlein, der, „wie Morhof rät, die einzelnen Hefte von Makulaturbögen, wie sie der Kramladen ausgab, fleißig sammelt“; „für ihn war der Krämer ein Fortius (der Gelehrte) oder ein Friedrich (der König), weil beide letztere sich aus kompletten Büchern nur Blätter schnitten, an denen etwas war.“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 88f.).

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Schriftträger frei kombinierbare Zettel“ wären.254 Jean Pauls Selbstanweisung „nur blättern, nicht lesen“,255 nähert auch die Bücher über deren blätternd ausziehende, dissozierende Handhabung, den losen, aus der Bindung (des Buches) gelösten: freigesetzten, Blättern.256 Das Blättern, das mit Jean Paul als Zugriffs- und dissoziativer Lesemodus bereits angesprochen wurde, ist eine Handhabung der Bücher, die Bücher als durch ihre (genau einseitige) Bindung (bzw. das Aufschneiden der gefalteten Seiten) bestimmte Blätterobjekte erschließt,257 die nicht-lineares Lesen in hin-und-herspringenden Zugiffen ermöglichen.258 Blättern als unterbrechend zerlegendes Erschließen im Auf- und Umschlagen oder Überblättern hat ein Pendant im Stellen-Lesen.259 Dieses temporär aussetzende Lesen, als „diskontinuierte Folge […] fortgesetzten und abgesetzten Nachlesens“,260 wurde wie Blütenlesen, als die es sich exzerpierend, zitierend schreibt,261 in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verpönt.262 Denn Stellenlesen, das sich zufällig, wie es heißt, „auf die ansprechende“ Stelle fixiere,263 löst Teile aus ihrer hierarchischen Bezogenheit und widerstreitet dem (nun durchgesetzten) hermeneutischen Postulat der Integration aller Teile im Werk-Ganzen.264 Bloß(?) „stellenweise und mit Fingern zu zeigen“ sei, so Jean 254 Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 53. 255 Jean Paul, Register dessen was ich zu thun habe, HKA II.6, 559. 256 DW Bd. 12: Art. „los“, Sp. 1156-68, Art. „lose“, Sp. 1181ff., Art. „lösen“, Sp. 1190-96; zu „lose“ gehört auch das pejorative „lottern“ (Sp. 1214); vgl. Stanitzek, Art. „Zettel“, 330ff., 334. 257 Vgl. Jean Paul, „Vorrede zum satirischen Appendix“, SW I.4, 355f.; E.  Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 39ff., 44; Gunia/Hermann, „Einleitung“, 9f., 7; Flusser dgg. denkt die Bücher von ihrem Rücken her, Die Schrift (2002), 97; vgl. Schulz, Poetiken des Blätterns, 56. 258 Jean Paul vergleicht sie daher auch mit Karten- u.a. -Blättern, was sie nicht sind („Vorrede zum satirischen Appendix“, SW I.4, 355). 259 Zu Blättern und Stellenlektüre vgl. D. Schmidt, „Umblättern statt lesen“, 155ff. 260 Plath, Hier und anderswo, 21f. 64-67; vgl. E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 28-37. 261 Zu Stellenlektüre wie/als Blütenlese vgl. Stanitzek, „Brutale Lektüre“, 253ff. Das ‚Buch‘ zerfällt durchs Exzerpieren in einzelne Stellen, wird als (lose) Blätter gehandhabt (vgl. M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 114f.). 262 Vgl. Geulen, „Stellen-Lese“, 475-78; Stanitzek, „Brutale Lektüre“, 255ff. 263 Stanitzek, „Brutale Lektüre“, 254; E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 35f. 264 Eine Stelle wird ‚heraus‘ gerissen, ohne das verlorene Ganze im Modus der Synekdoche zu restituieren, sie widersetzt sich dem Konzept der „privilegierten […] Stelle“, „welche geeignet erscheint, den Sinn des Gesamttexts zu repräsentieren“ (Stanitzek, „Brutale Lektüre“, 255ff.; E.  Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 33, 35f.), die Stelle, an der das flüchtige oder zielgerichtete Lesen aussetzt, fortgesetzt aber nicht integriert wird (Plath, Hier und anderswo, 12-22, 26, 66; dgg. Willer, „Fallen, Stellen“, 204, 200). Zum Stellenlesen im Sinne des zitationellen Lesens, der zitierend ‚identifizierbaren‘: zitierfähigen Stellen (auch Geulen, „Stellen-Lese“, 476f.; vgl. Plath, 15f., 349-353): Stellen, die

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Paul, der Witz,265 der vermeintliche Ganzheiten (auch der Texte) dissoziiert und keine erzeugt. Die Stellen-deixis ist etwa als Buch-Stechen oder zufälliges Aufschlagen operativ, kann auf eine Stelle treffen, eine Stelle (so zum Beispiel für Augustinus) zutreffen lassen,266 in spielenden oder auch mantischen Praktiken,267 deren jeweilige Rahmungen ein Intention und Bewusstsein der Wahl hintergehendes Auswerfen, wie im Lose-Werfen oder -Ziehen einer Auskunft oder Anweisung ermöglichen.268 Die Stellen-deixis kann als schriftlich markierende Ausführung der ‚Ansprache‘ durch eine Stelle auf die Buchseite einziehen, so etwa die Zeigegeste selbst mit dem typographischen Manicule am Rande des Textes (oder ihn unterbrechend) auf-269 oder in den Text treten: als Rubriken270 oder andere Steuerzeichen, die den Text graphisch gliedern, das

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zitierend (herausgerissen) erzeugt, anderswo einschreibend gelesen werden, verweisen das ‚Hier‘ ihres Gelesen- und Zitiertwerdens je schon anderswo-hin, sind nicht sie selbst; „jede vereinzelte Stelle“ ist vielmehr „zugleich Ausgang und Eingang“ (531, 348), ‚Verspätung des Lesens in den Text eintragend‘, seine ‚Vorläufigkeit einzeichnend‘ (342). So unterscheidet Jean Paul vom Humor, „der unsichtbar beseelt, der also nicht einzelne Glieder vordrängt“ (Kleine Nachschule, SW I.5, 469). Stellenlesen ist „lückengenerierend“ (Rapp, „Ingeniöse Lektüren“, 175, 173, 177f.), legt Intervalle (Plath, Hier und anderswo, 77), an der ‚Stelle des Aus- und Fortsetzens‘ (26). Augustinus markiert an bekannter Stelle die ‚irgendwo‘ aufgeschlagene berühmte Stelle: „Tum interiecto aut digio aut nescio quo alio signo codicem“ (Confessiones/Bekenntnisse [VIII, 12,30], 416f.). Das „Buchorakel“ sei, so Goethe, eine Technik „nach Zufälligkeiten“ zu greifen, „um irgendeine weissagende Andeutung aufzuhaschen. […]. Solcher Art ist die überall herkömmliche Orakelfrage an irgendein bedeutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeichnete Stelle beim Aufschlagen gläubig beachtet.“ („Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“, Werke Bd.  2, 189f.; vgl. Schulz, Poetiken des Blätterns: zu Los- und Orakelbüchern, 62-74, zum Blättern 101ff.); das ‚Ausstechen‘ eines Tages auch bei Jean Paul, „Appendix des Appendix“, SW I.4, 546, Quintus Fixlein, SW I.4, 140. Der Rahmen, der dem Zufallen gegeben wird, erlaubt, den „göttlichen Willen“ zu befragen (Campe, „Schau und Spiel“, 57; vgl. Willer, „Fallen, Stellen“, 203). So auch Goethes Charakteriserung des „Buchorakels“: „Der Unentschlossene findet nur sein Heil im Entschluß, dem Ausspruch des Loses sich zu unterwerfen.“ (Goethe, „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans“, Werke Bd.  2, 189f. „[E]ine Art Sortilegium“, Losewerfen und Lesen, führt C. M. Wieland an als „Anfrage bey dem Schicksal durch gewisse Handlungen, deren Erfolg für eine Antwort desselben aufgenommen wurde“ („Über die ältesten Zeitkürzungsspiele“, 100f.). Vgl. Lutz, Hübener, Paulus, „Das Manicule“; dieses kennt auch Jean Paul: „Ohne das ZeigeWort – den geistigen Zeigefinger, die Rand-Hand (in margine) – stehet die weite Natur vor dem Kinde wie eine Quecksilbersäule ohne Barometer-Skala“; „diese[] Zerfällung“ sei ‚wichtig‘ (Levana, SW I.5, 82); es findet sich in Sternes Tristram Shandy, vgl. IV.2.. Als Rubrizieren wurden solche Zugriffsmöglichkeiten zunächst am Rande im Zuge der Neuorganistionen der Buchseite im 13. Jh. eingeführt (vgl. Illich, Im Weinberg des Textes, 66, 84, 93f.; Parkes, „The Influence of the Concepts of Ordinatio und Compilatio“); die

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Lesen momentan einhalten lassen.271 Von den Rändern rückten die deiktischen Handhaben als Indexe, Register, Inhaltsverzeichnisse, als Bücher adressierbar machende, digitalisierende Stellenverweise272 in andere Randzonen, die (vor allem frühneuzeitlich ausgebildeten) Supplemente der Bücher. Diese sollen die Gesten, die unterbrechend in die Texte treten, wie Buch-Stechen oder beliebiges Aufschlagen, indem sie Operationen des Nachschlagens steuern, dem Zufall entziehen. Damit ist das Lesen aber zugleich Doppelorientierungen zwischen Text und Rand ausgesetzt, die potentiell destabilisieren. Blättern erschließt den in sich gefalteten tiefen Buchraum ‚at random‘;273 wenn es sich, so Flusser, die „Freiheit“ nehme, nicht zu wählen, „den Zufall spielen“ zu lassen, so kann im, von Jean Paul her bekannten, Spiel von „Zufall und Ursache“ „das Blättern zur Ursache werden, deren Folge eine spezifische Lesart ist“,274 indem Zufälligkeiten nachträglich als ‚Ausspruch‘ ergrifffen werden (wobei jeder aber an die temporär ausgeschlossenen anderen Möglichkeiten suspendiert ist). Das spielt sich ab in operativen Übergängen, in denen Papier, Buchseiten oder Zettel oder Ausrisse und Hand, Text und Stellen, Lesen und Blättern, Buchstaben und graphische Einlassungen interagieren. – Stellenlektüre setzte zwar die Topik voraus und war auf sie verpflichtet: „Stellenlektüre ist der Modus, in dem man über diesen Vorrat verfügen kann und ihn zugleich weiter anreichert“, so Stefan Willer.275 Aber der exzerpierendzitierende „Umlauf der Stellen“ erstattet das Entliehene nicht, wie im Verhältnis von Topik, sedes und inventio angenommen wurde, an den „ursprünglichen

Einträge in roter Tinte von anderer Hand, im Nachtrag, vgl. Szendy, Of Stigmatoloy, 11, erinnert Jean Paul für Fibel (Leben Fibels, SW I.6, 429); verschoben dann: „Rubrizierung [der Zettel] und Einordnung in ‚Fachwerke‘“ bei Meiner (1789) (Zedelmaier „Johann Jakob Moser“, 91). 271 Durch Anhalt an solchen Markierungen bestimmt Flusser das Aufschlagen und Durchblättern (Die Schrift (2002), 97); vgl. E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 35f., 38; für den technischen Zusammenhang von Stellenmarkierung und Exzerpieren (neben dem Buch) vgl. Ortlieb, „‚Materielle Wahrheit‘“, 54ff., 59. 272 Register (wie Indexe) „verweisen, schreibt Georg Philip Harsdörffer ‚gleichsam mit dem Finger‘ darauf, ‚wo eines oder das andere zu finden‘“ (Zedelmaier, „Lesetechniken“, 21). Das „Aufschlagen“ der Bücher ist eine Zustellung, die durch Paratexte wie Register, Inhaltsverzeichnisse, vom Rande her angeleitet werden mag (Flusser, Die Schrift (2002), 95f.). 273 Babbage (1833) zit. nach Schäffner, „Erfindungskunst“, 438; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 307, 82; auch zum „‚random access‘ Speicher“ der Buchseite (65), die aber nicht bloß zwei-, sondern vieldimensional wirkt. 274 Flusser, Die Schrift (2002), 97. 275 Willer, „Fallen, Stellen“, 207; vgl. Geulen, „Stellen-Lese“, 479-82.

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Sitz“ zurück,276 jedenfalls nicht im witzigen Erfinden Jean Pauls. Was in der Kombinatorik angelegt ist, die die festen Zuordnungen der Memorialordnung oder der Topik umwälzt,277 realisieren als deren Auf-Lösung die potentiell unaufhörlich Plätze wechselnden Zettel oder Karten. Mit ihnen droht der Ordnung der Plätze und Rubriken die halt- und rückhaltlose Unordnung: Vor losen Blättern wird gewarnt.278 Die für lose Zettel im 17. Jahrhundert erfundenen Zettelkästen279 taugen als Vorrichtungen für neue Organisations- als „neue Ordnungsformen des Wissens“, da sie der Nicht-Abgeschlossenheit des Wissens Genüge tun und diese operabel machen.280 Jean Paul schreibt, im Rückverweis auf die J. J. Mosers, seinem Protagonisten Fixlein solche Zettelkästen zu,281 und eignet sie sich fiktiv an, um ‚autoreferentiell‘ ausziehend auf sie 276 Willer, „Fallen, Stellen“, 208; ders., „Orte, Örter, Wörter“, 44; Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 42. 277 So Yates, The Art of Memory, 176; vgl. Jean Paul, HKA II.6, 559. „Blättern“ steht in Spannung zum „Reichthum“ (der derart ausgekundschaftet werde (558, vgl. 553-56). Dem ‚Schatz‘ der memoria widerstreiten die barocken ‚Schaltbarkeiten‘, vgl. Rieger, Speichern/Merken, 42-50, 68-72, („Der bewegte Buchraum“) 102-26, („(Ver)Stellbarkeiten“) 127-59. Der Topik auch der beschränkten klassifizierenden Wissensordnung treten bewegliche Notationsverfahren und Verwaltungssysteme entgegen (Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 169-79; Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 69, 74). 278 So mit Drexel (1638), Placcius (1689) Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 169; vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 26; Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 44ff.; ders., „Johann Jakob Moser“, 69f., 79ff., 86. Morhofs Warnung vor losen Blättern betreffe die Funktion der Exzerptsammlung, die „ständig wiedergelesen und so dem Gedächtnis eingeprägt werden“ sollte: „Das Memorieren aber benötigt festgefügte, die Erinnerung fördernde Ordnungsstrukturen. Dagegen ist ein frei disponibles Ordnungssystem mit losen Zetteln nur mehr ein bloßes Instrument zur Verbuchung und Auffindung von Wissen.“ (Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 87, 88f.). 279 Der neue ‚gelehrte Kasten‘ wurde zuerst in einem anonymen Traktat (1637) beschrieben, den Placcius in einem Sammelwerk zur Kunst des Exzerpierens 1689 veröffentlichte (Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 45ff.; ders., „Johann Jakob Moser“, 69-75; Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 180ff.); zur Geschichte des Zettelkastens vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 10-14: zur von Placcius bekannt gemachten „Erfindung“, Leibniz’ Exzerpierschrank, Harsdörffers Karton, Mosers „Zettelkästgen“ vgl. 28ff., 69f., 72ff.; Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 87ff.; Kilcher, mathesis und poiesis, 125ff. 280 Es ist Vorrichtung für „neue Notationsverfahren […], ein offenes, nicht hierarchisches, beliebig unterteilbares, kulminativ wachsendes und eigene Sachgruppierungen erzeugendes compendium mundi“ (Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 173), konzipiert, gegen die beschränkte klassifikatorische Ordnung, Wissen als offene bewegliche Anordnung (vgl. 169-79; Zedelmaier, „De ratione excerpendi. Morhof“, 88, 85ff.; ders., „Johann Jakob Moser“, 78; Ernst, „Standardisiertes Wissen über Schrift und Lektüre, Buch und Druck“, 488; Klappert, Link und Lücke, 102). 281 Das wird erzählt bez. Fixleins „Kinderkommode“ und „Kästen für Erinnerungszettel aus dem zwölften, dreizehnten, vierzehnten etc., aus dem einunzwanzigsten Jahre und so

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zuzugreifen.282 Sie erlauben zum einen ständige Umsortierung der Zettel (im Kasten) wie/als ein „Chartenspil“ (Moser),283 zum andern die Hinzufügung und Einlassung unbegrenzt vieler Karten,284 mit denen (auch) die Rubriken, unter denen sie jeweils stehen, erweitert, neueingerichtet und -angeordnet, überschrieben werden. Mit den losen Blättern, Zetteln oder Karten ist wie die Topik die Kombinatorik285 und die dieser zugrunde liegende Ordnung verlassen. Denn weder sind die Ausgangselemente (noch) bestimmt-begrenzt, noch fügen sich die Operationen einer gegebenen beschränkten abgeschlossenen Ordnung wie der Topik als Memorial- und Wissensordnung oder die der Tituli, Rubriken als Zugriffstechniken und Operatoren, die, das ist der ‚Sinn‘ der Kästen, mit den Karten oder Zetteln ständig umwälz-, umsortier-, revidierbar sind. Die losen Zettel stehen (auch im Kasten) vor allem, unabhängig von dem, was auf ihnen geschrieben sein mag, – anders als das gebundene Buch (oder auch das Exzerpierbuch)286 und anders auch als das Set der Spielkarten

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fort“, „ein Zettelfach, einen Registerzug seiner Lebensorgel“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 19, 83ff., 165). „Während Grimms Wörterbuch keinen älteren Beleg für das Wort ‚Zettelkasten‘ kennt als die Erzählung Quintus Fixlein, wird dieses dortselbst auf (den Staatsrechtler Johann Jacob) Moser zurückgeführt“ (Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 53f.; vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 72ff., vgl. 69-74; M.  Wieland, Vexierzüge, 73-78); zu Mosers Zettelkasten vgl. Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 75-79. „Fixleins Zettelkästen hab’ ich [reklamiert Jean Paul] schon in der Tasche bei mir, und darf nur nachschauen und aus seinen nehmen, was in meine taugt“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 165). So imaginiert der Verfasser die „meine[n]“, mit denen er operiere (vgl. M. Wieland, „Jeans Pauls Sudelbibliothek“, 113; zu Jean Pauls (fiktiven) Zettelkästen, vgl. Gfrereis/Strittmatter, „ABSTRACT: Zettelkästen. Maschinen der Phantasie“; dies., „Architektur und Maschine “, 5, 8f., 12; Bernauer/Steinsiek, „Vom Geist in der Feder“; Steiner, „Jean Paul auf Karteikarten lesen“). J. J. Moser nutzt die Metapher für das „im Zettelkasten entstehende Buch“, dessen fortwährende Umsortierung sehe „fast biß ans Ende, wie ein Chaos oder Chartenspil“ aus; fertig gestellt sei es mit der „vortrefflichste[n] Stellung“ (zit. nach Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 79). Das Verfahren, „Information einzeln [zu] verzettel[n]“, bleibt nicht Durchgangsstadium zu den zu schreibenden Büchern (Krajewski, ZettelWirtschaft, 11). Die losen Zettel, Inbegriff des Sammel-Exzesses, haben die Tendenz, sich gegen das Buch zu sperren, dessen Abfassung sie dienen sollten (zu Jungius vgl. Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 172-79, 167ff., 187), das „reine Zettelpotential“ (Krajewski, 26), oder „Zettelspaß und –lust“ (Stanitzek, Art. „Zettel“, 329ff.). Das gilt für die kollektiven Suchmaschinen der Bibliothek(en) wie für die gelehrten Exzerpt- und Zettelsammlungen (vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 66-69, 74; Zedelmeier, „Johann Jakob Moser“, 78f.). Ein ‚Kompositionsautomat‘, wie der von Kircher in der Musurgia universalis entworfene, sieht zwar aus wie ein Zettelkasten (Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 285), setzt aber auf die (Ausgangs)-Ordnung beschränkt bestimmter Elemente. Etwa das Exzerpierbuch Gessners (1548), das gebunden ist, aber verschiedene Notate auf den in Streifen geschnittenen Seiten durchtauschbar machte, Teil der Vorgeschichte des

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(als Paradigma der Struktur oder des Codes) – für die Möglichkeit unabsehbar vieler weiterer Zettel, die hinzugefügt die jeweilige Anordnung, in die sie eintreten, verschieben, neukonfigurieren oder auflösen werden. Die Beweglichkeit der aus der Bindung gelösten, „vom Buchrücken“ entbundenen losen und aus den Kontexten lösbaren Zettel steigert die „Konnektivität möglicher Anschlüsse“, ihre „rekombinatorische Verknüpfungskraft“, die „die Mächtigkeit der Exzerpte durch ineinander verschaltete Verweisketten bereichert“,287 das heißt zum einen Erfindungskraft freisetzt,288 zum anderen die als Auszüge dekontextualisierten Bruchstücke als verstell- und zitierbare, virtuell anders sich verbindende, virtuell andere auffassen lässt. Dass die „Kartothek“, so Walter Benjamin, „die Eroberung der dreidimensionalen Schrift“ besorge,289 besagt, dass Schrift und Lektüre nicht auf eine jeweilige Lesefläche zurückzuführen,290 sondern jede Karte im latenten virtuellen Bezug auf alle anderen (ohne dass dieser durchs Kartenset, durch einen Code begrenzt wäre), damit auf den Raum zwischen den Karten steht. Es ist die Schrift, die mit der Verstellbarkeit der Buchstaben wie Karten, in ihrem ‚Gestöber‘, den unabsehbar tiefen Hintergrund ihrer virtuellen Relationen anzeigt. Der Zettelkasten wird eine Maschine des (gelehrten) Schreibens oder „machina scrinii literati“ geheißen (so der von Placcius beschriebene, allerdings wegen der durch simultane Übersicht der Ordnung ermöglichten prompten Zettelkastens, vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 10-14; Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 72ff.; ders., „De ratione excerpendi. Morhof“, 75-92. 287 Krajewski, ZettelWirtschaft, 69; d.i. eine ‚Steigerung‘ gegenüber den vernetzenden Querverweise der Encyclopédie, die Wissen als „eine bewegliche Verbindungskunst [modlliert], die neue Verbindungen zwischen verschiedensten Bereichen des Wissens“, daher auch „monströse Kombinationen und falsche Analogien hervorbringen“ kann (Baxmann, „Monströse Erfindungskunst“, 415), die „Überschüsse“ produzieren, aber Verbindungen vorschreiben. 288 Jean Paul notiert „neue[] Arten erfindend zu handeln“: „z.B. die Zettelgen zu merken und vergleichend zu erfinden“ (HKA II.6, 571). Luhmanns Zettelkasten (vielfach thematisiert) heißt ‚mitdenkend‘ (Fohrmann, „Der Zettelbau“, 423f.; vgl. Klappert, Link und Lücke, 101ff.; Gfrereis/Strittmatter, „Architektur und Maschine“, 6, 7, 12; J. F. K. Schmidt, „Der Zettelkasten als Kommunikationspartner Niklas Luhmanns“, 84-87, 90ff.). 289 Benjamin, „Vereidigter Bücherrevisor“, in: Einbahnstraße, 30 (der einzige Zettelkasten, den Benjamin anlegte, war eine Auftragsarbeit: eine Lichtenberg-Bibliographie, vgl. Reuter, „Nur Buchtitel? Walter Benjamins Lichtenberg-Bibliographie“, 18, 24f.). Benjamin zufolge wird das Buch zur „veralteten Vermittlung“ zwischen zwei Zettelkästen (ebd.), statt dass wie zuvor die Verzettelung Durchgangsstadium zwischen Buch und Buch sein sollte (Krajewski, ZettelWirtschaft, 11). 290 Wie die Diskontinuität betrifft dies das Buch, das Benjamin zufolge u.a. Mallarmé mit Un coup de dés neu konzipiert, d.h. aussetzt: in den Relationen von Konstellation und (Hinter-)Grund (vgl. B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“).

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Verfügbarkeit).291 Weil „die Lageänderung eines Zettels und das anschließende Einordnen an anderer Stelle dazu führt, dass unmittelbar auch die anderen Zettel sich verschieben, so lässt sich [so Krajewski] dieser Vorgang als verketteter Mechanismus beschreiben“.292 Einen solchen verwirklicht der amerikanische Schreibtisch in Franz Kafkas Der Verschollene: Er hatte z.B. in seinem Aufsatz hundert Fächer verschiedenster Größe und selbst der Präsident der Union hätte für jeden seiner Akten einen passenden Platz gefunden, aber außerdem war an der Seite ein Regulator und man konnte durch Drehen an der Kurbel die verschiedensten Umstellungen und Neueinrichtungen der Fächer nach Belieben und Bedarf erreichen. Dünne Seitenwände senkten sich langsam und bildeten den Boden neu sich erhebender oder die Decke neu aufsteigender Fächer; schon nach einer Umdrehung hatte der Aufsatz ein ganz anderes Aussehen […].293

Diese „neueste Erfindung“ hat einen besonderen Dreh durch ihren Vergleich mit den „Krippenspiele[n], die zuhause auf dem Christmarkt den staunenden Kindern gezeigt wurden, und auch Karl war oft […] davor gestanden und hatte ununterbrochen die Kurbeldrehung, die ein alter Mann ausführte, mit den Wirkungen im Krippenspiel verglichen“.294 Die Bewegung, die die verborgene mechané antreibt, wird von diesem Betrachter mit den (von dieser bewirkten?) Staunen machenden wechselnden Schauspielen abgeglichen. Die Abbildung einer von Kirchers zu bewundernden katroptischen Machinationen zeigt, dass sie den Zuschauer (sich) im Spiegel als alles mögliche andere, in seinen von der Maschine durch Kurbeldrehung erzeugten Metamorphosen sehen lässt, die um des Erstaunens willen die ingeniösen Vorrichtung (diesem Zuschauer)

291 Vgl. Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 72ff.; ders., „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 38, 46f.; ders., „De ratione excerpendi. Morhof“, 89. Die simultane Überschaubarkeit der Tituli des Zettelschrankes verweist aber auf ältere Formen der Ordnung, des Gedächtnis-Theaters zurück („Johann Jakob Moser“, 74f.; Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 183ff.). 292 Krajewski, ZettelWirtschaft, 14f.; für den Maschinen-Begriff im Sinne maschinaler Verkettung vgl. Deleuze/Guattari, Kafka. Für eine kleine Literatur, 27; vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 334. In einem weiteren Sinne sprechen auch Gfrereis/Strittmatter von Zettelkästen als Maschinen (vgl. „ABSTRACT: Zettelkästen. Maschinen der Phantasie“, „Architektur und Maschine“). 293 Kafka, Der Verschollene, 57. Mittels einer Kurbel wurde auch die Büchermaschine in Swifts Lagado bewegt, in der „beschriebene Zettel, wenn man sie umdrehte“, „untereinander“ ‚geworfen‘ werden, um ohne Wissen und bewußte Wahl rekombinierend (irgendwelche) Bücher auszuwerfen (Jean Paul, SW II.2, 170, s. Kap. I.6). 294 Kafka, Der Verschollene, 57f.

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verhehlt, die dem Betrachter der Tafel aber enthüllt wird.295 Ist bei den Karten, die gemischt werden, so dass einzelne Vorfälle aus dem Kartenset, wie aus dem Lottorad, generiert werden, nicht (auch) an Zaubertricks zu denken, mit denen der Zufall usurpiert wird? Das Gelöste und Lose, dessen Verstellbarkeit ist aufs, durch sors getragene, zustellende Um-Sortieren,296 die beweglichen Zettel damit auf den Zufall und dessen Handhaben bezogen. Zum einen zerstöbern sie potentiell alle Kategorien, Rubriken, Tituli, unter denen sie ihren Platz finden sollen, weil dieser kein fester ist, und, auch wenn ein anderer sich zunächst im Neu-Sortieren ergeben mag, dieser auch auf unaufhörliche Revision angelegt ist. Zum andern kann die Lösung aus den Stellen (die Operatoren anweisen) und das Umsortieren (das unaufhörlich möglich ist, ohne einen begründeten Abschluß zu haben) sich dem „zufallsgesteuerte[n] Zugriff“297 (ohne oder in Suspendierung der steuernden Supplemente, Zweit-Buchungen in Registern oder anderen sich ‚an den Rändern‘ hinzufügenden Adressangaben wie Tituli, Rubriken)298 überlassen, als blinde Ziehung aus (vollgeworfenen) Kästen oder Koffern,299 aus

295 Die „Magia Catoptrica“ in Kircher, Ars magna lucis et umbrae (1646), 901-06, insb. 903, Bildtafel XXXIII, Fig. 4 (vor fol. 901, s.o. Abb. 1 in Kap. I.5); vgl. Nicolosi, „Vom Finden und Erfinden“, 222, 220ff.; Roßbach, Die Poiesis der Maschine, 45f. – Das kann auf die Theatermaschinen bezogen werden, die zum einen Räder und Kurbel(n) im Off den Blicken vorenthalten, zum andern aber mit dem Staunen über das, was sie erscheinen lassen, zugleich auf das Spiel der mechané aufmerksam machen. An eine Kurbel soll auch das Bewegen, das den Tanz der Marionette erzeugt, delegiert werden können (Kleist, „Über das Marionettentheater“, Berliner Abendblätter 12. Dec. 1810, BA I, 319); was gerade nicht auf Vorhersagbarkeit hinausläuft (vgl. de Man, „Ästhetische Formalisierung“, 230). 296 Sortes waren fürs Orakel gebrauchte Eichenstäbchen oder Bronzeplättchen; auf diese geht „sortieren“ zurück (Duden Fremdwörterbuch, 715). 297 So etwa Lessing (als Bibliothekar) in seiner Bibliotheks-Erschließung durch Ablaufen, Krajewski, ZettelWirtschaft, 42; vgl. Wegmann, Bücherlabyrinthe: „Hasard-Spielen“, insb. 247-62, 268-72. Jean Pauls Blättern kennzeichnet Birus als „gleichsam blinde[n] Zugriff“ (Vergleichung, 58, 45-65). 298 „[B]loß angehäuftes Wissen“ gleiche „den Vorratslagern eines Kaufmanns, der keine Bücher führt, oder der Bibliothek ohne Katalog“, so Leibniz, Consilium de Encyclopaedia nova conscribendi (zit. nach Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 187), Leibniz, der die Ordnungsfragen auch nicht löste, wird unter die „gescheitert[en]“ Enzyklopädisten gezählt von Neumeister („Unordnung als Methode“, 189; vgl. Schmidt-Biggemann, Topica universalis). 299 Fixlein warf Papiergeld „unbesehen und blind unter die Papiere seines Koffers“ mit der „Absicht“, „einmal zu erstaunen, wenn ers endlich aufsummierte und das Kapital erhöbe. Und beim Himmel! die erreichte er auch“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 127; „Kapital“ ist eine Exzerpiermetapher aus der gelehrten Praxis, Décultot, „Kunst des Exzerpierens“, 10f.).

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der Schublade oder dem Lottorad des Angesammelten.300 Claude Lévi-Strauss legte, bezüglich seines Hantierens mit Zettelansammlungen in „Schubladen“, Wert darauf, herausziehend in einer „Art Spiel“ „im Stile einer Kartenpartie“, den „Zufall zu seinem Recht kommen [zu] lassen“.301 Es sind Zuspielungen wie durch die Ziehung von Losen (sors), Auslesungen, ‚Sortierungen‘ durch Lotterie,302 die Wirkungen, Verknüpfungen freigeben. Die „Suspendierung der steuernden Vernunft“ „eröffnet“, so Peter Sprengel über Jean Paul, „das Universum möglicher Beziehungen“ über die „denkbaren“ hinaus, da selbst „die Zahl der sinnvollen Kombinationen […] größer“ als diese sei.303 Das heißt, so Novalis, die „ganze[] Poesie“ als „(zufällige – freye catenation)“ sei „absichtliche […] Zufallsproduktion“.304 Die Paradoxie des absichtlichen Zufalls, des „Kontingente[n]“, das, so Renate Lachmann, in der Kunst einerseits „unkontrollierbar hervor[bricht]“, andererseits „vermittels verbaler oder computergesteuerter Arrangements erzeugt“ wird,305 überführt Jean Paul, der den Zufall als den umherziehenden Kuppler des Wortwitzes führt,306 mit Fiktionen von Vorrichtungen und Operationen, mit technischen Phantasien des Erfindens in (fiktive) aleatorische Verfahren.307 Die Fiktion des Zu- und Zusammenwürfelns, das jeweilige (Re-)Kombinationen zustellt, gibt mit der Äußerlichkeit der Vorrichtungen, der Techniken und Hantierungen, die die Steuerung durch Intention und bewusst Gewusstes, bewusste Auswahl und auktoriale Entscheidung suspendieren, dem Zufall Raum.308 Würfeln oder 300 Jean Paul, Titan, SW I.4, 167; von der Verzettelung bleibe das „reine Zettelpotential“, das „im Speicher auf Abruf warte“ (Krajewski, ZettelWirtschaft, 26). 301 Lévi-Strauss zit. nach Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 50. 302 DW Bd. 12, Art. „los“, Sp. 1153-56; Art. „lotterie“: „sortes, sortitio, […] sortilegium“ (Sp. 1213); Art. „lottern“ wie „lose“, Sp. 1214; auch „sortieren“ leitet sich von „sors“ her (Duden Fremdwörterbuch, 715); es geht um die diskreten Elemente der sortes, wie calculi, alea, tessera (vgl. C. M. Wieland, „Über die ältesten Zeitkürzungsspiele“, 95ff.; Hyde, „Historia Alea“, 101f.), mit denen zugespielt wird. 303 Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“, 49. 304 Novalis, Das allgemeine Brouillon, N III, 451; vgl. Kleinschmidt, „Fällige Zufälle“, 147-66. Der „Zufall“ heißt Novalis ein „gebildete[r] Mann“ (N III, 449, vgl. 304). „Die fremdesten Dinge kommen durch Einen Ort, Eine Zeit, Eine seltsame Ähnlichkeit, einen Irrtum, irgendeinen Zufall zusammen. So entstehen wundersame Einheiten und eigenthümliche Verknüpfungen […] und eins erinnert an Alles.“ (N III, 650; vgl. Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 158). 305 Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“, 403, vgl. 404-09, 411-16, 418f. 306 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193. 307 Von „Zufallsverfahren“ spricht auch G. Müller, Jean Pauls Exzerpte, 321. 308 „Zufall steckt im Würfel wie der Würfel im Zufall. Etymologisch rührt ‚hasard‘ […] von arabisch sâr (Würfel)“ (Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“, 403). Der Würfel ist ein „Zufallsgenerator“ (Cramer, „‚Auf manche Art verkehrt‘“, 42). Würfeln wie mit Lettern ist „random selection“, „accidentally“ (Chaouli, The Laboratory of Poetry, 172f.). Entscheidend

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Lose-Karten-Ziehen, wie aus dem „Lottorad“, das aus den Exzerpten=Schätzen Auszüge in die gedruckten Bücher zuteile,309 sind als „Handhabung[en]“,310 an die Hand delegiert, dem Geist entzogen,311 sind als die der heterogenen ausgezogen-zusammengeschriebenen Exzerpte, beweglicher Karten wie Zettel,312 äußere Techniken des Zuspielens des ‚Glücks‘ – des Zufalls von Einfällen. Der „entscheidende Einfall“ besteht, so Sandro Zanetti, (viel später) bei Tristan Tzara, „erst einmal bloß darin, diese Technik zu wählen“: „Einfallen sollen […] solche [Wörter], die man aus einer Zeitung ausgeschnitten und in eine Tüte gegeben hat, um sie danach einzeln hervorzuziehen und, eins nach dem anderen, abzuschreiben“.313 „Jede Erfindung ist anfangs ein Einfall“, proklamiert Jean Paul314 und gibt dafür als „Beispiele“ Lichtenbergs „Kunststücke[] des Witzes“ an.315 Auch Lichtenberg kombinierte in (allerdings bloß nachgestellten) „crossreadings“ „in einem öffentlichen Blatte“, die „in zwei oder mehrere Kolumnen geteilt[e]“ „Seiten quer durch aus einer Kolumne in die andere“ lesen,316 herausgelöste Zeilen, so dass sich, so Eleonore Frey, aus

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ist die Digitalisierung durch die diskreten Elemente und ihre Fälle, die ermöglichten ja/ nein-Entscheidungen. Jean Paul, Titan, SW I.3, 167; „täglich“ möge man auch eine „Ziehung aus der VokabelLotterie“ zur Übung im Spiel vornehmen (Levana, SW I.5, 853). Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 199f.; Die unsichtbare Loge, SW I.1, 135. Das wird am Exzerpieren (im ausgehenden 18. Jh.) krisiert (vgl. Ortlieb, „‚Materielle Wahrheit‘“, 56; vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 144ff.). Jean Paul notiert für „alle neuen Arten erfindend zu handeln“, „z.B.  die  Zettelgen zu merken und vergleichend zu erfinden“ (HKA II.6, 571). Zanetti, „Techniken des Einfalls und der Niederschrift“, 218; das verwörtliche die Karikatur symbolistischer Dichter, die nur Worte aus einem Hut ziehen: „tirez au hazard et écrivez“ (220). So wäre auch Jean Pauls „Ziehung aus der Vokabel-Lotterie“ vorzustellen (Levana, SW I.5, 853). Jean Paul, Levana, SW I.5, 843. „[D]ie besten und höchsten Ideen [seien] meist immer wahre Einfälle und ganz zufällige Hevorbringungen“, so F. Schlegel, KFSA XII, 404; auch: „Die wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen sind bon mots der Gattung […] durch die überraschende Zufälligkeit ihrer Entstehung, durch das Kombinatorische“ (KFSA II, 200). Das seien „elektrische Kunststücke“, deren ‚Ladungsspeicher‘ gleichsam „die kraftschwere […] Gewitterwolke des Wissens“ sei, die im Witz „ausbricht“ (Jean Paul, Levana, SW I.5, 843; vgl. Quintus Fixlein, SW I.4, 224f). So werden „in einem öffentlichen Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements von allerlei Art, usw. anzutreffen sind“, wo im „Druck“ die Seiten „in zwei oder mehrere Kolumnen geteilt“ sind, „die Seiten quer durch[gelesen]“ (Lichtenberg, Sudelbücher II, 161f. (G 144), z.B. 162; vgl. Sprengel, „Enzyklopädie und Geschichte“, 48; Wehde, Typographische Kultur, 125); das „zeilenweise Hinüberlesen von einer ZeitungHalbseite“ auch bei Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, I.5, 111), aber mit der „Täuschung oder Unterschiebung“ „auf einen Augenblick“ „eines absichtlichen Verbindens“, das „Lachen gebäre[]“ (ebd.).

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diesen, „die in anderem Zusammenhang ihre durchaus vernünftige Funktion hatten, […] ein neuer, überraschender Sinn [ergebe]. Oder Unsinn“.317 Technik soll dem Zufall Raum geben, weil „Einfälle“ sich als „Kombinationen des Zufalls“,318 als nicht eigene „gleichsam automatisch[e] ‚combinationen und Ansichten‘“,319 wie E.  Frey für Lichtenberg formuliert: „oft“ als „Geschenk“ geben.320 Das „Spiel mit Umstellungen und Versetzungen des Elements“, wie Laurence Sterne, den Jean Paul gerade für den „gelehrten Witz“ beruft,321 es im Tristram Shandy treibt, spielt, so David Wellbery, „seine stumme Beweglichkeit, seine Iterierbarkeit andernorts“ aus.322 Verbuchte Jean Paul nur die „Gefahr“ der Kraft der Teilchen, sich keiner Erwartung von Sinn und substanzieller Gründung zu fügen, die Jean Paul anhand der schriftlichen Spiele exponiert,323 so setzt doch deren witzige (Heraus-)Lösung ‚frei‘, macht beweglich, umsortierbar und ‚entbindet‘ der dekontextualisierten Partikel (oder Stellen) konnektive Kraft, die im „Bruch“ mit dem Kontext, so Jacques Derrida, sich als Iterabilität anderswo bezeugt, „unendlich viele neue Kontexte auf eine nicht saturierbare Weise 317 E. Frey, „Lichtenbergs Einfälle“, 510. Allerdings handle es sich (bloß) um „Nachahmung der englischen Cross-readings“, „man“ „stelle“ sich „vor[], das Lesen geschehe in einem öffentlichen Blatte“ (Lichtenberg, 161f.; Riha, Cross-Reading und Cross-Talking, 7ff., zum 18. Jh. 85ff.), während Kurt Schwitters u.a. auf das „Zufallsmoment im Crossreading“ setze (43). 318 Fürs Erfinden „hilft nur das Umschauen und das Warten auf Kombinationen des Zufalls“ (Jean Paul, Ästhetische Untersuchungen, HKA II.7, 418); so kennzeichnet F. Schlegel „wahre Einfälle“ als „ganz zufällige Hervorbringungen“ (KFSA XII, 404), die „wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen“ „durch die überraschende Zufälligkeit ihrer Entstehung durch das Kombinatorische“; diese allerdings seien „dem Gehalt nach freilich weit mehr als die sich in Nichts auflösende Erwartung des rein poetischen Witzes“ (Athenäum-Fragment 220, KFSA II, 200, s.o. Kap. I. u. II.). (KFSA II, 200). Und Lichtenberg: „Alle Erfindungen gehören dem Zufall zu, die eine näher die andere weiter vom Ende, sonst könnten sich vernünftige Leute hinsetzen und Erfindungen machen so wie man Briefe schreibt. Der Witz hascht näher oder ferner vom Ende eine Ähnlichkeit, und der Verstand prüft sie und findet sie richtig, das ist Erfindung.“ – damit unterstellt er sie (allerdings) der Prüfung durch den Verstand (Sudelbücher I, 633 (F 1195)). 319 Diese, „‚die man sonst niemals gemacht oder erhalten hätte‘“, entstehen aus den Zetteln „‚von ihren Besitzern unabhängig‘“, so Meiner (1789, zit. Zedelmaier, „Johann Jakob Moser“, 92). 320 E. Frey, „Lichtenbergs Einfälle“, 510; vgl. Mautner, „Das Wortspiel und seine Bedeutung“, 685. 321 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205; einem der „witzigsten Original[e]“ im „gelehrten Fach“ (196, vgl. Kleine Nachschule, SW I.5, 459), bez. des Humors SW I.5, 131f., 137, 140-44, 146. 322 Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313f.; vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 333-37. 323 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195; Kleine Nachschule, SW I.5, 460ff., s. Kap. I.5 u. 6.

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erzeugen“ kann.324 Für das „Spiel der Ersetzungen“ gibt es keine privilegierte „Zuordnung von Element und Stelle“, die (jeweils) als „Sinn“ aufgefasst werden kann; es hat „keine externe Verankerung“, keinen Ursprung und kein Zentrum, so Wellbery wie Derrida.325 Der Witz „entbindet“ den dem ‚Sinn‘ als „(konventioneller) Zuordnung von Element und Stelle“ als die, diesen allererst ermöglichenden, unbegrenzbaren Relationen inhärierenden „Unsinn“.326 Die von Jean Paul angeführten anagrammatischen Spiel- als Lesarten der Wörter spielen diese, den iterierbaren Zeichen inhärierenden, sie verandernden Verstellbarkeiten als deren Differenz zu sich selbst aus. Der Witz ‚liest‘ die Wörter gegen, aktualisiert deren Iterabilität anderswo, deren andere Konnektionen ihnen latent, spaltend eingeschrieben sind:327 als Spuren vergehender ‚alter Orte‘ wie ungewissen zukünftigen ‚Sinns‘. Worte, Spielkarten und andere Zettel sind (auch wenn man es ihnen nicht ansehen mag) nicht ‚sie selbst‘. Das ‚Versprechen‘, das sie wie (Geld-)Zettel, Papiergeld wie und als Kreditbriefe328 ausmacht, sie auf ungewisse Zukünfte ausgreifen lässt, spielen Wortwitze, anders ‚wiederholend‘, als deren unkalkulierbare Möglichkeiten aus. Einem isolierten Wort in seiner „Unbestimmtheit“, so Hans-Jost Frey, wohnt latent „die Gesamtheit seiner durch keinen Entscheid beeinträchtigten Möglichkeiten“

324 Jedes ‚Element‘, Zeichen oder Zettel ‚ist‘ jeweils erst durch den Kontext (bestimmt), aber kein Kontext kann es einschließen (Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 335f. 339f. 325 Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313; „daß es nur Kontexte ohne absolutes Verankerungszentrum gibt“ so Derrida („Signatur Ereignis Kontext“, 339; vgl. 335f.; ders., „Die weiße Mythologie“, 263; ders., „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel“). Das heißt auch: Sprache ist kein Stellen-System (Derrida, Glas, 10, 105ff.; vgl. Culler, „The Sign: Saussure and Derrida on Arbitrariness“, 134). Wurde die Geburt im 18. Jh. zu dem Topos der Kontingenz (Wellbery, 294-303; P. Schnyder, Alea, 215ff.), so sind doch Ursprung, Zentrum, Vaterschaft, das Eigene und Eigentliche vor jedem Anfang an Übertragungen und Verschickungen ausgesetzt, so Derrida („Die weiße Mythologie“, 262f., 267f.). Auch die Etymologie kann „außerhalb topischer Systeme“ keine ursprüngliche, wiederherstellbare ‚Verankerung‘ der tropischen Verschiebungen sichern (vgl. dgg. Willer, „Orte, Örter, Wörter“, 47f.). 326 Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313. Der Übergang in die Metapher als „Sinn im Unsinn“ verkehrt, so Lacan, den des Witzes („L’instance de la lettre“, 266/„Das Drängen des Buchstaben“, 33). 327 Vgl. u.a. zu den Anagrammen Haverkamp, Art. „Anagramm“, s. Kap. I.5-6. 328 Papiergeld kommt unter die Papiere (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 127); „‚Zettelund Papiergeld‘“ (1814), zit. Fuchs, Büchermachen, 26. Während die Münze die Illusion der Identität von Zeichen und metallener Substanz transportiert, lauteten die Vorbehalte (im 18. und 19. Jh.): „sign and substance – paper and gold – are clearly disassociated, much as word is disassociated from meaning in punning“ (Shell, Money, Language and Thought, 19; vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 187ff.). Zum Kreditbriefcharakter vgl. 19093, 199; allerdings unterschätzt Krajewski das Risiko im Ausgriff, das Ausstehen des ‚Versprechens‘, vgl. in Kap. I.3.

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inne;329 daher gibt es dem „Leser“ „Veranlassung […], es zu wiederholen“, des Wortes „Abstand“ „sich selbst gegenüber“ zur Geltung zu bringen,330 es (wie) im Wortspiel als anderes zu (zer-)lesen. Die „pedantischen Materialitäten“, die ‚Liebe zu den toten Zeichen‘, der im 18. Jahrhundert „Bewußtsein, Gegenwärtigkeit, natürlicher Besitz des Wissens“ entgegengesetzt werden, kehren als ‚überständige‘ in Jean Pauls Texten, so Campe, wieder, indem sie „als endlich bloße[] Zeichen“ in ihren „unbeherrschten Relationen“ in den Wortwitz fortgeschrieben werden,331 „durch den die immanente Bedeutungssprache des Textes von ihrem Geschriebensein Kenntnis nehmen kann“,332 „die latente Rebellion dieser zweiten Materialität gegen den Geist der Bedeutungen“ sich ereignet.333 Mendelssohn zufolge ging die „Gewohnheit Lessings, in seiner Laune die allerfremdesten Ideen zusammen zu paaren“, darauf „zu sehen, was für Geburten sie erzeugen würden“, und weiter: „Durch dieses ohne Plan hin und her Würfeln der Ideen entstanden zuweilen ganz sonderbare Betrachtungen, von denen er nachher guten Gebrauch zu machen wußte.“334 Die Formulie­ rung vom „guten Gebrauch“, den Lessing vom Hin-und-Hergewürfelten, Geblättertem entsprechend, „nachher“ „zu machen wußte“, erinnert zum einen die gängige Vorstellung vom nachher über die Er-Findungen des Witzes (wit oder fancy) ergehenden, scheidenden und beschränkenden Urteil, wie es seit Lockes Unterstellung von wit unters Kuratel des judgement als notwendig

329 H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 73. 330 „Die Wiederholung öffnet das Wort auf das Dazwischen zwischen ihm und ihm selbst. In ihr klafft das Wort, und die Lücke in ihm geht auf“; „der Abgrund [geht] im Wort auf. Beim isolierten Wort höhlt er sich im Wort selbst, bei der Wiederholung zwischen dem Wort und seiner Wiederholung.“ (H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 73; vgl. (mit Blanchot) Rinck, Risiko und Idiotie: „Zur Wiederholung“, 263f.). Man könne, obwohl einerseits „[d]en Witz und den komischen Einfall […], wie den zickzackigen Blitz, der erste Schlag“ erschöpfe, andererseits „aber wohl gleich Wieland einen Tristram Shandy – wie ich in seiner Bibliothek selbst gesehen – bis zum Abgreifen eines Buchstabierbuchs wiederlesen“ (Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 469f.). 331 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 160; „das als tot verworfene Verbum“, das zum einen „ab[gleitet] in die Ironie von Zitat und Rhetorik“, kehrt zum andern wieder „als Wort im linguistischen Sinne eines Zeichens“, das „immer tiefer auf die Gestalt des Signifikanten zutreibt“ (145f.; vgl. 151f.). 332 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 147; vgl. 148ff., 144. 333 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 150ff., 158ff.; vgl. de Man, „Aesthetic of Formalization“, 290. 334 Mendelssohn, „Die Beylage. Erinnerungen an Herrn Jacobi“, 115. Dgg. Jean Paul zum „Zusammenwürfeln und Kombinieren“ (nur): „Man würde doch sehen was herauskommt“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 225); ist das (noch) als beurteilende Prüfung zu lesen?

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angesehen wird.335 Und auch Jean Paul führt Beschränkungen ein durch die Erwartung von Gegründetheit in der Sache,336 bzw. dass es „auf seinen [des Witzes] bunten Spielkarten“ „etwas Wesentliches, z.B. Empfindung, Bemerkung etc. etc., zu gewinnen gibt“.337 Aber kann derart aufgefasst werden, was es hieße, im Spiel zu gewinnen wissen? statt nur „durch Spiele“?338 Das ‚Nachher‘ des ‚guten Gebrauchs‘ besagt aber zum andern auch, dass dieser nicht schon von den Kombinationen ‚selbst‘ gemacht wird. Bereits die frühneuzeitliche Kombinatorik (vgl. Kap. I.5), deren Operieren Jean Paul mit dem Mischen der Karten zitiert, die auf die Vielzahl (oder vielmehr Allheit) der in ihrem Rahmen möglichen, unerwarteten, unwahrscheinlichen, neuen Kombinationen setzte,339 war den Vorbehalten ausgesetzt, ob ihre Resultate denn schon deshalb eine zulässige Findung seien, weil sie Resultate des Verfahrens sind: alles und jedes oder aber gar nichts (Haltbares), ob es eines zusätzlichen Kriteriums über die Zulässigkeit ihrer Resultate bedürfe oder ob umgekehrt das Verfahren selbst schon alle Entscheidung über diese Zulässigkeit enthalte.340 Konnte diese Entscheidung in die Konstitution jener

335 Vgl. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 202f.; Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 538ff., vgl. 486, 489, 546. So bei Lichtenberg: „der Verstand“, der die vom Witz ‚gehaschte‘ „Ähnlichkeit“ „prüft“, „findet [er] sie richtig, das ist Erfindung“ (Sudelbücher I, 633 (F 1195)), s.o. Kap. I. Zur kombinatorischen „Zufallswahl“ müsse, so Dotzler, die Korrektur durchs iudicium hinzukommen („Die Swift-Maschine“, 249; s. Kap. I.5). Diese Auswahl (bloß) verkehrend strich Duchamp, um absichtlich „ein Schriftstück zu verfassen, das aus möglichst sinnlosen Sätzen bestehen sollte“, alle sinnvollen (Zanetti, „Techniken des Einfalls und der Niederschrift“, 207, 217). 336 Klangliche ‚Ähnlichkeit‘ lasse „einige […] der Sachen“ „erwarten“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193ff.), vgl. Kap. I.3. 337 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 197; mit der Wendung aufs Kartenbild würde der Joker nicht als ‚wild card‘, nicht als ein Platzhalter anstatt aller anderen Zeichen, sondern als joker oder Narr betrachtet. 338 Wie die zu mischenden Karten „ähnlich dem Lessingschen geistigen Würfeln, dem etwas eintrügen, der durch Spiele zu gewinnen wüßte“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203). 339 Zur Euphorie der Exhaustion vgl. Rieger, Speichern/Merken, 64, 141; die „Imagination der kombinatorischen Totalschrift“, als „Erschöpfung von Topoi“ und „des Wissens“ im enzyklopädistischen Lullismus des 17. Jahrhunderts“, so Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 309; vgl. Kap. I.5. 340 So Lullus’ ars combinatoria, Bezugspunkt der europäischen Frühen Neuzeit (Kilcher, mathesis und poiesis, 370f., 358-68); das ist unverträglich mit einem hinzutretenden Kriterium (vgl. Lachmann/von Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 97103, 105f., 108f.); zu den Regulierungen und Aussortierungen vgl. Cramer: Exe.cut[up]able Statements, 53f. 134f.

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Elemente, über die die Operationen laufen sollten, zurückverlegt werden,341 so fällt diese Sicherung des ‚Sinns‘ der Kombinationen dort aus, wo diese in arbiträren Zeichensätze vorliegen, seien diese Spielkarten, die Augen des Würfels oder die Buchstaben.342 Es gibt nach diesem Modell keine Stoppregel der promiscuen Kopulationen und der unabsehbaren Effekte des Witzes.343 Umgekehrt aber kann nachträglich unkalkulierbar das vom Witz, der als „verkleideter Priester“ (oder auch „ohne Priester“) „jedes Paar kopuliert“,344 Erzeugte, sich momentan als ‚höchst sinnvoll‘ zeigen. Von den Zu- und Zusammenwürfelungen „nachher“ einen „guten Gebrauch“ zu machen, wie Mendelssohn über Lessings Würfeln behauptete, das entspräche der ‚Erfüllung‘ der „Kindererwartung“, von der Freud spricht, dass „mit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere wesentliche Ähnlichkeit des Sinnes angezeigt ist“, und zwar im ‚guten Witz‘.345 Dies ist ein nachträglicher Effekt, eine Weise, wie das ‚bewußte ich‘ mit dem sich ins Benehmen setzt, was ohne es, ohne sein Wissen und seine Kontrolle geschah. Statt „nachher“ ein stabiles Resultat als Erkenntnis in die „wohlgeordnete Haushaltung“ der „Philosophie“ einzustellen,346 bleibt der Witz aber vielmehr im Spiel, er wird sich (wie in den Jean Paul’schen Sätzen) fortschreiben: in je wieder einander widerstreitenden Verknüpfungen der Wörter unter/in den Wörtern, uneinholbar (zer- und ver-)lesend.347 341 Rieger, Speichern/Merken, 49f., 137; so Lullus, Kircher (vgl. Lachmann/von Samsonow, „Magieglaube und Magie-Entlarvung“, 99-102) und Leibniz’ (Traum einer) characteristica universalis. 342 Vgl. Rieger, Speichern/Merken, 45-48, 64, 67, 131-42. Die Buchstaben werden als Matrix der schriftlichen Hervorbringungen insb. mit der Fibel in Jean Pauls Leben Fibels vorgestellt (Kap. III.2). 343 Für die fehlende Stoppregel treten die urteilenden Beschränkungen der zulässigen Effekte ein. 344 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173, 193. 345 Das mache den „guten Witz“ (insofern überhaupt den Witz), Freud, Der Witz, 113f., vgl. 155-58, 161f., s. Kap. V.1. 346 So Lichtenberg: „Durch […] die planlosen Streifzüge der Phantasie wird nicht selten das Wild aufgejagt, das die planvolle Philosophie in ihrer wohlgeordneten Haushaltung gebrauchen kann.“ (Sudelbücher II, 286 (J 1550)); philosophisches ‚Gebrauchen‘ wäre Beurteilung (Stadler, „‚ich lehre nicht, ich erzähle‘“, 91); dgg. dürfe, so Neumann, die „Spannung“, das „zwischen“-Spielende nicht übergangen werden (Ideenparadiese, 201, 206-18, 146). 347 So Neumann zu F.  Schlegel, der Worte „probeweise“ „kombiniert“, um erneut in Bewegung zu versetzen, so dass diese zum einen in sich differenziert werden und zum andern „zahllose Trabantenvorstellungen um sich versammel[n]“ (Neumann, Ideenparadiese, 417-21, 430-41). Dessen Fragmente machen einen „bewegliche[n], sich bald entschieden konstituierende[n], bald für neue Zusammenhänge öffnende[n]“ „Verstehenszusammenhang“ im „Konflikt“ lesbar, sind daher „Leseanweisungen“ (auch ihrer selbst) (452-62).

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Dem Witz, der, so Jean Paul, „nichts als sich“ will und „ums Spiel“ spielt, der als Anagramm keine „wahre Verbindung“ ‚kennt‘,348 setzte Jean Paul zwar einerseits die Poesie entgegen, die ein dem Ganzen des menschenähnlichen Körpers entsprechendes ‚ganzes Bild‘ gebe.349 Andererseits wartete  § 54, an dessen Ende die hier gelesene Fußnote angefügt ist, an seinem Schluss mit einer bemerkenswerten Apotheose oder Apokalypse der Freisetzung, des Freiheitsfestes der witzigen Kopulationen auf: Wenn nämlich der Geist sich ganz frei gemacht hat – wenn der Kopf nicht eine tote Polterkammer, sondern ein Polterabend der Brautnacht geworden – wenn eine Gemeinschaft der Ideen herrscht wie der Weiber in Platons Republik und alle sich zeugend verbinden – wenn zwar ein Chaos da ist, aber darüber ein heiliger Geist, welcher schwebt, oder zuvor ein infusorisches […] – wenn in dieser allgemeinen Auflösung, wie man sich den Jüngsten Tag außerhalb des Kopfs denkt, […] und alles sich untereinandermischt, um etwas Neues zu gestalten – wenn dieser Dithyrambus des Witzes, welcher freilich nicht in einigen kargen Funken eines geschlagenen toten Kiesels, sondern im schimmernden Fort- und Überströmen einer warmen Gewitterwolke besteht, den Menschen mehr mit Licht als mit Gestalten füllt: dann ist ihm durch die allgemeine Gleichheit und Freiheit der Weg zur dichterischen und philosophischen Freiheit und Erfindung aufgetan, und seine Findkunst (Heuristik) wird jetzo nur durch ein schöneres Ziel bestimmt.350

Statt eine „tote Polterkammer“ zu hinterlassen, wie auch Goethe „unnütze Gerümpelkammer[n]“ des Wissens in (ehemaligen) thesauri, als bloßen Ansammlungen, Anhäufungen des Unnützen erkennen will,351 veranstaltet der 348 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; HKA I.11, 186; vgl. SW I.5, 47, 64, 67. 349 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201. Jean Pauls Auffassung des „bildlichen“ Witzes kann als ein Versuch genommen werden, die ‚Stoppregel‘ des Kombinierens ins Innere zu verlegen. Das geschieht durchs Überspringen der sinnlosen Signifikanten im Namen der Phantasie oder der Poesie im Sinne der Metapher, die „aus Teilen und Zügen des Gesichts Kräfte und Bewegungen eines Geistes“ gewinne, „so überall aus äußerer Bewegung innere [mache] […], so spiegelt das körperliche Äußere das Geistige“ (182ff.). Aber (auch in Vorschule der Ästhetik) kann der Witz gar nicht sistiert werden, ist er vor allem ‚zwischen‘ (Poesie und Philosophie) und Durchgang beider (durch Schaffung von Freiheit und Gleichheit), das Gegenstück (durch Gleich-Gültigkeit) zur Poesie, deren Ganzheit im Anthropomorphismus der Gestalt vorgestellt ist, während der Witz doch auch Teilstück der Ganzheit (des Genies) – ohne möglichen Übergang zu dieser ist, usw. (vgl. Kap. I.1, 2, 5). 350 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202. 351 Bibliotheken als ehemals „nützliche Vorrathskammern und zugleich […] unnütze Gerümpelkammern“, zu denen diese „bei dem schnellen Fortschreiten der Wissenschaften, bei dem zweckmäßigen und zwecklosen Anhäufen der Druckschriften“ herunterkamen (Goethe, zit. nach Stockhammer, „Zeichenspeicher“, 49). „Rumpelkammer“ wie „Kehrichtfaß“ nennt Goethes Faust sein Studierzimmer, macht damit den „Bücherhauf“ zum Abfall (Goethe, Faust  I, (v.  582) 26 u. (v.  402) 21; vgl. M.  Wieland, „Litteratur: Die

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Witz, den Signifikanten folgend, den „Polterabend der Brautnacht“,352 „wenn“ unbeschränkt, alle („Ideen“) von ihren Plätzen, aus den Rubriken, den Verpflichtungen auf Örter und Verbindungen zu promiscuen Kopulationen aus „Gleichheit und Freiheit“ entbunden seien – so stellt Jean Paul mit dem „Dithyrambus des Witzes“ in Aussicht,353 zu dem seine Rede doch (selber) wird, als Rede, die sich selbst die „Lizenz“ zum „‚Wortschwall‘“ nimmt.354 – Polter-/ Polter- daran hat die Wiederholung teil, werden Wörter in ihrer semantischen Dimension hintergangen, als Sprache, die poltert, rumpelt und lärmt, ausgespielt.355 Die Ambiguitäten von Ekstase und möglicher Distanznahme, von „Chaos“,356 „Auflösung“, Mischen alles untereinander, Ungestaltheit, „Licht“

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Lesbarkeit des Mülls“, 37); das ist topisch in der zweiten Hälfte des 18. Jh., weitere RedArten, die die Sammlung (die thesauri) zum Abfall umdeuten vgl. 37f., (Sek.Lit. zu den Übergängen zwischen Sammeln und Abfall) 33-37; vgl. in D.-C. Assmann u.a. (Hg.), Entsorgungsprobleme. Müll in der Literatur auch die Beiträge von Klingenböck (243, 245); Roose (176f., 182-87); zur Verkoppelung von Bibliothek und Müll vgl. Wegmann, Bücherlabyrinthe („Sich dumm lesen“), 78-121; insb. 91-96); „bloß angehäuftes Wissen“ gleiche, so auch Leibniz, „den Vorratslagern eines Kaufmanns, der keine Bücher führt, oder der Bibliothek ohne Katalog“ (zit. nach Meinel, „Enzyklopädie der Welt und Verzettelung des Wissens“, 187), also ohne (zweite) Buchführung, Register, Index usw.; das schreibt die alte Unterscheidung von Speichern und Finden fort. „Brautkammer des Geistes“ sei das „geistige Laboratorium, das […] der Vereinkunst diente“ (Jean Paul, Hesperus, SW I.1, 588f.); das „Allerheiligenfest aller Gedanken, ein Polterabend, Kehraus, Chariwari aller Ideenhochzeiten“ werde das (nur angekündigte) „allerletzte Werk“: Papierdrache („Ausschweife für künftige Fortsetzungen“, SW II.3, 1067). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202. So Groddeck (mit Aristoteles), „Der Dithyrambus des Witzes“, 178f.; angespielt sein könnte F. Schlegel: „Witz ist ein prosaischer Dithyrambus“ (Fragmente zur Literatur und Poesie, KFSA XVI, 124 (Nr. 477) u.ö.). Mit Goethes „Rumpelkammer“ und Jean Pauls „Polterabend, […] Chariwari aller Ideenhochzeiten“ (SW II.3, 1067), da Charivari wie Wiederverheiratung auch lärmendes Durcheinander heißt, und dem Rumpeln der „Sprache des Witzes“, das S.  Weber im ‚Überrumpeln‘ durch den Witz (Freud, Der Witz, 143, 145) liest („Zeit des Lachens“, 86); s. Kap. V.2. „Chaos“ ist hier (wohl) im Sinne der Frühromantik (B.  Theisen, „CHAOS“, 23, 25-34) oder auch polemisch gegen diese aufzufassen; vgl. F.  Schlegels  Bestimmungen des kombinatorischen Witzes als Chaos (KFSA XVIII, 269f., 111; KFSA III, 476, 347; KFSA II, 182; vgl. Neumann, Ideenparadiese, 436f.; Wellbery, „Rhetorik und Literatur“, 172; Kilcher, „Lessings Changeant“, 273f.); wie auch Novalis’: das „Verworrene“ „kann noch was werden“, „deutet auf Überfluß an Kraft“ (N II, 432-35) und die „Auflösung aller Verhältnisse“ (N II, 426, bzw. 435 (fr. 57)). Ein Prätext ist wohl Gen 1.1: ‚der Geist [Hauch] Gottes‘, der „über den Wassern“ schwebte; aber wird hier ‚etwas‘ geschaffen/geschieden? Der ‚visionäre Ausblick‘ (vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 92f.) wäre hier: Ungestaltheit. Zu den Chaos-Lesarten gehört das „infusorische“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202), das mit den Infusionstierchen (SW I.6, 362 u. Lichtenberg Sudelbücher II, 770 (J 850)) die „schöpferische Potenz“ und die ‚Mikrologie‘ des Witzes“ einspielt (Groddeck, „Der Dithyrambus des Witzes“, 179ff. vgl. Kap. I.6). Es handelt sich um ein Medium, das „sich selber“ „fortbildet

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statt Gestalten, „Gleichheit“, „Freiheit“ sind keiner einen Lesart zuführbar; sie setzen sich im Text fort, bis zur „Revolution“,357 und unabsehbar über den letzten Satz und Punkt hinaus, dem die hier gelesene Fußnote anhängt.358 Die Beifügung wirft die Frage auf, wie der Zusammenhang durch Trennung zu lesen ist. In der anhängenden Fußnote, in der Randzone des Textes, ist mit einem fiktiven Verfahren die Aleatorik des Er-/Findens projektiert: als ein Schreiben aus den dekontextualisierten zitier-, verstellbaren Exzerpten und anderen Notaten wie Karten, Lettern und Zettel, aus einem von diesen eröffneten Rückraum, aus dem die Ein- als Zufälle kommen. Zum einen wäre Zufall der Name für die unabsehbare Entbindung aller virtuellen ‚Kopulationen‘, die Buchstaben, Wörter oder Zettel, als iterierbare (latent) zu anderen machen. Zum andern soll die Aleatorik „dem etwas eintr[a]gen“, „der durch Spiele zu gewinnen wüßte“,359 Einfälle werden als Zufall gedacht: als Glücken, eine Koinzidenz, die als ‚Glück‘ zufallen muss, ‚auf gut Glück‘ setzen muss,360 damit es eintrete. Das Glücksspiel generiert kontingente Ereignisse, indem dem Zufall ein Rahmen gesetzt wird, in dem sie anfallen können, ist Vorrichtung fürs Zuspielen

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und fortzeugt“ (180). Aber alles Mögliche ohne Gewordensein ist zugleich „allgemeine Auflösung“ (Jean Paul, SW I.5, 202, Novalis, N II, 426, vgl. Groddeck, 177-180, 167; Kilcher, 268). F. Schlegel zufolge sei der Witz als „Vereinheitlichung der Fülle“ von „Unendliche[m] und Endliche[m]“) (KFSA XII, 402ff.) „chaotische Synthesis“ im Fragment, das „nur ein Gesamt („Chaos“) von Individual-Positionen, deren jede der anderen widerstrebt“, stifte (Frank, Einführung in die frühromantische Ästhetik, 294f., 297; ders., „Allegorie, Witz, Fragment, Ironie“, 133f.). Mit Chaouli: „if there is to be a fusion“, dann die durch „a violent fission“ ermöglichte „of system and non-system“ („Critical Mass, Fission, Fusion“, 138, 148), derart im Witz (vgl. Neumann, 461, 438, 452, 463f.). Ist die Ekstase des Endes von  § 54 denunziativ? Dgg. mit Entschiedenheit von Haselberg, „Musivisches Vexierstroh“, 195, 194-99, 206f. Wollte man hier für Satire gegen Romantiker (?) entscheiden, dann muss aber die Verfasstheit selbst, die Ekstase des „Wortschwalls“, die der Dithyrambus ist, mitgelesen werden. Man solle „z.B. einem Hamann, eine und die andere Unähnlichkeit mehr zugute halten, die er in der Höhe, von welcher herab er […] alle Gestalten zu sehr einschmelzte, gar nicht mehr bemerken konnte. [Aber?] Ein Mensch kann durch lauter Gleich-Machen so leicht dahin kommen, daß er das Unähnliche vergißt, wie auch die Revolution beweiset.1“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202); Jean Paul sagt auch seine „Kraft […] Aehnl[ichkeiten] zu finden“, wachse „so“, „daß ich zuletzt gar keine Unähnlichkeit mehr kenne, sondern wie ein Gott alles ähnlich sehe“ (Merkblätter 1816/17, Nr. 133, HKA II.6, 315). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 203. Das Spiel der Sprache ist wie das von Lichtenberg angeführte „Würfelspiel“ „Spiel“, in dem „Nichts“ „zu gewinnen“ (auch nicht „was zu verlieren“) ist (Sudelbücher I, 948 (L 707), vgl. Neumann, Ideenparadiese, 150; weil der „spielende Witz“ „beweglich“ hält, 146). Mit der an Kleist angelehnten Formel („Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“, DKV III, 536), s. Kap. II.

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von „günstigen und ungünstigen Fällen“, die im Rahmen des jeweiligen Spiels geschieden werden.361 Lessing, dem ein Hang zum im 18. Jahrhundert sich verbreitenden Glücksspiel, zur Lotterie nachgesagt wird,362 auf den das Deutsche Wörterbuch „Lotto-Ziehung“ (1771) zurückführt,363 trägt dieses seinem Schauspiel Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück (1763-1767) nicht nur mit der Figur des Glücksspielers Riccaut ein, vielmehr ist dessen Geschehen durch Zufälle synkopiert,364 die Finalität der Handlung, die unterstellte Kontinuität von vergangener (selbstpräsenter) Absicht und zukünftig gegenwärtiger Handlung ausgesetzt, werden zugleich neue diskontinuierliche Verknüpfungen erzeugt. Glücksspiele modellieren die Kontingenz von Zuteilungen und den Raum des sich Zutragens als den der Ungewissheit, deren Inbegriff die Schlacht oder das Meer waren.365 Würfeln generiert Zufälle und gibt den Zufällen preis, deren mögliche andere Fälle mit dem jeweiligen Wurf,366 Fall, coup, momentan abgeschnitten sind, produziert nicht-notwendige Ereignisse, die (auf die jeweils anderen Fälle bezogen und) auf nichts als ihre Wiederholung angelegt sind. Rahmungen, Beschränkungen, Ausschlüsse ermöglichen der frühneuzeitlichen Kombinatorik (die den Raum des Möglichen mit der schon im Ausgang von wenigen Elementen und Operationen exponentiell großen, in keinem Menschenleben realisierbaren, Anzahl von möglichen Kombinationen ermaß),367 wie dem Glücksspiel die Berechnung der Anzahl der möglichen Ereignisse und damit die der Wahrscheinlichkeit oder Chance, dass ein

361 Dem Glücksspiel ist „der Zufall das Konstrukt eines Rahmens […], in dem er einen Unterschied macht“ (Campe, „Schau und Spiel“, 57f.; vgl. Schäffner, „Nicht-Wissen um 1800“, 131; auch Neumann, Ideenparadiese, 150). 362 Leibfried, „1797. ‚… An den Zufal muß man gleich übertriebene Forderungen machen.‘“, 149-54. Krajewski bezieht die ‚Lotto-, Würfel- und Karten Spielsucht‘ Lessings auf dessen Bibliothekserschließung durchs Ablaufen, durch „zufallsgesteuerten Zugriff“ (ZettelWirtschaft, 42f.). Zur Abwertung des Glücksspiels, das „kein schönes Spiel“ sei, vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X, „Anmerkung“ § 54, 271; u.v.ö. 363 DW Bd. 12, Sp. 1214. 364 Vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 107-33, insb. 112-18; sowie u.a. Kirchmeier, „Glück im Spiel“; Kaminski, „‚Vis-à-vis du rien‘ oder Wie in einer Partie Karten mit dem Fräulein von Barnhelm und dem Chevalier de la Marlinière der Major von Tellheim das Große Los zieht“, 161-78. Minna von Barnhelm erreiche, so Vogl, die ‚Lösung‘ aber nicht nach dem Modell des Glücksspiels, durch Zufall, sondern wechselt das Register ins Schauspiel als Wechselspiel von Affizierung und Selbstaffizierung. 365 Ausgedehnt über das Ende des Krieges, die Kontingenzen der Schlacht hinaus, vgl. Vogl, Kalkül und Leidenschaft, 108-14. 366 Den auch Jean Paul schreibend, eher nicht im Ernst, tut: „Ich werfe den Würfel; ich kündige hiermit ohne alles Bedenken an: […]“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 358). 367 Vgl. Rieger, Speichern/Merken, 63f.; Cramer, Exe.cut[up]able statements, u.v.a. s.o. Kap. I.5.

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bestimmtes Ereignis eintrete. Das Potential der witzigen Verbindungen aber ist nicht geschlossen, es ist virtuell unbegrenzt. Der „Lotto-Schlagsatz meiner ungedruckten Manuskripte“, auf den der aktuelle Schreibprozess im Bei-Zug, der das vermeintlich ‚Innere‘ (des ‚Werks‘) ans Äußere, den Vorraum und den Hintergrund der Exzerpte und Operationen delegiert, zitierend jeweilige Ziehungen nähme, ist nicht abgeschlossen, entgrenzt die (modellierende Metapher von) Lotterie und Lottorad, denn er vergrößert sich als die Sammlungen an Exzerpten, Notate, Einfälle usw. „täglich“.368 Wenn das jeweils Gedruckte als „Auszüge und Gewinste“ aus diesem „ganze[n] mit Schätzen gefüllte[n] Lottorad“, wie durch Lotterie zufalle, als Los gezogen werde, so ist jedes jeweilige Ereignis durch sorteo, Lotterie als Zufall zugespielt, wie/als ein Einfall, bei dem nichts (oder allenfalls nachher noch) gedacht wird,369 dessen, was wir nicht wissen und daher nicht wollen konnten, oder auch bloß Unsinniges, Un-Intelligibles. Jedes Buch ist mit den Techniken des Ausziehens und der Ziehungen bezogen aufs Vorgängige, aus dem es zitiert, und was nicht in ihm aufgeht, sondern als Rest (der Reste oder Schnipsel) vor und nach ihm bleibt – wie Jean Pauls Texte zeigen, die mit ihren ungeregelten Paratexten, Digressionen und ihrer heterogenen Zusammengesetztheit die ‚Grenze des Buches‘, „the problematic limit between an inside and an outside“ bearbeiten.370 Es ist wie jeder Einfall und jede Zuspielung an die Tiefe eines vagen Raumes der indefiniten Möglichkeiten ausgesetzt. Technische Operationen wie Würfeln, Blättern, Losen, die an ein Äußeres, diesseits von Bewusstsein und Intention, preisgeben, geben ‚Chancen‘ zu Koinzidenzen, wovon wir nicht (schon) bewusst wussten, was zugefallen sein wird (oder auch nicht), als Zufall, dem nachträglich „Ursachlichkeit“ unterstellt werden mag.371 Vom ‚Glücken‘ der Operationen bleibt das Glück, der glückliche Be-Fund einer Koinzidenz. Mögliche Resultate der Zuspielungen sind, und seien sie noch so glücklich, kontingenter Glücks-Fall, der die Ungewissheit (möglichen ‚Sinns‘, im Risiko einer durch Sinn und Intention unregulierten, unbeherrschbaren Produktivität) nicht heilt, sondern je wieder mit der Kontingenz eines Zufallenden sich einstellt. Als ‚Gewinne in solchem 368 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f.; Titan, SW I.3, 167. 369 Bei seinen Einfällen, „[b]ei diesem Titel denk’ ich […] gar nichts, wiewohl mir bis ich die Vorrede setze noch gut einfallen kann, was ich dabei denke –“ (Jean Paul, Brief vom 12.7.1792, HKA III.1, Nr. 397); zit. nach Jauslin, „Der Tragelaph“, 231). 370 Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens, 36; A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 221; Derrida, „This is not an oral footnote“, 196; vgl. Kap. III.2 u. IV.2. 371 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193f.; vgl. Flusser, Schrift (2002), 97. „Jean Paul empties the present of significance to write about […] foreplays and aftereffects“ (Kuzniar, „Titanism and Narcissism“, 457).

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Spiel‘ stehen sie, wenn dieses nicht abgebrochen wird oder auch nicht werden kann, weil es unkalkulierbar über jedes gesetzte Ende, auch das des sterblichen Menschen hinausreicht, lesbar bleibt, den Möglichkeiten endloser, ungewisser Wiederholungen und des Verspielens offen. Mit den Verfahren des Kartenmischens, Würfelns, der Lotto-Ziehung (oder deren Fiktionen) sind Einfälle bezogen auf einen tiefen Raum des Möglichen, aus dem sie zugestellt werden, den vagen tiefen ‚Raum‘ unabsehbar möglicher anderer Konnektionen, die sprachlichen Zeichen oder Wörtern latent eingeschrieben sind, sie virtualisieren, in ihnen in Reserve bleiben, und sie als ihre Schatten begleiten. Wortwitze entbinden die anderen Verkettungen und Verschiebungen der Wörter in den Wörtern, die diesen als ihre Iterierbarkeit als virtuell anderswo andere inhärieren. Jeder ihrer Effekte (und mag er noch so ‚sinnvoll‘ sich ausgeben) zerfällt an den Unsinn im Sinn, an die insistierenden Signifikanten, an die Verstellbarkeiten, deren Kraft, sich anders zu verknüpfen, sich in andere zu verschieben, an latente andere anders-konfigurierende Lesbarkeiten. Spielt der Wortwitz diese aus, so fällt den Wortspieler-Witzen Sinn (allenfalls) als ‚glücklicher Zufall‘ zu – wie mögliche Glücksspiel-Gewinne vorfallen, oder (nichtgerahmte) Zufälle eintreten: wie Unfälle.372 Der Wortwitz lässt andere Wörter unter/in Wörtern, die Kraft zu allen möglichen Signifikanten-Verknüpfungen: zer- und gegen-lesend zu, und stellt mit jeder neuen Konfiguration,373 andere mögliche Lesbarkeiten jeweils in den Grund. So ist das jeweils Zugestellte (und heiße dieses „nachher“ Sinn) unablösbar von einer unbestimmten, nicht beschränkten virtuellen ‚Reserve‘, die jedem jeweiligen Ereignis als ‚Rand‘374 der latenten ungewissen und unbeschränkbaren Verbindungen inhäriert. Lesen kann als ein Durchstreifen von ausziehend Aufgeschriebenem, ein Hin-und-Herblättern, Stellen auslösend und unaufhörlich verstellend, umsortierend, wie der Wortwitz anagrammatisch heißen. Einem solchen Lesen treten (skripturale) Teilstücke, sich in sich doppelnd und spaltend, anderswohin sich unabsehbar verschiebend und verkettend auf der derart in sich inhomogenen Schrift-‚Oberfläche‘ in mögliche andere Figuren ein, die nie derselben Zeit angehören.375 Lesen steht insofern, mit jeder jeweiligen effekt372 Vgl. „Einfälle“ als „Vorfälle, Unfälle und Fälle“ u.a. Jean Paul, „Miserikordias Vorlesung“, SW I. 5, 357. 373 So auch Hoffmanns Umformulierung des Mosaiks als Kaleidoskop, das „die heterogensten Stoffe willkürlich durcheinandergeschüttelt, doch zuletzt artige Figuren bilden“ („Die Brautwahl“, Die Serapionsbrüder, 599). Das Kaleidoskop lässt aus der Bewegung Figuren zusammenfallen, die unabsehbar waren, die erneute Drehung in irgendwas anderes fallen lässt. 374 Die „Randzone“ des Textes ist „eine unerschöpfliche Reserve“ (Derrida: „Tympanon“, 24, 23f.). 375 So mit dem Vexierbild als Lesemodell (s.o. Kap. I.2), vgl. Derrida, „Das Papier oder ich, wissen Sie …“, 226.

EinFälle, Zufälle – aus Exzerpten

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vollen Konfiguration, im uneinholbaren Bezug zum Nicht-Gelesenen, zum unlesbaren unfigurierten Hinter-Grund (oder der Reserve) virtueller Bezüge (als latente in den Wörtern, die die Wortwitze ausspielen). So verweist der Wortwitz den eventuellen Sinn als kontingenten Effekt im Futur II der Nachträglichkeit, wie in Saussures Anagrammstudien die entgegenkommenden Namen, an die Sprache als ‚unendliche Resource‘,376 an „das vielfache Gemurmel“, das sich hinter/in jedem Satz birgt (der sich von ihm abhebt, um zu erscheinen),377 an den tiefen Grund virtueller Relationen (von Signifikanten); sie machen (wenn man sie lässt) alles Mögliche als „Einfälle“ zum „Geschenk“.378 So kann dem Lesen aus dem Grund oder „Feld der Figurabilität“379 eine jeweilige Figur, ein jeweiliges ‚Gesicht‘ wie aus Mauerflecken380 oder Tintenklecksen381 zufallen – und zwar, so akzentuiert Georges Didi-Huberman, als „Geschenk“ einer figurierbaren Oberfläche, ja der vagen Vielheit des Papiers, das angenom­ men werden kann,382 aber ohne damit endgültig stabilisiert, abgelöst zu sein; 376 In der deutschen Fass.: „jene unendliche Quelle“ (Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f.); engl. „resource“ (Words upon Words, 122). 377 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f.; in der engl. Fass.: „that behind each phrase lies hidden the multiple clamor from which it has detached itself to appear before us in its isolated individuality“ (Words upon Words, 122); vgl. Kap. I.6. 378 So E. Frey im Anschluss an Lichtenberg („Lichtenbergs Einfälle“, 510); Didi-Huberman, „Geschenk des Papiers“. 379 Didi-Huberman spricht von diesem als „Feld der Figurabilität, in dem die visuellen Spuren so lange wie möglich – und wenn möglich für immer – in einem Zustand gehalten werden, in dem ihre Figürlichkeit noch potentiell und nicht tatsächlich, fixiert, lesbar ist“ („Geschenk des Papiers“, 188f.). 380 Den Topos dieser Übung nennt Jean Paul: „die dumpfigen Mauerflecken, von denen da Vinci […] malerische Ideen zu entlehnen rät. – –“, als „Muster“ seines „Appendix“ (SW I.4, 414). Mauern, Marmore oder Marmorpapiere, Klecksographien sind mit und nach da Vinci Übungsfelder der inventio oder fantasia. Dabei ist an die marmorierten Seiten zu denken, die (üblicherweise Vorsatzblätter) Sterne dem Tristram Shandy inserierte. Diese waren Ergebnis von „gelenktem Zufall“, wie auch A. Cozens „blots“, die „auf die Potenz ungegenständlicher Formen“, wie auf die Wahrnehmensmechanismen verweisen (Busch Great wits jump, 30-35; vgl. genauer Didi-Huberman, „Geschenk des Papiers“). 381 „So suchen wir Sinn in die Körperwelt zu bringen. […] Gewiß aber läßt sich durch vieles Probieren, und Nachsinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen was nicht für uns oder gar nicht lesbar ist. So sieht man im Sand Gesichter, Landschaften usw. die sicherlich nicht die Absicht dieser Lagen sind. […] Silhouette im Dintenfleck pp.“ (Lichtenberg, Sudelbücher I, 710 (J 392)). „Ähneln die Anagramme jenen Gesichtern, die man in Tintenflecken lesen kann?“ (Starobinski, Wörter unter Wörtern, 127); das ist wohl eine rhetorische Frage, was sonst? s. Kap. I.6. 382 Das „Geschenk des Papiers“ ist das „wechselseitige Geschenk, das das Subjektil (das Papier als materieller Träger der Schrift) und das Subjekt einander manchmal machen“ (DidiHuberman, „Geschenk des Papiers“, 175, vgl. 188f.). Zum „Subjektil“ (mit Artaud) als ins Deutsche nicht übersetzbarer Begriff für den Malgrund vgl. Derrida, „Das Papier oder ich, wissen Sie …“, 225; ders., „Forcener le subjectile/Das Subjektil entsinnen“.

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es ist vielmehr stets wieder in die „Figurabilität“ zurückgestellt, in der Schwebe gehalten. Das Nachher des „nachher“ angeblich zu machenden „guten Gebrauchs“ des Zusammengewürfelten ist mit Freud als des Witzes Nachträglichkeit aufzufassen, mit der dessen Einfall vermerkt wird. Freud zufolge, spreche man zwar davon, „daß man den Witz ‚macht‘“, aber [der] Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten ‚Einfalls‘. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird […]. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am ehesten einer Absenz […] vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da[.]383

Der „Einfall“ ist ein Ein-Fallen anderswoher, ein Zufallendes. Anderswoher, Freud zufolge aus dem Unbewußten, in das die „Witzarbeit“ zu verlegen war, wird als ein „ungewollter ‚Einfall‘“ zugestellt,384 was als Witz – und möglichst ‚guter Witz‘ – aufge- und ergriffen werden mag. Der Spannung zwischen dem Unsinn der Signifkanten und dem Sinn, die Jean Paul und andere ausbuchstabieren, gibt Freud eine neue Ausprägung als Zwei-Gesichtigkeit des Witzes, der zwei unvereinbare Orte „‚des seelischen Apparats‘“ adressiert,385 vor allem aber interessiert, Freud zufolge, den Witz der ‚Sinn‘ nur insoweit, als er „das lustvolle Spiel durchzusetzen“ und „es vor der Kritik der Vernunft zu schützen“ sucht, und es daher „sinnvoll oder wenigstens zulässig erscheinen“ lassen muss; „wo es ihm nicht gelungen ist, wird er eben als ‚Unsinn‘ verworfen.“386 Vom Witzvorgang weiß das ‚bewusste ich‘ nicht oder nachträglich oder zu spät, als „ungewollte[m] Einfall“, mit dem, so Samuel Weber, „Sprachgebrauch des immer zu spät zu sich kommenden Bewusstseins: Eigentlich weiß es von nichts, oder […] von jener ‚Absenz‘“, ‚einen Augenblick vorher‘: der „Landeplatz des Witzes“.387 Der durch „ungewollte[r] ‚Einfall‘“ bezeichneten

383 Freud, Der Witz, 157. 384 Freud, Der Witz, 157, 164; F. Schlegel spricht vom Witz als „ein Blitz aus der unbewußten Welt“ (KFSA XII, 303). Hier geht es nicht um etwaige Relationen auf den Traum im Sinne der Einbildungskraft (wie das im 18. Jh. gängig ist, vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 496), oder den „Traum [als] unwillkürliche Dichtkunst“, mit Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 60; ders., Über das Träumen, SW I.4, 978; Schmidt-Hannisa,„‚Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst‘“, 93, 100f.. Freuds Witz akzentuiert die Diskontinuität von Unbewusstem und Bewusstsein. 385 Freud, Der Witz, 154; vgl. in Kap. V. 386 Freud, Der Witz, 124, vgl. 123ff. 387 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87.

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(vorherigen) Absenz entspricht Jean Pauls Aussetzen an die äußerlichen Vorrichtungen, Aufschriebe und Operationenen, ein Geschehen, das nicht durch Wissen und Intention gesteuert wird (sonst könnte es nie erfinden), dem allenfalls nachträglich ein Sinn zuerkannt wird. Campe zufolge „erscheint“ „die Koinzidenz“ des Jean Paul’schen Witzes „in den Passagen zum Automatismus in Freuds Witzanalysen“.388 Der Witz ‚gelingt‘, wenn gelacht wird, im Exzess des Äußerungsereignisses über das Geäußerte,389 ohne dass gesichert wäre, ob es sich überhaupt um einen „Witz“ handelt, der einen ‚guten Sinn‘ hat. III.2

… aus Buchstaben und Abschnipseln. Jean Pauls Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel

Die Texte Jean Pauls entstammen nicht Operationen über den Ansammlungen von Exzerpten, Notaten, Zetteln, Registern, sondern stellen sich auch als aus solchen zusammengeschriebene dar. Indem sie ihre heterogene Zusammengesetztheit, in Operationen und Handhaben, Textsorten und Paratexten der jüngst veralteten Ordnung des gelehrten Wissens des Lesens als Schreiben, des Schreibens als wiederholtes/-endes Lesen ausstellen.390 Sie präsentieren derart das Schreiben als operatives Lesen als Aussetzung an das Zukommende. Jean Pauls Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel (1806-1811) gibt eine Konzeption des Textes zu lesen, derzufolge dieser – in zweierlei Hinsicht – vom Zufall zugetragen werde: zum einen hinsichtlich jenes ‚Werks‘, die Bienrodische Fibel, dessen ‚wahrer Verfasser‘ Fibel im nachträglichen Effekt seiner Schrift (in ‚Jean Pauls‘ Buch) zu einem ‚Leben‘, dem „Leben Fibels“ gekommen sein wird, zum zweiten hinsichtlich des Leben Fibels, das der fiktiven „Vor-Geschichte“ zufolge durch eine wahre Schnitzel-Jagd entstanden sei.391 Das „Vor-Kapitel“ gibt die autoreferentielle Fiktion der Schreib-Verfahren, in der die technischen Metaphern des Ausschreibens oder Ausziehens, des Wieder- und WeiterVerwendens, des Zusammentragens aus ‚allen vier Ecken‘ und des Beitragens 388 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 158, 163f.; allerdings finden sich verschiedene Automatismen: u.a. im Sinne dessen, was (ohne Kontrolle) sich leichter, wie von selbst, vollzieht (Freud, Der Witz, 68, 101, 142ff.), der ‚automatische Vorgang‘, während der Witz die bewußte Aufmerksamkeit ablenke und diese ‚überrumpelt‘; „während wir noch nachzudenken beginnen, lachen wir bereits“ (143, vgl. Kap. V.1 u. 2). 389 Felman, Le scandale du corps parlant, 198, 160. 390 Neben der Fülle des Zitierten und Angespielten, des mit Exzerpten Beigebrachten, Ausund Beigezogenen, das und dessen Zitiertheit im Text merklich bleibt, trägt Jean Paul auch Textsorten, Listen, Zettelkästen ein (etwa im Quintus Fixlein), und bezieht sich damit, in Zitation der Formate, aufs gelehrte Schreiben. 391 Jean Paul, „Vor-Geschichte oder Vor-Kapitel“, Leben Fibels, SW I.6, 369-377.

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durch ‚fremde Hände‘, der deplatzierenden, der zerlegenden und kontingenten Speicherung wörtlich genommen sind. Das Schreiben von Leben Fibels setzte sich, dieser Auto-Fiktion zufolge, als ein zusammenschreibendes Abschreiben aus wörtlich realisierten ‚Auszügen‘: von Text- als Papier-Abschnitzeln, der Kontingenz der Zuträgerschaft und des Sich-Zutragenden aus. Jean Pauls Text gibt die ‚Geburt‘ eines Gelehrten, seines Lebens aus der Schrift im wörtlichsten Sinne zu lesen. Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel tue, so gibt dessen fiktiver Editor (oder Zweit-Verfasser) in der „Vor-Geschichte“ vor, „historisch dar […], daß Fibel das Werk gemacht, daher ja eben später allen Abcbüchern der Name Fibel geworden, wie man etwa raffaelische Gemälde Raffaele nennt“.392 Ein Autor-Leben wird durchs einbekannteste misreading produziert, in Verkehrung der eingeübten metonymischen Relation von Autor und Werk (als einer Version der Relation von Ursache und Wirkung), die es konventionell ermöglicht, ein Werk mit dem Namen des Autors zu bezeichnen (wie Gottheiten für ihren Zuständigkeitsbereich eintreten): im metaleptischen Fehl-Schluss393 auf einen Autor als Realität vor dem ‚Werk‘, hier mit Namen Fibel. Die den Lehrbüchern zufolge zu meidende Trope der Metalepsis, die in ‚chronologischer Umkehrung‘ von einer vermeintlichen Wirkung her, retroaktiv eine vorausliegende Ursache produziert,394 ist derart als Gesetz von Autorschaft ausgewiesen. In einem rückwirkend konstitutiven Akt wird nachträglich vor dem Text ein ‚Autor‘ als dessen ‚Ursprung‘ oder ‚Quelle‘ eingesetzt und derart dem Abc-Buch, der Fibel (die nicht einmal ein Werk ist), als nachträglicher metaleptischer Effekt ein Autor ,geboren‘, dessen Leben der Fibel mit Leben Fibels zugeschrieben ist.395 Das Funktionieren des Paradigmas Autorschaft als metaleptisch verwechselnde Rückbuchung des ‚Werks‘ auf einen ‚Autor‘ wird verdoppelt im „Irrtum des Franzosen Mr. Martin“, „der in seinem Verzeichnis der Bibliothek 392 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 370. 393 Zur Metalepse als Umkehrung der metonymischen Relation von Grund und Folge vgl. Lausberg, Handbuch der Rhetorik, 294; von metonymischer Relation (nicht deren Umkehrung) spricht Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 355, 358, 360. 394 Als „effect of belated metalepsis“, als metaleptischer – das heißt als nachträglicher – Effekt des performative ist das Subjekt des Sprechakts oder der Tat bestimmt, so im Anschluss an Nietzsche und de Man Butler, Excitable Speech, 155; vgl. de Man, „Rhetorik der Persuasion (Nietzsche)“, 171-75; ders., „Rhetorik der Tropen (Nietzsche)“, 150-53. 395 Vgl. Simon, „Allegorie und Erzählstruktur in Jean Pauls ‚Leben Fibels‘“, 228; C.  Pross, Falschnamenmünzer, 86-109 u.a. Die Findung des Fibel darf die „Geburt“ des Abcbuchs und das Gehirn dessen „Uterus“ heißen (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 426, 428), wie umgekehrt die leibliche Geburt des Protagonisten Fibel als ein Aus(heraus)ziehen dem Exzerpieren analogisiert wird (vgl. Schestag, „Bibliographie für Jean Paul“, 509ff., 517).

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des Mr. de Bose das Wort gedruckt als einen Schriftsteller unter dem Titel Mr. Gedruckt an- und fortführt“, dem viele „Literatoren“ in Wirklichkeit „nachtun“.396 Leben Fibels führt die „Genese von Autorschaft“ in kruder Wörtlichkeit vor: Autoren werden durchs Lesen gemacht, der vermeintlich erste durch den zweiten, dadurch dass der Schreiber lesend/schreibend zurückkommt aufs Geschriebene, als Selbst-Herausgeber,397 wie auch durchs nachträgliche Eindrucken des Namens (Fibel) auf die Titelblätter anonymer Werke,398 das Autorschaft ihren Ort im supplementierenden Paratext, am leeren Platz anweist und sie als Ordnungskategorie in der Welt der Texte kenntlich macht: erst das zweite Buch unter demselben Namen macht einen Autor. Leben Fibels, das auch im Zitat der zugehörigen Theologomena eine verfleischlichende Referentialisierung des Wortes vollzöge,399 gibt sich als Gelehrten- oder Autoren-Biographie, und zwar nicht nur als die des gelehrten Autors Fibel,400 und nicht bloß, indem die Biographie als Genre – möglicherweise in satirischer Absicht, wie es heißt, angesichts der grassierenden monumentalisierenden Kant- und Schiller-Biographien401 – auto-thematisiert 396 „Ich kenne wenige Literatoren, für welche nicht gedachter Herr Gedruckt der Kreisoberste und Kreisdirektor aller Erden- und Himmelskreise wäre, und der einzige Mann, mit dem zu reden ist, und der neue Adam der Welt […] und das absolute Ich“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 389). Das Gedruckt-Sein mache den Autor, so Wirth(„(Papier-)Müll und Literatur“, 20f.; Kilcher, mathesis und poesis, 286; Fuchs, Büchermachen, 24-27, 33, 66-70, 73f., 77f.), vielleicht aber eher das Zurückkommen aufs Geschriebene? der Rand (des Druckwerks)? 397 F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 118; Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 161. Die Vorrede (préface), „das ein Sagen-wollen nachmalig umgestaltende Vorweggesagte (avant-propos)“, „was ich geschrieben, dann gelesen habe, und was ich schreibe, was Sie dann lesen werden“, stelle den Text als „Vergangenes“ vor, das „in einem falschen Schein von Gegenwart“ „ein Autor in voller Herrschaft über sein Produkt dem Leser als Zukunft darstellt“ (Derrida, „Buch-außerhalb. Vorreden/Vorworte“, 15). Hier sind mit dem Herausgeber die Doppelung/Spaltung und die diese vermeintliche Herrschaft irritierenden temporalen Verschiebungen inszeniert. 398 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 499; vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 363ff., 373-76. 399 Als krude Evokation der Fleischwerdung (Jesu Christi) (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 372, Komm. 1269, vgl. Schestag, „Bibliographie für Jean Paul“, 510, 513; vgl. 13. Kap.  des Leben Fibels: „Papierdrache. Erfindung und Erschaffung des sächsischen Abc’s“); biblos wird als bios fehlgelesen (Schestag, 509). 400 Fibel sei „excellentes Genie – Literator – Man of Genius – homme des lettres – autor clarissmus“ (Jean Paul, zit. nach Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 18); vgl. die Fibel-Tradition bis in die gelehrten 16. und 17. Jh.e, Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 111ff., 121ff. u.ö. 401 Vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 516, vgl. 513f.; die Vorarbeiten zum Leben Fibels beginnen 1806, abgeschlossen 1811; zu den zeitgenössischen Konjunkturen der Kant(nach dessen Tod 1804) wie der Schiller-Biographien vgl. SW I.6, 516, 513ff. u. Komm. 1268;

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ist, und nicht einmal in erster Linie dadurch, dass die Geschichte der Gattung der Gelehrtenbiographie abgerufen wird, deren angeblich sämtliche Merkmale mit größter Präzision von jenem ersten Bio-Graphen Fibels (Pelz, die Laus im Pelz),402 den der fiktive Herausgeber als (fiktiven) Vorgänger und „MitPlutarch“ vor-gibt, abgedient worden seien.403 Vielmehr ist Leben Fibels vor allem Graphie des ‚Lebens‘ des Schreibens,404 dessen Verfahren und Vollzüge, dessen Voraussetzungen wie deren Ausbleiben mitgeschrieben werden. Das die Vorgeschichte des Buches, das uns als Leben Fibels vorliege, erzählende „Vor-Kapitel“ weist das Verfassen des Leben Fibels als gelehrtes, vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 366; zur Sek.Lit. Espagne, „Die Blaue Blume im Ton-Töpfchen“, 31, 39. 402 Zu dieser Lesart als Parasit, vgl. Pfotenhauer, Sprachbilder, 132ff.; mit Pelzen als Pfropfen (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 464), vgl. Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 169ff. 403 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 491. Pelz, der fiktive Verfasser der 40-bändigen Lebensbeschreibung Fibels, auf deren Überresten Leben Fibels beruhe (496), liefere alle vorgeschriebenen „lebensbeschreibenden Artikel“: „Fürstliche Gnadenbezeugungen gegen den Helden“, „Hauptwerk, welches der Gelehrte geschrieben“: das „Abcbuch“, „Andere Werke, welche des Seligen Namen tragen“: „bekanntlich die anonymen, auf deren Titelblatt Fibel elendiglich seinen Namen einschwärzte“, „Latinität, Gräzität, Hebräizität, Arabizität des seligen Mannes“: ‚kürzer abgetan‘ mit „dessen Kenntnis und Schreibung der lateinischen, griechischen, hebräischen Alphabete und die ähnlichen Vaterunser“ (499). 404 Das Verhältnis von Leben und Schreiben bringt Jean Paul in irritierende Relationen: Unter seinen „Selberlebensbeschreibungen“ findet sich seine frühe „Konjekturalbiographie“ (1799), die seinem bevorstehenden Leben auf dem konjizierten Gütlein Mittelspitz gilt, dem Leben – und dem Tod, den jede Auto-Biographie impliziert, weil sie erst von diesem her sich schlösse und ein Ganzes würde, den daher jede verschwiegen mitschreibt, damit über die Grenze, die ihrem Schreiben bezeichnet ist, vorgreift. Offenbar ist Schreiben derart anderes als bloßes Be-Schreibens dessen, was als das gelebte Leben der Selbst-Verschriftlichung bereits vorläge. Das Konzept der Autobiographie als (Be-)Schreiben des Selbst ist als solches in einer zeitlichen Aporie, weil sie zum einen den Abschluss des geschriebenen Lebens des geschriebenen ‚ich‘ als gegeben voraussetzt, zum andern zugleich die Fortdauer des schreibenden Lebens des schreibenden ‚ich‘ manifestiert: das schreibende und geschriebene ich, die in der Auto-Biographie zusammenzufallen scheinen, können nur „Doppelgänger“ voneinander sein (Jean Paul, Der Jubelsenior, SW I.4, 928). Umgekehrt wird das ‚Leben‘ des geschriebenen ‚ich‘, das auch das des schreibenden ‚ich‘ ist, mit dem Schreiben selbst zusammenfallen: „weil ich als Gelehrter den ganzen Tag auf meinem Leseesel saß und schrieb“ (933). „Die Besessenheit, mit der er [J. P.] seine Existenz in Schrift überführt, kulminiert schließlich in einem Rückkopplungseffekt, wenn Jean Paul erklärt: ‚Das Wichtigste in einer Autobiographie eines Autors ist eigentlich das [Leben] seines Schreibens.‘ Soll das Leben schreiben heißen, Schreiben zu schreiben, so markiert dies eine Inversion.“ (Schmidt-Hannisa, „Lesarten“, 37). Vgl. für den ‚autobiographischen‘ Zug des Schreibens de Man, „Autobiography as Defacement“/„Autobiographie als Maskenspiel“, 134ff., 145.

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lesendes, zusammensammelndes Schreiben, als Suche nach „historischen Quellen“ zur Erkundung des ‚wahren‘ Urhebers oder der ‚Wahrheit über –‘ aus,405 indem es die Fiktion einer Schreib-Szene als Editionsszene vorgibt.406 Derart wird nicht nur ein Schreiben au second degré ‚konzipiert‘, sondern auch ein allographer Text, an dem vorangehende Schriften und Papiere, verschiedene Hände mitschreiben. Das schreibende Erzeugen wird in doppelter Hinsicht erkundet, sowohl als kombinierendes Operieren mit Buchstaben, zu der die Fibel anleitet (im folgenden ersten Teil), als auch als Zusammenschreiben aus heterogenen ‚Exzerpten‘, als das das Verfassen des Leben Fibels im „Vor-Kapitel“ erzählt wird (im zweiten Teil). „Um nun mit einem Manne bekannt zu werden und bekannt zu machen, mit einem Fibel, den ich früher gelesen als Bibel und Homer“, lautet das fiktive Programm des Leben Fibels,407 dem die Fibel, Prätext im mehrfachen Sinne, angeleimt anhängt.408 Leben Fibels inszeniert sich umgekehrt als philologischer, als edierender, kommentierender, biographischer Beitext, zitiert die Funktion des Kommentars als Paratext,409 der das ‚Werk‘, von dem der Kommentar regiert werden soll,410 erst sich hinzufügend etabliert,411 405 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 369f.; „Ich zitiere meine Quellen –“, 372; „historische[] Quellen“ vgl. 374ff., das ‚gelehrte‘ Unternehmen, 370ff. 406 Mit dem Begriff von Campe werde die „Technologie“, die sich „in der „Schreibszene“ mit „Semantik“ kreuzt, nur(?) zur „Regulation“ der Konzepte des Schreibens und Textes ‚thematisiert‘ („Die Schreibszene, Schreiben“, 278, vgl. 269; vgl. u.a. Wirth, „Die SchreibSzene als Editions-Szene“). 407 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 370f.; Fibel–Bibel–Homer bezeugt erneut die Metalepsis von Werk – Autor. 408 Vgl. Leben Fibels, SW I.6, 369 u. 549-62 (zuerst habe der Fibelabdruck voranstehen sollen, Komm. 1269); auch Schulmeisterlein Wutz hänge mit Die unsichtbare Loge „durch nichts zusammen […] als durch die Heftnadel und den Kleister des Buchbinders“ (SW I.1, 181). Es heißt, Jean Paul habe sich das „früher so allgemein verbreitete Büchlein“ extra beschafft (vgl. Komm. SW I.6, 1284; M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 108f.). Brieflich erbat Jean Paul: „ich schreibe jetzt etwas Spaßhaftes – Spaß ist sonst meine Sache nicht – über den Verfasser des ABC’s und erkläre, so gut ich kann: ‚ein Affe gar possierlich ist‘ etc. Um ein solches Abc mit bunten Bildern bitt’ ich Sie. Auch wünscht’ ich das andere zu haben, wo hinten ein Hahn steht und lehrt.“ (Jean Paul, HKA III.5, 135); zur sog. ‚Hahnenfibel‘, neuer Fibeltyp in der zweiten Hälfte des 16. Jh, vgl. Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 115ff., 121. 409 Der Begriff nimmt (versteht sich) Bezug auf Genette, Paratexte, 9f.; vgl. im Folgenden. 410 Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 20. 411 So „erscheint der Roman letztlich als Neuedition eines vergriffenen Werks, wobei die dazu erfundene Geschichte von Fibels Leben selbst paratextuellen Status erhält, insofern sie als ausführlicher Herausgeberkommentar zum anschließend publizierten Text des Abc-Buchs gelesen werden kann“ (M.  Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 109; vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 376); vgl. Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 131f.

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und setzt Philologen in dessen Spur.412 Leben Fibels lässt (wie viele Texte Jean Pauls) die Paratexte abundieren,413 verkehrt konventionelle Ordnungen von Text und Paratext, von Innerem und Hinzugefügtem, Äußerlichem, Rand,414 bearbeitet die ‚problematische Grenze‘ des Buches.415 Alphabetisierung, buchstäbliche Versetzbarkeiten416 Mit „Fibel, den ich früher gelesen als Bibel und Homer“, ist eine Priorität eigener Art angezeigt. Das ‚Werk‘ Fibels, das zum einen „mit den Elementen aller Wissenschaften, nämlich mit dem Abcdef etc. etc. – zugleich eine kurze Religionslehre, gereimte Dichtkunst, bunte Tier- und Menschenstücke und kleine Still-Leben dazu, eine flüchtige Natur- und Handwerks-Geschichte darbringt“417 und insofern dem „dickbändigen Homer“ gleichkomme, der „Enzyklopädie aller Wissenschaften“ der Alten,418 habe zum andern – so sagt

412 Das von Jean Paul benannte „Bienrodische Abcbuch“ (SW I.6, 370) wird (anonym) „dem Rudolstädter Kammersekretär Werlich zugeschrieben“ (Komm. 1269), oder es wird der (abgewiesenen) Verfasserschaft eines „Konrektor Bienrod“ (370) gefolgt: von „der Fibel von Kramer Bienrod, die 1746 in Wernigerode herausgekommen war“, scheine kein Exemplar mehr erhalten, „wie vergebliche Nachforschungen – nicht nur im Stadtarchiv Wernigerode – vermuten lassen“ (Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 132, zu den Orten der Fibelherstellung im 18. Jh., 124, 127, 130; vgl. Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 84). Die Ausgabe SW I.6 folgt beim Fibel-Abdruck der Kritischen Ausgabe, die, während die Originalausgabe „nur den Text der Fibel ohne die Bilder bei“gab, die Bilder nach den Nachtgedanken über das A-B-C-Buch von Spiritus Asper hinzufügte (Komm. 1284) (Nachtgedanken, ein A-B-C-Buch-Kommentar, der 1809 während Jean Pauls langem immer wieder unterbrochenen Schreiben am Leben Fibels erschien, sich auf den Autor der Levana bezieht (390), fügt die Bilder jeweils zu drei Buchstaben umgekehrt ohne Text bei, A-B-C in Bd. 1 vor dem Titelblatt). Bienrod scheint ein „diskursive[s] Phantom“, nach dem (gar per Anzeige) gesucht wurde (vgl. Fuchs, Büchermachen, 45f.). 413 Jean Paul ist bekannt für Paratexte aller Art: „Alles, was mit dem Buch zusammenhängt“ (Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 18); diese vor allem sind Sache des witzigen Schreibens (Dembeck, Texte rahmen, 327); vgl. im Folgenden. 414 Zu Verkehrungen der Relation von Vorrede und Buch als deren Anhang vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 332f.; Jean Paul klagt, „daß ich jeder Vorrede, die ich schreibe, ein Buch anhängen muß“ (zit. nach Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 372). 415 Vgl. Foucault, Archäologie des Wissens, 36; Derrida, „Die Signatur aushöhlen“, 31. 416 Eine viel kürzere Fass. dieses wie des folg. Kapitelabschnitts liegt mit B. Menke, „Alphabetisierung. Kombinatorik und Kontingenz“ vor. 417 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 369. 418 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f.; Homer „erlaubt man diese Allwissenheit ungescheut“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205f.); zum Topos des homerischen Textes als enzyklopädischen s. Kap. III.1.

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das „Vor-Kapitel“ – „Millionen Leser nicht bloß gefunden, sondern vorher dazu gemacht“.419 „Wer schon bedenkt, was Buchstaben sind“, muss wahrnehmen, daß über diese Vierundzwanziger kein Gelehrter und keine Sprache hinauszugehen vermag, sondern daß sie die wahre Wissenschaftslehre jeder Wissenschaftslehre sind und die eigentliche, so lange gesuchte und endlich gefundne allgemeine Sprache, aus welcher nicht nur alle wirkliche Sprachen zu verstehen sind, sondern auch noch tausend ganz unbekannte, indem 24 Buchstaben können 1391724288887252999425128493402200 mal versetzt werden.420

Es handle sich – so wird es heißen – bei Fibels um ein anderes ‚Buch der Bücher‘, statt der Bibel, auf die es sich reimt.421 Darunter tut’s das Leben Fibels nicht. Der Text weiß von einer Berufungs-Szene des Fibel, in der „eine Stimme mehr aus dem Himmel“ erschallt: „‚Sitz ab, Student, und ziehe aus eine Schwanzfeder dem Hahn und setze auf damit das Buch der Bücher, voll aller matres et patres lectionis, […]; schreibe dergleichen, mein Fibel, und die Welt liest.‘“422 Das vermeintliche ‚Werk‘ Fibels ist aber als „Buch der Bücher“ nicht „Urbuch“,423 sondern wäre dies vielmehr nur in dem genauen Sinne, dass es vom Schreiben und Lesen als Kombinationen über jene selbst nicht(s) bedeutenden diskreten, beweglichen Elemente, die die Lettern sind, vor (und nach) dem Buch handelt, indem es mit diesen operieren macht. Grimms Deutsches Wörterbuch zufolge sei das Wort „Fibel“ „eine ‚entstellung des wortes bibel‘“,424 liest 419 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 370f.; so dass „unsere größten deutschen Dichter ihn früher lasen und studierten als irgend einen anderen Poeten, den Homerus selber nicht ausgenommen“ (434), und zwar der Qualität der ‚poetischen Feilung‘ wegen. 420 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 489. „Die 24 Buchstaben können über 1000 Quinquillionen mal versezt werden.“ (Notat 19-1790-28, „Schreiben Abzeichnen Eingraben. Aus den unveröffentlichten Exzerptheften“ (mitget. von Will), 10). „wer et. les. kann, kann alles lesen und mehr kann Gott nicht“; „ein Buch macht Bücher“ (Jean Paul, SBB NL, Fasz. XIV, K.14, 128-131 (B66r), zit. nach Kluger, „‚Ein Buch macht Bücher“, 40). Für die vielfachen barocken Berechnungen der Kombinationen seit Kircher und die (auch nachbarock) vielfach falschen Berechnungen vgl. Rieger, Speichern/Merken, 15ff., 121f. u.ö.; Kilcher, mathesis und poesis, 376. Das Alphabet führt als die „so lange gesuchte“ characteristica universalis (Leibniz) diese aber auf asignifikative Elemente zurück, zur frühneuzeitlichen lullistischen enzyklopädischen ars combinatoria, ‚aller Wissenschaften Wissenschaft‘, vgl. Kilcher, 390ff., s. Kap. I.5. 421 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 426, 534f.; zum Kollektivsingular von Bibel, des heiligen Buches, das eine Pluralität ist, vgl. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 23. 422 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 427; offenbarer Prätext ist Apokalypse 1,19 (vgl. Schestag, „Bibliographie für Jean Paul“, 514, 510, 513; zur Inspiration aus dem H, 514). 423 So aber Schmitz-Emans, „Das ‚Leben Fibels‘ als Transzendentalroman“, 144ff.; dies., „Der verlorene Urtext“. 424 DW Bd.  3, Sp.  1611f.; vergleichbare Herleitungen in Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, II, Sp. 142; das wird durch den Beidruck von Fibels Namen gedoppelt, der

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also „Fibel“ „Bibel“ gegen: entstellt, als Schrift – wie/als ein pun,425 der Wörter als verstellbare Buchstaben auffasst und derart in ihnen andere Wörter lesbar macht. Verstellungen der Worte wurden lesekulturgeschichtlich abwertend als Zerlegung in und Bindung an Buchstaben verworfen,426 die mit „matres […] lectionis“ als jüdische Schreib- und Lesepraxis markiert ist.427 Dem Werk ‚Fibels‘ unterliegt mit dem Alphabet als einer bloß konventionellen Ordnung bloß der Buchstaben eine Matrix für die Poiesis aus sinnlosen Elementen von allem, wovon das „Buch der Bücher“ oder die „Enzyklopädie aller Wissenschaften“ wüssten: „alles“428 oder/und nichts. Der Fibeltext ist zum einen bloße arbiträre Fügung, Kombinationen von sinnlosen Buchstaben „abgeteilt“ bloß nach den nichts-sagenden 24 Buchstaben,429 in

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auch eine „Fibelii Biblia“ auf dem Bücherkarren vorfindlich macht (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 373). Vgl. Fuchs, Büchermachen, 47; Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 111; C. Pross, Falschnamenmünzer, 112; SchmitzEmans, „Der verlorene Urtext“, 221. Die ‚falsche Ableitung‘ von „Fibula“ (Leben Fibels, SW I.6, 370, damals üblich, so Komm. 1269) spielt die Pseudo-Etymologie im pun ein, und zugleich das Zusammenheften als Verfahren. Der mit (griech.) biblos wörtlich herzustellende Bezug auf „den für Flechtwerk und Schriftrollen verwertbaren Papyrus“ gibt die Gewebemetapher für Schriftstücke, vgl. Wagner-Hasel, „Textus und textere, hýphos und hyphaínein“, (im Griechischen) 15f.; 29f., (im Lateinischen) 34-42; vgl. die Übertragungen aus der Textilverarbeitung in Leben Fibels, SW I.6, 376; auch die ersten Drucke, denen Fibel begegnet, sind weibliche „auf Wäsche“ und eines Druckers auf Kattun (389). Dem galt der Vorwurf, „daß noch immer in einer Menge Trivialschulen sogar die Bibel theils ganz, theils stükweis […] zum förmlichen Lesebuch erniedrigt wird. […] Man sollte glauben, man legte es recht absichtlich darauf an, den Kindern die Bibel […] geringschätzig und gleichgültig zu machen.“ (so Friedrich Gedike, zit. nach F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 25); zum Lesenlernen aus der Bibel bzw. dem Katechismus vgl. Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 111, 120f., 130, zu deren Ablösung (als Abc-Buch) vgl. F. Kittler (26). matres lectionis sind Hilfszeichen der hebräischen Schrift, die den Konsonanten-Zeichen beigegeben wurden, um fürs Lesen die Vokale anzugeben (Vokalpunkte und Akzente seit dem 6.-8. Jh.). Jüdisches Lesen wird abgewertet: mit der Entgegensetzung von Geist und Buchstabe (oder Schale, Hülle) mit Paulus, 2. Korinther, 3 (6, 13ff.). Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f. Auch frühneuzeitliche Enzyklopädien heißen „Buch der Bücher“ (Zedelmaier, „Buch, Exzerpt, Zettelschrank, Zettelkasten“, 40); die Romantiker „haben das Projekt der Enzyklopädie mehrfach rückgekoppelt […] an das Buch der Bücher, die Bibel“ (Menninghaus, „Vom enzyklopädischen Prinzip romantischer Poesie“, 152). Fibel, der „große epische Dichter, [habe] den poetischen Teil seiner Arbeit in 24 Gesänge oder 24 Reime abgeteilt“, wird aus dem Werk Homers motiviert, aber: „wie er es denn schon wegen der Zahl der Buchstaben nicht anders machen konnte“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f.). Umgekehrt: „Niemand teilte z.B. Homer und den Theophrast in 17 oder 29 Bücher, sondern – das war das Gründchen – in 24 nach Zahl der Buchstaben. Die

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der a-mimetischen Ordnung des Alphabets,430 dem sinnfernen ‚Gesetz‘ der Fügung unterstellt, das der Reim abgibt, dem Fibeln insbesondere unterliegen,431 wohl weil diesem memorative Funktion zugeschrieben wurde.432 Hier wird aber im Reim vor allem dessen „älterer Bruder“ das Wortspiel kenntlich.433 Denn zum andern wird hier fortwährend aller möglicher Sinn produziert worden sein.434 Daher stelle das ABC-Buch, so heißt es, einen Hort enzyklopädischen Wissens; es darf „Fibelsche Enzyklopädie“ heißen.435 Nirgends besser als hier lernt man begreifen, wie die Alten im dickbändigen Homer die Enzyklopädie aller Wissenschaften finden konnten, wenn man in einem so schmalen Werkchen nicht weniger antrifft, indem darin bald Geographie vorkommt, z.B. polnische (Wie grausam ist der wilde Bär, Wenn er vom Honigbaum kommt her) […] – bald Kriegskunst in D (Soldaten macht der Degen

Juden, um 2 Buchstaben anfangs ärmer, ließen sich folglich 22 biblische Bücher gefallen.“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 270). 430 Barthes zufolge die „Tentation de l’alphabet: adopter la suite des lettres pour enchaîner des fragments, c’est s’en remettre à ce qui fait la gloire du langage […]: un ordre immotivé (hors de toute imitation)“ (Roland Barthes par Roland Barthes, 150); s.o. Kap. III.1. 431 Im 18. Jh., zumal gegen dessen Ende „schmiedeten“ Fibelverfasser „ABC=Knittelverse um die Wette“ (Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 34); Beispiele vgl. Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 131ff. Friederike Mayröckers „Horror Fibel“ hat Fibel-Charakter als reimende: „der Kusz  … der Schusz/[…] das Krachen  … das Lachen/ die Säge  … die Schläge/ die Schritte … der Dritte“ (Motto zu „Klangwitzen“, Rinck, Risiko und Idiotie, 121). 432 Fibel will „jeden Buchstaben mit einem kleinen Gedicht von zwei Reimen versehen und ihn so in die Gehirnrinde einschneiden“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 427), wie „in einem Kürbis“ (533); das wird wie die anderen generativen Regeln der Fibel-Produktion auch ‚meta‘textuell verhandelt (490); zur Funktion der Reime in der barocken Wissensordnung vgl. Rieger, Speichern/Merken, 85ff. 433 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191. 434 Vgl. Chaouli, „Die ‚Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘ und das große Lalula der Romantik“, 114-19; Schmitz-Emans, „Der verlorene Urtext“, 211f. 435 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 489ff. Fibels Biograph nennt die Fibel „poetische Enzyklopädie“, die „Geographie, Kriegskunst, Mystizismus, Theologie und andere Wissensgebiete“ beinhalte (SW I.6, 490f.); zur Enzyklopädik auch der „Fibelschen Biographie“ vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen“, 133f., 117f. Novalis spricht unter „Enc[yclopaedistic]“ das „Abcbuch“ an (Das allgemeine Brouillon, N III, 257; vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 430); die „Fibelsche Enzyklopädie“ „parodiert die Encyclopédie Diderots und d’Alemberts, […] vor allem das von Novalis entworfene Projekt einer ‚ächten Enzyklopädistik‘“ (Wirth, „Vor der Lexikographie“, 128, mit Novalis’ Brief an F. Schlegel vom 7. November 1798, N IV, 263).

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln kund) – bald Mystizysmus in L (Geduldig ist das Lämmelein. Das Licht gibt einen hellen Schein) – bald Teleologie in O (Das Ohr zu hören ist gemacht).436

Die Fibel buchstabiert das (sog.) enzyklopädische Wissen aus, wie umgekehrt die Enzyklopädien um 1800 alphabetisch, durch die alphabetische Ordnung ihrer Stich-Wörter sortiert sind.437 Den „Inbegriff des alphabetisierten Wissens“438 gäbe die Fibel (genau insofern) ab, als es ihr aufs Alphabet, nicht aufs positive Wissen ankommt. Das angebrachte Wissen von allem Möglichen entstammt, so wird erzählt, „Bibliotheken“ besonderer Art: Als Fibels ‚Quelle‘ des „Vielwissens“439 wird der „Gewürzladen, seine[] Lesebibliothek“ benannt,440 aus der er mit MakulaturBögen, die der Laden in Form von Tüten „aus allen Fächern“ „ausgab“, „Gedrucktes“ bezieht. [So] floß die Makulatur so schön auf Fibels Leben ein, wie eine zweite allgemeine deutsche Bibliothek und vertrat deren Stelle. Jene bildete ihn – da er vom Würzhändler Düten aus allen Fächern bekam – zu jenem Vielwisser, als welchen er sich im Abc-Buch überall durch Tierkunde, Erziehungs- und Sittenlehre, Poesie und Prose zeigt. Ebenso mögen aus Nicolais Bibliothek die jetzigen Viel- und Zuviel-Wisser hervorgegangen sein, bloß weil sie die Rezensionen aus allen und fremden Fächern nicht umsonst gekauft, sondern auch gelesen haben wollen.441

436 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f.; einige Spuren der Nachtgedanken über das A-B-CBuch von Spiritus Asper (die umgekehrt vielfach an Jean Pauls Texte gemahnen) könnten hier aufgewiesen werden: die polnischen Wälder (73) u.a.; die Nachtgedanken aber lassen das „schmal[e]“ „Büchlein“ zum „Wälzer auf[quellen]“ (1f.). 437 Der „Mechanismus des Alphabetisierens“ wurde zuerst im abendländischen Hochmittelalter genutzt, „um gleichen und ungleichen Dingen ihren Platz anzuweisen“ (von den Brincken, „Tabula Alphabetica“, 917ff.; vgl. Wiethölter u.a., „Zum Doppelleben der Enzyklopädik“, 13, 22-26; Kilcher, mathesis und poiesis, 20f., 177-322, 390ff). Das ist „Sammeln und Anhäufen unter den Stichwörtern ihres enzyklopädischen Wissens“, „ohne freilich die Einheit ihrer Anordnung ordnend zu beherrschen“ (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 146,147f.); s. Kap. III.1. 438 Kilcher, mathesis und poiesis, 390. 439 „Vielwissen“ wird mit den Namen Morhof und Nicolai als pedantisches charakterisiert, zugleich aber darf der Witz es voraussetzen (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205), vgl. Kap. III.1. 440 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388. 441 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388f. „Der Landkrämer Seirich überraschte uns [so in Komischer Anhang zum Titan, im Dorf Hukelum] mit dem größten Bücherschatz, zumal an Novitäten, wovon schon ein Teil abgeleimt um den Ofen hing, Kaffeesäcke in Quart und Pfefferdüten in Oktav“, „Düten voll Kaffeebohnen, die aus musikalischer Makulatur gestülpet waren“ (SW I.3, 863); „die Literaturzeitung“ sei „in allen seinen in seinen Kram einschlagenden Werken ganz vollständig“ (853).

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Es handelt sich, ob nun Rezensions-‚Bibliothek‘, die Allgemeine Deutsche Bibliothek des „gelehrten Nicolai“ (seit 1765),442 oder Gewürzladen – wie diese443– jedenfalls um Papiere ohne Buchordnung, ums Papier nach (und vor) den Büchern.444 Die „Makulatur“ ‚fließt ein‘, nicht nur zufolge der influxoder die mystische Eingießung des Geistes fortführenden (alten) EinflussMetapher für die Intertextualität der Texte, sondern weil damit das Schreiben (aus zweiter Hand) im Zeichen des Makels der (schon) Beflecktheit durch die schreibend fließende Tinte genähert ist,445 – auch wenn es sich hier doch um die durch Druckerschwärze handeln muss.446 „[A]lles […], was er 442 Bei dieser sucht der fiktive Herausgeber (in der „Vor-Geschichte“) vergeblich Auskunft (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 371); für den Zusammenhang von „Vielwissen“ und Nicolai vgl. Kap. III.1; aus der Allgemeinen deutschen Bibliothek Friedrich Nicolais habe auch Jean Paul viel bezogen (insb. im frühen Werk, vgl. SW II.1, 413, SW II.4, 197; vgl. Will, „Die elektronische Edition von Jean Pauls Exzerptheften“, 3f.). Als weitere ‚Quelle‘ wird für Fibel genannt: der „sogenannte ‚Neu geöffnete[] Ritterplatz[]‘ in drei Duodezbänden, worin er sich in allen Wissenschaften umsehen konnte, weil er noch immer zweifelhaft war, in welcher er Skribent werden wollte“ (SW I.6, 412); auch darauf ist ‚Jean Pauls‘ in Exzerpten belegte Lesepraxis beziehbar, der Ritterplatz als ‚Quelle‘ auch seiner „enzyklopädischen“ Lektüre nachzuweisen (Kilcher, mathesis und poesis, 282f.). 443 Jean Paul wendet Nicolai gleichsam gegen sich selbst, der den Ersatz von ‚schweren‘ Büchern beklagt, den er Jean Paul zufolge mit seiner Rezensions-Nicht-Bibliothek befördert. „Meine besten Kunden sind Schulknaben, Handwerksburschen, gute Mütterchen, die beten und singen und die Knäblein und Mägdlein oft mit sich in die Wochenpredigt nehmen, die […] aus langer Weile fleißig die Gebetbücher und Gesangbücher zerreißen. Die Gewürzkrämer machen auch eine wichtige Consumtion von Büchern, und in diesem Kriege sind viele Streitschriften wider die Ketzer, die mir zur Last lagen, in Patronen verschossen worden.“ (Nicolai, Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker, zit. nach Fuchs, Büchermachen, 21); in Leben Fibels benennt das „PatronenKapitel“ auch diese Papierverwendung (SW I.6, 492ff.). 444 Leben Fibels, SW I.6, 371; „warum verknüpfet nicht jeder Verleger – wie der Gewürz- und Sortimentshändler Seirich – mit dem Buch- oder Formalhandel zugleich einen Materialhandel, damit einer in den anderen greife?“ (Komischer Anhang, SW I.3, 863). Die „Gewürztüten“ sind als Konkurrenten ums Material Papier offenbar notorisch (so Lichtenberg, vgl. Fuchs, Büchermachen, 24), die „Pfefferkrämer und Heringsweiber“ (C. S. Krause), der Kaufmann, der seine „Büchersammlung zum Tütendrehen“ nutzt (Voss, zit. nach Fuchs, 21), umgekehrt „die Chartequen[, die] übrigbleiben und zu Maculatur oder Pfeffer-Teuten werden“, der „Schaden“ der Verleger (der Rechtswiss. Gundling, Fuchs, 39). 445 Vgl. Vinken, „Makulatur“; vgl. die Abb. „Tintenkleckse: Vorarbeiten zur Vorschule der Ästhetik, Fasz. XVIII, Konvolut 01, letzte Seite“, in: Pfotenhauer, „Jean Paul-Biographie“, 106. Fibels Schreiben ist eines, das sich zum Schon-Geschriebenen (nach-)einträgt (vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 428f.) 446 Mit dem „Mackelthur“-Art. (in Zedlers Universallexikon): „[i]n der Druckerey bedrucktes Papier, so entweder verdorben, oder keinen Abgang findet, und anders nicht, als zum einwickeln, oder einpacken dienet“, formuliert Wirth: „erfährt einen Funktionswandel, der an eine Entwertung gekoppelt ist“; „Makulatur wird dabei zur Chiffre sowohl des

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poetisches, juristisches, chemisches Gedrucktes aus dem Gewürzladen […] vorbekam“,447 die „Makulatur“ der Vorgänger-Schriften wird einerseits ‚aufgewertet‘ zu dem, was (wie) nach Anweisung gelehrten Lesens/Schreibens ‚gelesen‘ wird, um zum Schreibenden aus dem Ausgezogenen aus anderen Schriften448 zu werden.449 Derart wird die „Schreibszene“ Fibels450 gegen die Postulate von Dichter- und Autorschaft um 1800 gesetzt. Anderseits werden die vorangegangenen Bücher als „Makulatur“ als gescheiterte Druckwerke, „verdorbenes“ bedrucktes Papier transformiert in (bloßes) Papier,451 der ‚Abfall‘ aus der Bücherordnung, der als Material zu Tüten oder (statt) Fenstern

Makels als auch des Scheiterns“ („(Papier-)Müll und Literatur“, 19). Sie bezeichnet eine „vorläufige Schriftlichkeit“, die als bedrucktes Papier unterschieden ist von anderen, wie „Schmierzettel, Entwürfe oder handschriftliche Notizen“ (ebd.). Fibel rückt umgekehrt die Tinte (mit der von Gutenberg gebrauchten) schon in die Nähe des Drucks (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430). 447 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388, vgl. 490f. 448 Der Bienen-Topos der imitatio und aemulatio der Vorgängertexte wird in den „Nachkapiteln“ angespielt, in denen „das alte Herrlein aus Bienenroda“, der „Bienenroder“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 527f.) heißt „Bienen-Vater“ (542f., 546); seine Kleidung und „sein überalter Körper“ seien „seltsam zusammengesetzt“ und mit dem Merkmal des „Wiederkäuers“ (530) ist mit einem eher abwertenden Doppel der Biene die mittelalterliche rumminatio erinnert. 449 So Fixlein, der, „wie [der Polyhistor] Morhof rät, die einzelnen Hefte von Makulaturbögen, wie sie der Kramladen ausgab, fleißig sammelte und in solchen wie Vergil im Ennius scharrte“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 88f.); wie auch: „Hier steht die Gelehrtenrepublik auf dem Spiel; […] hat der Rat […] – der […] schon in Morhofs Polyhistorie steht – bei euch so wenig verfangen, oder vielmehr habt ihrs gar […] noch nicht gelesen, daß ihr jeden Höker und Pfennig-Mauschel zwingen sollt, euch vorher jedes Schnitzelchen Makulatur auf die Stube zu tragen, eh’ ers zusammenpappt und ausgibt?“ (Komischer Anhang, SW I.3, 865). Die sog „öffentliche Makulatur Bibliothek“ der diversen Überreste bei diversen Einwohnern (853; deren „Bibliographie“ 849-68) werde „Stimulans“ „für den Eintritt in die Schrift- und Gelehrtenkultur“ (M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“,  98). Aber es werde („gerade“ von „gelehrten Zeitungen“) „mehr verbraucht als gebraucht“ (SW I.3, 866). 450 Die „Schreibszene“ exponiert die „Kopplung von asynchronen Instanzen“; in ihr kreuzen „einander […] Thematisierung und Regulation und also Semantik und Technologie“ (Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 278); die „Regulation“ ist hier Fiktion. Sie hat ihr Doppel in der fiktiven der „Vor-Geschichte“. 451 Ein „Funktionswandel, der an eine Entwertung gekoppelt ist […]. Das Bedruckt-Sein tritt zurück, das Papier-Sein tritt in den Vordergrund.“ (Wirth, „(Papier)Müll und Literatur“, 19). Das zeigt Swifts rhetorische Frage nach dem Verbleib der ‚Bücher‘, die keine Nachwelt erreichen, an: „What is then become of these immense Bales of Paper, which must needs have been employed in such Numbers of Books?“ („Dedication to Prince Posterity“, in: ders., A Tale of a Tub, 4th. ed. London 1705, 8f.).

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(und anderem) wie zum Lesen weiterverwendet wird.452 In der (die Fibels doppelnden) „Schreibszene“, die die „Vor-Geschichte“ gibt, führt der fiktive Herausgeber analoge Fontes für jene Papiere an, aus denen Leben Fibels sich der autoreferentiellen Fiktion zufolge herschreibe: „Herings-Papiere“, die als Papier, das solche einwickelte (oder dafür vorgesehen war), (vorgeblich) von den „Studien“ des Fibel in dieser Art „Papiere“ berichten.453 Die ‚Rückverwandlung‘ (der Bücher) in (bloßes) Papier kippt (erneut) ins Lesen/Schreiben, das als Papier aus der Buchordnung Ausfallende wird gelesen, ab- und fortgeschrieben. Das, was das ‚Leben Fibels‘ werden soll, ist derart (wie genauer noch Gegenstand sein wird) wie die Leser, die einmal Schreiber werden sollen, auf den Zufall der Papiere, „Lose ziehen“ angewiesen.454 Wird das Buch Fibels zum einen als ein solches enzyklopädischen Wissens aufgefasst, in dem „alles“ gefunden werde – damit ein „Beispiel“ vorliege, wie „Humanisten“ lesen sollen, „wie überhaupt alle Klassiker, besonders die alten, […] behandelt werden können, daß man in ihnen das findet, was man sucht, nämlich alles“455 – so gibt doch die Fibel mit den Prinzipien ihrer Poiesis und ihrer alphabetischen Organisiertheit zugleich allen möglicherweise mitgeteilten Wissens Ende oder Ausgehen an. Denn die Fibel, dem Leben Fibels „im Anhang“ beigefügt, das diese annotierend als Prätext und Matrix ausgibt,456 taugt als Übungs- und Experimentierfeld dafür, dass sich (zwar) jede Kopulation, so kontingent das Prinzip ihrer Generierung auch sei, wie die vom Buchstaben regierte von Esel und Elle, von Sau und Scepter nach-träglich schwer sinn-voll ausnehmen kann.457 Aber das ist nur die eine Seite, deren andere umgehend zu vermerken ist: Hier kommt es auf den Sinn gar nicht, und nicht einmal auf die Worte, an. 452 In einer zerbrochenen Fensterscheibe findet sich „der sogenannte Abc-Hahn eingeklebt“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 426, vgl. Komischer Anhang, SW I.3, 866). 453 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388ff. 454 Die Kaufleute lassen ihre Kunden „täglich Weisheit und Kunst […] also die größten Lose ziehen“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, („Vor-Geschichte“) 371f.), vgl. weiter im Folgenden. 455 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 490f. Werke, die alles enthalten sollen, entwirft Jean Paul mit den sog. „Pestitzer Realblättern“ (Komischer Anhang des Titan, SW I.3, 837); das Vorbild Encyclopädisches Journal (1774) nennt Kilcher (mathesis und poiesis, 146, (zu Hesperus) 287; Jean Paul, Siebenkäs, SW I.2, 22). Als hypertrophe Enzyklopädistik wurden Jean Pauls Werke abgetan, vgl. Kilcher, 136ff., 144; ders., „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 146, 130; Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, 166, 172, vgl. Kap. III.1, IV.2. 456 In Fußnoten wird auf die Beifügung verwiesen (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 369, vgl. 429). 457 Der ‚Beitext‘, als der das Leben Fibels sich ausgibt, versucht sich in Motivierungen, Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 434, 495ff.

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Der A-Eintrag „Affe“/„Apfel“ – „Der Affe gar possierlich ist,/ zumal wenn er vom Apfel frißt.“458 – berge, heißt es, gar theologische Einsichten459 – zumal die Erzählung einen fiktiven Ursprung und dessen Verschiebungen ausplaudert: dass der Affe, daher „homme postiche“, einen anfänglichen Adam substituierte.

Abb. 3 A-B-C-Seite der Bienrodischen Fibel ‚angeleimt‘ an Jean Paul, Leben Fibels

Er sei „recht gut“ als dessen „gesandtschaftlicher Repräsentant“ „gebrauchbar“, weil er im Unterschied zum ersten Menschen „in einem umgekehrten Anthropomorphismus in so vile Äpfel beißen [dürfe], als er will“.460 Der Affe hat zwar den weiteren Vorteil, dass er „schon von Natur in Fell anständig gekleidet“ geht, während „[d]er nackte Adam, der wohl nach, aber nicht unter dem Apfel-Biß in 458 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 555, s. Abb. 3. 459 Vgl. für viele andere Schmitz-Emans, „Der verlorene Urtext“, 208, 215. 460 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 433f.; „aus meinen Dorf-Papieren“ steuert der Herausgeber die „ganz unbekannte Anekdote“ bei, „daß Fibel auf folgende Weise anfing: Der Adam gar possierlich ist,/ zumal wenn er vom Apfel frißt.“ (433) – dann den „Stammvater und Stammhalter Adam“ durch den „Stief- und Zerr-Menschen, den Affen“ ersetzte (434).

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Pelze zu kleiden war,“ Fibel „nicht als der anständigste Großzeremonienmeister vorkommen [wollte], der nackend sowohl Abc-Bilder als die langen Menschenreihen anführte“.461 Allerdings stellt die umgekehrt anthropomorphisierende Lesart des Affen, der „possierlich“ vom Apfel frisst, und der dies so oft tun mag, „als er will“, hinsichtlich des Falls des zitierten verbotenen Apfelbisses eine moralisch bedenkliche Lizenz aus. Dem in Lesefibeln offenbar gebräuchlichen Apfel-essenden Affen462 wird eine überwältigende und daher zugleich sich dementierende Motiviertheit nachgereicht bzw. in der Nach-Lese zu seinem Prätext und Beiwerk, der anhängenden Fibel, diesem Anfang rückwirkend vorauserzählt. Wer hier „[d]ie Idee einer adamitischen Ursprache, in der das Wesen der Dinge durch das Wort sich aussprach, […] entfernt durch[klingen]“ hören will,463 muss vergessen haben und machen, dass nicht nur der „Affe“ als „Zerr-Bild“ als verdrehter „homme postich“ für das nachstellende, wiederholende Nachahmen,464 Pastiche, als verfehlt-verfehlendes abgewertet, ‚im Anfang‘ antritt,465 sondern dass derart auch die vermeintliche „Ursprache“ 461 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 433. 462 Mit „Der A f f e liebt den A p f e l “ eröffnete Gedikes „Kinderbuch“, so Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 131; ein anfänglicher Affe auch in Christian Felix Weißes Neues ABC-Buch nebst einigen kleinen Uebungen und Unterhaltungen für Kinder (1772), im Bilder=A, B, C, mit einigen Lesübungen, Gedenksprüchen und Gebeten für Kinder (1788) (beide in Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 132f.; letzteres in Offermann (Hg.), ABC- und Buchstabierbücher des 18. Jahrhunderts, o.Sz.) sowie Johan Heinrich Campes Abeze- und Lesebuch (zuerst 1807, Ausg. letzter Hand 1830). 463 So aber Schmitz-Emans, „Der verlorene Urtext“, 208. 464 „Der Mensch wird von vier Dingen nachgemacht, vom Echo, Schatten, Affen und Spiegel.“, so in der „Bonmots=Anthologie meiner Eleven“, im Unterricht, wo „wie es der Zufall gab, witzige Ähnlichkeiten gesucht“ werden (Jean Paul, bearb. von K. Fischer, Bd. 2, 104; Jean Paul, Levana, SW I.5, 844). 465 Vgl. Schmitz-Emans, „Der verlorene Urtext“, 215. Das streichen andere Fibel-eröffnende Affen heraus: Weißes Neues ABC-Buch (1777) hebt ab aufs „blindlings“ Nachahmen, das ihn „lächerlich“ mache, wie das angesprochene Kind, wenn es „den Affen gleich“ sei, Campes Abeze- und Lesebuch auf den Affen als ‚süßer Herr‘ – und wohl auch umgekehrt, wie die Nachtgedanken über das A-B-C-Buch von Spiritus Asper den Affen als ‚Urbild‘ des „Aeffens“ der Menschen, die „auf dem Plagiate [des Affen] ertappt“, „affenähnlich“ heißen (Erstes Bändchen, 48-55), worunter auch die „Posse“ fällt (53; vgl. DW Bd. 13, Sp. 2013f.), die Affe und „possierlich“ zusammenhält (Sp. 2017). Diese Drehung auch in Anspielung der imitatio christi: „wie sonst die Christen und Christinnen Kruzifixe an sich hingen, um das Bild dessen, um dessen Nachahmung sie sich beworben, immer vor sich zu sehen, so haben wir eben die Bilder der Affen, um stets die Typis im Gesichte oder im Spiegel zu behalten, nach dem wir uns ganz gut modeln“ (Jean Paul, Auswahl aus des Teufels Papieren, SW II.2, 404). Der Affe hat auch den falsch, im Buch annotierenden Lesenden vorzustellen, dgg. löse das neben dem Buch Ausschreiben durch Distanznahme (zum Buch) aus der „Logik des Kopierens“ (Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik“, 314ff., 318).

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delegiert wäre an einen in sich gespaltenen Ursprung: Af fe/[Adam], und an die dieser widerstreitende Begründung in Substituier- und Übertragbarkeit. So kompliziert sich dieser Anfang der Fibel in der angestellten Leseübung eines topischen Anfangs, in dem die durch den Apfel und den abwesenden Adam berufene Menschen-Anfangs-Geschichte und die so übliche, wie üblicherweise verworfene Nachstellung (durch den Affen) sich so – pa/ostiche – überlagern, dass er alle Unterstellungen und Befestigungen der Hierarchie von Urbild und ‚Zerrbild‘, Ursprung und Nachfolge, Primarität und Sekundarität so verwirrend wie planvoll über den Haufen geworfen haben wird. – Wie die von Werk und Kommentar, wenn Leben Fibels seine angeleimte Zutat, die Fibel, als vorausgehenden, es als Kommentar erst begründenden Text einsetzt.466 Der ‚Sinn‘ des ersten Fibelblattes, das „ganze[] Wissen“ des Affen ist das „A“, sonst nichts.467 Es ist auch mit „Affen, Bären und ein Camel“468 allenfalls auf die amimetische alphabetische Reihung angelegt: Die alphabetische Ordnung unterläuft, so Roland Barthes, alle Ursprungs-Unterstellungen;469 das Alphabet ist, freisetzend aus den Ansprüchen gegründeter sinnvoller Ordnung, „euphorisch“.470 Trotz (oder gerade wegen?) aller und ernsthaftester Erörterung der Sinn-Produktion aus dem Unsinn der Lettern (mit den vielfach eingefalteten, die Fibel kommentierenden und ihrerseits philologisch kommentierten fiktiven Epi- und Paratexten in Leben Fibels)471 insistiert im Fibel-Text der Buchstabe, wie der ‚Kopulationen‘ haltlose Albernheit zeigt. So 466 Der Anfang im Anhang habe bereits „vorweggenommen“, „was anzufangen möglich ist“, vgl. Kammer, „Zettelkasten und bewegliche Lettern“, 36. Die ersten Worte des Leben Fibels: „Das Zähl-Bret hält der Ziegenbock“ (SW I.6, 369) sind Wiederholung der sog. sieben ‚letzten Worte‘ der Fibel (562), die zuerst vorangestellt sein sollte. 467 „Der Affe sagt zu allem Ja,/ Sein ganzes Wissen ist das A“, so mit eigentümlich witziger Selbstreferentialität – der Fibel (eher als des Affen) Stralsunder Bilder=A, B, C (1788, o.Sz.; in Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 132f.; Offermann (Hg.) ABC- und Buchstabierbücher des 18. Jahrhunderts, o.Sz.). 468 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 433; vgl. 555, s.o. Abb. 3. 469 Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, 151. 470 „L’alphabet est euphorique: fini l’angoisse du ‚plan‘, l’emphase du ‚développement‘, les logiques tordues, […], et pour la suite de ces atomes, rien que l’ordre millénaire et fou des lettres françaises (qui sont elles-mêmes des objets insensés – privés de sens).“ (Barthes, Roland Barthes par Roland Barthes, 150). 471 Zu verschiedenen Typen vgl. Genette, Paratexte, (Epitexte) 12ff. Eingefaltet sind Rezensionen der Fibel, u.a. die „gelehrten Angriffe“ aus „Oberdeutsche Literaturzeitung, No. 0000001 Pädagogik Abcdefgh u.s.w. (von Herrn Gotthelf Fibel)“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 502f.), die I.  P. gezeichnet, den Autornamen (mit dem Paratext) ins ‚Innere‘ falten. Erörtert werden Für und Wider des sog. „Literaturstreits“ (506, 502, 510ff.), kommentiert sexuelle, politische, antisemitische Implikationen, Anstand und Schicklichkeit der Kombinationen der Fibel’schen Alphabet-Verse und der Bilder zu jedem Buchstaben (504-09).

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kann sich die Zufälligkeit der (bloß) dem Gesetz des Buchstabens folgenden Zusammen-Fügung in Reimen niederschlagen wie: „Die Sau im Koth sich wälzet sehr./  Das Scepter bringet Ruhm und Ehr.“ Das hat was Euphorisches! Von der Findung der Verse erzählt Leben Fibels und führt – als Fibel-Kommentar und philologischer Beitext zur anhängenden Fibel – der „ungleichartige[n] Zusammenstellung des 18.ten Gesangs“ des Fibel’schen ‚Werks‘ eine Motiviertheit „aus einer fürstlichen Saujagd-Partie“ oder (mit dem Biographen Pelz) aus dem Kartenspiel zu472 (– das Jean Paul am Rande der Vorschule der Ästhetik als generative Matrix des Erfindens anführt, das dieses dem Zufall aussetzt).473 Wo alles ‚sinnvoll‘ sein kann, ist kein Sinn gegründet, nichtig oder Spracheffekt, ist jeder Sinn zu viel, indefinit unbegrenzt gegenüber allem und nichts; dem entspricht die nicht-auflösbare, die überbordende Fülle der eingelassenen fiktiven Randtexte und deren und der Fibel fiktiven Kommentare, die mise en abyme aller möglicher auch zukünftiger philologischen Kommentare und Lektüren. Die Kopulationen durch den Reim wie die promiscuen des Wortwitzes (des Reimes „ältere[r] Bruder“), die vom Zufall der Sprache zugetragen werden,474 stabilisieren sich in keinem Ertrag, sondern geben sich temporär an die Vorgänge und die Materialien preis. Das gilt auch für die wenig blitzhaft ingeniösen, vielleicht nicht mal witzigen reimenden Fügungen der FibelEinträge, zumal nicht nur ihnen, sondern auch für sie jene Metaphorik einfällt, durch die (nicht nur) Jean Paul den Witz bestimmte. Einem der fiktiven Rezensenten fällt „bei der Xantippe das Hochzeitskarmen oder der Trauschein zweier Tiere auf, welche ohnehin in keiner Kryptogamie leben, sondern von welchen die eine eheliche Hälfte die andere in die Welt gesetzt, den sogenannten Sündenbock der Juden“.475 Das Sinistre wie Alberne des (wie) von selbst sich Assozierenden nimmt sich in Perspektive des Sinns, etwa mit Lipps, als bloße „Nichtigkeit“ der den buchstäblichen Fügungen geschuldeten Verbindungen und Schlüsse aus476 (in der Sekundärliteratur wird das gern auf

472 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 434 u. 495ff.; das Lexikon sorgt für „Wörter-Zuflug“, fast rettungslose Fülle der „S- oder Es-Tiere“: „Er wurde mit S gleichsam überregnet“ (434); der „Roman Leben Fibels [wird] zur Vor-Geschichte des im Anhang abgedruckten ABCBuchs“ (Wirth, „Vor der Lexikographie“, 129). 473 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f., vgl. 193f., Kap. I.5, III.1. 474 Vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191; zum Reim als Paronomasie vgl. Fried, „Rhyme puns“. 475 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 508f., mit Bezug auf die Z-Verse: „Die Ziege Käse giebt zwey Schock,/ Das Zählbrett hält der Ziegenbock“ (562); ein weiterer Hinweis wäre das (für C) den Hochzeitsgast zierende „Cränzlein“ (555). 476 Lipps, Komik und Humor, 95f.; vgl. Kap. I.1, u. 2.

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den satirischen Charakter verbucht).477 Nachträglich lesend ist aber ein „Vergnügen am ehemaligen Lernbuch“ zu gewinnen,478 indem lesend Albernheit Platz greifen, die Sprache sich kalauernd oder auch rumpelnd vom Sinn lösen darf. Leben Fibels stellt ein Experiment „mit der Wissens- und Schreibform des Alphabets“ vor,479 indem es die Fibel als ein solches zu lesen gibt. Wird zum einen das ‚enzyklopädische Wissen‘, das vermeintlich der Fibel zu entnehmen ist, aus den Kontingenzen des Zufallens aus der (ohne Titelblätter und Autornamen) un-anordbaren, un-adressierbaren ‚Bibliothek‘ der „Makulatur“,480 zufallenden Papieren ohne auktoriale Versicherung des Mitgeteilten gewonnen,481 so erklärt zum andern die Verfasstheit der Fibel alles dieser vielleicht zu entnehmende Wissen, allen dieser abzugewinnenden Sinn für ‚nichtig‘. Denn dieser ist nicht nur – wie im Wortwitz – Effekt bloß der grundlosen Fügung bloßer Buchstäblichkeit, gemäß der kontingenten Ordnungen von Alphabet und Reim, 477 Die Sek.Lit. verrechnet gerne Satire ans Frühwerk. In Leben Fibels nehme die Satire erneut überhand oder aber dies sei Jean Pauls letzte oder Spät-Idylle (Nachweise bei Espagne, „Die Blaue Blume im Ton-Töpfchen“, 31f.; zur Idylle vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 257-60, vgl. 258f., HKA I.11, 241; zu Leben Fibels SW I.5, 259; zu Quintus Fixlein und Schulmeisterlein Wutz, 254f.) zur Diskussion mit den Begriffen der Groteske vgl. Espagne, 35; der scheiternden Idylle oder der Selbstparodie der Idylle (37-42, 45); „verspätete Idylle“ und „Selbstparodie“, vgl. Fürnkäs, „Aufklärung und Alphabetisierung“, 63f.; „als Parodie“ des enzyklopädischen „Vorhaben[s]“, vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 284; oder als „Auseinandersetzung mit allen Arten und Ausartungen der Romantik“ auch antiromantische Satire, vgl. Espagne, 42-45, oder Parodie, vgl. Chamberlain, „Alphabet und Erzählung in der ‚Clavis Fichtiana‘ und im ‚Leben Fibels‘“, 85, 88-91. Zum satirischen oder affirmativen Idyllenmodell vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 138. Das Ende von Leben Fibels stelle die „Wiederholung der Kindheitsidylle“ als „Wiederkäuen“ vor (Espagne, 44; vgl. M.  Wieland, Vexierzüge, 200-04); im Pedanten ermöglichen Jean Pauls Texte die „Wiederkehr der Kindheiten“ bzw. den „Genuß“ „der erinnerten Kindheit“; die ‚Idylle‘ des Pedanten: „das Kindische“ informiert den „Text des Autors“ (Campe, 152ff., 158, 145ff.; vgl. Kilcher, 121; Leben Fibels, SW I.6, 429). Dembeck zufolge kann, was als ‚Gelehrtensatire‘ verbucht wird, „als Texttheorie“, als „Reflexion auf das Medium Text“ gelesen werden („Text ohne Noten?“, 150ff, 152f., 159; ders., Texte rahmen, 341ff., 361-64). Zur ‚Doppelstruktur‘ der Texte Jean Pauls: von Satire und Empfindsamkeit oder Idylle, vgl. 343 (mit Literaturlage), 328-45, 335, 340ff., 383, als doppelte Lesart der Texte Jean Pauls (Dembeck, Schmidt-Hannisa, M. Wieland u.a. vgl. Kap. IV.2). 478 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 147. 479 Solche stellen Jean Pauls Texte in „zahlreiche[n] Variationen“ an, Kilcher, mathesis und poiesis, 287; hinzuweisen ist auf das sog. „goldene ABC“ und Hippels Roman „Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z“ (1793f.) (vgl. Kilcher, 117f.). 480 Jean Paul, Komischer Anhang, SW I.3, 865f., 849-68. 481 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388f.; vgl. M.  Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 98; Wirth, „(Papier-)Müll und Literatur“, 19ff.; die Bücher sieht auch Lichtenberg als potentielle Makulatur (Neumann, Ideenparadiese, 195).

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sondern in der Fibel behauptet sich der isolierte Buchstabe,482 setzt sich gegen das Wort wie auch das darstellende Bild483 durch (wie umgekehrt gereimter Spruch und Bild den Zugang zum Buchstaben, der hier gelernt werden soll, verstellen könnten). Alles, was derart an Wissen eingehe und einzusammeln wäre, alles was derart an Bezügen zu lesen ist, wird von der Fibel, damit sie ihre Funktion erfüllt, an die sinnfremden Elemente: A, G, S, Z, die gelernt werden sollen, und damit an die Zerlegbarkeit der Worte und die Verstellbarkeit ihrer Elemente, die alles Lesbare ermöglichen, zurückverwiesen – und derart gesperrt. Daher ist die Fibel, so sehr sie als Enzyklopädie mag genutzt werden können, kein Fall alphabetisierten Wissens nach dem Muster der alphabetisch geordneten Enzyklopädie.484 Vielmehr wird die Fibel, die Lesen und Schreiben als buchstäbliches Kombinieren und Permutieren der Elemente vorstellt,485 wenn sie lehren können soll, was mit ihr ‚gelernt‘ werden soll, jeden Gehalt wie jedes Wort an deren Zerlegbarkeit und derart, diese durchquerend und/oder vernachlässigend, an ihre sinnlosen Elemente zurückverweisen, die lesend/

482 Während Comenius’ Orbis pictus zugleich „muttersprachliche Fibel, ‚enzyclopaediola‘ und Lateinlehrbuch“ abgab (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 145), heißt in Jean Pauls Kampaner Tal „einer der größten pädagogischen Irrwege […], daß Erzieher bei Kindern zwei, drei Ziele auf einmal zu erreichen denken. Die Kinder sollen aus dem Speccius von Esmarch zugleich Latein und Realien schöpfen […]; man vergisset aber, daß sogar der Erwachsene nicht in derselben Minute wie das Chamäleon, das mit einem Auge vor, mit dem andern hinter sich blickt, zugleich auf den Stil hinter sich und auf die Wahrheiten vor sich lernend merken kann“ (SW I.4, 649). „Religionsbücher zu Lesemaschinen“ zu machen (wie es üblich war, Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 111, 120f., 130), schadet (SW I.4, 649), weil gemäß der Neukonzeption des Lesens um 1800 Aufmerksamkeit für Buchstaben und das Verstehen des ‚Geistes‘ einander widerstreiten (vgl. F. Kittler, Aufschreibesysteme, 25f.). 483 Das neue pädagogische Modell um 1800, die pädagogische, der ästhetischen verwandte Ideologie „eines dem Kind gemäßen Lernens“ setzt auf das Bild, da auf die „selbstevidente[] Ordnung im zu erlernenden Wissen“ (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 145; vgl. F. Kittler, Aufschreibesysteme, 26, 33-59), das durch Buchstaben durchkreuzt würde. Dagegen glaubte Kant wohl nicht an die Anschaulichkeit von Fibeln oder Bibeln; ihm fallen „die Bilderfibel, wie die Bilderbibel“ hinsichtlich der Bilder in eins: als „optischer Kasten eines kindischen Lehrers, um seine Lehrlinge noch kindischer zu machen als sie waren“ (Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, WW XII, 488). 484 Vgl. Wiethölter u.a., „Zum Doppelleben der Enzyklopädik“, 25; daher ist die Fibel nicht deren „Inbegriff“ (so aber Kilcher, mathesis und poiesis, 390). Wirth zufolge geht es hier um das, „was alles ‚vor‘ der Lexikographie liegt“ („Vor der Lexikographie“, 133, vgl. 2., 3. in der Liste, 134). 485 „Kombinatorik markiert die Dominanz eines Sprachwissens, einer […] linguistischen Kompetenz, über das Weltwissen, das es erst möglich macht“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 390, vgl. 391).

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schreibend kombiniert werden,486 vor allem an jenen Buchstaben zurückstellen, unter dem es jeweils sich finden mag: „A“ – sonst nichts – ist es, was durch „Affe“ wie „Apfel“ oder Adam bezeichnet wird; dieser eigentliche ‚Sinn‘ der Fibel ist, aus den Worten den Buchstaben (auch) wieder auszufällen, damit er gelernt worden sein wird: A.487 Mit dem „Abcschützen“, ich erinnere daran, weist Jean Paul die verfehlte Aufmerksamkeit für den Buchstaben aus: „– der nach Buchstaben zielt – findet seine Buchstabenrechnung dabei, entweder wenn er sie aufjagt, oder wenn er sie erlegt.“488 Pejorativer: „[n]och erbärmlicher fährt der Leser“ bei „d[er] poetische[n] Musaik[, die] wie ein Setzer lieber zu Buchstaben greift anstatt zu Worten“.489 „Abcschützen“ wie Setzer betrachten Wörter in Hinsicht von Buchstaben-Kombinationen und daher ihrer Zerfällung in diskrete asignifikative Elemente.490 Wenn Jean Paul zufolge deren „zweite Art“, die „positiven Abcdarier“ „durch die Anfangsbuchstaben jeder Verszeile, welche herabwärts gelesen, ein Wort vorstellen“, „einen besonderen Genuß zu gewähren“ suchen,491 so ist das „Genuß“ am Akrostichon, 486 „Buchstaben von Elfenbein räth Quintilian zum abc – […] ein Neuer eine Lotterie, ein Buchstabendamenbret.“ (Jean Paul, Exzerpt L.Z. 92 22-1791-79, in „Schreiben Abzeichnen Eingraben. Aus den unveröffentlichten Exzerptheften“ (mitget. von Will), 11) Mit ihnen operiert Lesen als Einübung in rekombinierendem Schreiben. Buchstaben-Karten oder -Würfel fungieren (gerade im Barock) als Hilfsmittel zum Ana-Grammieren (s. Kap. I.5 u. IV.1). 487 „Über jedem einzelnen Reim stehen dessen zwei Wortrepräsentanten nebst dem betreffenden Groß= und Kleinbuchstaben./ So über dem A-Reim:/ ‚A a Affe. A a Apffel‘/“ – wird die Bienrodische Fibel beschrieben (Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 219), s.o. Abb.  3; witzig ist der X-Fall, wo neben „X x Xantippe“ 10-mal X (für hundert) einfiel (SW I.6, 562). 488 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, §2, 461; die „ABC-Schützen-Gesellschaft“ in Leben Fibels, SW I.6, 429; in den Nachtgedanken über das A-B-C-Buch von Spiritus Asper wollen sich „A-B-C-Schützen keine Fingerzeige, geschweige denn Pfeilschüsse gefallen lassen“ (Erstes Bändchen, 20). Gezielt wird aufs Lipogramm, das sich der Regel unterstellt, ohne einen bestimmten Buchstaben z.B. das R auszukommen (vgl. SW I.4, 528f.; s. Kap. I.5 u. 6). Leben Fibels führt den „Epiker[] Tryphiorus“ an, „welcher eine Odyssee zwar auch in 24 Büchern machte und jedes Buch nach einem der 24 Buchstaben nannte, aber gerade diesen Nenn-Buchstaben darin aus literarischer Seiltänzerei nie gebraucht, z.B. im ersten kein A, im zweiten kein B, – von diesem unterscheidet sich unser Epiker Fibel so sehr zu seinem Vorteil, daß er gerade in jedem Gesang den Buchstaben, wornach er ihn nannte, […] zweimal nicht nur anbrachte, sondern Gott weiß wie oft“ (Pelzens Lobrede, SW I.6, 490). 489 Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461; s.o. Kap. I.5, zur „Musaik“ der Texte, vgl. Kap. IV.2. 490 Im Zugriff auf ein Set von Zeichen operieren Setzer, paradigmatisch für die Kombinatorik beweglicher Elemente, in Hinsicht auf die Spatialität der Seite (vgl. Krajewski, ZettelWirtschaft, 22ff.). 491 „[Z].B. den hohen Namen irgendeines Gönners. Möge dieser einen solchen abcdarischen Psalmisten belohnen! Ich geb’ ihm keinen Pfennig für sein Abc der Anschauung

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einer Spielart anagrammatischen Lesens, das die Anfangs-Buchstaben aus dem Wortzusammenhang löst und sie in einer anderen Richtung unterbrechend temporär zusammenliest. Nach einer langen Geschichte als wür­ diges poetisches, ja religiöses Modell wird es hier als das der Fibel erkennbar, die – über die Seiten hinweg – ein Alphabet-Akrostichon erstellt492 bzw. blätternd zu lesen aufgibt. „Das Alphabet schneidet buchstäblich durch die Silbe, den angeblichen Träger grundlegenden Sinns, und produziert sinnlose Bestandteile“,493 – darauf muss es jede Fibel anlegen. Auch Jean Pauls Leben Fibels fällt, da es „Abcbilder als bouts rimes zu Einer[!] Geschichte“ nahm,494 unter eine der dem Akrostichon vergleichbaren von Jean Paul inkriminierten Formen „enthüllte[r] Willkür“,495 die nach Regeln über einer Vorgabe von Worten operiert, die umgekehrt im Text als dessen Matrix und Intext lesbar bleiben.496

unerquicklicher Mühen.“ (Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 462); das ist Inbegriff der „unerquicklichen“ dem Buchstaben gewidmeten ‚barocken‘ Spiele. 492 Die ABC-Verse der Bienrodischen Fibel sind Exempel des Alphabet-Akrostichons, dessen „köstliche[n] Unsinn“ Jean Paul „zum ‚Leben Fibels‘ entzündet“, so Liede (Dichtung als Spiel, Bd. 2, 82, vgl. 83-90). „Der Abecedarius ist ein Akrostichon, das kein Wort, keinen Satz, sondern das Alphabet ergibt; vielleicht ist er die ursprünglichste Form des Akrostichons. Dafür sprechen das Alter, die weite Verbreitung und vor allem die Aufgabe dieses Spiels. Denn es erfüllt vorab einen mnemotechnischen Zweck: es erleichtert das Erlernen und im Gedächtnis-Behalten von Sentenzen, Zitaten usw.“ (82; zum Akrostichon 75ff.; vgl. Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, 146-51, u.ö.; Harsdörffers FrauenzimmerGesprächsspiele, 1. Teil, Nachdr. 159; vgl. Ernst, „Litteratura Lusoria“, 181 (mit weiterer Lit.); Palmer, Art. „Abecedarium“, 1f.; Lachmann, „Ein Neo-Abecedarius“, 25-34). Ein unvollständiges mit Verstolperung findet sich in Tristram Shandy, VIII, xiii. Eingeschrieben ist das Alphabet etwa dem hebräischen 119. Psalm (Komm. zu Jean Paul, SW I.6, 1271), in dem das Alphabet unterstrichen wird (vgl. Scholem, „Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala“, 24; weitere Beispiele Dornseiff, 147); dessen Übers. Luther 1529 als ein „geystlich göttlich spiel […], das man teglich ueben solt“, anpries (vgl. Kilcher, mathesis und poesis, 118). 493 Chaouli, „Die ‚Verwandtschaftstafeln der Buchstaben‘“, 115. 494 So (und in dieser Schreibweise) Berend, „Einleitung“ zu HKA I.13, XCIII; für die boutrimés vgl. Greber, Textile Texte, 477ff., insg. 373-542; Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 176, s. Kap. I.2 u. 5. 495 Vgl. Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461. Vergleichbar ist u.a. die Vorgabe von Verzeichnissen von Naturalienkabinetten, denen Jean Paul die Kapiteltitel der Flegeljahre entnahm (vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen“, 128). 496 Im handschriftlichen Material Jean Pauls finden sich verschiedene Modi, das ABC als Matrix zu nutzen oder „auf einer neuen Seite“ „mit dem ABC neue Texte mit eigener Ordnung zu konstruieren“ (Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 92). Gebildet werden etwa Reihen aus dem jeweiligen Buchstaben, mit denen man „das Gegenteil der Auszüge von Auszügen vor sich [habe]: Sie demonstrieren, wie aus kleinsten Einheiten – den

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Die Struktur der Fibel trägt die (im Aufschreibesystem 1800) verstellte buchstäbliche Schriftlichkeit vor,497 und trägt bei zu einer Auseinandersetzung von Modi des Lesens. Die Bienrodische Fibel wird nicht nur von Jean Pauls Leben Fibels ausgeschrieben, dem sie angehängt ist, sondern sie hat auch einen Platz in der Geschichte „des ersten Leseunterrichts“, etwa der Ludwig Friedrich Göbelbeckers, der weiß, dass „gewöhnlich Rektor Klamer Heinrich Bienrod in Wernigerode, geboren zu Anfang des 18. Jahrhunderts“ als Urheber genannt wird: „Mit Unrecht“, wie Jean Paul (so Göbelbecker) „dies in seiner barocken Erzählung ‚Leben Fibels, des Verfassers der Bienrodischen Fibel. Von Jean Paul‘ (1812) humoristisch zu beweisen“ suchte.498 Ihr historischer Ort wird mit der, mit dem Buchdruck verbundenen, „Buchstabirmethode“ angegeben, gegen die mit der Alphabetisierung im Verlauf des 18. Jahrhunderts die „Lautirmethode“ durchgesetzt wurde.499 Ihr „Knittelvers vom possierlichen Affen“ wurde gar zur exemplarischen „Verhöhnung der Buchstabiermethode“ von Johann Ferdinand Schlez zitiert, der (so Göbelbecker) „konsequenteste Vertreter der Bedeutungslautmethode und erste Phonomimiker“.500 Für die Buchstabiermethode tritt in Leben Fibels der Hahn an, der in der Bienrodischen Fibel zwar nicht das H vorstellt, aber als der sog. „Abchahn“ im „Wappenschild“ der Fibel501 noch die Träume Fibels heimsucht: Einheiten des Alphabets – durch eine spezifische Form des Ausschreibens geradezu kleine Erzählungen“ hervorgehen (93ff., mit Nachlass Fasz. XIV/06, Bl. 46v). 497 Zu Alphabetisierung, Vielleser_innen und Aufschreibesystem 1800 vgl. F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 131ff., 151f. 498 Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 219. 499 Vgl. Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 17ff. Zum „Lesenlernen um 1800“ vgl. F. Kittler, Aufschreibesysteme, 33-59, das statt Buchstaben sinnvolle Einheiten wahrnehmen soll. Das werde durch die Rückbindung des Sprechens an den Mutter-Mund geleistet. Lesepädagogisch steht dafür das neue Lautieren der Buchstaben. 500 Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 218. In lustiger Analogie zu Jean Pauls „Vor-Geschichte“ kommt Göbelbecker zu diesem Buch, das wie „kein zweites“ ihn „so sehr überrascht, […] so innig gebannt [habe], wie die köstliche ›B i l d e r - F i b e l ‹ von S c h l e z “, gleichfalls durch einen zufälligen Auf-Fund: „Abseits der breiten Heerstraße entdeckte ich sie durch Zufall Mitte Mai des Jahres 1932. Nie hatte ich zuvor sie gesehen, nirgends ein Lob über sie gelesen“ (ebd., zu Schlez 208-219). 501 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 502, 375. Ein neuer Fibeltyp, der sich in der zweiten Hälfte des 16. Jh. durchsetzte, trug auf der letzten Seite immer einen Hahn: die sog. Hahnenfibel, von der sich Jean Paul brieflich ein Exemplar erbat (HKA III.5, 135). „Der Ursprung dieses viel umforschten Hahns bleibt weiter im Dunkeln, auch wenn die Ansicht überwiegt, dass er vermutlich erstmals um 1570 bis 1575 auftrat beim Erscheinen einer Fibel in Frankfurt/ Oder. Diese Stadt enthält in ihrem Wappen einen Hahn“ (Teistler, „Fibeln als Dokumente für die Entwicklung der Alphabetisierung“, 115f.; zum „Gestrüpp verschiedener Hahnentheorien und -interpretationen“ vgl. 116, Beispiele des lehrenden Hahns, 117).

Buchstaben und Abschnitzel

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[Fibel hatte] das Hahnen-Deutsch in Menschen-Deutsch zu übersetzen, bis er endlich herausbrachte, es klinge ha, ha. Es sollte damit weniger – sah er schon im Schlafe ein – der Name des Hahns ausgesprochen (das n fehlte), noch weniger ein Lachen oder gar jener Verwunderungs-Ausbruch […] angedeutet werden, sondern als bloßes ha des Alphabets, welches h freilich der Hahn ebensogut he betiteln konnte, wie b be, oder hu, wie q ku, oder hau, wie v vau, oder ih, wie x ix.502

Derart ist die Nennung des Buchstabens bei seinem Namen, die der als veraltet bereits abgetane Buchstabiermethode angehört, den Buchstaben als solchen und an ihm festhält,503 in Szene gesetzt. Dagegen will das um 1800 dominierende Lesekonzept mit dem Lautieren nicht nur auf die Übersetzung der un-sinnigen Elemente, der Buchstaben, in den Lautwert hinaus, sondern auf deren ‚natürliche‘ Auflösung, ihr Schonübersprungensein in die sinnvolle Einheit, ihre Überführung in den Sinn.504 Fibels Fibel aber bindet das Lesen an die Buchstaben – ans Geschriebene und Wiedergeschriebene.505 Wenn das von dieser angewiesene Lernen die 502 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 426. 503 Vgl. Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 17ff., 209ff.; Stephani gibt die Buchstabiermethode als „Auswendiglernen von bloßen Wörtern, den Buchstabennamen“ „der Lächerlichkeit preis“ (F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 37f.). Leben Fibels unterstreicht die Benamungsfunktion, da man die Fibel „das Abecedeeefgehaikaelemenopequeresesthetheuvauweixypsilonzet-Buch nennen“ könne (SW I.6, 427, vgl. 500). 504 Zur Etablierung der „Lautirmethode“ vgl. Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts von 1477 bis 1932, 17ff., 30f., 34f., 39, vgl. 44, 63, zu Basedow, Pestalozzi 35f., 40-58, 67-71, 76ff., zu Stephani  169-75, zu Schlez 209ff. „Am Anfang steht der Lautwert der Buchstaben“ (vgl. F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 53), in dem die Buchstaben und ihre Schriftlichkeit schon hintergangen wären, insofern er bereits anfänglich als sinnerfüllter ausgegeben wird; dies geschieht durch die Rückbindung der Sprache an den Mund der Mutter, als phantasmatischer Ursprung des Zusammenhangs von Laut und Sinn (31, 33-37, 44, 53-59, 63). Lesepädagogisch steht dafür das Lautieren der Buchstaben (zu „Stephanis Lautiermethode“ 37-41, 54f., 59ff., 89f.), die gegen die asemantischen Elemente der Buchstabenschrift auf die verlautende Silbe als minimale Sinn-Einheit setzt. Auch Göbelbeckers eigener ‚phono-mimischer‘ Unterricht bemühte sich, „den an sich sinnlosen Einzellaut, der – aus dem Sprachfluß herausgenommen – dem Kind nichts bedeutet, mit Sinn auszustatten“ (Boyer, „Göbelbecker: 40 Jahre Fibelautor der Reformpädagogik“, 277-81, zu Göbelbecker nach 1933 vgl. 290, 300f.). 505 Das wird mit: „voll aller matres et patres lectionis“ solle Fibels Buch werden, unterstrichen (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 427); matres lectionis sind Hilfszeichen der hebräischen Schrift, die den Konsonanten-Zeichen beigegeben wurden (Punkte und Akzente im 6.-8. Jh.), um fürs Lesen die Vokale anzugeben. Diese Funktion haben Alef und He, Waw, Jod, die das Tetragramm des unaussprechlichen Namens bilden (Scholem, „Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala“, 43).

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„selbst=lau=ten=den Buch=sta=ben“ und die „stum=men Buch=sta=ben“ zwar zu sprechbaren Silben zusammenfasst, so aber zu den unsinnigen Kombinationen der Lesetabelle: „Ba, be, bi, bo, bu“ usw.506 Das folgt der Technik „uralter Kombinationsspiele“, die, wie Friedrich Kittler pointiert, ‚Unsinn auswirft‘; daher lautete die neue Vorschrift: „‚Zum Syllabiren wähle man nicht das Gedankenlose ab, eb, ib […] sondern einsilbige Wörter, mit denen sich ein Begriff verbinden läßt: Bad, Brett, Hof, Teig […]‘. Es geht also um Beseitigung des Gedankenlosen, das im Materiellen und Kombinatorischen aller Schrift stets möglich und drohend ist.“507 Verworfen wird Fibels Fibel nicht nur wegen der Buchstabiermethode, die ihn „– mit dem Gefolge seiner unzähligen Abcschützen hinter sich – ins Ab – Eb – Ib –“,508 ins ‚Gedankenlose‘ der Signifikanten führt.509 Die Einschätzung, es sei „kein Wunder daher, daß ein solcher Mann und Buchstabierer späterhin so bittere Feinde fand“, trägt ihm darüber hinaus der zerlegende typographische Strich-Einsatz ein: Er tat auf dem Papier keinen Schritt, ohne von einer Silbe zur andern auf zwei übereinanderliegenden Teilungs-Strichen (z.B.  Stri-che)1 wie auf einer Brücke überzugehen; aber auf die Weise eben schloß er sich an das lange Narren- und Weisen-Seil der Erfinder an, nämlich als der Erfinder der – Gedankenstriche.510

506 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 549f. 507 F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 52. „Gesucht sind […] Signifikate, die schon bei kleinstzahligen Lautverbindungen wirken“ (52, vgl. 38); Stephanis Silbenliste, die übend im MaMa „mündet“ (56), stellt für den ‚natürlichen‘ Übergang zwischen Lauten und Sinn mit der Rückbindung an den Mutter-Mund die „Kulturisation um 1800“ vor (56-60, 63 u.ö.); zur Grenze „jenseits derer das große Reich des Unsinns beginnt“, deren Überschreitung ‚untersagt‘ war, vgl. 48ff. 508 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430: „daß ein Heinicke seiner Buchstabier-Methode so viel Unheil zuschrieb als Malthus der Überbevölkerung“. 509 Wo es um den Signifikanten geht, ist ihr Gehalt vergessen (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 151; vgl. F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 25ff.). Die pädagogische, der ästhetischen verwandte, Ideologie einer „selbstevidenten Ordnung im zu erlernenden Wissen“ (Campe, 145), wird durchkreuzt, indem die „immanente Bedeutungssprache des Textes von ihrem Geschriebensein Kenntnis n[immt]“ (147). 510 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430 (es heißt tatsächlich „z.B. Stri-che“). Unterbrechend wird hier an die Fn. verwiesen, die „Siehe Anhang“ weiterverweist; wie die auf der vorangehenden Seite: „Ich verweise auf das Werk selber, das als die erste literarische Amme wohl in keiner Bibliothek fehlen sollte. […] Ich hab’ es daher diesem Buche beigedruckt; und beziehe mich stets darauf.“ (429). Was der Text behauptet, trifft aber nur für 551-54 zu, nicht für die den Buchstaben zugedachten Einträge 555-62.

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Mit dieser kontrafaktischen Geschichte des Gedankenstrichs511 akzentuiert Jean Paul die Typo-Graphie der Zerlegbarkeit der Worte nicht nur in Silben, sondern in Buchstaben, die durch die „zwei übereinanderliegenden TeilungsStriche“ oder „– Gedankenstriche“ (als Striche) das Schreiben (vor allen Buchstaben) schreiben.512 Mit den Gedankenstrichen, die wie (oder als) Auslassungszeichen gleichsam als „Zitat des Spatiums“ Abstände schaffen und deren Platz halten,513 eine genuin schriftliche Funktion für die buchstäbliche Schrift haben, die Jean Paul als Brücke und Aufhalt der Trennung, AusStreichung (auch des „leeren Raums“) und Operator kennzeichnete,514 wird eine Auto-Poetik des schriftlichen Textes vorgetragen: der „asyndetischen Leistung“ der Schrift (für die Sprache),515 die als Trennung in der Fügung, die in Hinsicht der Substituier- und Verstellbarkeit durch Abstände und Zwischenräume, die den Text in seiner Spatialität artikulieren,516 auf dem Papier, auf das der Strich referiert und das er einnimmt,517 in Szene gesetzt ist. Die schriftlichen Operatoren organisieren und führen die spatiale Anordnung auf, stellen eine Szene der Schrift.518 Sie beziehen den Text auf den „Raum auf dem Papier“, den sie (markierend) „leeren“.519 Fibel, heißt es, „konnte ebensolcher Buchstaben über der Linie2 nicht satt werden, welche in der feinsten Ordnung in Reih und Glied, nämlich alphabetisch dastand“:520 „unter der Linie schrieb er nur die angewandte Buchstaben-Mathesis, oben die reine“,521 die nicht (in Worten und Sätzen) 511 Eine weitere Variante in „Über die Schriftstellerei. Ein Opusculum posthumum“ (in Grönländische Prozesse, 1783/4 anonym erschienen, SW II.1, 424); dazu und zur ‚Geschichte‘ des Gedankenstrichs vgl. Kap. IV.2. 512 Gegeben wird „eine ‚Schreibszene‘, die ganz unter dem Vorzeichen der Graphie steht“ (Wirth, „Vor der Lexikographie“, 133). 513 Catach, „Rétour aux sources“, 36; Siegert, […] Auslassungspunkte, 9; s. Kap. IV.1 u. 2. 514 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424, s. Kap. IV.2. 515 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 281. 516 Für den Zusammenhang von Kombinatorik mit des Textes spatialer Anordnung vgl. Meier, „Konkretisierung und Symbolisierung des Textes im Bild“. Für das nicht lineare, als Stellenzugriff organisierte Lesen vgl. Parkes, Pause and Effect; ders., „The Influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio and the Development of the Book“, u.a. 517 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 518 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 281. 519 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 520 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 429; „2“ ist Verweismarke der Fußnote, die auf die angehängte Fibel verweist. 521 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 393. „Den Genuß des reinen Alphabets oder der ersten Seite tischte er sich und anderen oben über der Druckerlinie auf jeder späteren Seite immer wieder auf.1“ (429); aber das gilt in der angehängten Fibel, auf die die Fußnote verweist, nur für die Seiten, auf denen sich u.a. die „geistlichsten Sachen“ finden (550-54).

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vom Sinn regierte, die alphabetisch kontingente Reihung. So erhält die Matrix der Hervorbringungen auf der Buchseite eine eigene Existenz, in der sie abgesetzt sich gegenüber den Operationen wie den semantischen Lesbarkeiten behauptet. Umgekehrt wird unter dem Primat der „Buchstaben über der Linie“ „welche […] alphabetisch dastanden, noch nicht in einzelne Wörter versprengt und verrückt“,522 jedes Wort, jede sinntragende Einheit (und damit aller Sinn) als deren, der „reine[n]“ „Buchstaben-Mathesis“ Erzeugnis, als „angewandte“ zu deren Versprengung und Verrückung. Was er schreibend „setzete“, und seien es „die geistlichsten Sachen“, das setzte er „zum Buchstabieren in Bewegung“,523 versetzt er, um ein Wort und derart allenfalls eine semantische Einheit (erst) zu erzeugen; jede ist an die Versetz- und Iterierbarkeit der sprachlichen Zeichen in ihrem Geschriebensein zurückgebunden. Mit der Fibel wird die an die buchstäbliche Zerlegtheit, die Zerstückelung der Sprache524 in ihre durch Verstellbarkeit gekennzeichneten ‚Elemente‘ verwiesene Poiesis erkundet, wie sie, so Jean Paul, der „atomistisch[e]“ Witz als „Anagramm“ „ohne wahre Verbindung“ treibt.525 Die als Prae-Text allen Schreibens und Lesens ausgespielte Fibel stellt das Paradigma der Texte, die Anagrammatik von Lesbarkeiten vor – und sei es zum „Spaß“.526 Zum aus bloßer Arbitrarität des Alphabets ‚am Anfang‘ stehenden Affe kann man als Pendant den, einer barocken Fiktion zufolge, „wahllos Lettern ‚aufs Papier […] schmeißen[den]‘“ Affen erinnern,527 der das 522 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 429. 523 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 431. Umgekehrt sagte ein „Spanier“, wie Jean Paul exzerpierte, „stat eines Gebets das abc her: ‚Lieber Got, hier sind alle Buchstaben, seze daraus Wörter zusammen, und mache aus dies. dir selbst ein Gebet, wie du es haben willst.‘“ (I-1782-10, in „Schreiben Abzeichnen Eingraben. Aus den unveröffentlichten Exzerptheften“ (mitget. von Will), 2). 524 Zerstückelung der Sprache in „buchstäblicher Artikulation“ treibt das Barock, vgl. Rieger, „Nachwort“, 184, 189; Schottelius, Der Schreckliche Sprachkrieg, 85, 122, 128ff.; vgl. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, GS I, 361ff., 381f. 525 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201; auf „Natur“, deren „spielende[s] Anagramm“ er sei (47), ist demnach keineswegs ‚zurückzuschließen‘ (vgl. dgg. Schmitz-Emans, „Der verlorene Urtext“, 207). 526 So Jean Paul in brieflicher Äußerung, HKA III.5, 135. 527 Mit dieser wird die kombinatorische Zufallswahl auf die Unwahrscheinlichkeit von sinnvollen Ergebnissen „zurecht“-gewiesen (Dotzler, „Die Swift-Maschine“, 255f.); vgl. Kap. I.5. Von drei Kanarienvögeln ist unter „Vermischte Nachrichten“ der Berliner Abendblätter vom 1. Dezember 1810 zu lesen, die als „junge Gelehrte“ über zwei Sets von „auf Pappdeckel geklebte Buchstaben“ hantieren, und angeblich „jedes geforderte Wort deutscher oder französischer Sprache zusammensetzte[n]“, nur durch „Helene“ der drei e’s wegen kurz in Verlegenheit gebracht werden (54. Bl., 213; BA I, 279f.). Kröger verweist anlässlich dessen auf Flusser, demzufolge Schreibende zum „Federvieh“ gehörten, da „Schriftzeichen aus einem Haufen wie Erbsen gelesen“ werden (Flusser, Die Schrift (2002), 77f.; vgl. Kröger, „Anordnung und Indiz “, 9f.). Wenn 26 Buchstaben-tragende Karpfen in einer

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Reich des Un-Sinns gleichsam verkörpert, aus dem jeder Sinn, der gelesen werden mag, jedenfalls – und sei dieser daher noch so unwahrscheinlich – stammt. Was derart hervorgebracht wird, wird – und zwar ‚alles‘, und sei es noch so sinn-schwer – sich an die Zerleg- und Verrückbarkeit, an die asignifikativen Elemente, ihre Fügung und Trennung, an ihre Verstellbarkeiten und die indefinit möglichen anderen Relationen auch (je schon) wieder verloren haben. In Perspektive der Anagramme wird (daher) der Sprache virtuelles „vielfaches Gemurmel“, als Hinter-Grund aller ‚Namen‘ und Wörter ‚entdeckt‘.528 In der Anagrammatik des Wort-Witzes, der Wörter zer-schreibend sie als (latente) andere Wörter liest, wie in den ‚zufälligen Paarungen‘, zu denen die Reime (‚wie‘ die Witze) die Wörter treiben,529 ist die Sprache in ihrer ‚undurchdringlichen Determination und völligen Arbitrarität zugleich‘ auszumachen.530 Der Sinn, der erzeugt worden sein, der gelesen werden mag, ist in seiner Albernheit lesend so ernst zu nehmen, wie er ‚ernsthaft‘ suspendiert ist, an den Unsinn, aus dem er hervorgeht. Das „Vergnügen am ehemaligen Lernbuch“ ist, so Campe, ein „Geschichtsstück […], in dem der Witz funktionieren kann, durch den die immanente Bedeutungssprache von ihrem Geschriebensein Kenntnis nehmen kann“.531 Daher mag Fibel zwar „angehender Schriftsteller“ und „Autor“ geheißen werden,532 ist er aber mit seiner Anhänglichkeit an die asignifikative Buchstäblichkeit und ans „daß des bloßen Schreibens“,533 kein Dichter im Sinne des Aufschreibesystems 1800. Denn „von der Fibel bis zum Nationalbuch“ reklamiert dieses die Transparenz des Mediums,534 um derentwillen die den Installation Emmet Willliams’ umherschwimmend Buchstabenkombinationen bilden, dann gibt dieses „Fish poem“ deren Zufälligkeiten und unbegrenzten Werden Raum (vgl. Lachmann, „Zum Zufall in der Literatur“, 407). 528 Starobinski zufolge ‚entdeckte‘ Saussure eben dies: ‚hinter jedem jeweiligen vergegenwärtigenden Satz‘ mit den unkontrollierbaren sprachlichen Effekten das „vielfache Gemurmel“ der Sprache (Wörter unter Wörtern, 126f.; vgl. Kap. I.6). 529 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 191f. 530 Vgl. de Man, „The Concept of Irony“, 181; s.o. Kap. I.6. 531 Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 147. Die ‚verspätete Idylle‘ des Leben Fibels entstammt der Beschränkung (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 258f.) auf die ‚Liebe zu Buchstabenreihen‘, die den Pedanten und die wiedererinnerte Kindheit benachbart (Campe, 152, 145ff.) und den „Text des Autors“ informiert (153f.). Die an dem Pedanten komisch ausgestellte „Differenz von Lebendigem und pedantisch Totem“ setzen Jean Pauls Texte fort im „Witz von Sinn und Buchstaben“ (146f.). 532 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 427. 533 – „wogegen die bürgerlichen Reformer polemisierten“ (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 134, 147, 152). 534 F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 26. Es modelliert die halluzinatorische Transparenz von Laut in Sinn mithilfe der imaginären Vermittlung der Sprache durch Mütter-Münder (119,

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Unsinn (am Sinn) manifestierende Buchstäblichkeit (schon immer) vergessen gemacht ist.535 Entgegen dem Lese-Modell um 1800, wonach dieses als Verstehen die Schrift und die Oberfläche der Seite schon übersprungen haben soll, heftet Fibels Fibel Lesen an die Schrift, die Buchstaben und deren verstellende Handhabungen. Aber weiter noch erliegt Fibel, auch gegenüber der einer Fibel zu unterstellenden Funktion, Lesen zu lehren, doch vorrangig dem „Genuß des reinen Alphabets“,536 der Schrift in allen fremden Schriften vor jeder Signifikanz, den Materialitäten und dem „bloßen Schreiben“,537 das sich – wie/als Abschreiben – nicht nur von der Bedeutung, sondern auch von der Lesbarkeit der Buchstaben löst.538 Derart zitiert ist das Abschreiben,

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33-59); das ist das Paradigma der Schrift-Vergessenheit des ‚hermeneutischen Lesens‘ (115ff.; vgl. 49). Keineswegs werden nach diesem Phantasma (mit F. Kittlers Begriff) der „‚matrilineare[n] Codierung‘ der Literatur um 1800“ „bei Jean Paul aus ABC-Schützen nicht nur Enzyklopädisten, sondern aus Enzyklopädisten auch Dichter“ (so aber Kilcher, mathesis und poiesis, 281); denn es führt kein Kontinuum von der Anhänglichkeit ans Alphabet, „der litteraten Welt der Buchstaben über die imaginäre Traum- in die Dichterwelt“ (283f., auch Schmidt-Hannisa, „‚Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst‘“, 101f.; Dembeck, Texte rahmen, 312-22; vgl. Kap. IV.2). Wenn Fibel sich „nicht um die Bedeutung, auch nicht um die Buchstabierung der Wörter, die er benutzt, sondern lediglich um die Buchstaben selber, um das Alphabet“ kümmert, so ist damit nicht die autonome (romantische) Kunst parodiert (so aber Chamberlain, „Alphabet und Erzählung in der ‚Clavis Fichtiana‘ und im ‚Leben Fibels‘“, 85, 88-91), zumal wenn Fichtes „Über Geist und Buchstabe in der Philosophie“ u.a. einbezogen würde. Kilcher zufolge markieren „in der schreibtechnischen Alternative der Enzyklopädie […] zwischen dem ‚alles erfassenden Strom-Arme dieses Systems‘ und dem Fragmentarismus […] der Enzyklopädisten“ die „Bienrodische Fibel, das Register der Extra-Schößlinge und der Clavis Fichtiana die Entscheidung für den nichtlinearen und nichtnarrativen alphabetisierten Text“ (mathesis und poiesis, 287, mit Jean Paul, Clavis Fichtiana, SW I.3, 1031, 1024; vgl. dgg. Schmitz-Emans, „Das ‚Leben Fibels‘ als Transzendentalroman“, 156-62). Es handle sich nicht nur um eine Satire der „Romantik der ‚Schlegeliten‘“, sondern, so Fürnkäs: „Im ‚Fibel‘ wird die Literatur überhaupt problematisch und tritt in das Stadium ihrer Selbstreflexion und Selbstparodie ein“ („Aufklärung und Alphabetisierung“, 64). Oder, so Wirth, es geht darum, „was alles ‚vor‘“ dem Schreiben liegt („Vor der Lexikographie“, 133f.). Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 429, d.i. der „der erinnerten Kindheit (Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 152); wörtlich ausgeführt als „Büchelchen von Marzipan“ (SW I.6, 387), die durch „Naschwerk“ gestiftete Liebe zu den Buchstaben (J. H. Campe) war um 1800 verpönt (F. Kittler, Aufschreibesysteme, 40). Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 417, 428f. u.ö.; H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 68; Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 134, 147, 152. Abschreiben als Abmalen des Schriftbildes, „ohne mit den Zeichen und dem, was sie bedeuten, vertraut zu sein“, eine „Tätigkeit“ „frei von allem Verstehen“, erlaubt, „daß Schreiben zu einem vom Sinn des Geschriebenen abgelösten Vorgang wird“ (H.-J. Frey,

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auch das des um 1800 abgetanen Exzerpierens, Zitierens539 als intransitives Schreiben aufzufassen,540 als „geschehende[] Bewegung“, der es auf der Worte „Andauern und Verhallen“ ankommt.541 – An den disseminierenden Verweisungen des Sinns an den Nichtsinn hat Leben Fibels teil, da es mit deren Vorgeschichten die vermeintlichen Motiviertheiten der Fibel’schen Alphabet-Verse und deren fiktive Ab- und AufschreibGeschichten gibt, Semantisierbarkeiten der Kombinationen der Verse und der Verse und Bilder zu jedem Buchstaben vervielfacht, als ‚philologischer Kommentar‘, der sich (im ‚Innern‘) in weiteren des „Abcdefgh u.s.w. (von Herrn Gotthelf Fibel)“ doppelt.542 Leben Fibels ist modelliert als Schreiben au second degré (durch den Paratext, die „Vor-Geschichte“ dieses Schreibens), und es wird sich als solches zu keinem ‚Werk‘ abschließen. Als fiktiver abhängiger ‚sekundärer‘ Beitext zur Fibel, zum „beigedruckt[en] ‚Werk‘“ (als parergon, das jenes ‚Werk‘, das ihm als Kommentar vermeintlich vorausliegt, ihn reglementierte und beschränkte,543 doch erst als solches etablierte) verweist der Text anderswohin, aus sich heraus, wie Fußnoten, die mit ihren Operatoren unterbrechen, als auf der Seite hinzugefügte Paratexte explizit

„Abschreiben“, in ders., Lesen und Schreiben, 60-69, hier 60; vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 417 u.ö.). 539 Das (reine) Schreiben des Zitierens, Exzerpierens wird wie/ als Abschreiben Ende des 18. Jh. zurückgewiesen, vgl. Ortlieb, „‚Materielle Wahrheit‘“, 49-52, 56ff.; Giuriato, „Lesen als Kulturtechnik“, 314ff. Die Flaubert’schen Kopisten Bouvard und Pécuchet werden schließlich wieder bloß: alles (tout) abschreiben (d.i. H.-J. Freys pejoratives Beispiel, Lesen und Schreiben, 61f.). 540 Barthes, „Schreiben, ein intransitives Verb?“ (1970/2012), 247ff., 249; zuvor 1960: „für den Schriftsteller ist schreiben ein intransitives Verb“ („Schriftsteller und Schreiber“, 47, 50); vgl. H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 81f.; Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 16266, insb. 165; ders., Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 359; ders., „Vor der Lexikographie“, 125f. 541 H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 68. 542 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 503-09 u. 509-13. 543 Der Kommentar wird als Hinzufügung zugelassen unter der regulierenden Maßgabe, dass er vom Text regiert werde, als bloße redundante Wiederholung des im Text schon Gesagten, so Foucault (Die Ordnung des Diskurses, 18). Dieser ‚Kommentar‘ „bannt [aber nicht in dem Sinne] den Zufall des Diskurses“, dass er zwar „etwas anderes als den Text selbst“ sagt, „aber unter der Voraussetzung, dass der Text selbst gesagt und in gewisser Weise vollendet werde.“ (ebd.; vgl. Vismann/Krajewski, „Kommentar, Code und Kodifikation“; B. Menke, „Text-Oberfläche“).

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machen.544 Er faltet fiktive Para-, Epi-, Rand-Texte (vielfach) in sich ein,545 wie umgekehrt das im Kommentar voraus-gesetzte ‚Innere‘ an den Rand: neben und mit, gestülpt ist. Setzt Jean Paul gegenüber dem Witz und dessen heterogenen Zusammensetzungen, der (wie Fibel) ein „Vielwissen“ in Anspruch nimmt, in der Vorschule der Ästhetik auf die beseelte Ganzheit der „Poesie“,546 so wird Leben Fibels statt als „Gemächt“ ‚eines Autors‘547 in der – abgesetzten – Schreibszene der „Vor-Geschichte“ als Erzeugnis vielhändigen Schreibens, einer Vielzahl von Instanzen fingiert. Leben Fibel als heterogene Fügung (all’ dessen) kann alles Mögliche – und nichts (konturiertes Bestimmtes) – sagen. Denn wo die Anordnung von Rahmen oder parergon und gerahmtem Werk in deren die hierarchische Relation von Zentrum und Rand, Eigentlichem und bloßer Zutat desorientierende Vervielfältigung getrieben wird, ist kein Ort ernsthafter Auskunft ausweisbar.548 Materialität und Kontingenz Die Physis, die zum einen durch den ‚kindlichen‘ Genuss am Schreiben, der Physis des Schreibzeugs549 und den Basteleien von Schreibmaterialien ins Spiel kommt,550 zum andern mit dem Buchdrucker noch diesseits der Buch544 In Jean Paul, Leben Fibels, „Vor-Kapitel“ u. SW I.6, 429f. Fibels Schreiben rekapituliert Schriftgeschichte seit dem Mittelalter; in Fußnoten-Ein- und Beifügungen ist „die linearunterbrochene Sequenz der gedruckten Schrift in die komplexere Struktur in einer virtuellen Gleichzeitigkeit“ überführt (Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft im Medium der Typographie“, 96; vgl. Kap. IV.2). Anmerkungen referieren, so Genette: „zweifellos auf eine, respektive viele (nicht-)vorhandene Grenzen, die das hochgradig transitorische Feld des Paratextes umgeben“ (Paratexte, 304, vgl. 304-27). 545 Z.B. die Rez. in „Oberdeutsche Literaturzeitung, No. 0000001 Pädagogik“ (gez. I.  P.), Leben Fibels, SW I.6, 503-09. 546 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 205, 186, 201; zu den Ambivalenzen vgl. in Kap. I.5 u.ö. 547 Der Verfasser benennt die Versuchung, „daß ich nicht das Ganze für mein eigenes Gemächt ausgegeben“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 377) 548 Keineswegs geschieht das, wenn eine solche ‚zitierte‘ Rezension I. P. gezeichnet ist (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 509), diese derart dem ‚Autor Jean Paul‘ zugewiesen sei (Komm., 1281). 549 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 429ff.; zu seinen „Freuden“ gehört „das Körperliche bei seinem geistigen Erzeugen“ (431, auch wörtlich: „Büchelchen von Marzipan“, 387); vgl. Campe, „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 152; Wirth, Die Geburt des Autors aus der Herausgeberschaft, 359-63; die Tinten u.a. vgl. Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 368f.; Wirth, „Vor der Lexikographie“, 131ff. 550 Zum Basteln von Heften u.ä. vgl. Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 89ff. Jean Paul führt als „gegenwärtiger Schriftsteller“ sich aufs bastelnde Kind zurück: einer „Schachtel, in welcher er eine Etui-Bibliothek von lauter Sedezwerkchen aufstellte, die er aus den bandbreiten Papierabschnitzeln von den Oktavpredigten seines Vaters zusammenstellte

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staben als die der Typen material: gewichtig, angesprochen ist,551 wird auf eine das Buch (selbst) affizierende Weise (mit der „Vor-Geschichte“) durch die Schreib- als Editions-Szene des Leben Fibels eingespielt, das der fiktive Herausgeber „aus allen biographischen Papierschnitzeln“ ab-schreibend ‚zusammengeleimt‘ habe.552 Es ist die Physis vor und nach dem Text, in der die Werke von Kontingenz eingeholt sind. Ist Leben Fibels zum einen eine Erkundung der buchstäblichen Produktion in einer experimentellen Anordnung, deren Prä- und Paratext die Fibel, als Matrix dieses wie jeden Textes, stellt, so gibt zum andern, wie bereits angesprochen, deren Paratext, das „Vor-Kapitel“,553 die fiktive Schreib-Szene, die Szene einer vielhändig schreibenden/edierenden Praxis vor:554 wie ein veraltetes Büchlein einen oder vielmehr zwei oder mehr, genauer aber eher keinen Autor (eines Werks) habe hervorgehen lassen. Das Unternehmen des sich im Paratext als Herausgeber, Ausschreiber und Kompilator modellierenden Verfassers wird im – die „Vor-Geschichte“ als ‚Herkunftsgeschichte‘ des Werks, das

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und zurechtschnitt“ (Selberlebensbeschreibung, SW I.6, 1058; vgl. M. Wieland, „Litteratur: die Lesbarkeit des Mülls“, 41). Vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. In Jubelsenior. Ein Appendix: die von einem Buchdrucker beigebrachten „vier Lot große R und ein Viertelpfund Gedankenstriche“ seien ‚wirklich‘ „aufgebraucht“ worden (SW I.4, 528f., vergleichbar in Quintus Fixlein, dazu Dembeck, Texte rahmen, 342). Für Jean Pauls Aufmerksamkeit fürs gedruckte „Büchermachen“ vgl. die Zitatsammlung in Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 369-77; Fibels „fast schon fetischistisch zu nennende Faszination“ am Gedruckten (SW I.6, 389) vgl. Wirth, „Vor der Lexikographie“, 130, 132f.; an Druckbuchstaben als Objekten, Fuchs, Büchermachen, 67-73. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 375f. Papierschnipsel Jean Pauls zieht Ortlieb bei; er habe „häufig auch Blätter aus bereits gehefteten Konvoluten ausgeschnitten und irgendwo anders einsortiert oder mit weiteren Einzelblättern neu zusammengeheftet, wie [er] schon als Kind aus Schnipseln der zerschnittenen Predigten seines Vaters Bücher genäht haben soll“ („Jean Pauls Punktiermanier“, 89ff., 92; vgl. Jean Paul, Selberlebensbeschreibung, SW I.6, 1058; Jubelsenior, SW I.4, 438). Von Paratexten weiß man nicht, „ob man sie dem Text zurechnen soll; sie umgeben und verlängern ihn jedenfalls, um ihn im üblichen, aber auch im vollsten Sinn des Wortes zu präsentieren“ (Genette, Paratexte, 9, vgl. 9ff.); zur möglichen Funktion von Vorworten vgl. Miller, Theory Now and Then, 159f.; als Peritext vgl. Dugast, „Parerga und Paratexte“, 101ff.; Genette, Paratexte: „Warum zu lesen sei“, 192f.; „Wie zu lesen sei“, 202f., „Wahrhaftigkeit“, 200f., „Entstehung“, 203f., „Fiktionsverträge“, 209f. Sie spiegelt die eingefaltete des Fibel (oder umgekehrt); „die ‚Schreib-Szene‘ der Literatur [lasse] sich selbst gerade nur als Kopplung von asynchronen Instanzen und in der Verbindung asyndetischer Züge kommandieren-darstellen“: als „heterogenes Ensemble“ aus Dingen, Körpern, Handhaben, Voraussetzungen, Vorrichtungen und Vorbedingungen, Techniken usw. (Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 278, vgl. 269). Während Erzählen oftmals „die ‚Illusion‘ des Erzählens selbst“ schaffe (Bunia, „Die Stimme der Typographie“, 373).

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uns als Leben Fibels vorliegt, erzählenden – „Vor-Kapitel“ als gelehrtes Vorgehen auf der Suche nach „historischen Quellen“ fingiert, um den ‚wahren‘ Urheber der als ‚erstes‘ Buch, vor allen und Praetext aller Bücher ausgewiesenen Fibel aufzuspüren.555 An diesem Fall zeigt sich, wie Geschichtsschreibung geht: im metaleptischen rückwirkenden Fehl-Schluss von anzutreffenden Wirkungen auf deren vorausgesetzte Ursache. Mit der Fiktion der „Vor-Geschichte“ ‚begründet‘ das Schreiben sich woanders her, in einer ersten Buch-Vorgabe,556 dessen Verfasser „kein Mensch namentlich kennt, ausgenommen ich“, von dem es seinen Ausgang nehme (sich diesem fiktiv als dessen Parasit hinzufügt, wie es umgekehrt dieses sich ‚anleimt‘), und indem es sich fiktiv an andere Bücher bzw. deren Überreste delegiert. Diese Fiktion gibt das Szenario eines Schreibens aus zweiter Hand, fingiert eine allographe Instanz. Das „Vor-Kapitel“, dem eine „Vorrede“ noch voransteht, hält sich auf in einem Vor-, das sich nicht entscheiden kann, ob es schon Teil des Textes ist oder noch vor ihm,557 den Anfang des Textes aufhaltend, es verbleibt in der Schwebe zwischen außen und innen. Die „Vor-Geschichte“, die die fiktive Szene eines Schreibens aus (/als Editieren von) Vorfindlichem stellt, schiebt den Anfang der Erzählung des Lebens aus den Papieren auf, schafft am Rande eine „‚unbestimmte[] Zone‘ zwischen innen und außen“, eine Schwelle als Zone der Transaktionen zwischen innen und außen.558 Dass in/an der Randzone, die die Paratexte oder die Rahmen 555 Vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 372, 374ff., 371f., 369f. Als Vorlage für die Geschichte der „Herkunft“ aus gefundenen Texten spielt Jean Paul auch die bekannte Fälschung Macphersons ein (376), der als deren ‚Ursprung‘ „Ossian“ einsetzte (Höfele, „Der Autor und sein Double“, 82-90); der Erfolg war das „Produkt einer fortgesetzten Kollaboration“ zwischen dem „Fälscher“ Macpherson als Übersetzer, ‚Editor‘ und Philologen in Beitexten (84-89). 556 Witzig ist, dass dem Leseunterrichtshistoriker Göbelbecker die Bilderfibel jenes Schlez, der die sog. Bienrodische Fibel verwarf, auch als erstaunlicher Auf-Fund begegnet sei (Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts, 218f.). 557 Dass das „Vor-Kapitel“ „Jean Paul Fr. Richter“ auktorial gezeichnet und datiert ist (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 377), deutet der Kommentar erstaunlicherweise dahin: „Datum und Unterschrift sind versehentlich stehengeblieben, da das Kapitel ursprünglich als Vorrede gedacht war“ (Komm. 1270). Zur Relation zwischen „dem Pseudonym ‚Jean Paul‘ und der Signatur ‚Jean Paul Fr. Richter‘“ im Zusammenhang von Herausgeberfiktion und Autorschaft vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 347, 345-48, 355; dgg. eher schwach Erb, Schreib-Arbeit, 72-76. 558 Genette, Paratexte, 9f. „Diese Anhängsel […] bilden zwischen Text und Nicht-Text nicht bloß eine Zone des Übergangs, sondern der Transaktion“ (10). Benjamin ersetzte die Grenzlinie durchs Konzept der „Schwelle“, Passagen-Werk, GS V, 618. Die Vorsilbe para- changiert „zwischen der Bedeutung neben und mit“, enthalte „also bereits die Bivalenz zwischen Exteriorität und Partizipation“ (Derrida, „Die Signatur aushöhlen“, 32); J. H. Miller zufolge: „eine antithetische Vorsilbe, die gleichzeitig Nähe und Entfernung,

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bilden, ‚Werk‘ und ‚Autor‘ konstituiert werden, setzt Leben Fibels in Szene, parodiert diese Konstitution.559 Die Ränder ordnen sich keineswegs dem Gerahmten, dem vermeintlich „innerlich[en]“ „Bestand“ unter (den sie doch erst konstituieren), sondern behaupten sich, indem sie diesen ‚überborden‘,560 sie affizieren das ‚Innere‘, das hier (selbst) als philologischer Bei-Text zur Fibel, als hier gleichsam neu-ediertem ‚Werk‘, ausgegeben ist.561 Die vermeintlichen „Parasiten“, die das ‚Erste‘, wozu sie vermeintlich bloß sekundär sich hinzufügen, konstituieren, bearbeiten die „problematische Grenze von innen und außen“562 (des Buches). Ähnlichkeit und Unterschied, Innerlichkeit und Äußerlichkeit bezeichnet […] etwas, das zugleich diesseits und jenseits einer Grenze, einer Schwelle oder eines Randes liegt, den gleichen Status besitzt und dennoch sekundär ist, subsidiär und untergeordnet wie ein Gast seinem Gastgeber […]. Etwas Para-artiges ist nicht nur gleichzeitig auf beiden Seiten der Grenze zwischen innen und außen: es ist auch die Grenze als solche, der Schirm, der als durchlässige Membran zwischen innen und außen fungiert. Es bewirkt ihre Verschmelzung, läßt das Äußere eindringen und das Innere hinaus, es teilt und vereint sie.“ (dtsch. zit. nach Genette, Paratexte, 9; J. H. Miller, „The Critic as Host“ (1991),144f.) 559 Lejeune, Der autobiographische Pakt, 23ff., 50; Genette, Paratexte, 200ff., 209ff.; Derrida, „Buch-außerhalb. Vorreden/Vorworte“, 15. Das zitiert Jean Paul. „Während Jean Paul als Herausgeber am Ende seiner ‚Vor-Geschichte‘ bekennt, daß er das Ganze beinahe als ‚eigenes Gemächt‘ ausgegeben hätte, hat er sich das Ganze längst vor Beginn der ‚VorGeschichte‘ als Autor zugeschrieben – nämlich auf dem Titelblatt, wo es heißt: ‚Leben Fibels / des Verfassers / der Bienrodischen Fibel / von Jean Paul‘.“ (Wirth, „Die SchreibSzene als Editions-Szene“, 174; ders., Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 375, vgl. M.  Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 105; Dembeck, Texte rahmen, 313ff.). Aber wird nicht derart der „Autorname“ „dem Titel eingeordnet“ und „verschwindet die Instanz des Autororiginals“ (so (zu Wutz) Campe „Schreibstunden in Jean Pauls Idyllen“, 158)? das führt der Eindruck des Namens Fibel aus (SW I.6, 499): d.i. „parodierte Autorschaft“ (143f.). 560 Mit Kants Begriffen, Kritik der Urteilskraft, WW X, 142, die Derrida subvertiert, „Parergon“, 72-99. Bei Jean Paul abundieren Paratexte aller Art: „Alles, was mit dem Buch zusammenhängt“, so Rehm: „Titel, Vorrede, Register, Druck und Aushängebögen, […] Ankündigung, Katalogisierung, Kritik, Antikritik, Metakritik, Makulatur“ („Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 18; vgl. für diese u.a. das „Titelblatt das wichtigste Blat des ganzen Buches“, Jean Paul, „Über Schriftstellerei“, SW II.1, 423 u.v.ö.). Jean Pauls witziges Schreiben sei vor allem Arbeit der Paratexte (Dembeck, Texte rahmen, 327); das ist nicht nur Parodie der (veralteten) Gelehrtenpraxis, von deren gelehrten oder kritischen Apparaten (Pfersmann, „Der philologische Roman“, 307-10, 314, 317ff., 327ff.), sondern auch deren witziges Fortschreiben. Auch die ‚Satire‘ (im engeren Sinne: etwa Swifts) taugt als textuell ausgeführte ‚Theorie‘ des Mediums Text, als „Einheit seiner Unterbrechungen“ (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 159, 167; ders., Texte rahmen, 362ff.): die Paratexte in ihrer Lösung aus der Linearität stellen den Text als spatiale Anordnung vor. 561 Vgl. M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 109; Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 376, 332f. 562 Derrida, „This is not an oral footnote“, 196; ders., „Die Signatur aushöhlen“, 31.

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Das „Vor-Kapitel“ mit der sogenannten „Vor-Geschichte“ des Leben Fibels fingiert ein schreibendes Erzeugen aus ‚Ausgezogenem‘, in dem das aus Exzerpten, das ‚gelehrtes Schreiben‘ ausmacht (wie in Kap.  III.1 vorgestellt), wörtlich genommen ist. Der pun Leh/ere, ein eher platter Witz wird regelrecht entfaltet: „Mein gelehrter Briefwechsel deshalb ließ mich so leer, als ich war –“,563 und die folgenden „gelehrten Reisen“ sind als Quellen-Suchbewegungen aus deren Streuung angelegt. Dem Leben Fibels wird eine Herkunft aus Resten zugeschrieben, die es als Ab- und Zusammenschreibung von Ausgezogenem kennzeichnen. Während mit der Fibel die letteralen Operationen, der durch Versetzbarkeit ‚bestimmten‘ ‚Elemente‘ (die nach den Postulaten um 1800 vergessen zu machen waren) exploriert werden, fingiert die „Vor-Geschichte“ ein Ensemble von verschiedenen Schreib-Instanzen,564 das die veralteten gelehrten Techniken des Lesens, des Ausschreibens und -ziehens, des Kompilierens, des Zusammen- und Beitragens, des Wieder- und Weiterverwendens, des Abund Zusammenschreibens literal realisiert. Die Verfahren und Operationen eines Schreibens ‚aus zweiter Hand‘ (was als Leben Fibels publiziert und – die Funktion Autorschaft bezeichnend und bearbeitend – mit dem Namen „Jean

563 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 371; die Suche in „Chirographa personarum celebrium“ „ging aber leer aus“ (SW I.6, 369f.). „– Aus den öffentlichen Büchersälen ging ich so heraus, wie ich hineingekommen – Mehrere Mädchen- und Knabenschulmeister in Sachsen, die über Fibels Buch lesen ließen, standen noch leerer vor mir als ich – Der gelehrte Nicolai sagte, er wisse alles, ausgenommen dies – […] – Ja ich stattete in Leipzig sogar zwei Mitarbeitern des vorigen literarischen Anzeigers, welche ich als hohle Köpfe (der eine hatte darin gegen mich gebollen, der andere gezischt) zu kennen glaubte, einen gelehrten Besuch ab, in der Voraussetzung, daß ausgeleerte ausgeweidete Seelen oft am besten vergrabne Schätze und Namen ans Licht, so wie leere Fässer, an versunknes Schiffgut angebunden, dasselbe aus dem Meere, aufziehen. Aber die Köpfe nahmen aus Einfalt die Frage für Spaß und krumm […]. Die Sache mußte anders angefangen werden, nämlich fortgesetzt./ Ich faßte den Entschluß zu meinen gelehrten Reisen“ (SW I.6, 371). 564 Die Funktionen Schreiber, Kompilator, Kommentator, Autor werden in der spätmittelalterlichen Schreibpraxis differenziert, vgl. Illich, Im Weinberg des Textes, 92f., 111ff. Im Zitat der mittelalterlichen Handschriftenpraxis schreibt Fibel mit „roter Dinte“: „so ging er fast in Reih und Glied mit den alten Rubrikatoren, welche sonst die Buchstaben rot anstrichen und überhaupt in alles Schwarze ihr Rot einschürzten“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 429). Rubrizieren von anderer Hand, nach dem Scriptor (ggf. auch in Korrektur der vorliegenden Schrift) hat Teil an der Text-Anordnung auf der Seite (vgl. Parkes, „The Influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio and the Development of the Book“, 116ff., 121, 123, 126f. 134; Szendy, Of Stigmatoloy, 11f.; vgl. zu den Rubriken in Kap. III.1). Der derart schreibende Fibel beginnt nicht auf dem leeren Blatt, sondern als zweiter; solche „finden bei jeder Einkehr in sich schon den Tisch gedeckt und lustige Gesellschaft“ (SW I.6, 429).

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Paul“ angeeignet worden sein wird)565 werden grotesk verwörtlicht: als in ihrer Physis mitschreibende566 und an deren Zufälle aussetzende. Das ‚Reich‘ der Schriften ‚selbst‘ erweist sich als prekär, ungesichert, verfallend; weit davon entfernt, dass eine Bücherordnung, die zwischen systematischer und alphabetischer Anordnung gesucht wurde, einen Zugriff als gezielte Adressierung ermöglichen würde, fallen Papiere zu. Kaufleute sind nicht bloß die Ausschnitthändler mit Büchern, auch mit Handschriften; ihr Gewölbe ist das Invaliden-Hospital abgedruckter Bücher und der Magnetbruch von anziehenden Papieren […]/ So läßt denn der Handelsmann seine Ladenkunden täglich Weisheit und Kunst […] also die größten Lose ziehen, mit beigefügter Lotterie-Prämie von Magen-Ware, die mancher fast dem gedruckten Gewinste vorzieht.567

Die Kram-Händler, bei denen wie Fibel auch die Zuträger des fiktiven Herausgebers Makulatur vor den Büchern wie auch nach ihnen, als zerlegte verfallene,568 in Papier retransformierte Druckwerke,569 zum Einpackmaterial bestimmte Auszüge und Abschnipsel vorfinden,570 lassen Papiere dies- und jenseits der Ordnung der Bücher, deren An- und Einordnung und deren Rahmungen, zukommen. Makulatur, zu der bedrucktes Papier, das (mit Makeln) zu Büchern nicht wird, und zu der alle Bücher (aus dem ökonomischen Buchumlauf ausgeworfen mehr oder weniger schnell) geworden sein werden,571 lässt – ohne die Rahmung des Buches – keine Adressierung 565 Versteht sich: nach Foucault, „Was ist ein Autor?“, 1010, u.a.; für Leben Fibels: Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 174; ders., Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 375. 566 Es ist paperwork, vgl. Compagnon, La seconde main, 17-20. 567 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 371f. 568 Zur Makulatur, die der Gewürzhändler zu Tüten verwendet und als solche aushändigt, als Fibels ‚Bibliothek‘, Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388f.; „eine öffentliche MakulaturBibliothek“ entwirft Jean Paul, Komischer Anhang, SW I.3, 849-68, 865; vgl. M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 98, 79f., 103. 569 So Swift zu den zu vielen Büchern, „Dedication to Prince Posterity“ (zu A Tale of a Tub, 4th ed. London 1705, 8f.). 570 So Fixlein, der „wie Morhof rät, die einzelnen Hefte von Makulaturbögen, wie sie der Kramladen ausgab, fleißig sammelte“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 88f.); vgl. Dembeck, Texte rahmen, 357ff.; M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 114f. 571 Makulatur sei „Chiffre sowohl des Makels [im Druck] als auch des ökonomischen Scheiterns, weil das bedruckte Papier offenbar auf dem Buchmarkt keinen Absatz gefunden hat“, so Wirth („(Papier-)Müll und Literatur“, 19ff.). Jean Pauls frühe Auswahl aus des Teufels Papieren (1789) wurde vom Verleger Beckmann aus Gera, der „bankerott“ ging, „makuliert“; im Komischen Anhang macht sein „Patchen“ (wie es heißt) „den halben Schwanz eines papiernen Drachen flugfertig […], der aus der ‚Auswahl aus des Teufels

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durch Autornamen zu, keine auktoriale Verantwortung und nicht die geregelte namentlich ausgewiesene zitierende Weiterverwendung.572 Was (wie) durchs gelehrte Exzerpieren dekontextualisiert573 und zitierend deplatziert ist, ist (hier) dem Abfall genähert, dem aus den Ordnungs-Rahmen, die Sinn oder anderen Wert geben, Ausgeschiedenen oder Gefallenen.574 Während Jonathan Swift die Verwendung als Papier in seiner dedizierenden Verantwortung gegenüber „Prince Posterity“ derart ins Auge fasst, dass darin ein Prätext für die Ge- und Verbrauchsorte des vielen (vormals für Bücher verwendeten) Papiers im Leben Fibels vermutet werden kann,575 werden fürs Leben Fibels an eben diesen Orten die Papierreste zusammengesucht, um Reste auf Papier Papieren‘ zusammengeleimt war. […] Hier steht die Gelehrtenrepublik auf dem Spiel“ (SW I.3, 865, vgl. M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 104ff.). 572 „Nicht für jeden Gelehrten ist ungeachtet ihres kleinen Laden-Preises Makulatur eine Lektüre; aus Mangel an Titelblättern, und weil sie, wie das Epos, bald mitten, bald hinten anfängt, kann der Mann nichts daraus zitieren und saugt sich elend voll Kenntnisse, ohne imstande zu sein, nur einen Tropfen wieder aus sich zu drücken mit beigefügtem Zitat; und doch bekommt er nur einen Namen durch Namen“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388); vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 370. 573 Für Fixlein formuliert Jean Paul die Analogie des gelehrten Procedierens, da er „wie Morhof rät, die einzelnen Hefte von Makulaturbögen, wie sie der Kramladen ausgab, fleißig sammelte und in solchen wie Vergil im Ennius scharrte? Ja für ihn war der Krämer ein Fortius (der Gelehrte) oder ein Friedrich (der König) weil beide letztere sich aus kompletten Büchern nur Blätter schnitten, an denen etwas war. Eben diese Achtung für Makulatur“ (Quintus Fixlein, SW I.4, 88f.; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 357ff.). 574 So die berühmte Formel von Mary Douglas: „dirt is matter out of place“. „Where there is dirt, there is system. Dirt is the by-product of a systematic ordering and classification of matter, insofar as ordering involves rejecting inappropriate elements.“ (Purity and Danger, 44, 50). Douglas rekurriert darauf („Jokes“, 106): „jokes play on form“ (98), beziehen „form“ und „formlessness“, structure und „the experience of the non-structure“ (das Verworfene) aufeinander (102-08). Fardons „Citations out of Place“ folgt den displacements der Zitationen der Formel von Douglas: may be „stolen“ „from the side of a rubbish bin“, „hard to pin down or put in its proper place“. Umgekehrt nicht aufzählbar oft aufgenommen, vgl. Hauser, Metamorphosen des Abfalls, 31ff., 11; Wirth, „(Papier-)Müll und Literatur“, 20, 25; M. Wieland, „Litteratur: die Lesbarkeit des Mülls“, 36 (zur Sek.Lit. 33-37); in D.-C. Assmann (Hg.), Müll in der Literatur auch die weiteren Beiträge: Roose, 176f., 189; Rosenbaum, 198, 200f.; Klingenböck, 240f., 256, u.a.). 575 So wird die „Posterity“ in den Mund gelegte Frage nach dem Verbleib des Papiers, das die Bücher waren und wieder werden, beantwortet, indem dorthin verwiesen wird, wohin Hoheit „for occular conviction“ nicht gesendet werden könne (s.u.): die Ab-Orte, an denen Bücher aus der Welt gehen „and return no more“ (A Tale of a Tub, 4.th ed. (1705), 9; vgl. die Wiedergabe von A.  Assmann, „Texte, Spuren, Abfall“, 103). Lichtenberg zufolge haben „Ruhm und Unsterblichkeit manches Schriftstellers“ das größte Hindernis an der Abhängigkeit vom Papier, als „Stoff“ ihres Gedrucktwerdens, „der zugleich auch zu Gewürztüten gebraucht werden kann“ (zit. nach Fuchs, Büchermachen, 24); zu/statt Fenstern „eingeklebt“ (Leben Fibels, SW I.6, 426, wie Komischer Anhang, SW I.3, 866),

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weiterzuverwenden: zu lesen, (ab) zu schreiben. Jean Paul treibt ein Spiel der Übergänge. So wird hier ein nicht durch Autorschaft und Werk regiertes Schrift- und Papierpotential ‚im Hintergrund‘ der (jeweiligen) Bücher absehbar: das unbegrenzte, keiner Ordnung der Bücher und des Buches unterworfene ‚Gewimmel‘ der vielen Papiere, jenes Gewimmel, in das (das Konzept) Autorschaft zuordnend, unterscheidend, zusammenfassend interveniert.576 Und aus den Papieren, in die in diesen ‚Gewölben‘ die Werke transformiert sind, wo Sinn und Zeichen zurückgetreten, die Bucheinheiten verloren sind, allenfalls als Papier vorgehalten werden,577 fallen, wie es heißt, „Weisheit und Kunst“ auf Blättern oder Ausschnitten als „Lose“, wie durch Lotterie, sorteo: durch den Zufall der zuspielenden Ziehung,578 mit einem möglichen „Gewinn“ zu – wenn nicht auf dem, so doch eingewickelt in Papier. So trifft auch ein, dass es sich „endlich traf“. Die metapoetische Fiktion des Leben Fibels, die mit den Ficciones von Jorge Luis Borges, Fiktionen der und aus den Bibliotheken,579 durchaus mitzuhalten vermag, geht aus vom erstaunlichen Zufall, dem Fund auf einer „verbotne[n] Bücher-Versteigerung“ durch einen „getauften Juden“, von „anfangs […] 135 Bänden jeden Formats und jeder Wissenschaft, aber sämtlich (zufolge des Titelblattes) von einem Verfasser namens Fibel geschrieben“. Vierzigjährige Literatoren wie ich können nicht genug darüber erstaunen über ihre sämtliche Unkenntnis eines solchen vielbändigen Verfassers. Fast aus Zorn erstand ich, was abends noch zu haben war, was aber bloß folgendes betrug: 1) Fibels Zufällige Gedanken von dem bishero so zweifelhaften wahren Ursprung der heutigen Reichs-Ritterschaft. 1753. 2) Fibels Alphabetische Verzeichnus und Beschreibung der aus denen neuen Jauner-Actis und Listen gezognen Jauner, Mörder etc. Fol. Stuttgart 1746. 3) Fibelli catalogus Bibliothecae Brühlianae. Fol. Dresdae 1750. 4) Etat abrégé de la Cour des Saxe sous le Règne d’Auguste III, de Fibel, 1734. 5) Fibels Erlangische gelehrte Anzeigen, Jahrgang 1749. zu anderem Verbleib: Pfeffer- und Kaffee-Düte/n, Laternen-, an anderen Orten in Leben Fibels, s.u. 576 Autorschaft konstituiert, unterscheidend, regulierend ein Werk, „[e]ine Summe von Texten, die durch das Zeichen eines Eigennamens denotiert werden können“ (Foucault, Archäologie des Wissens, 37; ders., „Was ist ein Autor?“, 1013ff., 1009f.). 577 Vgl. Wirth, „(Papier-)Müll und Literatur“, 19, zu den Übergängen vgl. 21f., 25f. 578 Vgl. Diccionario de la Lengua Española, Bd. 2, 1907; für lat. sors (Duden Fremdwörterbuch, 715), wie umgekehrt Lose die Nähe zu losen Blätter halten (vgl. Kap. III.1, I.5). 579 Borges’ Ficciones „Pierre Menard, autor del Quijote“, „La Biblioteca de Babel“, „El jardin de senderos, que se bifurcan“ u.a. realisieren die „Tendenz [des Paratextes], über seine Funktion hinauszugehen“, vor der Genette warnt (Paratexte, 390f., zu quasidokumentarischen Anhängen vgl. 385).

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln 6) Fibels Gründliche Ausführung derer dem Kurhause Bayern zustehenden Erbfolgs- und sonstigen Ansprüche auf Ungarn und Böhmen wie ingleichen auf das Erzherzogtum Österreich. Fol. München 1741. 7) Fibels Ruhe des jetztlebenden Europa, dargestellt in Sammlung der neuesten Europäischen Friedensschlüsse von dem Utrechtischen bis auf 1726. Coburg 1726. 8) Fibelii Nobilis territorio subjectus. Culmbach 1722. 9) Fibelii Biblia. Tondern 1737. 10) Lettres Turques de Fibel. A Amsterd. 1750.580

Von den aufgelisteten ‚Fibel’schen Schriften‘ weiß der Kommentar zu sagen, dass sie alle tatsächlich anonym erschienen seien.581 Wie das Leben Fibels den Autor als nachträglichen metaleptischen Effekt vorstellt, so auch dass Autorschaft an den Rändern, in den Randzonen des Buches, den Paratexten etabliert wird, in jener vielfachen „‚unbestimmte[n] Zone‘ zwischen innen und außen“ als der der Transaktionen, die das vermeintlich Innere allererst konstituieren,582 an denen mit dem Autornamen die Lesevorgabe des Textes eingetragen ist,583 derzufolge dieser metaphorisch auf jenes Rede-Subjekt zu verrechnen ist, das vor den lesbaren Sätzen vorausgesetzt wird.584 Autorschaft ist keine „dem Schreibakt simultane Funktion, sondern ein nachträglicher Effekt von Re-Lektüre“, so F. Kittler.585 Zum Autor wird der Schreibende erst, indem Schreiben lesend aufs Geschriebene zurückkommt, nachträglich aus 580 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 373. Auch Borges etabliert den ‚Autor‘ Menard zunächst durch eine Liste ‚seines‘ (sichtbaren) Werks (Borges, „Pierre Menard, autor del Quijote“, 42-45). 581 Komm. SW I.6, 1270; zu den Kontrafakturen und intertextuellen Spuren vgl. ebd. 582 Genette, Paratexte, 9ff. Paratexte und Rahmen konstituieren ausschließend-schließend, was vermeintlich als in sich geschlossenes Inneres vorausgeht. 583 Vgl. Lejeune, Der autobiographische Pakt, 23ff., 50; Foucault, „Was ist ein Autor?“, 1014f, vgl. 1012-15. Entscheidungen, am Rande des Textes, über die Schriften konstituieren nachträglich Werke und Autoren. „Über die Schriftstellerei“ (zuerst anonym) erkundet Paratexte in Funktion von Autorschaft: das „Titelblatt“, das „wichtigste […] des ganzen Buches“, der Titel „wie eine Urne, für die Nachwelt“, das ‚hergeliehene‘ Motto, mit dem der Name des großen Vorgängers in Anspruch genommen wird (SW II.1, 423), vergleichbar Namen u. Titeln in Funktion von Zitierbarkeit (Leben Fibels, SW I.6, 388). 584 So de Man, vgl. Allegorien des Lesens, 48ff., 111f.; d.i. die Prosopopoiie des Textes (diesem wird ein Gesicht verliehen). 585 F. Kittler, Aufschreibesysteme, 118; vgl. Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 157; der Autor ist Selbst-Herausgeber (ders., Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 351ff.); „denotiert der Name eines Autors einen Text, den er selbst unter seinem Namen veröffentlicht, einen Text, den er unter einem Pseudonym vorgestellt hat, einen anderen, den man nach seinem Tode im Stadium des Entwurfs entdeckt hat, und einen weiteren noch, der lediglich ein Gekritzel, ein Notizbuch, ein ‚Papier‘ darstellt, auf die gleiche Weise?“ (Foucault, Archäologie des Wissens, 37; „Was ist ein Autor?“, 1010).

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anderer zweiter Hand (und sei es auch die seine: zu einer anderen Zeit, an anderem Ort); das wird in Leben Fibels zum einen in der expliziten Dopplung durch eine zweite Schreibinstanz, den Herausgeber vorgeführt,586 der den fiktiven ‚ersten Biographen‘ als allographe Text-Instanz einsetzt. Zum andern ist dies in den fiktiv aufgefundenen Bänden komisch veräußerlicht, in denen Fibel durch den Beidruck seines Namens aufs Titelblatt als ‚Autor‘ sich einsetzen ließ, derart lustigerweise aber als der von Beiwerken: gelehrten Anzeigern, Bibliothekskatalogen, Alphabetischen Verzeichnissen, die Autoren nachträglich ‚machen‘ mögen,587 und anderen Sammelwerken wie der Bibel, die keinen einen Autor haben. Mit dem (nachträglich) eingedruckten Namen des ‚Autors‘, der rückwirkend ‚vor‘ dem Text situiert wird, der durch den Autor regiert sein und umgekehrt, zum Werk gemacht, diesen spiegelnd bestätigen müsste, ist der ‚Autor‘ (auch der als „Pelz der Zweite“ fingierte, in dessen ‚Buch‘ allein die Schriften des ‚ersten Biographen‘ Pelz zu lesen sind)588 als Parasit kenntlich.589 Der Herausgeber, der sich auf die Spur Fibels, des ‚wahren‘ „Verfassers“ der sogenannten Bienrodischen Fibel setzt, agiert als zweiter, als Kompilator und Abschreiber auf den Spuren eines bio-graphischen Vorläufers: der „Trümmer […] von historischen Quellen“, vor- und aufgefundenen, zugetragenen Schriften/Papieren. Über-Reste der 40-bändigen Lebensbeschreibung, „Curieuse und sonderbare Lebens-Historie des berühmten Herrn Gotthelf Fibel, Verfassern des neuen […] Abc-Buchs“,590 findet er als überflüssige Reste

586 Der Schreibende trägt sich als Lesender (seiner selbst) ein: als „Autonotist“, wie Jean Paul den Verfasser von Feldprediger Schmelzle kennzeichnet (Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 87); vgl. Pfersmann, „La secte des autonotistes“, 84. 587 Aus „gelehrten Zeitschriften“ „hoben“ „wir Autores […] uns […] unsere Unvergänglichkeit“ (Jean Paul, Komischer Anhang, SW I.3, 866); Rezensionsorgane, Messkataloge u.a. in dieser Funktion, in Leben Fibels (SW I.6, 500ff.). 588 So Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 535. Der Name des Fibel-Biographen, Pelz, kann aufs Pelzen, Aufpfropfen (SW I.6, 464) hin gelesen werden (Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 169ff.; ders., Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 367ff.); „Inokulazion“ als Aufpfropfen, Impfen in Jean Pauls Grönländische Prozesse (SW II.1, 453; Komm. SW II.4, 199). 589 Derrida, „This is not an oral footnote“, 196; mit der para- angegebenen „Bivalenz zwischen Exteriorität und Partizipation“ ist ein „Parasit“ „derjenige, der räumlich nebenan tafelt, aber auch derjenige, der sich mit von derselben Tafel verköstigt“ (Derrida, „Die Signatur aushöhlen“, 32). J.  H.  Miller hat in „The Critic as Host“ den Zusammenhang von host und Parasit und die Unentscheidbarkeit zwischen Wirt und Gast entfaltet (vgl. C. Pross, Falschnamenmünzer, 86-109; Wirth, „Die Schreib-Szene als Editions-Szene“, 169-174). Bez. des Leben Fibels fragt sich: Parasit wievielten Grades? 590 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 374.

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in „­Bücherschalen“591 neben dem Karren des jüdischen Händlers, der inte­ ressiert ist allein an den (noch ökonomisch verwertbaren) Hüllen (statt am Gehalt oder Geist):592 – und da fand ich nicht nur im ersten Bande noch anderthalb Ruinen Blätter, sondern unter diesen zum höchsten Erstaunen folgendes Titelblatt: ‚Curieuse und sonderbare Lebens-Historie des berühmten Herrn Gotthelf Fibel, Verfassern des neuen Markgrafluster, Fränkischen, Voigtländischen und Kur-Sächsischen Abc-Buchs, mit sonderbarem Fleiße zusammengetragen und ans Licht gestellt von Joachim Pelz, der heil. Gottesgelahrtheit Beflissenen. Erster Tomus, so desselbigen Fata im Mutterleibe enthält.‘ […] Seid außer euch, ihr sämtlichen Literatoren dieser Zeit! – Und noch ganze 39 Bände waren da, welche den Teil seines Lebens nach der Geburt berührten, und in welchen oft über zwei bis dritthalb Bogen stehen geblieben.593

Aufgerufen ist hier offensichtlich der Topos des manuscript trouvé, für den Miguel de Cervantes’ Don Quijote de la Mancha,594 auch Jan Graf Potockis Manuscrit trouvé à Saragosse berühmte Beispiele stellen. Diese können, wie das Leben Fibels, als Beispiele der Gattung ‚philologischer Roman‘ genommen werden595 – wenn diese denn eine abgrenzbare Gattung ist, und nicht viel591 „Der Jude […] hatte […] nichts mehr davon vorzuweisen als kostbare leere Band- oder Buchschalen, die er dem Hofbuchbinder aufgehoben. Dennoch sah ich darnach“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 374). 592 So wertete Paulus das Lesen der Juden ab, 2. Korinther, 3(6): „[Gott] hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“; „wir also“ sind „nicht wie Mose, der über sein Gesicht eine Hülle legte […]. Doch ihr [der Israeliten] Denken wurde verhärtet. Denn bis zum heutigen Tag liegt die gleiche Hülle auf dem Alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird; sie wird nicht aufgedeckt, weil sie in Christus beseitigt wird. Bis heute liegt die Hülle auf ihrem Herzen, wenn Mose vorgelesen wird.“ (13ff.) 593 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 374; vgl. „Fata und Lebenslauf im Mutterleibe“ in Quintus Fixlein, SW I.4, 82f., dafür steht vor allem Sternes Tristram Shandy Modell, dessen Spuren vielfach in Leben Fibels sich finden (SW I.6, 381ff.; zu Prätexten des Titels der „LebensHistorie“ vgl. Komm. 1270f.). 594 Don Quijote mag auch insofern als Prätext fungieren, als der „Prólogo“ die Paratexte und gelehrten Zutaten anspricht und in Abhilfe der noch fehlenden „citación de los autores“ anweist, ein Buch „que los acote todos, desde la A hasta la Z“ zu suchen, und: „Pues ese mismo abecedario pondréis vos en vuestro libro“ (Don Quijote, I, 100), das Abecedarium der Bibliographie ins ‚eigene‘ Buch zu übernehmen. 595 Diese sind Literatur ‚zweiten oder dritten Grades‘ (Pfersmann, „Der philologische Roman“, 329); typisch sind „Manuskriptfiktionen, die sich in der Form einer falschen kritischen oder schlicht gelehrten Ausgabe einer Werkauswahl eines imaginären Autors darstellen“ (297, zum Topos des manuscrit trouvé , 300-06, zum eingesetzten Herausgeber, 304), „parodiert [wird oft] eine Werkausgabe“ mit kritischem Apparat, mit Fußnoten (308ff., vgl. ders., „La secte des autonotistes“).

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mehr alle Romane auto-philologische Züge haben. Diese Fiktionen setzen fiktive Herausgeber wie auch Übersetzer ein; die Instanzen des Textes multiplizieren sich mit der Tendenz zur Unüberschaubarkeit:596 Don Quijote fingiert einen (fast) verlorenen Autor, den arabischen Gelehrten Cide Hamete Benengeli, dessen Manuskript im Judenviertel Toledos aufgefunden wird,597 einen Morisken als Übersetzer, einen Erzähler als Fährtensucher und Herausgeber598 und andere Helfershelfer,599 eine „imaginierte Erzählergemeinschaft“ bzw. ein „kollektive[s] Textsubjekt“ „verschiedene[r] Verfahren, einen Text zu konstituieren oder kritisch zu edieren, [zu] beherrschen, ihn [zu] zensieren, ihn [zu] lesen und kommentieren“.600 – Erfindet aber auch Verfahren Autorschaft zu sichern, u.a. indem im von Cervantes verfassten zweiten Teil gegen die gefälschte erste Fortsetzung des Don Quijote601 das Buch ‚selbst‘ (der erste 596 In Potockis Roman, der vielfach Novellen einlagert (wohl mit Don Quijote als Vorlage), finden sich die „zahlreichen Erzähler des Romans, die zugleich alle auch Zuhörer (Leser) sind“, nicht mehr durch (Jauslin, „Der Tragelaph“, 235): „Ich weiß wirklich nicht, wer spricht und wer zuhört […] Es ist ein wahres Labyrinth. Ich fand schon immer, daß Romane und Werke ähnlicher Art in mehreren Spalten […] geschrieben werden müßten.“ (Potocki, Die Abenteuer in der Sierra Morena oder die Handschrift von Saragossa, 423). 597 Aufgefunden im 9. Kap., Don Quijote I, 179-82, vgl. Allen, „Introducción“, I, 25, vgl. 33f. 598 Der „historiador“, der arabische (lügnerische) Gelehrte Benengeli als der ‚ursprüngliche Autor‘ des gefundenen Ms., übersetzt von einem Morisken, und ein (erst im Abbruch visibler) zweiter Erzähler, usw.. Nach dem „Einbruch in die bislang weitgehend stabile Repräsentation der zweiten Ausfahrt“ (im 8. Kap.), macht sich der im Abbruch eingesetzte Erzähler (Leopold, „Vom ingenio zum artificio“, 164, vgl. 170ff.) als „segundo autor“ (Don Quijote I, 175), das Problem der „Fortsetzung“ (bei fehlenden schriftlichen Vorlagen) exponierend (Leopold), auf die Suche nach weiteren Papieren, die dieser ‚Fährtensucher‘ in Archiven und Schreibpulten der „ingenios de la Mancha“ zu finden hofft; zum Geschiebe der Instanzen vgl. Leopold, 171-75; Erdmann, „Don Quijote. Die Anmerkung des Erzählers“, 64-70. 599 Fibel heißt, nicht zu vergessen, mit Vornamen „Helf“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 383f., 388). 600 Erdmann, „Don Quijote. Die Anmerkung des Erzählers“, 68, vgl. 64-70. 601 Das Erscheinen des gefälschten zweiten Teils des Don Quijote Avellanedas (1614; vgl. Allen, „Introducción“, II, 9-14) motivierte Cervantes, den ‚echten‘ zweiten Teil zu verfassen (publ. 1615): er ist „strukturell heterologisch motiviert“ durch die „konkurrierende[] Autorschaft Avellanedas“, die ihm „paratextuell von Anfang an eingeschrieben“ ist: Segunda parte del ingenioso cavallerao Don Quixote de la Mancha. Por Miguel de Cervantes Saavedra, autor des su primera parte (Ehrlicher, „Autorschaft, Artifizium und Theatralität bei Cervantes und Avellaneda“, 138, vgl. 146f., 153), dessen Kommentare von Stellen des Don Quijote (1605) auch diesen rückwirkend authentifizieren (Erdmann, „Don Quijote. Die Anmerkung des Erzählers“, 69f., 71-75; L.  Müller, Papier, 142f.). Vergleichbar führte die Fälschung des dritten Bandes von Tristam Shandy 1760 zu Autorisierungsstrategien für die nachfolgenden Bände (vgl. Nink, Literatur und Typographie, 65). Am Ende des ‚echten‘ zweiten Teils von Cervantes (1615) sucht die Rede des Cide Hamete an seine Feder (die unbestimmbar zu der des „Cervantes“ geworden ist), falsche Fortschreibungen

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

Teil) als Lesestoff der Protagonisten ins Buch eintritt.602 Wo das Fehlen von weiteren Schriften zum Erzählabbruch führte, wird der derart eingesetzte Erzähler/Herausgeber auf der Suche nach weiteren Papieren zufällig fündig, findet er, mit Glück: „suerte“, im Judenviertel auf dem Karren eines „Lumpenhändlers“ unter alten Schreibbüchern und Papieren solche, die sämtlich von Don Quijote handelten,603 die „ganze Makulatur“, wie Ludwig Tieck übersetzte,604 auf.605 Auch die Fiktion der „Vor-Geschichte“ des Leben Fibels modelliert die ‚Erzählung des Lebens‘ als vielhändiges Schreib-Erzeugnis und setzt den ‚zweiten‘ Verfasser des Lebens Fibels als Kompilator und Abschreiber in die Spuren des lebenschreibenden Vorläufers. Die Editoren- und Schreibtätigkeit beginnt mit der verwörtlichenden Ausführung des Exzerpierens als Aus-Ziehen, die „noch anderthalb Ruinen Blätter“ dieser Lebenshistorie, „alles Gedruckte aus den Werken“, wovon „oft über zwei bis dritthalb Bogen stehen geblieben“ waren, „auszuziehen, nämlich auszureißen“.606 Die Auszüge auzuschließen: Die müden Gebeine des Quijote sollen ruhen dürfen, „que deje [ jeder Autor] reposar en la sepultura los cansados y ya podridos huesos de don Quijote, y no le quiera llevar, contra todos los fueros de la muerte, a Castilla la Vieja […]“ (Cervantes, Don Quijote II, 638ff.). Menard lässt in Borges’ „Pierre Menard, autor del Quijote“ Cervantes’ „prólogo autobiografico de la segunda parte del Don Quijote“ (vgl. Don Quijote II, 25-28) aus, weil er für diesen eine weitere ‚Figur‘ „– Cervantes –“ hätte schaffen und „en función de ese personaje y no de Menard“ schreiben müssen (Borges, 48). Eine weitere Draufgabe findet sich in Danielewskis House of Leaves (2000), wo wiederum Menard in einem Pariser Café angetroffen wird (545). 602 Im ‚echten‘ zweiten Teil nimmt das Personal innerdiegetisch Bezug auf das (erste) Buch und ‚sich‘ als zu Lesende; zum „ontologischen Bruch“, vgl. Leopold, „Vom ingenio zum artificio“, 165, 169f.; Allen, „Introducción“, Don Quijote II, 11f. 603 Ein Junge, ein „Lumpenhändler“ (so Leopold, „Vom ingenio zum artificio“, 175) will sie von seinem Karren gerade einem „sedero“ verkaufen (Don Quijote I, 179-82). Das zitierte: „Seid außer euch, ihr sämtlichen Literatoren“ (SW I.6, 374) hat eine Vorlage im vom Glück begünstigten Übergriff: „saltéandose le al sedero, compré al muchacho todos los papeles y cartapacios por medio real“ (Don Quijote I, 179f.). 604 Tiecks Übersetzung von Miguel de Cervantes Savedra, Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha (1799-1801), zit. nach Fuchs, Büchermachen, 50; vgl. aber Cervantes, Don Quijote I, 179f. 605 Dieses fiktive Manuskript endet mit der jammervollen Heimkehr Quijotes, „Cervantes“ stellt am Ende (des ersten Teils) bez. der dritten Fahrt Konjekturen an, die auf Gerüchten, „las memorias de la Mancha“ und zufällig durch „la buena suerte“ gefundenen Pergamentrollen mit „versos castiliaños“ beruhen, die „el fidedigno autor desta nueva y jamás vista historia“ ab- und ins Reine schrieb (Don Quijote I, 659ff.); auch ein neues Manuskript Cide Hametes muss irgendwoher für die Fortsetzung aufgetaucht sein (Allen, „Introducción“, Don Quijote II, 11f.). 606 Die „Erlaubnis“ kauft er „dem Judenchristen leicht um den Ladenpreis“ ab, „sobald ich die Einbände verschonte“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 375); zum wörtlichen und metaphorischen Ausziehen vgl. Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 85. Heraus-/

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werden, abgeschrieben, unter dem Titel „Judas-Kapitel“ ins Buch eingehen, und damit unter dem, in der Konversion, Judas für Judas „eingetauscht[en]“, in sich/gegen sich entstellten, Namen:607 „gleichsam wie mit Judeneiden und Urkunden“ „verbrief[t]“ (derart „wie“ mit den diskriminierenden Eidformen, die Juden (da christliche Eidformeln sie nicht binden würden) in Rechtsstreitigkeiten mit Nichtjuden abgefordert, erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in den meisten deutschen Staaten abgeschafft wurden). Das weitere Fortschreiben des fiktiven Herausgebers werden andere gestreute Überreste, „Trümmer […] von historischen Quellen“ ermöglichen, die Überreste einer anderen verwörtlichend ex-zerpierenden Zerlegung von Büchern, die, wie zuvor nicht um des Ausgezogenen, sondern um der verbleibenden leeren (Buch-)Schalen willen, nun auch nicht um des Textes, sondern um des Papiers willen erfolgte, das anderen Verwendungen zugeführt wird, aus-gerissen sich verflüchtigen oder verwendend zerstreut wurde: [D]ie Marodeurs hatten die Lebensbeschreibung, diese herrliche historische Quelle für uns alle, zerschnitten und aus dem Fenster fliegen lassen und die besten Notizen sonst schlecht gebraucht. Aber zum Glücke für uns alle lasen […] die guten Heiligenguter alle übriggebliebenen Quellen auf und verschnitten sie zu Papierfenstern, Feldscheuen und zu allem. – Daraus war immer etwas zu machen – wenigstens ein Buch aus den Vierzigern[.]608

Wir haben es demnach beim Leben Fibels mit der sekundär sekundären Verwertung der papierenen Überreste, als die Bücher jederzeit betrachtet und behandelt werden können, zu tun, die anderen Verwendungen des Papiers zum einen noch zuvorzukommen suchen muss, zum anderen aber von solchen Verwendungen noch profitieren kann, insofern sie zu diesen vorgesehen, vorgehalten und an anderen Orten gespeichert werden. Derjenige, der zum

Zerreißen wird als Geste des intertextuellen Textes kenntlich, vgl. Wirth, „(Papier)-Müll und Literatur“, 29f. 607 „Judas nämlich nennt sich unser widertäuferischer Judenchrist; denn er hatte seinen frühern jüdischen Namen Judas, welchen Ischariot der Verräter geführt, vertauscht gegen den christlichen Namen Judas, welcher bekanntlich als Apostel im Neuen Testament mit seiner kurzen Epistel St. Judä steht.“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 375). Der Konvertierte bleibt „Judenchrist“ unter dem „christlichen Namen“ des Apostels Judas (ebd.), wohl eines Judenchristen, wie die spätjüdische, apokalyptische Sprache des kurzen Judasbriefes nahelegt (der die heilsgeschichtliche Kontinuität mit dem erwählten Volk betont, aber auf dessen drohende Verwerfung verweist). Ein „jüdischer Konvertierter“ bleibt markiert, so Kofman zu Heine (Die lachenden Dritten, 18f.), sowie zur Ersparnis im Namenswechsel Hirsch-Hyazinths, Harry-Heinrich Heines, zur Markiertheit eben da, wo er sich verbirgt (22f., vgl. Kap. V.1). 608 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 374f.

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

„fibelschen Lebensbeschreiber“ (aus zweiter Hand) werden will, wird ins „Geburtsdorfe Fibels“ reisen, um „mich da ein wenig anzusetzen, um wenigstens noch so viele aufzutreiben, als etwa nötig wären, um aus allen biographischen Papierschnitzeln geschickt“ ein ‚Werk‘ „zusammenzuleimen“,609 aus vorund aufgefundenen, zugetragenen Schriften/Papieren. Die metapoetische Fiktion des Textes gibt die fiktive Szene einer komplexen vielfachen Autor-, Herausgeber- und Beiträgerschaft vor, die als Prinzip gelehrten Schrifttums, von wissenschaftlichen Akademien und gelehrten Zeitschriften berufen, verwörtlicht realisiert ist: So wäre denn nun wieder durch Gesamt-Wirkung vieler das entstanden, was man ein Werk nennt, eine Lebensbeschreibung durch Jungen, zwei Beschreiber und den Helden selber. Ja vielleicht stell’ ich im kleinen persönlich eine große Académie des inscriptions vor – weil die Jungen deren korrespondierende Mitglieder sind und ich zeitiger Präsident und beständiger Sekretär oder Erzschreinhalter –; oder ich bin, will ich jenes nicht, doch jene Gesellschaft in Edimburg persönlich, welche Ossians Überbleibsel sammelt und prüft.610

Die fiktive Produktionsgemeinschaft des Leben Fibels umfasst neben dem als Herausgeber fingierten Verfasser auf den Spuren des Fibel und dessen lausigen Vorgänger Pelz, Verfasser der (fast) verlorenen Bücher, der in Resten aufgefunden 40-bändigen Biographie, auch diejenigen, die sich als literaliter AusZiehende betätigten, die Auf-Lesenden, die die Seiten zer-schnitten, um sie als Papier vielfältig zu verwenden, wie auch die (Her-)Beiträger, die Zuträger des ab- und zusammenschreibenden, des kompilierenden und kommentierenden Herausgebers. Die aufgerufene „Gesellschaft in Edimburg […], welche Ossians Überbleibsel sammelt und prüft“, unterlegt der Vorgeschichte mit der berühmten Fälschung611 die des, in einer weiteren Variante der Ms.-Fund-Fiktion, als (bloßer) Herausgeber sich ausgebenden Macpherson. Dieser setzte als fiktiver Herausgeber mit „Ossian“ nachträglich einen Ursprung für vermeintlich

609 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 375: und zwar wie ein „Luftballon“, der tauge „um den unten darangehängten Helden Fibel (in Paris stieg zuerst nur ein Hahn gleich dem bekannten Fibelhahn empor) von der Erde in die Höhe und in den Himmel zu tragen“ (im Kapitel „Papierdrache“, 425). 610 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376. Auch Pelz, erster ‚Lebensbeschreiber‘, bildete eine „biographische Akademie“ unter Vorsitz Fibels (Leben Fibels, SW I.6, 483), mit regelrecht konstituierendem Programm (487f.). 611 Zur Geschichte vgl. Höfele, „Der Autor und sein Double“, 82-90, zu den Konjunkturen der ‚Ossian-Begeisterung‘, die bei Abfassung des Leben Fibels noch nicht zu Ende war, 82f.

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vorgefundene „Fragments“ als den Poems of Ossian ein,612 verleiht diesen ein Gesicht bzw. einen ‚Mund‘ und projektiert deren Einheit.613 Wie der Fall Ossian zeigt, muss „Origin“/alität614 durch die vermeintlich sekundären schriftlichen Spuren der Philologen, Bei- und Paratexte etabliert werden.615 Dieses Vorbild 612 ‚Ossian‘ ist der Name für die origio angeblich gälischer Bruchstücke, die er angeblich gesammelt und übersetzt habe; zu den Reisen (oder auch Expeditionen) auf deren Spuren, die die Wiederherstellung eines Ganzen versprechen, vgl. (Macpherson) Fragments of Ancient Poetry. Collected in the Highland of Scotland, and translated from the Galic or Erse Language (1760), „Preface“, iii-viii; dass. in The Poems of Ossian (1996), 5f.; darin auch „Preface“ (zu 1st ed. von Fingal 1761f.), 35ff., sowie „A Dissertation concerning the Antiquity of the Poems of Ossian“, 43-52; vgl. Döring, „Am Anfang war die Übersetzung“, 184f., 190; Doll, Fälschung und Fake, 147-99, insb. 185-96; Reulecke, „Einleitung“, 23f. Als „Spurensuche nach den Ursprüngen der Poesie im Volk“ entspricht sie der Herders, vgl. Matala de Mazza, „Asteriske und Oberbeistrichlein“, 191, 188-93. 613 Vgl. Höfele, „Der Autor und sein Double“, 81, 84, 89; Metz, „Blüten: Falsche Noten bei James Macpherson und Thomas Chatterton“, 133-36. 614 Der mit „Ossian“ behauptete Ursprung der Poesie ist parallel zu – und überbiete „Homer“ (vgl. (H.  Blair) „A Dissertation concerning the Antiquity of the Poems of Ossian“, 46), dessen Name Young paradoxal für die propagierte Original Composition einstand (Conjectures on Original Composition (1759, Sec. Ed.), 7f., 11f., 14, 18f., 25-29/Gedanken über die Original-Werke, 1760, 17, 23-26; vgl. Reulecke, „Ohne Anführungszeichen. Literatur und Plagiat“, 269ff.). Das Original ist zitiert (weitere Fälle, vgl. Ruthven, Faking Literature, 121ff.) und Schauplatz sich überlagernder Zitationen: An (der) Stelle des gefälschten erfundenen Autors wird nicht nur „nothing“ oder „a void“ (Höfele, „Der Autor und sein Double“, 90), sondern eine Vielzahl von Zitiertem und ein Netz von äußeren Instanzen und Hinzufügungen angetroffen (vgl. Reulecke, 268-72; Doll, Fälschung und Fake, 185). 615 Im Zusammenspiel von Edition, Übersetzung, Anmerkungsapparat, „Dissertations“ und deren Instanzen in The Poems of Ossian, 3-6, 43-52, 205-24, 342-400; vgl. Höfele, „Der Autor und sein Double“, 86-89; Döring, „Am Anfang war die Übersetzung“, 184f.; Metz, „Blüten: Falsche Noten bei James Macpherson und Thomas Chatterton“, 117ff., 121f. Die Kollaboration der Philologie an der Fälschung kann u.a. in der Person Hugh Blairs identifiziert werden, der die Publikation der Fragments (1760) unterstützte, der Ausgabe (von „Ossians“ Fingal, Temora) die „Critical Dissertation on the Poems of Ossian, The Son of Fingal“ (1765) beigab, vgl. Reulecke, „Einleitung“ (zu Fälschungen), 24f.; Höfele, 84. Fälschungen setzen demnach nicht nur voraus, dass sich bereits Diskurse oder „Formen des Umgangs mit originalen authentischen und autoritativ beglaubigten Artefakten etabliert haben“ (Doll, Fälschung und Fake, 33), sondern an ihnen ist ablesbar, welche schriftlichen Instanzen und Operatoren diese erst etablieren werden. Die philologische Spur der Fußnoten einer derart fiktiv sich manifestierenden Herausgeberinstanz in ihrer genuinen Schriftlichkeit authentifiziert die ursprüngliche ‚Stimme‘ (Döring, 18386), gibt „Überzeugungskraft“ (Metz, 117ff., 120ff.). In diesem Sinne haben Auslassungszeichen: Asteriske, in der Geschichte „der möglichst authentischen und genauen Handschriftentradierung“ (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 27f.) als Zeichen für Fehlendes eingeführt, die hier in Fußnoten des fiktiven Herausgebers vermeintlich Verlorenes auslassend markieren, als philologische Anzeigen des fiktiven Sammlers und Editors, das (gefälschte) Manuskript authentifizierende Funktion (in

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

mag das „dennoch“ motivieren, mit dem die „Vor-Geschichte“ im folgenden Satz auf die Treue der Abschrift insistiert: „Das folgende Buch ist dennoch der treue Auszug aus den 40 bruchstücklichen Bänden des Christen-Judas und meiner Jünger, und das Dorf Heiligengut hebt sich zu einer biographischen Schneiderhölle voll zugeworfener Papier-Abschnitzel.“616 Das Vorgehen des fiktiven Herausgebers entspricht auch in seiner Fiktion von Feldforschung dem Macphersons auf den Spuren der vermeintlichen „Fragments […] collected in the Highlands of Scottland“ (wie der Titel lautete). Auch die „VorGeschichte“ schreibt dem Text eine vorausliegende ‚Quelle‘ zu, die sich bezeugt in ihrer Entzogenheit, im in Resten Auffindbaren, in der – schriftlich: philologisch nachtragend markierten – Bruchstückhaftigkeit des ‚Überlieferten‘,617 des Verworfenen und Zufallenden. Mit der Fiktion einer vielhändigen Hervorbringung stellt die „Vor-geschichte“ eine Schreib-Szene als „heterogenes Ensemble“, das Hände, Papiere, Dinge, Handhabungen, Praktiken koppelt,618 einer zusammengesetzten HerausgeberAutor-Schreiber-Beiträgerschaft (die „ich“, der Verfasser, „bin“).619 Sie stellt die gelehrten Techniken des Verfertigens aus Exzerpten, das „technische System“ des Lesens/Schreibens, des Ausziehens und Ausschreibens, der Exzerpten‚Verwaltung‘ wie deren Handhabungen, Blättern/Lesen, Ab- und Zusammenschreiben, des Zerlegten Wieder- und Weiterverwenden, das Bei- und Zutra­gen aus ‚allen vier Ecken‘620 vor, die verwörtlichend aus-/aufgeführt sind. Die „Vor-Geschichte“ gibt derart eine groteske mise en abyme der Verfahren gelehrten Schrifttums, der wissenschaftlichen Akademien und Zeitschriften und der philologischen Unternehmungen. Diese zeigen sich an des (vermeintlich originären) Werkes Rand, schriftlich ein- und hinzufügend. Sie operieren vom Rande her, bzw. in der Randzone: ‚unentscheidbar zwischen innen und außen‘, als der Schwelle der konstitutiven Transaktionen zwischen diesen, und ‚scheinen‘ doch auch im (vermeintlichen) ‚Innern‘ auf, schreiben sich, von

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Temora (1765) in The Poems of Ossian, 203-408), sie werden als Spur des Realen berufen (vgl. Kap. IV.1). Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376; aus dem Basteln mit abfallenden „Papierabschnitzel[n]“ leite „gegenwärtiger Schriftsteller“ (überhaupt) sich her (Selberlebensbeschreibung, SW I.6, 1058; Jubelsenior, SW I.4, 438). Auslassungszeichen als philologische Anzeigen des ‚real‘ Fehlenden von Händen der Herausgeber: Asteriske des fiktiven Sammlers und Editors Macpherson sollen das (gefälschte) Manuskript authentifizieren; Auslassungszeichen anstelle von Abgerissendem und Fehlendem zitieren und bearbeiten diesen Effekt in Leben Fibels (SW I.6, 525). Vgl. Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“, 275, 278-82; Stingelin, „‚Schreiben‘“, 13f., 8f., 17f.; Flusser, „Die Geste des Schreibens“, 33f.; Pethes, „Actor-Network-Philology?“, 207f. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376. Wie für Jean Paul in Kap. III.1 dargestellt.

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anderer Hand, unterbrechend aufs Geschriebene zurückkommend, ein.621 Die Äußerlichkeit der Operationen, die einen Text erzeugt haben werden, wird – dem Ideal der Dichtung um 1800, die diese (nicht einmal integriert, sondern) überspringt oder schon vergessen gemacht hat, widerstreitend – mit den ‚vielen Händen‘ (fiktiv) realisiert, die an der Schreibszene des ‚genuin‘ allographen Textes teilhaben. Schreiben ist derart nicht nur fingiert als intertextuelles,622 das eine Textur der Zitationen im Bezug auf andere schreibt, sondern damit als Schreiben, das ausgesetzt ist an andere,623 die auflesen, aber nicht lesen, die am Sinn der Zeichen auf dem Papier nicht interessiert sind oder nicht lesen können, und mit diesen ans andere der Intentionen, an Kontingenz. Diese Fiktion betrifft die problematischen „Grenzen des Buches“,624 die die Paratexte bearbeiten, die (nicht sich zum Verschwinden bringende Linien, vielmehr) als Schwellen mit eigener Extension, Zonen der Transaktionen,625 das vermeintliche ‚Innere‘ im Bezug auf das – durch Abscheidung des diesem vermeintlich bloß Äußerlichen – erst konstituieren, das sie an seine Ränder verweisen. Jean Paul suche, so Armin Schäfer, „das Buch über die Grenzen des Buches hinauszutreiben“, indem „seine Bücher Experimente mit der

621 Schreiben kommt ‚lesend‘: sich einschreibend auf sich zurück; als „Autonotist“ kennzeichnet Jean Paul den Verfasser von Feldprediger Schmelzle (vgl. Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 87; vgl. Pfersmann, „La secte des autonotistes“, 84; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 208, 195-98); auch dieser ist als Leser/Schreiber in der Zeit, im Raum verschoben ein anderer. Schriftliche Spuren der ‚anderen‘ Hand sind Fußnoten, Auslassungszeichen u.ä. Auch Fibels, der ‚auf den Spuren der Rubrikatoren geht‘, schreibende Hand ist eine nachtragende, aufs schon Geschriebene auf der Textseite und deren Spatialität bezogen (Leben Fibels, SW I.6, 429); vgl. Kap. III.1 u. IV.2. 622 Vgl. die Sek.Lit.: Esselborn, „Intertextualität und Selbstbehauptung“, 69ff.; SchmitzEmans, „Vom Leben und Scheinleben der Bücher“, 34-41; Dembeck, Texte rahmen, 356f. 623 Wurden im spätmittelalterlichen Schriftwesen Schreiber, Kompilator, Kommentator, Autor gesondert und schlägt sich dies auf der Buchseite nieder (Illich, Im Weinberg des Textes, 92f., 111ff.), handelt Jean Paul auch von den Instanzen des Druckwerks: „Setzer, Korrektores und Autores, die freilich die Sachen lesen müssen“, selbst Buchbinder (SW I.4, 355; vgl. die Zitatsammlung in Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 369-77); insb. Druckfehlern gilt als Beteiligung anderer (der Setzer) Hände, die Aufmerksamkeit; Jean Paul sammelte sie (vgl. u.a. SW I.5, 1289, 1286ff., 1295f.). 624 Zur Diskursform Buch und den „Grenzen“, die dieses, das ‚Innere‘ ausschließend erst erzeugen, die „nie sauber und streng geschnitten“ sind: „über den Titel, die ersten Zeilen und den Schlußpunkt hinaus, über seine innere Konfiguration und die es autonomisierende Form hinaus ist es in einem System der Verweise auf andere Bücher, andere Texte, andere Sätze verfangen“ (Foucault, Archäologie des Wissens, 36). 625 Benjamin, Passagen-Werk, GS V, 618; Genette, Paratexte, 10; Derrida, „This ist not an oral footnote“, 196.

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Diskursform Buch“ anstellen.626 Das geschieht durchs Abundieren der Paratexte wie auch (deren Pendants) der Exkurse und Digressionen, die als vermeintlich bloß Äußeres das Innere überborden, die dessen (vermeintliche) Grenze bearbeiten, als Ränder, an denen darüber entschieden wird, was dazu gehört und was nicht, wo (um des ‚Werks‘ willen) das „unendliche Gewimmel“ des Gesagten und Geschriebenen, die „Vielfalt und das Wagnis des Zufalls“ gebannt,627 etwa mit dem Namen des Autors im „Gewimmel sprachlicher Spuren“ oder Zettel eine (nicht ‚von innen‘ begründete, sondern) kontingente Grenze gesetzt wird, die nur fraglich, instabil sein kann.628 Die Szene des Schreibens des ‚Herausgebers‘, die das Schreiben aus Ausgezogenem und Zusammengesammeltem wörtlich nimmt, setzt es mit den Abschnitzeln, Überresten, Abfällen an die Unvorhersehbarkeiten des Verbleibs und des Zukommens, den Zufall und die Schickungen, an die Kontingenzen des physisch sich Zutragenden aus – und aufs gute Glück. Die Ausschickung der Beiträgerschaft „namentlich“ der „Schwein-, Schaf- und Gäns-Hirten“, „welche zu Kompilatoren der im Dorfe zerstreueten Quellen tüchtig waren“,629 korrespondiert den Verstreutheiten des ge- und vernutzten Papiers, das – am Maß der ihnen aufgedruckten Zeichen und deren möglichen Inhalts – zufällig verschlagen wurde an die heterogensten Orte und Aborte, wie die „Schnei­ derhölle voll zugeworfener Papier-Abschnitzel“. Die „guten (Heiligenguter) Papiere“, das sind „Kaffee-Düten, Heringspapiere[] und ander[e]“, „Fidibus, […] Stuhlkappen, Papier-Drachen und andere fliegende Blätter fiblischen Lebens (und mancher Wisch ist oft ein Kapitel stark), welche mir die KnabenKnappschaft täglich einbrachte“, oder als ein unverhofft ausgebliebene Papiere doch noch beibringender „Papierdrachen“ (einer anderen „Knabschaft“), 626 A.  Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 220f.; Jean Pauls „Schreibweise“ verunsichere „die Evidenz des Werkbegriffs“, bringe „die stabile Konfiguration des Textes ins Wanken“ (ebd.). 627 Das geschieht durch den „Traum einer maskierten Wiederholung“ als dem „Prinzip des Kommentars“, dem zufolge alles weiter- und dazu- Gesagte redundante Wiederholung des ‚Werks‘ sei (Foucault , Die Ordnung des Diskurses, 18). 628 Foucault, Archäologie des Wissens, 37; was denotiert „der Name eines Autors“? „einen Text, den er selbst unter seinem Namen veröffentlicht, […] und einen weiteren noch, der lediglich ein Gekritzel, ein Notizbuch, ein ‚Papier‘ darstellt, auf die gleiche Weise? […] Muß man außerdem jeden Schmierzettel, jeden ersten Entwurf, Korrekturen und Durchstreichungen der Bücher hinzuzählen? Muß man die verworfenen Skizzen hinzufügen? Und welchen Status soll man den Briefen, den Anmerkungen, den berichteten Gesprächen […], kurz: jenem ganzen Gewimmel sprachlicher Spuren geben, die ein Individuum bei seinem Tode hinterläßt und die in einem unbestimmten Verkreuzen so viele verschiedene Sprachen sprechen?“. 629 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, hier und das Folgende 376.

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der ermöglicht das Kapitel „Papierdrache. Erfindung und Erschaffung des sächsischen Abc’s“ abzufassen.630 Die beigetragenen Papiere machen, so der Verfasser der „Vor-Geschichte“, der die Fiktion seines Schreibens vorgibt (die „Jean Paul Fr. Richter“ gezeichnet ist), „vermögend, gegenwärtiges Leben oder Buch [Leben Fibels von Jean Paul?] anzufangen“, „[d]araus war immer etwas zu machen – wenigstens ein Buch“: bastelnd aus „Heringspapieren“, wie Fibel aus den zerschnitten (gedreht oder geklebt) zu Tüten dienenden Makulaturbögen,631 und anderen papierenen Auszügen, -rissen, Abschnitzeln, als Papier anderen Verwendungen632 zugeführten Überresten zusammengeleimt – wie zu einem „Luftballon“ „aus allen biographischen Papierschnitzeln“, der den „darangehängten Helden“–,633 oder zum „Papierdrachen“, der den „Autor“ „auf Papier“ – allerdings begrenzend: am „Leitseil“ – erhebe.634 Derart, durchs Zusammenleimen heterogener Schnipsel, von „zusammengetragen[en]“ „Papieren aller Art“,635 wird aber nicht ein „Werk“ entstanden sein: so wenig 630 – „wo ich die Sache dennoch bekam, als eine spielende Knapp- oder Knabschaft (es war nicht meine biographische) das Kapitel an mein Fenster steigen ließ, als Papierdrachen“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 425); zum Status dieses 13. Kapitels vgl. Kluger, „‚Ein Buch macht Bücher‘“, 34, vgl. Jean Pauls Notat „Fliegender Drache“ [SBB NL, Fasz. XIV, K.7, S. 20 (B11r)] 36. 631 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376; das Kapitel „Heringspapiere“, nach dem zugedachten Einwickelobjekt benamt, lässt über Fibels „Studien“ im Tüten-Material des Gewürzladens, „seiner Lese-Bibliothek“ lesen (388ff.). 632 Neben den schon aufgezählten, etwa als Fenster, Patronen, Schneider-Muster usw. und andernorts; worin Zitationen der Swiftschen Verbleiborte all’ des Papiers, zu dem die Bücher werden, erkannt werden können („Dedication to Prince Posterity“, A Tale of a Tub, 4th ed. (1705), 8f.) – spätestens wenn „Jean Paul“ die Pendants zu Swifts „Jakes“ aufsucht. 633 – „welcher, sobald ich mein Feuer dazufüge, aufgeblasen und rund genug wird, um den unten darangehängten Helden […] von der Erde in […] den Himmel zu tragen“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 375), womit der göttliche belebende Geist parodiert ist. 634 Das legt Jean Paul als Allegorie aus: Der „Schicksals-Wink“ wolle „wohl sagen: so heben wir Autoren auf Papier uns sämtlich hoch genug (höher vielleicht, als unsere Bescheidenheit anerkennen will); Wind (er bedeutet das Publikum) trägt auf- und fortwärts; an der Schnur hält den Drachen ein Knabe (er soll den Kunstrichter vorstellen), welcher durch sein Leitseil dem Flugtiere die ästhetische Höhe vorschreibt.“ (Leben Fibels, SW I.6, 425; zur auto- und autor-biographischen Metapher Sich-auf-Papier-Erheben vgl. Pfotenhauer, „Bücher-Biographie“, 7; ders., „Das Leben schreiben – das Schreiben leben“, 52). 635 So Jean Paul zu einem letzten (als „neue[r] Don Quixote“, Nachahmung oder -lieferung, „Mockbird“ erwogenen) Vorhaben: „wie er seit Jahren Papiere aller Art zusammentrage, […] um alles zurechtzuschneiden und zu leimen zu einem außerordentlichen Papierdrachen, den er als eine Spielsache gegen das elektrische Gewölk wollte zum Scherze, zum Untersuchen und zum Ableiten steigen lassen, wenn der rechte Wind dazu bliese […]. Oft wünsch’ ich mir selber Glück, wenn ich oft berechne und bemesse, welche lange Schwanzfedern und breite Flügel ich meinem Drachen anzunähen vermag, aus so manchen Papieren, aus Flugschriften und Einlösscheinen [… zit. im Folgenden], wobei

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wie ein solches Fibels, der aus der zerschnittenen Makulatur des Gewürzladens seine Lesebücherei oder „allgemeine deutsche Bibliothek“, die ‚Exzerpte‘ (auf Papier) für die künftige „poetische Enzyklopädie“ bezogen habe,636 auch keines des fiktiven Herausgebers, das unentscheidbar unabgeschlossen in den heterogenen Partikeln sich zeigt, und wenn eines „von Jean Paul“,637 so ist dieses allein lesbar in der Vervielfachung der Beiträge und Hinzufügungen aller Art, vieler ungewisser Instanzen.638 Mit einer traditionsreichen Metapher wird das Buch (Fiebels) auf dessen Genese bezogen: „Jetzt, da wir freilich das fertige Abc vor uns liegen haben2 [in der Fußnote: „Siehe Anhang“], denken wir es uns schon so fertig gelegen auch in Fibels Gehirn, daß er es aus diesem nur bei dem Kopfe herauszuziehen brauchte; aber könnte man nur in eines Autors GehirnUterus nachsehen, welche Menge zurückgebliebener Glieder, ja ganze Halbzwillinge des Buchs würde man darin aufgespeichert finden!“639 Die Bücher Jean Pauls, „hart an der Grenze des Buchs“,640 schreiben die anderen „Glieder“, ja „Halbzwillinge“ gleichsam mit: in ihrem unabschließbaren, hinzu- und einfügenden, unterbrechenden, ablenkenden (noch und wieder) Werden; auch in diesem Sinne geben sie Grotesken, die als Körper im Werden die geschlossene Gestalt dementieren.641 Sie scheiden sich nicht ab vom Vorgang ihrer schreibenden Verfertigung, tragen Spuren des nicht teleologisch ausgerichteten Werdens, des Lesens/Schreibens, der Exzerpte, der Umwege und ich die Liebesbriefe und Küchenzettel und Arzneizettelchen als bloße Bauchfederchen gar nicht einmal mitzähle.“ („Vorrede“ zu Der Komet, SW I.6, 569 u. 571; umgekehrt der aus der makulierten Auswahl aus des Teufels Papieren zusammengeleimte „papierne[] Drachen“, Komischer Anhang, SW I.3, 865). 636 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 388, 429. 637 So auf dem Titelblatt durch einen Akt der Aneignung zugeschrieben, aber entscheidet das? daneben in „Vorrede“ u. „Vor-Geschichte“ ‚signiert‘ (und datiert): „Jean Paul Fr. Richter“ (Leben Fibels, SW I.6, 368, 377); I.  P. (502ff.), als „Ich“ (schreibe) im Text, in einer Kapitelüberschrift (522), „Ich J. P. Richter“ (526). Zu diesen Unterscheidungen und Relationen vgl. Foucault, „Was ist ein Autor?“, 1019f, 1012-17. 638 Wie bereits vermerkt besteht Leben Fibels auch aus Kommentaren (zu Kommentaren) (s.o.), und es wendet sich insbesondere, wo das Erzählen mangels Lieferungseingängen abbricht, auf sich (s.u.). 639 Jean Paul, Leben Fibels SW I.6, 428. Zur Relation von „Genese“ und Werk bez. Editionspraxis, vgl. Wirtz: „Der klassische Werkbegriff […] muß vor solchen Arbeitsspuren ratlos bleiben und hat mit editorischer Ausgrenzung darauf geantwortet.“ („Vom Nachlassen“, 176, vgl. 175); zum Edieren in Relation zum schreibenden Zögern im Prozess von der „ersten Spur“ zur Fassung „letzter Hand“, Neumann, „Schreiben und Edieren“, 197, 203-06; vgl. Vogl., Über das Zaudern, 24,75f. 640 A. Schäfer, „Jean Pauls monströses Schreiben“, 220f. 641 Groteske Fügungen und groteske Körper im Sinne Bachtins: zweileibige Körper im Werden (vgl. in Kap. IV.1).

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Unterbrechungen,642 des Potentialis des anders Möglichen. Ein letztes Buch, so nimmt Jean Paul mit dem „Papierdrachen“ in Aussicht, müsse Alles, alles aus dem Pult, den Heften usw. einlassen, hineinschreiben: „damit nur einmal ein Ende ist mit mir und von mir“.643 Ein solches unmögliches Dings bliebe „zusammengeleimt“ aus „zusammentrage[nen]“ „Papiere[n] aller Art“: „Herrenpapier und Kartaunenpapier, Trauerpapier mit vergoldetem Schnitte und Staatspapier und Stempelpapier“, „Flugschriften und Einlösscheinen – aus Hirtenbriefen und gnädigsten Handschreiben – aus Komödienzetteln und diplomatischen Berichten und Konkordaten, wobei ich die Liebesbriefe und Küchenzettel und Arzneizettelchen […] gar nicht einmal mitzähle“,644 „Gewimmel“ der schriftlichen Spuren und Papiere. Schreiben erzeugt keinen einen in sich geschlossenen Text, in dem es aufgehoben wäre; es verweist (sich), wie das Schreib-Experiment ‚Leben Fibels‘ verwörtlichend exponiert und erkundet, an heterogene Abkünfte, an die Kontingenzen des Verbleibs der Überreste und die der ‚Zu-Träge‘: Zufälle durch „meine[] nackte[] Pennypost“.645 Die Angewiesenheit des ‚Werks‘ auf das, alles Mögliche andere Geschriebene, Ausgeschriebene, Notierte, was es nicht ‚selbst‘ ist, und was es sich nicht verstehend integriert, worüber kein Autor verfügt, wird derart materialiter aufgefasst: als Ab-, Fort- und Zusammenschreiben von wörtlich ausgezogenen, aus- und zerrissenen, verstreuten, anderen Nutzungen zugeführten und aus der Verstreuung beigetragenen Überresten auf Papier. Leben Fibels macht der Witz der Herkünfte aus unverfügbar Vorgängigem aus. Aus den kontingenten Ver-Wendungs- wie Zufluchts-Stätten des von 642 Wie von Jean Paul Fr. Richter in der „Vorrede“ (Leben Fibels, SW I.6, 367) ist das Schreiben von Leben Fibels zu kennzeichnen als vielfache, ungerichtete „Suchbewegungen, die immer wieder in die Produktion anderer Texte münden, um aus diesen wieder neue Motive und Züge für […] Leben Fibels zu entwickeln“, als „nie endende[r], weil immer wieder neu sich entwickelnde[r] und erweiternde[r] work in progress“ (Kluger (bez. der projektierten Neuausgabe), „Projektbeschreibung ‚Leben Fibels‘“). Der „Vorbehalt gegen das Experimentierend-Vorläufige hat […] dazu geführt, die Ausgabe […] Jean Pauls auf die seiner Sämtlichen We r k e zu reduzieren“ (Wirtz, „Vom Nachlassen“, 175f.); „jeder Edition läuft das von ihr ausgeschlossene Material als Komplement nebenher“ (173). „Durch die Exzerpte kehren die Romane Jean Pauls zu ihrer Genese aus Literatur zurück“ (ders. u.a., „Zum Stand der Jean Paul-Edition“, 27). 643 So „Ausschweife für künftige Fortsetzungen von vier Werken“ (Jean Paul, SW II.3, 1065ff.), um „wirklich nichts zurück[zu]lassen“ so in Der Komet (letzter nicht fertiggestellter Ro­ man, SW I.6, 569ff.), Jean Paul (Vita-Buch), zit. in G. Müller/Knab/Feifel, „Nachwort“, 269; vgl. Will, „Jean Pauls (Un-)Ordnung der Dinge“, 92f.; Jauslin, „Der Tragelaph“, 236f. 644 Jean Paul, Der Komet, SW I.6, 569f., 571f. 645 Jean Paul, Leben Fibels SW I.6, 376; Penny Post markiert in der Geschichte der Post die Einführung eines „einheitlichen Portos im gesamten britischen Kolonialreich“, vgl. Wills, „Genf, 1976“, 83 (mit Bezug auf Staff, The Penny Post 1680-1918).

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Marodeuren und Kriegsfledderern als Papier zerlegt-entwendeten Textes wird in Stücken, als Reste aus zerstreuter Verbreitung durch die gleichfalls sich zerstreuenden aus allen Orten und Ab-Orten Bei-Tragenden nicht gelesen, sondern kriterienlos zugetragen. Der zufällige Verbleib der Überreste ist umgekehrt in das eingeschrieben, was die Papiere, als Reste einer (fast verlorenen) Biographie und damit eines „Lebens“ zu lesen geben. Kapitelüberschriften indizieren für die Auszüge, die als Abfälle und Überbleibsel vorgefunden, für die Textstücke, als die die Reste (ab-?)geschrieben eingefügt wurden, die Orte, an die es die Papiere (fiktiv) verschlug, aus denen sie zufällig zusammen- und herbei-getragen wurden; „als degenerierte Indices [verweisen sie, so Uwe Wirth] auf die genuin indexikalischen Spuren“ einer Bewegung, „der die Textfragmente unterworfen waren, bevor sie in ihr neues Syntagma eingeschrieben wurden. Die Äußerlichkeit der editorialen Rahmungsakte am extradiegetischen Rand des Diskurses wird dabei in Form einer mise en abyme vom intradiegetischen Rand gespiegelt.“646 Ist vom Ehestand der Mutter auf dem Papier des papierenen „Haubenmuster[s]“, wie die Kapitelüberschrift lautet,647 zu lesen, verweist dies auch auf die „Schneiderhölle“, Metametapher aller Fundorte. Die „Schneiderhölle voll zugeworfener Papier-Abschnitzel“, als die das Dorf Heiligengut ausgewiesen ist,648 ist ein ungeordneter ‚Speicher‘ des Deplazierten, Abfallenden, im (virtuellen) Übergang zu eventuellen Wieder-Anders-Verwendungen, zu denen auch das Zusammentragen und abschreibende Zusammenfügen gehört. Die fiktiven Herkünfte und Verwen­ dungen, von „Fensterscheiben kleben“ bis „gar zum Lesen“,649 Missbräuche 646 Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 370. 647 „[N]ach den eingebrachten papiernen Verkröpfungen“ sei das jeweilige Kapitel, so „z.B. schon das dritte Haubenmuster-Kapitel benannt und das vierte Leibchen Muster.“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376, vgl. 381, 384). 648 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376; d.i. der „Kasten unter dem Tisch des Schneiders, in den die Tuchreste geworfen werden“ (Komm. 1270). Im Dorf Hukelum, dem Pendant im Komischen Anhang, wo eine „Bibliographie“ der (wieder) verwendeten Reste gegeben wird (vgl. SW I.3, 849-68), auch eine andere schneiderische Verwendung: „Mußte mir nicht im vorigen August mein Schneider ein paar Hosen machen und maß er mich nicht mit einigen ins Lange geschnittenen Blättern aus dem Schlegelschen Athenäum“ (866; so auch „Schneiders-Papiermasze“ SW I.6, 481-86), als Hinweis für die philologische Überlieferung antiker Schriften. 649 In einem unveröffentlichten Entwurf: „Zu was wollen Sie mein Buch? Zum Fensterscheiben kleben? Oder zum Tobakanzünden, statt auf dem Scheiterhaufen? Oder zum Anbrennen (wie in Wien) an der Haarlocken? Oder zum Pastetenbacken? Oder zur Frühlingskur? Oder gar zum Lesen?“ (zit. nach M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 97); als „Zwirnwickler“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 399-403), „Laternen“, „Patronen“ (486-500); jene Orte und Modi des Verbleibs des Papiers der dahingeschiedenen Bücher, die Swift aufführt, scheinen (hier und im Folgenden) zitiert: „a Jakes, or an Oven, […] the

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und Speicherorte: Papier-‚Höllen‘ der nach den Kriegsfledderungen ‚ausgezogenen‘ Überreste des ‚verlorenen Textes‘, aus denen sie von den leseunkundigen „Kompilatoren“ beigetragen werden, sind dem zum Text-Mosaik von Zitiertem heterogen Zusammengeschriebenen eingeschrieben. Sie tragen die Kontingenzen des Verbleibs (von Schrift-Stücken und Papieren) und des Zutrags vor und diese der ‚Lebensgeschichte‘ ein – als Zufälle, als Auszugsoder Zitat-Zutragungen aus unabsehbaren Orten und Unorten, als (stets noch) ungewisse ‚Zukünfte‘ aller Texte, Schnipsel, Reste – wie des Papiers. Mit der zerschnittenen oder ausgerissenen Makulatur, mit der die gelehrte Exzerptpraxis verwörtlicht und in Unordnung gebracht ist,650 sind Texte nicht nur als ‚Auszüge‘ aus anderen Büchern, „als hospes“ geschrieben,651 und wird derart die intertextuelle Verfasstheit des Textes, Schreiben als zitierendes: dekontextualisierend, woanders einsetzend: rekonfigurierend umschreibendes, als parasitäres konzipiert,652 sondern ist es damit auch ans Papier in seiner Materialität gebunden653 (als „Papiere aller Art“ für den „Papierdrachen“ aufgelistet). Die Schreibszene spielt in und mit den Übergängen zwischen verschiedenen Registern:654 zwischen Makulatur, zu der Bücher je schon wieder werden können,655 als deren Reste sie vorgefunden wird, und Schrift-Zeichen, Werk (Buch)/ Semantik/ Semiotik – Papier als

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Windows of a Bawdy-House, or […] a sordid Lanthorn“ – an denen Bücher dahinscheiden ohne Wiederkunft (A Tale of a Tub, 4.th ed. (1705), 9). Jean Paul stellt mit der Makulatur-Metapher das Ungeregelte dieses ‚Exzerpierens‘ heraus, Leben Fibels, SW I.6, 388f.; Quintus Fixlein, SW I.4, 88f., s.o.; vgl. die „Makulatur-Metapher für Jean Pauls Schreibverfahren mittels Exzerpten“, M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 113, 98; vgl. Wirth, u.v.a. wie bereits zit. Wie Fixlein aus Auszügen von „Makulatorbögen“ „als hospes wegschnapp[e]“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 89). Wenn Schreiben aus zweiter Hand „als hospes wegschnappt“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 89), modelliert das den Gast als Parasit, „der räumlich nebenan tafelt, aber auch derjenige, der sich mit von derselben Tafel verköstigt“ (Derrida, „Die Signatur aushöhlen“, 32; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 356f., 359). zur Unentscheidbarkeit von host (hospes) und Parasit wie zwischen Wirt und Gast, vgl. J. H. Miller, „The Critic as Host“. Das Schreiben (Fibels), das einen Text dazu- und einschreibend hervorbringt, heißt mit dieser Metaphorik: es finde „schon den Tisch gedeckt und lustige Gesellschaft“ (SW I.6, 429). Das Papier nicht nur als die Seite, auf die sich die Organisation der Schrift zum Text: durch Zwischenräume und an dessen Rändern bezieht (vgl. Pfersmann, „La secte des autonotistes“, 84; ders., „Der philologische Roman“, 314ff.), sondern als Materie, die in hermeneutischer Absicht, selbst wenn es um „Papier-Abschnitzel“ geht (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 376), dann gerne mal vergessen wird (vgl. etwa M. Wieland, „Litteratur: die Lesbarkeit des Mülls“, 40f.). Zu den Übergängigkeiten vgl. Wirth, „(Papier-)Müll und Literatur“, 28f. Wie Jean Pauls Auswahl aus des Teufels Papieren (1789) vom Verleger Beckmann nach dessen Bankrott „makuliert“ wurde, und sich in Komischer Anhang (zu Titan) ein fiktiv

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Materie.656 Papiere, die als „Makulatur“, als die sie im „Kramladen“ sich einfanden und verwendend ausgegeben werden,657 unabhängig von ihrer Weiterverwendung schon makelhaft, befleckt waren, die – als aus den ökonomischen wie den gelehrten Zirkulationen der Bücher (vor und nach ihnen) ausgeschiedene, aus deren Ordnung abfallende – in Abfall übergehen,658 können – in einer Entstellung des gelehrten Zitierens – in die Welt der Texte wieder eintreten,659 unvorhersehbar doch einer Lektüre zugeführt660 oder „übersetzt“ werden (wie die als Vorschürzen von gallischen Köchen genutzten Makulaturbögen, „welche bekanntlich aus vollgedrucktem Papier bestehen“, als bloßes (vor Schmutz schützendes und insofern) der Verschmutzung ausgesetztes Papier).661 Müssen überflüssige Bücher, mit Swift, als Papier, zu dem sie wieder werden, das materialiter wiedergenutzt werden mag, als der Abfall kenntlich werden,662 der sie schon sind, so ist es hier in einer

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aus dieser zusammengeleimter „halbe[r] Schwanz“ findet, der einen „papiernen Drachen flugfertig“ machte (SW I.3, 865; vgl. M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 104). „[Z]u Fensterscheiben werden oft Autoren eingesetzt und eingeölet, die ein viel höheres Licht geben könnten, und die Bücher, worein der Buchbinder einbindet, sind oft besser als die eingebundenen.“ (Jean Paul, Komischer Anhang, SW I.3, 866); wie im zit. Entwurf, nach M. Wieland, „Jean Pauls Sudelbibliothek“, 97. Sind die „Makulaturbögen, wie sie der Kramladen ausgab“, die Fixlein, „wie Morhof rät“, „fleisig sammelte“, dem „Krämer“ wie den Gelehrten, die die „Achtung für Makulatur“ teilen, „sich aus kompletten Büchern nur Blätter schnitten, an denen etwas war“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 88), so überkreuzen sich in „an denen etwas war“ zwei Ordnungen: semantischer Gehalt der Zeichen auf Papier und Papier, das noch als Verpackungsmaterial taugt. Vgl. die „Polter-“ oder Rumpelkammern in Kap. III.1 (im Anschluss an Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202); zu Müll als „‚Unterseite‘ der Sammlung“, vgl. S. Schmidt (Hg.), Sprachen des Sammelns (vor allem IV, 499-658). Dass der Schneider, zu „ein paar Hosen“ „mit einigen ins Lange geschnittenen Blättern aus dem Schlegelschen Athenäum“ maß (Jean Paul, SW I.3, 866), wird auf die philologische Rettung der antiken Schriften bezogen. Aber „noch keine namhafte Komitee forschte in einem Zwirnknäuel den erheblichen Manuskripten nach, zu welchen die Ariadnes-Faden von jenem etwan führen konnten; und Fixlein wickelte gewiß nicht selten die Beichtgroschen und Erntepredigt-Gefälle aus bedruckten Papierchen heraus, die mehr Geld waren als darinsteckte“ (ebd.). Die Frage „auf welche Weise Abfall lesbar wird“ akzentuiert D. Schmidt: „Wie gelangte man zu der Auffassung, dass dem Abfall etwas zu entnehmen ist, und dass der Abfall, dieses Unding, es wert ist, gelesen zu werden?“ („‚Kommt Zeit, kommt Unrat‘“, 190). „Wiederkehr des Abfalls“ heiße, „daß etwas, das aufgegeben war“, „in neue Bezüge gesetzt und in eine neue Ordnung eingefügt wird“, aber zugleich, dass diese sich „in diesem Prozeß verändert und ihre Grenze verschiebt“ (Hauser, Metamorphosen des Abfalls, 33). Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 88f. An Aborten, an denen „Prince Posterity“ sich Swift zufolge nicht einfinden wird: „to a Jakes, or […]“ (A Tale of a Tub, 4.th ed. (1705), 9). Douglas zufolge ist „dirt“ Auswurf aus der

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quasi-experimentellen Konzeption des Schreibens auf deren Wiederkunft aus den Orten ihres Verwendens oder Vernutzens angelegt, wie auf die Übergängigkeiten der Ordnungen und Unordnungen zwischen Buch und Abfall (temporär außerhalb der Ordnungen des Lesens, des Verstehens und ganz anderer Verwendungen). Das fiktive Experiment des vielhändig verfassten, allographen Textes konzipiert Schreiben, Neu- und Überschreiben eines anderen Textes, Fortund Umschreiben anderer Schriften, als eines, das keinem auktorialen Regiment untersteht, Autorität über den Text suspendiert: mit der Anordnung, die das Leben-Schreiben an Zuträge, an die Zufälle von Zuträgerschaften und -Sendungen verweist,663 an die aus allen Un-Orten Papier-Reste im wörtlichen Sinne beitragenden Dorfjungen wie an den tierischen Dokumentenlieferanten in Hesperus. Oder 45 Hundposttage, die im einen wie im anderen Falle leseunkundig, jedem möglichen beigetragenen Inhalt fern, die Kontingenzen des Schreibvorgangs, der Text‚genese‘ und Erzählfortsetzungen vorstellen. Wie die Zuträge allein ermöglichen, dass der Text und das erzählte Leben in ihm fortgehe, verursachen sie, wo der Nachschub an Fragmenten und Überresten ausbleibt: „seit Wochen lauft nichts mehr von den Dorfjungen ein, und ich sehe mich mitten im Buche und im Dorfe mit leeren Händen festsitzen, ohne einen Ausweg zu einem ordentlichen Ausgang“,664 dass die Lebens-Erzählung aussetzen muss, das erzählte Leben Bruchstück bleibt.665 Der Zufall mag jede Versendung in ihrer Physis treffen, wie „der Zufall“ hätte einen „zufälligen Geistermord z.B. an Kants Kritik“ „am Manuskript, als es auf den Postwagen nach Riga ging“, „verüben“ können.666 Im Abbruch und anstelle des Erzähl-, hier Abschreibbaren wendet das Schreiben sich auf sich ‚selber‘, werden die allographen Text-Instanzen, die

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durch diese Abscheidung erst erzeugten Struktur oder „purity“, Un-Struktur: Ambiguitäten, unaufhörliche Veränderungen ohne Form (berührt sich mit dem Tod und ist ihm entgegengesetzt) (Purity and Danger, 47-50, 173-98; vgl. Hauser, Metamorphosen des Abfalls, 11-14). Keineswegs wird Zufall fingiert, um „die Geschichte eines solchen Kampfes der Schreibenden gegen den Zufall“ zu erzählen (so aber Schmitz-Emans, „Das ‚Leben Fibels‘ als Transzendentalroman“, 166), vielmehr wird Kontingenz zur Geltung gebracht. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 522. So auch der fiktive Autor/Herausgeber des Hesperus: „Ich habe noch keine Antwort und auch noch kein zweites Kapitel: jetzo kommt es ganz auf den Spitzhund an, ob er der gelehrten Welt die Fortsetzung dieser Historie schenken will oder nicht.“ (SW I.1, 510). Verzögerungen, Ausbleiben der Hundspost macht Einschaltungen, Digressionen. Das ‚Leben Fibels‘ bleibt unvollendet, wie Homer „den angekündigten Tod des Achilles auch nicht abgesungen“ habe (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 522). Jean Paul, Freiheits-Büchlein, SW II.2, 833.

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

Schreibbedingung (mit deren Ausfällen) thematisiert,667 bzw. gewechselt zur (so Wirth) „in actu erzählten Auffindungsgeschichte der letzten Papierfetzen, die der zweite Biograph Jean Paul quasi als ‚Original-Historicus‘ auf den ‚Abtritten‘ der Bewohner Heiligenguts entdeckt“.668 Diesem zufolge habe eine, die Forscher ‚historischer Tiefe‘ adressierende Anekdote über den Zugang zum Geheimen669 „viel dazu beigetragen […], daß ich bei einem Mangel an umlaufendem Papier, […] auf den Gedanken verfiel, ob nicht die Göttin Gelegenheit (denn Gelegenheit nennt man in mehreren deutschen Kreisen einen bekannten Inkognito-Ort; daher vielleicht auch der Ausdruck GelegenheitsGedichte) mir mehr zubringen könne als alle Jungen des Dorfs“.670 Die dort aufgefundenen Papier-„Abschnitzel“ werden in ‚abgesetzten‘ „Ausgangs- oder Abtritts-Kapitelchen“ ‚vorgesetzt‘,671 in ausgeführter Bruchstückhaftigkeit, 667 So im 24. Kapitel: „Die Leser wissen schon seit mehreren Bogen, daß der Magister Pelz […] des Helden Vergangenheit ausführlich abgehandelt – denn woher sollt’ ich die vorigen Kapitel sonst darüber nehmen, falls ich sie nicht geradezu erfabeln wollte?“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 498). Das Ausbleiben lässt keine andere Wahl, als „daß ich immer mehr den Lebensbeschreiber der Lebensbeschreiber mache“ (499, vgl. 483, 485). In Hesperus: „[D]as sechste Kapitel ist aus … – Und da der Spitz mit dem siebenten noch nicht da ist, so können ich und der Leser ein vernünftiges Wort miteinander reden.“ (SW I.1, 564) Das Schreiben des Schreibens, das zu keinem Ende zu kommen vermöchte (SW I.6, 499f.), ist in Leben Fibels nicht so sehr retroaktiv bestätigend als selbstdementierend, da die Erzählung des Schreibens an der Erzählung des erzählten Lebens hindert (Simon, „Allegorie und Erzählstruktur in Jean Pauls ‚Leben Fibels‘“, 227). Der paradoxe Zirkel wird nicht gelöst, aber ins Erzählte überführt: als die vom fiktiv endlich ‚selbst‘ angetroffenen und beschriebenen Fibel potentiell endlose kurbelnde Drehorgel-Bewegung (SW I.6, 538, 542, 546; vgl. die der kombinatorischen Maschinen in Kap. I.6), während sich der fiktive Herausgeber als Erzähler erlauben wird (545f.), „mit der prosaischsten aller Haltungen des Autor-Biographen gegenüber der Unendlichkeit der Schrift – einfach wegzugehen“ (Simon, 228). 668 Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 372, mit Bezug auf Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 523ff. 669 „Es muß nämlich tiefern Geschichtsforschern sehr wohl bekannt sein, daß einst die Jesuiten, um des spanischen Königs Philipp II Staats-Heimlichkeiten auf Papier zu haben, durch Geld und List einen Vertrag über die tägliche Lieferung des königlichen Nachtstuhls abgeschlossen, weil sie aus dem Stuhle an jedem Zahlungstage manches zerrissene brauchbare Staatspapier desselben zu ziehen hofften“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 522f.). 670 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 523, vgl. 524; eine andere Gelegenheit könnten Swifts Orte des Papierverbleibs, an die Prince Posterity nicht gesandt werden könne: u.a. die „Jakes“, gegeben haben (A Tale of a Tub, 4th ed. (1705), 8). 671 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 524ff.; d.i. „Nicht Judas-, sondern Jean-Pauls-Kapitel. Lauter Kapitelchen“ (522-26); zu lesen ist „fand [ich] wirklich Abschnitzel von Fibels gedruckter Lebensbeschreibung und steckte sie zu mir, da ja Gelegenheit Diebe macht, aber ohne einen einzigen Gewissensbiß“; da „alles, was ich bei diesen Cour- und Sitz- und Ziehungs-(Nachmit-)Tagen erhob, sich auf so karge Zeilen belief, daß ich mich schämen

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„durch Leerzeile und Sternchen vom nächsten bruchstückhaften Kapitelchen getrennt“, beobachtet Wirth,672 so dass die reale Absenz (von Signifikaten, Zeichen und Papier) in diakritische Zeichen überführt ist, wie das beim Edieren üblich ist.673 In Klammern hinzutretend schreiben „Jean Pauls“ Anmerkungen, „wer aber seinen Lebensfaden abgerissen  … (hier war dem Kapitelchen das Ende abgerissen)“ und „… (Hier fehlt alles.)“,674 „editoriale Symptomkommentare“675 und doppeln kommentierend das Fehlen (im Text), wie auch die Auslassungspunkte, mit denen sich an stelle des realen Fehlens eine Philologen-Hand schriftlich eingelassen hat.676 Wo der Text unvollendet bleibt, wird ‚abgetreten oder abgegangen‘,677 wird nicht nur die Lebensgeschichte ohne das Ende aller Veränderungen, Übergänge, Ambiguitäten, Unordnungen, das der Tod wäre,678 gelassen, sondern würde sie als „Ausgangs- oder Abtritts-kapitelchen abzusetzen und vorzusetzen, wenn es ein besseres Mittel gäbe, die […] Neugierde der Welt […] zu stillen“ (524). 672 Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 372. 673 Zum Asterisk in der Editionsgeschichte, vgl. Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 27f.; Neumann, „Schreiben und Edieren“, 197. Macphersons FragmentSimulation nutzt Asteriske, die Fehlendes anzeigenden Marken aus der philologischen Handschriftentradierung, zur Authentifizierung des Sammlers und Editors, damit des Ms.. Vorlage könnte auch Tiecks Übersetzung Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha sein, die den Abbruch, wo weitere abschreibbare Papiere fehlen (Cervantes, Don Quijote  I, 175), mit Gedankenstrichen (die auch zu den Auslassungszeichen gehören, vgl. Kap. IV.2) unterbrechend einlässt (vgl. Fuchs, Büchermachen, 49). An der Stelle des Ausfalls der ‚Post‘ und daher des Erzählens: „… –“ Auslassungszeichen auch in Hesperus (SW I.1, 564). 674 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 525. 675 Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 372. 676 Hier sind mit Auslassungspunkten die Marken, die das Fehlen im Realen aufschreiben, zitiert, vgl. Kap. IV.1. 677 In „5. oder Abtritts- und Abgangs Kapitel“: „Pelz, bisheriger Redakteur des lebensbeschreibenden Gelehrtenvereins, geht eben auch fort und druckts nur vorher. [Wer schreibt?] Niemand bleibt nun mehr im Dorfe zurück, der das Leben des großen Fibels fortsetzen könnte“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 525f.); so erlaube sich auch der Herausgeber als Erzähler der „Nach-Kapitel“ „– einfach wegzugehen“ (Simon, „Allegorie und Erzählstruktur in Jean Pauls ‚Leben Fibels‘“, 228; vgl. SW I.6, 545f.). 678 Dass der Tod nachträglich das Leben zu einem abgeschlossenen macht, macht die Paradoxie der Autobiographie aus (als „autobiothanatographie“, also „allothanatography“ (mit Marin u. Lacoue-Labarthe) Szendy, Stigmatology, 109; zu Tristram Shandy, 18-22); die Konjektural-Biographie hat ein Kapitel „Das Ende“ (Jean Paul, SW I.4, 1075-80; vgl. aber dort!). „Eigentlich nimmt ja keine Biographie ein Ende, denn die darin aufgeführten Kinder des Helden zeugen neue“, auch wenn der „Lebensbeschreiber“ diese „fortfließende“ „Nachkommenschaft“ nicht erleben kann und „die Feder schon beim Enkel nieder“legt (Leben Fibels, SW I.6, 493). Hier ist nun (525f.) „[n]iemand“ mehr da, „der das Leben des großen Fibels fortsetzen könnte, ausgenommen er selber durch Fortschreiben“ (aber irgendjemand anders schreibt dies, was „Ich J. P. Richter“ als „Abtritts-Stelle“ liest,

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Ein-Fälle – aus Exzerpten, Abschriften, Schnipseln

auch der Text ohne ‚von innen‘ getragenen Abschluss – gerade auch wenn anstelle des Un(ab)geschlossenen noch (vier) „Nach-Kapitel“ angefügt sind,679 weitere Randzonen, die unentscheidbar zwischen innen und außen, nicht/ dazu gehören. Wo also schließt Leben Fibels (nicht)?680 So kann, das scheint die vom „Abtritt“ her hinterlassene Aufgabe des Schreibens,681 ans Stückwerk, als das die „Lebensgeschichte“ einbekannt ist, immer noch was von irgendwem, irgendeiner anderen Hand angehängt, im Text fortschreibend korrigiert, gestrichen und in anderen Kontexten zitierend umgeschrieben werden, ist der Text – das ist die andere Seite des möglichen Ausbleibens und der Abrisse – im ungewissen, je- und zeitweiligen Abbruch an ungewisse, ausstehende Zukünfte delegiert. Das ‚Ende des Buches‘ kommt hier nicht nur, mit Jacques Derrida, als ‚Anfang der Schrift‘,682 sondern auch als der der Materialität, die nicht nur als die der 526). Im letzten unvollendeten Roman Der Komet kündigt „Jean Paul“ die Herausgabe der sämtlichen Werke an, die „eigentlich nur der Tod veranstalten [kann]; aber nicht ein Verfasser, der lebt und den sämtlichen Operiba jährlich opera superergationis nach schickt“ (SW I.6, 1034); zu dieser Metapher für die Zugaben vgl. Kap. I.4. 679 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 527-46: Da wird wohl, „nachdem der bißherige Fluß der Geschichte gleichsam als eine perte du Rhône nur unter die Erde hin verschwunden war“ (527), der uralte Protagonist in Bienrod aufgefunden. Damit, heißt es, „hab’ ich eben das Lebens des seligen Herrn Gotthilf Fibel […] beendigt, […] mir geht nur noch dessen Abgang mit dem Tod ab“ (533), so wird nach „Abtritts- oder Abgangs-Kapitel“ (525f.) das Spiel mit den Wörtern weitergedreht. Dieser „Abgang“ aber bleibt aus, auch in den Nachträgen singt der Protagonist nur vom Tode und dreht die Drehorgel fort (533, 538, 541ff., 546, vgl. 485, 493). 680 „Natürlichweise schreib’ ich ewig fort“ (Jean Paul, SW I.1, 1222), die Kontingenz des durch den Tod des Leben-Schreibenden gesetzten Endes (Leben Fibels, SW I.6, 493). „Das Ende als […] Vollendung gibt es nicht. Aufhören ist Abgebrochenwerden. Das Ende […] stößt zu.“ Die „unkontrollierbare Gewaltsamkeit des Endes sucht sich der Autor zu eigen zu machen, der sein Werk abschließt, indem er Unzugehöriges ausschließt. Aber [… d]er Akt, der den Text abschließt liefert ihn gerade dem aus, was ausgeschlossen werden soll: dem Äußeren.“ (H.-J. Frey, Der unendliche Text, 11f.) Dgg. kann der ‚Prozess des Werdens‘ als Verzögerung, Verhinderung von Vollendung geschrieben werden (vgl. Vogl, Über das Zaudern, 24, 75f.); in der Hinsicht können die Jean Paul’schen Digressionen gelesen werden; vgl. Kap. IV.2. 681 „Vielleicht in späteren Zeiten treten Biographen auf, welche unsere Spreu zu Weizen sichten. (Ich J. P. Richter gestehe unverhohlen, daß mir diese Abtritts-Stelle [von Pelz?] eine gute Idee von mir gegeben.) […]/ † † †/ Und Sic (setz’ ich dazu) transit gloria mundi.“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 526). Wer schreibt das? Was liest wer? Wer trägt sich wo dazu? Ist das eine „quasi-testamentarische Verfügung“ (Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 373)? Wer aber zeichnet diese? Einen „eingebildeten letzten Willen“ (Fibels) will der Verfasser, beerbend, vor dessen Tod in Anspruch nehmen (541, vgl. 533ff.). 682 „Das Ende des Buches und der Anfang der Schrift“ lautet die erste Kapitelüberschrift von Derridas Grammatologie; die „Idee des Buches“ ist dem „Sinn der Schrift“ und der „Differenz“ „zutiefst fremd“ (34f.).

Buchstaben und Abschnitzel

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Schrift, der asignifikativen Elemente und ihrer Verstellbarkeit, als Operatoren der Spatialisierung ausgespielt ist, sondern vielmehr auch als die des sinnlosen ‚bloßen‘ physischen Trägers (fiktiv) interveniert. Das Erzählte ist mit dem Erzählen, der autoreferentiellen Fiktion des Buches zufolge, mit dessen ‚bloßen Träger‘ dem ausgesetzt, was ihm in seiner Physis: als Papier, zustieß. Es ist kontaminiert durch den materialen Träger, mit dem es der Zerreißung, Verschleppung, der Versendung oder dem Zutrag und in dessen Physis dem Vergehen und der Kontingenz preisgegeben ist. Mit den (fiktiven) Verwendungen, Verbleiben oder Speicherungen, die hier (in Heiligendorf und anderswo) nicht dem Geschriebenen, sondern dem Papier als Materie galten, und Versendungen wird hier – so ernsthaft, wie im Spiel – die Materialität des Textes und des Buches683 erkundet. Die am Rande, daneben, auf den Rahmen geschriebene Fiktion dieses Schreibens trägt in dessen ‚Innern‘ (dieses furchend querend) die Spuren der Zufälle ein. Dieser „herrscht in der Überlieferungsgeschichte“ auch von allem, was als ‚Werk‘ gerade durch dessen Ausschluss konstituiert wird.684 Ist „die Verdrängung des Realen“ „eine fundamentale Operation unserer Schriftkultur“, „diejenige Operation, die allererst eine implizite Vollständigkeit von Texten herstellt, die die Hermeneutik immer schon voraussetzen muß“,685 so fingiert Leben Fibels deren Umkehrung. Und zwar auch, indem es als heterogene Fügung die problematischen ‚Grenzen zwischen innen und außen‘ bearbeitet, deren Ort und Verlauf und damit das durch diese Konstituierte unentscheidbar fraglich macht. Mit der in Leben Fibels gegebenen Schreibszene begegnet Lesen dem Zufall der Texte nicht nur wie im Wortspiel in Effekten der Verbindungen und Verstellbarkeit der sprachlichen ‚Elemente‘, sondern hier auch als die Kontingenz, der die Texte vor und jenseits ihrer semantischen Lesbarkeit und ihrer verstellbaren Signifikanten mit der Physis ihres sinnlosen Trägers, als Papier ausgesetzt sind. Der das Schreiben treffende Zufall ist der Lebens-Erzählung als Unterbrechungen und disjunktive Fügungen, mit den Kontingenzen der Aussendungen und Zutragungen, eingetragen: als Kontingenz dessen, was sich zuträgt – oder auch nicht. Mit ihrem ‚Träger‘ in seiner Physis ist die Schrift dem ausgesetzt, was die physische Welt ausmacht: zu zergehen, der Zeit, dem Verfall und dem Zufall preisgegeben zu sein.

683 Das ist gerade nicht (bloß) das „Buch als Objekt“ (Dembeck, Texte rahmen, 334; im Anschluss an Schmitz-Emans, „Vom Leben und Scheinleben der Bücher“, 17) sondern als mediales Ding, ein Dispositiv von Handhabungen (vgl. Kap. III.1, IV.2). 684 Nach Stingelin, „‚Dämmerpunkte‘ der Überlieferung“, 651. 685 Siegert, […] Auslassungspunkte, 24.

Kapitel IV

Punktuationen, Einfälle der Schrift Abstände und Zusätze

Lenkt der Witz mit letteralen Operationen anagrammatischen Lesens den Blick auf die Buchstaben, so richtet sich die Aufmerksamkeit nun darüber hinaus auf die nicht-alphabetischen Schriftzeichen. Das machen (auch oder gerade) literarische Texte, etwa Kleists, Sternes und Jean Pauls. Punkte und Striche haben nicht nur als Unterscheidungs- oder Interpunktionszeichen grammatische Funktion, der zufolge sie in der ‚Aussprache‘ und der Sinnbildung des Satzes aufgehen sollten, sondern sie sind graphisch manifeste schriftliche Interventionen in die Folge der Buchstaben.1 Jacques Derrida spricht von „nicht-phonetischen Funktionen“, von „operativen Pausen“ der alphabetischen Schrift.2 Graphische Marken vor und neben dem alphabetischen Zeichensatz, der der phoné nur zu unterstehen scheint, sind Operatoren der spatialen Ordnung der Schrift (und der Texte) und haben an deren Geschichte teil: Punktierungen der Buchstabenabfolge, die Abstände zwischen Worten einräumen und separierend diese als vermeintliche Einheiten erst schaffen, Spatien an deren Stelle, Zwischenräume aller Art, lösen die Schrift aus der vermeintlichen Kontinuität der Linie,3 die die Zeit des Sprechens nur abzubilden scheint, organisieren sie unterbrechend und wendend, in und auf sich selbst faltend, als spatiale Anordnung. Als Operatoren sind sie „Zeichen, […] deren Signifikate […] durch die Performanz von Leseoperationen gebildet werden“.4 Sie tragen die „asyndetische Leistung“ der Schrift vor, und geben ihr eine Szene.5 Der Punkt, der Strich referiert auf seinen Untergrund und das materiale Papier. Sie geben mit „Pausen“, Zwischenräumen, die sie halten, als Löcher im lesbaren Text Schalt- und Ungewissheitsstellen zwischen grammatischen und rhetorischen Funktionen, zwischen Instanzen des Textes, zwischen Bild und Schrift, ikonischen und asignifikativen Zeichen, Innen und Außen der Texte,

1 Vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 24. Rinas’ Theorie der Punkte und Striche aber schreibt eine „Geschichte der deutschen Interpunktionslehre“, die der Syntax angebunden wird (19ff., zu den Termini 33). 2 Derrida, „Der Schacht und die Pyramide“, 108. 3 Catach, „Rétour aux sources“, 36; für die Organisation der Schrift von der scriptio continua zum spatialisierten Text, vgl. Angaben in IV.2 u. 1. 4 Siegert, […] Auslassungspunkte, 7. 5 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“ (2012), 281.

© Brill Fink, 2021 | doi:10.30965/9783846762226_005

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Punktuationen, Einfälle der Schrift

Semantik und Somatik, zwischen Semiotizität und Materialität von Ein- und Auslassungen.6 Als „technische“ kritische Zeichen sind Striche, Punkte, u.a. Marken, Spuren des Einsatzes von anderen Händen, schreibenden Lesern wie Philologen,7 Einlassungen, die auf die Schrift, die auf die Buchstaben ‚selber‘ Bezug nehmen. Die „operativen Pausen der alphabetischen Schrift“ (Derrida) nicht zu überlesen und sie nicht der Sinnkonstitution, an der diese teilhaben, zu unterwerfen, gehört zum Blick auf die Texte von ihren Rändern (Marginalien, Supplementen) und ihren Schrift-Resten her. Das vermeintlich am Rande sich Hinzufügende oder Ablagernde bringt erst ein (vermeintlich) Inneres des Textes hervor, in dem diese Ränder je wieder aufscheinen. In Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“ werden (in 1.) Auslassungspunkte als bemerkenswerte Interventionen, als Ausfälle oder Suspensionen der Lesbarkeit, als Einfall der Schrift begegnen. Der Punkt kommentiert die Pointe, ist Ereignis, das streut und als Löcher im Text wirksam wird. In Jean Pauls Texten (in 2.) lassen Striche, die diese auch als Gedankenstriche thematisieren, Abstände ein, fügen Zugaben ein, die sie zugleich ausklammern; sie lockern das Gefüge des Textes, choreographieren Lese-Sprünge und das lesende ‚lose‘ hin- und her-Tanzen. IV.1

Löcher und Exzesse, der Witz von Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“

Heinrich von Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die im 18. Blatt der Berliner Abendblätter am 20. Oct. 1810 erschien,8 spielt mit dem und um den Einfall, zunächst indem sie einen Einfall präsentiert, der ein ‚ungeheurer‘, gar „der ungeheuerste Witz“ heißen darf, während eine der Vorlagen, was der Kleist’sche Text wiedererzählt, mit „Sonderbarer Einfall im Augenblicke des Todes“ betitelte.9 Ein Notat in Berliner Abendblätter vom 14. Dezember 1810 6 Dazu sind in den letzten Jahren einige Bände erschienen: Lutz/Plath/Schmidt (Hg.), Satzzeichen. Szenen der Schrift (2017); Spoerhase/Nebrig, Die Poesie der Zeichensetzung (2012); Szendy, Stigmatology (2018), u.a. 7 Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 42, 27f.; Catach, „Rétour aux sources“, 33-36; Siegert, […] Auslassungspunkte, 9. 8 73f.; hier und im Folgenden bezieht sich die einfache S.angabe aufs Original (als FaksimileNachdr. hg. von Sembdner, sowie auf CD zur KBA), vgl. KBA II/7 (im Folgenden immer als BA I), 96; KSW II, 268. 9 Bergk, Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen, Bd. 7, 3. Heft, 246f., nach: BA Quellensammlung Q109601A. In einem apologetischen Brief zum Tambour nimmt Kleist (23. Okto­ ber 1810) Bezug auf den Beobachter an der Spree vom 22. Oktober 1810 (vgl. KSW II, 913);

Löcher und Exzesse

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spricht merklich ambivalent von „Einfällen“ aus der Neigung „alles herauszusagen“, worin „das Sinnreiche und das Unsinnige […] die Ähnlichkeit unter sich [haben], daß beides einem anderen nicht so leicht eingefallen wäre; und daher wird oft eins für das andere genommen.“10 Das eine für das andere zu nehmen hat für die Einfälle von Witzen eine genaue Funktion, auf die Freud mit der Erläuterung des Witzes als „ungewollte[r] ‚Einfall‘“ hinausgeht.11 Das Einfallen impliziert die Topologie eines anderen Ortes und eine Zeitlichkeit der Verspätung, mit der der Einfall (bereits) eingekleidet eingetreten sein und erst bewusst wird.12 Der Einfall ist eine unkalkulierbare Unterbrechung, Einfallen von nicht-etwas oder von anderem anderswoher, bei dem das physische Fallen, Hinein- und Ein-Stürzen gerade bei Kleist mitzulesen ist,13 ist ‚Anfang‘ als „Sturz in den Text“,14 das Eintreten eines Falls15 (wie das einer Tür oder in einen Raum),16 Vorfall, Ereignis, für das unentschieden ist, was es ist, das den Bruch, den es setzt, nicht in etwas (sei dieses „conceit“ oder Bild) transfomiert,17

dies „Wochenblatt [wurde] in Berlin schon vor dem Sonntag ausgeliefert“, konnte daher zur Vorlage des am 20. Oktober erscheinenden Textes von Kleist werden (Sembdner, Die Berliner Abendblätter Heinrich von Kleists, 87f.). 10 Gezeichnet „Fr. Sch.“, Berliner Abendblätter 65. Bl., 14. Dec. 1810, BA I, 327. 11 Freud, Der Witz, 157, 164. Es sei „als eine Tatsache zu akzeptieren, daß dem Gefragten dies eingefallen ist und nichts anderes“, darüber gebietet kein Wille und Wissen (Freud, zit. nach Tscholl, Krumme Geschäfte, 135f.). Das Eingefallen-sein ist signifikant (in Psychopathologie des Alltagslebens; vgl. Fleming, „Beside oneself“, 197f.), d.i. „more Zufall than method“ (196f., vgl. 201; Derrida, „My Chances“, 21-31). 12 Vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87; s. Kap. V.1. 13 Zu denken ist an „Kleists Erdbeben zu Chili“ und den berühmten Bogen-Sturz, vgl. Hamacher „Das Beben der Darstellung“; wie auch im Fall des Sündenfalls (vgl. Der zerbrochene Krug, vgl. Neumann (Hg.), Kriegsfall – Rechtsfall – Sündenfall; Pusse, Von Fall zu Fall, 14f., sowie 8ff., 10-17, zur Semantik des Falls 21, (Kleists) 31-49. Vgl. Derrida, „My Chances“, 9, 2-5, 7; Mülder-Bach/Ott, „Einleitung“, 11ff. 14 Pusse, Von Fall zu Fall, 7f., 16f. Jean Paul spielt „witzige Einfälle“ (wie „kriegerische“) mit Einfallen in die Rede, Anfallen, Zufallen: „mit Beifall“ aus, Fälle als „Vorfälle, Unfälle“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 357). 15 Zu Fall und Kasus vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“; vgl. Neumann (Hg.), Kriegsfall – Rechtsfall – Sündenfall; wörtlich erläutert Adelung den Zusammenhang von casus und dem, was fällt, von cadere, vgl. Mülder-Bach/Ott, „Einleitung“, 11ff. 16 Vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt.“, insb. 98ff., 96. 17 Das zeigt sich etwa, wo eine Übersetzung ins Englische versucht wird: etwa als „conceit“ (im Falle von Jean Paul Richter’s School for Aesthetics, 136f., 140f.) oder „‚ridiculous idea‘“ (für „lächerlicher Einfall“ eines Freud’schen Patienten, Fleming, „Beside oneself“, 196) oder „verbalization of a sudden, intuitive insight“ (Neumann, Ideenparadiese, 27). Umgekehrt könne mit Einfall „wit“ übersetzt werden (so, zu Übersetzungen von Sterne, Busch, Great wits jump, 10f.).

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Punktuationen, Einfälle der Schrift

der gerade mit Kleists Texten als „Un-Fall“ zustößt,18 ein Zu-Fallen (cadere) wie/als: accident, Zufall und Ausnahmefall.19 Zugleich begegnet in diesem Falle eines Witzes, von dem Kleists „Anekdote“ erzählt, ein weiterer Zug des Witzvorgangs, der mit Freuds Theorie prominent ist, mit großer Eindrücklichkeit. Es handelt sich wörtlich um das Gegenstück zum Einfall: um die Ausfälligkeit des Witzes. Freud kennzeichnet das Lachen, das der Witz ermögliche und in dem er sich als gelungener manifestiert, als ein ausfallendes „explosives“ oder „explosionsartiges Lachen“.20 Erst dieses – so Freud – bezeugt das ‚Gelingen der Witzarbeit‘, erst durch seine Wirkung, durchs Lachen, werde der Witzvorgang als solcher ‚abgeschlossen‘, durch nicht-etwas (wovon man nicht oder zu spät weiß). Ein-Fälle der Schrift, der Witz der „Anekdote“ – wenn diese denn einen macht Die „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die am 20. Oct. 1810 (gezeichnet „x.“) in den von Kleist herausgegebenen Berliner Abendblätter[n] zu lesen war, ist ein Fall buchstäblicher Schriftlichkeit, sichtbarer Insistenz der Schrift. Die sichtbare Exteriorität der Schrift macht den ‚Witz‘ des Textes; sie ist Medium des Witzes und sie wird im/als Witz ausgestellt. Die Schrift ist hier nicht nur Barriere gegen den Sinn, auf den hin die Zeichen (um 1800) sich selbst transparent machen sollten.21 Vielmehr zeigt sich die „Äußerlichkeit der Schrift“22 im Exzess des Äußerungsereignisses über das mögliche Geäußerte, der sich in Schrift-Resten übrig-bleibend manifestiert. Als einen solchen

18 Tscholl, Krumme Geschäfte, 114. 19 Die Ableitung von cadere, Fall, Vorkommnis, Ereignis, Vorfall – wie lapsus, wie auch „chance“, „zufallen“, vgl. Derrida, „My Chances“, 7, 5, 2ff., 21; Mülder Bach/Ott, „Einleitung“, 11ff.; Fleming, „Beside oneself“, 200, 196f.; vgl. Jean Paul: Einfälle, „Vorfälle, Unfälle und Fälle“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 357; s.o. Kap. I.2, 3 u. 5, III.1). Vgl. zu Kleists „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Kap. II. 20 Freud, Der Witz, 79, 137; vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 171; vgl. Pusse, Von Fall zu Fall, 16f., 22-27. 21 Dafür stellen die Töne das Ideal, als Zeichen, die vergehen und derart vollständig – auf den Sinn hin – sich transzendieren: „[S]o ist die wahrhaftere Gestalt der Anschauung, die ein Zeichen ist, ein Dasein in der Zeit, – ein Verschwinden des Daseins, indem es ist, und nach seiner weiteren äußerlichen, psychischen Bestimmtheit.“ (Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 459, Werke 10, 271). Töne gelten Hegel als „Äußerung“ der „inneren Subjektivität“, weil sie Zeichen ohne die Gefahr der insistierenden Zeichenmaterialität seien, die das Gemeinte oder Ausgedrückte verstellte (Vorlesungen über die Ästhetik, Werke 15, 134). 22 Vgl. Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 338, 342ff.

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Exzess bestimmt Shoshana Felman die performatives,23 mit dem der Witz das über das Austin’sche performative entscheidende Glücken oder Fehlgehen unkontrolllierbar macht. Kleists Text erzählt von einem Witz, erzählt diesen bemerkenswerten, als „ungeheuerste[n]“ angekündigten Witz nicht (weiter), sondern setzt ihn im Medium der Schrift in Szene, indem Schriftlichkeit witzig exploriert wird. Den „Witz“ habe ein preußischer „Tambour gemacht“,24 der den Krieg gegen die napoleonische Armee nach der Niederlage bei Jena „auf seine eigene Hand“ fortsetzte und daraufhin „von einem Haufen französischer Gendarmen, die ihn aufspürten, ergriffen, nach der Stadt verschleppt, und, wie es ihm zukam, verurteilt wird, erschossen zu werden.“ Als „Mensch, zu dem […] weder die griechische noch die römische Geschichte ein Gegenstück liefert“,25 zeige sich, wie es heißt, der Tambour mit seiner letzten Bitte. Auf die Frage, „was er wolle? zog er sich die Hosen ab, und sprach: Sie möchten ihn in den  … schießen, damit das F… kein L… bekäme.“26 So, in indirekter Rede, erzählt man keinen Witz. Und jeder Versuch, verlauten zu lassen, was schriftlich vorliegt, macht offenkundig, dass es hier um Effekte der Schrift zu tun ist. Der Witz von Kleists Anekdote besteht darin, dass der Text die witzige Auf- und Ausführung des Tambours, eine körperliche und eine sprachliche, seinerseits im (und damit das) Medium der Schrift exponiert. Der Witz des Tambours, von dem Kleists Text erzählt, ist zuerst gestisch, eine Ausstellung durch eine Wendung. Die Umwendung des Tambours kehrt quasi-karnevalesk die oben-unten-Topographie um: entblößt in der Verkehrung Hintern statt Gesicht27 den Körper und stellt ihn entblößend aus.28 23 Felman, Le scandale du corps parlant, zum Exzess der performatives 198f., engl. Übers. The Literary Speech Act, 77ff.; neue Ausg. The Scandal of the Speaking Body, 51ff. 24 So zeigt sich hier historisch früh die Verschiebung vom Witz, ‚den man hat‘, zu dem, ‚den man macht‘ (Freud), „von ‚Witz‘ als Scharfsinn (Verstand und Phantasie) beim Auffinden eines ‚sinnreichen‘ Vergleichs […] zu Witz als einem komischen Einfall“ bzw. als „literarische[] ‚einfache[]‘ Form“ (Moering, Witz und Ironie, 126, 121, vgl. 77ff., 89ff., 128). 25 Insofern wäre er als beispiellos oder ohne antikes Beispiel (wie auch Montaigne, dessen Spuren vielfach in Kleists Texten aufzuweisen sind, die klassischen autoritativen Lehrbeispiele aus fernen Zeiten zurückweist, „De L’Experience“, 1059/„Über die Erfahrung“, 546) ausgewiesen oder: ohne paradigma (Aristoteles, Rhetorik I.2, 19 (1357b) (1993, 18f.)). 26 So in der Sembdner-Ausgabe, KSW II, 268; vgl. im Folgenden. 27 „Back and lower orifices rank below frontal and upper“ (Douglas, „Do Dogs Laugh? “, 86). Novalis bemerkt: der „Geist“, der am „Eindruck eines absolut witzigen Einfall“ teilhat, „zeigt oft“ „der sichtbaren Erscheinung den Hintern“ („Vermischte Bemerkungen“, N II, 436), was in der Fass. der „Blüthenstaub“-Fragm. heißt: „als ob dieser Geist der sichtbaren Erscheinung ein Gesicht schnitte“ (N II, 437). 28 So mit Bachtins Karnevals-Konzept, vgl. Lachmann, „Vorwort“, 31, 35ff., 37-40; Bachtin, Rabelais und seine Welt, 59f., 396f., 357-66, 76f.

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Diese Geste ist nicht nur eine verkehrend „degradierende“,29 sondern sie exponiert einen anderen Körper,30 den grotesken, sich über sich hinaus, die eigenen Grenzen exzedierenden, aus sich herausstülpend überschreitenden Körper.31 Die „Entblößung“ als solche ist „Bloßstellung“ des Körpers, die diesen als „geöffneten, als nicht vollendeten“ als „Gegenteil eines abgeschlossenen Zustandes“ ex-poniert, so ist mit Renate Lachmann Michail Bachtins Konzept des grotesken Körpers zu folgen.32 Seine Ausstülpungen und Öffnungen‚ „‚Einbrüche[] und Erhebunge[]‘“ stellen „schon den Keim eines anderen Körpers dar‘“, und damit den Körper als „werdende[n], vergehende[n]“, nicht (ab)geschlossenen, in latenter Zweileibigkeit.33 Den neuzeitlichen offiziellen Körperkanon stellt dagegen der „fertige, streng begrenzte, nach außen verschlossene, von außen gezeigte, unvermischte und individuelle ausdrucksvolle Körper“,34 bestimmt durch die glatte geschlossene Oberfläche, die der „Verborgenheit des Körperinneren“,35 des Gekröses, des Ungestalten dient,36 und zwar als vermeintlich feste Grenze, die den Körper gegen andere Körper wie gegen die Welt ver- und abschließe und zugleich ‚Innerlichkeit‘ reguliert, gestalthaft zum Ausdruck bringe.37 Das Konzept des ganzen abgeschlossenen 29

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Degradieren ist, so Bachtin, die negative Seite der Verkehrung von oben-unten (Rabelais und seine Welt, 59f., 70ff., 183, 214-17, 351), auf deren affirmative: die festliche Erneuerung, es Bachtin ankommt: (69ff., 131f., 141, 134, 184, 190ff., 352ff., 372, 377). Die Aufführung des Tambours mag als ein Wörtlich-Nehmen der französischen ‚Sansculottes‘ motiviert sein (zur Einwirkung des Franz. auf die Sprache Kleists, vgl. Moering, Witz und Ironie, 139f., 153, 159-66; vgl. zu „Allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Kap.  II); in Büchners Dantons Tod übersetzt der Beitext umstandslos „Ohnehosen“ (15). Freud zit. Lichtenberg: „‚Jeder Mensch hat auch seine moralische Backside, die er nicht ohne Not zeigt und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt.‘“ (Der Witz, 81). Bachtin zufolge erzeugt die karnevaleske Verkehrung groteske Ambivalenz (Rabelais und seine Welt, 190ff., 214, 366), die affirmative Materialisierung, die festliche Erneuerung (69ff., 131-34, 141, 184, 190ff., 352ff., 372, 377). Vgl. Bachtin, Rabelais und seine Welt, 76-80, 82-103, 357-67, 381f. Lachmann, „Vorwort“, 39. Lachmann, „Vorwort“, 37; vgl. Bachtin, Rabelais und seine Welt, 358f., 75ff. Er „ist nie als fertiger zu denken, sondern immer als werdender, vergehender, offener. Durch die besondere Betonung aller Körperpartien und -teile, die sozusagen über die glatten Grenzen eines geschlossenen Korpus hinausgehen (Nase, Phallus, Bauch, Hintern), wird im Körper selbst die Grenze zwischen zwei Körpern abgebildet“ (Lachmann, 38). Bachtin, Rabelais und seine Welt, 361. Lachmann, „Vorwort“, 39. Bachtin, Rabelais und seine Welt, 206, 202f., 359f.; das ist die „niedere[]“, der „hohen […] Bedeutung des Innern“ entgegensetzte (203). Das Gekröse, Kutteln wie die Exkremente seien „heitere“ „Lachmaterie“ (377f., 216f., 189 u.ö.), deren Zutagetreten – dem neuzeitlichen Körperkanon zufolge – Ekel begegnete. Der groteske Körper hat keine Fassade, keine geschlossene Oberfläche und keine äußere Expressivität (Bachtin, Rabelais und seine Welt, 381); „die glatte Oberfläche [dgg.], die

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Körpers verlangt, dass des grotesken Körpers „Auswüchse, Wölbungen verleugnet, dessen in das Körperinnere führende Öffnungen verdeckt werden“.38 Erst die Verleugnung der grotesken Ambivalenzen des Körpers durch die scheinbar „unverrückbare“ Körper-Grenze als gegen andere und gegen die Welt geschlossene „glatte Oberfläche“ also konstituiert den „privatisierten und psychologisierten Körper“ in gestalthafter Einheit und Ganzheit,39 der die geborgene Innerlichkeit zum Ausdruck bringe, weil an dieser Grenze das Verhältnis von Innerem und Äußerem als formgewinnende Integration und als deren Ausdruck reguliert wird.40 Umgekehrt erzeugen Körperhandlungen wie „Hinausstülpen – Eindringen – Ausstoßen – Zerstückeln – Entleeren – Verschlingen“, die „das Innere exzentrisch nach außen treten“ lassen,41 einen grotesken werdenden, unfertigen Körper. Zu diesen Akten gehört auch das Lachen, wie – darauf macht Lachmann aufmerksam – „in der Wendung ‚SichAusschütten-vor-Lachen‘ gesagt ist“,42 wie auch mit dem französischen éclater de rire.43 Es handelt sich um Manifestationen des Körpers, der in Gestalt des gestalthaft psychologisierten ausdrucksvollen ganzen geschlossenen Körpers des ausgehenden 18. Jahrhunderts verleugnet ist, im Exzess über sich ‚selbst‘, über ‚seine‘ ‚Grenzen‘; solche Exzedierungen etwa als Höcker: saillie und andere Überhänge, können auch den witzigen Einfall bedeuten.44

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Körperebene erlangt zentrale Bedeutung als Grenze des mit anderen Körpern und der Welt nicht verschmelzenden Individuums“, des „fertigen Körpers“, für den „die Grenze zwischen Körper und Außenwelt prinzipiell unverrückbar“ scheinen muss (361 u. 363). Bachtin, Rabelais und seine Welt, 361ff., 79f.; vgl. Lachmann, „Vorwort“, 38, vgl. 35-40. Bachtin, Rabelais und seine Welt, 363; die Grenze zwischen Innerem und Äußerem, die die Ambivalenz auf-trennt (352f., 366, 140f.), die der groteske Körper „im Werden“, unfertig und werdend, entstehend und vergehend unaufhörlich verschiebt, ein- und ausstülpt usw. (75, 358f., 360f., 236), lässt die klassische Ästhetik, die das Unfertige als hässlich, abstoßend ausschließt (75f.), fixierend erstarren, indem sie „alle Merkmale des Unvollendeten und Unfertigen entfernt“, „alle Öffnungen verschließt“, „alle Ausbuchtungen glättet“ (361f.). Im 18. Jahrhundert, wo die gestalthafte Geschlossenheit (von Darstellung) anthropomorphistisch plausibilisiert werden soll, wird sie als marmorne scheinbar selbstverständlich: ‚natürlich‘ (vgl. Herder, Plastik; Lessing, Laokoon; weiter im Folgenden). Derart stellt er den Inbegriff der gestalthaft gelingenden Darstellung, gegen die die Groteske Einspruch erhebt (C. Pross, „Gespaltene Stimme, groteske Gestalt“, 153f., 157). Lachmann, „Vorwort“, 39; Bachtin, Rabelais und seine Welt, 359, 297. Lachmann, „Vorwort“, 39; mit der Ausgelassenheit des Lachens: „aus einem sozialen Körper hinaus“, es habe „monströse Anteile“, so Rinck (Risiko und Idiotie, 65, 64f.); zur Verausgabung im Lachen (affirmativ mit Bataille/pejorativ Platon zufolge) vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 79f. So auch: platzen, bersten, zerspringen, explodieren, ausbrechen; vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 174/The Literary Speech Act, 121, vgl. Freud, Der Witz, 79, 137. So französisch blague: Tabaksbeutel, das Freud als Witz spezifisch im Sinne des „Galgenhumors“: „auf dem Wege zur Hinrichtung“ anführt (Der Witz, 213f.), und saillie: Vorsprung, Überhang, Buckel, oder „Sprung“ (La Rochefoucauld, so Neumann, Ideenparadiese, 64);

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Die Geste der Verkehrung, die Exposition des Tambours macht aus, dass, wenn dieser (auch) für das Ganz-Bleiben der Körperoberfläche zu plädieren scheint, mit der Umwendung aber gerade die Nicht-Geschlossenheit des exponierten Körpers, die Nicht-Ganzheit, die jedem Einschuss vorgängig ist, (her)ausgestellt ist. Die Umwendung ist die Exposition jener Körperöffnung, die nicht, wie der Mund, durch den die Menschenstimme geht, den geregelten Einschluss des Äußeren ins Innere, das einschließend totalisierend sich abschlösse, organisierte,45 vielmehr jener anderen – der hinteren, unten, aus der heraus sich das Ungestalte nach außen stülpte, der groteske Körper in seiner Zwie- oder Ungestalt hervorgebracht würde, aus der auch andere disartikulierte ‚letzte Äußerungen‘ kommen würden.46 Die Exposition des Körpers ist dessen Heraussetzung (aus sich), die nicht, wie der als dramatischer regulierte Auftritt soll, zur konturierten Figur aus und vor dem Dunklen des diffusen nicht konturierten Körpers wird, von dem eine lesbare Person auf der Szene sich ablösen müsste.47 Erzählt wird nicht nur ein Geschehen, das einer rahmenden Gewalt unterworfen ist, sondern das einer in-szenatorischen Wendung. Damit erstellt die „Anekdote“ nicht (gleichsam) eine ‚anschauliche Szene‘ von etwas, das exemplarisch ausgestellt durch die Rahmung intelligibel würde, sondern das wohl gemildert zum Spiel, das Heine (wohl) abwertet: „Der Lessingsche Witz gleicht nicht jenem Enjouement, jener Gaité, jenen springenden Saillies, wie man hier zu Land dergleichen kennt.“ („Zur Geschichte der Religion und über Philosophie in Deutschland“, Sämtl. Schr. Bd. 3, 586). 45 Dagegen ist das „aufgerissene“ oder „aufgesperrte Maul“ groteskes Motiv: statt des – und als Aufreißung des Gesichts (Inbegriff der ausdrucksvollen Gestalt), der klaffende, „verschlingende[]“ „Schlund“, „Bodenlosigkeit des Körpers“ (Bachtin, Rabelais und seine Welt, 358, 366f., 381 391f.). Das „Maul“ steht der figurierten ‚Stimme‘ entgegen, die Gestalthaftigkeit impliziert, so C. Pross, „Gespaltene Stimme, groteske Gestalt“, 155, 157-60. Reißt nicht auch der Tambour sein Maul auf? 46 Wie in Rousseaus Confessions der „vorletzte Hauch“ aus dieser anderen Öffnung geht (statt „aus dem Munde Madame de Vercellis’“), dem ihre „allerletzten Worte“ galten (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 61f.). In verkehrender Substitution deutet wiederum Wilhelm Grimm, der Kleists Anekdoten lobt, lustigerweise: „[D]er Tambour, der sein Herz nicht zum Ziel geben will, hat aber ins Schwarze getroffen“ (zit. nach Moering, Witz und Ironie, 122). 47 So für den im Auftritt im Theater (aus sich) heraustretenden Körper: „[W]o der Körper vor sich tritt, [besteht] all seine Präsenz […] in diesem Außer-Sich, das sich von einem Darinnen nicht ablöst, es aber nur als das Unmögliche evoziert, das Leere außerhalb des Orts, der Zeit und des Sinns. Das Selbst tritt so hervor: als Persönlichkeit, Rolle, Maske, Allüre, Zurschaustellung, Darstellung – als singuläre Variation des Aufplatzens und der Unterscheidung, durch die es einen Körper, Präsenz erst gibt.“ (Nancy, „Theaterkörper“, 166). Was ‚es gibt‘, ist in der Trennung gebunden ans Unbestimmte, Ungestalte, den „dunkle[n] Grund des Theaters“ (ebd.; vgl. B. Menke, „Agon und Theater“, 207-11).

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In-Szene-Setzen wird im Erzählten verhandelt. Dabei wird das von eximere her als Heraus-nehmen oder -setzen ausgemachte Exempel, das dieses als Ausnahme bestimmt,48 auch hier szenisch aufgefasst, und zwar mit einer abgesetzten Szene der Schau-Stellung. Der „Platz“ der Exekution ist in Verschränkung von Ort und Sehen ein Theater.49 Die frühneuzeitlichen Strafrituale statuierten ein Exempel, indem sie den Körper des Delinquenten, an dem die Rechtsgewalt korporeal im Schrecken sich manifestierte, in ein Zuschauer anziehendes Schauspiel verwandelten.50 Der Exekutionsplatz ist hier aber Schauplatz, auf dem die „Erwartung“ einer (anderen) Szene die Agenten der Strafdurchführung als Zuschauer zusammentreten lässt, sie zu Zuschauern eines anderen Schauspiels bestimmt. Die Schaustellung verkehrt die Anordnung der Exekutionsszene durch die Wendung des Körpers, die diesen (aus sich) ex-poniert. Die Umwendung, mit der der Tambour statt des Gesichts den zu Zuschauern gemachten französischen Soldaten zeigt, was der „neuzeitliche Körperkanon“ verleugnet: das Hintere und das Loch dort, wendet die mit rahmender Gewalt versehene Situation. Diese Aufführung kann als obszöne Beschimpfung, ja Verwünschung,51 als aggressive ‚degradierende‘ Zuschreibungen an jene, die Franzosen drum herum, die doch die Lage bestimmen, gelesen werden;52 der Tambour agiert hier gleichsam ‚aus dem Hinterhalt‘, nach Art der von ihm nach der „Zersprengung der preußischen Armee“ genutzten (in Spanien gegen die moderne Napoleonische Armee ausgeführten) Guerilla- oder Partisanentaktik.53 Derart wird aber der Tambour

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Exemplum von eximere: „das aus einer Menge Gegriffene“ (Dicke, Art. „Exempel“, 534 f.). Die „beispielhafte Ausnahme“ ist Agamben zufolge eine ‚ausschließende Einschließung‘: was „einzig und allein durch seine Isolierung exemplarisch“ ist, herausgesetzt, „weil es seine Zugehörigkeit zur Schau stellt“ („Was ist ein Paradigma?“, 28 f., 22; Homo sacer, 31-33, 27-38; vgl. Giuriato, „Kleists Poetik der Ausnahme“, 227-30). 49 Vgl. Wild, „‚Weder worte noch rutten‘“, 222. 50 Wild, „‚Weder worte noch rutten‘“, 221ff. 51 Flüche, Obszönitäten, Beschimpfungen, Verwünschungen, so Bachtin, „schaffen einen grotesken Körper“, sind Spuren der grotesken Ambivalenz (Rabelais und seine Welt, 394f., 397, 187-95, 201-07, 217; Fluchen und Lachen, 360f., 220f.). 52 Als obszöne Aufforderung an die Franzosen würde die Umwendung diesen ‚perverse‘ sexuelle Praktiken zuschreiben. Nichts davon zeigen die präsumptiven Vorlagen (Bergk, Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen, BA Quellensammlung Q109601A, 246; Beobachter an der Spree, datiert 22. Oktober 1810, 681, KSW II, 913). 53 Die Berliner Abendblätter enthalten im März 1811 eine Fülle von Meldungen zu den Kämpfen der „Guerillas“ (am 4. März 1811, BA II, 270, 12.-14. März, BA II, 302-15). Schmitt spricht vom „Partisan des spanischen Guerilla-Krieges“ (Theorie des Partisanen, 12-14, zit. W. Kittler, Die Geburt des Partisanen, 219; zur Kleist zeitgenössischen Diskussion 218-25).

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nicht zum Herr über die Szene; er in-szeniert, ‚indem er die Szene betritt und zu ihrer Figur wird‘,54 sich korporeal aussetzt. Die Szene ist eine der korporealen Ostentation, des Entgegenstreckens (ostendit), die evidentielle Deutlichkeit nicht zulässt,55 diese vielmehr durchquert, durchstößt. Derart wird des Theaters ‚visuelle Insistenz‘ als solche zur Geltung gebracht, die Zur-Schau-Stellung als Geschehen(-Lassen), und damit eine Kraft (enérgeia), die keine evidentia im Sinne von „Mimesis und Wahrheit“ im anschaulichen ‚lebendigen Bild‘ (enárgeia) gewinnt;56 sie manifestiert sich vielmehr in der (‚reinen‘) Geste, der Ostentation, als Entgegenstrecken, gegen das verständliche Bild (als das die Szene in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgefasst wurde), vor diesem und dieses überschießend. Die korporeale Exposition ist begleitet von jenen ‚letzten Worten‘, die dem zur Exekution Bestimmten eingeräumt wurden, die der genannten Vorlage der Kleist’schen Anekdote zufolge den witzigen „Einfall“ des Tambours „im Augenblicke des Todes“57 abgäbe, aber Körper-Geste und Wörter schließen sich zu keiner menschenähnlichen Gestalt zusammen,58 die paradigmatisch: 54 So Peters („Wie Geschichte geschehen lassen?“, 83) zu Kleists Anekdote „Der verlegene Magistrat“ (4. Bl., 4. Oct. 1810, BA I, 22). In dieser Anekdote spielt ein Deserteur „in gewisser Weise Theater“, um sich der „Strafe zu entziehen“ (80), ein „Theater außerhalb des Theaters“ (85). „In der Überaffirmation der Regelungen zur Kontrolle des Szenischen, wie sie sich in ‚Der verlegene Magistrat‘ und der ‚Anekdote aus dem letzten Kriege‘ findet, wenn man sie zu den benachbarten Erörterungen theatraler Ästhetik in Beziehung setzt, läßt Kleist […] die szenische Technik als solche, und das heißt: als Technik des ‚historischen‘ Handelns in seiner Unmöglichkeit hervortreten.“ (86). 55 Das Schauspiel der evidentia aber wäre demonstrativ und ostentativ, vgl. Wild, „‚Weder worte noch rutten‘“, 223 u. 227; zur komplexen Relation des korporealen Schauspiels, theatraler ‚visueller Insistenz‘ und evidentia vgl. 223, 226ff., 231f. Das lat. evidentia wird in „Ableitung von e-videri herausscheinen, hervorscheinen, als dasjenige was einleuchtet, weil es gleichsam aus sich heraussscheint“ gedeutet (Kemmann, Art. „Evidentia/Evidenz“, Sp. 33); einen Hinweis von theatrum auf rhetorische evidentia gibt auch Breuer, „‚Schauplätze jämmerlicher Mordgeschichte‘“, 214-25. 56 Wild, „‚Weder worte noch rutten‘“, 218. Zur Doppelung in der (lat.) evidentia (226ff.) als Übersetzung der griechischen Paronyme enérgeia, der Kraft und enárgeia, das in allen Einzelheiten detaillierte lebendige Bild, die Hypotypose, das als „Effekt“ der Kraft, scheinbar vermittlungslos vor Augen stehe, im Vergessen-Machen ihrer Figuration (227, 231, 236); vgl. Campe, „Vor Augen stellen“; ders., „Affizieren und Selbstaffizieren“, 150, 140f.; Kemmann, Art. „Evidentia/Evidenz“, Sp. 40. 57 Bergk, Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen, Bd. 7, 3. Heft, 246f., zit. nach BA Quellensammlung Q109601A. 58 Der „Sinn der ständigen Angaben über Mienenspiel, Tonfall und begleitende Gebärden“ in Kleists Texten wird traditionell in der Manifestation einer „leib-seelische[n] Einheit“ gesehen, in der die Gesten aber „nicht aufgehen“, sondern vielmehr die „als exemplarisch erkannte Dissonanz von gestischem und sprachlichem Verhalten“ bezeugen (H.-D. Weber, „Zu Heinrich von Kleists Kunst der Anekdote“, 20, 27; vgl. Moering, Witz und Ironie, 113, 127f., 133).

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als Gesicht für den verstehbaren Zusammenhang eines Innerlichen und des Äußeren einstehen würde. Kleists Text führt die wörtliche Äußerung – anders als die vermutliche Vorlage – in indirekter Rede an: „Sie möchten ihn in den … schießen, damit das F… kein L… bekäme.“59 Wenn Kleists Anekdoten-Text die andere Öffnung nicht nennt, dann wird durch deren Auslassung aber nicht die vorgeblich geschlossene Oberfläche und die abgeschlossene Ganzheit des Körpers behauptet, sondern ist vielmehr die Ausgelassenheit60 markiert und die vermeintliche Textoberfläche unlesbar gelöchert. Zunächst will es scheinen, als funktionierten die Auslassungspunkte im ersten und in den beiden folgenden Fällen auf verschiedene Weise. In den beiden letzten Fällen können die typographischen Zeichen (was auch der eingesetzte oder stehen gebliebene Anfangsbuchstabe anzeigt) jeweils für das Fehlen eines Buchstabens61 und damit die Stellen stehen, an denen Buchstaben sie substituieren würden,62 während im ersten Falle die vermeintlichen drei Punkte das bloße dass der Auslassung im Text bezeugen. Aber in den Berliner Abendblättern gab es (anders als in gängigen unmarkiert emmendierenden Kleist-Ausgaben)63 vier Punkte zu sehen: „sie mögten ihn in den …. schießen“.64 Diese ‚vier Punkte‘ mögen ebenso wie die heute geläufigen drei als (eine) Marke 59 So in der Sembdner-Ausgabe, KSW II, 268. 60 Vgl. Lehmann, „Ausgelassene Zeichen“, 261. 61 Diesen Gebrauch des Auslassungszeichens belegt etwa C.  M.  Wielands  Geschichte der Abderiten: „in einem Augenblick sah man den Saal, wo sich Gesellschaft befand, u**** W***** g******“ (zit. nach Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 37f.). In Sternes Tristram Shandy: „The chamber-maid had left no ******* *** under the bed“ „—Cannot you manage, my dear, for single time, to **** *** ** *** ******“ (V, xvii, 449) stehe „jedes Asterisk für einen Buchstaben, jede Gruppe für ein Wort“, die Lösungen reiche Sterne nach (vgl. Schulze, „Do you know the Meaning of ****?“, 397, 428). 62 Vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f. 63 Editorische Eingriffe wie dieser gehören zu den editionsphilologischen Fragwürdigkeiten, die die Brandenburger Kleist-Ausgabe auf die Tagesordnung der Kleist-Lektüren setzte, etwa die vormals übliche Verkürzung des Titels „Die Marquise von O….“ um einen Punkt. Die Bedeutsamkeit der Zeichensetzung für Kleist-Ausgaben erörterte Sembdner anhand der vorliegenden Ausgaben, vor allem der von E.  Schmidt (Sembdner, „Kleists Interpunktion“, 229-52), während seine Ausgabe ebenso die Interpunktion ‚angleicht‘ oder ‚verbessert‘. Das macht editions- wie texttheoretische Voraussetzungen: Satzzeichen sind ausgeschlossen aus der „Substanz des dichterischen Wortes“, die Gadamer als Zusammenhang von „Klang und Sinn“ voraussetzt („Poesie und Interpunktion“, 144f.). Auf Sembdners Kleist-Ausgabe bezieht sich Stenzel, Zeichensetzung, 55ff., 16; dgg. Klausnitzer, „‚(die Schriftgelehrten mögen ihn erklären)‘“, 205, 213ff.; zu vergleichbaren Eingriffen in der Edition von Kafkas Handschriften vgl. Neumann, „Schreiben und Edieren“, 206. 64 BA I, 96. Mit der konventionellen Einrichtung der Dreizahl als eine Letter im Druck und jetzt auf der Tastatur können die vier Punkte gerade nicht wiedergegeben werden (Bay, „Die Punkte der Marquise“, 219): …. (vgl. auch den Druck von B. Menke, „Der Witz, den die Lettern und den die Löcher machen, ….“).

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für eine Auslassung überhaupt gebräuchlich gewesen sein,65 oder aber sie zeigen genau die vier Buchstaben an, die an ihrer Stelle fehlen. Das mag einen krass unterbietenden Scherz mit den euphemistischen „vier buchstaben“ erlauben, Euphemismus des Euphemismus,66 der „der Lage nicht gerecht“ wird „und das auch nicht will“,67 oder aber sie stehen, wie Sternes berühmte ****, für ausgelassene four letter words.68 Auslassungszeichen haben in der Schriftgeschichte, als deren Teil sie, mit Bernhard Siegert, zu verhandeln sind, u.a. als „signum lacunae“ die Funktion, die „reale Lücke“, „radikale Abwesenheit“ im Realen anzuzeigen (mit Siegert die erste von drei Möglichkeiten, „was für eine Art Fehlen Auslassungspunkte anzeigen“).69 Sie codieren die „reale Lücke“, überführen sie „in eine Menge diskreter, abzählbarer Elemente“70 und (das 65

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Vgl. Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 33f.; Briese vermerkt die Herkunft aus zwei Punkten: aus dem gekippten gemipunctus (für Namensauslassungen) („Auslassungszeichen“, 214); für 2, 3, 4 Punkte vgl. Rault, Poétique du point de suspension, 27-33, zum ‚Exzess‘ des 4. Zeichens, 34, 33-36. Vier Punkte etwa: Jean Paul, SW I.4, 353, als abbrechende in Unsichtbare Loge, SW I.1, 446; in Hesperus „vier Punkte“, die ikonisch als Spuren eines Hasen genommen werden, dem wie der „Periode“ (wohl) der Schwanz abgebissen wird (unerklärte Wiedergabe SW I.1, 1024f., vgl. M. Wieland mit der Erstausg., Vexierzüge, 288f.); 2, 3, ober 4 Punkte bez. Büchners vgl. Osterkamp, „Drei Punkte“, 244-48. ‚Vier Buchstaben‘ stehe „verhüllend für popo“ (DW Bd. 26 (1951), Sp. 261), das ist ‚selbst‘ schon ein kindischer Euphemismus (mindestens) geworden (hier findet sich kein hist. Nachweis); vier sei die Angabe für eine kleine Zusammenfassung (vgl. Sp. 261f.). Mit einer Wendung aufs Gesicht, Jean Paul: „das Wort homo – dessen 4 Buchstaben nach den Alten […] auf dem Gesichte sollen zusammenzubringen sein“ („Ergänzblatt“, SW I.5, 1290); das setzt aber das asyndetische Zerschreiben des Gesichts in „4 Buchstaben“ voraus. Rinck, Risiko und Idiotie, 166. „My sister, I dare say, added he [Toby], does not care to let a man come so near her ****. I will not say whether my uncle Toby had completed the sentence or not; ——’tis for his advantage to suppose he had, ——as, I think, he could have added no ONE WORD which would have improved it.“ (Sterne, Tristram Shandy: II, vi, 115). Dieser ****-Fall dränge „ein sexuelles four-letter-word“ geradezu auf (Schulze, „Do you know the Meaning of ****?“, 401; vgl. Nink, Literatur und Typographie, 88f.). Die Auslassung, die markiert alles andere als ein Verschweigen ist, tritt zwei Absätze später erneut auf, um nach „crevice“ [Kluft oder Spalt] unterbietend als „Cover’d way“ ‚aufgelöst‘ zu werden (II, vi, 116), was in der Fortführung mit der „kokette[n] Relativierung“ der Wahl zwischen den möglichen „‚two senses‘“ als „two roads“, „a dirty and a clean one“ versehen ist (III, xxxi, 258; Schulze, 404; vgl. Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 199ff., 203f.). Siegert, […] Auslassungspunkte, 10. Siegert, […] Auslassungspunkte, 10. Die Codierung von „Spuren, die die feindliche Löschprozedur zurückgelassen hat“, die diese „in eine Menge diskreter, abzählbarer Elemente“ überführte, war philologische „Erfindung“ (20, 18, vgl. 9f.). Punkte wurden wie Asteriske als „Zeichen, das dort ‚gesetzt wird, wo etwas ausgelassen ist‘“, von Isidor von Sevilla eingeführt (6./7. Jh. n. Chr.); es wird im Mittelalter „formales Zeichen im Rahmen der möglichst authentischen und genauen Handschriftentradierung“ von zweiter Hand in „der frühen philologischen Arbeit“ (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“,

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ist die zweite Möglichkeit des Fehlens, das sie anzeigen mögen) ermöglichen, die Abwesenheit eines Buchstabens zu schreiben.71 Das wird hier thematisiert oder vorgeführt – und ver- oder umgekehrt. Wollte man annehmen, dass die erste Auslassung der Wohlanständigkeit – nicht des Tambours, sondern – des Erzählers der „Anekdote“ geschuldet sei, drängte sich umso mehr die Frage auf, warum durch Auslassungspunkte die beiden anderen Wörter so sehr markiert wie auch vorenthalten, quasikryptographisch verheimlicht und verrätselnd zu lesen angewiesen sind. Wenn es sich dabei um die Wörter „Fell“ und „Loch“ handeln sollte,72 so dass der Satz einen Sinn machte, so können diese in literarischen Texten um 1810 doch zu stehen kommen und die angesprochene Vorlage für die „Anekdote“ hatte Wörter wie die hier ausgelassenen ausgeschrieben: „‚Nun so bitt’ ich, […] mich im Hintern schießen zu lassen, damit der Balg ganz bleibe.‘“73 Mag man auch die Wörter, die durch die/anstelle der Marken für die fehlenden Buchstaben zu lesen wären, angeben können, geht doch die Markierung ihrer Auslassung nicht auf in der möglichen kryptographischen Entzifferbarkeit (an ihrer Stelle). Es sind, wie Abkürzungspunkte, genuin schriftliche Zeichen ‚optionaler Lektüren‘,74 die zugleich jede, die sie substituieren mag, (auch) sperren. Markierte Auslassungen wurden als mögliche Strategie Kleists in Bezug auf die Zensur, unter deren Bedingungen die Berliner Abendblätter erschienen, 27f.; vgl. Siegert, 23ff.; vgl. Matala de Mazza, „Asteriske und Oberbeistrichlein“, 184f.). Die Funktion des Asterisk „to denote […] some defect in the manuscript“ (J. Robertson (1785), nach Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 202) hypertrophiert das Kapitel „The Fragment“ in Sternes Tristram Shandy, das nur aus Asterisken besteht (V, i, 409), vgl. Schulze, „Do you know the Meaning of ****?“, 412f.). 71 Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f. 72 Es gibt gute Gründe, diesem allzu fixen Schluss zu widerstehen; vgl. Bothe, „‚….‘ – Die Auslassung als pun und Anagramm?!“. 73 Bergk, Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen, Bd. 7, 3. Heft, 246f., zit. nach BA Quellensammlung Q109601A. Beim Balg ist u.a. an eine Verwendung als Dudelsack zu denken, der gleichfalls als Körper-Ausstülpung fungieren kann. 74 So Klappert, „Der Abkürzungspunkt“, 232f.; Rault, Poétique du point de suspension, 53; bez. des abgekürzten Namens M. in „Über das Marionettentheater“ akzentuiert de Man „the dismemberment of language by the power of the letter“ („Aesthetic Formalization“, 290). Ein Abkürzungspunkt in Rilkes „Fünfter Duineser Elegie“ machte das eigentliche Satzzeichenskandalon für Gadamer aus, da es als nicht sprech- und hörbares der Schrift „bildhafte Gegenwart“ gebe („Poesie und Interpunktion“, 144f., dass. in ders., Gesammelte Werke, Bd.  9, 283). Abkürzungspunkte anonymisieren in den Berliner Abendblättern die Autornamen (vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 49), sind in Kleists Texte auch für „verschwiegene[] Namen“ eingesetzt; das nimmt Moering als aus moralischen Erzählungen, Prozessberichten und Kriminalgeschichten übernommenes „Stilmittel“, das den „Eindruck einer tatsächlichen Begebenheit“ wecken solle (Witz und Ironie, 237).

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aufgefasst.75 Die Marken stünden für einen drohenden Eingriff der Zensur: anstelle eines solchen im Text, wie sie tatsächlich als drucktechnisch notwendige „Füllsel“ die Stellen jener Lücken halten, die die vorgenommenen ZensurStreichungen im gesetzten Text hinterließen.76 Da sie derart zugleich die Löschungen durch die Zensur, die zensierende, streichend mit ‚anderer Hand‘ sich in den Text einlassende Lektüre markierten, werden auch diese Füllsel (statt gestrichener Buchstaben) selber der Zensur unterworfen.77 Heines „Die deutschen Censoren […]“ etwa inszeniert mit Füllzeichen den Eingriff der Zensur im Vorgriff, der die Streichung verhindere, indem er ihn fiktiv vorwegnimmt.78 Interpungierend kommt Schreiben lesend, Wieder-Lesen hinzu75 Zu Zensurvorschriften und Zensurbehörden, unter denen die Berliner Abendblätter erschienen, vgl. Moering, Witz und Ironie, 200-17; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 20ff., 35f., 52; dies., „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 2-5; vgl. die Aktenstücke zur Zensur der Berliner Abendblätter, zusammengestellt von Barnert in Zusammenarbeit mit Reuß u. Staengle, 30f., 256-353, zu den Instanzen politischer, literarischer, allgemeiner Censur vgl. Nr. 40, Nr. 41, Nr. 48, Nr. 55, Nr. 57, Nr. 60, Nr. 69, Nr. 71, Nr. 75. Während Moering aber vermeint, die im Umweg verfolgten Ziele erschließen zu können, lassen die Dissimulationen, Rücksichten, Repressionen, Bedingungen, Widerfahrnisse und Kontingenzen, Peters zufolge, gerade nicht (rück-)erschließen, „welche Strategien sich mit ihnen verbanden und welche konkreten Informationen oder Gegebenheit ihnen zugrunde lagen.“ (Kleist und der Gebrauch der Zeit, 35). 76 Nach der „Neuorganisation der Zensur durch die Karlsbader Beschlüsse und das entsprechende preußische Zensuredikt vom 18. Oktober 1819“ kommen Punkte und Striche „als Füllsel für getilgte Textstellen in der Literatur, besonders aber in der Tagespresse“ in Gebrauch, weil „Zeitungsblätter und Bücher“ „gesetzt und fertig umgebrochen“ den Zensurbehörden vorgelegt wurden; wenn diese „Sätze oder gar ganze Abschnitte strichen, mitten in einem Artikel oder Buchkapitel, so hätte die Beseitigung dieser Lücken durch völligen Neuumbruch des Ganzen unerschwingliche Kosten und, besonders bei Zeitungen und Zeitschriften, verhängnisvolle Verzögerungen verursacht. Also füllte man diese Lücken mit Strichen oder auch Punkten“ (Houben, „Bedenkliche Gedankenstriche“, 203). 77 Zensoren wurden 1823 und 1834 „angewiesen, solche Gedankenstriche als Ausfüllung von Zensurlücken nicht zu dulden“ (Houben, „Bedenkliche Gedankenstriche“, 204). Die Markierung konnte gar „das Leben koste[n]“ (etwa den Verleger des Neudrucks von „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“, den Napoleon am 26. April  1806 habe erschießen lassen). 78 Heine: „Die deutschen Censoren – – – – – […] haben sie gestrichen – – – […] Dummköpfe – – […]“ (Reisebilder: Ideen. Das Buch Le Grand, Sämtl. Schr. Bd. 2, 283, vgl. 286), eine Inszenierung der Dummheit der staatlichen Zensur (so ähnlich Wirth, „Ironie und Komik“, 243), fehlverbucht als „fremdgesetzte[] Anstandsstriche[] bei Heine“ (Rickes, „(Anstands-) Striche“, 260, vgl. 266ff., 272ff.; vgl. Briese, „Auslassungszeichen“, 216). Umgekehrt haben Wielands empörte Auslassungen in seinen Shakespeare-Übersetzungen als (ernsthafte?) „anti-obszöne Zensurmaßnahme“: „– – – – – – “ „etwas Inszeniertes“ (M.  J.  Schäfer, „Asteriske und Halbgeviertstriche, seine Gnaden und ein Hosenlatz“, 170f.).

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schreibend aufs Geschriebene zurück;79 der Text zeigt sich schreibenden Re-Lektüren, Teilhaben anderer Hände, und seien es die ‚eigenen‘ als andere, im Nachtrag, durchstreichend, korrigierend, hinzusetzend, ausgesetzt.80 Wer schreibt/löscht? Der mögliche insinuierte Doppelsinn wäre z.B. in dem zitierten Satz der möglichen Vorlage der Kleist’schen „Anekdote“ gegeben: eine Anspielung mit politischem ‚guten Sinn‘,81 der hier offenbar ein ‚politisch böser‘ wäre. Wollte die Kleist’sche Anekdote auf ein politisches double understanding hinaus, so etwa, was Hermann in Kleists Hermannschlacht nahelegt, dass die Französischen Besatzer auch den toten Körper noch, enteignend, wie einen tierischen, so den des Landes (?), einer ökonomischen (?) Nutzung zuführen wollten,82 wie auch der Tambour zu unterstellen scheint, wenn er sein Fell ‚heil‘ und derart (für Trommeln?) nutzbar halten will, wo er nicht mehr vermuten kann, seine ‚Haut‘ im bekannten übertragenen Sinne retten zu können.83 Nicht nur eine solche Besatzer-denunziatorische, sondern „im Grunde jede politische Aussage“ war den Berliner Abendblättern, die keine politische Lizenz hatten, verboten und konnte „bestenfalls indirekt vermerkt werden“, durch, so Peters, „unzählige ‚Lücken‘, die nicht unkenntlich gemacht“ wurden.84 Die eine Doppelrede anzeigenden Auslassungszeichen, eine Doppelschrift, die auslassend schreibt und latent anderes mitschreibt, weisen aber ein derart angebbares understanding, und mag dieses auch noch so double sein, doch (auch) zurück. Zum einen wird durch Kryptographie der mit dem signum omissionis supponierte „Fall eines Ungesagten oder Unsagbaren“ (mit Siegert die dritte der drei Möglichkeiten dessen, „was für eine Art 79 Zu den ‚anderen‘ Instanzen der Zeichensetzung und der Typographie vgl. Bunia, M. Wieland, Matala de Mazza, Polaschegg, Glaser usf.; Setzer, Korrektoren, selbst Buchbinder produzieren am Werk mit (so Jean Paul, SW I.4, 355, u.ö.). 80 Vgl. zum durchstreichenden Schreiben in Kap. IV.2. 81 Angespielt ist hier der sog. ‚gute Sinn‘ des Witzes, der Freud zufolge über den Witz, der nur als ‚guter‘ überhaupt ein Witz sei, entscheidet: d.i. nur das eine Gesicht des Witzes (Der Witz, 114, 124f., 130, 199ff.). 82 Kleist, Die Hermannsschlacht, KBA I/7, 114-117 (vs. 1763-1813). Hermann tut die anderen Fürsten als „Schwätzer“ ab, die „mit Chiffren“ schreiben und einander Boten schicken, „die die Römer hängen“ (I/7, 95). 83 Insofern ist es doch lustig, wenn Moering vom „rettende[n] Einfall“ des Tambours spricht (Moering, Witz und Ironie, 200). 84 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 35ff., 52. Wenn Peters Lücken, mit denen Kontingenz (der Zensurbedingungen um 1810) sich einschreibt, mit Isers in der Tradition der Phänomenologie stehender Rezeptionsästhetik als „Leerstelle[n]“ fasst, so wären sie in Funktion der „Sinnstiftung“ fehl-aufgefasst (50f., 66; vgl. dgg. Dotzler, „Leerstellen“, 213ff., 222ff.). Gerade zur Zensurgeschichte gehören (wie angeführt) die Marken als solche der leeren Plätze, als Füllsel, die diese halten.

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Fehlen Auslassungspunkte anzeigen“),85 operativ zurückgeführt in der Punkte (zweite) Auffassung als „Option, die die Schrift bereithält, um den leeren Platz zu markieren, den jede Letter immer nur substituiert“.86 Sie fungieren als „Platzhalter“, „Füll- oder Leerzeichen“ (so Siegert), als Nullzeichen, die, wo ein Zeichen fehlt, den „leeren Platz“ schreiben und „die Stelle [von Buchstaben] als solche sichtbar“ machen.87 Zum andern aber sperren diese Marken, die die (leeren) Stellen angeben, die Buchstaben substituieren (oder an denen sie fehlen) mögen, zugleich als Platzhalter (an deren Stelle) gegen den ‚kryptographischen‘ Übergang in Buchstaben, und über diese hinweg in semantische Einheiten des Wortes, des Satzes, in den Sinn, auf den hin die Zeichen sich selbst transparent machen sollten. „….“ markiert den Text als double in sich/ seiner ‚selbst‘. Die Text-unterbrechenden, -löchernden Marken sind solche latenter Lesbarkeiten (an ihrer Stelle), der Latenz anderer Lesbarkeiten von/ in Wörtern in jedem der Momente des Textes – und seien diese Punkte. Das weist jede jeweilige Lektüre an, auf die Lücken und deren Punktierungen, die Punkte, die sie markieren und den Platz (von allem Möglichen) halten, zurückzukommen; die Schrift insistiert stellenweise. Jede jeweilige Substitution, jede Lesart, die sie an ihrer Stelle eröffnen, wird durch die Punkte (zugleich) suspendiert.88 Auslassungszeichen, seien es Punkte oder Striche, „beinhalten nichts“,89 vorenthalten und verweisen auf einen Exzess des Möglichen.90 Sie markieren latente Lesbarkeiten und halten sie suspendierend in Latenz. Sie insistieren leer, punktierend – in ihnen ‚flüstert‘ die ungestalte unsprechbare unlesbare Potentialität des Textes mit, dessen (un-)tiefer Grund. Der der „Anekdote“ in den Berliner Abendblättern unmittelbar voranstehende Artikel „Theater. Ueber Darstellbarkeit auf der Bühne“ wollte von der Darstellung auf der Theaterbühne die einer „förmlichen militairischen Execution, d[as] beliebte[] Füsiliren“ völlig ausschließen; denn „wollte man im Gefecht förmlich das Haupt vom Rumpfe fliegen lassen; so würde dieses 85 Siegert, […] Auslassungspunkte, 10. 86 Siegert, […] Auslassungspunkte, 10; Dotzler unterscheidet vier Typen von „Leerstellen“ (223-26). 87 Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f., 19f. 88 Das macht das frz. Wort für Auslassungspunkt: point de suspension als signe du latent explizit (Rault, Poétique du point de Suspension, 36-39, 55, 85, 48-51, 46f.). 89 „Striche“ und „Punkte“, an denen „das Bedeuten an-, aber abbricht“, „beinhalten nichts. Nichts, das ihnen, aufbewahrt in ihnen, sich selbst gleich, im Augenblick des Lesens entnommen werden könnte“ (Schestag, „Lampen (Fragment)“, 39); vgl. Kap. IV.2. 90 Diese Doppelbewegung, die hier weiter beobachtet wird, formuliert auch Rault: „du défaut et de l’excès, de la lacune et de l’infinité des possibles“ (Poétique du point de suspension, 46f., 165, 54f.; er berücksichtigt aber nicht Leerzeichen, die buchstäbliche Wortzerlegung).

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gewissermaßen ekelhaft sein“.91 Die Regulierung von theatraler Darstellung wird von der tambourischen Exposition des grotesken Körpers drastisch überschritten, die als theatrale (außerhalb des Theaters) die ausdrucksvolle Gestalt dementiert: (aus sich) heraussetzt. Die Kleist’sche „Anekdote“, die von einer solchen „förmlichen militairischen Execution“ erzählt, ohne diese zu erzählen, entspricht dem in sich gedoppelten Obszönen als „des NichtDargestellten wie auch des überdeutlich Ausgestellten“92 der tambourischen Exposition, insofern der Text, in schriftlichen Marken, ein in Absenz Gehaltenes in-szeniert. Proklamiert Kleists Text den „ungeheuersten Witz, der vielleicht, so lange die Erde steht, über Menschenlippen gekommen ist“, so wird nicht nur der Tambour den Mund durch eine andere Öffnung ersetzt haben und das Ungeheure,93 „was wegen seiner grotesken ausbildung in erstaunnen, auch in furcht und schrecken“ setzt, „entsetzliches, grauenhaftes“, auch „unmenschlich, […] ekelhaft, entstellend, wie auch auszerordentlich, übermäszig, überwältigend“,94 in ostentativer Aussetzung der Gestalthaftigkeit des ausdrucksvollen Körpers auslegen. „[E]in Ungeheures“ ist, was ungestalt „in keinem […] Gebilde Platz findet“, so Werner Hamacher (hinsichtlich der

91 Berliner Abendblätter 18. Bl., 20. Oct. 1810, 71ff.; BA I, 93ff.; gez. „W … t.“, erschlossen wird Wolfart oder Wetzel; vgl. Peters, „Wie Geschichte geschehen lassen?“, 84ff. 92 Stamer, „‚[…]‘ im Δ der Auslassung“, 132, 129; vgl. Siegmund, „Abwesenheit“, 82f.; sowie zur Absenz, die theatrale Präsentation ermöglicht, das von Kruschkova hgg. Heft, ob?scene. Zur Präsenz der Absenz im zeitgenössischen Tanz, Theater und Film. 93 Vgl. hier u. für das Folgende DW: „ungeheuer“ in den Bedeutungen (u. a.): 1) in Abbl. von geheuer („familiaris“): „ungemein“, „übermäszig“ (Bd. 24, Sp. 692); 4) „unheimlich, nicht geheuer“, im ‚mythologischen‘ Sinne: „monstra“ (Sp. 696 u. 706), 5) „als ausdruck […] für gewaltig, ungewöhnlich grosz […], auszerordentlich nach erscheinung, anzahl, wesen und wirkung, übermäszig, überwältigend“ (Sp. 697); als Substantiv (Sp. 700ff.), im Sinne des lat. Monstrum, ungewöhnlich groß oder „misgeburten“ (Sp. 704ff.). 94 Zit. in Auszügen DW Bd. 24, Sp. 694-97, Sp. 704. Ungeheuer/lat. Monstrum: „jede regelwidrige bildung eines naturkörpers“ (Sp.  704), „mostro di natura, monstre de nature, monster in nature“ (Sp. 705); ungewöhnlich groß oder „misgeburten“ (Sp. 706); „Luther für deformis“ mit Beispielen wie „menschen mit hundsköpfen“, auch „ungeheure schaaren“; „übermäszig, überwältigend“ (Sp.  697); oder „ein gespenstisches, unheimliches wesen, auch als unförmlich, riesig, gräszlich“ (Sp.  702) „bezogen aufs äuszere, gräulich, […] scheuszlich, schauderhaft, entstellend, ekelhaft, [schmutzig]; monstruosas [species]“ (Sp.  696). „‚Du ungeheurer Mensch!‘“, das gilt in „Die Verlobung in St. Domingo“ nicht nur dem Mordenden, sondern auch dem Entsetzen durch die vom Schuss in den Mund erzeugte Entstellung: „Diese neue Schreckensthat raubte den Verwandten völlig alle Besinnung. […] [D]es Ärmsten Schädel war ganz zerschmettert, und hing, da er sich das Pistol in den Mund gesetzt hatte, zum Teil an den Wänden umher“ (KBA II/4, 88f.; KSW II, 194) – auch dies ist eine Ausstülpung aus der geschlossenen Gestalt, eine Groteske (vgl. B. Menke, „Die Worte und die Wirklichkeit“, 33).

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Geschichte).95 Es dementiert die Menschenähnlichkeit der Form und gestalthafte Geschlossenheit von Darstellung oder Erzählung. So löst die wendende Exposition die versichernde Rückbindung der Äußerung an ihren vermeintlichen Ursprung, der durch ein Gesicht Menschenähnlichkeit und damit die phänomenale Plausibilität des Zusammenhanges von Innen und Außen gewinnen müsste. Und der Text seinerseits spielt, des Tambours Worte in indirekter Rede wiedergebend, statt des Sprachlauts, der menschlichen Lippen zugeschrieben werden mag, die genuine Schriftlichkeit seiner Äußerung aus: wie sie über keine „Menschenlippen“ kommt, als letterales defacement, Zerschreibung eines Gesichtes, das verstehende Lektüre meint voraussetzen zu können – und dem Text erst verleihen muss.96 „Zeichen vor und jenseits von Alphabeten kann keine Menschenstimme reproduzieren“, so Friedrich Kittler.97 Indizes für und anstelle der Buchstaben, die das Verstehen schon transzendiert haben will, stellen die buchstäbliche Schrift in ihrer gewöhnlich lesend ‚übersehenen‘ Sichtbarkeit heraus.98 „Auslassungszeichen“, „operative Pausen der alphabetischen Schrift“ wie „Interpunktion, Ziffer, Verräumlichung“ gehören zu den „nicht-phonetischen Funktionen“ der „alphabetischen Schrift“, so Derrida,99 die phonetisch und semantisch irreduzibel sind.100 Operatoren gehen nicht im Sinn auf, an dessen Produktion sie intervenierend teilhaben mögen,101 sondern sie legen, graphisch insistierend,102 „Pausen“ in die signifikante, die lesende Kontinuität; sie sind auf kein Gesicht, das einer vermeintlichen Stimme des Textes gegeben würde, das die Verständlichkeit der 95 Hamacher, „Über einige Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“, 12; mit Bezug auf die „Kontingenz und Partikularität historischer Ereignisse“, die „nicht zu[lassen], aus ihnen eine allgemeinheitsfähige Erkenntnis zu ziehen“ und ihnen eine stabile Form zu geben. 96 Das bezieht sich auf de Mans Konzept der Prosopopöie: giving a face/defacement; vgl. B. Menke, Proposopoiia, 137-214. 97 F. Kittler, Aufschreibesysteme, 265. „Keine Stimme […] kann […] Klammern aussprechen, die ein semicolon oder gar – um ein für allemal zu demonstrieren, was Medien sind – eine Leere umschließen.“ (217). 98 F. Kittler, Aufschreibesysteme, 256f. „Wörtlichkeit und Materialität des Geschriebenen sind erst auf Kosten seiner Lesbarkeit und nach kleinen Versuchsanordnungen zu haben.“ (257, das traut Kittler erst der Literatur ‚um 1900‘ zu) 99 Derrida, „Der Schacht und die Pyramide“, 108. 100 In den Diskursen der zweiten Hälfte des 18. Jh. sollen Interpunktionszeichen im Verlauten-Lassen aufgehen. Wo sie nicht überlesen werden können, werden sie, so etwa Gadamer, aus dem Reich der Dichtung, das von Klang und Sinn beherrscht sei, und deren Hermeneutik ausgewiesen (vgl. Kap. IV.2). 101 Zu Operatoren vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 7. 102 Die Graphie der Interpunktionszeichen weist Parkes historisch auf; es sind Operatoren des Lesens (Pause and Effect, 23ff.; ders., Scribes, Scripts and Readers, 5).

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Äußerung figurierte, metaphorisch zu verrechnen und nicht verstehend zu transzendieren. Entgegnet die Wendung, die der „Witz“ des Tambours vollzieht, der Gewalt der Exekutoren, ohne (auch nicht durch einen Witz ‚letzter Worte‘) zur Souveränität über die Szene zu gelangen,103 so begegnet der Text, das ist sein ‚Witz‘, der Gewalt der Setzung, die Sinn hervorgebracht haben würde, indem sie nachträglich in der Einsetzung von etwas integriert würde,104 indem er das Gesicht, die plausibilisierende anthropomorphe Gestalt dieser Integration, des Text-Verstehens durchkreuzt oder punktierend-löchernd zersetzt. Punkte (dis-)artikulieren die Buchstäblichkeit der Wörter, sie bringen die Zerlegbarkeit des vermeintlich ganzen Wortkörpers, die durch Verstellbarkeit bestimmte Sprache im Medium der buchstäblichen Schrift zur Geltung – an der Schwelle, bevor ein Wort semantische Einheit geworden ist, und nach diesem. Das fiktive Menschengesicht, das die Verstehbarkeit von Texten figuriert und diese als Zusammenhang von Innen und Außen plausibilisieren sollte, ist durch die sichtbar, Lesbarkeit unterbrechenden Schrift-Reste, durch die punktierende Insistenz der Punkte als Flecken auf dem Papier, die Löcher im lesbaren Text hinterlassen,105 ‚durchkreuzt‘, punktiert. – Das trifft auch den, der den Witz ‚gemacht‘ habe: Wenn die tödlichen Löcher oder Einschüsse, der letzten Bitte des Tambours zufolge, nur dort entstehen mögen, wo ein Loch schon auf die gewaltsam-einschlagenden anderen gleichsam ‚wartet‘,106 dann wider‚sprechen‘ dem jene Löcher im Text, die die typographischen Punkte als ‚kleine Löcher oder Stiche‘107 hinterlassen. Der 103 Derart lässt der Text „die szenische Technik als solche, und das heißt: als Technik des ‚historischen‘ Handelns in seiner Unmöglichkeit hervortreten“ (Peters, „Wie Geschichte geschehen lassen?“, 86). 104 Zu vergleichen wäre in Büchners Dantons Tod: „Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getödtet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen“ (II/7, 46), auch die Guillotine des Apostroph’ („Verlobung zu Santo Domingo“, KBA II/4, 43, vgl. V.  Kaiser, „Der Haken der Auslegung“, 201-06). Gibt es die ‚reine‘ Intervention? (vgl. B. Menke, „Exzess der Performanz“, 152f.; Siegert, […] Auslassungspunkte, 33-36; Eschkötter, „– Berühren Sie nicht das Beil“, 71); vgl. die Punktierungs-Anekdoten, Szendy, Stygmatology, 96f.; umgekehrt zu den KommaInterventionen in Büchners Sätzen vgl. Etzold/Meyzaud, „Interpunktionszeichen der Geschichte; Leichen“, 406ff. 105 Vgl. zum Punkt als „dot“ und „holes in meaning“ auch Szendy, Stigmatology, 38. 106 Bekanntlich sollte, was hier eine verkehrte Entsprechung hätte, „die Selbsttötung durch einen Schuß in den Mund“ „eine natürliche Öffnung […] nutzen, um den Körper trotz einer Todeswunde nicht zu entstellen“ (Krüger-Fürhoff, „Den verwundeten Körper lesen“, 33; zu Kleist’schen Realisierungen vgl. B. Menke, „Die Worte und die Wirklichkeit“, 26ff.). 107 „Stich, kleines Loch, kleiner Fleck“, so bestimmt Barthes das punctum oder auch στíγμα (Die helle Kammer, 35f.). Zur Relation von στíγμα und punctum, „0“ und (Nichts eines) Nullpunkt(s) in mathematischem und operativem Fungieren in verschiedenen Diskursen

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Text vollzieht sichtbar viel-löcherig, was der Trommler doch gerade vermieden wissen wollte. Wenn Schüsse und Einschüsse ‚hier‘: auf dem Papier, schwarz auf weiß, vorweggenommen sind, indem die Punkte auch ikonisch aufgefasst, obszön werden,108 dann hat das ‚Loch‘ sich entgegen der Bitte des Tambours schriftlich, sichtbar, in weiteren Löchern – wie oder als korporeale Durchbohrung (punctum oder στíγμα)109 – perforierend110 multipliziert. Die Schrift stichelt zurück111 – gegen den Trommler, der (gerade insofern) als trickster gekennzeichnet werden mag.112 Denn den trickster macht die Suspendierung auktorialer Verfügung über die Rede in ihren verschiedenen gegeneinander ausspielbaren Dimensionen aus, von der seine ‚eigene‘ Rede gerade nicht ausgenommen ist.113 ‚Hier‘ ist die Rückbindung des Äußerungsereignisses vgl. Schäffner, „Die Wunder des San Francesco d’Assisi und der Therese Neumann“, 185, 187-91. Für den Punkt, stigmē, so Aristoteles, hebt Szendy hervor: „it is placed or posited somewhere“ (Stigmatology, 32, 4f., 105; „stitch or puncture“, 90, zum frz. „point“, vgl. 111f.). ‚Interpungieren‘ hat eine Vorgeschichte als diastizein: ‚einstechen‘, ‚tätowieren‘, ‚brandmarken‘ (P. Schnyder, „Das Komma“, 74f., 85f., Szendy, 90). 108 In Wielands Shakespeare-Übersetzung von Measure for Measure verweisen in der „Empörung eines H*s*nlazes“ die „Asteriske nicht mehr nur auf die Auslassung, sondern darauf, dass es hier im zu Lesenden auch etwas zu sehen gibt“ (M. J. Schäfer, „Asteriske und Halbgeviertstriche, seine Gnaden und ein Hosenlatz“, 171f.). 109 Das punctum oder στíγμα ist Loch und „materiale[r] Stich“ wie körperliches Wundmal, vgl. Schäffner, „Die Wunder des San Francesco d’Assisi und der Therese Neumann“, insb. 187-219). Der Märtyrer wird in imitatio Christi zur inscripta Christo pagina, als solcher lesbar (Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 316); zum Verhältnis, d.h. zur hermeneutischen Verwirrung zwischen Märtyrerkörpern und denen gemartert Hingerichteter vgl. Wild, „‚Weder worte noch rutten‘“, 224ff. 110 Perforation kommt aus der lat. medizinischen Wissenschaftssprache für die Durchlöcherung von Körper-Gewebe; Anfang des 18. Jh. wurde das Wort in die deutsche Fachsprache der Medizin und die Bildungssprache aufgenommen. 111 Als Stichelei wäre franz. raillerie (ein Wort für den Witz, den man macht) übersetzt; dass Kleists Texte oftmals über den offenen oder verdeckten Umweg über das Französische prozedieren, ist mehrfach gezeigt worden (vgl. Kap. II). 112 Der trickster ist als Figur zuerst der (nord-)amerikanischen Völker, durch die Ethnographie, bekannt geworden (vgl. Velten, Art. „Spaßmacher“, 42f.). 113 Den trickster kennzeichnet nicht nur sein Trickreichtum, sondern er wird auch selber von diesem eingeholt, auch dann, wenn er den Coup selbst geplant hat (Schüttpelz, „Der Trickster“, 212ff., Mangold, Mc Luhans Tricksterrede, 17f.). Das Erzählte kippt ins Erzählen: „Der Trickreichtum des Tricksters liegt in den Trickerzählungen selbst und nicht in den Tricks, von denen die Trickstergeschichten erzählen“, es handle sich „um rhetorische Bewegungen, die die Rezipienten zunächst austricksen, indem sie ihnen den Eindruck einer Geschichte [story] vermitteln“, aber „die erzählte Geschichte in den Trickstererzählungen wird ständig von der Erzählweise unterlaufen“ (so mit Anne Doueihi Mangold, 20f.). Die Inkohärenz von histoire und récit macht die Tricksterrede aus, die er aber nicht beherrscht, sondern er wird selber von dieser Diskrepanz eingeholt. Im „semiotischen Spiel“ nicht des Tricksters, sondern der Erzählung, ist ein Referent, sind Aussage-Instanzen

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an dessen vermeintliche Intention schrift-material zersprengt. Wenn nicht entscheidbar ist, ob sich der ‚ungeheuerste Witz‘ mit dem Tambour gegen die Franzosen richtet, die nicht die Autorschaft über die Situation behalten, oder vielmehr als ‚Stichelei‘ gegen den Tambour, der am Fell, dem seinen wie dem der Trommel hänge,114 ist diese aber auch nicht durch die Erzähl- oder vielmehr Schreib-Instanz des Textes, die den Text verantworten müsste, gesichert.115 In den Berliner Abendblättern markiert die (bloße) Stelle des ‚Autors‘ dieses Textes, der als „Anekdote“ keinen (einen) Autor hätte,116 anonymisierend ein „x“,117 das als ein Statthalter für eine Unbekannte oder für alles und für nichts entscheidbar Bestimmtes diese besetzt und damit ‚frei‘: leer lässt. In der Überkreuzung von witziger Wendung durch den Tambour, die einen anderen Körper exponiert, und Schriftlichkeit der „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die von dieser erzählt, kann die Geste des Textes erkannt werden, mit der dieser sich gegen die zeitgenössische Ästhetik darstellender Verkörperung, gegen die ästhetische Totalisierung in menschenähnlicher Gestalt wendet. Diese etablierte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in hierarchisierenden Oppositionen, zu denen die von Symbol vs. Allegorie ebenso gehört wie die von Metapher vs. Witz. Im Sinne der Etablierung eines Konzepts von Darstellung als beseelter ‚lebendiger‘ Verkörperung, deren Oberfläche sich marmorn schloss, als darstellende Verkörperung eines Geistigen, das diese als ihr Innerliches einschließe und dessen Ausdruck sie wäre, wurde nicht identifizierbar (21). In der Tricksterrede brechen „die gewohnten Zuschreibungen und Unterscheidungen zusammen“, „die Verhaltensweisen des Tricksters wirken widersprüchlich und dumm“ (Schüttpelz, 212, 210; vgl. Mangold, 21). 114 Der, „statt um sein Leben um ihre [!] sachgerechte Ausführung bangt“ (Moering, Witz und Ironie, 127). 115 Für jede Instanz wiederholt sich der „Fluch des Tricksters“, von dem dieser auch ‚selbst‘ jederzeit, überall eingeholt werden kann, der, selbst wenn er Wahres sagen will, auch schon anderes sagt (vgl. Mangold, McLuhans Tricksterrede, 52f., 57f.). Das gilt ebenso für die Gerissenheit, Manöver und Dissimulationen des Herausgebers der Abendblätter, die Ungewissheit über Plan, Strategie, Intention und deren Miss-/Ge-lingen erzeugen (vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit). 116 „What the an of anecdote negates is authority. Under no condition can auctoritas express itself anecdotally.“ (Fenves, „Anecdote and Authority“, 152f.; zu „Anekdote im Wortsinn“ vgl. Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 386f. u.a.). Dennoch ging dieser AbendblattBeitrag (anders als andere) in die Kleist-Werkausgaben ein; zu Anekdoten-Beispielen aus den Abendblättern vgl. Moering, Witz und Ironie, (unter „Witz als literarische Form“) 107137, zu dieser „Anekdote“, 122-25, 194, 198; zur Anekdote in den Abendblättern dgg. Schuller, „Anekdote“, 1ff., 6f. 117 Zu den Strategien der Anonymität der Abendblätter und deren Zeichengebrauch vgl. Peters, „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 1ff.; dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 49.

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der Witz im Verlaufe des 18. Jahrhunderts entweder überhaupt als diesem entgegengesetzt: als bloße äußerlich bleibende, von jeder Verkörperung ausgetriebene ‚Geister‘118 oder als ‚leeres Spielwerk‘ verworfen,119 abgewertet und ausgeschlossen, oder aber er wurde seinerseits normierend an den beseelten Körper gebunden und dadurch (in Teilen) integriert und begrenzt. So näherte Jeans Pauls Vorschule der Ästhetik einerseits den „bildlichen Witz“ der Metapher, musste darum aber andererseits den „bildlichen“ vom ‚unbildlichen‘ ingeniösen Witz, der abgewertet wird, unterscheidend absetzen,120 oder, wo der Witz als Operieren, das verstellbare Elemente voraussetzt und in diese zersetzt, und sich derart der metaphorischen Auffassung widersetzt, diesem die Poesie, die einen organischen Zusammenhang beseele, entgegensetzen.121 Allerdings widerstreiten Jean Pauls Reden vom Witz doch, wie zu lesen war, diesen Scheidungen und ihren Hierarchien durch ihre ‚witzige‘ Verfasstheit. Die berühmte Formel aus Jean Pauls Vorschule der Ästhetik, die noch Freuds Theorie Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten als eine ‚witzige‘ zitiert, der Witz sei der „verkleidete[] Priester“, der jedes Paar kopuliert,122 modelliert die „Kraft“ der witzigen Verkupplung, als die zur Mesalliance, der „illegitime[n] Verbindung zweier Begriffe“, die, so Kofman, „moralischen und logischen Skandal“ macht.123 Denn sie lässt die mit „taschen- und wortspielerische[r] Geschwindigkeit der Sprache“ genutzten „halbe, Drittel-, Viertel-Ähnlichkeiten“ der Signifikanten momentan verwechselnd als „Gleichheit“ der Signifikate durchgehen.124 Der Witz spielt mit der unterstellten Erfülltheit der Investitur. Er ist „Kraft“ zu grundlosen Verknüpfungen mit kontingenten Effekten, die für ‚Sinn‘ herhalten, die sich verausgabt, in keinem Resultat erfüllt, das diese bestimmen und damit beschränken würde, Unfertiges und je noch unabsehbar anderes erzeugen mag. Den Witz macht, so Felman, der Überschuss als solcher, der Exzess der Kraft der Äußerung über das Geäußerte.125 Dem

118 Vgl. Herder, Plastik. Einige Wahrnehmungen über Form und Gestalt aus Pygmalions bildendem Traume (1778), 80f., 84, 87; Moritz, „Apollo in Belvedere“, Werke II, 415; B. Menke, „Allegorie, Personifikation, Prosopopöie“, 59-73, 67-70. 119 Belege von Adelung, Herder, Hallbaur, Lessing, auch F. Schlegel in Kap. I. insb. 6. 120 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 188, 200, zum „bildlichen Witz“, 182-91. 121 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193, 201. 122 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169; Freud, Der Witz, 15. 123 Kofman, Die lachenden Dritten, 48f.; vgl. Bachtin für die Groteske (Rabelais und seine Welt, 388f.); „monstrous marriages“ in Austins Vorlesungen stellt Felman heraus (Le scandale du corps parlant, 167/The Literary Speech Act, 117). 124 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f., 182; vgl. in Kap. I.1 u. 2. 125 Felman, Le scandale du corps parlant, 160; die ‚Kraft‘ ohne bestimmendes Resultat wird nicht zum performative (Austins).

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Material: ‚nichts an Sinn‘,126 und dem Überschuss des Ereignisses: alles mögliche, gegenüber stellt Jean Paul den „bildlichen Witz“ in ein anderes Licht, das der Sonne, in dem sich – metaphorisch und metaphorologisch – Erkenntnis phänomenal erfüllte,127 der „bildliche Witz“ als/wie die Metapher so unmittelbar wie zwanglos „die Ähnlichkeit zwischen Körper- und Geisterwelt (z.B.  Sonne und Wahrheit)“ ‚anzuschauen‘ gebe.128 Der Metapher und ihren vermeintlichen Versicherungen, der „Einheit ihrer Bilder“, die „leben sollen, [was] ein Wesen […] aus kämpfenden Gliedern […] nicht vermag“, ist der Witz präzise entgegengesetzt, wenn er, „da er nur eine leblose Mosaik geben will, in jedem Komma den Leser zu springen nötige[]“.129 Der Witz hält den Widerstreit in jedem (nicht abgeschlossenen) Erzeugten; dafür gibt der nichtganze, heterogen zusammengesetzte, groteske Körper eine Meta-‚Metapher‘. Die witzige „Kraft“ trägt sich (als nichts denn) als Komma ein, ein anderer der schriftlichen Operatoren, der die Fügung der Signifikanten synkopiert und auf die schriftliche Organisation selbst referiert. Jean Pauls „Widerstand“ gegen den Witz galt diesem „als eine[r] Kraft der Teile, nicht des Ganzen“,130 die im Wortspiel als „wilde Paarung ohne Priester“ ‚wie‘ die des „Zufall[s]“ (der Sprache) begegnet.131 Als ‚Gefahr‘ wehrt er, wie beobachtet, insbesondere die Kraft der ‚Teilchen‘ unterhalb der Wortschwelle, der Buchstaben ab, die Effekte (ohne Substanz) hervorbringen, sich sinnleer gegen ihre – nachträglich eventuell gegebenen – Sinneffekte behaupten mögen, indem er, wie viele andere im 18. Jahrhundert, all jene anagrammatischen Spielformen verwirft, in denen Buchstaben sich einen 126 Die Materialität der sprachlichen Relationen bezeugen die bloße „Nichtigkeit“ des ausund verliehenen Sinns, so Lipps, der um 1900 Jean Pauls Konzept fortführte und die ‚Vorlage‘ Freuds lieferte (Komik und Humor, 85). 127 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 182; zur Tradition des metaphorischen Modells vgl. Blumenberg, „Licht als Metapher der Wahrheit“, 432-35, 439ff.; vgl. de Man, „Shelley Disfigured“, 118/„Shelleys Entstellung“, 163-67, 171f. 128 Und zwar durch den Anthropomorphismus der Lesbarkeit, so de Man: „in der Gestalt eines Körpers, der als Behältnis der Stimme (oder der Seele, […] des Bewußtseins oder Geistes), die er ausatmet, fungiert“, wird das „wiederkehrende Bild der Selbstgegenwärtigkeit des Subjekts“ „eine räumliche[] Umschließung […], in der die Stimme […] wiederhallt“, „wahrscheinlich“: „dieses Innen/Außen-Schema[] des Austausches, das die Metapher der lyrischen Stimme als Subjekt fundiert“ – derart Lesen als Verstehen plausibel macht (de Man, „Anthropomorphismus und Trope in der Lyrik“, 196; ders., „Shelley Disfigured“, 118/ „Shelleys Entstellung“, 163-67; B. Menke, Prosopopoiia, 137-216, insb. 190f., 169ff., 182-86. 129 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.; das heist Jean Paul „Atomismus des Witzes ohne wahre Verbindung“, der aber anagrammatisch nicht aufs Indivisible, sondern auf andere Konstellationen angelegt ist (201); vgl. Kap. IV.2. 130 Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 212; s.o. Kap. I. 5 u. 6. 131 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193f.

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Auftritt verschaffen: wenn der „Wortspielerwitz“ in die Charade übergehe, „sich „abgemattet ins Buchstaben-Spiel (Anagramma) – noch erbärmlicher in die anagrammatische Charade, den Logogryph“ verläuft, „endlich ganz im elenden höckerigen Chronogramma versiegt“.132 Ein solches lässt, Wörter zerfällend, Groß-Buchstaben als römische Zahlen, so das folgende die Jahreszahl 1642, lesen: GeLLt! ob aVCh rVh, o toLLe VVeLt, FäLLT, VVIE sIe MensChen VVahn besteLt133

So zeigen die Buchstaben sich spröde, sperren heraustretend die lineare Lektüre zum Sinnzusammenhang des Wortes und machen erst unterbrechend und überspringend die andere ‚Bedeutung‘ (zusammen-)lesbar. Mit dem verwerfenden Adjektiv „höckerig“ fasste Jean Paul es gleichsam als gegen die geschlossene Menschen-Gestalt gerichtetes Figurengedicht auf, als eines der „Bilder aus Buchstaben selber“, die, so F. Kittler, „ein Jahrhundert lang verpönt“ waren, da sie mit der „[f]igurale[n] Insistenz auf den Buchstaben selber“ „ihr Überspringen behinder[n]“.134 Ist ein Höcker eine jener Ausbeulungen, die den nicht-fertigen grotesken Körpers ‚gebären‘ und dessen nicht-gestalthafte Unabgeschlossenheit ausweisen,135 wie französisch saillie, Vorsprung, Überhang, auch den witzigen Einfall bedeuten kann, so treten – im aufgerufenen Paradigma des Körpers – Buchstaben höckerig als groteske Entstaltung auf. Die ‚Insistenz auf den Buchstaben‘ ver-sperrt die im Namen von Klang und Sinn, von Stimme und Gesicht gedachte Transparenz der Texte. Die anagrammatisch vorgetragene Buchstäblichkeit vollzieht den Bruch, und führt sich witzig vor als Bruch mit der darstellenden Verkörperung eines von dieser inkorporierend eingeschlossenen inneren Sinns, deren Paradigma der Anthropomorphismus der Gestalt stellte.136 132 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195; zur Vorlage für die Liste der Verwerfungen in Adelungs Ueber den Deutschen Styl, 513ff., Beispiele und Diskussion der genannten Spiele in Kap. I.5 u. 6. 133 F. v. Logau, Chronogramm auf das Jahr 1642; zit. nach Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, 82. 134 F. Kittler, Aufschreibesysteme, 257. 135 Vgl. Lachmann, „Vorwort“, 38. Vgl. auch Jean Paul: Als Schoppe seine Larve und dann „Unterzieh-Maske“ auf „Unterzieh-Maske“ abnimmt, „fuhr sein eigenes höckeriges Gesicht hervor, […] sich […] fast fürchterlich […] lächelnd verziehend“ (Titan, SW I.3, 245); d.i. das Groteske auch als Entstellung durchs Lachen. 136 Mit „the dismemberment of language by the power of the letter“ kennzeichnet de Man zum einen ein anderes künstliches (statt des) ‚Körper‘-Modell(s) für die sprachlichen Fügungen (in „Über das Marionettentheater“), um zum andern die Unentscheidbarkeit über Zufall und Signifikanz (dessen, was „randomly“ durch einen Buchstaben zusammengehalten wird) hervorzuheben („Aesthetic Formalization“, 290).

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Werden „halbe, Drittel-, Viertel-Ähnlichkeiten“ von der „taschen- und wortspielerische[n]“ Sprache „zu Gleichheiten“ gemacht, indem „für beide ein Zeichen des Prädikats gefunden wird“,137 so lässt sich das Wortspiel vom Zufall der Sprache etwa „Lehre“ als „Leere“ zutragen und unterstellt im Spiel die „Ursachlichkeit“ der Lesbarkeit der einen als andere138 – die grund-los ist: Le.re. „L…“ und „F…“ geben demnach in „Anekdote aus dem letzten Kriege“ gleichsam ein schriftlich-witzelndes Strukturmodell der Paronomasie. Punkte haben als „operative Pausen“ (Derrida) kein anderes ‚Signifikat‘ als „die Performanz von Leseoperationen“ (Siegert),139 bezeichnen als „Platzhalter“ ihrer Stelle die Substituierbarkeit durch die und der Lettern, die barocke Buchstabenspiele als Verstellbarkeiten ausspielen.140 Wenn concettistische Pointen nicht nur das den Metaphern unterstellte tertium comparationis in die Signifikantenrelationen verlegen, vielmehr sich dabei, so folge ich Lachmann, das tertium „verflüchtigt“,141 so findet dies in der Pointe von Kleists „Anekdote“, die die Punkte sind, die schriftliche Ausführung diesseits aller Buchstaben: „…“. Als Punktierung ist das tertium, das vermeintlich die Verbindung stifte, in exponiertester Substanzlosigkeit kenntlich: als mit den Punkten markierte Latenz von Fehlendem. Gestand Jean Paul dem Wort-Witz die „Geistes-Freiheit [zu], welche imstande ist, den Blick von der Sache zu wenden gegen ihr Zeichen hin“,142 so ist der Sinn, der als Effekt der Sprachspiele begegnen mag, durch diese suspendiert an die auszuhaltende Zweideutigkeit, ob es sich überhaupt um etwas meinende Rede handle oder um die ‚bloße‘ „Spielmarke des Wortspiels“, so Jean Paul.143 Die Spielmarken stellen in Kleists Text die Auslassungs-Punkte. Die Pointe des Textes, das punctum, der Stich und was ‚mich besticht‘,144 wird hier ‚sichtbar‘, das ist dessen Ironie, indem sie/er, nicht sie/er selbst, sondern die punktierende ‚Kraft‘ (post-concettistisch?) sich in (sich) vervielfachender

137 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173f., 182. 138 Zur Erwartung „einige[r] Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 193), Freuds „Kindererwartung“ (Der Witz, 114, 35; Kofman, Die lachenden Dritten, 48f.); s. Kap I.3. 139 Derrida, „Der Schacht und die Pyramide“, 108; Siegert, […] Auslassungspunkte, 7. 140 Sie spielen aus, dass „die Bedingung der Möglichkeit eines Buchstabens im Zeitalter der Typographie […] die Möglichkeit [ist], daß er immer an seinem Platz fehlen kann“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 20); vgl. in Kap I.5. 141 Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 103f. 142 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 194. 143 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192. 144 Barthes, Die helle Kammer, 35f.; der „Punkt der Singularität“, der „die Oberfläche der Reproduktion – und sogar der Produktion“ „durchdringt“: „erreicht mich mit einem Schlag“ (Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 13ff.).

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metonymischer Dispersion manifestiert.145 Die ‚Verflüchtigung‘ des tertiums „…“ an die Marken des an dieser Stelle Fehlenden, der buchstäblichen Substituierbarkeit als solcher und der Latenz anderer Lesbarkeiten ‚ist‘ Ereignis als Exzess des schriftlichen Äußerungsereignisses über jeden angenommenen Äußerungsgehalt, ohne Resultat, in dem sich dessen ‚Kraft‘ behauptete und einlöste, Ereignis, das in Punkten, Löchern, Stichen, (Schrift-)Resten insistiert. Die Pointe ‚ist‘ ‚hier‘ (je schon) wiederholt, gestreut, virtualisiert, und in metonymischer Streuung sucht sie parasitär: als Schrift-Reste, Flecken,146 den Text ‚heim‘.147 Auslassungspunkte bezeichnen die Stelle der Buchstaben als solche und sperren diese, sie haltend, gegen den überlesenden semantischen Zusammenhang, in dem sie (und sei es auch noch so viel) Bedeutung machen könn(t)en. Die Punkte geben dem Text den Charakter eines „Letterntheaters“,148 das anagrammatisch gegeben wird,149 indem sie alle möglichen Buchstaben, die an ihrer Stelle eintreten mögen, anzeigen, diesen Eintritt suspendierend ihre Latenz bezeichnen und halten. Kleists Texte haben einen Hang zum Anagrammieren,150 und sie verhandeln mit Anagrammen das Lesen:151 Nicht nur tritt „der sinnlose 145 Vgl. Barthes, Die helle Kammer, 55; Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 39, vgl. 41-45. 146 Zum Klecks als Punkt, und umgekehrt, und auch dessen Streuung, vgl. Naumann, „Klecks, Punkt, Schluss“, 255. 147 Vgl. Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 16, mit Barthes, 65. 148 Schestag, „Bär“, 179; vgl. Schuller, „Anekdote“, 6. Die „Theatralik der Sprache“ (so Harms, „Wortbruch. Niedergeträumt. Kleists Anagramme“, 537) wäre als „Theatralität des Literalen“ aufgefasst (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 38f.; vgl. dies., „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 16f.). 149 Hier wie im Folgenden wird, wie in Kap. I.5 von Anagrammen, von anagrammatischen Operationen (des Lesens) im umfassenden Sinn, inkl. Saussures Anagrammstudien gehandelt (vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“). 150 In Briefen mit dem eigenen Namen, KSW II, 537; in „Scharaden“, denen bei Kleist „der Signifikant unterzogen wird“ (vgl. Valtolina, „Die Scharaden Heinrich von Kleists“; s.  Kap. I.5); vgl. die „Charade“ „Der Jüngling an das Mädchen“, der „Zwei kurze Laute“, „doch einzeln nicht – so spricht ein Thier“ hören will, in Berliner Abendblätter (57. Bl.  5. 12. 1810, BA I, 296, „enträtselt“ BA I, 300). In Berliner Abendblätter finden sich (an die barocken Buchstaben-Übungen erinnernde) „Kanarienvögel“, die mit „auf Pappdeckel geklebte[n] Buchstaben“ „jedes geforderte Wort deutscher oder französischer Sprache zusammensetzte“ – soweit der doppelte Buchstabensatz ausreicht (BA I, 213). 151 Viel gedeutet wurde das anagrammatisch-logogryphe Spiel von Marianne/Toni auf der Folie ‚Marie Antoinette‘ oder „Mari(e)Antonie“ in „Die Verlobung in St. Domingo“ (vgl. Harms, „Wortbruch. Niedergeträumt. Kleists Anagramme“, 528ff.; B. Menke, „Die Worte und die Wirklichkeit“, 31ff.). „In mehr als einer Hinsicht erheben sich in dieser Novelle die Teile gegen das Ganze“ (Harms, 531). Dazu gehört auch, was lange durch unmarkierte editorische Eingriffe verstellt war: dass Gust-av von der Ried viermal namentlich Au-gust ist (KBA II/4, hier 76.1, 83.1, 83.17, 84.9); als Inkonsistenzen, als „Verstöße[n] gegen die

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Moment des Sinnumschlags im Anagramm bedrohlich hervor“,152 sondern die Erzählung Der Findling macht gerade den Sinn, der dem durch Buchstabentausch ineinander überführten Namen unterlegt wird, fragwürdig, erweist die Fixierung an diesen als fatale Fehllektüre.153 Das mögliche Lese-Resultat, das der (teil-)löschende Eintrag des vermeintlichen „Griffel Gottes“ ins Erz des Grabmonuments erzeugt habe:154 „‚s i e i s t g e r i c h t e t ! ‘“, stand als Anagramm (oder Intext) gleichsam immer schon da,155 wird zerfällend aus dem Text auf dem Leichenstein herausgelesen/-geschrieben156 und muss aus der Zerstreutheit der Buchstaben im Schriftraum konfiguriert worden sein. G e s p e r r t wird es lesbar als wiederum verstellbares,157 auf andere Lesbarkeiten latent angelegtes, virtualisiertes. Anagrammatisches Lesen geht, mit Thomas Schestag

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Ansprüche auf materialen Zusammenhalt und ‚realistische‘ Plausibilität“ wurde dies in unmarkierten und unkommentierten editorischen Eingriffen ‚emendiert‘ (dgg. Reuß, „‚Die Verlobung in St. Domingo‘ – eine Einführung in Kleists Erzählen“, 4ff., 36-40; ders., „‚sagt ihm – – !‘ Zur Kritik der Kommentierungspraxis poetischer Texte Kleists an einem Beispiel der Erzählung ‚Die Verlobung in St. Domingo‘“, 33-43; Herrmann, „Die Verlobung in St. Domingo“, 111f. u.v.a.). Die ‚Emendationen‘ unterstellen, dass die irritierende Schreibung zum eigentlichen Text nicht gehöre, ihm nicht eigentlich angehöre. Harms, „Wortbruch. Niedergeträumt. Kleists Anagramme“, 537. Kleist zufolge eine „logogryphische Eigenschaft“ (KBA II/5, 46), auf die Nicolo mit Buchstabenplättchen hantierend, wie es das Barock empfahl (s. Kap. I.5), trifft (vgl. J. H. Miller, „Just Reading: Kleist’s ‚Der Findling‘“, 121f., 125); der gefundene andere Name, der konventionell Auflösung des Rätsels wäre, ist hier und bleibt das Rätsel (Jacobs, The Style of Kleist, 178f.; Schuller, „Ur-Sprung. Kleists Erzählung ‚Der Findling‘“, 35f.). Mit „werth in Erz gegraben zu werden“ (in einem anderen Text im Untertitel der „Franzosen-Billigkeit“ zugeschrieben, Berliner Abendblätter  3. Bl., 3. Oct.  1810, BA I, 19) verteidigt Kleist die „Anekdote“ vom Tambour: „[D]as Unschickliche, was in seiner Tat liegt, verschwinde ganz und gar, und die Geschichte könnte, so wie ich sie aufgeschrieben, in Erz gegraben werden“ (KSW II, 840, 913; vgl. Sembdner, Die Berliner Abendblätter, 87f.). Vom „Griffel Gottes“ her wird das eigentümlich zweifelhaft, wie ‚in Erz gegossen‘ (des Grabsteins) mit dem Bezug auf den Drucksatz mit Bleilettern (vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 66), die auf ihre Verstellbarkeit angelegt sind. „Die Signifikanten des einen Textes des Leichensteins verstellen den Zugang zum anderen Text, den der Griffel Gottes nun freilegt; der Leseakt des einen ist ein Verlesen des anderen Textes“ (Locher, „Verstellte Schriften“, 11). Der „Schreibprozeß Gottes“ stellt Buchstaben ins Erz, Material zurück; er ist Lektüre, wie umgekehrt Lesen als „neue Schrift“ ausgeführt (Locher, „Verstellte Schriften“, 12). Berliner Abendblätter 5. Bl., 5. Oct. 1810, 21; BA I, 28. Die „Buchstabenfolge ‚s i e i s t g e r i c h t e t ! ‘“ bleibt durch die „Typographie des ‚Abendblatt‘-Druckes“: die Sperrung der Wörter, an die geschlagenen Lücken auch im überspringend-zusammenlesenden ‚Spruch‘ rückgebunden; er ist in seinen Elementen (potentiell) anderen verstellenden Lektüren ausgesetzt (Dierig, „Zu ‚Der Griffel Gottes‘“, 19-22; vgl. B. Menke, „Der Witz, den die Lettern und den die Löcher machen, ….“, 203ff.; Klausnitzer, „‚(die Schriftgelehrten mögen ihn erklären)‘“, 227-30).

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gesprochen, „durch die einschneidende Gewalt der Tmesis hindurch“,158 die es in keinem selbstidentischen Resultat vergessen macht. Mit „s-c-h-r-i-f-t“ ist, so David Wellbery, der „Schauplatz der Bedeutung auseinandergerissen“.159 Die zerfällenden Punkte an-Stelle der Buchstaben manifestieren die „asyndetische Leistung“ der Schrift für die Sprache; dieser wird hier Raum gegeben, mit Rüdiger Campes Formulierung, eine „Szene der Schrift“ gestellt.160 Im Text ist der (andere) ‚Schauplatz der Schrift‘161 auspunktiert. In „Anekdote aus dem letzten Kriege“ kommt die schriftliche Dissoziation, die zu anderen Konnexionen freisetzt, in Auslassungspunkten zur Aus/ffüh­ rung; sie zerlegen die Einheit des Wort-Körpers punktierend, synkopieren die Lektüre, markieren die Stellen, die Buchstaben substituieren könnten. Gegen das Zusammenlesen von Buchstaben zu semantischen Einheiten insistieren, stimmliche und verstehende Transzendierung der Schrift versagend, Punkte, Marken der allen semantisierbaren Bildungen je vorausgehenden Zerfälltheit, der Substituierbarkeit (an ihrer Stelle) und derart der Latenzen aller möglicher Lesbarkeiten, die sie suspendieren. Derart bezeichnet die Punktierung gleichsam die Anagrammatik der Texte, und zwar gerade insofern sie das anagrammatische Lesen, das jeweils Buchstaben zu semantischen Einheiten zusammenliest, vorenthält. Denn umgekehrt erzeugt Anagrammatik nicht nur lesend eine buchstäbliche Neu-Konfiguration, sondern verweist jede jeweilige an latente unbestimmt andere Lesbarkeiten, die jeweils figurierend zurückgestellt, vergessen gemacht sind. Gerade in dieser Hinsicht setzen Auslassungspunkte sie in Szene.162 Dem anagrammatischen Effekt inhäriert der Zufall, der 158 So  V.  Kaiser, „Der Haken der Auslegung“, 210; vgl. (zur Tmesis) Schestag, „‚geteilte Aufmerksamkeit‘“, 25f., 9f.; ders., „Bär“, 186f., 191. In „Die Verlobung in St. Domingo“ führt in „lies’t“ der Apostroph, der ins Wort (wie an eben dieser Stelle mit der Apostrophe des Erzählers in die Erzählung) fällt (KBA II/4, 43), die Trennung auch ikonisch aus: wie die Guillotine schnitt (V. Kaiser, 201-06); der Ausfall eines Buchstaben ermöglicht neue Koppelungen, macht das ‚Seil‘ lesbar (205-10); zu Unterbrechung, Überbrückung der Stockung, vgl. Schestag, „‚[…] und eigentlich noch viel jünger‘“, 38. 159 Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 337f., 345; für die Intervention des dash vgl. in Kap. IV.2; die Auseinander-setzung im Lesen akzentuiert Schestag („Lampen (Fragment)“, 39); vgl. „punctuation“ „[taking over] the internal space of a word“ (zu e.e.cummings, Szendy, Stygmatology, 5, 106). 160 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“ (2012), 281. 161 Die Wort-Prägung vom „anderen Schauplatz“ geht bekanntlich auf Freud zurück; vgl. etwa (Fechner zitierend), Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, sowie Der Witz, 164, 193; „der Schauplatz der Träume [sei] ein anderer“, Die Traumdeutung, 72. Als der „der Schrift“ in der deutschen Übersetzung von Derridas „Freud oder der Schauplatz [la scène de l’écriture] der Schrift“. 162 „[Z]erbricht das Kausalschema von Ursache und Wirkung, birst die Entsprechung von Wort und Sache, dann kann der Name, dann kann sogar der Buchstabe zur Szene

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ihn macht, und der Unsinn, von dem er sich nur temporär löst.163 Anagramme zeugen „von der möglichen Sinnlosigkeit“ im Sinn, indem sie die „Anstrengung, Sinn aus dem bloßen Material hervorzubringen“, beobachtbar halten164 und die substantielle Haltbarkeit der Effekte auch dadurch fraglich machen, dass „[j]e länger wir lesen, desto mehr Anagramme erscheinen“:165 „Welle um Welle von möglichen Namen“, wie Starobinski für Saussures Anagramm-Studien vermerkte.166 Alles so Hervortretende ist verwiesen an den Hinter-Grund virtueller Lesbarkeiten und ihrer Zerlesungen, vor dem es sich temporär abhebt,167 der aber jede mögliche jeweilige Lesart, sie virtualisierend, mit deren Schatten latenter anderer Lesbarkeiten begleitet. Der schriftgeschichtlichen Vorgeschichte zufolge schrieb die Punktierung der Wörter die ‚Expunktuation‘ des leeren Platzes, der ‚zwischen‘ den Worten eingelassen und gehalten wird, die mit dem Abstand, dem Spatium zwischen ihnen, Worteinheiten erst schuf.168 Schriftgeschichtlich sei, so Siegert, das Auslassungszeichen „sozusagen das Zitat des Spatiums im durch Spatien artikulierten Textraum“.169 Als „Füll- oder Leerzeichen“, als Platzhalter170 ist es, so Siegert, der „cifra, der Ziffer bzw. der Null“ analog, die den „leeren Platz“ schreibt, „die Stelle als solche sichtbar“ macht,171 indem sie diese vom werden“, so Schuller („Anekdote“, 6), weil er, mit seinen latenten Verknüpfbarkeiten, ein virtuell anderer ‚ist‘. In dem Sinne ist mit der „Rede“, so Derrida, „ein Schauplatz (scène)“ im vermeintlich ‚in sich geschlossenen‘ Inneren der Stimme er-öffnet, als ‚Szene‘ unbestimmt vieler ‚Stimmen‘ (Die Stimme und das Phänomen, 144), die in ihr anderswoher mit-sprechen. 163 „[D]ie nicht reduzierbare Äußerlichkeit der Schrift [öffnet] das Feld der Bedeutung für die Gewalt des Zufalls“, er „führt in diesen Schauplatz auch ein Element von Un-Sinn ein“ (Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 345); zu Buchstaben- Unsinn, vgl. F. Kittler Aufschreibesysteme, in Kap. III.2. 164 Harms, „Wortbruch. Niedergeträumt. Kleists Anagramme“, 537: Das Anagramm ist „eine Form, die die eigene Setzung zugleich als Entgegensetzung und als Zersetzung inszeniert“. 165 Harms, „Wortbruch. Niedergeträumt. Kleists Anagramme“, 536. 166 „Ist das der Taumel eines Irrtums?“ (Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f.), vgl. Kap. I.6. 167 Die ‚Entdeckung‘ Saussures ist nicht (so sehr) die von „möglichen Namen“, sondern „daß die Sprache jene unendliche Quelle ist und daß sich hinter jedem Satz das vielfache Gemurmel verbirgt, wovon sie sich gelöst hat“ (Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f.). 168 „La première ponctuation est une ponctuation de mots, qu’il faudrait appeler exponctuation plutôt que ponctuation.“ (Catach, „Rétour aux sources“, 36; vgl. Lepape, „Pour une poignée de virgules“, 6; Siegert, […] Auslassungspunkte, 18-23). 169 Siegert, […] Auslassungspunkte, 9. 170 Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f. 171 Siegert, […] Auslassungspunkte, 19f.; zur Funktion der Null vgl. Rotman, Die Null und das Nichts, 31-40, insb. 39, als Zeichen und „Metazeichen“ (93), als Zeichen, „das die Ersetzbarkeit jedes Zeichens durch andere eigens bezeichnete“ (F. Kittler, „Buchstaben – Zahlen – Codes“, 44, vgl. 43-46); bei der Null handle es sich um eine „neue, radikal andere Weise, in

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insignifikanten Weiß des Untergrundes unterscheidet,172 „die leere Schreibfläche in derselben Weise digitalisiert wie die antike Expunktierung das Spatium symbolisierte“, und derart das Stellenwertsystem der arabischen Zahlzeichen, in dem der Wert jedes Zeichens durch dessen Stelle bestimmt ist, erzeugt, bezeichnet und an der leeren Stelle hält.173 Die Punkte schreiben den leeren Platz, den Buchstaben einnehmen mögen, um ihn markierend zu halten, und zeigen an, dass Buchstaben immer ‚an ihrem Platz‘ „fehlen“ können: das ist „Bedingung der Möglichkeit eines Buchstabens im Zeitalter der Typographie“.174 „Füll- und Leerzeichen“ für die Stelle, die „jede Letter immer nur substituiert“,175 beziehen Buchstaben auf ihre Stelle, d.i. ihre Stellung in Relationen zu anderen, in denen sie allererst signifikant sind, Lesbarkeit(en) gewinnen;176 sie bezeichnen (als Platz-Halter der Stelle) der Buchstaben Substituierbarkeit, ihre Iterierbarkeit anderswo.177 Auslassungspunkte zeigen an, dass die „spatiale Extension des Papiers“ „integraler Bestandteil“ der Zeichen ist.178 „Verräumlichung“ konstituiert, so Derrida, die sprachlichen Zeichen: in negativer Verwiesenheit auf andere, in Verschiebungen in andere, nicht als ‚sie selbst‘ gegeben, in sich gedoppelt/gespalten, als anderswo, zu anderer Zeit iterierbare, latent andere.179 der Zeichen produktiv werden“ (Rotman, 93, vgl. 93-97, 165-69; vgl. Dotzler, „Leerstellen“, 215, 226). 172 Ein Zwischenraum, der mimetisch die Abwesenheit eines Zeichens ‚schreibt‘, würde dagegen „mit der freien Schreibfläche“ ‚verschmelzen‘ (Rotman, Die Null und das Nichts, 99f.). 173 Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f., 19f.: „Stellenwertsysteme sind Codes, die mit dem Medium rechnen, das sie speichert und überträgt.“ 174 Siegert, […] Auslassungspunkte, 20. 175 Siegert, […] Auslassungspunkte, 10. So die „technisch“ als Füllsel anstelle der Zensurlücken gesetzten Auslassungszeichen (Houben, „Bedenkliche Gedankenstriche“, 203), zu den ‚Lücken‘-Lettern, vgl. Giertler/Köppel, „Zur Einführung“, 9f.); dazu gehören Auslassungszeichen, Abkürzungspunkte, Apostrophe, „graphisches Material“, so Bredel, anstelle dessen, was nicht „einmal dagewesen sein muß“ (Interpunktion, 42). 176 Vgl. Geulen, „Stellen-Lese“, 477ff. 177 Das ‚Stellen-Gefüge‘ ‚ist‘ instabil, auf ‚Umbesetzungen‘ angelegt, vgl. Geulen, „StellenLese“, 478f., 483f., 491f.. Sprache kein Stellen-System (Derrida, Glas, 10, 105ff.; dgg. Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f.); vgl. Kap III.1. Die Anordnung im Text, Stelle und Stellung, sind verstellbar, wie Anagramme vorstellen (vgl. Kap. I.6): kein Code und kein Kontext kann die Zeichen einschließen; für die „Kraft des Bruchs“ mit dem Kontext, zur Zitierbarkeit (vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 335f., 339). 178 Siegert für Zahlzeichen und Buchstaben ([…] Auslassungspunkte, 9f., 19f.) Buchstaben sind „nur vor und auf weißem Untergrund […], was sie sind“ (F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 262), diese Relation aber inhäriert den Zeichen. 179 Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 336, 339; „die Verräumlichung als Unterbrechung der Anwesenheit im Zeichen (marque), [d.i.] was ich hier Schrift nenne“ (348). Zeichen

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Auslassungs-Punkte ‚durchschießen‘ (als Punkte, die Spatien ‚gleichsam zitieren‘) den Text.180 Sie halten den Platz auf dem Papier sperrend (oder auch für einen künftigen Eintrag vor).181 Sie führen die spatiale Anordnung von Schrift auf dem Papier aus und auf, die jeweils im Verhältnis von Zeichen und Grund erstellt wird, und ‚realisieren‘ das Verhältnis des Geschriebenen zum Hinter-Grund. Der Punkt referiert aufs Papier182 als seinen Unter-Grund. Auslassungspunkte, die den Textraum punktieren, indizieren die latenten alinearen anderen Lesbarkeiten, was Texte zuweilen figürlich in der ‚Sichtbarkeit‘ ihrer schriftlichen Anordnung ‚reflektieren‘. Wenn dabei an Stéphane Mallarmés Un coup de dés als beweglicher Schrift-Raum zu denken ist,183 dann auch um des Wurfs der Würfel willen. Denn als ein solcher, als „coup“, als Ereignis, ist auch das punctum, die Pointe aufzufassen.184 Ein Würfelwurf wird eine Konfiguration schlag-artig und temporär gegeben haben,185 die jeweils an ‚sind‘ in Differenz zu sich selbst, im negativen Bezug auf andere und als iterierbare, latent anderswo andere, als Spur ihnen eingelassen, von keinem Ursprung oder Zentrum bestimmt (ders., „Die différance“, 18f.; ders., Grammatologie, 81, 109, 123, 149). 180 Erlaubt sei hier das verkehrende Spiel mit dem Durchschuss in der Drucktechnik, vom engl. leading von Blei: der im Satz durch Blindmaterial gehaltene vertikale Zeilenzwischenraum (vgl. Metz, „Absicht oder Versehen?“, 61), entsprechend der Spationierung, spacing der horizontalen Schriftzeichenabstände; Blindmaterial sind ‚positive Elemente‘ für ‚Lücken‘ (Wehde, Typographische Kultur, 105); zu Zwischenräumen zwischen Buchstaben, zwischen Wörtern, zwischen Zeilen (und an deren Rand, wo sie brechen), zwischen Titel und Text, zwischen Text und Rand- oder Fußnoten, zum Sehen oder Lesen der Zwischenräume vgl. T. Fries, „Der weiße Zwischenraum aus typographischer und poetischer Sicht“, 118-22, insb. 120; ders., „Die Leerstelle. Der Zwischenraum“, 166, 171; Metz, 41f., 61-64, 66f. ‚Durchschossen‘ werden auch Bücher „mit leerem Papier“ (Jean Paul, SW II.2, 219), damit zeigt sich der „scheinbar geschlossene[] Leseraum[] des Buches“ (L. Müller, Papier, 127ff.) als Blätterwerk volatil. 181 In „Formularfunktion“ konnte die Punkt-Linie im amtlichen Schriftverkehr seit dem Mittelalter leeres Papier als Raum für eine Eintragung bestimmen (Siegert, […] Auslassungspunkte, 25; Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 28ff.). Heine scheint Auslassungszeichen auch in diesem Sinne „ – – – – – “ auszugeben, „will diese Stelle zum Ausfüllen offen lassen“ (Reisebilder: Ideen. Das Buch Le Grand, Sämtl. Schr. Bd. 2, 286); vgl. zum cancellieren in Kap. IV.2. 182 Vgl. Marin, „Ponctuation, étym. lat. punctum“, 35. 183 Anhand von Mallarmés Un coup de dés exponiert Derrida die Relation von literaler Spatialität und (‚ursprünglicher‘) Verräumlichung: erstellt ist ein beweglicher SchriftRaum temporärer Konstellationen („La double séance“, 300). 184 Das punctum sei wie/als pointe, so Barthes, auch „Wurf des Würfels“ (Die helle Kammer, 35f.); zum „Wurf, wie mit dem Würfel“ (Kleist, vgl. in Kap. II); als „occurrence“, coup, zwei Würfel auf den Tisch geworfen, als Dispersion, Dissemination, vgl. Derrida, „My Chances“, 5ff., 9f., 13, 21, 28, 30. 185 Als ‚eine Art Würfelwurf‘ ‚schreibt‘ der löschend-anagrammatische Griffel-Eintrag, vgl. Valtolina, „Die Scharaden“, 3-6.

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die möglichen anderen Fälle (in ihrem Grund) verwiesen,186 an den folgenden Wurf, den möglichen Fall einer anderen Konfiguration drangegeben ist. Die Nicht-Menschenähnlichkeit, die der „ungeheuerste Witz“, „zu dem […] weder die griechische noch die römische Geschichte ein Gegenstück liefert“, aufführt, wird durch’s Diesseits der anthropomorphen Gestalt der Darstellung (statt deren als Pathos oder Erhabenes eingeholten ‚Jenseits‘) bezeichnet: durch das nicht-menschenähnliche Medium der Schrift (‚vor‘ den Buchstaben, die sich einer Worteinheit fügen mögen). In der typo-graphischen Punktierung des Textes manifestiert sich als Loch oder Fleck,187 was der geschlossenen ausdrucksvollen Oberfläche der darstellenden Verkörperung (die die Ästhetik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anthropomorphisiert und im schönen individuell ausdrucksvollen Körper dargestellt sehen will) widerstreitet, diese darstellende Oberfläche der ‚Anschauung‘ „widrigst“ ‚aufreißt‘ (Lessing), sie dementiert und buchstäblich durchkreuzt, durchbohrt, durchlöchert. „….“ indiziert die Perforation von Ganzheit, sei es des Körpers, sei es der vermeintlich semantischen Einheiten, die die Punkte in ihrem Bezug aufs Papier ‚realisieren‘. Die Punktierung verhält Worte, vermeintliche semantische Einheiten durch ihre Zerfällung in Zeichen an-stelle (unbestimmt fehlender) Buchstaben, die diese substituieren mögen (alle mögliche ‚statt ihrer‘), zur Äußerlichkeit der Schrift: als Schriftreste, als unlesbare Flecken. Sie macht Schrift, der sie eine ‚abgesetzte‘ asyndetische Szene gibt, als eine spatiale Anordnung geltend, als ein jeweiliges, verstellbares Verhältnis von Schriftzeichen, Zwischenräumen und (Unter-)Grund. Die Reste oder Flecken synkopieren die sinntragenden ‚Einheiten‘, deren Lesbarkeit als tierisches ‚Fell‘ und aufreißendes ‚Loch‘ sie an ihrer Stelle einräumen und „….“ suspendieren; in ihnen insistiert die Dissoziation, die jeder möglichen Sinn‚einheit‘, jeder Figur, jedem ‚Gesicht‘, das dem Text verliehen werden mag, vorausgeht; sie markieren und halten die Substituier- und Iterierbarkeit, an die jede jeweilige Figuration (als an latente andere Wörter unter Wörtern) virtualisierend suspendiert ist. Können Zeichen in indexikalischer Funktion auch ikonisch-mimetisch aufgefasst werden, so trifft eine solche Hinsicht hier sowohl in der Pointe wie auch in der Löcherung auf die offensive (Bedeutungs-)Leere. Der Punkt 186 Vgl. B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“. 187 Der Fleck ist Ausfall der Darstellung: „Die bloße weite Öffnung des Mundes [zum entsetzlichen, inartikulierten Schrei], – beiseitegesetzt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Teile des Gesichts dadurch verzerret und verschoben werden, – ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt tut.“ (Lessing, Laokoon, 19f. (II.), vgl. 10-20); derart ist der groteske Körper, den der aufgerissene Schlund macht (Bachtin), als Dementierung der Darstellung aufgerufen; vgl. Siegert, „Schüsse, Schocks und Schreie“, 302f.

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‚auf‘ dem Papier, auf dem der Text schriftlich organisiert ist, wirkt (weiter) als Stich, wie/als ein Loch ‚in‘ der Oberfläche, an dessen „Einfassung“ der „Raum in ein Innen und Außen auf[ge]teil[t]“ wird,188 – als Loch, das die Oberfläche in Dreidimensionalität überführt oder vielmehr die Oberfläche als vieldimensionale, in sich gefaltete, kenntlich macht.189 Das Loch (in) der Oberfläche ‚schafft‘ dem Papier einen tiefen abgründigen Körper – wie die Durchlöcherungen von Antonin Artauds sorts (Schickungen, Lose).190 Der Punkt beruft auf nicht einschränkbare Weise das Loch im (damit des) Realen. In Kleists Text wird nicht nur die „reale Lücke“ als „radikale Abwesenheit“ codiert und „in eine Menge diskreter, abzählbarer Elemente“ überführt,191 sondern öffnen sich in Punkten (nicht auflösbare) Relationen des realen Lochs und das des Realen in der Darstellung (etwa einer Anekdote),192 des punctum 188 Rotman zufolge bilde das Nullzeichen „eine Abwesenheit“ auch ab, insofern es „eine Lücke, einen Zwischenraum oder eine Abwesenheit in seiner Gestalt selbst beinhaltet“, wie jede „Lochform, jede einfache Einfassung, jeder einfache Ring, Kreis […], Schlinge und ähnliches, die eine Abwesenheit umgeben und den Raum in ein Innen und Außen aufteilen“ (Die Null und das Nichts, 101). Das στíγμα, Nichts des Lochs, eine Abwesenheit, ist durch die Differenz innen-außen ‚anwesend‘, so Schäffner, „Die Wunder des San Francesco d’Assisi und der Therese Neumann“, 185. 189 In der „Darstellung von Löchern, Rissen und Öffnungen“ auf Papier-Oberflächen, auf Buchseiten sind „Zeichen und Zeichenträger, Bild und Materie miteinander verschränk[t]“; sie „verhinder[t], dass das Bild in seiner Abbildfunktion aufgeht“ (Lutz, „Oberflächen der Manuskriptkultur im 15. Jahrhundert“, insb. 114ff., 118ff., 120-24). Das „Wesen der Oberfläche tritt dort zu Tage, „wo das Buch [„als ein in sich gefalteter und geschichteter Raum“] auf seine medialen Bedingungen reflektiert“, „das in der Repräsentation Repräsentierte auf verschobene Weise, nämlich am Medium selbst hervortreten kann“ (113f., mit Wolfgang Pichler, „Durch Löcher sehen. Eine sehr einfache Mediengeschichte“, unveröffentlichtes Ms.). 190 „[D]ort, wo die Zeichnung/ Punkt für Punkt/ Nur die Wiederherstellung einer Bohrung ist, des Vordringens eines Bohrers in die Untiefen/ des immerwährenden verborgenen Körpers“ (Artaud, zit. nach Derrida, „Forcener le subjectile/Das Subjektil entsinnen“, 86); „die Durchlöcherung [lasse] den Text zur Zeichnung werden“, wobei aber „das Papier selbst sich dabei zu einem Körper materialisiert“ (Schäffner, „Die Wunder des San Francesco d’Assisi und der Therese Neumann“, 192; vgl. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 94). 191 Das Stück Schriftgeschichte wie oben angeführt (Siegert, […] Auslassungspunkte, 10). Das im Dienste „der möglichst authentischen und genauen Handschriftentradierung“ eingeführte Zeichen (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 27f.): „to denote […] some defect in the manuscript“ (J. Robertson (1785), zit. nach Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 202), kann umgekehrt als Spur des Realen in Anspruch genommen werden, um (so in (Macphersons) Temora, 1765) mit den ‚philologischen‘ Anzeigen das gefälschte Manuskript zu authentifizieren (s.o. Kap. III.2). 192 So Fineman zur Anekdote: „[it] produces the effect of the real“, indem ihre Form nicht geschlossen: „[an] opening“ oder „hole“ hat, d.h. auch: „there is something about the anecdote that exceeds its literary status, and this excess is precisely that which gives the

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als „Punkt der Singularität“, der „die Oberfläche der Reproduktion – und sogar der Produktion – von Analogien, Ähnlichkeiten und Codes“ „durchlöchert“,193 des Wortes ‚Loch‘, das die Punkte substituierend gelesen werden mag, der codierten Indizes der Buchstaben-Stellen, die anstelle des Wortes stehen und es suspendieren, und den Löchern im Papier194 wie den Flecken, die die Punkte unlesbar im Text hinterlassen. Die Platzhalter der Buchstaben-Stellen, die das eventuell lesbare Wort ‚Loch‘ wie jedes andere auch suspendieren, Wörter diesseits ihrer punktierend zer- und ausfallen lassen, werden zum – oder vielmehr sie wirken als Eintrag der realen Lücke und Einschlag des Realen. Derart fungieren sie nicht nur als ‚Schaltstelle zwischen Materialität und Semiotizität‘,195 sondern letztere kollabiert in ersterer. Mit dem Wort Pointe wird der Witz als treffend, blendend, verblüffend, schlagend wie auch durchbohrend gedacht;196 diese ist hier aber wörtlich genommen löchernd: leer und punktierend unlokalisierbar: aus-gestreut. Das punctum des Textes, der Stich und was ‚mich besticht‘, die Pointe als Ereignis oder „Wurf des Würfels“,197 ist in den Punktierungen metonymisch wirksam, d.h. wiederholend: nicht sie selbst, sich vervielfachend.198 Der schriftliche anecdote its pointed […] access to the real“ („The History of the Anecdote“, 61, 56; vgl. Stefanovska, „Exemplary or Singular? The Anecdote in Historical Narrative“, 27). Den von Kleists „Anekdote aus dem letzten Kriege“ ausgetragenen Bezug von Anekdote und Witz fokussiert B. Menke „Heinrich von Kleist’s ‚Anekdote aus dem letzten Kriege‘: w-hole, the joke an anecdote (nearly) made“. 193 So Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 13ff., mit/für Barthes, Die helle Kammer. 194 Das ‚realisiert‘ Lawrence Weiners „(&) so weiter  …“ mit Löchern durchs Papier (1991, Altonaer Museum Hamburg). Solche in L. Müllers Papier-Geschichte nur in Lochkarten: (anders) ‚gelesene‘ Perforationen (Papier, 334-39). Die Buchseiten von Jonathan Safran Foers Tree of Codes (2010) geben im Zusammenspiel von gedruckten Lettern und Ausschnitten, die Teil-Durchblicke auf Lettern und Löcher anderer Seiten geben, mit dem jeweiligen und jeweils inhomogenen Seiten-Schriftbild buchtechnisch eine intertextuelle Lektüre von Bruno Schulz’ The Street of Crocodiles (in einer englischen Edition) aus, die das auf der/durch die Buchseite Sichtbare virtualisiert (vgl. B. Menke, „Text-Oberfläche“, 129f.). 195 So Dünne, „Suspendierte Texte“, 240; in Reformulierung von Siegert, […] Auslassungspunkte, 20, 18. 196 Moering, Witz und Ironie, 79; dem entspricht die Pointe im Arguten, Acuten, Spitzen, Scharfen des Concettismus (vgl. M. Blanco, Pointe, 36f., 56, 174-77, in Kap. I.5 u.1). 197 Barthes, Die helle Kammer, 35f. 198 „So blitzartig das punctum auftauchen mag, so verfügt es doch, mehr oder weniger virtuell, über eine expansive Kraft. Diese Kraft ist metonymisch.“ (Barthes, Die helle Kammer, 55) Hebt Barthes „zunächst die absolute Irreduzibilität des punctum hervor[…], die Einmaligkeit des Referentiellen“, so „induziert“ diese aber metonymische Relationen, „und das ist seine Kraft“; die „Metonymie des punctum“ ermöglicht, „daß man sprechen kann, vom Einzigartigen sprechen, von ihm und zu ihm.“ (Derrida, Die Tode von Roland Barthes,

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‚Einfall‘ der Punktierungen in den Text ist Ausgelassenheit des Textes,199 wie der Witz (mit Felman) Exzess des Äußerungsereignisses über das Geäußerte. Er geht (auch) in dem nicht auf, was für die „Abundanz“, in die die Auslassung umschlage, angeführt wird: „Ausbruch, Interjektion, Exzeß, Ekphorie, Willkür, Emphase, Ekstase, Inspiration, Entdeckung, […] Erfindung, […] Aus-/ Abschweifung, Exkurs, […] Maskenspiel, Prätention, Spekulation, Experiment, Exploration“.200 Die „Anekdote aus dem letzten Kriege“ gibt vielmehr eine Schrift-Szene für den Einfall der Schrift201 als dem löchernden Einfall jener Marken, die irreduzibel schriftlich die Sprache synkopieren, alle möglichen Buchstaben und Lesbarkeiten an ihrer Stelle indizieren, indem sie diese sus­ pendie­ren, latente andere Lesbarkeiten anderer Wörter ‚unter/in Wörtern‘ vor(ent)halten, sichtbar Pausen ins Lesbare legen,202 sich gegen den Anthropomorphismus von Gesicht und Gestalt des Sinns graphisch manifestieren, als Schriftreste fleckend die Oberfläche heimsuchen, die in Hinsicht von Ausdruck und Verstehen (bloßer) Fleck oder Loch in der ausdrucksvollen Oberfläche/ der Darstellung wären, die diese aussetzen und ans Medium zurückverweisen. Punkt und Loch – machen und diskutieren (gleichsam) „the anecdotal hole“, das die Anekdote, so Joel Fineman, in der auf Totalisierung angelegten Ordnung der Lesbarkeit von Geschichte hinterlasse, indem sie auch ihre eigene narrative Ordnung oder Form ‚öffnet‘, das Geschichte geschehen lasse, einen ‚Effekt des Realen‘ habe.203 Das Loch hat in Kleists Anekdotenerzählung zum 40, 39, vgl. 40-45). Es „schreibt sich niemals in die homogene Objektivität seines [des studiums] geordneten Raumes ein, sondern bewohnt, sucht ihn heim“ (16, mit Barthes, 65). Zur Dispersionen des Punktes, der punctuation vgl. auch Szendy (anhand anderer Fälle, Stygmatology, 9, 49ff., 58ff., 66ff.). 199 Für diese Lesart ausgelassener Zeichen vgl. Fleming, „‚–‘“, 159; Lehmann, „Ausgelassene Zeichen“, 261; zur Ausgelassenheit der Albernheit, mit der „etwas Fremdes in den Körper ein[zieht]“, immer wieder an anderen Stellen „aufflackern“, sich ausdehnen kann, vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 64ff. 200 Adamowsky/Matussek, „Formen des Auslassens“, 13, 17; diese Abundanzen bei Jean Paul, vgl. Kap. III.1, IV.2. 201 Das ist auf den Witz als „ungewollten ‚Einfall‘“ bezogen (Freud, Der Witz, 157), den „Sprachgebrauch des immer zu spät zu sich kommenden Bewußtseins: Eigentlich weiß es von nichts“, nichts von der „Absenz“ als dem „Landeplatz“ des Witzes einen Moment zuvor (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86f.), vgl. weiter in Kap. V.1 u. 2. 202 So analysiert Rault den „point de suspension“ (die Dreizahl als ein Zeichen): als Abbruch, Markierung von Absenz als „diffraction syntaxique“ (aber nicht der Worte) (Poétique du point de suspension, 185, 141 u.ö.). 203 Fineman, „The History of the Anecdote“, 61, 56. Die Doppelbestimmung der Anekdote von Form und deren Dementierung in der Relation von whole und hole: „the opening of history that is effected by the anecdote, the hole and rim […] traced out by the anecdote within the totalizing whole of history“ (61, wobei die Öffnung ebenso eine (in) der Anekdote ist), wird mit Kleists Text zum Wortspiel w/hole, jedenfalls wenn er auf Englisch verhandelt

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einen eine grotesk-verwörtlichende, ostentativ darstellungs-exzedierende Realisierung. Zum andern ‚öffnet‘ es sich hier literaler, schriftmaterial, in/ als eine/r Überkreuzung von Witz und Anekdote – im Innern von „Anekdote aus dem letzten Kriege“. Die Schneidung von Witz und Anekdote ist trotz der entkontextualisierenden Kürze oder Pointierung, die beiden gemeinsam ist,204 die zweier verschiedener, ja inkompatibler sprachlicher Haltungen. Das zeigt, mit Marianne Schuller, ihre unterschiedliche Zeitlichkeit: Die Anekdote erzählt im Präteritum, das von der abgeschlossenen Vergangenheit eines geschlossenen Geschehens spricht, das erzählend ‚wiedergegeben‘ wird, und das in einer unterstellten „linearen Zeit“ die „Distanznahme“ des Erzählens „zu stützen scheint“,205 – so übrigens auch „Anekdote aus dem letzten Kriege“, die aber im Perfekt, das einen Bezug zur Gegenwart der Äußerung hält, einsetzt. Ein Witz dagegen wird im Präsens erzählt,206 um jetzt und hier geschehen oder passieren zu lassen.207 Der Witz ist inkompatibel mit jeder Abgeschlossenheit, die mimetisch darzustellen oder doch erst zu erzeugen wäre.208 Er ist ohne

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wird (B. Menke, „Holes and Excesses“, 653f.; dies., „Heinrich von Kleist’s ‚Anekdote aus dem letzten Kriege‘: w-hole, the joke an anecdote (nearly) made“). Critchley zufolge: „Jokes tear holes in our usual predictions about the empirical world“ (On Humor, 1); zu Löchern als „Repräsentationsschäden“ vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 117. Vgl. Schuller, „Anekdote“, 10. Moering situiert die „Nähe“ von Kleists Anekdoten „zum Witz“ in deren „ausgeprägte[r] auf den größten Effekt berechnete[n] Pointe“ oder „scharfe[r] Pointierung“ (Witz und Ironie, 121f.), gibt aber dem „Witz[] (als literarischer, einfacher Form)“ keine spezifische Bestimmung (in ungeklärter Relation zu Ironie, Spott, Hohn, Sarkasmus, Polemik, Satire, Parodie, Komik oder Humor, 125, 178-84). Schuller, „Anekdote“, 10f.; vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 88f. Kleists Anekdote aber „beschreibt in sich ein ‚In-zwischen‘, das, sofern es mit den Thematiken von Tod und Leben verschlungen ist, als Ort der Abwesenheit und Differenz verdeckt anwesend ist“ (Schuller, 10ff.; vgl. zur Sage Henninger, „Gesagtes und Ungesagtes in der Sage“, 506f.). Campe zufolge sei die Anekdote die „einzige Gattung“, die „nicht ein einziges Mal das historische Präsens oder eine seiner Varianten“ verwende, da in ihr „der reine Erzähler zur Welt kommt, – […] der aus der unthematischen Gegenwärtigkeit seiner je eigenen Welt heraus spricht“ („Kleists Verfahren der Aktualität“, 12; ders., „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 22). Aber „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“ (6. Bl., 6. Oct. 1810), die einen zweiten Erzähler einführt, wechselt ins Präsens: „und sprengt auf sie ein; sprengt, so wahr Gott lebt, auf sie ein […]“ (BA I, 35) – ganz ähnlich dem erzählten Erzähler in der dritten ‚Anekdote‘ in „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“ (Campe, „Kleists ‚Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten‘“, 429, 432). Vgl. Schuller, „Anekdote“, 10f. „[It] lets happen [history]“, ist die Formel Finemans für die Unterbrechung von narrativer Ordnung oder Rahmung des ‚Ereignisses‘ auch der Anekdote durch die Anekdote („The History of the Anecdote“, 60ff., 56f.). Blumenberg zufolge ist in der Anekdote „nichts Zufälliges“, da alles in Diensten des Sinns stehe (zit. nach Fleming, „Beside oneself“, 197, 194). Begründet wäre das mit der abgeschlossenen literarischen Form, der Scheidung „in what they include and what they do

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Gegebenheit, Freud zufolge, so Schuller, „nur ‚da‘, gleichsam in Aktion, sofern sich etwas präsentiert, was unserer Geistesgegenwart entzogen ist“,209 was allenfalls ‚zu spät‘ bewusst aufgefasst: ‚verstanden‘ wird.210 Die „Präsenz des Witzes“ fällt, Freud zufolge, zusammen, so Samuel Weber, mit der „Absenz“ des Bewusstseins, das ‚zu spät‘ bemerkt, dass unkontrolliert soeben (irgend) was anderes vorging, d.i. die „Absenz“, in der er landet,211 „unterdes“, während die Aufmerksamkeit woanders abgelenkt war.212 Mit dem Präsens des WitzeErzählens will es keineswegs auf Mündlichkeit hinaus, wie sie (und damit deren Selbstpräsenz) konventionell bezüglich der performatives vorausgesetzt wird.213 Das Präsens weist, „auf eine Zeit hin, welche die der Äußerung oder Einschreibung ist, [hier und jetzt] präsent, doch immer wieder und überall, wo gesprochen und gehört, geschrieben und gelesen wird“, die „Zeit […] einer Iterabilität, die nie ganz zu sich selbst kommen kann, es sei denn unterdes“; „was unterdes geschehen ist, ist gerade der Ausbruch des Lachens“,214 während die bewusste Aufmerksamkeit, abgelenkt, vom Vorfall überrumpelt wird. – Nicht hier, Kleists Text erzählt keinen Witz. – Aber Schriftreste fallen löchernd ein, markieren die ‚Zeit der Einschreibung‘, indem sie einfallen,215 deren „Zeit hier und jetzt ist, immer wieder

not“; daher hängt aber umgekehrt über jedem „particular case“ das Gespenst des Zufalls (197f.). 209 Schuller, „Anekdote“, 10; insofern ‚ist‘ er, was nicht ist, „nie als solches repräsentiert werden kann“. 210 Etwas ist vorgefallen, wird ‚zu spät‘, wenn bereits gelacht wird, bewußt (und allenfalls dann als ‚guter Sinn‘) aufgefasst (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89ff.; Freud, Der Witz, 143, 142-46); vgl. in V. 211 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87; vgl. Freud, Der Witz, 157. 212 Freud, Der Witz, 143. 213 Die Voraussetzung mündlicher Selbstpräsenz des performative (nach Austin) weist Derrida mit dem Hinweis auf dessen strukturelle Wiederholbarkeit ab, in der dieses je ein anderes sein wird; das bestimmt er als dessen Schriftlichkeit: die strukturelle Abwesenheit des ‚Autors‘ im Geschriebenen (Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 332-37). 214 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89 u. 85ff.; Schuller zufolge: wenn „mit dem Witz ein Augenblick von unmeßbarer und unermeßlicher Zeit gleichsam explodiert, nämlich im Genuß des Lachens“ („Anekdote“, 12). Die Entscheidung über das Gelingen des Witzes trifft, so Freud, das Lachen des Witzhörers, der nicht versteht (vgl. Kofman, Die lachenden Dritten/Pourquoi rit-on?). 215 Was zu den Bedeutungen von Einfall gehört: der militärische aus einem anderen Land, bezieht Rault aus (der Hypertrophie von) Punkten: „cette invasion de[s] […] pointillés“ (Poètique du point de suspension, 133); sie werde „de façon presque redondante et ironique, une caractéristique graphique […], du genre frénétique: traces d’une énonciation à michemin du verbe et de l’image, du lire et du voir.“ (ebd.).

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und immerfort“, „und überall, wo […] gelesen wird“,216 im Lesen, das ‚hier und jetzt‘ von diesen Punkten unterbrechend markiert und verwiesen wird, das wiederholend und iterierbar nie an ‚derselben Stelle‘ (die eh nie dieselbe ist) ist, ‚nie ganz zu sich selbst kommt‘. Sie fallen vor – im (und als) Ereignis des schriftlichen Einfalls. Der Einfall der Schrift macht den ‚Witz‘ dieses Textes. Das wäre als Dissoziation und Überkreuzung von Anekdote und Witz in der Kleist’schen „Anekdote“ noch nicht hinreichend gefasst, nicht zureichend als Konflikt zwischen erzählender Wiedergabe und Geschehen-Lassen, zwischen dem Ganzen (whole) der abgeschlossenen Erzählung, die das Ereignis kontextualisiert, einbindet und damit löscht, und hole, deren Öffnung oder Unterbrechung, die ‚geschehen‘, ein Ereignis (‚hier und jetzt‘ und iterierbar) eintreten lässt,217 zwischen der Erzählung, die sich schlösse und narrativ Verständlichkeit figurierte, und dem unverständlichen ‚Singulären des Ereignisses‘,218 das nicht gegeben ist, das hier nicht das eines Witzes ist, der nicht erzählt wird. Das Ereignis, das punctum: der „Punkt der Singularität“,219 ist hier ‚wirksam‘ in seiner sichtbaren Vervielfachung, nicht es selbst, 216 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“ 89; anders fasst Rault den Punkt für das Satzende als „signe de l’ici, de l’hic et nunc de l’enoncé“ (Poètique du point de suspension, 54), während „le point de latence“ für ein mögliches Geäußertes woanders hin verweist; dementgegen bezeichnen diese Punkte aber das ‚hier und jetzt‘ der Äußerung, indem sie vor und nach allem Geäußerten (das in Latenz bleibt) insistieren und verweisen. 217 Vgl. Fineman: „[T]he anecdote is the literary form that uniquely lets history happen by virtue of the way it introduces an opening into the teleological, and therefore timeless, narration“, „establishing an event as an event“ („The History of the Anecdote“, 61; vgl. Peters, „Wie Geschichte geschehen lassen?“, 70, 76ff.). Die Öffnung macht ein pun w/ hole. Genauer Breithaupt zu Kleists Anekdote „Der Branntweinsäufer und die Berliner Glocken“, in der „Verdoppelung“ den Witz macht: „Während der Trinker zunächst von den Offizieren Schläge erhält [die ihn vom Trinken abhalten sollen], schlagen später die Glocken“, und den Worten, als die er ihre Schläge hörte, sei er gefolgt, so wird er nach demselben „Mechanismus der Schläge“ wieder zum Säufer. „Der Soldat der Anekdote ist also durchaus gehorsam und er ist dies auf gehörsame Art“ (Breithaupt, „Kleists Anekdoten und die Möglichkeit von Geschichte“, 337). „Das geschichtsmächtige Ereignis der Anekdote verdankt sich des [!] Witzes [!] des Soldaten, der die scheinbar stabile Struktur der preußischen Armee mit sich selbst in Widerspruch führt und dadurch zersetzt.“ (338, zu Geschichte, Ereignis als „Exzeß“, als „Destrukturierung von Strukturen“ vgl. 343, 347). 218 Dieser „Konflikt des Verstehens zwischen dem Singulären des Ereignisses und dem Allgemeinen eines Wissens, das die narrative Konstruktion der story als history und in der history betrifft“ (Campe, „Kleists ‚Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten‘“, 429), wurde vor allem für Kleists „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“ analysiert, vgl. Jacobs, „The Style of Kleist“; Hamacher, „Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“; Breithaupt, „Kleists Anekdoten und die Möglichkeit von Geschichte“, 345-49, 351. 219 Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 13ff., mit Barthes, Die helle Kammer, 35f.

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sondern metonymisch expandiert und (mit Derrida) seine „Kraft“ in „Reserve“ haltend.220 – Die Pointe des Textes, mit der der Witz als schlagend, durchbohrend gedacht wird, mit der die „Anekdote“ Kleists ihre Form excediert und löchert, ist im ‚Witz‘ des Schrifteinfalls iteriert, aus sich herausgesetzt, …. virtualisiert – und eben derart wirksam als Punktierung, die eine jeweilige Lesbarkeit suspendiert, jede jeweilige Figuration an latente (andere) Lesbarkeiten preisgibt, als Löcherung, unterbrechende Heimsuchung des Textes, als Skandierung des Textes.221 Im Schrift-Witz ist das punctum dieses Textes nicht es selbst, vielmehr gestreut oder disseminiert, dessen Perforierung, an der er auseinanderreißt und zusammenhält. Die Pointe, die Kraft, die punktiert, ist wirksam im Exzess über das Geäußerte, ohne durch die Einsetzung von etwas eingelöst und derart nachträglich begründet zu sein; sie lässt geschehen, von keiner bewussten Instanz regiert, die im Resultat eines Vollzugs sich (nachträglich) etabliert sähe. Über das Gelingen wird derart nicht, da über das Geschehende nicht ‚im Ernst‘ durchs Hervorgebrachte oder Gemeinte entschieden. Es handelt es sich um kein performative im Austin’schen Sinne, dessen Paradigma, so Felman, der Witz als Überschuss des Äußerungsereignisses über das Geäußerte stellt.222 Die Unentscheidbarkeit zwischen Ernst und Unernst, zwischen Ge- und Misslingen des Äußerungsereignisses, das sich in keinem Resultat darstellt: immer kann/wird irgendwas anderes geschehen, anderswoher sich einstellen, macht das Ereignis des Witzes als Skandal des performative aus.223 Exzess des Äußerungsereignisses (über das Gemeinte, das den Akt in seiner erkennbaren 220 Das punctum, „[d]ieser Singular, der niemals in einem Bereich ist, mobilisiert alles und überall, er macht sich zum Plural“, fügt sich nicht, sondern „induziert“ die Metonymie, „und das ist seine Kraft“, die sich mitteilt, indem es „den geordneten Raum“ des Verstehens ‚heimsucht‘ (Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 40 u. 15, mit Barthes, Die helle Kammer, 55) „oder mehr als seine Kraft (denn es übt keinen Zwang aus, es bleibt ganz in der Reserve), es ist seine dynamis oder anders gesagt, seine Potenz, seine Virtualität und sogar seine Verschleierung, seine Latenz.“ (Derrida, 40). 221 Das punctum „sucht“ „die homogene Objektivität seines [des studium] geordneten Raumes“ „heim“ (Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 16; nach Barthes, Die helle Kammer, 65). „Das punktische Element wäre ein Parasit in dem heimgesuchten Raum des studium, […] das punctum kommt, um das studium zu rhythmisieren, um es zu ‚skandieren‘.“ (Derrida, 17f.). 222 „[L]a ‚force d’énonciation‘ […] est constament en excès sur le sens de l’énoncé théorique“ ; das muß für performatives zutreffen, wie für den Witz (Felman, Le scandale du corps parlant, 160). Felman zeigt, dass der ‚Austin’sche Sinn‘ des performative so eindeutig nicht ist (vgl. 206, 213). 223 Sind Norm und Abnorm, Ernst und Unernst ohne ununterscheidendes Kriterium (Felman, Le scandale du corps parlant, 206, vgl. 213), dann sind Austins Definitionen unterlaufen, vgl. J. H. Miller, Speech Acts in Literature, 131f.; Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 343-47.

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Darstellung, damit dieser zum performativen Vollzug würde, müsste integrieren können) ist des witzigen Tambours ungeheure Exposition des Körpers als (wörtlich genommene: bloße) Ostentation ohne Evidenz (von etwas). Und Exzess des ‚Äußerungsereignisses‘ des „Anekdoten“-Textes ist, wie er nicht „über Menschenlippen“ kommt, die schriftlich synkopierende Zerlegung des Wortkörpers in leere Indizes der Schriftlichkeit, die der Anagrammatik der Witze wie aller Sinnproduktion vorausgeht und keiner sich fügt. Wie der ‚Einfall‘ des Tambours ist auch der Schrift-Einfall in den Text ein ausfälliger. Des Tambours Exposition des Lochs, das den in Gestalt des abgeschlossenen Körpers dargestellten regulierten Zusammenhang von innen und außen dementierte, ist im Text schriftlich realisiert in der unlesbaren Auf/sführung der Löcherung des Textes, Exzess der Löcher (über jede Darstellung), den Ausgelassenheiten, der Punktierung – die den Text iterativ streuend heimsucht. Oder noch einmal anders: Die Metapher des menschlichen Körpers und die Fiktion der Menschenähnlichkeit für die sprachlichen Hervorbringungen, die die groteske Exposition dementiert, würden gerade mit dem Pathos der Entstellung der Gestalt noch bemüht. Sie wäre, mit Paul de Man, dem dies vorgehalten wurde,224 erst in einem anderen Modell des Textes, dem der Sprach-Maschine zurückgelassen.225 Mit der Maschine sind ‚undurchdringliche Determination und völlige Arbitrarität zugleich‘ der sprachlichen Vorgänge konzipiert,226 wird Sprache als „disseminale Macht“ gedacht, worin Iterierbarkeit, „verborgene[] Verbindungen und Fragmentierungen“227 und das 224 Bez. der Pathos verleihenden Metapher des verwundeten oder enthaupteten Körpers für die Nicht-Koinzidenz von Sprachstruktur und Sinn, Wissen und Tun vgl. Hertz, „Lurid Figures“, 99ff.; ders., „More Lurid Figures“, 211, 219f. 225 „The text as body […] is displaced by the text as machine and, in the process, it suffers the loss of the illusion of meaning.“ (de Man, Allegories of Reading, 298, vgl. 297, 294, 299f.; vgl. B. Menke, Prosopopoiia, 214ff.). Die Metapher ‚selbst‘ wird ausgesetzt, die Maschine ist ‚die bedrohlichere Alternative‘ (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 132, 131-34; zu de Mans Rede von Text-Maschinen (erst „The Purloined Ribbon“, später „Excuses (Confessions)“ in Allegories of Reading) vgl. 36f., 43ff., 72f., und zuerst engl. Derrida, „Typewriter Ribbon: Limited Ink (2) (‚within such limits‘)“, 277ff.). 226 De Man, „The Concept of Irony“, 181 (mit F.  Schlegels „Über die Unverständlichkeit“), vgl. in Kap. I.6. Derrida zufolge konzipiert de Man den „grundlos-willkürlichen Effekt einer textuellen Grammatik“ (gratuitous product of a textual grammar), der „Struktur maschinenhafter Wiederholung, von einem System, das sowohl völlig willkürlich als auch vollkommen wiederholbar ist, wie eine Grammatik“ (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 84), damit aber „die ‚absolute Kontingenz der Sprache‘“ (135f.; mit de Man, Allegories of Reading, 299f.). 227 Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 88, 96, vgl. 128f., 131. De Mans „Begriff der Maschine“ ist mit „Dekonstruktion untrennbar verbunden“, „die immer darauf ab[zielt], die Existenz von verborgenen Verbindungen und Fragmentierungen zu enthüllen, und

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Zulassen des Zufalls übereinkommen, so Derrida: „to join the thinking of the event to the thinking of the machine“.228 Das ‚irreduzible Ereignis‘ muss sich, damit es dieses als etwas gibt, in Signifikantenketten, in Kontexte einschreiben und unterliegt derart (wie oder als ein performative) Iterationen, in denen aber nicht die rückwirkend bestätigende Schließung, sondern die „Dissemination des […] textuellen Ereignisses“ geschieht.229 Ereignis und performative durchkreuzen einander in einer „paradoxen Antinomie“: Das performative müsste Ereignis sein können, das nichts wiedergibt, was bereits gegeben war, aber „überall dort, wo es Performatives gibt, das heißt im strengen und Austinschen Sinne des Wortes die Herrschaft – in der ersten Person des Präsens – eines durch Konventionen garantierten und legitimierten ,ich kann‘, [wäre] auch jede reine Ereignishaftigkeit neutralisiert, amortisiert, suspendiert“.230 Umgekehrt kann das Ereignis nicht ohne „die Performativität“, gedacht werden, „die gerade die Macht der Sprache und die Macht als Sprache definiert, den Überschuß […] der Macht der Sprache gegenüber der konstativen oder kognitiven Sprache“.231 Das Ereignis setzt das performative, von dem es unablösbar ist, in dessen ‚Innern‘ auseinander, entsetzt als unvorhersehbares Ereignis „des Anderen“, „was vertikal über mich hereinbricht“, die „Macht“ über das Sprechen, das „ich kann“ (der performatives).232 – Ein Witz ist Ereignis, das im Un-/Ernst,

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zwar in vorgeblich monadischen Totalitäten“ (96, vgl. 129ff.). Bestimmt de Man den ‚Materialismus‘ des Textes durch „Fragmentarisierung“ und „‚materielle[] Zergliederung‘“ (zu Kleists „Marionettentheater“ in „Aesthetic Formalization“, 290), stellt Derrida infrage, ob dieser von „Körper“ und „Materie“ völlig ablösbar sei („Das Schreibmaschinenband“, 85, 128-31). Textueller Materialismus und das Reale der Körper kippen in Kleists Text immer wieder ineinander. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 36, 109f., mit de Man, „The Purloined Ribbon“, 277; vgl. Derrida, „My Chances“, 6, 2ff.; zu Ereignis und mèchanè vgl. Nägele, „Mèchanè. Einmaliges in der mechanischen Reproduzierbarkeit“, 143f., 139. Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 82ff., vgl. 89f., 94; ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 9-12; das unvorhersehbare „Ereignis als des Anderen“, diese „Machtlosigkeit“ ist „niemals rein und absolut“, „das Sprechen vom Ereignis“ setzt mit der „Iterabilität“ dessen „Neutralisierung“ voraus (35f.); „die Ankunft des Ankömmlings – oder das Eintreten des inauguralen Ereignisses – [kann] nur als Wiederkehr, Heimsuchung und Spuk erlebt werden“ (36), das „Unmögliche“, das „das Mögliche heimsucht“ (37, 39f., 41). Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122, 136, vgl. 93, 95, 98ff.. Das hat Folgen fürs performative (vgl. ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 349f., 347), in dieser Suspendierung ist auch die politische Geste auszumachen (vgl. auch Szendy, gegen Badiou): die Punktförmigkeit der Entscheidung ist bereits in sich „divided or divisible“ (Stigmatology, 95-98). Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 88; vgl. Bennington, „Aberrations: de Man (and) the Machine“, 143-50; vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 160 (wie zitiert). Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122, ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 48, 56.

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ab-/normal, miss/ge-lungen, dem Abschluß, der Resultathaftigkeit des performative widerstreitet. Wo (in der „Anekdote aus dem letzten Kriege“) kein Witz erzählt wird, manifestiert sich ein Ereignis, das nicht es selbst ‚ist‘, dessen disseminale ‚Kraft‘ sich multipel manifestiert und in Reserve hält: ‚überall, wo gelesen wird‘. Zusätze Schriftbildlich organisiert sind im „Anekdoten“-Text Streuungen als Perkus­ sionen der Wörter.233 Diese sind mitzu‚hören‘, wenn mit dem „Fell“ auch das der Trommel zu lesen gegeben wird. Das legt der Zu-Satz an der Stelle nahe, wo das Erzählen abbricht, mit einem Streich, der interveniert: „[…] kein L … bekäme. –“.234 Auf narrative Ordnung, die das Ganze der Anekdote und den Kontext geben würde, der das Ereignis lesbar machte, ist hier nicht zu setzen. Dort, wo die innere narrative Schließung ausfällt, setzt aber der Text über die markierte Unterbrechung und den eingelassenen Abstand235 fort: „ – Wobei man noch die Shakespearesche Eigenschaft bemerken muß […]“. Nun könnte man in der quasi-philologischen Notiz im Zu-Satz, der „die Shakespearesche Eigenschaft“ bemerken lässt, „daß der Tambour mit seinem Witz, aus seiner Sphäre als Trommelschläger nicht herausging“, die paradigma-bildende Angabe eines Musters, einer Gattung wiedererkennen (die der „Trommelschläger“?), wenn der Zu-Satz zum Erzählen vom tambourischen „Witz“ dem witzigen Tambour eine selbst-bezügliche Beschränktheit im Sinne von: ‚wenn nur das Fell (der Trommel) heil bleibt‘,236 attestiert. Oder es könnte, mit der geläufigen 233 Wörter, die „nicht mehr illusorischerweise als einfache Instrumente aufgefasst“, son­ dern die, so Barthes, „hinausgeschleudert“ werden „wie Projektionen, Explosionen, Vibrationen, Maschinen, Reize“: „lancés […] des explosions, vibrations, des machineries“; „die Schreibweise macht aus dem Wissen ein Fest“ (Leçon, 30/Lektion, 31; vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 141); dabei wäre an die (Theater-)Maschinen und Feuerwerke der barocken Feste zu denken (vgl. Marin, „Der König als Zauberer oder das Fest des Fürsten“, 318ff., 330). 234 Nur das Erzählen bricht ab (lässt derart die Exekution oder deren Ausbleiben(?) aus), nicht aber der Satz; ein solches Abbrechen im Satz wäre die Aposiopese, (Quintilian, Inst. Or., IX, 2, 54), als deren Markierung der Strich oft aufgefasst wird (vgl. Stenzel, Zeichensetzung, 64f.; Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungpunkte“, 31), die dieser aber doppeln würde; das signum omissionis „eines Ungesagten oder Unsagbaren“ verwiese im Sinne der Aposiopese genommen auf einen „Überschuß des Signifikats“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 10). 235 Punkte oder Striche fungieren als Zeichen für eine Unterbrechung (Rault, Poétique du point du suspension, 20f, 24ff, 37), markieren (als Auslassungszeichen) die Nichtgeschlossenheit („clôture“) (141, 206). 236 Die Beschränktheit (hier: des Tambours) ‚auf seine Sphäre‘ findet sich bei Freud als ‚witzige Unifizierung zwischen Psychologie und Berufstätigkeit‘ (Der Witz, 196).

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Auffassung der Shakespeare-Philologie seit Mitte des 18. Jahrhunderts237 von den Redeweisen der Shakespeare’schen dramatischen Personen, der Rahmen gegeben sein,238 in dem der „ungeheuerste[] Witz“ vermeintlich mit „a reassuring word“ einer Lesbarkeit, einer „gesture that closes the anecdotes“ versehen,239 einer „motivierende[n] Zusammenhangsbildung“ unterzogen würde.240 Im ZuSatz wendet sich der Text aus einer anderen Schreib-Instanz241 (‚wer spricht‘ hier?) als Kommentar aufs Erzählte und die Erzählung zurück und (obwohl „wobei“ „bemerkt werden muß“) in einer anderen Zeit der Äußerung (die im 237 Für „Shakespeares Derbheiten“, die romantische Poetologie des Schauspiels und die Funktion Shakespeares bei Kleist, vgl. B. Theisen, „Der Bewunderer des Shakespeare“, 90f., 105ff., 95ff. (mit einem Epigramm Kleists, KSW I, 25). Shakespeare steht im deutschen 18. Jh. seit Wieland für die ‚monströse‘ Zusammensetzung von Tragischem und Komischem als Paradigma der Romantik, vgl. A. Müller, „Fragmente über William Shakespeare“, 55ff. Der Shakespeare-Bezug bezieht die „Anekdote aus dem letzten Kriege“ auf den voranstehenden Text „Darstellbarkeit auf dem Theater“ (BA I, 93ff.), dessen Maßregeln: „auf dem Theater“ „darf nicht alles wie in der Natur aufgestellt werden“, als „– Ein Beispiel statt aller“– die Schlachtdarstellung in Shakespeares Julius Caesar steht (BA I, 95), die Anekdote offensiv übertritt (vgl. Peters, „Wie Geschichte geschehen lassen?“, 85), sowie die Falstaff-Miszelle, Berliner Abendblätter 77. Bl., 31. Dec.  1810, 306; BA I, 385 (vgl. H.-D. Weber, „Zu Heinrich von Kleists Kunst der Anekdote“, 22; vgl. Moering, Witz und Ironie, 125). 238 Zum epistemologischen Rahmen für den erzählten Einzelfall vgl. Willer u.a., „Zur Systematik des Beispiels“, 39f.; Lyons, Exemplum, 3, 29ff. Fineman: „to fit particular events into the intelligible whole“; sie werden kontextualisiert, um signifikant zu werden („The History of the Anecdote“, 52; zum „frame“ der story, der Fabeln Lafontaines vgl. Gelley, „The Pragmatics of Exemplary Narrative“, 161). Aber: „can any example ever truly fit a general proposition?“ (de Man, „Aesthetic Formalization“, 276). 239 Wie scheinbar der auf die gleiche Weise angeschlossene letzte Satz von Kleists „Der Griffel Gottes“ (Jacobs, „The Style of Kleist“, 178, 184, 189), der auch nicht abschließender Deutung, sondern dem „Vorfall“ gilt, den er an die „Schriftgelehrten“ verweist (5. Bl., 5. Oct. 1810, 21; BA I, 28); vgl. Kleists Kapuziner-„Anekdote“ (BA I, 275), die Erzählungen „Michael Kohlhaas“, „Die Verlobung in St. Domingo“. Worin könnte hier die „auktoriale Leseanweisung“ („die Perspektive einer humanistischen Betrachtung“) bestehen? so H.-D. Weber „Zu Heinrich von Kleists Kunst der Anekdote“, 22. 240 So zum Erzählen, zum Roman, Campe, „Kleists ‚Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten‘“, 423f. 241 Technische Funktion des „–“ war die schriftliche Anzeige des ‚Sprecher‘wechsels, zuerst am Rand des Textes (Raible, Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen, 7), in den engl. Romanen des 18. Jh. (vgl. Lennard, „But I Digress“, 85f.; Mylne, „The Punctuation of Dialogue“, 56-62; Parkes, Pause and Effect, 55ff.; Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 108-63, sowie 28-34, 42-56, 254-57; Stenzel, Zeichensetzung, 44-51, vgl. Kap. IV.2). Es ist schriftliche Einsatzmarke für eine jeweilige Stimme, die – wie Anführungszeichen – gerade nicht Teil ‚der Stimme‘ ist (vgl. Müller Nielaba, „Das doppelte Anführungszeichen“, 143f.); Spur anderen Wieder-Lesens (mit Novalis) vgl. Glaser, „Zeichen an der Schrift – Zeichen der Schrift?“, 83-86.

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erneuten Präteritum „ging“ Distanz nimmt), philologisch Bescheid gebend, an die Lesenden. – Aber der Strich oder Streich: dash, der im Deutschen fehlleitend ‚Gedankenstrich‘ heißt, hält unterbrechend, überbrückend und auf Abstand haltend242 das Spiel zwischen „anecdotal hole and whole“, von dem Fineman spricht, zwischen Rahmen-Setzung und -Suspendierung243  – in der Schwebe, so dass das Singuläre als Ungestaltes,244 das Ereignis in seiner Kontingenz zu- und offen gelassen wird.245 Er markiert den Zusatz (im ‚Innern‘).246 Auf dessen Supplementarität, dessen Zusätzlichkeit kommt es an, nicht so sehr auf den Satz,247 der dieser Zusatz auch ist, der als nachtragender quasi-philologischer eher ein witzverderbender ist.248 Das „Allgemeine eines 242 Zu „Gedankenstriche“ vgl. in „Über die Schriftstellerei“ (Jean Paul, SW II.1, 424); in Kap. IV.2. 243 The „double intersection, the formal play of anecdotal hole and whole“ setze ein Ereignis ein „as an event within and yet without the framing context of historical successivity, i.e., it does so only in so far as its narration both comprises and refracts the narration it reports“ (Fineman, „The History of the Anecdote“, 61). Jede narrative Loch-Schließung („plugged up“) ermögliche je wieder, dass diese Narration „will itself be opened up by a further anecdotal operation“ (ebd.). 244 Als solches wird der Zufall durch die Ästhetisierung der Historie, die auf die Einheit von Geschehen und Erkenntnis setzt, seit Aristoteles ausgeschlossen, so Hamacher, „Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“, 5ff., 12-15; das revidiert Kleists „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“. 245 „The anecdote produces […] the occurrence of contingency“ (Fineman, „The History of the Anecdote“, 61), und lasse derart Geschichte geschehen (vgl. 60ff.). Dem Jeweiligen setzt Aristoteles’ Poetik das Allgemeine entgegen (vgl. Hamacher, „Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“); es wäre als Ereignis, so Campe, in den „Kategorien des Singulären und des Kontingenten“ (dessen, was sein kann oder auch nicht), zu unterscheiden („Kleists ‚Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten‘“, 426f.; vgl. ders., „Von Fall zu Fall“, 33ff.). 246 Der Rand ist der Ort, an dem Kommentar und Glosse sich hinzufügen, und derart den Text erst konstituieren, von dem sie angeblich regiert werden (vgl. B.  Menke, „TextOberfläche“, 130-38, vgl. Kap.  III.2, IV.2). Der Rand (des Kommentars) ist im Zusatz: heterogen (gleichsam) ‚in den Text‘ gefaltet (als Digressionen, Exkurse, vgl. Kap. IV.2) 247 In diesem Satz situiert aber Moering die „Pointe“ der „Anekdote“, in der sich „erst“ der „überraschende[] Sinn“ der „‚Gnade‘“, um die der Tambour bitte, offenbare: nicht die seines Lebens, sondern der Füsilierung „sachgerechte Ausführung“ (Witz und Ironie, 124f.). 248 So z.B. der letzte Satz der „Anekdote“ von einem christlichen Trostwort: „Ein Kapuziner begleitete einen Schwaben bei sehr regnigtem Wetter zum Galgen. Der Verurtheilte klagt unterwegs mehrmal zu Gott, daß er, bei so schlechtem und unfreundlichem Wetter, einen so sauren Gang thun müsse. Der Kapuziner wollte ihn christlich trösten und sagte: du Lump, was klagst du viel, du brauchst doch bloß hinzugehen, ich aber muß, bei diesem Wetter, wieder zurück, denselben Weg.“ Dem ist hinzugesetzt: „– Wer es empfunden hat, wie öde Einem, auch selbst an einem schönen Tage, der Rückweg vom Richtplatz wird,

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Wissens“249 wäre derart mit einem markierten Nachsatz bezogen, den ein Strich als ein Näh-Stich anhängt, der die Ruptur, den Abstand bezeichnet, über den er geht, den er (zugleich) auf-hält.250 Mit dessen Zusätzlichkeit ist die Nicht-Geschlossenheit (von „Singuläre[m] des Ereignisses“ und „Allgemeinem eines Wissens“), der Mangel im Innern des Textes (auch in seiner ZusammenFügung) bezeichnet. Meint die Shakespeare-Referenz, die für Kleist als Theaterautor auszuführen wäre, die Shakespeare angekreideten puns,251 die etwa Wieland übersetzend auszulassen sich erlaubte, dann genehmigt sich der Text hier aber seinerseits einen pun. Ist doch im ausgelassenen: pointierten ‚Fell‘, dem keine Löcherung zugefügt werden solle, mit dem Fell der Trommel als der „Sphäre“, über die „der Tambour mit seinem Witz“ „nicht hinausging“, auch jenes Trommelfell mitzu‚verstehen‘, das Teil des inneren Ohrs ist und wie ersteres nachhallend vibriert – ohne etwas zu verstehen. Die Mitteilungen der Oszillationen, deren Nachhallen sind der Modus, in dem der Schall, den es als solchen: festgehalten nicht gibt, gehört wird; diese Mitteilungen – vor allem Verstehen – sind, wie um 1800 bekannt ist, Modus des Hörens, das nicht gesteuert werden kann.252 Aber es ist der Anekdoten-Text, der diese „Sphäre“ des Trommlers, das TrommelFell, beruft. Am ‚Einfall des Tambours‘ hat der Text schon teilgehabt, wenn, um des „Tambours“ „Sphäre als Trommelschläger“ anzuspielen, wo die Vorlage den „Balg“ stehen hatte, das Fell als „F…“ eingefallen sein musste. Und diesseits jeden ‚Fells‘, das gelesen werden mag, ist es vielmehr das Schriftbild des Textes, das den Tambour druckgraphisch, den Text punktierend als Trommelschläger:

der wird den Ausspruch des Kapuziners nicht so dumm finden.“ (53. Bl., 30. Nov. 1810, 209; BA I, 275). 249 Campe, „Kleists ‚Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten‘“, 429. 250 Der sog. Gedanken-Strich gehört auch zu den Auslassungszeichen (vgl. Kap.  IV.2), ist Platzhalter; er macht eine Zusammenfügung der/durch Trennung; so erzeugen umgekehrt die „points de suspensions“, die (wie „tirets“) unterbrechen und kontinuieren, eine „fragile intersection“, eine „suture“ (Rault, Poétique du point de suspension, 85). 251 Für puns ist Shakespeare im Englischen berüchtigt (vgl. Dr. S. Johnson, Pope u.v.a., Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192). Das heißt dann auch: „[Shakespeare] was letting his machine run away with him; he had stopped thinking what the pun would ‚amount to‘“, so Empson (mit unguter Assoziation von Joyce), vgl. Haverkamp, „Die wiederholte Metapher“, 138f. 252 Das Ohr vernehme, „ohne sich selber praktisch gegen die Objekte hinauszuwenden, das Resultat jenes inneren Erzitterns des Körpers,“ – so auch Hegel: „durch welches nicht mehr die ruhige materielle Gestalt, sondern die erste ideelle Seelenhaftigkeit zum Vorschein kommt.“ (Werke Bd.  15, 134); zu den Auffassungen des Hörens um 1800 vgl. B. Menke, Prosopopoiia, 98, 116-123, 237, 284ff., 377-381, 764ff. u.ö.

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…. agieren lässt, in der zerfällenden Perkussion der Wörter, in der metonymisch nach- und verhallenden Skandierung des Textes.253 Derart treibt die Punktierung fort: Hinaus über die möglichen metapho­ rischen oder ikonischen Auffassungen, die z.B. Clemens Brentano den (nicht sichtbar eingetragenen) Interpunktionszeichen im Feld des Trommelschlägers von des Prinzen Mausohrs Soldaten gibt: „In solcher tiefsinnigen Gelehrsamkeit marschierten sie […] ohne weiteren Unfall, als daß der Trommelschlä­ger einigemal semicolon statt duo puncta und einmal Fragezeichen statt Ausru­ fungszeichen trommelte, wodurch große Unordnung in den Marsch kam“.254 – Hinaus auch über die naheliegende aber begrenzende Ansicht, derzufolge hier typographisch …. eine Mimesis an die Trommelschläge gegeben und diese – im Vorgriff auf die einschlagenden Schüsse und in Konkurrenz zu ihnen – ins Schrift-‚Bild‘ gesetzt wären. Die Schläge sind vielmehr punktierend – wie/als ein Nach- und Verhallen – ‚fortgesetzt‘ in der Dispersion der Punktierungen (in) der Schrift. Die Synkopen der Schläge oder Punktierungen, die den letter(e)­alen Operator in den insistierenden Schriftrest überführen, geben schriftliche Perkussionen, Schläge, Ereignisse, Vibrationen, Erschütterungen der Wörter. Erlaubt die unerklärte Shakespeare-Referenz einen vorgreifenden Beizug der Falstaff-Miszelle, die am 31. Dec.  1810 in Berliner Abendblätter erscheint,255 könnte die dort angeführte Bemerkung Falstaffs, „daß er nicht bloß selbst witzig, sondern auch schuld sei, daß andere Leute (auf seine Kosten) witzig wären“,256 hinsichtlich der Relation von „Witz“ und dem philologischen 253 Vgl. für die „Tendenz des punctum nachzuhallen, seine Umgebung zu kontaminieren“ auch Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 348. Auf ganz anderen Wegen der punc­ tuations auch Szendy: „oscillating eardrum“, „percussions to repercussions“ (im Punkt) (Stygmatology, 50, 58-63, 66-70). 254 Brentano, „Wie es dem Prinzen Mausohr in dem Feldzug mit seinen tapfern Soldaten erging“ (so in der erst posthum publ. Fass., Rheinmärchen, Werke III, 74f.), wo „der Storch Langebein seine Schuljungen zusammenklapperte; da glaubten sie; der Tambour schlage et cetera [Auslassungzeichen: Punkte wie Striche], was das Zeichen zum allgemeinen Davonlaufen war“ (75, vgl. 76); erste Fassungen wurden 1810-12 verfasst, und wenn in einer solchen überlieferten zu lesen ist: „wo ihr eure Taten mit dem Griffel der Geschichte in die Marmortafel des Nachruhms schreiben könnet“ (1085), möchte man (fast) an Umschriften von (Kleists) Texten in Berliner Abenblätter glauben. 255 77. Bl., 31. Dec. 1810, 306; BA I, 385; gez. „tz.“ (Kleist zugeschrieben, geht sie ein in KSW II, 930); vgl. etwa H.-D. Weber, „Zu Heinrich von Kleists Kunst der Anekdote“, 22. 256 Die Miszelle verlegt in die „Schenke von Eastcheap“ (BA I, 385), was sie aus König Heinrich der Vierte (2. Teil, 1. Aufzug, 2. Szene, 376) bezieht (wie Sembdner KSW II, 930f. zu korrigieren ist), wo sich Falstaff beschwert: „Das Gehirn dieses närrisch zusammengekneteten Thones, der Mensch heißt, ist nicht im Stande, mehr zu erfinden, das zum Lachen dient, als was ich erfinde, oder was über mich erfunden wird. Ich bin nicht bloß selbst witzig, sondern auch Ursache, daß andre Witz haben.‘“ (Übersetzung A. W. Schlegel/

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Kommentar im Zusatz gelesen werden. Wenn der Tambour „schuld“ wäre, dass andere, die Soldaten(?), der ‚Erzähler‘(?), der Kommentator(?) ‚witzig‘ seien, dann in jedem dieser Fälle „auf seine Kosten“. Umgekehrt macht den Tambour aber erst der von seinem Einfall erzählende Text zu dem, der den Witz des Trommelfellschlägers macht, nicht im Nachsatz, den der Text sich erlaubt, sondern vielmehr insofern in den Text ein Schrift-Witz einfällt. – Die von Falstaff (wo auch immer) aufgerufene Mitteilung von ‚wit‘ kann vorausverweisend auf die des Lachens in Freuds Konzept des Witzes gelesen werden: Freud zufolge erfordert der Witzvorgang, dass durchs Witze-Erzählen (im Medium der Wörter) ein anderer (ein Dritter neben ‚Witzbildner‘ und WitzObjekt) in diesen eingezogen werde, weil erst durch die „Rückwirkung des anderen auf mich“, der mit seinem Lachen (als dem zweiten Medium des Witzes) das Gelingen des Witzes bezeugt, dieser sich ‚vollende‘. Das Lachen des anderen: exzessiv, „explosiv“ den Körper erschütternd,257 ermöglicht rückwirkend erst, par ricochet, phatisch (sich) mitteilend: ansteckend, auch das des Witzerzählers.258 Lachen, das, so Baudelaire, die Menschenähnlichkeit des Gesichts, Inbegriff der verkörpernd inkludierenden ausdrucksvollen Darstellung aufreißt, zur Groteske entstellt,259 kennzeichnet Freud als ‚Abfuhr‘ eines ‚Überschusses‘ an Energie, die keiner anderen, diese festsetzenden Verwendung, vor allem nicht dem Verstehen, zugeführt wird,260 die unfiguriert bleibt und disfiguriert. Der Witz-Vorgang, der den „Sprung‘ ins andere Medium, ins Lachen „bewerkstelligt“,261 ermöglicht die Abfuhr des Lachens, „unterdes“, in „Absenz“ der bewussten Instanz, ihrer Abgelenktheit anderswo, bevor ‚wir‘, die ‚bewußten ichs‘, „zu spät“, bemerken, was vorgeht.262 Dass Erkenntnis zu spät Tieck); dgg. erwidert er in der „Schenke“ zu „Eastcheap“ Bardolph (König Heinrich der Vierte, 1. Teil, 3. Aufzug, 3. Szene, 314): „komm, sing mir ein Zotenlied, mache mich lustig“. Resonanz findet sich in E. T. A. Hoffmanns Elixiere des Teufels (1814), der 1812 die Abendblätter las (zit. in KSW II, Komm. Sembdner, 931). Mit Falstaffs „I am not only witty myself but the cause that wit is in other men.“ verschiebt Empson Popes Bestimmung von „wit“ als „power to make ingenious (and critical) jokes“ („Wit in the Essay on Criticism“, 85). 257 Freud, Der Witz, 79, 97, 137f., 148; S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81; Felman, Le scandale du corps parlant, 174. 258 Freud, Der Witz, 146ff., 137-43, vgl. Kap. V.2. 259 Vgl. Baudelaire, „De l’essence de rire“, 528, 530f./„Vom Wesen des Lachens“, 287, 290f.; vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 11ff., 20f.; zur aus der bildenden Kunst auszuschließenden Entstellung, Verzerrung des Gesichts, insb. durchs Aufreißen des Mundes im Schrei, vgl. Lessing, Laokoon, 15-20; der aufgerissene Schlund zerreißt das Gesicht: zur Groteske, vgl. Bachtin, Rabelais und seine Welt, 358, 366. 260 Freud, Der Witz, 142f.; vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81. 261 Schuller, „Anekdote“, 10; vgl. S. Weber, „Zeit des Lachens“, 81. 262 „[L]achen wir bereits“ (Freud, Der Witz, 143). S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89ff.

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kommt, fürs Handeln wie für Erkenntnis,263 darin entspricht den historischen Ereignissen die „Struktur des Witzes“,264 der ‚uns‘ „überrumpelt“ haben wird. – Die Frage, wie die „Anekdote aus dem letzten Kriege“ sich zum Witz, von dem sie erzählt, verhält, zumal insofern dieser im Zusatz feststellend kommentiert wird, betrifft die Zeitlichkeiten von Geschehen und Wissen. Es wurde bereits bemerkt, dass anders als Anekdoten Witze im Präsens erzählt werden, dass der Witz „nur ‚da‘, gleichsam in Aktion“ ‚ist‘,265 mit der Gegebenheit (in Selbst-Präsenz, die er nicht hat) weg wäre. Die „Anekdote“, die keinen Witz erzählt, markiert „–“ den Abstand, aus dem das vermeintliche philologische Bescheid-Wissen hinzukommt (zum indirekt als zurückliegendes Erzählten, zum abgebrochenen Erzählen) – den Nachtrag, in dem die ‚kritische Instanz‘ scheint aus dem Vorgefallenen ‚guten Sinn‘ machen zu wollen. Umgekehrt ist die „Zeit […] der Äußerung oder Einschreibung“, auf die (so S.  Weber) das Präsens (des Witzes) referiert, in „Anekdote aus dem letzten Kriege“ markiert durch den Einfall der Schrift in den Text – das ist der ‚Witz‘ dieses Textes, „hier und jetzt“ …., „doch immer wieder und überall, wo gesprochen und gehört, geschrieben und gelesen wird“, als „Zeit“ „einer Iterabilität, die nie ganz zu sich selbst kommen kann“.266 Die „Iterabilität“ der sprachlichen/schriftlichen Zeichen, die „zwar Bedeutung und Sinn entstehen“ lässt, „geht [darin] nie auf“: „Was darin nicht aufgeht, verhallt als Lachen.“267 Der ‚Witz‘ des Anekdoten-Textes, wenn von einem solchen die Rede sein darf, lässt die Pointe (diesseits von Wörtern und Sinn) …. ausgehen und streut sie…. rhythmisierend. Die Iterabilität (der Zeichen), die …. „nie ganz zu sich selbst kommen kann“, alle semantischen Einheiten disseminiert, unkontrollierbar anderswo wiederholend fortsetzen, ‚nachhallen‘ mag, ‚verhallt‘ in der rhythmisierend sich mitteilenden Streuung – der Schrift. Attestierte der zitierte Zu-Satz des quasi-philologischen Schlusssatzes vermeintlich aus sicherer Distanz, die der Text im Registerwechsel in den Kommentar nähme, dem witzigen Tambour eine dumme Beschränktheit auf 263 Dass Erkenntnis (in) der Geschichte „für das Handeln zu spät komme, heißt auch, daß sie für die Erkenntnis zu spät kommt“ (Hamacher, „Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“, 13); vgl. in Kap. II. 264 Vgl. Breithaupt, „Kleists Anekdoten und die Möglichkeit von Geschichte“, 351. Geschichte geschieht, „wo die Struktur einen Exzeß produziert“ (342f.), als Ereignis, das nicht als (Austin’sches) performative resultiert, sich schließt. 265 Schuller, „Anekdote“, 10ff.; vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 88ff. 266 Wie bereits zit.: „es sei denn unterdes“ im Lachen, was der Witzvorgang ermöglicht, S. Weber, „Zeit des Lachens“, 89; aber im Lachen kommt nichts „zu sich selbst“, vgl. Kap. V. 267 S.  Weber, „Zeit des Lachens“, 89. Ein von Freud erzählter Witz „vergegenwärtigt dieses Nichtaufgehen des Sinns in der Sprache, und zwar tut er es als Wiederholung […]: als Wiederholung, ohne welche es Sprache nicht gäbe“ (ebd.).

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„seine Sphäre“, so geschieht hier doch (auch) anderes als der philologische Kommentar des Erzählten, der im Nachtrag mehr wüsste, andere besserwisserisch „bemerken“ lassen will. Der Text wendet sich so auf sich ‚selbst‘, dass er zugleich seine ‚Sphäre‘ mitzulesen gibt: den Raum der Seite, die auch einmal ein Fell war, auf der der Text, schwarz auf weiß, spatial organisiert ist. Die Punktierung bezeichnet den Schauplatz oder die Szene der Schrift,268 indem das punctum, das Ereignis selbst-disseminativ, in Schrift-Resten den Text ‚heimsucht‘.269 Die Auslassungs-Punkte referieren auf die Seite als Grund der Anordnung der Schrift. Skandiert wird der Text, punktierend gestreut, aufs Papier zurückbezogen.270 Die typographische Organisation führt in der Punktierung deren Extension als Streuung aus: mit „operativen Pausen“ Abstände einlassend, führt gleichsam die verräumlichende Dissemination der Zeichen271 sichtbar auf. So kann etwa Mallarmés Un coup de dés aufgefasst werden, und zwar insofern es ‚sichtbar‘ auf der Seite einen beweglichen Schriftraum latenter nicht-sichtbarer Lesbarkeiten gibt, in dem jeweilige Konstellationen erscheinen, in andere kippen, bzw. sich zurückstellen in ihren Unter-, bzw. Hintergrund272 (dazu gehört, dass Seiten umgeschlagen ein je anderes Seitenbild geben, (über)blätternd gelesen, gehandhabt Schrift-Raum gewinnen).273 Das Papier schlägt in den Text durch – das Papier in seiner Materialität und als der unlesbare Hinter- und Un-Grund einer jeden – jeweils – möglichen lesbaren Konfiguration. Das wird auf/sgeführt, wo eine Löcherung der Oberfläche

268 Vgl. Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“; Derrida, „Freud oder der Schauplatz der Schrift [la scène de l’écriture]“, u.a. 269 Derrida, Die Tode von Roland Barthes, 17f.; ders., Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen, 35f., 41f. 270 Marin, „Ponctuation, étym. lat. punctum“, 35; vgl. F. Kittler, Aufschreibesysteme, 263. Umgekehrt kann das punctum mit Artauds subjectile (vgl. Derrida, „Forcener le subjectile/ Das Subjektil entsinnen“; ders., „Das Papier oder ich, wissen Sie …“, 225) vom Papier her gedacht werden, vgl. Didi-Huberman, „Geschenk des Papiers“, 175, 186ff. 271 Die dissémination, ‚ursprüngliche‘ Verräumlichung aller schriftlicher, d.h. sprachlicher Zeichen durch nicht gewärtig gegebene Differenzen von/in sich, vgl. Derrida, „Die différance“, 18f.; ders., „Die weiße Mythologie“, 263. 272 Vgl. Derrida, „La double séance“, 300. Die Dissemination der vielen thematischen blancs organisiert den beweglichen Schrift-Raum, in dem kein Sinn, der in ihm konstellierend lesbar wird, sich erhält; und sie sind in schriftbildlicher Realisierung als unsinnige Zwischenräume (aller Art) eingelassen, die auf die Möglichkeiten verweisen in einer unbegrenzbaren Vielzahl von latenten Konstellationen, die dieser bewegliche Schriftraum erstellt. Vgl. B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“. 273 Un coup de dés stellt derart wie die Kartothek den vieldimensionalen virtuellen Raum der Schrift vor (vgl. Benjamin, „Vereidigter Bücherrevisor“, in: Einbahnstraße, 30; s. Kap. III.1).

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einen ‚Körper‘ gibt, diese in eine ‚Tiefe‘ kippen lässt.274 Und wo Marken als Platz- oder Stellenhalter auftreten, in denen der Text uneinholbar von sich selbst differiert: jedes ‚hier und jetzt‘ einer Stelle, und sei diese ein Punkt, verweist (in/sich schon) auf ein anderswo.275 Sie indizieren, suspendierend, was zu keiner Präsenz gelangt: die latenten anderen Lesbarkeiten, das virtuelle Anderswo ‚in‘ dieser Oberfläche.276 „…“ enthält jene Dopplung/Spaltung, die im Lesen vorgeht: einerseits kryptographische Lesbarkeit und ‚guter Sinn‘, den der Witz, Freud zufolge, haben müsse (um durchzugehen),277 den aber doch eben diese Marken suspendieren, so dass andererseits der Rest oder Fleck ‚bleibt‘. Das reicht ins Lesen hinein und markiert – schlagartig – dessen Zeit, die nicht die Distanz zum Gelesenen ausmacht, die sich vielmehr (ungewiß überall) in sich scheidet.278 ‚Witzig‘ ist Kleists Text, insofern das anekdotische Erzählen durchschlagen ist vom punktierenden Eintrag (und dessen Zeit) .….279 Dieser codiert nicht (nur) eine Absenz, sondern ist schriftlich wirksam, hält latente andere Lesbarkeiten, lesend angenommene Bezüge (anderswohin und auf andere Zeiten) vor, die ‚hier‘ suspendiert sind, disseminiert rhythmisch skandierend die Pointe …., hält ihre Kraft – in Reserve und macht sie (als virtuelle) wirksam. Die Schrift in ihrer Äußerlichkeit, in ihrem iterativen und iterierbaren Verweis woandershin und ihrer Insistenz als Marke, als Punktierung, als Fleck auf dem Papier oder als Loch in ihm, als Zufall und Exzess, in metonymischer Wirksamkeit: als Rhythmus in stummer Aufführung berührt sich – mit dem sinnlosen 274 Wie bereits angesprochen: Artauds sorts, die das Papier durchbohren, das „sich dabei zu einem Körper materialisiert“ (Schäffner, „Die Wunder des San Francesco d’Assisi und der Therese Neumann“, 192; Derrida/Thévenin, Antonin Artaud. Zeichnungen und Portraits; Derrida, „Forcener le subjectile/Das Subjektil entsinnen“); Darstellungen von Löchern, Rissen und Öffnungen auf Buchseiten, die „Zeichen und Zeichenträger, Bild und Materie miteinander verschränken“ und Seiten auf ihre (des Buches) Tiefe beziehen (Lutz, „Oberflächen der Manuskriptkultur im 15. Jahrhundert“, 113ff. 118ff., 120-24); oder die Buchseiten von J. S. Foers Tree of Codes im Zusammenspiel von gedruckten Lettern und (wirklichen) Ausschnitten, die jeweils lesbare und unlesbare latente Bezüge auf andere Texte eröffnen. 275 So auch mit ganz anderen punctuation-Fällen Szendy, Stygmatology, insg. u. 9, 49f., 60, 66, 68. 276 Die Marken des Latenten, einer „alterité“, „d’ailleurs“, sind die der Nicht-Geschlossenheit des Textes (Rault, Poétique de suspension, 127, 141, 159, 206, 209); zu ergänzen ist: die dem Text in seiner Schriftlichkeit an jeder ‚Stelle‘ eingelassen ist. 277 Das ist auf die Freud’sche Doppelgesichtigkeit des Witzes zu beziehen, vgl. Kap. V.1 u. 2. 278 Vgl. Nägele, „The Allegorical Caesura“, 83; Plath, Hier und anderswo, 348f., 530f. 279 „Die irreduzible Ereignishaftigkeit des fraglichen Ereignisses, das […] festgehalten, aufbeziehungsweise eingeschrieben (inscrit), in seiner Spur nachgezeichnet (tracé) werden muß“, „muß auch das Ereignis des Aufschreibens/der Einschreibung (inscription) sein.“ (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 82). Das „textuelle Ereignis“, eine Diskontinuität, ein „Anakoluth oder eine Parabase“, ist „über den ganzen Text verstreut, […] erstreckt sich auf alle Punkte der figuralen Linie“ (83f.).

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Schall als Mitteilung in phatischer Funktion – als ein Nach- und Verhallen in der stummen Schrift …. Wendet der Text sich im Zu-Satz auf sich, und damit auf die skandierende Schriftlichkeit zurück, so gibt er (sich) keinen Rahmen, mit dem er sich vermeintlich abschlösse, sondern tut er dies im Zusatz, dessen Zusätzlichkeit seine Schließung aufhält. Denn auf die Supplementarität des (Zu-)Satzes kommt es an – vor (und auch nach) allem, was dieser angefügte Satz sagen mag. Die Zusätzlichkeit (als solche) wird „—“ durch eine weitere Marke einer nicht lesbaren ‚operativen Pause‘ organisiert. Der Strich oder Streich kann u.a. auch als Auslassungszeichen fungieren, das ‚gleichsam‘ das spatium ‚zitiert‘,280 den Zwischen-Raum ‚durchstreicht‘, dessen Platz räumt, um ihn zu halten.281 – Man kann dafür, in aller Kürze, den sogenannten berühmtesten oder berüchtigtsten literarischen ‚Gedankenstrich‘ (der deutschen Literatur) in Kleists „Marquise von O….“ erinnern: „[er] führte sie, die von allen solchen Auftritten sprachlos war, in den anderen, von den Flammen noch nicht ergriffenen Flügel des Palastes, wo sie auch völlig bewußtlos niedersank. Hier — traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen.“282 Dieser Querungsstrich ist keinesfalls plausibel als ein Fall von durch Auslassungszeichen eingehaltenen Schamgrenzen,283 wobei die Vermeidung „die Sache herauszusagen“,284 vor allem das insinuierte frivole Geheimnis 280 Zur Geschichte dieses Schriftzeichens vgl. Kap.  IV.2. In den Abendblättern finden sich eine Vielzahl von Seiten, auf denen Striche Zeilen auslassend, füllen und sperren: „so spare ich den Eingang. – – – –/– – – – – – – – – – –/“ (33. Bl., 131); vgl. Heines oben zit. „Censoren“, und in Tristram Shandy „read on – […]“ (VII, xxxv), das das Gelesene in Spalten anordnet oder Lesen rhythmisiert; „points de suspension“ (Rault) widersetzen sich – Lücken einlassend – der „clôture“ des Textes (Poétique de suspension, 141, 206), im eintragenden Verweis auf das Nicht-Inkludierte. 281 Vgl. diese Möglichkeiten auch mit (Jean Paul) „Über die Schriftstellerei“ (anonym, 1783, SW II.1, 424), vgl. Kap. IV.2. 282 Kleist, „Die Marquise von O….“, KBA II/2, 11. Stenzel (Zeichensetzung, 64f.) hebt dessen Ausdehnung im Erstabdruck in Phöbus. Ein Journal für die Kunst hervor (Dresden, 1. Jg., 2tes Stück, Februar 1808, 3-32, hier 4 [66], Nachdr. 1987); es handelt sich um den Geviertstrich bei allen Strichen (vgl. 8-18, 21-30), nicht den heute im Deutschen als ‚Gedankenstrich‘ gebräuchlichen Halbgeviertstrich; vgl. zum ‚Gedankenstrich“ weiter in IV.2. 283 So wurde für die Auslassungen in Kleistes „Anekdote aus dem letzten Kriege“ diskutiert. Als „(Anstands-)Striche“ vermerkt sie Rickes (ausgerechnet bei Heine); als „frivole Striche“ Arendt, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 33-39; Beispiele von Heine, Bettina von Arnim u.a. in Rönneper (Hg.), Gedankenstrich. Gedichte – Bilder – Essays, 15f. 284 So Bodmer, Die Grundsätze der deutschen Sprache, 126, nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 225. Das ist Siegerts „dritte Möglichkeit“ jenes „Fehlens“, das Auslassungspunkte bezeichnen: „der Fall eines Ungesagten oder Unsagbaren, […] der übliche Fall, in dem man vom signum omissionis spricht“ ([…] Auslassungspunkte, 10); vgl. Kap. IV.2.

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freizugeben hatte.285 Vielmehr lässt er sich hier — unterbrechend, sperrend in die (ohne ihn syntaktisch intakte) Rede ein286 und hält, markierend, den Raum einer Absenz, den des Nicht-Diskursiven im Diskurs.287 Dem „Hier“ ist eine Dopplung und Spaltung abzumerken, die das „—“ (nicht sichtbar) gabelt, das, soeben anscheinend noch das „Hier“ des Geschehens anzeigend, ‚hier‘ (auch) deiktisch auf die Äußerung verweist,288 so dass das „Hier“ der Absenz (der Marquise) im „Hier —“ als Ereignis der schriftlichen Äußerung entzogen und dieser „—“ eingetragen ist. In „Anekdote aus dem letzten Kriege“ markiert „— “ den Zusatz, bindet oder näht an,289 was getrennt ist, hält auf und in der Trennung, was zusammen– gefügt wird. Eine vergleichbare Doppel-Funktion hat die „punktierte Linie“, die Derrida anspricht, und die in seine Texte zuweilen eingelassen ist:290 die Perforation des Papiers hält Trennung und Zusammenhalt zusammen.291 Wechselt der Text hier in eine fiktive andere Instanz des ‚philologischen‘ Hinzusetzens/-schreibens, so ist „—“ hinzufügend, spaltend die Spur allographen, anders-händigen Schreibens hinterlassen.292 Der markierte Registerwechsel in 285 Die Auseinandersetzung mit der hermeneutisch psychologisierenden Ausfüllung (nach Politzer) führen Vinken/Haverkamp, „Die zurechtgelegte Frau“; zur Lage der Sek.Lit. vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“, 104-07. 286 „[D]ie Lücke tut sich durch ihre Markierung überhaupt erst auf“ (Willer, „Fallen, Stellen“, 222; vgl. 225). 287 Vgl. Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 287f.; Fleming, „‚–‘“, 156-59; Vinken/Haverkamp, „Die zurechtgelegte Frau“, 131; Mülder-Bach, „Die ‚Feuerprobe der Wahrheit‘“, 538, 542f. 288 Zu den deiktischen shiftern hier und jetzt, vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Werke Bd. 13, 84-92. „Das aufgezeigte Hier“ ist „ein dieses Hier, das in der Tat nicht dieses Hier, sondern […] dieses vielfache Andersein“ ist (89). „Hier […] wäre der Punkt; er ist aber nicht; sondern indem er gezeigt wird, zeigt sich das Aufzeigen, […] eine Bewegung“, eine „Vielheit“ (90). 289 Zu (An-)Näharbeiten, vgl. Derrida, Glas, (dtsch.) 134b, 140b. 231bf.; Zusammenfügung durch Trennung, „[une] fragile intersection“ ist die „suture“ von „trois points de suspension“ (vgl. Rault, Poétique du point de suspension, 85). 290 Vgl. Derrida, übers. zit. in E. Weber, „Verkehrtherum Schreiben. Einführung“, 14. Fälle einer die ganze Seite querenden perforierenden Punkte-‚Linie‘ in Derrida, „Kontrasignaturen“, 371, 373 u.ö. Punktierlinien finden sich etwa in der Dichtung Celans, eine Reihe von Beispielen in Rault, Poétique du point de suspension, 87f., 132, 195f.; eine solche, die im Abbruch des Erzählens zugleich den Rest der Zeile sperrt, in Jean Pauls Unsichtbare Loge, der deren Funktion auto-philologisch angibt: „Diese Punkte stellen verrollte Zeitpunkte vor.“ (SW I.1, 226). 291 Sie ist (in Relation zur Losigkeit der Zettel) eine „schwache, deshalb umfunktionierbare, anders applizierbare Bindung“ (Stanitzek, Art. „Zettel“, 332). 292 Das sich hinzufügt, zu einer anderer Zeit, im Zurückkommen des Schreibens auf sich; mit der Auftrennung auf der Seite: von Zentrum und Rand soll das reguliert sein; aber wie vom ‚Rande‘ her geregelt wird, was zum Text gehört und was nicht, so scheinen diese Operationen im Text auf; vgl. Kap. IV.2.

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die vermeintlich auktorial getragene Meta- oder viemehr Para-Rede, den der letzte Satz im oder als Zusatz vollzöge, ist „—“ auf- und in der Schwebe gehalten: in Suspension.293 Aufgehalten wird mit „—“, mit dem Nähstich und dem Abstand, über den er geht, der Spalt in der heterogenen Zusammengefügtheit des Textes, der sich zu keiner Ganzheit (über den heterogenen Funktionen) im Namen eines diesen verantwortenden Autors und mit sich zusammenschließt. Durch die Zusätzlichkeit – die den Abschluss des Textes je noch woanders hin verweist – bleibt der Text Äußerungsereignis im Geschehen, das zu keinem Abschluss kommt, in einem Aufschub, der das Gemeinte und die Instanz(en), denen es zuzurechnen wäre, je wieder gegen sich selber verschiebt, in sich teilt, und uneinholbar entzieht. Es gibt keinen Schlusssatz, der nicht die Frage offen lässt, wer da nun wieder (auch noch, zwischen-)redet. Blätter Im Auf-Halt, der schriftlich eingelassen und markiert ist und derart den Text gegen seine Schließung typographisch sperrt, wird mit der Zusammengesetztheit des Textes die Ungewissheit über seine Instanz(en) und seine Verwiesenheit über seine ungewisse Grenze anderswohin aus/fgeführt. Texte in der flüchtig aufschiebenden heterogenen Zusammenfügung, in der nie vollendeten Zeit der Berliner Abendblätter sind nicht durch (die Funktion) Autorschaft als Werke konstituiert und ausschließend in sich abgeschlossen. Die „Anekdote aus dem letzten Kriege“ wäre als Anekdote ein an-auktorialer, ein nichtautoritativer und nicht-autorisierbarer Text,294 der nicht unter der Metapher einer Stimme, nicht auktorial verantwortet und versichert ist, sondern weitererzählt, fort- und umgeschrieben wird, auf seine Herkünfte verwiesen295 und (in nicht begrenzbarer Weise) aufs Weitererzählen und -schreiben angelegt. Als nicht öffentlich Herausgegebenes (griech. ἀνέκδοτα,  anékdota) wurden Anekdoten außerhalb, neben der offiziellen, durch Autoritäten gehaltenen

293 Wie im Falle eines Asterisks, der eine Fußnote einlässt, wie Derrida Jean Genet lesend vermerkt: „[it] holds the veil raised“ (Glas, (engl.) 127b, (dtsch.) 143bf., vgl.133b). Die französischen „points de suspension“ erlauben die Aktualisierung der Bedeutung als ‚,‚Aufhängung‘ in einem feldartigen Raum, dessen konstitutives Moment das Zusammenspiel von Bewegung und Schwerkraft ist“ (Dünne, „Suspendierte Texte“, 240). 294 „What the an of anecdote negates is authority.“ (Fenves, „Anecdote and Authority“, 152f., vgl. 161, 155); zu „Anekdote im Wortsinn“ vgl. Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen, 386f. 295 Sie sind (beschränkt) angegeben in den Marginalien der Brandenburger Ausgabe der Abendblätter. Bekanntlich schrieb Kleist (auch in diesem Falle) ‚aufgelesene Anekdoten‘ um.

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Geschichtsschreibung erzählt296 und weitererzählend von anderen, woanders ‚überliefert‘. Das geschieht Ende des 18. und im historistischen 19. Jahrhundert schriftlich in unzähligen und unüberschaubaren Sammlungen297 und deren Ab- und Fortschreibungen. Die Kleist’schen haben ihr Medium an den Berliner Abendblättern, die sich mit den Anekdoten der (vermeintlichen) Information entgegensetzen.298 Es macht Anekdoten aus, so Peter Fenves: „Instead of giving evidence, they pass along hearsay“.299 Hörensagen oder Gerücht ist nicht nur, was die Anekdote weitersagt, sondern dieses ist auch ihr „Medium“. „Es zitiert immer die, die momentan nicht da sind“: „Nie war jemand dabei“; niemand, der es zitiert und weitergibt, ist der Autor dessen, was das Gerücht sagt;300 es entzieht seine ‚Quelle‘, drängt diese in die Tiefen der Zeiten stets weiter zurück. Dieses Medium teilt die Anekdote mit dem Witz, der, Freud zufolge, „wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen“ werde.301 „[T]he subject matter of anecdotes is compromised by their unregulated circulation – for who knows any longer 296 Der griech. Anekdotenbegriff war „editionstechnischer Terminus technicus“ für „nicht veröffentlichte[] oder geheimgehaltene[] Aufzeichnungen über große politische Persönlichkeiten“ (Hein, „Die Anekdote“, 14). An-ekdota ist durch den Ausschluss, den anderen, den abgeschiedenen Gegen- oder Rand-Ort zur offiziellen Geschichtsschreibung bestimmt, vgl. Schuller, „Anekdote“, 12; Mainberger, „Flußnoten“, 244f.; vgl. Krajewski/ Vismann, „Kommentar, Code und Kodifikation“, 7; zum Verhältnis von Anekdote und Historiographie seit der Frühen Neuzeit vgl. Stefanovska, „Exemplary or Singular? The Anecdote in Historical Narrative“, 16-22. 297 „Die Zeit vor den Freiheitskriegen schwelgte geradezu in Anekdoten“, und zwar schriftlich, in „durch Bände sich fortziehende[n] Anekdoten-Sammlungen“ (Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe, zit. nach Moering, Witz und Ironie, 108), wie u.a. die (mit dem möglichen Prätext zu Kleists Anekdote) zitierte Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen. 298 Einer Bemerkung Campes zufolge habe Kleist „durch die Arbeit an den Abendblättern“ zur Gattung der Anekdote als „Gegenschlag gegen die Information“ gefunden („Kleists Verfahren der Aktualität“, 12; ders., „Kants Krise und Kleists Verfahren“, 22). In ‚anekdotischen Formen‘: „Miszellen, Tagesbegebenheiten, ja zuweilen selbst […] Polizeiberichte[n]“, untersucht Kleist die „verschiedenen Verhältnisse von Fiktionalität und Berichterstattung“, so Peters („Wie Geschichte geschehen lassen?“, 76, 78). 299 Fenves, „Anecdote and Authority“, 152; „anecdotes fall into the indistinct ‚categories‘ of gossip, hearsay, or chatter.“ (155; vgl. Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 139f.). 300 H.-J. Neubauer, Fama, 46, 42f. u.ö.; Fama ist „immer zugleich die aktuelle Nachricht und ihr Medium, das ist das vielohrige und -züngige Hörensagen“ (38, 61); zu Echo, Fama und Gerücht, entstellenden ‚Transporten‘ in anonymisierender Zitation, vgl. B.  Menke, „Rhetorik der Echo“. 301 Freud, Der Witz, 19; vgl. H.-J.  Neubauer, Fama, 32, 56ff.; Jean Paul zufolge „flattert“ „ein gewöhnliches Scherzblatt der Zeit von Hand zu Hand, von Mund zu Ohr“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 133; dem setzt er die „höheren komischen Werke“ entgegen). „Der Witz ist ein absolut unberechenbarer Bursche, weil er immer wieder immer hier und jetzt und

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what they are about?“302 Auch die zeit-schriftliche Wiedergabe bindet die Anekdote keineswegs an einen Ort, an dem sie zu verantworten wäre, vielmehr zeigen gerade die publizierten Anekdoten die zeitliche Verschiebung und referentielle Verschiebbarkeit an.303 Dies ist der „Anekdote aus dem letzten Kriege“ am shifter „letzter“ abzumerken: im schriftlichen, publizierten, unkontrollierbar anderswo und zu einer anderen Zeit lesbaren und zitierbaren Text – ist der Referent der temporalen Deixis ungewiss;304 die deiktische Partikel wird sich und das Erzählte (je schon, und) zumal in der Wiederholung und im Zitat losgerissen haben von dem soeben oder vormals Indizierten,305 das sich im Wieder-Abdruck und Wiederlesen, vielleicht nicht schon Tag für Tag (wie die Berliner Abendblätter einander ablösen), so doch Krieg auf Krieg, stets wieder verschoben haben wird. Das entzieht die zu sichernde temporale Ordnung, macht die Anekdote unverträglich mit autoritativer Geschichtsschreibung.306 Die Abendblätter inszenieren geradezu das Medium des Gerüchts, etwa wenn ein „Miszellen“-Notat eine Gerücht-berichtigende

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daher zugleich immer anders und anderswo stattfinden kann, wo es Hörer und Erzähler, wo es Geselligkeit, wo es Leser und Texte gibt.“ (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89). Fenves, „Anecdote and Authority“, 155. Vgl. Fenves, „Anecdote and Authority“, 162. Auch wenn, was der „letzte[] Krieg[]“ wäre, aufgrund des Tagesdatums des betreffenden Abendblattes (das aber ‚selbst‘ vielleicht wiederholt und fortschreibt) bestimmbar oder in entkontextualisierenden Werkausgaben durch Kommentare und Anmerkungen geschichtlich rekonstruiert wäre (ebenso „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“, Berliner Abendblätter 6. Bl., 6. Oct. 1810, BA I, 34f., „ein inzwischen berühmter, an dieser Stelle jedoch nicht unterzeichneter Text“, Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 54f.). Die Rede vom „letzten Kriege“, der die „Bruchreste“ hinterließ, taugt in Leben Fibels gerade zur Verwechslung zweier Kriege (Jean Paul, SW I.6, 535). Zur ablösenden Verschiebung (in) der Deixis vgl. Hegel: „Es wird das Jetzt gezeigt, dieses Jetzt. Jetzt; es hat schon aufgehört zu sein, indem es gezeigt wird; das Jetzt, das ist, ist ein anderes als das gezeigte, und wir sehen, daß Jetzt eben dies ist: indem es ist, schon nicht mehr zu sein.“ (Phänomenologie des Geistes, Werke Bd. 3, 88). „Hier […] wäre der Punkt; er ist aber nicht; sondern indem er gezeigt wird, zeigt sich das Aufzeigen“ „eine Bewegung“, ein „Anderssein“, eine „Vielheit“ im „Punkt“ (90 u. bez. des „jetzt“, 89); Szendy erläutert den Punkt durch dieses Zeigen, „punctiformity once it is pointed out“, „explodes“, „[is] shattering“ (Stigmatology, 60, 62, 9, 98, 104). Und Barthes: „Car si Jean-Louis sait parfaitement qu’il est et quel jour il écrit, son message, parvenu jusqu’à moi, est tout à fait incertain: quel lundi? quel Jean Louis ?“ „le shifter apparaît ainsi comme un moyen retors […] de rompre la communication: je parle […] mais je m’enveloppe dans la brume d’une situation énonciatrice qui vous est inconnue; je ménage dans mon discours des fuites d’interlocution (ne serait-ce pas, finalement, toujours ce qui se passe lorsque nous utilisons le shifter par excellence, le pronom ‚je‘?).“ (Roland Barthes par Roland Barthes, 168). Fenves, „Anecdote and Authority“, 162, 172; Neumann, „Die Verlobung in St. Domingo. Zum Problem literarischer Mimesis im Werk Heinrich von Kleists“, 114-17; ders.,

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Information zu geben scheint: „Ein franz. Courier, der vergangenen Donnerstag in Berlin angekommen, soll, dem Vernehmen nach, dem Gerücht, als ob die französischen Waffen in Portugal Nachtheile erlitten hätten, widersprochen, und im Gegentheil von Siegsnachrichten erzählt haben, die bei seinem Abgang aus Paris in dieser Stadt angekommen wären“;307 mitgeteilt ist vor allem deren Zukommen „nach der Struktur des Gerüchts“,308 das den Mitteilungsgehalt auch seiner Berichtigung dementiert. Wer spricht, wenn in den Abendblättern Gerüchte mitgeteilt, als ungegründete gekennzeichnet, berichtigt usw. werden? Wenn ein Text nicht auktorial rückrechenbar ist, verantwortet wird, gibt es keine Gewissheit darüber, wovon er spricht, ist kein Referent, und ist auch keine (vermeintlich) gewitzte Strategie des vermeintlichen Autors und dessen vermeintliche Intention (etwa im Umgang mit der Zensurbehörde) zu sichern.309 Die Abendblätter sind Medium der Erzeugung von Ungewissheiten „‚anekdoton‘, zur Konstruktion von Kleists historischer Novelle“; Fineman, „The History of the Anecdote“, insb. 57-62. 307 Berliner Abendblätter, 31. Bl., 5. Nov.  1810, BA I, 160; mitgeteilt sind Meldungen von Meldungen von Meldungen (161); mit: „Nichts ist ungegründeter, als das Gerücht, daß am 1sten bis 3ten eine allgemeine Schlacht Statt gefunden, in welcher Massena gefangen und 27000 Mann verlorenen haben soll.“ (ebd.), wird eben das Gerücht, das widerrufen wird, verbreitet. Unter dem Titel „Gerüchte“ (6. Bl., 6. Oct.  1810) geht es um die Mordbrennereien, von denen (oder vielmehr den umlaufenden Gerüchten) die ersten Abendblätter berichtet hatten: „Ein Schulmeister soll den originellen Vorschlag gemacht haben, den, wegen Mordbrennerei verhafteten Delinquenten Schwarz – der sich, nach einem andern im Publico coursierenden Gerücht, im Gefängniß erhenkt haben soll – zum besten der in Schönberg und Steglitz Abgebrannten, öffentlich für Geld sehen zu lassen.“ (BA I, 36). Der Herausgeber rechtfertigt die „Polizeilichen Notizen, welche in den Abendblättern erscheinen“, sie sollen nicht bloß „den natürlichen Wunsch, von den Tagesbegebenheiten authentisch unterrichtet zu werden, […] befriedigen. Der Zweck ist zugleich, die oft ganz entstellten Erzählungen über an sich gegründete Thatsachen und Ereignisse zu berichtigen“, bzw. „das Stadtgespräch zu berichtigen, welches aus einem solchen Brandbrief deren hundert macht“ (4. Oct. 1810, BA I, 24f.; zu den PolizeiNachrichten vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 27ff.). 308 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 160. Das trägt sich in die Texte ein, so in „Allerneuester Erziehungsplan“ (Bl. 25ff., Bl. 35f.) mit der in einer redaktionellen Fußnote vermerkten „Nachlässigkeit eines Boten“ (BA I, 177), womit „auf paradoxe Weise“ der „Status seiner Aussagen […] zur Disposition“ steht (Peters, 161-64). 309 Witz (Ironie, u.a.) will etwa Moering in den Berliner Abendblättern als Strategie gegenüber der Zensurbehörde und „engen Zensurvorschriften“ auffassen, die „Vorsicht und Heimlichkeit“ sowie „größtes Raffinement“ (z.B. in der Iffland-Fehde) geboten sein ließen, durch alle „Masken“, die Kleist nutze, das eigentlich Gemeinte, das „Ziel, das Kleist mit seiner Zeitung verfolgt“, festzustellen (Moering, Witz und Ironie, 200-16; zum Theaterskandal vgl. Zensurunterlagen, zusammengestellt von Barnert u.a., „Quellen zu Heinrich von Kleists ‚Berliner Abendblättern‘. Polizei – Theater – Zensur“, 258-65, 267-309, 313-18, 32328). Aber „zwischen uns und den Intentionen des Herausgebers [ist] ein dichtes Gewebe

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über Autor- und Herausgeberschaften,310 über die Instanz, die jeweils Mitteilung macht, zitiert, abschreibt, bearbeitet, umschreibt, kommentiert oder berichtigt.311 Indem Anekdoten (wie das üblich war) ‚reediert‘, den Abendblättern entnommen, den Autor-Werkausgaben eingefügt wurden,312 wurden die Medialität dieser Schriften, die Täglichkeit ihres Erscheinens und die Flüchtigkeit der (Nicht-)Gültigkeit ihrer Mitteilung vergessen-gemacht.313 Neben all den Zufällen und sonderbaren Begebenheiten, die die Abendblätter berichten, neben der Kontingenz (von Geschichte), die die Anekdote

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aus den politisch-gesellschaftlichen Rücksichten, Repressionen der Zensurinstanzen und unbekannten Details des regionalen Anspielungsbereichs auf[gespannt]“, so Peters, dessen „Verwirrspiel“ nicht zu „entwirren“ ist, sondern in unentscheidbare Komplexionen führt („Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 2-5; dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 126ff., 20ff., 24, 20-28, 34-38, 49-60). Das „aller Zensur zugrundeliegende allzu simple Kommunikationsmodell“ (166), ein „Tauschgeschäft der Souveränität“ (20), ist ausgesetzt, weil die Dissimulationen die Identifizierbarkeit der Manöver, Strategien und Intentionen uneinholbar verstellen (36ff., 126ff., 133ff., 157-79), „aussichtslos, von einem bestimmten Verhalten auf eine bestimmte Intention oder ein bestimmtes Ziel schließen zu wollen“ (165f., 172). Zur Strategie der Anonymität (und deren Enthüllung) von Autor- und der Herausgeberschaft, vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 49-56; Dierig, „Zu ‚Der Griffel Gottes‘“, 25f. u.a. Verschiedene (fiktive) Schreib-Instanzen dürfen sich an spezifischen Orten einlassen, z.B. mit angeblichen redaktionellen Fußnoten zu „Allerneuester Erziehungsplan“ (BA I, 177, 182). Der Herausgeber erklärt die „Duplik (auf Hrn Hitzigs Replik im letzten Stück der Berliner Zeitungen)“ (im Streit mit dem Verleger, 77. Bl. = das letzte des ersten Quartals, 31. Dec. 1810, gez. „Kunst-Industrie-Comptoir zu Berlin“) zu „Randglossen“, die sich doch im Blatt hinzufügen: „Erklärungen, wie die von ihm [Buchhändler J. E. Hitzig] im letzten Stück der Berliner Zeitungen erlassene, geben Stoff zu Randglossen, und kosten ja eben das Geld, um dessen Ersparniß es ihm, bei jener Massregel [Abbruch der Lieferung „bei dem 72sten Stück“], zu thun war“ (BA I, 384). Der Rand der Seite, Ort von Kommentar und Glosse, ist demnach zu bezahlender Seiten-Raum (vgl. B. Menke, „Text-Oberfläche“, 130-38; vgl. Kap. IV.2). Vgl. Fenves, „Anecdote and Authority“, 152f. Gegen diese Praktik der traditionellen Kleist-Ausgaben, die Beiträge der Berliner Abendblätter nach Autorschaften, nach zugeschriebener Bearbeitung durch Kleist, wie auch nach Textgattungen oder Gebrauchstexten in Werkausgaben ein- bzw. auszusortieren, vgl. Reuß, „Geflügelte Worte“, 3-6; Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 30f., 33f., 162ff. Reuß allerdings postuliert Kleists Autorschaft für die Berliner Abendblätter als „eines, ein Werk“, „das Tagwerk von Kleists Händen, Produkt von auktorialer Intuition und Redaktion, Originalität und Rezeptivität zugleich“ (Reuß, „Geflügelte Worte“, 9, vgl. 6f.; Dierig, „Zu ‚Der Griffel Gottes‘“, 25f., 28; dgg. Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 143ff.; dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 30f., 34). Auch die „vollständige Überlieferung“ der Abendblätter, ihre Archivierung durch die Brüder Grimm (statt Heringe in sie einzuwickeln) beruht auf dem Diskurs von Autor und Werk (vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 30).

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gegen die autoritative Geschichtsschreibung bezeugt,314 indem sie deren Schemata innerer Kohärenz wie das des Kunstwerks als Bewältigung oder Ausschluss des Zufalls durch die Notwendigkeit der Form aussetzt,315 müssen die Kontingenzen in den Blick kommen, die die Herausgabe der Abendblätter zu einem unauflösbaren ‚Gemenge‘ aus Planung und Zufällen bestimmen, die sich „einer Vielzahl singulärer und kollektiver, nicht vorausberechenbarer Agenturen zur Verfügung stellt“,316 zu denen neben Beiträgern und Verlegern die Zensur, Übertragungsmedien und -Instanzen, die Nachrichten unabsehbar verspäten mögen, usw. gehören. Ihr vielfaches Operieren mit den täglichen Bedingungen und Zu-Fällen, das nicht (nur) Kontingenz signifikant macht, sondern diese umgekehrt als ‚Kontingenz der Signifikanz‘ zur Geltung bringt,317 macht die Berliner Abendblätter, so Peters, zum „Experiment mit der Zurechenbarkeit selbst“.318 Diese ist der Zeit ausgesetzt, da allein nach314 Anecdote „lets history happen“, indem sie die Zeitlosigkeit der abgeschlossenen Erzählfolge stört: „produces the occurence of contingency“ (Fineman, „The History of the Anecdote“, 61). 315 Aristoteles’ Unterscheidung von Geschichtsschreibung und Dichtung (Poetik, 9. Buch) wird erwidert, indem etwa Kleists „Unwahrscheinliche Wahrhaftigkeiten“ der „Ästhe­ tisierung von Geschichte“ widerstreitet (vgl. Hamacher, „Über einige Unterschiede zwischen der Geschichte literarischer und der Geschichte phänomenaler Ereignisse“; Jacobs, „The Style of Kleist“), die „verleugnete Kontingenz“ literarisch artikuliert wird, Kleists „Anekdote“ das „Kausalschema[] von Ursache und Wirkung, die Entsprechung von Ereignis und Bedeutung“ zerbrechen lasse (Schuller, „Anekdote“, 7ff., 6f., 2ff.; vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 44, 59, 62-65). In der „Immanenz des Kunstwerks“ sollten Zufall und Form in der sog. ‚lebendigen Gestalt‘, Kontingenz und Signifikanz koinzidieren (Peters, 44f., 59, 62, 65f.). 316 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 40; vgl. 20-28, 40-48, 60-67; die Strategien oder Manöver der Abendblätter sind vom Zufall nicht ablösbar (126ff.); es sind solche „mit der Zeit“, mit Kontingenz (44f., 47f.; dies., „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 11-16, 19f.). Die Spezifik dieser „Zeitlichkeit“ ist als Aussetzen der ‚Einheit von Tat und Täter‘, aber nicht durch die Unterscheidung „von Sprechakten im engeren Sinne“ (40), die als ‚mündliche‘ auf Selbst-Präsenz der Intention festgelegt seien (vgl. 37ff.) auszumachen. Vielmehr macht die Entzogenheit des ‚Autors‘ den ‚schriftlichen‘ Charakter aller Sprechakte aus (so Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 332-37); ihr ‚Täter‘ ist metaleptischer Effekt der ‚Tat‘ (act) (so de Man, Butler). 317 Dafür stellt „Der Griffel Gottes“ mit dem Blitzschlag das Emblem des Ereignisses (vgl. Neumann, Schuller, u.a., Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 63f., 33, 57). Wäre demnach „alles Mögliche so [zu] lesen, als wäre es eine verschlüsselte Botschaft“ (157), so ist das ebenso gut wie nichts als solche lesen zu können (167): „So fraglich wie die Bedeutsamkeit ist auch die Bedeutungslosigkeit.“ (59). 318 Das Performativ des Experiments zeige sich „auf der Rückseite“, im „Scheitern[] jeder in der Repräsentation beherrschbar gewordenen Strategie der Performanz“ (Peters, „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 12); zum aporetischen Bezug von Ereignis und performative, das performative als Exzess des Äußerung-Ereignisses über das Geäußerte,

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träglich (im metaleptischen Effekt) etabliert worden sein wird, wer als (und ob überhaupt) ein Herr über deren Bedeutungen und strategische Züge aufgefasst werden mag.319 Das Operieren mit der Zeit macht die Abendblätter als solche aus, insofern ihr „Programm“ „vor allem die Frequenz ihres Erscheinens“ war.320 Unterliegen sie zufolge dieses Programms der Täglichkeit ihres Erscheinens jeweiligen kontingenten (Redaktions-)Schlüssen,321 so verflüchtigen sie sich durch diese jeweils selbst – ohne (gültigen) Abschluss. Die Abendblätter wurden irgendwann eingestellt, aber zu keiner Einheit abgeschlossen, sind ephemeres Medium der Verflüchtigung, das alle Geschlossenheit und Ganzheit je noch aufschiebt und schon wieder suspendiert.322 „Anekdote aus dem letzten Kriege“ ist intertextuell konstituiert als Umschrift fortgeschriebener Vorlagen wie Vorlage zu tatsächlichen (oder möglichen) Fortschreibungen,323 lesbar in unabschließbaren zitationellen Verwie­senheiten anderswo-hin,324 jenes (nicht geschlossenen) ‚Netzes der Verwei­sungen‘, das sich verzweigt, verdichtet und wieder auflöst, zwischen den zu den Abendblättern zusammengesetzten Texten aller Art – und darüber hinaus.325 In solchen Bezügen auf mögliche Parallel- und Gegenstücke in der heterogenen beweglichen Konstellation der Berliner Abendblätter mögen vgl. Derrida, Felman, s.o.. Vgl. Peters, „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 141-147, 154f.; dies., Kleist und der Gebrauch der Zeit, 48-60, 57f., 52ff., 68-88, 24. 319 So Butler, nach de Man; nachträglich kann „der Autor eines Textes als Meister der verschiedenen Manöver erscheinen“ (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 151ff., 143); aber Ziele und Intentionen eines Sprechers, der angeblich über diese souverän verfüge, einerseits Effekt nachträglicher Zuschreibungen, werden andererseits suspendiert (15779). Kleist ist nicht der „Performance Künstler des Zeitungs-Projekts“ (dies., „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 12). 320 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 156. 321 Der Redaktionsschluss ist Inbegriff der Kontingenz der Steuerung von – und des Signifikant-Werdens von Kontingenz, als „ihrerseits kontingente Verbindung von geplantem und kontingentem Geschehen qua Unterbrechung“ (Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 65f., vgl. 62). 322 Dies wird mit jenem Kalender erzählt, den „wir uns, ich und mein Hausherr, eigenhändig [schreiben], wie Mitglieder der Berliner Akademie – aber mit Kreide und an die Stubentüre; jede Woche geben wir ein Heft […] von unserem Almanach und wischen die Vergangenheit aus.“ (Jean Paul, Unsichtbare Loge, SW I, 227). 323 Zur Kapuziner-Anekdote (30. Nov. 1810, 209; BA I, 275) können Vorlage und ihre „weitgehend wörtliche Übernahme“ anderweitig (1811) benannt werden (Sembdner, nach Moering, Witz und Ironie, 129). 324 Reuß, Bemerkungen „Zu dieser Ausgabe“, KBA II/8, 384-92, ders., „Geflügelte Worte“, 3-9; Schuller, „Anekdote“, 6, vgl. 1-6; Peters, „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 2ff. 325 Vgl. Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 107; daher unterläuft die Komplexität der Abendblätter selbst die „Differenz zwischen Textimmanenz einerseits und Publikationskontext andererseits“ (164), die das Konzept des Werks voraussetzt (41, 34, 30f., 48).

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Themen ausgemacht werden wie: (In-)Schriften in beweglicher Zerteilbarkeit, die theatrale Darstellung und ihre Grenzen (als Anweisungen für Überschreitungen), akustische Phänomene zwischen Botschaft und Phatik des Schalls.326 Aber stets noch und schon wieder auf zirkulierende andere Schriften, auf zukünftige oder schon verwehte Blätter potentiell verwiesen ist kein Thema oder Motiv es selbst, jedes (latent) verweisend (in sich, gegen sich) verschoben, an unabsehbare Zukünfte ausgesetzt. Dass alle Kontiguitäten signifikant werden mögen,327 ohne im Sinne einer intentional oder auktorial zurückrechenbaren ‚Strategie‘ gesichert und damit beschränkt zu werden,328 belegt die Kontingenz der sinn-konstitutiven Bezüge; jede Lektüre macht die ‚Erfahrung‘ (der Ungewissheit) des Zufalls, die der des Anagramme suchen­ den Saussure entspräche, dem „Welle um Welle“ von signifikanten Befunden begegnete.329 Jede vermeintlich identifizierbare Strategie erweist sich als ein stets weiter, anderswohin verweisender Entzug der autorisierenden Instanz der Äußerungen ins Dunkel der Zeiten, der unbestimmten Tiefe der Bezugs-Räume. Die Abendblätter sind in ihrer heterogenen Fügung kein geschlossener, durch eine Rahmung ausschließend beschränkter Text;330 die virtuellen Bezüge und Ausgriffe anderswohin gehen überallhin, auch in ungewisse Zukünfte. Die Grenzen zwischen innen und außen, dazugehörig und 326 So etwa neben „Der Griffel Gottes“ (5. Bl., 5. Oct. 1810), „Theater. Ueber Darstellbarkeit auf der Bühne“ (18. Bl., 20. Oct. 1810), „Anekdote“ vom Trostwort des Kapuziners an den Hinzurichtenden (53. Bl., 30. Nov. 1810), „Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“ (6. Bl., 6. Oct. 1810) u.a. auch: „Über die in Östreich erschienene neue Censurverordnung“ (77. Bl., 31. Dec. 1810), „Der verlegene Magistrat“ (4. Bl., 4. Oct. 1810, BA I, 22), die Geschichte eines anderen Deserteurs, gleichfalls ein Tambour (in den Tagesbegebenheit desselben Blatts), u. Akustisches: neben „Der Branntweinsäufer und die Berliner Glocken (Eine Anekdote)“ (17. Bl., 19. Oct. 1810, BA I, 69f.), die aus der „optisch wirkende[n] Versuchung“ der Vorlage eine akustische machte (KSW II, 912; vgl. Breithaupt, „Kleists Anekdoten und die Möglichkeit von Geschichte“, 337), etwa auch: „Das Bettelweib zu Locarno“ (10. Bl., 11. Oct. 1810, BA I, 51-54). 327 Wenn „die Intertextualitäten innerhalb der Zeitung eine Konstellation erzeugen“, die „nicht nur zufällig zu sein scheint“ (Peters, „Die ‚Berliner Abendblätter‘ als Agencement“, 19). 328 So wäre nicht nur, thematisch orientiert, der „Anekdote aus dem letzten Kriege“ voranstehende Artikel „Über Darstellbarkeit auf der Bühne“, sondern etwa auch die auf sie folgende Notiz mitzulesen: „Warum werden die Abendblätter nicht auch Sonntags ausgeliefert?“ (Fouqué zugeschrieben, BA I, 96), zu den Bedingungen der Zeitung selbst. 329 Starobinski, Wörter unter Wörtern, 126f. 330 Aus vorangegangenen Arbeiten „abgefallene ‚Schnipsel‘“ wie auch aus dem frühzeitig in der Absicht, sich ‚für das schriftstellerische Fach‘ zu bilden, auch von Kleist angelegten „Ideenmagazin“ kehren „später als Gedanken Bilder und Paradoxien in den ‚Berliner Abendblättern‘ wieder“ (Moering, Witz und Ironie, 103f., 70-73; Tscholl, Krumme Geschäfte, 106ff., 113ff.).

Löcher und Exzesse

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nicht dazugehörend, sind nicht gegeben, da jede Rahmung dieser Blätter (und werde sie als auktoriale angenommen) sich „Tag für Tag“ verschiebt,331 für jedes Blatt aussteht und mit jedem folgenden suspendiert ist. Die Abendblätter verweigern je und zerstreuen im Modus des Verfliegens (schon wieder) und des Aufschubs (je noch) die endgültige (stets nachträgliche) Etablierung einer Instanz der Ganzheit (vulgo ‚Autor‘ dessen, was ein ‚Werk‘ heißen könnte) und jene Rahmung, die entschiede, was dazu gehört und was nicht, was ‚von Bedeutung ist und was nicht‘, was innen und außen ist, was Form ist oder bloßer Zufall. Medium des Weiter-‚Erzählt‘werdens der Anekdote um 1800 ist die Schrift, sind die schriftlichen Deplatzierungen in Zeitschriften, Sammlungen usw. Ihr Fortgeschriebensein überantwortet sie dem flügelnd zitierten Weitergetragenwerden auf- und mit den Blättern, in der Zeitlichkeit der Zeitungen332 – der Flüchtigkeit der Schrift: Lacan hat gegen das bekannte sprichwörtliche Bleiben der Schriftstücke eingewendet, dass „dies viel eher vom Sprechen gilt“, während Schriften, „fliegende Blätter“: feuilles volantes, in „einer wildgewordenen Wechselreiterei in den Wind“ geschrieben sind.333 Äußerungen sind schriftlich zitierbar und zitiert von ihrem ‚Ursprung‘ abgelöst, weiter- und wiedergeschrieben, ‚geflügelt‘ keinem Mund und keinem Gesicht zurechenbar, ‚wechselnd‘ weitergetragen in Abwesenheit dessen, der

331 Peters, Kleist und der Gebrauch der Zeit, 59; vgl. dies., „Von der Klugheitslehre des Medialen“, 143-47, 158ff. 332 Es gibt barocke Redeweisen von der Zeitung, die u.a. im Einblattdruck kam, als geflügelter Fama. Es handelte sich um lose Blätter, wie sie auch Kohlhaas nutzt, um ohne Autorisierung, an den Behörden vorbei, ohne bestimmte Adresse sein „Mandat“ „durch Reisende und Fremde, in der Gegend aus[zu streuen]“; ein anderes verbreitet er, indem er „wieder und wieder“ „an“„klebte“ und „plackte“, so dass es ihm „Zulauf in Menge verschaffte“ (Kleist, „Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik“, KSW II, 34ff.). 333 Lacan, „Das Seminar über E. A. Poes ‚Der entwendete Brief‘“, 25f.; gegen scripta manent: „[l]es écrits emportent au vent“; „s’ils n’étaient feuilles volantes, il n’y aurait pas de lettres volant“, keine ‚entwendeten Briefe‘ (Lacan, „Le séminaire sur ‚La Lettre volée‘“, 37). Mit „vox manet“ bestimmt Ovid das Echo der Echo (Metamorphosen III, v. 398): ein Bleiben durch wiederholende verandernde Übertragung (andernorts) (vgl. B. Menke, „Rhetorik der Echo“). „Die kumäische Sibylle schrieb ihre Weissagungen auf einzelne Blätter, die der Wind zerstreuen konnte. – “, exzerpierte Jean Paul (Exzerpt I-1782-62, dok. in Will, „Schreiben Abzeichnen Eingraben“, 3). Jean Paul kennzeichnet so sein Schreiben/Lesen: „wie sehr der Verfasser dieses in philosophischen Werken alle Blätter zu fliegenden macht“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 178). In Leben Fibels werden „fliegende Blätter fiblischen Lebens“ eingesammelt: „Fidibus, […] Stuhlkappen, Papier-Drachen und andere“ (SW I.6, 374ff., 425), lose Blätter jenseits der Bucheinheit (vgl. Kap. III.2).

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Punktuationen, Einfälle der Schrift

sie verantworte, fliegend wie Blätter, die der Abend-Blätter334 als fliegende Blätter. Nicht-menschenähnlich ist nicht nur der „ungeheuerste Witz“, sondern auch der Text, der den Anthropomorphismus des Gesichts als Figur für seine Verstehbarkeit perforiert. Der Nichtgesichtigkeit der Witzäußerung, die die typo-graphische Aufführung des Mediums als Zerleg- und Substituierbarkeit, als bewegliche Anordnung vorstellt, entspricht, dass des Textes Weiter- und Wieder-, Um- und Hinzu-Schreibende, Kommentatoren oder Redakteure nicht (nachträglich: rückwirkend) als Autor etabliert sind. Es ist die Nichtgesichtigkeit des Mediums, in dem die „Anekdote“ zu lesen war, Blätter, die allein im VerFliegen: im Wiederlesen, als andere ‚bleiben‘, die (ver-)fliegen, einander ablösen, ohne – auktorial, werkhaft – gebunden zu werden. Die Punktierung führt in „Anekdote aus dem letzten Kriege“ die typographische Organisation als der Pointen metonymische Streuung aus, als Skandierung in stummer Aufführung, so dass die Schrift in ihrer phatischen Dimension in den Marken eines schriftlich-stummen Nach- und Ver‚hallens‘ mit dem unfigurierten sinnfernen Geräusch sich berührt, mit dem Geräusch, als das ihr Medium,335 der rumor336 oder die Blätter vernehmbar würde(n).337 Wie der Text von Schrift-Resten heimgesucht wird, die dem Lesen als Zufall zustoßen, so ist er mit der Schrift fliegend flüchtiger, zitationeller Abgelösheit (von jeder ‚Quelle‘) den Zufällen möglichen zukünftigen Lesens ausgesetzt. IV.2

– Gedankenstriche – dashes – Digressionen und Hopsereien. Über Abstände und Ver-Stellungen: Mosaike und Anagramme (Jean Paul, Sterne)

Da den Witz bzw. dessen Glücken die Stellung mache, wie auch Freud noch von Jean Paul bezieht: „so (sehr) sieget die bloße Stellung“,338 ist er nicht in 334 „‚[E]vening leaves‘“, akzentuiert Fenves, „Anecdote and Authority“, 172f. 335 Vgl. dafür Serres, Der Parasit; vgl. Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 339f. 336 Das ‚Haus‘ des Gerüchts, der Fama beschrieb Ovid: „[E]in jeder Laut dringt hin zum Hohl seiner Ohren./ […] tausend Zugänge gab sie dem Haus und unzählige Luken,/ […]; bei Nacht und bei Tage/ steht es offen, […] und das Ganze/ tönt, gibt wieder die Stimmen und, was es hört, wiederholt es./ Es ist […] leiser Stimmen Gemurmel,/ wie von den Wogen des Meeres, wenn einer sie hört aus der Ferne […]“ (Metamorphosen, XII, vs. 39-51). 337 „[I]narticulate noises“, „widely circulating rumor“ teilen „the pages of the Berliner Abendblätter “ mit, „as if these regularly appearing, rustling ‚evening leaves‘ were a place of refuge for the purely sonorous“ (Fenves, „Anecdote and Authority“, 162, 166f., 172f.). 338 Freud, Der Witz, 21.

striche – Abstände

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Semantik zurückzunehmen. Sein ‚Sieg‘ durch die „Stellung“ impliziert die Verstellbarkeit, die Iterierbarkeit der sprachlichen ‚Elemente‘, die diese von und in sich verschiebt. Er ist Effekt von Anagrammatik, mit der der Witz auf den ‚Grund‘ der Schrift geht, die die Sprache asyndetisch ausspielt. Die genuine Abständigkeit in „s-c-h-r-i-f-t“, wie Wellbery notiert, schreiben Striche an, die als Trenn- und Bindestriche fungieren mögen, die schriftlich die Schrift als das markieren, was den „Schauplatz der Bedeutung auseinandergerissen hat“.339 Der „asyndetischen Leistung“ der Schrift für die Sprache geben Texte Raum, indem sie, mit Campe, eine „Szene der Schrift“:340 auseinandergesprengt im Raume, stellen. Jean Pauls Schreiben widmet sich der ‚Erzeugung von Abständen‘, der in „permanent digression[s]“, so Alice Kuzniar, „increased difference“ zwischen Signifikanten und Signifikaten.341 Dafür ist der im Deutschen Gedankenstrich geheißene Quer-Strich bei Jean Paul im vielfachen Einsatz, dessen Möglichkeiten er auch thematisiert.342 Striche sind Operatoren, die Zwischenräume einlassen und sperren, die den Text streuen und, ihn aus vermeintlicher Linearität heraussetzend, in die Perspektive latenter anderer Verbindungen rücken. Striche wie Punkte haben nicht nur – als Unterscheidungs- oder Inter­ punktionszeichen – grammatische Funktion, der zufolge sie in der Sinnbildung des Satzes aufgehen sollten,343 sondern sie sind graphisch manifeste schriftliche Interventionen in die Folge der Buchstaben. Als Operatoren haben sie an der spatialen Ordnung des Textes und deren Geschichte teil. Derrida spricht von „nicht-phonetischen Funktionen“ der alphabetischen Schrift: Die nicht-phonetischen Funktionen, die – wenn man so sagen kann – operativen Pausen der alphabetischen Schrift, sind keine bloß faktischen Akzidenzien oder Abfallprodukte, die zu reduzieren Hoffnung bestünde (Interpunktion, Ziffer, Verräumlichung).344

339 340 341 342

Wellbery, „Die Äußerlichkeit der Schrift“, 337f., 345; vgl. Jean Paul SW I.6, 430 s.u. Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“ (2012), 281. Kuzniar, „Titanism and Narcissism“, 448, vgl. 456. Vgl. Jean Paul SW II.1, 424; I.1 (Motto), 8; I.6, 430; II.1, 480, 488; II.1, 1002; II.2, 220ff.; II.3, 936. 343 Damit würde „vorab“ entschieden, dass diese „Interpungierungen von Sinnsystemen darstellen“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 24); Rinas’ Theorie der Punkte und Striche aber ist eine „Geschichte der deutschen Interpunktionslehre“, deren Status ungeklärt ist, die aber der Syntax angebunden wird (19-34, 265ff, 335, 363-68). 344 Derrida, „Der Schacht und die Pyramide“, 108; vgl. „Die différance“ (1999), 33, wie auch in Grammatologie.

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Punktuationen, Einfälle der Schrift

Zwar sollten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts „gewisse andere willkürliche Zeichen“, die es „außer den Buchstaben, als den Zeichen der vernehmlichen Töne des Mundes“, „in der Schrift“ noch gibt, dem Verlauten, dem „Gesetz der Aussprache“ unterstellt werden,345 es handelt sich aber um Marken, die „der Strukturierung schriftlicher Entitäten ‚selbst‘“ dienen,346 die sich auf die Schriftlichkeit beziehen und den Text als „graphisch realisierte“, „sichtbare Sprache, die Aussprechbares enthält, aber selbst […] unsagbar ist“, ausweisen.347 „Am Gedankenstrich versagt […] die Stimme“, wird „die Schriftlichkeit der Schrift selbst lesbar“, so Joseph Vogl.348 Der Strich/Streich bezieht das Geschriebene, so auch Jean Paul, (auch) auf das (materiale) Papier.349 Diese Marken geben mit „Pausen“ Schalt- und Ungewissheitsstellen, zwischen grammatischen und rhetorischen Funktionen, zwischen Instanzen des Textes, zwischen Bild und Schrift, ikonischen und asignifikativen Zeichen, Innen und Außen der Texte, Semantik und Somatik, zwischen Semiotizität und Materialitat von Marken. Der Punkt, die Ritzung, der Strich macht und markiert als ‚ursprüngliche‘ Scheidung den Anfang der Sprache (als Schrift).350 Graphische Marken vor und neben dem alphabetischen Zeichensatz, der der phoné (nur) zu unterstehen scheint, sind Operatoren in Bezug auf die Anordnung der Schrift. Punktierungen der Buchstabenabfolge, die Abstände zwischen Worten einräumen und separierend diese als vermeintliche Einheiten erst schaffen, Spatien an deren Stelle,351 Zeilenbrüche, Abstände, Zwischenräume aller Art, 345 Adelung, Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, 360; seitdem sei deren „Definition“, die sie „von der Artikulation der Stimme und die Artikulation der Stimme wiederum teils von der Artikulation des Sinns teils von der Artikulation der Seele […] ableitet“, herrschend (Siegert, […] Auslassungspunkte, 7f.); vgl. Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 170, 245, gegenw. Linguistik, 34ff., 44f.). 346 Bredel, Interpunktion, 8, zum Status  7-14; Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 19, 33, 43f., zum Status 335 u.ö.. 347 Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 98f.; vgl. Derrida, „This is not an oral footnote“, 193-96. Zum graphischen Charakter vgl. Parkes, Pause and Effect, 23ff., 21-25; Twyman, „Articulating Graphic Language“, 190-210. 348 Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 277, vgl. 275; „Gedankenstriche“ gehören zu den ‚Interpunktionszeichen‘, die vorrangig schriftlich (so auch Bredels linguistische Untersuchung Interpunktion, 7-14), graphisch (Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 197) bzw. „typographisch“ (Wehde, Typographische Kultur, 100) fungieren. 349 Vgl. Jean Paul SW II.1, 424, im Folgenden. 350 So (bekanntlich) Derrida, der die Sprache vom graphein her denkt (Grammatologie, 81, 109, 123, 149). 351 „La première ponctuation est une ponctuation des mots, qu’il faudrait appeler exponctuation plutôt que ponctuation.“ (Catach, „Rétour aux sources“, 36; vgl. Lepape, „Pour une poignée de virgules“, 6; Parkes, Scribes, Scripts and Readers, 5; Saenger, Space

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lösen die Schrift aus der vermeintlichen Kontinuität der Linie, die die Zeit des Sprechens (nur) abzubilden scheint, organisieren sie unterbrechend und wendend, in und auf sich selbst faltend, als spatiale Anordnung.352 Eine „Art unsichtbarer Punktierung“, „die selber nur in Ausnahmefällen erscheint“, so Siegert, „räumt“ „den Textraum überhaupt erst ein“.353 Das ‚zunehmende Eindringen der Schrift in das semiotische System der Sprache‘,354 ist umgekehrt als „asyndetische Leistung“ der Schrift auszumachen.355 Als „technische“ oder kritische Zeichen beginnt der Gebrauch der Striche, Punkte, Asteriske, „die zwischen dem 4. und dem 2. Jh. v.  Chr. von den Konservatoren der Bibliothek in Alexandria erfunden wurden, um die Korrektheit einer Kopie zu verifizieren“,356 Spuren des Einsatzes der Philologie und Einlassungen, die das Seitenlayout des Textes geschaffen haben. Sie sind Operatoren, „Zeichen, […] deren Signifikate keine eidetischen Bedeutungen sind, sondern durch die Performanz von Leseoperationen gebildet werden“,357 durch solche Zeichen wird aber das Lesen keineswegs (nur) beschleunigt, wie es auch heißt, sondern auch auf dem Schauplatz seiner sichtbaren Organisiertheit festgehalten. Das Schriftbild gehe ‚ins Gelesene ein als dessen Figur‘, formulierte Walter Benjamin.358 Durch die Neuorganisation der Seite um 1200359 und des Buches wird Lesen zur Handhabung einer räumlichen Organisation, zum (will- und unwillkürlichen) Zugriff auf Stellen, im between Words, 26-33; Siegert, […] Auslassungspunkte, 9ff.; Bredel, Interpunktion, 13). Auch Gottsched führte die „orthographischen Unterscheidungszeichen“ auf den Punkt zurück, den „die Römer zwischen alle Wörter“ machten, „um sich dadurch das Lesen zu erleichtern“; „mit der Zeit sah man, daß es so vieler Puncte nicht einmal bedörfte: indem man nur zwischen jedem Worte den Raum eines Buchstaben leer lassen dorfte“ (Vollständigere und neuerläuterte Deutsche Sprachkunst, 139). 352 Für die Organisation der Schrift von der scriptio continua zum spatialisierten Text in der Zeile (mit Zeilenbruch) und auf der Seite, vgl. Parkes, Pause and Effect, 9ff., 21-29; ders., Scribes, Scripts and Readers, 1-18, 35-69; Saenger, Space between Words, 26-36; Illich, Im Weinberg des Textes, 66, 84, 85-96, 99-120 (insb. 113-16), 121-29; Raible, Die Semiotik der Textgestalt, 6-15, 23f., 37-40; Kuchenbuch, Alteuropäische Schriftlichkeit; Lennard, But I Digress, 2-7; Bredel, Interpunktion, 11ff.; Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 39-43. 353 Siegert, […] Auslassungspunkte, 8, vgl. 8f., 24. 354 So, aus linguistischer Perspektive, Bredel, Interpunktion, 59, u.a. bez. Anführungszeichen und Klammern, 61ff. 355 Campe, „Die Schreibszene, Schreiben“ (2012), 281. 356 Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 42, 27f.; Siegert, […] Auslassungspunkte, 9, nach Catach, „Rétour aux sources“, 33-36. 357 Siegert, […] Auslassungspunkte, 7. 358 Vgl. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, GS I, 388. 359 Illich, Im Weinberg des Textes, 66, 84, 93f.; vgl. Raible, Zur Entwicklung von AlphabetschriftSystemen, 7f., 25-32.

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Bezug auf einen Raum der Schrift, der von den Rändern her organisiert wird.360 Hans-Georg Gadamer hat jedes Hervortreten von Satzzeichen wie auch die Aufmerksamkeit für solche Ereignisse der Schriftlichkeit verworfen, da diese „nicht zur Substanz des dichterischen Wortes gehören“, dieser, als Zusammenspiel von „Klang und Sinn“, vielmehr bloß äußerlich, „vom Sinn ausgeschlossen“ seien.361 Vorhaben, umgekehrt die Interpunktion (wie im ausgehenden 18. Jahrhundert auch die rhetorischen Figuren) hermeneutisch als Teil der Stilistik aufzufassen,362 reduzieren die Indizes der Schrift auf die Spur des Subjekts und unterstellen sie der Kategorie des Sinns. In der Perspektive der Hermeneutik gehören Interpunktionszeichen, so Siegerts Diagnose, ins „Feld des Nichteigenständigen, des Supplementären, des Parasitären; und das Nichteigenständige, Nichtsubstanzielle, Parasitäre, in den Rang eines eigenständigen Phänomens zu erheben, erscheint […] abwegig“.363 Als ein Zufälliges und Äußerliches müssen sie sich integrieren und vergessen lassen oder wären als (bloßer) Un-Sinn ausgeschlossen. Statt sie aber syntaktisch oder semantisch zu inkludieren, hermeneutisch zu exkludieren oder ‚stilistisch‘ zu reduzieren, sollen sie hier als irreduzible Schriftspuren und -Reste, in ihrem oder als Unsinn mit Effekten hervortreten dürfen. Zu den Beispielfällen der (wie es heißt) verfehlt Aufmerksamkeit bean­ spruchenden Interpunktionen, die allenfalls als Scherze gelten dürfen,364 gehören (notorisch) die Laurence Sternes, der dieser „the role of an unpredictable 360 Vgl. Parkes, „The Influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio on the Development of the Book“; Raible, Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen, 27, 25-33; ders., Semiotik der Textgestalt, 5f.; Illich, Im Weinberg des Textes, 99-120, insb. 102; Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 42, 63f., 73ff. Daran haben „neue Verweisungs- und Erschließungsmittel“ des Buches teil (vgl. Illich, 103), wie auch Glossen oder Kommentare, mit denen auf der Seite eine neue Ordnung (vgl. 104ff.), eine „Typographie für selektionierendes Lesen“ entsteht (Kipf, „‚Pluto ist als vil als Lucifer‘“, 39; vgl. Neuber, „Topik als Lektüremodell“, 178, 186-89, 191ff.). 361 Gadamer, „Poesie und Interpunktion“, 144f. (in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, 283; bzw. in: Garbe (Hg.), Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 244f.); vgl. Stenzel, Zeichensetzung, 16. 362 So macht mit einer „Stiluntersuchung“ bez. der durch Unterscheidung von der Konvention der Interpunktion vermeintlich bestimmten individuellen Stilisierung Stenzel den „Versuch einer Hermeneutik der Satzzeichen“ (Zeichensetzung, 7ff.; dem folgen Nebrig/Spoerhase, „Für eine Stilistik der Interpunktion“, 14f. 17-23, 29f. 363 Siegert, […] Auslassungspunkte, 8, vgl. 36f. 364 Vgl. etwa Rönneper (Hg.), Gedankenstrich. Gedichte – Bilder – Essays; Riha, „Gedanken zum Gedankenstrich“; Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 42-46. Jean Pauls Romancharaktere mit solchen Prioritäten heißen ‚närrisch, kauzig, skuril‘ (Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 13).

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prima donna and not a humble handmaiden“ gebe (eine Metaphorik, die Jean Paul für den Witz in der männlichen Version des Dieners gebraucht), so dass „the strain – between eye and ear“, „a direct correlation between the physical facts of language (pauses, breaks, tone) and their spatial representation, and between this and meaning“ gelöst werde.365 – Eingelassen in die Kette der Buchstaben, die als syntaktische Ordnung vorrangig die des Gemeinten stellen soll, unterbrechend und derart spatialisierend, sind sie dem Sinn, der an die Verlautung der Stimme gebunden wurde, als „operative Pausen“ (Derrida) fremd. Die graphischen Einlassungen – in The Life and Opinions of Tristram Shandy (1760-1766) vor allem dashes und Asteriske – verräumlichen unterbrechend: unlesbar, die Schrift und referieren sichtbar gestreut und streuend auf den Textraum, der als Raum allen Sinn, der in ihm gemacht werden mag, in Zweifel zieht.366 Punkte, Striche, Asteriske haben sichtbar Teil an der graphischen Artikulation des Textes in seiner Schriftlichkeit; als Indizes der Schrift367 beziehen sie den Text sichtbar als spatiale Anordnung aufs Papier – als seinen Grund, Ungrund und Hintergrund. Die „operativen Pausen der alphabetischen Schrift“ (Derrida) nicht zu überlesen, sie nicht der Sinnkonstitution, an der diese auch teilhaben, zu unterwerfen, gehört zum Blick auf die Texte von ihren Rändern her, äußeren und inneren: Marginalien, Supplementen, Resten. Denn das vermeintlich am Rande sich Hinzufügende oder Ablagernde hat erst hervorgebracht, was einen Text und was diesen (vermeintlich) im Innern, von innen ausmacht. Die vermeintlich zum Text hinzutretenden Glossen (glossae), denen auf der pagina Platz eingeräumt wird, haben den textus erst erzeugt:368 er wird (erst) durch seine parerga, als glossierter, nachträglich zum ‚ursprünglich‘ abgeschlossen 365 Moss, „Sterne’s Punctuation“, 184, zur „odd punctuation“ Sternes, zu deren Schriftlichkeit vgl. 179-83; vgl. Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 276f.; dgg. wollen andere sich deren „sinnkonstituierende[r]“ Funktion (Nink, Literatur und Typographie, 52, 68, 76-81, 82-116) oder ihrer auktorialen „Komposition“ versichern (vgl. Schulze, „Do you know the meaning of ****?“). 366 Moss, „Sterne’s Punctuation“, 185; vgl. 191-94; zu den „dashes“ in diesem ‚Raum‘, 199; zu Auslassungszeichen in Tristram Shandy vgl. Wellbery, „Der Zufall der Geburt. Sternes Poetik der Kontingenz“, 313; vgl. Kap. I.5, III.1. 367 Sie haben (mit den Begriffen Jakobsons) phatische Funktion, als Bezug auf den ‚Kanal‘ oder das Medium; vgl. Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 277; Matala de Mazza, „Asterisk und Oberbeistrichlein“, 191. 368 Vgl. Kuchenbuch/Kleine, „‚Textus‘ im Mittelalter“, 417-21, 442ff., 452f.; im gleichnamigen Band: M. Schumacher, „… der kann den texst und och die gloß“, 207-27; Hüpper, „Wort und Begriff Text in der mittelalterlichen deutschen Rechtsüberlieferung“, 236-50; Teuscher, „Notiz, Weisung, Glosse“, 275; Meier, „Konkretisierung und Symbolisierung des Textes im Bild“, 361. Zu Phänomenen der frühen Druckgeschichte vgl. Kipf, „‚Pluto ist als vil als Lucifer‘“, 39; Kuchenbuch, „Die Achtung vor dem alten Buch“, 181-87.

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vorausliegenden geworden sein, der von den sich hinzufügenden Kommentaren nicht angetastet werden dürfe.369 Vom Rande her, an seinen Rändern – wird festgelegt, was überhaupt zu einem Text gehört, durch Glossen, Marginalien, Noten, Beifügungen am Rande, die abspaltend und abscheidend den Text,370 seinen Begriff, seinen Bestand und seine durch Grenzen, Ausschlüsse bestimmte Ganzheit erst etabliert, erfunden und organisiert haben werden. An den Rändern wird die Unterscheidung von Text und Nichttext, durch das vermeintlich zum Text bloß Hinzutretende organisiert, die im Text noch einmal aufscheint. Die bei- und angefügten notae oder glossae sind bestimmt durch ihren Ort auf der Seite,371 durch das „räumliche Verhältnis zu dem Text […], auf den sie sich bezieh[en]“, „beruh[en] auf dem dort [dem Raum der Seite oder des Buches] visuell realisierten Zusammenspiel von Trennung und Zuordnung“,372 und haben ihrerseits teil an der durch räumliche Aufspaltung und Hinzufügung organisierten spatialen Anordnung der pagina.373 Das als 369 Dafür bedarf es umgekehrt der Regulierung des Kommentars als bloße Wiederholung, als reine Redundanz, die sich hinzufügend den Status des Textes unberührt lasse (vgl. Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 20). Weitere Reden werden geduldet, insofern sie in Funktion seiner Stützung und Entlastung sich neben diesen, an dessen Ränder schreiben, keineswegs etwas anderes sagen (zu den juristischen autoritativen Büchern vgl. Krajewski/Vismann, „Kommentar, Code und Kodifikation“, 7ff.; vgl. B. Menke, „TextOberfläche“, 131-38). 370 Die „Trennung von Text und Apparat“ macht Neumann bei den alexandrinischen Philologen aus, die „ihre Korrekturen an dem überlieferten Text nicht umstandslos in diesen ein[arbeiteten]“: „Sie ließen den Text als das ehrwürdige und ‚authentisch Überkommene‘ bestehen und separierten von ihm den Kommentar und die Verbesserungen, die sie selbst anbrachten: als einen Apparat, der […] an den Rand des überlieferten Textes verwiesen wurde – also marginal erschien.“ („Schreiben und Edieren“, 191f., zu den diakritischen Zeichen, 197). 371 Mit den Noten am Rande zeigt sich, dass der Text „eben nicht einfach etwas sagt, sondern alles an einer bestimmten Stelle“; daher lassen sie „sich nicht als Rede analysieren“, so Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 101, 95f.; vgl. Derrida, „This is not an oral footnote“, 194, 198. Das vorliegende Kapitel hatte einen ersten Anfang im Beitrag für den Workshop: „Am Rande bemerkt – Anmerkungspraktiken in literarischen Texten“ (Erfurt 2006, vgl. den entsprechenden Bd. hg. von Metz/Zubarik). Zu Kommentaren bez. der Orte auf der Seite, sowie diesen als Orten, „an denen neues und altes Wissen gelagert werden konnte“, vgl. Gumbrecht, Die Macht der Philologie, 73f., 77. 372 Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 98f.; vgl. Zubarik, „Marginallinien als SatzZeichen“, 57. 373 So wird im „ersten Viertel des 12. Jahrhunderts“ ein anderer Text geschaffen, Illich, Im Weinberg des Textes, 104, vgl. 102-06; vgl. Parkes, „The Influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio and the Development of the Book“, 116ff. Zur Geschichte des „mehrspurigen“ Schreibens gehören seit der Antike graphische Konventionen (Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 102): Die „Aufspaltung von Text und Anmerkung in zwei diskursive Register“ sei „als Ausgliederung aufzufassen“ (96). „Die wichtigste Leistung der

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Anordnung von ‚Aufspaltung und Zuordnung‘ auf der Buchseite eingerichtete Verhältnis von textus und glossae ist Text-konstitutiv, insofern auf der Seite das rahmend ausscheidende und hierarchisierend einschließende Verhältnis von Noten und Text sichtbar, die Hierarchie von Zentrum und Rand, Dazugehörigem und Resten oder Abfällen vorgestellt wird. Aber, wie die Hierarchie auf der Seite durch die abscheidende Aufspaltung und Hinzufügung als Beiund Anordnung sichtbar evident scheint, so wird diese eben dort – auf der Seite – als „Struktur einer virtuellen Gleichzeitigkeit“,374 wo diese ausgespielt wird, auch irritiert, geht ihre Ordnung auch sichtbar aus den Fugen.375 Die Organisation des Textes wird ‚vom Rande her‘, durch Operatoren an seinen Rändern geleistet, die festlegen, was überhaupt zu einem Text gehört, wobei die Unterscheidung zwischen Text und Nicht-Text im Text vielfach wiederkehrt, etwa wenn Marginalien seit dem Mittelalter mit Verweiszeichen, zuerst dem Asterisk, im Text ‚verankert‘ werden,376 ihn derart aber sichtbar unterbrechen, ihn gabelnd potentiell an andere Orte, Ränder und Hintergründe verweisen. Operatoren am Rande können vielfältig ‚ins Innere‘ des Textes einwandern.377 So lassen dashes oder Striche Unterbrechungen und Zwischenräume markierend ein, machen Einschübe, klammern Digressionen ein und aus und reflektieren als Operatoren der Unterbrechung und Verkettung sichtbar schriftlich den Text im Verhältnis zu seinen Resten. Sie sind Marken

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typographischen Techniken der Zweistimmigkeit ist […] nicht die Schaffung eines zusätzlichen Raumes, um etwas zu sagen, was sonst keinen Platz hätte, sondern umgekehrt die Abschließung und Isolierung des ersten Stratums des Textes von dem zweiten“ (105); dgg. bestimmt Mainberger „Romane mit Fußnoten“ als solche, die „zwei oder mehr Stimmen zur Sprache kommen lassen“ („Die zweite Stimme“, 351). Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 96. Vgl. B. Menke, „Text-Oberfläche“, 134-38. Vgl. Kuchenbuch, „Die Achtung vor dem alten Buch“, 186; Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 102; Kipf, „‚Pluto ist als vil als Lucifer‘“, 39. Der Asterisk, der eine solche Funktion bekommen konnte, wurde, so Isidor von Sevilla im 6./7. Jh. n. Chr., „‚dort gesetzt […], wo etwas ausgelassen ist‘“, die „maßgebliche“ Anleitung „für die nachfolgende mittelalterliche Handschriftenproduktion“ von Schreibern und Kopisten (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 27f.; vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 24f.). „Im Laufe des Mittelalters“ bekam er als „sogenanntes signe de renvoi […] u.a. die Funktion, einen spezifischen Textabschnitt mit den dazugehörigen Marginalien zu verbinden“; so ist die Punktion „mit der Frühgeschichte der wissenschaftlichen Fußnote verbunden“ (Klein/ Grund, 27f.; Parkes, Pause and Effect, 302, 307, zur Vorgeschichte der distinguierenden ‚marks of punctuation‘, den ‚notae‘ und deren Hinzufügungen als ‚critical signs‘ durch die Grammatiker (u.a. schreibende Leser) als Marken am Rande vgl. 2ff., 32, 57f.). Vgl. Parkes, „ The Influence of the Concepts of Ordinatio and Compilatio and the Development of the Book“, 133, 140; Raible, Zur Entwicklung von Alphabetschrift-Systemen, 7, 30ff.; Lutz, Hübener, Paulus, „Das Manicule“, 374-79 (auch in Sternes Tristram Shandy, z.B. II, xii); so Striche, Anführungszeichen, Klammern, Bredel, Interpunktion, 57-65.

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der Heterogenität des Textes, die ihn auf Nicht-Zugehöriges, im Potentialis des An- und Hinzugefügten auf den Hinter-Grund (von dem er sich ab-heben soll) verweisen. Gedankenstriche, Auslassungszeichen, Operatoren der Spatialisierung378 Die typographischen Geviertstriche, engl. (em- oder en-) dashes, treten spät erst, in Texten des 17. Jahrhunderts auf379 (neben dem Binde= oder Trennstrich, der die deutschen barocken Komposita organisierte). Wenn, der Geschichtsschreibung der Interpunktionszeichen im Deutschen zufolge, dieser deutsch als „Gedankenstrich“ wohl in Heinrich Brauns Anleitung zur deutschen Sprachkunst (zuerst 1765) erstmals aufgeführt ist, so bereits als ein bekanntes, ja „übermässig“ gebrauchtes Zeichen, als der „seit wenigen Jahren in Deutschland eingeführte[], und von den Engländern entlehnte[] Gedankenstrich“,380

378 Das Folgende hat eine Vorfass. in „– Gedankenstriche –“ (in Metz/Zubarik (Hg.), Am Rande bemerkt. Anmerkungspraktiken in literarischen Texten), eine weitere in „Auslassungszeichen, Operatoren der Spatialisierung – was ‚Gedankenstriche‘ tun“ (in: Giertler/Köppel (Hg.), Von Lettern und Lücken. Zur Ordnung der Schrift im Bleisatz), die ich als Research-Fellow des IKKM Weimar 2010/11 ausarbeiten konnte. 379 Im  17. Jh. in den Theatertexten Ben Jonsons und Shakespeares (deren Interpunktion aber nicht gesichert ist), vgl. Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 14, 28-34, 42-56; im Deutschen wird es auf den Horribilicribrifax des Andreas Gryphius datiert (1648ff., erstveröffentlicht 1663, vgl. Stenzel, Zeichensetzung, 19; Bieling, Das Princip der deutschen Interpunktion (1880), 27; Garbe (Hg.), Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 13); dort als Auslassungs-Zeichen: „Er – – – – – – – – – – – – – – – –“ (Gryphius, Horribilicribrifax, 636; an anderen Stellen 4-fach, 658, 678, 682, 3-fach, 683). 380 Braun, Anleitung zur deutschen Sprachkunst (zuerst 1765, die 2. verb. Aufl. 1775 lag Höchli vor, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218). Rinas weist ihn als Auslassungzeichen zuerst in Steinbergs Kurze Anweisung für Frauenzimmer regelmäßig zu schreiben und zu denken (1768) auf, den „Denkstrich“ in Marpurgs Kritische Briefe über die Tonkunst (1763) (Theorie der Punkte und Striche, 175, zu Höchli und Braun, 177). Andere schreiben die erste Nennung Johann Friedrich Heynatz’ Deutsche Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen (1770, vgl. Rinas, 175f.) zu: „Den längst und ausschweifend benutzten Gedankenstrich scheinen die Orthographen erst 1772 registriert zu haben“, so Stenzel (Zeichensetzung, 19f., nach Bieling, Das Princip der deutschen Interpunktion (1880), 34; vgl. Höchli, 232f.); er läuft bei Heynatz auch als „Pause“, vgl. Baudusch, „Einige Gedanken über den Gedankenstrich“; Rinas, 176f.). „Der Gedankenstrich ist das jüngste unter den Zeichen, bei Adelung gebucht erst seit 1775“, so Arendt, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 32, mit Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Sp. 462f.; vgl. Bredel, Interpunktion, 13, 43ff.; zu weiteren Autoren und Termini, Rinas, 177.

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den man solchen Worten vorsetzt, die einen außerordentlichen und unerwarteten Gedanken enthalten, um den Leser zu erinnern, dass er dergleichen zu erwarten habe […]. Es wird aber der Gebrauch dieser Gedankenstriche von manchen Schriftstellern so übertrieben, daß er beinahe verächtlich geworden ist.381

Die erste Registrierung des Zeichens im Deutschen vermerkte demnach mit der Über- oder Entnahme schon ein Übermaß; „eingebürgert“ „hat sich schon der Mißbrauch“,382 der einerseits nach Regularien des Gebrauchs zu rufen scheint, andererseits ihn als „verächtlich“ (so Braun), ja „ekelhaft“ (so Johann Christoph Adelung) verwerfen lässt.383 Dies geht einher mit dem Einbekenntnis seiner ‚Entlehntheit‘ (Braun) oder ‚Abgelehntheit‘ (Adelung),384 welche die Übernehmenden verschuldet und in die Verlegenheit einer Dependenz bringt. Diese wird bereits anfänglich mit dem Gemeinplatz von der Herkunft dieser sogenannten Gedankenstriche von den „Engländern“,385 von denen 381 Zit. nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218 (Hvhg. BM); es handle sich bei Braun eher um ein „Aufmerkzeichen“ bez. des Folgenden; dass dieser Strich nicht nur „den Leser zu erinnern“ habe, sondern „wenn er laut liest, auch andere [einen „unerwarteten Gedanken“?] erwarten lassen solle“, ist unstimmig: schriftvergessen. Als „vorgesetztes“ Zeichen (Braun) gehört es zu einer Schar verschieden geformter Marken, die von griechischen Editoren etwa das diplē am Rand vor die Zeilen zum Aufmerken gesetzt wurden (zu diesem Gebrauch der notae vgl. Parkes, Pause and Effect, 58f., 17, 27; im 18. Jh., vgl. Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 178f.). 382 Höchli (zu Braun, Anleitung zur deutschen Sprachkunst), Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218. 383 Braun, zit. nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218; Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Sp. 463; vgl. Bieling, Das Princip der deutschen Interpunktion, nach Garbe (Hg.), Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 15; Arendt, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 33; weitere Mißbrauchswarnungen Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 177. 384 Adelung, Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, 388; vgl. Heynatz, Deutsche Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen, 96. 385 Eine bestimmte Quelle Brauns, „ob es sich um die praktische Anwendung in einem literarischen Werk oder um die theoretische Aeusserung in einer Grammatik handelt“, sei nicht nachweisbar (Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218); die Zuschreibung der englischen Herkunft sei unzutreffend, so Klein/Grund („Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 35). Bez. der englischen Literatur sei die „Entstehung“ des Zeichens in Dramentexten des 17. Jh. ignoriert worden (Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 14). Im 18. Jh. wird der übermäßige Gebrauch von dashes mit narrativen Prosatexten verbunden (vgl. Lennard, But I Digress, 85f.; Nink, Literatur und Typographie, 48f.), und zwar als vorgesetzte „Punctuation of Dialogue“ (Mylne, „The Punctuation of Dialogue“, 56ff., 60ff.; vgl.  Parkes, Pause and Effect, 55ff., Michelsen, 108-63, 28-34, 4256; zum Franz. mit Le Hir, „Dialogue et typographie“, 216; vgl. Lennard, 147; Michelsen, 254-57), wie sie sich auch in Tristram Shandy findet. Es ist ein „(schrift)sprachliche[s] Zeichen“ (Michelsen, 15f., 261f.), das „erstmals Unterschiede zwischen gesprochenen und

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im 18.  Jahrhundert die Moden kamen, im Vorhalt des Modischen und des Übermaßes zurück‚erstattet‘ – ein Symptom der üblich gewordenen wechselseitigen nationalen Zuschreibungen, Übernahmen und Warnungen vor diesen,386 wie diese auch in den Debatten um wit/esprit/Witz umlaufen. Das Englische taugt mit der Wörtlichkeit von stroke, break, eclipsis, dash387 in besonderer Weise dazu, eine schriftliche Intervention oder Inzidenz aufzurufen, die, insofern sie nicht schon auf ein fehlendes Signifikat bezogen ist, gegen ihre Semantisierung sperrt. Wenn Jonathan Swift in On Poetry (1733) die „num’rous breaks – – and dashes — “ den Verfehlungen des „modern wit“ im Felde des „printed trash“ zurechnet,388 dann zielt das, wie die im 18. Jahrhundert gängigen Verwerfungen der „old Modes of Wit“,389 der puns und Anagramme als buchstäbliche Operationen, auf die mit diesen Marken neben dem alphabetischen Zeichensatz ausgestellte typo-graphische Schrift.390 Sternes Tristram Shandy präsentiere sich „so terribly be-dashed“, so eine Abhandlung zu Punctuation

geschriebenen Äußerungen sichtbar“ machte (Bredel, Interpunktion, 13, 45). Als schriftliche Einsatzmarken für jeweilige Stimmen fungieren ‚Gedankenstriche‘, ‚Anführungszeichen‘, Anmerkungszeichen, wie ‚gedrehte Kommas‘ oder diplēs, die zunächst an den linken Rand des Textes gesetzt wurden (vgl. Parkes, Pause and Effect, 93, Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 178f.; Zitate und Nachweise u.a. aus Finnegan, Why Do We Quote? in Theophanidis, „The origin and development of the quotation mark“). Sie sind gerade nicht Teil der Stimmen (vgl. Müller Nielaba, „Das doppelte Anführungszeichen“, 143f.; Merten, „‚The Truth Beauty‘“, 51ff., 55); im Druckbild wird „der Wechsel der Stimme, die spricht […], nicht seinerseits von einer Stimme angekündigt“ (Bunia, „Die Stimme der Typographie“, 381, 383). 386 So auch im Franz. Le Hir, „Dialogue et typographie“, vgl. Lennard, But I Digress, 147; Mylne, „The Punctuation of Dialogue“. 387 Dash bedeutet sowohl „an action of the pen“ wie auch (vorrangig druckgraphisch) „a horizontal stroke of varying length (-, –, – ) used in writing or printing to mark a pause or a break in a sentence, a parenthetic clause, an omission of words or letters or of the intermediate terms of a series, to separate distinct portions of matter“ (OED III, 40; vgl. Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 25ff., 102-08). 388 Die Zuschreibung Swifts zitiert OED III, 40; umgekehrt als Beispiel für dash (anders repräsentiert in H. Williams (Hg.), The Poems of Jonathan Swift, Bd. 2, 643, Z. 93f.). Den Briten schreibt Jean Paul „typographischen Witz und Tiefsinn“ zu (SW II.1, 681), den Witz der „24 Zeichen“ (SW II.2, 220). Swifts A Tale of a Tub selber ist Paradigma für übermäßigen Satzzeicheneinsatz, vgl. Lennard, But I Digress, 95f., 105f.; so exponiert die Satire jene Praktiken, die sie ‚denunziere‘ (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 152f.). 389 Pope, Essay on Criticism, 298f.; vgl. viele weitere Belege u.a. von Jean Paul in Kap. I.2, I.5. 390 Mit dem Setzer und dem „Schriftkasten“ gehen Buchstaben mit dem „abscheulichen Gefolge von Hasenöhrchen und Unterscheidzeichen“ einher (Jean Paul, SW I.5, 1292, vgl. 298), wie Setz-Anagramme oder „Setzfehler“ (1286-95).

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von 1786, „[it] has been generally considered […] unintelligible“.391 Der dash ist Streich, „a hasty stroke of the pen“ oder „action of pen“,392 der kontingent, wie eine heiße Kastanie fällt: „Z—ds“,393 als schriftlicher Auftritt für die ‚Kraft‘ des Vor- und Einfallenden, der so stumm wie in-intelligibel bleibt. Johann Jakob Bodmer wie Adelung tendieren dazu, den „Gedankenstrich –“, den sie den Auslassungszeichen zurechnen, von denen ein ganzes Heer, in verschiedenen Gestalten: Punkte, Asteriske, Striche, schräg oder waagerecht, in verschiedenen Längen und unterschiedlicher Multiplizität aufgeboten wird, mit dem „Zeichen einer abgebrochenen Rede, ==“ in eins zu setzen.394 Adelung mochte einen „Unterschied zwischen Gedankenstrich und den Auslassungspunkten […] nicht gelten“ lassen;395 das von den Engländern ‚abgeborgete‘ Zeichen deute „theils eine Auslassung, theils eine Abbrechung, theils aber auch eine stärkere Pause [als der Schluß=Punkt] an“.396 Bodmer bestimmte beider Funktion durch: 391 So Steel, The Elements of Punctuation (1786), zit.  nach Mylne, „The Punctuation of Dialogue“, 60; vgl. Heynatz, Deutsche Sprachlehre zum Gebrauch der Schulen, zit. nach Stenzel, Zeichensetzung, 42; Moss, „Sterne’s Punctuation“, 195-99; Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 164-224; Lennard, But  I Digress, 84f., 94f., 112ff.; dgg. will Schulze die markierte Auslassung als einerseits auflösbare: ‚abgedeckte‘, andererseits als gesteuerte Freigabe der „Leserimagination“ und insofern „als Indiz für die planvolle Komposition“ (des Autors) rechtfertigen („Do you know the Meaning of ****?“, u.a. 409, 412, 428f.; für die Imagination der Leser_innen vgl. auch Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 203, 199 u.ö.). 392 OED III, 40. 393 Für die Lücke des Vor-Falls oder „accident“, Tristram Shandy IV, xxvii, 377f., 381, 315, 31720; es sind Sternes „incidents or accidents that befall us“ (Derrida, „My Chances“, 20); vgl. den schreibenden Abbruch des Erzählens in Referenz aufs Papier: „A sudden impulse comes across me – drop the curtain, Shandy – I drop it – Strike a line here across the paper, Tristram – I strike it – and hey for a new chapter!“ (IV, x, 336, das folgt aufs „chapter on chances“). 394 So Adelung, Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache (1782), 796; vgl. Bodmer, Die Grundsätze der deutschen Sprache (zuerst anonym) (1768), zit. nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 225; vgl. Bredel, Interpunktion, 11, 13. 395 Adelung, Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, 796; vgl. Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 248f.; Braun, der den Gedankenstrich als „Aufmerkzeichen“ kennzeichnet, will ihn mit dem „signum Aposiopeseos“, das man wie ‚unsere Auslassungszeichen‘ setze, „wenn man mitten in der Rede abbricht“, nicht verwechselt sehen (Anleitung zur deutschen Sprachkunst, 157; zit. nach Höchli, 216). 396 Adelung, Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie, 388; vgl. in  Garbe (Hg.), Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 92. Mit der zit. Formulierung sind die rhetorischen Figuren der Aposiopese und des Asyndeton grammatisch-orthographisch reduziert. Es gibt eine Vorgeschichte der „liegenden Virgel“ in „Zeilenabschlußfunktion“ bei Petrarca, um „am Zeilenbruch technisch anzuzeigen, daß ein Satz […] noch nicht

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Punktuationen, Einfälle der Schrift Dem Leser mehr zu denken zu geben, als man sagt, es sey, dass man gerne abbrechen will, oder dass man sich fürchtet, die Sache herauszusagen, setzet man einen oder zween kurze Querstriche; oder man setzt für die Strichgen nur etliche Pünktchen nach einander. […]. Jhr sehet [im voranstehenden Beispiel], dass die Querstriche uns den Dienst des lateinischen &c. &c, thun. Verfasser, die Mangel an Gedanken haben, oder sie nicht auszudrücken wissen, behelfen sich öfters mit dieser Nothhülfe.397

Einerseits fasst Bodmer derart Auslassungszeichen als Gedankenstriche im Sinne von – bzw. statt der rhetorischen Figuren des Unsagbren auf; mit Siegert, dessen aufschlussreicher Geschichte der Auslassungspunkte zufolge diese „einstmals etwas Unleserliches oder irgendeine Art der Verstümmelung und danach eine Art unbekannter Variable bezeichnet hatten“:398 Etwas, das nicht gewußt werden konnte, das sich dem Wissen entzog, verkehrte sich in etwas, das nicht gesagt werden konnte, das dem Leser vorenthalten wurde, um seine Einbildungskraft anzustacheln. In der Rhetorik war dieses Verfahren unter der Bezeichnung aposiopesis bekannt (und Bodmers Definition der ‚etlichen Pünktchen nach einander‘ verkörpert einen besonderen Typ der Rhetoriktilgung).399

Denn andererseits wird die berufene Aposiopese, die an der Stelle eines Ungesagten als Unsagbares hervorbringt, was sie im Abbruch vorenthält, als rhetorische Technik getilgt: übersprungen, indem die schriftlichen Marken

vollständig war […]“; das führte zur Markierung von „Auslassungen auch durch Gedankenstriche“ (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 20, 29). 397 Bodmer, Die Grundsätze der deutschen Sprache, 126, zit. nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 225. 398 Siegert, […] Auslassungspunkte, 10; zur Geschichte von der Lücke im Realen zur codierenden Marke im Text vgl. Catach, „Rétour aux sources“, 35; Siegert, 17-23. Adorno zufolge: „In den Satzzeichen hat Geschichte sich sedimentiert, und sie ist es weit eher als Bedeutung oder grammatische Funktion, die aus jedem, erstarrt und mit leisem Schauer herausblickt“ („Satzzeichen“, 107). 399 Siegert, […] Auslassungspunkte, 26. Konnte das Fehlen, das Auslassungszeichen bezeichnen (vgl. Kap.  IV.1): 1. die reale „Lücke, einer radikalen Abwesenheit“, 2. die Markierung des leeren Platzes, „den jede Letter immer nur substituiert“ sein, so nun: 3. ein „Ungesagte[s] oder Unsagbare[s]“, wobei zum einen „die Punkte einen fehlenden Signifikanten vertreten [können], sie verweisen auf einen Überschuß des Signifikats; dem entspricht in der Rhetorik die Figur der Aposiopese. Zum anderen können die Punkte eine Unterbrechung oder Abbrechung der Rede markieren, sie verweisen dann auf einen Überschuß des Affekts, der auf der Ebene des Körpers in die Rede interveniert; dem entspricht in der Rhetorik die Figur des Asyndetons“ (10; vgl. Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 31ff.).

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für jenes ‚Zeichen‘, das der Abbruch der Rede wäre,400 über das Geschriebensein des Textes hinweg an die Einbildungskraft der Leser_innen verweisen sollen und insofern an ein Jenseits seiner sprachlichen grammatischen und rhetorischen Verfasstheit und schriftlichen Manifestation. Von der Funktion der Auslassungszeichen als Spuren einer kontingenten Löschung von anderer Hand und Statt-halter eines Fehlenden, von dem keineswegs ausgemacht ist, dass es „eine verborgene Bedeutung“ sei, bleibt mit dem „Gedankenstrich“ die vermeintliche Anweisung auf Semantisierung, auf „einen Überschuß an Bedeutung“, „der mit Worten nicht ausgedrückt werden kann“, als „Zeichen der Selbstunterbrechung“ die „Spur eines Selbst“, des versagenden (und insofern des) Ausdrucks: ein paradoxes ‚natürliches‘ Zeichen,401 das auf die „Einbildungskraft“ der Leser_innen (als seine vermeintliche Entsprechung) angewiesen sei. In Perspektive eines sich aussprechenden Subjekts wird – das ist Übung und Programm der Sprachlehren und Poetiken der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – die Letteralität der Texte (aktiv) vergessen, die transparent zu sein haben auf den Sinn. Striche, Schreiben vor den signifizierenden Zeichen, typographische Marken als „operative Pausen“ (Derrida), „deren Signifikate […] durch die Performanz von Leseoperationen gebildet werden“ (Siegert), sollen aufgehen im stimmlichen Verlauten als „Artikulation des Sinns“ oder „Artikulation der Seele“.402 Das ist eine Normierung von 400 Wo in Tristram Shandy vier Asteriske ein four letter word zu lesen anbieten (vgl. Kap. IV.1), werden kommentierend zwei Lesarten geboten, die zweite lautet: „If […] my uncle Toby had not fully arrived at the period’s end,–then the world stands indebted to the sudden snapping of my father’s tobacco-pipe for one of the neatest examples of that ornamental figure in oratory, which Rhetoricians stile the Aposiopesis.“ (II, vi, 115f.). „Make this dash,–’tis an Aposiopesis.–Take the dash away, and write Backside“ (II, vi, 116; Holtz, „Typography“, 255). Derart wird diese nicht als Kunstgriff des Redners, sondern als kontingente Unterbrechung mit Effekten aufgefasst: „aposiopestick-break“ (IV, xxvii); (nur) als Aposiopesen, als Verbergen „sexuellen Klartext[es]“ fasst Metz die Striche auf („Aposiopese vs. Hypotypose“, 198-204). 401 Siegert, […] Auslassungspunkte,  10, 29, 26; „heimlich“ treten sie „die Nachfolge des Asyndetons an; sie markieren den Augenblick der Rede, in dem die Nicht-Rede zur Figur des Nichtfigurierten und damit zur Figur der Wahrhaftigkeit wird“ (26, 30; mit Adelung, Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie, 388; vgl. Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 33); zum Gedankenstrich als ein solches Anzeichen im 18. Jh., vgl. Polaschegg, „Ausdruckskunst!“, 160. Als Ausdruck Werthers liest Stenzel dessen Gedankenstriche (40ff., 47ff., 53f.; dgg. Dotzler, „Leerstellen“, 216 -19): „was mich verdrießt, ist, daß Albert nicht so beglückt zu seyn scheint, als er – hoffte – als ich – zu seyn glaubte – wenn – Ich mache nicht gern Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrukken – und mich dünkt deutlich genug“ (Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, 99f.; vgl. Fleming, „–“, 157f.); „genaugenommen macht er [Werther] zweihundertvierunddreißig insgesamt“ (Stenzel, Zeichensetzung, 40). 402 Siegert, […] Auslassungspunkte, 7.

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Sprachauffassung und Sprachgebrauch, ein Ausschluss der Schrift und der nicht Sinn-tragenden Zeichen, der die Ausschließung selbst (schon) vergessen gemacht zu haben anweist. Den „Mißbrauch, d.h. der allzu häufige Gebrauch aufgrund eigenen Gedankenmangels“, inkriminierte Braun403 nach Maßgabe der Gedanken-Fülle, die ‚mit Worten nicht ausdrückbar‘ sei; wobei die diesem Maß nicht entsprechende „Häufung dieser Striche“ den Lesenden „unangenehm und ekelhaft“ werde.404 Im Sinne von Adelungs Auffassung der Marke des Fehlens als vor allem vielsagende Auslassung möchten Viele den Gedankenstrich im vielleicht berühmtesten (deutschen) literarischen Fall, in Kleists „Marquise von O….“ verstehen: „Hier — traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen.“405 Dieser wurde verfehlt als vielsagendes Abbrechen, im Sinne der Aposiopese verbucht,406 denn dieser Querstrich lässt dem syntaktisch intakten Satz, ihn unterbrechend, allererst eine Lücke ein und hält sie sichtbar, unlesbar auf.407 Wird diese von den Interpreten im Sinne der Vermeidung, „die Sache herauszusagen“ (Bodmer), genommen,408 so vorrangig in der Funktion, den Raum einer Vielsagenheit – des frivolen Geheimnisses – freizugeben, in dem auch professionelle Leser sich gerne 403 Braun zit. nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218; vgl. Adelung, Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache, 796 (in Höchli, 246). 404 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Sp. 463. 405 Hier sind dashes auch verwörtlicht: „Er stieß noch dem letzten viehischen Mordknecht, der ihren schlanken Leib umfaßt hielt, mit dem Griff des Degens ins Gesicht, daß er, mit aus dem Mund vorquellenden Blut, zurücktaumelte; bot dann der Dame, unter einer verbindlichen französischen Anrede den Arm, und führte sie, die von allen solchen Auftritten sprachlos war, in den anderen, von den Flammen noch nicht ergriffenen Flügel des Palastes, wo sie auch völlig bewußtlos niedersank. Hier – traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen.“ (KBA II/2, 11, Hvhg. BM; aufgerufen auch in Kap. IV.1). Lustigerweise meint Moering, der ‚berühmte Gedankenstrich‘ gebe „besonders den Eltern der Marquise so viel zu rätseln auf“ (Witz und Ironie, 253), – wenn sie die Erzählung lesen? 406 So Stenzel, Zeichensetzung, 64f. u.a.; der Abbruch eines Satzes als Aposiopese (vgl. Quintilian, Inst. or., IX, 2, 54), der Strich statt eines „fehlende[n] Glied[s]“ des Satzes (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 31). 407 Vgl. Willer, „Fallen, Stellen“, 222, 225. 408 Bodmer, Die Grundsätze der deutschen Sprache, 126, nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 225. D.h. dann „(Anstands-)Striche“ (Rickes) als sog. „frivole Striche“, vgl. Rönneper, „–“, 15; Arendt, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 33-39. So mögen sie in Richardsons Romanen fungieren (vgl. Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 143f., 150f.). Diese werden gleichsam von den berüchtigten dashes in Tristram Shandy kommentiert: „have you not forgot to wind up the clock?——Good G—! cried my father, […]——Did ever woman since the creation of the world, interrupt a man with such a silly question? Pray, what was your father saying?——Nothing“ (I, i, 2; vgl. Michelsen, 222f.).

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ergangen haben,409 der Anweisung folgend, als die Bodmer die Punkte oder Striche als vermeintlichen ‚Ausdruck‘ des ‚Subjekts‘ nimmt, „selbst einen Satz zu vollenden“.410 Aber „im berühmten Strich durch das Bewußtsein der Marquise von O….“ manifestiert sich, so Vogl, „die Ohnmacht […]. Er fungiert als Platzhalter des Nichts“, des „Lochs in der Welt der Erscheinungen, als Riss in der Erfahrung selbst“,411 das allenfalls in nachträglichen Konstruktionen mit einer Geschichte versehen werden kann. Der querende Strich, „in heutigen Ausgaben fast zum Punkt verkürzt, zeigte sich [wie alle Gedankenstriche des Textes, BM] im zweiten Heft des Phöbus, im Februar 1808, wo diese Novelle zum ersten Mal erschien, noch als wahrer Schlagbaum“, den „Leser“ „schwerlich“ zu übersehen vermochten,412 den, dem zitierten Stenzel zufolge, allerdings in einer bemerkenswert verdrehten Metaphorik, „der Leser zu übersteigen“ hätte. Anstatt im Sinn aufzugehen, in den der Gedankenstrich weise413 oder in den er (eindringend) ‚überstiegen‘ werde, dessen Fülle gerade durch den Ausfall seiner sprachlichen Artikulation berufen sein soll, hält vielmehr der durch-streichende Strich414 und dessen nichtlesbare Einlassung als 409 Gegen die voyeuristischen Begehrlichkeiten der Interpreten (wie Politzer) vgl. Vinken/ Haverkamp, „Die zurechtgelegte Frau“; zur Lage der Sek.Lit. vgl. Ott, „Der Fall, der eintritt“, 104-07. 410 Siegert, […] Auslassungspunkte, 26. 411 Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 287f. Mülder-Bach zufolge referiert der „Strich, als der die Vergewaltigung in der Ohnmacht markiert wird“, „nicht nur auf einen Raub, sondern ist selber ein Raub“ („Die ‚Feuerprobe der Wahrheit‘“, 542f., 538; der Strich ist „Schlag“, Stelle des Nicht-Diskursiven im Diskurs vgl. Vinken/Haverkamp, „Die zurechtgelegte Frau“, 131; Bay, „Die Punkte der Marquise“; Fleming, „–“, 156-59. 412 Stenzel, Zeichensetzung, 64f.; im Erstdruck in Phöbus. Ein Journal für die Kunst handelt es sich hier (4 (z. 66)) um den Geviertstrich, ebenso wie bei allen weiteren (hermeneutisch nicht weiter beachteten) Gedankenstrichen in der „Marquise von O….“ (vgl.  KBA II/2 8-18, 21-30). Im Englischen wurde der Geviertstrich ohne Spatien, im Deutschen wird heute der Halbgeviertstrich gebraucht. 413 So Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 46; „the dash is regarded as sporting an invisible arrowhead, carrying the meaning forward. Without it, the dash indicates unfathomable, directionless space“ (Moss, „Sterne’s Punctuation“, 199). Mit Brauns Rede vom Gedankenstrich als „vorgesetztes“ „Aufmerkzeichen“, das mit dem „signum Aposiopeseos“ wie ‚unseren Auslassungszeichen‘ nicht verwechselt werden dürfe (Anleitung zur deutschen Sprachkunst, 157, nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 216), ist das auf die Vorgeschichte des vor die Zeilen gesetzten diplē als „arrowhead mark“ zu beziehen (mit Finnegan, Why Do We Quote?, 86-89, vgl. Theophanidis, „The origin and development of the quotation mark“). 414 So lassen sich andere Striche in „Marquise von O….“ lesen: die „Gänge [des Gartens, die] der Graf dann ‚durchstrich‘“, geben ein Pendant zu Strichen in der Redeszene im Gartenhaus (KBA II/2, 66ff.; vgl. Kammasch, „Der Gedankenstrich. ‚stille Ekstase‘“, 127f.): „ein einziges, heimliches geflüstertes —!“ des Grafen bleibt in jeder Hinsicht stumm, „— Ich will nichts wissen‘“, fällt die Marquise ins Wort, sowie noch einmal „—!“

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sichtbare Marke unterbrechend auf der Schriftoberfläche fest. So wird etwa der Text Sternes, unter den Str(e)ichen des dash, „terribly be-dashed“,415 durchschlagen, graphisch artikuliert, dissoziiert, undicht, an den sichtbaren Schrift-Raum zurückgestellt. Mit dem Motto von/r Jean Pauls Unsichtbare Loge (1793): „Der Mensch ist der große Gedankenstrich im Buche der Natur“,416 bemerkt Paul Fleming: „that places the human in the world like a typesetter sets a manuscript“,417 ist dieser „not […] the being that thinks and, therefore, can be interrupted in its thought [mit Adelung]; rather, […] the human qua dash would be the non-thought, the broken-off thought in the book of nature“.418 Der Ort des Lesenden wäre die Marke der Ausgelassenheit („omission“).419 „Alle Schriften strozen iezt stat der Gedanken von Gedankenstrichen, die man auch Gedankenpausen nennen könte“, – schrieb Johann Paul Friedrich Richter 1783 unter der Überschrift „Über die Schriftstellerei“,420 und scheint sich zunächst der zitierten gängigen Auffassung vom Gedankenstrich zu fügen. Mit den ersten einer Folge von quasi-definitorischen Metaphern: „Gedankenstriche sind […] Furchen ohne Samen […] – sind die Gebeine verstorbener

(KBA II/2, 69). Ein „plötzliches Verstummen“ markiert „kurz –“ in G. Kellers „Pankraz, der Schmoller“, ein Strich, der das 48 Seiten „lang“ dann zu-Erzählen-Vergessen zu markieren hat (Morgenthaler, „‚Zwar – wenn ich bedenke …‘“, 303). 415 Steel, The Elements of Punctuation, zit. nach Mylne, „The Punctuation of Dialogue“, 60; vgl. Moss, „Sterne’s Punctuation“, 195-99; vgl. Szendy, Stygmatology, 17-29. 416 Jean Paul, SW I.1, [8], ein Selbstzitat aus Auswahl aus des Teufels Papieren. 417 Fleming, „–“, 158. Demnach enthalte neuerdings dieses Buch „punctuation marks“, und „the human enters this book as one such instance of punctuation“. „Through the dash modern subject […] is articulated: in breaks and pauses, in a ruptured syntax that simultaneously suspends sense and allows words to keep flowing[], in ‚dashed speech‘“ (ebd.). Auch in Büchners Leonce und Lena sagt Valerio: „Sie Prinz, sind ein Buch ohne Buchstaben, mit nichts als Gedankenstrichen.“ (1. Akt, 3. Szene, 1. Bd., 115 (DKV-Ausg., 107)). Das ist auf den Witz als „Anagramm der Natur“ zurückzubeziehen (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 47, 201): „Wit doesn’t merely read the Book of Nature, but cuts and pastes it“ (Fleming, „Disparate Pleasures“, 127f., vgl. 148). 418 Fleming, „–“, 158f.; „the human would be that moment when the book of nature references its loss of coherence, […] and, thus, surrenders its claim to wholeness“; „read as an ‚Auslassungszeichen‘, the human would be the sign that something […] is missing in the book of nature – perhaps one who can really read.“ (159). 419 Fleming, „–“, 159: gelesen wird as a „dash“: „from the position of omission, of interruption“. Die Frage, wer liest und von welchem Ort, stellt Jean Paul hinsichtlich der Unvollendetheit des „Romans“ der „Weltgeschichte“: „nichts als Knoten“ (SW I.3, 13). 420 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei. Ein Opusculum posthumum“, SW II.1, 424; Teil von Grönländische Prozesse, das erste Buch (den satirischen Frühschriften zugerechnet) von Johann Paul Friedrich Richter, das 1783/4 anonym erschien, während er sich den Namen Jean Paul, unter dem der Autor berühmt wurde, erst 1792 zulegte.

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Gedanken –“,421 wären sie Zeichen, die das Fehlende, auf das sie verwiesen, indem sie für dieses als Ungesagtes eintreten, als Signifikate bestimmen, die als Auslassungszeichen eine ‚lebendige‘ ‚Fülle‘, die ungesagt bleibt, anzuzeigen haben. – Dies aber auf zwei konträre Weisen: „Furchen ohne Samen“ zitieren die mittelalterliche monastische Schrift-Metapher von Acker-Furchen und Saat, die in ihnen aufgehen solle,422 die aber gar nicht eingelegt ist; offenbar fehlen die Worte des dictator/Dichters.423 Der Metaphorik gibt Stenzel eine bemerkenswert explizite Fassung: „vermittelt“ werde „einzig durch das unartikulierte Zeichen, leer und empfängnisbereit: den einfachen waagerechten Strich“, der auf „unsagbare oder verschwiegene Vorstellungen“ warte.424 Und fortsetzend plaudert Stenzel das hermeneutische Postulat aus: „Ein Gedankenstrich eröffnet einen leeren Raum […] mitten im Text. Gerade in erzählerischer Prosa aber verlangt [!] eine solche Pause nach Sinn und Bedeutung; sie will [!] nicht leer bleiben“,425 – demzufolge Satzzeichen in poetischen Texten einzig in Perspektive des Sinns und die Aufmerksamkeit der Lesenden für sie nur als Einbildungskraft, die sie überspringt, gerechtfertigt wären. Das ist nur die andere Seite der Abwehr der Schriftlichkeit, die Gadamer als die der Interpunktionszeichen vollzieht, die „nicht zur Substanz des dichterischen Wortes gehören“, die „Klang und Sinn“ untereinander ausmachen.426 Die andere 421 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 422 Vgl. Illich, Im Weinberg des Textes, 93f. 423 Differenziert werden Instanzen des Textes mit den „Metaphern, die den dictator mit dem Sämann und den Schreiber mit dem Pflüger vergleichen“ (Illich, Im Weinberg des Textes, 94). In Oberlins Bericht zum „Herr  L…..“ sind, so Giuriato, die „Leerstellen“ der „zahlreichen Gedankenstriche, die die Sätze so abrupt durchbrechen“, unentscheidbar Spur der „aussetzenden Stimme“ des Diktierenden oder des „unachtsamen Schreibers“, „Leerstelle, in der die Stimme ausfällt und die Bedeutung in der Schwebe bleibt“ (Giuriato, „Johann Friedrich Oberlin und Herr  L…..“, 99, 101). Die Metapher von „aufrechten und körner-armen Ähren“ könne den „Dichter“, der (nicht Schreiber) wörtlich von dictator abgeleitet ist, der „durch ein reifes Kornfeld spazieren“ gehe, „leicht zu dem Gleichnis heben, daß sich der leere Kopf ebenso aufrichte“, wobei „durch eine Metapher der Weg zum Gleichnis gefunden wird – hier z.B. wird statt unbedeutend leer und statt stolz aufgerichtet gewählt“ (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 186). 424 Stenzel, Zeichensetzung, 42 [Hvhg.  BM]; dafür muss der berühmte Gedankenstrich im Werther herhalten: „sie legte ihre Hand auf die meinige und sagte – Klopstock!“ (Goethe, Die Leiden des jungen Werthers, V/1, 28 (Z. 23)), der eine „nachdrückliche Pause“ mache (Stenzel, Zeichensetzung, 46f.); Hier handelt es sich eher um das Aufmerkzeichen Brauns (nach Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 218), was Stenzel für „unzureichend“ hält (52). 425 Stenzel, Zeichensetzung, 42; vgl. den „‚schwangeren‘ Gedankenstrich“, Saber, „Drama eines Gedankenstrichs“, 41. 426 Gadamer, „Poesie und Interpunktion“, 144f. (in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, 283; in: Garbe (Hg.), Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 244).

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Metapher Jean Pauls: „die Gebeine verstorbener Gedanken –“, verhält sich zur den Auslassungszeichen unterstellten ‚lebendigen‘ ‚Fülle‘, die an ihrer Stelle fehlt, (passend) schräg: Sollen „die Gebeine verstorbener Gedanken –“, die genuin schriftlich anstatt letzterer stehen, so für diese einstehen, das über ihnen imaginär etwas erschiene, so wäre ein solches Erscheinen nicht durch einen ‚natürlichen‘ Zusammenhang der einbildenden Fruchtbarkeit getragen – sondern gespenstisch.427 Gewiss, den satirischen Zug von J.  P. F.  Richters  Rede vom „Gedankenstrich“ als „Gedankenpause“ ‚statt der Gedanken‘,428 deren ‚Surrogate‘ die Gedankenstriche seien,429 wird man nicht unbemerkt lassen dürfen,430 aber dessen Aufzeichnung von den Gedankenstrichen ist selber eine durch diese Striche organisierte nicht hierarchisierte Liste von quasi-Definitionen. Und 427 Zur phantasmatischen ‚Verlebendigung‘ des Textes in Gespenstern vgl. B.  Menke, Pro­ sopopoiia, II. u. III, 11f., 123f., 160-63, 211f., 255ff., 274-284, 288-295; Siegert, „Animation. Phantasmen vor und nach Gutenberg“, 120-24. 428 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 429 Vgl. Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430; vgl. „sinnreiche Gedenken=striche (ein Hauptzweig des mechanischen Wizes)“ statt der Gedanken (SW II.1, 742). Jean Paul zufolge, ersetzen Autoren den „lästigen Aufwand von 24 Zeichen“ „durch ein einziges und einfacheres“ Zeichen, den „horizontalen Strich, womit der Chymist oft den Spiritus […] bezeichnet, allen Witz und Geist auszudrücken und zu geben versuchten“, durch „einen horizontalen Strich (–) alle mögliche scharfsinnige, witzige und erhabene Ideen, sowie auch die entgegengesetzten“ (Auswahl aus des Teufels Papieren, SW II.2, 220ff.), weiter: „!!!!????“ (221). 430 Als satirische werden konventionell, das Jean Paul’sche Œeuvre gliedernd, dessen frühe Texte aufgefasst; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 328-34, 339-43; erneut M. Wieland, Vexierzüge, 224 u.v.a. Bei Jean Pauls Bemerkungen zu Satzzeichen mag es sich öfters um (im begrenzten Sinne) satirische handeln: als „Verdopplung“ der „Frag- und Ausrufzeichen“ („Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 425), als „zweischneidige[] Frage- oder Ausrufungszeichen und Gedankenstrich“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 151; vgl. SW II.2, 221); als „kürzeste Gedichtform gar Frag- und Ausrufzeichen anzuführen […] wäre wohl in jedem Falle nur ein Scherz und wahrhaft überflüssig“ (SW I.5, 275). Mit Jean Pauls Rede von „Spaß oder Extrasachen oder Sprünge“ (vgl. SW I.4, 360f.) kann der Spaß an den Satzzeichen, auch mit J.  H.  Miller, zur Geltung gebracht werden („what is so funny?“, „Salt and Pepper to Taste“, 187). Ein nur aus Gedankenstrichen, Frag- und Ausrufzeichen bestehendes ‚Figurengedicht‘ gab’s schon von Friedrich Timme (1752-88) (zit. Michelsen, Weg vom Wort – zum Gedankenstrich, 9). Als Figurengedicht kann Sternes Typographie: Asterisken-, dash- wie auch Manicule-Einsatz gesehen werden, vgl. Holtz, „Typography“, 248ff.; Tristram Shandy inszeniert die Seite u.a. mit den berühmten schwarzen und weißen Seiten (I, xii, 37; VI, xxxviii, 566; IX, xviii, ixx, 770f.; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 192; Szendy, Stigmatology, 19, 25-29). Nur aus den Unterscheidungszeichen des Metrums besteht in bezeichnender schriftlicher Stummheit Morgensterns „Fisches Nachtgesang“ (vgl. F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 264; Plett, Systematische Rhetorik, 227); „abstrakte Strich-Zeichen“ haben in Man Rays Dada-Poem (o.T.) „alle Wörter verdrängt“ (Riha, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 184).

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mag das auch satirisch ‚gemeint‘ sein, ist derart doch absetzend, auslassend des Textes diskontinuierliche Fügung431 und der Nichtsinn seines Mediums vorgestellt. Sind „Gedankenstriche“ auch als „das algebraische Zeichen der Subtrakzion –“432 bestimmt, so als Operator, Zeichen, dessen „Signifikat […] durch die Performanz von Leseoperationen gebildet“ wird (Siegert), wobei man der Anweisung ‚Subtrahiere das diesem Zeichen Folgende‘ bezüglich der sprachlichen Folge, in der irgendwas angefügt wird, kaum zu folgen wüßte.433 Die Aufmerksamkeit wird dem Operator der Leseperformanz dieser Rede selber gelten müssen. Es sind „operative Pausen“ (Derrida), die so wenig wie auf suggerierten Sinn auf Verlautung zu verpflichten sind, ‚subtrahiert‘ der Strich doch zuerst die „klangliche Artikulation“, trennt die Stimme von der Schrift.434 Vermerkt wird die Graphie, „Linien“, „für deren Bedeutung der Zufal nicht gesorgt“ habe,435 die hier „–“ als Striche doppelnd neben das Wort „Gedankenstriche“ geschrieben sind.436 Sie sind als Striche wie Stiche des

431 Der Text als „Einheit seiner Unterbrechungen“ (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 167, 150ff., 159; vgl. ders., Texte rahmen, 362ff., 329-56). Das stellen Satiren vor, die wie Rabeners Noten ohne Text und Swifts „Digression in Praise of Digression“ der „(frühneuzeitlichen) Gelehrsamkeit“ und deren Textverarbeitung gelten (A Tale of a Tub (1704 [5th exp. ed. 1710]), 149f., 155f.; Dembeck, Texte rahmen, 341ff.; „Text ohne Noten?“, 152f.); bzw. insb. der gelehrten paratextuellen Textorganisation (Pfersmann, „Der philologische Roman“, 307-10, 314, 317ff.). Die parodierten Textverfahren werden derart zugleich ausgeführt und entwickeln etwa bei Swift, eine eigene „Faszination“ („Text ohne Noten?“, 152ff.; zu dieser Ambivalenz vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 27f.). ‚Satire‘ nimmt das Buch als Medium ‚ernst‘: als Anordnung, Dispositiv von Handhabungen, in Wutz, Quintus Fixlein und Leben Fibels. 432 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 433 Das „algebraische Zeichen der Subtrakzion“ kann bez. Buchstaben operieren, die nicht Elemente natürlicher Sprachen, sondern in Gleichungen allgemeine Koeffizienten anschreiben (F.  Kittler, „Buchstaben – Zahlen – Codes“, 44f.). Es könnte auch als MinusVorzeichen aufgefasstwerden, wie in Kleists „Allerneuester Erziehungsplan“, wo ein Geviertstrich die „Bedingung ——“ bez. des ‚Zustandes‘ elektrischer Ladung angibt (25. Bl., 20. Oct. 1810; BA I, 129). Der operative Charakter wäre auch akzentuiert, wenn des Gedanken-Strichs Verweis in eine vermeintliche „Unendlichkeit von Gedanken und Assoziationen“ mit dessen Entwendung aus „den unendlichen Dezimalbrüchen der Arithmetik“ ‚erklärt‘ wird (Adorno, „Satzzeichen“, 109). 434 Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 277, 275; mit dem Strich „beginnt die Sprache zu schweigen und macht sich bemerkbar als Text“ (275). Mit Gedankenstrich und Auslassungspunkten wurden „erstmals Unterschiede zwischen gesprochenen und geschriebenen Äußerungen sichtbar gemacht“ (Bredel, Interpunktion, 13, 17f.). 435 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 436 Den „Gedankenstrich einmal als Wort und einmal als Strich schreibt“ auch Stifters „Der Condor“, wie Vogl bemerkt („Der Gedankenstrich bei Stifter“, 280; zur Blockade zwischen Text und Bild, 280-89).

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„Schreibende[n] vor dem Alphabet“ Einsatz des Schreibens.437 Und sie unterbrechen a-signifikant die Lektüre und lassen Zwischenräume in den Text auch über Gedankenstriche ein. Den sichtbaren graphischen Auftritt nimmt man gern (aber beschränkend) ikonisch438 wie auch Jean Paul die „Linien“ zunächst als „Furchen ohne Samen“ wie „Gebeine verstorbener Gedanken“,439 die beide aber keine Ab-Bilder von etwas sind, sondern allenfalls solche des ohne (Frucht oder Leben) oder des Nicht(-Lebendigen). Als Graphien stehen „Linien“ zuerst und zuletzt im Verhältnis zum Grund und sperren daher den Satz, das Lesen ein- und festhaltend. Als „Linien, die der Chiromantist zu lesen gedenkt“,440 wird die Graphie in der spatialen Konfiguration der Oberfläche

437 Vgl. Vogl, „Der Gedankenstrich bei Stifter“, 275ff.; mit metonymischem Potential (vgl. Kap.  IV.1). „Der Kupferstecher macht Punkte und Striche und somit buchstäblich dasselbe, wie der Schreibende vor dem Alphabet.“ (Exzerpt Jean Pauls, zit. nach Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 86f.); die „Punktiermanier“ des Biographen Plutarch liefere „den Kupferstich eines Mannes“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 513); während in Tristram Shandy der abschweifende Biograph doch „familiar strokes“ „of my uncle Toby’s character“, „not the great contours of it“ gibt (I, xxii, 80). Die Vorgeschichte des ‚Interpungierens‘ als diastizein: ‚einstechen‘, ‚tätowieren‘ (P. Schnyder, „Das Komma“, 74f., 85f.) bestimmt den Punkt als Stich. Jean Paul exzerpiert: „Der gemeine Türke punktiert sich die Arme, Brust“, und kürzt „noch das Wort ‚punktiert‘ mit einem Punkt ab“ (Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 81ff.). Der Zusammenhang von Schrift und Stich tritt auch in die Konkurrenz von Schrift- und Stick-Stich, „als er sich zu sehr ins schreibende Stechen vertieft hatte und die Frau sich ins nähende“ (Jean Paul, Siebenkäs, SW I.2, 170-74, vgl. Jauslin, „Der Tragelaph“, 243ff.). 438 „[A]bbildhaft“ und „mimetisch“, so etwa (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungszeichen“, 36, 38): Quer-Striche werden als Ruhestatt wie der Tisch für den Kopf des ermüdeten Fibel aufgefasst (Frei, „Auf dem Gedankenstrich“, 330); ähnlich ein „–“ Heines (Rickes, „(Anstands-)Striche“, 259); mimetisch, und das ist immer etwas lächerlich, fungieren Interpunktionszeichen bei Arno Schmidt (Metz, „Aposiopese vs. Hypotypose“, 210f., 213). Gegen den Mimetismus Adorno, „Satzzeichen“, 112f.; Plett handelt „diakritische Zeichen wie Punkt, Komma, Akzent, Trema“ als „graphemische Figuren“, allerdings vorrangig semantisierend ab (Systematische Rhetorik, 211). 439 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424; das abbrechende „….“ findet sich (SW I.1 446) und als „Hasenfährte im Schnee“ gelesen in Hesperus (dafür ist der Rückgang auf die Erstausg. nötig; abgedr. in M. Wieland, Vexierzüge, 288f.; vgl. die Wiedergabe „:..“, SW I.1, 1024f.; soll das mimetischer sein?), als Spur die eines Abwesenden, das allenfalls nachträglich als vormals anwesend erschlossen werden mag, und im Verhältnis von „am Ende“ anzufangender Periode, deren Abbruch und den Anhängen an dessen Stelle (die der Beitrag des Spitzhundes ermöglicht, der „dem Perioden den Nachsatz-Schwanz so zu sagen gar abbiß“) immer noch in seinen vor- und zurückgreifenden Zügen zu lesen bleibt. 440 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424.

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aufgefasst, die nur als Anordnung,441 in Bezug auf ihren Grund gelesen werden kann. Dem entsprechen die Striche als Durch-Streichungen, als die Jean Paul die Gedankenstriche auch bestimmt, die sich auf die Schriftoberfläche richten. Geschrieben wird hier ein Sück fiktiver Schrift-Geschichte: „Man durchstreicht ietzt nicht mehr Wörter, aber man durchstreicht doch dafür das leere Papier“.442 Aufgerufen ist der Akt des Schreibgeräts, den dash bedeutet, die Aktivität der federhaltenden Hand auf der Schreiboberfläche als Durchstreichen nicht nur von Buchstaben oder Zahlen in Funktion to erase oder cancel,443 sondern auch in der des Cancellierens, das auf dem Papier, wo Buchstaben oder Ziffern nicht nachgetragen werden dürfen, den Platz markierend leer hält und den leeren Raum sperrt, um die Rechnung, die finanzielle Verfügung oder sonstige vertragliche Aufstellungen gegen den Eintrag anderer Hände zu sichern.444 Die Durchstreichung, die sich hand-schriftlich auf die Buchstaben oder Buchstabenfolge zurückwendet, um sie zu durchqueren, ist Spur des Lesens als schreibendes, eines Schreibens das (wieder-)liest,445

441 Der „physiognomische[] Stellenwert“ der Satzzeichen, die „isoliert genommen“ keine „Bedeutung“ tragen (Adorno, „Satzzeichen“, 106f., 109), zielt auf die Konfigurationen auf der Seite, in denen Gesichter gesehen werden mögen (vgl. die Beiträge von Geulen, Koch, Helmstetter, Wagner-Egelhaaf in Lutz/Plath/Schmidt (Hg.), Satzzeichen, 319-34). 442 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 443 dash als verschiedene Modi von „action of pen or pencil“: „to draw a dash through (writing); to strike out, cancel, erase, efface“, „to draw (a pen) vigorously through writing so as to erase it“, wie „a hasty stroke of the pen“ (OED III, 39f.). 444 Mit vielfachen ‚etymologischen‘ Bezügen, sowohl zum Durchstreichen, wie zum Cassieren, zum Sondern und Abschneiden, wie Abtun (Rotwelsch) (vgl. Eintrag „canzellieren“, Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, https://fwb-online.de/lemma/canzellieren.s.3v, zul. ges. 07.12.2020); vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 52; im Folgenden. 445 „Gedankenstriche – großgedruckte Worte – herausgehobne Stellen“ ‚gehören‘, so Novalis, „in das Gebiet des Lesers“, denn es sind gleichsam nachgetragene Spuren („Teplitzer Fragmente“, N II, 609 [79]). Dabei gilt: „Die meisten Schriftsteller sind zugleich ihre Leser – indem sie schreiben – und daher entstehn in den Werken so viele Spuren des Lesers“ (ebd.; vgl. Glaser, „Zeichen an der Schrift – Zeichen der Schrift“, insb. 84-87). Der ‚Autor‘ als Wi(e)derleser (seiner) ist ein Anderer (wie der Philologe); die Spuren dieses Lesens sind die von anderer Hand (vgl. 83ff.); se relire kennzeichnet das Schreiben schon als schreibendes Lesen (Grésillon, „Über die allmähliche Verfertigung von Texten“, 161f.; vgl. Jäger, „Rekursive Transkription“, 283f.; zur (autographen) Marginalie als „Spuren einer Selbstlektüre“, die zugleich die „Diskontinuität zwischen […] Schreiber und Selbstleser […] sichtbar macht“, Giuriato, „Prolegomena zur Marginalie“, 179, 193ff.; ders. u.a., „Einleitung“ (zu „Schreiben heißt: sich selber lesen“), 15ff., 13). Schreiben trägt die Differenz (von/in sich selbst), Alterität ein: von anderer Hand, s. Kap. III.2 u. II.

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das sich in Unterbrechung oder im Abbruch der Schreibbewegung aufs Geschriebene zurückwendet,446 als Streichung, die „das Geschriebene rückgängig“ mache, aber „die Anzahl der Schreibspuren“ vergrößert,447 lesend/ schreibend auf sich zurückkommt: ein „Rekursionsmarker“ des Schreibens.448 Dieser hat Teil an der Diagrammatik der Schrift als Verfahrenszusammenhang von Schreiben/Wiederlesen, Vor- und Zurückgreifen, der den Schriftraum eröffnet.449 Die Durchstreichung gibt aufs Geschriebene zurückkommend ein Schrift-„Bild“,450 sie hält ein und auf der Seite fest, staut und sperrt die vermeintliche Linearität des Lesens zur Figur im Seitenraum. In Sternes Tristram Shandy findet sich, wie in Zitation des handschriftlichen Vorgangs: „to draw (a pen) vigorously through writing so as to erase it“, „a dash through (writing), to strike out, cancel, erase, efface“, als „omission of words or letters“,451 die Durchstreichung eines Wortes typographisch ausgeführt: „Bravo ——“.452 So ist die Durchstreichung als Operator der Löschung von Buchstaben, die im Übergang von Handschrift zur Druckschrift als markierungslose Auslassung 446 „[D]er Weg der Schrift“, so H.-J. Frey „kann nicht gerade verlaufen, weil sonst keine Buchstaben entstehen könnten. Deren Formung erfordert [handschriftlich] fortwährende Richtungswechsel, […] auch nach rückwärts. […] In der Schrift ist das Ornament angelegt.“ (Lesen und Schreiben, 78). 447 So Grésillon, Critique Génétique, zit. nach Woitkowski, „Schreiben als Wegwerfakt“, 53. Die Unterscheidung zwischen „Autorstreichung und Fremdstreichung“ (54) hält nicht, weil die Streichung stets von anderer Hand ist und sei es ‚dieselbe‘ zu einem anderen Zeitpunkt. Das wird meist nur als „Überarbeitung“ thematisiert (zu Jean Paul, Erb, SchreibArbeit, 77ff.); diese hätte, so Quintilian, „Schwulst […] auszumerzen, […] das Üppige zu beschneiden, […] das Überschäumende einzudämmen“ (Inst. or., X, 97ff.; vgl. Woitkowski, 52, verschiedene Typen des Streichens, 51-55). Vgl. Neumann mit J.  Bellemin-Noëls Wortspiel: „La littérature commence avec la rature“ (zit. nach „Schreiben und Edieren“, 208f.); unentscheidbar, ob sich korrigierend streichend Schreiben der Fertigstellung nähert – oder ist hernach alles weg? oder führt das streichenden Hinzu-Schreiben in die Wucherungen der Varianten? Vgl. auch Giuriato zur (Auto-)Marginalie als „Spuren einer Selbstlektüre“ („Prolegomena zur Marginalie“, 193ff., 198, 179). 448 Campe, „Kritzeleien im Sudelbuch“, insb. 185ff. 449 Campe, „Kritzeleien im Sudelbuch“, 185ff.; ders., „Vorgreifen und Zurückgreifen“, 61-65, 67f., 79. „Ausstreichen, Durchstreichen“ löst wie „nachträgliche[s] Einfügen von Text in freigebliebene Räume des Blattes“ oder Bei-Kritzeln Schrift aus der vermeintlichen Linearität (L. Müller, Papier, 131). 450 So, anlässlich Benjamins Manuskripten, Giuriato, Mikrographien, 58. Zur Doppelung von Schrift als Spur, Bahn oder Gang und als ‚Schriftbild‘, als Schema des Lese-Vollzugs oder Diagramm auf der Seite, vgl. B. Menke, „Kritzel – (Lese-) Gänge“. 451 OED III, 39f. (1989, IV, 259); „dash“ bedeute sowohl die „action of pen“ als auch die Resultate. 452 Sterne, Tristram Shandy, VI, xi, 516; d.i. ein Schrift-Bild, ein „Witz im Diagramm“ (Titel von Schmidt-Burkhardt, die sich auf andere Linien, u.a. die „Erzählgrafen“ in VI bezieht, (2017) 294, 299f.).

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des Gestrichenen auszuführen, so dass dieser ebenso wie die gelöschten Buchstaben im Druck schlicht abwesend wäre,453 durch dessen Fehlgehen zitiert: genau insofern der Operator hier nicht als solcher aufgefasst und befolgt, sondern verwechselnd graphisch in den Druck übertragen worden ist (oder fiktiv wäre).454 Anstatt im Übergang in den typographischen Text als Löschung realisiert zu werden und als Kritzel oder Strich vor ihm abzufallen, darf die Durchstreichung sich graphisch im Druckbild behaupten (in das sie ja nicht mit zwei Zügen von Buchstabeneintrag und nachträglichem Rückgang auf und durch diesen gelangt, sondern ihr ‚Bild‘ im Typen-Druck aus eigenen Lettern entstehen muss), sichtbar mock-abgebildet. Wie oder als ein Figurengedicht setzt das Schriftbild der Durchstreichung die Sichtbarkeit schwarz-auf-weiß, die die Querstriche herausstellen, gegen die Lesbarkeit des Textes durch.455 „Bravo ——“ gibt im Druck nicht nur eine unauflösbare doppelte Anweisung: zu lesen und nicht zu lesen, sondern auch eine aporetische, in sich blockierte, stets schon nicht eingehaltene Vorschrift. 453 Vgl. Reuß, „Handschrift in Druckschrift“, 247. Festgehalten werden die handschriftlich vorfindlichen Streichungen im Edieren durch Übersetzungen in sichtbare „diakritische Zeichen“ und „Operatoren“: „im Manuskript gestrichen“ (Neumann, „Schreiben und Edieren“, 197). 454 Verwechslungen dieser Art geschehen nicht nur tatsächlich häufig (wie man erfährt). Sie werden auch fingiert oder fiktiv abgewehrt; so schreibt Jean Paul anstelle der „Leere einer halben Seite, die ich aus Versehen im Manuskripte gelassen,“ eine an der Stelle einzufügende Fußnote, damit die Leere „nicht auch vom Setzer ins Werk verpflanzet würde“ (Auswahl aus des Teufels Papieren, SW II.2, 403; vgl. Stang, Einleitung – Fußnote – Kommentar, 80). In  E.  T.  A.  Hoffmanns  Kater Murr gelangt mit der Fiktion, dass „der Herausgeber das betreffende Blatt mit einem ‚unterdrückt es‘ markiert“ habe, um den fiktiven Setzer um dessen Auslassung zu bitten, was dieser „nicht als Anweisung an ihn interpretiert, sondern als zu druckenden Text“, das „Vorwort/Unterdrücktes des Autors“ ins Buch (Bunia, „Die Stimme der Typographie“, 377). Mit fiktiven (und tatsächlichen) Setzer-Fehlgriffen (vgl. M.  Wieland, Vexierzüge, 295) (Jean Pauls Interesse an Druckfehlern, die er eigens verzeichnete, SW I.5, 1289, 1286ff., 1295f.) wird die Frage der verantwortenden Instanzen des Schreibens aufgeworfen; wer ‚spricht‘ „Mak.Bl.“ in E. T. A. Hoffmanns Kater Murr ? (Bunia, 381, 387-91). Polaschegg fragt, „wer schreibt“ Satzzeichen („Ausdruckskunst!“, 180ff.), wer die Paratexte, wer die Typographie, usw. Der Text ist allograph. 455 Die sichtbare Figur verstellt mit der „Insistenz auf den Buchstaben selber“ die Lesbarkeit des Textes (F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 257). Das kann die Durchstreichung das Schwarz-auf-Weiß steigernd evidenzieren: In Danielewskis House of Leaves stellen durchgestrichene Textteile, in denen vom Labyrinth oder Minotaurus gesprochen wird, eine Art Figurengedicht und Intext des ‚ungeheuerlichen Wesens‘, dessen Sichtbarkeit durch die Durchstreichung erzeugt, gegen die durchgestrichenen Wörter und Sätze behauptet wird, wo das Ungeheuer im ‚Erzählten‘ nicht angetroffen wird (336, 110f., vgl. Pfersmann, „Der philologische Roman“, 321).

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Auch wo nicht durchquerte Buchstaben sondern Striche durchs „leere Papier“ auftreten, können sie als Spur an der Stelle des Ausschlusses und dessen Ausführung: zwischen Konstativ und Performativ aufgefasst werden,456 als „Füllsel“ anstelle/an der Stelle des Gestrichenen, derart als Remarkierung von – oder inszenatorischer Vorgriff auf solche Eingriffe.457 Wenn man „ietzt“, wie es heißt, nicht positive Elemente, „doch dafür das leere Papier“ „durchstreicht“, dann ist die Funktion des Striches nicht die Löschung von etwas (Bestimmten), was sich an dieser Stelle befindet, sondern er markiert und hält den 456 Wie ein Apostroph, Einschlag und Marke statt des Fehlenden, etwa in „lies’t“ (Kleist, „Die Verlobung in St. Domingo“, KBA II/4, 43; vgl. V. Kaiser, „Der Haken der Auslegung“, 203-08, s.  Kap. IV.1). Jean Paul zufolge ersetze des Apostrophs „hölzerne[s] Bein“ „das weggeschossene natürliche“, aber: „– Man verstümlet die Wörter nicht blos, wie die Wilden ihre Kinder, der Zierde, sondern auch der Erhabenheit wegen. Ein Wort mit den krummen Narben eines Federhiebs, wie marzialisch sieht es!“ ((J.  P.  F.  Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 425); so wäre der Apostroph Verstümmlung um der Spur des Einschnitts am Wort-Körper willen, die er ist. Die Metapher vom „hölzernen Bein“ scheint vom Versfuß motiviert: „Doch läst es noch in Gedichten, wo jeder Vers gleich einem Gleichnis übel zu Fus ist, sehr schön, wenn das hölzerne Bein des Apostrophs das weggeschossene natürliche ersezt.“ (ebd., vgl. zur „mechanischen Schriftstellerei“, 743). Der Ersatz, der „das hölzerne Bein“ wäre, ist genuin schriftlich: nicht mitzusprechen, sonst würde der Apostroph dem „Vers“, der „übel zu Fus ist“, gar nicht in Sachen Metrum aufhelfen können (vgl. Matala de Mazza, „Asterisk und Oberbeistrichlein“, 197-200). Umgekehrt heißt Jean Paul aus Büchern Ausgeschiedenes „weggeworfne[] Stummel[], hölzerne[] Beine[] und Krücke[]“, aus denen ein Schuldiener „schöne Figuren musivisch zusammengelegt“ („Satirischer Appendix“, SW I.4, 374), und Derrida die Parenthese eine Prothese (Glas (dtsch.), 134b). 457 Zu den Indizes der Zensur-Eingriffe: „Solcher Gedankenstriche bedienten sich damals [nach den Zensuredikten 1819] die Drucker und Verleger, wenn der Zensor mitten im Text ein Wort oder einen Satz, mehrere Sätze oder ganze Abschnitte [und zwar im bereits „gesetzt[en] und fertig umgebrochen[en]“] gestrichen hatte“, als „Füllsel“; man füllte „diese Lücken mit Strichen oder auch Punkten“ (Houben, „Bedenkliche Gedankenstriche“, 203; Kap.  IV.1). Da diese Zensur-Eingriffe für Leser_innen kenntlich hielten, wurden die Zensoren „angewiesen, solche Gedankenstriche als Ausfüllung von Zensurlücken nicht zu dulden“ (204), und Ludwig Börne am 20. Februar 1819: „der Satz müsse so zusammengerückt werden, dass keine Unterbrechung des Textes sichtbar werde; sollte dann etwa am Ende der Nummer freier Raum bleiben, so habe der Redakteur diesen mit schon zensierten ‚Avertissements‘ oder Ausschnitten aus andern Frankfurter Zeitungen zu füllen“ (205f., Hvhg. BM). Heine inszenierte mit solchen Strichen Eingriffe und Dummheit der Zensurinstanzen (Reisebilder: Ideen. Das Buch Le Grand, Sämtl. Schr. Bd. 2, 283, vgl. Kap. IV.1). Jean Paul fordert, wenn „der Zensor durch Streichen der unschuldigsten und vielleicht besten Stellen etwas Plattheit und Unsinn gebracht“ habe, von seinem Verleger die Rücksendung von zensurierten Schriften, um für diese Stellen Füllungen nachzutragen (Brief vom 6. Juni 1807, HKA III.5, 154; vgl. Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 388; M. Wieland (mit einem zu einfachen Modell eines ‚Versteckspiels‘ unter Zensurbedingungen ‚seine Meinung zu sagen‘) Vexierzüge, 262-65).

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Platz aller möglicher (an diesem Platz) fehlenden, an dieser Stelle potentiell eintretenden Zeichen.458 So fungiert der Strich (wie Punkt oder Asterisk) cancellierend als Auslassungszeichen: als Platz-Halter, der die Stelle hält, wo ein Zeichen fehlt, indem er „den leeren Platz“ schreibt, „den jede Letter immer nur substituiert“459 (analog der Null, die das Stellenwertsystem der arabischen Zahlenzeichen ermöglicht und hält).460 Als „Sperr- oder Füllzeichen“ (Siegert) referieren sie nicht (nur) auf abwesende Positivitäten, die sie als fehlende vertreten und ersetzen, sondern, so Wellbery mit Sternes Auslassungszeichen (u.a. dashes), auf die „leere Stelle“, die „Positionalität selber“,461 bzw. so Eva Geulen, den „Ort in seiner Stellung innerhalb eines Gefüges“, der umbesetz- und verlassbar und die verschieb- und rekonfigurierbar ist.462 Das gibt auch Jean Pauls Titel Schrift-Stellerei zu lesen,463 mit der, modelliert vom Druck mit beweglichen Lettern, Schreiben wie Lesen als Operieren über verstellbare Zeichen, 458 Heine markiert „– – –“ eine „Stelle“, an der ein Zitat fehle, und „zum Ausfüllen offen[ge] lassen“ werde, „sonst werde ich zitiert, nämlich in juriam“ (Reisebilder: Ideen. Das Buch Le Grand, Sämtl. Schr. Bd. 2, 286). 459 Siegert, […] Auslassungspunkte, 24f., 27f., vgl. 17ff.). Das Nullzeichen macht „die Stelle als solche sichtbar“, unterscheidet sie vom leeren Papier (27, 9f.; vgl. Dotzler, „Leerstellen“, 215f.). 460 Die Null ermöglicht, „den leeren Platz zu schreiben, indem sie die leere Schreibfläche in derselben Weise digitalisiert, wie die antike Expunktierung das Spatium symbolisierte. Stellenwertsysteme sind Codes, die mit dem Medium rechnen, das sie speichert und überträgt. Der Kanal […] ist […] der Grund der Operationalität der Zahlzeichen“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 19f.; vgl. Rotman, Die Null und das Nichts, 31-40, 99ff.; Dotzler, „Leerstellen“, 226; s. Kap. IV.1). Auch Jean Paul bezieht, wo er die Ersetzung der „24 Zeichen“ „durch ein einziges und einfacheres“, den „horizontalen Strich“ thematisiert (Auswahl aus des Teufels Papieren, SW II.2, 220ff.), diese auf die „Rechenkunst“, die „von den Arabern alle mögliche Summen mit 10 Zeichen, von Weigeln schon mit vieren und endlich von Leibnizens Dyadik blos mit zwei Ziffern schreiben“ lernte (221); die Steigerung: „alles durch Ein Zeichen“, wäre kein Zeichen oder allein durch die Differenz ein/kein Zeichen (angezeigt mit „alles durch gar nichts hinzusetzen“). 461 Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 313: „Sternes witziges Spiel“ mit der Verstellbarkeit ist „Spiel mit der leeren Stelle“. 462 Geulen, „Stellen-Lese“, 477f., mit DW Bd. 10, Sp. 2174. Signifikanten „definiert“ „im Unterschied zum Gedanken nur der Stellenwert“, so F. Kittler („Vorwort“, 7; vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 19f.). Die Stelle ist vor allem umbesetzbar, die leere zeigt Versetzbarkeiten an (Geulen, 478, 483, 491f.). Mit Derrida ist das die „Kraft“ der iterierbaren Zeichen zum „Bruch mit dem Kontext“ („Signatur Ereignis Kontext“, 335-39), nicht sie selbst zu sein, anderswo anders zu spielen („My Chances“, 16). Das „dem Text inhärente[] Stellensystem“ (Siegert) ist kein System (Derrida), nie geschlossen, beweglich, fortwährend ausspielbar, vgl. Kap. III.1 u. in I.5. 463 Vgl.  „Schriftsteller“-Eintrag, DW Bd.  15, Sp.  1748 und die „mechanische Schriftstellerei“ (SW II.1, 742f.); im 18. Jh. „beginnt erst“, die „Semantik des Wortes ‚Schriftsteller‘“ sich zu ändern (Zanetti, „Doppelter Adressenwechsel“, 216).

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als an „ihrem Platz“ fehlende, mögliche Substitutientien vorgestellt ist,464 der Text damit als bewegliches Mosaik oder Anagramm – wie der Witz.465 Sind sprachliche ‚Elemente‘ durch ihre Verstellbarkeit ‚bestimmt‘, so sind sie als iterierbare gerade nicht indivisible, sondern latent immer schon andere. Es handelt sich beim Operator, der „das leere Papier“ „durchstreicht“, wie oder als Auslassungszeichen, um die Paradoxie eines gerade durch den Eintrag leeren Platzes, der durchgestrichen sowohl, allen möglichen zukünftigen Eingriffen vorgreifend, leer-gehalten: gesperrt, als auch als leerer markiert und sichtbar wird, indem er gesperrt wird. So hat das Ausstreichen (cancel, cancellare) auch die Funktion des Cancellierens, das den ‚leeren Platz‘ ‚durchstreicht‘, um zu verhindern, dass eine unbefugte andere Hand Raum hat, weiterzuschreiben, Zahlwerte und Eintragungen zu ‚fälschen‘,466 um derart die Halt- und Referentialisierbarkeit jeder Rechnungsstellung wie sonstiger vertraglicher Aufstellungen zu sichern. So ist die Durchstreichung auch hier, fortsetzend, auf den „leeren Platz“ in der spatialen Anordnung bezogen, die Aufzeichnungen und Einträge ausmacht: Man durchstreicht ietzt nicht mehr Wörter, aber man durchstreicht doch dafür das leere Papier. Die Guayaner lassen neben dem begrabnen Körper einen leeren Platz für den Geist und unsere großen Köpfe neben den Worten einen für die Gedanken, und deuten den Sin, wie Heraldiker das Silber, durch leeren Raum an. Man vertheuert durch eine solche Verschwendung der Dinte seine Ware, wie die Kaufleute durch Benetzung die ihrige.467

Wenn „Sin […] durch leeren Raum“ angedeutet werde, wie „Heraldiker das Silber“ anzeigen, wird der von der Anschrift von „Worten“ leer-gehaltene Raum (statt ihrer) als ‚negatives Zeichen‘ berufen, das für den ungesagten/ 464 In Buchstabenspielen treffen, so Jean Paul, Leser_innen ‚statt auf den Dichter auf den Setzer‘ (Kleine Nachschule, SW I.5, 461); der Bezug der Buchstabenspiele und der Anagrammatik auf den Druck vgl. Kap. I.5-6; Haverkamp, Art. „Anagramm“, 143, u.a. 465 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f., 201; das stellt der „Setzer und Zurechtsetzer“ als Beteiligte an der Texterzeugung vor („Vorrede zur ersten Auflage“ des „Ergänzblatt zur Levana“ SW I.5, 1288): „um eine Welt zu gestalten und zu verunstalten“, durch sog. „Setz-Anagramme[] und Klimanina“ (1289) der „schwarze[n] Musaik“ (1291); als ‚Anagramm‘ der Digressionen und Paratexte ist Tristram Shandy „der längste kürzeste Witz der Welt“ (Rinck, Risiko und Idiotie, 138); vgl. im Folgenden. 466 „Der Brauch, Anfang und Ende von Zahlzeichen mit einem Punkt zu markieren, stammt aus der Praxis mittelalterlicher Buchhaltung und Rechnungslegung und sollte die indischarabischen Zahlzeichen gegen Fälschungen absichern“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 52). Jean Paul zufolge gebe die „hinter jede Zahlensumme“ geschriebene „buchstäbliche Summe“ „Asekuranz“ (Leben Fibels, SW I.6, 489). 467 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424.

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unsagbaren „Sin“ jenseits der Buchstaben stünde. Dabei finden sich „die Gedanken“ aber, mit dem „leeren Platz“ „neben dem begrabnen Körper“, „neben den Worten“, am Rande, als der Wörter Parasit. Die Vielsagenheit, die die Indizes des Fehlens evozieren sollen, die, mit Bodmers Insinuation: „[d]em Leser mehr zu denken zu geben, als man sagt“,468 einen „verschwiegenen Sinn“ meinen und für diesen – supplementierend – die Einbildungskraft der Leser_innen in Anspruch nehmen, rückt Jean Paul mit der aufs Manuskript gehenden Metaphorik ins Licht des (leichteren) Betrugs: „Man vertheuert durch eine solche Verschwendung der Dinte [beim Durchstreichen leeren Papiers] seine Ware, wie die Kaufleute durch Benetzung die ihrige,“469 – die derart, vornehmlich wird an Obst- und Gemüsehändler zu denken sein, eine größere Schwere, quantitative Gewichtigkeit ihrer Ware vortäuschten.470 Im Verdacht des Betrugs steht derart zum einen die übliche Suggestion von ‚mehr (ungesagtem) Sinn‘ durch das ‚negative Zeichen‘ des sogenannten GedankenStrichs, der als „Surrogat“471 von (nicht anwesenden) Gedanken taugen muss, für dessen Deckung seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die Einbildungskraft der Leser_innen herhalten muss. Der leeres Papier durchstreichende Strich wird zum andern aber ausgespielt als Zeichen nicht so sehr einer solchen Absenz, sondern als ‚Sperr- oder Füllzeichen‘, das den Platz markiert, um ihn zu halten, ihn füllend sperrt, leer hält und ihn einräumt, indem es ihn besetzt-hält. Denn darauf gehe, so Jean Paul in Leben Fibels, die Rechnung seiner „neuen Nießhaber“, die „freilich die [in Fibels Gebrauch] parallelen Striche nebeneinander [setzten], ja oft drei, bloß um vielleicht – – – mehr Raum auf dem Papier zu leeren und in den Beutel zu füllen.“472 Das einnehmende Leeren, das Halten des Platzes, den der Strich ein-räumt und zugleich auf dem Papier sperrend hält, erzeugt schlicht mehr Seiten-Raum, für den Schriftsteller Geld ‚einsacken‘.473

468 Bodmer, Die Grundsätze der deutschen Sprache, 126. 469 (J.  P.  F.  Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1,  424. Die Multiplikation der Interpunktionszeichen sei „nicht blos modisch, sondern auch vernünftig“: „Manche Autoren können dadurch mehr ausdrükken, als sie im Sinn haben!“ (425). 470 Anderswo hebt Jean Paul die quantitative Gewichtigkeit der Drucktypen hervor: „Es ist leicht nachzuzählen und nachzuwägen, daß ich wirklich das ½ Pfund Schwersscher Gedankenstriche, dieser Gedanken-Exponenten, in gegenwärtigem kleinen Werk rein aufgebraucht“ (Jubelsenior, SW I.4, 528; zur Materialität des Drucks bez. der Gedankenstriche im Quintus Fixlein vgl. Dembeck, Texte rahmen, 342). 471 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 472 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 473 Diese Strategie der Auslassungspunkte sieht Osterkamp in Gutzkows unter enormem Zeitdruck verfassten Roman-Serien am Werk („Drei Punkte“, 252).

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Derart referiert der Strich, Anfang der Schrift vor allen Buchstaben und Wörtern, als Platzhalter und Füllzeichen (statt auf in der Äußerung absente Gedanken) als ‚Zitat‘ des Spatiums, als ‚Füllsel‘ anstelle des leeren Platzes474 auf die Schrift (und deren Geschichte), auf den materialen Raum der Seite, auf den durch Abstände artikulierten Textraum. Mit Fibel, den Leben Fibels als „Erfinder der – Gedankenstriche“ fingiert,475 werden diese auf die „TeilungsStriche[]“ zurückgeführt, mit denen Fibel alle Wörter in sinnleere Silben auftrennt, indem er einen markierten Abstand in sie legt. Fibels Fibel heftet Lesen an die Buchstaben,476 führt es „– mit dem Gefolge seiner unzähligen Abcschützen hinter sich“477 ins „Gedankenlose […], das im Materiellen und Kombinatorischen aller Schrift stets möglich und drohend ist“.478 Fibel (heißt es) „tut auf dem Papier keinen Schritt, ohne von einer Silbe zur andern auf zwei übereinanderliegenden Teilungs-Strichen wie auf einer Brücke überzugehen“,479 wobei die Striche hier umgekehrt die Typo-Graphie der Auftrennung abgeben.480 „– Gedankenstriche“, sichtbar unterbrechende Einräumungen von Abständen, fungieren als – wie sich unter „Schrift-Stellerei“ weiter lesen 474 Vgl. Siegert, […] Auslassungspunkte, 9f., 22ff.; wie Divis und Apostroph markieren Auslassungszeichen ‚nicht besetzten segmentalen Raum‘ (Bredel, Interpunktion, 20, 32-43); diese sind wie „Gedankenstriche[], Parenthese[]“ „Lückenlettern“ (Giertler/Köppel, „Zur Einführung“, 10); im Druck werden Leerzeichen positive Elemente: Lettern, vgl. Wehde, Typographische Kultur, 105, Kap. IV.1. 475 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 476 Zur Buchstabiermethode, die die Fibel aufführt, vgl. Kap III.2; diese verteidigte auch der den Gedankenstrich zuerst registrierende Braun (vgl. Göbelbecker, Entwicklungsgeschichte des ersten Leseunterrichts, 82; B. Menke, „Alphabetisierung. Kombinatorik und Kontingenz“, 43-59). 477 Das „graphische Mittel“ „Übergänge [zu] schaffen“ ist im ABC-Buch der „trennende Gedankenstrich“ (Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 87, 95), wie der Bindestrich, der ausführlich bei Schottel dessen Interesse für Wortbildung bezeuge, Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 107. Mit dem „Spatium, das man als Bindestrich schreibt“, trete das „Zwischen“ auf, so F.  Kittler, Aufschreibesyteme, 263f.; das „hyphen“, Trenn- und Bindestrich, der im Wort einen Abstand einlässt und die getrennten Worte aneinander bindet, weist Rotman auch als Platzhalter aus (Mathematics as Sign, 62). 478 F.  Kittler, Aufschreibesysteme, 52. Fibels Fibel fasst zwar die „selbst=lau=ten=den Buch=sta=ben“ und die „stum=men Buch=sta=ben“ zu sprechbaren Silben zusammen, aber zu den unsinnigen Kombinationen der Lesetabelle  (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 549f.); gegen die Unsinn auswerfenden Kombinationsspiele lautete die Vorschrift um 1800: „‚Zum Syllabiren wähle man nicht das Gedankenlose ab, eb, ib […] sondern einsilbige Wörter, mit denen sich ein Begriff verbinden läßt: Bad, Brett, Hof, Teig […]‘“ (F. Kittler, Aufschreibesysteme, 52, vgl. 55-59). 479 Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 430. 480 Gedankenstriche, die „unähnliche Materien voneinander sonder[n]“ (Jean Paul, SW II.1, 488), durch die („bloß“) „die unähnlichsten und feindseligsten Dinge“ „auseinander“ gehalten werden (480). Der „trennende Gedankenstrich“ als „graphische[s] Mittel“

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lässt – „Brücke“ „über die Klüfte unähnlicher Materien geschlagen“ und „Mittel, […] zu trennen“, zugleich.481 Sie führen die jede vermeintliche Worteinheit erschütternde, ihr vorausgehende Zerlegbarkeit der semantischen Einheiten in un-sinnige Elemente aus, die in ihren Stellungen und Verstellungen, in Verbindungen durch Trennungen, Spaltungen (in sich) durch (andere) Verbindungen, sinnfern, (irgendwelchen) Sinn effektuieren mögen. Schriftliche Einlassungen in die Buchstaben-Fügung, die Abstände erzeugen und remarkieren oder ‚zitieren‘, sind sichtbar, unsprechbar, ein „Ort, an dem Schrift auf die eigene Materialität verweist“,482 auf eine nicht-lineare, spatialisierte Schrift als Raum, den sie (auch) graphisch artikulieren. Die „spatiale Extension“ macht Zeichen ‚im Innern‘ aus,483 ‚verräumlicht‘ sie anfänglich, so Derrida, divisibel, iterier-und zitierbar, nicht sie selbst, sondern ein „Gewebe von Differenzen“,484 ‚verräumlicht‘ durch die Spuren der ihnen als iterierbaren inhärierenden latenten Bezügen anderswoher, -hin, als (virtuell) andere.485 Diese bewegliche Verräumlichung aller Zeichen ist gleichsam exteriorisiert in der spatialen Anordnung der Schrift auf der Seite, auf die die Platz-Halter, die das Spatium ‚zitieren‘, referieren. Das berühmte Beispiel Mallarmés Un coup de dés486 richtet die Aufmerksamkeit auf die ZwischenRäume,487 indem Abstände legend, in räumlicher Dispersion, Konstellationen, „Übergänge [zu] schaffen“, organisiert auch in exzerpierenden Notaten Trennung und Übergang (Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 87, 89ff., 95). 481 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424; diese Doppelfunktion auch I.1, 480; II.1, 488 u. 1002; II.3, 936; vgl. Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 40, 33. 482 Siegert, […], Auslassungspunkte, 36. 483 Diese ist „integraler Bestandteil des Zeichens“ (Siegert, […] Auslassungspunkte, 19), der nicht (bloß) durch Zwischenräume zwischen (den nur vermeintlichen) ‚Entitäten‘ bestimmten Zeichen; vgl. Kap. IV.1. 484 Derrida zur (über die bloßen Aufschubbewegungen oder Umwege, die noch ihren Anhalt an einer vergangenen, verlorenen oder einem diese Bewegung einholenden telos hätten, hinausgehenden) Verräumlichung: ein „Gewebe von Differenzen“, die ‚im Innern‘ die Zeichen konstituiert (Derrida, „Die différance“ 38; ders., „Signatur Ereignis Kontext“, 336, 348): the „internal difference“ aller vermeintlichen Elemente als iterierbaren („My Chances“, 10); „the mark is more than one“, „the identity of a mark is also its difference“ (16). 485 Zu Iterierbarkeit und Verräumlichung der unvorhersehbar, sich aus den Kontexten lösbaren, anderswo zitiert spielenden, sich verandernden Zeichen oder Marken vgl. Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, 335-339, 348; ders., „My Chances“, 16; vgl. in Kap. I.5, III.1, IV.1. 486 Für die folgenden Bemerkungen vgl. Derrida, „La double séance“; Benjamin, „Vereidigter Bücherrevisor“, in: Einbahnstraße, 29ff.; B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“. 487 F. Kittler zufolge treten Zwischenräume ‚selbst‘ erst in der Literatur um 1900, so in Morgensterns „Der Lattenzaun“ auf, der nichts als das Verhältnis zwischen Lettern „und ihrem Zwischen“ schreibe (Aufschreibesysteme, 263ff.; zum Zwischenraum bez. der Schriftoberfläche vgl. Keck, „‚Ein Letternzaun, albern anzuschauen‘“, 127ff.).

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Anordnungen des schwarz und weiß erzeugt werden: durch die (diesseits ihrer Thematisierungen) sichtbar spatialisierenden blancs, im Drucksatz durch die (sorgfältige) Anordnung des Blindmaterials, das den ‚Weißraum‘ sperrt.488 Die Konstellationen von Zeichen sind auf die sie ermöglichenden Zwischenräume (blancs), und damit auf ihren Untergrund, aufs Papier bezogen, das in jedem Übergang einer Konstellation (nach Art eines Vexierbildes), ihres Zurück- oder Eintretens ‚interveniert‘.489 Jede Konstellation ist virtualisiert durch die (auf den Buchseiten und zwischen ihnen, hin- und her blätternd) jeweils anderen, die unbestimmt vielen latenten anderen Konstellationen, die Wörter als andere (unter/in ihnen) lesen, verwiesen auf ihren Hintergrund, das Papier ‚als Feld der Figurabilität‘,490 als abgründigen Grund aller möglicher Figurationen.491 Der dash setzt sich, Abstände eintragend, und setzt die Text-Anordnung, indem er diese lockert, und den Text492 derart als quer verknüpfbaren und lesbaren vorstellt, in Bezug zum Raum der Seite. Striche, die unterbrechend Abstände räumen und halten, referieren auf den Grund, den Potentialis der (anderen) Konfigurationen, den Hinter-Grund, vor dem der Text sich figuriert, ein Gewimmel unbestimmter Differenzen. Die ganze Folge der ‚Definitionen‘ der „Gedankenstriche“, mit denen der Text sich doch eher abfällig über sie auszulassen scheint, ist selbst durch den Strich „–“ skandierend unterbrochen und zusammengehalten. Daher sind die Leseperformanzen dieses Textes selber in den Blick zu nehmen, zumal dieser sich explizit auf sein Operieren wendet: „meine Gedankenstriche werden sich selbst loben. –“ und: „– Aus diesem [sei] de[r] verschiedne[] Gebrauch und

488 Als „positive[] […] Elemente[] des Zeichenmittel-Repertoires“ ermöglichen sie „die Anordnung von Schrift auch jenseits der linearen Zeilenstruktur“ (Wehde, Typographische Kultur, 105, 103), sperren den ‚Weißraum‘ (T.  Fries, „Der weiße Zwischenraum“, 117-20); der „Zwischenraum“ hat „strukturbildende Kraft“ (118, 120; ders., „Die Leerstelle“, 171; das Spatium als „Zeichen“, N.  Fries, „Spatien oder die Bedeutung des Nichts“, 408). Weißräume, Spatien „transportieren noch nicht einmal ein Fehlen oder eine Absenz von Sinn, aber sie ermöglichen Lesbarkeit überhaupt erst“ (Metz, „Absicht oder Versehen?“, 42, 41f., vgl. 61-64, 66f.). 489 Mit Mallarmé: „Le Papier intervient chaque fois qu’une image, d’elle-même, cesse ou rentre“ (zit. nach Hahn, „‚Intervenierendes Papier‘“, 452, 456). 490 So Didi-Huberman, „Geschenk des Papiers“, 188f. Es ist Raum unbestimmter Tiefen (vgl. B. Menke, „Text-Oberfläche“, 128f., 146f.); vgl. bez. Verstellbarkeiten, Anagrammatik Kap. I.5-6, III.1, IV.1. 491 Insofern kommt hier die „dreidimensionale[] Schrift“ ins Spiel (Benjamin, „Vereidigter Bücherrevisor“, in: Einbahnstraße, 30), als beweglicher Schriftraum (vgl. Derrida, „La double séance“; B. Menke, „Das Negativ der Konstellation“). 492 Dafür steht die das Medium Schrift modellierende Gewebemetaphorik, vgl. WagnerHasel, „Textus und textere, hýphos und hyphaínein“, 15ff., 29f., 34-42.

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die Nothwendigkeit der Gedankenstriche [zu] ersehen“.493 So handelt der Text von „Gedankenstrichen“ gerade auch, indem er sie abundieren lässt, so dass Äußerungen, die sie konstatierend zu definieren scheinen, auch etwas anderes tun, sie operativ werden lassen: Gedankenstriche sind Furchen ohne Samen – sind Linien, die der Chiromantist zu lesen gedenkt, und für deren Bedeutung der Zufal nicht gesorgt – sind das algebraische Zeichen der Subtrakzion – sind die Gebeine verstorbener Gedanken – sind die Schleppen oder Schwänze der Perioden, welche Schwänze auch oft den Kopf der Perioden, wie die Schwänze bekanter Vögel den Kopf der Damen zieren – sind Brükken, über die Klüfte unähnlicher Materien geschlagen – sind Mittel, unsere Bewunderung vom Genus ihres Gegenstandes zu trennen, wie iener zwischen sich und seine schöne Schlafgenossin einen Degen legte. –494

Die sogenannten „Gedankenstriche“ organisieren eine (Art) Liste von durch die Striche aufgeführten Elementen, von quasi-‚Definitionen‘ ihrer selbst: als Liste, in der das Gelistete beweglich, verstellbar gehalten ist.495 Sie ermöglichen, über die Unterbrechung – fort-zuschreiben,496 als „Brükken über die Klüfte unähnlicher Materien geschlagen“, als Operatoren eines Anhangs, als die sie (auch) thematisiert sind: „– sind die Schleppen oder Schwänze der Perioden, welche Schwänze auch oft den Kopf der Perioden, wie die Schwänze bekanter Vögel den Kopf der Damen zieren.“ Sie hängen den „Perioden“ abbrechend sich und anderes, anderswo her entwendete, mehr oder weniger zierende „Schwänze“ an.497 „Schwanz“, das als „marginales Glied“498 bloß 493 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 494 Jean Paul, SW II.1, 424. Das grammatisch bezuglose „wie iener“ kann, mit dem von der „Schlafgenossin“ trennenden „Degen“, Tristan anspielen. Eine weitere GedankenstrichBestimmungsliste in Feldprediger Schmelzles Reise, SW I.6, 21. 495 Zur a-linearen Organisation der Liste vgl. Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 31ff.; vgl. Kap. III.1. 496 In Exzerptheften entstehen oft „nur durch das Hintereinanderschreiben überhaupt […] Reihen“; das Schreiben nehme im Strich den Übergang ins Weiterschreiben (Ortlieb, „Jean Pauls Punktiermanier“, 89ff.), z.B.: „Hängende Gärten. – Manuskript. – Nachdruck. – Kothurn und Sokkus. – Zufal erfand die Künste. – Meilensteine. – Heiligenschein. – […]“ (zit., 91); umgekehrt werden Einfälle durch Gedankenstriche getrennt aufgeführt (vgl. Wirtz „Vom Nachlassen“, 174). 497 Die Metapher findet sich auch hinsichtlich der Rand-Zonen, an denen über Autorschaften entschieden wird: „Wie schön glänzt der Name eines großen Schriftstellers, der das Motto herleiht, auf einer modischen scharfsinnigen Schrift! […] Eben so schimmern auf den Helmen der Helden Federn aus dem Schwanze der Pfauen“ ((J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 423). Pelz kennzeichnet seine „heutigen Worte [als] nur ein paar ausgerupfte Schwanzfedern als Kopfputz, welche nur wenig die ganze Größe des Vogel Strauß aussprechen“ (Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 491). 498 M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 201.

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(wie) Angefügte, bedeutete um 1800 „Umweg, Abstecher“,499 ist „Signum einer Umwegigkeit, die sich vom Zentrum entfernt und an die Ränder verliert“.500 Dabei ist eine Anreicherung durch die Anfügungen, die irgendwann einmal sich vollenden möchte, höchst zweifelhaft (nicht so sehr weil „–“ auch die „Subtrakzion“ anweisen könnte), weil kein Ort des ‚inneren Zusammenhangs‘ der derart aneinander gefügten „unähnlichen Materien“ angegeben, auch nur angenommen werden kann. Als Operator des Zusatzes kennen wir den Strich „–“ aus Texten Kleists, „Anekdote aus dem letzten Kriege“, „Der Griffel Gottes“, wo der Zu-Satz, den ein „–“ anhängt, diesseits alles dessen, was der angehängte Satz sagen mag,501 durch seine –Zusätzlichkeit die Schließung des Textes auf-, hintan- und in der Schwebe hält: – bindet oder ‚näht an‘, was getrennt ist, hält auf und in der Trennung, was zusammen-gehalten ist.502 Und „trug [Fixlein] nur noch einige Gedankenstriche als Fäden der Rede nach“, so sind diese „Fäden“, die die Rede wohl zusammenhalten sollen, nachgetragen, hinzugesetzt (wie von anderer Hand).503 Mit dem „–“, dem Nähstich und dem Abstand, über den er geht und den er auf-hält, wird die heterogene Zusammengesetztheit, die Allo- und Heterographie des Textes – ‚im Innern‘ auftrennend und absondernd – artikuliert. Als Operatoren des Anhangs oder Zusatzes „– sind [sie] Brükken, über die Klüfte unähnlicher Materien geschlagen“, sowohl, als auch „Mittel“ „zu trennen“,504 die umgekehrt auch unterbrechend, Unähnliches, Zusätzliches, Marginales – in einen Satz – einschalten können. Die „Schwänze“ an Perioden wie Köpfen, ‚Zierde‘ oder ornatus, Zusätze, alludieren als Schweife Bewegungen des Schweifens,505 Ausschweifungen, Umwege oder 499 So die ältere Bedeutung von „Schwanz“, DW Bd.  15, Sp.  2257, in der das Wort „noch“ Goethe verwendete (anlässlich der Schwänze diverser Tiere in Jean Pauls Feldpredigers Schmelzle), vgl. M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 201. 500 M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 201; vgl. Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 310. 501 Der Zusatz besorgt in diesen Fällen keine ab-schließende Deutung, sondern zu „Der Griffel Gottes“ bezeugt er den „Vorfall“ einer Dispersion, derer „Schriftgelehrte“ sich annehmen mögen (Berliner Abendblätter 5. Bl., 5. Oct. 1810; BA I, 28), in „Anekdote aus dem letzten Kriege“ lässt er rückwirkend Perkussionen lesen (18. Bl., 20. Oct. 1810; BA I, 96; vgl. Kap. IV.1). 502 So auch Adorno, „vom Gedankenstrich [sei zu] lernen“, da „der Gedanke seines Fragmentcharakters inne“ werde; das Zeichen erfülle „seinen Zweck […], wo es trennt, was Verbundenheit vortäuscht“ („Satzzeichen“, 108). 503 Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 89; derart würde das hyphen (das Jean Paul mit Fibel nicht unterscheidet) als Web-Faden (hýphos) gelesen. ‚Interpunktionszeichen‘ waren nachgetragene Marken von Lesern, Schreibern (vgl. Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 41, 72f.; Szendy, Stigmatology, 11-14; Kap. III.1 u. 2). 504 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424. 505 Mit Montaignes Metapher des „Schweifens“; da es „von einem Gegenstand zum andren“ gehe, erzeuge es Text-„Mosaik[e]“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 138f.), vgl. im Folgenden.

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Exkurse;506 die Aus- wurde im Sinne von Digression, die lesendes Umherschweifen veranlasst und eröffnet, um 1800 durch (das Wort) Abschweifung ersetzt.507 Bezüglich der Digressionen wird vom Querstrich in Geminatio, vom „Dop­ pelquerstrich“, der „jetzt gewöhnlich anstatt der Klammern am Anfang und am Ende von S c h a l t s ä t z e n “ stehe, so im Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung (1890),508 als „Einschließungszeichen“ gesprochen.509 Der als Anund Aufhalt intervenierende Strich würde mit seinem ‚Zwilling‘ als Anzeige und -weisung für eine eingelassene und ausgeklammerte Parenthese,510 als Regulator der Digressionen im Verhältnis zur unterstellten Kontinuität der Narration oder des Gedankens fungieren.511 Aber, wenn der Anweisung der Rede vom Gedankenstrich, in der Wendung auf sich selber, dass aus ihrem Verfahren „Gebrauch und die Nothwendigkeit der Gedankenstriche [zu] ersehen“ sei,512 zu folgen ist, dann handelt es sich beim „–“ um den Operator der unentscheidbaren 506 Vgl. DW Bd. 15, Sp. 2257. Jean Paul: „Mache deine Biographie sehr lang durch die Ausschweife“ („Von der Selbbiographie“, 15). Ausschweifungen sind Montaigne-nah auch solche der Reisen (SW I.6, 885), werden als „sternische“ ausgemacht (SW I.1, 916); schreibend sei er solchen „nachgegangen“ (SW II.2, 209), zum Genuss (SW I.3, 59f. u.v.ö.). Jean Paul zu seinem nicht abgeschlossenen Roman Komet: „ohne alle Ausschweife bliebe der Schweifstern oder Komet als ein gar zu dünner Haarstern“ (SW I.6, 568), aber er wolle „nicht viele Ausschweifungen im Buche machen und einschwärzen, sondern der ganze Roman sollte nur eine einzige sein“ (569; vgl. Studienheft „Ausschweife zu ‚Komet‘ und ‚Wochenschrift‘“, HKA II/6, 541ff.). ‚Ausschweifung‘ ist auch in Adelungs Wörterbuch im Sinne erotischen Genusses verzeichnet (M. Wieland, Vexierzüge, 254f.). 507 Zur Wortgeschichte vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 29, vgl. 32f., 46.; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 201; Matuschek, Art. „Exkurs“, 131f. 508 Erbe (Hg.), Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung, 23. Baudusch will den „doppelte[n] Gedankenstrich“ als „aus zwei Hälften bestehende[s] Satzzeichen“ strikt unterscheiden („Einige Gedanken über den Gedankenstrich“, 161, 163), dgg. Bredel (Interpunktion, 10; vgl. Riha, „Nachsatz“ zu „Gedanken zum Gedankenstrich“, 192); zur Geminatio diakritischer Zeichen vgl. Müller Nielaba, „Anführungszeichen“, 143, 147. 509 Der erste Nachweis als „Einschließungszeichen“ finde sich in Adelungs Grammatischkritisches Wörterbuch (1775/1778, 462f. so Arendt, „Gedanken zum Gedankenstrich“, 33), als „Einschlußzeichen“ zuerst bei Johann Gottlieb Radlof (1820) (so Baudusch, „Einige Gedanken über den Gedankenstrich“, 161ff.); zwei Klammern in dieser Funktion seit dem Barock (Schottelius, Harsdörffer), vgl. Höchli, Zur Geschichte der Interpunktion im Deutschen, 112, 121, 128, 135. 510 „In Greek, ‚parenthesis‘ means ‚to place in beside‘“ (R.  G.  Williams, „Reading the Parenthesis“, 60). Sie wird durch verschiedene Schriftzeichen markiert (vgl. 62f., 65), u.a. durch Klammern vgl. Lennard, But I Digress, 1, 91-95; Bredel, Interpunktion, 76, 61-65; Rinas, Theorie der Punkte und Striche, 88, 96, 106, 108 u.ö.; Lachmann, „Die Parenthese und ihre Umklammerung“. 511 Vgl. Matuschek, Art. „Exkurs“, 126f. 512 (J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424.

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Ein- wie den Abschluss aufschiebenden An-Fügungen. Durch die vielfältigen ‚Einlassungen‘ ist eine Hierarchie der Teile, ist die unterstellte Unterscheidbarkeit von Haupt-Linie und Einschub oder Digression ausgesetzt.513 Würde auf den zugehörigen zweiten Querstrich (des Doppelzeichens) gewartet, der die digressio ein- und (die Umgebung gegen sie sichernd) abschlösse, so fände dieser sich einerseits überall und bliebe doch anderseits stets noch, unidentifizierbar, auf den nächsten weiterverweisend, aus. Die sogenannten „Gedankenstriche“ ‚nähen an‘, was nicht integriert wird, sie separieren,514 halten auf und in der Trennung, was an-gefügt ist,515 organisieren und markieren einen ‚Nexus‘, den sie zugleich auf-trennen.516 Der durch den Strich als Operator des Anhangs gehaltene Abstand in der Fügung remarkiert die Grundlosigkeit der Verbindungen, die (etwa) der Witz im Sprung – mit witzigen Effekten – ausspielt. Digressionen – Mosaike – Anagramme Es heißt, die Metapher Exkurs, egressio, digressio sage, „daß sich dabei an der Grundrichtung nichts ändert. Er [der Exkurs] kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück, um den alten Weg wieder aufzunehmen, so wie man auf einer Reise einen Abstecher macht“.517 – Dann sollte aber der Rückweg vom Ab513 An den ‚parenthesis‘-Einträgen in Rhetorikhandbüchern und der OED weist R. G. Williams („Reading the Parenthesis“, 55-60) die Unhaltbarkeit der (mit „monological denunciations“ der Parenthese als bloß ‚akzessorisch‘) in Anspruch genommenen Gewissheiten auf (65): „which passage is ‚placed in beside‘ the other, serving the latter as mere adjunct?“ (60). Die Parenthese-Marker organisieren die „simultane Geltung“ der „Elemente“ (Bredel, Interpunktion, 65, vgl. 68ff.). 514 Vgl. OED III, 40. 515 In den (fingierten) „crossreadings“ Lichtenbergs, die ein Lesen quer über den Abstand zwischen Zeilen zweier Druckspalten aufschreiben, halten Gedankenstriche die Stelle der springenden Fügung (vgl. Riha, Cross-Reading, 7). 516 „Nexus“ ist Jean Paul ‚Zusammennähung‘ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 195f.), angelegt auf die (Auf-)Trennbarkeit des Verkuppelten (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 109f.) durch deren Rekombinierbarkeit. Die Doppelperspektive, die Klappert in Jean Pauls Metaphern „Nexus“ und „Rochade“ vorträgt, leuchtet (nur) insofern ein, als beide: die Lücke- und Link-Perspektive ineinander umschlagen, beide voneinander unlösbar sind (Klappert, Link und Lücke, 161-64, sowie 117ff., 126f., 138f.). Aber das andere Modell des Sinns wäre mit dem ganzen organischen Körper (Phantasie, die Einheit des Bildes) aufgefasst und gerade nicht als „Link“, der Diskretheit voraussetzt. 517 Matuschek, Art. „Exkurs“, 126f.; das scheinen Sternes nachgetragene Aufzeichnungen der ‚digressiven‘ Erzähl‚wege‘ des Tristram Shandy nur zunächst vorzustellen (VI, xl, 570f.; vgl. B.  Menke, „Kritzel – (Lese-)Gänge“, 205ff.). „The strangeness of any narrative line lies in the impossibility of distinguishing irrelevance from relevance, digression from the straight“ (J. H. Miller, Reading Narrative, 68, vgl. 66-70); sie geben vor zu zeigen (statt zu sagen) (Schmidt-Burkhardt, „Der Witz im Diagramm“ (2017), 294f.), eine „parodierte

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stecher ­gesichert und daher Anfang und Ende der digressio, die Abwendung vom Gegenstand (in der Wendung an ein anderes Thema oder einen anderen Adressaten) identifizierbar sein, um die Rückkehr an des Exkurses Ausgangspunkt, wie für rhetorische digressiones gefordert,518 zu ermöglichen. Dies sollen diesseits der rhetorischen digressio diakritische Zeichen leisten. Das könnten allerdings Klammern besser besorgen, da sie, den eingeschobenen Raum umklammernd: aus- und einschließend, den Unterschied zwischen Einsatz und Abschluss der Digression sichtbar vorstellen,519 während dashes ihre jeweilige Funktion nicht ersichtlich machen; diese würde allein durch die Stellung bestimmt, die in Jean Paul’schen Texten (meist) nicht entscheidbar ist. Jean Pauls ‚Gedankenstriche‘ führen das Regime von Digression und ordentlicher Rückkehr nicht und fügen sich diesem nicht. Wie Marginalien oder Rand-Noten fügen Digressionen: Abschweifungen und Zusätze, die Gedankenstriche sondernd regulieren sollen, „Unterbrechungen, Nebengedanken, Einwände“, Kommentare, Verweise, sichtbar an und hinzu,520 haben aber, in den Text einschaltend, die Lektüre unterbrechend und in sich aufspaltend, uneinholbar de-linearisierend, nicht den ‚Vorteil‘ der paratextuellen „Einrichtung einer Spalte“, die als Ausgliederung einer graphisch differenzierten ‚zweiten Schriftspur‘ des Textes „die wiederholte explizite Identifizierung dieser Textlinie im Text“ „erspart“.521 Das als Rand- oder Zeigegeste“, „die auf […] ein seltsames Diagramm weist, das noch weniger verständlich ist“ (Rinck, Risiko und Idiotie, 236; vgl. J. H. Miller, 68,70; Dembeck, Texte rahmen, 187f.). 518 Vgl. Matuschek, Art. „Exkurs“, 127ff.; Härter, Digressionen, 48ff.; zur Rhetorik, zur Situierung der Digressionen in ihr, zur Ordnung der Rede, deren Gefährdung und Reintegration, vgl. 20-25, 36f. Die „Abweichung“ (egressio) kann, wo sie bei Quintilian (anders als von „Cicero bis Lausberg“) mit digressio in einen „weiter konzipierten Begriff der Abweichung“ übergeht, zum „Angriff auf die Ordnung, von der sie abweicht“, werden (42-51, auch im Sinne von aversio, 22, von parekbasis, 43f.; vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 17ff.); vgl. Dembeck, Texte rahmen, 373ff., aber 187, 194; ders., „Text ohne Noten?“, 149; M. Wieland, Vexierzüge, 95f.; Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 100f. 519 Lennard, But  I Digress, 214. Klammern müssen nicht geschlossen sein, vgl. Düttmann, „Klammern (Derrida)“; der „Raum, der von einer klaffenden Klammer eröffnet wird“, ist „die Sprache selbst“ (Wills, „Genf, 1976“, 84); mit „parenthèses, qui s’ouvert sans plus se refermer“, kennzeichnet Ponge sein Schreiben (L’Opinion changée quant aux fleurs, 141f./ Änderung der Ansicht über Blumen, 170f.). 520 Der Funktion der Abschweifung als Amplifikation (seit Quintilian bis zum Barock) galt im 18. Jh. die „Fehdeabsage“, so Poser, Der abschweifende Erzähler, 19-25, 27ff. 521 Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 104, vgl. 102. „Die wichtigste Leistung der typographischen Techniken der Zweistimmigkeit“ sei die Ausgliederung: „die Abschließung und Isolierung des ersten Stratums des Textes von dem zweiten“ (105). Umgekehrt fasst Genette Anmerkungen gar nicht als Paratexte, weil sie als Parenthesen in den Text eingefügt sein könnten (Paratexte, 313; vgl. Dembeck, „Text ohne Noten?“, 148; Bunia, „Die Stimme der Typographie“, 378f.). Zwar stellen Genette zufolge Annotationen die den

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Fußnote ‚Angefügte‘ ist zwar „ausgeschieden“, bleibt aber als ‚Ausgeschiedenes‘ doch, im „Keller“ oder „Souterrain der Noten“ (Jean Paul),522 daneben sichtbar. Die in aufspaltender Ausscheidung eingerichtete ‚zweite Schriftspur‘ soll sich auch visuell der Hierarchie von Zentrum und Rand fügen, aber das Zusammenspiel von Trennung und Zuordnung wird in der „Struktur einer virtuellen Gleichzeitigkeit“ auf der Seite realisiert, auf der die verschiedenen Spuren aufeinander zugreifen können und miteinander konkurrieren.523 Marginalien oder Fuß-Noten sollen die rahmend ausschließende und hierarchisierend einschließende Ordnung von Rand-Noten und Haupt-Text berufen, gerade wo und weil diese Beifügungen sich aus der Hierarchie von eigentlichem Gehalt und bloßem Zusatz, die in der hierarchischen Ordnung von Zentrum und Rand oder oben und unten auf der Seite sichtbar organisiert und daher gesichert zu sein scheint, zu lösen drohen – was sie potentiell immer tun. Wenn Rand- oder Fußnoten sich mit Verweiszeichen sichtbar: unterbrechend, in den Text, den sie vermeintlich nur begleiten, ohne ihn anzutasten, einlassen, so unterbrechen diese, Asteriske, Kreuze, Ziffern, &c &c und andere Marken524 sichtbar den (lesbaren) Text, um aus ihm woandershin, Paratext ausmachende „Unbestimmtheit“ als „Randbereich zwischen Text und NichtText“ „bestens“ vor, weil sie „je nachdem zum einen oder anderen oder zum Zwischenbereich gehören“ können (Paratexte, 32; vgl. Giuriato, „Prolegomena zur Marginalie“, 177f.; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 194), aber Genette gibt Marginalie und Fußnote keinen begrifflichen Ort, fasst sie ‚schwach‘ als ‚lokalen Umweg‘ (vgl. Neuber, „Topik als Lektüremodell“, 177f.; Bunia, „Fußnoten zitieren“, 30; Dugast, „Parerga und Paratexte“, 102). 522 Zur Metaphorik Jean Pauls (hier Des Feldprediger Schmelzles Reise, SW I.6, 10) vgl. Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 15ff., 21, 27f., 51, 62, 88, 94; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 208. In der Metapher des Hinabsteigens o.ä. birgt sich die Unterbrechung einer linearen Lektüre, zu der Fußnoten veranlassen, vgl. Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 107. 523 Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 96, 98f. Mehrspurige Texte (vertikal oder horizonal in Spalten oder Blöcken organisiert), können die Hierarchie der Strata aussetzen. Aus einem „Marmorbande“ können, so Jean Paul, verschiedene Werke gemacht werden: „auf einem Blatte zugleich für zwei Geschlechter, ohne deren Vermischung“, dadurch dass man „Notenlinien […] zieht und so auf dem nämlichen fünfstöckigen Blatte die unähnlichsten Köpfe behaust und bewirtet“ (Des Feldprediger Schmelzles Reise, SW I.6, 11); in zwei Spalten organisiert Tristram Shandy die Gleichzeitigkeit zweier Handlungen (III, xi, 204-11; zweispaltig operieren A.  Schmidts  Zettels Traum; Derridas Glas, „Tympanon“ u.ö. oder in horizontaler Auftrennung Derridas Living on – Borderlines, komplizierter Danielewskis House of Leaves. Sie sichern kein Zentrum, sondern setzen die Relation von Zentrum und Rand aus. 524 Seit dem Mittelalter können Marginalien an bestimmte Textstellen geheftet werden (Kuchenbuch, „Die Achtung vor dem alten Buch“, 186; Cahn, „Die Rhetorik der Wissenschaft“, 102; Kipf, „‚Pluto ist als vil als Lucifer‘“, 39); zum ‚Anker‘, vgl. Bunia („Fußnoten zitieren“, 16f., 22f., 32; ders., „Die Stimme der Typographie“, 380). Der Asterisk, in „der frühen

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auf das aus dem Text Abgespaltene, an einen anderen Ort, an dessen Rand und darüber hinaus zu verweisen. Verweise über die stets „problematische Grenze“ des Textes, zwischen „an inside and an outside“,525 hinweg, auf andere Texte, auf reale und virtuelle Bibliotheken, andere Schriften, vorausgehender und angelagerter diskursiver Ordnungen, die in Noten ausgliedernd einen Ort am Rande zugewiesen bekommen,526 tragen auch ‚Gedankenstriche‘ als allographe unsprechbare Marken, die auf die Schrift und ihr Medium Bezug nehmen, in dessen ‚Innern‘, dieses organisierend, teilend und streuend, ein. Ordnen Randnoten zu und spalten sie ab, was dem Text nicht (eigentlich) angehöre, lassen Gedankenstriche Parenthesen unterbrechend: ‚daneben‘ in dessen (abscheidend konstituiertes) ‚Inneres‘ ein. Nicht nur verläuft mit ihnen die vermeintliche „‚Demarkationslinie‘“, die Text und Noten trenne, so Walther Rehm, „innerhalb des gesamten Erzählspiels“.527 Vielmehr zeigen sich „viele (nicht-)vorhandene Grenzen“, die „das hochgradig transitorische Feld des Paratextes umgeben“,528 die an den Rand-Zonen als Trennungen und Zuordnungen operativ und bearbeitet werden, im Textraum. Sie markieren des Textes, diesen in sich vervielfältigende und spaltende, Bezogenheit auf andere Reden und Texte, den Hinter-Grund anderer Möglichkeiten, von dem er, um sich als Einheit zu konstituieren, sich müsste scheidend absetzen können. philologischen Arbeit“ ein „formales Zeichen im Rahmen der möglichst authentischen und genauen Handschriftentradierung“ von anderer Hand, bekam im „Laufe des Mittelalters“ als „sogenannte signe de renvoi […] u.a. die Funktion, einen spezifischen Textabschnitt mit den dazugehörigen Marginalien zu verbinden“ (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 27f.; vgl. Parkes, Pause and Effect, 302, 307; der Asterisk als NotenVerweis-Zeichen bei Jean Paul, vgl. Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 62-73, 77). 525 Diese werde von (vermeintlich bloßen) Zusätzen bedroht: bearbeitet, Derrida, „This is not an oral footnote“, 196. 526 Indem der „scheinbar geschlossene[] Leseraum[] des Buches“ mit leeren Seiten ‚durchschossen‘ wird, wird Raum für Kommentare, Revisionen usw. gegeben (L. Müller, Papier, 127ff.; vgl. Jean Paul, SW II.2, 219); dem Buch werden „zwei Freiheitsfeste“ als Zusätze gegeben; „werden nicht deswegen noch immer zwei leere Blätter, eines an die Vorrede, eines an den Beschluß, vom Buchbinder vor- und nachgestoßen […], zum Zeichen, das nächste Blatt sei […] ebenso offen beliebigen Schreibereien?“ („Appendix des Appendix“, SW I.4, 545). 527 Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 23; vgl. Wiethölter, „Die krumme Linie“, 55. Trennungen zwischen verschiedenen vertikal oder horizontal (oder beides) angeordneten Text-Spuren nicht als Linie, sondern vielmehr als weiße Zwischenräume, die eigenen Raum einnehmen, machen (hinsichtlich der zum Talmud gehörenden vielfachen Kommentarräume) Werke von J. Semah und M. Broodthaers sichtbar, so dass sie sich gegenüber allem, was geschrieben ist, und zugleich dessen räumliche Ordnung behaupten (vgl. Gilbert, „Asymmetrische Typographie“, 187-97, 190). 528 Genette, Paratexte, 304; vgl. 304-27.

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Bekanntlich gibt sich Jean Paul als ‚Meister‘ aller Klassen von Digressionen, Aufschüben und Umwegen, Extrablättern und anderen Zutaten, Vorreden und Appendices, Annotationen, Fußnoten und Nachträgen,529 die keine auktoriale Bemeisterung dulden. Dass seine Texte die Scheidung zwischen Erzählung oder Erzähllinie und Zutaten, Anhängsel oder Digressionen, vor allem deren Hierarchie nicht halten, dass letztere auf erstere übergreifen, ist oft genug vermerkt worden.530 „‚Aber zurück zur Sache!‘ wollt’ ich jetzt sagen, und sah erst unbeschreiblich vergnügt, daß ich gar von meiner Sache nicht abkommen kann, ich mag mich verbreiten, worüber ich wil.“ – so Jean Paul im „Appendix“ zum Appendix (der Der Jubelsenior selber, also Zusatz, Anhängsel ist).531 ‚Meine Sache‘ ist demnach nicht das zentriert Integrierende, sondern nichts anderes als Digressionen, Zusätze, wie mit Sternes berühmter Formulierung: „Digressions, incontestably, are […] the life, the soul of reading; take them out of this book, for instance—you might as well take the book along with them“.532 Die Ordnung von innen und außen, von ‚innerlich‘ Zugehörigem und kontingenter Zutat, wie sie auch mit den Überbietungen als 529 Vgl. u.a. Rehm, Bosse, Helmreich, Kilcher, M. Wieland, Dembeck, usw.; für den Stand der Sek.Lit. (nach Genette) vgl. Stang, Einleitung – Fußnote – Kommentar, 14ff., für die neuere Forschungslage vgl. Dembeck, Texte rahmen, 295f. 530 Vgl. Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 21, 33, u.ö., Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 110-13; Kilcher, mathesis und poiesis, 136-45; Stang, Einleitung – Fußnote – Kommentar, 75ff, 80ff.; Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 101, 106; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 191-94; Dembeck, Texte rahmen, 295ff., u.v.a. So oft wie deklariert wird, „Geschichte und Digression“ „streng auseinander“ zu halten („Antrittsprogramm“ des Titan, SW I.3, 60), „durchbricht der Erzähler die damit aufgestellten Regelungen“ (Dembeck, 385 (zum Jubelsenior); vgl. Bosse, 102-06 (zum „Antrittsprogramm“); Stang, 76. Im „Appendix des Appendix“ (zu Der Jubelsenior. Ein Appendix, 1797) feiert Jean Paul „Vor- und Nachrede“: „[H]ier darf er [der Autor] endlich reden, was ihn […] am meisten labt, von seinem Werk – er hat aus dem Raspelhaus und Sklavenschiff des Buchs den Sprung auf diese beiden Spielplätze und Lustlager getan und hat zwanzig akademische Freiheiten bei sich und eine Freiheitsmütze auf dem Kopfe und lebt da froher als sein Leser. Vom grauen Altertum sind uns diese Saturnalien zuerkannt und eingeräumt, und keiner von uns muß sich seine zwei Freiheitsfeste nehmen lassen“ (SW I.4, 545, Hvhg. BM; zur Metaphorik vgl. Kap. I.4). 531 Jean Paul, „Appendix des Appendix“ zu Jubelsenior (Ein Appendix), SW I.4, 547. Die „Mahnung bei der Sache zu bleiben“, wird im 18. Jh. gegen die abschweifenden Amplikationen durchgesetzt (Poser, Der abschweifende Erzähler , 28); der Rhetorik der Antike ist Sache, causa, abhängig vom ordo artificialis (vgl. Härter, Digressionen, 37, 42f., 44f., 52). 532 Sterne, Tristram Shandy, I, xxii, 81. Damit es nicht zu Stillständen des Werks und Enden der Digressionen komme, „I have constructed the main work and the adventitious parts of it with such intersections, and have so complicated and involved the digressive and progressive movements, one wheel within another, that the whole machine […] has been kept a-going“ (81f.).

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‚Exkurs des Exkurses‘ (Henry Fielding), „A Digression in Praise of Digression“ (Swift) noch in Anspruch genommen wird,533 die eine Rückkehr zum Eigentlichen mehr oder weniger ernsthaft erlauben,534 wollen die Texte Jean Pauls diese in den sich wiederholenden, auf- und ineinanderfaltenden Ab- und Ausschweifungen so wenig halten,535 wie die von parasitärer Zutat zu einem vermeintlich (als solchem) Gegebenen. Wenn Jean Paul von „meiner Sache [gar] nicht abkommen kann“, mag er noch so weit und viel abgeschweift sein, dann ist die Unterscheidung von eigentlicher ‚Sache‘ und Digressionen ausgesetzt. Die Relation von vermeintlich gegebenem ‚innerlichen Bestand‘ und „Zutat“536 ist (je noch und wieder) an das Neben- und Bei- der Paratexte,537 Randzonen und Hinzufügungen, das Ab- der Wege und den Zusatz der Appendices verwiesen, die die Striche ‚daneben‘ einlassen und anhängen. Sie wird in den Operationen des Aus- und Abschweifens als solchen von Einschiebun­ gen des Äußerlichen, des/r Anderen538 jenseits oder vielmehr: diesseits der 533 Swift, A Tale of a Tub & (1704 [5th exp. ed. 1710]), 148-57. „Digressions“, die notwendig seien, haben doch keinen ‚proper place‘, mögen von den Lesenden verschoben werden, wohin es diesen gefalle (157, weitere „Digressions“ „concerning criticks“ (80), „in the Modern Kind“ (122f.), Vor- und Nachreden, gedoppelte Annotationen); zu Jean Pauls Bezugnahmen auf Swifts Tale of a Tub vgl. Sprengel, „Herodoteisches bei Jean Paul“, 224 (mit weiterer Lit.). Tale of a Tub sei „satirische Kritik“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 136ff.), „zugleich ironisch und ernst gemeint“ (Matuschek, Art. „Exkurs“, 134), jedenfalls aber ein Fall exorbitanter Parenthesen (Lennard, But I Digress, 112ff.; vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 27f.), so erkunde Swifts ‚satirische‘ Textpraxis das Medium des Textes (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 152ff.; ders., Texte rahmen, 341ff.). 534 Fielding: „But, this being a subdigression, I return to my digression“ (zit. nach Matuschek, Art. „Exkurs“, 134). 535 Das wird mitunter als ‚permanente Parekbase‘ aufgefasst (Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 146, 143ff.; vgl. Matuschek, Art. „Exkurs“, 127ff., Poser, Der abschweifende Erzähler, 114f., 127-31; Härter, Digressionen, 297ff., 309ff.). Die Parekbase ist Redegeste zuerst der attischen Komödie, von F. Schlegel aufgewertet als „the disruption of narrative illusion, the aparté, the aside to the audience, by means of which the illusion of the fiction is broken“ (de Man, „The Concept of Irony“, 178f., 183). Die „permanente Parekbase“, die laut F. Schlegel die romantische Ironie ist („Zur Philosophie“ (1797) KFSA XVIII, 85 [Fr. 668]), erlaubt keine ‚Rückkehr‘ zum eigentlich Gemeinten. 536 Kants Begriffe (Kritik der Urteilskraft, WW X, 142) subvertiert Derrida, „Parergon“, 72-99. 537 Vgl. J. H. Miller, „The Critic as Host“, 144f.; Derrida, „This not an oral footnote“, 196 u.a.; Genette, (trotz Beschränktheiten im Einzelnen) Paratexte, 9ff.; Dugast, „Parerga und Paratexte“, 101ff. 538 Vgl. Sterne: „I believe in my conscience I intercept many a thought which heaven intended for another man“ (Tristam Shandy, VIII, ii); Swift: „transcribing from others and digressing from himself“ (A Tale of a Tub (1704 [5th exp. ed. 1710]), 155), und pejorativer: „Digressions in a Book are like a Forein Troops in a State“ (149). In Digressionen, wie Marginalien und andere hinzugefügte Noten, schreiben andere mit, sie unterstehen keiner ‚eigenen Stimme‘.

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Grenze des Textes, im stets weiter hinzufügenden Aufschub der Schließung bearbeitet. Als Aufschübe ‚warten‘ sie (vielleicht) auf eine Geschichte oder einen Sinn, die nachträglich erzählt worden sein, der erst noch ein- und zufallen mag,539 behaupten sich aber als Zusätze, die (vielleicht) ganz woanders hinwollen.540 Die Verkehrung und die Aussetzung der Unterscheidung von eigentlicher ‚Sache‘ und Digressionen geschieht immer wieder und nie endgültig. Dabei tritt (auch) nicht (nur) die ‚Unterscheidung‘ von Innerem und Äußerem ins, durch die Abscheidung etablierte, vermeintlich Innere wieder ein, wie das Verhältnis von Paratext und Text zuweilen, und mit dem reentry dessen autoreferentielle Schließung, bestimmt wird.541 Statt eine bloße Grenz-Linie, die – abscheidend ein Inneres konstituierend – sich selbst zum Verschwinden brächte, sind Rahmen, die die Differenz „Form-Nicht-Form“ artikulieren,542 539 „Liefere ich die Ausschweifungen aus ihnen, zu welchen sich mit der Zeit […] schon die Geschichten und Sachen, wovon man im Voraus abschweift, von selber finden müssen.“ (Jean Paul, SW II.3, 1068), oder: „habe ich Geschichten unter der Feder, die noch nicht ganz vorgegangen sind, so mache ich so lange, bis sie sich begeben, Ausschweifungen, Schalttage, Hirtenbriefe“ (SW I.4, 503; vgl. I.2, 932). So u.a. beruft Jean Paul die Zeit des Schreibens, das abschweifend anstatt des fehlenden Erzählten fülle, die bis zu dessen Weitererzählbarkeit oder dem Eintreffen der erzählenden Seiten vergehende Zeit (vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 195f.); ‚jetzt‘ ist schreibend imitiert: verschoben, parodiert. Für den ‚temporären‘ Aufschub als Suspendierung der ‚Lebens‘erzählung (über das ganze Buch) ist Sternes Tristam Shandy berüchtigt (vgl. etwa den Einschub des Autorvorworts III, xviii). 540 Schreibend „blos einer Ausschweifung nachgegangen sein“, heißt: „Es soll mich aber wundern, wenn ich weis, wo ich jetzt bin“ (Jean Paul, SW II. 2, 209). 541 So etwa Dembeck, Texte rahmen, 386; vgl. M. Wieland, Vexierzüge, 184. Ist die „Begrenzung […] zwar unabdinglich“, daher ‚im Innern‘ wiederholt: auf sich selbst abgebildet, so ist diese „aber […] kontingent“ (wie Dembeck weiß, 386, (zu Sterne) 190, 194, 187, 172-195), demnach wäre sie nicht integriert. Wird das reentry nicht von Derridas Analyse des philosophischen Diskurses getroffen?, dem „seine eigene Grenze nicht fremd bleiben“ durfte, der daher die „Randzone“, „sein Anderes“ als „anderes Eigenes“ beherrschen musste („Tympanon“, 13), daher die „Randzone“ ‚wiederaneigne‘: durch Hierarchie und durch Umfassung: dadurch dass „das Ganze“ „in der spekulativen Form der Reflexion“ „in jedem Teil impliziert“ sei (21f., vgl. 24), dem er, es dekonstruierend, das Denken der Randzone entzieht. 542 Vgl. Fohrmann, „‚Schulinspektor‘, ‚binary digits‘ und ‚kulturelles Netzwerk‘“, 630f. Angefügt seien dem Buch, so Jean Paul, „zwei leere Blätter, eines an die Vorrede, eines an den Beschluß, vom Buchbinder vor- und nachgestoßen, gleichsam als weiße Türspäne und Zeichen der Immission, zum Zeichen, das nächste Blatt sei ebenso unbewohnt und ebenso offen beliebigen Schreibereien? Doch sind diese den Garten des Buchs einfassende leere Hahas auch die Wüsteneien, die ein Buch vom andern sondern müssen, wie große leere Räume die Reiche der Germanier oder die der Nordamerikaner oder die Sonnensysteme auseinanderstellen“ („Appendix“, SW I.4, 545, Hvhg. BM). „Als ‚Hahas‘ bezeichnet

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wie andere parerga „Schwellen“ mit eigener Extension, Zonen der „Transaktionen“,543 die das vermeintlich Innere abgrenzend konstituieren (sollen) und sich hinzufügen, auch den ganzen Raum der Darstellung überborden können.544 Als Supplement bezeugt der Rahmen den „inneren Mangel“ des Werks und lädiert derart, so Derrida, die Ordnung von „Bestandstück innerlich“ und äußerlicher „Zutat“.545 Für die mise en abyme der Relation von Innen und Außen gibt es keine (innere) Begrenzung, jede ist vielmehr je wieder Zusatz, bezeugt als Zusatz die Nichtgeschlossenheit546 und wird je wieder und weiter fraglich machen, wo unter den wieder-eingetragenen Schwellen, den wuchernden Hinzufügungen von Beiwerken (Ab- und Ausschweifungen, Exkursen, die das Äußerliche und Kontingente im Innern wiederkehren lassen), das vermeintlich ‚innerliche Bestandstück‘ zu haben wäre. – Gibt Jean Paul im „Appendix des Appendix“ eine „flüchtige Poetik des Appendix“ oder des Digressiven aus,547 müsste diese Poetik in Digressionen auch von sich selbst man im 18. Jh. die grabenartigen Einfassungen englischer Gärten, die zugleich als Grenzmarkierung fungieren und den Blick auf die Landschaft freigeben, also vorspiegeln, es gäbe gar keine Begrenzung.“ (Dembeck, Texte rahmen, 386). Mit Jean Pauls Metaphorik erzeugen ‚sondernde‘ „Wüsteneien“ erst Buch-Einheiten, zugleich ermöglichen „leere Blätter“ den (beliebig) schreibenden Übergang über die Buch-Grenze. 543 Vgl. Benjamin, Passagen-Werk, GS V, 618 [O 2a, 1]; Genette, Paratexte, 10; J. H. Miller, „The Critic as Host“, 144f.; vgl. B.  Menke, „Text-Oberfläche“, 143. Das Parergon, der Rahmen: „weder einfach draußen, noch einfach drinnen“, hat eine eigene Extension, die es wie vom „Innen, vom eigentlichen Körper des Ergon“ „ebenso vom Außen trennt“ (Derrida, „Parergon“, 86; vgl. Stoichita, Das selbstbewußte Bild, 39-42, 46). 544 Das parergon, Rahmen oder Randleiste, das als Beiwerk (auch) ‚im Bild‘ auftritt, kann „den Raum der Darstellung erober[n]“, so Stoichita zufolge, das Stillleben (Das selbstbewußte Bild, 40, 42) 545 Derrida, „Parergon“, 80, 82, 86, 92f., 96f.; mit den Kant’schen Begriffen (Kritk der Urteilskraft, WW X, 142); vgl. B. Menke, „Text-Oberfläche“, 138. Was als ‚Werk‘ in sich selbst geschlossen sein müsste, ist aufs parergon angewiesen, das erst das vermeintlich Innere absondernd gibt, als Zusatz aber der vermeintlich ‚von innen‘ gehaltenen Ganzheit widerstreitet. Das trifft auch für jene Ansätze zu (etwa Moritz, „Verzierungen“, Werke II, 448f.), die im Namen ästhetischer Autonomie die Rahmung als von innen getragene ausgeben, bzw., so Dembeck, auf intrinsische Rahmung umzustellen versuchen (Texte rahmen, 34f., 39-49, 195). 546 Zur mise en abyme: des ‚im Bild‘ ‚wiederholten‘ Rahmen, vgl. Stoichita, Das selbstbewußte Bild („I. Wandöffnungen: 1. „Das verdoppelte Bild“, „III. Ränder: 1. Nischen, 2. Fenster, 3. Türen, 4. Rahmen“, VII.4. „Spiegel“) als Paradoxie oder Aporie (259-62, 265, 268, 25-57, 225ff.), mit aporetischen Szenarien der im Innern auftretenden Rahmung (278-86, 298). Die mise en abyme schließt nichts, sondern trägt mit dem ‚ins Innere‘ Hineingespiegelten oder -gefalteten, der ‚Darstellung‘ eine Unterbrechung, ein Loch ein (Dällenbach,  The Mirror in the Text, 111-13). 547 Jean Paul, „Prodromus Galeatus“ in Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 413; wenn der „Appendix“ als „neue Gattung“ neben dem Roman aufgefasst wird: „sehr entfernte

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noch abschweifend von anderem reden, anderswo her und anderswo hin, bereits ver- und unterlaufen sein. Was zum Text nicht ‚eigentlich‘ dazu-gehöre, in Noten ausgeschieden wird und sich hinzufügt, fügen Gedankenstriche – den (vermeintlich) ‚inneren Bestand‘ unterbrechend – (daneben) ein oder an, ohne dies notwendig im Zwilling des einklammernd ausschließenden Zeichens regulierend einzuholen: – – – markieren die Anfügungen im unaufhörlichen Aufschub eines Abschlusses, durch den allein Sinn restituiert wäre. Wenn Jean Paul, den Ausschluss des Eingeschlossenen akzentuierend, vorgibt: „Das was ich in meinem Buche zwischen 2 Gedankenstriche seze, gehört nur für Gelehrte“, dann reicht diese Entlastung – der Leser_innen548 und damit des Schreibers – nicht über die nicht eingehaltene Ordnung der „2 Gedankenstriche“ hinaus. Zum einen modellieren solche Leseanordnungen in fiktiven „Grenz- und Hausverträgen“ den Text als zusammengesetzten und (über-)springend teilend, (über-)blätternd je anders konfigurierbaren Raum.549 Analog mögen auch Seitenverwandte des Romans, ja wenn nicht dessen feindliche Stiefmutter, doch Stiefschwester“ (413f.). Von einer ‚Poetik der (Fuß-)Noten‘ spricht Rehm („Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 57; vgl. Dembeck, „Text ohne Noten?“, 161; ders., Texte rahmen, 372f.; Kilcher, mathesis und poiesis, 138), von einer Marginal- oder Exkurs-„Poetologie“ M. Wieland („Parasitärer Paratext“, 192f., 208; vgl. Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 102). 548 Jean Paul, Register dessen, was ich zu thun habe, HKA II.6, 553. In Apologien seiner Schreibweise unterstellt Jean Paul wiederholt, es seien die Leserinnen, die mit dem eingefügten und angehäuften gelehrten Material nicht zu behelligen seien, denen das Überblättern naheläge; „nur für sie“ habe er „einige gefühlvolle Ausschweife gemacht“ (Komet, SW I.6, 568, vgl. mit vielen Belegen Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 24-30; zum topos um 1800 vgl. E. Schumacher, „Aufschlagesysteme 1800/2000“, 32; Erb, SchreibArbeit, 234-41). Das kompliziert Jean Paul in „Vorrede zum satirischen Appendix“ (SW, I.4, 349-61; vgl. Dembeck, „Text ohne Noten?“, 160f.; M.  Wieland, Vexierzüge, 51, 42-52; Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 359-62; (mit „Vorrede“ zum Siebenkäs) Poser, Der abschweifende Erzähler, 101ff.; (mit Hesperus) Sick (Hg.), „Bücher-Vampyr“ und „Schreibmensch“, 22; Klappert, Link und Lücke, 399-405; Hagel, „Vielseitige ‚Blattlausfruchtbarkeit‘ bei Jean Paul“, 246. Deren fiktiver Charakter verbietet die Verrechnung aufs historische Lesepublikum (vgl. aber Erb, 122-30, 234-41; M. Wieland, 42-52). 549 Jean Paul, Hesperus, SW I.2, 566; vgl. SW I.1, 179, 611ff. Ein Vertrag beschließt u.a. das „summarische[] Verfahren in Sachen der Leser, Klägern, contra Jean Paul, Beklagten, Abhandlungen und Digressionen des letztern betreffend“ („Extrakt“ der „Gerichtsakten“ in Biographische Belustigungen: „Vorrede zum satirischen Appendix“, SW I.4, 347-61; vgl. Unsichtbare Loge, SW I.1, 179; vgl. Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 24; Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 360ff. u.v.a). Die Vorankündigung der gelehrten Digression durch Gedankenstriche, so die Rechtfertigung, ermögliche Leser_innen, sie zu überspringen (SW I.4, 355; umgekehrt I.1, 1120; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 385f.); auch Sterne schlägt vor, Passagen zu überblättern (vgl. Schultz, „Die Geste des Blätterns“, 22634; vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 113, 109-17). Diese Rechtfertigung wird als unglaubwürdig zurückgewiesen (SW I.4, 376f., 371ff.; vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 105f.; Jauslin,

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Rand- oder Fußnoten zwar um einer vermeintlich linearen Lektüre willen ignoriert werden, doch gabeln sie die vermeintliche Text-Linie uneinholbar alinear und halten auf derselben Oberfläche mögliche andere Lesewege, die (über)springend realisiert würden, ‚gleichzeitig‘: konkurrierend sichtbar. Zum andern hält diese Leseordnung nicht, die angekündigte „strenge“ Auftrennung von „Geschichte und Digression“550 wird nicht eingehalten, die des Eigentlichen und bloß Hinzugefügten – – – drangegeben, an andere unabschließbare Anordnungen des Textes.551 Das regulierte und einschließend/ausschließend regulierende Doppelzeichen (– … –) geht in der Vervielfachung drauf, wo kein erstes als den einschließenden Ausschluss eröffnendes zu identifizieren und im Aufschub nicht zu sichern ist, ob es sich bei einem weiteren um das ab- und einschließende zweite handelt, das erwartet wurde. Für keinen „–“Anschluss kann entschieden werden, ob es sich um die Rückkehr (zum Eigentlichen) handelt, die vermeintlich in Aussicht stand, oder um etwas wieder anderes, worin diese erneut, unabsehbar aufgeschoben wird.552 Die Identifizierung eines ‚Eigentlichen‘ (Gehalts, Werks) bleibt je wieder ungewiss, denn die Scheidung, die dieses ermöglichte, kehrt ‚im Innern‘ vielfach: unterbrechend, aufschiebend wieder, ohne dass zu lokalisieren wäre, wo dem Text – woher? und wohin? – ins Wort gefallen wird, er potentiell an jeder Stelle sich, als sich fremder, sich unterbricht, von sich abwendet und in sich scheidet. Der Jean Paul parodierende Shakal, der schöne Geist (von Johann Theodor Benjamin Helfrecht, 1799) schreibt als Programm (zu): „Digressionen, Digressionen werde ich machen! – –“,553 wobei zwei Striche, die gar nichts einfügend einschließen, „Trennung und Weggang“ der digressio unterstreichen;554 sie sind synkopierend „Der Tragelaph“, 235f.): die aufgestellten Regulierungen durchbricht Jean Pauls Erzähler unaufhörlich (vgl. Dembeck, (zum Jubelsenior) 385; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, (zum „Antrittsprogramm“) 102-06; Stang, Einleitung – Fußnote – Kommentar, 76). 550 Jean Paul, Titan, SW I.3, 60; verspricht: keine „Ausschweifungen“ „wenige Digressionsfälle ausgenommen“. 551 Jean Pauls Texte stellen eine „alternative Möglichkeit von Textordnung“ vor, reflektieren in Digressionen auf den Text als „Einheit seiner Unterbrechungen“ (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 159, 167), wie Sternes Digressivität die „Einsicht“ vermittelt, „daß Ordnung […] auf der Basis kontingenter Grenziehung“ möglich ist (ders., Texte rahmen, 187, vgl. 190194; dgg. konfrontiert M. Wieland nur Digressionen und „lineare Erzählweise“, Vexierzüge, 246ff.). 552 So auch Sternes Tristram Shandy, dazu Rehm, „Jean Pauls vergnügtes Notenleben“, 30-33; Mainberger, „Die zweite Stimme“, 342; der Ausgang von Vol. VII und Einsatz in Vol. VIII gibt dafür ein schönes Beispiel (vgl. Dembeck, Texte rahmen, 188). 553 Helfrecht zit. nach Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 146; ders., mathesis und poiesis, 136ff., 144. 554 Die digressio, radikaler egressio bei Quintilian als ein „Bruch“ mit –, unter „Gefahr des Hinausfallens aus“ – und „Gefährdung der Redeordnung“ (Härter, Digressionen, 44-50).

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auf (ihr) metonymisches Fortsetzen angelegt, irgendwohin. So gilt die Aufforderung zur Bewegung ins Buch im „Antrittsprogramm“ des Titan einem lesenden Tanz von Digressionen und Gedankenstrichen, „daß wir […] munter tanzen von Tomus zu Tomus – von Zykel zu Zykel – von einer Digression zur andern – von einem Gedankenstrich zum andern – “,555 für dessen Bewegung es keine vorgängige ‚innere‘ Ordnung gibt. Die Metonymien von Anfügungen und Aufschüben, von Abwegen und Zusätzen, die die ‚problematische Grenze zwischen innen und außen‘ bearbeiten (Derrida), über sie hinausgehen und sie einfalten, unterstehen keiner Syntax des Satzes oder einer möglichen Erzählung, tendieren zu nicht einholbaren Ausschweifungen.556 Dashes können enthierarchisierte Auflistungen organisieren,557 wie in der Charakterisierung der fiktiven „Pestitzer Realblätter“ im „Komischen Anhang“: [S]o lassen wir doch wie jede gute Zeitschrift nachher alles hinein, was kommt; Sphragistik – Heuristik – Knochenlehre – Größenlehre – Münz- – Tanz- – Sprachwissenschaft – Regenten- und Ketzergeschichte, kurz alle Scibilia schlagen in unsern Plan ein.558

– „schlicht alles Wißbare“, das diese Blätter „nach dem Vorbild des Encyklo­ pädischen Journals (1774) […] traktieren“ sollen, wird derart vorgestellt als die nicht geordnete Ansammlung von allem Möglichen,559 die als Liste – von Gedankenstrichen aufgeführter Elemente – von der kontingenten Vielheit, 555 Jean Paul, SW I.3, 68; der Zusammenhang von heterogener Fülle und Tanz ist angezeigt zum letzten geplanten Werk, in dem „ich […] mich mit der komischen Muse einmal ganz auszutanzen vorhatte; in der Tat wollt ich mich einmal recht gehen und fliegen lassen, […] ein ganzes komisches Füllhorn ausschütteln“ (SW I.6, 569). Zur Metonymie hier und in ‚witziger‘ Metaphorik vgl. Koller, „Bilder, Bücher und Theater“. 556 Vgl. den Ausgang von Tristram Shandy VII im lotternden ausschweifenden Tanz; mehr im Folgenden. 557 Aufzählungen nehmen durch Gedankenstriche Listenform an, etwa in Verzeichnung einer Reise in abgerissenen „Bilder[n]: „Wir sind laufende Strichregen“, in Flegeljahre (SW I.2, 876); vergleichbar in Sternes Tristram Shandy in Parodie von Gelehrsamkeit und um die ‚Gradlinigkeit‘ der Geschichte (die nicht gegeben ist) zu verlassen (Nink, Literatur und Typographie, 109ff.). Zur Liste vgl. Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 31ff. 558 Jean Paul, Titan, SW I.3, 837; für die fiktive Zeitschrift sind Vorlagen aufweisbar, deren Lektüren „in den Exzerpten nachvollziehbar“, Kilcher, mathesis und poiesis, 146; vgl. in Sprengel (Hg.), Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, 166, 172. Anders als narrativ geordnete Texte kann die Zeitung in beliebiger Reihenfolge gelesen werden (Klappert, Link und Lücke, 375). 559 Auch Jean Pauls Flegeljahre sollte „alles befassen, was man in Bibliotheken viel zu zerstreut antrifft“: „Stylisticum; Buch- und Wollenhandel – die Monatsschriftsteller – Schellings magnetische Metapher oder Doppelsystem – die neuen Territorialpfähle – die

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ihrer Rekombinierbarkeit und Nicht-Abschließbarkeit zeugt.560 Helfrechts Parodie meinte die „geradezu hypertroph enzyklopädische Tendenz“ Jean Pauls, der als „denkbar unsystematische[r] Enzyklopädist“ das übermäßig viel Gelesene, übermäßig viel exzerpierend, schreibend nicht sonderte und integrierte, in „übermäßig zahlreichen und dicken Büchern“ auswarf.561 ‚Alles‘562 einlassen, das ist (zugleich) die digressive schreibende Wendung aus dem (‚eigenen‘) Buch hinaus in die (/alle) anderen Bücher, deren Auszüge, Ausschnitte, Bruchstücke in die Materialsammlungen, Kollektaneen eingehen, aus denen, ab- – und immer zu viel – ausgeschrieben, ‚eingeschaltet‘ wird.563 Als abschweifende Zutaten tragen sie nicht nur dem Buch ein, was aus- und beigezogen wurde, ihre markierte Einlassung verweist auch das Geschriebene (über es hinaus) aufs anderswo.564 Halten Rand- oder Fußnoten hinzufügend doch räumliche Distanz,565 so erzeugen Digressionen, die „–“ in den Text Schwänzelpfenninge – die Feldmäuse samt den Fichtenraupen – und Bonaparten“ (SW I.2, 595f.; vgl. Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 143). 560 Vgl. Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 7, vgl. 30f. 561 Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 130, vgl. Kap. III.1. 562 „alles und vieles“, ergänzt Klappert zutreffend (Link und Lücke, 73ff.); „dieses köstliche Alles“ (Jean Paul, SW II.3, 1068; vgl. HKA II.6, 175; SW I.6, 569; SW I.2, 595; SW I.5, 202, 205); vgl. Kap. III.1. 563 Vgl. Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 121, 102-05; von „Einbruch des Wissens in die Ordnung des Erzählens“ spricht Kilcher (mathesis und poiesis, 136-45); vgl. M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 205; zu Abschweifung und Amplifikation vgl. Poser, Der abschweifende Erzähler, 19-27. 564 „Ständig wird Jean Paul von dem Text, den er ausarbeiten wollte, aufgeblickt und die in einem Repositorium in greifbarer Nähe aufbewahrten Hefte in die Hände genommen haben – eine körperlich-räumliche Bewegung, die in dem publizierten Text dann sein literarisches Pendant in dem vom Hauptgedanken wegführenden Exkurs hat.“ (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 121). „[D]ie Struktur des gelesenen Materials ist dem schreibend fixierten Leseweg noch anzusehen“ (Klappert, Link und Lücke, 234, vgl. 243, 259, 263). 565 Die „räumliche Dimension des Exkurses“ werde von der Fußnote „[a]uf der gedruckten Seite“ „aufbewahrt. Um die Note zu lesen, müssen die Augen des Lesers einen Umweg gehen: im Druckbild materialisiert sich die Distanz zwischen dem Text und dem dazugehörigen Kommentar der Fußnote“ (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 121). Von ungekennzeichneten „Einmischungen“ der Anmerkungen als Exkurse in den Text spricht Rehm („Jean Pauls vergnügliches Notenleben“, 33); dies fasst er als „Text ohne Noten“ (52-56), da er die Fußnoten nicht von der spatialen Anordnung her denkt, umgekehrt als „Noten ohne Text“, wo, was zu Noten taugen würde, zu „Aphorismen“ wurde (85-89). Der Aphorismus, (griech.) aphorízein ist allerdings selbst eine Absonderung (Dembeck, „Text ohne Noten?“, 164; ders., Texte rahmen, 368ff.). Jean Paul schrieb eine „Note[, die] selber der Text ist“ (SW I.1, 437), ‚blinde Noten‘ ohne Bindung an Stellen im ‚Haupttext‘ in Feldprediger Schmelzle mit Setzer-Fiktion, einem Verfasser, der sich der „Sekte der ‚Autonotisten‘“ zurechnet (vgl. Rehm, 87; Dembeck, „Text ohne Noten?“, 150-56; M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 208,

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e­ inschalten, Stauungen in der Syntax, in der Erzählung oder dem Argument,566 ist das durchs – in dessen Multiplizität – – – stotternd Aufgelistete567 in der Lesefläche verstellbar, re-konfigurierbar,568 unabgeschlossen. Die ‚Zusätze‘, Appendices und Digressionen wie Marginalien und andere Paratexte sind derart, entgegen den ihnen geltenden Vorschriften, nicht zentral regiert, ihre Anordnung ist nicht (abscheidend) homogenisiert, die Entscheidung über das ‚eigentlich‘ Dazugehörige vielmehr je noch und wieder aufgeschoben.569 Alles ‚Hinein-Lassen‘, „was kommt“, derart wäre, mit der proklamierten Kontingenz des Zukommenden, die (Werkcharakter erst gebende) Ordnung von innen und außen, von dem, was dazugehört und was nicht, die von den vermeintlichen Parasiten: Digressionen, Noten, räumlich abspaltend und sichtbar beigefügt, bedroht und bearbeitet wird,570 ausgesetzt: an die disparate, kontingente, nicht regierte, nie vollständige Ansammlung.571 Bildet die Marginalie „den Potentialis des Textes“, so entspricht dieser das „–“ darin, dass in ihm „sich die Realisation eines Textes auf seine Möglichkeiten hin“ öffnet.572 Die Striche und deren unregulierte Multiplizität – – – die, was sie anfügen, annähen, zugleich auf Abstand und den Abstand in der Fügung halten, derart die Verstellbarkeit der Glieder markieren, suspendieren als Operatoren

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196f.; ders., Vexierzüge, 295; Pfersmann, „La secte des Autonotistes“, 84). Beispiele von ‚Noten ohne Text‘ (im genauen Sinne: Randnoten ohne Text, dem sie angefügt wären) u.a. in Zubarik/Metz (Hg.), Am Rande bemerkt. Vgl. M. Wieland, „Parasitärer Paratext“, 192; Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 110; Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 114. – So auch, wo (scheinbar) definierend, was „Gedankenstriche sind […]“, diese auflistend operativ: aus- und aufgeführt sind ((J. P. F. Richter), „Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 424; wie oben gelesen. „Die Liste will als Fläche wahrgenommen werden, auf der alle Punkte gleichwertig sind […]; die Sukzession beim Ablesen bildet den Kern eines potentiellen Narrativs“, aber an der Schwelle zum narrativ Geformten (Mainberger, Die Kunst des Aufzählens, 30f., 20ff., 33). Die Verstellbarkeit widerstreitet der ‚innneren‘ Kohärenz, der ‚Notwendigkeit‘ der Form des Kunstwerks (Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 109f.). Wie das für Enzyklopädien gilt, vgl. Meyer, „Schlußteile, Appendices und Exkurse“; vgl. Kap. III.1. „[T]he problematic limit between an inside and an outside is always threatened by graft and parasite“ (Derrida, „This is not an oral footnote“, 196; vgl. ders. „Tympanon“, 19, 24). Gehen die „Digressionen“ über in die ‚Sammlung gleichwertiger Teile, deren Anordnung offen ist‘, so aber als „Nebeneinander disparater Einzelteile“ (Klappert, Link und Lücke, 247f., 244-51; vgl. bez. Erzähltext und Fußnote Stang, Einleitung – Fußnote – Kommentar, 76). Dem entsprechen die Magazine, das unhörlich sich füllende „Lotterierad“ des Aufgeschriebenen, aus dem Gedrucktes nur gezogen wird (vgl. Kap. III.1-2). So Giuriato, „Prolegomena zur Marginalie“, 193; mit Derrida: „Wo ist der eigentliche Text hingeraten, wenn die Randzone nicht mehr eine zweitrangige Leerzone, sondern eine unerschöpfliche Reserve ist“ („Tympanon“, 24, 23f.).

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von Anhang, Einschub, Parenthese, unentscheidbar ein- und ausschließend, Satzziel und Resultat an die Einschübe und Anfügungen. Sie schieben das Zentrum oder telos mit den heteronomen Zusätze, aus denen der Text zusammengesetzt ist, unaufhörlich auf und scheiden mit ihnen den Text in/ von sich selbst. Sie eröffnen (potentiell) überall andere ‚Weggänge‘, des Textes andere Re-Konfigurationen,573 über die Text-Ränder hinaus (die das ‚Innere‘ durchfurchen). Die von den Quer-Strichen organisierten Anfügungen und Einschaltungen des kontingenten disparaten (stets unabgeschlossenen) ‚alles‘ stellen den Text unter den Streichen der dashes, von diesen sichtbar aus(einander)gesprengt,574 als Fügung über und durch Auftrennungen vor, die keine Ganzheit, keine Abgeschlossenheit ergibt. Gelockert, zerlegt und lose zeigt sich die Textfügung querenden Rekonfigurierbarkeiten des heterogenen Eingelassenen oder Hinzugefügten (stets noch und wieder) unbeschränkbar offen. „Gedankenstriche“ „– sind Brükken, über die Klüfte unähnlicher Materien geschlagen“, wie auch „Mittel“ „zu trennen“ – nähen an, was nicht integriert wird, halten auf und in der Trennung, was an–gefügt ist, inszenieren spatialisierend die witzig-grundlosen Verknüpfungen, die im Sprung den semantischen Abstand, über den er geht, ‚überbrücken‘, nicht integrieren, sondern ausspielen und als unlesbare Fuge remarkieren. Der Witz ‚nötige‘, so Jean Paul, „da er nur eine leblose Mosaik geben will, in jedem Komma den Leser zu springen“, während „die bildliche Phantasie strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden [sei] – weil sie leben sollen, ein Wesen aber aus kämpfenden Gliedern es nicht vermag“.575 Als „leblose Mosaik“, die

573 Mainberger spricht von der „Liste“ in ihrer jeweiligen ablesenden Sequenz als einem „potentiellen Narrativ“, bzw. „konditionale[r] Literatur“ (Die Kunst des Aufzählens, 30f., 20ff., 33). 574 To dash – das sind gewaltsame Ein-Schläge, in Stücke Zer-Schlagen, Auseinandersprengen (OED III, 39); in der deutschen Übernahme bleibt davon die „abgebrochene“ „unterbrochene Rede“ bzw. der „Mangel eines Zusammenhanges“ (Adelung, Von den orthographischen Zeichen (1788), zit. nach Garbe, Texte zur Geschichte der deutschen Interpunktion, 92f.); vgl. Fleming, „ –“, 158f. (mit Jean Paul, Unsichtbare Loge, SW I.1, Motto o.Sz. [8]). Adorno zufolge „sprenge“ er „Zeit […] zwischen zwei Sätze ein“ („Satzzeichen“, 109). 575 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.; die pejorative Rede von der „Musaik“ in Kleine Nachschule, SW I.5, 461; I.1, 484; der Witz als „Anagramm der Natur“ (SW I.5, 201), „Anagramm und Epigramm des Lebens“ (SW I.2, 878). Für die barocke (Ps.-)Etymologie der ‚Lettern‘ als „membra“ oder „Glieder“, die „immer wieder zu ihren neuen Körpern gefügt werden“ dürfen, vgl. Rieger, „Nachwort“, 184, 189. Den ‚gelehrten Witz‘ aus Exzerpten kennzeichnet Jean Paul durch Verstellbarkeit wie die der Karten, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 202f., vgl. Kap. I.5, III.1; vgl. Helmreich, „‚Einschiebeessen‘“, 99ff., 102-05; Dembeck, Texte rahmen, 368, 360ff., 384-87; Rehm, „Jean Pauls vergnügliches Notenleben“, 41ff.

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der Witz „geben“ wolle: statt der Einheit eines lebendigen ganzen Körpers,576 auf die bereits jedes seiner Organe angelegt sein müsste, kann jeder mögliche konfigurierend hervorgebrachte ‚Gehalt‘ jederzeit kippen in Zerfällung, in die konfigurierten verstellbaren Teile.577 Ein Mosaik gibt Jean Paul in der Verteidigungsrede „meine[r] Digressionen“ in „Prodromus Galeatus“ als Metapher für den Appendix aus, wo dieser scheint als „Gattung“ neben dem Roman begründet werden zu sollen.578 Der „gute Appendix“ „erzählt wenig und scherzt sehr“, wende „den historischen Bildersaal nur als Vehikel und Narrenschiff reicher Ladungen von Einfällen und Scherzen an“:579 In der Tat ist das im Appendix Ziel und Schmuck, was im Roman Irr– oder Ausweg und Makel ist. […] Die Digression ist nie im Roman Hauptsache, darf hingegen nie im Appendix als Nebensache behandelt werden; dort ist sie wartendes Auskehricht, hier ist sie ein musivisch in den Stubenboden eingelegtes, ein poetisches Asaroton, so wie die Alten auf ihren Fußböden musivisches VexierStroh, Knochen und dergleichen, kurz die Stube des Auskehrichts wegen hatten.

Damit wird nicht nur die Hierarchie von Roman und Appendix als die von Eigentlichem und Rand verkehrt, sondern, da im „Appendix“ die Digressionen: „Irr- oder Ausweg[e]“, als Ab- und Vorfallendes, als Reste selbst das „Ziel“ seien, ist zugleich die unterstellte Hierarchie von Eigentlichem (Erzählen) und Digressionen: Scherze und Einfälle, ausgesetzt. Was im Raum des Romans Abfälle seien (oder wären), (unbrauchbare) Überreste des Schreibprozesses, die abfallen,580 dessen Ganzheit und Geschlossenheit bedrohen, darf sich im Appendix behaupten, ohne bloß als „Nebensache behandelt“ zu werden. Dies scheint durch die scheidende Einrichtung eines gesonderten Raums daneben (auch) bewältigt werden zu sollen581 (wobei die hierarchisierende Sonderung 576 Dafür steht umgekehrt die Metapher des Deformierten oder Monströsen (vgl. Kap. I.5, III.1, IV.1). Im Shakal: „Seine Exzerpte […] brachten nun monströse Erscheinungen hervor […], die kaum jemals die schöpferische Imagination so wunderbar zusammengesetzt hatte“ (zit. nach Sprengel, Jean Paul im Urteil seiner Kritiker, 28f.; Kilcher, „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 131; vgl. ders., mathesis und poiesis, 136; Poser, Der abschweifende Erzähler, 24f.). 577 Jean Paul, Merkblätter 1816/17 n° 100, HKA II.6, 152. 578 Jean Paul, Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 412f. Das wäre die Begründung einer „Gattung“ durch das zweite Exemplar, durch die Wiederholung, die rückwirkend das erste (den „Appendix“ zu Biographische Belustigungen) zum ersten dieser Gattung gemacht haben wird. 579 Jean Paul, „Prodromus Galeatus“, Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, dies und das Folgende 413f. 580 Vgl. M. Wieland, „Litteratur. Die Lesbarkeit des Mülls“, 39ff., 33. 581 Auch das in der „Vorrede zum satirischen Appendix“ ergehende Urteil („daß Beklagter, Jean Paul, Büchermacher, nicht befugt sei, in seinen historischen Bildersälen mitten unter Damen Spaß- oder Extrasachen oder andere Sprünge mit seinem ererbten Bocksfuße

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doch schon mit dem hier mit „Appendix“ versehenen, durch den Titel selbst als Appendix ausgewiesenen Jubelsenior in Frage steht). Vergleichbar modelliert Jean Paul die Relation von Poesie und den Einfällen des Witzes als die von Eigentlichem und Rand: Habe die Begrenzung des Witzes „bei Werken [auch] recht, worin der Witz Diener ist – wie in den meisten poetischen und wissenschaftlichen“, so stellt er die Frage: „aber ist er denn in keinen Herr?“582 So präzise die Umkehrung von als „Auskehricht“ nur die Auskehrung aus der „Stube“ des Romans erwartenden Ein- als Abfällen zu jener des Appendix, die man gerade „des Auskehrichts wegen“ habe, gebaut scheint, so wenig einfach zeigt sich aber das Asaroton als metaphorisches Modell für den Einlass der Ein-/ Abfälle in den „Appendix“:583 Ein Asaroton oder ungefegter Fußboden, war ein mit dem Namen Sosus von Pergamon verbundener, oft wiederholter Typus von Fußboden-Mosaik, dessen Berühmtheit durch die Natur-Geschichte von Plinius d.Ä. gesichert ist.584 Als Modell für eine mosaikartige Zusammenfügung dessen, was aus dem zum „Vehikel“ von „Einfällen“ werdenden „historischen Bildersaal“ in der „Stube“ des „Appendix“ an Überresten abgeladen würde,585

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zu machen“) gesteht doch zu, „in Betracht […] daß alle Völker Traumfeste und Narrenfeste hatten“, ein „Wirtschafts- und Hintergebäude (obwohl in einiger Entfernung) anzustoßen“ (SW I.4, 360f., vgl. 23f.; SW I.5, 26). Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 196f.; s.o. Kap. I.4. Rehm verwendet das Wort unspezifisch als Metapher oder Übersetzung für das ‚unten‘ sich Ansammelnde („Jean Pauls vergnügliches Notenleben“, 13, 21ff., 57), was es auch ist. „[C]eleberrimus fuit in hoc genere Sosus, qui Pergami stravit quem vocant asaroton oecon, quoniam purgamenta cenae in Pavimentis quaeque everri solent velut relicta fecerat parvis et tesselis tinctisque in varios colores. Mirabilis ibi columba bibens et aquam umbra captis infuscans; apricantur aliae scabentes sese in canthari labro. –“ (Plinius d.Ä., Naturgeschichte, 36. Buch Ix, 184). Jean Paul exzerpiert: „Durch musivische Arbeit gab. sie dem Fusbod. das Ansehen, als wär’ er [nich]t ausgekehrt, läg. Knoch. da p. solche Gemälde h[ei]ss. Asaroton“ (Exzerpt Iib-15c-1789-0691, zit. nach M.  Wieland, Vexierzüge, 182). Mit dem bekannten Spiel letter/litter kann Littering als Metapher für eine Poetik, die Aufgelesenes, -gesammeltes weiterverwendet, genommen werden (M. Wieland, „Litteratur. Die Lesbarkeit des Mülls“, 33, 37ff.). Mit dem ‚Veralten‘ dieses Modells der Literatur um 1800 wird das Gesammelte zum unbrauchbaren Durcheinander der Polter- oder Rumpelkammer, zum Abfall degradiert, vgl. Kap. III.1, den Leben Fibels umwertet: fiktiv weiterverwendet, vgl. Kap. III.2. M. Wieland zufolge zeige die „Umwertung der Stube als reines Sammelbecken für Hausmüll“ „den stark konservierenden Impetus hinter Jean Pauls Faible für Reste“ (40f.); das leuchtet nicht ein: dem entspricht weder Jean Pauls mosaikartiges Basteln mit Abfällen wie Abschnitzeln noch deren Überrestecharakter. Da der Kritiker nur sieht, „wie viel der Autor behalten hat, aber nicht, wie viel er weggeworfen; daher zu wünschen wäre, die Autoren hingen ihren Werken hinten […] die vollständige Sammlung aller der elenden Gedanken an, die sie vornen ohne Schonen ausgestrichen“; „wie z.B. Voltaire, bei der letzten Herausgabe“ der „opera“, die „hinten für feinere Leser einen Lumpenboden des Auskehrigs der ersten Editionen anstoßen“ (Jean Paul, Quintus Fixlein, SW I.4, 23f.).

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taugt es aber gar nicht so ‚klar‘,586 denn ein Asaroton ist kein „unswept floor (asaroton) scattered with debris after a banquet“, sondern das so benannte Fußbodenmosaik bildete einen Boden voll mit „pieces of unswept fallen food“ ab,587 „a mosaic floor upon which the remainders of dinner are depicted as if the floor hadn’t been swept“.588 Es ist zwar als Mosaik zusammengesetzt aus beweglichen fragmentierten Teilchen,589 wie (bloß) vom Witz verbunden, ‚anagrammatisch‘ auf Rekonfigurationen, auf Umstellungen angelegt, aber 586 So aber fasst Fleming diese Mosaik-Metapher: „translates into a clear image of the literary practice of Jean Paul’s witty combinatorics“ („Disparate Pleasures“, 134f.); zum Mosaik des digressiven Textes vgl. Kilcher, mathesis und poiesis, 287, 138f. 141; ders., „Enzyklopädische Schreibweisen bei Jean Paul“, 143-47. Diesem Modell entspräche der Schuldiener als ein „Liederdichter“ durchs „meistens sinnlose Zusammenlegen des zerstreuten Auskehrigs“, der „aus alten Gesangbüchern alles, was aus den neuen weggelassen worden“, „vollständig ausgehoben und zusammengehäuft [habe], sowohl einzelne Wörter als ganze Zeilen“, sowie „aus diesen weggeworfnen Stummeln, hölzernen Beinen und Krücken schöne Figuren musivisch zusammengelegt, von denen wohl jeder Deutsche sagen muß: ‚Das sind geistliche Lieder‘“ (Jean Paul, Biographische Belustigungen: „Satirischer Appendix“, SW I.4, 376 u. 374) – worüber auch immer das etwas besagt: über diese Lieder, über die Deutschen, über den Briefschreiber. Die am väterlichen Schreibpult abfallenden „Papierabschnitzel“, mit denen das Kind bastelte, sollen in diesem den „gegenwärtigen Schriftsteller“ erweckt haben (Selberlebensbeschreibung, SW I.6, 1058), da es diese „untereinander in neue Bezüge bringt, wenn es die Textfragmente zerschneidet und rekombiniert“ (M.  Wieland, „Litteratur. Die Lesbarkeit des Mülls“, 40f.); in Leben Fibels kommt mit „Papier-Abschnitzel[n]“ (SW I.6, 376) die materiale Dimension des Zusammenschreibens zur Geltung (vgl. Kap. III.2). 587 „The most famous (and well-preserved) example of the asaroton was found on the Aventine in Rome“, „fragments from a striking mosaic of very small tiles (tesserae) that shows an unswept floor (asaroton) scattered with debris after a banquet, which probably is a copy of a famous original mentioned by Pliny“ (www.wabash.edu/Asiaminor/ culture/art_mosa.html (zul. ges. 05.07.2006, abgestellt). Bei diesem, aus dem 2. Jh.n.Chr., signiert vom Griechen Heraklitos, 4,05 m messend, in den vatikanischen Museen: Museo Gregoriano Profano, Inv. 10132 (s.u. Abb.  4) handelt es sich um asaroton-trompe l’œilBänder im Fussbodenmosaik: „en trois bandes correspondant à la disposition des lits de banquet dans le triclinum“ (Chateau de Boudry, Musée de la Vigne et du vin, http://www. chateaudeboudry.ch/?a=38,58,105, zul. ges. 07.12.2020); Abb.: http://www.museivaticani. va/content/museivaticani/en/collezioni/musei/museo-gregoriano-profano/Mosaicodell-asarotos-oikos.html (zul. ges. 07.12.2020), Bertelli, Die Mosaiken von der Antike bis zur Gegenwart, 18f. 588 Fleming, „Disparate Pleasures“, 135: „‚to look as if strewn with crambos‘“. Das Unglück des Auskehrens zeichnet sich ab mit der auch metapoetisch verfehlten Ehe im Siebenkäs (vgl. Jean Paul, SW I.2, 157), wobei „To Sweep or Not to Sweep“ doch keine Alternative bleibt (Fleming, 136ff.; vgl. M. Wieland, „Litteratur. Die Lesbarkeit des Mülls“, 39). 589 Die Planches zur Kunst des „Mosaique“ in Diderot/d’Alembert, Encyclopedie zeigen Kästen wie die der Setzer (pl. I, 162, 163, Fig. 1): die „schwarze Musaik“, vgl. Jean Paul, SW I.5, 1291. Pelz habe Fibels „Kopf- und Bruststück“ „gleichsam aus den Abcbildern musivisch zusammengesetzt“ (Leben Fibels, SW I.6, 491).

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was metaphorisch (im Roman) als „Auskehricht“ ‚wartete‘, ist im Asaroton (das der „Appendix“ sei) Teil eines mit größter Kunstfertigkeit aus kleinsten tesserae „musivisch in den Stubenboden eingelegten“ (Ab-)Bildes. Das „musivische Vexier-Stroh, Knochen und dergleichen“, als Überreste oder Abfälle anderswo her kommend, wurde aus (Mosaik-)Teilchen derart täuschend: vexierend dargestellt, dass es auf dem Boden jener „Stube“, die die Alten „des Auskehrichts wegen hatten“, als kunstfertiger Augentrug, als ein trompe l’œil Erstaunen weckt, Staunen über die Hinterlassenschaft von Abfall (um den es sich dann doch nicht handelt), vor allem aber über das Geschick der Darstellung. Es vexiert – im Sinne von „plagen, peynigen“ wie von „verspotten, ludere“590 – insofern es als Bild scheinbar den Abfall ‚auf dem Fußboden‘ aus der Bodenfläche, die das Mosaik auslegt, in die ‚Realität‘ des Betrachters, heraustreten lässt591 – und derart doch vor allem die Kunstfertigkeit des Bildens vorstellt. Das, alles Hineingeworfene, die Überreste, wird derart kunstfertig-täuschend dargestellt nie mehr ausgefegt; nur weiteren Abfall könnte man dazu-werfen, was vielleicht der Witz der Ausführung als wertvolles, raffiniert augentrügen­ des Fußboden-Mosaik war,592– oder aber erst, wenn das Mosaik seinerseits in seine Scherben zerfällt – und mit dem Asaraton das trompe l’œil von „Stroh, Knochen und dergleichen“, von Gemüse- und Traubenresten und dazwischen einer Maus auf dem Fußboden zerstört wäre. Das schöne Bild des „poetischen Asaroton“ ist ungefüg und in sich gedoppelt (kom-pliziert), soll es den Appendix als ‚Raum‘ um der Ein- als Abfälle, der fragmentarischen Überbleibsel anderswoher, des „Auskehrichts“ willen in dessen disparater Fügung modellieren. Wenn das „poetische Asaroton“ des Appendix wie das Mosaik einen trompe l’œil-Effekt hat, dann ist in diesem Effekt die mit 590 Von lat. „vexare“, franz. „vexer“: „plagen, peyningen“, im 18. Jh. nur noch „altmodisch, derb“, dann „verspotten, ludere“, „sein spiel und scherz mit einem haben“, „aufziehen“, „narren, zum besten haben“ (DW Bd. 26, Sp. 37f.). 591 Zum trompe l’œil des asaratos oikos vgl. Stoichita, Das selbstbewußte Bild, 33, u.ö.; vgl. den variierenden Auszug des hier Erläuterten, B.  Menke, „Trompe l’Œil. Mosaik und Auskehricht“, in Lutz/Siegert (Hg.), Exzessive Mimesis. 592 Vgl. Bagnani, „The House of Trimalchio“, 19. Ein, ein Triclinium abbildendes, Mosaik aus dem 5. Jh. macht dies gänzlich unentscheidbar: Stellt es einen Raum dar, in dem während des Mahls sich auf dem Boden viele von dessen Überresten anfinden, oder einen Raum mit asaroton-Mosaik, in dem Mahl gehalten wird (Chateau de Boudry, Musée de la Vigne et du vin, http://www.chateaudeboudry.ch/?a=38,58,105, zul. ges. 07.12.2020); Abb. in B. Menke, „Trompe l’Œil. Mosaik und Auskehricht“, 32. Auch die Mahlzeiten-ÜberresteTische Spoerris und der Zufall, der das eine oder andere als Reste dort liegen ließ, bekommen einen zweiten Aggregatzustand, wenn sie als Karte mit Index (Topography of Chance) oder als „Tischdecke“ reproduziert werden (Mainberger, „Flußnoten“, 237, 239, 243f., 246, 251ff.).

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Abb. 4

Punktuationen, Einfälle der Schrift

Asaroton, aus einer Villa auf dem Aventin in Rom, 2. Jahrhundert n.Chr. (Detail).

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den Digressionen als „fremde Einschiebsel“ oder Abfälle, die das Asaroton Augen-täuschend vorstellte, implizierte Nicht-Abgeschlossenheit als mit dem „Mosaik“ angesprochene Rekombinierbarkeit fragmentierter Teile ebenso verstellt wie mit den Abfällen vorgestellt. Das „musivisches Vexier-Stroh, Knochen und dergleichen“ vexiert aber auch, insofern das ‚musivische‘ Bild, das aus tesserae heraustritt, als Vexierbild593 sich in diese zurückstellt.594 Das Asaroton hängt mit dem trompe l’oeil-Effekt, das ist sein Witz, wie an der Zusammenfügung aus Scherben, in die es dissoziierbar bleibt, so auch am Abfall- und Reste-Charakter dessen, was ein- und abfallend eingelassen, als Überreste abgebildet ist.595 Die Kontingenz, mit der Abfälle anfallen (oder auch nicht), wird vom Appendix als Asaroton nicht integrierend getilgt: Auch wenn diese hier zum „Schmuck“ und ‚Putz‘ taugen,596 so wären sie als „Z i e r a t e n (parerga)“, Kant zufolge, „äußerliche Zutat“,597 wie ein Appendix kontingentes Anhängsel,

593 Das DW kennt „Vexierbild“ nur als „bild mit einem in der zeichnung verborgenen betrug, scherz“ (Bd. 26, Sp. 37); die „vexierblume“ sei, mit einem Zitat von Jean Paul, eine künstliche Blume, eine „vexierfrage“ locke jemanden „auf eine falsche gedankenrichtung“ (ebd.). Zum Vexierbild als mehrfache Ansichtigkeit der jeweiligen Züge einer Darstellungsfläche, die sich (re)konfigurieren, in eine andere Bildung kippen können, als Modellierung des Lesens, s.o. Kap. I.2 u.ö. 594 Hier vexiert: wechselt es nicht (nur) zwischen verschiedenen visuellen Konfigurationen, deren Sichtbarkeiten ‚als–‘ einander ausschließen, sondern hier wäre die eine Hinsicht das Zwischen möglicher Bilder, das nicht als etwas zu sehen ist, das dem (Vexier-)Bild als sein potentielles Kippen latent eingetragen ist: jenseits seines Randes. Vom Kippphänomen zwischen „empfindsame[m] Diskurs und degressiv[m] Schreiben“ redet M.  Wieland (Vexierzüge, 252, 192ff. 185). Die beiden Ansichten eines Mosaiks nennt Fleming spezifischer: „from a distance does a mosaic form a clear image“, „close up it is nothing but shards and grout“ („Disparate Pleasures“, 135). Dieses Vexier-Bild kippt ‚zwischen‘ den Bildungen in das „Feld der Figurabilität“, mit Didi-Huberman gesprochen („Geschenk des Papiers“, 188f.). 595 Jean Paul fingiert u.a. ein Anhängsel, das verzeichnet, was im ‚Werk‘ ausgestrichen wurde (SW II.1, 996f.), eines der Druckfehler (vgl. SW I.5, 1294f., 1285f., SW I.2, 596) oder explizit ein angehängter „Lumpenboden des Auskehrigs“ (SW I.4, 23f.), hantiert wird mit „zerstreute[m] Auskehrig“ (SW I.4, 376), abfallenden „Papierabschnitzel“ (SW I.6, 1058), vgl. Leben Fibels, in Kap. III.2. 596 Jean Paul, Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 413. Jean Paul unterscheidet auch: „Die Schmetterlingsflügel bunter Einfälle, die das Insektenkabinett oder den Glaskasten des Appendix putzen und füllen, durchziehen nur als fremdes Einschiebsel den solidern deutschen Roman, so wie wahre Schmetterlingsflügel nach Buffon als unverdauliche residua aus den Exkrementen der Fledermäuse schimmern.“ (SW I.4, 413). Aubin kennzeichnete Exzerpte als ausgefangene aufgespießte Schmetterlinge (Die Taschenbibliothek, SW II.3, 771, vgl. Kap. III.1). 597 Kant, Kritik der Urteilskraft, WW X, 142.

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als ein Schnörkel (oder eine Aus-Schweifung) bloße Zutat wäre, mag er auch zieren.598 Zwar wird die paratextuelle An-Ordnung von Appendix und Roman von Jean Paul (wie die von Witz und Poesie)599 in die abscheidende Einrichtung einer „Gattung“ neben dem Roman: metaphorisch als Stuben-Anbau, überführt,600 aber damit keine von innen begründete, ‚notwendige‘ Form etabliert, sondern die Kontingenz der An-Hängigkeit berufen. Wenn den „Appendix“ als Mosaik versetzbarer Teilchen auch dessen trompe l’œil-Effekt ausmacht, und am Roman doch die Kontingenz der An- und Ein-Fügungen, die mit dem „Appendix“ von ihm abgesondert werden sollte, teilhat,601 so handelt es sich eher denn um 598 Zum Schnörkel als zierende Zutat im Repertoire der Arabeske vgl. Polheim, Die Arabeske, 13 u.ö.; zum Unsinn der Zutat, vgl. Menninghaus, Lob des Unsinns, 7-10, 22ff., 94-118, (zu „romantischem Zufall“) 115. Als „flourish“, d.i. – von den (rhetorischen) Blüten, Blumen – „ostentatious embellishment“, Schmuck, Amplifikation (OED (1989) V, 1087), ist er ausgeführt auf der Buchseite des Tristram Shandy mit der fiktiven Wiedergabe der Spur einer Bewegung, die Uncle Tobys Hand bzw. deren ausdrückliche Verlängerung: sein Stock als Zeige- und Schreibgerät, unwillkürlich in die Luft zeichnete, und zwar in Fortführung des dash, der auf den Raum der Einzeichnung referiert: „Whilst a man is free—cried the Corporal, giving a flourish with his stick thus—“ (IX, iv, 743), hängt der typographische Strich, in „parodierte[r] Zeigegeste“ (Rinck, Risiko und Idiotie, 236) auch hier, als ‚Schwanz‘ einen auf der Seite aus‚schweifenden‘ Schnörkel an (vgl. B.  Menke, „Kritzel – (Lese-) Gänge“, 204-08; J. H. Miller, Reading Narrative, 70-74); zum Verhältnis von Schrift, die nie linear ist: „von den Umwegen auf Abwege geführt wird“, und Schnörkel, vgl. H.-J. Frey, Lesen und Schreiben, 79. 599 Die ‚,Theorie und Heilsordnung“ des „Appendix“ (Jean Paul, Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 413) löst nicht die durch Para- und Beitexte erzeugte Komplexierung der Relation von innen und außen auf, die auch die Metaphern von Werk und „hors d’oeuvre“, Amtskleid und Putzkleid, der Werkel- und Sonn-, Feier-Tage für den Witz und die witzigen Werke bearbeiten (SW I.5, 196f.; vgl. SW I.4, 259, 505, 544; I.1, 556, 1024; vgl. Kap. I.4). 600 Jean Paul, Der Jubelsenior. Ein Appendix, SW I.4, 413; „Vorrede zum satirischen Appendix“, I.4, 360. Die „schicklichere“ Aussonderung von „Kräuter- und Hopfensäcke[n] voll satirischer Gewächse“ oder „Stachel“ in einem „besondere[n] […] Buch“ solle verhindern, dass „Klägere, die Leser, nicht mit dergleichen Sachen […] belästigt würden“ (384). Auch den Witz will Jean Paul ‚unbegrenzt‘ auf seinem Terrain zulassen: einem anderen Garten, angebauten Räumen, von Poesie und bildlicher Phantasie geschieden. Verschiedentlich wird angenommen, Jean Paul überführe die Abschweifung „in die für sich bestehende Abhandlung […], in den Essay“ (Poser, Der abschweifende Erzähler, 113, dessen Bestimmung der Abschweifung durch „weltanschaulichen“ Gehalt widersprochen werden muss, vgl. 49, 115), der nach Montaigne „eigentliche[n] Digressionsgattung“ (Härter, Digressionen, 10), als „Mosaik“ (Kilcher, mathesis und poesis, 138f., 141). 601 Der Roman (‚selbst‘) ist eine nicht normierte Gattung, ihm eignet auch „ausschweifendes Erzählen, dem geschlossene Ordnungen fremd sind“ (Härter, Digressionen, 10). Auch Erzählen ist heterogene Fügung (Dembeck, Texte rahmen, 186f., 386f., 392-99), wie, und damit deren Kontingenz, etwa Sternes Tristram Shandy zeigt (172-77, 187-194; Wellbery, „Der Zufall der Geburt“, 309); dgg. setzt M.  Wieland zu einfach entgegen: Kontingenz

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abgegrenzte Gattungen vielmehr um zwei konkurrierende, ineinander umschlagende Hinsichten, Sicht- oder Leseweisen von Texten.602 ‚Roman‘ mag dann die Ansicht einer „inneren Geschichte“ heißen, während der ‚Appendix‘ die kontingente Fügung, die Zerlegbarkeit des Textes vorstellt.603 Zum einen sind zudem beide Hinsichten jeweils für beide, Roman und Appendix, angebracht, und zum andern können sie, die einander ausschließen und jeweils in die andere kippen (mögen), einander nicht integrieren; sie resultieren in keiner Meta-Einheit. Eine solche vexatorische Doppelsicht wird fürs Lesen von Jean Pauls Texten überhaupt veranschlagt: von „Wörtermusaik“ zum einen, mit dem, so Hans-Walter Schmidt-Hannisa, Jean Paul den „mediale[n] Status von Literatur“ ausweise: worauf „der Leser beim Aufschlagen eines Buches stößt, ist zunächst weit davon entfernt, eine dichte Anschauung zu gewähren“,604 und „‚Gegenständen‘“ zum anderen, die Leser_innen in empfindsamer Lektüre der Romane „‚zu schauen‘ glauben“.605 Diese mögen über den Buchstaben, diese vs. auktorialer Konstruktion oder gar höhere Ordnung (Vexierzüge, 270-73, 22, 275). Im Roman können, so Jean Paul einerseits, „fast alle Formen liegen und klappern“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 248, 256-61, vgl. 262ff.), andererseits gibt er vor, dass den Roman ‚allgemeiner Geist‘ „ohne Abbruch der freien Bewegung […], heimlich zu einem Ziele verknüpfte und ziehe“ (253, vgl. 200). 602 So etwa Dembeck, Texte rahmen, 385ff., 389; daran anschließend M. Wieland, Vexierzüge, 185ff., 192ff., 200-04, 252. 603 Vgl. Dembeck, Texte rahmen, 383f.; die „Doppelstruktur“ von „Erzähltext in seiner Äußerlichkeit“ und der durch „Phantasie“ ausgemachten „inneren Geschichte“ (383) entspreche der von Satire und Empfindsamkeit (vgl. 343, 328-40), von Appendix und Roman (384400), zum „schnellen Wechsel zwischen Ernst und Scherz“ (Jean Paul, SW I.4, 358; deren Unterscheidung oftmals zu einfach gefasst wird, vgl. etwa M. Wieland, Vexierzüge, 249253; s. Kap. I.5), „zwischen Empfindsamkeit und Stiefelwichsen“ (Unsichtbare Loge, SW I.1, 361; vgl. SW I.4, 358) oder Rührung und Satire, oder Witz und Humor (vgl. Bosse, Theorie und Praxis bei Jean Paul, 102-10; Birus, Vergleichung, 88; M.  Wieland, 248-51). Dembeck (wie anderen) zufolge, ziele Jean Pauls ‚,Heilsordnung“ des Appendix mit der des Romans auf die „Utopie einer metaphysischen Einheit“ (Texte rahmen, 385ff., 372ff., 387-400), im „Humor“, der als verbindendes Drittes angenommen wird (327ff., vgl. 34045, 352, 390-405; Wiethölter, Witzige Illuminationen, 35; dies., „Die krumme Linie“, 46f.; Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 481f.). Der Witz wird von Jean Paul begrenzt (so auch Fleming, „Disparate Pleasures“, 146f.) und in Phantasie und Humor überschritten: „Jean Paul’s thought remains teleological as all humour does.“ (147). Er integriert aber das Anagrammatische des Witzes und der Digressionen nicht in die Totalität, die gesucht sei (vgl. Kleine Nachschule, SW I.5, 469); zum Humor („ein Exponent der angewandten Endlichkeit“) wäre genau zu lesen: Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 139-44, 131-39. 604 Schmidt-Hannisa, „‚Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst‘“, 101; die „schwarze Musaik“, Jean Paul, SW I.5, 1291. 605 „Daß wir als Leser schließlich aber doch ‚die Gegenstände […] zu schauen‘ glauben, wo es in Wahrheit nur eine partikularistische ‚Wörtermusaik‘ zu sehen gibt, verdanken wir

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und ihre ‚leblose‘ Fügung transzendierend, phantasmatisch in gespenstischer Erscheinung wahrgenommen werden, sind aber (je wieder) an die „Sprache, genauer […] Schrift, eine Textur bloßer Zeichen“,606 an die disparat gefügte Oberfläche des Textes zurückverwiesen. Wird mit „Wörtermusaik“ die Medialität der Literatur ausgewiesen, so insbesondere hinsichtlich der (von der Schrift vorgestellten) Instabilität der Assoziationen der Partikel607 auf der Seite, die auf (unabsehbare) andere Verkoppelungen angelegt sind. Das artikulieren die sich und damit sichtbare Abstände einlassenden dashes: als Trennungen in den Fügungen, als mit den Teilungen und Abständen erzeugte Fügungen. (‚Gedanken‘-)Striche stellen den Text als lose, als sichtbar undichte und als bewegliche Verknüpfungen über unlesbare Abstände vor. Dass in anagrammatischen Spielen „die poetische Musaik wie ein Setzer lieber zu Buchstaben greift anstatt zu Worten“, kennzeichnete Jean Paul zwar bloß verwerfend.608 Jedoch spielt der Witz, der Jean Paul zufolge aufs „Mosaik“ ausgeht, die Anagrammatik der Texte aus,609

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dem Umstand, daß wir beim Lesen – träumen“ (Schmidt-Hannisa, „‚Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst‘“, 101; vgl. 102). Zu einer solchen („halb ironisch“ erträumten) „verdeckende[n] Lektüre“ vgl. Knörer, Entfernte Ähnlichkeiten, 212. Jean Paul malt aus: „Der Leser sitzt jetzt in seinem Kanapee, […] – die Grazien halten ihm mein Buch und reichen ihm die Heftlein – die Musen wenden ihm die Blätter um oder lesen gar alles vor“ (Jean Paul, Hesperus, SW I.1, 511; HKA I.3, 38), so werden nicht nur Buchstaben, sondern auch das Handhaben von Blättern übersprungen. Die „Illusion“ werde zur „Groteske“ (Soffke, „Jean Pauls Verhältnis zum Buch“, 362f.), wenn der unmittelbare Blick „aller Leser“ (Jean Paul, Flegeljahre, SW I.2, 627; HKA I.10, 46) diese vollends ins Dargestellte, auf den Ästen des Apfelbaumes sitzend, einträgt. Schmidt-Hannisa, „‚Der Traum ist unwillkürliche Dichtkunst‘“, 101. Ist die ‚Utopie der empfindsamen Lektüre‘ „zu vergessen geneigt“, dass sie vom Buchstaben und „vom (para) textuellen Arrangement der Erzählung“ abhängt, so ist „wie jede Lektüre […] auch die empfindsame auf das Buch und seine Buchstaben angewiesen“ (Dembeck, Texte rahmen, 393f.). Der Text gebe eine zweifache Ansicht: eine „Theorie des Buchstabens“ und eine durch „Magie der Einbildungskraft“ oder „Tätigkeit der Phantasie“, die „dauerhaft die Vorstellung einer geistigen Einheit der[] Buchstaben vermitteln“ könne (297ff., 312-15, 319-22), oder auch Appendix und Roman (383-400; M. Wieland, Vexierzüge, 193ff.), „empfindsamer Diskurs und degressives Schreiben“ (252) als konkurrierende Auffassungen des Textes. Für die Doppelsicht wird gerne als ein verbindendes Drittes der Humor angenommen (Dembeck, 398-405, als Referenz Wiethölter, Witzige Illuminationen, 35). Vgl. G. Müller, „Mehrfache Kodierung“, 95f., s. Kap. III.1; Dembeck, „Text ohne Noten?“, 165f. Jean Paul, Kleine Nachschule, SW I.5, 461. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201 (=HKA I.11, 186). Als „Anagramm der Natur“ ‚sagt‘ der Witz auch über die Natur, dass sie buchstäblich unorganisch, nicht-ganz ist. Im Anagramm ist keine substantielle „Einheit wieder[zu]gewinnen“ (vgl. aber SchmitzEmans, „Der verlorene Urtext“, 207; Dembeck, Texte rahmen, 369f., 360-64, M. Wieland, Vexierzüge, 92ff., 89f.).

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für die das Mosaik-Modell nicht hinreicht. Denn nicht nur tritt das ‚Lose‘,610 aus jeweiligen Verbindungen gelöst, in Konfigurationen, die nicht anders als durch Signifikanten-Relationen (un-)gegründete, instabil auf je andere Konfigurationen angelegt sind, vielmehr inhärieren den Signifikanten als iterierbaren andere (sie jeweils zerlegende) mögliche Verbindungen: latent, an/abwesend. Der Text, Raum virtueller anagrammatischer Konfigurationen, von latenten grundlosen und instabilen Verknüpfungen, schweift (potentiell) überall von sich ab. Daher besteht, wenn Julia Kristeva vom Text als „mosaïque de citations“ spricht,611 dieses nicht aus begrenzt bestimmbaren Teilen, wird das aufgerufene Modell des Mosaiks gegengelesen: Denn in jedem seiner zitationellen Momente (seien diese Buchstaben, Wörter, anderswoher bezogene Einschübe, zusammengebastelte Zitate) ist der Text, von und in sich differierend, anderswo-hin verwiesen. Der Text ist an jeder Stelle (potentiell) von/in sich verschieden: andere Texte ein-lesend, unbegrenzbar woandersher sich schreibend und woandershin lesend (sich) verweisend. – – – Choreo-graphie des Lesens Wenn Jean Pauls „Antrittsprogramm“ des Titan, ein Paratext oder Supplement und daher eine feiernde Zugabe,612 seine „Leser“ auffordert: – – Und nun lasset uns sämtlich ins Buch hineintanzen, in diesen Freiball der Welt – ich als Vortänzer voraus und dann die Leser als Nachhopstänzer –, so daß wir […] munter tanzen von Tomus zu Tomus – von Zykel zu Zykel – von einer Digression zur andern – von einem Gedankenstrich zum andern – bis entweder das Werk ein Ende hat oder der Werkmeister oder jeder! –.613

– so gilt diese Aufforderung, die „ins Buch hinein“ wiese, in dem „wir“, auch die „Leser“, demnach noch gar nicht wären, der das Buch durchquerenden Bewe­ gung, dem Lesen als Tanzen. Sie weist ‚Gedanken-Striche‘ als gleichsam choreographische Zeichen aus, macht in ihnen die Graphie der Unterbrechungen und Fortsetzungen als Skandierung einer Bewegung sichtbar, ein tanzendes Hopsen (zwischen Teilstücken). „–“ organisiert – intervenierend, sich und 610 Das wird modelliert als gelöste Blätter, lose Zettel, Lotterielose, s. Kap. III.1. 611 So Kristeva, „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“, in: Critique, 440; in: Semiotiqué, 146/„Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“, 347f. Barthes redet von „tissu des citations“ („La mort de l’auteur“, 65), womit die möglichen Verweise angezeigt sind (vgl. Wirth, Die Geburt des Autors aus dem Geist der Herausgeberfiktion, 24). 612 Vgl. die Freiheits-Feste, Saturnalien, „Sanskulottentage“ der parerga, Digressionen, wit­ zige Einfälle und Extrasachen in Appendixen, SW I.4, 545, 360f.; SW I.5, 196f., 843; SW I.1, 1024 u.ö., vgl. Kap. I.4. 613 Jean Paul, „Antrittsprogramm“ des Titan, SW I.3, 68.

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damit Abstände einlassend – „the dance of digression“,614 eines ‚permanenten‘ genussvollen ausschweifenden Aufschubs in (mit unabsehbar anderem) verkoppelnden Sprüngen, in disseminativer Verschiebung.615 Die Verbindung durch Dissoziation und die Auseinander-Setzung in der Verkupplung macht den Witz aus, und als solchen charakterisiert ihn Jean Paul durch ein anderes choreographisch aufgefasstes diakritisches Zeichen, das Komma, in deren jeden dieser „den Leser zu springen“ nötige, und mit dem er a-metaphorisch der Metapher entgegengesetzt ist.616 Die Hervorbringungen des Witzes seien, so sei nochmals erinnert, „nicht ein Schluß-Kind aus beiden Vorstellungen“, die „Kraft“ des Witzes resultiert nicht in etwas, macht vielmehr „Sprünge“, erzeugt Blitze oder „Funken“.617 Dagegen bringe die sogenannte „bildliche Phantasie“ so unmittelbar wie zwanglos Bilder wie Metaphern hervor, indem sie „die Ähnlichkeit zwischen Körper- und Geisterwelt (z.B. Sonne und Wahrheit)“ ‚anzuschauen‘ gebe, löse im Bild sich ein.618 Ist sie „daher“ „strenge an Einheit ihrer Bilder gebunden – weil sie leben sollen, ein Wesen aber aus kämpfenden Gliedern es nicht vermag“, wird der Witz, „da er nur eine leblose Mosaik geben will, in jedem Komma den Leser

614 Kuzniar, „Titanism and Narcissism“, 456; vgl. 454f.; an Montaignes „Schweifen“ „von einem Gegenstand zum andren“ (Kilcher, mathesis und poiesis, 138f.) anschließend, stellt Jean Paul das ‚Durchlaufen der Bücher‘ als ein Hüpfen oder Springen vor (HKA II.6, 350, 315), vgl. Kap. III.1. 615 So in Tristram Shandy, wo im Tanzgenuss abschweifend „loitering behind“, dancing off, away  … bis in den Pavillion, „where pulling a paper of black lines, that I might go on straight forwards, without digression and parenthesis, in my uncle Toby’s armours—/ I began thus—“ Vol.  VII endet. „—But softly—for in these sportive plains, and under this genial sun […] every step that’s taken“, beginnt Vol. VIII, um, in Rückwendung auf „straight lines“ und alle möglichen Abwege den Beginn aufs nächste chapt. aufzuschieben, dort (VIII.ii) aber „now“ von „beginning a book“ zu handeln usw. Fürs luftig Tanzen oder Ausschweifen sind die Extratage oder „Honigmonate“, so Jean Paul (SW I.3, 837, SW I.3, 59f.), im projektierten letzten Buch hat er „mit der komischen Muse einmal ganz auszutanzen vor[…]; in der Tat wollt ich mich einmal recht gehen und fliegen lassen“, „Keckheiten nach Keckheiten begehen“ (SW I.6, 569), u.ö.. Zum Spielen und „lustig“ Hüpfen werden Kinder aufgerufen, wo ‚bunte laufende Gestalten‘ durch die bewegten Bilder der „Zauberlaterne“ evoziert werden, was geschrieben „durch laufende Strichregen“ zerrissen sei (SW I.2, 876). 616 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.; vgl.: „Nun sperret der Witz ungleiche Dinge in ein Gleichnis zusammen, umzäunet mit Einem Komma, yanet dissonierende Metaphern.“ („Über die Schriftstellerei“, SW II.1, 402f.; HKA I.1, 39). Das ist hier in Bewegung gesetzt. 617 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 171, 173f. 618 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f. u. 182ff.

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zu springen nötigen“.619 Der Witz verkuppelt Unähnliches oder gar Unverträgliches, promiscue, in einem mehr oder weniger weiten „Sprung“ – oder einem Hopser, zu dem das „Komma“ ein quasi-choreographisches Zeichen abgibt, worin der „Leser“ geübt werde:620 Der Witz gibt eine desautomatisierende Leseschulung, indem er, so Jean Paul, die Geläufigkeit des „halben LeseSchlafe[s]“ stört, so dass Lesen, „von Komma zu Komma“ unterbrechend an die aus der Satzhierarchie gelösten Teilstücke zurückverwiesen ist,621 es diskontinuierlich, sich zurückwendend und (woanders hin) hopsend die disparate Gefügtheit des Textes622 ausspielt. Für die „Kraft“, die springen macht, 619 Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 187f.; vgl. B. Menke, „Ein-Fälle. Übertragungen und Zufälle“. Daher taugt nicht die Metapher als Metapher für den sog. „Link“ (so aber Klappert, Link und Lücke, 195), denn der kombinierende Link ist auf die Lücke und als jeweilige Kombination auf Re-Kombinierbarkeit ange- und verwiesen, widerstreitet derart der organischen Einheit. Die Ambivalenzen zwischen Rückbezug auf eine vorausgesetzte Einheit und deren Drangabe im Witz bestimmt oftmals die Sek.Lit., vgl. G. Müller, „Jean Pauls Privatenzyklopädie“; ders., Jean Pauls Exzerpte; ders., „Mehrfache Kodierung“; Wölfel, „‚Ein Echo, das sich selber in das Unendlich nachhallt‘“; Buschendorf, „‚Um Ernst, nicht um Spiel wird gespielt‘“, auch die neuere Sek.Lit. in termini von Humor, Phantasie, o.ä. (wie zit., vgl. Kap. I.5). 620 Im „tapfere[n] Springen von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit über immer breitere Gräben“ sollen die Lesenden geübt werden, so Jean Paul (SW II.4, 230); „Great wits jump“, so Tristram Shandy, III, ix, 197. 621 – Wenn Lesende „hoffen (in ihrem halben Lese-Schlafe) stets, im Vordersatze schon den Untersatz mitgedacht zu haben und mithin die Zeit, welche sie mit dem Durchlesen des letzten verbringen, angenehm zur Erholung verwenden zu dürfen,“ aus diesem ‚auf fahren‘, „wenn sie dann sehen, daß sie nichts errieten, sondern von Komma zu Komma wieder denken müssen!“ und durch „Unähnlichkeit“ zur „Tätigkeit“ aufgeweckt, mit Sterne Einspielung „auf dem abgesetzten Klippenweg“ zum „Sprung“ veranlasst werden (Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 176; Tristram Shandy, I, i, 2; I, iv, 6f.). Kommata zeigen an, „dass für das Verständnis der Handlung [!] jedes abgetrennte Glied des Satzes von Bedeutung ist“ (Nebrig/Spoerhase, „Für eine Stilistik der Interpunktion“, 18; zum Komma in der Satzlehre im 18. Jh., vgl. Rinas, Theorie der Striche und Punkte, 181f., (im 17. Jh.) 100-05). 622 Die Linien, die in Sternes Tristram Shandy auf eingefügten Holzschnitten, im Nachtrag, vermeintlich die komplizierten Aus- und Abschweifungen in den verschiedenen Büchern wiedergeben (VI, xl, 570f., Nink, Literatur und Typographie, 107f.), müssten die Lücken und Sprünge aufzeichnen (vgl. de Certeau, „Gehen in der Stadt“: „Praktiken im Raum“, 194ff.; B.  Menke, „Kritzel – (Lese-)Gänge“, 205ff.). Das macht der sich unterbrechende „witzige[] dialektische[] Zick Zack“ (Jean Paul über Lessing, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 151; des Blitzes, vgl. SW I.5, 470; SW I.1, 810): der Kontingenz (wie des Blitzes) des Fliegenweges (vgl. zigzag in Deleuzes L’abécédaire de Gilles Deleuze; Barthes, Die Lust am Text, 48), der die Arabeske entfesselt (Weltzien, „Zig Zag“; vgl. Jean Paul, Hesperus, SW, I.1, 871); vgl. J. H. Miller, Reading Narrative, 62, 69, 74; zu den Sterne’schen, die die Metapher der ‚narrativen Linie‘ auf der Seite und damit zugleich die ‚inability of showing‘ aufweisen (6672; zu narrativen, nur vermeintlich kontinuierlichen, auf sich gefalteten, unterbrochenen

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tritt mit dem Komma eine graphische Marke als Schnitt oder Schlag in die Abfolge ein,623 die ‚selber‘ ohne Bedeutung als Operator an der schriftlichen Organisation teilhat, hier aber die Inzidenz einer Unterbrechung (nicht etwas) gibt: das Ereignis eines Sprungs im ‚Nexus‘, der Verkupplung im (oder gar durch den) Abstand, das sich (als solches) nicht retroaktiv im Sinn einlöst. Es indiziert den Text als Choreographie von Lese-Vorgängen, indem es einen ‚reinen Vollzug‘ von nichts Bestimmbaren ‚choreographiert‘, den es als ‚reinen‘ nicht ‚gibt‘, der ohne feststellbares Resultat kein performativer Vollzug ist. Derart artikulieren „Kommata“ des Witzes Anhalt an den ‚Gliedern‘, in Fügungen „ohne wahre Verbindung“,624 in deren dissoziativer Verknüpfung und metonymisch wirksamer Streuung. Die Quer-Striche sind ebenfalls choreographisch aufgefasst,625 wenn sie in metonymischer Synkopierung626 die Bewegung „– von einer Digression zur andern – von einem Gedankenstrich zum andern –“, als eine hopsend ‚hin und her‘ tanzende nach- und vorzeichnen. Der Strich oder Streich zerschlägt in Stücke, streut oder sprengt aus und auseinander. Die Striche fügen an oder zusammen, indem sie die Teile auf Abstand und deren Abstand in der Fügung halten, indem sie durch die unter- und abbrechende Anfügung den Text-Raum – lösend – als Zerstreuung aufführen, die zu unbestimmt anderen (latenten) lesend querenden Verbindungen anhält. Der Buch-Raum, der nach Jean Pauls Aufforderung zum Tanzen hopsend lesend durchquert würde, ist zusammengesetzt (aus Bänden, Zyklen, Digressionen) durch kein „organisches Band“ (Jean Paul) zusammengehalten, sondern wird durch Hopserei, mit der unlesbare Abstände lesend genommen werden, jeweils, kontingent unterbrechend wie verkettend, (auch) ‚hin- und her-‘ und über-blätternd, gelesen.627

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Linie, 63f.; ders., „Ariadne’s Thread“, 62ff., 66-74; vgl. Dembeck, Texte rahmen, 187f., vgl. 172-95). Als Spur kontingenten Lebens modellieren sie den Roman, der nicht an einen linearen narrativen, zielgerichteten Vollzug gebunden ist (vgl. Campe, „Form and Life in the Theory of the Novel“, 54, 57), wie Tristram Shandy zugleich die Kontingenz der Fügung des Textes exponiert (Wellbery, „Der Zufall der Geburt“; vgl. Härter, Digressionen, 7-10, 52). Vgl. P. Schnyder, „Das Komma“, 74f., 85f. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 201 (HKA I.11, 186). Das Komma ersetzt die aus dem handschriftlichen Gebrauch des Mittelalters stammende Virgel; die einen Abbruch markierende ‚liegende Virgel‘ gilt auch als Vorläufer des sog. Gedankenstrichs (Klein/Grund, „Die Geschichte der Auslassungspunkte“, 20; vgl. Bredel, Interpunktion, 43ff.); Komma und Gedankenstrich gehören als Doppelzeichen zu den Parenthese-Anzeigern (76, 68ff.). „[D]iese waagerechten Taktstriche poetischer Tonstücke“ heißen Gedankenstriche in der Liste ihrer ‚Def.‘en in Feldprediger Schmelzles Reise, SW I.6, 21. Lesen wird synkopiert durch Digressionen, Einlässe usw.; statt an einer vermeintlichen Textlinie entlang zu ‚rutschen‘, würde vielmehr das Buch als Blätter und wie Karten- u.a. -blätter gehandhabt (Jean Paul, „Vorrede zum satirischen Appendix“, SW I.4, 355).

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Der Abstand in der Fügung, den der Strich hält und einträgt, verweist „–“ als Marke der genuinen Nicht-Geschlossenheit des Textes alles Gelesene an die anagrammatische Re-Konfigurierbarkeit, die Verstellbarkeit der Signifikanten, die Fügung in der Dispersion als eine in-stabile, bewegliche – anagrammatische Lesbarkeit temporär konfigurierend – zugleich an (virtuelle) andere Lesbarkeiten. Und wohin das führt? „– von einer Digression zur andern – von einem Gedankenstrich zum andern – bis entweder das Werk ein Ende hat oder der Werkmeister oder jeder! –“.628 Das Aneinander-Fügen wird zwar ein Ende, aber kein gültiges, kein telos, sondern einen kontingenten, von außen zufallenden Abbruch haben,629 schließt sich also nicht (mit sich zusammen), sondern ermöglicht – stets wieder an-nähend – stets weitere Anfügungen, die jeweils andere temporäre kontingente Einheiten hervorbringen, und als feiernde Zusätze diese ausschweifend je schon lädieren,630 ohne Bindung an Reihenfolge oder ‚Idee‘ ein stets wieder auf sich zurückkommendes, abbrechendes und neu verknüpfendes Lesen, wie und als Tanzen, sich genießend im hinterherlungern und voraus-abschweifen zugleich.631

628 Jean Paul, Titan, SW I.3, 68. 629 Vgl. den Aufschub des Todes im Fort-Geschriebensein des Textes, der kein Werk wird (das erst durch den Tod retroaktiv, Werk und Autor zusammenschließend, geschlossen würde) in Leben Fibels, s. Kap. III.2 (umgekehrt „Konjekturalbiographie“, SW I.4, 1078, 1075-80 u. 928). Für projektierte vier letzte „Ausschweifblätter“, „Ausschweife für künftige Fortsetzungen“, vgl. SW I.3, 1065-68, die das „köstliche Alles“ ausschütten, zusammenleimen, „wirklich nichts zurücklassen“: eine „Hyperbel“ ins „Unendliche“, vgl. SW I.6, 569-72. 630 Die „Freiheitsfeste“ der Vor- und Nachrede wie die hinzuge‚stoßenen‘ weißen Blätter zeigen das kontingente Fortschreiben an: als „Zeichen, das nächste Blatt sei ebenso unbewohnt und ebenso offen beliebigen Schreibereien“, wie diese als Nicht-Form unbestimmter „Wüsteneien“ „ein Buch vom andern sondern“, allenfalls derart die ‚Einheit‘ eines Buches hervorbringen, aber als den „Garten des Buchs einfassende leere Hahas“ es zugleich über dessen Grenze hinausweisen: in andere Bücher (Jean Paul, „Appendix des Appendix“, SW I.4, 545, vgl. SW I.5, 196f.; Kap. I.4). 631 So führt in Tristram Shandy der Genuss am Tanz, abgelenkt, „loitering behind“, als dancing off, away bis im Pavillion, „I began thus—“ Vol. VII endet, um VIII „—But softly—for in these sportive plains, and under this genial sun, where at this instant all flesh is running out piping, fiddling, and dancing to the vintage, and every step that’s taken“, einzusetzen, um aufzuschieben. Tanzen ist nicht-linear: „hin und her tanzende[] Reden“ (SW II.3, 1069), wie Digressionen (nicht linear einziehbar) Lesen beweglich „hin und her“ gehen lassen.

Kapitel V

Der janusköpfige Witz – ein „doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient“ Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten

„Der Witz ist […] ein an sich doppelzüngiger Schelm, der gleichzeitig zweien Herren dient“, ist in Sigmund Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten von 1905 zu lesen.1 Diese Abhandlung Freuds ist, wie überliefert wird, dem Unbehagen an der Witzigkeit, die an den in der Traumdeutung erzählten Träumen vermerkt und seiner Theorie als Fiktion, Projektion oder Trug angekreidet wurde, geschuldet;2 es handle sich bei ihr um eine „ausführliche Abschweifung“ (1916) und „direkt ein Seitensprung von der ‚Traumdeutung‘ her“ (1925). Sollte das Witz-Buch die Zwielichtigkeit, in die die Freud’sche Theorie geraten war oder gerückt wurde, abwehren, war ihm eine theoriestabilisierende Funktion zugedacht.3 Es ist eine Marginalie zum offiziellen Kanon der Freud’schen Werke geblieben, obwohl Freud zur Rechtfertigung seiner „Bemühung“ um den Witz schon einleitend „die Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens“ beruft, „welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert“.4 Der postulierte „Zusammenhang“, an dem seine Abhandlung arbeite, wirft aber auch die Frage auf, wie homogen sich ihr Gegenstand zu dem, was die Theorie 1 Freud, Der Witz, 146. 2 „Alle Träumer sind eben so unausstehlich witzig und sie sind es aus Not“ (Freud an Willhelm Fließ, 11. Sept. 1899, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, Briefwechsel, 255). „Der scheinbare Witz aller unbewußten Vorgänge hängt [so Freud] intim mit der Theorie des Witzigen und Komischen zusammen“ (ebd.). Die von ‚Lesern‘ für „‚witzig‘“ befundene Traumarbeit (Freud, Der Witz, 162), habe „den Verdacht erweckt, daß es sich dabei eher um die Projektionen Freuds handelte als um die Sache selbst“, darin macht S. Weber „die Umstände [aus], aus denen diese Untersuchung hervorgegangen ist“ („Die Zeit des Lachens“, 80; ders., FreudLegende, 112f.; Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 21; Editorische Vorbemerkung zu Freuds Der Witz, 10; „Preface“ zur engl. Ausgabe Freud, Jokes and their Relationship to the Unconscious, xxvi ff.; Geisenhanslüke, Dummheit und Witz, 209). 3 Vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 3-5, 163. Sollte das Witz-Buch einerseits „den Vorwurf der ‚Projektion‘ bzw. der Suggestion […] entkräften“, werde aber „im Laufe der Untersuchung deutlich, daß die Theorie des Witzes diese strategische Aufgabe schwerlich wird erfüllen können.“ (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80). 4 Freud, Der Witz, 19.

© Brill Fink, 2021 | doi:10.30965/9783846762226_006

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Freuds janusköpfiger Witz

scheint als das ihr Bekannte voraussetzen zu können, und zur Theorie selbst verhält. Der „doppelzüngige Schelm“ und die „Doppelseitigkeit“ des Witzes, die Freuds Schrift vorstellt, stellt ihn in die diskontinuierliche Konzeptgeschichte des concetto und des ingeniösen Witzes. Auf die Tradition des Witzes bezieht Freud sich aber in der Form, in der sie aus dem 18. Jahrhundert die Ästhetiken des Komischen im 19. Jahrhundert erreichte und in diesen fortgeschrieben wurde.5 In Bezug auf die überlieferten Bestimmungen des Witzes, die Freud vor allem in der Formel „Sinn im Unsinn“ beizieht, sucht er die Leistung seiner Theorie in einem Überbietungsgestus auszumachen.6 Der Unterschied, den Freuds Konzept macht, liegt darin, dass in der Doppelgesichtigkeit des Witzes mit der „Janusköpfigkeit“ die Doppelausrichtung als Schema einer Topologie zweier verschiedener Adressaten erkennbar wird (Kap. V.1). Die Doppelzüngigkeit des Witzes hat ihre Spezifik im Umgang mit dem sog. Dritten7 (neben dem Witzbildner und dem komischen Objekt), der erzählend eingezogen und zum Lachen gebracht werden muss (Kap.  V.2). Der Witz hat demnach nicht nur ‚soziale Wurzeln‘,8 sondern ist als psychischer Vorgang, der des anderen bedarf, ein „soziale[r] Vorgang“. Auch die Redeziele des concettismo meinten mit der Verblüffung oder dem Erstaunen ein gleichsam ‚soziales Funktionieren‘. Freuds Witz-Theorie aber verschiebt den Witz aus der Zuständigkeit der in Termini von Sinn und Unsinn verhandelten Semantik (bzw. deren Überziehung im concettistischen Ausspielen des Sprach-Materials) in die der Pragmatik „im Peirceschen Sinne“, der Bestimmung des Witzes – nachträglich – durch seine Wirkung(en).9 Bereits ein aside seiner Einleitung: „Ein neuer Witz […] wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen“,10 weist die Dimension aus, die diese Verschiebung ausmacht: Der Witz ist „anonym im Umlauf“,11 er geht von Mund zu Mund. Er ist nicht zu lösen von der Relation zwischen dem Witzbildner, der zum Erzähler werden muß, und 5 So Lipps’ Komik und Humor. Eine Psychologisch-Ästhetische Untersuchung (1898); vgl. Freud, Der Witz, 13. Von Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen (1846, 21858), hat (oder hätte) Freud mehr beziehen können als die Zitationen von Jean Paul (Freud, 15; vgl. 86), die er vorrangig von K. Fischer, Ueber den Witz (1871, 21889) zitiert (Freud, 13ff.). 6 Freud, Der Witz, 15-18, 124, 161. Diesen Gestus einer Theorie-Begründung hat vor allem Kofmans Lektüre von Freuds Abhandlung herausgestellt. 7 Die nicht geschlechterneutrale Formulierung (hier und im Folgenden) ist Freud und seinem Konzept geschuldet. 8 Vgl. Birus, „Freuds ‚Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‘“, 256. 9 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80f.; d.i. die „pragmatische Seite (im Peirceschen Sinne) des Freudschen Denkens“. 10 Freud, Der Witz, 19. 11 Freud, Der Witz, 159.

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dem Hörer als anderem, den der Witzvorgang in sich einbezogen haben muß. Der Witz hat allein in dieser Relation statt.12 Einer Lektüre der Freud’schen Abhandlung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, die primär am Witz und darum an den Folgen für seine Theorie interessiert ist, muss es auf diese Verschiebung in besonderer Weise ankommen. Durch die Auffassung des Witzes als Geschenk an–) damit die Angewiesenheit auf den anderen, den Dritten (Kap.  V.2), wird neben der, noch mit dem Stichwort des ‚Unsinns‘ eingehaltenen, semantischen, die andere Perspektive seiner Pragmatik und Performanz nicht nur eingespielt, sondern durch den Witz auch irritiert. Spätestens in des Witzes Berücksichtigung des Dritten (die aufs Lachen zielt) ist dessen Ökonomie nicht mehr als die der Ersparnis und der Bemeisterung auszumachen, sondern vielmehr als Anökonomie des Witzes. Über den Witz entscheidet das Lachen, das er ermöglicht, Medium der Mitteilung des Dritten an den Witzerzähler, das die Ökonomie von Einsatz und Ertrag aussetzt. Das hat Folgen für die Theorie des Witzes, oder stärker: der Witz macht fraglich, ob oder wie seine Theorie eine konsistente, stabile zu sein vermöchte (Kap. V.3). Die autoreferentielle Wendung auf die eigene Verfasstheit, in der die Dimensionen der Sprache im Widerstreit stehen, wurde vom concetto angewiesen und ist allen jenen sprachlichen Formen wie Paronomasie, pun oder Kalauer, die zu den Techniken der Witze gehören, impliziert. Demgegenüber aber, und auch gegenüber den Einsichten hinsichtlich der Sprache, die Witze ermöglichen, macht das Witzgeschehen das bewußte ‚ich‘, die kritische Instanz, sie ablenkend, fernhaltend, zur ‚dummen‘, die überrumpelt wird; es oder sie weiß nichts vom Witz-Vorgang. Das drängt die Frage nach der (möglichen) Position einer Theorie des Witzes auf. V.1

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Sein doppeltes Agieren, die Doppelgesichtigkeit, die den Witz der Freud’schen Analyse zufolge ausmacht, verbindet ihn mit dem ingeniösen concetto und seinem Witz, einer „scharfsinnigen Aussage“ mit „Pointe“.13 Dessen Konzept 12

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Auch literaturwissenschaftlich genügt es nicht, „Freuds Witz-Buch […] als Modell einer unverkürzten literaturwissenschaftlichen Analyse, und zwar der einer ganzen Textsorte“ zu betrachten, so aber Birus („Freuds ‚Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‘“, 255; vgl. die Diskussion, 276f.), in Beschränkung auf die Witz-Techniken (vgl. 264f., 270f.). Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, (1983) 91; (1994) 118; zur Doppelgesichtigkeit, vgl. Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, 993; „les deux faces“ des ingenio (M. Blanco, Pointe, 29f.), und die Relation des „mot d’esprit selon Freud“ zum concepto (vgl. 147-53).

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greift Freud in der durch die Diskussionen der Ästhetiken des Komischen im 19. Jahrhundert ausgeprägten Fassung als „Sinn im Unsinn“ auf.14 Wenn Freud sich von den überkommenen Ästhetiken als solchen des Komischen absetzt, aus denen er nur disiecta membra habe übernehmen können,15 so kommt er doch auf diese Formel wiederholt zurück, um dem Bezug von Sinn und Unsinn mit der Doppelseitigkeit des Witzes eine neue Fassung zu geben. Übernahmen und Absetzbewegungen zeigen sich in Freuds Bezugnahmen auf die bekannten Definitionen zunächst des Witzes als Vermögen oder rhetorischer „Fertigkeit“, „Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten“ zu erkennen,16 die im 18. Jahrhundert das ingenio umdeuteten, auch wenn Freud nach den Verschiebungen des 19. Jahrhunderts nicht vom Witz handelt, „den der Witzige hat“, sondern „den er macht“.17 Nähe zur Kunstfertigkeit des ingenio zeigt Freuds Witz mit den „Techniken“, die mehr oder weniger die sind, die auch die Pointen der ingeniösen Verbindungen und Erfindungen hervorbrachten,18 die Freud auch in einer durchaus vergleichbaren Weise zu diskutieren scheint. Mit seinen „Grundzügen“ Kürze, Ersetzung, Kondensierung mit leichten Veränderungen, Homophonie, vielfältiger Gebrauch des gleichen Wortmaterials durch Anaphern, Chiasmen, Veränderung der Wortstellung, Wortspiele,19 fällt Freuds Witz unter die acutezza, findet er jedenfalls Eingang in Lexikon-Artikel zu deren Rhetorik.20 Manieristisch zeigt die Abhandlung sich in ihrer Anlage, der zunächst erstaunlich unübersichtlichen Vermehrung der Vielfalt der Beispiele und Ausprägungen der Techniken.21 Die Multiplizität 14 Freud, Der Witz, 15-18. 15 Freud, Der Witz, 14, 18; die Redensart stammt: „Leicht verballhornt aus Horaz’ Satire I 4, 62“ vgl. Birus, „Freuds ‚Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten‘“, 260; Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgang‘“, 15; Kofman, Die lachenden Dritten, 3. 16 Freud, Der Witz, 15; diese ‚bisherige Definition‘ wurde bereits von Jean Paul als unzutreffend kritisiert, durchprobiert (vgl. Kap. I); K. Fischer weist sie als von Jean Paul nur unzureichend kritisierte „verfehlte“ Erklärung zurück (Ueber den Witz, 15f.). 17 Freud, Der Witz, 15; zit. ist Lipps, Komik und Humor, 78. 18 Die Nähe hinsichtlich der Verfahren akzentuiert M. Blanco, Pointe, 148ff., bez. der Analogie der Kategorien, sogar der Beispiele und der Operationen Freuds: Verdichtung und Verschiebung, und Graciáns (149ff.), und dies trotz aller Distanz, vor allem der, dass Freuds Interesse nicht der écriture einer ausgewiesenen ars gilt (151). 19 Den „Doppelsinn der Worte“ exponiert die „zweifache“ „Verwendung des gleichen Materials“ (Freud, Der Witz, 35, 33, 43; vgl. M.  Blanco, Pointe, 151) in einem „geradezu diabolisch guten Witz“ (Freud, 35), womit diabolein, das Auseinander-Werfen ausgespielt ist; etwa der Name werde „einmal als Ganzes und dann in seine Silben zerteilt wie in einer Scharade“, materialiter gebraucht (33, vgl. die Beispiele u.a. Graciáns, in Kap. I.2, 5, 6), der im (Misch-)Wort u.ä. verdichtet wäre (23-43, 30), material agieren auch Verschiebungswitze (52-59; vgl. M. Blanco, 149, (bei Gracían) 270ff.). 20 Battistini, Art. „Acutezza“, 99f. 21 So gerade auch Gracián, Agudeza y Arte de ingenio, disc. I, 314; vgl. Kap. I.5; in der Viel-Falt weist, so Deleuze, der Barock sich aus (Die Falte, 11-28).

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der technischen Varianten scheint allerdings nur dazu zu dienen, um in ihnen die beiden Operationen der Verdichtung und Verschiebung, neben der Rücksicht auf Darstellbarkeit anzutreffen, in denen er die des Traums wiedererkennt, die er damit als die Operationen der ‚psychischen Bildungen‘ überhaupt bestätigt sieht.22 Mit den Restbeständen der Rede vom Witz im 19. Jahrhundert zitiert Freud auch Jean Pauls ‚witzigen Ausdruck‘ für das Konzept des Witzes: „‚Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut‘“, indem er Friedrich Theodor Vischer (oder diesen nach Kuno Fischer), und wie dieser ‚falsch‘ zitiert.23 Der Witz verkuppelt „am liebsten“ jene, so fügte Vischer hinzu, wie Freud weiter zitiert, „‚deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen‘“.24 Der Witz stiftet Mesalliancen, illegitime Verbindungen von „Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind“,25 die „zu einer Einheit“ gebracht werden, die – momentan – den Anschein substantieller Erfülltheit oder von Sinn zu gewinnen scheint. Zureichend aber sei der im Witz organisierte „Vorstellungskontrast“ erst aufgefaßt – so führt Freud die korrigierende Präzisierung der herkömmlichen Kontrast-Theorie durch Theodor Lipps’ „Psychologisch-Ästhetische Untersuchung“ Komik und Humor (1898) an – nicht als „so oder so gefaßter Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern [als] Kontrast“ zweiter Ordnung, als „Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“,26 zwischen dem Sinn, der einer sinnwidrigen oder sinnlosen Aussage ver- und (nur) ausgeliehen ist, von dem wir „wissen, daß er ihr logischerweise nicht zukommen kann“, und dem „Bewußtsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit“, in das „jene[s] Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen“ „unvermittelt“ 22 Vgl. Freud, Der Witz, 31, 42-45, 51f., 85, sowie 160ff., 189f.; es sind die der Sprache/des Unbewußten (Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“/„L’instance de la lettre“). Zur Problematik des Wiedererkennens vgl. Freud, 155, zum narzißtischen Zug der Theorie, vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 82; ders., Freud-Legende, 112-126. 23 Freud, Der Witz, 15, mit Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen (1846) Bd. 1, 422; 21858, 457; vielleicht aber zitiert er K.  Fischer, Ueber den Witz, 104 [56] (der gleichfalls Vischer zitierte); vgl. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 173; vgl. Kap. I.1. 24 Freud, Der Witz, 15; zit. ist Vischer: „Er ist aber der Schmied zu Gretna-Green, der lauter Paare traut, deren Trauung die Verwandten (der methodische wahre Zusammenhang) nicht dulden wollen“ (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 457). K. Fischer, der auch schon die Ergänzung durch Vischer zitiert: „Und da er sich an die Familienverhältnisse der Vorstellungen gar nicht kehrt, so darf man eben so richtig hinzufügen: ‚Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen‘.“ – hat seinerseits die Gelegenheit ergriffen, diese Metapher auszuspielen (Ueber den Witz, 102ff.). 25 Kofman, Die lachenden Dritten, 48; vgl. K. Fischer, Ueber den Witz, 102ff. 26 Lipps, Komik und Humor: „Die subjektive Komik oder der Witz“, 78ff., 87. Diesem Buch „verdanke“ er, so Freud, „den Mut und die Möglichkeit“, „diesen Versuch zu unternehmen“ (Der Witz, 13).

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übergehe.27 Die Formel dafür ist „Sinn im Unsinn“, deren Reichweite und deren Gültigkeit für den Witz Freud bereits anfänglich in Frage stellt, um sein eigenes Unternehmen als einen Neueinsatz zu profilieren, der er aber – oder die ihm – nachgeht bis zum Schluß seiner Abhandlung.28 Am Beispiel folgt Freud dieser Diskussion, und zwar anhand des „prächtigen Witz[es] von Heine“, dessen Beispielhaftigkeit er mit exponiertester Beiläufigkeit delegiert: „Wir folgen einem Winke des Zufalls und greifen das erste Witzbeispiel auf, das uns im vorigen Abschnitt [aus den beigezogenen Texten der ‚Vorläufer‘] entgegengetreten ist.“29 – den er noch einmal weiter erzählt, nicht ohne sofort zu vermerken, dass damit eine neue Frage, was einen Witz zum Witz macht, verfolgt werde. Heine führe in einem Stück seiner Reisebilder, „Die Bäder von Lucca“, „die köstliche Gestalt des Lotteriekollekteurs und Hühneraugenoperateurs Hirsch-Hyacinth aus Hamburg auf, der sich gegen den Dichter seiner Beziehungen zum reichen Baron Rothschild berühmt und zuletzt sagt: Und so wahr mir Gott alles Gute geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär“.30 Lipps erläuterte diesen Witz in Termini von „Verblüffung und Erleuchtung“, die dem concettistischen „neuen kognitiv-ästhetischen Doppeleffekt“ korrespondieren, dem, so Renate Lachmann, die „Steigerung 27 Lipps, Komik und Humor, 85. 28 Freud, Der Witz, 55f., 161, 190, 199f., u.ö. 29 Freud, Der Witz, 20. Zuspielen ließ sich Freud Heines Witz (16) – von den Vorgängern, wie K. Fischer, der das „f a m i l l i o n ä r “ des Lotterieverkäufers bei Heine unter „Klangwitz“ führt (Ueber den Witz, 123), oder Lipps, der ihn von Heymans „Ästhetische Untersuchun­ gen“ (1896) übernahm, dessen Analyse ergänzend korrigierte (Komik und Humor, 95). 30 Freud, Der Witz, 20. Heine lässt ihn sagen: „Und so wahr wie mir Gott alles Guts geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild, und er behandelte mich ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär.“ (Reisebilder: „Die Bäder von Lucca“, Sämtl. Schr. Bd. 2, 425). Es handelt sich dort nicht um einen Witz, der erzählt würde, sondern HirschHyazinth schwadroniert, wie er „episch breit, nach seiner Gewohnheit, seine Ansichten entwickelte“ (431). Zuvor habe Baron Rothschild den ehemaligen Lotteriekollekteur „sehr witzig“ angesprochen: „‚Ich bin ja selbst so etwas, ich bin ja der Oberkollekteur der rothschildschen Lose, und mein Kollege darf bei Leibe nicht mit den Bedienten essen, er soll neben mir bei Tische sitzen‘ –“. Weiter wird Hirsch-Hyazinth vom „berühmten Kinderball“ (der europäischen Herrscher) bei Rothschilds, „auf dem“ er auch war, in beziehungsreichen Details erzählen (vgl. Komm., Sämtl. Schr. Bd. 2, 869f.). „So wahr mir Gott alles Guts gebe“ ist stehende Redewendung Hirsch-Hyazinths. Auch der weitere Kontext, den Freud unerwähnt lässt, wäre hinsichtlich Freuds wiederholten Zurückkommens auf diesen Witz, auf Heine und die jüdischen Witze beizuziehen (Der Witz, 132ff., 108f., 84, 86; vgl. Shedletzky: „1830. Die Bäder von Lucca. Hirsch Hyazinth, die Papagoyim und Rothschild – ganz famillionär“, insb. 356f.; Schneider, „Der Witz und seine Beziehung zum Geld“, 70-82; genauer zu Heines Text vgl. Lüdemann, „‚Ganz wie seinesgleichen‘“; Winkler, „Heinrich Heines Witz“, 58-62).

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der Abweichungsfunktion, die Potenzierung aller rhetorischen Intentionen gelten“.31 Die ingeniösen rhetorischen Operationen und ihre überbietenden Steigerungen lassen in der Pointe (statt eines festzuhaltenden Sinns) die diese erzeugenden Verfahren, die die rhetorisch regulierten Verfahren überziehen, in der Verblüffung selbst zum Vergnügen werden. Lipps zufolge erscheine „famillionär“, das „Wort, welches der Träger des Witzes ist“, zunächst einfach als eine „fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches“, als „sinnloses Wort“, das „uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben“ habe.32 Nicht aber schon das sich einstellende Verständnis des „guten Sinn[s]“ von „‚famillionär‘“ als „scheinbar oder in dem Zusammenhang, in dem es auftritt, wirklich sinnvolles, sogar außerordentlich sinnvolles Wort“ mache den Witz, so Lipps, sondern die Verblüffung ‚zweiter Ordnung‘ über diese ‚erste Erleuchtung‘33 sei komisch, wenn „das fehlerhafte Wort“ einen „Übergang vom Verstehen zum Nichtmehrverstehen, oder zum Eindruck der Sinnlosigkeit“ veranlasse. So folgt der Verblüffung am Verständnis des Unverständlichen „erst“ „die Lösung. Auch sie besteht in einem „Verständnis“: „wie dies Verständnis zu stande gekommen ist“, die „Erleuchtung, wie es gemacht ist“, der „zweite[n] Einsicht, daß ein nach gemeinem Sprachgebrauch sinnloses Wort das ganze verschuldet habe“.34 Die Einsicht in die „Mittel, wodurch […] der rätselhafte oder seltsame, aber von uns verstandene Sinn entsteht“, ist Lipps die „völlige Lösung, d.h. die Auflösung in nichts“.35 Am Maße des Sinns, der punktuell dem Sinnlosen oder Sinnwidrigen 31 Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“ (1983), 92, 110; (1994), 131; zu den officia, vgl. Battistini, Art. „Acutezza“, Sp. 99. 32 Freud, Der Witz, 17, mit Lipps, Komik und Humor, 95. „Was noch nie vereint war, ist mit einemale verbunden, und in demselben Augenblick, wo uns dieser Widerspruch noch frappirt, überrascht uns schon die sinnvolle Erleuchtung“ (K.  Fischer, Ueber den Witz, 102f.). Den Vorschlag des Psychologen Heymans (1896): „Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes“ (zit. nach Freud, Der Witz, 16), aber korrigiert Lipps: die „‚Erleuchtung‘, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes“, werde selbst zum Gegenstand einer zweiten Verblüffung (Komik und Humor, 95). 33 Lipps, Komik und Humor, 93ff. 34 Lipps, Komik und Humor, 95. 35 Lipps, Komik und Humor, (hier wie das Folgende) 96: „Nur wenn zur Auflösung des unverstandenen Rätsels durch das Verständnis der Pointe diese völlige Lösung tritt, entsteht die Komik oder wirkt der Witz witzig.“ Spätestens hier ist die fortführende Umformulierung von Kants Formel: „Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.“ erkennbar (Kritik der Urteilskraft, WW X, 273ff.; vgl. Freud, wo er die Komik anspricht, Der Witz, 185, 189ff). „‚Nichts‘ großgeschrieben“, zitiert Heinrich Kant („‚Theorie‘ des Lachens“, 26), es ist „nur das ‚Es war nichts‘“ (ebd.; vgl. auch Reik, Lust und Leid im Witz, 99f.). Groddeck wendet ein: Kant „vermag auch die ‚Täuschung‘ nur als Negatives zu denken, das in Wahrheit ‚nichts‘ sei“, so dass er „mit seiner Formel den Punkt, auf den es ankommt, haarscharf verfehlt“: „Weder die ‚gespannte Erwartung‘ noch das ‚Nichts‘, in welche jene verwandelt wird, sondern die Zeitdimension

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abgewonnen werde, wird in den ‚Mitteln‘, die ihn ‚gemacht‘ haben, die Grundlosigkeit: (bloßer) klanglicher oder buchstäblicher Relationen, dessen bloße Nichtigkeit angetroffen. Das concetto wollte mit dem erzeugten verblüffendpointierten Sinn in autoreferentieller Wendung dagegen auf die sinn-fremden Verfahren selbst hinaus.36 In der pointierenden Faltung von Ähnlichkeit und Disparatheit, von Identität und Differenz aufeinander,37 die die Wendung auf die sprachlichen Relationen implizierte, machte es diese und die Verfahren selbst, die den Sinn so bestürzend hervortreten ließen wie sie diesen und dessen Stabilität stören,38 zum Vergnügen. Mit dem anfänglichen Beispiel führt die Frage, was „die Rede des HirschHyacynth zu einem Witze macht“,39 Freud umgehend auf den witzigen Wortlaut und jene Techniken, die ihn zu-Tage-treten ließen. Das zitierte, weitererzählte famillionär bringt mit einer Analyse, die dem quasi-anagrammatischen Verfahren: FAMIL/L/I/ON/ÄR nachgeht,40 zur Einsicht, der Witz sei in die „Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen“,41 die die Frage schon entscheidet, die Freud als Alternative vorlegt: „entweder“ trage „der in dem Satz ausgedrückte Gedanke […] den Charakter des Witzigen an sich […], oder der Witz haftet an dem Ausdruck, den der Gedanke in dem Satz gefunden hat. Auf welcher Seite sich uns der Witzcharakter zeigt, dort wollen wir ihn weiter verfolgen und versuchen, seiner habhaft zu werden“.42 Doppelhändig sei, so formuliert Sarah Kofman, (aber) das Vorgehen Freuds, der „sowohl mit der einen Hand“, die die Form einzufangen versucht, „als auch mit der anderen“, die sich des Gedankens annimmt, „Jagd auf den

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der Plötzlichkeit ist der – im allerwörtlichsten Sinne – springende Punkt beim Witz. Und dieser springende Punkt ist […] nur als Täuschung bzw. Enttäuschung – wahrzunehmen.“ („Dithyrambus des Witzes“, 167); zur Pointe und zur Zeitlichkeit bei Freud (Der Witz, 143ff.) vgl. im Folgenden. Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 116, 109f. Die Worte „sind beim Witze jederzeit dem, was sie meinen, in gewissem Sinne fremd“ (Lipps, Komik und Humor, 93). Das geschieht in der Paronomasie wie im Reim: „[La] loi générale de l’effet textuel – plie l’une à l’autre une identité et une différence“, so Derrida, „La double séance“, 309, vgl. 307ff./„Die zweifache Séance“, 311, vgl. 279-85, 290f. Vgl. Sarbiewskis Dreiecksschemata fürs concetto „Löwen des Caesar“, M. Blanco, Pointe, 174ff.; Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 113-17; Cramer, Exe.cut[up]able Statements, 34f. Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 115f., 128-31. Freud, Der Witz, 20. Vgl. das Schema Freuds, Der Witz, 22, in dem zweimal ein ‚l‘ entfällt, vgl. Lüdemann „‚Ganz wie seinesgleichen‘“, 227. Freud, Der Witz, 17. Freud, Der Witz, 20; der „Gedanke“, der in den Witz famillionär ‚überführt‘ wurde, die von den Spuren oder Resten dieses „Vorgang[s]“ her zu ‚erraten‘ ist (23, 22f.; vgl. auch 30).

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‚Witz‘“ mache,43 der so oder so immer wieder entkommen sein wird.44 Die Angabe des (vermeintlichen) Gedankens durch eine innersprachliche Übersetzung des witzigen Wortlauts, die Freud hier schlicht von seinen Vorgängern bezieht, ist ein Test, mit dem, da die paraphrasierende Ersetzung des Wortlauts zum Verlust des Witzcharakter führt, negativ erwiesen wird, dass der Witz am „Wortgebilde“ „hängt“.45 In der „Mischwort“bildung, einer buchstäblichen Verdichtung der Wörter familiär/Millionär,46 manifestiere sich der „Hergang“ im Kräfteverhältnis von „Unterdrückung“ und dem „Wort ‚Millionär‘, welches sich gegen die Unterdrückung zu sträuben“ und buchstäblich in ‚familiär‘, unterbrechend, eindringend zur Geltung zu bringen „vermag“.47 Hält Freud hier 43 An „beiden Ausgängen“ „durch die ihm der Witz entwischen könnte“ (Kofman, Die lachenden Dritten, 50). Freud spricht auch vom „erhaschen“ (Der Witz, 159). 44 „[D]ie Technik allein [reicht] nicht hin[], den Witz zu charakterisieren“ (Freud, Der Witz, 71; vgl. 60, 64); dieser „entschwindet“ „uns dort wieder“ (77); und über den Witz-Gedanken gibt es im Witz keine Gewißheit (88f., 83, 125). 45 Freud, Der Witz, 22; durch die Techniken des Witzes ist er nicht auszumachen, aber „der Witz [ist] jedesmal aufgehoben, sobald wir die Leistung dieser Technik im Ausdruck wegräumen“ (43, vgl. 30, 71); „Reduktionsversuche“ an Witzen, in deren „Gedankengang“ eine „Verschiebung vollzogen ist“, das sind „Gedankenwitze“ (72, 85f.), erweisen, dass auch deren Witzcharakter „am Ausdruck“ haftet (52f., 90, 77, 79, 84f., 123); „die Reduktion des Witzes“ „kläre[] uns“ über die Anteile des Gedankens und der „Witzarbeit“ „auf“ (88) – weil der Witz dann weg ist. 46 Freud, Der Witz, 22f. Es handelt sich um ein mot-valise (das wir von Lewis Carroll kennen, vgl. Kap. I.2, begrifflich Grésillion, La règle et le monstre, 1-36), linguistisch ist es die Fusion zweier Wörter (12, 7, zu Freud 15f., zu Heine  33-36; vgl. Lüdemann, „‚Ganz wie seinesgleichen‘“, 226f.; Braese, „‚Famillionär‘. Sprache und ‚Bildung‘“, 220ff.). K.  Fischer führt „f a m i l l i o n ä r “ unter „Klangwitze“, wie die Kalauer (vgl. Freud, Der Witz, 46f.), neben dem (von Freud gleichfalls zitierten) „‚a n t i k ? O n e e ! ‘“ (33; Fischer, Ueber den Witz, 123; auch Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 465). Nimmt Grésillion ein homophones Segment der beteiligten Wörter an (La règle et le monstre, 15-21, 35ff., so für die Heine-Fällen, die ihr Corpus bilden, 37ff.), wäre die sog. „homophone“ Zone in famillionär aber zerlegt in das buchstäblich zudem aufgesprengte „mil(l)i“ und das „är“; insofern genügt die Auffassung als simultane Eingekoffertheit von „Mil(l)ionär“ nicht; auch Grésillion vermerkt die Graphie der mots-valise (21), ihre Sichtbarkeit (36), Geschriebenheit (141). Vgl. Hamacher, „Kontraduktionen“, 27. 47 Sei „uns“ die „zusammendrängende[] Kraft“ „ja unbekannt“, „dürfen wir den Hergang der Witzbildung […] [so] beschreiben […]“ (Freud, Der Witz, 23). Reklamiert Lüdemann, dass Freud Heines „famillionär“ „tatsächlich allein am Ausdruck haften lässt“ („‚Ganz wie seinesgleichen‘“, 228) und „nicht zu den sogenannten ‚tendenziösen‘ Witzen rechnet, die […] eines nicht sind: nämlich harmlos“ (234), sind diese Unterscheidungen nicht zutreffend. Auch „Gedankenwitze“ (Freud, 85f.), als deren Technik Freud testend die Verschiebung erkennt (50, 53), hängen „am Ausdruck“‘ (52, im Ausgang von einem anderen Heine-Beispiel, 47-55). Der Wortwitz fällt nicht mit dem harmlosen, der Gedankenwitz nicht mit dem tendenziösen zusammen (86f.). Und ein „harmloser [ist nicht ohne Gedanke] kann sehr gehaltvoll sein“ (88). Zudem analyisiert Freud diesen Heine-Witz

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fest, dass das „Mischwort“, damit der ana-gramma-tische Vorgang48 die „zum Lachen zwingende Wirkung des Witzes“ trage, so um umgehend als „anderes Problem“ zu vermerken: warum das so sei, dessen „Behandlung“, mit einer Buch-thematisierenden Wendung: „[wir] lassen einen Faden heraushängen, den wir später wieder aufgreifen“, mindestens durch das ganze umfängliche Kapitel zur „Technik des Witzes“ aufgeschoben wird.49 Trotz des ausgetesteten Verschwindens des Witzcharakters mit jeder übersetzenden Ersetzung des Wortlauts50 wird Freud unaufhörlich sehr un-witzig „denselben Gedanken möglichst getreulich in anderen Worten auszudrücken“ „versuchen“ und Witze in eine andere „Textierung des Gedanken“ übersetzen,51 so dass der Witz als ein ‚flüchtiger Schelm‘ nur entwischt sein kann: ist der ‚witzige Ausdruck‘ weg, ist jedenfalls der Witz weg.52 Wenn Freud den sog. „im Witz enthaltenen Gedanken“ übersetzend in andere Worte transkribiert, dann unterstellt er, so Kofman, dass dabei zwar „ganz und gar der witzige Charakter dieses Ausspruchs“, aber „nicht der tiefere unveränderliche Sinn […] verloren“gehe.53 Freud führe den Witz auf einen „dem Witz bereits vorsprachlich

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als tendenziösen; er gibt „Einblick in die subjektive Bedingtheit des Witzes“ bei Heine (Freud, 132, vgl. 100) wie bei Freud (Kofman, Die lachenden Dritten, 19). Nicht nur ist famillionär Gebilde durch buchstäbliche Operation, die zerlegt, sondern mit dem zerlegend eindrängenden Buchstaben in „mil(l)i“ (ist es dieses ‚l‘ das in Freuds Schema entfällt?, Der Witz, 22), manifestieren sich Kräfte: Latenzen (vgl. Haverkamp, Art. „Anagramm“; s.o. Kap. I.5 u. 6). Freud, Der Witz, 32. Explizit „a Test“ für „a Piece of Wit“ schlug Addison dgg. in umgekehrter Hinsicht eines übersetzbaren Gehalts vor: „The only way […] to try a Piece of Wit is to translate it into a different Language, if it bears the Test you may pronounce it true; but if it vanishes in the Experiment, you may conclude it to have been a Pun.“ („On False Wit“, The Spectator, No. 61, 160), dgg. Gracián für die Unübersetzbarkeit der von ihm gepriesenen „agudeza verbal“ (Agudeza y Arte de Ingenio, disc. III, 323 u.ö.) und Jean Paul zufolge: „Kürze und Zuklang (Assonanz) vergehen in der Übersetzung“; das Kriterium der Übersetzbarkeit eines guten Witzes sei „ganz willkürlich“ (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 192). Freud, Der Witz, 21. Wenn etwas, so ist dies das ‚Ergebnis‘ der „ergebnislosen“ „Untersuchung“ der Techniken (Freud, Der Witz, 84), „daß mit der Rückbildung der Technik der Witz beseitigt ist“ (71, 77, 52, 90, 123). Im Falle von And where is the Saviour „geht der Witz flöten, sobald er seine Ersetzung oder Übersetzung durch Freud gefunden hat“ (Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 25; Freud Der Witz, 72f.; Kofman, Die lachenden Drittten, 59/Pourquoi rit-on?, 82). Nicht übersetzbar sind mehrsprachige Witze, wie der von den französischen, deutschen, jiddischen Wehrufen der Frau Baronin (Freud, 78; Kofman, 154ff.; Strowick, „Lach’s mit Mayonnaise“, 21). Zur engl. Übersetzung der Witze in Freuds Jokes, die das Präsens, in dem Witze erzählt werden, ins Präteritum und den Witz wegübersetzt, vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87ff.; Schuller, „Anekdote“, 10f. Kofman, Die lachenden Dritten, 51. Freud unterstellt: „Ein Gedanke kann ja im allgemeinen in verschiedenen sprachlichen Formen – in Worten also – zum Ausdruck gebracht

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zugrundeliegende[n] Gedanke[n]“ zurück, indem er so „tut […], als hätte die von ihm gelieferte ‚Prosaübersetzung‘, der nicht-witzige Sinn, bereits vor dem Witz existiert“ (die er im Falle von „famillionär“ von Lipps zitiert, so dass deren Vorliegen gar nicht fraglich erscheint), um zu fragen, „welchen Operationen dieser sich wohl unterziehen mußte, um zum Witz zu werden“, der unabhängig von seinem „‚Ausdruck‘“ als „‚ursprüngliche[r] volle[r] Sinn wiedereinzusetzen‘“ wäre,54 der aber nicht anders als im Witz gegeben ist. Das ist dem, von Freud selbst als „vortreffliches“ angeführten, topischen Wortspiel „traduttore – traditore!“55 abzumerken, demzufolge der Übersetzer, der ‚quasi dasselbe in anderen Worten‘ übermittelt,56 sich Verräter heißen lassen muss. Die Paronomasie spreche mit der „fast bis zur Identität gehenden Ähnlichkeit der beiden Worte“, so Freud, vom „Verrat, den jede Übersetzung einschließt“,57 offenbar nach Maßgabe einer postulierten Treue, die im Übersetzen, das den übersetzten Ausdruck verlässt: ersetzt, dem Sinn zu gelten hätte,58 deren ethische Vorgabe „(nach traditioneller Auffassung)“ von der Übersetzung forderte, dass sie „den Sinn, den Gehalt des Originals in einer anderen Sprache […] wiederherzustellen“ hätte, um „die Schuld gegenüber der Originalsprache vollständig zurückzuerstatten – ohne Rest“.59 Jeder übersetzende ‚Ausdruck‘ droht aber, was er übertragend wiederzugeben hätte, zu veruntreuen, wie du Bellay den Plagiatoren mit der zitierten Formel vorwarf, die die Autoren verraten, die Leser verführen,60 den vermeintlichen Sinn anders und anderswo preiszugeben – in anderer Währung wie ein verdächtiger Wechsler, ein Spion oder Überläufer.61 Wer als den ‚Gedanken‘ der

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werden.“ (Der Witz, 21; vgl. 88). Zurecht bezweifelt Preisendanz, „ob es überhaupt noch derselbe Gedanke sein kann“, der danach „übrig bleibt“ (Über den Witz, 20, vgl. 17f.). Kofman, Die lachenden Dritten, 49, 51; vgl. Freud, Der Witz, 88, 26. Freud, Der Witz, 35; es wird u.a. auf Du Bellays Diktum: Plagiatoren seien „mieux dignes d’estre appelez traditeurs, que traducteurs“ (1549), zurückgeführt – oder ältere italienische Äußerungen, wie auch H. Desbois Zitation (in „Le droit d’auteur) zu entnehmen ist (zit. Derrida, „Babylonische Türme“, 156f.). So Ecos Titel für das Übersetzen: Quasi dasselbe in anderen Worten; ebenso Ricœur, der fortfährt: „Doch dieses Selbe, dieses Identische ist nirgendwo in Form eines dritten Textes gegeben.“ (Vom Übersetzen, 11). Freud, Der Witz, 35. Vgl. Benjamins Aussetzung der Maßgeblichkeit der „Wiedergabe des Sinnes“ in der „Treue“ zum Wort („Die Aufgabe des Übersetzers“, GS IV, 17f.) Kofman, Die lachenden Dritten, 48f.; vgl. Freud, Der Witz, 26. Sie geben unwissenden Lesern ganz was anderes: „le blanc pour le noir“ (Du Bellay). Die Zweifelhaftigkeit des ‚Ursprungs‘ belegen doch auch die Zweifel an der Autorschaft Du Bellays für diese ital. Formel. Für den Austausch zwischen Sprachen führt Ricœur unter anderem die Händler (Vom Übersetzen, 22) an, denen als Fahrenden anderswo das Mißtrauen, wie insbesondere

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Paronomasie, wie Freud, aber festhalten möchte: „Der ‚Übersetzer‘ heißt nicht nur ähnlich wie der ‚Verräter“; er ist auch eine Art von Verräter“,62 ist dem Wortwitz nicht weit genug gefolgt. Die Paronomasie erfüllt ja nicht nur die „Kindererwartung“, dass (so Freud) „hinter“ dem „ähnlichem Wortlaut“ auch ein Sinnzusammenhang gegeben sei; das heißt Freud ein „gute[r] Witz“.63 Wenn die Klangsimilarität auch die „semantische Zuneigung“ unterstellt, wird sie auf der „Ebene der Signifikate“ aber „eine oxymoral motivierte Interferenz“ (Lachmann) oder eine Mesalliance von Signifikaten erzeugen, die wie das „Ideal“ der Treue und der Verrat „ganz und gar voneinander geschieden werden müßten“ (Kofman).64 Die aufgedrängte Assoziation von Laut und Bedeutung bereite bereits „deren Dissoziation vor“.65 Die Verräterei der Übersetzer (die das „Ideal“ der wiederherstellenden Treue aufruft) könnte das Wortspiel nur insofern gemeint und etwas Zutreffendes über das Übersetzen gesagt haben, wie – wider ‚besseres Wissen‘ der Paronomasie – Vertrauen in den Zusammenhang von signifikantem Ausdruck und Sinn (der aus der Diskrepanz der allzu leicht und schnell lautlich verkuppelten Signifikate gemacht würde) gesetzt wird, in den

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den Wechslern galt (s.o. Kap. I.2 u. 3). Mit den exemplarischen Figuren des Übersetzens: neben den „Gesandten, die Spione“ (22), sind Territorien des Eigenen und eigentliche Zugehörigkeit vorausgesetzt, die verlassen, preisgebend verraten, versehrt werden. So kennzeichnet Schleiermacher den Mehrsprachigen als „Überläufer von der Muttersprache“ und legt ihn darauf fest, dass er „sich einer anderen ergeben“ habe; damit gehe er „wenigstens nicht doppelt […] wie ein Gespenst“ wie der Übersetzer, der sich in der anderen Sprache doubelt („Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“ (1813), 64). Mit Rosenzweigs ‚Übersetzen heiße zwei Herren dienen‘ (Die Schrift und Luther, 5; vgl. Ricœur, 14, 39), unterstünde es einer zwiefach diskrepanten (Rosenzweig zufolge uneinlösbaren) Verpflichtung. Freud, Der Witz, 35. Die „Kindererwartung“, dass „mit der Ähnlichkeit der Worte wirklich gleichzeitig eine andere wesentliche Ähnlichkeit des Sinnes“ angezeigt sei, „behält“ im „guten Witz“ „recht“ (Freud, Der Witz, 113f.; vgl. 26). Das entspricht den bekannten Bestimmungen der Paronomasie, auch mit: „Die Witzeslust aus solchem ‚Kurzschluß‘ [der „auf kurzem Wege aus einem Vorstellungskreis in einen anderen gerate[]“] scheint […] um so größer zu sein, je fremder die beiden durch das gleiche Wort in Verbindung gebrachten Vorstellungskreise einander sind, je weiter ab sie voneinander liegen“ (114). Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, (1983) 109ff., (1994) 120ff.; Kofman, Die lachenden Dritten, 48f. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 120-25; „Bedeutungssuche“ verweise Bedeutung an den Laut und sei derart „Ort der Bedeutungssuspendierung“ (dies., Die Zerstörung der schönen Rede, 312f.). Auch Benjamin zufolge erweisen barocke Wortspiele mit der Angewiesenheit von Lauten und Bedeutung aufeinander gerade deren Inkompatibilität (Ursprung des deutschen Trauerspiels, GS I, 383f.). Lipps sieht nur den „sinnreiche[n]“ „innerliche[n] Zusammenhang“ an die bloß „äußerliche Assoziation“, die „vom ernsthaften Denken verworfenen“ „Mittel der Verknüpfung“ preisgegeben (Komik und Humor, 85, 95f., 92-95; vgl. Freud, Der Witz, 118, vgl. 113f.).

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Zusammenhang, dessen Verläßlichkeit die Paronomasie gerade aufkündigt. Signifikanten sind nicht auf ein jeweiliges Signifikat zu verpflichten, sondern verschieben es im Spiel der Signifikanten, das allein es erzeugt haben wird, je noch anderswo hin. Das nicht-kontrollierbare Spiel mit Sinn-effekten irgendwo und irgendwann ist (auch) mit der ‚negativen‘ ‚Erkenntnis‘ vom Übersetzer als verratendem Überträger inkompatibel. Des angeblich vorwitzlichen Gedankens wird auch Freud nicht anders denn als nachträglich ‚vorausliegenden‘ habhaft werden können, so Kofman: „Nachdem er ‚vergißt‘, daß die von ihm vorgeschlagene Übersetzung Produkt einer Konstruktion und Methode ist und daß der […] Witz sehr wohl […] das einzige Original ist“.66 Gegenüber dem sog. Gedanken als einem metaleptischen Effekt der Signifikanten-Operationen zeigt sich umgekehrt der sog. „Ausdruck“ fremd, als Unsinn der signifikanten Verkettung im Widerstreit mit dem ‚Sinn‘, den diese erzeugen. Jacques Lacan vermerkt das Erscheinen des Signifikanten „Geist“ oder esprit oder Witz in Freuds Witz-Theorie als Verkehrung an der Stelle des Übergangs, in dem die Metapher als Sinn im Unsinn erscheint, oder umgekehrt: die Metapher als Verkehrung an der Stelle jenes Übergangs, der mit Freud als Witz erkennbar ist.67 Die Pointe des Witzes68 ist „das Wort“, so Freud, das möglicherweise „die einzig vorhandene Verknüpfung zwischen den 66 Kofman, Die lachenden Dritten, 51f.; der „ursprüngliche[] volle[] Sinn“ sei ‚wiedereinzusetzen‘ (Freud, Der Witz, 26). 67 „On voit que la métaphore se place au point précis où le sens se produit dans le non-sens, c’est-à-dire à ce passage dont Freud a découvert que, franchi à rebours, il donne lieu à ce mot qui en français est ‚le mot‘ par excellence, le mot qui n’y pas d’autre patronage que le signifiant de l’esprit“ (Lacan, „L’instance de la lettre“, 266). Die Fußnote nennt für „l’esprit“ „l’équivalent du terme allemand du Witz“, „le wit, alourdi de la discussion qui va de Davenant et de Hobbes à Pope et à Addison […]. Reste le pun, trop étroit pourtant“. „Man sieht, die Metapher hat ihren Platz genau da, wo Sinn im Unsinn entsteht, das heißt an jenem Übergang, der in umgekehrter Richtung genommen, wie Freud entdeckt hat, jenem Wort Raum gibt, das im Französischen ‚das Wort‘ par excellence ist, das Wort, für das kein anderer als der Signifikant des esprit die Patenschaft übernimmt.“ (Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“, 33; vgl. ders., Die Objektbeziehung, 348); zur Relation von Metapher: ein „plötzlicher Einfall einer Zusammengehörigkeit“, der allenfalls nachträglich „einzuholen“ ist, und Wortspiel H.-J. Frey, „Die Unübersetzbarkeit der Metapher“, 48f. 68 Traditionell ist die Pointe Modus des ‚Sinns im Unsinn‘: wenn „Vorstellungen“ „nicht nach ihrer schon vorhandenen Gemeinschaft, sondern so verknüpft [werden], daß sie eine Pointe bilden“ (K. Fischer, Ueber den Witz, 103f.). Mit der „treffende[n] Spitze“ (z.B. Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 468, u.ö.) ist das Widerspiel zwischen Geläufigem und Unbekanntem, Identität und Differenz pointiert (als Spitze der Dreiecksschemata Sarbiewskis, vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 113, 115f.; M. Blanco, Pointe, 174ff.), ohne dass für concetto, esprit, wit, Witz ausgemacht ist, dass sie jenseits dieses Punktes einen konstatierbaren ‚Gehalt‘ haben. Lipps zufolge: „Nur wenn zur Auflösung des unverstandenen Rätsels durch das Verständnis der Pointe diese

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beiden disparaten Vorstellungen“ ist,69 und diese sind keineswegs stabil verankert. Die Pointe, die Freud, so Samuel Weber, „übersieht“ und „verfehlt“,70 der „springende Punkt beim Witz“ indiziert, so Wolfram Groddeck, mit der „Zeitdimension der Plötzlichkeit“ das „ephemere Wahrheitserlebnis beim Witz“.71 Die zeitliche Modalität des Witzes bestimmt Alenka Zupančič durch „den Mechanismus dessen, was Lacan den point de capiton, den Stepppunkt nennt“, der nachträglich „rückwirkend den Sinn der vorangegangenen Bedeutungselemente fixiert, sie in eine neue, unerwartete, überraschende Perspektive setzt“;72 „[it] occurs“,73 und zwar nicht nur ‚überraschend‘,74 sondern rück-

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völlige Lösung tritt“, das „Mittel, wodurch die Pointe […] bewirkt wird,“ „als nichtig […] anerkannt“ wird, „wirkt der Witz witzig“ (Komik und Humor, 96). Das tut Freud ab: wenn „das Wort, die ‚Pointe‘, die einzig vorhandene Verknüpfung“ ist, habe ‚ich‘ „einen ‚schlechten‘ Witz gemacht“ (Der Witz, 114 (Fn.)); vgl. „the triumph of the new Master-Signifier“ „is strictly dependent on“ „the [play of] signifier“ (Zupančič, The Odd One In, 145, dtsch. 166f.). S.  Weber, Freud-Legende, 138, 172; Freud fixiere sich dgg. auf die konventionelle „Kürze des Witzes“: „brevity is the soul of wit“ (Shakespeare, Hamlet, II.2, v. 90; Der Witz, 17, 30; Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 175f.). Ciceros „brevia“ wird als „Pointe“ übers. – ebenso wie „acumen“ (De Or. II 221 u. 257, lat./dtsch. 348f., 372f.). Freud verbucht Kürze als „Verdichtung“ (30f., 27, 158), mit „ersparende[r] Tendenz“ (43f.), „als ein Zeichen der unbewußten Bearbeitung“ (157ff.). Groddeck, „Dithyrambus des Witzes“, 166f., vgl. 169; vgl. Jean Pauls „hüpfenden Punkt[] (pointe)“ des Einfalls (Levana, SW I.5, 843). Zupančič, Der Geist der Komödie, 152; das ist Freuds „Doppelsinn“, die Verdichtung, ausgeführt als „zweifache“ „Verwendung des gleichen Materials“ (Der Witz, 35ff., 33): die Pointe/der „Punkt“, „the point at which the intervention of a Master-Signifier […] retroactively fixes the sense of the previous signifying elements, puts them in a new, unexpected, surprising perspective“ (Zupančič, The Odd One In, 133), dies sei der „Mechanismus“, der „gewöhnlich als ‚Sinn im Unsinn‘ […] beschrieben wird“ (dtsch. 152); zur Nachträglichkeit des ‚Punkt‘-Effektes (des button point, point de capiton Lacans), der insofern repunktuiert (Szendy, Stigmatology, 33ff., 31, 103, 110). Die „komische Dualität“ ist die „Inkonsistenz der Eins“ (Zupančič, dtsch., 141ff.). Die differentielle Struktur der Sprache, der der Sinn allererst nachträglich ist, „verstellt“ und „entwendet“ ihn (so Derrida, auch gegen Lacan) auch immer schon und stets wieder (vgl. Strowick, Passagen der Wiederholung, 328). Das Wort kann das Einfallen übersetzen (Fleming, „Beside oneself“, 196; vgl. Freud, Der Witz, 157) und aus der englischen Lacan-Übers. bezogen werden: „occur at the interaction“, im Übergang zwischen verschiedenen Systemen (vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry, 182, mit der englischen Übersetzung „The insistence of the letter in the unconscious“, 126f.); Lacan spricht von „passage“ („L’instance de la lettre“, 266). Von Überraschung ist bei Freud kaum die Rede (vgl. dgg. Reik, Lust und Leid im Witz, 99), (nur) „mit den [traditionellen] Autoren“: „Die anscheinend sinnlose Antwort wirkt auf uns überraschend, verblüffend“ (Freud, Der Witz, 58, vgl. 16f.), und in Kombination mit „Überrumpelung“ (145). Das „Überraschungsmoment“, ohne das kein Witz gelingt, ist

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wirkend, verspätet.75 Bezeichnet die Pointe die Stelle, an der Sinn nachträglich als rückwirkende Neu-Lektüre der Signifikantenkette ‚emergiert‘, so zugleich die, an der er in prekärer Weise dem Spiel aufsitzt, das ihn ermöglicht, an das er zugleich preisgegeben ist. Da der Witz, der wie die Theorie Intelligibilität erwarten lässt, den Sinn ‚ins und aufs Spiel setzt‘, „muß“, so S. Weber, Freuds Witztheorie „die Pointe verfehlen“.76 Freuds Text bemüht einerseits die konventionelle Hierarchie von Gedanke und Ausdruck, modelliert in Metaphern der witzigen Umhüllung oder Einkleidung77 oder Fassade,78 hinter denen die „Gedanken“ „einen wesenhaften und unzerstörbaren Kern bilden“,79 in einer Metaphorik, die ein verkürztes Modell von der Sprache bezeugt, in der die konventionelle Rhetorik die elocutio fasste, um sie zu regulieren,80 die Poetiken des Witzes des 18. Jahrhunderts true wit als die angemessene Bekleidung (vor/jenseits aller witzigen „modes“ und ihres Deutlichkeit suspendierenden Gefunkels) auszuzeichnen suchten,81 und mit dem Freuds Theorie sich als Blick hinter die Einkleidungen

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nicht, wie Freud annimmt, bedingt durch „Neuheit“ (Zupančič, The Odd One In, 181/Der Geist der Komödie, 212), sondern durch die Ablenkung vom Vorgang anderswo (152f.; die ‚Überrumpelung‘, Freud, 142-45). Zupančič, Der Geist der Komödie, 152f., 156-162. S.  Weber, Freud-Legende, 172. Ist Witz und Theorie die „Erwartung eines intelligiblen Zusammenhangs“ gemeinsam, so setzt ersterer den Sinn, der gefunden werde, an dem Theorie festhält, ‚ins und aufs Spiel‘ (138f.). Freud, Der Witz, 88f., 124f. Die Fassade oder Schauseite des Witzes (Freud, Der Witz, 55-58), hinter der die Witze flüstern (100-04, 141ff., 169, 189f.). Kofman, Die lachenden Dritten, 48; vgl. Freud, Der Witz, 85, 88. Sie gehört der Philosophie und Rhetorik der figürlichen Rede an, die in der Hierarchie von ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Rede reguliert wurde. K. Fischer, den Freud zitiert, setzt auf die geregelte Unterscheidung „zwischen der ursprünglichen und abgeleiteten, zwischen der sinnlichen und metaphorischen Bedeutung“, wobei „die Sprache“ „eine [Bedeutung] hinter die andere“ stelle, und ermögliche „diese zur Hülle oder zum Deckmantel von jener zu brauchen und auf diese Weise mit der einen Bedeutung unter der Decke der anderen zu spielen. Die Absicht ist nicht zu verbergen, sondern merken und den verdeckten Sinn wie durch eine Attrape [!] finden zu lassen“ (Ueber den Witz, 133f.). Bei der Zweideutigkeit verhalten sich beide Bedeutungen „wie Maske und Gesicht“ (134; vgl. Freud, Der Witz, 42, 88f., 125, 130). Diese Metaphorik dient der theoretischen Stabilisierung, selbst wo umgekehrt: der Gedanke, der Kern zu sein schien, als „Hülle“ fungiert (101-04, bez. der Witzeslust, 130 (Fn 1)); vgl. S. Weber, Freud-Legende, 125ff., 139, 121). Vgl. z.B. Pope, Essay on Criticism, vs. 297 u. 272; vgl. auch Jean Paul, in Kap. I.2.

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und Fassaden konzipiert.82 Aber andererseits komme es, entgegen den „übernommenen Gegensätze[n]“ und deren interner Hierarchie, so Kofman, für Freuds Witzkonzept darauf an, dass „die Einheit zwischen beiden so stark [ist], daß [k]einer der Witzfaktoren über den jeweils anderen Oberhand gewinnen kann“.83 In Witzen sind „‚Form‘“ und „‚Inhalt‘“ „überdeutlich und irreduzibel miteinander verknüpft“, so Kofman, wie im poetischen Text so in Kalauern.84 Auch poetische Texte bilden aber nicht beider (gar „organische“) „Einheit“,85 sondern wie in Kalauern gehen in ihnen die Klangverbindungen nicht im einen Sinn auf, sondern erzeugen alles mögliche. Ihre ‚Einheit‘ im Witz ist eine Verwirrung: Die Witzbildung ist angelegt auf „dieses Kleid“, das „unsere Kritik besticht und verwirrt“.86 Stellte Freud vorgeblich die Alternative, entweder im Gedanken oder im wörtlich-buchstäblichen Ausdruck den Witzcharakter lokalisieren zu wollen, zur Entscheidung,87 will es mit dem Witz (und mit seiner Analyse) darauf hinaus, dass diese (Alternative) nicht entschieden wird, dass sie nicht hält. Die beiden Witzfaktoren: „Gehalt und Witzleistung“, wirken, indem sie trügerisch von einander Deckung beziehen; das „Wohlgefallen“ an einem Witz, wie Freud hier formuliert, hänge von „dem

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Erstellt werde etwa eine „Schauseite“ „logischer Arbeit“, die einen „Denkfehler“: die „Verschiebung des Gedankengangs“ „verdeckt“ (Freud, Der Witz, 55, vgl. 56ff., 100-04; vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 48ff.). Die komischen „Fassaden“, die ablenken, anderswo fernhalten (143), sprechen auch davon, dass das eigentliche Geschehen anderswo sich ereignet (189; Kofman, 57ff.). Damit modelliert Freud die Einsichten seiner Witztheorie gegenüber den Ästhetiken des Komischen, s.u. Kap. V.3. 83 So Kofman gleichfalls, Die lachenden Dritten, 52. 84 Dass „der ‚Inhalt‘, ebenso offensichtlich wie beim poetischen Text, untrennbar von der ‚Form‘“ sei, gelte, so Kofman, gerade „für jene Witze […], die wie die Kalauer auf dem Spiel mit Assonanzen und Alliterationen beruhen“ (Die lachenden Dritten, 49; vgl. Freud, Der Witz, 46f.). Wegen der Untrennbarkeit, die Jakobson mit: der Laut sei Echo des Sinns, einholt, sei die Dichtung, die paronomastisch regiert ist, da alle klanglichen Ähnlichkeiten ein semantisches Gesicht erhalten (dann ist der Sinn Echo der Laute), unübersetzbar wie die Paronomasie traduttore – traditore!, an der sich zeige, was sie sage („Linguistische Aspekte der Übersetzung“, 198); daher sei dieses Wortspiel (fast) ‚tautologisch‘ (LéviStrauss, „Die Struktur der Mythen“, 230). 85 So aber Kofman, Die lachenden Dritten, 50, 67. Aber: Freud belasse den Witz in einer „Aporie“, weil zwischen den „Gegensätzen“ keine Hierarchie zu begründen ist (50). 86 Freud, Der Witz, 125; auch umgekehrt (vgl. 88f.), auch der ‚Gedanke‘ kann als „Hülle“ bestechen (101-04), der Gedanke kann „weit wertvoller als die Witzeinkleidung sein“, „wir“ lassen „uns durch den einen Faktor über das Ausmaß des anderen [Gedankeninhalt und Witzarbeit] geradezu täuschen“ (89, vgl. 125). 87 Freud, Der Witz, 20-23. Der Witzcharakter haftet zwar am Ausdruck (53-55, 123), ist aber weder durch Witztechnik (71, u.ö.) noch durch den Gedanken zu fassen (43, 77, 79, 84f.; vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 50).

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summierten Eindruck von Gehalt und Witzleistung“ ab,88 der zwischen den jeweiligen Faktoren nicht (ent)scheiden lässt. Mit der Duplizität, die die vorliegenden Ästhetiken und Psychologien des Komischen als „Sinn im Unsinn“ unzureichend auffassten, sah Freud doch deren größte Nähe zu seinem Konzept,89 für das das Emblem der Janusgesichtigkeit des Witzes taugt. Auch die concetti konnten janusköpfig genannt werden;90 „zwiespältig“ schienen sie, insofern sie einerseits als „ingeniöse Intuitionen“, die substantielle Bezüge als ‚verborgenen Sinn‘ aufzufinden vermögen, aufgefasst werden wollten und andererseits als „virtuose Konstruktion“, die zu täuschen vermag, doch nur den sinnfremden Möglichkeiten der sprachlichen Bezüge verpflichtet sein konnten. In diesem Sinne „doppelzüngig“ agiert auch der „Schelm“, der der Witz ist.91 Die Doppelgesichtigkeit des Witzes, die Freud als die für das Witz-Geschehen entscheidende Janus-Köpfigkeit neuprägt, könnte ihm (was die Abhandlung spät erst mitzulesen erlaubt) als Übersetzung des doppelsinnigen französischen „double face“ dessen, was lachen mache, von Camille Mélinands „Pourquoi rit-on?“ (1895) zugekommen sein.92 Als Janus-Gesichtigkeit ist die Relation von Sinn und Unsinn umgeschrieben zum zweiseitigen Operieren des Witzes, der mit seinen beiden Gesichtern/ Seiten verschiedene Orte (oder Instanzen) adressiert. Die Doppelrede, die jeder Witz führt, begründet Freud durch die Fiktion der „Psychogenese des Witzes“ aus dem „Spiel“ über den „Scherz“ zum „Witz“, die narrative Züge hat.

88 Freud, Der Witz, 88; im „Gesamteindruck“ vermögen „wir den Anteil des Gedankeninhalts von dem Anteil der Witzarbeit nicht zu sondern“ (89). „Erst die Reduktion des Witzes klärt uns über die Urteilstäuschung auf“ (88), also wo der Witz weg ist. 89 Freud, Der Witz, 161. 90 Kapp, Art. „Argutia-Bewegung“, hier und das Folgende 993; vgl. M. Blanco, Pointe, 29f. 91 Freud, Der Witz, 146. 92 Erst auf der vorletzten Seite und lediglich in einer Fußnote weist Freud auf Mélinand hin (Der Witz, 218; vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 56). Mélinand zufolge ist „la double face“: „Ce quit fait rire, cést ce qui est à la fois, d’un côté, absurde, et de l’autre, familier“ („Pourquoi rit-on?“, 626), „nous present […] des mots qui, d’un côté, sont invraisemblables jusqu’à l’absurde, et de l’autre naturels jusqu’à la naïveté“ (621f.). „Il est évident que ces deux impressions n’en font en réalité qu’une seule“ (624). K.  Fischer schlägt vor: „Das Wortspiel hat [bei der Zweideutigkeit] nicht blos zwei Bedeutungen, sondern zwei Gesichter, das eine ist Maske, das andere das wahre Gesicht; jenes sieht harmlos aus, dieses hat den Schalk im Nacken“ (Ueber den Witz, 133). Freud bezieht sich explizit auf Mélinand nur hinsichtlich des Wechsels zwischen Verblüffung und Erleuchtung analog zu Heymans oder Lipps (Der Witz, 218); das entspricht Lipps’ verfehltem Bezug auf „Mélinaud [!]“, der der unzulänglichen Kontrast-Theorie „verwandt“ sei (Komik und Humor, 37), die Mélinand aber zurückweist, bzw. umformuliert („Pourquoi rit-on?“, 616ff.).

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Freuds janusköpfiger Witz Die Psychogenese des Witzes hat uns belehrt, daß die Lust des Witzes aus dem Spiel mit Worten oder aus der Entfesselung des Unsinns stammt und daß der Sinn des Witzes nur dazu bestimmt ist, diese Lust gegen die Aufhebung durch die Kritik zu schützen.93 Das Bestreben des Witzes, die alte Lust am Unsinn oder die alte Wortlust zu gewinnen, findet bei normaler Stimmung an dem Einspruch der kritischen Vernunft eine Hemmung, die für jeden Einzelfall überwunden werden muß.94

Doppelzüngig agiert der Witz gegenüber der kritischen Instanz der Vernünftigkeit, indem er durch den vor-gestellten Sinn die ‚eigentliche Wort-Spiel-Lust‘ schützt und unter dem Gesicht des Sinns andererseits den Unsinn des Spiels durchgehen läßt. Die zwei festen Punkte in der Bedingtheit des Witzes, seine Tendenz, das lustvolle Spiel durchzusetzen, und seine Bemühung, es vor der Kritik der Vernunft zu schützen, erklären ohne weiteres, warum der einzelne Witz, wenn er für die eine Ansicht unsinnig erscheint, für eine andere sinnvoll oder wenigstens zulässig erscheinen muß. Wie er dies macht, das bleibt Sache der Witzarbeit; wo es ihm nicht gelungen ist, wird er eben als ‚Unsinn‘ verworfen.95

Die „janusartige Doppelgesichtigkeit“ „stellt“ den „ursprünglichen Lustgewinn gegen die Anfechtung der kritischen Vernünftigkeit sicher“, der der Witz ein zweites sinnvolles ‚Gesicht‘ bietet.96 Den Witz macht die zweifache „Ansicht“, die er ermöglicht, die Zwei-Seitigkeit aus,97 mit Kofman: Hat er [der Witz] Erfolg, so deshalb, weil er als Janus, der zugleich die Hintertüren (des Unbewußten) und die Vordertüren (des Bewußtseins) bewacht, ein doppeltes Spiel spielt: mit der einen Seite seines Doppelgewandes steht er im Dienste des Kindes in uns, das Lust verspürt, auf regressive Weise mit Worten zu spielen und die Zensur zu täuschen; gelingt es ihm aber, Spiel und Unsinn den kritischen Instanzen der Zensur zu entziehen, so geschieht das dank seiner 93 Freud, Der Witz, 124. „Die Tendenz und Leistung des Witzes, die lustbereitenden Wortund Gedankenverbindungen vor der Kritik zu schützen, stellt sich […] schon beim Scherz als sein wesentliches Merkmal heraus.“ (123). 94 Freud, Der Witz, 160; so insb. für den sog. „harmlosen“, nicht im Dienste anderer Tendenzen stehenden Witz. Freuds Rede von der „alte[n] Wortlust“ wird bez. des Wortspiels noch befragt werden müssen (vgl. 130, 173, 159; vgl. S. Weber, Freud-Legende, 119-22, 125f., 139). 95 Freud, Der Witz, 124 (Hvhg. BM). „Die ganze sinnlose Zusammenstellung von Worten oder die widersinnige Anreihung von Gedanken muß doch einen Sinn haben. Die ganze Kunst der Witzarbeit wird aufgeboten, um solche Worte und solche Gedankenkonstellationen aufzufinden, bei denen diese Bedingung erfüllt ist.“ (122) 96 Freud, Der Witz, 145f.; mit dieser Formel fasst er rückwendend viel später zusammen. 97 Das „double face“, Mélinand zufolge: „d’un côté, était absurde, et de l’autre, familier, inévitable, nécessaire“ („Pourquoi rit-on?“, 621f., vgl. 626).

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anderen Seite, die Logik und Vernunft ins Spiel bringt und eben dadurch diese Instanzen außer Kraft setzt.98

Die Janus-köpfigkeit des Witzes weist der tradierten Rede von der „Duplizität“ des Witzes, mit der Freud in der Formel vom „Sinn im Unsinn“ die Ästhetiken und Psychologien des Komischen „der Erkenntnis des Witzes am meisten genähert“ sah,99 in der doppelten Ausrichtung der ‚Angesichte‘ ihre neue, „richtige Stellung an“: Seine Vorläufer verstanden, so Freud, so Kofman, nicht, „daß die beiden Gesichter des römischen Gottes nicht den gleichen psychischen Ort einnahmen“.100 (Damit müsste sich, den Ankündigungen Freuds zufolge, jener „vorauszusetzende[] Zusammenhang“, dessen bloße disiecta membra er von den Vorgängern nur habe beziehen können, erschließen.)101 Sinn und Unsinn sind zwei Gesichter, die der Witz als Janus unvereinbar, räumlich: nach Innen und Außen, zeitlich: in Vergangenheit und Zukunft, ausrichtet. Janusköpfig adressiert der Witz zwei ‚psychische Instanzen‘, an getrennten ‚Orten‘, und hält sie im Spiel: das Unbewußte, als dessen „Beitrag zur Komik“ Freud das witzige Agieren bestimmt,102 und die „kritische Instanz“, unter deren wacher „Aufsicht“ der Witz – anders als der Traum – als „ein an sich doppelzüngiger“ „Schelm“ operiert103 und erfolgreich agiert, indem er ihr ein Sinn-Versprechen macht. Den Witz, der mit dem Traum, den „psychischen Schauplatz“104 und, weil „auch bei der Witzbildung eine hemmende Macht eine Rolle spielt“, die Operationen der Verdichtung und Verschiebung teilt,105 unterscheidet, dass er „unmittelbar unter der Aufsicht der untersagenden Macht“ agiert. Er muß, um „die alte Lust am Unsinn“ zu gewinnen, gegen die der „Einspruch der kritischen Vernunft“ ergeht, die Hemmung „für jeden 98 Kofman, Die lachenden Dritten, 100; vgl. Freuds weitere Versionen des Januskopfes (Der Witz, 200, 218), s.u. Kap. V.3. 99 Freud, Der Witz, 161, mit Bezug auf 15f., vgl. 58, 124. 100 Kofman, Die lachenden Dritten, 56. Freud ruft im Bezug auf die Traumdeutung die „‚Topik des seelischen Apparats‘“ auf (Der Witz, 154). Vgl. Voss, „Zur ästhetischen Kraft und Immanenz des Witzes in der Kunst“, 63. 101 Diese werden gar „zu einem organisch Ganzen zusammengefügt“ (Freud, Der Witz, 18, vgl. 161, 154; vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 47ff.). 102 Freud, Der Witz, 193; die Bildung des Witzes (157-61, 163ff.) und die „Quelle der Lust des Witzes mußten wir in das Unbewußte verlegen“ (193, vgl. 164f., vgl. 163-67, 155ff.). 103 Freud, Der Witz, 146. 104 Freud, Der Witz, 164 (mit dem Ausdruck Fechners); an diesen, als anderen, ist die Witzarbeit zu ‚verlegen‘ (ebd., vgl. 154-57, 193). 105 Mit den Techniken Verdichtung und Verschiebung (von Wort- und Gedankenwitz, 23, 5053) und der Analogie der „Witzarbeit“ (53f.) zur „Traumbildung“ schließt Freuds Kapitel zur „Technik des Witzes“ (85).

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Einzelfall“ überwinden, und „diese Aufgabe“ „löst die Witzarbeit anders als der Traum“.106 Der Witz schafft nämlich nicht Kompromisse wie der Traum, er weicht der Hemmung nicht aus, sondern er besteht darauf, das Spiel mit dem Wort und dem Unsinn unverändert zu erhalten, beschränkt sich aber auf die Auswahl von Fällen, in denen dieses Spiel oder dieser Unsinn doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann, dank der Vieldeutigkeit der Worte und der Mannigfaltigkeit der Denkrelationen.107

‚Kompromißlos‘ „das Spiel mit dem Wort und dem Unsinn […] zu erhalten“, gelingt dem Witz, insofern die „Vieldeutigkeit der Worte und d[ie] Mannigfaltigkeit der Denkrelationen“ zugleich ermöglichen, dieses als „zulässig“ oder „sinnreich“ „erscheinen“ zu lassen. Der Witz verspricht der ‚kritischen Instanz‘ das, worauf es ihm nicht ankommt, den „Sinn“, der „nur dazu bestimmt ist, diese Lust [„aus dem Spiel mit Worten und der Entfesselung des Unsinn“] gegen die Aufhebung durch die Kritik zu schützen“,108 der aber den ‚guten Witz‘ mache, bloßer Unsinn bleibe ein „schlechter“,109 „verkümmerte[r]“, 106 Freud, Der Witz, 160. Durch seine Zweiseitigkeit kann der Witz die von der ‚vernünftigen Kritik‘ nicht lizenzierten Vorgänge der Beobachtung entziehen, weil sie anderswo beschäftigt wird; inwiefern handelte es sich da um’s „Ausschalten der Über-Ich-Funktion“? so aber Voss („Zur ästhetischen Kraft und Immanenz des Witzes in der Kunst“, 65f.). 107 Freud, Der Witz, 161. Dann heißt Freud aber gerade dies die „Kompromißleitung der Witzarbeit zwischen den Anforderungen der vernünftigen Kritik und dem Trieb, auf die alte Wort- und Unsinnslust nicht zu verzichten. Was so als Kompromiß zustande kam, wenn der vorbewußte Ansatz des Gedankens für einen Moment der unbewußten Bearbeitung überlassen wurde, genügte in allen Fällen beiden Ansprüchen.“ (189f.). Vorgegriffen ist damit weit (auf VI. „Die Beziehung zum Traum und zum Unbewussten“), entsprechend der erstaunlichen Nachreichung: der (immer wieder aufgeschobene) ‚Vorgang bei der ersten Person‘, beim sog. ‚Witzbildner‘, die für „das Verständnis bedeutsamer sind“, aber „was wir noch nicht kennen“ (126), sei analog zur Traumbildung zu erschließen; „von den psychischen Vorgängen beim Witz ist uns gerade jenes Stück verhüllt, welches wir der Traumarbeit vergleichen dürfen“ (155). 108 Freud, Der Witz, 124; „Unsinn“ ist der „Selbstzweck“ des Witzes (164), „der Sinn“: „was Freud zufolge, das Unwesentliche am Sinn ausmacht“ (S. Weber, Freud-Legende, 120). Der Witz ist „gezwungen“, immer auch „‚gemeinsame Sache zu machen‘ mit der Vernunft, dem dient die eine Seite seiner doppelten, doppelzüngigen Verfasstheit“ (Kofman, Die lachenden Dritten, 100). 109 Für den „Sprachgebrauch“, „um einen Witz einen ‚guten‘ oder einen ‚schlechten‘ zu heißen“ „maßgebend scheint“: „Wenn ich mittels eines doppelsinnigen oder wenig modifizierten Wortes auf kurzem Wege aus einem Vorstellungskreis in einen anderen geraten bin, während sich zwischen den beiden Vorstellungskreisen nicht auch gleichzeitig eine sinnvolle Verknüpfung ergibt, dann habe ich einen ‚schlechten‘ Witz gemacht“ (Freud, Der Witz, 113f.; so für Wort- und Gankenwitz, den harmlosen und den tendenziösen Witz, 86ff., 124).

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„überhaupt nicht Witz“.110 Aber diese Unterscheidung ist, „[s]owie wir die eigentümliche Lust des Witzes in Betracht ziehen“, wiederum nicht haltbar, da „die ‚schlechten‘ Witze“ „keineswegs als Witze schlecht, d.h. ungeeignet zur Erzeugung von Lust“ sind.111 Das Gesicht des Sinns, und sei dieser noch so „gut“, wird nichts anderes als Ablenkung und Deckung der ‚Instanz kritischer Vernünftigkeit‘ – und sei es zuletzt noch die des Witztheoretikers – gewesen sein. In Perspektive des „Wohlgefallens“ am Witz, so wurde bereits zitiert, kommt es darauf an, dass die beiden Witzfaktoren „Gehalt und Witzleistung“ in beider „summierten Eindruck“ nicht zu sondern sind, ‚wir‘ „uns durch den einen Faktor über das Ausmaß des anderen geradezu täuschen“ lassen.112 Die „als tatsächlich anzunehmende Unsicherheit unseres Urteils“, „weil dieses Kleid [„die Witzverkleidung“, die der „Gedanke“ suche] unsere Kritik besticht und verwirrt“, „mag das Motiv für die Bildung des Witzes im eigentlichen Sinne abgegeben haben“.113 „Wir wissen nicht, worüber wir lachen“, stellt Freud fest.114 Der „Lacheffekt“ sei, so Freud schon eingangs, aber das „wichtigste Moment“ des Witzes.115 Das Lachen hat seinen theoretischen Einsatz in der Analyse der „Technik des Witzes“, wo die Analyse, die zunächst an Beispielen den Witz über dessen Verfahren zu erschließen vorgibt, sich wiederholt durch eine Irritation des theoretischen Unternehmens, sich auf sich selbst wendend, unterbricht (oder dies eher inszeniert) mit der (die Grundlage der Untersuchung erschütternden) Ungewißheit darüber, ob die als Beispiele für den Witz analysierten116 überhaupt Exemplare des Witzes sind, solange wir nicht wissen,

110 Freud, Der Witz, 114, 200, vgl. 130f., 199ff. 111 Freud, Der Witz, 114. 112 Freud, Der Witz, 88; das ist die „Einsicht, welche uns viel Unsicherheit in unserem Urteil über Witze aufzuklären vermag“, und das ist „doch überraschend“; das wirkt in beiden Richtungen: Gedankeninhalt und Witzarbeit (88f.). 113 Freud, Der Witz, 125, vgl. 126; ‚gegenteilig‘ mag auch „nur der Gedanke glänzend“ sein (88f.). 114 Freud, Der Witz, 97, 125 (in III. „Tendenzen“), u. 144 (in IV. „Der Witz als sozialer Vorgang“). 115 Freud, Der Witz, 22; neu ‚wendet‘ er sich diesem („machte uns lachen“) in III. „Tendenzen“ zu (90). 116 Neben dem überlieferten Beispiel-Bestand (wie Heines Witz), der karg sei, sei „neues Material“ zu berücksichtigen (Freud, Der Witz, 18f.); das waren vor allem die von Freud gesammelten jüdischen Witze (Kofman, Die lachenden Dritten, 10-15; zum Bestand, zur Ungewißheit, vgl. S.  Weber, Freud-Legende, 113ff.). „Corpusbildung“ der Textsorte Witz sieht Birus bei Freud am Werk („Freuds ‚Der Witz‘“, 263, 261-64). Zur Verfasstheit von Freuds Psychopathologie des Alltagslebens wie Traumdeutung und Der Witz durch Beispielerzählungen und (zunehmend) als Beispielsammlungen vgl. Fleming, „Beside oneself“, 192ff., 194f., 197f.

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was ein Witz ist.117 In der derart ausgestellten für die Argumentation von Ausgangsbeispielen her unauflösbaren Befangenheit im Zirkel zwischen Beispiel und Gattung118 bricht Freud jeweils ab, fährt woanders, ablenkend mit dem „nächstfolgenden Beispiel“, „ein unzweifelhafter Witz“ fort (und fort …).119 Und er nimmt das Lachen, dass ‚wir gelacht haben‘, oder dass diese Beispiele „uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben“, umstandslos als Kriterium für den „Witzcharakter“.120 Das Vorgehen vergewissert sich: „Dies ist ein Witz, dies darf man für einen Witz ausgeben, noch ehe der verborgene wesentliche Charakter des Witzes entdeckt ist“, im behaupteten „explosionsartige[n] Lachen […], durch welches sich ein guter Witz bezeugt“,121 in dem also, was sich uns, unserem Wissen entzieht, und was, so S. Weber, „alles Andere“ am Witz „unsicher macht“.122 – 117 Freud, Der Witz, 60, 78f.; als „Bekenntnis“ einer „gewisse[n] ‚Empfindung‘, welche wir dahin interpretieren dürfen, dass sich in unserem Urteilen die Entscheidung nach bestimmten Kriterien vollziehe, die unserer Erkenntnis noch nicht zugänglich ist“ (60). 118 Zur paradoxen Zirkularität des Ausgangsbeispiels, vgl. Willer u.a., „Zur Systematik des Beispiels“, 31f. 119 Freud, Der Witz, 60. Ein weiteres Heine-Witzbeispiel (47ff.), dessen Analyse gestört ist, „verlassen“ ‚wir‘ „darum und suchen uns ein anderes, in dem wir eine innere Verwandtschaft mit dem vorigen zu verspüren glauben“ (49), d.i. einer der „Badewitze“, weitere „Judenwitze“, u.a. ein „sehr lehrreiches“: „Lachs mit Mayonnaise“, weitere zum Vergleich (49-55; vgl. die weitere, immer wieder unterbrochene Beispielkette 55-58). Das führt zur Ansammlung der Beispiele, vgl. Fleming, „Beside oneself“) und exponiert die (rhetorische) Argumentation mit Beispielen nach Aristoteles (paradigmata): ein (bekannter) Teil steht für einen anderen (daneben) (Rhetorik, I.2, 19 (1357b) [1993: 18f.]), zeigt sich selbst, indem es neben sich zeigt, und das setzt sich in weiteren fort; in der „Bewegung“, „die von einer Singularität zur anderen geht“ wandelt sie „jeden einzelnen Fall in ein Exemplar einer allgemeinen“ ‚Gattung‘, „die a priori zu formulieren unmöglich bleibt“ (Agamben, „Was ist ein Paradigma?“, 22-28); das paradigma ist „belated“ unsicherer Effekt der Relation zwischen den Teilen (vgl. Fleming, 197ff.). Kleists über Beispiel-Erzählungen verfahrende Texte wie „Über die allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ suspendieren diesen nachträglichen Effekt (vgl. Kap. II). 120 Freud, Der Witz, 19, 79; vgl. 22, 90. Beispiele werden „nur nach der Tüchtigkeit uns zum Lachen zu bringen“ herangezogen (49, vgl. 21, 19). Es sei nicht „zu bezweifeln, daß die Technik allein nicht hinreicht, den Witz zu charakterisieren“ (71, so wenig wie der Gedanke, vgl. 88f.), aber umgekehrt sei „durch Reduktion“ des witzigen Ausdrucks der „Witz jedesmal aufgehoben“, der „Lacheffekt“ weg (21f., 43, 71, 90, 123). Lachen ist explizit Kriterium Mélinands (fürs Komische), „Pourquoi rit-on?“, (Zsfsg.) 619; dieses fokussiert (im Unterschied zur philosophischen Tradition) auch Bergson. 121 Freud, Der Witz, 79, vgl. 137; vgl. 80-84. 122 S. Weber: Freud-Legende, 114; was vor allem ‚unser‘ Wissen und Verstehen ausschließt. Den Widerstreit zwischen Lachen und technischer Analyse inszeniert Freud mit: „Wenn man über einen Witz herzlich lacht, ist man nicht gerade in der geeignesten Disposition, um

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Die Ungewißheit: „wir wissen nicht worüber wir lachen“, gilt gerade auch für die Quellen der Lust am Witz,123 als deren „Anzeichen“ das „Lachen über den Witz“ aber „gewiß“ genommen werden dürfe.124 Mit der Kategorie der Lust sind sprachliche Gebilde von anderem in Dienst genommen.125 Freud unterscheidet zwar, an Vischer anschließend,126 zwischen harmlosem und tendenziösem Witz, „das eine Mal [sei er, so Freud] Selbstzweck und dient keiner besonderen Absicht, das andere Mal stellt er sich in den Dienst einer solchen Absicht; er wird tendenziös“,127 sind die Quellen der Lust die Techniken des Witzes (selber) oder psychische Tendenzen, versperrte ‚Quellen‘, die der Witz zugänglich mache.128 Aber auch der harmlose Witz ‚dient‘ der Lustempfindung, wenn auch nicht die Witz-Techniken etwas anderem: Sie werden nicht nur wie beim concetto durch die Verblüffung über ihre Effekte selbst zum ‚Gegenstand‘ des Vergnügens,129 sondern „was wir als die Techniken des Witzes beschrieben haben“, die „seelischen Vorgänge[]“, „das sind vielmehr die Quellen, aus denen der Witz die Lust bezieht“.130 Realisiere sich Vischer seiner Technik nachzuforschen. Darum bereitet es einige Schwierigkeiten, sich in diese Analysen hineinzufinden.“ (49) – „Naturally, such an excuse, like the whole of Freud’s simulation of essayistic spontaneity, is a put-on and patent absurdity: if Freud is writing the joke down […], he can no longer be litterally laughing“ (Weitzman, Irony’s Antics, 12). 123 Freud, Der Witz, 97; dem gilt die Argumentation im Folgenden. 124 Freud, Der Witz, 139; die „Lustempfindung“, 90f., 130. 125 Gegen eine „rein ästhetische“ Betrachtung des Witzes hält Freud: „daß die witzige Tätigkeit doch keine zweck- und ziellose genannt werden darf, da sie sich unverkennbar das Ziel gesteckt hat, Lust beim Hörer hervorzurufen“, „darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen […] zu gewinnen“ (Der Witz, 91). Voss ist da offenbar kurzschlüssig, wenn sie im Lustgewinn Witz und Kunst zusammenfallen lässt („Zur ästhetischen Kraft und Immanenz des Witzes in der Kunst“, 57, 64ff.). Derrida zufolge fasse Freud (in diesem und anderen früheren Texten) „das Werk als Mittel im Dienst allein des Lustprinzips“ auf („Die zweifache Séance“, Fn. 45, 278f.). 126 Mit „harmlos“, so Freud, Der Witz, 86, substituiere er Vischers „abstrakten“ Witz; ist es nicht der „schweifende“? 127 Freud, Der Witz, 86. Anders als bei Vischer fällt bei Freud die Unterscheidung zwischen harmlosem und tendenziösem Witz nicht zusammen mit der von Wort- und Gedankenwitz oder der von gehaltlosem und -vollem Witz (86, 88). 128 So Freud etwa zum „tendenziösen Witz“, Der Witz, 97. 129 M.  Blanco zufolge, geben beide, conceptismo und Freuds Witz „le plaisir“ eine „rôle centrale“ (Pointe, 153). 130 So Freud: „Nun merken wir, […]“, Der Witz, 123 (Hvhg. BM). Verdichtung und Verschiebung (in Wort- und Gedankenwitz, 85, 121) sind „Techniken“ als „Quellen von Lustgewinn“, 158ff. Zuvor: Wir lassen zuweilen „unseren seelischen Apparat […] selbst auf Lust arbeiten“; und der Witz sei eine solche „Tätigkeit […], welche darauf abzielt, Lust aus den seelischen Vorgängen […] zu ziehen“ (91). Der Witz ziehe „Lustgewinn“ „aus der bloßen bedürfnisfreien Tätigkeit unseres seelischen Apparats“ (168).

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zufolge, im „schweifenden Witz“ (dem der „harmlose“ entspräche)131 „richtiger das reine Wesen des Witzes“,132 werden „uns“, so Freud, „[h]armlose und gehaltlose Wortspiele […] das Problem des Witzes in seiner reinsten Form entgegenbringen, weil wir bei ihnen der Gefahr der Verwirrung durch die Tendenz und der Urteilstäuschung durch den guten Sinn entgehen“.133 Um die Verwirrungen also, die im Lachen sich manifestieren,134 zu meiden, „müssen uns“, heißt es, vorläufig „[f]ür unsere theoretische Aufklärung über das Wesen des Witzes […] die harmlosen Witze wertvoller sein als die tendenziösen, die gehaltlosen wertvoller als die tiefsinnigen.“ Der Vorgabe folge ich ein kleines Stück, so als wären die dispositio-Vermerke Freuds at face value zu nehmen (dabei nimmt die Abhandlung eine Vielzahl von z.T. autoreferentiell vermerkten, z.T.  unddeklarierten  Sprüngen, Abbrüchen, Verschiebungen der Fragestellungen, Aufschüben und Verkehrungen vor,135 deren theoretische Einholung und Einholbarkeit ungewiß ist). Der „harmlose“ oder bloß auf die Lust am Spiel gerichtete Witz hat, Freud zufolge, wie der tendenziöse, obszöne oder feindselige, mit der „kritischen Instanz“ umzugehen, und das tut er als „Doppelgewand“ oder janusgesichtig; er ist, obwohl Freud ihn doch zuerst durch diese

131 Und zwar eher als dem „abstrakten Witz“, den Vischer „nicht mit dem freien oder schweifenden“ verwechselt haben wollte (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 464). Dieser sei an kein „verlachte[s] Subjekt“ gebunden, scheint daher „leer“ zu sein: „Man nennt diesen Witz gewöhnlich den schlechten“ (462). Aber man „frage sich, ob man darüber [Witze, „die nichts und niemand treffen“] nicht voller und herzlicher lacht als über Witze mit satirischem Stich, z.B. […] das Krähwinklerblatt, wo ein Mädchen am Klavier und sonst niemand zu sehen ist, unten aber steht: wie der Schulmeister von Krähwinkel aus Entzücken über das schöne Spiel seiner Tochter ganz weg ist“ (461). 132 „[D]ies zeigt sich am reinsten darin, daß er sein Spiel ausüben kann, ganz ohne etwas oder etwen zu treffen“ (Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 460, 463). Dieser „freie“ Witz mache als der ästhetische die „Freiheit in reinem Spiele wirklich geltend“ (anders Freud für alle „witzige Tätigkeit“, Der Witz, 91), während der treffende Witz den „ethischen Verhältnissen“ angehöre (463). 133 Freud, Der Witz, (hier und das Folgende) 89f. 134 Die „Unsicherheit unseres Urteils“, der „summierte Eindruck“, vgl. Freud, Der Witz, 88f., sowie 97. 135 Solche Aufschübe und Vorgriffe, Verschiebungen zwischen den Perspektiven (der beiden Witztypen, der Quellen der Lust, Vorgängen bei der ersten und der dritten Person) sind deklariert als Erleichterung oder (auch mal) Strafe (Freud, Der Witz, 113), als notwendiger Abbruch, Analogiebildung (in der Verkehrung); es erfolgen undeklarierte Vorgriffe, z.B. auf den Dritten als Hörer (mit dem tendenziösen Witz, 91, 94ff.); rückwirkend werden korrigierend neue Darstellungen oder Revisionen eingebracht, mit denen das Gelesene rückwärts neu gelesen werden müsste.

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Unterscheidung definiert zu haben schien,136 „eigentlich nie tendenzlos“,137 sondern leistet die Durchsetzung des Spiels gegen die „kritischen Mächte“.138 Die Frage, warum die Techniken zu Lustquellen werden, und wie die „technischen Mittel“ Lust erzeugen können, wird früh und wiederholt als „unerledigt[es]“ „Problem“ vermerkt und als „Rätsel“ stehen gelassen.139 Mit der in den Techniken dingfest gemachten „Tendenz zur Ersparung“,140 seien diese (schon mal, um die Lösung des „Rätsel[s]“ doch bloß erneut aufzuschieben) „in Beziehung gebracht […] zur Erzeugung von Lust“.141 Erspart werde Wortaufwand,142 „Gedankenweg“, indem der „kurze“ Weg „der Wortassoziation“ (statt der der „Ding[e]“) genommen werde,143 die kritische Tätigkeit,144 und damit „psychische[r] Aufwand“, eine Ersparung, der, wie „anzunehmen“ sei, ein „Lustgewinn“ „entspreche“.145 Mit der „nähere[n] Bestimmung“ des Begriffs des „psychische[n] Aufwand[s]“, den aber die zwischengeschobene Darstellung des tendenziösen Witzes beiträgt, für den „das Geheimnis [seiner] Lustwirkung“ die „Ersparung an Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand […] zu sein scheint“, „müssen [wir] es für möglich halten“, „dem Wesen des Witzes näherzukommen“.146 136 Freud, Der Witz, 88. 137 Freud, Der Witz, 125, vgl. 91, 118. „Die Tendenz und Leistung des Witzes [sei], die lustbereitenden Wort- und Gedankenverbindungen vor der Kritik zu schützen“; „nur dazu“ sei der „Sinn“ bestimmt (123f.). 138 Freud, Der Witz, 130. Der nicht-(etwas-)„treffende“ „schweifende“ Witz Vischers hat doch „auch“ „[e]in Objekt“, den „Zwang des verständigen Zusammenhangs“, „die Sicherheit unserer Erkenntnis selbst“ (Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, 462). Das ist die Tendenz von (Freuds) „skeptische[m]“ Witz, vor allem des „guten Beispiels“ für diesen (Der Witz, 109f.). 139 Dessen „Behandlung“ „schieb[t]“ Freud „auf“ (Der Witz, 23), wird dann „das Problem unerledigt lassen“ (84), und nochmals: Wie die „technischen Mittel“ Lust erregen, bleibe beim harmlosen Witz „Rätsel“, dessen Aufhellung aufgeschoben wird (91). 140 Freud, Der Witz, 43ff. 141 So Freud, Der Witz, 91; um zunächst „uns daran zu erinnern, daß wir zum Zwecke der Vereinfachung und Durchsichtigkeit die tendenziösen Witze ganz zur Seite geschoben haben“ (91), die er erst mal zum Gegenstand macht. 142 Z.B. durch „mehrfache Verwendung des gleichen Materials“ im „Doppelsinn“, Freud, Der Witz, 43ff., 35, 78, 90f. 143 Der durch die Wörter zu nehmende ‚kurze Weg‘ sei „Ersparung an Gedankenweg durch das technische Mittel des Witzes“; das „Vergnügen“ daran führt Freud „auf die Ersparung an psychischem Aufwand zurück“ (Der Witz, 114, 121). 144 Freud, Der Witz, 44, 90f., vgl. 114. 145 Freud, Der Witz, 112f., 118; zum Übergang „Lustmechanismus“ beim tendenziösen/beim harmlosen Witz vgl. 112ff., 120, 130. 146 Freud, Der Witz, 112f. Für die Herstellung wie die Erhaltung von „psychischer Hemmung“ werde „ein psychischer Aufwand erfordert“, den der Witz erspare, dem wohl ein

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Wo bezüglich der an verschiedenen Witzformen bemerkten ‚Ersparungslust‘ das ‚Zustandekommen der Ersparung‘ und der „Sinn des Ausdrucks ‚psychischer Aufwand‘“ („noch“) offen sei,147 macht Freud einen unverhofften digressiven Zug: Um die Lust an den Gedankenwitzen, das „Vergnügen“ an der „Ersparung an Gedankenweg“, das „wohl mit Recht auf die Ersparung an psychischem Aufwand zurückzuführen“ sei,148 an „Minderleistungen der Denktätigkeit“ demnach, gegen die „wir“ „außerhalb des Witzes nur unlustige Abwehrgefühle verspüren können“, zu erläutern,149 kommt er auf die „Lust am Unsinn“ und für deren ‚Nachweis‘ auf die „heitere Stimmung“, die Albernheit von Kindern wie die „toxisch“ induzierte von Erwachsenen als „Erleichterung vom Zwange der Kritik“, die „die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herabsetzt“.150 Könne „man [diese] in einen gewissen Gegensatz zur Ersparung bringen“,151 lässt Freud aber umgehend die „Erleichterung des schon bestehenden“ der „Ersparung an erst aufzubietendem psychischen Aufwand“ (in Lustbeträgen) entsprechen.152 Wenn Albernheit oder eine sog. „heitere Stimmung“ „die hemmenden Kräfte […] herabsetzt“, die „alten Freiheiten“ wiederherstelle,153 sind aber mit der Erleichterung vorweg Aufwandsrechnungen mit bestimmten Beträgen drangegeben.154 Als nur Kindern, „Lustgewinn“ „entspreche“ (112). Aber zickzack: „Unklarheit […] bei der Behandlung des Lustmechanismus beim tendenziösen Witze“ führen zur Wendung auf diesen beim harmlosen (113, vgl. 121); erneut, dass „man nicht versteht“, wie „die Leistungen des tendenziösen Witzes“ gelingen (127). 147 Freud, Der Witz, 118. 148 Freud, Der Witz, 114, 121. Anders als die traditionelle Rhetorik unterstellt, der zufolge der direkte und ‚eigentliche‘ Ausdruck das Einfachste und Primäre wäre, ist es Freud zufolge „leichter und bequemer […], von einem eingeschlagenen Gedankenweg abzuweichen als ihn festzuhalten, Unterschiedenes zusammenzuwerfen als es in Gegensatz zu bringen, und gar besonders bequem, von der Logik verworfene Schlußweisen gelten zu lassen“ (118). 149 So macht Freud das „Befremden“ explizit (Der Witz, 118, Hvhg. BM), das er als Vorlage braucht. 150 Freud, Der Witz, 118f.; „macht damit [erleichternd] Lustquellen wieder zugänglich, auf denen die Unterdrückung lastete“ (119). Geschieht dies dann ‚innerhalb‘ des Witzes? in der Situation des Witz-Erzählens? (vgl. 125, 148), wo ‚ein Witz sich ankündigt‘ (S. Weber, Freud-Legende, 137), „etwas Undefinierbares“ (Freud, 157). 151 Freud, Der Witz, 121. 152 Freud, Der Witz, 121 u. 118. Gedanken- und Wortwitz (85f.) sind demnach durch zwei „Arten der Technik [Verschiebung und Verdichtung] und der Lustgewinnung“: als „Erleichterung des schon bestehenden und Ersparung an erst aufzubietendem psychischen Aufwand“ bestimmt (121, Wortspiele werden auch mit Erleichterung erklärt, 113). 153 Freud, Der Witz, 119, 120, vgl. 122, vgl. 158f. 154 Aber Freud zufolge müsse der Witz, um (etwa) die „Lust am Unsinn“ zu erhalten, die Hemmung durch die „kritische Vernunft“ „für jeden Einzelfall“ wieder überwinden (Der

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zuweilen noch Heranwachsenden mögliche, nur „zufallsweise“ zugängliche will der Witz die erleichternde ‚Stimmung‘ „ersetzen“.155 Aber auch fast am Ende (seines Kapitels VI) rekurriert Freud auf die in der „heiteren Stimmung“ „lauernde Absicht, den Wortlustgewinn zu erreichen“, wie „eine stets lauernde Tendenz, den ursprünglichen Lustgewinn des Witzes zu erneuern“,156 womit ka-lauernd der Kalauer, das fortgesetzte „Ka-Lauer“n mitzulesen ist.157 Wörter zeigen sich jederzeit bereit, sich als andere Wörter zu hören und zu lesen zu geben; diese Verkettungen, Wendungen, Verdichtungen „gewähren“ zu lassen, sei „leichter“, ‚billiger‘, als Worte „ernsthaft“ zu verwenden, wobei „wir uns“ „durch eine gewisse Anstrengung von diesem bequemen Verfahren abhalten müssen“,158 durch die „Anstrengung“ von Beschränkungen, Ausschlüssen, Festsetzungen. Die Sinn-Effekte der Wörter, die als andere gehört/gelesen werden, die unbegrenzbar überall ka-lauern und anfallen mögen,159 erweisen Witz, 160, vgl. 164). Nur insofern kann der Witz ‚symptomatisch‘ gelesen werden (wie Freud will, vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 25). 155 Freud, Der Witz, 122. Wenn die „Kritik oder Vernünftigkeit“ erstarke, werde das „Spiel“ „infolge der Kritik unmöglich. Es ist nun auch ausgeschlossen, anders als zufallsweise aus jenen Quellen […] Lust zu beziehen, es sei denn, daß den Heranwachsenden eine lustvolle Stimmung befalle, welche der Heiterkeit des Kindes ähnlich die kritische Hemmung aufhebe […], aber auf diesen Fall mag der Mensch nicht warten […]. Er sucht also nach Mitteln, welche ihn von der lustvollen Stimmung unabhängig machen; die weitere Entwicklung zum Witze wird von den beiden Bestrebungen, die Kritik zu vermeiden und die Stimmung zu ersetzen, regiert.“ (122, vgl. 125). 156 Freud, Der Witz, 165ff.; diese „erleichtern“, wirken „herabziehend“: ins Unbewußte. 157 Diese seien „am ‚billigsten‘“, können „mit leichtester Mühe gemacht werden“ (Freud, Der Witz, 45) „Als die Gesellschaft […] der Verwunderung über seine [des kalauernden Kollegen] Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: ‚Ja, ich liege hier auf der Ka-Lauer‘, und als man ihn bat endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihn zum Poeta Kalaureatus ernenne.“ (47). 158 Freud, Der Witz, 118. Das „Gewährenlassen der unbewußten“ Denkweisen sei „bequemer“ (190; vgl. 158); bez. der Wortspiele, die „die (akustische) Wortvorstellung selbst an Stelle ihrer durch Relationen zu den Dingvorstellungen treten“ lasse: „Wir dürfen wirklich vermuten, dass damit eine große Erleichterung der psychischen Arbeit gegeben ist, und dass wir uns bei der ernsthaften Verwendung der Worte durch eine gewisse Anstrengung von diesem bequemen Verfahren abhalten müssen.“ (113; vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 121f.). Wenn die „Techniken“ selbst „Quellen von Lustgewinn“ sind, so wird „Nun“ zudem angenommen (Freud, 159), dass sie „leicht“ „während des Denkvorganges im Unbewußten entstehen“ (158f.). 159 Freud, Der Witz, 47; vgl. den Lapsus, den Freud in Zur Psychopathologie des Alltagslebens verhandelt: „is revealing in the sense that it gives another truth its chance“ (Derrida, „My Chances“, 21; vgl. Fleming, „Beside oneself“, 200, 196); die Produktivität der Sprache ist gerade die ihrer „Fehler“, des Sinns als Lapsus, vgl. Zupančič, Der Geist der Komödie, 137ff.; vgl. Bergson, Das Lachen, 81-84; eine unaufhörliche „Sprechmaschine“, aus der ‚Geist‘ emergiert, Zupančič, 144).

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die Sprache als eine den Intentionen, dem (vermeintlich) gemeinten Sinn fremde: (immer schon) anderswo her kommend und unabsehbar anderswohin gehend. Der zunächst als verwirrend „zur Seite geschoben[e]“, aber offenbar des Witzes Lustwirkung überhaupt modellierende tendenziöse,160 heißt Freud die „höchste Stufe“ des Witzes, da er „den Hauptcharakter der Witzarbeit, Lust frei zu machen durch Beseitigung von Hemmungen, am deutlichsten von allen Entwicklungsstufen des Witzes erweist“, hat er doch „zweierlei Hemmungen zu überwinden“:161 Er „ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (des lüsternen und feindseligen) gegen ein im Wege stehendes Hindernis“, das ein äußeres oder innerliches sein kann, „welches durch den Witz umgangen wird“,162 um Lust aus „der Verdrängung unterliegenden Quellen“ „zu entbinden“.163 – Als „tendenziöse“ zeigen die „Judenwitze“, „die von Juden geschaffen und gegen jüdische Eigentümlichkeiten gerichtet sind“,164 und als ein solcher zeigt Heinrich Heines Witz, mit dem anzufangen Freud sich bloß (von anderen) habe vorgeben lassen, die „Bedingung der Selbstbeteiligung“,165 nicht so sehr die Hirsch-Hyacinths, dessen witzige Fügung kolportiert wird, sondern die Heines, so Freud,166 – und die Freuds, so Kofman. Der Kontext des zitierten Beispiels lässt in Heines Text den ‚jüdischen Konvertierten‘ mitlesen, der statt zum ‚allgemeinen Mensch‘ der Aufklärung zu werden, als solcher markiert ist.167 Dabei ist es die in seinem Namenswechsel: Hirsch/Hyazinth, 160 Freud, Der Witz, 113, der Einschub: 91. 161 Freud, Der Witz, 161 u. 127. 162 Freud, Der Witz, 96; vgl. 111f. 163 Freud, Der Witz, 127, 129. 164 Freud, Der Witz, 106; so „richtet“ „die beabsichtigte Kritik der Auflehnung sich gegen die eigene Person“ (106ff., anders akzentuiert Reik: „Zur Psychoanalyse des jüdischen Witzes“, in Lust und Leid im Witz, 33-58: 34, 40-44, 51ff.). In der gestörten Analyse eines anderen Heine-Witzes zieht Freud als abhelfende analoge Beispiele „Judenwitze“, zuerst einen „der ‚Badewitze‘“ bei (47ff.). 165 Freud, Der Witz, 134: so „daß der Person die Kritik oder Aggression direkt erschwert und nur auf Umwegen ermöglicht wird“ (vgl. 132ff. u. 100ff.). 166 „Was im Munde des Hirsch-Hyacinth ein bloßer Scherz schien, zeigt bald einen Hintergrund ernsthafter Bitterkeit, wenn wir es dem Neffen Harry-Heinrich zuschieben“ (Freud, Der Witz, 133); das können weitere Bezüge in Heines Text und dessen Kontext erweitern (vgl. Kommentar, Heine, Sämtl. Schr. Bd. 2, 869f., 826, 828, Quellen 836). 167 Vom Kontext spricht Freud nicht (so wenig wie Lipps vor ihm). Hier nennt HirschHyazinth Nathan Rothschild, verwechselnd ‚der Weise‘ (Heine, „Die Bäder von Lucca“, Sämtl. Schr. Bd. 2, 425). Das Stück Lessings (das auch Freud in Der Witz zit., 87) stellte das aufklärerische Ideal des allgemeinen Menschseins (Kofman, Die lachenden Dritten, 23f.). Lüdemann zufolge schließe Freud an dieses Modell der Aufklärung an („‚Ganz wie seinesgleichen‘“, 236), so etwa wenn Freud, im Zuge der gestörten Analyse eines anderen Heine-Beispiels, einen „Judenwitz [beizieht], an dem aber nur das Beiwerk jüdisch“,

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erzielte Ersparnis, der, wie Heine Hirsch-Hyazinth angeben lässt, die siegelnde Petschaft weiter zu nutzen ermögliche,168 die das „Verdrängte genau in dem wiederkehr[en lässt], was zu seiner Gegenbesetzung bestimmt war“: H/H.169 Freud dagegen, so Kofman, ‚ersparte sich die Konversion‘ indem er das WitzBuch schrieb, mit dem er „die jüdische ‚Identität‘ [der Nicht-Ganzheit] besser zu verallgemeinern“ unternahm, um der „Menschheit“ „ihre sicher geglaubte Identität für immer zu nehmen“.170 – Der Witz „im Dienste seiner Tendenz“171 wird gegenüber dem harmlosen Witz, bei dem „alle Lust irgendwie an die Technik geknüpft“ ist,172 mit der Fiktion der „Psychogenese“, einer Art „Bildungsroman“ des Witzes173 als dessen „Kern […] allgemein menschlich“ sei (Der Witz, 49; vgl. 62). Der „jüdische[] Konvertierte[]“ aber ist nicht ‚allgemeiner Mensch‘ geworden (Kofman, 18, 163; mit Freud, 108). Das folgende Kapitel der „Bäder von Lucca“ erzählt (statt des „ennuyante[n] Zeug[s]“, das zu einer italienischen Reisebeschreibung gehörig bloß langweilen würde) einen Wortwechsel über Konversionen (Sämtl. Schr. Bd. 2, 426-31). Hirsch kommt – nach dem Katholizismus, zu dem Herr Gumpel, dessen Diener er ist, konvertierte, und dem Protestantismus, mit dem Hirsch einmal einen Versuch machte, – auf die „altjüdische Religion“: „‚die wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind. Man hat nichts als Schimpf und Schande davon. Ich sage Ihnen, es ist gar keine Religion, sondern ein Unglück. Ich vermeide alles, was mich daran erinnern könnte, und weil Hirsch ein jüdisches Wort ist und auf Deutsch Hyazinth heißt, so habe ich sogar den alten Hirsch laufen lassen und unterschreibe mich jetzt: ‚Hyazinth, Kollekteur, Operateur und Taxator‘. […] ‚Vor der Hand aber kann ich mich mit dem neuen israelischen Tempel noch behelfen; ich meine den reinen Mosaik-Gottesdienst, mit orthographischen deutschen Gesängen und gerührten Predigten […]. So wahr mir Gott alles Guts gebe, für mich verlange ich jetzt keine bessere Religion‘“ (429f.; vgl. Komm. Bd. 2, 870). Die Konversion ist der Hintergrund anderer Witzbeispiele von Heine, wie das „mit stark herabsetzender Tendenz“, das im Ökonomischen spielt (Freud, 86, das im Abschluß von „Die Technik des Witzes“ die Frage nach dem „witzigen Charakter“ dringlich macht (84) und das Scharnier zu „Die Tendenzen des Witzes“ (86ff.) bildet, wo Freud die „Hemmung“ vermerkt, diesen Witz, bei dem religiös Vorbelastete nicht lachen könnten, anzuführen), und der blasphemische Witz, den der sterbende Heine gemacht haben soll (108f.). 168 So erzählt Hirsch-Hyazinth bez. des Namenswechsels von „Hirsch“, angebl. „ein jüdisches Wort“, zu Hyazinth, wie es „auf Deutsch heiß[e]“, stolz die Ersparung einer neuen Petschaft (Heine, „Die Bäder von Lucca“, Sämtl. Schr. Bd. 2, 429). 169 Kofman, Die lachenden Dritten, 23, vgl. 18, 163. Dasselbe würde für Heine gelten, der „bei seiner Taufe seinen Vornamen ‚Harry‘ gegen ‚Heinrich‘ tauschte“ (Freud, Der Witz, 133), Kofman diskutiert das für Freud, der (nur) zur dominierenden Kultur ‚konvertierte‘ (Kofman, 22f.), aber diese ‚gegenliest‘. 170 Kofman Die lachenden Dritten, 163, 19. 171 Freud, Der Witz, 96, vgl. 111f. 172 Freud, Der Witz, 97. 173 Als einer „lückenlosen“ teleologischen Form, die die „Biographie des Witzes“ erhalte (Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 23; das Modell der „Biographie“ statt bloß einer „Reihe von Anekdoten“ nimmt Freud in Anspruch (Der Witz, 18,

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g­leichsam ‚erwachsene‘ ‚Stufe‘ des Witzes ausgewiesen.174 Um neben der „ihm selbst […] die seiner Tendenz entgegenstehende“ „Hemmung[] zu überwinden“,175 bringt er die beiden Lustquellen, Techniken und Tendenzen, in ein „verwickeltere[s] Auslösungsverhältnis“, das ermöglicht, Lust aus unzugänglich gewordenen, „der Verdrängung unterliegenden Quellen“ „zu entbinden“:176 Dem Witz, der sich „überhaupt in den Dienst unterdrückter Tendenzen“ stelle, komme dabei die ‚eigentliche‘ Witzeslust als „Vorlust“ „zur Hilfe“,177 um die Lust einer „bis dahin verdrängte[n] Tendenz“ aus einer Quelle, die durch psychische oder kulturelle Entwicklung unzugänglich wurde, ‚auf dem Umweg‘ des Witzes ‚wiederzugewinnen‘; die „hinzugetretene Möglichkeit“ an Witzeslust habe – mit dem prägnanten von Gustav Theodor Fechner bezogenen Begriff – „gleichsam als Verlockungsprämie gewirkt; mit Hilfe eines dargebotenen kleinen Betrages von Lust ist ein sehr großer, sonst schwer zu erreichender gewonnen worden“.178 Aber, so bemerkt Kofman, was sich nur durch einen „aufgepfropften Zusatz“ an Witzeslust zu äußern vermöge,179 ist nicht dasselbe, nicht ‚dieselbe Lust‘, die vorgängig ohne Hindernis schon gegeben (und nur versperrt) wäre. Das „Vorlustprinzip“ verweist die Theorie des Witzes an dessen (jedenfalls) ersten theoretischen Ort: den Lustmechanismus im „Geschlechtsakt“ wie im „künstlerischen Schaffensprozeß“.180 Mit dem „Vorlustprinzip“ handelt Freud dem Witz nicht nur dessen Indienstnahme durch die ‚größere sexuelle Lust‘ ein, sondern er unterstellt die Witzeslust in der Analogie zum Lustmechanismus des Geschlechtsaktes (mit dem supponierten Entwicklungsprozess der vgl. S.  Weber, Freud-Legende, 116ff.; zum Bezug auf Lebenserinnerungen (Freud, 19) vgl. Weitzman, Irony’s Antics, 9). 174 Umgekehrt erscheint (dann) der harmlose Witz als Überrest der Kinderlust am Unsinn, der in der Forschung zuweilen, auch gegen Freuds explizite Vorhalte (Der Witz, 88f., 124f.), als gehaltloser abgewertet wird. 175 Freud, Der Witz, 161f. 176 Freud, Der Witz, 127, 129. 177 Freud, Der Witz, 127ff.; vgl. 96. Das „Prinzip der Hilfe“ bezieht Freud von Fechner, dessen Ästhetik Parameter poetischer Texte in termini eines ‚Zusammenwirkens von Lustbedingungen‘ im Dienste eines „viel grössere[n] Lustresultats“ faßt (Fechner, Vorschule der Aesthetik, 51). 178 Freud, Der Witz, 129. 179 Kofman, Die lachenden Dritten, 113; die Lustentwicklung werde „durch jede andere Zutat zum Falle wie durch eine Art von Kontaktwirkung gefördert“, so Freud, holt dies aber durch die ‚Erklärung‘ „(nach Art des Vorlustprinzips)“ ein (Der Witz, 206, 203f.). 180 Freud, Der Witz, 129 (Fn. 1) verweist auf die dritte der Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905) wie auf „Der Dichter und das Phantasieren“ (1908) und „Psychopathische Personen auf der Bühne“ (1905, posthum veröffentlicht). Bei Fechner handelte es sich um „Lustresultate“ poetischer Texte (Fechner, Vorschule der Aesthetik, 51).

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sexuellen Lust) dem telos einer auszulösenden „tiefergehende[n] Endlust“. Freud fasse, so Jacques Derrida, in der ‚Region‘ der Witztheorie „das [Kunst-] Werk [überhaupt] als Mittel im Dienst allein des Lustprinzips“ auf, reduziere „das formale Gelingen“ auf die Funktion einer „Vorlust“ als „Verlockungsprämie“, die eine sog. „Endlust“ auszulösen habe.181 Mit der Analogie zur sexuellen Lust ist dem Witzvorgang und seinem „Lustmechanismus“ eine Teleologie und mit dieser das Kriterium auferlegt, ob der Witz die ‚eigentliche‘ ‚Endlust‘ habe auslösen können. Oder ob sich die „unschuldige“ Lust an Unsinn und Technik vordrängt und dies verhindert,182 so dass „der witzige Prozeß […] auf halber Strecke fehl[schlage]“ und der Zuhörer, so Kofman nach Freud, „bei dessen komischer Fassade stecken[bleibe]“,183 bei der (mit Freud gesprochen) perversen Lust,184 als die derart die „reine“ Witzeslust, die „alte Lust am Unsinn oder die alte Wortlust“ (die der Witz gegen die Kritik zu erhalten suche),185 modelliert wird. Mit Jeffrey Mehlman: „The garment is ‚innocent‘ of that which it masks. But its ‚innocence‘ is of the same sort as that of the ‚innocent‘ joke: fundamentally perverse“.186 181 Derrida, „Die zweifache Séance“, Fn. 45, 278f.; das bezieht sich auf Freuds „theoretische Aussagen“ in den Texten „vor“ „Das Unheimliche“ (1919) und „Jenseits des Lustprinzips“ (1920); dieses Modell von Dichtung und Witz bestätigt Reik, Lust und Leid im Witz, 65ff. Freud reduziert, so auch Kofman, die „Schönheit“ eines Werks „– wie die Technik des Witzes – auf eine Verlockungsprämie zur Verführung der Zensur […], auf einen verblüffenden Trick, der die Aufmerksamkeit ablenkt, indem er der Zensur Vorlust zuteilt, und der die Freisetzung verdrängter Tendenzen, eine tiefergehende Lust ermöglicht“ (Die lachenden Dritten, 79). Der Dichter „besticht uns [so Freud] durch rein formalen, d.h. ästhetischen Lustgewinn, den er uns in der Darstellung seiner Phantasien bietet. Man nennt einen solchen Lustgewinn, der uns geboten wird, um mit ihm die Entbindung größerer Lust aus tiefer reichenden psychischen Quellen zu ermöglichen, eine Verlockungsprämie oder eine Vorlust. Ich bin der Meinung, daß alle ästhetische Lust, die uns der Dichter verschafft, den Charakter solcher Vorlust trägt und daß der eigentliche Genuß des Dichtwerkes aus der Befreiung von Spannungen in unserer Seele hervorgeht.“ („Der Dichter und das Phantasieren“, 179). 182 Zuweilen finde Freud, so Derrida, dass „die gesamte Lust auf d[er] Seite der Form“ liege: „Und er bekundet eine Irritation, die im Hinblick auf diejenigen, die er unter der recht seltsamen Kategorie derer absondert, ‚die dem Lustprinzip frönen‘ [wohl auch Mallarmé], überraschen könnte: […] ‚Der Sinn bedeutet diesen Männern nur wenig; sie kümmern sich nur um Linie, Form und Übereinstimmung der Umrisse. Sie frönen dem Lustprinzip.‘“ („Die zweifache Séance“, 279). 183 Kofman, Die lachenden Dritten, 117. „Eine komische Fassade […] wirkt hier ganz wie eine bestechende Vorlust“ (Freud, Der Witz, 143, vgl. 206, 169, 100-04); das modelliert auch das Verhältnis zu den Ästhetiken des Komischen (189f., vgl. Kap. V.3). 184 Die „Gefahr der Perversion“ wäre, „daß es der Vorlust (‚perverser‘ Art) nicht gelingt, die tiefergehende Endlust auszulösen“ (Kofman, Die lachenden Dritten, 117). 185 Freud, Der Witz, 160, vgl. 130, 145. 186 Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 453.

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Durch den obszönen Witz, den vom feindseligen gar nicht zu trennenden paradigmatischen Fall des tendenziösen Witzes, wird, anders als sich das bei Freud liest, nicht die sexuelle Lust bloß zusätzlich ‚eingekleidet‘, sondern die durch den Witz erschlossene Lust ist ‚wesenhaft‘ die an den ‚Einkleidungen‘,187 und dies nicht nur, wie Freud vorschnell erklärt, weil der direkte Weg zur (eigentlich intendierten) sexuellen Lust kulturell, durch äußere Hindernisse oder innere Hemmung unzugänglich geworden sei.188 Freuds kleiner Kulturgeschichte der Zote zufolge189 richtete der supponierte ‚ursprüngliche‘, nicht direkt zu realisierende, sexuelle Trieb sich auf die anwesende Frau; die durch den Witz erschlossene Lust aber ist an die Abwesenheit der Frau,190 „the disappearance of its object“, so Mehlman,191 gebunden, an die homosoziale Situation des Erzählens von obszönen Witzen. Der obszöne Witz ‚meint‘ den anwesenden Mann: Der als bloße andere Textierung „of sex“ ausgegebene Witz zeigt (in Freuds Analyse), „that the obstacle itself has now become the source“;192 das gilt für die obszöne Rede (die aufschiebt) wie vor allem für den anderen Mann.193 Die sog. „Endlust“ ist gar nicht ablösbar vom Zu- oder Ersatz, Umweg und Kleid, vielmehr gäbe es ohne die Ein-Kleidung, ohne den Umweg, den Zu- und Ersatz, diese Lust nicht, für die die „ursprüngliche Situation“ nur fingiert werden kann, wie Freud es mit seiner Kulturgeschichte von der Zote zum obszönen Witz tut,194 keinen psychischen Effekt. Mit dem obszönen 187 Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 450. 188 Vgl. Freud, Der Witz, 111; äußeres und inneres Hindernis „unterscheiden sich nur darin, daß hier eine bereits bestehende Hemmung aufgehoben, dort die Herstellung einer neuen vermieden wird“ (112). Der tendenziöse Witz versuche, „den Verzicht rückgängig zu machen, das Verlorene wiederzugewinnen“ (96). 189 Freud, Der Witz, 92-97. 190 Vgl. Freud, Der Witz, 94ff. 191 „An odd kind of ‚instinct‘ indeed whose ‚satisfaction‘ is dependent on the disappearance of its object“ (Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 460, gegen Freud, Der Witz, 96). 192 Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 453 u. 460. 193 Die Anwesenheit eines anderen Mannes ist (zuerst) Hindernis, die Rede bloß Anbahnungsmittel der ‚eigentlichen‘ Realisierung des Triebs (Freud, Der Witz, 94); zur anderen Person vgl. S. Weber, Freud-Legende, 129, s.u. Kap. V.2. 194 Der Witz versuche, „den Verzicht rückgängig zu machen, das Verlorene wiederzugewinnen“; „die Lust stammt in beiden Fällen aus der nämlichen Quelle, über die grobe Zote zu lachen, brächten wir [!] aber nicht zustande, wir würden uns schämen, oder sie erschiene uns ekelhaft; wir können erst lachen, wenn uns der Witz seine Hilfe geliehen hat“ (Freud, Der Witz, 96); „the ‚undisguised‘ sexuality of Der Witz is but a myth“ (Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 453). „[D]as ‚Sexuelle‘ also bestünde nicht so sehr in der Vergegenwärtigung des Verlorenen in der Vorstellung als in dem Vorstellen einer gewissen Ersetzbarkeit.“ (S. Weber, Freud-Legende, 132) – Fetisch, mit Freuds Begriff

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Witz hat Freud das Witz-Erzählen als Umweg, den der Witzbildner nehmen muss, und damit die für den Witzvorgang konstitutive soziale Anordnung von Erzähler und Hörer eingeführt. Der Lustmechanismus der Witze, derart die „Ökonomie“ des Witzes ist demnach überhaupt nur mit/als „Rücksicht“ auf den Dritten195 zu erläutern (wird hier aber noch aufgeschoben auf Kap. V.2.): Die Verlockung, deren Prämie als Witzeslust ausgegeben wird, richtet sich beim obszönen Witz an den Hörer, um ihn zu bestechen und ihn als „Bundesgenossen“ zu gewinnen, der die Lustwirkung lachend bezeugt.196 Die Hierarchie von Witzeslust und einer sog. „tiefergehenden Lust“ aus „verdrängten Tendenzen“, in deren „Dienst“ der Witz sich stelle, indem er die „Wortlust“ als „Vorlust“ „zur Hilfe“ kommen lasse, um eine versperrte Lust ‚auf dem Umweg‘ des Witzes zugänglich zu machen,197 ist nicht zu halten.198 Zupančič schlägt in der Freuds „entgegengesetzte[n] Richtung“ vor, ob nicht vielmehr „die Lust an der Obszönität und Aggressivität, die kulturell in der Form oder im Zusammenhang eines Witzes erlaubt ist, den Effekt einer ‚Verringerung der Hemmungen‘“– als „vorbereitende Lust“ wie die ‚erleichternde‘ „heitere Stimmung“ – habe?199 Ist nicht „das libidinöse Tendenziöse der Witze […] selbst eine Art Vorwand […]? Ein Vorwand, der es uns möglich macht, universalem als Verleugnung und Artikulation des Mangels (vgl. Mein, „Ligaturen: Freud und Marx “, 41ff.). 195 Freud, Der Witz, 126, 146, 167. Das wird die von Freud supponierte Ökonomie der Ersparnis revidieren. 196 Freud, Der Witz, 95, 98, 126; so in III. „Tendenzen“, erst in IV. werden die Lustmechanismen, die das begründen, ausgeführt. Die Verschränkungen setzen sich fort bez. der Lustmechanismen: beim Witzbildner (111-31), beim Hörer (137-46). Die „Untersuchung der Bedingung des Lachens“ macht den Einschub des Dritten notwendig (129, mit VorVerweis auf 137ff., 135f., 145ff.), vgl. Kap. V.2. 197 Vgl. Freud, Der Witz, 127ff., 143, 169, 188f. 198 So sind „wir“ beim „tendenziösen Witz“ „außerstande“ zu unterscheiden, „welcher Anteil der Lust aus den Quellen der Technik, welcher aus denen der Tendenz herrührt“ (Freud, Der Witz, 97). Und für das „verwickeltere Auslösungsverhältnis“ des tendenziösen Witzes (127) finden sich Verkehrungen, etwa bez. der „zweifachen“ „Wurzel der Witzeslust – aus dem Spiel mit Worten und aus dem Spiel mit Gedanken“, das „nur die Lust der aufgehobenen Hemmung“ „liefern kann“: „Die Witzeslust […] zeige einen Kern von ursprünglicher Spiellust und eine Hülle von Aufhebungslust“ (130 (Fn.  1), vgl. 124f., 173). S.  Weber fragt, ob Freud damit „den verborgenen Charakter […] des Witzes enthüllen“ wollte, oder „etwas anderes, indem er den Sinn zur Hülle erklärte und das Spiel zum Kern – um den Sinn des Witzes in dem sinnlosen Spiel greifbar zu machen?“ (Freud-Legende, 139f., 172, 125ff., 119-22). 199 Vgl. Zupančič, Der Geist der Komödie, 165: eine „Vorlust“, die „einen ähnlich ‚toxischen‘ Effekt wie […] ein oder zwei Drinks“ hat, nach Freuds Rede von der „heitere[n] Stimmung“, die beim Erwachsenen „toxisch“ induziert oder nur „zufällig“ sei (Der Witz, 118ff.). Daher

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Freuds janusköpfiger Witz

Unsinn als Voraussetzung allen Sinns“, der „paradoxen und kontingenten Verfasstheit unser Welt, wie auch ihrer Prekarität“ „zu begegnen“?200 Auch die „reine“ Witzeslust aus der Technik des Witzes fällt nicht ineins mit der dem Witz vorgängigen „alte[n] Lust am Unsinn oder d[er] alte[n] Wortlust“,201 die mit der „Psychogenese“, dem „Bildungsroman“ des Witzes202 als die des „Kindes“ sich ausnimmt,203 so dass es eine Art fictio persona für die Vorgänge im Unbewußten abgibt, der die eine Ansicht ( face) des janusköpfigen Witzes gilt,204 dessen anderes Gesicht er der kritischen Instanz des wachen Bewusstseins zeigt, um sie zu ‚überrumpeln‘. Wenn der Witz, der anders als der Traum „unmittelbar unter der Aufsicht der untersagenden Macht“ agiert, „darauf [bestehe], das Spiel mit dem Wort und dem Unsinn unverändert zu erhalten“,205 so insofern „dieses Spiel oder dieser Unsinn“ „dank der Vieldeutigkeit der Worte und der Mannigfaltigkeit der Denkrelationen“ „doch gleichzeitig zulässig (Scherz) oder sinnreich (Witz) erscheinen kann“; „auf die Auswahl von [diesen] Fällen“ „beschränkt“ geht es als Witz durch,206 insofern (als) „Paradox“, so Kofman, als „Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren“:

suche der Witz, diese „zu ersetzen“ (120f.), aber eine „heitere Stimmung“ sei doch „aufgezwungen“, indem „der Witz uns zum Lachen gebracht“ hat (125). 200 Zupančič, Der Geist der Komödie, 166, vgl. 164-67. Dem „Spott des Signifikanten“ „esprit“ (Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“, 33) begegnen wir in den Effekten des Spiels. Jeder Witz ist immer auch „Äußerung über eine fundamentale Ambiguität der Welt“ (Zupančič, 166/The Odd One In, 144f.), nicht nur der skeptische (tendenziöse), der „durch ein gutes Beispiel erläutert werden soll“ (Freud, Der Witz, 109f.), was das Verhältnis von Sprechen und Wahrheit unterminiert (das Lacan besonders schätzte). 201 Freud, Der Witz, 159f., 164, vgl. 130, 145. 202 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 23. 203 Das „Eintauchen des Gedankens ins Unbewußte“ suche, „zum Zwecke der Witzbildung“ nur die „alte Heimstätte des einstigen Spieles mit Worten“ ‚auf‘; „die unbewußten Denkvorgänge sind keine anderen als welche im frühen Kindesalter einzig und allein hergestellt werden“ (so Freud erst in seinem Kapitel VI. zum psychischen Vorgang bei der ersten Person, Der Witz, 159). Die Verschiebung gegenüber dem Ersparungsmodell ist explizit: „Wir haben vorhin [S. 118] […] die Lust, die der (harmlose) Witz schafft, aus solcher [lokalisierten] Ersparung abgeleitet; späterhin [S. 121f.] haben wir die ursprüngliche Absicht des Witzes darin gefunden, derartigen Lustgewinn an Worten zu machen, was ihm […] im Verlaufe der intellektuellen Entwicklung aber durch die vernünftige Kritik eingedämmt wurde. […] Daß solche Verdichtungen Quellen von Lustgewinn sind, verträgt sich sehr wohl mit der Voraussetzung, daß sie im Unbewußten leicht die Bedingung zu ihrer Entstehung finden“ (158, vgl. (zur Erleichterung) 118-21). 204 Das „Kind“ „in uns“ ist Fiktion, so auch Kofman Die lachenden Dritten, 100, vgl. 56. 205 Freud, Der Witz, 161, vgl. 164. 206 Freud, Der Witz, 161; „wo es ihm [dem Witz] nicht gelungen ist, wird er eben als ‚Unsinn‘ verworfen“ (124).

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Sinn und Unsinn.207 Lust ermöglicht die Witzarbeit unter Bedingungen von zensurierenden „Mächten“,208 indem die witzige ‚Textierung‘ einerseits diese adressiert, andererseits aber erlaubt, der „Wortlust“ sich hinzugeben. Das Wortspiel ist „Spiel mit dem Wort und dem Unsinn“ nicht einfach als das „einstige“,209 „keineswegs das sinnlose oder sinnfreie Spiel“, so auch S. Weber, „sondern vielmehr eines mit dem Sinn“, Spiel, das die „Erwartung“ des ‚Sinns‘ ins und aufs Spiel setzt,210 das ihn im „Spott des Signifikanten“ (Lacan) auf seine prekäre und kontingente Verfaßtheit treffen lässt.211 Die sog. ‚ursprüngliche Lust‘ an einem anfänglichen unsinnigen Spiel ‚gibt es‘ nicht anders denn als nie gelingenden ‚Wieder‘gewinn212 einer ihrem ‚Verloren‘gehen, für das der Witz eintritt, und das durch diesen belegt wird, nachträglichen Fiktion. Dies macht die Melancholie der Witze (oder ihrer Theorie), seien diese doch, wie Freud seine Abhandlung schließt, „Methoden“, „aus der seelischen Tätigkeit eine Lust wiederzugewinnen, welche eigentlich erst durch die Entwicklung dieser Tätigkeit verlorengegangen ist“.213 Nicht-Wissen macht die ‚Wirkung‘ der Witze und daher diese aus: „Wir wissen also strenggenommen nicht, worüber wir lachen“;214 der wiederholten Wiederholung, „daß wir beim Witz fast niemals wissen, worüber wir lachen“, fügt Freud an: „Dieses Lachen ist eben das Ergebnis eines automatischen Vorganges, der erst durch die Fernhaltung unserer bewußten Aufmerksamkeit ermöglicht wurde“.215 Die „Ablenkung“ der bewußten Aufmerksamkeit, die das 207 Kofman, Die lachenden Dritten, 22; vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 23. 208 „Die Vernunft – das kritische Urteil – die Unterdrückung, dies sind die Mächte, die er [der Witz] der Reihe nach bekämpft“ (Freud, Der Witz, 130). 209 Freud, Der Witz, 159; z.B.: der Witz „hält“ „die ursprüngliche Wortlustquelle“ „fest“ und „eröffnet sich von der Stufe des Scherzes an neue Lustquellen durch die Aufhebung von Hemmungen“, zum „Kern“ von „ursprünglicher Spiellust“ komme eine „Hülle“ von geringerer „Aufhebungslust“ (130 u. (Fn. 1), 173, vgl. 124f.). 210 S. Weber, Freud-Legende, 139. 211 Lacan, „Das Drängen des Buchstaben“, 33; ders., Die Objektbeziehung, 348. 212 Freud, Der Witz, 159; „die Absicht, die alte Lust am Unsinn wiederzugewinnen, [gehört] zu den Motiven der Witzarbeit“ (164). 213 Freud, Der Witz, 219; „die Euphorie, welche wir auf diesen Wegen zu erreichen streben, ist nichts anderes als die Stimmung […] unserer Kindheit, in der wir […] des Witzes nicht fähig waren“– und seiner nicht bedurften (ebd., vgl. 122, 159, 207ff.); zu „Erleichterung“, Albernheit und Witz vgl. 118-21. 214 Freud, Der Witz, 97. Auch „das Prinzip der Verwechslung der Lustquellen“ sei „dienlich“ „gegen die Anfechtungen des kritischen Urteils“ (130, vgl., 125f., 88f.). 215 Freud, Der Witz, 144. Die Rede vom Automatismus gilt in Freuds Abhandlung zunächst Witz-Figuren: „Überall siegt der Automatismus über die zweckmäßige Abänderung des Denkens und der Äußerung“ (64, vgl. 101), wie ein Kommentar zu Bergsons Auffassung des Komischen als das, was an einem Menschen an einen „innere[n] Mechanismus“,

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„Doppelgewand“ des Witzes216 besorgt, ermöglicht anderswo das automatische Abführen der – durch „Ersparnis“217 oder Aufhebung von Hemmungsbesetzung bzw. „Besetzungsaufwand“218 freigesetzten und nicht anderweitig: ‚aufmerksam‘, verwendeten – Energie im Lachen. Freud ersetzt hier explizit seine „früheren Erörterungen“ in terms von Überwindung einer Hemmung, die eine Lustquelle versperrt, und vom ersparten „psychischen Aufwand“, dessen es, um Hemmungen zu errichten und aufrecht zu erhalten, kontinuierlich, immer wieder bedarf, dessen Ersparung wohl einem „Lustgewinn“ entspreche,219 durch eine neue, wie es umgehend heißt, ihm schon „zur Denkgewohnheit“

oder „Automatismus“ erinnere (Das Lachen, 18, 63, vgl. 20ff., 27ff.); als „Aufdeckung des psychischen Automatismus“ fasst Freud das Komische (194, 192f., 64), Bergsons „Ansicht unserer eigenen Formel zu unterwerfen“ „fällt nicht schwer“: als komische Lust aus Aufwandsdifferenz (194, 207ff.). Bergson redet vom „Automatismus“, der „unserer lebendigen Persönlichkeit fremd“ sei (29), „Mechanismus im Innern“, der „nicht ich selbst sei“, der sich „abtrennt“, ein dem ‚lebendigen Selbst‘ Fremdes (29f., vgl. 31, 52, 58, 62f., 76ff., 99). Zupančič gibt Bergsons Entgegensetzung von lebendigem Leben und dem Mechanischen (das es überlagert, überdeckt usw., 32f.) eine (weitere) Drehung, da die „mechanische Äußerlichkeit selbst konstitutiv für die Lebendigkeit des ‚innerlichen‘ Geistes“ sei (Der Geist der Komödie, 137, vgl. 139); das Subjekt ist nicht eines, mit sich identisches, die Komik treibt die Spaltung: als Inkonsistenz hervor (140-43). Freud dreht dies u.a. auf die Hörer: Witze ermöglichen einen „Automatismus“, der „die Wahrheit in einem unbewachten Moment entschlüpfen läßt“, was „innerliche Zustimmung“ voraussetze (101, vgl. 98f.). Entspräche die komische „Entlarvung“ eines „psychischen Automatismus“ (192ff., 64) durchaus Bergson, unterscheidet Freud diesen vom Unbewußten, und zwar bez. des Automatismus des Witzes, um den es hier geht: Der Witz muss den Witzvorgang „automatisch“ „verlaufen“ lassen, die „Aufmerksamkeit des Hörers“ abziehen und derart: „automatisch“ den ‚Ausbruch des Lachens‘ ermöglichen (142ff.; vgl. Bergson (im dritten der Essays), 131). Freuds explizite Unterscheidung: das vollziehe sich „automatisch“ „nicht: unbewußt“ (142, vgl. 205), sei, so S. Weber, „nicht sehr überzeugend“, da auch der Automatismus ‚Form‘ des Nicht-Wissens ist („Die Zeit des Lachens“, 85). Beim ‚Witzbildner‘ entstehen u.a. die „Verdichtungen“ „automatisch […], während des Denkvorganges im Unbewußten“ (Freud, 158f.). 216 Kofman, Die lachenden Dritten, 88, 100f. 217 Freud, Der Witz, 112. 218 So mit den Begriffen der explizit von Freud eingeführten neuen „Darstellungsweise“ (Der Witz, 138f.). 219 Freud, Der Witz, 112f. Für die Herstellung wie die Erhaltung von „psychischer Hemmung“ werde mit dem hier „noch sehr unklaren Begriff“ (113) „ein psychischer Aufwand erfordert“, den der Witz erspare, und dem „ersparten“ „entspreche“ (sei anzunehmen) ein „Lustgewinn“ (112f.); „zur Herstellung der vorbewußten Besetzung bedarf es gewiß eines größeren Aufwandes als zum Gewährenlassen der unbewußten“ Denkweisen (190, vgl. 118, 158, 98f., 101, 114).

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gewordene „Darstellungsweise“:220 Der „Aufwand“ an „psychischer Energie“, der für die Hemmung als „Besetzung“ von „psychischen Wegen“ aufzubringen sei, werde aufgehoben,221 und insofern der ‚Betrag‘ „unverwendbar“ bleibe, werde er verschoben, im Lachen abgeführt.222 Explizit ist der Registerwechsel von einer Darstellung in termini bestimmter gehemmter, zugänglich gemachter Lust, der Ersparung von bestimmtem Aufwand, der ein Lustgewinn entspreche, zu der von verschiebbarer Energie, wodurch erst vom Lachen die Rede sein kann. (Zumal in „Rücksicht“ auf den hier in die Darstellung eingezogenen Anderen223 stellt damit die ‚Ökonomie‘ des Witzes sich anders dar.) – Anders als der Traum „unmittelbar unter der Aufsicht der untersagenden Macht“ agierend,224 hält der Witz im Spiel mit den Worten mit dem Versprechen eines Sinns die kritische Instanz fest- und fern. „Kunstgriffe“, „Hilfstechniken“ des Witzes sollen die „Aufmerksamkeit von dem psychischen Vorgang beim Anhören des Witzes fern[]halten“, sie ablenken und mit dem Versprechen eines zu enträtselnden Sinns des Unsinnigen (sei es der Wortbildungen oder der Gedankenverbindungen) ‚fesseln‘.225 Sind beim Witz „bewußte Absichten 220 Freud, Der Witz, 139: explizit „[n]ach unserer Einsicht in den Mechanismus des Lachens“ (140). 221 Freud, Der Witz, 138ff. Erneut, will Freud uns versichern, „laufen beide Darstellungen auf dasselbe hinaus“, „denn der ersparte Aufwand“, dem, so „unsere[] früheren Erörterungen“, der Lustgewinn entspreche, „entspricht [hinsichtlich des „Betrages“] genau der überflüssig gewordenen Hemmung“ (140, mit Verweis auf 112). Die Hemmungs-Besetzung, als „Bindung psychischer Energien an Vorstellungen“ „wie man eine Festung besetzt“, so S.  Weber, kann jederzeit „‚entsetzt‘ werden“; die Metapher „Besetzung“ mit ihrer „militärischen Konnotation“ spricht von der „konfliktreiche[n] Natur“ der Verbindung von Vorstellung und Energie („Die Zeit des Lachens“, 82). 222 „Das Lachen entstehe, wenn ein früher zur Besetzung gewisser psychischer Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist, so daß er freie Abfuhr erfahren kann.“ (Freud, Der Witz, 138). Damit ist Lachen nicht so sehr „ein Anzeichen von Lust“, womit Freud „diese Lust auf die Aufhebung der bisherigen Besetzung bezieh[t]“ (139). Dass die Energie (anderweitig) „unverwendbar“ sei, heißt, dass die Aufmerksamkeit „von jeglicher Art zielgerichteter oder zweckmäßiger Verwendung oder Verfügung [von ‚jeder Besetzung‘] abgehalten werden kann“ (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 83), indem sie ferngehalten wird. Auf die (automatische) Abfuhr kommt es an; denn mit der „Entsetzung“ ist die Angst mitzulesen: „Die entsetzte Energie wird erst dann nicht zur Quelle der Entsetzung – der Angst –, wenn sie lachend abgeführt wird.“ (82, s. Kap. V.3). 223 Freud, Der Witz, 135ff., 139ff.; s.u. Kap. V.2. 224 Freud, Der Witz, 161, vgl. 162; zu Witzarbeit – Traumarbeit, zuerst 85, weiter: 155, 150-62. „Alle Träumer sind eben so unausstehlich witzig und sie sind es aus Not, weil sie im Gedränge sind, ihnen der gerade Weg versperrt ist“ (Freud an Fließ, 11. Sept. 1899, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, 255). 225 Freud, Der Witz, 142; vgl. auch S. Weber, Freud-Legende: „Der Aufsitzer“, 137f.

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und willkürliches Handeln […] nicht […] ausgeschlossen“, sondern „durchaus präsent“, so akzentuiert S. Weber Freud, so „auf eine sehr eigentümliche Weise: Sie werden […] ‚ferngehalten, weit weg‘ von dem, was eigentlich im Witz ‚vorgeht‘“,226 um den „Witzvorgang“, so Freud, „automatisch verlaufen zu lassen“: „so daß sich unterdes die Befreiung der Hemmungsbesetzung und deren Abfuhr ungestört durch sie vollziehen kann“.227 Das „merkwürdige Zeitmoment“ daran hat S. Weber herausgestellt: die „Zeit des unterdes“ der Abfuhr im Lachen. So ist die im Emblem der Janusköpfigkeit angenommene Gleichzeitigkeit zweier einander inkompatibler „Ansichten“ ein ungleichzeitiges Geschehen. „Einerseits wird das Bewußtsein ‚gefesselt‘, festgehalten [: ist absent]; andererseits und zugleich: unterdes, geschieht das Entscheidende: die Befreiung der Hemmungsbesetzung und ihre ungestörte Abfuhr […]; was unterdes geschehen ist, ist gerade der Ausbruch des Lachens.“228 Während die Aufmerksamkeit ‚fern- und festgehalten‘ ist, „lachen wir bereits“, so Freud,229 ermöglicht der Witz woanders die ‚freie Abfuhr‘ von frei-gesetzter ‚Besetzungsenergie‘ im Lachen, zu der ‚wir‘ aber zu spät (bewußt) dazukommen, so dass das Geschehen „unterdes“, von dem ‚wir‘ nicht wissen, alles Mögliche, Beschämende, Gewaltsame gewesen sein kann.230 All’ das formuliert Freud für den Vorgang beim Hörer (der nun dringend, in Kap. V.2 berücksichtigt werden muss). Dem Witz‚bildner‘ stößt der Witz vergleichbar zu (oder umgekehrt?);231 denn man sage zwar, dass er „ihn macht“, doch: Der Witz hat in ganz hervorragender Weise den Charakter eines ungewollten ‚Einfalls‘. Man weiß nicht etwa einen Moment vorher, welchen Witz man machen wird […]. Man verspürt vielmehr etwas Undefinierbares, das ich am 226 S. Weber, „Zeit des Lachens“, 84. 227 Freud, Der Witz, 142 u. 143f.; „ungestört“ durch die Aufmerksamkeit, die die frei gewordenen Besetzungsenergien überwachen und die sie „ihrer Neuverwendung zuführen würde“. 228 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 85f.; die zeitlichen Verschränkungen sind in Reiks Darstellung verloren (Lust und Leid im Witz, 75ff.). 229 Freud, Der Witz, 143; „was sich in diesem Präsens [des Satzes von Freud] artikuliert, ist unserer Geistesgegenwart entzogen. Etwas wird präsentiert, was sich nicht vorstellen läßt.“ (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86). 230 Vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86. 231 Der Vorgang beim Hörer bilde den bei der ersten Person „nach“, so Freud (Der Witz, 126). Aber zuerst wird der beim Anderen erschlossen (142), dann kommt Freud auf die erste Person (145f., s.u. Kap.  V.2). Dabei seien „[f]ür das Verständnis bedeutsamer“ als „die Wirkung des Witzes auf den, der ihn hört“, die sich „in den Vordergrund gedrängt“ habe, „die Leistungen“, die er „im Seelenleben“ der ersten Person „vollbringt“ (126), was „uns noch durch ein Dunkel verhüllt wird“ (146), was Freud in sein Kapitel VI aufschiebt (vgl. 155 usw.).

Die Ökonomien des Witzes

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ehesten einer Absenz […] vergleichen möchte, und dann ist der Witz mit einem Schlage da, meist mit seiner Einkleidung.232

Als „ungewollter ‚Einfall‘“ ereignet sich, tritt „plötzlich“ anderswoher zutage, was, Freud zufolge, als „Ergebnis [„unbewußte[r] Bearbeitung“] alsbald von der bewußten Wahrnehmung erfaßt“ wird,233 was diese – zu spät – als (möglichst) ‚guten‘ Witz aufgreifen wird.234 Das ist, so S. Weber, der „Sprachgebrauch des immer zu spät zu sich kommenden Bewußtseins: Eigentlich weiß es von nichts, oder […] von jener ‚Absenz‘, die mit der Präsenz des Witzes zusammenfällt“, die „gleichsam den Landeplatz frei gibt für den Einfall des Witzes“.235 Das Gesicht des Sinns, das der Witz als zulässiges der kritischen Instanz (wie dem Witz-Theoretiker) bietet, ist die nachträgliche Deckung für diese „Absenz“, für Geschehnisse und Vorfälle, von denen ‚wir‘ nicht wissen, die alles Mögliche gewesen sein können. V.2

Die Ökonomien des Witzes – das Geschenk an den Dritten

Als „ein als solcher doppelzüngiger Schelm“ agiert der Witz, vor allem auch weil er „gleichzeitig zweien Herren dient“, insofern er eine andere, „dritte Person“ einzieht und zu be‚rücksicht‘igen hat,236 – wie das solche ‚Schelme‘ 232 Freud, Der Witz, 157; zuvor bereits „der ihn macht, oder, wie man einzig richtig sagen sollte, dem er einfällt“ (126); vgl. Reik, Lust und Leid im Witz, 73. 233 Freud, Der Witz, 155: „Ein vorbewußter Gedanke wird für einen Moment der unbewußten Bearbeitung überlassen und deren Ergebnis alsbald von der bewußten Wahrnehmung erfaßt“. Vom „vorbewußten Gedanken“ kann aber nur nachträglich die Rede sein, der „zum Zwecke der Witzbildung ins Unbewußte eintaucht“ (155, vgl. 166f, 158f., 190). „[D]aß man bei der Witzbildung einen Gedankengang für einen Moment fallenläßt, der dann plötzlich als Witz aus dem Unbewußten auftaucht“ (157), erklärt den Witz als „Beitrag zum Komischen“ ‚aus dem Unbewußten‘ (193, vgl. 157ff., 143, 164). Der Witz erscheint (occurs) im Übergang (wo umgekehrt die Metapher: ein Signifikant einen anderen, den er ersetzt, unter die barre drückt, zum Signifikat macht, Lacan, „L’instance de la lettre“, 264-67/„Das Drängen des Buchstaben“, 31-34, vgl. Chaouli, The Laboratory of Poetry, 182), Kofman zufolge: „Eingänge und Ausgänge aus den Tiefen“ (Die lachenden Dritten, 22). 234 Vgl. Freud, Der Witz, 161, 164. 235 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87. 236 Freud, Der Witz, 146; die zwei Doppelungen schiebt Kofman eher ineinander (Die lachenden Dritten, 55). „Die janusartige Doppelgesichtigkeit des Witzes, welche dessen ursprünglichen Lustgewinn gegen die Anfechtung der kritischen Vernünftigkeit sicherstellt, und der Vorlustmechanismus gehören der ersteren Tendenz an [„die Bildung des Witzes bei der ersten Person“]; die weitere Komplikation der Technik […] ergibt sich aus der Rücksicht auf die dritte Person des Witzes“, der der Witz „eine möglichst große

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gern mal tun, so dass jedenfalls die ‚Herren‘ sich nicht auskennen.237 Da der Witzvorgang, Freud zufolge, ohne den Einschub des Dritten gar nicht sich vollziehen kann und gelingt, war das bis hierher Dargestellte – soweit es den Dritten nicht berücksichtigte – wenigstens unzureichend oder gar falsch (und dies obwohl damit Freuds dispositio-Hinweisen, mindestens partiell, gefolgt wurde).238 Nicht durch die zweistellige Relation auf ein Objekt, die die Komik ausmacht, ist der Witz zu fassen, sondern als Vorgang vorrangig zwischen dem Witzbildner als -erzähler und dem Witzhörer als Drittem; so lässt sich die Zote, mit S. Weber, „nicht allein als eine Rede über etwas bestimmen“, sondern erst „als eine Rede an jemanden“.239 Der Witz, der „sich in den Dienst entblößender oder feindseliger Tendenzen“ begibt, kann, so Freud, „als psychischer Vorgang zwischen drei Personen beschrieben werden“,240 in dem der oder die Zweite, dem/r die Aggression des tendenziösen Witzes gilt, abwesend sein kann oder (meist) ist. Der obszöne Witz adressiert „anstatt des Weibes“ die als Hörer involvierten Männer, als Dritte, die lachen sollen. Freuds ‚kleine Kulturgeschichte des obszönen Witzes‘ zeigt, dass das Erzählen dieser Witze sogar voraussetzt, Lustwirkung“ „gewährleisten“ muß (Freud, 145f.). Eine Abfolge ist hier nicht anzunehmen; die „Rücksicht“ ist nicht sekundär; der Witzvorgang bei der ersten Person bedarf der dritten. 237 Die comedia dell’arte-Figur ist hier mitzulesen, Arlecchino oder Truffaldino, die noch mal in Goldonis Il servitore di due patroni (1745/1753, dtsch. 1762) sich zeigt. Sie spielt die Verwechslungen und Verkleidungen, das Diener-Doppel erfindend, die zweifache Dienerschaft für ‚Herren‘, die von Dopplung und Spaltung nichts wissen, in auch selbstgefährdender Verwicklung (nicht nur um des doppelten Salärs, sondern auch) um des Spiels willen aus. 238 Wie vorgestellt (Kap.  V.1) bringt der tendenziöse Witz den Dritten ins Spiel; er lache zuerst (heißt es dann, Freud, Der Witz, 135ff.). Mit der argumentativen Abfolge im zickzack (vgl. Kap. IV.2) setzt Freud auf die ‚Darstellung von den Wirkungen her‘: Bez. der „Leistungen des tendenziösen Witzes hat sich uns in den Vordergrund gedrängt, was leichter zu sehen ist, die Wirkung des Witzes auf den, der ihn hört“, obwohl „[f]ür das Verständnis […] die Leistungen [„bedeutsamer“ sind], die der Witz im Seelenleben desjenigen vollbringt, […] dem er einfällt.“ (126). Der „schon einmal“ gefasste „Vorsatz“, wird hier „erneuer[t] –, daß wir die psychischen Vorgänge des Witzes mit Rücksicht auf ihre Verteilung auf zwei Personen studieren wollen“ (126), aber: „Vorläufig wollen wir der Vermutung Ausdruck geben, daß der durch den Witz angeregte psychische Vorgang beim Hörer den beim Schöpfer des Witzes in den meisten Fällen nachbildet“ (den er mit der „Verlockungsprämie“ erläutert, 126-30). Aber der Dritte lacht, wo (und wie) der Erste dies nicht könne (135ff.). 239 S. Weber, Freud-Legende: „Der Aufsitzer“, 129. 240 Freud, Der Witz, 136. Von der dreistelligen Relation des Witzes unterscheidet Freud das Komische als Beziehung von zwei Personen, das an einer Objektperson begegnet, aber der Mitteilung nicht bedarf (135, 169), wie auch vom Humor, für den eine Person mit sich alleine auskommt (212-19, vgl. Freud, „Der Humor“).

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dass die zweite Person, die Frau, die von der dreckigen Bemerkung agressiv gemeint wäre, den Raum verlassen hat, dass diese sich an die Hörer richten, um die (die Befriedigung sexueller Lust) „ursprünglich störende dritte Person“ „nun als Zuhörer“ zu „bestechen“, zum „Bundesgenossen“ für ein anderes Geschehen zu machen:241 im homosozialen Geschehen zwischen Witz-Erzähler und Hörer,242 das der (obszöne) Witz organisiert. Kann der Witz „einer Objektperson“ entbehren, verlangt er (auch „als ein Spiel mit den eigenen Worten und Gedanken“) aber in jedem Falle „nach einer anderen“, „der dritten Person“, der das „Ergebnis“ der Witzarbeit mitgeteilt243 und „die Entscheidung übertragen“ wird, „ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat“.244 Diese „Entscheidung“ fällt der Dritte, indem er lacht – oder es sein läßt. Die „fremde Person“ tritt also nicht (bloß) hinzu zu einem in sich abgeschlossenen Gegenstand, einer ‚kleinen Form‘, zu der im Verlaufe des 19. Jahrhunderts der Witz wurde, sondern der Witz ‚ist‘ Vorgang, der, um sich zu ‚vollenden‘, auf den anderen angewiesen ist.245 Nur auf dem durchs Erzählen genommenen „Umweg“ über einen Anderen „erfüllt“ „sich die Absicht des Witzes, Lust zu erzeugen“,246 komme, so Freud, der Witzvorgang (bei der 241 Vgl. Freud, Der Witz, 92-96. Der Dritte, der zunächst durch seine Anwesenheit – für die Realisierung (?) der „libidinösen Regung“ – störende „andere Mann“, „gelangt bald zur größten Bedeutung für die Entwicklung der Zote; zunächst ist aber von der Anwesenheit des Weibes nicht abzusehen. Beim Landvolk oder im Wirtshaus des kleinen Mannes kann man beobachten, daß erst das Hinzutreten der Kellnerin oder der Wirtin die Zote zum Vorschein bringt; auf höherer sozialer Stufe erst tritt das Gegenteil ein, macht die Anwesenheit eines weiblichen Wesens der Zote ein Ende; die Männer sparen sich diese Art der Unterhaltung, die ursprünglich ein sich schämendes Weib voraussetzt, auf, bis sie allein ‚unter sich‘ sind. So wird allmählich anstatt des Weibes der Zuschauer, jetzt Zuhörer, die Instanz, für welche die Zote bestimmt ist, und nähert sich durch solche Wandlung bereits dem Charakter des Witzes.“ (94f.); für den Freud dem Aufstieg in die höhere „feiner gebildete Gesellschaft“ folgt (95f.). Der „Zuhörer“ werde ‚bestochen‘, damit er zum „Bundesgenossen“ werde (95, 126), nicht zu dem der Befriedigung der ‚ursprünglichen‘ sexuellen Lust, sondern indem er „ohne strenge Prüfung unsere Partei“ im Witzvorgang „nehme“ (so 98, in III. „Tendenzen“, erst in IV. sind die „Lustmechanismen“, die das begründen müssen, in V. „Der Witz als sozialer Vorgang“ ausgeführt, 135-46). 242 In Analogie mit dem Frauentausch an einem Beispiel (aus Lévi-Strauss’ Structures élementaires de la parenté) stellt Mehlman die Abwesenheit der Frau im „pseudomarriages with no bride [heraus:], for the sole purpose of acquiring rights in the course of the exchange rites. The absent Alaskan bride is like the offended lady whose departure permits the progress of the joke in Freud’s model.“ („How to Read Freud on Jokes“, 449). 243 Freud, Der Witz, 136, vgl. 135ff. 244 Freud, Der Witz, 136. 245 Freud, Der Witz, 136, 135. 246 Freud, Der Witz, 95, 98.

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ersten Person) „zum Abschlusse“.247 Der Witz rückt derart aus der Perspektive der Semantik, in der Sinn und Unsinn verhandelt werden, in die pragmatische seiner nachträglichen Bestimmtheit durch ‚seine‘ Wirkungen.248 Mit S. Weber: Der Witz „wird erst witzig, indem über ihn gelacht wird. Lacht man nicht, so ist auch der beste Witz keiner. Der Witz löst das Lachen aus, das ihn nachträglich zum Witz macht“.249 Im Verlaufe seiner Abhandlung hat Freud, wiederholt, wie nebenbei, das Gelächter als Kriterium über den Witz ins Spiel gebracht. Wo die Analyse der Technik sich durch eine Irritation des theoretischen Unternehmens, durch den ‚einfallenden‘ „Zweifel“ unterbricht, dass ‚wir‘ nicht wissen, ob es sich bei den als Beispiele für den Witz analysierten Beispielen überhaupt um solche des Witzes handelt, solange wir nicht wissen, was ein Witz ist, gibt er Bescheid, dass es das „explosionsartige Lachen“ ist, „durch welches sich ein guter Witz bezeugt“.250 Im „Freudschen Denken“ sind, so S. Weber, die „Bildungen des Unbewußten erst nachträglich durch die von ihnen erzeugten Wirkungen, bestimmt“.251 „Da aber diese Wirkungen selbst nie ganz einzugrenzen sind, wird [auch das unterstreicht S.  Weber] auch diese ‚pragmatische‘ Bestimmbarkeit problematisch.“252 Das „explosive“ oder „explosionsartige“ Lachen253 ist nicht eine „einzugrenzen[de]“ ‚Wirkung‘, die den Witz bestimmt, sondern Modus der Aussetzung von Begrenzung, Kontur, Gestalt. ‚Wir‘ lachen ‚bereits‘, „überrumpelt“, ohne dass ‚wir‘ wüßten worüber, ohne dass ‚wir‘ verstünden, was „unterdes“ geschehen ist. Zur „Wirkung“, die den Witz ausgemacht haben wird, zum Lachen kommt es (aber) nur durch den – und zuerst beim anderen. Die „fremde Person“ wird durch die „Mitteilung des Einfalls“ als Hörer dem „psychischen Vorgang“ der Witzbildung ‚eingeschoben‘, weil allein dies ermögliche, „den unbekannten 247 So Freud, Der Witz, 135f. 248 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80f. Das setzt voraus, dass ein Ereignis als ‚Wirkung‘ einem anderen Geschehen (als dessen ‚Ursache‘) zugerechnet wird. 249 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81. 250 Das ist die Vergewisserung für: „Dies ist ein Witz, dies darf man für einen Witz ausgeben, noch ehe der verborgene wesentliche Charakter des Witzes entdeckt ist“ (Freud, Der Witz, 79, vgl. 60, 78f., 12, 19, 50). 251 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80f. Als den Unterschied der Psychoanalyse streicht Freud heraus, dass „das Unbewußte etwas ist, was man wirklich nicht weiß, während man durch zwingende Schlüsse genötigt wird, es zu ergänzen“ (Der Witz, 152): nachträglich, von den Wirkungen her, die zutage treten, (etwa die in famillionär sich manifestierende „zusammendrängende[] Kraft, die uns ja unbekannt ist“, 23) zu ‚erraten‘ (vgl. 142, 157ff., 139, u.ö.). 252 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80f. 253 Freud, Der Witz, 79, 137, 97, 92; S.  Weber, Freud-Legende, 77-79, 81f.; das Lachen als „l’explosion“, Baudelaire, „De l’essence de rire“, 531; „le rire éclate“, Mélinand, „Pourquoi rit-on?“, 626, 618.

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Vorgang der Witzbildung“ „zum Abschlusse zu bringen“:254 „[N]iemand“ kann „sich begnügen […], einen Witz für sich allein gemacht zu haben“, denn „der psychische Vorgang der Witzbildung“ ist „mit dem Einfallen des Witzes nicht abgeschlossen“; es „bleibt“ „etwas übrig“, weil (etwas fehlt,) der Witzbildner nicht „für sich allein“ über ‚seinen Witz‘ lachen kann.255 Der Witzbildner muß zum Erzähler werden: „Mit der Witzarbeit [ist] der Drang zur Mitteilung des Witzes an einen anderen unabtrennbar verbunden“, der mit dem „mir selbst versagten, beim anderen aber manifesten Lacheffekt des Witzes irgendwie zusammen[hänge]“; „irgendwie“ sind die „beiden“ (dem Kapitel „Der Witz als sozialer Vorgang“) vorgegebenen Fragen: die nach dem (zunächst) ausbleibenden Lachen des Ersten und die nach der „Rolle“ des anderen, ineinander verschränkt.256 Der Witz‚bildner‘ zieht den anderen ein, indem er den Witz erzählt, damit der Vorgang „sich zwischen der ersten, dem Ich, und der dritten, der fremden Person“ „vollende[]“.257 Das unterscheidet den Witz ‚gänzlich‘ vom Traum, der „innerhalb einer Person“ ihr „selbst unverständlich“ entstand, „nur in der Vermummung bestehen“ kann und „einem anderen nichts mitzuteilen“ hat.258 Ein „sozialer Vorgang“ oder gar die „sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen“ ist der Witz, weil allein „durch die Teilnahme eines anderen an dem von ihm angeregten seelischen Vorgange“ der Witz zum Witz geworden sein wird, er mit „Rücksicht“ auf die dritte Person sich vollzieht.259 Den Befund, „daß nicht, wer den Witz macht, ihn auch belacht, also die Lustwirkung genießt, sondern der untätige Zuhörer“,260 begründet Freud in ökonomischen Termini. Mit dem zunächst benannten ökonomischen Prinzip der Ersparung, zuerst (an Aufwand von Worten oder Gedanken) als die Tendenz der Witztechniken, dann „in weit umfassendere[m] Sinn“ die an psychischem (Hemmungs-)Aufwand, scheint alles, Techniken wie Tendenzen,

254 Freud, Der Witz, 135f. 255 Freud, Der Witz, 135, vgl. 146ff. 256 Freud, Der Witz, 135. Die „beiden Fragen“ aufgreifend: „Wir können nur vermuten, […] daß wir darum genötigt sind, unseren Witz dem anderen mitzuteilen, weil wir selbst über ihn nicht zu lachen vermögen.“ (146). 257 Freud, Der Witz, 136. 258 Freud, Der Witz, 161. 259 Freud, Der Witz, 167 (so für die Witzarbeit, die die „Entstellung durch Verdichtung und Verschiebung in keinem weiteren Ausmaße in Anspruch nehmen [dürfe], als soweit dieselbe durch das Verständnis der dritten Person redressierbar ist“, wobei „Verständnis“, den Vorgang beim Hörer kaum trifft, vgl. 141ff.). 260 Freud, Der Witz, 95.

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unter einen theorie-ökonomisch ‚ersparenden‘ „Hut“, „zu bringen“ zu sein.261 Dagegen greift nun die Vermutung, beim Witzbildner werde „trotz der [durch den Witz] erfolgten Aufhebung der Hemmungsbesetzung“ nicht viel Erspartes übrig sein, weil er den gegebenenfalls „ersparten psychischen Aufwand“ (für eine Hemmungsbesetzung),262 jedenfalls „einen gewissen Betrag von neuem psychischen Aufwand“ bereits in die Witzbildung gesteckt haben muss, so dass „vielleicht überhaupt kein äußerungsfähiger Betrag von Energie“ „frei geworden“ (und durchs Lachen abzuführen) sei.263 Dagegen mache „den psychischen Vorgang beim Hörer, bei der dritten Person des Witzes“ aus, „daß er die Lust des Witzes mit sehr geringem eigenem Aufwand erkauft. Sie wird ihm sozusagen geschenkt“.264 Dieses Geschenk, „sozusagen“, an Lustempfindung – die der Erste, der ‚sie‘ schenkt, (auch) nicht hat – wird dem Anderen mit den „Worten des Witzes, die er hört“, gemacht; denn diese „lassen in ihm notwendig jene Vorstellung oder Gedankenverbindung entstehen, deren Bildung auch bei ihm so große innere Hindernisse entgegenstanden“.265 Er hat sich den „psychischen Aufwand“, den er hätte „dransetzen müssen“, der „der Stärke der Hemmung, Unterdrückung oder Verdrängung derselben entspricht“, „erspart“,266 wodurch die „zur Hemmung verwendete Besetzungsenergie“ „plötzlich überflüssig geworden, aufgehoben und darum zur Abfuhr durch das Lachen bereit“ ist.267 261 Freud, Der Witz, 43. „Es scheint alles Sache der Ökonomie“ der „Ersparnis“ (ebd. u. ff., 34f., 78, 85, 91, für alle Witzformen, 112f., vereinheitlichend für Techniken wie Tendenzen, 110, „Lusteffekte der Ersparung“, 120ff., Spiel- und Aufhebungslust, 130); als Prinzip wird es bei dessen Verabschiedung genannt (147; vgl. S. Weber, Freud-Legende, 118ff.; Kofman, Die lachenden Dritten, 86; Strowick, „Lach’s mit Mayonnaise“, 17). 262 Vgl. Freud, Der Witz, 112f. 263 Freud, Der Witz, 141. Es handelt sich um ein „kostpielige[s] Doppelgewand“, Kofman, Die lachenden Dritten, 88f. Mangelnde Plausibilität der Ersparnis (etwa) durch Verdichtung, die doch ein „Moment des Überschusses“ habe, macht Strowick geltend („Lach’s mit Mayonnaise“, 18). 264 Freud, Der Witz, 139f. 265 Freud, Der Witz, 140. „Das Publikum erhält sein Vergnügen kostenlos. Durch bloßes Zuhören umgeht das Publikum jene Hemmung, welche die Witzarbeit des Erzählers überwindet.“ (Krips, „Interpassivität und der wissende Wink“, 190). Im Interpassivitätsdiskurs wird das (nach Žižek) aufs „Dosengelächter“ ausgedehnt, in dem die ‚Komödien‘ ‚anstelle‘ des Publikums lachen (Krips, 190ff., 188; vgl. Pfaller, „Einleitung“, 1). 266 Freud, Der Witz, 140; vgl. die „Ersparung an Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand“, 113. „Der Witz gibt mehr als er hat, nicht anders ist Ersparnis hier zu verstehen.“ (Strowick, „Lach’s mit Mayonnaise“, 18). 267 Das ist die neue „Darstellungsweise“ statt „unsere[] früheren Erörterungen“, denen zufolge die Lust „dieser Ersparung“ „entspreche“ (Freud, Der Witz, 139f., s.o. Kap. V.1), mit der Versicherung, dass beide übereinkommen, „denn der ersparte Aufwand entspricht genau der überflüssig gewordenen Hemmung“ (140). Die ‚entsetzte‘ überflüssige Energie ist aber bei keiner Bank deponierbar, es sei denn in ihrer (erneuten) Besetzung: Bindung

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Aber der Witz, mit dessen Worten dem Hörer ein Geschenk gemacht wird, ist kein reines Geschenk, sondern Gabe an den Dritten, die, wie Marcel Mauss mit dem sog. Gabentausch vorstellt, in den Vorgang zieht und zu einer Erwiderung ‚verpflichtet‘.268 Die „Gabe des Witzes“, die dem Hörer zugesagt werde, ist für diesen „kostenlos“ doch nur, so Kofman, in Hinsicht des beim Witzbildner zu erbringenden Aufwandes an Witzarbeit. Der Andere aber „bezahlt mich durch sein Lachen in der Tat reichlich“ – so hat Kofman dessen In-Dienstnahme charakterisiert.269 Er „bezahlt“ mit dem, was er nicht hat, worüber er nicht verfügt. Dem anderen wird, das macht den Witzvorgang aus, die „Entscheidung übertragen“ (oder, so Kofman, „an meiner Stelle“ ‚aufgeladen‘), „ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat“,270 die (ohne dass/bevor dieser von einer Entscheidung wüsste) gefällt sein wird, dadurch dass er lacht – oder auch nicht.271 Den Gaben‚tausch‘ aber macht Mauss, ihn vom Äquivalententausch unterscheidend, der instantan erfolgt und jeweils in sich bereits restlos abgeschlossen wäre, durch die (nur zunächst) zeitliche Differenz aus: den Aufschub der Erwiderung, durch den der Zwischen-Raum des Sozialen geöffnet und durch die Nicht-Abgegoltenheit aufgehalten und ausgespannt ist.272 an Vorstellungen. Mit der neuen Darstellungsweise wird die Verschiebbarkeit der Energie gedacht, und Lachen als „Abfuhr der psychischen Energie, die durch die Aufhebung der Hemmungsbesetzung frei“ werde, „wenn ein früher zur Besetzung gewisser Wege verwendeter Betrag von psychischer Energie unverwendbar geworden ist“, „freie Abfuhr erfahren kann“ (138); bzw. umgekehrt: wenn „eine bisher zur Besetzung verwendete Summe psychischer Energie der freien Abfuhr unterliege […], werden wir geneigt sein, diese Lust auf die Aufhebung der bisherigen Besetzung zu beziehen“ (139). 268 Zur Verpflichtung durch die Gabe, die auch Fiktion oder Lüge sein kann, vgl. Mauss, „Die Gabe“, 13, 27-29. Derrida stellt heraus, dass der Akt der Gabe durch deren Erwiderung im Tausch gelöscht wird (Falschgeld. Zeit geben I, 17-24, 68-71, 88-91); vgl. Kap. II. 269 Kofman, Die lachenden Dritten, 85. 270 Freud, Der Witz, 136. „Die Mitteilung meines Witzes an den anderen dürfte“ u.a. der Absicht „dienen, […] mir die objektive Gewißheit von dem Gelingen der Witzarbeit zu geben“ (146). Kofman zufolge: „ich [die erste Person] kann den Aufwand, den ich gerade aufgehoben habe, nur abführen, wenn ich dem anderen das Lachen an meiner Stelle auflade – mittels der kostenlosen Gabe des Witzes, die ich ihm zusage“ (Die lachenden Dritten, 85), die „Notwendigkeit des Dritten [ist die] als legitimierende Instanz“ (96; vgl. Reik, Lust und Leid im Witz, 80ff.). 271 Das ‚Geschenk‘, das dem Zuhörer gemacht wird, hat dieser nicht nur schon angenommen, wenn er lacht, sondern wenn er lacht, hat er mit der Annahme der Gabe die mit dieser übernommene Verpflichtung auch bereits erfüllt (dem entspricht Cohens Beunruhigung durchs Gelacht-haben über rassistische u. antisemitische Witze, Jokes, 76-84, 32-35). 272 D.i. die „totale[] soziale[] Leistung“ (Mauss, „Die Gabe“, 166ff.); Simmel charakterisiert die verschuldete Verpflichtetheit als „Dankbarkeit“ („Dankbarkeit. Ein soziologischer Versuch“). Lévi-Strauss dgg. will statt einzelner Akte die „Totalität“ der „symbolischen Struktur“ aufgefasst wissen („Einleitung in das Werk von Marcel Mauss“, 27-39). Dieser

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Strukturell ist die Gabe, so Mauss, mit einem anachronistischen Begriff, stets, „Kredit“,273 im auszuhaltenden Aufschub, im Aufhalt der Einlösung. Der Raum des Sozialen ist demnach nicht durch die Erwiderung und deren eventuelle Sicherungen auszumachen, sondern mit deren Ausstehen durch die zeitliche Aussetzung und die Ausgesetztheit, die gerade auch den Kredit bestimmt, als einer des Risikos und der Erregungen.274 Mit dem ‚Geschenk‘, das der Andere ‚erwidern‘ soll, ist der Witzvorgang als prekäre Relation zwischen Witzerzähler und Hörer aufzufassen, die als soziale von der bangen Frage bestimmt ist: Lacht der Dritte? Denn dem Witzerzähler wird „die objektive Gewißheit von dem Gelingen der Witzarbeit“ durch die auf den anderen „übertragen[e]“ Entscheidung, die der andere „an meiner Stelle“ durchs Lachen fällt, gegeben – oder auch nicht.275 Die Situation wird von Freud als homosozial stabilisierte vorgestellt, die ihrerseits homosozial stabilisierende Funktion hat,276 an die (auch) Freuds Darstellung (selber) appelliert.277 Der Witz sucht durch die (in Aussicht gestellte) Witzeslust, die Hörer zu „bestechen“, „ohne strenge Prüfung unsere Partei zu nehmen“,278 zu verlocken, als „Bundesgenossen“ zu gewinnen, und zwar nicht indem diese etwas sagen, sondern die „Lacher auf seine [des abstrakte ‚Raum‘ wird durch einen Einschnitt begründet, der Organisiertheit überhaupt ermöglicht (d.i. die für Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft konstitutive Regel: das Inzestverbot). 273 Mauss, „Die Gabe“, 77ff. 274 Die Gabe wäre durch ihre Erwi(e)derung (die sie aufhält, Derrida Falschgeld. Zeit geben I, 56-60), ihre Vollendung als Akt gelöscht (17-24, 68-71, 88, 91), die Gabe müßte acte gratuit sein können (118ff., 115f.), vgl. Kap. II. 275 Freud, Der Witz, 146, 136; Kofman, Die lachenden Dritten, 85, 96; „die Sorge oder Angst wegen ihrer Aufnahme“, so Reik, hindere, dass ‚wir‘ lachen, „weil wir nicht wissen, ob wir lachen dürfen“, weil wir „der Zustimmung der Zuhörer nicht sicher sind“ (Lust und Leid im Witz, 80-84, zu Hemmnissen, Ungewissheiten, Freud, 136). 276 Freud, Der Witz, 94f. Goethes Satz: „Der Witz setzt immer ein Publikum voraus“ (nach Riemers Mitteilungen über Goethe (20.2. 1809), zit. nach Birus, Vergleichung, 83) spezifiziert Freud: „Jeder Witz verlangt so sein eigenes Publikum“ (142); wenn Jean Paul zufolge in Gesellschaft gelacht wird (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 169), so wird Gesellschaft durchs Weitererzählen gebildet (vgl. Freud, 19, Kofman, Die lachenden Dritten, 84f.), „eine ‚Männergesellschaft‘“ (146). 277 Die ‚Bundesgenossenschaft‘ nimmt Freuds Theorie für sich mit dem Kriterium ‚wir lachen‘, oder genauer: ‚wir haben gelacht‘ für ihre Beispiele und damit ihr Vorgehen, in Anspruch. Sie beruft ihre Evidenz in der Simulation von fiktiver Anwesenheit, die der geschriebene Text und seine Lektüre (immer schon) ausschließt. 278 So Freud zum tendenziösen Witz (Der Witz, 98, 126), mit der Analogie: „wie wir selbst andere Male, vom harmlosen Witze bestochen [vgl. 88f], den Gehalt des witzig ausgedrückten Satzes zu überschätzen pflegten“. Bergson zufolge: „Als Zuschauer ergreift man für die Schelme Partei […], man verbündet sich mit den Schurken“ (Das Lachen, 57f.).

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Erzählers] Seite“ zu ziehen, indem sie lachen.279 Aber auch die die Erzählsituation kennzeichnenden Erregungen sind hier absehbar,280 da der Erzähler eine „weitgehende psychische Übereinstimmung“ des/r Hörer/s supponieren muß, die im (gemeinsamen) Lachen sich erweist.281 Mit dieser Voraussetzung ist das Gelingen des Witzes jeweils aufs Spiel gesetzt. Denn, was zur bestätigenden Einlösung eines (je sich dem Risiko aussetzenden) Akts der Gabe werden soll, kann stets auch verfehlt werden. Die Gabe ‚ist‘ nur als Akt, im Aufhalten ihrer Vollendung und ‚Gegebenheit‘, als acte gratuit, als Akt, der nicht in ‚seiner Vollendung‘ erlischt, der nicht über seine Vollendung gebietet, der nicht (als etwas) gegeben ist.282 Auch der Witzbildner ist, obwohl das die übliche Rede ist, wie schon gelesen wurde, nicht der, der den Witz „macht“, sondern der Witz kommt ihm als „ungewollte[r] ‚Einfall‘“ zu, ist dem ‚bewußten ich‘ nachträglich gegeben. Wer wäre also der Gebende? Einen Souverän des Aktes, der gelingen soll, gibt es hier nicht. Der Witz wird vielmehr, so S. Weber mit Freud, „den Subjekten – ob Erzähler, Erfinder oder Zuhörer, ‚sozusagen geschenkt‘“, ein „Präsent, das nie als solches repräsentiert werden kann“,283 das keine selbstpräsente Gegebenheit hat, Vorgang ‚in actu‘, wie sich am Lachen zeigt, am Vorfall, mit dem das ‚bewußte ich‘ sich (je nur) ‚zu spät‘ ins Benehmen setzen will. 279 Freud, Der Witz, 94ff., 98f., 126. Das zeigt Kofman mit ihrem Titel Die lachenden Dritten an: all diesen „brüderlichen“ „siegreichen und lachenden Mündern“, die „für die Zeit eines (totemistischen?) Fests, […] den die Hemmung nötigen Aufwand durch Entladung im Lachen aufheben“ (85; von „Brüderhorde“ spricht, in Anlehnung an Freuds Totem und Tabu, Reik, Lust und Leid im Witz, 84, 79-84). Bergson zufolge ist das Gelächter das eines ‚lachenden Umkreises‘ um einen ausgeschlossenen Einzelnen (Das Lachen, 13, 15), das macht Bergson affirmativ als „soziale Funktion“ des Lachens als Strafe der Gesellschaft aus (21f.). Adorno nimmt das Einverständnis der Gruppe, das Zugehörigkeit erzeugende Mitlachen und den aggressiven Ausschluss in die kritische Perspektive der „Sündenbock“Funktion „kollektive[n] Lachen[s]“ (Adorno/Jaerisch, „Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute“, 193). 280 Vgl. Gallop, „Why does Freud Giggle When the Women Leave the Room?“, 50, 53; Kofman, Die lachenden Dritten, 144ff. 281 Freud, Der Witz, 142; „über die gleichen Witze zu lachen ist ein Beweis weitgehender psychischer Übereinstimmung“; der Witz müsse beim Hörer auf die „nämliche Hemmung, welche der Witz bei der ersten Person überwunden hat“, treffen und die „nämliche“ Hemmungsbesetzung aufheben (ebd., vgl. 136, 126). Vgl. Cohens „discomfort“ an der lachenden „community“, der Gemeinsamkeit des Verständnisses im Lachen über „anti-semitic or anti-black joke[s]“ (Jokes, 76-84). 282 Derrida Falschgeld. Zeit geben I, 147, 118ff., 115f.; aber gibt es die ‚reine Gabe‘? (147, 133ff., 160-65). 283 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 87 (mit Freud, Der Witz, 139); vgl. Schuller, „Anekdote“, 10ff.

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„[B]ezahlt“ der Hörer den Erzähler „reichlich“, so Kofman,284 so indem er lacht und, so S. Weber, das Medium wechselt. Der auf die „fremde Person“ angewiesene, diese (in sich) ‚einschiebende‘ Witzvorgang hat „zwei völlig verschiedene ‚Medien‘“, „das Diskursive“ der Witz-Worte, „das immerhin etwas sagt oder aussagen will, und das eines Lachens, das den Körper zwar explosiv erschüttert, aber nichts bedeutet“.285 Der Witz muss ‚beim Hörer‘ den „Medienwechsel“ ermöglichen.286 Der Andere ‚erwidert‘ das Geschenk „in Worten“ (günstigenfalls) mit Lachen, das nicht etwas, aber das „Gelingen der Witzarbeit“ ‚mitteilt‘, indem er den „frei geworden[en]“ „Betrag von psychischer Energie“ „gleichsam ab[lache]“.287 So kollabiert in der als ‚explosives Lachen‘ sich äußernden Entscheidung, „ob die Witzarbeit ihre Aufgabe erfüllt hat“,288 die ‚Botschaft‘ mit dem Medium. Macht die prekäre Situation des Witzeerzählens aus, dass eine „weitgehende[] psychische[] Übereinstimmung“ von Erzähler und Hörern vorausgesetzt werden muss, die sich nachträglich im Lachen erweise, so sei dies, so Freud, der „Punkt“, „der uns gestattet, den Vorgang bei der dritten Person noch genauer zu erraten“.289 Sei bei dieser die Ersparnis des von der ersten Person in die Witzbildung gesteckten Aufwandes anzunehmen, der dem Hörer ‚in den Worten des Witzs‘ geschenkt werde, ist der Vorgang ‚zur Abfuhr‘ doch von bemerkenswerter zeitlicher Paradoxie: [Die dritte Person] muß die nämliche Hemmung, welche der Witz bei der ersten Person überwunden hat, gewohnheitsmäßig in sich herstellen können, so daß in ihr, sobald sie den Witz hört, die Bereitschaft zu dieser Hemmung zwangsartig oder automatisch erwacht. Diese Hemmungsbereitschaft, die ich als einen wirklichen Aufwand analog einer Mobilmachung im Armeewesen fassen muß, wird gleichzeitig als überflüssig oder als verspätet erkannt und somit in statu nascendi durch Lachen abgeführt.290 284 Kofmans Rede vom „erkaufen“ (Die lachenden Dritten, 85) ist (nur) durch den Zusatz „reichlich“ zutreffend. 285 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81; auch Freud zit. entsprechende traditionelle Belege, Der Witz, 137f. Bei Fechner findet sich „[b]eiläufig folgende Bemerkung über die Weise, wie der Körper auf den Eindruck des Lächerlichen […] reagiert. Das Lachen besteht in einem ruck- oder stossweisen Ausathmen“ (Vorschule der Aesthetik, 231); das erinnert an Kant, „die Luft [werde] mit schnell einander folgenden Absätzen aus[gestoßen]“, was „eine der Gesundheit zuträgliche Bewegung bewirkt“ (Kritik der Urteilskraft, WW X, 275), und derart alte diätetische Rede vom Lachen. 286 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81. 287 Freud, Der Witz, 140; insofern ist der Vorgang bei der dritten ein anderer als der bei der „ersten Person“. 288 Freud, Der Witz, 136. 289 Freud, Der Witz, 142; von den Wirkungen her wird „erraten“ (139, vgl. 140, 146, 22f.). 290 Freud, Der Witz, 142.

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Die un(ein)stimmigen Metaphern erzeugen eine paradoxale Gleichzeitigkeit von bevor und nachdem, die in keiner chronologischen oder narrativen Zeit aufgeht, in der der (über den Witz entscheidende) Automatismus sich vollzieht: Ein „wirkliche[r] Aufwand“, der mit der im Dritten als „zwangsartig oder automatisch erwach[enden]“ „Hemmungsbereitschaft“, wie Freud mit der Metapher „einer Mobilmachung“ plausibilisieren muss, ‚tatsächlich‘ schon erbracht (?) ist, werde als Besetzungs-Energie (aber) „in statu nascendi“, „gleichzeitig“ „als überflüssig“: bevor (?) dieser Betrag besetzend verwendet worden wäre und ohne dass er verwendet werden wird, „oder als verspätet“: nachdem (?) er schon aufgebracht wurde (aber nicht besetzend verwendet wird, da doch schon gelacht wird), „erkannt und somit[!?]“ dieser „Betrag von psychischer Energie“, „frei geworden[!]“: „in statu nascendi durch Lachen abgeführt“. Kann mit ‚Beträgen‘, die ‚erbracht‘, aber schon anfangs „überflüssig“ und zugleich ‚weg‘ sind, gerechnet und Ökonomie betrieben werden? – Ermöglicht (nur) „ein automatischer Vorgang“ die Abfuhr im Lachen, „entgeht“, so S.  Weber, die „entscheidende Handlung – wodurch er über den Witz entscheidet“, dem „bewußten Wollen“ des Hörers, „über das Lachen kann er nicht verfügen“; das Lachen „ist – auch für den Dritten als ein Ich – ein Lachen des Anderen“ und es „macht“ „den Dritten zum Anderen“, als persona, durch die ‚es lacht‘.291 Der Witz-Vorgang werde erst dadurch, so Freud, „abgeschlossen“ oder ‚vollendet‘292 (wobei ‚Vollendung‘ derart gerade in Frage steht), dass er weitererzählt, gehört wird293 und im Lachen des Anderen zur ersten Person zurückkehrt, der rückwirkend „durch die Vermittlung der eingeschobenen dritten Person“, wenn diese lacht, auch die Möglichkeit zu lachen gegeben werde.294 Die erste Person zieht, indem sie (erzählend) den Hörer mit jener Lust ‚beschenkt‘ (die sie nicht hat, deren ‚Gewinn‘ sie nicht einfährt),295 ihn 291 S. Weber, Freud-Legende, 136f.; vgl. (Baudelaires „De l’essence du rire“ lesend) Pusse, Von Fall zu Fall, 68. 292 Freud, Der Witz, 135f. 293 Nach dem Erraten des „Vorgangs bei der dritten Person“ (aus der „weitgehenden psychischen Übereinstimmung“ mit dem Witzbildner, vgl. Freud, Der Witz, 140): in den „ziemlich gute[r] Einblick“ gewonnen wurde, heißt es umgekehrt: „verspüren wir, daß der entsprechende Vorgang bei der ersten Person uns noch durch ein Dunkel verhüllt wird“ (146). Die beiden leitenden Fragen (135) werden aufgegriffen, um (zwei Seiten vor Ende des Kapitels) „nur vermuten“ zu können, „daß wir darum genötigt sind, unseren Witz dem anderen mitzuteilen, weil wir selbst über ihn nicht zu lachen vermögen“ (146; das nächste Kapitel Freuds führt in die Analogie mit der Traumarbeit, die damit nichts zu tun hat). 294 Ins Lachen der anderen, die mir die „Gewißheit von dem Gelingen der Witzarbeit […] geben“, stimme die erste Person „mit einer gemäßigten Lache ein“ (Freud, Der Witz, 146, vgl. aber 148, im Folgenden). 295 Vgl. Freud, Der Witz, 140f.

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mit versprochenem „Lustgewinn“ verführt, „verlockt“, „besticht“ und „irreführt“,296 diesen ins doppelte Spiel des Witzes, um „durch die Rückwirkung von diesem anderen auf mich“, „unsere Lust [zu] ergänzen“: „Wir lachen so gleichsam par ricochet“.297 Medium der „Rückwirkung“ ist das Lachen (des anderen), eine phatische Mitteilung: es teilt sich mit, so wie ein Ball unkontrollierbar an einem inkalkulablen ‚Gegenstand‘ abprallt,298 als ‚Mitteilung‘, die ansteckt und qua Ansteckung das (in Rechnungen von ersparten und aufgewendeten Beträgen „unmögliche“) Lachen der ersten Person ‚erweckt‘.299 Diene der Witz, „ein an sich doppelzüngiger Schelm“, Freud zufolge, „gleichzeitig zweien Herren“, der ersten Person, der der Witz einfalle, und die ihn erzählt, und der dritten, die der Witz lachen lässt,300 so in von den vermeintlichen „Herren“ undurchschauter und unregierter, in zweifach asymmetri­ scher Weise – wie ein „doppelzüngiger Schelm“ sein Spiel mit „zweien Herren“ treibt.301 Alle Vorkehrungen der Witzarbeit, die zunächst in Hinsicht von ‚Ersparung‘, dann der dieser ‚entsprechenden‘ Aufhebung von Hemmungs- also von Besetzungsenergie302 beschreibbar schienen, seien, so Freud, auf den Lustgewinn eines anderen, des Dritten als Hörer „berechnet“.303 Aber dies 296 Freud, Der Witz, 145, 98, 124ff. 297 Freud, Der Witz, 146; das sei als zweite Funktion des Witzerzählens anzunehmen. Jean Paul redet (pejorativ) vom „Rikotschetschusse“, dem Abpraller oder ‚Drittschaden‘ der Ironie (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 151), der „die zweischneidigen Fragen- und Ausrufungszeichen und Gedankenstriche“ dienen (ebd). 298 Wie ein Ball – das nutzt auch Kant als metaphorisches Modell; allerdings, wenn wir unsere „Idee“ wie diesen „noch eine zeitlang hin- und herschlagen“, statt „ihn zu greifen und festzuhalten“ (Kritik der Urteilskraft, WW X, 274), oder Schleiermacher, demzufolge ein „verwirrendes Gemisch von Uebersezung und Nachbildung […] den Leser wie einen Ball zwischen seiner und der fremden Welt, zwischen des Verfassers und des Uebersetzers Erfindung und Wiz, unbarmherzig hin und herwirft“ („Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“, 67). Mit dem Ball, der geworfen und vom anderen zurückgeworfen werden müsste, modelliert Wittgenstein die Relation von zwei Personen „to have the same sense of humour“ (Culture and Value, zit. nach Critchley, On Humour, 4). Vgl. auch das Sehen von Personen als komische Gummibälle bei Bergson, Das Lachen, 45, und die zwei Bälle in Kafkas „Blumfeld – Konvolut“ (1915). 299 Da Lachen „zu den im hohen Grade ansteckenden Äußerungen psychischer Zustände“ gehört, erreichen „wir das [‚uns‘] unmögliche Lachen auf dem Umweg über den Eindruck der zum Lachen gebrachten Person“ (Freud, Der Witz, 146). 300 Freud, Der Witz, 146; die „zweierlei Tendenzen“ der „Technik des Witzes“, vgl. 145. 301 Wie die Spaßmacher-Figur (die vor allem nachträglich durch Goldonis Il servitore di due patroni bekannt ist), die sich um willen des Gewinns (doppelter Mahlzeiten und Salärs) und des Spasses doppelt/spaltet, Verkleidungen und Verwechslungen in komplizierenden und auch selbst-gefährdenden Verwicklungen (auch) um des Spiels willen ausspielt. 302 Vgl. Freud, Der Witz, 138f. 303 Freud, Der Witz, 146; vgl. Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 449.

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erfolgt doch umgekehrt ‚im Dienste‘ des „psychischen Vorgangs“ beim Ersten, der sich „eigentlich“ des Dritten „bediene“,304 indem er diesen auf dem Umweg des Erzählens in den Vorgang einschiebt. Die Ökonomie dieses Vorgangs kann nicht als die der Ersparnis beim Witzbildner, sei es an sprachlichem Aufwand, so die „Tendenz“ der Techniken des Witzes, oder „an psychischem Aufwand“305 aufgefasst werden. Diese hat sich, mit dem Wort Kofmans, als bloße „Milchmädchenrechnung“ herausgestellt, bzw. als die einer „simple femme“ (Kofman) oder „Hausfrau“ (Freud), die weite Wege in Kauf nehme, um „einige Heller“ an der eingekauften Ware zu sparen.306 „Wird die Ersparnis an geäußerten Worten nicht durch den Aufwand an intellektueller Leistung mehr als aufgehoben?“ – so macht Freud schon früh fraglich, was mit der Witzbildung denn einzusparen sei, und greift fragend vor: „wer macht die Ersparung, wem kommt sie zugute?“;307 die, „die der Witzbildner allein zuwege brächte“, und damit die Lust aus Aufwandersparnis wäre nur „lächerlich“.308 Ist daher der psychische Vorgang angewiesen auf den ‚lachenden Dritten‘, der berücksichtigt werden muss, so ‚kompliziert‘ das den Mechanismus der Witzeslust,309 dessen Ökonomie mit dem Prinzip der Ersparung (schon) identifiziert zu sein schien, derart, dass diese Auffassung sich als nicht mehr haltbar, aber genauer: als schon gar nicht mehr gehaltene, herausstellt. Im „Rückblick“ stellt Freud fest: Von der bisherigen „nächstliegenden, aber auch einfältigen Auffassung dieser Ersparung, es handle sich bei ihr um die Vermeidung von psychischem Aufwand überhaupt, wie ihn die möglichste Einschränkung im Gebrauche von Worten und in der Herstellung von Gedankenzusammenhängen mit sich brächte, sind wir längst abgekommen“.310 Die Revision, die Fraglichkeiten 304 Vgl. Freud, Der Witz, 146. 305 Als Prinzip der Techniken Freud, Der Witz, 43ff., vgl. 35, 78, 90f.; der Tendenzen 110, 112f., mit „Lusteffekte[n]“, 120ff.; bei dessen Verabschiedung, 147; angebl. bei der dritten wie der ersten Person, 126, aber 135ff. 306 Kofman, Die lachenden Dritten, 85. Die schöne Formel ist Effekt der Rückübersetzung von Kofmans ‚Übersetzung‘: „les économies de la ménagère, simple femme déporvue“ (Pourquoi rit-on?, 108), von Freuds Infragestellung, „daß die Ersparungen, welche die Witztechnik macht, uns nicht zu imponieren vermögen. Sie erinnern vielleicht an die Art, wie manche Hausfrauen sparen, wenn sie, um einen entlegenen Markt aufzusuchen, Zeit und Geld für die Fahrt aufwenden, weil dort das Gemüse um einige Heller wohlfeiler zu haben ist.“ (Freud, Der Witz, 45). 307 Freud, Der Witz, 45 (Hvhg. BM); vgl. 141; die ‚Antwort‘ ist die ‚Verteilung‘ auf zwei Personen. 308 Kofman, Die lachenden Dritten, 85, 87. 309 D.i. die „Komplikation der Technik“ „aus der Rücksicht auf die dritte Person“, der der Witz eine möglichst große Lustwirkung „gewährleisten“ müsse (Freud, Der Witz, 145); zur Komplizierung vgl. S. Weber, Freud-Legende, 126f. 310 Freud, Der Witz, 147 (Hvhg. BM).

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voranzeigten, wird erst hier nachgetragen – damit aber dem Text rückwirkend eine argumentative Ungewissheit über ungewiss viele vorangehende Seiten. Sie wird im „Vergleich der psychischen Ökonomie mit einem Geschäftsbetrieb“, den Freud seiner Darstellung „gestattet“ sehen will, als großzügigere Geschäftsführung vorgestellt: Solange in diesem [Geschäftsbetrieb] der Umsatz sehr klein ist, kommt es allerdings darauf an, daß im ganzen wenig verbraucht, die Kosten der Regie aufs äußerste eingeschränkt werden. […] [W]enn sich der Betrieb vergrößert hat, […] liegt nichts mehr daran, zu welcher Höhe sich der Betrag des Aufwandes erhebt, wenn nur Umsatz und Ertrag groß genug gesteigert werden können. Zurückhaltung im Aufwande für den Geschäftsbetrieb wäre kleinlich, ja direkt verlustbringend.311

Zum nicht zu kleinlichen, zum notwendigen größeren „Aufwande für den Geschäftsbetrieb“ des Witzvorgangs gehört die Berücksichtigung des Dritten. „Alles was auf Lustgewinnung abzielt, ist beim Witz auf die dritte Person berechnet“, von der der größere „Ertrag“ für den Ersten zu erwarten ist.312 Das heißt aber, und das ist etwas anderes als Investment: Geschenke müssen gemacht, Bestechungsbeträge an den Dritten ausgereicht werden. Das ‚Geschenk‘, das dem Hörer gemacht wird, soll diesen ‚verpflichten‘, will ihn nicht nur ‚verlocken‘, sondern „durch seinen Lustgewinn“ ‚bestechen‘,313 damit er lachend die Partei des Witzerzählers nehme, d.h. dieser ‚die Lacher auf seine Seite‘ bringe, damit durchs Lachen des anderen „durch die Rückwirkung von diesem anderen auf mich“, „mein eigenes Lachen“ „erweck[t]“ werde.314 In der „Rücksicht auf den Dritten“ (Freud)315 ist, mit Kofman, ein Zug von „Aggressivität“ zu erkennen,316 mit der ich mich seiner „bediene“: Der WitzText muss ‚doppelzüngig‘ irreleiten, auf eine falsche Spur führen, verlocken durchs falsche Versprechen eines ‚guten Witzes‘ und ‚geschenkter‘ Witzeslust, mit dem der Erzähler den Anderen zu ‚bestechen‘ sucht, damit dieser sich im Dienste des Ersten auf das Spiel einläßt.317 Die „wachsame Anwesenheit des 311 Freud, Der Witz, 147; eine Art Vorgriff gibt der „Heinesche[] Vergleich des katholischen Priesters mit einem Angestellten einer Großhandlung und des protestantischen mit einem selbständigen Kleinhändler“ (86, mit Bezug auf 84). 312 Freud, Der Witz, 146, vgl. 126, 167; Mehlman, „How to Read Freud on Jokes“, 449. 313 Freud, Der Witz, 145, vgl. 98, 124ff. 314 Freud, Der Witz, 146, 148. 315 Freud, Der Witz, 167, 146, 126. 316 Kofman, Die lachenden Dritten, 119, 85: „im Bündnis mit dem Dritten“. 317 Sie „wecken“ „bei ihm die Erwartung eines guten Witzes“, „die er aber niemals erfüllt“, so Kofman, Die lachenden Dritten, 119; vgl. die witzähnlichen Produktionen, die nur „den Hörer irreführen und ärgern“ (Freud, Der Witz, 131).

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Dritten“318 muss der Witz berücksichtigen, indem er (wie Freud erst spät explizit vermerkt) „dem Hörer ein Doppelgesicht“ zeigt,319 und sich, wie Kofman formulierte, in einem „besonders kostspieligen Doppelgewand“320 präsentiert, das geeignet ist, diesen abzulenken, um ihn zu „überrumpel[n]“,321 damit er lacht und zum ‚Bundesgenossen‘ geworden ist, oder auch sich ärgert.322 Wie bereits zitiert (Kap. V.1) „dienen“ „Hilfstechniken“, „Kunstgriffe“ wie Rätsel, syllogistische oder komische „Fassaden“, „offenbar der Absicht […], die Aufmerksamkeit des Hörers überhaupt vom Witzvorgang abzuziehen, den letzteren automatisch verlaufen zu lassen“.323 Die bewußte Aufmerksamkeit wird abgelenkt und festgehalten durch „die Erwartung eines guten Witzes“, die eines Sinns des unsinnigen Ausdrucks,324 „so daß sich [beim Hörer] unterdes die Befreiung der Hemmungsbesetzung und deren Abfuhr ungestört“ durch die „Aufmerksamkeitsbesetzung“ „vollziehen kann“,325 die die frei gewordenen Besetzungsenergien überwachen und „das hier Ersparte an anderer Stelle [etwa im ‚Verstehen‘] zur Verwendung“ brächte.326 Freud zufolge: „Während wir nachzudenken beginnen, worin wohl diese Antwort gefehlt haben mag, lachen wir bereits; unsere Aufmerksamkeit ist überrumpelt worden, die Abfuhr der frei gewordenen Hemmungsbesetzung ist vollzogen“.327 Die „Überrumpelung“ der bewußten Aufmerksamkeit328 ermöglicht das Lachen ‚beim Hörer‘, die Witz-„entscheidende Handlung“, über die der Hörer nicht verfügt. 318 Kofman, Die lachenden Dritten, 100. 319 Freud, Der Witz, 199, das verfolgt er mit Unsinnswitzen oder witzähnlichen Produktionen, die den Hörer ärgern (131, vgl. Kap. V.3). Zunächst ist die „janusartige Doppelgesichtigkeit des Witzes“ Freuds Schema des Vorgangs bei der ersten Person, für des Witzes Agieren gegenüber der wachen „kritische[n] Vernünftigkeit“ (145f.). 320 Kofman, Die lachenden Dritten, 88f. 321 Freud, Der Witz, 143, 145. 322 Das ist die Tendenz der witzähnlichen Produktionen (Freud, Der Witz, 199, 131), vgl. Kap. V.3. 323 Freud, Der Witz, 142. 324 Kofman, Die lachenden Dritten, 119; vgl. S. Weber, Freud-Legende, 137f. 325 Freud, Der Witz, 143; es handle sich darum, „die Mehrbesetzung der Aufmerksamkeit von dem psychischen Vorgang beim Anhören des Witzes fernzuhalten“ (142), „den Witzvorgang von der Aufmerksamkeit zu befreien“ (143); das ermögliche die automatische „Herstellung der freien Abfuhr“ der ‚entsetzten‘ Energie im Lachen. 326 Freud, Der Witz, 142f.; „Laughing is instead of comprehending“ (zit. Rinck, Risiko und Idiotie, 236f.); vgl. auch die von Freud angeführten philosophischen Formulierungen zum Lachen (137f.). 327 Freud, Der Witz, 143. 328 Es geht nicht nur um „Überraschung“ (von der die Ästhetiken des Komischen sprechen, vgl. Der Witz, 58, 16f.), sondern (auch wo Freud diese nennt) um „Überrumpelung“ (145). Das „Überraschungselement“, ohne das „kein Witz gelingt“, ist, so auch Zupančič, Ablenkung; wir werden ‚weggeführt‘ „von der eigentlichen Richtung, aus der der Schlag

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Freuds janusköpfiger Witz Etwas ist vorgegangen, vorgefallen und ‚während wir nachzudenken beginnen, lachen wir bereits‘. […] was unterdes geschehen ist, ist gerade der Ausbruch des Lachens. Und da wir gerade im entscheidenden Augenblick anderswo gewesen sind, gibt es keine Gewähr, daß dieser Ausbruch nicht […] gewaltsam und unstatthaft vorgefallen ist.329

Noch einmal sei, mit S.  Weber, akzentuiert: „[D]as Lachen, das den Dritten zum Anderen macht“, „ist – auch für den Dritten als ein Ich – ein Lachen des Anderen“, durch den ‚es lacht‘.330– Das „Präsens“ des „lachen wir bereits“ in dem zitierten Satz Freuds „bezeichnet“, so S. Weber, „das Unvorstellbare eines Vorgangs, der seine eigene Zeit hat“, die „Zeit des unterdes“331 (in der ‚automatisch‘ die ‚freie Abfuhr‘ der aus den Bindungen an Vorstellungen ‚entsetzten Energie‘ sich ereignet). Sind beim Witzvorgang „bewußte Absichten und willkürliches Handeln […] nicht […] ausgeschlossen“, sondern, so S.  Weber, „auf eine sehr eigentümliche Weise“ „durchaus präsent“: „Sie werden […] ‚ferngehalten, weit weg‘ von dem, was eigentlich im Witz ‚vorgeht‘“,332 so impliziert das, so S. Weber, „eine Aufmerksamkeit, die sich ablenken läßt“, eine „wißbegierige“.333 Das Ereignen des Witzes also ist für das Bewußtsein gerade nicht sichtbar. […] Im Witz geht etwas vor, wovon wir nichts wissen dürfen. Dieses Nichtwissen verlangt nicht, daß man überhaupt nichts weiß, sondern, daß man etwas anderes weiß, daß man an einen anderen Ort versetzt wird.334

Nichtwissen als ‚Form eines (wißbegierig abgelenkten) Wissens‘, das wird nicht ohne Konsequenzen für das theoretische Wissen vom Witzvorgang sein (die in Kap. V.3 reflektiert werden). „[B]ediene ich [die erste Person] mich seiner eigentlich“, indem der andere „überrumpelt“ zum Lachen gebracht wird, ‚an meiner Stelle‘ lacht, , so kommt“ (Der Geist der Komödie, 152/The Odd One In, 132f.); es hängt (anders Freud) gar nicht an „Neuheit“, sondern ‚wir‘ „können überrascht sein von etwas, das wir sehr gut kennen, sogar erwarten“ (Zupančič, 212). 329 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86. Das Wort „plötzlich“, das Reik in Freuds Theorie noch einzufügen für notwendig hält (Lust und Leid im Witz, 106f.), fällt bei Freud u.a. mit dem „plötzliche[n] Ausbruch des Gelächters“ (Der Witz, 92), der „plötzlich überflüssig geworden[en]“ Energie (140), dem „plötzlich“ einfallenden Witz (157). 330 S. Weber, Freud-Legende, 136f.; wörtlich: „Es lacht“ (137). 331 Es ist das „Präsens“, in dem sich ‚präsentiert‘, was „unsrer Geistesgegenwart entzogen“ ist (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 85f.). 332 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 84, 82f. 333 S. Weber, Freud-Legende, 138, vgl. 137f., und Freud, Der Witz, 143. 334 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86.

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„eigentlich“ „um“ „durch die Rückwirkung von diesem anderen auf mich“ „mein eigenes Lachen“ zu erreichen.335 Die „Rückwirkung“ geschieht im Medium des Lachens, in das der Witzvorgang ‚beim Hörer‘ „automatisch“ wechselt, Medium der „Entscheidung“, über die dieser nicht verfügt, im Lachen, das nichts bedeutet, selbst wenn ‚über‘ etwas gelacht zu werden scheint, das phatisch sich mitteilt, das ansteckt. Im Lachen äußert sich gar nicht (mehr bloß) eine bestimmte Lust aus einer „lokalisierte[n] Ersparung“ aus einer bestimmten aufgehobenen Hemmungsbesetzung, an ‚psychischem Aufwand‘. Sondern im „explosiven“ oder „explosionsartigen“ Lachen, auf das es Freud explizit ankommt,336 ist jede Begrenzung einer Wirkung excediert, die nachträglich den Witz zum Witz gemacht haben wird. Als Lachen ist die Erwi(e)derung des Dritten anderes als eine Rückerstattung, vielmehr eine Wider-Gabe, die die Logik des Tauschs aussetzt und excediert,337 indem sie „par ricochet“ ‚mein Lachen‘ ermöglicht. ‚Rechnungen‘ auf bestimmten Lustgewinn, wie der Ersparnis, so von summierbaren Beträgen, sind derart suspendiert. Was der „Vorgang bei der ersten Person“ „durch die Vermittlung der eingeschobenen dritten Person“ „durch die Abfuhr erzielt hat“, sei, so der bemerkenswert diffuse Schluß des Kapitels „Der Witz als sozialer Vorgang“, „wieder“ „eine allgemeine Erleichterung“: Wenn die „anderweitige Verfügung vermieden werden kann“ (d.h. doch, wenn gelacht wird), „wandelt sich spezielle Ersparung wieder in eine allgemeine Erleichterung des psychischen Aufwandes um“.338 Zu erinnern ist die Erleichterung, als die die Albernheit der Kinder oder eine „heitere Stimmung“ wirkt, die der Witz doch ersetzen sollte.339 (Gilt nicht in vergleichbarer Weise 335 Freud, Der Witz, 148, vgl. 146. 336 Freud, Der Witz, 79, 137, 92. 337 Mauss erzählt von einem Potlatsch, bei dem der „Stamm, dem es gelingt, den anderen Stamm zum Lachen zu bringen, […] von diesem alles verlangen [darf], was er will“ („Die Gabe“, 31). 338 Freud, Der Witz, 148: „Eine lokalisierte Ersparung […] wird nicht verfehlen, uns momentane Lust zu bereiten, aber eine dauernde Erleichterung wird durch sie nicht herbeigeführt […]. Erst wenn diese anderweitige Verfügung [des Ersparten] vermieden werden kann, wandelt sich […]“, dann: „So tritt für uns mit besserer Einsicht in die psychischen Vorgänge des Witzes das Moment der Erleichterung an die Stelle der Ersparung.“ (ebd.) 339 Als „Erleichterung“, die in einer gewissen Konkurrenz zur Ersparung, „die hemmenden Kräfte, die Kritik unter ihnen, herabsetzt“ (Freud, Der Witz, 118f., 121), wirke, so hieß es, die Albernheit oder toxisch induzierte „heitere Stimmung“ (120f.), die als nur zuweilen mögliche der Witz ersetzen solle (122). Sie werde aber auch „aufgezwungen“, indem „der Witz uns zum Lachen gebracht“ und „übrigens die für die Kritik ungünstigste Disposition hergestellt“ hat (125). Fortwährend nimmt Freud eine in „heitere[r] Stimmung“ „allzeit lauernde Absicht, den Wortlustgewinn“ zu „erneuern“, wie eine „stets lauernde Tendenz, den ursprünglichen Lustgewinn des Witzes zu erneuern“, an, die „erleichtern“: „herabziehen“ ins Unbewußte (165ff., 158f.).

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der Traum auch letztlich nicht bestimmten Traumgedanken oder der Erfüllung von bestimmten Wünschen, sondern erfüllt vor allem den „Wunsch zu schlafen“?340) „[E]rzielt“ der „Vorgang bei der ersten Person“ eine a-lokale unbestimmte „allgemeine Erleichterung durch die Abfuhr“, so sind damit alle ökonomischen Kalküle ausgesetzt,341 über zu wenig und zu viel Ertrag ist gar nicht zu entscheiden. Die Ökonomie des Witzes ist Anökonomie. Der „Witz als verbale Struktur“ „unterhält“, so S. Weber, eine „Beziehung“, „zu dem Bruch […], den das konvulsivische Lachen mit der diskursiven Sprache vollzieht“,342 denn der Witzvorgang ermöglicht ‚beim Hörer‘, wenn er glückt, den Medien-Wechsel von der „diskursiven Sprache“ zum Lachen. Es handelt sich bei diesem Bruch (anders als zunächst angenommen werden mag) nicht nur um den zwischen Sprache und erschütterten Körpern. Im Witzvorgang ist die „Bindung psychischer Energien an Vorstellungen“ aufgehoben, jede bestimmte Vorstellung von etwas als bestimmende „Besetzung“ von psychischen Energien,343 ja die Möglichkeit, überhaupt „dauerhafte und stabile Besetzungen – d.h. Vorstellungen – zu bilden und zu behalten“, „und damit das ‚vorstellende Denken‘ selbst“ suspendiert.344 – Das äußert sich im Lachen. Durchquert nicht ein solcher „Bruch“ mit der „diskursiven Sprache“ unaufhörlich, potentiell überall auch die Sprache? Die „Entstellung des Witzes durch das […] Lachen“, als die S.  Weber die anamorphe Entstaltung des Gesichts durchs Lachen345 verschiebend erinnert, hat ihr Pendant an der Sprache. Maurice Blanchot zufolge begegnet jedes Wort als „Ungeheuer mit zwei Gesichtern“, seiner „Bedeutung, die ideale Absenz ist“, und seiner

340 Freud, Die Traumdeutung (1900), 546ff.; ders. Der Witz, 154, 150f., 168. 341 Freud spricht von „Ruhe“, zu der der „Vorgang bei der ersten Person des Witzes“ „nun nicht eher zu kommen [scheint], als bis er durch die Vermittlung der eingeschobenen dritten Person die allgemeine Erleichterung durch die Abfuhr erzielt hat.“ (Der Witz, 148). Aber würde er dann nicht gerade albern fortwitzeln? (vgl. 165ff.). 342 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81, vgl. 86. 343 Freud, Der Witz, 138; die „Besetzung“ von „psychischen Wegen“ (138), „wie man eine Festung besetzt“, so S.  Weber, „kann immer ‚entsetzt‘ werden. Genau dies geschieht beim Lachen: Gewisse ‚psychische Wege‘ werden entsetzt, und die damit freigestellte Besetzungsenergie wird als Lachen abgeführt“ (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 82). 344 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 82; denn es wird auch „die hemmende Gegenkraft“, „die ‚wesentliche Bedingung‘ jeder (bestimmten) Besetzung überhaupt und damit das ‚vorstellende Denken‘ selbst“, aufgehoben (83). 345 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81. Vgl. Baudelaire, „Vom Wesen des Lachens im Allgemeinen“, 287, 290f./„De l’essence de rire“, 528, 530f.; vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 17f. 20f., 11ff.; Bergson spricht von der komischen „Verzerrung“, die „einen Mund“ „spalte[t], ein Kinn zurückversetzt“ (Das Lachen, 26); vgl. das Nicht-Gesicht bei Bachtin/Lachmann, s. Kap. IV.1.

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„Realität, die materielle Präsenz ist“,346 als monströse Heterogenität und ungeheure Kluft, die sich in der Sprache je wieder öffnet, und zwar als die unauflösbare Ungewissheit: ob sie ausdrückt oder ob sie repräsentiert, ob sie ein Ding ist oder ob sie es bedeutet, ob sie da ist, um vergessen zu werden, oder ob sie sich nur vergessen läßt, damit kein Blick auf sie fällt, ob sie wegen der Bedeutungslosigkeit dessen, was sie sagt, so durchsichtig ist, oder ob die Klarheit sich der Genauigkeit verdankt, mit der sie es sagt, ob sie dunkel bleibt, weil sie zuviel sagt, oder undurchsichtig ist, weil sie nichts sagt.347

Die Sprache erzeugt in verschiebend dissoziierenden Iterationen Bedeu­ tungen, die zu keiner Identität mit sich gelangen, vielmehr suspendiert sind an die unkalkulierbare, unbegrenzbare Iterabilität jederzeit und überall,348 die sie zurück- und weiter- anderswohin verweist. Auch mit den Worten Freuds ist (auch) mehr und anderes gesagt als (vielleicht) gemeint ist; wird „unsere Aufmerksamkeit […] durch den Witz nicht einfach überwältigt, sondern ‚überrumpelt‘“, so liest S.  Weber: „Die Sprache des Witzes“ „bedeutet nicht nur, sie rumpelt und rumort“.349 Die iterierbaren Zeichen, die Wörter, auch des theoretischen Textes, zeigen sich (auch) sinnfern, können und werden unvorhersehbar (in sich) den „Bruch mit der diskursiven Sprache“ geschehen lassen, wie der Witz im/als Spiel mit den Wörtern. „[D]ie Iterabilität läßt zwar Bedeutung und Sinn entstehen, doch darin [so S. Weber] geht sie nie auf. Was darin nicht aufgeht, verhallt als Lachen“.350 Am Lachen zeigt sich die Un346 Blanchot zufolge ist die Literatur „langage qui se fait ambiguļté“, wobei auch die geläufige Sprache keineswegs sagt, was sie sage: „on ne parle qu’en faisant du mot un monstre à deux faces, réalité qui est présence materielle et sens qui est absence ideale. Mais la langue courante limite l’équivoque.“ („La littérature et le droit à la mort“, 328; vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 67). „Die Mehrdeutigkeit liegt dabei mit sich selbst im Widerstreit. Nicht nur kann jeder Moment der Sprache mehrdeutig werden und etwas anderes besagen, als er sagt; der Sinn der Sprache schlechthin ist ungewiß“ (Blanchot, „Die Literatur und das Recht auf den Tod“, 48). 347 Blanchot, „Die Literatur und das Recht auf den Tod“, 48. 348 Das spielt der Wort-Witz im Doppelsinn aus (Freud, Der Witz, 35, 53ff. 113f.), wo rückwirkend ein ‚Sinn‘ der vorangehenden Signifikanten eingesetzt wird, der sie neu liest (vgl. Zupančič, The Odd One In, 133), und sich je schon (und wieder) ‚ver-‘ und ‚entstellt‘. 349 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86; ein Rumpel- oder Poltereffekt fand sich auch bei Jean Paul: in der ‚Feier‘ des Polterabends aller (SW, I.5, 202); vgl. Kap. III.1. 350 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89. Der Sinneffekt „is strictly dependent on […] the corporeal dimension of the signifier existing, in the case of jokes, in the form of laughter“, so Zupančič (The Odd One In, 145); aber ‚existiert‘ Lachen? und in einer „form“? Lalangue (mit Lacans Neologismus) „lallt“, das ist „ihre Möglichkeit“: „Im Moment, wo gesprochen wird, schreibt Freud, könne das, was gesagt werde, schon nicht mehr dasselbe sein“

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einholbarkeit des unabsehbar auf sich zurückkommenden und woandershin führenden sprachlichen Geschehens. ‚Gelingt‘ der Witzvorgang, so nicht, indem er ‚abgeschlossen‘ wäre durch ein resultathaftes ‚etwas‘, das ihn einlöste und in sich schlösse, sondern er excediert (das Geäußerte) im Gelächter, das entgrenzt, delokalisiert. Die Anökonomie des Witzes setzt die Kalküle über die Verausgabungen aus. So fügt sich der Witzvorgang auch nicht einer Auffassung in terms von (Austin’scher) Performanz, die auf Feststellbarkeit des Glückens als etwas setzt. Im Witzvorgang aber ist die geregelte Bezogenheit von force und Resultat, die John L. Austin für den Sprech-Akt etablieren will,351 aufgekündigt. Das Glücken des Witzes hintergeht, so Shoshana Felman, die Unterscheidungen von Norm oder Abnorm wie von ‚im Ernst‘ oder Unernst, die Austins Unterscheidung zwischen Gelingen und Misslingen regieren sollen:352 Es kann immer etwas anderes ‚gelungen‘ sein, „wonach wir überhaupt nicht gefragt hatten“, an einer anderen Stelle.353 Gerade daher taugt der Witz aber, so Felman, als Paradigma des performative, in dem die „‚force d’énonciation’ […] est constament en excès sur le sens de l’énoncé théorique,354 denn Witze kündigen die Bindung des glückenden performative an dessen konstatierend feststellbaren Abschluß „explosionsartig“ auf: „l’acte de faire éclater – de rire – devient une performance explosive“.355 Lachen, Freud zufolge „Ergebnis eines automatischen Vorgangs“,356 ist Vorfall, ein „explosives“ Ereignis, das Eingrenzungen und Bestimmbarkeiten (eines Resultats) draufgehen lässt; es wäre ein ‚reines‘ Ereignis, das es als solches (Tscholl, Krumme Geschäfte, 135); lalangue wird geschrieben, berücksichtigt, dass „geschrieben wurde“ (136), und excediert, was das Wesen, das schreibt, geäußert haben wollte. 351 Vgl. Austin, How to Do Things with Words, 14-19 (lect. II) (u.ö.). 352 Vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 206; vgl. 213; Austin, How to Do Things with Words, 21-24 (u.ö.). Es kann derart, nicht entschieden werden, ob es sich um ein performative handelt, und nicht um welches. 353 In der Komödie „bekommen wir […] nicht das, wonach wir gefragt haben, obendrein (und stattdessen) bekommen wir etwas, wonach wir überhaupt nicht gefragt hatten“ – und woanders (Zupančič, Der Geist der Komödie, 151); die „Pointe des Witzes“ überrascht uns „irgendwo anders“ als dort, „wo wir mit ihr rechnen“ (152f.). Das gilt für die Sprache, nach Blanchot, Derrida, u.a. 354 Felman, Le scandale du corps parlant, 160. 355 Felman, Le scandale du corps parlant, 171, vgl. 174; Freud, Der Witz, 79, 97, 144, 137, 125; so formuliert auch der von Freud zitierte Mélinand: „le rire éclate“, „nous éclatons de rire“, „nous ne comprenons pas“ („Pourquoi rit-on?“, 626f.); Pusse dgg. fasst das Lachen hinsichtlich dessen, was es „macht“: „eher“ als „performative Kraft“ (Von Fall zu Fall, 22, vgl. 22-27). 356 Freud, Der Witz, 144; der „durch die Fernhaltung unser bewußten Aufmerksamkeit ermöglicht wurde“.

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(ohne Wiederholung, die es zu ‚etwas‘ macht und löscht) ‚nicht gibt‘,357 oder dessen Wiederholungen ‚verhallen‘. Die „freie Abfuhr“ von „aus der Bindung an Vorstellungen“ ‚entsetzter‘ Energie ist unverträglich mit jeder Möglichkeit „Vorstellungen [] zu bilden und zu behalten“.358 Das Geschehen im „Präsens“, „lachen wir bereits“: „unterdes“, durchkreuzt jede Selbst-Präsenz, in der sich ein Herr über das Geschehen behaupten könnte, die das Ereignis „amortisiert, suspendiert“;359 es fällt vor, indem es ‚überrumpelt‘. V.3

Lachen und Nichtwissen. Witz – Theorie

„Freud zufolge“ hängt, so akzentuiert S.  Weber, „der Witz strukturell von einem Faktor ab, der jeder wissenschaftlichen Objektivierung oder Kontrolle prinzipiell zuwiderläuft: dem Lachen“,360 was nicht gut ohne Konsequenzen bleiben kann für die ‚wissenschaftliche Erkenntnis‘ vom Witz. Wenn gelacht wird, dann ist die Möglichkeit überhaupt „dauerhafte und stabile Besetzungen – d.h. Vorstellungen – zu bilden und zu behalten“,361 jedes etwas, das ausgesagt werden könnte, ausgesetzt. Zugleich ist die Sprache in ihrer Dimension des Performativen betroffen, kündigt das Lachen, das als seine Wirkung den Witz zum Witz macht, die Entscheidung über dessen Gelingen auf. Das Glücken des Witzes mag vom ‚guten Sinn‘ abhängen, der einen ‚guten Witz‘ ausmache, der ab und an substantiell gegründet scheint,362 aber dieser ist allenfalls das versprochene eine ‚Gesicht des Witzes‘, dessen Versprechen das bewußte ‚ich‘ ablenkt und fernhält, um es zu überrumpeln, um „unterdes“ den automatischen Vorgang anderswo sich vollziehen zu lassen; er wird allenfalls das sein, womit das Bewußtsein, das ‚zu spät‘ von diesem anderen Geschehen, das vorfällt, überrascht sein wird, sich 357 Das Ereignis würde erst nachträglich: aber feststellend zu einem bestimmten, zu etwas, zu einem performative; das performative müßte Ereignis sein, aber „überall dort, wo es Performatives gibt, das heißt im strengen und Austinschen Sinne des Wortes die Herrschaft […] eines durch Konventionen garantierten und legitimierten ‚ich kann‘, [wäre] auch jede reine Ereignishaftigkeit neutralisiert, amortisiert, suspendiert“ (Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122; zur „paradoxen Antinomie“ von Ereignis und performative, vgl. 82ff., 88f.); s.o. in Kap. IV.1, sowie Kap. I. 358 Vgl. Freud, Der Witz, 138; S.  Weber akzentuiert den Widerstreit von Energie und Vorstellung (die diese stets binden, besetzen müßte) („Die Zeit des Lachens“, 82), der dem von Ereignis und dem Performativen entspricht. 359 Derrida, „Das Schreibmaschinenband“, 122; vgl. ders., „Kraft und Bedeutung“, 50, 47ff. 360 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80. 361 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 82, nach Freud, Der Witz, 138. 362 Z.B. Freud, Der Witz, 113f.

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nachträglich ‚bestätigt‘, dieses habe doch einen ‚guten Sinn‘, sei ein ‚guter Witz‘ gewesen. Der Witz irritiert derart auch das Freudsche Modell, demzufolge die ‚Bildungen des Unbewußten‘ (allein) nachträglich durch ihre Wirkungen ‚bestimmt‘ sind,363 weil das Lachen, das den Witz nachträglich zum Witz gemacht haben wird, die Begrenz- und Bestimmbarkeit einer Wirkung, wie die Austin zufolge im glückenden performative geregelte Bezogenheit von force und deren Resultat, „explosionsartig“ aufkündigt.364 Der Witz, der das Geschehen „unterdes“ ermöglichen muss, das als Lachen ‚vorfällt‘, zu dem das bewußte ‚ich‘ stets nur ‚zu spät‘ dazukommt, das vom ‚eigentlichen Vorgang‘ ‚systematisch‘ nicht (oder was anderes) weiß, sich dessen allenfalls nachträglich zu vergewissern sucht, macht fraglich, wie theoretisches Wissen sich zu ihm verhalten kann.365 Wie kann es Theorie und Theorie des Witzes sein?366 Für Freuds Theorie hat, wie im Voranstehenden gelesen wurde, die Janusköpfigkeit des Witzes die spezifische Bedeutung, dass sie die theoretische ‚Lösung‘ abgäbe, mit der der (Freud zufolge) ‚vorauszusetzende‘, den Vorgängern in Bruchstücke zerfallene, ‚Zusammenhang‘ gewonnen wäre, weil sie die ganz verschiedenen Orte angibt, die der Witz mit seinem Sinn und seinem Nichtsinn adressiert.367 Die Janusgesichtigkeit gibt, wie zu lesen war, das Schema für komplex (ineinander) verschränkte Vorgänge, die das „merkwürdige Zeitmoment“ des Witzes (S. Weber) ausmachen, die nicht selbst-präsent oder ‚zu spät‘ zu haben sind. Die Relation der zwei Gesichter des Januskopfes wird mit den eigentümlich nachgetragenen „Unsinnswitzen“ in spezifischer Weise fragwürdig, die „in der Darstellung“, so Freud, „nicht zu ihrem vollen Recht gelangt“, eine „nachrägliche Berücksichtigung“ in paratextuellen Supplementen, in Zusätzen unterhalb des Textes368 und im letzten dem Verhältnis des Witzes zum Komischen gewidmeten Kapitel (war da nicht „unser Interese am Witz 363 Vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 80f.; Freud, Der Witz, 152, 142, 139, 146, 126f. 364 Vgl. Felman, Le scandale du corps parlant, 206, vgl. 213, 171, 174; mit Freud, Der Witz, 79, 137, 92, 97, 144, 125. 365 S. Weber akzentuiert: „Am Lachen zeigt es sich, daß der Witz […] sich nicht rein als Gebilde beschreiben noch gar als Stoff beherrschen lässt.“ (Freud-Legende, 172); demnach kann sich die Ökonomie der Theorie nicht der des Witzes ‚bemächtigen‘ (vgl. Strowick, „Lach’s mit Mayonnaise“, 17). 366 „Will diese nicht als schlechter Witz verurteilt werden, so muß sie und nicht der Witz, das letzte Wort behalten“ (S. Weber, Freud-Legende, 112ff.); vgl. Schuller, Kofman u.a. im Folgenden. 367 Alle bereits alludierten Aspekte: Gesichter, faces, Seiten, Ansichten, Angesichte, … seien noch mal erinnert. 368 Freud, Der Witz, 130f.; bemerkenswert ist der (Nicht-)Ort: Fußnoten zum letzten Satz von Freuds Kapitel „Der Lustmechanismus und die Psychogenese des Witzes“; 1912 sind nochmals die „witzähnlichen Produktionen“ nachgetragen (130f.); vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 23, 25; S. Weber, Freud-Legende, 139-42.

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strenggenommen erledigt“?)369 finden. Mit ihnen wird noch mal das „Doppelgesicht“ ‚erinnert‘, nun das, das „der Witz dem Hörer zeigt“ und „ihn zu zwei verschiedenen Auffassungen zwingt“, so dass, wie noch zu lesen ist, auch die der Theorie modelliert werden: Bei den Unsinnswitzen […] lautet die eine Auffassung, die nur den Wortlaut berücksichtigt, er sei ein Unsinn; die andere, die den Andeutungen folgend beim Hörer den Weg durch das Unbewußte zurücklegt, findet den ausgezeichneten Sinn. Bei den witzähnlichen Produktionen […] ist das eine der Angesichte des Witzes leer, wie verkümmert; ein Januskopf, aber nur ein Angesicht ausgebildet.370

Der „Januskopf“ wird demnach gerade für jene Fälle noch einmal aufgerufen, wo dessen eines „Angesicht“ „leer“ ist. Bei Witzen hat man es immer mit „zwei verschiedenen Auffassungen“ zu tun, auch dann, wenn „man […] auf nichts [gerät], wenn man sich von der Technik ins Unbewußte verlocken läßt“, wenn man dort keine Verbindung findet, die „einen neuen Sinn ergeben“ würde, sondern jede im „Versuch der Analyse“ „gänzlich auseinander“ falle.371 Für „diese ‚Witze‘“, „verkümmerte Witze“, „schlechte“ oder gar keine Witze, ist „nur die eine Auffassung als Unsinn übrig“;372 dieser „Unsinn“ ist nur durch die (und sei es) „unzulängliche Anlehnung an den Witz“, als defizitärer „Januskopf“ „komisch“ – und witzig durch seine Tendenz, den Hörer zu ärgern (indem er „irreführend“ an der „Erwartung“ eines Witzes ‚parasitiert‘).373 Obwohl Freud in den die Unsinnswitze hinzufügenden Randtexten von der Versuchung spricht, „zu fordern, daß jeder Witz ein Unsinnswitz sein müßte“, hält er dagegen,374 ‚eigentlich‘ sei kein Witz ein Unsinnswitz, sondern entweder das eine, 369 Freud, Der Witz, 167: mit der „hypothetisch gebliebenen Aufklärung der Witzarbeit bei der ersten Person“. 370 Freud, Der Witz, 199f., nochmals 218; vgl „la double face“, Mélinand, „Pourquoi rit-on?“, 626f. 371 Freud, Der Witz, 200. 372 Wir nennen sie „überhaupt nicht Witze“ (Freud, Der Witz, 200, vgl. 55ff.); wo das „Spiel oder dieser Unsinn“ nicht „gleichzeitig […] sinnreich (Witz) erscheinen kann“, wird es eben „als ‚Unsinn‘ verworfen“ (124, zum Sprachgebrauch von „schlechte Witze“, vgl. 114). 373 Die „extremen Beispiele“ „erwecken“ „die Erwartung des Witzes […], so daß man hinter dem Unsinn den verborgenen Sinn zu finden sich bemüht. Man findet aber keinen, sie sind wirklich Unsinn. Unter jener Vorspiegelung ist es für einen Augenblick ermöglicht geworden [!], die Lust am Unsinn frei zu machen. Diese Witze sind nicht ganz ohne Tendenz; es sind ‚Aufsitzer‘, sie bereiten dem Erzähler eine gewisse Lust, indem sie den Hörer irreführen und ärgern“ (Freud, Der Witz, 131); zum „‚Aufsitzer‘“ vgl. S. Weber, FreudLegende, 141f., 172. 374 Freuds Gegenhalt an dieser Stelle ist wenig überzeugend: „nur das Spiel mit Gedanken [führe] unvermeidlich zum Unsinn“, das „Spiel mit Worten“ mache „diesen Eindruck nur gelegentlich“ (Der Witz, 131); an anderen Stellen schreibt er vom „Unsinn“ der Sprache (124, 160, 164).

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ein Witz, oder das andere, ‚bloß Unsinn‘.375 Dennoch stellen sie das Vorgehen aller Witze vor, weil jeder Witz den Hörer, ‚während‘ er damit beschäftigt ist, über das Rätsel des ‚Unsinnigen‘, in dem ein verborgener Sinn erwartet wird, ‚nachzudenken zu beginnen‘, „bereits“ lachen gemacht hat, so dass er, überrumpelt, im Lachen ‚zu spät‘ aufs Vorfallen eines Vorgangs anderswo, trifft, von dem er nichts weiß; allenfalls nachträglich mag er sich dazu ins Benehmen setzen. Die „witzähnlichen Produktionen“ seien „‚Aufsitzer‘“, „wirken, dadurch, daß sie die Erwartung des Witzes erwecken, so daß man hinter dem Unsinn den verbogenen Sinn zu finden sich bemüht“, aber „sie sind wirklich Unsinn“, werden den Hörer „ärgern“,376 da sie auch den verspäteten ‚Befund‘ versagen, es habe sich doch um einen ‚guten Sinn‘ gehandelt. Die „zwei verschiedenen Auffassungen“, zu denen der Witz „den Hörer“ „zwingt“, das seien: einerseits (im Wortlaut) ‚bloß Unsinn‘ und andererseits der „ausgezeichnete[] Sinn“, der „den Andeutungen folgend beim Hörer den Weg durch das Unbewußte zurückleg[end]“ gefunden werde.377 Aber „findet“ die ‚Sinn-Suche‘, auf die Hörer vom vernommenen ‚Unsinn‘ sich (ver)führen lassen, „Sinn“ nicht (allenfalls) nachträglich als Deckung der anderen Vorgänge andernorts, die ‚uns‘ als ‚bewußten ichs‘, kein Gesicht oder nur das zweite des Sinns, den sie ‚erzeugen‘, der ihnen ‚aufsitzt‘, zeigt?378 Die eine ‚Ansicht‘ der „Wege durch das Unbewußte“, ‚im Unbewußten‘ leicht und leichtfertig sich einstellende Verkettungen und Gegenlesungen der Worte und Signifikanten,379 ist nicht-gesichtig, während die zweite, ihr ‚Gesicht‘ eines ‚guten Sinns‘ (nur) dazu dient, diese Vorgänge die kritische Instanz passieren zu lassen.380 „[D]er Unsinn im Witz [ist] Selbstzweck“.381

375 Freud, Der Witz, 200, 124, 114, 55ff., 161. 376 Freud, Der Witz, 131. Die ‚Irreführung des Hörers‘ macht die „Aggressivität [des Witzes oder des Witzerzählers] diesem [Dritten] gegenüber“ überhaupt aus (Kofmann, Die lachenden Dritten, 119; vgl. 113). 377 Freud, Der Witz, 199f. 378 Zu der Metapher des ‚Aufsitzens‘, vgl. Lacan, Die Objektbeziehung, 348; Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 22f.; S. Weber, Freud-Legende, 172; vgl. das Folgende. 379 Freud, Der Witz, 158f. 380 So erinnert Freud: „Es war dem Witz [im Verhältnis zur Kritik] gelungen, sich die Form eines bedeutungslosen, aber immerhin zulässigen Satzes zu erschleichen, das andere Mal sich im Ausdruck eines wertvollen Gedankens einzuschmuggeln; im Grenzfalle […] aber hatte er auf die Befriedigung der Kritik verzichtet und war, trotzend auf die Lustquellen, über die er verfügte, als barer Unsinn vor ihr erschienen, […] weil er darauf rechnen konnte, daß der Hörer die Verunstaltung seines Ausdrucks durch die unbewußte Bearbeitung redressieren und ihm so seinen Sinn wiedergeben würde.“ (Der Witz, 190). 381 Freud, Der Witz, 164; vgl. 124; vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 16, 24.

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Die Rede vom „ausgezeichneten Sinn“, der „den Andeutungen folgend beim Hörer den Weg durch das Unbewußte zurückleg[end]“ gefunden werde, scheint vorrangig auf Freuds Theorie (selbst) zu zielen. Der die „beiden Auffassungen“ von Witz, Unsinnswitz und ‚witzähnlichen Produktionen‘ ausprägende Januskopf hält dann her als Allegorie des Verhältnisses zu den konkurrierenden Ästhetiken des Komischen:382 Die Janusgesichtigkeit des „vollkommenen Witzes“ modellierte demnach die ‚eigene‘ Witz-Theorie als jene „Auffassung“, die „den im Witze enthaltenen Andeutungen folgend, den Weg des Gedankens durch das Unbewußten nach[macht]“383 und den „ausgezeichnete Sinn“ finde,384 während die andere „dieser beiden Auffassungen“, außen, vor der komischen Fassade verbleibt, an der des bloßen komischen Unsinns hängen bleibt,385 und „den Witz wie einen sonstigen aus dem Vorbewußten bewußt gewordenen Wortlaut[, als Komisches] vor[stellt]“.386 Dabei wird mit der Metaphorik von „Oberfläche“ und implizierter ‚Tiefe‘, in der der „Weg durch das Unbewußte zurück[ge]legt“ würde, der Doppel-Ansichtigkeit eine Hierarchie unter- oder auferlegt, womit sich Freuds Theorie ‚selbst‘ auszeichnet. Freud definiert gleichsam (kursiv gesetzt): „der Witz ist sozusagen [gewissermaßen? nur annähernd? kann man so sagen?] der Beitrag zur Komik aus dem Unbewußten“;387„während des Denkvorganges im Unbewußten“ gebildet, tritt 382 In VII. „das Verhältnis des Witzes zur Komik“ (Freud, Der Witz, 194, 169, 189), zu den „Autoren“ (13, vgl. 169). Das macht vor allem Kofman mitlesbar, Die lachenden Dritten, 55-59. 383 Freud, Der Witz, 218, vgl. 200, auf der „Spur“ des Witzes, 191. 384 Freud, Der Witz, 199f., 218, 193. 385 Freud, Der Witz, 218 u. 200; explizit ist die Frage gestellt, ob die Komik die „umfassendere Kategorie“ sei, oder sie „dem Witz als [bloße] Fassade dient“ (169, die Fassade als „Schauseite“ des Witzes, 100-04, 55ff.), „ganz wie eine bestechende Vorlust“ wirkt (143, 169, 206). „Die komische Geschichte dient aber hier doch nur als Fassade; für jedermann, der auf den verborgenen Sinn […] achten will, bleibt das Ganze ein vortrefflich inszenierter Witz. Wer nicht soweit eindringt, bleibt bei der komischen Geschichte stehen“ (189). Freud verweist (200) zurück: „Ein Witz, der sich solcher Denkfehler als Technik bedient und darum unsinnig erscheint, kann also gleichzeitig komisch wirken. Kommen wir dem Witze nicht auf die Spur, so erübrigt uns wiederum nur die komische Geschichte“ (191, vgl. 190f.; erstes Beispiel ist die vom „geborgten Kessel“, 191, 61); vgl. Kofman, Die lachenden Dritten, 55ff. 386 Die Vorläufer seien „bei der Fassade des Witzes stehengeblieben“ (Kofman, Die lachenden Dritten, 57). „Wer nicht soweit [!] eindringt, bleibt bei der komischen Geschichte stehen“ (Freud, Der Witz, 189). Mehr noch: die Vorläufer haben „Witz und Komik verwechselt; sie haben nicht bemerkt, daß die letztere ein Januskopf ist, […] dem etwas fehlt, ohne daß es möglich wäre, diesen Mangel zu beheben, indem man sich daran macht, seine Ergänzung hinter der Fassade zu suchen“ (Kofman, 59). 387 Wo Freud des Witzes Relation zum Komischen thematisiert, Der Witz, 193, vgl. 158, 163. Weitzman liest: „the unconscious […] offers to the comic the gift of the joke“. „Yet this schema, however well it may encapsulate what Freud intended with his book, does not in fact hold up in terms of Freud’s own theories. For if the joke is a comic manifestation of

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er aus diesem ‚plötzlich‘ ‚zutage‘, fällt „ungewollt“ ‚ein‘.388 Die Psychoanalyse macht Freud zufolge aus, dass sie das Unbewußte als „etwas“ aufzufassen vermag, „was man wirklich nicht weiß, während man durch zwingende Schlüsse genötigt wird, es zu ergänzen“.389 Der „Spur“, den „Andeutungen“ (im Witz) folgend,390 von den Effekten her: dem „ungewollten ‚Einfall‘“ der Witz-Worte, den „plötzlichen Ausbrüche[n]“391 des Lachens immer eines Anderen, sind Vorgänge „im Unbewußten“ rückwärts „zu ergänzen“, zu ‚vermuten‘, zu „erraten“.392 – Die Ungewissheiten, die Freud mit den Vokabeln des Tentativen anzeigt, wären als „Heuristik“ oder „hypothetisches Wissen“ als Noch-nichtWissen auf künftiges theoretisches Wissen angelegt;393 den „Standpunkt der Beobachtung“ legt Freud aber (an einer solchen Stelle) mit einer prekären, unhaltbaren paradoxen Metapher an.394 Die Ungewißheit muß ausgehalten werden, ob die Heuristik, über den Abbruch im einbekannten Nicht-Wissen hinaus,395 in theoretischer Einsicht aufgehen wird (wie auch die, ob die the unconscious, or rather a manifestation of the workings of the unconscious through comic methods, then the joke would in fact be the contribution to the unconscious out of the realm of the comic“ (Irony’s Antics, 8f.). 388 Freud, Der Witz, 157, 159; zur Witzarbeit in Analogie zur Traumarbeit, vgl. 154-67. 389 Freud, Der Witz, 152, vgl. 166. Das „Unbewußte“ und das Nicht-Wissen seien für Freuds Psychoanalyse „ko-konstitutiv“, so Stange, Unentscheidbarkeiten, 101ff., vgl. 123, 141; zur Verwicklung von „Objekt- und Verfahrensebene“, 102. 390 Freud, Der Witz, 191, 218, 200. 391 Freud, Der Witz, 92: „von Gelächter“. 392 Freud, Der Witz, 152, 142, 157, 165f., 146, 139, 126f., auch schon 22f.; so etwa, „daß man bei der Witzbildung einen Gedankengang für einen Moment fallenläßt“, er „zum Zwecke der Witzbildung ins Unbewußte eintaucht“, „der unbewußten Bearbeitung überlassen“ werde (Der Witz, 155-59). 393 Zuweilen will die Untersuchung die dem Witzvorgang angehörende „Ungewißheit“ schlicht einholen, vgl. Freud, Der Witz, 124f.; Kofman, Die lachenden Dritten, 57. Nicht-Wissen, „worüber wir lachen“, sei doch „durch eine analytische Untersuchung fest[zu]stellen“ (Freud, 144, 97, 88f., 125, vgl. 100-05); vgl. „Heuristik“, das „hypothetisch gebliebene“ (166f.). Zur bei Freud zu lesenden Unentschiedenheit zwischen „Nicht-Wissen“ als „Noch-nicht-Wissen“ und „Nicht-Wissen-Können“ als irreduzible Unentscheidbarkeit, vgl. Stange (mit einer Lektüre von Freuds Hysterie, Symptom und Angst, 1926) (Unentscheidbarkeiten, 104-41, insb. 116, 127, 129-32, 141; was Freud mit „unerledigten Schwierigkeiten“ macht, vgl. 112-116; „non liquit“ – die Fraglichkeit der Möglichkeit des Abschlusses, vgl. 122ff., 127). 394 „In der Erkenntnis, daß wir auf einem überhaupt noch nicht betretenen [!] Boden stehen [!], begnügen wir uns also damit, von unserem Standpunkt [!] der Beobachtung ein einzige, schmales und und schwankendes Brett ins Unergründete hinauszuschieben“ (Freud Der Witz, 166; am Ende der „hypothetisch gebliebenen Aufklärung der Witzarbeit bei der ersten Person“, 167). 395 Wenn der Vorgang bei der ersten Person eine „wenn auch hypothetisch gebliebenen Aufklärung“ erfahren habe, wie es am Ende des Kapitels heißt (Freud, Der Witz, 167), so ist

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stets wieder sich unterbrechenden, rück- und woandershin wendenden, unbestimmt rückgreifenden, anders einsetzenden ‚Wege‘ der „Darstellung“ sich in einem ‚intelligiblen Zusammenhang‘ eingelöst haben werden). Der Unsinnswitz, der doch noch auf einen „neuen Sinn“ führe, wo der „verkümmerte Witz“ den Hörer, der sich neugierig verlocken lässt, verärgert „wirklich Unsinn“ antreffen lässt, zeigt sich, so bemerkt Marianne Schuller, „als die Persona-Maske, durch die der Witztheoretiker Freud spricht“.396 Dabei sind Unsinnswitz und ‚Aufsitzer‘ (eher als entgegengesetzt) Kippfiguren voneinander.397 Der „wirkliche Skandal des Unsinnswitzes“ für Freuds Darstellung liegt, so Schuller, darin, „daß er das Wissen der Theorie als jenes darstellt, das notwendig nicht ohne die Verleugnung der Leere ist“.398 Mit dem Januskopf des Witzes gesprochen, ist das eine Gesicht des ‚guten Sinns‘, das den Unsinn, alle möglichen leichtfertigen ‚unbewußten Denkvorgänge‘ die kritischen Instanzen passieren lasse, Gegenstand eines Wissens, das ‚Form des Nichtwissens‘ vom Witz-Vorgang ist; als nachträglich aufgefasster ‚guter Sinn‘ fungiert es als Deckung für das Geschehen „unterdes“, von dem ‚wir‘, die ‚bewußten ichs‘, ferngehalten worden sind. ‚Findet‘ dann jene „Auffassung“, die vom gehörten ‚Unsinn‘ aus den „Andeutungen folgend den Weg des Gedankens durch das Unbewußte nach[macht]“,399 den Vorgängen am anderen „‚psychischen Schauplatz‘“400 ‚nachschreibt‘, wie Freud angibt, „den ausgezeichneten Sinn“? „Das Wissen bringt sich [so Schuller] hervor, indem es einem Unerkannten aufsitzt. Dabei ist das Unerkannte […] gefaßt […] als die Paradoxie eines Objekts, das vom Signifikantengewebe selbst als eine symbolisch uneinholbare

das ‚noch-nicht‘ eher ein Abbruch, dazu kommt weiter nichts, und mit dieser ist „unser Interesse strenggenommen erledigt“; danach werden noch die „Unterschiede“ von Traum und Witz „in ihrem sozialen Verhalten“ herausgestellt (167f.; bevor der Witz (in Kapitel VII.) auf die „Arten des Komischen“ bezogen wird). 396 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 24. 397 „Im Aufsitzer wird die Neugier inszeniert, welche die Theorie beherrscht, während der Witz [mag er auch einen „neuen Sinn“ finden lassen] aufs Spiel setzt.“ (S. Weber, FreudLegende, 172). 398 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 25; daher ihr „Ausfall in der Darstellung“, „der Unsinnswitz zerschlägt blitzartig den symptomatischen Charakter, den Freud dem Witz verleiht“ (ebd.). Mit „Liebe zum leersten Ausgange“ zit. Schuller Jean Paul, der derart aber vom Humor spricht (Vorschule der Ästhetik, SW I.5, 131). Von diesem als Modus des Komischen, bei dem eine Person mit sich auskommt (Freud, Der Witz, 21217, u.a. „Humor“ „anstatt uns zu ärgern“, 215), unterscheidet aber Freud den Witz als Vorgang zwischen drei Personen. 399 Freud, Der Witz, 218, 200. 400 Freud (nach Fechner), Der Witz, 164.

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Schimäre erzeugt wird.“401 Auf das Signifikanten-Gewebe, Verkettungen und unterbrechende Wendungen (auf sich), Löcherungen und Verschiebungen, auf den „darunterliegenden Nicht-Sinn“ kann, so Lacan, der „Witz“ allen möglichen, „jeglichen Gebrauch von Sinn“ setzen, darin liege sein „Wert“;402 der besteht aber eben darin, dass es „jeden Augenblick möglich [ist], jeden Sinn in Frage zu stellen“.403 Die ‚kritische Instanz‘, die sich von der ‚Unsinnigkeit‘ des Witzes mit Sinnfragen ablenken, vom anderen Geschehen, das „unterdes“ automatisch vorgeht, ferngehalten, überrumpeln lässt, wird dem ‚guten Sinn‘ aufgesessen sein. Bei den „zwei Ansichten“ des Witzes handelt es sich demnach um das Nicht-Gesicht des unerkannten signifikanten Spiels und um ein Gesicht als „Schimäre“, das die Sinn-‚Leere‘ verstellt.404 Der Witz, das ist seine Pointe, lässt aber im Sinneffekt, den er rückwirkend den Signifikanten (sie gegenlesend) abgewinnt, der den Witz ein ‚guter‘ heißen lässt, dessen ‚Prekarität‘ und Inkonsistenz begegnen,405 der im Spiel der Signifikanten, das ihn erzeugt, ‚ursprünglich‘ aufs Spiel gesetzt ist. Auf „die paradoxe Weise, wie der Sinn funktioniert“, auf dessen „Prekarität“ (Zupančič), mit Lacan die radikale Infragestellung unserer (symbolischen) „Welt“,406 stoßen ‚wir‘, „wenn

401 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 23. ‚Aufsitzen‘ ist ein Zitat aus Freuds Traumdeutung, 503. „Das Wissen […] ist, wie der Sonntagsreiter Itzig, ein ‚Aufsitzer‘“: „‚Die ‚Traumdeutung‘, so schreibt Freud an Fließ, ‚ist ganz dem Unbewußten nachgeschrieben nach dem berühmten Prinzip von Itzig dem Sonntagsreiter: ‚Itzig, wohin reit’st Du? – Weiß ich? Frag das Pferd.‘“ (Schuller, 22; den Witz erzählt Freud in Der Witz, nicht, vgl. aber 56). 402 Lacan, Die Objektbeziehung, 348; dieser „Gebrauch von Sinn“ ist paradoxal, da er „auf einem Gebrauch des Signifikanten“ „gründet“, der „überhaupt erst erzeugt, was er eigentlich unterstützen soll“ (ebd.). 403 Die Objektbeziehung, 348, vgl. 352. 404 Vgl. Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 25. 405 Das heißt Lacan den „Spott des Signifikanten“, „wo Sinn im Unsinn entsteht, das heißt an jenem Übergang, der in umgekehrter Richtung genommen, wie Freud [mit dem „Witz“] entdeckt hat, jenem Wort Raum gibt […], für das kein anderer als der Signifikant des esprit die Patenschaft übernimmt“ („Das Drängen des Buchstaben“, 33): „où se touche que c’est sa destinée même que l’homme met au défi par la dérision du signifiant“ („L’instance de la lettre“, 266). 406 Zupančič, Der Geist der Komödie, 164. „Im Spiel mit Signifikanten stellt der Mensch jeden Augenblick seine Welt bis hinein in seine Wurzeln in Frage.“ (Lacan, Die Objektbeziehung, 348, vgl. 350). „[J]eder einzelne konkrete Witz“ ist „ein Witz gerade über das Funktionieren unseres symbolischen Universums als eines, durch Signifikanten und ihre spezifische, kontraintuitive Art, Sinn zu ergeben, konstituierten Universums“, über die „paradoxe[], unlogische[] […] nicht-lineare[] und prekäre[] Konstitution unseres (symbolischen) Universums durch die Sprache“ (Zupančič, 163).

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uns ein Sinn überrascht“ (Zupančič),407 wenn ‚wir‘, während ‚wir‘ anderswo, mit der Frage des Sinns des Unsinnigen abgelenkt sind, so Freud, „überrumpelt“ werden. Wo und wie das Spiel der Signifikanten Bedeutungen erzeugt, rumpelt und rumort es auch;408 was nicht in Bedeutung und Sinn aufgeht, ‚verhallt‘ (auch schriftlich).409 Ob diese Vorgänge ohne Resultat in einer theoretischen Erkenntnis ‚amortisierbar‘ sind,410 macht der Witz fraglich. Er lässt die Unhaltbarkeit des nachträglichen Wissens begegnen, das dem Nichtsinn aufsitzt. Anders als das concetto oder die Paronomasie, mit denen der Witz die Techniken teilt, die mit der ihnen implizierten autoreferentiellen Wendung den Anhaltspunkt für ihre Theorie als die ihrer (sinnlosen) Verfahren geben,411 modelliert der Witz, doppelseitig agierend, gerade die Dummheit der ‚kritischen Instanz‘. Der Witzvorgang ‚gelingt‘, indem die kritische Instanz abgelenkt wird, indem sie als ‚wißbegierige‘ gerade mit der Frage nach dem Sinn, den ein Witz doch verspricht, beschäftigt, vom ‚eigentlichen‘ Vorgang ferngehalten wird, und derart ihre Absenz den Einfall des Witzes und den Vorfall des Lachens ermöglicht.412 Die ‚kritische Instanz‘ ist ‚dumm‘, insofern sie wißbegierig „nachzudenken beginn[t]“,413 worum es sich bei dem Unsinnigen der Fehlbildung eines Wortes oder eines Arguments handle, in jener Abgelenktheit, in der sie überrumpelt wird, sie nichts vom Witzvorgang, aber „etwas anderes weiß“.414 Ihre ‚Dummheit‘ ist stabilisiert, wenn sie, wo sie sich durch den Vorfall, dessen mögliche Unstatthaftigkeit oder Gewaltsamkeit „überrumpelt“ findet, nachträglich das ohne ihr Wissen und Wollen Eingefallene als ‚guten Sinn‘ aufgreift,415 den Vorgang, von dem sie strukturell nicht weiß, den Vorfall schon ‚vergessen‘ gemacht 407 Zupančič, Der Geist der Komödie, 164, 212, vgl. 153, 163. In einem etwas unglücklichen Übersetzungseffekt ist im Deutschen zu lesen: wir würden uns „bewußt“ (164; das hieß: „we become aware of“, The Odd One In, 142). 408 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86. 409 Wie zit.: „als Lachen“, S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 89. Vom Lachen bleibt nichts zurück, während sprachlich, schriftlich ein ‚inkomunikabler Rest‘ insistiert (vgl. Pusse, Von Fall zu Fall, 190), der unabsehbar fort wirkt, vgl. Kap. IV.1. 410 Vgl. Derrida, Die Schrift und die Differenz, 389; das trägt de Man als Widerstreit von literarischen Texten und Wissen der Theorie aus, vgl. „The Resistance to Theory“, in Allegorien des Lesens u.ö. 411 Vgl. Lachmann, „Polnische Barockrhetorik: Die problematische Ähnlichkeit“, 117-20. 412 Vgl. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 85; Freud, Der Witz, 142f. 413 Freud, Der Witz, 143; S. Weber, Freud-Legende, 172; zu Dummheit und Wissen vgl. Rinck, Risiko und Idiotie, 38-41. 44, 114. In Freuds Witz kommt „Dummheit“ nur als die der Witze vor, die „ganz unerfüllt einen Unsinn, eine Dummheit zur Schau stellen“ (56ff.). 414 Wie bereits zit. S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 85. 415 Die „Dummheit der Zensur“ nach Heine (Reisebilder: Ideen. Das Buch Le Grand, Sämtl. Schr. Bd 2, 283, vgl. Kap. IV.1) findet Wirth auch bei Freud („Ironie und Komik“, 243), fasst

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hat, indem sie diesem nachträglich mit dem Gesicht des ‚guten Sinns‘ Deckung gibt. Einerseits ermöglicht demnach die ‚Dummheit‘, mit der die ‚kritische Instanz‘ immer wieder auf das Sinnversprechen des ‚guten Witzes‘ hereinfällt, offensichtlich nie etwas ‚gelernt‘ hat, stets erneut den Witzvorgang416 – der ‚in jedem Einzelfall‘ stets erneut für Ablenkung und Überrumplung sorgt. Andererseits wird die kritische Instanz nachträglich ‚zu spät‘: gegenüber dem, was „unterdes“ geschah, was beschämend, überstürzt, gewaltsam sich vollzogen haben könnte,417 durch das versichert, was sie vermeintlich doch noch finde, den ‚guten Sinn‘, mit dem das Nichtwissen vom Vorgefallenen, die Unaufmerksamkeit, die Abgelenktheit, die die ‚Form des Wissens‘ annimmt, vergessen gemacht, verstellt ist. Die ‚Dummheit‘, die nachträglich nur vom ‚guten Sinn‘ weiß, in das ‚erfüllte Gesicht‘ des Janus des ‚guten Witzes‘ blickt, schützt die ‚kritische Vernünftigkeit‘ vor jener ‚Einsicht‘, die ihre Kränkung wäre, die ‚Prekarität‘ vermeintlich gefundenen Sinns, die paradoxe Inkonsistenz vermeintlich stabiler mit sich identischer Vorstellungen, die ihr im Witz, im „Spott des Signifikanten“ begegnet. – Die Theorie müßte vermeiden diese unhaltbare Position der (Dummheit der) ‚kritischen Instanz‘ einzunehmen (– wenn sie das kann). Um das Emblem des Januskopfes etwas überzustrapazieren: Das eine Gesicht, das als ‚guter Sinn‘ soll festgehalten werden können, müßte sich sie aber als komische „Aufwandsdifferenz“, als „Art und Weise […], wie die Psyche der Ersparnistendenz folgt“ (244-47; vgl. dafür Freud, Der Witz, 182f., 193, 218). 416 Daher könnte das Verhältnis der vom Witz organisierten Dummheit des ‚bewußten ich‘ zur Selbstreferentialität, zu der die concettistischen Bildungen anhalten: Falte auf Falte, in Analogie zu dem von Allegorie und Ironie gebracht werden, von Allegorie als „vergebliche“ Wiederholung und Ironie als eine „unendliche“, in der das ‚ander(e)s sagen‘ zu keinem ‚positiven‘ Ergebnis kommt; diejenigen die Bescheidwissen wollen, werden „gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie […] den Scherz für Ernst, und den Ernst für Scherz halten“ (F.  Schlegel, KFSA II, 160, vgl. 368ff.; de Man, Allegorien des Lesens, 114 (u.ö.); Haverkamp: „Allegorie, Ironie und Wiederholung“, 563; B. Menke, Das Trauerspielbuch, 202f.). Während allerdings die Allegorie in der jeweils enttäuschenden Bedeutung auf die Entwertung trifft und sich in der ‚Leere des Abstands‘ von ‚Sein und Bedeuten‘ oder vielmehr von Zeichen und vorangehenden Zeichen „einrichtet“ (de Man, „Rhetorik der Zeitlichkeit“, 104), wird über Witze gelacht. Und die kritische Instanz, die sich irritieren lassen muss durch den möglicherweise unstatthaften Vorfall, verstellt in der prompten Annahme des ‚guten Sinns‘ den Riß, den der Witz als „Inkonsistenz der Eins“ (Zupančič, Der Geist der Komödie, 142ff.) ausspielt. Weitzman zufolge zeige „[the joke’s] mechanics of ambiguity, deferral and hermeneutic dissonance“ die Ironie der „conscious representation“ (Irony’s Antics, 15f.). Die Ironie verweist, so Strowick, „auf die [mit Derrida] differentielle Struktur der Sprache, wodurch der Sinn grundsätzlich verstellt […], entwendet, d.h. nachträglich ist“, die auch „Lacans Konzept des Symbolischen charakterisiert“ (Passagen der Wiederholung, 328, vgl. 344f., 362f.). 417 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86.

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auf das andere kehren und in diesem auf sein unbekanntes Nicht-Gesicht, die paradoxe Inkonsistenz des Sinns im Spiel der Signifikanten treffen, das Spiel, in und auf das der Witz „die Erwartung eines intelligiblen Zusammenhangs“, die er wie die Theorie weckt, „zugleich“ setzt.418 Lacan spricht vom „Nichtungseffekt“, vom „wahrlich zerstörenden, durchschlagenden Charakter des Spiels der Signifikanten“, den Freud im Witzbuch (zunehmend) erweise.419 Kofman zufolge ist der Blick ins „leere[]“ NichtGesicht des Witzes von Angst „nicht frei“.420 Als ‚Entsetzung‘ von Hemmungsbesetzung, als Aussetzung der ‚Möglichkeit, überhaupt bestimmte und stabile Vorstellungen zu bilden‘, die das Lachen manifestiert, ist der Witzvorgang „mehr oder weniger geheim“ der Angst verbunden;421 denn Angst wäre, so S.  Weber, „Entsetzung ohne Abfuhr“, während der Witzvorgang (der die bewußte Aufmerksamkeit ablenkend fernhält), „unterdes“, die automatische Abfuhr der ‚entsetzten Energie‘ im Lachen ermöglicht.422 Kafkas Brief vom ‚legendären Lachanfall im Büro‘ erzählt,423 wie, so reformuliert Schuller, „die 418 Wie bereits zit. S. Weber, Freud-Legende, 139. 419 Lacan, Die Objektbeziehung, 348; daran anschließend Zupančič, The Odd One In, 142f. 420 Kofman, Die lachenden Dritten, 23: die Angst, die (‚trotz aller defensiven Vorkehrungen‘ Freuds gegen das Fehlende) „hinter seinem Lachen das andere Gesicht verkrampft“. Hier wird also nicht gespielt. Schuller zufolge „gehört die Angst vor dem Witz mehr als der Witz zum Wahn“ (so mit Jean Paul, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 20). Zupančič zufolge müsste „[the] precariousness and fundamental uncertainty in our very world“ „manifest in every joke“ uns in Angst versetzen; sie macht einen anderen Vorschlag, wieso wir stattdessen lachen: das Lachen über den tendenziösen Inhalt ermögliche wie/als eine erleichternde Vorlust „uns“ „to laugh also in face of the discomforting dimension (displaying the precariusness of our world and its dependence on contingent mechanisms of the production of sense), instead of being seized by anxiety in the face of it“ (The Odd One In, 143), d.i. die Umkehrung von Freuds Vorlustprinzip der Witzeslust für die Lust aus gehemmten Tendenzen (143ff.), s.o. Kap. V.1. 421 S.  Weber, „Die Zeit des Lachens“, 82ff. Vgl. neben Kofman, Schuller, Zupančič, auch Heinrich, „‚Theorie‘ des Lachens“, 30; Rinck, Risiko und Idiotie, 45, 141; Wirth, „Ironie und Komik“, 249. Reik zufolge werde eine „alte unbewußte Angst“ (entsprechend einem der späteren Angstkonzepte Freuds) ‚bewältigt‘ (Lust und Leid im Witz¸ 109-15). Bachtin zufolge ist das Ängstigende karnevalisiert zum „lächerliche[n] Popanz“ (Rabelais und seine Welt, 89f., 102, vgl. 141); Lachen ist als „Sieg über die Angst“ auf diese bezogen (140, 90, 377). 422 S.  Weber (mit Freuds „‚erster‘ Theorie der Angst), „Die Zeit des Lachens“, 82ff.; Angst widersetzt sich, Lacans Angst-Seminar (X) zufolge, der Repräsentation im Symbolischen (vgl. Stange, Unentscheidbarkeiten, 132ff.; diesem wie den anderen Ansätzen Freuds wird hier nicht mehr nachgegangen). 423 Kafka erzählt brieflich vom Lachanfall im Büro anl. eines Beförderungszeremoniells, exponiert zunächst die „Bedeutung“ des „Präsidenten“, die „feierliche[] Unterredung“ der Bedankung für eine „Rang“-Erhebung, gibt eine wirklich komische Szene (Brief vom 8./9. 1. 1913, Briefe an Felice, 237f.), dann von all den Bemühungen, das Lachen zu stoppen, einzudämmen, zu maskieren, usw.

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imaginären Bindungskräfte des symbolischen Netzes Stück für Stück […] mehr erlahmen“:424 „die Welt […] verging mir völlig und ich stimmte ein […] lautes, rücksichtsloses Lachen“ an.425 Wenn das „Erzählen des Lachens den Entzug der Wirksamkeit der Realitätsregister erzählt“, bringe „sich ein Angst und Schrecken auslösender Zug zur Geltung“ (Schuller),426 „schlotterten mir natürlich vor Angst die Knie während ich lachte“, so Kafka, ein „rücksichtsloses“, „großes“ den Körper erschütterndes Lachen in seiner „Gräßlichkeit“;427 es ist nicht nur ‚nichts-sagend‘, sondern widersteht (auch nachfolgend) der symbolischen Integration.428 Dass Freud „nicht bereit“ sei, so S. Weber, die „heterogene Dimension des Unbewußten“ „den „‚narzißtischen‘ Erfordernissen der Theoriebildung aufzuopfern“, zeige „seine Insistenz auf die Bedeutung des explosiven Lachens für den Witz“,429 was „das synthetische Vermögen überhaupt“ aussetzt, die von jeder Vorstellungsbindung ‚entsetzte Energie‘ abführt.430 Am Lachen, seinem Ausbruch, dem Vorfall, zu dem das Bewußsein ‚zu spät‘ sich einfindet, zeigt sich, dass Äußerungsereignisse (auch theoretische) der einer stabilen Erkenntnis entsprechenden resultathaften Abgeschlossenheit eines Geäußerten jederzeit und überall sich widersetzen können. Für die Konsistenz der Freud’schen Theoriebildung ist, wie schon im Einsatz der Witzabhandlung angezeigt ist, deren Bezug zur Traumanalyse 424 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 27; sie liest das Erzählen, in dem sich „[d]er Witz des Lachens […] hervor“bringt (ebd.). 425 Nach all seinen Bemühungen, das Lachen zu verhindern oder zu mäßigen, die er erzählt, „wurde es mir zu viel, die Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen gehabt hatte, verging mir völlig und ich stimmte ein so lautes, rücksichtsloses Lachen an […]“ (Kafka, Briefe an Felice, 238ff.). 426 Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 27. 427 „Alles verstummte und nun war ich endlich mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt. Dabei schlotterten mir natürlich vor Angst die Knie während ich lachte, und meine Kollegen konnten nun ihrerseits nach Belieben mitlachen. Die Gräßlichkeit meines so lange vorbereiteten und geübten Lachens erreichten sie ja doch nicht […]. Mit der rechten Hand meine Brust schlagend, zum Teil im Bewußtsein meiner Sünde (in Erinnerung an den Versöhnungstag), zum Teil, um das viele verhaltene Lachen aus der Brust herauszutreiben […]. Unbesiegt, mit großem Lachen, aber todunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal. –“ (Kafka, Briefe an Felice, 239f.). 428 Erzählt werden auch die nachfolgend nie ‚gänzlich‘ gelingenden Integrationsbemühungen (Kafka, Briefe an Felice, 239f.). „Das Lachen“ widersteht der „symbolischen Integration“, sei daher „für Kafkas witziges Erzählen so unwiderstehlich. Denn es sagt irgendwie und grauenhaft – nichts“ (Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 27f.); vgl. das Gelächter, „in dem der Sinn vollkommen untergeht“ (das die Philosophie nur deplatzieren kann), so Derrida (Die Schrift und die Differenz, 389). 429 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81ff. 430 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 84, vgl. 82ff.

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von besonderem Belang.431 Das narzißtisch-bestätigende Wiedererkennen der Mittel des Traumes in denen des Witzes, die den Witz in seine Theorie integrieren würde, macht Freud in schöner autoreferentieller Explizitheit als (mögliches) Bestochen-sein des Theoretikers kenntlich, mit der Vermutung, daß wir die Techniken des Witzes nicht als Verdichtung, Verschiebung usw. beschrieben hätten und nicht zu so weitgehenden Übereinstimmungen in den Darstellungsmitteln von Witz und Traum gelangt wären, wenn nicht die vorherige Kenntnis der Traumarbeit unsere Auffassung für die Witztechnik bestochen hätte, so daß wir im Grunde am Witz nur die Erwartungen bestätigt finden, mit denen wir vom Träumen her an ihn herangetreten sind.432

Das ist wirklich witzig, weil damit das Bestochen-werden – wie etwa ein Witz‚kleid‘ uns besticht, den Witzgedanken für einen großen zu nehmen,433 oder das des Anderen durch versprochene Witzeslust434 – in selbstreferentieller Wendung für das theoretische Vorgehen erwogen wird, und damit das am Witz eingespielt ist, was gerade nicht (wie die Techniken) „nur die Erwartungen [von der „Kenntnis der Traumarbeit“ her] bestätigt“ haben wird. Das bestätigende Wiedererkennen, das den Theoretiker bestochen haben mag, ließe die Spezifik des Witzes verschwinden, die wie etwa die ‚wache Anwesenheit‘ der kritischen Instanz, mit der der Witz auf eine spezifische Weise umgeht, gerade nicht durch die von Traumarbeit und Witzarbeit geteilten Operationen zu erläutern ist,435 während mit dem möglichen Bestochen-sein des Theoretikers gerade die Züge des Witzvorgangs erinnert sind, in denen er als „soziales

431 Freud, Der Witz, 19, aus dieser Relation ist die Schrift veranlasst (s.o. S.  Weber, FreudLegende, Kofman, Schuller). 432 Freud, Der Witz, 155. Mit den allen psychischen Bildungen gemeinsamen Operationen wäre die supponierte „Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens“ bezeugt, mit der Freud die Untersuchung des „abgelegenen Gebiets“ rechtfertigte (19, vgl. 138). Wiederholt aufschiebend wird der Bezug hergestellt: „[f]ür das Verständnis bedeutsamer“ seien „die Leistungen“, die der Witz „im Seelenleben“ der ersten Person „vollbringt“ (126), das sei „uns noch durch ein Dunkel verhüllt“ (146), und (in seinem Kapitel VI.) in Analogie zur Traumarbeit geführt: „[V]on den psychischen Vorgängen ist uns gerade jenes Stück verhüllt, […] der Vorgang der Witzbildung bei der ersten Person“, „welches wir der Traumbildung vergleichen dürfen“. „Sollen wir nicht der Versuchung nachgeben, diesen Vorgang nach der Analogie der Traumbildung zu rekonstruieren?“ (155). 433 Freud, Der Witz, 88f., 97, 125f. 434 Freud, Der Witz, 98, 126, 145. 435 Die Traumarbeit und Witzarbeit gemeinsamen Operationen (Verdichtung und Verschiebung) erklären nicht des Witzes Lacheffekt, wie Freud explizit macht, vgl. Kap. V.1; S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81.

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Verhalten“ vom Traum ‚ganz‘ verschieden ist,436 wie das Witze-Erzählen, das den Anderen in den psychischen Vorgang einzieht, des Witzes Lacheffekt, usw.437 Die konsistente Theoriebildung wird derart (witzig) fragwürdig. „Die Verwirklichung von Freuds Absicht, den Witz für die Psychoanalyse gleichsam anzueignen“, werde, so nochmals mit S.  Weber, „erheblich erschwert, wenn nicht sofort verunmöglicht durch die Art, wie sich das Lachen als unabdingbares Moment des Witzes aufdrängt“.438 Es ist als disruptive Manifestation des (dem Witz unabdingbaren) Nichtwissens die andere Seite des ‚wißbegierigen etwas anderes Wissens‘. Und an ihm zeigt sich der diskursiven Sprache unkontrollierbare Bezogenheit auf das Nicht-Diskursive (auch der Sprache), das allenfalls im Festhalten am ‚guten Sinn‘ (auch der bewußten Darstellung) verleugnet werden kann. Der Witz manifestiert, das ist seine Pointe, die Inkohärenz von Erkenntnis und Sagen oder Schreiben, die er im Spiel der Signifikanten ausführt, an das er aussetzt, jenen Widerstreit, den keine (auch keine theoretische) Darstellung konsistent zu integrieren vermag – den sie nur vergessen zu machen suchen kann. Im Witz hat die Inkonsistenz (des Sinns, 436 Die Unterschiede des Witzes als sozialer Vorgang vom Traum als „vollkommen asoziales seelisches Produkt“, Freud, Der Witz, 167f.; vgl. S. Weber, Freud-Legende, 113. 437 Andere Argumentationszüge Freuds (gerade im letzten Kap., das den Witz auch noch auf das „Komische“ bezieht/ diesem integriert?) scheinen das disruptive Moment vergessen machen zu sollen. Ironischerweise trägt gerade dies Widersprüche ein: es hieß der Witz mache „nicht Kompromisse wie der Traum“ (Freud, Der Witz, 161; Kofman, Die lachenden Dritten, 57), aber auch: die „Kompromißleistung der Witzarbeit zwischen den Anforderungen der vernünftigen Kritik und dem Trieb, auf die alte Wort- und Unsinnslust nicht zu verzichten“ (Freud, 189f.). Derart wird ein Zugeständnis vorbereitet (vgl. 190), das Freud im Namen der „Vergleichung“ ans Modell des Komischen (in Kapitel VII. zugleich vorläufig und zu spät) macht (vgl. 193 u. auf der vorletzten Seite seiner Abhandlung), indem er die (konventionell) das Komische bestimmenden „zweierlei verschiedenen Vorstellungsweisen“ „für die nämliche Vorstellungsleistung“, zwischen „denen eine ‚Vergleichung‘ mit ‚Differenz‘ stattha[be]“ (182f.), als „Vergleichung“ mit einer „qualitativen“ Differenz „für den Vorgang beim Witzhören in Betracht“ zieht: der Differenz des „ersparten Hemmungsaufwand[es]“, aus der die „Lust des angehörten Witzes“ abzuleiten war. Damit sei mit der „zwischen zwei sich gleichzeitig ergebenden Auffassungsweisen“, mit einer Geste, die in Freuds Abhandlung wiederholt begegnet ist, „hier vom Witze das nämliche aus[gesagt], was wir als seine Janusköpfigkeit beschrieben haben [200], solange uns die Beziehung zwischen Witz und Komik noch unerledigt schien“ (218). War „die Beziehung zwischen Witz und Komik“ nicht ‚erledigt‘ durch die Einsicht, dass der Witz „Beitrag zur Komik aus dem Unbewußten“ sei (193)? Was aber wäre Instanz und Position einer solchen „Vergleichung“? Die dem Januskopf eingeschriebene Inkompatibilität der beiden ‚Ansichten‘, die zwei ganz verschiedene Orte adressieren, ist wie des Witzes ‚Zeitmoment‘ hier vergessen. 438 Das „Aufdrängen“ akzentuiert S.  Weber („Die Zeit des Lachens“, 81) hinsichtlich der sofortigen Abfuhr statt bloßes Entsetzen (Angst) (82ff.).

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des Symbolischen) nicht die Form des Wissens,439 sondern wird ausgespielt; sie wird gleichsam ins Lachen ‚übersetzt‘, in eine Mitteilung, die nicht etwas sagt, ihrerseits nicht übersetzbar ist, nicht-lesbar ansteckt. „Am Lachen zeigt es sich“, so S. Weber, „daß der Witz […] sich nicht rein als Gebilde beschreiben noch als gar als Stoff beherrschen läßt“;440 er ist nicht selbst-präsent gegeben, liegt ‚seiner‘ Theorie nicht vor, sondern ‚ist‘ Äußerungsereignis, das, wie ‚sich am Lachen zeigt‘, in keinem Gehalt ‚amortisiert‘ ist, das im bewußten Wissen, in der Theorie „deplatziert“ wäre.441 Im Witzvorgang trifft die Witz-Theorie auf die ‚überrumpelte‘ ‚kritische Instanz‘, die sich ‚zu spät‘ mit dem Witz ins Benehmen setzt, indem sie das mögliche Gewaltsame, das jedenfalls unkontrollierte Geschehen verstellend nachträglich den ‚gute Sinn‘ findet, derart die Allegorie einer Theorie abgäbe, die sich im Wissen an Resultate halten können will (wie Freuds Rede vom gefundenen „ausgezeichneten Sinn“ nahelegt). Wenn sie ihren Grund zu stabilisieren sucht, wenn sie (anders etwa als Jean Pauls Schreiben vom Witz) nicht witzig, nicht keine Theorie sein will oder auch darf,442 dann kann sie dem Witz nur ‚aufsitzen‘443 und muß sich vom Witzvorgang ärgern lassen. Die „Erwartung des intelligiblen Zusammenhanges“, die Witz und Theorie teilen,444 erfüllte sich (allenfalls) in der Schimäre eines Wissens, das dem Unerkannten aufsitzt,445 eben dort, wo der Witz, ‚ins und aufs Spiel setzt‘. Jede vermeintliche 439 So wenig wie in Allegorie und Ironie, in Bezug auf die er diskutiert werden kann. Das „prekäre Wissen“ in der „Kontingenz des Augenblicks“ des Lachens kann nicht „in einen Fundus von ‚Gewußtem‘ überführt werden“ (Pusse, Von Fall zu Fall, 27, vgl. 189f.), das artikuliert das (dekonstruktive) Lesen (21-27, 18); was de Man als Allegorien des Lesens formuliert, die den Riß immer wieder, auch in sich, in jede Meta-Narration eintragen (vgl. 100-12). Die Erkenntnis- und ‚Repräsentations‘-Irritation, auf die Freuds Witz-Buch trifft, „[the joke’s] mechanics of ambiguity, deferral and hermeneutic dissonance“, bestimmt Weitzman als Ironie (Irony’s Antics, 15), die Ironie der „conscious representation“ (16), die immer ‚ander(e)s sagt‘, ohne ‚positives Ergebnis‘. Zugleich aber: „the joke shows how irony […] gets turned into something potentially evocative of laughter“ (16, vgl. „Wit’s End: Irony“, 34-42, „Comic Irony“, 54ff.). 440 S. Weber, Freud-Legende, 172. 441 Das nicht ‚amortisiert‘ werden kann (wie ausführlicher zu lesen wäre), Derrida, Die Schrift und die Differenz, 389. 442 „Will diese nicht als schlechter Witz verurteilt werden“, „hört“ „bei der Theorie“ „der Witz auf“ (S. Weber, Freud-Legende, 112ff.). 443 Der Witz lässt „sich nicht […] als Stoff beherrschen […]: es sei denn, von einer Theorie, die ihm aufsitzt“ (S. Weber, Freud-Legende, 172; vgl. 137f.). 444 S. Weber, Freud-Legende, 138. 445 Insofern stellen Unsinswitze „das Wissen der Theorie als jenes dar“, „das notwendig nicht ohne Verleugnung der Leere ist“ (Schuller, „Der Witz oder die ‚Liebe zum leersten Ausgange‘“, 22f.), jener Leere des anderen ‚Gesichts‘, die aber die unkontrollierbare Kraft des ‚Nichtsinns‘ ist, die sich in der unregierbaren Vielzahl ihrer Effekte manifestiert.

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Stabilität sowohl als Gebilde als (auch) jeden „ausgezeichneten Sinn[s]“, den die Theorie finden mag, muß sich als eine zufällige, prekäre erweisen lassen: „‚jeden Augenblick bereit in die Zerrissenheit zurück zu stürzen‘“.446 Der Witz dementiert die Möglichkeit von theoretischer als ‚bewußter‘ Darstellung. Die „Trennung von Sache und Sprache“,447 die oftmals (als die von Objekt- und Metasprache) empfohlen wird, ist, weil die ‚Einsicht‘ des Witzes, die nicht die Form des Wissens hat, die Sprache betrifft, nicht haltbar. Freuds Theorie erhält mit dem Witz, als ein vielfaches, in sich widerstreitendes Geschehen ohne Selbstpräsenz, (vielmehr) die „Aufgabe“,448 sich theoretisch zu dem zu verhalten, was sie als theoretische Darstellung in Frage stellt, will sie nicht vergessen/verstellen, was sich am Witz zeigt und was ihrerseits sie (selbst) paradoxal, prekär ermöglicht. Will sie nicht die ‚Dummheit‘ der bewußten Instanz im theoretischen „Sinn“, der gefunden werde, teilen, sich nicht durch die erwartete Bestätigung der ‚vorherigen Kenntnisse‘ bestechen lassen, nicht die prekäre Relation von Witzbildner und lachenden Anderen stillstellen, indem sie auf deren Stabilität als Komplizenschaft der lachenden Männer setzt,449 muß sie ihre (vermeintliche) Kohärenz und Stabilität suspendieren. Aber kann eine Theorie überhaupt die Dummheit der ‚Gewißheit‘ (die die Vorgänge und vielfach möglichen Irritationen verstellt), kann sie die ‚Form‘ des vermeintlich stabilen ‚Sinns‘ für eine vermeintlich konsistente wissenschaftliche Erkenntnis vermeiden? Freuds theoretisches Unternehmen, das einen „vorauszusetzenden Zusammenhang“450 zu gewinnen vorgibt, ist bezüglich seines Verhaltens zum Witz in und mit sich (‚selbst‘) nicht einstimmig – auf eine Weise, die in keiner ‚narrativen‘ Abfolge von noch-nicht-Erkanntem

446 So zit. Pusse Rita Bischof über Bataille (Von Fall zu Fall, 27 u. 190). 447 Freud wollte, so S.  Weber, die „Trennung von Sache und Sprache“, die in der Traumdeutung mißlang, für den Witz „im Sinne der Theorie durch[]setzen“, „die ‚Beherrschung des Stoffes‘“ am Witz „nach[]holen“ (Freud-Legende, 171f.). „Objekt- und Verfahrenseben“ sind aber bei Freud ineinander verschränkt (Stange, Unentscheidbarkeiten, 102). Die Einmischung der ‚Einsichten‘, die sich durchs Lachen anzeigen, stören die „Ökonomie der Theorie, die sich des Witzes zu bemächtigen“ sucht (Strowick, „Lach’s mit Mayonnaise“, 17). 448 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 81, 86f., vgl. ders., Freud-Legende, 113. 449 Diese (vgl. Freud, Der Witz, 94f.) nimmt Freuds Darstellung mit dem Kriterium ‚wir lachen‘ oder ‚wir haben gelacht‘ in Anspruch, beruft ihre Evidenz in der Simulation von fiktiver Anwesenheit, die der geschriebene Text aufschiebt. 450 Freud, Der Witz, 18.

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und erlangter Einsicht, die die Abhandlung zuweilen inszeniert,451 in keiner ‚Meta‘Erzählung aufzufangen ist.452 Die Witz-Theorie muss sich nicht nur zu der (theoretischen) Frage verhalten, wie die Theorie eine Beziehung zur Entsetzung von stabilen Vorstellungen unterhalten könne, wie sie sich zu ihrem ‚Gegenstand‘, der weder hier noch dort gegeben ist, verhalte, wenn sie dies nicht in feststellender Dummheit tun will, zum Witz, dessen „Präsens“ ohne Selbstpräsenz ‚ist‘, dessen Ein- und Vorfall in Absenz bewußter Geistesgegenwart,453 immer anderswo, in sich gedoppelt/gespalten passiert. Vielmehr trifft die Theorie in dieser zugleich auf die Frage nach dem Verhältnis ihrer theoretischen Aussagen zu dem Geschehen, das ihre Theoriebildung selber, als Darstellung, als Sagen und Schreiben ist, zur Äußerung in actu, die stets die (vermeintlichen) Resultate schneidet. Es handelt sich nicht bloß darum, dass „das Witzige der Theorie zum Problem wird“, da mit ihm „die Autorität und Autonomie der Freudschen Theorie auf dem Spiel“ steht, sondern Problem für „die Autorität der Wissenschaft, die doch wissen muß, was sie sagen will und wie sie es zu sagen hat,“454 sind die Vorgänge und Effekte (auch) der Theorie-Darstellung (selber), ihrer sprachlichen Verfaßtheit. Als Theorie, die feststellte, verstellte sie ihre Verfasstheit. Wenn Freuds Darstellung sich (zuweilen) im Geschriebenen als Redeereignis fingiert, so ist keineswegs zu sichern, dass diese Inszenierungen Teil eines ‚intelligiblen Zusammenhanges‘ werden;455 so unterbricht der Einlass von Beispielen die Argumentation, legt sich

451 Vgl. Freud, Der Witz, 124f., 97, 144, 100-05, 166. Mit dem nachträglichen Erraten, vorläufigen Annehmen, den „Andeutungen“, „Spuren“ dessen Folgen, ‚was man wirklich nicht weiß‘, den (und sei es temporären) Abbrüchen, Verschiebungen, unbestimmt rückwirkenden Revisionen ist keine Gewißheit zu haben, weder dass sie als Inszenierung kontrollierbar sind, noch dass sie in einem theoretischen Ertrag jenseits dieser Wege und unterbrechenden Rückgänge aufgehen. Zu Freuds Umgang mit „unerledigten Schwierigkeiten“ zwischen „Noch-nicht-Wissen“ und „Nicht-Wissen“ als Nicht-Wissen-Können, vgl. Stange, Unentscheidbarkeiten, 112-16, 125ff., 131f., 136-40; Freuds „non liquit“ stellt die Möglichkeit des Abschlusses (selbst) in Frage (122ff.). „Die Bewegung der Verkomplizierung bleibt […] ohne Ende.“ (141). 452 Vgl. de Man, Allegorien des Lesens, 105-11; vgl. auch Stange, Unentscheidbarkeiten, 134f. 453 S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86f. 454 S. Weber, Freud-Legende, 113. 455 Im Falle von Austins diskurs-begründenden Vorlesungen tritt das auseinander; die ‚Theorie der Sprechakte‘ wurde erst postum von anderen geschrieben. Freud simuliert (eklatant in der Fiktion ‚herzlichen Lachens‘, das die Analyse behindere) „essayistic spontaneity“, so Weitzman (Irony’s Antics, 12); das ist etwas lächerlich, „if Freud is writing the joke down […], he can no longer be literally laughing“.

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ausdehnende Pause ein, über denen (jedem) das ‚Gespenst des Zufalls‘ hängt,456 von denen keineswegs ausgemacht ist, wie sie sich zum Allgemeinen des Wissens verhalten, die vielmehr (unabsehbar) woandershin führen mögen; so werden die modellierenden Metaphern und z.T.  expliziten  Vergleiche (Schelm, Januskopf, Geschenk, ersparen, bestechen usw.) (potentiell) jede theoretische Erkenntnis, die sie ermöglichen mögen, auch in/gegen sich verschieben, das Potential zu unabsehbaren anderen Zügen bergen und immer (noch und wieder) fortspielen – oder witzeln. Die Abhandlung kann jederzeit unvorhersehbar überall dem Lesen (auch dem ihres Autors selbst) sich in ihrem Witzcharakter zeigen.457 Auch die theoretische Äußerung hat Ereignis- und Geschehenscharakter, der sich nicht in der (vermeintlichen) theoretischen Erkenntnis einlöst, nicht einem ‚Herrn‘ als Inszenator untersteht,458 wie umgekehrt Erkenntnis sich nicht vom Äußerungs-Ereignis ablöst, von seiner Verfasstheit und seinen sprachlichen Verfahren, von denen stets ungewiß, unkalkulierbar ist, welche Les- und Unlesbarkeiten sie (noch und wieder) erzeugen mögen. Der Exzess des Äußerungsereignisses über die (vermeintlich) bewußte kontrollierbare Äußerung, der jeder Witz ist, kann auch am theoretischen Text potentiell überall, jederzeit sich manifestieren. Die Verstellung ihrer Verfahrensweisen (und vor allem: der von diesen eingelassenen Kontingenzen) kann von der Theorie, die zu einem resultathaften Abschluß zu gelangen sucht, nicht vermieden werden, da ihr damit aber die ‚Blindheit‘ ihren Verfahren gegenüber eingelassen ist, vermag sie sich gerade derart nicht endgültig zu schließen.459 Eine Theorie des Witzes, die nicht die Beschränktheit der „kritischen Instanz“ im Witzvorgang und nach ihm teilte, wäre keine Theorie, die stabilen, intelligiblen Zusammenhang erwartet und festhalten könnte; und eine, die sich nicht von der Instabilität, dem Nicht-/ Wissen im Geschehen affizieren ließe, ‚wüsste‘ nichts vom Witz. Die WitzTheorie trifft im Verhältnis zu ihrer sprachliche Verfasstheit auf das, was Erkenntnis und Theorie, die diese allererst nachträglich, prekär und instabil erzeugt, immer wieder verschieben und unterminieren kann, als auf die

456 Vgl. Fleming, „Beside oneself“, 198f., 197f.; Freud, Der Witz, 60, 78f. 54-57; s.o. Kap. V.1 u. II. 457 Wie etwa das „überrumpelt“ (Freud, Der Witz, 143) wörtlich das ‚Rumpeln und Rumoren‘ ermöglicht (S. Weber, „Die Zeit des Lachens“, 86). 458 „Ereignishaftigkeit [wäre] neutralisiert, amortisiert, suspendiert“, „wo es Performatives gibt“, im Sinne „der Herrschaft […] eines durch Konventionen garantierten und legitimierten ‚ich kann‘“, so Derrida („Das Schreibmaschinenband“, 122; vgl. ders., Die Schrift und die Differenz, 388ff.). 459 Vgl. de Mans Konzept von Blindness and Insight sowie „The Resistance to Theory“.

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Unentscheidbarkeit über alles Geäußerte, alle vermeintlichen Resultate.460 Der Inkohärenz von Gesprochenem oder Geschriebenem und Erkenntnis in der ‚bewußten Darstellung‘ kommt eine Darstellung vor allem aber ein Lesen nach, die/das dieser Unverlässlichkeit, dem Vorläufigen Spiel zu geben sucht.

460 So entfaltet de Man die uneinholbare Spannung der ‚Epistemologie‘ von sprachlichen Vorgängen und Theorie im Lesen (Allegorien des Lesens, z.B. 36-50). Aufs dekonstruktive Lesen bezieht auch Pusse das „prekäre Wissen“ in der „Kontingenz des Augenblicks“ des Lachens (Von Fall zu Fall, 27), Lesen, das sich der „ständigen Vorläufigkeit“ aller Befunde „auf eigens Risiko aussetzt“ (190). Führt der Witz die Unhaltbarkeit: Inkonsistenz aller „conscious representation“ vor, gäbe dies die Vorlage der uneinholbaren Ironie der Theorie (Weitzman, Irony’s Antics, 11ff., 15f., 56), zugleich aber überführt der Witz (so Weitzmann) die Inkonsistenz von Äußerung (Schreiben) und Wissen: der Ironie der bewußten Darstellung, ins Lachen (16). Lachen kann jederzeit vorfallen.

Abbildungsverzeichnis 1. (S. 98) Athanasius Kircher, „Magia Catoptrica“, in: Ars magna lucis et umbrae (1646), Bildtafel XXXIII, Fig. 4 (o.P. vor fol. 901) (http://echo.mpiwg-berlin.mpg. de/ECHOdocuView?url=/permanent/einstein_exhibition/sources/5G6UYVGT/ index.meta&start=1031&pn=1037). 2. (S. 195) Jean Paul, Registerartikel Maschine/n, Nachlaß, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Fasz. IIIb, Konv. 2, Bl. 11r (= S. 7, handschriftl. Eintr.), Scan der Staatsbibliothek zu Berlin 2018. 3. (S. 272) A-B-C-Seite der Bienrodischen Fibel, in: Jean Paul, Leben Fibels, SW I.6, 555. 4. (S. 432) Asaroton, gefunden in einer Villa auf dem Aventin in Rom, aus dem 2. Jahrhundert n.Chr., Museo Gregoriano Profano, Inv. 10132 (Detail), nach Carlo Bertelli, Die Mosaiken von der Antike bis zur Gegenwart, Augsburg 1996, 18.

Literaturverzeichnis Alle Hervorhebungen, alle typographischen und anderen sprachlichen Besonderheiten in den Zitaten entstammen (soweit nicht anders vermerkt) den Originalen. Alle Verweise auf Kap.: römische Kap.bezeichnung, arabische Teilbezifferung, beziehen sich auf die des vorliegenden Buches.

Abkürzungsverzeichnis BA = Berliner Abendblätter (röm. Bd., arab. S.) nach KBA, Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe, hg. von Roland Reuß/Peter Staengele, Basel/ Frankfurt a.M. 1997 (I u. II = KBA II/7 u. 8). Berliner Abendblätter = Original (mit arab. Seitenz., nach Faksimile-Druck, hg. von Helmut Sembdner, München, 1965, bzw. in der elektronischen Ausgabe der BA). DKV = Deutscher Klassiker Verlag: Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe (in vier Bänden), hg. von Ilse-Marie Barth/Klaus Müller Salget/Stefan Ormanns/ Hinrich C. Seeba, Frankfurt a.M. 1987-1997 (röm. Bd., arab. Seitenz.). DW = Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Nachdr. d. Erstausg. Leipzig 1960, München 1991. DVjs = Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte GS = Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a.M. 1972ff. HKA = Jean Paul, Jean Pauls sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. und begr.  von  Eduard Berend, hg. von Eduard Berend u.a., Weimar 1927ff. (röm. Abt., arab. Bd.). JJPG = Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft KBA = Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke. Brandenburger Ausgabe, hg. von Roland Reuß/Peter Staengele, Basel/Frankfurt a.M. 1988-2010 (röm. Abt./arab. Bd.). KFSA = Friedrich Schlegel, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, begr. von Ernst Behler, fortgef. von Andreas Arndt hg. von Ulrich Breuer, Paderborn u.a. 1958ff. (röm. Bd., arab. Seitenz.). KSW = Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke und Briefe, 2 Bde., hg. von Helmut Sembdner, 4München 1965 (röm. Bd., arab. Seitenz.). N = Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. von Paul Kluckhohn/ Richard Samuel, zweite, nach den Handschriften erweiterte und verbesserte Auflage in vier Bänden, Darmstadt 1960ff. (röm. Bd., arab. Seitenz.). Sämtl. Schr. = Heinrich Heine, Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb (u.a.), München 1997 (1. Auflage 1968), 2. Auflage 1975 bzw., 3. durchges. u. erg. Auflage 1995.

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Index Abfall (dirt) xxxf., 233, 251f., 270, 294, 304, 306, 310, 312f., 381, 387, 428-33 Acumen, acutezza, acutus, agudeza, argutum, argutus xi, xix, 6f., 26, 72f., 91, 97, 99, 216, 352, 446, 449, 456 Addison xiii, xixff., xxxiii, 4ff., 28, 37, 80f., 83, 87, 90, 124, 126, 452, 455 Adelung xx, 37, 76f., 83, 85, 122f., 126, 146, 222, 265, 321, 340, 382, 388f., 391, 393f., 396, 427 Adorno viii, xiii, xxxvi, 52, 61, 392, 399ff., 412, 427, 489 Anagramm, anagrammatisch xiv, xx, xxiv, xxviif., 34, 40, 44, 75, 79f., 82-92, 94ff., 110, 116f., 123-27, 130f., 134-38, 140f., 234, 247, 251, 256f., 279, 284f., 341f., 344-49, 358, 378, 381, 390, 396, 406, 410, 427, 430, 435ff., 441, 450 Anekdote vii, x, xv, xxix, xxxiv, xxxviii, 197, 272, 314, 322, 326, 328, 331, 337, 339, 345, 351-58, 360ff., 366, 368, 371-76, 379f., 471 Aristoteles x, xvii, xx, xxvii, 2, 7, 31, 37, 55, 74, 81, 97, 153, 167, 178, 211, 252, 323, 338, 362, 376, 464 Austin x, xii, xiv, xxxivf., 14f., 17ff., 21, 47, 142, 179, 183, 323, 340, 355, 357, 359, 366, 500ff., 517 Bachtin xxxi, 308, 323-27, 340ff., 350, 365, 498, 511 Balzac 60, 113 Barthes x, xviii, 88, 127, 132f., 156, 159, 163, 172, 207ff., 215, 267, 274, 287, 337, 343f., 349, 353f., 356f., 360, 367, 373, 437, 439 Baudelaire ix, 365, 484, 491, 498 Baumgarten 2-7, 23, 30, 150 Beispiel (Exempel, paradigma) viiiff., xxiii, xxxv, 13f., 17, 19, 23, 25, 35, 38, 40, 44f., 53, 55, 58, 73, 75ff., 79, 81-86, 88f., 100, 114, 121, 128, 130, 144, 146f., 152ff., 156ff., 161, 164f., 167, 171f., 176-79, 181ff., 189, 196f., 202f., 221, 245, 271, 279f., 298, 323, 326ff., 339, 360f., 384, 409, 423, 428, 446, 448, 450f., 454, 463f., 467, 470f., 476, 483f., 488, 503, 505, 517

Benjamin 83f., 88, 124, 199, 241, 284, 290, 305, 367, 383, 409f., 421, 423, 454 Bergson vii, ix, xxiii, xxxi, xxxvi, 160, 176, 464, 469, 478, 488f., 492, 498 Bibliothek 103f., 106, 127-30, 186f., 189f., 200, 204f., 208, 216, 225, 232, 235, 240, 243, 248, 251f., 254, 260, 268ff., 276, 282, 288, 293, 295, 297, 307f., 383, 417, 424 Blätter(n) (Zettel) 53, 67f., 103, 112, 117, 184ff., 196f., 209-12, 214f., 225f., 228, 232, 235-47, 253, 255ff., 259, 261, 270, 276, 279, 289, 294f., 298, 300, 304, 306-09, 312, 349, 367, 370, 373-80, 410, 417f., 420ff., 424, 436f., 441 Blanchot 62f., 121, 139, 142, 248, 498f. Blumenberg 92, 96, 103-12, 115, 128-31, 205, 265, 341, 354 Bodmer 369, 391f., 394f., 407 Borges 103f., 129f., 202, 295f., 300 Brentano xxvii, 364 Buchstaben/-äblichkeit/Buchstabenspiele  xviiiff., xxiv, xxviiff., 25, 36, 39ff., 43ff., 48f., 62f., 73ff., 80, 82f., 85f., 88, 91-94, 102-06, 110, 112, 117, 123-27, 129-32, 181, 208ff., 214, 216, 231, 233, 238, 241, 248, 250, 253, 258, 263-68, 271, 274-87, 289, 292, 298, 319f., 322, 329-32, 334, 336f., 341-50, 352f., 381ff., 385, 390, 396, 399-404, 406ff., 435ff., 447, 450ff., 458 Cervantes (Don Quijote) 298-300, 315 Cicero xviif., 5, 63, 70, 97, 192, 216, 415 Cowley xxi, xxiv, 23, 67, 70, 80 Deleuze xxix, 40f., 62, 106f., 174, 184, 242, 439, 446 De Man ixf., xiv, xvi, xxviii, xxxix, 21f., 31, 48, 53, 57, 117, 120, 123f., 131-34, 141, 144, 172ff., 178, 243, 248, 260, 262, 285, 296, 331, 336, 341f., 358f., 361, 376f., 419, 509f., 515, 517ff. Derrida xvii, xxviif., xxx, xxxv-xxxviii, 17, 20, 22, 29ff., 43f., 49, 52, 54-59, 61f., 64, 68, 72, 74, 80, 87, 94, 106, 109, 111f., 116, 131, 133f., 136-41, 147-50, 153, 156, 162,

594 Derrida (fortges.) 169f., 172f., 176f., 179ff., 184, 218, 221, 227, 231, 242, 246f., 255f., 258, 261, 264, 290f., 297, 305, 311, 316, 319-22, 326, 336, 343f., 346-49, 352f., 355-59, 367f., 370f., 376f., 381f., 385f., 391, 393, 399, 404f., 409f., 415ff., 419ff., 424, 426, 450, 453, 456, 465, 469, 473, 487ff., 500f., 509f., 512, 515, 518 Diderot xxiv, 97, 128, 201, 206f., 209f., 215, 217, 267, 430 Digression (Exkurs, Parekbase) xxxix, 50, 68, 144, 198, 211, 214, 226, 255, 306, 313, 316, 353, 362, 381, 387, 399, 406, 413ff., 418-26, 428, 431, 433ff., 437f., 440f Douglas vii, xiif., xxxff., xxxviff., 294, 312, 323 Einfall vii-xii, xv, xviii, xxiii, xxvf., xxix, xxxii, xxxviii, 7, 16, 18, 26-29, 32, 41, 61, 66ff., 70f., 112, 128, 143, 151-55, 157, 163, 168, 176, 182f., 185, 187, 192, 198, 211f., 221, 226, 228f., 245f., 248, 253-58, 320-23, 325, 328, 333, 342, 353, 355-58, 363, 365f., 391, 411, 428f., 433, 437, 455f., 480ff., 484f., 489, 492, 496, 506, 509 Ereignis xxvi, xxxii-xxxv, xxxviif., 18, 35, 39, 47, 96, 106-11, 113, 130ff., 134, 136, 144, 146, 149f., 152f., 155f., 162f., 168, 170, 172ff., 176, 179, 181, 184, 253-56, 259, 320ff., 336, 338, 341, 344, 349, 352ff., 356-60, 362ff., 366ff., 370f., 374, 376, 384, 440, 484, 500f., 512, 515, 517f. Er-/Finden/Erfindung (-skunst, inventio)  xiif., xvii, xixf., xxii, xxxviii, 1-5, 7-10, 15f., 24, 27, 29, 40, 70, 89f., 92f., 95f., 98f., 102ff., 107, 109, 113, 128f., 144f., 151, 154f., 157f., 168, 170, 180, 185ff., 189f., 192, 196, 198-201, 212f., 217f., 221, 223ff., 229-32, 238f., 241f., 244ff., 249, 251ff., 257, 259, 261, 267, 275, 299, 307, 323, 330, 353, 364, 420, 431, 446, 457, 459f., 476, 482, 492, 503f., 507, 516 Ernst xiv, xxxi, xxxv, 23, 33, 37, 62ff., 72, 76, 78, 80f., 83, 88, 108, 110, 112ff., 116, 118-21, 126, 131, 139, 142, 199, 229, 233, 254, 274, 285, 288, 317, 332, 357, 359, 399, 419, 435, 439, 454, 469f., 500, 510

Index Etymologie (/figura etymologica) 11, 13, 23, 29, 41ff., 60-63, 75, 77, 91, 95, 107, 109, 133, 138ff., 222, 233, 244, 247, 266, 401, 427 Exkurs, s. Digression Foucault 90, 103, 127, 135f., 159, 202ff., 208, 226f., 255, 263f., 287, 293, 295f., 305f., 308f., 386 Flaubert 192, 206, 287 Freud vii-xvi, xviii, xxvf., xxxi-xxxvii, xxxix, 1, 19, 21, 25f., 33f., 36, 38, 40f., 44f., 47, 58, 66, 76, 79, 81f., 84, 93, 114, 131, 148f., 162f., 182f., 201, 250, 252, 258f., 321-25, 333, 340, 346, 353, 355, 360, 365f., 368, 372, 380, 443-519 Gadamer xxviii, 329, 331, 336, 384, 397 Geld (auch Papier-, Münz-) 21, 49, 51f., 54-59, 64, 71, 89, 113f., 148ff., 188, 202, 217, 222, 243, 247, 312, 314, 374f., 407, 424, 493 Gedankenstrich s. Strich, Streich Geschichte (auch Schrift-, -sschreibung) s. Historie/y Glück(en) (-sspiel, -srad) (auch happy, suerte, feliz) xii, xiv, xxxii, xxxv, 15, 18, 21, 28, 62, 64, 77, 83, 100, 102, 107-11, 113, 115f., 121, 127, 134, 142, 145, 152, 156f., 162, 164-67, 172, 174f., 182f., 185, 224, 227, 245, 253-56, 300f., 306f., 323, 380, 393, 430, 471, 498, 500ff. Goethe xxxiv, 9, 52, 66, 84, 106, 108, 198f., 215, 237, 251f., 393, 397, 412, 488 Gold 48-54, 56, 58, 61, 64, 67, 89, 114, 212, 218, 223, 247 Gottsched (und Gottschedin) xixf., xxvii, 4, 9, 16, 55, 206, 383 Gracián viiif., 3, 6f., 9, 23f., 38, 72-79, 81, 88f., 91, 97-102, 107, 109, 122, 127, 229, 446, 452 Grimm xxvii, 326, 375 Heine 58, 301, 326, 332, 349, 369, 404f., 448, 451f., 469, 470f., 509 Herder xi, 4, 9ff., 18ff., 29, 122, 150, 215, 303, 325, 340 Historie/y (Geschichte, auch Schrift-, -sschreibung) vii, xiv, xx, xxiif., xxvi,

Index

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Kleist x, xv, 50ff., 108, 191, 143-184, 243, 253, 319-380, 404 Kombinationen/orik (combination, ars combinatoria)  xx, xxx, 4, 9f., 13, 28, 79, 84, 87, 90-99, 102-08, 110ff., 124, 127-32, 134f., 189, 195f., 201f., 205, 208, 210, 217f., 221, 223, 229f., 234, 239ff., 244ff., 249f., 252, 254, 265f., 274, 277f., 282-85, 287, 408, 430, 439, 456 Komik/-sch viii-xiii, xvff., xxvi, xxxf., xxxiiif., xxxviff., 1, 23, 25f., 28f., 32, 68f., 76, 119, 125, 152, 160, 176, 185, 187, 198, 203, 220, 248, 285, 297, 323, 354, 361, 375, 424, 438, 443f., 446, 449, 456, 458f., 461, 464, 473, 477f., 481f., 492, 495, 498, 502f., 505, 507, 510f., 514 Kontingenz viii, xxv, xxxif., 9f., 63, 89, 106f., 109, 111, 113, 115, 118, 130, 132, 134, 141, 154, 160ff., 164, 176, 185, 212, 224, 228, 247, Ingenium (euphuîa, εύφυϊα), ingenio, ingegno  254f., 260, 276, 289, 305f., 309, 311, 313, viif., xi, xv-xxiv, 1-9, 15f., 24, 27, 30, 36f., 316f., 332f., 336, 358, 362, 375-78, 426, 45, 47, 70, 72-76, 78f., 87, 89, 96-102, 433ff., 439f., 515, 518f. 106f., 128f., 185, 221, 229, 232, 242, 275, Kraft viii, xiif., xxf., xxxiii, xxvff., xxxf., 299, 340, 365, 444ff., 449, 459 xxxiii, xxxivf., 1, 4, 6, 8ff., 11, 13, 15-23, Inventio s. Er-/Finden 26, 29f., 32, 34, 44-47, 53, 58, 63, 66, 70, Ironie viiff., xvi, xxx, xxxiv, xxxvii, 19, 120, 83, 85, 88, 114, 116f., 121-24, 126f., 131, 136, 144, 198, 201, 248, 343, 354, 416, 419, 492, 142, 147, 150f., 153f., 156, 159, 172ff., 187f., 514f., 519 217f., 221, 223, 229, 232, 241, 245f., 251ff., 256, 328, 340f., 343f., 348, 352, 357, 360, Jakobson 37f., 42, 44, 92, 385, 458 368, 371, 391f., 405, 410, 438f., 451f., 468, Jean Paul viif., xif., xiv-xxi, xxiii-xxxv, 484, 497f., 500f., 512, 516 xxxviii, xxxix, 1-72, 76, 79-96, 99f., 103-31, 134, 137, 139, 143, 145, 151-55, 162f., Lacan xviiif., xxvi, 19, 57, 94, 152, 247, 379, 168, 185-317, 319-22, 330, 333, 340-43, 447, 455f., 476f., 481, 499, 504, 508, 510f. 349, 353, 362f., 369f., 372f., 377, 379, Lachen viixiiff., xvif., xxvf., xxxf., xxxiii-vii, 380-90, 396-441, 444, 446f., 452, 456, xxxix, 47, 108, 142, 149, 213, 245, 259, 488, 492, 499, 507, 515 267, 281, 322, 325, 327, 342, 355f., 364ff., Joyce xv, 62, 136-41, 363 444f., 449, 452, 459, 463-66, 471, 474-80, Jude(n), jüdisch ix, 17, 33, 77f., 266f., 482, 484-502, 504, 506, 509, 511f., 514ff., 275, 279, 281, 295, 298-301, 448, 463, 517, 519 470f. Latenz/ latent xxviif., xxxii, xxxix, 37, 39, 41, 43ff., 62f., 75, 84, 87f., 111f., 124f., 127, 129, Kafka 179, 242, 329, 429, 511f. 132, 134-37, 140f., 181, 231, 234, 241, 247f., Kant viiif., xii, xvif., xxiif., xxvff., xxxi, 4-11, 253, 256f., 285, 292, 308, 324, 333f., 13, 15, 30, 25, 27, 40, 58, 66f., 81, 100, 108, 343-50, 353, 356f., 367f., 378, 381, 406, 116, 118, 155, 158, 201, 205f., 211, 222, 224, 409f., 433, 437, 440, 452 229, 232, 249, 254, 258, 261, 277, 291, 313, Leibniz 20, 49, 92, 96, 100, 103-06, 109, 419, 421, 433, 449, 490, 492 129f., 192, 205, 207, 239, 243, 250, 252, Kircher 77, 92, 96ff., 102, 104f., 110, 127-30, 265 189, 195f., 205, 240, 242f., 250, 265 xxxiv, 1f., 8-11, 22, 28, 38, 41f., 45, 60, 62, 66, 80ff., 86f., 131f., 140, 154f., 165, 168f., 187f., 191, 197, 200f., 203, 205, 207, 212, 214, 222, 225f., 229, 239f., 259f., 262f., 266, 274, 279ff., 283, 285, 287-90, 297-304, 309, 311, 313-17, 319, 323, 328, 330, 335-38, 345, 347, 350-54, 356, 362, 364, 366, 372f., 375f., 378, 381, 386ff., 391f., 395f., 400f., 408, 418, 420, 423f., 435, 444, 474, 482 Hobbes ix, xix, 3, 455 Hoffmann 226, 235, 256, 365, 403 Homer 31, 219, 225, 263-67, 303, 313 Humor viiff., xiv, xvi, xxxi, xxxiv, xxxvii, xxxix, 10, 20, 28f., 69, 116f., 119, 198, 201, 213, 223, 237, 246, 280, 354, 435f., 482, 507

596 Lessing xxii, xxvii, 4, 9, 55, 95, 102, 112, 122, 145, 199, 201, 230, 243, 248, 254, 325, 340, 350, 365, 439 Lévi-Strauss 244, 458, 483, 487 Lichtenberg xxiii, xxv, xxxii, 7, 27, 58, 60, 69, 121f., 141, 153, 190, 192, 199, 204, 211, 216f., 220f., 223, 241, 245f., 249f., 252f., 257, 269, 276, 294, 324, 414 Lipps vii, xif., xv, xxvi, 12, 24f., 33f., 42, 44, 275, 341, 444, 446-50, 453-56, 459, 470 Locke xx, xxiv, 3f., 6, 11, 24, 28, 53, 67, 100, 208, 248f. Lotterie, Los (sors, sorteo) 91, 107, 130f., 134, 227, 236f., 243f., 254f., 271, 278, 293, 295, 351, 426, 448 Lullus (Ramon Llull) (Lullismus) 92, 96, 102-05, 127, 249f., 265 Macpherson/ Ossian 290, 302ff., 315, 351 Mallarmé 88, 241, 349, 367, 409f., 473 Maschine (machination) xxviii, xxxif., 45f., 95-99, 102f., 105, 108, 110, 112, 121f., 127-36, 140ff., 193-96, 207, 240-43, 249, 277, 314, 358ff., 418, 469 Mauss xxxvi, 148f., 487f., 497 Mélinand 201, 459f., 464, 484, 500, 503 Mendelssohn 94, 112, 202, 230, 248, 250 Metapher xvii-xx, xxiv, xxviff., 2, 6, 14, 16, 22, 26-32, 36, 38ff., 42, 45, 49f., 52f., 55ff., 59, 63, 65-71, 74f., 79, 89, 91, 97, 99, 102, 106, 113-16, 122, 127, 129, 135, 152f., 155, 162, 180, 185, 188ff., 201f., 211, 216f., 220f., 223, 228, 230, 232, 234, 240, 243, 247, 251, 255, 259, 266, 269, 275, 296, 300, 307f., 310f., 337, 339ff., 343, 358, 364, 371, 385, 395-98, 404, 407, 410ff., 414, 416, 421, 424, 428-31, 434, 438f., 447, 455, 457, 479, 481, 491f., 504ff., 518 Mosaik (asaroton) 86, 116, 124-27, 222, 226, 234, 256, 311, 341, 406, 412, 414, 427-38, 471 Novalis viii, xxv, xxvii, xxx, 16, 60, 66, 93, 117f., 120, 132, 145, 219, 230, 244, 252f., 267, 323, 361, 401 Ökonomie (oikos) (/Gabe, Geschenk) xxix, xxxif., xxxvif., 48-60, 67-72, 113, 141, 148ff., 202, 246, 257, 293, 298, 312, 333,

Index 367, 410, 433, 445, 471, 475, 479, 485-91, 493f., 497f., 500, 502, 516, 518 Papier (Makulatur) xxxiii, 51, 53, 66, 80, 104, 106, 141, 194, 198, 204, 208, 230ff., 235, 238, 243, 247, 257, 260, 263, 268-72, 276, 282ff., 288-91, 293-97, 299-302, 304-315, 317, 319, 338, 348-52, 367f., 370, 379, 382, 385, 391, 401, 404-08, 410, 430, 433 Para-, Parergon s. Rand, Rahmen Paronomasie, s. Wortspiel, pun Performativ xii, xiv, xxxivf., xxxviif., 14, 17ff., 21f., 46f., 134, 142, 156, 161, 166, 169f., 173, 177, 179, 181, 183f., 260, 319, 323, 337, 340, 343, 355, 357-60, 366, 376f., 383, 393, 399, 404, 410, 440, 445, 500ff., 517f. Pointe xff., xiv, xvif., xxxiv, xxxviiif., 13, 16, 19, 23, 26, 41, 72f., 78, 97, 99, 129, 156, 320, 343f., 349f., 352, 354, 357, 362, 366, 368, 373, 380, 445f., 449f., 455ff., 500, 508, 514 Pope xiii, xix, xxi, xxiv, xxvii, 4f., 23, 37f., 67, 70, 80f., 126, 363, 390, 455, 457 Punkt (punctum, point) xif., xvi, xxiii, xxviiif., xxxiv, xxxviii, 16, 112, 150, 152, 155f., 175, 177, 216f., 225, 227, 253, 266, 281, 305, 315, 317, 319f., 329-32, 334, 336ff., 343f., 346-53, 355-60, 363ff., 367-70, 373, 380-85, 387, 390ff., 395f., 399f., 404-07, 426, 449f., 455f. Quintilian xix, xxii, 2, 5, 26f., 36, 49, 70, 74, 91, 97, 102, 131, 211, 278, 360, 394, 402, 415, 423 Rand (para-, Marginal-, Fußnote), Rahmen (parergon) xii, xiv, xviii, xxv, xxix-xxxii, xxxv, xxxvii, xxxix, 5, 41f., 45, 65-69, 81, 90, 93, 97, 107, 109-12, 125ff., 129, 134, 144, 162, 171, 179, 185, 198, 206, 209f., 214, 220, 228, 237f., 243, 249, 251, 253-56, 259, 261, 263f., 274f., 283, 287-91, 293-96, 298f., 303-06, 308, 310f., 316f., 320, 326f., 330, 354, 361f., 369-72, 374f., 378f., 385ff., 389f., 399, 401ff., 406, 409, 411f., 415-23, 425-29, 433f., 437, 443, 459, 502f. Saussure 44, 54, 92ff., 124, 134ff., 140f., 231, 285, 378

Index Schauplatz (scène), Szene (theater/ral) xxv, xxviiiif., xxxif., xxxviiif., 21f., 39, 41, 44, 46, 51, 78, 85, 122, 128f., 144, 171, 174f., 181, 187, 190f., 200, 203f., 215, 217f., 232, 242f., 254, 263, 265, 270f., 281f., 288-91, 302f., 305f., 311, 317, 319, 323, 326ff., 334, 337, 344, 346f., 350, 353, 360f., 367, 374, 378, 381, 383, 388, 461, 483, 488, 501, 511 Schiller 23, 81, 261 F. Schlegel xii, xvf., xxiii, xxv, xxxf., xxxviiif., 2, 4f., 8-13, 16, 19, 26f., 48f., 51, 53, 55, 58, 60, 66, 78, 83, 87, 89, 92f., 95ff., 100, 103, 110, 112, 115, 117, 119f., 122, 126, 132f., 143ff., 152-55, 163, 189f., 198, 201f., 215f., 218, 221f., 229, 245f., 250, 252f., 258, 286, 310, 312, 358, 419, 510 Shakespeare xxiv, 17, 40f., 60, 80, 137, 140, 332, 338, 360f., 363f., 388, 456 Spiel xiiif., xxvi-xxix, xxxiff., 14, 18ff., 22, 31, 34, 37, 39, 42f., 46-49, 51, 61f., 65, 66f., 72-87, 90-95, 100, 103-132, 138-41, 147, 156f., 162, 185, 201, 204, 231ff., 238, 243-47, 249ff., 253f., 256, 258, 270, 279, 288, 294f., 316f., 326, 338, 342ff., 349, 362, 405, 410, 429, 431, 439, 455, 457-62, 466, 469, 475ff., 479, 482ff., 486, 489, 492, 494, 499, 503, 507ff., 511, 514f., 517, 519 Starobinski 88, 134ff., 141, 257, 285, 347, 378 Stelle (an Stelle), (Ver-, Um-)Stellung (Konstellation) x, xx, xxviif., 29, 39, 41, 45, 54, 64, 76f., 86ff., 90-94, 96, 99, 122ff., 126ff., 131, 133, 135, 137, 140, 162, 169, 175, 188f., 210, 216, 228f., 231, 233-43, 246f., 253, 256, 266, 268, 277, 283-86, 315ff., 319, 329-24, 334, 337, 339f., 343-50, 352f., 356, 367f., 377f., 380-83, 392, 395, 397f., 401, 403-06, 408-11, 414ff., 423, 425-28, 430, 437, 441, 455ff., 487f., 495ff., 500 Sterne xxiv, xxviiif., 12, 28, 69, 94, 115, 198f., 226, 237, 246, 248, 257, 279, 298f., 315, 319, 321, 329ff., 369, 384f., 387, 389ff., 396, 398, 400, 402, 405f., 414, 416, 418ff., 422ff., 434, 438ff.

597 Strich, Streich(en) xxix, 123, 125, 249, 282f., 289, 315f., 319f., 332, 334, 360-64, 369ff., 381ff., 385, 387-408, 410-15, 417, 419, 422ff., 426f., 429, 433f., 436ff., 440f., 492 Swift (-Maschine) 20, 33, 41, 100, 103ff., 129f., 199, 242, 249, 270, 284, 291, 293f., 307, 310, 312, 314, 390, 399, 419 Szene (Schrift-), s. Schauplatz Topik, Topos/-logie xx, xxxiii, 16, 26, 36, 58, 63, 65f., 70, 96, 98f., 127, 138, 152f., 158f., 179, 185f., 188f., 200, 204, 206, 208, 216f., 221f., 232ff., 238ff., 247, 249, 252, 257, 264, 270, 274, 298, 321, 323, 422 Vexierbild 35f., 39, 41, 43f., 46f., 63f., 87f., 124, 141, 256, 410, 431, 433 Vischer xi, xvf., 1, 12f., 25f., 45, 48, 61, 65, 76, 435, 444, 447, 451, 455, 465f. C.M. Wieland 66, 107, 109f., 237, 244, 248, 329, 332, 338, 361, 363 Wortspiel (Paronomasie, pun) viiif., xviiiff., xxiv, xxviif., xxxiii, 7, 13f., 22, 24ff., 32, 34-49, 52, 54, 56-64, 66, 72ff., 76-85, 88ff., 110, 114-17, 120f., 123, 126f., 131f., 136-39, 145, 160, 180, 186, 222, 266, 275, 292, 343, 356, 363, 445f., 450, 452-55, 458ff., 466, 468f., 477, 509 Wucher/n (usury) 41, 55, 57, 60, 64, 217f., 222, 402, 421 Würfel/n 91, 94f., 103, 107-111, 113, 143, 156f., 161f., 164, 228, 230f., 234, 244, 248ff., 254ff., 278, 349 Zettel s. Blätter Zufall viii, xif., xxvi, xxxif., xxxv, 13, 27, 34f., 39f., 42-46, 48, 50, 52f., 62, 76, 89f., 103, 106-116, 121, 129-32, 134ff., 141f., 145, 150, 154, 156f., 159, 162, 165, 181, 183, 185, 187, 191, 202, 207, 210, 212, 224, 227-30, 236ff., 243-46, 249, 253-59, 271, 273, 275f., 280, 284f., 287, 293, 295, 300, 304, 306, 309ff., 313, 317, 321f., 341ff., 346f., 354f., 359, 362, 368, 375f., 378ff., 384, 411, 420, 431, 434, 441, 448, 469, 476, 516, 518