193 39 11MB
German Pages 142 [144] Year 1977
Einführung in die Phonetik von
Maria Schubiger Zweite, überarbeitete Auflage
w DE
G
1977
Walter de Gruyter • Berlin • New York
S A M M L U N G G Ö S C H E N 2203
Dr. Maria Schubiger, e h e m . Lehrbeauftragte für englische u n d allgemeine P h o n e t i k an den U n i v e r s i t ä t e n Zürich u n d Basel
ClP-Kurztitelaufnahme
der Deutseben
Bibliothek
Schubiger, Maria Einführung in die Phonetik. - 2., Überarb. Aufl. - Berlin, New York: de Gruyter, 1977. (Sammlung Göschen; Bd. 2203) ISBN 3-11-002779-8
© Copyright 1977 by Walter de Gruyter fle Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit Sc Comp., 1 Berlin 30 - Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden - Printed in Germany - Satz und Druck: M a x Schönherr KG, 1 Berlin 51 - Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe-GmbH, 1 Berlin 61
Vorbemerkung Dieses Buch ist aus Vorlesungen hervorgegangen, welche einen Teil des Grundstudiums für Studenten der neueren Sprachen bilden. Dies erklärt es, warum sowohl dem physiologischen Aspekt des Sprechvorgangs, als auch den phonetischen Grundlagen der diachronischen Sprachbetrachtung vergleichsweise viel Platz eingeräumt ist, während Akustik und Phonologie summarischer behandelt werden. Die zweite Auflage hat im Wesentlichen die gleiche Zielsetzung, wenn auch auf Grund kritischer Bemerkungen einiger Rezensenten und der seit 1969 erschienenen Literatur die Akzente etwas verschoben sind. Das philologische Anschauungsmaterial ist leicht vermindert, während im Kapitel Akustik die synthetische Rede, im Kapitel Phonologie die distinktiven Lautmerkmale etwas ausführlicher und, wie ich hoffe, einprägsamer dargestellt werden. Neu ist der kurze Abschnitt . — U m auch einem die Phonetik über das Grundstudium hinaus verfolgenden Studenten Genüge zu tun, habe ich die Hinweise und Quellenangaben in den Fußnoten vermehrt und die Bibliographie bedeutend erweitert. — Das ganze Buch wurde revidiert und von gelegentlichen Irrtümern und mißverständlichen Formulierungen nach bestem Vermögen befreit. Abb. 8 und 22 sind durch neuere Darstellungen ersetzt worden. Auch hier haben mir vor allem meine Rezensenten den Anstoß gegeben, wofür ich ihnen meinen D a n k ausspreche. Zürich, Dezember 1975 Maria
Schubiger
Inhalt Einleitung: Allgemeiner
Geschichtlicher Überblick Teil
I. D i e Sprechorgane und ihre Funktion Instrumentelle Hilfsmittel zu I I I . Die Akustik der Sprache
7 13 13 19 21
A. Physikalische Grundlage
21
B. Anwenidiunig auf die Rede
25
I I I . Perzeptive Phonetik Instrumentelle Hilfsmittel zu I I und I I I IV. Phonologische Betrachtung V. Die phonetische Schrift
Spezieller
Teil
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
28 29 33 39
42 42
A. Methodisches
42
B. D i e Vokale Physiologischer Aspekt Akustischer Aspekt Phonologischer Aspekt
45 45 51 55
C. Die Konsonanten Physiologischer Aspekt Akustischer Aspekt Phonologischer Aspekt
59 59 62 65
D . Die Konsonanten im einzelnen 1. Die Verschlußlaute Der Kehlversdiluß 2. Die Nasallaute 3. Der Laterallaut [1] 4. Die palatalen Zungen-Gaumenlaute 5. Die retroflexen Zungen-Gaumenlaute 6. Die r-Laute
67 67 74 75 76 78 79 80
Inhalt
6 7. 8. 9. 10.
Die Engelaute Die A f f r i k a t e n Die H a l b v o k a l e Sekundäre Artikulationen
II. Die Laute in der Lautreihe 1. Da>s Verhalten der Verschlußlaute 2. Die Sproßlaute 3. Die Assimilation A. Allgemeines B. Die Assimilationserscheinungen im einzelnen 4. Die Inversion (Kontaktmetathese) 5. Die Dissimilation 6. Die Fernassimilation 7. Die Ferndissimilation 8. Die Fernmetathese III. Die Silbe
83 91 92 93
....
94 95 96 97 97 99 102 103 104 105 106 106
IV. Die Dauer
111
V. Der A k z e n t 1. D e r W o r t a k z e n t 2. Der Satzakzent
115 117 118
VI. Die Tonhöhe
119
Ausgewählte Bibliographie
126
Sachregister
128
Namenregister
132
Wortregister
134
Einleitung Geschichtlicher Überblick Die Phonetik im engeren Sinne des Wortes, d. h. die wissenschaftliche Erforschung der menschlichen Rede, ist etwas mehr als hundert Jahre alt. Sie geht auf die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zurück. Phonetiker im weiteren Sinn des Wortes, d. h. Menschen, welche die Lautfolge der Rede bewußt erlebten und ihre Beobachtungen denkend verarbeiteten, gab es schon viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende früher. Die ersten Phonetiker waren die Erfinder der Schrift, die Westsemiten im Gebiete des heutigen Syrien, welche um das Jahr 1500 v. Chr. die Konsonantenschrift erfanden, und nach ihnen die Griechen, die daraus die aus Vokalen und Konsonanten bestehende Buchstabenschrift entwickelten, beide also Lautschriften, im Gegensatz zu den reinen oder mit Lautzeichen bloß ergänzten Bilderschriften der Ägypter und anderer Völker des frühen Altertums. Die bedeutendsten Phonetiker des Altertums, die I n d e r , waren vor allem Physiologen. Die genaue Beschreibung der Aussprache des Sanskrit durch ihre Grammatiker des 6. und 5. vorchristlichen Jahrhunderts diente religiösen Zwecken. Die Hymnen des Rigveda mußten in der überlieferten Aussprache wiedergegeben werden. Wie das griechische so geht auch das indische Alphabet auf die Westsemiten zurück, durch Vermittlung des Aramäischen, der Verkehrssprache des vorderen Orients im ersten vorchristlichen Jahrtausend. In G r i e c h e n l a n d beschrieben H I P P O K R A T E S und A R I später G A L E N , die Sprechorgane und ihre Funktion. Doch es war vor allem der Klang der Rede, welchem die Griechen ihre Aufmerksamkeit schenkten. Auf sie gehen die Bezeichnungen Vokal (ta phoneenta) und Konsonant (ta symphöna) zurück. Sie beobachteten auch schon die Sprachmelodie. STOTELES,
Einleitung
8 Der
Aristotelesschüler
ARISTOXENOS
VON
TARENT
verglich
S p r e c h - u n d S i n g s t i m m e . DIONYSIOS VON HALIKARNASSOS ( 1 . J h .
vor Christus) sprach vom Quintintervall beim Sprechen. Im ganzen M i t t e l a l t e r und noch in der Renaissance und der Barockzeit behielt die griechische Auffassung ihre Geltung; dodi nicht die Laute, sondern -die Buchstaben, also die geschriebene Sprache, waren Forschungsobjekt der Gelehrten. Ein paar Ausnahmen sind bemerkenswert. LEONARDO DA VINCI verdanken wir die erste Abbildung des Kehlkopfes, ebenso einen Medianschnitt der Sprechwerkzeuge (reproduziert im Quellenatlas zur Geschichte der Phonetik, von PANCONCELLICALZIA). In England befaßten sich JOHN WALLIS (Grammatica linguae
anglicanae,
1653)
und
CHRISTOPHER
COOPER
(The
English Teacher, 1687) mit den Sprachlauten, und CHARLES BUTLER (English Grammar, 1634) mit der Sprachmelodie. Hundert Jahre später transkribierte JOSHUA STEELE (Prosodia Rationalis, 1775—79) Intonation und Rhythmus von GARRICKS Bühnendiktion (Hamletmonolog). In Frankreich veröffentlichte G. DE CORDEMOY 1668 seinen Discours physique sur la parole, worin er die französischen Laute genau beschreibt. Im 1 9 . J a h r h u n d e r t änderte sich die Haltung der Gelehrten der Sprache gegenüber grundlegend. Es waren vor allem zwei Faktoren, welche in ihrem Zusammenwirken die neue Wissenschaft der Phonetik schufen. Durch die Beschreibung des Sanskrit (FRANZ BOPP, 1816) und die darauf einsetzende vergleichende Sprachwissenschaft setzte sich die Erkenntnis durch, daß bei der Sprachbetrachtung vom Laut, nicht vom Buchstaben auszugehen sei. Im Zuge des gewaltigen Aufschwungs der exakten Wissenschaften begannen sich um die Mitte des Jahrhunderts die Physiologen und die Physiker um die Lautphysiologie und die Lautakustik zu bemühen. Im Jahre 1856 erschien E. W. BRÜCKE: Grundzüge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute, 1857 C. L. MERKEL: Anatomie und Physiologie des menschlichen Stimm- und Sprachorgans. Im Jahre 1863 erschien H . HELMHOLTZ: Die Lehre von den Tonempfindungen, ergänzt 1877 durch H . GRASSMANN: Über die physikalische Natur der Sprachlaute. Hier setzt die Phonetik im heutigen Sinn des Wortes ein.
Geschichtlicher Überblick
9
Im J a h r e 1 8 7 6 erschien E D U A R D S I E V E R S : Grundzüge der Phonetik. In der ersten Auflage lautete der Titel noch: Grundzüge der Lautphysiologie. Das Buch erlebte viele Auflagen und wurde 1901 völlig neu bearbeitet. Im J a h r e 1877 folgte A Handbook of Phonetics von H E N R Y S W E E T , dem Begründer der später von D A N I E L J O N E S ausgebauten englischen Phonetikerschule. U m die Jahrhundertwende veröffentlichte O T T O JESPERSEN zuerst in dänischer dann in deutscher Sprache sein Lehrbuch der Phonetik. Es waren dies auch fruchtbare J a h r e der durch die Phonetik bereicherten Sprachwissenschaft. Der Däne K A R L V E R N E R formulierte 1 8 7 7 das' nach ihm benannte Gesetz (s. S. 1 0 2 ) . Der Schweizer J O S T W I N T E L E R veröffentlichte 1876 seine nach strikt phonetischen, ja phonologischen Gesichtspunkten aufgebaute Beschreibung der Kerenzer Mundart (Kanton Glarus). Es ist dies ein seiner Zeit weit vorauseilendes Werk. Ins' J a h r 1888 fällt die Gründung der „Phonetischen Studien", Vorgängerin der „Neueren Sprachen". Im J a h r e 1 8 8 6 gründete P A U L P A S S Y die Association phonétique internationale, und deren Organ „Le maître phonétique" (seit 1971 Journal of the International Phonetic Association"). Die neue Wissenschaft begann auch den Sprachunterricht zu befruchten, der bis jetzt ganz auf den Methoden des Lateinund Griechischunterrichts gefußt hatte. W. V I E T O R S programmatische Schrift: Der Sprachunterricht muß umkehren, erschien 1 8 8 2 . In England leistete S W E E T auch auf dem Gebiete des Unterrichts Pionierdienste mit seinem 1885 erschienenen Elementarbuch des gesprochenen Englisch. Er verwendete die phonetische Schrift mit Akzent- und sogar Intonationszeichen. In Frankreich w a r P A S S Y der Praktiker unter den Phonetikern. Les sons du français erschien 1895 schon in 4. Auflage. Es lag ganz im Sinne der in der zweiten H ä l f t e des 19. J h . vorherrschenden Auffassung der Sprache als Forschungsobjekt der Naturwissenschaft, daß man auch mit naturwissenschaftlichen Methoden an sie herantrat. Dazu gehört die Verwendung von Instrumenten. Zur Nachprüfung und Ergänzung der Beobachtungen mittels des Ohres und des Auges wurden jetzt Registrierapparate benützt. Der erste Anstoß k a m aus Frankreich. E. J . M A R E Y hatte 1 8 8 5 den Tambourenregistrier-
Einleitung
10
apparat gebaut, und damit begann die Zeit der I n s t r u m e n t a l p h o n e t i k (auch Experimentalphonetik genannt). Der eigentliche Gründer dieses neuen Zweiges der Phonetik war ABBÉ P. J . ROUSSELOT (1846—1924), Professor am Institut catholique von Paris und am Collège de France. Sein großes Werk: Principes de phonétique expérimentale erschien 1 8 9 7 — 1908. ROUSSELOT baute die verschiedensten Apparate, von denen einer, das Kymographion, in den phonetischen Laboratorien bald eine wichtige Stellung einnahm (s. S. 20). In der Folgezeit geriet die Instrumentalphonetik vorerst stark in naturwissenschaftliche Bahnen. Sie entfernte sich von der Sprachwissenschaft, deren lautliche Probleme zu lösen ursprünglich ihre Hauptaufgabe gewesen war. ROUSSELOTS Ausgangspunkt waren linguistische Fragen gewesen, die er mit Hilfe seiner Apparate zu beantworten hoffte. Doch bald überwog sowohl bei der physiologischen als auch bei der akustischen Sprachanalyse das Interesse am Experiment an sich. Bekannte naturwissenschaftlich orientierte Instrumentalphonetiker der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts waren E. W. SCRIPTURE (Wien), G.
PANONCELLI-CALZIA
(Hamburg),
A.
GEMELLI
(Mailand).
Als in der Zwischen- und Nachkriegszeit die moderne Elektroakustik eine immer genauere physikalische Analyse der Rede ermöglichte (s. S. 29 bis 33), versicherte sich auch die Technik der guten Dienste der Phonetiker und stellte ihnen ihre Apparate zur Verfügung. Die Bell Telephone Company besitzt eines der größten instrumentalphonetischen Laboratorien der Welt. Neben der Instrumentalphonetik gab es während Jahrzehnten die reine O h r e n p h o n e t i k . Ihre Vertreter waren der Ansicht, daß das', was sprachliche Geltung besitzt, vom Ohr auch wahrgenommen wird, daß die Apparate, welche vieles registrieren, was dem Ohr und folglich dem Sprachzentrum entgeht, den Forscher zur Verzerrung der sprachlichen Wirklichkeit verleiten können. Und auch da, wo die Apparate sprachgerecht analysieren, bestätigen sie oft nur das, was auch auditiv festgestellt worden ist. Manche Phonetiker haben in der Tat eine bemerkenswerte Begabung, feinste Laut- und Intonationsunterschiede mit dem bloßen Ohr zu erfassen. Schon
11
Geschichtlicher Uberblick
SIEVERS hatte die Instrumentalphonetik abgelehnt. JESPERSEN und DANIEL JONES haben sich k a u m mit ihr befaßt. Ein in der Zwischenkriegszeit entstandener, sich als sehr fruchtbar erweisender Zweig der Phonetik ist die P h o n o l o g i e , eine rein linguistisch orientierte Betrachtungsweise der Rede. Man hat sie auch funktionelle Phonetik genannt. Sdion SWEET und JESPERSEN hatten auf den Gegensatz funktionell relevant — irrelevant hingewiesen, dodi die entscheidende Anregung ging von F. DE SAUSSURES Unterscheidung zwischen langue und parole (Sprache/Rede) aus (Cours de linguistique générale, 1916 posthum veröffentlicht). D a s Gébiet der Phonetik ist die Rede, also jede Lautmanifestation, das der Phonologie die Sprache, d. h. die L a u t e in ihrer Eigenschaft als' sprachliches Verständigungsmittel (s. S. 33). Eine G r u p p e slavischer Gelehrter gründete 1929 auf Anregung von V. MATHESIUS den Cercle linguistique de Prague. Zu den Gründern gehörte auch der seit 1943 in H a r v a r d wirkende ROMAN JAKOBSON. D a s H a u p t der Schule war der russische FÜRST N . S. TRUBETZKOY (1890 bis 1938), dessen G r u n d z ü g e der Phonologie (1939 posthum veröffentlicht) das Standardwerk der frühen Phonologie darstellt. Bekannte Vertreter der Schule waren in der Folgezeit V. BRONDAL (Dänemark), N . VAN WIJK (Holland), A. MARTINET (Frankreich). In Amerika machte E. SAPIR die Phonologie (Phonemics) bekannt, und bald wandte sich L. BLOOMFIELD der neuen Betrachtungsweise zu (Language, 1933), so daß das Interesse der Amerikaner geweckt wurde 1 . Die phonologische Betrachtungsweise führt zur Erkenntnis der lautlichen Struktur einer Sprache, zur Einsicht, d a ß alle Laute einer Sprache in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen und folglich im Hinblick auf das G a n z e gewertet werden müssen. D e r S t r u k t u r a l i s m u s in der Phonetik gliedert sich ein in die strukturelle Betrachtungsweise der Sprache in all ihren Aspekten, in die Strukturlinguistik. In Amerika vertreten G . L . TRAGER, H . L . SMITH, ZELLIG S . H A R R I S , C . F . H O C K E T T , A .
A.
HILL
im
diese
Forschungsrichtung.
Aus
ihr,
und
teilweise
Phonemics schließt für die Amerikaner, im Gegensatz zu Phonologie, die prosodischen Elemente der Rede mit ein. Zu prosodisch s. S. III 1 0 8 . 1
12
Einlei tunig
Gegensatz zu ihr, ist die Transformationsgrammatik (generative-transformaitional grammar) des Harrisschülers NOAM CHOMSKY hervorgegangen (Syntactic Structures 1956) und einige J a h r e später deren phonetisdie Komponente, die generative Phonologie (MORRIS HALLE). In Frankreich vertritt M A R T I N E T , i n R u ß l a n d K . S . SAUMJAN d e n S t r u k t u r a l i s m u s .
Die Prager Schule der Dreißiger Jahre, vor allem TRUBETZKOY, betrachtete die Phonologie als eine von der Phonetik völlig getrennte Wissenschaft. In der Folgezeit haben s'idi Phonetik — in der Nachkriegszeit vor allem Instrumentalphonetik — und Phonologie einander wieder genähert. Ein starker Impuls dazu ging von ROMAN JAKOBSON aus, der in Amerika, wo sich diese beiden Forschungszweige nie voneinander getrennt hatten, eine fruchtbare Tätigkeit entfaltete. Auch der bekannte in Amerika tätige französische Instrumentalphonetiker PIERRE DELATTRE ( f 1967) unternahm seine Untersuchungen im H i n blick auf die Linguistik. Das gleiche gilt heute von PETER LADEFOGED (Los Angeles). In Europa ist die linguistisch orientierte Phonetik vor allem mit dem Namen BERTIL MALMBERG verknüpft.
Allgemeiner Teil I. Die Sprechorgane und ihre Funktion (siehe Abb. 1) 1. D i e L u n g e , welche dem Brustkorb luftdicht anliegt, funktioniert ähnlich wie ein Blasebalg. Bei der Einatmung senkt sich das Zwerchfell, welches den unteren Abschluß des Brustkorbs bildet, und die den Brustkorb bildenden Rippen heben sich. Die zahllosen Lungenbläschen füllen sich mit Luft. Beim Ausatmen hebt sich das Zwerdifell und die Rippen senken sich. Die Luft wird zum großen Teil wieder aus der Lunge herausgepreßt. Sie steigt durch die Luftröhre und den Kehlkopf in den Rachenraum und gelangt bei ruhiger Atmung durch die Nase ins Freie. Bei Brustatmung erfolgt die Erwei-
Abb. 1: 1. Luftröhre. 2. Speiseröhre, 3. echte Stämmlippen, 4. falsche Stimmlippen (Tasdienfalten), 5. Morgagnische TaJsdie, 6. Kehlkopf, 7. Rachen, 8. Kehldeckel, 9. Zungenwurzel, 10. hinterer Zungenrücken, 11. mittlerer Zungenrücken, 12. vorderer Zungenrücken (Zungenblatt), 13. Zungenspitze, 14. Zahndamm, 15. harter Gaumen, 16. weicher Gaumen (Gaumensegel, Velum), 17. Halszäpfdien, 18. Schneidezähne, 19. Lippen, 20. Nasenraum.
14
Allgemeiner Teil
terung des Brustkorbs vor allem durdi Hebung der Rippen, bei Bauchatmung vor allem durch Senkung des Zwerchfells. Die Sprache benützt normalerweise die Ausatmung. Während bei ruhigem Atmen Inspiration und Exspiration etwa gleich viel Zeit beanspruchen, erfordert letztere während der Phonation mehr Zeit. Zusatz. Die E i n a t m u n g wird nur gelegentlich sprachlich verwendet, meist nur bei ganz kurzen Sätzen. Längere Sätze lassen sich mir mühsam inspiratorisch artikulieren. Beispiele: d. ja (ja nu so denn); frz. oui (schmerzlich oder nachgiebig, o f t geflüstert), non (nachlässig); e. no (nachdrücklich oder ermahnend). Audi inspiratorische Binzellaute werden gelegentlich verwendet, z. B. [f] als Ausdruck eines plötzlichen, leichten Schmerzes, oder stimmloses [1] beim Anblick einer leckeren Speise 2 .
2. D e r K e h l k o p f , welcher sich der Luftröhre oben anschließt, ist ein röhrenförmiger Hohlraum, dessen Wände aus drei, bzw. vier Knorpeln bestehen (Abb. 2). Der R i n g k n o r p e 1 (cartilago cricoidea) bildet die Basis des Zylinders.
Abb. 2: Die Kehlkopfknorpel: 1. Ringknorpel, 2. SchiLdknorpel, 3. Stellknorpel.
Wie der Name sagt, ist er ringförmig und zwar hinten höher als vorn. Er gleicht einem Siegelring. Auf dem Ringknorpel ruht der S c h i l d k n o r p e l (cartilago thyreoidea), der beim Manne vorn stark vorsteht und den sog. Adamsapfel bildet. Er ist hinten offen. Sowohl unten als oben weist er an beiden 2
Ein inspiratorischer Nasallaut ist das S c h l u c h z e n . — Die L e r c h e benützt sowohl die Ein- als auch die Ausatmung, worauf ihr kontinuierlicher Gesang beruht.
15
I. Die Sprechorgane unid ihre Funktion
seitlichen Enden hornartige Fortsätze auf. Die unteren ruhen auf dem Ringknorpel, die längeren, oberen sind durch Bänder mit dem nach hinten offenen, hufeisenförmigen Zungenbein verbunden. Die zwei S t e l l k n o r p e l (cartilágines arytaenoideae) haben die Form von kleinen dreiseitigen Pyramiden, deren Grundfläche auf der hinteren Oberkante des Ringknorpels sitzt. Sie können durch die kleinen Kehlkopfmuskeln in mehreren Richtungen bewegt werden und regulieren die ö f f nungs- und Schließbewegungen der Stimmlippen, welche an ihren nach innen gerichteten Spitzen befestigt sind. Aus der eingeknickten Mitte des oberen Schildknorpelrandes geht schuhlöffelförmig der K e h l d e c k e l (epiglottis) hervor, ein beweglicher, nach oben ragender Knorpel (Abb. 1.8, S. 13). Beim Schlucken kommt der Kehldeckel durch Heben des Kehlkopfs und durch Druck vom Zungengrund her flach auf den Kehlkopfeingang zu liegen und läßt die Speisen in die hinter der Luftröhre liegende Speiseröhre gleiten. Alle diese Knorpel sind durch Muskeln und Bindegewebe miteinander verbunden, mit Ausnahme des Kehlkopfdeckels auch durch Gelenke. Die Kehlkopfmuskulatur, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ist am Funktionieren des Stimmapparates wesentlich beteiligt 3 . Im Kehlkopf befinden sich in kleinem Abstand übereinander und getrennt durch einen beidseitig ausgebuchteten Hohlraum (morgagnische Tasche) je zwei S t i m m l i p p e n , anatomisch weniger zutreffend auch Stimmbänder genannt. Die
a
b
c
d
A e
w f
Abb. 3: Stellungen der Stimmlippen: a) Atem, b) Hauch, c) Scimmton, d) Kehlverschluß, e) leises Flüstern, f) Bühnenflüstern. 3
S i e h e d a z u VON ESSEN S. 3 6 — 3 9 .
16
Allgemeiner Teil
oberen, sog. falschen Stimmlippen, auch Taschenlippen oder Taschenfalten genannt, haben im Normalfall keine sprachliche Funktion. Die unteren, echten Stimmlippen erzeugen den Stimmton. Eine Stimmlippe besteht aus einem am Stimmuskel anliegenden Bindegewebestrang, welcher wie der ganze K e h l kopf von einer Schleimhaut überzogen ist. Sie ist vorn und seitlich am Schildknorpel, hinten an einem der zwei Stellknorpel befestigt. Die Lücke zwischen den zwei Stimmlippen, die S t i m m r i t z e (glottis), kann verschieden weit geöffnet oder auch ganz geschlossen werden. Wie schon erwähnt, sind es vor allem die Stellknorpel, welche Form und Größe der Stimmritze bestimmen. Die widitigsten Stellungen gehen aus Abb. 3, S. 15, hervor: a) Atemstellung, wobei beim Einatmen die Öffnung etwas weiter ist als beim Ausatmen. Dies ist auch die Stellung bei der Artikulation stimmloser Spradilaute. b) Hauchstellung, c) Stimmton, also die Stellung bei allen stimmhaften Sprachlauten. d) Kehlverschluß (zur sprachlichen Funktion s. S. 74). D a z u kommen die Stellungen, welche beim F l ü s t e r n den Stimmton ersetzen: e) leises Flüstern. Die Bänderglottis, d. h. der vordere, bis an die Stellknorpel heranreichende Teil der Stimmritze ist nur im hinteren Teil etwas geöffnet, so daß keine Vibration, sondern bloß ein leises Reibegeräusch entsteht, f) Bühnenflüstern, also lautes Flüstern. Hier ist die Bänderglottis ganz geschlossen; doch dahinter bildet sich zwischen den zwei Stellknorpeln eine dreieckige Öffnung, Knorpelglottis genannt, und das Reibegeräusch der durch diese Öffnung gepreßten Luft ersetzt den Stimmton. D e r Atemverbrauch ist beim Flüstern, vor allem beim lauten Flüstern, größer als bei der Artikulation des entsprechenden mit normaler Stimme hervorgebrachten Lautes, was u. a. daraus hervorgeht, daß bei den geflüsterten Hochzungenvokalen [ i ] und [u] Reibung im Munde entsteht. Man kann den gesteigerten Luftverbraudi auch mit der H a n d vor dem Mund spüren 4 . Die Länge der Stimmlippen ist 2 bis' 2,4 cm * In den meisten europäischen Sprachen sind geflüsterte Vokale keine regulären Sprachlaute. Gelegentlich erscheinen sie vor einer Pause im Französischen und Italienischen, z. B. frz. tant pis [i], entendu [y]; ital. il carte , i cani [j].
I. Die Sprechorgane unid lihre Funkeion
17
beim Mann, 1,7 bis 2 cm bei der Frau. Beim Mann sind die Lippen auch dicker als' bei der Frau. Diese Unterschiede bedingen die verschiedene Stimmlage der beiden Geschlechter. D e r Stimmbruch der Knaben (Mutation) ist durch ein rasches Wachstum des Kehlkopfs und also auch der Stimmlippen bedingt. Innerhalb seiner Stimmlage kann der Sprecher durch Kontraktion oder Erschlaffung der Muskeln, vor allem des in der Stimmlippe liegenden Stimmuskels, den Spannungsgrad der Stimmlippen variieren, was' sich, ähnlich wie bei der Violinsaite, auf die Tonhöhe auswirkt; je gespannter desto höher. Das Vibrieren der Stimmlippen bei Stimmstellung wird dadurch hervorgerufen, daß die aus der Lunge aufsteigende L u f t die sich leicht 'berührenden Stimmlippen durch ihren Druck voneinander trennt und durch die entstehende R i t z e dringt. In diesem Augenblick vermindert sich an dieser engen Stelle der Druck der durchströmenden L u f t (Bernoullieffekt), und eine Saugwirkung bringt die elastischen Stimmlippen in die nächste Verschlußstellung. Die Öffnungsbewegung verläuft von unten nach oben, die Schließbewegung, welche kurz vor dem Abschluß der Öffnungsbewegung einsetzt, ebenfalls von unten nach oben. Durch diese beiden ineinandergreifenden Bewegungen entsteht ein im Film (s. S. 2 0 ) gut sichtbarer rollender Wellengang 5 . Der Kehlkopf als Ganzes ist beweglich. E r kann sich heben und senken, leicht nach vorn oder nach hinten gleiten, was bei der Lautartikulation eine gewisse Rolle spielt 6 . Nur bei der sog. B r u s t s t i m m e , dem tiefen Register und also auch der üblichen Sprechsoimme, vibrieren die Stiimimliippen auf die hier beschriebene Art. Bei der K o p f s t i m m e , dem hohen Register, verdünnen sie sich zu einem Band, das nicht in seiner ganzen Breite vibriert, was eine leicht veränderte Sfiimmqualität ergiibt. — Die J o d i l s t i m m e ist durch den plötzlichen Ubergang von einem Register in ein anderes gekennzeichnet. • Der hier geschilderten, myoelastiischen Art der Stimmlippentätigkeit sieht seit den Fünfzigerjahren die These von Raoul HUSSON (Paris) gegenüber, welche besagt, die Schwingungen seien nicht ein physikalischer, sondern ein neuro-motorischer Vorgang, getragen vom nervus recurrens. Diese These erweckte eine Zeitlang lebhaftes Interesse, begegnet jedoch heute großer Skepsis. 5
2
Schubiger, Phonetik, 2. Aufl.
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Allgemeiner Teil
3. D e r L a u t g a n g 7 besteht aus dem Radien, der Mundhöhle und der Nasenhöhle. Seine Hauptfunktion besteht darin, dem durch den Kehlkopf aufsteigenden Luftstrom als Resonanzraum zu dienen und so die Hervorbringung der Sprachlaute zu ermöglichen. Der R a c h e n ist der unterste dieser Räume. Er schließt sich dem Kehlkopf an und wird hinten von der Rachenwand, vorn vom Zungengrund begrenzt. Sein oberster Teil, hinter und über dem weichen Gaumen, heißt Nasenrachenraum 8 . Vom Rachen aus gibt es für die Luft zwei Wege ins Freie, durch den Mund oder durch die Nase. Die M u n d h ö h l e wird oben vom Gaumen, unten von der Zunge begrenzt. Die Z u n g e galt von jeher als das wichtigste Sprachorgan 9 . Sie ruht auf dem Zungenbein innerhalb des Kiefeibogens. Sie besteht aus zahlreichen Muskeln, ist also äußerst beweglich. Sie hebt und senkt sich, schiebt sich nach vorn und nach hinten, bildet Buckel oder Rinnen. Die Ränder können sich an die Zähne legen oder sich von ihnen fernhalten. Besonders die Spitze zeichnet sich durch große Beweglichkeit aus. Sie spitzt sidi zu, bewegt sich nach vorn, hebt sich oder biegt sich zurück. Es ist also vor allem die Zunge, welche die Form des Mundraumes bestimmt und den Vokalen ihr charakteristisches Gepräge verleiht. Sie ist auch an der Bildung der meisten Konsonanten maßgebend 'beteiligt. Der Zunge gegenüber befindet sich der G a u m e n . Sein hinterer Teil, Gaumensegel oder Velum genannt, ist weich und beweglich. Er kann sich heben und an die Rachenwand legen, so daß der Nasendurchgang versperrt wird. Das äußerste Ende des Velums wird vom H a l s z ä p f c h e n gebildet. Dieses ist am Nasenverschluß nicht beteiligt, sondern hängt auch bei geho7
Diesen Ausdruck übernehme idi von DIETH. Die meisten Phonetiker sagen Ansatzrohr, eine schon von SIEVERS verwendete Bezeichnung. 8 Die R a c h e n m a n d e l ist ein Lymphgewebepolster an der hinteren Wand des Nasenrachenraumes. Bei starker Vergrößerung kann sie die Nasenatmung behindern und auch die Bildung der Nasallaute beeinträchtigen. • In vielen Sprachen wird für Sprache und Zunge das gleiche Wort verwendet: lat. lingua, frz. langue, e. tongue (neben language), d. Zunge (neben Spraaje), russ. R3t>iK jja'zik].
I. Die Sprediorgane unid ihre Funktion
19
benem Velum lose im hinteren Teil des Mundes. Bei ruhigem Atmen hängt das ganze Velum lose im Mund, so daß die Luft unbehindert durch die Nase ein- und ausströmen kann 10 . Durch den weitgeöffneten Mund sieht man hinten das Halszäpfchen und zu beiden Seiten je zwei muskelumhüllende Sdileimhautstränge, die G a u m e n b o g e n . Zwisdien den beiden Bogen versteckt liegen die Halsmandeln. Die Nasenhöhle ist ein sich nach hinten vergrößernder Raum, der die Form einer umgekippten Pyramide aufweist. Sie wird unten vom harten Gaumen, oben von der Schädelbasis begrenzt. Die Nasens'dieidewand teilt sie in zwei kleine Höhlen. Die S c h n e i d e z ä h n e sind an der Bildung einiger Konsonanten mitbeteiligt, ebenso der obere Z a h n d a m m . Die L i p p e n können verschiedene Formen annehmen, sich spreizen, runden oder vorstülpen. Sie sind an der Bildung vieler Vokale und einiger Konsonanten entscheidend mitbeteiligt. Wenn sie sich vorstülpen, bilden sie vor den Schneidezähnen einen zusätzlichen Resönanzraum, die Lippenhöhle. Eine Schleimhaut überzieht die Wände aller Hohlräume des Lautganges. Es hat sich für die Beschreibung der Artikulation als nützlich erwiesen, die aus Ab'b. 1, S. 13, ersichtliche Einteilung vorzunehmen. Dem Zahndamm gegenüber liegen Zungenspitze und vorderer Zungenrücken (meist Zungenblatt genannt). Dem harten und dem weichen Gaumen gegenüber liegen der mittlere und der hintere Zungenrücken, der Rachenwand gegenüber die Zungenwurzel. Die den Artikulationsorganen entsprechenden Adjektive lauten apikal (apex = Spitze), prädorsal, mediodorsal, postdorsal (dorsum = Rücken). Die den Artikulationsstellen entsprechenden Adjektive lauten alveolar (Alveolen = Zahntaschen), palatal (palatum = Gaumen), velar (velum = Segel), uvular (uvula = Halszäpfchen), pharyngal (pharynx = Rachen), laryngal (larynx = Köhlkopf). Instrumentelle Hilfsmittel zu I Schon im 19. Jahrhundert kannte man das L a r y n g o s k o p Eine krampfhafte Hebung des Gaumensegels zwingt uns, durch den Mund einzuatmen, zu g ä h n e n . 10
20
Allgemeiner Teil
(Kehlkopfspiegel). Es fand Verwendung zum Studium des Kehlkopfs, der Stimmbänder und des Gaumensegels. Dazu kam am Anfang dieses Jahrhunderts; das vor allem in der Medizin verwendete E n d o s k o p , ein langes Rohr, durch weldies innere Körperteile dem Beschauer zugänglich gemadit werden. Die Bewegung der Stimmlippen konnte mit diesen zwei Instrumenten nicht wahrgenommen werden, da sie viel zu rasdi vor sich geht. Hier trat das schon im 19. Jahrhundert verwendete S t r o b o s k o p in die Lücke. Ursprünglich mittels einer rotierenden Lochscheibe, heute mittels Steuerung durch den Kehlkopf selbst, wird ein auf die Stimmlippen gerichteter Lichtstrahl im deren Bewegungen entsprechenden Rhythmus unterbrochen. Der Beobachter sieht also bewegungslose Stimmlippen. Heute kann die Bewegung der Stimmlippen im F i l m beobachtet werden. Da es möglich ist, pro Sekunde 8000 Aufnahmen zu machen, können auch hohe Frequenzen wahrgenommen werden. Dazu kommen die Registrierapparate. Das wertvollste Gerät der Pionierzeit, welches noch heute, ergänzt durch ein elektro-mechanis'ches Aufzeichnungsverfahren, zu Lehr- und Demonstrationszwecken verwendet wird, war das K y m o g r a p h i o n . Es ist dies eine mit berußtem Papier bespannte, rotierende Walze, auf der eine oder mehrere, mit den Sprechorganen der Versuchsperson verbundene Nadeln Linien einzeichnen. Die mit dem Mundtrichter verbundene Nadel reagiert auf die Druckschwankungen der Ausatmungsluft. Die Nasenlinie verändert sich bei Nasallauten, die Kehlkopflinie registriert die Vibration der Stimmlippen. Das Kymographion erfaßt also in erster Linie das physiologische Geschehen, indirekt zwar auch das akustische. Da man die Umdrehgeschwindigkeit der Walze kennt, läßt sich an der Anzahl Stimmlippenvibrationen pro Zeiteinheit die Tonhöhe ermitteln (s. Abb. 18, S. 67). R ö n t g e n a u f n a h m e n leisten heute wertvolle Dienste, da sie die Stellung der Organe während der Artikulation eines bestimmten Lautes genau festhalten. Bewegungsvorgänge werden mittels R ö n t g e n f i l m beobachtet. Dazu kommt der Röntgentonfilm, welcher es ermöglicht, gleichzeitig das auditive Korrelat des Bewegungsvorganges wahrzunehmen. Trotz der Röntgentechnik ist eine ältere Methode der Beobachtung und
II. Akustik der Sprache
21
Fixierung des Spredivorganges nicht überholt, die P a 1 a t o g r a p h i e. Sie besteht darin, daß man feststellt und auf einem Palatogramm fixiert, ob und an welchen Stellen, und in welcher Ausdehnung, die Zunge bei der Artikulation eines bestimmten Lautes den Gaumen berührt. Kleinste Verschiebungen der Zungenhaltung und folglich der Berührungsfläche können einen Laut deutlich verändern. Palatogramme kann man auf zwei Arten herstellen, die beide ihre Vor- und Nachteile aufweisen. Entweder bestreicht man die Zunge mit einer dunklen Masse, welche bei der Artikulation den Gaumen an den Berührungsstellen dunkel färbt, was mittels Spiegeln beobachtet und auch photographiert werden kann (s. Abb. 17, S. 62). Oder es wird ein mit Kalkpulver bestreuter künstlicher Gaumen in den Mund der Versuchsperson eingeführt, auf dem an den Berührungsstellen das Pulver verschwindet. Um eine möglichst natürliche, unbehinderte Redeweise zu ermöglichen, kann man mit Prothesenträgern als Versuchspersonen arbeiten. Dies ist das Verfahren bei den Dialektaufnahmen für den Sprachatlas der deutschen Schweiz 11 . Die Palatographie steht auch im Dienst der Sprachheilkunde (Logopädie und Phoniatrie). II. D i e A k u s t i k der Sprache A. Physikalische Grundlage Schallwellen sind Longitudinalwellen der Luft, bestehend aus periodischen Verdichtungen und Verdünnungen, vergleichbar mit den gegenseitigen Bewegungen der Wagen eines langen Zuges beim Ankuppeln der Lokomotive. Periodische Schallwellen (Töne) entstehen durch Vibrationen eines schwingenden Körpers, z. B. einer Stimmgabel oder einer Saite. An einem einfachen Ton lassen sich Tonhöhe und Tonstärke unterscheiden; sie sind bestimmt durch die F r e q u e n z , die Zahl 1 1 Heute gibt es auch die Elektropalatographie. Siehe dazu W. J . HARDCASTLE: The Use of Electropalatography in Phonetic Researdi. Phonetica 25 (1972) S. 197—215.
22
Allgemeiner Teil
der Schwingungen pro Zeiteinheit, und die A m p l i t u d e , die Größe des Schwingungsausschlags 12 . Die Frequenz wird in Schwingungen pro Sekunde angegeben und abgekürzt mit H e r t z (Hz) oder cps (cycles per second) bezeichnet. Die niedrigste Frequenz, die das menschliche O h r noch w a h r n e h m e n kann, liegt im Bereich von 20 H z , die höchste in der Jugend bei 20 000 H z , im Alter von 60 Jahren noch bei etwa 12 000 Hz 1 3 . Der Frequenzunterschied, den das geübte Ohr gerade noch wahrnimmt, beträgt bei einer Tonhöhe von 1000 H z etwa 3 H z . Darüber nimmt diese Zahl ziemlich rasch zu und erreicht bei 4000 H z etwa 8 H z . Im Bereich der musikalisch verwendbaren Töne besteht zwischen der Frequenz und der Tonhöhenempfindung eine logarithmische Beziehung, indem der Zunahme der Frequenz um einen bestimmten Faktor ein bestimmtes Intervall entspricht, z. B. jeder Verdoppelung der Frequenz der Tonschritt einer Oktave. Das musikalisch geschulte Gehör erkennt die harmonischen Intervalle in allen Tonlagen deutlich. Zusatz. In neuerer Zeit durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, d'aß außerhalb des Bereiches der Musik diie Beziehung zwischen der Frequenz reiner Töne und der Tonhöhenempfindung bis 500 H z linear verläuft; gleiche Frequenzunterschiede werden als gleiche Tonschritte empfunden. Das psycho-auditive Geschehen entspricht also hier dem physikalischen. Die linear aufgezeichneten Intonationskurven der Rede, deren Frequenzbereich 500 H z meist nicht überschreitet, entsprechen also der Tonhöhenempfindung. Über 500 H z erfordert es einen sich ständig vergrößernden Frequenzunterschied, um die Empfindung des gleichen Tonschrittes zu bewirken 14 .
Die auf eine Fläche auffallende S c h a l l i n t e n s i t ä t (I) wird meist in W a t t pro Quadratzentimeter angegeben. Die 12 Frequenz und Amplitude sind zwei voneinander unabhängige Größen. Man vergleiche damit die Pendelbewegung, bei der die Anzaihl Schwingungen pro Zeiteinheit nicht von der Stärke des Antriebs, sondern allein von der Pendellänge abhängt. Die Stärke des Antriebs bestimmt die Größe des Ausschlags. 13
Hunde nehmen sehr hohe Töne wahr, bis über 40 000 H z . Nach E. Z W I C K E R und R. F E L D T K E L L E R : Das Ohr als Nachrichtenempfänger, Stuttgart 1967, S. 78—83. 14
II. Akustik der Sprache
23
Schallintensität ist dem Quadrat der Druckschwankungen, also dem Quadrat der Amplitude (A) proportional. I prop. A2. Die kleinste gerade noch wahrnehmbare Schallintensität, die Hörschwelle (S), beträgt etwa 10 -16 Watt pro Quadratzentimeter. Um ein unseren Sinnesempfindungen einigermaßen entsprechendes Maß der Schallintensität zu erhalten, wird diese heute meist in Dezibel (db) angegeben und als L a u t s t ä r k e (L) bezeichnet. Zwischen Lautstärke und Schallintensität besteht die logarithmische Beziehung L = 10 log IJS. Durch Hinzufügen des Faktors 10 wird erreicht, daß Änderungen der Lautstärke um ein db gerade ungefähr wahrnehmbaren Lautstärkeunterschieden entsprechen. Ein Ton mit einer Schallintensität vom 100 OOOfachen der Hörschwelle entspricht 50 db — das ist etwa die Lautstärke der normalen Rede — ein zehnmal intensiverer Ton 60 db, ein hundertmal intensiverer 70 db usw. Dieser Zusammenhang erklärt es z. B., warum man um die Ecke fast so gut hört wie in gerader Linie. Die Lautstärke nimmt wegen des logarithmischen Verhältnisses relativ viel weniger ab als die Schallintensität. Zusatz. Wegen der Abhängigkeit der Ohrempfindlidikeit von der Tonhöhe wird für die Lautstärkeempfindung die P h o n - Skala verwendet. Bei einer Frequenz von 1000 Hz, die im Bereich guter Ohrempfindlidikeit liegt, entspricht diie Phon-Skala der DezibelSkala, d, h. ein Ton von 1000 Hz und 50 db entspricht einer Lautstärkeempfindiing von 50 Phon. Mit sinkender Tonhöhe nimmt die Ohrempfindlidikeit ab, d. h. es ist für tiefere Töne eine höhere Schallintensität nötig, um die gleiche Lautstärkeempfindung zu erzielen. Wenn die Schallintensität konstant bleibt, wird ein Ton mit abnehmender Frequenz als leiser, mit zunehmender als laiuter empfunden. Man kann es also verstehen, daß der Franzose die Ausdrücke parier haut, parier bas für laut und leise sprechen verwendet. Auch im Schwedischen bedeutet högt/lagt nicht nur hoch/tief, sondern auch lautlleise15.
Die meisten Tonerreger erzeugen nicht nur eine Grundwelle, sondern audi eine größere Zahl kürzerer Wellen, deren Schwingungszahl ein Vielfaches der Grundwelle beträgt. Es sind das 15
Siehe auch Zusatz S. 117.
24
Allgemeiner Teil
die sog. O b e r t ö n e . Die Obertöne verändern die Form der Grundwelle. Abb. 4 stellt das Kurvenbild dar, welches sich aus der Grundwelle und dem 1. und 2. Oberton ergibt, also z. B. 100, 200, 300 Hz. Sdiematisdi läßt sich die Zusammensetzung einer soldien komplexen Welle auf dem
K l a n g s p e k t r u m darstellen, wobei auf der Abszisse die Frequenz der Teilwellen, auf der Ordinate deren Amplitude eingetragen wird. Die Welle Abb. 4 ergibt das Klangspektrum Abb. 5. Es geht daraus hervor, daß in dieser Welle die Amplitude des ersten Obertons geringer ist als die des zweiten1®.
Frtquenx
Abb. 5: Klangspektrum der Sdialllwelle Abb. 4. Stößt eine Welle auf einen elastischen Körper — ein solcher ist auch ein mit Luft gefüllter Raum — so regt sie diesen Körper zum Schwingen an. Ein elastischer Körper besitzt nämlich auf Grund seiner Größe und Form eine Anzahl Eigenfrequenzen, Frequenzen, auf welche er anspricht, d. h. von " Grundton + Obertöne werden auch Partialtöne (e. harmonics) genannt; der Grundton heißt erster Pairtialton, der erste Oberton zweiter Partialton u. s. w.
II. Akustik der Sprache
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der ihn durchquerenden Schallwelle, die diese Frequenzen enthält, in Schwingung versetzt wird. Auf andere Frequenzen reagiert er nicht. Der Körper strahlt also eine neue Welle aus, die nur seine Eigenfrequenzen enthält. Diese überlagert sich der ursprünglichen Welle und modifiziert sie. Man nennt den vibrierenden elastischen Körper Resonator, falls es sich um einen Raum handelt, R e s o n a n z r a u m . Im Resonanzraum wird die aus vielen Teilwellen 'bestehende ursprüngliche Welle modifiziert, filtriert, sagt der Akustiker. Der Körper einer Violine, eines Cellos, die Orgelpfeifen sind solche Resonanzräume, und an ihrer je nach Größe und Form verschiedenen Filtrierart erkennt man das Instrument. Die durch einen Resonator modifizierte Schallwelle drückt also außer der Tonhöhe und Lautstärke noch ein Drittes aus, die L a u t q u a l i t ä t (Klangfarbe). Die Art, wie das menschliche Ohr den Grundton von den Obertönen, d. h. die Tonhöhe von der Klangfarbe, scheidet — im Corti-schen Organ des Innenöhrs — beschäftigt sowohl die Akustiker als auch die Physiologen, und es sind schon bemerkenswerte Forschungsresultate erzielt worden 17 . Rechnerisch wurde die Zerlegung eines Klanges in seine Komponenten zuerst 1822 von J . B. FOURIER durchgeführt (Fourieranalyse). Außer den Tönen gibt es G e r ä u s c h e . Sie werden ebenfalls durch Luftbewegungen erzeugt, doch nicht durch die Vibration eines elastischen Körpers, sondern durch eine andere Bewegung, etwa das Fallen eines Gegenstandes auf den Boden oder den Schlag auf eine Unterlage. Geräusche enthalten also keine Grundfrequenz mit Obertönen, ergeben folglich kein sich in regelmäßigen Abständen wiederholendes Wellenbild. Ihre Wellenform ist ganz unregelmäßig. B. Anwendung auf die Rede Die Stimmlippen sind die Tonquelle. Der reine Kehlton, bestehend aus der Grundfrequenz und deren unmodifizierten Zur Anatomie des Ohrs und des Gehörnervs, die in diesem Buch keinen Platz gefunden hat, ferner zur Funktion des Cortd-sdien Organs, siehe H. MOL. 17
Allgemeiner Teil
26
Obertönen, ist eine komplexe Schallwelle von der Art, wie sie vereinfachend, nämlich mit nur zwei statt mit einer großen Zahl an Intensität abnehmender Obertöne, in den Abb. 4 und 5, S. 24, dargestellt wird. Die Ausformung dieser Schallwelle zu den sehr viel differenzierteren Wellen, welche den stimmhaften Sprachlauten entsprechen, geschieht im Resonanzraum des Rachens und Mundes — o f t unter zusätzlicher Einschaltung des Nasenraumes — welchen der Luftstrom als vibrierende Luftsäule durchquert. J e nach der sich beim Sprechen ständig verändernden Form dieses' Resonanzraumes gestalten sich dessen Eigenfrequenzen, und folglich die Filtrierung der ursprünglichen Welle, des Kehltons. Auf dem Klangspektrum einer auf diese Art modifizierten Welle stellt man eine Anzahl Intensitätshöhepunkte fest, die auf den Eigenfrequenzen des Resonanzraumes beruhen. Man nennt sie F o r m a n t e n , ein in der akustischen Phonetik zentraler Begriff 1 8 . Die Vielfalt der V o k a l e beruht auf der Frequenz und Intensität der Formanten. Bei jedem Vokal verhalten sich diese zwei Größen anders, und folglich ist auch das durch sie bedingte Wellenbild jedesmal verschieden. Abb. 6 a, b stellt die mit dem Oszillo-
a)
b) c)
v
j
d) Abb. 6: Vier Oszillogramme. 18 Siehe die Darstellung dieses Vorgangs bei P. D. STREVENS (op. cit. S. 64 M ) S. 140. Ein genau errechnetes Kehltonspektrum gibt
FLANAGAN S . 4 9 .
III. Perzeptive Phonetik
27
graphen sichtbar gemachten Wellenbilder (Oszillogramme) der englischen Vokale [i] und [u] dar, Abb. 12, S. 58, die entsprechenden Klangspektren. An der Grundfrequenz, die das Ohr wie bei anderen Tonerregern gesondert wahrnimmt, erkennt man die Tonhöhe, an den Formanten den Sprachlaut 19 . Die Gesamtintensität, d. h. der Atemdruck, spielt bei der Silbengestalt und beim Akzent eine wichtige Rolle. (Siehe spezieller Teil, Abschnitt III und V.) K o n s o n a n t e n sind Geräusche. Die Schallwellen stimmloser Konsonanten werden ohne Beteiligung der Stimmbänder hervorgerufen. Die Luft steigt durch die weitgeöffnete Stimmritze und erreicht als nicht vibrierende Luftsäule den Rachen und den Mund. Das f ü r den Konsonanten charakteristische Geräusch wird dadurch erzeugt, daß der Luftstrom im Mund eine Behinderung erfährt und dadurch in wirbelnde Bewegung versetzt wird. Wie jedes andere Geräusch ergibt dies eine völlig aperiodische Welle (Abb. 6 d). Wird ein K o n s o n a n t s t i m m h a f t ausgesprochen, so erreicht eine vibrierende Luftsäule die oberen Sprechorgane. Dort wird sie durch die aperiodischen Schwingungen des Geräusches modifiziert, so daß sich die Periodizität des Kurvenbildes stark verwischt. Immerhin läßt sie sich noch mehr oder weniger deutlich feststellen (Abb. 6 c). Der Frequenzbereich des Kehltons, mit anderen Worten die Stimmlage der Sprechstimme, hängt wie bei der Saite von der Masse und Länge der vibrierenden Bänder, hier der Stimmlippen, ab. Er liegt beim Manne durchschnittlich eine O k t a v e tiefer als bei der Frau: Männerstimme 100—220 H z , Frauenstimme 200—450 H z . Dies sind approximative Angaben, denn die Stimmlage kann auch beim gleichen Geschlecht stark variieren. Bässe haben eine tiefere Sprechstimme als Tenöre, 19 Ob die Grundfrequenz kräftig genug ist, um wahrgenommen zu werden, spielt auditiv kaum eine Rolle, denn der Hörer erkennt sie am Abstand zwischen den Obertönen, d. h. am zeitlichen Verlauf des sich wiederholenden Wellenbildes, in Abb. 4, S. 24, von t bis f . Fast ausschließlich auf diese Art erschließt man wahrscheinlich die Grunidfrequenz, also die Intonation, am Telephon, wo unter 300 H z wenig wiedergegeben wird.
Allgemeiner Teil
28
Altistinnen als Sopranistinnen. Beim Gesang nimmt der Stimmumfang beträchtlich zu, er umfaßt etwa zwei Oktaven: Baß 88—352, Tenor 132—528, Alt 198—792, Sopran 264—1056. III. Pcrzeptive Phonetik Entsprechend der Tonaudiometrie, der Ermittlung der Art wie das Ohr und dessen nervliche Fortsetzung, das Zentralnervensystem, auf das akustische Signal reagiert (siehe S. 22—23), nimmt heute in der Phonetik die lange Zeit vernachlässigte perzeptive Phonetik eine wichtige Stellung ein. Sie ist ein Teilgebiet der Wahrnehmungspsychologie und wird auch Psychophonetik genannt. — Eine Pionierleistung auf diesem Gebiet war die P h o n o m e t r i e EBERHARD ZWIRNERS (E. und K. ZWIRNER: Grundfragen der Phonometrie, 1936). Die Methode bestand darin, daß ein bestimmter Redeabschnitt sowohl instrumentell analysiert als auch von geschulten Versuchspersonen abgehört und aufgezeichnet wurde. Das Abhörresultat wurde darauf der akustischen Substanz zugeordnet, und das Verhältnis zwischen physikalischer Wirklichkeit und auditivem Erfassen — es ging vor allem um die Dauer und den Intonationsverlauf — statistisch ausgewertet. Heute stehen dem Phonetiker sehr viel differenziertere Forschungsmittel zur Verfügung. An erster Stelle steht die synthetische Rede (siehe S. 32), die man beliebig manipulieren und der Versuchsperson zur auditiven Beurteilung vorlegen kann. Für gewisse Untersuchungen eignen sich auch manipulierte (gesplißte) magnetis'che Bänder 20 . In sehr vielen Fällen stellt man einen merklichen Unterschied zwischen dem Signal, d. h. der akustischen Ausprägung der Artikulation, und der Dekodierung, d. h. der auditiv erfaßten Mitteilung fest. Wie die Dekodierung vor sich geht, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Eine von vielen Forschern vertretene Ansicht lautet dahin, daß das Signal vom Hörer mit Erinnerungsbildern pihonologischer Merkmale verglichen wird. Es ist auch denkbar, daß der Hörer die Artikulation innerlich mitvollzieht (motor theory of per20 Ein wichtiges Ergebnis solcher Untersuchungen wird auf S. 64—65 erwähnt.
III. Perieptive Phonetik
29
ception), was man sich bei den artikulatorisch gut unterscheidbaren Konsonanten besser vorstellen kann als bei den Vokalen 2 1 . Die m o t o r theory begegnet heute großer Skepsis. — Wie aus diesen Ausführungen hervorgeht, nimmt die perzeptive P h o netik den Faden der klassischen O h r e n p h o n e t i k (s.S. 10) wieder auf. Mit ihren Abhörtests sdialtet sie sich auf der Ebene des heutigen Forsdiungsstands in die Erforschung der sprachlichen Wirklichkeit ein. Instrumentelle
Hilfsmittel
zu II und
III
Die Physiker und die Phonetiker des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts mußten mit sehr primitiven Mitteln arbeiten, erreichten damit jedoch schon Erstaunliches, was sich zum Teil heute auf Grund elektro-akustischer Untersuchungen bestätigt hat. HELMHOLTZ benützte R e s o n a t o r e n , Kugeln mit bestimmter Eigenschwingung, welche mit einem Trichter versehen ins O h r gesteckt wurden, und welche alle Frequenzen dämpften, die nicht ihrer Eigenschwingung entspradien. C. STUMPF (Die Sprachlaute, 1926) benützte I n t e r f e r e n z r ö h r e n , mit deren H i l f e er gewisse Frequenzen zum V e r stummen 'brachte. Auch S t i m m g a b e l n leisteten wertvolle Dienste. In den Dreißigerjahren dieses Jahrhunderts wurden die ersten elektro-akustischen Apparate gebaut. D e r K a t h o denstrahloszillograph zeigt auf dem Bildschirm einen wandernden Lichtpunkt, macht also die Schallwelle des betreffenden Lautes sichtbar (Abb. 6, S. 26). Ein großer Fortschritt wurde nach dem zweiten Weltkrieg mit dem S p e k t r o g r a p h e n erzielt (in Amerika auch Sonagraph genannt). H i e r wird die komplexe Welle mittels eines Filters in ihre K o m ponenten zerlegt, die dann auf dem Spektrogramm als dunkle Stellen in Erscheinung treten, mit der Frequenz aiuf der O r d i nate, der Zeit auf der Abszisse (Abb. 7, S. 30). Die Amplitude, d. h. die Intensität der einzelnen Formanten, erkennt man schätzungsweise am G r a d der Dunkelheit. Die Gesamtintensität der
Siehe A. M. LIBERMAN et al. A Motor Theory of Perceprion. Stockholm 1962. JAN PRÜCHA: Sowjetische Psycholinguistik. Düssel-
11
dorf 1974, S. 67 ff.
30
Allgemeiner Teil
0,000
4,000
7,000 0,000
4,000 3,000
(c)
[VR
i:
4
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11
CL
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d
A
Z
n]
Abb. 7: Spektrogramme von [i:], [ a : ] , [ai], [s], [J - ] und von We'll take a dozen [will t^eik 3 dAzn]. (Nadi G I M S O N S. 22.)
III. Perzeptive Phonetik
31
Schallwelle kann mittels einer zusätzlichen Apparatur (amplitude display) als sich von links nach rechts schlängelnde Linie festgestellt werden (siehe Abb. 8, S. 31). Ferner läßt sich mit dem Spektrographen an jedem beliebigen Punkt des zeitlichen Verlaufs ein Querschnitt des betreffenden Lautes herstellen, welcher dessen Teilfrequenzen und ihre Intensität angibt, also sein Klangspektrum darstellt. Abb. 12, S. 53, sind Klangspektren von ii] und [u]. — D e r Verlauf der Grundfrequenz, also die Sprachmelodie, mußte früher mühsam durch Messen der Wellenlängen auf dem Kymogramm ermittelt werden (s. Abb. 18,. S. 67). Auch die Ermittlung der Intonation auf Grund von Oszillogrammen erforderte im Prinzip die gleichen mühsamen Messungen, wenn auch bedeutend genauere Resultate erzielt wurden. Heute kann man auf in der Vertikalrichtung stark vergrößerten Spektrogrammen, die mit engmaschiger, die einzelnen Obertöne sichtbar machender Filteranlage hergestellt wurden, an den Schwankungen jedes einzelnen Obertons die Schwankungen des Grundtons, also der Intonation ablesen. Man erkennt die Intonation also auch dann, wenn der Grundton auf dem Spektrogramm nicht deutlich in Erscheinung tritt, was häufig der Fall ist. Abb. 8 ist ein mit engmaschigem Filter hergestelltes Spektrogramm des
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Abb. 8: Mit engmaschigem Filter hergestelltes Spektrogramm des Seite 123 angeführten französischen Satzes: C'est un bandit. Darüber die Irocensitätshurve (ampl'itude display). (Hergestellt 1976 im phonetischen Institut der Universität Straßburg.)
Allgemeiner Teil
32
S. 123 angeführten frz. Satzes: C'est un bandit. Darüber erscheint die Intensitätskurve (amplitude display). Auf den mit weitmasdiigen Filtern hergestellten Spektrogrammen (Abb. 7 a, c, S. 30) erkennt man die Grundfrequenz an der Zahl vertikaler Streifen pro Zeiteinheit. — Schon vor dem zweiten Weltkrieg wurde von M. G R Ü T Z M A C H E R und W. LOTTERMOSER ein Tonhöhenschreiber entwickelt, und dieser ist seither von G R Ü T Z M A C H E R und W. K A L L E N B A C H (Braunsdiweig) ständig verbessert worden. Im Idealfall kann hier die Intonation eines Redealbschnittes direkt vom Bildschirm oder der Photographie abgelesen werden. Es gibt heute sehr viele Tonhöhenschreiber, deren Arbeitsweise auf verschiedenen Operationsprinzipien beruht, so den erfolgreichen Toronto Melodie Analyser 23 . Eine weitere Errungenschaft isre die s y n t h e t i s c h e R e d e . Sie kann auf vielfache Art erzeugt werden. Einer der ersten, heute noch verwendeten Apparate ist der zuerst an der Weltausstellung in New York 1939 vorgeführte V o c o d e r . Er analysiert die Rede spektrographisch und setzt dann die Elemente des Spektrogramms wieder zur Rede zusammen. Zwei weitere Arten von Synthetisatoren verwenden nicht das ganze Spektrogramm, sondern nur die durch vorherige Experimente festgestellten, zum Verständnis erforderlichen Teilelemente (parameters). Der 1951 in New York von F . S. C O O P E R et al. entwickelte P a t t e r n P l a y b a c k war bahnbrechend. Auf Glas- oder Plastikstreifen werden mit leitender Tinte vereinfachte Spektrogramme gezeichnet, und daraus wird Rede erzeugt. Die Helligkeitssdiwankungen, welche bei der Abtastung dieser Aufzeichnungen mit einem Lichtstrahl auftreten, werden durch eine Photozelle in Stromschwankungen umgewandelt und einem Lautsprecher zugeleitet. — Der F o r m a n t e n s y n t h e t i s a t o r , PAT von W. L A W R E N C E , Edinburgh 1953, und OVE von G. F A N T , Stockholm 1959 — um die zwei bekanntesten Apparate dieser Art zu nennen — verwendet acht, bzw. zwölf Teilelemente, die gesondert hergestellt, dann zusammengefügt und einem Lautsprecher zu25
Siehe
LÉON
et
MARTIN,
S. 143—80.
IV. Phonologisdie Betrachtung
33
geführt werden. — Eine andere Art Synthese geht von der sich verändernden Form des Lautganges aus, die durch elektrische Analogieschaltungen oder mittels einer speziellen Differentialgleichung simuliert wird. — In zunehmendem Maße wird heute bei der Synthese audi der Computer eingesetzt, entweder als Teiloperation oder als Gesamtsimulation. Bei letzterer, der sog. s y n t h e s i s b y r u l e , werden die wesentlichen Teilelemente der Rede gespeichert und deren Verwertung programmiert. Auf Anreiz einer symbolischen phonetischen Transkription der zu erzeugenden Rede fügt der Computer die jeweils erforderlichen Teilelemente zur entsprechenden Lautfolge zusammen 2 4 . — Die synthetische Rede hat einen bemerkenswerten G r a d von Naturtreue erreicht. Sie dient der phonetischen Forschung auf mannigfache Art und hat vor allem die perzeptive Phonetik stark gefördert. Man kann hier beliebige Teilelemente ausschalten, z. B. die Tonhöhenschwankungen oder die dynamischen Akzentunterschiede, und die Wirkung auf den Hörer zeigt den G r a d ihrer Unentbehrlichkeit. Siehe dazu S. 115 Akzent und S. 53 Nasalierung.
IV. Phonologische Betrachtung Aus den bisherigen Betrachtungen geht hervor, daß der Mensch mit seinen Sprechorganen eine sehr große Zahl verschiedener Laute bilden kann. Zu einer bestimmten Zeit benützt eine bestimmte Sprachgemeinschaft nur einen ganz kleinen Teil dieser Möglichkeiten zu Verständigungszwecken, etwa 30 bis 50 distinktive Laute 2 5 . Es sind dies die bedeutungdifferenzierenden Lauteinheiten der betreffenden Sprache. Unter gleichen übrigen Bedingungen kaim der Ersatz eines dieser Laute durch einen anderen dem Gesagten einen anderen Sinn geben, z. B. Mond — Mund. Den Laut als; sprachlichen Funktionsträger nennt man P h o n e m , und die Wissenschaft, welche das gesprochene Wort einer funktionellen Betrachtungsweise unterM. V. MATHEWS et al.: Sounds from Digital Computer. Gravesaner Blätter, Mainz 1962. t 5 Extremfälle sind Hawaiisch mit nur dreizehn und eine bestimmte westkaukasische Sprache mit achtzig distinktiven Lauten. 14
3
Sdiubiger, Phonetik, 2. A u f l .
34
Allgemeiner Teil
zieht, ist die P h o n o l o g ' i e (s. S. 11). Ein Phonem kann je nach lautlidier Nachbarschaft oder individueller Sprechgewohnheit auf viele, leidit voneinander abweichende Arten ausgesprochen werden. Doch solange die Abweichung die Phonemgrenze nicht überschreitet und in den Bereich eines anderen Phonems gerät, der Mond also nicht zum Mund wird, ist die Verständigung gewährleistet. Die Varianten (e. allophones) innerhalb eines Phonembezirks sind für die Sprachgemeinschaft zum Teil verbindlich. Es sind das die stellungsbedingten Varianten, z. B. die nach Vordervokalen palatale Artikulation [5] des deutschen Phonems /x/ 26 (s. S. 88). Daneben gibt es fakultative, sog. freie Varianten, d. h. von der Sprachgemeinschaft geduldete, individuelle Sprechgewohnheiten, wie z. B. die drei Artikulationsarten des deutschen Phonems hl, nämlich [r], [R] und [K] (s. S. 80 ff.); oder ein nasaler statt eines rein oralen Vokals vor Nasalkonsonant im Amerikanischen (s. S. 54). Man kann also die Phoneme mit Verkehrssignalen vergleichen, bei denen eine bestimmte Zahl Farben diakritisch verwendet wird. Den Phonemvarianten entsprechen die Farbschattierungen. Sie liegen entweder in der Willkür des Senders, oder sie hängen von äußeren Bedingungen ab, z. B. der jeweiligen Beleuchtung. Solange der Verkehrsteilnehmer die Farbe erkennt, ist die Verständigung gesichert27. Zusatz. Das Wort P h o n e m geht auf den polnischen Linguisten BAUDOUIN DE COURTENAY (1845—1929) zurück. In der Folgezeit ergab sich unter den Gelehrten ein Streitgespräch über die Natur des Phonems. Für DE COURTENAY und seine ersten Nachfolger, auch noch für SAPIR, war das Phonem eine p s y c h i s c h e R e a l i t ä t , eine Lautvorstellung, die man beim Reden zu realisieren sucht. Audi TRUBETZKOY spricht in seinen M
Es hat sich eingebürgert, daß der Laut als Funktionsträger, also das Phonem, zwischen schrägen Strichen steht, der Laut als solcher zwischen eckigen Klammern. 17 Dies ist eine vereinfachende Darstellung. Tatsächlich gibt es auch Überschneidungen der Phonembezirke, ohne daß die Verständigung darunter leidet (siehe Zusatz S. 89—90); denn die lautliche Umgebung sowie die Sprechsituation leiten den Hörer. Man vergleiche damit gewisse Buchstaben einer flüssigen Handschrift, welche ebenfalls zusammenfallen können, ohne daß der Leser dessen gewahr wird.
IV. Phonologische Betrachtung
35
frühen Schriften von Lautabsicht. Für BLOOMFIELD ist das Phonem eine p h y s i s c h e R e a l i t ä t , eine Lautfamilie, deren Glieder, die verschiedenen Realisationen des Phonems, alle die gleiche sprachliche Funktion haben. Auch DANIEL JONES 'hat sich, vor allem aus pädagogischen Gründen, diese Definition zu eigen gemacht. Die Verfechter beider Auffassungen sind sich darin einig, daß das Phonem eine Realität darstellt. Demgegenüber gibt es die Ansicht, es sei ein von außen an die Sprache herangetragener Ordnungsbegriff (a construct), in den dreißiger Jahren vertreten durch W. P. TWADDELL (USA), J. R. F I R T H (England), L. HJELMSLEV (Dänemark), ALFRED SCHMITT (Deutschland). Heute neigen die Phonologen dieser letzten Ansicht zu.
Die Aufmerksamkeit der Phonologen richtet sich in den letzten Jahrzehnten auf die einzelnen Lautmerkmale, welche dem Phonem zugrunde liegen. Diese Betrachtungsweise ist mit dem Namen R O M A N J A K O B S O N S verknüpft, der mit zwölf sowohl artikulatorisch als auch akustisch definierten binären Merkmalen, den d i s t i n c t i v e f e a t u r e s (z. B. vokalisch/nicht-vokalisch, nasal/oral, gespannt/sdilaff) die f u n k tionell relevanten Lautunterschiede aller Sprachen zu erfassen glaubt 2 8 . In dieser Richtung geht auch die generative Phonologie vom C H O M S K Y und H A L L E , deren auf 2 8 erweitertes Inventar der distinctive features universellen Charakter beansprucht. Die perzeptive Phonetik hat die Diskussion weiterhin belebt, durch den Versuch, ein System von auditiven Merkmalen wie hell/dunkel, voll/dünn aufzustellen, Bezeichnungen, die schon J A K O B S O N den akustischen Merkmalen zugeordnet hat. Das Verhältnis der distinctive features zum Phonem erhellt sich aus dem oft zitierten Satz: Das Phonem ist ein Bündel distinktiver Lautmerkmale. Diese Theorie ist nicht ohne Anfechtungen geblieben. Vor allem der nicht durchwegs überzeugende Binarismus hat Anlaß zur Kritik gegeben. Dodi die Entwicklung der phonetischen Wissenschaft (Interesse für das Allgemeingültige, generative Phonologie) und ihrer technischen Hilfsmittel (Computer) sichert ihr heute einen wichtigen Platz in der Analyse der menschlichen Rede. Siehe JAKOBSON und H A L L E , S. 31 ff. Zwei weitere binäre Laiutmerkmale werden S. 5 2 43 erwähnt.
,9
36
Allgemeiner Teil
Z w e i L a u t e , die in einer b e s t i m m t e n Sprache zwei P h o n e m e n entsprechen, k ö n n e n in einer anderen V a r i a n t e n
des gleichen
P h o n e m s sein. I m Deutschen und Englischen gibt es die z w e i P h o n e m e / n / und /xj/, z. B . d. sann-sang,
e. sin-sing.
Im Spa-
nischen und Italienischen ist [ r j ] eine V a r i a n t e des' P h o n e m s / n / v o r [ g ] und [ k ] , z. B . s p a n . u n d ital. manco [ r j ] — manto [n], tango [r)] — tanto [ n ] . I m Englischen gibt es die z w e i P h o n e m e / d / u n d / S / , z. B . den — then. I m Spanischen ist [ 5 ] eine stellungsbedingte V a r i a n t e des P h o n e m s / d / , welche o f t zwischen V o k a l e n erscheint, z. B . todo [Ö]29. Gewisse P h o n e m p a a r e üben ihre U n t e r s c h e i d u n g s f u n k t i o n nur an b e s t i m m t e n Stellen d e r S i l b e oder des W o r t e s aus, an anderen spielt der gleiche G e g e n s a t z keine d i s t i n k t i v e R o l l e , er w i r d n e u t r a l i s i e r t . E n t w e d e r erscheint an dieser S t e l l e nur eines der zwei P h o n e m e , o d e r es gibt beide, doch o h n e U n t e r s c h e i d u n g s f u n k t i o n . I m Deutschen wird der G e g e n satz /p4>/, / t - d / , / k - g / a m W o r t e n d e neutralisiert. Rat und Rad werden beide m i t [ t ] , Lack und lag m i t [ k ] ausgesprochen. D a s gleiche gilt f ü r das Russische u n d das Tschechische, z. B . russ. JiyK (Bogen) — Jiyz (Wiese), tschech. plot ( Z a u n ) — plod ( F r u c h t ) . D i e beiden französischen P h o n e m e / e / u n d /E/ üben ihre U n t e r s c h e i d u n g s f u n k t i o n n u r in o f f e n e r T o n s i l b e aus, z. B . pré Je/ — prêt JE/. I n geschlossener T o n s i l b e gibt es nur / e / , z. B . fer, neige. I n v o r t o n i g e r S i l b e gibt es beide e - L a u t e , doch ohne d i s t i n k t i v e F u n k t i o n . Unbeschadet der B e d e u t u n g k ö n n e n sich also hier a l l e r h a n d Einflüsse geltend machen. I n o f f e n e r S i l b e ist orthographisches e n o r m a l e r w e i s e geschlossen, z. B . égal [ e ] , ai o f f e n , z. B . maison [ e ] . M a n stellt auch F e r n a s s i m i l a t i o n (s. S. 1 0 4 ) fest; z. B . h a b e n aimer, aimé o f t [ e ] in der ersten Silbe, unter dem E i n f l u ß des [ e ] der Folgesilbe. F e r n e r k a n n sich hier analogische Beeinflussung geltend machen. Aus A n a logie zu prête, quête [ e ] sagt m a n prêtons, quêtons [e]. D i e P h o n o l o g i e betrachtet den P h o n e m b e s t a n d einer Sprache auch s t a t i s t i s c h und d i s t r i b u t i v . E s interessiert sie Dieses intervokalische [Ö] bildet mit dem regulären span. [6] ein phonologisches Gegensatzpaar, z. B. caza /kaOa/ (Jagd) — cada /kaöa/ (jeder). 29
IV. Phonologisdie Betrachtung
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die H ä u f i g k e i t der Phoneme u n d P h o n e m g r u p p e n in einer bestimmten Sprache, ferner die Stelle in der Silbe, im M o r phem oder im Wort, an der sie v o r k o m m e n 3 0 . D a gewisse Phoneme u n d P h o n e m g r u p p e n in einer bestimmten Sprache nur am W o r t a n f a n g oder Wortende, b z w . M o r p h e m a n f a n g oder Morp'hemende vorkommen, wirken sie in der f o r t l a u fenden Rede als G x e n z s i g n a l e . D a z. B. betonte K u r z vokale weder im Deutschen noch im Englischen am W o r t e n d e vorkommen, sind sie vor einfacher K o n s o n a n z Grenzsignale. Ein des Deutschen und Englischen unkundiger Phonologe w i r d folglich bei d. Sepp ist. . . [zepist], e. shut it [ j A t i t ] die W o r t grenze riditig erkennen. Auch Varianten eines Phonems können die Rolle von Grenzsignalen übernehmen, z. B. der unaspirierte Verschlußlaut. Im Englischen bildet er vor betontem Vokal ein Grenzsignal, denn v o r betontem Vokal im gleichen W o r t ist der Verschlußlaut (außer nach [s]) aspiriert. M a n vergleiche short hours [ t ] mit four towers [ t h ] . Nach einem Velarvokal w i r d im Deutschen orthographisch ch als [ x ] ausgesprochen, z. B. machen. Erscheint nun ein [9], so m u ß eine Morphemgrenze vorangehen, z. B. Mama-cben [5]; denn am Anfang eines Morphems w i r d ch vor h d l e m Vokal als [5] ausgesprochen, z. B. Chemie. Im Hochdeutschen k a n n auch der Kehlverschluß [?], der n u r am A n f a n g eines Wortes oder relativ selbständigen Morphems v o r k o m m t , als Grenzsignal wirken. M a n vergleiche der [?] Eckturm mit Direktor, Spiege/[?]ei mit Ziegelei, den Bau[?] erkennen mit den Bauer kennen. Das Problem der Grenzsignale b e r ü h r t sich mit dem der Silbengrenze, weshalb S. 110 nochmals d a v o n die Rede sein wird. Zusatz. Vor allem die Amerikaner haben sidi mit dem Verhalten der Phoneme an der Wort- und Morphemgrenze befaßt. Sie sprechen von close und open juncture, wobei letztere eine Morphemgrenze anzeigt, erstere den Übergang von Laut zu Laut innerhalb des Morphems, z. B. feline im Gegensatz zu bee-line. 30
Das Morphem ist die kleinste morphologisch distinktive Einheit der Rede, also Stamm (auch Stammesmorphem genannt), grammatische Endung, Vor- und Nadisilben; z. B. klein-ste, ent-täuschen, könig-lich.
38
Allgemeiner Teil
D e r Ausdruck juncture wird audi v o n europäischen Phonetikern verwendet. In gleicher Lautfolge, doch mit verschiedener Wortgrenze innerhalb dieser Lautfolge, kann die Art der juncture funktionell relevant sein, weshalb die Amerikaner v o n j u n c t u r e p h o n e m e s sprechen. Beispiele: See Mabel — seem able, why choose — white shoes, grey tape — great ape. Abhörproben haben allerdings ergeben, daß der Unterschied v o n den britischen Versuchspersonen o f t nicht wahrgenommen wird, am ehesten dann, wenn ein aspirierter Verschlußlaut einem unaspirierten gegenübersteht (letztes Beispiel). Es handelt sich also eher um eine potentielle Unterscheidungsmöglichkeit, v o n der dann Gebrauch gemadit wird, wenn man sich bewußt deutlich ausdrücken will. Ähnlich verhält es sidi mit der P a u s e , diesem anderen potentiellen Unterscheidungsmittel innerhalb der Lautfolge. Sie wird vor allem dann realisiert, w e n n andere Hinweise auf den Unterschied fehlen, so daß man sich auf diese Art verständlich machen muß.
Ordnet man die Phoneme einer Sprache systematisch, etwa nadi Ort und Art der Artikulation, so ergibt sich kein wirres Durcheinander, sondern es zeichnet sich mehr oder weniger deutlich das Bild einer zur Symmetrie neigenden S t r u k t u r ab. Auch die Beschaffenheit der Silbe hat an dieser Struktur Anteil, ferner Tonhöhe, Lautdauer und Akzent. Dieser Art Sprachbetrachtung begegnet man in den bekannten Büchern von G. L. T R A G E R und H . L. SMITH: An Outline of English Structure (1951) und C. F. HOCKETT: A Course in Modern Linguistics (1958). Die Phonologie hat sich auch praktischen Aufgaben zugewandt, nämlich der B e s t a n d e s a u f n a h m e bis anhin u n a u f • g e z e i c h n e t e r S p r a c h e n . In einem vor allem von den Amerikanern ausgearbeiteten Verfahren ermittelt man, welche Laute einer bestimmten Sprache Phoneme und welche kontextbedingte Varianten sind, woraus die phonologische Struktur dieser Sprache hervorgeht. Man ordnet dann nadi Möglichkeit jedem Phonem einen Buchstaben zu, was das Alphabet der betreffenden Sprache ergibt. Siehe vor allem K . L . PIKE 1 9 4 7 .
V. Die phonetische Schrift
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V. Die phonetische Schrift Ursprünglich w a r wohl jede Buchstabenschrift mehr oder weniger phonologisch. D i e E r f i n d e r der Schrift zerlegten d i e g a n z heitlich dargestellten L a u t f o l g e n früherer Schriften in die ihnen wesentlich scheinenden lautlichen Bestandteile, ein Vorgehen, das schon den K e r n d e r heutigen phonologischen Betrachtungsweise in sich trug. Sicher g a b es auch die aus der S d i r i f t nidit ersichtlichen V a r i a n t e n , so e t w a die stellungsbedingten V a rianten der wenig zahlreichen V o k a l e des Sanskrit. — S o l a n g e die Schrift sich mit der Aussprache wandelte, blieb die S a d i l a g e im wesentlichen die gleiche. Dies w a r in unseren K u l t u r sprachen jahrhundertelang der F a l l . E r s t allmählich trat eine F i x i e r u n g der O r t h o g r a p h i e ein, die im ausgehenden Mittelalter durch die E r f i n d u n g der Buchdruckerkunst mächtig gef ö r d e r t wurde. D i e gesprochene Sprache entwickelte sich weiter, u n d das R e s u l t a t ist die heute mehr oder weniger große D i s k r e p a n z zwischen O r t h o g r a p h i e und Aussprache. D i e D i s k r e p a n z ist um so größer, je rascher sich die Aussprache seit der F i x i e r u n g der O r t h o g r a p h i e entwickelt hat. Sie ist z. B . viel größer im Englischen als im Italienischen. Sehr unbedeutend ist sie auch in Sprachen, die erst s p ä t aufgeschrieben wurden, so im Finnischen, ferner in der erst seit der M i t t e des 19. J a h r hunderts bestehenden s e r b o k r o a t i s c h e n Schriftsprache. E s h a t in verschiedenen L ä n d e r n nicht an Versuchen gefehlt, die O r t h o g r a p h i e der veränderten Aussprache anzupassen. Gewisse R e f o r m e n wurden tatsächlich auch durchgeführt. H e u t e spricht m a n a m häufigsten v o n der Möglichkeit einer O r t h o g r a p h i e r e f o r m des Englischen; doch bis jetzt sind alle Versuche gescheitert. — D a es nicht gelang, die O r t h o g r a p h i e der A u s sprache a n z u p a s s e n , e m p f a n d e n f r ü h schon G e l e h r t e (DESCARTES), Lehrer u n d gelegentlich auch interessierte L a i e n das B e d ü r f n i s nach einer Spezialzwecken dienenden phonetischen Schrift. V o r der M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s w a r e n dies s p o r a dische Erscheinungen, doch später h ä u f t e n sich die Versuche. Einen ersten, gewichtigen Schritt tat A . M . BELL, ein Lehrer der Sprechtechnik, V a t e r des E r f i n d e r s des Telephons. I m J a h r e 1867 erschien sein Buch: Visible Speech, in welchem er
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Allgemeiner Teil
die Organstellung bei der Bildung der einzelnen Laute zur Grundlage seiner bildhaft beschreibenden phonetischen Schrift machte. Der Versuch ist interessant, hat aber wegen der Kompliziertheit der Zeichen keine praktische Verwendung gefunden. Später ersann J E S P E R S E N eine an mathematische Formeln erinnernde Darstellung der Laute. Die Notierung ist äußerst exakt, jedoch praktisch kaum verwendbar, auf keinen Fall zur Umschrift ganzer Wörter und Sätze. Alle praktisch verwendbaren Schriften beruhen auf dem Alphabet. Es gibt die bei den Romanisten beliebte B ö h m e r s c h r i f t , welche, leicht abgewandelt, auch im deutsch-schweizerischen Sprachatlas Verwendung findet, dann das System R O U S S E L O T - G I L L I E R O N , welches G I L L I E R O N in seinem französischen Sprachatlas verwendete. Im italienischen Sprachatlas von K . JABERG und J. JUD erscheint die Schrift, welche der italienische Glottologe G . I. A S C O L I verwendete. Am weitesten verbreitet ist heute das Alphabet des W e l t l a u t s c h r i f t vereins (International Phonetic Association, abgekürzt IPA). Es stammt aus den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts, ist aber seither mehrfach modifiziert worden. Die Grundlage bildet das lateinische Minuskelalphabet. Dazu kommen Majuskeln, griechische Buchstaben, Umkehrungen, leicht veränderte Buchstaben und ein paar Neubildungen (s. Abb. 16, S. 60). Sofern es der Phonembestand einer Sprache oder die Wünschbarkeit, auch Phonemvarianten darzustellen, erfordert, werden zusätzliche diakritische Zeichen verwendet, so etwa [ 4 ] stimmloses d, [ ä ] nasales a, [}] velarisiertes /. Im Prinzip werden Phoneme mittels Buchstaben, deren Varianten mittels zusätzlicher Zeichen wiedergegeben. Doch ist das Prinzip nicht strikte durchführbar, weil, wie schon S. 36 ausgeführt wurde, der gleiche Unterschied oft in der einen Sprache eine Phonemgrenze bildet, in der anderen bloß zwei Varianten des gleichen Phonems' darstellt. Ferner gibt es Fälle, wo Varianten eines Phonems artikulatorisch so verschieden sind, daß man ihnen auch verschiedene Zeichen zugeordnet hat. Dies gilt vor allem von den r-Lauten. Diakritische Zeichen werden auch zur Bezeichnung der Dauer [ : ] des Akzents [ ' ] (vor der betonten Silbe) und der Intonation verwendet. Zur graphischen Dar-
V. Die phonetische Schrift
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Stellung der Intonation hat sich noch kein einheitliches System herausgebildet. — Mit dem Alphabet des' Weltlautschriftvereins lassen sich alle Sprachen der Erde mit ziemlicher Genauigkeit transkribieren. Es gibt viele Spielarten dieses Alphabets: mit oder ohne diakritische Zeichen, mit allen oder nur einem Teil der zur Verfügung stehenden Buchstaben. Zu Unterriditszwecken vereinfacht man es meist, in wissenschaftlichen Abhandlungen, Dialektwörterbii ehern, Sprachatlanten, wo es um feine Nuancen geht, wird es in vollem U m f a n g verwendet, so etwa im Sprachatlas Neuenglands von H . K U R A T H und im englischen Sprachatlas von E. K O L B 3 1 .
31
Ein Spiegelbild der vielen Varianten der Weltlautschrift bot bis 1971 das durchwegs in phonetischer Schrift verfaßte Organ der IPA, Le maitre phonetique, wo fast jeder Mitarbeiter seine eigene Spielart verwendete. Die wenig differenzierende, mit [:] auch vokalische Qualitätsunterschiede bezeichnende Transkription nennt man weite (e. broad), die genauer bezeichnende enge Umschrift (e. narrow). Im vorliegenden Buch wird die enge Umschrift der IPA verwendet.
Spezieller Teil I. Systematische Darstellung der Sprachlaute A. Methodisches Die herkömmliche Art der Darstellung beruht im wesentlichen auf der Physiologie. Die Phonetiker der ersten, großen Zeit (SIEVERS, S W E E T , JESPERSEN) besaßen schon eine sehr genaue Kenntnis der Artikulation, während sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden einfachen Hilfsmitteln das akustische Geschehen zwar erstaunlich gut, jedoch längst nicht so genau wie die heutigen Forscher erkennen konnten. Sie teilten also die Laute auf Grund der Organstellung oder Organbewegung ein. Durch die Entwicklung der Elektroakustik nach dem ersten Weltkrieg und deren Weiterentwicklung zur Spektrographie und zur synthetischen Rede seit dem zweiten Weltkrieg hat eine Akzentverschiebung stattgefunden. In der wissenschaftlichen Phonetik, welche die Elemente der menschlichen Rede immer genauer, wenn möglich quantitativ zu erfassen bestrebt ist, steht jetzt die Akustik im Vordergrund, wenn auch die Betrachtung des physiologischen Vorgangs, der ebenfalls neuzeitliche Forschungsgeräte zur Verfügung stehen, ihren Eigenwert bewahrt hat. In den mannigfachen praktischen Anwendungsgebieten der Phonetik steht je nach Zielsetzung der eine oder der andere Aspekt im Vordergrund. In Aussprachelehrbüchern und in Handbüchern der Sprachheilkunde die Physiologie, in der Fernmeldetechnik, einem Teilgebiet der Kommunikationswissenschaft, die Akustik. Für den Linguisten, betrachte er nun die Sprachlaute in ihrer heutigen Form oder in ihrer historischen Entwicklung, bietet das physiologische Geschehen, ergänzt durch das Wissen um die Funktionsbedingtheit mancher Vorgänge, nach wie vor mehr Erhellung als seine akustische Entsprechung 32 . Doch auch der akustische Vorgang erfordert seine Aufmerksamkeit, er trägt zum Ver32
Siehe z. B. die Zusätze S. 58 und 66.
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
43
ständnis mancher Tatbestände Wesentliches bei 33 . Zudem treffen sich heute Linguisten und Kommunikationsingenieure auf dem Gebiet der perzeptiven Phonetik. 1. A k u s t i s c h kann man auf Grund der Oszillogramme eine Dreiteilung der Sprachlaute je nadi Art der Luftschwingungen vornehmen. a) Reine Stimmlaute: nur oder sozusagen nur periodische Schwingungen und folglich eine sich wiederholende Wellenform, z. B. [i], [a], [1], [m]. b) Reine Geräusche: nur aperiodische Schwingungen und folglich keine Wiederholungen im Wellenbild, z. B. [s], [f], [p]. c) Tönende Geräusche: Mischung von periodischen und aperiodischen Schwingungen und folglich stark verschwommene Wiederholung des Wellenbildes, z. B. [z], [v], [b] (s. Abb. 6, S. 23). Eine engmaschigere, die einzelnen Laute erfassende Einteilung erzielt man auf Grund des Klangspektrums. Jeder Vokal weist, wie S. 26 ausgeführt wurde, seine charakteristischen Formanten auf, bedingt durch Form und Größe des schwingenden Raumes. Auch die einzelnen Konsonanten kann man heute akustisch beschreiben, wenn es sich hier auch, wie S. 62—65 erläutert wird, um schwerer zu erfassende Vorgänge handelt. 2. Die traditionelle Zweiteilung Vokal-Konsonant beruht auf den p h y s i o l o g i s c h e n Gegebenheiten. a) Wenn die L u f t unbehindert durch den Mund bzw. durch Mund und Nase ins Freie gelangen kann, entsteht ein Vokal. b) Wenn die Luft auf ihrem Weg ins Freie behindert wird, entsteht ein Konsonant, und zwar je nach dem Verhalten der Stimmlippen ein stimmloser oder ein stimmhafter Konsonant. 33 Siehe S. 64 50 , S. 8 3 73 . — Rein praktisch ist zu sagen, daß die richtige Interpretation der Spektrogramme, Intensitätskurven und Tonhöhenmessungen gute physikalische Kenntnisse voraussetzt und viel Übung erfordert, während die Artikulation leicht zu beschreiben ist, zum Teil beobachtet und nachvollzogen werden kann.
Spezieller Teil
44
D i e engmaschigere Einteilung b e r u h t hier auf der A r t i k u lation. J e d e m L a u t entspricht eine bestimmte Organstellung oder Organbewegung. 3. Zum fast gleichen Resultat wie bei 2 gelangt die Zweiteilung der Laute auf G r u n d ihrer F u n k t i o n in der Silbe. a) Laute, die den Silbengipfel bilden können. b) Laute, die vor oder nach dem Silbengipfel stehen. Dies ist im Gegensatz zu den phonetischen Kriterien von 1 und 2 ein phonologisches Einteilungsprinzip. D e n n die Struktur der Silbe kann sehr verschieden sein. In unseren Schulsprachen gehören zu (a) alle V o k a l e , zu (b) die H a l b v o k a l e und die Konsonanten. Als H a l b v o k a l e bezeichnet man die ohne Behinderung artikulierten Laute [ j ] , [ u ] und [ w ] , die wegen ihrer K ü r z e und geringen Schallfülle nicht zu den Vokalen gezählt werden. Eine Sonderstellung nehmen die relativ schallkräftigen Konsonanten [ m ] , [ n ] , [1], ferner das vokalähnliche [ r ] ein, welche meist S o n a n t e n genannt werden. J e nadi Spradie, und o f t sogar in ein und derselben Sprache, können sie beide Funktionen übernehmen. Beispiele S. 108, wo auch die Schallfülle zur Sprache k o m m t 3 4 . In
den folgenden
Ausführungen
beruht die Gliederung
Stoffes auf der traditionellen Zweiteilung
des
Vokal-Konsonant,
g£ht also von den physiologischen Gegebenheiten aus. Eine letzte Bemerkung ist hier am Platze. U m die Sprachlaute beschreiben
zu
können,
hebt
man
sie aus
dem
heraus und betrachtet
sie vorerst als Einzellaute,
durch
modifizierte
die
Umgebung
Redestrom dann
als
Einzelartikulationen.
In
beiden Fällen postuliert man Laute von bestimmter Dauer mit Anglitt (in Stellung gehen), Haltephase (Stellung) und Abglitt (in die Ruhelage zurückgehen). Dies stellt, wie wir heute wissen, Einige Phonetiker verwenden bei 2 die v o n PIKE geprägten B e zeichnungen v o c o i d / c o n t o i d , wobei die den L u f t s t r o m nicht behindernden H a l b v o k a l e zu den vocoids zählen. N u r bei 3 sprechen sie v o n V o k a l / K o n s o n a n t . Ein H a l b v o k a l ist also ein vokoider K o n s o n a n t ; ein Sonant ist ein bald vokalischer, bald konsonantischer contoid.
34
I. Systematische Darstellung der SpradiLaute
45
eine starke Schematisierung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Röntgenfilme, vor allem Röntgentonfilme, zeigen, daß die Organe während des Sprechens in ständiger Bewegung sind, und daß die einzelnen Laute meist ineinander üibergdhen. Zwar weisen die Spektrogramme, wie aus Abb. 7, S. 30, hervorgeht, manche deutliche Grenzen auf, doch auditiv werden auch diese wieder verwischt. Siehe die Ausführungen S. 64—65. Deutlich treten die Laute jedoch in ihrer Eigenschaft als Bedeutungsträger, d. h. als Phoneme in Erscheinung. Die Artikulation der beiden Lautfolgen hart und halt mag noch so sehr ein Kontinuum bilden, ein gewisser Ausschnitt daraus ist in den zwei Fällen verschieden, der Ausschnitt, dessen Kern dem Phonem Irl bzw. /I/ entspricht. In der linguistisch orientierten Phonetik bilden also nach wie vor die Einzellaute und ihre Varianten — auf solchen Lautfamilien beruht ja der Phonembegriff — die Grundlage der Betrachtung 35 . B. Die Vokale Physiologischer
Aspekt
1. O r a l v o k a l e . Die überwiegende Mehrzahl aller Vokale sind Oralvokale. Die Luft entweicht hier ausschließlich durch den Mund. Der weiche Gaumen ist gehoben und verschließt den Nasendurchgang. Die Qualität dieser Vokale ist eine Funktion der Form des Mundraumes. Dieser wird begrenzt durch die Zunge, den Gaumen, die Rachenwand, die Zähne und die Lippen. Beweglich ist vor allem die Zunge, jedem Vokal entspricht eine bestimmte Zungenstellung. Der Unterkiefer kann sich heben und senken. Ist er gesenkt, so liegt die Zunge fast flach im Mund. Der Raum darüber ist groß, und wir artikulieren den Laut [a]. Hebt sich der Unterkiefer, so wölbt sich die Zunge, und es ergeben sich geschlossenere Vokale. Hebt sich der mittlere Zungenrücken gegen den harten Gaumen, so entstehen die Vordervokale mit dem Grenzlaut [i]. Jenseits dieser Grenze entsteht Reibung, also ein Konsonant, wobei sich die Enge meist nicht an der Stelle höchster Zungenhebung, 35
Siehe dazu D. B. FRY: Experimental Evidence for the Phoneme.
In Honour of DANIEL JONES (D. Abercrombie ed.) S. 59—72.
Spezieller Teil
46
sondern weiter vorn bildet. Hebt sich der hintere Zungenrücken gegen den weichen Gaumen, so entstehen die hinteren Vokale mit dem Grenzlaut [u]. Da sich auch bei ganz gesenktem Unterkiefer die Zungenmasse mehr nach vorn oder mehr nach hinten verlagern kann, ergeben sich zwei a-Laute, ein vorderes, helles [a], und ein hinteres, dunkles [u], was von manchen Sprachen phonologisch verwertet wird. Die Vokale lassen sich als Viereck darstellen, an dessen Ecken die Grenzlaute stehen. Um die praktische Verwendbarkeit dieses Diagramms bei der Beschreibung von Einzelsprachen zu erhöhen, teilt man die beiden Seitenlinien des Vierecks in drei gleiche Strecken und setzt vorn die Laute [e] und [e], hinten [o] und
(y)i h. solange sich der M u n d noch in Vokalstellung befindet, fließt ein Teil der L u f t schon w ä h r e n d der Vokalartikulation durch die Nase. 39 Die Vokalnasalierung gibt es auch als E r k ä l t u n g s e r s c h e i n u n g . Wegen Entzündung der Schleimhäute ist der Nasenverschluß nicht ganz dicht.
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
49
Nasalvokale als reguläre Sprachlaute gibt es im Portugiesischen, im Polnischen und im Französischen. Im Französischen hat der hier beschriebene Vorgang, wahrscheinlich stufenweise, zwischen dem 10. und 16. Jahrhundert stattgefunden, vom 15. Jahrhundert an unter Verlust des die Nasalierung bewirkenden Nasalkonsonanten. Letzterer Vorgang verlieh dem Nasalvokal Phonemwert. Beispiele S. 56. Derselbe Vorgang läßt sich im Amerikanischen beobachten, wo Wörter wie campus leicht zu [ksempgs] oder sogar zu f k i p a s ] werden 4 0 . 3. D i p h t h o n g e . Es sind dies lange Vokale mit gleitender Zungenstellung o f t auch mit sich verändernder Lippenstellung. Im Verlauf der Gleitbewegung ergibt sich eine ganze Reihe von Vokalen, von denen aber wegen der raschen Abfolge nur der erste und der letzte wahrgenommen werden. Auf der Wahrnehmung beruht die übliche Definition des Diphthongs: eine der gleichen Silbe angelhörende Folge von zwei Vokalen; ebenso ihre Darstellung in der phonetischen Schrift. Je nach der Gleitrichtung der Zunge unterscheidet man drei Arten Diphthonge (Abb. 10.) a) Die Zunge gleitet nach oben: [ai], [ a u ] , [au], [cii]. b) Die Zunge gleitet nach unten: [ia], [ici], [ u a ] , [ua], in phonetischer Schrift meist [ja], [ j a ] , [ w a ] , [wa] geschrieben.
Abb. 10: Drei Arten Diphthonge: a) fallend, b) steigend, c) bedingt fallend. 40
Wohl wegen der artikulatorischen Unbequemlichkeit, geschlossene Vokale mit gesenktem Velum auszusprechen, haben sich im Französischen [yn] zu [de], [in] zu [e] und als Folge davon [en] zu [ 5 ] entwickelt. Es gibt auch den entgegengesetzten Vorgang, die Entnasailiierung. Beispiele S. 104 97 . 4
Sdiubiger, Phonetik, 2. A u f l .
50
Spezieller Teil
c) Die Zunge bewegt sich von irgendeiner Vokalstellung zur neutralen [aJ-Stellung, zur sdiwa-Stellung, wie man oft in Anlehnung an die hdbräische Nomenklatur sagt: [ia], [ea], [ 0 9 ] , [ua]. Da offene Vokale klangvoller sind als geschlossene, nennt man die Diphthonge unter (a) fallend, denn die Klangfülle nimmt ab, die unter (b) steigend, denn die Klangfülle nimmt zu, die unter (c) bedingt fallend (s. S. 108). Das Ausmaß des Gleitens kann ganz verschieden sein. Es ist beträchtlicher bei [ai], [ a u ] , [ia], [uci] als bei [ei], [ou], [ie], [uo]. Die Diphthongierung spielt in der Sprachgeschichte eine bedeutsame Rolle. In manchen Zeitepochen und in den verschiedensten Sprachgemeinschaften ist die Zunige bei der Artikulation langer Vokale ins Gleiten geraten, entweder nach oben oder nach unten. Zwei deutsche Beispiele sollen dies belegen. Durch Gleiten nach oben und gleichzeitiges Senken des ersten Elementes ist aus mhd. min, hüs, nhd. mein, Haus geworden. Durch Gleiten nach unten und gleichzeitiges Heben des ersten Elementes ist aus früh-ahd. her, blöt ahd. hiar, bluot (hier, Blut) geworden. Zusatz. Während die Gleitlaute unter (a) und (c) fast allgemein als Diphthonge angesehen werden, gehen die Meinungen bei (b) auseinander. SWEET spricht hier von steigenden Diphthongen, die Franzosen (SAUSSURE, M. GRAMMONT) betraditen diese Gleitlaute als eine Folge von Konsonant oder Halbvokal + Vokal. Ihnen zufolge gibt es im Französischen keine Diphthonge. Audi für viele Amerikaner gibt es den Begriff Diphthonge nicht: Nicht nur sind [ja] und [wa] Folgen von Konsonant + Vokal, auch [au] und [aii] — in phonetischer Umschrift [aw], [aj] — sind keine Diphthonge, sondern Folgen von Vokal + Konsonant 4 1 . Klärend für das Verständnis der amerikanischen Betrachtungsweise wirken die S. 44 3 4 erwähnten Bezeichnungen vocoiid/contoid. Das wenig schallkräftige Element eines Diphthongs ist zwar ein vocoid, in der Silbe jedoch ein Konsonant, ob es nun vor oder nach dem den Silbengipfel bildenden, schallkräffiigeren Element stehe. Also bezeichnet man es in beiden Stellungen mit den vocoiden Konsonanten [j] und [ w ] . 41
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
51
Zählt man [ j ] und [ w ] zu den Bestandteilen eines Diphthongs, so ergeben sidi oft T r i p h t h o n g e , z. B. d. jauchzen [javr], e. weary [wia]. Hingegen sind diie Vokalfolgen in e. tower [atra], fire [ai9] keine Triphthonge, weil sie, zumindest in sorgfältiger Aussprache, zwei Silben bilden.
Akustischer
Aspekt
Akustisch beruht die Vokalqualität auf der Frequenz und der Intensität der Foxmanten. V o r allem z w e i Formanten sind entscheidend. F o r m a n t 1 beruht auf Raumverhältnissen, die v o r allem durch das Ausmaß der Zungenhebung bedingt sind. Je höher die Zungenstellung, desto tiefer dieser Formant. D e r Frequenzbereich v o n F o r m a n t 2 beruht auf der Länge des v o m Lautgang gebildeten Resonanzraums. Je länger der Raum, desto tiefer der Formant. A n der Verlängerung oder Verkürzung des Raumes sind die Lippen, in geringerem M a ß e auch der K e h l k o p f beteiligt 42 . Bei gespreizten Lippen und leicht Frequenz Formant 2 *
1 2000 • i
1000
• u 500-
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• 0
I C
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3
SOO-
Abb. 11: Darstellung der Formanten 1 und 2 von acht englischen Vokalen in den Wörtern heed, hid, head, had, hod, hawed, hood, who'd (nach LADEFOGED: 1971, S. 7 3 ) .
• O
.
\
gehobenem K e h l k o p f ist der Raum am kürzesten, bei gerundeten Lippen und gesenktem K e h l k o p f am längsten. D i e Länge variiert um zirka 1 cm. D i e Frequenz der Formanten variiert auch bei auditiv identischen Vokalen ganz beträchtlich. D i e folgenden Zahlen beruhen auf einer unter Mitwirkung v o n Man berühre den Sdiildiknorpel mit der flachen Hand und spreche [i] _ [ U ] _ [d] _ [ u ] .
52
Spezieller Teil
J O N E S durchgeführten sehr sorgfältigen Analyse der Kardinalvokale. F o r m a n t 1: [i] 240—480, [e] 415—640, [e] 590—770, [a]795—1140, [ci] 660—830, [o] 435—725, [ o ] 415—600, [u] 260—430. F o r m a n t 2: [i] 1620—1920, [e] 1595—1820, [e] 1460—1815, [ a ] 1260—1490, [ci] 885— 1025, [o] 780—980, [o] 695—910, [u] 5 4 0 — 8 5 5 « . Formant 2 gibt dem Vokal sein vorherrschendes auditives Gepräge, [i] tönt am hellsten, [u] am dumpfsten. Trägt man auf einem Koordinatensystem Formant 2 auf der Abszisse, Formant 1 auf der Ordinate ein, so ergibt sich, wie das nicht anders zu erwarten ist, ein ähnliches Bild wie das auf Grund der Zungenstellung hergestellte Vokalviereck. (Man vergleiche Abb. 11, S. 51, mit Abb. 14 E, S. 56.) Eine Gegenüberstellung des artikulatorischen und des akustischen Aspekts der Vokale stellt auch Abb. 12, S . 53, dar, Medianschnitte und Klangspektren von [i] und [u].
DANIEL
Die g e r u n d e t e n V o r d e r v o k a l e haben einen etwas tieferen zweiten Formanten als die entsprechenden ungerundeten, klingen also dumpfer; denn das' Vorstülpen der Lippen verlängert den Resonanzraum. Umgekehrt verhält es sich bei den ungerundeten Hintervokalen. Die D i p h t h o n g e , deren Formanten sich im Verlauf der Lautung nach oben oder nach unten bewegen, ergeben Spektrogramme mit sich einander nähernden oder voneinander entfernenden Formanten (s. Abb. 7, S. 30). Bei den r e t r o f l e x e n V o k a l e n hat man eine Senkung von Formant 3 festgestellt, einem Formanten, dein man früher bei der Beurteilung der Vokale kaum Beachtung sdienkte. Nach P. LADEFOGED: Three Areas of Experimental Phonetics, London 1967, S. 88—89. — Auf Grund der Frequenzen von Formant 1 und 2 scheidet JAKOBSON die Vokale in zweimal zwei Gruppen: A k u t e Laute (hell) = weit auseinaraderliegende Fl und F2, also i-Laute; G r a v i s laute (dunkel) = eng aneinanderliegende Fl und F2, also u-Laute. D i f f u s e Laute (dünn) = sehr tiefer Fl, also i- und u-Laute; k o m p a k t e Laute (voll) = relativ hoher Fl, also a-Laute. Auf Grund der Intensitätsschwerpunkte innerhalb ihrer Frequenzbereiche (s. S. 63—64) werden auch die Konsonanten in dieses binäre Einteilungssystem eingereiht (siehe
43
MALMBERG 1 9 6 3 , 5 . 1 6 ) .
I. Systematische Darstellung der Spradilaute
53
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IlWrrTTlTiii 1000
1000
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1
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3000
1
1
3000
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Abb. 12: Mediansdinitte und Klangspektren der englischen Vokale [i]
und
[u]
(nach LADEFOGED
1962, S. 9 6 — 9 7 ,
ergänzt durch S. 94)44.
Bei N a s a l v o k a l e n stellt m a n a u f d e m S p e k t r o g r a m m einen zusätzlichen tiefen F o r m a n t e n fest ( 2 5 0 H z bei 1 2 0 H z G r u n d f r e q u e n z ) ; ferner verminderte Intensität v o n F o r m a n t 1. Auditiv ist letzteres ausschlaggebend. Bei Versuchen mit synDie einzelnen Formanten des Klangspektrums weisen nicht eine einzige Frequenz auf, sondern setzen sidi aus einem Bündel zusammen, mit der schallkräftigsten Komponente in der Mitte. Dies hängt mit der in diesem Buch unberücksichtigt gebliebenen D ä m p f u n g der Schallwellen zusammen, welche darauf beruht, daß der Resonanzraum in jedem seiner ansprechbaren Frequenzbezirke auf eine ganze Anzahl Einzelfrequenzen anspricht. Verbindet man auf dem Klangspektrum die obersten Punkte all dieser Frequenzen, so ergibt sidi für jeden Laut eine charakteristische Kurve, die Resonanzkurve. Zur Dämpfung siehe LADEFOGED 1962, S. 49, 6 0 — 6 1 ; PULGRAM S. 60—64.
44
Spezieller Teil
54
thetischer R e d e h a t sich gezeigt, daß der N a s a l v o k a l nicht so sehr an der Z a h l und Frequenz der F o r m a n t e n als a n deren Intensitätsverhältnis erkannt wird. Zusat2 1. Die obige, auf dem Bestreben nach größtmöglicher Anschaulichkeit beruhende Darstellung des akuscisdien Aspekts der Vokale trägt der Komplexität des Geschehens nur in bescheidenem Maße Rechnung. Die folgenden ergänzenden Hinweise beruhen auf dem Ergebnis der heutigen Forschung. — Man hat schon versucht, jeden Formanten einem bestimmten Resonanzraum zuzuordnen, Formant 1 dem hinteren, Formant 2 dem vorderen, wobei die engste Stelle im Mund die Grenze bildet. Diese Betrachtungsweise ist jedoch nur einleuchtend bei Vokalen, bei welchen die Zunge den Lautgamg durch ihre Hebung deutlich in zwei Teile trennt, etwa bei [i] und [u]. Sie versagt, wo dals nicht der Fall ist, wie z. B. bei [E], [oe], bei deren Artikulation die Zunge den Lautgang in keiner Weise unterteilt. Neuere Forschung hat gezeigt, daß der ganze, von den Stimmlippen bis zum Mundausgang reichende Lautgang an der Frequenz aller Formanten beteiligt ist. Der zirka 17'/2 cm lange Lautgang, wenn an keiner Stelle durch Zungenhebung verengt, spricht auf die Eigenfrequenzen 500, 1500, 2500, 3500 . . . H z an, und das ergibt Formant 1, 2, 3, 4 . . . In der Tat sind diies ungefähr die Formanten von [oe]. Bei den anderen Vokalen ergeben sich Verschiebungen. J e nachdem, ob sich die höchste Stelle der Zunge bei der Artikulation in der Nähe eines Wellenknotens oder eines Wellenbauches befindet, wird der
«ZX3
Abb. 13: Die Eigenfrequenzen des vom Lautgang gebildeten Resonanzraums, welche den Formanten der Vokale zugrunde liegen (nach G. FANT in Malmbergs Manual of Phonetics S. 217).
entsprechende Formant erhöht oder gesenkt. Im vom Lautgang gebildeten Resonanzraum entspricht 500 H z einem Viertel, 1500 H z drei Vierteln, 2500 H z fünf Vierteln eines vollen Schwingungszyklus (s. Abb. 13). Je höher der Formant, desto näher sind sich
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
55
Knoten und Bäudie, und die höchste Stelle der Zunge ist also bei jeder Vokalartikulation etwa gleich weit von beiden entfernt. Formainten 4, 5 und folgende sind an der Vokalqualität kaum mehr beteiligt. Sie liegen beim gleichen Sprecher durchgehend etwa gleich hoch. An ihnen vor allem erkennt man die persönliche Stimme. Zusatz 2. Nach H E L M H O L T Z — und das ist weitgehend noch die heutige Ansicht — besteht, wenn man vom mathematisch festgelegten Verhältnis zwischen den Tönen in der Musik absieht, kein prinzipieller Unterschied zwischen gesprochenen und gesungenen Vokalen, sondern bloß ein Gradunterschied. Der wichtigste betrifft den Grundton. Beim Sprechen bleibt dieser nie auch nur einen Bruchteil einer Sekunde konstant. Beim Gesang hält man den Ton eine Zeitlang aus und geht dann ohne Gleitton zum nächsten, oft weit entfernten Ton über. Ferner ist beim Gesang die oft beträchtliche Vokaldauer genau festgelegt. Größer als beim Sprechen ist auch die Intensität. Da der Stimmumfang der Singstimme denjenigen der Sprechstimme bedeutend übersteigt, wird es in sehr hoher Tonlage (über zirka 700 Hz = f") fast unmöglich, die Vokale deutlich zu singen. Alle tönen [a]-artig, weil nur bei [a] sowohl Formant 1 als auch Formant 2 über dieser Frequenz liegen45. Phonologischer
Aspekt
Die Vielfalt der möglichen Vokalartikulationen wird zu Verständigungszwecken nur begrenzt ausgenützt, von einigen Sprachen sogar sehr begrenzt. Es gibt arabische, indianische und Eskimodialekte, weldie bloß die drei Phoneme /i/, /a/, /u/ kennen. Andere Vokallaute, die es auch in diesen Sprachen gibt, sind Varianten eines dieser drei Phoneme. Im Spanischen kommen /e/ und /o/ dazu, im Italienischen /e/ und /e/, lol und hl, z. B. ital. capello lel — cappello /eJ, corso /o/ — Corso hl. Im Deutschen, Englischen und Französischen ist die Vielfalt noch bedeutend größer, wie aus Abb. 14, S. 56, hervorgeht. Eine bekannte Sängerin sah sich gezwungen, ein in hoher Tonlage gesetztes dunkle Todesgruft durch kalte Grabesnacht zu ersetzen. 41
56
Spezieller Teil
Erläuterungen zu Abb. 14: Im Deutsdien und im Englischen gibt es je zwei i und u-Phoneme, z. B. d. biete 1V — bitte hl, rußen IvJ — Russen lui; e. seat Iii — sit hl, pool lui — pull Ar/. Im Deutschen und im Französischen gibt es wie im Italienischen je zwei e und o-Phoneme, z. B. d. Reeder lel — Räder lel, Ofen loi — offen hl; frz. pré /e/ — prêt /el, môle loi — molle hl. In diesen zwei Sprachen gibt es neben den ungerundeten auch die entsprechenden gerundeten Vordervokale, z. B. d. Mieder Iii — müder lyl, Kiste hJ — Küste IYI, Lehne lel — Löhne letl, Mächte lel — möchte /ce/; frz. scier 1il — suer lyl, nez lel — noeud loi, air lel — heure /oe/. Alle gerundeten Vordervokale werden etwas weiter hinten artikuliert als die entsprechenden unigerundeten. Die drei Sprachen kennen das zentrale hl, z. B. d. habe, e. about, frz. le. Im Englischen gibt es zwei weitere zentrale Vokalphoneme, z. B. but /A/, bird h /. Im Französischen kommen vier phonologisch verwertete Nasalvokale dazu, was vier weitere Gegensatzpaare ergibt, z. B. Inde IfJ — aide lel, onde /5/ — ode hl, pente /à/ — pâte /a/, brun lœl — oeuf /œ/46. D i p h t h o n g e gibt es nicht in allen Sprachen, und da, wo sie als funktionell relevante Laute vorkommen, sind sie mehr oder weniger zahlreich, was aus Abb. 15 hervorgeht. Die Zungenstellung der französischen N a s a l v o k a l e entspricht nicht genau derjenigen der entsprechenden O r a l v o k a l e , w a s auf Abb. 14 unberücksichtigt bleibt. 46
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute D
57 E
Erläuterungen zu Abb. 15: Die weiten D i p h t h o n g e ls.il u n d /au/ entsprechen sich im Deutschen und im Englischen, sie gehen auf m h d . und me. [i:] und [u;] zurück, z. B. d. Eis, Maus, e. ice, mouse. D . /oy/ geht auf mhd. iu [y:] zurück, z. B. heute. E. /oi/ ist ein spärlich belegter Diphthong, der meist in W ö r t e r n romanischen Ursprungs v o r k o m m t , z. B. oyster. Die beträchtliche Zahl weiterer D i p h t h o n g e im Englischen beruht erstens auf der Vokalisierung des nachvokalis'chen [ r ] im 18. J a h r hundert, was die drei auf [ a ] endenden D i p h t h o n g e ergab, z. B. beer /ig/, hair /ea/, poor / j a / . Sie ist ferner eine Folge der seit dem Frühneuenglischen feststellbaren Neigung zur Diphthongierung, wodurch im 18. J a h r h u n d e r t aus [ei], [o:] die D i p h t h o n g e /ei/, /au/ entstanden sind, z. B. late, home, und sich heute aus hl, /u/ die aus der Abbildung nicht ersichtlichen, vorläufig sehr engen D i p h t h o n g e [ii], [ u u ] gebildet haben, z. B. tea, shoe. Die eher schlaffe Artikulation der englischen Vokale begünstigt diese Entwicklung. S t r u k t u r a l i s t i s c h e B e t r a c h t u n g . Aus der D a r stellung dieser wenigen V o k a l - und Diphthongsysteme geht eine offensichtliche oder zum mindesten angedeutete Symmetrie der A n o r d n u n g hervor: d. und e. vorn Iii — hl, hinten lul — Ivl; d. v o r n /e/ — leJ, hinten lol — lol; f r z . vorn IV, lel, lel — hinten lul, lol, lol; d. vorn ungerundet Iii, Iii, lel, lel — gerundet lyl, IYI, l E: > e : > ei], meat
[e: > e: > i:], oak [ o : > o : > 3 u ] ,
59 food
[ o : > u : ] , pipe [i: > ai > ai], house [ u ! > 3 u > a u ] . Jeder Lautwandel bedeutet eine Störung des Gleichgewichts und somit des guten Funktionierens der Sprache. E r zieht einen weiteren Wandel nach sich, der das Gleichgewicht wieder herstellt, dafür aber an anderer Stelle des Systems das Gleichgewicht stört 4 8 . — Dieser Theorie wird nicht allgemein zugestimmt. Lautwandel kann auch Asymmetrie bewirken, ohne daß diese durch einen weiteren Wandel bald wieder korrigiert wird. Was das Beispiel des Great Vowel Shift betrifft, sind sehr wahrscheinlich für manche dieser Erscheinungen Rivalitäten zwischen verschiedenen in der Hauptstadt London gesprochenen Dialekten verantwortlich, deren einer die Oberhand gewann und in die Gemeinsprache überging. Man vergleiche damit S. 5 8 4 7 .
C. Die Konsonanten Physiologischer
Aspekt
Konsonanten sind Hemmlaute. Der freie Durchgang der Luft wird an irgendeiner Stelle auf irgendeine Art behindert. Um einen Konsonanten zu kennzeichnen, muß man also angeben 1. den O r t d e r H e m m u n g , 2. die A r t d e r H e m m u n g . Dazu kommt 3. das V e r h a l t e n d e r S t i m m l i p p e n , unbeteiligt oder vibrierend. Erläuterungen zu Abb. 16: Auf der K o n s o n a n t e n t a b e l l e d e s W e l t l a u t s c h r i f t v e r e i n s , weldie trotz mancher Mängel weiteste Verbreitung gefunden hat, wird auf der Abszisse der Ort der Hemmung, auf der Ordinate die Art der Hemmung dargestellt. Wenn zwei Konsonanten im gleichen Felde stehen, was 'bei den Verschluß- und Engelauten der Fall ist, ist der erste stimmlos, der zweite stimmhaft. Die übrigen Konsonanten sind normalerweise stimmhaft. Die Tabelle enthält so ziemlich alle sprachlich verwendbaren Konsonanten. Die große Mehrzahl hat in einer oder in mehreren Sprachen Phonemcharakter. Einige Laute sind je nach Sprache Phoneme oder Phonemvarianten. Nicht auf der Tabelle erscheinen modi48
Siehe MARTINET S.
248—256.
Spezieller Teil
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D. Die Konsonanten im einzelnen 1. V e r s c h l u ß l a u t e Die bei allen Lauten postulierte Dreiteilung der Artikulation in Anglitt, Haltephase und Abglitt (s. S. 44) tritt bei den Verschlußlauten am deutlichsten in Erscheinung. Den Anglitt bildet die I m p l o s i o n , d. h. der Verschluß des Mundraumes, der Haltephase entspricht die V e r s c h l u ß h a l t u n g , während der die Luft in den Mund strömt, so daß hinter dem Verschluß ein Überdruck entsteht, den Abglitt bildet die E x p l o s i o n , d. h. die plötzliche Lösung des Verschlusses und das mit einem knallartigen Geräusch verbundene h M WV^ a)
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Abb. 18: Vier Kymogramme: a) Unaspirierter Verschlußlaut, b) aspirierter Verschlußlaut, c) Engelaut, d) Affrikate.
Ausströmen der Luft. Am besten läßt sich dieser Vorgang an der Mundkurve (M) eines Kymogramms veranschaulichen (Abb. 18 a). Abschnitt 1 entspricht der Implosion. Nach der Artikulation des Vokals schließt sich der Mund und die Nadel senkt 55
S i e h e MARTINET S.
241—45.
Spezieller Teil
68
sidi leicht. Abschnitt 2 entspricht der Verschlußhaltung. Die Nadel bleibt unbewegt. Abschnitt 3 veranschaulicht die Explosion, welche der Nadel einen Stoß nach oben versetzt. Wie diese drei Phasen verlaufen,- ist nicht unwichtig, denn jeder Lautwandel — die Verschlußlaute sind dem Lautwandel stark unterworfen — geht aus einer Veränderung dieses Ablaufs und also audi des Kymogramms hervor. Davon wird noch die Rede sein. — Es gibt drei H a u p t t y p e n von Verschlußlautpaaren, die sich durch die Artikulationsstelle voneinander unterscheiden: [p—b], [ t — d ] , [k—g]. In den Schulsprachen sind dies auch sechs Phoneme. [p-b] [p] ist der stimmlose, bilabiale Verschlußlaut, ein sehr verbreiteter Laut, [b], seine stimmhafte Entsprechung wird gleich oder doch annähernd gleich artikuliert, z. B. d. packen — backen, e. peg — beg, frz. pain — bain. Die Zunge liegt flach im Mund, berührt also nirgends den Gaumen; der Laut ergibt kein Palatogramm. Da die Lippen auch in Ruhelage verschlossen sind, besteht die Bewegung — abgesehen vom Verschluß des Nasenraumes durch Hebung des Velums — bloß darin, daß der Unterkiefer sich senkt und dadurch den Mundraum etwas vergrößert. Die Luft strömt aus der Lunge in diesen Raum, bildet hier einen Überdruck, und entweicht bei der Lösung des Lippenverschlusses mit einem leichten Knall. Bei [p] strömt die Luft durch die weit geöffnete Stimmritze, bei [b] ist diese zu einem schmalen Schlitz verengt, so daß die Stimmlippen in vibrierende Bewegung versetzt werden. D a ß man die Vibration, also die Stimmhaftigkeit von [b] — das gleiche gilt von [d] und [g] — während der Verschlußhaltung wahrnimmt, liegt daran, daß sich die Schwingungen auch durch die Gewebe fortpflanzen. Die stimmhaften Versdilußlaute verlieren allerdings sehr leicht ihren Stimmton, so etwa im Süddeutschen und im Schweizerdeutschen, z. B. schwzd. Bad [bcid], Tag [dag]. Siehe auch S. 72. Die 'bilalbialen Verschlußlaute wie auch der entsprechende Nasallaut [m] sind sehr leicht zu bildende Laute. Sie gehören zu den ersten Konsonanten, die ein Kind aussprechen kann. Papa, Mama, Baby und ähnliche
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
69
Kinderwärter haben in vielen Sprachen mit Labiallauten gebildete Entsprechungen. [t-d] D a s artikulierende Organ ist die Zungenspitze oder genblatt. Die Artikulationsstelle ist nicht in allen genau dieselbe. A m weitesten vorn artikuliert der Er berührt mit der Zunge die Hinterfläche der oberen
das ZunSprachen Franzose. Schneide-
a
Abb. 19: Medianschnlitte der Verschlußlaute: a) dentales [t], b) alveolares [t], c) retroflexes [t], d) [k], e) palatales fc] (gilt auch für den palatialen Laterallaut [X]). — f) retroflexer Vokal [ a ] .
zähne, o f t gleichzeitig auch den Zahndamm, z. B. tout — doux. Dies ist auch der spanische Laut (Abb. 1 9 a ) . Im Deutschen wird [t] ebenfalls ziemlich weit vorn artikuliert, an der Grenze zwischen den Zähnen und dem Zahndamm, z. B. Tante — Dante. Der Engländer artikuliert am Zahndamm, und zwar häufig mit leicht gehobener Zungenspitze, z. B. town — down. Vor [ r ] wird die Zungenspitze immer gehoben, z. B. try — dry (Abb. 19 b). Sehr weit hinten, am
Spezieller Teil
70
vorderen Teil des harten Gaumens, wird der Laut nach [ r ] im Schwedischen artikuliert. D a im heutigen Sdiwedisdi [ r ] vor Konsonant meist geschwunden ist, hat sich diese ursprüngliche Phonemvariante zu einem Phonem entwickelt, z. B . mord /moc|/ (Mord) — mod /mod/ (Mut), fort / f o t ' (schnell — fot /fot/ (Fuß). H i e r spricht man von r e t r o f l e x e n Vers c h l u ß l a u t e n , denn die Zungenspitze biegt sidi so weit zurück, daß mit der Unterseite des Zungenblattes artikuliert wird (Abb. 19c, S. 69). Weitere retroflexe Konsonanten werden S. 79 angeführt. Seitlich liegt die Zunge bei allen t-Artikulationen an den oberen Backenzähnen (s. das Palatogramm Abb. 17 a, S. 62). — Innerhalb der Einzelsprachen, in manchen deutlidier als in anderen, paßt sich die Artikulationsstelle dem folgenden V o k a l an. Besonders deutlich ist dies im Französischen, wo in Wörtern wie tirer, tuer das [ t ] etwas nach der Mitte verlegt, d. h. leicht p a l a t a l i s i e r t wird. [k-g] Das artikulierende Organ ist der hintere Zungenrücken. Das Zungenblatt ist gesenkt. Die Artikulationsstelle ist der weiche Gaumen, manchmal der harte Gaumen, gelegentlich das Halszäpfchen (Abb. 19d, S. 69). D i e verschiedenen Artiku'lationsstellen können hier im Gegensatz zu [ t ] nicht einzelnen Sprachen zugeordnet werden. Sie stellen fast ausschließlich eine Anpassung an die lautliche Umgebung dar. Sehr deutlich ist dies im Französischen, wo das [ k ] von cou, goüt am Velum das von qui, Guy am harten Gaumen gebildet, also p a l a t a l i s i e r t wird. Auch im Deutschen und im Englischen ist ein Unterschied zwischen Kuh und Kühe, cool und keel feststellbar. Nicht nur beim velaren, sondern auch beim palatalisierten [ k ] ist das Zungenblatt gesenkt, was den Laut vom in jeder lautlichen Umgebung mit dem Zungenblatt artikulierten [ t ] abhebt. I m Arabischen bilden palatalisiertes 'k/ und uvulares /q/ zwei Phoneme, z. B . /kaslb/ (Hund) — /qcilb/ (Herz) 5 6 . 59
Zur Palatalisierung von [T] und [k] siehe STRAKA: Tafeln 112,
113, aus denen hervorgeht, daß sich die sehr deutlich palatalisierten [t] und [k] mit dem S. 78 beschriebenen Palatalkonsonanten [c] decken.
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
71
Zusatz zu [ ne. chin, ebild, ditcb [ t j ] .
Bemerkungen zu den Verschlußlauten 1. A s p i r a t i o n . Der Obergang vom stimmlosen Verschlußlaut zum folgenden Vokal erfordert zwei Bewegungen, die Lösung des Verschlusses und die Verengung der Stimmritze von der offenen Stellung der Stimmlosigkeiit zur Stimmstellung (Abb. 3a, c, S. 15). Sind diese zwei Bewegungen aufeinander abgestimmt, d. h. wird der Verschluß erst gelöst, wenn die Glottis die Stimmstellung erreicht hat, so folgt der Vokal direkt auf die Explosion, und der Verschlußlaut ist unaspiriert. Wird aber der Verschluß früher gelöst, so befindet sich die Glottis noch nicht in Stimmstellung, sondern entweder noch in Atemstellung (Abb. 3a) oder in der für das frikative [h] charakteristischen Hauchstellung (Abb. 3b). Es folgt also ein mehr oder weniger deutliches [h] auf die Explosion. Der Unterschied geht aus den Kymogrammen (a) und (b) von Abb. 18, S. 67, hervor. Auf die Explosion 3 folgt bei (b) als viertes Teilstück eine kurze Strecke ohne Stimme (gerade Linie), und erst dann setzt der Vokal ein (Wellenlinie). Sehr deutlich ist der Unterschied zwischen (a) und (b) auch auf der Kehlkopflinie (K), wo allein das Verhalten der Stimmlippen in Erscheinung tritt. Cintième für cinquième steht schon bei MOLIERE. In der Hochsprache zeugt das Wort tabatière (Ableitung von tabac) von dieser Verwechslung. 57
72
Spezieller Teil
Unaspiriert sind die Verschlußlaute in den romanischen und den slavischen Sprachen, aspiriert, vor allem vor betontem Vokal, im Deutschen und Englischen. Sehr stark aspirierte Verschlußlaute gibt es im Dänisdien. Im Altgriechischen, im Sanskrit und in manchen neuindischen Sprachen bilden die aspirierten und die unaspirierten Verschlußlaute je zwei Phoneme. Da es in den Sprachen Indiens' auch die sog. aspirierten stimmhaften Verschlußlaute gibt (orthogr. bh, dh, gh), ergeben sich dort drei weitere Phonempaare 5 8 . 2. In den Sprachen, wo nicht nur f p ] , [t], [k], sondern auch [b], [d], [g] stimmlos sind, und beide Gruppen unaspiriert ausgesprochen werden, beruht der Unterschied einzig auf der Intensität der Artikulation. S I E V E R S sprach von f o r t i s und I e n i s - Lauten, Ausdrücke, die bis heute ihre Geltung haben. Bei der Fortis ist der Verschluß fester, der Druckunterschied größer und die Explosion folglich heftiger als bei der Lenis. In manchen Sprachen, z. B. im Schweizerdeutschen, hat dieser Unterschied, der mit einem mehr oder weniger deutlichen Längenunterschied gepaart ist, Phonemcharakter, z. B. Haube /hu^a/ — hupen 'hupa/, Seide /zi^a/ — Seite /gita/. Ein gewisser Unterschied in der Festigkeit des Verschlusses und folglich der Stärke der Explosion ergibt sich auch aus der Beschaffenheit der Artikulationstelle. Bei [t] — [d] wird der Verschluß an den Zähnen oder am Zahndamm hergestellt, also an einer harten Fläche. Bei [k] — [g] wird am weichen Gaumen, also an einer weichen, nachgiebigen Fläche artikuliert. Dadurch dehnt sich die Berührungsfläche aus. Sowohl bei der Implosion als auch bei der Explosion ist die Muskelenergie und also auch die Spannung geringer, man artikuliert weniger genau. Dies hat zur Folge, daß der Verschluß sich oft lockert, und statt des Verschlußlautes der homorganische Engelaut 58
Wie sich zwischen einen stimmhaften Verschlußlaut und einen Vokal ein Hauch einschieben kann, ist schwer vorstellbar. Tatsächlich ist diese sog. Aspiration eine Modifikation des ersten Teils oder des ganzen folgenden Vokals. Bei gleichzeitigem Vibrieren der Stimmlippen strömt auch nicht in Schwingung versetzte Luft aus. Die SüimmlippenisBellung ist etwa die des stimmhaften h [ h ] (s. S. 90), so daß es nicht ganz abwegig ist, auch hier von Aspiration zu reden. Siehe dazu LADEFOGED 1971, S. 13; ABERCROMBIE S. 149.
I. Systematisohe Darstellung der Sprach Laute
73
erscheint, z. B. nordd. Tag [k > x ] , Sieg [k > ç]. Auch der an weicher Stelle gebildete Lippenlaut [b] wird leicht zum Engelaut. Viele Deutsche sprechen Wörter wie loben, lieben mit dem bilabialen Engelaut [ß] aus, ebenso die Spanier Wörter wie haber59. Diese in den heutigen Sprachen zu beobachtenden Erscheinungen haben ihre Parallele in früheren Epochen. So wurde lat. [b] zu frz. und ital. [v], z. B. lat. habere > frz. avoir, ital. avere. Die größere Widerstandskraft von [d] als von [ib] und [g] erhellt auch aus seiner Erhaltung nach Nasal im Deutschen und im Englischen. Man vergleiche d. Land [lant], e. land [laend] mit d. lang [lag], Lamm [lam] (mhd. lamb) e. long [leg], lamb [Isem]. 3. Die stimmlosen Verschlußlaute lassen sich auch mit v e r s c h l o s s e n e r S t i m m r i t z e aussprechen. Der während der Verschlußhaltung sich aufbauende Überdruck beruht in diesem Falle darauf, daß durch Muskelkontraktion und Hebung des Kehlkopfes der Mundraum hinter der Verschlußstelle etwas verkleinert wird. Die Explosion ist jedoch weniger heftig als bei den mit offener Glottis ausgesprochenen Verschlußlauten, und die Stimme setzt gleich nach der Lösung des Verschlusses ein. Diese Art Verschlußlaut ist also immer unaspiriert. Es gibt sie als individuelle Variante im Französischen: occlusives prononcées à glotte fermée. Englisch sagt man ejectives. Zusatz. Zu erwähnen sind hier die von der Atmung großenteils unabhängigen S c h n a l z l a u t e (e. clicks). Sie werden gebildet, indem man an zwei Stellen einen Verschluß herstellt — den hinteren am weichen Gaumen — durch leichte Vergrößerung des dazwischenliegenden Raumes mittels Muskelbewegung einen Unterdruck herstellt, dann den vorderen Verschluß löst und Luft einsaugt. Schnalze als reguläre Sprachlaute gibt es im Buschimännisdien, Hottentottischen und einigen Bantusprachen (Zulu). W o die Sdinalze nicht zum Lautbestand der Sprache gehören, verwendet man sie ähnlich wie die inspiratorischen Einzellaute (s. Im Spanischen, wie aus den Ausführungen S. 83, 85 umd 89 hervorgeht, sind a l l e drei stimmhaften Verschlußlaute intervokalisdi zu Engelauten geworden. 59
Spezieller Teil
74
Z u s a t z S. 14) als Sprach,gebärden, so etwa «in mehrmals wiederholtes t f j ] als Ausdruck des Mißvergnügens oder der Teilnahme, ein stimmloses unilaterales l [t>] im U m g a n g mit Pferden' 0 . Der hintere Schnalzverschluß kann audi im K e h l k o p f gebildet werden, durch völligen Süimmlippen Verschluß. Hier wird die L u f t v e r d ü n nung durch Senkung des K e h l k o p f e s bewirkt. Diese Art Schnalzlaute (e. implosives) unterbindet die Atmung, ist also nicht von ihr unabhängig. Sie ist das Gegenstück zu den S. 73 unter 3 beschriebenen ejectivesi
D e r Kehlverschluß D e r K e h l v e r s d i l u ß [ ? ] ist ein im K e h l k o p f gebildeter V e r schlußlaut. D i e beiden S t i m m l i p p e n legen sich mehr oder weniger satt aneinander ( A b b . 3d, S . 15), im sulbglottalen R a u m baut sich ein Ü b e r d r u c k a u f , so d a ß beim Lösen des Verschlusses ein K n a c k l a u t entstehen k a n n . F o l g t ein V o k a l oder ein s t i m m h a f t e r K o n s o n a n t , so ö f f n e t sich die S t i m m r i t z e nur bis zur Stimmstellung. Bin regulärer Sprachlaut ist [ ? ] i m Arabischen, das aleph der alten und das h a m z a der neuen semitischen Sprachen, z. B . A l l a h [ ? a l ' l a h ] . Recht verbreitet, jedoch phonologisch irrelevant, ist der Kehlverschluß im Norddeutschen. E r steht a m A n f a n g vokalisch beginnender Wörter und M o r p h e m e , z. B . die [?] alte [?] Eiche, ge\)~\erbt (harter S t i m m e i n s a t z ) 6 1 . I m S ü d deutschen ist der Kehlverschluß fast unbekannt, ebenso im Französischen. E r erscheint gelegentlich, um einem W o r t e N a c h d r u c k zu verleihen, z. B . d. Sie [?]£se//, frz. o u i [ ? ] . Auch im Englischen k a n n m a n einem Wort auf diese A r t N a c h d r u c k veileihen, z. B . It was the \7]only thing to do. In der englischen Vulgärsprache n i m m t der K e h l v e r s d i l u ß einen breiten R a u m ein u n d ist auch in die Hochsprache eingedrungen. Nicht identisch mit der hier beschriebenen gelinden F o r m v o n [ ? ] ist der viel kräftigere, immer mit Knackgeräusch Auch A f f e n können den L a u t Lippenverschluß ist der Kuß.
[ p ] oder [ n ] > [ t ] u n b e k a n n t 6 3 . Siehe dazu VON ESSEN S. 51. — Folgendes sind außersprachlidie, aiuf krampfhafter Verschlußbildung beruhende Explosivlaute: H u s t e n und L a c h e n (tonlos oder tönend) sind beides explosive Lösungen des Kehlversdilusses. Beim Lachen, das durch ruckartige Aufwärtsbewegung des Zwerchfells entsteht, ist der Kehlverschluß nicht dicht. Beim Husten ist er dicht, so daß der subglottale Überdruck beim Lösen des Verschlusses Schleim oder aus Versehen in dlie Luftröhre geratene Speisepartikel in den Rachen und den Mund befördert. S c h l u c k a u f beruht auf plötzlichem, heftigem Einatmen, das mit festem Kehlversdiluß endet. Vor Eintritt des Verschlusses schwingen die Stimmlippenränder, so daß man eine Art Ton hört. Beim N i e s e n bildet sidi am Zahndamm oder am Gaumen ein Verschluß, der von der krampfhaft emporgepreßten Luft gesprengt wird.
92
6 3 Hingegen läßt sidi ein solcher Übergang, wenigstens andeutungsweise, bei Sprechern mit starkem S c h n u p f e n beobachten. Die Nase ist verstopft, der Luftweg behindert. Bei der Artikulation des Nasalkonsonanten entsteht folglich ein leichter Überdruck im Mundraum, also beim Übergang zum folgenden Vokal die Andeutung einer Explosion, z. B. Ich m{b)»jJ n{A)och m(b)ein(d)en(d) M(b)an(d)tel an(d)ziehen(d\. D a ß gleichzeitig die Vokale wegen Behinderung der Velumbewogunig leicht nasaliert werden, wurde S. 4 8 " erwähnt.
Spezieller Teil
76
Der velare Nasallaut [ 5 ] , der in den europäischen Sprachen am Si'libenanfang nicht vorkommt, war ursprünglich, wie heute noch im Spanischen und Italienisdien, eine stellungsbedingte Variante von [n] vor [ k ] und [g], z. B. ital. lungo [r)g], manco [ g k ] . Im Deutschen und teilweise auch im Englischen ist [g] später weggefallen, so daß heute [ 5 ] das frühere [i)g] vertritt und Phonemwert erlangt hat. Man vergleiche d. dünner, sinnen mit Dünger, singen, e. sin, sinner mit sing, s'mger. Im Französischen, wo die Nasalkons'onamten nach Vokal verschwunden sind, gibt es [ i j ] nur in Fremdwörtern, z. B. Smoking, dancing. Der labio-dentale Nasallaut [nj] kommt als Variante von /n/ vor [ f ] und [v] vor, z. B. d. Genf, e. Banff. 3. D e r L a t e r a l l a u t
[1]
Die Zungenspitze legt sich an den oberen Zahndamm und verhindert somit auf der Mittelachse des Mundes den freien Luftdurchzug. Doch seitlich liegt die Zunge nicht wie bei [t] an den oberen Backenzähnen. Sie hält sich etwas von ihnen entfernt, so daß die Luft auf beiden Seiten entweichen kann, normalerweise ohne Geräusch. Dadurch hat [1] einen vokalischen Klang, es gehört zur Gruppe der Sonanten (s. S. 44). Die genaue Kontaktstelle hat wie bei [t] und [n] eine gewisse Variationsbreite, je nach Einzels'prache und lautlicher Umgebung. Da der Munddurchgang in der Mitte blockiert wird, unterscheidet sich der Medianschnitt von [1] nicht von dem des [t]. Man vergleiche Abb. 19a, S. 69, mit 20e, f. Den Unterschied stellt man auf dem Palatogramm Abb. 17a, c, S. 62, fest, wo die ganze Breite der Zunge erfaßt wird. Es gibt zwei Arten [1], welche sich durch die Form des Zungenkörpers unterscheiden (Abb. 20e, f). Beim hellen [1] ist deren Oberfläche konvex, weil sich die Vorderzunge etwas gegen den harten Gaumen hebt. Dieses [1] hat einen [i]-Beiklang. Beim dunklen (velarisierten) [1] ist die unmittelbar hinter der Kontaktstelle liegende Zungenoberfläche konkav, denn die Hinterzunge hebt sich in der Richtung des Velums. Dieses [1] hat einen [u]-Beiklang; es erscheint in der phone-
I. Systematisohe Darstellung der Sprach Laute
a
b
c
d
e
f
77
Abb. 20: Median schnitte von [r] und [1]: a) vorderes gerolltes [r], b) vorderer Engelaut [j], c) hinteres gerolltes R, d) hinterer Engelaut [k]. — e) helles [1], f) dunkles [i].
tischen Schrift als [1]. Das französische u n d das deutsche [1] sind 'hell, z. B. d. Luft, Stahl; f r z . lit, iL Das holländische u n d das russische (nicht palatalisierte) [1] sind dunkel, z. B. holl. lucht (Luft), russ. JiaK (Lack). Beide [1], je nach lautlicher Umgebung, gibt es im Englischen, z. B. little [lit*]. Ähnlich m u ß es im klassischen Latein gewesen sein 64 . Bei [1] kann es' geschehen, d a ß die u-Stefllung der H i n t e r zunge vor der 1-Stellung des Zungenblattes eingenommen w i r d . D a n n erscheint ein [ u ] von dem [1]. Meist fällt das [l] später weg. I m Berndeutsdien sagt m a n f ü r Stall, Mild) [ J t a u ] , [ m r u y j . Beim hellen [1] bleibt im entsprechenden Fall ein [i] zurück. Im Bayrischen sagt man f ü r halb, Holz [hoib], [hoits]. In der historischen französischen Lautentwicklung 84
Siehe
A . S T . A L L E N : V O X LATINA 1 9 6 5 , S. 3 3 .
Spezieller Teil
78 spielt die V o k a l i s i e r u n g v o n [1] altus, falsus usw. sind zu haut, zu einer Z e i t , noch
nicht
eine bedeutsame R o l l e .
faux
als der S p r o ß v o k a l
geschwunden
wie Renault,
war,
Lat.
geworden. Der Lautstand schon
spiegelt
hörbar,
sich
in
[l]
jedoch
Schreibungen
Arnauld.
E i n stimmloses [1] gibt es i m Walisischen ( o r t h o g r . //), z. B . Lloyd,
Hart [ J ] ( K i r c h e ) ; f e r n e r im Isländischen ( o r t h o g r .
z. B . hlaupa
(laufen). D a
der durchziehende
Luftstrom
w e i t g e ö f f n e t e r G l o t t i s s t ä r k e r ist als bei S t i m m s t e l l u n g , steht bei [ J ] ein leidites' Reibegeräusch.
Für
[|] mit
hl) bei ent-
starkem
Reibegeräusch gibt es das phonetische Zeichen [ i ] 6 5 . D e r L a t e r a l l a u t [1] k a n n auch unilateral gebildet w e r d e n , die L u f t e n t weicht in diesem F a l l nur a u f einer Seite. Dies ist beim w a l i sischen [ J ] der F a l l . D e r G e h ö r e i n d r u c k ist derselbe wie beim bilateralen [ ¡ ] . 4. D i e
p a l a t a l e n
Z u n g e n - G a u m e n l a u t e
A u ß e r den v o n der lautlichen U m g e b u n g bedingten, m e h r o d e r weniger palatalisierten V a r i a n t e n v o n [ t ] , [ k ] , [ n ] , [1], welche dem phonetisch Ungeschulten nicht als Abweichungen v o n der N o r m z u m B e w u ß t s e i n k o m m e n , und die folglich in der p r a k tischen Zwecken dienenden phonetischen U m s c h r i f t unbezeichnet bleiben, gibt es diese L a u t e auch als eigentliche konsonanten. [j],
Es
sind
dies
der
P a l a t a l -
Verschlußlaut
[c]
—
der N a s a l l a u t [ j i ] , der L a t e r a l l a u t [A] ( A b b . 19e, S. 6 9 ) .
D i e A r t i k u l a t i o n s s t e l l e ist der h a r t e G a u m e n , das A r t i k u l a t i o n s organ der m i t t l e r e Zungenrücken. D a s Z u n g e n b l a t t ist gesenkt. Die Palatalkonsonanten
heben sich auditiv deutlich v o n
anderen Zungen-Gaumenlauten
den
ab, w a s v o r a l l e m durch die
a u f der Längsachse des M u n d e s
stark ausgedehnte
Kontakt-
f l ä d i e bedingt ist. D a d u r c h entsteht bei der Lösung des V e r schlusses
ein
charakteristisches
Geräusch,
M o u i l l i e r u n g
g e n a n n t , u n d m a n h ö r t o f t zwischen dem K o n s o n a n t e n dem
folgenden
Vokal,
oder
gegebenenfalls
am
Schluß
und des
Der auf Aibb. 16, S. 60, mit [ j j ] bezeichnete stimmhafte Laut kommt in der Zulusprache vor. 85
I. Systematisch« Darstellung der Spradilauee
79
Wortes, ein schwaches, kurzes [ j ] . M a n vergleiche die Medianschnitte von [X] auf Abb. 19e, S. 69, u n d [1] auf Abb. 20e, S. 77. I n einer früheren Sprachepoche waren die französischen u n d italienischen Palatalkonsonanten [ j i ] u n d [X] kontextbedingte Varianten von [ n ] u n d [1]. Durch Wegfall des „infizier e n d e n " Lautes [g] b z w . [i] erlangten sie Phonemwert, z. B. f r z . reine /n/ — reigne /ji/, anneau In/ — agneau / j i / 6 6 ; ital. Reno /n/ — regno / j i / , anello /n/ — agnello / j i / , pala III — paglia Ikl, filo III — figlio Ikl. Auch im Spanischen haben [ j i ] und [X] P h o n e m w e r t , z. B. ano /n/ — año / j i / , ene /n/ — eñe Ijil (Buchstabenbenennungen), Madriderspan, polo l\l — pollo Ikl, ele l\l — eile Ikl (Buchs'tabenbenennungen) 6 7 . Den stimmlosen palatalen Verschlußlaut [c] u n d seine stimmhafte Entsprechung [j] gibt es im Ungarischen, w o [c] orthographisch mit ty, [ j ] mit gy wiedergegeben werden, was die zwischen [ t ] und [ k ] liegende Artikulationsstelle dieses Lautpaares widerspiegelt; z. B. batyu [ b c c u ] (Bündel), Nagy [ n u j ] , Magyar [ m u j e r ] . Auch im Tschechischen und im Isländischen gibt es [c] — [j], 5. D i e r e t r o f l e x e n Zungen-Gaumenlaute68 Die Retroflexion ist eine Sonderform vieler am Z a h n d a m m oder am anschließenden Teil des harten Gaumens artikulierter Konsonanten. Die Zungenspitze w i r d zurückgebogen, so d a ß der Verschluß, bzw. die Enge, meist mit der unteren Fläche des Zungeriblattes gebildet wird (Abb. 19c, S. 69). Phonetische Zeichen [t^JlIl?^]- Diese Laute gab es im Sanskrit, und es gibt sie heute sowohl in den arischen als auch in den dravidischen Sprachen Indiens. In E u r o p a gibt es sie im Schwedischen u n d Norwegischen. Sie können d o r t P h o n e m w e r t besitzen (s. S. 70). 66
In sorgfältiger Aussprache ist [jl] (peignons) verschieden von [nj] (peinions). 67 In Südspanien und in Spanisch-Amerika, ebenso im Französischen, ist [X] zu [j] geworden, z. B. frz. mouiller [muje], filie [fij], so daß der phonologische Gegensatz /II — Ikl dabinfällt. 68 Weniger zutreffend auch k a k u m i n a l e , früher z e r e b r a l e Laute genannt. Lat. cacumen heißt Spitze. Zerebral ist eine Übersetzung aus dem Altindischen und heißt auf den Gipfel bezüglich.
80 6. D i e
Spezieller Teil
r-Laute69
Abgesehen von einigen weniger wichtigen Varianten kommt der r-Laut in vier Formen vor: vorderer Zitterlaut [r], hinterer Zitterlaut [R], vorderer Engelaut [J], hinterer Engelaut f k ] . a) D e r v o r d e r e Z i t t e r l a u t [r] (Abb. 20a, S. 77) wird gebildet, indem sich die Zungenspitze leicht an den oberen Zahndamm legt. Die Seitenränder der Zunge liegen satt am Zahndamm der Backenzähne. Jetzt wird die Luft durdhgeblasen, und dies löst die Zungenspitze vom Zahndamm. Doch gleich darauf gleitet sie dank ihrer Elastizität wieder in die Berührungsstellung zurück. Dieser Vorgang kann sich so lange wiederholen, bis wieder Atem geschöpft werden muß. Wiie häufig dies pro Sekunde möglich ist, hängt von der Zungenelastizität und der Stärke des Luftstroms ab. 25 Schwingungen ist ein Durchschnittswert. Da etwa 10 Laute pro Sekunde artikuliert werden, entfallen auf ein gerolltes [r], wie man den Laut üblicherweise nennt, je nach lautlicher Umgebung 1—4 Anschläge. Dieses [r] gibt es im Italienischen, im Spanischen, in den slavischen und den arabischen Sprachen. Dialektal gibt es den Laut auch im Französischen. Im Deutschen steht [r] gleichberechtigt neben [R] und [K], ist aber im Schwinden begriffen 70 . Stimmloses [r] gibt es im Isländischen (orthogr. hr), z. B. hringur (Ring). Das r mit nur einem Anschlag [r] kommt vor allem zwischen Vokalen vor, im Englischen z. B. als Variante von [ J ] , meist nach Kurzvokalen (very, marry), im Amerikanischen statt eines intervokalischen [t] (matter, pity). Im Spanischen hat [r] Phonemwert, z. B. caro /r/ (teuer) — carrolrl (Wagen), pero Itl (aber) — perro Irl (Hund). Auch im Italienischen gibt es ein [r] mit rnöhr und eines mit weniger Schwingungen, doch beruht hier der funktionell entscheidende Unterschied auf der Quantität, nicht auf der Anzahl von Anschlägen. Das A u s n a h m s w e i s e w i r d in diesem Abschnitt eine A n z a h l a r t i k u latorisch g a n z versdiiedener L a u t e z u s a m m e n betrachtet, weil diese in vielen Sprachen V a r i a n t e n des gleichen P h o n e m s sind. 7 0 Siehe WÄNGLER S. 1 5 5 , 68
I. Systematische Darstellung der SpradiLaute
81
gleiche gilt f ü r das hintere gerollte [R] des Französischen. (Zur Quantität der Konsonanten s'. S. 114.) b) D e r v o r d e r e E n g e l a u t [J] (Abb. 20b, S. 77) wird gebildet, indem sich die Zungenspitze aufrichtet und dem oberen Zahndamm nähert. Der mittlere Teil der Zunge senkt sich, so daß sich die Spitze o f t etwas nadi hinten biegt, [J] ist ein alveolarer Engelaut. Dies ist der r-Laut des Englischen nach [t, d]. In anderer lautlidier Umgebung wird [ J ] mit erweitertem Luftdurchgang und folglich ohne Geräusch ausgesprochen: red, bring, cry. Man hört [ J ] o f t auch -in Oslo, bisweilen in Stockholm. c) D e r h i n t e r e Z i t t e r l a u t [R] (Abb. 20C, S. 77) wird gebildet, indem die rückwärts nach oben geschobene Hinterzunge eine Rille bildet, in welche das Halszäpfdien schräg nach vorn zu liegen kommt, während der Durchgang auf beiden Seiten verschlossen bleibt, und der weiche Gaumen den Naseneingang versperrt. Ähnlich wie beim vorderen Zitterlaut bewirkt nun die durchziehende Luft ein Vibrieren des elastischen Organs, hier des Zäpfchens. Der auf einen einzigen Anschlag reduzierte Zitterlaut ist hinten seltener als vorn, [R] ist einer der normalen r-Laute des Französischen, wird jedoch heute weitgehend von [H] verdrängt. Der Laut kommt auch im Deutschen, Holländischen, Schwedischen, Norwegischen und Dänischen vor 7 1 . d) D e r h i n t e r e E n g e l a u t [K] (Abb. 20d, S. 77) entsteht, wenn das Zäpfchen in der Zungenrille sdiräg nach hinten statt wie bei [R] sdiräg nach vorn zu liegen kommt, so daß es der Luftstrom nicht zu heben vermag. D a n n entweicht die Luft links und rechts vom Zäpfchen zwischen der Zungenfläche und dem weichen Gaumen, und es entsteht ein leichtes Reibegeräusch. Dies ist der übliche deutsche und französische r-Laut. Er kommt auch im Dänischen, Schwedischen und Schweizerdeutschen (Basel) vor. Die Artikulationsstelle ist nicht immer 71
V e r w a n d t ist das G u r g e l n , ferner (inspiratorisdi) das S c h n a r c h e n . Doch hier vibriert nicht nur das Zäpfchen, sondern das ganze Velum. 6
S c h u b i g e r , P h o n e t i k , 2. A u f l .
82
Spezieller Teil
so weit hinten wie hier beschrieben worden ist. Im Deutschen und Französischen ist sie oft weiter vorn, also [y] statt [K] (s. S. 90 die Bemerkung zu d. Wagen — Waren). Im Dänischen jedoch sind [y] und [K] deutlich verschieden und haben Phonemwert, z. B. nag /nay/ (Groll) — nar /naif/ (Narr). Wie beim vorderen Reibelaut besteht auch beim hinteren die Neigung, den Laut intervokalisch ohne jede Reibung auszusprechen, z. B. frz. barrage. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das vordere gerollte [r] die ursprüngliche Form dieses Lautes. Es muß das griechische und das lateinische [r] gewesen sein, und wohl auch das alte germanische. Man schließt das u. a. aus dem Rbotazismus, dem Übergang eines stimmhaften [z] zu [r]. Im frühen Latein geschah dies in intervokalischer Stellung, z. B. ins — iuris, Etrusci — Etruria. Im Germanischen weist der auf frühen Akzentverhältnissen beruhende grammatische Wedisel in der gleichen Richtung, z. B. e. was — were, mhd. was — wären. Das hintere [R] erscheint sehr spät, in Frankreich, wo es heute vorherrscht, im 17. Jahrhundert, zuerst in den Städten 7 2 . Ungefähr gleichzeitig machte das [r] in Deutschland eine ähnliche Wandlung durch. Fast allgemein ist das hintere [R] heute im Dänischen und Südschwedischen. Etwas weniger verbreitet ist es im Holländischen, und im Norwegischen erscheint es bloß in einigen Küstengegenden. Der Wandel [r] > [R] hat einen sozialen Hintergrund. Das' hintere [R] galt als vornehmer, gilt es zum Teil heute noch, so etwa in gewissen Gesellschaftskreisen Italiens und in den Berner Patrizierfamilien. Die verschiedenen r-Laute sind also in vielen Sprachen lokale, soziale und individuelle Varianten des gleichen Phonems. Eine Ausnahme bilden die zwei unter (a) erwähnten spanischen Phoneme [r] und [r] und die unter (d) angeführten dänischen Phoneme /y/ und /K/. Im Arabischen sind [r] und [R] zwei 7 2 Im Bourgeois gentilhomme [ I I 6] von MOLIÈRE wird Monsieur J o u r d a i n von seinem Lehrer angewiesen, das vordere gerollte [r] auszusprechen. MOLIÈRE k a n n t e das S. 8 a n g e f ü h r t e Werk v o n G .
DE C O R D E M O Y .
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
Phoneme: marata Irl (er hat enthaart) — maghata gezogen 73 . 6. D i e
83
IKI (er hat
Engelaute
Die Engelaute bilden die zahlenmäßig stärkste Konsonantengruppe. Hier wird der Lautgang an irgendeiner Stelle so stark verengt, daß ein Reibegeräusch ensteht. Die Mundkurve des Engelautes weist auf dem Kymogramm eine mehr oder weniger flache Wölbung nach oben auf, da die austretende Luft die Nadel leicht nach oben preßt (Abb. 18c, S. 67). Die Engelaute können mit oder ohne Beteiligung der Stimmlippen gebildet werden, so daß auch hier, wie bei den Verschlußlauten, auf Abb. 16, S. 60, zwei Zeichen im gleichen Felde stehen. In manchen Sprachen entsprechen diese auch zwei Phonemen. [®-ß] [3>] ist der stimmlose bilabiale Engelaut. In keiner europäischen Sprache ist er ein regulärer Sprachlaut. Hingegen bildet man oft beim Ausblasen eines Lichtes ein [ $ ] , oder verwendet den Laut als Ausruf, z. B. um ein starkes Hitzegefühl auszudrücken (d. orthogr. u f f ) . Als Sprachlaut kommt [ $ ] im Japanischen vor, und zwar als Variante des Phonems Ihl vor [u], Fuji'yama [ $ u - ] jedoch Hiroshima [hi-] oder [fi-], hara'kiri [ha-], [ß], die stimmhafte Entsprechung von [ $ ] , gibt es im Spanischen als Variante des Verschlußlautes [b], entstanden durch Lockerung des Verschlusses, z. B. haber [aßer]. Auch im Deutschen wird orthogr. b, wie schon S. 73 erwähnt wurde, manchmal [ß] ausgesprochen, z. B. aber, haben, lieben. Ferner ist [ß] eine durch leichte Verschiebung der Artikulationsstelle entstandene Variante von [v], vor allem in Süddeutschland, z. B. wer, Qual, Schwester. [f — v] Dies sind die zwei labio-dentalen Engelaute. Die Unterlippe hebt sich bis zu den oberen Schneidezähnen, berührt sie jedoch 73 Einen Hinweis d a r a u f , wieso artikulatorisch so verschiedene Laute wie das vordere und das hintere [r] von vielen Sprachgemeinschaften als Varianten des gleichen Phonems akzeptiert werden, gibt heute die akustische Phonetik. Die Klangspektren der r-Laute sind sich sehr ähnlich, worauf G. FANT schon 1949 hingewiesen hat (schwedische Abhandlung).
84
Spezieller Teil
so leicht, d a ß die L u f t durchstreichen kann, [ f ] und [ v ] sind sehr verbreitete L a u t e und bilden in vielen Sprachen auch zwei Phoneme, z. B. d. ferner — Werner, Faß — was; e.
Abb. 21 : Medianschnitte der Engelaute: a) Interdentales [0], b) postdentales [0], c) palatales [ç], d) velares [x], e) pharyngales [ h ] , f) apikales [s], g) prädorsales [s], h) apikales [ J ] , i) prädorsales [ J ] . Palatogramme: k) [s], 1) [J*].
85
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute feel — veal, f i f e — five; f r z . faux
— veau, veuf
—
veuve74.
[0-S] Es gibt zwei voneinander leicht verschiedene Artikulationen dieses Lautpaars. Bei der d e n t a l e n V a r i a n t e (Abb. 21a) legt sich die Zungenspitze leicht zwischen die Zähne, u n d die L u f t entweicht zwischen der Zungenspitze und der K a n t e der oberen Schneidezähne. Dies ist die übliche Aussprache im Spanischen und Isländischen, z. B. span. cruz [kruO], todo [toSo]. Beim p o s t d e n t a l e n Laut (Abb. 21b) stützt sich die Zungenspitze ebenfalls auf die K a n t e der unteren Schneidezähne, bildet jedoch die Enge an der Hinterseite der oberen Schneidezähne. Dies ist der übliche englische, ebenso der spät- und neugriechische Laut, z. B. this thmg [ÖisOir)]. Auditiv sind die zwei Varianten sozusagen gleich. Im Englischen bilden [0] und [S] zwei Phoneme, z. B. thigb /0/ — thy /], z. B. im Holländischen (orthogr. w).
Spezieller Teil
86
gebildet. Es ist dies das p r ä d o r s a l e [ s ] 7 5 (Abb. 21g, S . 84. Auch in Mitteldeutschland und in der Schweiz wird [s] vorwiegend mit dem Zungenblatt artikuliert. J e weiter sich jedoch die Artikulationsstelle nach hinten verlagert, um so häufiger hebt sich die Zungenspitze, und die Enge wird mit der Spitze gebildet. Es ist dies das' Zungenspitzen- oder a p i k a l e [s] (Abb. 21f.). Sowohl im Norddeutschen als auch im Englischen gibt es beide Arten [s], sie unterscheiden sich wahrnehmungsmäßig kaum voneinander. Im Spanischen gibt es nur das apikale [s]. D a es sehr weit hinten gebildet wird, hat es einen [J]-ähnlichen K l a n g , z. B . Sevilla, was jedoch zu keinen Verwechslungen führt, weil es im Spanischen kein Phonem /J7 gibt. Ein wesentliches Merkmal des [s]-Lautes, ob prädorsal oder apikal, das ihn vom an ähnlicher Stelle gebildeten [ 0 ] und v o m ebenfalls ähnlichen [ J ] unterscheidet, ist die F o r m der Zunge, des Zungenblattes beim prädorsalen, der Zungenspitze beim apikalen [s]. Es bildet sich dort eine median verlaufende R i l l e , durch welche die L u f t gepreßt wird und als dünner Strahl durch eine kleine, rundliche Ö f f n u n g zuerst gegen die Hinterseite der Schneidezähne stößt und dann ins Freie entweicht. Auf dem Medianschnitt tritt diese Rille nicht in Erscheinung, doch wird sie auf dem P a l a t o g r a m m Abb. 21k durch den sehr engen Durchgang zum mindesten angedeutet. Ein zweites Merkmal ist die u n g e r u n d e t e Lipp e n s t e l l u n g . Mit deutlich gerundeten oder sogar vorgestülpten Lippen, die den Resonanzraum vergrößern, läßt sich kein richtiges [s] aussprechen. [s] ist ein sehr verbreiteter Laut, und der Unterschied zwischen der stimmhaften und der stimmlosen Aussprache wird in vielen Sprachen phonologisch verwertet, z. B. d. Bussen /s/ — Busen /z/, e. loose kl — lose /z/, frz. hausse /s/ — ose /z/.
LT-3]
Die Artikulationsstelle liegt durchschnittlich etwas weher hinten als bei [s], Sie ist auch im Französischen, das am weitesten 7 5 Manche zuerst von
Phonetiker sagen k o r o n a l e s [s]. Es ist dies verwendeter, schwerverständlicher Ausdruck.
SIEVERS
ein
I. Systematisohe Darstellung der Sprachlaute
87
v o r n artikuliert, nicht die H i n t e r w a n d der Zähne, sondern der Z a h n d a m m . M a n k a n n den [J"]-Laut als p a l a t o - a l v e o l a r bezeichnen. Wie bei [s] gibt es auch hier eine a p i k a l e u n d eine p r ä d o r s a l e V a r i a n t e (Abb. 2 1 h , i, S. 84). D e r Gehöreindruck ist k a u m verschieden, u n d in manchen Sprachen gibt es beide F o r m e n . Doch da die Artikulationsstelle meist etwas weiter hinten liegt als bei [s], herrscht apikales [J"] v o r . I m Gegensatz zu [s] entweicht die L u f t hier durch einen ziemlich breiten Schlitz als d i f f u s e Strömung, w a s aus Abb. 21 1 hervorgeht. Wie bei [s] stößt die L u f t zuerst auf die Schneidez ä h n e u n d gelangt d a n n ins Freie. Die Lippen sind o f t etwas gerundet, manchmal sogar vorgestülpt. I m Deutschen u n d im Französischen ist die L i p p e n r u n d u n g ausgeprägter als im E n g lischen. Auf G r u n d der meist etwas weiter hinten liegenden Artikulationsstelle einerseits, der o f t gerundeten oder v o r gestülpten L i p p e n anderseits, ergibt sich eine V e r l ä n g e r u n g des Resonanzraumes, so d a ß [J - ] tiefer tönt als [s]. Diese zwei L a u t e w e r d e n auch Z i s c h l a u t e genannt, weil das G e räusch nicht n u r v o n der R e i b u n g in der Enge, sondern auch v o m auf die Z ä h n e gelenkten L u f t s t r o m s t a m m t . [ J ] gibt es in vielen Sprachen, z. B. d. Schiff, e. ship, f r z . eher. I m Französischen u n d Englischen gibt es auch [ 3 ] , u n d der Gegensatz [ J ] — [ 3 ] w i r d phonologisch verwertet, z. B. f r z . bouche /J7 — bouge I5I, choix /J7 — joie /$/, e. Confucian /J7 — confusion I5I. D a , w o die Verschlußlaute [b], [ d ] , [g] stimmlos a u f t r e t e n (s. S. 72), w e r d e n auch die Engelaute [ v ] , [ z ] , [ 3 ] ohne Beteiligung der Stimmlippen artikuliert. D e r Gegensatz fortis — lenis, o f t mit Länge — K ü r z e gepaart, ist hier das phonologisch v e r w e r t e t e Unterscheidungsmerkmal, z. B. schwzd. Meissen /maisa/ — Meise / m a i j a / , Masche /mciJV — magst du ihn / m a ^ a / , Haufen / h u f a / — hinauf /uva/. Einzig bei [ f ] — [ v ] im A n l a u t gibt es auch im Schweizerdeutschen die S t i m m k o r r e l a t i o n , z. B. fahren / f a r a / — Waren /varg/. Zusatz zu den Zischlauten: D e r S i g m a t i s m u s (Lispeln). D i e Sprachheilkunde unterscheidet zwischen Stammeln und Stottern. Der Sigmatismus ist eine Form des Stammeins, die U n f ä h i g -
88
Spezieller Teil
keit, gewisse Laute richtig auszusprechen 76 . Die richtige Aussprache des [s], welches eine Mittelstellung zwischen [ J ] und [0] einnimmt, erfordert große Präzision. So treten denn hier besonders häufig Fehlhaltungen der Zunge auf. Es gibt mehrere Formen des Lispeins. 1. Die Zungenspitze gleitet nach vorn, bis zur Kante der oberen Schneidezähne, also zur [0]-Stellung. Weil die für das [s] charakteristische Rille nicht verschwindet, entsteht jedoch kein [0], sondern eine Zwitterform zwischen [s] und [0], Es ist dies der Sigmatismus interdentalis, z. B. so sehr, so sitz doch. 2. Der seitliche Verschluß zwischen Zunge und Backenzähnen wird entweder beidseitig oder bloß einseitig gelockert. Die Luft entweicht a'lso auch dort, und der Laut nähert sich einem stimmlosen [1], Dies ist der Sigmatismus lateralis. 3. Andere Fehlleistungen bestehen darin, daß jemand nur oder nur [J] aussprechen kann 7 7 .
[s]
Der Sigmatismus kann audi auf Gehörlüdcen, also auf Schwerhörigkeit beruhen. Wer die für das [s] charakteristischen Frequenzbereiche nicht hört, kann diesen Laut auch nicht richtig aussprechen. [s-j] [ j ] ist der palatale Engelaut, dem Verschlußlaut [ c ] entsprechend. D i e Enge wird zwischen dem harten Gaumen und dem mittleren Zungenrücken gebildet. Sie hat die Form eines schmalen Spaltes. D i e Lippenhaltung ist neutral. D i e Zungenspitze berührt die Innenfläche der unteren Schneidezähne (s. Abb. 21c, S. 84). Es ist dies ein wichtiger Laut des Deutschen, der sog. ich-Laut. Zusammen mit dem velaren Engelaut [ x ] , dem ach-Laut, bildet er das orthographisch mit ch wiedergegebene P h o n e m /%/. Je nach lautlicher U m g e b u n g tritt die eine oder die andere Variante in Erscheinung, [5] nach hellem V o k a l und nach Konsonant, z. B. ich, echt, Milch, [ x ] ist der ursprüngliche, im A h d . bezeugte Laut, [5] erscheint erst später. 76
S t o t t e r n beruht auf einem langandauernden Krampf des Zwerchfells. 77 Den Ersatz von [J-] durch [s] gibt es auch dialektal, z. B. in der Pariser Volkssprache: Zai bien vu Zean. Auf einer ähnlichen Erscheinung im schottischen Mittelenglisch beruht Scots aus me. scottis (e. Scotch, Scottish), ferner die noch als Eigenname fortlebende Form Inglis (English).
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
89
D i e s t i m m h a f t e Entsprechung v o n [ 5 ] ist [ j ] . D e r H a l b v o k a l [ j ] k a n n nämlich m i t so s t a r k gehobener Z u n g e gebildet w e r den, d a ß R e i b u n g entsteht. V o r allem im Deutschen ist [ j ] ein deutlicher R e i b e l a u t , z. B . ja, jung, jeder. I m Französischen ist das Reibegeräusch v o r geschlossenen V o k a l e n deutlicher als v o r o f f e n e n . M a n vergleiche Sully [ s y j i ] m i t faience [fajäs]. I m Englischen und im Schweizerdeutschen w i r d [ j ] i m m e r geräuschlos ausgesprochen. Zusatz. Ein sehr weit vorn, an der Grenze des Zahndamms gebildeter palataler Reibelaut wird in der Umschrift der IPA mit [p] — [ ? ] wiedergegeben. Es ist dies ein regulärer Sprachlaut des Polnischen (orthogr. s, z, oder si, zi) z. B. ges [geg] (Gans), ziarno [ $ a r n o ] (Korn).
[x-Y] [ x ] ist der v e l a r e E n g e l a u t , d e m V e r s c h l u ß l a u t [ k ] entsprechend. D i e E n g e w i r d zwischen dem hinteren Zungenrücken und dem weichen G a u m e n gebildet. Sie h a t die F o r m eines breiten Schlitzes. D i e L i p p e n h a l t u n g ist neutral ( A b b . 2 1 d , S . 8 4 ) . W i e schon im vorigen Abschnitt e r w ä h n t wurde, ist [ x ] ein wichtiger deutscher S p r a c h l a u t . In der S c h r i f t entspricht er einem ch nach d u n k l e m V o k a l , z. B . Bach, Tuch, doch. Es gibt diesen L a u t auch im Spanischen ( o r t h o g r . ;'), z. B . Juan, Utrecht; Tajo, ferner i m H o l l ä n d i s c h e n ( o r t h o g r . ch), z. B . echt, dann im Gaelischen ( o r t h o g r . ch), z. B . loch, pibroch (Dudelsadtpfeife). [y]> die s t i m m h a f t e Entsprechung v o n [ x ] , ist ein regulärer S p r a c h l a u t des Spanischen, eine h ä u f i g e i n t e r v o k a lische V a r i a n t e v o n [ g ] , z. B . fuego [ f w e y o ] (Feuer).
k —K1
[ x ] ist der sehr weit hinten, a m H a l s z ä p f c h e n gebildete u v u lare E n g e l a u t . E r unterscheidet sich auditiv wenig v o n [ x ] . W o beide L a u t e v o r k o m m e n , sind sie V a r i a n t e n des gleichen P h o n e m s , f x ] ist ein charakteristischer L a u t des Schweizerdeutschen, z. B . Küchenkasten [ j r o i ^ a J ' t a ] . D e r entsprechende s t i m m h a f t e L a u t [ k ] ist eine der phonetischen R e a l i s a t i o n e n des P h o n e m s Irl, w u r d e also im vorigen K a p i t e l beschrieben. Zusatz zu [5 — j], [ x — y ] , [ x — k ] . Im N o r d d e u t s c h e n wird nicht nur orthographisch ch, sondern in manchen Stellungen auch g als palataler oder velarer Engelaut ausgesprochen, und zwar erscheint hier, im Gegensatz zu orthographisch ch, in inter-
Spezieller Teil
90
vokalischer Stellung der stimmhafte Laut. Beispiele: Weg, Berg [5], Wege, Stiege [j], Tag, sag [ x ] , Tage, sage [ y ] , Dadurch sind kriecht eine Anzahl Homonyme entstanden, z. B. siech — Sieg, — kriegt [9]; Macht — Magd, Yacht — Jagd [ x ] . Die große Ähnlichkeit von [ x ] und [ x ] , also auch von [ y ] und [ K ] , bringt weitere Homonyme mit sich, z. B. Wagen — Waren. [ H - C ]
Dies ist der pharyngale Engelaut. Die Zungenwurzel nähert sich der Radienwand, und dadurch wird der Kehldeckel gegen den Kehlkopfeingang hinuntergedrückt (Abb. 21e, S. 84). Es gibt diesen Laut sowohl stimmlos als auch stimmhaft im Arabischen, z. B. Mohammed [mo'ham:ad]. Der auditive Eindruck ist der eines gepreßten Vokaleinsatzes, was dem folgenden Vokal einen kehligen Beiklang gibt 78 . [h-fc] Der Laut [h] wird traditionsgemäß als ein durch Verengung der Stimmlippen erzeugter glottaler Reibelaut beschrieben (Abb. 3b, S. 15). Es gibt diese Art [h] in einigen Sprachen, so im Holländischen und im Dänischen, wo man ein deutliches Reibegeräusch hört. Im Englischen und vor allem im Deutschen wird jedoch die Glottis nicht bis zur Geräuschstellung verengt, sie bleibt in der Atemstellung (Abb. 3a), oder begibt sich in diese Stellung, während die Zunge schon die Stellung des folgenden Vokals einnimmt. Man kann also das [h] auch als einen stimmlosen Vokal bezeichnen, der dem entsprechenden stimmhaften vorangeht. Den [h]-Laut gibt es in sehr vielen Sprachen, z. B. d. Haus, e. house. Er fehlt jedoch im Russischen und in den romanischen Sprachen. Der stimmhafte glottale Engelaut [fi] entsteht, indem man die Stimmritze genügend verengt, um eine leichte Vibration der Bänder zu bewirken, unter gleichzeitigem Durchzug nichtvibrierender Luft. Es gibt diesen Laut im Arabischen und im Finnischen. Zwischen Vokalen hört man ihn gelegentlich im Englischen, z. B. hoyhood, behave, nämlich dann, wenn sich die Stimmritze zwischen den zwei Vokalen nur ganz wenig erweitert, so daß die Vibration nicht völlig unterbrochen wird. 78
Sidhe v. ESSEN S. 52.
91
I. S y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g der S p r a c h l a u t e
8. D i e
A f f r i k a t e n
W i e die A s p i r a t i o n ist auch die A f f r i z i e r u n g eine V e r ä n d e rung des Abglitts der V e r s c h l u ß l a u t e . D i e zwei ersten P h a s e n , I m p l o s i o n und V e r s c h l u ß h a l t u n g , sind u n v e r ä n d e r t , die E x plosion jedoch v e r l ä u f t anders. S t a t t d a ß sich als F o l g e des Uberdrucks der Verschluß plötzlich löst, k a n n die Lösung bei weniger s t a r k e m Druckunterschied und loserem K o n t a k t auch allmählich v o r sich gehen. D i e L u f t f l i e ß t d a n n vorerst durch einen engen K a n a l , und a u f den Verschluß f o l g t ein kurzes R e i b e g e r ä u s c h 7 9 . M a n vergleiche die K y m o g r a m m e v o n [ a t a ] u n d [ a t s a ] a u f A b b . 1 8 a , d, S. 6 7 . D i e A f f r i z i e r u n g ist bei allen Verschlußlauten möglich, a m häufigsten erscheint sie bei [ t ] , welches zu [ t j ] o d e r [ t s ] w i r d . D i e dem [ k ] entsprechende A f f r i k a t e ist [ k x ] oder [ k x ] , die dem [ p ] entsprechende [ p f ] ( m i t leichter örtlicher Verschiebung). In manchen Sprachen gibt es A f f r i k a t e n mit P h o n e m w e r t , z. B . d. Ziegel /ts/ im G e g e n s a t z zu Tiegel /1/ und Siegel /z/, e. catch / t J 7 im G e g e n s a t z zu cat /t/ und cash /J7, schwzd. Sack /kx/ im G e g e n s a t z zu Sach /%/. I m Englischen und Italienischen w i r d auch die S t i m m k o r r e l a t i o n phonologisch v e r w e r t e t , z. B . e. cheap / t J 7 — jeep / d ^ / , i t a l . I&TJ. E i n deutlicher A n s a t z z u m Ü b e r cucina /tJ7 — cugina gang v o m V e r s c h l u ß l a u t zur A f f r i k a t e l ä ß t sich im heutigen Dänisch beobachten, w o W ö r t e r wie Tivoli [ t ] fast wie Zivoli [ t s ] lauten. E i n weiteres Beispiel stellt die englische V u l g ä r sprache dar, w o z. B . tea [ t i i ] sich der Aussprache [ t s a i ] n ä h e r t . I m Deutschen und im Französischen mit ihrer viel gespannteren u n d folglich präziseren A r t i k u l a t i o n beobachtet m a n keine solche Ü b e r g ä n g e . D i e A f f r i z i e r u n g , deren E n d p r o d u k t ein b l o ß e r E n g e l a u t sein k a n n , spielt in der historischen L a u t e n w i c k l u n g
eine
bedeut-
same R o l l e . D e r heutigen E n t w i c k l u n g im Dänischen und im Vulgärenglisdien
entspricht die S. 6 6 e r w ä h n t e
Konsonantenverschiebung.
Die
zweite
gestellten E n t w i c k l u n g v o n lat. centum
Phase
hochdeutsche
der S . 71
zu i t a l . cento,
frz.
darcent,
" Die meisten Phonetiker betrachten die Affrikaten als einheitliche Laute und nicht als eine Folge von Verschluß- und Engelaut, werden doch auch die aspirierten Verschlußlaute so eingestuft.
Spezieller Teil
92
ist ein weiteres Beispiel. Erwähnt sei noch das Spätgriediische, wo die akgriechischen aspirierten Verschlußlaut [p h ], [t h ], [k h ] zu den Engelauten [f], [0], [ x ] wurden. Die heutige Aussprache solcher griechischer Wörter, ob mit dem ursprünglichen Verschlußlaut oder dem späteren Engelaut, hängt von der phonologischen Struktur der einzelnen Sprachen ab, z. B. phalanx d. und e. [ f ] ; thermos d. [t h ], e. [ 0 ] ; chaos d. und e. [k h ], schwzd. [x]. 9. D i e
Halbvokale
So bezeichnet man, wie schon S. 44 ausgeführt wurde, die sehr kurzen Laute [j], [q], [w], welche an der oberen Grenze der geschlossenen Vokale [i], [y], fu] gebildet werden. Bei [ j ] kann dadurch ein Reibegeräusch entstehen, weshalb dieser Laut schon S. 88 bei den Engelauten behandelt wurde. Beispiele von [ j ] e. young, yet. Beispiele von [w] e. well, away; frz. moi [mwa], boire [bwa.K]. Beispiele von [n] frz. nuit [nqi], lui [lqi]. Stimmloses [w] gibt es in manchen Spielarten des Englischen (orthogr. wh) und es hat dort Phonemwert, z. B. whine, Whig /w/ — wine, wig /w/. Als Assimilationsprodukt kommen alle drei Halbvokale stimmlos vor (s. S. 99). Zusatz:
Die
Verhärtung
der
Halbvokale.
Bei
kräftiger Ausspräche von [j] kann es geschehen, daß sich die Zunge bis zum Gammen hebt, so daß ein palataler Verschlußlaut entsteht. Auf diese Art wird z. B. ein einräumendes, gelinde abweisendes deutsches ja gelegentlich zu tja [cja]. Häufig beobachtet man diese Erscheinung im Niederdeutschen. Die Entwicklung von
lat. [j] (iurare) zu ital. [d3] (giurare), frz. [3] (jurer) muß ihren Weg ebenfalls über [dj] genommen haben.
Auch die Verhärtung von [w] kann historisch belegt werden, und zwar entsprechend den zwei Artikulationsstellen dieses Lautes (s. S. 62) in zwei Formen. 1. Die Hinterzunge hebt sich bei kräftiger Aussprache — was z. B. beim Versuch, einen fremdartigen Laut a/uszusprechen eintreten kann — bis zum weichen Gaumen, und vor dem [w] entsteht der Verschlußlaut [g]. So erklärt sich die Herkunft und Orthographie französischer Wörter wie guerre,
guise aus germanisch werra (e. war), wisa. Das [u] wird schon seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr ausgesprochen. 2. Die Lippenrundung des [w] kann bis zum labialen Verschluß führen, und
I. Systematische Darstellung der Sprachlaute
93
es entsteht ein [b], So erklären sich d. falb, gelb neben fahl, dial. gehl. Das [b] geht auf die ahd. flektierten Formen zurück, gen. falwes, gelwes. Weitere Beispiele: mhd. swalwe (e. swallow) narwe, Iwe > nhd. Schwalbe, Narbe, Eibe. Auf diese Art entstand wohl audi e. Bill aus Will(iam)80. 10. S e k u n d ä r e
Artikulationen
(Lautmodifikationen) D i e primäre Artikulation eines Lautes ist die, weldie bei Vokalen durch den höchsten Punkt der Zungenhebung und durch die Lippenstellung, bei Konsonanten durch die Art und den O r t der Behinderung charakterisiert wird. Von sekundärer Artikulation spricht man, wenn ein an der primären Artikulation nicht, oder nicht wesentlich, beteiligtes Organ gleichzeitig eine von der üblichen abweichende Stellung einnimmt und so den Laut modifiziert. I m Verlauf der bisherigen Ausführungen sind schon verschiedene derartige Lautmodifikationen behandelt oder kurz erwähnt worden, so die Nasalierung und die Retroflexion der Vokale (zusätzliche Senkung des Velums bzw. Zurückbiegen der Zungenspitze), ferner die Velarisierung von [1] (zusätzliche Hebung der Hinterzunge) und die Labialisierung von [,[] (zusätzliche Lippenrundung) 8 1 . Hier sollen zwei weitere auf zusätzlicher Artikulation beruhende K o n sonantenmodifikationen kurz betrachtet werden. 1. D i e P a l a t a l i s i e r u n g . Außer der stellungsbedingten Palatalisierung der Zungen-Gaumenlaute (s. S. 70) und den eigentlichen Palatalkonsonanten (s. S. 78) gibt es die durch zusätzliche Zungenhebung in der Richtung des harten Gaumens bewirkte Palatalisierung. Fast alle Konsonanten können auf diese Art modifiziert werden, z. B . [n] ß 3 ] . D i e Palatalisierung als Sekundärartikulation ist nicht stellungsTheoderich der Große, der bei Verona Odoaker besiegte, heißt in der deutschen Heldensage Dietrich von Bern. 81 Einige Phonetiker betrachten die Nasalierung der Vokale nicht als sekundäre Artikulation. Es ist eine Ermessensfrage, ob man die Senkung des Velums während der Vokalartikulation als zusätzliche Bewegung oder als unbedingt zum Nasalvokal gehörend betrachten will.
80
Spezieller Tell
94
bedingt und k a n n folglich f u n k t i o n e l l v e r w e r t e t werden. Auch die P a l a t a l i s i e r u n g der Z u n g e n - G a u m e n l a u t e k a n n , w e n n nicht stellungsbedingt, hier eingereiht werden [ i t i ^ l H ] Siehe S . 7 0 arabisches l]sj. I n all diesen F ä l l e n h ö r t m a n nach dem K o n s o n a n t e n ein leichtes [ j ] . D i e als ganze R e i h e n a u f t r e t e n d e n palatalisierten K o n s o n a n t e n sind charakteristisch f ü r das Russisch« und h a b e n d o r t P h o n e m w e r t , z. B . Mar [ m a t ] ( M a t t e ) — Mart [ m a ^ ] ( M u t t e r ) , K p o e [ k r o f ] ( O b d a c h ) — icpoai> [ k r o f ] ( B l u t ) , MOA [ m a l ] ( M o l e ) — MOJIB [mal,] ( M o t t e ) , MOT [ m o t ] (Verschwender) — Med [ n p t ] ( H o n i g ) . Auch im Irischen und im G ä l i s d i e n gibt es b e i n a h e zu j e d e m K o n s o n a n t e n die entsprechende p a l a talisierte F o r m . 2. D i e P h a r y n g a l i s i e r u n g . H i e r besteht die M o d i f i k a t i o n darin, d a ß sich zusätzlich zur H a u p t a r t i k u l a t i o n die Z u n g e n w u r z e l w i e beii den S . 9 0 beschriebenen p h a r y n g a l e n E n g e l a u t e n zurückzieht u n d der Kehldeckel sich senkt. D i e s e L a u t e gibt es im Arabischen, w o sie f u n k t i o n e l l v e r w e r t e t werden, z. B . /tabg/ (er h a t B u ß e getan) — / t a b a / ( e r ist gut g e w o r d e n ) 8 2 . Z u s a m m e n m i t den p h a r y n g a l e n E n g e l a u t e n bilden sie die G r u p p e der sog. arabischen E m p h a t i c a .
II. Die Laute in der Lautreihe Bis j e t z t wurden die S p r a c h l a u t e v o r w i e g e n d als isolierte E r scheinungen betrachtet, m i t n u r beiläufiger E r w ä h n u n g des' Einflusses der N a c h b a r l a u t e a u f ihre A r t i k u l a t i o n . H i e r soll a u f das V e r h a l t e n der L a u t e in der L a u t r e i h e eingegangen w e r d e n , nicht n u r i n n e r h a l b des W o r t e s , sondern auch an der W o r t g r e n z e , im sog. s a n d h i 8 3 . I n der L a u t r e i h e b e r ü h r t sich der A b g l i t t eines Lautes m i t dem A n g l i t t des nächsten, und j e nach der N a t u r der zwei L a u t e und den Sprechgewohnheiten eines I n d i v i d u u m s oder einer g a n z e n Sprachgemeinschaft k o m m t es zu V e r ä n d e r u n g e n . Das diakritische Zeichen ist hier das gleiche wie für die Velarisierung. Pharyngalisierung und Velarisierung sind sehr ähnliche Modifikationen. 8 3 Der Ausdruck stammt aus dem Sanskrit und heißt Verbindung. 82
95
II. Die Laute in der Lautreihe
1. D a s
Verhalten
der
Verschlußlaute
a) Folgt auf einen Verschlußlaut ein an der gleichen Stelle gebildeter (homorganischer) Nasallaut, so wird in vielen Sprachen der Verschluß beibehalten, so daß der Abglitt (die Explosion) des ersten und der Anglitt des zweiten Lautes wegfallen. Während der Verschlußphase senkt sich der weiche Gaumen, und die Luft entweicht durch die Nase, z. B. d. Umgangssprache abmachen, WildnisM; e. submit, mutt(o)n; frz. Etna, coup(e)moi. b) Ähnlich verhält es sich mit [t] + [1]. Die Lösung des [ t ] Verschlusses findet nur seitlich statt, fällt also mit dem Anglitt des' [1] zusammen, z. B. d. Umgangssprache Atlas, Hadlaub; e. atlas, saddle, frz. atlas, Madion. c) Folgen sich zwei gleiche Verschlußlaute, so verschmelzen sie zu einem einzigen Laut mit zum mindesten in sorgfältiger Aussprache etwas verlängerter Verschlußhaltung, z. B. d. enttäuschen, e. lamp-post, frz. ne frapp(e) pas. Ist der eine der zwei Laute stimmhaft, so vibrieren die Stimmlippen während eines Teiles dieser Phase, z. B. d. knapp bestanden, e. egg-cup, frz. frapp(e) bien. d) Ist die Folge Verschlußlaut + Verschluß- oder Nasallaut nicht homorganisch, so verhalten sich nicht alle Sprachen gleich. Im Englischen fehlt auch hier die Explosion des ersten Lautes, denn während dessen Haltaphase gleitet die Zunge in die Verschlußstellung des zweiten Lautes, welchem also die Implosion fehlt, z. B. napkin, active, Agnes%5. In gepflegtem Deutsch und Französisch wird hier die Explosion des ersten Lautes nicht unterdrückt, z. B. d. aktiv, abnehmen, frz. actif. e) Geht den unter (a) und (b) erwähnten Lautgruppen der an gleicher Stelle artikulierte Engelaut [s] voran, so fällt in 84
In sorgfältiger Aussprache ist im Deutschen der Abglitt des Verschlußlautes nicht geschwunden, die Explosion also hörbar. 85 E. at Iwo [äet-tir] und act two [«ektu] scheinen danach identisch zu sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Sie werden, wie das aus den Ausführungen S. 64 f. hervorgeht, an der Endphase des [x] erkannt, in der sich die Zunge entweder der [t]- oder der [k]-Stellung nähert, mit dadurch verschiedener Gestaltung des Resonanzraumes und folglich der dem Gehöreindrudc zugrundeliegenden Wellenform.
Spezieller Teil
96
Sprachen mit relativ lässiger Artikulation wie dem Englischen der Verschlußlaut ganz weg, z. B . cas(t)le, this(t)le, lis(te)n, fas(te)n. Auch in der deutschen Umgangssprache kann man diese Erscheinung beobachten, z. B . ös(t)lich, Fas(t)nacht. 2.
Sproßlaute
Es kann vorkommen, daß sich zwischen zwei Laute ein dritter einschiebt, vor allem dann, wenn die Organbewegungen, welche erforderlich sind, um von der Stellung des einen zu der des nächsten zu gelangen, nicht gleichzeitig durchgeführt werden. Eine schon S. 77 erwähnte Erscheinung dieser Art ist der [ u ] Einschub vor [1], mit nachherigem Schwund des [l]. a) S p r o ß k o n s o n a n t e n . Wenn beim Übergang vom Nasalkonsonanten zum folgenden Laut, meist [e], [ r ] oder [1], das Velum sich zu früh hebt, nämlich während der Mundverschluß noch nicht aufgehoben ist, so entsteht ein leichter Uberdruck im Mund, und sobald sich der Mundverschluß ganz oder teilweise löst, hört man die Explosion eines mit dem Nasallaut homorganischen Verschlußlautes. So erklärt sich z. B . der d. Eigenname Steindl neben Steinle, das schwzd. Fähndrich neben Fähnrich, das vulgäramerikanische fambly statt fam(i)ly. Ein [ t ] kann sich auch nach [s] oder [J - ] einschieben, wenn nach dem Engelaut ein Verschluß hergestellt wird. So erklärt sich z. B . schwzd. Burschte, Bürschtli neben Bursche, Biirschli. Historisch sind solche Einschübe vielfach belegt, z. B . mhd. öffenlich, eigenlich ) nhd. öffentlich, eigentlich; ae. punor, pymel ) ne. thunder, thimble86 ; afrz. tapisserie, jaunice ) e. tapestry, jaundice; lat. gen(e)rum, hum(i)le, ess(e)re > frz. gendre, humble, être; lat. antecess(o)rem ) afrz. ancestre ) e. ancester; gr. nom. anër, gen. andros. Sproßkonsonant [ d ] nach [1]: lat. pulverem ) afrz. polre, poldre ) frz. poudre, e. powder; lat. cellarium ) holl. kelder. Auch an der Wortgrenze kann der Sproßkonsonant in Erscheinung treten, was Wortformen Deutsch Zimmer aus mhd. zimber (vgl. e. timber) beruht auf dem umgekehrten Vorgang. Das Velum hebt sidi zu spät, nämlich erst, wenn sich der Mundverschluß löst. Dadurch entsteht kein Überdrudc im Mund und folglich auch kein [b] zwischen [m] und [e]. 88
II. Die Laute in der Lautreihe
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wie d. jemand, niemand aus mhd. ieman, nieman erklärt. Ein [v] kann sich zwischen das mit Lippenrundung artikulierte [u] und den folgenden Vokal schieben, wenn die Lippen kurz in Engestellung geraten, z. B. lat. vidua, Genua ) ital. vedova, Genovasl. b) S p r o ß v o k a l e . Ein Sproßvokal entsteht, wenn die Zunge zwischen zwei stimmhaften Konsonanten kurz in Vokalstellung gerät. Daraus ergibt sich Silbenvermehrung 88 . So erklärt sich im Englischen die heute veraltete Form alarum neben alarm, im Vulgäramerikanischen filum, elum statt film, elm, im Schweizerdeutschen Sigerischt neben Sigrischt (Küster). Etwas Ähnliches kann eintreten, wenn in einem Fremdwort ungewohnte Konsonantengruppen vorkommen. Der Sproßvokal trägt dazu bei, das Wort den einheimischen Lautgewohnheiten anzupassen. So spricht der Japaner film [hiruimui], club, [kuirabui] aus 89 . Audi in der Vergangenheit wurde bei der Übernahme fremden Wortgutes o f t so vorgegangen. Aus d. Knödel, Kneipe wurde frz. quenelle, guenipe, aus f r ä n k . knif (e. knife) frz. canif. Griechisch Asklepios wurde zu lat. Aesculapitts. 3. D i e A s s i m i l a t i o n A. Allgemeines 1. Weitaus die meisten Veränderungen in der Lautreihe beruhen auf Anpassung eines Lautes an den Nachbarlaut, aus Kraftersparnis, bzw. Bequemlichkeit. Der zweite Laut kann sich dem ersten anpassen, dies ist die p r o g r e s s i v e oder 87
Bei manchen Sproßkonsonanten ist die A n a l o g i e mitbeteiligt. So hat wohl beim Übergang von mhd. mon zu nhd. Mond die Ähnlichkeit mit mhd. monot (Monat) eine Rolle gespielt. Manche Konsonanteneinsdiübe lassen sich phonetisch nicht erklären, so z. B. das [1] von e. chronicle, syllable aus afrz. cronique, sillabe. Hier war allein die Analogie mit den vielen Wörtern auf -able, -icle wirksam (suitable, eatable, article, vehicle). 88
Durch einen Sproßvokal bewirkte Erhöhung der Silbenzahl nennt man wie im Sanskrit s w a r a b h a k t i . 88 [ui] ist [u] ohne Lippenrundung; [r] statt des dem Japaner ungeläufigen [1]; fh] statt des im Japanischen nur vor [u] vorkommenden [f]. Zu letzterem s. S. 83. 7
Sdiubiger, Phonetik, 2. Aufl.
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Spezieller Teil
verweilende Assimilation; oder der erste nimmt eine Eigenschaft des zweiten vorweg, das ist die r e g r e s s i v e oder vorgreifende Assimilation 90 . Bei d. haben [habn] > [hcubm] bleibt der Lippenverschluß des [b] während der Nasalartikulation bestehen und macht aus dem [n] ein [m]. Bei einmal [ainmcil] ) [aimmal] wird der Lippenverschluß des [m] vorweggenommen. D o p p e l s e i t i g e Assimilation liegt vor, wenn ein Laut vom vorherigen und vom folgenden beeinflußt wird, z. B. d. nebenbei [nebrtbai] ) [nebmbai]; frz. pendant [padä] ) [pänä]. Von r e z i p r o k e r Assimilation spricht man, wenn sich zwei Laute gegenseitig beeinflussen, so daß ein dritter an ihre Stelle tritt. Beim Übergang von ahd. fisk zu mhd. visch, nhd. Fisch [fij*], hat das [s] dem f k ] seine Artikulationsart (Enge), das [k] dem fs] die Annäherung an seine Artikulationsstelle übermittelt. Etwas Ähnliches geschah bei lat. dignus ) ital. degno [dejio] und lat. clamo ) span. llamo [Xamo], Der Nasallaut, bzw. Laterallaut bleibt bestehen, nähert sich jedodi der Artikulationsstelle des vorausgehenden Verschlußlautes, welcher dann verschwindet. 2. Die Assimilation ist entweder v o l l s t ä n d i g oder p a r t i e l l . Vollständig ist sie immer dann, wenn die zwei Laute nur durch ein einziges Merkmal geschieden sind. Bei [nm] ) fmm] z. B. unterscheidet nur die Artikulationsstelle [m] von [n]. Die Assimilation kann jedoch audi vollständig sein, wenn ursprünglich mehrere Merkmale die zwei Laute unterscheiden. Man nimmt dann mehrere Stufen der Anpassung an, z. B. mhd. einher ) *eimber9i ) eimer (Eimer). Ein Beispiel partieller Anpassung ist das unter (1) angeführte [habn] ) [habm]. Die Artikulationsstellen sind zusammengefallen, nicht jedodi die Artikulationsart der zwei Laute. 3. Das Ergebnis der Assimilation kann ein P h o n e m der betreffenden Sprache sein. Alle bisherigen Beispiele sind dieser M Verweilend und vorgreifend bezieht sich auf die Artikulation, progressiv und regressiv auf die Riditung der Assimilation in der Lautfolge.
" Nicht belegte, bezeichnet.
sondern
bloß
erschlossene
Formen
sind
mit
*
II. Die Laute in der Lautreihe
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Art. Oder es entsteht bloß eine P h o n e m v a r i a n t e , wenn z. B. das [ j ] von e. pram (aus perambulator) unter der Einwirkung des [p] stimmlos wird. 4. Manche Assimilationserscheinungen vergangener Sprachstufen sind für die heutige Sprachgemeinschaft v e r b i n d l i c h und treten oft auch orthographisch in Erscheinung, so z. B. d. Imbiss, Hoffurt, Himbeere aus mhd. inbiz, höchvart, hintber. Orthographisch nicht ausgedrückt, doch verbindlich, ist der dem [i] angepaßte Palatalkonsonant [ç] in Wörtern wie d. ich, mich, ferner das unter dem Einfluß eines folgenden dunklen [1] aus [ci] entstandene [o] in englischen Wörtern wie tali, all. Daneben gibt es viele sehr verbreitete, dodi u n verbindliche Assimilationserscheinungen. Sowohl [habm] als auch [aimmcil] sind unverbindlich. Vor allem an der Wortgrenze sind die Assimilationserscheinungen meist unverbindlich, z. B. d. dies Schiff [ d i j J i f ] e. ten girls [teq g3lz], B. Die Assimiilationserscheinungen im einzelnen 1. Konsonant
beeinflußt
Konsonant
a) Verhalten der Stimmbänder Progressiv: d. des Baches [Ij] (vgl. der Bach [b]), hilf denn [ 4 ] ( v gl- &eh denn [d]); e. observe [z] (vgl. serve [s]), twelve [w] (vgl. dwell [w]); frz. trois peuple [}], pierre [ç], puis [ i j j (vgl. droit [K], meuble [1], bière [j], buis [n]. Regressiv: e. newspaper [s] (vgl. news [z]); frz. partout (vgl. par [K]), bec de gaz [beg] (vgl. bec [bek]) 9 2 . b) Artikulationsstelle Progressiv: d. haben [bm], Rücken [krj]; schwzd. Hemd [mp]. Regressiv: d. unbillig [mb], angenehm [r)g]; e. not me [pm], orte more [mm], horse-shoe [JJ]. Auch mancher historische Lautwandel ist auf diese Art Assimilation zurückzuführen. 92
Siehe die Kymogramme von pièce d'angle, je crois, puis, partout
bei STRAKA T a f e l n 1 0 1 , 1 0 2 .
100
Spezieller Teil
Progressiv: mhd. hersen, kirse, bars ) nhd. herrschen, Kirsche, Barsch93. Regressiv: lat. actum, scriptum ) ital. atto, scritto. c) Artikulationsart: Progressiv: amerik. want to [wona]. Regressiv: schwzd. gib mir [gimmar]. Historischer Lautwandel dieser Art: Progressiv: mhd. eine ) d. Elle. Regressiv: ae. godsibb ) e. gossip. 2. Konsonant beeinflußt Vokal a) Ein Vokal ohne Lippenrundung kann in der Nachbarschaft von Konsonanten, bei deren Bildung die Lippen beteiligt sind, oder eines dunklen u-haltigen [1] zu einem gerundeten Vokal werden. Die Assimilation kann progressiv, regressiv oder doppelseitig sein. Manchmal ist sie sogar über einen Zwischenlaut hinweg wirksam; d. nur in Einzelfällen [e > oe] L ö f f e l , zwölf (vgl. e l f ) aus mhd. l e f f e l , zwelf. Schwzd. vielerorts sehr verbreitet [i > Y] schwümme, Brülle, wüsse. E. [ci >u] wash, want, was. Einzelfälle: neben e. umbrella steht das umgangssprachliche brolly, neben Mary das irische Molly94. Ital. [e > o, u] domandare, domani, dopo, dovere, ubbriaco aus lat. demandare, de mane, de post, debere, ebriacus. Zusatz. Da dem bei Vordervokalen kleineren K i e f e r w i n k e l die gespreizte Lippenstellung besser entspricht als die gerundete (s. S. 47), sind gerundete V o r d e r v o k a l e wenig stabil u n d w e r d e n h ä u f i g später wieder entrundet; so z. B. die mhd. i-Umlauitprod u k t e küssen, bülz > nhd. Kissen, Pilz. I m auf d e m O s t f r ä n kischen fußenden Hochdeutsch sind dies Einzelfälle, i m B a y risch-Österreichischen ist E n t r u n d u n g die N o r m , z. B. Minchen, Lecher, greesser. — Auf gleiche A r t erklärt sich, w a r u m die oben erwähnten schwzd. Beispiele assimilatorisch bedingter Vokalrundung nicht f ü r das ganze schwzd. Sprachgebiet gelten. Das vordere [ r ] ist dem [ J ] ähnlicher als dem [s], — Schwedisch ist den gleichen Weg gegangen. In Wörtern wie vers w i r d z w a r s geschrieben, doch eine A r t [ J ] ausgesprochen, wobei das [ r ] v e r stummt ist. 94 Z u m Ersatz von [ r ] durch [1] s. S. 105 (b). M
II. Die Laute in dier Lautreihe
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In bestimmten Gebieten blieb die Rundung aus oder wurde später wieder rückgängig gemacht. b) Bei der Bildung des vorderen [r] geht