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German Pages 169 [208] Year 1964
S A M M L U N G G Ö S C H E N B A N D 1212/1212a
EINFUHRUNG IN DIE ARBEITSWISSENSCHAFT von
Dr. Dr. h. c. H U B E R T H U G O H I L F em. o. Professor an der Universität Hamburg Gastdozent an der Technischen Universität Berlin
Mit 57 Abbildungen
W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. vormals G. J . Gö9chen'sche Verlagshandlung . J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung . Georg Reimer . Karl J . Trübner . Veit & Comp.
BERLIN
1964
© C o p y r i g h t 1964 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . Göschen'sdie Verlagshandlung • J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp., Berlin 30 — Alle Rechte, einsdil. der Rechte der Herstellung v o n Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — Archiv-Nr. 75 00 64 7. — Satz und Druck: T h o r m a n n & Goetsch, Berlin 44 — P r i n t e d in G e r m a n y .
Vorwort Bei dem weitgespannten Umfang der Arbeitswissenschaft kann eine Einführung nur Zusammenhänge erfassen, die für das Verständnis der Grundlagen und Grundzüge nötig sind. Hier kam es darauf an, den Blick auf das einheitliche Ganze einer Arbeitswissenschaft zu richten und die systematischen Beziehungen herauszustellen. Bei einer solchen Beschränkung auf die wesentlichen Grundlinien einer Arbeitswissenschaft m u ß t e darauf verzichtet werden, von den einzelnen Grundlagengebieten — z. B. der Arbeitsphysiologie, der Arbeitspsychologie, der Arbeitshygiene, der Arbeitspädagogik und Arbeitssoziologie — eine nähere Vorstellung zu geben, weil diese Gegenstände besser in gesonderten Einführungen abgehandelt werden. An vielen Unterrichtsstätten, besonders an den Universitäten und Hochschulen, sowie den Ingenieurschulen ist ein immer größeres Interesse an arbeitswissenschaftlichen Fragen festzustellen. Bei der ausgedehnten Ausbildungsund Fortbildungstätigkeit auf diesem Gebiet kann eine kurzgefaßte, gedanklich straff geführte und durch anschauliche Darstellungen belebte Einführung einem Bedürfnis entsprechen. Wo eine solche Einführung an ihre natürliche Grenze kommt, wird der Leser hoffentlich bemerken und ein Verlangen nach einer erweiterten und vertieften Darstellung spüren. H i e r f ü r wurde versucht, im Verzeichnis des Schrifttums den ersten Anhalt zu geben. Für die Erprobung dieses Stoffes im Unterricht bin ich verschiedenen Bildungsstätten f ü r die Gelegenheit zu mannigfacher Mitwirkung an Ausbildungsaufgaben dankbar, so f ü r die Mitwirkung an der Ausbildung der Diplomvolkswirte und an der allgemeinen Bildung von Hörern aller Fakultäten der Universität Hamburg, an der Ausbildung von Diplomingenieuren an den Fakultäten f ü r Ma-
4
Vorwort
schinenwesen und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Berlin und an der Ausbildung von Ingenieuren am Tabaktechnikum Hamburg. Dem Institut für forstliche Arbeitswissenschaft (Direktor Prof. Dr. H . B. P L A T Z E R ) in Reinbek danke ich, daß es die Anfertigung einer Reihe neuer Bilder ermöglicht hat, dem C a r l HANSER-Verlag für die Entnahme einer Reihe von Bildern aus dem Buch „Arbeitswissenschaft". Für Durchsicht des M a nuskriptes bin ich den Herren Privatdozent Dr. G. KAMINSKY, Diplomforstwirt R. BECHER und Diplom-Ingenieur F. FISCHER dankbar. Reinbek, im J a n u a r 1964
H. H. Hilf
Inhaltsverzeichnis Vorwort
3
Inhalt
5
1. Die Arbeit als Gegenstand der "Wissenschaft 1.1 Problemstellung und Systematik der Arbeitswissenschaft 1.11 Arbeit im Sinne der Arbeitswissenschaft . . . . 1.12 Leistung als Kernproblem 1.13 Begriff, System und Ziel 1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft 1.21 Entwicklung der menschlichen Arbeit und Entstehung der Arbeitswissenschaft 1.22 Arbeitswissenschaft als normative Wissenschaft 1.23 Arbeitswissenschaft als einheitliche Wissenschaft 1.3 Beziehungen der Arbeitswissenschaft zu anderen Wissenschaften 1.31 Stellung in der Wissenschaft 1.32 Grundlagengebiete — Nachbargebiete — Anwendungsgebiete 1.33 Die Arbeitswissenschaft im Ausland 2. Methoden der Arbeits- und Leistungsforschung 2.1 Kennzeichnung arbeitswissenschaftlicher Forschungsmethoden
10 10 10 13 15 21 21 29 31
34 34 35 41 43 44
6
Inhalt 2.11 Ursprüngliche Leistungsbeurteilung und arbeitswissenschaftliche Leistungsuntersuchung . .
44
2.12 Gliederung arbeitswissenschaftlicher schungsmethoden
47
2.13 Der Weg vom Ist- zum Arbeit 2.14 Maße und forschung
Meßmitel
der
Soll-Zustand
Forder 49
Arbeitsleistungs-
2.2 Methoden der Erforschung der Leistungsursachen . . 2.21 Untersuchung der Leistungsbereitschaft: 2.22
Der Arbeitsversuch
2.23 Die Arbeitsstudie 2.3 Methoden zur Erfassung der Arbeitswirkungen
56 57 57 61 63 67
2.31 Arbeitswirkungsnachweise
67
2.32 Arbeitsleistungsvergleich
70
3. Vorbedingungen menschlicher Arbeitsleistungen 3.1 Arbeitsumweltbedingungen
73 74
3.11 Klima und Arbeit
74
3.12 Arbeitsraumbedingungen
75
3.13 Arbeitszeitbedingungen
78
3.2 H u m a n e Vorbedingungen der Arbeit
80
3.21 Volkszugehörigkeit
80
3.22 Geschlecht und Lebensalter
82
3.23
84
Individuelle Konstitution
3.3 Kulturelle Einflüsse auf die Arbeitsleistung
86
3.31 Technische und ökonomische Vorbedingungen
86
3.22 Soziale Einflüsse auf den Leistungswillen . . . .
88
4. Gestaltung und Organisation der Arbeit
93
Inhalt 4.1 Die Entwicklung von Arbeitsmitteln und Arbeitsverfahren
7
93
4.11 Anpassung der Arbeitsmittel
93
4.12 Gliederung der Arbeitsverfahren
96
4.13 Fließarbeit und selbststeuernde Fertigung. . . . 100 4.2 Die Durchbildung des Arbeitsvorgangs 4.21
Gliederung des Arbeitsablaufs
104 105
4.22 Prinzipien der Arbeitsgestaltung
107
4.23 Grundbewegungen
109
4.3 Vorbereitung und Verteilung der Arbeit
113
4.31 Arbeitsvorbereitung
113
4.32 Arbeitsauftrag und Arbeitsverteilung
115
4.4 Aufgaben der Arbeitsführung
117
4.41 Grundsätze des Zusammenwirkens
117
4.42 Das Stellen von Arbeitsaufgaben
120
4.43 Die Heranbildung der Mitarbeiter
121
5. Die Ermittlung der Arbeitsleistung 5.1 Probleme der Leistungsvoraussage
124 124
5.11 Problematik der Leistungsermittlung
124
5.12 Normalleistung und Leistungsgrad
126
5.13 Beurteilung der Leistungsgrenzen
130
5.2 Ermittlung der Vorgabezeit
131
5.21 Gliederung der Arbeitszeit
131
5.22 Arten der Zeitermittlung
133
5.23 Gesetzmäßigkeiten der Arbeitsleistung
134
6. Entlohnung und Bewertung der Arbeit 6.1 Entlohnung der Arbeit
137 137
8
Inhalt 6.11 Arten des Arbeitsentgelts
137
6.12 Der Leistungslohn
138
6.2 Bewertung der Arbeit
142
6.21 Ziel und Problematik der Arbeitsbewertung . . 142 6.22 Arten der Arbeitsbewertung 7. Auswirkungen und Probleme der Arbeit 7.1 Wirkungen der Arbeit
144 147 147
7.11 Wirtschaftliche Wirkungen der Arbeit
147
7.12 Soziale Wirkungen der Arbeit
151
7.2 Probleme der Arbeit
153
7.21 Probleme der Rationalisierung der Arbeit . . 153 7.22 Probleme der Humanisierung der Arbeit . . . .
158
Literatur
163
Namensregister
165
Sachregister
166
Nachweis der Bilder A = IFFA (Institut für forstlidie Arbeitswissensdiaft in Reinbek, Vorwerksbusdi. N r . des Diapositivverzeichnisses) (Bilder 10, 12, 13, 14, 15, 17, 21, 24, 26, 35, 36, 40, 42, 43, 48, 52, 54, 55) BARNES, R . M . (18) ( B i l d 25)
Bibliothek des Kongresses in Washington D . C., USA. (nadi einer Kohlezeichnung umgezeichnet von E. ZIETZ 1963) (Bild 5) Deutsches Museum in München (Bild 4) DRAEGER-Werke, Lübedc (Bild 31) EULER, H „ (37) (Bild 53) FERRARI, Statistische Maschinen und Geräte, Berlin-Frohnau (Bild 18) GASSER, Chr., Der Mensdi im modernen Industriebetrieb, Köln 1952 (Bild 37) GOEBBEL, H . , Transfetstraßen. R a t . 1956 (Bild 38) GRAF, O., (2) (Bild 28) Erforschung der geistigen Ermüdung und nervösen Belastung. Köln 1955 (Bilder 20 u. 32) Carl HANSER Verlag, München (Bilder 2, 7, 8, 9, 11, 23, 36, 39, 46, 47, 49, 50, 51) aus HILF, Arbeitswissenschaft HILF, H . H - , Die Rationalisierung der Arbeit. Deutsdie Universitätszeitung 1961 (Bilder 6, 22) HILF, H . H . , Arbeitswissensdiaftlidie Grundbegriffe Tabak Technikum Hamburg 1963 (Bilder 1, 3) KÖHLER O., Über den Gruppenwirkungsgrad der menschlichen Körperarbeit. Industrielle Psychotechnik 1927 (Bild 36) LEHMANN, G . , (6) ( B i l d 39)
MATHIEU, J . , Arbeitszeitvergleich. R a t . 1956 (Bild 27) MÜLLER, E . A „ (30) ( B i l d 34)
RKW-Sdirift 29 (Bilder 29, 30) MÜNDEL, M . E . , (22) (Bild 16)
OECD, (Bild 33) PENTZLIN, K., Rationalisierung einmal anders. R a t . 1951 (Bild 44) Max-PLANCK-Institut für Arbeitsphysiologie, Dortmund (Bild 19) REFA-Buch 1 (35) (Bild 41) STIER, F., (nach KAMINSKY-SCHMIDTKE [32a]) (Bild 45) «DIE ZEIT", 1963 ( B i l d e r 56, 57)
1. Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft 1.1
Problemstellung und Systematik der Arbeitswissenschaft
Die menschliche Arbeit ist im Laufe der Zeiten immer mehr in das Bewußtsein der werkenden Menschen gerückt. Trug man einst die Schwerarbeit als eine auferlegte Last, so befreit uns heute das Denken immer mehr von ihrer drückenden Schwere und ihren den Menschen herabwertenden Folgen. Gleichwohl kann sich kein Mensch der Verpflichtung zum Zusammenwirken entziehen, da niemand als Einzelwesen auf der Erde existenzfähig wäre. Die mit jeder Arbeit unausweichlich verbundenen Anspannungen sind geblieben und setzen sich fort in Spannungen aller Art bis zu Gegensätzen in den Weltanschauungen der Menschen. Die Probleme der Menschenarbeit sind daher aktuell und werden täglich und allenthalben erörtert. Sie auf objektiv erkennbare Sachverhalte zurückzuführen und für sie durch eingehendes Studium Lösungen aufzuzeigen, ist — im Verein mit grundlegenden und benachbarten Wissensgebieten — eine Aufgabe der Arbeitswissenschaft. 1.11
Arbeit im Sinne der Arbeitswissenschaft
Der Begriff „Arbeit" wird in der Arbeitswissenschaft in einem eigenen Sinne verwendet. Er ist weder mit dem Arbeitsbegriff der Physik noch mit dem der Rechtslehre identisch. Arbeit im Sinne der Arbeitswissenschaft ist das Erfüllen eines Zweckes durch eine menschliche Tätigkeit. Im Gegensatz zur Arbeit erkennen wir dem Spiel keinen diese Tätigkeit überdauernden Zweck zu. Auch die Arbeit hat f ü r den Menschen einen Selbstzweck, insofern als sie ihn mit Befriedigung über sein Schaffen erfüllen kann. Aber dieser Selbstzweck — so wichtig er f ü r eine voll-
1.1 Problemstellung u n d Systematik d e r Arbeits Wissenschaft
11
kommene Gesamtwirkung der Arbeit sein kann — ist nicht primär. Zuerst ist bei jeder Arbeit die Aufgabe gegeben, ohne die jene nicht existent wäre. Erst dann gelangen wir zu Überlegungen, wie wir diese Aufgabe auf einem Wege lösen, der einerseits der Aufgabe gerecht wird und andererseits den beteiligten Menschen in seinem Werte hebt. Denn jede materielle Entschädigung für die Anspannung bei der Arbeit und jede Befriedigung über ein geglücktes Werk kann nur aus der Erfüllung der Arbeitsaufgabe hervorgehen. Daher muß sich die Arbeitswissenschaft notwendig mit dem besten Weg beschäftigen, der zur Erfüllung einer Arbeitsaufgabe führt, darf aber dabei den beteiligten Menschen nie aus dem Auge verlieren. Durch die menschliche Arbeit wird ein Zweck — z. B. die Erzeugung eines Gutes oder die Leistung eines Dienstes — erfüllt. Dieser Zweck wird zunächst in der Idee vorgestellt. Die Arbeit dient dadurch zur Verwirklichung einer Idee, wobei der arbeitende Mensch sich anspannt (sich selbst beansprucht). Demnach haben wir bei jeder Arbeit eine ideale (gedachte) Aufgabe und eine reale (tatsächliche) Anspannung des Menschen, welche die Verwirklichung herbeiführt. "I Werkidee
X
Werkwirklichkeit
Arbeit
( Verwirklichung durch Tätigsein) Spannungsverlauf: Arbeitsplanung
Arbeitsführung
Arbeitsbeanspruchung
Arbeitsausführung
l ^ / N / N / N / V Arbeitsauswertung
Bild 1.
V e r w i r k l i c h u n g einer I d e e als Sinn der A r b e i t
12
1 Die Arbeit als Gegenstand der 'Wissenschaft
Diese doppelte Wirkung — die Zweckerfüllung, die uns den Ertrag der Arbeit bringt, und die Anspannung, die den Menschen beeinflußt (ihn sowohl ermüdet, wie ihn bilden und prägen kann) — drückt sich in folgenden Begriffsbestimmungen aus: Arbeit ist eine zweckgesetzte Tätigkeit — ist das Verwirklichen einer Aufgabe durch Anspannung — ist das Verwandeln einer notwendigen Anspannung in ein, sinnvolles Arbeitsergebnis. Das Wort „Arbeit" ist in der deutschen Sprache mehrdeutig und kann sowohl die Aufgabe wie die Anstrengung, das Werk wie das Schaffen bedeuten. Andere Sprachen haben in der Regel zwei Wörter, von denen das eine mehr die Aufgabe, das andere mehr die Anspannung ausdrückt. Beispiele: im Griechischen: im Lateinischen: im Französischen: im Spanischen im Englischen: im Russischen:
eqyov
opus œuvre obra work Tpya
(das Werk)
novo; (die Mühe) labor travail trabajo labour paöoTa
Wenn von der gestellten Aufgabe die Rede ist und damit von der wirtschaftlichen Leistung, wird in der Regel der erste Ausdruck verwendet. Wird dagegen von der Anspannung des Menschen und damit von der sozialen Seite der Arbeitstätigkeit gesprochen, wird meistens der zweite Ausdruck vorgezogen. So spricht der Komponist von seinem opus, der Maler von seinem ceuvre. Arbeiter im politischen Sinne werden mit labour (z.B. labourparty, rabotschi usw.) bezeichnet. Wenn z. B. im Russischen von einem „Recht auf Arbeit" gesprochen wird, heißt es „npaBO Ha Tpyfl", nicht „npaBO Ha pa6oTa", das heißt also, daß der Mensch ein Recht auf eine Aufgabe und nicht etwa ein Recht auf eine Anstrengung habe, was keinen Sinn ergäbe. Dementsprechend ist es sinnvoll, sich immer zuerst mit der
1.1 Problemstellung und Systematik der Arbeitswissenschaft
13
Aufgabe der Arbeit zu beschäftigen und die hieran beteiligten geistigen Arbeiter anzuleiten, die aus der Aufgabenstellung folgende Mühe möglichst gering zu halten. 1.12
Leistung als Kernproblem
Aus dem Begriff „Arbeit" leiten wir den Begriff „Leistung" dadurch ab, daß wir versuchen, das sachliche (in der Regel wirtschaftliche) Ergebnis der Arbeit und zugleich die humane Anspannung bei der Arbeit durch Messung zu quantifizieren. Eine Arbeit wird zur Leistung, wenn sie mit einem günstigen (und zugleich vernünftigen) Verhältnis zwischen der objektiven, erfüllten Arbeitsaufgabe und der subjektiv nötigen Anspannung verrichtet und beendet wird. Hierzu müssen wir diese Beziehungen zwischen Aufgabe und Anspannung durch Messung näher untersuchen und zahlenmäßig ausdrücken. Die Arbeit (A) als eine Aufgabe ist noch nicht wirklich, sondern erst ein gesetztes Ziel (eine Idee, ein Entwurf, ein Auftrag, eine Anweisung). Aus der Arbeitsaufgabe folgt der Arbeitsertrag, d. h. die Aufgabe ist final (auf ein Ziel gerichtet) und ideal (von einem Gedanken bestimmt). Eine Arbeit als Anstrengung ist volle Wirklichkeit und dementsprechend real. Aus der Anstrengung folgt der Arbeitsaufwand, d. h. die Höhe der Anspannung läßt sich „ursächlich" (causal) erklären. Dementsprechend bilden wir folgende (noch nicht als eigentlicher Quotient gedachte) Beziehung: > i d e a l e Aufgabe (1) causale, reale Anspannung Hieraus geht der Begriff der Leistung hervor (Zentralbegriff der Arbeitswissenschaft), der die Beziehung zwischen Arbeitsertrag und Arbeitsaufwand (insbesondere dem Zeitaufwand) meint.
Arbeit (A) =
Leistung (L)
finale
Arbeitsertrag (2) Arbeitsaufwand Die Frage nach der Leistung vereinfacht sich dadurch,
14
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissensdiaft
daß wir innerhalb einer wirtschaftlichen Fertigung nur nach der Werkmenge (nicht nach ihrem Wert) fragen und den Arbeitsaufwand durch die benötigte Zeitmenge ausdrücken. Dabei entspricht bei derselben Arbeit und demselben Arbeiter die Zeitmenge dem tatsächlichen Arbeitsaufwand. Aber bei verschieden schwerer Arbeit und bei einem verschiedenen Wirkungsgrad mehrerer Arbeiter braucht der Zeitverbrauch kein exakter Ausdruck für den Arbeitsaufwand zu sein; doch kann sein verschiedener Arbeitswert nachträglich bei einer Geldrechnung berücksichtigt werden. Der Zeitverbrauch bei der Arbeit läßt sich aber leicht und genau feststellen und bestimmt bei allen Arbeiten die gesamte Ordnung des Arbeitsbetriebes. Entsprechend kann man die Leistung nur auf die Werkmenge und Zeitmenge beziehen: ^ Werkmenge Werkeinheiten WE Zeitmenge Zeiteinheiten ZE ' Als Abkürzungen verwenden wir dabei: WE = Werkeinheiten (z. B. beim Stücklohn: Stück, m, cbm, kg, usw.). ZE = Zeiteinheiten (z. B. bei der Vorgabezeit min, beim Leistungsnachweis Stunden [h]). GE = Geldeinheiten (z. B. Dpf. oder DM). Es bestehen dann folgende Beziehungen: WE Leistung (L) (arbeitstechnisches Maß) (4) ZE" ~ GE (5) Verdienst (Maß des Stücklohnverdienstes je ZE" ~ Zeiteinheit, d. h. einer sozialen Arbeitswirkung) GE Kosten (Maß der Lohnkosten je Stück, d. h. WE ~ einer wirtschaftlichen Arbeitswirkung) (6) Der reziproke Wert der Leistung ist die Stückzeit. 1 Arbeitszeit Zeiteinheiten ZE = = L Stück Werkeinheiten = WE ^ Die Frage, was der Mensch bei einer Arbeit leisten
1.1 Problemstellung und Systematik der Arbeitswissenschaft
15
kann, ist die Kernfrage der Arbeitswissenschaft. Keine andere Frage bestimmt so entscheidend den wirtschaftlichen Wert der Arbeit und damit die Möglichkeit einer angemessenen Entlohnung wie die Leistung. Auf keine M a ß nahme reagiert der arbeitende Mensch so empfindlich wie auf eine vermeintlich ungerechte und willkürliche Beurteilung seiner Leistung. Dabei ist die Frage, was denn der arbeitende Mensch unter jeweiligen Bedingungen bei einer bevorstehenden Aufgabe leisten kann, wegen der Unzahl der einwirkenden Faktoren so schwierig zu beantworten. D a f ü r schließt aber die Untersuchung der Leistung auch alle anderen Fragen mit ein. Ohne Kenntnis der k ü n f tigen Leistung ist ein moderner Betrieb nicht zu führen, ohne sie gibt es keine Terminbestimmung, keine Regelung des Betriebsablaufs, keine Auslastung der Betriebsmittel, keine Regelung des Leistungslohns, keine Vor- und Nachkalkulation des Betriebsergebnisses. Daher zielen alle Untersuchungen der arbeitswissenschaftlichen Forschung dahin, Methoden zur objektiven Erfassung der Leistung zu entwickeln, Vorbedingungen der menschlichen Leistung kennenzulernen, die Möglichkeiten der Beeinflussung der Leistung durch Gestaltung der Arbeit und durch Organisation des Arbeitsbetriebes auszunutzen und letzten Endes zu einer richtigen Prognose der Arbeitsleistung und zu einer durch die Sache bedingten gerechten Bewertung der Arbeit zu gelangen. 1.13 Begriff, System und Ziel Aus den Begriffen „Arbeit" und „Wissenschaft" leiten wir den zusammengesetzten Begriff „Arbeitswissenschaft" ab. Den Begriff „Arbeit" (Ziffer 1.11) ergänzten wir durch den Begriff „Leistung" (Ziffer 1.12), der uns näher an das Kernproblem der arbeitswissenschaftlichen Forschung heranbringt. Unter „Wissenschaft" verstehen wir dabei das auf methodischer Forschung beruhende, durch eine geordnete Erfahrung ergänzte (erhärtete) Wissen (oder Streben nach neuem Wissen), das eine allgemeine Geltung beansprucht.
16
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
Im allgemeinsten Sinne würde Arbeitswissenschaft bedeuten: das Wissen um die Beziehung zwischen der dem Menschen aufgegebenen Arbeit und dem (sie durch seine Anspannung vollbringenden) Menschen. Wollte man unter Arbeitswissenschaft jegliches Wissen um die menschliche Arbeit verstehen, dann käme man zu einem ungewöhnlichen, kaum überschaubaren Umfang dieses Wissensgebietes. Wir sprechen daher ausnahmsweise von einer solchen Arbeitswissenschaft, die als weitgefaßter Dachbegriff jegliche Erörterung über Probleme menschlicher Arbeit einschließen würde (Bild 2). Um die Arbeitswissenschaft durch engere Abgrenzung übersichtlich zu halten und um ihr Kernproblem stärker herauszustellen, fassen wir sie in der Regel auf als die wissenschaftliche Erörterung der Möglichkeiten menschlicher Arbeitsleistung und aller ihr zugehörigen Vorbedingungen, insbesondere der Arbeitsgestaltung. Den
Den Nahtbegnifi
ßaehbegpiff
)
Arbeilswissenschatf
Biologie den Arbeit
Technik den Anbeii
ArbeitsWirtschaft
Bild 2.
Technik der Arbeit
Arbeitsrecht
Die Arbeit
als D a c h -
und
X
Ordnung der Arbeit
Nahtbegriff
Otto LIPMANN, der erstmals im Jahre 1926 in seinem „Grundriß der Arbeitswissenschaft" unser Wissensgebiet herausstellte, verstand unter Arbeitswissenschaft: Die Wissenschaft von den Bedingungen und Wirkungen der menschlichen Arbeit. Diese Definition wäre richtig, wenn sich durch Untersuchung der Arbeit diese selbst nicht ändern würde. Tatsächlich gibt die Erforschung der Arbeit einen wesentlichen Impuls zu ihrer Verbesserung und damit zu ihrer Veränderung. Dieser Möglichkeit einer rationalen Gestaltung der Arbeit mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchung trägt man bei einer statischen Betrachtung der
1.1 Problemstellung und Systematik der Arbeitswissensdiaft
17
Arbeit, wie sie zunächst L I P M A N N auf Grund seines Studiums tatsächlicher Leistungen in der deutschen Industrie vorschwebte, nicht genügend Rechnung. Berücksichtigt man den dynamischen Charakter der Arbeit, der schon durch die Absicht einer Untersuchung geweckt wird, dann stellt man das Wechselspiel von Arbeitsgestaltung und Leistungsforschung heraus und gelangt etwa zu der Aussage: Arbeitswissenschaft ist die Lehre von der durch die Leistungsforschung geklärten Arbeitsgestaltung oder von der durch die methodische Arbeitsgestaltung ermöglichten menschlichen Arbeitsleistung. Aus dieser Begriffsbestimmung geht die gegenseitige Durchdringung von Arbeitsgestaltung und Leistungsuntersuchung hervor. Dabei kehrt die alte Frage wieder, was zuerst untersucht wird: die Arbeitsbewegung, auf der die Gestaltung einer Arbeit beruht, oder die Arbeitsleistung, welche die Wirksamkeit einer Arbeitsgestaltung aufzeigt. Geschichtlich gesehen gab die Arbeitszeitstudie, die von F. W. T A Y L O R eingeführt wurde, den Anstoß, sich mit dem Studium der Arbeit zu beschäftigen; dann erst führte die Bewegungsstudie von F. B. G I L B R E T H zum Aufdecken kraft- und zeitsparender, weniger ermüdender Arbeitsbewegungen. Dementsprechend hat man die ersten amerikanischen Bücher „Time and Motion Study" genannt, w ä h rend man heute allgemein von „Motion and Time Study" spricht. Denn tatsächlich ist der zeitliche Verlauf einer Arbeitsbewegung die Folge eines räumlichen Vorgangs (Ziffer 1.21). Ein System der Arbeitswissenschaft soll uns eine geordnete Ubersicht über das ganze Gebiet geben (Übersicht 1 ). Es muß davon ausgehen, daß es sich bei der Arbeitswissenschaft um etwas Ganzes und Einheitliches handelt. Denn nur bei der Vorstellung von einer Ganzheit hat ihre Gliederung einen Sinn. D a ß die Arbeitswissenschaft als etwas Einheitliches aufzufassen ist, soll später erörtert werden, wenn der Charakter dieses Gebietes behandelt wird (Ziffer 1.23). Das hier folgende System geht davon aus, d a ß 2
Hilf, Arbeitswissensdiaft
18
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
die Arbeitswissenschaft eine normative Wissenschaft ist (Ziffer 1.22), daß sie sich also nicht nur mit dem „IstZustand" einer Arbeit, sondern auch mit ihrem „SollZustand" befaßt. Deshalb sammelt sie nicht nur Tatsachen, sondern sucht auch Wege, wie man zu einer vorbildlichen Gestaltung der Arbeit gelangen kann. Sie gründet sich z w a r auf sog. „Seins-Wissenschaften", zielt aber auf eine Wissenschaft des „Sein-Sollens". Bei der Gliederung der Arbeitswissenschaft unterscheiden wir: a) G r u n d l a g e n g e b i e t e , welche durch Voruntersuchungen spezielle Fragen zu lösen suchen und aus einer engeren Sicht die Arbeitsprobleme betrachten. Sie werden — f ü r sich betrachtet — gelegentlich als Arbeitswissenschaften bezeichnet und sind ihrerseits oft stärker ausgebaut als die eigentliche Arbeitswissenschaft oder Arbeitslehre. b) Die A r b e i t s f o r s c h u n g , welche angibt, auf welchem Wege (mit welchen Methoden) neue und sichere Erkenntnisse über menschliche Arbeit gewonnen werden können. c) V o r f r a g e n der Arbeitslehre, welche vorweggenommen werden, weil sie für den ganzen Bereich der Arbeitswissenschaft gelten, wie die Geschichte dieser Wissenschaft und die Vorbedingungen der Leistung. d) Schließlich die eigentliche A r b e i t s l e h r e , welche ihrer N a t u r nach sich nicht mit einer Kunde — der Feststellung, was die Arbeit ist — begnügt, sondern die zur Aussage von Normen drängt und anzugeben sich bestrebt, wie eine Arbeit gestaltet und beurteilt werden soll. Ziel einer praktisch gerichteten Wissenschaft ist, dem menschlichen Handeln sichere Unterlagen zur Verfügung zu stellen, insbesondere in den Fällen, wo die Berufserfahrung nicht ausreicht. Durch die Erforschung der Arbeitsbedingungen und durch die Erkenntnis der Gestaltungs-
1.1 Problemstellung und Systematik der Arbeitswissenschaft
Gliederung
19
Übersicht 1 der A rb e i t s w i s s e n s c h a f t
A.
Grundlagengebiete (In der Regel: Seins-Wissenschaften) z. B. Arbeitsphysiologie, -hygiene, -psydiologie, -pädagogik, -Soziologie B. A r b e i t s f o r s c h u n g (Methoden der arbeitswissenschaftlichen Erkenntnis) I. Arbeitsversuch II. Arbeitsstudie III. Arbeitswirkungsnachweis C. V o r f r a g e n der Arbeitslehre I. Die Geschichte der Arbeitswissenschaft II. Die Vorbedingungen der Leistung D. D i e A r b e i t s l e h r e (Norm-Wissenschaft) I. Die Technik der Arbeit a) Arbeitsmittel und Arbeitsverfahren b) Arbeitsbewegung und Arbeitszeit II. Die Ordnung der Arbeit a) Arbeitsführung und Arbeitsplanung b) Arbeitsergiebigkeit und Arbeitswertung
möglichkeiten gibt die Arbeitswissenschaft dem Betrieb klare Unterlagen f ü r die Arbeitsplanung und eine gerechte Bewertung aller Leistungen. Sie hilft, den arbeitenden Menschen gegen Mißbrauch seiner Arbeitskraft zu sichern. Dem Betrieb ermöglicht sie, neue technische Ideen zu verwirklichen und schwierige ökonomische Forderungen zu erfüllen. Im einzelnen ist das Z i e l der Arbeitswissenschaft, zu helfen: 1. bei der Gestaltung der Arbeit: eine gestellte Aufgabe mit den geringsten Mitteln zu erfüllen, dabei die Beanspruchung des arbeitenden Menschen herabzusetzen und die Kosten der Arbeit zu ermäßigen; 2. bei der Bemessung der Leistung einer Arbeit: die Leistungsmöglichkeiten objektiv zu ermitteln und dadurch für Arbeitsplanung und Arbeitsentlohnung sichere Grundlagen zu geben; 3. bei der Wertung der Arbeit: die Anforderungen an den 2*
20
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
arbeitenden Menschen gerecht einzuschätzen und dadurch zu einer unparteiischen Arbeitsbewertung beizutragen. Da viele Arbeitsfragen durch die Verschiedenheit der Standpunkte, unter denen sie gesehen werden, und durch die oft schwierige Beurteilung des Angemessenen umstritten sind, ist es eine Aufgabe der Arbeitswissenschaft zu zeigen, daß viele offene Fragen des Arbeitslebens durch eine sachliche Untersuchung geklärt werden können. Gegenüber diesem sachlichen Streben gibt es eine übertriebene (pathetische) Betrachtung der Arbeit, die die Unterschiede der Auffassungen überbetont und dadurch in die Irre führen kann. Man muß diese Formen kennen, um auf die Möglichkeit sachlicher Erörterung aufmerksam machen zu können. Bei der pathetischen Betrachtung wird entweder die Arbeitsaufgabe oder die Arbeitsanspannung zu stark herausgestellt. Dies führt dazu, daß entweder die Aufgabe heroisiert (als heldenhaft dargestellt) wird (Bezeichnungen dieser Art sind dann: „Adel der Arbeit", „Held der Arbeit", "Fluch der Arbeit" 'Knec/rte der Arbeit" "Proletarier"
iUntergangr~~-
V. V.
Bild 3. Richtungen pathetischer
Arbeitsbetrachtung
V
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
21
„Aktivisten der Arbeit") oder aber die Beanspruchung w i r d dramatisiert (als unheilvoll gekennzeichnet, wobei Ausdrücke wie „Fluch der Arbeit", „Knecht der Arbeit" gebraucht werden). Beide Übersteigerungen enden in einer verneinenden Betrachtung des Arbeitslebens, entweder bei den „Opfern der Arbeit" oder dem „Leid der Arbeit". Demgegenüber lehrt die Arbeitswissenschaft die Möglichkeit, alle Anforderungen an den arbeitenden Menschen gerecht zu beurteilen, und betont den Wert eines erfüllten Arbeitslebens, das von einem natürlichen Leistungswillen getragen wird und zu einer befriedigenden Lebensleistung führt. 1.2
Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft 1.21 Entwicklung der menschlichen Arbeit und Entstehung der Arbeitswissenschaft
Im Laufe der Geschichte kommen dem Menschen immer stärker die Möglichkeiten zum Bewußtsein, auf die Gestaltung der ihm aufgegebenen Arbeit einzuwirken und schließlich die wissenschaftliche Erkenntnis für diese A u f gabe nutzbar zu machen. Dabei durchbricht die Menschheit in immer kürzeren Zeiträumen die Schranken einer diese Entwicklung hemmenden Tradition. Während es fast 500 000 Jahre dauerte, bis der Mensch vom Behauen zum Schleifen der Steinwerkzeuge überging, währte der Übergang vom Werkstoff Bronze zum Eisen nur 1200 Jahre. Auch in unserer Zeit kann eine Erfindung bis zu ihrer Einführung eine oder gar mehrere Generationen benötigen. Diese ganze, die Geschichte der Arbeit begleitende Entwicklung der Technik geht einerseits sprunghaft (mutationsartig) vor sich, berührt aber andererseits nicht gleichzeitig alle Völker der Erde, so d a ß es auch heute noch Volksstämme gibt, die mit dem Steinbeil die Bäume fällen. Die Geschichte der menschlichen Arbeit ist dann für die Arbeitswissenschaft von Belang, wenn w i r die Arbeit nicht als eine Zeiterscheinung (oder als ein „epochales Phäno-
22
1 Die A r b e i t als Gegenstand der Wissenschaft
men" — wie Fritz GIESE 1930 —) betrachten, sondern als einen komplexen Sachverhalt, dessen Prinzipien, Regeln und Gesetze sich uns gerade durch eine Betrachtung ihrer Entwicklung erschließen. Bei den großen Arbeitsvorhaben in der Vergangenheit, (bei Bauten oder Transportarbeiten) wurde das Zusammenwirken der Menschen von dem Additionsprinzip beherrscht.
Bild 4.
Zugkräfte
v o n Mensch Tier
und
wurden
ursprünglich addiert.
Zu-
sammenwirken der eines auf
bei
Aufstellung Obelisken dem
P e t e r s p l a t z in R o m 15S6. A n 40 Göpeln
wirkten
140 P f e r d e u n d 800 M e n s c h e n
Es wurden so viele Kräfte hinzugefügt, bis die zu bewegende Masse sich löste. Dabei wurde kein Unterschied gemacht, ob Tiere oder Menschen als Zugkräfte angespannt werden. Bei zu großen Lasten wird das Gesetz des fallenden Wirkungsgrads bei der Arbeit mit wachsenden Grup-
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissensdiaft
23
pen wirksam und setzt der Anwendung beliebiger Kräfteansammlungen eine Grenze (Ziffer 3.32). Erst die Erfindung der Kraftmaschine gibt die Möglichkeit, mechanische Kräfte zu potenzieren und den Menschen freizumachen von der entwürdigenden Gleichsetzung tierischer und menschlicher Antriebskraft. Von großem Einfluß auf die Gestaltung der industriellen Arbeit war das von den Engländern A. FERGUSON ( 1 7 6 7 ) u n d A . SMITH ( 1 7 7 6 ) h e r a u s g e s t e l l t e P r i n z i p d e r
Arbeitsteilung. Es vereinfachte und beschleunigte z w a r den Arbeitsvorgang, setzte aber an die Stelle von gelernten Handwerkern billigere Arbeitskräfte, wobei man sogar auf die Kinder in den Waisenhäusern zurückgriff. Dadurch rief diese Entwicklung einerseits die Empörung der Sozialreformer und Sozialrevolutionäre hervor, andererseits mannigfache Gegenwirkungen, von der Entstehung einer soziologischen Betrachtung der Arbeitsvorgänge (z. B. durch Karl MARX 1848) bis zur Entwicklung eines staatlichen und internationalen Arbeitsschutzes. Dieser nimmt im Jahre 1802 mit einem Verbot der Nachtarbeit der Kinder in England seinen Anfang und führt mit der Einführung der Fabrikinspektion (heute Gewerbeaufsicht) — 1833 in England, 1853 in Deutschland — und der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf (1919) zu einer neuen Ordnung. Durch die Arbeitsteilung wird gleichzeitig die maschinelle Ausführung vieler vereinfachter Arbeiten ermöglicht und zugleich die im Anfang der industriellen Entwicklung schwache Kapitaldecke vermehrt, so daß hierdurch — nach einem bedrohlichen Umweg — neben unbestreitbaren wirtschaftlichen Vorteilen auch soziale Verbesserungen letztlich erreicht werden konnten. Ein arbeitswissenschaftliches Forschen wird in Deutschland erstmals im Jahre 1900 durch einen von dem Physiker Ernst ABBE bei den Zeißwerken in Jena eingeleiteten Betriebsversuch sichtbar. ABBE verglich die Leistung des bisherigen 9-Stunden-Arbeitstages mit der eines probeweise eingeführten 8-Stundentags und belegte so die Möglichkeit, mit einer Arbeitszeitverkürzung eine Leistungs-
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1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
Steigerung zu verbinden. (Der Verdienst je Stunde stieg dabei von 0,62 auf 0,72 Mark und der Tagesverdienst von 5,57 auf 5,75 Mark.) Eine experimentelle Arbeitsforscliung entwickelt sich erst langsam mit dem allmählichen Ausbau der Grundwissenschaften, insbesondere der Physik, der Medizin, der Psychologie. Hierbei entstehen zunächst Überlegungen und einfache Beobachtungen, wie etwa Leonardo da VINCI (1452—1519) die Schaufelarbeit beobachtet und den Arbeitsverlauf nach Teilarbeiten und Teilzeiten (tempi) untergliedert. Später werden bei den französischen Festungsbauten unter S. de VAUBAN (1637—1707) und besonders unter B. F. de BELIDOR (1729) de ersten Regeln der Arbeitsorganisation und Arbeitszeitmessung gefunden und einfache Zusammenhänge zwischen der Ernährung und Leistung oder zwischen Leistungsabfall und Ermüdung erkannt. Aber erst in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mehren sich Anfänge einer exakten Untersuchung von Arbeitsvorgängen und ihren Ursachen, unter denen die Arbeiten des Franzosen I. E. MAREY (Über die graphische Methode der Bewegungsaufnahme 1878, Arbeitsaufzeichnungen mit Hilfe eines Dynamographen 1894, über den Kraftverbrauch beim Hobeln und Sägen 1904) und des Italieners A. Mosso (Über die Ermüdung, 1888 und 1891) besonders hervorragen. Die ersten Arbeitskurven stellte in Deutschland der Psychiater E. KRAEPELIN 1902 auf, in denen er den Einfluß der einzelnen die Leistung bedingenden Faktoren ergründen wollte. Die physiologische Arbeitsforschung nahm ihren Anfang mit der Untersuchung des Gehens und Marschierens (durch ZUNTZ und Mitarbeiter 1888 und 1901) und führte im Jahre 1913 zur Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie in Berlin (durch RUBNER), das im Jahre 1929 nach Dortmund verlegt wurde und jetzt der Max-Planck-Gesellschaft angehört. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der industriellen Arbeit rufen eine Reihe von volkswirtschaftlichen Untersuchungen hervor, so über die Arbeiterfrage
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
25
von Heinrich HERKNER (1894), über Arbeit und Rhythmus von Karl BÜCHER (1896) und über die Prinzipien der technischen Vernunft von Friedrich v. GOTTL-OTTLILIENFELD ( 1 9 1 4 ) .
In vielen europäischen Ländern waren Untersuchungen einzelner Grundfragen der Arbeitsforschung begonnen worden, aber man verfolgte mit ihren ersten Vorhaben noch nicht das Ziel, einen Einfluß auf die Praxis des Arbeitsbetriebs auszuüben. Es genügte dem reinen Erkenntnistrieb, ein neues Gebiet der Wissenschaft erschlossen zu haben. Die Verwendung aller wissenschaftlichen Vorarbeiten in der Praxis und der Ausbau einer die Praxis anleitenden Arbeitslehre erhielt erst aus Nordamerika einen entscheidenden Anstoß, der die europäischen Völker lehrte, daß man wissenschaftliche Vorarbeiten unmittelbar für die Praxis nutzbar machen und als Bausteine einer die Praxis anleitenden Arbeitslehre verwenden konnte. Im ganzen erfolgten drei solche Anstöße aus den USA — kurz vor dem ersten Weltkrieg und jedesmal nach dem Ende der beiden Weltkriege. Der erste Anstoß ging von Frederic Winslow TAYLOR (1856—1915) aus, der schon im Jahre 1881 ein neues Stücklohnsystem bekanntgegeben hatte und dessen Betriebsleitung (1903) erst 1909 und dessen Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung (1911) im Jahre 1913 von A. WALLICHS ins Deutsche übersetzt wurden. Erst der 2. Anstoß machte die größere Öffentlichkeit in den europäischen Ländern mit den Arbeiten von TAYLOR und ebenso mit denen von Frank Bunker GILBRETH (1868 bis 1924) und mit den wirtschaftlichen Grundsätzen von Henry FORD (1863—1947) bekannt. Die Lehren von TAYLOR und GILBRETH hatten deshalb einen so großen Erfolg, weil sie auch ohne Anwendung neuer Maschinen, nur durch methodische Beobachtung des Arbeitsvorgangs, durch seine sinnvolle Gestaltung und durch die Messung der Arbeitszeit zu wesentlichen Leistungssteigerungen gelangen konnten. Dabei war TAYLOR insofern einseitig, als er den besten Arbeiter auswählte und aus dessen Leistung
26
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
verallgemeinernde Schlüsse zog, während G I L B R E T H durch Heranziehung des faulsten Arbeiters dessen bequemste und dadurch ökonomischste Bewegung erkannte. F O R D organisierte zum ersten Male in einem Montagebetrieb eine Fließarbeit, die schon früher, z. B. in Chikago in Großschlächtereien und später in Pittsburg in Gießereien, angewendet worden war (Bild 5), und folgerte aus der Erkenntnis der möglichen Leistungssteigerung, daß man die Herstellung von Kraftwagen immer weiter verbilligen und dabei trotzdem den Lohn ständig erhöhen könne (er senkte den Verkaufspreis 1914 um 6 0 $ und erhöhte den Mindesttagelohn auf 5 $). Unter dem Eindruck der kriegswirtschaftlichen Überlegenheit der Vereinigten Staaten im ersten Weltkrieg und der danach durch Verschuldung und Inflation zerrütteten Wirtschaftsverhältnisse wurden die amerikanischen Lehren einer Betriebsführung auf wissenschaftlicher Grundlage in Deutschland rasch aufgenommen und systematisch verarbeitet. Es entstanden neue Institute und Organisationen, die sich die Vervollkommnung der menschlichen Arbeit zum Ziele setzten. Auf eine Anregung des amerikanischen Austausch-Professors M Ü N S T E R B E R G ging die Gründung des Instituts für Psychotechnik an der Technischen Hoch-
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
27
schule Charlottenburg (unter der Leitung von W. MOEDE) zurück. Die Rationalisierungsbewegung wurde in dem Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (1921) — heute Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft ( R K W ) — zusammengefaßt. Der Währungsverfall machte es nötig, bei der Stücklohnbestimmung gegenüber dem sinkenden Geldwert einen Leistungsfaktor konstant zu halten, ihn also zum mindesten zu erkennen. Aus diesem Bedürfnis entstand der REFA-Verband für Arbeitsstudien — als Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung (1924) — , der sich zunächst mit der Ermittlung gerechter Vorgabezeiten befaßte und später das Arbeitsstudium durch Untersuchung des Arbeitsablaufs und durch Richtlinien für die Arbeitsbewertung ausbaute. Durch seine Fortbildungsarbeit schuf er den Betrieben geschulte Mitarbeiter für die Durchführung von Arbeitsstudien (über 70 000 sog. REFA-Männer; bei weiterer Fortbildung gehen aus ihnen REFA-Ingenieure und REFA-Lehrer hervor). Diese Belebung der Arbeitswissenschaft, die sich zuerst auf dem Gebiet der industriellen Schwerarbeit und der metallbearbeitenden Industrie, aber auch auf dem Gebiet der Erforschung der Land- und Forstarbeit zeigte, führte dann zu einer zusammenfassenden Schau der bisherigen
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1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
Erkenntnisse in einer Arbeitskunde (von Johannes R I E D E L 1 9 2 5 ) und einer Arbeitswissenschaft (von Otto L I P M A N N 1 9 2 6 und 1 9 3 2 und von Fritz G I E S E 1 9 2 5 — 1 9 3 0 ) . Nach dem 2. Weltkrieg macht ein 3. Anstoß mit Entwicklungen in den USA bekannt, die nach dem Jahre 1933 in Deutschland nicht mehr beachtet worden waren. Die amerikanische Kriegsindustrie sah sich — wie schon im ersten Weltkrieg — vor das Problem gestellt, für ihre Aufgaben neue Arbeitskräfte einzustellen und sie schnell und ausreichend auszubilden, und meisterte diese Aufgabe in Form eines bestimmten Unterweisungssystems, dem sog. TWI-Verfahren (training within industry). Diese Bewegung verschmolz später in Deutschland mit den Lehren einer dort durchgebildeten Arbeitspädagogik, deren Grundsätze zwar bekannt, aber nicht durchgedrungen waren. Weitere Anregungen betrafen — insbesondere unter dem Eindruck der arbeitssoziologischen Ergebnisse von Elton M A Y O und seiner Schule — Hinweise auf Zusammenarbeit (Cooperation), auf Gruppenarbeit (informelle Gruppen) und durch Nachwirkungen der Arbeiten von F. B. GILB R E T H und seiner Frau Lilian M. G I L B R E T H die Arbeitsvereinfachung (work simplification) und die Verwendung von Grundbewegungselementen zur Arbeitsgestaltung und Leistungsermittlung. Diese in den USA im praktischen Betrieb erarbeiteten und angewendeten Methoden und Verfahren belebten in Europa, besonders durch die Hilfe des Marshall-Plans und durch verschiedene Formen staatlicher und privater Zusammenschlüsse (besonders der OECD = Organisation for European Cooperation and Development), den Ausbau einer arbeitswissenschaftlichen Forschung und die Verbreitung ihrer Ergebnisse auf der Grundlage einer Gemeinschaftsarbeit. Zum Zusammenschluß der arbeitswissenschaftlichen Forscher wurde im Jahre 1953 die „Gesellschaft für Arbeitswissenschaft" gegründet, die sich u. a. mit der Klärung arbeitswissenschaftlicher Grundbegriffe und Methoden und der Förderung des Studiums der Arbeitswissenschaft an den Universitäten und Ingenieurschulen beschäftigt.
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
29
Überblickt man die Geschichte der menschlichen Arbeit, dann kann man im Hinblick auf das allmähliche Bewußtwerden der Möglichkeiten objektiver Klärung von Sachverhalten bei der Durchführung von Arbeiten 3 Perioden unterscheiden: 1. Die Periode der Ausbeutung, welche im Altertum mit der Ausnutzung der Kriegsgefangenenarbeit (Sklaverei) begann, in der Frühzeit der industriellen Entwicklung bei scheinbar freier Arbeit einen späten Höhepunkt erlebte und heute noch in den Winkeln der allgemeinen Entwicklung anzutreffen ist (z. B. bei Arbeiten in den Tropen, bei Landfrauen, bei Zwangsarbeit). 2. Die Periode der Nutzungsbeschränkung, bei der unter dem Einfluß internationaler Konventionen die Staaten sich zur Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen verpflichten, und 3. die Periode der rationellen Entfaltung der produktiven Kräfte, wobei durch eine arbeitswissenschaftliche Untersuchung gezeigt wird, daß die menschliche Arbeitsleistung sich steigern läßt, ohne die Beanspruchung übermäßig zu erhöhen. Als zulässig wird dabei ein Maß der Arbeitsleistung angesehen, das die Lebensleistungen des Menschen nicht beeinträchtigt, die sog. nachhaltige Arbeitsleistung. 1.22
Arbeitswissenschaft als normative Wissenschaft
Die Arbeitswissenschaft begnügt sich nicht mit der Feststellung des Ist-Zustandes der Arbeit. Sie ist also mehr als eine Seins-Wissenschaft. Ihre Grundlagengebiete haben allerdings in erster Hinsicht die Aufgabe, einen Sachverhalt nach seinen Ursachen und Zusammenhängen zu klären. Auch sie streben — schon durch das richtungweisende Experiment — über die Feststellung reiner Tatsachen hinaus. Sobald sie aber ihr Gebiet verlassen und Vorschläge für das Handeln bei der Gestaltung von Arbeiten geben wollen, sind sie gezwungen, ihre Befunde mit denen von Nachbargebieten zu vergleichen und damit den Standpunkt des Arbeitsforschers einzunehmen, dem es auf eine
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1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
Ubersicht ankommt, aus der er die Möglichkeiten einer Gestaltung von Arbeiten beurteilt. So hat jede Wissenschaft, die sich mit der Arbeit beschäftigt, ihren bestimmten Standpunkt und ihren Blickwinkel, aus dem sich auch wiederum ihre Möglichkeit ableitet, einen Rat f ü r das aktive Handeln beim Gestalten von Arbeiten zu geben (Bild 6).
Da die Arbeitswissenschaft die Arbeit als einen dynamischen Produktionsfaktor ansieht, der ungewöhnlich gestaltungsfähig ist, so bringt jede experimentelle Untersuchung der menschlichen Arbeit sofort Anregungen über die Möglichkeit künftigen Gestaltens der Arbeit. Selbst wenn die Arbeitswissenschaft in praktischen Fällen oft auf Rezepte verzichten muß, so hält sie der Praxis doch ein Bild von dem idealen Handeln bei der Gestaltung, Planung und Durchführung von Arbeitsaufgaben vor Augen und kann mindestens zeigen, welche Unterlagen sich die
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
31
Praxis als Vorbereitung ihrer Entscheidung zuerst erarbeiten sollte, ehe sie handelnd eingreift. Trotzdem begleitet die arbeitswissenschaftliche Untersuchung die Vorstellung einer vorbildlichen Gestaltung der Arbeit und einer maßgebenden Leistungsbemessung. Als Leistungsmaßstab (Leistungsnorm) wird dabei die von einem Menschen in seinem Arbeitsleben erfüllbare Arbeitsleistung angesehen. Diese Lebensleistung muß die Forderung der Nachhaltigkeit erfüllen, d. h. sie muß sich für die Dauer eines Arbeitslebens und außerdem von Generation zu Generation in einer optimalen, dem Lebensalter angepaßten Form aufrechterhalten lassen. Die in der Geschichte der Arbeitswissenschaft nachgewiesenen Beispiele für die Schädigung der Lebensleistung in hart beanspruchenden Klimagebieten oder in gesundheitsschädigenden Gewerben, besonders in der Frühzeit der industriellen Entwicklung, belegen, daß unter solchen Bedingungen die Lebensarbeitsdauer ungewöhnlich kurz sein kann (10—15 Arbeitsjahre). Deshalb orientiert sich die Arbeitswissenschaft an einer eigenen Norm für die Beurteilung von Leistungsforderungen und Erholungsansprüchen. Sie sieht unter mitteleuropäischen Klimabedingungen als erreichbare Lebensarbeitsdauer 50 Arbeitsjahre an und fordert, daß nach Ablauf dieser Zeit der Übergang in den Ruhestand sich in einer Verfassung vollzieht, die eine zwar alters-, aber nicht arbeitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit aufweist. Aus dieser Vorstellung folgt dann die Möglichkeit, dieses Arbeitsleben wirklich mit Inhalt zu erfüllen und eine echte Lebensleistung, welche zu einer Lebensbefriedigung führt, zu erreichen. Demnach müssen alle aktuellen Beurteilungen über augenblicklich mögliche Leistungen auf diese Vorstellung einer ganzen Lebensleistung zurückgeführt werden. 1.23
Arbeitswissenschaft als einheitliche Wissenschaft
Da die Grundlagengebiete der Arbeitswissenschaft stärker ausgebaut sind als die eigentliche Lehre und als das
32
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
Kerngebiet ihrer Forschung, die Leistungsforschung, werden sie vielfach als die eigentliche Arbeitswissenschaft betrachtet und als Arbeitswissenschaften bezeichnet. Diese Gebiete gelten dabei als eine offene Reihe, die beliebig erweitert werden kann. Bei diesen Gebieten handelt es sich aber nur um Tatsachenvoruntersuchungen, die einem einheitlich gerichteten H a n d e l n vorausgehen (Bild 7). Diese Einheit in der Ziel(Welche
Voraussetzungen der Leistung Faktoren beeinflussen die Leistung?)
Seinswissenschaften (Erscheinungen obachten u. (Diagnose
be-
Vorunter-
der Arbeit)
suchungen
Normwissenschaft (Zusammenfassen, in Beziehung ordnen, (Therapie
Tatsachen-
erklären)
setzen,
ausrichten) der
Bild 7.
Arbeit)
i
Die
Wie soll die Arbeit
gestallet
werden 1
Die Arbeitswissensdiaft
eigentliche
Lehre über
das
vorbildliche Handeln
als N o r m w i s s e n s d i a f t
Setzung und in der Anweisung f ü r die Ausführung einer Arbeit ist für ein erfolgreiches Lösen einer einheitlichen Aufgabe unerläßlich und wird vorbereitet durch eine einheitliche Arbeitslehre, die aus einer klaren einheitlichen Problemstellung und einer ihr angepaßten Methodik hervorgeht, aber bei ihrer Bearbeitung sich in die Aufklärung dieser Tatbestände aufgliedern muß (Bild 8). Stellt man jedoch ein Zentralproblem f ü r die Arbeitsforschung heraus — die Erforschung der menschlichen Leistungsmöglichkeiten —, dann gelangt man zwangsläufig zu der klaren Vorstellung einer einheitlichen, der Arbeitswissenschaft gestellten Aufgabe.
1.2 Entstehung und Charakter der Arbeitswissenschaft
H l
Spezia/-
i
33
Anweisung
Arbeitsmssmchaflen
Bild 8.
D i e Einheit der Arbeitslehre und Arbeitsgestaltung (bei vielfältigen Einzeluntersuchungen)
Eine solche einheitliche Wissenschaft besitzt: 1. einen eigenen Sachverdie menschliche Arbeit halt: die menschliche Arbeits2. ein eigenes Problem: leistung 3. eine eigene N o r m : die Lebensleistung des Menschen 4. eine eigene Methode: die Arbeitsstudie 5. eine einheitlich geglie- die systematisch aufgebaute derte Lehre: Arbeitslehre Der systematische A u f b a u einer Arbeitslehre gibt uns eine Übersicht über einen umfangreichen, schwer überschaubaren Stoff. Dadurch wird dem einzelnen Forscher ermöglicht, die Stoffülle zu überblicken und dadurch an die Quellen der Forschung heranzukommen. Von dem Mann in der Praxis verlangt man ebenso, daß er alle auf die Arbeit wirkenden Einflüsse, soweit sie sein H a n d e l n angehen, erkennt. Dies wird ihm durch eine systematische Darstellung des erkannten Wissens möglich. Die Arbeits3
H i l f , Arbeitswissensdiaft
34
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
forschung hat demgemäß die Aufgabe, neue gesicherte Erkenntnisse unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Gesamtproblems zu erarbeiten, und eine systematisch aufgebaute Arbeitslehre hat uns den Stand dieses Wissens unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Gegenstandes darzubieten. 1.3
Beziehungen der Arbeitswissenschaft zu anderen Wissenschaften
1.31 Stellung in der Wissenschaft Die Stellung der Arbeitswissenschaft in der Wissenschaft wird durch zwei Tatsachen bedingt: 1. Die Arbeitswissenschaft ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft und muß sich erst ihren Platz im Leben der Wissenschaften, besonders an ihren Forschungs- und Bildungsstätten, erringen. Erst mußten viele Grundlagengebiete erschlossen sein, ehe man darangehen konnte, die auf die menschliche Arbeit sich beziehenden Wissenszweige auszusondern und unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu stellen. 2. Die Arbeitswissenschaft liegt im Grenzbereich aller Fakultäten. Daher konnte sie von allen Fakultäten beansprucht werden (wie etwa an Technischen Hochschulen), oder alle Fakultäten konnten sich f ü r unzuständig betrachten (wie etwa an Universitäten). Grenzbereiche sind in der Regel besonders fruchtbar, werden aber oft nicht entsprechend gefördert (Bild 9). Daher hat im ganzen gesehen die Arbeitswissenschaft noch nicht diejenige Stellung im öffentlichen Leben und besonders an den Bildungsstätten, wie sie ihrer Bedeutung für die Praxis des Arbeits- und Betriebslebens entspricht. In der industriellen Praxis wirken zwar in Deutschland eine Vielzahl von Arbeitsstudienmännern, die praktisch alle vom Verband für Arbeitsstudien in den Methoden der Arbeits- und Leistungsuntersuchungen in Abendkursen ausgebildet wurden. Es fehlt aber immer wieder an sadi-
1.3 Beziehungen d. Arbeitswissensdiaft zu and. Wissenschaften 35
Bild 9.
D i e A r b e i t s Wissenschaft u n t e r den F a k u l t ä t e n .
Philosophische, M =
(TP =
Theologische,
Medizinische, T = Technische, J W = Juristische, W i r t schaftswissenschaftliche F a k u l t ä t e n )
kundigen Vorgesetzten, die auf Grund ihrer Hochschuloder Fachschulausbildung in der Lage wären, diesen Praktikern Aufgaben zu stellen, ihre Ergebnisse kritisch auszuwerten und f ü r ihre sachgerechte Anwendung zu sorgen. Daher wird eine Verstärkung der arbeitswissenschaftlichen Ausbildung sowohl auf den Universitäten wie auf den Technischen Hochschulen immer wieder gefordert. Eine Einführung in eine arbeitskundliche Lehre wird in den Studienplänen f ü r die Ingenieurschulen neuerdings stärker herausgestellt. 1.32
Grundlagengebiete — Nachbargebiete — Anwendungsgebiete
Die Arbeitswissenschaft nutzt zunächst das vorhandene Wissen in allen Grundwissenschaften aus, um ihren Gegenstand — die Beziehungen des Menschen zu seiner Arbeit und speziell die Voraussetzungen und Wirkungsmöglichkeiten der menschlichen Arbeitsleistung — möglichst vielseitig zu beleuchten. Deshalb besitzt die Arbeitswissenschaft Beziehungen zu allen Wissensgebieten (Bild 10), so3»
36
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
wohl zu den Naturwissenschaften und zu den Kulturwissenschaften. Im einzelnen haben sich insbesondere aus der Biologie des Menschen (besonders der Medizin und der Psychologie) Grundlagengebiete abgezweigt, die sich nur mit den Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner Arbeit beschäftigen. Die Aufgaben dieser Grundlagengebiete sollen kurz herausgestellt werden: Grundlagen: Alle Wissenschaften
(universitas
literarum)
Naturwissenschaften
Kulturwissenschaften
Mathematik
Philosophie-Theologie (Psychologie J
Physik, Chemie Biologie (Psychologie)
Technik Medizin
Wirtschaftswissenschaft Soziologie
Geographie
Rechtswissenschaft
Geschichte
ARBEITSWISSENSCHAFT Ergonomie
Bild 10.
Beziehungen d e r Arbeitswissenschaft zu i h r e n g r u n d l e g e n d e n Wissensdiaftsn
1. Die A r b e i t s p h y s i o l o g i e ist die Lehre von den Beziehungen der Arbeit zum menschlichen Körper. Die Arbeitsphysiologie untersucht dabei z. B. folgende Fragen: a) Wo liegen die Grenzen der höchstmöglichen körperlichen Leistungsfähigkeit des Menschen? b) Wie können wir die körperliche Beanspruchung des Menschen durch seine Arbeit nachweisen? c) Wie können wir die Beanspruchungen herabsetzen, insbesondere indem wir den Wirkungsgrad der Arbeit (das Verhältnis von Nutzleistung zur aufgewendeten Leistung) erhöhen?
1.3 Beziehungen d. Arbeitswissenschaft zu and. Wissenschaften 37 Durch die Untersuchungen des Energiehaushalts des arbeitenden Menschen ist die Arbeitsphysiologie heute als das am besten ausgebaute Grundlagengebiet in der Lage, Wesentliches auszusagen über eine optimale Anpassung der Arbeit an den Menschen bzw. des Menschen an seine Arbeit. Diese arbeitsphysiologischen Regeln fordern u. a., die körperliche Leistungsfähigkeit durch Vermeiden von Überanstrengungen zu erhalten, statische Arbeit (z. B. bei ungünstigen Arbeitsstellungen) und alle unnötigen Mitbewegungen des Körpers auszuschalten, bei einem grundsätzlich flotten Arbeitstempo rechtzeitige und ausreichende Pausen einzulegen. Durch ihre Methodik (siehe 2.21) ist die Arbeitsphysiologie heute in der Lage, die Beanspruchung des menschlichen Körpers bei jeglicher Schwerarbeit zu kennzeichnen und Abhilfen vorzuschlagen. 2. A r b e i t s h y g i e n e nennen wir den vorbeugenden Gesundheitsschutz des arbeitenden Menschen; sei es, d a ß diese Maßnahmen von der Arbeitsmedizin — der Kenntnis der Einwirkungen der Arbeit auf die Gesundheit des Menschen — ausgehen, oder daß sie in technische, organisatorische oder gesetzgeberische Maßnahmen münden (eigentlicher Arbeitsschutz). Das Bedürfnis nach Arbeitsschutz entsteht aus der Beanspruchung des arbeitenden Menschen durch die Umweltbedingungen bei der Arbeit, durch die damit verbundenen Energieumwandlungen und Abfallanhäufungen, die Massenansammlungen von Menschen an den Arbeitsstätten und dem Leistungsdruck, der auf ihnen lastet. Die Größe dieser Einwirkungen wird durch die Arbeitsbeanspruchungsstudie als Teil der Arbeitswertstudie erfaßt. Die Maßnahmen des Arbeitsschutzes reichen von der persönlichen Hygiene und der bauhygienischen Planung von Werksanlagen bis zu den Maßnahmen der Unfallverhütung und der Bekämpfung der Berufskrankheiten. 3. Die A r b e i t s p s y c h o l o g i e setzt sich zur Aufgabe, die f ü r eine Arbeitsaufgabe erforderliche Arbeitseignung des arbeitenden Menschen zu erkennen und aus
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1 Die Arbeit als Gegenstand der "Wissenschaft
der Arbeit entspringende seelische Rückwirkungen zu mildern (Bild 11).
objektiv
subjektiv
Positives Arbeifser/ebn/s leisfungsncchha/f/gJkeif
¿eisfungsbereifschoff a) Fähigkelten (Eignung - Fertigkeit) b) Antrieb u.Steuerung Leistungsabforderung a) Anforderungen b) Beanspruchungen
a) Zum Uniergebenen Forderung Förderung b) Zum Ai/farbeifer aa) Z u m Einzelnen Konkurrenz Solidarität bb) Z u r Gruppe Zugehörigkeit Soziale Stellung c) Zum Vorgese/zfen Einordung Ansprüche
Ziel X
Spannungen
B i l d 11.
Aufgaben der
Arbeitspsychologie
Sie beachtet die inadäquate Wirkung von Reizen, die Anderswirkung menschlicher Handlungen, die Erfahrung, daß der Charakter in der Praxis oft wichtiger ist als "Wissen und Können. Ihr Hauptanliegen ist (nach HISCHE) das Erkennen: a) der Anlageschwerpunkte des Menschen und b) der Anforderungsschwerpunkte der Arbeit. Dementsprechend ist das Erkennen der Einzelanlage und die Beurteilung der Arbeitspersönlichkeit Aufgabe vieler arbeitspsychologischer Untersuchungen (Eignungsprüfungen; Ziffer 2.21). Umgekehrt soll die Arbeitspsychologie erkennen, wie die Arbeitsumwelt sowie die Arbeitsaufgabe
1.3 Beziehungen d. Arbeitswissenschaft zu and. Wissenschaften 39 und Arbeitsweise auf den arbeitenden Menschen einwirken (Individualpsychologie). Neben dem Verhalten des einzelnen bei seiner Arbeit interessiert die Arbeitspsychologie auch das Verhalten und Zusammenwirken der Menschen im Betrieb (Sozialpsychologie). 4. Die A r b e i t s s o z i o l o g i e untersucht die Beziehungen des arbeitenden Menschen zu seinen Mitmenschen im Betrieb, so auch ihre Einwirkungen auf die menschliche Gesellschaft und ihre Rückwirkungen auf das Verhalten des einzelnen. Sie grenzt unmittelbar an die Betriebsund Sozialpsychologie. Die Arbeitssoziologie sammelt in erster Hinsicht Tatsachen über die Rückwirkungen der Arbeit auf den Menschen und seine Gesellschaftsformen, ohne eine bestimmte Form des Zusammenwirkens als erstrebenswert hinzustellen. Im Gegensatz zur Arbeitsphysiologie und Arbeitspsychologie hat sie Leinen Ansatz zu einer normativen Wissenschaft, sondern begnügt sich mit Methoden der Feststellung von Sachverhalten. Dazu gehören als Tatbestand auch Stimmungen im Betrieb, die durch die Methode der Befragung aufzuklären versucht werden. Unter den Problemen der Soziologie interessieren heute vor allem ihre Feststellungen über die Arbeit in Gruppen (insbesondere auch in informellen Gruppen) und die Möglichkeiten der Betriebsführung, die Wirkungen ihrer Handlungen auf die Einstellung der Arbeiter zu ihrer Arbeit und zu ihrem Betrieb zu erkennen. 5. Die A r b e i t s p ä d a g o g i k will zeigen, wie man den arbeitenden Menschen mit seiner Arbeit vertraut macht. Dadurch verhilft sie dem Arbeiter zu einer Beherrschung und Meisterung seiner Arbeit, nimmt ihm das Mißtrauen ihr gegenüber und verhilft ihm zu Leistungen. Die Ausbildung zur Arbeit und die Erziehung zur Leistung sind wichtige Arbeitsführungsaufgaben (Ziffer 4.42). Durch eine systematische Ausbildung wird der Arbeitserfolg gesteigert, die Leistung erhöht, die Arbeitssicherheit gefördert. Der wichtigste Erfolg der Arbeitsaus-
40
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft
bildung ist die Formung der Arbeitspersönlichkeit, welche eine positive Einstellung zu ihrer Arbeit gewinnt. Für die Arbeitsunterweisung haben sich festere Regeln herausgebildet, die aus der sogenannten TWI-Methode stammen (Ziffer 1.21) und als Vierstufenmethode gelehrt werden. Hierbei soll der Lernende vorbereitet und unterwiesen werden, seine Arbeit selbst zu erklären, zu begründen, und danach auszuführen. Dadurch soll er bewußt arbeiten, selbständig werden und schließlich durch Üben ein Meistern erreichen. Eigentliches Ziel der Arbeitsunterweisung ist (nach H . L A N G ) nicht das Erlernen von Handgriffen, um Arbeiter schnell akkordreif zu machen, sondern das Erziehen zur Mitarbeit, um Interesse an ihrer Arbeit und ihrem Betrieb zu gewinnen und durch genaue und überlegte Arbeit ihre Persönlichkeit zu entwickeln. N a c h b a r g e b i e t der Arbeitswissenschaft ist vor allem die Betriebswirtschaftslehre. Während die Arbeitswissenschaft den Vorgang der Arbeit und seine Beziehungen zum Menschen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt, greift die Betriebswirtschaftslehre das Problem auf, wirtschaftliche Vorgänge in der Unternehmung und im Be~ trieb zu durchleuchten und die dabei auftretenden Wertänderungen zu erkennen. Bei der Frage nach dem Ertrag und dem Aufwand, der durch die Arbeit verursacht wird, treffen sich beide Lehren, wobei die Arbeitslehre die durch die Arbeit bedingten Ursachen der Kosten- undAufwandshöhe erklären kann, die Betriebswirtschaftslehre aber deren Bedeutung für die wirtschaftliche Gesamtrechnung herausstellt. Im Bereich der Technik berührt sich die Arbeitslehre mit der Lehre von der Fertigung, insbesondere der Fertigungsplanung und der Planung von Werksanlagen und Arbeitsplätzen, mit der Lehre von Werkzeugen, Vorrichtungen und Werkzeugmaschinen sowie mit dem technischen Arbeitsschutz. Alle Fragen der Arbeitsorganisation sind zugleich Fragen einer allgemeinen Organisationslehre, von der in der Arbeitslehre insbesondere die Fragen der Arbeitsvorbereitung und Arbeitsüberwachung interessieren.
1.3 Beziehungen d. Arbeitswissenschaft zu and. 'Wissenschaften 41 Audi die Fragen des Aufbaus eines Arbeitsbetriebes und die Grundsätze der Arbeitsführung sind von einer allgemeinen Organisationslehre abhängig. Unter den A n w e n d u n g s g e b i e t e n sind die Landarbeit und die Forstarbeit vielleicht am intensivsten untersucht worden, weil die Schwerarbeit unter Allwetterbedingungen besonders hohe Forderungen an den arbeitenden Menschen stellt, zugleich aber durch ihre geringe Technisierung und ihre niedrige Lohnhöhe Ertragsverbesserungen, Arbeitserleichterungen und Lohnerhöhungen besonders nötig hat. In der Industrie werden alle Betriebe von der Rohstoffgewinnung (z. B. im Bergwerk) und Rohstoff auf bereitung (z. B. in der eisenschaffenden Industrie) bis zur Erzeugung von H a l b - und Fertigwaren irgendwie arbeitswissenschaftlich durchleuchtet, die größeren Betriebe mehr als die kleineren und insbesondere die Handwerkbetriebe. Auch die Handels- und die Dienstleistungsbetriebe bekümmern sich immer mehr um Fragen der Arbeitsgestaltung; unter ihnen haben Post und Bundesbahn ausgedehnte Einrichtungen zur Untersuchung der in ihrem Bereich anfal" Ienden Arbeitsvorgänge. 1.33
Die Arbeitswissenschaft im Ausland
In den meisten Sprachen ist der Ausdruck Arbeitswissenschaft unbekannt oder wenig bekannt und wird durch andere Ausdrücke übersetzt. Der Sachverhalt aber — die Untersuchung der menschlichen Arbeit auf ihre Zweckmäßigkeit, ihre Zulässigkeit und ihre Leistungsmöglichkeit — ist in manchen Ländern, besonders in den USA, wesentlich stärker ausgebaut als in Deutschland. Der Vergleich der Wissensgehalte und Einrichtungen ist nicht nur durch sprachliche Schwierigkeiten erschwert, auch in der Sache selbst bestehen ganz verschiedene Auffassungen und Anschauungen. Eine Ubersicht soll die Unterschiede darstellen und dabei die deutschen und amerikanischen Bezeichnungen erläutern (Übersicht 2).
42
1 Die Arbeit als Gegenstand der Wissenschaft Übersicht 2
Deutsche und amerikanische Auffassungen von der Arbeitswissenschaft Auffassungen und Begriffsbildungen in Deutschland USA Ausgangspunkt: Das wissenschaftliche Problem Die praktische Frage Der Weg: Die begriffliche Erfassung Die unmittelbare Erkundung Forschungsmethoden Fallstudien (case studies) Die systematische Bearbeitung Die Erfassung des Falls, die Sammlung von Fällen Der Gegenstand: Abstrakt und objektbezogen: Konkret und subjektbezogen: „Die Arbeit" an sich „Die Berufsaufgabe" (activity) einer Person Arbeitswissenschaft (work Industrial engineering (human science) engineering) Die Grundlegung Die richtige Theorie
Das Ziel: Die Verbreitung Der praktische Erfolg
Dementsprechend gibt es nur selten Bücher über „science o f w o r k " ( s o M . S. VITELES 1934), dagegen in großer Verbreitung über „ m o t i o n a n d time s t u d y " . In Frankreich und Belgien ist der Ausdruck „ l a science du t r a v a i l " ebenf a l l s selten (so VLAEMINCK 1 9 5 4 ) ; dagegen werden heute Ausdrücke wie ergonomics (englisch), ergologie ( f r a n z ö sisch), E r g o n o m i e (deutsch) s t ä r k e r v e r b r e i t e t , allerdings unter Einengung des Gegenstandes. Gemeint sind hier ursprünglich nur Fragen der Biologie der Arbeit, dagegen nicht F r a g e n der Technik und O r g a n i s a t i o n der Arbeit.
2. Methoden der Arbeits- und Leistungsforschung Die Arbeitsforschung hat die Aufgabe, gesicherte Aussagen zu machen über Ursachen und Wirkungen der menschlichen Arbeit und die Möglichkeiten ihrer Beeinflussung. Dabei wird die Arbeit als ein kausaler und finaler Vorgang aufgefaßt, der rein naturwissenschaftlich nicht erklärt werden kann, sondern der auch in seiner Zielstrebigkeit verstanden werden muß. Die Fragen der Arbeitsforschung verdichten sich zu dem Problem der Leistungsforschung, d. i. die Beantwortung der Frage, welche Leistungen einem arbeitenden Menschen unter bestimmten Bedingungen nachhaltig — d. h. auf die Dauer — möglich sind. Dabei variieren sowohl die objektiven Leistungsmöglichkeiten (Leistungsbedingungen) wie die subjektiven Leistungsfähigkeiten. Die Ursachen der menschlichen Leistungen sind mannigfacher Natur — primär durch die Arbeitsaufgabe bedingt und dann durch alle Leistungshilfen, welche die Organisation des Betriebs geben kann und welche durch das Studium des Arbeitsablaufes erkannt werden (Bild 12). Ebenso sind auch die Wirkungen vielfältig, die sich primär im Arbeitsergebnis niederschlagen, aber weiterwirken können im Leben des Betriebs und des Arbeiters, — besonders in der Richtung der Aufrechterhaltung nachhaltiger Leistungen, — durch die Kontinuität des Betriebs und die Lebensleistung des Arbeiters. In der Praxis verengt sich die Fragestellung der Arbeitsuntersuchung weitgehend auf den Zusammenhang zwischen Leistung und Arbeitsverdienst, mithin die Probleme der Leistungsentlohnung (Ziffern 5.11—5.23 und 6.12). Klare Unterlagen über diese zu bekommen, ist oft das nächste Anliegen der Betriebe, wenn sie an das Studium der Arbeit herangehen. Die Arbeitsforschung hat
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2 Methoden der Arbeits- und Leistungsforschung
iArbe™?f«?b.)
Leistungsbereits chaft
Arbeitsführung Arbeitsmittel Arbeitsverfahren Arbeitsplanung
Arbeits umwelt
fArbe \leisfun^/
/71V.
ArbeitsArbeitstieArbeitserzeuani? ArbeitsbeanArbeitsverdienst friedlgung Menge - Güte spruchung kosten Orf - Zeit (Lebenslersftjng) (Wirfsctiofrlirtik.) (Lebenshaltung) (Entspannung) Bild 12. Ursachen und Wirkungen der Arbeitsleistung
gegenüber dem unmittelbaren Betriebsbedürfnis oft die Aufgabe darauf hinzuweisen, daß die menschliche Leistung von unendlich vielen Vorbedingungen abhängig ist. Wenn die Arbeitsforschung die jeweils wirksamsten Bedingungen der Arbeitsleistung kennenlernen will, muß sie oft weitgehende Überlegungen anstellen, insbesondere auch über die Möglichkeiten, die menschliche Leistung durch eine bessere Arbeitsgestaltung zu steigern, ohne die Beanspruchung des Menschen zu vermehren. 2.1
Kennzeichnung arbeitswissenschaftlicher Forschungsmethoden 2.11 Ursprüngliche Leistungsbeurteilung und arbeitswissenschaftliche Leistungsuntersuchung
Die älteste Methode, Leistungen zahlenmäßig zu beurteilen, ist der L e i s t u n g s n a c h w e i s , der die im Betrieb hergestellten Werkmengen und gebrauchten Arbeits-
2.1 Kennzeichnung arbeitswlssensdiaftl. Forsdiungsmethoden
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Zeiten statistisch aufzeigt (Leistungsstatistik). Der Praktiker, der gewohnt ist, sich auf seine Erfahrungen zu verlassen, sah zunächst im Leistungsnachweis die einzig mögliche und untrügliche Information über tatsächliche Leistungen. D a her fühlte er sich auch berechtigt, aus ihm Folgerungen zu ziehen. E r übersah dabei die Bedingtheit der Aussagen dieser Methode und legte so den Grund zu der verhängnisvollsten Maßnahme der Lohngestaltung, der Akkordschere (Bild 13). Unter Akkordschere versteht man das Senken der Vorgabezeit nach einem Akkord ohne vorherige gültige Messung der Arbeitszeit („Probierakkord"), wenn das Arbeitsergebnis vermeintlich zu hohe Leistungen oder vermeintlich zu hohen Verdienst nachwies. Der Leistungswille wurde dadurch bestraft und einem lange nachwirkenden Mißtrauen der getäuschten Arbeiterschaft das Tor geöffnet. Erst die methodisch richtige Ermittlung der Vorgabezeit („Studierakkord") begründet ein Vertrauen auf Belassung leistungsgemäßer Uberverdienste.
B i l d 13.
Entstehung und Abwendung der Akkordsdiere. Wird ein Stücklohn
durdi Probieren
gefunden
(Probierakkord),
dem ein vermeintlich
zu
hoher
Verdienst folgt, und dann der Stücklohn heruntergesetzt, so liegt eine A k k o r d sdiere v o r ; wird der Stücklohn durch eine Arbeitsstudie ermittelt, dann muß der leistungsgeredite Mehrverdienst erhalten bleiben (Studierakkord)
Ursache des Fehlschlusses aus dem Leistungsnachweis ist die Tatsache, daß aus einer „ I s t - L e i s t u n g " niemals auf die Höhe einer „ S o l l - L e i s t u n g " geschlossen
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2 Methoden der Arbeits- und Leistungsforsdiung
werden kann (Bild 14). Aus einer Ist-Leistung kann man auch nicht ohne weiteres auf die Ursache möglicher Leistungen schließen. Eine höhere Leistung gegenüber der üblichen kann begründet sein durch eine besondere Anstrengung des Arbeiters, seine besondere Geschicklichkeit oder auch durch eine bessere, von ihm erfundene Arbeitsweise; in allen diesen Fällen ist eine Kürzung der Vorgabezeit wegen Mehrleistung ungerechtfertigt. Die Mehrleistung kann andererseits ihre Ursachen in Maßnahmen des Betriebs (in besserer An- und Ablieferung, Einführung arbeitserleichternder Vorrichtungen, Ändern des Werkstoffes oder Vereinfachen des Erzeugnisses) haben. In diesem Falle wäre eine Herabsetzung der Vorgabezeit berechtigt, wenn durch besondere Arbeitsstudien nachgewiesen würde, daß eine neue Vorgabezeit richtig wäre. Schließlich kann eine höhere Leistung auch durch Fehler in ihrer Nachweisung entstehen (z. B. durch Vorweisen aufgesparter „Schubladenakkorde", durch irrtümliche Zurechnung von Mengen oder Zeiten usw.). Aus allen diesen Überlegungen Annahme:
Sollverdienst Ist " "
(Vs)
(Vj)
(Fehl-) Schluß:
3.10 3.10' also " "
"
DM/Stunde ii
1"S/
Ist = Soll Soll= real Ist - ideal
Verdienst
Fehlermöglichkeiten I
Annahme
Vorgabezeit Anspannung
(ts)
zu hoch niedrig
f£T,J zu
r—
ts
: Ist = Solf(Verdienst)